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Vorwort Die Idee zu diesem Buch ist vor fast drei Jahren entstanden. Die Umsetzung des Projekts hat sich als anspruchsvoll und schwierig erwiesen. Umso mehr freuen wir uns jetzt das Praxiswörterbuch präsentieren zu können. Das hinter dem Praxiswörterbuch Europarecht stehende Konzept beruht darauf, dass heutzutage bereits jede/r mit dem Europarecht in der juristischen Praxis konfrontiert ist. Die individuellen Schwerpunktsetzungen machen es aber unmöglich, sich mit allen Bereichen des Europarechts auseinander zu setzen. Dieses Praxiswörterbuch soll dazu dienen, einen Einstieg in jene Bereiche des Europarechts zu ermöglichen, mit denen man nicht so vertraut ist. Europarechtliche Fachtermini, Urteile des EuGH und sekundärrechtliche Rechtsakte stellen den begrifflichen Ausgangspunkt des Praxiswörterbuchs dar. In der Form eines Wörterbuchs werden in alphabetischer Reihenfolge kurze Begriffserklärungen des Europarechts vorgestellt. Um Praxisbedürfnissen gerecht zu werden, wurden bei länger dargestellten Begriffen auch englische und französische Übersetzungen zur Verfügung gestellt. Weiterführende Hinweise sollen – falls eine Vertiefung der begrifflichen Erklärung von Interesse ist – den/die LeserIn auf detailliertere Literatur, Weblinks und europarechtliche Rechtsakte aufmerksam machen. Das Wörterbuch versteht sich daher weder als lehrbuchartige Einleitung in bestimmte europarechtliche Politiken noch als Enzyklopädie, sondern soll dazu dienen, überblicksartige Begriffserklärungen zu bieten. Die Streuung der europarechtlichen Begriffe ist sehr breit und soll damit dem Anspruch eines Praxiswörterbuchs gerecht werden: Vom europäischen Atomrecht über europäisches Medienrecht bis hin zum europäischen Wettbewerbsrecht spannt sich ein weiter Bogen von Stichwörtern. Mit über 3.500 Stichworten ist es gelungen, eine umfangreiche begriffliche Sammlung zum Europarecht vorzustellen, wie sie bisher im deutschsprachigen Raum noch nicht zur Verfügung stand. Die Umsetzung dieses Projektes hat auch bei seiner Erstellung Neuland beschritten. Die Organisation von über 60 AutorInnen wäre durch eine zentrale Koordination nicht mehr möglich gewesen, da sich die den AutorInnen zugewiesenen Bereiche bei der begrifflichen Ausarbeitung in jeder Hinsicht überschnitten hätten. Die Entwicklung einer webbasierten Datenbank hat es allen beteiligten AutorInnen ermöglicht, die Begriffe der anderen AutorInnen zu lesen und mit den eigenen abzugleichen. Überdies konnte aufgrund der webbasierten Datenbank ein virtueller Raum geschaffen werden, an dem die aus Deutschland, Österreich und der Schweiz stammenden AutorInnen gleichzeitig partizipieren konnten. Aus der Vielzahl an Bereichen wurde nach Abschluss der Eingabe in die Datenbank automatisch ein alphabetisch sortiertes Wörterbuch generiert, das in weiterer Folge redigiert werden konnte. V
Vorwort
Der Vertrag von Lissabon konnte im Rahmen dieses Projektes aufgrund der Größe und Komplexität des Projektes nur mehr am Rande berücksichtigt werden und ist nicht umfassend eingearbeitet. Nach dem negativen Ergebnis des Referendums in Irland vom 12.6.2008 bezüglich des Vertrags von Lissabon ist die weitere Entwicklung auf europäischer Ebene noch unklar. Das Praxiswörterbuch bezieht sich daher auf die geltende Rechtslage. Die Realisierung dieses Konzepts des Praxiswörterbuchs Europarecht war mit vielen nicht vorhersehbaren Problemen und Schwierigkeiten verbunden. Umso mehr ist der Abschluss dieses Bandes nun ein Grund zur Freude und so danken wir an dieser Stelle jenen, die dieses Buch möglich gemacht haben. Es sei zuallererst den AutorInnen dieses Praxiswörterbuchs Europarecht herzlich gedankt, die sich mit vollem Engagement auf dieses Projekt eingelassen haben. Sie haben sich trotz der neuartigen Herangehensweise nicht von der Teilnahme an diesem Projekt abschrecken lassen Ein besonderer Dank ist auch o. Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk ausgesprochen, der das Projekt von Anfang an unterstützt hat. Es soll auch all jenen gedankt werden, die organisatorisch zur Verwirklichung dieses Projekts beigetragen haben: so Erich Munz, der nicht nur die Datenbank programmiert hat, sondern auch bei allen Folgeproblemen unkomplizierte Lösungen gefunden hat. Ein besonderer Dank ist auch Jean-Philippe Derosier und Colm McGrath für ihre sprachliche Kontrolle und Korrekturen der Übersetzungen auszusprechen. Es sei an dieser Stelle auch dem Springer-Verlag gedankt, der die Bereitschaft zur Umsetzung dieses Projektes übernommen hat, im Speziellen Frau Mag.a Sabine Warschitz, die dieses Praxiswörterbuch von Anfang an gefördert und Frau MMag.a Judith Langthaler, die den Abschluss dieses Projektes betreut hat. Last but not least, gilt unser Dank – wie so oft – Susanne Karner, die mit ungeheurem Einsatz das Layout und die Vereinheitlichung des Praxiswörterbuchs Europarecht übernommen hat.
Wien/Heidelberg im Juni 2008 Konrad Lachmayer und Lukas Bauer
VI
AutorInnenliste ƒ Mag. Philip Aumüllner, Forschungsstelle „Europäische Rechtsentwicklung und Privatƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
rechtsreform“, Universität Wien (pa) Europäisches Konsumentenschutzrecht Dr. Bedanna Bapuly, Österreichische Akademie der Wissenschaften (bb) Drittstaatsabkommen Dr. Jürgen Bast, MPI Heidelberg (jb) Rechtsakte allgemein, Europäisches Einwanderungsrecht, Europäischer Wirtschaftsraum (EWR) Mag. Anna Verena Bauer, Wien (ab) Humanitäre Hilfe Dr. Lukas Bauer, Universität Wien (lb) sonstige Gerichtsverfahren Dr. Christoph Bezemek, Wirtschaftsuniversität Wien (cb) Harmonisierung MMag. Doris Böhler, Universität Innsbruck (db) Kompetenzverteilung (Prinzip der Einzelermächtigung) Mag. Jürgen Busch LL.M., D.E.A., Universität Wien (jbu) Europäisches Bildungsrecht Dr. Zuzanna Chojnacka, Stadt Wien (zc) Richtlinien Dr. Dragana Damjanovic, Wirtschaftsuniversität Wien (dd) Europäisches Medienrecht Dr. Philipp Dann, LL.M., MPI Heidelberg (pd) Europäisches Parlament Christina Detscher, Siegen (cd) Europäisches Kulturrecht Dr. Michael Droege, Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (md) Europäisches Religionsrecht, Europäischer Integrationsprozess Dr. Elisabeth Dujmovits, Universität Wien (ed) Menschenrechte in der Europäischen Union Dr. Harald Eberhard, Verfassungsgerichtshof (he) Verfassungsrecht und Gemeinschaftsrecht: Österreichische Perspektive, Transnationales Verwaltungsrecht: Österreichische Perspektive Ao. Univ.-Prof. Dr. Anna Gamper, Universität Innsbruck (ag) Ausschuss der Regionen, Subsidiaritätsprinzip Dr. Klaus Gärditz, Universität Bayreuth (gär) Haushaltsführung in der EU, Europäisches Gesundheitsrecht Ass. iur. Florian Gröblinghoff, Kiel, Baden-Baden (fg) Austritt und Ausschluss aus der Europäischen Union Benjamin Hartmann LL.M., MPI Heidelberg (bh) WTO und Europäische Union (Außenhandel, Wirtschaftliche Außenbeziehungen) Dr. Herwig Hauenschild, KWR Rechtsanwälte Wien (hh) Europäisches Energierecht Daniela Heinemann, Universität Osnabrück (dh) EuGH/EuG I, Europäisches Sozialrecht Dr. Gregor Heißl E.MA, Universität Wien (gh) Gesetzgebungsverfahren Dr. Günter Herzig, Universität Salzburg (güh) Warenverkehrsfreiheit MMag. Andrea Herzog, Universität Salzburg (ah) Warenverkehrsfreiheit Dr. Bernhard Hofstötter LL.M., Büro des Europäischen Bürgerbeauftragten, Straßburg (bho) Rat der Europäischen Union VII
AutorInnenliste ƒ Felix Hornfischer, Universität Freiburg (fh) Transnationales Verwaltungsverfahrensrecht ƒ MMag. Dr. Stefan Huber LL.M., CHSH Rechtsanwälte Wien (sh) Dienstleistungsfrei-
heit ƒ Dr. Manuel Kellerbauer, Europäische Kommission Brüssel (mke) Europäisches Wett-
bewerbsrecht, Verstärkte Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten ƒ Dr. Sebastian Graf Kielmansegg, Universität Mannheim (sgk) Verfassungsrecht und
Gemeinschaftsrecht: Deutsche Perspektive ƒ Dr. Simone Knemeyer, Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (sk) Komitologie, Ausschuss-
wesen der EU ƒ Matthias Köngeter, Deutscher Bundestag, Berlin (mk) Nichtigkeitsklage, Kapitalver-
kehrsfreiheit ƒ Dr. Hedwig Kopetz, Universität Graz (hk) Forschung und Innovation ƒ Dr. Markus Kraus, Maître en Droit, Frankfurt a.M. (mkr) Europäisches Lebensmittelƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
recht Dr. Konrad Lachmayer, Universität Wien (kl) Polizeiliche Zusammenarbeit in Strafsachen, Schengen Dr. Andreas Lehner, Universität Wien (al), Europäisches Datenschutzrecht, Europäisches Gentechnikrecht DDr. Alois Leidwein, AGES - Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (all) Europäisches Agrarrecht Mag. Stephan Lenzhofer, Universität Wien (sl) Europäische Kommission, Europäische Parteien Dr. Gerda Marx, Universität Wien (gm) Wirtschafts-und Sozialausschuss, Geschichte der EU Dr. Clemens Mayr, Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst Wien (cm) Europäisches Vergaberecht Dr. Mary-Rose McGuire, Universität Osnabrück (mrm) Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, Europäisches Privatrecht, Europäisches Zivilprozessrecht Mag. Sebastian Mesecke, FWP Rechtsanwälte Wien (sm) Europäisches Umweltrecht, Europäisches Verkehrsrecht MMag. Andreas Th. Müller, Universität Innsbruck (atm) Europäisches Atomrecht (EAV) Mag. Lukas Oberndorfer, Universität Wien (lo) Beitritt zur Europäischen Union, Erweiterungsprozess Prof. Dr. Christoph Ohler, Universität Jena (co) Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, Europäische Zentralbank Mag. Andreas Orator M.A., Wirtschaftsuniversität Wien (ao) Rechte der Unionsbürger MMMag. Rainer Palmstorfer, Universität Salzburg (rp) Warenverkehrsfreiheit Dr. Manuela Postl, Universität Graz (mp) Europäisches Patentrecht MMag. Julia Lemonia Raptis, Universität Wien (jlr) Europäische Investitionsbank DDr. Thomas Ratka LL.M. LL.M., Universität Wien (tr) Europäisches Gesellschaftsrecht
VIII
AutorInnenliste ƒ Mag. Johannes Rehulka, Universität Wien (jr) Europäisches Beihilfenrecht ƒ Mag. Gregor Ribarov, Wirtschaftsuniversität Wien (gr) Recht der europäischen Agen-
turen ƒ Dr. Judith Schacherreiter, Universität Wien (js) Europäisches Kollisionsrecht, Europäi-
sches Urheberrecht ƒ Ass.iur. Friederike Schaefer, Binder Grösswang Rechtsanwälte Wien (fs) Diskriminie-
rungsverbot, Europäisches eCommerce-Recht ƒ Ass.iur. Stefan Schumann, Universität Wien (sts) Justizielle Zusammenarbeit in Strafƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
sachen, Betrugsbekämpfung MMag. Niklas Sonntag, Universität Innsbruck (ns) Gutes Regieren, Konferenzen Dr. Gerhard Thallinger LL.M., Bundeskanzleramt Verfassungsdienst Wien (gt) Europäisches Asylrecht Dr. Jörg Philipp Terhechte, Universität Hamburg (jpt) Vorabentscheidungsverfahren, Staatshaftung, Europäisches Wettbewerbsrecht Dr. Daniel Thym LL.M., Humboldt Universtitä Berlin (dt) Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Dr. Peter Unger, Verwaltungsgerichtshof Wien (pu) Europäisches Steuerrecht Christopher Verlage, Universität Münster (cv) Vertragsverletzungsverfahren Mag. Julia Werzer LL.M., Binder Grösswang Rechtsanwälte Wien (jw) Europäisches Asylrecht Dr. Ferdinand Wollenschläger, Universität München (fw) Personenverkehrsfreiheit
IX
AutorInnenliste
ab
Mag. Anna Verena Bauer
hh
Dr. Herwig Hauenschild
ag
Ao. Univ.-Prof. Dr. Anna Gamper
hk
Dr. Hedwig Kopetz
ah
MMag. Andrea Herzog
jb
Dr. Jürgen Bast
al
Dr. Andreas Lehner
jbu
Mag. Jürgen Busch LL.M., D.E.A.
all
DDr. Alois Leidwein
jlr
Mag. Julia Lemonia Raptis
ao
Mag. Andreas Orator M.A.
jpt
Dr. Jörg Philipp Terhechte
atm
MMag. Andreas Müller
jr
Mag. Johannes Rehulka
bb
Dr. Bedanna Bapuly
js
Dr. Judith Schacherreither
bh
Benjamin Hartmann LL.M.
jw
Mag. Julia Werzer LL.M.
bho
Dr. Bernhard Hofstötter LL.M.
kl
Dr. Konrad Lachmayer
cb
Dr. Christoph Bezemek
lb
Dr. Lukas Bauer
cd
Christina Detscher
lo
Mag. Lukas Oberndorfer
cm
Dr. Clemens Mayr
md
Dr. Michael Droege
co
Prof. Dr. Christoph Ohler
mk
Matthias Köngeter
cv
Christopher Verlage
mke
Dr. Manuel Kellerbauer
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MMag. Doris Böhler
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Dr. Markus Kraus, Maître en Droit
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Dr. Dragana Damjanovic
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Dr. Manuela Postl
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Daniela Heinemann
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Dr. Ferdinand Wollenschläger
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Dr. Klaus Gärditz
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MMag. Dr. Stefan Huber LL.M.
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Dr. Gregor Heißl E.MA
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Dr. Simone Knemeyer
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Mag. Stephan Lenzhofer
gr
Mag. Gregor Ribarov
sm
Mag. Sebastian Mesecke M.L.E.
gt
Dr. Gerhard Thallinger LL.M.
sts
Ass.iur. Stefan Schumann
güh
Dr. Günter Herzig
tr
DDr. Thomas Ratka LL.M. LL.M.
he
Dr. Harald Eberhard
zc
Dr.Zuzanna Chojnacka,
X
Abkürzungen a.a.O. a.F. ABl. Abs. ADR ADÜ AG AGB AGG AKP Alt. Alt. Anh. Anm. AnwBl. AöR ARB Art. AStV Aufl. AVG AVR AWR-Bulletin bay. WahlG BB Bd. Bde. Beitrittsa. Beitrittsv. BEUC Bezügl. BFH BGB BGBl. BGH biolog. BMWF BolkesteinRL
am angegebenen Orte alte Fassung Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Accord européen relatif au transport international des marchandises Dangereuses par Route, Alternative Dispute Resolution Antidumpingübereinkommen Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz Afrika-Karibik-Pazifik Alternative Gesetz zB Art. 58 Abs. 1 lit. b, 2. Alt. EG Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts [Zitatvorschlag AöR 122 (1997), 1] Assoziationsratsbeschluss Artikel Ausschuss der Ständigen Vertreter Auflage ö Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz Archiv des Völkerrechts Vierteljahresschrift für Flüchtlingsfragen bayrisches Wahlgesetz Betriebs-Berater Band Bände Beitrittsabkommen Beitrittsvertrag Bureau Européen de s Unions des Consommateurs (Europäisches Büro der Verbraucherverbände) bezüglich Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof biologisch Bundesminister(ium) für Wissenschaft und Forschung Bolkesteinrichtlinie XI
Abkürzungen
BSB bspw. Bull EG Beil Bull. BullEG BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE B-VG bzw.
Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der EG beispielsweise Bulletin der EG. Beilage Bulletin Bulletin der EG Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des BVerfG Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Entscheidungssammlung des BVerwG Bundes-Verfassungsgesetz beziehungsweise
ca. CARDS
circa Community Assistance for Reconstruction, Development and Stabilisation Cahiers de droit européen [Zitatvorschlag CDE 2006, 1] Communitatis Europeae Lex, Rechtsdatenbank der EU Comité Européen de Normalisation (Europäisches Komitee für Normung) Comité Européen de Normalisation Electrotechnique (Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung) Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire Ausschuss für die nichtmilitärischen Aspekte der Krisenbewältigung Common Market Law Review [Zitatvorschlag: 40 CML Rev. (2003), 1] Common Market Law Review Commission Center of Main Interest Community Research and Development Information Service Comité des représentants permanents Committee for Medicinal Products for Veterinary Use The Cambridge yearbook of European legal studies [Zitatvorschlag: CYELS 2005, 1]
CDE CELEX CEN CENELEC CERN CivCom CML Rev. CMLR COM COMI CORDIS COREPER CVMP CYELS D d.h. DB DBA ders. dies. DIP Diss. Dok. XII
Deutschland das heißt Der Betrieb Doppelbesteuerungsabkommen derselbe dieselbe Droit International Privé Dissertation Dokument(e)
Abkürzungen
dt. DVBl. dzt.
deutsch Deutsches Verwaltungsblatt [Zitatvorschlag DVBl. 2006, 1] derzeit
e.V. EA EAC EAG EAGV EAK EBA ebd. EBDD EBR ECCG ECHA
eingetragener Verein Europaabkommen Education and Culture Europäische Atomgemeinschaft Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft Europäischen Abfallkatalog Europäische Beweisanordnung Ebenda Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht European Business Register European Consumer Consultative Group European Chemicals Agency (Europäisches Amt für chemische Stoffe) Europäisches Amt für humanitäre Hilfe European Competition Law Review Rat für Wirtschaft und Finanzen Zeitschrift für Recht und Wirtschaft European Credit Transfer and Accumulation System Verteidigungsagentur, Europäische Einheitliche Europäische Akte European Foreign Affairs Review European Fusion Development Agreement Europäischer Forschungsraum; Europäischer Forschungsrat European Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) European Free Trade Association Europäische Gemeinschaft, Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft idF des Vertrags von Nizza Europäische Gegenseitigkeitsgesellschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Geostationary Navigation Overlay Service Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft idF vor dem Vertrag von Amsterdam Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung in Ehesachen Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung in Ehesachen Europäisches Hochschulinstitut
ECHO ECLR ECOFIN ecolex ECTS EDA EEA EFA Rev EFDA EFR EFSA EFTA EG EGG EGKS EGMR EGNOS EGV EheGVO EheGVVO EHI
XIII
Abkürzungen
EHR EIB EIDHR EIF EiOP EJML EJN EK EL Rev. ELER ELJ EMCC EMEA EMRK endg. engl. ENP ENPI EP EPG EPA EPL EPLA EPO EPÜ EPZ EQR ERA ERC ESA ESF ESS ESVK ESVP ESZB-Satzung et al. etc. ETF
XIV
Europäischer Hochschulraum Europäische Investitionsbank European Instrument for Democracy and Human Rights Europäischer Investitionsfonds European Integration Online Paper European Journal of Migration and Law [Zitatvorschlag EJML 2006, 1] Europäisches Justizielles Netz für Strafsachen Europäische Kommission European Law Review [Zitatvorschlag 28 EL Rev. (2003), 1] Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums European Law Journal European Monitoring Centre on industrial Change (Europäische Stelle zur Beobachtung des Industriellen Wandels) European Medicines Agency (Europäische Arzneimittelagentur) Europäische Menschenrechtskonvention Endgültig englisch Europäische Nachbarschaftspolitik European Neighbourhood Policy Instrument Europäisches Parlament Europäische Politische Gemeinschaft Europäisches Patentamt, Europäische Polizeiakademie European Public Law [Zitatvorschlag 4 EPL (1998), 1] European Patent Litigation Agreement (Europäisches Übereinkommen über Patentstreitigkeiten) Europäische Patentorganisation Europäisches Patentübereinkommen Europäische Politische Zusammenarbeit Europäischer Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen Europäische Eisenbahnagentur; Europäische Rechtsakademie Trier; European Research Area European Research Council (Europäischer Forschungsraum) Euratom Supply Agency (Euratom-Versorgungsagentur) European Science Foundation (Europäische Wissenschaftsstiftung) Europäische Sicherheitsstrategie Europäisches Sicherheits- und Verteidigungskolleg Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europäisches System der Zentralbanken und andere et cetera European Training Foundation (Europäische Stiftung für Berufsbildung)
Abkürzungen
ETSI EU EuAbgG EuBagVO
EuBewVO
EuEheVO EUFOR EuG EU-GesRÄG EÜGF EuGH EuGöD EuGRZ EuGVO EuGVÜ EuGVVO EuHB EuInsVO EUMC
EUMS EuMVVO EuR EURAB EUR-LEX europ. Europ. Rat EurUP EUSB EUSR EUV EuVerfV EuVTVO
European Telecommunications Standards Institute Europäische Union bzw Vertrag der Europäischen Union idF des Vertrages von Nizza Europaabgeordnetengesetz VO (EG) 861/2007 des Europäischen Parlaments un des Rates vom 11.7.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen VO (EG) 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der MS auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung in Ehesachen European Union Force Europäisches Gericht erster Instanz EU-Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz Europäischen Übereinkommens über grenzüberschreitendes Fernsehen Europäischer Gerichtshof Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union Europäische Grundrechtezeitschrift Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung Europäischer Haftbefehl Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit); European Union Military Committee (Militärausschuss der Europäischen Union) European Union Military Staff (Militärstab der Europäischen Union) Europäischen Mahnverfahrensverordnung Europarecht [Zitatvorschlag: EuR 2005, 1] European Research Advisory Board (Europäischer Forschungsbeirat) Datenbank der EU zu den Rechtsvorschriften der Europäischen Union europäisch Europäischer Rat Zeitschrift für Europäisches Umwelt- und Planungsrecht Sonderbeauftragte der Europäischen Union Sonderbeauftragte der Europäischen Union (englisch) Vertrag über die Europäische Union idF des Vertrags vor Amsterdam Vertrag über eine Verfassung für Europa Europäische Vollstreckungstitelverordnung XV
Abkürzungen
EuZPR EuZustVO EuZW EV ev. EVG EVÜ EVV EWG EU EWG EWGV EWIV EWIVG EWR EWS EWSA EZB f. FamRZ FAO ff. FFHRL FH FHStG FRONTEX frz. FS GA GASP GATT gem. GeS GesRZ gew. GG g.g.A. ggf. XVI
Europäisches Zivilprozessrecht Europäische Zustellverordnung Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht [Zitatvorschlag: EuZW 2005, 1] Europäischer Verein Eventuell Europäische Verteidigungsgemeinschaft Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Europäischer Verfassungsvertrag Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäische Union Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.3.1957 Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (österreichisches) EWIV-Gesetz Europäischer Wirtschaftsraum Europäische Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerrecht Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss Europäische Zentralbank folgend Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Food and Agriculture Organization of the United Nations fortfolgend Flora-Fauna-HabitatRL Fachhochschule Fachhochschulstudiengesetz Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen französisch Festschrift Generalanwalt, Goltdammers Archiv für Strafrecht Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik General Agreement of Tariffs and Trade gemäß Zeitschrift für Gesellschafts- und Steuerrecht Der Gesellschafte. Zeitschrift für Gesellschafts- und Unternehmensrecht gewisse/r Grundgesetz geschützte geografische Angabe gegebenenfalls
Abkürzungen
ggü. GH GmbH GPR GRC GRCh grds. GRUR Int. GRUR
gegenüber Gerichtshof Gesellschaft mit beschränkter Haftung Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Charta der Grundrechte der Europäischen Union Charta der Grundrechte der Europäischen Union grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, internationaler Teil [Zitiervorschlag GRUR Int. 2000, 295] Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht [Zitiervorschlag GRUR 2001, 555]
h.A. HabitatRL Halbs. Hdb. HG HO Hrsg.
herrschende Ansicht Habitat-Richtlinie Halbsatz Handbuch Hochschulgesetz Haushaltsordnung Herausgeber
i.d.g.F. i.d.R. i.e.S. i.H.v. i.R.d. i.S.d. i.S.v. i.V.m. i.w.S. i.Z.m. IAEO IAS/IFRS
in der geltenden Fassung in der Regel im engeren Sinn in der Höhe von im Rahmen des im Sinne des im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinn im Zusammenhang mit Internationale Atomenergie-Organisation International Accounting Standards / International Financial Reporting Standards Informations- und Kommunikationstechnologie International Labour Organisation insbesondere international Internationale Organisation Instrument for Pre-Accession Assistance Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Institut für Sicherheitsstudien der Europäischen Union International Thermonuclear Experimental Reactor (Internationaler thermonuklearer Experimentalreaktor)
IKT ILO insb. Int. IO IPA IPR IPRax ISS-EU ITER
XVII
Abkürzungen
IVURL
Richtlinie über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
JCMS jP JRP JuS JZ
Journal of Common Market Studies juristische Person Journal für Rechtspolitik Juristische Schulung Juristenzeitung
KabelRL Kap. Kfz KlärschlammRL KMU KOM krit.
Kabelrichtlinie Kapitel Kraftfahrzeug Klärschlammrichtlinie kleine und mittlere Unternehmen Europäische Kommission kritisch
LDC leg. cit. Lfg. LGVÜ
Least Developed Countries legis citatae Lieferung Luganer Überkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen litera / literae Literatur Lifelong Learning Programme laut
lit. Lit. LLP lt. MDA MEDA
MOEL MR MS
Museum Documentation Association Mésures d’accompagnement financières et techniques (Finanzielle und technische Begleitmaßnahmen) mit weiteren Nachweisen Zeitschrift für Fremden- und Minderheitenrecht Milliarden Millionen Mitteilungen der deutschen Patentanwälte [Zitiervorschlag Mitt 2005, 337] MultiMedia und Recht. Zeitschrift für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht. Mittel- und Osteuropäische Länder Medien und Recht (International) Mitgliedstaat(en)
n.n.v. NA
noch nicht veröffentlicht Nationalagentur
m.w.N. migraLex Mill. Mio. Mitt. MMR
XVIII
Abkürzungen
NATO NGO NitratRL NJW Nr. NVwZ
North Atlantic Treaty Organization Non-Governmental Organisation Nitratrichtlinie Neue Juristische Wochenschrift [Zitatvorschlag NJW 2006, 1] Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht [Zitatvorschlag: NVwZ 2006, 1]
Ö ÖBl.
Österreich Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und. Urheberrecht Organisation for Economic Co-operation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Europäische Rüstungsagentur Offene Gesellschaft Österreichische Juristenzeitung Office Européen de Lutte Anti-Fraude (Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung) österreichisch österr. Umsatzsteuergesetz Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
OECD OCCAR OG ÖJZ OLAF österr. öUStG ÖZW Päd-HS PCB PCT PHARE PharmaR PIL PJZS PKA PKH Pkt. PKW PLT Prot. PSK
Pädagogische Hochschule Polychlorierte Biphenyle Patent Cooperation Treaty Poland and Hungary: Aid for Restructuring of the Economies (Polen und Ungarn: Hilfe zur Restrukturierung der Wirtschaft) Pharmarecht Private International Law Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit für Strafsache Partnerschafts- und Kooperationsabkommen Prozesskostenhilfe Punkt Personenkraftwagen Patent Law Treaty (Patentrechtsvertrag) Protokoll Politisches und sicherheitspolitisches Komitee
R. RahmenRL RB RdA RdA RdU RDU
Regel, rule Rahmenrichtlinie Rahmenbeschluss Recht der Arbeit Recht der Arbeit Recht der Umwelt Zeitschrift XIX
Abkürzungen
RDUE RH RIW RL RMRL
RMUE Rn. Rs. Rsp. RTD eur. RUDH S. s. s.a. s.o. s.u. SAA EG SAA sächs. GO SatCen SCE SCEG sd. SDÜ SE SEG SektorenRL
SGb Slg. sog. SpS SPS-Abkommen st. Rsp. StV XX
Revue du Droit de l’Union Européenne [Zitatvorschlag RDUE 2006, 1] Rechnungshof Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge Revue du Marché Unique Européen [Zitatvorschlag: RMUE 2005, 1] Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Revue trimestrielle de droit européen Revue Universelle des Droits des l´homme Satz, Seite siehe siehe auch siehe oben siehe unten Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen Europäische Gemeinschaften Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen Sächsische Gemeindeordnung Satellitenzentrum der Europäischen Union Societas Cooperativa Europaea (österreichisches) SCE-Gesetz sondern Schengener Durchführungsübereinkommen Societas Europaea (österreichisches) SE-Gesetz Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch Sammlung sogenannt(e) Spiegelstrich Übereinkommen über die Anwendung sanitärer und phytosanitärer Maßnahmen ständige Rechtsprechung Strafverteidiger (Zeitschrift)
Abkürzungen
SWI SWK
Steuer und Wirtschaft International Steuer- und WirtschaftsKartei
TACIS TARGET
Taxlex Teilbd. Tz.
Technical Aid to the Commonwealth of Independent States Trans-European Automated Real-time Gross settlement Express Transfer System Tarif intégré des Communautés européennes (Integrierter Tarif der Europäischen Gemeinschaften) österr. Zeitschrift für Steuer und Beratung Teilband Teilzahl
u.a. u.s.w. u.U. u.v.m. UAbs. UG UGB umstr. UNCTAD UNESCO UniAkkG UNICE UniStG Univ. unpubl. UStG UVPRL
unter anderem, und andere und so weiter unter Umständen und vieles mehr Unterabsatz Universitätsgesetz Unternehmensgesetzbuch umstritten United Nations Conference on Trade and Development United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization ö Universitäts-Akkreditierungsgesetz Union des Conféderations de l’Industrie et des Employeurs d’Europe ö Universitäts-Studiengesetz Universität unpublished Umsatzsteuergesetz Umweltverträglichkeitsrichtlinie
v. v.a. verb. verb. Rs. Verf. VerfO VerfO EuGH VergabeRL
von vor allem verbunden Verbundene Rechtssache Verfahren, Verfassung Verfahrensordnung Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge Verwaltungsgericht vergleiche Verordnung
TARIC
VG vgl. VO
XXI
Abkürzungen
Vol. vs. VVE VwGO VwVfG
Volume versus Vertrag über eine Verfassung für Europa Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz
wbl WEU WHO WiRO WSA WTO WuBG WuW WWU
Wirtschaftsrechtliche Blätter Westeuropäische Union World Health Organization Wirtschaft und Recht in Osteuropa Wirtschafts- und Sozialausschuss World Trade Organization Wachstums- und Beschäftigungsgesetz 2005 Wirtschaft und Wettbewerb – Zeitschrift für deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht Wirtschafts- und Währungsunion
YEL
Yearbook of European Law [Zitatvorschlag: 5 YEL (1985), 1]
Z. z.B. z.T. z.Z. ZaöRV ZAR ZESAR
Ziffer zum Beispiel zum Teil zurzeit Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Ausländerrecht [Zitatvorschlag ZAR 2006, 1] Zeitschrift für Europäisches Sozial- und Arbeitsrecht [Zitatvorschlag ZESAR 2006, 1] Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Hochschulrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht Zeitschrift für öffentliches Recht Zusatzprotokoll Zusammenhang zugleich Zeitschrift der Unabhängigen Verwaltungssenate zuzüglich Zeitschrift für Zivilprozess International
ZEuP ZEuS zfhr ZfRV ZLR ZÖR ZP Zshg. zugl. ZUV zzgl. ZZP Int.
XXII
A Aarhus-Konvention Aarhus convention – convention de Aarhus
Völkerrechtlicher Vertrag vom 25.6.1998, benannt nach der dänischen Stadt Aarhus, in der die Unterzeichnung stattfand. Schreibt erstmals jeder Person Rechte im Umweltschutz zu: Information über Umweltfragen, Beteiligung an Verwaltungsverfahren zu Projekten mit Umweltauswirkungen sowie Möglichkeit, Klage gegen Umweltbeeinträchtigungen zu führen. Letzteres gilt auch im Sinne der Wahrung der Lebensbedingungen künftiger Generationen. Insofern besitzt die Konvention eine hohe Bedeutung, auch mit Blick auf die Durchsetzung allgemeiner Menschenrechte. S.a. ĺUmweltinformationen. (sm) Lit.: P. Bußjäger/D. Larch, Gemeinschaftsrecht, internationales Umweltrecht und Verkehrsprojekte (Teil II), RdU 2006, 71 ff.; E. Schulev-Steindl, Subjektive Rechte im öffentlichen Interesse?, JRP 2004, 128 ff. Web: http://www.aarhus-konvention.de/
Abatay und Sahin Abatay and Sahin case – jurisprudence Abatay et Sahin
In den verb. EuGH, Rs. C-317/ und 369/01 prüfte der EuGH die Bedeutung der beiden Stillhalteklauseln (Art. 13 ĺARB 1/80 und Art. 41 [1] ZP zum ĺAssoziierungsabkommen EWG ĺTürkei) und kam zu dem Ergebnis, dass sie dieselbe Funktion hätten und dasselbe Ziel verfolgten: Sie untersagten nämlich ganz generell die Einführung neuer innerstaatlicher Beschränkungen des Niederlassungsrechts, des freien Dienstleistungsverkehrs und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer von dem Zeitpunkt an, zu dem die Stillhalteklauseln im Aufnahmemitgliedstaat in Kraft getreten seien, um so die schrittweise Herstellung dieser Freiheiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Türkei nicht zu erschweren. Art. 13 ARB 1/80 sei aber, so der EuGH im Weiteren, bei türkischen Staatsangehörigen nur dann anwendbar, wenn diese sich im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates nicht nur ordnungsgemäß, sondern auch während eines hinreichend langen Zeitraums
aufhielten, um sich dort schrittweise integrieren zu können. Aus Aufbau und Zielsetzung des ARB 1/80 ergebe sich nämlich, dass dieser Beschluss die schrittweise Integration türkischer Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat zum wesentlichen Ziel habe. (bb) Rsp.: EuGH, Rs. C-317 und 369/01 Abatay und Sahin, Slg. 2003, I-12301
Abfall waste – déchets
Die Definition des Begriffs erfolgt in der RahmenRL 91/156/EWG. Es handelt sich dabei um alle Stoffe oder Gegenstände, die zu den in Anhang I aufgeführten Abfallgruppen gehören und derer sich der Besitzer entledigt, entledigen will (subjektiver Abfallbegriff) oder entledigen muss (objektiver Abfallbegriff). Zur Konkretisierung dieser Vorgaben veröffentlichte die ĺKommission einen Europäischen Abfallkatalog (EAK, ABl. 1994, Nr. L 5/15), der durch Entscheidung des ĺRates über ein Europäisches Abfallverzeichnis (EAV, ABl. 2000, Nr. L 226/3) ersetzt wurde. Dieser enthält keine abschließende Regelung und entfaltet keine umfassende konstitutive Wirkung; es ist jeweils eine Prüfung im Einzelfall erforderlich, ob die Tatbestandsmerkmale der RL 91/156/EWG erfüllt sind. S.a. ĺAbfallwirtschaft. (sm) Abfallverbringung shipments of waste – transfert de déchets
VO (EWG) 259/93. Gegenstand: Errichtung eines Gesamtsystems für den Ex- und Import von Abfällen entsprechend dem Basler Übereinkommen (ABl. 1992, Nr. L 35/24). Übernahme des Abfallbegriffs der RL 91/156/EWG (ĺAbfall). In Anhang II-IV erfolgt die Übernahme der grünen, gelben und roten Liste der OEZDEntscheidung (vom 30.3.1992) betreffend die grenzüberschreitende Verbringung verwertungsbestimmter Abfälle. ƒ Anhang II (grüne Liste): Abfälle mit geringem Risiko 1
Abfallvermeidung/-wiederverwertung ƒ
Anhang III (gelbe Liste): Abfälle mit erhöhtem Gefährdungspotential ƒ Anhang IV (rote Liste): die gefährlichsten Abfälle (Blei, Asbest, PCB u.a.) Inhalt: Differenzierung nach Gegenstand und Zweck der Verbringung. Unterscheidung nach dem Zweck der Verbringung zwischen Abfällen, die zur Verwertung bestimmt sind und solchen, die zur Beseitigung bestimmt sind: ƒ Innerstaatliche Abfallverbringung, ƒ Abfallverbringung zwischen den ĺMitgliedstaaten, ƒ Ausfuhr in und Einfuhr aus Drittstaaten, ƒ zudem Bestimmungen über Kostenanlastung. (sm) Lit.: M. Dieckmann/T. Graner, Die Abgrenzung der thermischen Abfallbeseitgung von der energetischen Abfallverwertung nach EG-Recht, NVwZ 1998, 221 ff.; L.-A. Verstely/H. Wendenburg, Änderungen des Abfallrechts NVwZ 1994, 833 ff. Web: http://www.oecd.org/
Abfallvermeidung/-wiederverwertung prevention/reuse of waste – prévention/réutilisation des déchets
RL 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle; ersetzt die 85/339/EWG über Verpackungen für flüssige Lebensmittel. Die RL war auch Reaktion auf gesetzgeberische Alleingänge einiger MS (insbesondere Deutschland, Italien und Dänemark). Die RL bezweckt, die Vorschriften der MS im Bereich der Verpackungs- und der Verpackungsabfallwirtschaft zu harmonisieren, um einerseits Auswirkungen dieser Abfälle in allen MS sowie in dritten Ländern auf die Umwelt zu vermeiden bzw. diese Auswirkungen zu verringern und so ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und andererseits das Funktionieren des ĺBinnenmarktes zu gewährleisten und zu verhindern, dass es in der EU zu Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen und -beschränkungen kommt. Zu diesem Zwecke werden in der RL Maßnahmen vorgeschrieben, die auf Folgendes abzielen: Erste Priorität ist die Vermeidung von Verpackungsabfall (Verbrennung [thermische Verwertung] ist nur die letzte Möglichkeit); weitere Hauptprinzipien sind die Wiederverwendung der Verpackungen, die stoffliche Verwertung und die anderen Formen der Verwertung der Verpackungsabfälle sowie als Folge daraus eine Verringerung der endgültigen Beseitigung der Abfälle. Es besteht eine Pflicht zur Kennzeichnung von Mehrwertverpackungen, zur Schaffung eines Rücknahme-, 2
Sammel- und Verwertungssystems (ordnungsrechtliches und ökonomisches Maßnahmenbündel) und zur eingehenden information der Verbraucher. Der Anwendungsbereich umfasst alle in der Gemeinschaft in Verkehr gebrachten Verpackungen und Verpackungsabfälle. (sm) Abfallwirtschaft waste management – gestion des déchets
Entwicklung von Bestimmungen betreffend die Abfallentsorgung zu einer umfassenden Abfallpolitik. Dieser Bereich wird durch die drei Grundprinzipien der ĺAbfallvermeidung, Rückgewinnung bzw. Verwertung und Entsorgung beherrscht. Zentraler Aspekt der Abfall-Entsorgungspolitik ist dabei der Grundsatz der Abfallbeseitigung in der „am nächsten gelegenen geeigneten Entsorgungsanlage“ (Hintergrund: Verhinderung des binneneuropäischen „Abfalltourismus“). Der ĺEuGH qualifizierte Abfall als Ware, womit grundsätzlich die Anwendbarkeit der Binnenmarktregelungen gegeben ist. Eine Definition des Abfallbegriffs erfolgte in der RL 91/156/EWG (ĺAbfall), die zudem detaillierte Bestimmungen zu den Unterbegriffen „Beseitigung“ und „Verwertung“ enthält (Anhang II: Auflistung von Beseitigungs- und Verwertungsverfahren). Der Abfallbegriff wurde in späteren Sekundärrechtsakten übernommen; Abweichungen bestehen hingegen in früheren Rechtsakten. Die RL 91/156/EWG statuiert den Vorrang der Verhütung oder Verringerung der Abfallerzeugung vor der Abfallverwertung. Abfallbeseitigungsanlagen und -unternehmen unterliegen einem Genehmigungserfordernis. Entsprechend dem ĺVerursacherprinzip trifft die Kostentragung für die Beseitigung von Abfällen den aktuellen bzw. früheren Abfallbesitzer oder -hersteller. Die RL 91/689/EWG enthält ferner auch Bestimmungen über giftige und gefährliche Abfälle. Besondere Vorschriften über die Behandlung bestimmter Abfälle sind unter anderem enthalten in: ƒ RL 75/439/EWG: Altöl ƒ RL 96/59/EG: PCB und PCT ƒ RL 78/176/EWG, ergänzt durch RL 92/112/ EWG: Titandioxid ƒ RL 86/278/EWG: Klärschlamm In verschiedenen RL sind ferner Bestimmungen über Lagerung und Beseitigung von Abfällen enthalten (vgl. z.B. RL über die Verbrennung gefährlicher Abfälle, RL 94/67/EG). (sm) §§: Gemeinsamer Standpunkt des Rates, ABl. 1998, Nr. C 333/15
Abkommen von Cotonou Lit.: I. Pernice, Gestaltung und Vollzug des Umweltrechts im europäischen Binnenmarkt, NVwZ 1990, 414 ff.; L. Krämer, Die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zum Umweltrecht 1992 bis 1994, EuGRZ 1995, 45 ff.; M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 20, Rn. 1 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-2/90 Kommission/Belgien, Slg. 1992, I-4431 ff.
Abfälle, nukleare/radioaktive ĺRadioaktive Abfälle Abgabe zollgleicher Wirkung (freier Warenverkehr) charges having an effect equivalent to customs duties (free movement of goods) – taxes d’effet équivalent à un droit de douane (libre circulation des marchandises)
Wie Zölle (ĺZölle [freier Warenverkehr]) so sind auch Abgaben zollgleicher Wirkung nach Art. 23 bzw. Art. 25 EG per se verboten. Der ĺEuGH (EuGH, Rs. 2/69 Diamantarbeiders, Slg. 1969, 211, Rn. 15/18) definiert sie wie folgt: Eine – auch noch so geringe – den in- oder ausländischen Waren (ĺWare) wegen ihres Grenzübertritts einseitig auferlegte finanzielle Belastung, wenn sie kein Zoll im eigentlichen Sinn ist, unabhängig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Abgabe zugunsten des Staates erhoben wird. Weiters ohne Bedeutung ist, ob die Abgabe eine diskriminierende oder protektionistische Wirkung hat, ob die belastete Ware mit inländischen Waren im Wettbewerb steht oder nicht oder ob es entsprechende inländische Waren überhaupt gibt. Erfasst sind nicht nur Abgaben, die an der Grenze zwischen den ĺMitgliedstaaten erhoben werden, sondern auch solche, die etwa an Grenzen zwischen den Regionen innerhalb eines Mitgliedstaates anfallen (vgl. etwa EuGH, Rs. C-72/ 03 Carbonati Apuani/Carrara, Slg. 2004, I-8027, Rn. 34 f.). Als zollgleiche Abgaben gelten grundsätzlich auch Gebühren für an der Grenze vorgenommene Verwaltungstätigkeiten (ĺGebühr bei Grenzübertritt von Waren). Das Verbot bindet sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Gemeinschaftsorgane. Es gilt ohne Ausnahme und ist daher im Unterschied zu Art. 28 EG einer Rechtfertigung nicht zugänglich. (rp) §§: Art. 23, 25 EG Lit.: T. Jaeger, Abgaben gleicher Wirkung und freier Warenverkehr, in: T. Eilmansberger/G. Herzig (Hrsg.), 10 Jahre Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Österreich, 2006, 191; H. G. Kamann, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 25 EG, Rn. 11 ff.; P. Oliver/S. Enchelmaier, Free movement of
goods: Recent developments in the case law, CML Rev. 2007, 649 (650 ff.) Rsp.: EuGH, Rs. 2/69 Diamantarbeiders, Slg. 1969, 211, Rn. 15/18; EuGH, Verbundene Rs. C-363/93, C-407/93, C-408/93, C-409/93, C-410/93 und C-411/ 93 Lancry/Direction Général des Doanes, Slg. 1994, I-03957; EuGH, Rs. C-72/03 Carbonati Apuani/Carrara, Slg. 2004, I-8027, Rn. 34 f.; EuGH, Rs. C-293/02 Jersey Produce Marketing Organisation Ltd/States of Jersey and Jersey Potato Export Marketing Board, Slg. 2005, I-9543
Abgaben, parafiskalische ĺParafiskalische Abgaben Abgestufte Integration ĺDifferenzierte Integration Abkommen von Cotonou Cotonou Agreement – Accord de Cotonou
Es löste das Lomé IV Abkommen und damit die darin vorgesehenen Handelspräferenzen durch ein ĺwirtschaftliches Partnerschaftsabkommen ab, dem 78 Staaten des Afrikanisch – Karibisch – Pazifischen Raumes (AKP) angehören. Das Abkommen von Cotonou sieht eine weitreichende politische Dimension vor, behandelt Fragen der Menschenrechte und Staatsführung, konzentriert sich auf das Ziel der Armutsbekämpfung, beinhaltet einen neuen Rahmen für wirtschaftliche und handelspolitische Kooperationen und eine reformierte finanzielle Zusammenarbeit. Es handelt sich um ein nicht-reziprokes, einseitiges Freihandelsregime und sieht für die am wenigsten entwickelten Länder Präferenzen vor. Importe in die Gemeinschaft aus AKP-Staaten sind grundsätzlich frei, während hingegen Gemeinschaftsexporte in die AKP-Staaten nur Meistbegünstigung genießen. Das Allgemeine Präferenzsystem der WTO lässt zwar eine Unterscheidung zwischen Entwicklungsländern und den am wenigsten entwickelten Ländern zu, verbietet jedoch die Differenzierung innerhalb der Gruppe. Eine bevorzugte Behandlung der AKP-Staaten widerspricht daher dem WTO-Recht, sofern keine Ausnahmegenehmigungen anwendbar sind. (bb) §§: Beschluss des Rates (2005/599/EG), ABl. 2005, Nr. L 209/26 Lit.: K. Koch, Handelspräferenzen der Europäischen Gemeinschaft für Entwicklungsländer, 2004; S. Schmidt, Aktuelle Aspekte der EU-Entwicklungspolitik, 2002; Aufbruch zu neuen Ufern s.: http://www.bpb.de/ publikationen/TMLGO6,2,0,Aktuelle_Aspekte_der_ EUEntwicklungspolitik.html
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Abkommen zur Harmonisierung des materiellen Patentrechts (SPLT) Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/ 2005/l_209/l_20920050811de00260026.pdf
Abkommen zur Harmonisierung des materiellen Patentrechts (SPLT) Substantive Patent Law Treaty (SPLT) – Traité sur le droit matériel des brevets (SPLT)
Ein formelle und materielle Fragen des Patentrechts umfassendes Harmonisierungsprojekt der WIPO konnte aufgrund unüberwindbarer Interessensgegensätze nicht verwirklicht werden. Während ein auf formelle Aspekte beschränkter Vertrag (ĺPLT) mittlerweile in Kraft getreten ist, liegt im Bereich des materiellen Patentrechts nach wie vor nur ein Vertragsentwurf vor. (mp) Lit.: J. Straus/N.-S. Klunker, Harmonisierung des internationalen Patentrechts, GRUR Int. 2007, 91 Web: http://www.wipo.int/patent/law/fr/harmonization. htm
ABl. ĺAmtsblatt, der Europäischen Union (ABl.) Abmessungen ĺStraßenfahrzeuge, Abmessungen/Gewichte Abrüstung ĺRüstungspolitik Abrufdienst on-demand service – services à la demande
Ein ĺaudiovisueller Mediendienst, der von einem ĺMediendiensteanbieter für den Empfang zu dem vom Nutzer gewählten Zeitpunkt und auf dessen individuellen Abruf hin aus einem vom Mediendiensteanbieter festgelegten Programmkatalog erbracht wird. Dazu gehört v.a. Video-On-Demand. (dd) §§: Art. 1 lit. e, Vorschlag für eine Richtlinie „Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“, KOM(2007) 170 endg.
Absatzbeschränkung limit on sales – limitation des ventes
Vereinfacht ausgedrückt bilden Absatzbeschränkungen den Oberbegriff sämtlicher produktund vertriebsbezogener Maßnahmen (ĺKeckEntscheidung), welche die Vermarktung einer eingeführten ĺWare in einem bestimmten ĺMitgliedstaat vereiteln oder erschweren. Absatzbeschränkungen können in sehr unterschiedlicher Form auftreten; z.B. in Form von ĺAb4
satzverboten; ĺUrsprungsbezeichnungen; ĺHerkunftsangaben; ĺWerbebeschränkungen; ĺVertriebsbeschränkungen; ĺZulassungserfordernissen; ĺPreisregelungen; ĺEinfuhrlizenzen u.v.m. (ah) Lit.: P. Müller-Graf, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EG, Rn. 90
Absatzverbot prohibition of sale – interdiction de vente
Absatzverbote können sich auf alle ĺWaren – unabhängig von ihrer Art und Beschaffenheit – beziehen. Absatzverbote schließen die Vermarktung bestimmter Produkte wegen ihrer Eigenschaft aus oder machen sie von der Erfüllung bestimmter Eigenschaften abhängig. Man unterscheidet ĺabsolute und ĺrelative Absatzverbote. Absatzverbote qualifizieren sich als ĺMaßnahmen gleicher Wirkung, wenn sie Erzeugnisse betreffen, die in einem anderen ĺMitgliedstaat bereits rechtmäßig hergestellt oder im freien Verkehr sind (ĺWare im freien Verkehr) und kein ĺRechtfertigungsgrund i.S.d. ĺzwingenden Erfordernisse oder nach Art. 30 EG besteht. (ah) Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jaeger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 64; T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28 EGV, Rn.141 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-67/97 ĺBluhme, Slg. 1998, I-8033; EuGH, Rs. 76/86 Kommission/Frankreich (Milcherzeugnisse), Slg. 1989, 1021; EuGH, Rs. 34/79 Henn und Darby, Slg. 1979, 3795; EuGH, verb. Rs. 60/84 und 61/84 Cinetheque, Slg. 1985, 2605
Abschiebung ĺGrundrecht auf Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung Absichtliche Freisetzung (Gentechnik) deliberate release (genetic engineering) – dissémination volontaire (génie génétique)
Unter absichtlicher Freisetzung wird gem. Art. 2 Z. 3 der ĺFreisetzungsrichtlinie jede Art von absichtlichem Ausbringen eines ĺgenetisch veränderten Organismus oder einer Kombination von genetisch veränderten Organismen in die Umwelt, bei dem keine spezifischen Einschließungsmaßnahmen angewandt werden, um ihren Kontakt mit der Bevölkerung und der Umwelt zu begrenzen und ein hohes Sicherheitsniveau für die Bevölkerung und die Umwelt zu erreichen, verstanden. Diese Definition stellt eine klare Abgrenzung der Freisetzung zu ĺAn-
Abwesenheitsurteil wendungen im geschossenen System gem. der ĺSystemrichtlinie dar. Vor der Freisetzung eines genetisch veränderten Organismus ist zumindest eine ĺUmweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, eine Zulassung der Freisetzung zu erwirken (ĺStandardzulassungsverfahren zur Freisetzung von ĺGVO, ĺdifferenziertes Zulassungsverfahren zur Freisetzung von GVO) und ein ĺÜberwachungsplan aufzustellen. (al) §§: Art. 2 Z. 3 und Art. 5 ff. RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. II., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin; S. Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, 2002, 26; C. von Kameke, Gemeinschaftliches Gentechnikrecht: Die Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG, 1995, 53 Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l28130. htm
Absolute Absatzverbote (freier Warenverkehr) prohibition of sale (free movement of goods) – interdiction de vente (libre circulation des marchandises)
In mitgliedstaatlichen Vorschriften vorgesehene absolute Absatzverbote verbieten das Inverkehrbringen von Erzeugnissen, wenn letztere den nationalen Bezeichnungsvorschriften, den nationalen Rezepturvorschriften oder nationalen Verbrauchergewohnheiten nicht entsprechen. Ein absolutes Absatzverbot für ein rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat hergestelltes oder im Freiverkehr befindliches Erzeugnis ist als ĺMaßnahme gleicher Wirkung (ĺProduktvorschriften) zu werten und bedarf somit einer Rechtfertigung. Als ĺRechtfertigungsgründe (für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen) kommen hierbei insbesondere ĺder Verbraucherschutz (ĺReinheitsgebot, Bier-Entscheidung) oder der ĺGesundheitsheitsschutz in Betracht. Ein dem Verbraucherschutz dienendes absolutes Absatzverbot kann jedoch nur ausnahmsweise gerechtfertigt werden, da dieses in aller Regel unverhältnismäßig sein wird (ĺVerhältnismäßigkeitsprinzip) und der Schutz des Verbrauchers vor ĺIrreführung und Täuschung auch durch das gelindere Mittel der Etikettierung (ĺEtikettierungsvorschriften [freier Warenverkehr]) gewährleistet werden kann. (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28-30 EGV, Rn. 141 f.; S. Leible, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 28 EGV, Rn. 36; P. Müller-Graff, in: H. von der
Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 90 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 178/84 Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1227 (ĺReinheitsgebot, Bier-Entscheidung); EuGH, Rs. 407/85 3 Glocken, Slg. 1988, 4233; EuGH, Rs. 274/87 Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 229; EuGH, C-368/95 Familiapress, Slg. 1997, I-3689; EuGH, Rs. C-473/98 Toolex Alpha, Slg. 2000, I-5681
Abtreibung ĺSchwangerschaftsabbruch Abwässer, kommunale urban waste-water – eaux urbaines résiduaires
RL 91/271/EWG. Emissionsorientierte ĺRL über die Behandlung kommunaler (auch bestimmter industrieller) Abwässer. Die RL betrifft das Sammeln, Behandeln und Einleiten von kommunalem Abwasser und das Behandeln und Einleiten von Abwasser bestimmter Industriebranchen. Ihr Ziel ist es, die Umwelt vor den schädlichen Auswirkungen dieses Abwassers zu schützen. Die RL schreibt die Errichtung von Kanalisationen und die biologische Zweitbehandlung der Abwässer der Gemeinden je nach ihrer Einwohnerzahl binnen bestimmter Fristen vor: ƒ bis 2000: biolog. Behandlungsanlagen zusätzl. zur mechanischen Erstbehandlung in Städten über 15.000 Einwohnern ƒ bis 2005: biolog. Behandlungsanlagen zusätzl. zur mechanischen Erstbehandlung in Städten über 10.000 Einwohner bzw. bei Einleitung in Binnengewässer in Städten mit über 2000 Einwohnern. Zudem enthält die RL Regelungen über Klärschlamm aus der Abwasserbehandlung, der nach Möglichkeit wiederzuverwenden ist (ĺAbfallvermeidung, -wiederverwertung); dabei sind die Belastungen der Umwelt auf ein Minimum zu begrenzen. Anhang I der RL legt Konzentrationswerte für den biochemischen und chemischen Sauerstoffbedaf sowie suspendierte Schwebestoffe in den Einleitungen fest. In von den MS auszuweisenden empfindlichen Gebieten treten Werte für den Phosphor- und Stickstoffgehalt hinzu. (sm) Abwesenheitsurteil judgement in absentia – le jugement par défaut
ĺEuropäischer Haftbefehl, Vollstreckung unter Bedingungen Die verschiedenen Rechtsakte zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerken5
Acquis communautaire nung (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der) regeln die Verweigerung der Vollstreckung in Fällen von Abwesenheiten unterschiedlich. Eine Vereinheitlichung wird mit dem vorgelegten Entwurf eines Rahmenbeschlusses zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen und zur Änderung dieser Rechtsakte angestrebt. (sts) §§: Ratsdok. 5213/08; Ratsdok. 5213/08 ADD1
schaftsprivatrechts (Acquis-Gruppe) gegründet, EuR 2002, 750-753 Web: http://www.acquis-group.org/
Acquis Screening ĺScreening des Gemeinschaftlichen Besitzstandes Ad-hoc Beihilfe ad hoc aid – aide ad hoc
Acquis communautaire ĺGemeinschaftlicher Besitzstand Acquis Group Die European Research Group on Existing EC Private Law (Acquis Group) ist eine europäische Forschergruppe, die 2002 gegründet wurde und sich aus mehr als 40 Wissenschaftlern aus fast allen EU-Mitgliedstaaten zusammensetzt. Sie befasst sich mit der Zusammenfassung des ĺacquis communautaire auf dem Gebiet des ĺGemeinschaftsprivatrechts und versucht insbesondere, aus den bestehenden Sekundärrechtsakten erste Grundbegriffe eines entstehenden europäischen Privatrechts zu gewinnen. In ihrem Ansatz zur Systematisierung des geltenden Gemeinschaftsrechts unterscheiden sich die Arbeiten von anderen Projekten auf dem Gebiet des ĺEuropäischen Vertragsrechts dadurch, dass sie nicht die nationalen Rechtsordnungen, sondern ausschließlich das EG-Sekundärrecht zur Grundlage ihrer Arbeit machen. Im Rahmen des Forschungsprojekts ĺCoPECL, das der Erstellung eines ĺGemeinsamen Referenzrahmens dient, arbeitet die Acquis Group eng mit der ĺStudy Group on a European Civil Code zusammen. Ihre Aufgabe ist es, die ĺPrinciples of European Law mit dem geltenden Gemeinschaftsrecht in Einklang zu bringen, sowie verbleibende Lücken aufzuzeigen. Ein wichtiger Schwerpunkt der Arbeiten der Acquis Group betrifft das ĺVerbraucherprivatrecht. Die Forschungsarbeiten werden unter der Bezeichnung Principles of Existing EC Contract Law der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und sind als Beitrag zu den Vorarbeiten für den Gemeinsamen Referenzrahmen zu verstehen. Sie sind zum Teil bereits in Buchform veröffentlicht und ein wertvolles Hilfsmittel bei der Auslegung des geltenden Gemeinschaftsprivatrechts. (mrm) Lit.: H. Schulte-Nölke/C. Vogel, Europäische Forschergruppe zur Systematisierung des geltenden Gemein-
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Unter Ad-hoc Beihilfen werden Einzelbeihilfen verstanden, die außerhalb eines allgemeinen Beihilfeschemas gewährt werden. Aufgrund ihres häufig nur geringen Beitrages zur Verwirklichung gemeinschaftlicher Interessen sind sie besonders geeignet, den Wettbewerb zu verfälschen. Daher steht die Kommission diesen Beihilfen sehr kritisch gegenüber. I.d.R. werden Ad-hoc Beihilfen zur ĺRettung oder Umstrukturierung von Unternehmen gewährt. (jr) §§: VO (EG) 1628/2006 [Regionalbeihilfen-FreistellungsVO], ABl. 2006, Nr. L 302/29, Art. 2 Abs. 1 lit. d Lit.: T. Jestaed, in: M. Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2003, § 15, Rn. 55 ff.
Adenauer, Konrad (1876–1967) Ab 1917 Oberbürgermeister von Köln; 1917–1933 Mitglied des Provinziallandtags und des Provinzialausschusses der Rheinprovinz; 1920–1933 Mitglied und Präsident des preußischen Staatsrates; 1933 als Gegner des Nationalsozialismus aus allen Ämtern entlassen und vorzeitig pensioniert; am 15.9.1949 zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt (bis 1963). A. suchte für Deutschland einen Status größtmöglicher Selbstständigkeit und Gleichberechtigung zu erreichen. Die außenpolitische Position Deutschland bestimmte er durch eine eindeutige Bindung an den Westen. Er strebte eine selbstständige und dauerhafte Aussöhnung mit Frankreich an als Grundlage für eine politische Einigung Europas. Er war maßgeblicher Befürworter einer politischen Integration Westeuropas. (gm) Lit.: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 1, 21. Aufl. 2006, 190 f.
Adonnino-Ausschuss Adonnio Committee – Comité Adonnio
Bezeichnung für die unter dem Vorsitzend von Pietro Adonnino tagende Ad-hoc-Gruppe „Europa der Bürger“, die v.a. die Grundlagen für
Agenturen den im ĺMaastrichter Vertrag aufgenommenen Titel über die ĺUnionsbürgerschaft erarbeitete. (ao) Lit.: Kommission, Europa der Bürger, Berichte des Ad-hoc-Ausschusses, Bulletin EG, Beilage 7/1985, 9 ff.
ADR Accord européen relatif au transport international des marchandises dangereuses par route
Europäisches Übereinkommen vom 30.9.1957 über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße, ABl. 1996, Nr. L 275/1 und ABl. 1997, Nr. L 251/1. ĺGefahrguttransport, Straßenfahrzeuge. (sm) Adressat der Warenverkehrsfreiheit addressee of the principle of free movement of goods – destinataire du principe de la libre circulation des marchandises
Die Bestimmungen zur ĺWarenverkehrsfreiheit beziehen sich auf die ĺMitgliedstaaten (s.a. ĺDrittwirkung). Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet den freien Warenverkehr beschränkende Maßnahmen zu unterlassen und i.S.d. ĺstaatlichen Schutzpflicht vor Beeinträchtigungen nichtstaatlichen Ursprungs zu schützen. Gebunden sind nicht nur die Staatsgewalten selbst, sondern alle dem Staat zuordenbare Einrichtungen (s.a. ĺstaatliche Maßnahme). (ah)
AGB ĺAllgemeine Geschäftsbedingungen Agenda 2000 Die A. ist eine detaillierte Mitteilung der KOM zur sog. ĺOsterweiterung der EU, welche die KOM nach einer entsprechenden Aufforderung des Europ. Rat von Madrid (15./16.12.1995) im Juli 1997 vorlegte. Sie umfasst die Stellungnahmen (ĺAvis; ĺBeitrittsverfahren) zu den Beitrittsanträgen und eine Einschätzung der Auswirkungen der ĺErweiterung, mit besonderer Berücksichtigung der finanziellen Implikationen (Vorschlag zur Einsparung von Ausgaben im Bereich der Strukturfonds und der ĺGAP). Ihren Niederschlag im Erweiterungsprozess fanden die in der A. vorgeschlagenen Maßnahmen u.a. in der Annahme des ĺGruppenmodells und im Beschluss der intensivierten ĺHeranführungsstrategie. Die Umsetzung der Agenda 2000 führte zu entscheidenden Änderungen der ĺGAP, der Kohäsions- und Strukturpolitik. (lo) Lit.: Agenda 2000 – Teil I: Eine stärkere und erweiterte Union – Teil II: Die Erweiterung der Union – Eine Herausforderung, KOM/97/2000 endg.; T. Kingreen/G. Thiele, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 34 EGV, Rn. 39
Agenturen agencies – agences
AETR AETR case (European Agreement on Road Transport) – jurisprudence AETR (Accord européen sur les transports routiers)
Dt., Europäisches Übereinkommen über Straßenverkehr. In der Entscheidung AETR sprach der EuGH aus: „Die Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss internationaler Abkommen ergibt sich nicht nur aus einer ausdrücklichen Verleihung durch den EWG-Vertrag, sondern auch aus anderen Vertragsbestimmungen und in deren Rahmen vorgenommenen Handlungen der Organe der Gemeinschaft.“ (bb) §§: EuGH, Rs. 22/70 KOM/Rat, Slg. 1971, 263, bestätigt in EuGH, Rs. 3/76, 4/76 und 6/76 Kramer, Slg. 1976, 1279, sowie EuGH, Gutachten 1/76, Slg. 1977, 741, Rn. 3 und EuGH, Gutachten 1/92, Slg. 1992, I-2821
Afrika-Karibik-Pazifik (AKP) ĺAbkommen von Cotonou mit 78 Staaten der Afrika-Karibik-Pazifik-Gruppe
Agenturen sind von den ĺOrganen der EU getrennte Einrichtungen mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie werden durch einen Sekundärrechtsakt innerhalb bestimmter Grenzen zur Ausübung einer technischen, wissenschaftlichen oder verwaltungstechnischen Tätigkeit eingerichtet. Zurzeit gibt es 31 Agenturen, die teilweise anders bezeichnet werden (Stiftung, Amt, Beobachtungsstelle, Zentrum) und sich entsprechend der Struktur der EU in ĺGemeinschaftsagenturen (Art. 308 EG), Agenturen für die ĺGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (Zweite Säule; z.B. ĺEuropäische Verteidigungsagentur), Agenturen für die ĺpolizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Dritte Säule; z.B. ĺEuropol) und ĺExekutivagenturen gliedern. Die Agenturen haben ihren Sitz in verschiedenen ĺMitgliedstaaten der EU; so befindet sich etwa die ĺEuropäische Agentur für Flugsicherheit in Köln und die ĺEuropäische Agentur für Grundrechte in Wien. Agenturen bestehen in der Regel aus einem Verwal7
AGIS-Programm tungsrat, einem Exekutivdirektor und technischen und wissenschaftlichen Ausschüssen. (sl) §§: Art. 308 EG Lit.: D. Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999; W. Hummer, Von der „Agentur“ zum „Interinstitutionellen Amt“, in: S. Hammer et al. (Hrsg.), Demokratie und sozialer Rechtsstaat in Europa. FS für T. Öhlinger, 2004, 92 Rsp.: EuGH, Rs. 9/56 und Rs. 10/56 Meroni/Hohe Behörde der EGKS, Slg. 1958, 11 ff. und 53 ff. Web: http://europa.eu/agencies/index_de.htm
AGIS-Programm AGIS programme – programme AGIS
Rahmenprogramm für die ĺpolizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zur finanziellen Förderung von Projekten zur Weiterentwicklung der PJZS. Das Programm galt für den Zeitraum vom 1.1.2002 bis zum 31.12. 2007. Die Förderung setzte eine grenzüberschreitender Kooperation von öffentlichen oder privaten Organisationen und Einrichtungen einschließlich Berufsverbänden, Nichtregierungsorganisationen, Vereinigungen, Wirtschaftsverbänden, Forschungsinstituten sowie Aus- und Fortbildungseinrichtungen voraus. Die zu fördernden Projekte mussten folgende zur PJZS gehörende Bereiche betreffen: die justizielle Zusammenarbeit generell sowie in Strafsachen, einschließlich Aus- und Fortbildung; die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden; die Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden oder anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen in den Mitgliedstaaten, die an der Prävention und Bekämpfung organisierter sowie nicht organisierter Kriminalität beteiligt sind sowie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, um einen wirksameren Schutz der Interessen der Opfer im Strafverfahren zu gewährleisten. (sts) §§: Beschluss 2002/630/JI des Rates vom 22.7.2002 über ein Rahmenprogramm für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (AGIS), ABl. 2002, Nr. L 203/5
Agostini-Entscheidung Agostini case – jurisprudence Agostini
Dem Unternehmen Agostini wurde in Schweden eine bestimmte Werbepraktik in Fernsehwerbespots untersagt. Die Vorlagefrage befasste sich zunächst mit der Auslegung der RL 89/ 552/EWG (ĺFernsehrichtlinie). Nach Ansicht des ĺEuGH schließe die Anwendung der RL Maßnahmen zum ĺVerbraucherschutz gegen8
über einem Werbetreibenden wegen einer durch einen anderen ĺMitgliedstaat ausgestrahlten Fernsehwerbung nicht aus, sofern diese Maßnahmen nicht generell die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten im eigenen Hoheitsgebiet verhindere. Somit war die Werbebeschränkung nach Art. 28 EG zu prüfen. Zur Vereinbarkeit der Werbebeschränkung mit den Bestimmungen des ĺfreien Warenverkehrs führte er an, dass eine Beschränkung bzgl. Kindern unter zwölf Jahren solange nicht unter Art. 28 EG falle, bis nachgewiesen werde, dass dieses Verbot den Absatz von importierten ĺWaren rechtlich wie tatsächlich stärker belaste (ĺKeck-Entscheidung). Die stärkere Belastung bestand letztendlich aber darin, dass für Agostini die Fernsehwerbung die einzig wirksame Form der Absatzförderung war, um in den schwedischen Markt einzudringen, da keine anderen Werbemittel zur Verfügung standen, um die gewünschten Verbraucher zu erreichen. (ah) Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-34/95 bis 36/95 Agostini, Slg. 1997, I-3843, Rn. 24 ff.
Agrarleitlinie agricultural guideline – ligne directrice agricole
Die Agrarleitlinie begrenzt die Steigerung der Agrarausgaben Ausgabenseitig. Folgend der VO (EG) 2040/2000 darf die jährliche Steigerungsrate der Ausgaben für die gemeinsame Agrarpolitik und die Entwicklung des ländlichen Raumes 74 % der Steigerungsrate des Bruttosozialproduktes der Gemeinschaft nicht überschreiten. Folgend dem Beschluss des Europäischen Rates von Berlin 2002 wird die Steigerung der Agrarausgaben bis 2013 für die EU 25 mit 1 % jährlich (inflationsbereinigt), d.h. unter der möglichen Grenze der Agrarleitlinie, begrenzt. In der politischen Praxis werden die Agrarausgaben nach den Vorgaben der VO (EG) 1290/ 2005 im Rahmen des ĺHaushaltsplans budgetiert. Obwohl im EU-Haushalt ein großer Anteil der Mittel für die Landwirtschaft budgetiert ist, gibt Europa, wenn man die gesamten Ausgaben der EU und der Mitgliedstaaten für die Landwirtschaft zusammenzählt und den gesamten Budgetaufwendungen der Mitgliedstaaten und der EU gegenübersetzt, in Summe nur rund 2 % der öffentlichen Mittel für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung aus. (all) §§: VO (EG) 2040/2000, Haushaltsdisziplin, ABl. 2000, Nr. L 244/27; VO (EG) 1290/2005, GAP Finan-
Akademische Anerkennung zierung, ABl. 2005, Nr. L 209/1; 2002/929/EG, Berliner Beschlüsse, ABl. 2002, Nr. L 323/48
Agrarpolitik ĺGemeinsame Agrarpolitik (GAP) Agrarumweltprogramm ĺDirektzahlungen Ägypten Egypt – Égypte
ĺEuropa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Arabischen Republik Ägypten andererseits ersetzt das Kooperationsabkommen von 1977. (bb) §§: ABl. 2004, Nr. L 304/39 (in Kraft seit 1.6.2004)
Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler Academy of European Private Lawyers – Académie des Privatistes Européens
Die Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler (Gandolfi Gruppe) wurde 1992 von Giuseppe Gandolfi gegründet und ist eine internationale Forschergruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, einen Entwurf für ein ĺEuropäisches Zivilgesetzbuch vorzulegen und damit zu der Diskussion um die Privatrechtsvereinheitlichung beizutragen. Ein erster Entwurf wurde bereits 2001 unter dem Titel Code Européen des Contrats, Avant-projet vorgelegt. Er ist wegen seiner engen Anlehnung an bestehende kontinental-europäische Kodifikationen, insbesondere den italienischen Codice Civile, häufig kritisiert worden, dessen ungeachtet aber ein wichtiger Beitrag zur laufenden Diskussion um die Rechtsvereinheitlichung in Europa. (mrm) Lit.: G. Gandolfi (Hrsg.), Code Européen des Contracts – Avant-projet, 2002 Web: http://www.accademiagiusprivatistieuropei.it/
Akademische Anerkennung academic recognition – reconnaissance académique
Akademische Anerkennung meint im Zusammenhang mit dem ĺEuropäischen Hochschulraum einen Vorgang, mit dem eine an einer Hochschuleinrichtung in einem anderen MS der EU oder Teilnehmerstaat des ĺBolognaProzesses erfolgreich absolvierten Studienleistung mit denselben Rechtswirkungen ausge-
stattet wird, wie sie mit einer entsprechenden inländischen akademischen Leistung verbunden sind (in Anlehnung an Kasparovsky, ebenso die folgenden Definitionen). Während eine lange, im Rahmen des Europarats und einiger einschlägiger Abkommen herausgebildete Tradition, wie sie ihren Niederschlag auch in vielen europäischen Bildungssystemen gefunden hat, von der Unterscheidung von „effectus academicus“ (Rechtsakte, die nur innerhalb des Ausbildungssystems Wirkung entfalten wie etwa Lehrveranstaltungsanerkennung, Prüfungsanerkennung, Zulassung zu weiterführenden Studien) und „effectus civilis“ (Rechtswirkungen, die über das Ausbildungssystem hinaus Wirkung entfalten wie etwa das Recht, mit einem bestimmten Studienabschluss bestimmte Berufe auszuüben oder die Befreiung von Berufsprüfungen) ausgeht, unterscheidet die Bildungspolitik der EU und daraus ergehende Rechtsakte zwischen akademischer und beruflicher Anerkennung. Trotz einer gewissen Parallelität besteht keine Deckungsgleichheit zwischen diesen Begriffspaaren. Im Bereich der EU bezeichnet akademische Anerkennung näherhin sämtliche Anerkennungsvorgänge von Hochschulorganen ohne Rücksicht auf etwaige Außenwirkungen. Die berufliche Anerkennung ist hingegen rein tätigkeitsbezogen und stellt auf eine Berufszulassung im Rahmen des freien Personenverkehrs (ĺGrundfreiheiten, ĺDiplomanerkennung) ab. Im Zuge der Internationalisierung der Hochschulbildung (wofür in Europa der BolognaProzess einen zentralen, auch rechtlichen Bezugsrahmen schafft) werden auch die Herausforderungen für die rechtliche Ausgestaltung der akademischen Anerkennung zwecks Fortsetzung von Studien bzw. Zulassung zu weiterführenden Studien an unterschiedlichen Hochschuleinrichtungen des ĺEuropäischen Hochschulraums sowohl im inner- wie auch im überstaatlichen Bereich drängender und wichtiger. Im Europarecht leisten hier einerseits internationale Übereinkommen, andererseits vereinzelte Bestimmungen des (sekundären) Gemeinschaftsrechts die notwendige Koordinierung der Anerkennungsregelungen des nationalen Hochschulrechts der Vertragsparteien bzw. MS. Im Bereich der internationalen Abkommen ist das im Bereich des Europarats in Kooperation mit EK und UNESCO entstandene Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region (Lissabonner Anerkennungsüber9
Akademische Anerkennung einkommen) von zentraler Bedeutung, entfaltet aber als völkerrechtlicher Vertrag keine direkten Wirkungen gegenüber den Bürgern der beteiligten Staaten. Es regelt in seinem Abschnitt IV (Art. IV.1-IV.9) die Anerkennung von Qualifikationen zur Ermöglichung des Hochschulzugangs, in Abschnitt V (Art. V.1-V.3) die Anerkennung von Studienzeiten und in Abschnitt VI (Art. VI.1-VI.5) die Anerkennung von Hochschulqualifikationen, unter der Voraussetzung prinzipieller Gleichwertigkeit der entsprechenden Qualifikationen bzw. Studienzeiten. Da die EU über keine bildungsrechtliche Kompetenz verfügt (ĺBildungspolitik), kann sie regulatorisch in den Bereich der akademischen Anerkennung entweder über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstige Befähigungsnachweise gem. Art. 47 EG, worunter mitunter die Anerkennung von berufsbildenden Hochschulabschlüssen fallen) oder indirekt im Rahmen der Aktionsprogramme (ĺBildungsprogramme) als Maßnahmen des Art. 149 EG einwirken. Der EGV sieht im Bereich der Freizügigkeit von Personen, Kap. 2 (Niederlassungsrecht) in Art. 47 EG für den Rat die Befugnis vor, RL für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise zu erlassen. Schon vor dem Inkrafttreten des ĺVertrags von Maastricht (Einführung der „Bildungsartikel“ 149 bzw. 150 EG) hat der EuGH durch eine umfassende Judikatur zum damaligen Art. 128 EWGVertrag (Berufsausbildung) eine enge Verknüpfung zwischen Bildung und Berufsausübung hergestellt. Unter den in Art. 47 EG aufgezählten Qualifikationsnachweisen sind demnach sämtliche Voraussetzungen (nicht notwendiger Weise nur Ausbildungsgänge, auch Praxis, Berufsprüfungen etc.) für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit zu verstehen. Art. 149 und 150 EG haben hingegen rein die Ausbildung zum Gegenstand. Ein Harmonisierungsverbot besteht also im „Ausbildungsbereich“ nur hinsichtlich dieser Art, nicht jedoch hinsichtlich Art. 47 EG. Die im Wesentlichen vom EuGH getroffene Abgrenzung verweist Sekundärrecht als Beitrag zur Entwicklung einer qualitativ hoch stehenden Bildung auf Art. 149 EG, Sekundärrecht zur Erleichterung der Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeit aber auf Art. 47 EG. Die in Art. 149 Abs. 2 2. SpS EG angeführte Förderung der akademischen Anerkennung der Diplome und Studienzeiten bezieht sich gem. der oben vorgenommenen De10
finitionen und Abgrenzungen rein auf die akademische (hochschulische) Ausbildung (unbeachtlich allfälliger damit verbundenen Berufsqualifikationen und Berufszugangsberechtigungen in den MS). In diesem engeren Bereich der akademischen Anerkennung versucht die EK über die unter Art. 149 EG (vor dem Vertrag von Maastricht unter Art. 128 EWG) fallenden Aktions-, ĺBildungs- oder Förderprogramme koordinierend auf die (studien)rechtliche Anerkennung und die daraus folgende Anerkennungspraxis der MS Einfluss zu nehmen. Für den betroffenen Hochschulbereich rückt hier das für diese Ebene entwickelte ĺErasmus-Programm in den Blick. Von Anbeginn an wurde das Prinzip der vollen akademischen Anerkennung von ĺErasmus-Aufenthalten von Studierenden hinsichtlich der zurückgelegten Studienzeiten und -leistungen verankert und zur Durchsetzung in der Praxis parallel dazu das ĺECTS-System etabliert. Die Entwicklung des ECTS und die Durchsetzung der akademischen Anerkennung in Erasmus als zentrales Regulierungsinstrumentarium der EU im Bereich der Hochschulbildung sind also in engem sachlichen Zusammenhang zu sehen und treten solcherart auch seit 1987 zunehmend verdichtet in den Rechtsgrundlagen des Programms zutage. Zur Entwicklung des ECTS-Systems s. im Detail den entsprechenden Eintrag ĺECTS. Die zunehmende Verdichtung der Erfordernisse der akademischen Anerkennung im Erasmus-Programm stellt sich parallel dazu im Lichte der Rechtsgrundlagen wie folgt dar: Der ErasmusBeschluss (Beschluss 87/327/EWG des Rates vom 15.6.1987 über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten – ERASMUS) führte mit Aktion 3 dieser ersten Generation des Erasmus-Programms Maßnahmen zur Verbesserung der Mobilität durch akademische Anerkennung von Diplomen und Studienzeiten ein. Die Gemeinschaft sollte in Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten u.a. folgende konkrete Maßnahmen mit dem Ziel ergreifen, die Mobilität durch akademische Anerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Diplome bzw. abgeleisteten Studienzeiten zu verbessern: Maßnahmen zur versuchsweisen Förderung eines europäischen Systems zur Anrechnung von Studienleistung (ECTS) auf freiwilliger Basis, um Studenten, die im Rahmen ihrer theoretischen und praktischen Ausbildung in einem anderen Mit-
Akademische Anerkennung gliedstaat studieren, die Möglichkeit zu bieten, an Hochschulen in anderen Mitgliedstaaten erbrachte Studienleistungen auf ihr Studium angerechnet zu erhalten (Beschluss 87/327/ EWG, Anhang, Aktion 3, Pkt. 1). Der Nachfolgende Beschluss 89/663/EWG des Rates vom 14.12.1989 zur Änderung des Beschlusses 87/ 327/EWG über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten – ERASMUS sieht parallel zum Beschluss 1987, aber in leichter Abwandlung in der Formulierung, im Anhang, Aktion 1 Abs. 1 ebenfalls die Verpflichtung von innerhalb des Erasmus-Hochschulnetzes kooperierenden Hochschulen vor, im Fall von Erasmus-Studierendenaustausch entsprechende Vereinbarungen miteinander abzuschließen, in denen „die volle Anerkennung von außerhalb der Hochschule des Herkunftslands zurückgelegten Studienzeiten sichergestellt wird. Jede zwischen den Hochschulen getroffene Vereinbarung soll vor allem den Studenten einer Hochschule die Möglichkeit bieten, in wenigstens einem weiteren Mitgliedstaat eine Studienzeit abzuleisten, die voll als Bestandteil ihrer Abschlussprüfung oder akademischen Qualifikation anerkannt wird.“ Diese Entwicklungs- und Förderpolitik wurde auch in der 1. Generation des Sokrates-Programms fortgeführt, in das das Erasmus-Programm 1995 integriert wurde: In Beschluss 819/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.3.1995 über das gemeinschaftliche Aktionsprogramm Sokrates findet sich zunächst in Art. 3 (Zielsetzungen) Pkt. g die „Förderung der akademischen Anerkennung von Studienabschlüssen, Studienzeiten und anderen Qualifikationen mit dem Ziel, die Herausbildung eines offenen europäischen Raums für die Zusammenarbeit im Bildungswesen zu erleichtern.“ Unter Kap. 1 (Hochschulbildung) des Anhangs wurde in Aktion 1 (Förderung der europäischen Dimension der Hochschulen, Erasmus), Pkt. A Hochschulkooperation für Erasmus-Studierende die volle Anerkennung von im Rahmen von Erasmus absolvierten Studienabschnitten in anderen MS als integrierender Bestandteil ihres Studienabschlusses oder akademischen Qualifikation (Unter-Pkt. a) fortgeschrieben. In einem nächsten Schritt räumte dann Beschluss 253/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.1.2000 über die Durchführung der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms im Bereich der allgemeinen Bildung Sokrates der akademischen Anerkennung und
ECTS als Anerkennungsinstrumentarium breiteren Raum ein und schreibt wiederum eine Verpflichtung der am Erasmus-Studierendenaustausch teilnehmenden Hochschulen zur „vollständigen Anerkennung“ der im Rahmen eines drei- bis zwölfmonatigen Erasmus-Aufenthalts erbrachten Studienleistungen und -zeiten vor. Art. 2 Pkt. c des Beschlusses definiert als eines der Programmziele die Förderung einer verbesserten Anerkennung von Abschlüssen und Studienzeiten. Anhang Pkt. II (Gemeinschaftsaktionen) Aktion 2 (Erasmus, Hochschulbildung) definiert als eines der spezifischen Ziele des Erasmus-Programms die Transparenz und die akademische Anerkennung von Studiengängen und Befähigungsnachweisen in der gesamten Gemeinschaft. Anhang Pkt. II Aktion 2.2 Abs. 2 regelt sodann abermals in Nachfolge der Grundintention der vorangegangen Programmgenerationen ganz konkret die akademische Anerkennung von Erasmus-Studienzeiten und -leistungen vermittels der Verpflichtung der involvierten Heim- und Gastuniversität, eine solche vollständige Anerkennung (die EK interpretiert diese Verpflichtung i.S. eines Prinzip der vollen, sowohl Studienzeit als auch Studienleistungen wie Prüfungen berücksichtigenden akademischen Anerkennung) in den Erasmus-Austauschaktivitäten zu Grunde liegenden interinstitutionellen Vereinbarungen vorzusehen. Schließlich baut das Aktionsprogramm für lebenslanges Lernen (Beschluss 1720/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2006 über ein Aktionsprogramm im Bereich des Lebenslangen Lernens), in das Erasmus als Hochschulteilprogramm mit 1.1.2007 gewandert ist, die akademische Anerkennung im Zuge von Hochschulmobilität aus und erweitert die konsequente systematische Anwendung auf die einzelnen Förderschienen des Programms. So werden in Art. 2 Abs. 11 (allgemeine Begriffsbestimmung hinsichtlich der Verwendung des Terminus in den einzelnen Detailbestimmungen und Unterprogrammen des LLL-Programms) als „Gemeinsame Masterstudiengänge“ u.a. nur mehr solche bezeichnet, die „ein systematisches Verfahren für die Anerkennung der an den Partnereinrichtungen absolvierten Studienabschnitte umfassen, das auf dem Europäischen System zur Anrechnung von Studienleistungen beruht oder mit diesem vereinbar ist“. Art. 5 (Maßnahmen der Gemeinschaft) Abs. 1 Pkt. f sieht u.a. Maßnahmen zur Förderung der Transparenz und der Anerkennung von Qualifikationen und 11
Akademische Anerkennung erworbenen Kenntnissen zur Förderung vor. Art. 13 stellt auf die Kohärenz und Komplementarität mit anderen einschlägigen Politiken, Instrumenten und Programmen der Gemeinschaft ab und nennt u.a. solche, die die Anerkennung von Qualifikationen zum Gegenstand haben. Die Nachfolgebestimmung zur vollen akademischen Anerkennung von Erasmus-Aufenthalten enthält Art. 22 Abs. 2. Als „Erasmus-Studierende“ werden jene definiert, die im Rahmen der Mobilitätsaktion des Programms Erasmus einen Studienaufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat absolvieren, unabhängig davon, ob sie aus Mitteln des genannten Programms finanziell unterstützt werden oder nicht, wobei solche Studienaufenthalte gem. einer interinstitutionellen Vereinbarung zwischen der entsendenden und der aufnehmenden Einrichtung voll anerkannt werden und die aufnehmende Einrichtung für diese Studierenden keine Studiengebühren erhebt. Art. 33 (Maßnahmen des Querschnittprogramms) sieht schließlich in Abs. 1 Pkt. e die Förderung von Maßnahmen zur Förderung der Transparenz und der Anerkennung von Qualifikationen und Kompetenzen (auch solcher, die im Rahmen des nichtformalen oder informellen Lernens erworben wurden), insbesondere Netze von Organisationen, die die Mobilität und die Anerkennung fördern und das Netz nationaler Informationszentren für Fragen der akademischen Anerkennung (NARIC, ĺBildungsprogramme), vor. Da eine direkte Harmonisierung der studienrechtlichen Bestimmungen der MS hinsichtlich der akademischen Anerkennung von Studienzeiten und -leistungen (wie Prüfungen, Abschlussarbeiten, Praktika etc.) im Zuge von Studienabschnitten an Hochschulen anderer MS als integraler Bestandteil ihres Vollstudiums an der Heimuniversität (wie im Rahmen von Erasmus) im EU-Recht auf Grund des Harmonisierungsverbots im Bildungsbereich also ausgeschlossen ist, bedient sich die EU auch hier ihrer gängigen Förderprogrammpraxis. Es wird die Fördertechnik (Ausschüttung der ErasmusFördermittel für Studierendenmobilität mittels der ĺNationalen Agenturen) so gestaltet, dass einer Vergabe von Erasmus-Mobilitätsmittel an Studierende von teilnehmenden Hochschulen durch ihre jeweiligen NA (d.h. durch die NA jenes MS, in dem sich die Heimuniversität der zu fördernden Studierenden, gleich welcher Nationalität, befindet, d.h. wo sie für das Studium eines kompletten Studienzyklus gemeldet sind) nur auf Grundlage einer vorangegangenen in12
terinstitutionellen vertraglichen Vereinbarung erfolgen darf, die eine entsprechende Anerkennung vorsieht. Weiters haben die Nationalen Agenturen auf Grund der Durchführungsbestimmungen für das Teilprogramm Erasmus und der darauf beruhenden Finanzvereinbarungen zur Verwaltung der Fördergelder mit der EK Bestimmungen in die Fördervereinbarungen mit den Hochschulen aufzunehmen, die ebenfalls die Beachtung der Anerkennungserfordernisse des Erasmus-Programms sowie die Verwendung der ĺECTS-Instrumentarien wie Learning Agreement und Transcript of Records vorschreiben. Mit dem Learning Agreement wird zwischen entsendender Heimuniversität, aufnehmender Gastuniversität und den individuellen Studierenden eine formelle Vereinbarung getroffen, welche das im Zuge des Erasmus-Aufenthalts an der Gastuniversität zur Absolvierung vorgesehene Studienprogramm (Liste der Kurse und sonstigen Studienleistungen, die an der Gastuniversität absolviert werden sollen) festlegt. Damit geht die Verpflichtung der entsendenden Heimuniversität einher, das vereinbarte Studienprogramm im Fall und im Ausmaß der positiven Absolvierung nach Beendigung des Erasmus-Aufenthalts als integralen Bestandteil des Studiums an der Heimuniversität voll anzuerkennen. Volle Anerkennung meint die Berücksichtigung sowohl der an der Partneruniversität eines anderen MS zurückgelegten Studienzeit als auch des gesamten Arbeitsaufwandes, der sich durch die einzelnen absolvierten Prüfungen und sonstigen Einzelstudienleistungen zusammensetzt (im ĺEuropäischen Hochschulraum in den entsprechenden Zeugnissen = Transcript of Records schon überwiegend in ECTS bemessen und ausgedrückt). In Österreich entsteht bei der Durchführung der Erasmus-Studierendenmobilität hinsichtlich der akademischen Anerkennung ein Parallelverfahren in der Anwendung dieses EUrechtlich vorgesehenen und den teilnehmenden Hochschulen vertraglich vorgeschriebenen Anerkennungsmechanismus und der Anwendung der innerstaatlich gesetzlich vorgesehenen Rechtsschutzmechanismen im Fall der Anerkennung von Studienleistungen im Zuge von internationalen Austauschprogrammen wie Erasmus. § 78 Abs. 1 UG 2002 schreibt die Anerkennung (bei Gleichwertigkeit) von im Ausland zurückgelegten Studienleistungen für den Bereich der öffentlich-rechtlichen Universitäten gesetzlich vor. Abs. 1 Satz 2 sieht vor, dass an einer Univer-
Akademische Anerkennung sität der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraumes abgelegte Prüfungen (was bei Erasmus-Aufenthalten an europ. Partneruniversitäten regelmäßig der Fall ist) jedenfalls anzuerkennen sind, wenn die ECTS Anrechnungspunkte gleich sind oder nur geringfügig abweichen. Eine geringfügige Abweichung besteht laut Regierungsvorlage zum UG 2002 bei Abweichungen bis zu 20 %. D.h. die unter das UG 2002 fallenden österr. Universitäten unterliegen kraft innerstaatlichem (Hochschul-)Recht bei Gleichwertigkeit der in Frage stehenden Studienleistungen einer gesetzlichen Anerkennungsverpflichtung und müssen nicht erst durch die EU bzw. die Nationalagentur im Rahmen der Vergabe von Förderverträgen im Rahmen der Ausschüttung von Mitteln des Erasmus-Programms vertraglich zur vollen akademischen Anerkennung verpflichtet werden. Weiters sieht § 78 Abs. 5 UG 2002 eine spezielle Vorausanerkennung der im Zuge von Austauschprogrammen vorgesehenen individuellen Studienprogramme der (Erasmus-)Studierenden vor. Im Anwendungsbereich des AVG im Hochschulbereich (öffentlich-rechtliche Universitäten) hat demnach das zuständige Universitätsorgan mittels Feststellungsbescheid vor Antritt des Auslandsaufenthalts über die Gleichwertigkeit des beabsichtigten Studienprogramms an der ausländischen Partneruniversität und konsequenter Weise dessen volle Anerkennung für das Studium an der Heimuniversität unter dem Vorbehalt der späteren positiven Absolvierung zu entscheiden. Da dies der im AVG vorgesehene Bescheidform entsprechen muss, die in einem Rechtsmittelverfahren in höherer Instanz bekämpft werden kann, scheidet die EUrechtlich vorgesehene und dem gleichen Zweck (Sicherheit der nachfolgenden Anerkennung für die Studierenden) dienende Dreiparteienvereinbarung des Learning Agreements zur Erfüllung des gesetzlichen Erfordernisses der „Vorausanerkennung“ aus. Umgekehrt erfüllt der sog. Vorausanerkennungsbescheid des § 78 Abs. 5 UG 2002 (als einseitiger Rechtsakt) nicht das Kriterium der Dreiparteienvereinbarung des ECTS-Learning-Agreements. Um den rechtlichen Verpflichtungen aus beiden Rechtskreisen Genüge zu tun, müssen nach derzeitiger Rechtslage also beide Anerkennungsinstrumentarien parallel angewendet werden. Etwas problematischer stellt sich die Rechtslage im Fachhochschulbereich (FHStG), im Bereich der Pädagogischen Hochschulen (HG 2004) und im Bereich der Privatuniversitäten
(UniAkkG) dar. Diese Rechtsgrundlagen enthalten, wenn überhaupt, nur allgemeine Anerkennungsbestimmungen (etwa lediglich die Festlegung der Zuständigkeit von Organen für Anerkennungsangelegenheiten), nehmen aber nicht speziell auf die Anerkennung von an auswärtigen Ausbildungseinrichtungen (und etwa im Zuge des Erasmus-Programms) erbrachten Studienleistungen Bezug (§ 12 Abs. 2 Z. 6 und Abs. 4 Z. 2, § 16 Abs. 4 Z. 2 und Abs. 5 FHStG; § 2 Abs. 1 UniAkkG; § 56 HG 2005). Zur Herstellung der Rechtsgleichheit in Anerkennungsangelegenheiten von Studierenden aller nicht (direkt) dem UG 2002 unterliegenden (Privat-) Universitäten und (Fach- bzw. Pädagogischen) Hochschulen im Zuge von Studienzeiten und -leistungen im Ausland mit Studierenden öffentlich-rechtlicher, dem UG und seinen Anerkennungsbestimmungen direkt unterliegenden Universitäten bietet sich sowohl eine verfassungsrechtliche Lösung im innerstaatlichen Bereich aber auch eine europarechtliche Konstruktion an: Zunächst geht die hL des österr. Hochschulrechts i.S. einer verfassungskonformen Interpretation, einschließlich der Einheitlichkeit des Systems des österr. Hochschulrechts, von einer analogen Anwendung der Anerkennungsbestimmungen des UG für vergleichbare Fälle der im UG geregelten Anerkennung von Studienleistungen im Rahmen von internationalen Bildungsprogrammen im sonstigen Hochschulbereich aus. Diese verfassungskonforme Auslegung lässt sich i.S. eines größtmöglichen Rechtsschutzes der Studierenden mit Blick auf das Gleichheitsgebot des österr. B-VG auch auf die Praxis der Vorausanerkennung in Bescheidform ausdehnen (d.h. die für Anerkennungsentscheidungen zuständigen Organe einer FH bzw. eines FH-Studiengangs an Institutionen, die nicht die Bezeichnung FH verliehen bekommen haben, einer Päd-HS und von Privatuniversitäten müssen trotz Nichtanwendbarkeit des AVG bei der Durchführung von geregelten int. Studierendenaustauschprogrammen wie Erasmus ebenfalls als Bescheid im materiellen Sinn eines beliehenen Organs zu qualifizierende Vorausanerkennungsentscheidungen und endgültige Anerkennungsentscheidungen nach Absolvierung des Auslandsaufenthalts treffen, die im Rechtsmittelweg bekämpfbar sind). Daneben könnte die gemeinschaftsrechtlich gebotene europarechtskonforme Interpretation innerstaatlichen Rechts die gesetzliche Verpflichtung österr. FH, Päd-HS und Privatuniversitäten zur Anerkennung abseits der ohnehin be13
AKP stehenden vertraglichen Verpflichtung im Rahmen der Vergabe von Erasmus-Fördermittel begründen. In der Konstellation der Förderprogramme der EU (und damit auch die ĺBildungsprogramme wie das LLP und mit ihm Erasmus mit der Bestimmung der vollen Anerkennung) müssten die vom Beschluss begründeten Mitwirkungsverpflichtungen (Art. 10 EG) der MS und damit auch Österreichs solcherart gestaltet sein, dass eine andere Interpretation als das Schließen auf eine auch im Bereich der FH, Päd-HS und Privatuniversitäten im Rahmen der jeweiligen Anerkennungsbestimmungen gesetzlich verankerte Verpflichtung zur Anerkennung gleichwertiger, an anderen Hochschulinstitutionen des EHR erbrachter Studienleistungen als Verletzung eben solcher unbedingt und klar im LLP normierten Mitwirkungsverpflichtungen seitens Österreichs verstanden werden müsste. Offen, da bisher vom EuGH hinsichtlich möglicher Wirkungen von gemeinschaftsrechtlichen Beschlüssen auch generell nicht ausjudiziert, muss die Frage bleiben, ob eine tatsächliche Verletzung von möglichen konkreten Mitwirkungspflichten, die Fragen der akademischen Anerkennung im Zuge von Erasmus betreffen, subjektive, vor nationalen Gerichten durchsetzbare Rechte von Einzelnen begründen können. Solche Konstellationen scheinen im Lichte der neuesten Literatur zur gemeinschaftsrechtlichen Handlungsform des ĺBeschlusses (Bast) nicht völlig ausgeschlossen, sind aber nur in ganz spezifischen Konstellationen begründbar. Gleiches gilt für eine mögliche unmittelbare Wirkung der Anerkennungsbestimmung des LLP-Beschlusses (einer solchen würde dann auch ein expliziter gesetzlicher Ausschluss der Anerkennung im innerstaatlichen Bereich nichts anhaben, er müsste auf Grund des ĺAnwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts durch die innerstaatlichen Organe unangewendet bleiben). Neben ECTS stellt das sog. ĺDiploma Supplement (Diplomzusatz) ein für die Praxis des innerstaatlichen Studienrechts relevantes Instrumentarium zur Erleichterung und Transparenz der akademischen Anerkennung dar. (jbu) §§: Beschluss 1720/2006/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 15.11.2006 über ein Aktionsprogramm im Bereich des Lebenslangen Lernens (ABl. 2006, Nr. L 327/45); Beschluss 253/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.1.2000 über die Durchführung der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms im Bereich der allgemeinen Bildung Sokrates (ABl. 2000, Nr. L 28/1); Beschluss 819/95/EG des Europäischen Parlaments
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und des Rates vom 14.3.1995 über das gemeinschaftliche Aktionsprogramm Sokrates (ABl. 1995, Nr. L 87/ 10); Beschluss 89/663/EWG des Rates vom 14.12.1989 zur Änderung des Beschlusses 87/327/EWG über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten – ERASMUS (ABl. 1989, Nr. L 395/23); Beschluss 87/327/EWG des Rates vom 15.6.1987 über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten – ERASMUS (ABl. 1987, Nr. L 166/20); § 78 Universitätsgesetz 2002 (UG 2002) BGBl. I 2002/120 i.d.g.F.; §§ 12 und 16 Fachhochschul-Studiengesetz (FHStG) BGBl. 1993/340 i.d.g.F.; § 2 Universitäts-Akkreditierungsgesetz (UniAkkG) BGBl. I 1999/168 i.d.g.F.; § 56 Hochschulgesetz 2005 (HG 2005) BGBl. I 2006/30; Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region (Lissabonner Anerkennungsübereinkommen vom 11.4.1997), BGBl. III 71/1999 Lit.: J. Bast, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU entwickelt am Beschluss als praxisgenerierter Handlungsform des Unions- und Gemeinschaftsrechts, 2006; A. von Bogdandy/J. Bast/F. Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht, ZaöRV 62 (2002) 77; J. Busch, Akademische Anerkennung. Konfliktzonen im inner- und überstaatlichen Bereich, in: J. Busch/ H. Kopetz (Hrsg.), Rechtsfragen des Europäischen Hochschulraums – Higher Education Integration in Europe, 2008; H. Kasparovsky, Automatische Anerkennung von Prüfungen? zfhr 3 (2004), 90; H. Kasparovsky/I. Wadsack, Prüfungs- und Diplomanerkennung im Hochschulbereich, 2005
AKP ĺAbkommen von Cotonou Akteneinsicht access to the file – accès au dossier
Das Recht auf A. ist eine besondere Ausprägung des Anspruchs auf ĺrechtliches Gehör. Es ist Teil des in Art. 41 Abs. 1, 2 GRC normierten Rechtes auf eine ĺgute Verwaltung. Abzugrenzen ist die A. vom Recht auf ĺInformationszugang nach Art. 42 GRC, Art. 255 EG, welches nicht das Rechtsstaatsprinzip im konkreten Fall verwirklicht, sondern das demokratische Anliegen einer transparenten Verwaltung. Beschränkt wird das Recht auf A. durch das legitime Interesse der Vertraulichkeit, des Berufs- und des Geschäftsgeheimnisses, Art. 41 Abs. 2 2. SpS GRC. Desweiteren wird das Recht auf A. im Einzelfall durch die ĺVerwaltungseffizienz begrenzt. Wird die A. aus den aufgezählten Gründen verwehrt, kann die Entscheidung nicht auf die verborgene Informationen gestützt werden. (fh) §§: Art. 6 Abs. 1 EU, Art. 41 Abs. 2 2. SpS GRC Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 41 GRC, Rn. 16 f.
Aktionsplan der Kommission zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts Aktion, gemeinsame joint action – action commune
Wichtigste Handlungsform der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) im Rahmen des EU-Vertrags. Gemeinsame Aktionen betreffen spezifische Situationen, in denen ein operatives Tätigwerden der Europäischen Union für notwendig erachtet wird. Sie werden in der Praxis immer dann angenommen, wenn eine Tätigkeit der Europäischen Union im Rahmen der GASP eine förmliche Rechtsgrundlage erfordert, etwa für die Ernennung von ĺSonderbeauftragten der Europäischen Union (EUSB), die Einleitung von zivilen oder militärischen ĺESVP-Missionen sowie alle Beschlüsse mit finanziellen Folgen. Entsprechend der ĺintergouvernementalen Struktur der GASP werden gemeinsame Aktionen vom ĺRat ohne Beteiligung des ĺEuropäischen Parlaments angenommen und besitzen als ĺintergouvernementale Rechtsakte keine ĺDurchgriffswirkung. (dt) §§: Art. 14 EU Lit.: E. Regelsberger, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, 2004, 103 ff.
nung sowie die Stellung von Beschlussanträgen vor. Statt einer Aktienhinterlegung und einer Veräußerungssperre ist bloß das Abstellen auf einen bestimmten Stichtag („record date“) zulässig. Weiters sollen die Präsenzversammlung ergänzende Teilnahmemöglichkeiten (auf brieflichem und elektronischem Wege) als Optionen für die jeweilige Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden. Zudem enthält die Richtlinie detaillierte Anforderungen an die Ermittlung der Beschlussergebnisse, die binnen einer vom Mitgliedstaat festzulegenden Frist, die nicht länger als 15 Tage nach der Hauptversammlung sein darf, auf der Internetseite der Gesellschaft veröffentlicht werden müssen. (tr) Lit.: M. M. Karollus, Der Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie zur Ausübung der Stimmrechte durch Aktionäre, GeS 2006, 99; T. Bachner/D. Dokalik, Die neue EU-Richtlinie über Aktionärsrechte und ihre Auswirkungen auf das österreichische Aktienrecht, GesRZ 2007, 104; Web: http://ec.europa.eu/prelex/apcnet.cfm
Aktionsplan der Kommission zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union
directive on the exercise of certain rights of shareholders in listed companies – directive concernant l’exercice de certains droits des actionnaires de sociétés cotées
Commission Action Plan on modernising Company Law and enhancing Corporate Governance in the European Union – Plan d’action de la Commission sur la modernisation du droit des sociétés et le renforcement du gouvernement d’entreprise dans l’Union européenne
Im Juni 2007 erlassene, spätestens bis Herbst 2009 umzusetzende ĺRichtlinie (RL 2007/36/ EG, ABl. 14.7.2007, Nr. L 184/20) „über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften“, welche vor allem die grenzüberschreitende Teilnahme an Hauptversammlungen erleichtern soll. Die Richtlinie betrifft Mitwirkungsrechte, die mit Stimmrechtsaktien von Aktiengesellschaften verbunden sind, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben und deren Aktien zum Handel auf einem – in einem Mitgliedstaat gelegenen oder dort betriebenen – geregelten Markt zugelassen sind. Zu den wesentlichen Regelungsbereichen der Richtlinie gehört z.B. das Erfordernis der rechtzeitigen und ausreichenden Bereitstellung von Informationen im Vorfeld der Hauptversammlung, das durch eine Einberufungsfrist von i.d.R. 21 Tagen, effektive Bekanntmachungsmittel, einen erweiterten Inhalt der Einberufung sowie durch die Bereitstellung von Informationen im Internet erfüllt werden soll. Weiters sieht die Richtlinie Antragsrechte der Aktionäre betreffend die Ergänzung der Tagesord-
Auf dem ĺWinter-Report basierender Plan künftiger Maßnahmen und Vorschläge der ĺKommission im Bereich des Gesellschaftsrechts. Als rechtspolitische Ziele nennt der im Mai 2003 veröffentlichte Aktionsplan die Stärkung der Aktionärsrechte und die Verbesserung des Schutzes Dritter sowie die Förderung der Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Regelungsschwerpunkte sollen dementsprechend sein: Corporate Governance und deren verbesserte Offenlegung; Stärkung der Aktionärsrechte (ĺAktionärsrechterichtlinie); Modernisierung des Leitungs- bzw. Verwaltungsorgans; Kapitalerhaltung und -Änderung; Unternehmensgruppen und -Pyramiden; Unternehmensumstrukturierung und -Mobilität; ĺEuropäische Privatgesellschaft; Europäische Genossenschaft (ĺSocietas Cooperativa Europaea [SCE]) und andere EU-Rechtsformen für Unternehmen; Verbesserte Offenlegung von nationalen Rechtsformen. Der Aktionsplan teilt die erforderlichen Legislativmaßnahmen in kurz- (2003–2005), mittel- (2006–2008) und langfristige (ab 2009) Maßnahmen ein. Bislang
Aktionärsrechterichtlinie
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Aktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens sind manche der kurzfristigen Legislativakte von der Kommission nicht nur vorgeschlagen, sondern auch von ĺRat und ĺParlament erlassen worden (s. etwa die ĺInternationale Fusionsrichtlinie), manche Vorschläge ist man allerdings bis dato schuldig geblieben (etwa einen zeitgemäßen Vorschlag für eine Vierzehnte ĺRichtlinie über die ĺgrenzüberschreitende Sitzverlegung). (tr) §§: KOM(2003) 284 endg. Lit.: S. Maul/E. Eggenhofer, Aktionsplan der Kommission zur Reform des europäischen Gesellschaftsrechts, BB 2003, 1289; T. Haberer, The road ahead – Zur Zukunft des europäischen Gesellschaftsrechts, GesRZ 2003, 21
Aktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens action programme in the field of lifelong learning – programme d’action dans le domaine de l’éducation et de la formation tout au long de la vie
Gestützt auf die Art. 149 und 150 EG haben das Europäische Parlament und der Rat am 15.11.2006 einen ĺBeschluss über ein „Aktionsprogramm im Bereich des Lebenslangen Lernens (LLP)“ (1720/2006/EG, ABl. 2006, Nr. L 327/45) erlassen. Es handelt sich dabei um das inhaltlich und finanziell (die indikative Finanzausstattung für die Durchführung des Beschlusses beträgt knapp 7 Mill. Euro, vgl. Art. 14) umfassendste ĺBildungsprogramm der EU. Als solches zählt es im Bereich der Förderpolitiken und hier speziell der ĺBildungspolitik der EU zu den die mitgliedstaatlichen Bildungspolitiken ergänzenden Fördermaßnahmen lt. Art. 149 Abs. 4 EG. Inhaltlich handelt es sich dabei um eine Weiterentwicklung und gleichzeitig Zusammenführung der zuvor jeweils auf getrennten Beschlüssen basierenden Bildungsprogramme im Bereich der allgemeinen und/oder Berufsbildung wie ĺLeonardo da Vinci, ĺSokrates (mit den wesentlichen sektoralen Teilprogrammen: ĺComenius; ĺErasmus; ĺGrundtvig; ĺLingua oder ĺMinerva) und ĺeLearning. Diese Vorläuferprogramme wurden als „sektorale Einzelprogramme“ (Art. 3) in das neue Aktionsprogramm integriert und entsprechend der Erfahrungen aus den Vorläuferprogrammen und in Übereinstimmung mit allgemeinen Zielsetzungen der EU und der dem Bildungsbereich dabei zugedachten unterstützenden Rolle (insb. hinsichtlich der ĺLissabonStrategie und des ĺBologna-Prozesses) adaptiert bzw. ergänzt. Als primäre, allgemeine Zielsetzung formuliert das Maßnahmenprogramm 16
dabei einen Beitrag der (Europäischen) Gemeinschaft zu deren eigenen Entwicklung hin „zu einer fortschrittlichen wissensbasierten Gesellschaft mit nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung, mehr und besseren Arbeitsplätzen und größerem sozialen Zusammenhalt“, in der auch der nachhaltige Umweltschutz gewährleistet sein soll. Insbesondere soll dadurch der „Austausch, die Zusammenarbeit und die Mobilität zwischen den Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung in der Gemeinschaft“ gefördert werden, um so deren Entwicklung zu einer weltweiten Qualitätsreferenz zu betreiben (Art. 3, Abs. 2). Dieser allgemeinen Zielsetzung nachgeordnet definiert das LLP weiters eine Reihe von spezifischen Zielen wie die Entwicklung eines hochwertigen lebenslangen Lernens basierend auf hohen Leistungsstandards und Innovation, die Unterstützung der Verbesserung der Qualität, Attraktivität und Zugänglichkeit der in den MS verfügbaren Lifelong LearningAngebote oder die „Stärkung des Beitrags des lebenslangen Lernens zum sozialen Zusammenhalt, zur aktiven Bürgerschaft, zum interkulturellen Dialog, zur Gleichstellung der Geschlechter und zur persönlichen Entfaltung“. Das LLP setzt sich aus drei Bereichen von Einzelprogrammen zusammen: Unter die sog. „sektoralen Einzelprogramme“ (Art. 3, Abs. 1) fallen die 4 Teilprogramme ĺComenius (für den Bereich der Vorschul- und Schulbildung bis zum Sekundarbereich II),ĺErasmus (für den Bereich der Hochschulbildung und der beruflichen Bildung der Tertiärstufe), ĺLeonardo da Vinci (für den gesamten Bereich der beruflichen Bildung ausgenommen die nun im LLP dem Teilprogramm Erasmus zugeordnete berufliche Bildung der Tertiärstufe) und ĺGrundtvig (für den Bereich den gesamte Bereich der Erwachsenenbildung = das nichtberufsbezogene Lernen im Erwachsenenalter). Weiters richtet das LLP ein „Querschnittsprogramm“ mit 4 Schwerpunktaktivitäten (a. politische Zusammenarbeit und Innovation in Bezug auf lebenslanges Lernen; b. Förderung des Sprachenlernens; c. Entwicklung von innovativen, IKT-gestützten Inhalten, Diensten, pädagogischen Ansätzen und Verfahren für das lebenslange Lernen; d. Verbreitung und Nutzung der Ergebnisse von im Rahmen des Programms und der entsprechenden Vorgängerprogramme geförderten Maßnahmen sowie Austausch vorbildlicher Verfahren) ein (Art. 3, Abs. 2). Schließlich komplettiert das in sich wieder dreigliedrige Programm ĺJean Monnet die Trias der
Akzo-Verfahren Einzelprogrammlinien des LLP (Art. 3 Abs. 3). Jean Monnet fördert Einrichtungen und Aktivitäten im Bereich der europäischen Integration und setzt sich aus den Programmlinien der Aktion Jean Monnet, den Betriebskostenzuschüssen zur Unterstützung „bestimmter“ mit Fragen der europäischen Integration befasster Einrichtungen und den Betriebskostenzuschüssen zur Unterstützung „anderer“ europäischer Einrichtungen im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung zusammen. An spezifischen Gemeinschaftsmaßnahmen (Art. 5) sieht das LLP insb. vor: die Mobilität von Einzelpersonen im Zuge des lebenslangen Lernens (am bekanntesten und bisher bedeutendsten die Erasmus-Studierendenmobilität); bilaterale (Beteiligung von Partnern aus zwei MS) und multilaterale (Beteiligung von Partnern aus mindestens drei MS) Partnerschaften; multilaterale Projekte und Netze; unilaterale (Beteiligung nur einer einzigen Einrichtung), rein nationale Projekte; Beobachtung und Analyse der Politik und der Systeme im Bereich des lebenslangen Lernens; diverse „flankierende Maßnahmen“. Von großer praktischer Bedeutung ist Art. 6, der die Aufgaben zwischen EK und MS bei der Durchführung des LLP festlegt. Dabei sind die allgemeinen rechtlichen Konsequenzen aus der spezifischen EU-Rechtsaktform des ĺBeschlusses („sui generis-Beschluss“), wie insb. die Mitwirkungsverpflichtung der MS, beachtlich. Die MS haben zur Gesamtkoordination der Durchführung der Maßnahmen des LLP eine ĺnationale Agentur einzurichten (parallel dazu bedient sich die EK bei der Durchführung der ihr auf Grund des Art. 6 zukommenden Aufgaben im Bereich des LLP ihrerseits einer sog. ĺExekutivagentur). Auf Grund des Art. 10 LLP-Beschluss wurde, entsprechend dem ĺKomitologie-System der EK zur Setzung von aus dem Beschluss abgeleiteten Durchführungsmaßnahmen (Art. 9), ein ĺAusschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens eingerichtet. Das LLP in Form des gegenständlichen Beschlusses ist ab dem 1.1.2007 für 7 Jahre eingerichtet und budgetiert (Art. 14). Zum 31.3.2011 hat die EK dem EP, dem Rat, dem EWSA und dem AdR einen Zwischenevaluierungsbericht über die Durchführung des LLP zu unterbreiten. Dem hat bis 31.12.2011 eine Mitteilung über die Fortsetzung des Bildungsprogramms zu folgen. Die gegenwärtige (erste) Phase des
LLP ist dann zum 31.3.2016 mit einem Abschlussbericht über eine Ex-Post-Evaluierung endgültig zu finalisieren (Art. 15). (jbu) §§: Art. 149 EG, Art. 150 EG, Beschluss 1720/2006/ EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 15.11.2006 über ein Aktionsprogramm im Bereich des Lebenslangen Lernens (ABl. 2006, Nr. L 327/45) Lit.: K. Kurth (Hrsg.), Lebenslanges Lernen. Der Lissabon-Prozess und seine Auswirkungen, 2006; M. Schemmann, Internationale Weiterbildungspolitik und Globalisierung. Orientierungen und Aktivitäten von OECD, EU, UNESCO und Weltbank, 2007 Web: http://ec.europa.eu/education/programmes/llp/ index_de.html (Homepage der Europäischen Kommission, Allgemeine und berufliche Bildung, LLP); http://www.lebenslanges-lernen.at (Homepage der österr. Nationalagentur für das Bildungsprogramm für lebenslanges Lernen im Österreichischen Austauschdienst)
Aktionsprogramme ĺBildungsprogramme Aktive Dienstleistungsfreiheit ĺDienstleistungsfreiheit, aktive Aktualität von Daten up-to-dateness of data – Mise à jour des données
Der Grundsatz der Aktualität wird dem Art. 6 Abs. 1 lit. d der RL 95/46/EG (ĺDatenschutzrichtlinie) entnommen. Er hat zum Inhalt, dass ĺDaten, wenn sie verarbeitet werden (ĺVerarbeitung von Daten) auf dem neuesten Stand zu halten sind. Systematisch betrachtet stellt der Grundsatz der Aktualität von Daten eine Erweiterung des Grundsatzes der ĺRichtigkeit von Daten um den Zeitaspekt dar. Werden Daten vom ĺVerantwortlichen für die Verarbeitung nicht aktuell gehalten können daraus resultierende Schäden bei der ĺbetroffenen Person, wie bei jeder unzulässigen Verarbeitung, zu Schadenersatzansprüchen führen. (al) §§: Art. 6 Abs. 1 lit. d RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 142; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 116
Akzo-Verfahren Akzo procedure – procédure Akzo
Der gemeinschaftsrechtlich garantierte Schutz von Geschäftsgeheimnissen (vgl. Art. 287 EG) wird in Verfahren nach der ĺFusionskontrollverordnung sowie für Verfahren nach den Art. 81 (ĺKartellverbot) und 82 EG (ĺMissbrauch einer marktbeherrschendem Stellung) 17
Alcan-Entscheidung (BVerfG) durch das sog. Akzo-Verfahren sicher gestellt, das der ĺEuropäische Gerichtshof der ĺKommission erstmals in der Rechtssache Akzo-Chemie zur Auflage gemacht hat: Die Kommission ist verpflichtet, dem Inhaber des Geschäftsgeheimnisses zunächst die Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen. Wendet sich dieser im Wege eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Entscheidung, die Information offenzulegen, so darf die Entscheidung erst vollzogen werden, wenn das Gericht den Antrag zurückgewiesen hat. Nach der neueren Rechtsprechung des Gerichts Erster Instanz (Rechtssache Pergan) (s. ĺEuG) ist das AkzoVerfahren nicht nur vor der Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen, sondern auch vor der Offenlegung sonstiger vertraulicher Informationen anzuwenden. Die Kommission hat die Anwendung des Akzo-Verfahrens im Bereich des Wettbewerbsrechts dem ĺAnhörungsbeauftragten überantwortet. (mke) §§: Art. 9 Beschluss Nr. 2001/462/EG, EGKS der Kommission vom 23.5.2001 über das Mandat des Anhörungsbeauftragten in bestimmten Wettbewerbsverfahren, ABl. 2001, Nr. L 162/21 Lit.: S. Durande/M. Kellerbauer, Der Anhörungsbeauftragte in EG-Wettbewerbsverfahren; WuW 9/2007, 877; B. Wegener, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 287 EGV, Rn. 8 Rsp.: EuGH, Rs. 53/85 Akzo Chemie, Slg. 1986, 1965, Rn. 29; EuG, Rs. T-474/04 Pergan Hilfsstoffe, Rn. 62. ff.
Alcan-Entscheidung (BVerfG) Alcan case – jurisprudence Alcan
Entscheidung des ĺBVerfG vom 17.2.2000, NJW 2000, 2015 (ĺVerfassungsbeschwerde), mit der das BVerfG die Rsp. des ĺEuGH (Rs. C-24/95 Rheinland Pfalz/Alcan, Slg. 1997, I1591) und BVerwG (BVerwGE 106, 328) bestätigte, wonach gemeinschaftsrechtswidrig gewährte staatliche ĺSubventionen auch nach Ablauf der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG zurückgefordert werden können. (sgk) §§: Art. 87-89 EG; § 48 Abs. 4 VwVfG Lit.: G. Nicolaysen/C. Nowak, Teilrückzug des BVerfG aus der Kontrolle der Rechtmäßigkeit gemeinschaftlicher Rechtsakte: Neuere Entwicklungen und Perspektiven, NJW 2001, 1233
Algerien Algeria – Algérie
Das ĺEuropa-Mittelmeer Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EG und ihren MS und der Demokratischen Volksrepublik Algerien löste per 1.9.2005 das Koope18
rationsabkommen aus dem Jahr 1976 ab. Es sieht einen regelmäßigen ĺpolitischen und sozialen Dialog vor, beinhaltet Bestimmungen über den freien Warenverkehr, den Dienstleistungsverkehr im Einklang mit GATS, die Zusammenarbeit in wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, technischen und technologischen, industriellen, kulturellen, finanziellen Belangen, in Bildung, Justiz und Inneres sowie ein Diskriminierungsverbot algerischer Arbeitnehmer in der EU (Art. 67). (bb) §§: ABl. 2005, Nr. L 265/2 (noch nicht in Kraft) Web: http://www.deldza.cec.eu.int/fr/ue_algerie/accord _association.htm
Alleingang, nationaler ĺNationaler Alleingang Alleinvertriebssysteme exclusive dealing contracts – contrats d’exclusivité
Alleinvertriebssysteme sind ĺVereinbarungen zwischen Herstellern und Händlern, durch die sich der Lieferant (Hersteller) verpflichtet, in einem konkreten Gebiet zu Zwecken des Weiterverkaufs nur einen konkreten Abnehmer (Händler) zu beliefern. Zudem ist oftmals der Abnehmer verpflichtet, die Ware ausschließlich vom betreffenden Lieferanten zu beziehen. Diese Typen von Ausschließlichkeitsvereinbarungen fallen an sich unter Art. 81 Abs. 1 EG. Allerdings weisen Alleinvertriebssysteme häufig auch eine wettbewerbsfördernde Wirkung auf. Im Unterschied zu anderen Ausschließlichkeitsbindungen haben die Abnehmer hier etwa eine besondere Pflicht zur Absatzförderung. Deshalb entschied der ĺEuGH schon früh, dass solche Vereinbarungen grundsätzlich mit Art. 81 Abs. 1 EG vereinbar sind. Dies wird damit begründet, dass Alleinvertriebssysteme u.U. zur gegenseitigen Durchdringung der Märkte beitragen können. Nunmehr sind Alleinvertriebssysteme unter bestimmten Voraussetzungen auch durch die ĺGruppenfreistellungsverordnung Nr. 2790/ 1999 freigestellt. (jpt) §§: Art. 81 EG; VO (EG) 2790/1999 der Kommission über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 1999, Nr. L 336/21) Lit.: S. Mäger, in: T. Mäger (Hrsg.), Europäisches Kartellrecht, 2006, 99; V. Emmerich, Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, § 5, Rn. 21; T. Eilmannsberger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 81 EGV, Rn. 174 f. Rsp.: EuGH, Rs. 56/65 Maschinenbau Ulm, Slg. 1966, 281 ff. Rn. 304
Allgemeine Geschäftsbedingungen Alles außer Waffen Everything But Arms (EBA) – Tout sauf les armes (TSA)
Mit Annahme der „Everything But Arms“-Verordnung vom 26.2.2001 (VO [EG] 416/2001) schaffte die EU für alle Waren mit Ursprung in den am wenigsten entwickelten Ländern (LDC) alle Zölle und Kontingente ab. Lediglich für Bananen (2006), Zucker (2009) und Reis (2009) wurden Übergangsfristen vorgesehen. Die Regelungen der „Everything But Arms“-Verordnung wurden in die Verordnung zum Allgemeinen Präferenzsystem übernommen (VO [EG] 2501/2001 des Rates vom 10.12.2001 über ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen für den Zeitraum vom 1.12.2002 bis 31.12.2004). (bh) Allgemeine Geschäftsbedingungen standard terms of contract – conditions generals d’affaires
Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) sind standardisierte Vertragsklauseln für eine Vielzahl von Verträgen, die eine Vertragspartei (der Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages zu Grunde legt. Die AGB können sich dabei in der Vertragsurkunde selbst („Kleingedrucktes“) oder auf einem gesonderten Dokument befinden. Ihre Einbeziehung in den geltenden Vertrag ist insbesondere bei Verbraucherverträgen problematisch, sofern die Verbraucher den Vertrag unter Einbeziehung von AGB schließen, ohne Kenntnis der AGB zu erlangen bzw. ohne ihren Bedeutungsgehalt zu erkennen. AGB verändern i.d.R. die Risikoverteilung und Haftung zu Gunsten des Verwenders und erleichtern diesem die Vertragsabwicklung. Darin liegt zugleich die Gefahr, dass der Verwender, meist ein geschäftlich erfahrener Unternehmer, den Verbraucher benachteiligende oder überraschende Regelungen gegenüber einem Verbraucher durchsetzen kann, die sich von Wertungen des Gesetzes zu weit entfernen. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, bestehen einerseits erhöhte Anforderungen an die wirksame Einbeziehung von Klauseln, andererseits werden AGB einer Inhaltskontrolle unterzogen und als missbräuchlich eingestuften Klauseln ihre Wirksamkeit abgesprochen. Die Frage, ob AGB wirksam in einen Vertrag einbezogen sind, ist nach wie vor dem nationalen Vertragsrecht überlassen. Das Gemeinschaftsprivatrecht befasst sich mit AGB unter vier Aspekten: 1. Die RL 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ĺKlauselrichtlinie) definiert vorformulierte Ver-
tragsklauseln, die zum Nachteil des Verbrauchers gegen das Gebot von Treu und Glauben verstoßen, als missbräuchlich und erklärt diese deshalb in Verbraucherverträgen für unwirksam. 2. Nach der Rsp. des EuGH kann auch eine in AGB enthaltene ĺGerichtsstandsklausel die Formerfordernisse des Art. 18 LGVÜ/Art. 23 EuGVVO erfüllen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass diese wirksam in den Vertrag einbezogen werden, wobei die Voraussetzungen hierfür nicht den allgemeinen Vertragsschlussregeln des nationalen Rechts folgen, sondern direkt durch das ĺEuropäische Prozessrecht bestimmt werden. In rein nationalen Sachverhalten ist eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zu Lasten des Verbrauchers nach Art. 3 Abs. 1 RL 93/13/EG missbräuchlich und daher unwirksam (EuGH 27.6.2000, verb. Rs. 240-244/98 [Océano Group]). 3. Einer Kontrolle werden schließlich auch in AGB enthaltene Rechtswahlvereinbarungen bei Verbraucherverträgen unterzogen. Zwar ist nach der derzeit geltenden Fassung des ĺEVÜ eine Rechtswahl in Verbraucherverträgen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, verschiedene Sekundärrechtsakte auf dem Gebiet des ĺVerbrauchervertragsrechts enthalten jedoch Sonderkollisionsnormen, die dafür Sorge tragen, dass dem Verbraucher der gemeinschaftsrechtliche Mindestschutz nicht entzogen werden kann. Zudem sind auch Rechtswahlvereinbarungen in AGB nach den allgemeinen Regeln einer Wirksamkeitsund Inhaltskontrolle zu unterziehen. Sobald das EVÜ in die ĺVO Rom-I überführt wird, wird die Rechtswahl in Verbraucherverträgen voraussichtlich weiter eingeschränkt. 4. Da die Klauselrichtlinie nur einen Mindeststandard darstellt, der es dem nationalen Gesetzgeber erlaubt, strengere Regelungen zu schaffen, können Unternehmer AGB, die nach einer nationalen Rechtsordnung zulässig sind, nicht notwendig auch ihren Binnenmarkttransaktionen zu Grunde legen. Um dieses Handelshemmnis zu beseitigen, dass durch unterschiedliche Detailregelungen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten entstanden ist, schlägt der Aktionsplan für ein ĺEuropäisches Vertragsrecht vor, einheitliche AGB auszuarbeiten, die unionsweit eingesetzt werden können. (mrm) Web: http://ec.europa.eu/consumers/cons_int/safe_ shop/unf_cont_terms/index_de.htm
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Allgemeines Beratendes Forum für Umweltfragen Allgemeines Beratendes Forum für Umweltfragen general consultative forum on the environment – forum général consultatif en matière d’environnement
Vorgänger des ĺEuropäischen Beratenden Forums für Umwelt sowie dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung. Die Errichtung erfolgte durch Beschluss der ĺKommission. Aufgabe des Forums war die Beratung der Kommission; es konnte zu allen Bereichen der Umweltpolitik Stellungnahmen abgeben. Aufgrund seines Aufgabenzuschnitts zählte es zu den beratenden Ausschüssen. Zusammensetzung: Vertreter der Wirtschaft, der regionalen und kommunalen Behörden, Gewerkschaften, Berufs-, Verbraucher und Umweltverbänden; die Mitglieder wurden durch die Kommission ernannt. Das Forum stellte u.a. 12 Grundsätze einer dauerhaften und umweltgerechten Entwicklung auf. (sm) §§: Beschluss 97/150/EG, ABl. 1997, Nr. L 58/48; Beschluss 93/703/EG, ABl. 1997, Nr. L 131/28; KOM(1995) 614, 129
Allgemeines Freizügigkeitsrecht ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines Allgemeines Präferenzsystem (APS) Generalised system of preferences (GSP) – Système de Préférences Généralisées (SPG)
Das Allgemeine Präferenzystem (APS) gewährt eine Präferenzregelung für die Zölle auf Waren mit Ursprung in den begünstigten Ländern, die in die Gemeinschaft eingeführt werden. Das APS geht zurück auf eine Empfehlung der UNCTAD aus dem Jahre 1968, ein „Generalised System of Tariff Preferences“ einzurichten, mit dem Industrieländer Entwicklungsländern Handelspräferenzen gewähren sollten. Da dies einen Verstoß gegen das GATT-Meistbegünstigungsprinzip darstellte, wurde eine GATT-Ausnahmegenehmigung erforderlich, die 1971 vereinbart und 1979 in der sogenannten „Ermächtigungsklausel“ verallgemeinert wurde. Die EG führte ihr APS im Jahre 1971 ein. Mit dem APS werden für Waren aus begünstigten Ländern entweder zollfreier Einfuhr oder Einfuhr zu ermäßigten Zollsätzen gewährt. Das APS wird durch ĺVerordnungen des ĺRates umgesetzt. Die gegenwärtige Ratsverordnung ist vom 1.1.2006 bis 31.12.2008 gültig (Verordnung [EG] Nr. 980/2005 des Rates vom 27.6.2005 über ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen), mit Ausnahme der Regelungen 20
zum „APS Plus“, die bereits seit dem 1.7.2005 Anwendung finden. Im Rahmen des „APS Plus“ wird etwa 7200 Waren Zollfreiheit gewährt. Länder, die in den Genuss dieser Begünstigung kommen wollen, müssen u.a. 16 Übereinkommen über Menschen- und Arbeitnehmerrechte sowie sieben Übereinkommen zur verantwortungsvollen Staatsführung und zum Umweltschutz ratifiziert und umgesetzt haben. Die Sonderregelungen zur Bekämpfung der Drogenproduktion (VO [EG] 2501/2001) wurden mit demselben Stichtag außer Kraft gesetzt. Das APS unterscheidet zwischen: 1. empfindlichen Waren und 2. nicht-empfindlichen Waren. Maßstab für die Einteilung in eine der beiden Kategorien ist zum einen ihr Verhältnis zu gleichartigen Gemeinschaftswaren und zum anderen, welche Auswirkungen die Einfuhr dieser Ware möglicherweise auf die betroffenen Branchen in der Gemeinschaft hat. Die VO (EG) 980/2005 des Rates vom 27.6.2005 sieht drei verschiedene Regelungen für begünstigte Länder vor: 1. Alle begünstigten Länder sind von der Allgemeinen Regelung umfasst; 2. Sonderregelung für nachhaltige Entwicklung und verantwortungsvolle Staatsführung, die sich an gefährdete Länder richtet („APS Plus“); 3. Sonderregelung für am wenigsten entwickelte Länder (ĺ„Alles außer Waffen“). 1. Allgemeine Regelung Gem. der Allgemeinen Regelung werden die Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für nichtempfindliche Waren vollständig ausgesetzt. Davon ausgenommen sind die landwirtschaftlichen Bestandteile. Die Wertzollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für empfindliche Waren werden im Grundsatz um 3,5 Prozentpunkte herabgesetzt. Die Herabsetzung für Textilwaren und Bekleidung ist auf 20 % limitiert. Die spezifischen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs werden um 30 % reduziert. Für empfindliche Waren, deren Zölle sich aus Wertzöllen und spezifischen Zöllen zusammensetzen, gilt, dass deren spezifische Zölle nicht herabgesetzt werden. Waren im Agrarbereich unterliegen einem besonderen Gemeinschafts-Überwachungsmechanismus und sind auch von besonderen Schutzklauseln erfasst. 2. Sonderregelung für nachhaltige Entwicklung und gute Staatsführung (APS Plus) ĺAPS Plus
Alternative Streitbeilegung von Verbraucherrechtsangelegenheiten 3. Sonderregelung für am wenigsten entwickelte Länder ĺAlles außer Waffen. (bh) §§: VO (EG) 980/2005; VO (EG) 566/2007; VO (EG) 606/2007
Allgemeininteresse public interest – intérêt général
Anerkanntes Allgemeininteresse als notwendiges Ziel eines Grundrechtseingriffs, um diesen gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Auch Gemeinwohlinteresse. Teil der grundrechtlichen Schrankenprüfung (vgl. ĺGrundrechtsschranken). (ed) Alpine Investments-Entscheidung Alpine Investments case – jurisprudence Alpin Investments
Im Urteil in der Rs. A. hat der EuGH mehrere Klarstellungen zur ĺDienstleistungsfreiheit getroffen. Zunächst führt er aus, dass das sog. „cold calling“, also Anrufe ohne vorherige Zustimmung des Angerufenen zu Werbezwecken (in diesem Fall für Finanzdienstleistungen), als ĺDienstleistung im Sinne des Art. 49 EG zu qualifizieren ist (ĺKorrespondenzdienstleistung). Derartige Anrufe fallen in den Anwendungsbereich der ĺDienstleistungsfreiheit, wenn sie von einem Mitgliedstaat in einen anderen getätigt werden (ĺgrenzüberschreitend). Ein durch einen Mitgliedstaat verhängtes Verbot des cold calling kann als zulässiger Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit durch Erwägungen des Verbraucherschutzes gerechtfertigt werden (ĺDienstleistungsfreiheit, Rechtfertigung eines Eingriffs). (sh) Rsp.: EuGH, Rs. C-384/93 Alpine Investments, Slg. 1995, I-1141
Altbeihilfe ĺBestehende Beihilferegelung Alter ĺRechte älterer Menschen Alternativangebot ĺVariante Alternative Sanktionen ĺEuropäische Überwachungsanordnung, Rahmenbeschlussentwurf
Alternative Streitbeilegung von Verbraucherrechtsangelegenheiten alternative dispute resolution of consumer protection matters – règlement pacifique d’un différend avec un consommaeur
Ausgangspunkt der Notwendigkeit zur Förderung alternativerer Streitbeilegung ist die Erkenntnis, dass der Verbraucher angesichts der oft niedrigen Streitsumme, der in Relation dazu hohen Prozesskosten und langen Verfahrensdauer die gerichtliche Rechtsverfolgung in der Regel scheuen wird. Doch gerade mit Blick auf das Funktionieren des Binnenmarkts ist wesentlich, dass der Verbraucher im Vertrauen darauf, grenzüberschreitende Streitigkeiten wirksam und angemessen beilegen zu können, die Möglichkeiten des Binnenmarkts umfassend nutzt. Um dieses Ziel zu erreichen, fördert die ĺKommission die Möglichkeit alternativer Streitbeilegungsverfahren. So hat sie die Empfehlung 98/257/EG (ĺEmpfehlungen) abgegeben, die für alternative Streitbeilegungsverfahren insbesondere gewisse Mindestgarantien vorsieht, wie etwa den Grundsatz der Unabhängigkeit, der Transparenz oder der kontradiktorischen Verfahrensweise. Diese Empfehlung bezieht sich allerdings ausschließlich auf Verfahren, die durch die aktive Intervention eines Dritten, der eine Lösung vorschlägt oder vorschreibt, zu einer Beilegung der Streitigkeit führen. Daran anknüpfend ist die Empfehlung der Kommission 2001/310/EG zu nennen, die ebenso Grundsätze für alternative Streitbeilegungsverfahren aufstellt, aber auch Verfahren erfasst, bei denen lediglich versucht wird, die Parteien zusammenzubringen und sie zu veranlassen, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Zuletzt ist der ĺRat in seinem Entwurf zur Entschließung (ĺEntschließungen) vom 31.5.2007 zur Verbraucherpolitischen Strategie der ĺEuropäischen Union unter II.9. auf alternative Streitbeilegungsverfahren eingegangen und ersucht die Kommission die Wirksamkeit bestehender Empfehlungen laufend zu beobachten und auf eine umfassende und verstärkte Anwendung der dort geregelten Grundsätze und eine bessere Vernetzung der bestehenden alternativen Streitbeilegungsmechanismen hinzuwirken. Zudem hat die Kommission Netzwerke geschaffen, deren Aufgaben ebenso im Bereich außergerichtlicher Streitbeilegung angesiedelt sind. Hervorzustreichen sind i.d.Z. das ĺECC-Net sowie das ĺFIN-NET. 21
Althea Ergänzend hat die Gemeinschaft in bestimmten fachspezifischen Richtlinien besondere Regelungen zur außergerichtlichen Streitschlichtung („sektorspezifischer Ansatz“) getroffen, so etwa in der der ĺProdukthaftungsRL, der ĺHaustürgeschäftsRL, der ĺVerbraucherkreditRL, der ĺFernabsatzRL oder der ĺE-commerce-RL. (pa) §§: Empfehlung der Kommission 98/257/EG vom 30.3.1998 betreffend die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind, ABl. 1998, Nr. L 115/31; Empfehlung der Kommission 2001/310/ EG vom 4.4.2001 über die Grundsätze für an der einvernehmlichen Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten beteiligte außergerichtliche Einrichtungen, ABl. 2001, Nr. L 109/56; Entwurf einer Entschließung des Rates vom 31.5.2007 zur Verbraucherpolitischen Strategie der EU (2007–2013), ABl. 2007, Nr. C 162/1; ABl. 2007, Nr. C 166/1 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/ H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003
Althea ĺESVP-Missionen, militärische Altmark Kriterien Altmark criteria – critères de l’ârret Altmark
Nach der Rsp. des EuGH in der ĺRs. Altmark Trans haben Mitgliedstaaten, die Unternehmen mit ĺDienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse betrauen, vier Kriterien zu beachten, um eine ĺBegünstigung des ausführenden Unternehmens zu vermeiden: 1. Das begünstigte Unternehmen muss mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein; diese Verpflichtungen müssen klar definiert sein. 2. Die Parameter, anhand derer der Ausgleich berechnet wird, sind zuvor objektiv und transparent aufzustellen. 3. Die Ausgleichszahlungen dürfen nicht über das für die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung Erforderliche hinausgehen (Nettomehrkosten-Prinzip). 4. Wurde das betraute Unternehmen nicht im Rahmen eines öffentlichen Auftragsvergabeverfahrens ernannt, ist die Höhe des erforderlichen Ausgleichs auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtung zu tragen hätte (objektiver Kostenmaßstab). (jr) 22
§§: Art. 87 Abs. 1 EG, Art. 86 Abs. 2 EG Lit.: S. Bauer, Rechtssicherheit bei der Finanzierung gemeinwirtschaftlicher Leistungen?, EuZW 2006, 7 ff.; A. Kahl, Der weiterentwickelte Ausgleichsansatz in der Daseinsvorsorge, wbl 2003, 401 ff.
Altmark Trans-Entscheidung Altmark Trans case – jurisprudence Altmark Trans
Im Ausgangsverfahren erhebt die Altmark Nahverkehrsgesellschaft Einspruch gegen die Erteilung einer Linienverkehrsgenehmigung im Landkreis Stendal an ihre Konkurrentin, die Altmark Trans GmbH. Die Altmark Nahverkehrsgesellschaft vertritt die Ansicht, dass die Altmark Trans GmbH die Genehmigungsvoraussetzungen nicht erfülle, da sie ohne öffentliche Zuschüsse nicht leistungsfähig sei. Das Oberwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hebt als erste Instanz die Erteilung der Genehmigung auf, wogegen die Altmark Trans GmbH Revision beim Bundesverwaltungsgericht erhebt. Das Bundesverwaltungsgericht ersucht den EuGH, im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens festzustellen, ob das Beihilfenverbot des EGV auf Zuschüsse zum Defizitausgleich im öffentlichen Personennahverkehr anzuwenden ist. In dieser Rechtssache hat der ĺEuGH Kriterien (ĺAltmark-Kriterien) aufgestellt, anhand derer die Vereinbarkeit von Kompensationszahlungen für die Erbringung von Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse mit dem Gemeinschaftsrecht zu prüfen ist. Sind im konkreten Fall diese vier Voraussetzungen erfüllt, liegt bereits tatbestandlich mangels ĺBegünstigung keineĺstaatliche Beihilfe vor. Darüber hinaus stellt der EuGH klar, dass durch die Gewährung von Zuschüssen an lokale Personennahverkehrsunternehmen der gemeinschaftsweite ĺHandel beeinträchtigt werden kann, wenn dadurch Konkurrenten der Marktzutritt erschwert wird. Der örtliche oder regionale Charakter einer Dienstleistung oder die Größe des Tätigkeitsgebietes haben für eine allfällige Handelsbeeinträchtigung jedenfalls keine Bedeutung. (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG, Art. 86 Abs. 2 EG Lit.: S. Bauer, Rechtssicherheit bei der Finanzierung gemeinwirtschaftlicher Leistungen?, EuZW 2006, 7 ff.; A. Kahl, Der weiterentwickelte Ausgleichsansatz in der Daseinsvorsorge, wbl 2003, 401 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-280/00, Slg. 2003, I-07747
Amsterdamer Vertrag ĺVertrag von Amsterdam
Amtssprachen Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften Office for Official Publications of the EC – Office de Publications officielles des CE
Das Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften ist das offizielle Verlagshaus der ĺOrgane und ĺInstitutionen der EG/EU. Das Amt mit Sitz in Luxemburg wurde im Jahr 1969 gegründet. Es ist organisatorisch verselbstständigt, rechtlich aber unselbstständig und wird durch einen Direktor unter Aufsicht eines Direktoriums geleitet. Hauptaufgabe des Amtes für amtliche Veröffentlichungen der EG/EU ist die Herausgabe des ĺAmtsblattes der Europäischen Union. Außerdem gibt das Amt für amtliche Veröffentlichungen in gedruckter und elektronischer Form eine Reihe weiterer Publikationen über die Tätigkeiten und politischen Konzepte der EG/EU heraus. Ferner bietet dieses Amt mehrere Online-Dienste mit kostenlosem Zugang zu Informationen über das EG/EU-Recht (ĺEUR-Lex), Veröffentlichungen der EG/EU (EU Bookshop), öffentliche Aufträge der EG/EU (ĺTED) sowie von der EG/EU geförderte Forschung und Entwicklung (CORDIS). (db) §§: Beschluss 2000/459/EG, EGKS, Euratom des EP, des Rates, der Kommission, des GH, des RH, des WSA und des AdR vom 20.7.2000 über den Aufbau und die Arbeitsweise des Amtes für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 2000, Nr. L 183/12 ff.; u.a. Web: http://publications.europa.eu/index_de.htm
Amt für Euratom-Sicherheitsüberwachung (ESO) European Atomic Safeguards Office (ESO) – Office du contrôle de sécurité d’Euratom (OCSE)
Dem früheren Amt für Euratom-Sicherheitsüberwachung waren Aufgaben der ĺSicherheitsüberwachung nach Art. 77-85 EAGV übertragen. Im Jahr 2002 wurde es vollständig in die ĺGeneraldirektion Verkehr und Energie (GD TREN) integriert und die Zuständigkeiten in zwei neu gegründeten Direktionen angesiedelt: Direktion H (Kernenergie) und Direktion I (Überwachung nuklearer Sicherheit). (atm) Web: http://ec.europa.eu/dgs/energy_transport/index_ de.html
EU und erscheint täglich in allen 23 derzeitigen ĺAmtssprachen. Es wird vom ĺAmt für amtliche Veröffentlichungen der EG herausgegeben. Das gemeinsame „Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften“ wurde 1958 gegründet und wurde durch den ĺVertrag von Nizza in das „Amtsblatt der Europäischen Union“ umbenannt. Es erschien bis zum Jahr 1967 einheitlich, seit 1968 besteht es jedoch zweigeteilt aus den zusammenhängenden Reihen L (Législation – Rechtsvorschriften) und C (Communications et informations – Mitteilungen und Bekanntmachungen). Zusätzlich gibt es zum Amtsblatt der Europäischen Union ein Supplement (Anhang), das ABl. S. In der ABl. Reihe L werden die (veröffentlichungsbedürftige/nicht veröffentlichungsbedürftige/andere Akte) Rechtsvorschriften wie z.B. ĺVerordnungen; ĺRichtlinien; ĺAbkommen; ĺEntscheidungen und ĺBeschlüsse; ĺEmpfehlungen und ĺStellungnahmen sowie Berichtigungen veröffentlicht. In der ABl. Reihe C sind Mitteilungen und Bekanntmachungen der EG/EU wie z.B. Zusammenfassungen von Urteilen, Sitzungsprotokolle des ĺEP, Berichte des ĺRH, schriftliche parlamentarische Anfragen, Stellungnahmen des ĺWSA und des ĺAdR enthalten. Die ABl. Reihe C umfasst außerdem einen ausschließlich elektronischen Teil, das ABl. Reihe C E mit zumeist vorbereitenden Rechtsakten, die über die kostenlos zugängliche Online-Datenbank ĺEUR-Lex abrufbar sind. Das ABl. S (Bekanntmachung öffentlicher Aufträge) beinhaltet vorrangig die Ausschreibungen und Mitteilungen aus den Bereichen öffentliche Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge, Aufträge für Versorgungsleistungen, öffentliche Aufträge der Organe und Einrichtungen der EU. Das ABl. S kann elektronisch über die kostenlos zugängliche Online-Datenbank TED (Tenders Electronic Daily) abgerufen werden. (db) §§: Art. 254 EG, Art. 163 EAV, ABl. 1958, Nr. 17/390 ff., u.a. Web: http://eur-lex.europa.eu/JOIndex.do?ihmlang=de; http://ted.europa.eu/
Amtssprachen official languages – langues officielles
Amtsblatt, der Europäischen Union (ABl.) official journal of the EU (OJ) – journal officiel d l’UE (JO)
Das Amtsblatt der Europäischen Union (ABl.) ist das offizielle Kundmachungsorgan der EG/
Bulgarisch – Dänisch – Deutsch – Englisch – Estnisch – Finnisch – Französisch – Griechisch – Irisch – Italienisch – Lettisch – Litauisch – Maltesisch – Niederländisch – Polnisch – Portugiesisch – Rumänisch – Schwedisch – Slowa23
Ancillary restraints, Nebenabreden kisch – Slowenisch – Spanisch – Tschechisch – Ungarisch (lb) Ancillary restraints, Nebenabreden ancillary restraints – restrictions accessoires
Als ancillary restraints (oder ancillary restrictions) werden wettbewerbsbeschränkende Nebenabreden zu ansonsten unbedenklichen Haupttransaktionen bezeichnet. Solche Nebenabreden sind etwa Wettbewerbsverbote im Zuge von Unternehmensveräußerungsverträgen oder Franchiseverträgen. Solange diese Nebenabreden unerlässlich für das ordnungsgemäße Funktionieren einer ansonsten wettbewerbsrechtlich unbedenklichen Vereinbarung sind, misst der ĺEuGH sie grundsätzlich nicht an Art. 81 EG. (jpt) §§: Art. 81 EG Lit.: S. Gehring, in: T. Mäger (Hrsg.), Europäisches Kartellrecht, 2006, 52
Änderung der Verträge ĺVertragsänderung Andorra ĺZwergstaaten, Abkommen Anerkennung ausländischer Entscheidungen recognition of foreign judgements – reconnaissance des decisions etrangères
Entscheidungen von Gerichten und Behörden sind Akte hoheitlicher Tätigkeit und folglich in ihrer Wirkung grundsätzlich auf das Territorium des eigenen Staates beschränkt. Um Wirkung auch im Ausland zu entfalten, bedarf es der Anerkennung durch den betreffenden ausländischen Staat. Nach dem traditionellen Ansatz des IZPR musste diese Anerkennung durch eine explizite Entscheidung eines Organs des ausländischen Staates ausgesprochen werden (Exequatur). Dies war zugleich Voraussetzung für die Vollstreckung der Entscheidung im Ausland. Nur die Anerkennung war Gegenstand bi- und multilateraler Übereinkommen (sog. convention simple). Dieses System wahrt die Souveränität des Anerkennungsstaates bestmöglich, ist aber für den Binnenmarkt zu aufwendig und ineffizient. Beginnend mit dem ĺBrüsseler Übereinkommen 1968 hat die EG daher begonnen, das aus dem Bereich der ĺWarenverkehrsfreiheit bekannte und dort durch die ĺCassis de DijonRsp. etablierte Prinzip der gegenseitigen Aner24
kennung (ĺHerkunftslandprinzip) auch auf den Bereich des internationalen Verfahrensrechts zu übertragen. Auf Basis vereinheitlichter Regelungen über die ĺinternationale Zuständigkeit gewährleistet es durch eine convention double die Anerkennung, ohne im Übrigen die Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Kollisionsrechts oder des Prozessrechts vorauszusetzen. Auf den Bereich der Urteilsfreizügigkeit angewendet bedeutet dies, dass grundsätzlich alle gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in allen MS anzuerkennen sind, es sei denn, eines der abschließend aufgezählten ĺAnerkennungshindernisse steht der Wirkungserstreckung auf einen oder mehrere andere MS entgegen. Diese sind jedoch restriktiv und abschließend normiert. Eine gesonderte Anerkennung durch den Zweitstaat ist damit entbehrlich. Sofern aber ein berechtigtes Interesse besteht, kann ein deklaratives Anerkennungsfeststellungsverfahren durchgeführt werden. Auf Grundlage der unionsweiten Anerkennung können Urteile in allen MS vollstreckt werden. Die Urteilsfreizügigkeit in Zivilsachen ist heute durch ĺLGVÜ, ĺEuGVVO, ĺEheGVVO, ĺEuVTVO und ĺEuMVVO weitgehend gewährleistet und stellt einen der Eckpfeiler des ĺEuropäischen Zivilprozessrechts dar. (mrm) §§: Art. 25 ff. EuGVÜ/LGVÜ, Art. 32 ff. EuGVVO, Art. 21 ff. EheGVVO, Art. 16, 25 EuInsVO Lit.: B. Hess, Der Binnenmarktprozess, JZ 1998, 1021 ff.
Anerkennung, akademische ĺAkademische Anerkennung Anerkennung, gegenseitige ĺGegenseitige Anerkennung Anerkennung, gegenseitige (freier Warenverkehr) mutual recognition (free movement of goods) – reconnaissance mutuelle (libre circulation des marchandises)
Ist eine ĺWare in einem ĺMitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden (ĺWare im freien Verkehr), dann darf der Bestimmungsmitgliedstaat in seinem Hoheitsgebiet nicht den Absatz dieser Ware beschränken oder gänzlich verbieten. Bzgl. der Unvereinbarkeit einer derartigen ĺAbsatzbeschränkung mit dem ĺfreien Warenverkehr ist es unerheblich, dass eventuell für inländi-
Anerkennungsrichtlinie sche Produkte abweichende oder gar strengere technische Beschreibungen und Qualitätsstandards gelten. Die zu importierende Ware muss lediglich dem vom Gesetzgeber angestrebten Ziel z.B. Schutz des Lebens oder der Gesundheit in gleichem Maße gerecht werden. (ah) Web: GD Binnenmarkt, Leitfaden zum Konzept und zur praktischen Anwendung der Art. 28-30 EG-Vertrag, 2000: http://ec.europa.eu/enterprise/regulation/ goods/docs/art2830/guideart2830_de.pdf
Anerkennungshindernisse (Zivil- und Handelssachen) grounds for refusal of recognition (civil- and commercial matters) – cause de l’opposition à la reconnaissance (matières civile et commercial)
Nach dem Prinzip der ĺAnerkennung ausländischer Entscheidungen werden alle Entscheidungen von Gerichten und Behörden der MS im Anwendungsbereich des ĺEuropäischen Zivilprozessrechts automatisch in allen anderen MS anerkannt. Rechtstechnisch wurde der Systemwechsel von der positiven Anerkennung zur automatischen Wirkungserstreckung dadurch ermöglicht, dass die früher bestehenden Anerkennungsvoraussetzungen nun negativ als Anerkennungshindernisse ausgestaltet werden. Der klassische Katalog solcher Anerkennungshindernisse findet sich erstmals in Art. 27 ĺEuGVÜ/ĺLGVÜ und umfasst den Verstoß gegen den ĺordre public, die Verletzung des rechtlichen Gehörs, die Unvereinbarkeit mit einer (früheren) Entscheidung, die inhaltliche Unvereinbarkeit in Folge der unterschiedlichen kollisionsrechtlichen Beurteilung bestimmter Vorfragen und schließlich die Verletzung einer ausschließlichen oder halbzwingenden Zuständigkeit. EuGVÜ/LGVÜ kennen darüber hinaus Anerkennungshindernisse auf Grund besonderer Vorbehalte einzelner Vertragsstaaten. Da solche Anerkennungshindernisse aber die angestrebte Urteilsfreizügigkeit im Binnenmarkt behindern, ist die EG darum bemüht, die Anerkennungshindernisse möglichst restriktiv auszugestalten und plant nach dem ĺMaßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung langfristig, diese zur Gänze abzuschaffen. Als ein erster Schritt wurden daher im Zuge der Umwandlung des EuGVÜ in die ĺEuGVVO die Anerkennungshindernisse zum Teil gestrichen (kollisionsrechtlicher und einzelstaatliche Vorbehalte) bzw. inhaltlich restriktiver gefasst. So setzt die Anerkennungsverweigerung wegen Verletzung des ordre public nunmehr einen „offensichtlichen“
Widerspruch zur öffentlichen Ordnung im Anerkennungsstaat voraus und auch die beklagtenfreundliche Rsp. des EuGH zur Verletzung des rechtlichen Gehörs wurde bewusst dahingehend korrigiert, dass der Verweigerungsgrund entfällt, wenn der Beklagte kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat eingelegt hat. Während in der Praxis vor allem das Anerkennungshindernis der Verletzung des rechtlichen Gehörs von Bedeutung ist, hat die Krombach-Entscheidung des EuGH (28.3.2000, Rs. C-7/98) gezeigt, dass divergierende Standards ausnahmsweise auch den Einsatz der ordre public-Klausel innerhalb der Gemeinschaft rechtfertigen. Der traditionelle Verweigerungsgrund des Verstoßes gegen die ĺinternationale Zuständigkeit ist nur noch zum Schutz der Verbraucher und Versicherungsnehmer sowie bei Verletzung einer ausschließlichen Zuständigkeit vorgesehen. Ein vergleichbarer Katalog findet sich auch in der ĺEheGVVO, die aber bzgl. Sorgerechtsentscheidungen weitere Anerkennungshindernisse, insb. zur Wahrung des rechtlichen Gehörs des Sorgeberechtigten und des betroffenen Kindes, aufgenommen hat. Die ĺEuInsVO sieht als Hindernis außerdem eine Einschränkung der persönlichen Freiheit oder des Postgeheimnisses vor. Einen Schritt weiter gehen die Verpflichtung zur Anerkennung von Umgangsentscheidungen nach der EheGVVO sowie die ĺEuVTVO und ĺEuMVVO, die als Pilotprojekte das Exequaturverfahren gänzlich abgeschafft haben. Hier gilt der Grundsatz, dass sich der Anerkennungsgegner im Ursprungsmitgliedstaat gegen die Entscheidung zur Wehr setzen muss, statt sich auf die Verhinderung der Anerkennung im Zweitstaat zurückzuziehen. Eine natürliche Grenze der Abschaffung der Anerkennungshindernisse zeigt sich aber bei Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung aus dem Anerkennungsstaat. Für diesen Fall sehen auch die neuen Rechtsakte vor, dass eine Vollstreckung der widersprechenden Entscheidung ausgeschlossen ist. (mrm) §§: Art. 27 f. EuGVÜ/LGVÜ, Art. 34 f. EuGVVO, Art. 22 f. EheGVVO, Art. 25 Abs. 3, 26 EuInsVO Lit.: A. Stein, Neuere Entwicklungen bei der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Europa, WiRO 2003, 289 ff.
Anerkennungsrichtlinie recognition directive – directive de reconnaissance mutuelle
Im Rahmen der Anerkennung von ĺQualifikationsnachweisen, die zur Gewährleistung von 25
Anerkennungsrichtlinie (Asylrecht) ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, ĺNiederlassungsfreiheit und ĺDienstleistungsfreiheit erforderlich ist, regeln A. die gegenseitige Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen. Viele A. wurden durch die ĺBerufsanerkennungsRL abgelöst (vgl. auch ĺKoordinierungsRL). (sh) Anerkennungsrichtlinie (Asylrecht) Qualification Directive 2004/83/EC (right of asylum) – directive de reconnaissance mutuelle 2004/83/CE (droit d’asile)
Gem. der RL 2004/83/EG des Rates vom 29.4. 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 30.9.2004, L 304/ 12-13; sog. Anerkennungs- oder ĺQualifikationsrichtlinie (RL 2004/83/EG). Es werden zwei unterschiedliche Schutzniveaus unterschieden, die personal bestimmt sind, nämlich ĺFlüchtling und ĺsubsidiärer Schutz. Gem. Art. 2c der Richtlinie ist Flüchtling, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen bestimmter persönlicher Merkmale (Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe) außerhalb seines Heimatlands aufhält. Subsidiärer Schutz kann Personen gewährt werden, welche keine Flüchtlinge sind, sich jedoch aus begründeter Furcht vor Todesstrafe, Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder individueller Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts auf der Flucht befinden. (gt) (jw) §§: RL 2004/83/EG Lit.: G. Lehnguth, Erläuterungen zum Vorschlag einer EU-„Anerkennungsrichtlinie“, ZAR 2003, 305 ff.; D. Kugelmann, Einwanderungs- und Asylrecht, Rn. 158-165, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1827
Anerkennungsverweigerung (Zivil- und Handelssachen) refusal of recognition (civil and commercial matters) – deni de la reconnaissance (matières civile et commercial)
Eine Verweigerung der Anerkennung von ausländischen Entscheidungen ist im Geltungsbereich des ĺEuropäischen Zivilprozessrechts nur auf Grund eines der abschließend normierten ĺAnerkennungshindernisse vorgesehen. Sofern die anzuerkennende Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat noch nicht rechtskräf26
tig und dagegen ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, kann das Gericht des Anerkennungsmitgliedstaats die Anerkennung oder Vollstreckung lediglich aussetzen. Die Partei, die der Anerkennung entgegentreten will, kann ein solches Anerkennungshindernis entweder durch eine Einrede im Rahmen eines vom Urteilsgläubiger angestrengten Anerkennungs- oder Vollstreckungsverfahren geltend machen oder einen gesonderten Antrag auf Feststellung der Nichtanerkennungsfähigkeit stellen. Wurde die Anerkennung oder Vollstreckbarkeit bereits ausgesprochen, so kann die Partei innerhalb eines Monats ab Zustellung einen Rechtsbehelf dagegen einlegen. Gegen diesen Rechtsbehelf ist ein weiterer nur auf Rechtsfragen beschränkter Rechtsbehelf zulässig. Das Verfahren für die Feststellung der (Nicht-)Anerkennungsfähigkeit und die dagegen vorgesehenen Rechtsbehelfe sind in den betreffenden Rechtsakten abschließend geregelt und verdrängen abweichende Regeln des nationalen Prozessrechts. Die für den Antrag und die Rechtsbehelfe zuständigen Gerichte können dem Anhang zur ĺEuGVVO bzw. im Falle der ĺEheGVVO einer Veröffentlichung der Kommission entnommen werden. Die Angaben sind außerdem über den ĺEuropäischen Gerichtsatlas zugänglich gemacht. Selbst diese beschränkte Möglichkeit zur Anerkennungsverweigerung im Ausnahmefall ist nach dem Pilotprojekt der ĺEuVTVO für „unbestrittene Forderungen“ sowie für Europäische Zahlungsbefehle nach der ĺEuMVVO nicht mehr vorgesehen. Hier gilt der Grundsatz, dass sich der Anerkennungsgegner im Ursprungsmitgliedstaat gegen die Entscheidung zur Wehr setzen muss, statt sich auf die Verhinderung der Anerkennung im Zweitstaat zurückzuziehen. (mrm) §§: Art. 27 f. EuGVÜ/LGVÜ, Art. 34 f. EuGVVO, Art. 22 f. EheGVVO, Art. 25 Abs. 3, 26 EuInsVO Lit.: A. Stein, Neuere Entwicklungen bei der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Europa, WiRO 2003, 289 ff.
Angaben, gesundheitsbezogene health claims – allégations de santé
Gesundheitsbezogene Angaben sind im europäischen ĺLebensmittelrecht Behauptungen, die in der Werbung, bei der Vermarktung oder auf Verpackungen von ĺLebensmitteln gemacht werden. Um der Gefahr unterschiedlicher und zum Teil widersprüchlicher Auffassungen über die Zulässigkeit solcher gesund-
Angemessenes Schutzniveau (Datenschutz) heitsbezogener Angaben in den einzelnen Mitgliedstaaten entgegenzutreten, enthält die „VO (EG) 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel“ (sog. ĺHealth Claims Verordnung) als besonderer Teil der ĺLebensmittelkennzeichnung zukünftig ein einheitliches gemeinschaftsweites Regelungsregime (ĺZulassung gesundheitsbezogener Angaben) für die Etikettierung derartiger Lebensmittel. (mkr) §§: VO (EG) 1924/2006
Angaben, nährwertbezogene nutrition claims – allégations nutritionnelles
Nährwertbezogene Angaben (wie „mit hohem Ballaststoffgehalt“, „fettarm“ oder „vitaminreich“) suggerieren oder behaupten, dass ein ĺLebensmittel besonders positive Eigenschaften besitzt. Die Zulassung nährwertbezogener Angaben richtet sich zukünftig nach der „VO (EG) 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel“ (sog. ĺHealth Claims Verordnung), die gemeinschaftsweit einheitliche Vorgaben für die Verwendung derartiger Bezeichnungen enthält. (mkr) §§: VO (EG) 1924/2006
Angebot tender – offre
Ein Angebot im Sinn des ĺVergaberechts liegt vor, wenn ein ĺWirtschaftsteilnehmer – zu dem Zweck, sich an einem ĺVergabeverfahren zu beteiligen – dem ĺAuftraggeber verbindlich mitteilt, zu welchen Konditionen er die in der ĺLeistungsbeschreibung ausgeführte Leistung erbringen würde. Mit Angebotslegung wird der Wirtschaftsteilnehmer zum ĺBieter. Je nach Leistungsbeschreibung kann der Auftragsgegenstand im Angebot näher zu konkretisieren sein. Weiters muss das Angebot den formalen und inhaltlichen Vorgaben der ĺAusschreibung entsprechen und die Nachweise für die Erfüllung der an die ĺEignung gestellten Anforderungen beinhalten. Angebote sind innerhalb der ĺAngebotsfrist einzureichen. Nach der Angebotsöffnung werden die rechtzeitig eingelangten Angebote vom Auftraggeber geprüft. Die Angebotsprüfung erstreckt sich darauf, ob das Angebot inhaltlich der Ausschreibung entspricht, ob die formalen Vorgaben eingehalten worden sind und ob der Bieter über die erforderliche Eignung verfügt. Angebote, die
eines dieser Kriterien nicht erfüllen, sind auszuscheiden. Unter gewissen Voraussetzungen können auch ungewöhnlich niedrige Angebote, das sind Angebote, die im Verhältnis zur angebotenen Leistung einen ungewöhnlich niedrigen Preis aufweisen, ausgeschieden werden; davor hat der Auftraggeber dem Bieter aber Gelegenheit zu geben, sein Angebot zu erläutern. Unter den im Vergabeverfahren verbleibenden Angeboten ist anhand der Kriterien für den ĺZuschlag der ĺAuftragnehmer auszuwählen. (cm) Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 249 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Angebotsfrist time limit for the receipt of tenders – délai de réception des offres
Angebotsfrist im Sinn des ĺVergaberechts ist die Frist, die ein ĺAuftraggeber den ĺWirtschaftsteilnehmern für die Abgabe von ĺAngeboten einräumt. Bei der Festlegung dieser Frist sind die Komplexität des Auftragsgegenstandes und die für die Ausarbeitung des Angebotes erforderliche Zeit zu berücksichtigen. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene sind bestimmte Mindestfristen festgelegt (52 Tage für ĺoffene Verfahren, 40 Tage für ĺnichtoffene Verfahren), diese Mindestfristen können etwa bei der Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel (s. dazu ĺE-Procurement) oder in Fällen von Dringlichkeit unterschritten werden. (cm) §§: Art. 38 VergabeRL Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 233 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Angemessene Frist within a reasonable time – délai raisonnable
Das ĺGrundrecht auf ein ĺfaires Verfahren enthält ein Recht auf Entscheidung binnen angemessener Frist. S.a. ĺfaires Verfahren, Recht auf ein, ĺRecht auf eine gute Verwaltung. (ed) Angemessenes Schutzniveau (Datenschutz) adequat level of protection (data protection) – niveau adéquat de protection (protection des données)
Übermittlungen ĺpersonenbezogener Daten in Drittstaaten sind gem. Art. 25 der RL 95/46/EG 27
Angemessenheitsentscheidung (ĺDatenschutzrichtlinie) nur zulässig, wenn und soweit der Empfängerstaat ein angemessenes Schutzniveau in Hinblick auf die Datenverwendung gewährleistet. Gem. Abs. 2 dieser Bestimmung der Richtlinie wird die Angemessenheit des Schutzniveaus, das ein Drittland bietet, unter Berücksichtigung aller Umstände beurteilt, die bei einer Datenübermittlung oder einer Kategorie von Datenübermittlungen eine Rolle spielen; insbesondere werden die Art der Daten, die Zweckbestimmung sowie die Dauer der geplanten Verarbeitung, das Herkunfts- und das Endbestimmungsland, die in dem betreffenden Drittland geltenden allgemeinen oder sektoriellen Rechtsnormen sowie die dort geltenden Standesregeln und Sicherheitsmaßnahmen berücksichtigt. In ihrer Entscheidung 2004/535/EG stellt die ĺEuropäische Kommission fest, dass die Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika, denen Daten über Fluggäste der EU übermittelt werden, ein „angemessenes Schutzniveau“ im Sinne der RL 95/46/EG garantieren. Diese Entscheidung wurde mit dem Urteil in der Rechtssache C 318/04 vom Europäischen Gerichtshof für nichtig erklärt, da die RL 95/46/EG für Datenverarbeitungen, die die öffentliche Sicherheit und die Tätigkeiten des Staates im strafrechtlichen Bereich betrifft gem. Art. 3 Abs. 2 der RL nicht anwendbar ist. Die Kommission hat bisher in Argentinien, Kanada, Schweiz, Guernsey und der Insel Man ein für die Datenübermittlung ausreichendes angemessenes Schutzniveau festgestellt. (al) §§: Art. 25 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie); Entscheidung der Kommission 2004/535/EG, ABl. 2004, Nr. L 235/11 Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 270; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 289 Rsp.: EuGH, Rs. C 318/04 Europäisches Parlament/ Rat der Europäischen Union, Slg. 2006, I-4721
Angemessenheitsentscheidung ĺFluggastdatenspeicherung Anhang I Annex I – Annexe I
Anhang I EG listet, geordnet nach Kapiteln des Zolltarifes, diejenigen Erzeugnisse auf, für die Markregelungen bzw. ĺGemeinsame Marktorganisationen nach den Bestimmungen der Art. 33-38 EG geschaffen werden können. Dies umfasst Erzeugnisse des Bodens, der Tierhaltung und der Fischerei und deren erste Verar28
beitungsstufe. Holz und Erzeugnisse der Forstwirtschaft sind nicht im Anhang I EG beinhaltet. (all) §§: Anhang I EG
Anhörung, fakultative facultative consultation – consultation facultative
Auch wenn die Übermittlung eines Vorschlages der ĺKommission zur Stellungnahme an das ĺEuropäische Parlament nicht zwingend vorgeschrieben ist (anders bspw. Art. 26 EG oder Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates der Kommission betreffend ein Konzentierungsverfahren zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat vom 4.3.1975, ABl. 1975, Nr. C 89/1 f.), wird dies jedoch in der Praxis gewöhnlich vorgenommen. Der ĺRat ist jedoch generell im ĺAnhörungsverfahren nicht an die Stellungnahme des ĺEuropäischen Rates gebunden. Anders als im Zuge der ĺfakultativen Anhörung leidet der ĺRechtsakt nicht an Nichtigkeit, wenn am Vorschlag der Kommission nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom Rat wesentliche Änderungen vorgenommen werden, ohne dem Parlament neuerlich Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. (EuGH, Rs. C-21/94 Parlament/Rat, Slg. 1995, I-1827 ff., Rn. 18). (gh) §§: Art. 26 EG; Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates der Kommission betreffend ein Konzentierungsverfahren zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat vom 4.3.1975, ABl. 1975, Nr. C 89/1 f. Lit.: M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, 182 Rsp.: EuGH, Rs. C-21/94 Parlament/Rat, Slg. 1995, I-1827 ff., Rn. 18
Anhörung, obligatorische compulsary consultation – consultation obligatoire
In gewissen Kompetenzbestimmungen (z.B. Art. 37 Abs. 2 UAbs. 3, 94, 175 Abs. 2, 308 EG) ist vorgesehen, dass der ĺRat „nach Anhörung des Europäischen Parlaments“ gewisse Rechtsakte erlässt. In diesen Bereichen ist das ĺAnhörungsverfahren zwingend vorgesehen, weshalb der Vorschlag der ĺKommission dem ĺEuropäischen Parlament zur Stellungnahme übermittelt werden muss. Ein Unterlassen dieses Erfordernisses stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar und führt zur Nichtigkeit des Rechtsaktes. (gh) §§: Art. 37 Abs. 2 UAbs. 3, 94, 175 Abs. 2, 308 EG
Anmelder (Gentechnik) Lit.: R. Beiser/N. Zorn, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 9. Lfg. 2003, Art. 94 EGV, Rn. 24; F. Kopp, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 37 EGV, Rn. 45; S. Leible, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 94 EGV, Rn. 28; Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 308 EGV, Rn. 83; K. Stöger, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 39. 2004, Art. 308 EGV, Rn. 38; G. Thiele, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 37 EGV, Rn. 17 ff.
Anhörungsbeauftragter hearing officer – conseiller auditeur
Zwei Anhörungsbeauftragte sind für Verfahren nach der ĺFusionskontrollverordnung sowie für Verfahren nach den Art. 81 (ĺKartellverbot) und 82 EG (ĺMissbrauch einer marktbeherrschendem Stellung) nach Maßgabe ihres Mandats in unabhängiger Stellung dazu berufen, auf die Wahrung des Anhörungsrechts der Entscheidungsadressaten und der sonstigen Verfahrensbeteiligten hinzuwirken. Ferner ist den Anhörungsbeauftragten im Rahmen dieser Verfahren der Schutz von Geschäftsgeheimnissen und sonstigen vertraulichen Informationen überantwortet. Sie führen das für die Offenlegung solcher Informationen ggf. erforderliche ĺAkzo-Verfahren durch. Die Anhörungsbeauftragten sind Berater des für Wettbewerbsfragen zuständigen Kommissionsmitglieds und legen gegenüber den Adressaten belastender Wettbewerbsentscheidungen in einem zu veröffentlichenden Abschlussbericht über die Wahrung des Anhörungsrechts Rechenschaft ab. (sm) §§: Beschluss Nr. 2001/462/EG, EGKS der Kommission vom 23.5.2001 über das Mandat des Anhörungsbeauftragten in bestimmten Wettbewerbsverfahren, ABl. 2001, Nr. L 162/21 Lit.: S. Durande/M. Kellerbauer, Der Anhörungsbeauftragte in EG-Wettbewerbsverfahren, WuW 9/2007, 865; J. P. Heidenreich, Anhörungsrechte im EG-Kartell- und Fusionskontrollverfahren, 2004, 200 ff. Web: http://ec.europa.eu/comm/competition/hearing_ officers/index_en.html
Anhörungsverfahren consultation process – procédure de consultation
In gewissen Kompetenzbestimmungen ist entweder die ĺobligatorische (Art. 37 Abs. 2 UAbs. 3, 94, 175 Abs. 2, 308 EG) oder die ĺfakultative Anhörung (Art. 26 EG, Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates der Kommission betreffend ein Konzentierungsverfahren zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat vom 4.3.1975, ABl.
1975, Nr. C 89/1 f.) des ĺEuropäischen Parlaments vorgesehen. Der Vorschlag der ĺKommission zur Erlassung eines ĺRechtsaktes wird dem ĺWirtschafts- und Sozialausschuss sowie dem Europäischen Parlament zur Stellungnahme weitergeleitet. Jedoch ist in weiterer Folge der Rat nicht an diese Stellungnahmen gebunden, sondern entscheidet mit der für die ĺBeschlussfassung erforderlichen Mehrheit. Dieses Anhörungsverfahren ist nicht näher im EGV geregelt. Der ĺEuGH (Rs. C-21/94 Parlament/Rat, Slg. 1995, I-1827 ff., Rn. 18) hat in diesem Zusammenhang jedoch festgestellt, dass dem Europäischen Parlament nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muss, wenn vom Rat beabsichtigt wird wesentliche Änderungen am Vorschlag der Kommission vorzunehmen. (gh) §§: Art. 26, 37 Abs. 2 UAbs. 3, 94, 175 Abs. 2, 308 EG; Gemeinsame Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates der Kommission betreffend ein Konzentierungsverfahren zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat vom 4.3.1975, ABl. 1975, Nr. C 89/1 f. Lit.: R. Beiser/N. Zorn, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 9. Lfg. 2003, Art. 94 EGV, Rn. 24; F. Kopp, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 37 EGV, Rn. 45; S. Leible, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 94 EGV, Rn. 28; M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 308 EGV, Rn. 83; M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, 182; K. Stöger, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 39. Lfg. 2004, Art. 308 EGV, Rn. 38; G. Thiele, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 37 EGV, Rn. 17 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-21/94 Parlament/Rat, Slg. 1995, I-1827 ff., Rn. 18
Anlage, Emissionen ĺEmissionsnormen Anlagensicherheit, nukleare ĺNukleare Sicherheit Anmeldepflicht (Beihilfenrecht) ĺNotifikationspflicht Anmelder (Gentechnik) notifier (genetic engineering) – notifiant (génie génétique)
Als Anmelder wird in der RL 2001/18/EG (ĺFreisetzungsrichtlinie) jene Person bezeichnet die die Anmeldung eines neuen ĺgenetisch veränderten Organismus vorlegt und damit das ĺAnmeldeverfahren zur Inverkehrbringung 29
Anmeldungsverfahren (Gentechnik) bzw. das ĺStandardzulassungsverfahren zur Freisetzung in Gang setzt. (al) §§: Art. 2 Z. 6 RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie)
Anmeldungsverfahren (Gentechnik) notification procedure (genetic engineering) – procédure de notification (génie génétique)
Bevor ein neues ĺProdukt aus ĺgenetisch veränderten Organismen in Verkehr gebracht (ĺInverkehrbringen) werden darf, ist entsprechend den Vorschriften der RL 2001/18/EG (ĺFreisetzungsrichtlinie) die Genehmigung der zuständigen ĺnationalen Zulassungsbehörde einzuholen. Den ersten Schritt zu dieser Genehmigung stellt das Anmeldungsverfahren dar. Um dieses einzuleiten stellt der ĺAnmelder einen Antrag (Anmeldung) der alle wichtigen Informationen zum neuen Produkt enthalten muss. Insbesondere hat die Anmeldung alle bisher gewonnen Informationen bezüglich der ĺFreisetzung auf die menschliche Gesundheit und Umwelt zu enthalten. Außerdem müssen Vorschlage für die Geltungsdauer der Genehmigung, für eine ĺKennzeichnung und die Verpackung gebracht werden. Darüber hinaus muss die Anmeldung eine formal streng geregelte Zusammenfassung der Akte enthalten. Diese Zusammenfassung hat die nationale Zulassungsbehörde unmittelbar nach Eingang der Anmeldung an die Kommission und die Zulassungsbehörden der übrigen Mitgliedstaaten zu übermitteln. Die Anmeldung bildet die Basis für den von der nationalen Zulassungsbehörde anzufertigenden ĺBewertungsbericht, der den nächsten Schritt im Zulassungsverfahren darstellt. (al) §§: Art. 13, Anhänge III und IV, RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. II., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, 2005, Rn. 78 ff. Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l28130. htm
Annexkompetenz, strafrechtliche ĺAnweisungskompetenz, strafrechtliche Anonymisierte Daten anonymous data – données anonymes
Unter anonymisierten ĺDaten versteht man Informationen die keiner bestimmten oder bestimmbaren Person zugeordnet werden können. Aus dem Blickpunkt des ĺDatenschutzes sind diese Daten unbeachtlich. (al) 30
Anpassungsklausel (Harmonisierung) Revision clause (harmonisation) – Clause de revision (harmonisation)
Billigt die ĺKommission einzelstaatliche Regelungen, die von einer Harmonisierungsmaßnahme abweichen, so kommt ihr die Pflicht zu, unverzüglich zu prüfen, ob sie eine Anpassung der Harmonisierungsmaßnahme vorschlägt (Art. 95 Abs. 7 und 8 EG – „Anpassungs- oder Revisionsklausel“ – vgl. aus der Entscheidungspraxis der Kommission E 1999/832/EG, ABl. 1999, Nr. L 329/25, Rn. 106). Die Pflicht zur Revision nach Billigung eines ĺnationalen Alleingangs ergänzt das ĺhohe Schutzniveau gem. Art. 95 Abs. 3, von dem die Kommission bei Ausarbeitung von Vorschlägen zu Harmonisierungsmaßnahmen auszugehen hat, und zeugt von einem partiell arbeitsteiligen Zugang im Bereich der Gewährleistung dieses Schutzniveaus. Art. 95 Abs. 8 trifft eine gesonderte Regelung für den Fall, dass ein ĺMitgliedstaat in einem Bereich, der zuvor bereits Gegenstand einer Harmonisierungsmaßnahme war, ein spezielles Gesundheitsproblem aufwirft. Diesfalls teilt der Mitgliedstaat der Kommission dieses Problem unverzüglich mit, die dann umgehend zu prüfen hat, ob sie dem Rat entsprechende Maßnahmen vorschlägt. Dieses „Initiativrecht“ ergänzt für den Gesundheitsbereich die Möglichkeit der MS nach Erlass einer Harmonisierungsmaßnahme Sonderregelungen einzuführen, die auf Aspekte des Umweltschutzes und des Schutzes der Arbeitsumwelt beschränkt sind (ĺnationaler Alleingang). (cb) §§: Art. 95 Abs. 7 und 8 EG Lit.: S. Albin/S. Bär, Nationale Alleingänge nach dem Vertrag von Amsterdam, N&R 1999, 185 (191); H. G. Fischer, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 95 EGV, Rn. 49 f.; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 95 EGV, Rn. 31
Anrechnungsmethode credit method – Méthode d’imputation
Eine natürliche Person kann mehrere Wohnsitze in verschiedenen Staaten haben. Das Welteinkommen wäre dann in mehreren Staaten zu versteuern. ĺDoppelbesteuerungsabkommen zwischen den einzelnen Staaten sollen in diesen Fällen die unerwünschten Mehrfachbesteuerungen vermeiden. Hiezu gibt es zwei Methoden. Neben der ĺBefreiungsmethode ist dies die hier erwähnte Anrechnungsmethode. Dabei besteuert der Wohnsitzstaat zwar zu-
Antidiskriminierungsrichtlinien nächst das gesamte Welteinkommen, rechnet jedoch sogleich ausländische ĺQuellensteuern, die der ausländische ĺQuellen(steuer)staat eingehoben hat, an. (pu) Anspruch auf Beitritt right to membership – droit à l’adhésion
Die herrschende Lehre geht davon aus, dass auch bei dem Vorliegen aller ĺBeitrittsvoraussetzungen kein Anspruch auf Beitritt zur EU besteht. Dies lässt sich u.a. mit dem stark völkerrechtlich gestalteten ĺBeitrittsverfahren begründen, in dem die MS den Verfahrensgang determinieren. Dieser Ansatz erscheint nur dann als konsequent, wenn gleichzeitig jegliche gerichtliche Prüfung des Vorliegens der ĺBeitrittsvoraussetzungen ausgeschlossen wird. Wird jedoch eine Kompetenz des EuGH zur Kontrolle des Vorliegens der ĺBeitrittsvoraussetzungen im Falle eines Aufnahmebeschlusses der Gemeinschaftsorgane (Rat und EP) bejaht, muss auch bei einem negativen Beschluss die Prüfung der zugrunde liegenden Ermessensentscheidung als zulässig erachtet werden (ĺBeitrittsvoraussetzungen, Justiziabilität der). Da die Gemeinschaftsorgane ihre Beschlüsse im Einklang mit dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit (Art. 5 EG; Art. 6 Abs. 1 EU) zu treffen haben, erscheint es als konsequent, einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu bejahen. Zur Durchsetzung kommt die ĺNichtigkeitsklage gem. Art. 230 EG in Frage. Die Klage kann nicht nur von einem MS, dem EP, dem Rat und der KOM, sondern auch von einer natürlichen oder juristischen Person, die durch die Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen ist, eingebracht werden. Der antragstellende Staat verfügt jedoch über keine Aktivlegitimation. Von der gerichtlichen Kontrolle unberührt bleiben Abschluss und Ratifikation des ĺBeitrittsvertrages durch die einzelnen MS. Denn der völkerrechtliche Charakter des ĺBeitrittsvertrages, der gleichzeitig eine ĺVertragsänderung darstellt, widerspricht grds. einer Überprüfung durch den EuGH (bspw. gem. Art. 226 bzw. 227 EG). Solange die Gemeinschaftsorgane nicht über eine demokratische Legitimation verfügen, die mit jener der MS vergleichbar ist, erscheint die Annahme eines generellen Anspruchs auf Beitritt und die damit verbundene Schwächung der „Herren der Verträge“ als demokratiepolitisch bedenklich. (lo) §§: Art. 49, 6 Abs. 1 EU; Art. 5, 226, 227 und 230 EG
Lit.: J. Budischowsky, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 34. Lfg. 2004, Art. 49 EUV, Rn. 13-16; J. Zeh, Recht auf Beitritt?, 2002
Antici-Gruppe (Rat der Europäischen Union) antici group (Council of the European Union) – groupe antici (Conseil de l’Union Européenne)
Diese informelle Gruppe, in der Mitarbeiter der ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten, ein Vertreter der Kommission sowie des ĺGeneralsekretärs des Rates und ein Mitglied des Rechtsdienstes des Rates zusammentreffen, zeichnet für die organisatorische und inhaltliche Vorbereitung der Sitzungen von COREPER II verantwortlich. Benannt nach ihrem italienischen Begründer ist diese Gruppe somit zwischen der Ebene der ĺArbeitsgruppen und des ĺCOREPER angesiedelt und tritt üblicherweise am Nachmittag vor der jeweils nächsten Sitzung von COREPER zusammen. (bho) Lit.: M. Westlake/D. Galloway, The Council of the European Union, 3. Aufl. 2004, 210 f.
Antidiskriminierungsrichtlinien anti-discrimination directives – directives relatives à la non-discrimination
Der Begriff Antidiskriminierungsrichtlinien wird nicht einheitlich verwendet. Darunter können die RL 2000/43/EG des Rates vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der Ethnischen Herkunft, ABl. 2000, Nr. L 180/22, die RL 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. 2000, Nr. L 303/ 16 (RahmenRL), die RL 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9. 2002 zur Änderung der RL 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. 2002, Nr. L 269/15, und die RL 2004/113/ EG des Rates vom 13.12.2004 zur Verwirklichung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. 2004, Nr. L 373/37, zusammengefasst werden. Zu berücksichtigen im Zusammenhang mit den genannten Richtlinien ist auch die ĺBeweislastrichtlinie. Die RL 2000/43/EG dient der Bekämpfung von Diskriminierungen der Rasse oder ethnischen 31
Antidiskriminierungsrichtlinien, Umsetzung Herkunft und ist auf Teile des Arbeitsrechts (Art. 3 Abs. 1 lit. a-d) und Teile des öffentlichen und Privatrechts anwendbar (Art. 3 Abs. 1 lit. eh). Der Geltungsbereich der RL 2000/78/EG bezieht sich nur auf den Bereich Beschäftigung und Beruf, betrifft aber Diskriminierungen aufgrund der Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexueller Ausrichtung. Die RL 2002/73/EG änderte die ursprüngliche Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG, die die Gleichbehandlung der Geschlechter beim Zugang zu Beschäftigung, beruflicher Bildung, beruflichem Aufstieg und hinsichtlich der Arbeitsbedingungen zum Gegenstand hat. So sollen nun zusätzlich nach der geänderten RL die Gleichstellung der Geschlechter bei Formulierung und Umsetzung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften berücksichtigt werden. Die Gleichbehandlung von Männern und Frauen über diesen Bereich hinaus, nämlich beim Zugang zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, wird von der RL 2004/113/EG geregelt. Sie bezieht sich auf Güter und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit in öffentlichen und privaten Bereichen zur Verfügung stehen. (fs) §§: RL 2000/43/EG, ABl. 2000, Nr. L 180/22; RL 2000/ 78/EG, ABl. 2000, Nr. L 303/16; RL 2002/73/EG, ABl. 2002, Nr. L 269/15; RL 2004/113/EG, ABl. 2004, Nr. L 373/37
Antidiskriminierungsrichtlinien, Umsetzung anti-discrimination directives, implementation – directives relatives à la non-discrimination, transposition
Die vier ĺAntidiskriminierungsrichtlinien wurden in Deutschland durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (BGBl. I 2006, 1897), das am 18.6.2006 in Kraft getreten ist, umgesetzt. Der Anwendungsbereich des AGG orientiert sich am Anwendungsbereich der ĺAntirassismusrichtlinie, der weiter ist als der der RL 2000/78/ EG und 2004/113/EG. Dabei wird aber der weitere Katalog der unzulässigen Differenzierungsgründe aus der RL 2000/78/EG übernommen, damit sind im Anwendungsbereich Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität unzulässig. In § 19 AGG ist das Zivilrechtliche Benachteiligungsverbot näher geregelt, § 20 AGG sieht vor, wann eine unterschiedliche Behandlung zulässig sein kann. § 21 AGG stellt klar, dass der Benachteiligte unbeschadet weiterer Ansprüche einen Anspruch auf Beseiti32
gung bzw. Unterlassung der Beeinträchtigung hat und einen Schadensersatzanspruch geltend machen kann, wenn der Benachteiligende die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Für die Geltendmachung dieser Ansprüche gilt eine Frist von zwei Monaten. In Österreich erfolgte die Umsetzung der RL 2000/43/EG, 2000/78/EG und 2002/73/EG im Gleichbehandlungsgesetz (BGBl. I 2004/66) (das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz [BGBl. I 2004/ 65]) bezieht sich nur auf Bedienstete, die in einem Dienstverhältnis zum Bund stehen). Anders als das AGG stellt das Gleichbehandlungsgesetz keinen allgemeinen Teil voran, sondern behandelt die Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt im ersten Teil, die Gleichbehandlung in der Arbeitswelt ohne Unterschied der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder Weltanschauung, des Alters und der sexuellen Orientierung im zweiten Teil und die Gleichbehandlung ohne Unterschied der ethnischen Zugehörigkeit in sonstigen Bereichen im dritten Teil. Der vierte Teil enthält Grundsätze für die Regelung der Gleichbehandlung im Arbeitsleben in der Land- und Forstwirtschaft. Das Gleichbehandlungsgesetz ist am 1.7. 2004 in Kraft getreten. Die Vorgaben der RL 2000/78/EG zum Schutz vor einer Diskriminierung aufgrund einer Behinderung im Bereich Beschäftigung und Beruf sind im Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz, das am 1.1.2006 in Kraft getreten ist, umgesetzt worden. (fs) §§: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 14.8.2006, BGBl. I 2006, 1897 (D), Bundesgesetz über die Gleichbehandlung (Gleichbehandlungsgesetz – GlBG), BGBl. I 2004/66, Änderung des Bundes-Gleichbehandlungsgesetzes, BGBl. I 2004/65, Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz, BGBl. I 82/2005 (Ö) Lit.: G. Maier-Reimer, Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz im Zivilrechtsverkehr, NJW 2006, 2577; H. Krejci, Antidiskriminierung, Privatautonomie und Arbeitnehmerschutz Teil I, RdA 2005, 383, Teil II, RdA 2005, 501
Antidumping anti-dumping – antidumping
Dumping liegt vor, wenn der Ausfuhrpreis einer Ware niedriger ist als ihr Normalwert. Die Differenz zwischen gedumpten Ausfuhrpreis und Normalpreis wird dann Dumpingspanne genannt. Der Normalwert ist der durchschnittliche Verkaufspreis im Ausfuhrstaat oder ein rechnerisch ermittelter Wert, der die Produktionskosten plus eine angemessene Gewinnspanne umfasst. Durch Dumping soll der Industrie des Ausfuhrstaates ein Wettbewerbsvor-
Antidumping teil zukommen. Dieser Wettbewerbsvorteil kann aber nur dann entstehen, wenn sich der Heimatmarkt des Ausfuhrstaates gegen Re-Importe abschottet. Diese Verbindung von Verkauf unter Normalwert und Abschottung gegen Re-Importe (= Dumping) stellt eine unfaire Handelspraktik dar. Die Europäische Gemeinschaft schützt ihre heimische Industrie vor solchen unfairen Handelspraktiken, zu denen neben Dumping auch bestimmte ausländische Subventionen zählen, durch Maßnahmen auf Grundlage des Art. 133 EG und auf dieser Vorschrift beruhende Grundverordnungen. Die Antidumpinggrundverordnung ist die VO (EG) 384/96. Neben der Antidumpinggrundverordnung waren Mitte 2004 132 weitere Antidumpingverordnungen in Kraft. Mit der Antidumpinggrundverordnung können Antidumpingmaßnahmen vollzogen werden. Als Antidumpingmaßnahmen sind Antidumpingzölle oder die Annahme von bestimmten Verpflichtungen der Exporteure, wie z.B. die Preise der jeweiligen Waren zu verändern, vorgesehen. Voraussetzung für die Verhängung eines Antidumpingzolls ist das Vorliegen von Dumping, die Schädigung eines heimischen Wirtschaftszweiges, der gleichartige Waren produziert, eine Kausalität zwischen Dumping und Schaden und das Interesse der Gemeinschaft an der Verhängung des Antidumpingzolls. Um Vorschriften des WTO-Rechts umzusetzen und eine unfaire Behinderung von Exporten aus anderen Staaten in die Gemeinschaft zu verhindern, schreibt die VO (EG) 384/96 ein detailliertes Verfahren zur Verhängung von Antidumpingzöllen vor. Das Verfahren zur Verhängung eines solchen Zolls wird nur auf Antrag eines Wirtschaftszweiges durch die ĺKommission eingeleitet. Die ĺKommission setzt die vorläufigen Antidumpingzölle fest, wobei der ĺRat mit qualifizierter Mehrheit einen abweichenden Beschluss fassen kann. Die endgültigen Zölle werden dann vom ĺRat mit einfacher Mehrheit beschlossen. Die Rechte der Drittstaatsunternehmen werden durch die Gewährung von Rechtsschutz durch das ĺEuG gesichert. Allerdings kann zum Schutz der heimischen Industrie ein vorläufiger Antidumpingzoll schon 6 Monate vor Verfahrensabschluss verhängt werden. Die Höhe des Antidumpingzolls bestimmt sich grundsätzlich nach der Dumpingspanne (s.o.). Neben dem Gemeinschaftsrecht beinhaltet auch das WTO-Recht Regelungen über Antidumping-
maßnahmen. Zwar lehnt der ĺEuGH bisher eine unmittelbare Anwendbarkeit des WTORechts in der Gemeinschaft in ständiger Rechtsprechung ab, doch sind zumindest die Gemeinschaftsorgane gem. Art. 300 Abs. 7 EG an die WTO-Abkommen gebunden. Daher setzt die Antidumpinggrundverordnung auch die Regelungen zum Antidumping im WTO-Recht um. Dort finden sich Vorschriften über Antidumping zunächst im ĺGeneral Agreement on Tariffs and Trade (GATT). Art. VI:1 GATT verurteilt Dumping, sofern hieraus eine bedeutende Schädigung eines Wirtschaftszweiges im Exportmarkt resultiert. Die WTO-Mitglieder sind aber nicht verpflichtet, gegen diese Geschäftspraktiken ihrer Exportunternehmen einzuschreiten. Verboten ist allerdings die gezielte Förderung von Exporten durch Exportbeihilfen (vgl. Art. 3.1 des Übereinkommens über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen). Art. VI:2 GATT erlaubt zudem dem Importstaat, zum Ausgleich der Preisunterbietung einen Antidumpingzoll zu erheben. Die prozessualen wie materiellrechtlichen Voraussetzungen solcher Antidumpingzölle sind seit 1995 im Antidumpingübereinkommen (ADÜ) näher geregelt. Dort sind Antidumpingmaßnahmen gem. Art. 1 und Art. 18.1 ADÜ i.V.m. Art. VI GATT vom Vorliegen der in Art. VI GATT beschriebenen Umstände sowie einer Untersuchung gem. dem ADÜ abhängig. (jpt) §§: Art. 133 EG; VO (EG) 384/96 des Rates vom 22.12.1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern, ABl. 1996, Nr. L 56/1; General Agreement on Tariffs and Trade – GATT, ABl. 1994, Nr. L 336/11; Antidumpingübereinkommen (ADÜ) über die Durchführung des Art. VI des Allgemeinen Zollund Handelsabkommens 1994, ABl. 1994, Nr. L 336/ 103 Lit.: W. Müller/N. Khan/H. A. Neumann, EC Antidumping Law: A Commentary on Regulation 384/96, 1998; M. Nettesheim, in: E. Grabitz/A. von Bogdandy/M. Nettesheim, Europäisches Außenwirtschaftsrecht, 1994, 197 ff.; J. H. Bourgeois, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 133 EG, Rn. 87 ff.; D. Palmeter, A Commentary on the WTO-Antidumping Code, JWT 30 (1996), 43; C. Herrmann, WTO, in: J. P. Terhechte (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 2008, § 74, Rn. 74.32 ff.; H. Wenig/ W. Müller, Ex geneva lux? Europäisches Antidumpingrecht im Lichte der Spruchpraxis des WTO-Streitbeilegungssystems, EWS 2003, 498, 544; M. Burianski, Die Haftung der EG im Antidumping- und Antisubventionsverfahren, EWS 2004, 546; R. M. Bierwagen, Die neue Antidumpinggrundverordnung nach dem Abschluss der Uruguay Runde, EuZW 1995, 231; W. Müller, Das neue Antidumpingrecht der EG, EWS 1995, 146
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Antirassismusrichtlinie Antirassismusrichtlinie racial equality directive – directive relative à l’égalité raciale
Die RL 2000/43/EG des Rates vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft betrifft Benachteiligungen ĺaufgrund der Rasse und ethnischen Herkunft in öffentlichen und privaten Bereichen hinsichtlich der Bedingungen für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsausbildung und –weiterbildung. Die Richtlinie gilt auch in Bezug auf die Beschäftigungsund Arbeitsbedingungen, die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisation, den Sozialschutz, die sozialen Vergünstigungen, die Bildung und für den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Ausgenommen aus dem Anwendungsbereich sind die unterschiedliche Behandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sowie Vorschriften und Bedingungen für die Einreise, den Aufenthalt und die Behandlung von Angehörigen dritter Staaten oder staatenloser Personen. (fs) §§: Art. 13 EG, RL 2000/43/EG, ABl. 2000, Nr. L 180/ 22 Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/ 2000/l_180/l_18020000719de00220026.pdf
Anweisungsbefugnis authorisation of expenditure – L’exécution des dépenses
Dem Anweisungsbefugten jedes Organs obliegt es nach Art. 60 Abs. 1 ĺHaushaltsordnung (HO), die Einnahmen und Ausgaben nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung auszuführen sowie deren Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit zu gewährleisten (vgl. auch Art. 78 HO). Im Interesse der Haushaltskontrolle bestimmt Art. 58 HO, dass Anweisungsbefugnis und Rechnungsführung getrennte Funktionen und nicht miteinander vereinbar sind. Daher bedarf es einer organisatorischen Trennung der Finanzzuständigkeiten der einzelnen Amtswalter innerhalb eines Organs. Jedes Organ legt insoweit nach Art. 59 Abs. 2 HO in seinen internen Verwaltungsvorschriften fest, welchen Bediensteten angemessenen Ranges (vgl. zur formell-dienstrechtlichen Zuordnung Art. 59 Abs. 3 HO) es unter Einhaltung der in seiner Geschäftsordnung vorgesehenen Bedingungen die Anweisungsbefugnis überträgt, welche Möglichkeiten einer Weiter34
übertragung bestehen und welches der Umfang der übertragenen Befugnisse ist. Diese haushaltsrechtliche Binnendifferenzierung hat keine Außenwirkungen gegenüber den Bürgern oder Mitgliedstaaten (vgl. EuGH, Rs. 216/83, 295/83 u.a. Les Verts, Slg. 1984, 3325, Rn. 7). Sie wirkt rein verwaltungsintern und dient dem objektiven Interesse an einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Finanzmittel. Durchsetzbar ist das Trennungsprinzip daher lediglich verwaltungsintern, also mit Mitteln der Dienstaufsicht (vgl. auch Art. 59 Abs. 4 HO), dem jederzeit möglichen Entzug der Anweisungsbefugnis und mit Mitteln des Disziplinarrechts (s. Art. 64 HO). Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Anweisungsbefugten bleibt hiervon unberührt (Art. 65 HO). Im Übrigen kann der Anweisungsbefugte nach beamtenrechtlichen Grundsätzen für schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen zum Ersatz der daraus entstehenden Schäden in Anspruch genommen werden (vgl. Art. 66 HO). Den Anweisungsbefugten stehen als verwaltungsorganisationsrechtliche Kontrastorganisationseinheiten die ĺRechnungsführer gegenüber. (gär) §§: Art. 58 ff. Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002)
Anweisungskompetenz, strafrechtliche Der EG kommt zwar keine Kompetenz zum Erlass unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltenden supranationalen Strafrechts durch ĺVerordnungen zu. Im Grundsatz anerkannt und vom EuGH bestätigt (ĺUmweltrahmenbeschlussEntscheidung) ist jedoch, dass die EG die Mitgliedstaaten im Wege von ĺRichtlinien zum Erlass mitgliedstaatlichen Strafrechts anweisen darf (sog. Anweisungskompetenz). Eine solche Anweisung kann ergehen, um die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts (ĺeffet utile) abzusichern. Die Reichweite der Kompetenz kann Vorgaben für Tatbestandsmerkmale, die Verpflichtung zu wirksamen, verhältnismäßigen und effektiven Sanktionen (ĺMindesttrias der Sanktionen) und die Verpflichtung zur Strafbarkeit auch juristischer Personen umfassen. Nach herrschender Meinung unzulässig wären aber Anweisung für die konkrete Art und Höhe der strafrechtlichen Sanktionsandrohung. Die Anweisungskompetenz zum Erlass mitgliedstaatlichen Strafrechts bildet daher letztlich eine Annexkompetenz, die an die grundsätzliche Rechtssetzungskompetenz der Gemeinschaftsorgane in einer bestimmten Materie (Prinzip der
Anwender (von genetisch veränderten Mikroorganismen) begrenzten ĺEinzelermächtigung) anknüpft. Umstritten ist, ob sie von der Weite der Formulierung der jeweiligen Kompetenzen im Primärvertrag abhängt, über die ĺimplied-powersLehre begründbar ist oder aber auch auf die ĺVertragsabrundungskompetenz des Art. 308 EG gestützt werden kann. Begrenzt wird die Anweisungskompetenz des Gemeinschaftsgesetzgebers durch die Grundsätze der ĺSubsidiarität und insbesondere der ĺVerhältnismäßigkeit gem. Art. 5 Abs. 1 und 2 EG. Soweit die strafrechtliche Anweisungskompetenz der EG besteht, hat sie Vorrang vor dem Erlass entsprechender harmonisierender Rechtsakte im Rahmen der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Dies ergibt sich aus Art. 47 EU und ist vom EuGH in der ĺUmweltrahmenbeschluss-Entscheidung bekräftigt worden. (sts) Lit.: G. Dannecker, Die Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts unter dem Einfluss des Europarechts, in: H.-B. Wabnitz/T. Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, 3. Aufl. 2007, 2. Kap., Rn . 96 ff.; B. Hecker, Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. 2007, § 8, Rn. 27 ff., 40 ff., 43 ff. m.w.N. Rsp.: EuGH, Rs. C-176/03 Umweltrahmenbeschluss, Slg. 2005, I-7879: EuGH, Rs. 440/05, noch unveröffentlicht
Anwendbarkeit, unmittelbare direct effect – effet direct
Fähigkeit einer Rechtsnorm des Gemeinschaftsrechts, im nationalen Recht unmittelbar Rechte und Pflichten von Individuen und Rechtsanwendungsorganen zu begründen. Das schließt insb. ihre Durchsetzbarkeit vor den nationalen Gerichten ein. Damit ist die unmittelbare Anwendbarkeit ein zentrales Element der Wirkungskraft und des supranationalen Charakters der Gemeinschaftsrechtsordnung. Die Begriffsbildung ist jedoch uneinheitlich. Als Synonym für die unmittelbare Anwendbarkeit wird vielfach die unmittelbare Wirkung verwendet, zuweilen auch der Begriff der autonomen oder unmittelbaren ĺGeltung, mit dem überwiegend jedoch nur eine der Voraussetzungen für die unmittelbare Anwendbarkeit bezeichnet wird. In der Lit. findet sich gelegentlich die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver unmittelbarer Anwendbarkeit, wobei nur letztere eine Begründung subjektiver und einklagbarer Rechte des Einzelnen beinhalten soll. Die Doktrin der unmittelbaren Anwendbarkeit wurde vom ĺEuGH in der ĺvan Gend en Loos-Entscheidung für das ĺPrimärrecht ent-
wickelt und später auf das ĺSekundärrecht übertragen, insbesondere auch auf ĺRichtlinien (ĺRichtlinienwirkung, unmittelbare). Voraussetzung der unmittelbaren Anwendbarkeit ist, dass die Norm eine klare und eindeutige Verpflichtung begründet, die von keinem Vorbehalt interner Rechtsetzungsakte durch die Mitgliedstaaten abhängig gemacht wird. Bei Richtlinien muss überdies die Umsetzungsfrist abgelaufen sein. Das ĺBVerfG hat die unmittelbare Anwendbarkeit von Primärrecht schon in seiner ĺLütticke-Entscheidung, diejenige von ĺVerordnungen in der ĺSolange I-Entscheidung anerkannt. Es leitet sie aus Art. 23 GG (damals Art. 24 Abs. 1 GG) i.V.m. dem deutschen ĺZustimmungsgesetz und dem darin enthaltenen ĺRechtsanwendungsbefehl ab (ĺBrückentheorie). In der ĺKloppenburg-Entscheidung von 1987 hat das BVerfG auch den Grundsatz der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien als zulässige Rechtsfortbildung durch den EuGH anerkannt. (sgk) Lit.: E Klein, Unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung, 1988; W. Schroeder, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 249 EGV, Rn. 48 ff.; U. Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2005, 262 ff.
Anwender (von genetisch veränderten Mikroorganismen) user (of genetically modified micro-organisms) – utilisateur (des micro-organismes génétiquement modifiés)
Anwender ist jede natürliche oder juristische Person, die für die ĺAnwendung von ĺgenetisch veränderten Mikroorganismen in ĺgeschlossenen Systemen verantwortlich ist. Dem Anwender obliegt es auch vor Aufnahme der Anwendung im geschlossenen System diese bei der Behörde zu melden und in Vorbereitung auf die Meldung eine ĺRisikobewertung durchzuführen. Ihn treffen bei einem ĺUnfall besondere Informationspflichten gegenüber der zuständigen Behörde. (al) §§: Art. 2 lit. e, RL 90/219/EWG des Rates vom 23.4. 1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1990, Nr. L 117/1, geändert durch die RL 98/81/EG des Rates vom 26.10.1998 zur Änderung der RL 90/219/ EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1998, Nr. L 330/13. (ĺSystemrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. I., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, Rn. 73 ff. Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l21157. htm
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Anwendung in geschlossenem System (Gentechnik) Anwendung in geschlossenem System (Gentechnik) contained use (genetic engineering) – utilisation confinée (génie génétique)
Eine Anwendung in einem geschlossenen System im Sinne des Art. 2 lit. c der ĺSystemrichtlinie ist jede Tätigkeit, bei der ĺMikroorganismen genetisch verändert werden oder ĺgenetisch veränderte Mikroorganismen vermehrt, gelagert, transportiert, zerstört, beseitigt oder in anderer Weise verwendet werden und bei der spezifische Einschließungsmaßnahmen angewendet werden, um ihren Kontakt mit der Bevölkerung und der Umwelt zu begrenzen. Dies kann etwa durch den Einsatz bzw. die Kombination von physikalischen, biologischen oder chemischen Schranken geschehen. (al) §§: Art. 2 lit. c, RL 90/219/EWG des Rates vom 23.4. 1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1990, Nr. L 117/1, geändert durch die RL 98/81/EG des Rates vom 26.10.1998 zur Änderung der RL 90/219/ EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1998, Nr. L 330/13 (ĺSystemrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. I., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, Rn. 13 ff. Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l21157. htm
Anwendungsprogrammierschnittstellen Application Programming Interface (API)
Bezeichnet im Bereich der Massenmedien die Schnittstellentechnologie von digitalen elektronischen Kommunikationsplattformen, z.B. die Schnittstelle des Betriebssystems der digitalen Fernsehdecoder. (dd) §§: Art. 18 Abs. 1 lit. a RahmenRL 2002/21/EG, ABl. 2002, Nr. L 108/33
Anwendungsvorrang supremacy – primauté
Beim Anwendungsvorrang handelt es sich – neben der autonomen ĺGeltung – um eines der Strukturprinzipien des Gemeinschaftsrechts. Da das Gemeinschaftsrecht unabhängig von einem nationalen ĺRechtsanwendungsbefehl in den Mitgliedstaaten gilt, ist eine Kollisionsregel für den Fall erforderlich, dass sich auf den gleichen Sachverhalt zwei divergente Regelungen – eben jene des Gemeinschaftsrechts und des nationalen Rechts – beziehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des ĺEuGH – begründet durch den leading case ĺCosta/ 36
ENEL, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 – verdrängt das unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrecht in diesen Konstellationen das entgegenstehende nationale Recht, was zur Folge hat, dass alle staatlichen Organe verpflichtet sind, das nationale Recht im konkreten Fall unangewendet zu lassen: damit ist klargestellt, dass es sich um keinen ĺGeltungsvorrang handelt. In anderen Konstellationen, in denen keine unmittelbar anwendbare Regelung des Gemeinschaftsrechts einschlägig ist, bleibt die entsprechende Regelung weiterhin in vollem Umfang anwendbar. Auch im Fall der Verdrängung wird die Regelung nicht aus dem Rechtsbestand ausgeschieden. Gegenüber einem ĺGeltungsvorrang ist der Anwendungsvorrang eine die nationale Souveränität schonendere Regel. Der Anwendungsvorrang ist von Amts wegen zu beachten. Der Anwendungsvorrang gilt nach der Rechtsprechung des EuGH – grundlegend ĺSimmenthal II, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 – auch gegenüber später erlassenem innerstaatlichen Recht, womit die sonst im Völkerrecht geltende lex-posterior-Regel im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht aufgrund seiner besonderen Qualität nicht gilt. Nicht einheitlich wird die Reichweite des Anwendungsvorrangs gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht gesehen. Während man der Judikatur des EuGH einen uneingeschränkten Anwendungsvorrang entnehmen kann (s. dazu ĺInternationale Handelsgesellschaft, Rs. 11/70, Slg. 1970, 1125), was für einen Vorrang gegenüber dem gesamten nationalen Verfassungsrecht einschließlich seiner Grundprinzipien spricht, bestehen in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen Vorrang gegenüber den leitenden Grundprinzipien durchaus Vorbehalte. Diese Frage hängt vom Maß der „Öffnung“ des nationalen Verfassungsrechts gegenüber dem Gemeinschaftsrecht ab (ĺIntegrationsschranken). Etwas uneinheitlich war die Rsp. bislang in der Frage des Anwendungsvorrangs vor individuellen Rechtsakten, also etwa Verwaltungsakten oder Bescheiden (s. dazu etwa EuGH, Rs. C-453/ 00 ĺKühne & Heitz, Slg. 2004, I-837, wo entgegen früheren Urteilen [vgl. EuGH, Rs. C-224/ 97 Ciola, Slg. 1999, I-2517] ein Anwendungsvorrang gegenüber individuellen Rechtsakten aufgrund des auch im Gemeinschaftsrecht zu beachtenden Grundsatzes der Rechtssicherheit nicht in Betracht kommt). Der europäische Verfassungsvertrag (ähnlich der Vertrag von Lissabon) würde den Grundsatz des Anwendungsvorrangs explizit im Primärrecht verankern.
Apothekerberufsrecht Das ĺBVerfG hat die vom EuGH entwickelte Doktrin vom Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vor deutschem Recht jeder Rangstufe anerkannt (ĺLütticke-Entscheidung bez. ĺPrimärrecht; ĺSolange II bez. ĺVerordnungen; BVerfGE 85, 191 bez. ĺRichtlinien). Zugleich räumt das BVerfG den Fachgerichten die Kompetenz ein, über mögliche Verstöße deutschen Rechts gegen Gemeinschaftsrecht selbst zu entscheiden (Lütticke). Das BVerfG stützt den Vorrang allerdings auf Art. 23 GG (früher Art. 24 Abs. 1 GG) i.V.m. dem deutschen ĺZustimmungsgesetz und dem dort enthaltenen Rechtsanwendungsbefehl. Daher stößt der Vorrang des Gemeinschaftsrechts aus deutscher Sicht auf Grenzen, wo Gemeinschaftsrecht die ĺIntegrationsschranken des Art. 23 Abs. 1 GG, insb. den unabdingbaren Grundrechtsstandard verletzt (ĺGrundrechte) oder die Grenzen der übertragenen ĺHoheitsgewalt überschreitet (ausbrechender ĺRechtsakt; ĺBrückentheorie). Der VfGH geht für die österr. Rechtslage jedenfalls von einem Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem staatlichen Verfassungsrecht aus (VfSlg. 15.427/1999 zum Anwendungsvorrang vor der die Zuständigkeit des VwGH einschränkenden Bestimmung des Art. 133 Z. 4 B-VG). (he) (sgk) Lit.: P. Craig/G. De Búrca, EU Law, 4. Aufl. 2007, 344 ff.; U. Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2005, 379 ff.; J. Masing, Vorrang des Europarechts bei umsetzungsgebundenen Rechtsakten, NJW 2006, 264; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 79 ff.; C. Grabenwarter, Staatliches Unionsverfassungsrecht, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht (2003) 283; W. Schroeder, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 249 EGV, Rn. 40 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 224 ff.
Anwendungsvorrang, Adressaten supremacy, addressees – primauté, destinataires
Der ĺAnwendungsvorrang ist nach der Rsp. des EuGH (Rs. 103/88 Fratelli Costanzo, Slg. 1989, 1839) von allen rechtsanwendenden nationalen Organen, also auch Verwaltungsorganen, von Amts wegen wahrzunehmen. Dies hindert aber nicht, dass sich einzelne Personen im Falle der Einräumung subjektiver Rechte durch die entsprechende unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrechtsvorschrift an diese auf den Anwendungsvorrang berufen können. (he) Lit.: T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 82 f.
Apothekerberufsrecht pharmacists professional regulations – droit des pharmaciens
Das Apothekenrecht ist bislang im Wesentlichen kein Gegenstand gemeinschaftsrechtlicher Maßnahmen der Rechtsangleichung gewesen. 1. Rechtsgrundlagen: Apothekenbezogene Regelungen enthielt die RL 85/433/EWG vom 16.9.1985 (Apothekerrichtlinie) über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Apothekers und über Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts für bestimmte pharmazeutische Tätigkeiten (ABl. 1985, Nr. L 253/37). Diese Richtlinie wurde nunmehr aufgehoben und bezogen auf den Apothekerberuf im Wesentlichen unter Beibehaltung des bisherigen sektoralen Regelungskonzepts durch die allgemeinere, auf Art. 47 EG gestützte RL 2005/36/EG vom 7.9.2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. 2005, Nr. L 255/22) ersetzt, die nach Art. 63 bis zum 20.10.2007 in das nationale Recht umzusetzen ist (eingehend hierzu W. Kluth/ F. Rieger, Die neue EU-Berufsanerkennungsrichtlinie, EuZW 2005, 486 ff.). 2. Grundstrukturen des Apothekerberufsrechts: Der Regelungsansatz der RL 2005/36/EG zielt darauf, Angehörigen der erfassten Berufsgruppen, zu denen auch Apotheker zählen (vgl. Art. 10 lit. b), im Bereich der Dienstleistungsfreiheit einen Marktzugang unter den gleichen berufsqualifizierenden Voraussetzungen wie Inländer zu ermöglichen (Art. 4, 5). Besondere Zulassungsverfahren oder mit Belastungen verbundene Kammermitgliedschaften werden entsprechend der Rechtsprechung des EuGH (Rs. C-58/98 Corsten, Slg. 2000, I-7919, Rn. 44 ff.) für unzulässig erklärt (Art. 6). Für Befähigungsnachweise, die für den Apothekerberuf in Art. 44 näher konkretisiert werden, gilt nach Art. 21 I der Grundsatz der automatischen Anerkennung. Den danach für den Apothekerberuf Qualifizierten eröffnet die Richtlinie ein so genanntes „Mindesttätigkeitsfeld“ (vgl. Erwägungsgrund 25), das eine nähere Ausformung in der Richtlinie erfahren hat und folgende Tätigkeiten einschließt: Herstellung der Darreichungsform von Arzneimitteln, Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln, Arzneimittelprüfung in einem 37
APS Plus Laboratorium für die Prüfung von Arzneimitteln, Lagerung, Qualitätserhaltung und Abgabe von Arzneimitteln auf der Großhandelsstufe, Herstellung, Prüfung, Lagerung und Abgabe von Arzneimitteln in der Öffentlichkeit zugänglichen Apotheken, Herstellung, Prüfung, Lagerung und Abgabe von Arzneimittel in Krankenhausapotheken, Information und Beratung über Arzneimittel. Allerdings enthält die RL 2005/36/EG eine entscheidende Einschränkung, die auf weitgehende Vorbehalte einiger Mitgliedstaaten gegenüber einer wirksamen Liberalisierung im Gesundheitswesen zurückzuführen ist: Die Richtlinie lässt Vorschriften der Mitgliedstaaten über die geographische Verteilung der Apotheken sowie deren Abgabemonopol unberührt. Auch sollen die Mitgliedstaaten nicht gehindert werden, für Gesellschaften den Apothekerberuf zu beschränken oder auszuschließen (vgl. Erwägungsgrund 26). Wie schon im Rahmen der alten Apothekerrichtlinie werden die Mitgliedstaaten auch durch die RL 2005/36/EG nicht verpflichtet, Inhabern von entsprechenden Befähigungsnachweisen die Gründung von neuen Apotheken zu ermöglichen (Art. 21 IV). Hintergrund dieser Regelung ist, dass einige Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Gesundheitspolitik Vorschriften erlassen haben, die im Sinne einer Bedürfnisprüfung eine Neuerrichtung von Apotheken beschränkt haben. Eine generelle Aufhebung dieser Bestimmungen sah man als verfrüht an (vgl. hierzu EuGH, Rs. C-221/05, Sam Mc Cauley Chemists; EuZW 2006, 540, Rn. 28 ff.). 3. Ergänzende Funktion der Dienstleistungsfreiheit: Mangels Harmonisierung des Apothekenzulassungs- und Apothekenbetriebsrechts kommt hier weiterhin der Dienstleistungsfreiheit (Art. 43 I [ggf. i.V.m. Art. 48 I] EG) eine entscheidende Bedeutung zu. Art. 47 III EG steht einem auf die Dienstleistungsfreiheit gestützten Anspruch auf Apothekenzulassung nicht entgegen, da er die dort genannten Berufe nicht von der Dienstleistungsfreiheit ausnehmen, sondern nur die Modalitäten der Harmonisierung regeln wollte. Der EuGH hatte bereits in seiner ĺDocMorris-Entscheidung (Rs. C-322/01, Slg. 2003, I-14887) festgestellt, dass ein generelles Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln gegen die Warenverkehrsfreiheit verstößt. Angesichts dieses marktfreiheitsrechtlichen 38
Liberalisierungsdruckes gerät auch das deutsche apothekenrechtliche Mehr- und Fremdbesitzverbot zunehmend unter Druck. Dieses dürfte im Falle einer grenzüberschreitenden Tätigkeit nicht zuletzt im Hinblick auf einschlägige Entscheidungen des EuGH zu vergleichbaren freien Berufen als unverhältnismäßige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gegen Art. 43 I EG verstoßen (s. im Einzelnen R. Streinz/C. Herrmann, EuZW 2006, 255 [256 ff.]). (gär) §§: Apothekerrichtlinie (85/433/EWG); Berufsanerkennungsrichtlinie (2005/36/EG); Art. 43, 47 EG Lit.:T. Kieser, Apothekenrecht, 2006; C. Lafontaine, National Law on Pharmacies and ist Non-Application by a Member State’s Public Authorities, ZEuS 2006, 301; C. Lenz, Warenverkehrsfreiheit nach der DocMorris-Entscheidung zum Versand von Arzneimitteln, NJW 2004, 332; M. Martini, Doc. Morris ante portas – zu Risiken und Nebenwirkungen der Niederlassungsfreiheit des Art. 48 EG für das Berufsrecht der Apotheker, DVBl. 2007, 10; P. Marwitz, Internetapotheke zwischen Gerichten und Gesetzgebern, MMR 2004, 218; C. Starck, Die Vereinbarkeit des apothekenrechtlichen Fremd- und Mehrbesitzverbots mit den verfassungsrechtlichen Grundrechten und dem gemeinschaftsrechtlichen Niederlassungsrecht, 1999; R. Streinz/C. Herrmann, Und wieder Doc Morris: Das apothekenrechtliche Mehr- und Fremdbesitzverbot aus der Perspektive des Gemeinschaftsrechts, EuZW 2006, 455; R. Zuck/C. Lenz, Der Apotheker in seiner Apotheke, 1999, 83 ff.
APS Plus GSP Plus – SPG Plus
Kategorie innerhalb des ĺAllgemeinen Präferenzsystems (APS). Das APS Plus setzt dem Grundsatz nach Wertzölle des Gemeinsamen Zolltarifs aus. Auch spezifische Zollsatz werden ausgesetzt, falls sie nicht mit einem Wertzollsatz kombiniert sind. Das APS Plus ersetzt die Sonderregelungen zur Bekämpfung der Drogenproduktion (VO [EG] 2501/2001). Voraussetzung für eine Begünstigung im Rahmen des APS Plus ist, dass es sich um ein Land handelt, das aufgrund fehlender Differenzierung und unzureichender Einbindung in das internationale Handelssystem als gefährdet gilt. Die entsprechenden Länder sind in Anhang I der VO (EG) 980/2005 des Rates vom 27.6.2005, Spalte E, aufgelistet. Bei den begünstigten Ländern, denen für 2006–2008 das APS Plus gewährt wird, handelt es sich um: Bolivien, Kolumbien, Costa Rica, Ecuador, Georgien, Guatemala, Honduras, Sri Lanka, die Republik Moldau, die Mongolei, Nicaragua, Panama, Peru, El Salvador und Venezuela.
Arbeitnehmer, Begriff Das APS Plus setzt voraus, dass die begünstigten Länder eine Reihe von internationalen Übereinkommen ratifizieren und umsetzen. Dabei handelt es sich gem. Anhang III der VO (EG) 980/2005 des Rates vom 27.6.2005 um. 1. die wesentlichen Übereinkommen der Vereinten Nationen und der IAO zu den Menschenrechten und Arbeitnehmerrechten (Anhang III Teil A); 2. sieben der im Anhang III Teil B aufgeführten internationalen Übereinkommen zum Umweltschutz und zur verantwortungsvollen Staatsführung. (bh) §§: VO (EG) 980/2005 des Rates vom 27.6.2005
Äquivalenzprinzip principle of equivalence – principe de l’équivalence
Das ĺÄquivalenzprinzip bedeutet, dass das nationale Verfahrensrecht ohne jegliche Diskriminierung sowohl auf gemeinschaftsrechtliche als auch vergleichbare innerstaatliche Sachverhalte anzuwenden ist. Es schränkt insoweit den für die ĺindirekte Vollziehung des Gemeinschaftsrechts geltenden Grundsatz der verfahrensrechtlichen ĺAutonomie der Mitgliedstaaten ein. Der ĺEffektivitätsgrundsatz stellt darauf ab, dass durch die Anwendung des nationalen Verfahrensrechts die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts „nicht praktisch unmöglich gemacht“ werden darf (EuGH, Rs. C 343/96 Dilexport, Slg. 1999, I-579; EuGH, Rs. C-231/96 Edis, Slg. 1998, I-4951; EuGH, Rs. C-260/96 Spac, Slg. 1998, I-4997). Ein enger Zusammenhang besteht mit dem ĺEffektivitätsgrundsatz und dem Loyalitätsgebot des Art. 10 EG. (he) Lit.: U. Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2005, 259 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 106 f.
Arbeitnehmer, Begriff worker, concept of – travailleur, notion de
Der Begriff des „Arbeitnehmers“ bestimmt den persönlichen Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Hierbei handelt es sich um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff, der im Interesse einer einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts autonom auszulegen ist (EuGH, Rs. 75/63 Unger, Slg. 1964, 381 [396]; Rs. 53/81 Levin, Slg. 1982, 1035, Rn. 10 ff.; Rs. 66/85 Lawrie-Blum, Slg. 1986, 2121, Rn. 16). Als Begriff, der die Reichweite einer Grundfreiheit determiniert, d.h. eines Grundprinzips der Gemeinschaft, ist er weit auszulegen (EuGH, Rs. 53/81, a.a.O. Rn. 13; Rs. 66/85, a.a.O. Rn. 16).
Arbeitnehmer ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs jede Person, die „während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die ... [sie] als Gegenleistung eine Vergütung erhält“ (EuGH, Rs. C-413/01 Ninni-Orasche, Slg. 2003, I-13187, Rn. 24; Rs. C-85/96 Sala, Slg. 1998, I2691, Rn. 32; Rs. 66/85, a.a.O. Rn. 17). Aufgrund ihres Charakters als Marktfreiheit setzt die Arbeitnehmerfreizügigkeit die Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit voraus, die keinen so geringen Umfang haben darf, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt (EuGH, Rs. 53/81, a.a.O. Rn. 16, 21; Rs. 344/87 Bettray, Slg. 1989, 1621, Rn. 13). Eine nähere Betrachtung der Rechtsprechung zeigt allerdings, dass nur geringe Anforderungen an Arbeitsleistung, -einkommen und -zeit gestellt werden. Erfasst sind nämlich auch Praktikanten (EuGH, Rs. 27/91 URSSAF, Slg. 1991, 5531, Rn. 8; Rs. C-3/90 Bernini, Slg. 1992, I-1071, Rn. 15 f.) und Teilzeitbeschäftigte mit einer Wochenarbeitszeit von 12 Stunden (EuGH, Rs. 139/ 85 Kempf, Slg. 1986, 1741, Rn. 11 f.; Rs. C-317/ 93 Nolte, Slg. 1995, I-4625, Rn. 19). Des Weiteren unmaßgeblich ist die Höhe des Einkommens, selbst dann, wenn der Beschäftigte neben seinem Lohn über keine weiteren Einkünfte verfügt oder auf lohnergänzende Sozialleistungen angewiesen ist (EuGH, Rs. 53/81, a.a.O. Rn. 11 ff.; Rs. 139/85, a.a.O. Rn. 13 ff.; Rs. C-317/ 93, a.a.O. Rn. 19; Rs. C-10/05 Mattern, Slg. 2006, I-3145, Rn. 22). Die Vergütung kann auch aus öffentlichen Mitteln stammen (EuGH, Rs. 344/ 87, a.a.O. Rn. 15; Rs. C-1/97 Birden, Slg. 1998, I-7747, Rn. 28) oder (teilweise) in Sachleistungen bestehen (Tätigkeit als Klempner für eine Religionsgemeinschaft Dritten gegenüber, von der dieser Sachleistungen und ein Taschengeld erhält: EuGH, Rs. 196/87 Steymann, Slg. 1988, 6159, Rn. 16 f.). Arbeitnehmer können auch in einem Wiedereingliederungsprogramm beschäftigte Personen sein (EuGH, Rs. C-1/97, a.a.O. Rn. 31; Rs. C-456/02 Trojani, Slg. 2004, I-7573, Rn. 19 ff. S. aber auch Rs. 344/87, a.a.O.). Unerheblich ist schließlich das Motiv für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (EuGH, Rs. 53/81, a.a.O. Rn. 20 ff.; Rs. C-109/01 Akrich, Slg. 2003, I-9607, Rn. 55 ff.). Abschließend sei darauf hingewiesen, dass dem Gemeinschaftsrecht insgesamt kein einheitlicher Arbeitnehmerbegriff zugrunde liegt. So finden sich Gemeinschaftsrechtsakte, die wegen der Besonderheit der von ihnen geregelten Materie den Begriff des Arbeitnehmers abwei39
Arbeitnehmer, kirchliche chend definieren (s. Art. 1 lit. a. der die mitgliedstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit koordinierenden VO [EWG] 1408/71 sowie deren NachfolgeVO [EG] 883/2004). (fw) §§: Art. 39 EG Lit.: N. Colneric, Der Begriff des Arbeitnehmers in der Rechtsprechung des EuGH, in: N. Colneric/D. Edward/J.-P. Puissochet/D. Ruiz-Jarabo Colomer (Hrsg.), Une communauté de droit. FS für G. C. Rodríguez Iglesias, 2003, 385; M. Franzen, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 39, Rn. 17 ff.; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 60 ff.
Arbeitnehmer, kirchliche ĺArbeitsrecht, religionsgemeinschaftliches Arbeitnehmerfreizügigkeit free movement of workers – libre circulation des travailleurs
Um die für die Marktintegration unerlässliche Mobilität des Produktionsfaktors Arbeit sicherzustellen, verpflichtete der EWG-Vertrag die Mitgliedstaaten (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Verpflichtete), die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (ĺArbeitnehmer, Begriff) innerhalb der Gemeinschaft schrittweise herzustellen (Art. 3 lit. c, 48 ff. EWGV). Die Arbeitnehmerfreizügigkeit zählt zu den Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts und ist unmittelbar anwendbar (EuGH, Rs. 167/73 EK/Frankreich, Slg. 1974, 359, Rn. 35 ff.; Rs. 41/74 van Duyn, Slg. 1974, 1337, Rn. 4 ff.). Kern der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist das Recht des EU-Ausländers, im Aufnahmemitgliedstaat unter gleichen Voraussetzungen wie Inländer eine Beschäftigung aufnehmen und ausüben zu dürfen (Art. 39 Abs. 2, 3 lit. c EG); dieser beschäftigungsbezogene Inländerbehandlungsanspruch wurde in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu einem ratione materiae nahezu umfassenden Diskriminierungsverbot zugunsten des ausländischen Arbeitnehmers ausgedehnt (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung). Vom Gewährleistungsumfang der Arbeitnehmerfreizügigkeit umfasst ist des Weiteren ein gesichertes Aufenthaltsrecht im Zielstaat (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Aufenthaltsrecht). Inwieweit die Arbeitnehmerfreizügigkeit Mobilitätsschutz über den Anspruch auf Inländerbehandlung hinaus bietet, wird kontrovers beurteilt, von der herrschenden Auffassung allerdings bejaht (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Beschränkungsverbot). 40
Unanwendbar ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit auf Beschäftigungen in der öffentlichen Verwaltung (Art. 39 Abs. 4 EG, ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Bereichsausnahme). Darüber hinaus wurden im Kontext von Erweiterungen, wie bspw. den EU-Osterweiterungen 2004 und 2007, Übergangsfristen für Arbeitnehmer aus den beigetretenen Mitgliedstaaten vorgesehen, während denen die Bestimmungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht bzw. nur eingeschränkt Anwendung finden (ĺPersonenverkehrsfreiheiten, Übergangsvorschriften). Die Anwendbarkeit der Arbeitnehmerfreizügigkeit steht und fällt allerdings nicht mit der aktuellen Ausübung einer Erwerbstätigkeit, was die Rechtsstellung von noch nicht, derzeit nicht und nicht mehr im Arbeitsleben stehenden Personen (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Arbeitslosigkeit ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Arbeitsuche ĺVerbleiberecht) sowie die Familienangehörigen von Arbeitnehmern eingeräumten Vergünstigungen (ĺFreizügigkeit, Familienangehörige) zeigen. Von der Arbeitnehmerfreizügigkeit erfasst sind auch Grenzgänger (näher ĺGrenzgänger). Auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen kann sich schließlich auch der Arbeitgeber (dazu EuGH, Rs. C-350/96 Clean Car Autoservice, Slg. 1998, I-2521, Rn. 16 ff.). (fw) §§: Art. 39 ff. EG; RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35; VO (EWG) 1612/68, ABl. 1968, Nr. L 257/2 (zuletzt geändert RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35); VO (EWG) 1408/71 (zuletzt geändert VO (EG) 629/2006, ABl. 2006, Nr. L 114/1); VO (EG) 883/ 2004, ABl. 2004, Nr. L 200/1 Lit.: U. Becker, Arbeitnehmerfreizügigkeit, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, § 9; W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1. Europäische Grundfreiheiten, 2004, 423 ff.; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 19 ff. Web: http://ec.europa.eu/employment_social/free_ movement/index_de.htm (7.6.2007)
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Arbeitslosigkeit free movement of workers, unemployment – libre circulation des travailleurs, chômage
Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes ist nicht zwingend ein Verlust der aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit folgenden Vergünstigungen verbunden. Relevant ist dies insbesondere für das Aufenthaltsrecht des Arbeitslosen sowie für den diskriminierungsfreien Zugang zu Sozialleistungen. In beiden Fällen genießt eine als Arbeitnehmer zu qualifizierende Person nämlich eine gegenüber Nichterwerbstätigen privilegier-
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Arbeitsuche te Position, was sich an der ökonomischen Voraussetzungslosigkeit des Arbeitnehmern eingeräumten Aufenthaltsrechts (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Aufenthaltsrecht) sowie dem nahezu unbedingten Inländerbehandlungsanspruch des Arbeitnehmers (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlungsanspruch) zeigt. Gem. Art. 7 Abs. 3 lit. a. und b RL 2004/38/EG bleibt das voraussetzungslose Aufenthaltsrecht der Arbeitnehmerfreizügigkeit auch im Falle der Arbeitslosigkeit fortbestehen, wenn sich der Arbeitslose entweder „bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung“ stellt (lit. a) oder er „sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung“ stellt (lit. c). Im zweiten Fall „bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten“. Irrelevant ist dies freilich, wenn der Arbeitslose als Daueraufenthaltsberechtigter ein ohnehin voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht erworben hat (ĺRecht auf Daueraufenthalt). Da Art. 7 Abs. 3 RL 2004/ 38/EG den Fortbestand der Arbeitnehmereigenschaft bei Arbeitslosigkeit ausdrücklich auf Art. 7 Abs. 1 lit. a RL 2004/38/EG, also das Aufenthaltsrecht, bezieht, ist fraglich, ob der Arbeitslose auch als Arbeitnehmer i.S.d. Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) 1612/68, also hinsichtlich des gleichen Zugangs zu Inländern gewährten sozialen Vergünstigungen (ĺSoziale Vergünstigung), angesehen werden kann; besteht ein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG, so greift jedoch jedenfalls der Inländerbehandlungsanspruch des Art. 24 RL 2004/38/EG. (fw) §§: RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35; VO (EWG) 1612/68, ABl. 1968, Nr. L 257/2 (zuletzt geändert RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35) Lit.: F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 66 ff.
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Arbeitsuche free movement of workers,work-seekers – libre circulation des travailleurs, recherche d’emploi
Die Arbeitnehmerfreizügigkeit (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit) gewährleistet gem. Art. 39 Abs. 3 lit. a und b EG das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen, um sich um tatsächlich angebotene Stellen zu
bewerben. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs umfasst dies auch das Recht, sich zum Zwecke der Arbeitsuche, d.h. ohne konkretes Stellenangebot, in anderen Mitgliedstaaten aufzuhalten, und zwar für einen Zeitraum von maximal sechs Monaten, sofern der Arbeitsuchende nicht den Nachweis erbringt, er suche mit begründeter Aussicht auf Erfolg weiterhin Arbeit (EuGH, Rs. C-292/89 Antonissen, Slg. 1991, I-745, Rn. 17 ff.; Rs. C-171/91 Tsiotras, Slg. 1993, I-2925, Rn. 13 f.). Das Aufenthaltsrecht des Arbeitsuchenden ist wie das des Arbeitnehmers auch ökonomisch voraussetzungslos gewährleistet. Kompensiert wird dies dadurch, dass der Arbeitsuchende keinen Inländerbehandlungsanspruch hinsichtlich sozialer Vergünstigungen gem. Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) 1612/68 (ĺSoziale Vergünstigung) genießt (EuGH, Rs. 316/85 Lebon, Slg. 1987, 2811, Rn. 25 ff.), was die Gefahr rein wohlfahrtsstaatlich motivierter Migration unter dem Deckmantel der Arbeitsuche mindert. Nach der neuen Freizügigkeitsrichtlinie 2004/ 38/EG (ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG) wird das Aufenthaltsrecht Arbeitsuchender nunmehr zwar von den ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen abhängig gemacht (Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG), gleichzeitig schließt Art. 14 Abs. 4 lit. b RL 2004/38/EG aber eine Ausweisung bei deren Nichterfüllen dann aus, wenn der Arbeitsuchende den Nachweis erbringt, weiterhin mit Aussicht auf Erfolg Arbeit zu suchen. Im Ergebnis wird damit der erwähnte, in der Rechtsprechung etablierte Sechsmonatszeitraum auf drei Monate verkürzt. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/ 38/EG schließt nunmehr ausdrücklich einen Inländerbehandlungsanspruch hinsichtlich Sozialhilfe für die Dauer der Arbeitsuche aus. Zwei jüngere im Kontext der Unionsbürgerschaft ergangene Entscheidungen des Gerichtshofs stellen den prinzipiellen Ausschluss des gleichen Zugangs Arbeitsuchender zu Sozialleistungen allerdings in Frage: Denn „[a]ngesichts der Einführung der Unionsbürgerschaft und angesichts der Auslegung, die das Recht der Unionsbürger auf Gleichbehandlung in der Rechtsprechung erfahren hat, ist es nicht mehr möglich, vom Anwendungsbereich des Artikels [39 Abs. 2 EG], der eine Ausprägung des in Artikel [12 EG] garantierten tragenden Grundsatzes der Gleichbehandlung ist, eine finanzielle Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern soll“ (EuGH, Rs. C-138/02 Collins, Slg. 2004, I-2703, Rn. 51 ff., ĺCollins-Entscheidung; Rs. C-258/04 Ioannidis, Slg. 2005, I-8275, Rn. 22, 41
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Aufenthaltsrecht ĺIoannidis-Entscheidung). Damit ist allerdings kein absoluter Inländerbehandlungsanspruch postuliert, vielmehr verbleiben den Mitgliedstaaten Spielräume bei der Ausgestaltung ihrer Sozialsysteme, die der Gerichtshof auf der Rechtfertigungsebene sichert: Es sei nämlich legitim, den Sozialleistungsanspruch EU-ausländischer Arbeitsuchender von Voraussetzungen abhängig zu machen, die eine tatsächliche Verbindung zwischen Antragsteller und betroffenem Arbeitsmarkt sicherstellen. (fw) §§: Art. 39 EG; RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/ 35; VO (EWG) 1612/68, ABl. 1968, Nr. L 257/2 (zuletzt geändert RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35) Lit.: M. Dougan, The Workseeker as Citizen, CYELS 2001, 93; E. Muir, Statut et droits du demandeur d’emploi-travailleur-citoyen: confusion ou rationalisation?, RDUE 2004, 249; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 65 f., 208 ff., 255 f., 272 ff., 364; ders., Anmerkung zu EuGH, Rs. C-258/04 – Ioannis Ioannidis, EuZW 2005, 665 Web: http://ec.europa.eu/employment_social/free_ movement/job_de.htm
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Aufenthaltsrecht free movement of workers, right of residence – libre circulation des travailleurs, droit de séjour
Gem. Art. 39 Abs. 3 lit. c EG hat jeder Arbeitnehmer (ĺArbeitnehmer, Begriff) das Recht, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben. Trotz der Einführung des seinem Wortlaut nach alle Unionsbürger berechtigenden allgemeinen Freizügigkeitsrechts (Art. 18 Abs. 1 EG; ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines) wird Art. 39 Abs. 3 lit. c EG als speziell angesehen. Das Aufenthaltsrecht des Arbeitnehmers erstreckt sich auch auf dessen Familienangehörige (ĺFreizügigkeit, Familienangehörige) und ist anders als das Aufenthaltsrecht Nichterwerbstätiger nicht von ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen abhängig. Allerdings bleibt der Aufnahmemitgliedstaat befugt, aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (ĺAusweisung) zu ergreifen. Das Aufenthaltsrecht des Arbeitnehmers steht und fällt nicht mit der Ausübung einer Beschäftigung; vielmehr steht es unter bestimmten Voraussetzungen auch Arbeitsuchenden (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Arbeitsuche), Arbeitslosen (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Arbeitslosigkeit) und aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Personen (ĺVerbleiberecht) zu. (fw) 42
§§: Art. 39 EG, RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/ 35 Lit.: F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 27 ff., 126 ff.; ders., Migration und Osterweiterung: Der unionsrechtliche Rahmen innergemeinschaftlicher Freizügigkeit, AWR-Bulletin 44 (2006) 178
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Bereichsausnahme free movement of workers, public service exception – libre circulation des travailleurs, l’exception de l’emploi dans le secteur public
Art. 39 Abs. 4 EG schließt Beschäftigungen in der öffentlichen Verwaltung vom Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus. Als Ausnahme vom Grundsatz der Freizügigkeit ist die Bereichsausnahme restriktiv auszulegen (EuGH, Rs. 66/85 Lawrie-Blum, Slg. 1986, 2121, Rn. 26; Rs. 225/85 EK/Italien, Slg. 1987, 2625, Rn. 7; Rs. C-405/01 Colegio de Oficiales, Slg. 2003, I-10391, Rn. 41). Anders als dies der Wortlaut und ein Umkehrschluss zu Art. 45 Abs. 1 EG nahe legen könnte, ist im Interesse der einheitlichen und effektiven Anwendung des Unionsrechts keine institutionelle, sondern eine funktionale Betrachtung anzustellen (EuGH, Rs. 149/79 EK/Belgien I, Slg. 1980, 3881, Rn. 11 ff.). Demnach bezieht sich der Ausschluss auf Tätigkeiten, „die eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind“ (EuGH, Rs. 149/79 EK/Belgien I, a.a.O. Rn. 10; s.a. Rs. 149/79 EK/Belgien II, Slg. 1982, 1845, Rn. 7; Rs. 307/84 EK/Frankreich, Slg. 1986, 1725, Rn. 12; 66/85, a.a.O. Rn. 27; Rs. C-47/02 Anker u.a., Slg. 2003, I-10477, Rn. 58). Denn solche Stellen setzten eine besondere Verbundenheit des Beschäftigten mit dem Staat voraus, die auf der Staatsangehörigkeit beruhe (EuGH, Rs. 149/ 79 EK/Belgien I, a.a.O. Rn. 10). Unschädlich ist, wenn die Tätigkeit nur unregelmäßig und zu einem unerheblichen Teil mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verbunden ist (für Kapitäne: EuGH, Rs. C-405/01, a.a.O. Rn. 44; Rs. C-47/02, a.a.O. Rn. 63; für Lehrer: Rs. 66/85, a.a.O. Rn. 27 f.). Die Bereichsausnahme greift schließlich nur hinsichtlich des Zugangs zu einer Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung. Nach erfolgter Einstellung kann der Aufnahmemitgliedstaat einem EU-Ausländer die Vergünstigungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit, wie etwa den Gleichbehandlungsanspruch,
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Diskriminierungsverbot nicht unter Berufung auf Art. 39 Abs. 4 EG vorenthalten (EuGH, Rs. 152/73 Sotgiu, Slg. 1974, 153, Rn. 4; Rs. C-195/98 Österreichischer Gewerkschaftsbund, Slg. 2000, I-10497, Rn. 37). (fw) §§: Art. 39 Abs. 4 EG Lit.: J. E. Beenen, Citizenship, Nationality and Access to Public Service Employment. The Impact of European Community Law, 2001; M. Henssler/M. Kilian, Die Ausübung hoheitlicher Gewalt i.S.d. Art. 45 EG, EuR 2005, 192; T. Schotten, Die Auswirkungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf den Zugang zum öffentlichen Dienst in der Bundesrepublik Deutschland, 1994; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 62 f.
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Beschränkungsverbot free movement of workers, restrictions to the free movement of workers – libre circulation des travailleurs, entraves à la libre circulation des travailleurs
Wie weit der Gewährleistungsgehalt der Arbeitnehmerfreizügigkeit jenseits des Gebots der Inländerbehandlung reicht, ist umstritten. Diese Kontroverse wird herkömmlich am Begriffspaar die Grundfreiheiten als (nur) „Diskriminierung-“ oder (auch) „Beschränkungsverbote“ aufgehängt. Schon früh zeichnete sich in der Rechtsprechung des EuGH zu den Personenverkehrsfreiheiten ab, dass er diese über Inländerbehandlungsgebote hinaus versteht. So hat er ihnen etwa die Pflicht entnommen, im Ausland durch Inländer erworbene akademische Abschlüsse und sonstige Befähigungsnachweise grundsätzlich anzuerkennen (EuGH, Rs. 115/ 78 Knoors, Slg. 1979, 399; Rs. 136/78 Auer, Slg. 1979, 437; Rs. 246/80 Broekmeulen, Slg. 1981, 2311; Rs. C-61/89 Bouchoucha, Slg. 1990, I-3551; Rs. C-19/92 Kraus, Slg. 1993, I-1663; Rs. C-285/ 01 Burbaud, Slg. 2003, I-8219; ĺAnerkennung, akademische; ĺAnerkennung, berufliche). Da diese Sachverhalte immer noch als Diskriminierungen zu deuten waren – wenn auch nur mittels einer Erweiterung der verbotenen Differenzierungskriterien von der Staatsangehörigkeit auf die Ausübung des Freizügigkeitsrechts –, war lange Zeit umstritten, ob die Grundfreiheiten auch eine freiheitsrechtliche Komponente aufweisen, d.h. auch Mobilitätshindernisse erfassen, die Sachverhalte mit Auslandsbezug genauso wie rein inländische Sachverhalte treffen. Mit seiner Entscheidung in der Rs. Bosman (EuGH, Rs. C-415/93 Bosman, Slg. 1995, I-4921; ĺBosman-Entscheidung; s. ferner EuGH, Rs. C-190/98 Graf, Slg. 2000, I-493; Rs. C-176/96 Lehtonen, Slg. 2000, 2681) hat der Gerichtshof
dies bejaht; das Urteil selbst erklärte eine Transferentschädigung bei einem Wechsel des Fußballvereins für mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit unvereinbar. Nicht hinreichend geklärt ist bislang, wann eine nationale Maßnahme als Beeinträchtigung der transnationalen Mobilität (Beschränkung) zu qualifizieren ist. Der Rechtsprechung ist lediglich zu entnehmen, dass die Beeinträchtigung Einfluss auf den Zugang zu einer Beschäftigung haben muss (EuGH, Rs. C-415/93, a.a.O. Rn. 102 f.; C-190/98, a.a.O. Rn. 21 ff.). Dies kann auch aus den Modalitäten der Ausübung der Beschäftigung resultieren (EuGH, Rs. C-464/02 EK/Dänemark, Slg. 2005, I-7929, Rn. 34 ff.). Schließlich erfasst das Beschränkungsverbot keine zu ungewissen und indirekten Hindernisse für die Arbeitnehmerfreizügigkeit (EuGH, Rs. C-190/98, a.a.O. Rn. 25). Beschränkungen der transnationalen Mobilität sind freilich einer Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechend der sog. Gebhard-Formel zugänglich: „[N]ationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, [müssen] vier Voraussetzungen erfüllen ... : Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.“ (EuGH, Rs. C-55/94 Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37; ĺGebhard-Entscheidung; bekräftigt in EuGH, Rs. C-415/93, a.a.O. Rn. 104). (fw) §§: Art. 39 EG Lit.: G. Davies, Nationality Discrimination in the European Internal Market, 2003; T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999; ders., Grundfreiheiten, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 631; A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung. Grundansätze einer einheitlichen Dogmatik der wirtschaftlichen Grundfreiheiten des EG-Vertrages, 2004; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 41 ff.
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Diskriminierungsverbot ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung 43
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Drittwirkung Arbeitnehmerfreizügigkeit, Drittwirkung ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Verpflichtete Arbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung free movement of workers, national treatment – libre circulation des travailleurs, traitement national
Die Arbeitnehmerfreizügigkeit verleiht dem EUausländischen Arbeitnehmer einen weit reichenden Anspruch auf Inländerbehandlung. Sie verlangt nach Art. 39 Abs. 2 EG „die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen“ und „gibt – vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen – den Arbeitnehmern das Recht, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben“ (Art. 39 Abs. 3 lit. c EG). Sekundärrechtlich näher ausgestaltet wird dieser Inländerbehandlungsanspruch des Arbeitnehmers in der VO (EWG) 1612/68 vom 15.10. 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Diese erstreckt ihn auf den Zugang zu und die Ausübung einer Beschäftigung einschließlich der Stellensuche (Art. 1 ff.), die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen (insbesondere Entlohnung, Kündigung und im Falle der Arbeitslosigkeit berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, Art. 7 Abs. 1), soziale (ĺSoziale Vergünstigung) und steuerliche Vergünstigungen (Art. 7 Abs. 2), den Besuch von Berufsschulen und Umschulungszentren (Art. 7 Abs. 3), die Mitgliedschaft in Gewerkschaften (Art. 8) und den Zugang zu Wohnungen (Art. 9). Gem. Art. 7 Abs. 4 führen entsprechende Verstöße zur Nichtigkeit von Tarif- und Individualarbeitsverträgen („Alle Bestimmungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen oder sonstigen Kollektivvereinbarungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Entlohnung und allen übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen sind von Rechts wegen nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen.“). Ungeachtet des beschäftigungsbezogenen Wortlauts dieser primär- und sekundärrechtlichen Diskriminierungsverbote hat sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein weit über die 44
Erwerbssphäre hinausgehender Inländerbehandlungsanspruch entwickelt. Dieser ist nicht nur Konsequenz einer weiten Auslegung des Begriffs „soziale Vergünstigung“ i.S.d. Art. 7 Abs. 2 (ĺSoziale Vergünstigung), sondern resultiert auch aus thematisch umfassend verstandenen primärrechtlichen Diskriminierungsverboten. So hat der EuGH Aspekte des Privat- und Soziallebens, wie die Registrierung von Sportbooten, als „Folgeerscheinung der Freizügigkeit“ unter Art. 39 Abs. 2 EG subsumiert (EuGH, Rs. C-334/94 EK/Frankreich, Slg. 1996, I-1307, Rn. 20 ff.; Rs. C-151/96 EK/Irland, Slg. 1997, I-3327, Rn. 13 ff.). Im Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass der EU-ausländische Arbeitnehmer von einem tatbestandlich nahezu umfassen Anspruch auf Inländerbehandlung profitiert (anerkannte Ausnahmen: Zugang zu einer Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung, Art. 39 Abs. 4 EG ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Bereichsausnahme; Wahlrecht jenseits der kommunalen Ebene, Art. 19 Abs. 1 EG e contrario ĺKommunalwahlrecht). Diese speziellen Inländerbehandlungsansprüche des Arbeitnehmers gehen dem in Art. 24 RL 2004/38/EG kodifizierten unionsbürgerlichen Diskriminierungsverbot (ĺUnionsbürger, Inländerbehandlung) als leges speciales vor. Auch die Familienangehörigen des Wanderarbeitnehmers profitieren von einem weit reichenden Inländerbehandlungsanspruch (ĺFamilienangehörige, Inländerbehandlung). Das Diskriminierungsverbot der Arbeitnehmerfreizügigkeit erfasst offene und versteckte Diskriminierungen. Erstere knüpfen unmittelbar an die Staatsangehörigkeit an (ĺDiskriminierung, offene), letztere an ein das Merkmal der Staatsangehörigkeit vertretendes Differenzierungskriterium (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung, mittelbare Diskriminierung; ĺDiskriminierung, versteckte ĺDiskriminierung, mittelbare). Offene Diskriminierungen können gem. Art. 39 Abs. 3 EG nur bei Vorliegen einer der ausdrücklich vertraglich vorgesehenen Ausnahmen gerechtfertigt werden (EuGH, Rs. C-388/01 EK/Italien, Slg. 2003, I-721, Rn. 19), d.h. aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit; bei mittelbaren Diskriminierungen existieren darüber hinaus ungeschriebene Rechtfertigungsgründe (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung, mittelbare Diskriminierung). (fw) §§: Art. 39 EG; VO (EWG) 1612/68, ABl. 1968, Nr. L 257/2 (zuletzt geändert RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35)
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung, mittelbare Diskriminierung Lit.: G. Davies, Nationality Discrimination in the European Internal Market, 2003; A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung. Grundansätze einer einheitlichen Dogmatik der wirtschaftlichen Grundfreiheiten des EG-Vertrages, 2004; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 31 ff.
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung, mittelbare Diskriminierung free movement of workers, national treatment, indirect discrimination – libre circulation des travailleurs, traitement national, discrimination indirecte
Die Arbeitnehmerfreizügigkeit verlangt „die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten“ (Art. 39 Abs. 2 EG). Offensichtlich von diesem Diskriminierungsverbot (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung) erfasst sind nationale Vorschriften, die ausländische und inländische Arbeitnehmer unterschiedlich behandeln und dabei ausdrücklich an das Differenzierungsmerkmal „Staatsangehörigkeit“ anknüpfen (sog. offene bzw. unmittelbare Diskriminierungen; ĺDiskriminierung, offene). Eine Diskriminierung kann aber auch aus Regelungen resultieren, die zwar nicht explizit auf die Staatsangehörigkeit des Arbeitnehmers abstellen, im Ergebnis aber eine Schlechterstellung ausländischer gegenüber inländischen Arbeitnehmern bewirken (sog. versteckte oder mittelbare Diskriminierungen; ĺDiskriminierung, versteckte ĺDiskriminierung, mittelbare). Ein Beispiel für letzteres wäre das Erfordernis eines Wohnsitzes oder einer bestimmten Wohnsitzdauer im Inland, da dieses an und für sich neutrale Kriterium Inländer regelmäßig leichter als Ausländer erfüllen (EuGH, Rs. C-388/01 EK/ Italien, Slg. 2003, I-721, Rn. 14). Dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit beide Formen der Diskriminierung erfasst, unterstreicht bereits Art. 3 Abs. 1 der VO (EWG) 1612/68 vom 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Dieser untersagt nämlich sowohl „Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder Verwaltungspraktiken eines Mitgliedstaats, die das Stellenangebot und das Arbeitsgesuch, den Zugang zur Beschäftigung und deren Ausübung durch Ausländer einschränken oder von Bedingungen abhängig machen, die für Inländer nicht gelten“, als auch nationale Maßnahmen, „die, ohne auf die Staatsangehörigkeit abzustellen, ausschließlich oder hauptsächlich bezwecken oder bewir-
ken, daß Angehörige der übrigen Mitgliedstaaten von der angebotenen Stelle ferngehalten werden“. Dieses weite Verständnis des Diskriminierungsbegriffs bestimmt auch die Auslegung der primär- und sekundärrechtlichen Diskriminierungsverbote in der Rechtsprechung des Gerichtshofs (erstmals EuGH, Rs. 152/73 Sotgiu, Slg. 1974, 153, Rn. 11). Zum Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung hielt der EuGH in seinem Urteil in der Rs. O’Flynn vom 23.5. 1996 (EuGH, C-237/94 O’Flynn, Slg. 1996, I2617, Rn. 17 ff.) zusammenfassend fest: „Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes verbietet der ... Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen ... Als mittelbar diskriminierend sind daher Voraussetzungen des nationalen Rechts anzusehen, die zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten, aber im Wesentlichen ... oder ganz überwiegend ... Wanderarbeitnehmer betreffen, sowie unterschiedslos geltende Voraussetzungen, die von inländischen Arbeitnehmern leichter zu erfüllen sind als von Wanderarbeitnehmern ... Eine mittelbare Diskriminierung ist auch in Voraussetzungen zu sehen, bei denen die Gefahr besteht, daß sie sich besonders zum Nachteil von Wanderarbeitnehmern auswirken.“ Maßgeblich ist demnach, ob sich die nationale Regelung „ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, daß sie Wanderarbeitnehmer besonders benachteiligt“. Allerdings stellt der EuGH keine strengen Anforderungen an den Nachweis der diskriminierenden Wirkung. Denn es „braucht nicht festgestellt zu werden, daß die in Rede stehende Vorschrift in der Praxis einen wesentlich größeren Anteil der Wanderarbeitnehmer betrifft. Es genügt die Feststellung, daß die betreffende Vorschrift geeignet ist, eine solche Wirkung hervorzurufen.“ Anders als offene Diskriminierungen, die gem. Art. 39 Abs. 3 EG nur bei Vorliegen einer der ausdrücklich vertraglich vorgesehenen Ausnahmen gerechtfertigt werden können (EuGH, Rs. C-388/01 EK/Italien, Slg. 2003, I-721, Rn. 19), d.h. aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, greifen bei versteckten Diskriminierungen auch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe. Es reicht nämlich aus, 45
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Übergangsvorschriften wenn die beanstandeten Maßnahmen „durch objektive, von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer unabhängige Erwägungen gerechtfertigt sind und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stehen, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird“ (EuGH, C-237/94, a.a.O. Rn. 19). (fw) §§: Art. 39 EG; VO (EWG) 1612/68, ABl. 1968, Nr. L 257/2 (zuletzt geändert RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35) Lit.: G. Davies, Nationality Discrimination in the European Internal Market, 2003; N. Görlitz, Struktur und Bedeutung der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung im System der Grundfreiheiten, 2003; A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung. Grundansätze einer einheitlichen Dogmatik der wirtschaftlichen Grundfreiheiten des EG-Vertrages, 2004; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 39 ff.
Arbeitnehmerfreizügigkeit, Übergangsvorschriften ĺPersonenverkehrsfreiheiten, Übergangsvorschriften Arbeitnehmerfreizügigkeit, Verbleiberecht ĺVerbleiberecht Arbeitnehmerfreizügigkeit, Verpflichtete Scope of free movement of workers – libre circulation des travailleurs, champ d’application
Entsprechend der historischen Zielsetzung der Marktfreiheiten, staatliche Mobilitätshindernisse abzubauen, verpflichtet die Arbeitnehmerfreizügigkeit zunächst die Mitgliedstaaten mit ihren Untergliederungen. Dabei liegt dem Unionsrecht ein autonomer „Staatsbegriff“ zugrunde. Auch nach dem nationalen Staats- und Verwaltungsorganisationsrecht der gesellschaftlichen Sphäre zuzuordnende Einrichtungen können dem Mitgliedstaat unter in der Rechtsprechung des EuGH näher konkretisierten Voraussetzungen zuzurechnen sein. Maßgeblich sind staatliche Einflussmöglichkeiten, etwa in Gestalt überwiegender Finanzierung oder der Bestellung von Leitungs- und Aufsichtsgremien (EuGH, Rs. 71/76 Thieffry, Slg. 1977, 765, Rn. 15/18; Rs. 249/81 EK/Irland [Buy Irish], Slg. 1982, 4005, Rn. 15; verb. Rs. 266 und 267/87 Royal Pharmaceutical Society, Slg. 1989, 1295, Rn. 14 ff.; Rs. C-325/00 EK/Deutschland [CMA], Slg. 2002, I-9977, Rn. 18; F. Wollenschläger, 46
NVwZ 2007, 388 [389 f.]). Grundsätzlich anerkannt ist ferner eine Bindung auch der Gemeinschaft an die Grundfreiheiten (EuGH, Rs. 15/83 Denkavit, Slg. 1984, 2171, Rn. 15; verb. Rs. C154 und 155/04 Alliance for Natural Health u.a., Slg. 2005, I-6451, Rn. 47; beide zur Warenverkehrsfreiheit). Der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat der Gerichtshof darüber hinaus eine „unmittelbare Drittwirkung“ zugesprochen, d.h. sie verpflichtet auch Private. Entschieden hat der Gerichtshof dies zunächst in den Rs. Walrave (Rs. 36/74, Slg. 1974, 1405) und Bosman (Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Rn. 82 ff.) für arbeitsrechtliche Kollektivmaßnahmen; in der Rs. Angonese hat er auch Individualarbeitgeber in den Kreis der Verpflichteten einbezogen (Rs. C-281/98, Slg. 2000, I-4139, Rn. 29 ff.). Auch das Sekundärrecht der Arbeitnehmerfreizügigkeit bezieht Private in ihren Adressatenkreis ein: Gem. Art. 7 Abs. 4 VO (EWG) 1612/68 sind „[a]lle Bestimmungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen oder sonstigen Kollektivvereinbarungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Entlohnung und allen übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen ... von Rechts wegen nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen.“ (fw) §§: Art. 39 EG; VO (EWG) 1612/68, ABl. 1968, Nr. L 257/2 (zuletzt geändert RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35) Lit.: T. O. Ganten, Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000; R. Graber, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2002; K. Preedy, Die Bindung Privater an die europäischen Grundfreiheiten, 2005; R. Streinz/S. Leible, Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, EuZW 2000, 459
Arbeitnehmergrundrechte worker’s rights – droits des travailleurs
Die ĺGRC enthält unter dem Titel „Solidarität“ u.a. (ĺsoziale) ĺGrundrechte der Arbeitnehmer (Art. 27 ff. GRC/Art. II-87 ff. EVV). Die Gewährleistungen zum kollektiven Arbeitsrecht entsprechen allerdings eher ĺGrundsätzen als Grundrechten. Gewährleistungen zum Individualarbeitsrecht (Zugang zum Arbeitsvermittlungsdienst, Entlassungsschutz, Garantie von Arbeitsbedingungen) sind eher echte Grundrechte. Ebenfalls echte Grundrechte dürften ein Kinderarbeitsverbot und Jugendarbeitsschutzgarantien (Art. 32 GRC/Art. II-92 EVV) sein. (ed) §§: Art. 27 ff. GRC/Art. II-87 ff. EVV
Arbeitsrecht, religionsgemeinschaftliches Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 29 f.; E. Riedel, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 27; W. Frenz/V. Götzkes, Ein europäisches Grundrecht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung im Unternehmen? Zur rechtsdogmatischen Einordnung von Art. 27 EGRC, RdA 2007, 216
Arbeitsgemeinschaft ĺWirtschaftsteilnehmer Arbeitskampf (IPR) industrial action (PIL) – grève et lock out (DIP)
Die ĺRom II VO enthält eine ausdrückliche Bestimmung darüber, nach welchem Recht allfällige Schadenersatzansprüche aus Arbeitskampfmaßnahmen zu beurteilen sind. Gem. Art. 8 ist das Recht jenes Landes maßgeblich, in dem die Arbeitskampfmaßnahme erfolgt ist oder erfolgen soll. (js) §§: VO (EG) 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. 2007, Nr. 199/40, Art. 9 Lit.: G. Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1 (10)
Arbeitslosigkeit ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Arbeitslosigkeit Arbeitsrecht ĺFreizügigkeit; ĺDiskriminierung; ĺDiskriminierungsverbot Arbeitsrecht, kirchliches ĺArbeitsrecht, religionsgemeinschaftliches Arbeitsrecht, religionsgemeinschaftliches religious labor law – droit du travail religieux
Die Einwirkungen des Europarechts auf das religionsgemeinschaftliche Arbeitsrecht bilden den Bereich des ĺReligionsrechts mit der höchsten Praxisrelevanz. Die Religionsgemeinschaften genießen in ihrer Rolle als Dienstherren und Arbeitgeber einen – in der Bundesrepublik Deutschland etwa über Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 GG mit der Garantie der autonomen Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten verfassungsrechtlich garantierten – religiösen Tendenzschutz. Die Beschäftigung von Beamten und Arbeitnehmern zur Erfüllung des religionsgemeinschaftlichen Auftrages ist danach Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts und partizipiert an der korporativen Religionsfreiheit (ĺReligion, Religionsfreiheit).
Die Religionsgemeinschaften können die Rechtsstellung ihrer Beschäftigten prinzipiell in zweifacher Weise gestalten: zum einen können sie (soweit sie körperschaftlich als juristische Personen des öffentlichen Rechts verfasst sind) ein autonomes Beamten- und Dienstrecht entwickeln; zum anderen können sie die Rechtsformen des staatlichen Arbeitsrechts nutzen. Diese werden unter Anerkennung des religionsgemeinschaftlichen Selbstbestimmungsrechts überformt. Wesentliche Ausprägungen im Individualarbeitsrecht sind besondere Loyalitätsobliegenheiten der Arbeitnehmer. So haben die christlichen Kirchen mit dem Leitbild der kirchlichen Dienstgemeinschaft die Eigenart ihres Dienstes umschrieben und damit Grundverpflichtungen ihrer Arbeitnehmer statusbezogen und gestuft konkretisiert. Je nach Beschäftigungsverhältnis reichen diese Bindungen vom reinen Verbot, sich nicht öffentlich durch sein Verhalten zum Auftrag des jeweiligen Tendenzbetriebes in Widerspruch zu setzen, bis hin zum Erfordernis des geteilten Bekenntnisses, d.h. der Kirchenmitgliedschaft. Im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts haben die christlichen Großkirchen zudem ein autonomes Mitarbeitervertretungsrecht etabliert. Auch die Reichweite der Koalitionsfreiheit und damit der Betätigung der Gewerkschaften wird partiell vom besonderen religiösen Tendenzschutz überlagert. Dies gilt vor allem für die Regelung der kollektiv-arbeitsrechtlichen Normsetzung. Hier haben die christlichen Kirchen mit dem sog. „Dritten Weg“ ein Arbeitsrechtsregelungsverfahren als kircheneigene Ausprägung der Koalitionsverfahrensgarantie entwickelt. Im europäischen Normsetzungsprozess findet dieser spezifische religiöse Tendenzschutz erst relativ spät Berücksichtigung. Seine Fundamentierung im religiösen Selbstbestimmungsrecht und dessen grundrechtliche Absicherung in der korporativen Religionsfreiheit (ĺReligion, Religionsfreiheit) ist in der Rechtsprechung des EuGH und im Bewusstsein der Rechtsetzungsorgane noch immer nicht hinreichend präsent. Die Absicherung des religiösen Tendenzschutzes erfolgt – für das ĺReligionsrecht typisch – vor allem auf der Ebene des Sekundärrechts durch Berücksichtigungs- oder Exemtionsklauseln. In RL 93/104/EG zur Arbeitszeitgestaltung wird darauf hingewiesen, dass „der Unterschiedlichkeit der kulturellen, ethnischen, religiösen und anderen Faktoren hinreichend Rechnung zu tragen ist“. Auch die auf Art. 13 EG gestützte RL 2000/78/EG zur Verwirklichung der Gleich47
Arbeitssprache behandlung in Beschäftigung und Beruf enthält eine entsprechende Ausnahmevorschrift (ĺDiskriminierung aufgrund Religion). Die Mitgliedstaaten können nach Art. 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 der RL „in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht“, also: Bestimmungen beibehalten oder zukünftig vorsehen, „die bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln und wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Eine solche Ungleichbehandlung muss die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten sowie die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten und rechtfertigt keine Diskriminierung aus einem anderen Grund.“ Art. 4 Abs. 2 Satz 3 RL 2000/78 sichert den „Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, im Einklang mit den einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Rechtsvorschriften von den für sie arbeitenden Personen verlangen“ zu können, „dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten“. Die hier exemplarisch wiedergegebene Berücksichtigungsklausel zeigt eine erhebliche – insoweit typische – Unschärfe und Unbestimmtheit. Nicht zuletzt deshalb ist die europarechtlich geforderte Zurückführbarkeit der besonderen Loyalitätspflichten und Anforderungen des Tendenzschutzes auf das jeweilige „Ethos“ der Organisation mit einem erheblichen Druck auf die Tendenzträger verbunden, in Binnenrechtssätzen – wie Grundordnungen – zu konkretisieren und sicherzustellen. Die Unschärfe der sekundärrechtlichen Berücksichtigungs- und Ausnahmeklauseln lässt Raum für eine am europäischen Grundrecht der Religionsfreiheit orientierte Auslegung und Anwendung. Grundsätzlich aber ist das religionsgemeinschaftliche Arbeitsrecht auch mit dem Antidiskriminierungsrecht zu vereinbaren. (md) §§: Art. 13 EG; RL 2000/78/EG Lit.: A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, §§ 21, 40; P. Hanau/G. Thüsing,
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Europarecht und kirchliches Arbeitsrecht, 2001; D. Kehlen, Europäische Antidiskriminierung und kirchliches Selbstbestimmungsrecht, 2003; C. Link, Antidiskriminierung und kirchliches Arbeitsrecht, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 50 (2005) 403 ff.; G. Müller-Volbehr, Europa und das Arbeitsrecht der Kirchen, 1999; H. Reichegger, Die Auswirkungen der RL 2000/78/EG auf das kirchliche Arbeitsrecht, 2005; R. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 4. Aufl. 2003; D. Schäfer, Das kirchliche Arbeitsrecht in der europäischen Integration, 1997; M. Triebel, Das europäische Religionsrecht am Beispiel der arbeitsrechtlichen Anti-Diskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG, 2005
Arbeitssprache ĺEuGH und EuG I, Sprache Arbeitsuche ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Arbeitsuche Arbeitsvertrag (IPR) employment contract (PIL) – contrat de travail (DIP)
Arbeitsverträge mit Auslandsbezug sind hinsichtlich des anzuwendenden Rechts in Art. 6 ĺEVÜ geregelt. Danach unterliegen sie grundsätzlich dem Recht des Ortes, an dem die Arbeitstätigkeit ausgeführt wird. Die ĺRechtswahlfreiheit ist zu Gunsten zwingender arbeitsrechtlicher Bestimmungen beschränkt. Es gilt das ĺGünstigkeitsprinzip. Der Arbeitnehmerbegriff des Art. 6 EVÜ ist autonom auszulegen (ĺeinheitliche Auslegung, im IPR). Sonderregeln gelten für die Arbeitnehmerentsendung im Anwendungsbereich der EntsendeRL (RL 1996/ 71/EG, ABl. 1997 Nr. 18/1). (js) §§: Art. 6 ĺEVÜ Lit.: Bericht über das EVÜ von M. Giuliano/P. Lagarde, ABl. 1980, Nr. C 282/1, Anmerkungen zu Art. 6; B. Verschraegen, in: P. Rummel (Hrsg.), ABGB Kommentar I/6, 3. Aufl. 2004, Art. 6 EVÜ Web: Der in Lit. erwähnte Bericht von M. Giuliano/P. Lagarde ist abrufbar unter: http://www.romeconvention.org
Arbeitszeit, Seeleute working time of seafarers – temps de travail des gens de mer
Eine Regelung erfolgt durch zwei RL („Sozialmaßnahmen“): ƒ Zum einen existiert die RL 1999/63/EG zu der vom Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (European Community Shipowners’ Association ECSA) und dem Verband der Verkehrsgewerkschaften in der Europäischen Union (Federation of Transport Workers’ Unions in the European Union FST) getroffenen Vereinbarung über die Regelung
Ariane der Arbeitszeit von Seeleuten (ABl. 1999, Nr. L 167/33), die unter anderem Mindeststandards für Arbeitszeiten von Seeleuten regelt. Sie dient der Durchführung der am 30.9.1998 zwischen den Sozialpartnern im Seeverkehr (ECSA und ƒ FST) geschlossenen Vereinbarungen über die Regelung der Arbeitszeit von Seeleuten). Die Mitgliedstaaten können günstigere Bestimmungen ƒ beibehalten oder einführen, als sie in der RL vorgesehen sind. ƒ Zum anderen soll mit der RL 1999/95/EG zur Durchsetzung der Arbeitszeitregelung für Seeleute an Bord von Schiffen, die Gemeinschaftshäfen anlaufen (ABl. 2000, Nr. L 14/29) ein System geschaffen werden, mit dem die Einhaltung der RL 1999/63/EG durch Schiffe, die Häfen der Mitgliedstaaten anlaufen, überprüft und kontrolliert werden soll, um die Sicherheit auf See, die Arbeitsbedingungen und die Gesundheit und Sicherheit von Seeleuten an Bord von Schiffen zu verbessern. Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, damit die Schiffe, die nicht in ihrem Gebiet registriert sind oder nicht unter ihrer Flagge fahren, die im Anhang der RL 1999/63/EG enthaltenen Paragraphen 1 bis 12 der Vereinbarung einhalten. Gem. dieser RL können Interessierte (z.B. Besatzungsmitglieder, Berufsorganisationen, Verbände oder Gewerkschaften) Beschwerden einreichen, die an die Regierung des Flaggenstaats weitergegeben werden. Ergibt die Überprüfung des Schiffes entsprechende Beweise, haben die MS erforderliche Maßnahmen einzuleiten, um eindeutige Gefahren für Sicherheit oder Gesundheit der Besatzung zu verhindern. (sm) Arbeitszeiten, Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports working time (mobile road transport activities) – temps de travail (activités mobiles de transport routier)
Die RL 2002/15/EG (ABl. 2002, Nr. L 80/35) zur Regelung der Arbeitszeiten von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßenverkehrs ausüben ist eine personenbezogene Harmonisierungsmaßnahme (ĺVerkehrsrecht, personenbezogene Harmonisierung). Sie stellt eine Ergänzung zur VO (EWG) 3820/85 dar, da diese ĺLenk- und Ruhezeiten nur für solche Arbeitsvorgänge enthält, die als Lenkzeit abzubuchen sind. Auf Grundlage der RL 2002/15/EG werden somit auch nicht von der VO (EWG) 3820/
85 erfassten Personen und Tätigkeiten durch eine ganzheitliche Arbeitszeitregelung erfasst. Die RL gilt für das Fahrpersonal von Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, das im Straßenverkehr im Sinne der VO (EWG) 3820/ 85 oder ansonsten des AETR-Übereinkommens tätig ist. Die wöchentliche Arbeitszeit wird auf einen bestimmten Maximalwert festgesetzt. Ruhepausen sind vorzusehen; für Nachtarbeit gelten besondere Vorschriften. (sm) Arcaro-Entscheidung Arcaro case – jurisprudence Arcaro
In diesem Urteil (Rs. C-168/95, Slg. 1996, I-4705) hat der EuGH am Beispiel der RL 76/464 betreffend die Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in die Gewässer der Gemeinschaft, ABl. 1976, Nr. L 129/ 23, Grenzen der ĺrichtlinienkonformen Auslegung aufgezeigt. Die Verpflichtung der nationalen Behörden, bei der Auslegung des nationalen Rechts auf den Inhalt und die Ziele der ĺRichtlinien abzustellen, findet dort ihre Grenzen, wo eine solche Auslegung dazu führt, dass einem Einzelnen eine in einer nicht umgesetzten RL normierte Verpflichtung entgegengehalten wird (Verbot der umgekehrt vertikalen Richtlinienwirkung, s.a. ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung) ; dies muss umso mehr gelten, wenn die richtlinienkonforme Auslegung dazu führt, dass auf der Grundlage der RL und in Ermangelung eines zu ihrer Umsetzung erlassenen Gesetzes die strafrechtliche Verantwortlichkeit desjenigen verschärft wird, der gegen die Richtlinienbestimmung (hier: bewilligungslose Ableitung von Cadmium in Oberflächengewässer) verstoßen hat. Eine RL kann demnach für sich allein und unabhängig von den zu ihrer Durchführung erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates nicht die Wirkung haben, die strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen, die gegen sie verstoßen, festzulegen oder zu verschärfen. (zc) Web: http://curia.europa.eu/
Ariane Ehemaliges Kulturförderprogramm der EU bis zum Jahr 1999. Ziel war die Förderung der Kulturbereiche Buch und Lesen mit den Schwerpunkten Übersetzung von literarischen Werken, Theaterstücken und Nachschlagewerken, Kooperationsprojekte zur Förderung des Zugangs 49
Arion der Bürger zum Buch und zum Lesen und Fortbildung von Fachkräften, die in Einrichtungen zur Förderung der gegenseitigen Kenntnis und der Verbreitung europäischer Literatur tätig waren. Bevorzugt gefördert wurden die weniger verbreiteten europäischen Sprachen. (cd) Web: http://www2.tu-berlin.de/zuv/IIIC/foerder/iff/ iff8-024.htm#Heading22
Arion ĺBildungsprogramme Armenien Armenia – Armenie
S. ĺPartnerschafts- und Kooperationsabkommen. (bb) §§: ABl. 1999, Nr. L 239/1 (in Kraft seit 1.7.1999) Web: http://ec.europa.eu/comm/external_relations/ ceeca/pca/pca_armenia.pdf
Armutsbedingte Krankheiten poverty diseases – maladies dues à la pauvreté
Die auf Art. 179 EG gestützte VO (EG) 1568/ 2003 über die Bekämpfung armutsbedingter Krankheiten (HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria) in ĺEntwicklungsländern (ABl. 2003, Nr. L 224/7) ist Teil der Politik der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit (Art. 177 EG). Sie legt die Grundlagen für die Bewilligung von entsprechenden zweckgebundenen Finanzhilfen an Entwicklungsländer. (gär) §§: VO (EG) 1568/2003
Artenbezogene Regelungen, Naturschutz provisions relating to species, nature conservation – dispositions relatives aux espèces, protection de la nature
ĺNaturschutz (Regelungsansätze). Am bedeutendsten ist die VO (EG) 338/97, die Regelung des Handels mit bedrohten Tier- und Pflanzenarten enthält. Inhaltlich wird das Washingtoner Artenschutzabkommen von 1973 für anwendbar erklärt. Die Vorschriften enthalten insbesondere Einfuhr- und Ausfuhrkontrollen sowie Verkaufsverbote. Zur Durchführung jener VO erging die VO (EG) 939/97, die nähere Bestimmungen über die zu verwendenden Dokumente und die Kennzeichnung von Exemplaren enthält, sowie bestimmte Begriffe näher definiert. Mit der VO (EG) 2473/98 setzte die ĺKommission die Einfuhr von Exemplaren der im Anhang aufgeführten Arten generell 50
bzw. nach Ursprungsländern aus. Für besondere Tierarten bestehen Sondervorschriften. Allgemein ruht durch das gemeinschaftliche Artenschutzrecht auf zwei Säulen: Zum einen wird versucht, den direkten Zugriff auf Tiereund Pflanzenarten durch den Erlass von Jagd-, Fang-, Tötungs-, Naturentnahme- und Störungsverboten, zum anderen durch Besitz-, Handels-, Transport- und Vermarktungsregelungen einzudämmen. Die Umsetzung eines Konzepts des umfassenden Artenschutzes erfolgte zunächst in RL 79/409/EWG über die Erhaltung wildlebender Vögel (ĺVogelschutzrichtlinie). Diese beinhaltet Schutzbestimmungen für die Habitate besonders gefährdeter Vogelarten, die Begrenzung der Zahl der handel- und jagdbaren Arten, verbietet bestimmte Fangmethoden und regelt die Jagdzeiten. Auch die ĺFauna-FloraHabitatRL (FFHRL, RL 92/43/EWG) sieht in den Art. 12 ff. und den Anhängen IV f. ähnliche Bestimmungen vor. Ergänzend ist noch auf das Übereinkommen zum Schutz der Alpen zu verweisen (ABl. 1996, Nr. L 61/31). (sm) Lit.: J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 403 ff.; M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 11, Rn. 17 ff.
Artikel 133 EG-Vertrag Article 133 EC Treaty – Article 133 TCE
Art. 133 EG nimmt die grundlegende Kompetenzzuweisung für die gemeinsame europäische Handelspolitik vor. Er gibt der Europäischen Union die Kompetenz, Handelsabkommen auszuhandeln und diese zu implementieren: Art. 133 (1) Die gemeinsame Handelspolitik wird nach einheitlichen Grundsätzen gestaltet; dies gilt insbesondere für die Änderung von Zollsätzen, den Abschluss von Zoll- und Handelsabkommen, die Vereinheitlichung der Liberalisierungsmaßnahmen, die Ausfuhrpolitik und die handelspolitischen Schutzmaßnahmen, zum Beispiel im Fall von Dumping und Subventionen. (2) Die Kommission unterbreitet dem Rat Vorschläge für die Durchführung der gemeinsamen Handelspolitik. (3) Sind mit einem oder mehreren Staaten oder internationalen Organisationen Abkommen auszuhandeln, so legt die Kommission dem Rat Empfehlungen vor; dieser ermächtigt die Kommission zur Aufnahme der erforderlichen Verhandlungen. Es ist Sache des Rates und der Kommission, dafür zu sorgen, dass die ausge-
Artikel 36-Ausschuss handelten Abkommen mit den internen Politiken und Vorschriften der Gemeinschaft vereinbar sind. Die Kommission führt diese Verhandlungen im Benehmen mit einem zu ihrer Unterstützung vom Rat bestellten besonderen Ausschuss nach Maßgabe der Richtlinien, die ihr der Rat erteilen kann. Die Kommission erstattet dem besonderen Ausschuss regelmäßig Bericht über den Stand der Verhandlungen. Die einschlägigen Bestimmungen des Art. 300 EG finden Anwendung. (4) Bei der Ausübung der ihm in diesem Artikel übertragenen Befugnisse beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit. (5) Die Abs. 1 bis 4 gelten unbeschadet des Abs. 6 auch für die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen betreffend den Handel mit Dienstleistungen und Handelsaspekte des geistigen Eigentums, soweit diese Abkommen nicht von den genannten Absätzen erfasst sind. Abweichend von Abs. 4 beschließt der Rat einstimmig über die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen in einem der Bereiche des UAbs. 1, wenn solche Abkommen Bestimmungen enthalten, bei denen für die Annahme interner Vorschriften Einstimmigkeit erforderlich ist, oder wenn ein derartiges Abkommen einen Bereich betrifft, in dem die Gemeinschaft bei der Annahme interner Vorschriften ihre Zuständigkeiten nach diesem Vertrag noch nicht ausgeübt hat. Der Rat beschließt einstimmig über die Aushandlung und den Abschluss eines Abkommens horizontaler Art, soweit dieses Abkommen auch den vorstehenden Unterabsatz oder Abs. 6 UAbs. 2 betrifft. Dieser Absatz berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, mit dritten Ländern oder mit internationalen Organisationen Abkommen beizubehalten und zu schließen, soweit diese Abkommen mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften und anderen einschlägigen internationalen Abkommen in Einklang stehen. (6) Ein Abkommen kann vom Rat nicht geschlossen werden, wenn es Bestimmungen enthält, die die internen Zuständigkeiten der Gemeinschaft überschreiten würden, insbesondere dadurch, dass sie eine Harmonisierung der Rechts- oder Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten in einem Bereich zur Folge hätten, in dem dieser Vertrag eine solche Harmonisierung ausschließt.
Abweichend von Abs. 5 UAbs. 1 fallen in dieser Hinsicht Abkommen im Bereich des Handels mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen, Dienstleistungen im Bereich Bildung sowie in den Bereichen Soziales und Gesundheitswesen in die gemischte Zuständigkeit der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten. Zur Aushandlung solcher Abkommen ist daher außer einem Beschluss der Gemeinschaft gem. den einschlägigen Bestimmungen des Art. 300 auch die einvernehmliche Zustimmung der Mitgliedstaaten erforderlich. Die so ausgehandelten Abkommen werden gemeinsam von der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten geschlossen. Die Aushandlung und der Abschluss internationaler Abkommen im Verkehrsbereich fallen weiterhin unter Titel V und Art. 300 EG. (7) Unbeschadet des Abs. 6 UAbs. 1 kann der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments durch einstimmigen Beschluss die Anwendung der Absätze 1 bis 4 auf internationale Verhandlungen und Abkommen über geistiges Eigentum ausdehnen, soweit sie durch Abs. 5 nicht erfasst sind. (bh) §§: Art. 133 EG
Artikel 36-Ausschuss Artikel 36 Committee – Comité de l’article 36 (CATS)
In Art. 36 Abs. 1 EU verankerter Koordinierungsausschuss für den Bereich der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). Er ist seit Inkrafttreten des ĺVertrags von Amsterdam Nachfolger des früheren sog. „K.4-Ausschusses“ und setzt sich aus leitenden Beamten der Ministerialverwaltungen der Mitgliedstaaten auf Abteilungsleiterebene zusammen. Diese werden von den für die jeweilige Sachfrage federführenden Ministerien (Justiz, Inneres, Äußeres) entsandt. Die nach Abs. 2 zu beteiligende ĺKommission ist auf Direktorenebene vertreten. Der Ausschuss tagt monatlich. Der Ausschuss hat Koordinierungs- und Aufsichtsfunktion gegenüber den ihm untergeordneten spezialisierten Ratsarbeitsgruppen, die mit der Umsetzung der Vorgaben des ĺRates zur PJZS befasst sind und sich aus den Fachverwaltungen der Ministerien zusammensetzen. Er kann zudem auf Ersuchen des Rates oder aus eigener Initiative Stellungnahmen zu allgemeinen Fragen der PJZS an den Rat richten; ein Initiativrecht zur Gesetzgebung kommt ihm da51
Arzneimittel bei nicht zu. Darüber hinaus trägt er zur Vorbereitung der Arbeiten des Rates im Rahmen der PJZS bei, ist dabei aber dem ĺAusschuss der Ständigen Vertreter (AStV) untergeordnet. Daher obliegt dem Koordinierungsausschuss die Klärung von Sachfragen, während politische oder horizontale Fragen der Klärung durch den AStV vorbehalten sind. (sts) §§: Art. 36 EG Lit.: G. Dannecker, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 36, Rn. 1 ff.; A. Jour-Schröder, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 36 EU, Rn. 1 ff.
Arzneimittelabgabemonopol, staatliches ĺGesundheitskompetenzen Arzneimittelbegriff Art. 1 Abs. 2 ĺArzneimittelkodex; ĺArzneimittel Arzneimitteldistribution ĺApothekerberufsrecht; ĺGesundheitskompetenzen; ĺDocMorris-Entscheidung Arzneimittelkodex
Arzneimittel medicinal products – médicaments
Der europäische Arzneimittelbegriff wird durch den in der RL 2001/83/EG kodifizierten Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel definiert. Nach Art. 1 Abs. 2 RL 2001/83/EG sind Arzneimittel „alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind“ (sog. Präsentationsarzneimittel) oder „die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen“ (sog. Funktionsarzneimittel). Die Weite des Arzneimittelbegriffs bereitet insbesondere in der Praxis bei Produkten Probleme, die nach Art ihrer Anwendung und Dosierung sowohl dem Arzneials auch dem Lebensmittelbegriff zugeordnet werden können (sog. „dual use“ Produkte). Insbesondere im Hinblick auf Nahrungsergänzungsmittel ist eine restriktive Interpretation des Begriffs des Funktionsarzneimittels geboten, wobei auf das objektiv zu bestimmende, pharmakologische Wirkpotential abzustellen ist. (Zur Abgrenzungsproblematik zwischen Arznei- und Lebensmitteln s. ĺLebensmittel.) (mkr) §§: RL 2001/83/EG Lit.: B. Klaus, Der gemeinschaftsrechtliche Lebensmittelbegriff, 2005; M. Kraus, Great Spirit, No Glory? – Probleme des neuen europäischen Lebensmittelrechts, EWS 2005, 498 ff.; W. Schroeder, Die rechtliche Einstufung von Nahrungsergänzungsmitteln als Arznei- oder Lebensmittel – eine endlose Geschichte?, ZLR 2005, 411 ff.; R. Streinz, Lebens- und Arzneimittelrecht, in: R. Schulze/M. Zulegg (Hrsg.), Europarecht, 2006, § 24
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Community Code relating to medicinal products for human use – Code communautaire relatif aux médicaments à usage humain
„Arzneimittelkodex“ bezeichnet die auf die Binnenmarktkompetenz zur Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften (Art. 95 EG) gestützte RL 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.11.2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, Nr. L 311/67), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndRL 2004/24/ EG vom 31.3.2004 (ABl. 2004, Nr. L 136/85). Mit dem Arzneimittelkodex wurden zahlreiche Rechtsakte der Gemeinschaft in Bezug auf den freien Warenverkehr mit ĺArzneimitteln im Interesse der Übersichtlichkeit und Vereinfachung in einem einheitlichen Regelungswerk zusammengefasst (s. Erwägungsgrund 1) und auf eine einheitliche Rechtsgrundlage gestellt. 1. Arzneimittelbegriff: Der Arzneimittelkodex definiert in Art. 1 Abs. 2 den gemeinschaftsrechtlichen Begriff des ĺArzneimittels, dessen Vorliegen als Ausgangspunkt des gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelregimes zahlreiche Rechtsfolgen, insbesondere im Hinblick auf Zulassungserfordernis und -verfahren, Werbung und Überwachung, nach sich zieht. Arzneimittel sind danach ƒ alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden; ƒ alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden. 2. Inverkehrbringen von Arzneimitteln: Art. 612 regeln die näheren Voraussetzungen des
Arzneimittelkodex Inverkehrbringens von Arzneimitteln im Binnenmarkt. Art. 6 Abs. 1 statuiert eine Genehmigungspflicht für Arzneimittel, wobei eine Genehmigung entweder in Ausführung der Arzneimittelkodexrichtlinie nach mitgliedstaatlichem Recht von mitgliedstaatlichen Behörden oder nach Maßgabe der ĺArzneimittelzulassungsverordnung durch Gemeinschaftsorgane erteilt wird. Das mitgliedstaatliche Genehmigungsverfahren wird durch Antrag des Herstellers eingeleitet, wobei die Art. 8-12 nähere Mindestanforderungen an einen Genehmigungsantrag enthalten. Teilweise vereinfachte Bestimmungen für homöopathische Arzneimittel enthalten die Art. 13 ff. Herzstück der Richtlinie bilden die Regelungen über das von den Mitgliedstaaten durchzuführende Zulassungsverfahren (Art. 17 ff.) und die gegenseitige Anerkennung von Zulassungsentscheidungen (Art. 27 ff.). Die für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels erforderliche Genehmigung entspricht dem Modell einer Kontrollerlaubnis. Bei Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen hat der Antragsteller also einen Anspruch auf Genehmigungserteilung. Nach der insoweit abschließenden Regelung des Art. 26 Satz 1 ist eine Zulassung zu versagen, wenn sich nach Prüfung der bei Antragstellung einzureichenden Angaben und Unterlagen ergibt, ƒ dass das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädlich ist, oder ƒ dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder vom Antragsteller unzureichend begründet ist, oder ƒ dass das Arzneimittel nicht die angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist. Die Genehmigung wird nach Art. 26 Satz 2 überdies versagt, wenn die Angaben und Unterlagen zur Stützung des Antrags nicht den dafür geltenden Bestimmungen (Art. 8-10) entsprechen. Nach Art. 25 bleibt eine zivil- und strafrechtliche Haftung des Inhabers einer Genehmigung unberührt. Betroffen sind etwa zivilrechtliche Ansprüche wegen Verletzung von gewerblichen Schutzrechten oder eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für durch vorwerfbare Produktfehler verursachte Schädigungen. Damit ist klargestellt, dass einer Genehmigung keine allgemeine Legalisierungswirkung zukommt. 3. Gegenseitige Anerkennung von Zulassungsentscheidungen: Die Voraussetzungen einer
gegenseitigen Anerkennung von Zulassungsentscheidungen werden durch ein Koordinierungsverfahren hergestellt, das durch einen Ausschuss, der bei der ĺEuropäischen Arzneimittelagentur angesiedelt ist, unterstützt wird (Art. 27 ff.). Der Inhaber der Genehmigung teilt dazu nach Art. 28 Abs. 1 vor Stellung eines Antrags auf Anerkennung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen dem Mitgliedstaat, der die dem Antrag zugrunde liegende Genehmigung erteilt hat mit, dass ein Antrag gem. dieser Richtlinie gestellt wird. Andere Mitgliedstaaten können im folgenden Koordinationsverfahren Einwendungen gegen eine Zulassung erheben (vgl. Art. 29). Werden Meinungsverschiedenheiten nicht beigelegt, so wird ein Verfahren vor dem Ausschuss eingeleitet, der ein vorbereitenden Gutachten zu erstellen hat (Art. 32 ff.). Die endgültige Entscheidung trifft die Kommission im ĺKomitologieverfahren (Art. 121). 4. Herstellung, Überwachung und Pharmakovigilanz: Die Art. 40 ff. treffen Regelungen über die Herstellung und den Import von Arzneimitteln. Auch die Herstellung unterliegt nach Art. 40 Abs. 1 einer Genehmigungspflicht. Die näheren Anforderungen an eine Genehmigungserteilung und die Durchführung sowie Überwachung der Arzneimittelherstellungsverfahren ergeben sich aus den Art. 41 ff. Die Art. 70 ff. verpflichten die Mitgliedstaaten zur behördlichen Einstufung zugelassener Arzneimittel. Nach Art. 70 Abs. 1 machen die zuständigen Behörden bei der Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels genaue Angaben zur Einstufung des Arzneimittels, namentlich danach, ob dieses der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegt oder nicht. Die zulässigen Formen der Distribution und Verwendung von entsprechend eingestuften Arzneimitteln ergeben sich im Einzelnen aus Art. 71 f. Um auf später auftretende Risiken oder Nebenwirkungen der Arzneimittel angemessen reagieren zu können, unterliegen zugelassene Arzneimittel einer nachgelagerten Pharmakovigilanz (Art. 101 ff.). Die Mitgliedstaaten treffen daher nach Art. 101 alle zweckdienlichen Maßnahmen, damit Ärzte und andere Angehörige der Gesundheitsberufe vermutete Nebenwirkungen den zuständigen Behörden melden. Die Mitgliedstaaten können überdies bestimmte Anforderungen für Ärzte und Angehörige eines 53
Arzneimittelwerbung Gesundheitsberufes in Bezug auf die Meldung vermuteter schwerwiegender oder unerwarteter Nebenwirkungen erlassen, insbesondere wenn die Meldung eine Bedingung der Genehmigung darstellt. Schließlich enthält der Arzneimittelkodex nähere Bestimmungen über den Großhandel mit Arzneimitteln (Art. 76 ff.) sowie über die ĺArzneimittelwerbung (Art. 86 ff.). (gär) §§: Arzneimittelkodexrichtlinie (2001/83/EG) Lit.: A. Meier, Arzneimittelrecht im Wandel, in: H. Bauer/D. Czybulka/W. Kahl/A. Voßkuhle (Hrsg.), Wirtschaft im offenen Verfassungsstaat, FS für R. Schmidt, 2006, 111 (114 ff.); P. Pfortner, Die Arzneimitteländerungsrichtlinie 2004/27/EG: Neue Impulse bei der Abgrenzung zwischen „dual use“ Produkten und Arzneimitteln?, PharmaR 2004, 388/419; R. Streinz, Lebensmittel- und Arzneimittelrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, § 24, Rn. 95 ff.; B. Winter, Die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel, 2004
Arzneimittelwerbung advertising of medicinal products – publicité pour médicaments
Regelungen über die Werbung mit Humanarzneimitteln enthalten die Art. 86 ff. ĺArzneimittelkodexrichtlinie (2001/83/EG), die entsprechende frühere Rechtsakte über das Arzneimittelrecht (vor allem RL 92/27/EWG, 92/28/EWG) aufgehoben hat (Art. 128). 1. Grundsätzliche Zulässigkeit der Arzneimittelwerbung: Die Richtlinie lässt Arzneimittelwerbung im Grundsatz zu: „Für Arzneimittel, die nach ihrer Zusammensetzung und Zweckbestimmung so beschaffen und konzipiert sind, dass sie ohne Tätigwerden eines Arztes für die Diagnose, Verschreibung oder Behandlung verwendet werden können, erforderlichenfalls nach Beratung durch den Apotheker, kann Öffentlichkeitswerbung erfolgen“ (Art. 88 Abs. 2 UAbs. 1). Nach Art. 87 Abs. 3 muss eine prinzipiell zulässige Arzneimittelwerbung auch inhaltlichen Mindeststandards genügen, namentlich einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt, und darf zudem dem nicht irreführend sein. Nähere Einzelheiten hierzu enthalten die Art. 89, 90. Ein nationales Verbot, für einen zulässigen grenzüberschreitenden Versandhandel mit Arzneimitteln zu werben, ist mit Art. 88 unvereinbar (EuGH, Rs. C-322/01 ĺDocMorris, Slg. I-2003, 14887, Rn. 141 ff.). 2. Ausnahmen von der Zulässigkeit: Allerdings enthält die Richtlinie von der allgemeinen 54
Zulassung der Arzneimittelwerbung wichtige Ausnahmen, indem sie die Mitgliedstaaten verpflichtet, bestimmte Formen der Werbung für Arzneimittel zu verbieten. Unzulässig ist danach insbesondere Werbung, ƒ wenn für das Arzneimittel keine Genehmigung zum Inverkehrbringen erteilt wurde (Art. 87 Abs. 1), ƒ das Arzneimittel nur auf ärztliche Verschreibung abgegeben werden darf, es sei denn, es handelt sich um eine behördlich genehmigte Impfkampagne (Art. 88 Abs. 4), ƒ das Arzneimittel unter die UN-Suchstoffübereinkommen fällt (Art. 88 Abs. 1), oder ƒ das Arzneimittel der Behandlung einer der in Art. 88 Abs. 2 UAbs. 2 genannten bzw. vergleichbaren Krankheiten dient. Dies gilt vor allem für Infektionskrankheiten. Eine direkte Abgabe von Arzneimittelmustern an die Öffentlichkeit zu Zwecken der Verkaufsförderung ist zu untersagen (Art. 88 Abs. 6). Darüber hinaus besteht nach Art. 88 Abs. 3 im Ermessen der Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Werbung für erstattungsfähige Arzneimittel generell zu untersagen. Darüber hinaus bleibt aber mangels genereller Harmonisierung des Verkaufs von Arzneimitteln an Endverbraucher auch die Ausnahmeregelung des Art. 30 EG unter den dort genannten Voraussetzungen anwendbar (EuGH, Rs. C-322/01 DocMorris, Slg. I-2003, 14887, Rn. 102). 3. Charakter der Richtlinie: Ungeklärt ist bislang, ob die Richtlinie nicht nur Mindestvorschriften über die Zulassung von Arzneimittelwerbung enthält, sondern zugleich eine Begrenzung zulässiger staatlicher Verbote bewirkt (vgl. den Vorlagebeschluss des BGH, GRUR Int. 2005, 1067 ff.). Da Werbung zugleich Verwirklichungsmodus der dahinter stehenden Grundfreiheiten ist, wird man die Richtlinie wohl dahingehend auslegen müssen, dass sie, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch strengere mitgliedstaatliche Vorschriften betreffend die Arzneimittelwerbung untersagt. 4. Durchsetzung der Richtlinie: Die Mitgliedstaaten haben für eine effektive Kontrolle in Umsetzung der Richtlinie etablierter Arzneimittelwerbeverbote zu sorgen, behördliche bzw. gerichtliche Untersagungsmaßnahmen zu ermöglichen und hierzu insbesondere Klagemöglichkeiten Privater mit einem berechtigten Interesse vorzusehen (s. im Einzelnen Art. 97). Aus dem Grundsatz der Ge-
ASEM meinschaftstreue (Art. 10 EG) folgt dabei, dass gemessen an den Geboten der Effektivität und Äquivalenz hierbei die effektive Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen ist und die Wirksamkeit der etablierten Maßnahmen nicht hinter denen zurückbleiben darf, die in vergleichbaren Fällen zur Durchsetzung mitgliedstaatlichen Rechts ergriffen werden. S. S. EuGH, Rs. 309/85 Barra, Slg. 1988, 355, Rn. 18; Rs. C-208/90 Emmott, Slg. 1991, I-4269, Rn. 16; Rs. C-188/95 Fantask, Slg. 1997, I-6783, Rn. 39; Rs. C-366/ 95 Steff-Houlbeck Export, Slg. 1998, I-2661, Rn. 15; Rs. C-201/02 Wells, Slg. 2004, I-723, Rn. 67; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 10 EGV, Rn. 31, m. zahlr. w. Nachw. 5. Fernsehwerbung: Eine besondere Regelung enthält Art. 14 EG-Fernsehrichtlinie (89/552/ EWG, ABl. 1989, L 298/23): „Fernsehwerbung ist untersagt für Arzneimittel und ärztliche Behandlungen, die in dem Mitgliedstaat, dessen Rechtshoheit der Fernsehveranstalter unterworfen ist, nur auf ärztliche Verordnung erhältlich sind.“ (gär) §§: Art. 86 ff. Arzneimittelkodexrichtlinie (2001/83/ EG); Art. 14 EG-Fernsehrichtlinie (89/552/EWG) Lit.: E. Deutsch/A. Spickhoff, Medizinrecht, 5. Aufl. 2003, 671 ff.; U. Doepner/U. Reese, Auswirkungen von EG-Richtlinien auf die innerstaatliche Anwendung werberegelnden Nebenstrafrechts – dargestellt am Beispiel des Heilmittelwerberechts, GRUR Int. 1998, 761; R. A. Lorz, Internetwerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive, GRUR Int. 2005, 894 ff.; P. Marwitz, Internetapotheke zwischen Gerichten und Gesetzgebern, MMR 2004, 218; B. Winter, Die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel, 2004, 198 ff.
Arzneimittelzulassung ĺArzneimittelzulassungsverordnung; ĺArzneimittelkodexrichtlinie Arzneimittelzulassungsverordnung regulation laying down procedures for the authorization and supervision of medicinal products – règlement établissant des procédures communautaires pour l’autorisation, la surveillance et la pharmacovigilance de médicaments
Die ursprüngliche VO (EWG) 2309/93 vom 24.8. 1993 (ABl. 1993, L 214/1) wurde inzwischen durch eine novellierte VO (EG) 726/2004 vom 31.3.2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittelagentur (ABl. 2004, Nr. L 136/1) ersetzt.
1. Anwendungsbereich: Die Arzneimittelzulassungsverordnung regelt das gemeinschaftsbehördliche Genehmigungsverfahren für Human- und Tierarzneimittel sowie die korrespondierende Überwachung und Pharmakovigilanz. Der Genehmigungspflicht unterfallen nach Art. 3 Abs. 1 nur bestimmten Arzneimittel, die im Anhang der Verordnung im Einzelnen bezeichnet sind. Erfasst sind vor allem in biotechnologischen Verfahren gewonnene oder neuartige Arzneimittel zur Behandlung bestimmter Krankheitstypen. 2. Zulassungsverfahren: Die Zulassungsentscheidung ergeht im ĺKomitologieverfahren und wird entweder vom Rat oder der Kommission erteilt. Die ĺEuropäische Arzneimittelagentur hat lediglich eine Koordinierungsfunktion. Die Zulassungsentscheidung bewirkt, dass das Arzneimittel in sämtlichen Mitgliedstaaten zugelassen und damit verkehrsfähig wird. Nationale Ausnahmen von der Zulassung sind also nicht zulässig. 3. Pharmakovigilanz und Überwachung: Die Pharmakovigilanz (Art. 16-29) dient der Beobachtung der auf dem Markt befindlichen Arzneimittel, um im Prüfungsverfahren nicht erkannte Gefährdungen im Bereich der Anwendung des Arzneimittels erfassen und hierauf reagieren zu können. Der Vollzug des europäischen Arzneimittelrechts, namentlich die Zulassung, Überwachung und Pharmakovigilanz, erfolgt also im „Verwaltungsverbund“ (Eberhard Schmidt-Aßmann) in gestuften und auf mehrere Vollzugsebenen verteilten Verfahren. Hierbei ist von allen Beteiligten insbesondere das Gebot loyaler Zusammenarbeit nach Art. 10 EG zu beachten (s. Nachweise bei ĺIn-vitro-DiagnostikaRichtlinie), das teilweise durch die detaillierten Regelungen der Verordnung konkretisiert wird. (gär) §§: Arzneimittelzulassungsverordnung (726/2004/EG) Lit.: O. Blattner, Europäisches Produktzulassungsverfahren, 2003, 78 ff.; A. Meier, Arzneimittelrecht im Wandel, in: H. Bauer/D. Czybulka/W. Kahl/A. Voßkuhle (Hrsg.), Wirtschaft im offenen Verfassungsstaat, FS für R. Schmidt, 2006, 111 (120 ff.); R. Streinz, Lebensmittel- und Arzneimittelrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, § 24, Rn. 98 ff.; B. Winter, Die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel, 2004
ASEM Asia-Europe-Meeting – Dialogue Asie-Europe
Bei den Europäisch-Asiatischen Gipfeltreffen (ASEM) handelt es sich um einen informellen 55
Aserbaidschan Dialogprozess, der 1996 begonnen wurde. Die multilateralen Gespräche betreffen vor allem die Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Kultur sowie den Umwelt- und Klimaschutz. Die Zahl der Teilnehmer an den Gesprächen hat sich von 26 (1996) auf 45 (2007) erhöht. Diese 45 Teilnehmer am ASEMProzess repräsentieren etwa 58 % der Weltbevölkerung und 60 % des Welthandels: 1. auf europäischer Seite: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Litauen, Lettland, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Vereinigtes Königreich, Zypern, die ĺEU-Kommission; 2. auf asiatischer Seite: Brunei, China, Indien, Indonesien, Japan, Kambodscha, Republik Korea, Laos, Malaysia, Mongolei, Myanmar, Pakistan, Philippinen, Singapur, Thailand, Vietnam, das Sekretariat der ASEAN. Im Rahmen des ASEM-Prozesses finden alle zwei Jahre Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs aus Europa und Asien statt. Die Fachminister kommen meist jährlich zu ASEMTreffen zusammen. Das nächste ASEM-Gipfeltreffen findet vom 24.-25.10.2008 in China statt. Im Rahmen des ASEM-Prozesses wurden zwei Organisationen gegründet: die Asien-EuropaStiftung (ASEF, Sitz: Singapur, Zweck: Förderung des Verständnisses zwischen Asien und Europa durch Stärkung des geistigen und kulturellen Austausches und durch die Einrichtung von Austauschprogrammen für Asiaten und Europäer) und ein Umwelttechnologiezentrum (Sitz: Bangkok). (bh) Aserbaidschan Azerbaijan – Azerbaïdjan
S. ĺPartnerschafts- und Kooperationsabkommen. (bb) §§: ABl. 1999, Nr. L 246/1 (in Kraft seit 1.7.1999) Web: http://ec.europa.eu/comm/external_relations/ azerbaidjan/intro/index.htm
Asien, Abkommen Asia, agreements – Asie, accords
Mit asiatischen Ländern hat die EG zahlreiche ĺHandelsabkommen geschlossen. Bei den Abkommen der EU mit ihren Partnern weltweit geht es nicht nur um Handel und traditionelle finanzielle und technische Hilfe, sondern auch 56
um wirtschaftliche und andere Reformen sowie um die Unterstützung von Infrastruktur-, Gesundheits- und Bildungsprogrammen. Darüber hinaus liefern diese Abkommen einen Rahmen für den ĺpolitischen Dialog und enthalten eine Klausel, die es der EU ermöglicht, den Handelsverkehr oder die Hilfe auszusetzen oder zu beenden, wenn das Partnerland Menschenrechte verletzt. Darüber hinaus hat die EU 2003 beschlossen, dass alle neuen Abkommen eine Klausel enthalten müssen, mit der sich die Partner verpflichten, keine Massenvernichtungswaffen zu verbreiten. Mit Indien bestehen Abkommen über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit (ABl. 2002, Nr. L 213/30) und ein Kooperationsabkommen über Partnerschaft und Entwicklung (ABl. 1994, Nr. L 223/24) sowie Handelsabkommen betreffend Textilien, Rohrzucker, Kokosfaser- und Handwerksprodukte. Mit der Volksrepublik China bestehen ebenfalls Abkommen über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit (ABl. 2000, Nr. L 6/40), ein Textilhandelsabkommen (ABl. 1995, Nr. L 104/2) sowie eines über die handelspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit (ABl. 1985, Nr. L 250/2). Ferner hat die EG Partnerschaftsund Kooperationsabkommen mit den MS des Südasiatischen Verbandes für regionale Zusammenarbeit (SAARC) geschlossen. Damit wird die Wirtschafts- und Entwicklungszusammenarbeit mit Indien, Sri Lanka, Nepal, Bangladesch und Pakistan gestärkt (Beschlüsse des Rates 94/578/EG, 95/129/EG, 96/354/EG, 2001/332/ EG und 2004/870/EG). (bb) Assimilierung von Straftatbeständen assimilation of penal law – assimilation d’infraction
Die sog. Assimilierung dient der Einbeziehung gemeinschaftsrechtlicher Rechtsgüter in den Anwendungsbereich nationaler Straftatbestände. Durch Erstreckung des Anwendungsbereichs dieser Vorschriften werden neben den geschützten nationalen Rechtsgütern auch die vergleichbaren Gemeinschaftsrechtsgüter geschützt. Zu unterscheiden sind: 1. Assimilierung durch gemeinschaftsrechtliche Verweisung: Das ĺPrimärrecht verlangt etwa in Art. 30 Satzung ĺEuGH die Strafbarkeit eidlicher Falschaussagen vor den Gemeinschaftsgerichten nach den für innerstaatliche Eidesverletzungen geltenden Strafrecht. Auch mehrere sekundärrechtliche ĺVerordnungen enthalten solche Assimilierungsvorschriften. Nach hM entstehen
Assoziationsratsbeschluss (ARB) durch das Zusammenspiel der gemeinschaftsrechtlichen Assimilierungsnormen mit dem nationalen Straftatbestand neue, abgeleitete Normen. Jedenfalls die Assimilierung durch sekundäres Gemeinschaftsrecht wird in der Literatur zunehmend als unzulässig erachtet, weil die EG keine ĺKompetenz zum Erlass supranationalen Strafrechts habe. Nach aA begründen diese Assimilierungsnormen lediglich eine entsprechende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für die Erfassung durch das nationale Strafrecht Sorge zu tragen. Dies kann im Rahmen der Grenzen des Grundsatzes „nullum crimen, nulla poena sine lege“ durch ĺgemeinschaftsrechtskonforme Auslegung, im Übrigen nur durch Assimilation seitens des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers erfolgen. 2. Assimilierung durch mitgliedstaatliches Recht: Eine Assimilation durch nationales Recht kann darüber hinaus auch durch das auf dem Prinzip der ĺGemeinschaftstreue (Art. 10 Abs. 1 EG) beruhende Gleichstellungs- bzw. Äquivalenzgebot verlangt sein, wie der EuGH in der Grundsatzentscheidung ĺGriechischer Mais festgestellt hat. (sts) Lit.: K. Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, § 11, Rn. 16 ff.; G. Dannecker, Die Entwicklung des Strafrechts unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, Jura 1998, 79 ff.; B. Hecker, Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. 2007, § 7, Rn. 1 ff.
Assimilierungspflicht ĺAssimilierung von Straftatbeständen Assoziation association – association
Die Begriffe ĺAssoziierung und Assoziation werden synonym verwendet. In früheren Abkommen wird der Begriff Assoziation verwendet. Z.B. Gründung und Aufrechterhaltung einer Assoziation in Art. 1 des Abkommens mit der ĺTürkei vom 12.9.1963, ABl. 1964, Nr. 217/3687. (bb) Assoziationsrat Association Council – Conseil d’association
Er besteht aus Mitgliedern der Regierungen der Mitgliedstaaten, des Rates, der Kommission einerseits und aus Mitgliedern der Regierung des assoziierten Staates andererseits. Er ist kein Organ der EG sondern eines des Assoziationsrechts. Zur Verwirklichung der Abkommensziele ist der Assoziationsrat befugt, einstimmig Beschlüsse (ĺAssoziationsratsbeschluss) zu fas-
sen, die für die Vertragsparteien verbindlich sind, und Empfehlungen (ohne Bindungswirkung) abzugeben. Er überprüft ferner die Auswirkungen der Assoziationsregelung, kann in seiner Geschäftsordnung die Einsetzung von (Sonder-)Ausschüssen oder Arbeitsgruppen beschließen und Maßnahmen zur Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen EG-Organen und jenen des assoziierten Drittstaates setzen. (bb) §§: Z.B. Art. 22 Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Republik Türkei, ABl. 1964, Nr. 217/3687
Assoziationsratsbeschluss (ARB) Association Council Decision (ACD) – Decision du Conseil d’association (DCA)
Er wird auf der Grundlage eines Assoziierungsabkommen vom ĺAssoziationsrat beschlossen und stellt derivatives (sekundäres) ĺAssoziationsrecht dar. Aufgrund seines unmittelbaren Zusammenhanges mit dem Abkommen, zu dessen Durchführung er ergeht, ist er ebenso wie das Assoziierungsabkommen integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts und hat somit Vorrang vor entgegenstehendem innerstaatlichem Recht (ĺDemirel, Rn. 7, EuGH, Rs. 30/88 Griechenland/Kommission, Rn. 12, ĺSevince, Rn. 8). Die Vertragsparteien sind verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zur Durchführung der Assoziationsratsbeschlüsse zu treffen. Ein ARB ist als Handlung der EG im Sinne von Art. 234 EG zu bewerten (ĺSevince, Rn. 10). Der EuGH ist folglich zur Auslegung des ARB berufen. Der EuGH hat die unmittelbare Anwendbarkeit einzelner Bestimmungen von Assoziationsratsbeschlüssen zum Abkommen EWG – Türkei (ĺTürkei) festgestellt: Insbesondere Art. 6 ARB 1/80 (dazu s. ĺSevince, ĺKus, ĺEroglu, EuGH, Rs. C-434/93 Bozkurt, Slg. 1995, I-1475; EuGH, Rs. C-171/95 Tetik, Slg. 1997, I-329; EuGH, Rs. C-386 Eker, Slg. 1997, I-2697; EuGH, Rs. C-36/96 Guenaydin, Slg. 19976, 5143; EuGH, Rs. C-285/95 Kol, Slg. 1997, I-3069; EuGH, Rs. C-98/96 Erantir, Slg. 1997, I-5179; EuGH, Rs. C-1/97 Birden, Slg. 1998, I-7747; EuGH, Rs. C-340/97 Nazli, Slg. 2000, I-957; EuGH, Rs. C-502/04 Torun, Slg. 2006, I-1563; EuGH, Rs. C-4/05 Güzel, Slg. 2006, I-000; EuGH, Rs. C230/03 Sedef, Slg. 2006, I-157), Art. 7 (EuGH, Rs. C-355/93 ĺEroglu, Slg. 1994, I-5113; EuGH, Rs. C-351/95 Kadiman, Slg. 1997, I-2133; EuGH, Rs. C-210/97 Akman, Slg. 1998, I-7519; EuGH, Rs. C-329/97 Ergat, Slg. 2000, I-1487; EuGH, Rs. C-65/98 Eyüp, Slg. 2000, I-4747; EuGH, Rs. 57
Assoziationsrecht C-373/03 Aydinli, Slg. 2005, I-6181; EuGH, Rs. C-275/02 Ayaz, Slg. 2004, I-8765; EuGH, Rs. C-502/04 Torun, Slg. 2006, I-1563); Art. 9 Abs. 1, 2 (EuGH, Rs. C-374/03 Güröl, Slg. 2005, I-6199), Art. 10 Abs. 1 (EuGH, Rs. C-171/01, Wählergruppe Gemeinsam, Slg. 2003, I-4301), Art. 13 (ĺSevince), Art. 14 (EuGH, Rs. C-502/04 Torun, Slg. 2006, I-1563), ferner in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 ARB 3/80 (EuGH, Rs. C-102/98 und Rs. C-211/98 Kocak, Slg. 2000, I-1287; EuGH, Rs. C-262/96 Sürül, Slg. 1999, I-2685), nicht jedoch hinsichtlich Art. 12, 13 ARB 3/80 (EuGH, Rs. C-277/94 Taflan-Met, Slg. 1996, I-4085). Diese Auslegung gilt selbstverständlich nur für die EG und ihre MS, solange sich der Drittstaat nicht der Jurisdiktion des EuGH unterwirft. Im Drittstaat können Unionsbürger ihre Rechte aus einem ARB nach völkerrechtlichen Grundsätzen geltend machen. (bb) §§: z.B. ARB 1/80, ARB 3/80 (nicht im ABl. veröffentlicht)
Assoziationsrecht acquis associatif – acquis associative
Es umfasst ĺAssoziierungsabkommen (i.e. primäres) und sekundäres Assoziationsrecht (ĺAssoziationsratsbeschluss, ARB). Soweit es Einzelnen oder Unternehmen Rechte einräumt, die unmittelbar anwendbar (d.h. hinreichend bestimmt und keiner weiteren Konkretisierung bedürfend) sind, kann sich jeder darauf berufen. Der EuGH stellte fest, dass den Abkommen und ĺARB unmittelbare Wirkung zukommt, „wenn sie unter Berücksichtigung des Wortlautes und im Hinblick auf Sinn und Zweck des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthielten, deren Durchführung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhingen“ (ĺDemirel, Rn. 14, ĺSevince, Rn. 15). Innerstaatliche Gerichte und Behörden haben diese aus dem Assoziationsrecht stammenden Rechte durchzusetzen und allenfalls widersprechende nationale Vorschriften unangewandt zu lassen. Trotzdem Assoziationsverträge ĺgemischte Abkommen sind, interpretiert der EuGH Assoziationsrecht undifferenziert (EuGH, Rs. 65/77 Razanatsimba, Slg. 1977, 2238 f.), also ohne eine nähere Kompetenzprüfung vorzunehmen. Der EuGH stellte die unmittelbare Anwendbarkeit einzelner Bestimmungen der ĺEuropaabkommen (EA) der EG mit Polen, der Tschechischen Republik und Bulgarien (EuGH, Rs. C-63/99 Gloszczuk; Rs. C-235/99 Kondova; Rs. 58
C-257/99 Barkoci und Malik; Rs. C-268/99 Jany, Rs. C-162/00 Pokrzeptowicz-Meyer) fest. Überdies stellte er die unmittelbare Anwendbarkeit einzelner Bestimmungen von Kooperationsabkommen, insbesondere jene des Diskriminierungsverbotes, fest (EuGH, Rs. C-416/96 El-Yassini, Slg. 1999, I-1209 in Bezug auf Art. 40 ĺKooperationsabkommen EWG – Marokko, VO [EWG] 2211/78, ABl. 1978, Nr. L 264/1 ersetzt durch das ĺEuropa-Mittelmeerabkommen, ABl. 2000, Nr. L 70/2, insb. Art. 64). Diese Auslegung gilt selbstverständlich nur für die EG und ihre MS, da sich Drittstaaten in der Regel vor ihrem Beitritt nicht der Jurisdiktion des EuGH unterwerfen. Im Drittstaat können Unionsbürger ihre Rechte aus einem Assoziationsrecht nach völkerrechtlichen Grundsätzen geltend machen. (bb) Lit.: R. A. Fischer, Das Assoziationsrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1994; A. Ott/K. Inglis (Hrsg.), Handbook on European Enlargement, 2002; M. Lipps, Niederlassungsrecht und Unionsbürgerschaft für Drittstaater in der EU?, 1999; A. Evans, The Integration of the European Community and Third States in Europe, 1996; E. Höller, Soziale Rechte Drittstaatsangehöriger nach europäischem Gemeinschaftsrecht, 2005; G. Lang, Das Gemeinschaftsrecht der Drittstaatsangehörigen, 1998; H. Schöllhorn, Die Familienzusammenführung mit Drittstaatsangehörigen im Recht der Europäischen Union, 2006; C. Weber, Der assoziationsrechtliche Status Drittstaatsangehöriger in der EU, 1997
Assoziierung association – association
Die Begriffe Assoziierung und Assoziation werden synonym verwendet. Man unterscheidet a) ĺBeitrittsassoziierung, b) Entwicklungsassoziierung und c) Freihandelsassoziierung. Ad a) Die Türkei ist durch eine Beitrittsassoziation mit der EG verbunden. Kroatien, Mazedonien sowie Serbien & Montenegro werden im Rahmen von ĺStabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) an die EU herangeführt. Bosnien & Herzegowina sowie Albanien sind nicht an die EU assoziiert. Ad b) Die Entwicklungsassoziation gründete ursprünglich auf dem Abkommen von Yaoundé, wurde durch die Lomé Abkommen I-IV weiterentwickelt und mündete im ĺAbkommen von Cotonou. Ad c) Eine Freihandelsassoziation schloss die EWG – vor deren ĺBeitritt – mit Zypern und Malta. (bb) Lit.: E. Antalovsky (Hrsg.), Assoziierungsabkommen der EU mit Drittstaaten, 1988; R. A. Fischer, Das As-
Assoziierungsabkommen soziationsrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1994; E. Grabitz, Die Entwicklungspolitik der Europäischen Gemeinschaften – Ziele und Grenzen, EuR 1977, 217
Gänze anwendbar) und sind Teil der EuroZone. *** Sind vollkommen autonom und gehören weder zur EU noch zu deren Zollgebiet. (bb)
Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete
§§: Art. 182 ff. EG; „Übersee-Assoziationsbeschluss“, ABl. 2001, Nr. L 314/1; EuGH, Rs. C-100/89 und 101/ 89 Käfer und Procacci, Slg. 1990, I-4647; EuGH, Rs. C-263/88 Kommission/Frankreich, Slg. 1990, I-4611 (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit von Unionsbürgern mit französischem Diplom als Ärzte, Krankenpfleger, Hebammen, Tierärzte und Zahnärzte in Polynesien und Neukaledonien) Lit.: J. Agarwal, Die Assoziierung der überseeischen Staaten und Gebiete mit der EWG und die Auswirkungen dieser Assoziierung auf die Ausfuhr der nichtassozierten Entwicklungsländer in diese Gemeinschaft, 1966 Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:31986D0283:DE:HTML; http://europa. eu/scadplus/leg/de/s05032.htm
association of overseas countries and territories – l’Association des pays et territoires d’outre-mer
Die EU hat mit überseeischen Ländern und Hoheitsgebieten, die mit Dänemark, Frankreich, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich durch eine koloniale Entwicklungsgeschichte verbunden sind, sowohl ĺAssoziierungsabkommen als auch Zoll- und Handelsverträge geschlossen. Assoziierungsverträge mit diesen Ländern und Hoheitsgebieten zielen auf die Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung und die Herstellung enger Wirtschaftsbeziehungen ab (Art. 182 EG). Innergemeinschaftliche Handelsregelungen finden auf die assoziierten überseeischen Länder und Hoheitsgebiete ebenso Anwendung wie die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. Investitionsfördernde Maßnahmen werden ermutigt. Ein Abkommen zur Regelung der Arbeitnehmerfreizügigkeit existiert bislang noch nicht. Diese Länder und Gebiete sind Teil der europäischen Zollunion. Ein „Übersee-Assoziationsbeschluss“ (ABl. 2001, Nr. L 314/1) bekräftigt die Grundlagen der Assoziation, statuiert ein Diskriminierungsverbot, sieht überdies aber eine Sonderbehandlung für die am wenigsten entwickelten Länder vor, beschreibt den Dialog innerhalb der Partnerschaft und regelt die Bereiche (Handel, Dienstleistungsverkehr, Soziales, regionale Integration, Kultur) und Instrumente der Zusammenarbeit und Förderungen. Überseeische Länder und Gebiete: Färöer***, Isle of Man*, Kanalinseln*, Grönland***, St Pierre und Miquelon, Bermuda, Caymaninseln, Frz. Guayana**, Frz, Polynesien, Pitcaim Inseln, Falkland Inseln, Südgeorgien und südl. Sandwichinseln, St Helena, Mayotte, Réunion**, Brit. Territorium im Ind. Ozean, Turks- und Caicosinseln, Brit. Jungferninseln, Anguilla, Montserrat, Guadeloupe**, Martinique**, Aruba und die niederländischen Antillen, Wallis und Futura, Neukaledonien. * Sind der Verwaltung durch GB unterstellt, sind jedoch nicht Teil der EU (wie Gibraltar) befinden sich aber in Zollunion mit der EU. ** Sind integraler Bestandteil Frankreichs, gehören somit der EU an (der Acquis ist zur
Assoziierungsabkommen association agreement – accord d’association
Die Begriffe Assoziierungsabkommen und Assoziationsabkommen werden synonym verwendet. Die EG besitzt ĺRechtspersönlichkeit und ist als Völkerrechtssubjekt ermächtigt, gem. Art. 310 EG Abkommen (völkerrechtliche Verträge) mit einem oder mehreren Staaten oder internationalen Organisationen zu schließen, die eine Assoziierung mit gegenseitigen Rechten und Pflichten, gemeinsamem Vorgehen und besonderen Verfahren herstellen. Art. 310 EG ist eine Kompetenznorm mit eigenem sachlichem Regelungsbereich. Regelungen des gemeinschaftsrechtlichen Primär- und Sekundärrechts werden dabei auf das Verhältnis mit Drittstaaten ausgedehnt. Dies gilt sowohl für gemeinsame Politiken, die Grundfreiheiten und das Wettbewerbsrecht als auch für den Bereich der Koordinierung und Rechtsangleichung. Abkommen, die inhaltlich über Handelsabkommen hinausgehen, werden als ĺgemischte Abkommen geschlossen. Assoziierungsabkommen weisen eine doppelte Rechtsnatur auf: Sie werden durch ihren Abschluss wirksam, binden die Organe der EG und die MS im Innenverhältnis und stellen in den MS der EG einen integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung (EuGH, Rs. 181/73 Haegemann, Slg. 1974, 459 f.) dar. Damit genießen die Regeln des ĺAssoziationsrechts Anwendungsvorrang. Nach außen ist die EG an ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen gebunden. Assoziierungsabkommen sehen eigene Organe (ĺAssoziationsrat, Assoziationsaus59
Asyl für Unionsbürger schuss, Sonderausschüsse, Arbeitsgruppen, parlamentarischer Assoziationsausschuss) vor und regeln das Verfahren. Das Verfahren ist in Art. 300 EG geregelt. Die KOM legt dem Rat Empfehlungen vor, letzterer ermächtigt die KOM, Verhandlungen mit dem Drittstaat aufzunehmen. Der Rat beschließt einstimmig über das Abkommen, ferner ist die Zustimmung des EP erforderlich. Abgrenzung: ĺAssoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete Art. 182 ff. EG, ĺHandelsabkommen Art. 133 EG. Das Assoziationsabkommen EWG – Malta, ABl. 1971, Nr. L 61, 2 und das Assoziationsabkommen EWG – Zypern, ABl. 1973, Nr. L 133, 2 etablierten eine Freihandelsassoziation. Das Assoziationsabkommen EWG – Türkei weist eine große Tragweite auf und wird an anderer Stelle (ĺTürkei) erläutert. (bb) §§: Art. 300, 310 EG Lit.: E. Antalovsky (Hrsg.), Assoziierungsabkommen der EU mit Drittstaaten, 1988; R. A. Fischer, Das Assoziationsrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1994, R. Geiger, Außenbeziehungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und auswärtige Gewalt der Mitgleidtaaten, ZaöRV 1977, 640; W. Obwexer, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für die Umsetzung der Assoziierungsabkommen, in: E. Antalovsky/K. König/B. Perchinig/H. Vana (Hrsg.), Assoziierungsabkommen der EU mit Drittstaaten, 1998, 87 Web: http://ec.europa.eu/comm/external_relations/ search/countries.htm
Asyl für Unionsbürger asylum for Union citizens – asile pour citoyens de l’Union
Gem. dem ĺProtokoll (Nr. 29) zum ĺVertrag von Amsterdam über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 10.11.1997, Nr. C 340/103, gelten in Anbetracht des hohen Schutzniveaus der ĺGrundrechte und ĺGrundfreiheiten in der Union sämtliche Mitgliedstaaten als ĺsichere Herkunftsstaaten, was grundsätzlich die Prüfung eines Asylantrags eines Unionsbürgers ausschließt. Von diesem Ausschluss bestehen die folgenden, engen Ausnahmen und ein Asylantrag eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats kann von einem anderen Mitgliedstaat nur berücksichtigt oder zur Bearbeitung zugelassen werden, a. wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam Art. 15 ĺEMRK anwendet und Maßnahmen ergreift, die in seinem Hoheitsgebiet die in der Konvention vorgesehenen Verpflichtungen außer Kraft setzen; 60
b. wenn das Verfahren des Art. 7 Abs. 1 des ĺVertrags über die Europäische Union eingeleitet worden ist und bis der Rat diesbezüglich einen Beschluss gefasst hat; c. wenn der Rat nach Art. 7 Abs. 1 des ĺVertrags über die Europäische Union eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung von in Art. 6 Abs. 1 genannten Grundsätzen durch den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, festgestellt hat; d. wenn ein Mitgliedstaat in Bezug auf den Antrag eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats einseitig einen solchen Beschluss fasst; in diesem Fall wird der ĺRat umgehend unterrichtet; bei der Prüfung des Antrags wird von der Vermutung ausgegangen, dass der Antrag offensichtlich unbegründet ist, ohne dass die Entscheidungsbefugnis des Mitgliedstaats in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird. Es ist zweifelhaft, ob das Protokoll Nr. 29 mit der ĺGenfer Flüchtlingskonvention vereinbar ist, da deren Bestimmungen stets eine Einzelfallprüfung eines Asylansuchens erfordern. (gt) (jw) Lit.: K. Hailbronner, Immigration and Asylum Law and Policy of the European Union, 2000, 463 ff.; G. Muzak, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, Loseblatt, 44. Lfg. 2005, Art. 63 EGV, Rn. 10-13; S. Peers, EU Justice and Home Affairs Law, 2006, 315 ff.
Asylum shopping Asylum shopping, das Stellen mehrfacher Asylanträge in unterschiedlichen Mitgliedstaaten durch ein und denselben Antragsteller, soll materiell durch harmonisierte Asylverfahren (ĺAsylverfahrensrichtlinie [RL 2005/85/EG]) bzw. insbesondere formell durch das einheitliche europäische Zuständigkeitssystem (ĺDublin II-Verordnung VO [EG] 343/2003) verhindert werden. (gt) (jw) Asylverfahren-Mindestgarantien minimum standards on procedures for granting and withdrawing refugee status – normes minimales concernant la procédure d’octroi et de retrait du statut de réfugié
Mindeststandards für das Verfahren, in dem über die Zu- oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft entschieden wird, sieht die am 1.12. 2005 beschlossene RL 2005/85/EG vor, die von den Mitgliedstaaten bis zum 1.12.2007 umzusetzen war. Diese sog. ĺAsylverfahrensrichtlinie enthält im Wesentlichen prozedurale Garantien inklusive einem Bleiberecht für Asylantragsteller, die ein faires, effektives und schnel-
Asymmetrische Präferenzen les Verfahren sicherstellen und dazu beitragen sollen, die Sekundärmigration von Asylbewerbern zwischen Mitgliedstaaten, soweit sie auf Unterschiede der rechtlichen Rahmenbedingungen zurückzuführen ist, einzudämmen bzw. zumindest zu reduzieren. (gt) (jw) Lit.: G. Renner, Europäische Mindestnormen für Asylverfahren, ZAR 2003, 88 ff.
Asylverfahrensrichtlinie asylum procedures directive – directive procédure d’asile
Nach langwierigen politischen Verhandlungen hat der Rat am 1.12.2005 gem. Art. 63 Abs. 1 lit. d EG die RL 2005/85/EG über Mindeststandards für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft beschlossen (ABl. 13.12.2005, Nr. L 326/13). Zweck der Richtlinie ist gem. Art. 1 und Erwägungsgrund 5 die Festlegung von Mindestnormen bzw. die Schaffung eines Mindestrahmens in der Gemeinschaft für die Verfahren zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Richtlinie ist ein bedeutender Schritt zur Harmonisierung des Asylverfahrens als wesentlicher Bestandteil eines ĺGemeinsamen Europäischen Asylsystems. Die Angleichung der Rechtsvorschriften über das Asylverfahren soll dazu beitragen, die Sekundärmigration von Asylbewerbern zwischen den Mitgliedstaaten, soweit sie auf Unterschiede der rechtlichen Rahmenbedingungen zurückzuführen ist, einzudämmen bzw. zumindest zu reduzieren. Die Richtlinie stellt sicher, dass dem Antragsteller insbesondere prozedurale Rechte und das Bleiberecht eingeräumt werden. Der Anwendungsbereich der Richtlinie umfasst alle Verfahren, in denen über Anträge auf internationalen Schutz entschieden wird, d.h. Asyl, Flüchtlingsschutz nach der ĺGenfer Flüchtlingskonvention und ĺsubsidiärer Schutz. Art. 6. der Richtlinie regelt den Zugang zum Verfahren. Art. 7 gewährleistet Antragstellern das Recht so lange im Mitgliedstaat zu verbleiben, bis die Asylbehörde über den Asylantrag entschieden hat; aus diesem Bleiberecht kann aber kein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel abgeleitet werden. Art. 8 legt fest, dass Asylanträge einzeln, objektiv und unparteiisch geprüft und entschieden werden müssen. Die Entscheidung über einen Antrag hat gem. Art. 9 schriftlich zu ergehen. Des Weiteren sieht die Richtlinie sowohl etliche Garantien als auch Verpflichtungen (Mitwirkungspflichten) der Asylwerber vor. Art. 10 ga-
rantiert, dass diese in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann, über den Verlauf des Verfahrens und über ihre Rechte und Pflichten während des Verfahrens sowie darüber informiert werden müssen, welche Folgen es haben kann, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen und nicht mit den Behörden zusammenarbeiten (erforderlichenfalls Beiziehung eines Dolmetschers). Asylwerber sollen innerhalb einer angemessenen Frist von der Entscheidung der Asylbehörde über ihren Asylantrag in Kenntnis gesetzt werden (im Falle der Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder sonstigen Rechtsberater kann dieser statt des Asylwerbers von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt werden). Die Richtlinie enthält zudem die Konzepte der ĺsicheren Drittstaaten und der ĺsicheren Herkunftsstaaten. Ein sicherer Drittstaat ist dabei ein Staat, der den Anforderungen der ĺGenfer Flüchtlingskonvention und der ĺEMRK gerecht wird. Gem. Art. 27 ist die Sicherheit auf Grund der Rechtspraxis des betreffenden Staats festzustellen, wobei eine Einzelfallprüfung gewährleistet sein muss. Gem. Art. 25 Abs. 2 lit. c können die Mitgliedstaaten einen Asylantrag als unzulässig betrachten, wenn ein Staat, der kein Mitgliedstaat ist, als für den Asylwerber sicherer Drittstaat gem. Art. 27 betrachtet wird. Darüber hinaus kann ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen werden, wenn der Asylantragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt. Gem. dem ĺProtokoll über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten gelten die Mitgliedstaaten füreinander jedenfalls als ĺsichere Herkunftsstaaten. (gt) (jw) §§: RL 2005/85/EG Lit.: G. Renner, Europäische Mindestnormen für Asylverfahren, ZAR 2003, 88-96; S. Peers, EU Justice and Home Affairs Law, 2006, 335-342; D. Kugelmann, Einwanderungs- und Asylrecht, Rn. 173-182, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1827
Asymmetrische Präferenzen Asymmetrical preferences – Préférences asymétriques
Präferenzen im Rahmen des internationalen Handels, die nicht auf der Basis der Gegenseitigkeit gewährt werden. Sie dienen dazu, die wirtschaftliche Entwicklung einer Region oder eines Landes zu fördern. Von der Europäischen Union im Rahmen des ĺAllgemeinen Präferenzsystems gewährt. (bh) 61
ATHENA ATHENA Finanzierungsmechanismus für die gemeinsam zu tragenden Kosten bei ĺMilitärmissionen im Rahmen der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Eine Finanzierung operativer Kosten mit militärischen und verteidigungspolitischen Bezügen aus dem ĺHaushalt der EU scheidet nach Art. 28 Abs. 3 EU aus. Dies gilt v.a. für militärische ĺESVP-Missionen, während zivile Missionen im Rahmen der verfügbaren Mittel aus dem EU-Haushalt mitfinanziert werden. ATHENA speist sich aus Finanzzuweisungen der Mitgliedstaaten und wird unabhängig vom Haushalt der EU durch den ĺRat verwaltet. ATHENA finanziert nur die im Errichtungsbeschluss näher definierten gemeinsamen Kosten (z.B. Hauptquartiere, Öffentlichkeitsarbeit), nicht jedoch die regulären Kosten für Personal und Ausrüstung, welche von den entsendenden Mitgliedstaaten direkt getragen werden („costs lie where they fall“). Die Definition des Umfangs der gemeinsamen Kosten führt regelmäßig zu internen Auseinandersetzungen zwischen den ĺMitgliedstaaten im Rat. (dt) §§: Art. 28 EU, Beschluss 2004/197/GASP, ABl. 2004, Nr. L 63/68 Lit.: D. Scannell, Financing ESDP Military Operations, EFA Rev. 9 (2004) 529
Atlanta Fruchthandelsgesellschaft-Entscheidung (BVerfG) ĺBananenmarktordnung-Entscheidung (BVerfG) ATLAS Im Rahmen des ĺEuropäischen Justiziellen Netzes für Strafsachen erstellter und auf dessen Homepage allgemein zugänglicher Überblick, der es ermöglicht, für ein konkretes Rechtshilfeersuchen anhand der angestrebten Ermittlungsmaßnahme die sachlich und räumlich zuständige Justiz- oder sonstige Behörde zu ermitteln. (sts) Web: http://www.ejn-crimjust.europa.eu
Atomausstieg nuclear phase-out – sortie du nucléaire
Der ĺEAGV trifft grundsätzlich keine Entscheidung darüber, ob und inwieweit die Nutzung der Atomenergie zu zivilen Zwecken, namentlich zur Energieerzeugung erfolgen solle. Deshalb steht es jedem ĺMS grundsätzlich frei, auf die Errichtung von Atomkraftwerken 62
(AKW) auf seinem Territorium überhaupt zu verzichten (vgl. etwa das ĺAtomsperrgesetz in Österreich) oder aus der Kernenergieproduktion wieder auszusteigen. Beschlüsse hinsichtlich eines mittel- oder langfristigen Atomausstiegs sind etwa 1980 in Schweden, 1987 in Italien, 1999 in Belgien und 2000 in Deutschland erfolgt. Die Modalitäten des Atomausstiegs sind aber nach den allgemeinen Regeln dem ĺEuropäischen Atomrecht, insb. den Bestimmungen des ĺEuratom-Vertrages unterworfen. Europarechtlich relevante Fragen können sich dabei v.a. in Zshg. mit den Vorschriften über den ĺGemeinsamen Markt auf dem Kerngebiet sowie überhaupt im Blick auf die gemeinschaftsrechtlich verbürgten ĺGrundfreiheiten und ĺGrundrechte ergeben. Diese Fragen sind namentlich hinsichtlich des Atomausstiegs Deutschlands diskutiert worden. Im Gefolge einer Vereinbarung zwischen der deutschen Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen vom 14.6.2000 (sog. Atomkonsens) trat 2002 eine Novelle zum Atomgesetz in Kraft. Sie beinhaltet u.a. ein Verbot des Neubaus von kommerziellen AKW, eine Limitierung der Restlaufzeit von bestehenden AKW und ab 1.7.2005 ein Verbot der Abgabe von Kernbrennstoffen an Wiederaufbereitungsanlagen (La Hague in Frankreich, Sellafield in Großbritannien). Die dadurch aufgeworfenen europarechtlichen Probleme sind noch nicht umfänglich gelöst. (atm) §§: Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) i.d.F. der Bekanntmachung vom 15.7.1985 (BGBl. I 1985, 1565), zuletzt geändert durch BGBl. I 2006, 2407 Lit.: M. Schmidt-Preuß, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II 1. Teilbd., 2. Aufl. 2002, 478 ff.; C. Koenig/ C. Müller, Das Verbot der Abgabe von Kernbrennstoffen gem. § 9a I 2 AtG auf dem Prüfstein des Gemeinschaftrechts, EuZW 2007, 139
Atomenergie, friedliche/militärische Nutzung der peaceful/military use of nuclear energy – utilisation pacifique/militaire de l’énergie atomique
Obwohl der ĺEAGV keine ausdrückliche Regelung dazu enthält (im Gegensatz zu Art. 296 EG), ist nach allgemeiner Ansicht die militärische Nutzung der Atomenergie prinzipiell von dessen Anwendungsbereich ausgeschlossen. Als Hinweise darauf können die Präambel („friedlicher Fortschritt“) sowie Art. 84 Abs. 3 gelten,
Atomsperrgesetz der zu Verteidigungszwecken bestimmte Stoffe von der ĺSicherheitsüberwachung ausnimmt. Dies wurde auch durch den ĺEuGH bestätigt (vgl. Rs. C-61/03; Beschluss 1/78). Zugleich will aber insb. das System der Sicherheitsüberwachung durch geeignete Kontrollen verhindern, dass zur friedlichen/zivilen Nutzung bestimmte ĺKernstoffe zu anderen als den von ihren Benutzern angegebenen Zwecken verwendet werden (Art. 77). Dem dient namentlich das durch den EAGV etablierte strenge Inspektionsregime (Art. 81 ff.). Insofern wird auch den im Atomwaffensperrvertrag (Non Proliferation Treaty – NPT) verankerten Grundsätzen Rechnung getragen. Zur Umsetzung der Verpflichtungen daraus haben die ĺEAG, deren Nichtkernwaffenstaaten und die ĺIAEO 1973 ein Verifikationsabkommen abgeschlossen (ĺEuratom-Vertrag, Außenbeziehungen). Darin verpflichten sich die betreffenden ĺMS, Sicherungsmaßnahmen (safeguards/garanties) gem. Art. III NPT zu akzeptieren. Das trilaterale Abkommen ist durch ein ZP von 1998 geändert worden, das die Kontrollbefugnisse der IAEO deutlich erweitert und zum 30.4.2004 in Kraft getreten ist. (atm) §§: Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen vom 1.7.1968, dt. BGBl. II 1974, 786, österr. BGBl. 258/1970; Übereinkommen vom 5.4.1973, ABl. 1978, Nr. L 51/1; Zusatzprotokoll vom 22.9.1998, ABl. 1999, Nr. L 67/1 Rsp.: EuGH, Beschluss 1/78, Slg. 1978, 2151, Rn. 12; Rs. C-61/03 Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2005, I-2477, Rn. 36, 44
Atomenergie-Agentur ĺKernenergie-Agentur Atomhaftungsrecht nuclear liability law – droit de la responsabilité nucléaire
Das europ. Atomhaftungsrecht beruht einerseits auf dem im Schoße der ĺKernenergie-Agentur der OECD geschaffenen Pariser Übereinkommen von 1960 (P.Ü.) als regionalem Übereinkommen mit v.a. westeurop. Mitgliederkreis. Es wurde mehrfach weiter entwickelt, insb. Durch das Brüsseler ZP von 1963 sowie ZP von 1982 und 2004. Fast parallel dazu entstand andererseits unter Schirmherrschaft der ĺIAEO das von analogen Prinzipien geleitete, aber mit geringeren Haftungssummen dotierte universelle Wiener Übereinkommen von 1963 (W.Ü.), das 1997 wesentliche Änderungen erfahren hat. Ein Gemeinsames Protokoll von 1988 vermittelt zwischen den beiden Regimen. Die Mehr-
heit von 13 EU-MS (die EU-15 außer Irland, Luxemburg und Österreich, zzgl. Slowenien) gehört dem P.Ü. an, neun dem W.Ü. (alle ĺMOEL außer Slowenien). Fünf MS haben keines der Abkommen ratifiziert. Österreich hat das P.Ü. lediglich unterzeichnet, ist aber mit dem Atomhaftungsgesetz 1999 (BGBl. I 170/1998) zumindest teilweise eigene Wege gegangen. Das den europ. Staaten im Wesentlichen gemeinsame Atomhaftungsrecht stellt also ĺEuropäisches Atomrecht i.w.S. dar. Abgesehen von soft law bestehen keine genuinen EU-rechtlichen Vorschriften. Vielmehr schließt etwa Art. 4 Abs. 4 i.V.m. Anh. V der UmwelthaftungsRL 2004/35/EG (ĺUmwelthaftung) nukleare Risiken explizit zu Gunsten der atomhaftungsrechtlichen Übereinkommen von ihrem Anwendungsbereich aus. (atm) §§: Pariser Übereinkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie vom 29.7.1960, dt. BGBl. II 1975, 957; Wiener Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Nuklearschäden vom 21.5.1963; Empfehlungen 65/42/Euratom, ABl. 1965, Nr. 196/2995 und 66/22/Euratom, ABl. 1966, Nr. 136/2553 Lit.: S. Kissich, Internationales Atomhaftungsrecht, 2004, 27 ff.; N. Pelzer, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II 1. Teilbd., 2. Aufl. 2002, 445 ff.
Atomrecht ĺEurop. Atomrecht Atomsperrgesetz Law of the Non-Production of Nuclear Energy – Loi sur la non-production d’énergie nucléaire
Im Gefolge der Ablehnung des österr. Atomkraftwerks Zwentendorf in der Volksabstimmung vom 5.11.1978 wurde noch im selben Jahr das sog. Atomsperrgesetz erlassen. Es verbietet in Österreich generell Errichtung und Betrieb von Anlagen, mit denen zum Zwecke der Energieversorgung elektrische Energie durch Kernspaltung erzeugt werden soll. Dieses Verbot wurde 2000 durch ein eigenes Bundesverfassungsgesetz erneuert und so in Verfassungsrang erhoben. Damit in Zshg. steht auch die anlässlich des österr. EU-Beitritts in die Schlussakte des Beitrittsvertrags aufgenommene Gemeinsame Erklärung. Darin erkennen die Vertragsparteien wechselseitig an, dass sie unbeschadet der Regeln für den ĺBinnenmarkt die Entscheidung über die Erzeugung von Kernenergie entsprechend ihren eigenen politischen Ausrichtungen treffen. Der ĺEAGV nötigt nämlich nicht zu Errichtung oder Fortführung 63
Audiovisuelle kommerzielle Kommunikation von Kernanlagen (vgl. auch ĺAtomausstieg). (atm)
diovisuellen Mediendienste, sondern auf die ĺDienste der Informationsgesellschaft. (dd)
§§: Bundesgesetz über das Verbot der Nutzung der Kernspaltung für die Energieversorgung in Österreich, BGBl. 676/1978; Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich, BGBl. I 149/1999; Gemeinsame Erklärung zur Anwendung des Euratom-Vertrags zum Beitrittsvertrag vom 24.6.1994, ABl. 1994, Nr. C 241/ 382 Lit.: F. Leidenmühler, Das Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich im Licht des Europarechts, ÖJZ 2000, 321
§§: Art. 1 lit. f, Vorschlag für eine Richtlinie „Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“, KOM(2007) 170 endg. Lit.: K. Kassai, Europäisches Werberecht für die elektronischen Medien, in: W. Berka/C. Grabenwarter/ M. Holoubek (Hrsg.), Gemeinschaftsrecht und Rundfunk – Revolution oder Anpassung, 2007, 97
Audiovisuelle kommerzielle Kommunikation audiovisual commercial services – communication commerciale audiovisuelle
In Art. 1 lit. f des Vorschlags für eine Richtlinie „Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“, KOM(2007) 170 endg. definiert als „Bilder mit oder ohne Ton, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von ĺWaren und ĺDienstleistungen oder des Erscheinungsbilds natürlicher oder juristischer Personen, die einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, dienen.“ Solche Bilder sind gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung einem Programm beigefügt oder darin enthalten. Zur audiovisuellen kommerziellen Kommunikation zählen unter anderem Fernsehwerbung (ĺWerbung), ĺSponsoring, ĺTeleshopping und ĺProduktplatzierung. Der Begriff ist breiter als der der ĺFernsehwerbung und erfasst auch mittelbare Absatzförderung sowie Imagewerbung für natürliche und juristische Personen im Zusammenhang mit dem Anbieten ĺaudiovisueller Mediendienste. Bei der audiovisuellen kommerziellen Kommunikation handelt es sich somit um einen Überbegriff für sämtliche möglichen mittelbaren und unmittelbaren Werbeformen in den ĺlinearen und nicht linearen audiovisuellen Mediendiensten. Er dient der Festlegung allgemeiner und einheitlicher Grundsätze und Regelungen für alle Werbeformen im Bereich der audiovisuellen Mediendienste. Nicht umfasst vom Begriff sind Beiträge in audiovisuellen Mediendiensten im Dienst der Öffentlichkeit und kostenlose Spendenaufrufe zu Wohlfahrtszwecken. Diese dienen nicht der Förderung juristischer oder natürlicher Personen, die einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. Der Begriff der „kommerziellen Kommunikation“ in der E-commerce-RL 2000/31/EG (Art. 2 lit. f), ABl. 2000, Nr. L 178/1, bezieht sich im Vergleich zum Begriff der „audiovisuellen kommerziellen Kommunikation“ nicht auf die au64
Audiovisuelle Mediendienste audiovisual media services – services de médias audiovisuels
Der Begriff wird von der neuen ĺRichtlinie „Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“ eingeführt. Er bezeichnet (nach dem derzeitigen Richtlinienentwurf, Stand: 20.6.2007) ƒ alle Dienstleistungen i.S.d. Art. 49 und 50 EG (und insofern nur wirtschaftliche Tätigkeiten), ƒ für die ein ĺMediendiensteanbieter die redaktionelle Verantwortung trägt und ƒ deren Hauptzweck die Bereitstellung von Programmen zur Information, Unterhaltung oder Bildung ƒ der allgemeinen Öffentlichkeit ƒ über ĺelektronische Kommunikationsnetze i.S.v. Art. 2 lit. a RahmenRL 2002/21/EG, ABl. 2002 L 108/33 ist. Innerhalb der audiovisuellen Mediendienste wird unterschieden zwischen ĺlinearen und ĺnicht linearen audiovisuellen Mediendiensten, die dem Konzept einer abgestuften Regulierung entsprechend aufgrund ihrer unterschiedlich starken massenmedialen Wirkung auch unterschiedlich stark reguliert werden sollen. (dd) §§: Art. 1 lit. a Vorschlag für eine Richtlinie „Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“, KOM(2007) 170 endg. Lit.: W. Schulz, Zum Vorschlag für eine Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, in: W. Berka/C. Grabenwarter/M. Holoubek (Hrsg.), Gemeinschaftsrecht und Rundfunk – Revolution oder Anpassung, 2007, 1 Web: http://ec.europa.eu/avpolicy/reg/tvwf/moder nisation/proposal_2005/index_en.htm
Audiovisuelle Mediendienste, linear audiovisual media services, linear – Services de médias audiovisuels, linéaire
S. ĺFernsehsendung. (dd) §§: Art. 1 lit. a und c, Vorschlag für eine ĺRichtlinie „Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“, KOM(2007) 170 endg.
Audiovisuelle Mediendienste, nicht-linear audiovisual media services, non linear – services de médias audiovisuels, non linéaire
S. ĺAbrufdienst. (dd) §§: Art. 1 lit. e, Vorschlag für eine Richtlinie
Aufhebung, einer Ausschreibung Audiovisuelle Mediendiensterichtlinie audiovisual media services directive – directive sur les services de médias audiovisuals
Angestrebt wird ein integriertes Gesamtkonzept der Regulierung elektronisch bereitgestellter audiovisueller Inhalte und damit faire Wettbewerbsvoraussetzungen (ein „level playing field“) im audiovisuellen Sektor zu schaffen. Dementsprechend soll die ĺFernsehRL abgeändert und ihr Anwendungsbereich auf sämtliche ĺaudiovisuellen Mediendienste erstreckt werden. (dd) Audiovisuelle Werke audiovisual works – Œuvres audiovisuelles
Der Begriff ist weiter gefasst als der Begriff der ĺaudiovisuellen Mediendienste. Im Rahmen des Förderprogramms ĺMEDIA 2007 verwendet und umschrieben in einem sehr weiten Sinn: alle Inhalte, die sich aus Bewegtbildern mit oder ohne Ton zusammensetzen, unabhängig von der Art ihrer Verbreitung. Darunter fallen nicht nur die über ĺelektronische Kommunikationsnetze übertragenen ĺaudiovisuellen Mediendienste, sondern insb. auch im Kino oder über physische Datenträger (z.B. DVDs) verbreitete Medieninhalte. (dd) Aufenthaltsbeendende Maßnahme ĺAusweisung Aufenthaltsformalitäten residential administrative formalities – formalités administratives de séjour
Trotz seiner gegenüber sonstigen Ausländern privilegierten aufenthaltsrechtlichen Position muss der Unionsbürger Formalitäten bezüglich seiner Ein- und Ausreise sowie seines Aufenthalts wahren. Zu diesen zählen namentlich die Pflichten, bei Ein- und Ausreise entsprechende Personaldokumente vorzulegen (Art. 4 f. RL 2004/38/EG) sowie sich für länger als drei Monate dauernde Aufenthalte anzumelden (Art. 8 RL 2004/38/EG). Die Anmeldung hat die bislang erforderliche Beantragung einer (für das Aufenthaltsrecht deklaratorischen) Aufenthaltserlaubnis abgelöst. Das Nichteinhalten ausländerrechtlicher Formalitäten allein rechtfertigt keine Ausweisung (EuGH, Rs. 48/75 Royer, Slg. 1976, 497, Rn. 38 ff.; ĺAusweisung). Der Aufnahmemitgliedstaat ist lediglich befugt, dies verhältnismäßig und nicht diskriminierend zu sanktionieren (vgl. Art. 8 Abs. 2 Satz 3 RL 2004/
38/EG; EuGH, Rs. C-378/97 Wijsenbeek, Slg. 1999, I-6207, Rn. 44; Rs. C-215/03 Oulane, Slg. 2005, I-1215, Rn. 38 ff.). Für drittstaatsangehörige Familienmitglieder des Unionsbürgers (ĺFreizügigkeit, Familienangehörige) gelten besondere Aufenthaltsformalitäten (Art. 9 ff. RL 2004/38/EG). (fw) §§: RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 160 f.
Aufenthaltsrecht ĺFreizügigkeit, Unionsbürger; ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines, Aufenthaltsrecht; ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Aufenthaltsrecht; ĺNiederlassungsfreiheit, Aufenthaltsrecht; ĺaktive Dienstleistungsfreiheit; ĺpassive Dienstleistungsfreiheit Aufenthaltsrecht, dauerhaftes right of permanent residence – droit de séjour permanent
Gem. Art. 16 ff. der ĺFreizügigkeitsrichtlinie erwirbt ein ĺUnionsbürger bei einem rechtmäßigen, fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht. S. ĺRecht auf dauerhaften Aufenthalt. (ao) Aufenthaltsrecht, grundrechtliches freedom of residence – liberté de séjour
Es gilt das zur grundrechtlichen Freizügigkeit (s. ĺFreizügigkeit, grundrechtliche) Gesagte: s. dort. (ed) §§: Art. 16 ff. RL 2004/38/EG
Aufenthaltsrichtlinie ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG Aufhebung, einer Ausschreibung Revocation of tender – révocation
Die Aufhebung (in der österr. Terminologie: Der Widerruf) einer ĺAusschreibung im Sinn des ĺVergaberechts bedeutet, dass ein öffentlicher ĺAuftraggeber sich dazu entschließt, ein ĺVergabeverfahren zu beenden, ohne einem der ĺBieter den ĺZuschlag zu erteilen. Die Aufhebung einer Ausschreibung ist grundsätzlich eine zulässige Vorgangsweise (der Auftraggeber muss ein Vergabeverfahren nicht in jedem Fall mit der Vergabe des Auftrags beenden). Gefordert wird allerdings, dass der Auf65
Aufnahmefähigkeit traggeber dabei nicht willkürlich bzw. in diskriminierender Absicht vorgeht, sondern dass die Aufhebung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist (z.B. geänderte Bedürfnislage, geänderte Budgetlage). Der EuGH hat in seiner Rsp. gefordert, dass die Entscheidung, eine Ausschreibung aufzuheben, nachprüfbar und ggf. aufhebbar sein muss (EuGH 18.6.2002, Rs. C-92/00 Hospital Ingenieure, Slg. 2002, I-5553; EuGH 2.6.2005, Rs. C-15/04 Koppensteiner, Slg. 2005, I-4855). (cm) §§: Art. 41 Abs. 1 VergabeRL Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 296 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Aufnahmefähigkeit capacity of the EU to absorb new member states – la capacité de l’Union à intégrer de nouveaux membres
Die Anforderung der A. (oft auch Erweiterungsfähigkeit genannt) der EU, bringt zum Ausdruck, dass eine ĺErweiterung das Funktionieren der Union und die Vertiefung des Integrationsprozesses nicht gefährden darf. Die A. ist zwar schon aus den Zielen und der systematischen Intention der bisherigen Verträge ableitbar, wurde jedoch durch die ĺKopenhagener Kriterien konkretisiert: „Die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten, stellt ebenfalls einen sowohl für die Union als auch für die Beitrittskandidaten wichtigen Gesichtspunkt dar.“ (Schlussfolgerungen des Europ. Rates vom Kopenhagen 21./22.6.1993,13). Dass es sich bei der A., um eine politische Prognoseentscheidung der MS handelt, welche sich rechtlicher Kontrolle weitgehend entzieht, wird schon am Wortlaut des Kriteriums deutlich, der im Gegensatz zu den anderen ĺKopenhagener Kriterien die A. als „wichtigen Gesichtspunkt“, nicht aber als Voraussetzung bezeichnet. Entgegen anderslautender Aussagen von Regierungsvertretern entspricht auch der am 3.10.2005 beschlossene Verhandlungsrahmen für die Türkei (volle „Berücksichtigung aller Kopenhagener Kriterien, inklusive der Aufnahmefähigkeit“ der Union) den ĺBeitrittsvoraussetzungen der vorangegangen Erweiterungsrunde (ĺOsterweiterung). Auf Auforderung des Europ. Rates (15./16.06, Schlussfolgerungen, Rn. 53) hat die KOM einen Sonderbericht über die Fähigkeit der EU zur Integration neuer Mitglieder (KOM [2006] 649 endg.) vorgelegt. In diesem ersetzt die KOM 66
den Begriff der A. durch jenen der Integrationsfähigkeit, bei welchem es um die Frage geht, „ob die EU zu einem bestimmten Zeitpunkt […] neue Mitglieder aufnehmen kann, ohne ihre in den Verträgen begründeten politischen Ziele aufs Spiel zu setzen.“ Um die Bewertung der Integrationsfähigkeit zu erleichtern, wird die KOM künftig in jeder wichtigen Phase des Beitrittsprozesses Folgenabschätzungen für wichtige Politikbereiche (wie bspw Freizügigkeit, Grenzverwaltung und Kohäsionspolitik) erstellen und bereits dem ĺAvis eine Schätzung der Auswirkungen des Beitritts auf den EU-Haushalt beifügen. Darüber hinaus wird eine „neue institutionelle Regelung“ zur Erhöhung der Integrations- und Funktionsfähigkeit der EU empfohlen. (lo) Lit.: T. Bruha/O. Vogt, Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, VRÜ 1997, 477
Aufnahmerichtlinie asylum reception directive – directive conditions d’accueil
Die RL 2003/9/EG des Rats vom 27.1.2003 über Mindestnormen über die Aufnahme von Asylwerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. 6.2.2003, L 31/18) sieht Mindeststandards für die materiellen Aufnahmebedingungen von Asylwerbern einschließlich der Einräumung eines durchsetzbaren Rechtsanspruches vor und war von den Mitgliedstaaten bis zum 6.2.2005 umzusetzen. Die auf der Grundlage von Art. 63 Abs. 1 Z. 1 lit. b EG erlassene Richtlinie soll sicherstellen, dass Asylwerbern Bedingungen eingeräumt werden, die diesen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen und an deren besondere Bedürfnisse angepasst sind. Gem. Art. 7 der Richtlinie dürfen sich Asylwerber im Hoheitsgebiet eines Aufnahmemitgliedstaats oder in einem ihnen von diesem Mitgliedstaat zugewiesenen Gebiet frei bewegen. Die Mitgliedstaaten können – aus Gründen des öffentlichen Interesses, der öffentlichen Ordnung oder wenn es für eine reibungslose Bearbeitung und wirksame Überwachung des betreffenden Asylantrags erforderlich ist – einen Beschluss über den Wohnsitz des Asylbewerbers fassen. Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um die Einheit der Familie, die sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhält, so weit wie möglich zu wahren, wenn den Asylbewerbern von dem betreffenden Mitgliedstaat Unterkunft gewährt wird (Art. 8). Laut Art. 11 der Richtlinie legen die Mitgliedstaaten einen mit der Einreichung des Asylantrags beginnenden Zeitraum
Auftraggeber, öffentlicher fest, in dem der Asylwerber keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hat. Darüber hinaus sieht die Richtlinie unter anderem Regelungen über die medizinische Versorgung, die berufliche Bildung, die Gesundheitsvorsorge sowie zu den näheren Modalitäten der materiellen Aufnahmebedingungen vor. (gt) (jw) §§: RL 2003/9/EG Lit.: G. Marx, Umsetzung der Aufnahmerichtlinie in Österreich, migraLex 2005, 82; C. Schmid, Aufnahmerichtlinie der Europäischen Gemeinschaft, ZUV 2003, 123
Aufsichtsklage commission infringement procedure – action de surveillance de la commission (phase précontentieuse au recours en manquement)
Ein oft verwendeter Begriff für das Verfahren gem. Art. 226 EG ist der Begriff der Aufsichtsklage, da die Kommission in ihrer Eigenschaft als Hüterin der Verträge tätig wird. Für die Aufsichtsklage ergibt sich folgender Verfahrensablauf: 1. Kenntnisnahme eines etwaigen Vertragsverstoßes durch die ĺKommission, danach zunächst Versuch einer frühen gütlichen Einigung (ĺinformelles Vorverfahren) 2. Übersendung des ĺMahnschreibens an den Mitgliedstaat (Beginn des formellen Vorverfahrens) 3. Gegenvorstellung des Mitgliedstaates 4. Übersendung einer ĺmit Gründen versehenen Stellungnahme an den Mitgliedstaat 5. Fruchtloser Ablauf der in der Stellungnahme gesetzten Frist zur Abhilfe 6. Klageerhebung vor dem EuGH 7. Feststellungsurteil 8. Bei fortgesetztem Vertragsverstoß: Sanktionsverfahren (inkl. erneuter Frist zur Beseitigung des Vertragsverstoßes) 9. Erhebung der ĺSanktionsklage vor dem EuGH 10. Verurteilung zu einem ĺZwangsgeld oder zu einem ĺPauschalbetrag 11. Vollstreckung des Sanktionsurteils (cv) §§: Art. 226 EG
Auftrag, öffentlicher public contract – marché public
Durch den Begriff des öffentlichen Auftrags wird der sachliche Geltungsbereich des ĺVergaberechts umschrieben. Ein öffentlicher Auftrag ist ein zwischen einem (oder mehreren)
ĺWirtschaftsteilnehmer(n) und einem (oder mehreren) öffentlichen ĺAuftraggeber(n) geschlossener schriftlicher entgeltlicher Vertrag über die Ausführung von Bauleistungen (s. dazu öffentliche ĺBauaufträge), die Lieferung von Waren (s. dazu öffentliche ĺLieferaufträge) oder die Erbringung von Dienstleistungen (s. dazu öffentliche ĺDienstleistungsaufträge). Ein Vertrag erfordert jedenfalls ein Rechtsgeschäft zwischen zwei voneinander getrennten Rechtspersonen. Transaktionen innerhalb eines Rechtsträgers (s. dazu auch ĺin-house-Vergabe) fallen somit ebenso wenig in den Geltungsbereich des Vergaberechts wie eine Beauftragung im Wege eines einseitigen Verwaltungsaktes. Der Begriff der Entgeltlichkeit ist weit zu verstehen. Grundsätzlich gelten seit der ĺVergabeRL für alle drei Auftragskategorien die gleichen Vorschriften; abweichende Regelungen gibt es allerdings im Bereich der ĺSchwellenwerte, hinsichtlich der Wahl des ĺVerhandlungsverfahrens sowie hinsichtlich der Nachweise, die für die Erfüllung der technischen Leistungsfähigkeit (s. dazu die ĺEignung) verlangt werden können. Gem. ihren Art. 13 bis 15 gilt die VergabeRL für bestimmte öffentliche Aufträge nicht; dies betrifft gewisse Aufträge im Telekommunikationsbereich, Aufträge, die der Geheimhaltung unterliegen oder die besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordern, sowie gewisse Aufträge, die auf der Grundlage internationaler Vorschriften vergeben werden. Für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen im Verteidigungsbereich gilt die VergabeRL nur vorbehaltlich des Art. 296 EG. (cm) §§: Art. 1 Abs. 2 lit. a, Art. 10 und Art. 13 bis 15 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 283, 339; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 107, 182 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Auftraggeber, öffentlicher contracting authority – entité adjudicatrice
Durch den Begriff des öffentlichen Auftraggebers wird der persönliche Geltungsbereich des ĺVergaberechts umschrieben. Es sind dies somit jene juristischen Personen, die zur Anwendung der Vergabevorschriften verpflichtet sind. Öffentliche Auftraggeber sind Gebietskörperschaften, so genannte Einrichtungen des öffentlichen Rechts und Verbände (Zusammenschlüsse) aus diesen. Für eine Einstufung als 67
Auftragnehmer Einrichtung des öffentlichen Rechts muss eine Einrichtung kumulativ folgende drei Merkmale erfüllen: ƒ Sie muss Rechtspersönlichkeit besitzen. ƒ Sie muss zu dem besonderen Zweck gegründet worden sein, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen. Im Allgemeininteresse liegende Aufgaben sind bestimmte Kernaufgaben – etwa im Bereich der Daseinsvorsorge –, die vom Staat im Interesse des Gemeinwohls besorgt werden (vgl. dazu EuGH 15.1.1998, Rs. C-44/96 Mannesmann Anlagenbau, Slg. 1998, I-73; EuGH 16.10.2003, Rs. C-283/00 Kommission/ Spanien, Slg. 2003, I-11697; EuGH 12.12. 2002, Rs. C-470/99 Universale Bau, Slg. 2002, I-11617). Fehlt es an einem entwickelten Wettbewerb, verfolgt die Einrichtung keine Gewinnerzielungsabsicht und besteht die Möglichkeit, die Einrichtung aus Gründen des öffentlichen Interesses zu liquidieren, so spricht dies für eine Aufgabe nicht gewerblicher Art. Umgekehrt spricht ein Arbeiten nach Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien sowie die Tatsache, dass die Einrichtung das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit selbst trägt, für eine Aufgabe gewerblicher Art (vgl. EuGH 10.5.2001, Rs. C-223/99 Agora, Slg. 2001, I3605). All diesen Merkmalen kommt allerdings nur Indizwirkung zu (vgl. EuGH 10.11. 1998, Rs. C-360/96 Gemeente Arnhem, Slg. 1998, I-6821). ƒ Sie muss überwiegend von Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts „beherrscht“ werden. Eine Beherrschung liegt vor, wenn die Einrichtung überwiegend (zu mehr als 50 %) von öffentlichen Auftraggebern finanziert wird, wenn sie hinsichtlich der Leitung der Aufsicht durch öffentliche Auftraggeber unterliegt oder wenn das Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die von öffentlichen Auftraggebern ernannt worden sind. Diese drei Beherrschungskriterien sind alternativ formuliert, es genügt somit eine Beherrschung auf eine der drei genannten Arten. Nur eine Finanzhilfe ohne spezifische Gegenleistung kann als Finanzierung i.S.d. ersten Kriteriums angesehen werden (vgl. EuGH 3.10.2000, Rs. C-380/98 University of Cambridge, Slg. 2000, I-8035). Für das Vorliegen einer entsprechenden Aufsicht ist es erforderlich, dass der öffentliche Auftraggeber die Entscheidungen der Einrichtung in Bezug auf öffentliche ĺAufträge beeinflussen kann. Zur 68
Beherrschung einer Einrichtung durch öffentliche Auftraggeber gibt es eine reichhaltige Rsp. des EuGH (vgl. EuGH, Rs. C-237/99 Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I-939; EuGH, Rs. C-373/00 Adolf Truley, Slg. 2003, I-1931). Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers – und insb. der der Einrichtung des öffentlichen Rechts – wird vom EuGH angesichts des Zwecks des Vergaberechts funktionell (und damit eher weit) ausgelegt (vgl. EuGH 17.12.1998, Rs. C353/96 Kommission/Irland, Slg. 1998, I-8565). Von den öffentlichen Auftraggebern sind die ĺSektorenauftraggeber zu unterscheiden, für die besondere Vorschriften gelten. Weiters ist vom öffentlichen Auftraggeber die vergebende Stelle zu unterscheiden. Vergebende Stelle ist, wer für einen öffentlichen Auftraggeber in dessen Namen eine Auftragsvergabe abwickelt. Für die Anwendbarkeit des Vergaberechts kommt es nicht auf die Rechtsperson der vergebenden Stelle, sondern auf die Rechtsperson des dahinter stehenden öffentlichen Auftraggebers an. (cm) §§: Art. 1 Abs. 9 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 256; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 147 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Auftragnehmer successful tenderer – mandataire
Auftragnehmer im Sinn des ĺVergaberechts ist jener ĺWirtschaftsteilnehmer, der letztlich den ĺZuschlag erteilt bekommt und somit Vertragspartner des öffentlichen ĺAuftraggebers wird. (cm) Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Auftragsverarbeiter processor – sous-traitement
Auftragsverarbeiter ist jede natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder jede andere Stelle, die ĺpersonenbezogene Daten im Auftrag des für die Verarbeitung Verantwortlichen (ĺVerantwortlicher für die Datenverarbeitung) verarbeitet. Der Auftragsverarbeiter muss sich bei der Datenverarbeitung (ĺVerarbeitung von Daten) an die Weisungen des für die Verarbeitung Verantwortlichen halten. Überschreitet er seinen Auftrag wird er selbst zum Verantwortlichen. Die Überlassung von Daten zur Erfüllung des Auftrages stellt keine Verarbeitung von Daten dar und unterliegt damit
Ausbildungsbeihilfen nicht den Regelungen des Art. 6 ff. ĺDatenschutzrichtlinie. (al) §§: Art. 2 lit. e RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 113; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 84
Auftragsvergabe, öffentliche ĺAuftragswesen, öffentliches; ĺVergaberecht; ĺVergabeverfahren; ĺZuschlag Auftragswesen, öffentliches public procurement – marchés publics
Das öffentliche Auftragswesen (teilweise auch als Beschaffungswesen bezeichnet) erfasst den Einkauf von Leistungen (Gütern, Dienstleistungen und Bauleistungen – s. dazu auch öffentlicher ĺAuftrag) durch die öffentliche Hand (Gebietskörperschaften sowie bestimmte öffentliche Einrichtungen – s. dazu auch öffentlicher ĺAuftraggeber). Dem öffentlichen Auftragswesen kommt in wirtschaftlicher Hinsicht eine enorme Bedeutung zu, weil sein Gesamtvolumen im gemeinschaftsweiten Durchschnitt ca. 16 % des Bruttoinlandsproduktes ausmacht (im Jahr 2002 wurden etwa 1.500 Mill. Euro für öffentliche Aufträge aufgewendet). Von Seiten der EU besteht angesichts dieser Zahlen (und angesichts der Tatsache, dass nach wie vor nur ein relativ geringer Anteil öffentlicher Aufträge an ĺWirtschaftsteilnehmer aus anderen Staaten vergeben wird) ein erhebliches Interesse daran, die öffentlichen Märkte für den gemeinschaftsweiten Wettbewerb zu öffnen. Die jeweils vergebende Gebietskörperschaft ist zwar auch bestrebt, möglichst sparsam mit öffentlichen Mitteln umzugehen, allerdings besteht oft auch ein Interesse daran, öffentliche Aufträge zur Verfolgung so genannter sekundärer politischer Zwecke zu instrumentalisieren. So kann das öffentliche Auftragswesen dazu eingesetzt werden, umwelt-, sozial-, beschäftigungs- oder regionalpolitischen Vorstellungen zur Durchsetzung zu verhelfen (um somit im Extremfall regionale oder lokale Wirtschaftsteilnehmer zu fördern). In diesem Spannungsfeld normiert das ĺVergaberecht Vorgaben für öffentliche Auftraggeber im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen. (cm) §§: VergabeRL; SektorenRL; RechtsmittelRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 1, 120, 1225; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 1 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Aufzeichnungsrecht fixation right – droit de fixation
Als Aufzeichnungsrecht bezeichnet man das ausschließliche Recht (etwa von Künstlern oder auch von Sendeunternehmen), die Aufzeichnung von Darbietungen, Sendungen oä zu erlauben oder zu verbieten. Erfasst ist nur die erste Aufzeichnung; jede neuerliche „Aufzeichnung“ dieser ersten Aufzeichnung ist nicht Gegenstand des Aufzeichnungs-, sondern des ĺVervielfältigungsrechts. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene finden sich Regelungen über das Aufzeichnungsrecht in der ĺVermiet- und VerleihRL (RL 92/100/EWG). Art. 6 dieser RL sieht ein ausschließliches Aufzeichnungsrecht für ausübende Künstler und Sendeunternehmen vor. (js) §§: Art. 6 ĺVermiet- und VerleihRL
Ausbeutungsmissbrauch exploitation of market power – abus d’exploitation
Neben dem ĺBehinderungs- und dem ĺMarktstrukturmissbrauch ist der Ausbeutungsmissbrauch die dritte Form der in Art. 82 EG umschriebenen Missbrauchskategorien. Ausbeutungsmissbrauch steht für Verhaltensweisen von ĺUnternehmen mit ĺmarktbeherrschender Stellung, mit denen sich das ĺUnternehmen in Ausnutzung seiner besonderen Position auf dem Markt und der daraus resultierenden Abhängigkeitsverhältnisse der Abnehmer Vorteile verschafft, die es bei Bestehen von wirksamem Wettbewerb nicht erlangen könnte. Beispiele für Ausbeutungsmissbrauch, die sich auch aus den Regelbeispielen des Art. 82 Abs. 2 EG ergeben, sind die Erzwingung unangemessener Preise oder Geschäftsbedingungen, die Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der technischen Entwicklung sowie weitere Formen von Diskriminierungen von Handelspartnern. (jpt) §§: Art. 82 EG Lit.: T. Eilmannsberger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 82 EGV, Rn. 38 ff.; W. Möschel, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 1, Art. 82, Rn. 132 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 27/76 United Brands, Slg. 1978, 207, Rn. 248 ff.
Ausbildungsbeihilfen training aids – aides à la formation
Als ĺGruppenfreistellungsVO (VO [EG] 68/ 2001 vom 13.1.2001, ABl. 2001, Nr. L 10/20, zuletzt geändert durch VO [EG] 363/2004 vom 69
Ausbrechender Rechtsakt 28.2.2004, ABl. 2004, Nr. L 63/20) nimmt die Ausbildungs-FreistellungsVO bestimmte Einzelbeihilfen und Beihilferegelungen von der ĺNotifikationspflicht aus und erklärt diese gem. Art. 87 Abs. 3 EG für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar, sofern die in der VO angeführten Voraussetzungen erfüllt werden. Sie unterscheidet zwischen spezifischen und allgemeinen Ausbildungsmaßnahmen, wobei erstere primär am Arbeitsplatz des Beschäftigten verwendbar sind, letztere hingegen Qualifikationen vermitteln, die auch auf andere Unternehmen und Arbeitsbereiche übertragbar sind. Wie bei allen GruppenfreistellungsVO dürfen auch bei der Ausbildungs-FreistellungsVO bestimmte Schwellenwerte nicht überschritten werden (Art. 4 VO [EG] 68/2001). Im Vergleich zu spezifischen Ausbildungsmaßnahmen dürfen allgemeine Ausbildungsmaßnahmen mit höheren Beihilfeintensitäten gefördert werden. Der Anwendungszeitraum der AusbildungsFreistellungsVO wurde bis 30.6.2008 (VO [EG] 1976/2006, ABl. 2006, Nr. L 368/85) verlängert. (jr) §§: Art. 88 Abs. 3, Art. 89 EG Lit.: R. Repplinger-Hach, in: M. Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2003, § 22 Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:32001R0068:DE:HTML; http://eur-lex. europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:320 04R0363:DE:HTML
Ausbrechender Rechtsakt ĺRechtsakt, ausbrechender Ausfuhr ĺEinfuhr Ausfuhrbeschränkung, mengenmäßig quantitative restriction on exports – restriction quantitative à l’exportation
Nach Art. 29 EG sind mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen und ĺMaßnahmen gleicher Wirkung verboten. Der Verbotszweck des Art. 29 EG stimmt mit jenem normiert in Art. 28 EG, der ĺmengenmäßige Einfuhrbeschränkung, überein. Es soll verhindert werden, dass der ĺfreie Warenverkehr z.B. dadurch beschränkt wird, dass die ĺMitgliedstaaten durch eine Beschränkung der ĺAusfuhr die Nachfrage am inländischen Markt sättigen. Eine Bevorzugung des inländischen Markts bzw. eine Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels liegt aber nur bei spezifischen Beschränkungen der Ausfuhrströme vor, die nachweislich eine 70
unterschiedliche Behandlung des Handels bezwecken oder bewirken. (ah) Lit.: A. Epiney, Freiheit des Warenverkehrs, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, 227, Rn. 47 ff.
Ausfuhrkontrolle export controls – contrôles des exportations
Die Zuständigkeit für die Ausfuhrkontrolle militärischer Güter liegt im Schnittbereich von EG- und EU-Vertrag. Zum einen unterfällt der Export von Waren grds. der Gemeinsamen Außenhandelspolitik; zum anderen lässt der EGVertrag wichtige Sicherheitsinteressen der ĺMitgliedstaaten unberührt. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich folgende Differenzierung: Waren mit doppeltem militärisch-zivilem Verwendungszweck, z.B. Kunstdünger als möglicher Basis für Sprengstoff, unterfallen der Dual-Use-Verordnung aufgrund des EG-Vertrags. Die Ausfuhr militärischer Güter, einschließlich Waffen, unterfällt dagegen dem Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren aus dem Jahr 1998. Letzterer ist kein förmlicher Rechtsakt, soll in einer überarbeiteten Fassung jedoch durch eine ĺGemeinsame Position ersetzt werden, deren Annahme sich aufgrund politischer Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten über die parallele Aufhebung des Waffenembargos gegen China mehrfach verzögerte. (dt) §§: Art. 296 EG, Dual-Use-Verordnung 2000/1334/ EG, ABl. 2000, Nr. L 159/1, Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren, Rats-Dok. 8675/2/98 (öffentlich zugänglich) Lit.: P. Eeckhout, External Relations of the European Union, 2004, 453
Ausfuhrlieferung, steuerrechtliche export delivery – livraison à l’export
Unter einer Ausfuhr(lieferung) versteht man die Beförderung/Versendung eines Gegenstandes aus dem Gemeinschaftsgebiet in ein Drittland. Eine solche Ausfuhr ist unter folgenden Voraussetzungen echt steuerbefreit (keine Umsatzsteuerschuld aber trotzdem Vorsteuerabzug): ƒ Beförderung/Versendung ins Drittland ƒ ĺAusfuhrnachweis ƒ ĺBuchnachweis Im Fall einer Abhollieferung durch Konsumenten sind zusätzlich folgende Punkte für eine echte Steuerbefreiung zu beachten ƒ nur der Umsatz an abholende Drittlandskonsumenten kommt für die Befreiung in Betracht
Ausgabenbewilligung (Konsument darf also nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig sein) ƒ die Ware muss vor Ablauf des drittfolgenden Monats ins Drittland befördert werden ƒ der Gesamtbetrag der Rechnung muss 75 Euro übersteigen (pu) Ausfuhrlizenz export licence – licence d’exportation
Eine ĺLizenz oder Genehmigung, welche vor der ĺAusfuhr der ĺWare einzuholen ist (s.a. ĺEinfuhrlizenz). (ah) Ausfuhrnachweis, steuerrechtliche proof of exportation – certificat d’exportation
Die Erbringung des Ausfuhrnachweises stellt einer der Voraussetzungen für eine echt steuerbefreite ĺAusfuhr von Gegenständen aus dem Gemeinschaftsgebiet dar. Hiezu ist grundsätzlich alles denkbar, womit die tatsächliche Ausfuhr eines Gegenstandes in das Drittland nachgewiesen werden kann. Als Versendungsbelege kommen derart z.B. Frachtbriefe, Postaufgabebescheinigungen, Konnossemente u.d.gl. in Betracht. Aber auch Ausfuhrbescheinigungen eines Spediteurs oder etwaige Zollanmeldungen können in bestimmten Fällen als Nachweis dienen. Die entsprechenden Ausfuhrbelege sind überdies nach den jeweiligen nationalen Vorschriften (in Ö: sieben Jahre) aufzubewahren. Es genügt somit nicht, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Belege ursprünglich vorhanden gewesen sind. Im Gegensatz zum ĺBuchnachweis bezieht sich der Ausfuhrnachweis nur auf die jeweils erfolgte, einzelne Ausfuhr. (pu) Ausgabeermächtigung ĺZahlungsermächtigung Ausgaben expenditure operations – opérations de dépenses
Nach Art. 75 ĺHaushaltsordnung (HO) ist jede Ausgabe Gegenstand von vier voneinander getrennten Vorgängen: ƒ Mittelbindung (1.); ƒ Feststellung (2.); ƒ Zahlungsanordnung (3.); ƒ Zahlung (4.). 1. Die Mittelbindung bedeutet nach Art. 76 Abs. 1 HO, die Mittel vorzumerken, die erforderlich sind, um Zahlungen, die sich aus einer rechtlichen Verpflichtung ergeben, zu einem späteren Zeitpunkt leisten zu können.
Dies setzt voraus, dass die benötigten Mittel im ĺHaushaltsplan bewilligt wurden (ĺAusgabebewilligung). Mittelbindungen über ein Haushaltsjahr hinaus dürfen nur aufgrund einer ĺVerpflichtungsermächtigung vorgenommen werden. Nach Art. 78 HO überzeugt sich der zuständige ĺAnweisungsbefugte, der eine Mittelbindung vornimmt, von ƒ der Richtigkeit der haushaltsmäßigen Zuordnung, ƒ der Verfügbarkeit der Mittel, ƒ der Übereinstimmung der Ausgabe mit sämtlichen geltenden Bestimmungen, ƒ der Einhaltung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung (ĺHaushaltsgrundsätze). 2. Unter der Feststellung einer Ausgabe ist nach Art. 79 HO die Handlung zu verstehen, durch die der zuständige ĺAnweisungsbefugte ƒ den Anspruch des Zahlungsempfängers prüft; ƒ das Bestehen und die Höhe der Forderung bestimmt oder ƒ prüft; ƒ die Fälligkeit der Forderung prüft. 3. Die Anordnung der Ausgaben ist gem. Art. 80 HO die Handlung, mit der der zuständige ĺAnweisungsbefugte durch Ausstellung einer Auszahlungsanordnung den Rechnungsführer anweist, den Betrag der von ihm festgestellten Ausgabe auszuzahlen. 4. Die Zahlung nach Art. 81 HO folgt der Art der bestehenden Verpflichtung und ist umgehend zu verbuchen. (gär) §§: Art. 75 ff. Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002)
Ausgabenbewilligung expenditure – les dépenses
Nach Art. 268 EG werden alle ĺEinnahmen und ĺAusgaben der Gemeinschaft einschließlich derjenigen des Europäischen Sozialfonds für jedes ĺHaushaltsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingesetzt. Gem. Art. 271 EG werden die in den ĺHaushaltsplan eingesetzten Ausgaben für ein Haushaltsjahr bewilligt, soweit die ĺHaushaltsordnung nicht etwas anderes bestimmt. Hierdurch wird der bereits in Art. 268 EG enthaltene haushaltsrechtliche Spezialitätsgrundsatz durch den Jährlichkeitsgrundsatz ergänzt (C. Waldhoff, in: C. Calliess/M. Ruffert [Hrsg.], Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 272 EGV, Rn. 1). Gem. Art. 271 Abs. 2 dürfen die nicht für Personalausgaben vorge71
Ausgangsstoffe (Euratom) sehenen Mittel, die bis zum Ende der Durchführungszeit eines ĺHaushaltsplans nicht verbraucht worden sind, lediglich auf das nächste Haushaltsjahr übertragen werden. (gär) §§: Art. 268, Art. 271 EG
Ausgangsstoffe (Euratom) source materials (Euratom) – matières brutes (Euratom)
Gem. der Legaldefinition des Art. 197 Z. 3 ĺEAGV sind dies v.a. Uran, welches das in der Natur vorkommende Isotopengemisch enthält oder dessen Gehalt an Uran 235 unter dem normalen Gehalt liegt, daneben Thorium sowie jeder andere Stoff, der einen oder mehrere dieser Stoffe enthält mit vom ĺRat bestimmten Konzentrierungen enthält. ĺKernstoffe (ĺKernbrennstoffe), die in diese Kategorie fallen, gehören gem. Art. 197 Z. 1 jedenfalls nicht zu den ĺbesonderen spaltbaren Stoffen. (atm) Ausgleichzulage für benachteiligte Gebiete ĺDirektzahlungen Auskunftsrecht right of access – droit d’accès (aux données personnelles)
Jede von einer Datenverarbeitung (ĺVerarbeitung von Daten) ĺbetroffene Person hat, soweit die ĺDatenschutzrichtlinie Anwendung findet, gem. Art. 12 der Richtlinie ein Recht auf Auskunft über Inhalt und Herkunft der Daten, über die Art der Verarbeitung, sowie gegebenenfalls über den logischen Aufbau einer automatisierten Verarbeitung. Das Auskunftsrecht besteht gegenüber dem ĺVerantwortlichen für die Datenverarbeitung. (al) §§: Art. 12 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 193; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 175
Auslegung, autonome, des EVÜ ĺEinheitliche Interpretation des EVÜ Auslegung, einheitliche, des EVÜ ĺEinheitliche Interpretation des EVÜ Auslegung, rahmenbeschlusskonforme ĺRahmenbeschlusskonforme Auslegung Auslegung, richtlinienkonforme ĺRichtlinienkonforme Auslegung 72
Auslieferung ĺGrundrecht auf Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung Auslieferung eigener Staatsangehöriger extradition of own nationals – extradition d’un propre ressortissant
Im mit dem ĺEuropäischen Haftbefehl eingeführten Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der EU ist auch die Überstellung eigener Staatsangehöriger vorgesehen (Art. 5 Ziff. 1 RB EuHB). Möglich ist es jedoch, die Überstellung zur Strafverfolgung an die Bedingung der Rücküberstellung zur Strafvollstreckung zu knüpfen oder einen Vollstreckungshaftbefehl unter Übernahme der Strafvollstreckung abzulehnen (ĺEuropäischer Haftbefehl, Vollstreckung unter Bedingungen; ĺEuropäischer Haftbefehl, fakultative Ablehnungsgründe). Damit soll die besondere Beziehung zwischen Heimatstaat und Staatsangehörigen gewahrt werden. Zugleich entspricht es auch den Bestrebungen der EU, zur besseren Resozialisierung eine Vollstreckung im Heimatstaat zu ermöglichen (ĺVollstreckungsübernahme, Strafrecht). (sts) Ausschließliche Kompetenz ĺKompetenz, ausschließliche Ausschluss ĺAusschluss aus der Europäischen Union Ausschluss aus den Europäischen Gemeinschaften exclusion from the EC – l’exclusion de la CE
Einen Ausschluss allein aus den Europäischen Gemeinschaften sehen weder die Gemeinschaftsverträge noch der ĺVertrag über die Europäische Union vor. Aufgrund der organisatorischen Struktur der Union, deren Bestandteil die Europäischen Gemeinschaften sind, ist er auch praktisch nicht möglich. In Betracht kommt allenfalls ein ĺAusschluss aus der gesamten Europäischen Union. (fg) Ausschluss aus der Europäischen Union exclusion from the EU – l’exclusion de l’UE
Der Ausschluss stellt, spiegelbildlich zum ĺAustritt, die einseitige Aufgabe der Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation dar, allerdings ausgehend von der Organisation und
Ausschreibung nicht vom Mitgliedstaat. Als Folge des Ausschlusses verliert der ausgeschlossene Staat alle Rechte und Pflichten aus der Mitgliedschaft. Rechtsgrundlage für einen Ausschluss sind entweder eine vertragliche Ausschlussklausel oder ein Rückgriff auf die allgemeinen Regeln des Völkerrechts. Ein Ausschluss auf der Grundlage einer vertraglichen Klausel setzt regelmäßig einen Ausschlussgrund sowie einen Ausschlussbeschluss voraus und stellt die ultima ratio der Handlungsmöglichkeiten gegenüber einem Mitgliedstaat dar. Deshalb kommt als Ausschlussgrund nur ein Verstoß gegen die Gründungsverträge oder Satzungen in Betracht (objektives Element), der zudem besonders schwer oder beharrlich sein muss (subjektives Element). Auch an den Ausschlussbeschluss werden besondere Anforderungen gestellt; er setzt in der Regel eine qualifizierte Mehrheit voraus, gelegentlich sogar Einstimmigkeit. Häufig legt die Ausschlussklausel zudem einen Zeitpunkt fest, wann der Ausschluss wirksam wird. Völkerrechtliche Grundlage für den Ausschluss einer vertragsbrüchigen Partei eines multilateralen Vertrages ist Art. 60 Abs. 3 Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK). Weder der Vertrag über die ĺEuropäische Union noch die Verträge über die Gemeinschaften enthalten eine Ausschlussklausel. Zwar wurden in der Vergangenheit, beginnend mit dem ĺVertrag von Amsterdam (dort Art. F.1) die Sanktionsmöglichkeiten im Falle von ĺVertragsverletzungen kontinuierlich bis hin zur Suspendierung mitgliedschaftlicher Rechte verschärft, auf die Einführung eines Ausschlussrechts wurde indes verzichtet. Daraus lässt sich der Wille der ĺMitgliedstaaten ableiten, dass der Ausschluss eines Mitgliedes als schärfste Form der Sanktion vertragswirdrigen Verhaltens nicht zur Verfügung stehen soll. Dies gilt umso mehr, als sowohl ein Ausschluss als auch die ĺSuspendierung von Mitgliedschaftsrechten an den gleichen Tatbestand anknüpfen, den schweren oder beharrlichen Verstoß gegen die Gründungsverträge. Zudem erreicht die Suspendierung das gleiche Ziel wie der Ausschluss, bietet auf dem Weg dorthin aber eine größere Vielfalt an Reaktionsvarianten, die von dem Verlust des Stimmrechts über das Einfrieren von Gemeinschaftszuwendungen bis hin zum Aussetzen von ĺGrundfreiheiten reichen können. Gleichzeitig bleibt der betroffene Mitgliedstaat verpflichtet, seine Pflichten gegenüber der Union weiter zu erfüllen. Deshalb sind die Maßnahmen des Art. 7 EU im Fall von Vertrags-
verstößen als abschließend anzusehen. Dafür spricht auch, dass bei dem Ausschluss eines Mitgliedstaates aus der Europäischen Union aufgrund des supranationalen Charakters insbesondere die Bürger des betreffenden Staates unmittelbar betroffen wären und ihrer Unionsbürgerrechte verlustig gingen, ohne dass sie etwas dagegen unternehmen könnten. Zwar treffen die Bürger die gleichen Folgen auch im Falle eines Austritts ihres Heimatstaates aus der Union, in diesem Fall entspricht dies aber ihrem Willen, den sie bei der Wahl ihrer Regierung oder im Rahmen einer Volksabstimmung zum Ausdruck gebracht haben. Zudem fehlt es an einer Regelung der Ausschlussmodalitäten sowie von Übergangsfristen, die der Union, den Mitgliedstaaten und den Bürgern einen geregelten Übergang in die neue Situation ermöglichen. Das in der Vergangenheit häufig bemühte Argument, eine Ausschlussklausel liefe der unwiderruflichen und ĺunbefristeten Zugehörigkeit zur Union entgegen, lässt sich spätestens seit dem Gipfel von Lissabon 2007 und der beschlossenen Vertragsänderung mit der Einführung eines ĺAustrittsrechts, nicht mehr aufrecht halten. Auch ein Ausschluss im Wege einer ĺVertragsänderung nach Art. 48 Abs. 3 EU bezogen auf den Mitgliederbestand der Union wird regelmäßig an der, mit dem Einstimmigkeitserfordernis verbundenen, erforderlichen Zustimmung des Vertragsverletzers scheitern. Daran wird sich auch durch den Vertrag von Lissabon (s. ĺReformvertrag) nichts ändern. (fg) Lit.: F. Götting, Die Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union, 2000
Ausschreibung call for tender – avis de marché public
Mit der Ausschreibung im Sinn des ĺVergaberechts fordert der öffentliche ĺAuftraggeber interessierte ĺWirtschaftsteilnehmer auf, sich an einem ĺVergabeverfahren zu beteiligen (etwa durch die Legung eines ĺAngebotes oder durch die Stellung eines Teilnahmeantrages). Damit Wirtschaftsteilnehmer beurteilen können, ob ein Auftrag für sie von Interesse ist, muss in der Ausschreibung festgelegt werden, welche Leistung zu welchen Bedingungen erworben werden soll. Wesentlicher Teil der Ausschreibung sind die Verdingungsunterlagen (Vergabeunterlagen; in der österr. Terminologie: Ausschreibungsunterlagen). Die Verdingungsunterlagen enthalten 73
Ausschuss der Regionen die Informationen, die ein Wirtschaftsteilnehmer für die Ausarbeitung des Angebotes benötigt; dies inkludiert eine eindeutige und erschöpfende ĺLeistungsbeschreibung, die an die ĺEignung des ĺBieters gestellten Anforderungen, die Kriterien für die Auswahl des ĺAuftragnehmers (s. dazu den ĺZuschlag), die für die Leistungserbringung maßgeblichen Umstände sowie die vertraglichen Konditionen. Die Verdingungsunterlagen sind im ĺoffenen Verfahren allen interessierten Wirtschaftsteilnehmern auf Anfrage zur Verfügung zu stellen, im ĺnichtoffenen Verfahren oder im ĺVerhandlungsverfahren sind sie den ausgewählten Teilnehmern mit der Aufforderung zur Angebotslegung zu übermitteln. (cm) §§: Art. 39 VergabeRL Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 237, 246 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Ausschuss der Regionen
ĺRat und ĺEuropäischem Parlament angesehen werden kann. Die verschiedenen Formen der Konsultation des Ausschusses im Rahmen der EU-Rechtsetzung reichen von der obligatorischen ĺAnhörung des Ausschusses bis hin zur fakultativen ĺStellungnahme und ĺSelbstbefassung. Eine Schwäche des Ausschusses liegt nicht nur in dieser Beschränkung auf bloße Beratungstätigkeit, sondern auch in der teilweisen Heterogenität von regionaler und lokaler Interessenvertretung. (ag) §§: Art. 7 Abs. 2, Art. 263-265 EG Lit.: H.-J. Blanke, Der Ausschuss der Regionen: normative Ausgestaltung, politische Rolle und verwaltungsorganisatorische Infrastruktur, 2002; ders., in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 18. Lfg. 2001, Art. 263-265 EGV; O. Suhr, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 263-265 EGV; M. Burgi, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 263265 EGV; A. Obermüller, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 263-265 EGV Web: http://www.cor.europa.eu/
Committee of the Regions – Comité des Régions
Ausschuss der Regionen, Anhörung
Der Ausschuss der Regionen vertritt seit 1994 die ĺregionalen und ĺlokalen Gebietskörperschaften der EU-Mitgliedstaaten im institutionellen Gefüge der EU. Er hat seinen Sitz in Brüssel und derzeit 344 ĺMitglieder. Seine ĺinnere Organisation und Arbeitsweise wird durch eine Geschäftsordnung näher geregelt. Hintergrund für seine ĺEntwicklung war der Gedanke, den durch die EU-Rechtsetzung stark betroffenen regionalen und lokalen Gebietskörperschaften der EU-Mitgliedstaaten Einfluss auf den EU-Rechtsetzungsprozess und der ĺ„bundesstaatsblinden“ EU dadurch auch eine stärkere Verankerung auf dezentraler Ebene zu verschaffen (ĺ„Europa der Regionen“). Der Ausschuss soll seine Funktionen bürgernah, transparent und den Prinzipien der ĺPartnerschaft und ĺSubsidiarität entsprechend ausüben. Während er zunächst vor allem in den Bereichen wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt, transeuropäische Netze (Verkehr, Energie und Telekommunikation), Gesundheitswesen, Bildung und Jugend sowie Kultur befasst war, wurden diese Bereiche mittlerweile auf Beschäftigung, Sozialpolitik, Umwelt, Berufsbildung und Verkehr ausgeweitet. Der Ausschuss hat allerdings lediglich Beratungsfunktion (Art. 7 Abs. 2 EG) und stellt trotz seiner gemeinschaftsverfassungsrechtlich garantierten Stellung bloß ein Nebenorgan ohne eigentliche Organqualität dar, das auch nicht als „dritte Kammer“ neben
Committee of the Regions, consultation – Comité des Régions, consultation
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Gem. Art. 265 EG muss oder kann der ĺAusschuss der Regionen in bestimmten Fällen gehört werden. Die Anhörung kann in jeder Phase des Rechtsetzungsverfahrens erfolgen, sofern einerseits bereits ein konkreter Vorschlag vorliegt, andererseits noch keine endgültige Festlegung erfolgt ist. Eine obligatorische Anhörung (Abs. 1) hat durch ĺRat oder ĺKommission zu erfolgen, sofern dies im EG-Vertrag vorgesehen ist: Dies betrifft die Politikbereiche der gemeinsamen Verkehrspolitik, der Festlegung der Leitlinien der Beschäftigungspolitik, der Fördermaßnahmen hinsichtlich der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und zur Unterstützung von Beschäftigungsmaßnahmen, der Verbesserung und Angleichung der Arbeitsund Lebensbedingungen, der Errichtung des Europäischen Sozialfonds, der allgemeinen Bildungs-, Kultur- und Gesundheitspolitik beim Erlass von „Fördermaßnahmen“, der Gestaltung der beruflichen Bildung, des Auf- und Ausbaus transeuropäischer Netze bei der Festlegung von Leitlinien und beim Erlass übriger Maßnahmen, des Beschlusses spezifischer Aktionen außerhalb der Gemeinschaftsfonds zur Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, der Festlegung der Aufgaben, der vorrangigen Ziele und der Organisation der Strukturfonds, der Festlegung der allgemeinen Regeln
Ausschuss der Regionen, innere Organisation und Arbeitsweise sowie der Effizienz- und Koordinierungsbestimmungen der Strukturfonds, der Errichtung eines Kohäsionsfonds, des Erlasses der Durchführungsbestimmungen für den europäischen Fonds über regionale Entwicklung und der Umweltpolitik. Die Unterlassung einer obligatorischen Anhörung stellt eine wesentliche Verletzung von Formvorschriften dar, die mit Nichtigkeit bedroht ist. Eine fakultative Anhörung (Abs. 1) kann durch ĺRat oder ĺKommission nach deren Ermessen erfolgen, sofern es eines dieser beiden Organe für zweckmäßig erachtet, insbesondere in Fällen, welche die ĺgrenzüberschreitende Zusammenarbeit betreffen. Eine weitere fakultative Anhörung ist nach Ermessen des ĺEuropäischen Parlaments möglich (Abs. 4). Eine akzessorische Anhörung (Abs. 3) erfolgt, sofern der ĺWirtschafts- und Sozialausschuss nach Art. 262 EG gehört wird. ĺKommission und ĺRat sind diesfalls verpflichtet, den ĺAusschuss der Regionen über dieses an den ĺWirtschafts- und Sozialausschuss gerichtete Ersuchen um Stellungnahme zu unterrichten; andernfalls handelt es sich um einen mit ĺNichtigkeit bedrohten Verfahrensfehler. (ag) §§: Art. 71 Abs. 1, Art. 128 Abs. 2, Art. 129 Abs. 1, Art. 137 Abs. 2, Art. 148, Art. 149 Abs. 4 1. SpS, Art. 150 Abs. 4, Art. 151 Abs. 5 1. SpS, Art. 152 Abs. 4, Art. 156 Abs. 1, Art. 159 Abs. 3, Art. 161, Art. 162 Abs. 1, Art. 175, Art. 265 EG Lit.: H.-J. Blanke, Der Ausschuss der Regionen: normative Ausgestaltung, politische Rolle und verwaltungsorganisatorische Infrastruktur, 2002; ders., in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 18. Lfg. 2001, Art. 265 EGV; O. Suhr, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 265 EGV; M. Burgi, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 265 EGV; A. Obermüller, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 263265 EGV
Ausschuss der Regionen, Entwicklung Committee of the Regions, development – Comité des Régions, évolution
Der Ausschuss der Regionen wurde erst durch den Vertrag von Maastricht im EG (Art. 263265) verankert und nahm seine Tätigkeit 1994 auf. Seine Einrichtung war insbesondere von den EU-Mitgliedstaaten Deutschland und Belgien betrieben worden, die als Bundesstaaten auf eine stärkere Berücksichtigung der ĺregionalen Gebietskörperschaften drängten, und kam der allgemeinen Forderung nach einem ĺ„Europa der Regionen“ entgegen. Der Ausschuss, der den bereits 1988 bei der ĺKommis-
sion gebildeten Beirat der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften ablöste, wurde allerdings nicht als eigenständige „dritte Kammer“ neben ĺRat und ĺEuropäischem Parlament, sondern lediglich als beratendes Hilfsorgan konzipiert. Der Vertrag von Amsterdam wertete den Ausschuss insofern auf, als insbesondere die Bereiche der obligatorischen Anhörung erweitert wurden und der Ausschuss administrative Eigenständigkeit sowie Geschäftsordnungsautonomie erhielt. Durch den Vertrag von Nizza wurde die Notwendigkeit eines auf Wahl beruhenden Mandats in einer regionalen oder lokalen Gebietskörperschaft bzw. die politische Verantwortlichkeit gegenüber einer gewählten Versammlung als Voraussetzung der Mitgliedschaft im Ausschuss eingeführt und die Zahl der ĺMitglieder auf höchstens 350 begrenzt. Weder wurde der Ausschuss bisher jedoch mit einer echten Organstellung ausgestattet, noch wurden ihm andere als bloß beratende Funktionen übertragen. (ag) §§: Art. 263-265 EG, Vertrag von Maastricht, Vertrag von Amsterdam, Vertrag von Nizza Lit.: H.-J. Blanke, Der Ausschuss der Regionen: normative Ausgestaltung, politische Rolle und verwaltungsorganisatorische Infrastruktur, 2002; ders., in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 18. Lfg. 2001, vor Art. 263-265 EGV Web: http://www.cor.europa.eu/
Ausschuss der Regionen, innere Organisation und Arbeitsweise Committee of the Regions, internal organisation and functioning – Comité des Régions, organisation interne et fonctionnement
Gem. Art. 264 Abs. 1 EG wählt der ĺAusschuss der Regionen aus seiner Mitte einen Präsidenten und ein Präsidium auf zwei Jahre. Der Ausschuss kann entweder von seinem Präsidenten auf Antrag des Rates oder der Kommission einberufen werden oder von sich aus zusammentreten (Art. 264 Abs. 3 EG). Nähere Bestimmungen über innere Organisation und Arbeitsweise enthält die Geschäftsordnung des Ausschusses, die sich der Ausschuss auf Grund seines Selbstorganisationsrechts (Art. 264 Abs. 2 EG) selbst gibt. Die Plenarversammlung ist demnach durch den Präsidenten des Ausschusses mindestens einmal pro Quartal einzuberufen; eine außerordentliche Plenarversammlung kann von einem Viertel der ĺMitglieder beantragt werden. In der Regel werden jährlich fünf Plenarversammlungen in Brüssel und zwei außerordentliche Sitzungen im jeweiligen ratsvorsit75
Ausschuss der Regionen, Mitglieder zenden Staat abgehalten. Die Geschäftsordnung bestimmt, dass das Präsidium, das regelmäßig siebenmal im Jahr zusammentritt, aus dem Präsidenten, dem Ersten Vizepräsidenten, einem Vizepräsidenten pro Mitgliedstaat, den Fraktionsvorsitzenden sowie 27 weiteren ĺMitgliedern besteht. Letztere Sitze werden auf die Delegationen verteilt, wobei je nach Größe des Staates jeweils ein, zwei oder drei Sitze pro Staat festgelegt sind. Insbesondere stellt das Präsidium das politische Programm zu Beginn jeder Mandatsperiode auf und überwacht seine Umsetzung, organisiert und koordiniert die Arbeiten der Plenarversammlung und der Fachkommissionen und ist allgemein für die interne Organisation, Finanzierung und Administration zuständig. Der Präsident leitet die Arbeiten des Ausschusses und vertritt diesen nach außen. Für die administrative Unterstützung des Ausschusses ist ein Generalsekretariat zuständig, an dessen Spitze ein für die Durchführung der Beschlüsse des Präsidiums oder des Präsidenten zuständiger Generalsekretär steht. Nach der Geschäftsordnung sind weiters Fachkommissionen vorgesehen, die von der Plenarversammlung eingesetzt werden und deren Arbeit vorbereiten. Ihre Zusammensetzung muss der nationalen Zusammensetzung des Ausschusses entsprechen. Derzeit existieren folgende sechs Fachkommissionen: COTER (für Kohäsionspolitik), ECOS (für Wirtschafts- und Sozialpolitik), DEVE (für nachhaltige Entwicklung), EDUC (für Kultur, Bildung und Forschung), CONST (für konstitutionelle Fragen, Regieren in Europa und für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts), RELEX (für Außenbeziehungen und dezentralisierte Zusammenarbeit). Die Fachkommissionen erarbeiten insbesondere Entwürfe für Stellungnahmen, Berichte und Entschließungen, die der Plenarversammlung zur Verabschiedung vorgelegt werden. Zusätzlich berät den Ausschuss eine eigene Kommission für Finanz- und Verwaltungsfragen. Eine weitere Einteilung erfährt der Ausschuss durch die Zuordnung seiner ĺMitglieder zu den vier politischen Fraktionen (Sozialdemokratische Partei Europas, Europäische Volkspartei, Liberale und Demokratische Partei Europas, Europäische Allianz) sowie den nationalen Delegationen. Anders als der Kongress der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften des Europarats weist der Ausschuss jedoch keine Binnengliederung in eine Kammer der ĺregionalen und eine Kammer der ĺlokalen Gebietskörperschaften auf. (ag) 76
§§: Art. 264 EG, Geschäftsordnung des Ausschusses der Regionen, ABl. 31.1.2007, Nr. L 23/1 Lit.: H.-J. Blanke, Der Ausschuss der Regionen: normative Ausgestaltung, politische Rolle und verwaltungsorganisatorische Infrastruktur, 2002; ders., in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 18. Lfg. 2001, Art. 264 EGV; O. Suhr, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 264 EGV; M. Burgi, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 264 EGV; A. Obermüller, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 264 EGV Web: http://www.cor.europa.eu/
Ausschuss der Regionen, Mitglieder Committee of the Regions, members – Comité des Régions, membres
Gem. Art. 263 Abs. 2 EG hat der Ausschuss der Regionen höchstens 350 Mitglieder, die entweder ein auf Wahlen beruhendes Mandat in einer ĺregionalen oder ĺlokalen Gebietskörperschaft innehaben oder gegenüber einer gewählten Versammlung politisch verantwortlich sein müssen. Gem. Art. 263 Abs. 3 EG sind die Mitgliedstaaten folgendermaßen vertreten: Luxemburg ist mit sechs, Dänemark, Finnland und Irland sind mit jeweils 9, Belgien, Griechenland, Niederlande, Österreich, Portugal und Schweden mit jeweils 12, Spanien mit 21 und Deutschland, Frankreich, Italien sowie das Vereinigte Königreich mit jeweils 24 Mitgliedern vertreten. Nach dem 2004 erfolgten EU-Beitritt von 10 weiteren Staaten entsendet Malta fünf, Zypern sechs, Estland, Lettland und Slowenien je sieben, Litauen und die Slowakei jeweils 9, die Tschechische Republik und Ungarn jeweils 12 und Polen 21 Mitglieder. Seit 2007 ist Bulgarien durch 12 und Rumänien durch 15 Mitglieder vertreten. Derzeit gehören daher 344 Mitglieder (und eine gleiche Zahl von Stellvertretern) dem Ausschuss an. Die Mitglieder und ihre Stellvertreter werden auf Vorschlag der jeweiligen Mitgliedstaaten ernannt. Den Mitgliedstaaten kommt bei der Erstattung der Vorschläge Auswahlermessen nach Maßgabe ihrer eigenen Rechtsordnungen zu, doch muss es sich jedenfalls um Vertreter der regionalen bzw. lokalen Ebene handeln, die entweder ein auf Wahlen beruhendes Mandat in einer ĺregionalen oder ĺlokalen Gebietskörperschaft innehaben oder gegenüber einer gewählten Versammlung politisch verantwortlich sind. Hingegen obliegt es dem ĺRat, mit qualifizierter Mehrheit die gem. den Vorschlägen der einzelnen Mitgliedstaaten erstellte Liste der Mitglieder und Stellvertreter anzunehmen. Inkompa-
Ausschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens tibilität besteht explizit zwischen der Mitgliedschaft im Ausschuss und der im ĺEuropäischen Parlament. Die Mitglieder des Ausschusses sind, unbeschadet des Entsendungsverhältnisses, an keine Weisungen, auch nicht der von ihnen vertretenen regionalen oder lokalen Gebietskörperschaft, gebunden (freies Mandat). Sie sind verpflichtet, ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaft ausüben, auch wenn dies politische Einflussnahme nicht immer verhindern kann. Die Mitglieder des Ausschusses werden auf vier Jahre ernannt, wobei eine Wiederernennung zulässig ist. Im EGV ist die automatische Beendigung der Amtszeit von Mitgliedern bei Ablauf des Mandats (Verlust der innerstaatlichen Organstellung) vorgesehen, auf Grund dessen sie vorgeschlagen wurden. Als weitere Endigungsgründe sind Tod und höhere Gewalt in der Geschäftsordnung normiert. (ag) §§: Art. 263 EG, Geschäftsordnung des Ausschusses der Regionen, ABl. 31.1.2007, Nr. L 23/1 Lit.: H.-J. Blanke, Der Ausschuss der Regionen: normative Ausgestaltung, politische Rolle und verwaltungsorganisatorische Infrastruktur, 2002; ders., in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 18. Lfg. 2001, Art. 263 EGV; O. Suhr, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 263 EGV; M. Burgi, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 263 EGV; A. Obermüller, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 263 EGV Web: http://www.cor.europa.eu/
Ausschuss der Regionen, Stellungnahme Committee of the Regions, opinion – Comité des Régions, avis
In den Fällen der obligatorischen und fakultativen ĺAnhörung kann der ĺRat oder die ĺKommission gem. Art. 265 Abs. 2 EG dem ĺAusschuss der Regionen für die Vorlage seiner Stellungnahme eine Frist setzen, wenn sie es für notwendig erachtet. Diese Frist beträgt mindestens einen Monat, vom Eingang der diesbezüglichen Mitteilung beim Präsidenten des Ausschusses an gerechnet. Nach Ablauf der Frist kann das Fehlen einer Stellungnahme unberücksichtigt bleiben, während die Nichtberücksichtigung der Stellungnahmefrist zu einem mit ĺNichtigkeit bedrohten Verfahrensfehler wegen wesentlicher Verletzung von Formvorschriften führt. Während die Fristsetzung auch für die akzessorische ĺAnhörung angenommen wird, gilt sie nicht im Falle der ĺSelbstbefassung oder der ĺAnhörung durch das Europäische Parlament. Nähere Regelungen über
die interne Willensbildung des Ausschusses bei der Beschlussfassung seiner Stellungnahmen enthält die Geschäftsordnung. Die Stellungnahmen, die zusammen mit einem Bericht über die Beratungen übermittelt werden, sind nicht bindend, auch wenn Rechtsakte, die im Rahmen der obligatorischen ĺAnhörung erlassen wurden, formell auf die ĺAnhörung Bezug nehmen müssen, um nicht an einem mit ĺNichtigkeit bedrohten Verfahrensfehler zu leiden. Die Pflicht, den Ausschuss darüber zu informieren, ob seine Stellungnahmen berücksichtigt wurden, wird aus dem Grundsatz der Organtreue abgeleitet, wogegen ĺRat und ĺKommission nicht verpflichtet sind, die Gründe für eine allfällige Nichtberücksichtigung mitzuteilen. Da der ĺAusschuss der Regionen nicht selbst klagebefugt ist, steht ihm gegen die Nichtberücksichtigung von Konsultationsrechten und Stellungnahmefristen keine ĺNichtigkeitsklage zu. (ag) §§: Art. 265 EG Lit.: H.-J. Blanke, Der Ausschuss der Regionen: normative Ausgestaltung, politische Rolle und verwaltungsorganisatorische Infrastruktur, 2002; ders., in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 18. Lfg. 2001, Art. 265 EGV; O. Suhr, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 265 EGV; M. Burgi, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 265 EGV; A. Obermüller, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 265 EGV
Ausschuss der ständigen Vertreter ĺCOREPER Ausschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens Committee on the integrated action programme in the field of lifelong learning – Comité du programme d’action intégré dans le domaine de l’éducation et de la formation tout au long de la vie
Der Ausschuss des integrierten ĺAktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens ist einer von aktuell sieben im Bereich der GD EAC der EK bestehenden Ausschüssen i.S.d. Komitologiebeschlusses 1999/468/EG (ĺKomitologie). Eingerichtet auf Grund Art. 10 des LLP-Beschlusses (1720/2006/EG), nimmt er im Zuge des Komitologieverfahrens die Interessen der EU-MS bei Verwaltungsakten der EK wahr und wird entsprechend von Experten der zuständigen Bildungsministerien der MS beschickt. Der Ausschuss arbeitet auf der Grundlage der auf Art. 10 Abs. 4 LLP-Beschluss ba77
Ausschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens sierenden Geschäftsordnung, die im Dezember 2006 im Ausschuss verabschiedet wurde (LLP/ 71/2006). Diese limitiert die maximale Anzahl von Vertretern pro MS auf zwei, wobei jeder MS aber nur eine Stimme führt. Entsprechend der Zusammenfassung der vormals unter dem Gemeinschaftsprogramm ĺSokrates vereinigten Teilprogramme wie ĺComenius, ĺErasmus und ĺGrundtvig und des Gemeinschaftsprogramms ĺLeonardo da Vinci unter das neue Dach des Aktionsprogramms für LL folgt dieser neue Ausschuss, der im Dezember 2006 – also kurz vor Inkrafttreten des LLP-Programms mit 1.1.2007 – seine Tätigkeit aufnahm, den getrennten Ausschüssen für die Durchführung der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms im Bereich der allgemeinen Bildung (SOKRATES), ĺSokrates-Ausschuss, und für die Durchführung der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms in der Berufsbildung (LEONARDO DA VINCI II), ĺLeonardo-Ausschuss nach. Diese sind auf Grund von Art. 8 Beschluss 253/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.1.2000 über die Durchführung der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms im Bereich der allgemeinen Bildung Sokrates bzw. Art. 7 Beschluss 1999/382/EG des Rates vom 26.4.1999 über die Durchführung der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms in der Berufsbildung „Leonardo da Vinci“ von 2000 bis 2006 bzw. 1999 bis 2006 tätig gewesen. Eine auf Art. 9 (Durchführungsmaßnahmen) Abs. 1 Pkt. f des Beschlusses 1720/2006/EG, weiters auf die Haushaltsordnung (VO [EG] 1605/2002 des Rates vom 25.6.2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften), insb. auf die Art. 54 und 56 (indirekte zentrale Bewirtschaftung von Gemeinschaftsmitteln), und schließlich auf die VO (EG) 2342/2002 der Kommission vom 23.12.2002 mit Durchführungsbestimmungen zur Haushaltsordnung, insb. die Art. 35, 38, 39 und 41 gestützte „Entscheidung der Kommission über die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, der Kommission und der nationalen Agenturen bei der Durchführung des Programms Lebenslanges Lernen (2007–2013)“ vom Dezember 2006 (Dokument des LLP-Ausschusses LLP-31-2006) verpflichtet im Anhang Pkt. 4 (Aufgaben der nationalen Agenturen) in Abs. 3 die nationalen Agenturen zur Beachtung des „Leitfadens für nationale Agenturen“, der Mindestnormen für die inter78
ne Kontrolle und die von der NA verwalteten Maßnahmen (werden in einem Anhang 1 spezifiziert) der Programmteile Comenius, Erasmus, Leonardo, Grundtvig und des Querschnittsprogramms vorschreibt. Dieser Leitfaden wird von der EK mitunter jährlich adaptiert (im Zusammenhang mit den jährlichen Finanzierungsvereinbarungen zwischen EK und NA). Die Einhaltung des Leitfadens ist eine der vertraglichen Pflichten der NA gegenüber der EK und der nationalen Behörde (Unterrichts- und Wissenschaftsministerium) und ist entsprechend Teil der jährlich abzuschließenden Finanzierungsvereinbarungen zur Durchführung der zugewiesenen Maßnahmen des LLP. In der Praxis kommt dem Leitfaden insofern große Bedeutung zu, als er regelmäßig die von den NA in ihren Fördervereinbarungen mit den Förderempfängern (im Bereich von Erasmus etwa die Universitäten) ihrerseits aufzunehmenden vertraglichen Mindeststandards festlegt (wie etwa im Bereich der Sicherstellung der vollen ĺakademischen Anerkennung von ErasmusAufenthalten; die Mindest- und Höchstaufenthaltsdauer bei der Mobilität von Einzelpersonen wie der Studierendenmobilität, Mindestund Höchstfördersätze der einzelnen Maßnahmen, etc.). Über die konkrete Ausgestaltung der Födervereinbarung mit den Zuschussempfängern aus LLP-Maßnahmen wirken daher die relevanten gemeinschaftsrechtlichen Normen des LLP-Beschlusses, der Haushaltsordnung und deren Durchführungsbestimmungen in die von den Förderempfängern zu befolgenden Fördervertragsbestimmungen ein. Auch die Maßnahmen für den Fall deren Nichtbefolgung wird in den Fördervereinbarungen geregelt (etwa die vertragliche Rückzahlungsverpflichtung von Teilen oder des ganzen Zuschusses). In der Suchmaske des Online-Registers der Komitologie kann eine Gesamtaufstellung der Dokumente der Ausschuss-Arbeit durch Auswahl des LLP-Ausschusses in der Rubrik „Ausschuss“ und der Auswahl „Alle“ in den Rubriken „Überwachungsrecht“ bzw. „Sprache“ (und leer lassen der übrigen Auswahlfelder) generiert werden. Aus dieser Liste lassen sich dann die einzelnen Ausschussdokumente durch Auswahl einsehen (sofern sie nicht dem Überwachungsrecht unterliegen). Eine Gesamtdokumentation der Ausschussunterlagen und der Arbeitsdokumente für die Durchführung der dezentralen Teile der Bildungsprogramme der EU durch die Bildungsbehörden der MS bzw. deren ĺNa-
Ausschuss, 133er (EG) tionaler Agenturen steht diesen für die alltägliche Arbeit auf der internen Kommunikationsplattform der GD EAC mit den nationalen Stellen namens „Nety“ zur Verfügung (Intranet). (jbu) §§: Komitologiebeschluss 1999/468/EG (ABl. 1999, Nr. L 184/23), geändert durch Beschluss 2006/512/ EG (ABl. 2006, Nr. L 2006/11); Art. 10 Beschluss 1720/2006/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 15. 11. 2006 über ein Aktionsprogramm im Bereich des Lebenslangen Lernens (ABl. 2006, Nr. L 327/45); Art. 8 Beschluss 253/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.1.2000 über die Durchführung der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms im Bereich der allgemeinen Bildung Sokrates (ABl. 2000, Nr. L 28/1); Art. 7 Beschluss 1999/382/EG des Rates vom 26.4. 1999 über die Durchführung der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms in der Berufsbildung „Leonardo da Vinci“ (ABl. 1999, Nr. L 146/33); VO (EG) 1605/2002 des Rates vom 25.6.2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 2002, Nr. L 248/1); VO (EG) 2342/2002 der Kommission vom 23.12.2002 mit Durchführungsbestimmungen zur VO (EG) 1605/2002 des Rates vom 25.6.2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 2002, Nr. L 357/ 1); Entscheidung der Kommission über die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, der Kommission und der nationalen Agenturen bei der Durchführung des Programms Lebenslanges Lernen (2007–2013) (LLP31-2006); Rules of Procedure of the Lifelong Learning Programme Committee (LLP/71/2006) Web: http://ec.europa.eu/transparency/regcomitology/ recherche.cfm?CL=de (Register der Komitologie)
Ausschuss für die nichtmilitärischen Aspekte der Krisenbewältigung (CivCom) Committee for Civilian Aspects of Crisis Management (CivCom) – Comité chargé des aspects civils de la gestion des crises (CivCom)
Ständige Arbeitsgruppe des ĺRates seit dem Jahr 2000 zur Begleitung des ĺzivilen Krisenmanagements im Rahmen der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. CivCom setzt sich aus Vertretern der ĺMitgliedstaaten zusammen und ist unter Leitung des ĺPolitischen und Sicherheitspolitische Komitees (PSK) zuständig für die Planung und Durchführung von zivilen ĺESVP-Missionen. (dt) §§: Beschluss 2000/354/GASP, ABl. 2000, Nr. L 127/1 Lit.: H.-G. Ehrhart, Die EU als zivil-militärischer Krisenmanager: zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Integration 2005, 217
Ausschuss für Wissenschaft und Technik Scientific and Technical Committee – Comité scientifique et technique
Der Ausschuss für Wissenschaft und Technik ist gem. Art. 134 ĺEAGV bei der ĺKommis-
sion eingerichtet. Seine Mitglieder werden vom ĺRat nach Anhörung der Kommission auf fünf Jahre ernannt und sind an keine Weisungen gebunden. Der Ausschuss hat v.a. beratende Aufgaben. In den im Vertrag vorgesehenen Fällen (vgl. Art. 4, 7 und 8) ist er jedenfalls zu hören, kann von der Kommission aber auch sonst zu Rate gezogen werden. Darüber hinaus ernennt der Ausschuss jene Expertengruppe, der bei Erarbeitung der ĺGrundnormen gem. Art. 31 ein obligatorisches Stellungnahmerecht zukommt. (atm) Ausschuss für Wissenschaftliche und Technische Forschung (AWTF) Scientific and Technical Research Committee (CREST) – Comité de la Recherche Scientifique et Technique (CREST)
Der Ausschuss für Wissenschaftliche und Technische Forschung (AWTF) wurde 1974 als Beratungsgremium für ĺRat und ĺKommission durch eine Entschließung des Rates eingesetzt, 1995 wurde sein Mandat erneuert. CREST besteht aus Vertretern der Mitgliedstaaten (je zwei von der nationalen Regierung benannte Vertreter) und der Kommission, die den Vorsitz führt. Seine Aufgabe umfasst die Koordinierung der mitgliedstaatlichen Politiken gem. Art. 165 EG sowie die Unterstützung und Beratung von Rat und Kommission in forschungspolitischen Angelegenheiten (ĺForschungs- und Technologiepolitik, Maßnahmen), insbesondere bei der Ausarbeitung strategischer Prioritäten für die Forschungsmaßnahmen, der Erstellung einer Gemeinschaftsstrategie für die internationale Zusammenarbeit sowie bei der Ausarbeitung und Evaluation der ĺspezifischen Programme und des ĺForschungsrahmenprogramms. CREST tagt ca. sechsmal im Jahr. (hk) §§: Entschließung des Rates vom 14.1.1974, ABl. 1974, Nr. C 7/2; Entschließung des Rates vom 28.9.1995, ABl. 1995, Nr. C 264/4 Lit.: A. Kallmayer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 163 EGV, Rn. 5; H. Eikenberg, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 28. Lfg. 2005, Art. 166 EGV, Rn. 8
Ausschuss, 133er (EG) Committee 133 – Comité de l’article 133
Beratender handelspolitischer Ausschuss des ĺRates. Zur Durchführung der Handelspolitik setzt sich die ĺEuropäische Kommission mit dem 133er-Ausschuss ins Benehmen. Ihm erstattet die Europäische Kommission Bericht. Er setzt sich aus Vertretern der Wirtschaftsmi79
Ausschuss, europäisches Ausschusswesen nisterien der Mitgliedstaaten zusammen. An den Sitzungen nehmen auch Vertreter der Europäischen Kommission teil. Der 133er-Ausschuss tritt wöchentlich regelmäßig einmal in der Zusammensetzung der stellvertretenden Mitglieder zusammen, üblicherweise am Freitag. Einmal monatlich tritt er in der Zusammensetzung der Vollmitglieder zusammen. Der Name des Ausschusses geht zurück auf ĺArt. 133 Abs. 3 EG, der die Einsetzung dieses Ausschuss für Außenhandelsfragen vorsieht: Art. 133 Abs. 3 EG: Sind mit einem oder mehreren Staaten oder internationalen Organisationen Abkommen auszuhandeln, so legt die Kommission dem Rat Empfehlungen vor; dieser ermächtigt die Kommission zur Aufnahme der erforderlichen Verhandlungen. Es ist Sache des Rates und der Kommission, dafür zu sorgen, dass die ausgehandelten Abkommen mit den internen Politiken und Vorschriften der Gemeinschaft vereinbar sind. Die Kommission führt diese Verhandlungen im Benehmen mit einem zu ihrer Unterstützung vom Rat bestellten besonderen Ausschuss nach Maßgabe der Richtlinien, die ihr der Rat erteilen kann. Die Kommission erstattet dem besonderen Ausschuss regelmäßig Bericht über den Stand der Verhandlungen. (bh) §§: Art. 133 EG
Ausschuss, europäisches Ausschusswesen Committee – comité
Im politischen Prozess der EU sind Ausschüsse von außerordentlicher Bedeutung. Es handelt sich bei dem sog. europäischen Ausschusswesen um ein weit verzweigtes System von Verwaltungsund Expertenausschüssen mit unterschiedlichen Funktionen und politischem Gewicht. Die Ausschüsse beraten sämtliche EU-Organe bei der politischen Willensbildung in allen Phasen des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsetzungsprozesses. Einige Ausschüsse sind bereits im ĺPrimärrecht vorgesehen (z.B. der beratende Ausschuss für Verkehr gem. Art. 79 EG, der Beschäftigungsausschuss nach Art. 130 EG oder der Ausschuss des Europäischen Sozialfonds gem. Art. 147 EG), andere werden nach Bedarf und nur zur Bearbeitung bestimmter Sachthemen einberufen. Bevor die ĺKommission im Rahmen ihres ĺInitiativrechts Rechtsetzungsvorschläge ausarbeitet, konsultiert sie in der Regel Sachverständigenausschüsse. Insgesamt sind derzeit rund 60 beratende Ausschüsse tätig, allein die Hälfte davon für landwirtschaftliche Angelegen80
heiten. Sie setzen sich aus Vertretern der Fachkreise (Wirtschaftsgruppen bzw. Vertreter verschiedener organisierter Interessen), aus unabhängigen Experten oder Fachbeamten aus Behörden der Mitgliedstaaten (z.B. aus nationalstaatlichen Ministerien) zusammen. Daneben gibt es ausschließlich mit Wissenschaftlern besetzte sog. wissenschaftliche Ausschüsse, die lediglich zu bestimmten Themen einberufen werden. Eine spezielle Form des europäischen Ausschusswesens ist die ĺKomitologie. Zwar werden in der Praxis beide Begrifflichkeiten häufig (nicht ganz trennscharf) als Synonym verwandt, jedoch bildet die ĺKomitologie nur einen – wenn auch in der Rechtsetzung äußerst bedeutsamen – Teilbereich des gesamten Ausschusswesens. Die Komitologieausschüsse werden gem. Art. 202 3. SpS EG vom ĺRat bei der Kommission eingesetzt. Sie sind nur im Rahmen der ĺDurchführungsrechtsetzung gem. Art. 202 EG und Art. 211 EG tätig. Diese besondere Form von Expertenausschüssen unterstützt die Kommission bei der Durchführung von ĺBasisrechtsakten und sichert zugleich den Mitgliedstaaten/dem Rat Einfluss auf die nähere Ausgestaltung der Rechtsakte, die zuvor im Legislativverfahren angenommen wurden und zunächst nur die allgemeinen Grundsätze regeln. Die zumeist technischen Details und weiteren Ausführungsbestimmungen der Gesetzgebung werden also im Rahmen der Komitologie unter Mitwirkung der Mitgliedstaaten festgelegt. Während die oben beschriebenen beratenden Ausschüsse im Vorfeld von legislativen Maßnahmen zur Ausarbeitung von Kommissionsvorschlägen von der Kommission (zum Teil) je nach Bedarf eingesetzt werden, ist das System der ĺKomitologie strengen (Verfahrens-) Regeln unterworfen. Struktur, Zusammensetzung, Arbeitsweise und Verfahrensabläufe legt in Einzelheiten der ĺKomitologiebeschluss des Rates 1999/468/EG in der Fassung des Ratsbeschlusses 2006/512/EG fest. Es gibt derzeit etwa 300 Komitologieausschüsse (s. ĺDurchführungsrechtsetzung und ĺKomitologie). Auch das ĺParlament hat verschiedene ständige und nichtständige Ausschüsse gebildet, die die Beratungen des Plenums vorbereiten (Art. 150 ff. der Geschäftsordnung des EP). Deren Zusammensetzung richtet sich nach der Stärke der Fraktionen. In den ständigen Fachausschüssen, die nach Bereichen wie z.B. Binnenmarkt, Landwirtschaft, Beschäftigung oder Kultur gebildet werden, wird der überwiegende Teil der legislativen Tätigkeit geleistet. Das
Außenkompetenzen (Umweltpolitik, Verkehrspolitik) Parlament kann darüber hinaus nichtständige Ausschüsse einrichten, deren Zuständigkeit, Zusammensetzung und Dauer im Einsetzungsbeschluss festgelegt werden. Zentrale Aufgabe beider Ausschussformen ist die Prüfung der Kommissionsvorschläge für neue Rechtsetzungsvorhaben, die Erstellung von Berichten, Entschließungsanträgen oder die Erarbeitung von Initiativberichten. Ausnahmsweise kann den Ausschüssen auch die Befugnis zur Entscheidung übertragen werden. Zur Durchführung der ihm vertraglich übertragenen Kontrollbefugnisse setzt das Parlament nichtständige Untersuchungsausschüsse ein (Art. 193 EG). Die Beratungen des Rates finden in einem komplexen System mehrerer nachgeordneter Ebenen statt. Zurzeit gibt es im Ratsumfeld etwa 200 ständige oder ad hoc entstandene Arbeitsgruppen, die für verschiedene Politikbereiche oder Beratungsgegenstände zuständig sind und sich aus Delegierten der mitgliedstaatlichen Verwaltungen zusammensetzen. Auch ein Vertreter der Kommission nimmt an den Sitzungen der Arbeitsgruppen teil. Den Vorsitz übernimmt in der Regel der Teilnehmer des Mitgliedstaates, der auch den Ratsvorsitz innehat. Einige Ausschüsse finden ihre Grundlage direkt im ĺPrimärrecht (z.B. der Koordinierungsausschuss für den Art. 36 EU im Bereich Inneres und Justiz oder das Politische Komitee gem. Art. 25 EU für den Bereich der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik), andere werden ad hoc eingesetzt, wie etwa der Ausschuss für Kulturfragen. Mehrere Arbeitsgruppen erledigen die vorbereitenden Arbeiten für den Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV, franz. ĺCOREPER). Der AStV ist das Bindeglied zwischen den Arbeitsgruppen und Ausschüssen einerseits und dem Rat andererseits. Für die Vorbereitungen der Tagungen des Rates der Agrarminister ist der Sonderausschuss Landwirtschaft (SAL) zuständig, der sich aus hohen Beamten der Landwirtschaftsministerien oder den Leitern der Abteilung Landwirtschaft der Ständigen Vertretungen zusammensetzt. (sk) Lit.: C. Joerges/J. Falke (Hrsg.), Das Ausschusswesen der Europäischen Union, 2002; C. Joerges/E. Vos (Hrsg.), EU Committees: Social Regulation, Law and Politics, 1999; R. Pedler/G. Schäfer (Hrsg.), Shaping European Law and Policy: The Role of Committees and Comitology in the Political Process, 1996
Außenbeziehungen der EU ĺGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)
Außenhandelspolitik ĺGemeinsame Handelspolitik Außenkompetenzen (Umweltpolitik, Verkehrspolitik) external competence (environmental policy, transport policy) – compétences extérieures (politique de l’environnement, politique des transports)
Hintergrund: Wie auch in anderen Gebieten ist auch die Lösung bedeutender Verkehrs- und Umweltprobleme nur mehr trans- und multinational möglich. Ausgangspunkt der gemeinschaftsrechtlichen Außenkompetenze bildet der durch den ĺEuGH entwickelte Grundsatz (lt. AETR-Rechtsprechung des EuGH), dass der Innenkompetenz der EG stets eine entsprechende Kompetenz im Außenbereich entspricht, wobei die Gemeinschaft von ihrer Kompetenz im Innenbereich noch nicht Gebrauch gemacht haben muss. Machte die Gemeinschaft von ihrer Außenkompetenz Gebrauch, tritt eine Sperrwirkung der im Außenverhältnis abgeschlossenen Abkommen bezüglich des Handelns der MS ein, die inhaltlich jener von Gemeinschaftsrechtsakten im Innenbereich entspricht (grundsätzlich Parallelität zwischen den der Gemeinschaft im Inneren zugewiesenen und ihren Außenkompetenzen). Wichtigste Grundlagen für letztere sind die Art. 175 Abs. 1 und 2 EG (Umwelt) sowie die Art. 71, 80 Abs. 2 EG (Verkehr). Der Verlust des Rechts der MS zum Eingehen von Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten tritt nur in dem Maße ein, wie gemeinsame Rechtsnormen erlassen werden, die durch diese Verpflichtungen beeinträchtigt werden, d.h. es besteht nur insofern eine ausschließliche externe Zuständigkeit der Gemeinschaft, als gemeinsame Vorschriften auf interner Ebene erlassen wurden (Erlass verbindlicher Rechtsakte). Auch bei Nichtvorliegen einer abschließenden Regelung besteht laut. EuGH die Möglichkeit, dass der Verdichtungsgrad der Rechtsetzung so hoch ist, dass mitgliedstaatliches Handeln die Gemeinschaftsstandards beeinträchtigen kann. So haben die MS gem. Art. 10 EG darauf zu achten, dass sie durch ihr Handeln die spätere Ausübung der EG-Kompetenzen nicht präjudizieren, wenn seitens der Gemeinschaft zwar noch kein Tätigwerden erfolgte, intern aber eine Regelung gerade vorbereitet wird. Die Abgrenzung der einzelnen Kompetenzbestimmungen im Außenverhältnis erfolgt nach den gleichen Grundsätzen wie im Innenverhältnis (insbesondere 81
Außenminister, europäischer hinsichtlich der Abgrenzung zu ĺArt. 133 EG relevant). (sm) Lit.: A. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union (1997), 80 ff.; dies., in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 512 ff.; J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 95 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-22/70 Kommission/Rat („AETR“), Slg. 1971, 263; EuGH, verb. Rs. C-3, 4 und 6/76 Cornelis Kramer u.a., Slg. 1976, 1279; EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994, I-5267; EuGH, Gutachten 2/92, Slg. 1995, I-521
Außenminister, europäischer ĺHoher Vertreter für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik Außenpolitik ĺGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Außenzoll external tariff – tarif extérieur
Der gemeinsame Außenzoll ist Kernbestandteil der EU-Handelspolitik. Aus Drittstaaten stammende Waren unterfallen einem einheitlichen Zollsatz. Nachdem die Binnenzölle in der EU durch Errichtung eines gemeinsamen Außenzolles entfallen sind (1968–1970), wird nicht mehr differenziert danach, welcher Mitgliedstaat Empfänger der Waren ist. Der gemeinsame Außenzoll, der auf die in die Union eingeführten Waren erhoben wird, ist der Gemeinsame Zolltarif. Der integrierte Zolltarif der EG wird als ĺTARIC bezeichnet. Der TARIC wird durch die ĺEuropäische Kommission verwaltet. (bh) Außervertragliche Haftung der EG, administratives Unrecht non-contractual liability of the Community, illegal administrative acts – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, actes administratifs illégaux
Administratives Handeln der Gemeinschaft ist jedes nicht normsetzende Handeln der Organe und Bediensteten der Gemeinschaft. Damit ist letztlich jedes Handeln gemeint, das nicht abstrakte Rechtsakte schafft, sondern Einzelfallentscheidungen zum Ergebnis hat. Auch Realakte und sonstiges faktisches Verhalten fallen daher unter administratives Handeln. Die Anforderungen an die ĺaußervertragliche Haftung der Gemeinschaft für administratives Unrecht sind geringer als die Anforderungen für die Haftung für ĺlegislatives Unrecht. Nach der Rechtspre82
chung des ĺEuGH genügt es für eine Haftung, wenn „eine durchschnittlich vorsichtige und sorgfältige Verwaltung unter ähnlichen Umständen nicht rechtswidrig gehandelt hätte“. Allerdings gibt es auch im Bereich des administrativen Handelns Fälle, in denen die Exekutive einen derart weiten Gestaltungsspielraum hat, dass eine Haftung schon für einfache Rechtswidrigkeit diesen Gestaltungsspielraum zu sehr beschränken würde. In diesen Fällen gelten dann u.U. für die Haftung für administratives Unrecht dieselben Voraussetzungen wie für ĺlegislatives Unrecht. Ein Unterlassen der Organe oder Bediensteten der Gemeinschaft löst nur dann die außervertragliche Haftung aus, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln bestand. (jpt) §§: Art. 288 Abs. 2 EG Lit.: M. H. van der Woude, Liability for Administrative Acts under Article 215 (2) EC, in: T. Heukels/A. McDonnell (Hrsg.), The Action for Damages in Community Law, 1997, 129 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-312/00 Kommission/Camar und Tico, Slg. 2002, I-11355
Außervertragliche Haftung der EG, allgemein non-contractual liability of the Community, general – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, généralité
Grundsätzlich muss sich die ĺEG Rechtsverletzungen der Gemeinschaftsorgane sowie ihrer Bediensteten zurechnen lassen und unter gewissen Voraussetzungen auch dafür haften. Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft regelt Art. 288 Abs. 2 EG, wonach „die Gemeinschaft im Bereich der außervertraglichen Haftung den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“, ersetzt. Im Gegensatz zum deutschen Amtshaftungsanspruch (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) wird damit bei der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft die persönliche Haftung des Amtswalters nicht auf die Gemeinschaft übertragen, sondern die Gemeinschaft haftet unmittelbar selbst. Eine persönliche Haftung des einzelnen Amtswalters besteht daneben grundsätzlich nicht. Die Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft leiten sich aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ab, die der ĺEuGH in seiner Rechtsprechung entwickelt hat. Danach sind für die außervertragliche Haftung im Wesentlichen vier Voraussetzungen
Außervertragliche Haftung der EG, Beweislast notwendig. Zunächst muss ein ĺamtsbezogenes Verhalten eines Organs oder Bediensteten der Gemeinschaft vorliegen. Zweitens bedarf es der Verletzung einer drittschützenden Rechtsnorm. Schließlich muss ein ĺSchaden entstanden sein und Kausalität zwischen dem Verhalten, der Rechtsverletzung und dem ĺSchaden bestehen. Ein Verschulden ist jedoch nicht erforderlich. Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft besteht nicht nur für Unrecht der Exekutive, sondern greift vielmehr auch bei sog. ĺlegislativem Unrecht. Allerdings legt der ĺEuGH für die Haftung für ĺlegislatives Unrecht einen strengeren Maßstab zugrunde. Statt einer einfachen Rechtsverletzung verlangt der ĺEuGH eine sog. ĺhinreichend qualifizierte Rechtsverletzung um der Gesetzgebung der Gemeinschaft den notwendigen Gestaltungsund Entscheidungsspielraum zu belassen. Der Schadensersatz ist grundsätzlich in Geld zu leisten und umfasst auch Positionen wie entgangenen Gewinn und unter Umständen immaterielle ĺSchäden. Im Gegensatz zu Schadensersatzklagen aus vertraglicher Haftung ist gem. Art. 235 EG das EuG bzw. der EuGH für Schadensersatzklagen aus außervertraglicher Haftung zuständig. (jpt)
ĺBürgerbeauftragten oder der ĺEuropäischen Investitionsbank die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft auslösen. Der Begriff Bedienstete i.S.d. Art. 288 Abs. 2 EG ist weit auszulegen und meint somit sowohl Beamte als auch andere Bedienstete. Der ĺEuGH definiert Amtstätigkeit als ein Verhalten, welches sich unmittelbar und notwendigerweise aus dem Aufgabenkreis der Organe ergibt. Eine solche Amtstätigkeit liegt jedoch regelmäßig nicht vor, wenn es um von den Mitgliedstaaten gesetztes Primärrecht geht. Hier handeln weder die Organe noch die Bediensteten der Gemeinschaft. Auch wenn nationale Behörden oder Gerichte Normen des Gemeinschaftsrechts anwenden oder umsetzen, liegt keine Amtstätigkeit i.S.d. Art. 288 EG vor. Schäden, die durch eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch eben diese nationalen Stellen entstehen, können aber mit Hilfe des ĺgemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs geltend gemacht werden. (jpt)
§§: Art. 288 Abs. 2 EG, Art. 235 EG Lit.: S. Detterbeck, Haftung der Europäischen Gemeinschaft und gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, AöR 125 (2000), 202 (208 ff.); H. G. Schermers/T. Heukels/P. Mead (Hrsg.), Non-Contractual Liability of the European Communities, 1988; T. Heukels/A. McDonnell (Hrsg.), The Action for Damages in Community Law, 1997, F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 1998, 559 ff.
Außervertragliche Haftung der EG, Beweislast
Außervertragliche Haftung der EG, Amtstätigkeit non-contractual liability of the Community, performance of official duties – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, exercice des fonctions
Der im Rahmen der außervertraglichen Haftung der EG geltend gemachte Schaden muss durch eine Amtstätigkeit der Organe oder Bediensteten der Gemeinschaft oder der ĺEuropäische Zentralbank (EZB) entstanden sein. Als Organe der Gemeinschaft gelten zunächst gem. Art. 7 EG das ĺParlament, der ĺRat, die ĺKommission, der ĺGerichtshof und der ĺRechnungshof. Die Gemeinschaftsgerichte haben aber auch andere Einrichtungen, denen durch den EG-Vertrag Zuständigkeiten übertragen wurden, als Organe i.S.d. Art. 288 Abs. 2 EG qualifiziert. So kann auch das Verhalten des
§§: Art. 288 Abs. 2 EG Lit.: F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 1998, 581 f. Rsp.: EuGH, Rs. C-234/02 Europäischer Bürgerbeauftragter/Lambert, Slg. 2004, I-2803; EuGH C-370/ 89 SGEEM und ETROX/EIB, Slg. 1992, I-6211; EuGH, Rs. C-95/98 Edouard Dubois et Fils SA/Rat und Kommission, Slg. 1999, I-4835
non-contractual liability of the Community, burden of proof – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, charge de la preuve
Zur Frage der Beweislast im Rahmen der außervertraglichen Haftung der EG hat der ĺEuGH bislang noch keine klaren Leitlinien entwickelt. Regelmäßig geht der ĺEuGH dieser Frage auch dadurch aus dem Weg, dass er von Amts wegen Ermittlungen durchführt. Dagegen wird in der Literatur an dem Darlegungs- und Beweislastgrundsatz festgehalten, so dass der Anspruchsteller grundsätzlich die Rechtsverletzung, den ĺSchaden und die ĺKausalität zu beweisen hat. Einreden und Einwendungen müssten nach dieser Auffassung vom Beklagten dargelegt und bewiesen werden. Im Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten soll auch der Anscheinsbeweis (prima facie-Beweis) gelten. Danach wird bei typischen Sachverhalten, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung bestimmte Ursachen und Ereignisse nahe legen, ein Beweis des ersten Anscheins angenommen. Diesen Anscheinsbeweis kann die Gegenseite nur durch die substantiierte Darlegung eines atypi83
Außervertragliche Haftung der EG, gemeinschaftsrechtliche Schutznorm schen Verlaufes widerlegen und ist dabei beweispflichtig. (jpt) §§: Art. 288 Abs. 2 EG Lit.: S. Hackspiel, in: H.-W. Rengeling/A. Middeke/M. Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, 434 ff.
Außervertragliche Haftung der EG, gemeinschaftsrechtliche Schutznorm non-contractual liability of the Community, customary scope of protection – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, règle de protection du droit communautaire
Eine weitere Voraussetzung für die außervertragliche Haftung der EG gem. Art. 288 Abs. 2 EG ist, dass die durch die Amtstätigkeit eines Organs oder Bediensteten verletzte Gemeinschaftsrechtsnorm eine Schutznorm ist. Eine Norm des Gemeinschaftsrechts ist dann eine Schutznorm, wenn die Norm nicht nur dem Allgemeininteresse sondern zumindest auch dem Schutz individueller Interessen dient. Dabei werden an den Individualschutz aber keine hohen Anforderungen gestellt. Vielmehr genügt es, wenn eine vordergründig dem Allgemeininteresse dienende Norm nur als Reflex oder Annex auch individuelle Interessen mitschützt. (jpt) §§: Art. 288 Abs. 2 EG Lit.: B. Schoißwohl, Staatshaftung wegen Gemeinschaftsrechtsverletzung: Anspruchgrundlagen und materielle Voraussetzungen, 2001, 230 ff.; T. Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997; B. Grzeszick, Subjektive Gemeinschaftsrechte als Grundlage des europäischen Staatshaftungsrechts, EuR 1998, 417
Außervertragliche Haftung der EG, Haftung für rechtmäßiges Verhalten non-contractual liability of the Community, liability for lawful conduct – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, responsabilité pour comportement légitime
Grundsätzlich kann auch durch rechtmäßiges Handeln der Organe oder Bediensteten der Gemeinschaft ein Schaden für den Einzelnen entstehen. Zudem gibt es in einigen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einen Haftungsanspruch für außergewöhnliche und besondere ĺSchäden, die durch rechtmäßiges Handeln entstanden sind. In Deutschland bspw. ist ein solcher Haftungsanspruch unter dem Begriff des enteignenden Eingriffs bekannt. Der ĺEuGH und das ĺEuG haben in einigen neueren Entscheidungen ebenfalls eine Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln bei außergewöhnlichen und besonderen Schäden anerkannt, 84
wobei allerdings bis jetzt in keinem der entschiedenen Fälle die Haftungsvoraussetzungen für einen solchen Schadensersatzanspruch als erfüllt angesehen worden sind. Als Voraussetzung für eine Haftung der Gemeinschaft für rechtmäßiges Handeln verlangen die Gemeinschaftsgerichte einen außergewöhnlichen und besonderen ĺSchaden. Für die Frage nach der Außergewöhnlichkeit haben die Gemeinschaftsgerichte stets auf eine Überschreitung der Grenzen des wirtschaftlichen Risikos, das einer Tätigkeit im entsprechenden Bereich anhaftet, abgestellt. Ein ĺSchaden muss somit nicht vorhersehbar sein. Der ĺSchaden darf dagegen nicht nur Folge eines wirtschaftlichen Risikos sein. Besonders soll ein ĺSchaden nach Rechtsprechung des ĺEuG dann sein, wenn durch ein rechtmäßiges Verhalten eine Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern gegenüber den anderen Wirtschaftsteilnehmern unverhältnismäßig belastet wird. Dies ist dann nicht der Fall, wenn der geschädigte Wirtschaftsteilnehmer durch das rechtmäßige Verhalten in gleicher Weise betroffen wird wie Wirtschaftsteilnehmer im selben Mitgliedstaat, auch wenn Wirtschaftsteilnehmer in anderen Mitgliedstaaten nicht betroffen sind. In Anbetracht dieses Sonderopfers muss somit der geschädigte Wirtschaftsteilnehmer der einzige in diesem Umfang Geschädigte sein, oder aber zu einer eng begrenzten Gruppe von geschädigten Wirtschaftsteilnehmern gehören. Der ĺEuGH verneint das Vorliegen eines außergewöhnlichen und besonderen Schadens, wenn die dem Schaden zu Grunde liegende – rechtmäßige – Regelung durch ein allgemeines wirtschaftliches Interesse gerechtfertigt ist. (jpt) §§: Art. 288 Abs. 2 EG Lit.: S. Haack, Die außervertragliche Haftung der EG für rechtmäßiges Verhalten, EuR 1999, 395 Rsp.: EuGH, Rs. C-237/1989 P Dorsch Consult/Rat und Kommission, Slg. 2000, I-4549
Außervertragliche Haftung der EG, judikatives Unrecht non-contractual liability of the Community, judicial wrongs – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, actes juridictionnels illégaux
Bislang hat sich der EuGH noch nicht direkt zu der Frage geäußert, ob eine außervertragliche Haftung der EG auch für ĺjudikatives Unrecht möglich ist. Denkbar ist etwa, dass der ĺEuGH bei Fehlentscheidungen oder einem überlangen Verfahren des ĺEuG einen solchen Anspruch prüft. Indes lassen einige Urteile erkennen, dass
Außervertragliche Haftung der EG, Mitverschulden der EuGH die Grundsätze der außervertraglichen Haftung auf sich selbst bezogen nicht anwenden wird. (jpt) Lit.: J. P. Terhechte, Zum Staatshaftungsanspruch bei Organisationsmängeln innerhalb der Dritten Gewalt – zugleich ein Beitrag zum Rechtsschutz gegen den untätigen Richter, DVBl. 2007, 1134 (1141) Rsp.: EuGH, Rs. 20/88 Roquette frères, Slg. 1989, 1553, Rn. 20
Außervertragliche Haftung der EG, Kausalität non-contractual liability of the Community, causal connection – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, causalité
Bei der außervertraglichen Haftung der EG muss der ĺSchaden gem. dem Wortlaut des Art. 288 Abs. 2 EG durch die Amtstätigkeit der Organe oder Bediensteten der Gemeinschaft verursacht worden sein. Damit ist ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem eingetretenen Schaden und der Amtstätigkeit erforderlich. Jede noch so entfernte nachteilige Folge des Verhaltens der Organe oder Bediensteten reicht hier jedoch grundsätzlich nicht aus. Der ĺEuGH verlangt in ständiger Rechtsprechung einen direkten und unmittelbaren Kausalzusammenhang, der nicht vorliegt, wenn der Schaden auch ohne das in Rede stehende Verhalten eingetreten wäre. Der Kausalzusammenhang muss vom Anspruchsteller durch schlüssige Beweise darlegt werden. (jpt) §§: Art. 288 Abs. 2 EG Lit.: A. G. Toth, The Concepts of Damage and Causality as Elements of Non-Contractual Liability, in: H. G. Schermers/T. Heukels/P. Mead (Hrsg.), NonContractual Liability of the European Communities, 1988, 23 ff. Rsp.: EuGH, verb. Rs. 74, 113/76, 167, 239/78, 27, 28, 45/79 Dumortier freres, Slg. 1979, 3091; EuG Rs. T1/99 CD Port GmbH/Kommission, Slg. 2001, II-465
Außervertragliche Haftung der EG, legislatives Unrecht non-contractual liability of the Community, illegal legislative measures – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, actes législatifs illégaux
Nach ständiger Rechtsprechung des ĺEuGH erstreckt sich die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft grundsätzlich auch auf legislatives Unrecht. Die Gemeinschaft haftet demnach auch für Schäden, die aus rechtswidrigen ĺVerordnungen oder ĺRichtlinien resultieren. Dadurch wird der unvollständige Rechtsschutz gegen legislative Akte der Gemeinschaft auf der Primärebene ausgeglichen. Zwar können Indi-
viduen mit Hilfe der ĺNichtigkeitsklage gem. Art. 230 Abs. 4 EG unter hohen Voraussetzungen gegen Rechtsakte der Gemeinschaft vorgehen. Auf der schadensersatzrechtlichen Sekundärebene bleibt ihnen nach der Rechtsprechung des ĺEuGH aber die außervertragliche Haftung. Allerdings kann ein uneingeschränkter Schadensersatzanspruch bei legislativem Unrecht die Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers stark begrenzen, wenn im Allgemeininteresse Entscheidungen gefällt werden, die individuelle Interessen beeinträchtigen könnten. Aus diesem Grund hat der ĺEuGH die Anforderungen an einen Schadensersatzanspruch aus legislativem Unrecht restriktiv gefasst. Statt einer einfachen Rechtsverletzung verlangt der ĺEuGH eine ĺhinreichend qualifizierte Rechtsverletzung. Rechtsakte der Gemeinschaft, die wirtschaftspolitische Entscheidungen einschließen, können nur dann zu einer Haftung führen, wenn darin eine „ĺhinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz der Einzelnen dienenden Rechtsnorm“ zu sehen ist. (jpt) §§: Art. 288 Abs. 2 EG Lit.: R. Fetzer, Die Haftung des Staates für legislatives Unrecht, 1994; B.-P. Säuberlich, Legislatives Unrecht und EU-Amtshaftungsanspruch, 2005; A. Arnull, Liability for Legislative Acts under Article 215 (2) EC, in: T. Heukels/A. Mc-Donnell (Hrsg.), The Action for Damages in Community Law, 1997, 109 ff.; W. Weiß, Zur Haftung der EG für die Verletzung des WTO-Rechts, EuR 2005, 277 Rsp.: EuGH, Rs. 5/71 Schöppenstedt, Slg. 1971, 975
Außervertragliche Haftung der EG, Mitverschulden non-contractual liability of the Community, contributory negligence of the injured person – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, faute concurrente de la victime
Grundsätzlich wird bei der außervertraglichen Haftung der EG ein Mitverschulden des Geschädigten berücksichtigt. Dies kann sich insbesondere bei der Bestimmung der Höhe des Schadensersatzanspruches auswirken. Bei einem hohen Maß des Mitverschuldens ist sogar ein vollständiger Ausschluss des Schadensersatzanspruchs möglich. Der Geschädigte hat damit auch im Gemeinschaftsrecht die Pflicht zur Schadensminderung. Eine Nichtbefolgung der Schadensminderungspflicht kann als Mitverschulden bei der Entstehung des ĺSchadens zugerechnet werden und zu einer Minderung bzw. zu einem Ausschluss seines Schadensersatzanspruchs führen. Zu der Schadensminde85
Außervertragliche Haftung der EG, Rechtswidrigkeit rungspflicht zählt auch, dass der Geschädigte versuchen muss, den ĺSchaden durch das Einlegen von Rechtsbehelfen auf der Primärrechtsebene abzuwenden. Darunter fällt die Einlegung von Rechtsmitteln sowohl auf Ebene der Gemeinschaft wie auch auf innerstaatlicher Ebene. Die Inanspruchnahme des Primärrechtsschutzes muss jedoch zumutbar sein. (jpt) §§: Art. 288 Abs. 2 EG Lit.: F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, 610 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 308/87 Grifoni, Slg. 1990, I-1203
Außervertragliche Haftung der EG, Rechtswidrigkeit non-contractual liability of the Community, illegality – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, illégalité
Der ĺEuGH hat bislang ausdrücklich nur für rechtswidrige ĺAmtstätigkeiten von Organen und Bediensteten die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft gem. Art. 288 Abs. 2 EG bejaht. Allerdings hat der ĺEuGH auf der anderen Seite Schadensersatzansprüche für ĺrechtmäßiges Handeln, welches aber zu unzumutbaren Belastungen Einzelner geführt hat, bislang auch noch nicht ausdrücklich verneint. Auch wenn eine solche Haftung für ĺrechtmäßiges Handeln nicht explizit dem Wortlaut des Art. 288 Abs. 2 EG widerspricht, so knüpft die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft gem. Art. 288 Abs. 2 EG doch in erster Linie an rechtswidriges Verhalten an. Eine ĺAmtstätigkeit eines Organs oder eines Bediensteten der Gemeinschaft ist dann rechtswidrig, wenn sie gegen eine höherrangige Norm des Gemeinschaftsrechts verstößt. Dabei geht das ĺPrimärrecht dem ĺSekundärrecht vor und innerhalb des Sekundärrechts stehen die generell-abstrakten Rechtsnormen (ĺVerordnungen, ĺRichtlinien) im Rang über den individuell-konkreten Rechtsnormen (ĺEntscheidungen, ĺEmpfehlungen). Allerdings genügt nach der Rechtsprechung des ĺEuGH nicht jede einfache Rechtsverletzung, um die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft auszulösen. Erforderlich ist vielmehr eine qualifizierte Rechtsverletzung. Es muss zum einen eine Norm mit ĺSchutzrechtscharakter verletzt sein und zum anderen verlangt der ĺEuGH im Bereich des legislativen Unrechts die ĺhinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen Norm. (jpt) §§: Art. 288 Abs. 2 EG Lit.: B. Schoißwohl, Staatshaftung wegen Gemeinschaftsrechtsverletzung: Anspruchsgrundlagen und materielle Voraussetzungen, 2001, 273 ff.
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Außervertragliche Haftung der EG, Schaden non-contractual liability of the Community, damage – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, dommage
Das Vorliegen eines Schadens ist eine der Voraussetzungen für die außervertragliche Haftung der EG. Als Schaden ist jeder Nachteil, der am Vermögen oder sonstigen rechtlich geschützten Gütern entsteht, anzusehen. Auch entgangener Gewinn und immaterielle Schäden fallen nach ständiger Rechtssprechung des ĺEuG und ĺEuGH unter den Begriff des Schadens i.S.d. Art. 288 Abs. 2 EG. Zukünftige Schäden werden dagegen nicht erfasst, wobei es aber für einen Schadensersatzanspruch gem. Art. 288 Abs. 2 EG genügt, dass der Eintritt des Schadens unmittelbar bevorsteht und sicher eintreten wird. Die Höhe des Schadens wird durch einen Vergleich zwischen der nach dem Eintritt des schädigenden Ereignisses tatsächlich bestehenden Situation und der Situation, die ohne dieses Ereignis bestehen würde, ermittelt. Der Anspruchsteller hat den Beweis über Eintritt und Höhe des Schadens zu erbringen. (jpt) §§: Art. 288 Abs. 2 EG Lit.: B. Schoißwohl, Staatshaftung wegen Gemeinschaftsrechtsverletzung: Anspruchsgrundlagen und materielle Voraussetzungen, 2001, 457 ff.; A. G. Toth, The Concepts of Damage and Causality as Elements of Non-Contractual Liability, in: H. G. Schermers/T. Heukels/P. Mead (Hrsg.), Non-Contractual Liability of the European Communities, 1988, 23 ff. Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-104/89 und C-37/90 Mulder, Slg. 1992, I-3094; EuGH, Rs. C-259/96 Rat/De Nil und Impens, Slg. 1998, I-2915
Außervertragliche Haftung der EG, Verhältnis zum nationalen Recht non-contractual liability of the Community, relationship to national law – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, rapport au droit interne
Im Verhältnis zwischen der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft und mitgliedstaatlicher Haftung können Probleme entstehen, wenn die Mitgliedstaaten rechtswidrige Maßnahmen der Gemeinschaft vollziehen. In solchen Fällen ist sowohl die Maßnahme der Gemeinschaft als auch die mitgliedstaatliche Vollzugsmaßnahme rechtswidrig. Der von der Maßnahme Geschädigte könnte nunmehr sowohl vor Gerichten des Mitgliedstaates als auch vor dem ĺEuGH seinen Schaden geltend machen. Dabei läuft er allerdings Gefahr, von beiden auf Grund einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit abgewiesen zu werden. Der ĺEuGH hat in Fällen solcher paralleler innerstaatlicher und gemeinschaftsrechtlicher Anspruchsmöglichkeiten den Grundsatz
Außervertragliche Haftung der EG, Verjährung des Anspruchs der Subsidiarität der gemeinschaftlichen Haftung statuiert. Aufgrund dieses Prinzips muss der Geschädigte zunächst vor Schadenseintritt versuchen, den ĺSchaden mit Mitteln des mitgliedstaatlichen Primärrechtsschutzes zu verhindern. Tritt der ĺSchaden ein, so ist die Haftung der Gemeinschaft zunächst subsidiär und greift erst dann ein, wenn der Geschädigte auf innerstaatlicher Ebene den Rechtsweg gegen die rechtswidrige Maßnahme erschöpft hat, ohne Ersatz für seinen Schaden erlangt zu haben. Beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts in einem Mitgliedstaat ist der Geschädigte also zunächst immer auf den innerstaatlichen Rechtsweg angewiesen. Stellt sich hierbei die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Gemeinschaftsrechts, auf dem der Vollzugsakt beruht, so hat der nationale Richter dem ĺEuGH diese Frage im Rahmen eines ĺVorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 234 EG vorzulegen. Der Subsidiaritätsgrundsatz greift aber nur bei einer Parallelität von innerstaatlichem Haftungsanspruch und gemeinschaftsrechtlichem Haftungsanspruch ein. Besteht hingegen für den Geschädigten gegen die rechtswidrige Maßnahme kein innerstaatlicher Rechtsweg, so scheiden Subsidiaritätserwägungen aus. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Geschädigte Ersatz für ihm vorenthaltene gemeinschaftliche Leistungen begehrt, die ein Tätigwerden von Organen der Gemeinschaft erfordern. (jpt) §§: Art. 288 Abs. 2 EG Lit.: U. Kischel, Gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung zwischen Europarecht und nationaler Rechtsordnung, EuR 2005, 441 Rsp.: EuGH, Rs. 5, 7 und 13 bis 24/66 Kampffmeyer/ Kommission, Slg. 1967, 331
Außervertragliche Haftung der EG, Verhältnis zur Nichtigkeitsklage non-contractual liability of the Community, relationship to action for annulment – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, rapport au recours en annulation
Nach ständiger Rechtsprechung des ĺEuGH ist die Klage auf Schadensersatz gem. Art. 288 Abs. 2, 235 EG gegenüber der ĺNichtigkeitsklage gem. Art. 230 EG ein selbstständiger Rechtsbehelf im System der Klagearten. Begründet wird dies mit der eigenständigen Funktion und dem Ziel der Schadensersatzklage im Verhältnis zur ĺNichtigkeitsklage. Mit der ĺNichtigkeitsklage gem. Art. 230 EG wird die Beseitigung rechtswidrigen Handelns der Gemeinschaft angestrebt, während mit der Schadensersatzklage eine Kompensation der Folgen des rechtswid-
rigen Handelns erreicht werden soll. Allerdings sehen der EuGH und das EuG die Erhebung der Schadensersatzklage nach Art. 288 Abs. 2, 235 EG dann als unzulässig an, wenn „mit ihr in Wirklichkeit die Aufhebung einer Einzelfallentscheidung begehrt wird“ und so die Unzulässigkeit einer ĺNichtigkeitsklage umgangen werden soll. Somit sind Klagen auf Schadensersatz dann unzulässig, wenn der Kläger die Möglichkeit einer ĺNichtigkeitsklage gem. Art. 230 EG gehabt hätte, die Klagefrist aber abgelaufen ist. Zudem kann ein Schadensersatzanspruch auch dann wegen Mitverschuldens ausgeschlossen sein, wenn der Geschädigte den Eintritt des ĺSchadens durch Erhebung einer ĺNichtigkeitsklage gem. Art. 230 EG in zumutbarer Weise hätte verhindern können, aber davon keinen Gebrauch gemacht hat. Hier ist aber wiederum zu berücksichtigen, dass die ĺNichtigkeitsklage nicht-privilegierten Klägern (einzelnen natürlichen und juristischen Personen) nur selten gem. Art. 230 Abs. 4 EG zur Verfügung steht. Dies gilt insbesondere in Bezug auf ĺlegislatives Unrecht. (jpt) §§: Art. 288 Abs. 2 EG, Art. 235 EG, Art. 230 EG Lit.: P. Mead, The Relationship between the Action for Damages and an Action for Annulment: The Return of the Plaumann, in: T. Heukels/A. McDonnell (Hrsg.), The Action for Damages in Community Law, 1997, 243 Rsp.: EuGH, Rs. 5/71 Schöppenstedt, Slg. 1971, 975; EuGH, Rs. C-310/97 Kommission/Assi Domän, Slg. 1999, I-5363
Außervertragliche Haftung der EG, Verjährung des Anspruchs non-contractual liability of the Community, limitation of actions – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, prescription de l’action
Gem. Art. 46 EuGH-Satzung verjährt der gegen die Gemeinschaft gerichtete Schadensersatzanspruch fünf Jahre nach Eintritt des schädigenden Ereignisses. Die Verjährungsfrist beginnt zu laufen, wenn alle anspruchsbegründenden Voraussetzungen vorliegen. Insbesondere muss sich der zu ersetzende Schaden herausgebildet haben. Gem. Art. 46 Satz 2 EuGH-Satzung wird der Lauf der Verjährungsfrist mit der Klageeinreichung bei dem zuständigen Gemeinschaftsgericht oder der Geltendmachung des Schadens gegenüber dem zuständigen Gemeinschaftsorgan unterbrochen. (jpt) §§: Art. 288 Abs. 2 EG, EuGH-Satzung Lit.: P. Gilsdorf/M. Niejahr, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG, Rn. 97 f.; M. Núñez Müller, Die Verjährung außervertraglicher Schadensersatzansprü-
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Außervertragliche Haftung der EG, Voraussetzungen che gegen die EG, EuZW 1999, 611; J. P. Terhechte, in: M. Fehling/B. Kastner/V. Wahrendorf (Hrsg.), Handkommentar Verwaltungsrecht (VwVfG/VwGO), 2006, § 53 VwVfG, Rn. 7 Rsp.: EuG, Rs. T-187/94 Rudolph, Slg. 2002, II-370
Außervertragliche Haftung der EG, Voraussetzungen non-contractual liability of the Community, conditions – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, conditions
Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft richtet sich gem. Art. 288 Abs. 2 EG nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Daraus hat der ĺEuGH in ständiger Rechtsprechung im Wesentlichen vier Voraussetzungen für die außervertragliche Haftung der EG entwickelt. Demnach setzt die außervertragliche Haftung 1. ein ĺamtsbezogenes Verhalten eines Organs oder Bediensteten der Gemeinschaft, 2. die Verletzung einer drittbezogenen Rechtsnorm, 3. einen Schaden und 4. die Kausalität zwischen Verletzung und Schaden voraus. Allerdings hat der EuGH die Haftung für legislatives Unrecht enger gefasst. Statt einer einfachen Rechtsverletzung verlangt der ĺEuGH hier eine ĺhinreichend qualifizierte Rechtsverletzung. (jpt) §§: Art. 288 Abs. 2 EG Lit.: S. Detterbeck, Haftung der Europäischen Gemeinschaft und gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, AöR 125 (2000), 202 (209 ff.); F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 1998, 578 ff.
Außervertragliche Haftung der EG, zuständiges Gericht non-contractual liability of the Community, jurisdiction – responsabilité non contractuelle de la Communauté européenne, juridiction compétente
Im Gegensatz zu Streitsachen aus vertraglicher Haftung sind für solche aus außervertraglicher Haftung gem. Art. 235 EG ausschließlich die Gemeinschaftsgerichte zuständig. Ob das ĺGericht erster Instanz (EuG) oder der ĺEuGH erstinstanzlich zuständig sind, bestimmt sich nach Art. 225 EG und Art. 3 lit. c des Ratsbeschlusses zur Errichtung des ĺEuG. Danach ist das ĺEuG für alle Schadensersatzklagen von natürlichen und juristischen Personen erstinstanzlich zuständig. Ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel gegen dessen Entscheidung kann beim ĺEuGH eingelegt werden. Für Schadensersatzklagen der Mitgliedstaaten ist grundsätzlich der ĺEuGH erstinstanzlich zuständig. (jpt) 88
§§: Art. 235 EG; Art. 225 EG; Art. 3 lit. c des Ratsbeschlusses zur Errichtung des EuG, Ratsbeschluss 88/ 591/EGKS/EWG/Euratom, ABl. 1988, Nr. L 319/1, zuletzt geändert durch Ratsbeschluss 94/149/EGKS/ EWG/Euratom, ABl. 1994, Nr. L 66/29 Lit.: U. Ehricke, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 235 EGV, Rn. 1 ff.
Austritt ĺAustritt aus der Europäischen Union Austritt aus den Europäischen Gemeinschaften withdrawal from the EC – retrait de la CE
Die Verträge der Europäischen Gemeinschaften sehen kein Austrittsrecht vor. Ein Austritt aus den Gemeinschaften ist deshalb nicht möglich. In Betracht kommt nur ein ĺAustritt aus der ĺEuropäischen Union insgesamt. (fg) Lit.: A. Waltemathe, Austritt aus der EU, 2000
Austritt aus der Europäischen Union withdrawal from the EU – retrait de l’UE
Austritt bezeichnet das einseitige freiwillige Ausscheiden aus einer internationalen Organisation, wobei tatsächlich alle Verbindungen zu dieser Organisation gelöst werden. Vom Austritt abzugrenzen sind das einvernehmliche Ausscheiden aus einer internationalen Organisation, welches vorliegt, wenn alle Mitglieder einer Organisation dem Ausscheiden eines Mitgliedstaates zugestimmt haben, die mit einer Vertragsänderung verbundene Änderung des Mitgliederbestandes einer Organisation sowie die freiwillige Abtretung oder Entlassung eines Gebietsteils aus dem Staatsverband eines Mitgliedstaates. Letztere Konstellation lag auf europäischer Ebene im Fall von ĺGrönland 1982 vor, weshalb dies kein Beispiel für einen Austritt darstellt. Der Austritt vollzieht sich regelmäßig in drei Phasen: der Austrittserklärung, dem Vollzug des Austritts und den Folgen des Austritts. Die lang diskutierte Frage der grundsätzlichen Möglichkeit eines Austritts aus der Europäischen Union ist spätestens seit dem Europäischen Rat vom Juni 2007 geklärt. Art. 35 des Entwurfs eines Vertrages zur Änderung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Änderungsvertrag) sieht explizit eine Regelung vor, die den Mitgliedstaaten einen freiwilligen, einseitigen Austritt ermöglicht. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift teilt der austritts-
Ausübung öffentlicher Gewalt willige Staat dem ĺEuropäischen Rat seine Absicht mit, aus der Union auszuscheiden (Austrittserklärung, einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung). Eines Austrittsgrundes bedarf es nicht. In der Folge handeln der austrittswillige Staat und die Union ein Abkommen aus, das die Einzelheiten, das „Wie“ des Austritts und die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union regelt (Vollzug des Austritts). Der Sinn dieser Regelung besteht darin, der Union, dem austretenden Staat und den mit subjektiven Rechten ausgestatteten Bürgern einen angemessenen Übergangsrahmen zu schaffen, um die nachhaltigen Wirkungen des Austritts auf die jeweiligen Rechts- und Wirtschaftsordnungen abzufedern. Zudem soll versucht werden, den austretenden Staat auch weiterhin möglichst eng an die Union zu binden. Ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens finden die Verträge auf den betroffenen Staat keine Anwendung mehr (Folge des Austritts), d.h. er hat keine Pflichten gegenüber der Union mehr, kann aber auch keine Rechte mehr aus den Verträgen ableiten. Können sich Europäischer Rat und der austrittswillige Staat nicht auf ein Austrittsabkommen verständigen, treten die Verträge für den austrittswilligen Staat zwei Jahre nach der Mitteilung des Austrittsbestrebens außer Kraft (sog. sunset clause), d.h. das Austrittsabkommen ist keine konstitutive Voraussetzung des Austritts. Der Sinn dieses sunset clause besteht vielmehr in der Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Sollten die Verhandlungen über ein Austrittsabkommen nicht innerhalb von zwei Jahren zum Abschluss kommen, kann die Zwei-Jahres-Frist einstimmig verlängert werden. Eine Überprüfung, ob der Austrittsbeschluss tatsächlich im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorschriften des austrittswilligen Staates (Art. 35 Abs. 1 Änderungsvertrag) gefasst wurde, fällt nicht in die Zuständigkeit der Union. Eine Überprüfung findet deshalb nicht statt. Die geplante Regelung des Art. 35 Änderungsvertrag ist im Wesentlichen identisch mit der Regelung aus Art. I-60 des Entwurfs eines ĺVertrages über eine Verfassung für Europa, der erstmals in der Geschichte der europäischen Einigung die Möglichkeit eines freiwilligen, einseitigen Austritts vorsah. Dem Entwurf von Art. I-60 des Verfassungsvertrages war eine intensive Diskussion zwischen Befürwortern und Gegner der Regelung vorausgegangen, wobei neben dem Hinweis auf ein Zuwiderlaufen der Klausel mit dem Integrationsziel das häufigste
Gegenargument war, dass eine solche Klausel nicht nötig sei, weil sowieso jeder Staat austreten dürfe und dieser Fall ohnehin durch internationale Regelungen wie die Wiener Vertragsrechtskonvention abgedeckt sei. Nach dieser Auffassung hätte die Regelung des Art. 35 Änderungsvertrag lediglich einen deklaratorischen Charakter. Ein erneuter ĺBeitritt eines ausgetretenen Staates ist jederzeit nach den allgemeinen Regeln möglich. Auch vor In-Kraft-Treten des Änderungsvertrages und der Regelung des Art. 35 besteht die Möglichkeit aus der Union auszutreten. Dies entspricht der in den genannten Vorschriften dokumentierten rechtlichen Überzeugung der Mitgliedstaaten. Das Austrittsprocedere dürfte sich dabei an dem des Art. 35 Änderungsvertrag orientieren. (fg) §§: Art. 35 Entwurf eines Vertrages zur Änderung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art. I-60 des Entwurfs eines Vertrages über eine Verfassung für Europa Lit.: W. Heintschel von Heinegg, in: C. Vedder/ders. (Hrsg), Europäischer Verfassungsvertrag. Handkommentar, Art. I-60
Austrittsrecht ĺAustritt aus der Europäischen Union Ausübung öffentlicher Gewalt exercise of official authority – exercice de l’autorité publique
Die in mehreren Bestimmungen des EG (Art. 39 Abs. 4 [ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Bereichsausnahme], 45 Abs. 1 und 45 Abs. 1 i.V.m. Art. 55 verankerte ĺBereichsausnahme der A. bewirkt eine Nichtanwendbarkeit der Bestimmungen des EG über die Grundfreiheiten für die betreffenden Tätigkeiten. Was unter A. zu verstehen ist, ist durch gemeinschaftsautonome Auslegung des Begriffs, und nicht durch nationale Wertungen zu ermitteln. Umfasst sind nur jene Tätigkeiten, in denen sich der „spezifische Gegenstand staatlicher Hoheitsgewalt ausdrückt“ (P. Müller-Graff, in: R. Streinz [Hrsg.], Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 45 EGV, Rn. 5), wie dies etwa bei der Setzung von Maßnahmen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Fall ist. Kennzeichen für eine mit A. verbundene Tätigkeit ist, dass der Staat über bestimmte Sonderrechte wie Zwangsbefugnisse und sonstige hoheitliche Rechte gegenüber den Bürgern verfügt. 89
Ausübungsmodalität (Dienstleistungsfreiheit) Als Ausnahme von der Geltung der Grundfreiheiten sind die betreffenden Bestimmungen eng auszulegen. Schlicht hoheitliches Handeln fällt in der Regel nicht in den Anwendungsbereich. Auch unterfällt nur eine bestimmte Tätigkeit der Bereichsausnahme, aber nicht der gesamte Beruf, im Zuge dessen jene Tätigkeit ausgeübt wird. Erfasst ist ein Beruf nur dann, wenn sein Schwerpunkt in der A. besteht (grundlegend EuGH, Rs. 2/74 Reyners, Slg. 1974, 631, Rn. 46 ff.). (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 45 EGV, Rn. 4 ff.; W. Kluth; in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 55 EGV Rn. 2 Rsp.: EuGH, Rs. 2/74 Reyners, Slg. 1974, 631
Ausübungsmodalität (Dienstleistungsfreiheit) exercise modalities (freedom to provide services) – modalités d’exercice (libre prestation de services)
Ausübungsmodalitäten sind allgemein anwendbare staatliche oder nichtstaatlich-kollektive Regelungen, die Erbringer von ĺDienstleistungen beachten müssen. Beispiele aus der Rsp. des ĺEuGH sind inländische Prüferfordernisse für im Ausland geleaste und dort bereits geprüfte Kraftfahrzeuge, Pflichten zur Einstellung von im Inland ansässigem Personal, Mindestlohnerfordernisse aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes, Werbeverbote und Werbezeitbeschränkungen im Fernsehen u.s.w. Auch A. können die ĺDienstleistungsfreiheit beschränken und damit verboten sein. Sie können, wenn sie nicht diskriminierend sind, durch ĺzwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 94
Ausweichklausel, im internationalen Schadenersatzrecht ĺLex loci delicti Ausweichklausel, im internationalen Vertragsrecht ĺCharakteristische Leistung Ausweisung expulsion – expulsion
Trotz des gemeinsamen Status von In- und EU-Ausländer als ĺUnionsbürger ist die Ausweisung von ausländischen Unionsbürgern, ein traditionelles Instrument des Ausländerrechts, nach wie vor möglich. Die Befugnis, aufent90
haltsbeendende Maßnahmen gegenüber EUAusländern zu ergreifen, ist gegenüber dem allgemeinen Ausländerrecht allerdings stark beschränkt. Gestützt werden kann sie entweder auf den ordre-public-Vorbehalt oder auf das Nichterfüllen der nur für Nichterwerbstätige geltenden ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen. Demgegenüber rechtfertigt das Nichteinhalten ausländerrechtlicher Formalitäten allein keine Ausweisung (EuGH, Rs. 48/75 Royer, Slg. 1976, 497, Rn. 38 ff.), hieran kann der Aufnahmemitgliedstaat lediglich verhältnismäßige und nicht diskriminierende Sanktionen knüpfen (vgl. Art. 8 Abs. 2 Satz 3 RL 2004/38/EG; EuGH, Rs. C-378/97 Wijsenbeek, Slg. 1999, I6207, Rn. 44; Rs. C-215/03 Oulane, Slg. 2005, I-1215, Rn. 38 ff.). Die Mitgliedstaaten können den Aufenthalt von ĺUnionsbürgern zum einen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen jedoch nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden (Art. 27 I RL 2004/38/EG). Auch ist bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne Weiteres diese Maßnahmen nicht begründen. Das persönliche Verhalten des Auszuweisenden muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig (Art. 27 Abs. 2 RL 2004/38/EG). Bevor der Aufnahmemitgliedstaat einen ausländischen ĺUnionsbürger aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausweist, muss er eine umfassende Interessenabwägung durchführen, für die die bisherige Aufenthaltsdauer, das Alter des Betroffenen, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat maßgeblich sind (Art. 28 Abs. 1 RL 2004/38/EG). Daueraufenthaltsberechtigte (ĺRecht auf Daueraufenthalt) können darüber hinaus nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38/EG), minderjährige Unionsbürger oder solche, die sich bereits seit zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben, nur aus zwingen-
Autonomie, institutionelle, der Mitgliedstaaten den Gründen der öffentlichen Sicherheit (Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38). Eine Ausweisung ist zum anderen dann möglich, wenn der nichterwerbstätige Unionsbürger während seines voraussetzungslosen dreimonatigen Aufenthaltsrechts Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates unangemessen in Anspruch nimmt (Art. 14 Abs. 1 RL 2004/ 38/EG) oder die für Aufenthalte ab drei Monaten geltenden ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen nicht erfüllt (Art. 7 Abs. 1 lit. b und c RL 2004/38/EG; ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines). Die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen darf jedoch nicht automatisch zu einer Ausweisung führen (Art. 14 Abs. 3 RL 2004/38/EG), vielmehr ist sie von einer umfassenden Interessenabwägung abhängig, die der 16. Erwägungsgrund der RL 2004/38 strukturiert: „Der Aufnahmemitgliedstaat sollte prüfen, ob es sich bei dem betreffenden Fall um vorübergehende Schwierigkeiten handelt, und die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen Umstände und den gewährten Sozialhilfebetrag berücksichtigen, um zu beurteilen, ob der Leistungsempfänger die Sozialhilfeleistungen unangemessen in Anspruch genommen hat, und in diesem Fall seine Ausweisung zu veranlassen.“ (fw) §§: RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: C. Schönberger, Die Unionsbürgerschaft als Sozialbürgerschaft. Aufenthaltsrecht und soziale Gleichbehandlung von Unionsbürgern im Regelungssystem der Unionsbürgerrichtlinie, ZAR 2006, 226; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007; ders., Migration und Osterweiterung: Der unionsrechtliche Rahmen innergemeinschaftlicher Freizügigkeit, AWR-Bulletin 44 (2006) 178
Ausweisungsschutz ĺGrundrecht auf Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung Automatisierte Datenverarbeitung processing of personal data by automatic means – traitement automatisé des données à caractère personnel
Automatisiert ist die ĺVerarbeitung von Daten dann, wenn sie maschinell und programmgesteuert unter Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen erfolgt. Dieser Begriff findet sich in Art. 3 der ĺDatenschutzrichtlinie, der ihren Anwendungsbereich festlegt. Demnach findet diese ĺRichtlinie nur auf die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung von Daten, sowie auf Daten die in einer ĺDatei gespeichert sind oder werden sollen, Anwendung. Für
eine Anwendbarkeit der Datenschutzrichtlinie reicht es also etwa aus, dass Daten, nachdem sie manuell erhoben worden sind, in Form von Fließtext auf einem elektronischen Datenträger gespeichert werden. (al) §§: Art. 3 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 120; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 92
Automatisierte Einzelentscheidung automated individual decisions – décisions individuelles automatisées
Unter automatisierter Einzelentscheidung wird eine Entscheidung verstanden, die ausschließlich aufgrund einer automatisierten Verarbeitung von Daten (ĺautomatisierte Datenverarbeitung) ergeht und den Zweck der Bewertung einzelner Aspekte einer Person hat. Als Beispiele für solche Aspekte nennt Art. 15 der RL 95/ 46/EG (ĺDatenschutzrichtlinie) etwa die berufliche Leistungsfähigkeit, die Kreditwürdigkeit oder die Zuverlässigkeit. Die Datenschutzrichtlinie verbietet es, dass Bürgerinnen und Bürger in Angelegenheiten die rechtliche Folgen für sie haben, einer automatisierten Einzelentscheidung unterworfen werden. Automatisierte Entscheidungsvorschläge auf deren Basis eine verantwortliche Person eine Entscheidung trifft sind hingegen zulässig. (al) §§: Art. 15 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 219; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 227
Autonome Auslegung des EVÜ ĺEinheitliche Interpretation des EVÜ Autonome Geltung ĺGeltung, autonome Autonome Interpretation des EVÜ ĺEinheitliche Interpretation des EVÜ Autonome Vertragsänderung ĺVertragsänderung Autonomie, institutionelle, der Mitgliedstaaten autonomy, institutional, of the Member States – autonomie institutionelle des États membres
Dieser Grundsatz gilt für den ĺindirekten ĺmittelbaren und ĺunmittelbaren Vollzug von 91
Autonomie, verfahrensrechtliche, der Mitgliedstaaten Gemeinschaftsrecht. Er besagt, dass hinsichtlich der Zuständigkeitsregelungen der Vollziehung des Gemeinschaftsrechts eine ausschließliche Kompetenz der Mitgliedstaaten besteht. Damit sind die nationalen Organisationsvorschriften von vorrangiger Bedeutung. Entscheidend ist aber, dass das Gemeinschaftsrecht gewisse Vorgaben hinsichtlich der Qualität der Zuständigkeitsordnung normiert. Dies gilt im Besonderen für die Behörden der nachprüfenden Kontrolle, die dem „Gerichtsbegriff“ des europäischen Gemeinschaftsrechts (Art. 234 EG) zu entsprechen haben. (he) Lit.: U. Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2005, 259 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 140 ff.
Autonomie, verfahrensrechtliche, der Mitgliedstaaten autonomy, procedural, of the Member States – autonomie procedurale des États membres
Neben der institutionellen ĺAutonomie der Mitgliedstaaten, die sich auf die Regelung der Behördenorganisation bezieht, spricht man auch von einer verfahrensrechtlichen Autonomie der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Vollziehung von Gemeinschaftsrecht. Für die ĺindirekte Vollziehung des Gemeinschaftsrechts sind in kompetenzrechtlicher Hinsicht vor allem die nationalen verfahrensrechtlichen Vorschriften relevant. Dies gilt aber nur in den Fällen, in denen in gemeinschaftlichen Rechtsakten in kompetenzrechtlich zulässiger Weise nicht auch verfahrensrechtliche Vorgaben normiert sind (sog. ĺ„Soweit-Formel“). Beispiele dafür finden sich quer durch alle Tätigkeitsfelder der EU, etwa im Umweltrecht oder Zollrecht. Eingeschränkt wird dieser Grundsatz durch die von der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Grundsätze (EuGH, Rs. C-343/96 Dilexport, Slg. 1999, I-579; EuGH, Rs. C-231/96 Edis, Slg. 1998, I-4951; EuGH, Rs. C-260/96 Spac, Slg. 1998, I-4997). Einschlägig sind in dieser Hinsicht das ĺÄquivalenzprinzip und der ĺEffektivitätsgrundsatz. Das ĺÄquivalenzprinzip bedeutet, dass das nationale Verfahrensrecht ohne jegliche Diskriminierung sowohl auf gemeinschaftsrechtliche als auch vergleichbare innerstaatliche Sachverhalte anzuwenden ist. Der ĺEffektivitätsgrundsatz stellt darauf ab, dass durch die Anwendung des nationalen Verfahrensrechts die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts „nicht praktisch unmöglich gemacht“ werden darf. Vom Gemeinschaftsrecht eingeräumte subjektive Rechtspositionen müs92
sen mit dem nationalen verfahrensrechtlichen Instrumentarium daher durchgesetzt werden können. In der Praxis kommt es durch diese miteinander interagierenden Prinzipien zu komplexen Verquickungen des Gemeinschaftsrechts mit dem nationalen Recht, etwa in jenen Zusammenhängen, in denen in nationalen Regelungen keine Parteistellung zur Durchsetzung gemeinschaftsrechtlich relevanter Rechtspositionen eingeräumt wird. (he) Lit.: U. Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2005, 315 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 144 ff.
Avello-Entscheidung Avello case – jurisprudence Avello
Die Konsequenzen der ĺUnionsbürgerschaft für das Internationale Privatrecht (ĺIPR, europäisches) verdeutlicht die Rs. Avello (EuGH, Rs. C-148/02 Avello, Slg. 2003, I-11613; s. ferner Rs. C-96/04 Standesamt Niebüll, Slg. 2006, I-3561; Rs. C 353/06 Grunkin und Paul, noch anhängig). Ihr zugrunde lag eine namensrechtliche Streitigkeit. Das belgische IPR knüpft den Personenstand an die Staatsangehörigkeit an; der belgischen Staatsangehörigkeit wird dabei bei ĺDoppelstaatern der Vorrang eingeräumt. Dementsprechend wurde der Familienname der in Belgien geborenen Kinder eines binationalen belgisch-spanischen Ehepaars nach belgischem Namensrecht bestimmt, d.h. nach dem Familiennamen des Vaters. Später beantragten die Eltern, den Nachnamen der Kinder entsprechend dem spanischen Recht zu ändern, nach dem der Familienname der Kinder aus dem jeweils ersten Bestandteil des Familiennamens von Vater und Mutter gebildet wird. Dies lehnten die belgischen Behörden ab: Eine Namensänderung komme nur bei Vorliegen eines schwerwiegenden Grundes in Betracht; hierunter falle der Wunsch eines auch belgischen ĺDoppelstaaters, den nach dem Recht seines zweiten Heimatstaates gebildeten Familiennamen zu führen, nicht. Hinsichtlich der Gemeinschaftsrechtskonformität der streitgegenständlichen Regelung des belgischen IPR stellte der EuGH einleitend fest, dass der vorliegende Sachverhalt in den Anwendungsbereich des EG-Vertrages falle und damit das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG anwendbar sei. Denn als belgisch-spanische Doppelstaater hielten sich die Kinder auch als EU-Ausländer in Belgien auf und seien damit vom allgemeinen Freizügigkeitsrecht geschützt. Art. 12 EG stehe nun ei
Avis ner Diskriminierung der beiden Kinder aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit entgegen; eine solche liege dann vor, wenn der belgische Staat gleiche Sachverhalte ungleich oder ungleiche Sachverhalte gleich behandle. Ersteres sei hier der Fall, da belgische Staatsangehörige und Doppelstaater bei der Namensbildung gleich behandelt werden, obwohl sich ihre Situation unterscheide. Denn belgisch-spanische Doppelstaater führten nach beiden Rechtsordnungen verschiedene Nachnamen, woraus schwerwiegende private und berufliche Nachteile resultieren könnten. Eine Rechtfertigung komme nicht in Betracht, da der Grundsatz der Unveränderlichkeit von Familiennamen keine absolute Geltung beanspruchen könne und die belgische Regelung auch nicht, wie vorgebracht, integrationsfördernd wirke. (fw)
§§: Art. 12, 18 EG Lit.: T. Helms, Europarechtliche Vorgaben zur Bestimmung des Namensstatus von Doppelstaatern, GPR 2005, 36; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Avis avis – avis
Beim A. handelt es sich um eine vorläufige Stellungnahme der ĺKOM zu einem Beitrittsantrag. Diese bewertet die rechtliche, ökonomische und politische Ausgangslage im Bewerberstaat und beurteilt den Grad der Erfüllung der ĺBeitrittsvoraussetzungen. Der A. ist im Art. 49 EU eigentlich nicht vorgesehen, mittlerweile aber zu einem fixen Bestandteil des ĺBeitrittsverfahrens geworden. (lo)
93
B Bagatelltransport In der deutschsprachigen Literatur anzutreffende Bezeichnung für Beförderungen mit typischerweise geringen Fahrleistungen, wie z.B. Binnentransporte auf kleineren Inseln oder Beförderungen mit Fahrzeugen, die für öffentliche Dienstleistungen verwendet werden, die nicht im Wettbewerb mit dem Kraftfahrzeuggewerbe stehen. Es handelt sich dabei um Ausnahmen im Bereich der ĺLenk- und Ruhezeiten. Sie sind in Art. 13 Abs. 1 VO (EWG) 3820/ 85 vorgesehen. (sm) Bagatellverfahren, europäisches ĺEuropäisches Bagatellverfahren Balkanländer Balkans – Balkans
ĺStabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) wurden mit Kroatien (ABl. 2005, Nr. L 26, 3) und der ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien (ABl. 2004, Nr. L 84, 1), die bereits beide einen ĺKandidatenstatus zuerkannt bekamen, geschlossen. Ein SAA mit Albanien wurde am 12.6.2006 unterzeichnet, der Ratifikationsprozess ist noch im Gange. Mit Bosnien und Herzegowina wurden Verhandlungen über ein SAA begonnen, jene mit Serbien wurden mangels Kooperation mit dem Internationalen Tribunal unterbrochen. Mit dem Kosovo gibt es keine Vertragsbeziehungen. (bb) Web: SAA EG – Albanien unter: http://ec.europa.eu/ enlargement/pdf/albania/st08164.06_en.pdf
batte über das Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und Grundrechtsschutz geführt hatte. Die neue Bananenmarktordnung hatte zu einer starken Reduzierung der den Klägern gewährten Einfuhrkontingente geführt. Das VG Frankfurt a.M. hielt die einschlägigen ĺVerordnungen daher für verfassungswidrig und legte sie dem BVerfG vor. Das BVerfG beendete mit diesem Urteil die seit seiner ĺMaastricht-Entscheidung herrschende Unsicherheit über seine Rsp. zur Kontrolle europäischen ĺSekundärrechts am Maßstab der deutschen ĺGrundrechte. Insb. stellte das BVerfG klar, dass es an der Suspendierung seiner Prüfungsbefugnis in der ĺSolange II-Entscheidung festhalte. Verfahren, die eine Verletzung in Grundrechten des GG durch europäisches Sekundärrecht geltend machten, seien von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlege, dass die europäische Rechtsentwicklung nach Ergehen der Solange II-Entscheidung unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken sei. Zugleich stellte das BVerfG klar, dass nur ein generell wirksamer, nicht aber ein mit dem GG deckungsgleicher Schutz in den einzelnen Grundrechtsbereichen gefordert sei. Dementsprechend wurde die Vorlage als unzulässig zurückgewiesen. (sgk) §§: VO (EWG) 404/93; VO (EG) 478/95 Lit.: G. Nicolaysen/C. Nowak, Teilrückzug des BVerfG aus der Kontrolle der Rechtmäßigkeit gemeinschaftlicher Rechtsakte: Neuere Entwicklungen und Perspektiven, NJW 2001, 1233; R. Hofmann, Zurück zu Solange II! Zum Bananenmarktordnungs-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, in: H.-J. Cremer (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts. FS für H. Steinberger, 2002, 1207
Bananenmarktordnung-Entscheidung (BVerfG) Bananenmarktordnung case – jurisprudence Bananenmarktordnung
Entscheidung des ĺBVerfG vom 7.6.2000, BVerfGE 102, 147 (konkrete ĺNormenkontrolle). Das Urteil bildet den Abschluss einer Serie höchstrichterlicher Entscheidungen zur Neuordnung des europäischen Bananenmarktes, die v.a. in Deutschland zu einer intensiven De94
Bankaufsichtsrecht (Harmonisierung) banking supervision (harmonisation) – contrôle bancaire (harmonisation)
Das B. ist weitgehend harmonisiert und durch die „RL 2006/48/EG vom 14.6.2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute“ neu gefasst worden. Die Bankaufsicht unterliegt nach Art. 40 Abs. 1 RL 2006/
Barber-Entscheidung 48/EG grundsätzlich den nationalen Aufsichtsbehörden des Zulassungsstaates eines ĺKreditinstituts; das Bankaufsichtsrecht wird damit weitestgehend dem Herkunftslandprinzip unterworfen. Die RL 2006/48/EG enthält außerdem Bestimmungen zu den Bedingungen, unter denen ĺKreditinstitute ihre Tätigkeit aufnehmen und ausüben können, über die Ausübung von Finanzdienstleistungen, die Niederlassung von Kreditinstituten sowie über die Aufsicht über Drittlandsunternehmen und die Grundsätze und Instrumente der Aufsicht und der Offenlegungspflichten der nationalen Aufsichtsbehörden. Der Rat und das Parlament haben am 13.11.2007 die „Richtlinie 2007/64/EG (ABl. 2007, Nr. L 319/1) über Zahlungsdienste im Binnenmarkt“ verabschiedet, mit dem auch Institute, welche nicht Kreditinstitute sind – sog. „Zahlungsinstitute“ – einer Zulassungspflicht für die Erbingung von Zahlungsdienstleistungen unterworfen werden sollen. Auch eine solche Zulassung soll vom Herkunftsstaat des Zahlungsinstituts erteilt werden und in allen Mitgliedstaaten gelten. Die Richtlinie 2007/64/EG ist bis 1.11.2009 umzusetzen. (mk) §§: 2006/48/EG; ABl. 2006, Nr. L 177/1 Lit.: M. Sedlaczek, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 56 EGV, Rn. 28 ff. Web: Verfahren zur RL über Zahlungsdienste im Binnenmarkt: http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_ real.cfm?CL=de&DosId=193603
§§: Art. 106 Abs. 1 EG; Art. 16.1 ESZB-Satzung; Beschluss EZB/2003/4, ABl. 2003, Nr. L 78/16 Web: http://www.ecb.int/bc/html/index.en.html
Banknoten, grenzüberschreitender Transfer banknotes, cross-border transfer – billets de banque, transfert transfrontalier
Der grenzüberschreitende Transfer von Banknoten, welche gesetzliche Zahlungsmittel darstellen, wird von der Kapital- oder der Zahlungsverkehrsfreiheit nach Art. 56 EG erfasst (vgl. für Banknoten, die keine Zahlungsmittel darstellen ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zu Warenverkehrsfreiheit). Die Abgrenzung zwischen ĺKapital- und ĺZahlungsverkehr erfolgt in diesem Fall nach dem Zweck des Transfers. Dient dieser der Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung für die Erbringung einer Leistung, so liegt ĺZahlungsverkehr nach Art. 56 Abs. 2 EG vor. Erfolgt er hingegen aus andern Gründen, etwa zu Anlagezwecken, so liegt ĺKapitalverkehr im Sinne des Art. 56 Abs. 1 EG vor (EuGH, verb. Rs. 286/82 und 26/83 Luisi und Carbone, Slg. 1984, 377, Rn. 20 ff.). (mk) §§: Art. 56 EG Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 56 EG, Rn. 68 ff.
Barber-Entscheidung Barber case – jurisprudence Barber
Banknoten banknotes – billets de banque
Im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der ĺEurogruppe sind die von der ĺEuropäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen ĺZentralbanken ausgegebenen, auf ĺEuro lautenden Banknoten die einzigen gesetzlichen Zahlungsmittel. Das bedeutet, dass sie im Geschäftsverkehr von jedermann als Zahlungsmittel akzeptiert werden müssen. Der ĺEZB-Rat hat das ausschließliche Recht, die Ausgabe der Banknoten zu genehmigen, da hiervon die Geldpolitik der Gemeinschaft betroffen ist. Dieses Recht umfasst u.a. die Festlegung der Stückelungen, der Bargeldmenge, des Umtauschs und Einzugs sowie von Sicherheitsmerkmalen der Banknoten. Die Stückelungen der Banknoten lauten auf fünf, zehn, zwanzig, fünfzig, hundert, zweihundert und fünfhundert Euro. In der Praxis geben nur die nationalen Zentralbanken die Euro-Banknoten aus und ziehen sie wieder ein, da die EZB kein Bargeldgeschäft betreibt, obgleich sie hierzu berechtigt ist. (co)
Die grundlegende Entscheidung des ĺEuGH zur Betriebsrente ist die Rechtssache Barber. In der Rechtssache Barber stellte der EuGH fest, dass Zahlungen eines Arbeitgebers an einen Arbeitnehmer anlässlich dessen betriebsbedingter Entlassung unter Art. 141 EG fallen können. Dementsprechend könne ein Verstoß gegen Art. 141 EG vorliegen, wenn es eine je nach Geschlecht unterschiedlichen Regelung des Rentenalters gebe, die zwar der Regelung im Rahmen des nationalen gesetzlichen Rentensystems entspräche. Wenn diese Regelung aber dazu führe, dass ein aus betrieblichen Gründen entlassener Mann nur eine Anwartschaft auf eine bei Erreichung des gewöhnlichen Rentenalters zu zahlende Rente hat, während eine Frau in der gleichen Lage sofort einen Anspruch auf eine Rente hat, liege ein Verstoß gegen Art. 141 EG vor. Der dort niedergelegte Grundsatz des gleichen Entgelts müsse für jeden einzelnen Bestandteil des Entgelts gewährleistet sein. Der EuGH hat sich dafür ausgesprochen, Art. 141 EG auch auf betriebliche Systeme anzuwenden, 95
Barcelona-Ziel die an die Stelle des gesetzlichen Systems treten. Begründet wurde das damit, dass das System auf einer Vereinbarung des Sozialpartner oder einer einseitigen Entscheidung des Arbeitgebers beruhe, jedenfalls ohne Beteiligung der öffentlichen Hand zustande komme und finanziert werden. Diese Diskriminierung hätte eigentlich zur Folge gehabt, dass alle männlichen Beschäftigten unter Berufung auf Art. 141 EG eine Gleichstellung mit der besser gestellten Gruppe der Frauen und somit einen vorzeitigen Rentenanspruch geltend machen können. Dies hätte allerdings die gesamte Finanzierung der Betriebsrentensysteme umgestürzt, weil bislang davon ausgegangen war, dass Art. 141 EG auf solche Systeme keine Anwendung findet. Da auch das sekundäre Gemeinschaftsrecht in Art. 7 Abs. 1 RL 79/7/EWG von der Nichtanwendbarkeit des Art. 141 EG auf Betriebsrenten ausgegangen war, urteilte der EuGH, dass dadurch ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei. Dieser Vertrauenstatbestand führe dazu, dass die Mitgliedstaaten und die Betroffenen vernünftigerweise annehmen durften, dass Art. 141 EG nicht für Renten gelte, die aufgrund eines an die Stelle des gesetzlichen Systems getretenen betrieblichen Systems gezahlt würden, und dass Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in diesem Bereich nach wie vor zulässig seien. Der EuGH sah sich daher aus zwingenden Gründen der Rechtssicherheit genötigt, die zeitliche Wirkung seines Urteils ausnahmsweise zu beschränken. Abgesehen von Personen, die rechtzeitig gegen die Diskriminierung geklagt haben, könne sich daher niemand auf die unmittelbare Wirkung des Art. 141 EG berufen, um mit Wirkung von einem vor Erlass des Barber-Urteils liegenden Zeitpunkt einen Rentenanspruch geltend zu machen. (dh) §§: Art. 141 EG Rsp.: EuGH, Rs. 262/88 Barber, Slg. 1990, I-1889
von der Privatwirtschaft finanziert werden. Zur Erreichung dieses sog. Barcelona-Ziels wird auf europäischer Ebene die ĺOffene Methode der Koordinierung der Politiken der Mitgliedstaaten eingesetzt. (hk) §§: Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Barcelona), 15./16.3.2002 (SN 100/1/02 REV 1), Nr. 47 Lit.: European Union. Scientific and Technical Research Committee, CREST report on the application of the open method of coordination in favour of the Barcelona research investment objective, 2005 Web: http://cordis.europa.eu/era/3percent.htm; http:// ec.europa.eu/invest-in-research/index_en.htm
Bargeld cash – argent liquide
Hierbei handelt es sich um ĺBanknoten und Münzen. Zur Bekämpfung der ĺGeldwäsche müssen Bargeld und andere Barmittel (z.B. Schuldverschreibungen) ab einem Volumen von € 10.000,- bei der Einreise in die Gemeinschaft und bei der Ausreise angemeldet werden. (co) §§: VO (EG) 1889/2005, ABl. 2005, Nr. L 309/9
Basisrechtsakt (Durchführungsrechtsetzung) basic act (delegated legislation) – acte de base (exercice du pouvoir exécutif)
Rechtsakt (z.B. in Form einer ĺRichtlinie oder ĺVerordnung), der nach dem vertraglich vorgesehenen Rechtsetzungsverfahren gem. Art. 250 bis 252 EG unter Mitwirkung von ĺRat bzw. im ĺMitentscheidungsverfahren (Art. 251 EG) von Rat und ĺParlament gemeinsam zustande kommt. Dieser Sekundärrechtsakt (ĺSekundärrecht) enthält neben sachlichen Regelungen eine dahingehende Ermächtigung, diesen Rechtsakt im Wege der ĺDurchführungsrechtsetzung durch einen ĺDurchführungsrechtsakt näher auszufüllen und zu konkretisieren. (sk) Basisverordnung General Food Law – Règlement de base (CE) Nr. 178/2002
Barcelona-Ziel Barcelona objective – objectif de Barcelone
Der Europäische Rat von Barcelona im März 2002 hat die ĺLissabon-Strategie hinsichtlich der Forschungsförderung um das Ziel ergänzt, bis zum Jahr 2010 die Gesamtausgaben für Forschung, technologische Entwicklung und für Innovation (Forschungsquote) auf bis zu 3 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) zu erhöhen. Diese Neuinvestitionen sollten nach der Ansicht des Europäischen Rates zu zwei Dritteln 96
Die VO (EG) 178/2002 formuliert allgemeine Grundsätze und Anforderungen des europäischen ĺLebensmittelrechts, dient als Kompetenzgrundlage zur Gründung der ĺEuropäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und legt die allgemeinen Verfahren zur Lebensmittelsicherheit fest. Wegen ihrer grundlegenden Regelungen für den Lebensmittelsektor wird diese Verordnung im deutschen Sprachraum als Basisverordnung bezeichnet, wobei dieser Begriff nicht amtlich ist. Die Basisverordnung
Baukonzession, öffentliche ist seit dem 1.1.2005 von den mit dem Vollzug des Gemeinschaftsrechts betrauten nationalen Gerichten und Behörden anzuwenden. Bei der Anwendung und Auslegung des innerstaatlichen Lebensmittelrechts haben diese infolge des ĺAnwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts die dem europäischen Lebensmittelrecht widersprechenden, mitgliedstaatlichen Bestimmungen außer Acht zu lassen. Die Basisverordnung hat als ĺVerordnung i.S.v. Art. 249 Abs. 2 EG unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten und bedarf anders als die ĺRichtlinie nach Art. 249 Abs. 3 EG keiner Umsetzung. Dennoch erfordern insbesondere die allgemeinen Bestimmungen (Kap. I und II) der VO (EG) 178/2002 eine Konkretisierung durch die Mitgliedstaaten, zumindest aber eine Angleichung deren innerstaatlicher Normen. Die Basisverordnung stellt daher lediglich einen grundsätzlichen Rechtsrahmen dar, der durch den EU-Gesetzgeber oder durch die Mitgliedstaaten auszufüllen ist. Der Effektivitätsgewinn dieser Rahmenverordnung, die besser wie ursprünglich vorhergesehen als Richtlinie erlassen worden wäre, ist in der Praxis daher gering. Systematisch gliedert sich die Basisverordnung in fünf Kapitel. Kap. I enthält Bestimmungen über den Anwendungsbereich der Verordnung und Definitionen, dem Vorschriften über die Allgemeinen Grundsätze des Lebensmittelrechts (Kap. II) sowie Bestimmungen zur Errichtung der ĺEuropäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Kap. III) folgen. Kap. IV regelt das Schnellwarnsystem sowie das Krisenmanagement in Notfällen, dem sich Kap. V mit Übergangs- und Schlussbestimmungen anschließt. Die zentralen Regelungen der Basisverordnung werden durch zahlreiche horizontale Regelungen, die für alle Lebensmittel gelten, flankiert. Dazu zählen etwa Bestimmungen zur ĺLebensmittelkennzeichnung, das Recht über ĺZusatzstoffe, das Recht der ĺNahrungsergänzungsmittel, das Recht diätetischer Lebensmittel, das Recht der ĺLebensmittelhygiene sowie das der ĺLebensmittelkontrolle. (mkr) §§: VO (EG) 178/2002 Lit.: D. Gorny, Grundlagen des Europäischen Lebensmittelrechts – Kommentar zur Verordnung 178/2002, 2003; H. Rützler, Grundlagen des Lebensmittelrechts, in: R. Streinz (Hrsg.), Lebensmittelrechts-Handbuch, 27. Lfg. 2007; W. Schroeder/M. Kraus, Das neue Lebensmittelrecht – Europarechtliche Grundlagen und Konsequenzen für das deutsche Recht, EuZW 2005, 423 ff.; dies., Europäisches und Österreichisches Lebensmittelrecht, 2006; W. Zipfel/K. Rathke (Hrsg.), Lebensmittelrecht, Bd. II, C 101
Battle Groups ĺFähigkeiten, militärische Bauauftrag, öffentlicher public works contract – marché de travaux publics
Ein öffentlicher Bauauftrag im Sinn des ĺVergaberechts ist ein öffentlicher ĺAuftrag über einen der drei nachfolgenden Leistungsinhalte (vgl. zum Bauauftrag auch EuGH 18.1.2007, Rs. C-220/05 Auroux): ƒ Die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauvorhabens im Zusammenhang mit einer der in Anhang I der ĺVergabeRL genannten Tätigkeiten; Anhang I der VergabeRL enthält eine Auflistung von Tätigkeiten im Bereich des Baugewerbes, aufgeschlüsselt nach Tätigkeitskategorien wie z.B. Abbrucharbeiten, Hochbau, Straßenbau oder Tiefbau. ƒ Die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauwerks; ein Bauwerk ist wiederum das Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- oder Hochbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll, somit ein funktionsfähiges Ganzes. ƒ Die Erbringung einer Bauleistung durch Dritte, gleichgültig mit welchen Mitteln, gem. den vom öffentlichen ĺAuftraggeber genannten Erfordernissen. Bauleistungen können auch Teilleistungen sein, die der Erstellung eines Bauwerkes dienen. Da Auftragsvolumen bei öffentlichen Bauaufträgen im Regelfall weitaus höher sind als bei den anderen beiden Auftragskategorien (öffentliche ĺLieferaufträge und öffentliche ĺDienstleistungsaufträge), sieht die VergabeRL für öffentliche Bauaufträge wesentlich höhere ĺSchwellenwerte vor. Zur Zuordnung eines Auftrages, der sowohl Bauleistungen als auch Dienstleistungen umfasst, s. den öffentlichen Dienstleistungsauftrag. (cm) §§: Art. 1 Abs. 2 lit. b VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 299; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 127 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Baukonzession, öffentliche public works concession – concession de travaux publics
Eine öffentliche Baukonzession im Sinn des ĺVergaberechts ist ein Vertrag, der von einem öffentlichen ĺBauauftrag nur insoweit ab97
Baumbast-Entscheidung weicht, als die Gegenleistung für die Bauleistung entweder ausschließlich in dem Recht zur Nutzung des Bauwerks oder in diesem Recht zuzüglich zur Zahlung eines Preises besteht. Die Höhe der Gegenleistung ist somit nicht im vorhinein fixiert, sondern hängt davon ab, in welcher Höhe der Baukonzessionär für die Nutzung des von ihm errichteten Bauwerks Entgelt verlangt und in welchem Ausmaß das Bauwerk von Dritten genutzt (und damit auch Entgelt entrichtet) wird. Anders als bei einem öffentlichen Bauauftrag trägt der Baukonzessionär somit das wirtschaftliche Risiko. (S.a. die ĺDienstleistungskonzession) Die ĺVergabeRL enthält in ihren Art. 56 bis 65 Regelungen (insb. im Bereich der ĺBekanntmachungen sowie der ĺAngebots- und ĺTeilnahmefristen) sowohl für die Vergabe von Baukonzessionen durch öffentliche ĺAuftraggeber als auch für die Vergabe von Aufträgen durch Baukonzessionäre, die nicht öffentliche Auftraggeber sind, an Dritte. Gegenüber den für die Vergabe eines öffentlichen Bauauftrages geltenden Vorschriften beinhalten diese Regelungen nur reduzierte Vorgaben. (cm) §§: Art. 1 Abs. 3 und Art. 56 bis 65 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 812; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 132 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Baumbast-Entscheidung Baumbast case – jurisprudence Baumbast
In seinem Urteil in der Rs. Baumbast (EuGH, Rs. C-413/99 Baumbast und R, Slg. 2002, I-7091) hat der Gerichtshof zum einen klargestellt, dass das mit dem Vertrag von Maastricht eingeführte, im heutigen Art. 18 Abs. 1 EG verankerte allgemeine Freizügigkeitsrecht (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines) unmittelbar anwendbar ist. Zum anderen hat er entschieden, dass sich die im Sekundärrecht vorgesehenen ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen als Schranke der primärrechtlichen Freizügigkeitsgarantie an dieser messen lassen müssen, sie sie also nicht unverhältnismäßig beschränken dürfen (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines). (fw) §§: Art. 18 Abs. 1 EG Lit.: S. Bode, Anmerkung, EuZW 2002, 767; M. Dougan/E. Spaventa, Educating Rudy and the (non-) English Patient: The Double-Bill on Residency Rights under Article 18 EC, EL Rev. 2003, 699; A. P. van der Mei, Residence and the Evolving Notion of European Union Citizenship, EJML 2003, 419; F. Wollen-
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schläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Baustahlgewebe-Entscheidung Baustahlgewebe case – jurisprudence Baustahlgewebe
EuGH-Urteil in einem Wettbewerbsverfahren zum europäischen ĺGrundrechtsschutz. Erstes Urteil, in dem der ĺEuGH – unter Bezugnahme auf die Rsp. des ĺEGMR – eine Grundrechtsverletzung (Recht auf ein ĺfaires Verfahren) durch eine EG-Institution festgestellt hat. (ed) Rsp.: EuGH, Rs. C-185/95 Baustahlgewebe, Slg. 1998, I-8417
Beamtenklage, allgemein disputes in public services law – contentieux de la fonction publique
Im Zuge der Beamtenklage werden dienstrechtliche Streitigkeiten zwischen der EG und ihren Bediensteten gerichtlich behandelt. Art. 236 EG normiert die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit um rechtliche Auseinandersetzungen in diesen verwaltungs- und arbeitsrechtlichen Angelegenheiten auf europäischer Ebene zu lösen. Die Beamtenklage ermöglicht die Geltendmachung zahlreicher Ansprüche in Personalstreitigkeiten. Im Rahmen dieser Klageart kann die Erlassung bzw. die Unterlassung bestimmter Maßnahmen gefordert werden, die Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden und auch Schadenersatz gefordert werden; diese Ansprüche können auch kumulativ geltend gemacht werden (EuGH, Rs. 9/75 Meyer-Burckhardt/Kommission, Slg. 1975, 1171, Rn. 7). Die Beamtenklage spielt in der gerichtlichen Praxis zahlenmäßig eine bedeutende Rolle. Seit Mitte 2005 ist ein eigenes europäisches Gericht für den öffentlichen Dienst ĺ(EuGöD) eingerichtet. Die Regelungen der Beamtenklage im EG sind beinahe identisch mit den Bestimmungen des Art. 152 EAG. (lb) §§: Art. 225a; 236 EG; Art. 91 Statut der Beamten der EG; Beschluss des Rates vom 2.11.2004 zur Errichtung des Gerichts für den öffentlichen Dienst der EU (EuGöD), ABl. 2004, Nr. L 333/7; Art. 152 EAG Lit.: C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 236 EG, Rn. 1 f.; W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 91 f.
Beamtenklage, Zuständigkeit Beamtenklage, Urteil und Wirkung disputes in public services law, judgement and its impact – contentieux de la fonction publique, jugement et effet
Das Verfahren zur Beamtenklage wird durch Urteil beendet. Die Entscheidung des ĺEuGöD enthält entweder die Abweisung der Klage oder die Stattgebung des Klageantrags. Das Urteil enthält auch einen Ausspruch über die Kosten: Unterliegt die anstellende Institution der EG hat diese die Kosten zu tragen; unterliegt der Bedienstete hat er lediglich seine eigenen Kosten zu bestreiten – Gerichtskosten werden nicht eingehoben. Das Urteil entfaltet seine Wirkung grundsätzlich inter partes und ex tunc. (lb) Beamtenklage, Verfahrensablauf disputes in public services law, course of the proceedings – contentieux de la fonction publique, déroulement de l’instance
Verfahrensparteien ergeben. Im Zuge dieses Verfahrens können dienstrechtliche Streitigkeiten zum Verfahrensgegenstand gemacht werden, die andernfalls im Wege einer ĺNichtigkeits- oder ĺUntätigkeitsklage, eines ĺVertragsverletzungs- oder ĺSchadenersatzverfahrens geltend zu machen sind. Die beanstandete Maßnahme muss die Rechtssphäre des Klägers individuell und unmittelbar betreffen (EuGH, verb. Rs. 87 und 130/77, 22/83, 9 und 10/84, Salerno u.a./Kommission und Rat, Slg. 1985, 2523, Rn. 26 f.). (lb) Lit.: C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 236 EGV, Rn. 10 f.
Beamtenklage, Verfahrensparteien disputes in public services law, parties of the proceedings – contentieux de la fonction publique, parties à l’instance
Vor der Erhebung einer Beamtenklage ist grundsätzlich ein Vorverfahren durchzuführen. Dieses Vorverfahren ist als verwaltungsinterne vorprozessuale Maßnahme vorgesehen, um nach Möglichkeit eine einvernehmliche außergerichtliche Beilegung der Auseinandersetzung zu erreichen (EuGH, Rs. 168/83 Pasquali-Gherardi/EP, Slg. 1985, 83). Der Kläger hat innerhalb von drei Monaten ab Kenntnis der beanstandeten Maßnahme eine Beschwerde bei der anstellenden Institution einzureichen. Wenn die Gemeinschaftsinstitution nicht binnen vier Monaten reagiert, beginnt die eigentliche Frist zur Erhebung der Beamtenklage von drei Monaten zu laufen. Die Beamtenklage ist als kontradiktorisches Klageverfahren konzipiert und lässt sich in folgende Verfahrensschritte gliedern: ƒ Vorverfahren ƒ Klage ƒ Klageerwiderung ƒ Replik ƒ Duplik ƒ einmalige schriftliche Äußerung der Streithelfer ƒ mündliche Verhandlung in allen Fällen ƒ Urteilsverkündung (lb)
Die Aktivlegitimation zur Erhebung der Beamtenklage kommt Gemeinschaftsbeamten, Bediensteten auf Zeit, Hilfskräften und Sonderberatern zu. Außerdem sind ehemalige Beamte bzw. Bedienstete, Bewerber um ein Amt und versorgungsberechtigte Hinterbliebene klageberechtigt (EuGH, Rs. 81-88/74, Marenco/Kommission, Slg. 1975, 1247, Rn. 5-7; EuGH, Rs. C-126/90 Bocos Viciano/Kommission, Slg. 1991, I-781; EuGH, Rs. 24/71 Meinhardt/Kommission, Slg. 1972, 269). Keine Möglichkeit zur Klageerhebung haben hingegen Gewerkschaften bzw. Berufsverbände – diese können einem gemeinschaftsgerichtlichen Verfahren nur als Streithelfer beitreten (EuGH, Rs. 175/73 Gewerkschaftsbund/Rat, Slg. 1974, 917, Rn. 17/20). Als Beklagte kommt die jeweilige Institution der EG in Frage, der der Kläger und die beanstandete Maßnahme rechtlich zuzurechnen sind. Passivlegitimiert sind jedenfalls das ĺEP, der ĺRat, die ĺKommission, der ĺEuGH, der ĺRechnungshof, die ĺEZB, die ĺEIB, der ĺWirtschafts- und Sozialausschuss, der ĺAusschuss der Regionen und die ĺEuropäische Umweltagentur (EEA). (lb)
§§: Art. 90; 91 Abs. 2 Statut der Beamten der EG Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 91 f.
§§: Art. 1; 91 Abs. 1 Statut der Beamten der EG; Art. 46; 73; 83 Beschäftigungsbedingungen für sonstige Bedienstete Lit.: B. Wegener, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 236 EG, Rn. 4 f.
Beamtenklage, Verfahrensgegenstand disputes in public services law, object of the proceedings – contentieux de la fonction publique, objet de l’instance
Als Klagegegenstand der Beamtenklage kommen alle rechtlichen Auseinandersetzungen in Betracht, die sich aus dem Dienstverhältnis der
Beamtenklage, Zuständigkeit disputes in public services law, competence – contentieux de la fonction publique, compétence
Seit Mitte 2005 ist auf europäischer Ebene ein eigenes europäisches Gericht für den öffentli99
Beamter chen Dienst ĺ(EuGöD) eingerichtet, das für alle Streitigkeiten zwischen der ĺEG und ihren Bediensteten zuständig ist. Das EuGöD wurde als erste gerichtliche Kammer gem. Art. 225a EG eingerichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt war das ĺEuG für Beamtenklagen zuständig. Es besteht die Möglichkeit eines Rechtsmittels an das EuG. (lb) §§: Art. 225a EG; Beschluss des Rates vom 2.11.2004 zur Errichtung des Gerichts für den öffentlichen Dienst der EU (EuGöD), ABl. 2004, Nr. L 333/7; Art. 9 Anhang I EuGH-Satzung
Beamter official – fonctionnaire
Beamter der Gemeinschaften ist, wer bei einem der ĺOrgane, der ĺAgenturen, beim ĺWSA, beim ĺAdR, beim ĺEuropäischen Bürgerbeauftragten oder beim Europäischen Datenschutzbeauftragten gem. den Bedingungen des Statuts der Beamten für die Europäischen Gemeinschaften (BSt.) durch eine Urkunde der Anstellungsbehörde unter Einweisung in eine Dauerplanstelle zum Beamten ernannt wird. Das neue „Beamtenstatut“ (in Kraft seit 1.5. 2004) sieht als wesentliches Element des neuen Karrieresystems die nachgewiesene Befähigung und Leistung an und nicht mehr nur das Dienstalter. Die Laufbahnstruktur umfasst derzeit 2 Funktionsgruppen (Administration-AD/AssistenzAST), 5 Dienstaltersstufen, 16 Besoldungsgruppen und die Vergabe von Leistungspunkten. Die Dienstbezüge entsprechen den im BSt. geregelten Besoldungs- und Dienstaltersstufen und unterliegen zwar einer „gestaffelten Gemeinschaftsteuer“, nicht aber den nationalen Besteuerungsvorschriften. Der Zugang zum Beamtenschema ist grundsätzlich mit (Fach)Hochschulabschluss (AD) bzw. Matura plus 3 Jahren Berufspraxis (AST) möglich. Neuaufnahmen von Beamten und Beamtinnen erfolgen in der Regel aufgrund der Ergebnisse von allgemeinen Auswahlverfahren („Concours“), die je nach Bedarf der Gemeinschaftsorgane vom Europäischen Amt für Personalauswahl (EPSO) durchgeführt werden. Neben Beamten und Beamtinnen auf Lebenszeit stellen die Institutionen in begrenztem Umfang auch ĺBedienstete ein, wie z.B. Vertragsbedienstete, Bedienstete auf Zeit, Hilfskräfte und Sonderberater. Für Rechtsstreitigkeiten aus dem Beamtenstatut (gem. Art. 236 EG, Art. 152 EAV) ist seit Mitte des Jahres 2005 das ĺEuGöD zuständig. (db) 100
§§: Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der EG, ABl. 1967, Nr. L 152/12 ff.; VO (EWG/EAG/EGKS) 259/68 des Rates vom 29.2.1968, ABl. 1968, Nr. L 56/1 ff.; VO (EG, Euratom) 723/2004 des Rates vom 22.3.2004, ABl. 2004, Nr. L 124/1 ff. (Beamtenstatut/ BSt. und Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten/BsB), Art. 91 BSt. i.V.m. Art. 46, 73, 83 und 97 BsB; Art. 122 BsB; Art. 225 EG; Art. 225a EG; Art. 236 EG; Art. 152 EAV; Beschluss 88/591/ EGKS/EWG/Euratom des Rates vom 24.10.1988, ABl. 1988, Nr. L 319/1 ff., ber. ABl. 1989, Nr. L 241/4 ff.; Rechtsakt des Rates vom 26.5.1997, ABl. 1997, Nr. C 195/1 ff.; VO (EG) 1895/2006, ABl. 2006, Nr. L 397/6 ff.; u.a. Lit.: B. Wegener, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 236 EGV, Rn. 3 ff.; K.-D. Borchardt, in: C. Lenz/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 236 EGV, Rn. 1 f.; C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 236 EGV, Rn. 2 ff.; u.a. Web: http://www.europa.eu/epso/
Bedienstete agent – agent
Die ĺInstitutionen der EU stellen gem. den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften (BsB) in begrenztem Umfang Vertragsbedienstete, Bedienstete auf Zeit, Hilfskräfte bis zu dem in Art. 52 genannten Datum (seit 31.12.2006 dürfen keine neuen Hilfskräfte mehr eingestellt werden), Sonderberater und örtliche Bedienstete ein. Die BsB sind dem Beamtenstatut (BSt.) angefügt (s.a. ĺBeamte) und umfassen 127 Artikel, sowie einen Anhang. Die Einstellungsverfahren für die sonstigen Bediensteten unterscheiden sich von den Auswahlverfahren für Beamte u.a. auch dadurch, dass die Auswahlverfahren nicht in der Presse, sondern auf den öffentlichen Seiten der entsprechenden Institutionen/ĺAgenturen veröffentlicht werden. Als allgemeine Einstellungsvoraussetzung wird zumindest ein Pflichtschulabschluss der Bewerber/innen verlangt, wobei sich die Auswahlkriterien vorrangig an den Befähigungsnachweisen orientieren. Die für den Rechtsschutz maßgebliche Regelung enthält Art. 91 des Beamtenstatus/BSt. und verweist an den Gerichtshof (ĺEuGöD) (s.a. Art. 225 EG, Art. 236 EG). Ausdrücklich ausgenommen von dieser Zuständigkeit sind die „örtlichen“ Bediensteten (Art. 120 ff. BsB). (db) §§: VO (EWG/EAG/EGKS) 259/68 des Rates vom 29.2.1968, ABl. 1968, Nr. L 56/1 ff.; VO (EG, Euratom) 723/2004 des Rates vom 22.3.2004, ABl. 2004, Nr. L 124/1 ff. (Beamtenstatut/BSt. und Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten/ BsB), Art. 91 BSt. i.V.m. Art. 46, 73, 83 und 97 BsB; Art. 122 BsB; VO (EG) 1895/2006, ABl. 2006, Nr. L
Begrenzte Einzelermächtigung 397/6 ff.; Art. 225 EG; Art. 225a EG; Art. 236 EG; Art. 152 EAV, u.a. Lit.: B. Wegener, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 236 EGV, Rn. 3 ff.; K.-D. Borchardt, in: C. Lenz/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 236 EGV, Rn. 2; C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 236 EGV, Rn. 2 ff.; u.a. Web: http://www.bundeskanzleramt.at/; http://www. europa.eu/epso/
Bedingte Entlassungen ĺEuropäische Überwachungsanordnung, Rahmenbeschlussentwurf Bedingte Strafnachsicht ĺEuropäische Überwachungsanordnung, Rahmenbeschlussentwurf Bedingtheit, doppelte ĺBindung, doppelte Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs, relevante Normen obstacles to the free movement of goods, relevant articles – entrave à la libre circulation des merchandises, articles importants
Der ĺfreie Warenverkehr kann sowohl durch tarifäre, d.h. pekuniäre staatliche Maßnahmen (ĺZölle, ĺzollgleiche Abgaben und ĺinnerstaatliche Abgaben), als auch durch nichttarifäre, d.h. nichtpekuniäre staatliche Maßnahmen (ĺEinfuhrbeschränkung, mengenmäßig; ĺAusfuhrbeschränkung, mengenmäßig; ĺMaßnahmen mit gleicher Wirkung) beeinträchtigt werden. Der EGV schützt den freien Warenverkehr vor beiden Arten von Beeinträchtigungen. Für tarifäre Handelshemmnisse sind Art. 25 EG (Per se Verbot von Zöllen und zollgleichen Abgaben) bzw. Art. 90 EG (Verbot von diskriminierenden innerstaatlichen Abgaben) einschlägig; für die nichttarifären sind Art. 28 EG (Verbot von mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung) bzw. Art. 29 EG (Verbot von mengenmäßiger Ausfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung) anwendbar. Unterschiede zwischen tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen bestehen hinsichtlich der Beeinträchtigungsformen und der Rechtfertigungsmöglichkeiten. So gibt es lediglich für Beeinträchtigungen nach Art. 28-29 EG ĺRechtfertigungsgründe (für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatlichen Maßnahmen). Art. 25, 28, 29 und
90 EG können bezüglich einer einizigen staatlichen Maßnahme nicht kumulativ angewendet werden. Allerdings können im Einzelfall zwei Maßnahmen auf einmal vorliegen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn für eine den Warenverkehr behindernde Untersuchung an der Grenze (die nichttarifäre Maßnahme) auch noch Gebühren (die tarifäre Maßnahme) erhoben werden. Art. 28 EG und Art. 25 EG können hier nebeneinander angewendet werden. (rp) §§: Art. 25 EG, Art. 28 EG, Art. 29 EG, Art. 90 EG Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28-30 EGV, Rn.117 f.; P. Oliver/S. Enchelmaier, Free movement of goods: Recent developmnets in the case law, CML Rev. 2007, 664; W. Schroeder, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 28 EGV, Rn. 4 Rsp.: EuGH, Rs. 74/76 Ianneli/Veroni, Slg. 1977, 557; EuGH, Rs. 251/78 Denkavit, Slg. 1979, 3369; EuGH, Rs. 32/70 Kortmann, Slg. 1981, 251; EuGH, Rs. C-78/ 90 Compagnie Commerciale de l’Ouest, Slg. 1992, I-1847; EuGH, Rs. 27/67 Frink-Frucht, Slg. 1968, 223; EuGH, Rs. 252/86 Bergandi, Slg. 1988, 1343; EuGH, C-234/99 Nygård, Slg. 2002, I-3657
Befangenheit Art. 51 Haushaltsordnung (ĺHaushaltsvollzug) Beförderungspflicht ĺVerpflichtungen des öffentlichen Dienstes Befreiungsmethode exemption method – méthode d’exemption
Genauso wie bei der ĺAnrechnungsmethode wird bei der Befreiungsmethode zunächst das Welteinkommen im Wohnsitzstaat besteuert. Die Vermeidung einer Doppelbesteuerung (als Sinn und Zweck von ĺDoppelbesteuerungsabkommen) wird sodann im Gegensatz zur Anrechnungsmehtode dadurch bewirkt, dass die Einkünfte im ausländischen ĺQuellen(steuer)staat steuerfrei gestellt werden. Abgesehen von der eher unüblichen Befreiungsmethode ohne Progessionsvorbehalt, wird bei der Befreiungsmethode mit Progressionsvorbehalt der Tarif des Wohnsitzstaates zunächst aus dem gesamten Welteinkommen errechnet und sodann sich der ergebende Durchschnittssteuersatz lediglich auf die Inlandseinkünfte angewendet. (pu) Begrenzte Einzelermächtigung ĺEinzelermächtigung, begrenzte 101
Begründung der Rechtsakte Begründung der Rechtsakte statement of reasons in legal acts – motivation des actes juridiques
ĺVerordnungen, ĺRichtlinien und ĺEntscheidungen sind mit Gründen zu versehen und müssen auf vertraglich vorgesehene Vorschläge und Stellungnahmen Bezug nehmen. Das Gemeinschaftsrecht errichtet damit, anders als die meisten nationalen Verfassungsordnungen, eine allgemeine Begründungspflicht für verbindliche Rechtsakte, ohne zwischen normativen Akten und Einzelmaßnahmen zu unterscheiden. Aus rechtsstaatlicher Perspektive wird das europäische Verfassungsrecht in dieser Hinsicht als vorbildlich angesehen. In der Judikatur des ĺEuGH spielt die Begründungspflicht eine bedeutende Rolle, weil im Zuge einer ĺNichtigkeitsklage häufig ein Verstoß gegen Art. 253 EG geltend gemacht wird. Eine fehlende oder unzureichende Begründung stellt eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften im Sinne des Art. 230 II EG dar und führt zur Nichtigerklärung des angegriffenen Akts. Dem Unterschied von allgemeingültigen Handlungen und Einzelakten wird bei der Ermittlung des geforderten Begründungsumfangs Rechnung getragen. Bei Rechtsakten mit allgemeiner Geltung kann sich der Gesetzgeber darauf beschränken, die Gesamtlage anzugeben, die zum Erlass der Maßnahme geführt hat, und die wesentlichen allgemeinen Ziele zu bezeichnen, die mit ihr erreicht werden sollen. Bei Akten, die ein Verwaltungsverfahren mit einer für den Betroffenen nachteiligen individuellen Maßnahme abschließen, gelten höhere Anforderungen (vgl. Art. 41 der ĺGrundrechtecharta, der diese Verpflichtung dem ĺRecht auf gute Verwaltung zuordnet). Die Begründungspflicht nach Art. 253 EG gilt unmittelbar für die dort genannten drei Handlungsformen sowie im Wege der Analogie für alle verbindlichen Gemeinschaftsrechtsakte, insbesondere für ĺBeschlüsse. Damit ist ein Gleichlauf mit dem Kreis der anfechtbaren Akte nach Art. 230 EG hergestellt (ĺKlagegegenstand, Nichtigkeitsklage). Dem entspricht, dass der EuGH die Funktion der Begründungspflicht hervorhebt, die judikative Rechtmäßigkeitskontrolle zu erleichtern. Im EU-Vertrag findet sich keine entsprechende Vorschrift. Jenseits des Anwendungsbereichs des Art. 253 EG folgen gewisse Begründungspflichten aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit. So hat der EuGH anerkannt, dass alle Rechtsakte, die Rechtswirkungen entfalten, die Rechtsgrundlage angeben müssen, auf die sie gestützt sind. 102
In der Praxis werden die Erwägungsgründe in den Einleitungsteil der Rechtsakte aufgenommen. Sie bilden mit dem verfügenden Teil eine Einheit, sodass der Wortlaut der amtlichen Begründung nicht außerhalb des förmlichen Rechtsetzungsverfahrens ergänzt oder abgeändert werden kann. Die Erwägungsgründe entfalten zwar nicht selbst verbindliche Rechtswirkungen, werden aber vom Gerichtshof zur Auslegung des verfügenden Teils herangezogen. Geringere rechtliche Bedeutung kommt den weiteren Erläuterungen zu, die die ĺKommission ihren Rechtsetzungsvorschlägen beifügt, oder Erklärungen, die aus Anlass der Beschlussfassung seitens des Erlassorgans oder einzelner Beteiligter abgegeben werden. (jb) §§: Art. 253 EG; Art. 162 Euratom-Vertrag Lit.: J. Bast, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU, 2006, 351 ff.; M. Shapiro, The Giving Reasons Requirement, The University of Chicago Legal Forum 1992, 179 ff.; T. Müller-Ibold, Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht, 1990 Rsp.: EuGH, Rs. 24/62 Deutschland/Kommission, Slg. 1963, 141, 155; EuGH, Rs. 5/67 Beus, Slg. 1968, 127, 144; EuGH, Rs. 131/86 Großbritannien/Rat, Slg. 1988, 905, Rn. 37; EuGH, Rs. C-325/91 Frankreich/ Kommission, Slg. 1993, I-3283, Rn. 26
Begründungsdreiklang trilogy of justificaory bases– triple de motivation
Um die in Art. 153 Abs. 1 EG formulierten Ziele (ĺVerbraucherschutz, Europäischer) zu erreichen, erlässt die Gemeinschaft u.a. gem. Art. 153 Abs. 3 lit. a EG Maßnahmen (ĺMaßnahme) im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarkts nach Art. 95 EG. Die entsprechenden Maßnahmen werden ganz überwiegend als ĺRichtlinien erlassen und verfolgen regelmäßig drei Ziele. Aus diesem Grund findet in der Literatur auch der Begriff des „Begründungsdreiklanges“ Verwendung. Erstens sollen die aus den unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften erwachsenden Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt beseitigt werden, um so grenzüberschreitendes Tätigwerden der Unternehmer und damit den Wettbewerb zu fördern. Zweitens soll ob des angeglichenen Rechtsrahmens auch das Vertrauen des Verbrauchers gestärkt werden, grenzüberschreitend zu den gleichen rechtlichen Bedingungen rechtsgeschäftlich tätig zu werden. Drittens soll das hohe Schutzniveau für Verbraucher gewahrt bzw. angehoben werden. (pa) §§: Art. 153 EG; Art. 95 EG Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005
Beihilfe Begünstigung (Beihilfenrecht)
Behindertenrechte
preferential treatment (EC state aid law) – faveur (droit des aides d’État)
rights of persons with disabilities – droits des personnes handicapées
Eine staatliche Massnahme hat eine begünstigende Wirkung, wenn ein Unternehmen einen geldwerten Vorteil erhält, ohne eine angemessene Gegenleistung zu erbringen. Der Begriff der Begünstigung ist weit auszulegen. Der Beihilfenbegriff umfasst deshalb nicht nur Geldzuführungen des Staates, sondern auch Maßnahmen, die Belastungen vermindern, welche ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat. Daher begründen nicht nur unmittelbare Zuschüsse durch öffentliche Hoheitsträger (z.B. Geld- und Sachleistungen) die Besserstellung eines Unternhmens sondern etwa auch (zinslose oder geringer verzinste) staatliche Garantien, Bürgschaften, Darlehen; darüber hinaus Steuer- und Abgabenbefreiungen, vergünstigte Grundstücksverkäufe oder vergünstige Verkäufe von Eigentumsanteilen im Rahmen von Privatisierungen. Bei der Beurteilung einer Maßnahme kommt es ausschließlich auf deren Wirkung auf den innergemeinschaftlichen Wettbewerb und Handel an. Allfällige Motive, Ziele und Gründe für die Gewährung haben außer Betracht zu bleiben. Von einer Begünstigung ist aber nicht nur bei einer einseitigen Vorteilsgewährung sondern auch dann auszugehen, wenn das begünstigte Unternehmen zwar eine Gegenleistung erbringt, diese aber dem Wert der staatlichen Leistung nicht entspricht. Die Berechnung der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung erfolgt entweder über einen transparenten Marktpreis oder über den ĺmarket economy investor test. Bei Verkaufsvorgängen ist den Beteiligten die Durchführung eines objektiven Verfahrens zu empfehlen. Darunter werden ein offenes Bietverfahren oder die Einholung eines objektiven Wertgutachtens durch einen unabhängigen Sachverständigen verstanden, wobei die Kommission dem Bietverfahren den Vorzug einräumt. Wird ein objektives Verfahren durchgeführt, vermutet die Kommission i.d.R. keine Begünstigung des empfangenden Unternehmens. Kompensationen für ĺDienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sind mit der Höhe der Kostendeckung (ĺNettomehrkosten-Prinzip) begrenzt. (jr)
Die ĺGRC enthält eine eigene Schutzbestimmung für Behinderte. Deren Rechte seien zu achten; diese werden hiedurch freilich nicht gewährt, sondern vorausgesetzt. Die Erläuterungen sprechen von ĺGrundsätzen (die im Unterschied zu ĺGrundrechten nicht unmittelbar einklagbar sind.) Die Literatur sieht darin auch ein Abwehrrecht. Vgl. auch das spezifische ĺDiskriminierungsverbot in Art. 21 GRC. (ed)
§§: Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2005, Rn. 67 ff.
§§: Art. 26 GRC/Art. II-86 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 28 II
Behinderungen des freien Warenverkehrs ĺBeeinträchtigungen des freien Warenverkehrs, relevante Normen Behinderungsmissbrauch hindrance abuse – comportement déloyal envers la concurrence
Neben dem ĺAusbeutungs- und dem ĺMarktstrukturmissbrauch ist der Behinderungsmissbrauch die dritte Missbrauchskategorie des Art. 82 EG. Ein Behinderungsmissbrauch i.S.d. Art. 82 Satz 2 lit. b EG liegt vor, wenn die Vermarktungsmöglichkeiten der Wettbewerber tatsächlich oder potenziell durch Maßnahmen eines marktbeherrschenden ĺUnternehmens eingeschränkt werden und so der Wettbewerb negativ beeinflusst wird. Beispiele für einen solchen Behinderungsmissbrauch sind wettbewerbswidrige Kampfpreise (predatory pricing), Beschränkungen der eigenen Produktion bspw. durch Einstellung der Herstellung von noch benötigten Ersatzteilen unter gleichzeitiger Verweigerung der Lizenzvergabe oder auch die Einschränkung der technischen Entwicklung durch Behinderung des Zugangs zum Stand der Technik und ihre Weiterentwicklung. (jpt) §§: Art. 82 EG Lit.: I. Brinker, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 82 EGV, Rn. 24 ff.; T. Eilmannsberger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 82 EGV, Rn. 23 ff.; W. Möschel, in: U. Immenga/ E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 1, Art. 82, Rn. 161 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-333/94 P Tetra Pak II, Slg. 1996, I-5951, Rn. 44
Beihilfe ĺStaatliche Beihilfe 103
Beihilfe (Landwirtschaft) Beihilfe (Landwirtschaft) aid (agriculture) – aide (agriculture)
Art. 36 EG sieht einerseits eine eingeschränkte Anwendung des EGV Kapitels über Wettbewerbsregeln und bietet gleichzeitig eine Rechtsgrundlage für die Gewährung von Beihilfen für Betriebe in benachteiligten Gebieten oder im Rahmen von wirtschaftlichen Entwicklungsprogrammen. Staatliche Beihilfen Die VO (EWG) 26/62 bestimmt, dass Art. 88 Abs. 1 und Abs. 3 EG (die Überprüfung bestehender Beihilfen durch die Kommission, Anmeldepflicht bei Einführung von neuen Beihilfen) auf die Landwirtschaft anwendbar sind. Eine Entscheidung über die Aufhebung der Beihilfe nach Art. 88 Abs. 2 EG wäre damit an und für sich ausgeschlossen. Es ist jedoch in der ĺGemeinsamen Marktorganisation und in der VO Förderung der ĺLändlichen Entwicklung ein Passus vorgesehen, dass die Bestimmungen von Art. 87 bis 89 EG in dem von der Regelung umfassten Bereich generell anzuwenden sind. Damit ist das gesamte Beihilfenrecht der EG hinsichtlich einzelstaatlicher Beihilfen auf nahezu alle Bereiche der Landwirtschaft anwendbar. Beihilfen an kleine und mittlere in der Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen tätige Unternehmen, werden durch die VO (EG) 1/2004, wenn die den in der VO festgelegten Kriterien entsprechen, mit dem Gemeinsamen Markt als vereinbar angesehen und sind so von der Anmeldepflicht nach Art. 88 Abs. 3 EG freigestellt. Für staatliche Beihilfen zur Förderung des Absatzes landwirtschaftlicher Erzeugnisse und zur Werbung und zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten und gibt es für die Prüfung der zu notifizieren Beihilfen Leitlinien. Beihilfen in horizontalen europäischen Regelungen Im Rahmen der ĺGemeinamen Agrarpolitik wurden eine Reihe von horizontalen Beihilferegelungen geschaffen. Diese beinhalten sowohl ĺDirektzahlungen an Landwirte als auch Zuschüsse zu Projekten, Schulungsprogrammen oder für Investitionen. Die Maßnahmen können alleine durch den EU-Haushalt finanziert sein oder durch EU und Mitgliedstaaten gemeinsam, wie bei den Maßnahmen zur Förde104
rung der ĺLändlichen Entwicklung, finanziert werden. (all) §§: Art. 36 EG; VO (EG) 1234/2007, Gemeinsame Organisation der Agrarmärkte, ABl. 2007, Nr. L 299/1; VO (EG) 1782/2003 Direktzahlungen, ABl. 2003, Nr. L 270/1; VO (EG) 1698/2005, Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums, ABl. 2005, Nr. L 277/1; VO (EG) 1/2004, ABl. 2004, Nr. L 1/1 Lit.: R. Norer (Hrsg.), Handbuch des Agrarrechts, 2005; A. Leidwein, Europäisches Agrarrecht, 2004
Beihilfe, rechtswidrige ĺrechtswidrige Beihilfe Beihilfeaufsichtverfahren ĺVerfahren für die Kontrolle staatlicher Beihilfen Beihilfen an KMU state aids to small and medium sized enterprises (SME) – aides d’État en faveur des petites et moyennes entreprises (PME)
Aufgrund der Empfehlung der ĺKommission vom 6.5.2003 (Empfehlung der Kommission vom 6.5.2003, ABl. 2003, L 124/36) ist ein mittleres Unternehmen anzunehmen, wenn ƒ dieses weniger als 250 Personen beschäftigt und ƒ der Jahresumsatz höchstens 50 Mio. € oder die Jahresbilanzsumme höchstens 43 Mio. € erreicht. Von einem kleinen Unternehmen ist auszugehen, wenn ƒ weniger als 50 Personen beschäftigt werden und ƒ der Jahresumsatz bzw. die Jahresbilanzsumme 10 Mio. € nicht übersteigt. Die Voraussetzungen für die Befreiung von Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen von der Notifikationspflicht sind in der KMUFreistellungsverordnung festgeschrieben (VO [EG] 70/2001, ABl. 2001, Nr. L 10/33, zuletzt geändert durch VO [EG] 364/2004, ABl. 2004, Nr. L 63/22). Die FreistellungsVO erfasst ĺInvestitionsbeihilfen (also Investitionen in Sachanlagen sowie in immaterielle Anlagewerte) und Beihilfen für die Beratung sowie sonstige Unternehmensdienstleistungen und -tätigkeiten. Als Schwellenwerte sind bestimmte höchstzulässige Prozentsätze festgelegt (Art. 4 Abs. 2 und 3, Art. 5 VO [EG] 70/2001). Sind die Voraussetzungen erfüllt, bedarf es keiner Genehmigung durch die Kommission und die Beihil-
Beihilfen, Rückforderung fen sind gem. Art. 87 Abs. 3 EG als vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt anzusehen. (jr) §§: Art. 87 Abs. 3, Art. 89 EG Lit.: C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2005, Rn. 223 ff. Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:32001R0070:DE:HTML; http://eur-lex. europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:320 04R0364:DE:HTML; http://eur-lex.europa.eu/LexUri Serv/LexUriServ.do?uri=CELEX:32003H0361:DE:HTML
Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher aid having a social character, granted to individual consumers – aides à caractère social octroyées aux consommateurs individuels
Nach Art. 87 Abs. 2 lit. a können bestimmte Beihilfen mit sozialem Charakter an einzelne Verbraucher gewährt werden, sofern diese nicht diskriminierend ausgestaltet sind (so dürfen etwa inländische Unternehmen nicht bevorzugt behandelt werden). Der Grundsatz der ĺSelektivität erfordert, dass ein bestimmtes Unternehmen bzw. ein Produktionszweig mittelbar durch die Unterstützung der Verbraucher begünstigt wird. Beispiel: Reisegutscheine für eine bestimmte Verkehrsstrecke oder etwa Lebensmittelunterstützungen. (jr) §§: Art. 87 Abs. 2 lit. a EG Lit.: C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2005, Rn. 192 ff.
Beihilfen zum Ausgleich der durch die Teilung Deutschlands verursachten wirtschaftlichen Nachteile aid granted to the economy of certain areas of the Federal Republic of Germany affected by the division of Germany – aides octroyées à l’économie de certaines régions de la République fédérale d’Allemagne affectées par la division de l’Allemagne
Art. 87 Abs. 2 lit. c erklärt Beihilfen zum Ausgleich von Schäden für zulässig, die durch die Teilung Deutschlands 1948 und nicht durch die Wiedervereinigung entstanden sind. Die Bekämpfung des wirtschaftlichen Rückstandes der sog. „neuen Bundesländer“ nach der Wiedervereinigung kann daher nicht über diese ĺLegalausnahme gerechtfertigt werden. Ein enger Kausalzusammenhang zur Teilung muss nachgewiesen werden. Allfällige Unterstützungen für die neuen Bundesländer, die nicht im Zusammenhang mit der Teilung stehen, können auf der Grundlage der ĺErmessenstatbestände der Art. 87 Abs. 3 lit. a bzw. Art. 87 Abs. 3 lit. c EG gewährt werden. (jr) §§: Art. 87 Abs. 2 lit. c EG
Lit.: W. Mederer/A. van Ysendyck, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 87, Rn. 133 ff.
Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder andere außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind aid to make good the damage caused by natural disasters or exceptional occurrences – aides destinées à remédier aux dommages causés par les calamités naturelles ou par d’autres événements extraordinaires
Die Beihilfengewährung im Zusammenhang mit außergewöhnlichen Ereignissen (Beispiel: Kriege, Industrieunglücke) und Naturkatastrophen (Beispiel: schwere Unwetter, Hochwasser, Ölkatastrophen, Erdbeben, Epidemien) darf nur jene durch diese Vorfälle verursachten Schäden ausgleichen. Unterstützungen, die mögliche Schäden präventiv verhindern sollen, werden von dieser Legalausnahme nicht erfasst. (jr) §§: Art. 87 Abs. 2 lit. b EG Lit.: W. Mederer/A. van Ysendyck, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 87, Rn. 130 ff.
Beihilfen zur Förderung der Kultur aids to promote culture – aides destinées à promouvoir la culture
Beim Kulturbegriff handelt es sich nach dem derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht um einen autonomen Begriff, vielmehr bleibt die Definition der Kultur den Mitgliedstaaten überlassen. Gem. Art. 87 Abs. 3 lit. d kann die Erhaltung des kulturellen Erbes (z.B. Denkmalpflege) durch staatliche Beihilfen gefördert werden. Die Handels- und Wettbewerbsbedingungen der Gemeinschaft dürfen dabei nicht in einem Maß beeinträchtigt werden, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Die ĺKommission hat bis dato in den Bereichen der Filmförderung und der Finanzierung öffentlichrechtlicher Rundfunkanstalten ĺMitteilungen zur Erläuterung ihrer Ermessensausübung erlassen. (jr) §§: Art. 87 Abs. 3 lit. d Lit.: W. Mederer, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 87 Abs. 3 EG, Rn. 352 f.
Beihilfen, missbräuchliche Anwendung ĺMissbräuchliche Anwendung von Beihilfen Beihilfen, Rückforderung ĺRückforderung staatlicher Beihilfen 105
Beihilfen, Selektivität Beihilfen, Selektivität ĺSelektivität Beihilfen (Verkehrsrecht) state aids (traffic law) – aides d’état (droit des transports)
S.a. ĺWettbewerbssicherung (Verkehrsrecht). Gem. Art. 87 Abs. 1 EG sind staatliche ĺBeihilfen mit dem ĺGemeinsamen Markt unvereinbar. Nach ihm sind, soweit im EG-Vertrag nicht anderes bestimmt ist, staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung einzelner Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den ĺMitgliedstaaten beeinträchtigen. Ist der Tatbestand des Abs. 1 daher erfüllt, ist von einer Beihilfe zu sprechen. Diese kann nach den Abs. 2 und 3 des Art. 87 EG zwar dennoch als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden; allerdings hat über diesen Umstand die ĺKommission zu entscheiden. Ihr sind Beihilfen gem. Art. 88 EG zur Kenntnis zu bringen, d.h. zu notifizieren. Kann eine Rechtfertigung nicht erfolgen, wären die betreffenden Beihilfen unzulässig. Für den Bereich des Verkehrsrechts sieht Art. 73 EG davon eine Ausnahme vor. Er bestimmt, das Beihilfen mit dem Vertrag vereinbar sind, die den Erfordernissen der Koordinierung des Verkehrs (ĺKoordinierungsbeihilfen) oder der Abgeltung bestimmter, mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes zusammenhängender Leistungen (ĺVerpflichtungen des öffentlichen Dienstes) entsprechen. Diese Ausnahmebestimmung tritt neben die Abs. 2 und 3 des Art. 87 EG. Art. 73 EG wurde (schon früh) durch sekundäres Gemeinschaftsrecht konkretisiert (ĺBeihilfen, Verkehrsrecht (Sekundärrecht). (sm) Lit.: D. Boeing, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 73 EGV, Rn. 1 ff.; A. Kahl, Der öffentliche Personennahverkehr auf dem Weg zum Wettbewerb, 2005
Beihilfen, Verkehrsrecht (Sekundärrecht) state aids, traffic law (secondary law) – aides d’état, droit des transports (droit dérivé)
S.a. ĺKoordinierungsbeihilfen, ĺVerpflichtungen des öffentlichen Dienstes. Durch Art. 87 EG ist ein relatives Beihilfenverbot normiert (ĺBeihilfen). Es ist deshalb relativ, da es Möglichkeiten gibt, Beihilfen als mit dem ĺGemeinsamen Markt vereinbar zu er106
klären. Eine zusätzliche Möglichkeit dazu bietet Art. 73 EG (ĺBeihilfen, Verkehrsrecht). Im Bereich des gemeinschaftlichen Verkehrsrechts stellen die sekundärrechtlichen beihilfenrechtlichen Bestimmungen neben dem unternehmensbezogenen ĺWettbewerbsrecht einen Teil der Maßnahmen zur Sicherung eines unverfälschten Wettbewerbs dar (ĺWettbewerbssicherung, Verkehrsrecht). Insofern dienen die sekundärrechtlichen beihilfenrechtlichen Bestimmungen als allgemeine Maßnahmen der Wettbewerbssicherung und stellen damit einen Teil der sekundärrechtlichen gemeinschaftlichen ĺVerkehrspolitik dar. Relevant für den Bereich des Beihilfenrechts ist insbesondere die VO (EWG) 1107/70, die gemeinsame Regeln betreffend die Zulässigkeit von Beihilfen im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschifffahrtsverkehr enthält. Inhaltlich geht es um die Klarstellung der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Art. 87 ff. EG, aber es erfolgt zugleich eine Aufzählung von Beihilfen, die im Sinne der Legalausnahmen des Art. 73 EG von der ĺKommission als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden (müssen), Art. 3 VO (EWG) 1107/70. Zudem ist die VO (EWG) 1191/69 (diese betrifft mit dem Begriff des öffentlichen Dienstes verbundene Verpflichtungen auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschifffahrtsverkehrs) und die VO (EWG) 1192/69 (diese betrifft die Normalisierung der Konten der Eisenbahnunternehmen) zu nennen. Auf Grundlage jener genannten drei VO können folgende Konkretisierungen erfolgen: ƒ In der VO (EWG) 1192/69 erfolgt die Definition sog. Normalisierungstatbestände, die laut Art. 3 Abs. 1 lit. a VO (EWG) 1107/70 für alle Eisenbahnunternehmen in Anspruch genommen werden können. Es handelt sich dabei um sog. ĺKoordinierungsbeihilfen. Sachlich handelt es sich um historische Lasten der Eisenbahnen (z.B. Pensionslasten, Kreuzungslasten oder besondere Personallasten). Gem. Art. 3 Abs. 1 lit. b bis d VO (EWG) 1107/70 sind ferner Beihilfen zum Ausgleich von Wegekosten, Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen sowie befristete Beihilfen zur Beseitigung von Überkapazitäten zulässig. Die in Art. 3 VO (EWG) 1107/70 enthaltene Aufzählung der als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar anzusehen Beihilfen ist abschließend. ƒ Laut der VO (EWG) 1191/69 sind gewisse Interventionen der öffentlichen Hand bezüglich
Beihilferegelung der Auferlegung zum Teil so bezeichneter ĺgemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen bzw. ĺVerpflichtungen des öffentlichen Dienstes zulässig. Grundsätzlich sind nämlich die MS verpflichtet, derartige Belastungen auf Antrag des betroffenen Verkehrsunternehmens aufzuheben. Als – so von der VO bezeichnete – Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes sind Betriebs-, Beförderungsund Tarifpflichten zu verstehen. Deren gemeinsames Merkmal ist, dass ein Verkehrsunternehmen derartige Leistungen im eigenen wirtschaftlichen Interesse nicht oder nicht unter den gleichen Bedingungen erbringen würde (Art. 2 VO [EWG] 1191/69). Nach Art. 1 Abs. 3 VO (EWG) 1191/69 sind die MS verpflichtet, solche Belastungen auf Antrag des betroffenen Verkehrsunternehmens aufzuheben, womit die Zulässigkeit der Gewährung einer entsprechenden, als Beihilfe zu wertenden Entschädigung ebenfalls entfällt. Soweit Maßnahmen zur Aufrechterhaltung eines ausreichenden Verkehrsangebots für erforderlich gehalten werden, sind die MS gehalten, nötige Vorkehrungen auf Grundlage vertraglicher Vereinbarungen mit den betroffenen Verkehrsunternehmen zu treffen. Es bestehen aber Ausnahmebestimmungen in drei Fällen: Die MS sind befugt, Sonderregelungen für Verkehrsdienste im Bereich des Stadt-, Vorortund Regionalverkehrs vorzusehen. Die Auferlegung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen im Bereich des Personenverkehrs ist auch zugunsten besonderer sozialer Gruppen zulässig. Die Verkehrsunternehmen haben keinen Anspruch auf eine (teilweise) Aufhebung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen, sofern diese zur Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung notwendig sind. Nach neuerer EuGH-Rspr. gilt das selbst dann, wenn eine Belastung im Sinne der VO (EWG) 1191/ 69 nachgewiesen wird. ƒ Verfahrensrechtlich sind die von der VO (EWG) 1107/70 erfassten Beihilfekategorien vor ihrer Durchführung der Kommission zu notifizieren; dies gilt nicht für Neubeihilfen im Sinne der VO (EWG) 1191/69 und 1192/ 69 (Befreiung von Art. 88 Abs. 3 EG). Für den See- und Luftverkehr existieren keine entsprechenden Regelungen – eine Ausnahme stellt die VO (EG) 1540/98 betreffend Beihilfen im Schiffbau dar. Hinzuweisen ist auf einen neuen Vorschlag der Kommission, der die Kriterien der ĺAltmark Trans-Rechtsprechung des ĺEuGH umsetzt
(ĺAltmark Kriterien) und zudem vorsieht, dass die Gewährung von Ausgleichszahlungen oder ausschließlicher Rechte an Betreiber öffentlicher Personenverkehrsdienste für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen auf Grundlage eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages zu erfolgen hat. Es ergeben sich insofern Überschneidungen zwischen dem Beihilfen- und dem ĺVergaberecht. (sm) §§: KOM(2005), 319 endg. Lit.: D. Boeing, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 73 EGV, Rn. 1 ff.; A. Kahl, Der öffentliche Personennahverkehr auf dem Weg zum Wettbewerb, 2005; ders., Der weiterentwickelte Ausgleichsansatz in der Daseinsvorsorge, wbl 2003, 401 ff.; M. J. Werner/T. Köstner, Anmerkungen zu EuGH, Rs. C-280/00, EuZW 2003, 503 f.; S. Bauer, Rechtssicherheit bei der Finanzierung gemeinwirtschaftlicher Leistungen?, EuZW 2006, 7 ff.; O. Mietzsch, Neuordnung des europäischen Rahmens für den ÖPNV, EuZW 2006, 11 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-280/00 Altmark Trans, Slg. 2003, I-7747; EuGH, Rs. C-412/96 Kainuun Liikenne Oy, Slg. 1998, I-5141
Beihilfenäquivalent ĺSubventionsäquivalent Beihilfenrecht, Legalausnahmen ĺLegalausnahmen im Beihilfenrecht Beihilferegelung aid scheme – régime d’aides
Unter einer Beihilferegelung versteht man ƒ eine Regelung, wonach Unternehmen, die in der Regelung in einer allgemeinen und abstrakten Weise definiert werden, ohne nähere Durchführungsmaßnahmen Einzelbeihilfen gewährt werden können, oder ƒ eine Regelung, wonach einem oder mehreren Unternehmen nicht an ein bestimmtes Vorhaben gebundene Beihilfen für unbestimmte Zeit und/oder in unbestimmter Höhe gewährt werden können. Im Gegensatz zu Einzelbeihilfen handelt es sich bei Beihilferegelungen um generell abstrakte Regelungen. Begünstigungen, die aufgrund einer von der Kommission genehmigten Beihilferegelung gewährt werden, sind mit dem ĺGemeinsamen Markt vereinbar. Die ĺKommission kann zwar die Prüfung eines bereits genehmigten Beihilfeprogrammes einleiten; in der Vergangenheit gewährte Maßnahmen bleiben aber von einer allfälligen ĺNegativentscheidung unberührt. ĺEinzelbeihilfen, die von einer genehmigten Beihilferegelung abweichen, 107
Beihilfeverfahren sind hingegen als ĺNeubeihilfe anzusehen und daher zu notifizieren. (jr) §§: Art. 1 lit. d VO (EG) 659/1999 Lit.: F. P. Sutter, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 42. Lfg. 2005, Art. 87 EGV, Rn. 21 f. Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:31999R0659:DE:HTML
Beihilfeverfahren ĺVerfahren für die Kontrolle staatlicher Beihilfen Beihilfeverfahren, Beteiligte ĺBeteiligte im Beihilfeverfahren Beitritt acession – adhésion
Jeder ĺeuropäische Staat, der die ĺGrundsätze der EU (Art. 6 Abs. 1 EU) achtet, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden (Art. 49 EU). Mit einem entsprechenden Antrag an den Rat beginnt das ĺBeitrittsverfahren. Der Rat beschließt nach einer – vertraglich nicht vorgeschriebenen – Stellungnahme der KOM (sog. ĺAvis) darüber, ob ĺBeitrittsverhandlungen aufgenommen werden. Gegenstand der Verhandlungen ist die Übernahme und Umsetzung des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes bzw. die Erfüllung aller ĺBeitrittsvoraussetzungen. Das Gemeinschaftsrecht wird grds. mit dem B. unmittelbar anwendbar. Abweichungen davon sind nur temporär zulässig (ĺÜbergangsvorschriften). Nach Abschluss der Verhandlungen hat der Rat die KOM zu hören, die Zustimmung des EP mittels absoluter Mehrheit einzuholen und allenfalls einen einstimmigen Aufnahmebeschluss zu fassen. Der B. wird durch einen völkerrechtlichen ĺBeitrittsvertrag zwischen den MS und dem ĺBewerberland, der durch alle Vertragsstaaten ratifiziert werden muss, vollzogen (Art. 49 EU). Vor und während den Verhandlungen sollen ĺBeitrittsvorbereitungen – die finanzielle und technische Unterstützung beinhalten – die Angleichung an den ĺGemeinschaftlichen Besitzstand sicherstellen. Der B. erfolgt zu allen Verträgen, auf denen die Union beruht (ĺEinheitlichkeit der Mitgliedschaft) und bezieht sich grds. auf das gesamte Staatsgebiet des beitretenden Staates (ĺGeltungsbereich, räumlicher). Die Erweiterung der Union fand bisher in mehreren Wellen statt (ĺErweiterung, bisherige). (lo) Lit.: W. Meng, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 49
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EUV; J. Budischowsky, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 34. Lfg. 2004, Art. 49 EUV; D. Booß, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2006, Art. 49 EUV; M. Ruffert/ H.-J. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49 EU; C. Vedder, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 17. Lfg. 2001, Art. 49 EUV
Beitritt von Bulgarien und Rumänien ĺBulgarien und Rumänien, Beitritt Beitrittsakte Act of Accession – Acte d’adhésion
Die B. ist das Kernstück des ĺBeitrittsvertrages und enthält die „Aufnahmebedingungen und die durch die Aufnahme erforderlich werdenden Anpassungen der Verträge, auf denen die Union beruht“ (Art. 49 EU Abs. 2). Die Untergliederung des Beitrittsvertrages durch die B. hat sich im Laufe der bisherigen ĺErweiterungen herausgebildet, ohne dass sie rechtlich verpflichtend wäre. Die B. mit ihren Anhängen und Protokollen beinhaltet regelmäßig: Bestimmungen zur Ausdehnung des ĺräumlichen Geltungsbereich der Verträge, die notwendigen technischen bzw. institutionellen Adaptierungen (insb. Ergänzung der Amtssprachen und Zusammensetzung der Gemeinschaftsorgane), die ĺÜbergangsvorschriften, Schutzklauseln, und Durchführungsbestimmungen (für die aktuellsten Beispiele einer B. ĺOsterweiterung bzw. ĺBulgarien und Rumänien). Die B. ist – wie der Beitrittsvertrag – Bestandteil des primären Gemeinschaftsrechts. (lo) Lit.: J. Budischowsky, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 34. Lfg. 2004, Art. 49 EUV, Rn. 30-41
Beitrittsanspruch ĺAnspruch auf Beitritt Beitrittsassoziierung accession-association – adhésion-association
Die ĺAssoziierung gem. Art. 310 EG erfolgt durch einen völkerrechtlichen Vertrag, der einer verstärkten Zusammenarbeit der EG mit einem Drittstaat dient. Neben der B., die auf einen späteren ĺBeitritt des assoziierten Staates ausgerichtet ist, beruhen auch die Entwicklungshilfeassoziation und die Freihandelsassoziation (ĺAssoziierung) auf dem Art. 310 EG (ĺAssoziierungsabkommen). Für die ĺErweiterung um Finnland, Österreich und Schweden stellte der ĺEWR, als assoziationsähnlicher
Beitrittsverfahren Vertrag der auf die Schaffung binnenmarktähnlicher Verhältnisse ausgerichtet ist, einen wichtigen Beitrag zur ĺBeitrittsvorbereitung dar. Die Assoziierungsabkommen mit Griechenland (1961), ĺMalta (1970) und ĺZypern (1972) schufen eine Zollunion mit der Gemeinschaft und erleichterten so den Beitritt der drei Staaten (ĺSüderweiterung, ĺOsterweiterung). Mit der ĺTürkei besteht seit 1964 ein Assoziierungsabkommen, welches der Türkei u.a. den Beitritt in Aussicht stellt. Die zehn ĺMOEL schlossen mit der Gemeinschaft spezielle B. – die sog. ĺEuropa-Abkommen – ab, die auf eine umfassende wirtschaftliche Zusammenarbeit und die teilweise Übernahme des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes abzielten. Durch ĺStabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) will die Gemeinschaft die ĺWestlichen Balkanstaaten auf die künftige Mitgliedschaft vorbereiten. (lo) Lit.: A. Weber, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 310 EGV
BeitrittsBVG Federal Constitutional Act on the Accession of Austria to the European Union – Loi constitutionnel federal pour l’adhésion d’Autriche à l’Union Europénne
Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur EU, BGBl. 1994/744, mit dem die „bundesverfassungsgesetzlich zuständigen Organe“ ermächtigt wurden, den Staatsvertrag über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union abzuschließen. Diese Rechtstechnik wird als ĺ„Verfassungsdurchbrechung“ zur Legitimierung hinsichtlich jener Änderungen gesehen, die insgesamt eine ĺGesamtänderung der Bundesverfassung (Art. 44 Abs. österr. B-VG) darstellten. (he) Lit.: T. Öhlinger, Verfassungsrecht, 7. Aufl. 2007, Rn. 134; R. Walter/H. Mayer/G. Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht, 10. Aufl. 2007, Rn. 246/6
Beitrittskandidat ĺBewerberland Beitrittspartnerschaften accession partnerships – partenariats d’adhésion
Die B. sind ein im Rahmen der sog. ĺOsterweiterung eingeführtes Instrument zur ĺBeitrittsvorbereitung. Gem. der VO (EG) 622/98 beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der KOM eine B. für jedes ĺBewerberland. Diese enthält Prioritäten für Maß-
nahmen zur Übernahme des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes und weist diesen die finanziellen Mittel der ĺHeranführungshilfen zu. Jeder B. steht auf der Seite der Beitrittswerber ein von der jeweiligen Regierung vorgelegtes „Nationales Programm zur Übernahme des Besitzstandes der Union“ (NPAA) gegenüber, in dem ein Maßnahmenkatalog und ein Kalender zur Umsetzung der Prioritäten enthalten ist. Die B. kann durch einen neuen Beschluss abgeändert und aktualisiert werden. Die Einhaltung der B. wird durch den ĺ„Regelmäßigen Bericht über die Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt“ überwacht. Bei Nichterfüllung der B. wird der Rat ermächtigt, geeignete Maßnahmen bis hin zur Einstellung der Zahlungen zu ergreifen (Art. 4 leg. cit.). Da die B. nicht durch übereinstimmenden Willen, sondern durch einseitige Dekretierung zu Stande kommen, ist die Bezeichnung als „Partnerschaft“ irreführend. Die B. für Zypern und Malta wurden auf Grundlage der auf der VO (EG) 622/98 aufbauenden VO (EG) 555/2000 beschlossen. Die B. für ĺKroatien stützt sich auf die VO (EG) 533/ 2004, jene für die ĺTürkei auf die VO (EG) 390/2001. (lo) §§: Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europ. Rat Luxemburg 12./13.12.1997; VO (EG) 622/98, ABl. 1998, Nr. L 85/1; VO (EG) 555/2000, ABl. 2000, Nr. L 68/3; VO (EG) 533/2004, ABl. 2004, Nr. L 86/1; VO (EG) 390/2001, ABl. 2001, Nr. L 58/1; B. mit Kroatien, Beschluss des Rates 2008/119/EG, ABl. 2008, Nr. L 42/ 51; B. mit der Türkei, Beschluss des Rates 2008/157/ EG, ABl. 2008, Nr. L 51
Beitrittsverfahren procedure for the accession – procédure d’adhésion
Der Art. 49 EU regelt die Grundzüge des B. Seine nähere Ausgestaltung obliegt dem Rat. Das Verfahren beginnt mit einem formfreien Antrag des beitrittswilligen Staates, der an den Rat zu richten ist. In der Folge verfasst die KOM eine – vertraglich nicht festgeschriebene – vorläufige Stellungnahme (sog. Avis), in der sie sich zur rechtlichen, ökonomischen und politischen Ausgangslage und zum (Nicht-)Vorliegen der ĺBeitrittsvoraussetzungen äußert. Hierbei ist festzuhalten, dass die Beitrittsvoraussetzungen nicht schon zum Zeitpunkt der Antragstellung vollständig erfüllt sein müssen: Grds. muss es nur als möglich erscheinen, dass allen Kriterien bis zum Beitritt entsprochen werden kann. Auf Grundlage der unverbindlichen Stellungnahme der Kommission (Art. 249 letzter Satz EG) entscheidet der Rat über die Eröffnung von ĺBeitrittsverhandlungen. Während der Beschluss 109
Beitrittsverhandlungen zur Aufnahme des Staates in die EU erst nach dem Vorliegen der Verhandlungsergebnisse getroffen werden kann, ist eine einstimmige Ablehnung des Antrages jederzeit möglich. Nach Abschluss der Verhandlungen ist der Rat gem. Art. 49 Abs. 1 EU verpflichtet, die endgültige Stellungnahme der Kommission einzuholen. Bevor der Rat über den Beitritt abstimmt, hat das EP seine Zustimmung mit absoluter Mehrheit zu erklären. Um dem Antrag stattzugeben, bedarf es der Einstimmigkeit im Rat. Erfolgt ein negativer Beschluss nicht einstimmig, bleibt der Antrag wirksam und kann als Grundlage für eine Wiedereröffnung der Verhandlungen dienen. Nach einem positiven Ratsentscheid schließen die MS und das ĺBewerberland einen völkerrechtlichen ĺBeitrittsvertrag. Dieser enthält die durch die Aufnahme erforderlich werdenden Anpassungen der Verträge, auf denen die Union beruht. Der Vertrag muss durch alle Vertragsstaaten gem. ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert werden (Art. 49 EU). Der ĺBeitritt erfolgt zum vereinbarten Zeitpunkt, wenn alle Ratifizierungsurkunden im Rahmen der festgelegten Frist beim Depositar einlangen (Art. 52 Abs. 1 EU). (lo) §§: Art. 49, 52 Abs. 1 EU; Art. 249 EG Lit.: D. Boos/J. Forman, Enlargement: Legal and Procedural Aspects, CML Rev. 1995, 95
Beitrittsverhandlungen accession negotiations – négociations d’adhésion
Der für das ĺBeitrittsverfahren einschlägige Art. 49 EU enthält keine nähere Bestimmung der B. Es bleibt daher den im Rat vertretenen MS überlassen, die B. näher auszugestalten. Während in den gescheiterten Verhandlungen mit Großbritannien (1961–1963) noch unmittelbar die MS – unterstützt durch die KOM – die Verhandlungen führten, übernahm der Rat in der sog. ĺNorderweiterung und den folgenden ĺErweiterungen die Führung der B. (Beschluss des Rates über das bei den Beitrittsverhandlungen anzuwendende Verfahren vom 9.6. 1970). Vor dem Beginn der B. beschließt der Rat den, durch die KOM vorgeschlagenen und den ĺAStV vorbereiteten, gemeinsamen Verhandlungsrahmen. Die KOM übt in den B. eine beratende Funktion aus und unterbreitet Vorschläge zum weiteren Verlauf (u.a. ĺRegelmäßiger Bericht über die Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt), kann aber auch – durch Ermächtigung des Rates – als Verhandlungsführerin auftreten. 110
Seit den Verhandlungen im Rahmen der ĺErweiterung um Finnland, Österreich und Schweden werden die B. zumeist im Rahmen von „bilateralen“ Regierungskonferenzen (bisherige MS und ein ĺBewerberland) vorangetrieben. Die im Rahmen der sog. Osterweiterung erhobene Forderung des EP in die B. involviert zu werden, wurde bisher nicht erfüllt. Die B. beginnen zumeist mit dem ĺScreening des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes, in dem dieser zur Vereinfachung und Strukturierung der Verhandlungen in rund 30 Kapitel unterteilt wird. Nach der Entscheidung, welche Bereiche geöffnet werden, legt der Beitrittskandidat ein sog. Positionspapier für jedes Kapitel vor, auf das die bisherigen MS mit einer Gemeinsamen Position antworten. In dieser Phase verlaufen die Verhandlungen zumeist auf Außenminister- und Beamtenebene (ĺAStV). Eine Verhandlungseinigung über einen Bereich bleibt bis zur Gesamteinigung auflösend bedingt. Die B. können jederzeit von beiden Seiten abgebrochen werden. Ein bestimmtes Abstimmungsquorum ist hierfür nicht vorgesehen. Neben der Übernahme und Umsetzung des Gemeinschaftlichen Besitzstandes sind Schutzklauseln, Einschleifregelungen, die kapitelbezogene Vereinbarung von ĺÜbergangsvorschriften und die entsprechenden „technischen“ Anpassungen der Verträge die weiteren Hauptgegenstände der der B. (s. bspw. ĺOsterweiterung). (lo) §§: Art. 49 EU Lit.: C. Vedder, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 17. Lfg. 2001, Art. 49 EUV, Rn. 30
Beitrittsvertrag Treaty of Accession – Traité d’adhésion
Der völkerrechtliche B. wird zwischen den bisherigen MS und dem ĺBewerberland bzw. den Bewerberländern geschlossen. Auch bei einem gleichzeitigen Beitritt mehrerer Staaten werden alle Bestimmungen zu einem einheitlichen B. zusammengefasst. Der B. ist ein gebündelter ĺBeitritt zu den Verträgen, auf denen die EU beruht (Art. 49 Abs. 2 EU; ĺEinheitlichkeit der Mitgliedschaft). Der B. ist Bestandteil des primären Gemeinschaftsrechts. Die Bestimmungen des B. halten fest, dass die ĺBeitrittsakte (welche die durch die Aufnahme erforderlich werdenden Anpassungen der Verträge beinhaltet und damit das Kernstück des B. darstellt) einen Bestandteil des B. bildet. Darüber hinaus finden sich im B. Bestimmungen über die Ra-
Beitrittsvorbereitung tifikation des Vertrages. Bedingung für das InKraft-Treten des B. ist die Ratifikation durch alle bisherigen MS und durch zumindest ein Bewerberland. Für den Fall der Nichtratifikation durch einen oder mehrere Beitrittswerber (bspw. ĺNorwegen, Beitrittsbemühungen) beinhaltet der B. die Möglichkeit zu seiner entsprechenden Anpassung des Vertrages durch einstimmigen Ratsbeschluss. (lo) §§: Beitrittsvertrag 1973, ABl. 27.3.1972, Nr. L 73.; Beitrittsvertrag 1981, ABl. 19.11.1979, Nr. L 291; Beitrittsvertrag 1986, ABl. 15.11.1985, Nr. L 302; Beitrittsvertrag 1995, ABl. 1.1.1995, Nr. L 1; Beitrittsvertrag 2004, ABl. 23.9.2003, Nr. L 236; Beitrittsvertrag 2007, ABl. 21.6.2005, Nr. L 157 Lit.: M. Ruffert/H.-J. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49 EUV, Rn. 5-7
Beitrittsvoraussetzungen conditions for accession – conditions d’adhésion
Die B. sind einerseits explizit primärrechtlich geregelt, andererseits aus den Zielen (Art. 2 EU; Art. 2,3 und 4 EG) und der Systematik der Verträge unter Berücksichtigung der interpretativen Schlussfolgerungen des ĺEurop. Rates ableitbar. Art. 49 EU hält fest, dass jeder ĺEuropäische Staat, der die in Art. 6 Abs. 1 EU genannten ĺGrundsätze der EU achtet, Mitglied der Union werden kann. Darüber hinaus haben die ĺBewerberländer die ĺKopenhagener Kriterien zu erfüllen. Diese unterteilen sich in drei Kriterien (Verfassungsstaatlichkeit, Binnenmarktfähigkeit, Acquis Kriterium) und den Gesichtspunkt der ĺAufnahmefähigkeit. Das Kriterium der Verfassungsstaatlichkeit und die ĺGrundsätze der Union sind weitestgehend deckungsgleich. Anlässlich der Einrichtung der ĺEuropakonferenz hat der Europ. Rat von Luxemburg (12./13.12.1997) die Achtung der Grundsätze des Völkerrechts und die Verpflichtung, territoriale Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln – insb. mit Hilfe des IGH – zu lösen, als weitere B. festgeschrieben. Die B. müssen sukzessive im Laufe der ĺBeitrittsverhandlungen erfüllt werden. Während rechtlich keiner B. ein Vorrang eingeräumt ist, hat sich in den letzten Erweiterungen unter den Gemeinschaftsorgane die Praxis herausgebildet, dass als Mindestvoraussetzung für die Eröffnung von ĺBeitrittsverhandlungen die Grundsätze der Union erfüllt werden müssen. Die B. definieren daher nicht nur die Beitrittsreife, sondern strukturieren gleichzeitig den Beitrittsprozess. (lo) §§: Art. 2, 6 und 49 EU; Art. 2,3 und 4 EG
Lit.: C. Pinelli, Conditionality and Enlargement in Light of EU Constitutional Developments, ELJ 2004, 355
Beitrittsvoraussetzungen, Justiziabilität der conditions for accession, justiciability of – conditions d’adhésion, justiciabilité
Die Konkretisierung der B. bzw. die Beurteilung ihrer Erfüllung obliegt dem Rat, dem EP und den jeweiligen MS (Art. 49 EU). Die einer gerichtlichen Kontrolle widersprechende, stark völkerrechtliche Komponente des ĺBeitrittsverfahrens wird u.a. dadurch deutlich, dass der ĺBeitrittsvertrag zwischen den MS und dem ĺBewerberland geschlossen wird und die EU selbst nicht Vertragspartnerin ist. Die B. stecken daher einen weiten rechtlichen Rahmen ab, der durch die entscheidenden Akteure des ĺBeitrittsverfahrens näher bestimmt werden muss. Eine generelle J. des materiellen Gehalts der Voraussetzungen bzw. ihrer (Nicht-) Erfüllung erscheint daher als Systemwidrigkeit. Dies bestätigt sich durch das Urteil in der Rs. 93/78 Mattheus/Doego, in dem der EuGH aussprach, dass das Primärecht „ein genaues und wohlabgegrenztes Verfahren“ zur Erarbeitung der rechtlichen Bedingungen des Beitritts zur Verfügung stelle und deren Inhalt nicht „vorweg unter Einschaltung der Gerichte“ festgelegt werden könne (Slg. 1978, 2204, Rn. 8). Aufgrund dessen ist die J. der B. nur nach Abschluss der ĺBeitrittsverhandlungen aus rechtsstaatlichen Erwägungen (Art. 5 EG; Art. 6 Abs. 1 EU) denkbar. Für eine gerichtliche Überprüfung kommen jedoch ausschließlich die für den Beitritt erforderlichen Beschlüsse des Rates und des EP als Handlungen von Gemeinschaftsorganen (gem. Art. 230 EG) in Frage. Der EuGH hat dabei den politischen Charakter der Beschlüsse zu berücksichtigen und nur hinsichtlich eines offensichtlichen Ermessenmissbrauches zu überprüfen. (lo) §§: Art. 6 Abs. 1, 49 EU; Art. 5, 230 EG Lit.: E. Šarčević, EU-Erweiterung nach Art. 49 EUV: Ermessensentscheidungen und Beitrittsrecht, EuR 2002, 461
Beitrittsvorbereitung pre-accession measures – mesures de préadhésion
Während bei den der sog. ĺOsterweiterung vorangegangen Erweiterungen (ĺErweiterungen, bisherige) der ĺBeitritt allenfalls durch eine ĺBeitrittsassoziierung (Griechenland) oder einen assoziationsähnlichen Vertrag (ĺEWR im Falle der ĺErweiterung um Finnland, Ös111
Bekanntmachung terreich und Schweden) vorbereitet wurde, schuf die Union mit der ĺHeranführungsstrategie für die ĺMOEL ein ganzes Set an Instrumenten zur B. Diese Instrumente sind großteils erhalten geblieben und stehen nun den potenziellen und aktuellen ĺBewerberländern zur Verfügung. (lo) Bekanntmachung notices – notification
Ein öffentlicher ĺAuftraggeber, der einen in den Anwendungsbereich der ĺVergabeRL fallenden öffentlichen ĺAuftrag vergeben will, hat dieses Vorhaben durch Veröffentlichung einer Bekanntmachung mitzuteilen. Bekanntmachungen dienen der Umsetzung des ĺTransparenzgebotes. Eine Bekanntmachung ist eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte eines Auftrags, die es den ĺWirtschaftsteilnehmern ermöglichen soll, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob der Auftrag für sie von Interesse ist. Neben der „Vorab-Bekanntmachung“ sehen die Vergabevorschriften auch eine nachträgliche Bekanntmachung der Ergebnisse eines ĺVergabeverfahrens vor. Auftraggeber haben für die Veröffentlichung von Bekanntmachungen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene vorgegebene Standardformulare zu verwenden, die von der EK in der VO (EG) 1564/2005 festgelegt worden sind. Auftraggeber können die Standardformulare auf der SIMAP-Homepage abrufen. Veröffentlicht werden die Bekanntmachungen im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, und zwar im TED (tenders electronic daily), wo sie von Wirtschaftsteilnehmern eingesehen werden können. (cm) §§: Art. 35 bis 37 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 440; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 229 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm; http://simap.europa.eu; http://ted.europa.eu
Benannte Stelle notified bodies – organismes notifiés
ĺTranseuropäische Netze, Interoperabilität Diese Stellen wurden durch die RL 96/48/EG und 2001/16/EG im Zusammenhang mit den transeuropäischen Eisenbahnsystemen geschaffen (ĺTranseuropäische[s] Netz[e], TEN). Nach beiden RL sind dies die Stellen, die damit betraut sind, die Konformität oder die Gebrauchstauglichkeit der Interoperabilitäts112
komponenten zu bewerten oder das EG-Prüfverfahren für Teilsysteme durchzuführen. Die ĺMS melden der ĺKommission und den anderen MS jene Stellen, die mit den Verfahren zur Bewertung der Konformität oder der Gebrauchstauglichkeit und dem Prüfverfahren beauftragt sind, und geben den Zuständigkeitsbereich jeder Stelle an. Die Kommission erteilt ihnen eine Kennummer und veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften die Liste dieser Stellen mit ihrer Kennnummer und mit Angabe ihrer Zuständigkeitsbereiche und hält diese Liste auf dem neuesten Stand. Bei der Beurteilung der zu meldenden Stellen sind von den MS die Kriterien im jeweiligen Anhang der RL anzuwenden. Diese Kriterien gelten als erfüllt, wenn die Stellen den Bewertungskriterien der einschlägigen Europäischen Normen entsprechen. Sind diese Voraussetzungen nicht mehr erfüllt, hat der MS einer solchen Stelle die Zulassung zu entziehen, wovon die Kommission und die übrigen MS unverzüglich zu unterrichten sind. (sm) Benutzungsgebühren user charges – droits d’usage
RL 99/62/EG. ĺWegekostenrichtlinie. Zeitabhängige Abgabe, die zu einer zeitlich limitierten Benutzung bestimmter Strecken berechtigen soll, ohne dass es gleichzeitig auf das Ausmaß der zurückgelegten Wegstrecken ankommt. (sm) Lit.: P. Mückenhausen, in: A. Frohnmeyer/ders. (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004, 16, Rn. 1 ff. (70 ff.)
Beratungsverfahren advisory procedure – procédure de consultation
Eine spezielle Form des Rechtsetzungsverfahrens im Bereich der europäischen ĺDurchführungsrechtsetzung. Die Rechtsakte werden nicht wie das sonstige ĺSekundärrecht durch den ĺRat bzw. durch Rat und ĺParlament gemeinsam in einem gem. Art. 250 bis 252 EG festgelegten Rechtsetzungsverfahren erlassen, sondern durch die ĺKommission unter Mitwirkung unterschiedlich zusammengesetzter Komitologieausschüsse (ĺKomitologie). Weitere Verfahren sind das ĺVerwaltungsverfahren und das ĺRegelungsverfahren. Der Ablauf richtet sich im Einzelnen nach dem ĺKomitologiebeschluss des Rates 1999/468/EG in der Fassung des Ratsbeschlusses 2006/512/EG, vgl. ĺKomitologie, Komitologieverfahren. (sk)
Berufsanerkennungsrichtlinie Berechtigte des freien Warenverkehrs free movement of goods: entitled persons – libre circulation des marchandises: destinataires
Jedermann kann sich auf die Normen der ĺWarenverkehrsfreiheit berufen, da diesbezüglich der EGV nicht an die Staatsanghörigkeit, sondern allein an die Eigenschaften der betroffenen ĺWare anknüpft (ĺGemeinschaftsware ĺWare im freien Verkehr). Die Staatsbürgerschaft des Eigentümers der Waren ist somit unerheblich. (rp) §§: Art. 23 ff. EG Lit.: W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 222 f.; P. Oliver/ M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 2.24
Die Ausnahme in Bezug auf Bestimmungen über Rechte und Interessen der Arbeitnehmer umfasst nicht Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsumelt i.S.d. Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer, sondern vielmehr Bestimmungen arbeits- und sozialrechtlichen Charakters (somit insb. Teilzeitarbeit, betriebliche Mitbestimmung u.d.gl.). (cb) §§: Art. 95 Abs. 2 EG Lit.: H. G. Fischer, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 95 EGV, Rn. 7 f.; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 95 EGV, Rn. 6
Berichtigungsrecht right to rectification – droit à rectification
Bereichsausnahme ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Bereichsausnahme; ĺNiederlassungsfreiheit Bereichsausnahmen (Binnenmarkt bzw. Rechtsangleichung) exceptions to legislative alignment (Single European Market) – exceptions au rapprochement des législation (Marché Intérieur)
Die Bestimmungen über die Steuern, über die Freizügigkeit sowie über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer sind von der Kompetenz zur ĺRechtsangleichung im ĺBinnenmarkt ausgenommen (Art. 95 Abs. 2 EG). Im Bereich der Steuern ist zwischen direkten und indirekten Steuern zu differenzieren. Für indirekte Steuern bildet Art. 93 EG die abschließende Rechtsgrundlage. Die Kompetenzgrundlage für direkte Steuern bildet hingegen Art. 94 EG (ĺRechtsangleichung Gemeinsamer Markt). Vom Begriff der Freizügigkeit im Sinne der Ausnahme sind nur jene Maßnahmen umfasst, die nicht dem Anwendungsbereich einer lex specialis der Art. 40, Art. 44, Art. 46 Abs. 2, Art. 47 Abs. 2, Art. 52 Art. 55 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 und Art. 47 Abs. 2, zuzuordnen sind, da diese ohnehin der allgemeinen Harmonisierungskompetenz nach Art. 95 EG vorgehen ĺRechtsangleichung (Binnenmarkt). Art. 95 Abs. 2 EG betrifft somit nur jene Rechtsakte, die abseits der genannten Regelungen dazu angetan sind, den freien Personenverkehr in der EG zu vereinfachen (vgl. etwa RL 2004/38/EG des EP und des Rates vom 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten i.d.F. ABl. 2004, Nr. L 229/35).
Gem. Art. 12 lit. b der RL 95/46/EG (ĺDatenschutzrichtlinie) hat jede ĺbetroffene Person ein Recht darauf, dass sie betreffende unrichtige ĺDaten vom ĺVerantwortlichen für die Verarbeitung der Daten berichtigt werden. (al) §§: Art. 12 lit. b RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/ 31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 197; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 185
Berlin-plus ĺNATO Berufliche Anerkennung ĺDiplomanerkennung Berufsanerkennungsrichtlinie professional qualifications recognition directive – directive relative à la reconnaissance des qualifications professionelles
Die B. ist bis zum 20.10.2007 umzusetzen. Zu diesem Zeitpunkt treten mehrere sektorale RL, die die Anerkennung von ĺQualifikationsnachweisen regeln, außer Kraft (Art. 62 B.). Gegenstand der B. ist es, ein System der Anerkennung von Berufsqualifikationen zu schaffen, um so Mobilitätshindernisse im Binnenmarkt, die insbesondere die ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, die ĺNiederlassungsfreiheit und die ĺDienstleistungsfreiheit betreffen, zu beseitigen. Im Gegensatz zum bisherigen sektoralen Ansatz der berufsbezogenen RL folgt sie einem umfassenden Ansatz, ohne diesen aber zur Gänze umsetzen zu können. Die Regelungsgehalte der bislang in Kraft befindlichen RL werden mit Modifikationen in das System der B. überführt. Innerhalb der B. wird zwischen jenen Berei113
Berufsanerkennungsrichtlinie chen, in denen bislang sektorale Regelungen bestanden, und den bisher nicht sekundärrechtlich geregelten Bereichen unterschieden. Auch finden sich unterschiedliche Regelungen für die Erbringung von ĺDienstleistungen (Art. 5 ff.) und für die ĺNiederlassung (Art. 10 ff.). Art. 3 Abs. 1 lit. a B. definiert reglementierte Berufe als Tätigkeiten, bei denen die Aufnahme oder Ausübung direkt oder indirekt durch Verwaltungsvorschriften an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist. Dies umfasst auch das Führen einer Berufsbezeichnung, wenn sie auf Personen beschränkt ist, die über eine bestimmte Berufsqualifikation verfügen. Für diese reglementierten Berufe legt Art. 11 näher umschriebene Qualifikationsniveaus fest. Die ĺDienstleistungsfreiheit darf bei reglementierten Berufen nicht aufgrund der Berufsqualifikation eingeschränkt werden (Art. 5 Abs. 1), wenn der Dienstleister zur Ausübung eines Berufs rechtmäßig in einem MS niedergelassen ist und er diesen Beruf während der letzten zehn Jahre mindestens zwei Jahre im Niederlassungsmitgliedstaat ausgeübt hat, wenn der Beruf dort nicht reglementiert ist. Eine Überprüfung der ĺGleichwertigkeit der Qualifikation findet somit im Gegensatz zu den Regelungen über die Niederlassungsfreiheit nicht statt. Ob im Vergleich zwischen im Niederlassungsstaat und im Ausübungsstaat ausgeübtem Beruf derselbe Beruf vorliegt, ergibt sich nach Art. 4 Abs. 2 daraus, dass die umfassten Tätigkeiten vergleichbar sind. Erstmals finden sich über das in Art. 50 EG enthaltende Kriterium der ĺvorübergehenden Ausübung der Tätigkeit hinausgehende Beurteilungskriterien für die Abgrenzung zwischen Dienstleistung und Niederlassung, die im Wesentlichen die bisherige Rsp. des EuGH positiviert: Art. 5 Abs. 2 stellt auf die vorübergehende und gelegentliche Ausübung ab, wobei der vorübergehende und gelegentliche Charakter einer Tätigkeit anhand von Dauer, Häufigkeit, regelmäßiger Wiederkehr und Kontinuität der Dienstleistung beurteilt wird. Die Dienstleistung muss nach Art. 5 Abs. 3 entsprechend den im Aufnahmestaat geltenden berufsständischen, gesetzlichen oder Verwaltungsregeln erbracht werden (ĺBestimmungslandprinzip). Eine Mitgliedschaft in Berufsvereinigungen ist hingegen nicht zwingend vorgesehen. Allerdings kann eine vorübergehende pro forma-Mitgliedschaften vorgesehen werden (Art. 6). Eine Verpflichtung zur Mitgliedschaft 114
in Sozialversicherungseinrichtungen besteht hingegen nicht. Es besteht nur eine Meldepflicht gegenüber einer vom MS zu bezeichnenden Behörde, wobei diese Meldung einmal im Jahr erneuert werden muss (Art. 7). Hinsichtlich der Berufsbezeichnung ist die des Niederlassungsmitgliedstaats zu führen, wobei die Bezeichnung in der Sprache des Niederlassungsstaats verwendet werden muss. Ausnahme davon sind die Berufe, die bisher durch sektorale RL geregelt wurden. Hier darf auch die Berufsbezeichnung des Aufnahmemitgliedstaats geführt werden. Auch Verfahren der Verwaltungszusammenarbeit und Unterrichtungspflichten des Dienstleistungsempfängers sind in einigen Fällen vorgesehen. In den Regelungen über die Niederlassung werden drei Anerkennungsmodalitäten unterschieden, denen verschiedene Berufe zugeordnet sind. Wo die Anforderungen an die Ausbildung auf Gemeinschaftsebene bereits durch sektorale RL harmonisiert wurden und diese Berufe im Anhang V genannt werden, gilt der Grundsatz der automatischen Anerkennung. Bei einer zweiten Gruppe vor allem aus den Bereichen von Industrie, Handel und Handwerk erfolgt keine Mindestharmonierung, zumal in diesen Bereichen innerhalb der MS sehr unterschiedliche Berufszugangsregeln bestehen. Vielmehr findet hier eine Anerkennung von Berufserfahrung statt. Je nach Tätigkeit ergibt sich aus den Anhängen das Erfordernis von drei bis sechs Jahren Berufserfahrung in einem anderen MS, um im „neuen“ MS zugelassen werden zu können. Wenn eine Tätigkeit keinem der geregelten Berufe zugeordnet werden kann oder eine Berufsqualifikation nicht den Anforderungen gerecht wird, sieht Art. 13 ein Verfahren für die Anerkennung von Befähigungs- und Ausbildungsnachweisen vor, das auf einer Unterteilung der Berufe in bestimmte Niveaus – je nach höchster abgeschlossener Ausbildung – beruht. Auch können die MS Ausgleichsmaßnahmen wie etwa Anpassungslehrgänge und Eignungsprüfungen vorsehen, wenn eine deutliche Unterschreitung des erforderlichen Niveaus vorliegt. Auch für die Niederlassung ist ein Anerkennungsverfahren vor nationalen Kontaktstellen vorgesehen. Dauerhaft niedergelassen Tätige unterfallen denselben Regeln wie andere im betreffenden Mitgliedstaat tätige Unionsbürger (ĺBestimmungslandsprinzip). Sonderregeln können sich
Beschäftigungsbeihilfen allenfalls aus der ĺDienstleistungsRL ergeben. (sh) §§: RL 2005/36/EG des EP und des Rates vom 7.9. 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, ABl. 2005, Nr. L 255/22 Lit.: W. Kluth; in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 52 EGV Rn. 62 ff.; W. Kluth/F. Rieger, Die neue EU-Berufsanerkennungsrichtlinie, EuZW 2005, 486
Berufsfreiheit ĺGrundrecht auf Berufsfreiheit Berufsqualifikationsrichtlinie ĺBerufsanerkennungsRL Berufszugang, Güter- und Personenkraftverkehrsunternehmer admission to occupation, road haulage operator and road passenger transport operator – accès à la profession de transporteur de marchandises et de transporteur de voyageurs par route
Regelungen des Berufszugangs für Kraftverkehrsunternehmen erfolgen über die Formulierung ĺsubjektiver Marktzugangsbedingungen. Die entsprechenden Bestimmungen sind für den Beruf des Kraftverkehrsunternehmers in der RL 96/26/EG enthalten. Diese zielt nicht auf eine vollständige ĺHarmonisierung, sondern überlagert das mitgliedstaatliche Recht nur insoweit, als die Funktionsfähigkeit des Verkehrsmarktes die Vereinheitlichung der Berufungszugangsregeln erfordert. Die RL gilt grundsätzlich für alle Straßenverkehrsunternehmen, unabhängig davon, ob sie im gewerblichen Personen- oder im Güterverkehr tätig sind. Der sachliche Anwendungsbereich knüpft an die verwendeten Fahrzeugtypen, d.h. die Beförderungen entweder mit Kraftomnibussen oder mit Kfz über 3,5 Tonnen, an. Materielle Voraussetzungen für die Zulassung werden in Art. 3 RL 96/26/EG aufgestellt. Es bedarf der kumulativen Erfüllung dreier Voraussetzungen, nämlich der ƒ Zuverlässigkeit des Antragstellers: diese wird negativ insofern definiert, wann die mitgliedstaatlichen Genehmigungsbehörden von der Unzuverlässigkeit des Antragstellers auszugehen haben (obligatorische Versagungsgründe in Fällen schwerer Rechtsverstöße). Ansonsten ist es Sache der Mitgliedstaaten, die einzelnen Kriterien festzulegen; ƒ fachliche Eignung des Antragstellers: der Antragsteller muss über ausreichende Kenntnisse in den Sachgebieten verfügen, die gem. An-
hang I für die Beförderung im internationalen und/oder innerstaatlichen Verkehr erforderlich sind. Der Eignungsnachweis wird mittels obligatorischer schriftlicher Prüfung erbracht. Es fehlen Hinweise über die Ausgestaltung der Ausbildungs- und Prüfungsmodalitäten; diese sind weitgehend dem nationalen Gesetzgeber überlassen; ƒ finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers: der Bewerber hat bestimmte Mindestkriterien im Hinblick auf die für seinen Beruf erforderlichen Finanzmittel zu erfüllen (maßgeblich ist deren Verfügbarkeit, d.h. die Fähigkeit, die laufenden Verbindlichkeiten durch Eigen- oder Fremdkapital zu decken). Das erforderliche Mindestvolumen an Eigenkapital ist vom Umfang des Wagenparks abhängig. Diese Regelung ist abschließend; weitere mitgliedstaatliche Voraussetzungen sind unzulässig. Zudem enthält die RL Mindestanforderungen für das Verwaltungsverfahren zur Genehmigungserteilung sowie Vorschriften betreffend die gemeinschaftsweite Verwendbarkeit der im Niederlassungsstaat ausgestellten Diplome und Bescheinigungen. (sm) Berufungsgremium Appellate Body (AB) – Organe d’appel
Das Berufungsgremium der WTO wurde 1995 eingerichtet. Es ist – im Gegensatz zu den WTO-Panels – ein ständiges Gremium bestehend aus sieben Mitgliedern. Gem. Art. 17 des Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes (DSU) gehört es zu seinen Aufgaben, über Berufungen zu entscheiden, die von WTO-Mitgliedern gegen Panelberichte eingelegt wurden. Das Berufungsgremium ist zuständig dafür, das rechtliche Ergebnis des Panels entweder aufrecht zu erhalten, zu verwerfen oder abzuändern. Die Berichte des Berufungsgremium sind, nachdem sie vom Streitbeilegungsgremium (Dispute Settlement Body (DSB) angenommen worden sind, bindend für die beteiligten Streitparteien. Das Berufungsgremium hat seinen Sitz in Genf. (bh) §§: Art. 17 des Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes (DSU)
Beschäftigungsbeihilfen employment aid – aides d’État à l’emploi
Die FreistellungsVO für Beschäftigungsbeihilfen (VO [EG] 2204/2002, ABl. 2002, Nr. L 337/ 115
Beschaffungsstelle, zentrale 3) erfasst Beihilferegelungen und Beihilfen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, zur Einstellung benachteiligter oder behinderter Arbeitnehmer und zur Deckung von Mehrkosten für die Beschäftigung Behinderter. Maßnahmen im Bereich des Kohleberg- und Schiffbaus sowie des Verkehrssektors hinsichtlich der Schaffung neuer Arbeitsplätze werden nicht vom Anwendungsbereich der VO erfasst. Auch hier dürfen wie bei den anderen ĺGruppenfreistellungsVO bestimmte Beihilfeintensitäten nicht überschritten werden. In Art. 9 der FreistellungsVO für Beschäftigungsbeihilfen werden die Ausnahmen von der Freistellung (z.B. Beihilfen mit einem Gesamtvolumen von mehr als 15 Mio. innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren) angeführt. Diese Beihilfen müssen weiterhin notifiziert werden. (jr) §§: Art. 88 Abs. 3, Art. 89 EG Lit.: R. Repplinger-Hach, in: M. Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2003, § 23 Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:32002R2204:DE:HTML
Beschaffungsstelle, zentrale central purchasing body – centrale d’achat
Mit dem Begriff zentrale Beschaffungsstelle wird im Bereich des ĺVergaberechts ein öffentlicher ĺAuftraggeber bezeichnet, der für (andere) öffentliche Auftraggeber bestimmte Bauleistungen, Waren und/oder Dienstleistungen erwirbt oder öffentliche ĺAufträge vergibt bzw. ĺRahmenvereinbarungen abschließt. Private Einrichtungen können gem. der Definition keine zentralen Beschaffungsstellen sein. Weiters ist erforderlich, dass eine zentrale Beschaffungsstelle die genannten Aufgaben regelmäßig (auf eine gewisse Dauer) ausübt. Da die Auftragsvergabe über eine zentrale Beschaffungsstelle nach Ansicht der KOM zur Verbesserung des Wettbewerbs und zu einer Rationalisierung des öffentlichen ĺAuftragswesens beiträgt, wurde sie durch die ĺVergabeRL in folgender Weise privilegiert: Wenn öffentliche Auftraggeber Bauleistungen, Waren und/oder Dienstleistungen durch eine zentrale Beschaffungsstelle erwerben, wird vermutet, dass der öffentliche Auftraggeber die maßgeblichen Vergabevorschriften eingehalten hat, wenn die zentrale Beschaffungsstelle ihrerseits die Vergabevorschriften eingehalten hat. Ein Erwerb von Leistungen „durch“ eine zentrale Beschaffungsstelle kann auf zweierlei Arten erfolgen: 116
1. Die zentrale Beschaffungsstelle erwirbt Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung und veräußert diese danach an einen öffentlichen Auftraggeber weiter. 2. Die zentrale Beschaffungsstelle vergibt einen Auftrag in fremdem Namen und auf fremde Rechnung (und zwar im Namen und auf Rechnung des jeweils beauftragenden öffentlichen Auftraggebers). In beiden Fällen erfolgt die eigentliche Beschaffung durch den öffentlichen Auftraggeber somit unter Zwischenschaltung eines Dritten (der zentralen Beschaffungsstelle) und wird dadurch in zwei Teilschritte aufgeteilt. Die Vergabevorschriften müssen in beiden Fallkonstellationen nur im Verhältnis zwischen der zentralen Beschaffungsstelle und dem die Leistung erbringenden ĺWirtschaftsteilnehmer eingehalten werden, nicht hingegen im Verhältnis zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und der zentralen Beschaffungsstelle; für diese Leistungsbeziehung greift die oben angeführte Vermutung der Einhaltung der Vergabevorschriften. (cm) §§: Art. 1 Abs. 10 VergabeRL, Art. 11 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 400; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 172 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Beschaffungswesen, öffentliches ĺAuftragswesen, öffentliches Bescheinigung (freier Warenverkehr) certificate (free movement of goods) – attestation (libre circulation des marchandises)
Die Verpflichtung des Importeurs bestimmte Bescheinigungen oder Zertifikate bei der ĺEinfuhr einer ĺWare vorzulegen. Der wesentliche Unterschied zur ĺEinfuhrlizenz besteht darin, dass die Bescheinigung vom exportierenden ĺMitgliedstaat oder einer anderen öffentlichen oder privaten Autorität außerhalb des importierenden Mitgliedstaats ausgestellt wird. Eine solche Verpflichtung kann einen Verstoß gegen Art. 28 EG darstellen, unabhängig davon, ob es sich um einen Herkunfts- oder Echtheitsnachweis oder um eine Bescheinigung der Hygiene- oder Veterinärbehörden handelt (s.a. ĺVeterinärkontrolle). Eine Rechtfertigung nach Art. 30 EG, z.B. Schutz von Leben und Gesundheit, ist jedoch möglich (s.a. ĺDassonville-Entscheidung, ĺRechtfertigungsgründe). (güh) Lit.: P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 7.05
Beschlüsse Web: GD Binnenmarkt, Leitfaden zum Konzept und zur praktischen Anwendung der Art. 28-30 EG-Vertrag, 2000, http://ec.europa.eu/enterprise/regulation/ goods/docs/art2830/guideart2830_de.pdf
Beschleunigtes Verfahren, EuGH ĺEuGH, beschleunigtes Verfahren Beschluss (Kartellrecht) decision (competition law) – décision (droit de la concurrence)
Neben ĺVereinbarungen und ĺabgestimmten Verhaltensweisen untersagt Art. 81 Abs. 1 EG auch Beschlüsse von ĺUnternehmensvereinigungen. Als Beschluss i.S.d. Art. 81 Abs. 1 EG gelten alle Akte, mit denen eine ĺUnternehmensvereinigung ihren Willen bildet. Diese weite Definition wird der Funktion des Merkmals gerecht, denn es soll eine Umgehung des Merkmals der ĺVereinbarung verhindern. ĺUnternehmen sollen nicht in übergeordneten Einheiten („Verbänden“) wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen verabreden und als quasiverbindlich kaschieren können. Als typische Beschlüsse von ĺUnternehmensvereinigungen können etwa verbindliche Empfehlungen eines Industrieverbandes angesehen werden. (jpt) §§: Art. 81 Abs. 1 EG Lit.: J. P. Terhechte, Grundzüge des materiellen Kartellrechts, in: J. P. Terhechte (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 2008, § 3, Rn. 3.47; V. Emmerich, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 1, Art. 81 Abs. 1, Rn. 87 f.
Beschlüsse decisions – décisions
Der Beschluss ist eine Handlungsform des Unions- und Gemeinschaftsrechts, die in der Praxis der Organe ohne ausdrückliche Grundlage in den Verträgen entwickelt wurde. Beschlüsse beinhalten verbindliche Festlegungen für die Gesamtheit der ĺOrgane und Einrichtungen der EU/EG, ohne den ĺMitgliedstaaten oder den Bürgern Verpflichtungen aufzuerlegen. Die Wahrnehmung als eigenständige Handlungsform wurde dadurch lange erschwert, dass von den derzeit 23 ĺAmtssprachen nur Dänisch, Deutsch, Niederländisch und Slowenisch zwischen „Beschluss“ und „Entscheidung“ differenzieren. In allen sprachlichen Fassungen können Beschlüsse und Entscheidungen daran erkannt werden, dass ĺEntscheidungen stets einen spezifischen Adressaten benennen, Beschlüsse hingegen nicht. Bei den Beratungen in
Brüssel behilft man sich mit der Bezeichnung „la décision-Beschluss“ oder „la décision atypique“. Beschlüsse sind aber nicht in dem Sinne atypisch, dass die Nutzung dieser Handlungsform ungewöhnlich oder ihre rechtliche Verbindlichkeit zweifelhaft wäre. Beschlüsse werden von den regulären Rechtsetzungsorganen (ĺParlament, ĺRat und ĺKommission) sowie von weiteren, punktuell mit Rechtsetzungsbefugnissen ausgestatteten Einrichtungen (z.B. der ĺEZB) erlassen. Jede dieser Stellen benötigt eine spezifische Rechtsgrundlage, die auch das anzuwendende Erlassverfahren festlegt (ĺPrinzip der begrenzten Ermächtigung). Beschlüsse bedürfen für ihr Inkrafttreten keiner Veröffentlichung, mit Ausnahme der im ĺMitentscheidungsverfahren angenommenen Beschlüsse, die in analoger Anwendung von Art. 254 I EG veröffentlichungsbedürftig sind. In der Praxis werden Beschlüsse im ĺAmtsblatt der EU in der Reihe L (Rechtsvorschriften) veröffentlicht (ĺVeröffentlichung der Rechtsakte). Da Beschlüsse keinen spezifischen Adressaten haben, sind sie in allen sprachlichen Fassungen gleichermaßen authentisch. Als verbindliche Rechtsakte unterliegen Beschlüsse in entsprechender Anwendung von Art. 253 EG einer Begründungspflicht (ĺBegründung der Rechtsakte). Der Bedarf für die Entwicklung einer solchen in den Verträgen nicht vorgesehenen Handlungsform ergibt sich aus dem Vergleich mit den Handlungsformen des Gemeinschaftsrechts, die in Art. 249 EG vorgesehen sind. Anders als ĺRichtlinien und Entscheidungen sind Beschlüsse nicht an einen spezifischen Adressaten gerichtet, den sie gezielt berechtigen oder verpflichten. Anders als Richtlinien (und ĺRahmenbeschlüsse) sind Beschlüsse auch nicht umsetzungsbedürftig, verlangen also nicht nach einer zweiten Rechtsetzungsstufe auf mitgliedstaatlicher Ebene. Anders als ĺVerordnungen sind Beschlüsse nicht unmittelbar anwendbar, sind also keine unmittelbare Quelle von Rechten und Pflichten, die die mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichte durchzusetzen bzw. zu schützen haben. Anders als ĺEmpfehlungen und ĺStellungnahmen sind Beschlüsse jedoch verbindliche Rechtsakte, die die Organe und Einrichtungen der EU/EG strikt zu beachten haben. Beschlüsse verfügen damit über ein eigenständiges rechtliches Profil, das sie zu einer sinnvollen Ergänzung der Trias der verbindlichen Handlungsformen des Art. 249 EG macht. Die besondere Fähigkeit eines Beschlusses besteht darin, verbindliche Festlegungen mit ei117
Beschränkungsverbot (allgemeines Freizügigkeitsrecht) ner Schonung mitgliedstaatlicher Autonomie und privater Rechtsgüter zu kombinieren. In der Rechtsprechung sind Beschlüsse seit den 1980er Jahren als reguläre Rechtsetzungsinstrumente anerkannt. Zu nennen ist hier etwa das Erasmus-Urteil, mit dem der ĺEuGH den Typus des Förderprogrammbeschlusses im Bildungsbereich billigte und die Mitgliedstaaten in der Loyalitätspflicht sah, bei dessen Verwirklichung mitzuwirken. Im grundlegenden Urteil über den Dokumentenzugang stellte der Gerichtshof fest, dass die entsprechenden Beschlüsse von Rat und Kommission den Zugang suchenden Bürgern ein individuelles Recht gewähren, das sie vor den Gemeinschaftsgerichten einklagen können (ĺRecht auf Dokumentenzugang, nunmehr Art. 255 EG). Für das institutionelle Gleichgewicht von großer Bedeutung ist das Urteil zum sog. Komitologiebeschluss des Rates nach Art. 202 EG, der auch für Rat und Parlament als Mitentscheidungsgesetzgeber verbindlich ist (ĺKomitologie). Die Individualanfechtung von Beschlüssen ist nach den allgemeinen Regeln zulässig, wenn sie den Kläger unmittelbar und individuell betreffen (ĺIndividualnichtigkeitsklage). Aufgrund der Eigenart von Beschlüssen, keine privatgerichteten Verpflichtungen aufzuerlegen, kommen hierfür vor allem Konkurrentenklagen gegen Ernennungs-Beschlüsse und gegen Beschlüsse über die Einstellung von Untersuchungsverfahren in Frage. In der Praxis gehört der Beschluss zu den am häufigsten genutzten Handlungsformen; im geltenden Recht finden sich ebenso viele publizierte Beschlüsse wie Richtlinien. Die Hauptanwendungsfelder liegen im Bereich des Organisationsrechts (für Ernennungen, die Einrichtung von Ausschüssen, die Festlegung von Geschäftsordnungen usw.) und in Sachbereichen, in denen die EU/EG nur über Förderkompetenzen verfügt, aber keine Harmonisierung mitgliedstaatlichen Rechts vornehmen darf. Zahlreiche Beschlüsse über Förderprogramme dienen als Rechtsgrundlage für die Vergabe von Subventionen aus dem Gemeinschaftshaushalt. Darüber hinaus ist der Beschluss die Standardhandlungsform, mit der der Rat ein externes völkerrechtliches Abkommen, das die Kommission ausgehandelt hat, annimmt. Für das EGEigenverwaltungsrecht von Bedeutung sind Beschlüsse der Kommission, die ein ĺAntidumping- oder Antisubventionsverfahren förmlich abschließen, ohne eine handelspolitische Schutzmaßnahme zu ergreifen. 118
Keine Beschlüsse im hier gemeinten Sinne sind Beschlüsse nach Art. 34 II lit. c EU-Vertrag, die ebenso wie ĺRahmenbeschlüsse eine besondere Handlungsform des unter dem EU-Vertrag erlassenen Rechts darstellen. Diese EU-Beschlüsse sind nach ihrer vertraglichen Definition nicht unmittelbar wirksam, legen aber den Mitgliedstaaten typischerweise gezielt Verpflichtungen auf. (jb) §§: Anhang VI, Teil B der Geschäftsordnung des Rates (2006/683/EG, Euratom) Lit.: J. Bast, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU, 2006, 109 ff.; S. Lefevre, Les actes communautaires atypiques, 2006; J.-L. Dewost, Décisions des institutions en vue du développement des compétences et des instruments juridiques, in: R. Bieber/G. Ress (Hrsg.), Die Dynamik des Gemeinschaftsrechts, 1987, 321, 327 f. Rsp.: EuGH, Rs. 270/80 Polydor, Slg. 1982, 329; Rs. 297/86 CIDA u.a./Rat, Slg. 1988, 3531; Rs. 187/85 Fediol/Kommission, Slg. 1988, 4155; Rs. 165/87 Kommission/Rat, Slg. 1988, 5545; Rs. 242/87 Kommission/ Rat, Slg. 1989, 1425, Rn. 11, 19; Rs. C-58/94 Niederlande/Rat, Slg. 1996, I-2169, Rn. 38; Rs. C-378/00 Kommission/Parlament und Rat, Slg. 2003, I-937; Rs. C-11/00 Kommission/EZB, Slg. 2003, I-7147; Rs. T382/94 Confindustria u.a./Rat, Slg. 1996, II-519; Rs. T-305/94 u.a. Limburgse Vinyl Maatschappij u.a./Kommission, Slg. 1999, II-931, Rn. 286; Rs. T-188/99 Euroalliages/Kommission, Slg. 2001, II-1757
Beschränkungsverbot (allgemeines Freizügigkeitsrecht) ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines, Beschränkungsverbot Beschränkungsverbot (Arbeitnehmerfreizügigkeit) ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Beschränkungsverbot Beschränkungsverbot (freier Warenverkehr) general prohibition an restrictions (free movement of goods) – entraves (à la libre circulation)
Seit der ĺDassonville-Entscheidung (1974) schützt Art. 28 EG nicht nur vor ĺDiskriminierungen (freier Warenverkehr) sondern auch vor Beschränkungen des ĺfreien Warenverkehrs. Dies ist aus der ĺDassonville-Formel ablesbar. Nach Dassonville wäre jede staatliche Maßnahme, die in irgendeiner Form den Warenhandel zwischen den Mitgliedstaaten negativ beeinflussen könnte, als gemeinschaftsrechtswidrige ĺMaßnahme gleicher Wirkung zu qualifizieren. Ob die Maßnahme ausländische Waren gegenüber inländischen Waren diskriminiert, spielt nach Dassonville hingegen keine Rolle. Dieser Grundsatz wurde in der ĺCassis
Beschuldigtenrechte im Strafverfahren, Rahmenbeschlussentwurf über de Dijon-Entscheidung (1979) bestätigt. Auch hier lag der Beeinträchtigung des Art. 28 EG eine Beschränkung und keine Diskriminierung zugrunde. Der ĺEuGH hat jedoch in der ĺKeck-Entscheidung (1993) die sehr weit reichende Dassonville-Formel wieder eingeschränkt und hinsichtlich von für in- und ausländische Erzeugnisse unterschiedslos geltenden Maßnahmen zwischen produktbezogegen Modalitäten (ĺProduktvorschriften) und Verkaufsmodalitäten (ĺVerkaufsvorschriften) unterschieden. Nach der ĺKeck-Formel sind staatliche Produktvorschriften, die den Warenhandel zwischen den Mitgliedstaaten negativ beeinträchtigen könnten, weiterhin per se von Art. 28 EG erfasst. Ob sie diskriminierender Natur sind oder nicht, ist irrelevant. Hingegen sind Verkaufsmodalitäten regelnde Vorschriften nach der Keck-Formel nicht mehr als Maßnahmen gleicher Wirkung zu werten, vorausgesetzt sie berühren den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen ĺMitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise. Für Verkaufsmodalitäten ist daher grundsätzlich nicht das Beschränkungsverbot, sondern bloß das Diskriminierungsverbot heranzuziehen (ĺVerkaufsvorschriften, ĺProduktvorschriften). Ausnahmsweise gibt es aber auch Konstellationen, in denen das Beschränkungsverbot sehr wohl für Verkaufsvorschriften einschlägig sein kann. So sah der ĺEuGH etwa in einem nicht diskriminierenden, d.h. unterschiedslos auf inländische wie ausländische Erzeugnisse anwendbaren Werbeverbot für alkoholische Getränke eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 28 EG (vgl. ĺGourmet International-Entscheidung). Dies begründete er damit, dass im konkreten Fall das unterschiedlos anwendbare Werbeverbot den Marktzutritt der ausländischen Produkte stärker belaste als den der inländischen. (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 71 ff.; P. Oliver/S. Enchelmaier, Free movement of goods: Recent developments in the case law, CML Rev. 2007, 649 (671 ff.) Rsp.: EuGH, Rs. 8/74 Dassonville, Slg. 1974, 837 (ĺDassonville-Entscheidung); EuGH, Rs. 120/78 Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649 (ĺCassis de Dijon-Entscheidung); EuGH, verb. Rs. C-267 und 268/91 Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097 (ĺKeck-Entscheidung); EuGH, Rs. C-405/98 Gourmet International, Slg. 2001, I-1795 (ĺGourmet International-Entscheidung)
Beschränkungsverbot (Kapitalverkehrsfreiheit) ĺKapitalverkehrsfreiheit, Eingriff
Beschränkungsverbot (Niederlassungsfreiheit) ĺNiederlassungsfreiheit, Beschränkungsverbot Beschuldigtenrechte im Strafverfahren, Rahmenbeschlussentwurf über proposal for a framework decision on certain procedural rights in criminal proceedings throughout the European Union – proposition de décision-cadre relative à certains droits procéduraux accordés dans le cadre des procédures pénales dans l’Union européenne
Mindestrechte des Beschuldigten im Strafverfahren sind der ĺEuropäischen Menschenrechtskonvention sowie der ĺCharta der Grundrechte der Europäischen Union zu entnehmen. Überdies sollen, zurückgehend auf einen entsprechenden Vorschlag der ĺKommission aus 2004, in einem ĺRahmenbeschluss geregelt werden. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der) erfordert ein gegenseitiges Vertrauen in die Rechtsordnungen der anderen ĺMitgliedstaaten. Zur Stärkung dieses Vertrauens wird eine Mindestharmonisierung der Beschuldigtenrechte im Strafverfahren angestrebt. Diese umfasst insbesondere ƒ das Recht, in näher definierten Fällen so rasch wie möglich und während des gesamten Verfahrens einen (unter bestimmten Voraussetzungen unentgeltlichen) Rechtsbeistand zu erlangen, ƒ die Beiziehung eines (Sprach-, ggf. auch Gebärden-)Dolmetschers sowie die Übersetzung aller maßgeblichen Dokumente, ƒ eine Audio- oder Videoaufzeichnung des Verfahrens im Falle der Beiziehung eines Dolmetschers, ƒ besondere Aufmerksamkeit bzw. Unterstützung für Personen, die aufgrund ihres Alters, ihrer mentalen, psychischen oder emotionalen Verfassung das Verfahren nicht verstehen oder ihm nicht folgen können, ƒ ein Recht auf Kommunikation des Verdächtigen zu Familie und Arbeitsstelle sowie bei Ausländern darüber hinaus zur Konsularbehörde ihres Herkunftsstaates sowie ƒ das Recht auf schriftliche Mitteilung ihrer maßgeblichen Verfahrensrechte. Angesichts der weitgehend repressiven Rechtsakte der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen soll durch diesen Rahmenbeschluss ein notwendiger Mindeststandard der Beschuldigtenrechte sichergestellt werden. Insbesondere über die notwendige Rechtsgrundlage, das Verhältnis der Regelungen zur 119
Beschwerde beim Bürgerbeauftragten ĺEMRK und die umstrittene Frage von Ausnahmen für schwere und komplexe Kriminalität konnte jedoch bislang nicht das nach Art. 34 EU notwendige allseitige Einvernehmen zwischen den Mitgliedstaaten hergestellt werden. (sts) §§: Ratsdok. 9600/06; KOM(2004) 328 endg. Lit.: B. Rudolf/L. Giese, Ein EU-Rahmenbeschluss über die Rechte der Beschuldigten im Strafverfahren?, ZRP 2007, 113
Beschwerde beim Bürgerbeauftragten complaint to the European Ombudsman – plainte au mediateur européen
Die Erfolgsaussichten einer Beschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten lassen sich grob anhand des folgenden Schemas überprüfen: I. Beschwerdebefugnis Beschwerdebefugt ist gem. Art. 195 Abs. 1 EG jede natürliche Person, die entweder ĺUnionsbürger ist, oder ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Union hat. Juristische Personen sind beschwerdebefugt, sofern sie ihren satzungsmäßigen Sitz in einem EU Mitgliedstaat haben. II. Kein Bezug zu einem Gerichtsverfahren Des weiteren darf sich die Beschwerde gem. Art. 195 Abs. 1 EG und Art. 1 Abs. 3 der Regelungen und allgemeine Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten (Regelungen) nicht mit einem schwebenden Gerichtsverfahren befassen oder die Rechtmäßigkeit einer gerichtlichen Entscheidung in Frage stellen, d.h. der ĺEuropäische Gerichtshof und das Gericht erster Instanz (ĺEuG) unterliegen nicht der Kontrollbefugnis des Bürgerbeauftragten. III. Person des Beschwerdeführers Weiterhin muss gem. Art. 2 Abs. 3 Regelungen die Person des Beschwerdeführers erkennbar sein. IV. Beschwerdegegenstand Der Gegenstand der Beschwerde muss erkennbar sein. Dies ergibt sich ebenfalls aus Art. 2 Abs. 3 Regelungen. Inhaltlich muss der Beschwerdeführer ĺMissstände bei der Tätigkeit eines ĺOrgans oder einer Institution der Gemeinschaften nach dem EG oder im Rahmen der ĺPJZS einschließlich der Arbeit von ĺEUROPOL rügen. V. Frist Die Frist für die Beschwerde beträgt gem. Art. 2 Abs. 4 Regelungen zwei Jahre seit Kenntnis des, die Beschwerde legitimierenden Sachverhaltes. 120
VI. Form Eine vorgeschriebene Form ist nicht bekannt. Es empfiehlt sich jedoch, vom offiziellen Vordruck des Europäischen Bürgerbeauftragten bzw. dem elektronischen Beschwerdeformular Gebrauch zu machen. Der Antrag kann entweder direkt beim Bürgerbeauftragten gestellt werden, oder beim ĺEuropäischen Parlament, das ihn dann weiterleitet. Zulässig sind alle ĺAmtssprachen. VII. Verwaltungsweg (Subsidiarität) Vor einer Beschwerde muss der Verwaltungsrechtsweg erschöpft sein. Dies gilt insbesondere für Beamte und Bedienstete der Gemeinschaft, die erst alle internen Möglichkeiten ausschöpfen müssen, Art. 2 Abs. 8 Regelungen. Eine unmittelbare Betroffenheit ist indes nicht erforderlich, d.h. auch Popularbeschwerden und sogar Sammelbeschwerden sind zulässig. VIII. Begründetheit Die Beschwerde ist begründet, wenn der Beschwerdeführer einen Missstand in der Tätigkeit eines Organs oder einer Institution der Gemeinschaft geltend machen kann. IX. Unterrichtung Der Bürgerbeauftragte unterrichtet den Beschwerdeführer über den Ausgang des Verfahrens (Art. 195 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 4 EG) und zwar in derselben Sprache, in der auch der Antrag gestellt wurde. Beachte: Einen Anspruch auf eine Untersuchung gibt es nicht. (fg) §§: Regelungen und allgemeine Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten, ABl. 4.5.1994, Nr. L 113 Lit.: P. M. Huber, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 195 EGV; M. Haag, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2004 Web: http://ombudsman.europa.eu/home/de/default. htm
Beschwerdekammer board of appeal – chambre de recours
Ist eine ĺGemeinschaftsagentur mit Entscheidungsbefugnis ausgestattet und können deren Entscheidungen Dritte potenziell in ihren Rechten beeinträchtigen, so werden in der jeweiligen Agentur Beschwerdekammern eingerichtet. Beim ĺHarmonisierungsamt für den Binnenmarkt, dem ĺGemeinschaftlichen Sortenamt und bei der ĺEuropäischen Agentur für Flugsicherheit sowie dem ĺEuropäischen Amt für chemische Stoffe (1 Widerspruchskammer) ist dies der Fall. Die internen Kammern haben
Bestechung und Bestechlichkeit im privaten Sektor, strafrechtliche Bekämpfung der die Aufgabe auf Antrag eines Betroffenen die Entscheidung der Agentur unabhängig vom ĺDirektor zu prüfen. Die Entscheidung der Kammer über die Beschwerde kann dann wiederum vor dem ĺEuGH angefochten werden. (gr) §§: Mitteilung der Kommission über die Rahmenbedingungen für die europäischen Regulierungsagenturen, KOM(2002) 718 endg., 12 Lit.: D. Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, 314
Besetzung composition of a court – composition du tribunal
ĺEuGH, Organisation Besondere Diskriminierungsverbote ĺDiskriminierungsverbote, besondere Besondere spaltbare Stoffe (Euratom) special fissile materials (Euratom) – matières fissiles spéciales (Euratom)
Gem. der Legaldefinition des Art. 197 Z. 1 ĺEAGV sind dies Plutonium 239, Uran 233 und mit Uran 235 oder 233 angereichertes Uran (vgl. Art. 197 Z. 2) sowie jedes Erzeugnis, in dem eines oder mehrere dieser Isotope enthalten sind, darüber hinaus auch sonstige durch den ĺRat bestimmte spaltbare Stoffe. ĺAusgangsstoffe i.S.d. Art. 197 Z. 3 fallen jedoch in keinem Fall unter diese Bestimmung. Die besonderen spaltbaren Stoffe stehen gem. Art. 86 im Eigentum der ĺEAG, wobei die ĺEuratom-Versorgungsagentur darüber ein besonderes Konto führt (Art. 88 f.). Zugleich wird den ĺMS, Personen oder Unternehmen, die ordnungsgemäß in ihren Besitz gelangt sind, ein unbeschränktes Nutzungs- und Verbrauchsrecht eingeräumt, soweit dem nicht Verpflichtungen aus dem EAGV entgegen stehen, v.a. bez. der ĺSicherheitsüberwachung, des Bezugsrechtes der Versorgungsagentur oder des ĺGesundheitsschutzes (Art. 87). (atm) Lit.: R. Lukes, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, Energierecht, M Rn. 41 f.
Besonderer Ministerrat Special Council of Ministers – Conseil special des ministres
Organ des ĺEGKS. Seit dem Amsterdamer Vertrag in Rat umbenannt. EGKS am 23.7.2002 ausgelaufen. (gm) Lit.: R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 260
Bessere Rechtsetzung ĺKommission, bessere Rechtsetzung Bestbieterprinzip ĺZuschlag Bestechung und Bestechlichkeit im privaten Sektor, strafrechtliche Bekämpfung der corruption in the private sector, combating – corruption dans le secteur privé, lutte contre la
Der Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor ist Teil der umfassenden Maßnahmen der EU zur Korruptionsbekämpfung im Rahmen der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (ĺBestechung und Bestechlichkeit, strafrechtliche Bekämpfung der). Gem. Art. 29 Abs. 2 EU wird sie im Wege einer engeren Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden und der Annäherung der Strafvorschriften verfolgt; letztere mit dem Rahmenbeschluss 2003/568/ JI zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor. Der ĺRahmenbeschluss ƒ stellt Mindestvorschriften für die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen auf, deren vorsätzliche Begehung durch das mitgliedstaatliche Recht unter Strafe zu stellen ist (Art. 2). Erfasst sind über den Titel des Rahmenbeschlusses hinaus sowohl die aktive als auch die passive Korruption im geschäftlichen Verkehr, bei der einer für ein privates Unternehmen tätigen Person ein Vorteil für sich oder einem Dritten versprochen, angeboten oder gewährt wird oder diese einen solchen Vorteil fordert, annimmt oder sich versprechen lässt, damit diese Person unter Verletzung ihrer Pflichten eine Handlung vornimmt oder unterlässt. Unter Strafe zu stellen sind auch Anstiftung und Beihilfe zu solchen Handlungen (Art. 3); ƒ verlangt wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen (Art. 4) (ĺMindesttrias der Sanktionen). Die Strafandrohung für die vorsätzliche Täterschaft muss im Höchstmaß mindestens ein bis drei Jahre Freiheitsstrafe betragen (sog. Mindesthöchststrafe). Als Täterschaft i.S.d. Rahmenbeschlusses ist dabei sowohl ein unmittelbar eigenes Handeln als auch ein Handeln über einen Mittelsmann anzusehen. Sicherzustellen ist auch, dass diesen Tätern gegebenenfalls – zumindest dann, wenn sie im Rahmen der betreffenden Geschäftstätigkeit in einem Unternehmen eine 121
Bestechung und Bestechlichkeit, strafrechtliche Bekämpfung Führungsposition inne hatten – bei eindeutigem Wiederholungsrisiko diese oder eine vergleichbare Geschäftstätigkeit in ähnlicher Position oder Eigenschaft vorübergehend untersagt werden kann; ƒ setzt Vorgaben für die Verantwortlichkeit einer juristischen Person (Art. 5), für die ebenfalls wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verlangt werden (Art. 6). Voraussetzung ist eine zu Gunsten der jP begangene Straftat i.S.d. Art. 2 und 3 des RB. Eine Verantwortlichkeit der jP kann entweder durch Zurechnung des Verhaltens eines Entscheidungsträgers oder durch Organisationsverschulden begründet werden. Bei Verantwortlichkeit aufgrund der Zurechnung des eigenen Verhaltens einer vertretungs-, entscheidungs- oder kontrollbefugten Person sind strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Geldsanktionen vorzusehen; darüber hinaus können andere Sanktionen bis hin zur richterlich angeordneten Auflösung vorgesehen werden. Bei Verantwortlichkeit aufgrund mangelnder Überwachung und Kontrolle der juristischen Person unterstellter Personen durch eine vertretungs-, entscheidungs- oder kontrollbefugte Person sind wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen gefordert. Konkrete Vorgaben hierfür sind aber nicht enthalten. ƒ macht Vorgaben für das Strafanwendungsrecht (Art. 7). Der Rahmenbeschluss war vor dem 22.7.2005 durch die Mitgliedstaaten umzusetzen. Insbesondere seine primärvertraglich festgelegte Zielverbindlichkeit, aus der eine Verpflichtung zur Umsetzung resultiert, unterscheidet den Rahmenbeschluss von der Gemeinsamen Maßnahme 98/742/JI vom 22.12.1998 betreffend die Bestechung im privaten Sektor, welche die Mitgliedstaaten lediglich zur Erarbeitung und Prüfung geeigneter Durchführungsmaßnahmen verpflichtete und die durch den Rahmenbeschluss aufgehoben wurde. Die Bekämpfung der Korruption war eingebettet in das ĺTampere-Programm(Pkt. 48). Die Forderung nach Strafbarkeit der Korruption im privaten Sektor steht im Einklang entsprechenden Regelungen des vom Europarat 1997 beschlossenen Strafrechtsübereinkommens zur Bekämpfung der Korruption. (sts) §§: Rahmenbeschluss 2003/568/JI des Rates vom 22.7.2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor, ABl. 2003, Nr. L 192/54; Gemeinsame Maßnahme 98/742/JI vom 22.12.1998 – vom Rat auf-
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grund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – betreffend die Bestechung im privaten Sektor, ABl. 1998, Nr. L 358/2 Lit.: B. Hecker, Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. 2007, § 11, Rn. 108 ff.
Bestechung und Bestechlichkeit, strafrechtliche Bekämpfung corruption, combating – corruption, lutte contre la
Teil der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Gem. Art. 29 Abs. 2 EU wird sie im Wege einer engeren Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden und der Annäherung der Strafvorschriften verfolgt. 1. Ausgangspunkt: Ausgangspunkt der Mindestharmonisierung des materiellen Korruptionsstrafrechts der Mitgliedstaaten war das Streben um ĺSchutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften u.a. durch die Bekämpfung der Bestechlichkeit und Bestechung von nationalen und Gemeinschaftsbeamten sowie gleichzustellenden Personen, die mit der Gefahr der Schädigung dieser finanziellen Interessen verbunden ist (ĺBestechungsprotokoll [1996] in Ergänzung des ĺÜbereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften [1995]). 2. Korruption im öffentlichen Sektor: Mit dem Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, wird über die Korruption zu Lasten der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften hinaus eine umfassende Mindestharmonisierung der Strafbarkeit der Korruption im öffentlichen Sektor angestrebt [ĺBestechungsübereinkommen (1997)]. Mangels Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten ist dieses Übereinkommen bislang nicht in Kraft getreten. 3. Korruption im privaten Sektor: Darüber hinaus ist auch eine Mindestharmonisierung der Straftatbestände zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor erfolgt (ĺBestechung und Bestechlichkeit im privaten Sektor, strafrechtliche Bekämpfung der). (sts) Bestechungsprotokoll (1996) Protocol on combating corruption (1996) – Protocole de la lutte contre la corruption (1996)
Das erste Zusatzprotokoll zum ĺÜbereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (1995) unter-
Bestechungsübereinkommen (1997) stützt dessen Ziel durch teilweise Mindestharmonisierung des materiellen Korruptionsstrafrechts der Mitgliedstaaten. Es ist ebenfalls in der Rechtsform eines Übereinkommens abgeschlossen worden und zielt auf eine Annäherung der Strafvorschriften der Mitgliedstaaten ab. Das Zusatzprotokoll verlangt insbesondere ƒ Mindestvorschriften für die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen, deren vorsätzliche Begehung durch das mitgliedstaatliche Recht unter Strafe zu stellen ist. Erfasst sind sowohl die passive Bestechlichkeit (Art. 2) als auch die aktive Bestechung (Art. 3) eines Beamten, bei der diesem ein Vorteil für sich oder einem Dritten versprochen, angeboten oder gewährt wird oder diese einen solchen Vorteil fordert, annimmt oder sich versprechen lässt, damit der Beamte unter Verletzung seiner Dienstpflichten eine Handlung vornimmt oder unterlässt, wodurch die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften geschädigt werden oder geschädigt werden können. Zu erfassen sind sowohl Gemeinschafts- als auch nationale Beamte des eigenen und der anderen Mitgliedstaaten (Art. 1). Der Begriff des Gemeinschaftsbeamten ist dabei nicht auf Beamte im formellen Sinne beschränkt, sondern in einem umfassenden Sinne zu verstehen. Der Begriff des nationalen Beamten richtet sich jeweils nach dem Beamten- und Amtsträgerbegriff des Strafrechts der Mitgliedstaaten. Unter Strafe zu stellen sind auch Anstiftung und Beihilfe (Art. 5); ƒ wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen, die zumindest in schweren Fällen auch Freiheitsstrafen umfassen, die zu einer Auslieferung führen können (Art. 5); ƒ Vorgaben für eine strafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit bei Tatbegehung zum Vorteil eines Unternehmens durch Verweis (Art. 7) auf Art. 3 des ĺÜbereinkommens zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (1995). Eine Verantwortlichkeit der juristischen Person selbst wird durch das bislang nicht in Kraft getretene Zweite Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (1995) (ĺGeldwäscheprotokoll [1996]) angeordnet; ƒ Vorgaben für das Strafanwendungsrecht (Art. 6); ƒ Anweisungen zur Erstreckung der nationalen Strafvorschriften (ĺAssimilierung von Straf-
tatbeständen). Dies gilt grundsätzlich für Straftatbestände zur Bestechung und Bestechlichkeit von Ministern, Parlamentariern, Mitgliedern oberster Gerichte und des Rechnungshofs auf die Mitglieder der Europäischen ĺKommission, des ĺEuropäischen Parlaments, des Europäischen ĺGerichtshofs und des Europäischen ĺRechnungshofs. Weiter wird eine Assimilierung der Straftatbestände, die Betrugshandlungen i.S.d. ĺÜbereinkommens zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (1995) durch nationale Beamte erfassen, auf Gemeinschaftsbeamte angeordnet. Das Bestechungsprotokoll ist gemeinsam mit dem ĺÜbereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (1995) am 17.10.2002 in Kraft getreten. (sts) §§: Protokoll aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sowie Erklärungen der Mitgliedstaaten bei der Annahme des Rechtsaktes über die Fertigstellung des Protokolls, ABl. 1996, Nr. C 313/2
Bestechungsübereinkommen (1997) Convention on combating corruption (1997) – La convention de la lutte contre la corruption (1997)
Mit dem Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, wird eine umfassende Mindestharmonisierung der Strafbarkeit der Korruption im öffentlichen Sektor angestrebt. Die mit ihm verfolgten Ziele stehen im Einklang mit dem OECD-Übereinkommen zur Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 17.12.1997. Damit geht das Bestechungsübereinkommen über das ĺBestechungsprotokoll (1996), welches nur die Korruption zu Lasten der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften erfasst, hinaus. Es setzt bei im Übrigen vergleichbaren Regelungsgehalt nicht mehr voraus, dass durch die unter Verletzung seiner Dienstpflichten vorgenommene Handlung des Beamten die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften geschädigt werden oder geschädigt werden können. Neben diesen Mindestvorschriften für die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen der Korruption im öffentlichen 123
Bestehende Beihilfe Sektor werden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen (ĺMindesttrias der Sanktionen) sowie die strafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit vorgeschrieben. Eine Verantwortlichkeit der juristischen Person als solcher wird hingegen nicht statuiert; auch die im ĺGeldwäscheprotokoll (1997) enthaltene entsprechende Vorschrift ist – anders als beim Bestechungsprotokoll (1996) – nicht einschlägig. Das Bestechungsübereinkommen (1997) ist mangels Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten bislang nicht in Kraft getreten. (sts) §§: Übereinkommen aufgrund von Art. K.3 Abs. 2 lit. c des Vertrags über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, ABl. 1997, Nr. C 195/2
Bestehende Beihilfe existing aid – aide existante
Unter bestehenden Beihilfen (Altbeihilfen) versteht Art. 1 lit. b ĺVO (EG) 659/1999: ƒ jene Beihilfen, die bereits vor Inkrafttreten des Vertrages (1.1.1958) bestanden haben (für bestimmte jüngere Mitgliedstaaten, u.a. auch für Österreich, bestehen Sonderregelungen in den Beitrittsverträgen) oder ƒ zu einem späteren Zeitpunkt von einem Gemeinschaftsorgan genehmigt worden sind. ƒ Hat die ĺKommission die Zweimonatsfrist im Rahmen der ĺvorläufigen Prüfung verstreichen lassen, gelten die ihr notifizierten Beihilfen als bestehend. ƒ Ebenfalls werden jene Beihilfen, bei denen die Rückforderungsfrist von 10 Jahren abgelaufen ist und ƒ Maßnahmen, die zum Zeitpunkt ihrer Einführung nicht als Beihilfen zu qualifizieren waren, aber aufgrund der Entwicklung des Marktes zu Beihilfen geworden sind, als Altbeihilfen angesehen (dies gilt nicht für Regelungen, die nach einer Liberalisierung auf Gemeinschaftsebene mit den Beihilfevorschriften unvereinbar sind). Für Altbeihilferegelungen ist ein gesondertes Verfahren vorgesehen (ĺVerfahren bei bestehenden Beihlferegelungen). (jr) §§: Art. 88 Abs. 1 EG; Art. 1 lit. b VO (EG) 659/1999, ABl. 1999, Nr. L 83/1
Bestimmte Unternehmen (Beihilfenrecht) ĺSelektivität 124
Bestimmungslandprinzip destination principle – principe de destination
Das Bestimmungslandsprinzip gilt beim innergemeinschaftlichen Umsatz (somit der ĺinnergemeinschaftlichen Lieferung und dem ĺinnergemeinschaftlichen Erwerb) zwischen Unternehmern sowie generell im Falle einer ĺAusfuhr ins Drittland bzw. ĺEinfuhr aus dem Drittland. Demnach unterliegt der Umsatz grds. in dem Land der Besteuerung, in dem der empfangende Unternehmer seinen Sitz hat, somit in jenem Land, in welches der Gegenstand eingeführt wurde. Unternehmer, welche somit Lieferungen aus einem anderen EU-Mitgliedstaat erhalten, haben in ihrem (Import-) Land einen ĺinnergemeinschaftlichen Erwerb zu versteuern und hiefür die ĺErwerbssteuer abzuführen. Korrespondierend dazu, ist eine ĺinnergemeinschaftliche Lieferung, welche zu einem innergemeinschaftlichen Erwerb führt, im Ursprungsland (echt) steuerbefreit. Systematisch ident verhält es sich im Falle der Ausfuhr bzw. der Einfuhr. Eine Ausfuhrlieferung eines Gegenstandes in das Drittland ist unter den entsprechenden Voraussetzungen echt steuerbefreit (der Umsatz wird im Drittland besteuert). Wird ein Gegenstand hingegen aus dem Drittland in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt, so unterlag dieser Umsatz im Drittland keiner Besteuerung, weshalb eine steuerpflichtige Einfuhr vorliegt und der Empfänger des Gegenstandes entsprechend eine ĺEinfuhrumsatzsteuer abzuführen hat. Die rechtstechnische Systematik hinter dem Bestimmungslandprinzip wird als (steuerlicher) ĺGrenzausgleich bezeichnet. (pu) Bestimmungslandprinzip (freier Warenverkehr) principle of the country of destination (free movement of goods) – principe du pays de destination (libre circulation des marchandises)
Das in der ĺCassis de Dijon-Entscheidung anerkannte Bestimmungslandprinzip besagt, dass sich eingeführte Waren den Vorschriften (ĺVerkaufsvorschriften ĺProduktvorschriften) des Vermarktungsstaates unterwerfen müssen. Dieser Grundsatz gilt jedoch dann nicht, wenn die jeweilige nationale Vorschrift als eine ĺMaßnahme gleicher Wirkung gem. Art. 28 EG zu werten ist und überdies nicht gerechtfertigt (ĺRechtfertigungsgründe für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen) werden kann. In so einem Fall
Betriebskostenzuschüsse gilt hinsichtlich der Produktmodalitäten aufgrund des in der Cassis de Dijon-Entscheidung anerkannten ĺPrinzips der gegenseitigen Anerkennung das ĺHerkunftslandprinzip. (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28-30 EGV, Rn. 45 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 120/78 Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649 (ĺCassis de Dijon-Entscheidung)
eröffnen, genügt nach der Rsp. des EuG und des EuGH die Eigenschaft als Beteiligter, um die Wahrung der Verfahrensgarantien durch die Erhebung einer Nichtigkeitsklage geltend zu machen. (jr) §§: Art. 88 Abs. 2 und 3 EG, Art. 1 lit. h VO (EG) 659/1999, ABl. 1999, Nr. L 83/1 Rsp.: EuGH, Rs. C-78/039 KOM/Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum, Slg. 2005, I-10737
Betriebsbeihilfen Betätigungsfreiheit, wirtschaftliche
operating aid – aides au fonctionnement
freedom to choose an occupation, to conduct a business – liberté professionelle, d’entreprise
Durch Betriebsbeihilfen werden die laufenden Tätigkeiten eines bestimmten Unternehmens gefördert. Betriebsbeihilfen senken die laufenden Ausgaben (Betriebskosten) eines Unternehmens und werden i.d.R. durch Steuerermäßigungen oder sonstige Abgabenbefreiungen gewährt. Die Kommission betrachtet Betriebsbeihilfen kritisch, da sie nach der Rsp. des EUGH stets zu einer ĺWettbewerbsverfälschung führen und selten geeignet sind, Ziel und Zweck der Ausnahmetatbstände des Art. 87 Abs. 2 und 3 EG zu verwirklichen. (jr)
S.a. ĺGrundrecht auf Berufsfreiheit, ĺunternehmerische Freiheit. Vom EuGH anerkanntes ĺGemeinschaftsgrundrecht. Hat keine Entsprechung in der ĺEMRK. (ed) §§: Art. 15 f. GRC
Beteiligte im Beihilfeverfahren interested party – parties intéressées
Art. 1 lit. h VO (EG) 659/1999 sieht als Beteiligte vor: Andere Mitgliedstaaten als der betroffene Mitgliedstaat, Personen, Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, deren Interessen aufgrund der Gewährung einer Beihilfe beeinträchtigt sein können, insbesondere der Beihilfeempfänger, Wettbewerber und Berufsverbände. Auch Bundesländer oder Kommunen, die Beihilfen gewähren, sind nicht ĺParteien sondern Beteiligte des ĺVerfahrens. Die Beteiligten haben das Recht im Rahmen des ĺformellen Prüfverfahrens Stellungnahmen zu einer geplanten Maßnahme abzugeben. Im ĺvorläufigen Prüfungsverfahren steht ihnen dieses Anhörungsrecht nicht zu. Jeder Beteiligte, der eine Stellungnahme im Rahmen des formellen Prüfungsverfahrens abgegeben hat, sowie der Beihilfeempfänger erhalten eine Ausfertigung einer Entscheidung zum Abschluss des Verfahrens. Ebenso erhalten Beteiligte, die eine Mitteilung an die Kommission gerichtet haben, eine Kopie einer allfälligen Kommissionsentscheidung. Schließlich kann jeder Beteiligte die Zusendung einer Kopie einer Kommissionsentscheidung beantragen (Art. 20 ĺVO [EG] 659/1999). Erklärt die Kommission eine Beihilfe nach Art. 88 Abs. 3 EG für mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, ohne das ĺformelle Prüfverfahren zu
§§: Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: T. Jestaedt/N. Schelling, Regionalbeihilfen im Binnenmarkt, EWS 1999, 1 ff.
Betriebserlaubnis ĺFahrzeug-Typgenehmigung, EG-Typengenehmigung Betriebskostenzuschüsse support for bodies active at European level in the field of culture – aide financière en matière de frais d’exploitation
Im Rahmen des Programms Kultur2000 erfolgende finanzielle Unterstützung von Einrichtungen, deren Ziele im Bereich Kultur von allgemeinem europäischem Interesse oder Teil der Kulturpolitik der EU sind. Voraussetzungen der Förderung sind 1. eine „echte europäische Dimension“, 2. dass die Einrichtung Mitglieder, Partner oder Mitarbeiter aus mindestens sieben verschiedenen Ländern hat oder Maßnahmen in mindestens sieben verschiedenen Ländern durchführt und 3. dass die Einrichtung seit mindestens zwei Jahren besteht. Für Betriebskostenzuschüsse dieser Art stehen im Jahr 2007 voraussichtlich 4,8 Mio. Euro zur Verfügung. Besonderheit dieser Betriebskostenzuschüsse ist, dass eine derartige Kulturförderung erst ab 125
Betriebspflicht dem Jahr 2007 erfolgt. Zuvor fand ausschließlich eine Projektförderung statt. (cd) Web: http://www.bibliotheksportal.de/hauptmenue/ themen/foerdermoeglichkeiten/eu/programme/kulturbrrahmenprogramm/
Betriebspflicht ĺVerpflichtungen des öffentlichen Dienstes Betriebsprämie, einheitliche single payment scheme – regime de paiement unique
Entkoppelte betriebsbezogene Beihilfe (ĺDirektzahlungen) an einen landwirtschaftlichen Betrieb. Die Einheitliche Betriebsprämie ersetzt ab 2006 viele von im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik, insbesondere im Rahmen oder in Bezug auf ĺGemeinsamen Marktorganisationen, gewährten Direktzahlungen entweder vollkommen oder teilweise. Bedingung für die Gewährung der Einheitlichen Betriebsprämie ist vor allem die Einhaltung von Grundanforderungen in der Betriebsführung in den Bereichen Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanzen, Umwelt und Tierschutz (ĺCross Compliance) Die Betriebsprämie wird in Form von Zahlungsansprüchen in Euro je Hektar ausgedrückt. Zahlungsansprüche können grundsätzlich gehandelt werden. Die Höhe der Zahlungsansprüche und damit die Höhe der einheitlichen Betriebsprämie ergibt sich in der allgemeine Durchführung auf Grundlage von Referenzbeträgen, die ein Betrieb für Direktzahlungen in der Vergangenheit erhalten hat, im Falle der regionalen Anwendung: auf Grundlage regionalisierter Hektarzahlungen, die nach objektiven Kriterien auf die Regionen und dann auf die Betriebsinhaber aufgeteilt werden. In der Praxis gibt es um abrupte soziale Verwerfungen zu vermeiden Misch- und Übergangssysteme. (all) §§: VO (EG) 1782/2003 Direktzahlungen, ABl. 2003, Nr. L 270/1 Lit.: F. Anhammer, Marktordnungsrecht, in: R. Norer (Hrsg.), Handbuch des Agrarrechts, 2005, 78; A. Leidwein, Europäisches Agrarrecht, 2004
Betriebssicherheit von Nuklearanlagen ĺNukleare Sicherheit Betroffene Person data subject – personne concernée
Der Ausdruck „betroffene Person“ findet sich im europäischen Datenschutzrecht wieder. Die 126
ĺDatenschutzrichtlinie versteht darunter jede natürliche Person, deren ĺDaten verwendet wird. Sie hat ein Recht auf Auskunft (ĺAuskunftsrecht), Berichtigung (ĺBerichtigungsrecht) und gegebenenfalls Löschung (ĺLöschung von Daten) oder Sperrung (ĺSperren von Daten) bezüglich der sie betreffenden verwendeten Daten. (al) §§: Art. 4 lit. a RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 73
Betrugsbekämpfung combating fraud – la lutte anti-fraud
Die Betrugsbekämpfung gehört zum Kernbereich des ĺSchutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften. Sie ist gemeinsame Aufgabe der Gemeinschaften und der Mitgliedstaaten. Einbezogen sind sowohl strafrechtliche (ĺÜbereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften [1995]) als auch Verwaltungssanktionen (ĺSanktionsverordnung). Institutionell ist seitens der Europäischen Gemeinschaften das ĺEuropäische Amt zur Betrugsbekämpfung (OLAF) eingerichtet worden. (sts) Lit.: G. Dannecker, Das Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften – Zur Umsetzung der im Jahre 1994 verabschiedeten Betrugsbekämpfungsstrategie der Europäischen Kommission, in: R. Leitner (Hrsg.), Finanzstrafrecht. Aktualisierte Beiträge der Finanzstrafrechtlichen Tagungen, 1996–2002, 2006, 895 ff.
Bewährungsstrafen ĺEuropäische Überwachungsanordnung, Rahmenbeschlussentwurf Bewegungsrecht ĺAufenthaltsrecht Beweisanordnung, europäische ĺEuropäische Beweisanordnung Beweisaufnahme ĺEuropäische Beweisaufnahmeverordnung (EuBewVO) Beweislastrichtlinie ĺDiskriminierung, Beweislastrichtlinie Beweismittel, strafjustizielle Zusammenarbeit ĺEuropäische Beweisanordnung, Rahmenbeschlussentwurf über eine
Bezeichnungsverbot (freier Warenverkehr) Bewerber candidate – candidat
Bewerber im Sinn des ĺVergaberechts ist ein ĺWirtschaftsteilnehmer, der sich um die Teilnahme an einem ĺnichtoffenen Verfahren, einem ĺVerhandlungsverfahren oder einem ĺwettbewerblichen Dialog durch die Stellung eines Teilnahmeantrages beworben hat. (cm) §§: Art. 1 Abs. 8 VergabeRL Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Bewerberland candidate country – pays candidat à l’adhésion
Der Art. 49 EU (ĺBeitrittsverfahren) sieht keine innere Differenzierung der Beitrittswerber vor. In der Praxis der Gemeinschaftsorgane und des ĺEurop. Rat hat sich jedoch eine begriffliche Abstufung jener Staaten herausgebildet, die einen Beitritt zur EU anstreben. Schon vor der Antragstellung stellt die Union manchen Staaten einen Beitritt in Aussicht und bezeichnet diese als „potenzielle“ B. (derzeit die sog. Länder des ĺWestlichen Balkans). Nach einem positiven ĺAvis der KOM zu einem Beitrittsantrag (ĺBeitrittsverfahren) beschließt der Europ. Rat allenfalls dem antragstellenden Staat den Status eines B. (oft auch als Beitrittskandidat bezeichnet) zuzuerkennen. Damit ist die Entscheidung zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen nicht zwingend verbunden. Derzeit sind ĺKroatien, die ĺTürkei und die ehem. jugoslawische Republik Mazedonien, mit der jedoch noch keine Beitrittsverhandlungen aufgenommen wurden, die aktuellen B. der EU. (lo) Bewerbungsfrist ĺTeilnahmefrist Bewertungsbericht (Gentechnik) assessment report (genetic engineering) – rapport d’évaluation (génie génétique)
Soll innerhalb der ĺEuropäischen Union ein neuer ĺgenetisch veränderter Organismus in Verkehr gebracht werden (ĺInverkehrbringen), so muss entsprechend den Vorgaben durch die RL 2001/18/EG (ĺFreisetzungsrichtlinie) die Zustimmung der zuständigen nationalen Behörde (ĺnationale Zulassungsbehörde) eingeholt werden. Bevor diese Zustimmung erteilt werden kann, hat der ĺAnmelder den neuen genetisch veränderten Organismus anzumelden
(ĺAnmeldeverfahren) und die nationale Behörde einen Bericht zu erstellen, der Basis für das weitere Zulassungsverfahren ist. Dieser Bericht wird als „Bewertungsbericht“ bezeichnet. Gem. Anhang VI der Freisetzungsrichtlinie hat der Bewertungsbericht zumindest folgende Informationen zu enthalten: ƒ Angaben zu den Eigenschaften des Empfängerorganismus, die für die Bewertung der jeweiligen GVO wesentlich sind sowie ƒ Angaben zu bekannten Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die sich aus der Freisetzung des unveränderten Empfängerorganismus ergeben, ƒ die Beschreibung des Ergebnisses der genetischen Veränderung in dem veränderten Organismus, ƒ die Bewertung, ob die genetische Veränderung im Hinblick auf die Beurteilung der Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt hinreichend dargestellt wurde, ƒ eine Auflistung jeglicher neuer Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die sich aus der Freisetzung des jeweiligen genetisch veränderten Organismus im Vergleich zur Freisetzung des entsprechenden unveränderten Organismus ergeben können und schließlich ƒ eine Schlussfolgerung, ob und unter welchen Bedingungen der fragliche genetisch veränderte Organismus als Produkt oder in Produkten in Verkehr gebracht werden kann, ob der fragliche genetisch geänderte Organismus nicht in Verkehr gebracht werden darf oder ob die Stellungnahmen anderer zuständiger Behörden und der Kommission zu bestimmten Aspekten der Umweltverträglichkeitsprüfung eingeholt werden sollen. Die Behörde hat zur Erstellung des Berichtes 90 Tage ab Eingang der Anmeldung Zeit. (al) §§: Art. 14 RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. II., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, Rn. 81 ff. Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l28130. htm
Bezeichnungsverbot (freier Warenverkehr) sales name (free movement of goods) – dénomination de vente (libre circulation des marchandises)
Dem ĺVerbraucherschutz dienende mitgliedstaatliche Vorschriften, die einem aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten, dort rechtmäßig hergestellten und vermarkteten Erzeugnis 127
Bezeichnungsvorbehalt (freier Warenverkehr) die Verwendung einer bestimmten Bezeichnung untersagen (z.B. „Joghurt“ für ein tiefgefrorenes Joghurt, „Clinique“ für einen kosmetischen Artikel, „Schokolade“ für Kakao- und Schokoladeerzeugnisse, denen andere pflanzliche Fette als Kakaobutter zugesetzt wurden) sind als ĺMaßnahmen gleicher Wirkung zu qualifizieren. Bezeichnungsverbote sind sehr häufig im Sinne des ĺVerhältnismäßigkeitsprinzips als nicht erforderlich (d.h. unverhältnismäßig) und damit als gemeinschaftsrechtswidrig zu qualifizieren. Der ĺEuGH sieht nämlich in der Information des Verbrauchers über die Produktzusammensetzung durch entsprechende ĺEtikettierung ein gelinderes Mittel, mit dem derselbe Schutzzweck erreicht werden kann (ĺInformationsprinzip [freier Warenverkehr]). Daneben gibt es auch durch andere Schutzzwecke motivierte Bezeichnungsverbote (ĺgewerbliches und kommerzielles Eigentum [freier Warenverkehr], ĺUrsprungsbezeichnung [freier Warenverkehr]). (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28-30 EGV, Rn. 95; P. C. Müller-Graff, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 105 Rsp.: EuGH, Rs. 298/87 Smanor (tiefgefrorener Joghurt), Slg. 1988, 4489; EuGH, Rs. C 177/89 Kommission/Italien (Clinique), Slg. 1990, I-2429; EuGH, Rs. C-12/00 Kommission/Spanien (Schokolade), Slg. 2003, I-459
Bezeichnungsvorbehalt (freier Warenverkehr) sales name (free movement of goods) – dénomination de vente (libre circulation des marchandises)
Mitgliedstaatliche, unterschiedslos auf in- und ausländische Waren anzuwendende Produktbezeichnungsvorschriften können den Absatz ausländischer Erzeugnisse behindern, wenn sie die Verwendung einer bestimmten Produktbezeichnung (z.B. Gattungsbegriff, Vorzugsbezeichnung oder Verkehrsbezeichnung) jenen Produkten vorbehalten, die bestimmte Eigenschaften aufweisen, das aus einem anderen Mitgliedstaat importierte Erzeugnis, das dort diese Bezeichnung führen darf, diese Eigenschaften aber nicht hat. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Gattungsbegriff (z.B. Bier, Essig, Sekt) einem nach inländischen Vorschriften erzeugten Erzeugnis vorbehalten wird (vgl. EuGH, Rs. 193/ 80 Kommission/Italien [Essig], Slg. 1981, 3019; EuGH, Rs. 12/74 Kommission/Deutschland [Sekt/Weinbrand], Slg. 1975, 181; EuGH, Rs. 178/84 Kommission/Bundesrepublik Deutsch128
land [Reinheitsgebot für Bier], Slg. 1987, 1227), weiters wenn eine Vorzugsbezeichnung (z.B. Genever) die Verwendung bestimmte Ausgangsstoffe bei der Herstellung des Produkts voraussetzt (EuGH, Rs. 182/84, Miro [Genever], Slg. 1985, 3731), ebenso wenn eine Verkehrsbezeichnung (z.B. Edamer) voraussetzt, dass die Ware eine bestimmte Produkteigenschaft (z.B. Mindestfettgehalt) hat (vgl. EuGH, Rs. 286/86, Deserbais [Edamer], Slg. 1988, 4907). Solche hinderlichen Bezeichnungsvorbehalte sind gemeinschaftsrechtlich als ĺMaßnahmen gleicher Wirkung im Sinne von Art. 28 EG zu qualifizieren. Sie sind regelmäßig im Sinne des ĺVerhältnismäßigkeitsprinzips nicht erforderlich, da ihrem Zweck (ĺVerbraucherschutz) auch durch das gelindere Mittel der Etikettierung ĺInformationsprinzip gedient werden kann. (rp) §§: Art. 28 EG; erläuternde Mitteilung der Kommission vom 15.10.1991 über die Verkehrsbezeichnung von Lebensmitteln, ABl. 1991, Nr. C 270/2 Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28-30 EGV, Rn. 95; P. C. Müller-Graff, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 104 Rsp.: EuGH, Rs. 193/80 Kommission/Italien (Essig), Slg. 1981, 3019; EuGH, Rs. 12/74 Kommission/Deutschland (Sekt/Weinbrand), Slg. 1975, 181; EuGH, Rs. 178/84 Kommission/Bundesrepublik Deutschland (Reinheitsgebot für Bier), Slg. 1987, 1227; EuGH, Rs. 182/84 Miro (Genever), Slg. 1985, 3731; EuGH, Rs. C-448/98 Guimont (Emmentaler), Slg. 2000, I-10663; EuGH, Rs. 286/86 Deserbais (Edamer), Slg. 1988, 4907; EuGH, Rs. C-321-324/94 Pistre (montagne), Slg. 1997, I-2360
Bezugsrecht (Euratom) ĺEuratom-Versorgungsagentur Bickel und Franz-Entscheidung Bickel and Franz case – jurisprudence Bickel et Franz
In seinem Urteil in der Rs. Bickel und Franz (EuGH, Rs. C-274/96 Bickel und Franz, Slg. 1998, I-7637) hat der Gerichtshof erstmals das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 Abs. 1 EG; ĺDiskriminierungsverbot) auf Rechtspositionen erstreckt, die die Ausübung des allgemein Freizügigkeitsrechts (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines) erleichtern. Damit hat der EuGH einen Inländerbehandlungsanspruch des EU-Ausländers geschaffen, der sich aufgrund von Art. 18 Abs. 1 EG im EU-Ausland aufhält (ĺUnionsbürger, Inländerbehandlung). Der Rechtsstreit bezog sich auf das in Südtirol Ansässigen im Verkehr mit Behörden und Gerichten eingeräumte Wahlrecht zwischen
Bildungspolitik der italienischen und der deutschen Sprache. Dessen Ausdehnung auf Ausländer begehrten die Herren Bickel und Franz, gegen die in der italienischen Provinz Bozen Strafverfahren durchgeführt wurden. (fw) §§: Art. 12, 18 I EG; Art. 24 RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: G. Desolre, Le Principe de Non-discrimination, la Liberté de Circulation et les Facilités Linguistiques en Matière Judiciaire, CDE 2000, 311; M. Novak, Anmerkung, EuZW 1999, 84; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Bidar-Entscheidung Bidar case – jurisprudence Bidar
In seinem Urteil in der Rs. Bidar (EuGH, Rs. C-209/03 Bidar, Slg. 2005, I-2119) hat der Gerichtshof seine frühere restriktivere Rechtsprechung zum Inländerbehandlungsanspruch Studierender hinsichtlich Studienbeihilfen aufgegeben (ĺFreizügigkeit, Studierende). Bislang bezog sich dieser nur auf die Bezuschussung von Einschreibe- und anderen mit dem Zugang zum Unterricht verbundenen Gebühren – wie insbesondere Studiengebühren –, nicht aber auf den Lebensunterhalt deckende Beihilfen (EuGH, Rs. 39/86 Lair, Slg. 1988, 3161, Rn. 14 f.; Rs. 197/ 86 Brown, Slg. 1988, 3205, Rn. 18; Rs. C-109/92 Wirth, Slg. 1993, I-6447, Rn. 25). Der aus dem zwischenzeitlich anerkannten unionsbürgerlichen Diskriminierungsverbot folgende, tatbestandlich umfassende Inländerbehandlungsanspruch Nichterwerbstätiger (ĺUnionsbürger, Inländerbehandlung) bezieht nunmehr auch derartige Sozialleistungen in den Diskriminierungsschutz ein. Allerdings könne der Aufnahmemitgliedstaat den Gleichbehandlungsanspruch von einer an der Aufenthaltsdauer gemessenen hinreichenden Integration abhängig machen; der diese Rechtsprechung insoweit primärrechtskonform kodifizierende Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG konkretisiert diesen Zeitpunkt der hinreichenden Integration auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach regelmäßig fünf Jahren (ĺRecht auf Daueraufenthalt). (fw) §§: Art. 12, 18 I EG; Art. 24 RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: C. Barnard, Anmerkung, CML Rev. 2005, 1465; S. Bode, Anmerkung, EuZW 2005, 279; D. Düsterhaus, Bidar und BAföG, EuZW 2005, 325; S. Kadelbach, Anmerkung, JZ 2005, 1163; F. Wollenschläger, Studienbeihilfen für Unionsbürger?, NVwZ 2005, 1023; ders., Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Bieter tenderer – soumissionnaire
Bieter im Sinn des ĺVergaberechts ist ein ĺWirtschaftsteilnehmer, der in einem ĺVergabeverfahren ein ĺAngebot gelegt hat. (cm) §§: Art. 1 Abs. 8 VergabeRL Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Bilanzrichtlinie ĺJahresabschlussrichtlinie Bildungspolitik education policy – domain de l’education et de la formation
Der sog. geistig-kulturelle Bereich hat im Zuge der Geschichte der Europäischen Integration hinter die zunächst verwirklichte Wirtschaftsunion zurücktreten müssen, die Gründungsverträge der EG haben auch keine bildungspolitische Kompetenz im engeren Sinn an die EG/EU übertragen (von einer EU-Bildungspolitik wird korrekter Weise erst im Zuge der Implementierung des Vertrags von Lissabon gesprochen werden können, wenn die 3 Säulen der EU in ein Vertragswerk der EU zusammengeführt werden; bis dato ist auf Grund der Verankerung von Bildungstatbeständen im EGV von einer in Ansätzen vorhandenen Bildungspolitik der EG auszugehen). Erst mit der schrittweisen Vertiefung der EG hin zu einer politischen Gemeinschaft und der Diskussion um eine gemeinsame kulturelle und/oder politische Identität Europas wurde mit den Art. 149 und 150 (ex 126 und 127) EG eine begrenzte Zuständigkeit der EG in Bereichen der allgemeinen und beruflichen Bildung in das Gemeinschaftsrecht eingeführt (Einfügung des Kapitels „Allgemeine und berufliche Bildung und Jugend“ mit dem Maastrichter Unionsvertrag 1992, mit parallelen Entwicklungen im Bereich der F&E, Art. 163 bis 173, und der Kultur, Art. 151, also mit der Bildung allesamt klassische Prärogativen nationalstaatlicher Souveränität). Vor allem im Lichte der Rechtssprechung des EuGH, der schon in der Rsp. zu Art. 128 EWGV vor Maastricht eine enge Verknüpfung von Bildung und Berufsausübung hergestellt hatte, ist der Begriff der allgemeinen und besonders der beruflichen Bildung des EGV weit zu fassen und betrifft die gesamte öffentliche und private Bildung des Primär-, Sekundarund Tertiärbereichs bis hin zu formalen und informalen Weiterbildungsangeboten i.S.d. le129
Bildungspolitik benslangen Lernens. Für den so definierten Bildungsbereich gilt wie für alle Politikbereiche des geistig-kulturellen Bereichs die Beschränkung der Kompetenz der Gemeinschaft auf unterstützende und ergänzende Maßnahmen die zur fortbestehenden Zuständigkeit der MS hinzutreten können (Harmonisierungsverbot, jeweils Abs. 1 und 4 der Art. 149 und 150 EG). Von diesem Ausschluss der Harmonisierung nicht betroffen sind allerdings Maßnahmen, die unter Art. 47 EG fallen und durch den die EG im Rahmen der dort eröffneten Möglichkeiten schon vor dem Maastrichter Unionsvertrag etwa harmonisierend auf die Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen in die Rechtsordnungen der MS eingewirkt hat (vgl. RL 89/48/EWG des Rates vom 21.12.1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen [ABl. 1989, Nr. L 19/16] oder RL 92/51/EWG des Rates vom 18.6.1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur RL 89/48/EWG [ABl. 1992, Nr. L 209/25], ĺDiplomanerkennung). Der EuGH hatte u.a. durch eine extensive Interpretation des allgemeinen ĺDiskriminierungsverbots des damaligen Art. 7 EWGV im Zusammenhang mit der Entwicklung der Arbeitnehmerfreizügigkeit die Gleichstellung von Angehörigen anderer MS mit Staatsbürgern auf allen Stufen des Bildungswesens hergestellt (richtungsweisend EuGH Rs. 293/83 Gravier Slg. 1985, 593). Die hier unter dem freien Personenverkehr und der Niederlassungsfreiheit angesprochene Anerkennung von Qualifikationen ist von der ĺakademischen Anerkennung des Art. 149 Abs. 2 2. SpS EG abzugrenzen. Die unklare Rechtslage allein schon hinsichtlich unterstützender Begleitmaßnahmen der Gemeinschaft zu den nationalen Bildungspolitiken ihrer MS vor dem Maastrichter Unionsvertrag kommt z.B. in der EuGH Rs. 242/87 Erasmus vom 30.5.1989 Slg. 1989, 1425 zum Ausdruck. Im Zuge der Einführung von ersten Aktionsprogrammen im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung wurde das 1987 aus der Taufe gehobenen ĺErasmus-Programm neben Art. 128 EWGV, der einen solchen Beschluss nicht explizit vorsah, auch auf die Klausel zur Kompetenzabrundung des Art. 235 EWGV (jetzt 308 EG) gestützt. Der EuGH hat den umstrittenen Rückgriff des Rates auf Art. 235 EWGV in seinem Urteil bestätigt und damit die 130
Ausweitung der Gemeinschaftsmaßnahmen im Zusammenhang mit Art. 128 EWGV auf derartige ĺBildungsprogramme in Form eines Beschlusses, der dort nicht ausdrücklich vorgesehen war, für zulässig erklärt. Art. 149 Abs. 2 und 3 EG legt für die allgemeine Bildung das zulässige Tätigwerden der EG abschließend fest. Zur effektiven Umsetzung der Ziele (wie etwa Entwicklung einer europäischen Dimension des Bildungswesens, Förderung der ĺStudierenden- und ĺLehrendenmobilität wie der ĺakademischen Anerkennung, Jugendaustausch, Förderung der Fernlehre, etc.) kann der Rat nach Abs. 4 im ĺMitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG Fördermaßnahmen unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung nationalen Rechts beschließen. Dabei steht ihm die Wahl aller Rechtsformen des Art. 249 EG offen, er bedient sich aber in der Praxis regelmäßig der ebenfalls zulässigen ĺBeschlussform (ĺBildungsprogramme). Auch die Annahme von (unverbindlichen) Empfehlungen ist explizit vorgesehen. Art. 150 legt die Ziele und Kompetenzen der EG für die berufliche Bildung fest und stellt eine lex generalis zu den spezifischen berufsbildungspolitischen Kompetenzen im Zuge der Personenfreizügigkeit, der Beschäftigungspolitik und des Europäischen Sozialfonds dar. Wie bereits angemerkt, versteht der EuGH unter beruflicher Bildung in seiner integrationsfreundlichen Interpretation auch den tertiären (hochschulischen) Bildungsbereich. Die Grundsätze (Beachtung der Verantwortung der MS für Inhalt und Gestaltung der Bildungspolitikbereiche, Harmonisierungsverbot) des Art. 149 finden sich auch in Art. 150 wieder, sie folgen auch demselben Aufbau (Abs. 2 umfasst die spezifischen, abschließenden Zielsetzungen, Abs. 3 die Kooperation mit Drittländern und den zuständigen int. Organisationen wie dem Europarat, Abs. 4 die zulässigen Handlungsformen). Einzelne Zielsetzungen weisen über jene des Art. 149 EG hinaus, sie überschneiden sich aber zu einem erheblichen Teil (was z.B. die Stützung eines Beschlusses zur Verfolgung identer Zielsetzungen der beiden Bereiche allgemeine und berufliche Bildung auf beide Art ermöglicht, wie es beim ĺAktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens der Fall ist). Neben dem Art. 149 EG finden sich im EGV spezielle Bildungsregelungen die im Zusammenhang mit anderen Politikbereichen und entsprechenden Gemeinschaftskompetenzen stehen (wie der angesprochenen Personenfrei-
Bildungsprogramme zügigkeit). So fällt Bildung in den Anwendungsbereich des Art. 12 EG (allgemeines ĺDiskriminierungsverbot), die bildungsrechtlichen Konsequenzen des Art. 47 EG (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit von Selbstständigen) wurde bereits erwähnt. Bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit bietet Art. 39 (Gleichbehandlungsgebot) einen bildungsrechtlichen Anknüpfungspunkt, der zum Tragen kam (Herstellung der Bildungsmöglichkeit mobiler Arbeitnehmer und deren Familienangehöriger durch VO [EWG] 1612/68, ABl. 1968, L 257). In der Sozial- und Beschäftigungspolitik sprechen Art. 125 EG, Art. 137 EG und Art. 140 EG beschäftigungsund sozialpolitische Aufträge der EG an, sie treten aber in der Praxis auf Grund erheblicher Überschneidungen mit Art. 149 EG hinter diesen zurück (d.h. Maßnahmen auf Grund Art. 149 decken vielfach bildungspolitische Aufgaben des Sozial- und Beschäftigungsbereichs mit ab). Art. 146 EG weist dem Europäischer Sozialfonds die Aufgabe der finanziellen Förderung beruflicher Bildung und Umschulung zu. Weitere punktuelle Bildungsbestimmungen finden sich noch in Art. 35 EG (landwirtschaftliche Berufsausbildung), Art. 164 EG (Förderung der Ausbildung und Mobilität von Forschern). Das sonstige EU-Recht kennt in Art. 4 und 9 EAGV weitere Bildungsbestimmungen (Ausbildungsprogramme in Bereich der Kernenergie und Fachschulen). Zur Bildungspolitik der EU im weitesten Sinn kann auch das 1976 durch völkerrechtlichen Vertrag der EG-MS in Florenz errichtete Europäische Hochschulinstitut gezählt werden, das u.a. das historische Archiv der EU beherbergt und in Zusammenhang mit der in Art. 9 Abs. 2 EAGV vorgesehenen Europäischen Universität gesehen werden kann (auch wenn Atomenergie als solches in den Postgraduiertenstudien des EHI keine Rolle spielt). Gänzlich außerhalb des EU Rechts steht das Europa-Kolleg in Brügge/Belgien, das aber nach wie vor als eine der Kaderschmieden für Personal der EK fungiert. Die Gemeinschaftspraxis im Bereich der Bildungspolitik ist einerseits von einer (rechtlich unverbindlichen, man spricht von „soft law“ der EU) Bildungsprogrammatik von Rat, EK und Parlament geprägt (mittels unbenannter Handlungsformen wie Entschließungen, Empfehlungen, Erklärungen). Hier versteht sich die EU als Koordinator und Ideengeber für außerhalb des EU-Rechts liegender Entwicklungen im ĺEuropäischen Hochschulraum und ist somit auf dieser Ebene auch einer der Motoren
des Bologna-Prozesses. Von größter praktischer Bedeutung auch zur Steuerung der Bildungspolitiken der MS sind die ĺBildungsprogramme der EU (auch als Aktions- oder Förderprogramme bezeichnet). Regelmäßig stützen sich diese wie das ĺAktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens auf Art. 149 und 150 EG, gibt die EU die Rahmenbedingungen (ĺAusschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens, ĺNationale Agentur) vor und finanziert einen Gutteil der Programme. Der Vertrag von Lissabon erweitert Art. 149 EG um den Bereich des Sports als in das System des EU-Bildungsrechts integrierten komplementären Kompetenzbereich und fügt dem Art. 150 Abs. 4 die Möglichkeit der Erlassung von Empfehlungen des Rates auf Vorschlag der Kommission an (Angleichung an Art. 149 Abs. 4 EG). Weiters sind hinkünftig Rat und Parlament gemeinsam zur Erlassung von geeigneten Maßnahmen im Bereich des Art. 150 EG berufen. (jbu) §§: Art. 12, 35, 39, 47, 125, 137, 140, 146, 149, 150, 151, 163-173, 249, 251, 308 EG; Art. 7, 128, 235 EWGV; Art. 4, 9 EAGV; RL 89/48/EWG des Rates vom 21.12. 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. 1989, Nr. L 19/16); RL 92/51/EWG des Rates vom 18.6.1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur RL 89/48/EWG (ABl. 1992, Nr. L 209/25); VO (EWG) 1612/68 des Rates vom 15. 10. 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. 1968, Nr. L 257); EuGH, Rs. 293/83 Gravier, Slg. 1985, 593; EuGH, Rs. 242/87 Erasmus vom 30.5.1989, Slg. 1989, 1425 Lit.: H.-J. Blanke, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, vor Art. 149, 150 EG m.w.N.; J. Busch/H. Kopetz (Hrsg.), Rechtsfragen des Europäischen Hochschulraums – Higher Education Integration in Europe, 2008; C. D. Classen, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 149 m.w.N.; S. Kaufmann, Das Europäische Hochschulinstitut, 2003; T. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, 577 ff. m.w.N. Web: http://ec.europa.eu/education/index_de.html; http://ec.europa.eu/dgs/education_culture/index_de. html
Bildungsprogramme education programmes – programmes éducations
Auf Grund der begrenzten Kompetenzen im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung (Art. 149 und 150 EG) zählt dieser Politikbereich in systematischer Hinsicht zu den sog. Förderpolitiken der EG: Sie besitzt hier 131
Bildungsprogramme nur ergänzende Kompetenzen zur (finanziellen) Förderung der Politiken der MS, Harmonisierungen sind ausgeschlossen. Weiters ist ihnen gemein, dass sie dem Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 2 EG unterliegen. Sie können auch zum Abschluss von Abkommen mit Drittstaaten oder IO ermächtigen (wie konkret im Bereich der Bildung der Fall: jeweils Abs. 3 der Art. 149, 150 und 151 EG). Die Maßnahmen, die die EG in diesen Bereichen ergreift, werden unter den Begriff der Fördermaßnahmen zusammengefasst (Gemeinschaftsmaßnahmen zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten oder zur Unterstützung und Ergänzung ihres Handelns in den betreffenden Bereichen, gegebenenfalls auch die finanzielle Unterstützung von Gemeinschaftsprogrammen oder einzelstaatlicher bzw. gemeinsamer Maßnahmen zur Erreichung der Ziele; Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Edinburgh vom 11./ 12.12.1992, BullEG 12-1992, 14). Dieser Begriff kommt im Katalog der Rechtsquellen des Art. 249 EG nicht vor und ist daher als ungekennzeichneter Rechtsakt zu qualifizieren. Sollen die Fördermaßnahmen verbindliche Wirkung entfalten, werden sie in der Handlungsbzw. Rechtsaktform des ĺBeschlusses erlassen. Im Rahmen dieser allgemeinen Grundlagen der Förderpolitiken und der entsprechenden -maßnahmen bewegen sich auch die Bildungsprogramme. Sie wurden und werden von der EU im Rahmen der Art. 149 und 150 EG (vormals Art. 126 und 127 bzw. 126 EWGV) zahlreich verabschiedet und durchgeführt. Ob ihrer Bedeutung für die bildungspolitische Handlungsfähigkeit und ihrer praktischen Bedeutung für die Bildungsbereiche der MS werden sie als Kern der ĺBildungspolitik der EG/EU gesehen. Sie ermöglichen es der EG, die Europäisierung der nationalen Bildungssysteme und dadurch einen massiven Beitrag zur Schaffung eines ĺEuropäischen Hochschulraums im Zuge des ĺBologna-Prozesses zu bewirken. Eine gewisse Harmonisierung wird also hier nicht qua Regelungskompetenz, sondern durch die praktischen Auswirkungen der Programmdurchführung erreicht (vertragliche Verpflichtung zur Umsetzung von Zielvorstellungen der EG im Rahmen von Finanzhilfevereinbarungen mit Zuschussempfängern der Bildungsprogramme, ĺAusschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens). Die Grundstruktur der einzelnen auf Grundlage von Art. 149 und 150 EG eingerichteten 132
Bildungsprogramme ist vergleichbar: Sie ergehen in Beschlussform, die Durchführungsbestimmungen sehen die EK als rahmensetzenden Organisator der Programme vor, wobei sie sich regelmäßig der ĺExekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur zur Unterstützung ihrer Programmverwaltungs- und -koordinierungsaufgaben bedient. Die Beantragung und Vergabe der in den einzelnen Aktionsmaßnahmen vorgesehenen Fördermittel der einzelnen Programme und ihrer Teilprogramme erfolgt auf der Grundlage von Ausschreibungen/Aufrufen zur Einreichung von Vorschlägen (Calls). Die entsprechende Umsetzung kann je nach Programm, Teilprogramm und sogar einzelnen Maßnahmen innerhalb eines Teilprogramms zwischen EK bzw. ihrer Exekutivagentur und MS aufgeteilt sein. Je nachdem erfolgt die administrative Abwicklung von der Ausschreibung bis zur Abrechnung bei der EK/Exekutivagentur bzw. den Behörden der MS (die sich ihrerseits, wenn im Programm-Beschluss vorgesehen, ĺNationaler Agenturen bedienen oder sogar bedienen müssen). Das bedeutet, dass die Umsetzung der Bildungsprogramme auf mehreren Ebenen und in unterschiedlicher Konstellation des Zusammenwirkens der Behörden der MS, ihrer Nationalen Agenturen, der Exekutivagentur und der EK bedarf. So wirken EK und MS bsp. im ĺAusschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens zusammen, der die Durchführungsmaßnahmen der EK akkordiert. Die zuständigen Bildungsbehörden der MS üben die Aufsicht über die NA aus und führen mit diesen überdies nationale Konsultationsverfahren zur Festlegung der konkreten Durchführung der ihnen überlassenen Programmteile mit eigenen Ausführungsentscheidungsbefugnissen durch (in Österreich sind z.B. zur Festlegung der individuellen Mobilitätszuschusshöhen im Rahmen der von der EK offen gelassenen Bandbreite in den Teilprogrammen des LLP wie Comenius oder Erasmus nationale Beiräte eingerichtet, die sich aus den nationalen Stakeholdern wie Ministerien, Kammern, Rektorenkonferenz, Fachhochschulrat etc. zusammensetzen). Zum vertraglichen Verhältnis EK-NA vgl. den ĺAusschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens und seine dort angeführten Durchführungsmaßnahmen. Die Bildungsprogramme sind zeitlich begrenzt, können sich aber über mehrere „Programmgeneration“ erstrecken (wenn also ein Bildungsprogramm in gleicher oder modifizierter Form
Bildungsprogramme neu aufgelegt wird, wie sich das am Beispiel von Erasmus von 1987 über die Integration in zwei Generationen des Sokrates-Programm 1995 und 2000 bis hin zur Integration in das LLP 2006 veranschaulichen lässt; vgl. die Schilderung der Generationenfolge bei ĺECTS und ĺakademische Anerkennung). Zur Bezeichnung ihrer Bildungsprogramme bedient sich die EG überwiegend der Akronyme, die wiederum ein sinnvolles Wort (wie den Namen kulturhistorisch bedeutender europäischer Persönlichkeiten) ergeben (z.B. steht Erasmus für European Community Action Scheme to the Mobility of University Students und verweist gleichzeitig auf den großen europäischen Humanisten Erasmus von Rotterdam). 2006 sind eine Reihe von Bildungsprogrammen in zweiter Generation ausgelaufen, so das Programm für Allgemeinbildung „Sokrates“ (vgl. für Details zu Sokrates Beschluss 253/2000/EG bzw. davor Beschluss 819/95/EG; Sokrates umfasste im Wesentlichen Comenius für die Schulbildung, Erasmus für die Hochschulbildung und Grundtvig für den Erwachsenenbildungsbereich). In modifizierter Form wurden aber die etablierten (Sokrates Teil-)Programme wie Comenius, Leonardo da Vinci, Erasmus oder Grundtvig als Teilprogramme in das neue ĺAktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens überführt. Das auch in der Öffentlichkeitswirksamkeit erfolgreichste Bildungsprogramm ist Erasmus. 1987 eingerichtet, 1989, 1995 (als Hochschulteilprogramm in Sokrates I), 2000 (als Hochschulteilprogramm in Sokrates II) und 2006 (als Hochschulteilprogramm im LLP) erneuert, hat es ĺECTS etabliert, die Studierendenmobilität in Europa in großem Stil ausgedehnt (bis dato an die 1,5 Mio. Studierende), die Mobilität von Lehrenden gefördert und Hochschulen im Rahmen der Intensivprogramme (mehrwöchige Lehrprojekte mehrer europäischer Hochschulen wie etwa Sommeruniversitäten) und der Projekte zur Entwicklung gemeinsamer integrierter Studiengänge (Curriculum Development) zu verstärkter Kooperation animiert. In der alten Erasmus-Struktur der Sokrates-Generation stellt sich das schematisch wie folgt dar: Die Teilprogramme waren wiederum in einzelne Aktionen und deren individuelle Maßnahmen untergliedert. Erasmus als Aktion 2 von Sokrates umfasste demnach die Teilaktionen Erasmus 1 (mit den Fördermaßnahmen Curriculum Development, Intensivprogramme und ECTS-Zuschüsse), Erasmus 2 (mit den konkre-
ten Fördermaßnahmen Studierendenmobilität, Lehrendenmobilität und Mittel zur Organisation der Mobilität) und Erasmus 3 (thematische Netzwerke zur Bildung größerer Hochschulkonsortien, die in Teilbereichen der europ. Hochschulkooperation Strategien und Instrumentarien entwickelt und erproben konnten). Diese Struktur trifft auch auf Comenius (Schulbereich) und Grundtvig (Erwachsenenbildung) zu. Teilaktion 1 und 3 umfasste die zentral von der EK verwalteten und vergebenen Zuschüsse für Kooperationsprojekte, Aktion 2 jene Zuschüsse, die an die MS weitergegeben und dort von ihren NA ausgegeben wurden (Mobilitätszuschüsse). Eine durchgehende Einheitlichkeit ist aber nicht gegeben (z.B. viel ECTS aus Erasmus 1 unter die dezentral verwalteten Fördermaßnahmen). Im neuen LLP werden die konkreten Fördermaßnahmen der Teilprogramme ebenfalls in zentral von der EK/Exekutivagentur und dezentral (sog. „NA-Verfahren“) verwaltete Aktionen (wobei der Beschluss festlegt, welche Aktionstypen, die in allen Teilprogrammen auftreten können, der zentralen und welche der dezentralen Durchführung unterliegen) gegliedert. Die Durchführungsbestimmungen zum LLP-Beschluss legen die jeweilige Zuständigkeit fest (im Anhang „Verwaltung und Finanzierung“, Abschnitt A). Titel II des LLP-Beschlusses führt die Teilprogramme näher aus. Comenius (Schulbildung, Art. 16 ff. LLP-Beschluss) umfasst nunmehr folgenden konkrete Maßnahmen: individuelle Mobilität (Schüleraustausch, Lehreraustausch); Comenius-Schulpartnerschaften für Lernprojekte und Comenius-Regio-Partnerschaften für interregionale Zusammenarbeit von Organisationen im Bereich der Schulbildung; multilaterale Projekte; multilaterale Netze; flankierende Maßnahmen zur Förderung der Ziele von Comenius. Erasmus (Hochschulbildung, Art. 20 ff. LLPBeschluss) umfasst nunmehr folgende konkrete Maßnahmen: Studierenden- und Lehrendenmobilität, neu die Mobilität von sonstigem Universitätspersonal (Verwaltung), die ErasmusIntensivprogramme in modifizierter Form (jetzt zur Mobilität zählend); multilaterale Projekte (Innovation, Experimente und Austausch von Best Practice); multilaterale Netze („thematische Erasmus-Netze“ in modifizierter Fortführung der thematischen Netzwerke unter Sokrates-Erasmus 3); flankierende Maßnahmen. Im Bereich von Erasmus wird der Mobilitätsbereich dezentral von den MS und ihren NA 133
Bildungsprogramme durchgeführt. Sie vergeben die Erasmus-Stipendien für Studierendenmobilität (für Studienaufenthalte oder für Praktika von Studierenden), die Mittel für den Austausch von Universitätspersonal wie Lehrendenmobilität an die Hochschulen bzw. direkt an die Personen, Zuschüsse für die Organisation der Mobilität, Zuschüsse für die Durchführung von Intensivprogrammen. Um in Erasmus teilnehmen zu können, müssen die Hochschulen in Besitz der (Erasmus) Hochschulcharta sein, die die EK auf Antrag an jene Institutionen vergibt, die auf Grund ihrer Stellung im nationalen Bildungssystem und ihrer Organisation dazu in der Lage sind, die Erfordernisse zur Programmteilnahme zu erfüllen. Leonardo da Vinci (Berufsbildung, Art. 24 ff. LLP-Beschluss) umfasst nunmehr folgende konkrete Maßnahmen: Mobilität von Einzelpersonen (Berufspraktika von in der Berufsausbildung stehenden Personen, Austauschmaßnahmen von in der beruflichen Weiterbildung tätigen Personen); Partnerschaften von Berufsbildungsorganisationen; multinationale Projekte zur Verbesserung der Berufsausbildungssysteme; thematische Netze bestehend aus Experten und Organisationen der Berufsbildung; flankierende Maßnahmen zur Förderung der Ziele von Leonardo. Grundtvig (Erwachsenenbildung, Art. 28 ff. LLPBeschluss) umfasst nunmehr folgende konkrete Maßnahmen: Mobilität von Einzelpersonen im Bereich der formalen wie nichtformalen Erwachsenenbildung; Grundtvig-Lernpartnerschaften zwischen Erwachsenenbildungsorganisationen; multilaterale Projekte zur Verbesserung von Erwachsenenbildungssystemen; thematische Netze („Gruntvig-Netze“); flankierende Maßnahmen. Das neue sog. Querschnitssprogramm (Art. 32 ff. LLP-Beschluss) umfasst zur Förderung der allgemeinen Ziele des LLP-Beschlusses (Art. 1) der europäischen Kooperation in Bereichen, die mindestens zwei sektorale Programme des LLP umfassen und der Qualität und Trasparenz der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung folgende konkrete Maßnahmen: Mobilität von Einzelpersonen die führende Positionen in der Bildunsgverwaltung oder -politik (wie Kammerfunktionäre) innehaben zwecks Expetenaustausch (unter Sokrates war dies das Teilprogramm Arion); multilaterale Projekte zur Erprobung bildungspolitischer Strategien; multilateral Netze zur Bearbeitung von bildungspolitischen Fragestellungen durch Experten und 134
spezialisierte Einrichtungen; Beobachtung und Analyse der Politik und der Systeme im Bereich des lebenslangen Lernens; Maßnahmen zur Förderung der Transparenz und der Anerkennung von Qualifikationen und Kompetenzen (auch solcher des nichtformalen oder informalen Lernens) wie insb. die Förderung des Netzes nationaler Informationszentren für Fragen der akademischen Anerkennung (NARIC, dabei handelt es sich um eine Initiative der EK, die 1984 eingeleitet wurde und zu Verbesserungen im Bereich der akademischen Anerkennung von Diplomen und Studienzeiten in den Mitgliedstaaten der EU und der EFTA beitragen soll); flankierende Maßnahmen. Jean Monnet (Erwachsenenbildung, Art. 34 ff. LLP-Beschluss) umfasst folgende konkrete Maßnahmen: Unilaterale und nationale Projekte wie Jean Monnet-Lehrstühle, -Forschungszentren und -Lehrmodule; Vereinigungen von Hochschullehrern, die auf Fragen der europäischen Integration spezialisiert sind; Förderung junger Forscher, die sich auf die europäische Integration spezialisieren; Informations- und Forschungsaktivitäten mit Gemeinschaftsbezug. Weiters Betriebskostenzuschüsse für das Europakolleg Brügge und Natolin, das Europäische Hochschulinstitut in Florenz, das Europäische Institut für öffentliche Verwaltung in Maastricht, die Europäische Rechtsakademie in Trier, die Europäische Agentur für Entwicklungen in der sonderpädagogischen Förderung in Middelfart, das Internationale Zentrum für Europäische Bildung (CIFE) in Nizza sowie weitere in Frage kommende ähnliche europäische Bildungseinrichtungen. Neben dem LLP-Programm bestehen im Bereich der Art. 149 und 150 EG weiters die Bildungsprogramme: Erasmus Mundus (Beschluss 2317/2003/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.12.2003 über ein Programm zur Verbesserung der Qualität der Hochschulbildung und Förderung des interkulturellen Verständnisses durch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten [Erasmus Mundus] [2004–2008]) umfasst die Aktionen der Erasmus-Mundus-Masterstudiengänge (integrierte Studienprogramme zwischen mindestens 3 europäischen Partneruniversitäten können sich für die Aufnahme in die ErasmusMundus-Masterstudiengänge bewerben und dann von Stipendienzuschüssen für die Teilnahem von hochqualifizierten Lehrenden und Studierenden aus Drittstaaten profitieren); ein Stipendienprogramm; Partnerschaften mit
Bildungsprogramme Hochschuleinrichtungen in Drittstaaten; Maßnahmen zur Förderung der Attraktivität Europas als Studienstandort; technische Unterstützungsmaßnahmen; Unterstützung der Entwicklung gemeinsamer Bildungsprogramme und von Kooperationsnetzen; Unterstützung der Mobilität zwischen Europa und Drittstaaten; Förderung der Sprachkenntnisse (für Teilnehmer an Erasmus-Mundus-Masterstudiengängen); Unterstützung von Pilotprojekten auf der Basis transnationaler Partnerschaften; Unterstützung der Analyse und Beobachtung von Trends und Entwicklungen im Bereich der Hochschulbildung in einer internationalen Perspektive. An Drittstaatenprogrammen führt die EU neben einzelner Maßnahmen des Erasmus-Mundus-Programms derzeit das EU-USA Atlantis Programm (Beschluss 2006/910/EG des Rates vom 4.12.2006 über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Erneuerung des Kooperationsprogramms im Bereich der Hochschul- und Berufsbildung, ABl. 2006, Nr. L 346/33) und das EU-Canada Transatlantic Exchange Partnership (TEP) Programme (Beschluss 2001/197/EG des Rates vom 26.2.2001 über den Abschluss eines Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Regierung Kanadas zur Erneuerung des Kooperationsprogramms im Bereich der Hochschul- und Berufsbildung, ABl. 2001, Nr. L 71/15). Das Programm Jugend in Aktion (Beschluss 1719/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.11.2006 über die Einführung des Programms in Jugend in Aktion im Zeitraum 2007–2013, ABl. 2006, Nr. L 327/ 30) fördert den Jugendaustausch und Unterstützt Jugendinitiativen, Projekte und Aktivitäten, die die Beteiligung am demokratischen Leben betreffen; junge Menschen im Freiwilligendienst; Austauschaktivitäten mit Drittstaaten; Initiativen zur Stärkung des gegenseitigen Verständnisses junger Menschen und ihre Sinns für Solidarität und Toleranz; Unterstützungssysteme für junge Menschen; Unterstützung der europäischen Zusammenarbeit im Jugendbereich. Das Programm Media (Beschluss 1718/ 2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.11.2006 zur Umsetzung eines Förderprogramms für den europäischen audiovisuellen Sektor [MEDIA 2007], ABl. 2006, Nr. L 327/12) sieht in Art. 3 den Erwerb und die Vertiefung von Kompetenzen im audiovisuel-
len Bereich vor und knüpft daran entsprechende Förderungen von Fortbildungsmodulen. Die Entscheidung 2241/2004/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12. 2004 über ein einheitliches gemeinschaftliches Rahmenkonzept zur Förderung der Transparenz bei Qualifikationen und Kompetenzen (Europass), ABl. 2004, Nr. L 390/6, sieht die Kofinanzierung nationaler Europass-Aktivitäten zur Etablierung der fünf Europass-Dokumente vor: Diese sind der Europass-Lebenslauf, der Mobilitätsnachweis, das ĺDiploma Supplement, die Zeugniserläuterung und der Sprachpass. Für alle Bildungsprogramme gilt, dass die vorgesehenen finanziellen Fördermaßnahmen von den Zielpersonen (natürlicher und juristischer Natur) im Zuge von zumeist jährlich erfolgenden Ausschreibungen (zugänglich über die entsprechenden Internetseiten der EK und der nationalen Behörden/der NA) beantragt werden können (Projekteinreichung etc.). (jbu) §§: Art. 149, 150, 151, 249 EG; Art. 128 EWGV; Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Edinburgh vom 11./12.12.1992, BullEG 12-1992, 14; Beschluss 1720/2006/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 15.11.2006 über ein Aktionsprogramm im Bereich des Lebenslangen Lernens (ABl. 2006, Nr. L 327/45); Beschluss 1719/ 2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.11.2006 über die Einführung des Programms in Jugend in Aktion im Zeitraum 2007–2013, ABl. 2006, Nr. L 327/30; Entscheidung 2241/2004/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.2004 über ein einheitliches gemeinschaftliches Rahmenkonzept zur Förderung der Transparenz bei Qualifikationen und Kompetenzen (Europass), (ABl. 2004, Nr. L 390/6); Beschluss 2317/2003/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.12.2003 über ein Programm zur Verbesserung der Qualität der Hochschulbildung und Förderung des interkulturellen Verständnisses durch die Zusammenarbeit mit Drittstaaten (Erasmus Mundus) (2004–2008) (ABl. 2003, Nr. L 345/1); Beschluss 2006/910/EG des Rates vom 4.12.2006 über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Erneuerung des Kooperationsprogramms im Bereich der Hochschulund Berufsbildung (ABl. 2006, Nr. L 346/33); Beschluss 2001/197/EG des Rates vom 26.2.2001 über den Abschluss eines Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Regierung Kanadas zur Erneuerung des Kooperationsprogramms im Bereich der Hochschul- und Berufsbildung (ABl. 2001, Nr. L 71/15); Beschluss 253/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.1.2000 über die Durchführung der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms im Bereich der allgemeinen Bildung Sokrates (ABl. 2000, Nr. L 28/1); Beschluss 819/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.3.1995 über das gemeinschaftliche Aktionsprogramm Sokrates (ABl. 1995, Nr. L 87/ 10); Beschluss 89/663/EWG des Rates vom 14.12.1989
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Bildungsrecht zur Änderung des Beschlusses 87/327/EWG über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten – ERASMUS (ABl. 1989, Nr. L 395/23); Beschluss 87/327/EWG des Rates vom 15.6.1987 über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten – ERASMUS (ABl. 1987, Nr. L 166/20) Lit.: H.-J. Blanke, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, vor Art. 149, 150 EG m.w.N.; J. Busch/H. Kopetz (Hrsg.), Rechtsfragen des Europäischen Hochschulraums – Higher Education Integration in Europe, 2008; C. D. Classen, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 149, 150 m.w.N.; T. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, 584 ff. m.w.N.; M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht. Das Recht der Europäischen Union, 2007, 676 ff. m.w.N. Web: http://europass.cedefop.eu.int; http://ec.europa. eu/education/index_de.html; http://eacea.ec.europa. eu/index.htm
Bildungsrecht ĺBildungspolitik Billigstbieterprinzip ĺZuschlag Bindung, doppelte binding force, double, of EC Law – double liaision
Der Grundsatz der doppelten Bindung (auch doppelte ĺBedingtheit) besagt, dass der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht in jenen Fällen, in denen der gemeinschaftliche Rechtsakt einen Spielraum offen lässt, sowohl an das Gemeinschaftsrecht als auch an das nationale Verfassungsrecht gebunden ist. So ist etwa zu berücksichtigen, dass sich die Zuständigkeiten zur Umsetzung in einem Bundesstaat nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung richten und sich auch die Regelung der behördlichen Zuständigkeit nach dem Grundsatz der ĺinstitutionellen und ĺverfahrensrechtlichen Autonomie nach dem nationalen Organisations- und Verfahrensrecht richtet. Nach der neueren Rsp. des österr. VfGH kommt es in dieser Hinsicht darauf an, ob die gemeinschaftskonforme Regelung durch Nichtanwendung einzelner Bestimmungen der Verfassung erreicht werden kann oder ob – wie etwa im Fall der Kompetenzverteilung – der Verfassungsgesetzgeber tätig werden muss, um diese Gemeinschaftsrechtskonformität herzustellen (VfSlg. 17.001, 17.023, 17.347). Im letzteren Fall schlägt die doppelte Bindung insofern durch, als eine einfachgesetzliche Regelung zwar gemeinschaftsrechts-, aber nicht ver136
fassungskonform ist und daher vom VfGH aufzuheben wäre. (he) Lit.: U. Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2005, 366 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 116; K. Korinek, Die doppelte Bedingtheit von gemeinschaftsrechtsausführenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften, in: S. Hammer et al. (Hrsg.), Demokratie und sozialer Rechtsstaat in Europa. FS für T. Öhlinger, 2004, 131
Binnenmarkt Single European Market/Internal Market – Marché Intérieur
Das Konzept eines europäischen Binnenmarktes wurde schon in den 1970er Jahren in der Rsp. des ĺEuGH entwickelt. Im Jahr 1985 veröffentlichte die ĺKommission das „ĺWeißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes“. In der Folge wurde das Binnenmarktkonzept durch die ĺEinheitliche Europäische Akte auch primärrechtlich festgelegt und findet sich heute in den Art. 14, 15 EG. Art. 14 Abs. 2 EG definiert den Binnenmarkt als Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist. Auf Ebene des ĺPrimärrechts wird der Binnenmarkt vor allem durch die ĺGrundfreiheiten konstituiert. Zur Realisierung eines europäischen Binnenmarktes bedarf es außerdem des ĺWettbewerbsrechts und der ĺRechtsangleichung. (cb) §§: Art. 14, 15 EG Lit.: M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, Rn. 1321; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 14, 15 EG Rsp.: EuGH, Rs. 78/70 Deutsche Grammophon/Metro-SB-Großmärkte, Slg. 1971, 487 ff., Rn. 6
Binnenmarktverordnung regulation on the functioning of the internal market – règlement relatif au fonctionnement du marché intérieur
Aufgrund der Agrarblockaden in Frankreich (ĺSpanische Erdbeeren-Entscheidung) erließ die Gemeinschaft die VO (EG) 2679/98 über das Funktionieren des ĺBinnenmarkts im Zusammenhang mit dem ĺfreien Warenverkehr zwischen den ĺMitgliedstaaten. Darin ist festgelegt, was die Mitgliedstaaten bei einer drohenden Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs zu tun haben und wie die Zusammenarbeit mit der ĺKommission zu funktionieren hat. Bei einer Bedrohung des freien Warenverkehrs hat der Mitgliedstaat die Kommission zu unterrichten, wobei diese die Information an
Binnenschifffahrtsunternehmer, Marktzugang alle Mitgliedstaaten weitergibt. Der betreffende Mitgliedstaat hat Auskunft darüber zu geben, wie er die Bedrohung bewältigen will. Trotz des bestehenden ĺSekundärrechts bleiben die Grundsätze der ĺstaatlichen Schutzpflicht unberührt (ĺSchmidberger-Entscheidung). (ah) §§: VO (EG) 2679/98 über das Funktionieren des Binnenmarkts im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 1998, Nr. L 337/8 Lit.: W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 740
Binnenmarktprinzip ĺBinnenmarkt Binnenmarktprozessrecht ĺEuropäischen Zivilprozessrechts Binnenschifffahrt, Stilllegungsfonds ĺBinnenschifffahrt, Überkapazitäten Binnenschifffahrt, Überkapazitäten inland waterway transport, overcapacities – la navigation intérieure, surcapacités
VO (EG) 718/1999 (ABl. 1999, Nr. 90/1) über kapazitätsbezogene Maßnahmen in Bezug auf die Binnenschifffahrtflotten sowie Maßnahmen zur Förderung des Binnenschiffsverkehrs ergänzt die DurchführungsVO (EG) 805/1999 (ABl. 1999, Nr. L 102/64) der Kommission. Ihr Ziel ist eine Eingrenzung der Überkapazitäten im Bereich der Binnenschifffahrt durch effiziente Regelung des Schiffraums. Der ĺEuGH beanstandete zuvor den Entwurf eines Übereinkommens über die Errichtung eines Europäischen Stilllegungsfonds für die Binnenschifffahrt als mit den Bestimmungen des ĺEWG-Vertrages unvereinbar. Die ĺVO sieht kapazitätsbezogene Maßnahmen der in ihren Anwendungsbereich fallenden Binnenschiffe vor. Die VO gilt für Güterschiffe und Schubboote, die Beförderungen im gewerblichen Verkehr oder im Werkverkehr vornehmen, in einem MS eingetragen sind oder in Ermangelung einer Eintragung von einem in einem MS ansässigen Unternehmen betrieben werden. Jeder MS errichtet und verwaltet einen Binnenschifffahrtsfonds, soweit er über eine Flottenkapazität von über 100.000 t verfügt und durch Wasserstraßen mit einem anderen MS verbunden ist. Neu gebaute oder aus Drittländern importierte Schiffe, die in den Geltungsbereich der VO fallen, dürfen nur unter den dort festgeleg-
ten Bedingungen in Betrieb genommen werden. Die VO (EG) 718/1999 sieht zwei Möglichkeiten vor („Alt-für-neu-Regelung“): ƒ entweder nach einem von der ĺKommission festgelegten Verhältnis unter Abwrackung alten Schiffraums ohne Abwrackprämie ƒ oder unter Leistung eines Sonderbeitrages an den Fonds, bei dem das betreffende Schiff gemeldet ist. Bis zum 29.4.2003 war das Austauschverhältnis kontinuierlich auf Null abzusenken; sobald das Verhältnis Null beträgt wird das System zu einem Überwachungsmeachnismus (vgl. hierzu Art. 4 VO [EG] 718/1999). Die DurchführungsVO (EG) 805/1999 regelt u.a. die Höhe der zu entrichtenden Sonderbeiträge, die Höhe der Austauschverhältnisse der „Alt-für-neu-Regelung“ und die praktischen Einzelheiten der Durchführung kapazitätsbezogener Maßnahmen für die Binnenschifffahrt. Nach Art. 6 der VO (EG) 718/1999 kann die Kommission bei einer schweren Marktstörung im Sinne des Art. 7 der RL 96/75/EG über die Einzelheiten der Befrachtung und der Frachtratenbildung im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Binnenschiffsgüterverkehr in der Gemeinschaft (ABl. 1996, Nr. L 304/12) auf Antrag eines MS gem. Art. 8 jener RL und nach dem dort vorgesehenen Verfahren die „Alt-fürneu-Regelung“ für einen begrenzten Zeitraum gem. Art. 7 jener RL wieder in Kraft setzen und gegebenenfalls um Strukturbereinigungsmaßnahmen ergänzen (ĺFrachtraten, Frachtratenbildung) Damit ist ein systematisch ähnlicher Mechanismus vorgesehen, wie im Fall einer ĺernsten Marktstörung für den Marktzugang zum Güterkraftverkehr. (sm) Rsp.: EuGH, Gutachten 1/76, Slg. 1977, 741 ff. Lit.: C. O. Lenz, Die Verkehrspolitik der Europäischen Gemeinschaft im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofes, EuR 1988, 158 ff.
Binnenschifffahrtsunternehmer, Marktzugang carrier of goods by waterway in national and international transport, access to occupation – transporteur de marchandises par voie navigable dans le domaine des transports nationaux, accès à la profession
Es handelt sich um eine Regelung des subjektiven Makrtzugangs durch die RL 87/540/EWG (ABl. 1987, Nr. L 322/20). In dieser werden Bedingungen für den Zugang zum Beruf des Unternehmers im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Binnenschifffahrtsverkehr festgelegt. Zudem erfolgt die Normierung von Mindeststandards für die ĺsubjektiven Markt137
Biologische Landwirtschaft zugangsbedingungen der fachlichen Eignung (Anerkennungspflicht in allen MS betreffend Diplome, Prüfungszeugnisse etc.). Die MS können allerdings zusätzliche Anforderungen an die Zuverlässigkeit und die finanzielle Leistungsfähigkeit des Verkehrsunternehmers beibehalten oder aufstellen. (sm) Lit.: G. Muzak, Österreichisches, Europäisches und Internationales Binnenschifffahrtsrecht, 2004, 137 ff.
Biologische Landwirtschaft organic farming – agriculture biologique
Die Vorschriften für die biologische Landwirtschaft (Ökologischer Landbau) nach der VO (EG) 834/2007 sind eine normative Festlegung von EU-weit einheitlichen Mindeststandards für die Biologische Landwirtschaft. Die (privatrechtlichen) Produktionsrichtlinien von Bioverbänden können durchaus strenger als die Vorgaben der VO (EG) 834/2007 sein. Die Produktionsrichtlinien der verschiedenen Verbände variieren auch in einzelnen Punkten. Die Biologische Landwirtschaft ist im Ursprung ein philosophisches Konzept, ausgehend von der anthroposophischen Lehre Rudolf Steiners. Der Biologisch-dynamische Landbau hat nach wie vor einen starken esoterischen Einschlag (Demeter). Die organisch-biologische Richtung ist pragmatischer, konsumentenorientierter und für die meisten Landwirte leichter praktikabel. Gemeinsamer Konsens ist ein ganzheitliches Erzeugungs- und Bewirtschaftungssystem. Die biologischen Landwirtschaft ist im Sinne des im Rahmen der ĺGemeinsamen Agrarpolitik vorgegebenen Ziels einer nachhaltigen Landwirtschaft als eine Art nachhaltiger und umweltschonender Landwirtschaft zu sehen. Die wichtigsten Charakteristika der biologischen Landwirtschaft sind der Verzicht auf chemisch synthetische Pflanzenschutzmittel und leicht lösliche Mineraldünger sowie Tierschutzbestimmungen die über den gesetzlichen Mindestanforderungen liegen. (all) §§: VO (EG) 834/2007 Ökologischer Landbau, ABl. 2007, Nr. L 189/1 Web: http://ec.europa.eu/agriculture/qual/organic/ index_de.htm; http://www.bio-austria.at; http://www. demeter.at, http://www.bioland.de
Biomedizinkonvention Convention on Human Rights and Biomedicine – Convention sur les Droits de l’Homme et la Biomédecine
Die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick 138
auf die Anwendung von Biologie und Medizin vom 19.11.1996 (Biomedizinkonvention) ist ein völkerrechtliches Abkommen des Europarates, das vor allem darauf zielt, angesichts des biomedizinischen Fortschritts aufgetretene oder jedenfalls sichtbar gewordene Schutzlücken der EMRK zu schließen. Die Biomedizinkonvention ist am 1.12.1999 in Kraft getreten und wurde bislang von 33 Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet sowie von 19 ratifiziert. 1. Zusatzprotokolle: Ergänzt wird die Konvention durch mehrere Zusatzprotokolle, die spezifische Fragen der Anwendung biomedizinischer Technik behandeln. In Kraft getreten sind davon das Zusatzprotokoll vom 12.1.1998 über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen und das Zusatzprotokoll vom 24.1.2002 bezüglich der Transplantation von menschlichen Organen und Gewebe. Daneben besteht ein mit der Ratifizierung durch fünf Mitgliedstaaten erst noch in Kraft tretendes Zusatzprotokoll vom 25.1.2005 betreffend die biomedizinische Forschung. 2. Mindestgewährleistungen: Angesichts der Zahl der Vertragstaaten mit ihren nicht unbeträchtlich divergierenden Rechtsanschauungen insbesondere im Hinblick auf den Schutz vorgeburtlichen Lebens bleibt die Biomedizinkonvention teilweise kompromissformelhaft und zurückhaltend. Insoweit beschränkt sich die Konvention auf eine Garantie rechtlicher Mindeststandards, steht also in ihrem Schutzgehalt weitergehenden nationalen Regelungen nicht entgegen (Art. 27). 3. Biomedizinkonvention und Gemeinschaftsrecht: Die Biomedizinkonvention ist zwar kein unmittelbarer Bestandteil des Gemeinschaftsrechts. Sie kann jedoch als von den Mitgliedstaaten abgeschlossener Vertrag zum Schutze der Menschenrechte nach Art. 6 Abs. 2 EU als Rechtserkenntnisquelle zur Ermittlung gemeinschaftsrechtlicher Grundrechtsstandards herangezogen werden. Unschädlich ist dabei, dass die Konvention bislang nicht von sämtlichen Mitgliedstaaten ratifiziert wurde. Die Nichtratifikation wurde gerade damit begründet, dass die Schutzstandards der Konvention, namentlich im Hinblick auf medizinische Forschung an Nichteinwilligungsfähigen, zu niedrig angesetzt seien. Daher kann die Konvention jedenfalls zur Ermittlung gemeinschaftsrechtlicher Mindeststandards des Grundrechtsschutzes herangezogen werden.
Biomedizinkonvention 4. Inhalte der Konvention: a. Grundsätzliche Schutzgehalte: Art. 2 begründet als Ausdruck des aus der Menschenwürde abgeleiteten Verbots einer Verzweckung menschlicher Existenz einen allgemeinen Vorrang vitaler Individualinteressen vor gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Zwecken: „Das Interesse und das Wohl des menschlichen Lebewesens haben Vorrang gegenüber dem bloßen Interesse der Gesellschaft oder der Wissenschaft.“ Nach Art. 3 ist im Rahmen der verfügbaren Mittel gleicher Zugang zu den Gesundheitssystemen zu gewähren. Nach Art. 4 muss jede Intervention im Gesundheitsbereich, Forschungstätigkeiten eingeschlossen, nach den einschlägigen Rechtsvorschriften, Berufspflichten und Verhaltensregeln erfolgen, was voraussetzt, dass die Mitgliedstaaten solche Regelungen aufstellen. b. Medizinische Heileingriffe: Art. 5 verwirklicht das Prinzip des „informed consent“: Eine medizinischer Eingriff darf erst erfolgen, nachdem die betroffene Person über diese aufgeklärt worden ist und frei eingewilligt hat. Die betroffene Person ist zuvor angemessen über Zweck und Art der Intervention sowie über deren Folgen und Risiken aufzuklären und kann ihre Einwilligung jederzeit frei widerrufen. Art. 6 und 7 enthalten besondere Bestimmungen über den Schutz nicht einwilligungsfähiger Personen und Personen mit psychischen Störungen. Art. 10 sichert Mindestanforderungen des Datenschutzes, die Art. 11 bis 14 enthalten Verbote im Zusammenhang mit dem Schutz des menschlichen Genoms. c. Medizinische Forschung: Das fünfte Kapitel der Biomedizinkonvention enthält Bestimmungen über die wissenschaftliche Forschung im Bereich von Biologie und Medizin, die nach Maßgabe des Art. 15 und vorbehaltlich der Bestimmungen der Konvention sowie sonstiger Rechtsvorschriften zum Schutz menschlicher Lebewesen frei ist. Dies entspricht dem Stand der europäischen Rechtsentwicklung, wie ihn Art. 13 Satz 1 EU-Grundrechtecharta widerspiegelt. Art. 16 unterwirft die Forschung an Personen strengen Voraussetzungen, insbesondere einer Erforderlichkeitskontrolle. Art. 17 enthält darüber hinausgehende Schutzbestimmungen für die
Forschung an nicht einwilligungsfähigen Personen, die im Grundsatz nur erfolgen darf, wenn sie zugleich zum Nutzen des Betroffenen geschieht. Besonders kontrovers diskutiert wurde dabei die unter dem Gesichtspunkt des Würdeschutzes jedenfalls nicht unproblematische Regelung des Art. 17 Abs. 2, wonach unter bestimmten Voraussetzungen auch Forschungsvorhaben durchgeführt werden können, deren erwartete Ergebnisse für die Gesundheit der betroffenen Person nicht von unmittelbarem Nutzen sind. Art. 18 betrifft schließlich den praktisch besonders bedeutenden Umgang mit Embryonen zu wissenschaftlichen Zwecken. Die Rechtsordnung hat nach Art. 18 Satz 1 einen angemessenen Schutz des Embryos zu gewährleisten, sofern sie Forschung an Embryonen in vitro zulässt. Angesichts rechtsethischer Divergenzen innerhalb der Mitgliedstaaten erweist sich ein „angemessenes“ Schutzniveau als kleinster gemeinsamer Nenner und damit kaum als wirkungsvolle Schranke für die staatliche Zulassung von Forschungsvorhaben. Nach Satz 2 ist die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken verboten, was freilich die Rechtsfrage nach einer Erzeugung zu Heilungszwecken, etwa im Rahmen des therapeutischen Klonens unbeantwortet lässt. Die Einbeziehung des Embryonenschutzes in den Regelungsbereich der Konvention vermittelt menschlichen Embryonen immerhin einen objektiv-rechtlichen Würdeschutz (E. Klein, in: Bitburger Jahrbuch 2002/II, 81 [86]), wenngleich dieser aus den genannten Gründen rudimentär bleibt. d. Organtransplantation: Die Art. 19, 20 enthalten schließlich Mindeststandards über die Entnahme von Organen und Gewebe von lebenden Spendern zu Transplantationszwecken. Art. 21 statuiert ein Kommerzialisierungsverbot: Der menschliche Körper und Teile davon dürfen als solche nicht zur Erzielung eines finanziellen Gewinns verwendet werden. Dieses in den Zusammenhang mit der Menschenwürde interpretierte Verbot spielte auch eine Rolle im Rahmen der Auseinandersetzung um die Primärrechtskonformität des Art. 6 der ĺBiopatentrichtlinie. 5. Rezeption der Biomedizinkonvention im Gemeinschaftsrecht: Kernaussagen der Biomedizinkonvention, namentlich das Prinzip frei139
Biotechnologierichtlinie er Einwilligung nach vorheriger Aufklärung und die Verbote eugenischer Praktiken, der kommerziellen Nutzung menschlicher Körperteile und des reproduktiven Klonens, haben sich im Übrigen auch im Rahmen der fortschreitenden Ausdifferenzierung eines spezifisch europäischen Grundrechtsschutzniveaus als anschlussfähig erwiesen. Gehalte der Biomedizinkonvention sind daher auch in die EU-Grundrechtecharta eingeflossen (Art. 3 Abs. 2 GrCh bzw. Art. II-63 Abs. 2 VVE). Daher verweist die EU-Kommission zur Prüfung von Anträgen im Rahmen der Forschungsförderung auf die Biomedizinkonvention (s. das Sechste Forschungsrahmenprogramm 1513/2002/EG, Anhang I [ABl. 2002, Nr. L 232/4]). Bestimmte biomedizinische Techniken werden in Art. 3 Abs. 2 GrCh bzw. Art. II-63 Abs. 2 VVE als Ausdruck objektiven Menschenwürdeschutzes und in Abbildung der Leitgedanken der Biomedizinkonvention ausdrücklich verboten. Insbesondere das reproduktive Klonen von Menschen, also die Herstellung eines zum Zwecke der Reproduktion hergestellten genetischen Duplikats, widerspricht europäischen Standards der Menschenrechte im Bereich der Biomedizin. Das Europäische Parlament hat sich daher bereits frühzeitig, wenngleich rechtlich unverbindlich gegen das Klonen von Tieren und Menschen ausgesprochen (Entschließung zum Klonen vom 12.3. 1997, ABl. 1997, Nr. C 115/92) Über die Zulässigkeit des therapeutischen Klonens, also die Gewinnung nicht (abschließend) differenzierter und damit zumindest pluripotenter Zellen zu Heilungszwecken, ließ sich demgegenüber bisher keine verbindliche Entscheidung auf europäischer Ebene herstellen. Als problematisch erweist sich vor allem die Gewinnung von Stammzellen (ĺStammzellforschung), die zwar aufgrund ihres beliebigen Differenzierungspotentials einen hohen therapeutischen Wert versprechen, aber bislang nur unter Verbrauch menschlicher Embryonen gewonnen werden konnten. Auch der Biomedizinkonvention lassen sich hier keine Aussagen entnehmen (vgl. Art. 18). (gär) §§: Biomedizinkonvention; Zusatzprotokolle zur Biomedizinkonvention; Art. 3 Abs. 2 Grundrechtecharta; Art. II-62 VVE; Art. 6 Abs. 2 EU Lit.: M. Albers, Die rechtlichen Standards der Biomedizin-Konvention des Europarates, EuR 2002, 801; F. Bodendiek/K. Nowrot, Bioethik im Völkerrecht, AVR 37 (1999) 177; A. Eser (Hrsg.), Biomedizin und Men-
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schenrechte, 1999; E. Dujmovits, Die EU-Grundrechtecharta und das Medizinrecht, RdM 2001, 72; K. F. Gärditz, Menschenwürde, Biomedizin und europäischer Ordre Public, in: E. Dujmovits et al. (Hrsg.), Recht und Medizin, 2006, 11; H. Hassmann, Embryonenschutz im Spannungsfeld internationaler Menschenrechte, staatlicher Grundrechte und internationaler Regelungsmodelle zur Embryonenforschung, 2003, 4; J. Kersten, Das Klonen von Menschen, 2004; C. Koenig/C. Busch/D. Beer/E.-M. Müller, Das Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin des Europarats und seine Zusatzprotokolle, 2003; N. Lenoir, Biotechnology, Bioethics and Law, Modern Law Review 69 (2006) 1; S. Michalowski, Health Care Law, in: S. Peers/A. Ward (Hrsg.), The European Charter of Fundamental Rights, 2004, 287; J. Taupitz, Biomedizinische Forschung zwischen Freiheit und Verantwortung, 2002; S. Vöneky/ N. Petersen, Der rechtliche Status des menschlichen extrakorporalen Embryos: Das Recht der Europäischen Union, EuR 2006, 340; W. Weiß, EU-Verfassungsvertrag und Biotechnologie, MedR 2005, 458. Speziell zu Bioethik und Biopatenten M. Albers, „Patente auf Leben“, JZ 2003, 275 (281 ff.); T. Barton, Der „Ordre public“ als Grenze der Biopatentierung, 2004; C. Calliess/C. Meiser, Menschenwürde und Biotechnologie: Die EG-Biopatentrichtlinie auf dem Prüfstand des europäischen Verfassungsrechts, JuS 2002, 426 ff.; R. Gold/A. Gollochat, The European Biotech Directive: Past as Prologue, European Law Journal 7 (2001) 331 ff.; J. Krauß/M. Engelhard, Patente im Zusammenhang mit der menschlichen Stammzellforschung, GRUR Int. 2003, 985 ff.; C. Luttermann, Patentschutz und Biotechnologie, RIW 1998, 916 ff.; T. M. Spranger, Patentability of Stem Cell Inventions with Special Emphasis to EC Law, Journal of International Biotechnology Law 1 (2004) 247 ff.; K. Wöhlermann (Hrsg.), Das Biopatentrecht in der EU, 2005
Biotechnologierichtlinie directive on the legal protection of biotechnological inventions – directive relative à la protection juridique des inventions biotechnologiques
Richtlinie zur Harmonisierung der Patentierbarkeit biotechnologischer Erzeugnisse und Verfahren in der EU (= Gemeinschaftsrecht). Zu ihren Inhalten und insb. ihrer Bedeutung für das ĺeurop. Patent, s. bei ĺeurop. Patent, BiotechnologieRL. (mp) §§: RL 98/44/EG, ABl. 1998, Nr. L 213/13
Bluhme-Entscheidung Bluhme case – jurisprudence Bluhme
Auf der dänischen Insel Læsø galt ein allgemeines Verbot keine Bienen zu halten, die nicht der Unterart braune Læsø-Biene angehörten. Der ĺEuGH hatte sich dabei mit der Frage zu befassen, ob diese Regelung ein ĺAbsatzverbot darstelle, da die nationale Regelung die ĺEinfuhr lebender Bienen und Fortpflanzungsmaterial von Zuchtbienen auch aus anderen ĺMit-
Bodenschutz gliedstaaten nach Læsø und auf die umliegenden Inseln verbot und damit geeignet sein konnte, den innergemeinschaftlichen Handel zu behindern. Der EuGH hat das Vorliegen einer ĺMaßnahme mit gleicher Wirkung i.S.d. Art. 28 EG bejaht. Die Regelung sei aber in Bezug auf die Gefahr des Aussterbens der braunen Læsø-Biene gerechtfertigt (s.a. ĺRechtfertigungsgründe). Die Schaffung eines Schutzgebiets zur Sicherung des Fortbestands der Bienenart sei eine geeignete Maßnahme in Hinblick auf das verfolgte Ziel. (ah) Rsp.: EuGH, Rs. C-67/97 Bluhme, Slg. 1998, I-8033, Rn. 19, 22, 23, 37
Blutprodukterichtlinie directive setting standards of quality and safety for the collection, testing, processing, storage and distribution of human blood and blood components – directive établissant des normes de qualité et de sécurité pour la collecte, le contrôle, la transformation, la conservation et la distribution du sang humain, et des composants sanguins
Die RL 2002/98/EG zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen und zur Änderung der RL 2001/83/EG (ABl. 2003, Nr. L 33/30) stützt sich auf die gesundheitspolitische Kompetenz der Gemeinschaft nach Art. 152 Abs. 4 EG und dient vor allem der Verhütung übertragbarer Krankheiten. 1. Zielsetzung: Ziel der Richtlinie ist daher die Gewährleistung von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit gewerblich hergestellter Arzneimittel aus menschlichem Blut und Blutbestandteilen im Interesse eines hohen Gesundheitsschutzniveaus (Art. 1). 2. Regelungskonzept: Kernelement der Richtlinie ist die Etablierung behördlicher Kontrollverfahren in den Mitgliedstaaten zur Überprüfung der Einhaltung von bestimmten Qualitätsstandards bei der Gewinnung und Testung menschlichen Blutes (Art. 5). Zur Sicherstellung einer wirksamen Durchsetzung der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten regelmäßig entsprechende Inspektionen und Kontrollmaßnahmen in Blutspendeeinrichtungen durchzuführen (Art. 8). Die Richtlinie legt weiterhin Qualifikationsanforderungen an das verantwortliche Personal der Einrichtungen sowie Mindeststandards eines Qualitätsmanagements fest (Art. 9-13). Zentrales Anliegen ist die Gewährleistung einer lückenlosen Rückverfolgbarkeit jeder einzelnen Blutspende bis zum Spender, die durch
Dokumentationspflichten sowie eine behördliche Überwachung (Hämovigilanz) sichergestellt werden soll (Art. 14). Die Art. 16-24 enthalten Bestimmungen über die Qualitätssicherung im Rahmen der Blutspende und den Datenschutz. Die Qualitätsstandards werden nach Art. 28-30 im Wege des ĺKomitologieverfahrens festgesetzt. 3. Abgeleitetes Sekundärrecht: Durchführungsvorschriften enthält die (abgeleitete) RL 2004/ 33/EG der Kommission vom 22.3.2004 zur Durchführung der RL 2002/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich bestimmter technischer Anforderungen für Blut und Blutbestandteile (ABl. 2004, Nr. L 91/25). (gär) §§: BlutprodukteRL (2002/98/EG); Art. 152 Abs. 4 EG Lit.: H. Hasskarl, Zur Zulässigkeit der Umsetzung der EG-Blutrichtlinien 2002/98/EG und 2004/33/EG in nationales Recht durch Richtlinien der Bundesärztekammer nach §§ 12 und 18 Transfusionsgesetz, Transfusion Medicine and Hemotherapy 2005, 32; H. Hasskarl/A. Ostertag, Anforderungen an die Aufklärung und Dokumentation bei der Blutspende und bei der Anwendung von Blutprodukten, PharmaR 2006, 311
Board-System ĺMonistisches System Bodenabfertigungsdienste groundhandling services – services d’assistance à l’escale
Die RL 96/67/EG (ABl. 1996, Nr. L 272/36) stellt eine Regelung des Marktzugangs betreffend Bodenabfertigungsdienste dar und bezweckt die Qualitätssteigerung und Effizienzverbesserung sowie die Senkung der Betriebskosten der Luftfahrtgesellschaften über die Gewährleistung des freien Dienstleistungsverkehrs. Die MS haben die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um im Bereich der Bodenabfertigung sowohl den „Drittabfertigern“ als auch den „Selbstabfertigern“ freien Marktzutritt zu gewährleisten, wobei eine Zulassung verlangt werden kann. Für gewisse Dienstleistungen kann eine Limitierung der Anbieter vorgesehen werden. (sm) Bodenschutz soil protection – protection des sols
Der Bodenschutz kann grundsätzlich als Regelungsansatz im Bereich des Naturschutzes angesehen werden (ĺNaturschutz [Regelungsansätze]), wenngleich ein gemeinschaftsrechtli141
Bogsch-Theorie ches Bodenschutzrecht (erst) in Entstehung begriffen ist: Der Boden ist selbstständiges Schutzgut der UVPRL (ĺUmweltverträglichkeitsprüfung) und der IVURL (ĺIntegrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung); zudem wird Schutz durch die ĺNitratRL (RL 91/676/EWG) und die KlärschlammRL (RL 86/278/EWG) gewährt. Unmittelbares Schutzobjekt ist der Boden als solcher allerdings nur vereinzelt. Auf europäischer Ebene ist als zentrale Handlungsanleitung die Europäische Bodencharta zu erwähnen – wenngleich diese nicht zum Recht der Europäischen Gemeinschaft zählt, sondern 1972 vom Europarat verabschiedet wurde. (sm) §§: European Soil Charta, Resolution 72 (19) des Europarates vom 30.5.1972, abgedruckt in: European Yearbook Vol. XX (1972) 1974, 345 ff. Lit.: M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 12, Rn. 30 ff.
§§: Art. 1 Abs. 2a ĺSatelliten- und KabelRL Lit.: G. Hohloch, EG-Direktsatellitenrichtlnie versus Bogsch-Theorie – Anmerkungen zum Kollisionsrecht des Senderechts, IPRax 1994, 387
Bolkesteinrichtlinie Bolkestein directive – directive Bolkestein
Bezeichnung der ĺDienstleistungsRL in der öffentlichen Diskussion; der Name stammt vom in der Sache federführend zuständigen Kommissar für Binnenmarkt, Steuern und Zollunion in der Kommission Prodi (1999–2004) Frits Bolkestein. (sh) §§: RL 2006/123/EG des EP und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. 2006, Nr. L 376/36
Bologna-Prozess ĺEuropäischer Hochschulraum
Bogsch-Theorie
Bosman-Entscheidung
country of reception theory – théorie du pays de réception
Bosman case – jurisprudence Bosman
Bei einer grenzüberschreitenden Programmverbreitung durch Satellit stellt sich die Frage, in welchem Land der urheberrechtlich relevante Akt der öffentlichen Mitteilung erfolgt bzw. für welches Land die ĺVerbreitungsrechte erworben werden müssen. Die Bogsch-Theorie (auch „Empfangslandtheorie“) beantwortet diese Frage zu Gunsten der Rechteinhaber, weil sie sowohl das Ausstrahlungs- als auch das Empfangsland für beachtlich erklärt. Das bedeutet, dass das Sendeunternehmen sowohl für das Ausstrahlungs- als auch für das Empfangsland entsprechend den urheberrechtlichen Vorgaben beider Länder eine Erlaubnis des Rechteinhabers benötigt. Die ĺSendelandtheorie hingegen hält nur das Ausstrahlungsland für relevant. Die ĺSatelliten- und KabelRL sieht für Satellitensendungen eine Regelung vor, die der Sendelandtheorie entspricht (Art. 1 Abs. 2a). Ein vergleichbares Problem stellt sich bei Verwertungsakten im Internet. Als Ort der Verwertung kommen theoretisch sowohl der Ort der Abrufbarkeit (der Angebotsort) als auch der Ort des Empfangs (des Downloads beim Nutzer) in Betracht. Diesbezüglich hat der europäische Gesetzgeber noch keine Regelung vorgenommen, insbesondere auch nicht in der ĺInformationsgesellschaftRL, die sich gerade mit jenen urheberrechtlichen Problemen beschäftigt, die aufgrund neuer technologischer Entwicklungen der Informationsgesellschaft entstehen. (js)
In seinem Urteil in der Rs. Bosman (EuGH, Rs. C-415/93 Bosman, Slg. 1995, I-4921) hat der Gerichtshof erstmals eine freiheitsrechtliche Komponente der Arbeitnehmerfreizügigkeit anerkannt (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Beschränkungsverbot). Insoweit betraf die Entscheidung die Vereinbarkeit von Transferregeln im Berufsfußball mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Nach diesen war der Wechsel eines Fußballspielers zu einem anderen in- oder ausländischen Verein nur gegen Zahlung einer Transferentschädigung an den bisherigen Verein möglich. Hierin sah der Gerichtshof einen Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit: Die „Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten [haben] insbesondere das unmittelbar aus dem Vertrag abgeleitete Recht, ihr Herkunftsland zu verlassen, um sich zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben und sich dort aufzuhalten ... Bestimmungen, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen daher Beeinträchtigungen dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden“ (Rn. 95 f.). Unerheblich sei, ob die beanstandete Regelung genauso die Freizügigkeit innerhalb des Heimatstaates betreffe, da dies an einer Beeinträchtigung der transnationalen Mo-
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Brasserie du Pêcheur-Entscheidung bilität nichts änderte. Tatbestandliche Korrektive, etwa analog den in der Rs. Keck (ĺKeck [-Urteil]) vom Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit ausgenommenen Verkaufsmodalitäten (ĺVerkaufsmodalität [und Warenverkehr]), kämen in casu nicht in Betracht, da die Transferregelung unmittelbaren Einfluss auf den Zugang zum Arbeitsmarkt eines anderen Mitgliedstaates habe. (fw) §§: Art. 39 EG Lit.: M. Hilf/E. Pache, Das Bosman-Urteil des EuGH, NJW 1996, 1169; W. Kluth, Die Bindung privater Wirtschaftsteilnehmer an die Grundfreiheiten des EG-Vertrages, AöR 122 (1997), 557; M. Nettesheim, Die europarechtlichen Grundrechte auf wirtschaftliche Mobilität, NVwZ 1996, 342; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 41 ff.
Bosphorus-Entscheidung Bosphorus case – jurisprudence Bosphorus
Urteil des EGMR vom 30.6.2005, Nr. 45036/98 (= NJW 2006, 197), in der Rs. Bosphorus Airways/Irland, zum europäischen ĺGrundrechtsschutz, insb. zum Verhältnis EU/EuGH – ĺEuropäische Menschenrechtskonvention/ĺEGMR: Anlass der Beschwerde war die Beschlagnahme eines Flugzeugs der Yugoslav Airlines in Irland als behauptete Verletzung des Grundrechts auf ĺEigentumsfreiheit auf der Rechtsgrundlage einer Verordnung des Rates in Umsetzung von UN-Sanktionen. Zu klären war die Verantwortlichkeit eines (ĺEMRK- und EU-)Mitgliedstaates für Verletzungen der ĺEuropäischen Menschenrechtskonvention, die im Zuge der Anwendung von EG-Recht erfolgten. Der EGMR ging in seiner früheren ĺMatthewsRsp. davon aus, dass der Mitgliedstaat für die Einhaltung der ĺEuropäischen Menschenrechtskonvention auch dann verantwortlich bleibt, wenn er Teile der Hoheitsgewalt an eine internationale Organisation (hier die EU) übertragen hat und daraus in der Folge Konventionswidrigkeiten erfließen. Die nunmehrige Bosphorus-Entscheidung erinnert an die ĺSolange II-Rsp. des deutschen BVerfG: EMRKStaaten dürften Hoheitsrechte übertragen, wenn der Grundrechtsstandard der internationalen Organisation der ĺEuropäischen Menschenrechtskonvention entspreche; Identität sei dabei nicht nötig. Der Grundrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht sei prinzipiell dem der ĺEuropäischen Menschenrechtskonvention „gleichwertig“ (im Einzelfall widerlegbare Vermutung). Eine Konventionsverletzung liege deshalb nicht
vor, wenn der Mitgliedstaat bloß seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen erfülle. (ed) Lit.: W. Berka, Grundrechtsschutz durch EuGH und EGMR – Konkurrenz oder Kooperation? Zum „Ja, aber-Beschluss“ des EGMR in der Rechtssache Bosphorus Airways, ÖJZ 2006, 876; S. Douglas-Scott, A Tale of Two Courts: Luxembourg, Strasbourg and the Growing European Human Rights Acquis, CML Rev 2006, 629; C. Heer-Reißmann, Straßburg oder Luxemburg? – Der EGMR zum Grundrechtsschutz bei Verordnungen der EG in der Rechtssache Bosphorus, NJW 2006, 192; J.-P. Jacqué, L’arrêt Bosphorus, une jurisprudence „Solange II“ de la Cour européenne des droits de l’homme?, RTD eur. 2005, 756 Rsp.: EGMR 30.6.2005, Bosphorus/Irland, Nr. 45036/ 98 = NJW 2006, 197; vgl. auch EGMR, 11.11.1996, Cantoni/F, Nr. 17862/91 = HRLJ 17 (1996), 441 = EuGRZ 1999, 193 (Anm. Winkler, EuGRZ 1999, 181); EGMR 18.2.1999. ĺMatthews/GB; EuGH, Rs. C-402/ 05P Kadi, 16.1.2008 (Schlussanträge Generalanwalt); EGMR 30.9.2003, Poirrez/F
Brasserie du Pêcheur-Entscheidung Brasserie du Pêcheur case – jurisprudence Brasserie du Pêcheur
In der Rechtssache Brasserie du Pechêur ging es um eine ĺVorlagefrage gem. Art. 234 EG des BGH an den ĺEuGH. Dieser ĺVorlagefrage lag eine Klage der französischen Brauerei Brasserie du Pechêur auf Schadensersatz gegen die Bundesrepublik Deutschland zu Grunde. Der Brauerei war es von deutschen Behörden nicht gestattet worden, ihr Bier nach Deutschland zu importieren, da es nicht dem deutschen Reinheitsgebot entsprach. Durch die Verweigerung des Imports entstanden der Brasserie de Pechêur Schäden. In ihrer Klage stützte sich die Brauerei auf ein Urteil des EuGH aus dem Jahr 1987, in dem der EuGH im Rahmen einer ĺVertragsverletzungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland festgestellt hatte, dass das deutsche Reinheitsgebot gegen die ĺWarenverkehrsfreiheit (Art. 28 EG) verstößt, soweit es dazu führt, dass in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestelltes Bier in Deutschland nicht in den Verkehr gebracht werden kann. Der BGH legte dem EuGH im Zusammenhang der Schadensersatzklage Fragen zu den Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs vor. Zunächst wollte der BGH wissen, ob der in der Francovich-Entscheidung entwickelte gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch auch für ĺlegislatives Unrecht gelte. Weiterhin fragte der BGH, ob ein etwaiger Staatshaftungsanspruch für ĺlegislatives Unrecht ggf. innerstaatlichen Beschränkungen unterliege und die Haftung von einem Verschuldenserfordernis abhängig gemacht werden dürfe. 143
Briand, Aristide Der ĺEuGH stellte in seiner Entscheidung zunächst fest, dass der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch unabhängig davon gilt, welches innerstaatliche Organ den Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht begangen hat. Damit umfasst der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch auch Schäden, die durch Verstöße des nationalen Gesetzgebers entstanden sind (legislatives Unrecht). Die Voraussetzungen für die Haftung für ĺlegislatives Unrecht müssen dann aber das Ermessen des Gesetzgebers bei der Gesetzgebung berücksichtigen. Die Wahrnehmung der gesetzgeberischen Tätigkeit dürfe nicht durch die Möglichkeit einer Schadensersatzklage behindert werden. Daher fordert der ĺEuGH wie bei der außervertraglichen Haftung der EG gem. Art. 288 Abs. 2 EG auch beim gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch eine ĺhinreichend qualifizierte Rechtsverletzung im Falle der Haftung für legislatives Unrecht. Der Gesetzgeber müsse daher seine Ermessensbefugnisse offenkundig und erheblich überschritten haben. Gerade in dem konkreten Fall bescheinigt der ĺEuGH der Bundesrepublik ein weites Ermessen. Die Entscheidung, ob in dem konkreten Fall jedoch ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vorliegt, überlässt der ĺEuGH den deutschen Gerichten. Zur zweiten Frage stellte der ĺEuGH fest, dass sich die Gewährung von Schadensersatz nach dem nationalen Recht richtet. Dabei dürfen aber die Voraussetzungen zur Leistung von Schadensersatz nicht „ungünstiger als bei ähnlichen, nur das nationale Recht betreffenden Klagen und überdies nicht in der Weise ausgestaltet sein, dass sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädigung zu erlangen.“ Ein faktischer Ausschluss für ĺlegislatives Unrecht im deutschen Staatshaftungsrecht kann somit bei einem Schadensersatzanspruch auf Grundlage des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs keine Anwendung finden. Zudem verneint der ĺEuGH ein Verschuldenserfordernis. Das Verschulden werde vielmehr (nur) bei der Frage der ĺhinreichend qualifizierten Rechtsverletzung berücksichtigt. Im Ergebnis hat der BGH nach Beantwortung der Fragen durch den ĺEuGH einen Schadensersatzanspruch dann aber abgelehnt. (jpt) §§: Art. 28 EG; Art. 234 EG; Biersteuergesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 15.3.1952, BGBl. 1951, I-149 in der Fassung vom 14.12.1976, BGBl. 1976, I-3341 Lit.: A. Hatje, Die Haftung der Mitgliedstaaten bei Verstößen des Gesetzgebers gegen europäisches Ge-
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meinschaftsrecht, EuR 1997, 297; R. Streinz, Anmerkung zu dem EuGH-Urteil in der Rechtssache Brasserie du Pêcheur und Factortame, EuZW 1996, 201 Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-46 und 48/93 Brasserie du Pechêur und Factortame, Slg. 1996, I-1029
Briand, Aristide (1862–1932) Französischer Politiker. Er versuchte nach 1918 mit dem Instrument des Völkerbundes, durch Abrüstungspolitik und mit einer Politik der Versöhnung mit Deutschland ein kollektives Sicherheitssystem zu schaffen (Briand-Kellog-Pakt 1928; Rheinlandräumung 1930). Er erhielt 1926 gemeinsam mit ĺGustav Stresemann und ĺSir J. A. Chamberlain (1925) den Friedensnobelpreis. (gm) Lit.: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 4, 21. Aufl. 2006, 656
Britenrabatt ĺArt. 4 Eigenmittelbschluss (2000/597/EG, Euratom); ĺEigenmittel Brückentheorie Theorie zum Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht, wonach die Geltung von europäischem ĺPrimär- und ĺSekundärrecht in Deutschland fortdauernd auf dem nationalen ĺZustimmungsgesetz und dem dort enthaltenen ĺRechtsanwendungsbefehl beruht. Das Zustimmungsgesetz dient somit als „Brücke“, über die das Gemeinschaftsrecht Einlass in die nationale Rechtsordnung findet. Überschreitet ein Rechtsakt des Gemeinschaftsrechts die im Primärrecht, d.h. im Zustimmungsgesetz bestimmten kompetentiellen Grenzen, kann er in der nationalen Rechtssphäre von vornherein keine Geltung erlangen. Diese Auffassung liegt der ĺMaastricht-Entscheidung zugrunde, in der das ĺBVerfG den Anspruch proklamiert hat, die Einhaltung der Grenzen der der EU übertragenen ĺHoheitsrechte zu überprüfen (ausbrechender ĺRechtsakt). In der Lit. ist die Brückentheorie jedoch umstritten, weil sie die autonome ĺGeltung des Gemeinschaftsrechts in Frage stellt. (sgk) §§: Art. 23 Abs. 1 GG Lit.: P. Kirchhof, Die Gewaltenbalance zwischen staatlichen und europäischen Organen, JZ 1998, 965 (966)
Brüssel I-Verordnung ĺEuropäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO)
Bulgarien und Rumänien, Beitritt Brüsseler Erklärung zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels Brussels declaration on preventing and combating trafficking in human beings – déclaration de Bruxelles sur la prévention de la traite des êtres humains et la lutte contre celle-ci
Abschlussdokument der „Europäischen Konferenz über die Prävention und Bekämpfung des Menschenhandels – Globale Herausforderung für das 21. Jahrhundert“ vom 18.-20.9.2002. Der Erklärung ist als Anhang ein Überblick über Empfehlungen, Standards und bewährte Verfahren zur Bekämpfung des Menschenhandels beigefügt. Dieser umfasst Mechanismen der Kooperation und Koordination, Fragen der Verhütung des Menschenhandels, des Schutzes und der Hilfe für die Opfer sowie der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit. Sowohl der Rat als auch die Kommission nehmen auf diese Erklärung Bezug. So geht die Einrichtung der Sachverständigengruppe „Menschenhandel“ auf die Empfehlungen der Brüsseler Erklärung zurück. (sts) §§: Schlussfolgerungen des Rates vom 8.5.2003, ABl. 2003, Nr. C 137/01 Web: http://ec.europa.eu/justice_home/news/infor mation_dossiers/conference_trafficking/documents/ bruesseler_erklaerung.pdf
Brüsseler Übereinkommen 1968 (EuGVÜ) ĺEuropäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen Bruttoprinzip ĺHaushaltsgrundsätze Bruttosubventionsäquivalent gross grant equivalent – équivalent-subvention brut
ĺSubventionsäquivalente drücken den wirtschaftlichen Nutzen einer Förderung aus. Das Bruttosubventionsäquivalent stellt den Nennwert einer Beihilfe dar; im Gegensatz zum ĺNettosubventionsäquivalent wird die Besteuerung der Fördermittel bei der Berechnung des Bruttosubventionsäquivalents nicht berücksichtigt. (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2005, Rn. 110
Buchnachweis book certificate – la preuve de la comptabilité
Der Buchnachweis bezieht sich im Gegensatz zum ĺAusfuhrnachweis auf alle Voraussetzun-
gen einer echt steuerbefreiten ĺAusfuhr. Er bedeutet, dass die nachzuweisenden sachlichen Voraussetzungen aus den Büchern oder Aufzeichnungen in Verbindung mit Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar zu ersehen sind. Belege oder Belegsammlungen alleine reichen hiefür nicht aus. Einen Buchnachweis stellen somit (nur) auf entsprechende Belege Bezug nehmende, zeitnah geführte Aufzeichnungen, die leicht nachprüfbare Angaben über den Gegenstand der Lieferung, den Abnehmer, das Entgelt sowie die erfolgte Ausfuhr enthalten. Der Buchnachweis muss durch den liefernden Unternehmer erbracht werden; eine Nachweisführung in den Büchern des Geschäftspartners oder sonstiger Beteiligter genügt nicht. (pu) Buchpreisbindung resale price maintenance for books – prix de vente imposé des livres
In den nationalen Medienrechtsordnungen Europas wird die Preisfestsetzungsfreiheit des Buchhändlers regelmäßig gesetzlich eingeschränkt. Rund 2/3 der Mitgliedstaaten praktizieren ein System der Buchpreisbindung. Sinn und Zweck eines solchen Systems ist die Wahrung des Kulturgutes Buch und die flächendeckende Netzversorgung durch Verlage, Buchhandlungen und Bibliotheken. Die grenzüberschreitende Buchpreisbindung steht im Spannungsfeld zu den ĺBinnenmarktregeln. Die Diskussion über die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit eines solchen Systems hat zu einer Renationalisierung der gesetzlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten geführt. (dd) Lit.: W. Berka/T. Eilmannsberger, Das Buchpreisbindungsgesetz auf dem Prüfstand des Verfassungsrechts und Gemeinschaftsrechts, wbl 2007, 205 ff.
Bürgerbeauftragter, Europäischer ĺEuropäischer Bürgerbeauftragter Bürgerrechte ĺUnionsbürgerrechte Bulgarien und Rumänien, Beitritt Bulgaria and Romania, acession – Bulgarie et Roumanie, adhésion
Mit dem am 1.1.2007 erfolgten ĺBeitritt von B. und R. schloss die EU ihre sog. ĺOsterweiterung ab. Damit hat sich der Rat, trotz verbleibender Defizite in der Umsetzung und Verwirklichung des ĺGemeinschaftlichen Besitz145
Bulgarien und Rumänien, Beitritt standes (insb. in den Bereichen des Justizwesens und der Korruptionsbekämpfung – Monitoring Bericht Herbst 2006) gegen eine Verschiebung der ĺErweiterung auf 2008 entschieden (zur entsprechenden Beitrittsaufschubklausel s.u.). Der ĺEurop. Rat von Brüssel (24./25.10.2005) erklärte, den Beitritt von B. und R. bis zum Jahr 2007 anzustreben und sprach sich damit erstmalig für einen „frühen“ Beitrittstermin aus (Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Rn. 5). Nachdem der Rat die ĺBeitrittsverhandlungen mit B. und R. im Dezember 2004 abgeschlossen hatte, erfolgte am 25.4.2005 die Vertragsunterzeichnung. Nach positiver Absolvierung aller im ĺBeitrittsverfahren vorgesehenen Schritte (Stellungnahme der KOM, ABl. 21.6.2006, Nr. L 157/3; Entschließung des EP, ABl. 21.6.2006, Nr. L 157/5 und 7; Beschluss des Rates, ABl. 21.6.2006, Nr. L 157/9, sowie der Ratifikation durch die ĺBewerberländer und bisherigen MS) trat der ĺBeitrittsvertrag am 1.1.2007 in Kraft. Kernpunkte des Beitrittsv. 2007 (für Details zu den schon im Rahmen der Erweiterung von 2004 zum Einsatz gekommenen Instrumenten ĺOsterweiterung): Der Beitrittsv. und die ĺBeitrittsa. folgen in Aufbau und Inhalt in weiten Teilen den Beitrittsdokumenten der Erweiterung von 2004 und enthalten insb.: ƒ Institutionelle Bestimmungen (Art. 9-15 Beitrittsa.) ƒ Hier ist vor allem die Neuverteilung der Sitze im EP hervorzuheben, die durch die Beschränkung der Anzahl der Mitglieder auf 736 (Art. 189 Abs. 2 EG) notwendig wird: Die Zahl der Abgeordneten jedes Mitgliedstaates wird ab Beginn der Wahlperiode 2009 bis 2014 anteilig reduziert, um 17 Plätze für Bulgarien und 33 für Rumänien bereitzustellen (Art. 9 Beitrittsa.). Abweichend von der Begrenzung des Art. 189 Abs. 2 EG können die neuen MS als Übergangsmaßnahme bis 2009, 18 bzw. 35 Parlamentarier durch Wahlen bestimmen und in das EP entsenden (Art. 24. Beitrittsa.). Abgestufte Integration ƒ Auch für B. und R. ist eine abgestufte Integration (ĺOsterweiterung) in die ĺWWU (Art. 5 Beitrittsa.) und den ĺSchengen Raum (Art. 4 Beitrittsa.) vorgesehen. Ebenso werden die ĺDirektzahlungen im Rahmen der ĺGAP den neuen MS erst nach Ende 2016 in voller Höhe zu Verfügung stehen (Art. 19 Beitrittsa. i.V.m. Anhang III der u.a. die VO 146
[EG] 1782/2003 entsprechend novelliert). Die Geldmittel für strukturpolitische Maßnahmen werden erst Ende 2009 uneingeschränkt freigegeben (Art. 33 Beitrittsa.). Schutzklauseln Die Beitrittsa. 2007 sieht eine Schutzklausel beim Auftreten erheblicher wirtschaftlicher Schwierigkeiten (Art. 36 Beitrittsa.), eine Binnenmarktschutzklausel (Art. 37) und eine Schutzklausel für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Straf- und Zivilsachen (Art. 38) vor, die den einschlägigen Bestimmungen der Beitrittsa. 2004 entsprechen (ĺOsterweiterung). Die dreijährigen Schutzmaßnahmen im Bereich des Veterinärrechts und bei der Pflanzengesundheit (Art. 42 Beitrittsa. 2004) sind um Maßnahmen im Bereich des Lebensmittelsicherheitsrecht ergänzt worden (Art. 42 Beitrittsa. 2007). Auf dieser Grundlage sollen bspw. Lebensmittelunternehmen, welche den einschlägigen Auflagen nicht nachkommen, daran gehindert werden ihre Produkte auf dem Binnenmarkt anzubieten. Nach Ablauf der Übergangszeit müssen die Vorschriften erfüllt oder die Herstellung eingestellt werden. ƒ Darüber hinaus enthält die Beitrittsa. erstmalig eine Beitrittsaufschubklausel. Hätten die ĺMonitoring-Berichte ergeben, dass B. und bzw. oder R. nicht in der Lage sind den ĺBeitrittsvoraussetzungen bis zum 1.1.2007 zu entsprechen, wäre der Rat ermächtigt gewesen, durch einstimmigen Beschluss den Beitrittstermin um ein Jahr zu verschieben (Art. 39 Abs. 1 Beitrittsa. i.V.m. Art. 4 Abs. 2 Beitrittsv.). Bei Nichterfüllung gew. Verpflichtungen (s. bspw. Anhang IX, Nr. I und II) hätte im Falle Rumäniens sogar eine qualifizierte Mehrheit zu diesem Beschluss ausgereicht (Art. 39 Abs. 2 und 3 Beitrittsa.). ƒ
Übergangsvorschriften ƒ Die nach den Verhandlungskapiteln gegliederten ĺÜbergangsvorschriften sind gem. Art. 23 Beitrittsa. in einzelnen Anhängen (Anhang VI für Bulgarien und Anhang VII für Rumänien) zusammengefasst. Insgesamt lassen sich in weniger als der Hälfte der Verhandlungskapiteln befristete Ausnahmen vom ĺGemeinschaftlichen Besitzstand auffinden: ĺDienstleistungs-; ĺKapitalverkehrs- und ĺWarenverkehrsfreiheit; ĺPersonenfreizügigkeit; ĺLandwirtschaft; ĺVerkehrspolitik; ĺSozialpolitik und Beschäftigung, Energie; ĺSteuerwesen, Telekommunikation und In-
Bundesländer (deutsche Rechtslage) formationstechnologie; ĺUmwelt und ĺWettbewerbspolitik. Die umfangreiche Beschränkung der ĺArbeitnehmerfreizügigkeit entspricht dem „2+3+2“ Jahre-Modell, welches schon in der Osterweiterung 2004 zum Einsatz kam (für Details ĺPersonenverkehrsfreiheiten, Übergangsvorschriften). Übergangshilfen (-fazilitäten): ƒ Die Art. zur Übergangsfazilität (Art. 31 Beitrittsa.) und Schengenfazilität (Art. 32 Beitrittsa.) entsprechen im Wesentlichen jenen der Beitrittsa. 2004 (ĺOsterweiterung). Zur Operationalisierung der Binnenmarktschutzklausel (Art. 37 Beitrittsa. 2007) und der Schutzklausel für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Straf- und Zivilsachen (Art. 38 leg. cit.) hat die KOM mittels zweier Entscheidungen (2006/928/EG für Rumänien; 2006/929/EG für Bulgarien) ein Kooperations- und Kontrollverfahren zur Reduktion der Defizite bei der Justizreform und Korruptionsbekämpfung eingerichtet, dass die neuen MS verpflichtet jährlich Bericht über die Fortschritte bei der Erfüllung der einschlägigen Vorgaben zu erstatten. Die KOM gibt dazu eine Stellungnahme ab. Falls die neuen MS die Vorgaben nicht erfüllen, kann die KOM Schutzmaßnahmen i.S.d. Art 37 und 38 leg. cit. anordnen. Dies schließt aber nicht aus, dass die Schutzklauseln – unabhängig vom eingerichteten Verfahren – zum Einsatz gebracht werden. (lo) §§: Beitrittsvertrag 2007, ABl. 21.6.2006, Nr. L 157/11; VO (EG) 1782/2003, ABl. 2003, Nr. L 270/1 Lit.: J. Sack, Abfassung des Beitrittsvertrages mit Bulgarien und Rumänien beendet, EuZW 2005, 130; Monitoring Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens, KOM(2006) 549 endg. Web: http://ec.europa.eu/enlargement/archives/bulgaria/ key_documents_en.htm; http://ec.europa.eu/enlargement/ archives/romania/key_documents_en.htm; Kooperations- und Kontrollverfahren: http://ec.europa.eu/dgs/ secretariat_general/cvm/index_de.htm
Bund-Länder-Streit (deutsche Rechtslage) dispute between Federation and Länder/Federal States (German legal situation) –dispute entre État fédéral et les länder (situation juridique allmande)
Verfahren im deutschen Verfassungsrecht zur Austragung föderaler Streitigkeiten zwischen Bund und ĺBundesländern vor dem ĺBVerfG. Als Antragsgegenstand kommen auch Mitwirkungsakte der ĺBundesregierung im Rat und die zugrundeliegenden Kabinettsbeschlüsse in Betracht (ĺFernsehrichtlinien-Entscheidung).
Relevant v.a. bei der Beschlussfassung über Gemeinschaftsrechtsakte, die Kompetenzen der Bundesländer berühren. Das Streitpotential ist jedoch durch die Formalisierung und Präzisierung der Mitwirkungsrechte des ĺBundesrates in Art. 23 GG entschärft worden. (sgk) §§: Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG; §§ 68-70 BVerfGG Lit.: G. Dieterich, Rechtsschutz der deutschen Bundesländer vor dem Bundesverfassungsgericht in Angelegenheiten der Europäischen Union, 1998
Bundesländer (deutsche Rechtslage) Federal States (German legal situation) – États fédérés (situation juridique allmande)
Gliedstaaten der Bundesrepublik Deutschland. Da sich Gemeinschaftsrecht auch auf Materien erstreckt, die nach der deutschen bundesstaatlichen Ordnung in die Zuständigkeit der Länder fallen, droht den Bundesländern durch den europäischen ĺIntegrationsprozess ein Verlust an Kompetenzen und Handlungsspielräumen. Die Bundesländer sind zwar im ĺAusschuss der Regionen, nicht aber in den Entscheidungsorganen der Union vertreten. Die deutschen Mitwirkungsrechte im ĺRat werden vielmehr grds.a. dann von der ĺBundesregierung wahrgenommen, wenn der jeweilige Rechtsakt Länderkompetenzen berührt. In seiner Entscheidung zur ĺFernsehrichtinie hat das ĺBVerfG festgestellt, dass der Bund in solchen Fällen als Sachwalter der Länder auch deren verfassungsmäßigen Rechte vertritt und deshalb verpflichtet ist, den Rechtsstandpunkt der Länder zu berücksichtigen (Grundsatz der Bundestreue). Diese Verpflichtung kann im Verfahren des ĺBund-Länder-Streites vor dem BVerfG durchgesetzt werden. Seit 1993 gewährt Art. 23 GG den Ländern über den ĺBundesrat eine stärker formalisierte und ausdifferenzierte Beteiligung bei der Wahrnehmung deutscher Mitwirkungsrechte in den Unionsorganen. Die Bundesländer unterhalten außerdem Länderbüros in Brüssel, die jedoch nicht den Status diplomatischer Vertretungen besitzen. (sgk) §§: Art. 23 Abs. 2 und 4-7 GG; Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG) vom 12.3. 1993, BGBl. I 313 und 2006 I 2098; Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 29.10.1993 Lit.: M. Borchmann, Neue Bund-Länder-Vereinbarung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union, EuZW 1994, 172; M. Günther, Die Mitwirkung des Bundesrates in Anglegenheiten der Europäischen Union nach Art. 23 GG, 1998; R. Müller-Terpitz, Die Beteiligung des Bundes-
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Bundesrat (deutsche Rechtslage) rates am Willensbildungsprozeß der Europäischen Union, 1999
Bundesrat (deutsche Rechtslage) Bundesrat/Federal Council of Germany (German legal situation) – le Bundesrat (situation juridique allmande)
Bundesorgan, durch das die ĺBundesländer bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der EU mitwirken. Setzt sich aus Vertretern der Landesregierungen zusammen. Als Kompensation für die Kompetenzverluste der Länder zugunsten der EU gewährt Art. 23 Abs. 2 und 4-7 GG dem Bundesrat formalisierte Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der EU, v.a. bei Rechtsetzungsakten. Die Einzelheiten sind durch Gesetz und eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern festgelegt. Die ĺBundesregierung muss den Bundesrat umfassend und rechtzeitig über EUAngelegenheiten unterrichten. Bei der Wahrnehmung der deutschen Mitwirkungsrechte im ĺRat muss sie die Stellungnahme des Bundesrates in einem je nach betroffener Materie abgestuften Grade berücksichtigen. Sind im Schwerpunkt die Bereiche Schule, Kultur oder Rundfunk betroffen, wird die Wahrnehmung der deutschen Mitwirkungsrechte einem vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder mit Ministerrang übertragen. Zur Erfüllung seiner europapolitischen Aufgaben hat der Bundesrat eine Europakammer eingerichtet, die in seinem Namen Beschlüsse fassen kann. (sgk)
Dabei agiert federführend das Ministerium, dessen Ressort im Einzelfall fachlich am stärksten berührt ist. Die ressortübergreifende Abstimmung erfolgt durch die Europabeauftragten und die Europa-Abteilungsleiter der einzelnen Fachministerien sowie abschließend im Staatssekretärsausschuss für Europafragen. Die Zuständigkeit für die allgemeine Konzeption und Koordinierung der Europapolitik liegt bei den Europaabteilungen des Auswärtigen Amtes und des Wirtschaftsministeriums. Auch das Bundeskanzleramt nimmt zunehmend Koordinierungsaufgaben wahr. Ein spezielles Europaministerium ist bislang nicht eingerichtet worden. Im Auswärtigen Amt ist jedoch ein Staatsminister für Europa angesiedelt. (sgk) §§: Art. 62-69 GG Web: http://www.bundesregierung.de
Bundesstaatsblindheit blindness towards federalism – cécité envers le fédéralisme
Federal Government (German legal situation) – gouvernement fédéral (situation juridique allmande)
Als „bundesstaatsblind“ wird die EU deshalb bezeichnet, weil sie sich an die Mitgliedstaaten als Nationalstaaten richtet, deren innere Organisation ihnen überlassen ist. Es obliegt also dem nationalen Verfassungsrecht, festzulegen, ob der Mitgliedstaat überhaupt als Mehrebenensystem organisiert ist. Die Mitglieder der EU sind nur in der Minderzahl echte Bundesstaaten (Belgien, Deutschland, Österreich), doch weisen viele der einheitsstaatlich organisierten Mitgliedstaaten (z.B. Spanien, Italien, Vereinigtes Königreich) einen hohen Dezentralisierungsgrad auf. Tatsächlich bestehen auch Anknüpfungspunkte zwischen den Regionen und der EU, die das Prinzip der „Bundesstaatsblindheit“ punktuell durchbrechen: Auf nationaler Ebene ist festzulegen, ob und inwiefern die Regionen innerhalb der Mitgliedstaaten an der aszendierenden und deszendierenden Phase der EU-Rechtsetzung partizipieren (Länderbeteiligungsverfahren, Umsetzungsverpflichtungen). Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene besteht die Anknüpfung in Form des ĺAusschusses der Regionen, des ĺPrinzips der Partnerschaft, der Möglichkeit der Entsendung eines regionalen Vertreters auf Ministerebene in den ĺRat und der Strukturpolitik. (ag)
Bundesorgan und Spitze der vollziehenden Gewalt des Bundes. Besteht aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern. Die Wahrnehmung der deutschen Mitwirkungsrechte im ĺRat liegt im Regelfall in ihrer Verantwortung.
Lit.: H.-P. Ipsen, Als Bundesstaat in der Gemeinschaft, in: E. von Caemmerer/H.-J. Schlochauer/E. Steindorff (Hrsg.), Probleme des europäischen Rechts. FS für W. Hallstein, 1966, 248 Rsp.: EuGH, Rs. C-95/97 Wallonische Region II, Slg. 1997, I-1787
§§: Art. 23 Abs. 2 und 4-7 GG; Art. 52 Abs. 3a GG; Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG) vom 12.3.1993, BGBl. I 313 und 2006 I 2098; Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 29.10.1993 Lit.: M. Borchmann, Neue Bund-Länder-Vereinbarung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union, EuZW 1994, 172; M. Günther, Die Mitwirkung des Bundesrates in Anglegenheiten der Europäischen Union nach Art. 23 GG, 1998; R. Müller-Terpitz, Die Beteiligung des Bundesrates am Willensbildungsprozeß der Europäischen Union, 1999 Web: http://www.bundesrat.de
Bundesregierung (deutsche Rechtslage)
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BUSINESSEUROPE Bundestag (deutsche Rechtslage) Bundestag/Federal Diet (German legal situation) – le Bundestag/Diète fédérale (situation juridique allmande)
Parlament der Bundesrepublik Deutschland. Als Kompensation für die Kompetenzverluste zugunsten der EU gewährt Art. 23 Abs. 2 und 3 GG dem Bundestag gewisse Mitwirkungsrechte in Angelegenheiten der EU, v.a. bei Rechtsetzungsakten. Insb. muss der Bundestag von der ĺBundesregierung rechtzeitig und umfassend unterrichtet werden und Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Diese Stellungnahme muss die Bundesregierung bei der Wahrnehmung ihrer Mitwirkungsrechte im ĺRat berücksichtigen, ohne jedoch im Ergebnis rechtlich an sie gebunden zu sein. Die Einzelheiten sind durch Gesetz und eine Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung festgelegt. Zur Wahrnehmung seiner europapolitischen Aufgaben hat der Bundestag einen Ausschuss für Angelegenheiten der EU eingerichtet, dem auch deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments ohne Stimmrecht angehören. (sgk) §§: Art. 23 Abs. 2 und 3 GG; Art. 45 GG; Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) vom 12.3.1993, BGBl. I 311 und 2005 I 3178; Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung über die Zusammenarbeit in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 28.9.2006, BGBl. I 2177 Lit.: F. Hauck, Mitwirkung des Bundestages in Angelegenheiten der EU, 1999; C. Rath, Entscheidungspotenziale des Deutschen Bundestages in EU-Angelegenheiten, 2001 Web: http://www.bundestag.de/
Bundesverfassungsgericht (deutsche Rechtslage) Federal Constitutional Court (German legal situation) – tribunal constitutionnel fédéral (situation juridique allmande)
Höchstes deutsches Gericht mit Zuständigkeit zur Wahrung des Verfassungsrechts in den im GG vorgesehenen Fällen und Verfahren. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beansprucht prinzipiell eine Prüfungskompetenz hinsichtlich der Einhaltung der ĺIntegrationsschranken aus Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG und der Grenzen der übertragenen Hoheitsgewalt durch das Gemeinschaftsrecht (ĺPrüfungsvorbehalt; ausbrechender ĺRechtsakt; ĺGrundrechte). Den Grundrechtsschutz übt es in einem ĺKooperationsverhältnis mit dem ĺEuGH aus. Prüfungsmaßstab des BVerfG ist deutsches Verfassungsrecht, nicht das Gemeinschaftsrecht. Infolge der Kontrolle eventueller Überschreitungen
der Verbandskompetenz der EG (ausbrechende Rechtsakte) sowie der Anerkennung des EuGH als gesetzlicher ĺRichter kann die Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität eines Rechtsaktes jedoch auch vor dem BVerfG relevant werden. Die im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsrecht in der Praxis wichtigsten Verfahrensarten sind die ĺVerfassungsbeschwerde und die konkrete ĺNormenkontrolle. (sgk) §§: Art. 93 f. GG Lit.: R. Zuck/C. Lenz, Verfassungsrechtlicher Rechtsschutz gegen Europa, NJW 1997, 1193; U. Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2005, 379 ff.; R. van Ooyen, Die Staatstheorie des Bundesverfassungsgerichts und Europa, 2006 Web: http://www.bverfg.de/
Burden sharing (Asylrecht) burden sharing (right of asylum) – partage de la charge (droit d’asile)
Unter einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen im Zusammenhang mit der Aufnahme von Flüchtlingen und vertriebenen Personen i.S.d. Art. 63 Z. 2 lit. b EG (burden sharing) ist nicht die tatsächliche Aufteilung von Flüchtlingen zwischen den EU-Mitgliedstaaten, sondern ein finanzieller Ausgleich zu verstehen. S.a. ĺEuropäischer Flüchtlingsfonds und ĺVorübergehender Schutz. (gt) (jw) Lit.: K. Hailbronner, Immigration and Asylum Law and Policy of the European Union, 2000, 417 ff.
BUSINESSEUROPE Hieß bis zum 27.1.2007 UNICE – Union of Industrial and Employers’ Confederation of Europe – und ist die europäische Arbeitgeberorganisation, die vor allem im Lobbyprozess die Interessen der Arbeitgeber- und Produzentenverbände vertritt. BUSINESSEUROPE besteht aus 60 Arbeitsgruppen mit gut 1.200 Experten. Wenn immer ein Thema oder eine Entwicklung auf europäischer Ebene der Diskussion bedürfen, wird eine Arbeitsgruppe gebildet, um ein Positionspapier zu entwickeln, welches die Grundlage für die folgende Lobbyarbeit darstellt. Ziele der Organisation sind die Umsetzung von Reformen für wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze, die Integration des europäischen Marktes, eine effiziente Steuerung und Verwaltung der EU, die Entwicklung eines zuverlässigen, sicheren und klimafreundlichen Energiesystems sowie die Reform der europäischen Sozialsysteme. Zu den Mitgliedern zählen u.a. die Industriellenvereinigung aus Österreich und der Bundes149
Buy Irish-Entscheidung verband der Deutschen Industrie e.V. sowie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. aus Deutschland. Die praktische Arbeit besteht im Wesentlichen im Dialog mit der ĺEuropäischen Kommission, dem ĺEuropäischen Parlament und der World Trade Organisation sowie dem Kontakt mit Vertretern aus der Politik, Verwaltung, Wirtschaftskreisen und Handelsorganisationen. (fg) Web: http://www.businesseurope.eu
Buy Irish-Entscheidung Buy Irish case – jurisprudence Buy Irish
Die irische Regierung verfolgte im Jahr 1978 eine Kampagne zur Förderung des Absatzes und des Kaufs irischer Produkte im Inland, dabei sollten die ĺEinfuhren bis zu 3 % der gesamten Verbraucherausgaben durch irische Produkte ersetzt werden. Die Kampagne beinhaltete einen kostenlosen Informationsdienst für Verbraucher, Ausstellungsmöglichkeiten für ausschließlich irische Produkte, Förderung der Verwendung eines Etiketts „guaranteed irish“
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und Werbeeinschaltungen zugunsten irischer Produkte. Die irische Regierung wehrte sich gegen den Vorwurf einer ĺMaßnahme gleicher Wirkung mit der Behauptung, Art. 28 EG betreffe nur behördlich erlassene zwingende Maßnahmen. Die Regierung habe aber keinen Rechtsakt gesetzt. Der ĺEuGH lehnte dieses Argument ab, da die gesamte Kampagne Ausdruck einer wohldurchdachten Absicht war, eingeführte Produkte auf dem irischen Markt durch inländische zu ersetzen. Selbst wenn die Kampagne nicht nennenswert dazu beigetragen habe, den irischen Markt für inländische ĺWaren zu gewinnen, war sie doch Teil eines Regierungsprogramms, das geeignet sei das Handelsvolumen zwischen den ĺMitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Die Wirkung sei daher vergleichbar mit der Wirkung, die zwingende Regierungsakte haben. (ah) Rsp.: EuGH, Rs. 249/81 Kommission/Irland, Slg. 1982, 4005, Rn. 23/27/28
BVerfG ĺBundesverfassungsgericht
C Caching Als Caching bezeichnet die ĺE-commerceRL das automatische, zeitlich begrenzte Zwischenspeichern von vom Nutzer eingegebenen Informationen, um diese in ein Kommunikationsnetz zu übermitteln. Für diese vom Nutzer eingegebenen Informationen ist der Diensteanbieter nach Art. 13 der RL 2000/31/EG unter folgenden Voraussetzungen nicht verantwortlich: Er darf die Information nicht verändern, er muss die Bedingungen für den Zugang zu der Information sowie die in anerkannten und verwendeten Industriestandards festgelegten Regeln für die Aktualisierung der Information beachten und er darf nicht die erlaubte Anwendung von Technologien zur Sammlung von Daten über die Nutzung der Information beeinträchtigen. Sobald der Diensteanbieter tatsächliche Kenntnis davon hat, dass eine Information aus dem Netz entfernt oder der Zugang zu ihr gesperrt oder eine Sperrung angeordnet wurde, muss er die Information entfernen oder sperren. (fs) §§: Art. 13 RL 2000/31/EG, ABl. 2000, Nr. L 178/1
CALRE ĺKonferenz der Europäischen Regionalen Gesetzgebenden Parlamente Cantoni-Entscheidung Cantoni case – jurisprudence Cantoni
Eine Entscheidung – des ĺEGMR (und zuvor der damaligen ĺEKMR) vor dem Hintergrund des französischen Arzneimittelrechts. Enthält wesentliche Aussagen zur Reichweite der mitgliedstaatlichen Bindung an die ĺGrundrechte der ĺEMRK beim Vollzug von Gemeinschaftsrecht: Eine im Vergleich zur EG-RL nahezu wortgleiche nationale Regelung (hier: des „Code de la santé publique“) kann dennoch an Art. 7 EMRK (Bestimmtheit einer Strafsanktion, hier des Verbots des Handels mit apothekenpflichtiger Ware) geprüft werden. Der EGMR sah kein
Zulässigkeitshindernis in der Tatsache, dass damit faktisch Gemeinschaftsrecht an der EMRK geprüft wird. (ed) Lit.: C. Dippel, Die Kompetenzabgrenzung in der Rechtsprechung von EGMR und EuGH, unpubl. Diss. Univ. Berlin, 2004, 86 f. Rsp.: EGMR 11.11.1996, Cantoni/F, Nr. 17862/91 = HRLJ 17 (1996), 441 = EuGRZ 1999, 193 (Anm Winkler, EuGRZ 1999, 181); EGMR 18.2.1999, ĺMatthews/ GB; EGMR 13.1.2005, Emesa Sugar/NL
CARDS Community Assistance for Reconstruction, Development and Stabilisation – Assistance communautaire pour la reconstruction, le développement et la stabilization
Dt., Gemeinschaftshilfe für Wiederaufbau, Entwicklung und Stabilisierung. C. ist bzw. war eine Gemeinschaftshilfe für die sog. Länder des ĺWestlichen Balkans und diente der Unterstützung des ĺStabilisierungs- und Assoziationsprozesses. Mit 2007 hat das integrierte Instrument für die Heranführungshilfe (ĺIPA) die Funktionen von C. übernommen. Auf Anregung des ĺEurop. Rates (10./11.12. 1999) von Helsinki führte der Rat C. im Jahr 2000 (RL 2666/2000/EG) ein, um die bisherigen Unterstützungsprogramme (OBNOVA, VO [EG] 1628/96; ĺPHARE) zusammenzuführen, zu vereinfachen und weiterzuentwickeln. Darüber hinaus war nach der Umgestaltung von ĺPHARE zu einem Instrument der ĺBeitrittsvorbereitung zur Ermöglichung der sog. ĺOsterweiterung, die Herausnahme der Länder des sog. ĺWestlichen Balkans aus dem Programm notwendig geworden. C. war ein gemischtes Instrument, das de facto Aspekte der ĺEuropäischen Nachbarschaftspolitik und der ĺBeitrittsvorbereitung umfasste. Es diente im Wesentlichen dem Wiederaufbau und der Schaffung eines institutionellen und rechtlichen Rahmens zur Umsetzung der ĺGrundsätze der Union und der marktwirtschaftlichen Umgestaltung der Wirtschaft in den Staaten des sog. ĺWestlichen Balkans. Von 2000 bis 2006 wurden dafür 4,65 Mill. € aufgewandt. Die jährlichen Aktionsprogramme genehmigte ein auf 151
Carpenter-Entscheidung Basis des ĺKomitologiebeschlusses eingerichteter CARDS-Ausschuss (Art. 10 Abs. 1 und 2 VO [EG] 2666/2000 i.V.m. Art. 4. und 7 des Beschlusses 1999/468/EG). Seit der Einrichtung der ĺEuropäischen Partnerschaften war die Programmierung der finanziellen Hilfen im Rahmen von. C. an den in den „Partnerschaften“ aufgeführten Prioritäten auszurichten. (lo) §§: Art. 181a EG; VO 2666/2000/EG, ABl. 2000, Nr. L 306/1; VO (EG) 1628/96, ABl.1996, Nr. L 204 Lit.: R. Priebe, Der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess auf dem Westlichen Balkan, EuZW 2002, 193 Web: http://ec.europa.eu/enlargement/financial_ assistance/cards/index_en.htm
Carpenter-Entscheidung ĺMary Carpenter Cartagena-Protokoll Cartagene Protocol – Protocole de Cartagena
Das Protokoll von Cartagena über die Biologische Sicherheit zum Übereinkommen über die Biologische Vielfalt hat auf völkerrechtlicher Ebene die sichere Weitergabe, Handhabung und Verwendung von ĺgenetisch veränderten Organismen zum Ziel, wobei ein Schwerpunkt auf der ĺgrenzüberschreitenden Verbringung liegt. Die Europäische Gemeinschaft hat dieses Protokoll unterzeichnet und es mit der VO (EG) 1946/2003 über die grenzüberschreitende Verbringung von genetisch veränderten Organismen umgesetzt. (al) §§: VO (EG) 1946/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.7.2003 über grenzüberschreitende Verbringungen genetisch veränderter Organismen, ABl. 2003, Nr. L 287/1; 2002/628/EG: Beschluss des Rates vom 25.6.2002 über den Abschluss des Protokolls von Cartagena über die biologische Sicherheit im Namen der Europäischen Gemeinschaft, ABl. 2002, Nr. L 201/48 Web: http://www.cbd.int/default.shtml
Cassis de Dijon Cassis de Dijon case – jurisprudence dite Cassis de Dijon
Die Rewe-AG beantragte bei der deutschen Bundesmonopolverwaltung die Genehmigung, aus Frankreich den Likör Cassis de Dijon einzuführen. Der Likör war in Frankreich mit einem Alkoholgehalt von 15-20 % rechtmäßig in Verkehr. Der Antrag wurde abgelehnt. Der Likör sei aufgrund seines zu geringen Weingeistgehalts in Deutschland nicht verkehrsfähig. In Deutschland war für Früchtelikör ein Alkoholgehalt von mind. 25 % vorgeschrieben. Der ĺEuGH sah darin einen Verstoß gegen Art. 28 EG. In Ermangelung harmonisierter gemein152
schaftlicher Regelungen sind die ĺMitgliedstaaten zwar generell dazu befugt, in Einklang mit dem geltenden Vertragsbestimmungen, u.a. Vorschriften betreffend Zusammensetzung und Herstellung zu erlassen. Gleichzeitig sind sie aber dazu verpflichtet, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellten und in Verkehr gebrachten Lebensmittel in ihrem Hoheitsgebiet zu zulassen. Hemmnisse für den ĺBinnenmarkt aufgrund unterschiedlicher nationaler Vorschriften müssen nur hingenommen werden, sofern die Bestimmungen notwendig sind um ĺzwingenden Erfordernissen gerecht zu werden. Dazu zählen etwa eine wirksame steuerliche Kontrolle, der Schutz der öffentlichen Gesundheit, die ĺLauterkeit des Handelsverkehr und der ĺVerbraucherschutz. Die Maßnahmen müssen aber in Hinblick auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig sein und das für den innergemeinschaftlichen Handel am wenigsten hinderliche Mittel darstellen. Die Entscheidung hat somit im Wesentlichen zwei Grundsätze etabliert: 1. Auch nicht diskriminierende Produktvorschriften fallen unter das Verbot des Art. 28 EG, wenn sie ausländische ĺWaren am Marktzutritt behindern. Damit begründete der EuGH das ĺHerkunftslandprinzip. Darüber hinaus hat er grundlegende Aussagen zum Prinzip der ĺgegenseitigen Anerkennung getroffen. 2. Mit der Anerkennung zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses über die in Art. 30 EG genannten Rechtfertigungsgründe hinaus wurde gleichzeitig der Katalog an Ausnahmen vom Tatbestand des Art. 28 EG wesentlich erweitert. (güh) §§: Mitteilung der Kommission über die Auswirkungen des Urteils des EuGH vom 20.2.1979 in der Rs. 120/78, ABl. 1980, Nr. C 256/2 Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 74 Rsp.: EuGH, Rs. 120/78 Cassis de Dijon, Slg. 1979, 649, Rn. 8; EuGH, Rs. 176/84 ĺKommission/Deutschland (Reinheitsgebot für Bier), Slg. 1987, 1213; EuGH, Rs. 216/84 Kommission/Frankreich (Ersatz für Milchpulver), Slg. 1988, 793
CATS ĺArtikel 36-Ausschuss CCCTB Common Consolidated Corporate Tax Base – une assiette commune consolidée pour l’impôt sur les sociétés
Dt., gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage. Unter CCCTB ver-
Centros-Entscheidung steht man eine seit 2001 (i.R.d. Lissabon-Konzepts) existierende Strategie der Europäischen Kommission. Nach Auffassung der Europäischen Kommission können die steuerlichen Hindernisse, mit denen Unternehmen, die in mehr als einem Mitgliedstaat tätig sind, konfrontiert sind, nur dadurch systematisch beseitigt werden, dass diesen Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt wird, für ihre EU-weiten Tätigkeiten eine konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage zu verwenden. Die konkreten erarbeiteten Ziele bestehen darin: ƒ Möglichkeiten zu finden, um körperschaftsteuerliche Hindernisse für die Effizienz und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu beseitigen; ƒ den Verwaltungsaufwand sowohl für die Unternehmen als auch für die Steuerverwaltungen zu verringern, und einfache und klare Regeln einzuführen; ƒ mögliche Elemente einer CCCTB zu ermitteln, die zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen beitragen und den wirtschaftlichen Anforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen sind; ƒ zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten ihre berechtigten finanziellen Interessen wahren können, insbesondere durch Einschränkung der Möglichkeiten ƒ für Steuerumgehung und Steuerbetrug. Die IAS/IFRS spielen in diesem Zusammenhang insofern eine Rolle, als sie als Hilfsmittel für die Konzipierung der Bemessungsgrundlage verwendet werden, da sie über eine gemeinsame Sprache und einige gemeinsame Definitionen verfügen. Allerdings werden die Elemente der internationalen Standards, die für die CCCTB nicht geeignet sind, auch nicht in die CCCTB übernommen, und es wird keine direkte förmliche Verknüpfung mit den sich ständig ändernden Standards (IAS/IFRS) geben. (pu)
CEFL ĺKommission für Europäisches Familienrecht
CCMI ĺWirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Kommission für den industriellen Wandel
Center of Main Interest (COMI) ĺEuropäische Insolvenzverordnung
Cdt ĺÜbersetzungszentrum für die Einrichtungen der Europäischen Union (Cdt) Cedefop ĺEuropäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop)
CEFTA Central European Free Trade Agreement – Accord de libre-échange centre-européen (ALECE)
Dt., Mitteleuropäisches Freihandelsabkommen. Das neue CEFTA ist ein mitteleuropäisches Freihandelsabkommen, das am 19.12.2006 unterzeichnet wurde. Es basiert auf dem CEFTA aus dem Jahre 1992, das von Polen, der früheren Tschechoslowakei und Ungarn abgeschlossen worden war. Vertragsparteien der neuen CEFTA im Jahre 2006 waren Albanien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Moldau, Montenegro, Rumänien und Serbien (einschließlich des Kosovo im Sinne der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats). Bulgarien und Rumänien sind mit dem ĺBeitritt zur Europäischen Union am 1.1.2007 aus dem CEFTA austreten. Das CEFTA sieht die Schaffung einer regionalen Freihandelszone auf der Grundlage der bestehenden bilateralen Handelsabkommen vor. Es enthält eine Liberalisierung von mehr als 90 % des regionalen Handels. Der Handel mit Industriegütern wird nahezu vollständig liberalisiert. Geregelt werden auch Fragen des Wettbewerbs, des öffentlichen Auftragwesens, des geistigen Eigentums sowie die Konvergenz handelsbezogener Bestimmungen aus dem Bereich der Industrie, des Veterinärwesens und des Pflanzenschutzes. (bh) CEN ĺEuropäisches Komitee für Normung CENELEC ĺEuropäisches Komitee für Normung
Centros-Entscheidung Centros case – jurisprudence Centros
S.a. ĺNiederlassungsfreiheit, für Gesellschaften): Urteil des EuGH, welches ein grenzüberschreitendes Auseinanderfallen von Satzungsund Verwaltungssitz einer Gesellschaft erstmals als vom Anwendungsbereich der ĺNiederlassungsfreiheit erfasst qualifizierte und damit im 153
CEPOL Ergebnis gegen die in Kontinentaleuropa herrschende ĺSitztheorie gerichtet war. Zu Sachverhalt und Entscheidung: In Großbritannien wurde eine „Private Limited Company“ (Ltd.) als reine „Briefkastenfirma“ gegründet, um in Dänemark über eine Zweigniederlassung die gesamte Geschäftstätigkeit zu entfalten und auf diese Weise die Einzahlung eines Mindestkapitals nach dänischen Vorschriften zu umgehen. Ein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit – und zwar auch von Gesellschaften – sei nur dann gerechtfertigt, wenn er zwingende Allgemeininteressen erfülle, es kein gelinderes Mittel gebe (Mindesteingriffsprinzip), er auf nicht diskriminierende Weise erfolge, geeignet sei und nicht darüber hinausgehe, was zur Erreichung des Schutzzweckes unbedingt erforderlich sei. (tr) §§: Art. 43, 48 EG Lit.: B. Höfling, Die ‚Centros‘-Entscheidung des EuGH – auf dem Weg zu einer Überlagerungstheorie für Europa, DB 1999, 1206; P. Kindler, Niederlassungsfreiheit für Scheinauslandsgesellschaften? Die ‚Centros‘-Entscheidung des EuGH und das internationale Privatrecht, NJW 1999, 1993; S. Korn/C. Thaler, Das Urteil des EuGH in der Rs. ‚Centros‘: Ein Meilenstein für das europäische Gesellschaftskollisionsrecht?, wbl 1999, 247 Rsp.: EuGH, Rs. C-212/97 Centros, Slg. 1999, I-1459
CEPOL ĺEuropäische Polizeiakademie CERN ĺEuropäische Organisation für Kernforschung CFCA ĺEuropäische Fischereiaufsichtsbehörde (CFCA) CFR ĺGemeinsamer Referenzrahmen Chamberlain, Joseph Austen, Sir (1863–1937) Britischer Politiker. Als Außenminister 1924–1929 wesentlich am Zustandekommen des Locarnopaktes 1925 beteiligt. Friedensnobelpreis 1925. (gm) Lit.: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 5, 21. Aufl. 2006, 440
Charakteristische Leistung characteristic performance – prestation caractéristique
Die Regel von der charakteristischen Leistung ist eine der wichtigsten Grundregeln des ĺinternationalen Vertragsrechts. Festgelegt ist sie 154
in Art. 4 Abs. 2 ĺEVÜ. Danach unterliegt (mangels ĺRechtswahl) ein Vertrag mit Auslandsbeziehung grundsätzlich dem Recht jenes Landes, in dem diejenige Vertragspartei, die die charakteristische Leistung erbringt, ihren Sitz hat. Die Regel von der charakteristischen Leistung ist auf solche Verträge zugeschnitten, bei denen sich eine Geld- und eine Sachleistung gegenüberstehen. Bei diesen Verträgen ist die Sachleistung als charakteristisch anzusehen. Folglich erbringt etwa bei Kaufverträgen der Verkäufer, bei Dienstleistungsverträgen der Dienstleister und bei Werkverträgen der Werkunternehmer die charakteristische Leistung. Dementsprechend kommt das Heimatrecht des Verkäufers, des Dienstleisters oder des Werkunternehmers zur Anwendung. (Abweichende Regelungen gelten für ĺArbeits- und ĺVerbraucherverträge.) Die Regel der charakteristischen Leistung soll den Grundsatz der ĺengsten Verbindung konkretisieren und ist daher nicht anzuwenden, wenn das Vertragsverhältnis ausnahmsweise eine engere Beziehung zu einem anderen Land hat (Art. 4 Abs. 5 ĺEVÜ, sog. Ausweichklausel). (js) §§: Art. 4 EVÜ Lit.: Bericht über das EVÜ von M. Giuliano/P. Lagarde, ABl. 1980, Nr. C 282/1, Anmerkungen zu Art. 4; B. Verschraegen, in: P. Rummel (Hrsg.), ABGB Kommentar I/6, 3. Aufl. 2004, Art. 4 EVÜ, Rn. 10 ff. und 42 ff. Web: Der in Lit. erwähnte Bericht von M. Giuliano/P. Lagarde ist abrufbar unter: http://www.romeconvention.org
Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) Charta of Fundamental Rights of the European Union (CFREU) – Charte des droits fondamentaux de l’Union Européenne (CDFUE)
Auch Grundrechtscharta, selten Grundrechtecharta. Entwicklung: Konzipiert durch ein eigenes Gremium (ĺKonvent), vom Europäischen Rat 2000 in Biarritz approbiert und feierlich proklamiert (Entwurf 2000). Als Teil II Inhalt des Entwurfs einer europäischen ĺVerfassung (Teil II EVV, ABl. 2004 C 310/41 – teilw. abgeänderter Entwurf 2004). Rechtspolitisch von Anfang an umstritten: Schleichende Kompetenzanmaßungen der EG über die Grundrechtsebene wurden befürchtet, ebenso Doppel- bzw. Mehrfachgleisigkeiten im europäischen Grundrechtsschutz. Nicht zuletzt bestehen politische Vorbehalte gegen manche Chartarechte (insb. ĺsoziale Grundrechte).
Chicago-Abkommen Umsetzungskritik bemängelt Unklarheiten v.a. der Schranken- und Verweisbestimmungen des Entwurfs. Bedeutung: Einerseits Festschreibung des gemeinschaftlichen Grundrechtsacquis, dessen Kodifizierung den europäischen Grundrechtsschutz klarifizieren, präzisieren und dadurch verstärken soll. Zugleich aber Fortentwicklung des europäischen Grundrechtsschutzes durch neue Verbürgungen, wie soziale, einige wirtschaftliche und neue Rechte wie ĺBioethik, ĺDatenschutz, ĺInformationszugang, ĺVerbraucherschutz oder nachhaltige ĺUmweltpolitik. Soll EU und deren Organe sowie die Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich bzw. Vollzug von EU-Recht binden. Neu wäre, dass damit auch für den gesamten Unionsbereich, d.h. auch für die II. und III. Säule, ein umfassender, vom EuGH judizierbarer Grundrechtsschutz festgeschrieben würde. Rechtlicher Status: Teil II des Entwurfs eines künftigen EU-Verfassungsvertrags; daher (noch) nicht unmittelbar rechtsverbindlich. Bereits jetzt als Ausdruck eines europäischen (Grundrechts-)Standards Auslegungshilfe und faktisch Orientierungsmaßstab für die Praxis, insb. Rsp. (bislang v.a. des ĺEuG). Inhalt: Die Charta enthält eine Fülle rechtlicher Gewährleistungen, gegliedert in sieben Kapitel, unter den Titeln Würde, Freiheiten, Gleichheit, Solidarität, Bürger- und justizielle Rechte, beschlossen von allgemeinen Bestimmungen. Unterschiedliche Rechtsquellen – nationale Grundrechtskataloge, aus dem Völkerrecht insb. die ĺEMRK, aber auch ĺBiomedizinkonvention, aus dem Europarecht etwa die ĺSozialcharta – dienten als Vorbild. (ed) §§: Entwurf einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. 2000 C 364/1, i.d.F. Entwurf einer Charta der Grundrechte der Union, ABl. 2004 C 310/41 Lit.: Kommentare: J. Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Kommentar, 2. Aufl. 2006; P. J. Tettinger/K. Stern (Hrsg.), Kölner Gemeinschaftskommentar zur Europäischen GrundrechteCharta, 2006; H.-W. Rengeling/P. Szczekalla, Grundrechte in der Europäischen Union, 2005; C. Calliess/ M. Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtscharta. Kommentar, 3. Aufl. 2007 Allgemeines: S. Alber, Die Selbstbindung europäischer Organe an die Europäische Charta der Grundrechte, EuGRZ 2001, 350; Y. Dorf, Zur Interpretation der Grundrechtecharta, JZ 2005, 126; C. Grabenwarter, Die Charta der Grundrechte für die Europäische Union, DVBl. 2001, 1; W. Weiß, Grundrechtsquellen im Verfassungsvertrag, ZEuS 2005, 323 ff.; C. Grabenwarter, Die Grundrechte-Charta als Schritt auf dem Weg in die Grundrechtsgemeinschaft, in: P. J. Tettin-
ger/K. Stern (Hrsg.), GRC, 2006, 205; ders., Die Grundrechte im Verfassungsvertrag der Europäischen Union, in: S. Hammer et al. (Hrsg.), Demokratie und sozialer Rechtsstaat in Europa. FS für T. Öhlinger, 2004, 469 ff.; M. Kotzur, Kooperativer Grundrechtsschutz – eine Verfassungsperspektive für Europa, Bd. 55, JÖR 2007, 337; D. Maus, La charte des droits fondamentaux de l’Union Européenne et la protection des droits de l’homme en Europe, ZÖR 2005, 297; N. Philippi, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2002; R. Schwartmann, Europäischer Grundrechtsschutz nach dem Verfassungsvertrag, AVR 1/2005, 129 ff.; La Charte des droits fondamentaux de l’union européenne, RUDH 1/2000 (Sonderheft); G. J. Schmittmann, Rechte und Grundsätze in der Grundrechtecharta, 2007 Entstehung: S. Barriga, Die Entstehung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2003; N. Bernsdorff/M. Borowsky, Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Handreichungen und Sitzungsprotokolle, 2002; H. Brecht, Änderungen an der EU-Grundrechtecharta. Korrektur durch Verfassungskonvent und Regierungskonferenz sowie Konsequenzen für die Auslegung der Charta, ZEuS 2005, 355; P. M. Mombaur, Entstehungsgeschichte der Charta, in: P. J. Tettinger/K. Stern (Hrsg.), GRC, 2006, 213 Schranken: M. Bühler, Einschränkung von Grundrechten nach der Europäischen Grundrechtecharta, 2005; J. Pietsch, Das Schrankenregime der EU-Grundrechtecharta, 2005 Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/ 2004/_310/c_31020041216de00410054.pdf
Chicago-Abkommen Convention of Chicago – convention de Chicago
Abkommen über die internationale Luftfahrt von 7.12.1944. Das Abkommen bildet den völkerrechtlichen Rahmen für Liberalisierungsmaßnahmen der Gemeinschaft: Jeder Staat bestitzt über seinem Hoheitsgebiet die volle und ausschließliche Lufthoheit. Planmäßiger internationaler Fluglinienverkehr über dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates bedarf dessen besonderer Erlaubnis. Das Abkommen wird durch eine Vereinbarung über den Durchflug im internationalen Fluglinienverkehr (sog. Transitvereinbarung) vom 7.12.1944 ergänzt: Die Vertragspartner gewähren einander für alle nicht planmäßigen Flüge und den internationalen Fluglinienverkehr die Erste und Zweite ĺFreiheit der Luft. Danach sind Luftfahrzeuge aus anderen Vertragsstaaten berechtigt, das Hoheitsgebiet jedes Vertragsstaates ohne Aufenthalt zu überfliegen bzw. dort zu nichtgewerblichen Zwecken zu landen. Nicht in Kraft ist die Vereinbarung über die internationale Luftbeförderung (Transportvereinbarung), mit der die wirtschaftlich wichtigen Verkehrsrechte der Dritten, Vierten und Fünften Freiheit der Luft multilateral garantiert werden. Vor diesem Hintergrund regeln heute zahl155
CHMP reiche bilaterale Luftverkehrsabkommen den Marktzugang: hinsichtlich des Fluglinienverkehrs sehen sie regulär die gegenseitige Gewährung bestimmter Verkehrsrechte vor, bezogen auf definierte Flugrouten und den Fluglinienplan. (sm) Lit.: N. Krämer, Tarife im europäischen Linienflugverkehr, EuZW 1991, 15 ff.; M. Niejahr, in: A. Frohnmeyer/P. Mückenhausen (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004, 51, Rn. 4 ff.; W. F. Ebke/G. Wenglorz, Die zweite Stufe der Liberalisierung des Luftlinienverkehrs in der EG: Open Skies in Europa?, RIW 1990, 468 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-209 bis 213/84 Ministrère public/ Lucas Asjes u.a., Slg. 1986, 1425
CHMP Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP)
Bei dem CHMP handelt es sich um den Ausschuss für Humanarzneimittel der ĺEuropäischen Arzneimittelagentur (EMEA). (gr) Churchill, Winston, Sir (1874–1965) Britischer Premierminister in der Zeit von 1940–1945, 1951–1955. In einer Rede am 19.9.1946 an der Universität Zürich rief er zur Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich auf und schlug als „souveränes Heilmittel“ die Schaffung von „etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa“ vor. (gm) Lit.: P. S. R. F. Mathijsen, A Guide to European Union Law, 6. Aufl. 1995, 12; Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 5, 21. Aufl. 2006, 707
Ciola-Entscheidung Ciola case – jurisprudence Ciola
In der Rs. C. war der ĺEuGH mit der Frage befasst, ob eine vor dem EU-Beitritt Österreichs durch einen individuell-konkreten Verwaltungsakt (Bescheid) erteilte Konzession, die sich auf nach Nationalität vergebene Quoten von Bootsanliegerplätzen stützt, nach dem EUBeitritt mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Der EuGH erkannte zunächst in der Beschränkung der Vergabe von Bootsliegeplätzen an Angehörige anderer EU-Staaten eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung der ĺDienstleistungsfreiheit. Zur Wirkung der Dienstleistungsfreiheit im Verhältnis zu einem bestandskräftigen individuellen Verwaltungsakt führt der EuGH aus, dass auch individuelle Normen zurücktreten müssen und nicht angewendet werden dürfen (ĺAnwendungsvorrang), wenn ihnen widersprechendes Gemeinschaftsrecht besteht. (sh) 156
Rsp.: EuGH, Rs. C-224/97 Ciola, Slg. 1999, I-2517
CivCom ĺAusschuss für die nichtmilitärischen Aspekte der Krisenbewältigung CMA Gütezeichen-Entscheidung CMA Gütezeichen case – jurisprudence CMA Gütezeichen
In Deutschland bestand ein gesetzlicher Fonds mit der Aufgabe, den Absatz und die Verwertung von inländischen landwirtschaftlichen ĺErzeugnissen zu fördern. Der Fonds wurde durch Pflichtbeiträge der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer finanziert und betraute die Centrale Marketing-Gesellschaft (CMA) mit der Durchführung seiner Aufgaben. Die CMA war ein privater Verein, welchem jedoch die Mittel des Fonds zur Durchführung der Aufgaben zur Verfügung standen. Diese bestanden u.a. darin das Gütezeichen „Markenqualität aus deutschen Landen“ zu vergeben. Das Gütezeichen war ĺErzeugnissen vorbehalten, die in Deutschland aus deutschen oder eingeführten Rohstoffen hergestellt wurden. Der ĺEuGH sah darin einen Verstoß gegen die ĺWarenverkehrsfreiheit und stelle klar, dass auch die Verwendung eines fakultativen Gütezeichens als Handelshemmnis zu qualifizieren ist, wenn seine Verwendung den Absatz der fraglichen Erzeugnisse gegenüber den Erzeugnissen, die davon nicht profitieren, begünstige. Das Vorbringen Deutschlands, es handle sich nicht um eine ĺstaatliche Maßnahme, lehnte der EuGH ab. Zwar erfolgt die Benutzung des Gütezeichens nicht aufgrund eines Gesetzes oder sonstigen staatlichen Akts, sondern auf der Basis von Verträgern der Wirtschaftsteilnehmer mit der privaten Kapitalgesellschaft CMA, jedoch war die Tätigkeit der CMA, aufgrund der besonderen Nahebeziehung, dem Staat zuzuordnen (Rn. 21). (ah) Lit.: R. Streinz, Deutsches CMA-Gütezeichen verstößt gegen die Warenverkehrsfreiheit, JuS 2003, 389 Rsp.: EuGH, Rs. C-325/00 Kommission/Deutschland (CMA-Gütezeichen), Slg. 2002, I-9977
CMR Convention on the Contract for the International Carriage of Goods by Road – Convention relative au contrat de transport international de marchandises par route
Regelung der Beförderungsbedingungen für den Bereich des grenzüberschreitenden Straßengüterverkehrs. Bei der CMR handelt es sich
Codorniu-Entscheidung um einen völkerrechtlichen Vertrag, dem alle EG-Staaten beigetreten sind. Er schafft ein beiderseitig zwingendes Privatrecht für Vertragsbeziehungen zwischen Verkehrsunternehmern und Versendern, das abweichende Vereinbarungen weder zugunsten noch zulasten des Verkehrsunternehmers zulässt, womit die Vertragskonditionen dem Wettbewerb entzogen werden. Dies gilt auch für die ĺPreisbildung. Zudem sind Haftungsvorschriften und ein spezieller CMR-Frachtbrief vorgesehen. (sm) Web: http://www.assurance-ger.de/Gesetze/cmr.htm
Codex Alimentarius Codex Alimentarius – Codex Alimentarius
Die FAO/WHO Codex Alimentarius Commission (CAC) erarbeitet international einheitliche Standards für ĺLebensmittel als solche und Standards hinsichtlich Etikettierung, ĺLebensmittelhygiene, Rückstände und Verunreinigungen und Analysemethoden. Zweck dieser Standards sind Gesundheitsschutz und die Gewährleistung von fairen Handelspraktiken. Die Codex-Alimentarius-Standards haben zwar keinen verbindlichen Charakter und stellen lediglich Empfehlungen dar, sie dienen aber insbesondere den Entwicklungsländern als Richtschnur für ihre nationalen lebensmittelrechtlichen Regelungen. Die ĺWTO erkennt die Codexstandards als Referenz für die Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln im internationalen Handel. Die Lebensmittelstandards der EU sind deutlich höher bzw. strenger. Die Erarbeitung der Standards erfolgt auf Basis der Grundsätze des Procedural Manuals der Codex Alimentarius Commission. Dieses beinhaltet Definitionen und Grundsätze für die Risikoanalyse für das Verfahren der CAC Entwicklung von Standards von Lebensmitteln. (all) §§: Art. 3.4. & Annex A 3a SPS-Abkommen; Codex Alimentarius Commission – 15th Procedural Manual, FAO und WHO 2005 Web: http://www.codexalimentarius.net
Coditel-Entscheidungen Coditel cases – jurisprudence Coditel
Der Coditel I-Entscheidung (EuGH 18.3.1980, Rs. 62/79, Slg. 1980, 881) lag folgender Rechtsstreit zu Grunde: Die belgische Gesellschaft SA Cine VOG hatte für Belgien das ausschließliche Vorführrecht an einem Kinofilm erworben. Dem deutschen Fernsehen war das Recht zur Ausstrahlung dieses Films für Deutschland eingeräumt worden. Die belgischen Gesellschaften
Coditel übernahmen die deutsche Fassung und strahlten sie über ihre Kabelnetzwerke in Belgien aus. SA Cine VOG klagte Coditel daraufhin auf Schadenersatz. Coditel wendeten ein, die Untersagung der ĺKabelweiterverbreitung verstoße gegen die ĺDienstleistungsfreiheit. Der EuGH hielt die Untersagung der Ausstrahlung allerdings für zulässig. Der gemeinschaftsrechtliche ĺErschöpfungsgrundsatz gelte nur für das körperliche Inverkehrbringen von Werken. Hingegen sei es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, dass derjenige, dem die ausschließlichen Vorführungsrechte für einen Mitgliedstaat zukommen, seine Rechte geltend macht, um einem anderen die Vorführung des betroffenen Films im Wege des Kabelfernsehens in diesem Mitgliedstaat zu verbieten; dies auch dann, wenn der andere den Film von einem Dritten übernommen hat, der ihn in einem anderen Mitgliedstaat mit Zustimmung des ursprünglichen Rechtsinhabers ausstrahlt. Es handle sich bei dieser Untersagung zwar um eine Beschränkung der ĺDienstleistungsfreiheit; diese sei allerdings gerechtfertigt. In einem neuerlichen Vorlageverfahren aus dem selben Rechtsstreit (EuGH 6.10.1982, Rs. 262/81 Coditel II, Slg. 1982, 3381) hatte der EuGH über die Frage zu entscheiden, ob die Vergabe von Verwertungsrechten, wie sie in diesem Fall streitgegenständlich waren, mit den Wettbewerbsvorschriften des Art. 85 (nunmehr: Art. 81) vereinbar sei. Dazu führte der EuGH aus, dass die Gewährung ausschließlicher Filmauswertungsrechte nicht bereits als solche eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme i.S.d. Art. 85 EG sei. Unter bestimmten Umständen könne aber durchaus eine Verletzung des Art. 85 EG (nunmehr: Art. 81) vorliegen; darüber hätten im konkreten Einzelfall die nationalen Gerichte zu entscheiden. Der europäische Gesetzgeber reagierte auf Coditel mit der ĺSatelliten- und KabelRL. (js) §§: Art. 49f EG; ĺSatelliten- und KabelRL Lit.: G. Herrmann, Grenzüberschreitende Fernsehund Hörfunksendungen im Gemeinsamen Markt, GRUR Int. 1984, 578 (584 f.)
Codorniu-Entscheidung Codorniu case – jurisprudence Codorniu
Entscheidung des EuGH vom 18.5.1994 zur Zulässigkeit einer ĺVerordnung als Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage (EuGH, Rs. C-309/89 Codorniu/Rat, Slg. 1994, I-1853). In diesem Verfahren hatte die Klägerin eine Verordnung angegriffen, welche die Benutzung 157
Colim-Entscheidung der Bezeichnung „crémant“ auf Schauwein aus Frankreich und Luxemburg beschränkte. Die spanische Klägerin hatte jedoch diese Bezeichnung als Teil eines eingetragenen Markenzeichens bereits vor Erlass der Verordnung benutzt. Der Umstand, dass die Klägerin mit dem Verbot der Benutzung des Begriffes „crémant“ an der weiteren Nutzung des ihr zustehenden Markenrechts gehindert wurde, stellte nach nach Auffassung des EuGH einen besondern Umstand dar, der sie aus dem Kreis aller übrigen von der Verordnung Betroffenen heraushob. Ihr gegenüber hatte die Verordnung die Wirkung einer das Markenrecht entziehenden Entscheidung; dies führte zur Feststellung der ĺindividuellen Betroffenheit (s.a. ĺHybridrechtsakt, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage). (mk) §§: Art. 230 Abs. 4 EG
Colim-Entscheidung Colim case – jurisprudence Colim
In der Rs. Colim ging es um die Kennzeichnung verschiedener, in Geschäften angebotener ĺWaren, welche auf der Verpackung oder dem Etikett keine Angaben über Gebrauch, Zusammensetzung oder Verkehrsbezeichnung in niederländischer Sprache – der Sprache des betreffenden Gebiets – enthielten. U.a. war zu klären, ob die Verpflichtung, den Garantieschein und die Gebrauchsanweisung, in der Sprache des Bestimmungslands abzufassen eine ĺtechnische Vorschrift sei. Der ĺEuGH sprach dazu aus, dass zwischen der Verpflichtung bestimmte Informationen über ein ĺErzeugnis zu übermitteln und der Verpflichtung zur Abfassung dieser Informationen in einer bestimmten Sprache, zu unterscheiden sei. Denn die erste Verpflichtung betrifft die Ware unmittelbar, durch die zweite wird aber nur die Sprache bestimmt, in der die erste erfüllt werden muss (ĺLandessprache [freier Warenverkehr]). Die Verpflichtung, Informationen in einer bestimmten Sprache zu geben, ist somit keine ĺtechnische Vorschrift. Sprachliche Anforderungen können daher eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels bedeuten, da importierte Erzeugnisse mit anderen Etiketten (ĺEtikettierung) versehen werden müssen, wodurch zusätzliche Kosten entstehen. Art. 28 EG verbietet Behinderungen, die sich daraus ergeben, dass Waren bestimmten Vorschriften entsprechen müssen (z.B. über Bezeichnung, Form, Gewicht, Zusammensetzung oder Verpackung, ĺVerpa158
ckungsvorschriften), sofern sich dadurch für eingeführte Waren eine rechtliche und/oder tatsächlich stärkere Belastung ergibt (ĺKeckEntscheidung). Verhältnismäßige Maßnahmen sind jedoch rechtfertigbar. Wird die Verwendung einer für den Verbraucher leicht verständlichen Sprache vorgeschrieben, dann muss sofern möglich auch der Einsatz anderer Mittel, die die Information des Verbrauchers gewährleisten, wie die Verwendung von Zeichnungen, Symbolen oder Piktogrammen, zugelassen werden (s.a. ĺPiageme-Entscheidung). (ah) Rsp.: EuGH, Rs. C-33/97 Colim, Slg. 1999, I-3175
Collins-Entscheidung Collins case – jurisprudence Collins
Das Urteil in der Rs. Collins (EuGH, Rs. C-138/ 02 Collins, Slg. 2004, I-2703) betrifft den Inländerbehandlungsanspruch Arbeitsuchender hinsichtlich Sozialleistungen (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Arbeitsuche). Während der EuGH in der Rs. Lebon (EuGH, Rs. 316/85 Lebon, Slg. 1987, 2811, Rn. 25 ff.) den gleichen Zugang Arbeitsuchender zu sozialen Vergünstigungen gem. Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) 1612/68 (ĺSoziale Vergünstigung) noch verneinte, betonte er nunmehr: „Angesichts der Einführung der Unionsbürgerschaft und angesichts der Auslegung, die das Recht der Unionsbürger auf Gleichbehandlung in der Rechtsprechung erfahren hat, ist es nicht mehr möglich, vom Anwendungsbereich des Artikels [39 Abs. 2 EG], der eine Ausprägung des in Artikel [12 EG] garantierten tragenden Grundsatzes der Gleichbehandlung ist, eine finanzielle Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern soll“ (Rn. 51 ff.; bestätigt in EuGH, Rs. C-258/04 Ioannidis, Slg. 2005, I-8275, Rn. 22, ĺIoannidis-Entscheidung). Ob der letzte Halbsatz eine Begrenzung der Reichweite des Inländerbehandlungsanspruchs ratione materiae bezweckt, ist offen. Jedenfalls verbleiben den Mitgliedstaaten Spielräume bei der Ausgestaltung ihrer Sozialsysteme, die der Gerichtshof auf der Rechtfertigungsebene sichert: Es sei nämlich im Hinblick auf die Art der Beihilfe legitim, eine tatsächliche Verbindung zwischen Antragsteller und betroffenem Arbeitsmarkt sicherzustellen. Damit könne verlangt werden, dass der Antragsteller während eines angemessenen Zeitraumes tatsächlich eine Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat gesucht hat. Ein Wohnsitzkriterium sei ein geeignetes Mittel, um dies festzustellen; es müs-
Common Principles of European Contract Law (CoPECL) se jedoch auch verhältnismäßig ausgestaltet sein. Dies erfordere neben bestimmten, gerichtlich nachprüfbaren Kriterien, dass die Mindestaufenthaltsdauer nicht länger bemessen sei als notwendig, um festzustellen, dass der Antragsteller tatsächlich Arbeit sucht. (fw) §§: Art. 12, 39 EG; Art. 24 RL 2004/38/EG, ABl., 2004, Nr. L 229/35 Lit.: U. Becker, Anmerkung, ZESAR 2004, 496; O. Golynker, Jobseekers’ rights in the European Union: challenges of changing the paradigm of social solidarity, EL Rev. 2005, 111; A. P. van der Mei, Anmerkung, EJML 2004, 277; E. Muir, Statut et droits du demandeur d’emploi-travailleur-citoyen: confusion ou rationalisation?, RDUE 2004, 249; I. Niemann, Von der Unionsbürgerschaft zur Sozialunion?, EuR 2004, 946; H. Oosterom-Staples, Anmerkung, CML Rev. 2005, 205; F. Wollenschläger, Anmerkung zu EuGH, Rs. C-258/04 – Ioannis Ioannidis, EuZW 2005, 665; ders., Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Comenius ĺBildungsprogramme COMI Center of Main Interest ĺEuropäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) Commission on European Family Law ĺKommission für Europäisches Familienrecht Common Core of European Private Law Group Die Common Core of European Private Law Group (Trento-Gruppe) besteht aus derzeit mehr als 100 Wissenschaftler aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie der Schweiz, Israel und den USA, die sich unter der Leitung von Ugo Mattei und Mauro Bussani der Erforschung eines gemeinsamen Kerns der Europäischen Rechtsordnungen widmen. Unter Berufung auf die Methode Rudolf Schlesingers ist Ziel des Projekts, einen gemeinsamen Kern (Common Core) der geltenden nationalen europäischen Rechtsordnungen auf den Gebieten des Vertrags-, Delikts- und Eigentumsrechts herauszuarbeiten. Die Arbeiten dienen allein der Grundlagenforschung und der (Wieder-)Begründung einer europäischen Rechtskultur und schlagen sich in wissenschaftlichen Publikationen sowie in den – mit dem Common Core-Projekt personell wie methodisch eng verbundenen – Projekt von rechtsvergleichenden Lehrbüchern nieder, die in der Reihe
Casebooks on the Common Law of Europe publiziert werden. Obwohl die Trento-Gruppe auf Rechtsvergleichung und nicht auf Rechtsvereinheitlichung abzielt, ist sie durch sog. CaseLaw-Studies über das 6. Forschungsrahmenprogramm in die Vorarbeiten für einen ĺGemeinsamen Referenzrahmen eingebunden. (mrm) Lit.: M. Bussani/U. Mattei, Marking European Law – Essays on the „Common Core“ Project, 2000 Web: http://www.jus.unitn.it/dsg/common-core/home. html
Common Principles of European Contract Law (CoPECL) Die Common Principles of European Contract Law (CoPECL) sind Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts, die derzeit von einem eigens hierfür gegründeten Forschungsnetzwerk im Rahmen des 6. Forschungsrahmenprogramms der EU ausgearbeitet werden. Das Projekt dient der Umsetzung des Aktionsplans für ein ĺEuropäisches Vertragsrecht. Ziel des Forschungsprojekts ist es, im Auftrag der EU-Kommission einen Vorschlag für den ĺGemeinsamen Referenzrahmen zu erarbeiten, um die Kohärenz des Europäischen Vertragsrechts zu erhöhen, sowie die Fragmentierung der Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet zu überwinden. Zu diesem Zweck bündelt das sog. Joint Network on European Private Law die Aktivitäten zahlreicher europäischer Universitäten, außeruniversitärer Forschungsinstitutionen und von mehr als 150 Wissenschaftlern auf dem Gebiet des Gemeinschaftsprivatrechts. Zu den verbundenen Forschungsprojekten gehören u.a. die ĺStudy Group on a European Civil Code, die ĺAcquis Group, die ĺProject Group on a Restatement of European Insurance Contract Law, die ĺCommon Core Group; die Research Group on the Economic Assessment of Contract Law Rules des Tilburg Law and Economics Center, die ĺDatabase Group und die ĺEuropäische Rechtsakademie Trier. Die Ergebnisse werden – den ĺPECL vergleichbar – in Form sog. Common Principles of European Contract Law (CoPECL) präsentiert und sollen Definitionen, Grundprinzipien und Rechtsregeln enthalten. Sie werden außerdem durch eine Kommentierung und rechtsvergleichende Anmerkungen zu den Regeln sowie ökonomische Analysen ergänzt. Der erste Entwurf des ĺGemeinsamen Referenzrahmens liegt seit Ende 2007 vor, ein endgültiger Entwurf soll 2008 vorliegen. Erste Vorarbeiten sind auf den 159
Common Procurement Vocabulary (CPV) Internetseiten der beteiligten Forschungsprojekte bereits abrufbar. (mrm) Web: http://www.copecl.org/
Common Procurement Vocabulary (CPV) ĺCPV Computerprogrammrichtlinie directive on computer programs – directive concernant les programmes d’ordinateur
Bei der ComputerprogrammRL (RL 91/250/ EWG, ABl. 1991, Nr. L 122/42) handelt es sich um eine jener RL, mit denen Teile des Urheberrechts harmonisiert wurden; sie ist daher Teil des ĺeuropäischen Urheberrechts. Kompetenzgrundlage ist Art. 95 EG. Die ComputerprogrammRL verpflichtet die Mitgliedstaaten, Computerprogramme als literarische Werke zu schützen (Art. 1 Abs. 1) und harmonisiert die Ausgestaltung dieses Schutzes. Sie regelt wer und was schutzberechtigt ist, worin die Ausschließlichkeitsrechte bestehen sowie die ĺSchutzdauer. Gem. der RL ist Urheber eines Computerprogramms grundsätzlich diejenige Person, die das Programm geschaffen hat. Für Computerprogramme, die in einem Arbeitsverhältnis hergestellt wurden, enthält die RL eine Vermutungsregel, wonach im Zweifel ausschließlich der Arbeitgeber zur Ausübung aller wirtschaftlichen Rechte an dem Programm berechtigt ist (Art. 2 Abs. 1 und 3). Dem Urheber sind vorbehalten die Vervielfältigung, die Umarbeitung, die öffentliche Verbreitung und die Vermietung (Art. 4). Das ĺVerbreitungsrecht wird durch den (in Art. 4 lit. c ausdrücklich niedergelegten) ĺErschöpfungsgrundsatz begrenzt. Die Weitervermietung hingegen unterliegt nicht dem ĺErschöpfungsgrundsatz (vgl. auch ĺVerbreitungsrecht, ĺVermietrecht) Die ĺSchutzdauer umfasst die Lebenszeit des Urhebers und 50 Jahre nach seinem Tod (Art. 8). (js) Lit.: W. Blocher/M. M. Walter, in: M. M. Walter (Hrsg), Europäisches Urheberrecht. Kommentar, 2001, Software-Richtlinie; M. Lehmann, Die Europäische Richtlinie über den Schutz von Computerprogrammen, GRUR Int. 1991, 327
Connect Connect – Connect
Ehemaliges als Pilotprojekt durchgeführtes Kulturförderprogramm der EU im Jahr 1999. Ziel 160
war die Erprobung der Durchführbarkeit des neuen Programms an der Schnittstelle von Kultur und Bildung. Inhalt waren innovative Maßnahmen zur Aus-, Weiter- und Fortbildung im kulturellen Bereich. (cd) Connolly-Entscheidung Connolly case – jurisprudence Connolly
EuGH-Urteil zum europäischen Grundrechtsschutz, konkret zum gemeinschaftlichen ĺGrundrecht auf ĺMeinungsfreiheit für Beamte: Grenzen der grundrechtlichen Meinungsfreiheit aus Treuepflichten der Beamten. Enthält auch allgemeine Aussagen zur Bedeutung der ĺEMRK im Gemeinschaftsrecht (s. Rn. 37). (ed) §§: Art. 10 EMRK als Gemeinschaftsgrundrecht Rsp.: EuGH, Rs. C-274/99 P Connolly, Slg. 2001, I1611
Contra proferentem-Regel ĺTransparenzgebot der KlauselRL Cookies World-Entscheidung Cookies World case – jurisprudence Cookies World
In der Rs. Cookies World (Vorabentscheidungsersuchen des österr. VwGH, Cookies World Vertriebsgesellschaft m.b.H. i.L. gegen Finanzlandesdirektion für Tirol) ging es darum, dass ein in Österreich ansässiges Unternehmen als Leasingnehmer einen Pkw von einem deutschen Unternehmen anmietete, den es in Österreich für betriebliche Zwecke nutzte. Entsprechend den Vorschriften der 6. MwStRL (ĺMwStRL, sechste) wurde von den deutschen Behörden die MwSt. auf die Vermietung des Pkw vom Fahrzeugleasinggeber erhoben und später die sich im Mietzins für das Fahrzeug niedergeschlagene Vorsteuer an das österr. Unternehmen erstattet. Bei der Festsetzung der Umsatzsteuer des österr. Unternehmens für das Jahr 1997 rechnete das zuständige österr. Finanzamt in der Folge den steuerpflichtigen Umsätzen nach § 1 Abs. 1 Z. 2 lit. b öUStG das Mietentgelt für den Pkw hinzu. Der gegenständliche österr. Steuertatbestand (Auslandseigenverbrauch) soll bewirken, dass in Österreich der Ausschluss des Vorsteuerabzuges i.R.d. Miete bestimmter Fahrzeuge in wirtschaftlicher Hinsicht in gleicher Weise gilt wie bis Ende 1994, d.h. bis zum Beitritt Österreichs zur EU. Nach der steuerrechtlichen Regelung des öUStG 1972 wurden mit der Miete von Fahrzeugen Umsätze bewirkt, für die in
Corpus Juris Österreich Umsatzsteuer zu zahlen war, die der Steuerpflichtige nicht als Vorsteuer abziehen konnte. Diese Rechtslage änderte sich mit dem Beitritt Österreichs zu EU und der Umsetzung der 6. MwStRL. Seither gelten Leasingumsätze als in dem Mitgliedstaat ausgeführt, in dem das Unternehmen, das Fahrzeuge im Rahmen des Leasing überlässt, seinen Sitz hat. Das würde bedeuten, dass diese Umsätze ohne eine Bestimmung wie die des § 1 Abs. 1 Z. 2 lit. b öUStG in Österreich nicht mehr besteuert werden könnten. Der EuGH führte das aus, das die 6. MwStRL einer Bestimmung eines Mitgliedstaats entgegen steht, nach der das Tätigen von Ausgaben, die Dienstleistungen betreffen, die einem in diesem Mitgliedstaat ansässigen Empfänger in anderen Mitgliedstaaten erbracht wurden, der Mehrwertsteuer unterliegt, während die betreffenden Dienstleistungen, wären sie demselben Empfänger im Inland erbracht worden, diesen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt hätten. Österreich hat daraufhin unter Konsultation des EU-Mehrwertsteuerausschusses eine befristete Regelung in Kraft gesetzt, nach der (i.d.F. WuBG 2005, BGBl. I 2005/103 ab 20.8.2005) die gegenständliche Auslandseigenverbauchsbesteuerung bis Ende 2007 Anwendung finden soll. Da aber auch diese (befristete) Regelung europarechtswidrig ist, wurde am 24.7.2003 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet. Die weitere Rechtsprechung bzw. europäische und nationale Rechtsetzung bleibt abzuwarten. (pu) §§: Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 6. MwStRL; Art. 17 Abs. 6 6. MwStRL; § 1 Abs. 1 Z. 2 lit. b öUStG Rsp.: EuGH, Rs. C-155/01, ABl. 11.11.2003, Nr. C 264, Slg. 2003, I-08785; VwGH 29.3.2001, 2000/14/ 0155
CoPECL ĺCommon Principles of European Contract Law COREPER Committee of Permanent Representatives – Comité des représentants permanents
Art. 207 Abs. 1 EG sieht einen Ausschuss der ständigen Vertreter (nach der französischen Bezeichnung als COREPER bekannt) als Hilfsorgan des Rates vor, das die Arbeiten des Rates vorzubereiten und die ihm vom Rat übertragenen Aufgaben auszuführen hat. Abgesehen von Verfahrens- und Organisationsangelegenheiten kann COREPER keine eigenen Beschlüs-
se fassen. COREPER bereitet die Tagesordnung des Rates vor und bemüht sich, so weit wie möglich Einvernehmen hinsichtlich eines Dossiers zu erzielen (Art. 19 Abs. 2 GO). Gelingt dies, gelangt das entsprechende Dossier unter ĺTeil A auf die Tagesordnung des Rates; ansonsten unter ĺTeil B, hinsichtlich dessen erst durch den Rat selbst ein politischer Kompromiss erzielt werden muss. COREPER setzt sich aus den Leitern der Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten bei den ĺEuropäischen Gemeinschaften (COREPER II) bzw. deren Stellvertretern (COREPER I) zusammen. Während COREPER II die Ratsarbeit in (außen)politischen Fragen vorbereitet, wird COREPER I in eher technischen Dossiers (z.B. ĺBinnenmarkt) tätig. Aufgrund der relativen Stabilität seiner Zusammensetzung (Karrierediplomaten statt Minister) trägt COREPER zur Sicherung der Kontinuität in der Ratsarbeit bei. (bho) §§: Art. 207 EG; Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/EG) Lit.: P. Craig/G. de Búrca, EU Law – Text, Cases and Materials, 3. Aufl. 2003, 67 f.; M. Westlake/D. Galloway, The Council of the European Union, 3. Aufl. 2004, 201 ff.; K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10049
Corporate Governance ĺAktionsplan der Kommission zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts Corpus Juris Im Rahmen der Diskussion um die Verbesserung des strafrechtlichen ĺSchutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften hat eine Expertengruppe auf Initiative der Europäischen ĺKommission 1997 den ersten Entwurf eines „Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union“ vorgelegt. Im Zusammenhang mit einer auf Anregung des ĺEuropäischen Parlaments hin erarbeiteten komplementären Studie über die Durchführbarkeit der im Corpus Juris vorgeschlagenen institutionellen und verfahrensrechtlichen Regelungen wurde die Studie als „Corpus Juris 2000“ (auch bekannt als „Corpus Juris Florence“) in einer überarbeiteten Fassung veröffentlicht. Das vorgeschlagene Konzept in der Letztfassung beinhaltete in seinen 39 Artikeln sowohl materiell-rechtliche als auch verfahrensrechtliche und institutionelle Regelungen. 161
COSAC Materiell-rechtlich sieht das Corpus Juris acht Straftatbestände zum Schutz des EG-Haushalts vor: ƒ Betrügerei zum Nachteil des EG-Haushalts ƒ Ausschreibungsbetrug ƒ Geldwäsche und Hehlerei ƒ Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften ƒ Bestechung und Bestechlichkeit ƒ Amtspflichtverletzung ƒ Amtsmissbrauch ƒ Bruch des Dienstgeheimnisses. Für diese Tatbestände werden in einem Allgemeinen Teil – orientiert am Gesetzlichkeitsprinzip, am Schuldprinzip und am Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Strafe – einheitliche Regelungen vorgeschlagen für ƒ Vorsatz und Leichtfertigkeit ƒ Irrtum ƒ Täterschaft und Teilnahme ƒ Versuch ƒ Vorgesetztenverantwortlichkeit ƒ Verbandsverantwortlichkeit ƒ Sanktionen. Verfahrensrechtlich bildet den Mittelpunkt die Errichtung einer ĺEuropäischen Staatsanwaltschaft, zusammengesetzt aus einem Europäischen Generalstaatsanwalt als Zentralbehörde und abgeordneten Europäischen Staatsanwälten in den Mitgliedstaaten mit eigenen Befugnissen. Prägende Verfahrensprinzipien sind darüber hinaus der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens und der Grundsatz der richterlichen Rechtskontrolle. Etwaige Verfahren wären vor den nationalen Gerichten zu führen. Das vorgeschlagene Verfahrenskonzept geht dabei von einem alle Mitgliedstaaten umfassenden europäischen Territorialitätsprinzip aus, dass sich in einer europaweiten Zuständigkeit der Mitglieder der Europäischen Staatsanwaltschaft und der unionsweiten Vollstreckbarkeit von Haftbefehlen und Urteilen niederschlägt. Das Corpus Juris bildete eine Diskussionsgrundlage zur Strafrechtsharmonisierung und ist teils etwa in das Grünbuch der Europäischen Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinscahften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft eingeflossen. Die Idee der europaweiten Vollstreckbarkeit wurde in weiterer Folge etwa mit dem ĺEuropäischen Haftbefehl aufgegriffen, der ĺReformvertragsentwurf von Lissabon enthält eine Rechtsgrundlage für die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft. (sts) 162
Lit.: M. Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, 1998; M. Delmas-Marty/J. Vervaele, The implementation of the Corpus Juris in the Member States, 2000; B. Huber (Hrsg.), Das Corpus Juris als Grundlage eines Europäischen Strafrechts, 2000 Web: http://ec.europa.eu/anti_fraud/green_paper/ corpus/de.doc; http://www2.law.uu.nl/wiarda/corpus/ index1.htm
COSAC ĺKonferenz der Europaausschüsse COST European Cooperation in the field of Scientific and Technical Research – Coopération européenne dans le domaine de la recherche scientifique et technique
Dt., Europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der wissenschaftlichen und technischen Forschung. COST stellt außerhalb des ĺForschungsrahmenprogramms ein komplementäres Netzwerk dar, um europäische Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Unternehmen zur Realisierung eines gemeinsamen Forschungsvorhabens zusammenzuführen. Die dafür notwendigen Koordinationskosten werden von der ĺEuropäischen Kommission mitgetragen, während die eigentliche Forschungsarbeit national finanziert und durchgeführt wird. Thematisch offen, kann COST eine Ergänzungs- und Vorreiterrolle für jene Forschungsthemen einnehmen, die vom ĺForschungsrahmenprogramm (noch) nicht abgedeckt werden. COST hat sich 1971 auf einer Konferenz der europäischen Forschungsminister konstituiert und bildete den Anfang der koordinierten Forschungszusammenarbeit in Europa. In unregelmäßigen Abständen tagen die Mitgliedstaaten von COST auf Ministerebene, Lenkungsorgan ist ein Ausschuss Hoher Beamter (Committee of Senior Officials). Träger des COST-Sekretariates ist die European Science Foundation (ĺEuropäische Wissenschaftsstiftung). COST besitzt keine Rechtspersönlichkeit. Auch europäische NichtEU-Mitgliedsländer sind heute (2008) an COST beteiligt, insgesamt hat COST 34 europäische Mitglieder plus Israel (kooperierender Staat). (hk) Lit.: H. Eikenberg, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 28. Lfg. 2005, Art. 170 EGV, Rn. 20-24 Web: http://www.cost.esf.org
Costa/ENEL-Entscheidung Costa/ENEL case – jurisprudence Costa/ENEL
Bei diesem leading case des EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251, handelt es sich um den Beginn
Cowan-Entscheidung der ständigen Rechtsprechung zur Frage des ĺAnwendungsvorrangs des europäischen Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht. Die Begründung für diesen Anwendungsvorrang hat der Gerichtshof im Umstand erkannt, dass durch den EGV eine „eigenständige Rechtsordnung“ geschaffen wurde, die aus einer „autonomen Rechtsquelle erfließt“. Daraus resultiert, dass dieser Rechtsordnung „keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen können, wenn nicht ... die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll“. (he) Web: http://curia.europa.eu/
COTIF-Übereinkommen COTIF-Convention – Convention COTIF
Convention relative aux transports internationaux ferroviaires. Übereinkommen vom 9.5. 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr. Dieses bildet die völkerrechtliche Grundlage für die Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter, deren Geltungsbereich durch die RL 96/49/EG auf den gesamten Binnenschienenverkehr in der Gemeinschaft erstreckt wird. ĺGefahrguttransport, Eisenbahnverkehr. Das Übereinkommen wurde durch die Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr (OTIF, L’Organisation intergouvernementale pour les transports internationaux ferroviaires) vereinbart, die aus verschiedenen UICMitgliedsbahnen besteht. Der Internationale Eisenbahnverband (UIC) (franz. Union internationale des chemins de fer, engl. International Union of Railways) hat seinen Sitz in Paris und wurde am 1.12.1922 gegründet. Die Gründung verfolgte das Ziel, die Betriebsbedingungen der Bahnen zu vereinheitlichen. Die UIC ist die weltweite Organisation für die Zusammenarbeit der Eisenbahnen, und ihre Aktionen erstrecken sich auf alle den Ausbau des Schienenverkehrs betreffende Bereiche. Die Organisation wurde ins Leben gerufen, um den internationalen Frachtverkehr auf der Schiene zu vereinheitlichen und dadurch zu beschleunigen. Der Anwendungsbereich des COTIF-Übereinkommens erfasst den Staatsgrenzen überschreitenden Verkehr, und dabei sowohl Warentransporte als auch Personenbeförderungen. Neben den Grundlagen zum Berechnen des Fahrpreises beinhaltet es auch die Rechte und Pflichten des Auftraggebers sowie der beteiligten Bahnen. Für die beteiligten Bahnen sind bindende Haftungsbestimmungen vorgesehen. (sm)
Web: http://www.otif.org/html/d/pub_cotif_09_05_ 1980.php
Cotonou-Abkommen Cotonou agreement – accord de Cotonou
Am 23.6.2000 unterzeichneten die AKP-Staaten (African, Caribbean and Pacific Group of States, kurz ACP-Gruppe) und die Europäische Gemeinschaft einen Partnerschaftsrahmenvertrag, das Cotonou-Abkommen, welcher im April 2003 in Kraft trat. Ziel des Abkommens war es, neue Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern zu schaffen, um die ökonomische, soziale und kulturelle Entwicklung der AKP-Staaten zu fördern, weiters um zur Stabilisierung der Sicherheit beizutragen, und um eine stabile, demokratische und politische Basis zu schaffen. Das Abkommen bringt die Zusammenarbeit zwischen der EG und AKP-Staaten, welche 1964 mit der Unterzeichnung des ersten Yaoundé-Abkommens begann, und durch die vier ĺLomé-Abkommen fortgesetzt wurde, auf eine neue Ebene. Es werden nunmehr auch die politische Dimension und größere Flexibilität gestärkt und die AKP-Staaten erhielten größere Verantwortung. Art. 95 des Cotonou-Abkommens sieht vor, dass das Abkommen (Ausnahme: wirtschaftliche und Handelsbestimmungen, deren Überarbeitung gesondert geregelt ist) alle fünf Jahre überarbeitet wird, zuletzt geschehen am 23.2.2005. (ab) Web: http://ec.europa.eu/development/Geographical/ Cotonou/CotonouDoc_en.cfm; http://ec.europa.eu/ development/ICenter/Pdf/negociation_20050407_en. pdf; http://ec.europa.eu/development/Geographical/ CotonouIntro_en.cfm
Coudenhove-Kalergi, Richard Nikolaus, Graf (1894–1972) Politiker und politischer Schriftsteller, Begründer der ĺPaneuropa-Bewegung, deren Programm und Ziele er in seinem Werk ĺ„Paneuropa“ (1923) festlegte. Emigrierte 1938 zuerst in die Schweiz, dann in die USA. Ab 1947 Generalsekretär der von ihm gegründeten Europäischen Paneuropa-Union. (gm) Lit: Bockhaus Enzyklopädie, Bd. 6, 21. Aufl. 2006, 106
Cowan-Entscheidung Cowan case – jurisprudence Cowan
In der Rs. C. hat der ĺEuGH die passive Dienstleistungsfreiheit (ĺDienstleistungsfreiheit, passive) anerkannt: Einem Touristen, der als Dienstleistungsempfänger in einen anderen Mitglied163
CPV staat gereist ist und dort Opfer einer mit Körperverletzung verbundenen Gewalttat wird, darf die Gewährung einer staatlichen Entschädigung zur Wiedergutmachung nicht mit der Begründung, dass der Tourist weder Inhaber einer Fremdenkarte, noch Angehöriger eines Staates, mit dem ein Gegenseitigkeitsabkommen besteht, sei, versagt werden. Der EuGH stützte sich in seiner Argumentation neben den Bestimmungen über die ĺDienstleistungsfreiheit auch auf das heute in Art. 12 EG enthaltende allgemeine ĺDiskriminierungsverbot. (sh) Rsp.: EuGH, Rs. 186/87 Cowan, Slg. 1989, 195
CPV Common Procurement Vocabulary
Das CPV (Gemeinsames Vokabular für öffentliche Aufträge) bezeichnet eine für öffentliche ĺAufträge maßgebliche Referenzklassifikation, die die Übereinstimmung mit sonstigen bestehenden Klassifikationen gewährleisten soll. Bei der ĺLeistungsbeschreibung im Zuge der ĺAusschreibung eines Auftrags ist das CPV heranzuziehen. (cm) §§: Art. 1 Abs. 14 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 445 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
CPVO ĺGemeinschaftliches Sortenamt (CPVO) Cradle to grave-Prinzip cradle to grave-principle – principe du berceau jusqu’à la tombe
Hierbei handelt es sich um ein Instrument zur Umsetzung des ĺUrsprungsprinzips. Es wird jedoch auch als Steigerung des ĺVorsorgeprinzips verstanden. Übersetzt bedeutet es „von der Wiege bis zur Bahre“. Nach diesem Prinzip ist die Erfassung und Bewertung des gesamten Lebenszyklus bestimmter Produktstoffe möglich. Es entstammt dem amerikanischen Recht und beinhaltet nach seiner bisherigen Konzeption die Kontrolle bestimmter Problemstoffe während ihres gesamten Produktions-, Verwendungs- und Beseitigungsprozesses. Es ist im Gemeinschaftsrecht nicht als eigenständiges Prinzip der Umweltpolitik verankert, dient aber der Durchsetzung oder Umsetzung anderer Prinzipien der Umweltpolitik (ĺUmweltpolitik, Prinzipien der). In einzelnen MS stellt es hingegen ein eigenständiges Prinzipien des Um164
weltrechts/-schutzes dar, wie z.B. in Deutschland. S.a. ĺUmweltzeichen. (sm) CREST Comité de la Recherche Scientifique et Technique, dt. ĺAusschuss für Wissenschaftliche und Technische Forschung (AWTF) Cross Compliance Cross Compliance – Conditionnalité
Verpflichtung bestimmte Grundanforderungen an die landwirtschaftliche Betriebsführung in den drei Bereichen Umwelt, Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze sowie Tierschutz einzuhalten. Diese Grundanforderungen sind auf Basis bestimmter RL und VO EU-weit einheitlich definiert. Die Spezifizierung erfolgt auf der Ebene der Mitgliedstaaten. Die Einhaltung der „Cross Compliance“ Bestimmungen ist Voraussetzung für die Gewährung von ĺDirektzahlungen an Landwirte im Rahmen der ĺGemeinsamen Agrarpolitik. Im Rahmen des ĺINVEKOS wird jährlich 1 % der Antragsteller von Direktzahlungen geprüft, ob die anderweitigen Verpflichtungen eingehalten werden. Eine etwaige Nichteinhaltung hat eine Kürzung aller Direktzahlungen zur Folge. (all) §§: VO (EG) 1782/2003, Direktzahlungen, ABl. 2003, Nr. L 270/1; in Anhang III, VO (EG) 1782/2003 angeführte RL und VO Lit.: R. Norer, Rechtsfragen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 2003, 2007
Cullet-Entscheidung Cullet case – jurisprudence Cullet
Eine nationale Regelung sah für den Verkauf von Treibstoffen an Verbraucher einen sowohl nach oben als auch nach unten festgesetzten Preis vor. Auf Ebene der Großhändler konnte der Preis frei bestimmt werden, wobei aber der zuständigen Behörde mindestens einmal pro Monat eine Liste der Großhändlerpreise zu übergeben war. Die inländischen Großhändlerpreise durften einen behördlich festgesetzten ĺHöchstpreis nicht übersteigen und dienten in der Folge zur Berechnung des Mindestpreises für Verbraucher. Die Gruppe Leclerc (ĺLeclercEntscheidung; ĺWiedereinfuhr) verkaufte an Verbraucher Treibstoffe unter den behördlich festgesetzten ĺMindestpreisen. Ein Konkurrent (Henri Cullet) beantragte die Unterlassung. In der Folge befasste sich der ĺEuGH mit der Zulässigkeit der Festsetzung von unterschieds-
CVMP los geltenden Mindestpreisen und beurteilte die Regelung unter Berücksichtigung des ĺfreien Warenverkehrs. Er sprach aus, dass eine ĺMaßnahme gleicher Wirkung vorliege, wenn die Preise so festgesetzt werden, dass dadurch die eingeführten ĺErzeugnisse gegenüber gleichartigen inländischen Erzeugnissen benachteiligt werden, sei es, weil sie zu den festgesetzten Bedingungen nicht gewinnbringend abgesetzt werden können oder sich der aus dem niedrigen Gestehungspreis ergebende Wettbewerbsvorteil neutralisiere. Die Importeure waren durch die nationale Regelung daran gehindert, aus einer möglichen günstigen Wettbewerbs-
lage infolge eines niedrigen Selbstkostenpreises nutzen zu ziehen, da sich der Mindestpreis ausschließlich nach dem Durchschnitt der inländischen Großhändlerpreise berechnete. (ah) Rsp.: EuGH, Rs. 231/83 Cullet, Slg. 1985, 305, Rn. 26 ff.
CVMP Committee for Medicinal Products for Veterinary Use (CVMP)
Bei dem CVMP handelt es sich um den Ausschuss für Tierarzneimittel der ĺEuropäischen Arzneimittelagentur (EMEA). (gr)
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D D.-Entscheidung D. case – jurisprudence D.
In der Rs. „D.“ ging es um eine mögliche Verpflichtung zu europäischen ĺMeistbegünstigung i.Z.m. ĺDoppelbesteuerungsabkommen. Der Anlassfall betraf ein in Deutschland ansässige natürliche Person, Herrn D., dessen Weltvermögen zu 90 % in Deutschland und zu 10 % in den Niederlanden belegen war. Zur Zeit des Ausgangssachverhaltes erhoben die Niederlande eine Vermögensteuer nach dem Vermögensteuersatz vom 16.12.1964 (Wet op de vermogensbelasting 1964). Dabei handelte es sich um eine steuer auf das Vermögen in Höhe von 0,8 % des Wertes des (Netto-)Vermögens. Da Herr D. Steuerausländer ist, wurde nur sein in den Niederlanden belegenes Vermögen abzüglich allfälliger niederländischer Schulden der Vermögenssteuer unterworfen. Bei Steuerinländern wurde hingegen das Weltvermögen abzüglich sämtlicher Schulden erfasst, wobei zusätzlich ein je nach Familienstand unterschiedlich hoher Freibetrag gewährt wurde. Letzterer konnte auch von Steuerausländern beansprucht werden, dies aber nur dann, wenn zumindest 90 % des Weltvermögens in den Niederlanden belegen waren. Eine Ausnahme hievon ergab sich allerdings für Belgier, denen nach Art. 25 Abs. 3 des (damaligen) DBA Niederlande-Belgien diesselben persönlichen Abzüge, Freibeträge und Minderungen zustanden wie Niederländern. Belgiern wurde der Freibetrag daher auch dann gewährt, wenn weniger als 90 % ihres Weltvermögens in den Niederlanden belegen waren. Das niederländisch-deutsche DBA enthält hingegen keine derartige Bestimmung. Im Gegensatz zu den Niederlanden erhoben im Streitzeitpunkt weder Belgien noch Deutschland eine Vermögensteuer. Mit Verweis auf Art. 25 Abs. 3 des niederländisch-belgischen DBA begehrte Herr D die Gewährung eines Freibetrages mit der Begründung, dass er gegenüber in Belgien ansässigen Steuerpflichtigen diskriminiert werde. Nach einer Abweisung durch die zuständigen Finanzbe166
hörden und Klageerhebung an den niederländischen Gerechtshof’s-Hertogenbosch, setzte dieser das anhängige Verfahren aus und legte dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor: 1. Steht das Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Art. 56 EG ff., einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegen, aufgrund deren ein inländischer Steuerpflichtiger bei der Vermögensteuer immer Anspruch auf Abzug eines Freibetrages hat, während ein ausländsicher Steuerpflichtiger keinen solchen Anspruch hat, wenn sich sein Vermögen hauptsächlich in seinem Wohnsitzstaat befindet (wo keine Vermögensteuer erhoben wird)? 2. Wenn nein, ändert sich die Beurteilung im vorliegenden Fall dann dadurch, dass die Niederlande in Belgien wohnenden Personen, die sich im Übrigen in einer vergleichbaren Lage befinden, durch ein bilaterales Abkommen einen Anspruch auf den Freibetrag eingeräumt haben (auch auch in Belgien keine Vermögensteuer erhoben wird)? Abgesehen von diesen beiden Hauptfragen, wurde noch eine Prozesskostenfrage vorgelegt, welche jedoch aufgrund der Entscheidung des EuGH unbeantwortet bleiben konnte. Im Schrifttum wurde spätestens seit dem Antrag des Generalanwalts (GA Colomer 26.10. 2004 C-376/03, D. Rn. 64) erwartet, dass der EuGH eine Verpflichtung Niederlandes zur Gewährung des Freibetrages für Herrn D. bejahen würde. Problematisch war in der Rs. D. nämlich (auch) dass Deutschland als Ansässigkeitsstaat seit 1997 keine Vermögensteuer mehr erhoben hatte, daher auch keinen vermögensteuerlichen Grundfreibetrag gewähren konnte und somit das gesamte steuerpflichtige Vermögen in den Niederlanden belegen war. Es ging also unter anderem um die Frage, wie sich die (Nicht-)Existenz einer Steuer in einem anderen Mitgliedstaat auf die Prüfung einer Grundfreiheitenbeschränkung auswirkt. Trotz allem folgte schließlich der EuGH nicht der Meinung des Generalanwalts: Unabhängig
Dänische Pfandflaschen-Entscheidung von der Nichterhebung einer Vermögensteuer im Wohnsitzstaat Deutschland, in dem sich das wesentliche Vermögen des Betroffenen befindet, bestehe für den Mitgliedstaat, in dem nur ein Teil des Vermögens des Betroffenen ist, nicht die Verpflichtung, ihm die gleichen Vergünstigungen wie seinen eigenen Gebietsansässigen einzuräumen. Der Gerichtshof verneint somit eine Vergleichbarkeit von Gebietsansässigen und Gebietsfremden und antwortete auf die erste Vorlagefrage, ƒ [...] dass die Art. 56 EG und 58 EG einer Regelung nicht entgegenstehen, nach der ein Mitgliedstaat gebietsfremdem Steuerpflichtigen, deren Vermögen im Wesentlichen in ihrem Wohnsitzstaat belegen ist, sie Vergünstigung eines Freibetrages versagt, die er den gebietsansässigen Steuerpflichtigen gewährt. In Bezug auf die zweite Vorlagefrage, in dessen Zusammenhang Herr D eine verbotene Diskriminierung aus der Unterscheidung aufgrund der Anwendung des belgisch-niederländsichen Abkommens beklagte, die Mitgliedstaaten und die Kommission eine solche Diskriminierung jedoch verneinten erwog der EuGH folgendes: Zunächst hielt der EuGH fest, dass – abgesehen vom Übereinkommen 90/436/EWG – auf Gemeinschaftsebene bisher keine Vereinheitlichungs- oder Harmoniserungsmaßnahme zur Beseitigung der Doppelbesteuerung erlassen worden ist und die Mitgliedstaaten kein multilaterales Übereinkommen nach Art. 293 EG mit diesem Ziel geschlossen haben. Außerdem bestätigte er die bisherige Rechtsprechung, wonach es den Mitgliedstaaten grundsätzlich freisteht, im Rahmen bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen die Anknüpfungspunkte für die Aufteilung der Steuerhoheit festzulegen und dass eine aus dieser Aufteilung folgende Ungleichbehandlung zwischen Angehörigen der beiden vertragsschließenden Staaten keine gegen Art. 39 EG verstoßende Diskriminierung darstellen kann. Die Beantwortung einleitend wurde vom EuGH festgestellt, dass der Ausgangsrechtsstreit nicht die Konsequenzen, die sich aus der Aufteilung der Steuerhoheit für die Angehörigen oder Einwohner von an einem Abkommen betiligten Mitgliedstaaten ergeben, betrifft, sondern vielmehr den Vergleich zwischen der Lage einer Person, die nicht in einem Abkommenstaat wohnt, und einer Person, die unter das Abkommen fällt. Es geht somit um die horizontale Vergleichbarkeit von Gebietsfremden, wovon
einer Person günstigere DBA-Bestimmungen als der anderen zustehen. Genau diese Vergleichbarkeit weist der Gerichtshof aber entschieden zurück und führt aus, dass die – auf in einem der beiden vertragsschließenden Mitgliedstaaten Ansässige – beschränkte Geltung eines DBA als Konsequenz anzusehen ist, die sich aus dem wesen bilateraler Abkommen ergibt. Eine Bestimmung wie jene im Anlassfall lässt sich auch nicht als eine Vergünstigung ansehen, die vom übrigen abkommen losgelöst werden könnte, sondern bildet einen intgralen Bestandteil des Abkommens und trägt zu seiner allgemeinen Ausgewogenheit bei. Ohne (noch) weiter auf die Meistbegünstigungsthematik einzugehen antwortete der EuGH auf die zweite Frage, ƒ [...] dass es nicht gegen die Art. 56 EG und 58 EG verstößt, dass eine Vorschrift eines bilateralen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in einer Situation und unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht auf den Staatsangehörigen eines nicht an diesem Abkommen beteiligten Mitgliedstaats erstreckt wird. Angesichts dieser klaren Absage an eine Meistbegünstigung im Spannungsfeld des Europäischen Steuerrechts und der DBA bleibt die weitere Rechtsprechung zu dieser Thematik (anhängig: Rs. C-8/04 Bujura, Vorlagefrage: ABl. 2004, Nr. C 59/17; Rs. C-374/04 ACT Group Litigation, Vorlagefrage: ABl. 2004, Nr. C 273/ 17). (pu) §§: Art. 56 EG; Art. 58 EG; Art. 293 EG Lit.: M. Lang, SWI 2005, 365 (366 f.); C. Schindler, taxlex 2005, 459; Haunhold/Tumpel/Widhalm, SWI 2005, 494; D. Weber/E. Spierts, European Taxation 2004, 65 (66 f.); D. Weber, European Taxation 2005, 339; R. Lyal, European Taxation 2005, 340. Rsp.: EuGH, Rs. C-376/03, Slg. 2005, I-052821; EuGH, Rs. C-336/96 Gilly, Slg. 1998, I-2793, Rn. 30; EuGH, Rs. C-307/97 Saint-Gobain, Slg. 1999, I-6161, Rn. 57
Dänische Pfandflaschen-Entscheidung Dänische Pfandflaschen case – jurisprudence Dänische Pfandflaschen
Der ĺEuGH erachtete in dieser Entscheidung das in Dänemark obligatorische Rücknahmesystem für Verpackungen von Bier und Erfrischungsgetränken als durch das zwingende Erfordernis des Umweltschutzes (ĺRechtfertigungsgründe für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen) gerechtfertigt und verhältnismäßig (ĺVerhältnis167
Daily Mail-Entscheidung mäßigkeitsprinzip [freier Warenverkehr]). Jedoch erachtete er die dänischen Verpflichtung für ausländische Hersteller, nur Verpackungen zu verwenden, die die dänischen Behörden genehmigt hatten – und deren Genehmigung diese selbst dann versagen konnten, wenn der Hersteller bereit war, für die Wiederverwendung der zurückgenommenen Verpackungen zu sorgen – oder aber jährlich nur eine bestimmte Menge an Getränken in nicht genehmigten Verpackungen in den Handel zu bringen, als unverhältnismäßig und somit als nicht gerchtfertigt. ĺUmweltschutz (freier Warenverkehr). (rp) Rsp.: EuGH, Rs. 302/86 Dänische Pfandflaschen, Slg. 1988, 4607
Daily Mail-Entscheidung Daily Mail case – jurisprudence Daily Mail
S.a. ĺNiederlassungsfreiheit, für Gesellschaften: Judikat, in welchem der Gerichtshof (noch) festgestellt hat, dass die ĺNiederlassungsfreiheit Gesellschaften nicht das Recht gewähre, ihren Sitz ohne Verlust der rechtlichen Identität in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen: „Im Gegensatz zu natürlichen Personen werden Gesellschaften auf Grund einer Rechtsordnung, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts auf Grund einer nationalen Rechtsordnung, gegründet. Jenseits der jeweiligen nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und ihre Existenz regelt, haben sie keine Realität.“ Ziehe eine Gesellschaft vom Staat A in den Staat B, könne der Staat A die Gesellschaft daher auflösen. Begründet wurde die Entscheidung insbesondere mit einem Verweis auf Art. 293 3. Alt EG, welcher festgelegt, dass – „soweit erforderlich“ – die Mitgliedstaaten Übereinkommen schließen, welche die Anerkennung der Rechtsfähigkeit und die Möglichkeit der Sitzverlegung von Gesellschaften regeln. Ein solches Übereinkommen bestehe, so der EuGH, nicht, was darauf hindeute, dass die Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften im EG nicht geregelt werden wollte und daher trotz des Wortlautes des Art. 48 EG eine „planmäßige Lücke“ innerhalb der Niederlassungsfreiheit bestehe. Vielfach wurde im Daily Mail-Urteil eine Bestätigung der europarechtlichen Zulässigkeit der ĺSitztheorie gesehen, was seit dem Urteil in der Rs. ĺCentros (s. dort m.w.N.) vermehrt in Zweifel gezogen wird. (tr) §§: Art. 43, 48 EG Rsp.: EuGH, Rs. C-81/87, Slg. 1988, 5483
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Daseinsvorsorge, Zugangsschutz access to services of general economic interest – accès aux services d’intérêt économique général
Zum grundrechtlichen Schutz des Zugangs vgl. unter ĺDienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, Zugang. (ed) Dassonville-Entscheidung Dassonville case – jurisprudence Dassonville
Den Gegenstand der Rs. bildete ein in Belgien eingeleitetes Strafverfahren gegen Händler, die einen in Frankreich im freien Verkehr befindlichen Scotch Whisky zwar ordnungsgemäß erworben, aber unter Verletzung belgischer Rechtsvorschriften nach Belgien eingeführt hatten, da sie nicht im Besitz einer Ursprungsbescheinigung der britischen Zollbehörde waren. Nach belgischem Recht war für ĺWaren mit Ursprungsbezeichnung wie z.B. Scotch ein amtlicher Begleitschein des Herkunftslands vorgesehen, aus dem sich ergeben musste, dass die Bezeichnung zu Recht geführt wurde. Für Frankreich war eine solche Bescheinigung nicht notwendig. Die belgische Regelung galt gleichermaßen für belgische wie ausländische Produkte. Eine ĺDiskriminierung lag demnach nicht vor. Dennoch wurde durch die Bestimmung jeglicher ĺParallelimport unmöglich gemacht. Im Vergleich zu den unmittelbar aus dem Erzeugerland einführenden Importeuren war für die Händler aus Frankreich eine Ursprungsbescheinigung erheblich schwerer zu erlangen. Der ĺEuGH sprach dazu neben der sog. ĺDassonville-Formel aus, dass eine mit dem Vertrag unvereinbare ĺMaßnahme mit gleicher Wirkung vorliege, wenn ein ĺMitgliedstaat eine Echtheitsbescheinigung verlange, die sich der Importeur eines in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß im freien Verkehr befindlichen echten Erzeugnisses schwerer zu beschaffen vermag als der Importeur, der das gleiche Erzeugnis unmittelbar aus dem Ursprungsland einführt. (güh) Rsp.: EuGH, Rs. 8/74 Dassonville, Slg. 1974, 837, Rn. 2/ 4, 5, 7/9
Dassonville-Formel Dassonville formula – jurisprudence Dassonville
Jede Handelsregelung der ĺMitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, ist als ĺMaßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmä-
Datenbankrichtlinie ßige Beschränkung anzusehen. Die konsequente Anwendung der Dassonville-Formel hatte zur Folge, dass der Tatbestand des Art. 28 EG sehr weit ausgedehnt wurde. Durch die ĺCassis de Dijon-Entscheidung erfolgte eine erste Einschränkung mit der Klarstellung, dass Maßnahmen, die aus ĺzwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses notwendig sind, nicht dem Tatbestand unterfallen. Eine weitere wichtige dogmatische Einschränkung nahm der EuGH schließlich mit der ĺKeck-Entscheidung vor. (güh) Lit.: A. Epiney, Freiheit des Warenverkehrs, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, 227, Rn. 34; C. Mayer, Die Warenverkehrsfreiheit im Europarecht – eine Rekonstruktion, EuR 2003, 793 Rsp.: EuGH, Rs. 8/74 ĺDassonville, Slg. 1974, 837, Rn. 5
Database Group Die Database Group ist ein Forscherverbund, der Entscheidungen zum Europäischen Privatrecht und insbesondere zu den ĺPrinciples of European Contract Law in einer Internetdatenbank sammelt und öffentlich zugänglich macht. Sie ist an den Vorarbeiten zu dem ĺGemeinsamen Referenzrahmen im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts der ĺCommon Principles of European Contract Law (CoPECL) beteiligt. (mrm) Web: http://icd.recherche.jm.u-psud.fr
Datei mit personenbezogenen Daten personal data filing system – fichier de données à caractère personnel
Unter einer Datei versteht man jede strukturierte Sammlung ĺpersonenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, gleichgültig ob diese Sammlung zentral, dezentralisiert oder nach funktionalen oder geographischen Gesichtspunkten aufgeteilt geführt wird. Unstrukturierte Akten und Aktensammlungen stellen keine Dateien dar. Von Bedeutung ist dieser Begriff im europäischen Datenschutzrecht, wofür er in Art. 2 lit. c der ĺDatenschutzrichtlinie auch definiert wird. Von Bedeutung ist der Begriff für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Datenschutzrichtlinie. Dieser erfasst nämlich nur Daten ĺautomatisierter Datenverarbeitungen und Daten die Teil einer Datei sind oder werden sollen. (al) §§: Art. 2 lit. c RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie)
Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 110; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 77
Daten personal data – données à caractère personnel
Personenbezogene Daten bilden den sachlichen Anknüpfungspunkt für sämtliche Bestimmungen zum ĺDatenschutz. Es handelt sich dabei um alle Informationen über eine bestimmte oder zumindest bestimmbare Person (ĺbetroffene Person). Dies können etwa der Name, Anschrift und Telefonnummer, aber besonders auch Bild- oder Tonaufnahmen, Fingerabdrücke oder genetische Informationen sein. Unter den Schutz der ĺDatenschutzrichtlinie fallen nur Daten natürlicher Personen. Dabei bleibt es den Mitgliedstaaten jedoch ungenommen juristische Personen in ihr Schutzregime mit einzubeziehen, wie dies etwa in Österreich und punktuell auch in Deutschland geschehen ist. Aus datenschutzrechtlicher Sicht unbeachtlich sind hingegen ĺanonymisierte Daten. (al) §§: Art. 2 lit. a RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 109; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 73
Daten, anonymisierte ĺAnonymisierte Daten Daten, personenbezogene ĺDaten Datenbankrichtlinie directive on the on the legal protection of databases – directive concernant la protection juridique des bases de données
Bei der DatenbankRL (RL 96/9/EG, ABl. 1996, Nr. L 77/20) handelt es sich um eine jener RL, mit denen Teile des Urheberrechts harmonisiert wurden; sie gehört damit zum ĺeuropäischen Urheberrecht. Kompetenzgrundlage ist Art. 95 EG. Die DatenbankRL enthält ein zweigleisiges Schutzsystem für Datenbankhersteller. Dieses Schutzsystem besteht aus einem Urheberrecht und aus einem investitionsschützenden Recht sui generis. Der urheberrechtliche Schutz erfasst Datenbanken, bei denen Auswahl und Anordnung des Inhalts eine eigene, geistige Schöpfung darstellen, der Schutz sui generis 169
Datenbanken, elektronische hingegen nicht-schöpferische Datenbanken, für die wesentliche Investitionen aufgewendet wurden. Der RL unterliegen nicht nur elektronische Datenbanken, sondern auch Printmedien. „Datenbank“ i.S.d. RL ist nämlich jede Sammlung von Werken, Daten oder anderen voneinander unabhängigen Elementen, die systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln mit elektronischen Mitteln oder auf andere Weise zugänglich sind (Art. 1 Abs. 2). Darunter fallen etwa auch Koch- und Telefonbücher, Gedichtesammlungen und Enzyklopädien sowie die meisten Datenbanken im technischen Sinne (z.B. Online-Datenbanken, CD-Rom-Produkte etc.). (js) Lit.: H. Sendrowski, Zum Schutzrecht „sui generis“ an Datenbanken, GRUR Int. 2005, 369; M. Leistner, Der neue Rechtsschutz des Datenbankherstellers, GRUR Int. 1999, 819
Datenbanken, elektronische databases, electronic – banques d’informations
Im Internet gibt es elektronische Datenbanken, die für die praktische Arbeit mit dem Gemeinschaftsrecht sehr hilfreich sind. Einen Überblick über die verschiedenen Institutionen der EU und deren Tätigkeiten liefert die Homepage der EU (www.europa.eu). Sämtliche Rechtstexte enthält die Datenbank EUR-LEX, die sich auf der Homepage der EU unter der Rubrik „Dokumente“ befindet (http://eur-lex.europa.eu/ de/index.htm). Schließlich sind die Entscheidungen des ĺEuGH und des ĺEuG I seit dem Jahr 1997 unter www.curia.eu.int veröffentlicht. (dh) Web: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm
Datenschutz data protection – protection des données personnelles
Datenschutz im europäischen Recht meint den Schutz von Personen vor dem Missbrauch von Daten, die sich auf sie beziehen. Geschützt werden sollen nach dem modernen Begriffsverständnis also in erster Linie nicht die Daten, sondern vor allem die Personen denen die Daten zuordenbar sind. Ein Bedarf an einem solchen Schutz ergibt sich aus den Grundrechten und -freiheiten, wie insbesondere dem auch in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und in den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts anerkannten Rechts auf Privatsphäre einerseits und dem 170
Umstand, dass die Verwendungsmöglichkeiten von Daten durch die voranschreitende Entwicklung und den Einsatz moderner Datenverarbeitungstechnologien erheblich erweitert wurden andererseits. Da unterschiedliche Schutzniveaus in den einzelnen Mitgliedstaaten ein Hemmnis für den Verkehr personenbezogener Daten und damit für die Verwirklichung des Binnenmarktes darstellt, kommt den Europäischen Gemeinschaften eine Kompetenz zur Harmonisierung der entsprechenden Bestimmungen zu. Ausfluss dieser Kompetenz ist die RL 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ĺDatenschutzrichtlinie). Eine Detaillierung und Ergänzung der Datenschutzrichtlinie im Bereich der Telekommunikation wurde mit der RL 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.7.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) erzielt. Eine Konkretisierung der Datenschutzrichtlinie für Organe und Einrichtungen der Europäischen Union fand durch die VO (EG) 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.12.2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr, statt. Neben diesen drei zentralen europäischen datenschutzrechtlichen Normen (unter denen wiederum der Datenschutzrichtlinie 95/46/EG die sicherlich größte Bedeutung zukommt) finden sich bereichsspezifische datenschutzrechtliche Regelungen in zahlreichen anderen europarechtlichen Rechtsakten. Als problematisch erweist sich, dass es im Bereich der ĺDritten Säule bisher nicht zu einer Einigung auf datenschutzrechtliche Mindeststandards gekommen ist. Dies führt dazu, dass das Schutzniveau in datenschutzrechtlich besonders sensiblen Bereichen, wie der inneren Sicherheit, zum Teil weit unter dem der Europäischen Gemeinschaft oder dem der Mitgliedstaaten liegt. Ein Rahmenbeschluss der einheitliche Standards auch in der Dritten Säule definieren soll, wird seit 2005 diskutiert. (al) §§: RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie); RL 2002/58/EG, ABl. 2002, Nr. L 201/37; VO (EG) 45/2001, ABl. 2001, Nr. L 8/1
Daueraufenthaltsrichtlinie, „Kleine Freizügigkeit“ für Drittstaatsangehörige Datenschutzgruppe Working Party on the Protection of Individuals with regard to the Processing of Personal Data – Groupe de protection des personnes à l’égard du traitement des données à caractère personnel
Die Datenschutzgruppe ist ein beratendes Organ, das sich aus Vertretern der nationalen datenschutzrechtlichen ĺKontrollstellen zusammensetzt. Aufgabe der Gruppe ist die Prüfung von Problemen die sich in den Mitgliedstaaten durch die Umsetzung der RL 95/46/EG (ĺDatenschutzrichtlinie) ergeben, zu der ĺAngemessenheit des Schutzniveaus von Drittstaaten Stellung zu nehmen, die Kommission beim Entwurf von datenschutzrechtlichen Regelungen beratend zu unterstützen und Stellungnahmen zu den auf Gemeinschaftsebene erarbeiteten Verhaltensregeln abzugeben. (al) §§: Art. 29 und 30 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 317; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 340 Web: http://ec.europa.eu/justice_home/fsj/privacy/ workinggroup/index_de.htm
Datenschutzrichtlinie directive on the protection of personal data – directive protection des données personnelles
Die RL 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr wurde am 23.11.1995 im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 1995, Nr. L 281) kundgemacht. Die Umsetzungsfrist betrug drei Jahre. Der Regelungszweck der Richtlinie ist ein zweifacher: Zum einen soll sie den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten auf dem Gebiet des Datenschutzes gewährleisten und zum anderen soll sie Hemmnisse für den freien Verkehr personenbezogener Daten durch unterschiedliche Schutzniveaus in den einzelnen Mitgliedstaaten beseitigen. Anwendung findet die Richtlinie auf ĺautomatisierte Datenverarbeitungen und auf die ĺVerarbeitung von Daten die in einer ĺDatei gespeichert sind oder werden sollen. In ihrem Art. 6 stellt die Richtlinie einige Grundsätze (z.B. Grundsatz der ĺZweckbindung, Grundsatz der ĺAktualität von Daten, Grundsatz der ĺRichtigkeit von Daten) auf, die bei der Datenverarbeitung beachtet werden müssen. Daneben bindet die Richtlinie in Art. 7 die Zulässigkeit der Datenverarbeitung (ĺVerar-
beitung von Daten) an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, die im Wesentlichen auf einer Interessenabwägung zwischen dem schutzwürdigen Geheimhaltungsinteresse der ĺbetroffenen Personen und anderen schutzwürdigen Interessen basieren. Die Verwendung bestimmter Kategorien von Daten, so genannter ĺsensitiver Daten, das sind Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie von Daten über Gesundheit oder Sexualleben, ist gem. Art. 8 der Richtlinie grundsätzlich untersagt (ĺVerarbeitungsverbot von ĺsensitiven Daten), sieht aber sogleich einige Ausnahmen von diesem Verwendungsverbot vor, etwa wenn eine ausdrückliche ĺEinwilligung der betroffenen Person vorliegt. Die Mitgliedstaaten werden außerdem durch die Richtlinie verpflichtet den Bürgerinnen und Bürgern Rechtsbehelfe zur Verfügung zu stellen, die eine Gewährleistung ihrer Rechte garantieren (ĺKontrollstelle). (al) §§: RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 Lit.: D. Bainbridge, EC Data Protection Directive, 1996; U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999
Datenverarbeitung, automatisierte ĺAutomatisierte Datenverarbeitung Datenverarbeitung, Meldung ĺMeldung der Datenverarbeitung Daueraufenthaltsrichtlinie, „Kleine Freizügigkeit“ für Drittstaatsangehörige directive concerning the status of third-country nationals who are long-term residents – directive relative au statut des ressortissants de pays tiers résidents de longue durée
Die RL verbessert die Rechtsstellung langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger, insofern als sie unter bestimmten Voraussetzugen zu einer Aufenthaltsberechtigung-EG für alle MS berechtigt (Art. 8) und in gewissen Bereichen (Arbeitszugang, Arbeitsbedingungen, Bildung, Anerkennung von Prüfungen, Sozialleistungen, Vereinigungsfreiheit und Gewerkschaftsmitgliedschaft, verstärkter Ausweisungsschutz, freier Zugang zum Hoheitsgebiet) zu einer Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufenthaltslandes berechtigt. Sie findet auf ĺDrittstaatsangehörige Anwendung, die ununterbrochen und rechtmäßig fünf Jah171
Daueraufenthaltsrecht re in einem MS aufenthaltsberechtigt waren, über regelmäßige Einkünfte zur Deckung ihrer Bedürfnisse und die ihrer Unterhaltsberechtigten sowie über eine Krankenversicherung verfügen. Ausgenommen von der Regelung sind Studenten, Personen in Ausbildung, zur Erbringung von Dienstleistungen entsandte Personen, Saisoniers, Flüchtlinge, Asylwerber. Inhaber einer Aufenthaltsberechtigung-EG haben das Recht, in andere MS weiterzuwandern und dort länger als drei Monate verbleiben, ihre Familienangehörigen dürfen sie dabei begleiten. (bb) §§: RL 2003/109/EG, ABl. 2004, Nr. L 16/44 Web: http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2004/ l_016/l_01620040123de00440053.pdf
Daueraufenthaltsrecht ĺRecht auf Daueraufenthalt DBA ĺDoppelbesteuerungsabkommen De Cuyper-Entscheidung De Cuyper case – jurisprudence De Cuyper
Das Urteil in der Rs. De Cuyper (EuGH, Rs. C-406/04 De Cuyper, Slg. 2006, I-6947) thematisierte erstmals die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein ĺUnionsbürger mit dem Wegzug aus seinem Heimatstaat aus der nationalen Solidargemeinschaft ausscheiden kann. Diese Frage stellt sich gewissermaßen als Spiegelbild der Problematik dar, wann ein Unionsbürger in die Solidargemeinschaft des Aufnahmemitgliedstaates einzubeziehen ist (ĺUnionsbürger, Inländerbehandlung). Der Entscheidung lag eine belgische Regelung zugrunde, die die Gewährung einer Leistung für Arbeitslose an den gewöhnlichen Wohnsitz und tatsächlichen Aufenthalt im Inland knüpfte. Hierin sah der Gerichtshof eine tatbestandlich von Art. 18 I EG erfasste Diskriminierung eines Inländers durch seinen Heimatstaat aufgrund der Ausübung des Freizügigkeitsrechts (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines, Beschränkungsverbot). Allerdings sei diese gerechtfertigt: Denn die zur Vermeidung von Missbrauch notwendige Kontrolle der beruflichen und familiären Anspruchsvoraussetzungen sei effektiv nur bei einem Aufenthalt im Inland möglich. Damit konnte die entscheidende Sachfrage, nach welchen Kriterien ein Ausscheiden aus der nationalen Solidargemeinschaft in Betracht kommt, offen bleiben. (fw) 172
§§: Art. 18 EG Lit.: F. Wollenschläger, Anmerkung, EuZW 2006, 503; ders., Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 281 ff., 346 ff.
De Gasperi, Alcide (1881–1954) Von 1945–1953 italienischer Ministerpräsident; von 1944–1946 und von 1951– 1953 italienischer Außenminister; schloss 1946 mit dem österr. Außenminister Gruber ein Abkommen über die Autonomie Südtirols. 1954 Präsident der Gemeinsamen Versammlung der ĺEGKS; Vorkämpfer einer wirtschaftlichen und politischen Integration Europas. (gm) Lit.: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 6, 21. Aufl. 2006, 370
De minimis Beihilfe de minimis aid – aides de minimis
Die mit 1.1.2007 in Kraft getretene neue de minimis VO (VO [EG] 1998/2006, ABl. 2006, Nr. L 379/5) zählt zu den ĺGruppenfreistellungsVO der Kommission. Beihilfen, welche die Voraussetzungen der de minimis VO erfüllen, unterliegen nicht der ĺNotifikationspflicht. Die de minimis VO setzt den Schwellenwert für berücksichtigungswürdige Beihilfen mit € 200.000,für einen Zeitraum von drei Steuerjahren fest. Alle Beihilfen, die diesen Wert nicht überschreiten, stellen keine staatlichen Beihilfen dar, da der gemenschaftliche Handel nicht spürbar beeinträchtigt wird. Die Vorgänger VO (69/2001) hatte noch eine Obergrenze von € 100.000,vorgesehen. Diese Grenzen beziehen sich auf Bruttobeträge (vor Abzug von Steuern und sonstigen Abgaben). Die Anwendung der de minimis VO kommt nur für ĺtransparente Beihilfen in Betracht. Von der de minimis VO sind bestimmte Bereiche der Landwirtschaft, der Fischerei und des Steinkohlebergbaus ausgenommen. Ebensowenig unterliegen der VO Ausfuhrbeihilfen, Beihilfen im Zusammenhang mit der Förderung hemischer Erzeugnisse sowie Beihilfen von Fahrzeugen für den Straßengütertransport an Unternehmen des gewerblichen Straßengütertransports. Beihilfen, die den Leitlinien zu ĺRettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten unterliegen, werden ebenfalls nicht von der de minimis VO erfasst. (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: M. Nordmann, Die neue de-minimis Verordnung im EG-Beihilferecht, EuZW 2007, 752 Web: http://ec.europa.eu/comm/competition/state_ aid/reform/dm_regulation_de.pdf
Defizitverfahren Defizit, übermäßiges deficit, excessive – deficit, excessif
Art. 104 Abs. 1 EG sieht vor, dass die Mitgliedstaaten übermäßige öffentliche Defizite vermeiden, um so auf der fiskalischen Seite die ĺPreisstabilität in der ĺWirtschafts- und Währungsunion zu schützen. Dabei handelt es sich trotz der Formulierung „vermeiden“ nach einhelliger Ansicht um eine echte Rechtspflicht. Das Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (Defizitprotokoll) definiert i.V.m. Art. 104 Abs. 2 EG die Referenzwerte für ein übermäßiges öffentliches Defizit alternativ als Überschreitung der Nettoneuverschuldung von 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bzw. als Überschreitung des Gesamtschuldenstands von 60 % des BIP. Nähere Definitionen enthält die VO (EG) 3605/93 unter Verweis auf das statistische Regelwerk der VO (EG) 2223/96. Ein Verstoß gegen das Verbot löst grundsätzlich das ĺDefizitverfahren aus. Zuständig für die laufende Überwachung der Haushaltsdisziplin ist die Kommission, der die Mitgliedstaaten regelmäßig ihre Haushaltsdaten anhand der statistischen Anforderungen der VO (EG) 3605/93 melden. Bei der Beurteilung der Haushaltslage und des Schuldenstands stehen der Kommission aufgrund der Fassung von Art. 104 Abs. 2 und 3 EG allerdings bestimmte Spielräume zu. Sie erlauben der Kommission, die Haushaltspolitik in das Gesamtgefüge nationaler Wirtschaftspolitik einzuordnen und die jeweilige konjunkturelle Lage eines Mitgliedstaats zu berücksichtigen. Hierzu gehören Faktoren wie Ausgaben für Investitionen oder die Frage, ob es sich um eine strukturelle Verschuldung handelt. Dieser Beurteilungsspielraum erlaubt es, in begründeten Einzelfällen kein ĺDefizitverfahren einzuleiten. In der Praxis stellt die Kommission bislang nur auf die 3 %-Regel ab, um ein Defizitverfahren auszulösen, während der Gesamtschuldenstand keine hinreichende Berücksichtigung findet. Das Verbot übermäßiger Defizite gilt für alle Mitgliedstaaten, doch kann gegen Mitgliedstaaten, die den Euro nicht eingeführt haben, das Defizitverfahren nur ohne die beiden letzten Sanktionsstufen durchgeführt werden, wie sich aus Art. 122 Abs. 3 EG ergibt. (co) Defizitverfahren excessive deficit procedure – procédure concernant les déficits excessifs
Das Defizitverfahren nach Art. 104 EG dient der Durchsetzung des Verbots übermäßiger öffentlicher Defizite in den Mitgliedstaaten. Ist
die ĺKommission der Auffassung, dass in einem Mitgliedstaat ein übermäßiges ĺDefizit besteht oder sich ergeben könnte, legt sie dem ĺRat nach Art. 104 Abs. 5 EG eine Stellungnahme vor, die zugleich eine Beschlussempfehlung enthält. Der Rat prüft auf diese Stellungnahme hin und nach Anhörung des Mitgliedstaats die Gesamtlage und entscheidet mit qualifizierter Mehrheit, ob ein übermäßiges Defizit besteht, Art. 104 Abs. 6 EG. Damit verleiht der Vertrag dem Rat die Einschätzungsprärogative über das Bestehen eines übermäßigen Defizits, die zudem, ebenso wie bei der Kommission, mit einem prinzipiell weiten Beurteilungsspielraum („Gesamtlage“) verbunden ist. Wenn der Rat zu der Feststellung kommt, dass ein ĺübermäßiges Defizit besteht, verfügt er über ein abgestuftes Instrumentarium, mit dem er den säumigen Mitgliedstaat zu haushaltspolitischer Disziplin rufen kann. Insoweit besteht das Defizitverfahren aus vier Sanktionsstufen: 1. Empfehlung, 2. Veröffentlichung der Empfehlung, 3. In-Verzug-Setzung, 4. Verhängung von Geldbußen und anderen Zwangsmitteln. In der ersten Stufe richtet der Rat nach Art. 104 Abs. 7 EG Empfehlungen an den betreffenden Mitgliedstaat mit dem Ziel, das übermäßige Defizit innerhalb einer bestimmten Frist abzubauen. Stellt der Rat fest, dass seine Empfehlungen innerhalb der gesetzten Frist keine wirksamen Maßnahmen ausgelöst haben, kann er in der zweiten Stufe seine Empfehlungen veröffentlichen, Art. 104 Abs. 8 EG. In der Praxis erfolgt diese zweite Stufe aufgrund des Einverständnisses der Mitgliedstaaten zeitgleich mit der ersten. Insofern kommt es unmittelbar auf die dritte Stufe an: Bleiben die Empfehlungen an den Mitgliedstaat ohne Erfolg, kann der Rat nach Art. 104 Abs. 9 EG beschließen, den Mitgliedstaat mit der Maßgabe in Verzug zu setzen, innerhalb einer bestimmten (Nach-)Frist bestimmte Sanierungsmaßnahmen für den erforderlichen Defizitabbau zu treffen. In der vierten Reaktionsstufe kann der Rat nach Art. 104 Abs. 11 EG beschließen, bestimmte Sanktionen wie z.B. Hinterlegung unverzinslicher Einlagen oder Geldbußen zu verhängen, wenn der Mitgliedstaat einen Beschluss nach Abs. 9 nicht befolgt. Derartige Maßnahmen dürfen ggf. auch verschärft werden. Zu beachten ist, dass gegen Mitgliedstaaten, die den ĺEuro noch nicht eingeführt haben, die beiden letzten Sanktionsstufen nicht angewen173
Deggendorf-Entscheidung det werden dürfen. Der Rat hebt seine Entscheidungen erst dann wieder auf, wenn er der Auffassung ist, dass das übermäßige Defizit in dem betroffenen Mitgliedstaat korrigiert worden ist. Durch den ĺStabilitäts- und Wachstumspakt werden die einzelnen Verfahrensschritte des Art. 104 EG an bestimmte, kurze Fristen gebunden. Damit soll gewährleistet werden, dass Kommission und Rat zügig die Anforderungen aus Art. 104 EG umsetzen und ein Haushaltsdefizit rasch beseitigt wird, ohne dass sich das Überwachungsverfahren unnötig hinzieht. Die Reform des Paktes im Jahr 2005 erlaubt allerdings auch die inhaltliche Flexibilisierung von Ratsentscheidungen auf den einzelnen Verfahrensstufen. Zudem enthalten die im Stabilitätsund Wachstumspakt enthaltenen Verordnungen Vorschriften zur Konkretisierung der Beurteilungsspielräume von Kommission und Rat, indem sie einige der unbestimmten Rechtsbegriffe des Art. 104 Abs. 2 und 3 EG definieren. Das Defizitverfahren, das repressiv ausgestaltet ist, wird auf der präventiven Seite durch das System der ĺMultilateralen Überwachung der Haushalte ergänzt. (co) §§: VO (EG) 1467/97, ABl. 1997, Nr. L 209/6; VO (EG) 1056/2005, ABl. 2005, Nr. L 174/5 Lit.: U. Palm, Preisstabilität in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, 2000; F. Bark, Das gemeinschaftsrechtliche Defizitverfahren, 2004
Deggendorf-Entscheidung Deggendorf case – jurisprudence Deggendorf
Die Entscheidung betrifft die Frage nach der Reichweite der mit Ablauf der Klagefrist nach Art. 230 Abs. 5 EG eintretenden Bestandskraft eines Gemeinschaftsrechtsaktes. Der EuGH entschied darin, dass der Kläger eines nationalen Rechtsstreites gegen einen mitgliedstaatlichen Beihilfenrückforderungsbescheid die Rechtswidrigkeit der dem Bescheid zugrunde liegenden Kommissionsentscheidung nicht rügen kann, wenn er gegen diese Entscheidung im Wege der Nichtigkeitsklage hätte vorgehen können, dies aber unterlassen hat. S. näheres ĺNichtigkeitsklage, Verhältnis zum Vorabentscheidungsverfahren. (mk) Rsp.: EuGH, Rs. C-188/92 TWD Textilwerke Deggendorf, Slg. 1994, I-833
Deliktsgerichtstand jurisdiction concerning matters relating to liability for wrongful acts – compétence en matières délictuelles
Im Falle einer unerlaubten Handlung erscheint es nicht sachgemäß, das Opfer auf einen aus174
ländischen allgemeinen Gerichtsstand des Schädigers zu verweisen. Art. 5 Abs. 3 ĺEuGVVO begründet daher einen alternativen Gerichtsstand für Klagen aus unerlaubter Handlung vor dem Gericht des Ortes, an dem der schädigende Erfolg eingetreten ist oder einzutreten droht. Während der Wortlaut den Eindruck erweckt, sich zwischen der international geläufigen Unterscheidung zwischen Handlungs- und Erfolgsort nur für letzteren zu entscheiden, hat der EuGH (Rs. C-21/76 Bier/Mines de Potasse d’Alsace) schon früh klargestellt, dass der Geschädigte privilegiert wird und zwischen Handlungsund Erfolgsort wählen kann. Soweit es sich um Streuschäden handelt, d.h. Schäden, die in Folge einer bestimmten Handlung in verschiedenen MS Schäden verursachen, kommt nach der insoweit häufig kritisierten Rsp. des EuGH die sog. Mosaiktheorie zur Anwendung: Um der Gefahr eines bei einer Vielzahl von Erfolgsorten gegebenen Möglichkeit zum ĺforum shopping zu begegnen, wird die durch den Erfolgsort eröffnete Zuständigkeit der Gerichte auf den in dem betreffenden MS eingetretenen Teilschaden beschränkt. Den gesamten Schaden kann der Geschädigte daher nach Art. 5 Z. 3 EuGVVO nur am Ort der schädigenden Handlung geltend machen. Der Begriff der unerlaubten Handlung ist autonom – und weit – auszulegen. Er bezieht sich auf alle Klagen, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Abs. 1 EuGVVO anknüpft. Der Gerichtstand der unerlaubten Handlung und der Gerichtsstand des ĺErfüllungsortes schließen sich folglich aus. Erfasst werden neben Produkthaftungsfällen und Ansprüchen aus Wettbewerbsverletzung insb. auch Ansprüche aus culpa in contrahendo. Mit der Formulierung „Ort an dem der Schaden eintritt oder einzutreten droht“ ist durch die Neufassung zugleich klargestellt, dass auch vorbeugende Unterlassungsklagen im Deliktsgerichtsstand erhoben werden können. (mrm) §§: Art. 5 Abs. 3 EuGVÜ/LGVÜ; Art. 5 Abs. 3 EuGVVO
Delors, Jacques (Geb. 1925) Französischer Wirtschafts- und Finanzminister (1981–1984), sowie 1983–1984 Budgetminister; 1979–1981 Präsident der Wirtschafts- und Währungskommission der EG, 1985–1994 Präsident der Kommission der EG/ EU (2. Wiederwahl 1992). (gm) Lit.: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 6, 21. Aufl. 2006, 404
Dienste der Informationsgesellschaft Delors-Bericht Delors report – rapport Delors
Unter der Leitung des Kommissionspräsidenten Jacques Delors am 12.4.1989 vorgelegter Bericht des Ausschusses der Zentralbankpräsidenten der Mitgliedstaaten zur Verwirklichung der ĺWirtschafts- und Währungsunion (WWU). Am 26./27.6.1989 beschloss der Europäische Rat in Madrid die Einführung der WWU entsprechend den Empfehlungen des Berichts. (gm) Demirel Demirel case – jurisprudence Demirel
Art. 12 des Assoziierungsabkommens EWG ĺTürkei sieht vor, dass sich die Vertragsparteien von den (ex-)Artikeln 48-50 EWG-Vertrag leiten lassen, um untereinander schrittweise die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu verwirklichen. Art. 36 des Protokolls zu diesem Abkommen sieht vor, dass der Assoziationsrat dafür die erforderlichen Regelungen festlegt. In der Rs. 12/86 stellte der EuGH dazu fest, dass Art. 12 des Abkommens und Art. 36 des Protokolls Programmcharakter haben und keine hinreichend genauen, unbedingten Bestimmungen darstellen, die die Freizügigkeit unmittelbar regeln (Rn. 23). (bb) Rsp.: EuGH, Rs. 12/86 Demirel, Slg. 1987, I-3719
Demokratiedefizit democratic deficit – déficit de démocratique
Der Vorwurf des Demokratiedefizits spricht den Umstand an, dass die Rechtsetzung der EG überwiegend bei Exekutivorganen wie dem ĺRat liegt und damit nicht in gleicher Weise parlamentarisch ist wie die Rechtsetzung im nationalen Kontext. Die Befugnisse des ĺEP wurden zwar durch die Vertragsänderungen der letzten 20 Jahre (ĺEEA 1986, ĺVertrag von Maastricht 1992, ĺVertrag von Amsterdam 1997) erweitert, sie erscheinen aber jedenfalls schwächer als im Vergleich zur Stellung der nationalen Parlamente. Die Rückkoppelung der europäischen Rechtsetzung an die nationalen Parlamente muss daher an der Verantwortlichkeit der Ratsmitglieder gegenüber ihren Heimatparlamenten ansetzen. Auch die Integration durch Mitwirkungsbefugnisse der nationalen Parlamente im Rahmen des nationalen Integrationsverfassungsrechts (vgl. etwa Art. 23 Bonner GG, Art. 23e österr. B-VG) oder die Stärkung der Rolle der nationalen Parla-
mente im Hinblick auf die Kontrolle des ĺSubsidiaritätsprinzips stellen Instrumente zur Verringerung des Demokratiedefizits dar. (he) Lit.: U. Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2005, 127 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 30
Demokratieprinzip (deutsche Rechtslage) ĺIntegrationsschranken Demokratische Legitimation ĺDemokratiedefizit Devisengeschäfte foreign-exchange operations – opérations de change
Nach Art. 105 Abs. 2 EG sowie Art. 3.1 ESZBSatzung darf das ĺEuropäische System der Zentralbanken (ESZB) Devisengeschäfte durchführen. Unter Devisen versteht man auf eine fremde Währung lautende Forderungen, die an einem ausländischen Bankplatz zahlbar sind. Dies schließt neben Bankguthaben bei ausländischen Banken auch Wertpapiere und sonstige Vermögenswerte, die auf fremde Währungen bzw. Rechnungseinheiten (z.B. IWF-Sonderziehungsrechte) lauten, ein. Sorten, d.h. ausländische Banknoten und Münzen, zählen nicht zu den Devisen. Geschäfte mit Edelmetallen sind dagegen den Devisengeschäften gleichgestellt. Die ĺEZB bzw. die nationalen Zentralbanken des ĺEurosystems nehmen Devisengeschäfte u.a. mit dem Ziel vor, den Wechselkurs des Euro zu anderen Währungen (z.B. Dollar oder Yen) zu beeinflussen bzw. den Wechselkurs einer anderen Währung zu stützen. Solche Interventionen finden entweder autonom oder kraft Absprache mit den Zentralbanken anderer Währungsräume statt. Sie erfolgen üblicherweise zu Marktbedingungen als herkömmliche, zivilrechtliche Geschäfte. Alle Devisengeschäfte stehen unter dem Vorbehalt des Art. 111 EG, der dem ĺRat die Zuständigkeit verleiht, internationale Wechselkursvereinbarungen abzuschließen bzw. allgemeine Orientierungen für die Wechselkurspolitik aufzustellen. Bislang hat der Rat von diesen Möglichkeiten aber noch keinen Gebrauch gemacht. (co) Dienste der Informationsgesellschaft services of the information society – services de la société de l’information
In der E-commerce-RL definiert als „alle in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz 175
Dienstgemeinschaft, christliche und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistungen“. Dazu gehören neben den individuell abrufbaren audiovisuellen Mediendiensten (ĺden nicht linearen audiovisuellen Mediendiensten) auch andere Formen individuell abrufbarer elektronischer Mediendienste, wie z.B. elektronisch übermittelter individuell abrufbarer Verlagscontent (z.B. Online-Nachrichtendienste, Online-Datenbanken) sowie individuell abrufbarer Audiocontent (z.B. Online-Musikstores, wie z.B. Apple’s iTunes, Napster, Sony Connect und MSN Music). Vom Begriff der Dienste der Informationsgesellschaft sind darüber hinaus eine Reihe anderer elektronisch erbrachter Dienstleistungen erfasst, die nicht Mediendienste darstellen (wie etwa der Online-Verkauf bestimmter Waren). (dd) §§: RL 2000/31/EG, ABl. 2000, Nr. L 178/01 Lit.: D. Damjanovic, Öffentlich-rechtliche Aspekte des E-Commerce, in: M. Holoubek/M. Potacs (Hrsg.), Handbuch Öffentliches Wirtschaftsrecht, Bd. I, 2007, 141 (150 f.)
Dienstgemeinschaft, christliche ĺArbeitsrecht, religionsgemeinschaftliches Dienstleistung provision of service – service
Unter D. wird in Art. 50 Abs. 1 EG jede Leistung verstanden, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird (ĺEntgeltlichkeit), soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Warenund Kapitalverkehr (ĺWarenverkehr, ĺKapitalverkehr) und über die Freizügigkeit der Person unterliegt (ĺSubsidiärfreiheit). Eine D. ist eine selbstständige Tätigkeit (ĺSelbstständigkeit), die nicht nur als zusätzliche Leistung i.V.m. einer Hauptleistung erbracht wird. Um von einer D. zu sprechen, darf diese im Vergleich zu anderen Leistungen nicht völlig untergeordnet und unwesentlich sein. Das Kriterium der selbstständigen Tätigkeit dient der Abgrenzung von der ĺArbeitnehmerfreizügigkeit. D. im Sinne des Gemeinschaftsrechts sind auch Tätigkeiten, die nach nationalen Nomenklaturen nicht als D. verstanden werden. Damit eine D. von den Bestimmungen über den ĺfreien Dienstleistungsverkehr erfasst werden kann, muss ihr ein ĺgrenzüberschreitendes Element eigen sein. Dabei wird unterschieden zwischen jener Situation, in der der Dienstleister die Grenze überschreitet, um die Dienstleistung zu erbringen (ĺaktive Dienst176
leistungsfreiheit), jener, in der der Dienstleistungsempfänger die Grenze überschreitet (ĺpassive Dienstleistungsfreiheit) und jener, in der nur die D. eine Grenze überschreitet (ĺKorrespondenzdienstleistung). Rein innerstaatliche D. fallen nicht in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit, sondern werden grundsätzlich von den MS autonom geregelt. Kennzeichen einer D. ist, dass sie – im Gegensatz zur Niederlassung – nur ĺvorübergehend erbracht wird. Eine nähere Definition, was unter einer D. zu verstehen ist, ergibt sich auch aus dem Sekundärrecht, insbesondere der ĺDienstleistungsRL und der ĺBerufsanerkennungsRL, höchstens ansatzweise. (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 14 ff.; W. Kluth; in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EGV, Rn. 5 ff.; S. Korte, Was bleibt vom herkömmlichen Verständnis der Dienstleistungsfreiheit, EWS 2007, 246
Dienstleistung, Empfänger service, recipient – service, destinataire
Der Empfänger einer ĺDienstleistung ist jene Person, für die die Dienstleistung bestimmt ist. Auch diese Person kann sich, wie der EuGH in der Rs. ĺCowan festgestellt hat, auf den freien Dienstleistungsverkehr berufen (vgl. auch ĺDienstleistungsfreiheit, passive). Von der Dienstleistungsfreiheit umfasst ist sowohl jener Sachverhalt, dass sich eine Person in einen anderen MS zur Entgegennahme einer Dienstleistung begibt (z.B. als Tourist), als auch, dass eine Dienstleistung von einer Person erbracht wird, die nicht im selben Mitgliedstaat ansässig ist wie der Empfänger (ĺgrenzüberschreitend). Leistungen aus und für Drittstaaten werden i.d.R. nicht erfasst. (sh) Lit.: W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EGV, Anm. 27 f.; P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 53 ff.
Dienstleistung, Erbringer service provider – service, prestataire
Die Erbringer einer ĺDienstleistung sind die unmittelbaren Träger der ĺDienstleistungsfreiheit. Empfängern einer Dienstleistung (ĺDienstleistung, Empfänger) wurde erst im Laufe der Zeit eine eigenständige Berechtigung aus dem Titel der Dienstleistungsfreiheit zuerkannt. Im Anwendungsbereich der Art. 49 ff. EG können
Dienstleistungsrichtlinie sich nur Unionsbürger bzw. juristische Personen mit Sitz in der Union auf die Dienstleistungsfreiheit berufen. Eine Berechtigung hängt weiters davon ab, dass ein ĺgrenzüberschreitendes Element der Erbringung der Dienstleistung innewohnt. Nähere Regelungen für den Erbringer von Dienstleistungen ergeben sich aus einigen sekundärrechtlichen Vorschriften, so vor allem aus der ĺDienstleistungsRL und der ĺBerufsanerkennungsRL. Vgl. auch ĺDienstleistungsfreiheit, Berechtigte. (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Anm. 43 ff.; W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EGV, Rn. 24 ff.
Dienstleistungen der Daseinsvorsorge ĺDienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse services of general economic interest – services d’intérêt économique général
Die in Art. 86 Abs. 2 EG angeführten Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse sind auf gemeinschaftlicher Ebene nicht abschließend definiert. Die ĺKommission versteht unter Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht werden. Das EG-Beihilfenrecht ist allerdings nur auf die marktbezogenen Tätigkeiten anzuwenden; so werden etwa Dienstleistungen von staatlichen Schulen, Gewerkschaften, politischen Parteien, Kirchen, Wohlfahrtseinrichtungen oder Hilfsorganisationen nicht von den Beihilfevorschriften erfasst. Bei der Definition von Dienstleistungen im Allgemeininteresse genießen die ĺMitgliedstaaten einen weiten Ermessenspielraum, sie unterliegen lediglich einer Prüfung der Kommission auf offenkundige Fehler. Diese allgemeinen wirtschaftlichen Interessen können daher von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Dienstleistungen erfassen. Das allgemeine Interesse ist nicht mit dem Interesse der Gemeinschaft gleichzusetzen und muss auch nicht dem Interesse der Bevölkerung eines gesamten Mitgliedstaates entsprechen. Das Interesse einer Gemeinde oder eines Teiles der Bevölkerung wird bereits als ausreichend betrachtet. Individualund Gruppeninteressen stellen allerdings kein allgemeines wirtschaftliches Interesse dar.
Als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse wurden vom ĺEuGH anerkannt: Dienstleistungen im Bereich der Energieversorgung, der Telekommunikation, der Post, der Abfallentsorgung, der öffentlich-rechtlichen Arbeitsvermittlungsanstalten sowie die Aufgaben von Verkehrsunternehmen, Wasserversorgungsunternehmen sowie öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten. Die Erbringung von Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse ist mit dem Europäischen Beihilfenrecht vereinbar, sofern an den Erbringer der Dienstleistung geleistete Kompensationszahlungen den vier ĺAltmarkKriterien entsprechen. (jr) §§: Art. 86 Abs. 2 EG Lit.: C. Koenig/J. Kühling, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 86 EGV, Rn. 36 ff.
Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, Zugang services of general economic interest, access to – services d’intérêt économique général, acces aux
Der Zugang zu Dienstleistungen mit Gemeinwohlbezug wird von der ĺCharta der Grundrechte als ĺGrundrecht geschützt. Allerdings unterliegt er den Einschränkungen der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten in Verbindung mit dem EGV. (ed) §§: Art. 36 GRC/Art. II-96 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 33 II; E. Riedel, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 36
Dienstleistungsrichtlinie services-directive – directive services
Eigentlich RL 2006/123/EG des EP und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt; in der öffentlichen Diskussion auch bekannt als ĺBolkesteinRL. Diese auf Art. 55 EG i.V.m. Art. 47 Abs. 2 EG gestützte RL dient der Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der MS über die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten (ĺSelbstständigkeit). Die D. verfolgt ein zweifaches Ziel: Einerseits geht es um die Beseitigung der Beschränkungen der ĺDienstleistungsfreiheit und der ĺNiederlassungsfreiheit in den MS, andererseits um die Beseitigung von Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen den MS (vgl. Obwexer, RL über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ecolex 2007, 4). Die D. folgt einem horizontalen Ansatz (im Gegensatz bspw. zu einigen 177
Dienstleistungsrichtlinie sektoralen ĺDiplomanerkennungsRL) und findet somit auf alle Dienstleistungen, die von einem in einem MS niedergelassenen ĺDienstleistungserbringer angeboten werden, Anwendung (Art. 2 Abs. 1 D.). Art. 4 D. definiert, wer als Dienstleistungserbringer anzusehen ist: Natürliche Personen, die die Staatsangehörigkeit eines MS besitzen und in einem MS niedergelassene juristische Personen. Die D. definiert nicht, was unter einer ĺDienstleistung zu verstehen ist, sondern verweist dafür offenbar auf den Dienstleistungsbegriff des EG. Dieser ist gleichbedeutend mit dem in Art. 49 f. EG normierte Dienstleistungsbegriff zu sehen. Dies gilt ebenso für die Voraussetzung des ĺgrenzüberschreitenden Bezugs für die Anwendbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen. Allerdings finden sich in Art. 2 Abs. 2 D. etliche Tätigkeiten, die vom Anwendungsbereich der D. ausgenommen sind. Nicht umfasst sind: ƒ nichtwirtschaftliche Tätigkeiten von allgemeinem Interesse ƒ Finanzdienstleistungen ƒ Dienstleistungen und Netze der elektronischen Kommunikation ƒ Verkehrsdienstleistungen ƒ Dienstleistungen von Leiharbeitsagenturen ƒ Gesundheitsdienstleistungen ƒ audiovisuelle Dienste ƒ Glücksspiele ƒ Tätigkeiten, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind ƒ soziale Dienstleistungen im Zusammenhang mit Sozialwohnungen, Kinder- und Familienbetreuung ƒ Tätigkeiten von Notaren und Gerichtsvollziehern. Darüber hinaus wird eine Anwendung für den Bereich der Steuern ausgeschlossen (Art. 2 Abs. 3 D.). Bestehen spezifische Regelungen für einzelne Bereiche, haben diese Vorrang vor den Bestimmungen der D. (Art. 3 D.). Bestehendes Sekundärrecht geht also den Regeln der RL im Fall eines Widerspruchs vor (vgl. S. Korte, Was bleibt vom herkömlichen Verständnis der Dienstleistungsfreiheit?, EWS 2007, 246 [247]). Dies betrifft insbesondere RL zur Anerkennung von ĺQualifikationsnachweisen und zur Entsendung von Arbeitnehmern. Die MS werden verpflichtet, die für die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistung anzuwendenden Verfahren zu prüfen und allenfalls zu vereinfachen. Außerdem müssen sie einheitliche Einsprechpartner einrichten, über 178
die die Dienstleistungserbringer bestimmte Verfahren und Formalitäten abwickeln können („one-stop-shop“; Art. 6 D.). Außerdem müssen die MS sicherstellen, dass alle Verfahren und Formalitäten „problemlos aus der Ferne und elektronisch“ abgewickelt werden können. Weitere Regelungen in der D. betreffen die ĺNiederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer. Sowohl hinsichtlich der Einführung einer Genehmigungspflicht für die Aufnahme und Ausübung einer Tätigkeit als auch hinsichtlich der Genehmigungsvoraussetzungen soll sichergestellt werden, dass dies aufgrund von nichtdiskriminierenden Kriterien erfolgt und Beschränkungen nur aus ĺzwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die verhältnismäßig sind, angewendet werden (Art. 9 f. D.). Verboten ist die mehrfache Anwendung gleichwertiger Voraussetzungen, die bereits überprüft wurden. Allenfalls darf die Gleichwertigkeit der Voraussetzungen überprüft werden. Liegen die Voraussetzungen vor, ist die Genehmigung zu erteilen. In den Regelungen betreffend den freien Dienstleistungsverkehr wird der MS, in dem die Dienstleistung erbracht wird, verpflichtet, die freie Aufnahme und freie Ausübung der Dienstleistungstätigkeiten zu gewährleisten (Art. 16 D.). Auch für die Erbringung von Dienstleistungen werden Kriterien für zulässige Beschränkungen aufgestellt: Diese sind nur aus ĺzwingenden Gründen des Allgemeininteresses gestattet, wenn sie nichtdiskriminierend und verhältnismäßig sind. In Art. 16 Abs. 1 D. sind diese Gründe nun taxativ aufgezählt, worin ein wesentlicher Unterschied zum offenen Konzept der Rsp. des EuGH zu sehen ist, der keine abgeschlossene Liste von Rechtfertigungsgründen annahm (Obwexer, ecolex 2007, 5). Insbesondere nennt die D. neben den geschriebenen Rechtfertigungsgründen öffentliche Sicherheit, öffentliche Ordnung und öffentliche Gesundheit nur den Schutz der Umwelt (vgl. C. Calliess, Europäischer Binnenmarkt und europäische Demokratie: Von der Dienstleistungsfreiheit zur Dienstleistungsrichtlinie – und wieder retour? DVBl. 2007, 336 [344]). Art. 16 Abs. 2 D. enthält hingegen einige Anforderungen an Dienstleistende, die verboten sind. Damit wird teilweise die einschlägige Rsp. des EuGH positiviert. Schließlich zählt Art. 17 D. einige generelle Ausnahmen von der Dienstleistungsfreiheit auf. Diese finden sich vor bei Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, wie z.B. im Post- oder Energiesektor.
Dienstleistungsauftrag, öffentlicher Für nicht von der D. erfasste Sachverhalte (das sind auch solche, für die die D. noch nicht umgesetzt werden musste, und, nach Ablauf der Umsetzungsfrist, eine ĺunmittelbare Anwendung der RL-Bestimmungen nicht in Frage kommt) gelten weiterhin die Gewährleistungen in Art. 49 ff. EG. Der Gesetzgebungsprozess, der zur D. führte, war von heftigen Auseinandersetzungen begleitet. Einwände richteten sich vor allem gegen das ursprünglich vorgesehene ĺHerkunftslandprinzip, dem zufolge bei der Erbringung von Dienstleistungen die Kriterien des Herkunftslands zur Anwendung kommen sollten, nicht jedoch die des Empfangsstaats. Befürchtungen sahen in diesem Zusammenhang die Gefahr von Sozialdumping. In der französischen Kampagne über das – schlussendlich negative – Referendum zum ĺVerfassungsvertrag spielte die Ablehnung der D. in ihrer ursprünglichen Form eine nicht unwesentliche Rolle für die Mehrheit der negativen Stimmen. Das Herkunftslandprinzip wurde im Gesetzgebungsprozess durch die nun in Art. 16 D. enthaltene Bestimmung ersetzt, dass der Empfangsmitgliedstaat die freie Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten zu gewährleisten hat. Vgl. auch ĺNiederlassungsfreiheit, DienstleistungsRL. (sh) §§: Art. 49 ff. EG; RL 2006/123/EG des EP und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt; ABl. 2006, Nr. L 376/36 Lit.: C. Calliess, Europäischer Binnenmarkt und europäische Demokratie: Von der Dienstleistungsfreiheit zur Dienstleistungsrichtlinie – und wieder retour?, DVBl. 2007, 336; W. Obwexer, RL über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ecolex 2007, 4; S. Korte, Was bleibt vom herkömmlichen Verständnis der Dienstleistungsfreiheit, EWS 2007, 246 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/services/ services-dir/index_de.htm
Dienstleistungsauftrag, öffentlicher public service contract – marché public de service
Ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag im Sinn des ĺVergaberechts ist ein öffentlicher ĺAuftrag über die Erbringung einer Dienstleistung im Sinne von Anhang II der ĺVergabeRL, der kein öffentlicher ĺBauauftrag oder öffentlicher ĺLieferauftrag ist. Öffentlichen Dienstleistungsaufträgen kommt gegenüber den anderen beiden Auftragskategorien eine Auffangfunktion zu; ein öffentlicher Auftrag, der weder öffentlicher Bauauftrag noch öffentlicher Lieferauftrag ist, ist somit ein öffentlicher Dienst-
leistungsauftrag. Öffentliche Dienstleistungsaufträge sind gegenüber den anderen beiden Auftragskategorien subsidiär. Anhang II der VergabeRL enthält eine Auflistung von Dienstleistungskategorien, wobei diese wiederum in zwei Teile – Teil A und Teil B – unterteilt werden: ƒ Anhang II Teil A enthält die so genannten prioritären Dienstleistungen, das sind jene Dienstleistungen, bei denen der Richtliniengeber auf Grund ihrer Eigenart davon ausgeht, dass ihrer Vergabe regelmäßig eine bestimmte Binnenmarktrelevanz zukommt. Für die Vergabe prioritärer Dienstleistungen sind daher die Vergabevorschriften vollständig anzuwenden. ƒ Anhang II Teil B enthält die so genannten nicht-prioritären Dienstleistungen, das sind jene Dienstleistungen, bei denen auf Grund ihrer Eigenart davon ausgegangen wurde, dass ihre Vergabe zumindest im Regelfall für den Binnenmarkt nicht von (bzw. nur von untergeordneter) Relevanz ist. Für derartige Dienstleistungsaufträge gelten daher nur die Regelungen über die ĺtechnischen Spezifikationen sowie über die nachträgliche ĺBekanntmachung der Ergebnisse des ĺVergabeverfahrens. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass der EuGH in seiner Rsp. unter Bezugnahme auf die primärrechtlichen Grundsätze weitergehende Anforderungen an die Vergabe nicht-prioritärer Dienstleistungen aufstellt (vgl. den Schlussantrag vom 14.9.2006 in der Rs. C-507/03 Kommission/Irland; s.a. das ĺTransparenzgebot). Wie sich Art. 22 der VergabeRL entnehmen lässt (vgl. auch EuGH 14.11.2002, Rs. C-411/00 Felix Swoboda, Slg. 2002, I-10567), kommt es für die Zuordnung eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages, der sowohl prioritäre als auch nicht-prioritäre Dienstleistungen umfasst, darauf an, welche Leistungen wertmäßig überwiegen. Ist somit der Wert der prioritären Dienstleistungen größer als derjenige der nichtprioritären Dienstleistungen, so ist der Auftrag nach den Vorschriften für prioritäre Dienstleistungen zu vergeben. Ebenfalls auf den Wert der Teilleistungen ist abzustellen, wenn ein öffentlicher Auftrag sowohl Dienstleistungen als auch Waren umfasst. Umfasst ein öffentlicher Auftrag hingegen sowohl Dienstleistungen als auch Bauleistungen i.S.d. Anhangs I der VergabeRL, dann handelt es sich um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag, wenn die Bauleistungen lediglich Nebenarbeiten im Verhältnis zum Hauptauftragsgegenstand darstellen. 179
Dienstleistungsexport Gem. Art. 16 der VergabeRL sind bestimmte Dienstleistungsaufträge von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen; dies betrifft etwa den Erwerb oder die Miete von Grundstücken, den Kauf von Rundfunk- oder Fernsehprogrammen, Schiedsgerichts- und Schlichtungstätigkeiten, Arbeitsverträge, bestimmte Finanzdienstleistungen sowie bestimmte Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen. Gem. Art. 18 gilt die VergabeRL auch nicht für solche Dienstleistungsaufträge, die von einem öffentlichen ĺAuftraggeber an einen anderen öffentlichen Auftraggeber auf Grund eines ausschließlichen Rechts vergeben werden, das dieser öffentliche Auftraggeber auf Grund veröffentlichter, mit dem EGV übereinstimmender Rechts- oder Verwaltungsvorschriften innehat. (cm) §§: Art. 1 Abs. 2 lit. d, Art. 16, Art. 18 und Art. 20 bis 22 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 308; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 142, 186 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Dienstleistungsexport exportation of services – exportation de services
Der freie D. ist ein erforderlicher Bestandteil zur umfassenden Sicherstellung des freien ĺDienstleistungsverkehrs. Während für den freien ĺWarenverkehr Art. 29 EG ein explizites Verbot von Beschränkungen des Warenexports beinhaltet, findet sich eine solche Bestimmung für den Dienstleistungsverkehr nicht. Trotzdem geht der ĺEuGH in seiner Rsp. davon aus, dass sich Unternehmen auch gegenüber ihrem Sitzstaat bei der Erbringung von ĺgrenzüberschreitenden Dienstleistungen auf den freien Dienstleistungsverkehr berufen können (EuGH, Rs. C-18/93 Corsica Ferries Italia, Slg. 1994, I-1783, Rn. 30). Gleichwohl ergeben sich aus dem ĺHerkunftslandprinzip, das grds. auch für den Dienstleistungsverkehr gilt, bestimmte notwendige Kontrollbefugnisse des Herkunftsstaats. Verboten sind somit vor allem jene Maßnahmen, die geeignet sind, spezifisch den Zugang von Dienstleistungen zum Markt eines anderen Mitgliedstaats zu behindern (EuGH, Rs. C-384/93 ĺAlpine Investments, Slg. 1995, I-1141, Rn. 38). (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 95 f. Rsp.: EuGH, Rs. C-18/93 Corsica Ferries Italia, Slg. 1994, I-1783; Rs. C-384/93 ĺAlpine Investments, Slg. 1995, I-1141
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Dienstleistungsfreiheit freedom to provide services – libre prestation de services
Die D. (Art. 49 ff. EG) ist eine der Grundfreiheiten des ĺBinnenmarkts. Wie die ĺNiederlassungsfreiheit ist auch sie eine Freiheit der selbstständig Tätigen (vgl. T. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, 534), wobei sie sich von der Niederlassungsfreiheit dadurch unterscheidet, dass sie nur für die ĺvorübergehende Ausübung selbstständiger Tätigkeiten (ĺSelbstständigkeit) zur Anwendung kommt. Die D. umfasst ein geschlossenes Konzept zur vollständigen Verwirklichung der Freizügigkeit der selbstständig Tätigen. Bislang ist es nicht gelungen, die D. zur Gänze zu gewährleisten. Zweck der D. ist, selbstständig Tätigen die freie Standortwahl innerhalb der EU zu ermöglichen. Begünstige der D. sind alle ĺUnionsbürger, wobei in den Beitrittsverträgen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten zeitlich befristete Beschränkungen der D. vorgesehen sind (ĺDienstleistungsfreiheit, Übergangsbestimmungen). Neben natürlichen Personen kommt die D. auch juristischen Personen zu (Art. 55 EG). Deren Rechtsform nach nationalem Recht oder Gemeinschaftsrecht ist in diesem Zusammenhang unerheblich, nur juristische Personen, die keinen Erwerbszweck verfolgen, können in der Regel nicht Trägerinnen der D. sein (T. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, 537). Ziel der D. ist die Herstellung von ĺInländergleichbehandlung. Die Träger der D. sollen unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländer Dienstleistungen erbringen dürfen. Der ĺEuGH sieht die D. nicht nur als ĺDiskriminierungsverbot, sondern darüber hinaus auch als ĺBeschränkungsverbot an. Nur unter bestimmten Gründen ist eine Ungleichbehandlung von inländischen und ausländischen EU-Bürgern bzw. juristischen Personen mit entsprechendem Statut zulässig: Entweder müssen geschriebene oder ungeschriebene Rechtfertigungsgründe vorliegen, oder die Dienstleistung muss in Ausübung öffentlicher Gewalt erbracht werden (ĺBereichsausnahme, Art. 55 i.V.m. Art. 45 EG). Je nach Art der Erbringung wird in ĺaktive D., ĺpassive D. und ĺKorrespondenzd. unterschieden. Die D. zeichnet sich dadurch aus, dass sie im EGV negativ von den anderen Grundfreiheiten abgegrenzt wird. Nur jene Leistungen, die nicht unter die Regelungen des freien ĺWa-
Dienstleistungsfreiheit, Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit renverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der ĺArbeitnehmerfreizügigkeit fallen, sind Dienstleistungen (ĺSubsidiärfreiheit). Der Gemeinschaft kommen Gesetzgebungsbefugnisse vor allem im Zusammenhang mit der ĺDiplomanerkennung und zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der MS zu (Art. 55 i.V.m. Art. 47 EG, Art. 52 EG). Insbesondere die sog. ĺDienstleistungsRL stellt einen derartigen Rechtsakt dar. Die MS müssen bei der Umsetzung dieser RL jedenfalls die Vorgaben der RL einhalten, dürfen aber auch darüber hinausgehen, falls ihre wirtschaftliche Gesamtlage und die Lage des betreffenden Wirtschaftszweigs dies zulassen (Art. 53 EG; ĺweitergehende Liberalisierung). Einzelne Sonderregeln gelten für die D. auf dem Gebiet des ĺVerkehrs und für die Banken- und Versicherungsdienstleistungen (Art. 51 EG). Die Bestimmungen über die D. sind unmittelbar anwendbar (EuGH, Rs. 33/74 ĺvan Binsbergen, Slg. 1974, 1299, Rn. 27). (sh) §§: Art. 49 ff. EG Lit.: C. Calliess, Europäischer Binnenmarkt und europäische Demokratie: Von der Dienstleistungsfreiheit zur Dienstleistungsrichtlinie – und wieder retour?, DVBl. 2007, 336; P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 ff. EGV, passim
Dienstleistungsfreiheit und Binnenmarkt freedom to provide services and internal market – libre prestation de services et marché commun
Die Dienstleistungsfreiheit ist zusammen mit den anderen Grundfreiheiten zur Herstellung des Binnenmarkts von wesentlicher Bedeutung. Durch die Dienstleistungsfreiheit soll wie durch die anderen Grundfreiheiten eine Gleichstellung von EU-Bürgern mit den Staatsangehörigen des jeweiligen MS bewirkt werden. Gerade unterschiedliche nationale Voraussetzungen zur Ausübung selbstständiger Tätigkeiten (ĺSelbstständigkeit) wie bestimmte Qualifikationserfordernisse oder Erfordernisse des Nachweises bestimmter ĺDiplome stellen erhebliche Hindernisse dar. Durch die RL zur ĺDiplomanerkennung (ĺBerufsanerkennungsRL) kann die EG wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen, ohne dass es bislang gelungen wäre, alle – insbesondere bürokratischen – Hindernisse zu beseitigen. (sh) Lit.: T. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, 534 f.; S. Korte, Was bleibt vom herkömmlichen Verständnis der Dienstleistungsfreiheit, EWS 2007, 246 Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/s70002.htm
Dienstleistungsfreiheit, Abgrenzung zum freien Kapital- und Zahlungsverkehr ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit Dienstleistungsfreiheit, Abgrenzung zum freien Warenverkehr freedom to provide services and free movement of goods – libre prestation de services et libre circulation des marchandises
Der ĺfreie Warenverkehr umfasst ĺWaren, also körperliche Güter, worunter nach der Rsp. des ĺEuGH auch elektrischer Strom oder Abfall fallen. Bei Rechtsgeschäften, mit denen körperliche Güter und ĺDienstleistungen gemeinsam ausgetauscht werden, ist zu unterscheiden, ob die einzelnen Elemente abtrennbar sind oder untrennbar zu einem Ganzen verbunden sind. Sind die Elemente abtrennbar, so sind sie u.U. auch unter unterschiedliche Grundfreiheiten zu subsumieren: So sind bspw. Rundfunkund Fernsehsendungen Dienstleistungen, während der Handel mit entsprechenden Empfangsund Wiedergabegeräten in den Anwendungsbereich des freien Warenverkehrs fällt (EuGH, Rs. 155/73 ĺSacchi, Slg. 1974, 409, Rn. 7/8). Sind die Einzelelemente untrennbar miteinander verbunden, ist auf den kennzeichnenden Schwerpunkt abzustellen und ist so die betroffene Grundfreiheit zu ermitteln. Nach dem Wortlaut von Art. 50 EG liegt die als ĺSubsidiärfreiheit ausgestaltete Dienstleistungsfreiheit nur vor, wenn die Regeln über den freien Warenverkehr nicht anwendbar sind. (sh) §§: Art. 50 EG Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 25 Rsp.: EuGH, Rs. 155/73 ĺSacchi, Slg. 1974, 409
Dienstleistungsfreiheit, Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit freedom to provide services and free movement of workers – libre prestation de services et libre circulation des travailleurs
Definitorischer Unterschied zwischen ĺDienstleistungsfreiheit und ĺArbeitnehmerfreizügigkeit ist das Erbringen der Tätigkeit in Abhängigkeit bzw. in ĺSelbstständigkeit. Nach dem Wortlaut von Art. 50 EG liegt die als ĺSubsidiärfreiheit ausgestaltete Dienstleistungsfreiheit nur vor, wenn die Regeln über die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht anwendbar sind. Arbeitnehmer, die vorübergehend in einen anderen MS entsandt werden, sind hinsichtlich ih181
Dienstleistungsfreiheit, Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit rer Rechte und Pflichten nicht von der Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern von der Dienstleistungsfreiheit ihres Arbeitgebers erfasst. Als Reflex können auch die Arbeitnehmer von der Dienstleistungsfreiheit des Arbeitgebers profitieren. (sh)
übungsrecht für vorübergehende Tätigkeiten. Dieses wird oft sekundärrechtlich durch ĺDiplomanerkennungsRL bzw. die ĺBerufsanerkennungsRL ausgestaltet. Auch die ĺDienstleistungsRL enthält entsprechende Regelungen. (sh)
§§: Art. 50 EG Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 26
§§: Art. 49, 50 EG Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Anm. 34 ff.
Dienstleistungsfreiheit, Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit freedom to provide services and freedom of establishment – libre prestation de services et liberté d’établissement
Wesentlicher definitorischer Unterschied zwischen ĺDienstleistungsfreiheit und ĺNiederlassungsfreiheit ist die Dauer der Erbringung der Leistung. Während Niederlassung eine dauerhafte Tätigkeit voraussetzt, liegt schon nach dem Wortlaut von Art. 50 EG bei nur ĺvorübergehender Tätigkeit eine ĺDienstleistung vor. Die Abgrenzung erweist sich in der Praxis als äußerst schwierig, wobei Häufung, Regelmäßigkeit und Kontinuität Indikatoren für das Vorliegen von Niederlassung selbst bei wiederholten kurzfristigen Tätigkeiten sein können. Das Vorhandensein von Büroräumlichkeiten kann ein Indiz für eine Niederlassung sein, ohne dass dies allein genügen würde, um von einer Niederlassung zu sprechen (EuGH, Rs. C55/94 ĺGebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn. 27). In Art. 5 Abs. 2 ĺBerufsanerkennungsRL finden sich für den Anwendungsbereich dieser RL zusätzliche Kriterien für die Abgrenzung von Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit. (sh) §§: Art. 50 EG; Art. 5 Abs. 2 RL 2005/36/EG, ABl. 2005, Nr. L 255/22 Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 27
Dienstleistungsfreiheit, aktive freedom to provide services, active – liberté de prestation de services, active
Die aktive ĺDienstleistungsfreiheit ist die Dienstleistungsfreiheit des ĺDienstleistungserbringers. Sie ist die „Urform“ der Dienstleistungsfreiheit, die ausdrücklich in Art. 49 EG angesprochen wird. Geschützt wird der Dienstleistungserbringer, der zur Erbringung der Dienstleistung die Grenze überschreitet. Beispiel dafür ist ein Bauunternehmen, das ein Haus in einem anderen EU-Staat errichtet. Aus Art. 50 Abs. 3 EG ergibt sich ein Tätigkeitsaus182
Dienstleistungsfreiheit, Berechtigte freedom to provide services, beneficiaries – libre prestation de services, titulaires
Grundsätzlich sind sowohl ĺDienstleistungserbringer als auch ĺDienstleistungsempfänger Berechtigte der Dienstleistungsfreiheit. Dies gilt für natürliche Personen, die Angehörige eines Mitgliedstaats sind (ĺUnionsbürger) und in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind. In ĺHandelsabkommen kann Drittstaatsangehörigen auch eine entsprechende Berechtigung eingeräumt werden. Bei der ĺaktiven Dienstleistungsfreiheit und der ĺKorrespondenzdienstleistung genügt es, wenn der Erbringer Unionsbürger ist, bei der ĺpassiven Dienstleistungsfreiheit muss jedenfalls der Empfänger Unionsbürger sein. Unionsbürgern gem. Art. 55 i.V.m. 48 EG sind Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in einem MS haben, gleichgestellt. (sh) Lit.: W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EGV, Rn. 33 ff.
Dienstleistungsfreiheit, Beschränkungsverbot freedom to provide services, prohibition of restrictions – libre prestation de services, interdiction de restrictions
Bereits aus dem Wortlaut von Art. 49 EG ergibt sich, dass diese Bestimmung über die ĺDienstleistungsfreiheit nicht nur die ĺInländergleichbehandlung ausländischer Marktteilnehmer gewährleisten, sondern darüber hinausgehend auch sonstige Beschränkungen der Dienstleistungserbringung (und wohl auch der Entgegennahme von Dienstleistungen) verhindern soll. Unter Beschränkungen versteht der ĺEuGH in seiner Rsp. nicht nur Maßnahmen, die Dienstleistungen unterbinden oder behindern, sondern auch Maßnahmen, die die Erbringung (oder Entgegennahme) der Dienstleistungen weniger attraktiv machen. Verein-
Dienstleistungsfreiheit, Diskriminierungsverbot zelt verlangt der EuGH, dass für das Vorliegen einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit die beschränkende Maßnahme für die betroffenen Marktteilnehmer spürbar sein muss (vgl. C. Ranacher, Grundfreiheiten und Spürbarkeitstheorie, ZfRV 2001, 95). Das B. richtet sich an den Staat genauso wie an nichtstaatlichkollektive Akteure und die Organe der EG. Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit können durch die ĺgeschriebenen Rechtfertigungsgründe (Art. 55 EG i.V.m. Art. 46 Abs. 1 EG) öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit, aber auch durch nicht nach Herkunft des Empfängers oder des Erbringers diskriminierende ĺzwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden, sofern diese Beschränkung verhältnismäßig ist. (sh) §§: Art. 49 f. EG Lit.: W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EGV, Rn. 54 ff.; C. Ranacher, Grundfreiheiten und Spürbarkeitstheorie, ZfRV 2001, 95 Rsp.: EuGH, Rs. 33/74 ĺvan Binsbergen, Slg. 1974, 1299
Dienstleistungsfreiheit, Bildungspolitik ĺBildungspolitik Dienstleistungsfreiheit, Binnenschifffahrt freedom to provide services, inland waterway transports – libre prestation de services, la navigation intérieure
Die VO (EG) 1356/96 enthält gemeinsame Regeln zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Binnenschiffsgüter- und -personenverkehr zwischen MS (ABl. 1996, Nr. L 175/7). Mit ihr erfolgt eine Regelung des objektiven Marktzugangs. Sie ist als sekundärrechtliche Kodifizierung der ĺMannheimer Akte anzusehen und vereinheitlicht die Binnenschifffahrtsregeln beim grenzüberschreitenden und im Durchgangsverkehr. Nach ihr ist ein Binnenschiffahrtsunternehmer ohne Diskriminierung aufgrund seiner Staatsangehörigkeit und seines Niederlassungsortes zu den Beförderungen im Binnenschiffsgüter- und -personenverkehr zwischen MS und für den Durchgangsverkehr durch MS zugelassen, sofern er: ƒ in einem MS in Übereinstimmung mit dessen Rechtsvorschriften niedergelassen ist, ƒ dort zur Durchführung von grenzüberschreitenden Güter- und Personenbeförderungen in der Binnenschiffahrt befugt ist, ƒ für diese Beförderungen Binnenschiffe einsetzt, die in einem MS eingetragen sind oder
für die in dem Fall, dass keine Eintragung erfolgt ist, eine Bescheinigung über die Zugehörigkeit zur Flotte eines MS vorliegt und ƒ die Bedingungen gem. Art. 2 der VO (EWG) 3921/91 des Rates vom 16.12.1991 über die Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Binnenschiffsgüter- und -personenverkehr eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, erfüllt (ĺKabotage, Binnenschifffahrt). S.a. ĺDienstleistungsfreiheit (Verkehrspolititk). (sm) Dienstleistungsfreiheit, Diskriminierungsverbot freedom to provide services, prohibition of discrimination – libre prestation de services, interdiction de discrimination
Wie bei allen Grundfreiheiten wird auch bei der ĺDienstleistungsfreiheit zwischen einem D. und einem ĺBeschränkungsverbot unterschieden. Eine Disriminierung von Angehörigen anderer EU-Staaten im Bezug auf den Gewährleistungsumfang der Dienstleistungsfreiheit (direkte, unmittelbare Diskriminierung) ist ebenso verboten wie Inländervorbehalte (mit Ausnahme der Sonderbestimmungen für die ĺAusübung öffentlicher Gewalt, ĺBereichsausnahme) sowie eine Diskriminierung nach Herkunft der Dienstleistung. Gerechtfertigt können derartige Diskriminierungen nur durch die geschriebenen Rechtfertigungsgründe in Art. 55 EG i.V.m. Art. 46 Abs. 1 EG werden. Eine Rechtfertigung durch sonstige ĺzwingende Gründe des Allgemeininteresses scheidet aus. Auch eine versteckte Diskriminierung, die auf andere Merkmale als die Staatsangehörigkeit abzielt, in ihrer Wirkung aber typischerweise Angehörige anderer EU-Staaten (bzw. Dienstleistungen aus anderen EU-Staaten) besonders treffen, sind vom Diskriminierungsverbot umfasst. Insbesondere Sitzerfordernisse können eine solche versteckte Diskriminierung darstellen. Für diese Diskriminierungen gilt, dass sie auch durch sonstige zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden können. Im Anwendungsbereich der ĺDienstleistungsRL sind die Rechtfertigungsgründe jedoch beschränkt und werden dort taxativ aufgezählt. (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 74 ff.; W. Kluth, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49, 50 EGV, Rn. 51 ff.
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Dienstleistungsfreiheit, immanente Schranken Dienstleistungsfreiheit, immanente Schranken freedom to provide servises, imminent restrictions – libre prestation de services, restrictions immanentes
Immanente Schranken einer Grundfreiheit sind Gründe, die eine Beschränkung (ĺBeschränkungsverbot) einer Freiheit zulassen, die sich aus einem ĺzwingenden Grund des Allgemeininteresses ergeben. Derartige Schranken müssen, um mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar zu sein, nach der Rsp. des EuGH vier Voraussetzungen entsprechen: Sie müssen in ĺnichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus ĺzwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, das mit ihnen verfolgte Ziel zu verwirklichen (ĺEignung), und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was für die Erreichung des Zieles erforderlich ist (ĺVerhältnismäßigkeit; EuGH, Rs. C-55/94 ĺGebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37). Darüber hinaus sind Maßnahmen der MS nur zulässig, sofern keine abschließende gemeinschaftsrechtliche Regelung besteht. (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 98 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-55/94 ĺGebhard, Slg. 1995, I4165
Dienstleistungsfreiheit, Kumulverbot freedom to provide services, cumulation prohibition – libre prestation de services, interdiction de cumul
Wenn ein Unternehmen über einen Sitz in einem MS und über Zweigniederlassungen in anderen MS verfügt, kann es sich für die Erbringung von Dienstleistungen im Sitzstaat oder im Staat der Zweigniederlassung nicht auf die Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49, 50 EG) berufen. (sh) Lit.: W. Kluth; in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49/50 EGV, Rn. 14 Rsp.: EuGH, Rs. C-205/84 Kommission/Deutschland, Slg. 1986, 3755, Rn. 21
Dienstleistungsfreiheit, offene Diskriminierung ĺdirekte Diskriminierung; ĺDienstleistungsfreiheit, Diskriminierungsverbot Dienstleistungsfreiheit, passive freedom to provide services, passive – libre prestation de services, passive
Die passive ĺDienstleistungsfreiheit ist die Grundfreiheit des ĺDienstleistungsempfängers. 184
Dieser begibt sich in einen anderen MS, um die ĺDienstleistung entgegen zu nehmen. Beispiel ist etwa die Heilbehandlung eines Patienten im Ausland. Auch Touristen können von der passiven Dienstleistungsfreiheit profitieren (EuGH, Rs. 186/87 ĺCowan, Slg. 1989, 195, Rn. 15). Die passive Dienstleistungsfreiheit findet an sich im Wortlaut der Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit keine unmittelbare Deckung. In einer Art Analogieschluss hat der ĺEuGH diese Grundfreiheit daraus entwickelt, dass der ĺDienstleistungserbringer jedenfalls von der Grundfreiheit für jene Tätigkeit profitiert (ĺDienstleistungsfreiheit, aktive), für die dann auch dem Empfänger ein Freizügigkeitsrecht eingeräumt wird. Insbesondere bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen hat der EuGH im Laufe der Zeit eine immer weitere Freiheit des Leistungsempfängers, sich zur Entgegennahme auch von krankenkassenfinanzierten Dienstleistungen in einen anderen MS zu begeben, angenommen und Rechtfertigungsgründe, die auf die Sicherung von umlagenfinanzierten Systemen der staatlichen Gesundheitsversicherung abzielen, in immer geringerem Ausmaß zugelassen (vgl. zuletzt EuGH, Rs. C-444/05 Stamatelaki [noch nicht in der Slg.]). (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Anm. 37 ff.; W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EGV, Rn. 27 f. Rsp.: EuGH, Rs. 186/87 ĺCowan, Slg. 1989, 195
Dienstleistungsfreiheit, Rechtfertigung einer Beschränkung freedom to provide services, justification of a restriction – libre prestation de services, justification d’une restriction
Wie jede Grundfreiheit ist auch die Dienstleistungsfreiheit nicht absolut garantiert. Es kann zulässig sein, dass in sie eingegriffen wird. Voraussetzung für einen gerechtfertigten staatlichen Eingriff ist zunächst, dass keine abschließende gemeinschaftsrechtliche (i.d.R. sekundärrechtliche) Regelung besteht. Teilweise ergeben sich die Gründe, aus denen in die Grundfreiheit eingegriffen werden kann, unmittelbar aus dem EG. Art. 55 EG verweist in diesem Zusammenhang auf die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit. Damit ergibt sich zunächst aus Art. 55 EG i.V.m. Art. 45 EG, dass für Tätigkeiten, die mit der ĺAusübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit zulässig sind (ĺBereichsausnahme). Doch ist dieser Eingriff
Dienstleistungsfreiheit, Sekundärrecht einerseits auf das absolut Notwendige zu beschränken (EuGH, Rs. 147/86 Kommission/ Griechenland, Slg. 1988, 1637, Rn. 7 zu Privatschulen), andererseits bezieht sich diese Ausnahmenbestimmung nur auf einzelne Tätigkeiten, aber nicht auf ganze Berufe oder Berufsgruppen (EuGH, Rs. C-283/99 Kommission/ Italien, Slg. 2001, I-4363, Rn. 20 zu privaten Bewachungsunternehmen). Ebenfalls vom Verweis in Art. 55 EG umfasst sind die in Art. 46 EG normierten ĺzwingenden Gründe des Allgemeininteresses (öffentliche Ordnung, Sicherheit, Gesundheit). Neben den dort niedergelegten Gründen hat der ĺEuGH auch eine ganze Reihe von ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen anerkannt: Als Beispiele können die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege (EuGH, Rs. C-3/95 Reisebüro Broede, Slg. 1995, I-6511, Rn. 56), der Verbraucherschutz (EuGH, Rs. C-67/98 Zenatti, Slg. 1999, I-7289, Rn. 31) oder der Schutz der Arbeitnehmer (Rs. C-164/99 Portugaia, Slg. 2002, I-787, Rn. 20) genannt werden. Nicht zulässig sind hingegen rein wirtschaftliche Rechtfertigungsgründe. Die Unterscheidung zwischen geschriebenen und nichtgeschriebenen Rechtfertigungsgründen ist insofern von Bedeutung, als nicht unterschiedslos auf In- und Ausländer anwendbare Maßnahmen nur im Rahmen der vertraglich niedergeschriebenen Rechtfertigungsgründe zulässig sind (EuGH, Rs. C-288/89 Collectieve Antennevoorziening Gouda, Slg. 1991, I-4007, Rn. 11). Bei ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen gilt hingegen, dass zusätzliches Kriterium für ihre Zulässigkeit ist, dass sie in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden (EuGH, Rs. C-55/94 ĺGebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37). Schließlich stehen die Rechtfertigungsgründe im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unter den Erfordernissen von ĺEignung, ĺErforderlichkeit und ĺVerhältnismäßigkeit im engeren Sinne. (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 100 ff.; D. Ehlers, Allgemeine Lehren; in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, Rn. 80 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 147/86 Kommission/Griechenland, Slg. 1988, 1637; EuGH, Rs. C-55/94 ĺGebhard, Slg. 1995, I-4165
Dienstleistungsfreiheit, Seeverkehr freedom to provide services, maritime transport – libre prestation de services, navigation maritime
Die VO (EWG) 4055/86 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs
auf die Seeschiffahrt zwischen MS sowie zwischen MS und Drittländern (ABl. 1986, Nr. L 378/1) stellt eine Kodifizierung des völkerrechtlichen Grundsatzes der Freiheit der Meere dar. Durch die VO soll die Dienstleistungsfreiheit im grenzüberschreitenden Verkehr vollständig verwirklicht werden – dies gilt sowohl für Seetransporte zwischen den MS bzw. von und nach der Offshore-Anlage eines anderen MS als auch Seetransporte zwischen MS und dritten Ländern. Verboten sind Diskriminierungen und sonstige Beschränkungen; allerdings bestehen Rechtfertigungsmöglichkeiten aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls. Durch die VO (EWG) 3577/92 (ABl. 1992, Nr. L 364/7) wird zudem die Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den MS (ĺKabotage, Seeverkehr) geregelt, der danach keinen Beschränkungen unterliegt. S.a. ĺDienstleistungsfreiheit (Verkehrspolititk). (sm) Dienstleistungsfreiheit, Sekundärrecht freedom to priovide services, derived law – libre prestation de services, droit dérivé
Aus mehreren Bestimmungen des EG über die Dienstleistungsfreiheit (Art. 55 EG jeweils i.V.m. Art. 46 Abs. 2, 47 Abs. 1 und Abs. 2 sowie aus Art. 52 EG) ergeben sich Gestaltungsaufträge (W. Frenz, Handbuch Europarecht I – Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 2700 ff.) an den Rechtssetzer. Rechtsangleichung erfolgt aufgrund dieser Bestimmungen in der Regel durch ĺRL. Diese betreffen die Anerkennung von Qualifikationen, die Koordinierung einzelner Maßnahmen und RL zur Rechtsangleichung (vgl. W. Kluth; in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 52 EGV, Rn. 9). Beispielhaft können folgende RL erwähnt werden (für eine aktuelle Gesamtaufstellung vgl. W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 52 EGV, Rn. 15 ff.): ƒ RL 92/51/EWG zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise (ĺDiplomanerkennungsRL) ƒ 89/48/EWG zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ĺHochschuldiplomRL) ƒ RL 89/646/EWG zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kre185
Dienstleistungsfreiheit, Übergangsregeln ditinstitute sowie weitere RL im Bereich des Banken- und Versicherungswesens ƒ RL 89/552/EWG zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der MS über die Ausübung der Fernsehtätigkeit ƒ RL 77/249/EWG zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte ƒ RL 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ĺDienstleistungsRL) Neben den allgemeinen RL zur Anerkennung von ĺQualifikationsnachweisen bestehen spezifische Regelungen für einzelne Berufsgruppen: ƒ Rechts- und Patentanwälte ƒ Wirtschafts- und Buchprüfer ƒ Steuerberater ƒ Ärzte ƒ Tierärzte ƒ Zahnärzte ƒ Hebammen ƒ Krankenschwestern ƒ Architekten Ein großer Teil dieser RL wird durch die allgemeine ĺBerufsanerkennungsRL 2005/36/EG ersetzt. Sie bewirkt eine fast vollständige Koordinierung des einschlägigen Berufsrechts, da sie auch die bislang nicht durch sektorale RL geregelten Berufe umfasst (vgl. W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert [Hrsg.], Kommentar EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 52 EGV, Rn. 62 ff.). Diese RL geht hinsichtlich der von den Dienstleistungserbringern einzuhaltenden Vorschriften vom ĺBestimmungslandsprinzip aus. Sie war bis zum 20.10.2007 umzusetzen. Auch RL zur Regelung der öffentlichen ĺAuftragsvergabe dienen der Gewährleistung der Nichtdiskriminierung im Binnenmarkt. (sh) §§: Art. 46 Abs. 2, 47 Abs. 1, 52 EG; RL 2005/36/EG des EP und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, ABl. 2005, Nr. L 255/22 Lit.: W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 52 EGV, Rn. 15 ff.; W. Frenz, Handbuch Europarecht I, Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 2700 ff. Web: http://ec.europa.eu/internal_market/top_layer /index_19_de.htm
Dienstleistungsfreiheit, Übergangsregeln freedom to provide services, transitory rules – libre prestation de services, règles transitoires
In den ĺBeitrittsakten der 12 „neuen“ MS (ĺOsterweiterung) wurden Übergangsregeln, innerhalb derer es den „Altmitgliedstaaten“ gestattet ist, EU-Bürgern aus den „neuen“ Mitgliedstaaten die Freizügigkeitsrechte nur in ein186
geschränktem Ausmaß zu gewähren, verankert. Die „Altmitglieder“ können Einschränkungen vorsehen, müssen dies aber nicht. Keine Einschränkungen sind zulässig für den freien Dienstleistungsverkehr mit Malta und Zypern. Im Gegensatz zur ĺArbeitnehmerfreizügigkeit sieht die Beitrittsakte im Bereich der Dienstleistungsfreiheit nur für Deutschland und Österreich die Möglichkeit, Beschränkungen einzuführen, vor. Diese Beschränkungen beziehen sich u.a. auf folgende Sektoren: ƒ bestimmte landwirtschaftliche Dienstleistungen ƒ Be- und Verarbeitung von Naturwerksteinen und Natursteinen ƒ Metallkonstruktionen ƒ bestimmte Baustellenarbeiten ƒ Detekteien, Wach- und Sicherheitsdienste ƒ Gebäudereinigung ƒ Hauskrankenpflege ƒ Sozialwesen ƒ Innendekoration Es kommt hier eine „2+3+2“-Regelung zur Anwendung: In den ersten beiden Jahren nach dem Beitritt bestanden die Übergangsbestimmungen, danach konnten Österreich und Deutschland erklären, für weitere drei Jahre die Restriktionen aufrecht zu erhalten. Dies haben die beiden Staaten auch getan. Danach können unter bestimmten Voraussetzungen diese Bestimmungen für weitere 2 Jahre angewandt werden. Für Rumänien und Bulgarien können nach den 2 plus 3 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen noch einmal für 5 Jahre Beschränkungen vorgesehen werden. (sh) Lit.: R. Ramin, Erwerbstätigkeit der „neuen“ EU-Bürger in Österreich, migraLex 2005, 55
Dienstleistungsfreiheit, Verkehrspolititk freedom to provide services, transport policy – la libre prestattion de services, politique des transports
Art. 49, 51 EG. Die Dienstleistungsfreiheit ist eine ĺGrundfreiheit des EG. Sie ist von besonderer Relevanz im Verkehrssektor. Art. 51 Abs. 1 EG nimmt entgegen der sonstigen Systematik des EG (Maßnahmen im Verkehrsbereich müssen sich an den Grundfreiheiten, vor alem auch der Dienstleistungsfreiheit unmittelbar messen lassen) gewisse Dienstleistungsbereiche aus dem Anwendungsbereich der Art. 49 f. EG aus und verweist zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit im Verkehr auf die im Titel V enthaltenen Mechanismen. Damit ist Art. 51 Abs. 1 EG eine relative Verweisungs-
Dienstleistungskonzession norm, da nur die Umsetzungsvorschriften der Art. 49 ff. EG, nicht aber die dort niedergelegten Inhalte/Gemeinschaftsziele präkludiert werden. Insofern entfalten die Art. 49 ff. EG eine Ausstrahlungswirkung (Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit). Laut ĺEuGH steht Art. 51 Abs. 1 EG der unmittelbaren Anwendbarkeit der Art. 49 f. EG aber grundsätzlich entgegen. Ob damit deren unmittelbare Anwendbarkeit überhaupt ausgeschlossen ist, ist strittig. Art. 51 EG findet auch auf den Luft- und Seeverkehr Anwendung (systematisches Argument aufgrund des Verweises auf Titel V EG). (sm) Lit.: A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 181 ff.; C. Jung, Der europarechtliche Rahmen der Verkehrspolitik, TranspR 1998, 133 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-13/83 Europäische Parlament/Rat der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 1985, 1513; EuGH, Rs. C-18/93 Corsica Ferries, Slg. 1994 I-1783
Dienstleistungsfreiheit, Verpflichtete freedom to provide services, obliged subjects – libre prestation de services, obligés
Art. 49 ff. EG binden die Organe der Gemeinschaft und die MS. Darüber hinaus hat der EuGH in seinen Urteilen in den Rs. ĺWalrave und ĺBosman eine Bindung privater Vereinigungen unter der Voraussetzung anerkannt, dass diese Vorschriften erlassen, durch die sie auf die grenzüberschreitende gewerbliche Betätigung ihrer Mitglieder Einfluss nehmen, da die „Beseitigung staatlicher Schranken dadurch in ihren Wirkungen wieder aufgehoben würde, dass privatrechtliche Vereinigungen oder Einrichtungen kraft ihrer rechtlichen Autonomie derartige Hindernisse aufrichten.“ (sh) Lit.: W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EGV, Rn. 38 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 36/74 ĺWalrave, Slg. 1974, 1405, Rn. 16/19
Dienstleistungsfreiheit, versteckte Diskriminierung ĺindirekte Diskriminierung; ĺDienstleistungsfreiheit, Diskriminierungsverbot Dienstleistungsfreiheit, weitergehende Liberalisierung freedom to provide services, autonomous liberalisation – libre prestation de services, liberalisation autonome
Art. 53 EG ermächtigt die MS, das Ausmaß der Liberalisierung im Bereich der ĺDienstleis-
tungen aufgrund von RL gem. Art. 52 Abs. 1 EG autonom auszudehnen. Voraussetzung ist, dass dies die wirtschaftliche Gesamtlage und die Lage des betreffenden Wirtschaftszweiges zulassen. Die Kommission kann in diesem Zusammenhang ĺEmpfehlungen an die MS richten, wobei Empfehlungen kein verbindlicher Charakter zukommen kann. (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 53 EGV, Rn. 1 ff.
Dienstleistungsimport importation of services – importation de services
Der D. soll ohne staatliche Behinderungen erfolgen. Der D. wird vor allem durch Maßnahmen des Staats, in dem die ĺDienstleistung erbracht werden soll, behindert. Aus Art. 49 EG ergibt sich insbesondere, dass die Staaten beim Import von Dienstleistungen nicht jene – strengeren – Kriterien anwenden dürfen, die sie im Falle einer ĺNiederlassung vorsehen dürften (EuGH, Rs. C-164/99 Portugaia, Slg. 2002, I-787, Rn. 17). Es soll verhindert werden, dass sich der Dienstleistungserbringer nicht nur den Bestimmungen seines Herkunftsmitgliedstaats entsprechend verhalten muss, sondern gleichzeitig hinsichtlich der Einhaltung gleich gelagerter Bestimmungen im Bestimmungsmitgliedsland verpflichtet wird (ĺHerkunftslandprinzip). In Anlehnung an die unterschiedlichen Beschränkungen des ĺfreien Warenverkehrs wird zwischen ĺobjektiven Sperren, ĺZulassungsmodalitäten und ĺAusübungsmodalitäten unterschieden (vgl. P. Müller-Graff, in: R. Streinz [Hrsg.], Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Anm. 91 ff.). (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Anm. 91 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-164/99 Portugaia, Slg. 2002, I-787
Dienstleistungskonzession service concession – concession de services
Eine Dienstleistungskonzession im Sinn des ĺVergaberechts ist ein Vertrag, der von einem öffentlichen ĺDienstleistungsauftrag nur insoweit abweicht, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistung entweder ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich zur Zahlung eines Preises besteht. Die Höhe der Gegenleistung ist somit nicht im vorhinein fixiert, sondern hängt davon ab, in welcher Höhe der Dienstleistungskonzessionär für die 187
Dienstleistungsmonopol Nutzung der von ihm erbrachten Dienstleistung Entgelt verlangt und in welchem Ausmaß die Dienstleistung von Dritten genutzt (und damit auch Entgelt entrichtet) wird. Anders als bei einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag trägt der Dienstleistungskonzessionär somit das wirtschaftliche Risiko (vgl. dazu auch den Schlussantrag vom 18.3.1999 in der Rs. C-108/ 98 RI-SAN, Slg. 1999, I-5219). Gem. ihrem Art. 17 gilt die ĺVergabeRL unbeschadet der Bestimmungen ihres Art. 3 für Dienstleistungskonzessionen nicht. Art. 3 VergabeRL sieht wiederum vor, dass im Fall der Zuerkennung von besonderen oder ausschließlichen Rechten an eine Einrichtung, die kein öffentlicher ĺAuftraggeber ist, bestimmt werden muss, dass diese Einrichtung bei der Vergabe von ĺLieferaufträgen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung beachten muss. Der EuGH hat in mehreren Urteilen (EuGH 7.12.2000, Rs. C-324/98 Telaustria, Slg. 2000, I-10745; EuGH 21.7.2005, Rs. C-231/03 Coname, Slg. 2005, I-7287; EuGH 13.10.2005, Rs. C-458/03 Parking Brixen, Slg. 2005, I-8612) festgehalten, dass für die Vergabe einer Dienstleistungskonzession aus den primärrechtlichen Grundsätzen noch weitergehende Vorgaben (etwa im Bereich der Transparenz) resultieren. (cm) §§: Art. 1 Abs. 4 und Art. 17 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 321; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 145 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Dienstleistungsmonopol services monopoly – monopole dans le secteur des services
Art. 86 EG setzt die Existenz staatlicher Monopole voraus. Diese können auch im Bereich der ĺDienstleistungsfreiheit bestehen. Ein solches Monopol, das anfangs in vielen MS bestand, war im Bereich des Fernsehens zu finden (EuGH, Rs. 155/73 ĺSacchi, Slg. 1974, 409, Rn. 14). Der EG steht D. nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Allerdings müssen sie, zumal sie den Ausschluss ausländischer ĺDienstleistungserbringer vom Markt des betreffenden MS bewirken, gerechtfertigt werden. Dazu stehen neben den geschriebenen Rechtfertigungsgründen in Art. 55 EG i.V.m. Art. 45 f. EG auch zwingende Gründe des Allgemeininteresses zur Verfügung. Die Einrichtung von D. zur Finanzierung sozialer Aktivitäten ist noch nicht als Rechtfertigung ausreichend, vielmehr müssen 188
Monopole z.B. im Bereich des Glückspiels auch der Bekämpfung sittlich und sozial schädlicher Auswirkungen dienen (EuGH, Rs. C-243/01 ĺGambelli, Slg. 2003, I-13076, Rn. 61 ff.). (sh) Lit.: W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EGV, Anm. 88 f.; P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 140 Rsp.: EuGH, Rs. 155/73 ĺSacchi, Slg. 1974, 409
Dienstleistungsrichtlinie, Niederlassungsfreiheit ĺNiederlassungsfreiheit, Dienstleistungsrichtlinie Dienststellen ĺKommission, Dienststellen Differenzierte Integration differenciated Integration – intégration différenciée
Differenzierte Integration beschreibt eine alternative Integrationsmethode (ĺIntegration), die den Integrationsfortschritt eines Teils der ĺMitgliedstaaten unter zumindest vorübergehendem Zurückbleiben der weniger integrationsfähigen oder -willigen übrigen Mitgliedsländer vorsieht. Hintergrund bildet die Erweiterung der ursprünglich sechs Mitgliedsländer umfassenden ĺEuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zu einer ĺEuropäischen Union von derzeit 27 Staaten unterschiedlicher Wirtschaftskraft und Integrationsbereitschaft, die es zunehmend erschwert hat, Schritte zu einer Vertiefung der Integration unter gleichzeitiger Beteiligung aller Mitglieder zu vollziehen. Die Pariser Rede des früheren deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt aus dem Jahr 1974, gemeinsam mit ihrer Weiterentwicklung und Konkretisierung durch den ein Jahr darauf veröffentlichten Bericht des damaligen belgischen Premierminister Leo Tindemans begründeten eine Debatte in Politik und Wissenschaft, deren Gegenstand auch mit „Flexibilisierung des Integrationsprozesses“ beschrieben werden kann. Seither wurden eine Vielzahl von Differenzierungsvorschlägen erarbeitet, die unter Schlagwörtern wie „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“, „Europa der variablen Geometrie“, „Europa der konzentrischen Kreise“, „Kern- und Randeuropa“ oder „Europa à la carte“ Bekanntheit erlangten, auf den Integrationsprozess aber zumeist ohne Auswirkungen blieben.
Diploma Supplement – Diplomzusatz In der Praxis erfolgten über bloße Übergangsregelungen hinausgehende Differenzierungen im Integrationsprozess zunächst durch herkömmliche völkerrechtliche Verträge (so insbesondere im Rahmen der zunächst nur durch Deutschland, Frankreich und der Beneluxländer unterzeichneten ĺSchengener Abkommen zur Abschaffung der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen). Der ĺVertrag von Maastricht gestattete einem Teil der Mitgliedstaaten die Inanspruchnahme der Organe, Verfahren und Mechanismen des ĺUnionsvertrags und des ĺEG-Vertrags, um innerhalb des Unionsrahmens Gemeinschaftsbzw. Unionsziele schneller zu verwirklichen (so im Bereich der ĺSozialpolitik (vgl. auch ĺGemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte) und der ĺWirtschafts- und Währungsunion). Dieses innerinstitutionelle Vorgehen hat im Vergleich zu engeren Kooperationen unter Rückgriff auf die herkömmlichen Mittel des Völkerrechts den Vorteil, dass es die erprobte Effizienz der gemeinschaftsrechtlichen Handlungsinstrumente in den Dienst der Pioniergruppe stellt und die zurückbleibenden Mitgliedstaaten besser in den Integrationsfortschritt einbindet, was ihnen ein späteres Aufschließen erleichtert. Der ĺVertrag von Amsterdam schuf die Möglichkeit der ĺverstärkten Zusammenarbeit innerhalb des institutionellen Rahmens von EU und EG, bei welcher der Anwendungsbereich differenzierter Integration nicht mehr primärrechtlich festgelegt ist sondern durch (sekundärrechtlichen) Ratsbeschluss flexibler bestimmt werden kann. Da die Voraussetzungen und Verfahren verstärkter Zusammenarbeit als zu schwerfällig empfunden werden, wurde bislang in der Praxis von diesem Instrument nicht Gebrauch gemacht. Stattdessen greifen Mitgliedstaaten wieder auf Formen engerer Zusammenarbeit außerhalb der EU zurück, so im ĺVertrag von Prüm über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Immigration. (mke) Lit.: M. Kellerbauer, Von Maastricht bis Nizza, Neuformen differenzierter Integration in der Europäischen Union, 2003; M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 43 EUV, Rn. 1 ff.; U. Becker, Differenzierungen der Rechtseinheit durch „abgestufte Integration“, EuR Beiheft 1/1998, 29; C. D. Ehlermann, Engere Zusammenarbeit nach dem Amsterdamer Vertrag: Ein neues Verfassungsprinzip? EuR 1997, 362
Digitale Bibliotheken digital libraries – bibliothèques digitales
Im Rahmen von ĺi2010 ist 2006 eine Initiative für digitale Bibliotheken auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene gestartet worden, mit welcher Maßnahmen in den Bereichen Digitalisierung, Online-Verfügbarkeit und digitale Bewahrung von Kulturgütern und wissenschaftlichen Daten in Europa gesetzt werden sollen. Unter digitalen Bibliotheken versteht man eine organisierte Sammlung von digitalen Inhalten, welche der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen. Sie können aus Materialen bestehen, die erst zu digitalisieren sind (z.B. Bücher und anderes physisches Material aus Bibliotheken und Archiven) oder Inhalten, die schon ursprünglich digital hergestellt worden sind, was immer öfter der Fall ist. (dd) §§: Mitteilung der Kommission „i2010 – Digitale Bibliotheken“, KOM(2005) 465 endg.
Digitaler Rundfunk digital broadcasting – radiodiffusion numérique
Digitalisierung ist die Umwandlung (Kodierung) von Schrift, Bild, Ton oder jeder anderen Art analoger (stufenloser) Signale in digitale (schrittweise, ziffernmäßige) Form. Sie ermöglicht eine weit effizientere Nutzung der Ressourcen zur elektronischen Vermittlung massenmedialer Inhalte als analoge Techniken. Das bedeutet zum einen, dass eine viel größere Programmvielfalt möglich ist, zum anderen, eine bessere Bild- und Tonqualität. Zu digitalem Rundfunk zählt man digitales Fernsehen (Digital-TV) und digitales Radio über Antenne (DVB-T), Kabel (DVB-C) oder Satellit (DVB-S), ebenso wie Handy TV (wiederum über verschiedene Techniken: UMTS, DVB-H u.s.w.) sowie IP-TV (Fernsehen über Internet). In der Gemeinschaft ist der vollständige Umstieg von analogen auf digitale Techniken mit 2012 geplant. (vgl. Kommissionsmitteilung, KOM[2005] 2004 endg.) (dd) Web: http://ec.europa.eu/information_society/policy/ ecomm/todays_framework/digital_broadcasting/index _en.htm
Diplom ĺQualifikationsnachweis Diploma Supplement – Diplomzusatz diploma supplement – supplément au diplôme
Innerhalb der EU und des Europarates wird die Erleichterung und Transparenz der Aner189
Diplomanerkennung kennung von Qualifikationen im Rahmen von Hochschulabschlüssen (Diplome, sonstige Abschlüsse, Zeugnisse etc.) durch das gemeinsam geschaffene Instrument des sog. Diplomzusatzes (besser bekannt unter der engl. Bezeichnung Diploma Supplement, kurz DS) angestrebt. In der 2. Hälfte der 1990-er Jahre von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der EK, des Europarates und der UNESCO entwickelt, soll es dem globalen Problem der Nicht- bzw. unzureichenden Anerkennung von (auf Hochschulebene) erworbenen Qualifikationen entgegentreten indem es die adäquate sachkundige Beurteilung erworbener Qualifikationen in Anerkennungsverfahren fördert. Rechtlichen Niederschlag findet das DS im 1997 in Lissabon unterzeichneten Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region (Lissabonner Anerkennungsübereinkommen). Art. IX.3 bezieht sich auf die Förderung der Verwendung des DS durch die Vertragsparteien. Vor diesem völkerrechtlichen Hintergrund sind die einschlägigen studienrechtlichen Bestimmungen der §§ 40 Abs. 2 UniStG (BGBl. 48/1997 i.d.F. BGBl. I 53/2002), 69 Abs. 2 UG 2002 (BGBl. I 120/2002) und 4 Abs. 8 FHStG (BGBl. 340/ 1993 i.d.F. BGBl. I 110/2003) im österr. Hochschulrecht zu sehen. Das den innerstaatlichen Verleihungsurkunden bzw. (Abschluss-)Zeugnissen zur Bestätigung von Qualifikationen auf Hochschulebene anzufügende einheitlich gestaltete Dokument des DS umfasst 8 Punkte, die die Rahmenbedingungen, Form und Inhalt der erworbenen Qualifikation näher beschreiben und so vergleichbarer machen sollen: 1. Angaben zur Person des Qualifikationsinhabers, 2. Angaben zur Qualifikation (Titel, Fächer, durchführende Einrichtung, im Unterricht verwendete Sprachen), 3. Niveau der Qualifikation (Regelstudienzeit, Zulassungsvoraussetzungen), 4. Inhalt und erzielte Ergebnisse, 5. Funktion der Qualifikation (Zugangsberechtigung zu weiterführenden Studien, beruflicher Status), 6. Sonstige relevante Angaben, 7. Beurkundung durch ausstellende Stelle, 8. Allgemeine Angaben zum österr. Hochschulsystem (zu diesem Pkt. wird vom BMWF eine einheitliche Textierung zur Verfügung gestellt, die auf der DS-Homepage des BMWF abrufbar ist). 190
Bis 2006 hat die Europäische Kommission zwecks Förderung der korrekten Implementierung des DS-Instrumentariums in den MS jährlich das DS-Label für Hochschuleinrichtungen ausgeschrieben (parallel zu den ĺECTS-Labels). Dabei handelte es sich um ein von der EK verliehenes Gütesiegel für die vollständige und korrekte studienrechtliche Handhabung des DS in den hochschulischen Einrichtungen (Universitäten, Fachhochschulen, etc.). Einhergehend mit der Umstrukturierung der ĺBildungsprogramme und ihrer teilweisen Zusammenführung im ĺAktionsprogramm für lebenslanges Lernen wird das DS-Label vorerst nicht weiter ausgeschrieben und vergeben. Stattdessen kündigte die EK eine Verstärkung der Aktivitäten der ĺECTS/DS-Counsellors zur Implementierung von ECTS und DS im innerstaatlichen Bereich an. (jbu) §§: Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region (Lissabonner Anerkennungsübereinkommen vom 11.04.1997), BGBl. III 71/1999; § 40 Abs. 2 UniStG (BGBl. 48/1997 i.d.F. BGBl. I 53/2002); § 69 Abs. 2 UG 2002 (BGBl. I 120/2002); § 4 Abs. 8 FHStG (BGBl. 340/1993 i.d.F. BGBl. I 110/2003) Web: http://ec.europa.eu/education/policies/rec_qual/ recognition/diploma_de.html; http://ec.europa.eu/ education/programmes/socrates/ects/label_en.html; http://www.bmwf.gv.at/wissenschaft/international/ enic_naric_austria/diploma_supplement/
Diplomanerkennung diploma recognition – reconnaissance des diplômes, principe de la confiance mutuelle
Unter D. wird verstanden, dass in einem MS erworbende Diplome bzw. ĺQualifikationsnachweise, die die Berechtigung zur Ausübung eines Berufs verleihen (ĺreglementierte Berufe) auch in einem anderen MS zur Ausübung des selben Berufs befähigen. Der ĺEuGH hat das Erfordernis der D. zum Funktionieren des Binnenmarkts aus den primärrechtlich verankerten ĺGrundfreiheiten insofern anerkannt, als die MS verpflichtet sind, die ĺGleichwertigkeit der Ausbildung zu überprüfen und bei Vorliegen der Gleichwertigkeit den Zugang zur betreffenden Tätigkeit zu gewähren. Später hat der EuGH dieses Erfordernis auch für nicht reglementierte Berufe anerkannt. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat in ĺKoordinierungsund ĺAnerkennungsRL weitere Vorgaben für die D. geschaffen. Dabei bestehen sektorale Regelungen für einzelne Berufsgruppen und allgemeine RL wie bspw. die ĺHochschuldiplomRL. Durch die ĺBerufsanerkennungsRL
Diplomatischer Schutz werden die bestehenden Regelungen konsolidiert und vereinheitlicht. Diese RL stützen sich insbesondere auf Art. 47 i.V.m. Art. 55 EG. Die Regelungen des EG beziehen sich ausschließlich auf die berufliche Anerkennung, also die Zulassung von Diplominhabern zum Arbeitsmarkt, nicht jedoch auf die ĺakademische Anerkennung (Berechtigung zu weiterführenden Studien und zum Führen akademischer Grade). Für letztere bestehen in erster Linie völkerrechtliche Übereinkommen. (sh) Lit.: W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 52 EGV, Rn. 43 ff.; P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 47 EGV, Rn. 8 ff.; W. Obwexer/E. Happacher Brezinka, Diplomanerkennung in der EU. Berufliche und akademische Anerkennung von Qualifikationen im Binnenmarkt, ZÖR 2001, 465 Rsp.: EuGH, Rs. C-340/89 ĺVlassopoulou, Slg. 1991, I-2357; Rs. C-234/97 Fernández de Bobadilla, Slg. 1999, I-4795
Diplomanerkennung, Gleichwertigkeit diploma recognition, equivalence – reconnaissance des diplômes, équivalence
Bei der ĺDiplomanerkennung geht es darum, dass ein in einem MS erlangter ĺQualifikationsnachweis die Berechtigung zur Ausübung einer Tätigkeit in einem anderen MS verleihen soll. Um dies zu gewährleisten, hat die EG durch ĺDiplomanerkennungsRL Regeln aufgestellt. In Bereichen, in denen keine sekundärrechtlichen Regelungen bestehen, dürfen die MS im Wege einer Gleichwertigkeitsprüfung überprüfen, ob die mit dem Diplom bescheinigten Fachkenntnisse jenen entsprechen, die zur Ausübung der Tätigkeit erforderlich sind. Wenn Gleichwertigkeit gegeben ist, muss der Inhaber des Qualifikationsnachweises zur Tätigkeit zugelassen werden (EuGH, ĺVlassopoulou-Entscheidung, Rn. 16). Auch wenn sekundärrechtliche Regelungen bestehen, ist es in manchen Fällen den MS – in einem engeren Rahmen – gestattet, für bestimmte Diplome zusätzliche Nachweise von Praxiszeiten oder Ergänzungsprüfungen zu verlangen. Die ĺBerufsanerkennungsRL hat die entsprechenden DiplomanerkennungsRL modifiziert und vereinheitlicht. (sh) §§: RL 2005/36/EG, ĺBerufsanerkennungsRL Lit.: W. Obwexer/E. Happacher Brezinka, Diplomanerkennung in der EU. Berufliche und akademische Anerkennung von Diplomen im Binnenmarkt, ZÖR 2001, 465 Rsp.: EuGH, Rs. C-340/89, Slg. 1991, I-2357; Rs. C104/91 Borrell, Slg. 1992, I-3003; Rs. C-340/89 ĺVlassopoulou, Slg. 1991, I-2357
Diplomanerkennung, Prinzip des gegenseitigen Vertrauens diploma recognition, principle of mutual confidence – reconnaissance des diplômes, principe de la confidence mutuelle
Die ĺDiplomanerkennung beruht vor allem bei ĺgeregelten Berufen auf der Annahme, dass die Ausbildungen, die in den einzelnen ĺMS für bestimmte Berufe erforderlich sind, grundsätzlich vergleichbar und somit gleichwertig sind (vgl. auch ĺHerkunftslandprinzip). Damit soll sichergestellt werden, dass der Inhaber eines ĺQualifikationsnachweises, der ihn in einem MS zur Ausübung eines Berufes berechtigt, auch in den anderen MS diesen Beruf ausüben darf. Allerdings ist es aufgrund einzelner sekundärrechtlicher Regelungen wie der ĺBerufsanerkennungsRL den MS gestattet, in bestimmten Berufen den Nachweis zusätzlicher Qualifikationen (z.B. Praxiszeiten, Ergänzungsprüfungen) zu verlangen. (sh) Lit.: W. Obwexer/E. Happacher Brezinka, Diplomanerkennung in der EU. Berufliche und akademische Anerkennung von Qualifikationen im Binnenmarkt, ZÖR 2001, 465 (475 f.)
Diplomanerkennungsrichtlinie diploma recognition directives – directives relatives à la reconnaissance des diplômes
Im Rahmen der sekundärrechtlichen Ausgestaltungsbefugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers betreffend die Grundfreiheiten (ĺDienstleistungsfreiheit, Sekundärrecht, Art. 47 i.V.m. Art. 55 EG) wurden im Laufe der Zeit mehrere D. erlassen, mit denen die Anerkennung von ĺQualifikationsnachweisen und die mit ihnen verbundene Berechtigung zur Ausübung einer Tätigkeit geregelt werden. Dabei wird zwischen ĺKoordinierungs- und ĺAnerkennungsRL unterschieden. Teilweise wurden allgemeine, sektorübergreifende (horizontale) RL wie die ĺHochschuldiplomRL erlassen, teilweise sektorale RL für einzelne Berufsgruppen. Die D. wurden durch die bis 20.10. 2007 von den MS umzusetzende ĺBerufsanerkennungsRL modifiziert bzw. aufgehoben. (sh) §§: RL 2005/36/EG, ĺBerufsanerkennungsRL Lit.: W. Obwexer/E. Happacher Brezinka, Diplomanerkennung in der EU. Berufliche und akademische Anerkennung von Qualifikationen im Binnenmarkt, ZÖR 2001, 465 (471 ff.)
Diplomatischer Schutz protection by the diplomatic authorities – protection de la part des autorités diplomatiques
Das Recht auf diplomatischen Schutz nach Art. 20 EG i.V.m. Beschluss 95/553/EG und den 191
Diplomatischer und konsularischer Schutz, Grundrecht auf jeweiligen nationalen Regelungen genießt jeder ĺUnionsbürger (ĺUnionsbürgerschaft) im Hoheitsgebiet eines Drittstaates, in dem der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht vertreten ist, unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige dieses Staates. Dieses Recht zielt nur auf die Herstellung von Inländergleichbehandlung im Fall fehlender diplomatischer Einrichtungen eines Mitgliedstaates in Drittstaaten ab und schafft insbesondere keine eigenständige Schutzpflicht der EU. Geschützt ist ein ĺUnionsbürger nur dann, wenn sein Heimatstaat weder eine Botschaft oder ein Konsulat (oder Honorarkonsulat) unterhält oder entsprechende Einrichtungen zumindest vorübergehend nicht besetzt sind. Der diplomatische Schutz umfasst nach h.A. jene Schutzmaßnahmen, die direkt und ohne Einschaltung der einheimischen Organe durch die Vertretung im jeweiligen Land gewährt werden. Gem. Art. 1 des Beschlusses 95/553/EG umfasst der diplomatische nur ĺkonsularischen Schutz. Doppelstaater mit Staatsbürgerschaft auch eines Drittstaates genießen in diesem Zusammenhang nur dann diplomatischen Schutz durch den Mitgliedstaat, wenn die jeweilige Mitgliedstaatsbürgerschaft des ĺDoppelstaaters völkerrechtlich und tatsächlich als vorherrschend zu beurteilen ist. Zur Anspruchsberechtigung juristischer Personen ĺUnionsbürgerschaft. Unmittelbare Wirksamkeit strittig. Ein gerichtlicher Anspruch auf Inländergleichbehandlung ist innerstaatlich nur insoweit durchsetzbar, als gerichtliche Zuständigkeiten bestehen; eine ĺNichtigkeitsklage gegen den Beschluss 95/553/EG ist dagegen ausgeschlossen. (ao) §§: Art. 20 EG, Art. 20 EU, Art. 46 GRCh, Beschluss 95/553/EG, Beschluss 16/409/GASP Lit.: W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 20, Rn. 7-9; A. Hatje, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 20 EGV, Rn. 11
Diplomatischer und konsularischer Schutz, Grundrecht auf diplomatic and consular protection – protection diplomatique et consulaire
Die ĺCharta der Grundrechte garantiert diplomatischen und konsularischen Schutz in ĺDrittstaaten. Dies ist eher als ĺGrundrecht denn als ĺGrundsatz zu sehen. Inhaltlich zählt dies schon vor Inkrafttreten der ĺCharta der Grundrechte zum ĺPrimärrecht. S. auch ĺdiplomatischer Schutz und ĺkonsularischer Schutz. (ed) 192
§§: Art. 46 GRC/Art. II-106 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 39; S. Magiera, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 46
Direktinvestition direct investment – investissement direct
Praktisch wichtige Modalität der Ausübung der ĺKapitalverkehrsfreiheit. D. werden in Art. 57 EG und der Nomenklatur des Anhangs I der ĺKapitalverkehrsrichtlinie ausdrücklich genannt. In letzterer werden sie in einem weiten Sinne definiert. Darunter fallen: „Investitionen jeder Art durch natürliche Personen, Handels-, Industrie- oder Finanzunternehmen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen zwischen denjenigen, die die Mittel bereitstellen, und den Unternehmern oder Unternehmen, für die die Mittel zum Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sind.“ In Teilen der Literatur und seit kurzem auch ausdrücklich in der Rechtsprechung des EuGH zur Kapitalverkehrsfreiheit wird jedoch ein engerer, ökonomischer Begriff der D. herangezogen. Eine D. in diesem Sinne ist eine Investition „in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch Besitz von Aktien, die die Möglichkeit verschafft, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und deren Kontrolle zu beteiligen“ (EuGH, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 Kommission/Niederlande, Slg. 2006, I-9141, Rn. 19); vgl. demgegenüber auch ĺPortfolioinvestitionen. Inwieweit D. im letztgenannten Sinne der Kapitaloder der Niederlassungsfreiheit zuzuordnen sind, ist eine Frage der Abgrenzung der Kapitalverkehrs- von der Niederlassungsfreiheit (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit). (mk) §§: Art. 43, 56 Abs. 1, 57 EG; Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG, ABl. 8.7.1988, Nr. L 178/5-18 Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 56 EG, Rn. 120 ff.
Direktleitung direct line – ligne directe
Möglichkeit im Elektrizitäts- und Gasrecht, Elektrizität oder Gas zu transportieren, ohne die Bedingungen für Netzbetreiber erfüllen zu müssen. Nach der ĺElektrizitätsbinnenmarktrichtlinie Leitung, die einen einzelnen Produktionsstandort mit einem einzelnen Kunden verbindet, oder eine Leitung, die einen Elektrizitätserzeuger und ein Elektrizitätsversorgungs-
Direktzahlungen (Landwirtschaft) unternehmen zum Zwecke der direkten Versorgung mit ihrer eigenen Betriebsstätte, Tochterunternehmen und zugelassenen Kunden verbindet. Die ĺErdgasbinnenmarktrichtlinie definiert die D. (weiter als die ĺElektrizitätsbinnenmarktrichtlinie) als „zusätzlich zum Verbundnetz errichtete Erdgasleitung“. (hh) §§: Art. 2 Z. 15, Art. 22 ĺElektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/54/EG); Art. 2 Z. 18, Art. 24 ĺErdgasbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/55/EG)
Direktor, Gemeinschaftsagentur executive director – directeur exécutif
Der Direktor ist das monokratische Leitungsorgan der ĺGemeinschaftsagenturen. In den überwiegenden Fällen liegt die Verantwortung für die laufenden Tätigkeiten der jeweiligen Agentur beim Direktor, der dabei weitgehend freie Hand hat. Er ist aber dem ĺVerwaltungsrat rechenschaftspflichtig, dem bei den meisten Agenturen auf Vorschlag der Kommission auch die Ernennung des Direktors obliegt. (gr) §§: Mitteilung der Kommission über die Rahmenbedingungen für die europäischen Regulierungsagenturen, KOM(2002) 718 endg., 11 f. Lit.: D. Fischer-Appelt, Die Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, 238 ff. Web: http://europa.eu/agencies/community_agencies/ function/index_de.htm
Direktvergabe ĺVergabeverfahren Direktwahlakt European Assembly Elections Act – Acte portant élection des membres du Parlement européen au suffrage universel direct
Der Direktwahlakt (Beschluss 76/787 EWG, EGKS, Euratom) ermöglicht den ĺUnionsbürgern die direkte Wahl zum ĺEuropäischen Parlament und regelt deren ĺWahlrecht. Gemeinsam vom Rat und den Mitgliedstaaten erlassen und von letzteren ratifiziert, gilt der Direktwahlakt als gemischter Rechtsakt. (ao) §§: Beschluss 76/787/EWG, EGKS, Euratom (Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung), ABl. 1976, Nr. L 278/1, Beschluss 2002/772/EG, Euratom, ABl. 2002, Nr. L 283/1, Art. 190 EG. Lit.: M. Hilf, Völkerrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Elemente des Beschlusses vom 20. September 1976 im Lichte des Souveränitätsdenkens in der EG, in G. Ress (Hrsg.), Souveränitätsverständnis in den Europäischen Gemeinschaften, 1980, 21, W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 190 EGV, Rn 3-15
Direktwahl zum Europäischen Parlament ĺWahlrecht zum Europäischen Parlament Direktwirkung ĺAnwendbarkeit, unmittelbare Direktwirkung von Richtlinien ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung Direktzahlungen (Landwirtschaft) direct payment (agriculture) – paiement direct (agriculture)
Im Rahmen der ĺGemeinsamen Agrarpolitik werden Beihilfen aus unterschiedlichen Titeln und verschiedenen Gründen direkt an Landwirte gewährt. Direktzahlungen sind Beihilfen die direkt an den Landwirt gehen und so unmittelbar einkommenswirksam sind und wirtschaftlich im ländlichen Raum wirken. Direktzahlungen können nach Flächeneinheiten (Hektar), Tierzahl, Produktionsmenge oder betriebbezogen (unabhängig von der Produktion) gewährt werden. Direktzahlungen haben im Zuge der globalen Liberalisierung der Agrarmärkte eine große Bedeutung gewonnen. Im globalen Wettbewerb orientiert sich das Preisniveau am billigsten Anbieter von Agrarprodukten. Diese stammen meist aus Staaten in denen es so gut wie keine Arbeits- Sozial- Umwelt- oder Tierschutzstandards gibt. Direktzahlungen, so ferne sie nicht handelsverzerrend wirken, sind nach dem ĺWTO-Agrarabkommen eine der wenigen Möglichkeiten landwirtschaftliche Einkommen und eine flächendeckende umweltfreundliche Bewirtschaftung aufrechtzuerhalten. Zweck von Direktzahlungen ƒ Stützung der landwirtschaftlichen Einkommen bzw. generelle Unterstützung der Aufrechterhaltung der flächendeckenden Landwirtschaftung durch pauschalen Ausgleich der höheren Produktionskosten und Standards in der EU ƒ Abgeltungen von Leistungen der Landwirtschaft die am Markt nicht durchsetzbar sind (Einhaltung höherer Umweltschutzstandards, Aufrechterhaltung der Bewirtschaftung in Ungunstlagen). De facto tritt hier der Staat als Nachfrager auf. Arten von Direktzahlungen Direktzahlungen im Rahmen der Marktpolitik
ƒ
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Diskriminierung aufgrund Alter Entkoppelte Beihilfen (Einheitliche ĺBetriebsprämie): Werden betriebsbezogen gewährt und dienen vorwiegend der Einkommenssicherung bzw. geben dem Landwirt eine Gundeinnahme. ƒ Gekoppelte Beihilfen: werden mengenoder flächenbezogen oder Tierzahlabhängig gewährt; dienen der Produktionslenkung (auch im Rahmen der Gemeinsamen Marktorganisation) ƒ Direktzahlungen im Rahmen der Ländlichen Entwicklung ƒ Beihilfen im Rahmen von Agrarumweltprogrammen: werden flächenbezogen gewährt; Agrarumweltbeihilfen gleichen die Mehrkosten für besonders umweltfreundliche Landwirtschaft aus. ƒ Ausgleichzulage für Landwirte in Benachteiligten Gebieten: werden flächenbezogen gewährt; die Ausgleichzulage gleicht die Mehrkosten der landwirtschaftlichen Tätigkeit in benachteiligten Gebieten (z.B. Berggebieten) aus und ermöglicht so den Landwirten dort trotz nicht kostendeckender Marktpreise wirtschaftlich zu bestehen. (all) ƒ
§§: Art. 36 EG; VO (EG) 1782/2003 Direktzahlungen, ABl. 2003, Nr. L 270/1; VO (EG) 1290/2005 GAP Finanzierung, ABl. 2005, Nr. L 209/1; VO (EG) 1698/ 2005, Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums, ABl. 2005, Nr. L 277/1; VO (EG) 1234/2007, Gemeinsame Organisation der Agrarmärkte, ABl. 2007, Nr. L 299/1 Lit.: A. Leidwein, Europäisches Agrarrecht, 2004; ders., Thesen zur Globale Liberalisierung, Agrarische Rundschau 2/2004
Diskriminierung aufgrund Alter discrimination on the grounds of age – discrimination fondée sur l’âge
Diskriminierungen aufgrund des Alters einer Person sind nach der RahmenRL (ĺDiskriminierung, RahmenRL) im Bereich Beschäftigung und Beruf verboten. Das Diskriminierungsverbot bezieht sich sowohl auf Ungleichbehandlungen von jüngeren wie auch älteren Arbeitnehmern. Art. 6 der RL gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit festzusetzen, dass Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere Ziele in den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung fallen, gerechtfertigt sind. (fs) §§: Art. 13 EG, RL 2000/78/EG, ABl. 2000, Nr. L 306/ 16
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Lit.: J. Oppertshäuser, in: M. Gebauer/T. Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 17, Rn. 43 Web: http://ec.europa.eu/employment_social/news/ 2001/jul/directive78ec_de.pdf
Diskriminierung aufgrund Behinderung discrimination on the grounds of disability – discrimination fondée sur le handicap
Eine Schlechterbehandlung einer Person mit Behinderung gegenüber einer anderen Person in einer vergleichbaren Situation ist nach der RL 2000/78/EG im Bereich Beschäftigung und Beruf untersagt. Sowohl unmittelbare als auch mittelbare Diskriminierungen sind erfasst. Darüber hinaus ordnet Art. 5 der RL an, dass, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, angemessene Vorkehrungen getroffen werden müssen. (fs) §§: Art. 13 EG, RL 2000/78/EG, ABl. 2000, Nr. L 306/ 16 Web: http://ec.europa.eu/employment_social/news/ 2001/jul/directive78ec_de.pdf
Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft discrimination on the grounds of ethnic origin – discrimination fondée sur l’origine ethnique
Das Merkmal ethnische Herkunft bzw. Rasse wird in der RL 2000/43/EG (ĺAntirassismusrichtlinie) behandelt. Da ein möglichst umfassender Schutz vor Benachteiligung gewährt werden soll, sind beide Begriffe auch umfassend auszulegen. Das Verbot der Benachteiligung aus Gründen der ethnischen Herkunft umfasst die Benachteiligungen aufgrund der Rasse, Hautfarbe, Abstammung, nationalen Ursprungs oder Volkstums. Die Verwendung des Begriffes der Rasse in diesem Zusammenhang impliziert nicht die Akzeptanz entsprechender Theorien. (fs) §§: RL 2000/43/EG ABl. 2000, Nr. L 180/22 Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/ de/oj/2000/l_180/l_18020000719de00220026.pdf
Diskriminierung aufgrund Geschlecht discrimination on the grounds of sex – discrimination fondée sur le sexe
Unter Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist die Schlechterbehandlung einer Person aufgrund ihres Geschlechts gegenüber einer anderen Person in einer vergleichbaren Situation zu verstehen. Nach den RL 2002/73/EG und RL 2004/113/EG ist sowohl die unmittelbare als
Diskriminierung (freier Warenverkehr) auch die mittelbare Diskriminierung ausdrücklich untersagt. Darunter fallen auch Belästigung und sexuelle Belästigung wie in den Richtlinien definiert. (fs) §§: RL 2002/73/EG, ABl. 2002, Nr. L 269/15; RL 2004/ 113/EG, ABl. 2004, Nr. L 373/37 Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/ 2002/l_269/l_26920021005de00150020.pdf; http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/2004/l_373/l_373 20041221de00370043.pdf
Diskriminierung aufgrund Religion discrimination on the grounds of religion – discrimination fondée sur la religion
Diskriminierungen von Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung sind nach der RahmenRL 2000/78/EG (ĺDiskriminierung, RahmenRL) im Bereich Beschäftigung und Beruf verboten. Art. 4 Abs. 2 der RL räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsvorschriften bezüglich der Tätigkeit bei Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen beizubehalten bzw. vorzusehen, wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn Religion oder Weltanschauung eine berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. S. dazu auch ĺArbeitsrecht, religionsgemeinschaftliches, ĺReligionsrecht. (fs) §§: Art. 13 EG, RL 2000/78/EG, ABl. 2000, Nr. L 306/ 16 Lit.: J. Oppertshäuser, in: M. Gebauer/T. Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 17, Rn. 44 Web: http://ec.europa.eu/employment_social/news/ 2001/jul/directive78ec_de.pdf
Diskriminierung aufgrund sexueller Ausrichtung discrimination on the grounds of sexual orientation – discrimination fondée sur l’orientation sexuelle
Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Ausrichtung einer Person sind nach der RahmenRL 2000/78/EG (ĺDiskriminierung, RahmenRL) im Bereich Beschäftigung und Beruf grundsätzlich verboten. Im Unterschied zu den Merkmalen Religion und Alter gibt es für das Kriterium der sexuellen Ausrichtung keine Sonderrechtfertigungsnorm, wonach die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass bestimmte Ungleichbehandlungen keine Diskriminierungen darstellen. Insofern gilt wie für alle anderen Kriterien nach Art. 4 Abs. 1 der RL, dass die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass keine Dis-
kriminierung durch eine Ungleichbehandlung vorliegt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer beruflichen Tätigkeit eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. (fs) §§: Art. 13 EG, RL 2000/78/EG, ABl. 2000, Nr. L 306/ 16 Web: http://ec.europa.eu/employment_social/news/ 2001/jul/directive78ec_de.pdf
Diskriminierung aufgrund Staatsangehörigkeit ĺDiskriminierungsverbot, Begriff Diskriminierung (freier Warenverkehr) discrimination (free movement of goods) – discrimination (libre circulation des marchandises)
Wie alle ĺGrundfreiheiten enthält Art. 28 EG in seinem historischen Kern ein ĺDiskriminierungsverbot: sowohl offen diskriminierende Maßnahmen, als auch versteckt bzw. materiell diskriminierende Regelungen sind von Art. 28 EG erfasst. Offen diskriminierende Regelungen knüpfen am ausländischen Ursprung des Erzeugnisses explizit an, wohingegen versteckt bzw. materiell diskriminierende Regelungen zwar im Tatbestand nicht expressis verbis an den ausländischen Ursprung des Erzeugnisses anknüpfen, aber dennoch Kriterien verwenden, die letztendlich diesselbe diskriminierende Wirkung für ausländische Waren (ĺGemeinschaftsware, ĺWare im freien Verkehr) entfalten wie offene Diskriminierungen. Offen Diskriminierend ist etwa eine Vorschrift, die den Kostenersatz für im Ausland erworbene medizinische Erzeugnisse davon abhängig macht, dass der Erwerb durch den inländischen Sozialversicherungsträger vorher genehmigt wurde (EuGH, Rs. C-120795 Decker, Slg. 1998, I-1831). Versteckte Diskriminierungen liegt bspw. vor, wenn eine bestimmte Bezeichnung wie „montagne“ (ĺBezeichnungsvorbehalt) Produkten vorbehalten wird, bei deren Herstellung inländische Ausgangsprodukte verwendet wurden (EuGH, verb. Rs. C-321/94 und C-324/94 Pistre, Slg. 1997, I-2343) oder wenn eine nationale Vorschrift die Bewerbungsmöglichkeiten für alkholische Getränke nach Gattungen differenziert und sich in der benachteiligten Produktkategorie überwiegend ausländische Produkte befinden (EuGH, Rs. 152/78 Kommission/ Frankreich, Slg. 1980, 2299). Diskriminiereng liegt auch dann vor, wenn eine nationale Vorschrift im Hinblick auf die Verkehrsfähigkeit auf das Herkunftslandrecht verweist und es 195
Diskriminierung, Beweislastrichtlinie nicht genügen läßt, dass die Ware die für inländische Waren geltenden Anforderungen (ĺBestimmungslandprinzip) erfüllt (EuGH, Rs. 59/82 Schutzverband, Slg. 1983, 1217). (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 65 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 249/81 Kommission/Irland (Buy Irish), Slg. 1982, 4005; EuGH, Rs. 21/88 du Pont de Nemours, Slg. 1990, I-889; EuGH, Rs. C-120795 Decker, Slg. 1998, I-1831; EuGH, verb. Rs. C-321/94 – C-324/94 Pistre, Slg. 1997, I-2343; EuGH, Rs. 152/78 Kommission/Frankreich, Slg. 1980, 2299; EuGH, Rs. 59/82 Schutzverband, Slg. 1983, 1217
Diskriminierung, Beweislastrichtlinie discrimination, directive on the burden of proof – discrimination, directive relative à la charge de la preuve
Die wichtigste Regelung der Beweislast hinsichtlich Diskriminierung enthält die RL 97/80/EG vom 15.12.1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Nach deren Art. 4 Abs. 1 ist die Beweislast umgekehrt, d.h., Personen, die sich auf eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes berufen, müssen nur Tatsachen glaubhaft machen, die eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung vermuten lassen, die andere Seite muss daraufhin beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorliegt. Ähnliche Regelungen finden sich auch in anderen Sekundärrechtsakten, z.B. Art. 10 der RL 2000/ 78/EG, Art. 8 der RL 2000/43/EG. (fs) §§: RL 97/80/EG, ABl. 1998, Nr. L 14/6 Web: http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/1998/ l_014/l_01419980120de00060008.pdf
Diskriminierung, internationale Übereinkommen discrimination, international treaties – discrimination, conventions internationales
Österreich und Deutschland haben beide das internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 21.12.1965 (Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, CERD), den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16.12.1966 (International Covenant on Civil and Political Rights, ICCPR), das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18.12.1979 (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women) und das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989 ratifiziert. (fs) 196
Web: http://www.ohchr.org/english/bodies/cerd/index. htm; http://www.unhchr.ch/html/menu3/b/a_ccpr. htm; http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/; http://www.unicef.org/crc/index_using.html
Diskriminierung, mittelbare indirect discrimination – discrimination indirecte
Der Begriff der mittelbaren, versteckten, materiellen oder auch indirekten Diskriminierung bezeichnet eine Ungleichbehandlung aufgrund der Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale als desjenigen, auf das sich das Diskriminierungsverbot ausdrücklich bezieht, die aber faktisch zum gleichen Ergebnis führt. Demnach liegt z.B. eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn die Gewährung von Studienausbildungsförderung vom Nachweis abhängig gemacht wird, dass der Student vor Aufnahme des Studiums dauernd im Aufnahmemitgliedstaat ansässig ist (EuGH 15.3.2005, C-209/03 Bidar, Slg. 2005, I-02119). Denn das Erfordernis des Nachweises benachteiligt tatsächlich Studenten aus anderen Mitgliedstaaten, die regelmäßig nicht die dauerhafte Ansässigkeit im Inland werden nachweisen können. Auch die Bestimmung eines Tarifvertrags, die es Arbeitgebern gestattet, Teilzeitbeschäftigte von der Zahlung eines Übergangsgeldes beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis auszunehmen, ist mittelbar diskriminierend, wenn sich herausstellt, dass erheblich weniger Männer als Frauen teilzeitbeschäftigt sind und die Ungleichbehandlung nicht unabhängig vom Geschlecht objektiv gerechtfertigt ist (EuGH 27.6.1990, C-33/89 Kowalska, Slg. 1990, I-2591). Mittelbare Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit sind vom Verbot des Art. 12 EG umfasst, das jede Diskriminierung verbietet. Gleiches gilt für Art. 141 EG, der die Gleichbehandlung von Männern und Frauen bezüglich des Entgelts sicherstellt. Hinsichtlich anderer Kriterien finden sich in den einzelnen Richtlinien ausdrückliche Hinweise und Definitionen mittelbarer Diskriminierung. So enthalten die RL 2000/43/ EG, 2000/78/EG, 2002/73/EG und 2004/113/EG jeweils eine Definition der mittelbaren Diskriminierung aufgrund der jeweils geregelten Kriterien. Nach diesen Definitionen liegt allerdings keine mittelbare Diskriminierung vor, wenn die potenziell diskriminierenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Eine solche sachliche ĺRechtfertigung kann auch bei Diskrimi-
Diskriminierung, unmittelbare nierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit gegeben sein. Sie wird dabei vor allem bei mittelbaren Diskriminierungen zum Tragen kommen, da bei ausdrücklicher Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit eine unterschiedliche Behandlung aufgrund anderer Kriterien schwer darzustellen ist. (fs) §§: Art. 12 EG, Art. 141 EG, RL 2000/43/EG, ABl. 2000, Nr. L 180/22, RL 2000/78/EG, ABl. 2000, Nr. L 303/16, RL 2002/73/EG, ABl. 2002, Nr. L 269/15, RL 2004/113/EG, ABl. 2004, Nr. L 373/37
Diskriminierung, positive Maßnahmen positive action (affirmative action) – action positve
Sowohl Art. 7 der RL 2000/78/EG, Art. 5 der RL 2000/43/EG als auch Art. 6 der RL 2004/ 113/EG lassen positive Maßnahmen zu. Das heißt, die Mitgliedstaaten werden nicht durch den Gleichbehandlungsgrundsatz daran gehindert, zur Gewährleistung der Gleichstellung in dem jeweils von den Richtlinien behandelten Bereich spezifische Maßnahmen, mit denen eine Benachteiligung wegen eines der anwendbaren Diskriminierungsgründe verhindert oder ausgeglichen wird, beizubehalten oder einzuführen. Eine solche bewusste Bevorzugung bestimmter Gruppen zum Ausgleich von Benachteiligungen, die auch als positive Diskriminierung bezeichnet wird, ist nicht generell zulässig, da auch positive Maßnahmen den Gleichbehandlungsgrundsatz einschränken. (fs) Diskriminierung, Rahmenrichtlinie discrimination, directive establishing a general framework – discrimination, directive portant création d’un cadre général
Als RahmenRL wird die RL 2000/78/EG vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf bezeichnet, ĺAntidiskriminierungsrichtlinien. (fs) Diskriminierung, Rechtfertigung discrimination, justification – discrimination, justification
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH liegt eine Diskriminierung nicht vor, wenn eine differenzierende Behandlung „objektiv gerechtfertigt“ ist (EuGH, Rs. 106/83 Sermide, Slg. 1984, 4209, Rn. 28 ff.; Rs. 167/88 AGPB, Slg. 1989, 1653, Rn. 22 ff.; Rs. C-398/92 Mund & Fester, Slg. 1994, I-467, Rn. 17). Aus dieser Rechtsprechung wird oft abgeleitet, dass bei ĺmittelbaren Diskriminierungen die Möglichkeit der sachlichen Rechtfertigung der Diskriminierung,
also ein relatives Diskriminierungsverbot, besteht, während ĺoffene Diskriminierungen absolut untersagt sind (absolutes Diskriminierungsverbot). Der Wortlaut des Art. 12 EG normiert allerdings ein Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ohne die Möglichkeit der Rechtfertigung explizit zu erwähnen. Daher sollte auf der Tatbestandsebene differenziert werden: Eine mittelbare Diskriminierung liegt nur dann vor, wenn eine Regelung, die an einem anderen Differenzierungskriterium als dem der Staatsangehörigkeit ansetzt, tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führt, wie eine explizit am Staatsangehörigkeitskriterium anknüpfende Regelung. Wenn allerdings die Differenzierung nach diesem anderen Kriterium auf objektiven, rechtfertigenden Erwägungen beruht, liegt schon keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit vor. Für diese Prüfung ist bei einer offenen Diskriminierung, bei der die Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit, die als solche kein sachliches Differenzierungsmerkmal ist, im Tatbestand festgehalten ist, allerdings wohl kaum Raum, so dass im Ergebnis nur bei potenziellen mittelbaren Diskriminierungen eine objektive Rechtfertigung die Diskriminierung selbst ausschließen kann. So hielt es der EuGH in der Rs. C-209/03, Slg. 2005, I-2119, Rn. 57 (Bidar), also im Zusammenhang mit einer möglichen mittelbaren Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, grundsätzlich für legitim, dass eine Beihilfe zur Deckung der Unterhaltskosten der Studenten davon abhängig gemacht wird, dass die Studenten nachweisen, dass sie sich bis zu einem gewissen Grad in die Gesellschaft des Mitgliedstaats integriert haben. (fs) Lit.: A. Epiney, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 12 EGV, Rn. 37 ff.; G. Kuscko-Stadlmayer, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 42. Lfg. 2005, Art. 12 EGV, Rn. 32 f.
Diskriminierung, umgekehrte ĺInländerdiskriminierung Diskriminierung, unmittelbare direct discrimination – discrimination directe
Als unmittelbare Diskriminierung wird jede unsachliche Differenzierung verstanden, die ausdrücklich im Tatbestand an das jeweilige Unterscheidungsmerkmal, z.B. Staatsangehörigkeit, sexuelle Ausrichtung u.s.w., anknüpft. Eine solche Diskriminierung wird auch als for197
Diskriminierung, versteckte melle, direkte oder offene Diskriminierung bezeichnet und von der mittelbaren Diskriminierung (ĺDiskriminierung, mittelbare) unterschieden, wobei nach einhelliger Meinung beide vom Diskriminierungsverbot eingeschlossen sind. (fs) Lit.: A. Epiney, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 42. Lfg. 2005, Art. 12 EGV, Rn. 39
Diskriminierung, versteckte ĺDiskriminierung, mittelbare Diskriminierungsverbot, Arbeitnehmerfreizügigkeit ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung Diskriminierungsverbot, Begriff non-discrimination principle – principe de non-discrimination
Das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Art. 12 EG ist eine zentrale Regelung des ĺEG-Vertrags. Der in diesem Artikel aufgestellte Grundsatz der Nichtdiskriminierung stellt ein „Leitmotiv“ des Gemeinschaftsrechts dar, das sich auch in anderen Vorschriften, wie z.B. den in den ĺGrundfreiheiten enthaltenen ĺbesonderen Diskriminierungsverboten, wieder findet. Es ist Ausdruck des allgemeinem Gleichheitssatzes, der ein ungeschriebenes Prinzip des Gemeinschaftsrechts ist. Unter Diskriminierung im Sinne des Art. 12 EG ist jede unsachliche (ĺDiskriminierung, Rechtfertigung) Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit zu verstehen. Sowohl ĺoffene als auch ĺmittelbare Diskriminierungen sind erfasst. Die ĺInländerdiskriminierung oder ĺumgekehrte Diskriminierung unterfällt dagegen nicht dem allgemeinen Diskriminierungsverbot. Art. 12 EG ist unmittelbar anwendbar, d.h., seine Anwendung ist auch gegenüber entgegenstehendem innerstaatlichem Recht vorrangig. Die Vorschrift gibt dem Einzelnen ein Recht, das dieser vor innerstaatlichen Gerichten durchsetzen kann, weshalb das Diskriminierungsverbot auch als „Gemeinschaftsgrundrecht“ bezeichnet wird. Art. 12 EG ist allerdings nur unbeschadet besonderer Bestimmungen des Vertrages anwendbar. Besondere Bestimmungen sind dabei solche, die besondere Diskriminierungsverbote aufgrund der Staatsangehörigkeit 198
statuieren und so die allgemeine Regelung in Art. 12 EG konkretisieren. Insofern kann die Vorschrift aber als Auslegungshilfe für die besonderen Verbote herangezogen werden. Adressaten des Diskriminierungsverbots sind die ĺMitgliedstaaten und die Gemeinschaft und ihre Organe. Strittig ist, ob Art. 12 EG Drittwirkung entfaltet. Eine Bindung von Privaten wird teilweise angenommen, soweit sie eine den Staaten vergleichbare Machtposition haben, z.B. weil sie über Marktmacht verfügen. Der ĺEuGH hat die Bindung von Privatpersonen bisher lediglich für den Fall bejaht, dass eine generelle Rechtsetzungsbefugnis privater Verbände bestand (EuGH, Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921, Rn. 82 ff.). Berechtigte sind die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, also alle Unionsbürger. Auch juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts (Art. 48 EG) sind nach Art. 12 EG berechtigt. Angehörige von Drittstaaten können sich dagegen nicht auf das allgemeine Diskriminierungsverbot berufen, die zusätzliche Drittstaatenzugehörigkeit eines Unionsbürgers spielt allerdings keine Rolle. Der Anwendungsbereich des Art. 12 EG erstreckt sich auf den Anwendungsbereich des Vertrags. Dieser ist eröffnet, wenn eine gemeinschaftsrechtlich geregelte Situation vorliegt. Dafür reicht es aus, dass eine gemeinschaftsrechtliche Regelung für diesen Bereich existiert, die betreffende Vorschrift des EG-Vertrags muss nicht unmittelbar anwendbar sein. Im Zusammenhang mit der Ausübung der Grundfreiheiten reicht es demnach für die Anwendbarkeit des Art. 12 EG aus, wenn eine mitgliedstaatliche Vorschrift mittelbar die Ausübung der Grundfreiheiten betrifft. Bspw. ist nach dem EuGH eine Vorschrift, wonach ausländische Kläger verpflichtet sind, auf Verlangen des Beklagten Prozesskostensicherheit zu leisten, vom Anwendungsbereich des Vertrags erfasst, da sie „geeignet ist, die wirtschaftliche Betätigung der Wirtschaftsteilnehmer anderer Mitgliedstaaten auf dem Markt des betreffenden Staates zu beeinträchtigen.“ Daher unterliegt die entsprechende Vorschrift „zwangsläufig dem [...] allgemeinen Diskriminierungsverbot, ohne dass es noch erforderlich wäre, sie mit den besonderen Vorschriften [...] in Verbindung zu bringen“ (EuGH, Rs. C-43/95, Slg. 1996 I-4661, Rn. 13 f.). Neben den Grundfreiheiten ist ein weiterer wichtiger Anknüpfungspunkt für eine gemeinschaftsrechtlich geregelte Situation das in Art. 18 EG geregelte Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger (EuGH, Rs. C-184/99 Grzelczyk, Slg. 2001
Diskriminierungsverbot, grundrechtliches I-6193, Rn. 30). Jedenfalls vom Anwendungsbereich ausgenommen sind Sachverhalte ohne jeglichen Auslandsbezug. Abs. 2 des Art. 12 EG bestimmt, dass der Rat Regelungen für das Verbot von Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit treffen kann. Eine weitere Kompetenznorm, Vorkehrungen zur Bekämpfung von Diskriminierungen zu treffen, stellt Art. 13 EG, der Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung betrifft. Damit umfasst Art. 13 EG gegenüber Art. 12 zwar weitere Unterscheidungskriterien, ist aber nicht wie dieser unmittelbar anwendbar. Der Einzelne kann sich nicht auf Art. 13 EG berufen. (fs) §§: Art. 12 EG, Art. 13 EG Lit.: G. Kuscko-Stadlmayer, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 42. Lfg. 2005, Art. 12 EGV, A. Epiney, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 12 EGV Rsp.: EuGH, Rs. 293/83 Gravier, Slg. 1995, 539; EuGH, Rs. C-43/95, Slg. 1996 I-4661; EuGH, Rs. C-184/99 Grzelczyk, Slg. 2001 I-6193
Diskriminierungsverbot, Bezug zum Privatrecht non-discrimination principle, reference to private law – principe de non-discrimination concernant le droit privé
Zunächst sind auch im Bereich des Zivilrechts die unmittelbar geltenden primärrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen, nämlich Art. 12 EG und Art. 141 Abs. 1 und 2 EG, der den Grundsatz der gleichen Entlohnung von Männern und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit statuiert. Von dieser Regelung sind privatrechtliche Arbeitsverhältnisse direkt betroffen. Darüber hinaus sind die ĺGrundfreiheiten in ihrer Funktion als spezielle Diskriminierungsverbote zu beachten: Hinsichtlich der Personenverkehrsfreiheiten betreffen sie auch Privatrechtsverhältnisse (EuGH, C-281/98 Angonese, Slg. 2000, I-4139, Rn. 32 ff.). In diesem Fall hat der ĺEuGH aufgrund des Art. 39 EG die Einstellungsvoraussetzungen einer italienischen Sparkasse für unwirksam erklärt. Neben primärrechtlichen Vorgaben spielen Regelungen der Sekundärrechtsakte, wie die ĺAntidiskriminierungsrichtlinien und ihre Umsetzungsgesetze (ĺAntidiskriminierungsrichtlinien, Umsetzung), die sich auf Privatrechtsverhältnisse beziehen, eine große Rolle. Besonders das Arbeitsrecht ist durch die RL 2000/78/EG und RL 2002/73/EG betroffen. Durch die Ein-
beziehung des Zugangs zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen in den Geltungsbereich der RL 2000/43/EG und der RL 2004/113/EG wird durch diese auch das allgemeine Vertragsrecht direkt beeinflusst. Zwar können durch die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinien auf Angebote, die der Öffentlichkeit ohne Ansehen der Person zur Verfügung stehen, Geschäfte, bei denen eine persönliche Auswahl getroffen wird, ausgenommen werden, grundsätzlich sind jedoch auf Güter und Dienstleistungen gerichtete Angebote Privater von den Richtlinien erfasst. So gilt das Diskriminierungsverbot der Richtlinien z.B. für Privatpersonen, die durch ein Inserat Ware zum Kauf anbieten. Auch nicht umgesetzte Richtlinien können sich auf Privatrechtsverhältnisse auswirken. Wenn sie auch nicht horizontal (Drittwirkung) zwischen Bürgern anwendbar sind, so können sie doch als Maßstab bei der Auslegung nationalen Rechts (ĺAuslegung, richtlinienkonforme) dienen und unter bestimmten Voraussetzungen im Verhältnis zum Mitgliedstaat unmittelbar anwendbar (ĺAnwendbarkeit, unmittelbare) sein. Gegenüber Dritten ist eine nicht umgesetzte Richtlinie zwar nicht direkt anwendbar (EuGH, C-91/ 92 ĺFaccini Dori, Slg. 94, I-3325), kann aber „belastende Reflexwirkungen“ (Langenbucher/ Langenbucher § 1, Rn. 58) entfalten: der EuGH entschied, dass sich eine Partei eines Privatrechtsverhältnisses gegenüber der anderen Partei nicht auf eine einer Richtlinie widersprechenden Vorschrift berufen dürfe (EuGH, C443/98 Unilever, Slg. 2000, I-7535). (fs) §§: Art. 12 EG, Art. 13 EG, Art. 141 Abs. 1 und Abs. 2 EG, Art. 39 EG ff. Lit.: M. Gebauer/T. Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss: die richtlinienkonforme Auslegung des BGB und anderer Gesetze, 2005; K. Langenbucher (Hrsg.), Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2005; S. Leible/M. Schlachter (Hrsg.), Diskriminierungsschutz durch Privatrecht, 2006 Rsp.: EuGH, Rs. C-91/92 Faccini Dori, Slg. 1994, I3325; EuGH, Rs. C-443/98 Unilever, Slg. 2000, I-7535; EuGH, Rs. C-281/98 Angonese, Slg. 2000, I-4139
Diskriminierungsverbot, grundrechtliches non-discrimination – non-discrimination
Die ĺCharta der Grundrechte enthält im Kapitel „Gleichheit“ ein Diskriminierungsverbot als ĺGrundrecht. Dieses spezielle Gleichheitsgrundrecht verbietet unsachliche Benachteiligungen aus personsgebundenen Gründen. Beispielhaft genannt werden Geschlecht (s.a. Art. 23 GRC/Art. II-83 EVV zur Gleichheit von 199
Diskriminierungsverbot, urheberrechtlich Mann und Frau), Rasse, Hautfarbe, ethnische und soziale Herkunft, genetische Merkmale, Sprache, Religion, Welt- und sonstige Anschauung, Minderheitszugehörigkeit, Vermögen, Geburt, Behinderung, Alter, sexuelle Ausrichtung (Art. 21 Abs. 1 GRC/Art. II-81 Abs. 1 EVV). Eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist generell – abgesehen von besonderen Bestimmungen – im Anwendungsbereich der EU-Verfassung verboten (Art. 21 Abs. 2 GRC/Art. II-81 Abs. 2 EVV). Unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen sind verboten. Inhaltlich entspricht dies Art. 12 EG. Der Fall der ĺInländerdiskriminierung ist davon in der Regel nicht erfasst. Die Gleichheit von Männern und Frauen ist darüber hinausgehend zusätzlich grundrechtlich geschützt (Art. 23 GRC/Art. II-83 EVV): s. ĺGleichheit von Mann und Frau. S.a. ĺGleichheitssatz. (ed) §§: Art. 21, 23 GRC/Art. II-81, 83 EVV (allgemein Art. 80 ff. – Titel III GRC); Art. 12, 141 EG; ĺAntiDiskriminierungsRL; Art. 6 Abs. 2 EU; 14. ZP EMRK (als ĺGemeinschaftsgrundrecht) Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 25 f.; S. Hölscheidt, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 21; R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, 2006, 456 ff.
Diskriminierungsverbot, urheberrechtlich principle of non-discrimination in copyright law – principe de non-discrimination et les droits d’auteur
Das Diskriminierungsverbot (Art. 12 EG) gilt auch im Urheberrecht. Es ist daher nicht zulässig, den Urheberrechtsschutz (bzw. die verwandten Schutzrechte) für In- und Ausländer unterschiedlich auszugestalten, soweit es sich um Angehörige eines Mitgliedstaates handelt. Da das Diskriminierungsverbot absolut wirkt, ist eine unterschiedliche Behandlung auch keiner sachlichen Rechtfertigung zugänglich. Grundlegende Entscheidung in diesem Zusammenhang ist die ĺPhil Collins-Entscheidung. Soweit daher internationale Abkommen auf dem Gebiet des Urheberrechts vom Grundsatz der materiellen Reziprozität ausgehen, gilt dies nicht gegenüber Angehörigen der Mitgliedstaaten. Das Diskriminierungsverbot gilt auch dann, wenn der Urheber verstarb, bevor der EGV in seinem Heimatland in Kraft trat (EuGH, 6.6. 2002, Rs. C-360/00 Ricordi, Slg. 2002, I-05089). Eine mittelbare Diskriminierung liegt in der unterschiedlichen Behandlung aufgrund verschiedener Ursprungsländer, weil zwischen Ursprungsland und Staatsangehörigkeit typischer200
weise ein enger Zusammenhang besteht (EuGH 30.6.2005, Rs. C-28/04 Tod’s, Slg. 2005, I-05781). (js) §§: Art. 12 EG Lit.: M. M. Walter, in: ders., Europäisches Urheberrecht. Kommentar, 2001, Allg Teil, 2. Kap. m.w.N.; J. Schacherreiter, in: G. Kucsko (Hrsg.), UrhG-Kommentar, 2007, vor §§ 94-100 UrhG; U. Loewenheim, Gemeinschaftsrechtliches Diskriminierungsverbot und nationales Urheberrecht, NJW 1994, 1046
Diskriminierungsverbot, Kapitalverkehrsfreiheit principle of non-discrimination, free movement of capital – principe de non-discrimination, libre circulation des capitaux
Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit nach Art. 56 EG unterscheiden sich von den Personenverkehrsfreiheiten dadurch, dass sie tatbestandlich „alle“ Beschränkungen verbieten. Sie enthalten also kein spezifisches Diskriminierungsverbot, das etwa an der Staatsangehörigkeit anknüpfte. Ein Eingriff liegt daher nur vor, wenn eine Ungleichbehandlung eine Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Art. 56 EG darstellt (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Eingriff), was freilich in der Praxis meist der Fall sein dürfte. Obgleich auf tatbestandlicher Ebene nicht erkennbar, enthalten die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit dennoch ein Diskriminierungsverbot. Dieses ergibt sich aus Art. 58 Abs. 3 EG, der willkürliche Diskriminierungen und verschleierte Beschränkungen des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs verbietet. Der Begriff der willkürlichen Diskriminierung im Sinne des Art. 58 Abs. 3 EG wird vom EuGH stets negativ definiert; eine Ungleichbehandlung ist danach keine willkürliche Diskriminierung, wenn „die unterschiedliche Behandlung objektiv nicht vergleichbare Situationen betrifft oder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses [...] gerechtfertigt ist“ (EuGH, Rs. C-315/02 Lenz, Slg. 2004, I-7063, Rn. 27). In dogmatischer Hinsicht handelt es sich bei der Regelung des Art. 58 Abs. 3 EG um einen Ausschluss (sog. SchrankenSchranke) der in Art. 58 Abs. 1 und 2 EG genannten und, über den Wortlaut hinaus, auch der ungeschrieben Rechtfertigungsmöglichkeiten (ĺzwingende Gründe des Allgemeininteresses, Kapitalverkehrsfreiheit), die nicht diskriminierend angewandt werden dürfen (Rs. C213/04 Burtscher/Stauderer, Slg. 2005, I-10309, Rn. 44). Der Sache nach bedeutet die Regelung des Art. 58 Abs. 3 EG ein absolutes Verbot will-
Dividendenbesteuerung, Kapitalverkehrsfreiheit kürlicher Diskriminierungen. Besondere praktische Bedeutung hat es bei steuerrechtlichen Regelungen, die nach Wohn- oder Kapitalanlageort unterscheiden, erlangt (ĺUngleichbehandlung nach Wohn- oder Kapitalanlageort). (mk) §§: Art. 56, 58 Abs. 3 EG Lit.: C. Ohler, in: ders., Europäische Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 58 EG, Rn. 6 ff. und 31
Diskriminierungsverbot, Niederlassungsfreiheit ĺNiederlassungsfreiheit, Inländerbehandlung Diskriminierungsverbote, besondere specific prohibition of discrimination – règle spécifique de non-discrimination
Art. 12 EG greift nur „unbeschadet besonderer Bestimmungen“ ein, das heißt, soweit nicht besondere bzw. spezielle Diskriminierungsverbote anwendbar sind. Solche besonderen Diskriminierungsverbote sind in den Grundfreiheiten enthalten. Diese grundfreiheitlichen Diskriminierungsverbote sind in Art. 39 Abs. 2 EG, Art. 43 Abs. 2 EG und Art. 50 Abs. 3 EG normiert. Zu den Einzelheiten s. dort: ĺGrundfreiheiten; ĺArbeitnehmerfreizügigkeit; ĺNiederlassungsfreiheit; ĺDienstleistungsfreiheit. (fs) Dividendenbesteuerung, Kapitalverkehrsfreiheit taxation of dividends, free movement of capital – imposition des dividendes, libre circulation des capitaux
Dividenden als Ausschüttungen des Gewinns einer Gesellschaft an deren Anteilseigner unterliegen der Gefahr der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung. Dies ist bspw. der Fall, wenn die Gewinne einer Gesellschaft bereits der Körperschaftsteuer unterworfen werden, während die aus diesen – bereits versteuerten – Gewinnen gezahlten Dividenden bei ihren Empfängern auch einer Quellensteuer oder der Einkommenssteuer unterliegen. Da die unterschiedlichen Steuerpflichten nicht bei ein und demselben Steuerpflichtigen anfallen, liegt kein Fall der rechtlichen Doppelbesteuerung, sondern der wirtschaftlichen Doppelbelastung der Gesellschaftsgewinne bei unterschiedlichen Steuerpflichtigen vor. Die Mitgliedstaaten wirken dieser Doppelbelastung regelmäßig entgegen, indem sie z. B. den Beziehern der Dividenden eine Steuergutschrift in Höhe der bereits auf
die Gewinne entrichteten Körperschaftssteuer ausstellen (weitere steuerrechtliche Konstellation in: EuGH, Rs. C-446/04 Test Claimants in the FII Group Litigation/Commissioners of Inland Revenue, Slg. 2006, I-11753). Eine Regelung, wonach diese steuerliche Kompensation nur Steuerpflichtigen zugute kommt, die Dividenden von einer im Inland ansässigen Gesellschaft beziehen, verstößt dabei gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 EG. Denn eine solche Regelung macht es sowohl für die Anleger weniger attraktiv, ihr Kapital in Gesellschaften zu investieren, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, wie es auch für Gesellschaften das Sammeln von Kapital von Anlegern aus anderen Mitgliedstaaten erschwert (st. Rsp. EuGH, Rs. C-35/98 Verkooijen, Slg. 2000, I-4071, Rn. 34 f.; EuGH 6. 3. 2007, Rs. C-292/04 Meilicke, noch nicht in Slg., Rn. 23 f.; s.a. ĺKapitalverkehrsfreiheit, Eingriff). Der EuGH hat bislang derlei Ungleichbehandlungen weder im Hinblick auf Art. 58 Abs. 1, lit. a EG (ĺUngleichbehandlung nach Wohn- und Kapitalanlageort) noch als Regelungen zur Sicherung der ĺKohärenz des Steuersystems als gerechtfertigt angesehen. Zum einen sah er in den bislang entschiedenen Fällen die Situation derjenigen Steuerpflichtigen, welche Dividenden von ausländischen Gesellschaften beziehen, als objektiv vergleichbar mit jenen an, denen Dividenden von inländischen Gesellschaften gezahlt werden (instruktiv: EuGH, Rs. C-319/ 02 Manninen, Slg. 2004, I-7477, Rn. 34 ff.). Im Hinblick auf die Kohärenz des Steuersystems dürfen die Mitgliedstaaten zum anderen zwar das Ziel der Verhinderung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung verfolgen, eine Ungleichbehandlung hat der EuGH aber in keinem Fall als geeignet zur Verfolgung dieses Ziels angesehen. Zur Herstellung von Kohärenz bei der Verfolgung des Ziels der Beseitigung der Doppelbelastung ist es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes geboten, auf den Zusammenhang zwischen der von der ausschüttenden Gesellschaft gezahlten Körperschaftssteuer einerseits und der Gewährung eines Steuervorteils in derselben Höhe für den Dividendenbezieher andererseits abzustellen. Dieser Zusammenhang bleibt nur dann gewahrt, wenn der die Dividenden besteuernde Mitgliedstaat die auf die Gesellschaftsgewinne entrichtete Körpersteuer auch in den Fällen steuermindernd berücksichtigt, in denen die Körperschaftssteuer in einem anderen Mitgliedstaat entrichtet wurde (EuGH, Rs. C-446/04 Test Claimants in 201
DocMorris-Entscheidung (Arzneimittelrecht) the FII Group Litigation/Commissioners of Inland Revenue, Slg. 2006, I-11753, Rn. 93; EuGH 6. 3. 2007, Rs. C-292/04 Meilicke, noch nicht in Slg., Rn. 29). Eine Einnahmenkohärenz lehnt der EuGH als Rechtfertigungsgrund ab (EuGH, Rs. C-35/98 Verkooijen, Slg. 2000, I-4071, Rn. 59). Hingegen sind Mitgliedstaaten nicht verpflichtet die Doppelbelastung in- und ausländischer Dividendenbezieher mit denselben steuerrechtlichen Instrumenten zu gewährleisten; so können inländische Dividenden steuerbefreit werden, während auf ausländische ein Anrechnungsverfahren zur Anwendung kommt (EuGH, Rs. C-446/04 Test Claimants in the FII Group Litigation/Commissioners of Inland Revenue, Slg. 2006, I-11753, Rn. 48). (mk) DocMorris-Entscheidung (Arzneimittelrecht) DocMorris case (medical products) – jurisprudence Doc Morris (médicaments)
Mit seiner wegweisenden Entscheidung hat der ĺEuGH (Urteil vom 11.12.2003, Rs. C-322/01 DocMorris, Slg. 2003, I-14887) das deutsche Versandhandelsverbot für Arzneimittel nach § 43 AMG a.F. sowie ein entsprechendes Werbeverbot für unvereinbar mit der ĺWarenverkehrsfreiheit (Art. 28 EG) erklärt. Der EuGH hielt das Versandhandelsverbot nicht lediglich für eine bereits vom Tatbestand des Art. 28 ausgenommene Verkaufsmodalität. Der EuGH bejaht zwar eine Rechtfertigung aus Gründen des Gesundheitsschutzes nach Art. 30 EG, soweit verschreibungspflichtige Arzneimittel betroffen seien. Hinsichtlich nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sei das Verbot indes nicht zu rechtfertigen. Diese Entscheidung hat weitreichende Auswirkungen vor allem auf das ĺApothekerberufsrecht, namentlich den grenzüberschreitenden Handel mit Arzneimitteln und die ĺArzneimittelwerbung. (gär) §§: Art. 28, 30 EG Lit.: M. Gaßner, Europarechtliche Probleme des Arzneimittelversandhandels, PharmaR 2004, 342; B. Koch, Eine erste Bewertung der Entscheidung „DocMorris“ des EuGH, EuZW 2004, 50; C. Koenig/F. Meurer/ C. Engelmann, Das EuGH-Urteil „Deutscher Apothekenverband/DocMorris“, EWS 2004, 65; C. Lafontaine, National Law on Pharmacies and ist Non-Application by a Member State’s Public Authorities, ZEuS 2006, 301; C. Lenz, Warenverkehrsfreiheit nach der DocMorris-Entscheidung zum Versand von Arzneimitteln, NJW 2004, 332; R. Streinz, Das Verbot des Apothekenversandhandels mit Arzneimitteln, EuZW 2003, 37; ders., JuS 2004, 518 ff.
Doha, Entwicklungsagenda ĺEntwicklungsagenda von Doha 202
Dokumente ĺZugang zu Dokumenten Donckerwolcke-Entscheidung Donckerwolcke case – jurisprudence Donckerwolcke
Der Rs. D. lag ein von der französischen Zollbehörde eingeleitetes Strafverfahren gegen die Parteien Donckerwolcke und Schou zugrunde. Die Parteien waren als Kaufleute in Belgien ansässig und führten in den Jahren 1969 und 1970 Stoffe aus dem Libanon und Syrien nach Frankreich ein. Entscheidungswesentlich war, dass die betreffenden ĺWaren zuvor bereits in Belgien ordnungsgemäß in den freien Verkehr gebracht und mit belgischen Zollpapieren ausgestattet wurden. Dennoch verlangte die französische Zollbehörde zusätzliche Nachweise. Der ĺEuGH hatte sich daher mit der Frage auseinanderzusetzen, ob auch Waren mit Drittlandsursprung von Art. 23 EG umfasst sind. Dies hat er grundlegend bejaht. Die Gemeinschaft ist eine ĺZollunion, die sich auf den gesamten Warenaustausch zwischen den ĺMitgliedstaaten erstreckt. Die zur Liberalisierung des innergemeinschaftlichen Handels getroffenen Maßnahmen sind in gleicher Weise auch für Waren aus Drittländern in Geltung, die sich innerhalb der Gemeinschaft im freien Verkehr (s.a.ĺWare im freien Verkehr) befinden. (ah) Rsp.: EuGH, Rs. 41/76 Donckerwolcke, Slg. 1976, 1921, Rn. 14/21
Doppelabstützung Dieser Ausdruck meint in der deutschsprachigen Literatur die Abstützung eines Rechtsaktes der EG auf zwei zu unterschiedlichen Politikbereichen gehörenden Rechtsetzungskompetenznormen (z.B. Umweltpolitik als ĺQuerschnittsmaterie). Der ĺEuGH erachtet dies grundsätzlich als zulässig, wenn sich eine Maßnahme in gleicher Weise auf zwei Politikbereiche auswirkt und soweit die jeweiligen Verfahren miteinander vereinbar sind. Er fordert aber die Angabe objektiver, gerichtlich nachprüfbarer Gründe für Wahl der Kompetenznorm (Schwerpunkt der Maßnahme und objektive Sachnähe). In der Literatur ist die Doppelabstützung umstritten. So wird vertreten, sie sei zumindest dort auszuschließen, wo in den in den Betracht kommenden Handlungsbefugnissen unterschiedliche Verfahrensvorschriften vorgesehen sind oder aber sonstige Differenzierungen bestehen oder sich ergeben. Argumentiert wird mit dem
Doppelbestrafungsverbot, europäisches Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EG), zudem mit gemeinschaftsrechtlichen ĺQuerschnittsklauseln, die gerade dazu führten, dass verschiedene Sachbereiche in einer Maßnahme miteinander verbunden werden können. (sm) Lit.: A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 79, 81; J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 51 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-68/86 Vereinigtes Königereich/ Rat, Slg. 1988, 855, Rn. 4 ff.; EuGH, Rs. C-131/86 Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, 905, Rn. 11 ff.; EuGH, verb. Rs. C-164/97 und C-165/97 Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1999, I-1139
Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Double Tax Convention (DTC) – convention tendant à éviter les doubles impositions
Doppelbesteuerungsabkommen sind völkerrechtliche Verträge zwischen zwei Staaten. Durch Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) soll in erster Linie die „echte internationale Doppelbesteuerung (= juristische Doppelbesteuerung)“ vermieden werden. Unter einer solchen wird entsprechend dem Fiskalausschuss der OECD zum ĺOECD-Musterabkommen üblicherweise die Erhebung ƒ vergleichbarer Steuern in zwei (oder mehreren) Staaten ƒ von demselben Steuerpflichtigen ƒ für denselben Steuergegenstand und ƒ für denselben Zeitraum verstanden. In den Fällen einer „unechten internationalen Doppelbesteuerung (= wirtschaftliche Doppelbesteuerung)“ können die DBA vielfach keine Abhilfe schaffen. Die Vermeidung einer Doppelbesteuerung müsste hier durch unilaterale Maßnahmen ermöglicht werden. (pu) Doppelbestrafungsverbot, europäisches ne bis in idem principle – le principe ne bis in idem
Der Grundsatz „ne bis in idem“ verbietet eine mehrfache Bestrafung wegen derselben Tat. 1. Europäische Rechtsgrundlagen: Der Grundsatz „ne bis in idem“ ist vom ĺEuGH als Grundsatz des ĺGemeinschaftsrechts anerkannt worden. Für das Verhältnis der aller ĺMitgliedstaaten untereinander ist in Art. 54, 55 ff. SDÜ (ĺSchengener Durchführungsübereinkommen) ein durch die Rechtsprechung des EuGH zu konkretisierendes Doppelverfolgungsund -bestrafungsverbot verankert und durch
das ĺSchengen-Protokoll in das ĺUnionsrecht integriert. Weitgehend inhaltsgleiche Regelungen finden sich im EG-ne-bis-in-idemÜbereinkommen von 1987, das zwischen einzelnen der damaligen Mitgliedstaaten der EG vorläufige Anwendung findet. Der Grundsatz ist zudem in Art. 50 ĺGrundrechtecharta festgeschrieben (zu deren Bindungswirkung s. dort). 2. Voraussetzungen: Art. 54 SDÜ setzt das Vorliegen derselben Tat („idem“) sowie eine rechtskräftige Aburteilung durch einen Mitgliedstaat voraus und verlangt darüber hinaus (anders als Art. 50 Grundrechtecharta) für den Fall einer Verurteilung, dass die Strafe bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann. ƒ Tatidentität: Nach der zu Art. 54 SDÜ ergangenen Rechtsprechung des EuGH ist für Beurteilung, ob dieselbe Tat eines Täters vorliegt, maßgebend das Vorhandensein eines Komplexes zeitlich, räumlich sowie nach ihrem Zweck unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder dem geschützten Interesse (hingegen verlangt bei der EuGH der Beurteilung der Tatidentität im Kartellsanktionenrecht auch die Identität des geschützten Rechtsguts). Allein die Verbindung mehrer Taten durch einen einheitlichen Vorsatz zwingt noch nicht zur Annahme der Tatidentität. ƒ Rechtskräftige Aburteilung: Offen ist im Einzelnen noch, was als rechtskräftige Aburteilung i.S.d. Art. 54 SDÜ zu verstehen ist. Umfasst sind jedenfalls rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen und Freisprüche. Nicht zwingend muss es sich jedoch um ein gerichtliches Urteil handeln. Auch verfahrensbeendende Entscheidungen anderer, zur Mitwirkung an der Strafverfolgung berufener Behörden können einer erneuten Strafverfolgung entgegenstehen, wenn sie Ahndungswirkung haben und nach dem nationalen Recht die Strafklage dadurch endgültig verbraucht ist. Dies hat der ĺEuGH in dem Urteil Gözütok und Brügge für staatsanwaltschaftliche Verfahrenseinstellungen gegen Zahlung einer Geldauflage entschieden. Ebenso sind ein Freispruch wegen Verjährung oder aus Mangel an Beweisen als rechtskräftige Aburteilung anzusehen. Jedoch entfaltet ene rechtskräftige Aburteilung eines Täters keine Sperrwirkung für die Verfolgung eines Mittäters. 203
Doppelbestrafungsverbot, grundrechtliches ƒ
Vollstreckungselement: Eine Strafe ist auch dann i.S.d. Art. 54 SDÜ bereits vollstreckt oder wird gerade vollstreckt, wenn die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Eine auf eine spätere Vollstreckung der Haftstrafe anzurechnende kurzfristige Polizei- oder Untersuchungshaft führt hingegen nicht dazu, dass die Strafe als bereits vollstreckt gilt oder gerade vollstreckt wird. Ebenso wenig reicht es aus, dass der vorverurteilende Mitgliedstaat die Möglichkeit gehabt hätte, einen Vollstreckungshaftbefehl nach dem ĺRahmenbeschlusses über den ĺEuropäischen Haftbefehl zu erlassen.
3. Anwendungsbereiche: ƒ Strafverfolgung nach dem Recht mehrer Mitgliedstaaten: Bei Identität der Tat unter Zugrundelegung eines materiellen Tatbegriffs verbietet Art. 54 SDÜ unter den dargestellten Voraussetzungen eine Doppelverfolgung oder -bestrafung. ƒ Strafverfolgung (i.w.S.) auf Gemeinschaftsebene: Auf horizontaler Ebene des Gemeinschaftsrechts greift der eine erneute Sanktionierung verbietende allgemeine Rechtsgrundsatz insbesondere im Disziplinarrecht und im dezentral durch die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden vollzogenen Kartellsanktionenrecht der Gemeinschaft. ƒ Strafverfolgung (i.w.S.) nach Gemeinschaftsrecht und mitgliedstaatlichem Recht: Umstritten ist, ob der allgemeine Rechtsgrundsatz „ne bis in idem“ auch im Verhältnis der EG zu den Mitgliedstaaten eine erneute Strafverfolgung ausschließt, wenn sowohl gemeinschaftsrechtliches als auch mitgliedstaatliches Kartellsanktionenrecht einschlägig ist. Nach der Gegenansicht ist lediglich die bereits zuvor verhängte Sanktion anzurechnen ist. (sts) §§: Art. 54 ff. SDÜ Lit.: W. Schomburg, in: ders./O. Lagodny/S. Gleß (Hrsg.), Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, IV Art. 54 SDÜ; G. Dannecker/J. Biermann, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 2, VO 1/2003, Rn. 228 ff.; W. Bogensberger, Die Anwendung des transnationalen Ne-bis-in-idem-Prinzips in Europa – and the Oscar for the development of the standards goes to … the Court, in: R. Moos/U. Jesionek/O.-F. Müller (Hrsg.), Strafprozessrecht im Wandel. FS für R. Miklau, 2006, 91 ff.; F. Zeder, Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem) in der EU: Fragen, Fragen, Fragen – und einige Antworten, AnwBl. 2007, 454 ff. Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-187/01 und C-385/01 Gözütok und Brügge, Slg. 2003, I-1345; EuGH, Rs. C-469/ 03 Miraglia, Slg. 2005, I-2009; EuGH, Rs. C-436/04
204
Van Esbroeck, Slg. 2006, I-2333; EuGH, Rs. C-467/04 Gasparini u.a., Slg. 2006, I-9199; EuGH, Rs. C-150/05 Van Straaten, Slg. 2006, I-9327; EuGH, Rs. C-288/05 Kretzinger, Slg. 2007, I-6441; EuGH, Rs. C-367/05 Kraaijenbrink, Slg. 2007, I-6619; Kartellsanktionen: EuGH, Rs. C-204/00 Aalborg Portland u.a./Kommission, Slg. 2004, I-123
Doppelbestrafungsverbot, grundrechtliches ĺNe bis in idem Doppelhüllen double-side skin – des doubles coques
Durch die VO (EG) 417/2002 (ABl. 2002, Nr. L 64/1) zur beschleunigten Einführung von Doppelhüllen oder gleichwertigen Konstruktionsanforderungen für Einhüllen-Öltankschiffen erfolgte eine Anpassung des Gemeinschaftsrechts an internationale Standards. Die VO gilt für Öltankschiffe ab 5.000 Tonnen Tragfähigkeit, die, unabhängig davon, welche Flagge sie führen, in einen Hafen oder Vorhafen unter der Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaats einlaufen bzw. aus diesem auslaufen oder in einem Gebiet unter der Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaats vor Anker gehen oder die die Flagge eines MS führen. Sie gilt nicht für Kriegsschiffe, Flottenhilfsschiffe oder andere Schiffe, die Eigentum des Staates sind oder von diesem betrieben werden und die zurzeit nur für nicht gewerbliche staatliche Dienste eingesetzt werden. Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) hat im Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe und in dem dazugehörigen Protokoll von 1978 (ĺMARPOL 73/78) international vereinbarte Regeln betreffend die Konstruktion und den Betrieb von Öltankschiffen zur Verhütung der Meeresverschmutzung festgelegt. Die MS sind Parteien des MARPOL-Übereinkommens 73/78. Nach Art. 3 Abs. 3 des MARPOL-Übereinkommens 73/78 gilt jenes Übereinkommen nicht für Kriegsschiffe, Flottenhilfsschiffe oder andere Schiffe, die Eigentum eines Staates sind oder von diesem betrieben werden und nur für nicht gewerbliche staatliche Dienste eingesetzt werden. Aus den nach dem Schiffsalter aufgeschlüsselten Statistiken über Tankschiffsunfälle geht hervor, dass ältere Schiffe in höherem Maße unfallanfällig sind. Auf internationaler Ebene besteht Einigkeit darüber, dass die Annahme der 1992 beschlossenen Änderungen des MARPOLÜbereinkommens 73/78, welche die Anwendung der Anforderungen bezüglich der Dop-
Dreiecksgeschäft pelhülle oder einer gleichwertigen Konstruktion auf vorhandene Einhüllen-Öltankschiffe ab einem bestimmten Alter vorschreiben, einen besseren Schutz vor Ölunfällen bei einem Zusammenstoß oder einem Auflaufen dieser Öltankschiffe bieten. Soweit die in den Anwendungsbereich VO fallenden Öltankschiffen nicht mit gleichwertigen Konstruktionen ausgestattet sind, wird die Ausrüstung mit Doppelhüllen (gestaffelt) verpflichtend vorgeschrieben. Dabei wird nach Tonnage, Konstruktion und Alter hinsichtlich der Übergangsfristen differenziert. (sm) Doppelte Bindung ĺBindung, doppelte Doppelstaater, Unionsbürgerschaft double nationality, citizenship of the union – double nationalité, citoyenneté de l’Union
Je nach Situation wird der Status als Doppelstaater, einer Person mit zwei Staatsangehörigkeiten, von den Regelungen über die ĺUnionsbürgerschaft beeinflusst. Nach der ĺMicheletti-Rechtsprechung können sich Doppelstaater mit Staatsbürgerschaft eines EU- und eines Drittstaates uneingeschränkt auf die kraft Akzessorietät zur Staatsbürgerschaft des EU-Staates verliehenen ĺUnionsbürgerrechte berufen. Im Falle eines Doppelstaaters mit zwei Staatsangehörigkeiten von EU-Staaten kann sich der Doppelstaater im „eigenen“ Mitgliedstaat auch auf die „andere“ Staatsbürgerschaft berufen; insofern sind Fälle der ĺInländerdiskriminierung hier ausgeschlossen. S. auch die ĺAvello-Entscheidung zur Anwendung des allgemeinen Freizügigkeitsrechts (ĺFreizügigkeit, Unionsbürgerschaft) auf derartige Doppelstaater im Namensrecht. (ao) §§: Art. 17 EG Lit.: C. Sauerwald, Die Unionsbürgerschaft und das Staatsangehörigkeitsrecht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, 105 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-369/90 Micheletti, Slg. 1992, I-4239 (ĺMicheletti-Entscheidung), EuGH, Rs. C-148/02 Garcia Avello, Slg. 2003, I-11613 (ĺAvello-Entscheidung)
Douwe Egberts-Entscheidung Douwe Egberts case – jurisprudence Douwe Egberts
Das im belgischen Verfahren betroffene Unternehmen stellte Kaffee her und vertrieb ihn unter der Marke Douwe Egberts. Das Unternehmen wendete sich gegen das Inverkehrbringen
eines Konkurrenzprodukts mit der Behauptung, die gesundheitsbezogenen Angaben auf der Verpackung (z.B. entscheidender Durchbruch auf dem Gebiet der Gewichtskontrolle) würden gegen die nationalen Regelungen über die Werbung für Lebensmittel und über deren ĺEtikettierung verstoßen. Vor dem ĺEuGH war u.a. zu klären, ob die nationalen Vorschriften der RL 2000/13/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der ĺMitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ĺLebensmittelkennzeichnung) entgegenstanden bzw. mit Art. 28 EG unvereinbar waren. Nach Ansicht des EuGH sei die RL derart auszulegen, dass sie eine nationale Vorschrift verbiete, durch die Bezugnahmen auf ärztliche Empfehlungen, Bescheinigungen, Zitate oder Gutachten in der Etikettierung untersagt werden (Rn. 47). Ein generelles Verbot der Werbung unter Verwendung gesundheitlicher Angaben für eingeführte Lebensmittel sei mit Art. 28 EG nicht vereinbar. Die streitige nationale Regelung beschränkte nämlich den Zugang zum Markt für Lebensmittel, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt sowie vertrieben wurden, obwohl sie in Einklang mit der RL 2000/13/EG nicht irreführende gesundheitsbezogene Angaben enthielten. (ah) Rsp.: EuGH, Rs. C-239/02 Douwe Egberts, Slg. 2004, 7007
Dreiecksgeschäft triangulation, triangular transaction
Unter einem Dreiecksgeschäft versteht man ein ĺReihengeschäft, bei dem ƒ drei Unternehmer aus drei verschiedenen Mitgliedstaaten (Lieferer, Erwerber, Empfänger) mit ihren jeweiligen eigenen Umsatzsteueridentifikationsnummern ƒ über denselben Gegenstand ein Umsatzgeschäft abschließen und ƒ der Gegenstand unmittelbar vom ersten Unternehmer (Lieferer) an den letzten Unternehmer (Empfänger) gelangt; somit die Verfügungsmacht über die erworbenen Gegenstände entweder unmittelbar vom ersten Unternehmer (der die Gegenstände direkt an den letzten Unternehmer befördert oder versendet) oder vom ersten Abnehmer (Erwerber) dem letzten Abnehmer (Empfänger) verschafft wird. Lösung: Der erste Unternehmer (Lieferer) tätigt, sofern alle Voraussetzungen erfüllt sind 205
Dritte Säule eine echt steuerfreie ĺinnergemeinschaftliche Lieferung. Der mittlere Unternehmer (Erwerber) hätte nun normalerweise sowohl im Bestimmungsland (Land des letzten Unternehmers, = Erwerbers) einen ĺinnergemeinschaftlichen Erwerb zu versteuern (s. ĺOrt des innergemeinschaftlichen Erwerbs), als auch in seinem eigenen Land, weil er den Umsatz unter seiner nationalen Umsatzsteueridentifiaktionsnummer ausführt. Der letzte Unternehmer (Empfänger) hätte sodann nochmals einen innergemeinschaftlichen Erwerb zu versteuern. Damit es hier nicht zu einer mehrfachen Umsatzbesteuerung kommt sehen die Vereinfachungsvorschriften des Dreiecksgeschäfts vor, dass die Steuerschuld des mittleren Unternehmers im Bestimmungsland auf den letzten Unternehmer übergeht und somit rechtssystematisch unter den entsprechenden Voraussetzungen ein Fall des ĺReverse Charge vorliegt. Außerdem unterbleibt eine Besteuerung im Land des mittleren Unternehmers. Der letzte Unternehmer (Empfänger) hat sodann abschließend keinen (eigenen) innergemeinschaftlichen Erwerb zu versteuern, sondern schuldet vielmehr die Steuer aus dem innergemeinschaftlichen Erwerb des mittleren Unternehmers im Bestimmungsland des Gegenstandes (Sitz des letzten Unternehmers). Zur Inanspruchnahme dieser Vereinfachungsregelung sind von den beteiligten Parteien entsprechende Meldepflichten, insbesondere im Zusammenhang mit deren jeweiligen ĺzusammenfassenden Meldungen, zu beachten. (pu) §§: Art. 28c Teil E 6. MwStRL; Art. 25 öBMR (österr. Binnenmarktregelung)
EG (Vereinbarungen über ein Wechselkurssystem gegenüber Drittwährungen, über Währungsfragen, Devisenregelungen), Art. 133 EG (Handelsabkommen), Art. 149 Abs. 3, 150 Abs. 3 EG (Kooperation in [beruflicher] Bildung), Art. 164 lit. b EG (Forschungskooperation), Art. 170 EG (Forschungs- und Technologieabkommen), Art. 174 Abs. 4 EG (Umweltabkommen), Art. 177 Abs. 3 EG (Zusagen im Rahmen internationaler Organisationen), Art. 181 EG (Entwicklungszusammenarbeit), Art. 181a EG (wirtschaftliche, finanzielle und technische Zusammenarbeit), Art. 300 EG (allgemeine Abkommen), Art. 310 EG (Assoziierungsabkommen sowie implizite Außenkompetenzen). S. dazu: ĺAssoziierungsabkommen; ĺStabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA); ĺPartnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA); ĺHandelsabkommen; sektorielle Abkommen, die mit europäischen ĺZwergstaaten; ĺEFTA Ländern; ĺBalkanländern; ĺMittelmeer Staaten; ĺNeuen Unabhängigen Staaten; ĺAfrika-Karibik-Pazifik (AKP); ĺAsien; ĺLateinamerika; ĺNordamerika (USA und Kanada) geschlossen wurden. Gem. Art. 24 und 38 EU kommt auch der EU Vertragsschlußkompetenz zu. Die EU-MS untereinander schließen überdies ergänzende Abkommen (Art. 293 EG) wie z.B. Doppelbesteuerungsabkommen. (bb) Drittstaatsangehörige (freier Warenverkehr) ĺBerechtigte des freien Warenverkehrs Drittstaatsangehörige, „Kleine Freizügigkeit“ third country nationals – ressortissants de pays tiers
Dritte Säule ĺPolizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)
Drittstaatsangehörigen wird durch die ĺDaueraufenthaltsRL die sog. „Kleine Freizügigkeit“ zuerkannt. (bb) §§: RL 2003/109/EG, ABl. 2004, Nr. L 16/44
Dritter Weg, arbeitsrechtlicher ĺArbeitsrecht, religionsgemeinschaftliches Drittstaaten, sichere ĺSichere Drittstaaten Drittstaatsabkommen
Drittwirkung ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Verpflichtete; ĺDrittwirkung (freier Warenverkehr); ĺDrittwirkung von Richtlinien Drittwirkung (freier Warenverkehr)
Third Country Agreements – Accords avec des états tiers
third-party effect (free movement of goods) – effet vis-àvis des tiers (libre circulation des marchandises)
Die EG besitzt ĺRechtspersönlichkeit und schließt Abkommen mit Drittländern. Zu ihren Vertragsschlusskompetenzen gehören: Art. 111
Die Drittwirkung einer ĺGrundfreiheit bedeutet, dass auch Private durch die Grundfreiheit verpflichtet sein können. Für die ĺWarenver-
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Drogenausgangsstoffeverordnung kehrsfreiheit hat der ĺEuGH bislang eine Drittwirkung abgelehnt (z.B. Sapod Audic-Entscheidung Rn. 74), für andere Grundfreiheiten allerdings in der jüngeren Rsp. bejaht. (Angonese-Entscheidung). Hemmnisse für den ĺfreien Warenverkehr, die von Privatpersonen ausgehen, wie etwa Straßenblockaden, können aber ĺstaatliche Schutzpflichten auslösen. (ah) Lit.: P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 4.27 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-112/00 ĺSchmidberger, Slg. 2003, I-5659; EuGH, Rs. C-265/95 Kommission/Frankreich (ĺSpanische Erdbeeren), Slg. 1997, I-6959; EuGH, Rs. C-159/00 Sapod Audic, Slg. 2002, I-5031; EuGH, Rs. C-281/98 Angonese, Slg. 2000, I-4139
Drittwirkung von Richtlinien ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung Drittwirkung, grundrechtliche horizontal effect – effet horizontal/effet entre privés
Normalerweise verpflichten ĺGrundrechte den Staat, in Bezug auf europäische Grundrechte auch die EU und ihre Organe. Im Fall einer (rechtlich zu normierenden) Drittwirkung binden Grundrechte Private (Grundrechtswirkung inter privatos). EU-Grundrechte sehen eine direkte Drittwirkung weder allgemein vor, noch ist eine solche bei einzelnen Rechten anzunehmen (Ausnahme: vgl. das Recht auf gleiches Entgelt für Mann und Frau gem. Art. 141 EG). Privatpersonen sind nicht durch EUGrundrechte gebunden (keine unmittelbare Drittwirkung). Indirekt fließen Grundrechte allerdings schon auch in die übrige Rechtsordnung ein: Eine solche mittelbare Drittwirkung über die Auslegung von Generalklauseln, unbestimmte Gesetzesbegriffe wie etwa gute-Sitten-Bestimmungen sowie insb. über die Annahme grundrechtlicher ĺSchutzpflichten ist in der nationalen Grundrechtsdogmatik anerkannt. Auch manche Garantien der ĺCharta der Grundrechte geben Anlass zu berechtigten Zweifeln darüber, ob sie sich wirklich nur an den Staat als ausschließlich Grundrechtsverpflichteten richten sollen (vgl. das Verbot des reproduktiven ĺKlonens in Art. 3 GRC/Art. II-63 EVV). Wenn auch keine unmittelbare Drittwirkung anzunehmen ist, so machen gerade die ausschließlichen Verbotsbestimmungen der GRC nur über die Annahme einer mittelbaren Drittwirkung i.Z.m. begleitenden ĺSchutzpflichten Sinn.
In der Rsp. des EuGH spielen die Fragen der Drittwirkung oder auch ĺSchutzpflichten von Grundrechten allerdings bislang kaum eine Rolle. Zur Drittwirkung von ĺGrundfreiheiten vgl. EuGH, Rs. C-281/98 ĺAngonese, Slg. 2000, I-4139, Rn. 34 ff. (ed) Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 4, Rn. 17 ff.; R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, 2006, 162 ff.
Drogenaktionsplan (2005–2008) EU Drugs Action Plan (2005–2008) – Plan d’action drogue de l’Union européenne (2005–2008)
Der EU-Drogenaktionsplan (2005–2008) basiert auf den Vorgaben der EU-ĺDrogenstrategie 2005–2012. Er setzt zur Nachfragereduzierung und Angebotsreduzierung konkrete Vorgaben für zu verfolgende Ziele, dazu zu ergreifende Maßnahmen, den Zeitrahmen und die für die Durchführung zuständige Stelle sowie die Bewertungsinstrumente bzw. Indikatoren für die Umsetzung. (sts) §§: Mitteilung des Rates 2005/C 168/01, Abl. 2005, Nr. C 168/01
Drogenausgangsstoffeverordnung regulation on drug precursors – règlement relatif aux précurseurs de drogues
Die VO (EG) 273/2004 vom 11.2.2004 betreffend Drogenausgangsstoffe (ABl. 2004, Nr. L 47/1) stützt sich auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 95 EG und ersetzt die verschiedenen, teilweise fragmentierten früheren Regelungen in Bezug auf Drogenausgangsstoffe. Die Verordnung setzt innergemeinschaftlich Vorgaben des Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (United Nations Convention against Illicit Traffic in Narcotic Drugs and Psychotropic Substances) vom 20.12.1988 (BGBl. II 1136/1993) um. Die Verordnung ist nach Art. 18 am 18.8.2005 in Kraft getreten. 1. Zweck der Verordnung: Zweck der Verordnung ist ausweislich Art. 1, einheitliche Maßnahmen zur innergemeinschaftlichen Kontrolle und Überwachung bestimmter, häufig zur unerlaubten Herstellung von Suchtstoffen oder psychotropen Substanzen verwendeter Stoffe festzulegen, um zu verhindern, dass derartige Stoffe abgezweigt werden. 2. Das Grundstoffverkehrsrecht: Das Herzstück der Verordnung besteht in der Etablierung 207
Drogenhandel, strafrechtliche Bekämpfung des illegalen eines strikten Genehmigungsregimes, das über entsprechende Erklärungs- und Nachweispflichten zudem die Verbringungspfade der Drogenausgangsstoffe, die gesondert zu kennzeichnen sind (Art. 7), transparent halten soll. Wirtschaftsbeteiligte, die von der Verordnung erfasste Stoffe besitzen, in Verkehr bringen oder erwerben wollen, bedürfen einer entsprechenden Genehmigung und müssen einen besonderen Beauftragten als Verantwortlichen benennen (vgl. im Einzelnen Art. 3). Vom Erwerber erfasster Stoffe ist eine Verwendungserklärung zu verlangen (Art. 4). Alle das Inverkehrbringen betreffenden Vorgänge sind entsprechend Art. 5 zu dokumentieren. Wirtschaftsbeteiligte unterliegen zudem Meldepflichten über auffällige Vorgänge (Art. 8). 3. Behördliche Durchsetzung: Um die ordnungsgemäße Anwendung der vorgenannten Bestimmungen über das Inverkehrbringen zu gewährleisten, erlässt jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen, um den zuständigen Behörden die Wahrnehmung ihrer Kontroll- und Überwachungsaufgaben zu ermöglichen (Art. 10). Namentlich betrifft dies folgende Befugnisse: ƒ Auskunft über jede Bestellung erfasster Stoffe oder über jeden Vorgang mit erfassten Stoffen zu erhalten, ƒ die Geschäftsräume der Wirtschaftsbeteiligten zu betreten, um Beweise für Unregelmäßigkeiten zu sichern, ƒ erforderlichenfalls Sendungen, die gegen diese Verordnung verstoßen, zu beschlagnahmen. Art. 11 konkretisiert Art. 10 EG und betont Kooperationspflichten zwischen Kommission und Mitgliedstaaten. Art. 12 verpflichtet die Mitgliedstaaten im Rahmen der so genannten Anweisungskompetenz der Gemeinschaft, Verstöße gegen die sich aus der Verordnung ergebenden Pflichten zu sanktionieren. 4. Zweifelhafte Rechtsgrundlage: Diese Zielsetzung dient – schon vor dem Hintergrund des umgesetzten Völkerrechts – erkennbar nicht der Beseitigung von Beeinträchtigungen des Binnenmarktes, sondern der Verhinderung der Erzeugung von unerlaubten Suchtstoffen und psychotropen Substanzen (vgl. Erwägungsgrund 17), also letztlich dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Dies bestätigen auch die inhaltlichen Vorgaben der Richtlinie, die nicht darauf gerichtet sind, bestimmte Qualitätsstandards im Interesse der grenzüberschreitenden Verkehrsfähigkeit 208
herzustellen. Vielmehr zielt das Genehmigungs- und Dokumentationsregime darauf ab, die Gefahr einer „Versickerung“ von Grundstoffen zur Herstellung von Rauschgift zu reduzieren. Gemessen an der Rechtsprechung des EuGH, der zur Abgrenzung der Rechtsgrundlagen auf den objektiven Hauptzweck des erlassenen Rechtsakts abstellt (s. z.B. EuGH, Rs. C-376/98 Deutschland/Rat, Slg. 2000, I-2247/8419, Rn. 83 ff.; eingehend W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert [Hrsg.], Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 95 EGV, Rn. 74, mit zahlreichen Nachweisen), erscheint daher die herangezogene Rechtsgrundlage des Art. 95 EG gerade in Abgrenzung zu der qualifizierten Anforderungen unterliegenden Bestimmung des Art. 154 Abs. 4 Satz 1 lit. c EG mehr als zweifelhaft. (gär) §§: Art. 95 EG; VO (EG) 273/2004
Drogenhandel, strafrechtliche Bekämpfung des illegalen drug trafficking, combating illicit – le trafic de drogue, la lutte contre
Teil der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Gem. Art. 29 Abs. 2 EU wird sie im Wege einer engeren Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden und der Annäherung der Strafvorschriften verfolgt; letztere erfolgt mit dem Rahmenbeschluss 2004/757/JI zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels. Der ĺRahmenbeschluss ƒ definiert die erfassten Drogen und Grundstoffe unter Verweis auf internationale Übereinkommen (Art. 1); ƒ stellt Mindestvorschriften für die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen auf, deren vorsätzliche Begehung ohne entsprechende Berechtigung durch das mitgliedstaatliche Recht unter Strafe zu stellen ist (Art. 2). Unter Strafe zu stellen sind auch Anstiftung, Beihilfe sowie – mit Einschränkungsmöglichkeiten – der Versuch dieser Taten (Art. 3); ƒ verlangt wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen (Art. 4) (ĺMindesttrias der Sanktionen). Die Strafandrohung für die vorsätzliche Begehung muss im Höchstmaß mindestens ein bis drei Jahre Freiheitsstrafe betragen (sog. Mindesthöchststrafe). Für besonders benannte schwere Taten wer-
Dualistisches System den höhere Mindesthöchststrafen verlangt. Die Einziehung der Tatmittel, Tatwerkzeuge, Erträge und bzw. entsprechender Vermögenswerte ist zu ermöglichen. Im Falle tätiger Reue kann die Möglichkeit einer Strafmilderung zugelassen werden (Art. 5); ƒ setzt Vorgaben für die Verantwortlichkeit einer juristischen Person (Art. 6), für die ebenfalls wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verlangt werden (Art. 7). Voraussetzung ist eine zu Gunsten der jP begangene Straftat i.S.d. Art. 2 und 3 des RB. Eine Verantwortlichkeit der jP kann entweder durch Zurechnung des Verhaltens eines Entscheidungsträgers oder durch Organisationsverschulden begründet werden. Bei Verantwortlichkeit aufgrund der Zurechnung des eigenen Verhaltens einer vertretungs-, entscheidungs- oder kontrollbefugten Person sind strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Geldsanktionen vorzusehen; darüber hinaus können andere Sanktionen bis hin zur richterlich angeordneten Auflösung vorgesehen werden. Bei Verantwortlichkeit aufgrund mangelnder Überwachung und Kontrolle der juristischen Person unterstellter Personen durch eine vertretungs-, entscheidungs- oder kontrollbefugte Person sind wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen gefordert. Konkrete Vorgaben hierfür sind aber nicht enthalten; ƒ macht Vorgaben für das Strafanwendungsrecht (Art. 8). Der Rahmenbeschluss war bis zum 12.5.2006 durch die Mitgliedstaaten umzusetzen. Die Entschließung des Rates vom 20.12.1996 über die Ahndung von schweren Straftaten im Bereich des unerlaubten Drogenhandels ist durch den Rahmenbeschluss hinfällig. Die Gemeinsame Maßnahme 96/750/JI vom 17.12.1996 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften und der Verfahren der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Bekämpfung der Drogenabhängigkeit und zur Verhütung und Bekämpfung des illegalen Drogenhandels hingegen enthält zahlreiche weiterhin relevante Vorgaben für die Zusammenarbeit der Polizei-, Justiz- und Zollbehörden bei der Bekämpfung des Drogenhandels. Die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels ist – eingebettet in das ĺHaager Programm (Pkt. 2.8) – wesentlicher Teil der EU-ĺDrogenstrategie 2005–2012 und des in deren Rahmen beschlossenen EU-ĺDrogenaktionsplans (2005–2008). (sts)
§§: Rahmenbeschluss 2004/757/JI vom 25.10.2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels, ABl. 2004, Nr. L 335/8; Gemeinsame Maßnahme 96/750/JI vom 17.12.1996 – vom Rat aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften und der Verfahren der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Bekämpfung der Drogenabhängigkeit und zur Verhütung und Bekämpfung des illegalen Drogenhandels, ABl. 1996, Nr. L 342/6; Entschließung des Rates vom 20.12.1996 über die Ahndung von schweren Straftaten im Bereich des unerlaubten Drogenhandels, ABl. 1997, Nr. C 010/3 Lit.: B. Hecker, Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. 2007, § 11, Rn. 68 ff.
Drogenstrategie (2005–2012) EU Drugs-Strategy (2005–2012) – Stratégie antidrogue de l’UE (2005–2012)
Der EU-Drogenstrategie 2005–2012 ist eine Querschnittsmaterie, die sich wesentlich auf die Kompetenz zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels (ĺDrogenhandel, strafrechtliche Bekämpfung des), aber auch etwa auf die Beitragskompetenz der Europäischen Gemeinschaft zur Gesundheitspolitik stützt. Sie basiert in ihrer Ausgestaltung auf dem ĺHaager Programm (Pkt. 2.8). Ihre Ziele sind die Nachfragereduzierung und die Angebotsreduzierung. Dazu sollen die internationale Zusammenarbeit und Forschung sowie Information und Evaluierung verbessert werden. In ihr werden der Rahmen und die Prioritäten als Grundlage zweier ĺDrogenaktionspläne (2005–2008; 2009–2012) der EU mit jeweils vierjähriger Laufzeit festgelegt. Die Koordinationsfunktion zur Umsetzung der Drogenstrategie obliegt der ĺHorizontalen Gruppe „Drogen“ (HDG). (sts) §§: Ratsdok. 15074/04 vom 22.11.2004
Drogensucht ĺEuropäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht DSB ĺStreitbeilegungsgremium Dual use ĺAusfuhrkontrolle Dualistisches System dualistic system – système dualiste
Form der Organisationsverfassung einer juristischen Person, welche Geschäftsführung und 209
Dublin II-Verordnung Kontrolle zwei institutionell getrennten Organen (Vorstand, Aufsichtsrat) zuweist. Im nationalen (Kapital-)Gesellschaftsrecht Kontinentaleuropas ist dieses System vorherrschend. Im Gegensatz dazu kennt das ĺmonistische System (welches bei den ĺsupranationalen Gesellschaftsformen ĺSocietas Europaea (SE) und ĺSocietas Cooperativa Europaea (SCE) wahlweise zur Verfügung steht) nur ein einheitliches Verwaltungsorgan (ĺVerwaltungsrat bzw. „board“). (tr) Dublin II-Verordnung Dublin II regulation – règlement Dublin II
Die VO (EG) 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. 6.2.2003, Nr. L 50/1), schafft ein einheitliches Zuständigkeitssystem der EUMitgliedstaaten für den Bereich des Asylrechts. Die Verordnung löst das ĺDubliner Übereinkommen vom 15.6.1990 ab. Durchführungsbestimmungen zur VO (EG) 343/2003 sind in der VO (EG) 1560/2003 enthalten. Anhand des einheitlichen europäischen Zuständigkeitssystems soll festgelegt werden, welcher EU-Mitgliedstaat für die Behandlung eines Asylantrages zuständig ist. Damit soll einerseits eine Abschiebung von Asylwerbern in einen anderen EU-Mitgliedstaat (sog. „refugee in orbit“), andererseits eine Vermehrfachung von Asylverfahren in mehreren EU-Mitgliedstaaten (sog. ĺasylum shopping) verhindert werden. In einer Rangfolge von Kriterien wird die Zuständigkeit in den Art. 5 ff. festgelegt, wobei von jener Situation ausgegangen wird, die zum Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylantrag erstmalig gestellt wird. Handelt es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, grundsätzlich für die Prüfung des Antrags zuständig (Art. 6). Hat der Asylbewerber einen Familienangehörigen, dem die Flüchtlingseigenschaft in einem Mitgliedstaat bereits gewährt wurde, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig (Art. 7). Für den Fall dass ein Asylbewerber in einem Mitgliedstaat einen Familienangehörigen hat, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde, so obliegt diesem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags (Art. 8). Besitzt der Asyl210
bewerber einen gültigen Aufenthaltstitel oder ein gültiges Visum, so ist jener Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel bzw. das Visum ausgestellt hat, zuständig (Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2). Wenn der Asylbewerber mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten besitzt, so ist der Mitgliedstaat, der den längsten Aufenthaltstitel erteilt hat, zuständig (Art. 9 Abs. 3 lit. a), oder bei gleicher Gültigkeitsdauer jener Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat (Art. 9 Abs. 3 lit. b). Handelt es sich um nicht gleichartige Visa, so ist die gleiche Reihenfolge (längste Gültigkeitsdauer, zuletzt ablaufendes Visum) anzuwenden (Art. 9 Abs. 3 lit. c). Hat ein Asylwerber aus einem Drittstaat kommend die Grenze eines Mitgliedstaates illegal überschritten, so ist grundsätzlich dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig (Art. 10 Abs. 1); hat sich der illegal eingereiste Asylwerber jedoch ununterbrochen mindestens fünf Monate in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten, so ist dieser zuständig (Art. 10 Abs. 2). Reist ein Drittstaatsangehöriger in einen Mitgliedstaat ein, in dem für ihn kein Visumzwang besteht, so ist dieser Mitgliedstaat zuständig (Art. 11 Abs. 1). Kommt keines dieser Kriterien für die Bestimmung der Zuständigkeit zur Anwendung, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig (Art. 13). Des weiteren kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist, sofern die betroffenen Personen zustimmen (Art. 15). Der für die Prüfung des Antrages zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet, den Asylwerber aufzunehmen sowie das Verfahren abzuschließen (Art. 16 Abs. 1 lit. a). (gt) (jw) §§: VO (EG) 343/2003 Lit.: K. Hailbronner, Asylum Law in the Context of a European Migration Policy, in: N. Walker (ed.), Europe’s Area of Freedom, Security and Justice, 2004, 41 (7478); C. Filzwieser/B. Liebminger, Dublin II-Verordnung: das Europäische Asylzuständigkeitssystem, 2. Aufl. 2006; S. Peers, EU Justice and Home Affairs Law, 2006, 320 ff.; C. Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin-II-VO – Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex 2007, 18
Dublin-Deskriptoren ĺEuropäischer Hochschulraum
Durchführungsrechtsetzung Dublin-System ĺDublin II-Verordnung (VO [EG] 343/2003) Dubliner Übereinkommen Dublin Convention – Convention de Dublin
Das Dubliner Übereinkommen vom 15.6.1990 ist ein völkerrechtlicher Vertrag und enthält gem. Art. 63 Z. 1 lit. a EG „Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsbürger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat“. Das Übereinkommen schuf damit ein einheitliches europäisches Zuständigkeitssystem für die Behandlung von Asylanträgen, mit dem das sog. ĺasylum shopping, also die Weiterwanderung von Asylwerbern innerhalb der EU, unterbunden werden sollte. Per 1.9.2003 ist das Dubliner Übereinkommen durch die VO (EG) 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in dem Mitgliedstaat gestellten Asylantrag zuständig ist (ABl. 6.2.2003, Nr. L 50/1), vollständig ersetzt worden (s. näher ĺDublin II-Verordnung). (gt) (jw) Lit.: C. Schmid/R. Bartels, Handbuch zum Dubliner Übereinkommen, 2001; D. Kugelmann, Einwanderungs- und Asylrecht, Rn. 32-36, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1827
Duphar-Entscheidung Duphar case – jurisprudence Duphar
Der ĺEuGH bekräftigte in seinem bereits 1984 ergangenen Urteil in der Rechtssache „Duphar“, dass die Grundfreiheiten grundsätzlich und uneingeschränkt auch für den Bereich der sozialen Sicherheit gelten. In der Rechtssache „Duphar“ ging es um eine Negativliste für Medikamente. Eine solche Negativliste für Medikamente bedeute jedoch einen gravierenden Markteingriff, der nur rechtmäßig sei, so lange ausländische Marktteilnehmer nicht diskriminiert werden. Ansonsten lässt das Gemeinschaftsrecht die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt, ihre Systeme der sozialen Sicherheit auszugestalten. (dh) Rsp.: EuGH, Rs. 238/82 Duphar, Slg. 1984, 523
Durchführung von Richtlinien ĺRichtlinien, Umsetzung, Allgemeines
Durchführungsbefugnisse, Übertragung von implementing powers, transfer – compétences d’exécution, transfert
Gem. Art. 202 3. SpS EG überträgt der Rat der ĺKommission die Durchführungsbefugnisse der von ihm erlassenen Vorschriften. Spiegelbildlich verpflichtet Art. 211 4. SpS EG die Kommission zur Ausübung der ihr vom Rat übertragenen Durchführungsbefugnisse. Der Rat kann die Modalitäten für die Ausübung der Durchführungsbefugnisse festlegen (Art. 202 3. SpS EG) und hat von diesem Recht im ĺKomitologiebeschluss Gebrauch gemacht. (bho) §§: Art. 202 EG; Art. 211 EG Lit.: J. C. Wichard, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 202 EGV, Rn. 5 ff.; P. Craig/G. de Búrca, EU Law – Text, Cases and Materials, 3. Aufl. 2003, 150 ff.
Durchführungsrechtsakt, Durchführungsrechtsetzung implementing act – acte d’exécution
Rechtsakt (z.B. in Form einer ĺRichtlinie oder ĺVerordnung), der einen im europäischen Legislativverfahren zustande gekommenen ĺBasisrechtsakt näher konkretisiert. Die vertraglichen Rechtsetzungsverfahren (Art. 250 bis 252 EG) sind nicht anwendbar. Der D. wird von der ĺKommission unter Mitwirkung unterschiedlich zusammengesetzter sog. Komitologieausschüsse erlassen. Die ĺDurchführungsrechtsetzung ist eigenen Regeln unterworfen (vgl. auch ĺKomitologie). Die D. sind als abgeleitetes Recht gegenüber Basisrechtsakten und im Verhältnis zum ĺSekundärrecht und ĺPrimärrecht nachrangig. (sk) Durchführungsrechtsetzung delegated legislation – exercice du pouvoir d’exécution
Es handelt sich um eine spezielle Form der europäischen Rechtsetzung. Die ĺDurchführungsrechtsakte werden nicht wie das sonstige ĺSekundärrecht durch den ĺRat bzw. durch Rat und ĺParlament gemeinsam in einem gem. Art. 250 bis 252 EG festgelegten Rechtsetzungsverfahren erlassen, sondern nach eigenen Verfahrensregeln durch die ĺKommission in ihrer Eigenschaft als europäische Exekutivbehörde. Rechtsgrundlage für die Zuständigkeit und die Übertragung von Durchführungskompetenzen auf die Kommission sind Art. 202 EG und Art. 211 EG. Gem. Art. 202 3. SpS EG überträgt der Rat der Kommission in den von ihm angenommenen Rechtsakten Befugnisse 211
Durchführungsrechtsetzung zu deren Durchführung. Nach Art. 211 4. SpS EG übt die Kommission diejenigen Befugnisse aus, die ihr der Rat zur Durchführung der von ihm erlassenen Vorschriften übertragen hat. Der europäische Gesetzgeber (Rat bzw. im ĺMitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG Rat und Parlament gemeinsam) legt also in seinen Rechtsakten (ĺBasisrechtsakt) neben der Regelung allgemeiner Grundsätze nach Art und Umfang fest, wie diese von der Kommission im anschließenden Durchführungsverfahren näher konkretisiert werden sollen. Handlungsformen sind ĺRichtlinien oder ĺVerordnungen, d.h. anhand der Bezeichnung ist ein Durchführungsrechtsakt nicht von sonstigem Sekundärrecht zu unterscheiden. Im Vorspann eines Rechtsaktes (Erwägungsgründe) ist aber herauszulesen, ob dieser direkt auf einer vertraglichen Grundlage beruht oder ob es sich um die Durchführung eines Sekundärrechtsaktes handelt. Hintergrund für dieses System ist auch die in den Mitgliedstaaten weit verbreitete Praxis, dass der Gesetzgeber in von ihm beschlossenen Gesetzen (weitere) Rechtsetzungsbefugnisse an die Organe der Exekutive (z.B. an mitgliedstaatliche Regierungen oder einzelne Ministerien) delegiert, damit diese nähere Details festlegen. Die nationalstaatlichen Parlamente übertragen dabei regelmäßig Befugnisse in großem Umfang. Dies dient der Entlastung und Entschlackung des aufwändigen und sperrigen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens. Angesichts zunehmender Komplexität der Regelungsmaterien haben die gesetzgebenden Körperschaften weder das Interesse, noch sehen sie sich zum Erlass sämtlicher Detailregelungen in der Lage. Ferner verfügen die nationalstaatlichen Exekutivebehörden über weit mehr Sachkenntnis als parlamentarische Abgeordnete, die durch einen vergleichsweise kleinen wissenschaftlichen Mitarbeiterstab unterstützt werden. Weiterer Vorteil der D. ist die flexible und schnellere Reaktion auf Veränderungen, da eine elastische Anpassung an technische und wissenschaftliche Entwicklungen ermöglicht wird. Das System der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen hat sich auch in der EU fest etabliert. Während der Rat bzw. Rat und Parlament jährlich rund 300 Rechtsakte erlassen, gehen auf die Kommission etwa 3.000 Durchführungsrechtsakte zurück. Die Mehrheit dieser Kommissionsmaßnahmen kommt unter Mitwirkung von rund 300 Komitologieauss212
chüssen zustande, die sich aus mitliedstaatlichen Delegierten und einem Vertreter der Kommission zusammensetzen. Dadurch erhalten Rat und Mitgliedstaaten zusätzliche Mitwirkungs- und Kontrollrechte. Grundsätzlich richtet sich das Verfahren nach dem ĺKomitologiebeschluss 1999/468/EG in der Fassung des Ratsbeschlusses 2006/512/EG (vgl. ĺKomitologie, Komitologieverfahren), wenn nicht für einzelne Politikbereiche Abweichendes gilt. Eine weitere europäische Besonderheit ist, dass sich der Rat gem. Art. 202 3. SpS EG in spezifischen Fällen vorbehalten kann, Durchführungsbefugnisse auch selbst auszuüben. Parlament und Kommission sind hier nicht an der Rechtsetzung beteiligt. Die Art. 202 und 211 EG regeln keine Einzelheiten der D. und machen keine Angaben zu Umfang und Grenzen der Übertragung von Durchführungsbefugnissen. Seit den 1960er Jahren haben sich aber in der Praxis Grundsätze etabliert, wobei auch die Rsp. des EuGH zur Entwicklung von Delegationskriterien beigetragen hat. Negativ formuliert sind Durchführungsregelungen solche, die keine Fragen von wesentlicher Bedeutung darstellen und keine Verlagerung von grundsätzlich politischen Entscheidungsbefugnissen auf die Kommission bewirken (Wesentlichkeitskriterium). Nach Ansicht des EuGH müssen die wesentlichen Grundzüge der zu regelnden Materie in dem im Vertrag vorgesehen Verfahren festgelegt werden (EuGH, Rs. 25/70, Köster, Slg. 1970, 1161). Dabei wird der Begriff der wesentlichen Grundzüge eng gefasst, was zusätzlich zur Ausweitung der D. beiträgt. Zu den wesentlichen Grundzügen eines Regelungsbereiches zählen etwa (nur) die Vorschriften zur Umsetzung der Grundzüge einer gemeinschaftlichen Politik (EuGH, Rs. 240/60 Deutschland/Kommission, Slg. 1992, I-5383). Zwar fallen typischerweise eher untergeordnete, technisch geprägte Materien in den Bereich der D., allerdings wird der Begriff „Durchführung“ in der Praxis weit ausgelegt, so dass viele Themen für eine Übertragung auf die Kommission in Frage kommen können. Wenn außerdem – was rechtlich zulässig ist – in dem Basisrechtsakt Umfang und Grenzen der D. nicht näher festgelegt werden, verfügt die Kommission zusätzlich über einen weiten Gestaltungsspielraum, wie sie die Details im Einzelnen ausgestalten möchte. Zum Teil werden auch bedeutende Regelungsmaterien delegiert. Als in den 90er Jahren Entscheidungen im Zusammenhang mit der Bekämp-
Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts fung von BSE oder etwa die Zulassung von gentechnisch verändertem Mais und Soja getroffen wurden, geriet die D. stark in den Blick der Öffentlichkeit. Im europäischen Rechtsetzungsprozess führt die Frage, wo im Einzelnen die Grenze zwischen Grund- und Durchführungsregelungen verläuft, häufig zu Konflikten. Dies berührt insbesondere die Frage, für welche Regelungsbereiche einerseits Rat bzw. Rat und Parlament oder andererseits Kommission (unter Beteiligung der Komitologieausschüsse) zuständig sind. Praktisch seit den Anfängen der EG, insbesondere aber mit Einführung des ĺMitentscheidungsverfahrens nach Art. 251 EG, wodurch das Parlament als gleichberechtigter Mitgesetzgeber neben den Rat getreten ist, ist die D. von Auseinandersetzungen zwischen Parlament, Rat und Kommission geprägt (vgl. ĺKomitologie). (sk) §§: Art. 202, 211 EG; Komitologiebeschluss 1999/468/ EG, ABl. 1999, Nr. L 184/23; Ratsbeschluss 2006/512/ EG, ABl. 2006, Nr. L 2006/11 Lit.: M. Andenas/A. Türk (Hrsg.), Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000; S. Knemeyer, Das Europäische Parlament und die gemeinschaftliche Durchführungsrechtsetzung, 2003; G. Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996
Durchführungsverbot standstill clause – clause de suspension
Das in Art. 88 Abs. 3 EG verankerte Durchführungsverbot sieht vor, dass ein Mitgliedstaat eine anmeldungspflichtige Beihilfe nicht durchführen darf, bevor die ĺKommission eine Genehmigungsentscheidung erlassen hat oder die Beihilfe als genehmigt gilt (Art. 3 VO [EG] 659/ 1999). Das Durchführungsverbot soll die Einhaltung der ĺNotifikationspflicht durch die Mitgliedstaaten sichern. Die Mitgliedstaaten sind dabei nicht nur verpflichtet, eine geplante Beihilfe zu notifizieren, sondern auch das Verfahren vor der Kommission bis zu einer ĺEntscheidung abzuwarten. Beihilfen, die unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot gewährt werden, gelten als ĺrechtswidrige Beihilfen. Das Durchführungsverbot ist unmittelbar anwendbar, bietet daher dem Konkurrenten eines Begünstigten einer unter Verletzung des Durchführungsverbotes gewährten Beihilfe die Möglichkeit, vor dem nationalen Gericht Rechtsschutz zu suchen. Sowohl die nationalen Gerichte als auch die nationalen Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, die Einhaltung des Durchführungsverbotes
von Amts wegen zu prüfen und rechtswidrige Beihilferegelungen unangewendet zu lassen. Um dieser Verpflichtung nachkommen zu können, muss die Erfüllung des Beihilfentatbestandes durch die nationalen Behörden vorweg beurteilt werden (zu diesem Zweck können nationale Gerichte dem EuGH Fragen im Rahmen des ĺVorabentscheidungsverfahren vorlegen). Nationale Gerichte können im Gegensatz zur Kommission die ĺRückforderung einer Maßnahme anordnen, ohne dass zuvor die Unvereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt worden ist. Darüber hinaus sind sie auch für den einstweiligen Rechtsschutz und Schadenersatzfragen zuständig. (jr) §§: Art. 88 Abs. 3 Satz 3; Art. 3 VO (EG) 659/1999, ABl. 1999, Nr. L 83/1 Lit.: F. P. Sutter, in: H. Mayer (Hrsg.), EUV/EGV Kommentar, 42. Lfg. 2005, Art. 88 EGV, Rn. 64 ff.
Durchfuhr (freier Warenverkehr) transit of goods (free movement of goods) – transit des merchandises (libre circulation des marchandises)
Nach Art. 28 EG und Art. 29 EG ist auch die Beeinträchtigung der Durchfuhr von Waren verboten. Diese Schlussfolgerung ergibt sich nicht zuletzt auch aus dem Wortlaut von Art. 30 EG. So sah der EuGH etwa in den Lebendtransport von Schlachtvieh reglementierenden österr. kraftfahrrechtlichen und straßenpolizeilichen Vorschriften (ĺMonsees-Entscheidung) bzw. in einem sektoralen Fahrverbot auf einem Tiroler Teilstück der Inntalautobahn (ĺSektorales Fahrverbot Tirol-Entscheidung) sowohl eine Beeinträchtigung des Art. 28 EG als auch eine Beeinträchtigung des Art. 29 EG. (rp) §§: Art. 28, 29 und 30 EG Rsp.: Rs. C-350/97 Monsees, Slg. 1999, I-2921 (ĺMonsees-Entscheidung); EuGH, Rs. C-320/03, Sektorales Fahrverbot Tirol, Slg. 2005, I-9871(ĺSektorales Fahrverbot Tirol-Entscheidung)
Durchgriffswirkung Gängige Bezeichnung für die Fähigkeit von Normen des Gemeinschaftsrechts, unmittelbar ohne nationalen Transformations- oder Inkorporationsakt Rechte und Pflichten von Individuen und Rechtsanwendungsorganen zu begründen. Meist wird präziser zwischen unmittelbarer ĺAnwendbarkeit und ĺGeltung differenziert. (sgk) Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts ĺVollzug 213
Durchsetzungsrichtlinie Durchsetzungsrichtlinie directive on the enforcement of intellectual property rights – directive relative au respect des droits de propriété intellectualle
Die DurchsetzungsRL (RL 2004/48/EG) harmonisiert EU-weit verfahrensrechtliche Instrumente zur Durchsetzung von geistigen Eigentumsrechten (z.B. verschärfte Beweisvorlagepflichten des Verletzers, Maßnahmen zur Beweissicherung, Recht auf Auskunft, einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen, etc.) und bekämpft damit auch die ĺProduktpiraterie. Die RL erfasst grundsätzlich alle Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums und soll eine effektive Rechtsdurchsetzung gewährleisten (Art. 2). Sie sichert auch bzgl. Rechte aus ĺeurop. Patenten (s.a. ĺ europ. Patent, Streitbeilegung) ein hohes, einheitliches Schutzniveau. Da mit der RL auch Teile des Urheberrechts harmonisiert wurden, gehört sie auch zum ĺeuropäischen Urheberrecht. Die RL lässt für Rechteinhaber günstigere Instrumente des nationalen oder sonstigen Gemeinschaftsrechts unberührt und betrifft nicht strafrechtliche Aspekte von Immatcrialgüterrechtsverletzungen (RL-Vorschlag betr. strafrechtliche Maßnahmen: KOM[2006] 168 endg.). Kompetenzgrundlage der RL ist Art. 95 EG. (mp) (js) §§: RL 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. 2004, Nr. L 157/45; Erklärung der KOM zu Art. 2 der RL 2004/48/EG, ABl. 2005, Nr. L 94/37; Umsetzung der RL in Österreich durch BGBl. I 96/2006 Lit.: J. Eisenkolb, Die Enforcement-Richtlinie und ihre Wirkung, GRUR Int. 2007, 387; M.-R. McGuire, Beweismittelvorlage und Auskunftsanspruch nach der RL 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums, GRUR Int. 2005, 15; R. Knaak, Die EG-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums und ihr Umsetzungsbedarf im deutschen Recht, GRUR Int. 2004, 745; A. Kur, The Enforcement Directive – Rough Start, Happy Landing? IIC 2004, 821
Dynamisches Beschaffungssystem dynamic purchasing system – système d’acquisition dynamique
Bei einem dynamischen Beschaffungssystem im Sinn des ĺVergaberechts handelt es sich um ein vollelektronisches Verfahren zur Beschaffung von marktüblichen Leistungen. Wenn ein öffentlicher ĺAuftraggeber ein dynamisches Beschaffungssystem eingerichtet hat, steht die Zulassung allen ĺWirtschaftsteilnehmern wäh-
214
rend der gesamten Laufzeit jederzeit offen. Die Ermittlung des ĺAuftragnehmers erfolgt nach einem erneuten Aufruf zum Wettbewerb unter den Teilnehmern am dynamischen Beschaffungssystem. Es handelt sich somit um ein zweistufiges Verfahren, das gewisse Parallelen zur ĺRahmenvereinbarung aufweist. S. allgemein zu den Verfahrensarten das ĺVergabeverfahren. (cm) §§: Art. 1 Abs. 6, Art. 33 VergabeRL Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 224 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
D’Hoop-Entscheidung D’Hoop case – jurisprudence D’Hoop
In der Rs. D’Hoop (EuGH, Rs. C-224/98 Nathalie D’Hoop, Slg. 2002, I-6191) erkannte der EuGH erstmals, wenn auch zweifelhaft begründet, das Gebot der Gleichbehandlung bei Ausübung der Freizügigkeit im Kontext des Art. 18 Abs. 1 EG (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines, Beschränkungsverbot) an. Nach diesem darf der Heimatmitgliedstaat einen eigenen Angehörigen nicht deshalb schlechter behandeln, weil er von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat. Frau D’Hoop hatte in Frankreich ihr Abitur abgelegt und beantragte nach abgeschlossenem Hochschulstudium in Belgien, ihrem Heimatstaat, ein Überbrückungsgeld für junge Arbeitsuchende. Ihr Anspruch scheiterte an der Voraussetzung, die höhere Schulbildung im Inland abgeschlossen zu haben. Der EuGH sah hierin einen Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung bei Ausübung der Freizügigkeit, der nicht gerechtfertigt werden könne. Zwar sei es legitim, Anspruchsvoraussetzungen festzulegen, die eine tatsächliche Verbindung des Antragstellers mit dem nationalen Arbeitsmarkt sicherstellen; der Ort der (oft Jahre zurückliegenden) Schulabgangsprüfung sei hierfür jedoch kein geeignetes Kriterium. (fw) §§: Art. 18 EG Lit.: S. Bode, Anmerkung, EuZW 2002, 637; A. Iliopoulou/H. Toner, A new approach to discrimination against free movers?, EL Rev. 2003, 389; F. Wollenschläger, Anmerkung zu EuGH, Rs. C-406/04 – De Cuyper, EuZW 2006, 503; ders., Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 283 ff., 292 ff.
E E-commerce, anwendbares Recht ĺHerkunftslandprinzip E-commerce, Begriff electronic commerce – commerce électronique
Der Begriff E-commerce bzw. elektronischer Geschäftsverkehr, bezieht sich auf die elektronische Verarbeitung und Übertragung von Daten. Er umfasst unterschiedliche Tätigkeiten, unter anderem den elektronischen Handel mit Waren und Dienstleistungen, Online-Lieferung, elektronische Geldüberweisung, elektronischen Aktienhandel. Dabei sind zwei Kategorien zu unterscheiden: einerseits der indirekte Geschäftsverkehr, worunter die elektronische Bestellung materieller Güter zu verstehen ist und andererseits der direkte Geschäftsverkehr, der die Online-Bestellung, Online-Bezahlung und Online-Lieferung immaterieller Güter und Dienste betrifft. Auch zum elektronischen Geschäftsverkehr gehören Anwendungen wie Videotext, Teleshopping und Ähnliches. S.a. ĺEcommerce, Dienste der Informationsgesellschaft. Die Regelungen zum elektronischen Geschäftsverkehr auf Gemeinschaftsebene gehen auf die Europäische Initiative über den elektronischen Geschäftsverkehr von 1997 (Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 16.4. 1997, KOM[97] 157 endg.) zurück. Nun geben vor allem die ĺE-commerce-Richtlinie (RL 2000/31/EG) und die ĺSignaturrichtlinie (RL 1999/93/EG) den gemeinschaftsrechtlichen Rahmen vor. Auch in der ĺFernabsatzrichtlinie (RL 97/7/EG), der FinanzdienstleistungsFernabsatzrichtlinie (RL 2002/65/EG) und der ĺEuGVO (VO [EG] 44/2001) finden sich relevante Vorschriften. Ziel der Regelungen auf Gemeinschaftsebene ist, für den elektronischen Geschäftsverkehr einen Raum ohne Binnengrenzen zu schaffen und so das Funktionieren des Binnenmarkts für die Dienste der Informationsgesellschaft zu gewährleisten. (fs)
§§: RL 2000/31/EG, ABl. 2000, Nr. L 178/1; RL 1999/ 93/EG, ABl. 2000, Nr. L 13/12; RL 97/7/EG ABl. 1997, Nr. L 144/19; RL 2002/65/EG, ABl. 2002, Nr. L 271/ 16 Web: http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2000/ l_178/l_17820000717de00010016.pdf; http://europa. eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2000/l_013/l_013200001 19de00120020.pdf; http://europa.eu.int/eur-lex/pri/ de/oj/dat/2002/l_271/l_27120021009de00160024.pdf; http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l32101.htm
E-commerce, Besteuerung e-commerce taxation – e-commerce taxation
Mit der RL 2002/38/EG des Rates, die am 1.7. 2003 in Kraft trat, änderten sich die EU-Vorschriften für die mehrwertsteuerliche Behandlung der Erbringung von Dienstleistungen über elektronische Netze (z.B digitale Lieferungen) und für EDV-Dienstleistungen allgemein, sowie für Dienstleistungen in den Bereichen Information, Kultur, Kunst, Sport, Wissenschaft, Bildung, Unterhaltung u.Ä. Ab diesem Zeitpunkt werden solche Dienstleistungen in dem Land besteuert, in dem der Empfänger und nicht – wie bisher – der Dienstleistungserbringer ansässig ist. Für die Zwecke der Richtlinie werden die betreffenden Dienstleistungen als „elektronische Dienstleistungen“ oder „elektronisch erbrachte Dienstleistungen“ bezeichnet. Die Änderung ihrer steuerlichen Behandlung beseitigt eine seit langem bestehende Wettbewerbsverzerrung, da sie gewährleistet, dass nunmehr sowohl NichtEU-Anbieter als auch EU-Anbieter denselben MwSt-Vorschriften unterliegen, wenn sie elektronische Dienstleistungen an EU-Kunden erbringen. Ab 1.7.2003, müssen EU-Dienstleister beim Verkauf einschlägiger Produkte an Abnehmer außerhalb der EU keine europäische MwSt. mehr in Rechnung stellen. Für Nicht-EU-Unternehmen, die die gegenständlichen Leistungen an Unternehmen in der EU erbringen („business to business“-Umsätze (B2B), die 90 % des einschlägigen Umsatzvolumens ausmachen), wurden durch die neuen Regelungen keine neuen Pflichten auferlegt, da die 215
E-commerce, Dienste der Informationsgesellschaft MwSt. wie bisher schon im Rahmen der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft (ĺReverse Charge System) von dem einführenden Unternehmen in der EU entrichtet wird. Außerhalb der EU niedergelassene Unternehmen müssen aber systemgerechtweise MwSt. auf Dienstleistungen an Privatpersonen oder -organisationen entrichten, und werden somit behandelt wie Unternehmen aus der EU. (pu) E-commerce, Dienste der Informationsgesellschaft electronic commerce, information society services – commerce électronique, services de la société d’information
Ein zentraler Begriff des elektronischen Geschäftsverkehrs, der in mehreren Richtlinien aufgegriffen wird (ĺE-commerce-RL, RL 98/ 48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.7.1998 zur Änderung der RL 98/ 34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften), ist derjenige der „Dienste der Informationsgesellschaft“. Nach den Erwägungsgründen der E-commerce-RL umfasst er einen weiten Bereich von wirtschaftlichen Tätigkeiten, der sich nicht nur auf Dienste beschränkt, bei denen online entgeltliche Verträge geschlossen werden, sondern auch unentgeltliche Dienste betrifft, wie Online-Informationsdienste, Dienste zur Datensuche etc. Eine genaue Definition enthält die RL 98/48/EG in Art. 1 Abs. 2 lit. a, wonach eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung ist. Das heißt, die Dienstleistung muss ohne gleichzeitige physische Anwesenheit der Vertragsparteien erbracht werden (im Fernabsatz), sie muss mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung und Speicherung von Daten gesendet und empfangen werden und vollständig über Draht, Funk, auf optischem oder anderem elektromagnetischem Wege gesendet und empfangen werden (elektronisch erbrachte Dienstleistung) und sie muss durch Übertragung von Daten auf individuelle Anforderung hin erbracht werden. Nicht darunter fallen bspw. über Sprachtelefon oder Telefax erbrachte Dienste, Beratung per Telefon, Hörfunkdienste und Fernsehdienste (vgl. Anhang V der RL 98/48/EG). Video auf Abruf dagegen stellt einen Dienst der Informationsgesellschaft dar, weil er von Punkt zu Punkt erbracht wird, genauso wie kommerzielle Kommunikation mit elektronischer Post. (fs) 216
§§: RL 2000/31/EG, ABl. 2000, Nr. L 178/1, RL 98/ 48/EG, ABl. 1998, Nr. L 217/18
E-commerce, Informationspflichten electronic commerce, duty to inform – commerce électronique, informations à fournir
Die ĺE-commerce-RL sieht unterschiedliche Informationspflichten der Diensteanbieter vor. In Art. 5 der RL sind allgemeine Informationspflichten geregelt, wonach der Diensteanbieter den Nutzern des Dienstes und den zuständigen Behörden bestimmte Informationen wie Namen und Anschrift, Handelsregisternummer, gegebenenfalls Berufsverband und Steueridentifikationsnummer verfügbar machen muss. Zusätzliche Informationspflichten werden hinsichtlich der ĺKommerziellen Kommunikation festgelegt: Kommerzielle Kommunikationen müssen klar als solche erkennbar sein, die Person, in deren Auftrag die Kommunikation erfolgt, muss klar identifizierbar sein, Angebote zur Verkaufsförderung müssen erkennbar sein und die Bedingungen für ihre Inanspruchnahme müssen leicht zugänglich und klar angegeben werden. Soweit Preisausschreiben und Ähnliches zulässigerweise angeboten werden, müssen auch diese als solche erkennbar sein und die Teilnahmebedingungen müssen leicht zugänglich und klar angegeben werden. In Bezug auf den Abschluss von Verträgen auf elektronischem Weg erlegt die RL in Art. 10 dem Diensteanbieter zusätzliche Informationspflichten hinsichtlich der einzelnen technischen Schritte bis zum Vertragsschluss, der Speicherung des Vertrags, der zur Verfügung stehenden Sprachen und der Möglichkeit, Eingabefehler zu korrigieren, auf. Der Diensteanbieter muss grundsätzlich alle relevanten Verhaltenskodizes angeben, denen er sich unterwirft. Er muss weiter dem Nutzer die Vertragsbestimmungen und die AGB so zur Verfügung stellen, dass dieser sie speichern und reproduzieren kann. Eine bestimmte Sanktion bei Nichteinhaltung dieser Pflichten sieht die Richtlinie selbst nicht vor, die Ausgestaltung bleibt den Mitgliedstaaten insoweit überlassen. Im Zusammenhang mit dem Abschluss elektronischer Verträge sind auch die Informationspflichten, die in der ĺFernabsatz- und der Fernabsatz-FinanzdienstleistungsRL (RL 97/7/ EG, 2002/65/EG) enthalten sind, zu beachten. (fs) §§: RL 2000/31/EG, ABl. 2000, Nr. L 178/1; RL 97/7/ EG, ABl. 1997, Nr. L 144/19; RL 2002/65/EG, ABl. 2002, Nr. L 271/16
E-commerce-Richtlinie E-commerce, Vertragsschluss electronic commerce, conclusion of the contract – commerce électronique, conlusion du contrat
Der Vertragsschluss auf elektronischem Weg ist selbst nicht in der E-commerce-RL geregelt. Diese gibt aber in Kap. II, Abschnitt 3 einen rechtlichen Rahmen für den Abschluss von elektronischen Verträgen vor: Mit bestimmten, in Art. 9 Abs. 2 der RL aufgelisteten Ausnahmen, werden die ĺMitgliedstaaten dazu verpflichtet, den Abschluss von Verträgen auf elektronischem Weg zu ermöglichen und dafür zu sorgen, dass geltende Rechtsvorschriften über den Vertragsabschluss den Abschluss elektronischer Verträge weder behindern noch dazu führen, dass ein elektronisch abgeschlossener Vertrag aufgrund der Art des Vertragsschlusses unwirksam bzw. ungültig ist. Weiter müssen die Mitgliedstaaten sicher stellen, dass der Diensteanbieter zur Angabe von bestimmten Informationen verpflichtet wird. Zu den Informationspflichten nach der RL, s. ĺE-commerce, Informationspflichten. Darüber hinaus treffen den Diensteanbieter im Anwendungsbereich der ĺFernabsatzRL 97/7/EG noch weitere Informationspflichten, v.a. bezüglich des Vertragsgegenstands und der -durchführung. Neben den Informationspflichten ist in der Ecommerce-RL ausdrücklich die Abgabe einer Bestellung durch einen Nutzer auf elektronischem Weg geregelt: Für diesen Fall sieht Art. 11 der RL 2000/31/EG vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen vor, dass der Diensteanbieter die Bestellung unverzüglich elektronisch zu bestätigen hat. Bestellung und Bestätigung gelten als eingegangen, wenn die Adressaten sie abrufen können. Weiter muss der Diensteanbieter dem Nutzer die Möglichkeit geben, Eingabefehler vor Abgabe der Bestellung zu erkennen und zu korrigieren. Dies gilt nicht, falls der Vertrag durch individuelle Kommunikation, etwa durch den Austausch von Emails, geschlossen wird. Falls der Vertrag vom Anwendungsbereich der FernabsatzRL erfasst ist, können den Diensteanbieter aber auch in dieser Konstellation die Bestätigungspflichten des Art. 5 der RL 97/7/EG, die größtenteils mit den Informationspflichten korrespondieren, treffen. Zu beachten ist, dass die FernabsatzRL ein Widerrufsrecht vorsieht, dass dem Verbraucher erlaubt, jeden Vertragsschluss im Fernabsatz, also auch einen elektronischen Vertragsschluss, ohne Angabe von Gründen innerhalb von mindestens sieben Tagen zu widerrufen.
Zusätzliche Auskunftspflichten und Pflichten zur Übermittlung bestimmter Informationen können den Diensteanbieter auch nach der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (RL 2002/65/EG) treffen. (fs) §§: RL 2000/31/EG, ABl. 2000, Nr. L 178/1; RL 97/7/ EG, ABl. 1997, Nr. L 144/19; RL 2002/65/EG, ABl. 2002, Nr. L 271/17
E-commerce, Widerruf von Verträgen ĺE-commerce, Vertragsschluss E-commerce-Richtlinie directive on electronic commerce – directive sur le commerce électronique
Die RL 2000/31/EG (Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr) soll den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft (ĺE-commerce, Dienste der Informationsgesellschaft) zwischen den ĺMitgliedstaaten sicherstellen und so einen Beitrag zum einwandfreien Funktionieren des Binnenmarkts leisten. Die RL soll für eine Angleichung innerstaatlicher Regelung sorgen, die den ĺBinnenmarkt, die Niederlassung der Diensteanbieter, ĺkommerzielle Kommunikation, elektronische Verträge (nicht deren Abschluss an sich, ĺEcommerce, Vertragsschluss), die Verantwortlichkeit von Vermittlern (ĺE-commerce-RL, Haftung), Verhaltenskodizes, Systeme zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten, Klagemöglichkeiten sowie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten betreffen. Ausdrücklich ausgeschlossen aus dem Bereich der RL ist der Bereich der Besteuerung, Fragen, die von den RL 95/46/EG und 97/66/EG erfasst sind, Fragen des Kartellrechts und Dienste, die in notarieller oder anwaltlicher Tätigkeit bestehen sowie Gewinnspiele mit geldwertem Einsatz. Weiter ist die RL nicht anwendbar auf Dienste der Informationsgesellschaft, deren Anbieter in einem Drittland niedergelassen sind. Die Bestimmung des Orts der Niederlassung erfolgt dabei nach den allgemeinen vom Gerichtshof aufgestellten Kriterien. Die Richtlinie legt zu den einzelnen Bereichen jeweils bestimmte Grundsätze fest: Hinsichtlich Niederlassung und Informationspflichten sieht die RL vor, dass die Tätigkeit eines Diensteanbieters grundsätzlich nicht zulassungspflichtig sein darf und dass bestimmte Pflichten zur Information über Angaben über den Diensteanbieter in den Mitgliedstaaten eingeführt werden. In Bezug auf die ĺKommerzielle Kom217
E-commerce-Richtlinie, Haftung munikation werden weitere Informationspflichten über die Erkennbarkeit als Werbung und die Identität des Anbieters festgelegt. Nicht angeforderte kommerzielle Kommunikation muss durch die Eintragung in sog. ĺRobinson-Listen vermieden werden können. Der Abschluss elektronischer Verträge wird selbst nicht in der RL geregelt, allerdings verpflichtet sie die Mitgliedstaaten dazu, den Abschluss von Verträgen auf elektronischem Weg zu ermöglichen und dem Diensteanbieter weitere Informationspflichten aufzuerlegen (ĺE-commerce, Informationspflichten, ĺE-commerce, Vertragsschluss). Hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Vermittler bestimmt die RL, dass der Diensteanbieter grundsätzlich nicht für fremde Informationen, die er lediglich durchleitet, verantwortlich ist, noch – unter bestimmten weiteren Voraussetzungen – für das ĺCaching und ĺHosting von fremden Informationen. Im Kapitel über die Umsetzung werden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, Verbände zur Erstellung von Verhaltenskodizes auf Gemeinschaftsebene zur sachgemäßen Anwendung der RL zu ermutigen und Möglichkeiten der (elektronischen) außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten zuzulassen. Die Umsetzung erfolgte in Deutschland durch das Elektronische Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG vom 14.12.2001, das bereits bestehende Regeln im Teledienstegesetz (TDG) neu gefasst und es um einige Vorschriften erweitert hat. Im BGB wurden die Formvorschriften angepasst und zur Umsetzung der Vorgaben zum Vertragsschluss § 312e BGB eingeführt. In Österreich wurde die Richtlinie durch das Bundesgesetz zur Regelung bestimmter rechtlicher Aspekte des elektronischen Geschäfts- und Rechtsverkehrs (E-commerce-Gesetz – ECG) und Änderung des Signaturgesetzes sowie der Zivilprozessordnung umgesetzt. (fs) §§: RL 2000/31/EG, ABl. 2000, Nr. L 178/1 Lit.: J. Haubold, in: M. Gebauer/T. Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 8
E-commerce-Richtlinie, Haftung electronic commerce, liability – commerce électronique, responsabilité
Die Haftung der Diensteanbieter ist in Kap. II, Abschnitt 4 der RL 2000/31/EG unter „Verantwortlichkeit der Vermittler“ geregelt. Allerdings begründet die RL selbst nicht die Haftung der Diensteanbieter, sondern schließt lediglich deren Verantwortlichkeit für vom Nut218
zer eingegebene Informationen in bestimmten Fällen aus. So ist ein Diensteanbieter nicht für die reine Durchleitung, das ĺCaching und das ĺHosting von vom Nutzer eingegebenen Informationen verantwortlich. Nach Art. 15 der RL dürfen den Diensteanbietern auch keine allgemeinen Überwachungspflichten auferlegt werden, was aber eine Informationspflicht nicht ausschließt, Art. 15 Abs. 2 der RL. Zur Haftung von eigenen Informationen nimmt die RL nicht Stellung. Z.B. das deutsche TDG stellt dazu in § 8 Abs. 1 klar, dass Diensteanbieter für eigene Informationen, die sie zur Nutzung bereithalten, nach den allgemeinen Vorschriften haften. (fs) §§: Art. 12-15 der RL 2000/31/EG, ABl. 2000, Nr. L 178/1, § 8 dTDG Lit.: J. Haubold, in: M. Gebauer/T. Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 8
E-Geld-Institut electronic money institution – établissement de monnaie électronique
E-Geld-Institut bezeichnet nach der RL 2000/ 46/EG über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von E-Geld-Instituten ein Unternehmen oder eine sonstige juristische Person, die Zahlungsmittel in Form von elektronischem Geld ausgibt und kein Kreditinstitut ist. Elektronisches Geld stellt einen elektronischen Ersatz für Münzen und Banknoten dar, der elektronisch, z.B. auf einer Chipkarte oder in einem Computer gespeichert wird und dafür gedacht ist, kleine Betragszahlungen elektronisch durchzuführen. Die RL 2000/46/EG zielt darauf ab, E-Geld-Instituten die Ausgabe von elektronischem Geld unter Wahrung ihrer finanziellen Integrität und zu fairen Wettbewerbsbedingungen mit anderen Kreditinstituten zu ermöglichen. Dazu werden die Grundregeln für Kreditinstitute auf diesen Teilbereich der Finanzdienstleistungen übertragen. Wie die Banken müssen die EGeld-Institute den Inhabern von elektronischem Geld den Rücktausch zum Nennwert in Münzen und Banknoten oder in Form einer kostenneutralen Überweisung gewährleisten. Im Allgemeinen unterliegen E-Geld-Institute allerdings weniger strengen Bestimmungen als Banken, sie sind etwa nicht an die Vorschriften über die Entgegennahme von Einlagen oder über Bankgarantien gebunden. Sie unterliegen auch einem anderen Beaufsichtigungssystem als Banken. Diese vereinfachte Finanzkontrolle wird durch strengere Beschränkungen der Ge-
ECHO 2007, Operationelle Strategie schäfts- und Anlagetätigkeit von E-Geld-Instituten ausgeglichen. (fs) §§: RL 2000/46/EG, ABl. 2000, Nr. L 275/39 Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/ 2000/l_275/l_27520001027de00390043.pdf; http:// europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l24236.htm
E-Government ĺeEurope E-Procurement E-Procurement ist ein Sammelbegriff für Bestrebungen, elektronische Kommunikationsformen bei der Vergabe eines öffentlichen ĺAuftrages zu verankern. Von Seiten der EU werden derartige Bestrebungen unterstützt, da man sich dadurch raschere und somit kostengünstigere Auftragsvergaben erhofft. Die Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel ermöglicht es dem ĺAuftraggeber etwa, kürzere als die normalerweise maßgeblichen ĺAngebotsund ĺTeilnahmefristen vorzusehen. Elektronische Kommunikationsmittel können bei einzelnen Teilschritten Verwendung finden (z.B. elektronische ĺBekanntmachungen, elektronische Abrufbarkeit der ĺVerdingungsunterlagen, elektronische Übermittlung der ĺAngebote, Ermittlung des Bestbieters im Wege einer ĺelektronischen Auktion) oder es kann das gesamte ĺVergabeverfahren vollständig auf elektronischem Weg abgewickelt werden (s. das ĺdynamische Beschaffungssystem). Auch bei der Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel muss die Authentizität und Integrität der Daten gewährleistet sein (so kann etwa die Verwendung bestimmter ĺelektronischer Signaturen verlangt werden). (cm) §§: Art. 42 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 1157; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 220 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
EAG Europäische Atomgemeinschaft, ĺEuratomVertrag EAGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, ĺEuratom-Vertrag EAR ĺEuropäische Agentur für den Wiederaufbau (EAR)
EASA ĺEuropäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) ECDC ĺEuropäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) ECHA ĺEuropäisches Amt für chemische Stoffe (ECHA) ECHO ĺEuropäisches Amt für humanitäre Hilfe ECHO 2006, Operationelle Strategie ECHO 2006 Aid Strategy – La Stratégie ECHO pour 2006
In die ĺECHO Operationelle Strategie 2006 wurden auf Basis des Global Needs Assessment 31 Länder miteinbezogen: 23 in Subsahara-Afrika (unter anderem die DR Kongo, Burundi, Uganda, Tansania, Simbabwe, Côte d’Ivoire, Tschad, Somalia, Sudan); weiters Tschetschenien und sieben in Süd- und Südostasien (unter anderem Afghanistan, Myanmar und Nepal). Als vergessene Krisen wurden Tschetschenien, Myanmar, die Sahraoui Flüchtlinge in Algerien, Nepal und Indien aufgrund der Kaschmirkrise eingestuft. (ab) Web: http://ec.europa.eu/echo/information/strategy/ strat_rep_fr.htm
ECHO 2007, Operationelle Strategie ECHO 2007 Aid Strategy – Stratégie ECHO pour 2007
Aufgrund des Global Needs Assessments listet die ECHO 2007 Strategie 50 Länder auf, welche eine humanitäre Krise erleben, wovon 23 als höchst gefährdet eingestuft wurden (18 davon befinden sich in Subsahara-Afrika, unter anderem DR Kongo, Burundi, Tschad, Côte d’Ivoire, Somalia, Sudan; weiters Afghanistan, Tschetschenien, Ost Timor, Irak und die besetzten Palästinensergebiete). Die in der 2007 Strategie aufgelisteten vergessenen Krisen sind, wie 2006, Tschetschenien, Myanmar, die Sahraoui Flüchtlinge in Algerien, Nepal und Indien (Kaschmirkrise) und anders als 2006 auch Kolumbien. (ab) Web: http://ec.europa.eu/echo/pdf_files/strategy/2007/ strat_2007_en.pdf; http://ec.europa.eu/echo/information/ strategy/index_en.htm
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ECHO, Operationelle Strategie ECHO, Operationelle Strategie ECHO Operational Strategy – Stratégie d’ECHO
Jedes Jahr erstellt die Kommission durch das ĺAmt für Humanitäre Hilfe eine Strategie für das Folgejahr, in welcher die Schwerpunkte der humanitären Hilfen für Krisengebiete festgelegt werden. Um die Bevölkerungsgruppen zu ermitteln, welche den dringendsten Bedarf an humanitärer Hilfe haben, werden zwei Methoden herangezogen: Erstens die Bewertung der Situation vor Ort von Experten des ĺAmtes für humanitäre Hilfe und zweitens die Einstufung der Entwicklungsländer nach dem Grad der Bedürftigkeit. Diese Bedürftigkeit ergibt sich aus dem Index der globalen Bedarfsbewertung (Global Needs Assessment GNA) und dem Index der vergessenen Krisen (Forgotten Crisis Assessment – FCA). Vgl. ĺECHO 2006, Operationelle Strategie und ĺECHO 2007, Operationelle Strategie. (ab) Web: http://ec.europa.eu/echo/information/strategy/ index_en.htm
ECOFIN-Rat ECOFIN-Council – Conseil ECOFIN
Der ECOFIN-Rat ist eine Arbeitsformation des ĺRates in der Zusammensetzung der Wirtschafts- und Finanzminister der Mitgliedstaaten. Eine rechtliche Verpflichtung zur Tagung in dieser Formation sieht der ĺEG-Vertrag nicht vor, jedoch folgt die Praxis dem durchgängig in allen Bereichen, die die Haushaltspolitik der Gemeinschaft, die Koordinierung der Wirtschaftspolitik zwischen den Mitgliedstaaten, die Überwachung der Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten, den Euro, die Finanzmärkte und den Kapitalverkehr sowie Wirtschaftsbeziehungen zu Drittländern betreffen. An Beschlüssen, die die gemeinsame Währung betreffen, nehmen nur die Vertreter der Mitgliedstaaten teil, die den ĺEuro eingeführt haben. (co) §§: Anhang I der Geschäftsordnung des Rates
eContent eContent – eContent
Der Begriff ist im Gemeinschaftsrecht mit dem Förderprogramm eContent (in der aktuellen Version: eContentplus) eingeführt worden. Er bezeichnet digitale Medieninhalte, worunter nach der klassischen Kategorisierung Verlagsinhalte, Unterhaltungsspiele, Musik/Audio und Film/Video in digitalisierter Form, übertragen über digitale Multiplattformen, wie z.B. PC220
Breitband oder digitale Fernsehnetze und andere mobile Plattformen (z.B. UMTS) verstanden werden. In der Branche ist dafür auch der Begriff des online Contents bzw. der online Contentindustrie (insb. in Abgrenzung zum offline Bereich: ĺPrintmedien, ĺKino, Schallplatten, CDs etc.) geprägt worden. Der Begriff eContent bzw. online Content kann auch als die Inhaltsebene i.U. zur Infrastrukturebene der ĺelektronischen Kommunikationsmärkte, die eben gerade nicht Regelungsgegenstand des allgemeinen Rechtsrahmens für diese Märkte ist, umschrieben werden. (dd) Lit.: M. Holoubek/D. Damjanovic, Structure and Methods, in: M. Holoubek/D. Damjanovic/M. Traimer (Hrsg.), Regulating Content – European Regulatory Framework for the Media and Related Creative Sectors, 2007, 7 ff. Web: http://ec.europa.eu/information_society/activities/ econtentplus/index_en.htm
ECTS European Credit Transfer & Accumulation System – Système eurpéen de transfert et d’accumulation de crédits
Ursprünglich schon 1987 bei der Einführung des ĺErasmus-Programms vorgesehen, wurde ECTS 1989 als Pilotversuch zur Einführung eines europäischen Credit-Systems zur Erleichterung der Anrechnung von Studienleistungen im Zuge von Earsmus-Aufenthalten gestartet. Inzwischen wird ECTS in über 30 Ländern und über 1.000 Hochschuleinrichtungen verwendet. Auf diese von Erasmus ausgehende Entwicklung konnte später der ĺBologna-Prozess aufbauen und hat ECTS als ein zentrales Akkumulierungssystem für die beteiligten nationalen Hochschulsysteme und jüngst als eine der zentralen Instrumente des ĺEuropäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen in das System des ĺEuropäischen Hochschulraums integriert. Im Rahmen der eingeschränkten rechtlichen Möglichkeiten im Bereich der ĺBildungspolitik der EU (die einem Harmonisierungsverbot unterliegenden Art. 149 und 150 EG) versuchte sie (wie die Entwicklung zeigt mit einigem Erfolg), das ECTS-Instrumentarium zur Durchsetzung der vollen ĺakademischen Anerkennung (kein Verlust von im Zuge von ĺErasmus zurückgelegten Studienleistungen und -zeiten an einer Gastuniversität für die Fortsetzung des Studiums an der Heimuniversität) einzusetzen und verankerte dieses Prinzip entsprechend in den Durchführungsmaßnahmen zum Erasmus-Programm (s. im Detail unten).
ECTS ECTS ist mittlerweile so ausgelegt, dass es im Sinne einer bestmöglichen Versteh- und Vergleichbarkeit von Studien der gleichen wie verschiedener Bildungssysteme für alle Arten von Ausbildungen zur Anwendung kommen kann. In einem jüngsten Schritt soll ECTS für die gesamte Spanne des lebenslangen Lernens im Europäischen Hochschulraum ausgebaut werden. Das ECTS-System eignet sich mit seinen Anrechnungspunkten (ECTS-Credits) sowohl für die Akkumulierung innerhalb einer Ausbildungseinrichtung und ihrer Studienprogramme wie für die Transferierung zwischen europäischen Ausbildungseinrichtungen, die ECTS anwenden (was mittlerweile v.a. in vielen Hochschulbildungssystemen des EHR gesetzlich verankert ist). ECTS basiert als studierendenfokusiertes Instrumentarium auf dem Arbeitspensum, das die Studierenden absolvieren müssen, um die Ziele eines bestimmten Lernprogramms (wie eines Universitätsstudiums) zu erreichen. Diese Ziele werde in Form von Lernergebnissen (learning outcomes) beschrieben und festgelegt. Das ECTS-System umfasst folgende Kernpunkte (Key Features): Das Arbeitspensum von Vollzeitstudierenden wird mit 60 Credits pro Studienjahr festgelegt. Ausgegangen wird dabei von einem durchschnittlichen jährlichen Arbeitspensum in Europa zwischen 1.500 und 1.800 Stunden im Jahr. Dementsprechend entspricht ein ECTS-Credit je nach Bildungssystem 25 bis 30 Stunden. Die Credits werden im Rahmen einer Ausbildung nach erfolgreichem Abschluss der zu erbringenden Leistung und deren Beurteilung vergeben. Das in ECTS bemessenen Arbeitspensum schließt jegliche im Studienplan vorgesehene Studienleistung während eines Semesters (30 Credits), eines akademischen Jahres (60 Credits), eines BachelorZykluses (mind. 180 Credits), eines MasterZykluses (ein- oder 2-jährig: weitere 60 bzw. 120 Credits) usw ein (z.B. Module, Kurse, Praktika, Hausarbeiten, Abschlussarbeiten). D.h. sämtlichen Komponenten eines Ausbildungsprogramms (Studiums) sind entsprechend ihres Anteils am gesamten Arbeitsaufwand des Programms ein Bruchteil der zur Verfügung stehenden Gesamtpunkte eines Teils oder Abschnitts zuzuweisen (wobei die Arbeitsleistung eines Semesters 30, eines Jahres 60 Credits usw nicht übersteigen darf). Z.B. müsste ein Kurs eines Bachelor-Studiums, zu dessen Absolvierung bei einem durchschnittlichen Studierenden von einem Gesamtarbeitsaufwand von 100 Stunden ausgegangen wird, aus den für das
Gesamtstudium zur Verfügung stehenden 180 Credits je nach Bildungssystem 3 bis 4 Credits umfassen. Ein ECTS-Credit umfasst konsequenter Weise nicht bloß die Präsenzzeit (etwa eine zweistündige Vorlesung), sondern die gesamte aufzuwendende Arbeitszeit (wie Vorbereitung der einzelnen Einheiten, Besuch der Lehrveranstaltung, Prüfungsvorbereitung, etc.). Eine in 5 positive Noten von A bis E und zwei negative Noten (FX und F) unterteilte ECTSNotenskala, die neben die nationale Note tritt, soll ob der großen Divergenz der europäischen Notensysteme eine nach statistischen Gesichtspunkten aufgebaute Einstufung der Leistungsbeurteilung der Studierenden ermöglichen. Dabei sind die besten 10 % einer positiven Studienleistung (z.B. einer Lehrveranstaltungsprüfung) mit A, die nächsten 25 % mit B, die nächsten 30 % mit C, die nächsten 25 % mit D und die nächsten 10 % mit E zu beurteilen. Da die Anwendung statistische Aufzeichnungen und Auswertungen der Leistungen in den einzelnen Studienteilen voraussetzt und daher nicht selten falsch angewendet wird (z.B. einfache Gleichsetzung der nationalen Bestnote mit A ohne statistische Auswertung), setzt sich das ECTS-Notensystem gegenwärtig noch weniger erfolgreich durch als die ECTS-Credits (auch fehlt es für die ECTS-Noten im Gegensatz zu den ECTS-Credits vielfach an gesetzlichen Grundlagen in den einzelnen Staaten des Europäischen Hochschulraums). Für Informations- und Aufklärungszwecke über die korrekte Implementierung an einzelnen Institutionen wurde der ECTS Users’ Guide und als Auszug daraus die ECTS Key Features entwickelt (s. Web). Letztere enthalten die notwendigen Angaben zur richtigen und vollständigen Beschreibung von Ausbildungsprogrammen und deren einzelnen Studienteilen (wie einzelne Lehrveranstaltungen) innerhalb des ECTS-Systems. Speziell für den Studierendenaustausch im Erasmus-Programm und zur Erleichterung der vgl. ĺakademischen Anerkennung von Erasmus-Aufenthalten (d.h. von im Zuge dessen erbrachten Studienleistungen an auswärtigen Hochschulen) wurden drei ECTS-Unterlagen entwickelt, die bei der Durchführung von Erasmus zur Anwendung kommen (vermittels vertraglicher Verpflichtung der Zuschussempfänger, ĺakademische Anerkennung und ĺAusschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens): 1. Das ECTS-Informationspaket bzw. der ECTSStudienführer (Information Package/Course 221
ECTS Catalogue; dieser ist nach den Kriterien der Kernpunkte aufzubereiten). 2. Der Studienvertrag (Learning Agreement, ĺakademische Anerkennung; etwa ein ECTS korrekt ausweisendes Sammelzeugnis). 3. Die Datenabschrift (Transcript of Records, wird im Fall des Studierendenaustauschs am Beginn und Ende des Aufenthalts zwischen den beteiligten Hochschulen ausgetauscht). Die Entwicklung eines European Community Course Credit Transfer Systems (heute: European Credit Transfer and Accumulation System) – kurz ECTS – wurde 1987 im ErasmusBeschluss (Beschluss 87/327/EWG des Rates vom 15.6.1987 über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten – ERASMUS) vorgesehen: Aktion 3 dieser ersten Generation des Erasmus-Programms führte Maßnahmen zur Verbesserung der Mobilität durch akademische Anerkennung von Diplomen und Studienzeiten ein. Die Gemeinschaft sollte in Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten u.a. folgende konkrete Maßnahmen mit dem Ziel ergreifen, die Mobilität durch akademische Anerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Diplome bzw. abgeleisteten Studienzeiten zu verbessern: Maßnahmen zur versuchsweisen Förderung eines europäischen Systems zur Anrechnung von Studienleistung (ECTS) auf freiwilliger Basis, um Studierenden, die im Rahmen ihrer theoretischen und praktischen Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat studieren, die Möglichkeit zu bieten, an Hochschulen in anderen Mitgliedstaaten erbrachte Studienleistungen auf ihr Studium angerechnet zu erhalten (Beschluss 87/327/EWG, Anhang, Aktion 3, Pkt. 1). Wohl auch durch die Auseinandersetzungen um die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit des Erasmus-Programms bedingt (ĺBildungsprogramme), wurde aber erst 1989 mit der Umsetzung begonnen. Der Nachfolgende Beschluss 89/663/ EWG des Rates vom 14.12.1989 zur Änderung des Beschlusses 87/327/EWG über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten – ERASMUS hat einen identen Pkt. 1 in Anhang Aktion 3 Abs. 1 übernommen. Der Ausbau von ECTS wurde dann in die 1. Generation des SokratesProgramms übernommen, in das das ErasmusProgramm 1995 integriert wurde: In Beschluss 819/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.3.1995 über das gemeinschaftliche Aktionsprogramm Sokrates wird die För222
derung des ECTS-Systems in Anhang Kap. 1 (Hochschulbildung – Erasmus) als Teil des Erasmus-Programms, Aktion 1 (Förderung der europäischen Dimension der Hochschulen) festgelegt. Lit. b sieht die „Förderung des ECTSSystems (Anrechnung von Studienberatungen), ohne etwaige ähnliche Systeme in Frage zu stellen“ vor. Der nachfolgende Beschluss 253/2000/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.1.2000 über die Durchführung der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms im Bereich der allgemeinen Bildung Sokrates weist bereits in der Präambel auf die Rolle von ECTS als Anerkennungsinstrumentarium hin. Pkt. 15 erwägt, mit einer Sicherstellung der Verbesserung des europäischen Systems zur Anrechnung von Studienleistungen (ECTS) in effektiver Weise gewährleisten zu können, dass die Ziele der Mobilität in vollem Umfang erreicht werden. Die an dem Programm beteiligten Universitäten sollten ermutigt werden, ECTS möglichst umfassend anzuwenden. Aktion 2.1 des Anhangs (Aktion 2 des Sokrates-Programms definiert Erasmus als Hochschulprogramm und unterteilt es in die Subaktionen Erasmus 1 – Zusammenarbeit der Hochschulen, Erasmus 2 – Studierenden- und Lehrendenmobilität und Erasmus 3 – Thematische Netze) sieht in lit. c die Konsolidierung, Erweiterung und Fortentwicklung des ECTSSystems, mit dem die akademische Anerkennung in den übrigen Mitgliedstaaten erleichtert werden soll, vor. An konkreten Fördermaßnahmen wurden im Zuge der Durchführungsbestimmungen (ĺAusschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens) Zuschüsse für Hochschulen zur Einführung von ECTS und die Zuschüsse für Evaluierungs- und Beratungsbesuche von internationalen ECTS-Counsellors für Hochschulen (ECTS Site Visits), die bei der Einführung von ECTS schon weit fortgeschritten und für die Bewerbung um ein ECTS-Label (s. unten) in Frage kommen, festgelegt. Hochschulen, die das ECTS-Label verliehen bekommen haben, konnten in dieser Aktion weiters Zuschüsse für die Entwicklung von ECTS für lebenslanges Lernen beantragen. Das Aktionsprogramm für lebenslanges Lernen (Beschluss 1720/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2006 über ein Aktionsprogramm im Bereich des Lebenslangen Lernens), in das Erasmus als Hochschulteilprogramm mit 1.1.2007 gewandert ist, regelt zwar wie die Vorläuferprogramme die akademische
ECTS Anerkennung im Zuge von Hochschulmobilität, kennt aber keine spezifischen Förderungen zum Ausbau von ECTS mehr, erwähnt ECTS dementsprechend auch nicht und verweist in Art. 2 Abs. 11 Pkt. c nur allgemein auf das „Europäische System zur Anrechnung von Studienleistungen“. Eine Förderung des ECTS-Systems auch in der jüngsten Programmgeneration ist aber unter einer der vorgesehenen allgemeinen Begleitmaßnahmen des ĺAktionsprogramms lebenslanges Lernen weiterhin möglich und auch wahrscheinlich. Diese Entwicklung ist im Zusammenhang mit der erfolgreichen Etablierung von ECTS in nahezu allen MS und der Übernahme von ECTS in den ĺBologna-Prozess zu sehen. Dort sieht bsp. das Berlin-Kommuniqué der Bologna Follow up-Konferenz vom 19.9.2003 die Einführung eines Leistungspunktesystems als einen mittelfristigen Arbeitsschwerpunkt im Bologna-Prozess vor. Es wird die bedeutende Rolle des European Credit Transfer System (ECTS) für die Förderung der studentischen Mobilität und die internationale Curriculumentwicklung betont. Die Bildungsminister halten fest, dass sich ECTS zunehmend zur allgemeinen Grundlage für nationale Leistungspunktsysteme entwickelt und sie befürworten weitere Fortschritte mit dem Ziel, ECTS zu einem System nicht nur für die Übertragbarkeit, sondern auch für die Kumulierung von Leistungspunkten weiterzuentwickeln, das mit der Herausbildung des ĺEuropäischen Hochschulraumes einheitlich angewendet werden soll. Im Bereich des lebenslangen Lernens rufen sie ferner alle, die mit der Arbeit an Qualifikationsrahmen für den Europäischen Hochschulraum befasst sind, dazu auf, das breite Spektrum flexibler Studienverläufe, -möglichkeiten und -techniken zu berücksichtigen und dabei das ECTS-System angemessen zu nutzen. Bis 2006 hat die Europäische Kommission zwecks Förderung der korrekten Implementierung des ECTS-Instrumentariums in den MS jährlich das ECTS-Label für Hochschuleinrichtungen ausgeschrieben (vgl. parallel dazu die ĺDS-Labels). Dabei handelte es sich um ein von der EK verliehenes Gütesiegel für die vollständige und korrekte Einführung und studienrechtliche Handhabung des ECTS in den hochschulischen Einrichtungen (Universitäten, Fachhochschulen, etc.) gem. der von ihr vorgegebenen ECTS-Standards. Einhergehend mit der Umstrukturierung der ĺBildungsprogramme und ihrer teilweisen Zusammenführung im ĺAktionsprogramm für lebenslanges Lernen
wird das ECTS-Label vorerst nicht weiter ausgeschrieben und vergeben. Stattdessen kündigte die EK eine Verstärkung der Aktivitäten der ECTS/DS-Counsellors zur Implementierung von ECTS und DS im innerstaatlichen Bereich an. Zur nachhaltigen korrekten Handhabung von ECTS hat die EK eine Gruppe von internationalen ECTS-Counsellors etabliert, die i.d.R. auch den sog. „National ECTS Contact Point“ als zentrale nationale Anlaufstelle für Fragen der Einführung und Handhabung von ECTS bilden (zumeist erfahrenen Hochschullehrer oder Verwaltungsbeamte; eine Liste ist auf der ECTS-Homepage der EK abrufbar). Diese führten im Sokrates-Programm auch die Vorortberatungen an den Hochschulen (die oben angeführten Site Visits) durch. In Österreich sehen sowohl das UG 2002 in § 51 Abs. 2 Pkt. 26 (unter Verweis auf den Sokrates-Beschluss 253/2000/EG), in § 54 Abs. 3, § 55 Abs. 2, § 58 Abs. 2, § 75 Abs. 2 und 6, § 78 Abs. 1, § 87 Abs. 5, und § 124 Abs. 2; das FHStG in § 12 Abs. 2, § 14a Abs. 3 und das HG 2005 in § 35, § 39, § 42, § 64, § 65 und § 82 die Anwendung von ECTS vor (etwa die Bemessung des Umfangs von Studien in ECTS). Im österr. Hochschulrecht entspricht dabei 1 ECTS-Credit 25 Arbeitsstunden (die die Gesamtarbeitszeit eines durchschnittlichen Studierenden zur positiven Absolvierung einer vorgesehenen Studienleistung ausdrücken, nicht bloß die Präsenzzeit in einer Lehrveranstaltung und daher keinesfalls mit Semesterwochenstunden verwechselt werden dürfen!). ECTS ist damit in Österreich im Hochschulbereich flächendeckend verankert (bei Privatuniversitäten wird ECTS als zu erfüllender Standard im Akkreditierungsverfahren verlangt). (jbu) §§: Beschluss 1720/2006/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 15.11.2006 über ein Aktionsprogramm im Bereich des Lebenslangen Lernens (ABl. 2006, Nr. L 327/45); Beschluss 253/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.1.2000 über die Durchführung der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms im Bereich der allgemeinen Bildung Sokrates (ABl. 2000, Nr. L 28/1); Beschluss 819/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.3.1995 über das gemeinschaftliche Aktionsprogramm Sokrates (ABl. 1995, Nr. L 87/10); Beschluss 89/663/EWG des Rates vom 14.12. 1989 zur Änderung des Beschlusses 87/327/EWG über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten – ERASMUS (ABl. 1989, Nr. L 395/23); Beschluss 87/ 327/EWG des Rates vom 15.6.1987 über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten – ERASMUS (ABl. 1987, Nr. L 166/20); Universitätsgesetz 2002 (UG 2002) BGBl. I 2002/120 i.d.g.F.; Fachhochschul-Stu-
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ECU diengesetz (FHStG) BGBl. 1993/340 i.d.g.F.; Universitäts-Akkreditierungsgesetz (UniAkkG) BGBl. I 1999/ 168 i.d.g.F.; Hochschulgesetz 2005 (HG 2005) BGBl. I 2006/30 i.d.g.F. Lit.: J. Bakic, Europäisches System zur Anrechnung, Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen (ECTS), Pädagogisches Glossar der Gegenwart, 2006, 105; F. Maiworm/U. Teichler, The First Years of ECTS in the View of the Students, 1995; S. Wuttig (Hrsg.), Das European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS) in der Praxis, 2004 Web: http://ec.europa.eu/education/programmes/ socrates/ects/index_de.html; http://ec.europa.eu/ education/programmes/socrates/ects/label_en.html; http://www.bologna-berlin2003.de/pdf/Communique _dt.pdf
ECU European Currency Unit – Écu
Der ECU wurde 1978, zeitgleich mit der Schaffung des Europäischen Währungssystems (ĺWirtschafts- und Währungsunion), als sog. Währungskorb eingeführt, der sich aus den gewichteten Währungen der damaligen Mitgliedstaaten zusammensetzte. Auf den ECU lautende Zahlungsmittel existierten nicht, vielmehr fungierte er nur als Rechnungseinheit. Primärer Zweck war die Berechnung von Wechselkursschwankungen im Rahmen des Europäischen Währungssystems, aus dem Beistandspflichten der nationalen Zentralbanken folgen konnten. Ferner diente der ECU als Rechnungseinheit für den Haushalt der EG, für Rechtsakte der EG sowie, auf freiwilliger Basis, für privatrechtliche Schuldverschreibungen. Die Umrechnungskurse zwischen dem ECU und den nationalen Währungen konnten vom Rat neu festgelegt werden. Aufgrund des ĺVertrags von Maastricht sollte ECU auch der Name der künftigen Einheitswährung sein (Art. 118, 123 Abs. 4 EG). Mit Wirkung vom 1.1.1999 wurde der ECU durch den ĺEuro ersetzt. (co) §§: VO (EWG) 3180/78; VO (EWG) 3181/78; VO (EG) 3320/94
EDA ĺVerteidigungsagentur, Europäische (EDA) EDU ĺEuropol-Drogenstelle EEA ĺEuropäische Umweltagentur (EEA) eEurope eEurope bezeichnet zwei Aktionspläne, nämlich eEurope 2002, der auf die Erhöhung der Zahl 224
der Internetanschlüsse in Europa abzielte, und eEurope 2005. Die Hauptziele des „Aktionsplans eEurope 2005: Eine Informationsgesellschaft für alle“ sind der Onlinezugang zu modernen öffentlichen Diensten, elektronische Behördendienste (E-Government), ein dynamisches Umfeld für den elektronischen Geschäftsverkehr (E-Business), eine sichere Informationsstruktur, Breitbandzugang zu wettbewerbsfähigen Preisen fast überall und eine vergleichende Bewertung und die Verbreitung guter Praktiken. In der Mitteilung eEurope 2005 – eine Halbzeitbilanz (KOM[2004] 108 endg.) wurde bereits eine erste Auswertung vorgenommen. (fs) §§: Mitteilung KOM(2002) 263 endg. Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l24226a. htm; http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l24226.htm
EFDA ĺEuropean Fusion Development Agency (EFDA) Effektiver Rechtsschutz ĺRechtsschutz, effektiver Effektivitätsgrundsatz principle of effectiveness – principe de l’effet utile
Der Effektivitätsgrundsatz stellt darauf ab, dass durch die Anwendung insb. des nationalen Verfahrensrechts die Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts „nicht praktisch unmöglich gemacht“ werden darf (EuGH, Rs. C-343/96 Dilexport, Slg. 1999, I-579; EuGH, Rs. C-231/96 Edis, Slg. 1998, I-4951; EuGH, Rs. C-260/96 Spac, Slg. 1998, I-4997). Er stellt insoweit eine Einschränkung des Grundsatzes der verfahrensrechtlichen ĺAutonomie der Mitgliedstaaten dar. Der Effektivitätsgrundsatz steht mit dem ĺÄquivalenzprinzip und beide mit dem Loyalitätsgebot des Art. 10 EG in engem Zusammenhang. (he) Lit.: U. Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2005, 259 ff.; T. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, § 6, Rn. 70; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 106 f.
Effet utile Wird mit „nützlicher“ oder „praktischer“ Wirkung/Wirksamkeit übersetzt. Zentraler Auslegungsgrundsatz des EuGH bei der Interpretation des Gemeinschaftsrechts. Unter Berücksichtigung der fortschreitenden Integration als
EG-Vertrag Ziel der Gemeinschaft bevorzugt der EuGH stets diejenige Auslegung, die die Verwirklichung der Vertragsziele am meisten fördert. Demnach ist jede Gemeinschaftsrechtsvorschrift so auszulegen, dass ihre praktische Wirksamkeit erreicht wird und sie größtmögliche Wirkung entfalten kann. Beispiele: unmittelbare Wirkung von ĺRichtlinien; Interpretation der ĺGrundfreiheiten über bloße Diskriminierungsverbote hinaus als Beschränkungsverbote; ĺStaatshaftung für Gemeinschaftsrechtsverletzungen. (zc) Lit.: T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 23; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, 570, 798
Effizienztest ĺSubsidiaritätsprinzip EFR ĺEuropäischer Forschungsraum (EFR); ĺEuropäischer Forschungsrat (EFR) EFRA ĺEuropäische Agentur für Grundrechte (EFRA) EFSA ĺEuropäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) EFTA-Erweiterung ĺErweiterung um Finnland, Österreich und Schweden; ĺNorwegen, Beitrittsbemühungen EFTA-Gerichtshof EFTA Court – Cour AELE
Der EFTA-Gerichtshof ist ein mit drei Richtern besetztes Gericht mit Sitz in Luxemburg, das über Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Abkommen über den ĺEuropäischen Wirtschaftsraum entscheidet. Seine Jurisdiktion beschränkt sich auf die drei EFTA-Staaten, die Vertragsparteien des EWR-Abkommens sind (Island, Liechtenstein und Norwegen), und auf Handlungen der EFTA-Überwachungsbehörde. Der EFTA-Gerichtshof wurde zum 1.1.1994 durch ein völkerrechtliches Abkommen zwischen den damaligen EFTA-Staaten errichtet, um die Bestimmungen des EWR-Abkommens zu ergänzen. Darin wird eine Zuständigkeit des EFTA-Gerichtshofs für folgende Verfahrensarten begründet:
1. Vertragsverletzungsverfahren, die die EFTAÜberwachungsbehörde oder ein EFTA-Staat gegen einen anderen EFTA-Staat einleitet, 2. Klagen eines EFTA-Staats oder einer natürlichen oder juristischen Person wegen einer Handlung oder Unterlassung der EFTA-Überwachungsbehörde und 3. die Erstattung von Gutachten auf Vorlage eines Gerichts eines EFTA-Staates. Diese Verfahren sind den Verfahrensarten des EG-Vertrags nachgebildet. Im Unterschied zu Urteilen des ĺEuGH im ĺVorabentscheidungsverfahren sind die Gutachten des EFTAGerichtshofs nicht verbindlich. (jb) §§: Abkommen zwischen den EFTA-Staaten zur Errichtung einer Überwachungsbehörde und eines Gerichtshofes, ABl. 31.12.1994, Nr. L 344/1 Lit.: A. Schweizer, Die Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs und die Homogenität im Europäischen Wirtschaftsraum, 2005; C. Baudenbacher et al. (Hrsg.), The EFTA Court, 2005; T. Ingadottir, The EEA Agreement and Homogeneous Jurisprudence, The Global Community Yearbook of International Law & Jurisprudence 2002, 193 Rsp.: Die Urteile des EFTA-Gerichtshofs finden sich unter der nachfolgend genannten Adresse Web: http://www.eftacourt.lu/
EG-Artenschutz-Verordnung ĺArtenbezogene Regelungen, Naturschutz EG-Grundfreiheiten ĺGrundfreiheiten EG-Mitgliedstaaten ĺMitgliedstaaten EG-Umweltzeichen ĺUmweltzeichen EG-Vertrag Treaty establishing the European Community – Traité instituant la Communauté européenne
Der EG-Vertrag hat sich aus dem ĺEWG-Vertrag heraus entwickelt und wurde mit dem ĺVertrag von Maastricht geschaffen. Durch den ĺVertrag von Amsterdam wurde der EGVertrag neu nummeriert. Der EG-Vertrag ist ein völkerrechtliches Übereinkommen und wird im Europarecht als Teil des ĺPrimärrechts angesehen. Dieser hat supranationalen Normcharakter, ist unmittelbar anwendbar und genießt ĺVorrang vor nationalrechtlichen Vorschriften. (lb) 225
EGG EGG ĺEuropäische Gegenseitigkeitsgesellschaft
§§: Mitteilung der Kommission über die Einbindung des Programms EGNOS in das Programm GALILEO, KOM(2003) 123 endg. Web: http://ec.europa.eu/dgs/energy_transport/galileo/ intro/steps_de.htm
kurze Zeit später einer Revision unterzogen. Die nunmehr geltende Regelung findet sich in der revidierten Europäischen Gerichtsstandsund Vollstreckungsverordnung in Ehe- und Sorgerechtssachen (ĺEheGVVO bzw. Brüssel IIa-VO), die in allen MS mit Ausnahme Dänemarks anwendbar ist. Sie stellt hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit in Art. 3 EheGVVO eine Reihe alternativer Anknüpfungsregeln für die Begründung eines Gerichtsstands zur Verfügung. Anknüpfungsmoment ist jeweils der (letzte) gewöhnliche Aufenthalt eines oder beider Ehegatten, deren Staatsangehörigkeit oder eine Kombination aus diesen beiden Kriterien. Grundregel ist, dass zunächst lediglich das Gericht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners international zuständig ist, nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten bzw. einem Jahr aber alternativ auch eine Zuständigkeit am neuen Aufenthaltsort des Antragsstellers begründet wird. Eine Auffangzuständigkeit in Art. 7 EheGVVO stellt darüber hinaus sicher, dass jeder Unionsbürger eine Zuständigkeit innerhalb der Gemeinschaft in Anspruch nehmen kann. Der Katalog der Gerichtsstände ist abschließend und auch durch ĺGerichtsstandsvereinbarung nicht abänderbar. Zwischen mehreren alternativ bestehenden Gerichtsständen kann der Antragssteller frei wählen. (mrm)
EGSA ĺEuropäische GNSS-Aufsichtsbehörde (GSA)
§§: Art. 3-7 EheGVVO Lit.: P. Finger, VO 1347/2000 des Rates der EU – Ein Überblick, FamRZ 2003, 134 ff.
EGKS ĺEuropäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl EGMR ĺEuropäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGNOS European Geostationary Navigation Overlay Service – service européen de navigation par complément géostationnaire
Mit EGNOS wird die Europäische Erweiterung des geostationären Navigationssystems bezeichnet. Es stellt mit Hilfe der Signale des amerikanischen GPS- und des russischen GLONASSSystems einen besonders leistungsfähigen Navigations- und Ortungsdienst zur Verfügung. ĺEuropäische GNSS-Aufsichtsbehörde (EGSA) (gr)
EheGVO ĺEuropäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung in Ehesachen EheGVVO ĺEuropäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung in Ehesachen Ehesachen, internationale Zuständigkeit matrimonial matters, jurisdiction – matière matrimoniale, competence internationale
Nach dem Modell des ĺBrüsseler Übereinkommens 1968 wurden 2001 durch die VO (EG) 1347/2001 (Brüssel II) europaweit einheitliche Zuständigkeitsregelungen für Verfahren über Ehescheidung, Trennung und Ungültigerklärung einer Ehe geschaffen. Auf Grund von Kritik an der in derselben VO enthaltenen Regelungen über die Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung über das Sorgerecht für gemeinsame Kinder wurde die VO jedoch 226
Eheschließung, Recht auf right to marry – droit de se marier
Als nunmehr positiviertes ĺGemeinschaftsgrundrecht enthält Art. 9 der ĺCharta der Grundrechte das Recht auf Eheschließung und Familiengründung. Regelungsvorbild ist Art. 12 ĺEMRK. Schutzgut ist das Recht auf Eingehen einer Ehe sowie auf Gründung einer Familie. Ehe meint nicht gleichgeschlechtliche Lebensbeziehung, wiewohl die Erläuterungen den Mitgliedstaaten eine Ausdehnung des Schutzes anheim zu stellen scheinen. (ed) §§: Art. 9 GRC Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 14, Rn 5
EIB-Gruppe EIB Group – Groupe BEI
Die EIB-Gruppe besteht aus der ĺEuropäischen Investitionsbank (EIB) und dem ĺEuropäischen Investitionsfonds (EIF) und wurde
Eigenmittel der EG auf Wunsch des ĺEuropäischen Rates von Lissabon im Jahr 2000 gegründet. Ziel war es, die Aufgabenbereiche der EIB und des EIF auf dem Gebiet der Finanzierung kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) zu optimieren. Die EIB stellt in Zusammenarbeit mit dem Bankensektor KMU lang- und mittelfristigen Globaldarlehen zur Verfügung, der EIF ist für Risikokapitalfinanzierungen und Garantien zuständig. (jlr) Web: http://www.eib.org/about/the-eib-group-.htm
Eigenmittel der EG capital resources of the EC – ressources propres
Nach Art. 269 Abs. 1 EG wird der Haushalt der Gemeinschaft unbeschadet der (bei quantitatver Betrachtung kaum ins Gewicht fallenden) sonstigen Einnahmen vollständig aus Eigenmitteln finanziert. 1. Begriff und Festlegung der Eigenmittel: Eigenmittel sind Finanzmittel, die selbstständig durch Gemeinschaftsrecht bestimmt werden, ohne dass es sich dabei notwendigerweise um originäre Gemeinschaftsabgaben handeln müsste (C. Waldhoff, in: C. Calliess/ M. Ruffert [Hrsg.], Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 269 EGV, Rn. 4). Das Finanzmittelaufkommen zur Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben unterfällt daher, sobald die Eigenmittel einmal durch entsprechenden Rechtsakt verbindlich festgelegt wurden, nicht mehr der Finanzautonomie der Mitgliedstaaten. Der Schutz mitgliedstaatlicher Finanzautonomie verwirklicht sich jedoch im Rahmen der Festlegung der Eigenmittel dadurch, dass der Rat Bestimmungen über das System der Eigenmittel einstimmig verabschieden muss und es zusätzlich der Annahme durch sämtliche Mitgliedstaaten gem. deren verfassungsrechtlichen Bestimmungen bedarf (Art. 269 Abs. 2 EG). Der Sache nach entspricht dies einer Vertragsanpassung. Der entsprechende Gemeinschaftsrechtsakt hat daher jedenfalls die Wirkung primären Gemeinschaftsrechts (C. Waldhoff, ebd. Rn. 3). Gültig ist derzeit der Eigenmittelbeschluss vom 29.9.2000 (2000/597/EG, Euratom) über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 2000, Nr. L 253/42). Im Verfassungsvertrag ist vorgesehen, die Eigenmittel durch Europäisches Gesetz, das der Rat einstimmig zu erlässt, festzulegen (Art. I-54 Abs. 3 VVE).
2. Arten der Eigenmittel: Eigenmittel fließen der Gemeinschaft derzeit vor allem aus Agrarabschöpfungen, Zöllen, dem mitgliedstaatlichen Mehrwertsteueraufkommen und ergänzend aus Finanztransfers nach Maßgabe der mitgliedstaatlichen Bruttosozialprodukte (BSP) zu (s. im Einzelnen Art. 2 Abs. 1 Eigenmittelbeschluss; hierzu Waldhoff, ebd. Rn. 5 ff.). Die Höhe der der Gemeinschaft zur Verfügung stehenden Eigenmittel wird durch die Deckelungsbestimmung des Art. 3 Eigenmittelbeschluss begrenzt, wonach der Gesamtbetrag der für Zahlungen zur Verfügung stehenden Eigenmittel einen bestimmten Prozentsatz des Gesamtbetrags des BSP der Mitgliedstaaten nicht überschreiten darf. Art. 4 Eigenmittelbeschluss enthält überdies eine (politisch umstrittene) Reduktion der vom Vereinigten Königreich aufzubringenden Mittel (so genannter „Britenrabatt“). 3. Erhebung der Eigenmittel: Die Eigenmittel der Gemeinschaften, die wie Agrarabschöpfungen und Zölle aus einer Abgabenerhebung fließen, werden nach Art. 8 Abs. 1 Eigenmittelbeschluss von den Mitgliedstaaten nach den innerstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erhoben, die gegebenenfalls den Erfordernissen der Gemeinschaftsregelung anzupassen sind. Insoweit ist das aus dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EG) folgende Gebot der Effektivität und Äquivalenz zu beachten, wonach nationale Rechtsvorschriften und Behörden im Rahmen des Gemeinschaftsrechtsvollzugs die effektive Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen haben und die hierzu ergriffenen Maßnahmen in ihrer Wirksamkeit nicht hinter vergleichbaren Maßnahmen zur Überwachung der Einhaltung des mitgliedstaatlichen Rechts zurückbleiben dürfen, vgl. EuGH, Rs. 309/85 (Barra), Slg. 1988, 355, Rn. 18; Rs. C-208/90 (Emmott), Slg. 1991, I-4269, Rn. 16; Rs. C-188/95 (Fantask), Slg. 1997, I-6783, Rn. 39; Rs. C-366/95 (SteffHoulbeck Export), Slg. 1998, I-2661, Rn. 15; Rs. C-343/96 (Dilexport), Slg. 1999, I-579, Rn. 26 f.; Rs. C-78/98 (Preston), Slg. 2000, I-3201, Rn. 31; Rs. C-201/02 (Wells), Slg. 2004, I-723, Rn. 67; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 10 EGV, Rn. 31, m.w.N. Die Kommission nimmt nach Art. 8 Abs. 2 Eigenmittelbeschluss in regelmäßigen Abständen eine Prüfung der einzelstaatlichen Bestimmungen vor, die ihr von den Mitgliedstaaten mitge227
Eigenmittelbeschluss teilt werden, teilt den Mitgliedstaaten die Anpassungen mit, die sie zur Gewährleistung ihrer Übereinstimmung mit den Gemeinschaftsvorschriften für notwendig hält, und erstattet der Haushaltsbehörde Bericht. 4. Durchführungsbestimmungen: Zur haushaltsrechtlichen Bereitstellung der Eigenmittel s. Art. 69 ĺHaushaltsordnung. Im Übrigen enthält Art. 279 Abs. 2 EG die Ermächtigung an den Rat, einstimmig den Eigenmittelbeschluss ergänzende Durchführungsbestimmungen zu erlassen. Im Einzelnen sind hierzu folgende Rechtsakte ergangen: ƒ VO (EWG, Euratom) 1553/89 vom 29.5. 1989 über die endgültige einheitliche Regelung für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel (ABl. 1989, Nr. L 155/9); ƒ VO (EG, Euratom) 1026/1999 vom 10.5. 1999 zur Festlegung der Rechte und Pflichten der von der Kommission mit der Kontrolle der Eigenmittel der Gemeinschaft beauftragten Bediensteten (ABl. 1999, Nr. L 126/1); ƒ VO (EG, Euratom) 1150/2000 vom 22.5. 2000 zur Durchführung des Beschlusses 94/728/EG, Euratom über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften (ABl. 2000, Nr. L 130/1). (gär) §§: Art. 269 EG; Eigenmittelbeschluss (2000/597/ EG, Euratom); VO (EWG, Euratom) 1553/89; VO (EG, Euratom) 1026/1999; VO (EG, Euratom) 1150/ 2000 Lit.: J. W. Hidien, Der Rechtscharakter der Mehrwertsteuereinnahmen der EU, EuR 1997, 95; B. Meermagen, Beitrags- und Eigenmittelsystem: Die Finanzierung inter- und supranationaler Organisationen, insbesondere der Europäischen Gemeinschaften, 2002; H. Trüpel/J. Seifert, Neue Wege bei den EU-Eigenmitteln gehen, integration 2006, 219 ff.
Eigenmittelbeschluss decision on the system of the Communities’ own resources – décision relative au système des ressources propres des Communautés européennes
Der Eigenmittelbeschluss ist ein einstimmiger Beschluss des Rates nach Art. 269 Abs. 2 EG, der durch die Mitgliedstaaten wie eine Vertragsänderung anzunehmen ist, der Sache nach daher dem Primärrecht angenähert ist und mit dem die der Finanzierung der Gemeinschaft (Art. 269 Abs. 1 EG) dienenden ĺEigenmittel festgesetzt werden. Gültig ist derzeit der Eigenmittelbeschluss vom 29.9.2000 (2000/597/EG, Euratom) über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 2000, Nr. L 253/42). Zu näheren Einzelheiten ĺEigenmittel (gär) 228
§§: Art. 269 EG
Eigentumsentflechtung ĺUnbundling Eigentumsfreiheit Grundrechtliche, s. ĺEigentumsrecht Eigentumsrecht right to property – droit de propriété
Vom EuGH (s. Rsp. unten) anerkanntes europäisches ĺGrundrecht: Die grundrechtliche Eigentumsfreiheit (Eigentumsrecht, Grundrecht auf Eigentum) gehört schon bisher zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts (schon EuGH, Rs. 4/73 Nold, Slg. 1974, 491; vgl. nun Art. 17 ĺGRC). Regelungsvorbild für Art. 17 GRC ist Art. 1 1. ZP ĺEuropäische Menschenrechtskonvention. Mitunter ist die Grenzziehung zur Berufs- und unternehmerischen Freiheit (Art. 15, 16 GRC) schwierig und wird vom EuGH nicht gemacht, sd. die beiden Grundrechte werden parallel angewendet. Der Schutzbereich erfasst nicht nur zivilrechtliches Eigentum („possession“) in einem nationalen Sinn, sondern ist autonom auszulegen. Gemeint ist jedes rechtmäßig erworbene, vermögenswerte Recht, das samt den Befugnissen daraus dem Einzelnen zur eigenverantwortlichen Entscheidung und privaten Nutzung überlassen ist. Sacheigentum, Forderungen, geistiges Eigentum sind geschützt, öffentlich-rechtliche Ansprüche u.U. auch, bloßes Vermögen nicht. Schranken: das Eigentumsrecht ist kein absolutes Recht, sondern dem EuGH zufolge im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion zu sehen. Die Ausübung der grundrechtlichen Eigentumsfreiheit kann daher Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der EU entsprechen (Wahrung eines ĺAllgemeininteresses) und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen Eingriff darstellen (ĺVerhältnismäßigkeitsprüfung), der das Recht in seinem Wesensgehalt antasten würde (ĺWesensgehaltssperre) (vgl. EuGH, Rs. C-306/93 SMW Winzersekt, Slg. 1994, I-5555, Rn. 22; EuGH, Rs. 37/02, 38/02 Di Lenardo und Dilexport, Slg. 2004, I-0000, Rn. 82; EuGH, Rs. C-347/03 Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia und Agenzia regionale per lo sviluppo rurale [ERSA], Slg. 2005, I-3785, Rn. 119; ĺGrundrechtsschranken).
Einfache Mehrheit, Rat der Europäischen Union Eigentumsentziehungen (Enteignungen oder defacto-Enteignungen) ebenso wie Nutzungsregelungen sind am ĺGesetzesvorbehalt (Art. 52 GRC, Art. 17 Abs. 1 Satz 3 GRC) zu messen. Enteignungen erfordern Entschädigungen, ansonsten ist die Frage im Rahmen der ĺVerhältnismäßigkeitsprüfung zu beantworten. Grundrechtliche ĺSchutzpflichten können aus dem Eigentumsrecht erfließen. (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 1 1. ZP EMRK als ĺGemeinschaftsgrundrecht; Art. 17 ĺGRC Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 22 Rsp.: EuGH, Rs. 4/73 Nold, Slg. 1974, 491; EuGH, Rs. 44/79 Hauer, Slg. 1979, 3727; EuGH, verb. Rs. 41/79, 121/79 und 796/79 Vittorio Testa u.a., Slg. 1980, 1979; jüngst z.B. EuGH, Rs. C-347/03 Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia und Agenzia regionale per lo sviluppo rurale (ERSA)/Ministerio delle Politiche Agricole e Forestali, Slg. 2005, I-3785 (best Verbot einer Qualitätsweinbezeichnung als „Tocai“, zu Art. 1 1. ZP EMRK insb. Rn. 125); im Verhältnis zum EUGrundrecht: EGMR, 30.6.2005, Nr. 45036/98, ĺBosphorus/Irland
Eignung qualitative selection – sélection qualitative
Ein öffentlicher ĺAuftraggeber darf einen öffentlichen ĺAuftrag nur an einen geeigneten ĺBieter vergeben. Von der Eignung im Sinn des ĺVergaberechts wird gesprochen, wenn der Bieter über die erforderliche Befähigung zur Berufsausübung (Fachkunde, in der österr. Terminologie: Befugnis), Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit (in der ĺVergabeRL ist von der persönlichen Lage des Bieters die Rede) verfügt. ƒ Ein Wirtschaftsteilnehmer ist zur Ausübung eines Berufs befähigt, wenn er über die nach den Vorschriften seines Herkunftslandes (s. dazu das ĺHerkunftslandprinzip) erforderliche Berechtigung verfügt, die im Regelfall durch die Eintragung in einem Berufs- oder Handelsregister nachgewiesen werden kann. ƒ Die Leistungsfähigkeit unterteilt sich in eine finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einerseits (nachzuweisen etwa durch entsprechende Umsatzzahlen) und eine technische Leistungsfähigkeit anderseits (nachzuweisen durch entsprechende Referenzen, technische Ausstattung und qualifiziertes Personal) (vgl. auch EuGH 20.9.1988, Rs. C-31/87 Beentjes, Slg. 1988, 4635). Ein Bieter kann sich zum Nachweis seiner Leistungsfähigkeit auch auf die Kapazitäten eines Dritten stützen, sofern er im Falle der Auftragsausführung tatsächlich auf dessen Mittel zugreifen kann (vgl. EuGH 2.12.1999, Rs. C-176/98 Holst Italia, Slg. 1999, I-8607); denkbar ist etwa ein Rück-
griff auf einen ĺWirtschaftsteilnehmer, an den ein ĺUnterauftrag vergeben werden soll. ƒ Zuverlässigkeit eines Bieters ist gegeben, so lange er nicht etwa auf Grund bestimmter gerichtlicher Verurteilungen oder schwerer beruflicher Verfehlungen bzw. auf Grund eines Insolvenzverfahrens als unzuverlässig anzusehen und dementsprechend vom weiteren ĺVergabeverfahren auszuschließen ist. Der Auftraggeber hat an die Bieter Mindestanforderungen hinsichtlich ihrer Eignung zu stellen. Diese Anforderungen müssen in einer angemessenen Relation zum Auftragsgegenstand stehen und dürfen somit nicht überschießend sein. Weiters hat der Auftraggeber die Nachweise, die der Bieter zum Beleg seiner Eignung vorzulegen hat, anzugeben. Um einem allfälligen Missbrauch vorzubeugen, werden die zulässigen Eignungsnachweise in der VergabeRL taxativ aufgezählt (vgl. EuGH 10.2.1982, Rs. C76/81 Transporoute, Slg. 1982, 417). Erfüllt ein Bieter die verlangten Anforderungen an seine Eignung nicht, so ist sein ĺAngebot auszuscheiden. (cm) §§: Art. 44 bis 51 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 713; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 252 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Eignung, fachliche ĺSubjektive Marktzugangsbedingungen EINECS European Inventory of Existing Commercial Chemical Substances – Inventaire Européen des Substances chimiques Commerciales Existantes
Das EINECS-Verzeichnis ist das Altstoffverzeichnis (Altstoffe) der EU. ĺGefahrstoffrecht, Recht der industriellen Risiken. (sm) Einfache Mehrheit, Rat der Europäischen Union (simple) majority, Council of the European Union – majorité relative, Conseil de l’Union Européen
Nach Art. 205 Abs. 1 EG entscheidet der Rat, „soweit in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist“, mit einfacher Mehrheit. Trotz des scheinbaren Regelcharakters, den man aus Art. 205 Abs. 1 EG ableiten könnte, handelt es sich praktisch um einen Ausnahmefall, zumal in den meisten Rechtsgrundlagen das Erfordernis einer ĺqualifizierten Mehrheit gilt. Im Fall der einfachen Mehrheit ist eine absolute Mehr229
Einfuhr (steuerrechtlich) heit der Mitglieder des Rates – demnach die Zustimmung von gegenwärtig 14 Mitgliedern – erforderlich. Daraus folgt, dass ĺStimmenthaltungen einer Gegenstimme gleichkommen. (bho) §§: Art. 205 EG Lit.: U. Haltern, Europarecht – Dogmatik im Kontext, 2005, 95
Einfuhr (steuerrechtlich) importation (tax law) – affaires à l’importation (droit fiscal)
Unter einer steuerrechtlichen Einfuhr – als Gegenbewegung zur steuerrechtlichen ĺAusfuhrlieferung – versteht man den Import von Gegenständen aus Drittstaaten (somit außerhalb des Gemeinschaftsgebietes) in das Inland. Die Besteuerung dieses Einfuhrtatbestandes soll verhindern, dass Waren aus einem Drittstaat unversteuert im jeweiligen Mitgliedstaat endverbraucht werden. Die Besteuerung der Einfuhr ist eine unmittelbare Konsequenz des ĺBestimmungslandprinzips, weil dadurch gewährleistet wird, dass die eingeführten Gegenstände immer mit der jeweiligen inländischen Umsatzsteuer jenes Landes belastet werden, in welchem auch der Endverbrauch derselben liegt. Die bei einer Einfuhr anfallende Umsatzsteuer, welche regelmäßig direkt an der Grenze erhoben wird, wird als ĺEinfuhrumsatzsteuer bezeichnet. (pu) §§: Art. 7 6. MwStRL
Einfuhr (freier Warenverkehr) importation (free movement of goods) – importation (libre circulation des marchandises)
Liegt ein Grenzübertritt der ĺWare vor, dann wird je nach Blickwinkel von einer Einfuhr (Import) oder ĺAusfuhr (Export) gesprochen. Beschränkungen der Einfuhr sind nach Art. 28 EG verboten; Beschränkungen der Ausfuhr nach Art. 29 EG. Gegenstand einer Ein/Ausfuhr können alle Arten von Waren sein. Die Formen der Ein-/Ausfuhr sind vielfältig; darunter werden sowohl direkte und indirekte Ein-/Ausfuhren, ĺParallelimporte als auch ĺWiedereinfuhren verstanden. Unter den Anwendungsbereich der jeweiligen Bestimmung fallen sämtliche Formen, dabei ist es unerheblich, ob diese gewerblichen oder privaten Zwecken dienen. (güh) Web: GD Binnenmarkt, Leitfaden zum Konzept und zur praktischen Anwendung der Art. 28-30 EG-Ver-
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trag, 2000: http://ec.europa.eu/enterprise/regulation/ goods/docs/art2830/guideart2830_de.pdf
Einfuhrbeschränkung, mengenmäßig quantitative restriction on imports – restriction quantitative à l’importation
Einfuhrbeschränkungen sind nach Art. 28 EG verboten. Darunter sind Maßnahmen zu verstehen, welche die ĺEinfuhr von ĺWaren der Menge und/oder dem Wert nach ganz oder teilweise untersagen. Die Ein- bzw. ĺDurchfuhr wird nicht bloß erschwert, sondern ganz oder teilweise ausgeschlossen. Mengenmäßige Beschränkungen werden i.d.R. gemeinsam mit dem Tatbestandsmerkmal der ĺMaßnahmen gleicher Wirkung geprüft und gehen meist in diesem auf. Die praktische Bedeutung der mengenmäßigen Ein- und ĺAusfuhrbeschränkungen ist daher gering. Das klassische Beispiel für mengenmäßige Beschränkungen sind ĺKontingente, aber auch gänzliche ĺAbsatzverbote, die als Beschränkung auf die Menge Null angesehen werden können. (ah) Lit.: A. Epiney, Freiheit des Warenverkehrs, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, 227, Rn. 2 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 13/68, Salgoil, Slg. 1968, 423
Einfuhrlizenz (freier Warenverkehr) import licence (free movement of goods) – licence d’importation (libre circulation des marchandises)
Bezeichnet die Verpflichtung vor der ĺEinfuhr der ĺWare eine Lizenz oder Genehmigung des importierenden ĺMitgliedstaats einzuholen. Einfuhrlizenzen oder ähnliche Verfahren sind eine Form der Behinderung des Einfuhrvorgangs und daher eine ĺMaßnahme gleicher Wirkung. Ein Verstoß gegen Art. 28 EG liegt auch dann vor, wenn die Lizenzen generell und bedingungslos gewährt werden. Die Ausstellung einer Lizenz kann dem Bestimmungsland die Möglichkeit einer Verzögerung oder eines Missbrauch bieten. Als Einfuhrlizenzen sind auch alle Arten von Sicht- und Bestätigungsvermerken zu bewerten; selbst wenn diese nur der statistischen Kontrolle dienen und ohne Aufschub für jede gewünschte Menge gewährt werden. (güh) Lit.: P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 7.03; P. MüllerGraf, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 81 Rsp.: EuGH, Rs. 51-54/71, Internationale Fruit Company, Slg. 1971, 1107
Einheitliche Interpretation des EVÜ Einfuhrumsatzsteuer turnover tax on importation – taxe sur le chiffre d’affaires à l’importation
Als Einfuhrumsatzsteuer wird jene Umsatzsteuer bezeichnet, welche bei Vorliegen einer steuerpflichtigen ĺEinfuhr eines Gegenstandes in das Gemeinschaftsgebiet geschuldet wird. Die Einfuhrumsatzsteuer wird regelmäßig nach dem Zollwert der vom Drittland in das Inland eingeführten Gegenstände bemessen. Dies ist in den überwiegenden Fällen der Kaufpreis selbst, allenfalls erhöht um einen Zoll. Im Fall des Veredelungsverkehrs, d.h. der Ausbesserung oder Bearbeitung im Ausland, ist die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer das im Ausland für die durchgeführte Verbesserung („Veredelung“) bezahlte Entgelt. Sollte im Einzelfall kein Entgelt bezahlt worden sein, dann ist der durch die Veredelung bedingte Mehrwert eines Gegenstandes maßgebend. Die geschuldete Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) ist regelmäßig sofort als Vorsteuer wiederum abziehbar, sodass sich üblicherweise kein tatsächlicher Zahlungsfluss ergibt. Die konkreten verfahrensrechtlichen Regelungen obliegen jedoch den einzelnen Mitgliedstaaten, weshalb im gegebenen Zusammenhang nationale Unterschiede vorliegen können. (pu) Eingriff ĺGrundrechtseingriff Eingriffsnormen overriding rules – normes d’application immédiate
Eingriffsnormen sind international zwingende Normen, also solche Normen, die auf ein grenzüberschreitendes Rechtsverhältnis zwingend anzuwenden sind, auch wenn dieses Rechtsverhältnis eigentlich (sei es aufgrund einer ĺRechtswahl, sei es aufgrund einer gesetzlichen Verweisung) einer anderen Rechtsordnung unterliegt. Von Bedeutung sind Eingriffsnormen insbesondere im internationalen Vertragsrecht, weil sie hier die ĺRechtswahl beschränken. Ausdrücklich geregelt sind die Eingriffsnormen für diesen Bereich in Art. 7 ĺEVÜ. Auch die ĺRom II-Verordnung enthält in Art. 16 eine ausdrückliche Bestimmung über den Vorrang von Eingriffsnormen. Eingriffsnormen können nicht nur dem nationalen, sondern auch dem Gemeinschaftsrecht entstammen (vgl. etwa Art. 7 Abs. 2 der VerbrauchsgüterkaufRL, RL 1999/44/EG, ABl. 1999, Nr. L 171/12; Art. 9 Abs. 2 der TimesharingRL, RL
1994/47/EG, ABl. 1994, Nr. L 280/83; Art. 6 Abs. 2 AGB-Richtlinie, RL 1993/13/EWG, ABl. 1993, Nr. L 95/29). Eine grundlegende Entscheidung des EuGH in diesem Zusammenhang ist die ĺIngmar-Entscheidung. (js) §§: Art. 7 ĺEVÜ; Art. 16 ĺRom II VO Lit.: Bericht über das EVÜ von M. Giuliano/P. Lagarde, ABl. 1980, Nr. C 282/1, Anmerkungen zu Art. 7; B. Verschraegen, in: P. Rummel (Hrsg.), ABGB Kommentar I/6, 3. Aufl. 2004, Art. 7 EVÜ Web: Der in Lit. erwähnte Bericht von M. Giuliano/P. Lagarde ist abrufbar unter: http://www.romeconvention.org
Einheitliche Auslegung des EVÜ ĺEinheitliche Interpretation des EVÜ Einheitliche Europäische Akte (EEA) Single European Act (SEA) – L’Acte unique européen (AUE)
Erste wichtige Änderung der ĺGründungsverträge durch die am 17./18.2.1986 in Luxemburg bzw. Den Haag unterzeichneten und am 1.7. 1987 in Kraft getretenen EEA (ABl. 1987, Nr. L 169, geändert durch ABl. 1992, Nr. C 191/1) Wesentliche Änderungen waren die Einführung neuer Bereiche in die Gemeinschaftskompetenzen insbesondere in den Bereichen Entwicklung und Forschung, Umwelt und gemeinsame Außenpolitik, ein ĺMitbestimmungsrecht des ĺEP im Gesetzgebungsverfahren (ĺVerfahren der Zusammenarbeit, heute Art. 252 ĺEGV) sowie die Gestaltung eines ĺBinnenmarktkonzepts (Art. 14 EG), demgem. bis zum 31.12. 1992 der ĺBinnenmarkt schrittweise zu verwirklichen war. Weiters brachte die EEA in Teil III eine Institutionalisierung der ĺEuropäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), die später in eine ĺgemeinsame Außenpolitik münden sollte. Einschränkung des Einstimmigkeitsprinzips im Bereich der Maßnahmen, die der Verwirklichung des Binnenmarktes dienen. Einführung des Europäischen Rates, durch den die Konferenzen der Staats- und Regierungschefs institutionalisiert werden. (gm) Lit.: T. Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, Rn. 42; P. Craig/G. de Búrca, EU Law, 3. Aufl. 2003, 13 ff. Web: http://europa.eu/scadplus/treaties/singleact_en. htm
Einheitliche Interpretation des EVÜ uniform interpretation of the Rome Convention – interprétation uniforme de la Convention de Rome
Gem. Art. 18 ĺEVÜ ist bei der Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des ĺEVÜ 231
Einheitlicher Euro-Zahlungsverkehrsraum dem internationalen Charakter dieser Vorschriften und dem Wunsch Rechnung zu tragen, eine einheitliche Auslegung und Anwendung zu erreichen. Die im ĺEVÜ verwendeten Begriffe dürfen daher nicht bloß unter Bezugnahme auf nationales Recht interpretiert werden. Wenn möglich sollte auch die Judikatur anderer Vertragsstaaten berücksichtigt werden. Soweit dieselben Begrifflichkeiten verwendet werden, ist auch die EuGH-Rechtssprechung zum ĺEuGVÜ (nunmehr: ĺEuGVO) einschlägig (z.B. zum Begriff „Verbrauchervertrag“). Seit 1.8.2004 ist es außerdem möglich, bei Auslegungsproblemenen des ĺEVÜ ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH einzuleiten. (js) §§: Art. 18 ĺEVÜ Lit.: Bericht über das EVÜ von M. Giuliano/P. Lagarde, ABl. 1980, Nr. C 282/1, Anmerkungen zu Art. 18; B. Verschraegen, in: P. Rummel (Hrsg.), ABGB Kommentar I/6, 3. Aufl. 2004, Art. 18 EVÜ Web: Der in Lit. erwähnte Bericht von M. Giuliano/P. Lagarde ist abrufbar unter: http://www.romeconvention.org
Einheitlicher Euro-Zahlungsverkehrsraum Single Euro Payments Area (SEPA) – espace unique de paiement en euros
Bei SEPA (Single Euro Payments Area) handelt es sich um ein zunächst nur politisch erörtertes Projekt der Kommission und der EZB, einen integrierten Markt für Zahlungsdienstleistungen zu schaffen, bei dem innerhalb des ĺEuroraums nicht zwischen grenzüberschreitenden und nationalen Zahlungen unterschieden wird. Ziel soll es sein, dass jeder Kontoinhaber innerhalb des Euroraums bargeldlose Zahlungen über ein einziges Konto einfach, effizient und sicher abwickeln kann. Mittlerweile liegt ein eigenes Konzept der Kreditwirtschaft vor, auf freiwilliger Basis einheitliche Standards für europäische Überweisungen, Lastschriften sowie den kartengestützten Zahlungsverkehr zu entwickeln. Die Richtlinie über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, die bis zum 1.11. 2009 umgesetzt werden muss, wird hierfür einen verbindlichen Rechtsrahmen schaffen. (co) §§: Richtlinie über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, ABl. 2007, Nr. L 319/1
Einheitlichkeit der Mitgliedschaft consistency of membership – uniformité des critères d’adhésion
Seit dem In-Kraft-Treten des ĺEUV ist die E. d. M. vertraglich festgeschrieben. Der ĺBeitritt erfolgt aufgrund eines einheitlichen ĺBeitritts232
verfahrens zu allen Verträgen auf denen die EU beruht (Art. 49 Abs. 2 EU) und damit zum gesamten ĺGemeinschaftlichen Besitzstand der Union. Dies war zwar schon vor dem Vertrag von Maastricht bei allen ĺErweiterungen der Gemeinschaft gemeinsame Praxis, doch gab es aufgrund der einschlägigen Erweiterungsbestimmungen der Verträge (Art. 237 EWG, 205 EAG und Art. 98 EGKS) die rechtliche Möglichkeit einer selektiven Mitgliedschaft. Die geltenden Verträge gewähren daher den beitretenden Staaten keine Option auf eine EU „à la carte“. Umgekehrt haben die bisherigen MS bei der sog. ĺOsterweiterung in manchen Politikfeldern eine abgestufte Integration durchgesetzt (bspw. im Falle des ĺSchengen-Raumes oder der ĺDirektzahlungen). (lo) §§: Art. 49 Abs. 2 EU Lit.: W. Meng, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 49 EUV, Rn.1-2
Einnahmen budget revenue – Les recettes
Die Gemeinschaft finanziert sich fast ausschließlich aus ĺEigenmitteln und verfügt auch finanzverfassungsrechtlich über Autonomie gegenüber ihren Mitgliedstaaten. (gär) Einpersonengesellschaftsrichtlinie directive on single-member private limited liability companies – directive en matière de droit des sociétés concernant les sociétés à responsabilité limitée à un seul associé
Zwölfte gesellschaftsrechtliche ĺRichtlinie vom 20.12.1989 betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter (89/667/EWG – ABl. 1989, Nr. L 395/40); die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Einpersonengesellschaft mit beschränkter Haftung durch genuine Gründung bzw. Vereinigung aller Gesellschaftsanteile in der Hand eines einzigen Gesellschafters zuzulassen. Gleichzeitig statuiert die Richtlinie gewisse Publizitätspflichten: Die Vereinigung aller Gesellschaftsanteile ist offen zu legen, über die Beschlüsse des einzigen Gesellschafters (dem dieselben Befugnisse ist wie der Generalversammlung zukommen) und Insichgeschäfte ist eine Niederschrift aufzunehmen. In Österreich wurde die Einpersonengesellschaftsrichtlinie durch das EU-GesRÄG 1996 (BGBl. 1996/304) umgesetzt; seit dem GesRÄG 2004 ist – über die Richtlinie hinausgehend –
Einwendungserhalt auch die Einpersonengründung einer Aktiengesellschaft möglich. (tr) Lit.: H. Hirte, Die Zwölfte EG-Richtlinie als Baustein eines Europäischen Konzernrechts, ZIP 1992, 1122
Einrede der Rechtswidrigkeit ĺInzidentrüge Einrichtung des öffentlichen Rechts ĺAuftraggeber, öffentlicher Einstimmigkeit, Rat der Europäischen Union unanimity – unanimité
Der Rat entscheidet in – aus der Sicht der Mitgliedstaaten – besonders sensiblen Politikbereichen mit Einstimmigkeit, womit jedem Mitgliedstaat ein Vetorecht zukommt. Während das Einstimmigkeitserfordernis im EG mittlerweile die Ausnahme darstellt (vgl. z.B. Art. 93 EG hinsichtlich der Harmonisierung indirekter Steuern), stellt es in der intergouvernementalen zweiten und dritten Säule die Regel dar (Art. 23 und Art. 34 Abs. 2 EU). Ist Einstimmigkeit erforderlich, wirkt eine ĺStimmenthaltung nicht als Gegenstimme (Art. 205 Abs. 3 EG). (bho) §§: Art. 93 EG; Art. 23 EU; Art. 34 EU; Art. 205 EG Lit.: U. Haltern, Europarecht – Dogmatik im Kontext, 2005, 95; K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10-045
Einstweiliger Rechtsschutz ĺVerfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Einstweiliger Rechtsschutz (deutsche Rechtslage) ĺRechtsweggarantie (deutsche Rechtslage) Einwendungsdurchgriff enforcement of objection – emprise de l’objection
Der Einwendungsdurchgriff (im Kreditverhältnis) wird in Art. 11 Abs. 2 der ĺVerbraucherkreditRL geregelt. Wenn für den Bezug von Waren oder Dienstleistungen ein Kredit mit einer anderen Person als dem Lieferanten vereinbart worden ist („Drittfinanzierung“) und dieser auf einer vorherigen Abmachung zwischen dem Lieferanten und Kreditgeber zur ausschließlichen Finanzierung durch den Kreditgeber basiert (sog. „Ausschließlichkeitsklausel“), kann der Verbraucher die dem Lieferantem gegenüber bestehende Einrede des nicht, nicht gehö-
rig oder nur teilweise erfüllten Vertrages ebenso dem Kreditgeber entgegenhalten, der seinen Anspruch auf den Kredtivertrag stützt, sofern der Verbraucher seine Rechte gegenüber dem Lieferanten erfolglos geltend gemacht hat („subsidiäre Haftung“). Die horizontale Wirkung (ĺRichtlinien, Horizontalwirkung) des Art. 11 Abs. 2 RL hat der EuGH indes verneint (EuGH 7.3.1996, Rs. C-192/94 El Corte Inglés, Slg. 1996, I-1281). (pa) §§: RL 87/102/EWG des Rates vom 22.12.1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. 1987, Nr. L 42/48; RL 90/88/EWG des Rates vom 22.2.1990 zur Änderung der RL 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. 1990, Nr. L 61/14; RL 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.1998 zur Änderung der RL 87/102/EWG zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. 1998, Nr. L 101/17 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Einwendungserhalt maintainance of objection – maintien du droit au recours
Der Einwendungserhalt ist in Art. 9 der ĺVerbraucherkreditRL geregelt und bietet dem Verbraucher Schutz davor, dass er bei Abtretung von Ansprüchen des Kreditgebers aus dem Kreditvertrag an einen Dritten seiner ursprünglichen Einreden gegenüber dem Neugläubiger verlustig geht. Er kann also dem Neugläubiger alle Einreden einschließlich der Aufrechnungseinrede entgegenhalten, die ihm seinerzeit gegenüber dem Altgläubiger zugestanden sind („zessionsrechtliches Verschlechterungsverbot“). Diese Regelung kann von den Parteien nicht abbedungen werden. (pa) §§: RL 87/102/EWG des Rates vom 22.12.1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. 1987, Nr. L 42/48; RL 90/88/EWG des Rates vom 22.2.1990 zur Änderung der RL 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. 1990, Nr. L 61/14; RL 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.1998 zur Änderung der RL 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. 1998, Nr. L 101/17 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/ H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
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Einwilligung Einwilligung consent – consentement
Die den Anforderungen an gültige Willenserklärungen entsprechende Einwilligungserklärung in einen (sonst) ĺGrundrechtseingriff nimmt ihm den Eingriffscharakter: Mit (gültiger) Zustimmung zur Grundrechtsberührung liegt in aller Regel kein Eingriff in ein ĺGrundrecht vor. (ed) Einwilligung der betroffenen Person consent of the data subject – consentement de la personne concernée
Unter Einwilligung der ĺbetroffenen Person zur ĺVerarbeitung ihrer Daten versteht die ĺDatenschutzrichtlinie jede Willensbekundung, die ohne Zwang, für den konkreten Fall und in Kenntnis der Sachlage erfolgt und mit der die betroffene Person akzeptiert, dass personenbezogene Daten, die sie betreffen, verarbeitet werden. Mit der Einwilligung der betroffenen Person ist praktisch jede Datenverarbeitung zulässig. Dies ist Ausdruck eines informationellen Selbstbestimmungsrechts wonach grundsätzlich jede Bürgerin und jeder Bürger selbst über die Verarbeitung oder Nichtverarbeitung ihrer oder seiner Daten bestimmen können soll. (al) §§: Art. 2 lit. h, Art. 7 und 8 RL 95/46/EG, ABl. 1995 Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 114; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 87
abweichend von einer Beihilferegelung ohne Notifizierung an die Kommission gewährt werden) unterliegen einer individuellen Prüfung der Kommission. (jr) §§: Art. 1 lit. e, VO (EG) 659/1999 Lit.: A. Sinnaeve, in: M. Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2003, § 32, Rn. 23 Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:31999R0659:DE:HTML
Einzelentscheidung, automatisierte ĺAutomatisierte Einzelentscheidung Einzelermächtigung, begrenzte attribution of powers – compétence d’attribution
Grundsatz, dass EU und EG – wie jede internationale Organisation – nur über die Kompetenzen verfügen, die ihr im Gründungsvertrag zugewiesen werden. Wird ergänzt durch den Grundsatz, dass Vertragsänderungen und somit auch Änderungen der Kompetenzzuweisung von den Mitgliedstaaten vorzunehmen sind, so dass EU und EG keine Kompetenz-Kompetenz besitzen. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung wird aufgelockert durch die Abrundungskompetenz in Art. 308 EG und die implied-powers-Doktrin des ĺEuGH. (sgk) §§: Art. 5 EU; Art. 5 Abs. 1 EG Lit.: H.-P. Kraußer: Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzip des EWG-Vertrages, 1991
Einzelbeihilfen
Einzelfreistellung
individual aids – aides individuelles
individual exemption – exemption individuelle
Einzelbeihilfen werden nicht aufgrund einer ĺBeihilferegelung gewährt. Eine Einzelbeihilfe kann auch vorliegen, wenn eine Vergünstigung aufgrund einer Beihilferegelung gewährt wird, die Zuwendung selbst allerdings dennoch anmeldepflichtig ist. Bei letzeren Vergünstigungen handelt es sich um jene Fälle, in denen eine Beihilferegelung genehmigt worden, für bestimmte Maßnahmen jedoch eine Einzelanmeldung erforderlich ist (etwa dort, wo ein in einer Beihilferegelung festgesetzter Schwellenwert überschritten wird). Die Unterscheidung zwischen Beihilferegelung und Einzelbeihilfe ist von wesentlicher Bedeutung für die Festsetzung des Verfahrensgegenstandes. Je nach Zuordnung wird entweder die abstrakte Regelung oder der individuelle Gewährungsakt von der Kommission geprüft. Sämtliche Einzelbeihilfen (daher auch jene, die
Eine Einzelfreistellung ist nach Art. 81 Abs. 3 EG möglich, wenn die entsprechende unter Art. 81 Abs. 1 EG fallende ĺVereinbarung zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung bzw. zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beiträgt und diese Vorteile in angemessener Weise an den Verbraucher weitergegeben werden. Trotz dieser Effekte kann eine ĺFreistellung nicht erfolgen, soweit die in Kauf genommene ĺWettbewerbsbeschränkung nicht unerlässlich zur Erreichung der Zwecke ist (Art. 81 Abs. 3 lit. a) oder sie den Wettbewerb auf einem wesentlichen Teil des betreffenden Marktes ausschaltet (Art. 81 Abs. 3 lit. b). Während es vor Inkrafttreten der VO (EG) 1/2003 noch einer ĺEinzelfreistellung gem. Art. 81 Abs. 3 EG durch die ĺKommission bedurfte, ist es nunmehr Aufgabe der ĺUnternehmen, abzuschätzen, ob eine Vereinbarung
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Einziehungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von unter das ĺKartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG fällt (sog. „System der Selbstveranlagung“). (jpt) §§: Art. 81 Abs. 3 EG; VO (EG) 1/2003, ABl. 2003, Nr. L 1/1 Lit.: T. Eilmannsberger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 81 EGV, Rn. 125 ff.
Einzelmarktbeherrschung individual dominant position – contrôle du marché unique
Eine Einzelmarktbeherrschung liegt vor, wenn nur ein ĺUnternehmen einen relevanten Markt beherrscht. Dies liegt nahe, wenn das betreffende ĺUnternehmen zwischen 50 % und 100 % Marktanteil aufweist. Freilich reicht eine Bestimmung der Marktanteile allein nicht immer aus, um eine Einzelmarktbeherrschung anzunehmen; vielmehr kann es auch eine Rolle spielen, wie die Marktstruktur ist und ob nennenswerte Marktzutrittsschranken etc. bestehen. (jpt) §§: Art. 82 EG Lit.: W. Möschel, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Art. 82, Rn. 63 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 62/86 AKZO, Slg. 1991, I-3359; EuGH, Rs. 250/92 DLG, Slg. 1994, I-5641
Einziehung, haushaltsrechtliche recovery – ordonnancement des recouvrements
Nach Art. 72 ĺHaushaltsordnung (HO) ist die Anordnung einer Einziehung eine Handlung, mit der der zuständige (ggf. nachgeordnet) bevollmächtigte Anweisungsbefugte durch Ausstellung einer Einziehungsanordnung den Rechnungsführer anweist, eine von ihm festgestellte Forderung einzuziehen. Nach Art. 73 Abs. 1 UAbs. 1 HO ist für die Durchführung der Einziehung der ĺRechnungsführer zuständig. Gem. Art. 72 Abs. 2 HO kann das Organ die Feststellung einer Forderung gegenüber nichtstaatlichen Schuldnern durch eine Entscheidung formalisieren. Hieraus erwächst dann ein vollstreckbarer Titel gem. Art. 256 EG. Die Forderung kann dadurch entsprechend dem Zivilprozessrecht im jeweiligen Mitgliedstaat, in dem die Vollstreckungshandlung vorgenommen wird, beigetrieben werden. (gär) §§: Art. 73 f. Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002)
Einziehungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von mutual recognition of decision on confiscation orders – reconnaissance mutuelle des décisions de confiscation
Gerichtliche Einziehungsentscheidungen eines ĺMitgliedstaates der ĺEU, die im Anschluss
an ein Straftaten betreffendes Verfahren verhängt werden, unterliegen dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustiziellerEntscheidungen, Grundsatz der). Sie sind daher grundsätzlich von jedem anderen Mitgliedstaat, dem eine solche Entscheidung zur Vollstreckung übermittelt wird, ohne jede weitere Formalität anzuerkennen und zu vollstrecken. Diese Verpflichtung ist im Rahmenbeschluss 2006/783/JI über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen näher geregelt. Der ĺRahmenbeschluss ist nicht unmittelbar wirksam, jedoch spätestens bis zum 24.11.2008 in innerstaatliches Recht umzusetzen. 1. Anwendungsbereich: Der Begriff der Einziehungsentscheidung ist unionsrechtlich eigenständig definiert und durch den Rahmenbeschluss 2005/212/JI mindestharmonisiert. Dieser frühere RB hat also sichergestellt, dass in allen Mitgliedstaaten ein Mindestmaß an Einziehungsmöglichkeiten besteht. Umfasst sind solche Strafen oder Maßnahmen, die von einem Gericht im Anschluss an ein Straftaten betreffendes Verfahren verhängt wurden und die zum endgültigen Entzug von Vermögensgegenständen führen (insb. Einziehung, Verfall). Die Einziehungsentscheidung kann dabei körperliche oder unkörperliche, bewegliche oder unbewegliche Vermögensgegenstände jeder Art sowie solche Gegenstände betreffende Urkunden oder rechtserhebliche Schriftstücke betreffen, die den Ertrag einer Straftat darstellen oder dessen Wert ganz oder teilweise entsprechen, Tatwerkzeug sind oder einer erweiterten Einziehung unterliegen. 2. Verfahren: Das Gericht des Entscheidungsstaats übermittelt seine Einziehungsentscheidung oder eine beglaubigte Abschrift davon unmittelbar der für die Vollstreckung zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats. Beizufügen ist eine nach dem Rahmenbeschluss vorgesehene, für alle Mitgliedstaaten ident aufgebaute Bescheinigung, die der Vollstreckungsbehörde die notwendigen Informationen zur Verfügung stellen soll. Die Vollstreckungsbehörde erkennt die Einziehungsbehörde ohne jede weitere Formalität an und trifft unverzüglich alle zur Vollstreckung erforderlichen Maßnahmen, soweit sie keine nach dem RB zulässigen Versagungs- oder Aufschubgründe geltend macht. Die Einrede des Nichtvorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit 235
Eionet kann nur dann entgegengehalten werden, wenn kein ĺListendelikt vorliegt, das im Entscheidungsstaat mit einer Mindesthöchststrafe von drei Jahren bedroht ist. Das Vollstreckungsverfahren richtet sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaats. Mit im Vollstreckungsstaat eingelegten Rechtsbehelfen können jedoch nicht die Sachgründe für den Erlass der Einziehungsentscheidung angefochten werden. Nur der Entscheidungsstaat kann über Anträge auf Überprüfung der Einziehungsentscheidung entscheiden; Amnestie oder Gnadenerlass können hingegen sowohl vom Entscheidungs- als auch vom Vollstreckungsstaat gewährt werden. Einziehungsentscheidungen können auch durch ebenfalls dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung unterliegenden Sicherstellungsentscheidungen (ĺSicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidungen über) vorbereitet werden. Eine Verpflichtung der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Einziehungsentscheidungen kann sich darüber hinaus auch aus dem Europaratsübereinkommen über Geldwäsche sowie die Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (SEV Nr. 141) ergeben. (sts) §§: Rahmenbeschluss 2005/212/JI des Rates vom 24.2.2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten, ABl. 2005, Nr. L 68/49; Rahmenbeschluss 2006/783/ JI des Rates vom 6.10.2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, ABl. 2006, L 328/59
Eionet European Environment Information and Observation Network (Eionet)
Europäisches Umweltinformations- und Umweltbeobachtungsnetz (Eionet), das sich aus mitgliedstaatlichen Subnetzen speist, die auf nationalstaatlicher Ebene Informations- und Koordinierungsaufträge wahrnehmen. ĺEuropäische Umweltagentur (EEA). (gr) Eisenbahnunternehmen, Genehmigungserteilung railway undertakings, licensing – entreprises ferroviaires, licences
In der RL 95/18/EG (ABl. 1995, Nr. L 143/70) werden ĺsubjektive Marktzugangsbedingungen für den Berufe im Zusammenhang mit Eisenbahnunternehmen aufgestellt. Der Anwendungsbereich der RL erfasst alle Eisenbahnun236
ternehmen mit Sitz in einem MS. Allerdings sind mitgliedstaatliche Ausnahmemöglichkeiten betreffend Eisenbahnunternehmen vorgesehen, deren Tätigkeit auf regionale Güterverkehrsdienste beschränkt ist, sowie für Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr. Konzeptionell geht es um die Festlegung gemeinschaftlicher Regelungen, soweit für dies Funktionsfähigkeit des entstehenden Schienenmarktes notwendig ist. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale eröffnet den MS dabei einen nicht unerheblichen Gestaltungsspielraum. Voraussetzungen sind die/der ƒ Zuverlässigkeit des Antragstellers (die nach Eröffnung eines Konkursverfahrens oder einer rechtskräftiger Verurteilung wegen schwerwiegender bzw. wiederholter Verstöße gegen Strafbestimmungen nicht gegeben ist); ƒ finanzielle Leistungsfähigkeit des Antragstellers (diese ist zu bejahen, wenn das Eisenbahnunternehmen nachweisen kann, dass es zur Erfüllung der tatsächlichen sowie der zu erwartenden Verpflichtungen über einen Zeitraum von 12 Monaten im Stande ist); ƒ fachliche Eignung des Antragstellers: Diese erfordert das Vorhandensein einer geeigneten Betriebsorganisation zur Gewähr der erforderlichen Kenntnisse und zur sicheren und zuverlässigen Abwicklung des Betriebes sowie ein hohes Sicherheitsniveau. Letzteres umfasst neben einschlägigen Qualifikationen der Beschäftigten auch die Vornahme entsprechender Vorkehrungen auf Ebene der Betriebsorganisation sowie des verwendeten Rollsplitts); ƒ Nachweis eines ausreichenden Versicherungsschutzes oder gleichwertige Vorkehrungen. (sm) EIT ĺEuropäisches Innovations- und Technologieinstitut (EIT) EJN ĺEuropäisches Justizielles Netz für Strafsachen EJTN ĺEuropäisches Netzwerk für die Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten EKMR ĺEuropäische Kommission für Menschenrechte (EKMR)
Elektronische Kommunikationsmärkte Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie directive concerning common rules for the internal market in electricity – directive concernant des règles communes pour le marché intérieur de l’électricité
1. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie, 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.12.1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, ABl. 30.1.1997, Nr. L 027/20-29. Erster Schritt zur Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes, um bestehende Monopole aufzubrechen. Stützte sich auf die Art. 57 Abs. 2, 66 und 100a EG a.F., also eine Maßnahme gestaltender Rechtsangleichung. 2. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie („Beschleunigungsrichtlinie), 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6. 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der RL 96/92/EG weiterentwickelt. Richtlinien bezwecken nicht diskriminierenden und transparenten Netzzugang zu angemessenen Preisen zu schaffen und damit Wettbewerb. Daneben sind Versorgungssicherheit und Konsumentenschutz Ziel der Richtlinien sowie eine bessere Kennzeichnung der Herkunft der elektrischen Energie („Labeling“). Zentral ist die Dreiteilung der Funktionen ĺErzeugung, ĺÜbertragung und ĺVerteilung von Elektrizität. Daneben besteht (faktisch) die Funktion des Stromhandels, der in den RL nicht als eigene Funktion vorgesehen ist. Unternehmen, die die Funktionen ĺErzeugung von elektrischer Energie, ĺÜbertragung von elektrischer Energie und deren ĺVerteilung wahrnehmen, sind ĺ„integrierte Unternehmen“. Solche Unternehmen treffen Entflechtungsverpflichtungen („ĺUnbundling“). Betreiber von Übertragungs- und Verteilungsnetzen müssen danach hinsichtlich ihrer Rechtsform, Organisation und Entscheidungsgewalt, nicht aber eigentumsrechtlich, von den übrigen Tätigkeitsbereichen unabhängig sein. Dies soll Diskriminierungen des Netzbetreibers zu Gunsten des im Konzern befindlichen Handels ausschließen. Die Richtlinie definiert Verpflichtungen für ĺNetzbetreiber und ĺNetzbenutzer. Dabei ist der ĺNetzzugang zu festgesetzten ĺTarifen von den ĺNetzbetreibern zu gewähren. Bei Fehlen von Kapazitäten zur ĺErzeugung sieht die Richtlinie die Möglichkeit vor, neue Kapazitäten auszuschreiben. Bei Leitungsengpässen können für einzelne Leitungen auch Sonderre-
gelungen getroffen werden (ĺNeue Kapazitäten). (hh) Lit.: B. Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006
Elektrizitätserzeugung ĺErzeugung von Elektrizität Elektronische Auktion electronic auction – enchère électronique
Eine elektronische Auktion im Sinn des ĺVergaberechts ist ein iteratives Verfahren zur Ermittlung des ĺBieters, der den ĺZuschlag erhalten soll. Eine elektronische Auktion kann als Abschluss jedes ĺVergabeverfahrens eingesetzt werden. Dabei können die Bieter in mehreren Angebotsrunden immer neue ĺAngebote abgeben, die mittels einer elektronischen Vorrichtung bewertet werden. Auktionierbar sind der Angebotspreis und alle sonstigen Komponenten der Angebote, die einer automatischen Klassifizierung zugänglich sind. Eine elektronische Auktion kann somit nur gewählt werden, wenn der Auftragsgegenstand präzise und vollständig beschrieben werden kann. (cm) §§: Art. 1 Abs. 7, Art. 54 VergabeRL Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 225 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Elektronische Datenbanken ĺDatenbanken, elektronische Elektronische Kommunikationsmärkte electronic communications markets – marché des communications électroniques
Elektronische Kommunikationsmärkte umfassen die wirtschaftlichen Tätigkeiten des Anbietens ĺelektronischer Kommunikationsnetze und -dienste, kurz das Bereitstellen der Kommunikationsplattformen, die für die Vermittlung von u.a. massenmedialen Inhalten, wie z.B. ĺaudiovisuellen Mediendiensten relevant sind. Für die elektronischen Kommunikationsmärkte ist auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene 2002 in Weiterentwicklung des EG-Telekommunikationsrechts ein neues Maßnahmenpaket verabschiedet worden, im Kern bestehend aus: ƒ sechs neuen Richtlinien (Rahmen-, Zugangs-, Genehmigungs-, Universaldienst-, Datenschutz- und Wettbewerbsrichtlinie), nunmehr 237
Elektronische Kommunikationsnetze und -dienste erweitert um die VorratsdatenspeicherRL und die ƒ sog. Frequenzentscheidung. Dieser Regelungsrahmen gilt jedoch nur für die Infrastrukturen selbst, nicht für die darüber übertragenen Inhalte (z.B. Fernsehsendungen, Online Zeitungen, Musikfiles). In diesem Sinn wird der Regelungsrahmen für die elektronischen Kommunikationsmärkte auch als die Infrastrukturregulierung der ĺInformationsgesellschaft im Gegensatz zur Inhalteregulierung der ĺInformationsgesellschaft bezeichnet. Die Inhalteregulierung der Informationsgesellschaft wird im Wesentlichen, zum einen durch den Regelungsrahmen für die ĺaudiovisuellen Mediendienste, zum anderen durch den Regelungsrahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr, der am Begriff der ĺ„Dienste der Informationsgesellschaft“ anknüpft, welcher u.a. auch elektronisch vermittelte, individuell abrufbare Inhaltedienste erfasst, abgedeckt. (dd) Web: http://ec.europa.eu/information_society/policy/ ecomm/index_en.htm
Elektronische Kommunikationsnetze und -dienste electronic communications services and networks – services et reseaux de communications electroniques
Im Sinn einer technologieneutralen und einheitlichen Regulierung sämtlicher elektronischer Kommunikationsnetze (s. den Rechtsrahmen für die ĺelektronischen Kommunikationsmärkte) werden „elektronische Kommunikationsnetze“ als Übertragungssysteme definiert, die die elektronische Übertragung von Signalen ermöglichen. Unter „elektronischen Kommunikationsdiensten“ versteht man Dienstleistungen, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Kommunikationsnetze bestehen. Die Begriffsbestimmungen umfassen somit insbesondere auch die für die elektronische Übermittlung von Inhalten (jeglicher Art) genutzten Verbreitungsplattformen – die Multiplattformen für das ĺdigitale Fernsehen (DTV), den digitalen Hörfunk (DTB), das digitale Breitbandnetz und die letzte Generation der Mobilfunksysteme (UMTS) – sowie die für die Übermittlung von Inhalten relevantenTransportdienste, wie etwa im Bereich des digitalen Fernsehens Conditional Access Dienste oder das ĺMultiplexing. (dd) §§: Art. 2 lit. a und lit. c RahmenRL 2002/21/EG, ABl. 2002, Nr. L 108/33
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Elektronische Signatur electronic signature – signature électronique
Unter dem Begriff der elektronischen Signatur sind Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verknüpft sind und die zur Authentifizierung dienen, zu verstehen, Art. 2 Abs. 1 der RL. Die ĺSignaturrichtlinie unterscheidet drei Sicherheitsstufen für elektronische Signaturen. Die einfache elektronische Signatur entspricht der Definition in Art. 2 Abs. 1 der RL und muss darüber hinaus keine Voraussetzungen erfüllen. Darunter fällt z.B. eine handschriftliche Unterschrift, die anschließend eingescannt wird. Die fortgeschrittene elektronische Signatur muss nach Art. 2 Abs. 2 der RL weitere Voraussetzungen erfüllen: sie muss ausschließlich dem Unterzeichner zugeordnet sein, dessen Identifizierung ermöglichen, mit Mitteln erstellt werden, die allein der Unterzeichner kontrolliert und so mit den Daten, auf die sie sich bezieht, verknüpft sein, dass eine nachträgliche Veränderung der Daten erkennbar ist. Werden die zusätzlichen Sicherheitsstandards nach Art. 2 Abs. 10 i.V.m. Anhang 1 der RL für ein qualifiziertes Zertifikat, nach Art. 2 Abs. 11 i.V.m. Anhang 2 der RL für einen Zertifizierungsdienstanbieter, der qualifizierte Zertifikate ausstellt und nach Art. 2 Abs. 5 und 6 i.V.m. Anhang 3 der RL für sichere Signaturerstellungseinheiten erfüllt, spricht man von qualifizierten elektronischen Signaturen. Nach Art. 5 der RL müssen die Mitgliedstaaten vorsehen, dass diese qualifizierten Signaturen die rechtlichen Anforderungen an eine Unterschrift in Bezug auf in elektronischer Form vorliegende Daten in gleicher Weise erfüllen wie handschriftliche Unterschriften in Bezug auf Daten, die auf Papier vorliegen und dass sie als Beweismittel vor Gericht zugelassen sind. (fs) §§: RL 1999/93/EG, ABl. 2000, Nr. L 13/12
Elektronische Zahlungssysteme electronic payment systems – systèmes de paiement électronique
Elektronische Zahlungssysteme, insbesondere die Beziehung zwischen Emittenten und Inhabern elektronischer Zahlungsinstrumente, sind Gegenstand der Empfehlung 97/489/EG zu den Geschäften, die mit elektronischen Zahlungsinstrumenten getätigt werden. Die Empfehlung bezieht sich auf Überweisungen mittels eines elektronischen Zahlungsinstruments – wobei solche ausgenommen sind, die durch Finanz-
EMAS institute in Auftrag gegeben und ausgeführt werden – und auf Barabhebungen mittels eines elektronischen Zahlungsinstruments und das Laden bzw. Entladen eines E-Geldinstruments (ĺE-Geld-Institut) bei bestimmten Einrichtungen, Art. 1 Abs. 1 und 2 der Empfehlung. Als Elektronisches Zahlungsinstrument definiert die Empfehlung ein Instrument, das den Inhaber befähigt, Geschäfte i.S.d. Art. 1 Abs. 1, also Überweisungen mittels eines elektronischen Zahlungsinstruments, zu tätigen. Dies schließt sowohl Fernzugangszahlungsinstrumente als auch E-Geld-Instrumente (z.B. eine Geldkarte) ein. Fernzugangszahlungsinstrumente sind insbesondere Zahlungskarten, also Kreditkarten, Debitkarten oder Karten, mit denen eine aufgeschobene Kontobelastung aufgegeben wird. Nach der Empfehlung muss der Emittent dem Inhaber Vertragsbedingungen mit bestimmten Informationen übermitteln, etwa eine Darstellung der jeweiligen Pflichten und Haftungen des Inhabers und des Emittenten, die Beschreibung des elektronischen Zahlungsinstruments oder die vom Inhaber zu tragenden Kosten. Der Inhaber wiederum unterliegt auch bestimmten Pflichten, z.B. das Zahlungsinstrument entsprechend der übermittelten Bedingungen zu verwenden und einen Verlust unverzüglich anzuzeigen. Eine Haftung des Emittenten kann sich aus der Nichtabwicklung, der mangelhaften Abwicklung oder der nicht genehmigten Abwicklung von Geschäften ergeben. Hinsichtlich der Zahlung mittels Zahlungskarte sind besonders Art. 8 der ĺFernabsatzRL 97/7/EG und Art. 8 der FinanzdienstleistungsFernabsatzRL 2002/65/EG zu beachten. Die Artikel entsprechen einander und sehen vor, dass die ĺMitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass der Verbraucher im Fall einer betrügerischen Verwendung seiner Zahlungskarte im Rahmen eines Vertragsschlusses im Fernabsatz die Stornierung einer Zahlung verlangen kann und dass dem Verbraucher im Fall einer solchen betrügerischen Verwendung die Zahlungen gutgeschrieben oder erstattet werden. (fs) §§: RL 97/7/EG, ABl. 1997, Nr. L 144/19, RL 2002/ 65/EG, ABl. 2000, Nr. L 271/16, Empfehlung 97/489/ EG, ABl. 1997, Nr. L 208/52 Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/124182.htm
Elektronischer Marktplatz electronic marketspace – place de marché électronique
Elektronische Marktplätze sind elektronische Kommunikationsplattformen im Internet, auf
denen Produkte oder Dienstleistungen vermittelt werden. Das heißt, der Betreiber des Marktplatzes wird nicht selbst Vertragspartner, sondern Anbieter von Waren und Dienstleistungen und deren Kunden können über diese Plattform Verträge anbahnen, schließen und gegebenenfalls abwickeln. Es gibt unterschiedliche Formen von elektronischen Marktplätzen, etwa B2B oder B2C (Business to Business, Business to Consumer) oder branchenspezifische oder branchenübergreifende Marktplätze. (fs) ELINCS European List of Notified Chemical Substances – Liste européenne des substances chimiques notifées
Der ELINCS enthält Neustoffe, die nach Abschluss der ĺEINECS-Liste (18.9.1981) gem. der RL 67/548/EWG angemeldet wurden und werden. ĺGefahrstoffrecht, Recht der industriellen Risiken. (sm) Elterliches Erziehungsrecht right of parents to ensure the education and teaching of their children in confernity with their convictions – droits des parents d’assurer l’éducation et l’enseignement de leurs enfants conformément à leurs convictions
Als ĺGemeinschaftsgrundrecht garantiert durch Art. 14 Abs. 3 ĺGRC, zuvor schon grundrechtlich abgeleitet als allgemeiner Rechtsgrundsatz (vgl. Art. 2 1. ZP ĺEMRK). Eltern ist ein gewisser Einfluss auf Erziehung und Unterricht im staatlichen Schulwesen grundrechtlich garantiert (sog. „schulbezogenes Elternrecht“; lex specialis zum Recht auf ĺFamilienleben und allgemeinen Elternrecht gem. Art. 8 ĺEMRK bzw. Art. 7 ĺGRC). (ed) §§: Art. 14 Abs. 3 GRC, Art. 2 1. ZP EMRK als Gemeinschaftsgrundrecht Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 19 III
Elternrecht ĺElterliches Erziehungsrecht; ĺElternschutz bzw. ĺMutterschutz Elternschutz ĺMutterschutz; ĺelterliches Erziehungsrecht EMA ĺEuropäische Arzneimittelagentur (EMEA) EMAS ĺÖko-Audits 239
EMCC EMCC ĺEuropäische Stelle zur Beobachtung des Industriellen Wandels (EMCC) EMCDDA ĺEuropäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) EMCS Excise Movement and Control System – EMCS (système d’informatisation des mouvements et des contrôles des produits soumis à accises entre États membres en régime de suspension des droits de douane)
System zur Kontrolle der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren (EMCS) Das Verfahren zur Überwachung der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren (z.B. Alkohol, Tabak und Mineralöle) innerhalb der Gemeinschaft bildet den Kern der europäischen Verbrauchsteuergesetzgebung. Das Grundprinzip ist, dass alle Sendungen dieser Waren, für die noch keine Verbrauchsteuern gezahlt wurden, nur zwischen autorisierten Wirtschaftsbeteiligten stattfinden und von einem „Begleitenden Verwaltungsdokument“ (BVD) begleitet werden. Dieses stellt der Versender aus. Der Empfänger sendet dann dem Absender eine Empfangsbestätigung für die Beförderung, womit Letzterer von seiner Pflicht entlastet wird. Dieses Verfahren gestattet Mitgliedstaaten die Erhebung von Abgaben auf verbrauchsteuerpflichtige Waren zu ihren eigenen Sätzen und zu dem Zeitpunkt, zu dem die Waren zum Verbrauch innerhalb ihrer Gebiete freigegeben werden. Es gestattet auch Händlern die Zahlung der Verbrauchsteuern bis zu dem Zeitpunkt auszusetzen, zu dem die Waren den Mitgliedstaat erreichen, wo sie auf den Markt gebracht werden. Gem. der unten zitierten grundlegenden Entscheidung soll dieses Projekt am 1.7.2009 beendet sein und entsprechende Ergebnisse zur weiteren Rechtsaktsetzung vorliegen. (pu) §§: Entscheidung des Rates und des Europäischen Parlaments vom 16.6.2003, Nr. 1152/2003/ÉG, über die Einführung eines EDV-gestützten Systems zur Beförderung und Kontrolle der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren, die unter Steueraussetzung zwischen zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten in der Gemeinschaft befördert werden
EMEA ĺEuropäische Arzneimittelagentur (EMEA) 240
Emesa Sugar-Entscheidung Emesa Sugar case – jurisprudence Emesa Sugar
Rsp. des ĺEGMR zur Kompetenzabgrenzung EuGH/EU und ĺEGMR/ĺEMRK zum Schutz europäischer ĺGrundrechte. Thema: EGRechtsakte als Verfahrensgegenstand vor dem ĺEGMR: Gegen eine Entscheidung des EuGH (Rs. C-17/ 98 Emesa Sugar, Slg. 2000, I-665) wurde beim EGMR unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1 EMRK Individualbeschwerde wegen der fehlenden Stellungnahmemöglichkeit zu den Schlussanträgen des Generalanwalts im Verfahren vor dem EuGH erhoben. Der EGMR wies diese als unzulässig ab. (ed) Lit.: M. Breuer, Offene Fragen im Verhältnis von EGMR und EuGH: Der Fall Emesa Sugar, EuGRZ 2005, 229 Rsp.: EGMR, 13.1.2005, Emesa Sugar/NL = EuGRZ 2005, 234
Emi Electrola-Entscheidung Emi Electrola case – jurisprudence Emi Electrola
In Emi Electrola/Patricia (EuGH 24.1.1989, Rs. 341/87, Slg. 1989, 79) entschied der EuGH, dass man die aus unterschiedlichen Schutzfristen resultierenden Beeinträchtigungen des innergemeinschaftlichen Handels hinnehmen müsse, solange eine Harmonisierung der nationalen Urheberrechte nicht erfolgt sei. Diese Entscheidung war Anstoß für die ĺSchutzdauerRL. (js) Lit.: A. Dietz, Die Schutzdauer-Richtlinie der EU, GRUR Int. 1995, 670
EMII European Museums’ Information Institute – EMII
Netzwerk europäischer Kulturorganisationen, die mit dem Ziel zusammenarbeiten, den Austausch der besten Anwendung und der effektivsten Benutzung von Normen im Bereich der Informationsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern und durchzusetzen. (cd) Web: http://www.emii.org/
EMII, DCF European Museums’ Information Institute, Distributed Content Framework project – EMII, DCF
Projekt des EMII, welches zwischen März 2002 und November 2003 stattfand, im Rahmen des IST (Information Society Technologies) -Programms (s. dort) der Europäischen Kommissi-
Empfänger von Daten on gegründet und vom MDA (s. dort) koordiniert wurde. Ziel des EMII-DCF-Projekt war es, Kulturorganisationen und -projekten aus ganz Europa zu informieren und zu unterstützen bei der Erstellung von online-Katalogen ihrer Exponate und Ausstellungen. Das Projekt hat dabei sowohl die technischen, als auch die rechtlichen Anforderungen von online-Auftritten und -Austauschen berücksichtigt. (cd) Web: http://www.emii.org/dcf-overview.pdf
Emissionsnormen emission standards – normes d’émission
Emissionsnormen stellen ein wichtigstes Instrument zur Erreichung von Luftqualitätszielen und Bekämpfung von Schadstoffferntransport und grenzüberschreitenden Luftverschmutzungen dar. Systematisch kann eine Unterscheidung zwischen Emissionsnormen für bewegliche Quellen (vor allem Kfz) und unbewegliche Quellen (verschiedene Anlagen) sowie zwischen produkt- und produktionsorientierte Ansätzen ausgemacht werden. ƒ Bewegliche Quellen Hier sind in erster Linie die Regelung der Emissionen von Kfz zu nennen. Jahrelang bestand eine Zersplitterungen in mehrere ĺRL. Ausgangspunkt war die RL 70/220/EWG, die u.a. ein Betriebserlaubnisverfahren für Kfz und die Prüfung der Kohlenmonoxid- und Kohlenwasserstoffausstöße. Später folgte die Ergänzung eines Grenzwerts für Stickoxidemissionen (RL 77/102/EWG), schließlich die Erfassung von Fahrzeugen mit Dieselmotoren und einem Gewicht bis zu 3,5 t: es wurde ein Grenzwert für Partikelemissionen festgelegt (RL 88/436/ EWG). Mit der RL 89/458/EWG wurden auch Fahrzeuge mit einem Hubraum von unter 1.400 cm³ erfasst. Letztlich kam es durch die RL 91/441/EWG zu einer Vereinheitlichung für PKW bis zu 2,5 t. Die Einführung eines DreiWege-Katalysators ging mit der RL 93/59/EWG einher. Durch die RL 94/12/EG erfolgte die Einführung eines neues Konzepts für Maßnahmen zur Emissionsverringerung bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus. Danach soll die Kommission unter anderem untersuchen, welchen Beitrag Verbesserungen der Qualität von Otto- und Dieselkraftstoff sowie sonstiger Kraftstoffe zur Verringerung der Luftverunreinigung leisten können (ĺKraftstoffqualität). Daneben existieren besondere Vorschriften für bestimmte Fahrzeugarten (z.B. forst- und land-
wirtschaftliche Zugmaschinen; Fahrzeuge mit Dieselmotor; zwei- und dreirädrige Kraftfahrzeuge). Hinzuweisen ist auch auf in Zusammenhang stehende Normen zur Reduzierung von Fluglärm (ĺFluglärm, Reduzierung). ƒ Ortsfeste Quellen Diesbezüglich wurde ein ordnungsrechtliches System zur Regelung von Emissionen aus Industrieanlagen geschaffen. Besonders bedeutend ist dabei die RahmenRL 84/360/EWG (in weiten Teilen abgelöst durch IVURL (ĺIntegrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung). Deren Ziel ist die Verhinderung und Verringerung der Luftverschmutzung in den Bereichen Energiewirtschaft, Metallherstellung und -verarbeitung, Industrie der nicht metallischen Mineralstoffe, chemische Industrie, Abfallbeseitigung und Industrie zur chemischen Erzeugung von Papiermasse (Anhang I). Es wird eine Genehmigungspflicht für ortsfeste Anlagen festgeschrieben: Voraussetzungen sind Vorsorgeuntersuchungen, keine Luftverunreinigungen, keine Überschreitung geltender Emissionsgrenzwerte, Berücksichtigung der Luftqualitätsgrenzwerte. Die RahmenRL enthält selbst keine Grenzwerte. Dahingehende Konkretisierungen erfolgen durch die RL zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeueranlagen (RL 88/609/EWG) sowie durch RL zur Verhinderung der Luftverunreinigung durch neue bzw. zur Verminderung der Luftverunreinigung durch alte Verbrennungsanlagen für Siedlungsmüll (RL 89/369/EWG; 89/429/EWG). Weitere anlagenbezogene Regelungen finden sich in spezielleren RL (z.B. betreffend Beseitigung von Altöl, PCB, gefährliche Abfälle). (sm) Lit.: J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 289 ff.; eine Übersicht (u.a.) bei M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 14, Rn. 15 ff.
Empfänger von Daten recipient – destinataire
Empfänger von Daten ist die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder jede andere Stelle, die Daten erhält. Behörden, die im Rahmen eines einzelnen Untersuchungsauftrags möglicherweise Daten erhalten, gelten jedoch nicht als Empfänger. Der Begriff finde sich in der europäischen ĺDatenschutzrichtlinie. Der für die Verarbeitung von Daten Verantwortliche (ĺVerantwortlicher für die Ver241
Empfangslandtheorie arbeitung) hat der ĺbetroffenen Person in Ausübung seiner Auskunfts- (ĺAuskunftsrecht) und ĺInformationspflichten die Empfänger seiner Daten bekannt zu geben. Daneben ist der Empfängerkreis auch Inhalt einer allenfalls nötigen Meldung (ĺMeldung der Datenverarbeitung) einer ĺautomatisierten Datenverarbeitung. (al) §§: Art. 2 lit. e und Art. 10, 12 und 19 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 114; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 86
Empfangslandtheorie ĺBogsch-Theorie Empfehlungen recommendations – recommandations
Die Empfehlung ist eine der Handlungsformen des Gemeinschaftsrechts, die in den Verträgen ausdrücklich erwähnt werden (Art. 249 V und 110 II EG, Art. 161 V Euratom-Vertrag). Empfehlungen werden in der Praxis von allen Rechtsetzungsorganen der EU/EG genutzt, am häufigsten von der ĺKommission, selten auch von ĺParlament und ĺRat gemeinsam als Mitentscheidungsgesetzgeber. Gem. ihrer vertraglichen Definition sind Empfehlungen unverbindlich und können nicht Gegenstand einer ĺNichtigkeitsklage sein (Art. 230 I EG). Im Rahmen des ĺVorabentscheidungsverfahrens ist der EuGH jedoch zu ihrer Auslegung befugt. Empfehlungen werden im ĺAmtsblatt der EU in der Reihe L (Rechtsvorschriften) oder in der Reihe C (Mitteilungen und Bekanntmachungen) veröffentlicht (ĺVeröffentlichung der Rechtsakte). Die Kommission besitzt im Anwendungsbereich der Gemeinschaftsverträge eine umfassende Kompetenz, Empfehlungen auszusprechen (Art. 211 2. SpS EG), die übrigen Organe benötigen eine spezifische Ermächtigung. Wo die Verträge eine Befugnis zur verbindlichen Rechtsetzung erteilen, können sich die zuständigen Organe nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip auch darauf beschränken, eine Empfehlung zu erlassen, oder einen verbindlichen Rechtsakt durch eine Empfehlung ergänzen. Unter den unverbindlichen Handlungsformen des Gemeinschaftsrechts ähnelt die Empfehlung in der Praxis am stärksten einem echten Rechtsetzungsinstrument. Ähnlich einer ĺRichtlinie richten Empfehlungen sich häufig an die Mit242
gliedstaaten und legen ihnen bestimmte Umsetzungsmaßnahmen nahe. Im umstrittenen Urteil Grimaldi hat der ĺEuGH entschieden, dass die nationalen Gerichte solche freiwilligen Umsetzungsmaßnahmen möglichst empfehlungskonform auszulegen haben. Unmittelbar wirksame Rechte verleihen Empfehlungen jedoch nicht. Weiter darf eine Empfehlung, an die sich in einem gestuften Verfahren weitere Rechtsakte anschließen können, nur im vertraglich vorgesehenen Erlassverfahren abgeändert oder aufgehoben werden. Aus der ausdrücklichen Empfehlungs-Befugnis nach Art. 33 Euratom-Vertrag folgt eine implizite Ermächtigung, auf diesem Gebiet internationale Abkommen zu schließen. (jb) §§: Art. 110 II, 249 EG, Art. 33, 161 V Euratom-Vertrag Lit.: L. Senden, Soft Law in European Community Law, 2004; A. von Bogdandy/J. Bast/F. Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht, ZaöRV 62 (2002) 77, 115 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 113/75 Frescassetti, Slg. 1976, 983, Rn. 8/9; Rs. C-322/88 Grimaldi, Slg. 1989, I-4407, Rn. 16 ff.; Rs. C-27/04 Kommission/Rat, Slg. 2004, I-6649, Rn. 91 ff.; Rs. C-29/99 Kommission/Rat, Slg. 2002, I-11221, Rn. 105
EMRK ĺEuropäische (EMRK)
Menschenrechtskonvention
EMSA ĺEuropäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) Endkunde (Energierecht) final customer (energy law) – client final (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Kunde, der Erdgas/Elektrizität für den Eigenbedarf kauft. Dieser Kunde steht im Mittelpunkt des Interesses der ĺElektrizitätsbinnenmarktund ĺErdgasbinnenmarktrichtlinie. So müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass für Endkunden und schutzbedürftige (sonstige) Kunden ein angemessener Schutz besteht. Insbesondere soll verhindert werden, dass Kunden von der Versorgung ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang können von den Mitgliedstaaten Maßnahmen zum Schutz von Kunden in abgelegenen Gebieten getroffen werden, und für angeschlossene (End)Kunden ein ĺVersorger letzter Instanz benannt werden. Durch Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und
Engste Verbindung Streitbeilegungsverfahren ist ein hoher Verbraucherschutz zu gewährleisten. Insbesondere soll sichergestellt werden, dass zugelassene Kunden tatsächlich zu einem neuen Lieferanten wechseln können. (hh)
92 ĺSchindler, Slg. 1994, I-1039, Rn. 27 f.). Auch wenn in einem spezifischen Fall kein Entgelt entrichtet wird, wird eine Dienstleistung dann entgeltlich erbracht, wenn im Regelfall ein solches entrichtet wird. (sh)
§§: Art. 2 Z. 9 Art. 3 Abs. 5 ĺElektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/54/EG); Art. 2 Z. 27, Art. 3 Abs. 3 Erdgasbinnenmarktríchtlinie (RL 2003/55/EG) Lit.: B. Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006, 81, 183, 194
§§: Art. 50 EG Lit.: W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EGV, Anm. 9 ff.; P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 19 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 263/86 Humbel und Edel, Slg. 1988, 5365
Endverbraucher ĺVerbraucher Endverbraucher, lebensmittelrechtlicher final consumer – consommateur final
Endverbraucher im Sinne des ĺLebensmittelrechts ist nach Art. 3 Abs. 18 der VO (EG) 178/ 2002 (sog. ĺBasisverordnung) der letzte Verbraucher eines ĺLebensmittels, der das Lebensmittel nicht im Rahmen der Tätigkeit eines ĺLebensmittelunternehmens verwendet. (mkr) §§: Art. 3 Abs. 18 VO (EG) 178/2002
ENEA ĺ(Europäische) Kernenergie-Agentur Engeltlichkeit (Dienstleistungsfreiheit) services provided for remunerations (freedom to provide services) – prestations fournies contre rémunération (libre prestation de services)
E. ist nach dem Wortlaut von Art. 50 EG tatbestandliche Voraussetzung der von den Bestimmungen des EG umfassten ĺDienstleistungsfreiheit („die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden“). Von E. kann ausgegangen werden, wenn es sich um Dienstleistungen handelt, die einen Teil des Wirtschaftslebens ausmachen (EuGH, Rs. 36/74 ĺWalrave, Slg. 1974, 1405, Rn. 4/10). ĺGewinnerzielungabsicht ist hingegen nicht notwendige Voraussetzung, auch wenn sie ein Indikator für E. sein kann. Deshalb können z.B. auch Tätigkeiten religiöser Gemeinschaften und sportliche Aktivitäten sowie privat finanzierter Bildungseinrichtungen (EuGH, Rs. 263/86 Humbel und Edel, Slg. 1988, 5365, Rn. 15 ff.), wenn sie eine Entgeltkomponente aufweisen, in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit fallen. E. bedeutet auch, dass das Entgelt die wirtschaftliche Gegenleistung für eine andere Leistung darstellt. Diese Voraussetzungen können auch beim Glücksspiel vorliegen (EuGH, Rs. C-275/
Engpassmanagement (Energierecht) congestion management (energy law) – gestion de la congestion (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Das Engpassmanagement im grenzüberschreitenden Stromhandel wird durch die ĺStromhandelsverordnung geregelt. Engpässe liegen dann vor, wenn eine Verbindung zwischen nationalen Übertragungsnetzen in unzureichender Kapazität der Verbindungsleitungen und/ oder der betreffenden nationalen Übertragungsnetze nicht alle Stromflüsse im Rahmen des von den Marktteilnehmern gewünschten internationalen Handels bewältigen kann. Solchen Engpässen soll mit nicht diskriminierenden, marktorientierten Lösungen begegnet werden, von denen wirksame wirtschaftliche Signale an den Marktteilnehmer und beteiligten Übertragungsnetzbetreiber ausgehen. Netzbetreiber sind verpflichtet, die maximale Kapazität der Verbindungsleitungen zur Verfügung zu stellen. In der ĺElektrizitätsbinnenmarktrichtlinie und der ĺErdgasbinnenmarktrichtlinie ist für den Strom- und Gashandel innerhalb der MS ein E. nicht ausdrücklich vorgesehen. (hh) Engste Beziehung ĺEngste Verbindung Engste Verbindung most closely connection – les liens les plus étroits
Die Regel von der engsten Verbindung ist eine der wichtigsten Grundregeln des europäischen ĺVertragskollisionsrechts. Festgelegt ist sie in Art. 4 Abs. 1 ĺEVÜ, wonach ein Vertrag mangels ĺRechtswahl dem Recht jenes Landes unterliegt, zu dem er die engste Verbindung aufweist. Art. 4 Abs. 2 bis Abs. 4 ĺEVÜ konkretisiert diese Bestimmung mit Vermutungsregeln. Von diesen Regeln ist abzugehen, wenn ausnahmsweise eine engere Beziehung zu anderen 243
ENISA als in den Vermutungsregeln bezeichneten Ländern besteht. (js) §§: Art. 4 ĺEVÜ Lit.: Bericht über das EVÜ von M. Giuliano/P. Lagarde, ABl. 1980, Nr. C 282/1, Anmerkungen zu Art. 4; B. Verschraegen, in: P. Rummel (Hrsg.), ABGB Kommentar I/6, 3. Aufl. 2004, Art. 4 EVÜ, Rn. 4 ff. Web: Der in Lit. erwähnte Bericht von M. Giuliano/P. Lagarde ist abrufbar unter: http://www.romeconvention.org
ENISA ĺEuropäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) Entflechtung (Energierecht) ĺUnbundling Entflechtung, Schienenverkehr demerger, rail transport – démêlage, transports ferroviaires
Die RL (EWG) 91/440 (ABl. 1991, Nr. L 237/ 25) enthält nicht nur Vorschriften betreffend die ĺPreisbildung (im) Eisenbahnverkehr, sondern auch zur Entflechtung des Schienenverkehrs. Mit ihr erfolgt die Konsolidierung des bisher geltenden Rechtsrahmens für den gemeinschaftlichen Schienenverkehr. Ihr Hauptanliegen ist die Verbesserung der Transparenz auf den Schienenverkehrsmärkten durch Entflechtung der Zuständigkeiten von Staat, Eisenbahnen und Infrastrukturbetreibern. Ausgehend vom Grundsatz der Trennung von Infrastruktur und Transportbetrieb sind in der RL materielle Vorgaben über die Selbstständigkeit der Geschäftsführung und den Marktzugang enthalten. Das Schlüsselelement ist dabei die Trennung der Bereiche Fahrwegbetrieb und Dienstleistungserbringung in puncto Rechnungsführung sowie durch das Verbot einer Übertragung öffentlicher Gelder von einem der beiden Tätigkeitsbereiche auf den anderen. Den ĺMS wird aufgetragen, die für einen gerechten und nicht diskriminierenden Infrastrukturzugang als ausschlaggebend anzusehenden Funktionen zu entflechten. Zudem werden Sicherheitsvorschriften und -normen im Hinblick auf organisatorische Anforderungen festgelegt. Die MS haben überdies dafür zu sorgen, dass den beteiligten Akteuren eine eigenständige Stellung im Bereich der Geschäftsführung gewährleistet wird, um die staatliche Einflussmaßnahme möglichst weitgehend zurückzudrängen. Inhalt der eigentlichen Marktzugangsregel (Art. 10) für die miteinander in Konkurrenz 244
tretenden Dienstleistungsanbieter ist Folgendes: ƒ Einzelne in einem MS niedergelassene Eisenbahnunternehmen erhalten Zugang zu den Schienennetzen der übrigen MS, wenn sie Verkehrsleistungen im grenzüberschreitenden kombinierten Güterverkehr erbringen. In einer zweiten Phase erhalten Eisenbahnunternehmen für das Erbringen von Verkehrsleistungen im grenzüberschreitenden Frachtverkehr Zugang zu dem Transeuropäischen Schienengüternetz (vgl. Anhang I) und spätestens zum 1.1.2006 Zugang zu dem gesamten Netz. ƒ Sonst ist der Infrastrukturzugang von der Bildung einer internationalen Gruppierung abhängig (eine Verbindung von mindestens zwei Eisenbahnunternehmen mit Sitz in verschiedenen MS). Diese erhalten Zugangs- und Transitrechte in den MS, in denen die ihnen angeschlossenen Eisenbahnunternehmen ihren Sitz haben, sowie Transitrechte in den anderen MS für grenzüberschreitende Verkehrsleistungen zwischen den MS, in denen die ihnen angeschlossenen Eisenbahnunternehmen ihren Sitz haben. Die Gewährung des objektiven Marktzugangs erfolgt zugunsten der internationalen Gruppierungen also nur in einem eher begrenztem Umfang. Zunächst wird der Netzugang für Infrastrukturen im Staatsgebiet der jeweiligen Niederlassung gewährt, jedoch nur für grenzüberschreitende Verkehrsleistungen (daher ist nur ĺKabotage im Sinen der Anschlusskabotage möglich). Hinsichtlich der Inanspruchnahme der Schieneninfrastruktur der übrigen MS werden lediglich sog. Transitrechte für den Fall eingeräumt, dass das entsprechende Schienennetz für eine internationale Beförderungen zwischen zwei Sitzstaaten benötigt wird. Hinzu kommt, dass die Inanspruchnahme der gewährleisteten Zugangsrechte von einer Vereinbarung mit dem Infrastrukturbetreiber abhängig ist. Inhaltlich besteht ein Konnex mit der Zuweisung von ĺFahrwegkapazitäten. (sm) Lit.: A. Holst, in: A. Frohnmeyer/P. Mückenhausen (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004, 21, Rn. 1 ff. (15 ff.); C. Burmeister, Der Wettbewerb der Eisenbahnen im europäischen Binnenmarkt, 2001, 66 ff.
Entlastung grant of discharge – décharge
Die Entlastung stellt die Billigung des Haushaltsvollzuges durch das Parlament dar. Mit dem parlamentarischen Entlastungsbeschluss
Entscheidungen wird der Haushaltskreislauf dadurch formell abgeschlossen. Dem Europäischen Parlament und, den institutionellen Besonderheiten der EU entsprechend, auch dem Rat werden damit Instrumente einer nachträglichen politischen Haushaltskontrolle in die Hand gegeben. Nach Art. 276 Abs. 1 Satz 1 EG, Art. 145 Abs. 1 ĺHaushaltsordnung (HO) erteilt das Europäische Parlament auf Empfehlung des Rates, der mit qualifizierter Mehrheit beschließt, im Anschluss an das abgeschlossene Haushaltsjahr der Kommission Entlastung. Zu diesem Zweck prüfen das Parlament und der Rat gem. Art. 276 Abs. 1 Satz 2 EG die in Art. 275 EG genannte Rechnung der Kommission und die Übersicht sowie den Jahresbericht des Rechnungshofs zusammen mit den Antworten der kontrollierten Organe auf dessen Bemerkungen, die Zuverlässigkeitserklärung (Art. 248 Abs. 1 UAbs. 2 EG) und die einschlägigen Sonderberichte des Rechnungshofs. Gem. Art. 146 Abs. 1 HO, der insoweit der Rechnungslegungspflicht nach Art. 275 EG korrespondiert, umfasst der Entlastungsbeschluss die Rechnung über alle Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaften und den sich daraus ergebenden Saldo sowie das Vermögen und die Schulden der Gemeinschaften, wie sie in der Vermögensübersicht dargestellt sind. Um eine wirksame Ausübung des Prüfungsrechts zu ermöglichen, hat das Parlament gegenüber der Kommission ein grundsätzlich umfassendes Informationsrecht. Das Parlament und der Rat können seinen Entlastungsbeschluss mit Bemerkungen und Empfehlungen versehen. Die Kommission ist nach Art. 276 Abs. 3 UAbs. 1 EG verpflichtet, alle zweckdienlichen Maßnahmen zu treffen, um entsprechenden Empfehlungen nachzukommen. (gär) §§: Art. 276 EG; Art. 145 ff. Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002) Lit.: C. Kannengießer, Die Entlastung im Haushaltsrecht der Europäischen Gemeinschaft, DÖV 1995, 55; A. Ott, Die Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments gegenüber der Europäischen Kommission, ZEuS 1999, 231
Entscheidung, Gegenstand einer Nichtigkeitsklage decision, subject-matter of an action for annulment – décision, objet du recours en annulation
Eine Entscheidung im Sinne des Art. 249 Abs. 4 EG kann von ĺprivilegierten Klägern oder demjenigen, an den sie gerichtet ist, nach Art. 230 Abs. 4 EG ohne Nachweis einer besonderen Klageberechtigung (ĺKlageberechtigung, Nich-
tigkeitsklage) angefochten werden. Bei Entscheidungen, die an einen Dritten gerichtet sind oder die als Verordnungen ergangen sind, muss ein Einzelner (nicht privilegierter Kläger) eine ĺunmittelbare und ĺindividuelle Betroffenheit durch die Entscheidung nachweisen. (mk) Entscheidungen decisions – décisions
Die Entscheidung ist eine der Handlungsformen des Gemeinschaftsrechts, die in den Verträgen ausdrücklich definiert werden (Art. 249 IV und 110 II EG, Art. 161 IV Euratom-Vertrag). Danach handelt es sich um Rechtsakte, die an einen spezifischen Adressaten gerichtet und für diesen verbindlich sind. Entscheidungen können von ĺRat und ĺParlament gemeinsam, vom Rat, von der ĺKommission und von der ĺEZB erlassen werden. Jedes dieser Organe benötigt hierfür eine spezifische Rechtsgrundlage, die auch das anzuwendende Erlassverfahren festlegt (ĺPrinzip der begrenzten Ermächtigung). Entscheidungen sind demjenigen, an den sie gerichtet sind, bekanntzugeben (ĺInkrafttreten der Rechtsakte). Eine Veröffentlichungspflicht besteht nur für Entscheidungen, die nach dem ĺMitentscheidungsverfahren erlassen werden (ĺVeröffentlichung der Rechtsakte). Als Adressaten einer Entscheidung kommen private Rechtssubjekte und Mitgliedstaaten in Frage, nicht jedoch einzelne Gliederungen oder Behörden eines Mitgliedstaats. Demnach ist zwischen privatgerichteten und staatengerichteten Entscheidungen als Varianten einer einheitlichen Handlungsform zu unterscheiden. Privatgerichtete Entscheidungen kommen im Bereich des EG-Eigenverwaltungsrechts vor, wo die Verträge oder Sekundärrechtsakte die Kommission oder die EZB zu individuellen Regelungen mit Außenwirkung ermächtigen. Derartige Vollzugsbefugnisse sind vergleichsweise selten; sie finden sich vor allem im ĺKartellrecht, bei der ĺFusionskontrolle sowie im Produktzulassungsrecht. Hier hat die gängige Qualifizierung der Entscheidung als „Europäischer Verwaltungsakt“ ihre Berechtigung. Der Adressat einer privatgerichteten Entscheidung ist nach Art. 230 IV EG zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage befugt, wenn seine Rechtsstellung nachteilig berührt ist (ĺIndividualnichtigkeitsklage). Soweit eine Entscheidung eine Zahlungspflicht auferlegt, stellt sie einen vollstreckbaren Titel dar (Art. 256 I EG). 245
Entschließungen Große Bedeutung für das europäische Verwaltungsrecht haben staatengerichtete Entscheidungen, mit denen die Kommission (selten auch: der Rat) Aufsichtsrechte gegenüber den Mitgliedstaaten ausübt oder mit denen sie in konkrete Verwaltungsverfahren interveniert. Im letztgenannten Fall wird ein gestuftes Verfahren mittels einer Einzelfallentscheidung einer nationalen Behörde abgeschlossen, deren Entscheidungsspielräume ganz oder teilweise durch eine staatengerichtete Entscheidung determiniert sind. Beispiele finden sich in einer Vielzahl von Sachbereichen, etwa im Zollrecht, bei der Verwaltung der Strukturfonds, bei der Regulierung netzgebundener Dienste oder im Produktzulassungsrecht. Dieses Handeln im Verwaltungsverbund wirft komplizierte Fragen für die Wahrung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze und für den Rechtsschutz auf, da die Verantwortungszurechnung unter Umständen schwierig ist. Art. 230 IV EG eröffnet dem Privaten direkten Rechtsschutz, wenn er von der staatengerichteten Entscheidung individuell und unmittelbar betroffen ist (ĺIndividualnichtigkeitsklage), wobei Unmittelbarkeit dann anzunehmen ist, wenn die nationale Behörde über kein Ermessen bei der Ausführung der Entscheidung verfügt. Mitgliedstaaten sind unabhängig von ihrer Adressatenstellung nach Art. 230 I EG klageberechtigt, müssen sich aber nach Ablauf der Klagefrist die Unangreifbarkeit einer an sie gerichteten Entscheidung entgegenhalten lassen. Staatengerichtete Entscheidungen können auch als Mittel normativer Steuerung eingesetzt werden, indem sie den adressierten Mitgliedstaaten abstrakt-generelle Vorgaben machen. Solche Entscheidungen stehen in ihrer Verpflichtungswirkung für die Mitgliedstaaten funktionell gleichartig neben ĺRichtlinien und ĺVerordnungen und können diese sowohl ergänzen als auch an ihre Stelle treten. Am häufigsten wird dieser Entscheidungstypus von der Kommission auf einer sekundärrechtlichen Rechtsgrundlage verwendet. Staatengerichtete Entscheidungen mit allgemeiner Geltung können unmittelbare Wirkungen gegenüber den Bürgern entfalten. Wenn sie zur Durchführung einer Richtlinie ergehen, dürfen sie einem Einzelnen aber ebenso wenig entgegengehalten werden wie diese. Entscheidungen können also sowohl für administrative als auch für legislative Zwecke verwendet werden. Vor diesem Hintergrund ist die fehlende Pflicht zur Veröffentlichung von 246
Entscheidungen, die an alle Mitgliedstaaten gerichtet sind, systemwidrig und rechtsstaatlich problematisch. (jb) §§: Art. 110 II, 230 IV, 249 IV, 254 III, 256 I EG; Art. 161 IV Euratom-Vertrag Lit.: J. Bast, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU, 2006, 81 ff., 404 ff.; A. von Bogdandy/J. Bast/F. Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht, ZaöRV 62 (2002) 77, 94 ff.; U. Mager, Die staatengerichtete Entscheidung als supranationale Handlungsform, EuR 2001, 661 ff.; H.-C. Röhl, Die anfechtbare Entscheidung nach Art. 230 Abs. 4 EGV, ZaöRV 60 (2000) 331; M. Vogt, Die Entscheidung als Handlungsform des Europäischen Verwaltungsrechts, 2005; M. Vogt, „Bestandskraft“ von EG-Rechtsakten und Anwendungsbereich des Art. 241 EGV, EuR 2004, 618 Rsp.: EuGH, Rs. 25/62 Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 211, 238; EuGH, Rs. 9/70 Grad, Slg. 1970, 825, Rn. 5; Rs. 156/77 Kommission/Belgien, Slg. 1978, 1881, Rn. 21/24; Rs. 249/85 Albako, Slg. 1987, 2345, Rn. 17; Rs. C-310/97 P Kommission/AssiDomaen Kraft Products u.a., Slg. 1999, I-5363, Rn. 52; Rs. C-241/01 National Farmers’ Union, Slg. 2002, I-9079, Rn. 34; Rs. C-80/06 Carp, Slg. 2007, I-0000, Rn. 21
Entschließungen resolutions – résolutions
Die Entschließung ist eine Handlungsform des Unions- und Gemeinschaftsrechts, die in der Praxis entwickelt wurde. Entschließungen gehören zu den unverbindlichen Handlungen (ĺStellungnahmen, ĺEmpfehlungen, ĺMitteilungen). Sie werden vom ĺRat verwendet, teilweise auch von einer ad hoc tagenden Regierungskonferenz der ĺMitgliedstaaten (den „im Rat vereinigten Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten“) oder nach der sog. gemischten Formel vom Rat und den Vertretern der Mitgliedstaaten gemeinsam. Die beiden letzten Varianten treten auf, wenn der Gegenstand der Entschließung nicht oder nicht in vollem Umfang von der Verbandskompetenz der EU/EG gedeckt ist. Im Kompetenzbereich der EU/EG reklamiert der Rat für sich eine umfassende Verlautbarungskompetenz, für die er keine spezielle Rechtsgrundlage benötigt. Diese nimmt er in Entschließungen, seltener in Schlussfolgerungen oder Erklärungen wahr. Erwähnung findet diese Handlungsform in der Geschäftsordnung des Rates, nicht jedoch in den Verträgen. Entschließungen werden normalerweise im ĺAmtsblatt der EU in der Abteilung C (Mitteilungen und Bekanntmachungen) veröffentlicht (ĺVeröffentlichung der Rechtsakte). In der Vergangenheit haben Entschließungen dazu gedient, gewisse Aktivitäten der E(W)G auch in Sachbereichen zu entfalten, in denen ihre Ausstattung mit Rechtsetzungskompeten-
Entwicklungsagenda von Doha zen dünn ist, z.B. im Bildungssektor. Heute werden sie vom Rat in praktisch allen Sachbereichen genutzt, um bereits in einem frühen Stadium der (Weiter-)Entwicklung einer Politik einen gemeinsamen Standpunkt festzulegen und so den weiteren politischen Prozess zu strukturieren. Die Wirkungsrichtung ist einerseits nach Außen, als Verlautbarung gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit und den übrigen Organen, andererseits nach Innen, indem die Vertreter der Regierungen auf einen einmal gefundenen Konsens politisch verpflichtet werden. In der Rechtsprechung wurden Entschließungen gelegentlich als Auslegungshilfe herangezogen, um zu demonstrieren, dass ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt. Zugleich betont der ĺEuGH ihren unverbindlichen Charakter, sodass nur in ganz ungewöhnlichen Konstellationen die in einer Entschließung niedergelegten Verhaltenserwartungen sich zu einer Rechtspflicht verdichten können (aufgrund des Prinzips der loyalen Zusammenarbeit). Auch als Basisrechtsakt für die Ausreichung von Haushaltsmitteln sind Entschließungen, entgegen einer früheren Praxis, nicht geeignet; heute werden dazu ĺBeschlüsse genutzt. (jb) §§: Art. 7, 17 IV der Geschäftsordnung des Rates vom 15.9.2006 (2006/683/EG, Euratom) Lit.: L. Senden, Soft Law in European Community Law, 2004; A. von Bogdandy/J. Bast/F. Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht, ZaöRV 62 (2002) 77 (120 ff.); J.-L. Dewost, Décisions des institutions en vue du développement des compétences et des instruments juridiques, in: R. Bieber/G. Ress (Hrsg.), Die Dynamik des Gemeinschaftsrechts, 1987, 321 (327 ff.); U. Everling, Zur rechtlichen Wirkung von Beschlüssen, Entschließungen, Erklärungen und Vereinbarungen des Rates oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, in: G. Lüke et al. (Hrsg.), Rechtsvergleichung, Europarecht und Staatenintegration. Gedenkschrift für L. J. Constantinesco, 1983, 133 Rsp.: EuGH, Rs. 90/63 und 91/63 Kommission/Belgien und Luxemburg, Slg. 1964, 1329, 1345; Rs. 9/73 Schlüter, Slg. 1973, 1135, Rn. 40; Rs. 141/78 Frankreich/ Großbritannien, Slg. 1979, 2923, Rn. 6 ff.; Rs. 43/75 Defrenne, Slg. 1976, 455, Rn. 56/58; Rs. 293/83 Gravier, Slg. 1985, 593, Rn. 22; Rs. 44/84 Hurd, Slg. 1986, 29, Rn. 20; Rs. C-106/96 Großbritannien/Kommission, Slg. 1998, I-2729, Rn. 22 ff.; Rs. C-149/96, Portugal/ Rat, Slg. 1999, I-8395, Rn. 56
Entterritorialisierung deterritorialisation – déterritorialisation
Dabei handelt es sich um das vor allem durch das Europarecht bewirkte Abstrahieren vom nationalen Geltungsbereich von Rechtsakten und die Relativierung von nationalen Rechtsakten im Hinblick auf den Anwendungsbereich
des Gemeinschaftsrechts. Ein wichtiger Ausfluss dieser Entwicklung liegt in den ĺsupranationalen Strukturprinzipien des Gemeinschaftsrechts (ĺautonome Geltung, ĺunmittelbare Anwendbarkeit). (he) Entwicklungsagenda von Doha Doha Development Agenda (DDA) – Programme de Doha pour le Développement (PDD)
Die WTO-Mitglieder vereinbarten am 14.11. 2001 bei ihrer Tagung in Doha (Katar) die Einleitung einer neuen Verhandlungsrunde zur weiteren Liberalisierung des Handels. Dabei handelt es sich um die neunte Verhandlungsrunde. Die damals 142 WTO-Mitglieder beabsichtigten, dass diese Verhandlungsrunde sicherstellen sollte, dass die Entwicklungsländer umfangreich von der weiteren Liberalisierung des Handels profitieren. Um diesen Aspekt zu betonen, wurde der Begriff „Entwicklungsagenda von Doha“ gewählt. Ursprünglich waren dreijährige Verhandlungen und ein Abschluss der Verhandlungsrunde im Januar 2005 geplant. Die Ministerkonferenz in Cancún führte 2003 zu keinem Durchbruch. Nach einer Unterbrechung wurden die Verhandlungen im Juli 2004 wieder aufgenommen. Nach erneuten Schwierigkeiten wurden die Verhandlungen im Juli 2006 suspendiert und im Februar 2007 wieder offiziell aufgenommen. In der Doha-Runde werden vor allem folgende Themenbereiche verhandelt: 1. Agrarverhandlungen 2. Dienstleistungen 3. Marktzugang für Nicht-Agrarprodukte (NAMA) 4. Handelsregeln (Antidumping; Subventionen, einschl. Fischereisubventionen; Regionalabkommen) 5. Handelserleichterungen (Bürokratieabbau in den Zollverfahren) 6. Umwelt 7. Soziales 8. Sonderbehandlung von Entwicklungsländern 9. Implementierung 10. TRIPS: Öffentliche Gesundheit und Zugang zu Medikamenten 11. TRIPS: Biologische Vielfalt 12. TRIPS: geographische Herkunftsangaben 13. Reform des Streitschlichtungsmechanismus 14. Doha Development Agenda Global Trust Fund 15. Aid for Trade (AfT, handelsbezogene Entwicklungszusammenarbeit). (bh) 247
EP EP ĺEuropäisches Parlament EPA ĺEuropäisches Patentamt; ĺEuropäische Polizeiakademie EPG ĺEuropäische Politische Gemeinschaft EPLA ĺEuropäisches Übereinkommen über Patentstreitigkeiten
176/0057-0078 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der RL 98/30/EG erlassen. Ziel dieser Richtlinien ist – ebenso wie im Bereich des Elektrizitätsrechts – das Aufbrechen bestehender Monopole. Die Funktionen ĺFernleitung, ĺVerteilung, ĺLieferung und ĺSpeicherung von Erdgas sollen getrennt werden und so ein Wettwerb unter den einzelnen Erdgaslieferanten ermöglicht werden. Kernstück ist der geregelte ĺNetzzugang zu diskriminierungsfreien und geprüften ĺTarifen. (hh) Lit.: B. Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006, 147 ff.
EPO ĺEuropäische Patentorganisation
Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung, im Fernsehen
EPÜ ĺEuropäisches Patentübereinkommen
Darunter sind Großereignisse, denen eine erhebliche gesellschaftliche Bedeutung zugeschrieben wird (z.B. bestimmte Fußballspiele, das Neujahrskonzert etc.) zu verstehen. Art. 3a der ĺFernsehRL ermöglicht den Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass solche Ereignisse nicht auf einer exklusiven Basis übertragen, sondern im „free TV“ (ĺFernsehsendungen) ausgestrahlt werden, sodass eine Grundversorgung und flächendeckende Information der europäischen Bevölkerung in Bezug auf solche Ereignisse sichergestellt wird. Es ist den Mitgliedstaaten überlassen solche Maßnahmen vorzusehen und insb. auch in ihren gesetzlichen Regelungen zu definieren, welche Ereignisse als derartige Großereignisse gelten. Die Regelung wird mit Überarbeitung der ĺFernsehRL in eine ĺRL für audiovisuelle Mediendienste unverändert bestehen bleiben. (dd)
EPÜ 2000 ĺEuropäisches Patentübereinkommen, EPÜ 2000 ERA ĺEuropäische Eisenbahnagentur (ERA); ĺEuropäische Rechtsakademie Trier (ERA); European Research Area (ERA); ĺEuropäischer Forschungsraum (EFR) Erasmus bei ERC ĺBildungsprogramme Erasmus Mundus ĺBildungsprogramme ERC ĺEuropäischer Forschungsrat (EFR) Erdgasbinnenmarktrichtlinie directive concerning common rules for the internal market in gas – directive concernant des règles communes pour le marché intérieur du gaz naturel
Nach dem Vorbild der ĺElektrizitätsbinnenmarktrichtlinie wurden für den Erdgassektor die RL 98/30/EG vom 21.7.1998, ABl. 1998, Nr. L 204/0001-0012 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und die RL 2003/55/EG vom 26.3.2003, ABl. 2003, Nr. 248
Major events on television broadcast – Evénements d’importance majeure pour la société
§§: Art. 3a FernsehRL, ABl. 1997, Nr. L 202/60
Erfolgsort (IPR) ĺLex loci delicti Erforderlichkeit (Grundfreiheiten) necessity – necessité
Wenn der ĺEuGH die Rechtfertigung eines Eingriffs in eine ĺGrundfreiheit prüft, ist die E. eines der Prüfungskriterien. Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn sie das mildeste, gerade noch zum Zweck führende Mittel darstellt. Eine Maßnahme ist folglich nicht zulässig, wenn das mit ihr angestrebte Ziel durch eine andere,
Ergänzendes Schutzzertifikat die Grundfreiheit weniger beschränkende Maßnahme erreicht werden könnte. (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 111 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-288/89 Collectieve Antennevoorziening Gouda, Slg. 1991, I-4007, Rn. 15
Erforderlichkeitskriterium ĺSubsidiaritätsprinzip Erfüllungsortsgerichtsstand jurisdiction concerning matters related to a contract – la compétence en matière contractuelle
Von den im ĺEuropäischen Zivilprozessrecht vorgesehen Gerichtsständen für Zivil- und Handelssachen hat der Gerichtsstand des Erfüllungsortes eine herausragende Bedeutung. Er stellt ein sachbezogenes Gegengewicht zum allein personenbezogenen allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten dar. Nach Art. 5 Abs. 1 ĺEuGVVO wird für Streitigkeiten über vertragliche Ansprüche die ĺinternationale Zuständigkeit des Gerichts an dem Ort begründet, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Maßgeblich ist damit die Bestimmung des Erfüllungsortes. Die Vorgängerregelung in Art. 5 Abs. 1 ĺEuGVÜ sah die Bestimmung des Erfüllungsortes nach dem ĺIPR des Forums vor (sog. Tessili-Formel) und machte daher einerseits eine implizite Bestimmung des anwendbaren Rechts erforderlich, bevorzugte andererseits häufig den Verkäufer, insb. bei Geltung des ĺUN-Kaufrechts. Die Neureglung nimmt daher für die wichtigsten Vertragsarten, d.h. den Kauf beweglicher Sachen und die Erbringung von Dienstleistungen, eine autonome Bestimmung des Erfüllungsortes vor und behält die ursprüngliche Regelung nur noch als Auffangtatbestand bei. Bei Verträgen über den Verkauf beweglicher Sachen ist der Erfüllungsort der Ort in einem MS an dem die Waren nach dem Vertrag tatsächlich geliefert worden sind oder geliefert werden hätten müssen, bei Dienstleistungen der Ort an dem die Leistung erbracht wurde oder zu erbringen war. Der so bestimmte faktische Erfüllungsort gilt entgegen der älteren Rsp. für alle Streitigkeiten aus dem betreffenden Vertrag und führt somit zu einer Zuständigkeitskonzentration. Inwieweit im Gerichtsstand nach Art. 5 Abs. 1 ĺEuGVVO zugleich konkurrierende Deliktsansprüche geltend gemacht werden können, ist umstritten. Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes ist ein besonderer
Gerichtsstand, der neben den allgemeinen Gerichtsstand am Beklagtenwohnsitz tritt: dem Kläger steht ein Wahlrecht offen, welchen der gegebenen Gerichtsstände er in Anspruch nehmen will. (mrm) §§: Art. 5 Abs. 1 EuGVÜ/LGVÜ, Art. 5 Abs. 1 EuGVVO Lit.: D. Berg, Autonome Bestimmung des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, NJW 2006, 30353037
Ergänzendes Schutzzertifikat supplementary protection certificate – certificat complémentaire de protection
Schutzrecht, welches für bestimmte Erzeugnisse den Patentschutz nach Ablauf des Patents verlängert. Hintergrund: durch zeitaufwändige Genehmigungsverfahren verkürzte wirtschaftlich nutzbare Patentlaufzeit. Die Laufzeit eines ĺeurop. Patents beträgt gem. Art. 63 Abs. 1 EPÜ maximal 20 Jahre; eine Verlängerung durch ein ergänzendes Schutzzertifikat ist gem. Art. 63 Abs. 2 lit. b erlaubt. Mit Verordnungen der EG (ĺVerordnung) wurde für Arzneimittel und Pflanzenschutzmittel ein gemeinschaftsweit einheitliches, ergänzendes Schutzzertifikat geschaffen. Die Verlängerung der Schutzdauer entspricht dem Zeitraum von der Anmeldung des Patents bis zur ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen im EWR abzüglich 5 Jahre. Die maximale Verlängerung beträgt 5 Jahre. Darüber hinaus ermöglicht VO (EG) 1901/2006 über Kinderarzneimittel bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen noch eine Verlängerung der Laufzeit eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel um 6 Monate. Als für die Berechnung der Laufzeit entscheidende erste Genehmigung innerhalb des EWR gilt auch die von Liechtenstein automatisch übernommene Genehmigung in der Schweiz (EuGH, verb. Rs. C-207 und 252/03 Novartis, Slg. 2005, I-3209). Der anschließende patentgleiche Schutz erstreckt sich auf den Wirkstoff bzw. die Wirkstoffzusammensetzung des Arznei- bzw. Pflanzenschutzmittels, der im Genehmigungsverfahren zugelassen wurde (weiter Begriff des Wirkstoffs: EuGH, Rs. C-392/97 Farmitalia, Slg. 1999, I-5553). Bei mehreren Grundpatenten mehrerer Inhaber auf einen Wirkstoff hat jeder ein Recht auf ein ergänzendes Schutzzertifikat (EuGH, Rs. C-181/95 Biogen, Slg. 1997, I-357). (mp) §§: Art. 63 Abs. 1, Art. 63 Abs. 2b EPÜ; VO (EWG) 1768/92 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel, ABl. 1992, Nr. L 182/1;
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Ermessensmissbrauch, Nichtigkeitsgrund VO (EG) 1901/2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der VO (EWG) 1768/92, ABl. 2006, Nr. L 378/1; VO (EG) 1610/96 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel, ABl. 1996, Nr. L 198/30 Lit.: L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 820 ff.; E. Ullmann/K. Grabinski, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 63, Rn. 4 ff.; O. Brändel, Offene Fragen zum „ergänzenden Schutzzertifikat“, GRUR Int. 2001, 875; H. Kellner, Salz in der Suppe oder Sand im Getriebe? GRUR Int. 1999, 805
Ermessensmissbrauch, Nichtigkeitsgrund misuse of powers, ground for annulment – détournement de pouvoir, moyen
Nichtigkeitsgrund nach Art. 230 Abs. 2 EG, der nach der überwiegenden Praxis der Gemeinschaftsgerichte nicht von Amts wegen, sondern nur auf Rüge des Klägers zu prüfen ist (ĺNichtigkeitsgründe). Nach der Definition des EuGH liegt ein E. vor „wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, dass [die angegriffene Handlung] ausschließlich oder zumindest vorwiegend zu anderen als den angegebenen Zwecken oder mit dem Ziel erlassen worden ist, ein Verfahren zu umgehen, das der Vertrag speziell vorsieht, um die konkrete Sachlage zu bewältigen“ (EuGH, Rs. C-491/01 The Queen/Secretary of State for Health, ex parte British American Tobacco, Slg. 2002, I-11453, Rn. 189). (mk) §§: Art. 230 Abs. 2 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 556 f.
Ermessensspielraum margin of appreciation – marge d’appréciation
Ermessen oder Gestaltungsspielraum, den der EuGH – wie auch der ĺEGMR – den Mitgliedstaaten bei der Anwendung und Umsetzung von ĺGrundrechten belässt. Die nachprüfende Kontrolle des Rechtsschutzorgans beschränkt sich dabei auf eine Prüfung der Rationalität bzw. Begründung des Entscheidungsvorgangs (Vertretbarkeitskontrolle), verzichtet aber darauf, eine eigene Entscheidung an die Stelle der vom Staat getroffenen zu setzen (Dezentralisation beim Grundrechtsschutz). Der Spielraum wird je nach Grundrecht und erforderlichen Abwägungsvorgängen unterschiedlich weit angenommen. Je weniger ein ĺeuropäischer Standard in bestimmten Fragen besteht und je mehr Interessen ins Spiel kommen (vgl. den Fall einer ĺGrundrechtskollision), desto eher ist die Rsp. geneigt, einen solchen anzunehmen. 250
Der EuGH anerkennt explizit unterschiedliche Standards der Mitgliedstaaten gerade im Bereich des Schutzes der Menschenwürde bzw. der Persönlichkeitsrechte (vgl. EuGH, Rs. C-36/ 02 ĺOmega, Slg. 2004, I-9609). (ed) Lit.: Zum Ermessen innerhalb der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, 2006, 284 ff.
Ermessenstatbestände im Beihilfenrecht discretionary exemptions – dérogations facultatives
Die Ausnahmetatbestände des Art. 87 Abs. 3 EG räumen im Gegensatz zu den ĺLegalausnahmen der ĺKommission bei der Beurteilung der Frage der Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt ein weites Ermessen ein. Um die Ermessensausübung der Kommission für die Mitgliedstaaten und Unternehmen vorhersehbar zu gestalten, werden ĺGemeinschaftsrahmen und ĺLeitlinien angenommen. Die gerichtliche Kontrolle der Ermessensausübung durch die Kommission ist auf die Prüfung der Fragen zu beschränken, ob die Verfahrens- und Begründungsvorschriften eingehalten worden sind; ob der der getroffenen Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt, zutreffend festgestellt worden ist ; ob eine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts oder ein Ermessensmissbrauch vorliegt. Eine Ermessensausübung durch die Gemeinschaftsgerichte selbst kommt dagegen nicht in Betracht. (jr) §§: Art. 87 Abs. 3 EG Lit.: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, 1108 ff.
Ermittlungsgruppen, gemeinsame ĺGemeinsame Ermittlungsgruppen Erneuerbare-Energien-Richtlinie promotion of electricity produced from renewable energy sources – promotion de l’électricité produite à partir de sources d’énergie renouvelables
RL 2001/77/EG vom 27.9.2001 zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen im Elektrizitätsbinnenmarkt. Das Ziel ist die Steigerung des Anteils erneuerbarer Energiequellen und die Schaffung einer Grundlage für einen entsprechenden künftigen Gemeinschaftsrahmen. Mitgliedstaaten haben individuelle Ziele für die Förderung von Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien vorzuschreiben, Herkunftsnachweise für Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu schaffen und die
Eroglu-Entscheidung Übertragung und Verteilung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu gewährleisten. Eine Ausnahme von dem Beihilfenregime der Art. 87, 88 EG wird nicht geschaffen. (hh) Ernste Marktstörung serious disturbance (of the national transport) – grave perturbation du marché
Begriff im Zusammenhang mit der Relativierung des Zugangs zum Güterkraftverkehr in der Gemeinschaft. Durch ihn wird das Eingreifen von Schutzmaßnahmen in einem bestimmten geographischen Gebiet ermöglicht. Maßnahmenauslösendes Element ist die Feststellung eines länger andauernden deutlichen Angebotsüberhangs, womit das finanzielle Gewicht oder das Überleben zahlreicher Unternehmen als gefährdet erscheinen. In diesem Fall ist das Vorliegen einer ĺGemeinschaftslizenz nicht mehr ausreichend für den Marktzugang. In Art. 9 der VO (EG) 12/98 über die Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Personenkraftverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind (ABl. 1998, Nr. L 4/10) und Art. 7 VO (EWG) 3118/93 zur Festlegung der Bedingungen für die Zulassung von Verkehrsunternehmen zum Güterkraftverkehr innerhalb eines MS, in dem sie nicht ansässig sind (ABl. 1993, Nr. L 279/1) ist in nahezu identischer Weise vorgesehen, dass im Fall einer ernsten Marktstörung im innerstaatlichen Verkehr innerhalb eines bestimmten geographischen Gebiets, die auf die Kabotage zurückzuführen ist oder durch sie verschärft wird, kann sich jeder ĺMitgliedstaat an die ĺKommission wenden, damit Schutzmaßnahmen getroffen werden; der Mitgliedstaat macht der Kommission dabei die erforderlichen Angaben und teilt ihr mit, welche Maßnahmen er bezüglich der in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Verkehrsunternehmer zu treffen gedenkt. Der Ausdruck „ernste Marktstörung im innerstaatlichen Verkehr innerhalb eines bestimmten geographischen Gebiets“ bezeichnet dabei das Auftreten spezifischer Probleme auf diesem Markt, die zu einem möglicherweise anhaltenden deutlichen Angebotsüberhang führen können, der das finanzielle Gleichgewicht und das Überleben zahlreicher Unternehmen im Personenkraftverkehr gefährden würde; „geographisches Gebiet“ ein Gebiet, das das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder einen Teil davon umfaßt oder sich auf das gesamte Hoheitsgebiet anderer
Mitgliedstaaten oder auf einen Teil davon erstreckt. Die Schutzmaßnahmen bleiben höchstens sechs Monate in Kraft; ihre Geltungsdauer kann einmal um höchstens sechs Monate verlängert werden. Systematisch ähnlich ist der Mechanismus der VO (EG) 718/1999 (ABl. 1999, Nr. L 90/1) in Verbindung mit der RL 96/75/EG (ABl. 1996, Nr. L 304/12) ausgestaltet. Dort geht es um über kapazitätsbezogene Maßnahmen in Bezug auf die Binnenschifffahrtflotten sowie Maßnahmen zur Förderung des Binnenschiffsverkehrs (ĺBinnenschifffahrt, Überkapazitäten). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf die RL 96/75/EG (ABl. 1996, Nr. L 304/12), die Einzelheiten der Befrachtung und der Frachtratenbildung im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Binnenschiffsgüterverkehr in der Gemeinschaft regelt. Ein ebenfalls ähnliches System ist nach der VO (EWG) 3577/92 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den MS (ABl. 12.12.1992, Nr. L 364/7) vorgesehen (ĺKabotage, Seeverkehr). S.a. ĺKabotagebeförderungen. ĺKabotageverordnung. (sm) Eroglu-Entscheidung Eroglu case – jurisprudence Eroglu
In EuGH, Rs. C-355/93 Eroglu, Slg. 1994, I-5113 hielt der EuGH fest: „1. Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich des ARB 1/80 des Assoziationsrates EWG – Türkei ist dahin auszulegen, daß er einem türkischen Staatsangehörigen, der Absolvent einer Hochschule ist und aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung für zwei Jahre und entsprechender Arbeitserlaubnisse, die ihm zur Vertiefung seiner Kenntnisse im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit oder eines fachbezogenen Praktikums erteilt worden sind, länger als ein Jahr bei einem Arbeitgeber und anschließend etwa zehn Monate lang bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt gewesen ist, kein Recht auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei seinem ersten Arbeitgeber verleiht. Die genannte Bestimmung soll nämlich nur die Fortsetzung einer Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber gewährleisten und ist daher nur anwendbar, soweit der türkische Arbeitnehmer die Verlängerung seiner Arbeitserlaubnis zur Fortsetzung seiner Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber über die ursprüngliche Dauer ordnungsgemäßer Beschäftigung von einem Jahr hinaus beantragt. Würde die Anwen251
Erschöpfungsgrundsatz dung dieser Bestimmung auf den Fall ausgedehnt, dass ein türkischer Arbeitnehmer nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung den Arbeitgeber gewechselt hat und die Verlängerung seiner Arbeitserlaubnis beantragt, um wieder in dem Betrieb seines ersten Arbeitgebers zu arbeiten, könnte dieser Arbeitnehmer aufgrund dieser Bestimmung vor Ablauf der im zweiten Gedankenstrich vorgeschriebenen drei Jahre den Arbeitgeber wechseln, und die Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten verlören den Vorrang, den ihnen der zweite Gedankenstrich für den Fall gegenüber dem türkischen Arbeitnehmer einräumt, dass dieser seinen Arbeitgeber wechselt. 2. Ein türkischer Staatsangehöriger, der die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 des ARB 1/80 des Assoziationsrates EWG – Türkei erfüllt und der sich demzufolge in dem betreffenden Mitgliedstaat auf jedes Stellenangebot bewerben kann, kann sich aufgrund dessen auch auf diese Vorschrift berufen, um eine Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung zu erwirken. Art. 7 Abs. 2 verleiht nämlich seinem Wortlaut nach klar, eindeutig und ohne dass dies an Bedingungen geknüpft wäre, d.h. mit unmittelbarer Wirkung, den Kindern türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, das Recht, sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot zu bewerben, sofern ein Elternteil dort seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war. Ebenso wie das Recht auf Aufnahme und Ausübung jeder Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ohne Aufenthaltsrecht nicht denkbar ist, beinhaltet das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, zwangsläufig die Anerkennung eines Aufenthaltsrechts des Bewerbers.“ (bb) §§: EuGH 5.10.1994, Rs. C-355/93 Eroglu, Slg. 1994, I-5113
rechtsinhaber selbst oder mit seiner Zustimmung in Verkehr gebracht wurde (Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöpfung). Liegt eine solche Erschöpfung vor, kann ein auf das nationale gewerbliche Schutzrecht gestütztes Verbot des Inverkehrbringens der importierten Ware dann mittels Art. 30 EG nicht mehr gerechtfertigt werden. Es liegt somit ein Verstoß gegen Art. 28 EG vor. Diese Erschöpfung tritt auch dann ein, wenn die Ware in einem Mitgliedstaat in Verkehr gebracht wurde, in dem solche Waren nicht schutzfähig sind (EuGH, Rs. 187/80, Merck/Stephar, Slg. 1981, 2063, Rn. 14) Eine Erschöpfung tritt dann nicht ein, wenn das betreffende Erzeugnis in einem Drittland (d.h außerhalb des EWR) in Verkehr gebracht wurde (EuGH, verb. Rs. C-92/92 und C-326/92 EMI Electrola, Slg. 1993, I-5145). Gegen Reimporte aus einem Drittland kann sich ein Schutzrechtsinhaber somit wehren. In Bezug auf Markenrechte ist eine weltweite Erschöpfung (d.h. eine Erschöpfung auch bei Inverkehrbringen der geschützten Ware in Drittländern) gemeinschaftsrechtlich nicht nur nicht vorgesehen, sondern aufgrund Art. 7 Abs. 1 RL 89/104/EWG (die sog. Markenrichtlinie) sogar untersagt (EuGH, Rs. 355/96 Silouette, Slg. 1998, I-4799, Rn. 31). (rp) §§: Art. 28 EG, Art. 30 EG, RL 89/104/EWG des Rates vom 21.12.1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, ABl. 1989, Nr. L. 40/1 Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 105 ff.; R. Sack, Die Erschöpfung von gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten nach europäischem Recht, GRUR Int. 1999, 193 Rsp.: EuGH, Rs. 78/70 Deutsche Grammophon, Slg. 1971, 487; EuGH, Rs. 15/74, Centrafarm/Sterling Drug, Slg. 1974, 1147; EuGH, Rs. 187/80, Merck/Stephar, Slg. 1981, 2063; EuGH, verb. Rs. C-267/95 und C-268/95, Merck/Beecham, Slg. 1996, I-6285; EuGH, Rs. C-10/83, HAG II, Slg. 1990, I-3711; EuGH, Rs. C-9/93, IHT Internationale Heiztechnik, Slg. 1994, I-6285; EuGH, verb. Rs. C-92/92 und C-326/92, EMI Electrola, Slg. 1993, I-5145; EuGH, verb. Rs. C-414/99 bis C-416/99 Davidoff, Slg. 2001, I-8691; EuGH, Rs. 355/96, Silouette, Slg. 1998, I-4799
Erschöpfungsgrundsatz principle of exhaustion (free movement of goods) – principe d’épuisement (libre circulation des marchandises)
Dem vom ĺEuGH entwickelten Erschöpfungsgrundsatz zufolge, bieten nationale, ĺgewerbliche Schutzrechte (z.B. Patent-, Urheber- und Markenrechte) keinen Schutz gegen den Import von ĺWaren aus anderen ĺMitgliedstaaten, wenn die betreffende Ware in einem Vertragsstaat des ĺEWR-Abkommens vom Schutz252
Erschöpfungsgrundsatz, urheberrechtlicher exhaustion theory in copyright law – notion d’épuisement en droit d’auteur
Allgemein geht es beim ĺErschöpfungsgrundsatz um eine Beschränkung des urheberrechtlichen ĺVerbreitungsrechts (also des Rechts des Urhebers, die Verbreitung seines Werkes zu kontrollieren) im Interesse des freien Verkehrs. Der ĺErschöpfungsgrundsatz besagt, dass
Erweiterung um Finnland, Österreich und Schweden wenn das Werkexemplar einmal mit Zustimmung des Urhebers in den Verkehr gebracht wurde, seine Weiterverbreitung frei ist; das ĺVerbreitungsrecht des Urhebers ist insofern „erschöpft“. Auf europäischer Ebene bezieht sich der ĺErschöpfungsgrundsatz auf den grenzüberschreitenden Verkehr von Werkexemplaren. Nach Ansicht des EuGH (vgl. die ĺPolydor-Entscheidung) verbietet es die Freiheit des Warenverkehrs, die Einfuhr einer Ware in einen Mitgliedstaat unter Berufung auf das ausschließliche ĺVerbreitungsrecht des Urhebers zu unterbinden, wenn diese Ware mit Zustimmung des Urhebers bereits in einem anderen Mitgliedstaat verbreitet wurde. Das ĺVerbreitungsrecht des Urhebers ist in diesem Fall gemeinschaftsweit erschöpft. Dadurch soll die Abschottung nationaler Märkte verhindert werden. Dies gilt primär für die Weiterveräußerung von Waren; das ĺVerleih- und ĺVermietrecht sind aus dem Erschöpfungsgrundsatz ausgenommen (vgl. die ĺWarner Bros-Entscheidung; Art. 1 Abs. 4 ĺVermiet- und VerleihRL, dazu die ĺMetronome-Entscheidung); ebenso das ĺRecht der öffentlichen Wiedergabe von Bildund Tonträgern (vgl. Art. 3 Abs. 3 ĺInformationsgesellschaftRL). Die Erschöpfung des ĺVerbreitungsrechts ist inzwischen auch in mehreren RL ausdrücklich vorgesehen, nämlich in der ĺComputerprogrammRL (Art. 4 lit. c), der ĺVermiet- und VerleihrechtRL (Art. 9 Abs. 2, Art. 1 Abs. 4), der ĺDatenbankRL (Art. 5 lit. c) und der ĺInformationsgesellschaftRL (Art. 4 Abs. 2). Bringt der Urheber seine Werkexemplare hingegen außerhalb der Gemeinschaft in Verkehr, so erschöpft sich sein ĺVerbreitungsrecht dadurch nicht. Die Einfuhr in einen Mitgliedstaat kann in diesem Fall unter Berufung auf das dem Urheber vorbehaltene ĺVerbreitungsrecht unterbunden werden. (js) §§: Art. 28, 30 EG; Art. 4 lit. c ĺComputerRL; Art. 9 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 4 ĺVermiet- und VerleihrechtRL; Art. 5 lit. c ĺDatenbankRL Lit.: R. Sack, Die Erschöpfung von gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten nach europäischem Recht, GRUR Int. 1999, 193
Erste Säule First Pillar – Première Pilier
Die erste Säule bestand bei der Gründung der EU im Jahr 1993 aus den drei supranationalen Europäischen Gemeinschaften ĺEG, ĺEGKS und ĺEAG. Durch das Auslaufen des EGKS-
Vertrags mit 23.7.2002 wurde die erste Säule modifiziert; sie besteht seitdem formal nur noch aus der EG und der EAG. S. dazu auch ĺEG-Vertrag, ĺEAG-Vertrag bzw. ĺEuratom-Vertrag. (lb) ERT-Entscheidung ERT case – jurisprudence ERT
Rsp. zum Schutz europäischer ĺGrundrechte, insb. zur Bedeutung der EMRK. (ed) Rsp.: EuGH, Rs. C-260/89 ERT, Slg. 1991, I-2925, Rn. 41
Erweiterung der Europäischen Union ĺBeitritt; ĺErweiterung, bisherige Erweiterung um Finnland, Österreich und Schweden enlargement to Austria, Finland and Sweden – élargissement à l’Autriche, la Finlande et la Suède
Der Beitritt Finnlands, Österreichs und Schwedens zur EWG war in den Zeiten des Kalten Krieges aufgrund der geopolitischen Lage und dem neutralen Status der drei Staaten nicht verwirklichbar. Bspw. gründete die Gemeinschaft ihre 1972 abgeschlossen Freihandelsabkommen mit den drei Staaten, nach einer Intervention Österreich, aus neutralitätspolitischen Erwägungen nicht auf den Assozierungstatbestand (Art. 310 EG; ĺBeitrittsassoziierung), sondern auf die ĺGemeinsame Handelspolitik (Art. 133 EG). Nach 1989 boten die Gemeinschaften den EFTA-Staaten Finnland, Island, Liechtenstein, Norwegen, Österreich und Schweden als ĺHeranführungsstrategie die Bildung eines europäischen Wirtschaftsraumes an, der die Teilnahme am Gemeinsamen Markt ohne die Möglichkeit politischer Mitbestimmung vorsah. 1994 trat der Vertrag über den ĺEuropäischen Wirtschaftsraum (EWR) in Kraft. Schon vor bzw. während den Verhandlungen zum EWR überreichten Österreich (Juli 1989), Schweden (Juli 1991), Finnland (März 1992) und Norwegen (November 1992) ihre Beitrittsanträge zur Aufnahme in die Europäischen Gemeinschaften, die nach dem Inkrafttreten des EUV (1.11.1993) als Anträge i.S.d. Art. 49 EU behandelt wurden. Nach einem positiven ĺAvis der KOM konnten die ĺBeitrittsverhandlungen innerhalb von 14 Monaten (Februar 1993 bis April 1994) abgeschlossen werden. Ausschlaggebend für die kurze Verhandlungsdauer war die mit dem EWR verbundene, weitge253
Erweiterung, bisherige hende Übernahme des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes, der relative Wohlstand und die mittlere Größe der beitrittswilligen Staaten. Dies spiegelte sich auch in den wenig umfangreichen ĺÜbergangsvorschriften wider. Die ĺBeitrittsverträge unterzeichneten die MS und ĺBewerberländer am 24.6.1994 in Korfu. Während Norwegen seinen Beitrittsantrag aufgrund eines negativen Referendums zurückzog (ĺNorwegen, Beitrittsbemühungen), traten Schweden, Österreich und Finnland nach positiven Referenden und entsprechender Ratifikation der Verträge am 1.1.1995 der EU bei. (lo) §§: Beitrittsvertrag 1995, ABl. 1.1.1995, Nr. L 1 Lit.: M. Jorna, The Accession Negotiations with Austria, Sweden, Finland and Norway: A Guided Tour, ELR 1995,131
Erweiterung, bisherige enlargements, previous – élargissements, précédents
Die Präambel des EGV lädt alle Völker Europas ein, sich dem europäischen Einigungsprojekt anzuschließen (8. Erwägungsgrund). Bisher sind 21 Staaten dieser Aufforderung gefolgt (ĺBeitritt). Die E. der Union fand in mehreren Wellen statt. 1973: GB, Dänemark und Irland (ĺNorderweiterung); 1981: Griechenland, 1986: Spanien und Portugal (ĺSüderweiterung); 1995: Finnland, Österreich und Schweden (ĺErweiterung um Finnland, Österreich und Schweden); 2004: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern (ĺOsterweiterung); 2007: Bulgarien und Rumänien (ĺBulgarien und Rumänien, Beitritt). (lo) Lit.: N. Nugent, European Union Enlargement, 2004
Erwerb neuer Fahrzeuge (steuerrechtlich) buying new motor vehicles (tax law) – acquisition de véhicules à moteur neufs (droit fiscal)
Als Sonderfall des ĺBestimmungslandprinzips unterliegt der ĺinnergemeinschaftliche Erwerb neuer Fahrzeuge immer der Besteuerung im Bestimmungsland, somit auch dann, wenn ein Nicht-Unternehmer das Fahrzeug im übrigen Gemeinschaftsgebiet erworben hat. Für Unternehmer gilt hier uneingeschränkt das Bestimmungslandprinzip samt deren Regelung über die ĺinnergemeinschaftliche Lieferung und den innergemeinschaftlichen Erwerb. Abgesehen davon gelten im Zusammnenhang mit dem Umsatz neuer Fahrzeuge folgende Regelungen: 254
ƒ
Import: Der Erwerb neuer Fahrzeuge ist stets ein innergemeinschaftlicher Erwerb, auch dann, wenn er durch natürliche Personen ohne Unternehmereigenschaft oder durch ĺSchwellenerwerber unter der ĺErwerbsschwelle erfolgt. Voraussetzung ist allerdings auch hier, dass das Fahrzeug bei einer Lieferung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates gelangt. Das bloße ĺVerbringen löst somit keine Erwerbsteuerpflicht aus. ƒ Export: Wer im Inland ein neues Fahrzeug liefert, das bei der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt, wird, wenn er nicht ohnehin als Unternehmer tätig ist, für diese Lieferung wie ein Unternehmer behandelt. Gleiches gilt, wenn ein Unternehmer die Lieferung eines neuen Fahrzeuges nicht im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Lieferung des neuen Fahrzeuges ist, da sie im Bestimmungsland der ĺErwerbsteuer unterliegt, als innergemeinschaftliche Lieferung echt steuerfrei. Für gebrauchte Fahrzeuge gelten die obigen Sonderregelungen nicht. Als „neu“ und somit tatbestandsbegründend gilt ein Fahrzeug dann, wenn alternativ eine der beiden Voraussetzungen erfüllt ist (maßgeblich für die Beurteilung ist der Zeitpunkt der Lieferung): ƒ Inbetriebnahme nicht mehr als 3 Monate (Wasser- und Luftfahrzeuge) bzw. 6 Monate (Landfahrzeuge) vor dem Erwerb, oder ƒ tatsächliche Nutzung unter einem bestimmten Grenzwert (Landfahrzeuge: 6.000 km Fahrleistung; Wasserfahrzeuge: 100 Betriebsstunden; Luftfahrzeuge: 40 Betriebsstunden). (pu) §§: Art. 28a Abs. 1 lit. b, Art. 28a Abs. 2 6. MwStRL
Erwerb von verbrauchsteuerpflichtigen Waren acquisition of products subject to excise duties – acquisition de produits soumis à accises
Verbauchssteuerpflichtige Waren werden grundsätzlich immer im Bestimmungsland besteuert (ĺBestimmungslandprinzip). Technisch geschieht dies durch Nichtanwendung der ĺErwerbsschwelle bzw. der ĺLieferschwelle. ĺSchwellenerwerber haben somit jeglichen Erwerb verbrauchsteuerpflichtiger Waren zu versteuern. Sämtliche Beförderungs- und Versendungslieferungen an Nicht-Unternehmer, die keine Schwellenerwerber sind, werden daher immer im Bestimmungslandprinzip besteuert. Nur im Falle der Abholung durch private Letzt-
Erwerbsschwelle verbraucher bleibt es bei der Besteuerung im Ursprungsland. (pu) §§: Art. 28a Abs. 1 lit. c 6. MwStRL
Erwerb, innergemeinschaftlicher intracommunity acquisitions – acquisition, intracommunautaire
Einen innergemeinschaftlichen Erwerb hat ein Unternehmer dann zu versteuern, wenn ƒ eine umsatzsteuerrechtliche Lieferung bewirkt wird, somit die endgültige Verschaffung der Verfügungsmacht an einem Gegenstand das Ziel des Umsatzes ist, ƒ sich der Liefergegenstand aus dem Gebiet des einen in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaat bewegt, ƒ der Erwerber Unternehmer ist und den Gegenstand für sein Unternehmen erwirbt oder der Erwerber eine juristische Person ist, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt ƒ die zugrundeliegende Lieferung eine steuerbare Lieferung ist, d.h. durch einen Unternehmer gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausgeführt wird, und nicht nach dem Recht des Herkunftslandes auf Grund der Sonderregelung für Kleinunternehmer steuerfrei gestellt wurde. Sind alles Voraussetzungen erfüllt, dann unterliegt der Umsatz beim Erwerber des Gegenstandes der Umsatzbesteuerung und dieser schuldet die ĺErwerbsteuer, welche sich der Erwerber jedoch sogleich als Vorsteuer aus innergemeinschaftlichem Erwerb wieder abziehen kann. Die Besteuerung eines innergemeinschaftlichen Erwerbes im Land des Leistungsempfängers ist eine unmittelbare Auswirkung des ĺBestimmungslandprinzips. Dem zu versteuernden innergemeinschaftlichen Erwerb steht hiebei eine echt steuerbefreite ĺinnergemeinschaftliche Lieferung des leistenden Unternehmers gegenüber. Rechtssystematisch wird dieses Ergebnis durch den steuerlichen Grenzausgleich (ĺGrenzausgleich, steuerlicher) herbeigeführt. (pu) §§: Art. 28a 6. MwStRL
Erwerb, innergemeinschaftlicher, Ort des intracommunity acquisitions, the place of – acquisition, intracommunautaire, lieu de
Ein ĺinnergemeinschaftlicher Erwerb wird in dem Mitgliedstaat verwirklicht, in dem sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Versendung befindet.
Das gilt auch, wenn der Erwerber selbst den Gegenstand abholt und ihn ins Inland befördert oder versenden lässt; auch dann, wenn der Erwerber selbst sich in einem anderen Staat befindet. Das Ende der Beförderung ist das Ende der Warenbewegung, das Ende der Versendung liegt dort, wo der Beauftragte (z.B. eine Spedition) den Gegenstand vereinbarungsgemäß hinzubringen hat. Tritt der Erwerber gegenüber dem Leistenden unter einer Umsatzsteueridentifikationsnummer (UID) eines anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Beförderung oder Versendung endet, auf, so gilt der Erwerb zusätzlich in dem Gebiet dieses Mitgliedstaates als verwirklicht. Das gilt solange, bis der Erwerber nachweist, dass der Erwerb durch den Staat besteuert worden ist, in dem die Beförderung oder Versendung endet. Der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbes (wo die Beförderung/Versendung endet) liegt somit diametral gegenüber jenem Ort eines vergleichbaren innerstaatlichen Umsatzes (wo die Beförderung/Versendung beginnt). (pu) §§: Art. 28b 6. MwStRL; vgl. Art. 3 Abs. 8 öBMR (österr. Binnenmarktregelung) und § 3 Abs. 7 öUStG
Erwerbsfreiheit Grundrecht auf Erwerbsfreiheit, s. Grundrecht auf ĺBerufsfreiheit Erwerbsschwelle threshold for application of the special scheme for acquisitions by taxable persons not entitled to deduct input tax and by non-taxable legal persons – acquisitions réalisées dans d’autres États membres dépassant un certain seuil
ĺSchwellenerwerber unterliegen mit ihren ĺinnergemeinschaftlichen Erwerben nur dann der Steuerpflicht, wenn der Gesamtbetrag der Entgelte für innergemeinschaftliche Erwerbe einen bestimmten Grenzwert entweder im vorangegangenen Kalenderjahr überstiegen hat oder im laufenden Jahr voraussichtlich übersteigen wird. Nicht in die maßgeblichen Bemessungsgrundlagen miteinbezogen wird der ĺErwerbe von neuen Fahrzeugen sowie der ĺErwerb von verbrauchsteuerpflichtigen Waren. Auf die Anwendung der Erwerbsbesteuerung kann verzichtet werden. Der Verzicht ist, um für das betreffende Kalenderjahr wirksam zu werden, gegenüber dem zuständigen Finanzamt schriftlich zu erklären, und zwar bis zum Ab255
Erwerbsteuer lauf der Frist zur Abgabe der Voranmeldung für jenen Voranmeldezeitraum, in dem erstmals ein Erwerb getätigt worden ist. (pu) §§: Art. 28a Abs. 1a 6. MwStRL Web: Erwerbsschwellen in den Mitgliedstaaten der EU: http://ec.europa.eu/taxation_customs/taxation/ vat/traders/vat_community/index_de.htm
Erwerbsteuer acquisition tax – impôt sur les bénéfices
Unter Erwerbsteuer bezeichnet man die Umsatzsteuer, welche aufgrund der Verwirklichung eines ĺinnergemeinschaftlichen Erwerbes geschuldet wird. Diese kann sich der vorsteuerabzugsberechtigte Leistungsempfänger regelmäßig sogleich als Vorsteuer aus innergemeinschaftlichem Erwerb abziehen. Die Höhe richtet sich entsprechend dem ĺBestimmungslandprinzip nach den jeweils geltenden nationalen Mehrwertsteuersätzen. Im Gegensatz dazu steht die ĺEinfuhrumsatzsteuer, welche aufgrund der Verwirklichung einer steuerpflichtigen ĺEinfuhr geschuldet wird. (pu) Web: Mehrwertsteuersätze in der Europäischen Union: http://ec.europa.eu/taxation_customs/taxation/vat/ traders/vat_rates/index_de.htm
Erze (Euratom) ores (Euratom) – minerais (Euratom)
Gem. der Legaldefinition des Art. 197 Z. 4 ĺEAGV sind dies alle Erze, die mit (durch Ratsverordnung definierten) mittleren Konzentrierungen Stoffe enthalten, die durch geeignete chemische und physikalische Aufbereitung die Gewinnung von ĺAusgangsstoffen ermöglichen (vgl. ĺKernstoffe). (atm) §§: VO (Euratom) 9/60, ABl. 1960, Nr. L 12/482
Erzeugnis ĺWare Erzeugung von Elektrizität generation of electricity – production d’électricité
Neben der ĺÜbertragung und Verteilung die dritte von der ĺElektrizitätsbinnenmarktrichtlinie vorgesehene Hauptfunktion im Rahmen der Versorgung mit Elektrizität. Die Mitgliedstaaten haben ein Genehmigungsverfahren für neue Kapazitäten vorzusehen, das nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien anzuwenden ist (bei entsprechender Größe der Anlage ist dies ein 256
Verfahren zur Prüfung der Umweltverträglichkeit). Die ĺElektrizitätsbinnenmarktrichtlinie sieht weiters die Möglichkeit zur Ausschreibung neuer Kapazitäten vor, falls die Versorgung andernfalls nicht ausreichend gewährleistet ist. Diese Ausschreibung kann von einer Behörde, öffentlichen Stelle, einer ĺRegulierungsbehörde oder einem unabhängigen ĺÜbertragungsnetzbetreiber vorgenommen werden. (hh) §§: Art. 6f Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/54/EG)
Erziehung ĺElterliches Erziehungsrecht ESA 1. Euratom Supply Agency; ĺEuratom-Versorgungsagentur; 2. European Space Agency (Europäische Weltraumorganisation); 3. EFTA Surveillance Authority (EFTA-Überwachungsbehörde). (atm) ESF ĺEuropäische Wissenschaftsstiftung (EWS) Espoo-Konvention Espoo Convention – Convention d’Espoo
Die UN-ECE Konvention über die ĺUmweltverträglichkeitsprüfung (UVP) im grenzüberschreitenden Rahmen, am 25.2.1991 in Espoo (Helsinki, Finnland) unterzeichnet, ist ein Instrument der UN-Wirtschaftskommission für Europa (ECE), zur Regelung der Beteiligung betroffener Staaten und deren Öffentlichkeit an UVP-Verfahren bei Vorhaben in anderen Staaten mit möglicherweise erheblichen grenzüberschreitenden Auswirkungen zwischen den ECEStaaten. Die Verbindlichkeit tritt nach der Ratifizierung von mindestens 16 Staaten ein; die Konvention ist nunmehr seit 10.9.1997 in Kraft. Inhaltlich werden die Vertragsparteien verpflichtet bei geplanten Projekten (nach Anhang I), die möglicherweise erheblich nachteilige Umweltauswirkungen haben, eine UVP durchzuführen und die betroffenen Parteien zu benachrichtigen. Jene Partei, in deren Zuständigkeitsbereich ein Projekt geplant ist (Ursprungspartei), stellt sicher, dass im Rahmen des UVP-Verfahrens eine UVP-Dokumentation erstellt wird und übermittelt diese der betroffenen Partei (Details in Anhang II). Die UVP-Dokumenta-
ESVP-Missionen, militärische tion ist die Basis für die Konsultationen, die mit der betroffenen Partei unter anderem über die möglicherweise grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen des Vorhabens und deren Verminderung und Vermeidung zu führen sind. ĺStrategische Umweltprüfung, Protokoll über die; ĺEspoo-Konvention, Leitfaden. (sm) Lit.: P. Bußjäger/D. Larch, Gemeinschaftsrecht, internaionales Umweltrecht und Verkehrsprojekte (Teil II), RdU 2006, 71 ff. Web: http://www.umweltbundesamt.at/umweltschutz/ uvpsupemas/espooverfahren/
Espoo-Konvention, Leitfaden Espoo Convention, guidance on the practical application of the – Convention d’Espoo, guide d’application pratique de la
Leitfaden über die prakt. Anwendbarkeit der ĺEspoo-Konvention. Erarbeitung im Auftrag der 2. Tagung der Vertragsparteien der Espoo-Konvention 2001; die Federführung lag bei den Niederlanden, Finnland und Schweden. Die Annahme und ausdrückliche Empfehlung erfolgte bei der 3. Tagung der Vertragsparteien (Juni 2004). Der Leitfaden richtet sich vor allem an die zuständigen Behörden und Kontaktstellen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene, aber auch an Projektwerber, internationale Finanzierungsinstitutionen, NGOs und die Öffentlichkeit. Ziel des Leitfadens ist es, auf das Vorhandensein und den Inhalt des Übereinkommens aufmerksam machen und den beteiligten Handlungsträgern praktikable Wege und Lösungen bei der Anwendung der Espoo-Konvention aufzeigen. (sm) ESS ĺEuropäische Sicherheitsstrategie (ESS) ESVP ĺEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ESVP-Missionen, militärische military ESDP missions – missions militaires de l’U.E.
Die ĺEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) ist nicht in erster Linie auf die Landesverteidigung ausgerichtet, sondern bezweckt den Einsatz ziviler und militärischer Mittel im Rahmen außenpolitischer Aktivitäten. Nach der vertraglichen Definition des Art. 17 Abs. 2 EU umfassen die Aufgaben der ESVP „humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie
Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen“ (sog. Petersberg-Aufgaben in Fortfolge der Definition seitens der ĺWesteuropäischen Union im Jahr 1992). Tatsächlich hat die Europäische Union seit dem Jahr 2003 eine zunehmende Zahl an ESVP-Missionen verwirklicht. Teils handelte es sich um begrenzte Einsätze mit geringem personalem und finanziellem Einsatz. In zahlreichen Fällen übernahm die Europäische Union jedoch wichtige Aufgaben in Ergänzung politischer Initiativen und stärkte hierdurch das außenpolitische Gewicht Europas in der Welt. Geografisch beschränkten sich die ersten Einsätze auf den europäischen Raum, umfassen jedoch zunehmend auch Missionen auf anderen Kontinenten. Die militärischen ESVP-Missionen folgen keinem einheitlichen Modell: In einigen Fällen greift die EU nach Maßgabe der Berlin-PlusVereinbarung auf die militärischen Mittel der ĺNATO zurück. Dies gilt insb. für große Missionen wie EUFOR Althea in Bosnien-Herzegowina. In anderen Fällen handelt die EU autonom, ggf. nach dem Modell einer Rahmennation, welche ihr nationales Hauptquartier zur Missionsleitung zur Verfügung stellt und die Mission leitet (F im Fall Artemis, D bei EUFOR RD Congo). Die Finanzierung erfolgt in allen Fällen nicht aus dem EU-Haushalt, sondern obliegt den ĺMitgliedstaaten sowie ergänzend dem besonderen Finanzierungsmechanismus ĺATHENA für die gemeinsamen Kosten einer Militärmission. Zur sprachlichen Kennzeichnung militärischer ESVP-Missionen hat sich der generische Name EUFOR eingebürgert (englisch „EU Force“ für EU-Truppe). Bei allen bisherigen ESVP-Missionen legte die Europäische Union einen besonderen Wert auf eine unzweideutige völkerrechtliche Grundlage. Bei einigen Missionen bestand eine spezielle Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat, bei anderen wurde die Europäische Union durch die Regierung des Ziellandes und ev. Konfliktparteien ausdrücklich zur Truppenentsendung eingeladen. In keinem Fall verfolgte die EU ein einseitiges militärisches Ziel, sondern sah ihr militärisches Vorgehen stets als Bestandteil des politischen Prozesses, etwa zur Absicherung unterzeichneter Friedensabkommen. Institutionell liegt die politische Kontrolle und strategische Leitung der Mission beim ĺRat, der zwischen seinen monatlichen Tagungen durch das ständige Gremium des ĺPolitischen und Sicherheitspolitischen Komitees 257
ESVP-Missionen, zivile (PSK) unterstützt wird, das in Übereinstimmung mit Art. 25 EU eigenständige Kontrollund Leitungsfunktionen wahrnimmt. Aus diesem Grund findet man in der Praxis eigene Beschlüsse des PSK, die als Rechtsakte der zweiten Säule auch im ĺAmtsblatt veröffentlicht werden. Bei ihren Tätigkeiten werden Rat und PSK unterstützt durch den ĺMilitärausschuss der Europäischen Union (EUMC) und den ĺMilitärstab der Europäischen Union (EUMS). Die militärischen ESVP-Missionen bis Ende 2006 im Einzelnen: ƒ Concordia: Erste militärische ESVP-Mission von März bis Dezember 2003 in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien in Nachfolge des NATO-Einsatzes zur Absicherung des Ohrid-Rahmenabkommens zur Verhinderung eines Bürgerkrieges zwischen der mazedonischen und der albanischen Bevölkerungsgruppe. Rechtsgrundlage: Gemeinsame Aktion 2003/92/GASP. ƒ Artemis: Kurzfristiger Militäreinsatz im Osten der Demokratischen Republik Kongo (Region Bunia) von Juni bis August 2003 unter Federführung Fs zur Verhinderung eines befürchteten Völkermords. Modell einer „Brückenmission“ mit einem schnellen Einsatz von EU-Truppen, die nach Ablauf der notwendigen Vorbereitungszeit durch eine UN-Friedensmission abgelöst werden, konkret durch MONUC. Rechtsgrundlage: Gemeinsame Aktion 2003/423/GASP. ƒ EUFOR Althea: Größter ESVP-Einsatz seit Dezember 2004 in Bosnien-Herzegowina unter Rückgriff auf NATO-Mittel und in Nachfolge der NATO-Truppe SFOR, die im Rahmen der Friedensabkommen von Dayton/Paris die politische Befriedung Bosnien-Herzegowinas begleitete. Zwischenzeitlich umfasste EUFOR Althea mehr als 6.000 Personen. Rechtsgrundlage: Gemeinsame Aktion 2004/ 570/GASP. ƒ EU-Unterstützungsaktion für AMIS II (Darfur): Die Mission hat eine zivile (polizeiliche) und eine militärische (Beratung) Komponente und dient seit Juli 2005 der Unterstützung der Militärmission der Afrikanischen Union AMIS II zur Verhinderung eines Völkermords in der sudanesischen Provinz Darfur. Paralleles Engagement der Europäischen Union für eine politische Lösung des Konflikts im sog. Abuja-Prozess. Rechtsgrundlage: Gemeinsame Aktion 2005/557/GASP. ƒ EUFOR RD Congo: Zweite militärische ESVPMission in der Demokratischen Republik 258
Kongo nach Artemis zur militärischen Absicherung der Präsidentschaftswahlen von Juli bis Dezember 2006 unter deutscher Führung und in enger Abstimmung mit den Vereinten Nationen. Rechtsgrundlage: Gemeinsame Aktion 2006/319/GASP. (dt) Lit.: S. Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), 2006 Web: http://www.euforbih.org/
ESVP-Missionen, zivile civil ESDP missions – missions civiles de l’U.E.
Zivile ESVP-Missionen folgen ebenso wir militärische ĺESVP-Missionen keinem einheitlichen Modell und unterscheiden sich nach Größe und Zielrichtung teils erheblich. Gemeinsam ist ihnen die eigenständige Planung und Durchführung durch die EU ohne Rückgriff auf NATO-Mittel. Als Ausdruck des ĺzivilen Krisenmanagements im Rahmen der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) entwickelten sich zivile ESVP-Missionen in den vergangenen Jahren zum großen Mehrwert europäischer Außen- und Sicherheitspolitik und werden durch internationale Akteure wie die Vereinten Nationen nachdrücklich angefragt. Institutionell liegt die politische Kontrolle und strategische Leitung der zivilen Mission beim ĺRat, der im Tagesgeschäft durch die ständigen Gremien des ĺPolitischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK) und den ĺAusschuss für die nichtmilitärischen Aspekte der Krisenbewältigung (CivCom) unterstützt wird. Eine Finanzierung aus dem EUHaushalt ist möglich, wegen des geringen Umfangs des Haushaltstitels GASP in der Praxis jedoch schwierig (Rats-Dok. 12582/03). So führt selbst die Haushaltsfinanzierung von Tagegeldern für die Missionsmitglieder regelmäßig zu langwierigen Diskussionen zwischen den beteiligten Akteuren des EU-Haushaltsverfahrens. In der Praxis kommt der Abstimmung mit entsprechenden Projekten der ĺMitgliedstaaten und internationaler Organisationen wegen der teilweisen Überschneidung des Aufgabenbereichs große Bedeutung zu. Dies gilt insb. auch für Projekte der ĺKommission im Rahmen der Entwicklungshilfe sowie der technischen Zusammenarbeit mit Drittstaaten aufgrund des EG-Vertrags. Hierbei liegt der besondere Mehrwert von zivilen ĺESVP-Missionen im Vergleich zu Kom.sprojekten im Zugriff der nationalen Regierungen, die an der ĺintergouvernementalen Entscheidungsfindung im ĺRat
Ethikkommission direkt beteiligt sind, auf die nationalen Personalressourcen von Polizei, Justiz und Grenzschutz als Hauptakteure ziviler ESVP-Missionen. In der Praxis entwickelten sich verschiedene Typen von zivilen ESVP-Missionen im Rahmen des ĺzivilen Krisenmanagements, deren Zuschnitt sich jedoch von Fall zu Fall unterscheidet. Bis Ende 2006 führte die Europäische Union folgende zivile ESVP-Missionen durch: ƒ EUPM: European Police Mission in BosnienHerzegowina von Januar 2003 bis Dezember 2006 als Nachfolge der International Police Task Force IPTF der Vereinten Nationen im Rahmen der Friedensabkommen von Dayton und Paris. Ziel: Aufbau einer multiethnischen Polizei in Überwindung des Bürgerkriegs. Rechtsgrundlage: Gemeinsame Aktion 2002/ 210/GASP. ƒ EUPOL Proxima/EUPAT: Nachfolgemission zur militärischen ESVP-Mission Concordia zum Aufbau der Polizei in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien. Nach Kritik an seiner Effektivität wurde EUPOL Proxima (Dezember 2003 bis Dezember 2005) zum EUPAT (European Police Advisory Team) umgestellt, das im Juni 2006 seine Arbeit beendete. ƒ EUJUST Themis: Erste Rechtsstaatsmission der Europäischen Union in Georgien von Juli 2004 bis Juli 2005 auf Drängen der neuen Mitgliedstaaten Litauen und Polen zur Unterstützung der neuen georgischen Regierung bei der Reform der Strafjustiz. Wiederholte Kritik wegen Doppelung bestehender Projekte der KOM sowie von Mitglied- und Drittstaaten. Rechtsgrundlage: Gemeinsame Aktion 2004/523/GASP. ƒ EUPOL Kinshasa: Nachfolgemission zum Militäreinsatz Artemis in der Demokratischen Republik Kongo zum Aufbau einer integrierten Polizeieinheit (Integrated Police Unit IPU) in Kinshasa nach dem Vorbild der französischen Gendarmerie als einer kasernierten Polizeieinheit mit gemischt militärisch-ziviler Ausbildung. Dauer: April 2005 bis Dezember 2006. Rechtsgrundlage: Gemeinsame Aktion 2004/847/GASP. ƒ EUSEC RD Congo: Unterstützungsmission zur Reform des Sicherheitssektors in der Demokratischen Republik Kongo mit Fachberatern bei den wichtigsten Ministerien seit Juni 2005. Rechtsgrundlage: Gemeinsame Aktion 2005/355/GASP.
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Aceh Monitoring Mission AMM: Überwachungsmission in der indonesischen Region Aceh von Juli 2005 bis Dezember 2006 zur Kontrolle des von der Europäischen Union mitvermittelten Waffenstillstand nach der Naturkatastrophe des Tsunami. Rechtsgrundlage: Gemeinsame Aktion 2005/643/GASP. EUJUST Lex: Bislang größte Rechtsstaatsmission der Europäischen Union seit Juli 2005 zur Aus- und Weiterbildung von Richtern, Staatsanwälten und Strafvollzugsbeamten für den Irak in Ausbildungszentren außerhalb des Irak. Rechtsgrundlage: Gemeinsame Aktion 2006/413/GASP. EU BAM Rafah: Grenzschutzmission seit November 2005 am Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen als Teil der politischen Verständigung mit Israel, die Grenzkontrollen an palästinensische Sicherheitskräfte mit europäischer Beratung zu übertragen. Zugleich die Anerkennung einer aktiven Mittlerfunktion der Europäischen Union im Nahostfriedensprozess durch Israel. Rechtsgrundlage: Gemeinsame Aktion 2005/ 889/GASP. EUPOL COPPS: Polizeimission der Europäischen Union in den palästinensischen Autonomiegebieten seit Januar 2006 in enger Zusammenarbeit mit technischen Unterstützungsmissionen der ĺKommission im Rahmen der europäischen Entwicklungspolitik. Rechtsgrundlage: Gemeinsame Aktion 2005/ 797/GASP. EUPT Kosovo: Offizielles Vorbereitungsteam (englisch „European Union Planning Team EUPT“) für eine umfassende zivile ESVP-Mission im Kosovo zur Übernahme der UNMIK (United Nations Interim Administration for Kosovo) aufgrund der Statusverhandlungen für das Kosovo im Jahr 2007. (dt) Lit.: R. Rummel, Krisenintervention der EU mit Polizeikräften, SWP-Studie, 2005, 22: http://www.swpberlin.org Web: http://www.eujust-lex.org/
ESZB ĺEuropäisches System der Zentralbanken ETF ĺEuropäische Stiftung für Berufsbildung (ETF) Ethikkommission ĺKlinische Arzneimittelprüfungsrichtlinie, dort Art. 6 259
Ethische Grenzen der Forschung Ethische Grenzen der Forschung ethical limits of research – limites éthiques à la recherche
Aus der Grundrechtsbindung der Gemeinschaft folgt, dass sie bei forschungspolitischen Maßnahmen deren Grundrechtsrelevanz beachten muss. So ist die Wahrung der Menschenwürde zu respektieren, was etwa auf dem Gebiet biotechnologischer Forschung für Spannungen sorgt. Die ĺGrundrechte-Charta hat diese Bindung noch verstärkt. Es gibt auch primärrechtliche Einzelregelungen wie z.B. das Verbot des reproduzierenden Klonens (Art. 3 Abs. 2 lit. d GRC; Art. II-63 Abs. 2 lit. d VVE). Sekundärrechtlich ist in den ĺForschungsrahmenprogrammen die Beachtung ethischer Prinzipien bei ihrer Durchführung festgelegt. Dies trifft auch auf das ĺ7. RP zu. Vgl. weiters die ĺEuropäische Charta für Forscher. Darüber hinaus können sich Grenzen der ĺForschungsfreiheit auch aus den nationalen Bestimmungen ergeben, die bei der Durchführung von Forschung weiterhin zu berücksichtigen sind. Die Gemeinschaft nimmt bei der Berufung auf ethische Grundprinzipien auch Bezug auf internationale Abkommen, wie im ĺ6. RP z.B. auf die Biomedizin-Konvention des Europarates vom 4.4. 1997 und das Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens von Menschen vom 12.1.1998. (hk) §§: Vgl. für das 6. RP Beschluss Nr. 1513/2002/EG des EP und des Rates vom 27.6.2002, ABl. 2002, Nr. L 232/1, ErwG 17, Art. 3; vgl. für das 7. RP Beschluss Nr. 1982/2006/EG, ABl. 2006, Nr. L 412/1, ErwG 30, Art. 6 Lit.: A. Kallmayer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 163 EGV, Rn. 15; H. Eikenberg, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 28. Lfg. 2005, Vorbem. Art. 163-173 EGV, Rn. 37-43 Web: http://ec.europa.eu/research/science-society/ index.cfm?fuseaction=public.topic&id=36&lang=22
Etikettierungsvorschriften (freier Warenverkehr) labelling (free movement of goods) – l’étiquetage (libre circulation des marchandises)
Mitgliedstaatliche Vorschriften über die Etikettierung von Waren können den ĺfreien Warenverkehr als ĺMaßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 28 EG beeinträchtigen. Ihre den freien Warenverkehr behindernde Wirkung entfalten sie deshalb, da sie eine bestimmte Kennzeichnung der Ware verlangen und somit die Importeure zu einer Anpassung der eingeführten Waren gezwungen sind. Dadurch entstehen den Warenverkehr hinderliche Kosten. Da diese Etikettierungsvorschriften dem ĺVer260
braucherschutz (ĺInformationsprinzip) dienen (Schutz vor Irreführung und Täuschung) qualifiziert der ĺEuGH diese Vorschriften jedoch regelmäßig als gerechtfertigt. Sind die Etikettierungsvorschriften jedoch zu streng, sind als unverhältnismäßig und somit als rechtswidrig zu erachten (EuGH, Rs. C-51/94 Kommission/ Deutschland, Slg. 1991, I-1361, Rn. 33 f.) Auf Ebene des Gemeinschaftsrechts gibt es zahlreiche einschlägige Harmonisierungsvorschriften (ĺSekundärrecht zur Werbung, Etikettierung und Verpackung) (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: M. Ritter, Sprachliche Anforderungen an Warenetikettierungen und freier Warenverkehr, ÖZW 1999, 105; P. Müller-Graff, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 94 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 120/78 Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, I-2795, Rn. 13 (ĺCassis de Dijon-Entscheidung); EuGH, Rs. 178/84 Kommission/BRD (Reinheitsgebot für Bier), Slg. 1987, 1227; EugH, Rs. 76/86 Kommission/Deutschland (Milchersatzerzeugnisse), Slg. 1989, 1021, Rn. 17; EuGH, Rs. C-210/89 Kommission/Italien, Slg. 1990, I-3697, Rn. 16 f.; EuGH, Rs. C-51/94 Kommission/ Deutschland, Slg. 1991, I-1361, Rn. 33 f.
ETSI ĺEuropäisches Komitee für Normung EU-Mitgliedstaaten ĺMitgliedstaaten EU-Organe ĺEuropäisches Parlament; ĺRat; ĺKommission; ĺEuGH; ĺRechnungshof EU-OSHA ĺEuropäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) EU-Vertrag ĺVertrag von Maastricht EuBagVO ĺEuropäisches Bagatellverfahren EuBewVO ĺEuropäische Beweisaufnahmeverordnung EUCPN ĺEuropäisches Netz für Kriminalprävention EuEheVO ĺEuropäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung in Ehesachen
EuG I, Verfahrensarten EUFOR ĺESVP-Missionen, militärische EuG I, Kanzler CFI, registrar – TPI, chancelier
Das EuG I ernennt seinen Kanzler und bestimmt dessen Stellung. Seine Funktionen sind zwar von denen des ĺEuGH-Kanzlers getrennt. Dennoch hat auch der Kanzler des EuG I eine Doppelfunktion. Er ist zuständig für einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf und für die Leitung der administrativen Infrastruktur. Diese Verwaltungszuständigkeit ist jedoch begrenzt, weil sich das EuG I der bestehenden Verwaltungsstrukturen des EuGH bedient. (dh) §§: Dienstanweisung für den Kanzler des Gerichts erster Instanz 3.3.1994, ABl. 1994, Nr. L 78/32 ff.; Art. 224 Abs. 4 EG, Art. 20 bis 27 VerfO-EuG I
EuG I, Organisation CFI, organization – TPI, organisation
Das EuG I besteht derzeit aus 27 Mitgliedern, die von den Regierungen der Mitgliedstaaten einvernehmlich für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt werden. Grundsätzlich verfügt das EuG I nicht über ĺGeneralanwälte. Dennoch besteht nach Art. 49 EuGH-Satzung die Möglichkeit, ein Mitglied des Gerichts für eine Rechtssache zum Generalanwalt zu bestellen. Dieses Mitglied darf bei der Gerichtsentscheidung nicht als Richter mitwirken. Tagt das EuG I als Plenum, so bestellt der ĺPräsident des EuG I stets ein Mitglied zum Generalanwalt. Das EuG I tagt jedoch regelmäßig in Kammern mit drei oder fünf Richtern. Das Plenum oder die Große Kammer mit dreizehn Richtern tagt nur ausnahmsweise in bestimmten, von Art. 11 VerfO-EuG I näher festgelegten Fällen. Insbesondere entscheidet das Plenum über Fragen zur gerichtlichen Selbstverwaltung. In bestimmten Rechtssachen entscheidet das EuG I durch einen Einzelrichter. Dazu muss die Rechtssache von geringer Schwierigkeit und begrenzter Bedeutung sein. Dies ist bspw. bei Klagen Privater der Fall, deren Entscheidung durch die Rechtsprechung bereits vorgezeichnet ist oder bei Klagen aufgrund einer vertraglichen Schiedsklausel. Laut Tätigkeitsbericht des EuG I wurde 2005 lediglich ca. 1 % der Rechtssachen durch einen Einzelrichter entschieden. Über ca. 83 % der Rechtssachen entschieden die Dreier-Kammern. Das Plenum legt für jedes Geschäftsjahr die Kriterien für die Vertei-
lung der Rechtssachen auf die Kammern fest und veröffentlicht diese im ĺAmtsblatt der EG. Grundsätzlich werden danach alle Rechtssachen den Dreier-Kammern zugewiesen. (dh) Lit.: H. Jung, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 224225a EG, Rn. 27 ff. Web: http://curia.europa.eu/de/instit/presentationfr/ rapport/stat/st05tr.pdf; http://www.curia.europa.eu/ de/instit/presentationfr/index_tpi.htm
EuG I, Präsident CFI, president – TPI, président
Die Mitglieder des EuG I wählen aus ihrer Mitte den Präsidenten des Gerichts. Die Stellung und die Aufgaben des Präsidenten entsprechen denen des ĺEuGH-Präsidenten. Er führt also den Vorsitz einer Kammer, ihm obliegt die Zuweisung von Rechtssachen an die Kammern, er bestimmt einen entsprechenden Berichterstatter und ist zuständig für den Erlass einstweiliger Anordnungen. (dh) Lit.: H. Jung, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 224225a EG, Rn. 47 f.
EuG I, Verfahrensablauf CFI, course of procedure – TPI, déroulement de la procédure
Das Verfahren vor dem EuG I gliedert sich in einen schriftlichen und einen mündlichen Verfahrensabschnitt. Dabei sind die Verfahrensabläufe vor dem EuG I und dem EuGH nahezu identisch (ĺEuGH, Verfahrensablauf). Dadurch soll vermieden werden, dass für gleiche verfahrensrechtliche Fragen vor beiden Instanzen der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit verschiedene Regelungen gelten. Neu geregelt wurde lediglich der Bereich der Rechtsstreitigkeiten betreffend die Rechte des geistigen Eigentums, weil es dafür im Verfahrensablauf vor dem EuGH kein Vorbild gab. (dh) Lit.: H. Jung, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 224225a EG, Rn. 103 ff. Web: http://curia.europa.eu/de/instit/presentationfr/ index_cje.htm
EuG I, Verfahrensarten European Court of First Instance, types of proceedings – Tribunal de première instance, types des procédures
Die möglichen Verfahrensarten vor dem EuG sind gemeinschaftsrechtlich abschließend geregelt. Konkret sind folgende Gerichtsverfahren vorgesehen (aufgelistet nach ihrer quantitativen 261
EuG I, Verfahrensordnung Bedeutung in der Rechtsprechungspraxis des ĺEuG): ƒ ĺNichtigkeitsklage ƒ ĺMarken- und Sortenrechtsklagen ƒ ĺVerfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ƒ ĺSchadenersatzklage ƒ ĺSchiedsverfahren ƒ ĺUntätigkeitsklage Bis zum Jahr 2005 war das EuG auch für Beamtenklagen zuständig. Seit Mitte 2005 ist ein eigenes europäisches Gericht für den öffentlichen Dienst ĺ(EuGöD) eingerichtet, das für diese dienstrechtlichen Auseinandersetzungen zuständig ist. (lb) §§: Art. 224 ff. EG; EuGH-Satzung; VerfO-EuGH Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 37 ff.
EuG I, Verfahrensordnung CFI, rules of procedure – TPI, règlement de procédure
Das ĺEuG I hat seine Verfahrensordnung im Einvernehmen mit dem ĺEuGH und mit Genehmigung des ĺRates nach Art. 224 Abs. 5 EG erlassen. Sie wurde am 2.5.1991 vom EuGH beschlossen und trat am 1.7.1991 in Kraft. In der Zwischenzeit wurde sie mehrfach geändert. Inhaltlich lehnt sie sich weitgehend an das Vorbild der ĺVerfahrensordnung des EuGH an. (dh) §§: Verfahrensordnung des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaft vom 2.5.1991, ABl. 1991, Nr. L 136/1, zuletzt geändert am 14.6.2003, ABl. 2003, Nr. L 147/22
charta und das Medizinrecht, RdM 1999, 72; R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, 2006, 374 ff.
EuGH und EuG I ECJ and CFI – CJCE et TPI
EuGH ist die Bezeichnung für den Europäischen Gerichtshof. Ihm ist das EuG I, das heißt das Europäische Gericht erster Instanz, beigeordnet. Diese Beiordnung verdeutlicht, dass mit dem EuG I nicht ein neues und eigenständiges Organ geschaffen wurde, sondern dass EuGH und EuG I gemeinsam das Rechtsprechungsorgan „Gerichtshof “ bilden. (dh) §§: Art. 220 ff. EG Web: http://curia.europa.eu/de/instit/presentationfr/ index_cje.htm
EuGH und EuG I, Amtssitz ECJ and CFI, official residence – CJCE et TPI, siège
Den Sitz von EuGH und EuG I bestimmen die Regierungen der Mitgliedstaaten einvernehmlich. Sowohl der EuGH als auch das EuG I haben ihren Amtssitz in Luxemburg. Die Verfahrensunterlagen für die beim EuGH anhängigen Rechtssachen sind an die Kanzlei des Gerichtshofs zu richten, Boulevard Konrad Adenauer, L-2925 Luxemburg. Die Verfahrensunterlagen für das EuG I sind an die Kanzlei des Gerichts erster Instanz zu richten, Rue du Fort Niedergrünewald, L-2925 Luxemburg. (dh) §§: Art. 289 EG Web: http://curia.europa.eu/de/instit/presentationfr/ index_cje.htm
EuG I, Zuständigkeit ĺEuGH und EuG I, Zuständigkeit
EuGH und EuG I, Aufgaben
Eugenikverbot
Die rechtsprechende Gewalt der Europäischen Union und Gemeinschaft ist bei einem Organ konzentriert, dem Europäischen Gerichtshof, dem das EuG I beigeordnet ist. Die Aufgabe der europäischen Gerichtsbarkeit, insbesondere des EuGH liegt nach Art. 220 EG in der Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge. Auslegung ist die abstrakte, nicht ausdrücklich fallbezogene Ermittlung des Inhalts einer Norm. Anwendung umschreibt hingegen die Feststellung, dass dieser Norminhalt den in concreto zu beurteilenden Sachverhalt erfasst oder nicht erfasst. Recht in diesem Sinne umfasst das ĺprimäre und sekundäre Gemeinschaftsrecht, die von der Gemeinschaft abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge, das
prohibition of eugenic practices – interdiction des pratigues eugénigues
Die ĺGRC enthält ein Verbot eugenischer Praktiken, insb. solcher, die auf die Selektion von Menschen zielen, wie Sterilisierungskampagnen oder erzwungene Schwangerschaften. Erfasst sind staatliche Maßnahmen, private Aktivitäten allenfalls über angenommene staatliche ĺSchutzpflichten, unter das Verbot subsumierbare Vorgangsweisen zu unterbinden. S.a. ĺUnversehrtheit, körperliche. (ed) §§: Art. 3 Abs. 2 lit. b GRC Lit.: M. Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), GCR, 2. Aufl. 2006, Art. 3, Rn. 44; H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 9, Rn. 29 f.; E. Dujmovits, Die Grundrechts-
262
ECJ and CFI, terms of reference – CJCE et TPI, attributions
EuGH und EuG I, Funktion ungeschriebene Gemeinschaftsrecht in Gestalt von allgemeinen Rechtsgrundsätzen und das Gemeinschaftsgewohnheitsrecht. Die Jurisdiktion des EuGH geht daher noch über den Wortlaut „Wahrung des Rechts“ hinaus. Der EuGH nimmt für sich in Anspruch, das ungeschriebene Gemeinschaftsrecht in Gestalt der allgemeinen Rechtsgrundsätze zu entwickeln. Zudem legt er die von der Gemeinschaft abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge aus, weil er diese als integrierende Bestandteile der Gemeinschaftsrechtsordnung ansieht und damit seiner Auslegungskompetenz unterstellt. Völkerrechtliche Verträge zwischen den Mitgliedstaaten fallen jedoch wegen des formal zwischenstaatlichen Charakters nicht unter die Auslegungskompetenz des EuGH. Ein Auslegungsmonopol bezüglich der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts besitzt der EuGH nicht. Der EuGH unterliegt als Gemeinschaftsorgan dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, so dass ihm nur im Rahmen seiner konkreten Zuständigkeiten das Recht zur letztverbindlichen Auslegung zukommt. Bei seiner Auslegung verwendet der EuGH grundsätzlich die gleichen Auslegungsmethoden wie die nationalen Gerichte. Die Auslegungsmethode nach dem Wortlaut der Norm ist jedoch aufgrund zahlreicher gleichrangiger Sprachfassungen jeder Norm mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. Aus diesem Grund ist der teleologischen Auslegungsmethode der Vorrang eingeräumt, weil sie die Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts durch eine Orientierung an den Vertragszielen angemessen berücksichtigt. Daneben orientiert sich der EuGH am ĺ„effet utile“ des Gemeinschaftsrechts. Danach ist jede Vorschrift so auszulegen, dass die praktische Wirksamkeit der Norm erreicht wird und sie ihre volle Wirkung entfalten kann. Andere Auslegungsmethoden haben in der Rechtsprechung des EuGH und des EuG I nur geringe Bedeutung erlangt. Insbesondere kann die historische Auslegungsmethode wegen der Unzulänglichkeit der Materialien zu den Gründungsverträgen und wegen der dynamischen Natur des Gemeinschafsrechts in nur wenigen Fällen zur Anwendung gelangen. Darüber hinaus ergibt sich aus der Aufgabe der Rechtswahrung, dass Normen des Gemeinschaftsrechts solange wirksam bleiben, bis sie vom EuGH für nichtig erklärt werden. Vor allem für Sekundärrechtsakte kommt dem EuGH ein Verwerfungsmonopol zu. Lediglich der EuGH kann einen solchen Rechtsakt für gemeinschafts-
rechtswidrig und ungültig erklären. Seine Tätigkeit beschränkt sich dabei jedoch grundsätzlich auf eine Rechtmäßigkeits- und keine Zweckmäßigkeitskontrolle. Aufgrund der Anwendung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreibt der EuGH eine Art Rechtsfortbildung. Dabei konkretisiert der EuGH die dem Gemeinschaftsrecht zugrunde liegenden Rechtsprinzipien und Wertmaßstäbe sowie die gemeinsamen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten und entwickelt dadurch im Gemeinschaftsrecht angelegte Normen und stellt diese für die Rechtsanwendung bereit. Die Grenzen der Rechtsfortbildung sind allerdings nur schwer zu ziehen. Neben dem Kompetenzrahmen des Vertrages kommt vor allem der Akzeptanz der EuGH-Rechtsprechung durch die Mitgliedstaaten eine entscheidende Bedeutung bei dieser Grenzziehung zu. (dh) §§: Art. 220 EG Lit.: I. Pernice/F. C. Mayer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 220 EGV, Rn. 17 ff.; C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 220 EG, Rn. 11 ff.; O. Dörr/C. Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 1. Aufl. 2006, Rn. 8 ff.
EuGH und EuG I, Auslegung ĺEuGH und EuG I, Aufgaben EuGH und EuG I, Beweisaufnahme ECJ and CFI, taking of evidence – CJCE et TPI, instruction
Die Beweisaufnahme ist in jedem Verfahrensabschnitt möglich. Als Beweismittel sind die Vernehmung von Zeugen, die Anhörung von Sachverständigen, das persönliche Erscheinen der Parteien, die Einholung von Auskünften und Vorlegung von Urkunden und die Einnahme des Augenscheins anerkannt. Eine Zeugenvernehmung kann entweder in einem besonderen Beweistermin oder aber im Rahmen der mündlichen Verhandlung stattfinden. (dh) §§: Art. 45 ff. VerfO-EuGH, Art. 65 ff. VerfO-EuG I
EuGH und EuG I, Funktion ECJ and CFI, function – CJCE et TPI, fonction
Die Funktion von EuGH und EuG I resultiert aus der Bedeutung der europäischen Gerichtsbarkeit und deren ĺAufgaben. Materiell sind insbesondere drei Funktionen entscheidend: 1. Eine Kontrollfunktion, weil der Gerichtshof eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle über das Handeln der Gemeinschaftsorgane ausübt. 263
EuGH und EuG I, Gerichtskosten 2. Eine Rechtsschutzfunktion, weil er Individualrechtsschutz gewährt. 3. Eine Integrationsfunktion, weil er die Rechtseinheit sichert und fortentwickelt. In Ausübung seiner Aufgaben nimmt der Gerichtshof die Aufgaben eines Verfassungsgerichts wahr, weil er die Einhaltung der Grundfreiheiten und Grundrechte der Unionsbürger kontrolliert und zudem zuständig ist für Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten, zwischen Organen oder zwischen Mitgliedstaaten und Organen. Darüber hinaus ist er auch verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzinstanz bspw. bei Direktklagen Privater gegen Gemeinschaftsorgane. Im Rahmen der Prüfung von Schadensersatzansprüchen oder Amtshaftungsansprüchen handelt er als Zivilgericht. Legt er Schiedsklauseln aus, fungiert er als Schiedsgericht. (dh) Lit.: C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 220 EG, Rn. 5 ff.
EuGH und EuG I, Gerichtskosten ECJ and CFI, legal costs – CJCE et TPI, frais judiciaires
Die Inanspruchnahme der Rechtsprechungstätigkeit der Gemeinschaftsgerichte ist grundsätzlich kostenfrei. Die Parteien tragen lediglich außergerichtliche Kosten wie Anwaltskosten und sonstige Auslagen, die bspw. durch Zeugenvernehmungen oder die Einschaltung von Sachverständigen entstehen. Über die außergerichtlichen Kosten entscheiden grundsätzlich der EuGH und das EuG I. Im ĺVorabentscheidungsverfahren ist die Kostenentscheidung für die Parteien des Ausgangsverfahrens indes Sache des vorlegenden Gerichts. Daher entscheidet allein das Gericht des Ausgangsverfahrens über die durch die Vorlage beim ĺEuGH entstandenen außergerichtlichen Kosten. Welche Kosten den einzelnen Parteien dabei entstanden sind, richtet sich nach den Kostenordnungen des nationalen Prozessrechts, also in Deutschland § 38 RVG. Grundsätzlich trägt die unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens, wenn die obsiegende Partei dies beantragt hat. Liegt kein Kostenantrag vor, trägt jede Partei ihre eigenen Kosten. Auch wenn beide Parteien nur zum Teil erfolgreich sind, können der EuGH und das EuG I beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt. Sie können aber auch beschließen, dass die Kosten geteilt werden. Sind mehrere Parteien unterlegen, werden sie oftmals als Gesamtschuldner verurteilt. Die Verteilung der Kostenlast obliegt 264
dem zuständigen Spruchkörper. Von dem Grundsatz, dass die unterlegene Partei die Kosten trägt, sehen die Verfahrensordnungen einige Ausnahmen vor, um Billigkeitsgesichtspunkte berücksichtigen zu können. In dienstrechtlichen Streitigkeiten hingegen tragen die Organe ihre eigenen Kosten auch dann, wenn der Bedienstete unterliegt. Die Kostenfestsetzung erfolgt anhand einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls, in die Art und Gegenstand des Rechtsstreits, seine Bedeutung und seinen Schwierigkeitsgrad, der Arbeitsaufwand der Anwälte und das wirtschaftliche Interesse der Parteien am Ausgang des Rechtsstreits einzubeziehen sind. Eine gemeinschaftsrechtliche Gebührenordnung gibt es bislang nicht. (dh) §§: Art. 38 EuGH-Satzung, Art. 69 VerfO-EuGH, Art. 104 § 6 VerfO-EuGH Lit.: S. Hackspiel, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 38 EuGH-Satzung, Rn. 1 ff.
EuGH und EuG I, Rechtsstellung der Richter ECJ and CFI, legal position of the judiciary – CJCE et TPI, situation juridique des jugdes
Die Rechtsstellung der Richter des EuGH entspricht derjenigen der Mitglieder des EuG I. Bei den Richtern muss es sich nach Art. 223 EG um anerkannte Juristen handeln, die jede Gewähr für ihre Unabhängigkeit bieten. Die Richter genießen grundsätzlich Immunität von jeder Gerichtsbarkeit. Sie sind verpflichtet in Luxemburg ihren Wohnsitz zu nehmen. Als Richter dürfen sie kein politisches Amt oder Verwaltungsamt und keine anderweitige Berufstätigkeit ausüben. (dh) §§: Art. 3, 4, 14 EuGH-Satzung
EuGH und EuG I, Sprache ECJ and CFI, language – CJCE et TPI, langue
Im Rahmen der Sprachregelungen ist zu unterscheiden zwischen der Verfahrenssprache, in der die Parteien und das Gericht miteinander kommunizieren und der Arbeitssprache, die im internen Betrieb verwendet wird. Die Mitgliedstaaten und Unionsbürger haben grundsätzlich das Recht, ihre eigene Sprache zu verwenden. Als Verfahrenssprache sind daher die derzeit 23 Amtssprachen anerkannt: Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Irisch, Italienisch, Lettisch, Litauisch, Maltesisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Schwedisch,
EuGH und EuG I, Zuständigkeit Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch und Ungarisch. Die interne Arbeitssprache von EuGH und EuG I ist demgegenüber, unabhängig von der Verfahrenssprache, Französisch. Bei Klagen gegen die Gemeinschaftsorgane wählt der Kläger die Verfahrenssprache. Dabei ist es unerheblich, ob der Kläger ein Mitgliedstaat, eine natürliche oder juristische Person oder ein anderes Organ ist. Bei Klagen gegen Mitgliedstaaten oder seine natürlichen oder juristischen Personen, richtet sich die Sprache nach der des Beklagten. Zeugen und Sachverständige dürfen sich auch in einer anderen als der Verfahrenssprache äußern. Diese Äußerung ist dann jedoch in die Verfahrenssprache zu übersetzen. Im Schriftwechsel mit den Verfahrensbeteiligten müssen EuGH und EuG I die Verfahrenssprache verwenden. In der mündlichen Verhandlung hingegen dürfen sie sich jedoch, ähnlich wie die ĺGeneralanwälte bei ihren Schlussanträgen, in der Sprache ihres Heimatlandes äußern. (dh) §§: Art. 290 EG; Art. 64 EuGH-Satzung; Art. 29 VerfOEuGH Lit.: T. Oppermann, Reform der EU-Sprachenregelung?, NJW 2001, 2663 ff. Web: http://europa.eu/languages/de/home
EuGH und EuG I, Zuständigkeit ECJ and CFI, jurisdiction – CJCE et TPI, compétence
Die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Gemeinschaftsgerichten erfolgt anhand der ihnen zugewiesenen Verfahrensarten. Sie ist im Wesentlichen in Art. 225 Abs. 1 EG und der Satzung des ĺEuGH geregelt. Danach entscheidet das ĺEuG I grundsätzlich über die ĺNichtigkeitsklagen von Mitgliedstaaten, von Gemeinschaftsorganen und der ĺEZB (Art. 230 EG). Darüber hinaus erstreckt sich seine Zuständigkeit auf ĺUntätigkeitsklagen von Organen oder Mitgliedstaaten (Art. 232 EG). Von dieser Zuständigkeitsverteilung erfasst sind auch Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen Privater (Art. 230 Abs. 4 EG, Art. 232 Abs. 3 EG), Schadensersatzklagen Privater wegen außervertraglicher Haftung der Gemeinschaft (Art. 235 i.V.m. Art. 288 Abs. 2 EG) und Schiedsklagen aus einem Vertragsverhältnis gegen die Gemeinschaft (Art. 238 EG). Schließlich kann das EuG I nach Art. 243 EG in den bei ihm anhängigen Verfahren die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen. Eigentlich waren dem EuG I zudem Streitigkeiten zwischen der Gemeinschaft und ihren Bediensteten nach Art. 236 EG zugewiesen. Nach Errichtung des ĺEuGöD sind diese Per-
sonalstreitsachen jedoch diesem zugewiesen. Ausgenommen von der Zuständigkeit des EuG I sind Verfahren, die einer ĺgerichtlichen Kammer übertragen wurden oder die laut Art. 51 der Satzung dem ĺEuGH vorbehalten sind. Das sind Klagen gegen Rechtsakte von ĺParlament und/oder ĺRat, ĺKommission oder ĺEZB und solche gegen Rechtsakte von Parlament und/oder Rat, die nicht Ausnahmeentscheidungen im Beihilferecht (Art. 88 Abs. 2 UAbs. 3 EG), Schutzmaßnahmen im Sinne von Art. 133 EG oder die Durchführung von Ratsbeschlüssen durch den Rat selbst (Art. 202 3. SpS) betreffen. Ebenso dem EuGH vorbehalten sind Nichtigkeitsklagen von Mitgliedstaaten gegen Kommissionsakte über die Zulasung weiterer Mitgliedstaaten zu einer verstärkten Zusammenarbeit (Art. 11a EG). Neben den ihm gem. Art. 51 der Satzung vorbehaltenen Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen von Gemeinschaftsorganen und Mitgliedstaaten ist der EuGH damit zuständig für ĺVertragsverletzungsverfahren durch die Kommission oder durch einen Mitgliedstaat (Art. 226 f. EG). Zudem ist er zuständig für ĺVorabentscheidungsverfahren (Art. 234 EG), durch Schiedsvertrag übertragene Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten (Art. 239 EG) und Rechtsschutzverfahren im Rahmen des EUVertrages (Art. 46 EU). Schließlich entscheidet der EuGH über Rechtsmittel gegen Entscheidungen des EuG I und ist zuständig für Überprüfungen von Rechtsmittel- und Vorabentscheidungen des EuG I (Art. 56 ff. EuGH-Satzung). Für alle Klagen einer natürlichen oder juristischen Person ist demnach das EuG I erstinstanzlich zuständig. Die Kontrolle über den Geltungsanspruch des Gemeinschaftsrechts liegt hingegen beim EuGH. Aus diesem Grund bezeichnet man den EuGH als „Rechtsmittelund Verfassungsgericht der Gemeinschaft“. Den Fall, dass die Klage bei einem unzuständigen Gericht anhängig gemacht wird, regeln die Verweisungsregeln des Art. 54 EuGH-Satzung. Die Unzuständigkeit des Gerichts führt danach nicht zur Unzulässigkeit der Klage. Vielmehr werden korrekt adressierte Klageschriften oder Schriftsätze, die beim falschen Organteil eingereicht wurden, unverzüglich an den richtigen Organteil weitergeleitet. Wird eine Klage beim unzuständigen Gericht anhängig gemacht, ergeht ein richterlicher Verweisungsbeschluss. Hält sich das EuG I für unzuständig und verweist dementsprechend die bei ihm anhängig gemachte Klage an den EuGH, so ent265
EuGH, beschleunigtes Verfahren scheidet dieser abschließend über diese Sache. Dabei kann der EuGH die Klage im Rahmen seiner Entscheidung auch wieder an das EuG I zurückverweisen. Hält sich hingegen der EuGH für unzuständig und verweist die Sache an das EuG I, so ist dieses an den Verweisungsbeschluss des EuGH gebunden. Damit sind Kompetenzund Zuständigkeitskonflikte zwischen dem EuGH und dem EuG I ausgeschlossen. Sind bei diesen Gerichten jedoch Klagen anhängig, die den gleichen Klagegegenstand haben, gleiche Auslegungsfragen betreffen oder die Gültigkeit desselben Rechtsaktes betreffen, kann das Verfahren jeweils vom EuGH und/oder vom EuG I ausgesetzt werden. Das EuG I kann also das Verfahren durch Beschluss aussetzen, bis der EuGH über die betroffene Streitfrage entschieden hat. Wenn der EuGH das Verfahren aussetzt, wird es vor dem EuG I fortgeführt. Setzen jedoch beide Gerichte ihre Verfahren aus, so setzt sich wiederum die Aussetzung des EuGH durch. Dies hat zur Folge, dass in einem solchen Fall das Verfahren vor dem EuG I fortgeführt wird. Ist schließlich der gleiche Gemeinschaftsrechtsakt durch einen Mitgliedstaat und ein Gemeinschaftsorgan angefochten, so hat sich das EuG I für unzuständig zu erklären, damit der EuGH über diese Klagen entscheiden kann. (dh) §§: Art. 225 Abs. 1 EG, Art. 54 EuGH-Satzung Lit.: H. Jung, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 224225a EG, Rn. 114 ff.; O. Dörr/C. Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 1. Aufl. 2006, Rn. 28 ff.; T. Mähner, Der Europäische Gerichtshof als Gericht, 2005, 172 ff.
EuGH, beschleunigtes Verfahren ECJ, accelerated action – CJCE, action judiciaire accélérée
Gem. § 62a ĺVerfahrensordnung können Klagen durch Beschluss des Gerichtspräsidenten ausnahmsweise in einem beschleunigten Verfahren behandelt werden, wenn es die besondere Dringlichkeit der Rechtssache notwendig macht, dass der ĺEuGH in möglichst kurzer Zeit entscheidet. Der entsprechende Antrag auf Durchführung eines beschleunigten Verfahrens ist gleichzeitig mit der Klage bzw. Klagebeantwortung einzubringen. Im beschleunigten Verfahren kommt dem mündlichen Verfahren große Bedeutung zu – das schriftliche Verfahren ist auf Klage und Klagebeantwortung reduziert. (lb) §§: § 62a VerfO
266
Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 230
EuGH, Kanzler ECJ, registrar – CJCE, chancelier
Der Kanzler wird von den Richtern und Generalanwälten des EuGH ernannt. Er nimmt verfahrensrechtliche und organisatorische Aufgaben wahr. Er überwacht z.B. die ordnungsgemäße Klageerhebung, sorgt für die Veröffentlichungen des EuGH und verwahrt dessen Siegel. Zudem erstellt er über jede mündliche Verhandlung ein Protokoll. Er nimmt die allgemeine Verwaltung des EuGH einschließlich Finanzverwaltung und Buchführung wahr. (dh) §§: Art. 12 bis 19, 23 VerfO-EuGH
EuGH, Organisation ECJ, organization – CJCE, organisation
Der EuGH besteht derzeit aus 27 Richtern, einer aus jedem Mitgliedstaat. Die Richter werden nach Art. 223 Abs. 1 EG von den Regierungen der Mitgliedstaaten auf sechs Jahre ernannt. Alle drei Jahre werden die Richterstellen partiell neu besetzt. Eine Wiederernennung ist zulässig. Stirbt ein Richter oder tritt einer von seinem Amt zurück, wird seine Stelle nur für die verbleibende Amtszeit neu besetzt. Die Richter wählen aus ihrer Mitte den ĺPräsidenten des EuGH. Die 25 Richter verteilen sich derzeit auf sechs Kammern. Dabei entscheiden drei Kammern nur in der Besetzung mit fünf Richtern, während die übrigen Kammern mit drei Richtern entscheiden. Die jeweils mitwirkenden Richter ergeben sich aus Besetzungslisten. Tagt der EuGH als Große Kammer, so entscheiden dreizehn Richter unter dem Vorsitz des Präsidenten. Der EuGH tagt als Große Kammer, wenn ein am Verfahren beteiligter Mitgliedstaat oder beteiligtes Gemeinschaftsorgan dies beantragt. Als Plenum mit 25 Richtern tagt der EuGH nur noch dann, wenn es um die Amtsenthebung des Organwalters der Gemeinschaft geht oder wenn er selbst wegen der außergewöhnlichen Bedeutung einer Rechtssache diese dem Plenum zuweist. Das Verfahren vor dem Plenum gleicht demjenigen vor den Kammern. Die Kammern sind mit drei, die Große Kammer mit neun und das Plenum mit 15 Richtern beschlussfähig. Wird also eine Klage beim EuGH anhängig gemacht, weist der ĺPräsident diese Rechtssache einer Dreier-Kammer zu und bestimmt aus ihrer Mitte den Bericht-
EuGH, Verfahrensablauf erstatter. Bei der Auswahl des Berichterstatters können z.B. besondere Fach- und Sprachkenntnisse berücksichtigt werden. Dieser erstellt einen Vorbericht über die Zuweisung der Sache. Der EuGH einschließlich seiner Generalanwälte entscheiden dann über diese Vorschläge des Berichterstatters. Grundsätzlich erfolgt jedoch eine Verweisung an Dreier- und Fünfer-Kammern. (dh) §§: Art. 221 EG, Art. 223 EG, Art. 16 EuGH-Satzung Lit.: O. Dörr/C. Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 1. Aufl. 2006, Rn. 36 ff.
EuGH, Präsident ECJ, president – CJCE, président
Die Richter des EuGH wählen aus ihrer Mitte ihren Präsidenten. Dieser leitet für jeweils drei Jahre die rechtsprechende Tätigkeit und die Verwaltung des Gerichtshofs. Dabei führt er den Vorsitz in den Sitzungen und bei Beratungen. Zudem weist er die eingehenden Rechtssachen an die Kammern und bestimmt einen Berichterstatter. Er bestimmt die Fristen für die Einreichung der Schriftsätze, legt Terminlisten fest und entscheidet grundsätzlich allein über einstweilige Anordnungen. (dh) §§: Art. 7 bis 11 VerfO-EuGH
EuGH, Satzung ECJ, statutes – CJCE, statuts
Der ĺVertrag von Nizza (2001) hob bisherige Satzungen des EuGH auf und ersetzte diese durch eine einheitliche Satzung. Die heutige Satzung des EuGH in Form eines Protokolls ist nach Art. 311 EG Bestandteil des EU-, EG-, EAG-Vertrages. Die Satzung enthält vor allem grundlegende Vorschriften über das Verfahren vor dem ĺEuGH, über die ĺRechtsstellung seiner Mitglieder, über seine ĺOrganisation, über das EuG I sowie über das ĺRechtsmittelverfahren. (dh) §§: Protokoll über die Satzung des Gerichtshofes vom 24.12.2002, ABl. 2002, Nr. C 325/167
EuGH, sozialrechtliche Besonderheiten ECJ, social distinctions – CJCE, particularitées sociales
Da es derzeit keine europäische Sozialgerichtsbarkeit und dementsprechend auch keinen spezialisierten Europäischen Sozialgerichtshof gibt, kommt den Urteilen des ĺEuGH mit sozialrechtlichem Bezug eine zentrale Bedeutung für das gesamte europäische Sozialrecht zu. Für eine eigenständige europäische Sozialpolitik
fehlen in erster Linie die administrativen, finanziellen und teilweise auch kompetenzrechtlichen Grundlagen. Daher kommt den Urteilen des EuGH auf dem Gebiet des europäischen Sozialrechts eine große Bedeutung zu, weil es die im Wesentlichen auf die Setzung von Rechtsnormen ausgeprägte gemeinschaftliche Aktivität verbindlich auslegt und damit zur Rechtssicherheit beiträgt. Das Verfahren vor dem EuGH folgt daher auch im Bereich des europäischen Sozialrechts den allgemeinen Regeln. Eine Direktklage eines Unionsbürgers beim EuGH ist im Bereich des europäischen Sozialrechts kaum denkbar, weil es regelmäßig an der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit durch eine Gemeinschaftsmaßnahme im Sinne des Art. 230 Abs. 4 EG fehlt. Die Sozialleistungen werden durch die nationalen Behörden gewährt oder versagt, ohne dass ein Gemeinschaftsorgan einen entsprechenden Bescheid als Gemeinschaftsmaßnahme erlässt. Der betroffene Bürger hat daher in erster Linie mittelbar im Wege des ĺVorabentscheidungsverfahrens die Möglichkeit, seinen Fall vor den EuGH zu bringen. Den Schlussanträgen der ĺGeneralanwälte kommt in sozialrechtlichen Verfahren eine besondere Beachtung zu, weil sich die Urteile des EuGH im Schwerpunkt auf das Gemeinschaftsrecht konzentrieren und nicht die Systematik des jeweiligen nationalen Rechts darstellen. Dies geschieht regelmäßig allein in den Schlussanträgen. (dh) Lit.: G. Haverkate/S. Huster, Europäisches Sozialrecht – Eine Einführung, 1999, 68 ff.; K.-D. Borchardt, Rechtsschutz im europäischen Sozialrecht, in: M. Fuchs (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, Kommentar, 4. Aufl. 2005, 712 ff.
EuGH, Verfahrensablauf ECJ, course of procedure – CJCE, déroulement de la procédure
Das Verfahren vor dem EuGH gliedert sich in ein schriftliches und ein mündliches Verfahren. Das schriftliche Verfahren umfasst die Übermittlung der Klageschriften und sonstigen Schriftsätze. Es endet mit der Terminbestimmung für die Eröffnung der mündlichen Verhandlung durch den ĺPräsidenten des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers. Die Klageschrift muss Namen und Wohnsitz des Klägers, die Stellung des Unterzeichnenden, die beklagte Partei und den Streitgegenstand angeben. Zudem muss die Klageschrift die Anträge und eine kurze Darstellung der Klagegründe 267
EuGH, Verfahrensarten enthalten. Sämtliche Verfahrensdokumente übermittelt der ĺKanzler den Verfahrensbeteiligten. Diese Übermittlung erfolgt durch Zustellung der entsprechenden Dokumente an den von der Partei benannten Zustellungsbevollmächtigen. Es kann auch durch Übermittlung einer Kopie durch Fernkopierer oder sonstige technische Kommunikationsmittel zugestellt werden. Liegt schließlich kein Einverständnis zur Zustellung mittels technischer Kommunikationsmittel vor, wird durch Einschreiben an den Prozessbevollmächtigten zugestellt. Das mündliche Verfahren umfasst hingegen die Verlesung des vom Berichterstatter vorgelegten Berichts sowie die Anhörung der Parteien und Generalanwälte. Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung fasst der Berichterstatter in einem Sitzungsbericht den Inhalt des schriftlichen Verfahrens zusammen. Dieser Bericht wird den Parteien ca. 3 Wochen vor der mündlichen Verhandlung zugestellt, damit sie in der mündlichen Verhandlung dazu Stellung nehmen können. Die mündliche Verhandlung ist grundsätzlich öffentlich. Sie dient vor allem zur Ergänzung und Klarstellung des schriftlichen Vorbringens. Die Redezeiten sind grundsätzlich begrenzt und auch das Thema der mündlichen Verhandlung kann bspw. auf einzelne Klagegründe beschränkt werden. An das mündliche Verfahren schließt sich die Beratung und Verkündung der Urteile an. (dh) §§: Art. 19 ff. EuGH-Satzung; Art. 37 ff., 55 ff. VerfOEuGH Web: http://curia.europa.eu/de/instit/presentationfr/ index_cje.htm
EuGH, Verfahrensarten ECJ, types of proceedings – CJCE, types des procédures
Die möglichen Verfahrensarten vor dem EuGH sind gemeinschaftsrechtlich abschließend geregelt. Konkret sind folgende Gerichtsverfahren vorgesehen (aufgelistet nach ihrer quantitativen Bedeutung in der Rechtsprechungspraxis des EuGH): ƒ ĺVorabentscheidungsverfahren ƒ ĺVertragsverletzungsverfahren ƒ ĺNichtigkeitsklage ƒ ĺRechtsmittelverfahren ƒ ĺUntätigkeitsklage ƒ ĺSchiedsverfahren ƒ ĺVerfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ƒ ĺGutachtensverfahren (lb) §§: Art. 220 ff. EG; EuGH-Satzung; VerfO-EuGH Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 37 ff.
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EuGH, Verfahrensordnung ECJ, rules of procedure – CJCE, règlement de procédure
Der EuGH ist nach Art. 223 Abs. 6 EG zum Erlass seiner Verfahrensordnung ermächtigt. Aufbau und Inhalt der Verfahrensordnung folgen dem der ĺEuGH-Satzung. Die Verfahrensordnung enthält Vorschriften über den Aufbau des Gerichtshofs, allgemeine und besondere Verfahrensvorschriften einschließlich solcher über Rechtsmittel gegen Entscheidungen des EuG I und über Verfahren gem. dem EWR-Abkommen. Ihrer Rechtsnatur nach ist die Verfahrensordnung ein Rechtsakt sui generis. (dh) §§: Verfahrensordnung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft vom 19.6.1991, ABl. 1991, Nr. L 176/7, zuletzt geändert am 11.9.2003, ABl. 2003, Nr. L 227/56
EuGöD Civil Service Tribunal – Tribunal de la fonction communautaire
Seit Mitte 2005 ist auf europäischer Ebene ein eigenes europäisches Gericht für den öffentlichen Dienst (EuGöD) eingerichtet, das für alle Streitigkeiten zwischen der ĺEG und ihren Bediensteten zuständig ist (s. dazu auch ĺBeamtenklage). Das EuGöD wurde als erste ĺgerichtliche Kammer gem. Art. 225a EG eingerichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt war das ĺEuG für Beamtenklagen zuständig. (lb) §§: Art. 225a EG; Beschluss des Rates vom 2.11.2004 zur Errichtung des Gerichts für den öffentlichen Dienst der EU (EuGöD), ABl. 2004, Nr. L 333, 7; Art. 9 Anhang I EuGH-Satzung Lit.: W. Hakenberg, Das Gericht für den öffentlichen Dienst der EU – Eine neue Ära in der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit, EuZW 2006, 391
EuGVÜ ĺEuropäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen EuGVVO ĺEuropäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung EuInsVO ĺEuropäische Insolvenzverordnung EUJUST ĺESVP-Missionen, zivile EUMC ĺEuropäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC);
Euratom-Versorgungsagentur (ESA) ĺMilitärausschuss der Europäischen Union (EUMC) EUMS ĺMilitärstab der Europäischen Union EUPOL ĺESVP-Missionen, zivile EUR-Lex EUR-Lex – EUR-Lex
EUR-Lex ist die kostenlose Online Datenbank der EG/EU (seit 1.11.2004) und bietet einen unmittelbaren Zugang zu den Rechtsvorschriften des Gemeinschafts- und Unionsrechts an. Die Datenbank wird täglich aktualisiert und bietet verschiedene Informationen zu dem Recht der EG/EU, wie z.B. den Zugang zum ĺAmtsblatt der Europäischen Union. Des Weiteren können insbesondere die Verträge, die Rechtsetzungsakte, die Rechtsprechung und die vorbereitenden Rechtsakte konsultiert werden. Die „CELEX“ (Communitatis Europeae Lex) war zuvor die bedeutendste Online Rechtsdatenbank der EG/EU. Sie wurde seit 1.1.2005 nicht mehr aktualisiert und der Online Zugang zu Beginn des Jahres 2007 eingestellt. (db) §§: ABl. 1975, Nr. C 20/2 ff., ABl. 1991, Nr. C 308/2 ff. (CELEX), ABl. 2004, Nr. L 354/3, u.a. Web: http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm; http:// publications.europa.eu/index_de.htm
EURAB ĺEuropäischer Forschungsbeirat (EURAB) Euratom Offizielle Kurzbezeichnung für die Europäische Atomgemeinschaft (vgl. Art. 1 Abs. 1 EAGV); ĺEuratom-Vertrag (atm) Euratom-Versorgungsagentur (ESA) Euratom Supply Agency (ESA) – Agence d’approvisionnement Euratom (AAE)
Kap. VI des Zweiten Titels des ĺEAGV (Art. 5276) sieht eine Gemeinsame Versorgungspolitik für Kernstoffe vor. Zu ihrer Verwirklichung wird eine Versorgungsagentur geschaffen, die Rechtspersönlichkeit hat und finanzielle Autonomie genießt. Sie steht unter Aufsicht der ĺKommission (ĺGeneraldirektion Verkehr und Energie – GD TREN), die ihr Richtlinien erteilt und über ein Einspruchsrecht gegen ih-
re Entscheidungen verfügt. Gem. Art. 54 hat der ĺRat die Satzung der ESA erlassen. Sie trifft weitere Vorkehrungen institutioneller Natur, namentlich durch Einrichtung eines beratenden Beirates, dem von den ĺMS nominierte Vertreter der Erzeuger- und Nutzerindustrien sowie Experten angehören. Die ESA mit Sitz in Luxemburg hat ihre Tätigkeit am 1.6.1960 aufgenommen. Herzstück der gemeinsamen Versorgungspolitik, über die die ESA zu wachen hat, ist der in Art. 52 verankerte Grundsatz des gleichen Zugangs zu den Versorgungsquellen, der die bevorzugte Stellung einzelner Verbraucher ausschließt und eine regelmäßige und gerechte Versorgung mit ĺKernstoffen gewährleisten soll. Zu diesem Zweck werden der ESA in Art. 52, 57 und 64 zwei Schlüsselbefugnisse eingeräumt: Zum einen kommt ihr ein generelles Bezugsrecht für alle in der EAG erzeugten Kernstoffe zu. Dieses bezieht sich auf das volle Eigentum an ĺErzen und ĺAusgangsstoffen und auf das Recht zur Nutzung und zum Verbrauch ĺbesonderer spaltbarer Stoffe, die gem. Art. 86 ohnehin schon in ihrem Eigentum stehen. Dazu hat jeder Erzeuger der Agentur gem. Art. 57 die von ihm produzierten Kernstoffe vor ihrer Verwendung, Übertragung oder Lagerung anzubieten. Zudem verfügt sie über das ausschließliche Recht, Verträge über die Lieferung jeglicher Kernstoffe abzuschließen. Dies gilt für alle Arten von Lieferung (Erwerb, Verkauf, Tausch- und Leihgeschäfte) aus Staaten sowohl innerhalb als auch außerhalb der EAG (Art. 52 und 64). Das so etablierte monopolistische und zentralistische System war wesentlich aus dem Umstand motiviert, dass sich die MS bei Abschluss des EAGV mit einer drohenden Knappheit von Kernstoffen konfrontiert sahen. Schon bald danach machte die Marktentwicklung dieses dirigistische Regime jedoch obsolet. Angesichts des vorhandenen Überangebots wurde 1960, zunächst für Erze und Ausgangsstoffe, dann per Analogie auch für besondere spaltbare Stoffe, ein sog. vereinfachtes Verfahren etabliert (Art. 5 und 5bis der Vollzugsordnung). Produzenten und Verbrauchern wird nunmehr gestattet, die Verträge selbst auszuhandeln und sie sodann der ESA mitzuteilen. Erhebt diese binnen bestimmter Frist keinen Einspruch, gelten die Verträge als von ihr abgeschlossen. Das Kontrahierungsmonopol der Agentur für Lieferungsverträge bleibt damit grds. gewahrt. In Hinblick darauf hat die ESA auch Rahmenver269
Euratom-Vertrag (EAGV) träge mit den Hauptlieferanten USA, Kanada und Australien abgeschlossen. Im Übrigen aber bleibt in der Praxis die Beschaffung von Kernstoffen seit den 60er Jahren weitgehend den Verbrauchern überlassen. Im März 2007 hat die Kommission einen Vorschlag für eine Neufassung der Satzung und einen weiteren Legislativvorschlag vorgelegt, die der gestiegenen Anzahl der MS sowie der Notwendigkeit, moderne Finanzvorschriften auf die ESA anzuwenden und ihren Sitz festzulegen, Rechnung tragen sollen. (atm) §§: Art. 52-76 EAGV; Satzung der ESA vom 6.11. 1958, ABl. 1958, Nr. 27/534; Vollzugsordnung der ESA, ABl. 1960 Nr. 32/777 i.d.F. ABl. 1975, Nr. L 193/37; Vorschlag über einen Beschluss über die Satzung der ESA vom 16.3.2007, KOM(2007) 119 endg.; Vorschlag für eine VO über die Finanzregelung für die ESA vom 16.3.2007, KOM(2007) 108 endg. Lit.: W. Schroeder, Der Euratom-Vertrag, JA 1995, 728 (734) Web: http://ec.europa.eu/euratom/index_en.html; http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l27052.htm
Euratom-Vertrag (EAGV) Euratom Treaty (EAEC Treaty) – Traité Euratom (Traité CEEA)
Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Treaty establishing the European Atomic Energy Community/Traité instituant la Communauté européenne de l’énergie atomique) ist neben dem ĺEWG-Vertrag einer der am 25.3.1957 abgeschlossenen und am 1.1.1958 in Kraft getretenen ĺRömischen Verträge und als solcher Bestandteil des ĺPrimärrechts. Ursprl. von den sechs Gründerstaaten angenommen, sind heute die 27 EU-Staaten Mitglieder des ĺEAGV. Die dadurch gegründete ĺEAG (gem. Art. 1 Abs. 1 auch Euratom genannt) ist neben der EG und der ĺEGKS (ausgelaufen 2002) eine der Europäischen Gemeinschaften (EG). Wie diese stellt sie eine Int. Organisation mit eigener (Völker-)Rechtspersönlichkeit dar (Art. 184). Der EAGV bezweckt allgemein die Förderung der friedlichen Nutzung der Atomenergie (ĺAtomenergie, friedliche/militärische Nutzung der) in den ĺMS, namentlich die Schaffung der für die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen (Art. 1). Anlass für die Schaffung der EAG war v.a. die Auffassung, dass die Kohle- und Erdölvorkommen begrenzt wären und die Energieversorgung der Industriestaaten über das durch die EGKS geschaffene Regime hinaus abgesichert werden müsste. 270
Auf Grund der begrenzten Funktion der EAG ist ihr materielles Recht im Gegensatz zum EGV schon auf primärrechtlicher Ebene detailliert geregelt. Der Zweite Titel des EAGV (Art. 4-106) enthält in zehn Kap. die konkrete Ausgestaltung des umfassenden Auftrages zur Förderung des Fortschritts auf dem Gebiet der Kernenergie. Als in der Praxis am wichtigsten hat sich Kap. III über den ĺGesundheitsschutz erwiesen, das die EAG mit der Erlassung von ĺGrundnormen für den Schutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen betraut. Der EAGV enthält hingegen keine spezifischen Vorschriften über die Sicherheit von Kernanlagen, namentlich von Atomkraftwerken. Nichtsdestotrotz haben sich in Zshg. mit dem Gesundheitsschutz europ. Rechtssetzungskompetenzen auch im Bereich der ĺnuklearen Sicherheit entwickelt. Überhaupt lässt sich eine Aufgabenverschiebung innerhalb der EAG feststellen. Insb. seit dem Reaktorunfall von Tschernobyl von 1986 widmet sie sich verstärkt den gesundheits- und umweltpolitischen Problemen, die sich aus der Nutzung kerntechnischer Anlagen ergeben. Demgegenüber sind andere mit der EAG ursprl. angestrebte Ziele in den Hintergrund getreten. Sie stellen aber nach wie vor Aufgaben gem. dem Grundsatzkatalog des Art. 2 dar. Dies gilt gem. Kap. I zunächst für die Förderung der Forschung in den Gebieten gem. Anh. I (ĺKernforschung), z.B. durch Forschungs- und Ausbildungsprogramme (Art. 7; ĺSiebtes Rahmenprogramm [Euratom]) und die ĺGemeinsame Forschungsstelle (Art. 8), weiters für die Verbreitung der Kenntnisse gem. Kap. II (insb. durch die Gewährung von Lizenzen) sowie für die Förderung und Steuerung von Investitionsvorhaben (Kap. IV), namentlich in Form von ĺGemeinsamen Unternehmen (Kap. V). Ein Hauptanliegen des EAGV ist die Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit nuklearen Brennstoffen, die v.a. durch die ĺEuratom-Versorgungsagentur garantiert werden soll (Kap. VI). Daneben hat die ĺKommission für die ausschließlich friedliche Nutzung der Atomenergie (ĺAtomenergie, friedliche/militärische Nutzung der) Sorge zu tragen (Kap. VII). Zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Rahmen der ĺSicherheitsüberwachung überträgt Art. 86 der EAG das Eigentum an sämtlichen ĺbesonderen spaltbaren Stoffen, überlässt den Verbrauchern allerdings mittels Art. 87 ein grds. unbeschränktes Nutzungs- und Verbrauchsrecht (Kap. VIII). Schließlich finden sich in Kap. IX
Euratom-Vertrag, Außenbeziehungen Bestimmungen zur Verwirklichung des ĺGemeinsamen Marktes auf dem Kerngebiet und in Kap. X zu den Außenbeziehungen (ĺEuratom-Vertrag, Außenbeziehungen). Vor dem Hintergrund des Grundsatzes des einheitlichen institutionellen Rahmens der Union (Art. 3 EU) weist die EAG eine der EG vergleichbare institutionelle Struktur auf. Gem. Art. 3 Abs. 1 verfügt sie ebenso über fünf Hauptorgane (ĺEP, ĺRat, ĺKommission, ĺEuGH, ĺRechnungshof) sowie gem. Art. 3 Abs. 2 über einen beratenden ĺWirtschafts- und Sozialausschuss. Die diesbezüglichen Vorschriften des Dritten Titels (Art. 107-170) entsprechen weitgehend jenen des EGV und sind im Zuge der Revisionen der Gründungsverträge jeweils mit angepasst worden. V.a. der Kommission kommen in den Bereichen des Gesundheitsschutzes, der Sicherheitsüberwachung und der Sicherheit der Versorgung mit Kernstoffen weit reichende Befugnisse zu. Demgegenüber bleibt die Bedeutung des EP im Vergleich zum EGV zurück. Daneben sieht der EAGV noch eine Reihe von besonderen Rechtspersonen vor, etwa die ĺEuratom-Versorgungsagentur oder die ĺGemeinsamen Unternehmen. Sowohl auf den EAGV selbst als auch auf das durch die Organe geschaffene ĺSekundärrecht werden die allgemeinen Grundregeln des Gemeinschaftsrechts angewendet (ĺVorrang, unmittelbare ĺAnwendbarkeit, Regeln über die Auslegung, allgemeine Rechtsgrundsätze). Gem. Art. 161 stehen hiefür dieselben Rechtshandlungsformen offen wie nach Art. 249 EG. In den einzelnen Kap. des materiellen Teils sind die zur Erlassung eines Rechtsakts notwendigen Verfahrensschritte sowie die jeweiligen konkreten Befugnisse der Organe verankert, die sich von denen des EGV teilweise spürbar unterscheiden. Die Bestimmungen des EAGV über die Zuständigkeit des EuGH sowie die Klagearten (Art. 136-160) stimmen indes weitgehend mit jenen im EGV überein. Art. 305 Abs. 2 EG normiert, dass seine Vorschriften jene des EAGV nicht beeinträchtigen. Daraus wird abgeleitet, dass die Normen des EAGV dem EGV nach dem lex-specialisGrundsatz vorgehen. Eine subsidiäre Anwendbarkeit des EGV kommt in Frage, wenn der EAGV gar keine Regelung trifft oder eine Materie nicht abschließend regelt. Die geeignete Rechtsgrundlage ist aber jeweils im Einzelfall in Hinblick auf Ziele und Inhalte des zu erlassenden Rechtsaktes zu wählen (vgl. Rs. 62/88 und 70/88; ĺEuropäisches Atomrecht).
Der EAGV ist ebenso wie der EGV (Art. 312) und der EUV (Art. 51) grds. auf unbegrenzte Zeit abgeschlossen (Art. 208). Die mit dem Vertrag von Lissabon (ĺReformvertrag) einhergehende Beseitigung der EG berührt die EAG nicht. Sie wird auch nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon als selbstständige Int. Organisation neben der EU weiter bestehen. Dies war im Übrigen auch schon im gescheiterten ĺVerfassungsvertrag so vorgesehen. Ein besonderes Protokoll zum Vertrag von Lissabon regelt die notwendige Anpassung der institutionellen und finanzrechtlichen Vorschriften des EAGV an die neuen rechtlichen Gegebenheiten, ohne die materiellen Bestimmungen des EAGV zu modifzieren. (atm) §§: Vertrag zur Gründung der EAG vom 25.3.1957, dt. BGBl. II 1957, 753, 1014, österr. BGBl. 47/1995; Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags zur Gründung der EAG, ABl. 2007, Nr. C 306/199 Lit.: H. von der Groeben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Rechts, Bd. III A, Euratom, 385. Lfg.; N. Pelzer, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II 1. Teilbd., 2. Aufl. 2002, 365 ff.; W. Schroeder, Der Euratom-Vertrag, JA 1995, 728; ders., Die Euratom – auf dem Weg zu einer Umweltgemeinschaft, DVBl. 1995, 322; E.-U. Petersmann/C. Spennemann, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 305 EGV, Rn. 14; K. Schmalenbach, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 305 EGV, Rn. 3 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 62/88 Griechenland/Rat, Slg. 1990, I-1527; Rs. 70/88 Parlament/Rat, Slg. 1991, I-4529 (Tschernobyl) Web: http://europa.eu/scadplus/treaties/euratom_de. htm
Euratom-Vertrag, Außenbeziehungen Euratom Treaty, external relations – Traité Euratom, relations extérieures
Gem. Art. 2 lit. h ĺEAGV hat die ĺEAG vermöge der ihr durch Art. 184 zuerkannten Völkerrechtssubjektivität alle Verbindungen herzustellen, die den Fortschritt bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu fördern geeignet sind. Seine Ausgestaltung erfährt dieser Auftrag in Kap. X des Zweiten Titels (Art. 101-106). Dort finden sich ggü. dem vergleichsweise rudimentären Art. 300 EG (ĺDrittstaatsabkommen) detaillierte Regeln über das Vertragsschlussverfahren. Bemerkenswert ist gegenüber dem Regime des EGV v.a., dass die ĺKommission nicht nur über die Verhandlungs-, sondern auch über die Abschlusskompetenz verfügt (mit Ausnahme der vom ĺRat abgeschlosse271
EUREKA nen ĺAssoziierungsabkommen nach Art. 206). Allerdings ist sie dabei an die Verhandlungsrichtlinien des Rates gebunden und darf die EAG erst nach dessen Zustimmung völkerrechtlich verpflichten (Art. 101 Abs. 2). Im Übrigen sieht Art. 102 ausdrücklich (und damit in den Gründungsverträgen einmalig) den Abschluss der in der Gemeinschaftspraxis wichtigen ĺGemischten Abkommen vor. Die EAG kann im Rahmen ihrer Zuständigkeit Verträge mit a) Int. Organisationen, b) Drittstaaten sowie c) mit Angehörigen von Drittstaaten abschließen (Art. 101 Abs. 1). In Hinblick darauf hat der ĺEuGH die Existenz ungeschriebener Außenkompetenzen und den Grundsatz der Parallelität von Innen- und Außenkompetenzen i.S.d. Urteils in der Rs. 22/ 70 (ĺAETR) auch für den EAGV bestätigt (vgl. Beschluss 1/78). Wie von Anfang an vorgesehen, hat die EAG eine reiche Zusammenarbeit insb. mit Int. Organisationen entfaltet, namentlich mit der UNO und der WTO (Art. 199), dem Europarat (Art. 200), v.a. aber der OECD und ihrer ĺKernenergie-Agentur (Art. 201). Während im Bereich der ĺGrundnormen und der ĺSicherheitsüberwachung Parallen bestehen, verfügt die EU im ĺAtomhaftungsrecht über keine eigenen Normen, sondern verweist insofern auf das Pariser Abkommen einerseits und das im Schoße der ĺIAEO verhandelte Wiener Abkommen andererseits. Darüber hinaus ist die EAG mehreren Abkommen unter Auspizien der IAEO beigetreten, z.B. 2005 den nur wenige Monate nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl verabschiedeten beiden Übereinkommen vom 26.9.1986 über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen und über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder radiologischen Notfällen oder 1999 dem Wiener Übereinkommen über ĺnukleare Sicherheit vom 20.9.1994. Die EAG ist zwar nicht Vertragspartei des Atomwaffensperrvertrags, hat aber mit ihren Nichtkernwaffen-MS und der IAEO ein trilaterales Verifikationsabkommen abgeschlossen (ĺAtomenergie, friedliche/militärische Nutzung der). Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Drittstaaten lässt sich z.B. das frühe Kooperationsabkommen mit den USA von 1959 anführen. Zugleich hat die EAG Rahmenverträge für die Versorgung mit Erzen und im Bereich der Anreicherung mit den Hauptlieferanten USA, Kanada und Australien abgeschlossen, steht aber auch in vertraglichen Beziehungen zu den 272
ĺNeuen Unabhängigen Staaten als alternativen Versorgern. Schließlich ist die EAG in diversen rechtlichen Formen in int. Forschungsprojekte und -einrichtungen im Kernbereich eingebunden (ĺCERN, ĺEFDA, ĺITER). (atm) §§: Art. 101-106 EAGV; Beschluss 1999/819/Euratom über den Beitritt der EAG zum Übereinkommen über nukleare Sicherheit von 1994, ABl. 1999, Nr. L 318/20 i.d.F. des Beschlusses 2004/491/Euratom, ABl. 2004, Nr. L 172/7; Beschlüsse 2005/844/Euratom und 2005/845/Euratom, ABl. 2005, Nr. L 314/21 und 27; Abkommen über Zusammenarbeit zwischen der EAG und der Regierung der USA bei der friedlichen Verwendung der Atomenergie, ABl. 1959, Nr. 17/312 Lit.: H. von der Groeben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Rechts, Bd. III A 51, Euratom – Außenbeziehungen, 316. Lfg. 1994; R. Lukes, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, Rn. 44 Rsp.: EuGH, Beschluss 1/78, Slg. 1978, 2151, Rn. 36
EUREKA Die europäische Forschungsinitiative EUREKA wurde 1985 mit dem Ziel gegründet, Industrie und Forschungseinrichtungen in Europa zu verstärkter grenzüberschreitender Zusammenarbeit auf dem Gebiet anwendungsnaher technologischer Forschung und Entwicklung für zivile Zwecke zusammenzuführen und damit die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. EUREKA ist ein zwischenstaatlicher Zusammenschluss ohne eigene Rechtspersönlichkeit, d.h. es ist kein Förderprogramm, hat kein zentrales Budget und findet außerhalb des ĺForschungsrahmenprogramms statt. Die derzeit 38 vorwiegend europäischen Mitgliedsländer sind berechtigt, nach dem Bottom-up-Prinzip Projekte vorzuschlagen, deren Finanzierung gesichert sein muss und an denen sich Teilnehmer aus mindestens zwei verschiedenen EUREKAMitgliedstaaten beteiligen müssen. Die wichtigsten Lenkungsorgane sind eine „High-Level Group“ von Beamten und die im Zweijahresrhythmus tagende Ministerkonferenz. Das EUREKA-Sekretariat (ESE) hat seinen Sitz in Brüssel. (hk) Lit.: H. Eikenberg, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 28. Lfg. 2005, Art. 170 EGV, Rn. 25-27 Web: http://www.eureka.be
Euro Euro – Euro
Bezeichnung der Währung der an der dritten Stufe der ĺWirtschafts- und Währungsunion teilnehmenden Mitgliedstaaten. Ein Euro ist in
Eurocontrol I-Entscheidung (BVerfG) 100 Cent unterteilt. Der Euro hat den ĺECU abgelöst, der bis 31.12.1998 als Rechnungseinheit der EG fungierte. Durch die VO (EG) 974/ 98 wurde der Euro ab 1.1.1999 die alleinige Währung der teilnehmenden Mitgliedstaaten. Zugleich legte der Rat durch VO (EG) 2866/98 mit Wirkung vom 1.1.1999 die unwiderruflichen Umrechnungskurse für das Verhältnis der nationalen Währungen zum Euro fest. Allerdings wurden die auf Euro lautenden ĺBanknoten und Münzen erst zum 1.1.2002 eingeführt. In dieser Übergangszeit galten die auf die nationalen Währungen lautenden Banknoten und Münzen als Einheiten des Euro. Die von der ĺEuropäischen Zentralbank genehmigten und den nationalen ĺZentralbanken ausgegebenen, auf Euro lautenden Banknoten sind das ausschließliche gesetzliche Zahlungsmittel in der ĺEurozone, für Münzen gilt dies nur eingeschränkt. Aufgrund von Art. I-8 des Vertrags über eine Verfassung für Europa sollte der Euro zu den Symbolen der Union zählen. Diese Bestimmung findet sich im Reformvertrag nicht mehr. Die fixen Umrechnungskurse des Euro lauten: € 1,- = ƒ BEF 40,3399 (Belgische Francs) ƒ DEM 1,95583 (Deutsche Mark) ƒ ESP 166,386 (Spanische Peseten) ƒ FRF 6,55957 (Französische Francs) ƒ GRD 340,750 (Griechische Drachmen) ƒ IEP 0,787564 (Irische Pfund) ƒ ITL 1936,27 (Italienische Lire) ƒ LUF 40,3399 (Luxemburgische Francs) ƒ NLG 2,20371 (Holländische Gulden) ƒ ATS 13,7603 (Österreichische Schillinge) ƒ PTE 200,482 (Portugiesische Escudos) ƒ SIT 239,640 (Slowenischer Tolar) ƒ FIM 5,94573 (Finnmark) Zum 1.1.2008 werden noch Zypern und Malta der Eurozone beitreten. (co) §§: Art. 106 Abs. 1, Art. 123 Abs. 4 EG; VO (EG) 1103/97, ABl. 1997, Nr. L 162/1; VO (EG) 974/98, ABl. 1998, Nr. L 139/1; VO (EG) 2866/98, ABl. 1998, Nr. L 359/1
Euro-Entscheidung (BVerfG) Euro case – jurisprudence Euro
Entscheidung des ĺBVerfG vom 31.3.1998, BVerfGE 97, 350 (ĺVerfassungsbeschwerde) zum Beschluss von ĺBundestag und ĺBundesrat über die Teilnahme Deutschlands an der dritten Stufe der ĺWirtschafts- und Währungsunion. Die v.a. auf eine Verletzung von Art. 38 Abs. 1 GG (Wahlrecht) und Art. 14 GG
(Eigentum) gestützte Beschwerde wurde als offensichtlich unbegründet verworfen. (sgk) Euro-Mediterrane Partnerschaft, Barcelona Erklärung euro-mediterranean partnership/Barcelona Declaration – partenariat euro-méditerranéen/Declaration de Barcelone
Sie umfasst ĺAlgerien, ĺÄgypten, ĺIsrael, ĺJordanien, ĺLibanon, ĺMarokko, die ĺPalästinensische Autonomiebehörde, ĺSyrien, ĺTunesien und die ĺTürkei und verfolgt drei Hauptziele: Stärkung des ĺpolitischen und sicherheitspolitischen Dialogs, die Schaffung einer Freihandelszone und die Förderung des Kulturaustausches. (bb) Lit.: D. Droutsas, Die Mittelmeerpolitik der EU, Ein Jahr nach der „Erklärung von Barcelona“, ecolex 1997, 131, B. Khalatbari, Naher Osten, Nordafrika und die EU im 21 Jahrhundert – die euro-mediterrane Partnerschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit, 2004, R. Gillespie (Hrsg.), The Euro-Mediterranean Partnership, 1997 Web: http://ec.europa.eu/comm/external_relations/ euromed/index.htm
Eurobarometer eurobarometer – eurobaromètre
Eurobarometer ist eine von der ĺKommission (Generaldirektion Kommunikation) in Auftrag gegebene Meinungsumfrage, die halbjährlich das Stimmungsbild zu gewissen europäischen Themen in den Mitgliedstaaten der EU wiedergibt. Daneben treten in unregelmäßigen Abständen Umfragen zu speziellen Themen. (sl) Web: http://ec.europa.eu/public_opinion/index_en. htm
Eurocontrol I-Entscheidung (BVerfG) Eurocontrol I case – jurisprudence Eurocontrol I
Entscheidung des ĺBVerfG vom 23.6.1981, BVerfGE 58, 1 (ĺVerfassungsbeschwerde). Das Verfahren betraf Gebührenerhebungen durch die Europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt (Eurocontrol). Das BVerfG bestätigte den in ĺSolange I aufgestellten Grundsatz, dass Art. 24 Abs. 1 GG keine vorbehaltund grenzenlose Übertragung von ĺHoheitsrechten gestatte. Die Begründung einer ausschließlichen Zuständigkeit belgischer Gerichte für den Rechtsschutz ggü. Eurocontrol sei an diesem Maßstab jedoch unbedenklich (ebenso Eurocontrol II, BVerfGE 59, 63, zur ausschließlichen Zuständigkeit des ILO-Verwaltungsgerichts für arbeitsrechtliche Streitigkeiten). 273
Eurodac-Verordnung Darüber hinaus stellte das BVerfG fest, dass das deutsche ĺZustimmungsgesetz keine wesentlichen Änderungen des im Gründungsvertrag angelegten Integrationsprogrammes deckt, wohl aber Vollzugsverläufe und Ergänzungen, die der Gründungsvertrag hinreichend bestimmbar normiert hat. Im konkreten Fall sah es die nachträgliche Einräumung einer Gebühreneinzugskompetenz für Eurocontrol noch als vom Zustimmungsgesetz gedeckt an. Das BVerfG hat den hier aufgestellten Grundsatz später in der ĺMaastricht-Entscheidung mit Blick auf die EU wieder aufgegriffen und daraus seinen ĺPrüfungsvorbehalt zu ausbrechenden ĺRechtsakten entwickelt. (sgk) §§: Art. 24 Abs. 1 GG
Eurodac-Verordnung regulation Eurodac – règlement Eurodac
Die VO (EG) 2725/2000 vom 11.12.2000, ABl. 15.12.2000, Nr. L 316/1, sieht die Einrichtung von „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken vor, um die Anwendung des Dubliner Übereinkommens und nunmehr der ĺDublin II-Verordnung (VO [EG] 343/2003) zu erleichtern. Es handelt sich hierbei um eine computergestützte Datenbank von Fingerabdrücken, die Asylwerbern sowie illegal Eingereisten, abzunehmen sind. Dadurch kann ein Mitgliedstaat feststellen, ob ein Asylwerber oder ein Ausländer, der sich illegal in seinem Hoheitsgebiet aufhält, bereits in einem anderen Mitgliedstaat Asyl beantragt hat oder ob ein Asylbewerber illegal in die EU eingereist ist. „Eurodac“ besteht aus einer von der ĺKommission verwalteten Zentraleinheit, einer computergestützten Datenbank für Fingerabdrücke und elektronischen Einrichtungen für die Datenübertragung zwischen den Mitgliedstaaten und der zentralen Datenbank. Neben den Fingerabdrücken umfassen die von den Mitgliedstaaten übermittelten Daten unter anderem auch den Herkunftsmitgliedstaat, Ort und Zeitpunkt der Antragstellung sowie das Geschlecht. Gem. Art. 22 der Eurodac-Verordnung erließ der ĺRat Durchführungbestimmungen in der VO (EG) 407/2002, ABl. 5.3.2002, Nr. L 62. (gt) (jw) §§: VO (EG) 2725/2000 Lit.: K. Hailbronner, Immigration and Asylum Law and Policy of the European Union, 2000, 401 ff.; C. Schmid, Eurodac-Verordnung, 2003; S. Peers, EU Justice and Home Affairs Law, 2006, 322 ff.
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EUROFOUND ĺEuropäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (EUROFOUND) Eurogruppe Euro Group – Eurogroupe
Die Mitgliedstaaten, deren gemeinsame Währung der ĺEuro ist, haben sich zur Eurogruppe zusammengeschlossen. Vertreten sind in ihr die Wirtschafts- und Finanzminister (ĺECOFINRat) der teilnehmenden Mitgliedstaaten sowie das für Währungsfragen zuständige Mitglied der Kommission. Die Tagungen der Eurogruppe dienen dem Ziel, die unmittelbar mit der gemeinsamen Währung zusammenhängenden wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen zu erörtern. Streitig ist die Frage, ob der Präsident der ĺEZB an den Tagungen teilnehmen soll. Faktisch verweigerte er zunächst die Teilnahme, um dem Eindruck entgegenzutreten, die Unabhängigkeit der EZB könnte gefährdet sein. Eine rechtlich förmliche Anerkennung der Eurogruppe existiert bislang nicht, hätte aber durch Art. III-194 des Vertrags über eine Verfassung für Europa geschaffen werden sollen. Der Reformvertrag wird diese Bestimmung übernehmen. (co) Eurojust 1. Grundlagen: Im Rahmen der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen durch Beschluss 2002/187/JI des Rates vom 28.2.2002 errichtete und mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete Europäische Stelle für justizielle Zusammenarbeit mit Sitz in Den Haag. Sie fungiert im Wesentlichen als zentrale Koordinierungs- und Informationsstelle zur Erleichterung grenzüberschreitender Strafverfolgung in Fällen grenzüberschreitender und organisierter Kriminalität. Die Errichtung von Eurojust war Teil des ĺTampereProgramms. Seit dem ĺVertrag von Nizza ist Eurojust in Art. 29 Abs. 2 2. SpS, 31 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 EU auch primärrechtlich verankert. 2. Aufbau: Eurojust ist in paralleler Konstruktion zu ĺEuropol auf der Ebene polizeilicher Zusammenarbeit angelegt. Das Kollegium setzt sich aus je einem von den Mitgliedstaaten abgeordneten nationalen Mitglied zusammen, dass in diesem Mitgliedstaat Richter oder Staatsanwalt ist. Nach dem Wortlaut des Beschlusses käme – je nach Ausgestaltung des nationalen Rechtssystems – auch ein Polizeibeamter mit gleichwertigen Be-
Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten fugnissen in Betracht. Einige dieser nationalen Mitglieder werden von Stellvertretern und Assistenten unterstützt. 3. Arbeitsweise: Aufgabe von Eurojust sind die Förderung und Verbesserung der Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten bei laufenden Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen, die Verbesserung der Kooperation vor allem im Rahmen der Rechtshilfe sowie allgemeine Unterstützungsleistungen bei der Bekämpfung schwerer bzw. grenzüberschreitender Kriminalität. Die strafprozessualen Befugnisse der nationalen Mitglieder richten sich dabei nach dem jeweiligen Recht des Entsendestaates. Gleich den innerstaatlichen Justizbehörden haben sie daher insbesondere Zugang zu relevanten Informationen. Der Schwerpunkt der Tätigkeit von Eurojust liegt in der unterstützenden Koordination in denjenigen Fällen, in denen es durch mitgliedstaatliche Justizbehörden eingeschaltet wird. Die Konzentration der Kenntnisse der nationalen Rechtssysteme, der Informationsaustausch sowie der direkte Kontakt untereinander und zu nationalen Anlaufstellen sollen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit verbessern sowie Doppelarbeit und Zuständigkeitskonflikte vermeiden helfen. Eurojust verfügt über eine automatisierte Datei, die einen Ermittlungsindex der bearbeiteten Verfahren beinhaltet (sog. „Case Management System“) und die Erfassung und Speicherung nicht personenbezogener und personenbezogener Daten ermöglicht. Der Ratsbeschluss enthält umfangreiche Regelungen zu deren Speicherung und Löschung, Zugänglichkeit und Kontrolle. Eurojust kooperiert vor allem mit den mitgliedstaatlichen Behörden, mit ĺEuropol, dem dezentralen ĺEuropäischen Justiziellen Netz und ĺOLAF sowie – auf Basis von Übereinkommen – mit Drittstaaten. (sts) §§: Beschluss 2002/187/JI des Rates vom 28.2.002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität, ABl. 2002, Nr. L 63/1, Korrigendum ABl. 2002, Nr. L 196/63 Lit.: W. Schomburg/O. Lagodny/S. Gleß/T. Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006, III F, 1209 ff.; R. Esser/A. L. Herbold, Neue Wege für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Das Eurojust Gesetz, NJW 2004, 2421 ff. Web: http://www.eurojust.europa.eu
Eurojustice Seit 1998 stattfindende jährliche Konferenz der Leiter der Anklagebehörden, die die Kooperation der Anklagebehörden der Mitgliedstaaten
der EU und das gegenseitige Verständnis der unterschiedlichen Rechtssysteme verbessern soll und ein Forum für die Diskussion aktueller europäischer Entwicklungen bietet. (sts) Web: http://www. eurojustice.org
Eurokorps ĺFähigkeiten, militärische Euroland ĺEurozone Europa der Bürger ĺAdonnino-Ausschuss Europa der Regionen Europe of Regions – L’Europe des Régions
Die Forderung nach einem „Europa der Regionen“ wird seit den 1970er Jahren in verschiedenen politischen Zusammenhängen und Ausrichtungen vertreten. Einerseits richtet sich die Forderung an die Nationalstaaten, die regionale Ebene stärker zu berücksichtigen und auszubauen. In diesem Zusammenhang ist auf den Regionalisierungsprozess in zahlreichen EUMitgliedstaaten hinzuweisen, der tendenziell zu einer – in ihrem Ausmaß unterschiedlich weitgehenden – Dezentralisierung traditionell einheitsstaatlicher Systeme geführt hat. Andererseits versteht sich der europäische Regionalismus als eine Gegenströmung zum europäischen Zentralismus, der zu einer akzelerierten Kompetenzübertragung von den Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer regionalen Ebene) hin zur europäischen Ebene und dadurch auch zur Kritik der Bürgerferne geführt hat. Durch eine stärkere Berücksichtigung der Regionen, wie sie die EU trotz ihrer ĺ„Bundesstaatsblindheit“ wenigstens ansatzweise im Rahmen ihrer Strukturpolitik, des ĺPrinzips der Partnerschaft, der Möglichkeit der Entsendung eines regionalen Vertreters auf Ministerebene in den ĺRat sowie des ĺAusschusses der Regionen zulässt, soll letztlich mehr Bürgernähe der EU erzielt werden. (ag) Lit.: F.-L. Knemeyer (Hrsg.), Europa der Regionen – Europa der Kommunen: wissenschaftliche und politische Bestandsaufnahme und Perspektive, 1994; H. Hierl (Hrsg.), Europa der Regionen: eine Idee setzt sich durch: Ausschuß der Regionen, 1995
Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten ĺDifferenzierte Integration 275
Europa für Bürgerinnen und Bürger Europa für Bürgerinnen und Bürger Europe for citizens – L’Europe pour les citoyens
Im Jahr 2007 in Kraft getretenes Aktionsprogramm der EU zur Förderung von Forschungseinrichtungen, die sich mit europäischen öffentlichen Politiken beschäftigen und zivilgesellschaftlichen Organisation auf europäischer Ebene. Das Programm wird voraussichtlich bis zum Jahr 2013 durchgeführt werden. (cd) Web: http://ec.europa.eu/dgs/education_culture/active citizenship/citizens_de.html
Europa-Abkommen Europe Agreement – Accord européen
Nach dem Zusammenbruch des real-sozialistischen Blockes 1989 versuchte die Gemeinschaft die ĺMOEL durch sog. EA zu marktwirtschaftlichen und demokratischen Reformen zu verpflichten, wirtschaftlich und politisch an die Gemeinschaft zu binden und für die allfällige Eröffnung von ĺBeitrittsverhandlungen vorzubereiten. Bei den EA handelt es sich um eine ĺBeitrittsassoziierung auf Grundlage des Art. 310 EG. Der ĺEurop. Rat von Dublin (April 1990) forderte den Rat auf, Verhandlungen über ĺAssoziierungsabkommen aufzunehmen. Zwischen 1991 und 1996 schloss die Gemeinschaft daher mit allen zehn ĺMOEL EA ab. Die EA sind ĺ„gemischte“ Abkommen. Um den relativ langwierigen Ratifizierungsprozess zu überbrücken, wurden Interimsabkommen über Handelsfragen vereinbart. Die EA umfassen die Errichtung einer Freihandelszone für industrielle Güter, begünstigten Handel mit gewissen ĺlandwirtschaftlichen Produkten, die Gewährleistung des ĺNiederlassungsrechts für Gesellschaften, die schrittweise Liberalisierung des ĺDienstleistungsund ĺKapitalverkehrs, das Verbot ĺwettbewerbswidriger Verhaltensweisen (äquivalent zu Art. 81, 82 EG), das Verbot wettbewerbsverfälschender ĺBeihilfen, den Schutz geistiger, gewerblicher und kommerzieller ĺEigentumsrechte, sowie Regulierungen des öffentlichen ĺAuftragswesens. In von diesen Bereichen betroffener Gesetzgebung verpflichten sich die MOEL zu einer Anpassung an das Gemeinschaftsrecht. Die EA beinhalten eine asymmetrische Liberalisierung des Handels. Dies bedeutet, dass die MOEL früher in der Lage waren, Güter in die Gemeinschaft einzuführen, als umgekehrt. Jedoch begrenzte die Gemeinschaft die Einfuhr von Waren in den Bereichen Landwirtschaft, Eisen, Stahl und Textilien. Damit wurde 276
der Marktzugang der MOEL gerade in jenen arbeits- und energieintensiven Sektoren verhindert, in denen die mittel- und osteuropäischen Staaten wettbewerbsfähig waren. Neben diesen wirtschaftlichen Aspekten enthalten die EA auch Bestimmungen über finanzielle (insb. im Rahmen von ĺPHARE), kulturelle (durch die Beteiligung an Gemeinschaftsprogrammen) und politische (regelmäßiger Dialog) Zusammenarbeit der Vertragsparteien. Für die EU hat der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit einzelner EA-Bestimmungen festgestellt (s. bspw.: EuGH, Rs. C-63/99 Gloszczuk, Slg. 2001; EuGH, Rs. C-268/99 Jany, Slg. 2001, I-8615; EuGH, Rs. C-438/00 Kolpak, Slg, 2003, I-4135). Wie für ĺAssoziierungsabkommen üblich, schufen auch die EA mit einem ĺAssoziationsrat (Ministerebene) und einem Assoziationsausschuss (Beamtenebene) die zur Umsetzung der Abkommen notwendigen Institutionen. Mit der Aufnahme der ĺBeitrittsverhandlungen 1997 bzw. 1999 (ĺOsterweiterung) verloren die EA Schritt für Schritt an Bedeutung. (lo) §§: Art. 310 EG; Europaabkommen EG (Bulgarien), ABl. 1994, Nr. L 358/3; Estland, ABl. 1998, Nr. L 68/3; Lettland, ABl. 1998, Nr. L 26/3; Litauen, ABl. 1998, Nr. L 51/3; Polen, ABl. 1993, Nr. L 348/2; Rumänien, ABl. 1994, Nr. L 357/2; Slowakische Republik, ABl. 1994, Nr. L 359/2; Slowenien, ABl. 1999, Nr. L 51/3; Tschechische Republik, ABl. 1994, Nr. L 360/2; Ungarn, ABl. 1993, L 347/2 Lit.: J. C. Wichard, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 310 EGV, Rn. 38; M. Sajdik/M. Schwarzinger, Die EU-Erweiterung, 2003, 18 ff.
Europa-Konferenz European Conference – Conférence européenne
Der ĺEurop. Rat in Luxemburg (12./13.12. 1997) beschloss vorerst nur mit fünf ĺMOEL und Zypern ĺBeitrittsverhandlungen zu eröffnen (ĺLuxemburg-Gruppe; ĺOsterweiterung, Geschichte der). Um die anderen MOEL, ĺMalta und die ĺTürkei an die Union zu binden, zu weiteren Anpassungsleistungen zu motivieren und den ĺstrukturierten Dialog durch eine Weiterentwicklung abzulösen, erfolgte die Einrichtung einer sog. E.-K.: „Die Konferenz wird auf Einladung des Vorsitzes einmal jährlich auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs und des Präsidenten der Kommission sowie einmal jährlich auf der Ebene der Minister für auswärtige Angelegenheiten zusammentreten.“ Wie der ĺstrukturierte Dialog hat die E.-K. nur konsultativen Charakter.
Europäische Agentur für den Wiederaufbau (EAR) Das Themenspektrum der E.-K. wurde auf die GASP und die Innen- und Justizpolitik eingeschränkt. Aufgrund der Nichteröffnung von Beitrittsverhandlungen wies die ĺTürkei die Einladung zur E.-K. zurück. Neben den 10 MOEL und Zypern nahm auch die ĺSchweiz an der ersten E.-K. (auf Ebene der Staats- und Regierungschefs – London, 12.3.1998) teil. Nach einer E.-K. in Luxemburg (6. 10. 1998) und Brüssel (19. 7. 1999), fand die E.-K. in Sochaux (23.11.2000) erstmals auch unter der Teilnahme der Türkei statt. Der Europ. Rat von Nizza bezeichnete die E.-K als einen „zweckmäßigen Rahmen für den Dialog zwischen den Mitgliedstaaten der EU und den Ländern, die für einen Beitritt in Betracht kommen“ und beschloss die zusätzliche Einladung der Staaten der EFTA und des ĺStabilisierungsund Assoziierungsprozesses. Auf der folgenden „erweiterten“ E.-K. (Brüssel, 20.10.2001) waren nicht nur Minister dieser Länder, sondern auch der Republik Moldau, der Russischen Föderation und der Ukraine vertreten. Damit entwickelte die E.-K. auch eine Bedeutung für die ĺEuropäische Nachbarschaftspolitik. Die bisher letzte E.-K. fand im Anschluss an die Unterzeichnung des ĺBeitrittsvertrages (sog. ĺOsterweiterung) in Athen am 17.4.2003 statt. (lo) §§: Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europ. Rat Luxemburg 12./13.12.1997, Rn. 4-9 Lit.: B. Lippert, Der Gipfel von Luxemburg: Startschuss für das Abenteuer Erweiterung, integration 1998, 12
Europa-Mittelmeer Abkommen Euro-Mediterranean Agreement – Accord Euro-Méditerranéen
Die Europa-Mittelmeerabkommen etablieren den regelmäßigen ĺpolitischen Dialog, streben eine Freihandelszone im Einklang mit den WTO-Vorschriften an, sehen aber handelspolitische Schutzmaßnahmen vor. Voraussetzung für eine Schutzmaßnahme ist eine Einfuhr in erhöhten Mengen und unter solchen Bedingungen, dass den inländischen Herstellern gleichartiger oder unmittelbar konkurrierender Waren auf dem Gebiet einer der Vertragsparteien ein erheblicher Schaden zugefügt wird oder droht. Schutzmaßnahmen können auch getroffen werden, wenn die Einfuhr schwerwiegende Störungen in einem Wirtschaftszweig oder Schwierigkeiten, die eine schwerwiegende Verschlechterung der Wirtschaftslage einer Region bewirken können, verursacht oder zu
verursachen droht. Diese Klausel ist in allen Assoziierungsabkommen der EU mit Mitgliedern der WTO enthalten. Ihr liegt die Überlegung zugrunde, dass der stärkeren Marktöffnung einer Freihandelszone auch erweiterte Möglichkeiten für Schutzmaßnahmen gegenüber zu stehen haben. Die Abkommen enthalten in der Regel unmittelbar anwendbare Diskriminierungsverbote, Bestimmungen über die Niederlassung und Dienstleistungen sowie über den Kapitalverkehr und Wettbewerb, zielen auf eine Vertiefung der Handelsbeziehungen ab, des weiteren jene in den Bereichen Soziales, Kultur und die finanzielle Zusammenarbeit. Ähnliche Abkommen wurden mit ĺAlgerien, ĺÄgypten, ĺIsrael, ĺJordanien, ĺLibanon, ĺMarokko, der ĺPLO, ĺSyrien und ĺTunesien geschlossen. (bb) Europa-Nostra Europa-Nostra – Europa-Nostra
Eine in Den Haag ansässige europäische Organisation, die seit dem Jahr 2002 aus dem Programm Kultur2000 Mittel für die Verleihung eines europäischen Preises für die Erhaltung und Aufwertung des kulturellen Erbes in Europa erhält. Der jährlich von Europa-Nostra ausgeschriebene Wettbewerb umfasste im Jahr 2006 sechs Preise von € 10.000,- und Medaillen und Urkunden für herausragende Leistungen auf dem Gebiet des Erhalts und der Aufwertung des Kulturerbes in den drei Kategorien 1. Herausragende Projekte aus den Bereichen Architektonisches Kulturerbe, Kulturlandschaften, Sammlungen von Kunstwerken, Archäologische Stätten 2. Herausragende Studie im Bereich Kulturerbe 3. Engagierte Dienstleistung einer Einzelpersonen oder Gruppe im Bereich Kulturerbe Teilnahmeberechtigt an der Preisausschreibung sind Einzelpersonen, Organisationen und öffentliche Träger aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, des Europäischen Wirtschaftsraums und die Beitrittsländer sowie die Beitrittskandidaten. (cd) Web: http://www.europanostra.org
Europäische Agentur für den Wiederaufbau (EAR) European Agency for Reconstruction (EAR) – Agence européenne pour la reconstruction (AER)
Die Agentur wurde 2000, gestützt auf Art. 308 EG, durch die VO (EG) 2667/2000, ABl. 2000, Nr. L 306/7 gegründet, um Hilfe beim materiellen Wiederaufbau nach der Balkankrise zu leis277
Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen ten. Mittlerweile verwaltet sie EU-Hilfsprogramme in Serbien und Montenegro sowie der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, die vor allem die Förderung von verantwortungsbewusster Staatsführung, Rechtsstaatlichkeit, Zivilgesellschaft, Entwicklung der Marktwirtschaft und Umweltmaßnahmen zum Gegenstand haben. So spielt sie etwa eine zentrale Rolle bei der Durchführung des gemeinschaftlichen Programms für den Wiederaufbau, die Entwicklung und die Stabilisierung (ĺCARDS), indem sie die von der ĺKommission zur Verfügung gestellten Mittel verwaltet. Direktor: Richard Zink Sitz: Thessaloniki, Griechenland (gr) §§: Art. 308 EG; VO (EG) 2666/2000, ABl. 2000, Nr. L 306/1; VO (EG) 2667/2000, ABl. 2000, Nr. L 306/7, geändert durch die VO (EG) 2425/2001, ABl. 2001, Nr. L 327/3 und VO (EG) 1646/2003, ABl. 2003, Nr. L 245/16 Web: http://www.ear.europa.eu/home/default.htm
Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (FRONTEX) European Agency for the Management of Operational Cooperation at the External Borders (FRONTEX) – Agence européenne pour la gestion de la coordination opérationnelle aux frontières extérieures (FRONTEX)
Die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (FRONTEX) wurde im Jahr 2004, gestützt auf die Art. 62 Abs. 2 lit. a und 66 EG, durch die VO (EG) 2007/2004, ABl. 2004, Nr. L 349/1 gegründet. Ihre zentrale Aufgabe ist es die jeweiligen nationalen Grenzschutzmaßnahmen in den Mitgliedstaaten zu koordinieren und so die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen zu verbessern. Das geschieht u.a. durch die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Ausbildung von Grenzschutzbeamten einschließlich der Festlegung gemeinsamer Ausbildungsnormen (Art. 5 der VO [EG] 2007/2004) und bei der Organisation gemeinsamer Rückführungsaktionen (Art. 9). Die Agentur hat auch die Befugnis Mitgliedstaaten, die an ihren Grenzen mit besonders schwierigen Situationen konfrontiert sind, operativ zu unterstützen, etwa durch eigene Experten und technische Ausrüstung (Art. 8). Dies ist insofern beachtlich, als damit eine über den einfachen Informationsaustausch hinausgehende Kooperation zwischen der Agentur und den Mitgliedstaaten institutionalisiert wurde (vgl. T. Groß, EUR 2005, 67). Direktor: Ilkka Laitinen Sitz: Warschau, Polen (gr) 278
§§: Art. 62 Abs. 2 lit. a und 66 EG; VO (EG) 2007/ 2004, ABl. 2004, Nr. L 349/1 Lit.: T. Groß, Die Kooperation zwischen europäischen Agenturen und nationalen Behörden, EuR 2005, 54 (67) Web: http://www.frontex.europa.eu
Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) European Maritime Safety Agency (EMSA) – Agence européenne pour la sécurité maritime (AESM)
Die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) wurde 2002, gestützt auf Art. 80 Abs. 2 EG, durch die VO (EG) 1406/ 2002, ABl. 2002, Nr. L 208/1 gegründet. Ihr Zuständigkeitsbereich umfasst neben den 27 Mitgliedstaaten auch Island und Norwegen. Die Agentur hat vor allem die Aufgabe die Kommission und die Mitgliedstaaten zu bestimmten Fragen im Bereich der Sicherheit des Seeverkehrs zu beraten und die Aktualisierung sowie Umsetzung der Gemeinschaftsvorschriften zu verfolgen (Art. 2 lit. a und b der VO [EG] 724/2004). Ihr wurden jedoch auch zusätzlich operative Aufgaben übertragen. So unterstützt sie im Falle unfallbedingter oder vorsätzlicher Verschmutzung durch Schiffe jenen Mitgliedstaat, der für die Durchführung der Säuberungsmaßnahmen zuständig ist und um Hilfe ersucht (Art. 2 lit. c iii). Der Kommission leistet sie operative Unterstützung bei der Durchführung von Inspektionsaufgaben betreffend der Sicherheit von Schiffen (Art. 2 lit. b iv). Außerdem verwaltet die EMSA den Index des paneuropäischen ĺSafeSeaNet, der Referanzangaben enthält, die bei der Auffindung von Schiffen mit gefährlicher Ladung helfen. Direktor: Willem de Ruiter Sitz: Lissabon, Portugal (gr) §§: Art. 80 Abs. 2 EG; VO (EG) 1406/2002, ABl. 2002, Nr. L 208/1 geändert durch VO (EG) 1644/2003, ABl. 2003, Nr. L 245/10 geändert durch VO (EG) 724/2004, ABl. 2004, Nr. L 129/1 Lit.: T. Groß, Die Kooperation zwischen europäischen Agenturen und nationalen Behörden, EuR 2005, 54, 62 ff. Web: http://www.emsa.europa.eu
Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) European Aviation Safety Agency (EASA) – Agence européenne pour la sécurité aérienne (AESA)
Die Europäische Agentur für Flugsicherheit wurde, gestützt auf Art. 80 Abs. 2 EG, mit der VO (EG) 1592/2002, ABl. 2002, Nr. L 240/1 errichtet, um Zulassungsaufgaben im Bereich der Luftfahrtzeugtechnik wahrzunehmen und die
Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) Kommission mit Vorschlägen und technischer Beratung bei der Erarbeitung von Flugsicherheitsregeln zu unterstützen. Ihre Kerntätigkeit bildet das Verfahren der Zulassung von Baumustern, die die EASA auf einschlägige technischer Erfordernisse vor allem betreffend Lufttüchtigkeit und Umwelt prüft (Art. 15 der VO [EG] 1592/2002). Beachtenswert ist, dass das Verfahren vollkommen in die Hand der Agentur gelegt wurde und auch die Zulassungsentscheidung – im Gegensatz zur Zulassung von Arzneimitteln durch die ĺEMEA – von ihr selbst getroffen wird (Art. 13 lit. c). Um eine solch umfassende Zuständigkeit sinnvoll ausüben zu können, wurde die Agentur auch ermächtigt weitgehende Kontroll- und Aufsichtsfunktionen gegenüber den Antragstellern wahrzunehmen (Art. 46). Über diese Kerntätigkeit hinaus wirkt die EASA auch an der Erlassung von Durchsetzungsrecht auf Gemeinschaftsebene mit und gibt zusätzlich Zulassungsspezifikationen heraus, die für die Verfahren vor den mitgliedstaatlichen Behörden von Bedeutung sind (Art. 14). Gegen Entscheidungen der Agentur im Musterzulassungsverfahren kann Beschwerde bei der agenturinternen ĺBeschwerdekammer (Art. 31) erhoben werden, gegen deren Entscheidung dann noch der Rechtsweg zum ĺEuGH offensteht (Art. 41). Direktor: Patrick Goudou Sitz: Köln, Deutschland (gr) §§: Art. 80 Abs. 2 EG; VO (EG) 1592/2002, ABl. 2002, Nr. L 240/1 Lit.: D. Riedel, Die Gemeinschaftszulassung für Luftfahrtgerät, 2006 Web: http://www.easa.europa.eu
Europäische Agentur für Grundrechte (FRA) European Fundamental Rights Agency (FRA) – Agence européenne des droits fondamentaux (FRA)
Gegründet auf den Vorschlag der Kommission (KOM[2005] 280 endg.), verständigten sich die Vertreter der Mitgliedstaaten im Dezember 2006 darauf, die ĺEuropäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) mit 1.1.2007 zu einer Agentur für Menschenrechte auszubauen und ihren Anwendungsbereich von der Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auf alle in der Charta genannten Grundrechtsbereiche zu erweitern. Die FRA wird damit betraut, Informationen und Daten über Grundrechtsangelegenheiten bereitzustellen. (Erwägungsgrund 4 des Vorschlages der KOM), um den Gemein-
schaftsorganen und Mitgliedstaaten die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte zu erleichtern, wenn sie in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich Maßnahmen einleiten oder Aktionen festlegen (Art. 2). In Bereichen wie beispielswiese dem Asylrecht könnte der Agentur daher in Zukunft eine durchaus wichtige Rolle zukommen. Bei der Ausführung ihrer Aufgaben bezieht sich die Agentur auf die Grundrechte, wie sie in Art. 6 Abs. 2 des Vertrags über die Europäische Union definiert und insbesondere in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind (Art. 3). Ihr Aufgabenbereich umfasst konkret die Erhebung von Informationen und Daten, die Durchführung von Forschungsarbeiten und Studien, die Ausarbeitung von Schlussfolgerungen und Gutachten für die Kommission und die Mitgliedstaaten, die Unterstützung des Rates im Verfahren nach Art. 7 EU sowie die Förderung der Zusammenarbeit mit NGOs, Sozialpartnern, Fachzentren und anderen Einrichtungen (Art. 4). Sie hat jedoch keine Kompetenz zur Überprüfung der Menschenrechtssituation in den einzelnen Mitgliedstaaten. Direktor: Beate Winkler (interim) Sitz: Wien, Österreich (gr) §§: Art. 6 Abs. 2 und 7 EU; Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Errichtung einer Agentur der Europäischen Union für Grundrechte KOM(2005) 280 endg. Lit.: P. Alston/O. de Schutter, Monitoring Fundamental Rights in the EU, 2005 Web: http://www.fra.europa.eu/
Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) European Network and Information Security Agency (ENISA) – Agence européenne chargée de la sécurité des réseaux et de l’information (ENISA)
Da die Sicherheit und Verfügbarkeit von Kommunikationsnetzen und Informationssystemen für die Gesellschaft mehr und mehr an Bedeutung gewinnt (Erwägungsgrund 1der VO [EG] 460/2004), wurde, gestützt auf Art. 95 EG (s. dazu EuGH, Rs. C-217/04, EuZW 2006, 369), die Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit (ENISA) in der VO (EG) 460/2004, ABl. 2004, Nr. L 77/1 mit der Aufgabe betraut, zu einer hohen Netz- und Informationssicherheit innerhalb der Gemeinschaft zum Nutzen der Bürger, der Verbraucher, der Wirtschaft und der Organisationen des öffentlichen Sektors beizutragen, um auf diese Weise das reibungslosen Funktionieren des Binnen279
Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz markts garantieren zu können (Erwägungsgrund 15). Die Agentur unterstützt die ĺKommission und die ĺMitgliedstaaten und arbeitet auch mit der Wirtschaft zusammen, um dabei zu helfen, die Anforderungen an die Netz- und Informationssicherheit zu erfüllen (Art. 1 Abs. 2). Ihre Aufgaben umfassen die Analyse der Risiken, die sich auf die Belastbarkeit und die Verfügbarkeit elektronischer Kommunikationsnetze, ebenso wie Risikobewertung und -management; außerdem die Beratung und Unterstützung der Gemeinschaftsorgane und Mitgliedstaaten, die Förderung der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren im Bereich der Netz- und Informationssicherheit und die Förderung des Austauschs von „best practices“ in Fragen der Netz- und Informationssicherheit (Art. 3). Direktor: Andrea Pirotti Sitz: Heraklion, Griechenland (gr) §§: Art. 95 EG; VO (EG) 460/2004, ABl. 2004, Nr. L 77/1 Lit.: Rechtsprechung EuGH: Rechtmäßige Errichtung der Gemeinschaftsagentur ENISA, EuZW 2006, 369 Web: http://www.enisa.europa.eu/
Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) European Agency for Safety and Health at Work – Agence européenne pour la sécurité et la santé au travail
Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz wurde, gestützt auf Art. 308 (ex-Art. 235) EG, mit der VO (EG) 2062/94, ABl. 1994, Nr. L 216/1 eingerichtet, um Informationen im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu sammeln, zu analysieren und zu verbreiten und damit die Gefahrenprävention am Arbeitsplatz zu fördern (Art. 3 der VO [EG] 2062/94). Die Agentur wird in den Mitgliedstaaten durch ein Netzwerk an Anlaufstellen – meist die für Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz zuständigen nationalen Einrichtungen – vertreten (Art. 4), die mit der jeweiligen Regierung, den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmervertretern zusammenarbeiten. Direktor: Jukka Takala Sitz: Bilbao, Spanien (gr) §§: Art. 308 (ex-Art. 235) EG; VO (EG) 2062/94, ABl. 1994, Nr. L 216/1 geändert durch VO (EG) 1643/95, ABl. 1995, Nr. L 156/1; VO (EG) 1654/2003, ABl. 2003, Nr. L 245/38 ; und zuletzt durch VO (EG) 1112/2005, ABl. 2005, Nr. L 184/5 Lit.: D. Fischer-Appelt, Die Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, 59 f. Web: http://www.osha.europa.eu
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Europäische Aktiengesellschaft ĺSocietas Europaea (SE) Europäische Arzneimittelagentur (EMEA) European Medicines Agency (EMEA) – Agence européenne pour l’évaluation des médicaments (EMEA)
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMEA) wurde durch die VO (EWG) 2309/93 errichtet. Ihre heutigen Aufgaben und Zuständigkeiten sowie ihre Organisation und ihr Verfahren sind in Art. 55 bis 80 der ĺArzneimittelzulassungsverordnung 726/2004/EG (ABl. 2004, Nr. L 136/1) im Einzelnen geregelt. 1. Aufgabe der EMEA: Der EMEA kommt in erster Linie die Hilfsfunktion zu, der Kommission und den Mitgliedstaaten durch wissenschaftliche Begutachtung die benötigten Informationen zur Verfügung zu stellen, die im Rahmen des Vollzugs des europäischen Arzneimittelrechts benötigt werden (vgl. Art. 55 Abs. 2). Nach Art. 57 Abs. 1 erteilt die Agentur den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft den bestmöglichen wissenschaftlichen Rat in Bezug auf alle Fragen der Beurteilung der Qualität, der Sicherheit und der Wirksamkeit von Humanarzneimitteln oder Tierarzneimitteln, die gem. den Bestimmungen der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Arzneimittel an sie herangetragen werden. Im Übrigen kommt der EMEA auch eine Koordinierungsfunktion im Bereich des europäischen Arzneimittelrechts zu. Insbesondere stellt die Agentur nach Art. 59 Abs. 1 die frühzeitige Ermittlung potenzieller Konfliktquellen zwischen ihren wissenschaftlichen Gutachten und denen anderer durch das Gemeinschaftsrecht eingesetzter Stellen mit vergleichbaren Aufgaben in Fragen von gemeinsamem Interesse sicher. Nach Art. 60 wird die Agentur als Hilfsorgan der Kommission auf deren Verlangen tätig und sammelt in Bezug auf genehmigte Arzneimittel alle verfügbaren Informationen über die von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten verwendeten Methoden zur Bestimmung des zusätzlichen therapeutischen Nutzens neuer Arzneimittel. 2. Organisation der EMEA: Die EMEA hat ihren Sitz in London und verfügt nach Art. 71 Abs. 1 Satz 1 über eigene Rechtspersönlichkeit. Gem. Art. 56 umfasst die Agentur folgende Organe: ƒ den Ausschuss für Humanarzneimittel, der die Gutachten der Agentur zu Fragen der Be-
Europäische Audiovisuelle Informationsstelle urteilung von Humanarzneimitteln ausarbeitet (ĺCHMP); ƒ den Ausschuss für Tierarzneimittel, der die Gutachten der Agentur zu Fragen der Beurteilung von Tierarzneimitteln ausarbeitet (ĺCVMP); ƒ den Ausschuss für Arzneimittel für seltene Leiden; ƒ den Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel; ƒ ein Sekretariat, das die Ausschüsse in technischer, wissenschaftlicher und administrativer Hinsicht unterstützt und ihre Arbeit angemessen koordiniert; ƒ einen Verwaltungsdirektor; ƒ einen Verwaltungsrat. Die nähere Zusammensetzung der Ausschüsse, die anteilig durch die Mitgliedstaaten besetzt werden, enthalten die Art. 61 ff. Der auf jeweils fünf Jahre gewählte Verwaltungsdirektor ist nach Art. 64 Abs. 2 der gesetzliche Vertreter der Agentur und insbesondere zuständig für die laufende Verwaltung der Agentur, die Verwaltung aller Ressourcen der Agentur (vgl. Art. 68), alle Personalangelegenheiten sowie die Wahrnehmung der Sekretariatsgeschäfte für den Verwaltungsrat. Der Verwaltungsrat (Art. 65 ff.) besteht aus einem Vertreter jedes Mitgliedstaats, zwei Vertretern der Kommission, zwei Vertretern des Europäischen Parlaments sowie sonstigen Vertretern der Patienten- und Standesorganisationen (Art. 65 Abs. 1). Der Verwaltungsrat hat nach Art. 66 vor allem Aufgaben der Rechtsetzung und der Verwaltungskontrolle wahrzunehmen. 3. Finanzierung: Nach Art. 67 Abs. 1 verfügt die Agentur über einen eigenen Haushaltspan, in dem die Einnahmen und Ausgaben für jedes Haushaltsjahr ausgewiesen werden. Der Haushalt ist nach Art. 67 Abs. 2 auszugleichen. Die Einnahmen der Agentur setzen sich gem. Art. 67 Abs. 3 aus dem Beitrag der Gemeinschaft und den Gebühren zusammen, die von Unternehmen für die Erteilung und die Aufrechterhaltung von Gemeinschaftsgenehmigungen für das Inverkehrbringen und für andere Leistungen der Agentur bezahlt werden (vgl. Art. 70). Nähere Einzelheiten über die Haushaltsaufstellung sind in Art. 67 Abs. 4 bis 12 geregelt. Direktor: Thomas Lönngren Sitz: London, U.K. (gär) §§: Art. 308 (ex-Art. 235) EG; VO (EG) 2309/93 (ABl. 1993, Nr. L 214/1); Art. 55 ff. VO (EG) 726/2004 (ABl. 2004, Nr. L 136/1)
Lit.: O. Blattner, Europäisches Produktzulassungsverfahren, 2003, 78 ff.; R. Streinz, Lebensmittel- und Arzneimittelrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, § 24, Rn. 98 ff.; B. Winter, Die Verwirklichung des Binnenmarktes für Arzneimittel, 2004 Web: http://www.emea.europa.eu/
Europäische Asylpolitik European Asylum Policy – Politique d’asile européenne
Kernpunkt der Europäischen Asylpolitik ist die Schaffung des ĺGemeinsamen Europäischen Asylsystems, das gem. dem ĺHaager Programm bis zum Jahr 2010 die Einführung eines einheitlichen Asylverfahrens (ĺAsylverfahrensrichtlinie) sowie eines einheitlichen Status für Menschen, denen Asyl oder ĺsubsidiärer Schutz gewährt wird, vorsieht. Nach dem Inkrafttreten des ĺVertrags von Amsterdam legten die Mitgliedstaaten im Dezember 1998 im Wiener Aktionsplan die Modalitäten zur Nutzbarmachung der neu geschaffenen Art. 61 ff. EG fest. Am Sondergipfel des Rates in Tampere am 15. und 16.10.1999 einigten sich die Mitgliedstaaten sodann auf einen Fünfjahreszeitraum der Integrationsbemühungen in den Bereichen Justiz und Inneres, der auf dem Gipfel von Brüssel im Juni 2004 einer Bewertung unterzogen wurde. Im ĺHaager Programm wurde die Europäische Asylpolitik durch eine zweite Fünfjahresphase dynamisiert, die mit der Entwicklung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vollendet werden soll. Die Europäische Asylpolitik basiert auf den Standards der von allen Mitgliedstaaten ratifizierten ĺGenfer Flüchtlingskonvention von 1951 inklusive den Erweiterungen durch das New Yorker ĺProtokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge aus 1967. (gt) (jw) Lit.: K. Hailbronner, Immigration and Asylum Law and Policy of the European Union, 2000, 353-372; D. Kugelmann, Einwanderungs- und Asylrecht, Rn. 150153, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1827 Web: http://ec.europa.eu/justice_home/fsj/asylum/fsj _asylum_intro_de.htm
Europäische Atomgemeinschaft, Vertrag zur Gründung der ĺEuratom-Vertrag (EAGV) Europäische Audiovisuelle Informationsstelle European audiovisual observatory – Observatoire européen de l’audiovisuel
Die im Dezember 1992 gegründete Europäische Audiovisuelle Informationsstelle beschäf281
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) tigt sich mit der Erfassung und Verbreitung von Informationen über die europäische Audiovisionsindustrie. Sie ist eine europäische Einrichtung des öffentlichen Rechts und umfasst 36 Mitgliedstaaten sowie der Europäischen Gemeinschaft. Die Informationsstelle ist im Zuge des „Audiovisuellen Eureka“ entstanden und wurde im Rahmen des Europarates etabliert. Sie arbeitet mit Partnereinrichtungen, einschlägigen Berufsorganisation sowie einem Netz von Korrespondenten zusammen. (dd) Web: http://www.obs.coe.int/about/oea/org/index. html.de
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) European Food Saftey Authority (EFSA) – Autorité européenne de sécurité des aliments (AESA)
Die durch die ĺBasisverordnung geschaffene Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit mit Sitz in Parma/Italien ist nach Art. 22, 23 der VO (EG) 178/2002 insbesondere für die wissenschaftliche Beratung der Kommission sowie weiterer EU-Organe und der nationalen Behörden in Belangen der Lebensmittelsicherheit zuständig. Sie gliedert sich organisatorisch in einen Verwaltungsrat, den geschäftsführenden Direktor, einen Beirat, einen wissenschaftlichen Ausschuss einschließlich wissenschaftlicher Gremien. Die EFSA ist nach Art. 40 der VO (EG) 178/2002 zur Übermittlung von Informationen zuständig und arbeitet im Rahmen des Schnellwarnsystems sowie im Rahmen des Krisenmanagements (vgl. Art. 55 der VO [EG] 178/2002) mit der Kommission und den nationalen Behörden zusammen (Art. 50 der VO [EG] 178/2002). Sie hat allerdings keine Entscheidungsbefugnisse und kann kein Verbot für nicht sichere Lebensmittel aussprechen. Da die EFSA keine Verwaltungsmaßnahmen gegenüber dem Bürger im Außenverhältnis erlässt, ist sie keine Behörde i.S.d. deutschen Verwaltungsrechts, sondern eine ĺGemeinschaftsagentur der EG mit eigener Rechtspersönlichkeit. (mkr) §§: Art. 37, 95, 133 und 152 Abs. 4 lit. b EG; VO (EG) 178/2002 Lit.: L Fuchs, Lebensmittelsicherheit in der Mehrebenenverwaltung der Europäischen Gemeinschaft, 2004; W. Schroeder/M. Kraus, Europäisches und Österreichisches Lebensmittelrecht, 2006; R. Streinz, Lebens- und Arzneimittelrecht, in: R. Schulze/M. Zulegg (Hrsg.), Handbuch Europäische Rechtspraxis, 2006 Web: http://www.efsa.eu.int
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Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA) – Observatoire européen des drogues et des toxicomanies (OEDT)
Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht wurde durch die auf Arrondierungskompetenz des Art. 235 EG a.F. (= Art. 308 EG) gestützte VO (EWG) 302/93 vom 8.2.1993 zur Schaffung einer Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (ABl. 1993, Nr. L 36/1; zuletzt geändert durch VO [EG] 2220/2000 vom 28.9.2000 [ABl. 2000, Nr. L 253/1]) errichtet, ist rechtsfähig (Art. 7) und verfügt über einen eigenen Haushalt (Art. 11). 1. Aufgabe der Beobachtungsstelle: Aufgabe der Beobachtungsstelle ist nach Art. 1, der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten objektive, zuverlässige und auf europäischer Ebene vergleichbare Informationen über die Drogen- und Drogensuchtproblematik und ihre Folgen zu liefern. Die aufbereiteten oder produzierten Informationen statistischer, dokumentarischer und technischer Art sollen dazu beitragen, der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten bei der Festlegung von Maßnahmen und Aktionen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen eine Gesamtschau der Drogen- und Drogensuchtproblematik zu vermitteln. Um diese Ziele zu erreichen, nimmt die Beobachtungsstelle in ihren Tätigkeitsbereichen folgende Aufgaben wahr: ƒ Sammlung und Analyse der vorhandenen Daten; ƒ Methodische Verbesserung des Datenvergleichs; ƒ Verbreitung der Daten; ƒ Zusammenarbeit mit europäischen und internationalen Einrichtungen und Organisationen sowie mit Drittländern. Die Beobachtungsstelle verfügt nach Art. 5 über ein computergestütztes Netz, das die Infrastruktur für das Sammeln und den Austausch von Information und Dokumentation bildet, das „Europäische Informationsnetz für Drogen und Drogensucht“ (REITOX); dieses Netz stützt sich unter anderem auf ein eigenes EDV-System, das die einzelstaatlichen Drogeninformationsnetze, die in den Mitgliedstaaten bestehenden Fachzentren und die Informationssysteme der internationalen oder europäischen Organisationen und Einrichtungen, die mit der Beobach-
Europäische Beweisaufnahmeverordnung (EuBewVO) tungsstelle zusammenarbeiten, miteinander verbindet. 2. Organisation der Beobachtungsstelle: Die Leitungsgremien sind ein Verwaltungsrat (Art. 8) und ein Direktor (Art. 9), der nach Art. 10 von einem wissenschaftlichen Ausschuss unterstützt wird. 3. Haftung und Rechtsschutz: Die Beobachtungsstelle haftet außervertraglich für verursachte Schäden nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Mitgliedstaaten (Art. 16 Abs. 2). Für Klagen gegen die Beobachtungsstelle ist nach Maßgabe des Art. 230 EG der EuGH zuständig (Art. 17). Direktor: Wolfgang Götz Sitz: Lissabon, Portugal (gär) §§: Art. 308 (ex-Art. 235) EG; VO (EG) 302/93, ABl. 1993, Nr. L 36/1, geändert durch VO (EG) 3284/94, ABl. 1994, Nr. L 341/7; VO (EG) 2220/2000, ABl. 2000, Nr. L 253/1 Web: http://www.emcdda.europa.eu/
Europäische Beweisanordnung, Rahmenbeschlussentwurf über eine Proposal for a Framework Decision on the European Evidence Warrant – Proposition de décision-cadre relative au mandat européen d’obtention de preuves tendant
Die von der ĺKommission im Entwurf eines ĺRahmenbeschlusses vorgeschlagene Europäische Beweisanordnung (EBA) soll den Strafverfolgungsbörden eines Mitgliedstaates zukünftig die Erlangung von in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Beweismitteln erleichtert ermöglichen. Die Europäische Beweisanordnung soll auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der) beruhen. Die EBA soll in Bezug auf Strafverfahren – und unter bestimmten – auch Verwaltungssanktionsverfahren sowohl gegen natürliche als auch gegen juristische Personen ergehen können. Die von einem Richter, Ermittlungsrichter oder Staatsanwalt eines Mitgliedstaates als Anordnungsbehörde erlassene Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Daten oder Schriftstücken aller Art soll unmittelbar der zuständige Vollstreckungsbehörde des anderen Mitgliedstaates übermittelt werden. Diese soll die EBA ohne weitere Formalitäten anerkennen, in derselben Weise wie eine entsprechende innerstaatliche Anordnung vollstrecken und die erlangten Beweismittel dem Anordnungsstaat übermitteln. Der Anerkennung stehen nur aus-
nahmsweise Versagungsgründe, insbesondere das Verbot des ne bis in idem (ĺDoppelbestrafungsverbot, europäisches) entgegen. Unterfällt die inkriminierte Handlung einem ĺListendelikt, so kann der EBA nicht das Fehlen der beiderseitigen Strafbarkeit entgegengehalten werden. Die EBA soll in ihrem Anwendungsbereich den bislang nur in Teilbereichen auf Basis des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung organisierten (ĺEinziehungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von; ĺSicherungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Vermögensgegenstände oder Beweismittel betreffenden), im übrigen jedoch im Rahmen der klassischen ĺRechtshilfe geregelten innerunionalen Beweisanordnungs- und Beweismitteltransfer erleichtern. (sts) §§: KOM(2003) 688 endg. Lit.: H. Ahlbrecht, Der Entwurf einer Europäischen Beweisanordnung – kein „großer Wurf “, NStZ 2006, 70; S. Gleß, Kommentar zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über eine „Europäische Beweisanordnung“, StV 2004, 679; N. Kotzurek, Gegenseitige Anerkennung und Schutzgarantien bei der Europäischen Beweisanordnung, ZIS 3/2006, 123; J. A. E. Vervaele (ed.), European Evidence Warrant, 2005
Europäische (EuBewVO)
Beweisaufnahmeverordnung
regulation on cooperation in the taking of evidende – règlement relatif à la cooperation dans le domaine de l’obtention des preuves
In Umsetzung des Programms von ĺTampere wurde die VO (EG) 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der MS auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (EuBewVO) als eine Maßnahme der ĺjustiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen auf der Grundlage des Art. 61 lit. c i.V.m. Art. 65 EG erlassen. Ziel der VO ist es, einen rechtlichen Rahmen für die Kooperation der Gerichte für den Fall zu schaffen, dass im Rahmen eines Zivilprozesses eine Beweisaufnahme in einem anderen MS erforderlich ist. Das nationale materielle Beweisrecht bleibt dagegen inhaltlich nahezu unberührt. Der wesentliche Fortschritt der EuBewVO gegenüber internationalen Übereinkommen auf dem selben Gebiet liegt darin, die Beweisaufnahme nicht mehr primär als Eingriff in die Souveränität des Belegenheitsstaates anzusehen, sondern das Recht der Parteien auf Beweis in den Vordergrund zu stellen. Anwendungsbereich: Die VO ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, wenn das Gericht 283
Europäische Charta für Forscher eines MS das zuständige Gericht eines anderen MS um Beweisaufnahme ersucht oder darum ersucht, selbst in einem anderen MS unmittelbar Beweis erheben zu dürfen. Weitere Voraussetzung ist, dass die Beweisaufnahme einem bereits eingeleiteten oder zu eröffnenden Verfahren dient. Ausforschungsbeweise, insb. in Form einer pre-trial discovery oder fishing expeditions sollen dadurch ausgeschlossen werden. Der Begriff der Zivil- und Handelssache ist der EuGVVO entlehnt, ist aber durch den Verzicht auf die Bereichausnahmen des Art. 1 Abs. 2 EuGVVO umfassender, die EuBewVO daher auch bspw. in Ehesachen, Sorgerechtssachen und Insolvenzverfahren anzuwenden. Die EuBewVO ist am 1.7.2001 in Kraft getreten und auf Rechtshilfeersuchen anwendbar, die nach dem 1.1.2004 gestellt wurden. Der territoriale Anwendungsbereich erstreckt sich auf alle MS mit Ausnahme Dänemarks, das aber zukünftig durch Abschluss eines Parallelübereinkommens einbezogen werden soll. Es handelt sich um eine Maßnahme der Mindestharmonisierung, weitergehende (bilaterale) Übereinkommen sind daher zulässig. Gegenüber dem Haager Beweisübereinkommen beansprucht die EuBewVO dagegen im Rahmen ihres Anwendungsbereichs Vorrang. Arten der Beweishilfe: Die EuBewVO sieht grundsätzlich zweit verschiedene Möglichkeiten für die Zusammenarbeit zwischen Gerichten verschiedener MS bei der Beweisaufnahme vor: ein Ersuchen um aktive Rechtshilfe durch das ausländische Gericht oder ein Ersuchen um Genehmigung der unmittelbaren Beweisaufnahme durch das Prozessgericht im Ausland (passive Rechtshilfe). Im Falle der passiven Rechtshilfe dürfen keine Zwangsmaßnahmen erfolgen, die Mitwirkung erfolgt daher auf freiwilliger Basis. Möglich ist eine Kombination dieser beiden Mechanismen, indem die Rechtshilfe vom ausländischen Gericht geleistet wird, das Prozessgericht aber – zur Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes – an der Beweisaufnahme teilnimmt (sog. dialogische Beweisaufnahme). Das Ersuchen ist in der Amtssprache des MS des ersuchten Gerichts oder in einer anderen Sprache abzufassen, die der ersuchte MS zugelassen hat. Die Gerichte sind verpflichtet, Ersuchen auf dem schnellsten Wege, d.h. i.d.R. innerhalb von 90 Tagen, zu erledigen. Wenn das ersuchte Gericht nicht in der Lage ist, das Ersuchen innerhalb von 90 Tagen nach Eingang zu erledigen, ist das ersuchende Gericht unter Angabe der Gründe davon in Kenntnis zu setzen. 284
Anwendbares Verfahrensrecht: Jedes Gericht wird nach seiner lex fori tätig, nimmt dabei aber gegebenenfalls auf das Prozessrecht des anderen beteiligten Gerichts Rücksicht. Eine Sonderregelung besteht hinsichtlich der Zeugnisverweigerungsrechts durch den Grundsatz der Meistbegünstigung: Ein Zeuge kann sich darauf berufen, wenn ein entsprechendes Verweigerungsrecht entweder im Recht des ersuchten oder des ersuchenden Staates besteht. Vertreter des ersuchenden Gerichts und die Parteien können bei der Beweisaufnahme im Ausland anwesend sein, wenn das ersuchte Gericht die beantragte gerichtliche Handlung vornimmt. Alternativ kann eine Beteiligung der Parteien und/oder des Prozessgerichts auch ohne Ortswechsel mit Hilfe moderner Kommunikationstechnologien erfolgen (bspw. Telefonund Videokonferenzen). Die Möglichkeit, ein Ersuchen um Beweisaufnahme abzulehnen, wird auf genau bezeichnete Ausnahmefälle beschränkt. Behördenverkehr: Wie auch im Rahmen der ĺEuZustVO wird die Funktion der Zentralstellen beschränkt, und für die Übermittlung von Rechtshilfeersuchen der direkte Behördenverkehr zwischen den Gerichten der MS eröffnet. In der VO werden präzise Kriterien für Form und Inhalt des Ersuchens festgelegt. Durch den direkten Behördenverkehr zwischen ersuchendem und ersuchten Gericht, verpflichtende Fristvorgaben für die Erledigung von Ersuchen und die abschließende Normierung von Gründen, aus denen ein Ersuchen abgelehnt werden darf, bringt die EuBewVO einen substantiellen Fortschritt für den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr mit sich. Die praktische Handhabung wird durch die Standardisierung von Beweisaufnahmeersuchen mittels der Formblätter im Anhang und den ĺEuropäischen Gerichtsatlas erheblich erleichtert, mit dessen Hilfe das jeweils zuständige Rechtshilfegericht, die zulässigen Sprachen und Zeugnisverweigerungsrechte ermittelt werden können. (mrm) Lit.: M. Leitzen, Die grenzüberschreitende Beweisaufnahme in Zivilsachen, Jura 2007, 201-205; W. Rechberger/M.-R. McGuire, Die Umsetzung der EuBewVO in Österreich, ZZP Int. 2005, 81-122
Europäische Charta für Forscher The European Charter for Researchers – La charte européenne du chercheur
Empfehlung der ĺKommission an die ĺMitgliedstaaten, die auch einen Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern beinhaltet.
Europäische Freihandelszone, EFTA-Länder, Abkommen Sie gilt für alle in den Mitgliedstaaten durchgeführten Forschungsmaßnahmen, inklusive der Forschung in der Privatwirtschaft, und nicht nur für die gemeinschaftlich finanzierte Forschung. Durch die Charta werden Forscher zur Einhaltung ethischer Prinzipien (ĺEthische Grenzen der Forschung) verpflichtet. Charta und Verhaltenskodex verpflichten Arbeitgeber und Förderer von Forschern zu einer transparenten und objektiven Personalpolitik sowie zur Schaffung eines forschungsfreundlichen Umfelds. (hk) §§: ABl. 2005, Nr. L 75/67 Lit.: A. Kallmayer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 163 EGV, Rn. 2 Web: http://europa.eu/eracareers/europeancharter
Europäische Eisenbahnagentur (ERA) European Railway Agency (ERA) – Agence ferroviaire européenne (ERA)
Die Europäische Eisenbahnagentur (ERA) wurde, gestützt auf Art. 71 Abs. 1 EG, durch die VO (EG) 881/2004, ABl. 2004, Nr. L 164/1 gegründet. Sie soll die Kommission und die Mitgliedstaaten dabei unterstützen, die Interoperabilität der Europäischen Eisenbahnnetze sowie deren Sicherheit zu gewährleisten und so einen gemeinschaftsweiten Eisenbahnraum zu schaffen (Art. 1 der VO [EG] 881/2004). Ein solcher wurde zwar bereits in den RL 96/48/EG über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems und 2001/ 16/EG über die Interoperabilität des konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsystems sowie in der RL 2004/49/EG über Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft angedacht, ist bis dato jedoch unverwirklicht geblieben. Die ERA gibt Empfehlungen an die Kommission und Stellungnahmen an die ĺKommission (Art. 2 lit. a) sowie die Behörden der ĺMitgliedstaaten (Art. 2 lit. b) ab. Direktor: Marcel Verslype Sitz: Valenciennes, Frankreich (gr) §§: Art. 71 Abs. 1 EG; VO (EG) 881/2004, ABl. 2004, Nr. L 164/1; RL 96/48/EG über über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems, ABl. 1996, Nr. L 262/18; RL 2001/16/EG über die Interoperabilität des konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsystems, ABl. 2001, Nr. L 110/1; RL 2004/49/EG über Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft, ABl. 2004, Nr. L 220/16 Lit.: G. Britz, Vom Europäischen Verwaltungsverbund zum Regulierungsverbund? – Europäische Verwaltungsentwicklung am Beispiel der Netzzugangsregulierung bei Telekommunikation, Energie und Bahn, EuR 2006, 46 (69 f.).
Web: http://www.era.europa.eu/
Europäische Fischereiaufsichtsbehörde (CFCA) Community Fisheries Control Agency (CFCA) – Agence communautaire de contrôle des pêches (CFCA)
Zur effektiven Überwachung, Kontrolle und Durchsetzung der Einhaltung der Vorschriften der gemeinsamen Fischereipolitik (Erwägungsgrund 1 der VO [EG] 768/2005) und zur Bekämpfung des illegalen, nicht gemeldeten und ungeregelten Fischfangs (Erwägungsgrund 5) schien es der Kommission notwendig, mit der VO (EG) 768/2005, ABl. 2005, Nr. L 128/1, gestützt auf Art. 37 EG, eine Europäische Fischereiaufsichtsbehörde (CFCA) einzurichten. Ihre Aufgaben umfassen internationale Überwachungs- und Kontrollverpflichtungen der Gemeinschaft (Art. 4) – so kann die Agentur im Namen von Mitgliedstaaten Aufgaben im Rahmen internationaler Fischereiübereinkommen übernehmen, denen die Gemeinschaft als Vertragspartei beigetreten ist (Art. 4 Abs. 3) – aber auch die operative Koordinierung, die sich auf die Überwachung und Kontrolle der Fischereitätigkeiten der Gemeinschaft erstreckt (Art. 5) sowie die Erbringung von Dienstleistungen (Art. 6)- z.B. Chartern und Betrieb von Kontrollschiffen – an und Unterstützung (Art. 7) – z.B. in der Ausbildung von Fischereiinspektoren – von Mitgliedstaaten. Direktor: Harm Koster Sitz: Vigo, Spanien (gr) §§: Art. 37 EG; VO (EG) 768/2005, ABl. 2005, Nr. L 128/1 Web: http://www.cfca.europa.eu/
Europäische Freihandelszone, EFTA-Länder, Abkommen European Free Trade Association countries, Agreements – AELE, Association européenne de libre-échange, Accords
Die Schweiz ist mit einer Reihe bilateraler Abkommen mit der EU verbunden, die u.a. die Personenfreizügigkeit herstellen (ABl. 2002, Nr. L 114/6), die Schweiz in den Schengenraum integrieren (Beschluss des Gemischten Ausschusses 1/2004, ABl. 2004, Nr. C 308/2) und zur Partei des Abkommens von Dublin machen. Ferner schlossen die Vertragsparteien Abkommen betreffend Steuern, Betrugsbekämpfung, landwirtschaftlicher Verarbeitungsprodukte, Umwelt, Statistik, Medien. Der ĺEWR-Beitritt der Schweiz scheiterte an einem negativen Referendum 1992. Im Anschluss wurden Verhandlungen zu sektoriellen Abkommen (öffent285
Europäische Gegenseitigkeitsgesellschaft (EGG) liche Vergabe, Verkehr, Konformitätsbewertung, Teilnahme der Schweiz am EU-Forschungsprogramm) aufgenommen. Die Vertragsbeziehungen Norwegens mit der EU werden maßgeblich durch das ĺEWR Abkommen (ABl. 1994, Nr. L 1/3, in Kraft seit 1.1. 1994) gestaltet, das im Grunde die Binnenmarktbestimmungen – ausgenommen von Landwirtschafts- und Fischereiregelungen – sowie Wettbewerbsregeln auf Norwegen ausdehnt. Ergänzt werden diese durch horizontale Reglungen über Soziales, Verbraucherschutz, Umwelt, Handel und Statistik. Es handelt sich nicht um eine Zollunion mit gemeinsamem Zolltarif, auch Verbrauchssteuern werden bei der Einfuhr erhoben. Unter Verzicht auf Stimmrechte nimmt Norwegen ferner an diversen Umweltund Forschungsprogrammen der EU teil. Ferner trat Norwegen dem Schengenraum und Dubliner Abkommen bei und schloss Kooperationsabkommen mit Europol, Eurojust. Vertragsparteien des EWR-Abkommens sind ferner Island und Liechtenstein. Im ĺEWR gilt die völkerrechtliche Verpflichtung für die EWRStaaten, das EWR-Recht nach den Interpretationsvorgaben des EuGH zum Gemeinschaftsrecht auszulegen. (bb) §§: EWR-Abkommen, ABl. 1994, Nr. L 1/3 Lit.: T. Blanchet, The agreement on the European Economic Area (EEA), 1994 Web: http://ec.europa.eu/comm/external_relations/ switzerland/intro/index.htm; http://ec.europa.eu/comm/ external_relations/eea/index.htm
Europäische Gegenseitigkeitsgesellschaft (EGG) European Mutual Society – mutualité européenne
Vorschlag der ĺKommission einer gesellschaftsrechtlichen ĺVerordnung über das Statut für eine EGG. Sie soll als Rechtsform konzipiert sein, deren Zweck in der sozialen Fürsorge, der Hilfe im Gesundheitsbereich, der Kreditgewährung oder der Versicherung besteht, jedoch auf das Mitgliedergeschäft beschränkt und nur mitgliedstaatlichen Personenvereinigungen, die nach dem Prinzip des gegenseitigen Beistands der Mitglieder organisiert sind, zugänglich ist. Wahlweise soll die EGG nach dem ĺmonistischen oder ĺdualistischen System organisiert werden können. Der Vorschlag sieht eine bloße Rahmenverordnung vor und verweist für alle nicht geregelten Bereiche auf das Recht des Verwaltungssitzstaates (s. auch ĺNormenhierarchie); nationale Ausführungsgesetze wären somit (wie auch bei der ĺSocietas Europaea [SE], der ĺEuropäischen 286
Wirtschaftlichen Interessenvereinigung und der ĺSocietas Cooperativa Europaea [SCE]) erforderlich. Für die Arbeitnehmermitbestimmung wird eine entsprechende Ergänzungsrichtlinie vorgeschlagen. Der ĺAktionsplan der Kommission zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der EU setzte die EGG wieder auf die Agenda der Legislativmaßnahmen, nachdem das Projekt seit den frühen 90er Jahren auf Eis gelegen war. (tr) §§: Vorschläge der Kommission KOM(91) 273/5 und 6 endg. ABl. 21.4.1992, Nr. C 99; geändert durch KOM(93) 252 endg. ABl. 31.8.1993, Nr. C 236 Lit.: H. Wünsch, Zur Europäischen Gegenseitigkeitsgesellschaft, ecolex 1995, 180
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) European Coal and Steel Community (ECSC) – Communauté Européenne du Charbon et de l’Acier (CECA)
Durch den ĺPariser Vertrag am 23.7.1952 in Kraft gesetzt. Bestand bis zum vereinbarten Ablauf nach fünfzig Jahren am 23.7.2002. Wurde auch ĺMontanunion genannt. EGKS war eine supranationale Organisation. Im Bereich Kohle und Stahl verzichteten die Mitgliedstaaten auf ĺSouveränitätsrechte, da diese Produktionen der staatlichen Kontrolle entzogen waren und in einen Gemeinsamen Markt übergeführt wurden. Ziel war die Ausweitung der Wirtschaft, Sicherstellung der Versorgung, Kontrolle der Preisgestaltung durch Festsetzung von Höchst- und Mindestpreisen zur Gestaltung eines Gemeinsamen Marktes. Es bestanden Verbote hinsichtlich mengenmäßiger Beschränkungen, wettbewerbsverzerrender Maßnahmen durch Subvention der Mitgliedstaaten. Der auf dem Energiesektor stattfindende Strukturwandel führte dazu, dass die Montanindustrie an gesamtwirtschaftlicher Bedeutung verlor. Die Finanzmittel des EGKS-Vertrages wurden auf Grund einer „Entschließung über Wachstum und Beschäftigung“ des ĺEuropäischen Rates vom 16.6.1997 in einen Forschungsfonds übertragen. Der EGKS sah folgende selbstständige Organe vor: ĺBesonderer Ministerrat, ĺHohe Behörde, ĺGemeinsame Versammlung, ĺGerichtshof. Durch das ĺAbkommen über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften sowie den Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften (ĺFusionsvertrag) erfolgte eine Fusionie-
Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO) rung der jeweils funktionell zusammengehörigen Organe. Durch den ĺVertrag von Amsterdam erfolgte eine Umbenennung der Organe (ĺKommission, ĺEP, ĺRat). Lief am 23.7.2002 aus. (gm) Lit.: H. von der Groeben, Aufbaujahre der Europäischen Gemeinschaft, 1982; K. Schwabe (Hrsg.), Die Anfänge des Schuman Plans 1950/51 – The Beginnings of the Schumann Plan, 1988; B. Ubertazzi, The End of the ECSC, EIoP 2004/20, Vol. 8, No 20 Web: http://europa.eu/scadplus/treaties/ecsc_en.htm
Europäische Genossenschaft ĺSocietas Cooperativa Europaea (SCE) Europäische Gerichtsbarkeit ĺEuGH bzw. ĺEuG Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO) regulation concerning jurisdiction and enforcement in civil and commercial matters (Brussel-I-Regulation) – reglèment concernant la compétence, reconnaissance et exécution des décisions en matière civile et commerciale (Bruxelles I)
Die VO (EG) 44/2001 des Rates vom 22.12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ersetzt das Brüsseler Übereinkommen 1968 (ĺEuGVÜ). Mit ihrer Hilfe lassen sich die beiden Schlüsselfragen nach der internationalen Zuständigkeit in grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten sowie nach den Voraussetzungen für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus anderen MS lösen. Die EuGVVO dient zugleich der Vermeidung von Parallelverfahren und widersprechenden Entscheidungen sowie der zügigen Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, öffentlichen Urkunden und Prozessvergleichen. Ziel ist die Verwirklichung der Urteilsfreizügigkeit, die ihrem Ausdruck im Grundsatz der gegenseitigen ĺAnerkennung findet: Jede Entscheidung, die in einem MS ergeht, wird automatisch in vollem Umfang und ohne gesondertes Verfahren in allen anderen MS anerkannt. Ausnahmen sind nur insoweit vorgesehen als eines der abschließend aufgezählten ĺAnerkennungshindernisse vorliegt. Anwendungsbereich: Die EuGVVO ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden. Nicht erfasst sind nach Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten, außerdem nach Abs. 2 alle Streitig-
keiten die den Personenstand, das Ehegüterrecht, Erbrecht, Insolvenzverfahren oder Schiedsverfahren betreffen. Diese ausgeschlossenen Materien werden jedoch zum Teil durch andere Gemeinschaftsrechtsakte abgedeckt (ĺEheGVVO, ĺEuInsVO) bzw. sind entsprechende Rechtsakte in Vorbereitung (bspw. Ehegüterrecht und Erbrecht). Weitere ungeschriebene Anwendungsvoraussetzung ist, dass der Sachverhalt ein grenzüberschreitendes Element aufweist, wobei dieser Bezug nicht notwendig zu einem anderen MS bestehen muss, sondern nach der Rsp. des EuGH (1.3.2005, Rs. C-281/03 Owuso/Jackson u.a.) auch ein Drittstaatenbezug ausreicht. Der räumliche Anwendungsbereich ist auf die MS der EG mit Ausnahme Dänemarks beschränkt. Dänemark wird auf Grund eines Vorbehalts zu Titel IV des Vertrags von Amsterdam durch Rechtsakte auf dem Gebiet der ĺjustiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen nicht gebunden. Um die Urteilsfreizügigkeit auch im Verhältnis zu Dänemark abzusichern hat die EG mit Dänemark ein bilaterales Abkommen geschlossen, dessen Inhalt der EuGVVO nahezu wörtlich entspricht, sodass dieselben Grundprinzipien für alle Binnenmarktstreitigkeiten zur Anwendung kommen. Vergleichbare Regelungen gelten nach dem ĺLGVÜ auch im Verhältnis zu weiteren europäischen Nachbarstaaten. Internationale Zuständigkeit: Die EuGVVO normiert die ĺinternationale Zuständigkeit für grenzüberschreitende Streitigkeiten in Zivilund Handelssachen abschließend und beansprucht Vorrang vor den Gerichtsständen der nationalen Prozessordnungen. Die Grundregel für die internationale Zuständigkeit sieht die Zuständigkeit am Wohnsitz des Beklagten ohne Rücksicht auf seine Staatsangehörigkeit vor. Klagen außerhalb des allgemeinen Gerichtsstands sind nur in den in der VO abschließend aufgezählten Gerichtsständen zulässig, die eine besondere, einen halbzwingende oder eine ausschließliche Zuständigkeit begründen. Besondere Gerichtsstände gewähren einen alternativen Gerichtsstand neben dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten und sind bspw. für vertragliche Streitigkeiten (Gerichtsstand des ĺErfüllungsortes), unerlaubte und diesen gleichgestellte Handlungen (ĺDeliktsgerichtsstand), Unterhaltssachen sowie für Klagen gegen mehrere Beklagte vorgesehen. Halbzwingende Gerichtsstände dienen dem Schutz eines strukturell unterlegenen Vertragspartners: dem Versicherungsnehmer, Verbraucher und Arbeit287
Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung in Ehesachen nehmer. Sie werden einerseits durch die Möglichkeit an ihrem eigenen Wohnsitz Klage zu erheben privilegiert, anderseits durch die halbzwingende Ausgestaltung, die ein Abweichen durch eine ĺGerichtsstandsvereinbarung zu ihren Lasten verbietet. Ausschließliche Zuständigkeiten (Zwangsgerichtsstände) sind für Klagen im Hinblick auf dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen, Rechte, die in öffentlichen Registern verzeichnet werden, sowie für Klagen im Zusammenhang mit Vollstreckungsverfahren vorgesehen. Eine ausschließliche Zuständigkeit kann zudem durch eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 EuGVVO begründet werden. Ausschließliche Zuständigkeiten gehen allen anderen Gerichtsständen vor, im Übrigen steht zwischen mehreren Gerichtsständen dem Kläger ein Wahlrecht zu. Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren: Der Verfahrenskoordination zwischen der Tätigkeit der Justizorgane verschiedener MS dienen die Vorschriften über ĺRechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren sowie über den einstweiligen Rechtsschutz (Art. 27 ff.). Die Rechtshängigkeitsregel verhindert – dem innerstaatlichen Recht vergleichbar – Parallelverfahren über denselben Streitgegenstand. Die Vorschrift über im Zusammenhang stehende Verfahren erlaubt, eine Streitigkeit wegen Präjudizialität auszusetzen oder eine Verfahrenskonsolidierung vor dem zuerst angerufenen Gericht. Hinsichtlich einstweiliger Maßnahmen ist klargestellt, dass diese nicht nur vom Hauptsachegericht sondern auch von den Gerichten anderer MS (allerdings beschränkt auf ihr jeweiliges Hoheitsgebiet) erlassen werden können. Anerkennung und Vollstreckung: Die Entscheidungen aus anderen MS sind automatisch anzuerkennen und können in jedem MS auf Antrag vollstreckt werden. Dabei ist das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren stark formalisiert und die Hürde für die Urteilsfreizügigkeit durch eine enge Begrenzung der ĺAnerkennungshindernisse im Vergleich zu den nationalen Regelungen erheblich reduziert. Die vorgesehene Beschränkung der Rechtsbehelfe gegen eine Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsentscheidung sowie die Standardisierung der Prozesshandlungen verkürzt das Verfahren erheblich. Auslegung: Die EuGVVO ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH autonom auszulegen. Dabei sind die allgemeinen Regeln für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, insb. der 288
ĺeffet utile zu berücksichtigen. Bei der systematischen Auslegung der EuGVVO sind neben den Vorschriften der Vorläuferregelung (EuGVÜ) stets die Parallelregelung des ĺEVÜ bzw. der ĺRom-I-VO zu berücksichtigen. (mrm) Lit.: R. Geimer, Salut für die Verordnung (EG) Nr. 44/ 2001 (Brüssel-I-VO), IPRax 2002, 69-74
Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung in Ehesachen (EheGVVO) regulation concerning jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in matrimonial matters (Brussels II) – règlement relatif à la compétence, la reconnaissance et l’exécution des décisions en matière matrimoniale (Bruxelles II)
Bereits 1998 hatte die EG auf der Basis des Art. 220 EG ein Übereinkommen über die internationale Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung in Ehesachen sowie für damit verbundene Entscheidungen über das Umgangsrecht zur Unterzeichnung aufgelegt. Dieses ist mangels Ratifikation durch die MS nicht in Kraft getreten, wurde aber auf Grund der neuen Kompetenzgrundlage des Art. 61 lit. c i.V.m. Art. 67 Abs. 1 EG (ĺjustizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen) in eine VO überführt. Diese VO (EG) 1347/2001 wurde zwischenzeitlich überarbeitet und durch die VO (EG) 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung ersetzt. Ziel der VO ist es, hinkende Ehen und abweichenden Beurteilungen über den Status von Kindern innerhalb der Gemeinschaft vorzubeugen. Außerdem zielt die VO darauf ab, Kindesentführungen zu verhindern. Ein neuer VO-Vorschlag (KOM[2006] 399 endg.) soll die EheGVVO in Zukunft um kollisionsrechtliche Vorschriften ergänzen, mit dem Ziel, einen möglichst umfassenden Gemeinschaftsrechtsrahmen für Ehesachen zu schaffen. In Struktur und Regelungstechnik ist die EheGVVO eng an das ĺBrüsseler Übereinkommen 1968 bzw. die ĺEuGVVO angelehnt und wird daher häufig als Brüssel-IIa-VO bezeichnet. Sie schafft einheitliche Regelungen über die internationale Zuständigkeit für Ehesachen und die elterliche Verantwortung, über die Verfahrenskoordination zwischen mehreren zeitgleich anhängigen Verfahren sowie über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus anderen MS. Der Fortschritt der Neufassung der Brüssel-IIa-VO gegenüber der Brüssel-II-VO besteht darin, dass sie die Zustän-
Europäische Gesellschaft digkeit für Sorgerechtsentscheidungen nicht auf Entscheidungen im Verbund mit Ehesachen beschränkt, sondern umfassend regelt. Besonderer Schwerpunkt der Regelung sind Vorschriften über die Zuständigkeit im Falle der Kindesentführung sowie über die Rückgabe eines Kindes, das ohne Zustimmung des Sorgeberechtigten in einen anderen MS verbracht wurde. Zum Schutz des Kindeswohls sind besondere Vorschriften über die ĺVerweisung von Rechtsstreitigkeiten an die Gerichte eines anderen MS vorgesehen. Anwendungsbereich: Die EheGVVO ist am 1.8.2004 in Kraft getreten und gilt ab 1.3.2005 im Verhältnis zu allen MS mit Ausnahme Dänemarks. Sie ist anwendbar in Verfahren über Statusentscheidungen über eine Ehe sowie über die elterliche Verantwortung. Die Verordnung erfasst hinsichtlich der Ehesachen nur die Statusentscheidung als solche, nicht dagegen die vermögensrechtlichen Auswirkungen einer Statusänderung. Unter elterlicher Verantwortung sind die Rechte und Pflichten betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes zu verstehen. Bzgl. der elterlichen Sorge werden somit die Zuweisung, Ausübung, Übertragung und Entziehung des Sorgerechts erfasst. Ausgeschlossen bleiben die Feststellung und Anfechtung des Eltern-Kindverhältnisses sowie der Adoption. Ausgenommen sind weiters Entscheidungen über Unterhaltspflichten, die unter die ĺEuGVVO fallen Die EheGVVO geht internationalen Übereinkommen und diversen bilateralen Abkommen vor. Internationale Zuständigkeit: Die EuEheVO enthält für Scheidungsverfahren einen abschließenden Katalog von gleichrangigen Zuständigkeitstatbeständen, die entweder auf den letzten (gemeinsamen) gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten oder die Staatsangehörigkeit abstellen. Über die elterliche Verantwortung entscheidet grundsätzlich das Gericht des MS, in dem das Kind seinen (letzten) gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ausnahmen bestehen nur insoweit, als eine bereits begründete Zuständigkeit im Falle eines rechtmäßigen Wohnsitzwechseln unter bestimmten Voraussetzungen aufrecht bleiben kann, wenn dies dem Kindeswohl nicht entgegensteht. Eine ĺGerichtsstandsvereinbarung in Ehesachen ist zur Gänze ausgeschlossen und in Kindschaftssachen nur insoweit vorgesehen, als dadurch die Zuständigkeit des Gerichts begründet wird, vor dem das Eheverfahren anhängig ist. Auch eine Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung ist ausgeschlossen.
Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren: Sind die Gerichte verschiedener MS in einem Verfahren befasst, das dieselben Parteien betrifft, so entscheidet auf Grund der Rechtshängigkeitsregel das Gericht, bei dem der Antrag auf das Statusverfahren zuerst eingereicht wurde. Identität der Anträge ist nicht erforderlich. Sofern vor dem später angerufenen Gericht ein abweichender Antrag gestellt wurde, kann ein solcher Gegenantrag nach Art. 4 dem zuerst angerufenen Gericht vorgelegt werden. Die Rechtshängigkeitssperre greift auch bei unterschiedlichen Anträgen. Der Eintritt der ĺRechtshängigkeit und eine mögliche Abgabe an ein besser geeignetes Gericht (ĺforum conveniens) sind ausdrücklich geregelt. Anerkennung und Vollstreckung: Entscheidungen in Ehesachen, die eine Statusänderung mit sich bringen, d.h. Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung, sind in allen anderen MS ipso iure anzuerkennen (ĺAnerkennung ausländischer Entscheidungen). Entscheidungen in Sorgerechtssachen sind darüber hinaus auch der Vollstreckung zugänglich. Die ĺAnerkennungshindernisse sind abschließend geregelt. Umgangsrecht: Sonderregelungen enthält die EheGVVO schließlich auch für den Fall der Kindesentführung. Im Falle einer widerrechtlichen Verbringung kann der Sorgeberechtigte bei einer zentralen Stelle die Rückgabe des Kindes beantragen. Die Zuständigkeit des ursprünglich zuständigen Gerichts wird durch eine unrechtmäßige Verbringung grundsätzlich nicht beeinträchtig, sofern nicht durch Ablauf einer Jahresfrist das Kind in einem anderen MS einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat. Die Rückgabe kann nur unter eng begrenzten Ausnahmen verweigert werden, eine die Rückgabe ablehnende Entscheidung kann dann vom Gericht des früheren Aufenthalts nachgeprüft werden, das die endgültige Entscheidung trifft. Diese Entscheidung über das Umgangsrecht, d.h. über die Rückgabe eines Kindes, sind ohne Vollstreckbarerklärung unionsweit unmittelbar vollstreckbar. Die Vollstreckung richtet sich nach nationalem Prozessrecht. (mrm) Lit.: D. Coester-Waltjen, Aktuelle Entwicklungen im Europäischen Internationalen Familienverfahrensrecht, Jura 2004, 839, 9 ff.
Europäische Gesellschaft ĺSocietas Europaea (SE) 289
Europäische Gesetzgebung Europäische Gesetzgebung ĺRechtsetzungsverfahren Europäische GNSS-Aufsichtsbehörde (GSA) European GNSS Supervisory Authority (GSA) – Autorité européenne de surveillance GNSS (GSA)
Die Aufsichtsbehörde für das Europ. GNSS (Global Navigation Satellite System) wurde, gestützt auf Art. 308 EG, durch die VO (EG) 1321/2004, ABl. 2004, Nr. L 246 errichtet. Die Behörde nimmt umfassende Aufgaben im Bereich der Satellitennavigationspolitik, die derzeit auf der Umsetzung der ĺEGNOS- und ĺGALILEOProgramme beruht, wahr. Sie überwacht Errichtung und Betrieb der europäischen Satellitennavigationsprogramme und verwaltet die für den Ausbau derselben vorgesehenen Gemeinschaftsmittel. Die Agentur ist im Fall des GALILEO-Programms als Konzessionsgeberin tätig (Art. 2 Abs. 1 lit. a) und trägt auch die Verantwortung für die Verwaltung der Vereinbarung mit dem Unternehmen, das mit dem Betrieb von EGNOS beauftragt ist (Art. 2 Abs. 1 lit. c). Sie akkreditiert außerdem die Stellen, die die Zertifizierung der einzelnen Systemkomponenten des Satellitennetzwerks vornehmen sollen (Art. 2 Abs. 1 lit. h). Sitz: vorläufig Brüssel, Belgien (gr) §§: Art. 308 EG; VO (EG) 1321/2004, ABl. 2004, Nr. L 246
Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) European insolvency regulation – règlement relatif aux procédures insolvabilité
Die VO (EG) 1346/2000 des Rates vom 29.5. 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) wurde auf der Grundlage von Art. 61 i.V.m. Art. 65 EG erlassen und zielt darauf ab, einem Insolvenzverfahren grundsätzlich Wirkung in der gesamten Gemeinschaft zu verleihen und dadurch die Beeinträchtigung von Insolvenzverfahren durch Kompetenzkonflikte ebenso zu vermeiden wie eine Manipulation durch ĺforum shopping oder Vermögensverlagerungen seitens des Schuldners. Auch soll die Gleichbehandlung aller Gläubiger mit Sitz in der Gemeinschaft sichergestellt werden und durch die höhere Berechenbarkeit Verhandlungen im Vorfeld von Insolvenzverfahren erleichtern. Damit wird eine weitere durch die Bereichsausnahmen in Art. 1 Abs. 2 ĺEuGVVO hervorgerufene Lücke geschlossen: in Anbetracht des erheblichen grenzüberschreitenden Leistungsaustausches bedarf der Binnenmarkt auch eines 290
Verfahrens um insolvente Teilnehmer aus dem Markt auszuschließen und die offenen Forderungen zu bereinigen. Anwendungsbereich: Regelungsgegenstand der EuInsVO ist die internationale Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen anderer MS (mit Ausnahme Dänemarks) über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sowie das auf Insolvenzverfahren anwendbare Recht. Sie ist am 31.5.2002 in Kraft getreten und auf alle nach diesem Stichtag eröffneten grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren anzuwenden. Ausdrücklich ausgenommen sind Versicherungs- und Kreditunternehmen, die einem Sonderregime unterstehen. Der sachliche Anwendungsbereich ist weit gefasst und erfasst neben Insolvenzverfahren i.e.S. Sanierungs- und Reorganisationsverfahren, insb. auch Verbraucherinsolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung. Internationale Zuständigkeit: Nach der Grundregel für die internationale Zuständigkeit in Art. 3 EuInsVO sind für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Gerichte des MS zuständig, in dem der Schuldner im Zeitpunkt der Antragstellung den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Dabei wird widerleglich vermutet, dass dieses Center of Main Interest (COMI) von Gesellschaften oder juristischen Personen am Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes liegt. Anwendbares Recht: Es gilt das eingeschränkte Universalitätsprinzip. Die Wirkungen des Insolvenzverfahrens insb. die Voraussetzungen für Eröffnung, Abwicklung und Beendigung einschließlich der Befugnisse des Verwalters bestimmen sich für die gesamte Gemeinschaft grundsätzlich nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung. Ausnahmen bestehen für Arbeitsverträge sowie für unbewegliche Sachen und Registerrechte, für die das nach den allgemeinen Kollisionsnormen bestimmte Recht bzw. das Recht des Belegenheitsortes maßgeblich bleibt. Anerkennung und Vollstreckung: Ist ein Hauptinsolvenzverfahren in dem MS des COMI eröffnet, ist dieser Beschluss nach Art. 16 EuInsVO in allen anderen MS anzuerkennen, mit der Folge, dass dort allenfalls ein auf den jeweiligen MS beschränktes Sekundärinsolvenzverfahren durchgeführt werden kann, um dort belegene Vermögensgegenstände zu verwerten. Dabei darf die Zuständigkeit des Erstgerichts nicht nachgeprüft werden, insoweit gilt ein strenges Prioritätsprinzip. Die in mehreren MS
Europäische Investitionsbank (EIB) betriebenen (Sekundär-)Insolvenzverfahren werden nach Maßgabe der Verordnung unter anderem im Wege einer aktiven Zusammenarbeit der Verwalter koordiniert. Hinsichtlich der Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen folgt die EuInsVO dem System der EuGVVO, nach Art. 26 kann ihr aber ein ĺordre public-Vorbehalt entgegenstehen. (mrm) Lit.: K. Wimmer, Die EU-Verordnung zur Regelung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren, NJW 2002, 2427-2431
Europäische Investitionsbank (EIB) European Investment Bank (EIB) – Banque européenne d’investissement (BEI)
I. Aufgabe Aufgabe der Europäischen Investitionsbank (EIB) ist es gem. Art. 267 EG zu einer ausgewogenen und reibungslosen Entwicklung des Gemeinsamen Marktes im Interesse der ĺEU beizutragen. Sie unterstützt die Ziele der EU (u.a. wirtschaftliche und soziale Kohäsion, Ausbau der Infrastruktur, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit etc.) durch die langfristige Finanzierung gesamtwirtschaftlich, technisch, ökologisch und finanziell tragfähiger Investitionen. Förderungswürdig sind Vorhaben zur Erschließung weniger entwickelter Gebiete; Vorhaben zur Modernisierung oder Umstellung von Unternehmen oder zur Schaffung neuer Arbeitsmöglichkeiten, die sich aus der schrittweisen Errichtung des Gemeinsamen Marktes ergeben und die wegen ihres Umfangs oder ihrer Art mit den in den einzelnen Mitgliedstaaten vorhandenen Mitteln nicht vollständig finanziert werden könnten; sowie Vorhaben von gemeinsamen Interesse für mehrere Mitgliedstaaten, die ebenfalls nicht einzelstaatlich finanziert werden könnten. Der Operative Gesamtplan (Geschäftsplan) der EIB determiniert für eine Dauer von drei Jahren die Zielsetzungen der EIB genauer. Die EIB ist bei der Erfüllung ihrer Aufgaben dem Gemeinwohl der EU verpflichtet, sie hat dabei v.a. das primär- und sekundärrechtliche Regelungswerk zur Strukturpolitik (Art. 159 EG) und zur Entwicklungszusammenarbeit (Art. 179 EG) zu beachten. Mitglieder der EIB sind ausschließlich die ĺMitgliedstaaten der EU, deren Mitgliedschaft in der EIB verpflichtend ist; eine Austrittsmöglichkeit sehen weder der ĺEG noch die Satzung der EIB vor. Die EIB ist sowohl in den Mitgliedstaaten der EU als auch in Drittstaaten tätig; ihr Sitz befindet sich in Luxemburg. Zur Ergänzung der Tätig-
keit der EIB wurde der ĺEuropäische Investitionsfonds (EIF) geschaffen; die EIB arbeitet auch mit anderen Finanzierungseinrichtungen der EU wie z.B. dem Agrar-, dem Regional- und ĺSozialfonds zusammen. II. Instrumente Das Aktivgeschäft der EIB ist auf die Gewährung von Darlehen und Bürgschaften für die oben genannten Vorhaben in allen Wirtschaftszweigen beschränkt, andere Geschäftstätigkeiten darf die EIB prinzipiell nicht aufnehmen. Die EIB vergibt Darlehen zu günstigen Konditionen an förderungswürdige Projekte: Die Darlehensvergabe ist dann zulässig, wenn der Zinsen- und Tilgungsdienst des Darlehennehmers sichergestellt ist und die Durchführung des Vorhabens zur Steigerung der volkswirtschaftlichen Produktivität und zur Verwirklichung des ĺGemeinsamen Markts beiträgt. Zu beachten ist weiters das Prinzip der Teilfinanzierung (d.h. die EIB soll nicht alle für ein Projekt benötigte Finanzmittel bereitstellen), das der Risikostreuung dient, sowie das Prinzip der Subsidiarität (d.h. die EIB soll nur dann tätig werden, wenn eine Finanzierung durch einzelne Mitgliedstaaten unmöglich ist), das die Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten stärken und Wettbewerbsverzerrung durch Finanzierungen zu günstigeren Konditionen, als der Markt böte, hintanhalten soll. Bürgschaften spielen nur eine untergeordnete Rolle. Für die Refinanzierung ihres Aktivgeschäfts verfügt die EIB einerseits über jenes Kapital, für das die Mitgliedstaaten in unterschiedlicher Höhe, gemessen an ihrem BIP zum Zeitpunkt ihres EU-Beitritts, gezeichnet haben (im Jahr 2007 waren dies mehr als 164,8 Mrd. Euro; davon müssen 5 % eingezahlt werden; Darlehen können in Höhe von 250 % des gezeichneten Kapitals vergeben werden). Von der Möglichkeit einer Kapitalbeschaffung durch Sonderdarlehen der Mitgliedstaaten an die EIB wurde bisher nicht Gebrauch gemacht. Zusätzlich zum Kapital der Anteilseigner werden die „eigenen Mittel“ der EIB, über die sie in eigenem Namen verfügen kann, durch die Begebung von Anleihen auf den Kapitalmärkten erhöht. Andererseits verwaltet die EIB treuhänderisch Mittel Dritter (wie z.B. der ĺEuropäischen Kommission), die ausschließlich den von den Treuhandgebern bestimmten Zwecken, wie z.B. Entwicklungshilfe, dienen. Die EIB verfolgt keinen Erwerbszweck, was ihr erlaubt, Darlehen zu günstigeren Konditionen 291
Europäische Kommission als privatwirtschaftliche Kreditinstitute zu vergeben. Der fehlende Erwerbszweck hindert sie jedoch nicht daran, durch ihre Geschäftstätigkeit Überschüsse zu erzielen. Diese Überschüsse sind grundsätzlich für den Reservefonds und die zusätzlichen Rücklagen der EIB zu verwenden; eine Ausschüttung an die Mitgliedstaaten als Kapitaleigner ist nicht vorgesehen (sie erfolgte erst einmal in Form einer „außerordentlichen Zahlung“). III. Struktur Die EIB besitzt eine eigene Rechtspersönlichkeit und ist kein ĺOrgan der EU, sondern lediglich eine Gemeinschaftseinrichtung (EuGH, Rs. C-15/00 Kommission/EIB, Slg. 2003, I-7281, Rn. 75). Da sie zwar eng mit der EU und deren Zielen verbunden und somit im Gemeinschaftsrahmen eingebettet ist, jedoch weitgehende Unabhängigkeit (s. Punkt IV.) genießt, spricht der ĺEuropäische Gerichtshof von der „Doppelnatur“ der EIB. Dies bedeutet wohl, dass die EIB auch als internationale Organisation, der Völkerrechtspersönlichkeit zukommt, außerhalb des Gemeinschaftsrahmens agieren kann (EuGH, Rs. 85/86 Kommission/Rat der Gouverneure, Slg. 1988, 1281, Rn. 29 f.). Die Verwaltung und Leitung der EIB ist in deren Satzung (die als Protokoll zum EG dem ĺPrimärrecht angehört) in Art. 8 ff. geregelt: Die Organe der EIB sind der Rat der Gouverneure, der Verwaltungsrat und das Direktorium. Der Rat der Gouverneure setzt sich aus den Finanzministern der Mitgliedstaaten zusammen und erlässt die allgemeinen Richtlinien für die Kreditpolitik der EIB; weiters entscheidet er über eine allfällige Erhöhung des gezeichneten Kapitals und Geschäftsaktivitäten in Drittländern. Dem Verwaltungsrat obliegt die Entscheidung über die Gewährung von Darlehen und Bürgschaften und deren Konditionen, sowie über die Begebung von Anleihen. Er besteht aus 27 ordentlichen Mitgliedern aus den Mitgliedstaaten, einem von der Kommission entsandtem ordentlichen Mitglied und kooptierten Sachverständigen ohne Stimmrecht und kontrolliert die ordnungsgemäße Verwaltung der Bank. Das Direktorium, das sich aus einem Präsidenten und acht Vizepräsidenten zusammensetzt, besorgt die laufenden Geschäfte der EIB; der Präsident vertritt die EIB nach außen. Der Prüfungsausschuss, dessen drei Mitglieder vom Rat der Gouverneure ernannt werden, überprüft jährlich die Ordnungsmäßigkeit der Geschäfte und die Bücher der EIB. 292
IV. Unabhängigkeit Die EIB genießt funktionelle und institutionelle Autonomie: Sie kann daher auf den Kapitalmärkten wie jede andere Bank in völliger Unabhängigkeit agieren; ihre Finanzierung und Geschäftstätigkeit erfolgt unabhängig vom Haushalt der EU. Die EIB wird von ihren eigenen, von der EU unabhängigen, Organen geleitet und verwaltet, die in ihrer Besetzung und ihren Entscheidungen frei sind. Jedoch unterliegt die EIB teilweise einer externen Kontrolle: Der ĺEuropäische Rechnungshof überprüft die EIB, soweit sie im Auftrag und für die Rechnung der EU tätig ist. Die Zuständigkeit des EuGH zur Kontrolle der EIB ergibt sich aus Art. 236 f. EG und umfasst Streitsachen über die Erfüllung der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der Satzung der EIB, über die Beschlüsse des Rats der Gouverneure und des Verwaltungsrats und Streitsachen zwischen der EIB und ihrem Personal. Sonstige Streitsachen fallen in die Zuständigkeit des ĺEuropäischen Gerichts erster Instanz (Schadenersatzklagen) bzw. in jene der nationalen Gerichte (Streitigkeiten aus Verträgen). Das ĺAmt gegen Betrugsbekämpfungen (OLAF) hat trotz der funktionellen und institutionellen Autonomie der EIB die Befugnis, Untersuchungen anzustellen (EuGH, Rs. C-15/00 Kommission/EIB, Slg. 2003, I-7281, Rn. 103 ff.). (jlr) §§: Art. 266 f. EG; Art. 236 f. EG; Protokoll über die Satzung der Europäischen Investitionsbank Lit.: J. Müller-Borle/B. Balke in: H. von der Groeben/ J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 266-267 EG, EIB Satzung; M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 266-267 EG; C. Ohler, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 266-267 EG Web: http://www.eib.org
Europäische Kommission ĺKommission Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR) European Commission of Human Rights (ECHR) – Commission Européenne des Droits de l’Homme (CEDH)
Inzwischen nicht mehr bestehendes, dem ĺEGMR ursprünglich vorgeschaltetes Rechtsschutzorgan im Rahmen der ĺEMRK. (ed) Europäische Kooperationen European Cooperations – Coopérations Européennes
Begriff aus Art. 151 des Einigungsvertrages der Europäischen Gemeinschaft. Die Vorschrift bestimmt, dass die EU bei europäischen Koopera-
Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) tionsprojekten lediglich den Faktor „Europäische Kooperation“ bezuschussen darf. Somit sind Grundvoraussetzungen für die Stellung von Anträgen auf Fördermittel, dass der Nachweis von Kooperationspartnern aus mindestens drei teilnahmeberechtigten Ländern und eine vorhandene Kofinanzierung erbracht werden muss. (cd) Web: http://www.culture.gouv.fr/mrt/numerisation/fr/ eeurope/introduction.htm
Europäische Kulturkontaktstelle Cultural Contact Point – Relais-Culture-Europe
Eine in jedem ĺMitgliedstaat der EU, den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums und allen weiteren teilnahmeberechtigten Ländern vom jeweiligen Staat einzurichtende und zu finanzierende Kontaktstelle, die in angemessener Weise über Fördermöglichkeiten auf europäischer Ebene für Kulturträger informiert und ggf. bei der Antragstellung auf europäische Fördermittel oder bei sonstigen damit in Zusammenhang stehenden Angelegenheiten behilflich ist. Weitere Aufgaben der CCPs bestehen in der europaweiten Koordination der Kulturförderprogramme der EU. Rechtliche Ausgestaltung und Besetzung der Cultural Contact Points ist ausschließlich Angelegenheit des jeweiligen Staats. So kann der CCP eine Abteilung eines staatlichen Ministeriums, ein privatrechtlicher Verein oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sein, aber auch einem sonst rein wirtschaftlich agierenden Betrieb übertragen werden. In Deutschland war der CCP bis zum Jahr 2003 dem Deutschen Kulturrat als Projekt übertragen und ist seit dem Jahr 2004 der Kulturpolitischen Gesellschaft untergeordnet. In Österreich ist der CCP eine Ministerialabteilung. Informationen und Hilfeleistungen der CCPs sind für die Nutzer unentgeltlich. (cd) Web: http://www.ccp-deutschland.de/ccp-euro.htm; http://www.ccp-austria.at; http://www.pcceurope.be
Europäische (EMRK)
Menschenrechtskonvention
European Convention on Human Rights (ECHR) – Convention européenne des Droits de l’Homme (CEDH)
Völkerrechtlicher Vertrag zum Schutz europäischer ĺGrundrechte im Rahmen des Europarates mit dem Rechtsschutzsystem des ĺEuropäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Die EU als solche ist nicht Mitgliedstaat, d.h. nicht unmittelbar an
die EMRK gebunden. Ein Beitritt wurde rechtspolitisch diskutiert (vgl. Gutachten des EuGH, 2/94, Slg. 1996, I-1759), erscheint aber unwahrscheinlich. Mittelbar fließt die EMRK über den Verweis auf die Tragweite und Bedeutung ihrer Rechte in Art. 6 EU, im Entwurf der ĺGRC, über die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts und auch über die ĺVerfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten (EMRK-Unterzeichnerstaaten), in das Recht der EU ein. Die EMRK in ihrer Ausprägung durch den EGMR determiniert daher wesentlich den Grundrechtsschutz in der EU; Judikaturdivergenzen sind selten. Das Verhältnis zwischen EU-Grundrechtsschutz und EMRK-Rechtsschutzsystem macht z.T. Abgrenzungsschwierigkeiten (vgl. „Grundrechtswirrwarr“, „Bermudadreieck im europ. Grundrechtsschutz“; zum Verhältnis zwischen EGMR und EuGH im Grundrechtsschutz vgl. EGMR ĺMatthews/GB; EGMR ĺBosphorus/ Irland; EuGH, Rs. C-299/95 ĺKremzow, Slg. 1997, I-2629). Inhaltliche Divergenzen zwischen EuGH und EGMR sind allerdings – auch ohne strikte Bindung der EU an die EMRK – selten (als Ausnahmefall vgl. EuGH, verb. Rs. C-46/87 und 227/88 Hoechst, Slg. 1989, 2859 und EGMR, 5.4.1990, Niemitz/D, zum Schutz des Hausrechts). (ed) §§: Art. 6 EU, Art. 52, 53 GRC/Art. II-112, 113 EVV Lit.: Im Verhältnis zu EU-Grundrechten: S. Alber/U. Widmaier, Mögliche Konfliktbereiche und Divergenzen im europäischen Grundrechtsschutz, EuGRZ 2006, 113; W. Berka, Grundrechtsschutz durch EuGH und EGMR – Konkurrenz oder Kooperation? Zum „Ja, aber-Beschluss“ des EGMR in der Rechtssache Bosphorus Airways, ÖJZ 2006,876; M. Breuer, Offene Fragen im Verhältnis von EGMR und EuGH: Der Fall Emesa Sugar, EuGRZ 2005, 229; A. Busch, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention für den Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, 2003; K. Gebauer, Parallele Grund- und Menschenrechtsschutzsysteme in Europa? Ein Vergleich der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Straßburger Gerichtshofs mit dem Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft und dem Luxemburger Gerichtshof, 2007; T. Giegerich, Luxemburg, Karlsruhe, Straßburg – Dreistufiger Grundrechtsschutz in Europa?, ZaöRV 1990, 836; K. Korinek, Impulse aus der Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs zur EMRK für den europäischen Grundrechtsschutz, in: P. J. Tettinger/K. Stern (Hrsg.), GRC, 2006, 110; F. Merli, Rechtsprechungskonkurrenz zwischen nationalen Verfassungsgerichten, Europäischem Gerichtshof und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte, in: VVDtStRL (Hrsg.), Bundesstaat und Europäische Union zwischen Konflikt und Kooperation, Bd. 66, 2007, 392; N. Philippi, Divergenzen im Grundrechtsschutz zwischen EuGH und EGMR, ZEuS 2000, 97; J. Schwarze, Der Schutz der Grundrechte durch den
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Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) EuGH, NJW 2005, 3459; W. Weiß, Grundrechtsquellen im Verfassungsvertrag, ZEuS 2005, 323 Allgemein: z.B. C. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl. 2007 Rsp.: EuGH, Rs. C-260/89 ERT, Slg. 1991, I-2925, Rn. 41; EuGH, Rs. C-274/99 P Connolly, Slg. 2001, I-1611, Rn. 37; EuGH, Rs. C-94/00 Roquette Frères, Slg. 2002, I-9011, Rn. 25; EuGH 29.5.1997, Rs. C-299/95 ĺKremzow, Slg. 1997, I-2629 EGMR, 18.2.1999, ĺMatthews/ GB = EuGRZ 1999, 200; EGMR, 30.6.2005, ĺBosphorus/Irland; (EGMR orientiert sich an EuGH:) EGMR 8.12.1999, Pellegrin/Frankreich. (EG-Rechtsakte als Verfahrensgegenstand vor dem EGMR:) EGMR, 13.1.2005, ĺEmesa Sugar/NL = EuGRZ 2005, 234; EGMR, 10.3.2004, ĺSenator Lines/15 EU-Mitgliedstaaten
Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) European Neighbourhood Policy (ENP) – Politique européenne de voisinage (PEV)
ENP bezeichnet eine privilegierte Beziehung zwischen der EU und ihren unmittelbaren Nachbarstaaten, die auf dem gegenseitigen Bekenntnis zu gemeinsamen Werten (Demokratie und Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung, marktwirtschaftliche Prinzipien und nachhaltige Entwicklung) basiert. Dazu gehören: ĺAlgerien, ĺArmenien, ĺAserbaidschan, ĺWeißrussland, ĺÄgypten, ĺGeorgien, ĺIsrael, ĺJordanien, ĺLibanon, ĺMoldawien, ĺMarokko, die ĺPalästinensische Autonomiebehörde, ĺSyrien, ĺTunesien und die ĺUkraine. Die ENP vertieft die bestehenden politischen Beziehungen, baut dabei auf bestehenden Vereinbarungen (ĺPartnerschafts- und Kooperationsabkommen, ĺAssoziierungsabkommen, ĺEuro-Mediterrane Partnerschaft) und ergänzt diese um die wirtschaftliche Integration. Die jeweilige Intensität der Beziehung hängt von der tatsächlichen Anerkennung bzw. Umsetzung der gemeinsamen Werte ab. Die ENP sieht explizit keine Beitrittsperspektive vor. Die EU setzt gemeinsam mit den Partnerländern Aktionspläne fest, die die Agenden zur Umsetzung kurz- und mittelfristiger Prioritäten in Bezug auf politische und wirtschaftliche Reformen beinhalten. Das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI) unterstützt grenzüberschreitende und transnationale Projekte in finanzieller Weise. ENPI ersetzt per 1.1.2007 die Förderprogramme Tacis, MEDA und EIDHR. (bb) §§: VO (EG) 1638/2006, ABl. 2006, Nr. L 310/1 über ENPI; COM (2004) 373 final (Strategiepapier zu ENP) Web: http://ec.europa.eu/world/enp/policy_de.htm
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Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) European Organization for Nuclear Research (EONR) – Organisation européen pour la recherche nucléaire (CERN)
Die Europäische Organisation für Kernforschung wurde am 29.9.1954 als eigenständige Int. Organisation gegründet und löste damit den zwei Jahre zuvor ins Leben gerufenen Conseil européen pour la recherche nucléaire ab; das Akronym CERN blieb aber erhalten. Derzeit hat das an der französisch-schweizerischen Grenze bei Genf angesiedelte Kernforschungszentrum 20 MS. Die ĺKommission hat Beobachterstatus. (atm) §§: Übereinkommen zur Errichtung einer Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) vom 1.7.1953, dt. BGBl. I 1967, 578, österr. BGBl. 176/1971 Web: http://public.web.cern.ch/Public/Welcome.html
Europäische Parteien ĺParteien, politische auf europäischer Ebene Europäische Partnerschaften european partnerships – partenariats européens
Der Rat führte die E. P. (VO [EG] 533/2004) im Rahmen des ĺStabilisierungs- und Assoziationsprozesses ein. Bis auf den Umstand, dass die E. P. nicht explizit auf den ĺBeitritt der sog. Länder des ĺWestlichen Balkans ausgelegt sind, ähneln sie von Funktion und Aufbau den ĺBeitrittspartnerschaften: Sie bestimmen für jedes Land die Prioritäten, auf die sich die Vorbereitungen für eine weitere Integration in die EU konzentrieren müssen (Art. 1 leg. cit.) und dienen als Prüfliste für die erzielten Fortschritte. Die Programmierung der ĺHeranführungshilfen (ĺCARDS bzw. ĺIPA) wird nach den Prioritäten der E. P. vorgenommen. Da der Rat die E.P. einseitig auf Vorschlag der KOM mit qualifizierter Mehrheit beschließt (Art. 2 leg. cit.), ist die Bezeichnung als Partnerschaft irreführend. Nach der Aufnahme von ĺBeitrittsverhandlungen mit ĺKroatien hat der Rat die E.P mit Kroatien in eine ĺBeitrittspartnerschaft umgewandelt (VO [EG] 269/2006). (lo) §§: VO (EG) 533/2004, ABl. 2004, Nr. L 86/1; Europäische Partnerschaften mit: Albanien, ABl. 2006, Nr. L 35/1; Bosnien und Herzegowina, ABl. 2006, Nr. L 35/19; Serbien und Montenegro, ABl. 2006, Nr. L 35/ 32; der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien ABl. 2006, Nr. L 35/57; Beitrittspartnerschaft mit Kroatien, ABl. 2006, Nr. L 55/30
Europäische Privatgesellschaft (EPG) Europäische Patentorganisation (EPO) European Patent Organisation (EPO) – Organisation européenne des brevets (OEB)
Internationale Organisation mit Sitz in München; gegründet durch das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente 1973/ 1977 (ĺEuropäisches Patentübereinkommen, EPÜ). Die Organisation handelt durch den Verwaltungsrat (Legislativorgan) und das ĺEuropäische Patentamt (EPA) als Exekutivorgan. (mp) Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) European Political Community – Communauté politique européenne
Die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) war der Versuch in den 1950er-Jahren eine umfassende politische Integration europäischer Staaten zu realisieren. Als Mitglieder sollten die sechs Gründungsmitgliedstaaten der ĺEuropäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Die EPG sollte nicht nur EGKS und ĺEuropäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) vereinen, sondern hätte auch die Integration auf dem Gebiet der Außen- und Sozialpolitik vorantreiben sollen. Die Initiative scheiterte im Rahmen der Ratifizierung durch die französische Nationalversammlung ebenso wie die EVG. (lb) Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) European Political Cooperation (EPC) – Coopération politique européenne (CPE)
Vorstufe der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik seit dem Anfang der 70er-Jahre. Entwicklung ohne vertragliche Grundlage als diplomatische Konferenz bis hin zur Kodifizierung der Praxis durch Art. 30 der ĺEinheitlichen Europäischen Akte. Der ĺVertrag von Maastricht kodifizierte die EPZ in modifizierter Form in der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik als zweite Säule der ĺEuropäischen Union. (dt) Lit.: M. Smith, Diplomacy by Decree: The Legalization of Foreign Policy, JCMS 39 (2001) 79
Europäische Polizeiakademie (EPA) European Police College (CEPOL) – Collège européen de police (CEPOL)
Die Europäische Polizeiakademie (EPA) wurde durch Beschluss des Rates (ABl. 2000, Nr. L 336/1) im Jahr 2000 als Europäische ĺAgentur gegründet. Die Rechtsgrundlage wurde durch
den Beschluss 2005/681/JI des Rates (ABl. 2005, L 256/63) ersetzt und die EPA neu gegründet. Die EPA ist eine Aus- und Weiterbildungseinrichtung. Sie hat den Zweck, durch Optimierung der Zusammenarbeit zwischen den ihr angehörenden Ausbildungseinrichtungen an der Schulung von hochrangigen Führungskräften der Polizeidienste der Mitgliedstaaten mitzuwirken. Sie unterstützt und entwickelt einen europäischen Ansatz für die Hauptprobleme, die sich den Mitgliedstaaten im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung, der Kriminalprävention und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung insbesondere auf grenzüberschreitender Ebene stellen“ (Art. 5 Ratsbeschluss). Zentrale Aufgabe ist daher die Durchführung von Ausbildungsveranstaltungen für hochrangige Führungskräfte der Polizeidienste auf der Grundlage gemeinsamer Standards (Art. 7 Ratsbeschluss). Zentrale Organe der EPA sind der Verwaltungsrat, der sich vorzugsweise aus den Leitern der nationalen Ausbildungseinrichtungen zusammensetzt (Art. 10 Ratsbeschluss) und der Direktor der EPA (Art. 11 Ratsbeschluss). Der Verwaltungsrat beschließt die gemeinsamen Lehrpläne, Schulungsmodule, Lehrmethoden und sonstige Lehr- und Lernmittel sowie Haushaltsentwurf und das Arbeitsprogramm. Direktor: Ulf Goransson Sitz: Bramshill, Großbritannien (kl) §§: Beschluss 2005/681/JI des Rates zur Errichtung der Europäischen Polizeiakademie (ABl. 2005, Nr. L 256/63) Web: http://www.cepol.europa.eu
Europäische Polizeimissionen ĺESVP-Missionen, zivile Europäische Privatgesellschaft (EPG) European Private Company – Société privée européenne
Ursprünglich auf private Initiativen zurückgehend, wurde das Projekt zur Schaffung einer EPG nunmehr vom ĺAktionsplan der Kommission zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts auf die Agenda der Gemeinschaft gesetzt; jüngst hat auch das ĺEuropäische Parlament die Initiative ergriffen und am 1.2.2007 eine „Entschließung mit Empfehlungen an die Kommission zum Statut der Europäischen Privatgesellschaft“ (2006/2013[INI], P6_TA-PROV [2007]0023) mit ausführlichen inhaltlichen Empfehlungen gefasst. Die EPG soll danach auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zu295
Europäische Rechtsakademie Trier geschnitten sein und anders als die bestehenden europäischen Gesellschaftsformen (ĺSocietas Europaea [SE], ĺSocietas Cooperativa Europaea [SCE], ĺEuropäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung [EWIV]) ohne Verweise auf nationales Recht auskommen („Vollstatut“; vgl. im Gegensatz dazu die ĺNormenhierarchie). Wenngleich die EPG ein interessantes Projekt zu sein scheint, stehen ihr gewichtige Einwände entgegen: Unsicher ist etwa, ob sich die Mitgliedstaaten aufgrund der nach wie vor bestehenden großen Rechtsunterschiede im Bereich des Gesellschaftsrechts tatsächlich auf ein angestrebtes „Einheitsstatut“ einigen können; bei Schaffung eines Teilstatutes würden durch die erforderlichen Verweise auf nationales Recht viele unterschiedliche „EPG“-Formen entstehen, was die gesellschaftsrechtliche Zersplitterung innerhalb der EU nicht beseitigen, sondern im Gegenteil weiter verschärfen würde. Gegen die Aufgabe des bisherigen Mehrstaatlichkeitsprinzips (zur Gründung der bisherigen supranationalen Gesellschaftsformen ist stets ein grenzüberschreitender Gemeinschaftsbezug erforderlich; für die EPG-Gründung möchte man darauf verzichten) ließe eine Kompetenzgrundlage der EPG im EG-Vertrag fraglich erscheinen und würde in einem Spannungsverhältnis zum primärrechtlich verankerten ĺSubsidiaritätsprinzip stehen. (tr) Lit.: P. Hommelhoff/D. Helms, Neue Wege in die Europäische Privatgesellschaft, 2001; M. Straube, Gedanken zur Europäischen Privatgesellschaft, in: H. F. Köck/A. M. Lengauer/G. Ress (Hrsg.), Europarecht im Zeitalter der Globalisierung. FS für P. Fischer, 2004; J. Boucourechliev/P. Hommelhoff (Hrsg.), Vorschläge für eine Europäische Privatgesellschaft, 1999 Web: http://www.etudes.ccip.fr/dossiers/spe/de/index. html
Europäische Rechtsakademie Trier Academy of European Law – Académie de Droit Européen
Die Europäische Rechtsakademie Trier ist eine öffentliche Stiftung, die die Rechtsvereinheitlichung in Europa durch Konferenzen, Diskussionsveranstaltungen, Fortbildungsseminare und die Publikation der Zeitschrift „ERA Forum“ kritisch begleitet und unterstützt. Die ERA ist Mitglied des Joint Network of Excellence zur Ausarbeitung von ĺCommon Principles of European Contract Law (CoPECL). (mrm) Web: http://www.era.int
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Europäische Rüstungsagentur ĺRüstungsagentur, europäische Europäische Rundfunkunion European Braodcasting Union – Union Européenne de Radio-Télévision
Professionelle Vereinigung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Europa (gegründet 1950), mit 73 Mitgliedern in 55 Staaten Europas. Das Büro in Brüssel ist für die Vertretung der Interessen der europäischen öffentlichen Rundfunkanstalten gegenüber den europäischen Institutionen zuständig. (dd) Web: http://www.ebu.ch/
Europäische Sicherheit ĺGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP); ĺPolizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) European Security and Defence Policy (ESDP) – Politique européenne de sécurité et de défense (P.E.S.D.)
Die europäische Integration erstreckte sich erst in den 90er-Jahren auf Fragen der Verteidigung; die frühere ĺEuropäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) beschränkte sich auf die Annäherung der nationalen Außenpolitik. Nach der Konzeption des Vertrags von ĺMaastricht sollte die ĺWesteuropäische Union (WEU) als militärischer Arm der Europäischen Union fungieren. Aufgrund des weitgehenden Scheiterns der europäischen Außenpolitik während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien entschieden sich die Mitgliedstaaten jedoch für die Entwicklung einer eigenständigen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Grundlage war eine Verständigung von F und GB als den beiden wichtigsten militärischen Akteuren unter den EU-ĺMitgliedstaaten auf einem bilateralen Gipfel im französischen St. Malo im Jahr 1998. Im Rahmen der Europäischen Union legte der ĺEuropäische Rat auf seinen Tagungen in Köln und Helsinki im Juni und Dezember 1999 die Grundlage für die überaus dynamische Entwicklung der ESVP in der Folgezeit. Hierbei integrierte die Europäische Union die ehemaligen Funktionen der WEU in modifizierter Form in den rechtlichen und institutionellen Rahmen der Europäischen Union; die ĺWesteuropäische Union (WEU)
Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) stellte ihre operativen Tätigkeiten im November 2000 ein. Sachlich bezieht sich die ESVP nach der vertraglichen Definition des Art. 17 Abs. 2 EU auf „humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen“ (sog. Petersberg-Aufgaben in Fortfolge der Definition seitens der WEU im Jahr 1992). Dagegen ist die kollektive Verteidigung als rechtlicher Kern der Bündnissolidarität der ĺNATO von der ESVP in ihrer aktuellen Form nicht umfasst. Diese pragmatische Konzentration auf friedenserhaltende und friedenschaffende Maßnahmen erlaubt den neutralen Mitgliedstaaten die Teilnahme an der ESVP ohne formelle Aufgabe der Neutralität. Dessen ungeachtet besitzt das Verhältnis der ESVP zur zentrale Bedeutung, weil zum einen zahlreiche Mitgliedstaaten ihre Verteidigungspolitik vorrangig in der NATO verwirklicht sehen und zum anderen die militärische Fachexpertise der NATO für die Durchführung anspruchsvoller militärischer ĺESVPMissionen unerlässlich ist. Aus diesem Grund verständigten sich die Europäische Union und die ĺNATO im Jahr 2002 in der sog. Berlinplus-Vereinbarung auf Bedingungen für einen Rückgriff der ESVP auf Mittel und Fähigkeiten der NATO. Aufgrund der ĺintergouvernementalen Form der Zusammenarbeit in der ESVP sind die nationalen Streitkräfte nicht auf europäischer Ebene integriert; insb. begründet die ESVP keine „europäische Armee.“ Stattdessen werden die Streitkräfte der Mitgliedstaaten für ĺESVPMissionen aufgrund einer autonomen nationalen Bereitstellung im Einzelfall zur Verfügung gestellt. Dementsprechend ist auch die Reform der Streitkräfte eine nationale Aufgabe, die europäisch nur koordiniert wird. Tatsächlich ist die Verbesserung der militärischen Fähigkeiten der vielfach noch auf die Landesverteidigung ausgerichteten Streitkräfte ein wichtiger Bestandteil der ESVP. Ihren Rahmen finden der Ausbau der militärischen ĺFähigkeiten der Mitgliedstaaten im Planziel 2010 (englisch „Headline Goal 2010“) und der Europäischen ĺVerteidigungsagentur. Daneben stehen multilaterale Reformvorhaben der Mitgliedstaaten im Bereich der Streitkräfteorganisation und der ĺRüstungspolitik in einem engen Zusammenhang mit der Realisierung der ESVP, etwa der Eurokorps oder die Europäischen ĺRüstungs-
agentur (OCCAR). Formal sind diese Projekte aber nicht Bestandteil der ESVP. Aufgrund seiner vertraglichen normierten ungleichzeitigen Ausnahme beteiligt sich Dänemark nicht an allen Maßnahmen mit militärischen und verteidigungspolitischen Bezügen. Tatsächlich hat die Europäische Union seit dem Jahr 2003 eine zunehmende Zahl an militärischen und zivilen ĺESVP-Missionen verwirklicht. Teils handelte es sich um begrenzte Einsätze mit geringem personalem und finanziellem Einsatz. In zahlreichen Fällen übernahm die Europäische Union jedoch wichtige Aufgaben in Ergänzung politischer Initiativen und stärkt hierdurch das außenpolitische Gewicht Europas in der Welt. Geografisch beschränkten sich die ersten Einsätze auf den europäischen Raum, umfassen jedoch zunehmend auch Missionen auf anderen Kontinenten. Zu den militärischen ĺESVP-Missionen gehört die Übernahme der NATO-Mission in BosnienHerzegowina durch EUFOR Althea seit dem Jahr 2004 und die Begleitung der Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo durch EUFOR RD Congo im Jahr 2006. Die zivilen ĺESVP-Missionen entwickelten sich besonders dynamisch und machten die Europäische Union binnen kurzer Zeit zu einem der aktivsten Akteure weltweit im Bereich des ĺzivilen Krisenmanagements. Die zivilen ĺESVP-Missionen umfassen bspw. eine Rechtsstaatsmission für den IRAK EUJUST Lex und die Ausbildung von palästinensischen Sicherheitskräften im Rahmen von EUPOL COPPS. Die Entscheidungsfindung der ESVP folgt der ĺintergouvernementalen Integrationsmethode der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Die ĺKommission, das ĺEuropäische Parlament und der ĺEuGH sind hiernach nur marginal oder überhaupt nicht beteiligt. Konkret liegt die politische Kontrolle und strategische Leitung einer ĺESVP-Mission beim ĺRat, der zwischen seinen monatlichen Tagungen durch das ständige Gremium des ĺPolitischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK) vertreten wird. Bei militärischen Missionen werden der Rat und das PSK vom ĺMilitärausschuss der Europäischen Union (EUMC) und dem ĺMilitärstab der Europäischen Union (EUMS) unterstützt, bei zivilen Missionen durch den ĺAusschuss für die nichtmilitärischen Aspekte der Krisenbewältigung (CivCom). Das ĺEuropäische Sicherheits- und Verteidigungskolleg (ESVK) fördert durch Aus297
Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) und Fortbildungsmaßnahmen die Entwicklung einer europäischen Sicherheitskultur. (dt) §§: Art. 17 EU Lit.: S. Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), 2006; K. Blanck, Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Rahmen der europäischen Sicherheitsarchitektur, 2005; S. Kielmannsegg, Die Verteidigungspolitik der Europäischen Union, 2005
Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) European Security Strategy (ESS) – Stratégie européenne de sécurité (ESS)
Parallel zur außenpolitischen Spaltung Europas während des Irak-Kriegs arbeitete das Sekretariat des ĺRates unter Leitung des ĺHohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik unter maßgeblicher Beteiligung der Strategieplanungs- und Frühwarneinheit („Policy Unit“) die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) aus. Diese sollte der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) jenseits der politischen Spaltung über die Frage des Irak-Kriegs strategische Ausrichtung verleihen und durch das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten die Grundlage für einen künftigen Erfolg der GASP legen. Die ESS ist hierbei auch eine Antwort Europas auf die Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten aus dem Jahr 2002, die mit ihrer Forderung nach „pre-emptive strikes“ zu politischen Kontroversen führte. Die ESS ist kein Rechtsdokument und insb. keine Gemeinsame ĺStrategie nach Maßgabe des Art. 13 EU. Stattdessen wurde sie vom ĺEuropäischen Rat im Dezember 2002 als eine politische Verständigung gebilligt. Ungeachtet ihrer fehlenden rechtlichen Verbindlichkeit entwickelte sich die ESS zum eigentlichen Gründungsdokument der GASP, das von den politischen Akteuren regelmäßig herangezogen wird, um der eigenen Position politisches und moralisches Gewicht zu verleihen. Inhaltlich begrenzt sich die ESS auf allgemeine Feststellungen, ohne konkrete Handlungsanweisungen für spezielle Konfliktsituationen zu geben. Sie umfasst in einigen Aspekten eine Annäherung an die Wahrnehmung der internationalen Sicherheitslage durch die Vereinigten Staaten, betont in anderen Aspekten aber zugleich eine besondere europäische Sichtweise. Die Offenheit der ESS ist eine ihre Erfolgsbedingungen, weil sie allen ĺMitgliedstaaten die politische Identifikation mit dem Dokument gestattet. Zugleich ist die ESS aber auch konkret genug, um der GASP eine europäische 298
Ausrichtung zu geben und damit zur Herausbildung Gemeinsamer Positionen beizutragen. Die ESS gliedert sich in drei Abschnitte: Im ersten Abschnitt benennt sie auf Grundlage eines weiten Sicherheitsbegriffs fünf Hauptbedrohungen für die europäische Sicherheit (Terrorismus, Massenvernichtungswaffen, Regionalkonflikte, Scheitern von Staaten, organisierte Kriminalität). Aus diesen Herausforderungen ergeben sich für die Europäische Union drei strategische Ziele: ein präventives Vorgehen gegen diese Bedrohungen, die Etablierung einer stabilen europäischen Nachbarschaft sowie die Stärkung des Völkerrechts durch „effektiven Multilateralismus.“ Hieraus folgen Implikationen für die künftige Ausgestaltung der europäischen Außenpolitik. So betont die ESS die Wichtigkeit einer aktiven und handlungsfähigen EU, die kohärent und gemeinsam mit ihren Partnern den neuen Bedrohungen entgegentritt. (dt) Lit.: D. Mahncke, Die neue Sicherheitsstrategie der EU, in: T. Bruha et al. (Hrsg.), Die Europäische Union: Innere Verfasstheit und globale Handlungsfähigkeit, 2006, 213, A. Bailes, Die Europäische Sicherheitsstrategie: programmatische und praktische Perspektiven für GASP und ESVP, Integration 2005, 107
Europäische Sozialcharta European Social Charter – Charte sociale européenne
Die europäische Sozialcharta wurde am 18.10. 1961 von den 13 Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet und ist Teil der Sozialpolitik der EU. Am 26.2.1965 trat sie in Kraft. Inhaltlich schützt sie 19 soziale und wirtschaftliche Rechte. Sie wurde durch ein Zusatzprotokoll im Jahr 1989 um vier Artikel erweitert. Im einzelnen nennt die Sozialcharta das Recht auf Arbeit, auf gerechte sowie sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, auf ein gerechtes Arbeitsentgelt, auf Kollektivverhandlungen, auf Berufsberatung, auf berufliche Ausbildung, auf Schutz der Gesundheit, auf soziale Sicherheit und Fürsorge, auf Inanspruchnahme sozialer Dienste und auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien. Darüber hinaus kodifiziert die Sozialcharta das Vereinigungsrecht, das Recht der Kinder und Jugendlichen sowie der Arbeitnehmerinnen auf Schutz, das der körperlich, geistig oder seelisch Behinderten auf berufliche Ausbildung, berufliche und soziale Eingliederung und das Recht der Familie, der Mütter und Kinder auf sozialen und wirtschaftlichen Schutz und das der Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien auf Schutz und Beistand. Die vier Zusatzartikel be-
Europäische Staatsanwaltschaft ziehen sich hingegen auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung, auf Unterrichtung und Anhörung im Unternehmen, auf Beteiligung an der Festlegung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsumwelt und begründet schließlich das Recht älterer Menschen auf sozialen Schutz. Die europäische Sozialcharta dient als eine der Grundlagen für die Errichtung eines sozialen Europas. Vor allem stellte sie eine Basis zum Erlass der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 dar. (dh) Lit.: E. Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, Rn. 35 Web: http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/ Html/035.htm
Europäische Sozialpolitik ĺSozialpolitik, gemeinschaftliche Europäische Sozialpolitik, Grünbuch European Social Policy, Green Paper – la politique sociale européenne, livre vert
Am 17.3.1993 erließ die Kommission ein Grünbuch über die europäische Sozialpolitik. Dieses Grünbuch war das Ergebnis der Diskussion darüber, wie angesichts wachsender Arbeitslosigkeit und zunehmender Sorge über den drohenden Verlust der Wettbewerbsfähigkeit an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, die wirtschaftlichen und sozialen Ziele miteinander in Einklang gebracht werden können. Zahlreiche Organisationen, staatliche Stellen und auch Einzelpersonen waren dem Aufruf der Kommission gefolgt und hatten ihr einen Beitrag zu dem Grünbuch vorgelegt. Die Einsender der Beiträge standen der Ausarbeitung des Grünbuches überwiegend positiv gegenüber. Zweck des Grünbuchs war es, in allen Mitgliedstaaten eine umfassende und eingehende Debatte über die künftige Ausrichtung der Sozialpolitik im Rahmen der EU anzuregen. Daraufhin sollten in Form eines Weißbuches konkrete Vorschläge vorgelegt werden. Dies geschah durch das Weißbuch der Kommission über die europäische Sozialpolitik. Das Grünbuch über die europäische Sozialpolitik gliedert sich in fünf Teile. Der erste Teil, über die Verwirklichung der sozialen Dimension der Gemeinschaft, informiert über den Besitzstand der Gemeinschaft im sozialen Bereich. Im zweiten Teil werden die sozialen Herausforderungen für Europa aufgezeigt. Mögliche Antworten auf diese sozialen Herausforderungen
stellt die Kommission im dritten Teil dar. Der vierte Teil zieht aus dem Vorangegangenen die entsprechenden Schlussfolgerungen. Schließlich stellt der fünfte Teil erneut alle Fragen zusammen, die in den verschiedenen Teilen des Grünbuchs aufgeworfen wurden und auch im Mittelpunkt der folgenden Debatte stehen sollten. Im Mittelpunkt des Grünbuchs steht die Feststellung, dass bei der nächsten Entwicklungsetappe der europäischen Sozialpolitik nicht vom Gedanken eines Abbaus des sozialen Fortschritts zugunsten der Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit ausgegangen werden kann, sondern dass wirtschaftliche Entwicklung und sozialer Fortschritt Hand in Hand gehen. Im Februar 2005 hat die Kommission in einer Mitteilung die Sozialpolitische Agenda 2005 – 2010 vorgelegt und darin ein Grünbuch zur generationenübergreifenden Dimension der Sozialpolitik angekündigt. Ein zukunftsfähiges Konzept der Sozialpolitik erscheine nur unter Einbeziehung der Jugend als tragfähig. (dh) §§: EG-Kommission, Grünbuch über die Europäische Sozialpolitik – Weichenstellung für die Europäische Union, Beratungsgrundlage, vom 17.11.1993, KOM(93) 551 endg.; EG-Kommission, Weißbuch über die Europäische Sozialpolitik – Ein zukunftsweisender Weg für die Union, vom 27.7.1994, KOM(94) 333 endg.; EG-Kommission Lit.: J. C. K. Ringler, Die Europäische Sozialunion, 1997, 236 f. Web: http://ec.europa.eu/employment_social/publi cations /2005/ke6605062_de.pdf
Europäische Staatsanwaltschaft European Prosecutor – Procureur européen
Das Konzept einer Europäischen Staatsanwaltschaft geht zurück auf das ĺCorpus Juris und ist von der Europäischen ĺKommission im Grünbuch zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften 2001 aufgegriffen worden. Die Europäische Staatsanwaltschaft soll danach eine unabhängige, dezentral organisierte Justizbehörde sein, die den Auftrag hätte, bei Delikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften (ĺSchutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften) wie Betrug (ĺBetrugsbekämpfung) und Korruption (ĺBestechung und Bestechlichkeit, strafrechtliche Bekämpfung) europaweit zu ermitteln und die Strafverfolgung zu leiten. Sie hätte daher nur bereichsspezifische Zuständigkeiten. Die Europäische Staatsanwaltschaft soll sich zusammensetzen aus einem unabhängigen Euro299
Europäische Stelle zur Beobachtung des Industriellen Wandels (EMCC) päischen Staatsanwalt als Leiter der Behörde und abgeordneten Europäischen Staatsanwälten in den Mitgliedstaaten. Der Europäische Staatsanwalt leitet und koordiniert die Ermittlungen und ist gegenüber den abgeordneten Europäischen Staatsanwälten weisungsbefugt. Anklage wäre vor den zuständigen nationalen Gerichten zu erheben. Für das Verfahrensrecht soll ein weitestgehendes System der gegenseitigen Anerkennung von Zwangsmaßnahmen und der gegenseitigen Zulassung von Beweismitteln gelten. Dieses Konzept ist eine intensivierte Form des bereits praktizierten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der). Ein Einheitsrecht ist hingegen nicht vorgeschlagen. Der ĺReformvertragsentwurf von Lissabon 2007 greift, basierend auf dem Verfassungsvertragsentwurf 2004 (ĺVertrag über eine Verfassung für Europa), das Konzept auf und enthält die Befugnis zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ausgehend von ĺEurojust. (sts) §§: KOM(2001) 715 endg. Lit.: A. Biehler/S. Gleß/N. Parra/H. E. Zeitler, Analyse des Grünbuchs zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interesen der EG und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, MPI/Freiburg, 2002; R. Zöberlein, Eurojust als Keimzelle einer europäischen Staatsanwaltschaft?, 2004
Europäische Stelle zur Beobachtung des Industriellen Wandels (EMCC) European Monitoring Centre on industrial Change (EMCC) – l’Observatoire européen du changement (EMCC)
Die Europäische Stelle zur Beobachtung des Industriellen Wandels (EMCC) hat die Aufgabe, Informationen über laufende industrielle Wandlungsprozesse zusammenzutragen und sie allen Betroffenen – das sind in dem Fall vor allem Unternehmen, Berufsverbände, Gewerkschaften, Regierungsorgane und kommunalen Behörden – zugänglich zu machen. ĺEuropäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (EUROFOUND) (gr) Web: http://www.emcc.eurofound.eu.int
Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC) – Observatoire européen des phénomènes racistes et xénophobes (EUMC)
Die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) wurde, gestützt auf die Art. 284 und 308 (exArt. 213 und 235) EG, durch die VO (EG) 1035/ 97, ABl. 1997, Nr. L 151/1 eingerichtet. Die EUMC 300
ist eine ĺInformationsagentur; sie hat die Aufgabe verlässliche, objektive Informationen über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu sammeln, die als Basis für etwaige Maßnahmen der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten dienen sollen (Art. 2 Abs. 1 der VO [EG] 1035/97). U.a. verwaltet sie zu diesem Zweck das ĺEuropäische Informationsnetz über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (RAXEN) über das Daten aus den einzelnen Mitgliedstaaten bezogen werden. Außerdem entwickelt sie Strategien zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, erhebt „best practices“ im Umgang mit diesen Fragen und sorgt für ihre Verbreitung (Art. 2 Abs. 2). Die EUMC wurde 2007 in eine ĺEuropäische Agentur für Grundrechte (FRA) umgewandelt und ihr Aufgabengebiet entsprechend ausgeweitet. Direktor: Beate Winkler Sitz: Wien, Österreich (gr) §§: Art. 284 und 308 (ex-Art. 213 und 235) EG; VO (EG) 1035/97, ABl. 1997, Nr. L 151/1 geändert durch VO(EG) 1652/2003, ABl. 2003, Nr. L 245/33 Lit.: D. Fischer-Appelt, Die Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, 60 f.; J. M. Schlichting/J. Pietsch, Die Europäische Grundrechteagentur – Aufgaben – Organisation – Unionskompetenz, EuZW 2005, 587 Web: http://www.eumc.europa.eu bzw. http://www. fra.europa.eu/
Europäische Stiftung für Berufsbildung (ETF) European Training Foundation (ETF) – Fondation européenne pour la formation (EFT)
Die Europäische Stiftung für Berufsbildung (ETF) wurde, gestützt auf Art. 308 (ex-Art. 235) EG, durch die VO (EWG) 1360/90, ABl. 1990, Nr. L131/1 gegründet, um europäische Nachbarländer und Drittstaaten bei der Reform ihrer Berufsbildungssysteme zu unterstützen. Sie tut dies vor allem anhand der EG-Programme wie ĺPhare, ĺCARDS, ĺTACIS und ĺMEDA. Gem. ihres Auftrags hilft die ETF den derzeit 30 Partnerländern bei der Weiterentwicklung ihrer Berufsbildungssysteme, um die Fähigkeiten der Menschen auszubauen, dadurch bessere Lebensbedingungen zu schaffen und so demokratische Gesellschaften zu fördern (Art. 13 der VO [EWG] 1360/90). Aufgrund dieses inhaltlichen Schwerpunkts arbeitet sie auch eng mit dem ĺCedefop zusammen (Art. 4 Abs. 1). Direktor: Muriel Dunbar Sitz: Turin, Italien (gr) §§: Art. 308 (ex-Art. 235 EG); VO (EWG) 1360/90, ABl. 1990, Nr. L131/1 zuletzt geändert durch VO (EG) 1648/2003, ABl. 2003, Nr. L 245/22
Europäische Umweltagentur (EEA) Lit.: D. Fischer-Appelt, Die Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, 53 f. Web: http://www.etf.europa.eu
Lit.: D. Fischer-Appelt, Die Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, 51 f. Web: http://www.eurofound.europa.eu
Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (EUROFOUND)
Europäische Überwachungsanordnung, Rahmenbeschlussentwurf
European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions (EUROFOUND) – Fondation européenne pour l’amélioration des conditions de vie et de travail (EUROFOUND)
Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (EUROFOUND) wurde, gestützt auf Art. 308 (exArt. 235) EG, durch die VO (EWG) 1365/75, ABl. 1975, Nr. L L 139/1 gegründet. Die Aufgaben der Stiftung sind langfristiger und konzeptioneller Natur. Sie soll zur Förderung und Verbreitung von Kenntnissen beitragen, die der Schaffung besserer Lebens- (einschließlich des Gleichgewichts zwischen Arbeits- und Familienleben, der Bereitstellung von öffentlichen Sozialdiensten und der Förderung der Eingliederung in die Beschäftigung) und Arbeitsbedingungen (einschließlich Arbeitsorganisation, Arbeitszeitfragen, Flexibilität, Beobachtung von Veränderungen der Arbeitsbedingungen) dienen (Art. 2 Abs. 1 VO [EWG] 1365/75), indem sie u.a. Überlegungen zur mittel- und langfristigen Verbesserung der Lebensverhältnisse anstellt, Änderungsfaktoren feststellt und wissenschaftliche Kenntnisse und Daten ermittelt, um sie den Gemeinschaftsorganen zur Verfügung zu stellen (Art. 2 Abs. 2). Ein Schwerpunkt der Stiftung ist es daher, regelmäßig Untersuchungen zu den einschlägigen Themen in Auftrag zu geben und daraus resultierende Publikationen zu veröffentlichen. Sie fördert den Dialog und Austausch zwischen den verschiedenen Forschungsstellen, Universitäten und Behörden (Art. 3 Abs. 1) und erfüllt somit auch eine „Netzwerk-Funktion“ (Art. 3 Abs. 2). 2001 wurde bei der Stiftung eine ĺEuropäische Stelle zur Beobachtung des Industriellen Wandels (EMCC) eingerichtet, um Veränderungen in der Industrie und in Unternehmen zu untersuchen. Die Stifttung hat wie das ĺCedefop einen ĺVerwaltungsrat in dem auch Vertreter der Arbeitgeberverbände und Arbeitnehmerverbände vertreten sind (Art. 6). Direktor: Jorma Karpinnen Sitz: Dublin, Irland (gr) §§: Art. 308 (ex-Art. 235) EG, VO (EWG) 1365/75, ABl. 1975, Nr. L 139/1 i.d.F. VO (EG) 1111/2005, ABl. 2005, Nr. L 184/1
supervision of suspended sentences, alternative sanctions and conditional sentences, porposal of a framework decision – la surveillance des peines assorties du sursis avec mise à l’épreuve, des peines de substitution et des condamnations sous condition, proposition de décision-cadre
Als ein weiteres Instrument zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der) liegt der Entwurf eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anerkennung und Überwachung von Bewährungsstrafen, alternativen Sanktionen und bedingten Verurteilungen vor, der sich in das Konzept des grenzüberschreitenden Vollzugs strafjustizieller Endentscheidungen zwischen dem Rahmenbeschluss über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (ĺGeldstrafen und Geldbußen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von) und den ebenfalls im Rechtssetzungsverfahren befindlichen Rahmenbeschlussentwurf über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf freiheitsentziehende Strafen oder Maßnahmen zum Zwecke der Vollstreckung (ĺVollstreckungsübernahme freiheitsentziehender Sanktionen und Maßnahmen) einfügt. Beide noch im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Rahmenbeschlüsse würden mit ihrem Inkrafttreten im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander die entsprechenden Regelungen der weniger weit reichenden Europaratsübereinkommen ersetzen (ETS 112, ETS 167). (sts) §§: Ratsdok. 6480/07 Lit.: U. Staudigl/S. Weber, Europäische Bewährungsüberwachung, NStZ 2008, 17 ff.
Europäische Umweltagentur (EEA) European Environment Agency (EEA) – Agence européenne pour l’environnement (EEA)
Die europäische Umweltagentur (EEA) wurde mit der VO (EWG) 1210/90, ABl. 1990, Nr. L 120/1 gegründet und als erste Gemeinschaftsagentur nicht auf Art. 308 (ex-Art. 235) EG sondern auf den inhaltlich korrespondierenden Art. 175 (ex-Art. 130s) EG gestützt. Sie arbeitet der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten zu, indem sie themenspezifische Informationen sammelt und diese zur Verfügung stellt sowie 301
Europäische Union Bewertungen von Umweltdaten vornimmt, um damit den europäischen Entscheidungsträgern die Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger Umweltpolitiken zu erleichtern (Art. 2 VO [EWG] 1210/90). Dazu bedient sie sich eines weiten Netzwerks, des Europäischen Umweltinformations- und Umweltbeobachtungsnetzes (Eionet), das nationale Umweltagenturen aus allen Mitgliedstaaten sowie aus Drittstaaten mit einschließt (Art. 4). Direktor: Jacquline McGlade Sitz: Kopenhagen, Dänemark (gr) §§: Art. 175 (ex-Art. 130s) EG, VO (EWG) 1210/90, ABl. 1990, Nr. L 120/1 geändert durch VO (EG) 933/ 1999, ABl. 1999, Nr. L117/1 und VO (EG) 1641/2003, ABl. 2003, Nr. L 245/1 Lit.: J. Sommer, Verwaltungskooperation am Beispiel administrativer Informationsverfahren im Europäischen Umweltrecht, 2003 Web: http://www.eea.europa.eu/
Europäische Union European Union – Union européenne
Errichtet aufgrund des Vertrags von ĺMaastricht als neue Dachorganisation der europäischen Integration. Weit verbreitet ist das Bild der Europäischen Union als einem griechischen „Tempel“, der auf drei Säulen gründet: 1. die supranationale Europäische Gemeinschaft sowie die Europäische Atomgemeinschaft; 2. die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik; 3. die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Allerdings überzeugt das Bild mangels Gleichartigkeit der Säulen und begrenzter Eigenständigkeit des gemeinsamen Daches nur begrenzt und es wurde das alternative sprachliche Deutungsmuster einer gotischen Kathedrale vorgeschlagen. Dessen ungeachtet hat sich die Terminologie der Europäischen Union als einem Tempel mit drei „Säulen“ (engl. „pillars“) im Sprachgebrauch der Europawissenschaften jedoch durchgesetzt. Zu den drei Säulen der Europäischen Union ist allgemein anzumerken: Erste Säule: Gegenstand der ersten Säule ist der historische Kernbestand der europäischen Integration mit den drei supranationalen Gemeinschaften der ĺEuropäischen Gemeinschaft (EG; bis zum ĺVertrag von Maastricht: ĺEuropäische Wirtschaftsgemeinschaft), der ĺEuropäischen Atomgemeinschaft und der ĺEuropäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (bis 2002). Diese drei Gemeinschaften verfügten seit dem ĺFusionsvertrag über ge302
meinsame Institutionen, welche aufgrund der jeweiligen vertraglichen Bestimmungen nach Maßgabe der Gemeinschaftsmethode tätig werden. Das supranationale Recht der europäischen Gemeinschaften der ersten Säule findet aufgrund der ĺDurchgriffswirkung unmittelbare Anwendung in den Mitgliedstaaten und besitzt in Konfliktfällen ĺVorrang vor dem nationalen Recht. Die ĺEuropäische Gemeinschaft (EG) der ersten Säule wird im allgemeinen Sprachgebrauch häufig als Europäischen Union bezeichnet und begründet bis heute den zentralen Gegenstand der europäischen Integration. Zweite Säule: Seit dem ĺVertrag von Maastricht bildet die ĺGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) die zweite Säule der Europäischen Union. Es handeln im Rahmen der GASP die Institutionen der ersten Säule aufgrund einer Organleihe. Bei den Entscheidungsfindungsverfahren dominiert nach Maßgabe der vertraglichen Bestimmungen jedoch die ĺintergouvernementale Methode: Wichtige Entscheidungen werden vom ĺRat und dem ĺEuropäischem Rat einstimmig gefällt, während ĺKommission und ĺEuropäisches Parlament ohne Zustimmungsrecht nur beteiligt werden. Die Handlungsformen der zweiten Säule haben weder Durchgriffswirkung noch Vorrang. Die Völkerrechtspersönlichkeit der Europäischen Union war lange Zeit umstritten, kann infolge des Abschlusses von zahlreichen Verträgen mit Drittstaaten auf Grundlage des Art. 24 EU heute jedoch als geklärt gelten. Dritte Säule: Die ĺPolizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen begründet seit dem ĺVertrag von Amsterdam die dritten Säule der Europäischen Union, nachdem die Zusammenarbeit in den Bereichen ĺAsyl, Einwanderung und Zivilrecht im ĺVertrag von Maastricht in die erste Säule des EG-Vertrags überführt worden war (sog. Vergemeinschaftung). Die Beschlussfassungsregeln, Handlungsformen und Rechtswirkungen der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sind teils intergouvernemental, teils supranational ausgestaltet und begründen mithin eine Mischform, deren Rechtswirkungen von Wissenschaft und Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt wurden. Art. 42 EU erlaubt als sog. Passerelle-Klausel (französisch: Fußgängerbrücke, Laufsteg) die Vergemeinschaftung der Zusammenarbeit in Strafsachen durch einen einstimmigen Beschluss des Rates,
Europäische Verteidigungsgemeinschaft welcher von den ĺMitgliedstaaten nach ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften angenommen werden muss. Die formale Trennung der Säulen wird an mehreren Stellen durchbrochen. So verfügt die Europäische Union nach Art. 3 EU über einen einheitlichen institutionellen Rahmen, d.h. es handeln im Rahmen der drei Säulen dieselben Organe, auch wenn ihre Befugnisse sich je nach Rechtsgebiet teils erheblich unterscheiden. Ein ĺBeitritt ist nur einheitlich zur Europäischen Union möglich und die Suspension von Mitgliedschaftsrechten erfolgt nach Art. 7 EU ebenfalls für die Europäische Union als einem einheitlichen Verbund. Auch sprachlich unterscheiden die europäischen Verträge nicht immer trennscharf zwischen den Säulen. So begründet der EG-Vertrag im Rahmen der ersten Säule der Europäischen Gemeinschaft eine „Unionsbürgerschaft“ (Art. 17 ff. EG), das Amtsblatt heißt offiziell „Amtsblatt der Europäischen Union“ (Art. 248 EG) und der ĺRat bezeichnet sich auch bei Tätigkeiten aufgrund des EG-Vertrags selbst als „Rat der Europäischen Union.“ Noch weiter reicht die Vermischung der Begrifflichkeiten im allgemeinen Sprachgebrauch: Hier wird meist nur von der Europäischen Union (EU) gesprochen und die Fortexistenz der Europäischen Gemeinschaft (EG) als deren erste Säule sprachlich ignoriert. Dies ist zwar formaljuristisch nicht korrekt, zugleich aber kein Nachteil, weil es eine einheitliche Wahrnehmung der drei Säulen ermöglicht und damit das einheitliche Profil der Europäischen Union als Gesamtheit der drei Säulen in den Augen der Bürger und aus der Perspektive von Drittstaaten schärft. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa würde die Säulenstruktur überwinden und in einem einheitlichen Vertrag unter dem Namen „Europäische Union“ zusammenführen (mit Ausnahme der ĺEuropäischen Atomgemeinschaft, die als formal eigenständige Organisation neben der Verfassung fortbestanden hätte). (dt) §§: Art. 1-53 EU Lit.: B. de Witte, The Pillar Structure and the Nature of the European Union: Greek Temple or French Gothic Cathedral?, in: T. Heukels et al. (Hrsg.), The European Union after Amsterdam, 1998, 51; W. Schroeder, Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Europäischer Union und Europäischen Gemeinschaften, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 373; D. Thym, Die völkerrechtlichen Verträge der Europäischen Union, ZaöRV 66 (2006) 863-925 Web: http://europa.eu/
Europäische Verbraucherzentrale (BEUC) The European Consumers’ Organisation (BEUC) – Bureau Européen des Unions de Consommateurs (BEUC)
Die Europäische Verbraucherzentrale wurde am 6.3.1962 von den Verbraucherschutzorganisationen Belgiens, Luxemburgs, der Niederlande, Italiens und Deutschlands gegründet und vertritt seitdem als Lobbyorganisation die Interessen der Verbraucher auf europäischer Ebene. Sie hat ihren Sitz in Brüssel. Finanziert wird die Europäische Verbraucherzentrale durch ihre Mitglieder und die ĺEuropäische Union. Sie kämpft schwerpunktmäßig für die Rechte der Verbraucher auf Information, Darstellung von Risiken, Entschädigungen, Bildung, Befriedigung grundlegender Bedürfnisse und eine saubere Umwelt sowie die weitere Entwicklung eines einheitlichen Binnenmarktes zum Nutzen und unter besonderer Berücksichtigung der Interessen der Verbraucher. Bei all diesen Zielen geht es vorrangig darum, den Verbraucher in die Lage zu versetzen, eigenständige und unabhängige (Konsum-) Entscheidungen zu treffen. BEUC zählt heute 40 Mitglieder aus 30 Europäischen Staaten (EU, Europäische Freihandelszone und Beitrittskandidaten), u.a. die Arbeitskammer und der Verein für Konsumenteninformation aus Österreich sowie die Verbraucherzentrale Bundesverband und die Stiftung Warentest aus Deutschland. Auf ihren halbjährlichen Treffen legen die Mitglieder die politischen Zielsetzungen und Dringlichkeiten für die nächste Arbeitsperiode fest. BEUC verfügt über einen Sitz in der European Consumer Consultative Group (ECCG) und schickt Experten aus den Mitgliedsverbänden in die verschiedensten Beratungsgruppen der ĺEuropäischen Kommission. Darüber hinaus wird der Kontakt zur Internationalen Verbraucherorganisation, Consumers International (CI) gehalten und der transatlantische Dialog (TransAtlantic Consumer Dialogue, TACD) gepflegt. (fg) Web: http://www.beuc.eu
Europäische Verfassung ĺVerfassung für Europa Europäische Verteidigungsagentur ĺVerteidigungsagentur, Europäische Europäische Verteidigungsgemeinschaft European Defence Community – Communauté européenne de défense
Zur Vertiefung der europäischen Integration wurde am 27.5.1952 der Gründungsvertrag zu 303
Europäische Vollstreckungstitelverordnung (EuVTVO) einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) geschlossen. Die EVG sollte ebenso wie die ĺEGKS supranationalen Charakter haben und neben einer Gemeinschaftsarmee über ein unabhängiges Budget verfügen. Die EVG scheiterte jedoch im Jahr 1954 am Widerstand der französischen Nationalversammlung, die sowohl den befürchteten Verlust der französischen Souveränität als auch die Remilitarisierung Deutschlands verhindern wollte. Diese Ablehnung brachte auch das Projekt der ĺEuropäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) zu Fall. (lb) Europäische Vollstreckungstitelverordnung (EuVTVO) European enforcement order for uncontested claims – Règlement relatif a la création d’un titre exécutoire europeén pour les créances incontestées
In Umsetzung des Programms des Rats von ĺTampere wurde die VO (EG) 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, (ABl. EG 2004, Nr. L. 143/15) auf der Basis von Art. Art. 61 lit. c i.V.m. Art. 65 EG erlassen. Die EuVTVO ist ein Pilotprojekt zur vollständigen Verwirklichung des Prinzips der ĺAnerkennung ausländischer Entscheidungen. Während bisher die Vollstreckbarerklärung durch die Gerichte des MS erfolgt ist, in dem die Vollstreckung durchgeführt werden soll, sind nun beide Schritte – der Erlass der Entscheidung im Erkenntnisverfahren und die Erteilung der Vollstreckbarkeit – den Gerichten des Ursprungsmitgliedstaats übertragen. Dadurch soll dem Gläubiger ein effektives und kostensparendes Weg eröffnet werden, um seinen titulierten Anspruch durchzusetzen, andererseits einer unterschiedlichen Beurteilung der Vollstreckbarkeit durch verschiedene MS entgegengewirkt werden: der Europäische Vollstreckungstitel (EuVT) gilt unionsweit einheitlich. Die EuVTVO schafft einen genuin europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Geldforderungen, der in allen MS ohne vorgeschaltetes Exequaturverfahren vollstreckt werden kann. Gegen diesen Systemwechsel wurden wiederholt Bedenken vorgebracht, weil dadurch die Gerichtspflichtigkeit der Unionsbürger erheblich ausgedehnt wird und zugleich der bisher durch das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren der ĺEuGVVO dem Schuldner gewährte rudimentäre Schutz wegfällt. Um diese Bedenken auszuräumen wird der Anwendungsbereich zu Gunsten des Verbrauchers in304
soweit beschränkt, als ein EuVT gegen einen Verbraucher nur in seinem Wohnsitzstaat erteilt werden darf. Andererseits werden einheitliche verfahrensrechtliche Mindeststandards geschaffen, deren Einhaltung Voraussetzung für die Bestätigung als EuVT ist. Diese Mindeststandards betreffen insb. den Inhalt und den Zustellungsmodus des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bzw. der Ladung zur Verhandlung. Soweit diese Mindeststandards nicht eingehalten wurden kommt eine Heilung nur unter engen Voraussetzungen in Betracht. Zum Schutz des Antragsgegners muss der Ursprungsmitgliedstaat schließlich für Ausnahmefälle ein Verfahren zur Überprüfung des EuVT vorsehen. Anwendungsbereich: Die EuVTVO ist am 21.1.2005 für alle MS mit Ausnahme Dänemarks in Kraft getreten, EuVT können bereits ab dem 21.10.2005 erteilt werden. Die EuVTVO ist in Zivil- und Handelssachen anwendbar. Der sachliche Anwendungsbereich entspricht grundsätzlich der EuGVVO, ist aber insoweit enger, als die EuVTVO nur unbestrittene Forderung über eine bezifferte Geldforderung erfasst. Der Begriff der „unbestrittenen Forderung“ ist dabei aber weit gefasst und umfasst neben Anerkenntnis, Vergleich und mangelnder Verteidigung im kontradiktorischen Verfahren auch alle Fälle, in denen sich der Beklagte gar nicht am Verfahren beteiligt hat, d.h. insbesondere Versäumnisturteile. Ausreichend ist bereits das Vorliegen einer vorläufig vollstreckbaren Entscheidung; eine offene Rechtsmittelfrist, die die Möglichkeit einschließt, dass der Schuldner die Forderung doch noch bestreitet, steht der Annahme einer unbestrittenen Forderung nicht entgegen. Sofern der Rechtsbehelf nach Bestätigung als EuVT eingelegt wird kann auch eine „nicht mehr unbestrittene“ Forderung Gegenstand eines EuVT sein, d.h. eine streitige Entscheidung als EuVT vollstreckt werden. Erste Prognosen gehen davon aus, dass etwa 90 % der Forderungen, die grenzüberschreitend vollstreckt werden, unbestrittene Forderungen i.S.d. EuVTVO darstellen. Internationale Zuständigkeit: Die EuVTVO enthält keine Regelungen über die internationale Zuständigkeit oder die Verfahrenskoordination, sondern normiert ausschließlich die Bestätigung einer Entscheidung als EuVT und dessen Rechtsdurchsetzung. Das Zuständigkeitssystem der ĺEuGVVO bleibt daher grundsätzlich unberührt, allerdings mit der entscheidenden Abweichung, dass abweichend von der Einschränkung des Art. 15 ff. EuGVVO ein EuVT
Europäische Werke (Medienrecht) nur von den Gerichten des Wohnsitzstaates des Verbrauchers erlassen werden darf. Soweit eine Entscheidung sowohl nach der EuGVVO als auch nach der EuVTVO vollstreckt werden kann, steht dem Kläger ein Wahlrecht zu. Verfahren: Voraussetzung für die Vollstreckung nach EuVTVO ist, dass die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat ausdrücklich als EuVT bestätigt wird. Dies setzt voraus, dass die Mindeststandards eingehalten worden sind insb. eine der abschließend aufgezählten Zustellungsarten gewählt wurde. Die Begrenzung der Zustellungsarten soll dabei gewährleisten, dass der Beklagte von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren erfährt, d.h. dass es sich tatsächlich um eine nicht bestrittene Forderung handelt und das Unterlassen des Bestreiten nicht bloße Folge mangelnder Kenntnis des Beklagten ist. Außerdem muss das verfahrenseinleitende Schriftstück bestimmte Mindestangaben enthalten, insb. neben der Forderung auch die Zinsen und den verwendeten Zinssatz und den Zeitraum angeben. Die Bescheinigung erfolgt formularmäßig und kann sich dabei auch nur auf einen Teil der Entscheidung beschränken. Anerkennung und Vollstreckung: Ein solcher EuVT wird in jedem anderen MS automatisch anerkannt und vollstreckt, ohne dass es ein Zwischenverfahren gibt oder ĺAnerkennungshindernisse geltend gemacht werden können. Alle Rechtsbehelfe gegen die Bestätigung als EuVT müssen vor den Gerichten des Ursprungsmitgliedstaats eingelegt werden. Gegen die Entscheidung über die Bescheinigung selbst ist kein Rechtsbehelf möglich. Vorgesehen sind lediglich eine Berichtigung für den Fall, dass die Entscheidung und die Bestätigung voneinander abweichen. Ein Widerruf ist nur vorgesehen, wenn die Bestätigung als EuVT offenkundig zu Unrecht erteilt wurde, bspw. der Anwendungsbereich der EuVTVO überschritten, die ausschließliche Zuständigkeit in Verbrauchersachen verletzt oder die Mindestvorschriften nicht eingehalten worden sind. Im Falle einer Entscheidung, die noch nicht rechtskräftig geworden ist, kann eine Bescheinigung über einen Europäischen Vollstreckungstitel für Sicherungsmaßnahmen erteilt werden, damit der Gläubiger Sicherungsmaßnahmen in das Eigentum des Schuldners vornehmen kann. Gegen die Entscheidung über die Bescheinigung ist kein Rechtsbehelf möglich. Anwendbares Recht: Für das Vollstreckungsverfahren gilt das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats. Der Gläubiger muss den Vollstre-
ckungsbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats lediglich eine Ausfertigung der Entscheidung und die Bestätigung als EuVT vorlegen. Einziger Grund für die Verweigerung der Vollstreckung durch den Vollstreckungsmitgliedstaat ist das Vorliegen einer früheren unvereinbaren Entscheidung. Für den Fall, dass die dem EuVT zugrunde liegende Entscheidung oder der EuVT im Ursprungsmitgliedstaat bekämpft werden, ist das Vollstreckungsgericht lediglich befugt, die Vollstreckung auszusetzen oder auf Sicherungsmaßnahmen zu beschränken. (mrm) Lit.: A. Röthel/I. Sparmann, Der europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, WM 2006, 2285-2293; M.-R. McGuire, Rechtsbehelfe des Schuldners gegen den EU-Vollstreckungstitel, ecolex 2006, 83-86
Europäische Währungsunion ĺWirtschafts- und Währungsunion Europäische Werke (Medienrecht) European works (media law) – Œuvres européennes (droit des medias)
Art. 4 AVMRL (ĺAudiovisuelle MediendiensteRL) verpflichtet die ĺMitgliedstaaten (in Übernahme der entsprechenden Regelung aus der ĺFernsehRL) im Rahmen des praktisch Durchführbaren und mit angemessenen Mitteln dafür Sorge zu tragen, dass die Fernsehveranstalter den Hauptanteil ihrer Sendezeit, die nicht aus Nachrichten, Sportberichten, Spielshows oder Werbe-, Videotextleistungen und Teleshopping besteht, der Sendung von europäischen Werken vorzubehalten. Als solche europäischen Werke gelten nach Art. 1 der AVMRL: ƒ Werke, die ihren Ursprung ƒ in einem Mitgliedstaat der ĺEuropäischen Union oder ƒ einer Vertragspartei des ĺEuropäischen Übereinkommens über grenzüberschreitendes Fernsehen (EÜGF) haben ƒ vorausgesetzt, die Werke sind im Wesentlichen von Arbeitskräften (Autoren und Arbeitnehmern) geschaffen worden sein, die in einem oder in mehreren der genannten Staaten ansässig sind und ƒ sind entweder von einem bzw. mehreren in einem bzw. mehreren dieser Staaten ansässigen Herstellern geschaffen oder wesentlich kontrolliert worden. ƒ weiters gelten Werke, die im Rahmen von bilateralen Koproduktionsverträgen zwi305
Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) schen Mitgliedstaaten oder Vertragsparteien des ĺEÜGF hergestellt werden, ebenfalls als europäische Werke, sofern: ƒ die Koproduzenten aus der EG einen mehrheitlichen Anteil der Gesamtproduktionskosten tragen ƒ und die Herstellung nicht von einem oder mehreren außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaaten ansässigen Herstellern kontrolliert werden. (dd)
derheiten unterscheidet sich die EWIV von einer OG durch die Möglichkeit einer Drittorganschaft und die nicht primäre Haftung der Gesellschafter. (tr)
Lit.: D. Graham and Associates Limited, Impact Study of Measures (Community and National) Concerning the Promotion of Distribution and Production of TV Programmes Provided for Under Article 25(a) of the TV Without Frontiers Directive. Final Report, May 2005
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)
Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) European Economic Interest Group (EEIG) – Groupement européen d’intérêt économique (GEIE)
supranationale, primär auf der EWIV-VO basierende Gesellschaftsform, die einen rechtlichen Rahmen für grenzüberschreitende Unternehmenskooperationen im ĺBinnenmarkt bietet. Der Unternehmensgegenstand einer EWIV ist auf Hilfszwecke beschränkt: Sie ist daher – anders als etwa die ĺSocietas Europaea (SE) – keine „Rechtsformalternative“ zu nationalen Gesellschaftsformen, sondern tritt zu diesen bloß als „grenzüberschreitendes Kooperationsinstrument“ hinzu. Zumindest ein Mitglied der EWIV muss seine Hauptverwaltung oder seine Haupttätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat haben als die übrigen Mitglieder. Verboten sind der EWIV: Konzernleitung, Beteiligung an Mitgliedsunternehmen, Beschäftigung von mehr als 500 Arbeitnehmern, Kreditgewährung an Leiter von Gesellschaften, Ausübung einer Holdingfunktion. Ihre möglichen Anwendungsgebiete sind somit etwa: (jeweils grenzüberschreitende) Kooperation von Rechtsanwälten, gemeinsame Forschungstätigkeiten, gemeinsamer Verkauf bzw. Einkauf, Koordination großer Bauvorhaben, Zusammenlegung von Marken, gemeinsame Markt- und Meinungsforschung, gemeinsame Entwicklung von Produkten, gemeinsames Recycling. Die EWIV unterliegt – wie die übrigen supranationalen Gesellschaftsformen – einer ĺNormenhierarchie: Primär ist die EWIV-VO, sekundär das nationale EWIVAusführungsgesetz anwendbar. Für weite Bereiche wird vom österr. EWIVG auf die Bestimmungen zur Offenen Gesellschaft (§§ 105–160 UGB) verwiesen. Neben den genannten Beson306
Lit.: M. Löffler, EWIV – Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung in Österreich, 1998; C. Fritz, Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung, 1997; P. Selbherr/G. Manz (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung, 1995
European Economic Community (EEC) – Communauté économique européenne (CEE)
Im Jahr 1957 erfolgt die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) durch den ĺVertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), einer der ĺ„Römischen Verträge“. Inkrafttreten des Vertrages nach Ratifizierung durch die Unterzeichnerstaaten Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Staaten am 1.1.1958. Ziele des Vertrages sind die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes, einer Zollunion und die Entwicklung gemeinsamer ĺPolitiken. Mit Artikel G des ĺVertrags von Maastricht wurde der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf Gründung einer Europäischen Gemeinschaft geändert. (gm) Web: http://europa.eu/scadplus/treaties/eec_de.htm
Europäische Wissenschaftsstiftung (EWS) European Science Foundation (ESF) – Fondation européenne de la science (ESF)
Die Europäische Wissenschaftsstiftung (EWS) wurde 1974 mit dem Ziel gegründet, forschungspolitische Meinungsbildung über Strategien und Entwicklung der Grundlagenforschung in Europa zu unterstützen, wissenschaftspolitische Beratung anzubieten, die Zusammenarbeit in der Grundlagenforschung zu verbessern und die Mobilität der Forscher und Forscherinnen zu erleichtern. Die EWS mit Sitz in Straßburg (F) arbeitet auf der Basis von eigenen Forschungsprogrammen; die Fördermaßnahmen umfassen v.a. die Veranstaltung von Konferenzen sowie die Unterstützung von Gastaufenthalten, dazu tritt die forschungspolitische Strategie- und Beratungstätigkeit. Die ESF ist eine internationale non-governmental- und nonprofit-Vereinigung von Forschungsförderorganisationen nach französischem Recht. Die ESF hat zu Beginn des Jahres 2008 77 Mitgliedsor-
Europäische Zentralbank (EZB) ganisationen in 30 europäischen Ländern. Im Jahr 2003 hat die ESF die Verantwortung für das Sekretariat von ĺCOST übernommen und damit zur weiteren Integration der Forschungsförderung in Europa beigetragen. (hk) §§: ESF Statute vom 1.12.2006 Web: http://www.esf.org/
Europäische Zentralbank (EZB) European Central Bank (ECB) – Banque centrale européenne (BCE)
I. Aufgabe Die EZB hat die Aufgabe, die ĺGeldpolitik der Gemeinschaft festzulegen und auszuführen. Als Zentralbank verfügt sie zudem über das Monopol, die Ausgabe von Banknoten in der Gemeinschaft zu genehmigen. Damit versorgt die EZB die Volkswirtschaft mit dem notwendigen Zentralbankgeld (Buchgeld) sowie Bargeld. Die gesamte Geldpolitik untersteht allerdings dem vertraglich fixierten, vorrangigen Ziel, die ĺPreisstabilität in der Gemeinschaft zu gewährleisten. Nur unter vollständiger Wahrung dieses Zieles darf die EZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft unterstützen. Die geldpolitische Aufgabe der EZB schließt Befugnisse ein, ĺDevisengeschäfte zur Intervention auf den Devisenmärkten vorzunehmen. Sie hält und verwaltet zu diesem Zweck einen Teil der offiziellen Währungsreserven der Mitgliedstaaten. Das Recht, durch internationale Vereinbarungen Wechselkurse festzulegen, liegt dagegen in der Hand des Rates, der davon aber bislang keinen Gebrauch gemacht hat. Schließlich verpflichtet der EGVertrag die EZB, die Funktionsfähigkeit der Zahlungssysteme (ĺTARGET) zu fördern, da die Sicherheit und Effizienz von Zahlungssystemen für den Leistungsaustausch in einer Volkswirtschaft unabdingbar sind. Aufsichtsrechtliche Zuständigkeiten gegenüber Kreditinstituten sind ihr bislang nicht übertragen worden, wenngleich der EG-Vertrag diese Möglichkeit vorsieht. Im Bereich der internationalen Zusammenarbeit ist die EZB in verschiedenen Institutionen und Gremien vertreten, u.a. beim IWF, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, der ĺOECD und den Treffen der G 7 und G 10-Staaten. Die EZB hat ihre Tätigkeit am 1.6.1998 aufgenommen. Ihr Sitz ist Frankfurt am Main. II. Instrumente Zu den geld- und währungspolitischen Instrumenten s. unter ĺGeldpolitik sowie ĺWäh-
rungspolitik. Im Übrigen darf die EZB in bestimmten Bereichen (Art. 110 Abs. 1 EG) verbindliche Rechtsakte mit Außenwirkung erlassen (Verordnungen, Entscheidungen), unverbindliche Stellungnahmen und Empfehlungen abgeben sowie nur die nationalen Zentralbanken bindende Leitlinien beschließen. Ferner hat die EZB beratende Funktionen und muss zu allen Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane und nationaler Stellen in ihrem Zuständigkeitsbereich angehört werden. Sie kann zudem aus eigener Initiative Stellungnahmen gegenüber Gemeinschaftsorganen und nationalen Stellen zu allen Fragen in ihrem Zuständigkeitsbereich abgeben. Gegenüber Unternehmen ist die EZB befugt, Geldbußen und Strafgelder zur Durchsetzung des von ihr erlassenen Sekundärrechts zu verhängen. III. Struktur Die EZB ist nach Art. 8 und 107 Abs. 2 EG als eine Einrichtung der EG mit eigener Rechtspersönlichkeit geschaffen worden. Dieser Umstand hat Streit darüber ausgelöst, ob die EZB neben der EG als eine eigenständige internationale Organisation anzusehen oder ob sie ein Organ der Gemeinschaft, wenn auch mit eigener Rechtspersönlichkeit, sei. Nach zutreffender Auffassung des EuGH (Rs. C-11/00, Rn. 92, 135) ist die EZB in den Rechtsrahmen der Gemeinschaft eingebunden und daher nicht organisatorisch von der Gemeinschaft verselbstständigt. Im Vertrag über die Arbeitsweise der EU wird sie sogar als ein Organ der Union charakterisiert. Die EZB bildet den institutionellen Kern des ĺEuropäischen Systems der Zentralbanken, innerhalb dessen ihre Beschlussorgane die Leitungsfunktion ausüben. Diese Beschlussorgane sind das Direktorium und der ĺEZB-Rat. Das Direktorium besteht aus sechs Mitgliedern (Präsident, Vizepräsident und vier weitere Mitglieder). Der EZB-Rat besteht aus dem Direktorium sowie den Präsidenten der nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten, die den ĺEuro eingeführt haben. Hinzu kommt der Erweiterte EZB-Rat, in dem auch die Präsidenten der Zentralbanken der Mitgliedstaaten vertreten sind, die noch nicht den Euro eingeführt haben. Den Vorsitz in allen drei Organen führt der Präsident der EZB. Der EZB-Rat ist dafür zuständig, die geldpolitischen Leitlinien und Entscheidungen zu erlassen. Ihre Ausführung und die laufenden Geschäfte obliegen dem Direktorium, das zu diesem Zweck durch ver307
Europäische Zustellverordnung (EuZustVO) schiedene Geschäftsbereiche der EZB unterstützt wird. Der Erweiterte Rat nimmt Funktionen wahr, die dem Übertritt der noch nicht beigetretenen Mitglieder in den Euroraum dienen. Nach außen wird die EZB von ihrem Präsidenten vertreten. Dieser zentralen Leitung steht eine dezentralisierte Struktur bei der Durchführung der Geldpolitik gegenüber. Die operative Durchführung obliegt, soweit nicht das Direktorium zuständig ist, grundsätzlich den nationalen Zentralbanken. IV. Unabhängigkeit Zur institutionellen Absicherung einer sachgerechten, allein am Ziel der ĺPreisstabilität ausgerichteten Geldpolitik genießen die EZB und die nationalen Zentralbanken Unabhängigkeit (Art. 108 EG). Ihre Beschlussorgane dürfen daher von keinem Organ der Gemeinschaft oder eines Mitgliedstaats Weisungen einholen oder entgegennehmen. Umgekehrt sind die Organe der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten verpflichtet, die Beschlussorgane der EZB und der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nicht zu beeinflussen. Auf finanziellem Gebiet wird die Unabhängigkeit der EZB durch einen eigenen Haushalt und eigenen Kapitalstock sichergestellt. Die Kapitaleinlagen stammen von den gleichfalls unabhängigen nationalen Zentralbanken. Die Unabhängigkeit der EZB ist daher institutionell, funktionell und persönlich zu verstehen. In einem Urteil aus dem Jahr 2003 (Rs. C-11/00, Rn. 130 ff.) hat der EuGH die Unabhängigkeit der EZB als funktionell für die Erfüllung ihrer Aufgaben als Einrichtung der Gemeinschaft qualifiziert. Mit dieser Entscheidung sollte in erster Linie klargestellt werden, dass die EZB der Gemeinschaftsrechtsordnung untersteht, soweit nicht ihre sachliche Aufgabenerfüllung betroffen ist. Eine Einschränkung der institutionellen und persönlichen Unabhängigkeit ging mit diesem Urteil nicht einher, vielmehr hob der Gerichtshof hervor, die EZB solle vor jedem politischen Druck bewahrt werden, damit sie ihre Aufgaben wirksam verfolgen kann. Im Übrigen sei die EZB jedoch in die Rechtsordnung der Gemeinschaft eingebunden. Der EuGH kann auch Rechtsakte der EZB auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen (Art. 230 Abs. 1 EG), zugleich darf aber auch die EZB vor dem EuGH Maßnahmen der Organe daraufhin prüfen lassen, ob sie die Rechte der EZB verletzen (Art. 230 Abs. 3 EG). Die Unabhängigkeit der EZB wird immer wieder in Hinblick auf das 308
Demokratieprinzip kritisiert, lässt sich aber gleichwohl vor diesem rechtfertigen. (co) §§: Art. 105-115 EG; Protokoll über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank; Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank Lit.: C. Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, Unabhängigkeit und Kooperation in der Europäischen Währungsunion, 2005; R. Smits, The European Central Bank, 1997; S. Weinbörner, Die Stellung der Europäischen Zentralbank (EZB) und der nationalen Zentralbanken in der Wirtschafts- und Währungsunion nach dem Vertrag von Maastricht, 1998; C. Zilioli/M. Selmayer, The Law of the European Central Bank, 2001 Web: http://www.ecb.int/home/html/index.en.html
Europäische Zustellverordnung (EuZustVO) European regulation on the service of documents – Règlement relative à la signification et notification
Bereits in den 90er Jahren war ein Europäisches Übereinkommen über die grenzüberschreitende Zustellung in Zivilsachen nach dem Modell des ĺEuGVÜ ausgearbeitet worden, dass aber mangels Ratifikation durch alle MS zunächst nicht in Kraft trat und im Jahr 2000 im Rahmen der durch den Vertrag von Amsterdam geschaffenen ĺjustiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen in eine Gemeinschaftsverordnung überführt werden konnte. In Umsetzung des Programms des Europäischen Rates von ĺTampere wurde daher die VO (EG) 1348/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke (EuZustVO) auf der Basis des Art. 61 lit. c i.V.m. Art. 65 EG erlassen. Diese Maßnahme war erforderlich, weil die grenzüberschreitende Zustellung von Schriftstücken traditionell als Hoheitsakt angesehen wird und daher auch zwischen den MS der EG nur unter Beachtung völkerrechtlicher Übereinkommen, insb. des Haager Zustellübereinkommen 1965, und bilateraler Abkommen möglich war. Das hierfür vorgesehene Verfahren der Übermittlung durch Zentralstellen ist jedoch umständlich und zeitaufwendig. Durch die erhebliche Zunahme von Zivilrechtsstreitigkeiten mit einem grenzüberschreitenden Element war entsprechend eine effektive zeitgemäße Lösung dieser Problematik dringend erforderlich. Ziel ist eine beschleunigte und verbesserte Zustellung von Schriftstücken innerhalb der MS, die insb. durch den direkten Behördenverkehr und die Zulassung grenzüberschreitender Postzustellung erreicht werden soll. Die Zentralstellen werden daher nur noch zur Koordination und Gewährung
Europäischer Bürgerbeauftragter von Auskünften tätig, aber nicht mehr regelmäßig mit Zustellungen befasst. Die Vorgabe von verbindlichen Fristen und die Standardisierung durch zahlreiche Formblätter trägt ebenfalls zur Effektuierung bei. Anwendungsbereich: Die EuZustVO ist für die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen anwendbar, wobei der Begriff der Zivil- und Handelssache grundsätzlich dem der ĺEuGVVO entspricht, aber insoweit weiter ist, als die EuZustVO keine entsprechenden Bereichsausnahmen kennt. Der territoriale Anwendungsbereich umfasst alle MS mit Ausnahme Dänemarks, das aber durch ein paralleles Zustellübereinkommen mit Wirkung zum 1.7.2007 insoweit in den europäischen Justizraum eingebunden wird. In ihrem Anwendungsbereich geht die EuZustVO dem Haager Zustellübereinkommen 1965 sowie anderen völkerrechtlichen Verträgen vor. Zustellungsarten: Als Regelfall ist die Zustellung von Schriftstücken im direkten Behördenverkehr vorgesehen, daneben sind aber auch andere Arten der Übermittlung normiert, insb. die Zustellung auf konsularischem oder diplomatischem Weg, die Zustellung durch die Post sowie die direkte Zustellung im Auftrag der Partei, bspw. durch Gerichtsvollzieher oder Rechtsanwälte. Während die Zustellung durch die Post eine gleichwertige Zustellungsform darstellt und von allen MS akzeptiert werden muss – der Vorbehalt des Abs. 2 betrifft nur die Modalitäten der Postzustellung – kann die unmittelbare Zustellung nach Art. 15 von den MS ausgeschlossen werden, wovon bspw. Deutschland Gebrauch gemacht hat. Dem Ersuchen um Zustellung ist grundsätzlich Folge zu leisten, ein ĺordre public-Vorbehalt nicht mehr vorgesehen. Fristen: Soweit die Übermittlung mit Hilfe von Empfangsstellen gewählt wird, muss diese Empfangsstelle innerhalb von sieben Tagen eine Empfangsbestätigung an die Übermittlungsstelle senden. Soweit der Antrag unvollständig ist oder die Zustellung aus anderen Gründen nicht erfolgen kann, hat sich die Empfangsstelle mit der Übermittlungsstelle in Verbindung zu setzen. Über eine erfolgreiche Zustellung ist eine Bescheinigung auszustellen und ebenfalls zu übersenden. Verfahren: Das Schriftstück muss unter Beifügung des hierfür vorgesehenen Formblattes in einer der Amtssprachen des Empfangsstaats oder einer von diesem zugelassenen Sprache
übersandt werden. Ob das Schriftstück übersetzt wird, liegt im Ermessen des Antragstellers, der auch die Kosten hierfür zu tragen hat. Wird jedoch gegen diese Sprachvorgaben verstoßen, so kann der Empfänger die Annahme verweigern, wenn er die Sprache in der das Schriftstück abgefasst ist nicht versteht. In diesem Fall kann nach der Rsp. des EuGH zwar durch eine neuerliche Zustellung mit Übersetzung die ursprünglich fehlerhafte Zustellung geheilt werden, die neuerliche Zustellung bringt jedoch regelmäßig eine erhebliche Verfahrensverzögerung mit sich. Die jeweils zuständigen Empfangsstellen, zulässigen Zustellungsmodi und zugelassenen Sprachen können dem ĺEuropäischen Gerichtsatlas in Zivilsachen, einer internetbasierten Datenbank, entnommen werden. Reform: Trotz des erheblichen Fortschritts hat die EuZustVO viele für die prozessuale Praxis wichtige Fragen, insb. die Problematik der Zustellung bei unbekanntem Aufenthalt des Adressaten sowie die Heilungsmöglichkeiten bei fehlerhafter Zustellung nur unzureichend gelöst. Die Europäische Kommission hat daher im März 2005 einen Änderungsvorschlag vorgelegt, der insb. eine verbindliche Frist für das Tätigwerden der Empfangsstellen, eine feste Gebühr für deren Tätigkeit festlegen und ein Formular für die Belehrung des Empfängers über sein Annahmeverweigerungsrecht vorsehen soll. (mrm) §§: Vorschlag für eine geänderte VO des Rates und des EP vom 1. Dezember 2006 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen, KOM(2006) 751 endg. Lit.: B. Hess, Die Zustellung von Schriftstücken im europäischen Justizraum, NJW 2001, 15 ff.
Europäischer Außenminister ĺHoher Vertreter für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik Europäischer Bürgerbeauftragter European Ombudsman – mediateur européen
Der Ursprung der Entwicklung des Bürgerbeauftragten – oder Ombudsmannes – neuzeitlicher Prägung liegt in Schweden. Hier wurden bereits im 11. Jahrhundert vom König Repräsentanten für die halbautonomen Provinzen bestellt, der sog. „Länsman“. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts verbreitete sich die Einrichtung des Ombudsmannes weltweit. 1954 folgte der dänische Ombudsmann, 309
Europäischer Bürgerbeauftragter der sich zwar am schwedischen Vorbild orientiert, jedoch keine Kontrollkompetenz gegenüber den Gerichten hat und deshalb u.a. zum Modell für den Europäischen Bürgerbeauftragten wurde. Bereits 1979 verabschiedete das Parlament der Europäischen Gemeinschaften eine Resolution, die die Ernennung eines gemeinschaftlichen Ombudsmannes anregte (vgl. ABl. 1979, Nr. C 140/153). Motivation für diesen Schritt war u.a., dass die den Bürgern zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfsmöglichkeiten gegenüber den Verwaltungshandlungen der Gemeinschaft als nicht adäquat angesehen wurden. Die tatsächliche Umsetzung dieser Idee erfolgte jedoch erst mit dem Vertrag von Maastricht 1992 (Art. 138e), der mit der Aufnahme der Unionsbürgerschaft die Grundlagen für die Errichtung des Amtes eines Bürgerbeauftragten auf europäischer Ebene schaffte. Am 9.3.1994 verabschiedete das ĺEuropäische Parlament gem. Art. 138e Abs. 4 EG nach vorheriger Stellungnahme der ĺKommission und nach Zustimmung des ĺRates die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten. Diese legen die Aufgaben und Voraussetzungen für die Arbeit des Europäischen Bürgerbeauftragten fest. Bei der Verabschiedung dieses Regelwerks handelte es sich zudem um eine Premiere; es war der erste hauptverantwortlich vom Europäischen Parlament ausgearbeitete und verabschiedete Gesetzesentwurf. Der Europäische Bürgerbeauftragte ist eine beim Europäischen Parlament gebildete Beschwerdeinstanz, die sowohl der Durchsetzung individueller Bürgerinteresse als auch der allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle dient. Gegenstand seiner Untersuchungen sind ĺMissstände. Unter diesen Begriff fallen insbesondere Verstöße gegen die Grundsätze ĺguter Verwaltungspraxis, Fälle von Unfähigkeit und Versäumnisse in der Verwaltung. Als Beschwerdegegenstand kommen alle Handlungen von Organen im Bereich des EG und ĺEAG sowie im Bereich der ĺPJZS und des Art. 41 Abs. 1 EU, der einen expliziten Verweis auf Art. 195 EG enthält, in Betracht. Im Rahmen der ĺGASP verfolgt der Bürgerbeauftragte zudem Verstöße gegen Regelungen über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten. Dies wird von Teilen der Literatur kritisiert, da es für den Bereich der GASP an einer dem Art. 41 Abs. 1 EU vergleichbaren Verweisung fehlt. 310
Ausgeschlossen von einer Überprüfung durch den Bürgerbeauftragten sind nach Art. 195 Abs. 1 EG die Rechtsprechungstätigkeit des ĺEuGH und des ĺEuG sowie Missstände bei den Behörden der Mitgliedstaaten, da diese keine Organe der Gemeinschaft sind. Zudem erklärt der Bürgerbeauftragte alle Beschwerden für unzulässig, die sich mit politischen und nicht mit administrativen Problemen befassen. Ebenfalls der Kontrolle durch den Bürgerbeauftragten entzogen ist der ĺEuropäische Rat, da dieser kein Organ der Gemeinschaften ist. Gem. Art. 195 Abs. 1 UAbs. 2 EG führt der Bürgerbeauftragte Untersuchungen von Amts wegen durch oder angeregt durch eine Beschwerde. Der Umfang der Untersuchung richtet sich danach, was der Bürgerbeauftragte im jeweiligen Fall für angemessen hält (Art. 195 Abs. 1 UAbs. 2 EG), d.h. hier steht ihm ein Ermessen zu. Die Organe und Institutionen der Gemeinschaft sind verpflichtet, Zugang zu allen notwendigen Unterlagen zu gewähren sowie Auskünfte und Aussagegenehmigungen für Bedienstete zu erteilen. Eine Zugangsverweigerung aufgrund von Geheimhaltungsbelangen kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Das Untersuchungsverfahren gliedert sich in drei Schritte: der Bürgerbeauftragte stellt einen Missstand fest und befasst die betroffene Einrichtung oder das Organ mit dem Fall. Dieses hat nun 3 Monate Zeit, eine sachdienliche Stellungnahme zu übermitteln und ist zudem zur Beseitigung des Missstandes verpflichtet. Schließlich erstellt der Bürgerbeauftragte einen Bericht, den er dem ĺEuropäischen Parlament und dem betreffenden Organ vorlegt (Art. 195 Abs. 1 UAbs. 2 EG). Verweigert ein Organ oder eine Institution die Zusammenarbeit, berichtet der Bürgerbeauftragte dies an das Europäische Parlament, welches dann über das weitere Vorgehen entscheidet; ein Klagerecht steht dem Bürgerbeauftragten nicht zu. Der Bürgerbeauftragte wird zu Beginn jeder Wahlperiode gem. Art. 195 Abs. 2 S. 1 EG für die Dauer einer Wahlperiode (5 Jahre) vom Parlament gewählt und in einem zweiten Schritt vom Gerichtshof vereidigt (Art. 177 Abs. 7 GeschO-EP). Wählbar ist jeder Unionsbürger, der die bürgerlichen Ehrenrechte besitzt, in seinem Heimatstaat über die Befähigung für die höchsten richterlichen Ämter oder sonst über die für die Amtsführung erforderlichen Erfahrungen und Fähigkeit verfügt und jede Gewähr für seine Unabhängigkeit bietet. Der Bürgerbeauf-
Europäischer Forschungsbeirat (EURAB) tragte übt sein Amt in völliger Unabhängigkeit aus und darf von keiner Stelle Anweisungen anfordern oder entgegennehmen. Um dies zu gewährleisten darf der Bürgerbeauftragte während seiner Amtszeit auch keiner anderen beruflichen Betätigung nachgehen (Art. 195 Abs. 3 S. 2 EG). Am Ende einer jeden Sitzungsperiode legt der Bürgerbeauftragte dem Europäischen Parlament seinen Jahresbericht vor (Art. 10 GeschO-EP). Scheidet der Bürgerbeauftragte vor Ablauf einer Wahlperiode (Mandatszeit) aus dem Amt, wird für die Zeit bis zum Ende der Wahlperiode ein Nachfolger gewählt. Der Bürgerbeauftragte selbst stellt also ein unabhängiges und selbstständiges monokratisches Nebenorgan der Europäischen Gemeinschaften dar (vgl. Art. 288 Abs. 2 EG). Dies drückt sich auch im ĺHaushaltsplan der Gemeinschaften aus, der seit 2002 einen gesonderten Einzelplan für den Bürgerbeauftragten vorsieht. Da der Bürgerbeauftragte kein Organ im Sinne des Art. 232 EG darstellt, scheidet eine ĺUntätigkeitsklage gegen ihn aus. In Betracht kommt allenfalls eine Klage gegen den Bürgerbeauftragten auf Schadensersatz nach den Grundsätzen der ĺaußervertraglichen Haftung der Gemeinschaft vor dem EuG, für bei der Ausübung seiner nach dem EG übertragenen Befugnisse entstandenen Schäden. (fg) §§: Art. 195 EG, Regelungen und allgemeine Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten, ABl. 4.5.1994, Nr. L 113 Lit.: P. M. Huber, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 195 EGV; W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg), EUV/EGV Kommentar, 3. Aufl. 2007, Art. 195 EGV; M. Haag, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2004, Art. 195 EG Web: http://ombudsman.europa.eu/home/de/default. htm
Europäischer Bürgerbeauftragter, Beschwerderecht ĺBeschwerde beim Europäischen Bürgerbeauftragten Europäischer Bürgerbeauftragter, Zugang ombudsman, access to – médiateur, accès au
Das – schon jetzt via allgemeinem ĺRechtsgrundsatz zum Primärrecht gehörende – Recht, den Europäischen Bürgerbeauftragten mit „Missständen“ zu befassen, ist jetzt auch in der ĺGRC als ĺGrundrecht verankert. (ed) §§: Art. 43 GRC/Art. II-103 EVV)
Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 37; S. Magiera, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 43
Europäischer Flüchtlingsfonds European Fund for Refugees – Fonds européen pour les réfugiés
Der Europäische Flüchtlingsfonds, der durch die Entscheidung 2000/596/EG des Rates vom 28.9.2000 errichtet wurde, soll eine angemessene Lastenverteilung (ĺburden sharing) zwischen den Mitgliedstaaten, die in unterschiedlichem Ausmaße von Flüchtlings- und Vertriebenenströmen betroffen sind, gewährleisten. Gelder aus dem Fonds werden etwa jenen Mitgliedstaaten zugewiesen, die ĺvorübergehenden Schutz für Vertriebene im Falle eines Massenzustroms bei einer Ausnahmesituation im Anwendungsbereich der RL 2001/55/EG gewähren. Mit den zuerkannten Mitteln sollen z.B. Kosten zur Abdeckung des Aufnahmeverfahrens, der Integration und der Rückführung kompensiert werden. (gt) (jw) Lit.: S. Peers, EU Justice and Home Affairs Law, 2006, 345-348; D. Kugelmann, Einwanderungs- und Asylrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1827, Rn. 184-185
Europäischer Forschungsbeirat (EURAB) European Research Advisory Board (EURAB) – Comité consultative européen pour la recherche (EURAB)
Der Europäische Forschungsbeirat dient der Beratung der ĺKommission in Fragen der Gestaltung und Umsetzung der gemeinschaftlichen Forschungspolitik (ĺForschungs- und Technologiepolitik, Ziele) hinsichtlich der Realisierung des ĺEuropäischen Forschungsraums und des Einsatzes des ĺForschungsrahmenprogramms. EURAB wurde 2001 auf Beschluss der Kommission eingesetzt. Von den 45 Mitgliedern, allesamt unabhängige Experten aus Wissenschaft und Industrie, werden je 20 von der European Science Foundation (ĺESF) und der Union der Industrie und Arbeitgeberverbände (UNICE) sowie 5 Mitglieder von der Kommission vorgeschlagen und dann von der Kommission ad personam ernannt. EURAB wird auf Ersuchen der Kommission oder von sich aus tätig. (hk) §§: Beschluss der Kommission vom 27.6.2001, ABl. 2001, Nr. L 192/21 Lit.: H. Eikenberg, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 28. Lfg. 2005, Art. 166 EGV, Rn. 14 Web: http://ec.europa.eu/research/eurab/index_en. html; http://ec.europa.eu/research/science-society/ science-governance/eurab_de.html
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Europäischer Forschungsrat (EFR) Europäischer Forschungsrat (EFR) European Research Council (ERC) – Conseil européen de la recherche (CER)
Der Europäische Forschungsrat (EFR) ist die zentrale europäische Förderinstitution für Pionierforschung in allen Wissenschaftsdisziplinen. Der Ausdruck Pionierforschung (engl. frontier research) steht für ein neues Verständnis von Grundlagenforschung, das die Forschung an und jenseits der Grenzen des heutigen Wissens bezeichnet, wobei völlig neue Forschungsgebiete erschlossen und herkömmliche Disziplinengrenzen überwunden werden sollen. Grundprinzipien der Tätigkeit des EFR sind neben Effizienz, Transparenz und Rechenschaftspflicht vor allem seine hohe Autonomie und die ausschließliche Orientierung an wissenschaftlicher Exzellenz bei der Auswahl der förderungswürdigen Projekte, die von europaweit konkurrierenden Forscherteams eingereicht werden (Konzept der „Forscherinitiative“ mit freier Themenwahl, Bottom-up-Prinzip). Der EFR besteht im Wesentlichen aus einem unabhängigen Gremium, dem Wissenschaftlichen Rat (engl. Scientific Council), der die europäische Scientific Community repräsentiert, dem fünfköpfigen „Board“ und einem schlanken Durchführungsgremium, das als Exekutivagentur im Einklang mit der VO (EG) 58/2003 des Rates vom 19.12.2003 zur Festlegung des Statuts der Exekutivagenturen, ABl. 2003, Nr. L 11/1, eingerichtet wird. Der Vorsitzende des Scientific Council ist zugleich Präsident des EFR. Rechtsgrundlage des EFR ist das auf Art. 166 Abs. 4 EG gestützte ĺspezifische Programm „Ideen“ des ĺSiebten Rahmenprogramms, dessen Durchführung der EFR sicherstellen soll. Der EFR ist der ĺKommission verantwortlich, die seine Autonomie gewährleistet. Der Wissenschaftliche Rat, dessen derzeit 22 Mitglieder von der Kommission für vier Jahre bestellt werden, legt die Gesamtstrategie des EFR fest, erstellt das Arbeitsprogramm für die Durchführung des spezifischen Programms und legt die Arbeits- und Verfahrensweisen für die Gutachterverfahren und die Bewertung der Vorschläge fest, auf deren Grundlage bestimmt wird, welche Vorschläge finanziert werden. Ziel des EFR ist die konkrete Förderung von exzellenten Forschern und deren Teams bereits in einem frühen Stadium ihrer wissenschaftlichen Karriere (ERC Starting Independent Researcher Grant) sowie am Zenit ihrer Schaffenskraft (ERC Advanced Investigator Grant). Dadurch sollen die Rahmenbedingungen für 312
weltweit konkurrenzfähige Spitzen(-grundlagen-)forschung in allen Disziplinen, d.h. auch den Sozial- und Geisteswissenschaften, in Europa verbessert werden. Der EFR steht damit im Einklang mit der ĺLissabon-Strategie, zugleich markiert er einen Paradigmenwechsel in der europäischen Forschungsförderung. (hk) §§: Entscheidung des Rates vom 19.12.2006 über das spezifische Programm „Ideen“ zur Durchführung des Siebten Rahmenprogramms der Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007–2013), ABl. 2006, Nr. L 400/242 Lit.: A. von Bogdandy/D. Westphal, Der rechtliche Rahmen eines autonomen Europäischen Wissenschaftsrates, WissR Bd. 37 (2004) 224 Web: http://erc.europa.eu/
Europäischer Forschungsraum (EFR) European Research Area (ERA) – Espace européen de la recherche (EER)
Der Europäische Forschungsraum (EFR) soll dazu dienen, im Bereich von Forschung und Innovation ein Äquivalent zum Gemeinsamen Markt für Waren und Dienstleistungen aufzubauen. Dies betrifft insbesondere die Freizügigkeit für Forscher, den ungehinderten Austausch von Erkenntnissen und Technologien und überhaupt die umfassende Nutzung von Synergien auf europäischer Ebene bis hin zu einer besseren Koordinierung und Konvergenz der Forschungs- und Technologiepolitik der Mitgliedstaaten sowie eine Erhöhung der Forschungsausgaben insgesamt. Grundlage für dieses Konzept bildet die Mitteilung der Kommission vom 18.1.2000 „Hin zu einem Europäischen Forschungsraum“ (KOM[2000] 6), die erstmals die Leitlinien für die Strukturierung des EFR enthält und diesen als wesentliches Element der ĺLissabon-Strategie zur Hebung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft verankert. Das ĺSechste Rahmenprogramm sollte zur Ausgestaltung des EFR beitragen, ebenso wie das nun laufende ĺSiebte Rahmenprogramm. In Art. III-248 VVE ist eine primärrechtliche Verankerung des EFR vorgesehen. Im April 2007 veröffentlichte die ĺKommission ein Grünbuch zum EFR, das bestehende Hindernisse bei der Realisierung des EFR aufzeigt und eine öffentliche Debatte zur Weiterentwicklung des EFR anstoßen sollte. (hk) §§: Hin zu einem Europäischen Forschungsraum, KOM(2000) 6 endg.; Eine Mobilitätsstrategie für den Europäischen Forschungsraum, KOM(2001) 331 endg.; Die internationale Dimension des Europäischen Forschungsraums, KOM(2001) 346 endg.; Die regionale
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Dimension des Europäischen Forschungsraums, KOM(2001) 549 endg.; Grünbuch „Der Europäische Forschungsraum: Neue Perspektiven“, KOM(2007) 161 endg. Lit.: A. Kallmayer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 163 EGV, Rn. 3; A. de Elera, The European Research Area: On the Way Towards a European Scientific Community?, European Law Journal 2006, 559 Web: http://ec.europa.eu/research/era/index_de.html; http://cordis.europa.eu/era/
Europäischer Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) European Agricultural Guarantee Fund (EAGF) – Fonds européen de garantie agricole (FEGA)
Dient der Finanzierung markt- und einkommenspolitischer Maßnahmen im Rahmen der ĺGemeinsamen Agrarpolitik, insbesondere der Finanzierung von ĺDirektzahlungen an Landwirte (ĺEinheitliche Betriebsprämie) und von ĺInterventions- Steuerungsmaßnahmen zur Regulierung der Agrarmärkte. (all) §§: Art. 34 Abs. 3 EG; VO (EG) 1290/2005 GAP Finanzierung, ABl. 2005, Nr. L 209/1; VO (EG) 1782/ 2003 Direktzahlungen, ABl. 2003, Nr. L 270/1; VO (EG) 1234/2007, Gemeinsame Organisation der Agrarmärkte, ABl. 2007, Nr. L 299/1
Europäischer Gerichtsatlas in Zivilsachen European Judicial Atlas in Civil Matters – Atlas judiciaire européen en matière civile
Das ĺEuropäische Zivilprozessrecht schafft eine Infrastruktur für Streitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug und versucht diese insb. dadurch effizienter zu machen, dass Parteien und Gerichte direkt mit den ausländischen Gerichten und Behörden in Kontakt treten, also die zeit- und kostenintensiven Umwege über den diplomatischen oder konsularischen Weg bzw. gesonderte Zentralstellen ersparen. Voraussetzung hierfür ist, dass Gerichte und Parteien ihre jeweiligen Ansprechpartner sowie die Voraussetzungen für die Gewährung von ĺRechtshilfe durch ausländische Gerichte kennen, die betreffenden Informationen also öffentlich zugänglich sind. Zu diesem Zweck verpflichten die neuen Verordnungen die Kommission die für die gerichtliche Zusammenarbeit in Zivilsachen in der Praxis relevanten Informationen, bspw. die Adressen der jeweils örtlich zuständigen Gerichte, die Gerichte, bei denen Rechtsbehelfe eingelegt werden können, die für den Rechtsverkehr in einem bestimmten MS zugelassenen (Amts-)Sprachen, Kommunikationsmittel etc., bekannt zu ma-
chen. Zu diesem Zweck hat die Kommission eine öffentlich zugängliche, internetbasierte Datenbank eingerichtet, den sog. Europäischen Gerichtsatlas in Zivilsachen. Darin kann mit einer Suchmaske bspw. das für eine bestimmte Postleitzahl oder einen Ort zuständige Gericht ermittelt werden. Die nach den diversen VO vorgesehenen Formblätter können ausgedruckt oder online ausfüllt werden. Um den Übersetzungsaufwand zu minimieren kann nach dem Ausfüllen die Sprache geändert werden. Die relevanten Informationen sind nach Sachgebieten (Zuständigkeit, Zustellung, Beweisaufnahme, PKH etc.) geordnet. Außerdem enthält der Gerichtsatlas Hinweise auf andere für diesen Bereich maßgebliche Rechtsakte (bspw. internationale Übereinkommen). Ergänzt wird diese Datenbank durch die Datenbank des ĺjustiziellen Netzes in Zivilsachen, das über diese obligatorisch zur Verfügung zu stellenden Informationen hinaus auch Erläuterungen zu den Rechtsordnungen der anderen MS enthält. (mrm) Web: http://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlas civil/html/index_de.htm
Europäischer Gerichtshof (EuGH) ĺEuGH und EuG I; ĺEuGH und EuG I, Amtssitz; ĺEuGH und EuG I, Aufgaben; ĺEuGH und EuG I, Beweisaufnahme; ĺEuGH und EuG I, Funktion; ĺEuGH und EuG I, Gerichtskosten; ĺEuGH und EuG I, Rechtsstellung der Richter; ĺEuGH und EuG I, Sprache; ĺEuGH und EuG I, Zuständigkeit, ĺEuGH, Kanzler; ĺEuGH, Organisation, ĺEuGH, Präsident; ĺEuGH, Satzung, ĺEuGH, Verfahrensablauf; ĺEuGH, Verfahrensordnung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) European Court of Human Rights (ECHR) – Cour européenne des Droits de l’Homme (CEDH)
Keine EU-Institution, sondern völkerrechtlich etabliertes Rechtsschutzorgan im Rahmen der ĺEuropäischen Menschenrechtskonvention (ĺEMRK) mit Sitz in Straßburg. Ersetzt seit dem 11. ZP zur EMRK auch die frühere erstinstanzliche Zuständigkeit der damit aufgelösten ĺEuropäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR). Nunmehr allein zuständig, auch in Individualbeschwerdeverfahren, nach Ausschöpfung innerstaatlicher Instanzenzüge (vgl. Art. 35 EMRK). Entscheidet in unterschied313
Europäischer Haftbefehl lichen Zusammensetzungen (Kleine oder Große Kammer, mit Anrufungsmöglichkeiten von der Kleinen zur Großen Kammer). Beziehung zur EU bzw. zum EuGH: Nachdem die EU als solche der EMRK nicht beigetreten ist – und de lege lata weder von EU- noch von EMRK-Seite aus auch nicht könnte –, ist er auch nicht zuständig zur Überprüfung von Rechtsakten bzw. Handlungen der EU, höchstens solcher von Mitgliedstaaten. Im Überschneidungsbereich bestehen Abgrenzungsschwierigkeiten (vgl. EGMR ĺCantoni, EGMR ĺMatthews, EGMR ĺBosphorus; vgl. Nachweise auch unter ĺEMRK). Der EuGH orientiert sich jedoch in seiner Grundrechtsrechtsprechung sehr stark an der Rsp. des EGMR (vgl. auch die Präambel der ĺGRC), mit äußerst seltenen Judikaturdivergenzen. (ed) §§: Art. 19 ff. EMRK
Europäischer Haftbefehl European Arrest Warrant – mandat d'arrêt européen
Der Europäische Haftbefehl ist eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat bezweckt. Das mit dem Europäischen Haftbefehl an die Stelle der Auslieferung getretene „Übergabeverfahren“ zwischen den Mitgliedstaaten der EU ist ein rein justizförmiges Verfahren. 1. Anwendungsbereich: Der Europäische Haftbefehl kann sowohl zur der Strafverfolgung als auch zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ergehen. Er kann bei Handlungen erlassen werden, die nach den Rechtsvorschriften des „Ausstellungsmitgliedstaats“ mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sind, oder im Falle einer Verurteilung zu einer Strafe oder Anordnung einer Maßregel der Sicherung, deren Maß mindestens vier Monate beträgt (Art. 1 RB EuHB). 2. Übergabeverfahren: Der Europäische Haftbefehl wird durch die zuständige Justizbehörde des „Ausstellungsmitgliedstaats“ erlassen. Die erforderlichen Informationen werden dazu in einem für alle Mitgliedstaaten ident aufgebauten Formblatt vermerkt. Der so ergangene Haftbefehl wird, wenn der Aufenthaltsort des gesuchten Person be314
kannt ist, direkt der vollstreckenden Justizbehörde des „Vollstreckungsmitgliedstaats“ übermittelt; diese kann auch über das EJN ermittelt und kontaktiert werden. Stets ist eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem möglich. Eine solche Ausschreibung mit den erforderlichen Informationen steht einem Europäischen Haftbefehl gleich. Der Vollstreckung eines EuHB können nach dem zugrundeliegenden ĺRahmenbeschluss bestimmte Vollstreckungshindernisse entgegen stehen oder fakultative Ablehnungsgründe entgegen gehalten werden (ĺEuropäischer Haftbefehl, zwingende Vollstreckungshindernisse; ĺEuropäischer Haftbefehl, fakultative Ablehnungsgründe). Unter bestimmten Umständen kann die Vollstreckung an Bedingungen geknüpft werden (ĺEuropäischer Haftbefehl, Vollstreckung unter Bedingungen). 3. Neuerungen: Der RB EuHB beruht auf dem Prinzip der ĺgegenseitigen Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen und strebt damit den Vollzug der justiziellen Entscheidung des Ausstellungsmitgliedstaates gleich der einer innerstaatlichen Justizbehörde an. Bezweckt ist damit nicht nur die Herstellung eines einheitlichen Rechtsraums, sondern auch die Beschleunigung der Verfahren gegenüber der klassischen Rechtshilfe. Gegenüber der Auslieferung begründet der EuHB drei zentrale Neuerungen. Dies sind die Abschaffung des gouvernementalen Bewilligungsverfahrens als zweiter Stufe der herkömmlichen Auslieferungsentscheidung, die Verpflichtung eines zur Strafverfolgung ausgestellten EuHB auch dann, wenn die betroffene Person Staatsangehöriger des Vollstreckungsmitgliedstaats ist (ĺAuslieferung eigener Staatsangehöriger) sowie der Entfall der Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit als Überstellungsvoraussetzung bei den explizit benannten 32 sog. ĺListendelikten des Art. 2 Abs. 2 RB EuHB. (sts) §§: Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002, Nr. L 190/1; Lit.: B. Hecker, Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. 2007, § 12, Rn. 19 ff.; F. Zeder, Der Europäische Haftbefehl: das Ende der Auslieferung in der EU, ÖAnwBl. 2003, 376; D. Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, 2003 Rsp.: EuGH, Rs. C-303/05 ĺAdvocaten voor de Wereld, Slg. 2007, I-3633; BVerGE, 113, 273 ff. Europäischer Haftbefehl (ĺEuropäischer Haftbefehl, BVerfG) Web: http://www.eurowarrant.net
Europäischer Haftbefehl, zwingende Vollstreckungshindernisse Europäischer Haftbefehl, fakultative Ablehnungsgründe
Europäischer Haftbefehl, Vollstreckung unter Bedingungen
European Arrest Warrant, grounds for optional non-execution – Mandat d’arrêt européen, motifs de non-exécution facultative
European Arrest Warrant, execution being subject to conditions – mandat d’arrêt européen, exécution sous conditions
Die Vollstreckung eines ĺEuropäischen Haftbefehls kann abgelehnt werden, wenn ƒ es sich um einen nicht wegen eines Listendelikts erlassenen EuHB handelt und keine beiderseitige Strafbarkeit vorliegt, ƒ die gesuchte Person wegen der dem EuHB zugrunde liegenden Handlung im Vollstreckungsmitgliedstaat bereits strafrechtlich verfolgt wird, ƒ seitens des Vollstreckungsmitgliedstaates eine justizielle Entscheidung vorliegt, wegen der dem EuHB zugrunde liegenden Straftat kein Verfahren einzuleiten bzw. ein solches einzustellen, oder seitens eines beliebigen Mitgliedstaats eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die einer weiteren Strafverfolgung entgegensteht, ƒ nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats eigene Gerichtsbarkeit bestand und Verfolgungs- oder Vollstreckungsverjährung eingetreten ist, ƒ die gesuchte Person wegen der Handlung durch einen Drittstaat bereits rechtskräftig verurteilt und die Sanktion bereits vollstreckt ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann, ƒ der EuHB zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel erlassen wurde und die gesuchte Person Staatsangehöriger des Vollstreckungsmitgliedstaats ist oder dort ihren Wohnsitz hat und der Vollstreckungsmitgliedstaat sich zur Vollstreckung der Strafe oder Maßregel nach seinem innerstaatlichen Recht verpflichtet, ƒ der EuHB sich auf Straftaten erstreckt, die entweder nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats ganz oder teilweise auf dessen Hoheitsgebiet oder gleichgestelltem Gebiet begangen worden sind oder außerhalb des Hoheitsgebiets des Ausstellungsmitgliedstaats begangen wurden und nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats die Verfolgung gleichartiger, außerhalb seines Hoheitsgebiets begangener Taten nicht zulässig ist. (sts)
Die Vollstreckung eines ĺEuropäischen Haftbefehls kann nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats an die Bedingung geknüpft werden, dass ƒ im Falle eines zur Vollstreckung eines unter bestimmten Voraussetzungen ergangenen ĺAbwesenheitsurteils ergangenen EuHB die zu überstellende Person eine Wiederaufnahme des Verfahren verlangen kann, ƒ im Falle eines EuHB wegen einer Straftat, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder ebensolcher Maßregel bedroht ist, die zu überstellende Person spätestens nach 20 Jahren Anspruch hat auf Überprüfung der Strafvollstreckung – sei es auf Antrag, amtswegig oder im Gnadenwege, ƒ im Fall eines EuHB gegen einen Staatsangehörigen des Vollstreckungsmitgliedstaats oder eine dort wohnhafte Person, dass diese Person nach Gewährung rechtlichen Gehörs rücküberstellt wird. (sts)
§§: Art. 4 Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002 L 190/1
§§: Art. 5 Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. 2002, Nr. L 190/1
Europäischer Haftbefehl, zwingende Vollstreckungshindernisse European Arrest Warrant, grounds for mandatory nonexecution – Mandat d’arrêt européen, motifs de non-exécution obligatoire
Die Vollstreckung eines ĺEuropäischen Haftbefehls ist abzulehnen, wenn ƒ die Straftat im Vollstreckungsmitgliedstaat unter eine Amnestie fällt und dieser Staat nach seinem eigenen Strafrecht für die Strafverfolgung zuständig war, ƒ die gesuchte Person wegen der Handlung durch einen anderen Mitgliedstaat der EU bereits rechtskräftig verurteilt und die Sanktion bereits vollstreckt ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann oder ƒ die gesuchte Person nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats aufgrund des Alters für die dem Haftbefehl zugrundeliegende Handlung nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. (sts) §§: Art. 3 Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und
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Europäischer Haftbefehl-Entscheidung (BVerfG) die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten; ABl. 2002, Nr. L 190/1
Europäischer Haftbefehl-Entscheidung (BVerfG) Europäischer Haftbefehl case – jurisprudence Europäischer Haftbefehl
Entscheidung des ĺBVerfG vom 18.7.2005, BVerfGE 113, 273 (ĺVerfassungsbeschwerde). Das Verfahren betraf die Auslieferung des Beschwerdeführers nach Spanien auf der Grundlage eines Gesetzes, das in Umsetzung des ĺRahmenbeschlusses zum ĺEuropäischen Haftbefehl erlassen worden war. Das BVerfG erklärte das Umsetzungsgesetz wegen Verstoßes gegen Art. 16 Abs. 2 GG (Auslieferungsverbot) und Art. 19 Abs. 4 GG (Rechtsweggarantie) für nichtig, weil der Gesetzgeber die vom Rahmenbeschluss belassenen Spielräume nicht in grundrechtsschonender Weise genutzt habe. Insb. rügte das BVerfG, dass weder nach dem Grad des Auslandsbezugs der Tat differenziert werde noch verfahrensrechtliche Sicherungen bestünden, die eine Einzelfallprüfung der rechtsstaatlichen Mindeststandards ermöglichten. (sgk) §§: Art. 16 GG; Art. 19 Abs. 4 GG; Rahmenbeschluss 2002/584/JI, ABl. 2002, Nr. L 190/1 Lit.: C. Tomuschat, Ungereimtes, EuGRZ 2005, 453; F. Schorkopf (Hrsg.), Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht, 2006
Europäischer Hochschulraum European Higher Education Area – l’espace européen de l’enseignement supérieur
Der Europäische Hochschulraum in seiner Gesamtheit ist aus der Perspektive der EU im Zusammenhang mit dem Beitrag bildungspolitischer Zielsetzungen zum ĺLissabon-Prozess zu sehen, der mit Seitenblick auf eben die Rolle der Bildungspolitik das zentrale Ziel vorgegeben hat, Europa zum dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt weiterzuentwickeln. Die damit einhergehenden Anforderungen an eine europäische Bildungs- und ĺForschungspolitik in seiner Gesamtheit erscheinen so als Ausfluss des umfassend integrierten europäischen Wirtschaftsraums. Hinzu treten die zunehmenden Bemühungen der EU zur Verstärkung ihrer geistig-kulturellen Dimension (vgl. die Diskussionen um eine politische und/oder kulturelle europäische Identität oder um einen europäischen Demos als Elektorat für Wahlen zum Europäischen Parlament) im Zuge der auch mit dem Vertrag von Lissabon fortschreitenden Entwicklung und Verdichtung zu einer politischen Gemeinschaft. 316
Zweiteres kommt etwa durch die Verankerung erster nennenswerter Ansätze einer ĺBildungspolitik im EGV im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung durch den Maastrichter Unionsvertrag (Art. 149 und 150 EG) zum Ausdruck. Diese sehen auch die Kooperation mit in diesem Politikbereich tätigen Internationalen Organisationen vor. Entsprechend kommen durch solche Kooperationen wie mit dem Europarat und der UNESCO Initiativen wie das ĺLissabonner Anerkennungsübereinkommen zustande. Dabei handelt es sich naturgemäß nicht um EU-Recht sondern um eine von der EU mitinitiierte völkerrechtliche Vereinbarung. Dieses Beispiel kann pars pro toto für die Entwicklung eines Europäischen Hochschulraums und den Anteil der EU-Bildungspolitik daran stehen. Mangels hinreichender bildungspolitischer Kompetenz (im Wesentlichen durch Art. 149 und 150 EG umschrieben) muss sich die EU auf das bildungsprogrammatische Vorantreiben und Flankieren (durch rechtlich unverbindliche Empfehlungen, Erklärungen, Arbeitsprogramme, etc. ihrer Institutionen) der außerEU-rechtlichen internationalen Vereinbarungen, die bis dato den EHR ausmachen, beschränken. Nicht zu unterschätzen sind aber die direkten Einflussmöglichkeiten der EG mittels ihrer ĺBildungsprogramme, mit denen sie die Förderempfänger vertraglich zur Umsetzung von Maßnahmen zum Auf- und Ausbau des EHR verpflichtet (wie die Anwendung von ĺECTS). Der EHR lässt sich also (europa)rechtlich durch ein Bündel von völkerrechtlich verbindlichen und (rechtlich) unverbindlichen Akten und Programmatiken der EU und ihrer MS, von europäischen Drittstaaten außerhalb der EU und weiterer im bildungspolitischen Bereich tätigen IO (z.B. Europarat) festmachen und beschreiben. Der diesbezügliche aktuelle Prozess der Integration der europäischen Bildungssysteme im Zuge der Internationalisierung der Bildung (als Konsequenz der Globalisierung) lässt sich mit ähnlich gelagerten früheren Entwicklungen der europäischen Integration wie dem Schengen-Abkommen vergleichen (hier wie dort wurde ein zunächst auf int. Vereinbarungen außerhalb des EU-Rechts, aber von dieser durchaus betrieben und unterstützt, beruhender Politikbereich etabliert und im Fall von Schengen in das EU-Recht integriert). Ob es zu einer ähnlich verlaufenden Integration einer umfassenden europäischen Bildungspolitik und
Europäischer Hochschulraum somit des erreichten Besitzstandes des EHR in das EU-Recht kommt, muss dahin gestellt bleiben. Der Integrationsprozess der europäischen Bildungspolitik findet seinen Kristallisationskern im sog. Bologna-Prozess. Ausgehend von einer Vereinbarung in Paris 1998 (sog. Sorbonne-Erklärung der für die Hochschulen zuständigen Minister Frankreichs, Deutschlands, Italiens und Großbritanniens anlässlich der 800-Jahrfeier der Sorbonne) haben sich die Bildungsminister 29 europäischer Staaten 1999 in Bologna auf die sog. Bologna-Erklärung verständigt. Sie enthält die Bologna-Ziele, das sind die zentralen gemeinsamen bildungspolitischen Zielsetzungen zur Schaffung eines EHR (bis 2010). In alle zwei Jahre folgenden Follow upKonferenzen werden die Erreichung der gesetzten Ziele und mittelfristige Schwerpunktsetzungen und -maßnahmen zur Fortführung des Integrationsprozesses (qua Koordinierung der nationalen Hochschulbildungspolitiken) diskutiert. Die Eckpunkte des Bologna-Prozesses sind: Etablierung eines gemeinsamen Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Studienabschlüsse (ĺDiploma Supplement); Schaffung eines weitgehend einheitlichen zweistufigen Studiensystems (Bachelor-Master); Etablierung eines gemeinsamen Anrechnungspunktesystems zur Strukturierung von Studien nach dem Modell des ĺECTS; die Förderung von Mobilität der im Hochschulbereich handelnden Personen (Studierende, Lehrende, Forscher, Verwaltungspersonal); die Förderung der Zusammenarbeit in der Qualitätssicherung; die Förderung der europäischen Dimension im Hochschulbereich (vgl. gleichlautende Zielsetzungen der ĺBildungsprogramme der EU, die sich ausdrücklich als Beitrag zum EHR verstehen). Alle Signatarstaaten haben eine nationale Bologna-Kontaktstelle eingerichtet, die i.d.R. in den jeweiligen für Hochschulen zuständigen Bildungsministerin angesiedelt sind. Die erste Nachfolgekonferenz fand 2001 in Prag statt, die Ergebnisse sind im Prag-Kommunikee zusammengefasst (u.a. Arbeitsprogramm bis 2003); gefolgt von Berlin (Berlin-Kommuniquee 2003: u.a. Doktoratszyklus als 3. Zyklus der Studienarchitektur im Bologna-System), Bergen 2005 (Bergen-Kommunikee) und London 2007 (London-Kommunikee: u.a. Beschäftigungsfähigkeit und Relevanz der Abschlüsse am Arbeitsmarkt, die soziale Dimension, Qualitätssicherungsmaßnahmen).
Als jüngster Fortschritt im Zusammenwirken von EU und Bologna-Prozess und damit des Ausbaus eines Europäischen Hochschulraums haben sich die EK (ein entsprechender Vorschlag für eine ĺEmpfehlung i.S.d. Art. 249 EG wurde von der EK am 5.9.2006 verabschiedet und am 6.9.2006 im Zuge des ĺMitentscheidungsverfahrens nach Art. 251 Abs. dem EP übermittelt : KOM 2006/0479), das EP (Annahme des Vorschlags am 24.10.2007: P6_TA/ 2007/0463) und die MS (politische Einigung im Rat am 15.11.2007: PRES/2007/256) auf einen Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen verständigt (die formelle Verabschiedung der Empfehlung wird für Anfang 2008 erwartet). Der EQR ist wie der Europäische Hochschulraum in seiner Gesamtheit im Zusammenhang mit den bildungspolitischen Auswirkungen und Implementierungsmaßnahmen des ĺLissabon-Prozesses zu sehen. Die EU beabsichtigt damit im Rahmen der ihr auf Grund der Art. 149 und 150 EG im Bildungsbereich zur Verfügung stehenden Mittel die Zielsetzungen des ĺBologna-Prozesses hinsichtlich der Errichtung eines EQR mit entsprechenden Begleitmaßnahmen zu fördern. Der EQR versteht sich als Referenzrahmen zur besseren Verbindung und Vergleichbarkeit nationaler Ausbildungssysteme vom Primär- bis hin zum Tertiärbereich. Als eine Art Übersetzungsinstrument zur besseren Einordnung und Feststellung der Gleichwertigkeit mit nationalen Ausbildungen/Schul- und Hochschulabschnitten soll der EQR deren bessere Verständlichkeit in anderen (nationalen) Bildungssystemen ermöglichen und so die Mobilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder Studierenden fördern. Den MS wird im Empfehlungsentwurf im Wesentlichen empfohlen, den Europäischen Qualifikationsrahmen verstärkt und systematisch als Referenzinstrument zu verwenden, um die Qualifikationsniveaus verschiedener Qualifikationssysteme zu vergleichen und sowohl das lebenslange Lernen und die Chancengleichheit in der Wissensgesellschaft als auch die weitere Integration des europäischen Arbeitsmarktes zu fördern; ihre nationalen Qualifikationssysteme bis 2010 an den Europäischen Qualifikationsrahmen zu koppeln; die erforderlichen Maßnahmen zu erlassen, um bis 2012 dafür zu sorgen, dass alle neuen Qualifikationsnachweise, Zeugnisse und Europass-Dokumente, die von den dafür zuständigen Stellen ausgestellt werden, über die nationalen Qualifikationssysteme einen klaren 317
Europäischer Hochschulraum Verweis auf das zutreffende Niveau des Europäischen Qualifikationsrahmens enthalten; bei der Beschreibung und Definition von Qualifikationen einen Ansatz zu verwenden, der auf Lernergebnissen beruht, und die Validierung nicht formalen und informellen Lernens gem. den gemeinsamen europäischen Grundsätzen zu fördern; nationale, mit den Strukturen der Mitgliedstaaten verbundene und ihren jeweiligen Anforderungen genügende Koordinierungsstellen zu benennen, die die Beziehung zwischen dem nationalen Qualifikationssystem und dem Europäischen Qualifikationsrahmen unterstützen. Der EQR-Vorschlag sieht acht Niveaustufen vor, die jeweils durch eine Reihe von Deskriptoren definiert werden. Sie beschreiben die Lernergebnisse (= Aussagen darüber, was Lernende wissen, verstehen und in der Lage sind zu tun, nachdem sie einen Lernprozess abgeschlossen haben), die für die Erlangung der diesem Niveau entsprechenden Qualifikationen erforderlich sind. Die Lernergebnisse werden gegliedert in Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen für jedes der acht Niveaus definiert. Die Niveaus 5 bis 8 entsprechen dabei (beginnend mit Kurzstudiengängen innerhalb des 1. Studienzykluses über Bachelor-, Master- bis hin zum Doktorats- bzw. PhDZyklus) dem Bologna-Modell der Studienabschlüsse. Im Hochschulbereich liegen mit den sog. „Dublin-Deskriptoren“ bereits seit 2002 einheitliche, an den „learning outcomes“, d.h. an den Lernzielen und den im Zuge eines Ausbildungszykluses erworbenen Kenntnissen, Fertrigkeiten und Kompetenzen orientierte Qualifikationsbeschreibungen für den Bachelor-, Masterund Doktoratszyklus sowie für kürzere hochschuliche Ausbildungen im Rahmen des ersten (Bachelor-)Zyklus vor (die zwei zuletzt genannten seit 2004). Es handelt sich um den Ausgangspunkt für ein Modell eines europäischen Qualifikationsrahmens, der sowohl fachübergreifende als auch fachspezifischen Lernziele definiert, die Studierende im Lauf der Absolvierung eines tertiären Ausbildungszyklus erwerben. Sie wurden von einer informellen Initiativgruppe im Gefolge des BolognaProzesses erarbeitet, in einer ersten Version im März 2002 veröffentlichet und in Folge der entsprechenden Zielsetzungen des Berlin-Kommuniqués (Ergebnisse der Bologna Follow-up Konferen in Berlin 2003) adaptiert (in mehreren Meetings u.a. in Dublin, wie zweimal im Laufe des Jahres 2004) und zur Diskussion ge318
stellt. Sie umfassen sowohl allgemeine Deskriptoren zur gemeinsamen Beschreibung der im Rahmen der drei Bologna-Studienzyklen zu erwerbenden generellen Kompetenzen als auch spezifische gemeinsame Deskriptoren zur Beschreibung von Fachkompetenzen in spezifischen akademischen Fächern und Fachrichtungen. Erstere beinhalten entsprechend der genannten vier Ausbildungszyklen die Beschreibung der auf den entsprechenden Stufen der akademischen (tertiären) Ausbildung zu erwartenden und durch den entsprechenden Abschluss (Bachelor-, Master- bzw. Doktor-Grad) angezeigten Qualifikationen. Sie schließen auch eine differenzierte Beschreibung der unterschiedlichen Niveaus in fünf definierten Kompetenzbereichen zwischen Bachelor-, Masterund Doktoratszyklus ein: Es werden nach Anspruch und Dichte zunehmende Ausbildungsbzw. Lernziele für die Bereiche Wissen & Verstehen, deren Anwendung, Urteilsbildung, Kommunikation und Lern- bzw. Vermittlungsfähigkeiten definiert. Bei zweiteren handelt es sich um von der Ebene der allgemeinen Deskriptoren in den drei Zyklen auf einzelne Fachgebiete heruntergebrochene fachspezifische Deskriptoren zur Beschreibung der Lernziele in einzelnen Studien (Musik, Chemie, etc.), wie sie etwa im Rahmen von Thematischen Netzwerken des Eramsus-Programms laufend erarbeitet werden. Die Dublin-Deskriptoren der Joint Quality Initiative sind in den Bologna-Prozess integriert worden (vgl. Schlussfolgerungen der Bologna Follow up-Konferenz in Bergen/Norwegen 2005). Für die Praxis der Schaffung, des Ausbaus und der Angleichung nationaler Referenz- und Qualifikationsrahmen sowie deren Zusammenführung in einen EQR gilt, dass sich v.a. letzterer Schritt im Rahmen der Koordinierung der nationalen Bildungspolitiken im Zuge internationaler Vereinbarungen wie im Zuge des Bologna-Prozesses oder durch begleitende, die MS rechtlich nicht umfassend bindenden Empfehlungen der EU vollziehen und daher in den nationalen Rechtsordnungen nur bedingt rechtliche Verbindlichkeiten entfalten. Tatsächlich dient aber der EQRVorschlag bereits gegenwärtig als Referenzrahmen für die Einrichtung solcher nationaler Qualifikationsrahmen im Bildungsbereich (für Österreich vgl. http://www.bmukk.gv.at/europa/ bildung/nationaler_qualifikationsrah.xml). Zur Umsetzung der Bologna-Ziele und Sicherstellung des Informationsflusses im innerstaatlichen Breich wurden nationale Bologna Fol-
Europäischer Investitionsfonds (EIF) low up-Gruppen bei den nationalen Kontaktstellen eingerichtet. Diese wird von einem Team sog. Bologna-Promotoren unterstützt, das die einzelnen Hochschulen bei der Implementierung berät und unterstützt. Besuche von Bologna-Promotoren an Hochschuleinrichtungen (bzw. deren Beantragung) werden ob der engen Zusammenhänge mit Maßnahmen des ĺAktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens mitunter von den ĺNationalen Agenturen administrativ unterstützt. Zahlreiche Reformen innerstaatlichen Hochschulrechts im EHR der letzten Jahre spiegeln gesetzliche Umsetzungen und Verankerungen der Maßnahmen zur Erreichung der Bologna-Ziele und damit Harmonisierungen des staatlichen Hochschulrechts wieder. (jbu) §§: Art. 149 und 150 EG; Beschluss 1720/2006/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 15.11. 2006 über ein Aktionsprogramm im Bereich des Lebenslangen Lernens (ABl. 2006, Nr. L 327/45); Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen vom 6.9.2006 (KOM 2006/0479); Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24.10. 2007 zu dem Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung eines Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (P6_TA/2007/0463); SorbonneErklärung vom 25.5.1998 (s. Web); Bologna-Erklärung vom 19.6.1999 (s. Web); Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region (Lissabonner Anerkennungsübereinkommen vom 11.4.1997), BGBl. III 71/1999; Lit.: J. Busch/H. Kopetz (Hrsg.), Rechtsfragen des Europäischen Hochschulraums – Higher Education Integration in Europe, 2008; C. Ebel-Gabriel, Über zukünftige Perspektiven des Bologna-Prozesses, FuL 2004, 69; F. Faulhammer, Der Bolognaprozess – Weg zu einem Europäischen Hochschulraum, zfhr 4 (2005) 57 m.w.N.; H. A. Glaser, Vom alten ins neue Chaos? Die europäische Hochschulreform nach dem Bologna-Modell, FuL 2004, 66; J. Heß, Der Bolognaprozess: Die europäische Perspektive der Hochschulentwicklung, WissR 2003, 272 m.w.N.; G. Holley, Von Rio nach Wien, 2006, 162 ff. m.w.N.; T. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, 586 f.; Mitteilung an die Presse der 2829. Tagung des Rates, Bildung, Jugend und Kultur in Brüssel, den 15./16.11.2007 (PRES/ 2007/256) Web: http://ec.europa.eu/education/policies/educ/eqf/ index_en.html; http://www.jointquality.org/; http:// www.dfes.gov.uk/londonbologna/, http://www.ond. vlaanderen.be/hogeronderwijs/bologna/ (Seiten des vergangenen und aktuellen Bologna-Sekretariats); http://www.bologna-bergen2005.no (Seiten des vorvergangenen Bologna-Sekretariats mit allen Basisdokumenten zum Bologna-Prozess wie Sorbonne- und Bologna-Erklärung); http://www.bmwf.gv.at/submenue/ euinternationales/bolgnaprozess; http://www.bmukk. gv.at/europa/bildung/nationaler_qualifikationsrah. xml
Europäischer Investitionsfonds (EIF) European Investment Fund (EIF) – Fonds européen d’investissement (FEI)
Der Europäische Investitionsfonds (EIF) wurde 1994 gem. Art. 30 der Satzung der ĺEuropäischen Investitionsbank (EIB) errichtet um deren Geschäftstätigkeit zu ergänzen. Im Jahr 2000 erfolgte eine Umstrukturierung zur ĺ„EIBGruppe“, der die EIB und der EIF angehören. Der EIF besitzt eine eigene Rechtspersönlichkeit und finanzielle Autonomie – auch gegenüber der EIB. Die EIB hält 61.2 % und die ĺEuropäische Kommission im Namen der ĺEU 30 % der Anteile des EIF, die restlichen 8.8 % werden von mehreren europäischen Banken und Finanzinstituten gehalten. Durch diese Eigentümerstruktur ist der EIF als gemischt öffentlichrechtliche – privatrechtliche Einrichtung zu qualifizieren, deren Satzung ausschließlich europarechtlich determiniert ist. Die Aufgabe des EIF ist die Förderung der Gründung, des Wachstums und der Entwicklung kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU), wobei vorrangig in der Startphase befindliche und technologieorientierte KMU unterstützt werden. Der EIF ist genauso wie die EIB den Zielen und dem Gemeinwohl der EU verpflichtet. Zu diesem Zweck investiert der EIF in entsprechende Wagniskapitalfonds und stellt Kreditinstituten Garantien zur Besicherung von Krediten an förderungswürdige KMU zur Verfügung. Der EIF beteiligt sich nicht selbst an Unternehmen bzw. vergibt keine Kredite, sondern handelt immer über Finanzintermediäre. Im Gegensatz zur EIB ist der EIF auf Gewinnerzielung ausgerichtet und schüttet jährlich die erzielten Überschüsse an die Anteilseigner aus. Die Generalversammlung, der Verwaltungsrat und der geschäftsführenden Direktor leiten und verwalten den EIF, der Prüfungsausschuss ist für die Kontrolle verantwortlich. Auch der ĺEuropäische Rechnungshof hat Prüfungsbefugnis, jedoch nur insoweit der EIF Gemeinschaftsmittel verwaltet. (jlr) §§: Protokoll über die Satzung der Europäischen Investitionsbank; Satzung des Europäischen Investitionsfonds, ABl. 2001 C 225/2 Lit.: J. Müller-Borle/B. Balke, in: H. von der Groeben/ J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, EIB Satzung; M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 267 EG; C. Ohler, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 266 EG Web: http://www.eif.org
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Europäischer Justizraum Europäischer Justizraum ĺRaum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Europäischer Konvent ĺKonvent, Europäischer Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) European Agricultural Fund for Rural Development (EAFRD) – Fonds européen agricole pour le développement rural (FEADR)
Dient der Finanzierung der Programme im Rahmen der ĺLändlichen Entwicklung. (all) §§: Art. 34 Abs. 3 EG, Art. 36 EG; ABl. 2003, Nr. L 270/1; VO (EG) 1290/2005 GAP Finanzierung, ABl. 2005, Nr. L 209/1
Europäischer Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQR) ĺEuropäischer Hochschulraum Europäischer Rat European Council (European Summit)– conseil européen
Der Europäische Rat ist das oberste Leitungsgremium der Europäischen Union. Mangels Erwähnung in Art. 7 Abs. 1 EG ist der Europäische Rat kein Organ der EG; er ist allerdings in Art. 4 EU als Organ der EU vorgesehen. Vom Europäischen Rat zu unterscheiden ist der auch als Ministerrat bezeichnete ĺRat der Europäischen Union. Der Europäische Rat setzt sich gem. Art. 4 Abs. 2 EU aus den Staats- und Regierungschefs der ĺMitgliedstaaten der EU und dem Präsidenten der ĺEuropäischen Kommission, zusammen; er wird von den Außenministern und einem Mitglied der Kommission unterstützt. Die Aufgaben umfassen die Festlegung von politischen Zielen und Impulsen. Er bestimmt somit die zentrale politische Ausrichtung und Entwicklung der EU. Der Europäische Rat tritt mindestens zweimal jährlich unter dem Vorsitz des Staates zusammen, der im Rat den Vorsitz hat. Die Beschlüsse des europäischen Rates sind grundsätzlich politischer Natur. Es ist kein Abstimmungsoder Beschlussverfahren vorgesehen; es kommt vielmehr ein Konsensverfahren zur Anwendung. Die Beratungen des Europäischen Rates werden vom jeweiligen Vorsitz zu akkordierten Schlussfolgerungen zusammengefasst und veröffentlicht. (lb) 320
Lit.: M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, Rn. 462 ff. Web: http://www.consilium.europa.eu/showPage. asp?id=429&lang=de&mode=g
Europäischer Rechnungshof ĺRechnungshof Europäischer Rechtsakt European legally relevant acts – acte juridique européen
S.a. ĺVerordnung, ĺRichtlinie, ĺEntscheidung, ĺStellungnahme. (lb) §§: Art. 249 EG
Europäischer Sozialfonds European Social Fund – Fonds Social Européen
Die Vorschriften über den Europäischen Sozialfonds runden die gemeinschaftsrechtlichen Sozialvorschriften ab. Der Europäische Sozialfonds gehört zu den Strukturfonds der EG. Nach Art. 159 Satz 3 EG gehört es zu seinen Aufgaben, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt der Gemeinschaft zu fördern. Zu diesem Zweck erhalten die Mitgliedstaaten entsprechende Zuschüsse, die sie für ihre Beschäftigungspolitik einsetzen. Auch wenn diese Zuschüsse nach den von der EU autonom gesetzten Maßstäben vergeben werden, ergänzen sie stets nur die eigenständigen Programme der Mitgliedstaaten. Eine sozialpolitische Kompetenz lässt sich daraus nicht ableiten. Verwaltet wird der Europäische Sozialfonds durch die ĺKommission. Sie wird bei der Verwaltung durch einen Ausschuss unterstützt, der sich aus je zwei Regierungs-, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter aus jedem Mitgliedstaat zusammensetzt. Durch den Europäischen Sozialfonds werden insbesondere Maßnahmen zu Gunsten der Beschäftigung Jugendlicher, Frauen, Langzeitarbeitsloser sowie von Arbeitslosigkeit betroffener oder bedrohter Arbeitnehmer gefördert. Diese geförderten Maßnahmen sind jedoch nicht abschließend. (dh) §§: Art. 146 bis 148 EG Lit.: S. Conrad, Der Europäische Sozialfonds, ZfSH/ SGB 1994, 409 ff.; H. Kaluza, Der Europäische Sozialfonds, 1998; G. Haverkate/S. Huster, Europäisches Sozialrecht – Eine Einführung, 1999, 451 ff.; E. Högl, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Vorbem. Art. 146-148 EG, Rn. 1 ff.
Europäischer Staat European State – État européen
Gem. Art. 49 EU steht die Möglichkeit eines ĺBeitritts nur einem E. S. offen. Die ältere An-
Europäischer Wirtschaftsraum (EWR) sicht, dass dieses Kriterium anhand von geografischen Aspekten zu beurteilen sei, ist zunehmend umstritten. Dagegen spricht bspw., dass Algerien bis zu seiner Unabhängigkeit und die franz. überseeischen Gebiete bis heute, als franz. Departements, Teil der Gemeinschaften waren bzw. sind (Art. 299 EG). Statt auf relativ willkürliche geografische Grenzziehungen ist daher vor allem auf politisch-kulturelle Kriterien abzustellen, die u.a. aus den ĺGrundsätzen der EU gewonnen werden können. Letztlich steckt der Begriff des E. S. nur einen weiten rechtlichen Rahmen ab, der durch die entscheidenden Akteure des ĺBeitrittsverfahrens näher bestimmt werden muss (EuGH, Rs. 93/ 78 Mattheus/Doego, Slg. 1978, 2204, Rn. 8). Wenn ein Staat als europäisch qualifiziert wird – ohne, dass dies den geografischen Realitäten entspricht – handelt es sich daher um eine authentische Vertragsauslegung. Nur ein Abgehen vom Kriterium des E. S. bedürfte einer ĺVertragsänderung. Dass der Rat nicht von einer geografischen Bestimmung des Rechtsbegriffes E. S. ausgeht, wird anhand der Türkei deutlich, die nur zu einem kleinen Teil in Europa liegt: Schon im ĺAssoziationsabkommen von 1964 wird der Beitritt in Aussicht gestellt. Ende 2004 beschloss der ĺEurop. Rat (16./17.12.) schließlich die Aufnahme von ĺBeitrittsverhandlungen mit der Türkei (ĺTürkei, Beitritt). (lo) §§: Art. 49 EU; Art. 299 EG Lit.: W. Meng, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 49 EUV
Europäischer Verbraucherbegriff ĺVerbraucherbegriff, europäischer Europäischer Verein European Association – Association européenne
Geänderter Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates über das Statut des Europäischen Vereins (ABl. 31.8.1993, Nr. C 236/1). Der EV ist grundsätzlich als Idealverein konzipiert, soll aber auch der mittelbaren oder unmittelbaren Förderung der wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder dienen können. Für die von der ĺVerordnung nicht geregelten Bereiche wird auf das mitgliedstaatliche Recht des Verwaltungssitzstaates verwiesen (ĺNormenhierarchie). In einem gesonderten Vorschlag für eine Ergänzungsrichtlinie zum EV-Statut ist die Arbeitnehmermitbestimmung geregelt. Der ĺAk-
tionsplan der Kommission zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts setzt den setzte den „Europäischen Verein“ wieder auf die Agenda der Legislativmaßnahmen. (tr) Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ĺWirtschafts- und Sozialausschuss Europäischer Wirtschaftsraum (EWR) European Economic Area (EEA) – Espace économique européen (EEE)
Der Europäische Wirtschaftsraum wurde am 1.1.1994 durch ein völkerrechtliches Abkommen zwischen der EG und ihren damals 12 Mitgliedstaaten einerseits, den Vertragsstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) mit Ausnahme der Schweiz andererseits begründet (ĺGemischtes Abkommen). Aufgrund von Veränderungen im Mitgliederbestand sowohl der EU/EG als auch der EFTA betrifft das EWR-Abkommen heute nur noch die Beziehungen der EU/EG zu den EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen. Die Beziehungen zur Schweiz, deren Beteiligung am Europäischen Wirtschaftsraum ursprünglich vorgesehen war, sind nach der Ablehnung durch die schweizerischen Stimmbürger durch bilaterale Abkommen ausgestaltet. Die übrigen Gründungsmitglieder der EFTA sind inzwischen Mitglieder der EU/EG. Das EWR-Abkommen stellt ein ĺAssoziierungsabkommen im Sinne des Art. 310 EG dar. Es bildet die rechtliche Grundlage für die weitgehende Integration der drei assoziierten Staaten in den ĺBinnenmarkt der EU. Das EWR-Abkommen sieht nicht nur eine Freihandelszone für industrielle Produkte und verarbeitete Agrarprodukte vor, sondern erstreckt den Gesamtbestand des binnenmarktbezogenen EU-Rechts auf diese Staaten, einschließlich der ĺGrundfreiheiten und des ĺWettbewerbsrechts. Hierdurch sollen möglichst gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen im gesamten EWR geschaffen werden (Grundsatz der Homogenität). Ausgenommen bleiben jedoch die Zoll- und Handelspolitik gegenüber Drittstaaten, das Steuerrecht und das Agrarrecht. Das Ziel eines homogenen Wirtschaftsraums kann nur erreicht werden, wenn die Bestimmungen des EWR-Abkommens fortlaufend an die Rechtsentwicklung innerhalb der EU angepasst werden, also Änderungen und Ergänzun321
Europäischer Zahlungsbefehl gen des einschlägigen ĺSekundärrechts für den gesamten EWR übernommen werden. Hierzu haben die Vertragsparteien ein Beschlussorgan eingesetzt, den ĺGemeinsamen EWRAusschuss. Dessen Aufgabe besteht in der kontinuierlichen Anpassung der umfangreichen Anhänge des EWR-Abkommens, die die betreffenden Sekundärrechtsakte in Bezug nehmen und auf die assoziierten Staaten erstrecken. Um die erforderliche Einstimmigkeit im Gemeinsamen EWR-Ausschuss sicherzustellen, werden die assoziierten Staaten bereits im Gesetzgebungsverfahren der EU konsultiert. Ein formelles Mitentscheidungsrecht haben sie nicht. Die Rolle der ĺKommission übernimmt für die drei EFTA-Staaten die sog. EFTA-Überwachungsbehörde, die Rolle des EuGH der ĺEFTA-Gerichtshof. Über ein eigenes Gericht, das die Bestimmungen des EWR mit Wirkung für alle Vertragsparteien auslegen könnte, verfügt der EWR nicht. Die ursprünglich geplante Einsetzung eines EWR-Gerichtshofs wurde in einem Gutachten des EuGH für unvereinbar mit dem institutionellen System der EU/EG erklärt. Sowohl der EuGH als auch der EFTA-Gerichtshof lassen sich in ihrer Rechtsprechung davon leiten, die Bestimmungen des EWR-Abkommens, die im Wesentlichen mit denen des Gemeinschaftsrechts identisch sind, einheitlich auszulegen. Für die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, die bereits bei Unterzeichnung des EWR-Abkommens in Kraft waren, ist die Maßgeblichkeit der EuGH-Rechtsprechung im EWR-Abkommen ausdrücklich angeordnet. (jb) §§: Art. 310 EG; Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, ABl. 3.1.1994, Nr. L 1/3 Lit.: B. Mech, EWR und europäische Integration, 2007; A. Schweizer, Die Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs und die Homogenität im Europäischen Wirtschaftsraum, 2005; P.-C. Müller-Graff et al. (Hrsg.), EEA-EU Relations, 1999; P.-C. Müller-Graff et al. (Hrsg.), The European Economic Area, 1997; T. Blanchet et al. (Hrsg.), The Agreement on the European Economic Area (EEA), 1994 Rsp.: EuGH, Gutachten 1/91 EWR I, Slg. 1991, I-6079; Gutachten 1/92 EWR II, Slg. 1992, I-2821; EuG, Rs. T-115/94 Opel Austria/Rat, Slg. 1997, I-39; EuGH, Rs. C-452/01 Ospelt und Schlössle Weissenberg Familienstiftung, Slg. 2003, I-9743; EuGH, Rs. C-286/ 02 Bellio F.lli Srl, Slg. 2004, I-3465; EFTA-Gerichtshof, Rs. E-1/03 EFTA-Überwachungsbehörde/Island, ABl. 26.2.2004, Nr. C 51/3
Europäischer Zahlungsbefehl European payment order – Injonction de payer
Der Europäische Zahlungsbefehl (EZB) ist ein Vollstreckungstitel, der auf Grundlage der Ver322
ordnung zur Einführung eines ĺEuropäischen Mahnverfahrens (EuMVVO) erlassen wird und in allen MS mit Ausnahme Dänemarks ohne Exequaturverfahren vollstreckbar ist. (mrm) Europäisches Agrarmodell European agricultural model – modéle agicolo européen
Vorwiegend im deutschen Sprachraum gebrauchter politischer Begriff, der zur Abgrenzung der ĺGemeinsamen Agrarpolitik gegenüber rein kommerzorientierter Landwirtschaft oder postkolonialen und neofeudalen Systemen wie sie in Nord- und Südamerika, Ozeanien und Südasien zu finden sind. Das Europäische Agrarmodell zielt auf eine wettbewerbsfähige, multifunktionale und nachhaltige Landwirtschaft ab, die sich über alle Regionen der EU, auch die benachteiligten Gebiete erstreckt. (all) Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) European Anti-fraud Office (OLAF) – Office européen de Lutte Anti-Fraude (OLAF)
Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung ist eine organisatorisch der Kommission zuzurechnende, bei der Wahrnehmung seiner Untersuchungsbefugnisse jedoch unabhängige und entscheidungsautonome Behörde. Im Rahmen des ĺSchutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und der Bekämpfung sonstiger rechtswidriger Handlungen zu Lasten der EU, die verwaltungs- oder strafrechtlich geahndet werden können, obliegt es ihm insbesondere, ƒ extern – also in den Mitgliedstaaten – und intern – also in den Organen, Einrichtungen, Ämtern und Agenturen der EG – Verwaltungsuntersuchungen zur Ermittlung und Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten in Wahrnehmung der der Kommission eingeräumten Befugnisse durchzuführen, ƒ zur Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich der Betrugsbekämpfung beizutragen, ƒ Konzepte zur Betrugsbekämpfung zu erarbeiten sowie ƒ die Gesetzgebungsinitiativen der Kommission zur ĺBetrugsbekämpfung vorzubereiten. Die Aufgaben und Befugnisse im Rahmen der Verwaltungsuntersuchungen ergeben sich aus der sog. ĺOLAF-VO (EWG) 1073/99. Hinzu kommen die der ĺKommission zustehenden und in der Wahrnehmung OLAF übertragenen Befugnissen aus der VO (EG, Euratom)
Europäisches Atomrecht (Nuklearrecht) 2185/96 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission sowie die Befugnisse entsprechend der sog. ĺSanktionsverordnung (EG, Euratom) 2988/ 95. OLAF wird von einem Direktor geleitet, unter dessen Verantwortung die Untersuchungsbefugnisse im Rahmen der externen und internen Betrugsbekämpfung wahrgenommen werden. Diese Wahrnehmung der Untersuchungsbefugnisse wird regelmäßig durch den OLAFÜberwachungsausschuss kontrolliert. (sts) §§: Beschluss der Kommission vom 28.4.1999 zur Errichtung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) (1999/352/EG, EGKS, Euratom), ABl. 1999, Nr. L 136/20; VO (EG) 1073/1999, ABl. 1999, Nr. L 136/1; VO (Euratom) 1074/99, ABl. 1999, Nr. L 136/8; VO (Euratom, EG) 12185/96 ABl. 1996, L 292/2; VO (EG, Euratom) 2988/95, ABl. 1995, Nr. L 312/1 Lit.: L. Kuhl/H. Spitzer, Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), EuR 2000, 671; H. Gemmel, Kontrollen des OLAF in Deutschland – Die Anwendung der VO Nr. 2185/96 und der VO Nr. 1073/99 bei Kontrollen von Wirtschaftsteilnehmern in Deutschland zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft, 2002 Web: http://ec.europa.eu/anti_fraud/index_de.html
Europäisches Amt für chemische Stoffe (ECHA) European Chemicals Agency (ECHA) – Agence européenne des produits chimiques (ECHA)
Schon das Weißbuch der Kommission zur „Strategie für eine zukünftige Chemikalienpolitik“ sah den Erlass einer eigenen Verordnung vor, die auch die Grundlage für eine europäische Agentur für chemische Stoffe darstellen sollte. Der offizielle Vorschlag für die ĺREACHVerordnung (KOM/2003/0644 endg.) sieht Maßnahmen wie die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe vor. Die damit verbundenen Aufgaben soll, soweit ein Vollzug durch die Gemeinschaft vorgesehen ist, das Europäische Amt für chemische Stoffe wahrnehmen. (gr) §§: KOM/2003/0644 endg. – COD 2003/0257 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der RL 67/548/ EWG des Rates im Hinblick auf ihre Anpassung an die Verordnung (EG) des Europäischen Parlaments und des Rates über die Registrierung, Bewertung und Zulassung chemischer Stoffe und deren Beschränkung; KOM/2003/0644 endg. – COD 2003/0256, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (Reach), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe sowie zur Änderung der RL 1999/45/EG
Lit.: K. Fischer/T. Fetzer, Zulässigkeit einer europäischen Chemikalienagentur mit Entscheidungsbefugnissen, EurUP 2003, 51 Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l21282. htm; http://echa.europa.eu
Europäisches Amt für humanitäre Hilfe (ECHO) European Union Humanitarian Aid Department (ECHO) – office Europeen D’Aide Humanitaire d’Urgence (ECHO)
Das Amt für humanitäre Hilfe der Europäischen Gemeinschaft (ECHO) nahm am 1.4. 1992 seine Arbeit auf. Es ist für verschiedene Aufgabenbereiche verantwortlich: für ĺSoforthilfe, ĺNahrungsmittelsoforthilfe, Bereitstellung von Hilfsgütern, ĺKatastrophenbereitschaft, Katastrophenverhütung, als auch für finanzielle und juristische Angelegenheiten. ECHO finanziert weltweit Hilfsaktionen, welche von Partnerorganisationen vor Ort umgesetzt werden (ĺPartnerschaftsrahmenvertrag mit internationalen Organisationen, ĺPartnerschaftsrahmenvertrag mit NGOs). Die gemeinschaftliche Finanzierung erfolgt in Form nichtrückzahlbarer Zuschüsse. (ab) Lit.: M. Kuhn, Humanitäre Hilfe der Europäischen Gemeinschaft, 2000, 247 Web: http://ec.europa.eu/echo/index_en.htm; http:// ec.europa.eu/echo/presentation/index_en.htm
Europäisches Arbeitsrecht ĺFreizügigkeit; ĺDiskriminierung; ĺDiskriminierungsverbot Europäisches Atomrecht (Nuklearrecht) European nuclear law – droit nucléaire européen
Inbegriff jener int. Rechtsnormen europ. Provenienz, die den Nuklearbereich betreffen. Analog zur Unterscheidung von Europarecht i.e.S. und i.w.S. erfasst das Europäische Atomrecht i.e.S. („Atom-/Nuklear-Acquis“) die nuklearrechtlichen Regelungen der EU. Dazu gehören an erster Stelle auf primärrechtlicher Ebene der ĺEAGV (ĺEuratom-Vertrag) samt der ihm innewohnenden allgemeinen Rechtsgrundsätze, sodann die auf dessen Grundlage erlassenen ĺSekundärrechtsakte i.S.d. Art. 161, weiters die von der ĺEAG gem. Art. 101 ff. abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge (ĺEuratom-Vertrag, Außenbeziehungen), aber auch die einschlägige Rsp. des ĺEuGH. Daneben existiert in diesem Bereich auch (grds. unverbindliches) soft law von erheblichem Umfang. Für das Europäische Atomrecht sind auch Vorschriften in Zshg. mit dem EGV von Bedeu323
Europäisches Bagatellverfahren tung. Kompetenzüberlappungen und eine allfällige subsidiäre Anwendbarkeit bei Fehlen spezieller Vorschriften des EAGV (ĺEuratomVertrag) sind v.a. in Hinblick auf den ĺBinnenmarkt, die ĺHandelspolitik, die Gesundheitspolitik (ĺGesundheitskompetenzen) und die ĺUmweltpolitik diskutiert worden (vgl. Rs. C-62/88, C-70/88 und C-61/03), betreffen aber auch die ĺForschungspolitik und die ĺEnergiepolitik. Manche EG-Sekundärrechtsakte sind ausdrücklich auch im Nuklearbereich anwendbar, z.B. die ĺUVPRL auf Atomkraftwerke und sonstige Kernanlagen oder die sog. Dual-Use-VO (ĺAusfuhrkontrolle). Andere schließen dies dagegen aus, so die AbfallrahmenRL (ĺAbfall) bez. ĺradioaktiver Abfälle oder die UmwelthaftungsRL (ĺUmwelthaftung) bez. nuklearer Risiken (ĺAtomhaftungsrecht). Das Europäische Atomrecht i.w.S. umfasst darüber hinaus jene nuklearrechtlichen Vorschriften, die im Rahmen europ. Int. Organisationen bestehen. Dazu gehören v.a. die von der ĺKernenergie-Agentur der OECD erarbeiteten Normen (ĺAtomhaftungsrecht, ĺGrundnormen), aber auch etwa ĺCERN. Für den europ. Bereich von Relevanz sind schließlich universelle Rechtsetzungsakte, v.a. im Rahmen der ĺIAEO. Da die EAG mit all diesen Einrichtungen völkerrechtliche Verträge abgeschlossen hat, bestehen indes jeweils relevante Bezüge zum Europäischen Atomrecht i.e.S. Abgesehen von Normen zur Verhinderung der Umleitung von Kernstoffen zu unerwünschten Zwecken (ĺSicherheitsüberwachung) bildet die militärische Nutzung der Atomenergie keinen Gegenstand des E. (ĺAtomenergie, friedliche/militärische Nutzung der; vgl. aber Rs. C-61/03). (atm) Lit.: F. Nocera, The Legal Regime of Nuclear Energy: A Comprehensive Guide to International and EU Law, 2005 Rsp.: EuGH, Rs. C-62/88 Griechenland/Rat, Slg. 1990, I-1527; Rs. 70/88 Parlament/Rat, Slg. 1991, I-4529 (Tschernobyl); Rs. C-61/03 Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2005, I-2477, Rn. 44
Europäisches Bagatellverfahren European Small Claims Procedure – Procédure européenne de règlement des petits litiges
Mit der VO (EG) 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuBagVO) wurde ein genuin europäisches Erkenntnisverfahren für Forderungen mit einem Streitwert von ma324
ximal € 2000,- geschaffen, das neben das reguläre Erkenntnisverfahren nach nationalem Recht tritt und dem Gläubiger bei grenzüberschreitenden Sachverhalten eine alternative Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet. Die auf Basis des Art. 61 lit. c i.V.m. Art. 65 EG erlassene Verordnung gilt für alle MS der EG mit Ausnahme Dänemarks. Die EuBagVO beruht – wie die ĺEuMVVO – auf der Überlegung, dass ein vereinfachtes Verfahrens erforderlich ist, um der großen Anzahl von Rechtsstreitigkeiten mit geringem Streitwert beizukommen, deren Durchsetzung im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr häufig am Missverhältnis zwischen Verfahrensaufwand und dem einzutreibenden Betrag zu scheitern droht. Ziel der EuBagVO ist es, die Rechtsverfolgung im Binnenmarkt zu erleichtern, zu beschleunigen und die Verfahrenskosten zu senken, indem auf Basis eines stark formalisierten Verfahrens, das in der Regel rein schriftlich durchgeführt wird, ein Vollstreckungstitel erlassen wird, der ohne Exequaturverfahren in allen MS vollstreckt werden kann. Hauptanwendungsbereich werden voraussichtlich nicht beglichene Forderungen sein. Der wesentliche Fortschritt gegenüber dem regulären nationalen Erkenntnisverfahren und der Vollstreckung nach EuGVO ist insbesondere in den einheitlich normierten Entscheidungsfristen zu sehen, nach denen das Gericht innerhalb von 30 Tagen nach Eingang des Klageformblatts entweder eine Entscheidung zu treffen oder einen der in Art. 7 vorgesehenen Verfahrensschritte vorzunehmen hat. Kosten werden zudem durch die Schriftlichkeit des Verfahrens und den Verzicht auf die Anwaltspflicht gespart. Anwendungsbereich: Die Verordnung tritt am 1.1.2009 in Kraft. Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich des auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkten Verfahrens ist nach der Legaldefinition des Art. 3 Abs. 1 eröffnet, wenn mindestens eine Partei ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen MS als dem des befassten Gerichts hat. Der sachliche Anwendungsbereich ist trotz der Verwendung des aus der EuGVVO bekannten Begriffs der Zivil- und Handelssache in Art. 2 Abs. 1 aufgrund der Bereichsausnahmen nach Abs. 2 enger gezogen, weil neben den bereits aus der EuGVVO bekannten Ausnahmen auch Ansprüche aus Miete und Pacht sowie Klagen wegen der Verletzung der Privatsphäre oder von Persönlichkeitsrechten ausgenommen sind.
Europäisches Einwanderungsrecht Um die durch den Wegfall des Exequaturverfahrens bedingte Gefahr der Vernachlässigung des Schuldnerschutzes zu mildern, sind einheitliche Mindeststandards für das Verfahren, insbesondere die zulässigen Zustellarten normiert. Wenn diese auch nicht allzu streng sind, so sind doch fiktive Zustellmethoden (insb. die remise au parquet) jedenfalls ausgeschlossen. Weiters wird dem Beklagten die Geltendmachung seiner Einwendungen gegen den Anspruch sowie eine allfällige Überprüfung der Entscheidung durch die – jeweils mit Erläuterungen versehenen – standardisierten Formblätter erleichtert. Regelungsgegenstand der EuBagVO sind allein das Verfahren zum Erlass der Entscheidung über die geringfügige Forderung, die dagegen zulässigen Rechtsbehelfe sowie die Mindeststandards hinsichtlich der Zustellung. Dagegen richtet sich die Zuständigkeit grundsätzlich nach der EuGVVO, die Durchführung des Vollstreckungsverfahrens nach nationalem Recht. Die nach nationalem Prozessrecht durchzuführende Vollstreckung kann nur aus den in Art. 22 abschließend aufgezählten Gründen verweigert werden, nämlich bei Unvereinbarkeit mit einer früheren Entscheidung, sofern dies nicht im Ursprungsmitgliedstaat geltend gemacht werden konnte. Keinesfalls darf die Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat nachgeprüft werden. Die vollstreckbare Entscheidung kann nur durch einen Antrag auf Überprüfung durch das Ursprungsgericht für nichtig erklärt werden, wenn ein Zustellungsmangel vorliegt, der die ordnungsgemäße Verteidigung verhindert hat oder der Antragsgegner aus anderen Gründen ohne eigenes Verschulden daran gehindert war, sich gegen den Anspruch zu verteidigen. (mrm) Lit.: M. Roth, Das neue Europäische Bagatellverfahren, ecolex 2007, 812 ff.; M.-R. McGuire, Fakultatives Binnenmarktprozessrecht, ecolex 2008, 100-104
Europäisches Beratendes Forum für Umwelt sowie dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung European consultative forum on the environment and sustainable development – Forum consultatif européen pour l’environnement et le développement durable
Die Errichtung des Forums erfolgte durch Beschluss der ĺKommission. Die Position des ehem. ĺAllgemeinen Beratenden Forums für Umweltfragen, ebenfalls durch Beschluss errichtet, sollte angesichts dessen Erfolgs gegen-
über der Öffentlichkeit gestärkt und seine Unabhängigkeit erhöht werden. Dies spiegelt sich insbesondere in einer Modifikation seiner Zusammensetzung (unabhängiger Präsident, stärkere Beteiligung von EWR- und assoziierten Ländern) und der Änderung seiner Bezeichnung wider. Der Klarheit halber wurde der Beschluss 93/701/EG ersetzt. Das Forum setzt sich nunmehr aus 32 Mitglieder zusammen, die über besondere Erfahrung auf dem Gebiet der Umwelt und dauerhaften und umweltgerechten Entwicklung verfügen (Persönlichkeiten der Unternehmen, der Geschäftswelt, Regionalund Ortsbehörden, Berufsverbände, Gewerkschaften sowie Umweltschutz- und Verbraucherorganisationen; die Kommission kann Mitglieder des Forums aus EWR-Ländern und assoziierten Ländern benennen). Die Ernennung erfolgt grds. durch die Kommission, die Mandatsdauer beträgt vier Jahre. Zu den Aufgaben des Forums gehören die Anhörung durch Kommission zu allen Problemen im Zusammenhang mit der Umwelt und dauerhaften und umweltgerechten Entwicklung in der Gemeinschaft oder in ganz Europa sowie die Beratung über Stellungnahmen, die von der Kommission beantragt werden. (sm) §§: Beschluss der Kommission 97/150/EG; Beschluss der Kommission 93/701/EG (Einrichtung eines Allgemeinen Beratenden Forums für Umweltfragen); Entschließung 93/C 138/01
Europäisches Einwanderungsrecht European immigration law – droit d’immigration européen
Seit dem Inkrafttreten des ĺAmsterdamer Vertrags im Jahr 1999 verfügt die EU/EG über weitreichende Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des Einwanderungsrechts (Art. 61 ff. EG). Dieser neue Politikbereich umfasst alle Maßnahmen, die die Einreise und den Aufenthalt von ĺDrittstaatsangehörigen betreffen, also von Personen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats besitzen (ĺUnionsbürgerschaft). Die Schaffung eines harmonisierten europäischen Einwanderungsrechts bildet ein Kernelement des Projekts, die EU zu einem ĺRaum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts fortzuentwickeln (ĺHaager Programm). Der Amsterdamer Vertrag schließt damit einen konfliktreichen Prozess ab, in dem seit Mitte der 1980er Jahre über die Frage gestritten wurde, ob das Projekt des Binnenmarkts von der Beseitigung jeglicher Personenkontrollen an den Binnengrenzen begleitet und kon325
Europäisches Einwanderungsrecht sequenterweise eine gemeinsame Politik gegenüber Drittstaatsangehörigen entwickelt werden sollte. Dieser Konflikt hatte zwischenzeitlich zur Gründung der Schengen-Zusammenarbeit zwischen den befürwortenden Mitgliedstaaten geführt, die außerhalb des institutionellen Rahmens der EU/EG angesiedelt war. Einen Zwischenschritt stellt in der Rückschau der ĺMaastrichter Vertrag dar, der die übrigen Formen einwanderungspolitischer Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in den Rahmen der neuen EU überführte, dort aber überwiegend der nur schwach supranational geprägten ĺDritten Säule zuordnete. Der Amsterdamer Vertrag schließlich transferierte diese Politiken, mit Ausnahme ihrer explizit strafrechtlichen Aspekte, in den neuen Titel IV des EG-Vertrags und integrierte auch das Schengener Recht (die völkerrechtlichen Basisabkommen und das zu seiner Durchführung erlassene Recht) in den Bestand des geltenden Rechts der EU/EG. Gleichwohl weist der heutige Titel IV weiterhin Besonderheiten gegenüber dem sonstigen Gemeinschaftsrecht auf. Die wichtigste betrifft den eingeschränkten territorialen Geltungsbereich der einwanderungspolitischen Maßnahmen. Diese gelten grundsätzlich nicht für Dänemark, Großbritannien und Irland, wobei sich letztere vorbehalten haben, von Fall zu Fall darüber zu entscheiden, ob sie sich an einem Gesetzgebungsvorhaben beteiligen. Dänemark wiederum wendet das bestehende SchengenRecht an, ist aber nicht an dessen Weiterentwicklung im gemeinschaftsrechtlichen Rahmen beteiligt. In dieser Hinsicht gleicht die Rolle Dänemarks derjenigen von Norwegen und Island (und zukünftig von Liechtenstein und der Schweiz), die mit der EU/EG eine dynamische völkerrechtliche Assoziierung an das SchengenSystem vereinbart haben und bei dessen Weiterentwicklung beratend mitwirken (ĺSchengen-Raum). Eine weitere Besonderheit ist durch die beiden Osterweiterungen der EU 2004 bzw. 2007 hinzugekommen, wonach die neuen Mitgliedstaaten das Schengener Recht zunächst nicht in vollem Umfang anwenden und erst später in den Schengen-Raum integriert werden (betrifft ab 2008 nur noch Bulgarien, Rumänien und Zypern). Den Kern des europäischen Einwanderungsrechts bildet die Festlegung der materiellen Voraussetzungen und der Verfahren, nach denen sich Drittstaatsangehörige in einem EUMitgliedstaat langfristig aufhalten dürfen, etwa zum Zweck der Ausübung einer Erwerbstätig326
keit oder zur Familienzusammenführung (Art. 63 I Nr. 3 lit. a EG). Die Befugnis zur Regelung der Rechtsstellung, die die begünstigten Drittstaatangehörigen im Aufenthaltsstaat genießen, wird ergänzt durch die zur Festlegung der Voraussetzungen, unter denen sie ein Freizügigkeitrecht im Unionsgebiet besitzen, sie also in einen zweiten Mitgliedstaat einreisen und sich dort aufhalten dürfen (Art. 62 Nr. 3, 63 I Nr. 4 EG; ĺFreizügigkeit, Drittstaatsangehörige). Die wichtigsten Gesetzgebungsakte, die in diesem Bereich bislang erlassen wurden, sind die RL 2003/109/EG betreffend die Rechtsstellung langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger (ĺDaueraufenthalts-Richtlinie) und die RL 2003/86/EG betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ĺFamilienzusammenführungsrichtlinie). Auch nach Ablauf der in Art. 67 EG vorgesehenen fünfjährigen Übergangszeit gilt für die Gesetzgebung über die legale Einwanderung das Anhörungsverfahren, wonach der ĺRat auf Vorschlag der ĺKommission und nach Anhörung des ĺParlaments einstimmig entscheidet. Den zweiten Schwerpunkt des europäischen Einwanderungsrechts stellt die Bekämpfung der illegalen Einwanderung dar, einschließlich der Regelung der Rückführung von Personen, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten (Art. 63 I Nr. 3 lit. b EG). Diese gemeinschaftsrechtliche Gesetzgebungskompetenz wird ergänzt um die Befugnis zur Regelung der strafrechtlichen Aspekte des Einwanderungsrechts, die sich nach Art. 29 ff. EU-Vertrag richtet. Als Praxisbeispiele sind die RL 2002/90/EG zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt sowie der Rahmenbeschluss 2002/946/JI betreffend den strafrechtlichen Rahmen für die Bekämpfung solcher Beihilfe zu nennen. Eine umfassende Regelung über das Abschiebungsverfahren und über Mindestgarantien für die betroffenen Drittstaatsangehörigen steht bislang (Oktober 2007) noch aus; ein entsprechender Vorschlag der ĺKommission liegt vor. Nach Ablauf der vertraglich vorgesehenen Übergangsfrist werden gemeinschaftsrechtliche Gesetzgebungsakte betreffend illegale Einreise und Aufenthalt im ĺMitentscheidungsverfahren erlassen. Einen dritten Regelungsbereich bilden die Kontrolle der Außengrenzen der EU und der grenzüberschreitende Personenverkehr an diesen (Art. 62 Nr. 1 und Nr. 2 EG). Mit dem sog. Schengener Grenzkodex, der mit der Verord-
Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ) nung Nr. 562/2006 eingeführt wurde, liegt hierzu ein umfassendes Regelungswerk vor. Zu nennen ist ferner die Gründung der ĺEuropäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (FRONTEX). Im engen Zusammenhang damit ist die gemeinsame Visapolitik für geplante Aufenthalte von höchstens drei Monaten zu sehen. Diese richten sich derzeit noch nach den Bestimmungen des in das Unions- und Gemeinschaftsrecht überführten ĺSchengener Durchführungsübereinkommen von 1990 sowie nach Verordnung Nr. 539/2001. Letztere enthält fortlaufend angepasste Listen der Drittstaaten, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen bzw. deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind. Auch für die Grenzkontroll- und Visapolitik gilt mittlerweile grundsätzlich das Mitentscheidungsverfahren. Zum Einwanderungsrecht im weiteren Sinne gehören auch die Regelungen für den Status und den Aufenthalt von Flüchtlingen und anderen internationalen Schutz suchenden Drittstaatsangehörigen, die auf der Grundlage von Art. 63 I Nr. 1 und Nr. 2 EG erlassen werden (ĺEuropäische Asylpolitik). Die entsprechenden Rechtsakte zielen auf die Errichtung eines ĺGemeinsamen Europäischen Asylsystems und bilden ein Rechtsgebiet, in dem die EU/EG bereits intensiv tätig geworden ist (ĺAnerkennungsrichtlinie 2004/83 EG; ĺAsylverfahrensrichtlinie 2005/85/EG; ĺAufnahmerichtlinie 2003/9/EG; ĺDublin II-Verordnung Nr. 343/2003). (jb) §§: Art. 61-69 EG Lit.: D. Kugelmann, § 41: Einwanderungs- und Asylrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1827; S. Peers/N. Rogers, EU Immigration and Asylum Law, 2006, 3; J. Bast, Transnationale Verwaltung des europäischen Migrationsraums, Der Staat 46 (2007), 1 (4 ff.); T. Balzacq/S. Carrera, Migration, Borders and Asylum, 2006, 4; K. Hailbronner/C. Thiery, Amsterdam – Vergemeinschaftung der Sachbereiche Freier Personenverkehr, Asylrecht und Einwanderung sowie Überführung des Schengen-Besitzstands auf EU-Ebene, EuR 1998, 583 Rsp.: EuGH, verb. Rs. 281/85, 283/85-285/85, 287/85 Deutschland u.a./Kommission, Slg. 1987, 3203, Rn. 15 ff.; Rs. C-257/01 Kommission/Rat, Slg. 2005, I-345, Rn. 54 ff.; Rs. C-503/03 Kommission/Spanien, Slg. 2006, I-1097, Rn. 32 ff.; Rs. C-540/03 Parlament/Rat, Slg. 2006, I-5769
Europäisches Firmenbuch European Business Register – registre de commerce européen
Auf EU-Ebene bestehendes und zum Teil noch in Aufbau befindliches europäisches Handels-
register, welches die nationalen Register derart miteinander verbindet, dass eine EU-weite Abfrage möglich sein soll. Das EBR wird von einer ĺEuropäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung mit Sitz in Brüssel verwaltet (Web: http://www.ebr.org). Mitglieder dieser EWIV sind nationale Betreiber, die entweder selbst das Handelsregister führen (z.B. Italien: Infocamere) oder die in Partnerschaft mit der für das Handelsregister verantwortlichen Stelle die Daten anbieten (z.B. in Österreich: die Telekom Austria AG, im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz). Alle Betreiber stellen einen „EBR-Standardauszug“ zur Verfügung, der folgende Informationen enthält: Firmenbuchnummer, Anschrift, Land, ggf. Telefon, Eintragungsdatum zuständige Behörde, Rechtsform (Originaltext), Status, Geschäftszweig, Geschäftszweig (Originaltext), Währung/Währungseinheit, Kapital, Jahresabschluss (Datum). Von Land zu Land unterschiedlich ist die Möglichkeit, weitere Detailinformationen abzurufen, z.B. Personen- und Bilanzauszüge. (tr) Lit.: G. Knechtel/G. Reichelt/C. Zib, Europäisches Handelsregister (2000) Web: http://www.ebr.org/
Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ) European convention on jurisdiction and enforcement of foreign judgements (Brussels Convention) – Convention européenne concernant la competènce judiciaire et l’execution des décisions (Convention de Bruxelles)
Das Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) wurde 1968 von den damaligen MS der EG unterzeichnet und galt seit 1973 zunächst im Verhältnis zwischen Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden. Da es sich um einen verpflichtenden Bestandteil des ĺacquis communautaire, aber nicht um einen Akt sekundären Gemeinschaftsrechts handelt, sondern um ein auf Basis des früheren Art. 200 EWG (Art. 293 EG) ausgehandeltes völkerrechtliches Übereinkommen, musste mit jeder Erweiterung der EG auch ein gesonderter Beitritt zum EuGVÜ erfolgen. Mit dem vierten und letzten Beitrittsübereinkommen sind im November 1996 auch Österreich, Finnland und Schweden dem EuGVÜ beigetreten. Diese Beitrittsübereinkommen wurden zugleich jeweils zur Korrektur zwischenzeitlich aufgetretener Probleme sowie zur Adaption auf die Rechts327
Europäisches Hochschulinstitut systeme der beitretenden Staaten genutzt. Eine konsolidierte Fassung des Übereinkommens wurde 1998 veröffentlicht (ABl. EG 1998, Nr. C 27/3). Durch das parallele ĺLuganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidung in Zivil- und Handelssachen 1988 (LGVÜ) wurde das System des EuGVÜ mit nur geringen Modifikationen auch auf die ĺEFTA-Staaten ausgedehnt. Bereits 1997 hatte die Europäische Kommission eine aus Vertretern der MS und der EFTAStaaten zusammengesetzte Ad-hoc-Gruppe mit den Arbeiten zur Revision der Übereinkommen von Brüssel und Lugano beauftragt. Im Zuge der Vergemeinschaftung der ĺjustiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen in Folge des Vertrags von Amsterdam wurde diese ursprünglich geplante Revision des EuGVÜ jedoch nicht mehr vorgenommen, sondern der Entwurf für ein überarbeitetes Übereinkommen statt dessen in eine Verordnung auf der Grundlage von Art. 61 i.V.m. 65 EG überführt. Diese ĺEuropäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO) hat mit Wirkung vom 1.3. 2002 im Verhältnis aller MS mit Ausnahme Dänemarks das EuGVÜ abgelöst. Im Verhältnis der EU-26 zu Dänemark galt das EuGVÜ noch bis zum 1.7.2007 fort und ist nunmehr durch ein Abkommen zwischen der EU und Dänemark ersetzt worden, das auf völkerrechtlicher Basis die Revision nachvollzieht und auch im Verhältnis zu Dänemark den Integrationsstand der EuGVVO absichert. Das EuGVÜ ist daher zwar nicht formell außer Kraft getreten, wird aber durch vorrangiges Gemeinschaftsrecht bzw. das Übereinkommen mit Dänemark verdrängt. Dessen ungeachtet bleibt das EuGVÜ der bisher erfolgreichste Rechtsakt zur Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des Europäischen Zivilprozessrechts und dient zugleich als Model vieler nachfolgender Gemeinschaftsrechtsakte auf dem Gebiet des ĺEuZPR, die sich in ihren Struktur und Regelungstechnik eng an das EuGVÜ anlehnen. Zudem bleiben die zum EuGVÜ ergangenen Entscheidungen auch für die Auslegung des LGVÜ sowie der nachfolgenden Gemeinschaftsrechtsakte, insb. der EuGVVO, maßgeblich. Grund für den herausragenden Erfolg ist die Konzeption als sog. convention double. Frühere bilaterale Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen hatten sich traditionell auf das Nachverfah328
ren im Zweitstaat beschränkt und die Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit allein dem Erststaat überlassen (convention simple). Entsprechend häufig machte der Zweitstaat die Anerkennung und Vollstreckung von einer Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit oder sogar einer revision au fond abhängig. Das EuGVÜ vollzog einen Systemwechsel in dem es bereits die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts für das Erkenntnisverfahren für alle Vertragsstaaten einheitlich normierte und international verpönte exorbitante Zuständigkeiten explizit ausschloss. Auf dieser Grundlage waren die Vertragsstaaten bereit, auf eine aufwendige Kontrolle im Nachverfahren zu verzichten und ein vereinfachtes Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren vorzusehen. Der entscheidende Fortschritt des EuGVÜ besteht entsprechend in der Kombination eines Systems direkter Zuständigkeiten mit einer rigoros beschränkten Kontrollmöglichkeit im Anerkennungs- und Vollstreckungsstadium. Dieser Ansatz wird heute in der ĺEuGVVO, ĺEheGVVO, ĺEuVTVO und ĺEuMVVO fortgeführt und ist die Grundlage für die Urteilsfreizügigkeit in Europa. (mrm) Lit.: H. Schack, Die Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von Brüssel und Lugano, ZEuP 1999, 783-796
Europäisches Hochschulinstitut European University Institute – Institut Universitaire Européen
Das Europäische Hochschulinstitut (EHI) wurde durch ein völkerrechtliches Übereinkommen zwischen den damaligen EG-Mitgliedstaaten im Jahr 1972 als ein Postgraduierten-Institut für europäische Fragen gegründet und nahm 1976 in Florenz seine Arbeit auf. Es besitzt Rechtspersönlichkeit. Das EHI ist die abgewandelte Verwirklichung einer „Europäischen Universität“, die in Art. 9 Abs. 2 EAGV als Gemeinschaftseinrichtung vorgesehen war und v.a. von W. Hallstein angeregt wurde. Durch an Exzellenz orientierte Forschung und Lehre auf Hochschulniveau soll das EHI zur Weiterentwicklung des kulturellen und wissenschaftlichen Erbes Europas beitragen. Das EHI bietet vierjährige Doktoratsprogramme in den Bereichen Geschichte und Kulturgeschichte, Wirtschaftswissenschaften, Rechtswissenschaften sowie Politologie und Gesellschaftswissenschaften, außerdem ein einjähriges rechtswissenschaftliches Masterprogramm (LL.M.) an. Weiters empfängt es Post-doctoral Fellows und ist
Europäisches Justizielles Netz für Strafsachen (EJN) Veranstalter einer Sommerakademie für Europarecht (Academy of European Law). (hk) §§: Übereinkommen über die Gründung eines Europäischen Hochschulinstituts vom 19.4.1972 i.d.g.F., Text u.a. ABl. 1976, Nr. C 29/1, Änderungen Lit.: T. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, § 28, Rn. 20; S. Kaufmann, Das Europäische Hochschulinstitut, 2003 Web: http://www.eui.eu/
Europäisches Informationsnetz über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (RAXEN) European Racism and Xenophobia Information Network (RAXEN) – Réseau européen d’information sur le racisme et la xénophobie (RAXEN)
Das von der ĺEuropäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) entwickelte Informationsnetz über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (RAXEN) besteht aus nationalen Anlaufstellen, die in jedem Mitgliedstaat eingerichtet sind. Diese Anlaufstellen sammeln Daten über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene u.a. indem sie mit anderen Einrichtungen – z.B. aus dem NPO-Bereich – kooperieren. Alle derart gesammelten Informationen werden dann der ĺEUMC zur weiteren Verwendung und Publikation in Berichten zur Verfügung gestellt. (gr) Web: http://eumc.europa.eu/eumc/index.php?fuseaction =content.dsp_cat_content&catid=40d97bf19540 f
Europäisches Innovations- und Technologieinstitut (EIT) European Institute of Innovation and Technology (EIT) – Institut européen d'innovation et de technologie (IEIT)
Die geplante Errichtung eines Europäischen Technologieinstituts (EIT) geht auf eine Mitteilung der Kommission vom Frühjahr 2005 (COM[2005] 24) zurück. Im Herbst 2006 hatte die ĺKommission auf der Basis von Art. 157 EG einen Vorschlag für eine Verordnung des EP und des Rates vorgelegt, die schließlich im März 2008 beschlossen wurde. Darin wird die Schaffung einer europäischen Spitzenforschungseinrichtung als wesentlicher Teil der überarbeiteten ĺLissabon-Strategie zur Erreichung von deren Zielen gefordert. Hauptaufgabe des EIT sollte es sein, die drei Seiten des Wissensdreiecks – Ausbildung, Forschung und Innovation – miteinander zu verbinden. Geplant sind ein Verwaltungsrat als strategisches Organ, der durch eine schlanke Verwaltung unterstützt wird, sowie eine Reihe von Wissens- und In-
novationsgemeinschaften (Knowledge and Innovation Communities, KIC), die sich über ganz Europa erstrecken und in transdisziplinären Bereichen von strategischer Bedeutung Spitzenforschung betreiben. Bei den KIC soll es sich um integrierte Partnerschaften oder Joint Ventures (unabhängig vom genauen Rechtsstatus) zwischen der Privatwirtschaft, der Forschung und Teams von Forschungsinstitutionen und Hochschulen handeln, die ihre Ressourcen zusammenbringen, um die Schaffung neuer wissensbasierter Produkte zu fördern. Das EIT, das eine Einrichtung der Gemeinschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit ist, soll im Jahr 2008 seine Arbeit aufnehmen. (hk) §§: The European Institute of Technology: further steps towards its creation (COM[2006] 276 final); Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.2008 zur Errichtung des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts, VO (EG) Nr. 294/2008, ABl. 2008, Nr. L 97/1 Web: http://ec.europa.eu/eit/
Europäisches internationales Privatrecht ĺIPR, europäisches Europäisches IPR ĺIPR, europäisches Europäisches Justizielles Netz für Strafsachen (EJN) European Judicial Network (EJN) – Réseau Judiciaire Européen (RJE)
1. Rechtsgrundlage und Struktur: Im Rahmen der ĺZusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres durch Gemeinsame Maßnahme 98/428/JI des Rates vom 29.6.1998 eingerichtetes Netz von Kontaktstellen der Justizbehörden der Mitgliedstaaten zur Verbesserung der Rechtshilfe. Im Rahmen der Gemeinsamen Maßnahme 96/277/JI entsandte bilaterale ĺVerbindungsrichter/-staatsanwälte können bei entsprechendem Aufgabenzuschnitt in das EJN integriert werden. Die Kommission hat ebenfalls eine Kontaktstelle benannt. Seit dem ĺVertrag von Nizza ist das EJN in Art. 31 Abs. 2 lit. c EU auch primärrechtlich verankert. Das Sekretariat des EJN ist als eigenständige Einheit beim Sekretariat von ĺEurojust in Den Haag angesiedelt. Von Eurojust als einer zentralen Stelle unterscheidet sich das EJN insbesondere durch seine dezentrale Struktur. 2. Arbeitsweise: Die Kontaktstellen üben eine Mittlerrolle insbesondere bei der Verfolgung schwerwiegen329
Europäisches Kollisionsrecht der Kriminalität aus. Ihre wichtigste Aufgabe ist die Herstellung sachdienlicher Direktkontakte sowie der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten im Rahmen der Rechtshilfe. Ihnen stehen in stets aktualisierter Form die vollständigen Angaben über die Kontaktstellen in jedem Mitgliedstaat sowie Informationen über das Rechtssystem und die Justizbehörden zur Verfügung. In regelmäßigen Sitzungen des EJN werden Einzel- und Grundsatzfragen der Rechtshilfe besprochen. Über die Homepage des EJN allgemein zugänglich ist zudem ein sog. „ATLAS“. Mit dessen Hilfe kann anhand der angestrebten Ermittlungsmaßnahme die für ein konkretes Rechtshilfeersuchen sachlich und räumlich zuständige Justiz- oder sonstige Behörde zu ermittelt werden. Darüber hinaus ermöglichen es sog. „fiches belges“ herauszufinden, welche Ermittlungsmaßnahmen in welchem Mitgliedstaat zulässig sind und ob insoweit Rechtshilfe geleistet werden kann. Ein „SOLON“ genanntes Glossar ermöglicht die Suche nach äquivalenten Fachtermini für Ermittlungsmaßnahmen in den Sprachen der anderen Mitgliedstaaten. Teils sind auch Formblätter für die Anordnung grenzüberschreitender Ermittlungsmaßnahmen auf der Grundlage der entsprechenden Rechtsakte der EU verfügbar. (sts) §§: Gemeinsame Maßnahme 98/428/JI vom 29.6. 1998 – vom Rat aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – zur Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes, ABl. 1998, Nr. L 191/4 Web: http://www.ejn-crimjust.europa.eu/
Europäisches Kollisionsrecht ĺIPR, europäisches Europäisches Komitee für Normung (CEN) European Committee für Standardization (CEN) – Comité Européen de Normalisation (CEN)
Das Europäische Komitee für Normung (CEN) ist eine non-profit organization, die unter belgischmn Recht eingerichtet wurde und ein System für einen formalen Prozess zur Herstellung von Standards und technischen Normen darstellt. CEN besteht u.a. aus 30 nationalen Partner (Deutschland: Deutsches Institut für Normung; Österreich: Österreichisches Normungsinstitut). CEN arbeitet eng mit anderen europäischen Normungsinstituten, wie dem Europäischen Komitee für Normung im Bereich Elektrotechnik (CENELEC) und dem Europä330
ischen Normungsinstitut für Telekommunikation (ETSI) zusammen. (kl) Web: http://www.cen.eu; http://www.cenelec.org; http://www.etsi.org
Europäisches Mahnverfahren European order for payment procedure – procédure européenne d’injonction de payer
Mit der VO (EG) 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (EuMVVO) wurde ein genuin europäisches Mahnverfahren geschaffen, dass neben die entsprechenden beschleunigten Verfahrensarten des nationalen Rechts tritt und dem Gläubiger bei grenzüberschreitenden Sachverhalten eine alternative Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet. Die auf Basis des Art. 61 lit. c i.V.m. Art. 65 EG erlassene Verordnung gilt für alle MS der EG mit Ausnahme Dänemarks. Die EuMVVO beruht auf der Überlegung, dass ein vereinfachtes Verfahren erforderlich ist, um der großen Anzahl von Fällen des Zahlungsverzugs beizukommen, diese in fast allen MS vorgesehenen Verfahren aber hinsichtlich grenzüberschreitender Sachverhalte entweder unzulässig oder praktisch undurchführbar sind. Ziel der EuMVVO ist es, die Rechtsverfolgung im Binnenmarkt zu erleichtern, zu beschleunigen und die Verfahrenskosten zu senken, indem auf Basis eines stark formalisierten Verfahrens ein Europäischer Zahlungsbefehl (EZB) erlassen wird, der ohne Exequaturverfahren in allen MS vollstreckt werden kann. Hauptanwendungsbereich werden voraussichtlich nicht beglichene Forderungen sein, die durch eine Rechnung belegt werden können. Anwendungsbereich: Die Verordnung ist am 31.12.2006 in Kraft getreten, EZB können mit Anwendbarkeit ab dem 12.12.2008 beantragt werden. Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich des auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkten Verfahrens ist nach der Legaldefinition des Art. 3 Abs. 1 eröffnet, wenn mindestens eine Partei ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen MS als dem des befassten Gerichts hat. Der sachliche Anwendungsbereich ist trotz der Verwendung des aus der EuGVVO bekannten Begriffs der Zivil- und Handelssache in Art. 2 Abs. 1 aufgrund der Bereichsausnahmen nach Abs. 2 deutlich enger gezogen, weil neben den bereits aus der EuGVVO bekannten Ausnahmen grundsätzlich auch Ansprüche aus außervertraglichen
Europäisches Medienrecht Schuldverhältnissen ausgenommen sind. Voraussetzung für die Beantragung eines EZB ist außerdem, dass die geltend gemachte Forderung konkret beziffert und im Zeitpunkt der Antragstellung fällig ist. Ein Höchstbetrag ist abweichend von diversen nationalen Regelungen nicht vorgesehen. Um die durch dieses rigorose System – einstufiges Verfahren und Rechtsbehelfsausschluss – bedingte Gefahr der Vernachlässigung des Schuldnerschutzes zu mildern, ist einerseits in Abweichung von der EuGVVO vorgesehen, dass ein EZB gegen einen Verbraucher nur vor den Gerichten seines WohnsitzMS beantragt werden kann, andererseits sind bzgl. der Zustellung einheitliche Mindeststandards normiert. Wenn diese auch nicht allzu streng sind, so sind doch fiktive Zustellmethoden (insb. die remise au parquet) jedenfalls ausgeschlossen. Weiters wird die Einlegung des Einspruchs dadurch erleichtert, dass dem Schuldner gemeinsam mit dem EZB bereits das betreffende Formblatt für den Einspruch übersandt wird und der Einspruch keiner Begründung bedarf. Regelungsgegenstand der EuMVVO sind allein Voraussetzung und Erlass des EZB, die dagegen zulässigen Rechtsbehelfe sowie die Mindeststandards hinsichtlich der Zustellung. Dagegen richtet sich die Zuständigkeit – sieht man von der Sonderregelung für Verbrauchersachen in Art. 6 EuMVVO ab – grundsätzlich nach der EuGVVO, die Durchführung des Vollstreckungsverfahrens nach nationalem Recht. Verfahren: Der Antrag auf Erlass eines EZB wird mit Hilfe eines Formblatts gestellt, in das neben den Formalien der Parteien, die genaue Bezifferung der Forderung einschließlich der Nebenforderungen, die Bezeichnung des Streitgegenstands unter Angabe des Sachverhalts, eine Begründung sowie Beweisangebote einzutragen und zugleich die Tatsachen darzulegen sind, die den grenzüberschreitenden Charakter und die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründen. Das angerufene Gericht prüft, ob der Anwendungsbereich eröffnet und die zwingenden Voraussetzungen erfüllt sind sowie die Schlüssigkeit des geltend gemachten Antrags. Dabei stellt die Schlüssigkeitsprüfung jedoch lediglich ein Sicherheitsventil dar, um offenkundig unbegründete Anträge abzuwehren. Bei formellen Mängeln kann das Gericht den Antragsteller zur Verbesserung auffordern. Kommt der Antragsteller dieser Aufforderung nicht nach oder fehlt eine andere Voraussetzung, so weist das Gericht den Antrag auf Er-
lass eines EZB zurück. Andernfalls erlässt das Gericht i.d.R. binnen dreißig Tagen einen EZB und stellt diesen dem Antragsgegner zu. Dadurch wird der Antragsgegner davon in Kenntnis gesetzt, dass er die Forderung entweder begleichen oder binnen 30 Tagen ab Zustellung beim erlassenden Ursprungsgericht Einspruch gegen den EZB einlegen muss. Durch die Einlegung des Einspruchs wird das Mahnverfahren in ein reguläres Verfahren nach nationalem Prozessrecht überführt. Um ein kostengünstiges Verfahren zu ermöglichen sind die Formblätter maschinell lesbar und können grds. elektronisch verarbeitet werden. Die Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel ist ausdrücklich zugelassen, richtet sich aber im Übrigen nach dem jeweiligen nationalen Prozessrecht. Anerkennung und Vollstreckung: Mangels eines form- und fristgerechten Einspruchs wird der EZB dagegen vollstreckbar, ohne dass hierfür ein gesondertes Exequaturverfahren erforderlich ist. Die nach nationalem Prozessrecht durchzuführende Vollstreckung kann nur aus den in Art. 22 abschließend aufgezählten Gründen verweigert werden: bei Unvereinbarkeit mit einer früheren Entscheidung oder einem früheren EZB, sofern dies nicht im Ursprungsmitgliedstaat geltend gemacht werden konnte oder wenn der Antragsgegner geltend macht, dass er die Forderung bereits beglichen hat. Ein vollstreckbarer EZB kann im Übrigen nur durch einen Antrag auf Überprüfung durch das Ursprungsgericht für nichtig erklärt werden, wenn ein Zustellungsmangel vorliegt, der die ordnungsgemäße Verteidigung verhindert hat oder der Antragsgegner aus anderen Gründen ohne eigenes Verschulden keinen Einspruch einlegen konnte. (mrm) Lit.: B Tschütscher/M. Weber, Die Verordnung zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ÖJZ 2007, 303-315; A. Röthel/I. Sparmann, Das Europäische Mahnverfahren, WM 2007, 1101-1109; M.-R. McGuire, Fakultatives Binnenmarktprozessrecht, ecolex 2008, 100-104
Europäisches Medienrecht European media law – droit européen des medias
Vor dem Hintergrund der Entwicklung der Kabel- und Satellitentechnik und der Einführung digitaler Technologien, die zum einen ĺgrenzüberschreitenden ĺRundfunk, zum anderen die Öffnung der Fernsehmärkte in den Mitgliedstaaten ermöglicht haben, sind Anfang der achtziger Jahre die ersten medienpolitischen 331
Europäisches Netz für Kriminalprävention (ENKP) Maßnahmen auf EU-Ebene gesetzt worden. Diese bezogen sich zunächst allein auf den audiovisuellen Bereich – ĺFernsehen und ĺFilm/ Kino – der auch heute noch im Zentrum der europäischen Medienpolitik steht. Kernstück des europäischen Medienrechts bildet bislang die 1989 erlassene und 1997 zuletzt revidierte ĺFernsehrichtlinie, die demnächst zu einer ĺaudiovisuellen MediendiensteRL (AVMRL) überarbeitet werden soll. Diese medienspezifische regulatorische Maßnahme wird ergänzt durch eine Reihe medienspezifischer EU-Fördermaßnahmen, die bis vor kurzem ebenfalls den audiovisuellen Sektor im primären Blickfeld hatten. Zu nennen ist hier insb. das Programm ĺMEDIA. Mit der Einführung neuer ĺInformations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und damit verbunden der Entwicklung der ĺInformationsgesellschaft hat die EG seit etwa Mitte der neunziger Jahre ihre Aktivitäten im Medienbereich auf die elektronischen Medien (den sog. ĺeContent) allgemein ausgedehnt und deutlich ausgebaut. Das Internet und eContent steht nunmehr im Fokus der diversen Förderprogramme der EU für den Mediensektor (vgl. etwa e-contentplus) und auch die auf diesen Wirtschaftszweig bezogenen in den letzten Jahren verabschiedeten Sekundärrechtsakte haben allgemein den eContent und nicht bloß Fernsehen und Film in ihrem Blick, wie insb. auch die Überarbeitungen der ĺFernsehRL zu einer ĺaudiovisuellen MediendiensteRL anzeigen. Zudem ist ein gemeinsamer Rechtsrahmen für die zur Verbreitung der elektronischen Medien erforderlichen Kommunikationsinfrastrukturen erlassen worden (ĺelektronische Kommunikationsmärkte). Weiters ist durch die Verabschiedung der E-commerce-RL 2001 (ABl. 2000, Nr. L 178/01) ein koordinierter Rahmen für sämtliche elektronischen, individuell abrufbaren Informationsdienste (die sog. ĺ„Dienste der Informationsgesellschaft“) geschaffen worden, wodurch neben den durch die ĺFernsehRL derzeit erfassten traditionellen ĺFernsehsendungen auch die elektronischen individuell abrufbaren Mediendienste sektorspezifischen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben unterworfen worden sind. Schließlich hat die EG für den ĺeContentbereich auch die immaterialgüterrechtlichen Schutzsysteme deutlich ausgebaut. Außerdem bilden angesichts der typisch grenzüberschreitenden Tätigkeiten in diesem Wirtschaftssektor (insb. dem eContentbereich) die Funktionsgarantien des Binnenmarktes – die 332
ĺGrundfreiheiten und die ĺWettbewerbsregeln – einen wesentlichen Bestandteil der europäischen Medienrechtsordnung. Die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung der allgemeinen Wettbewerbsregeln und der Grundfreiheiten auf den Mediensektor (bzw. zu den möglichen „Rechtfertigungsgründen“ für mitgliedstaatliche Ausnahmen und Beschränkungen) ist umfangreich. Die europäische Medienrechtsordnung stellt damit ein Netzwerk von verschiedenen Regelungssystemen dar, in welchem unterschiedliche Politik- und Regelungsbereiche ineinander greifen. (ĺMassenmedien). (dd) Lit.: M. Holoubek/D. Damjanovic/G. Ribarov, Das Recht der Massenmedien, in: M. Holoubek/M. Potacs (Hrsg.), Handbuch öffentliches Wirtschaftsrecht, Bd. 1, 2007, 1187 (m.w.N.)
Europäisches Netz für Kriminalprävention (ENKP) European Crime Prevention Network (EUCPN) – Réseau européen de prévention de la criminalité (REPC)
Netz mitgliedstaatlicher Kontaktstellen, die mit Kriminalprävention befasst sind. Es wurde im Rahmen der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen durch Beschluss des Rates vom 28.5.2001 auf Grundlage von Art. 30 Abs. 1, 31 und 34 Abs. 2 lit. c EU errichtet. Der Begriff der Kriminalprävention i.S.d. Beschlusses umfasst alle Maßnahmen, die darauf abzielen, die Kriminalität und das Unsicherheitsgefühl der Bürger entweder durch direkte Abschreckung vor kriminellen Aktivitäten oder durch Strategien und Maßnahmen zur Verringerung des kriminellen Potenzials und der Ursachen der Kriminalität quantitativ und qualitativ zu minimieren. Das Netz setzt sich aus Kontaktstellen zusammen, von denen jeder Mitgliedstaat maximal drei benennt. Solche Kontaktstellen können sowohl Behörden als auch Einzelpersonen und Vereinigungen der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft sein; zumindest ein Vertreter der nationalen Behörden soll dazu gehören. Jeweils eine der mitgliedstaatlichen Kontaktstellen fungiert als Nationaler Vertreter, eine weitere als dessen Stellvertreter (sog. „Board“). Den Vorsitz sowohl in diesem Netz Nationaler Vertreter als auch im Netzwerk der Kontaktstellen führt der Nationale Vertreter des Mitgliedstaates, der die Ratspräsidentschaft (ĺRat der Europäischen Union, Vorsitz) inne hat, in Zusammenarbeit mit den Nationalen Vertretern des vorherigen und der zukünftigen zwei Ratsprä-
Europäisches Parlament, Arbeitsweise und Organisationsstruktur sidentschaften sowie der Europäischen ĺKommission (sog. „Steering Group“). Das Board hat mit dem sog. „Programme Committee“ und dem „Research and Validation Committee“ zwei ständige Komitees zu seiner Unterstützung eingerichtet. Das Netz der Nationalen Vertreter beschließt das jährliche Arbeitsprogramm des Netzes einschließlich des Finanzplans. Die Kommission stellt das Sekretariat des Netzes. Zudem benennt sie ebenfalls eine Kontaktstelle; weitere einschlägige Stellen können hinzugezogen werden (sog. „Observer“). ĺEuropol und die ĺEuropäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) werden im Hinblick auf sie betreffende Fragen an den Arbeiten beteiligt. Zu den Aufgaben des Netzes zählen insbesondere: ƒ Förderung der Zusammenarbeit, der Kontakte und des Informations- und Erfahrungsaustauschs bei der Kriminalitätsbekämpfung, ƒ Sammlung und Analyse der Informationen über bestehende Maßnahmen zur Kriminalprävention sowie der Daten zu Kriminalität und Kriminalitätsentwicklung in den Mitgliedstaaten, ƒ Ermittlung und Ausbau der wichtigsten Kooperationsbereiche auf dem Gebiet der Kriminalprävention, ƒ Veranstaltung von Konferenzen, Seminaren und Sitzungen zu den genannten Fragen. (sts) §§: Beschluss 2001/427/JI des Rates vom 28.5.2001 zur Einrichtung eines Europäischen Netzes für Kriminalprävention, ABl. 2001, Nr. L 153/1; Rules of Procedure for the European Crime Prevention Network vom 25.6.2001 Web: http://www.eucpn.org/
Europäisches Netz von Anlaufstellen betreffend Personen, die für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich sind European network of contact points in respect of persons responsible for genocide, crimes against humanity and war crimes – Réseau européen de points de contact en ce qui concerne les personnes responsables de génocide, de crimes contre l’humanité et de crimes de guerre
Netz mitgliedstaatlicher Kontaktstellen, die Anlaufstelle für den Austausch von Informationen über die Ermittlungen zu Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Sinne der Artikel 6, 7 und 8 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17.7.1998 sind. Aufgabe der Kontaktstellen ist es, im Einklang mit den einschlägigen Vereinbarungen zwischen den Mit-
gliedstaaten und dem geltenden innerstaatlichen Recht auf Ersuchen alle verfügbaren Informationen, die für die Ermittlungen genannten Delikten des Völkerstrafrechts von Belang sein können, zu erteilen bzw. die Zusammenarbeit mit den zuständigen einzelstaatlichen Behörden zu erleichtern. (sts) §§: Beschluss 2002/494/JI des Rates vom 13.6.2002 zur Einrichtung eines Europäischen Netzes von Anlaufstellen betreffend Personen, die für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich sind, ABl. 2002, Nr. L 167/1; Gemeinsamer Standpunkt 2003/444/GASP des Rates vom 16.6.2003 zum Internationalen Strafgerichtshof, ABl. 2003, Nr. L 150/67
Europäisches Netzwerk für die Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten (EJTN) European Judicial Training Network (EJTN) – Réseau Européen de Formation Judiciaire (REFJ)
Von den für die Aus- und Fortbildung in von Richtern und Staatsanwälten zuständigen nationalen Einrichtungen im Jahre 2000 gegründete, von der EG finanziell geförderte Vereinigung nationaler Aus- und Fortbildungseinrichtungen. Sie hat zum Ziel, Fortbildungsprogramme mit einer europäischen Dimension zu fördern, bei der Ermittlung des Aus- und Fortbildungsbedarfs zusammenzuarbeiten, Erfahrungen auszutauschen und gemeinsame Programme und Instrumente zu entwickeln. (sts) §§: Mitteilung der Kommission über die Fortbildung von Vertretern der Justizberufe in der Europäischen Union, KOM(2006) 356 endg. Web: http://www.ejtn.net
Europäisches Normungsinstitut ĺEuropäisches Komitee für Normung Europäisches Parlament, Arbeitsweise und Organisationsstruktur European Parliament, working methods and internal structure – Parlement Européen, méthode de travail et structure interne
Das Europäische Parlament besteht derzeit, bedingt durch den Beitritt von Bulgarien und Rumänien, aus 785 Abgeordneten. Ab der siebten Wahlperiode, d.h. nach der Europa-Wahl 2009 wird das EP 736 Abgeordnete haben (Art. 189 UAbs. 2 EG). Die Zusammensetzung des Parlaments nach Kontingenten pro Mitgliedstaat ergibt sich aus Art. 190 II EG. Die Abgeordneten werden für eine Legislaturperiode von jeweils fünf Jahren gewählt (Art. 190 III EG). 333
Europäisches Parlament, Ausschüsse Sitz des EP ist Straßburg. Es hält dort 12 monatliche Plenartagungen einschließlich der Haushaltstagung ab. So hat es der Europäische Rat 1992 beschlossen und die Regierungskonferenz von Amsterdam in Protokoll Nr. 8 primärrechtlich 1997 bestätigt. Allerdings finden Plenartagungen auch in Brüssel statt. Zudem werden Ausschusssitzungen zumeist in Brüssel abgehalten, während das Generalsekretariat des EP überwiegend in Luxemburg angesiedelt ist. Der Arbeitsrhythmus des EP folgt grundsätzlich einem monatlichen Zyklus: in der ersten Woche des Monats findet die Plenartagung in Straßburg statt; die zweite und dritte Woche dienen Ausschusstagungen in Brüssel; und die vierte Woche ist den Treffen der Fraktionen vorbehalten. Das Europäische Parlament genießt gem. Art. 199 EG Geschäftsordnungsautonomie. Es kann auf dieser Grundlage alle für die Funktionsfähigkeit des Organs erforderlichen Maßnahmen treffen. Zum Erlass der Geschäftsordnung sind die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder notwendig. Die Geschäftsordnung des EP (GOEP) gilt derzeit in der 16. Aufl. vom Juli 2007. Sie umfasst 204 Vorschriften und 16 Anhänge. Die Regeln der Beschlussfassung sind in Art. 198 EG niedergelegt, wonach das EP soweit nichts anderes bestimmt ist, mit absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmen beschließt. Allerdings sind in zunehmendem Maße gesteigerte Anforderungen an das Mehrheitsquorum bzw. die Präsenzpflicht der Abgeordneten eingeführt worden. Sie verlangen die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl des EP (z.B. Art. 251 II lit. b, 199 I EG, 49 EU). Ein Misstrauensantrag des Parlaments gegen die ĺKommission bedarf sogar zu seiner Annahme die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl und von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen (Art. 201 I EG). Die Regeln der Beschlussfähigkeit sind in der Geschäftsordnung niedergelegt (Art. 149 GO-EP). Die Aussprachen des Parlaments sind öffentlich (Art. 96 II GO-EP). Aus der Geschäftsordnungsautonomie folgt auch die Organisationsgewalt des EP. Es hat also das Recht, eigene Untergliederungen und interne Organe zu bilden. Dazu gehören die ĺAusschüsse, die ĺFraktionen, das ĺPräsidium sowie das Generalsekretariat des EP. Das Generalsekretariat unterstützt die Arbeit des Parlaments (Art. 197 GO-EP). Es wird geleitet von einem Generalsekretär und verfügt derzeit über rund 3500 Bedienstete. (pd) 334
§§: Art. 189, 190, 198, 199 EG; Protokoll Nr. 8 über die Festlegung der Sitze der Organe und bestimmter Einrichtungen und Dienststellen der Gemeinschaften sowie des Sitzes von Europol (1997); Geschäftsordnung EP Lit.: R. Corbett/F. Jacobs/M. Shackleton (eds.), The European Parliament, 6. Aufl. 2005, 31 ff.; P. M. Huber, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, Art. 189, 198, 199
Europäisches Parlament, Ausschüsse European Parliament, Committees – Parlement Européen, Commissions parlementaires
Die Ausschüsse sind die Unterorgane des EP, in denen die wesentliche Arbeit des Parlaments geleistet wird. Zu unterscheiden sind ständige und nichtständige Ausschüsse sowie ĺUntersuchungsausschüsse. Ständige Ausschüsse werden gem. Art. 174 GO-EP auf Vorschlag des Parlaments für die Dauer der Legislaturperiode eingerichtet, während nicht-ständige Ausschüsse ein mit dem Einsetzungsbeschluss festgesetztes und auf maximal 12 Monate angelegtes Mandat haben (Art. 175, 179 GO-EP). Die Abgrenzung der Zuständigkeiten der gegenwärtig 20 ständigen Ausschüsse ist in Anlage VI der GO-EP geregelt. Mit Genehmigung der Konferenz der Präsidenten können ständige und nicht-ständige Ausschüsse zudem eigene Unterausschüsse einrichten (Art. 181 GO-EP). Die Mitglieder der jeweiligen Ausschüsse werden gewählt, nachdem sie durch ihre Fraktionen benannt wurden (Art. 177 I GO-EP). Diese Besetzung der Ausschüsse wird nach der Hälfte der Legislaturperiode bestätigt (Art. 174 Satz 2 GO-EP). Die Zusammensetzung der Ausschüsse soll die Zusammensetzung des Gesamtparlaments widerspiegeln. In der Regel ist jeder Abgeordnete volles Mitglied in einem Ausschuss und vertretendes Mitglied in einem anderen Ausschuss. Jeder Ausschuss wählt einen Vorsitzenden sowie zwei oder drei stellvertretende Vorsitzende (Art. 182 GO-EP). Die Ausschüsse tagen in der Regeln nicht-öffentlich, was eine besonders intensive Form der Arbeit und Auseinandersetzung zulässt (Art. 96 III GO-EP; s.a. Art. 89 II, 92 II GO-EP). Die Ausschüsse dienen vor allem als zentrale Gremien für die Gesetzgebungs- und Kontrollfunktion des EP. Sie prüfen die Legislativentwürfe der ĺKommission (Art. 40 GO-EP), erstellen Stellungnahmen und Berichte des Parlaments zu diesen Entwürfen und anderen Themen (Art. 42, 46 GO-EP) und führen Anhörungen durch (Art. 187 GO-EP). Von besonderer Bedeutung ist zudem die Rolle der Berichter-
Europäisches Parlament, Fraktionen statter (Art. 42 II GO-EP). Sie erstellen die Entwürfe für die Berichte und Stellungnahmen des Ausschusses, präsentieren sie im Plenum und verhandeln sie zusammen mit den Vorsitzenden in den Beratungen mit dem Rat. Sie werden für je spezifische Aufträge aus der Menge der Ausschussmitglieder benannt. (pd) §§: Art. 174 ff. GO-EP Lit.: R. Corbett/F. Jacobs/M. Shackleton (eds.), The European Parliament, 6. Aufl. 2005, 120 ff.; P. Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, 340 ff.; C. Neuhold, The „legislative backbone“ keeping the Parliament upright?, EiOP 5 (2001) Nr. 10
Europäisches Parlament, Entwicklung European Parliament, historical development – Parlement Européen, histoire
In der Geschichte des EP spiegelt sich die Entwicklung der europäischen Integration – vom Plan einer Freihandelszone zur Realität einer politischen Union. Insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren wurden die Kompetenzen des EP durch Änderungen der Verträge und durch interinstitutionelle Vereinbarungen grundlegend erweitert. Das EP ist aus der Gemeinsamen Versammlung der EGKS, der Versammlung der EWG und der Versammlung der EAG hervorgegangen, die 1957 zu einer „Versammlung“ vereinigt wurde. Bereits 1958 begann diese Versammlung, sich selbst als Parlament zu bezeichnen. Erst 1987 wurde diese Selbstbezeichnung durch Art. 3 der ĺEinheitlichen Europäischen Akte auch in das Primärrecht übernommen, der damit aber nur eine längst etablierte Praxis nachvollzog. Das Parlament hatte ursprünglich vor allem Beratungs- und Kontrollrechte, welche ihm weder in Fragen der Rechtsetzung noch des Haushalts wesentlichen Einfluss gewährten. Die Kontrollrechte waren dagegen von Anbeginn dichter (vgl. Art. 140 III, 144 EWGV a.F.). Das Parlament setzte sich zusammen aus Abgeordneten, die zugleich Abgeordnete in den nationalen Parlamenten waren, also ein sog. Doppelmandat inne hatten (Art. 138 I EWGV a.F.). In den 1970er Jahren wurden die Haushaltsbefugnisse des Parlaments durch den sog. Haushaltsvertrag deutlich gestärkt. 1976 beschloss der Rat zudem den Direktwahlakt, welcher die direkte Wahl des EP durch die Bürger der Mitgliedstaaten einführte. Der grundlegende Wandel der Rolle des EPs setzte in den 1980er Jahren ein. Die Einheitliche Europäische Akte von 1986 führte eine erste Form der erweiterten Mitwir-
kung des EP an der ĺRechtsetzung ein (Zusammenarbeitsverfahren). Der ĺMaastrichter Vertrag von 1992 brachte eine ganze Reihe von Reformen, unter denen die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens, der Mitwirkung des EP an der Bestellung der Kommission sowie eines Zustimmungserfordernis bei der Aufnahme neuer Mitglieder herausragen. Die ĺVerträge von Amsterdam (1997) und Nizza (2000) bauten insbesondere die Rechtsetzungsbefugnisse des EP weiter aus. Der ĺVertrag von Nizza führte zudem Aktivlegitmation des EP bei der ĺNichtigkeitsklage ein (Art. 230 II EG). (pd) Lit.: W. Wessels, Wird das Europäische Parlament zum Parlament?, in: A. Randelzhofer (Hrsg.), Gedächtnisschrift für E. Grabitz, 1995, 879; M. Haag/R. Bieber, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Vorbem. Art. 189-201
Europäisches Parlament, Fraktionen European Parliament, party groups – Parlement Européen, groupes politiques
Nach Art. 29 GO-EP haben die Abgeordneten des EP das Recht, sich entsprechend ihrer politischen Zusammengehörigkeit zu Fraktionen zusammenzuschließen. Zur Bildung einer Fraktion bedarf es mindestens 20 Abgeordnete, die in mindestens einem Fünftel der Mitgliedstaaten der EU gewählt wurden (Art. 29 II GO-EP). In der gegenwärtigen sechsten Wahlperiode (2004–2009) sind acht Fraktionen im EP vertreten; vierzehn Abgeordnete sind fraktionslos. Die Fraktionen des EP bilden kein eigenes Organ, sondern sind mit besonderen Rechten ausgestattete Organteile des EP. Ihnen kommt eine zentrale Organisations- und Integrationsfunktion im EP zu. Sie basieren auf den geteilten politischen Zielen der Abgeordneten, nicht auf ihrer Nationalität und bilden daher ein wesentliches Element der Transnationalität des EP. Die Fraktionen sind finanziell, organisatorisch und politisch selbstständig und hinsichtlich der ihnen zugewiesenen Rechte im Innenverhältnis teilrechtsfähig. Ihr Handeln kann daher nicht dem EP zugerechnet und dieses dafür haftbar gemacht werden. Allerdings ist bislang nicht geklärt, ob Fraktionen auch aktiv legitimiert und damit vor dem EuGH antragsberechtigt sind. (pd) §§: Geschäftsordnung des EP Lit.: V. Neßler, Die Fraktion im Europäischen Parlament, EuR 1997, 311; R. Corbett/F. Jacobs/M. Shackleton (eds.), The European Parliament, 6. Aufl. 2005, 70 ff.
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Europäisches Parlament, Grundlagen Rsp.: EuG, Rs. T-222/99 Martinez and De Gaulle/ Parlament, Slg. 1999 II-3397; EuGH, Rs. C-201/89 Le Pen/Puhl, Slg. 1990, I-1183; EuGH, Rs. 78/85 Fraktion der Europäischen Rechte/EP, Slg. 1986, 1754 Web: http://www.europarl.de/parlament/organisation/ fraktionen.html
Europäisches Parlament, Grundlagen European Parliament, introduction – Parlement Européen, introduction
Das EP ist die direkt gewählte Vertretung der Bürger der Europäischen Union. Es ist das einzige Organ der Union mit originärer demokratischer Legitimation. Zusammen mit den nationalen Parlamenten, welche die nationalen Regierungen im ĺRat wählen, formt es die dualistische Legitimationsbasis der europäischunionalen Hoheitsgewalt. Das EP ist weltweit einzigartig in seiner transnationalen Struktur. Diese drückt sich insbesondere im ĺWahlrecht zum EP sowie in der Formation seiner ĺFraktionen aus, die nicht nach Nationalität, sondern auf der Basis politisch-ideeller Nähe geformt werden. Das EP ist zusammen mit dem ĺRat das zentrale Rechtsetzungsorgan der Union und erfüllt wesentliche Aufgaben hinsichtlich der ĺKontrolle der unionalen Exekutiven. Es steht in seiner Kompetenzfülle nationalen Parlamenten nicht nach, ist jedoch (wie letztlich jedes Parlament) ein in sich spezifischer Typus. Es bezieht seinen Einfluss nicht aus der Wahl einer Regierung, der breiten öffentlichen Wahrnehmung seiner Plenardebatten oder der engen Verknüpfung mit starken Parteien, sondern aus der Intensität seiner Mitwirkung an und Kontrolle von europäischer Hoheitsgewalt. Zentrale Bedeutung haben im EP daher vor allem die ĺAusschüsse. Das EP ist, wie der amerikanische Kongress, ein Arbeits- und mehr noch als dieser ein Kontrollparlament. Allerdings wird das EP in der Öffentlichkeit nicht als starkes Parlament wahrgenommen. Die Beteiligung an den Wahlen zum EP ist gering, die Abgeordneten des Parlaments sind kaum bekannt, das Verständnis für seine Funktionsweise (wie für das politische System der EU insgesamt) ist gering. Die massive Ausweitung seiner formalen Kompetenzen in den letzten 20 Jahren ist (noch) nicht im politischen Bewusstsein der europäischen Bürger angekommen. (pd) Lit.: R. Corbett/F. Jacobs/M. Shackleton (eds.), The European Parliament, 6. Aufl. 2005; P. Dann, Europäisches Parlament und Exekutivföderalismus, Der STAAT 42 (2003) 355 ff.; E. Grabitz/O. Schmuck/S.
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Steppat/W. Wessels, Direktwahl und Demokratisierung – eine Funktionenbilanz des EP nach der ersten Wahlperiode, 1988
Europäisches Parlament, Haushaltsbefugnisse European Parliament, budget powers – Parlement Européen, pouvoir budgétaire
Die Haushaltsbefugnisse des EP ergeben sich aus Art. 269 ff. EG sowie aus verschiedenen interinstitutionellen Vereinbarungen zwischen EP, ĺRat und ĺKommission. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen: Bei nicht-obligatorischen Ausgaben, also Ausgaben, die sich nicht zwingend aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben, hat das EP das „letzte Wort“. Es hat die Möglichkeit, die Verteilung der Ausgaben zu ändern und, jedenfalls in einem gewissen Rahmen, ihren Umfang erhöhen. Nicht-obligatorische Ausgaben machen knapp die Hälfte des Unionshaushalts aus und umfassen vor allem die Verwaltungsausgaben der Organe sowie operationelle Ausgaben, etwa durch Strukturfonds, Verkehrspolitik oder Umweltschutz. Hinsichtlich der obligatorischen Ausgaben, also Ausgaben, die sich zwingend aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben (hierbei handelt es sich maßgeblich um solche für die Landwirtschaftspolitik), kann das EP lediglich Änderungen vorschlagen, die aber vom Rat mit qualifizierter Mehrheit abgelehnt werden können. Das EP hat zudem das Recht, den Haushalt insgesamt abzulehnen (vgl. Art. 272 VIII EG). Dann tritt ein Nothaushaltsplan in Kraft, der lediglich zu Ausgaben in bestimmter Höhe ermächtigt (Art. 273 EG), während das reguläre Haushaltsverfahren fortgesetzt wird. Mit dem ĺVerfassungsvertrag war eine grundlegende Reform des Haushaltsrechts und der Rolle des EP im Haushaltsverfahren vorgesehen. Insbesondere sollte die Unterscheidung von obligatorischen und nicht-obligatorischen Ausgaben abgeschafft werden, so dass der Einfluss des EP für den Gesamthaushalt deutlich ansteigen würde. (pd) §§: Art. 269 ff. EG; Art. 69-72 GO-EP Lit.: R. Corbett/F. Jacobs/M. Shackleton (eds.), The European Parliament, 6. Aufl. 2005, 240 ff.
Europäisches Parlament, Kompetenzen und Funktionen European Parliament, competencies and functions – Parlement Européen, pouvoirs et fonction
Nach Art. 189 I 2. Hs. EG übt das Europäische Parlament die Befugnisse aus, die ihm nach diesem Vertrag zustehen. Diese Befugnisse sind
Europäisches Parlament, Rechtsetzungsbefugnisse nicht an einer Stelle benannt, sondern in verschiedenen Regelungen des ĺEG- und ĺEUVertrags sowie in interinstitutionellen Vereinbarungen enthalten. Sie sind in den vergangenen Jahrzehnten deutlich erweitert worden (ĺEP–Entwicklung). Systematisch lassen sich die Kompetenzen und Funktionen des EP am besten in vier Kategorien fassen, nämlich seine ĺHaushaltsbefugnisse, ĺRechtsetzungsbefugnisse, ĺKontrollbefugnisse sowie seine ĺLegitimations- und Repräsentationsfunktion. (pd) Lit.: K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, Rn. 242 ff.; P. Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, 279 ff.
Europäisches Parlament, Kontrollbefugnisse European Parliament, oversight – Parlement Européen, pouvoir de contrôle
Die Kontrolle der Exekutive ist eine wesentliche Funktion des EP. Kontrollobjekt des EP ist in erster Linie die ĺKommission und andere Exekutivorgane der Union (z.B. die ĺEZB, vgl. Art. 111 GO-EP; vgl. auch Art. 119 GOEP), kann somit auch der ĺRat in seinen exekutiven Funktionen sein (vgl. Art. 108 ff. GOEP, Art. 21 II EU, Art. 39 III EU). Die Kontrollinstrumente des EP sind vielfältig. Parlamentarische Kontrolle wird zum einen durch die Herstellung von Öffentlichkeit ausgeübt. Das EP hat ein Interpellationsrecht und kann Fragestunden nach Art. 197 UAbs. III EG i.V.m. Art. 108 GO-EP abhalten. Es diskutiert in öffentlicher Plenardebatte zudem den jährlichen Gesamtbericht der ĺKommission nach Art. 200 EG. Vertiefte Nachforschungen kann das EP durch die Einrichtung von ĺUntersuchungsausschüssen anstellen, Art. 193 EG. Die schärfste Waffe des Parlaments ist schließlich ein Misstrauensantrag gegen die ĺKommission nach Art. 201 EG. Er kann durch ein Zehntel der Mitglieder des Parlaments beantragt werden (Art. 100 I EG) und bedarf zu seiner Annahme eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und die Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Bislang wurden im EP fünf Misstrauensanträge gestellt, von denen drei (zwei im Jahr 1976, einer 1999) zur Abstimmung gelangten. Keiner der Anträge erhielt bislang eine ausreichende Mehrheit, wobei 1999 die Kommission freiwillig zurücktrat. (pd) §§: Art. 197, 200, 201 EG, Art. 100, 108 ff. GO-EP
Lit.: K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, Rn. 250 ff.; P. Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, 330 ff.
Europäisches Parlament, Petitionsrecht ĺPetitionsrecht, Petitionsausschuss Europäisches Parlament, Präsidium und Konferenz der Präsidenten European Parliament, president and conference of presidents – Parlement Européen, président et conférence des présidents
Das EP wählt nach Art. 197 I EG aus seiner Mitte seinen Präsidenten und sein Präsidium. Das Präsidium setzt sich aus dem Präsidenten und vierzehn Vizepräsidenten zusammen (Art. 21 GO-EP). Fünf Quästoren, die Verwaltungs- und Finanzaufgaben übernehmen, gehören dem Präsidium mit beratender Stimme an (Art. 25 GO-EP). Alle Mitglieder des Präsidiums werden in geheimer Wahl gewählt, wobei insgesamt einer gerechten Vertretung nach Mitgliedstaaten und politischen Richtungen Rechnung getragen werden soll (Art. 12 GO-EP). Die Aufgaben des Präsidenten ergeben sich aus Art. 19 GO-EP. Sie bestehen in der Leitung der Arbeiten des Parlaments und in seiner Vertretung nach außen. Die Vizepräsidenten unterstützen ihn dabei (Art. 20 GO-EP). Von wesentlicher Bedeutung für die Arbeit des Parlaments ist zudem die Konferenz der Präsidenten, die sich aus dem Präsidenten des EP, den Vorsitzenden der Fraktionen sowie zwei Abgeordneten zusammensetzt, die die fraktionslosen Abgeordneten vertreten (Art. 23 GOEP). Die Konferenz der Präsidenten ist insbesondere für die Arbeitsorganisation des Parlaments (Sitzordnung im Plenum, Zusammensetzung und Kompetenz der Ausschüsse, Planung der Gesetzgebung) zuständig. (pd) §§: Art. 197 EG; Art. 12 ff. GO-EP Lit.: W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 197, Rn. 4 ff.; R. Corbett/F. Jacobs/M. Shackleton (eds.), The European Parliament, 6. Aufl. 2005, 109 ff.
Europäisches Parlament, Rechtsetzungsbefugnisse European Parliament, legislative power – Parlement Européen, pouvoir législatif
Die Rechtsetzungskompetenzen stehen im Zentrum der Befugnisse des Parlaments. Dieses hat sich als ein in weiten Teilen gleichberechtigtes Gesetzgebungsorgan neben dem Rat etabliert 337
Europäisches Parlament, Repräsentations- und Legitimationsfunktion und übt damit den wesentlichen Teil seines Einflusses auf die europäische Politik aus. Die Beteiligung des Parlaments an der Rechtsetzung erfolgt in verschiedenen Verfahrensformen: Der Normalfall der Rechtsetzung ist heute das Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG. Es wurde mit dem ĺMaastrichter Vertrag in das Gemeinschaftsrecht eingeführt. Im Mitentscheidungsverfahren erlassen Parlament und Rat gemeinsam Rechtsakte, die der Zustimmung beider Organe bedürfen. Im Zusammenarbeitsverfahren nach Art. 252 EG kann sich der Rat mit einem einstimmigen Beschluss über ein ablehnendes Votum des Parlaments hinwegsetzen. Es ist ein Vorläufer des Mitentscheidungsverfahrens, findet aber nur noch im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion Anwendung (Art. 99 V und 106 II EG). Das Anhörungsverfahren, ursprünglich die einzige Form der EP-Beteiligung an der Rechtsetzung, ist quantitativ in den Hintergrund getreten. In diesem Verfahren muss der Rat das EP lediglich anhören, dessen Stellungnahme jedoch nicht berücksichtigen. Ist die Anhörungspflicht im Vertrag niedergelegt, handelt es sich um eine obligatorische Verpflichtung. Ihre Verletzung führt zur Nichtigkeit des Akts (EuGH, Rs. 138/ 79 Roquette Frères/Rat, Slg. 1980, 3333). Das Anhörungsverfahren findet zwar seltener Anwendung, gilt aber für einige Zentralbereiche europäischer Politik, insb. Landwirtschaft (Art. 37 II EG), Wettbewerb (Art. 83 und 89 EG) sowie Steuern (Art. 93 EG). Auch im Bereich der GASP und PJZS wird das Parlament angehört (Art. 21 und Art. 39 EU). Ein Zustimmungsrecht und damit auch eine Blockademöglichkeit steht dem Parlament bei der Entscheidung über internationale Abkommen (Art. 300 III und Art. 310 EG) sowie Beitrittsverträge mit neuen Mitgliedstaaten (Art. 49 EU). Eine jedenfalls faktische Vetoposition kommt dem EP sogar für Vertragsänderungen zu, da die nationalen Parlamente in Belgien und Italien ihre Ratifizierung an eine positives Votum des EP geknüpft haben (Huber, 192, Rn. 8). Ein eigenständiges Gesetzesinitiativrecht steht dem EP nur in Ausnahmefällen zu (vgl. Art. 190 IV EG). Gem. Art. 192 II EG kann das EP jedoch „mit der Mehrheit seiner Mitglieder die Kommission auffordern, geeignete Vorschläge zu Fragen zu unterbreiten, die nach seiner Auffassung die Ausarbeitung eines Gemeinschaftsakts [...] erfordern“. (pd) §§: Art. 192, 251, 252 EG; Art. 33 ff. GO-EP
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Lit.: K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, Rn. 242 ff., 358 ff.; P. Dann, Parlamente im Exekutivföderalismus, 2004, 363 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 138/79 Roquette Frères/Rat, Slg. 1980, 3333
Europäisches Parlament, Repräsentationsund Legitimationsfunktion European Parliament, representation and legitimacy – Parlement Européen, représentation et légitimation
Das Europäische Parlament repräsentiert die Bürger der Union. Aufgrund seiner Direktwahl durch die Unionsbürger ist es das einzige, originär demokratisch legitimierte Organ der Union. Ihm kommt insofern eine zentrale Rolle für die Legitimation der europäisch-unionalen Hoheitsgewalt zu. Die durch das Parlament generierte Legitimation tritt neben die durch die Regierungen der Mitgliedstaaten vermittelte, die sich letztlich auf deren Wahl durch die nationalen Parlamente stützt. Beides sind Stränge der dualistischen demokratischen Legitimationsbasis der Union. Die Legitimation des EP wird als sachliche Legitimation vor allem durch seine Mitwirkung an der ĺRechtsetzung vermittelt. Personelle Legitimation vermittelt das EP durch seine Mitwirkung an der Besetzung von Organen, etwa der Ernennung des Bürgerbeauftragten (Art. 195 EG), seine Mitwirkung an der Ernennung der Mitglieder des Rechnungshofs (Art. 247 III EG) und insbesondere seine Mitwirkung an der Ernennung der Mitglieder der ĺKommission (Art. 214 II EG). Es bestehen jedoch Zweifel, wie weitreichend und tragfähig die durch das EP vermittelte Legitimation ist. Diese Zweifel ergeben sich nicht, wie genauso häufig wie fälschlich angenommen wird, aus der vermeintlich fehlenden (sprachlichen, kulturellen, historischen, etc.) Homogenität der Bürger der Union. Vielmehr ergeben sie sich aus der Frage, inwiefern das Parlament einen ausreichenden Resonanzboden für die Interessen und Stimmen der europäischen Bürger bereitzustellen vermag, ist das Parlament doch ein letztlich nur marginal wahrgenommenes öffentliches Forum. Zudem trägt die relativ ungleiche Vertretung der Bürger (großer und kleiner Staaten) im EP zur Reduzierung seiner Legitimation bei. In beiden Aspekten zeigen sich jedoch keine spezifisch europäischen oder supranationalen Probleme. (pd) Lit.: D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, JZ 1995, 581; P. Dann, Europäisches Parlament und Exekutivföderalismus, Der Staat 42 (2003) 355 (379); A.
Europäisches Parlament, Untersuchungsausschüsse Augustin, Das Volk der Europäischen Union, 2000; C. Lord, Democracy in the European Union, 1998 Rsp.: EuGH, Rs. 138/78 Roquettes Frères/Rat, Slg. 1980, 3333; Rs. C-300/89 Titandioxid, Slg. 1991, I-2867; EGMR, Urteil vom 18.2.1999, Appl. Nr. 24833/94, HRLJ 1999, 4 = EuZW 1999, 200; BVerfGE 89, 155
Europäisches Parlament, Stellung der Abgeordneten European Parliament, members of parliament – Parlement Européen, députés
Die Rechtsstellung der Abgeordneten des EP ergibt sich aus verschiedenen Rechtsakten, insbesondere dem Direktwahlakt (DWA), dem Protokoll über Vorrechte und Befreiungen (Protokoll), der Geschäftsordnung des EP (GO-EP) sowie nationalen Abgeordnetengesetzen (Quellen, s. unten). Ab der 2009 beginnenden siebten Wahlperiode soll ein umfassendes Abgeordnetenstatut (Statut) gelten, welches das EP auf der Grundlage des Art. 190 V EG im September 2005 beschlossen hat, aber noch der Zustimmung durch den Rat bedarf. Die Abgeordneten des EP haben in Übereinstimmung mit den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ein freies Mandat. Sie sind weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden (Art. 4 II DWA; Art. 2 I Statut). Sie geben ihre Stimme einzeln und persönlich ab (Art. 4 I 1 DWA). Die Abgeordneten sind frei, sich in ĺFraktionen zusammen zu schließen (Art. 29 GO-EP; Art. 8 Statut). Die Stellung der Abgeordneten wird darüber hinaus abgesichert durch Vorrechte und Befreiungen (Art. 5 GO-EP), insbesondere die Grundsätzen der Indemnität (Art. 9 Protokoll), der Immunität (Art. 10 Protokoll) und der Freizügigkeit (Art. 8 Protokoll). Das deutsche Abgeordnetengesetz spricht den deutschen Abgeordneten des EP zudem ein Zeugnisverweigerungsrecht zu (§ 6 EuAbgG). Ein wesentlicher Aspekt der Stellung der Abgeordneten ist auch die Unvereinbarkeit ihrer Stellung mit einer Reihe von Ämtern, insbesondere einer Mitgliedschaft in der Regierung eines Mitgliedstaates und in der ĺKommission der Europäischen Gemeinschaften (Art. 6 DWA). Von wesentlicher Bedeutung für die Stellung der Abgeordneten ist schließlich ihre wirtschaftliche Entschädigung. Die Höhe der Diäten ergibt sich bislang jeweils aus nationalem Recht (z.B. § 9 EuAbgG/Dtld.). Das EP hat jedoch auf der Grundlage von Art. 199 I EG i.V.m. Art. 5 GO-EP die Gewährung finanzieller Nebenleistungen geregelt. In Zukunft wird das Abgeordnetenstatut eine einheitliche Regelung vorsehen (Art. 9 ff. Statut). (pd)
§§: Direktwahlakt (Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung, ABl. 1976, Nr. L 278/1); Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften (Anhang zum Fusionsvertrag von 8.4. 1965, ABl. 1967, Nr. 152/1); ergänzende Regelungen in nationalen Gesetzen (z.B. Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz – EuAbgG, vom 6.4.1979, BGBl. I 413/1979); sowie ab 2009 Abgeordnetenstatut (v. 28.9.2005, ABl. EG 2005, Nr. L 262/1; bedarf noch der Zustimmung des Rats) Lit.: O. Huber, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 190, Rn. 33 ff.; C. Schultz-Bleis, Die parlamentarische Immunität der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, 1995; R. Fleuter, Mandat und Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, 1991
Europäisches Parlament, Untersuchungsausschüsse European Parliament, committees of inquiry – Parlement Européen, commissions d’enquêtes
Das Europäische Parlament hat nach Art. 193 EG das Recht, nicht-ständige Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Dieses Recht dient dem Parlament insbesondere dazu, seine Kontrollaufgaben wahrzunehmen. Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist ein Minderheitenrecht und setzt einen Antrag von einem Viertel der ĺMitglieder des EP voraus. Der Einsetzungsbeschluss muss den genauen Untersuchungsgegenstand festlegen und ist auf Vorschlag der ĺKonferenz der Präsidenten durch das Parlament zu erlassen, Art. 176 III GO-EP. Rechte Dritter werden durch den Einsetzungsbeschluss nicht betroffen, da er keine Rechtswirkung nach außen entfaltet. Eine ĺNichtigkeitsklage ist daher nach Rsp. des ĺEuGH nicht zulässig. Die möglichen Untersuchungsgegenstände des EP sind tatbestandlich in dreifacher Weise beschränkt: Er muss sich auf die Erfüllung der Aufgaben des EP beziehen, muss Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht oder Missstände bei der Anwendung desselben prüfen. Art. 193 I a.E. EG sperrt einen Untersuchungsgegenstand zudem insofern, als ein „Gericht mit den behaupteten Sachverhalten befasst ist“. Befugnisse und Verfahren der Untersuchungsausschüsse sin in Art. 3 der interinstitutionellen Vereinbarung und Art. 176 GO-EP geregelt. Der Untersuchungsausschuss hat insbesondere das Rechte, Organe und Institutionen der Gemeinschaft sowie Mitgliedstaaten zur Auskunft und zur Offenlegung von Dokumenten zu verpflichten. 339
Europäisches Parlament, Wahlen Die Arbeit eines Untersuchungsausschusses endet mit Vorlage eines abschließenden Berichts, Art. 193 II EG. Dieser Bericht muss auch die Ansichten der Minderheit darstellen (Art. 176 X GO-EP) und veröffentlicht werden. (pd) §§: Art. 193 EG; Art. 176 GO-EP; Beschluss des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 19.4.1995 über Einzelheiten der Ausübung des Untersuchungsrechts des Europäischen Parlaments 95/167/EG, ABl. 1995, Nr. L 113/1 Lit.: U. Beckedorf, Das Untersuchungsrecht des Europäischen Parlaments, 1995; S. Höpfner, Parlamentarische Kontrolle in Deutschland und der Europäischen Union: das Recht der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments, 2004 Rsp.: EuGH, Rs. 78/85 Fraktion der Europäischen Rechten/Parlament, Slg. 1986, 1753
Europäisches Parlament, Wahlen ĺWahlrecht zum Europäischen Parlament Europäisches Patent European patent – brevet européen
Ist ein „Bündelpatent“, dessen Anmeldung, Recherche, Prüfung und Erteilung beim Europäischen Patentamt (ĺEPA) zentralisiert ist. Rechtsgrundlage dafür ist das ĺEuropäische Patentübereinkommen (EPÜ). Mit nur einer Anmeldung, Prüfung und Erteilung kann somit Patentschutz in allen EPÜ-Vertragsstaaten (und darüber hinaus: s. ĺErstreckung) erlangt werden. In welchen EPÜ-Staaten das europ. Patent tatsächlich Wirkung entfaltet, entscheidet der Anmelder durch Benennung in der Anmeldung (Praxis: Formblatt 1001 enthält bereits standardmäßig eine Benennung sämtlicher EPÜVertragsstaaten sowie Erstreckungsstaaten). Gem. Art. 79 EPÜ 2000 gelten alle Vertragsstaaten als benannt; Rücknahme bis zur Erteilung möglich. Beachte außerdem: ĺValidierung in den jeweiligen Staaten. Nach seiner Erteilung bestimmt sich das Schicksal des europ. Patents grundsätzlich (Ausnahme: ĺEinspruchs-, ĺBeschwerde- und [mit EPÜ 2000 auch ĺBeschränkungs-]verfahren vor dem EPA) nach dem nationalen Recht der Staaten, für die es erteilt wurde und ist gem. Art. 2 Abs. 2 EPÜ den jeweiligen nationalen Patenten in seiner Wirkung gleichgestellt (territorial aufgegliedertes Bündel von Patenten). Daraus ergibt sich das Problem, dass bei Patentverletzungen europ. Patente oftmals in mehreren Staaten geklagt werden muss, auch mit dem Risiko widersprüchlicher Urteile (ĺStreitbeilegung). Einheitliche Vorgaben für das nationale Recht enthält das EPÜ u.a. zur 340
maximal erlaubten Laufzeit eines europ. Patents (Art. 63; s.a. ĺergänzendes Schutzzertifikat), zu den erlaubten Nichtigkeitsgründen (Art. 138), zur Bestimmung des ĺSchutzbereichs (Art. 69) und zum Schutz ĺunmittelbarer Verfahrenserzeugnisse (Art. 64 Abs. 2). S. unter dem Stichwort europ. Patent die Untereinträge: ĺAbhängiges Patent; ĺÄquivalenz; ĺAnmelderprinzip; ĺAufgabe-Lösungs-Ansatz; ĺAuswahlerfindung; ĺBeitragsansatz; ĺBeschwerdeverfahren; ĺComputerimplementierte Erfindung; ĺDisclaimer; ĺEinspruchsverfahren; ĺEinstweiliger Schutz; ĺErfinderische Tätigkeit; ĺErfindung; ĺErstreckung; ĺErzeugnisanspruch; ĺEuro-PCT-Anmeldung; ĺFachmann; ĺfirst-to-file-Prinzip; ĺInhärente Verwendung; ĺNeuheit; ĺOffenbarung, ausreichende; ĺÖffentliche Ordnung und gute Sitten; ĺPatentanmeldung/Patent, Änderung; ĺPatentanspruch; ĺPatentierbarkeit; ĺPatentierbarkeitsausschluss; ĺPatentvindikation; ĺPrioritätsrecht; ĺProduct-by-Process-Anspruch; ĺSchutzbereich; ĺSchweizer Anspruch; ĺStand der Technik; ĺStreitbeilegung, Zersplitterung der; ĺTorpedo; ĺUnmittelbares Verfahrenserzeugnis; ĺunschädliche Offenbarung; ĺValidierung; ĺVerfahren bei mangelnder Berechtigung des Patentinhabers; ĺVerfahrensanspruch; ĺVerwendungsanspruch; ĺzweckgebundener Stoffschutz. S. außerdem ĺAbkommen zur Harmonisierung des materiellen Patentrechts (WIPO); ĺBiotechnologieRL 98/44/EG; ĺDurchsetzungsRL 2004/48/EG; ĺErgänzendes Schutzzertifikat; ĺEuropäisches Patentamt (EPA); ĺEuropäische Patentorganisation (EPO); ĺEuropäisches Patentübereinkommen (EPÜ, EPÜ 2000), ĺEuropäisches Übereinkommen über Patentstreitigkeiten (EPLA); ĺGebrauchsmuster; ĺGemeinschaftspatent; ĺGemeinschaftspatentgericht; ĺInternationale Zuständigkeit, Patentsachen, ĺLondonder Übereinkommen über die Anwendung des Art. 65 EPÜ; ĺPariser Verbandübereinkunft (PVÜ); ĺPCT (Patentzusammenarbeitsvertrag); ĺPCT, Bestimmungserklärung; ĺPCT, Internationale Recherche; ĺPCT, Internationale vorläufige Prüfung; ĺPCT, Kapitel II PCT; ĺPLT (Patentrechtsvertrag); ĺProduktpiraterieverordnung (VO [EG] 1383/2003). (mp) §§: Art. 2, Art. 3 EPÜ Lit.: D. Stauder, in: M. Singer/ders. (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 2 f.; R. Teschemacher, Art. 79, Rn.1 f., 37 ff., ebendort; L.
Europäisches Patent, Auswahlerfindung Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 3 ff., Rn. 807 ff. Web: Download Formblatt 1001 unter: http://www.epo. org/patents/Grant-procedure/Filing-an-application/ European-applications/forms.html
Europäisches Patent, abhängiges Patent European patent, dependent patent – brevet européen, brevet dépendant
Patent auf eine abhängige Erfindung; baut auf einer bekannten Lehre auf (z.B. neue und erfinderische Verwendung, Herstellungsverfahren, Weiterentwicklung eines bereits bekannten Erzeugnisses). Kennzeichnend ist, dass in der Ausübung der jüngeren (abhängigen) Erfindung die bekannte Erfindung verwendet wird. Ist das bekannte Erzeugnis patentrechtlich geschützt, hindert dies zwar die Patentierung der späteren (neuen und erfinderischen) Erfindung nicht, für deren Benutzung ist aber die Zustimmung des Grundpatentinhabers erforderlich. (mp) Lit.: K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 52, Rn. 143 ff.
Europäisches Patent, Äquivalenz European patent, equivalence – brevet européen, equivalence
Äquivalente sind abgewandelte (nicht offenbarte) Ausführungsformen einer (offenbarten) Erfindung. Sie unterscheiden sich vom Offenbarten, sind aber funktionell gleichgerichtet, d.h. erzielen dasselbe Ergebnis. Äquivalente gelten nicht als (neuheitsschädlich) mitoffenbart, selbst wenn sie dem Fachmann bekannt sind (ĺOffenbarungsgehalt). Bzgl. der Frage, ob Äquivalente vom ĺSchutzbereich eines europ. Patents erfasst sind (äquivalente Patentverletzung), bestehen Unterschiede in der Anwendung des Art. 69 EPÜ (inkl. Auslegungsprotokoll) durch die nationalen Gerichte (Beispiel: dt. BGH, GRUR Int. 2002, 515 – Schneidmesser I; House of Lords, GRUR Int. 1982, 136 – Catnic; GRUR Int. 2005, 343 – Kirin Amgen). Die Frage der äquivalenten Verletzung kann sich auch bei zahlenmäßigen Bereichsangaben stellen (z.B. Angabe von 10-20 % verletzt bei 8 oder 22 %?). EPÜ 2000: expliziter Verweis auf die patentrechtliche Äquivalenz im Auslegungsprotokoll zu Art. 69. (mp) §§: Art. 54, Art. 69 EPÜ Lit.: D. Stauder, in: M. Singer/ders. (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 69, Rn. 28; K. Grabinski, „Schneidmesser“ versus „Amgen“, GRUR Int. 2006, 714; L. H. Hoffmann, Patent Construction, GRUR Int. 2006, 720; M. Brandi-Dohrn, Der Schutzbereich nach deutschem und britischem Recht: die Schneidmesserentscheidung des BGH und
die Amgen-Entscheidung des House of Lords, Mitt. 2005, 337; U. Scharen, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 69, Rn. 50 ff.
Europäisches Patent, Anmelderprinzip European patent, presumtion of entitlement – brevet européen, demandeur réputé habilité à exercer le droit au brevet
Gem. Art. 60 Abs. 3 EPÜ besteht die Vermutung, dass der Anmelder des ĺeurop. Patents auch der materiell Berechtigte ist. S.a. ĺVerfahren bei mangelnder Berechtigung. (mp) §§: Art. 60 Abs. 3 EPÜ Lit.: D. Stauder, in: M. Singer/ders. (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 60, Rn. 19 ff.
Europäisches Patent, Aufgabe-Lösungs-Ansatz European patent, problem-solution-approach – brevet européen, l’approche „problème-solution“
Von den Beschwerdekammern des ĺEuropäischen Patentamts (EPA) entwickelte, systematisch-objektive Herangehensweise zur Überprüfung der ĺerfinderischen Tätigkeit. Ausgehend vom „nächstliegenden“ ĺStand der Technik (= derjenige, der der Erfindung im Hinblick auf den von der Erfindung zu erfüllenden Zweck am nächsten kommt, d.h. das „am Erfolg versprechendste Sprungbrett“ für die Erfindung, EPA, T 254/86, ABl. EPA 1989, 115, Z. 15) werden die den Anspruchsgegenstand vom Stand der Technik unterscheidenden Merkmale herausgearbeitet. Der durch diesen „überschießenden“ Teil verfolgte Zweck stellt die objektive Aufgabe dar. Wenn die Einführung der beanspruchten Merkmale als Lösung dieser Aufgabe vom ĺFachmann auf der Basis des gesamten einschlägigen Standes der Technik zum Prioritätszeitpunkt gefunden worden wäre (could-would-approach), ist der Schritt von der Aufgabe zur Lösung nicht erfinderisch. (mp) §§: Art. 56 EPÜ Lit.: J. Kroher, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 56, Rn. 37 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 238 ff.; G. Knesch, Die erfinderische Tätigkeit – der Prüfungsansatz im EPA, Mitt. 2000, 311; G. Szabo, Der Ansatz über Aufgabe und Lösung in der Praxis des Europäischen Patentamts, Mitt. 1994, 225
Europäisches Patent, Auswahlerfindung European patent, invention by selection – brevet européen, invention par sélection
Eine Lehre, die aus einem bekannten, größeren Bereich einen nicht ausdrücklich erwähnten 341
Europäisches Patent, Beitragsansatz Teilbereich auswählt, für den verglichen mit dem größeren Bereich besondere Wirkungen oder Eigenschaften geltend gemacht werden. Ob eine Auswahl das Erfordernis der ĺNeuheit erfüllen kann, hängt vom ĺOffenbarungsgehalt des allgemeinen Begriffs/der numerischen Bereichsangabe ab. Entscheidend ist, ob damit der Teilbereich bereits der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war. Konzept des ernsthaften Erwägens: Ob der Fachmann ernsthaft erwägen würde, die technische Lehre eines bekannten Dokuments auch im Deckungsoder Überschneidungsbereich anzuwenden, zu dem es keine Ausführungsbeispiele beschreibt (EPA, T 26/85, ABl. EPA 1990, 22 Z. 9; EPA, T 666/89, ABl. EPA 1993, 495, 502 = GRUR Int. 1994, 59 – Waschmittel). (mp) §§: Art. 54 EPÜ Lit.: R. Spangenberg, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 54, Rn. 61 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 150, 209 ff.; E. Dinné/A. Stubbe, Neuheit und Chemie-Patente. Europa contra Deutschland? Mitt. 2004, 337; R. Spangenberg, Die Neuheit sogenannter „Auswahlerfindungen“, GRUR Int. 1998, 193; R. Rogge, Gedanken zum Neuheitsbegriff nach geltendem Patentrecht, GRUR Int. 1996, 931
Europäisches Patent, Beitragsansatz European patent, „technical contribution“-approach – brevet européen, la doctine sur la „contribution technique“
Ansatz des ĺEPA zur Beurteilung, ob eine ĺErfindung i.S.d. EPÜ vorliegt, wenn der beanspruchte Gegenstand eine Kombination aus nicht-technischen Merkmalen (z.B. Geschäftsmethode, Computerprogramm) und technischen Merkmalen (z.B. Computer) darstellt. Die Erfindung muss einen Beitrag zum Stand der Technik auf einem Gebiet leisten, der nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist. Demnach verleiht die Verwendung technischer Mittel für einen rein nicht-technischen Zweck dem Verfahren noch nicht zwangsläufig den erforderlichen technischen Charakter. Die Erfindung muss einen technischen Beitrag leisten. Vgl. bzgl. Patentierbarkeit von Computerprogrammen: Programm muss bei Ausführung auf einem Computer über die dabei typischerweise auftretenden physikalischen Wechselwirkungen zwischen Hardware und Software hinausgehend einen zusätzlichen „technischen Effekt“ bewirken (EPA, T 1173/97, ABl. EPA 1999, 609 Z. 6 – Computerprogrammprodukt/IBM), z.B. Steuerung der Funktion oder Arbeitsweise einer Maschine durch ein Computerprogramm 342
(EPA, T 26/86, ABl. EPA 1988, 19 Z. 3 – programmgesteuerte Röntgeneinrichtung). Der bloße Einsatz eines technischen Mittels (programmierter Computer) als solcher reicht nicht. S. zu jüngeren Entwicklungen bei der Beurteilung ĺcomputerimplementierter Erfindungen, ĺErfindung. (mp) §§: Art. 52 EPÜ Lit.: K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 52, Rn. 57 ff. Web: http://www.epo.org/focus/issues/computerimplemented-inventions_de.html
Europäisches Patent, Beschränkungsverfahren European patent, limitation procedure – brevet européen, procédure de limitation
Neuerung durch ĺEPÜ 2000; zentrales, vor dem ĺEPA geführtes Verfahren, in dem auch der Patentinhaber Beschränkung oder Widerruf eines erteilten ĺeurop. Patents beantragen kann (Art. 105a, b EPÜ 2000). (mp) §§: Art. 105a, b; R. 90 ff. EPÜ 2000
Europäisches Patent, Beschwerdeverfahren European patent, appeals procedure – brevet européen, procédure de recours
Ermöglicht die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen des ĺEPA, die im Rahmen der Formalprüfung, Sachprüfung oder im Einspruchsverfahren ergangen sind, im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (Beschwerdekammern sind unabhängig). Beschwerde erheben kann binnen 2 Monaten nach Zustellung der Entscheidung, wer am Verfahren, das zur Entscheidung geführt hat, beteiligt war und durch die Entscheidung beschwert ist. Im B.verfahren können nur im Einspruchsverfahren geprüfte Gründe berücksichtigt werden, außer der Patentinhaber würde der Einführung neuer Gründe zustimmen. Auch Teile des Inhalts des Patents, die im Einspruchsverfahren unangegriffen blieben, können nicht Gegenstand eines B.verfahrens sein (EPA, G 7/95, ABl. EPA 1996, 626 – neue Einspruchsgründe; EPA, G 9/91, ABl. EPA 1993, 408 – Prüfungsbefugnis). Die erstinstanzliche Entscheidung kann bestätigt oder geändert werden, möglich ist auch Zurückverweisung an die erste Instanz zur neuerlichen Entscheidung (Bindung an die rechtliche Beurteilung der Beschwerdekammer). (mp) §§: Art. 106 ff. EPÜ; R. 64 ff. EPÜ [R. 97 ff. EPÜ 2000] Lit.: L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 667 ff.
Europäisches Patent, computerimplementierte Erfindung Europäisches Patent, BEST (Bringing examination and search together) European patent, BEST – brevet européen, BEST
Ursprünglich wurden Recherche und Sachprüfung im ĺEPA getrennt durchgeführt. Heute werden beide Aufgaben sowohl in Den Haag als auch in München durchgeführt und in der Hand derselben Prüfer vereinigt. Diesbezügliche Änderungen durch das ĺEPÜ 2000 sind seit 29.11.2000 vorläufig anwendbar. Recherche und Prüfung sind nach wie vor getrennte Abschnitte des Erteilungsverfahrens, jedoch neuerdings durch den ĺerweiterten europ. Recherchenbericht verknüpft. (mp) §§: Art. 17 EPÜ 2000 Lit.: R. Teschemacher, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 17; ders., Die Zusammenführung von Recherche und Prüfung im europäischen Patenterteilungsverfahren, GRUR Int. 2004, 796
Europäisches Patent, Biotechnologierichtlinie European patent, directive on the legal protection of biotechnological inventions – brevet européen, directive relative à la protection juridique des inventions biotechnologiques
Richtlinie der EG zur Harmonisierung der Patentierbarkeit biotechnologischer Erzeugnisse und Verfahren in der EU (= Gemeinschaftsrecht, ĺRichtlinie). Sie ist für das ĺeurop. Patent von Bedeutung, da sie mit einem expliziten Verweis in R. 23b Abs. 1 EPÜ (R. 26 Abs. 1 EPÜ 2000) in die EPÜ-Ausführungsordnung (ĺEuropäisches Patentübereinkommen) einbezogen wurde. Die Patentierbarkeitsausschlüsse der Art. 5 und 6 der RL wurden in R. 23d-e EPÜ (R. 28 und 29 EPÜ 2000) übernommen. S. dazu unter europ. Patent auch bei ĺKlonen, ĺVeränderung der genetischen Identität der Keimbahnen, ĺindustrielle Verwendung von Embryonen, ĺVeränderung der genetischen Identität von Tieren, ĺmenschlicher Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung. Die RL ist daher für die Auslegung des Art. 53a EPÜ (öffentliche Ordnung und gute Sitten) i.V.m. den Regeln der Ausführungsordnung relevant. Die in Art. 6 Abs. 2 der RL aufgezählten Erfindungen gelten als nicht patentierbar im Sinn der Generalklausel des Art. 6 Abs. 1 der RL (Erfindungen, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentl. Ordnung und guten Sitten verstoßen würde). Problem: Art. 6 der RL ist im Einklang mit Art. 27 TRIPS auszulegen, der die Zulässigkeit nationaler Patentierungsverbote zum Schutz der öf-
fentl. Ordnung an das Vorhandensein entsprechender Verwertungsverbote knüpft. S. unter europ. Patent auch bei ĺPatentierbarkeitsausschluss, ĺÖffentliche Ordnung und gute Sitten. Des Weiteren entspricht Art. 4 Abs. 1 und 3 der RL Art. 53b EPÜ; Art. 2 Abs. 2 der RL wurde mit R. 23b Abs. 5 EPÜ (R. 26 Abs. 5 EPÜ 2000) umgesetzt; Art. 4 Abs. 2 entspricht R. 23c lit. b EPÜ [R. 27b EPÜ 2000]. Für Patente auf biologisches Material harmonisiert die RL den Schutzbereich, z.B. Erstreckung auf Vermehrungsmaterial mit gleichen Eigenschaften (Art. 8-11 RL). (mp) §§: RL 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, ABl. 1998, Nr. L 213/13; BiotechnologieRL Umsetzungsnovelle, BGBl. I 42/ 2005 Lit.: U. Schatz, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 53, Rn. 63 ff.; M. D. Hartmann, Die Patentierbarkeit von Stammzellen und den damit zusammenhängenden Verfahren, GRUR Int. 2006, 195; M. Zintler, Die Biotechnologierichtlinie, 2002; M. Herdegen, Die Patentierbarkeit von Stammzellenverfahren nach der RL 98/44/EG, GRUR Int. 2000, 859; C. Koenig/E.-M. Müller, EG-rechtliche Vorgaben zur Patentierbarkeit gentherapeutischer Verfahren unter Verwendung künstlicher Chromosomen nach der RL 98/44/EG, GRUR Int. 2000, 295; T. M. Spranger, Ethische Aspekte bei der Patentierung menschlichen Erbguts nach der RL 98/44/EG, GRUR Int. 1999, 595 Lit.: Bericht der Kommission – Entwicklung und Auswirkungen des Patentrechts im Bereich der Biotechnologie und der Gentechnik, KOM(2005) 312 endg.
Europäisches Patent, computerimplementierte Erfindung European patent, computer-implemented invention – brevet européen, inventions mises en oeuvre par ordinateur
Erfindungen, die durch Einsatz eines Computers (oder eines Netzwerks oder anderer programmierbarer Apparate) ausgeführt werden. Zentrale Frage ist, ob Gegenstände, die gem. Art. 52 Abs. 2 EPÜ als solche mangels Vorliegens einer Erfindung i.S.d. EPÜ nicht patentierbar sind (z.B. Geschäftsmethoden, Computerprogramme „als solche“), doch patentfähige Erfindungen darstellen können, wenn sie mit patentierbaren (technischen) Elementen verknüpft werden, indem sie auf einem Computer installiert und ausgeführt werden. Zu verschiedenen Ansätzen s. unter europ. Patent bei ĺErfindung und ĺBeitragsansatz. Die sog. EG-SoftwareRL, die EU-weit die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfin343
Europäisches Patent, Diagnostizierverfahren dungen harmonisieren sollte, scheiterte am Widerstand des Europ. Parlaments. (mp) §§: Art. 52 Abs. 2 lit. c EPÜ; Vorschlag für eine Richtlinie über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen, KOM(2002) 92 endg., ABl. 2002, Nr. C 151 E/129 Lit.: M. Singer/D. Stauder, in: dies./ders. (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 52, Rn. 27 ff.; E. Basinski et al., Patentschutz für computer-softwarebezogene Erfindungen, GRUR Int. 2007, 44; A. Wiebe/R. Heidinger, Ende der Technizitätsdebatte zu programmbezogenen Lehren? Anmerkung zur EPA-Entscheidung „Auktionsverfahren/Hitachi“, GRUR Int. 2006, 177; C. Laub, Patentfähigkeit von Softwareerfindungen: Rechtliche Standards in Europa und den USA und deren Bedeutung für den internationalen Anmelder, GRUR Int. 2006, 629; R. Heidinger, Patent Protection of Software in Europe, MRInt. 2004, 57; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 52, Rn. 188 ff. Web: http://ec.europa.eu/internal_market/indprop/ comp/index_de.htm
Europäisches Patent, Diagnostizierverfahren European patent, diagnostic methods – brevet européen, méthodes de diagnostic
ĺPatentierbarkeitsausschluss gem. Art. 52 Abs. 4 EPÜ [Art. 53c EPÜ 2000]. Verfahren, bei dem alle für das Stellen der Diagnose zu Heilzwecken konstitutiven und ihr vorausgehenden Schritte am menschlichen/tierischen Körper durchgeführt werden. Dazu reicht eine Wechselwirkung mit dem Körper. Werden Gewebe und Flüssigkeiten zur Untersuchung entnommen und dem Körper nicht wieder zugeführt, greift der Ausschluss nicht. Das Verfahren muss zu Ergebnissen führen, die unmittelbar die Entscheidung über die Behandlung ermöglichen; Zwischenergebnisse reichen nicht aus (EPA, T 385/86, ABl. EPA 1988, 308; EPA, G 1/04, ABl. EPA 2006, 334 = GRUR Int. 2006, 514). S.a. ĺVerfahren zur chirurgischen und therapeutischen Behandlung. (mp) §§: Art. 52 Abs. 4 EPÜ (Art. 53c EPÜ 2000)
Europäisches Patent, disclaimer European patent, disclaimer – brevet européen, disclaimer
Aufnahme eines „negativen“ technischen Merkmals in einen ĺPatentanspruch, d.h. expliziter Ausschluss oder Streichung eines Teils des Schutzumfanges. Kann ausnahmsweise und nur im notwendigen Ausmaß zur Verhinderung eines Neuheitsverlustes verwendet werden oder um einen Gegenstand auszuscheiden, der gem. Art. 52 ff. EPÜ aus nicht-technischen Gründen von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist (EPA, G 1/03, ABl. EPA 2004, 413). (mp) 344
Lit.: R. Teschemacher, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 84, Rn. 15 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 346
Europäisches Patent, Einheitlichkeit der Erfindung European patent, unity of invention – brevet européen, unité d’invention
Eine europ. Patentanmeldung darf nur eine Erfindung oder mehrere durch eine einzige erfinderische Idee verknüpfte Erfindungen beinhalten. Mangelnde Einheitlichkeit lässt sich z.T. erst im Laufe des Verfahrens ausfindig machen, nämlich dann, wenn das (einzige) verbindende Merkmal sich als nicht neu oder nicht erfinderisch herausstellt. Im Fall mangelnder Einheitlichkeit ist eine Trennung der einzelnen Teile durch ĺTeilanmeldung unter Wahrung des ĺPrioritätstags möglich. (mp) §§: Art. 82 EPÜ, R. 30 EPÜ [R. 44 EPÜ 2000] Lit.: L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 354 ff.
Europäisches Patent, Einspruchsverfahren European patent, opposition procedure – brevet européen, pocédure d’opposition
Selbstständiges, dem Erteilungsverfahren nachgeschaltetes Verfahren, in dem Dritte (innerhalb von 9 Monaten ab Bekanntmachung des Erteilungshinweises) einen ex tunc wirksamen Widerruf oder eine ex tunc wirksame Beschränkung eines bereits erteilten ĺeurop. Patents mit Wirkung für alle Staaten, für die es erteilt wurde, erreichen können. Dies stellt eine Ausnahme vom Grundsatz dar, dass ein europ. Patent nach seiner Erteilung in ein Bündel von Patenten zerfällt, die nur noch dem nationalen Recht unterliegen. Abschließende Aufzählung der Einspruchsgründe in Art. 100 EPÜ. Teile eines europ. Patents, gegen die keine Einspruchsgründe vorgebracht wurden, bleiben unberührt, außer die Gültigkeit eines von einem vernichteten Anspruch abhängigen Anspruchs wäre prima facie in Frage gestellt. Nicht genannte Einspruchsgründe dürfen geprüft werden, jedoch sollte davon nur Gebrauch gemacht werden, wenn prima facie triftige Gründe dafür sprechen (EPA, G 9/91, ABl. EPA 1993, 408). Mögliche Entscheidungen der Einspruchsabteilung sind a, Widerruf, b, vollständige Aufrechterhaltung, c, Aufrechterhaltung in geänderter Form (Art. 102 EPÜ [Art. 101; R. 82 EPÜ 2000]). (mp) §§: Art. 99 ff. EPÜ; R. 55 f. EPÜ [R. 75 ff. EPÜ 2000]
Europäisches Patent, Erfindung Lit.: B. Günzel, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 99 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 627 ff.
Europäisches Patent, einstweiliger Schutz European patent, provisional conferal of rights – brevet européen, protection assurée provisoirement
Gem. Art. 67 EPÜ wird dem Anmelder durch die europ. Patentanmeldung vom Tag ihrer Veröffentlichung (betr. ĺEURO-PCT-Anmeldungen s. Art. 158 Abs. 1, 3 EPÜ [Art. 153 Abs. 3, 4 EPÜ 2000]) einstweilig voller Patentschutz gewährt (= dieselben Wirkungen wie ein nationales Patent). Der einstw. Schutz gilt gem. Art. 67 Abs. 4 EPÜ als von Anfang an nicht eingetreten, wenn das Patent nicht erteilt wird. Fast alle EPÜ-Staaten haben jedoch im Einklang mit Art. 67 Abs. 2 EPÜ den vollen Patentschutz ausgeschlossen (Bedingung dafür: zumindest Gleichbehandlung mit einer veröffentlichten nationalen Patentanmeldung und jedenfalls ein Recht auf angemessene Entschädigung) und den Eintritt des einstw. Schutzes gem. Art. 67 Abs. 3 EPÜ außerdem von einer Übersetzung der Patentansprüche in ihre Amtssprache abhängig gemacht (z.B. Österreich und Deutschland: bei unbefugter Benutzung nur Recht auf gemessene Entschädigung; bei nicht in deutscher Sprache veröffentlichten europ. Patentanmeldungen besteht Anspruch außerdem erst ab dem Tag der Veröffentlichung der Übersetzung der Ansprüche oder deren Zustellung an den Benutzer (§ 4 Abs. 1, 2 österr. PatV-EG; Art. II § 1 Abs. 1 dt. IntPatÜG). (mp) §§: Art. 67 EPÜ; § 4 Patentverträge-Einführungsgesetz, BGBl. 52/1979 i.d.F. BGBl. I 42/2005; Art. II dt. Gesetz über internationale Patentübereinkommen, dt. BGBl. II 1976, 649 Lit.: D. Schennen, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 67; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 742 f.; A. Schäfers, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 67, Rn. 4 ff., 24 ff.; EPA (Hrsg.), Nationales Recht zum EPÜ, 13. Aufl. 2006, 63 ff., 72 ff. (III.A.: Rechte aus der europäischen Patentanmeldung, III.B.: Einreichungen von Übersetzungen)
Europäisches Patent, Entdeckung European patent, discovery – brevet européen, découverte
ĺPatentierbarkeitsausschluss gem. Art. 52 Abs. 2 lit. a EPÜ; eine Entdeckung besteht im Auffinden, in der reinen Erkenntnis von bereits in der Natur Bestehendem, in Vermehrung von Wissen, stellt aber keine technische Lehre zur Lösung eines konkreten Problems dar (z.B.
Entdeckung, dass ein bestimmtes Material besonders stoßfest ist). Dem gegenüber könnte Werkzeug, welches aus solchem Material hergestellt wird, bei Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 52 Abs. 1 EPÜ eine patentierbare ĺErfindung darstellen. (mp) §§: Art. 52 Abs. 2 lit. a EPÜ Lit.: L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 99; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 52, Rn. 160 ff.
Europäisches Patent, erfinderische Tätigkeit European patent, inventive step – brevet européen, activité inventive
Patentierbarkeitsvoraussetzung gem. Art. 56 EPÜ. Die Erfindung muss einen gewissen Abstand vom ĺStand der Technik aufweisen, wie er zum Anmelde- bzw. ĺPrioritätstag vorliegt. Die vorgeschlagene Lösung darf sich für den ĺFachmann (mit Kenntnissen und Fähigkeiten zu eben diesem Zeitpunkt) nicht nahe liegend aus dem Stand der Technik ergeben. Was sich durch bloße, konsequente Weiterentwicklung der im Stand der Technik angelegten Überlegungen ergibt, beruht auf keiner erfinderischen Tätigkeit. S. ĺAufgabe-Lösungs-Ansatz. Unterschiede zur Prüfung der ĺNeuheit: 1. nicht vorveröffentlichter ĺStand der Technik (Art. 54 Abs. 3 EPÜ) wird nicht einbezogen; 2. mehrere Quellen können kombiniert werden (Mosaik-Betrachtung). Vgl. außerdem ĺGebrauchsmuster. (mp) §§: Art. 56 EPÜ Lit.: J. Kroher, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 56, insb. Rn. 8 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 234 ff.; S. Féaux de Lacroix, Wann machen überraschende Eigenschaften erfinderisch? GRUR Int. 2006, 625
Europäisches Patent, Erfindung European patent, invention – brevet européen, invention
Begriff der Erfindung ist im EPÜ nicht definiert, anerkannt ist jedoch das Erfordernis eines technischen Charakters. Art. 52 Abs. 2 EPÜ enthält nicht-technische Gegenstände, die als solche (aufgrund ihres nicht-technisch, abstrakten Charakters) nicht patentiert werden können; z.B. ĺEntdeckungen, Geschäftsmethoden und Computerprogramme als solche; s.a. ĺPatentierbarkeitsausschluss. (Art. 52 Abs. 1 ĺEPÜ 2000 legt das Erfordernis des technischen Charakters ausdrücklich fest; „auf allen Gebieten der Technik“). 345
Europäisches Patent, Erfindungsidentität (dieselbe Erfindung) Sind in einer Erfindung technische und nichttechnische Elemente vermengt, ist eine Patentierung möglich. Das EPA wendet den ĺBeitragsansatz an, um das Vorliegen einer Erfindung zu bestimmen (technischer Beitrag zum Stand der Technik). Beitragsansatz jedoch abgelehnt in EPA, T 258/03, ABl. EPA 2004, 575 – Auktionsverfahren/Hitachi, da die Frage nach dem Vorliegen einer Erfindung der Frage der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit vorgelagert ist. Für den Erfindungsbegriff spielt der Stand der Technik daher keine Rolle. Ein Gegenstand mit technischem Charakter liege auch vor, wenn mit technischen Mitteln rein nichttechnische Zwecke verfolgt werden. Nur rein abstrakte Konzepte ohne jeden technischen Bezug seien Nichterfindungen. Damit wird (v.a. mit Bedeutung für ĺcomputerimplementierte Erfindungen) das Schwergewicht der Prüfung auf die ĺNeuheit und ĺerfinderische Tätigkeit verschoben. In EPA, T 0424/03, GRUR Int. 2006, 851 wurde der Hitachi-Ansatz bestätigt, zusätzlich jedoch der Unterschied zwischen einem computerimplementierten Verfahren und einem Computerprogramm betont; den Hitachi-Ansatz zu präzisieren scheinen EPA, T 388/04, GRUR Int. 2007, 246 (die implizite Möglichkeit, nicht angeführte technische Mittel zu verwenden, ändert nichts am Ausschluss von der Patentierbarkeit) und EPA, T 619/02, GRUR Int. 2007, 333 (Erfordernis des technischen Charakters nicht erfüllt, wenn neben technischen Ausführungsarten auch nicht-technische Ausführungsformen möglich sind). (mp) §§: Art. 52 EPÜ Lit.: M. Singer/D. Stauder, in: dies./ders. (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 52, Rn. 9 ff., 27 ff.; A. Wiebe/R. Heidinger, Ende der Technizitätsdebatte zu programmbezogenen Lehren? Anmerkungen zur EPA-Entscheidung „Auktionsverfahren/Hitachi“, GRUR Int. 2006, 177; R. Nack/R. Moufang, Art. 52 EPÜ, in: F.-K. Beier/H. Haertel/G. Schricker/J. Straus (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommmen. Münch. GemKom, 28. Lfg. 2005
Europäisches Patent, Erfindungsidentität (dieselbe Erfindung) European patent, same invention – brevet européen, même invention
Vorliegen „derselben Erfindung“ ist gem. Art. 87 Abs. 1 EPÜ Voraussetzung für die wirksame Inanspruchnahme einer Priorität (ĺPrioritätsrecht). Identität der Ansprüche ist nicht erforderlich, jedoch muss der ĺFachmann alle Merkmale der Erfindung aus der Prioritätsun346
terlage ohne weiteres entnehmen können; sie müssen ausdrücklich oder unmittelbar und unzweideutig implizit offenbart sein (EPA, G 2/98, ABl. EPA 2001, 413 = GRUR Int. 2002, 80); d.h. Anwendung derselben Kriterien wie bei der Prüfung der ĺNeuheit. Enthält der Anspruch in der europ. Anmeldung ein in der ĺprioritätsbegründenden Erstanmeldung noch nicht offenbartes Merkmal, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nicht dieselbe Erfindung vorliegt. Auf eine Wesentlichkeit des Merkmals (im Sinn eines Zusammenhangs mit Funktion und Wirkung der Erfindung) – so aber EPA, T 73/88, ABl. EPA 1992, 557, Snackfood/Howard – kommt es nicht an (EPA, G 2/98, s.o., Z. 8 f.). Wenn jedoch das zusätzliche Merkmal eindeutig nur einschränkende Wirkung hat (ohne technischen Beitrag) dürfte die Priorität erhalten bleiben. Vgl. auch Art. 123 Abs. 2 EPÜ (ĺPatentanmeldung/Patent, Änderung). Liegt Erfindungsidentität nicht vor, kann die Priorität auch nicht für den Teil des Anspruches geltend gemacht werden, der in der Prioritätsunterlage Deckung findet (ĺTeilpriorität; s.a. ĺSchirmtheorie). (mp) §§: Art. 87 Abs. 1 EPÜ Lit.: R. Spangenberg, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 87, Rn. 2 ff.; O. Ruhl, Priorität und Erfindungsidentität nach der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer des EPA in der Sache G 2/98, GRUR Int. 2002, 16; E. Ullmann/K. Grabinski, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 87, Rn. 7 ff.; M. Aúz Castro, Der Begriff „derselben Erfindung“ im Europäischen Patentübereinkommen, VPP-Rundbrief Nr. 2/2000, 38; J. G. Tönnies, Ist die Identität der Erfindung Voraussetzung für die Wirkung des Prioritätsrechts? GRUR Int. 1998, 451
Europäisches Patent, Erstanmelderprinzip ĺ„First-to-file“-Prinzip Europäisches Patent, Erstreckung European patent, extension – brevet européen, extension
Erweiterung des Patentschutzes eines ĺeurop. Patents auf bestimmte Nicht-EPÜ-Vertragsstaaten, die mit der ĺEPO ein Kooperations- und Schutzerstreckungsabkommen geschlossen haben (zum 8.1.2008 in Kraft: Abkommen mit Albanien, Bosnien-Herzegowina, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien sowie Serbien). Die Erstreckung ist auch bei PCT-Anmeldung möglich (ĺeurop. Patent, EURO-PCT-
Europäisches Patent, Fachmann Anmeldung), wenn Erstreckungsstaat und ĺEPA wirksam bestimmt wurden. (mp) Lit.: E. Ullmann/K. Grabinski, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Vor Präambel Rn. 16 Web: http://www.epo.org/about-us/epo/memberstates/extension-states_de.html
Europäisches Patent, erweiterter europäischer Recherchenbericht European patent, extended european research report – brevet européen, Rapport de recherche européenne élargi
Der Anmelder erhält zusammen mit dem Bericht über den ĺStand der Technik (Recherchenbericht) auch eine Stellungnahme, ob die Patentierungserfordernisse erfüllt erscheinen (entspricht inhaltlich einem ersten Prüfbescheid). Er erfährt damit schon vor dem förmlichen Eintritt in das Prüfungsverfahren die Ansicht des Amtes zur Patentfähigkeit der Erfindung. S.a. ĺBEST. (mp) §§: R. 44a EPÜ (für Anmeldungen ab 1.7.2005; ABl. EPA 2005, 5) [R. 62 EPÜ 2000] Lit.: R. Teschemacher, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 17, Rn. 8; ders., Die Zusammenführung von Recherche und Prüfung im europäischen Patenterteilungsverfahren, GRUR Int. 2004, 796
Europäisches Patent, Erzeugnisanspruch European patent, product claim – brevet européen, revendication d’un produit
Produktansprüche, als Sonderform auch ĺ„Product-by-Process“-Ansprüche und Stoffansprüche; gewähren absoluten Schutz für ein Erzeugnis. Der Schutzumfang erfasst das Erzeugnis unabhängig von seiner Art der Herstellung und Verwendung, d.h. erstreckt sich auf alle Herstellungsverfahren und Verwendungen. Dies gilt auch für den Stoffanspruch (EPA, G 2/88, ABl. EPA 1990, 93 – reibungsverringernder Zusatz). Eine neue und erfinderische Verwendung lässt sich mit einem Verwendungspatent (ĺVerwendungsanspruch; ĺabhängiges Patent) schützen. Das EPÜ geht offenbar von einem absoluten Stoffschutz aus; Möglichkeit des Vorbehalts gem. Art. 167 Abs. 2 lit. a EPÜ 1973 genutzt von Österreich betr. chemische Erzeugnisse, Arzneimittel, Lebensmittel als solche (wirksam für Patente, die bis zum 7.10.1987 angemeldet worden waren; und zwar auch unter dem ĺEPÜ 2000, mit welchem Art. 167 gestrichen wird); s.a. bei ĺSchweizer Anspruch; vgl. auch ĺzweckgebundener Stoffschutz. (mp) Lit.: L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 148 f.; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 52,
Rn. 110 ff.; A. Hüni, Absoluter oder zweckbeschränkter Stoffschutz und andere Harmonisierungsprobleme in der europäischen Rechtsprechung, GRUR Int. 1990, 425
Europäisches Patent, Euro-PCT-Anmeldung European patent, Euro-PCT-application – brevet européen, demande Euro-PCT
Erteilung eines ĺeurop. Patents durch das ĺEPA für alle oder einzelne EPÜ-Staaten (regionales Patent i.S.d. PCT) auf eine internationale Anmeldung (ĺPCT) und nach Abschluss der internationalen Phase. Das EPA wird in der europäischen Phase als Bestimmungsamt gem. Art. 153 Abs. 1 EPÜ (Art. 153 Abs. 1 lit. a EPÜ 2000) (s.a. ĺPCT, Bestimmungserklärung) oder ausgewähltes Amt gem. Art. 156 EPÜ (Art. 153 Abs. 1 lit. b EPÜ 2000) (s.a. ĺPCT, Kap. II PCT) tätig. Ein PCT-Anmelder kann prinzipiell einen PCT/EPÜ-Vertragsstaat für ein nationales (erteilt von einem nationalen Patentamt) oder regionales (z.B. europäisches) Patent (erteilt durch regionale Behörde/EPA) bestimmen/auswählen. Wird ein europ. Patent angestrebt, spricht man kurz auch von „Bestimmung bzw. Auswahl des EPA“. Einige EPÜStaaten haben jedoch gem. Art. 45 Abs. 2 PCT den „nationalen Weg“ ausgeschlossen. Für sie kann über eine PCT-Anmeldung nur ein europ. Patent vom EPA erteilt werden (Belgien, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Monaco, Niederlande, Slovenien, Zypern). Das ab 1.1.2004 auf internationale Anmeldungen anwendbare rationalisierte Bestimmungssystem (ĺPCT, Bestimmungserklärung) führt zur automatischen Bestimmung des EPA. Wie bei direkten Anmeldungen eines europ. Patents beim EPA, kann auch beim Euro-PCT-Weg das europ. Patent auf Nicht-EPÜ-Staaten erstreckt werden (ĺeurop. Patent, Erstreckung). (mp) §§: Art. 153, 156 EPÜ (Art. 153 EPÜ 2000) Lit.: R. Hesper, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 153, 156 ff.; EPA (Hrsg.), Der Weg zum europäischen Patent – PCT-Verfahren vor dem EPA. Leitfaden für Anmelder (2. Teil), 3. Aufl. 2005; L. van Raden, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 150, Rn. 24 ff.
Europäisches Patent, Euro-PCT-Weg ĺEurop. Patent, Euro-PCT-Anmeldung Europäisches Patent, Fachmann European patent, person skilled in the art – brevet européen, homme du métier
Eine fiktive Person, welche die auf dem jeweiligen technischen Gebiet vorhandenen durch347
Europäisches Patent, first-to-file-Prinzip schnittlichen, allgemein üblichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen besitzt und Zugang zu allem hat, was zum ĺStand der Technik gehört, jedoch nicht erfinderisch begabt ist. Ist es in einem bestimmten Gebiet üblich, dass Experten aus verschiedenen Feldern zusammenarbeiten, kann der „Fachmann“ auch aus mehreren Personen bestehen (EPA, T 412/ 93, ABl. EPA Sonderausg. 1996, 26). Bestehen in einem benachbarten technischen Gebiet ähnliche Probleme, wird vom Fachmann erwartet, dass er nach Lösungen auch auf diesem Gebiet sucht. Insofern wird auch der Stand der Technik der benachbarten Gebiete relevant (EPA, T 176/84, ABl. EPA 1986, 50). Der Fachmann ist der Maßstab 1. für die Auslegung von Patenten, 2. für die Beurteilung, ob eine ausreichende ĺOffenbarung vorliegt, 3. ob der beanspruchten Erfindung eine ĺerfinderische Tätigkeit zugrunde liegt. (mp) Lit.: J. Kroher, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 56, Rn. 116 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 244 ff.; K. Klett, Die durchschnittlich aufmerksame Verbraucherin und der durchschnittlich gut ausgebildete Fachmann, GRUR Int. 2001, 549; S. Dellinger, Fachmann – Durchschnittsfachmann, VPPRundbrief Nr. 2/1998, 42
Europäisches Patent, first-to-file-Prinzip European patent, first-to-file-principle – brevet européen, principe „first-to-file“
Prinzip, wonach von zwei Erfindern, die parallel dieselbe Erfindung gemacht und zum Patent angemeldet haben, derjenige mit dem früheren Anmeldetag Anspruch auf das Patent hat. Wer die Erfindung tatsächlich zuerst gemacht hat, ist irrelevant. Bei gleichem Anmeldetag wird beiden das Patent erteilt. Das Erstanmelderprinzip ist u.a. ein Streitpunkt beim ĺSPLT. In den USA wird das „First to Invent“-Prinzip angewandt (Beweise durch Aufzeichnungen, lückenlose Laborbücher etc. notwendig). (mp) §§: Art. 60 Abs. 2 EPÜ Lit.: D. Stauder, in: M. Singer/ders. (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 60, Rn. 16 ff.; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 60, Rn. 30
Europäisches Patent, Große Beschwerdekammer European patent, Enlarged Board of Appeal – brevet européen, Grande Chambre de Recours
1. Entscheidet gem. Art. 112 EPÜ über Rechtsfragen, die von den Beschwerdekammern 348
(auf Antrag oder von Amts wegen) vorgelegt werden; Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, deren Klärung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung und für die Entscheidung im konkreten Fall erforderlich ist. 2. Gibt Stellungnahmen zu Rechtsfragen ab, die vom Präsidenten des EPA im Falle widersprüchlicher Ergebnisse der Beschwerdekammern zu einer Rechtsfrage vorgelegt werden. 3. Zusätzliche Funktion der Gr. B.kammer durch ĺEPÜ 2000: neuer Art. 112a ermöglicht (beschränkte) Überprüfung der Entscheidungen von Beschwerdekammern. Jeder durch eine Entscheidung Beschwerte, am Beschwerdeverfahren Beteiligte kann bei schwerwiegenden Verfahrensmängeln oder wenn die Entscheidung durch eine strafbare Handlung beeinflusst wurde, einen Antrag auf Überprüfung durch die große B.kammer stellen; anwendbar gem. Übergangsbestimmungen auf alle Entscheidungen, die ab Inkrafttreten ergehen. (mp) §§: Art. 22, Art. 112 EPÜ; Art. 112a EPÜ 2000; R. 104 ff. EPÜ 2000 Lit.: L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 703 ff.; P. Messerli, Die Überprüfung von Entscheidungen der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts nach dem neuen Art. 112 a EPÜ, GRUR Int. 2001, 979
Europäisches Patent, im Wesentlichen biologische Verfahren European patent, essentially biological processes – brevet européen, procédés essentiellement biologiques
Patentierbarkeitsausschluss gem. Art. 53b EPÜ (vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 2 Abs. 2 ĺBiotechnologieRL); Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren, wo eine Veränderung des Erbgutes ausschließlich durch Ausnutzung der Vererbungsregeln, v.a. Selektion und Kreuzung, erreicht wird. Dass menschliches Mitwirken z.T. erforderlich ist (z.B. bei künstlichem Bestäuben) ändert nichts daran, dass der Vorgang an sich ohne Mitwirkung des Menschen von statten gehen könnte. Patentierbar sind dagegen Verfahren, bei denen zumindest ein technischer Schritt enthalten ist, der ohne menschliche Mitwirkung nicht durchführbar wäre und sich wesentlich auf das Resultat auswirkt (EPA, T 356/93, ABl. EPA 1995, 545 Z. 25 ff. – Pflanzenzellen). Zur Vereinbarkeit der bisherigen EPA-Praxis zu Art. 53b EPÜ mit der in Umsetzung der ĺBiotechnologieRL in die Ausführungsordnung zum EPÜ eingefügten R. 23b
Europäisches Patent, mikrobiologische Verfahren Abs. 5 [R. 26 Abs. 5 EPÜ 2000], in der vollständiges Beruhen auf natürlichen Prozessen gefordert wird, ist unter G 2/07 (T 83/05) ein Verfahren bei der Großen Beschwerdekammer anhängig (ĺeurop. Patent, Große B.kammer). (mp) §§: Art. 53b EPÜ; R. 23b Abs. 5 EPÜ [R. 26 Abs. 5 EPÜ 2000] Lit.: U. Schatz, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 53, Rn. 103 f.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 136 ff.; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 53, Rn. 46, 69 f.
Europäisches Patent, inhärente Verwendung European patent, inherent use – brevet européen, utilisation intrinsèque
Wenn die eine weitere Verwendungsmöglichkeit begründende neue Wirkung eines bekannten Stoffes bei der Ausführung einer bekannten Lehre zwangsläufig mitauftritt; Frage nach der ĺNeuheit der Verwendungserfindung gegenüber der Vorpublikation, die diese Verwendung nicht erwähnt: neuheitsschädliche Offenbarung nur, wenn für den ĺFachmann auch die neue Wirkung klar und unmissverständlich zutage getreten ist (EPA, T 231/85, ABl. EPA 1989, 74 Z. 6 – BASF; bestätigt in EPA, G 2/88, ABl. EPA 1990, 93 Z. 10 – reibungsverringernder Zusatz). (mp) §§: Art. 54 EPÜ Lit.: R. Spangenberg, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 54, Rn. 100 ff.; G. Paterson, Die Neuheit von Verwendungsansprüchen, GRUR Int. 1996, 1093; A. Hüni, Zur Frage der Neuheit bei Verwendungserfindungen (Art. 54 EPÜ), GRUR Int. 1989, 192
Europäisches Patent, Klonen menschlicher Lebewesen European patent, cloning human beings – brevet européen, clonage des êtres humains
ĺPatentierbarkeitsauschluss nach R. 23d lit. a EPÜ [R. 28a EPÜ 2000]; vgl. Art. 6 Abs. 2 ĺBiotechnologieRL; gem. deren Erwägungsgrund 41 ist unter einem Verfahren zum Klonen jedes Verfahren zu verstehen, welches darauf abzielt, ein menschliches Lebewesen zu schaffen, das im Zellkern die gleiche Erbinformation wie ein anderes (lebendes oder verstorbenes) Lebewesen besitzt. Viele Auslegungsprobleme: Begriff des „menschlichen Lebewesens“ (auch totipotente Stammzellen); „gleiche“ Erbinformationen i.S.d. RL/„identische“ Erbinformationen i.S.d. Klonprotokolls des Europarates;
welche Verfahren sind erfasst (Zellteilungs- und Kerntransplantationsverfahren); Verbot therapeutischen Klonens? (mp) §§: Art. 53a EPÜ; R. 23d lit. a EPÜ [R. 28a EPÜ 2000] Lit.: U. Schatz, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 53, Rn. 69 ff.; M. D. Hartmann, Die Patentierbarkeit von Stammzellen und den damit zusammenhängenden Verfahren, GRUR Int. 2006, 195; M. Grund/C. Keller, Patentierbarkeit embryonaler Stammzellen, Mitt. 2004, 49; C. Koenig/E.-M. Müller, EG-Rechtlicher Schutz biotechnologischer Erfindungen am Beispiel von Klonverfahren an menschlichen Stammzellen, EuZW 1999, 681
Europäisches Patent, menschlicher Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung European patent, human body at the various stages of its formation and development – brevet européen, corps humain aux différents stades de sa constitution et de son développement
ĺPatentierbarkeitsausschluss nach R. 23e EPÜ [R. 29 EPÜ 2000] (vgl. Art. 5 Abs. 1 ĺBiotechnologieRL). Davon erfasst sind auch totipotente Stammzellen (Stammzellen, aus denen sich ein ganzer Organismus entwickeln kann). Bestandteile in ihrer natürlichen Umgebung sind nicht patentierbar, sehr wohl aber isolierte Bestandteile und das dazu gehörige Verfahren oder in einem technischen Verfahren hergestellte Bestandteile, auch Stammzellen, Gene, etc. (R. 23e Abs. 2 EPÜ [R. 29 Abs. 2 EPÜ 2000]). Bei der Patentierung von Gen(teil)sequenzen muss in der Patentanmeldung die gewerbliche Anwendbarkeit konkret beschrieben werden (bloße ĺEntdeckungen können nicht patentiert werden). (mp) §§: Art. 53a, R. 23e EPÜ [R. 29 EPÜ 2000] Lit.: M. D. Hartmann, Die Patentierbarkeit von Stammzellen und den damit zusammenhängenden Verfahren, GRUR Int. 2006, 195; M. Grund/C. Keller, Patentierbarkeit embryonaler Stammzellen, Mitt. 2004, 49
Europäisches Patent, mikrobiologische Verfahren European patent, microbiological processes – brevet européen, procédés microbiologiques
Verfahren zur Gewinnung, Veränderung oder Verwendung von Mikroorganismen (= meist einzellige, im Labor vermehr- und manipulierbare Organismen); z.B. Bakterien, Pilze, Hefen, Algen, Protozoen, Viren, sowie menschliche, tierische und pflanzliche Zellen (EPA, T 356/ 93, ABl. EPA 1995, 545 – Pflanzenzellen; krit. P. Lange, GRUR Int. 1966, 586). Art. 53b EPÜ 349
Europäisches Patent, Neuheit stellt nur klar, dass mikrobiolog. Verfahren (wie jedes technische Verfahren) patentierbar sind; ebenso die daraus entstehenden Produkte. Keine Ausnahme vom Patentierbarkeitsausschluss für ĺPflanzensorten oder ĺTierrassen (vgl. Art. 4 Abs. 3 ĺBiotechnologieRL). (mp) §§: Art. 53b EPÜ; R. 23b Abs. 6, R. 23c lit. c EPÜ [R. 26 Abs. 6, 27c EPÜ 2000] Lit.: U. Schatz, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 53, Rn. 107 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 138 ff.
Europäisches Patent, Neuheit European patent, novelty – brevet européen, nouveauté
Patentierbarkeitsvoraussetzung gem. Art. 52, 54 EPÜ. Der Gegenstand der Erfindung darf sich – an dem dem Anmelde- bzw. Prioritätstag vorausgehenden Tag – aus der Sicht des ĺFachmannes nicht eindeutig explizit oder implizit aus dem ĺStand der Technik ergeben, wobei ein absoluter Neuheitsbegriff verwendet wird (objektive und weltweite Neuheit). Nach dem Isolationsprinzip wird ein Einzelvergleich mit jeder einzelnen Entgegenhaltung durchgeführt (keine Kombination verschiedener Entgegenhaltungen; anders bei Prüfung der ĺerfinderischen Tätigkeit). S. a. unter ĺOffenbarungsgehalt; ĺAuswahlerfindung; ĺinhärente Verwendung. Zum modifizierten Neuheitsbegriff für Stoffe und Stoffgemische s. bei ĺzweckgebundener Stoffschutz. (mp) §§: Art. 52, Art. 54 EPÜ Lit.: R. Spangenberg, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 54, Rn. 2 ff.; 26 ff.; L. Dybahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 160 ff.; H. Poth, Zum Neuheitsbegriff des Art. 54 des Europäischen Patentübereinkommens, Mitt. 1998, 453; R. Rogge, Gedanken zum Neuheitsbegriff nach geltendem Patentrecht, GRUR Int. 1996, 931; E. Turrini, Der Begriff der Neuheit: Überblick über die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, GRUR Int. 1991, 447
Europäisches Patent, Neuheitsschonfrist ĺEurop. Patent, unschädliche Offenbarung Europäisches Patent, Öffentliche Ordnung und gute Sitten European patent, ordre public and morality – brevet européen, ordre public et bonnes moeurs
ĺPatentierbarkeitsausschluss gem. Art. 53a EPÜ; wenn Veröffentlichung oder Verwertung der Erfindung [EPÜ 2000: gewerbliche Verwer350
tung] gegen die öff. Ordn. verstoßen würde, wobei der bestimmungsgemäße Gebrauch der Erfindung in jeder denkbaren Verwendungsform inakzeptabel sein muss. Verstoß gegen die öff. Ordn. nur bei Verstößen gegen die Grundordnung eines Staates (die elementaren, tragenden Prinzipien einer Rechtsordnung). Davon abgesehen kann auch Verbotenes patentiert werden, da mit dem Patent kein positives Benutzungsrecht verbunden ist. Konkretisierung von Art. 53a durch R. 23d-e EPÜ [R. 28, 29 EPÜ 2000] (freiwillige Umsetzung der ĺBiotechnologieRL), wobei jedoch auch der Vorbehalt gem. Art. 164 Abs. 2 EPÜ zu beachten ist. Erfindungen, die die Kriterien der R. 23d lit. a-d EPÜ [R. 28 EPÜ 2000] erfüllen, sind schon deswegen von der Patentierung auszuschließen. Erfindungen, die nicht darunter fallen, sind dann noch separat an Art. 53a zu prüfen (EPA, T 315/03, ABl. EPA 2006, 15 = GRUR Int. 2006, 239 – Krebsmaus). Das EPA behauptet einen europ. einheitlichen Begriff der öff. Ordnung und bejaht einen Verstoß z.B. auch bei Gefahr eines schweren Schadens für die Umwelt bei Verwertung der Erfindung (EPA, T 356/93, ABl. EPA 1995, 545 Z. 5 – Pflanzenzellen). Krit. dazu Schatz, weil nur Staaten eine öffentliche Ordnung hätten. Bedeutende Fragen zum Verhältnis von Art. 53a EPÜ und R. 23d lit. c EPÜ (auch im Lichte von Art. 27 TRIPS) und damit auch zum europ. Begriff der öff. Ordnung sind unter G 2/06 (T 1374/04, WARF-Verfahren) bei der ĺGroßen Beschwerdekammer anhängig (ABl. EPA 2006, 393). (mp) §§: Art. 53a EPÜ, R. 23d-e EPÜ [R. 28, 29 EPÜ 2000] Lit.: Krit. U. Schatz, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 53, Rn. 8 ff.; ders., Öffentliche Ordnung und gute Sitten im europäischen Patentrecht – Versuch einer Flurbereinigung, GRUR Int. 2006, 879; T. Calame, Öffentliche Ordnung und gute Sitten als Schranke der Patentierbarkeit gentechnologischer Erfindungen, 2001; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 123 ff.; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 53
Europäisches Patent, Offenbarung, ausreichende European patent, disclosure, sufficient – brevet européen, exposé de l’invention, suffisant
Anforderung an die Patentanmeldung. Gem. Art. 83 EPÜ ist die Erfindung in der Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen (Ansprüche, Beschreibung und Zeichnung) so darzulegen,
Europäisches Patent, Patentanspruch dass ein ĺFachmann sie auf Basis seines Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand und ohne eine erfinderische Eigenleistung wiederholen kann (enabling disclosure). Dass er erkennbar Fehlendes ergänzt und Fehlerhaftes berichtigt, kann dabei erwartet werden (EPA, T 212/ 88, ABl. EPA 1992, 28 Z. 3). Auch die Notwendigkeit zur Durchführung von Versuchen in angemessenem Umfang schadet nicht (EPA, T 226/85, ABl. EPA 1988, 336 – beständige Bleichmittel/Unilever). Vgl. EPÜ-konforme Auslegung des österr. PatG in OGH 9.1.2004, 4 Ob 214/04, GRUR Int. 2006, 347. Die Erfindung muss nicht ausgeführt worden sein, jedoch muss der Prüfer von der Ausführbarkeit überzeugt werden, sodass diese (wenn schon nicht die tatsächliche Ausführung durch experimentelle Daten belegt werden kann) zumindest plausibel sein muss. Das EPA stellt dabei auf den Durchschnittsfachmann ab (EPA [28.6. 2005], T 1329/04). Was bereits offenbart wurde (s.a. ĺOffenbarungsgehalt), dem fehlt es an der ĺNeuheit für eine andere Erfindung (ausreichende Offenbarung als Voraussetzung der Neuheitsschädlichkeit). (mp) §§: Art. 83 EPÜ, R. 27 EPÜ [R. 42 EPÜ 2000] Lit.: R. Teschemacher, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 83, Rn. 16; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 191, 310 ff.; F. Stolzenburg/B. Ruskin/ H.-R. Jaenichen, Von unfertigen fertigen Erfindungen: T 1329/04-3.3.8, GRUR Int. 2006, 798
Europäisches Patent, Offenbarungsgehalt European patent, disclosure – brevet européen, exposé de l’invention
Eine Veröffentlichung oder Vorbenutzung etc. (ĺZugänglich machen) offenbart, was der ĺFachmann vor dem Hintergrund seiner Ausbildung und Erfahrung eindeutig und zweifelsfrei erkennen kann. Für ihn selbstverständlich zu Ergänzendes oder automatisch Mitgelesenes gilt als mitoffenbart. Abgelehnt wird jedoch die Einbeziehung von Äquivalenten (ĺÄquivalenz) in den Offenbarungsgehalt (EPA, T 167/84, ABl. EPA 1987, 369 Z. 6 = GRUR Int. 1987, 870 – Kraftstoffventil; krit. Rogge, GRUR Int. 1998, 188). Außerdem offenbart ein allgemeiner Begriff noch nicht automatisch alle darunter subsumierbaren speziellen Begriffe. Eine numerische Bereichsangabe offenbart nicht (als vereinfachende Schreibweise) automatisch alle dazwischen liegenden Werte (s.a. ĺAuswahlerfindung, ĺinhärente Verwendung). (mp)
§§: Art. 54 EPÜ Lit.: R. Spangenberg, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 54, Rn. 26 ff., 61 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 187 ff.; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 54, Rn. 59 ff.; R. Rogge, Der Neuheitsbegriff unter besonderer Berücksichtigung kollidierender Patentanmeldungen, GRUR Int. 1998, 186; ders., Gedanken zum Neuheitsbegriff nach geltendem Patentrecht, GRUR Int. 1996, 931
Europäisches Patent, Patentanmeldung/Patent, Änderung European patent, application/European patent, amendment of the – brevet européen, demande/brevet européen, modification
Ist gem. Art. 123 Abs. 2 EPÜ zulässig, solange der Gegenstand in der geänderten Version nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht. Die Änderung muss sich im Rahmen des unmittelbar und eindeutig Offenbarten, d.h. neuheitsschädlich Vorweggenommenen bewegen (Belohnungsprinzip); entspricht daher grds. der Prüfung der ĺNeuheit (modifiziert jedoch bzgl. Verallgemeinerungen). Mit Art. 123 Abs. 2 EPÜ vereinbar ist das Hinzufügen eines in der Offenbarung noch nicht enthaltenen Merkmals ohne jeden technischen Beitrag, d.h. ein die Erfindung auch im Zusammenwirken mit anderen Merkmalen nicht beeinflussendes und ausschließlich den Schutzbereich einschränkendes Merkmal (EPA, G 1/93, ABl. EPA 1994, 541 – beschränkendes Merkmal). S. a. ĺunzulässige Erweiterung; ĺunentrinnbare Falle. (mp) §§: Art. 123 Abs. 2 EPÜ Lit.: F. Blumer, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 123, insb. Rn. 24 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 368 ff.
Europäisches Patent, Patentanspruch European patent, patent claim – brevet européen, revendication
Hauptfunktion: Festlegung des ĺSchutzbereichs des Patents; muss klar und verständlich sein, in der Beschreibung Deckung finden und den Schutzgegenstand deutlich vom ĺStand der Technik abheben; meist in 2-gliedriger Form „Sache X, gekennzeichnet durch ...“ verfasst, wobei im Oberbegriff meist der Stand der Technik und im kennzeichnenden Teil jene Merkmale der Erfindung beschrieben werden, die sich davon abheben. Grundsätzlich sind ĺErzeugnisansprüche, ĺVerfahrensansprüche und ĺVerwendungs351
Europäisches Patent, Patentierbarkeit ansprüche zu unterscheiden (beachte auch R. 29 Abs. 2 EPÜ [R. 43 Abs. 2 EPÜ 2000]). (mp)
Europäisches Patent, Pflanzensorte (Patentierbarkeit)
Lit.: R. Teschemacher, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 84, Rn. 27 ff., 33 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 146 ff., 340, 348; L. Flad, Patentansprüche und Patentkategorien, VPP-Rundbrief 2/1997, 37
European patent, plant varieties (patentability) – brevet européen, variété végétale (brevetabilité)
Europäisches Patent, Patentierbarkeit European patent, patentability – brevet européen, brevetabilité
Gegenstand eines ĺeurop. Patents ist gem. Art. 52 Abs. 1 EPÜ eine ĺErfindung auf dem Gebiet der Technik, die neu ist (ĺNeuheit), auf einer ĺerfinderischen Tätigkeit beruht und gewerblich anwendbar ist. S.a. ĺPatentierbarkeitsausschluss. (mp) §§: Art. 52 Abs. 1 EPÜ
Europäisches Patent, Patentierbarkeitsausschluss European patent, exceptions to patentability – brevet européen, exceptions à la brevetabilité
Zwei Arten von Patentierbarkeitsausschlüssen im EPÜ: 1. Gegenstände, die nicht als Erfindungen i.S.d. EPÜ anzusehen sind (Art. 52 EPÜ). 2. Gegenstände, die zwar Erfindungen i.S.d. EPÜ sind, aber aus bestimmten Gründen nicht patentierbar sein sollen (Art. 53 EPÜ). S. unter europ. Patent zu (1.) bei ĺErfindung, ĺEntdeckung, ĺcomputerimplementierte Erfindung, zu (2.) ĺöffentliche Ordnung und gute Sitten (s.a. ĺBiotechnologieRL), ĺTierarten/rassen, ĺPflanzensorten, ĺim Wesentlichen biologische Verfahren; s.a. ĺmikrobiologische Verfahren. Durch das EPÜ 2000 wird der in Art. 52 Abs. 4 EPÜ 1973 enthaltene Patentierbarkeitsausschluss für ĺVerfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung und ĺDiagnostizierverfahren in einen neuen Art. 53c EPÜ 2000 transferiert (da Ausschluss der Patentierbarkeit im Interesse der öffentlichen Gesundheit). (mp) §§: Art. 52, Art. 53 EPÜ Lit.: L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 93 ff.; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 52, Rn. 160 ff., Art. 53; H. Poth, Die Patentierungsausschlüsse nach Art. 52 (2) und (3) EPÜ, Mitt. 1992, 305
Europäisches Patent, Patentvindikation ĺEurop. Patent, Verfahren bei mangelnder Berechtigung des Patentinhabers 352
ĺPatentierbarkeitsausschluss gem. Art. 53b EPÜ. Ansprüche auf eine oder mehrere bestimmte Pflanzensorten – unabhängig davon, ob diese auf natürlichem Weg oder gentechnisch geschaffen werden – sind nicht patentierbar („Erfindungen“ von Pflanzensorten unterliegen dem Sortenschutz; gemeinschaftlicher Sortenschutz durch EG-Sortenschutz-VO). Wird jedoch keine bestimmte Pflanzensorte beansprucht (selbst wenn Pflanzensorten erfasst sein können), greift der Patentierbarkeitsausschluss nicht (EPA, G 1/98, ABl. EPA 2000, 111 = GRUR Int. 2000, 431 – Novartis). Biotechnologische Erfindungen (ĺBiotechnologieRL) sind daher patentierbar (auch im Hinblick auf Pflanzen), wenn die Erfindung in ihrer technischen Anwendbarkeit nicht auf eine bestimmte Pflanzensorte beschränkt ist (R. 23c lit. b EPÜ [R. 27b EPÜ 2000]). Patentierbar ist des Weiteren ein Verfahren, selbst wenn das Ergebnis dieses Verfahrens eine Pflanzensorte ist. Ein ĺ„Product-by-Process“-Anpruch auf eine Pflanzensorte ist (als ein auf eine bestimmte Pflanzensorte gerichteter Erzeugnisanspruch) jedoch nicht patentierbar. (mp) §§: Art. 53b; Art. 64 Abs. 2 EPÜ; R. 23c lit. b EPÜ [R. 27b EPÜ 2000]; VO (EG) 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz, ABl. 1994, Nr. L 227/ 1; zuletzt geändert durch VO (EG) 873/2004, ABl. 2004, Nr. L 162/38 Lit.: U. Schatz, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 53, Rn. 85 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 129 ff.; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 53, Rn. 52 ff.; R. Anderson/W. Tilmann, Patent protection for plants – The Novartis ruling by the European Patent Office, Mitt. 2000, 192; Moser, W., Die Ausnahmen von der Patentierbarkeit nach Artikel 53b EPÜ, GRUR Int. 1998, 209
Europäisches Patent, prioritätsbegründende Erstanmeldung European patent, first application giving rise to a right of priority – brevet européen, dépôt donnant naissance au droit de priorité
Für eine EPÜ-Nachanmeldung über dieselbe Erfindung kommen als prioritätsbegründende Erstanmeldungen (ĺPrioritätsrecht) in Frage: 1. eine nationale Anmeldung eines Patents, ĺGebrauchsmusters oder Gebrauchszertifikats in einem PVÜ-Staat,
Europäisches Patent, Schirmtheorie 2. eine PCT-Anmeldung mit Wirkung für einen PVÜ-Vertragsstaat, 3. eine europ. Patentanmeldungen für einen PVÜ-Vertragsstaat, 4. mit EPÜ 2000 Ausweitung auf Anmeldungen in/für WTO-Mitglieder (Art. 87 Abs. 1 lit. b EPÜ 2000). Geschmacksmusteranmeldungen sind nicht prioritätsbegründend (EPA, J 15/80, ABl. EPA 1981, 213). Voraussetzung ist gem. Art. 87 EPÜ eine (nach dem Recht des Erstanmeldestaates bzw. ĺPCT, ĺEPÜ) vorschriftsmäßige Erstanmeldung, d.h. eine Anmeldung, der ein Anmeldetag zuerkannt wurde (= Prioritätstag). Am Prioritätstag ändern weder nachträgliche Änderungen des Anmeldedatums etwas, noch das spätere Schicksal der Erstanmeldung. Unter bestimmten Voraussetzungen muss die Prioritätsbegründende „Erst“-Anmeldung ausnahmsweise keine erste Anmeldung sein (Art. 87 Abs. 4 EPÜ). (mp) §§: Art. 87 EPÜ; Art. 87 Abs. 1 lit. b EPÜ 2000 Lit.: R. Spangenberg, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 87, Rn. 26 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 290 ff.; E. Ullmann/K. Grabinski, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 87, Rn. 6 ff.
Europäisches Patent, Prioritätsrecht European patent, priority right – brevet européen, droit de priorité
Das in einer ĺprioritätsbegründenden Erstanmeldung angelegte Recht des Anmelders/Rechtsnachfolgers auf Inanspruchnahme einer Schonfrist von 12 Monaten (Prioritätsfrist) für eine Nachanmeldung derselben Erfindung (ĺErfindungsidentität) in einem anderen Staat. Vorteil: ĺStand der Technik, nach welchem die ĺNeuheit der Erfindung und die ĺerfinderische Tätigkeit zu beurteilen sind, wird für 12 Monate konserviert. Art. 87 f. EPÜ regelt die Geltendmachung der Priorität bei EPÜ-Nachanmeldungen (Auslegung im Einklang mit Art. 4 ĺPVÜ). Unterschiedliche Ansichten, ob das Prioritätsrecht für dieselbe Erfindung im selben Land nur einmal ausgeübt werden darf (EPA, T 998/99, ABl. EPA 2005, 229; dagegen EPA (9.11.2005), T 5/ 05 Z. 4.4). (mp) §§: Art. 87 ff. EPÜ; Art. 4 PVÜ Lit.: L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 286 ff.; T. Bremi/M. Liebetanz, Kann man ein Prioritätsrecht „verbrauchen“? Mitt. 2004, 148; E. Ullmann/K. Grabinski, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 87, Rn. 1 ff.
Europäisches Patent, Prioritätstag Anmeldetag der ĺprioritätsbegründenden Erstanmeldung (s.a. ĺPrioritätsrecht) (mp) Europäisches Patent, Product-by-Process-Anspruch European patent, product-by-process-claim – brevet européen, revendication pour un produit obtenu par un procédé
Ein durch Verfahrensmerkmale definierter ĺErzeugnisanspruch. (Nur) zu wählen, wenn sich die Erfindung anders (z.B. anhand von Merkmalen und Parametern) nicht charakterisieren lässt, etwa bei unzureichenden Analysemethoden. Das Erzeugnis als solches muss neu und erfinderisch sein (EPA, T 248/85, ABl. EPA 1986, 261). Unterschiedliche Auffassungen, ob der „product-by-process“-Anspruch absoluten Erzeugnisschutz, d.h. von der tatsächlichen Herstellungsweise unabhängigen Schutz bietet. Z.T. wird aus der Formulierung „Erzeugnis ... erhalten durch“ ein beschränkter Schutzbereich (nur auf Erzeugnisse, die auf gerade diese Art und Weise hergestellt wurden) abgeleitet (House of Lords, Kirin – Amgen), es empfiehlt sich daher die Formulierung „Erzeugnis ... erhältlich durch“ zu verwenden. (mp) Lit.: R. Teschemacher, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 84, Rn. 20 ff.; A. Schrell/N. Heide, Zu den Grenzen des „product-by-process“-Patentanspruchs im Erteilungs- und Verletzungsverfahren, GRUR Int. 2006, 383; R. Rogge, Die Schutzwirkung von „Product-byProcess“-Ansprüchen, Mitt. 2005, 145. U. Scharen, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 69, Rn. 46 ff.
Europäisches Patent, Schirmtheorie European patent – brevet européen
Weicht eine Nachanmeldung von der Prioritätsanmeldung ab (z.B. wegen Weiterentwicklungen) und kann daher die Priorität (ĺPrioritätsrecht) als solche mangels ĺErfindungsidentität nicht wirksam geltend gemacht werden, besagt diese Theorie, dass die Beanspruchung der Priorität wie ein Schirm wirkt, der verhindert, dass Veröffentlichungen im Prioritätsintervall mit dem Inhalt der Erstanmeldung zum neuheitsschädlichen Stand der Technik für die Nachanmeldung werden. Abgelehnt in EPA, G 3/93, ABl. EPA 1995, 18 – Prioritätsintervall; s.a. ĺTeilpriorität. (mp) Lit.: B. Nöthe, Prioritätsverlust durch Ergänzung der Erfindung bei europäischer Nachanmeldung? GRUR Int. 1998, 454; J. G. Tönnies, Ist die Identität der Er-
353
Europäisches Patent, Schutzbereich findung Voraussetzung für die Wirkung des Prioritätsrechts? GRUR Int. 1998, 451; U. Joos, Veröffentlichungen im Prioritätsintervall – eine Erwiderung, GRUR Int. 1998, 456
Europäisches Patent, Schutzbereich European patent, extent of protection – brevet européen, étendue de la protection
Bestimmung des Sch.bereichs eines ĺeurop. Patents obliegt den über Patentverletzungen entscheidenden nationalen Gerichten. Das EPÜ regelt einheitlich und verbindlich (Art. 69 EPÜ; Auslegungsprotokoll), dass sich der Schutzbereich durch die Patentansprüche bestimmt [für alle Sprachfassungen klargestellt mit EPÜ 2000] und Beschreibung und Zeichnung zur Auslegung heranzuziehen sind. Beschreibung und Zeichnung sind immer, nicht nur bei Unklarheit der Ansprüche, einzubeziehen (s.a. bei ĺunzulässige Erweiterung). Es ist vom Begriffsverständnis eines im jeweiligen technischen Gebiet tätigen ĺFachmannes auszugehen. Aus Beschreibung und Zeichnung kann sich ein vom gewöhnlichen abweichendes Begriffsverständnis ergeben („Patentschrift als ihr eigenes Lexikon“). Bisher Differenzen bei der Anwendung von Art. 69 EPÜ, z.B. im Bereich von ĺ„productby-process“-Ansprüchen und bei der Frage der äquivalenten Patentverletzung (ĺÄquivalenz). Durch das EPÜ 2000 wurde in das Auslegungsprotokoll eine (allerdings wenig klarstellende) Bestimmung aufgenommen, dass Äquivalente bei der Bestimmung des Schutzbereichs zu berücksichtigen sind (Erläuterungen zu den Übergangsbestimmen, ABl. EPA 2003 Sonderausg. Nr. 1, 205 f.). (mp) §§: Art. 69 EPÜ, Protokoll über die Auslegung des Art. 69 des Abkommens (5.10.1973) Lit.: D. Stauder, in: M. Singer/ders. (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 69, Rn. 20 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 824 ff.; U. Scharen, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 69, Rn. 11 ff.; D. Brändle, Kann und darf Auslegung und Ermittlung des Schutzbereichs eines europäischen Patents in verschiedenen Ländern zu unterschiedlichen Ergebnissen führen?, GRUR Int. 1998, 854
Europäisches Patent, Schweizer Anspruch European patent, Swiss Claim – brevet européen, réclamation suisse
Betrifft den Arzneimittelbereich; ist eine Sonderform eines ĺVerwendungsanspruchs, mit dem es gelingt, den Patentierbarkeitsausschluss für ĺVerfahren zur (chirurgischen oder) the354
rapeutischen Behandlung gem. Art. 52 Abs. 4 EPÜ [Art. 53c EPÜ 2000] zu umgehen, an welchem ein einfacher Verwendungsanspruch („Verwendung eines Stoffes X zur therapeutische Behandlung Y“) scheitern würde (EPA, G 1/83, ABl. EPA 1985, 60 = GRUR Int. 1985, 193). Mit dem Schweizer Anspruch wird die Verwendung eines Stoffes für die Herstellung eines Arzneimittels, welches in weiterer Folge als Erzeugnis in einem therapeutischen Behandlungsverfahren zum Einsatz gelangt, beansprucht („Verwendung des Wirkstoffes X zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung der Krankheit Y“). Da dies vom Patentierbarkeitsausschluss nicht erfasst wird, kann auf diesem Weg der 2. und weiteren medizin. Indikation eines Stoffes Schutz gewährt werden, auch wenn der Stoff an sich und auch seine (erste) therapeutische Verwendung bereits bekannt sind (zur 1. medizin. Indikation s. ĺzweckgebundener Stoffschutz; dort auch zum neuen zweckgebundenen Stoffschutz für die 2. und weitere medizin. Indikation durch das EPÜ 2000). Zur Vereinbarkeit von Swiss Claims mit einem nationalen Stoffschutzverbot, OPM, Op 3/04, GRUR Int. 2006, 854 (zum Vorbehalt Österreichs gem. Art. 167 Abs. 2 lit. a EPÜ 1973 s. ĺErzeugnisanspruch). (mp) Lit.: M. Brandi-Dohrn/S. Gruber/I. Muir, Europäisches und internationales Patentrecht, 5. Aufl. 2002, Rn. 12.28
Europäisches Patent, Stand der Technik European patent, state of the art – brevet européen, l’état de la technique
Alle Kenntnisse, die vor dem Anmelde- oder ĺPrioritätstag auf welche Weise auch immer der Öffentlichkeit ĺzugänglich gemacht wurden (Art. 54 EPÜ); keine Begrenzungen geographischer, sprachlicher oder veröffentlichungstechnischer Art (absoluter Neuheitsbegriff). Öffentlichkeit kann auch in einer einzigen Person bestehen, die keiner Geheimhaltungspflicht unterworfen ist (EPA, T 1022/99 – ein einziger Verkauf, T 838/97 – Kurs- oder Tagungsteilnehmer, beide in ABl. EPA Sonderausg. 2002, 19; problematisch im Hochschulbereich etwa auch in Forschungsprojekte eingebundene Diplomanden und Dissertanten); zur Problematik der Auslieferung von Erzeugnissen an Dritte zur Erprobung (T 1054/92, ABl. EPA Sonderausgabe 1998, 17 f.; Nachweis einer Geheimhaltungsvereinbarung bei Erprobung von Papierwindeln).
Europäisches Patent, Teilanmeldung Besonderheiten: nicht vorveröffentlichter Stand der Technik gem. Art. 54 Abs. 3: Um Doppelpatentierungen zu vermeiden, gehört für die Beurteilung der ĺNeuheit einer zu einem ĺeurop. Patent angemeldeten Erfindung zum Stand d. T. auch der Inhalt einer europ. Patentanmeldung, die vor dem Prioritätstag/Anmeldetag der zu prüfenden europ. Anmeldung angemeldet, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht wurde. Dies gilt unter bestimmten Voraussetzungen auch für eine ĺEUROPCT-Anmeldung (Art. 158 Abs. 1 und 2 EPÜ) (Art. 153 Abs. 5 EPÜ 2000). Dieser nicht vorveröffentlichte Stand der Technik ist jedoch nicht relevant für die Beurteilung der ĺerfinderischen Tätigkeit. Die Einschränkung gem. Art. 54 Abs. 4 EPÜ (Einbeziehung der noch nicht veröffentlichten Anmeldung in den Stand d. T. nur, soweit sich die benannten Staaten in den beiden Anmeldungen decken) wird mit ĺEPÜ 2000 gestrichen. Der nicht vorveröffentlichte Stand d. T. ist damit unabhängig von der Benennungslage zu berücksichtigen; laut Übergangsregeln keine Anwendung auf zum Zeitpunkt des Inkrafttretens anhängige Anmeldungen. ƒ ĺunschädliche Offenbarungen gem. Art. 55 EPÜ. ƒ Zu Veröffentlichungen im Prioritätsintervall bei unwirksamem Prioritätsanspruch, s. bei ĺErfindungsidentität und ĺSchirmtheorie. ƒ Bei internationalen Anmeldungen (ĺPCT) wendet das EPA in der europ. Phase (ĺeurop. Patent, EURO-PCT-Anmeldung) den Stand d. T. gem. Art. 54 EPÜ an. In der internationalen Phase (ĺPCT, internationaler Recherchenbericht; vorläufiger Prüfbericht ĺPCT, Kap II PCT) bestimmt sich der relevante Stand d. T. nach Art. 15 Abs. 2 PCT, R. 33.1 a, R. 64.1 f. PCT (nur schriftliche Offenbarungen; keine Einbeziehung noch nicht vorveröffentlichter Anmeldungen). (mp) ƒ
§§: Art. 54 EPÜ; Art. 54 Abs. 3, 4 EPÜ (Art. 54 Abs. 3 EPÜ 2000) Lit.: R. Spangenberg, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 54, Rn. 8 ff., 76 ff.; R. Hesper, Art. 154, Rn. 53 f.; Art. 155, Rn. 98, ebendort; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 173 ff., 200 ff.; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 54, Rn. 32 ff., 84 ff., 202 ff.
Europäisches Patent, Stoffschutz ĺEurop. Patent, Erzeugnisanspruch, ĺEurop. Patent, zweckgebundener Stoffschutz
Europäisches Patent, Streitbeilegung, Zersplitterung der European patent, settlement of disputes – brevet européen, règlement des différends
Die Beilegung von Streitigkeiten über ĺeurop. Patente ist, abgesehen vom ĺEinspruchs- und ĺBeschwerdeverfahren vor dem ĺEPA, rein national-rechtlich ausgestaltet. Nationale Instanzen entscheiden nach nationalem Recht über Fragen der Verletzung und (nach Ablauf der Einspruchsfrist) über die Gültigkeit eines europ. Patents (wobei dieses nur mit Wirkung für den jeweiligen Staat für nichtig erklärt werden kann). Mehrfachstreitigkeiten werden notwendig, wenn Verletzungshandlungen in mehreren Staaten gesetzt wurden oder ein in mehreren Staaten wirkendes europ. Patent für nichtig erklärt werden soll. Bei grenzüberschreitenden Patentstreitigkeiten ist die ĺinternationale Zuständigkeit zu bestimmen. Dem Problem unterschiedlicher verfahrensrechtlicher Vorschriften und unterschiedlicher Rechtsfolgen (z.B. Berechnung von Schadenersatz) wird für den Bereich der EG die ĺDurchsetzungsRL entgegenwirken, die Zersplitterung der Streitbeilegung aber nicht beseitigen. Das ĺEPÜ regelt einheitlich wie der ĺSchutzbereich eines europ. Patents zu bestimmen ist, verhindert jedoch nicht Unterschiede in der Auslegung von Staat zu Staat. Das gilt auch für die in Art. 138 einheitlich geregelten Nichtigkeitsgründe. Eine zentrale Stelle – nach dem Vorbild der ĺVorabentscheidung beim EuGH – besteht nicht. Für ein europäisches Streitbeilegungssystem liegt bereits ein Entwurf vor (Europäisches Patentgericht ĺEuropäisches Übereinkommen über Patentstreitigkeiten, EPLA). S.a. zum Problem des ĺTorpedo. (mp) §§: Art. 138 EPÜ Lit.: L. Dydahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 807; J. J. Brinkhof, Nichtigerklärung europäischer Patente, GRUR Int. 1996, 1115
Europäisches Patent, Teilanmeldung European patent, divisional application – brevet européen, demande divisionnaire
Eine (beim ĺEPA einzureichende) europ. Anmeldung über einen Teil einer früheren, noch anhängigen Stammanmeldung (R. 25 EPÜ [R. 36 EPÜ 2000]). Ausnahmsweise auch noch während des ĺBeschwerdeverfahrens möglich, wenn gegen eine Zurückweisung Beschwerde erhoben wird, nicht jedoch, wenn gegen eine Patenterteilung Beschwerde erhoben wird (EPA, J 28/03, GRUR Int. 2006, 154). Hat in erster 355
Europäisches Patent, Teilpriorität Linie zum Zweck, Teile der Stammanmeldung abzusondern, wenn das Erfordernis der ĺEinheitlichkeit der Erfindung nicht erfüllt ist. Gültig nur, wenn sie nicht über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgeht (Art. 76 EPÜ). Zu den Erfordernissen einer gültigen Teilanmeldung s. G 1/06 (28.6.2007) der ĺGroßen Beschwerdekammer. Eine gültige Teilanmeldung gilt als an dem Anmeldetag der Stammanmeldung eingereicht und genießt deren ĺPriorität. (mp) §§: Art. 76 EPÜ, R. 25 EPÜ [R. 36 EPÜ 2000] Lit.: R. Teschemacher, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 76; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 616 ff.; U. Scharen, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 76, Rn. 2 ff.
Europäisches Patent, Teilpriorität European patent, partial priority – brevet européen, priorité partielle
Inanspruchnahme einer Priorität nur für einen Teil eines Anspruchs, da dieser Merkmale enthält, die in der Erstanmeldung noch nicht offenbart wurden. Abgesehen von Fällen abtrennbarer Teile eines Anspruchs (z.B. bei mehreren Alternativen) soll dies mangels ĺErfindungsidentität nicht möglich sein (EPA, G 2/98, ABl. EPA 2001, 413; umstr., s.a. ĺSchirmtheorie). Daher empfiehlt es sich, in die Nachanmeldung neben einem erweiterten Anspruch auch einen Anspruch aufzunehmen, der auf die in der Voranmeldung offenbarten Merkmale beschränkt ist. (mp) Lit.: R. Spangenberg, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 88, Rn. 23 ff.; krit. E. Ullmann/K. Grabinski, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 88, Rn. 12 f.; O. Ruhl, Priorität und Erfindungsidentität nach der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer des EPA in der Sache G 2/98, GRUR Int. 2002, 16; krit. J. G. Tönnies, Ist die Identität der Erfindung Voraussetzung für die Wirkung des Prioritätsrechts? GRUR Int. 1998, 451
Europäisches Patent, Tierarten/-rassen, Patentierbarkeit European patent, animal varieties – brevet européen, races animales
ĺPatentierbarkeitsausschluss gem. Art. 53b EPÜ (Problem unterschiedlicher sprachlicher Fassungen: EPA, T 315/03, ABl. EPA 2005, 246 = GRUR Int. 2006, 239 – Krebsmaus) [geklärt mit EPÜ 2000: Tierrassen]. Die in EPA, G 1/98, ABl. EPA 2000, 111, in Bezug auf Pflanzen (ĺPflanzensorte) entwickelten Grundsätze wer356
den auch auf Tierrassen angewendet (s.a. R. 23c lit. b EPÜ [R. 27b EPÜ 2000]). Demnach kann ein Patent nicht für eine einzelne, bestimmte Tierrasse erteilt werden; sehr wohl aber, wenn Tierrassen unter den Anspruch fallen können, z.B. bei einer rassenübergreifenden Erfindung. Patentierbar ist daher ein Verfahren zur gentechnischen Veränderung von höheren taxonomischen Einheiten wie Säuger oder Nager und auch das entsprechende Erzeugnis. Zusätzlich ist bei gentechnischen Veränderungen an Tieren R. 23d lit. d EPÜ [R. 28d EPÜ 2000] zu prüfen (ĺVeränderung der genetischen Identität von Tieren). (mp) §§: Art. 53b EPÜ; R. 23c lit. b EPÜ [R. 27b EPÜ 2000] Lit.: U. Schatz, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 53, Rn. 101; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 134 f.; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 53, Rn. 66
Europäisches Patent, Torpedo European patent, torpedo – brevet européen, torpedo
Ausnutzung des Sperreffekts gem. Art. 27 EuGVVO/Art. 21 EuGVÜ durch negative Feststellungsklage eines (angeblichen) Verletzers eines ĺeurop. Patents vor einem Gericht, welches eine lange Verfahrensdauer erwarten lässt, zum Zweck der Blockade und Verzögerung der Sachentscheidung (später angerufenes Gericht hat Verfahren auszusetzen, bis zuerst angerufenes Gericht über seine Zuständigkeit rechtskräftig entschieden hat). Wohl selbst dann kein die Anwendung des Art. 27 EuGVVO ausschließender Rechtsmissbrauch, wenn negative Feststellungsklage in Behinderungsabsicht vor einem offensichtlich international unzuständigen Gericht eingebracht wird (ĺinternationale Zuständigkeit). Denn laut EuGH-Rsp. kann von der Rechtshängigkeitssperre des Art. 21 EuGVÜ auch bei unvertretbar langer Verfahrensdauer vor dem zuerst angerufenen Gericht nicht abgewichen werden, selbst wenn die Klage in Verzögerungsabsicht bewusst vor einem unzuständigen Gericht erhoben wurde (EuGH, Rs. C-116/02, EuZW 2004, 188 = RIW 2004, 289; insb. Rn. 53). (mp) Lit.: M. Leitzen, Comeback des „Torpedo“?, GRUR Int. 2004, 1010
Europäisches Patent, unentrinnbare Falle European patent, inescapable trap – brevet européen, piège inévitable
Bezeichnung für das schwierige Verhältnis von Art. 123 Abs. 2 und Art. 123 Abs. 3 EPÜ zuein-
Europäisches Patent, unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs ander. Die Falle entsteht, wenn durch eine Änderung während des Erteilungsverfahrens ein Merkmal hinzugefügt wurde, welches in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart war und sich im ĺEinspruchsverfahren als Verstoß gegen Art. 123 Abs. 2 herausstellt (ĺPatentanmeldung/Patent, Änderung), andererseits aber in der Einspruchsphase nicht mehr entfernt werden kann, weil es dadurch zu einer ĺunzulässigen Erweiterung des Schutzbereichs kommen würde. In diesem Fall wäre das Patent zu widerrufen (bzw. im nationalen Nichtigkeitsverfahren für nichtig zu erklären). Das ĺEPA ermöglicht einen Ausweg aus dieser Falle, wenn das hinzugefügte Merkmal ausschließlich den Schutzbereich einschränkt und keinen technischen Beitrag zur Erfindung leistet (EPA, G 1/93, ABl. EPA 1994, 541). (mp) §§: Art. 123 Abs. 2, Art. 123 Abs. 3 EPÜ Lit.: F. Blumer, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 123, Rn. 96 ff.; B. Günzel, Der Konflikt zwischen der Beseitigung unzulässiger Erweiterungen der Anmeldung und dem Verbot der Erweiterung des Schutzbereichs – eine unentrinnbare Falle für den Patentinhaber? Mitt. 2000, 81; J. J. Brinkhof, Kollision zwischen Artikel 123 (2) und (3) EPÜ, GRUR Int. 1998, 204; R. Rogge, Zur Kollision zwischen Artikel 123 (2) und (3) EPÜ, GRUR Int. 1998, 208; W. Wheeler, Der „Konflikt“ zwischen Artikel 123 (2) und (3) EPÜ, GRUR Int. 1998, 199
Europäisches Patent, unmittelbares Verfahrenserzeugnis European patent, product directly obtained by the process – brevet européen, produit obtenu directement par le procédé
Erzeugnis, das unmittelbar durch ein Patentschutz genießendes Verfahren hergestellt wird. Der Schutz eines ĺeurop. Patents auf ein Herstellungsverfahren erstreckt sich auch auf verfahrensunmittelbare Erzeugnisse (Art. 64 Abs. 2 EPÜ). Das Erzeugnis selbst braucht dazu nicht neu und erfinderisch sein, da gerade kein ĺ„Product-by-Process“-Anspruch (= Erzeugnisanspruch) vorliegt. Gem. Art. 8 Abs. 2 der ĺBiotechnologieRL sind bei einem biologischen Verfahren auch die Vermehrungsprodukte unmittelbare Verfahrenserzeugnisse, sofern sie dieselben Eigenschaften aufweisen. (mp) §§: Art. 64 Abs. 2 EPÜ Lit.: D. Stauder, in: M. Singer/ders. (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 64, Rn. 9 ff.; B. Jestaedt, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 64, Rn. 20 ff.; F.-K. Beier/A. Ohly, Was heißt „unmittelbares Verfahrenserzeugnis“? GRUR Int. 1996, 973
Europäisches Patent, unschädliche Offenbarung European patent, non prejudicial disclosure – brevet européen, divulgation non opposable
Das ĺEPÜ kennt keine generelle Neuheitsschonfrist, wonach sämtliche Veröffentlichungen innerhalb einer bestimmten Frist vor dem Anmeldetag zur Beurteilung der Neuheit nicht herangezogen würden. Gem. Art. 55 EPÜ steht einer Erfindung jedoch ausnahmsweise nicht als neuheitsschädlicher ĺStand der Technik entgegen, was 6 Monate vor dem europ. Anmeldetag (nicht Prioritätstag! EPA, G 3/98, ABl. EPA 2001, 62 – University Patents) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, wenn 1. ein offensichtlicher Missbrauch vorliegt oder 2. die Erfindung auf einer internationalen Ausstellung zur Schau gestellt wurde. Für den offensichtlichen Missbrauch ist Schädigungsabsicht nicht notwenig, es reicht ein Außerachtlassen von Rücksichtnahmepflichten dem Erfinder gegenüber. Die Einführung einer generellen Neuheitsschonfrist ist u.a. ein Streitpunkt beim ĺSPLT. (mp) §§: Art. 55 EPÜ Lit.: M. Singer, in: dies./D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 55; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 225 ff.; vgl. auch Kommission, Workshop report towards a common European view on the features of a grace period (14.1.2003) – im Zusammenhang mit dem WIPO-Substantive Patent Law Treaty
Europäisches Patent, unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs European patent, prohibited extension of protection – brevet européen, extension de la protection interdit
Art. 123 Abs. 3 EPÜ verbietet im Interesse Dritter eine Erweiterung des ĺSchutzbereichs eines Patents durch Änderung der Patentansprüche nach Patenterteilung (insb. im Einspruchsverfahren [EPÜ 2000: keine Bezugnahme auf Einspruchsverfahren mehr]). Dies gilt selbst dann, wenn die Erweiterung innerhalb der Offenbarung der ursprünglichen Anmeldung liegen sollte. Zu Vergleichen sind die Ansprüche der erteilten und der späteren Version. S. zur ĺunentrinnbaren Falle. Unzulässige Erweiterung auch dann, wenn der Wortlaut der Patentansprüche unverändert geblieben ist, jedoch eine wichtige gewünschte Eigenschaft des erfindungsgemäßen Gegenstandes in der Beschreibung gestrichen wird (EPA, T 0142/05, GRUR Int. 2007, 607), da Beschreibung und Zeichnung jedenfalls zur Auslegung der Patent357
Europäisches Patent, Validierung ansprüche heranzuziehen sind [EPÜ 2000: Klarstellung, da keine Bezugnahme auf Ansprüche mehr]. (mp) §§: Art. 123 Abs. 3 EPÜ (Art. 123 Abs. 3 EPÜ 2000) Lit.: F. Blumer, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 123, Rn. 77 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 383 ff.
Europäisches Patent, Validierung European patent, validation – brevet européen, validation
Notwendigkeit der Erfüllung zusätzlicher nationaler Übersetzungserfordernisse, um die Wirkung eines ĺeurop. Patents in den Staaten zu erreichen, für die es erteilt wurde. Grds. tritt die Wirkung des europ. Patents ab dem Tag der Bekanntmachung der Erteilung ein (beachte aber auch ĺeurop. Patent, einstweiliger Schutz). Das ĺEPÜ selbst verlangt nur eine Übersetzung der Patentansprüche in die beiden anderen EPA-Sprachen. Die meisten Staaten haben jedoch von der Möglichkeit gem. Art. 65 EPÜ Gebrauch gemacht, die Übersetzung der gesamten Patentschrift eines erteilten oder im Einspruchsverfahren geänderten europäischen Patents [EPÜ 2000: oder im ĺBeschränkungsverfahren beschränkten Patents] in ihre Amtssprache zu verlangen, andernfalls die Wirkungen des europ. Patents als nicht eingetreten gelten . S.a. ĺLondoner Übereinkommen über die Anwendung des Art. 65 EPÜ. (mp) §§: Art. 65 EPÜ Lit.: D. Schennen, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 65; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 745; EPA (Hrsg.), Nationales Recht zum EPÜ, 13. Aufl. 2006, 99 (IV: Einreichungen von Übersetzungen)
Europäisches Patent, Veränderung der genetischen Identität der menschlichen Keimbahnen European patent, modifying the germ line genetic identity – brevet européen, modification de l’identité génétique germinale de l’être humain
ĺPatentierbarkeitsausschluss gem. R. 23d lit. b EPÜ [R. 28b EPÜ 2000] (vgl. Art. 6 Abs. 2 lit. b ĺBiotechnologieRL). Keimbahn verändernde Verfahren verändern das Erbgut und haben daher genetische Konsequenzen für alle nachfolgenden Generationen. Anders bei genetischen Veränderungen somatischer Zellen, d.h. differenzierter Körperzellen, die nicht wie die Keimzellen auf Befruchtung zur Fortpflanzung spezialisiert sind. Keine Definition des Begrif358
fes der Keimbahn in der RL; jedenfalls erfasst sind genetische Veränderungen der ab Befruchtung einer Einzelle entstehenden Keimbahnzellen (aus einer befruchteten Eizelle in einer Zelllinie bis zu den Keimzellen des neuen Lebewesens hervorgehende Zellen). Genkorrekturen an Keimzellen (Ei-, Samenzellen), die nicht befruchtet und reimplantiert werden, sind nicht erfasst. (mp) §§: Art. 53a, R. 23d lit. b EPÜ [R. 28b EPÜ 2000] Lit.: C. Koenig/E.-M. Müller, EG-rechtliche Vorgaben zur Patentierbarkeit gentherapeutischer Verfahren unter Verwendung künstlicher Chromosomen nach der RL 98/44/EG, GRUR Int. 2000, 295
Europäisches Patent, Veränderung der genetischen Identität von Tieren European patent, modifying the genetic identity of animals – brevet européen, modification de l’identité génétique des animaux
Patentierbarkeitsausschluss gem. R. 23d lit. d EPÜ [R. 28d EPÜ 2000]; betrifft das Verfahren und die daraus entstehenden Tiere (vgl. Art. 6 Abs. 2 lit. d ĺBiotechnologieRL). Der einschlägige Test beinhaltet eine Abwägung des (wahrscheinlichen) Leidens der Tiere mit dem (wahrscheinlichen) medizinischen Nutzen für den Menschen oder das Tier (EPA, T 315/03, ABl. EPA 2006, 15 = GRUR Int. 2006, 239 – Krebsmaus: Verfahren zur Schaffung genetisch manipulierter Nager; Verstoß gegen R. 23d lit. d, da medizinischer Nutzen sehr unklar sei; anders bei genetisch manipulierten Mäusen). Greift R. 23d lit. d nicht, kommt zusätzlich noch Art. 53a EPÜ (ĺeurop. Patent, Öffentliche Ordnung und gute Sitten) zu Anwendung, bei gentechnischen Veränderungen an Tieren insbesondere der von EPA, T 19/90, ABl. EPA 1990, 476 Z. 5 – Krebsmaus, dazu entwickelte Test, der neben obigen Elementen noch weitere Aspekte zulässt (Nutzen für die Menschheit; Gefahren für die Umwelt). So EPA, T 315/03, ABl. EPA 2006, 15; krit. Schatz. (mp) §§: Art. 53a, R. 23d lit. d EPÜ [R. 28d EPÜ 2000] Lit.: U. Schatz, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 53, Rn. 76 ff.
Europäisches Patent, Verfahren bei mangelnder Berechtigung des Patentinhabers European patent, procedure where the proprietor of the patent is not entitled – brevet européen, procédure prévue lorsque le titulaire du brevet n’est pas une personne habilitée
Bei europ. Patent-Anmeldung durch einen Unberechtigten (also weder Erfinder noch dessen
Europäisches Patent, Verwendung von Embryonen Rechtsnachfolger; s.a. ĺeurop. Patent, Anmelderprinzip), bleibt dem wahren Berechtigen nur Klage vor einem nationalen Gericht gegen den Anmelder zur Beanspruchung seines Rechts auf das ĺeurop. Patent. Solange dieses noch nicht erteilt ist, kann der wahre Berechtigte unter Einhaltung einer 3 Monats-Frist nach Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung eines nationalen Gerichts gem. Art. 61 EPÜ [Art. 61 EPÜ i.V.m. R. 16 EPÜ 2000] mit Wirkung für diesen Staat die ursprüngliche Anmeldung weiterverfolgen, die Zurückweisung beantragen oder eine neue Anmeldung für dieselbe Erfindung einreichen (Wirkung für andere benannte Staaten, wenn Entscheidung anerkannt oder nach dem Anerkennungsprotokoll anzuerkennen ist; s.a. ĺinternationale Zuständigkeit). Eine neue Anmeldung gilt als am Anmeldetag der früheren Anmeldung eingebracht und genießt deren Priorität. Die ursprüngliche Anmeldung muss zu diesem Zeitpunkt nicht mehr beim ĺEPA anhängig sein (z.B. wenn sie wegen Nichtstellung des Prüfungsantrags für zurückgenommen gilt; EPA, G 3/92, ABl. EPA 1994, 607 – Latchways). Beim Nachweis der Einleitung eines Vindikationsverfahrens vor dem zuständigen nationalen Gericht wird das Erteilungsverfahren ausgesetzt. (mp) §§: Art. 61 EPÜ; R. 13 ff. EPÜ [R. 14 ff. EPÜ 2000] Lit.: D. Stauder, in: M. Singer/ders. (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 61; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 410 ff.; C. Heath, Anhängigkeit nationaler Gerichtsverfahren und das EPÜ, GRUR Int. 2004, 736
Europäisches Patent, Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung European patent, methods for treatment of the human or animal body by surgery or therapy – brevet européen, méthodes de traitement chirurgical ou thérapeutique
ĺPatentierbarkeitsausschluss gem. Art. 52 Abs. 4 EPÜ (Fiktion der nicht gewerblichen Anwendbarkeit) [ĺEPÜ 2000: Art. 53c; Ausschluss im Interesse der öff. Gesundheit]. Erzeugnisse, die in diesen Verfahren zur Anwendung gelangen sollen, sind jedoch patentierbar (s.a. ĺNeuheit, ĺzweckgebundener Stoffschutz, ĺSchweizer Anspruch; ĺVerwendungsanspruch). Das chirurg. B.verfahren definiert sich über die angewendete Methode. Erfasst werden physische Eingriffe, die vorrangig der Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit dienen, nicht jedoch Verfahren, die bewusst mit dem Tod des behandelten Lebewesens enden (EPA, T 35/99, ABl.
EPA 2000, 447). Auch kosmetische Behandlungen, Schwangerschaftsabbrüche, künstliche Befruchtungen und Organentnahmen fallen darunter. Das therapeut. B.verfahren definiert sich über den Zweck: kurative oder prophylaktische Behandlung von Krankheiten, einschließlich Linderung von Schmerzen und Leiden (EPA, T 144/ 83, ABl. EPA 1986, 301 Z. 3), jede Behandlung zur Heilung bzw. Linderung von Funktionsstörungen/-schwächen des menschlichen oder tierischen Körpers (EPA, T 24/91, GRUR Int. 1995, 908 Z. 2.7). Kosmetische Verfahren sind daher nicht erfasst. Ebenfalls nicht erfasst sind Verfahren ohne Einwirkung auf den menschlichen Körper (EPA, T 36/05 – Verfahren zur Bereitstellung von Atemgas). (mp) §§: Art. 52 Abs. 4 EPÜ (Art. 53c EPÜ 2000) Lit.: M. Singer/D. Stauder, in: dies./ders. (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 52, Rn. 49 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 115 ff.; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 52, Rn. 227 ff.; P. Lancon, Die Patentierbarkeit auf dem Gebiet der Therapie und Diagnose: Überblick über die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, GRUR Int. 1991, 428
Europäisches Patent, Verfahrensanspruch European patent, process claim – brevet européen, revendication d’un procédé
Verfahrensansprüche umfassen Herstellungsverfahren, Arbeitsverfahren, etc. (z.T. werden auch ĺVerwendungsansprüche darunter gefasst). Das Verfahren muss neu sein, das Erzeugnis braucht nicht neu zu sein. Ist das Erzeugnis patentgeschützt, entsteht ein ĺabhängiges Patent. Der Schutzumfang eines Verfahrenspatents umfasst nur das konkrete Herstellungsverfahren und sein ĺunmittelbares Erzeugnis. Wird dasselbe Erzeugnis auf eine andere Weise hergestellt, liegt keine Patentverletzung vor. (mp) Lit.: K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 52, Rn. 129 ff.
Europäisches Patent, Verwendung von Embryonen zu industriellen/kommerziellen Zwecken European patent, uses of human embryos for industrial/ commercial purposes – brevet européen, utilisations d’embryons humains à des fins industrielles/commerciales
Patentierbarkeitsausschluss gem. R. 23d lit. c EPÜ [R. 28c EPÜ 2000] (vgl. Art. 6 Abs. 2 lit. c ĺBiotechnologieRL). „Embryo“ umfasst nach 359
Europäisches Patent, Verwendungsanspruch einer weiten Auslegung auch totipotente embryonale Stammzellen, d.h. solche, die die Kapazität haben sich zu einem Individuum zu entwickeln. Das ĺEPA verneinte im EdinburghFall (EP 0 695 351, GRUR Int. 2002, 782) außerdem die Patentierbarkeit einer durch Zerstörung eines Embryos gewonnenen pluripotenten embryonalen Stammzelle durch weite Auslegung des Begriffs der „Verwendung“ (einschließlich Prozess der Gewinnung von embryonalen Stammzellen bei Zerstörung des Embryos). Dazu [und zum Verhältnis von Art. 53a EPÜ (ĺöffentl. Ordnung) und R. 23d lit. c EPÜ auch im Lichte von Art. 27 TRIPS] Vorlage unter G 2/06 (T 1374/04; WARF-Verfahren) bei der ĺGroßen Beschwerdekammer anhängig (ABl. EPA 2006, 393); s.a. dt. BundespatG 5.12. 2006, GRUR Int. 2007, 752. (mp) §§: Art. 53a, R. 23d lit. c EPÜ [R. 28c EPÜ 2000] Lit.: C. Sattler de Sousa e Brito, Kommerzialisierung von Stammzellen und ihre Forschung in Europa von Morgen – Tagungsbericht, GRUR Int. 2007, 712; M. Grund/C. Keller, Patentierbarkeit embryonaler Stammzellen, Mitt. 2004, 49; M. D. Hartmann, Die Patentierbarkeit von Stammzellen und den damit zusammenhängenden Verfahren, GRUR Int. 2006, 195; C. Koenig/E.-M. Müller, EG-Rechtlicher Schutz biotechnologischer Erfindungen am Beispiel von Klonverfahren an menschlichen Stammzellen, EuZW 1999, 681
Europäisches Patent, Verwendungsanspruch European patent, use claim – brevet européen, revendication d’utilisation
Ist gerichtet auf den Schutz einer neuen Verwendung eines Erzeugnisses/Verfahrens. Kann auch (und gerade) erteilt werden, wenn das Erzeugnis/Verfahren bekannt ist. Die Verwendung muss neu sein, ihr muss eine neue technische Wirkung zugrunde liegen (EPA, G 2/88, ABl. EPA 1990, 93 Z. 9 f. – reibungsverringernder Zusatz); s.a. bei ĺinhärente Verwendung. Ist das Erzeugnis bzw. Verfahren patentgeschützt, entsteht ein ĺabhängiges Patent. Mehrere unabhängige Verwendungspatente nebeneinander sind möglich. Bei pharmazeutischen Produkten: Besonderheit des ĺzweckgebundenen Stoffschutzes für die 1. medizin. Indikation. Bisher [beachte aber Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000] kein zweckgebundener Stoffanspruch für die 2. und weitere medizin. Verwendung (EPA, T 128/82, ABl. EPA 1984, 164 Z. 13 f.), wegen Art. 52 Abs. 4 EPÜ [Art. 53c EPÜ 2000] auch kein gewöhnlicher Verwendungsanspruch, jedoch ĺSchweizer Anspruch. Für nicht-medizinische neue Ver360
wendungen sind einfache Verwendungsansprüche möglich (EPA, G 2/88, s.o.). (mp) Lit.: L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 153 ff., 215 ff.; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 52, Rn. 136 ff.; G. Paterson, Die Neuheit von Verwendungsansprüchen, GRUR Int. 1996, 1093
Europäisches Patent, zugänglich machen, Stand der Technik European patent, making available – brevet européen, rendre accessible
Durch schriftliche oder mündliche Beschreibung (Veröffentlichungen, Vorträge, etc.), Benutzung (z.B. durch Inverkehrbringen, Ausstellen, Vorführen der Erfindung) oder auf sonstige Weise; in jeder von einem ĺFachmann zu entziffernden Schriftart und Sprache, z.B. auch Programmiersprache. Soweit der Fachmann bei näherer Untersuchung Informationen aus einem Produkt entnehmen kann, sind diese mit dem Produkt zugänglich gemacht; das gilt auch für die innere Struktur eines chemischen Erzeugnisses, die vom Fachmann durch einfache, nicht zu umfangreiche Untersuchungen erschließbar ist (EPA, G 1/92, ABl. EPA 1993, 277). Die Offenbarung eines Verfahrens inkludiert auch ein zwangsläufig sich daraus ergebendes Ergebnis. Entscheidend ist die Möglichkeit der Erkenntnis durch Mitglieder der Öffentlichkeit in einer Weise, dass ein Fachmann im Stande wäre, die Erfindung ohne unzumutbaren Aufwand nachzuarbeiten (ĺOffenbarung, ausreichende). Ob tatsächlich jemand davon Kenntnis hat, das Material tatsächlich verwendet hat oder allfällige Analysen tatsächlich durchgeführt hat, ist unerheblich. ĺStand der Technik, ĺNeuheit. (mp) §§: Art. 54 Abs. 2 EPÜ Lit.: L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 179 ff., 203 ff.; L. Törnroth, Vorbenutzung, GRUR Int. 1998, 189; R. Rogge, Gedanken zum Neuheitsbegriff nach geltendem Patentrecht, GRUR Int. 1996, 931; M. Aúz Castro, Vorbenutzung als Stand der Technik und ihr Beweis, GRUR Int. 1996, 1099; B. Günzel, Die offenkundige Vorbenutzung im Einspruchsverfahren vor dem EPA – ausgewählte Probleme aus der Praxis, VPP-Rundbrief Nr. 4/1992, 61
Europäisches Patent, zweckgebundener Stoffschutz European patent, substance claim relating to the use – brevet européen, revendication relative à des substances faisant l’object d’une indication
Erstreckt sich anders als der absolute Stoffschutz (ĺErzeugnisanspruch) nicht auf alle mögli-
Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ) chen Verwendungen, hat mit diesem jedoch gemeinsam, dass jedes Herstellungsverfahren erfasst ist (im Unterschied zum ĺVerwendungsanspruch). Das EPÜ anerkennt einen auf Therapiezwecke bezogenen (funktionsgebundenen) Stoffschutz gem. Art. 54 Abs. 5 EPÜ [Art. 54 Abs. 4 EPÜ 2000]. Dieser ersetzt den an sich gebotenen, aber von der Patentierbarkeit ausgeschlossenen ĺVerwendungsanspruch für die neue Verwendung eines bekannten Stoffes in der Therapie (ĺPatentierbarkeitsausschluss für ĺVerfahren zur therapeutischen Behandlung gem. Art. 52 Abs. 4 EPÜ [Art. 53c EPÜ 2000]). Art. 54 Abs. 5 EPÜ enthält insofern eine Modifikation des Neuheitsbegriffs, da bereits bekannten Stoffen ein zweckgebundener Stoffschutz ermöglicht wird, wenn diese zur Verwendung in einem chirurgischen oder therapeutischen Verfahren bestimmt sind und diese (erste) medizinische Verwendung neu ist, wobei der Schutz sich dann auf alle therapeutischen Verwendungen erstreckt (EPA, T 128/82, ABl. EPA 1984, 164 Z. 13 f.); bzgl. 2. und weiterer medizin. Indikation musste sich die Praxis bisher mit dem ĺSchweizer-Anspruch behelfen. Das ĺEPÜ 2000 bringt hier eine Neuerung, indem es in Art. 54 Abs. 5 EPÜ 2000 einem (bekannten) Stoff auch bei 2. und weiterer medizin. Indikation einen zweckgebundenen Stoffanspruch ausdrücklich ermöglicht; jedoch beschränkt auf die konkrete neue therapeutische Verwendung. Anwendbarkeit laut Übergangsbestimmungen auch auf zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des EPÜ 2000 anhängige Anmeldungen. (mp) §§: Art. 54 Abs. 5 EPÜ bzw. Art 54 Abs. 4, 5 EPÜ 2000 Lit.: R. Spangenberg, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 54, Rn. 85 ff.; R. Teschemacher, Art. 84, Rn. 38 ff., ebendort; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 215 ff.; K.-J. Melullis, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Art. 52, Rn. 128; G. Paterson, Die Neuheit von Verwendungsansprüchen, GRUR Int. 1996, 1093
Europäisches Patentamt (EPA) European Patent Office (EPO) – Office européen des brevets (OEB)
Exekutivorgan der ĺEuropäischen Patentorganisation (EPO) mit Hauptsitz in München, Zweigstelle in Den Haag und Dienststellen in Berlin und Wien; ist die zentrale Einrichtung zur Prüfung und Erteilung ĺeurop. Patente; erreichbar auf direktem Weg oder über den EURO-PCT-Weg nach internationaler (ĺEuro-
PCT-)Anmeldung. Wird auch als ISA und IPEA tätig (ĺPCT). (mp) Lit.: L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 15, 53 ff., 766 ff. Web: http://www.european-patent-office.org/index. de.php
Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ) European Patent Convention (EPC) – Convention sur le brevet européen (CBE)
Ein völkerrechtlicher Vertrag zur Schaffung eines zentralisierten Systems der Anmeldung und Erteilung europ. Patente (1973; seit 1977 in Kraft; am 13.12.2007 ist eine revidierte Fassung des EPÜ [ĺEPÜ 2000] in Kraft getreten). Die Bestimmungen des EPÜ 2000 finden Anwendung sofern die Übergangsbestimmungen nicht die Anwendbarkeit des EPÜ 1973 vorsehen. Das ĺEuropäische Patentamt (EPA) als Exekutivorgan ist die zentrale Einrichtung zur Prüfung und Erteilung. Derzeit 34 EPÜ-Vertragsstaaten: alle EU-MS (Malta seit 2007), Bulgarien, Rumänien (ab 2007 als EU-MS), sowie Kroatien und Norwegen (1.1.2008), die Schweiz, Island, Liechtenstein, Monaco und Türkei. Das EPÜ ist nicht Gemeinschaftsrecht. Der ĺEuGH besitzt diesbezüglich keine Auslegungskompetenz. Zum EPÜ i.w.S. zählen neben dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ i.e.S.: z.B. Art. 53a EPÜ) auch die Ausführungsordnung (z.B. R. 23d EPÜ/R. 28 EPÜ 2000]), sowie das Zentralisierungs-, Immunitäten-, und Anerkennungsprotokoll, das Protokoll über die Auslegung des Art. 69 EPÜ (ĺSchutzbereich) und die Gebührenordnung. Jüngere Entwicklungen sind das fakultative ĺLondoner Übereinkommen über die Anwendung des Art. 65 EPÜ (Sprachen-Übereinkommen tritt am 1.5.2008 in Kraft) sowie ein Entwurf für ein fakultatives Streitregelungs-Übereinkommen (ĺEuropäisches Übereinkommen über Patentstreitigkeiten, EPLA). (mp) §§: Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente, BGBl. 350/1979 Lit.: M. Singer/D. Stauder, Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007; S. Fritz/E. Grünbeck/A. Hijazi, Schlüssel zum Europäischen Patentübereinkommen, Edition 2006; G. Gall/K.-D. Rippe/G. Weiss, Die europäische Patentanmeldung und der PCT in Frage und Antwort, 7. Aufl. 2006; S. Brinkmann/M. Tilmann, EPÜ-Handbuch, 2005; L. Dydahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004; M. Brandi-Dohrn/S. Gruber/I. Muir, Europäisches und internationales Patentrecht, 5. Aufl. 2002; G. Benkard, Europäisches Patentübereinkommen (Kommentar), 2002 Web: http://www.epo.org/patents/law/legal-texts/epc _de.html; http://www.epo.org/about-us/epo/memberstates_de.html#contracting
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Europäisches Patentübereinkommen, EPÜ 2000 Europäisches Patentübereinkommen, EPÜ 2000 European Patent Convention, EPC 2000 – Convention sur le brevet européen, CBE 2000
Umfassende Revision des EPÜ zum Zweck der Anpassung an internationale Entwicklungen (TRIPS, ĺPLT) sowie zur sonst. Verbesserung (z.T. Transfer von Bestimmungen des EPÜ in die Ausführungsordnung); ist inkl. überarbeitete Ausführungsordnung am 13.12.2007 in Kraft getreten (Ratifikation durch Österreich am 6.6.2006). Zu den zentralen Neuerungen s. unter ĺeurop. Patent: ĺBEST, zentrales ĺBeschränkungsverfahren (Art. 105a lit. b), ein neues Rechtsmittel (Art. 112a ĺGroße Beschwerdekammer); Erweiterung des ĺzweckgebundenen Stoffschutzes (Art. 54 Abs. 5); sowie betr. ĺSchutzbereich (Art. 69). Im Einklang mit Art. 5 PLT Reduktion der Anmeldungserfordernisse für Zuerkennung eines Anmeldetages (Art. 80 i.V.m. R. 40 EPÜ 2000; Anforderungen des Art. 80d EPÜ entfallen]. In Reaktion auf EPÜ 2000 wird u.a. auch das österr. PatV-EG und PatG geändert. (mp) §§: Europäisches Patentübereinkommen in der Fassung des Beschlusses des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation vom 28.6.2001 (EPÜ 2000), Ausführungsordnung in der Fassung des Beschlusses des Verwaltungsrates vom 7.12.2006, Beschluss des Verwaltungsrats vom 28.6.2001 über die Übergangsbestimmungen, Gebührenordnung in der Fassung des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 7.12.2006, sämtliche in: ABl. EPA 2007 Sonderausg. Nr. 1; Richtlinien für die Prüfung unter EPÜ 2000 wurden in einer „Dezember 2007“-Ausgabe veröffentlicht (z.Z. auf der EPA-Homepage abrufbar). Lit.: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007 (mit Hinweisen auf das EPÜ 2000 bei den jeweiligen Artikeln); L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, 12; für Studienzwecke interessant: Synoptische Darstellung EPÜ 1973/2000 – Teil I: Die Artikel, ABl. EPA 2007, Sonderausg. Nr. 4. Web: http://www.epo.org/patents/law/legislativeinitiatives/epc2000_de.html
Europäisches Polizeiamt ĺEuropol Europäisches Regieren ĺGutes Regieren Europäisches Sicherheits- und Verteidigungskolleg (ESVK) European Security and Defence College (ESDC) – Collège européen de sécurité et de défense (CESD)
Einrichtung der EU im Rahmen der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik 362
(ESVP), in deren Rahmen das ESVK zur Festigung der europäischen Sicherheitskultur beitragen soll. Seine Aufgabe ist die Konzeption und Durchführung von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für nationales und europäisches Personal mit Tätigkeitsschwerpunkten im Bereich der ESVP. Das Kolleg hat seinen Sitz in Brüssel und funktioniert als Netz der nationalen Institute, Kollegs und Akademien. (dt) §§: GA 2005/575/GASP, ABl. 2005, Nr. L 194/15
Europäisches Sozialrecht European Social Law – Droit social européen
Den Kern des europäischen Sozialrechts bilden die primären und sekundären Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts, die einen sozialrechtlichen Bezug aufweisen. Als Bezugsrahmen dienen dabei vor allem der Titel XI des EG-Vertrages über die Sozialpolitik sowie die Regelungen über die Freizügigkeit der Arbeitskräfte. Das europäische Recht unterscheidet nicht in der gleichen Weise wie das deutsche Recht zwischen Arbeits- und Sozialrecht, so dass der EG-Vertrag nur von „Sozialvorschriften“ spricht. Bereits die Präambel des EGVertrages nennt „sozialen Fortschritt“ als ein wesentliches Ziel der Gemeinschaft. Dennoch ist dieses Ziel im EG-Vertrag nur punktuell ausgestaltet. Ein dem nationalen Sozialrecht vergleichbares europäisches Sozialrecht, das die Gewährung und Finanzierung von Sozialleistungen regelt, existiert nicht. Sozialleistungen gewähren weiterhin die Mitgliedstaaten. Der Schwerpunkt des Sozialrechts im europäischen Gemeinschaftsrecht liegt im koordinierenden Sozialrecht, das die Koordination der Systeme der sozialen Sicherheit zur Herstellung und Sicherstellung der Freizügigkeit zum Gegenstand hat. Dieses koordinierende Sozialrecht erfasst in erster Linie die Koordination der Behandlungs- und Geldleistungen bei ĺKrankheit (Europäisches Sozialrecht, Krankheit), die Koordination der ĺAlters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenrenten (Europäisches Sozialrecht, Alter und Invalidität), die Koordination von Leistungen bei ĺArbeitsunfällen und Berufskrankheiten (Europäisches Sozialrecht, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten), die Koordination von Leistungen der ĺArbeitsförderung (Europäisches Sozialrecht, Arbeitsförderung) und ĺFamilienleistungen (Europäisches Sozialrecht, Familienleistungen). Daneben gibt es mit dem europäischen Betriebsrentenrecht auch harmonisierende Vorschriften.
Europäisches Sozialrecht, Arbeitsförderung Zwar findet sich in zahlreichen Vorschriften ein sozialpolitischer und dementsprechend auch ein sozialrechtlicher Bezug. Die wichtigsten sozialpolitischen Bestimmungen sind jedoch in den Art. 136 bis 150 EG enthalten. Auch im Entwurf einer Verfassung für Europa finden sich die genannten Vorschriften weitgehend wieder, so dass der Verfassungskonvent diesbezüglich keine grundsätzliche Neuordnung vorgenommen hat. (dh) §§: Art. 3 Abs. 1 lit. j EG, Art. 136 ff. EG Lit.: G. Haverkate/S. Huster, Europäisches Sozialrecht – Eine Einführung, 1999; E. Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006; H.-D. Steinmeyer, Sozialrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1741 ff., E. Eichenhofer, Umbau des Sozialstaats und Europarecht, VSSR 1997, 71 ff.
Europäisches Sozialrecht, Alter und Invalidität European Social Law, old age and invalidity – Droit social européen, vieillesse et invalidité
Das europäische Sozialrecht sieht Bestimmungen zur Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenensicherung vor, obwohl die Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenensicherung durch das jeweilige nationale Recht entscheidend geprägt ist. Die Rentenversicherung kennt mit dem Alter, der Erwerbsunfähigkeit und dem Tod unter Zurücklassung von Ehegatten oder unterhaltsberechtigten Kindern drei Versicherungsfälle. Die Erwerbsunfähigkeit, auch Invalidität genannt, wird dabei medizinisch bei Krankheiten oder Behinderungen und sozial durch eine erhebliche Beeinträchtigung der bisherigen Erwerbsfähigkeit des Versicherten nachgewiesen. Die gemeinschaftliche Koordinierung der nationalen Regelungen über die Leistungen bei Invalidität erfolgt auf der Grundlage der Art. 37 bis 43a der ĺWanderarbeitnehmerverordnung VO (EWG) 1408/71. Diese Verordnung stellt zur Invaliditätssicherung zwei verschiedene Modelle zur Verfügung, damit die länderübergreifenden Sachverhalte erfasst werden können. Welches Modell dabei zur Anwendung gelangt, hängt davon ab, ob der Anspruchsberechtigte in den Geltungsbereich nationaler Regelungen zur Absicherung des Invaliditätsrisikos einbezogen war, bei denen die Höhe der Rentenleistungen von der Dauer der Versicherungszeiten abhängig ist, oder nicht. Als Typ A werden die Leistungssysteme bezeichnet, welche die Versicherungsdauer bei der Ermittlung der Rentenversicherungshöhe unberücksichtigt
lassen, also Risiko- oder Umlagesysteme. Die anderen Modelle, also auch das deutsche System, werden als Typ B bezeichnet. Die Entscheidung über einen Rentenanspruch für Personen, die ausschließlich Systemen des Typs A unterworfen waren, obliegt nach Art. 39 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 in Verbindung mit Art. 44 Abs. 1 VO (EWG) 574/72 dem Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit mit anschließender Invalidität anzuwenden waren. Dieser Sozialleistungsträger ist dann zur Zahlung der gesamten Rente verpflichtet, so dass nach keinem anderen Recht mehr ein Rentenanspruch bestehen kann. War der Anspruchsteller nicht lediglich Systemen des Typs A unterworfen, erfolgt die Begründung eines Rentenanspruchs nach Art. 40 bis 44 der VO (EWG) 1408/71. Die Berücksichtigung und Zusammenrechnung von Versicherungszeiten und die Berechnung der Rente folgen somit grundsätzlich den Vorgaben der Bestimmungen über die Alters- und Hinterbliebenenrenten. Die Bestimmungen über die Alters- und Hinterbliebenenrenten sehen vor, dass ein Leistungsberechtigter aus mehreren Sicherungssystemen verschiedener Mitgliedstaaten Leistungen beziehen kann. Der Zusammenrechnung von Zeiten für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines Anspruchs kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Dabei versucht das europäische Koordinationssystem Nachteile zu vermeiden, die für den Arbeitnehmer oder Selbstständigen durch den Wechsel von einem Mitgliedstaat in den anderen entstehen können. Aber darüber hinaus versucht es auch sicherzustellen, dass der Arbeitnehmer oder Selbstständige keinen Vorteil gegenüber demjenigen Erwerbstätigen hat, der während seines gesamten Erwerbslebens nur einem nationalen Sicherungssystem unterlag. (dh) Lit.: E. Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, § 9 Koordination der Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenrenten Rn. 209 ff.; H.-D. Steinmeyer, Sozialrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1741 ff., Rn. 186 ff.; ders., Die Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenensicherung Selbstständiger in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, NZS 1994, 103 ff.
Europäisches Sozialrecht, Arbeitsförderung European Social Law, unemployment benefits – Droit social européen, chômage
Die Art. 67 bis 71 der ĺWanderarbeitnehmerverordnung VO (EWG) 1408/71 regeln die Ko363
Europäisches Sozialrecht, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten ordination von Leistungen der Arbeitsförderung. Das sind solche Leistungen, welche den durch Arbeitslosigkeit entfallenden Lohn ausgleichen. Erfasst sind bspw. Fälle, in denen Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten im Aufenthaltsstaat arbeitslos werden und dort Leistungen wegen Arbeitslosigkeit beziehen. Art. 67 der VO (EWG) 1408/71 stellt dabei die in den Arbeitsförderungsrechten anderer Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten den entsprechenden Zeiten im Recht des zuständigen Staates gleich. Damit werden die Versicherungs- und Beschäftigungszeiten zusammengerechnet. Durch Art. 69 VO (EWG) 1408/71 erfolgt eine Gleichstellung im Hinblick auf die Verfügbarkeit eines Arbeitslosen für die Arbeitsverwaltung eines anderen Mitgliedstaates und der Verfügbarkeit gegenüber den Arbeitsvermittlungsbehörden des zuständigen Staates. Art. 70 VO (EWG) 1408/71 regelt die Frage der Zahlung von Leistungen und Erstattungen bei Aufenthalt in einem anderen Staat. Die Bezugsdauer für Geldleistungen bei Arbeitslosigkeit ist zeitlich begrenzt und umfasst zumeist einen Leistungszeitraum von sechs Monaten bis zu zwei Jahren. (dh) Lit.: E. Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, § 11 Koordination von Leistungen der Arbeitsförderung, Rn. 259 ff.; H.-D. Steinmeyer, Sozialrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1741 ff., Rn. 298 ff.
Europäisches Sozialrecht, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten European Social Law, accidents at work and occupational diseases – Droit social européen, accidents du travail et maladies professionnelles
Die Vorschriften der Art. 52 bis 63 der ĺWanderarbeitnehmerverordnung VO (EWG) 1408/ 71 regeln auf europäischer Ebene die Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Sie regeln die Leistungserbringung, wenn der Arbeitnehmer oder Selbstständige in einem anderen als dem zuständigen Staat wohnt oder sich aufhält. Für die Leistungsgewährung werden auch Sachverhalte berücksichtigt, wenn sie in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat stattfinden. Eine Zusammenrechnung der Versicherungszeiten erfolgt jedoch nicht, weil die unfallversicherungsrechtlichen Leistungen regelmäßig nicht von der Erfüllung bestimmter Zeiten abhängen. Neben den klassischen Arbeitunfällen sind in der Regel auch Wegeunfälle zwischen Arbeitsplatz, Wohnort, Unter364
nehmenssitz und die „Familienheimfahrten“ zu den in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Familienangehörigen mitversichert. Wann eine Krankheit indes als Berufskrankheit anerkannt wird, liegt grundsätzlich in der Entscheidung eines jeden Mitgliedstaates. Allerdings gibt es in Gestalt der Empfehlung 90/326/ EWG eine für die Mitgliedstaaten zwar nicht verbindliche, aber die Angleichung der nationalen Rechte fördernde Norm. Auch die Konvergenzempfehlung 94/442/EWG enthält die Empfehlung zu einer weiteren Angleichung des Rechts der Berufskrankheiten. (dh) §§: Empfehlung 90/326/EWG, ABl. 1990, Nr. L 160/ 39; Empfehlung 94/442/EWG, ABl. 1992, Nr. L 254/ 49 Lit.: E. Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, § 10 Koordination von Leistungen bei Arbeitsunfall und Berufskrankheit, Rn. 242 ff.; H.-D. Steinmeyer, Sozialrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1741 ff., Rn. 261 ff.; G. Haverkate/S. Huster, Europäisches Sozialrecht – Eine Einführung, 1999, 181 ff.
Europäisches Sozialrecht, Familienleistungen European Social Law, family benefits – Droit social européen, prestations familiales
Regelungen über Familienleistungen triff die ĺWanderarbeitnehmerverordnung VO (EWG) 1408/71. Art. 1 dieser Verordnung bestimmt alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten bestimmt sind, als Familienleistungen. Bei den Familienleistungen handelt es sich um Leistungen, die zum Ausgleich der Unterhaltsverpflichtungen der Berechtigten gegenüber ihren Kindern gewährt werden. Der Begriff Familienleistungen ist im europäischen Recht also sehr vage und unkonkret. Dementsprechend kommen viele Maßnahmen der Mitgliedstaaten als solche Familienleistungen in Betracht. In Deutschland sind als Familienleistungen in diesem Sinne in erster Linie das Kindergeld und das Erziehungsgeld anerkannt. Geburtsbeihilfen sind hingegen nicht als Familienleistungen anzusehen. Der für die Familienleistungen zuständige Staat hat nach Art. 72 VO (EWG) 1408/71 die in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Versicherungs- und Beschäftigungszeiten für den Anspruchserwerb so zu behandeln, wie wenn sie im zuständigen Staat zurückgelegt worden wären. Maßgeblich für den Anspruch auf Familienleistungen ist also nur der Wohnsitz des Beschäftigten und nicht die Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Für den Fall, dass Kinder in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, hat der zu-
Europäisches Sozialrecht, Sozialhilfe ständige Staat sie bei der Bestimmung von Familienleistungen so zu berücksichtigen, wie wenn sie im zuständigen Staat wohnten. Hat ein Kind zwei Eltern, die in unterschiedlichen Mitgliedstaaten erwerbstätig und/oder ansässig sind, so erhält jeder Elternteil Familienleistungen von unterschiedlichen Sozialleistungsträgern. Der Familienlastenausgleich bestimmt jedoch, dass für ein Kind nur eine Familienleistung gezahlt werden soll. Daher bestimmt auch Art. 76 VO (EWG) 1408/71, dass solche Doppelleistungen vermieden werden sollen. (dh) Lit.: E. Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, § 12 Familienleistungen, Rn. 296 ff.; H.-D. Steinmeyer, Sozialrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1741 ff., Rn. 310 ff.
Europäisches Sozialrecht, Krankheit European Social Law, sickness – Droit social européen, prestations de maladie
Die Bestimmungen der Art. 18 bis 24 der ĺWanderarbeitnehmerverordnung VO (EWG) 1408/71 regeln die Leistungen bei Krankheit im Rahmen des europäischen Sozialrechts. Unter die Leistungen bei Krankheit fallen nach der Rechtsprechung des EuGH alle im Falle von Krankheit und Mutterschaft erbrachten Leistungen einschließlich der Gesundheitspflege unabhängig von der Art der entsprechenden nationalen Anspruchsgrundlagen, soweit sie nur auf Rechtsvorschriften über einen Zweig der sozialen Sicherheit beruhen. Dementsprechend fallen unter diese Definition neben den klassischen deutschen krankenversicherungsrechtlichen Leistungen auch die nationalen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und auch die der deutschen Pflegeversicherung. Der Sozialversicherungsfall „Krankheit“ tritt oftmals kurzfristig und nur vorübergehend auf, so dass eine möglichst reibungsfreie Leistungsgewährung erforderlich ist. Zu diesem Zweck gibt es einheitliche Formulare. Damit auch unverzüglich benötigte Sachleistungen gewährt werden können, wird der Versicherte partiell in das betreffende Gesundheitssystem integriert und kann dementsprechend nur die dort üblichen Leistungen beanspruchen. Der Umfang der gewährten Sozialleistungen richtet sich also regelmäßig nach den Vorschriften des im Einzelfall anzuwendenden Rechts. Eigenständige Leistungsansprüche begründet die Wanderarbeitnehmerverordnung VO (EWG) 1408/ 71 jedoch nicht. Sachleistungen wie bspw. am-
bulante oder stationäre Krankenbehandlungen werden grundsätzlich vom Sozialleistungsträger des Wohn- oder Aufenthaltsstaates nach den für diesen maßgeblichen Rechtsvorschriften gewährt. Der Anspruch auf Geldleistungen hingegen besteht gegenüber dem zuständigen Träger, also dem Träger des Versicherungsoder Beschäftigungsstaates. Die Träger können allerdings zur Vereinfachung vereinbaren, dass die bloße Auszahlung durch den Träger des Wohnortes oder Aufenthaltsstaates vorgenommen werden kann. Soweit ein Träger eines Mitgliedstaates für den Träger des zuständigen Mitgliedstaates eine Leistungsaushilfe erbringt, besteht gem. Art. 36 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 für den zuständigen Träger grundsätzlich eine volle Erstattungspflicht. Für den Fall, dass die tatsächlichen Aufwendungen nicht nachgewiesen werden können, richtet sich die Erstattung nach Pauschalbeträgen. (dh) Lit.: E. Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, § 8 Koordination der Behandlungs- und Geldleistungen bei Krankheit Rn. 184 ff.; H.-D. Steinmeyer, Sozialrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1741 ff., Rn. 142 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 69/79 Jordens-Vosters, Slg. 1980, 75; EuGH, Rs. C-160/96 Molenaar, Slg. 1998, I-843; EuGH, Rs. 16/72 AOK Hamburg, Slg. 1972, 1141
Europäisches Sozialrecht, Sozialhilfe European Social Law, social welfare – Droit social européen, aide sociale
Die Gewährung von Sozialhilfe spielt im Rahmen des europäischen Sozialrechts eine nur untergeordnete Rolle. Der Grund dafür liegt darin, dass die ĺWanderarbeitnehmerverordnung VO (EWG) 1408/71 die Sozialhilfe ausdrücklich in ihrem Art. 4 Abs. 4 von ihrem sachlichen Anwendungsbereich ausschließt. Allerdings definiert sie nicht, welche Leistungen unter die gemeinschaftliche Sozialhilfe fallen. Lediglich aus der Generalklausel des ĺArt. 7 Abs. 2 der Freizügigkeitsverordnung VO (EWG) 1612/68 ergibt sich, dass ein zugewanderter Arbeitnehmer die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen genießt wie die inländischen Arbeitnehmer (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung). Da diese Generalklausel auch der Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts dient, ist Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) 1612/68 die einzige gemeinschaftsrechtliche Bestimmung, aus der sich ein Recht auf Sozialhilfe ergeben kann. (dh) Lit.: H.-D. Steinmeyer, Sozialrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1741 ff., Rn. 338 ff.
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Europäisches Steuerrecht, Kompetenz Europäisches Steuerrecht, Kompetenz European Tax Law, competence – droit fiscal européen, compétence
Der EG-Vertrag sieht in seinem Art. 93 ausdrücklich vor, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses mit einstimmigem Beschluss Maßnahmen zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der indirekten Steuern (im Wesentlichen Umsatzsteuern, Verbrauchsteuern und Zölle) annimmt, weil indirekte Steuern ein unmittelbares Hindernis für den freien Warenverkehr und die Dienstleistungsfreiheit in einem Binnenmarkt darstellen können. Außerdem können sie auch zu Wettbewerbsverzerrungen führen. In diesem Bereich wurden bereits eine Vielzahl von Richtlinien (hervorzuheben ist hier die ĺMehrwertsteuerrichtlinie) und Verordnungen auf der Grundlage dieses Artikels beschlossen. Für die anderen Steuern sieht Art. 94 EG-Vertrag vor, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses mit einstimmigem Beschluss Maßnahmen zur Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten annimmt, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken. Einige Empfehlungen und Rechtsvorschriften für die Bereiche persönliche Einkommensteuern, Unternehmenssteuern und Steuern auf die Ansammlung von Kapital und auf Geschäfte mit Wertpapieren wurden inzwischen genehmigt (vgl. z.B. ĺZinsenRL). Die Mitgliedstaaten haben darüber hinaus auf der Grundlage der Art. 93, 94 bzw. 95 EG-Vertrag auf EU-Ebene gemeinsame Rechtsvorschriften für die Amtshilfe und Zusammenarbeit in Steuerangelegenheiten beschlossen. Weitere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften wurden auf der Grundlage der allgemeineren Vertragsbestimmungen erlassen: Nach Art. 293 EG-Vertrag bspw. müssen die Mitgliedstaaten untereinander Verhandlungen einleiten, um die Doppelbesteuerung in der Gemeinschaft zu beseitigen. Auf dieser Grundlage vereinbarten die Mitgliedstaaten das Schiedsübereinkommen. Art. 308 EG-Vertrag schreibt vor, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments mit einstimmigem Beschluss auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission und nach Anhö366
rung des Europäischen Parlaments erforderliche Maßnahmen ergreift , um eines der Ziele der Gemeinschaft und des EG-Vertrages zu verwirklichen. Unabhängig davon, ob sekundäres Gemeinschaftsrecht wie Richtlinien oder Verordnungen existieren, müssen die Steuersysteme und ĺDoppelbesteuerungsabkommen der Mitgliedstaaten grundsätzlich die im EG-Vertrag verankerten Grundfreiheiten, d.h. die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, den freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie die Niederlassungsfreiheit (Art. 39, 43, 49 und 56 EG-Vertrag) und den Nichtdiskriminierungsgrundsatz wahren (vgl. ĺD, EuGH 5.7.2005, C-376/03; ĺMeistbegünstigung, ĺEU-Grundfreiheiten). (pu) Europäisches System der Zentralbanken European System of Central Banks – Système européen des banques centrales
Das ESZB bildet die institutionelle Grundlage für die vergemeinschaftete ĺGeldpolitik. Seine grundlegende Aufgabe ist es, die Geldpolitik der Gemeinschaft unter dem Primat der Preisstabilität festzulegen und auszuführen. Hinzu kommen die anderen in Art. 105 Abs. 2 EG sowie Art. 3 ESZB-Satzung genannten Aufgaben. Das ESZB besteht aus der ĺEuropäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen ĺZentralbanken aller Mitgliedstaaten, also auch denjenigen, die den ĺEuro noch nicht eingeführt haben. Das ESZB hat selbst keine Rechtspersönlichkeit und ist auch kein Organ der EG. Es wird daher als primärrechtliche Einrichtung sui generis bzw. als Verbund bezeichnet. Kennzeichnend ist die organisatorische Verknüpfung der rechtlich weiterhin selbstständigen Zentralbanken der Mitgliedstaaten mit der ebenfalls rechtlich selbstständigen EZB. Das ESZB wird von den Beschlussorganen der EZB, d.h. dem ĺEZB-Rat und dem Direktorium, geleitet. Insofern handeln für das ESZB stets entweder die Organe der EZB oder die nationalen Zentralbanken. Fachlich sind die nationalen Zentralbanken in geldpolitischen Fragen aber der EZB untergeordnet und müssen deren Weisungen ausführen. Nach politikwissenschaftlichen Begriffen handelt es sich insoweit um eine, allerdings rechtlich stark verdichtete und hierarchisierte, Netzwerkstruktur. In der Praxis muss zudem berücksichtigt werden, dass Maßnahmen der Beschlussorgane rechtlich nur die zur ĺEurozone gehörenden Zentralbanken binden. Insofern tritt an die Stelle des ESZB fak-
Europäisches Vertragsrecht, Aktionsplan tisch in weiten Bereichen das bislang nur informell geregelte ĺEurosystem. (co) §§: Art. 105 ff. EG; Protokoll über die Satzung des ESZB und der EZB Lit.: B. Dutzler, The European System of Central Banks, 2003; C. Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, Unabhängigkeit und Kooperation in der Europäischen Währungsunion, 2005; J.-V. Louis, The Economic and Monetary Union: Law and Institutions, CML Rev. 2004, 575 ff. Web: http://www.ecb.int
Europäisches Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen European Convention on Transfrontier Television – Convention Européenne sur la télévision transfrontière
Vom Europarat am 5.5.1989 verabschiedet. Seit dem 1.3.2002 gilt eine revidierte Fassung. Für Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft gilt das Übereinkommen nur in den Punkten, in denen Gemeinschaftsrecht keine Regelungen enthält. Das Übereinkommen schafft einen Rechtsrahmen für die freie Ausstrahlung grenzüberschreitender Fernsehprogramme in Europa unter Beachtung eines Mindestmaßes gemeinsamer Regeln in Bereichen wie Programmgestaltung, Werbung, Sponsoring und Schutz bestimmter individueller Rechte. Es sind starke Ähnlichkeiten zwischen diesem Übereinkommen und der ĺFernsehRL der EG zu erkennen. (dd) Web: http://conventions.coe.int/
Europäisches Übereinkommen über Patentstreitigkeiten (EPLA) European Patent Litigation Agreement (EPLA) – Accord sur le règlement des litiges en matière de brevet européens (EPLA)
Entwurf für ein den EPÜ-Vertragsstaaten optionell offen stehendes internationales Übereinkommen, mit dem die Europäische Patentgerichtsbarkeit (EPG) zur Beilegung von Streitigkeiten betreffend Verletzung und Gültigkeit von ĺeurop. Patenten geschaffen wird. Vor dem Europäischen Patentgericht (bestehend aus regionalen und einer zentralen Kammer sowie einer gemeinsamen Berufungsinstanz, die Urteile der ersten Instanz überprüft oder – bei Wahl dieser Option – unverbindliche Gutachten in Bezug auf das europ. bzw. harmonisierte nationale Patentrecht erstellt) könnte zentral die Verletzung eines Patents in mehreren Staaten oder die Gültigkeit mit Wirkung für alle (teilnehmenden) Staaten geklärt werden (s.a. ĺeurop. Patent, Streitbeilegung). (mp)
§§: Working Party on Litigation, Draft Agreement on the Establishment of a European Patent Litigation System (2005) Lit.: U. Dreiss, Streitregelungsprotokoll EPLA – Vision oder Utopie? GRUR Int. 2004, 712; A. Oser, European Patent Litigation Agreement – Zulässigkeit und Zukunft einer Streitregelung in Europa, GRUR Int. 2006, 539; S. Luginbühl, Streitregelungsübereinkommen vs. Gemeinschaftspatent? GRUR Int. 2004, 357 Web: http://www.epo.org/patents/law/legislativeinitiatives/epla_de.html
Europäisches Urheberrecht ĺUrheberrecht, europäisches Europäisches Vertragsrecht, Aktionsplan European Contract Law, Action Plan – droit européen des contrats, la voie à suivre
Seit Beginn der 80er Jahren wird die Europäische Union zunehmend auch im Bereich des Verbraucherschutzes tätig und hat eine Vielzahl von Rechtsvorschriften erlassen, die den Kerngebieten des Privatrechts angehören oder dieses jedenfalls berühren. Dieser punktuelle Ansatz, der sich primär an bestimmten Vertragstypen oder Marketingtechniken orientiert, hat einerseits zu einer kaum überschaubaren Vielzahl von Einzelregelungen, andererseits zu inhaltlichen Divergenzen geführt, die die Umsetzung des Sekundärrechts in das nationale Zivilrecht zunehmend erschweren und letzteres zu Systembrüchen zwingen. Als besonders problematisch erwies sich insbesondere die vage und uneinheitliche Verwendung von Rechtsbegriffen sowie die Unterschiede bei der Implementierung des Gemeinschaftsrechts in nationales Recht. Dieser Mangel an Kohärenz des privatrechtlichen acquis communautaire und die Sorge, dass die Unterschiedlichkeit des nationalen Zivilrechts ein Hindernis für den Binnenmarkt darstellen könnte, hat die Europäische Kommission bewogen, mit der Mitteilung vom 11.7.2001 zum europäischen Vertragsrecht (KOM[2001] 398 endg., ABl. EG 2001, Nr. C 255) einen Diskussionsprozess über die Möglichkeit und Notwendigkeit der (weiteren) Harmonisierung des Privatrechts anzustoßen. Mit der Folgemitteilung der Kommission „Ein kohärenteres europäisches Vertragsrecht – ein Aktionsplan“ (KOM[2003] 68 endg., ABl. EG 2003, Nr. C 63) werden die vorläufigen Schlussfolgerungen der durch die Mitteilung 2001 eingeleiteten Konsultationen zum Europäischen Vertragsrecht dargelegt und vier verschiedene Maßnahmen für die weitere Rechtsharmonisierung auf diesem Gebiet zur Diskussion gestellt, die 367
Europäisches Vertragsrecht, Begriff den bisherigen sektorspezifischen Ansatz ergänzen und für eine größere Kohärenz auf dem Gebiet des Vertragsrechts sorgen könnten. Ziel des Aktionsplans ist den Bedarf für einheitliche Regelungen sowie Präferenzen zwischen den verschiedenen Optionen auszuloten. Die vier vom Aktionsplan genannten Optionen sind: 1. Die Lösung festgestellter Probleme dem Markt zu überlassen, 2. die Verbesserung der Qualität und Erhöhung der Kohärenz des acquis communautaire auf dem Gebiet des Vertragsrechts, 3. EU-weit einsetzbare ĺAllgemeine Geschäftsbedingungen zu entwickeln und 4. die Ausarbeitung eines nicht sektorspezifischen ĺoptionalen Instruments. Trotz dieser Offenheit enthält der Aktionsplan jedoch insoweit Weichenstellungen als die Optionen 2-4 nicht als Alternativen anzusehen sind, sondern auch eine Kombination möglich erscheint. Andererseits hat die Kommission klargestellt, dass sie das „Rad nicht neu erfinden“ wolle, sondern auf bereits bestehende Forschungsergebnisse und Projekte, wie bspw. die ĺPrinciples of European Contract Law, zurückgreifen will. Die Reaktionen auf den Aktionsplan haben in Folge gezeigt, dass die 1. Option nahezu einhellig abgelehnt wurde und alle Beteiligten die Steigerung der Kohärenz des acquis communautaire (Option 2) für dringend erforderlich halten. Auch die dritte Option wurde überwiegend wohlwollend aufgenommen und wird von der Kommission derzeit weiter verfolgt. Kontrovers diskutiert wurde dagegen insbesondere die Frage, ob ein ĺoptionales Instrument notwendig oder wenigstens sinnvoll sei, welche Rechtsform hierfür geeignet erscheint (Verordnung, Richtlinie, Empfehlung) und welchen potenziellen Anwendungsbereich ein solches optionales Instrument haben solle, d.h. ob es das nationale Vertragsrecht ersetzen oder neben dieses als alternatives Modell treten solle. Als Reaktion auf die angestoßene Diskussion wurde die Mitteilung der Kommission „Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands – weiteres Vorgehen“ (KOM[2004] 651 endg., ABl. 20.1.2005, Nr. C 14/6) gefasst. Vorgesehen ist nunmehr einen ĺGemeinsamen Referenzrahmen (GRR) auszuarbeiten, der der Kommission als Werkzeug bei der Entwicklung neuer Vorschläge zur Verbesserung der Qualität und Kohärenz des bestehenden und zukünftigen acquis communautaire im Bereich des Vertragsrechts dienen soll. Der GRR soll in 368
erster Linie Begriffe, Definitionen und Regeln bereitstellen, die bei der Überarbeitung bestehender und der Vorbereitung neuer Rechtsakte als Bezugsrahmen dienen können. Damit verbunden ist die Hoffnung, Inkohärenzen im bestehenden Sekundärrecht zu beheben, die redaktionelle Qualität zu verbessern, bestehende Vorschriften zu vereinfachen und ein Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, mit dem Lücken gefüllt werden können, die das geltende Sekundärrecht aufwirft. Darüber hinaus spricht die Mitteilung die Möglichkeit an, dass auch nationale Gesetzgeber und (Schieds-)Gerichte auf den GRR zurückgreifen. Zu der Frage, ob ein solcher GRR auch als Entwurf für ein optionalen Instrument Verwendung finden soll, wird in der Mitteilung nicht mehr ausdrücklich Stellung genommen und auch die in der wissenschaftlichen Diskussion zentrale Frage eines ĺEuropäischen Zivilgesetzbuchs weitgehend ausgeblendet. Um einerseits die Vorarbeiten für einen solchen GRR zu fördern aber andererseits (noch) keine politische Entscheidung zu treffen, wurden diese im Rahmen des 6. Forschungsrahmenprogramms als Forschungsprojekt ausgeschrieben und im Mai 2005 an ein eigens hierfür gegründetes Forschernetzwerk vergeben. Über das weitere Schicksal des von dem sog. Joint Network of European Private Law (ĺCoPECL) ausgearbeiteten GRR ist noch keine politische Entscheidung gefallen. Lediglich das Europäische Parlament hat an seine Initiativen von 1989 und 1994 anknüpfend erneut gefordert, das langfristige Ziel eines einheitlichen Europäischen Vertragsrechts für den Europäischen Binnenmarkt nicht aus den Augen zu verlieren und die derzeit laufenden Vorarbeiten zum GRR auch aus diesem Blickwinkel konstruktiv und kritisch zu begleiten (Mitteilung 23.3.2006, 2005/2002 [INI]). (mrm) Lit.: R. Schulze, Grundzüge eines kohärenteren Europäischen Vertragsrechts, ZRP 2006, 155 Web: http://ec.europa.eu/consumers/cons_int/safe_ shop/fair_bus_pract/cont_law/index_de.htm
Europäisches Vertragsrecht, Begriff European Contract Law, concept – droit européen de contrats, concept
Der Begriff Europäisches Vertragsrecht wird in verschiedenen Bedeutungszusammenhängen verwendet: 1. Europäisches Vertragsrecht als Recht des ĺEGV einschließlich der Anlagen, Proto-
Europäisches Vertragsrecht, Kompetenz kolle sowie späterer Änderungen und Ergänzungen, i.d.R. als primäres Gemeinschaftsrecht oder Primärrecht bezeichnet. 2. Europäisches Vertragsrecht als Überbegriff für das bestehende Sekundärrecht sowie der auf Basis des Art. 220 EG geschlossenen völkerrechtlichen Übereinkommen auf dem Gebiet des Privatrechts; auch ĺGemeinschaftsprivatrecht genannt. 3. Europäisches Vertragsrecht als Schlagwort für die Bemühungen um die Harmonisierung des Privatrechts in Europa, insbesondere die Vorarbeiten zu einem ĺEuropäischen Zivilgesetzbuch. 4. Europäisches (Schuld-)Vertragsrecht als häufig verwendete Bezeichnung für die Regelung auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts durch das Übereinkommen von Rom vom 19.6.1980 über das auf Schuldverträge anwendbare Recht; auch ĺEuropäisches Vertragsrechtsübereinkommen (EVÜ) oder Europäisches Schuldvertragsrechtsübereinkommen genannt. (mrm) Europäisches Vertragsrecht, Kompetenz European Contract Law, competence – Droit Européen de Contrats, compétence
Der EGV enthält keine originäre ĺKompetenz für die Vereinheitlichung des Europäischen Vertragsrechts. Vorgesehen sind lediglich Kompetenzen hinsichtlich des internationalen Verfahrensrechts und internationalen Privatrechts (Art. 61 ff. EG), der Arbeitsrechts (Art. 137 EG), des Verbraucherschutzrechts (Art. 157 EG). Einzelne privatrechtliche Regelungen – bspw. auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts – finden ihre Grundlage zu dem in den Grundfreiheiten. Der ganz überwiegende Teil der bestehenden Sekundärrechtsakte auf dem Gebiet des Vertragsrechts wurde jedoch auf der Grundlage der Binnenmarktkompetenz des Art. 95 EG erlassen. Als Kompetenzgrundlage für Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Privatrechts kommen darüber hinaus die Rechtsangleichungskompetenz der Art. 94 EG und Art. 308 EG in Betracht. Nach Art. 95 EG besteht die Kompetenz zur Rechtsangleichung wenn die Vorschriften der Errichtung und dem Funktionieren des Binnenmarktes dienen. Dies erfordert nach der Rsp. des EuGH, dass die Maßnahme über eine bloße Angleichung als Selbstzweck hinausgeht und eine Verbesserung des Binnenmarktes anstrebt. Spätestens seit dem ĺTabakwerbeverbotsurteil ist klargestellt, dass
die Binnenmarktkompetenz weit gefasst und flexibel, aber nicht beliebig dehnbar ist. Daraus schließt die wohl überwiegende Meinung, dass für ein ĺEuropäisches Zivilgesetzbuch, das die nationalen Regelungen ersetzt, derzeit keine Kompetenz besteht, weil es auch rein nationale Sachverhalte erfassen würde und daher – mangels grenzüberschreitendem Element – nicht in die Binnenmarktkompetenz fällt. Allerdings wird zunehmend in Zweifel gezogen, ob es tatsächlich möglich ist, rein nationale und grenzüberschreitende Sachverhalte so klar zu trennen. Zudem können Hindernisse für den Binnenmarkt auch dadurch entstehen, dass die Unternehmer gezwungen werden unterschiedliche auf die nationalen Rechtsordnungen abgestimmte Vertragsbedingungen zu verwenden. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 95 EG kein konkreter Nachweis für die Verbesserung des Binnenmarktes gefordert wird, sondern eine solche Verbesserung lediglich nachvollziehbar angestrebt werden muss. Als besonders problematisch wird die Frage einer Kompetenz der Gemeinschaft für die Bereiche Familien- und Erbrecht angesehen. Zwar steht das Familienrecht mit der Personenfreizügigkeit in einem engen faktischen Zusammenhang, weil die Mobilität in Europa zunehmend zu binationalen Ehen und daraus folgend zu Ehe- und Sorgerechtsstreitigkeiten führt, die eine Harmonisierung auf diesem Gebiet wünschenswert erscheinen lassen. Auf der anderen Seite spricht die besonders enge Verknüpfung mit den nationalen Rechtstraditionen und die Tatsache, dass die Mitgliedstaaten im Vertrag von Nizza auch für die unstreitig grenzüberschreitenden Aspekte des internationalen Privat- und Verfahrensrechts besondere Kautelen vorgesehen haben, dafür, den Bereich des materiellen Familien- und Erbrechts als außerhalb der Binnenmarktkompetenz liegend anzusehen. Eine weitere Einschränkung für die Harmonisierung des Vertragsrechts ergibt sich möglicherweise aus Art. 295 EG, da der ausdrückliche Vorbehalt der Eigentumsordnung der Vertragsstaaten der Einbeziehung sachenrechtlicher Regelungen entgegenstehen soll. Um die Entwicklung eines Europäischen Vertragsrechts nicht durch diese Kontroverse zu beeinträchtigen, die letztlich nur durch eine Vertragsrevision eindeutig geklärt werden könnte, ist derzeit vorgesehen lediglich ein nicht bindendes Rechtsinstrument auszuarbeiten, das das nationale Vertragsrecht nicht verdrängen, sondern als alternatives Regelungsmodell neben dieses 369
Europäisches Vertragsrecht, optionales Instrument tritt (ĺoptionales Instrument). In seinem Anwendungsbereich ist es auf das binnenmarktrelevante Vermögensrecht beschränkt, d.h. unter Ausklammerung des Familien- und Erbrechts sowie des Immobiliarsachenrechts. (mrm) Lit.: B. Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts, 2002, 104 ff.; M. Ludwigs, Harmonisierung des Schuldvertragsrechts in Europa – Zur Reichweite der gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeit für eine Europäisierung des Privatrechts, EuR 2006, 370 ff.
Europäisches Vertragsrecht, optionales Instrument European Contract Law, optional instrument – Droit Européen de Contrats, instrument optionnel
Das Konzept, ein optionales Instrument für grenzüberschreitende Transaktionen im Binnenmarkt vorzusehen, wurde erstmals durch den ĺAktionsplan für ein Europäisches Vertragsrecht entworfen. Ob die Kommission an diesem Plan festhalten will, ist derzeit noch offen. Basis für ein solches optionales Instrument könnte der derzeit in Ausarbeitung befindliche ĺGemeinsame Referenzrahmen sein. Unter dem optionalen Instrument ist ein voll ausgestaltetes Vertragsrecht vorzustellen, dass alle für grenzüberschreitende Sachverhalte im Binnenmarkt erforderlichen Regelungen bereithält (insb. Allgemeines Vertragsrecht, Verbrauchervertragsrecht, Versicherungsvertragsrecht, Kreditsicherheiten, Eigentumsübergang an beweglichen Sachen, Deliktsrecht) und auf Grund einer ausdrücklichen Rechtswahl der Parteien zum Vertragsstatut erhoben werden kann (optin). Die Zulässigkeit einer solchen Rechtswahl könnte – je nach gewählter Rechtsform – entweder aus dem Rechtsakt des optionalen Instruments selbst oder aus Art. 3 der geplanten ĺRom-I-VO fließen. (mrm) Lit.: O. Lando, Der Aktionsplan der EG-Kommission für ein Europäisches Vertragsrecht, RIW 2005, 1 ff.; J. Basedow, Ein optionales Europäisches Vertragsgesetz – opt-in, opt-out, wozu überhaupt?, ZEuP 2004, 1 ff.
Europäisches Vertragsrecht, Terminologie European Contract Law, terminology – Droit Européen de Contrats, terminologie
Das Fehlen einer einheitlichen und kohärenten juristischen Terminologie ist eines der viel beklagten Hindernisse für den Erfolg der Privatrechtsharmonisierung in Europa und insb. für die reibungslose Implementierung der zahlreichen Sekundärrechtsakte auf dem Gebiet des 370
ĺGemeinschaftsprivatrechts in das nationale Recht. Verschiedene Rechtsakte verwenden identische Begriffe mit vagen oder zum Teil widersprüchlichen Definitionen. Soweit ein Begriff aus dem jeweiligen nationalen Recht bekannt, aber im Gemeinschaftsrecht nicht notwendig identisch verwendet wird, besteht die Gefahr, dass das Gemeinschaftsrecht in den Mitgliedstaaten unterschiedlich interpretiert wird und die abweichende Verwendung bei der Umsetzung teilharmonisierten Rechts in das jeweilige nationale Recht zu einer sekundären Rechtszersplitterung führt. Diese Problematik wird auch vom ĺAktionsplan für ein Europäisches Vertragsrechts explizit angesprochen und soll in Zukunft durch das Instrument des ĺGemeinsamen Referenzrahmens behoben werden. Dieser soll abstrakte Rechtsbegriffe, die in den Sekundärrechtsakten nicht oder nur unzureichend definiert sind, klar bestimmen und dem Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Konsolidierung und Weiterentwicklung des privatrechtlichen acquis communautaire als Leitfaden dienen. Von der Initiative der Europäischen Kommision unabhängig hat sich die ĺWorking Group on Uniform Terminology for European Private Law dieser Problematik angenommen. (mrm) Europäisches Vertragsübereinkommen ĺÜbereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Europäisches Verwaltungsrecht, Handlungsformen ĺRechtsakte der EU/EG; ĺEntscheidungen; ĺVerordnungen Europäisches Währungsinstitut (EWI) European Monetary Institute (EMI) – Institut monétaire européen (IME)
Das EWI war die Vorgängereinrichtung der ĺEuropäischen Zentralbank während der zweiten Stufe der ĺWirtschafts- und Währungsunion (WWU). Es hatte die Aufgabe, den Übergang zur dritten Stufe der WWU mit der damit verbundenen Einführung des ĺEuro aus geldpolitischer Sicht vorzubereiten. Ferner hatte es verschiedene Funktionen innerhalb des Europäischen Währungssystems zu übernehmen, das dann durch die dritte Stufe der WWU abgelöst wurde. Mit der Errichtung der Europäischen Zentralbank am 1.6.1998 wurde das EWI
Europäisches Zivilgesetzbuch vor Beginn der dritten Stufe aufgelöst. Die in Hinblick auf Mitgliedstaaten, die den Euro noch nicht eingeführt haben, fortdauernden Aufgaben des EWI werden heute innerhalb der Europäischen Zentralbank durch den Erweiterten Rat wahrgenommen. (co) §§: Art. 117 EG, Art. 44 des Protokolls über die Satzung des ESZB und der EZB
Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop) European Centre for the Development of Vocational Training (Cedefop) – Centre européen pour le développement de la formation professionnelle (Cedefop)
Das Europäische Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop) war die erste Gemeinschaftsagentur und wurde, gestützt auf Art. 308 (ex-Art. 235) EG, mit der VO (EWG) 337/75, ABl. 1975, Nr. L 39/1 gegründet. Das Cedefop unterstützt die gemeinsame Berufsbildungspolitik durch Dokumentation von einschlägigen Forschungsergebnissen, Koordinierung der Forschung auf dem Gebiet der Berufsbildung sowie durch Förderung der Verbreitung von Informationen (Art. 2 der VO [EWG] 337/ 75). Eine Besonderheit findet sich in der Organisationsstruktur des Cedefop: Sein ĺVerwaltungsrat setzt sich neben einem Regierungsvertreter jedes Mitgliedstaates und drei Vertretern der Kommission auch aus einem Vertreter der Arbeitgeberverbände und einem der Arbeitnehmerverbände pro Mitgliedstaat zusammen (Art. 4). Direktor: Aviana Bulgarelli Sitz: Thessaloniki (gr) §§: Art. 235 EG, VO (EWG) 337/75, ABl. 1975, Nr. L 39/1 i.d.F. VO (EG) 2051/2004, ABl. 2004, Nr. L 335/1 Lit.: D. Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, D & H (1999), 50 f. Web: http://www.cedefop.europa.eu
Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) – Centre européen de prévention et de contrôle des maladies (ECDC)
Das Zentrum wurde, gestützt auf den Art. 152 Abs. 4 EG, durch die VO (EG) 851/2004, ABl. 2004, Nr. L 142/1 gegründet. Das ECDC soll dabei helfen die Gesundheit der europäischen Bürger durch Präventionsarbeit, insbesondere vor übertragbaren Krankheiten zu schützen und zu verbessern. Da eine wirksame Reaktion auf den Ausbruch von Krankheiten ein gemeinsames, auf Gemeinschaftsebene koordiniertes
Vorgehen der Mitgliedstaaten erfordert (Erwägungsgrund 1 der VO [EG] 851/2004), gehören die Koordinierung der europaweiten Vernetzung von im Gesundheitsbereich tätigen Stellen (Art. 3 Abs. 2 lit. d) und der Austausch von Informationen und Fachwissen sowie die Erleichterung der Entwicklung und Durchführung gemeinsamer Maßnahmen (Art. 3 Abs. 2 lit. e) zu den vordringlichen Aufgaben des Zentrums. Direktor: Zsuzsanna Jakab Sitz: Stockholm, Schweden (gr) §§: Art. 152 Abs. 4 EG; VO (EG) 851/2004, ABl. 2004, Nr. L 142/1 Web: http://www.ecdc.europa.eu/
Europäisches Zivilgesetzbuch European Civil Code – Code Civile Européen
Erstmals in seiner Entschließung vom 26.5. 1989 (ABl. EG 1989, Nr. C 158) und wiederholt in seiner Resolution vom 6.5.1994 (ABl. EG 1994, Nr. C 205) hat sich das Europäische Parlament für die Schaffung eines Europäischen Zivilgesetzbuchs ausgesprochen. In der Resolution vom Herbst 2001 hat es konkret den sofortigen Beginn der Vorarbeiten und die Ausarbeitung eines Europäischen Vertragsgesetzbuches ab 2010 gefordert. Getragen ist dieses Anliegen von dem Wunsch, die zahlreichen inhomogenen Sekundärrechtsakte auf dem Gebiet des Privatrechts zu einem konsistenten Korpus zusammenzufassen und in eine umfassende Vermögensrechtskodifikation zu integrieren. Zugleich wäre ein Europäisches Zivilgesetzbuch ein wichtiger – auch symbolischer – Schritt zur weiteren Integration in Europa. Das Projekt ist auf politischer Ebene umstritten, gegen die Ausarbeitung eines Europäischen Zivilgesetzbuchs werden vor allem drei Argumente angeführt: 1. die fehlende ĺKompetenz der Europäischen Union zur Rechtsetzung auf diesem Gebiet, die aus dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und der Subsidiarität folgen soll; 2. die Tatsache, dass eine Vollharmonisierung auch nur eines Teils des Privatrechts unweigerlich einen Verlust der Vielfalt der Rechtstraditionen in Europa nach sich ziehen würde und die Mitgliedstaaten nicht bereit seien, auf ihre nationale Souveränität zu Gunsten der Gemeinschaft zu verzichten; 3. dass eine Vereinheitlichung durch eine Kodifikation notwendig zu einem nicht sachlich begründbaren Übergewicht einer Rechts371
Europäisches Zivilprozessrecht tradition führen würde und an Stelle einer Harmonisierung durch den Gesetzgeber eine langsame Harmonisierung „von unten“ vorzugswürdig erschiene. Der Europäische Rat hat sich der Thematik der Privatrechtsvereinheitlichung in den Schlussfolgerungen des Rats von Tampere angenommen, als deren unmittelbare Folge die Kommission die erste Mitteilung zum Europäischen Vertragsrecht (KOM[2001] 398) vom 11.7.2001 verabschiedet hat. Darin werden sowohl die Frage der Bedeutung eines einheitlichen Rechts für den Binnenmarkt als auch das Verhältnis der diversen Sekundärrechtsakte zueinander wie zum nationalen Recht angesprochen. Dessen ungeachtet hat sich die Europäische Kommission das Vorhaben des Europäischen Parlaments bisher nicht zu Eigen gemacht, sondern verfolgt eine abweichende Strategie zur Vereinheitlichung. Mit dem ĺAktionsplan für ein Europäisches Vertragsrecht und den nachfolgenden Mitteilungen hat es vier verschiedene Optionen für die weitere Harmonisierung des Privatrechts aufgezeigt, die zwar als Vorarbeiten für ein späteres Europäisches Zivilgesetzbuch durchaus geeignet erscheinen, aber sich einer politischen Festlegung diesbzgl. enthalten. Das nunmehr favorisierte Modell sieht vor, einen ĺGemeinsamen Referenzrahmen (GRR) zu schaffen und darauf aufbauend möglicherweise ein sog. ĺoptionales Instrument zu entwickeln. Sowohl der Europäische Rat (Ratsdok. 14292/04 vom 5.11.2004) als auch das Europäische Parlament haben die Initiative der Europäischen Kommission begrüßt, dabei aber auf eine legislative Maßnahme gedrängt. Tatsächlich werden die derzeit laufenden Vorarbeiten von vielen, nicht zuletzt dem Europäischen Parlament (Entschließung vom 23.3. 2006, 2005/2022[INI]) selbst, als Vorstufe zu einer späteren Kodifikation angesehen und als wichtigste Initiative auf diesem Gebiet angesehen. Besonderes Augenmerk wird von den Europäischen Institutionen auf die Einbindung der Mitgliedstaaten, der Vertreter der Unternehmen wie der Verbraucher in den Diskussionsprozess gelegt. Im Rahmen des Projekts eines GRR wurde zu diesem Zweck ein eigenes CFR-Netzwerk gegründet. Das Projekt des GRR wurde nunmehr auch in das ĺHaager Programm aufgenommen. Mit den Vorarbeiten zu einem Europäischen Zivilgesetzbuch haben sich unabhängig von diesem politischen Entscheidungsprozess verschiedene Forschungsprojekte beschäftigt. Hier372
zu gehören insb. die ĺKommission für Europäisches Vertragsrecht (Lando-Kommission), ĺdie Study Group on a European Civil Code, die ĺEuropean Tort and Insurance Law Group (Tilburg-Group) und die ĺAkademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler (Gandolfi-Gruppe), die zum Teil bereits erste Entwürfe vorgelegt haben. Durch die nunmehrige Initiative der Europäischen Kommission, einen Gemeinsamen Referenzrahmen auszuarbeiten, werden diese unterschiedlichen Forschungsansätze auf europäischer Ebene durch das Joint Network on European Private Law (ĺCoPECL) koordiniert und unter Einbeziehung des geltenden Gemeinschaftsprivatrechts zusammengeführt. (mrm) Lit.: J. Meyer, Auf dem Weg zu einem Europäischen Zivilgesetzbuch, BB 2004, 1285 ff.; T. Kadner Graziano, Die Zukunft der Zivilrechtskodifikation in Europa – Harmonisierung der alten Gesetzbücher oder Schaffung eines neuen, ZEuP 2005, 522 ff.
Europäisches Zivilprozessrecht European Civil Procedure – Procedure Civile Européene
Bis zum ĺVertrag von Amsterdam bestand keine ausdrückliche Kompetenz der EG für den Bereich des grenzüberschreitenden Zivilprozessrechts. Daher wurden die als erforderlich angesehenen Rechtsakte nicht von der EG erlassen sondern von dieser lediglich initiiert, jedoch von den MS als selbstständige völkerrechtliche Übereinkommen geschlossen. So sah Art. 220 EWG (Art. 293 EG) ausdrücklich den Abschluss völkerrechtlicher Übereinkommen zwischen den MS vor und nennt als mögliche Bereiche hierfür insb. gegenseitige Anerkennung von zivilrechtlichen Urteilen und Schiedssprüchen. Das mit Abstand wichtigste und erfolgreichste Abkommen auf dieser Basis war das ĺEuGVÜ 1968, dass durch das Parallelübereinkommen von Lugano 1988 (ĺLGVÜ) auf weitere Europäische Staaten erstreckt wurde, die (damals) nicht zur EG gehörten. Für viele andere wichtige Bereiche (Zustellung, Beweisaufnahme, Rechtshilfe) vertraute die EG lange Zeit auf die von der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht ausgearbeiteten Übereinkommen. Erst in den 90er Jahren entfaltete die EG auch in diesen Bereichen selbst Aktivitäten und begann zunächst damit, Übereinkommen für die Bereiche Anerkennung und Vollstreckung von Ehesachen, Insolvenzverfahren sowie für die grenzüberschreitende Zustellung und Beweisaufnahme nach dem Vorbild des EuGVÜ auszuarbeiten. Diese Übereinkom-
Europäisches Zivilprozessrecht men konnten aus politischen Gründen (BSEKrise) mangels ausreichender Ratifikation jedoch nicht in Kraft treten. Durch den ĺVertrag von Maastricht wurde die sog. justizielle Zusammenarbeit in Zivilund Strafsachen in der 3. Säule zusammengefasst und damit als Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse anerkannt. Da diese intergouvernementale Zusammenarbeit jedoch letztlich nicht befriedigte, wurden mit dem ĺVertrag von Amsterdam wichtige Schlüsselbereiche – einschließlich der ĺjustiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen – aus der dritten Säule in die erste überführt. Der hierbei neu geschaffene Kompetenztitel umfasst u.a. den Bereich des grenzüberschreitenden Zivilverfahrensrechts (Art. 61 lit. c, 65 EG). Diese Bestimmungen wurden durch den ĺVertrag von Nizza noch einmal leicht modifiziert und der Anwendungsbereich des Mitentscheidungsverfahrens ausgedehnt. Auf dieser Grundlage wurden die Übereinkommensentwürfe als Basis für entsprechende Verordnungen herangezogen, die in rascher Abfolge in den Jahren 2001–2004 in Kraft getreten sind, sodass heute im Bereich des europäischen Prozessrechts das sekundäre Gemeinschaftsrecht bereits von erheblich größerer Bedeutung ist, als völkerrechtliche Übereinkommen oder nationales Prozessrecht. Im Vergleich zu den Haager Übereinkommen, die zum Teil ähnliche Regelungsbereiche erfassen und zugleich Vorbild für eine Reihe der Rechtsakte der Gemeinschaft waren, ist das Europäische Prozessrecht durch eine geringere Formalität geprägt und von dem Grundsatz, dass sowohl von den Gerichten als auch den Beteiligten eine aktive Mitwirkung verlangt wird. Zwischenzeitlich hat sich die Aktivität der Europäischen Gemeinschaft von dem Vorbild der Haager Konferenz gelöst und weitere Bereiche zum Gegenstand von Harmonisierungsbemühungen gemacht, die kein Vorbild in internationalen Übereinkommen finden, so bspw. das Europäische Mahnverfahren sowie das Verfahren über geringfügige Streitigkeiten. Das erkennbare Bestreben eine einheitliche, übersichtliche und konsistente Regelung für grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten im Binnenmarkt zu schaffen und die große Anzahl bestehenden und geplanter Rechtsakte, die zum Teil ineindergreifen oder aufeinander Verweisen, rechtfertigen es, die Summe dieser Rechtsakte als ein eigenes Rechtsgebiet zusammenzufassen. Als gemeinsame Strukturen eines
solchen europäischen Prozessrechts lassen sich die Begrenzung des Anwendungsbereichs durch den Begriff der Zivil- und Handelssache, der durch den EuGH geprägte Grundsatz der autonomen Auslegung des EuZPR, der Schutz der schwächeren Partei (Verbraucher, Versicherungsnehmer, Arbeitnehmer) und das Prinzip der gegenseitigen ĺAnerkennung ausländischer Entscheidungen nennen. Eine häufig kritisierte Gemeinsamkeit dieses Rechtsbereichs stellt schließlich die Beschränkung der Vorlageberechtigung im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 68 EG dar. Sie zielt darauf ab, eine Überlastung des EuGH durch Vorlagefragen zu den neuen Verordnungen zu verhindern. Entsprechend wurde die Vorlagebefugnis auf das letztinstanzliche Gerichte beschränkt. Sie führt zu einer Verfahrensverzögerung und ist insb. für die Auslegung der Regelungen über die internationale Zuständigkeit besonders misslich. Hinsichtlich der Frage, ob ein Gericht ein letztinstanzliches Gericht i.S.v. Art. 68 Abs. 1 EG ist, kommt es nicht auf die abstrakte Stellung im Instanzenzug, sondern auf die für die betreffende Verfahrensart konkret ausgeübte Funktion an. Zum EuZPR sind derzeit folgende Rechtsakte zu zählen: ƒ VO (EG) 1244/2001 des Rates vom 22.12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ĺEuGVVO; Brüssel I) ƒ VO (EG) 1347/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollsteckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (EheGVVO a.F.; Brüssel II) ƒ VO (EG) 1346/2000, des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren (ĺEuInsVO); ƒ VO (EG) 1348/2000 des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den MS (ĺEuZustVO); ƒ VO (EG) 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ĺEuVTVO); ƒ VO (EG) 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der MS auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (ĺEuBewVO); 373
Europass ƒ
VO (EG) 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ĺEuMVVO); ƒ VO (EG) 861/2007 des Europäischen Parlaments un des Rates vom 11.7.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (ĺEuBagVO) ƒ RL 2003/8/EG des Rates vom 27.1.2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (ĺPKHRL) Zum Europäischen Prozesssrecht i.w.S. zählen neben diesen auf Art. 61 ff. EG gestützten Rechtsakten auch eine Reihe von flankierenden prozessualen Regelungen, die in anderen Sekundärrechtsakten enthalten sind: So bspw. Art. 5 ĺZahlungsverzugsRL, Art. 13 f. ĺFinanzFernabsatzRL; Art. 17ĺE-commerce-RL, Art. 7 und Art. 3 Abs. 1, 3 i.V.m. Nr. 1 lit. a des Anhangs ĺKlauselRL. (mrm) Lit.: B. Hess, Die „Europäisierung“ des internationalen Zivilprozessrechts durch den Amsterdamer Vertrag, NJW 2000, 23-32; R. Wagner, Zur Vereinheitlichung des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts sieben Jahre nach In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrags, EuZW 2006, 424-428
Europass ĺBildungsprogramme Europawahlrecht ĺWahlrecht zum Europäischen Parlament Europawahlrichtlinie European Elections directive – directive relative aux élections européenne
Die Europawahlrichtlinie RL 93/109/EG schafft kein einheitliches Wahlverfahren, sondern regelt in Konkretisierung von Art. 19 Abs. 2 EG Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Wahlen zum ĺEuropäischen Parlament im Wohnsitzmitgliedstaat. Im Gegensatz zum ĺKommunalwahlrecht kann das aktive ĺEuropawahlrecht alternativ nur im Herkunfts- oder im Wohnsitzmitgliedstaat ausgeübt werden. Die Ausübung des passiven ĺEuropawahlrechts ist auf eine Kandidatur und die Bescheinigung, dass der Betreffende im Herkunftsmitgliedstaat passiv europawahlberechtigt ist, beschränkt. (ao) §§: Art. 4 RL 93/109/EG, ABl. 1993, Nr. L 329/34; dt. EuropawahlG, dt. EuropawahlO, österr. EuropawahlO
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BGBl. 117/1996 idF 201/1996; österr. Europa-WählerevidenzG, BGBl. 118/1996 Lit.: Kommission, Dritter Bericht der Kommission über die Unionsbürgerschaft, KOM(2001) 506 endg., 7.9.2001 Rsp.: EGMR, Matthews/Vereinigtes Königreich (ĺMatthews-Fall); EuGH, Rs. C-145/04 Spanien/ Vereinigtes Königreich, Slg. 2006, I-07917
European Fusion Development Agency (EFDA) EFDA ist ein seit 1999 bestehendes Abkommen zwischen der ĺKommission (als Vertreterin der ĺEAG) und den europ. Fusionsforschungseinrichtungen (ĺEuratom-Vertrag, Außenbeziehungen). Es dient der Förderung der Forschung und Entwicklung im Bereich der Kernfusionstechnologie. Im Hinblick darauf ist es in die Projekte ĺJoint European Torus (JET) und ĺITER involviert. (atm) Web: http://www.efda.org/
European Group on Tort Law (Tilburg Group) Die European Group on Tort Law wurde 1993 von Jaap Spier an der Universität Tilburg gegründet und widmet sich der Erforschung des Europäischen Deliktsrechts. Auf regelmäßig stattfindenden Treffen der beteiligten europäischen Wissenschaftler werden grundlegende Fragen des Deliktsrechts erörtert. Auf der Basis dieser Forschungsergebnisse sowie von Länderberichten wurden European Principles of Tort Law erarbeitet, die in ihrer Struktur den ĺPrinciples of European Contract Law vergleichbar sind, mit der ĺKommision für Europäisches Vertragsrecht aber weder personell noch organisatorisch verbunden sind. Die Forschungsergebnisse sowie aktuelle Entwicklungen werden auf jährlich stattfindenden Konferenzen des European Centre of Tort and Insurance Law (ECTIL) in Wien der Öffentlichkeit präsentiert und in Buchform zugänglich gemacht. (mrm) Lit.: H. Koziol, Die „Principles of European Tort Law“ der „European Group on Tort Law“, ZEuP 2004, 234 ff.; European Group on Tort Law (Hrsg.), Principles of European Tort Law, Text and Commentary, 2005 Web: http://civil.udg.es/tort/; http://www.ectil.org
European Research Group on Existing EC Private Law ĺAcquis Group Europol European Police Office – Office européen de police
Das Europäische Polizeiamt (Europol) ist eine europäische ĺAgentur (mit eigener Rechtsper-
Europol, Gemeinsame Kontrollinstanz sönlichkeit), die auf Grundlage des ĺEuropol-Übereinkommens 1995, ABl. 1995, Nr. C 316/2, errichtet wurde. Die unionsrechtliche Verankerung findet sich in Art. 30 EU als Teil der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Ziel von Europol ist es, die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die „Verhütung und Bekämpfung schwerer internationaler Kriminalität (wie etwa ĺterroristische Handlungen, ĺMenschenhandel und ĺDrogenhandel) zu verbessern, sofern tatsächliche Anhaltspunkte oder ausreichende Gründe für die Annahme vorliegen, dass eine kriminelle Organisationsstruktur beteiligt ist und zwei oder mehr Mitgliedstaaten in einer Weise betroffen sind, die aufgrund des Umfangs, der Bedeutung und der Folgen der strafbaren Handlungen ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten erfordert“ (Art. 2) (ĺSubsidiaritätsprinzip). Dabei liegt die Hauptaufgabe von Europol in der Erleichterung des Informationsaustausches sowie in der Informationssammlung und -analyse. Überdies werden die nationalen Behörden bei ihren Ermittlungen unterstützt. Europol ist monokratisch organisiert, geleitet von einem Direktor, der für einen Zeitraum von vier Jahren vom ĺRat einstimmig ernannt wird (Art. 29). Der Direktor ist vor allem für die Erfüllung der Europol übertragenen Aufgaben, die laufende Verwaltung und die Personalverwaltung zuständig. Daneben ist ein Verwaltungsrat eingerichtet, der zum einen allgemeine Regeln zur Konkretisierung des EuropolÜbereinkommens erlässt und überdies die Amtsführung des Direktors überwacht (Art. 28). Die Kooperation zwischen Europol und den Mitgliedstaaten erfolgt sowohl durch nationale Stellen, die als ĺVerbindungsstellen zu Europol fungieren (Art. 4) als auch durch ĺVerbindungsbeamte, die von den Mitgliedstaaten zu Europol entsandt werden (Art. 5). Überdies können Europol-Bedienstete an ĺGemeinsamen Ermittlungsgruppen teilnehmen (Art. 3a) und Europol um Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen ersuchen (Art. 3b). Im Zentrum der Aufgaben von Europol steht ein automatisiertes Informationssystem, das auch personenbezogene Daten zur Erfüllung der Aufgaben von Europol enthält (Art. 7 ff.). Darüber hinaus werden im Besonderen Arbeitsdateien zu spezifischen Analysezwecken erstellt, die einen sehr breiten Bereich personenbezogener Daten umfassen (Art. 10 ff.). Der Rechtschutz hinsichtlich der Zulässigkeit der Datenverarbeitung erfolgt auf innerstaatli-
cher Ebene durch eine nationale Kontrollinstanz (Art. 23) und auf Ebene von Europol durch eine unabhängige ĺgemeinsame Kontrollinstanz (Art. 24). Ein Rechtsweg an den ĺEuGH ist dabei nicht vorgesehen. Direktor: Max-Peter Ratzel Sitz: Den Haag, Niederlanden (kl) §§: Art. 30 EU, ĺEuropol-Übereinkommen Lit.: B. Kremer, Immunität für Europol-Bedienstete?, 2003; N. Kröger, Europol. Europäisches Polizeiamt und Individualrechtsschutz, 2004; S. Peers, EU Justice and Home Affairs Law, 2006; T. Petri, Europol. Grenzüberschreitende polizeiliche Tätigkeiten in Europa, 2001; Srock, Rechtliche Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung von Europol, 2006; S. Sule, Europol und Europäischer Datenschutz, 1999; T. Voss, Europol, Polizei ohne Grenzen? Strafrechtliche Immunitätenregelungen und Kontrolle von Europol, 2003 Web: http://www.europol.europa.eu
Europol, Gemeinsame Kontrollinstanz Europol, joint supervisory body – Europol, autorité de contrôle commune
Die Überprüfung der Tätigkeit von Europol erfolgt durch die unabhängige gemeinsame Kontrollinstanz, die gem. Art. 24 ĺEuropol-Übereinkommen eingerichtet ist. Die gemeinsame Kontrollinstanz setzt sich aus höchstens zwei Mitgliedern jeder nationalen Kontrollinstanz zusammen, die vom Mitgliedstaat für fünf Jahre ernannt werden. Nationale Kontrollinstanz (Art. 23 ĺEuropolÜbereinkommen) ist in diesem Zusammenhang eine vom Mitgliedstaat bezeichnete Einrichtung, deren Aufgabe in der unabhängigen Überwachung und Überprüfung der Zulässigkeit der Eingabe und des Abrufs personenbezogener Daten sowie jedweder Übermittlung dieser Daten an Europol durch diesen Mitgliedstaat besteht. Die gemeinsame Kontrollinstanz hat somit die Tätigkeit von Europol daraufhin zu überprüfen, ob durch die Speicherung, die Verarbeitung und die Nutzung der bei Europol vorhandenen Daten die Rechte der Personen verletzt werden. Jede Person hat das Recht, die gemeinsame Kontrollinstanz zu ersuchen, die Zulässigkeit und die Richtigkeit einer etwaigen Speicherung, Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von sie betreffenden Daten bei Europol zu überprüfen (Art. 24 ĺEuropolÜbereinkommen). Gem. Art. 19 und 20 ĺEuropol-Übereinkommen kann ein Antragsteller Beschwerde bei der Gemeinsamen Kontrollinstanz einlegen: zum einen in Fällen von Auskunftsanträgen, die von Europol nicht zufriedenstellend behandelt wurden, zum anderen in 375
Europol, Verbindungsstelle Fällen im Zusammenhang mit der Berichtigung und Löschung von Daten, die nicht in befriedigender Weise von Europol erledigt wurden. Sitz des Sekretariats der Gemeinsamen Kontrollinstanz ist Brüssel. (kl) §§: Art. 19,20, 23, 24 ĺEuropol-Übereinkommen Lit.: N. Kröger, Europol. Europäisches Polizeiamt und Individualrechtsschutz, 2004; S. Peers, EU Justice and Home Affairs Law, 2006; M. Günther, Europol. Rechtsschutzmöglichkeiten und deren Vereinbarkeit mit nationalen und internationalen Anforderungen (2006) 138 ff.; M. Engel, Befugnis, Kontrolle und Entwicklung von Europol (2006) 77 ff. Web: http://europoljsb.consilium.europa.eu
Europol, Verbindungsstelle ĺVerbindungsstelle, Europol Europol-Drogenstelle (EDS) Europol Drugs Unit (EDU) – Unité "Drogues" Europol (UDE)
Die Europol-Drogenstelle war eine organisatorische Vorläuferorganisation von ĺEuropol und ist am 1.7.1999 in das Europäische Polizeiamt aufgegangen. Eingerichtet wurde die Europol-Drogenstelle mit der Gemeinsamen Maßnahme 95/73/JI. (kl) Europol-Konvention ĺEuropol-Übereinkommen Europol-Übereinkommen
Die Änderungen des Übereinkomms beschliesst der ĺRat einstimmig im Verfahren nach Titel VI EU auf Initiative eines Mitgliedstaats und nach Stellungnahme des Verwaltungsrates mit der Empfehlung an die Mitgliedstaaten zur Annahme gem. ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften (Art. 43 Europol-Übereinkommen). (kl) Europol-Verbindungsbeamte ĺVerbindungsbeamte, Europol Euroraum ĺEurozone Eurostat Eurostat – Eurostat
Eurostat (Statistisches Amt der Europäischen Gemeinschaften) ist die Dienststelle (ĺKommission, Dienststelle) der ĺKommission, die mit der Durchführung der der Kommission übertragenen Aufgaben bei der Erstellung der Gemeinschaftsstatistiken nach Art. 285 EG betraut ist. (sl) §§: Art. 285 EG; VO (EG) 322/97; Beschluss der Kommission vom 21.4.1997 über die Rolle von Eurostat bei der Erstellung von Gemeinschaftsstatistiken (97/ 281/EG; ABl. 1997, Nr. L 112/56) Lit.: C. Ladenburger, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 285 EGV Web: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/
Europol Convention – Convention Europol
Das Übereinkommen über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamtes, ABl. 1995, Nr. C 316/2, beinhaltet neben dem Rechtsstatus (Art. 26) und der Organisation (Art. 27 ff.) von ĺEuropol auch deren Ziele (Art. 2), Aufgaben (Art. 3) und Arbeitsweise (Art. 7 ff.). Das Übereinkommen wurde mehrfach (durch Protokolle) ergänzt: ƒ Beschluss zur Ergänzung der Definition der Kriminalitätsform „ĺMenschenhandel“ im Anhang zum Europol-Übereinkommen (ABl. 1999, Nr. C 26/21) ƒ „ĺGeldwäsche-Protokoll“, ABl. 2000, Nr. C 358/2. ƒ „Protokoll über ĺGemeinsame Ermittlungsgruppen“, ABl. 2002, Nr. C 312/2. ƒ Protokoll des Europol-Übereinkommen zur Änderung dieses Übereinkommens, ABl. 2004, Nr. C 2/3. (Änderungen vor allem im Bereich der Datenverarbeitung und der Einbeziehung des ĺEP) 376
Eurosystem Eurosystem – Eurosystème
Das Eurosystem besteht aus der ĺEuropäischen Zentralbank (EZB) und den ĺZentralbanken der Mitgliedstaaten, die den ĺEuro eingeführt haben. Eine ausdrückliche rechtliche Anerkennung des Eurosystems erfolgte bislang nicht, sieht man von einer Erwähnung in der Geschäftsordnung der EZB ab. Vielmehr bildet es eine informelle, in der Praxis aber höchst bedeutsame Teilstruktur des ĺEuropäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Rechtlich ergibt sich die Berechtigung des Eurosystems aber daraus, dass aufgrund der Satzung der EZB alleine diejenigen Zentralbanken durch die Leitlinien und Weisungen der Beschlussorgane der EZB gebunden sind, deren Währung der Euro ist. Insofern stellt das Eurosystem heute faktisch die maßgebliche Gemeinschaftseinrichtung für die Geldpolitik der EG dar, nach eigenem Verständ-
EVZ-Netz nis ist das Eurosystem die Währungsbehörde der Eurozone. Der Reformvertrag wird hierfür künftig eine ausdrückliche rechtliche Grundlage schaffen. Solange einige Mitgliedstaaten nicht den Euro eingeführt haben (UK, Dänemark, Schweden, Beitrittsstaaten), werden das Eurosystem und das ESZB nebeneinander existieren. (co) Eurozone euro area – zone euro
Informelle Bezeichnung für das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, die den ĺEuro als Währung eingeführt haben. Gleichbedeutend werden auch die Begriffe Euroraum oder Euroland verwendet. Zum Stand 06/2007 handelt es sich um Belgien, Deutschland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal, Sowenien und Finnland. Am 1.1.2008 werden Malta und Zypern der Eurozone beitreten. (co) EUSB ĺSonderbeauftragte der Europäischen Union EUSEC ĺESVP-Missionen
fassungsrechtlichen Vorschriften. Mit der Aufgabe der Säulenstruktur der derzeitigen Europäischen Union und der Zusammenführung von EU- und EG-Recht durch den ĺVertrag von Lissabon verliert die Vorschrift ihre Bedeutung und entfällt. (sts) §§: Art. 42 EU Lit.: A. Jour-Schröder/C. Konow, Die Passerelle des Art. 42 EU-Vertrag, EuZW 2006, 550 ff.; M. Sichert, Grenzen der Revision des Primärrechts in der Europäischen Union, 2005, 260 ff.
Evolutivklausel, Unionsbürgerschaft evolutionary clause, citizenship of the Union – clause evolutive, citoyenneté de l’Union
Nach Art. 22 EG wird die Anwendung der Regeln über die ĺUnionsbürgerschaft einer regelmäßigen Überprüfung durch die ĺKommission unterzogen, die bisher viermal über Stand, Defizite und Entwicklungsmöglichkeiten der ĺUnionsbürgerschaft berichtet hat. (ao) §§: Art. 22 EG, Art. 17-21 EG Lit.: Kommission, Bericht über die Unionsbürgerschaft, KOM(93) 702 endg., 21.12.1993; dies., Zweiter Bericht über die Unionsbürgerschaft, KOM(1997) 230 endg., 27.5.1997; dies., Dritter Bericht über die Unionsbürgerschaft, KOM(2001) 506 endg., 7.9.2001; dies., Vierter Bericht über die Unionsbürgerschaft, KOM(2004) 695 endg., 26.10.2004
EUSR ĺSonderbeauftragte der Europäischen Union
EVÜ ĺÜbereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht
EuZPR ĺEuropäisches Zivilprozessrecht
EVZ-Netz
EVG ĺEuropäische Verteidigungsgemeinschaft Evolutivklausel evolutionary clause – clause evolutive
In Art. 42 EU verankertes halbautonomes ĺVertragsänderungsverfahren, dass es dem ĺRat ermöglicht, eine gegenüber dem ordentlichen ĺVertragsänderungsverfahren vereinfachte Überführung von Zuständigkeiten der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in den ĺEG-Vertrag zu beschließen und diese somit den für das Gemeinschaftsrecht geltenden Grundsätzen und Regeln zu unterwerfen. Der Beschluss bedarf, um wirksam zu werden, der Annahme durch die ĺMitgliedstaaten entsprechend deren jeweiligen ver-
ECC-Net – réseau CEC
Das EVZ-Netz ist ein europaweites Netzwerk, in dem die verschiedenen Verbraucherzentren zusammengeschlossen sind und das im Januar 2005 aus der Zusammenlegung zweier Verbraucherschutznetze, dem Netz für außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten („EEJ-Net“) und dem Netz der Europäischen Verbraucherinformationsstellen („Euroguichets“) hervorgegangen ist. Ziele des EVZ-Netzes sind insbesondere die Unterrichtung der Verbraucher, damit sie Waren und Dienstleistungen im Binnenmarkt in Kenntnis ihrer Rechte und Pflichten nachfragen können, die Unterstützung und Betreuung bei Reklamationen sowie die Unterrichtung über bestehende Verfahren, die im Hinblick auf die Beilegung einer Streitigkeit in Anspruch genommen werden können. Ferner bieten die EVZ Beratung in der ĺalternativen Streitbei377
EWG legung von Verbraucherrechtsangelegenheiten in ganz Europa an. Die enge Zusammenarbeit mit europäischen Partnerorganisationen ermöglicht es, grenzüberschreitende Reklamationen rasch im Interesse der Konsumenten zu lösen. (pa) Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005 Web: http://ec.europa.eu/consumers/redress/ecc_ network/index_en.htm
EWG ĺEuropäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG-Vertrag Treaty establishing the European Community – Traité instituant la Communauté européenne
Durch den EWG-Vertrag wurde die Europäische Gemeinschaft im Jahr 1957 gegründet. Der Vertrag gehört zu den primären Rechtsquellen innerhalb des Europarechts. Das Jahr der Unterzeichnung des EWG-Vertrags gilt als offizielle „Geburtsstunde“ der Europäischen Gemeinschaften. Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EWG-Vertrag) ist (neben dem ĺEAG-Vertrag) einer der Römischen Verträge (s. in diesem Zusammenhang auch die ĺEGKS und den ĺPariser Vertrag). Durch den ĺVertrag von Maastricht wurde er umbenannt (EG-Vertrag) und durch den ĺVertrag von Amsterdam neu nummeriert. (lb) EWI ĺEuropäisches Währungsinstitut EWIV ĺEuropäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung EWSA ĺWirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (EACEA) Education, Audiovisual and Culture Executive Agency (EACEA) – Agence exécutive „Éducation, audiovisuel et culture“ (EACEA)
Eine zentrale Rolle bei der (der EK verbleibenden) Verwaltung der ĺBildungsprogramme der EU nimmt die Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (nach der englischen 378
Bezeichnung kurz: EACEA) ein. Einer längeren Tradition der EK im Bereich Bildung und Kultur folgend, Verwaltungsaufgaben in spezialisierte Management- und Verwaltungsagenturen und/oder -büros auszulagern, wurde mit Beschluss der Kommission 2005/56/EG (geändert durch 2007/117/EG) und unter Übertragung von Verwaltungsaufgaben im Zuge der Durchführung von Gemeinschaftsmaßnahmen in den betroffenen Politikbereichen die EACEA eingerichtet. Diese Art der Verwendung von spezialisierten Verwaltungseinheiten zur Umsetzung von Vollzugsaufgaben der EK beruht auf VO (EG) 58/2003 zur Festlegung des Statuts der ĺExekutivagenturen, die mit bestimmten Aufgaben bei der Verwaltung von Gemeinschaftsprogrammen beauftragt werden (auf Basis von Art. 308 EG). Diese VO bildet den Abschluss von Bestrebungen, die bis dahin von der EK beauftragten und privatrechtlich organisierten Technischen Assistenzbüros (engl. Technical Assistance Offices, kurz: TAO) durch Institutionen des öffentlichen Rechts, eben sog. Exekutivagenturen, abzulösen. Entsprechend übernahm mit Beginn des Jahres 2006 die EACEA die früheren Agenden von drei bis dahin separat für Bildung, Kultur und Audivisuelles tätigen TAO (im Bereich Bildung das „Socrates, Leonardo and Youth TAO“). Die Arbeitsteilung zwischen EK und Exekutivagenturen lässt sich am Beispiel der EACEA grob mit Wahrnehmung der Gesamtverantwortung für die in Rede stehenden Gemeinschaftsmaßnahmen, Fokusierung auf und Festlegung der Programm- und Budgetstrategie und -prioritäten, Maßnahmenevaluierung, Informationsstrategien, Monitoring der Agenturen und Leitung der Programmausschüsse (in der GD EAC sind z.Z. 13 Ausschüsse eingerichtet, darunter der ĺAusschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens) auf der einen und etwa Ausschreibungen, Auswahl von zur Förderung eingereichten Projekten, Abschluss und Verwaltung der Finanzhilfevereinbarungen mit den Förderempfängern und Audits auf der anderen Seite beschreiben. Laut Art. 3 des Beschlusses 2005/56/EG i.d.F. 2007/117/EG besteht die EACEA von 1.1.2005 (operativ tätig seit Beginn 2006) bis 31.12.2015. Art. 4 überträgt der Agentur die Verwaltung bestimmter Teile von insgesamt 28 Gemeinschaftsprogrammen im Bereich Bildung, Audiovisuelles und Kultur, darunter die Programme ĺSokrates II (Abschluss der Abwicklung von Fördermaßnahmen im Zeitraum 2000–2006),
Exekutivagenturen Leonardo da Vinci (2000–2006), Jugend in Aktion, Kultur, Media und schließlich das neue umfassende ĺAktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens. Die EACEA führt damit Verwaltungsmaßnahmen von Gemeinschaftsprogrammen dreier GD der EK durch, die im Lenkungsausschuss (Art. 5) der Agentur vertreten sind: GD Bildung und Kultur, GD Informationsgesellschaft und Medien, GD EuropeAid. Die EACEA gliedert sich organisatorisch in das Management (Direktor), 8 operationale und 2 horizontale Gruppen. Sie verwaltet die Gemeinschaftsprogramme in den Bereichen Bildung, Audiovisuelles und Kultur und übernimmt vor allem die Ausschreibung, Auswahl und Überwachung von Projekten. Für die ĺBildungspolitik der EU sind die Zuständikeiten der EACEA im Bereich der zentral bei der EK verwalteten Teile des Programms ĺLebenslanges Lernen (ĺComenius, ĺEramsus, ĺErasmus Mundus, ĺGrundtvig, ĺLeonardo und ĺJean Monnet) von besonderem Interesse. Direktor: Gilbert Gascard Sitz: Brüssel (jbu) (gr) §§: Beschluss 2005/56/EG der Kommission vom 14.1. 2005 zur Einrichtung der „Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur“ für die Verwaltung der Gemeinschaftsmaßnahmen in den Bereichen Bildung, Audiovisuelles und Kultur gem. der VO (EG) 58/2003 des Rates (ABl. 2005, Nr. L 24, geändert durch 2007/ 117/EG) Web: http://europa.eu/agencies/index_de.htm; http:// eacea.ec.europa.eu/index.htm
Exekutivagentur für intelligente Energie (IEEA) Intelligent Energy Executive Agency (IEEA) – Agence exécutive pour l’énergie intelligente (AEEI)
Die IEEA soll das von der Kommission ins Leben gerufene Programm „Intelligente Energie – Europa“ (IEE) verwalten, das daraus resultierende Know-How sowie die „best-practices“ verbreiten und die Kooperation zwischen den am Programm Beteiligten fördern. Sie berichtet der Generaldirektion Energie und Verkehr über ihre Tätigkeit. Direktor: Patrick Lambert Sitz: Brüssel (gr) §§: VO (EG) 58/2003, ABl. 2003, Nr. L 11/1, Beschluss 2004/20/EG, ABl. 2004, Nr. L 5/85 Web: http://europa.eu/agencies/executive_agencies/ ieea/index_de.htm
Exekutivagenturen executive agencies – agences exécutives
Die Möglichkeit der Kommission Exekutivagenturen einzurichten, wurde mit der VO (EG)
58/2003, ABl. 2003, Nr. L 11/1 geschaffen. Das dort festgelegte Statut dient dazu, die institutionelle Einheitlichkeit der Einrichtungen zu gewährleisten und regelt insbesondere wesentliche Aspekte der Struktur, der Aufgaben, der Arbeitsweise, des Haushalts in Zusammenhang mit dem Personal sowie der Kontrollen und der Haftung. Exekutivagenturen sind mit einer gemeinwirtschaftlichen Aufgabe betraute Gemeinschaftseinrichtungen die Rechtspersönlichkeit besitzen (Art. 4). Die ĺKommission kann die Exekutivagentur mit jeder Aufgabe zur Durchführung eines Gemeinschaftsprogramms beauftragen, ausgenommen solche, die einen „Ermessensspielraum zur Umsetzung der politischen Entscheidung“ implizieren (Art. 6). Damit sind insbesondere folgende Aufgaben gemeint (Art. 6 Abs. 2): ƒ Verwaltung einiger oder aller Phasen des Zyklus spezifischer Projekte im Rahmen der Ausführung des Gemeinschaftsprogramms ƒ Vornahme aller für die Durchführung des Gemeinschaftsprogramms erforderlichen Maßnahmen, insbesondere jener, die mit der Vergabe von Aufträgen und Subventionen im Zusammenhang stehen; ƒ Erhebung und Analyse aller für die Ausrichtung der Durchführung des Gemeinschaftsprogramms erforderlichen Informationen und Weiterleitung an die Kommission. Die Errichtung einer Exekutivagentur erfolgt durch Beschluss der ĺEuropäischen Kommission. Die Exekutivagentur wird von einem Lenkungsausschuss und einem Direktor geleitet, dem das Personal untersteht. Gegen jede Handlung einer Exekutivagentur, die einem Dritten Schaden zufügt, kann von jeder anderen unmittelbar und individuell betroffenen Person oder von einem Mitgliedstaat bei der ĺKommission Beschwerde zur Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Handlung erhoben werden. Die ĺKommission kann sich auch von Amts wegen mit jeglicher Handlung einer Exekutivagentur befassen und entscheidet nach Kenntnisnahme der von der Agentur vorgetragenen Argumente. Derzeit sind 2 Exekutivagenturen eingerichtet, die ĺExekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (EACEA) und die ĺExekutivagentur für intelligente Energie (IEEA). Eine weitere – die ĺExekutivagentur für das Gesundheitsprogramm – befindet sich in Vorbereitung (PHEA). (gr) §§: VO (EG) 58/2003, ABl. 2003, Nr. L 11/1 Web: http://europa.eu/agencies/executive_agencies/ index_de.htm
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EZB EZB ĺEuropäischer Zahlungsbefehl; ĺEuropäische Zentralbank EZB-Rat Governing Council – conseil des gouverneurs de Banques centrals
Der EZB-Rat ist neben dem Direktorium eines der Beschlussorgane der ĺEuropäischen Zentralbank (EZB). Er erlässt die Leitlinien und Entscheidungen zur Erfüllung der Aufgaben der EZB. Insbesondere legt er die ĺGeldpolitik der Gemeinschaft fest. Seine Entscheidungen werden vom Direktorium der EZB ausgeführt. Der EZB-Rat besteht aus den Mitgliedern des Direktoriums der EZB und den Präsidenten der Zentralbanken der Mitgliedstaaten, die den Euro eingeführt haben (z.Z. 12). Zum Direktorium gehören der Präsident der EZB, der Vizepräsident sowie vier weitere Mitglieder. Die Mitglieder des Direktoriums werden für eine einmalige Amtszeit von acht Jahren von den Staats- und Regierungschefs der ĺEurogruppe einvernehmlich ernannt. Wählbar sind nur fachlich qualifizierte Staatsangehörige von Mitgliedstaaten, die den Euro eingeführt haben. Gemeinschaftsrechtliche Regelungen für die Auswahl und Ernennung der nationalen Zentralbankpräsidenten existieren dagegen nicht. Allerdings ist vorgeschrieben, dass ihre Amtszeit mindestens fünf Jahre betragen muss und sie nur unter erschwerten Voraussetzungen entlassen werden können. Alle Mitglieder des EZBRats genießen persönliche Unabhängigkeit.
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Jedes Mitglied des EZB-Rats ist stimmberechtigt. Die ESZB-Satzung sieht vor, dass ab dem Zeitpunkt, an dem die Zahl der Mitglieder 21 übersteigt, nur die Mitglieder des Direktoriums ihr Stimmrecht behalten und die Zahl der stimmberechtigten Zentralbankpräsidenten dauerhaft auf 15 abgesenkt wird. Zwischen den Zentralbankpräsidenten werden dann die Stimmrechte nach einem vorgegebenen Schema rotieren. Von der Rotation werden allerdings die Zentralbankpräsidenten der fünf „großen“ Mitgliedstaaten aufgrund deren hohen Wirtschaftskraft in nur geringem Umfang betroffen sein. Dieses System der Stimmrechtsbegrenzung dient der Erhaltung der Handlungsfähigkeit der EZB in einer sich stark erweiternden Union. Bereits heute werden die Stimmen im EZB-Rat anhand der gezeichneten Kapitalanteile bei den Beschlüssen gewogen, die die Stellung der nationalen Zentralbanken als Kapitaleigner der EZB betreffen. Neben dem EZB-Rat besteht der Erweiterte Rat, der sich aus dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten der EZB sowie den Zentralbankpräsidenten aller Mitgliedstaaten zusammensetzt. Seine Existenz trägt der Tatsache Rechnung, dass noch nicht alle Mitgliedstaaten den Euro als Währung eingeführt haben. Insofern nimmt er die Vorbereitungs- und Übergangsfunktionen für die Einführung des Euro auch in diesen Ländern wahr, die ursprünglich die Aufgaben des ĺEuropäischen Währungsinstituts bildeten. (co) §§: Art. 107 Abs. 3, 112 EG; Art. 7 ff. des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank; Geschäftsordnung der Europäischen Zentralbank
F Faccini Dori-Entscheidung Faccini Dori case – jurisprudence Faccini Dori
Dieses EuGH-Urteil, Rs. C-91/92, Slg. 1994, I-3325, stellt die zentrale Entscheidung zum Ausschluss der unmittelbaren Wirkung von ĺRichtlinien (RL) in horizontalen Rechtsverhältnissen dar (s.a. ĺRichtlinien, Horizontalwirkung), an der der EuGH in st. Rsp. festhält. Zum Rechtsstreit zwischen einer privaten Konsumentin, Frau Faccini Dori, und dem Unternehmen Recreb Srl., in dem sich diese auf das in der (nicht umgesetzten) RL 85/577 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. 1985, Nr. L 372/31, enthaltene Widerrufsrecht berufen hat, hat der EuGH ausgesprochen, dass eine Ausdehnung seiner Rsp. zur (vertikalen) unmittelbaren Richtlinienwirkung (ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung) auf den Bereich der Beziehungen zwischen den Bürgern bedeuten würde, der Gemeinschaft die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zu Lasten der Bürger Verpflichtungen anzuordnen; dies dürfe sie aber nur dort, wo ihr die Befugnis zum Erlass von ĺVerordnungen zugewiesen ist. Folglich kann ein Verbraucher seine Ansprüche aus der RL gegenüber einem Unternehmen nicht auf die RL selbst stützen und vor einem nationalen Gericht geltend machen. Was ihm bleibt, ist die Pflicht der nationalen Behörden zur ĺrichtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts und – subsidiär – die Haftung des säumigen Staates für durch die Nicht-Umsetzung verursachte Schäden (ĺRichtlinien, Schadenersatzpflicht bei fehlerhafter Umsetzung). (zc) Web: http://curia.europa.eu/
Fähigkeiten, militärische military capabilities – capacités militaires
Die Verbesserung der militärischen Fähigkeiten ist eine zentrale Erfolgsvoraussetzung für die ĺEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Aufgrund des Ost-West-Kon-
flikts waren die Streitkräfte der ĺMitgliedstaaten vorrangig auf die Landesverteidigung gegen einen sowjetischen Angriff ausgerichtet und konnten nur im begrenzten Umfang bei friedenssichernden und friedensschaffenden Militäreinsätzen außerhalb Europas eingesetzt werden. Die Entwicklung der ESVP legt daher ein besonderes Gewicht auf die Reform der nationalen Streitkräfte. Diese sind in der ESVP nicht in einer „europäischen Armee“ integriert, sondern werden aufgrund einer autonomen nationalen Bereitstellung im Einzelfall zur Verfügung gestellt. Dementsprechend ist auch die Reform der Streitkräfte eine nationale Aufgabe, die europäisch nur koordiniert wird. Hierbei ergänzen sich Reformen im Rahmen von ESVP und ĺNATO entsprechend der allgemeinen Regel, dass die nationalen Streitkräfte nicht exklusiv der ESVP zur Verfügung gestellt sind. Die Verabredungen der Mitgliedstaaten zur Verbesserung der militärischen Fähigkeiten sind nicht rechtsverbindlich, sondern freiwillige politische Absprachen. Ausgangspunkt der Verbesserung der militärischen Fähigkeiten war das Planziel 2003 (englisch „Headline Goal 2003“, auch: Helsinki Headline Goal) aus dem Jahr 1999 zur Einsatzfähigkeit von 50.000 – 60.000 Soldaten binnen 60 Tagen für den Zeitraum von bis zu einem Jahr. Dies Ziel erklärte der ĺEuropäische Rat im Jahr 2003 für erreicht. Seither orientiert die Verbesserung der militärischen Fähigkeiten nicht an Planziffern, sondern legt wert auf qualitative Verbesserungen durch erhöhte Interoperabilität, schnelle Einsatzfähigkeit, verbesserte Transportkapazitäten und flexible Truppenstrukturen. Konkrete Zielvorgaben sind im Planziel 2010 (Headline Goal 2010) niedergelegt, auf welches sich der ĺEuropäische Rat im Juni 2004 verständigte. Die vorhandenen Mittel sind im Streitkräftekatalog niedergelegt, der im Rahmen des Mechanismus zur Entwicklung der Fähigkeiten (englisch „Capability Development Mechanism“) der Beitragskonferenz zu den militärischen Fähigkeiten (englisch „Capabilities 381
Fahrerbescheinigung Commitments Conference“) ständig aktualisiert und in seiner Umsetzung evaluiert wird. Das militärische Planziel 2010 umfasst neben der koordinierten Reform der nationalen Streitkräfte auch gemeinsame Vorhaben, die aufgrund ihrer großen militärischen und/oder strategischen Bedeutung im besonderen Maße die Verbesserung der militärischen Fähigkeiten veranschaulichen. Hierzu gehört die Europäische ĺVerteidigungsagentur ebenso wie die Aufstellung taktischer Einheiten (englisch „battle groups“) als Bataillons von 1.500 Soldaten mit einer robusten Ausrüstung zum schnellen Einsatz auch außerhalb Europas in nicht befriedeten Regionen, deren Entwicklung den Erfahrungen der militärischen ĺESVP-Mission Artemis in der Demokratischen Republik Kongo folgt. Sie beruhen teils auf denselben nationalen Truppenteilen wie die Rapid Response Force im Rahmen der ĺNATO. Das Planziel 2010 umfasst auch die Entwicklung einer zivilmilitärischen Zelle als institutioneller Bestandteil des ĺMilitärstabs der Europäischen Union (EUMS), die im NATO-Hauptquartier im belgischen Mons vertreten sein wird und als Ausgangspunkts eines künftigen EU-Hauptquartiers fungieren könnte. Aufgrund der nationalen Zuständigkeit für Struktur und Einsatz der Streitkräfte der Mitgliedstaaten besitzt die Europäische Union kein exklusives Zugriffsrecht auf die nationalen Streitkräfte und profitiert entsprechend von den fortgesetzten Reformbemühungen im Rahmen der ĺNATO. Entsprechendes gilt für die Einrichtung bi- und multinationaler Kooperationen zwischen den Streitkräften der Mitgliedstaaten, welche auch im Rahmen von ĺESVP-Missionen eingesetzt werden können und deren Ausbau im militärischen Planziel 2010 der ESVP teils ausdrücklich vorgesehen ist. Dies gilt etwa für den Eurokorps als einen multinationalen militärischen Verband der Streitkräfte Ds, Fs, Bs, Spaniens und Luxemburgs. Eine besondere Bedeutung für ĺESVP-Missionen außerhalb Europas besitzt auch die Einrichtung eines europäischen Luftverkehrskommandos mit dem European Airlift Centre (auch: European Air Group) in Eindhoven zur Verbesserung der strategischen Verlegefähigkeit aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen sieben EUMitgliedstaaten. (dt) Lit.: S. Biscop, Able and Willing? Assessing the EU’s Capacity for Military Action, EFA Rev. 9 (2004) 509; C. Hill, The Capability – Expectations Gap or Conceptualising Europe’s International Role, JCMS 31 (1993) 305
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Fahrerbescheinigung driver attestation – attestation de conducteur
Zweites Tatbestandsmerkmal der VO (EWG) 881/92 (ABl. 1992, Nr. L 95/1) über den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt (ĺGüterverkehr, internationaler, gewerblicher) in der Gemeinschaft für Beförderungen aus oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten. Der grenzüberschreitende Verkehr unterliegt einer ĺGemeinschaftslizenz in Verbindung – sofern der Fahrer Staatsangehöriger eines Drittstaats ist – mit einer Fahrerbescheinigung. Diese Fahrerbescheinigung wird von einem MS jedem Verkehrsunternehmer ausgestellt, der Inhaber einer Gemeinschaftslizenz ist und der in diesem MS Fahrer, die Staatsangehörige eines Drittlandes sind, rechtmäßig beschäftigt oder Fahrer rechtmäßig einsetzt, die Staatsangehörige eines Drittstaats sind und ihm als Arbeitskraft gem. den Bestimmungen zur Verfügung gestellt werden, die in diesem Mitgliedstaat für die Beschäftigung und die Berufsausbildung von Fahrern durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften und gegebenenfalls Tarifverträge nach den in diesem Mitgliedstaat geltenden Vorschriften festgelegt wurden. Die Fahrerbescheinigung wird von dem Mitgliedstaat auf Antrag des Inhabers der Gemeinschaftslizenz für jeden Fahrer ausgestellt, der Staatsangehöriger eines Drittstaats ist und den er rechtmäßig beschäftigt bzw. der ihm gem. den Rechts- und Verwaltungsvorschriften und gegebenenfalls, je nach den Vorschriften dieses Mitgliedstaats, gem. den Tarifverträgen über die in diesem Mitgliedstaat geltenden Bedingungen für die Beschäftigung und Berufsausbildung von Fahrern rechtmäßig zur Verfügung gestellt wird. Mit der Fahrerbescheinigung wird bestätigt, dass der darin genannte Fahrer unter bestimmten, in der VO festgelegten Bedingungen beschäftigt ist. (sm) Fahrwegkapazitäten infrastructure capacity – capacités d’infrastructure
Durch die RL 2001/14/EG (ABl. 2001, Nr. L 75/29) erfolgt die Zuweisung der Fahrwegkapazitäten der Eisenbahn und die Regelung der diesbezüglichen Modalitäten. Inhalt der RL ist neben der Zuweisung von Fahrwegkapazitäten, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur (ĺPreisbildung, Eisenbahnverkehr) und die Sicherheitsbescheinigungen. Ihr sind auch zu beachtende Vorgaben hinsichtlich der Wahrnehmung des Netz-
Fahrzeug-Typgenehmigung, EG-Typengenehmigung zugangs zu entnehmen (ĺEntflechtung, Schienenverkehr). Die Zuweisung von Fahrwegkapazitäten erfolgt im Wesentlichen wie folgt: Die Fahrwegbetreiber bzw. Zuweisungsstellen (die unter bestimmten Voraussetzungen die Aufgaben der Fahrwegbetreiber wahrnehmen) legen die allgemeinen Regeln, Verfahren sowie die Kriterien für die Zuteilung von Fahrwegkapazitäten fest (sog. Schienennetz-Nutzungsbedingungen). Diese dienen den Eisenbahnunternehmen als verbindliche Grundlage für die Einreichung entsprechender Anträge. Es sind zwei Verfahren für Zuweisung vorgesehen ƒ ein sog. ad-hoc-Verfahren (das die Zuweisung etwaiger freier Kapazitäten in einem Schnellverfahren [maximal innerhalb von fünf Arbeitstagen] sicherstellen soll) und ƒ ein ordentliches Zuweisungsverfahren (das auf die vorangegangene Festlegung eines Netzfahrplans angelegt ist). Die Einleitung der Verfahren erfolgt durch Antragstellung auf Fahrwegkapazität. Die Zuständigkeitsverteilung gestaltet sich wie folgt: ƒ Antragstellung an einen einzigen Infrastrukturbetreiber (der dann als „Leitbehörde“ fungiert) oder ƒ unmittelbar bei einer gemeinsamen Einrichtung, sofern die betroffenen Infrastrukturbetreiber eine solche eingerichtet haben. Im Rahmen eines Netzfahrplanerstellungsverfahrens ist der Betreiber verpflichtet, einem ordnungsgemäßen und fristgerecht eingegangenem Antrag soweit wie möglich stattzugeben. Kann dies nicht erfolgen oder reichen vorhandene Kapazitäten in naher Zukunft nicht mehr aus, ist der betreffende Streckenabschnitt als überlastet zu erklären. Erteilte Zugangsrechte berechtigen zu deren freier Ausnutzung. Die Zuweisung von Fahrwegkapazitäten erfordert den Abschluss vertraglicher Vereinbarungen zwischen den Antragstellern und den Fahrwegbetreibern. Zur Streitbeilegung innerhalb des Zuweisungsverfahrens sind besondere Verfahrensvorschriften vorgesehen (ĺRegulierungsstelle, Eisenbahnverkehr). (sm) Fahrzeug-Typgenehmigung, EG-Typengenehmigung vehicle type-approval, type-approval of motor vehicles – réception par type de véhicule, réception des véhicules à moteur
Bei den in der RL 70/156/EWG (ABl. 1970, Nr. L 42/1) enthaltenen Bestimmungen handelt es
sich um produktbezogene Harmonisierungsmaßnahmen (ĺVerkehrsrecht, produktbezogene Harmonisierung). Es erfolgt eine Vereinheitlichung der in den MS geltenden Voraussetzungen für die Zulassung der erfassten Kfz zur Erleichterung des freien Warenverkehrs. Grundsätzich sind alle Fahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von über 25 km/h erfasst. Eine Aufstellung der verschiedenen Fahrzeugklassen und -typen findet sich in Anhang II. Konzeptionell wird ein EU-weites einheitliches Genehmigungsverfahren eingeführt. Dessen zentrales Element ist, dass auf Antrag des Herstellers die Erteilung einer Typengenehmigung erfolgt, mit welcher die zuständigen nationalen Behörden die Konformität eines serienmäßig hergestellten Fahrzeugtyps (bzw. eines entsprechenden Zubehörteils) mit den detailgenauen technischen Standards des Gemeinschaftsrechts bestätigen. Die Festlegung der zu beachtenden Anforderungen an die zu genehmigenden Fahrzeugtypen (bzw. deren Komponenten) erfolgt in einer Vielzahl spezifischer Einzelrichtlinien; bei Bedarf erfolgt eine Anpassung an den technischen Fortschritt. In den Anhängen IV und XI der RL wird auf die Einzelrichtlinien verwiesen. Die Typengenehmigung wird nur bei Erfüllung aller technischen Anforderungen sämtlicher EinzelRL erteilt. Die Genehmigungsbehörde hat sich vor und nach Erteilung der Typengenehmigung zu vergewissern, dass beim Hersteller erforderliche Qualitätssicherungsmaßnahmen getroffen wurden, um eine wirksame Kontrolle der Übereinstimmung der Fahrzeugproduktion mit den zu genehmigenden Typen sicherzustellen. Die Hersteller haben jedem Fahrzeug eine „Übereinstimmungsbescheinigung“ beizulegen, die einem genehmigten Typ entspricht (Muster des Anhangs IX); diese bestätigt, dass das konkrete Fahrzeug mit den Anforderungen an den genehmigten Typ übereinstimmt. Die Typengenehmigung eines Fahrzeug(-teil)s bildet die alleinige Grundlage für die Betriebszulassung: Die ĺMS dürfen Zulassung, Verkauf oder Inverkehrbringen neuer Fahrzeuge bei Vorliegen einer Übereinstimmungbescheinigung – aber grundsätzlich auch nur dann – nicht verweigern. Vorübergehende Ausnahmen sind lediglich bei Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs durch das fragliche Fahrzeug zugelassen. Parallele Bestimmungen sind in der RL 2002/24/EG (ABl. 2002, Nr. L 124/1) über die Typengenehmigung für zweirädrige oder dreirädrige Kraftfahrzeuge sowie der RL 383
Fahrzeuge, steuerrechtlicher Erwerb 74/150/EWG (ABl. 1974, Nr. L 84/10) für landund forstwirtschaftliche Fahrzeuge zu finden. Beide folgen den Grundsätzen der RL 70/156/ EWG. Die RL 99/37/EG (ABl. 1999, Nr. L 138/57) letztlich normiert einheitliche Regeln für Aufmachung und Inhalt der nach dem RL 70/156/ EWG bzw. 2002/24/EG auszustellenden Bescheinigungen. Durch die RL 2007/37/EG der Kommission vom 21.6.2007 wurden zuletzt die Anhänge I und III der RL 70/156/EWG geändert (ABl. 2007, Nr. L 161/60). (sm) Lit.: A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 325 ff.
Fahrzeuge, steuerrechtlicher Erwerb ĺErwerb neuer Fahrzeuge (steuerrechtlich) Fahrzeuglieferer (steuerrechtlich) car salesman (tax law) – approvisionneur de véhicule (droit fiscal)
Ein Fahrzeuglieferer wird aufgrund der Sondervorschriften über den ĺErwerb neuer Fahrzeuge auch dann als Unternehmer eingestuft, wenn diesem ansonsten grundsätzlich keine Unternehmereigenschaft zukäme. Dasselbe gilt für Unternehmer, die eine Fahrzeuglieferung nicht im Rahmen ihres Unternehmens ausführen. Dadurch wird die Anwendung des ĺBestimmungslandprinzips gewährleistet, weil die Fahrzeuglieferung sodann im Bestimmungsland einen ĺinnergemeinschaftlichen Erwerb auslöst, auch wenn einer der beiden Parteien (Leistender oder Leistungsempfänger) eigentlich ein Nicht-Unternehmer ist. (pu) §§: Art. 28a Abs. 4 6. MwStRL; vgl. Art. 2 öBMR (österr. Binnenmarktregelung)
Faires Verfahren fair trial – cause entendue équitablement
Das Recht auf ein faires Verfahren ist ein vom EuGH in st. Rsp. anerkannter allgemeiner ĺGrundsatz und ĺGrundrecht des Gemeinschaftsrechts und nach der Statistik des EuGH eines der von ihm am häufigsten judizierten Grundrechte. Das Recht auf ein faires Verwaltungsverfahren zählt als ĺ„Recht auf eine gute Verwaltung“ zu den ĺGrundrechten der ĺCharta der Grundrechte (Art. 41/II-101 EVV). Das faire 384
Justizverfahren ist ebenfalls schon jetzt allgemeiner Rechtsgrundsatz und soll durch mehrere Bestimmungen der Charta auch explizit verbürgt werden (Art. 47 f. GRC/Art. II-107 EVV). Gilt als ĺGemeinschaftsgrundrecht für Institutionen der Gemeinschaften bzw. deren Verfahren (vgl. zu lange Verfahrensdauer im europ. Wettbewerbsverfahren: EuGH, Rs. ĺBaustahlgewebe). Das Recht auf ein faires Verfahren beinhaltet verschiedene Elemente: Verteidigungsrechte, den Grundsatz der Waffengleichheit, das Recht auf Zugang zu Gericht, das Recht auf einen Anwalt, den Grundsatz nemo tenetur (Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung) und das Recht auf ein Verfahren bzw. eine Entscheidung binnen angemessener Frist (vgl. auch Art. 6 und 13 EMRK als ĺGemeinschaftsgrundrechte). S.a. ĺRecht auf eine gute Verwaltung. (ed) §§: Art. 41 GRC/Art. II-101 EVV, Art. 47 GRC/Art. II107f EVV; Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 6 EMRK als Gemeinschaftsgrundrecht Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 36 I, § 40 III, 3; A. Eser, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 27, Rn. 20 f, 34; S. Magiera, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 41; C. Grabenwarter/K. Pabel, Der Grundsatz des fairen Verfahrens, in: T. Marauhn/ R. Grote (Hrsg.), Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2005, Kap. 14. Rsp.: EuGH, Rs. C-305/05 Ordre des barreaux francophones und germanophones u.a.; EuGH, Rs. C-185/ 95 ĺBaustahlgewebe, Slg. 1998, I-8417
Fakultative Anhörung ĺAnhörung, fakultative Familiapress-Entscheidung Familiapress case – jurisprudence Familiapress
Die österr. „Familiapress“ begehrte, dass ein deutscher Verlag den Verkauf von periodischen Druckwerken in Österreich unterlasse, die den Lesern unter Verstoß des § 9a UWG 1992 die Möglichkeit zur Teilnahme an Gewinnspielen einräumten. Im Verfahren vor dem ĺEuGH bestritt Österreich eine durch das UWG verursachte Beeinträchtigung der ĺWarenverkehrsfreiheit. Die Möglichkeit, den Lesern einer periodischen Druckschrift die Teilnahme an Preisausschreiben anzubieten, stelle eine verkaufsfördernde Maßnahme und damit eine ĺVerkaufsmodalität i.S.d. ĺKeck-Entscheidung dar. Der EuGH lehnte diese Argumentation ab, da sich im gegenständlichen Fall die Maßnahme auf den Inhalt des ĺErzeugnisses selbst bezog
Familienangehörige, Begriff (Preisausschreibungen als Bestandteil der Zeitschrift). Eine ĺVerkaufsmodalität war demnach nicht gegeben (Rn. 11). Das streitige Verbot beeinträchtigte den Zugang ausländischer Zeitschriften auf den Markt des Einfuhrmitgliedstaats, da es ausländische Verlage zwang, den Inhalt ihrer Zeitschrift dem österr. Markt anzupassen (Rn. 12). Der EuGH prüfte sodann, ob die streitige Regelung i.S.d. Aufrechterhaltung der Medienvielfalt rechtfertigbar sei, da die Gefahr bestünde, dass gerade kleine Verleger nicht in der Lage seien Preisausschreiben anzubieten und daher langfristig einem ruinösen Wettbewerb nicht standhalten könnten. Nach Ansicht des EuGH sei die Aufrechterhaltung der Medienvielfalt ein ĺzwingendes Erfordernis zur Wahrung des Rechts der freien Meinungsäußerung. Die Rs. enthält daher wesentliche Aussagen zum Grundrechtsschutz in der EU, konkret eben zur grundrechtlichen ĺMeinungsfreiheit (Art. 10 ĺEMRK als ĺGemeinschaftsgrundrecht). Bezugnahme auf EGMR, 24.11.1993, Lentia/Ö, Serie A Nr. 276. (ed) (ah) Rsp.: EuGH, Rs. C-368/95 Familiapress, Slg. 1997, I-3689
Familienangehörige, Aufenthaltsrecht family member, right of residence – membre de la famille, droit de séjour
Das Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen von Unionsbürgern (ĺFamilienangehörige, Begriff) wurde mit der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG (ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/ 38/EG) neu geregelt. Es ist zwischen Familienmitgliedern, die Unionsbürger sind, und Drittstaatsangehörigen zu unterscheiden. Gem. Art. 6 Abs. 2, 7 Abs. 1 lit. d (Unionsbürger) bzw. Abs. 2 (Drittstaatsangehörige), Abs. 4 RL 2004/38/EG steht Familienangehörigen, die den aufenthaltsberechtigten Unionsbürger (ĺallgemeines Freizügigkeitsrecht ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Aufenthaltsrecht ĺNiederlassungsfreiheit, Aufenthaltsrecht) begleiten oder ihm nachziehen (Art. 3 I RL 2004/38/EG), ein Aufenthaltsrecht zu. Dieses unterliegt dem ordre-public-Vorbehalt (Art. 27 f. RL 2004/38/EG; ĺAusweisung). Für drittstaatsangehörige Familienmitglieder gelten besondere Aufenthaltsformalitäten (Art. 9 ff. RL 2004/38/EG; ĺAufenthaltsformalitäten). Das Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen des Unionsbürgers ist grundsätzlich akzessorisch zu dem des Unionsbürgers, d.h. erlischt dessen Aufenthaltsrecht oder das familiäre Band, er-
lischt auch die Berechtigung des Familienangehörigen. Die neue Freizügigkeitsrichtlinie hat allerdings die Position der Familienangehörigen bei Tod oder Wegzug des Unionsbürgers (Art. 12 RL 2004/38/EG) sowie bei Scheidung, Aufhebung der Ehe oder bei Beendigung der eingetragenen Partnerschaft (Art. 13 RL 2004/ 38/EG) bedeutend gestärkt. Unter den in Art. 12 Abs. 2, 3 bzw. Art. 13 Abs. 2 RL 2004/38/EG genannten Voraussetzungen (namentlich Mindestaufenthalts- bzw. Mindestehedauer) wird die Akzessorietät des Aufenthaltsrechts drittstaatsangehöriger Familienmitglieder durchbrochen; für Familienmitglieder, die Unionsbürger sind, gelten erleichterte Voraussetzungen (vgl. Art. 12 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 RL 2004/ 38/EG). Ein primärrechtliches Aufenthaltsrecht drittstaatsangehöriger Familienmitglieder, denen die Personensorge für einen Unionsbürger obliegt, kann nach dem Urteil des EuGH in der Rs. Chen/Zhu (EuGH, Rs. C-200/02 Chen/Zhu, Slg. 2004, I-9925, Rn. 42 ff.) aus dem Aufenthaltsrecht des letzteren als Unionsbürger (Art. 18 Abs. 1 EG) folgen (ähnlich im Hinblick auf das in Art. 12 VO (EWG) 1612/68 verankerte Ausbildungsrecht der Kinder bereits EuGH, Rs. C-413/99 Baumbast und R, Slg. 2002, I-7091, Rn. 68 ff.). (fw) §§: RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: ĺFreizügigkeit, Familienangehörige
Familienangehörige, Begriff family member, concept of – membre de la famille, notion de
Wer als drittstaatsangehöriges Familienmitglied vom persönlichen Anwendungsbereich der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG (ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG) erfasst ist, bestimmt deren Art. 2 Abs. 2. Als Familienangehörige freizügigkeitsberechtigt sind der Ehegatte (lit. a); der Lebenspartner, mit dem der ĺUnionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind (lit. b); die Verwandten in gerader absteigender Linie des ĺUnionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von lit. b, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder 385
Familienangehörige, Freizügigkeit denen von diesen Unterhalt gewährt wird (lit. c); die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von lit. b denen von diesen Unterhalt gewährt wird (lit. d). Gegenüber diesem Kreis restriktiver bestimmt werden die als Familienangehörige eines Studierenden Freizügigkeitsberechtigten: Gem. Art. 7 Abs. 4 RL 2004/38 erfasst sind lediglich Ehegatte, Lebenspartner und Kinder des Studierenden, denen er Unterhalt gewährt. Dies entspricht der früheren Rechtslage (RL 93/96). Hinsichtlich nicht unter Art. 2 Abs. 2 RL 2004/ 38 fallender Familienangehöriger sowie des Lebenspartners verpflichtet Art. 3 Abs. 2 RL 2004/ 38 den Aufnahmemitgliedstaat, den Aufenthalt unter den genannten Voraussetzungen zu erleichtern: Der Aufnahmemitgliedstaat muss eine eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände durchführen und eine etwaige Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts dieser Personen begründen. (fw) §§: RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: ĺFreizügigkeit, Familienangehörige
Familienangehörige, Freizügigkeit ĺFreizügigkeit, Familienangehörige Familienangehörige, Inländerbehandlung family member, national treatment – membre de la famille, traitement national
Die Familienangehörigen des ĺUnionsbürgers (ĺFamilienangehörige, Begriff) genießen einen umfassenden Inländerbehandlungsanspruch im Aufnahmemitgliedstaat. Familienangehörige, die die Staatsangehörigkeit eines der Mitgliedstaaten besitzen, können sich unmittelbar auf das mittlerweile in Art. 24 Abs. 1 Satz 1 RL 2004/38/EG kodifizierte unionsbürgerliche Diskriminierungsverbot berufen (ĺUnionsbürger, Inländerbehandlung); Art. 24 Abs. 1 Satz 2 RL 2004/38/EG erstreckt dessen persönlichen Anwendungsbereich darüber hinaus auf aufenthaltsberechtigte, drittstaatsangehörige Familienmitglieder. Zu beachten ist jedoch, dass Spezialregelungen des Inländerbehandlungsanspruchs Familienangehöriger dem unionsbürgerlichen Diskriminierungsverbot vorgehen. Hierzu zählen insbesondere Gleichbehandlungsansprüche der Familienangehörigen von Arbeitnehmern: Art. 12 VO (EWG) 1612/68 gewährleistet Kindern von Wanderarbeitnehmern das Recht, unter den gleichen Bedingungen wie Inländer am allge386
meinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilzunehmen. Dieser Inländerbehandlungsanspruch umfasst nach der weiten Auslegung des Gerichtshofs auch ein Hochschulstudium einschließlich Studienbeihilfen (EuGH, Rs. 9/74 Casagrande, Slg. 1974, 773, Rn. 4; Rs. 389 und 390/87 Echternach und Moritz, Slg. 1989, 723, Rn. 27 ff.; Rs. C-308/89 di Leo, Slg. 1990, I-4185, Rn. 10 ff.; Rs. C-7/94 Gaal, Slg. 1995, I-1031, Rn. 19, 24) und greift selbst dann noch, wenn der Wanderarbeitnehmer zwischenzeitlich den Aufnahmemitgliedstaat verlassen hat (EuGH, Rs. 389 und 390/87, a.a.O. Rn. 20 ff.; Rs. 197/86 Brown, Slg. 1988, 3205, Rn. 29 ff.). Nach anfänglicher Zurückhaltung (EuGH, Rs. 76/72 Michel S, Slg. 1973, 457, Rn. 6/10) erstreckte der Gerichtshof zudem den gleichen Zugang zu sozialen Vergünstigungen gem. Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) 1612/ 68 (ĺSoziale Vergünstigung) auf Vorteile zu Gunsten von Familienangehörigen des Wanderarbeitnehmers (EuGH, Rs. 94/84 Deak, Slg. 1985, 1873, Rn. 24; Rs. 316/85 Lebon, Slg. 1987, 2811, Rn. 13; Rs. C-3/90 Bernini, Slg. 1992, I-1071, Rn. 25 f. S. aber auch EuGH, Rs. C-243/ 91 Taghavi, Slg. 1992, I-4401, Rn. 10 f.). Irrelevant ist, ob das Kind im Aufnahmemitgliedstaat wohnt, womit der Inländerbehandlungsanspruch auch ein Auslandsstudium umfasst (EuGH, C-3/90, a.a.O. Rn. 28; Rs. C-33/99 Fahmi und Amado, Slg. 2001, I-2415, Rn. 39 ff.). Die lex generalis des Art. 24 Abs. 1 Satz 2 RL 2004/38 erfasst dagegen das bislang vom mit Inkrafttreten der RL 2004/38/EG aufgehobenen Art. 11 VO (EWG) 1612/68 gewährleistete Recht drittstaatsangehöriger Familienmitglieder, im Aufnahmemitgliedstaat eine Berufstätigkeit auszuüben (s. Begründung zu Art. 35 EK-Vorschlag Aufenthaltsrichtlinie, KOM[2001] 257 endg., ABl. 2001, Nr. C 270/150). (fw) §§: RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35; VO (EWG) 1612/68, ABl. 1968, Nr. L 257/2 (zuletzt geändert RL 2004/38/EG) Lit.: ĺFreizügigkeit, Familienangehörige
Familienleben, Recht auf Achtung von respect for family life – respect de la vie familial
ĺGrundrecht auf Schutz und Achtung des Familienlebens; gehört der Grundlage nach zum gemeinschaftlichen Grundrecht auf Schutz von ĺPrivat- und Familienleben, Wohnung und Kommunikation (vgl. Art. 8 ĺEMRK als ĺGemeinschaftsgrundrecht, Art. 7 ĺGRC/Art. II67 EVV); s. daher auch ĺPrivatleben, Grundrecht auf.
Familienzusammenführungsrichtlinie Spielt u.a. eine Rolle im Zusammenhang mit dem gemeinschaftsrechtlichen ĺAufenthaltsrecht (Aufenthaltserlaubnis von Familienangehörigen). Der Schutz des Familienlebens ist bei Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeiten u.a. durch die Pflicht zur grundrechtskonformen Interpretation zu beachten (EuGH, Rs. 249/86 Kommission/BRD, Slg. 1989, 1263, Rn. 10). Schützt bereits bestehende Familien, nicht deren Gründung (vgl. zur Gründung Art. 9 ĺGRC bzw. Art. 12 ĺEMRK). Eingriffe in dieses Grundrecht können unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 ĺEMRK gerechtfertigt sein. Die ĺGRC enthält darüber hinaus eine Bestimmung zum Familienschutz (Art. 33/Art. II-93 Abs. 1 EVV), die allerdings eher (nur) ĺGrundsatz- und nicht Grundrechtscharakter hat und daher wohl nicht einklagbar ist. (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 8 EMRK als Gemeinschaftsgrundrecht; Art. 7 GRC/Art. II-67 EVV; Art. 33 GRC/ Art. II-93 Abs. 1 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 12 Pkt. II; N. Bernsdorff, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 7 Rsp.: EuGH, Rs. C-60/00 ĺMary Carpenter, Slg. 2002, I-6279; EuGH, Rs. C-1/05 Yuniying Jia (Aufenthaltsrecht von Verwandten aus Drittstaaten in Schweden); EuGH, Rs. 249/86 Kommission/BRD, Slg. 1989, 1263
Familienmitglieder ĺFamilienangehörige Familienrecht, europäisches European Familiy Law – Droit de famille européen
Die Kompetenzen der EU auf dem Gebiet des Familienrechts sind nach dem klaren Wortlaut der Art. 61 ff., 65, 67 EG auf das internationale Verfahrensrecht und internationale Privatrecht beschränkt. Dagegen ist das materielle Familienrecht derzeit kein Gegenstand der Rechtsvereinheitlichung in Europa. Allerdings ist auch hier ein zunehmender Einfluss der allgemeinen Grundsätze des EU-Rechts (insb. der Personenfreizügigkeit), der Rechtsprechung des EuGH und des EGMR auf das nationale Familienrecht zu beobachten. Das europäische Sekundärrecht in diesem Bereich beschränkt sich momentan auf eine Koordination der mitgliedstaatlichen Rechte durch die Regelung der internationalen Zuständigkeit, der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen sowie Sorgerechtsentscheidungen (ĺEuropäische
Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung in Ehesachen). In Planung befindet sich außerdem eine Neufassung dieser Verordnung, die neben dem internationalen Verfahrensrecht auch das internationale Privatrecht miteinschließen soll (vgl. Grünbuch vom 17.7.2006 zu den Kollisionsnormen im Güterrecht unter besonderer Berücksichtigung der gerichtlichen Zuständigkeit und der gegenseitigen Anerkennung [SEK(2006) 952]). Eine weitergehenden Vereinheitlichung steht derzeit die mangelnde Kompetenz der EU zur Regelung des Familienrechts entgegen, die laufenden Initiativen für ein ĺEuropäisches Zivilgesetzbuch sind auf das binnenmarktrelevante Vermögensrecht – d.h. unter Ausschluss des Familien- und Erbrechts – beschränkt. Dessen ungeachtet ist das Familienrecht auf wissenschaftlicher Ebene Gegenstand verschiedener Rechtsvereinheitlichungsinitiativen, deren bekannteste die ĺKommission für Europäisches Familienrecht ist. (mrm) Lit.: W. Pintens, Rechtsvereinheitlichung und Rechtsangleichung im Familienrecht. Eine Rolle für die Europäische Union?, ZEuP 1998, 670 ff.
Familienzusammenführungsrichtlinie directive on the right to family reunification – directive relative au droit au regroupement familial
Die RL 2003/86/EG des Rates vom 22.9.2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung stellt einen der wichtigsten Rechtsakte für die Entwicklung eines ĺEuropäischen Einwanderungsrechts dar. Die Richtlinie, die bis zum 3.10.2006 in nationales Recht umzusetzen war, regelt die Einreise und den Aufenthalt von Familienangehörigen von ĺDrittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in einem ĺEU-Mitgliedstaat aufhalten, einschließlich des Rechts auf Familienzusammenführung von ĺFlüchtlingen. Die Familienzusammenführung durch einen Unionsbürger fällt auch dann nicht unter diese Richtlinie, wenn der oder die Familienangehörige die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats hat; dann ist entweder die ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG einschlägig (ĺFreizügigkeit, Familienangehörige) oder die Regelung fällt, soweit es sich um immobile Unionsbürger handelt, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Die Familienzusammenführungsrichtlinie regelt eine besonders umstrittenen Frage der Einwanderungspolitik, über die erst nach mehrjähriger Diskussion zwischen Vertretern unterschiedlicher Integrationskonzepte ein Kompro387
Ferienwohnung, Beschränkung des Erwerbs miss gefunden und so die erforderliche Einstimmigkeit im Rat hergestellt werden konnte (vgl. Art. 63 I Nr. 3 lit. a, 67 I EG). Die Richtlinie begründet für alle Drittstaatsangehörige, die selbst eine begründete Aussicht auf ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht haben, unter näher definierten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch darauf, dass ihren Ehegatten und minderjährigen Kindern die Einreise gestattet und ein Aufenthaltstitel erteilt wird. Insoweit geht die Richtlinie über die Verpflichtung zu einer fairen Abwägung der involvierten privaten und öffentlichen Interessen hinaus, die aufgrund von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) nach der Rechtsprechung des ĺEuropäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geboten ist. Im Hinblick auf die Zusammenführung mit weiteren Familienangehörigen bestätigt die Richtlinie die Ermessensspielräume, die die Mitgliedstaaten nach der ĺEMRK besitzen, verlangt aber auch hier eine Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Die vorstehende Auslegung des Inhalts der Richtlinie ergibt sich aus einem Urteil des ĺEuGH, der auf Klage des ĺParlaments über die Rechtmäßigkeit bestimmter Ausnahmen vom Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung zu befinden hatte, die unter anderem auf Drängen von Deutschland und Österreich Eingang in den Text der Richtlinie gefunden hatten. Der EuGH hielt diese Ausnahmen (nur) aufgrund der Möglichkeit einer grundrechtskonformen Auslegung für gerechtfertigt, insbesondere im Hinblick auf die Berücksichtigung des Wohls minderjähriger Kinder. Dem Urteil kommt grundlegende Bedeutung zu, weil in ihm der Grundsatz aufgestellt wird, dass die Mitgliedstaaten von Ausnahmeoptionen und Ermessensspielräumen, die ihnen eine Richtlinie einräumt, stets nur in einer Weise Gebrauch machen dürfen, die mit den Gemeinschaftsgrundrechten in Übereinstimmung steht. (jb) §§: Art. 63 I Nr. 3 lit. a EG; RL 2003/86/EG betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, ABl. 2003, Nr. L 251/12 Lit.: K. Groenendijk et al., The Family Reunification Directive in EU Member States, 2007; S. Peers/N. Rogers, EU Immigration and Asylum Law, 2006, 573; A. Epiney, Zur Reichweite der Grundrechtsbindung des Gemeinschaftsgesetzgebers, ZAR 2007, 61; D. Thym, Europäischer Grundrechtsschutz und Familienzusammenführung, NJW 2006, 3249; K. Groenendijk, Rechtliche Konzepte der Integration im EG-Migrationsrecht, ZAR 2004, 123 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-540/03 Parlament/Rat, Slg. 2006, I-5769; EGMR, Gül/Schweiz, Nr. 23218/94, ECHR 1996-I; Sen/Niederlande, Nr. 31465/96, (2003) 36 E.H.R.Rep. Nr. 7, 81
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Ferienwohnung, Beschränkung des Erwerbs ĺZweitwohnung, Beschränkung des Erwerbs Fernabsatz-Finanzdienstleistungsrichtlinie directive concerning the distance marketing of consumer financial services – directive concernant la commercialisation à distance de services financiers auprès des consommateurs
Ziel der Fernabsatz-FinanzdienstleistungsRL, einer reinen VerbraucherschutzRL (ĺVerbraucherschutzRL, reine) und nur vereinzelt ĺMindestRL (Art. 4 Abs. 2 RL), ist es, Wettbewerbsverzerrungen zwischen Unternehmern im Binnenmarkt, die aus divergierenden, einzelstaatlichen Verbraucherschutzbestimmungen in diesem Bereich resultieren, zu beseitigen und die grenzüberschreitende Nachfrage auf Verbraucherseite zu stärken. Zudem rekurriert die RL in ihren Erwägungsgründen i.S.d. ĺBegründungsdreiklanges auf die Notwendigkeit eines erhöhten Verbraucherschutzes. Finanzdienstleistung i.S. dieser Richtlinie meint Bankdienstleistungen sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung (Art. 2 RL). Bei jenen Verträgen über Finanzdienstleistungen, die eine „erstmalige Dienstleistungsvereinbarung mit daran anschließenden aufeinander folgenden Vorgängen oder einer daran anschließenden Reihe von Vorgängen der gleichen Art umfassen“, die dazu in einem zeitlichen Zusammenhang stehen, gelten die in dieser RL enthaltenen Vorschriften nur für die erste Vereinbarung (Art. 1 RL). Um erwähntes Regelungsanliegen zu erfüllen, sieht die RL als Kernelemente insbesondere Informationspflichten des Anbieters betreffend seine Person, die Finanzdienstleistung und den Fernabsatzvertrag vor, die er vor Abschluss des Vertrages durch Bereitstellen entsprechender Informationen in einer dem benutzten Fernkommunikationsmittel angepassten Weise klar und verständlich zu erfüllen hat (Art. 3 RL). Eben diese Informationen sind auch rechtzeitig, bevor der Verbraucher durch den Vertrag oder ein Angebot gebunden ist, in Papierform oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger zu übermitteln (Art. 5 RL). Neben den Informationspflichten ist als zweiter Schutzbehelf ein dem Verbraucher zugestandenes Widerrufsrecht in der RL enthalten, das er binnen 14 Tagen ab Abschluss des Fernabsatzvertrages bzw. ab dem Tag, an dem er eben erwähnte Vertragsbedingungen übermittelt bekommen
Fernabsatzrichtlinie hat, ausüben kann (Art. 6 Abs. 1 RL). Das Widerrufsrecht erfasst auch den Fall, dass einem Fernabsatzvertrag über Finanzdienstleistungen ein anderer Fernabsatzvertrag hinzugefügt wurde, wenn er Dienstleistungen des Anbieters oder eines Dritten auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem Dritten und dem Anbieter betrifft (Art. 6 Abs. 7 RL). Doch bestehen für bestimmte Finanzdienstleistungen auch Ausnahmen vom Widerrufsrecht (Art. 6 Abs. 2 RL). Weiters finden sich in der RL Bestimmungen über die Zahlung mittels Karte (Art. 8 RL), unaufgefordert erbrachte Dienstleistungen (Art. 9 RL) und über unerwünschte Mitteilungen (Art. 10 RL). Zudem sind von den Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften zu erlassen, wonach öffentliche Einrichtungen, Verbraucherverbände und Berufsverbände mit berechtigtem Interesse die zuständigen Gerichte und Verwaltungsbehörden anrufen können, um die Anwendung der in Umsetzung dieser RL erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicherzustellen (Art. 13 RL). Im Rahmen des Art. 14 der RL werden die Mitgliedstaaten angehalten, Einrichtungen für die ĺalternative Streitbeilegung von Verbraucherrechtsangelegenheiten über Finanzdienstleistungen im Fernabsatz zu fördern. I.d.Z. ist auch auf die Einrichtung des ĺFIN-NET hinzuweisen. Schließlich haben die Mitgliedstaaten Sorge zu tragen, dass der in der RL gewährte Schutz nicht durch die Rechtswahl eines Drittstaates untergraben wird, wenn der Vertrag eine enge Verbindung mit dem Hoheitsgebiet eines oder mehrer Mitgliedstaaten aufweist (Art. 13 RL). (pa) §§: RL 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der RL 90/619/EWG des Rates und der RL 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. 2002, Nr. L 271/16 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/ H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Fernabsatzrichtlinie directive on the protection of consumers in respect of distance contracts – directive concernant la protection des consommateurs en matière de contrats à distance
Ziel der FernabsatzRL, einer reinen VerbraucherschutzRL (ĺVerbraucherschutzRL, reine) und ĺMindestRL, ist es, Wettbewerbsverzerrungen zwischen Unternehmern im Binnenmarkt, die aus divergierenden, einzelstaatlichen
Rechtsvorschriften in diesem Bereich resultieren, zu beseitigen und die Nachfrage auf Verbraucherseite zu grenzüberschreitendem Handeln im Fernabsatz zu stärken. I.S.d. ĺBegründungsdreiklanges bezieht sich die Richtlinie in ihren Erwägungsgründen zudem auf den Dreijahresplan für die Verbraucherpolitik in der ĺEuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft (1990– 1992), der den Erlass einer entsprechenden Richtlinie (ĺRichtlinien) vorsieht. Die RL findet auf alle zwischen einem Lieferer und einem Verbraucher geschlossenen, eine Ware oder Dienstleistung betreffenden Verträge Anwendung (Art. 1 RL). Der Vertrag muss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems des Lieferers vereinbart werden, wobei dieser für den Vertrag bis zu dessen Abschluss einschließlich des Vertragsabschlusses selbst ausschließlich eine oder mehrere Fernkommunikationstechniken verwenden muss, die in einer demonstrativen Aufzählung im Anhang der RL genannt werden, wie etwa Internet, Fernsehen, Telefon, Fax oder Post. Die Gefahr bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz besteht vor allem darin, dass der Verbraucher einerseits einem besonderen Informationsnachteil über die in Frage stehende Ware oder Dienstleistung ausgesetzt ist und andererseits der Fernvertrieb selbst zu unüberlegtem, rechtsgeschäftlichem Handeln verleitet. Keine Anwendung findet die RL insbesondere auf den Bereich der Finanzdienstleistungen, da diesen Bereich die Fernabsatz-FinanzdienstleistungsRL eigens regelt (Art. 3 RL). Ebensowenig gilt die RL für „Dienstleistungen im Bereich Beförderung“ (Art. 3 Abs. 2 RL), worunter auch Online-Automietverträge zu subsumieren sind (EuGH 10.3.2005, Rs. C-336/03 easyCar [UK] Ltd, Slg. 2005, I01947). Als Kernelemente sieht die RL einerseits Informationspflichten vor, die sowohl den vorvertraglichen Bereich erfassen (Art. 4 RL), als auch in Form einer schriftlichen Bestätigung in der Erfüllungsphase des Vertrags greifen (Art. 5 RL), wobei bei Erteilung entsprechender Informationen auf Klarheit und Verständlichkeit Bedacht zu nehmen ist. Auf der anderen Seite ist als Schutzinstrument das Widerrufsrecht des Art. 6 RL zu nennen, das dem Verbraucher ermöglicht, sich binnen 7 Werktagen ab Warenlieferung bzw. ab Vertragsschluss bei Dienstleistungen vom Vertrag ohne Angabe von Gründen zu lösen. Das Widerrufsrecht bezieht sich auch auf einen allfälligen, zur Finanzierung ge389
Fernleitung (Energierecht) schlossenen Kreditvertrag, gleichgültig, ob der Lieferer oder eine dritte Person aufgrund einer Vereinbarung mit dem Lieferer als Kreditgeber fungiert. Ist der Unternehmer seinen Informationspflichten einschließlich jener über die Widerrufsmöglichkeit nicht gehörig nachgekommen, verlängert sich die Frist auf 3 Monate. Werden innerhalb der 3 Monate die Informationen rechtmäßig erteilt, beginnt die 7-tägige Frist mit diesem Zeitpunkt. Weiters enthält die RL Bestimmungen über einige Aspekte der Erfüllung und Nichterfüllung des Vertrages (Art. 7 RL), über die betrügerische Verwendung der Zahlungskarte des Verbrauchers (Art. 8 RL), über unbestellte Waren und Dienstleistungen (Art. 9 RL) und über Beschränkungen in der Verwendung bestimmter Fernkommunikationstechniken (Art. 10 RL). Zudem sind von den Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften zu erlassen, wonach öffentliche Einrichtungen, Verbraucherverbände und Berufsverbände mit berechtigtem Interesse die zuständigen Gerichte und Verwaltungsbehörden anrufen können, um die Anwendung der in Umsetzung dieser RL erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicherzustellen (Art. 11 RL, ĺVerbraucherschutz, kollektiver). Schließlich enthält die Richtlinie eine eigene IPR-Vorschrift, wonach der durch die FernabsatzRL gewährte Schutz durch die Rechtswahl eines Drittlandes nicht gemindert werden kann, wenn der Vertrag einen engen Zusammenhang mit dem Gebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten aufweist (Art. 12 RL). (pa) §§: RL 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. 1997, Nr. L 144/19 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Fernleitung (Energierecht) transmission (energy law) – transport (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Fernleitung ist neben der ĺErzeugung und ĺVerteilung und dem ĺHandel eine der maßgeblichen Funktionen des Erdgasbinnenmarktes. Die Fernleitung entspricht der ĺÜbertragung im Bereich des Elektrizitätsrechts. Als F. definiert die ĺErdgasbinnenmarktrichtlinie den Transport von Erdgas durch ein Hochdruckfernleitungsnetz, mit Ausnahme von vorgelagerten Rohrleitungsnetzen, zum Zweck der 390
Belieferung von Kunden, jedoch mit Ausnahme der Versorgung. Als Aufgaben der Betreiber von F. definiert die Erdgasbinnenmarktrichtlinie – wie für die ĺVerteilung – den Betrieb, die Wartung und den Ausbau von sicheren und zuverlässigen und leistungsfähigen Fernleitungsnetzen, Speicher- und/oder LNGAnlagen (Flüssiggas) unter wirtschaftlichen Bedingungen und unter gebührender Beachtung des Umweltschutzes. Weiters sind die Betreiber verpflichtet, sich jeglicher Diskriminierung von Netzbenutzern oder Kategorien von Netzbenutzern zu enthalten und anderen Marktteilnehmern Informationen für einen sicheren und effizienten Betrieb des Verbundnetzes zu liefern. Ein direkter ĺNetzzugang wird durch die ĺZugangsverordnung normiert. Außerdem müssen die von den Fernleitungsnetzbetreibern festgelegten Ausgleichsregelungen für das Erdgasfernleitungsnetz objektiv, transparent und nichtdiskriminierend sein, einschließlich der Regelungen über die von den Netzbenutzern für Energieungleichgewichte zu zahlenden Entgelte. Betreiber von F. sind auch zum ĺUnbundling und zur Geheimhaltung vertraulicher Informationen verpflichtet. (hh) §§: Art. 2 Abs. 3, Art. 7 ff. Erdgasbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/55/EG) Lit.: B. Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006, 178
Fernleitungsnetze (Energierecht) ĺFernleitung Fernleitungsunternehmen (Energierecht) Unternehmen, das ĺFernleitungsnetz betreibt Fernsehrichtlinie directive concerning the pursuit of television broadcasting activities – directive relatives à l’exercice d’activités de radiodiffusion télévisuelle
Die RL koordiniert bestimmte Rechts- und Verwaltungsvorschriften der ĺMitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, um Beschränkungen der Freiheit, innerhalb der Gemeinschaft Sendungen auszustrahlen, aufzuheben. Für die Werbung stellt die RL in ihrem Kap. IV eine Reihe von Grundsätzen über die Art und Weise der Sendung, den Einsatz bestimmter Werbetechniken und die vorgesehene Sendezeit auf. Die RL lässt aber bestehende oder künftige Rechtsangleichungsmaßnahmen der Gemeinschaften unberührt, mit denen insbesondere ĺzwingenden Erfordernissen zum Schutz der Verbraucher, der Lauterkeit des
Fernsehwerbung Handelsverkehrs und des Wettbewerbs entsprochen werden soll. Nach Art. 12 der RL darf Werbung nicht die Menschenwürde verletzen, Diskriminierungen nach Rasse, Geschlecht oder Nationalität enthalten, religiöse oder politische Überzeugungen verletzen, Verhaltensweisen fördern, die die Gesundheit oder Sicherheit gefährden, oder Verhaltensweisen fördern, die den Schutz der Umwelt gefährden. Die Art. 13 und 14 enthalten ein Verbot jeder Form der Werbung für Zigaretten und andere Tabakerzeugnisse oder für Arzneimittel und ärztliche Behandlungen, die in dem Mitgliedstaat, dessen Rechtshoheit der Fernsehveranstalter unterworfen ist, nur auf ärztliche Verordnung erhältlich sind. Art. 15 sieht gewisse Beschränkungen der Fernsehwerbung für alkoholische Getränke vor. Art. 16 stellt mehrere Grundsätze insbesondere für den Schutz Minderjähriger auf. Zu beachten ist, dass die ĺKommission aktuell eine Neufassung der Fernsehrichtlinie diskutiert. Die Neufassung soll auf die Digitalisierung und Konvergenz der Medien reagieren und einen Schritt in Richtung Angleichung der Regulierung audiovisueller Inhalte in verschiedenen Medien gehen, einschließlich mobiler Verbreitungswege und Internet. (ah) §§: RL 89/552/EWG zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. 1989, Nr. L 298/23 Lit.: Vorschlag für eine RL des europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der RL 89/552/ EWG, KOM(2005) 646, endg.; geänderter Vorschlag, COM(2007) 170, endg.
Fernsehrichtlinien-Entscheidung (BVerfG) Fernsehrichtlinien case – jurisprudence Fernsehrichtlinien
Entscheidung des ĺBVerfG vom 22.3.1995, BVerfGE 92, 203 (ĺBund-Länder-Streit) zur Rechtsposition der ĺBundesländer im Zusammenhang mit Gemeinschaftsrechtsakten, die ihre Kompetenzen berühren. In dem Verfahren wandten sich Bayern und weitere Bundesländer gegen die Zustimmung der ĺBundesregierung zur Fernsehrichtlinie 89/552/EWG. Die klagenden Länder hielten die ĺRichtlinie für kompetenzwidrig und die Zustimmung der Bundesregierung dementsprechend für eine Verletzung der Länderrechte nach Art. 30 GG. Das BVerfG betrachtete das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung im Rat und den zugrundeliegenden Kabinettsbeschluss als zulässige Verfahrensgegenstände im Bund-Länder-Streit. In der Sache leitete es aus dem Grund-
satz der Bundestreue eine Pflicht des Bundes ab, in Fällen streitiger Gemeinschaftskompetenzen die Auffassung des ĺBundesrates zu berücksichtigen. Diese Frage ist mittlerweile in dem auf die Entscheidung noch nicht anwendbaren Art. 23 GG ausführlicher geregelt. Im konkreten Fall sah das BVerfG die Rechte der Länder durch mangelnde Abstimmung mit dem Bundesrat als verletzt an. (sgk) Lit.: M. Zuleeg, Anmerkung, JZ 1995, 673
Fernsehsendung television broadcasting – radiodiffusion télévisuelle
Von einem Mediendiensteanbieter (dem Fernsehveranstalter) für den gleichzeitigen Empfang von Programmen auf der Grundlage eines Sendeplans erbrachte ĺlineare audiovisuelle Mediendienste. In der geltenden Fassung der RL „Fernsehen ohne Grenzen“ (ĺFernsehRL), ABl. 1997, Nr. L 202/60 (Art. 1 lit. a), die in absehbarer Zeit außer Kraft treten wird, definiert als „die drahtlose oder drahtgebundene, erdgebundene oder durch Satelliten vermittelte, unverschlüsselte oder verschlüsselte Entsendung von Fernsehprogrammen, die zum Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt ist“. Je nach Finanzierung dieser Dienstleistungen wird zwischen „free“ und „pay TV“ unterschieden. Letzere werden (im privaten Sektor ausschließlich) über Werbeeinnahmen finanziert. (dd) §§: Art. 1 lit. c und d, Vorschlag für eine Richtlinie „Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“, KOM(2007) 170 endg.
Fernsehwerbung television advertising – publicité télévisée
Die Fernsehwerbung stellt nach dem neuen „Werberegelungskomplex“ der ĺaudiovisuellen MediendiensteRL (AVMDRL) eine von mehreren möglichen Werbeformen im Bereich der audiovisuellen Medien dar. Der Begriff wurde aus der ĺFernsehRL übernommen. Er bezieht sich nur „auf Sequenzen von Fernsehbildern, die eigens zu Werbezwecken angefertigt werden und in dieser Eigenschaft dem Fernsehveranstalter vergütet werden. Erfasst sind indessen nicht indirekte Formen der Fernsehwerbung, wie z.B. Botschaften auf Werbebanden, die bei der Übertragung von Sportveranstaltungen gezeigt werden und für die der Fernsehveranstalter keine Gegenleistung enthält. (so noch zur Interpretation des Begriffs 391
Festpreis (freier Warenverkehr) nach der FernsehRL, welcher unverändert in die AVMRL übernommen worden ist, in den Schlussanträgen des Generalanwalts Tizziano vom 11.3.2004 in der Rs. C-262/02 Bacardi France SAS/Télévision francaise 1 SA (TF1), Rn. 49. Konkret definiert Art. 1 lit. g der AVMDRL als Fernsehwerbung „jede Äußerung, die im Zusammenhang mit der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs von einem öffentlichrechtlichen oder privaten Unternehmen entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung im Fernsehen mit dem Ziel gesendet wird, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, gegen Entgelt, zu fördern.“ (dd) Festpreis (freier Warenverkehr) fixed prices (free movement of goods) – prix fixe (libre circulation des marchandises)
Ein mitgliedstaatlich vorgeschriebener, unterschiedslos anwendbarer Festpreis kann unter den für einen ĺHöchstpreis bzw. ĺMindestpreis aufgestellten Kriterien als ĺMaßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 28 EG anzusehen sein. Dasselbe gilt für eine feste ĺHandelsspanne. (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: P. C. Müller-Graff, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 143 Rsp.: EuGH, Rs. 78/82 Kommission/Italien, Slg. 1983, 1955, Rn. 16; EuGH, Rs. 188/86 Lefèvre, Slg. 1987, 2963, Rn. 12
FFHRL ĺFlora-Fauna-HabitatRL Fiches belges Im Rahmen des ĺEuropäischen Justiziellen Netzes erstellter und über dessen Homepage allgemein zugänglicher Überblick über in den einzelnen Mitgliedstaaten zulässige Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen der Strafverfolgung sowie die dabei gegebenen Möglichkeiten der Rechtshilfe. (sts) Web: http://www.ejn-crimjust.europa.eu
Filmförderung state aid to cinema – les aides au cinéma
Bezeichnet nationale Beihilfen zur Förderung des europäischen Kulturerbes durch Herstellung von Kinofilmen und anderen ĺaudiovi392
suellen Werken. Die Bedingungen für die Zulässigkeit solcher Beihilfen (auch als Kompatibilitätskriterien bezeichnet) sind von der europäischen Kommission in einer Mitteilung (Mitteilung zur Filmwirtschaft 2001 („Cinema Communication“) nach der aktuellen Fassung gültig bis 31.12.2009) näher definiert worden. (dd) §§: KOM(2001) 534 endg., ABl. 2002, Nr. C 43/6 Web: http://ec.europa.eu/avpolicy/reg/cinema/index _en.htm
Filmurheberschaft authorship of cinematographic – la paternité des oeuvres cinématographiques
Die Frage, wer Urheber von Filmwerken ist, ist in den Mitgliedstaaten unterschiedlich geregelt. Durch die ĺVermiet- und VerleihRL (RL 92/ 100/EWG, Art. 2 Abs. 2) erfolgte eine teilweise Harmonisierung dahingehend, dass der Hauptregisseur jedenfalls als Miturheber gilt. Die Mitgliedstaaten können daneben weitere Personen als Miturheber qualifzieren. Die ĺKabel- und SatellitenRL (Art. 1 Abs. 5) sowie die ĺSchutzdauerRL (Art. 2 Abs. 1) übernahmen diese Definition der Filmurheberschaft. Verwertungsrechte (sämtlicher [Mit-]Urheber) an Filmen werden allerdings typischerweise durch gesetzliche Vermutungen oder vertragliche Regelungen auf den Filmhersteller übertragen. Eine entsprechende Vermutungsregel für das Vermietrecht enthält Art. 2 Abs. 5 der ĺVermiet- und VerleihRL. (js) §§: Art. 2 Abs. 2 ĺVermiet- und VerleihRL; Art. 1 Abs. 5 ĺKabel- und SatellitenRL; Art. 2 Abs. 1 ĺSchutzdauerRL Lit.: Bericht der Kommission über die Frage der Urheberschaft von Filmwerken oder audiovisuellen Werken in der Gemeinschaft vom 6.12.2002, KOM(2002) 691 endg.
FIN-NET Financial Dispute Resolution Network – Réseau pour la Résolution des Litiges Financiers
Dt., Netzwerk der Schlichtungsstellen für Finanzdienstleistungen. Im Februar 2001 wurde von der ĺKommission ein Netzwerk nationaler Schlichtungsstellen installiert. Ziel dieses Netzwerkes ist es, durch umfassende Informationen in grenzübergreifenden Streitfällen zwischen Anbietern und Verbrauchern im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Finanzdienstleistungen im Binnenmarkt letzteren einen leichten Zugang zur außergerichtlichen Schlichtung (ĺalternative Streitbeilegung von Verbraucherrechtsangelegenheiten) zu verschaf-
Firmenbuch, europäisches fen. Damit soll ein echter Finanzdienstleistungsbinnenmarkt für den Endverbraucher geschaffen werden. So hilft das Netz den Verbrauchern, die richtige Schlichtungseinrichtung für ihre spezielle Beschwerde zu ermitteln und liefert ihnen in ihrer Muttersprache alle Informationen, die sie über diese Einrichtung benötigen. Ermöglicht wird dies durch einen intensiven Informationsaustausch zwischen den europäischen Schlichtungsstellen, der die rasche und effiziente Bearbeitung grenzübergreifender Beschwerden gewährleistet. Verhindert werden sollen damit langwierige und kostspielige Gerichtsverfahren. Das Schlichtungsangebot bezieht sich sowohl auf online als auch offline erbrachte Dienstleistungen. Auch sollen einheitliche Mindeststandards für die außergerichtliche Beilegung in den verschiedenen EWR-Ländern (ĺEuropäischer Wirtschaftsraum) garantiert werden, um das Vertrauen der Verbraucher in diese Einrichtungen zu stärken. Aus diesem Grund erfüllen alle angeschlossenen Einrichtungen jene Mindeststandards, die in der Empfehlung der Kommission 98/257/EG vom 30.3.1998 betreffend die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind (ABl. 1998, Nr. L 115/31) aufgestellt wurden und ein unparteiisches, faires und effizientes Schlichtungsverfahren garantieren. Um den europäischen Bürgern das Verständnis und die Inanspruchnahme des FIN-NET zu erleichtern, hat die ĺKommission einen entsprechenden Verbraucherleitfaden veröffentlicht, der im Internet abrufbar ist. (pa) Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/finservicesretail/finnet/index_de.htm#guide
fen sind nach der Legaldefinition des Art. 108 Abs. 1 Haushaltsordnung zulasten des Haushalts gehende Zuwendungen, mit denen ein unmittelbarer Beitrag geleistet wird zur Finanzierung ƒ entweder einer Maßnahme, mit der die Verwirklichung eines Ziels gefördert wird, das Teil einer Politik der EU ist, oder ƒ der Betriebskosten einer Einrichtung, die Ziele verfolgt, die von allgemeinem europäischem Interesse oder Teil einer Politik der Europäischen Union sind. (gär) §§: Art. 108 ff. Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002)
Finanzkontrolle ĺRechungshof Finanzkontrolleure financial controllers – contrôleurs financiers
Der Rat legt nach Art. 279 Abs. 1 Satz 1 lit. b EG einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments sowie Stellungnahme des Rechnungshofs die Vorschriften über die Verantwortung der Finanzkontrolleure, der anweisungsbefugten Personen und der Rechnungsführer sowie die entsprechenden Kontrollmaßnahmen fest. Diese Vorschriften finden sich in Art. 64 ff. ĺHaushaltsordnung (HO). Finanzkontrolleure werden dort als interne Prüfer (vgl. Art. 85 HO) bezeichnet. Die interne Prüfung durch Finanzkontrolleure auf der Grundlage der nach Maßgabe des Art. 279 Abs. 1 EG erlassenen HO wird ergänzt durch die externe Finanzkontrolle durch den ĺRechnungshof. (gär) §§: Art. 279 Abs. 1 EG Lit.: R. Graf, Die Finanzkontrolle der Europäischen Gemeinschaft, 1999, 46 ff.
Finanzautonomie
Finanzsicherheiten (IPR)
financial autonomy – autonomie fiancière
financial collateral (PIL) – garanties financières en DIP
Die Finanzautonomie der Gemeinschaft wird durch ihre primäre Finanzierung durch ĺEigenmittel hergestellt (vgl. Art. 269 EG). (gär)
Die Finalitäts- und die FinanzsicherheitenRL regeln unter anderem, nach welchem Recht Sicherheiten an Effekten zu beurteilen sind. Sie stellen auf den Ort der Registrierung, Eintragung bzw. Buchung ab. (js)
§§: Art. 269 EG Lit.: C. Gröpl, Finanzautonomie und Finanzverflechtung in gestuften Rechtsordnungen, DVBl. 2006, 1079 (1084 ff.)
Finanzhilfen direct financial contributions – contributions financières directes
Regelungen über Finanzhilfen enthalten die Art. 108 ff. der ĺHaushaltsordnung. Finanzhil-
§§: Art. 9 FinanzsicherheitenRL (RL 2002/47/EG, ABl. 2002, Nr. L 16/43); Art. 9 FinalitätsRL (RL 98/ 26/EG, ABl. 1998, Nr. L 166/45) Lit.: J. Schacherreiter, Das neue österreichische Kollisionsrecht des Effektengiroverkehrs, ÖBA 2005, 336
Firmenbuch, europäisches ĺEuropäisches Firmenbuch 393
Fischerei
flora, fauna and habitats directive – directive flore-faunehabitat
bieten ausgerichtet, das aus den natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und den Habitaten für bestimmte Tierarten nach Anhang II besteht (Gedanke der Biotopvernetzung). Dabei wird die ĺVogelschutzrichtlinie RL 79/ 409/EWG in das Netz einbezogen. Für beide RL erfolgt die Festlegung eines Schutzregimes. Dem Schutzbereich der RL 92/43/EWG unterliegen diejenigen Gebiete, die nach einem sekundärrechtlich geregelten Auswahlverfahren in eine „Gemeinschaftsliste“ aufgenommen worden sind. Dabei wird nach einem dreigliederigen Auswahlverfahren vorgegangen: Phase 1 (Vorauswahl), Phase 2 (Entwurf der Gemeinschaftsliste durch ĺKommission), Phase 3 (Zuleitung des Entwurfs an Habitat-Ausschuss zur Stellungnahme). Die endgültige Gemeinschaftsliste hätte bis zum 4.6.1998 erstellt sein müssen. Viele ĺMS sind jedoch bei der Ausweisung zögerlich. Die RL legt weiters Erhaltungs- und Schutzmaßnahmen fest: So sind die MS verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, um in den Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten zu vermeiden (Verschlechterungsgebot). Darüber hinaus besteht die Verpflichtung, solche Störungen von Arten, für die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern Störungen sich im Hinblick auf die Ziele der RL erheblich auswirken können (Störungsverbot). Die RL verlangt in den besonderen Schutzgebieten für alle Pläne und Projekte mit schädlichen Einwirkungen eine ĺUmweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Fällt eine diesbezügliche Prüfung negativ aus, können die Projekte nur bei überwiegend zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses verwirklicht werden. Im Fall prioritärer Lebensräume oder Arten sind umweltrelevante Projekte nur unter erschwerten Bedingungen zulässig (aus Gründen der menschlichen Gesundheit, der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgebl. günstigen Auswirkungen für die Umwelt). Unter dem Stichwort „potenzielle Schutzgebiete“ wird die Frage diskutiert, ob die Rsp. des ĺEuGH zur unmittelbaren Wirkung der RL 79/409/EWG auf die entsprechenden Vorschriften der RL 92/43/EWG übertragen werden kann. (sm)
FFHRL 92/43/EWG. Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Die Richtlinie ist auf die Errichtung eines kohärenten europäischen Netzes von ĺSchutzge-
Lit.: M. Gellermann, Rechtsfragen des europäischen Habitatschutzes, NuR 1996, 546 ff.; S. Stüber, Gibt es „potenzielle Schutzgebiete“ i.S.d. FFH-Richtlinie?, NuR 1998, 531 ff.; B. Rajal/A. Tschugguel, NATURA 2000, 2004, 18 ff. (49 f.); M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 11, Rn. 20, 161 ff.
Fischerei ĺGemeinsame Fischereipolitik; ĺGemeinsame Agrarpolitik Fischgewässer fish waters – eaux poissonneuses
Regelung der Qualität von Fischgewässern erfolgt durch eine RL. Diese enthält Grenz- und Leitwerte. Ihre Anwendbarkeit hängt von der Ausweisung von Schutzgebieten durch die ĺMS ab, was von vielen nicht erfolgte. Der ĺEuGH erkärte dies für gemeinschaftsrechtswidrig. Die RL wird aufgrund der ĺWasserrahmenrichtinie 13 Jahren nach Inkrafttreten letzterer (22.12.2000) aufgehoben. (sm) §§: RL 78/659/EWG, ABl. 1978, Nr. L 222/1 Rsp.: EuGH 12.7.1988, Rs. C-322/86 Kommission/ Italien, Slg. 1988, 3995 ff.; EuGH, Rs. C-14/86, Pretore die Salo, Slg. 1987, 2524 ff.
Fiskalvertreter tax authorities agent – agent du fisc
Unternehmer, die im Gemeinschaftsgebiet weder über einen Wohnsitz (Sitz) noch über eine Betriebstätte verfügen, jedoch im Inland steuerpflichtige Umsätze tätigen, sind grundsätzlich verpflichtet, einen Fiskalvertreter zu bestellen, sofern mit dem Staat keine Amtshilfevereinbarung nach EG-Muster besteht. Weiters können die Mitgliedstaaten unter den von ihnen festgelegten Bedingungen und Modalitäten einem nicht im Inland (aber im Gemeinschaftsgebiet!) ansässigen Steuerpflichtigen das Recht einräumen, einen derartigen Fiskalvertreter zu benennen, der die Steuer schuldet. (pu) §§: Art. 21 Z. 1 lit. a 6. MwStRL
FKVO ĺFusionskontrollverordnung Flexibilisierungen im Integrationsprozess ĺDifferenzierte Integration Flora-Fauna-Habitatrichtlinie
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Fluggastdatenspeicherung Rsp.: EuGH, Rs. C-355/90 Kommission/Spanien („Santona“), Slg. 1993, I-422
Flüchtling refugee – réfugié
Der Begriff des Flüchtlings wird in Art. 1 (A) Abs. 2 der ĺGenfer Flüchtlingskonvention (GFK) folgendermaßen definiert: Personen, die sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb des Landes befinden dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, und den Schutz ihres Heimatlandes nicht in Anspruch nehmen können oder infolge dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen wollen; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befinden, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, und nicht dorthin zurückkehren können oder wegen dieser Befürchtungen nicht zurückkehren wollen. Die Definition des Flüchtlings (und damit auch die Anwendung der in der GFK gewährleisteten Rechte) setzt somit voraus, dass sich eine Person bereits außerhalb des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, befindet. Aus diesem Grund legt Art. 31 Abs. 1 GFK fest, dass die Vertragsstaaten keine Strafen gegen Flüchtlinge verhängen, die unrechtmäßig eingereist sind oder sich unrechtmäßig aufhalten, unter der Voraussetzung dass sich die Flüchtlinge unverzüglich bei den Behörden melden und die Gründe darlegen, die die Verletzung der Migrations – und Einreisegesetze rechtfertigen. Anzumerken ist jedoch, dass zusehends strengere Grenzkontrollen (zu der die Staaten teils völkerrechtlich verpflichtet sind) gemeinsam mit anderen non-entrée Mechanismen (wie etwa einem Visum-Erfordernis) die Überschreitung von internationalen Grenzen bzw. das Verlassen ihres Heimatstaates für potenzielle Flüchtlinge immer mehr erschwert. (gt) (jw) Lit.: J. C. Hathaway, The Rights of Refugees under International Law, 2005; M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 63 EGV, Rn. 6
Flüchtlingsfonds, Europäischer ĺEuropäischer Flüchtlingsfonds Flüchtlingshilfe aid to refugees – aide aux réfugiés
Gem. Art. 2 VO (EG) 1257/96 des Rates vom 20.6.1996 ist eines der vorrangigen Ziele der
humanitären Hilfe, die Folgen von Bevölkerungsbewegungen (Flüchtlinge, Vertriebene und Rückkehrer) aufgrund von ĺKatastrophen zu bewältigen. Weiters sollen Maßnahmen der Rückführung und der Wiederansiedlung durchgeführt werden, mit Fokus auf die Verstärkung der Selbstversorgung der Flüchtlinge. Die Flüchtlingshilfe macht einen bedeutenden Teil der ĺhumanitären Hilfe der EU aus. (ab) §§: VO (EG) 1257/96, ABl. 1996, Nr. L 163
Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) Office of the United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) – Haut Commissariat des Nations Unies pour les réfugiés (HCR)
UNHCR ist das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen und ist für Schutz und Unterstützung von Flüchtlingen in aller Welt zuständig. UNHCR setzt sich auf Grundlage der ĺGenfer Flüchtlingskonvention von 1951 weltweit dafür ein, dass Menschen, die von Verfolgung bedroht sind, in anderen Staaten Asyl erhalten. Laut seinem Mandat hat UNHCR auch die Aufgabe, dauerhafte Lösungen für Flüchtlinge zu finden. An der Spitze von UNHCR steht der ĺHohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, ein Amt, das seit Juni 2005 von António Guterres ausgeübt wird. (gt) (jw) Lit.: K. Hailbronner, Immigration and Asylum Law and Policy of the European Union, 2000, 353-356 Web: http://www.unhcr.org
Flüchtlingsrichtlinie Refugee directive – directive des réfugiés
Die Flüchtlingsrichtlinie wird auch oft als ĺAnerkennungsrichtlinie oder als ĺQualifikationsrichtlinie bezeichnet. S. daher näher unter ĺAnerkennungsrichtlinie (RL 2004/83/EG). (gt) (jw) §§: RL 2004/83/EG Lit.: G. Lehnguth, Erläuterungen zum Vorschlag einer EU-„Anerkennungsrichtlinie“, ZAR 2003, 305-308
Fluggastdatenspeicherung use of passenger name record data – traitement des données relatives aux informations anticipées sur les voyageurs
Die Speicherung und die Übermittlung von Fluggastdaten im Kontext der ĺTerrorismusbekämpfung ist vor allem durch die Kooperation der EU mit den USA rechtlich relevant geworden (Abkommen EU-USA, ABl. 2004, Nr. L 183/84). Mit den Beschluss des Rates (2004/ 395
Flughafenkoordinator 496/EG) über den Abschluss eines Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen und deren Übermittlung durch die Fluggesellschaften an das Bureau of Customs and Border Protection des United States Department of Homeland Security (ABl. 2004, Nr. L 183/83) und der Entscheidung der Kommission (2004/535/ EG) über die Angemessenheit des Schutzes der personenbezogenen Daten, die in den Passenger Name Records enthalten sind, welche dem United States Bureau of Customs and Border Protection übermittelt werden (ABl. 2004, Nr. L 235/11, sog. „Angemessenheitsentscheidung“), wurden die rechtlichen Grundlagen für die Übermittlung der Fluggastdaten im Rahmen der ĺErsten Säule gelegt. Beide Rechtsakte wurden vom ĺEuGH in der Rs. Parlament/ Rat (EuGH 30.5.2006, verb. Rs. C-317/04 und C-318/04) als nichtig erklärt, da der Zweck der Übermittlung im Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Strafverfolgung zu sehen ist und somit die kompetenzrechtliche Grundlegung in der ĺDritten Säule hätte erfolgen müssen. Als Rechtsgrundlage für derartige Abkommen dient dort Art. 38 i.V.m. Art. 24 EU. Auf dieser Rechtsgrundlage wurde – basierend auf einem Beschluss des Rates (2006/729/GASP/ JI) – für ein Jahr ein Übergangsabkommen (ABl. 2006, Nr. L 298/29) vorgesehen vorgesehen. Es wurde in weiterer Folge ein neues Abkommen zwischen der EU und den USA über die Weitergabe von Fluggastdatensätzen (PNRAbkommen von 2007, ABl. 2007, Nr. L 294/18) ausgearbeitet, das im Rahmen des Unionsrecht (Art. 38 i.V.m. Art. 24 EU) auf einem Beschluss des Rates (2007/551/GASP/JI) beruht. Dieses PNR-Abkommen aus dem Jahr 2007 sieht vor, dass unter Gewährleistung eines angemessenen Schutzes, aus Europa PNR-Daten (Passenger Name Records – Daten) im PushVerfahren übermittelt werden. In einem Schreiben des US Department of Homeland Security (DHS-Schreiben) werden die Details festgehalten, wobei u.a. geregelt ist, dass 19 personenbezogene Daten, wie Name, Abflugdaten, Reisebüro oder Sitzplatzinformationen, erhoben und übermittelt werden. Zu erwähnen ist überdies, dass mit Kanada ebenfalls ein Abkommen über die Verarbeitung von erweiterten Fluggastdaten und Fluggastdatensätzen (ABl. 2006, Nr. L 82/15) geschlossen wurde, das auf einem Beschluss des Rates (2006/ 230/EG) beruht. (kl) 396
§§: PNR-Abkommen von 2007, ABl. 2007, Nr. L 294/ 18; Beschluss des Rates 2007/551/GASP/JI; Art. 24, 38 EU Lit.: B. Siemen, Datenschutz als europäisches Grundrecht, 2006, 272 ff.; d. Westphal, Anm. zum EuGH Urteil, verb. Rs. C-317/04 und C-318/04, EuZW 2006, 406 f.; K. Lachmayer, Die Weitergabe personenbezogener Fluggastdaten im Spannungsfeld von Gemeinschaftskompetenzen und Datenschutz. Eine Anmerkung zu EuGH 30.5.2006, verb. Rs. C-317/04 und C-318/04, euro.lexunited 2006/25 (www.lexunited. com); S. Keiler/H. Kristoferitsch, Passagierdaten auf dem Flug in die USA, ZVR 2006, 484 Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-317/04 und C-318/04
Flughafenkoordinator ĺZeitnischen (slots) Fluglärm, Reduzierung aircraft noise, reduction – bruit d’aéronefs, reduction
Unter diesem Oberbegriff lassen sich Harmonisierungsmaßnahmen betreffend den Umweltschutz zur Verringerung des Fluglärms und den Einsatz leiserer Fahrzeuge fassen. Es ist insofern auf unterschiedliche RL zu verweisen: ƒ Die RL 80/51/EWG (ABl. 1980, Nr. L 18/26) legt für die Schallemissionen von Unterschallflugzeugen Grenzwerte fest. ƒ Die RL 89/629/EWG (ABl. 1989, Nr. L 363/ 27) beschränkt die Aufnahme von Flugzeugen in die Luftfahrzeugrollen der MS, wenn sie bestimmte, noch strengere Lärmgrenzwerte nicht einhalten können. ƒ Die RL 92/14/EWG (ABl. 1992, Nr. L 76/21) schließlich schränkt den Betrieb ziviler Unterschallstrahlflugzeuge ein, die keine ausreichende Lärmzulassung besitzen. ƒ Die RL 2002/30/EG (ABl. 2002, Nr. L 85/40) bezweckt eine Reduzierung des Fluglärms für Anwohner von Flughäfen über die Einführung von Betriebsbeschränkungen. Sie enthält solche Beschränkungen allerdings nicht selbst; es wird nur die allgemeine Pflicht der MS festgehalten, die Maßnahmen oder Maßnahmenpakete zur Reduzierung von Lärmproblemen auf Flughäfen zu erlassen. Vgl. auch allgemein ĺEmissionsnormen. (sm) Lit.: A. Epiney; in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 503, 511
Flugpreise fares for air services – tarifs (des passagers) des services aériens
Die VO (EWG) 2409/92 über Flugpreise und Luftfrachtraten (ABl. 1992, Nr. L 240/15) stellt
Folgerechtrichtlinie eine Maßnahme zur Liberalisierung des Luftverkehrs dar. Sie enthält Vorgaben über die Preisgestaltung: Preise für Leistungen von Luftfahrtunternehmen werden von den Vertragsparteien frei vereinbart. Allerdings sind gewisse Auferlegungspflichten zu beachten (z.B. müssen Luftfahrtunternehmen der Öffentlichkeit auf Anfrage ihre Flugpreise bekannt geben sowie auf Verlangen eines MS diese bei den MS hinterlegen). Ausnahmsweise sind Eingriffe in das Marktgeschehen möglich, um ungerechtfertigten Preissteigerungen oder ruinösen Entwicklungen entgegen zu steuern: u.a. können im Falle der Festsetzung übermäßig hoher Flugpreise oder bei einem anhaltenden und außergewöhnlichen Verfall der Flugpreise die nationalen Behörden wie auch die ĺEuropäische Kommission bestimmte Preise außer Kraft setzen oder Preissenkungen untersagen. (sm) Lit.: M. Niejahr, in: A. Frohnmeyer/P. Mückenhausen (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004, 51, Rn. 267 ff.
Flugsicherheitsbegleiter air marshall – garde armés à bord des aéronefs
Mit dem ĺPrümer Vertrag wurde auch eine Regelung über Flugsicherheitsbegleiter eingeführt. Gem. Art. 17 Prümer Vertrag sind Flugsicherheitsbegleiter, „Polizeibeamte oder entsprechend ausgebildete staatliche Bedienstete, die die Aufgabe haben, die Sicherheit an Bord von Flugzeugen aufrechtzuerhalten“. Jeder Vertragsstaat befindet eigenständig über den Einsatz von Flugsicherheitsbegleitern. Auf Antrag des jeweiligen Vertragsstaates wird eine allgemeine Genehmigung zum Mitführen von Dienstwaffen, Munition und Ausrüstungsgegenständen für Flüge von oder zu den Verkehrsflughäfen der Vertragsstaaten erteilt (Art. 18 Prümer Vertrag). (kl) §§: Art. 17-19 Prümer Vertrag, Abkommen von Chicago vom 7.12.1944 über die Internationale Zivilluftfahrt sowie dessen Anlagen Lit.: M. Schladebach, Sky Marshals im Luftverkehrsrecht, NVwZ 2006, 430
Flugverkehr, innergemeinschaftlicher, Zugang zu Strecken access for community air carriers to intra-Community air routes – accès à des transporteurs aériens communautaires aux liaisons aériennes intracommunautaires
Die VO (EWG) 2408/92 (ABl. 1992, Nr. L 240/ 8) über den Zugang von Luftfahrtunternehmen in der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs stellt eine Maß-
nahme zur Liberalisierung des Luftverkehrs dar. Danach sind jegliche objektive Hindernisse beim Zugang zur Erbringung von Dienstleistungen im Flugverkehr und damit der Bedienung von Flugstrecken zu beseitigen. Die MS sind verpflichtet, Luftfahrtunternehmen aus anderen MS sämtliche Arten von Verkehrsrechten auf innergemeinschaftl. Strecken zu gewähren. (sm) Lit.: M. Niejahr, in: A. Frohnmeyer/P. Mückenhausen (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004, 51, Rn. 124 ff.; A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 497
Förderprogramme ĺBildungsprogramme Förderziele aims of promotions – objectifs d’encouragement
Ziel der Kulturförderprogramme der EU. Das allgemeine Förderziel ist „die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Kulturraums unter gleichzeitiger Wahrung der nationalen Unterschiede.“ Im Rahmen des europäischen Kulturförderprogramms Kultur2000 müssen die sich um eine Förderung bewerbenden Kulturträger nachweisen, dass Ihre Kulturbeiträge die Förderziele des Programms unterstützen, die im Einzelnen sind: ƒ Transnationale Mobilität von Künstlerinnen und Künstlern bzw. Kulturschaffenden ƒ Transnationale Zirkulation von kulturellen und künstlerischen Werken, Koproduktionen und Objekten, interkultureller Dialog. (cd) Web: http://www.ph-ludwigsburg.de/index.php?id= 3677
Folgerechtrichtlinie directive on the resale right – directive relative au droit de suite
Bei der FolgerechtRL (RL 2001/84/EG, ABl. 2001, Nr. L 272/32) handelt es sich um eine jener RL, mit denen Teile des Urheberrechts harmonisiert wurden; sie gehört damit zum ĺeuropäischen Urheberrecht. Kompetenzgrundlage ist Art. 95 EG. Das Folgerecht sichert dem Urheber bei der Weiterveräußerung des Originals eines Werkes der bildenden Künste einen Anteil am Verkaufserlös. Damit wird der Künstler auch an allfälligen Wertsteigerungen beteiligt. Die FolgerechtRL schreibt ein Erlösanteil-Folgerecht vor. Das 397
Folterverbot bedeutet, dass der Urheber des Originals eines Kunstwerkes einen bestimmten Prozentsatz (zwischen 0,25 % und 4 %) des erzielten Preises erhält (Art. 4). Dies gilt allerdings nur dann, wenn das Kunstwerk von einem „Vertreter des Kunstmarktes“, also etwa von einem Auktionshaus, einer Kunstgalerie etc, veräußert wird (Art. 1 Abs. 2). Die RL gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, eine Bagatellgrenze festzulegen, unterhalb derer kein Anteil zu bezahlen ist (Art. 3), und sieht außerdem eine Höchstgrenze für die Folgerechtsvergütung vor (Art. 4 Abs. 1). Anspruchsberechtigt sind der Urheber und seine Nachfolger 70 Jahre post mortem auctoris (Art. 8). Der Folgerechtsanspruch ist zwingend; auf ihn kann weder im Voraus verzichtet noch kann er veräußert werden (Art. 1 Abs. 1). (js) Lit.: P. Katzenberger, Die europäische Richtlinie über das Folgerecht, GRUR Int. 2004, 20
Folterverbot ĺVerbot unmenschlicher Behandlung Formblatt für Verbraucherbeschwerden blank for consumer complaints – formule des plaintes des consommateurs
Das Formblatt für Verbraucherbeschwerden wurde von der ĺKommission entworfen, um bei Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Gewerbetreibenden eine gütliche Einigung zu erleichtern (ĺalternative Streitbeilegung von Verbraucherrechtsangelegenheiten). Das Formular hat den Zweck, ein eventuelles Reklamationsschreiben zu ersetzen. Es kann unabhängig von der Höhe des Streitwerts oder der Art der Streitigkeit auf nationaler oder grenzüberschreitender Ebene in der ĺEuropäischen Union verwendet werden. (pa) Web: http://ec.europa.eu/consumers/redress/compl/ cons_compl/acce_just03_de.pdf
Formell rechtswidrige Beihilfe ĺRechtswidrige Beihilfe Formelles Prüfverfahren (Beihilfenrecht) formal investigation procedure (EC state aid law) – procédure formelle d’examen (droit des aides d’État)
Sollte die ĺKommission Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit einer Massnahme mit dem Gemeinsamen Markt haben, ist sie verpflichtet, eine ĺEntscheidung über die Eröffnung des formellen Prüfverfahrens zu erlassen. Diese 398
Entscheidung hat folgende Elemente zu enthalten: ƒ Eine Zusammenfassung der wesentlichen Sachund Rechtsfragen ƒ Eine vorläufige Würdigung des Beihilfecharakters der geplanten Maßnahme durch die Kommission ƒ Die Ausführungen über die Bedenken der Kommission hinsichtlich der Vereinbarkeit der Beihilfe (Art. 6 Abs. 1 VO [EG] 659/1999). Der betroffene ĺMitgliedstaat und die ĺBeteiligten werden in dieser Entscheidung zu einer Stellungnahme innerhalb einer Frist von höchstens einem Monat aufgefordert. Der Mitgliedstaat hat das Recht, sich zu den Stellungnahmen der Beteiligten zu äußern. Hinsichtlich der Dauer eines formellen Prüfverfahrens heißt es in Art. 7 Abs. 6 der VO (EG) 659/1999: „Die Kommission bemüht sich darum, eine Entscheidung möglichst innerhalb von 18 Monaten nach Eröffnung des Prüfverfahrens zu erlassen. Diese Frist kann von der Kommission und dem betreffenden Mitgliedstaat einvernehmlich verlängert werden.“ Ist die 18-Monatsfrist abgelaufen, hat die Kommission auf Wunsch des betroffenen Mitgliedstaats innerhalb von zwei Monaten eine Entscheidung zu erlassen. Zum Abschluss des formellen Prüfverfahrens stehen der Kommission folgende Möglichkeiten offen: ƒ Entscheidung, dass die angemeldete Maßnahme keine Beihilfe darstellt (Art. 7 Abs. 2 VO [EG] 659/1999). ƒ Entscheidung, dass die Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist (ĺPositiventscheidung, Art. 7 Abs. 3 VO [EG] 659/1999). ƒ Positiventscheidung mit Bedingungen und Auflagen (mit Bedingungen und Auflagen verbundene Entscheidung, Art. 7 Abs. 4 VO [EG] 659/1999). ƒ Entscheidung, dass die angemeldete Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt nicht vereinbar ist (ĺNegativentscheidung, Art. 7 Abs. 5 VO [EG] 659/1999). (jr) §§: Art. 88 Abs. 2 EG Lit.: A. Sinnaeve, in: M. Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2003, § 33
Forschung und technologische Entwicklung, Begriff research and technological development, concepts – recherche et développement technologique, notion
Forschung im Sinne des EG-Vertrags meint die planmäßige und zielgerichtete Suche nach
Forschungs- und Technologiepolitik, Maßnahmen neuen Erkenntnissen und umfasst sowohl die anwendungsferne Forschung (Grundlagenforschung) als auch die anwendungsnahe Forschung (angewandte Forschung). Der Begriff Technologie bezeichnet die Gesamtheit der technischen Kenntnisse, Fähigkeiten und Möglichkeiten eines Sachgebiets. Technologische Entwicklung bedeutet die Erarbeitung oder Verbesserung einer Technologie durch Nutzung der in der Forschung gewonnenen Erkenntnisse; sie schließt mit der Demonstration ab, worunter man die Erstellung praxisnaher Pilotanlagen versteht. Zum Begriff der Pilotanlage vgl. EuG, Rs. T-184/97 BP Chemicals Ltd./ Kommission, Slg. 2000, II-3145, Rn. 60 ff. (hk) §§: ABl. 1986, Nr. C 83/5 (zum Forschungsbegriffsverständnis der Kommission) Lit.: A. Kallmayer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 163 EGV, Rn. 6
Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen state aid for research and developement – aides d’État à la recherche et au développement
Der Gemeinschaftsrahmen für Forschungsund Entwicklungsbeihilfen (ABl. 17.2.1996, Nr. C 45/5) unterscheidet zwischen Grundlagenforschung, industrieller Forschung und der vorwettbewerblichen Entwicklung. Bei der Bewertung der Unterstützungen für die einzelnen Gebiete kommt es hauptsächlich auf die Marktnähe einer Tätigkeit an. Je marktnäher eine Forschung ist, desto geeigneter ist sie, den Wettbewerb zu verzerren. Gereiht nach ihrer Marktnähe sind für die Grundlagenforschung die höchsten Beihilfeintensitäten vorgesehen, während Förderungen für industrielle Forschung und die vorwettbewerbliche Entwicklung (am „marktnähesten“) wesentlich restriktiver gehandhabt werden. Die zulässige Beihilfeintensität im konkreten Fall wird von der Kommission festgelegt. Sämtliche FuE-Beihilfen (sowohl ĺBeihilferegelungen als auch ĺEinzelbeihilfen) sind der Kommission zu ĺnotifizieren. (jr) §§: 87 Abs. 3 lit. a, 87 Abs. 3 lit. b EG Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:52005XC1208(03):DE:HTML; http:// eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= CELEX:31996Y0217(01):DE:HTML
Forschungs- und Technologiepolitik, Maßnahmen research and technology policy, activities – la politique de la recherche et du développement technologique, actions
Art. 164 EG sieht vier Typen von gemeinschaftlichen Maßnahmen zur Erreichung der for-
schungspolitischen Ziele des Art. 163 EG (ĺForschungs- und Technologiepolitik, Ziele) vor: a. die Durchführung der ĺForschungsrahmenprogramme, b. die Förderung der Zusammenarbeit mit dritten Ländern und internationalen Organisationen auf dem Gebiet der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration, c. die Verbreitung und Auswertung der Ergebnisse sowie d. die Förderung der Ausbildung und Mobilität der Forscher aus der Gemeinschaft. Für Maßnahmen der Gemeinschaft gelten drei Anforderungen: 1. Alle Maßnahmen müssen objektiv der Erreichung zumindest eines der beiden Ziele des Art. 163 Abs. 2 EG dienen. 2. Es sind nur komplementäre Maßnahmen der Gemeinschaft zulässig, d.h. sie dürfen die in den Mitgliedstaaten durchgeführten Aktionen lediglich ergänzen. Das ĺSubsidiaritätsprinzip des Art. 5 Abs. 2 EG gilt auch im Bereich der Forschungspolitik. 3. Schließlich ist das allgemein geltende Erforderlichkeitsgebot des Art. 5 Abs. 3 EG als dritte Anforderung mitzubeachten. Es werden direkte und indirekte Maßnahmen (Aktionen) zur Erreichung der Ziele des Art. 163 EG unterschieden. Direkte Maßnahmen (Aktionen) sind jene, die die ĺKommission nach Art. 171 EG selbst durchführt (v.a. durch ihre ĺGemeinsame Forschungsstelle), indirekte Maßnahmen (Aktionen) sind jene nach Art. 164 EG, zu denen die europäischen Forschungseinrichtungen durch Beteiligung an den gemeinschaftlichen ĺForschungsrahmenprogrammen angeregt werden sollen. Gem. Art. 163 Abs. 2 EG unterstützt die Gemeinschaft Unternehmen – besonders betont werden die kleinen und mittleren Unternehmen –, Forschungszentren und Hochschulen bei ihren FTE-Bemühungen (ĺFTE) von hoher Qualität. Bei der Auslegung der Adressaten der gemeinschaftlichen Maßnahmen gilt ein weites Begriffsverständnis. Weiters fördert die Gemeinschaft die Zusammenarbeitsbestrebungen dieser Einrichtungen – die Förderung der Kooperationen von Unternehmen zur besseren Ausnutzung des Binnenmarktes wird besonders erwähnt (Art. 163 Abs. 2 EG). Vgl. auch ĺForschungs- und Technologiepolitik, Rechtsgrundlage. (hk) §§: Art. 163 EG, Art. 164 EG
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Forschungs- und Technologiepolitik, Rechtsgrundlage Lit.: A. Kallmayer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 163 EGV, Rn. 9-11, Art. 164 EGV; R. Kneucker, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 64. Lfg. 2005, Art. 163173 EGV, Rn. 23-26; H. Eikenberg, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 28. Lfg. 2005, Art. 163, Art. 164 EGV
Forschungs- und Technologiepolitik, Rechtsgrundlage research and technology policy, legal basis – politique de la recherche et du développement technologique, base juridique
Rechtsgrundlage für das Tätigwerden der Gemeinschaft im Bereich Forschung und technologische Entwicklung (ĺFTE) ist der Titel XVIII des EG-Vertrags (Art. 163-173 EG). Er enthält die Ziele und Maßnahmen gemeinschaftlicher Forschungs- und Technologiepolitik (ĺForschungs- und Technologiepolitik, Ziele), insbesondere die Rechtsgrundlage für das mehrjährige ĺForschungsrahmenprogramm und seine Durchführung (vgl. Art. 166 ff. EG). Diese Bestimmungen wurden erstmals durch die ĺEinheitliche Europäische Akte (EEA, 1987) in den Gründungsvertrag der EWG eingefügt und durch den ĺVertrag von Maastricht sowie den ĺVertrag von Amsterdam leicht geändert. So nahm der Vertrag von Maastricht (1993) erstmals die Förderung von Forschung und technologischer Entwicklung in das Gesamtspektrum der Gemeinschaftsaufgaben auf (jetzt Art. 3 Abs. 1 lit. n EG) und formulierte in Art. 163 Abs. 2 Hs. 2 ein zweites Ziel für die Forschungsförderung. Außerdem wurde für das ĺForschungsrahmenprogramm das Zusammenarbeitsverfahren mit dem ĺEP eingeführt. Durch den Vertrag von Amsterdam erfolgten abgesehen von der Neunummerierung zwei verfahrensmäßige Änderungen: So wurde das Einstimmigkeitserfordernis in Art. 166 und Art. 172 EG durch qualifizierte Mehrheitsentscheidungen im Rat ersetzt und die Stellung des EP gestärkt, indem das Zusammenarbeitsverfahren durch das Mitentscheidungsverfahren abgelöst wurde. Der ĺVertrag von Nizza brachte keine Änderungen, hingegen sieht der VVE eine Ausweitung der Kompetenzen der Gemeinschaft vor, vgl. z.B. die Erwähnung des ĺEuropäischen Forschungsraumes in Art. III248 VVE. Art. 13 GRC garantiert die ĺWissenschaftsfreiheit. Im Jahr 2005 hat die Kommission Empfehlungen an die Mitgliedstaaten gerichtet, die eine ĺEuropäische Charta für Forscher und einen Verhaltenskodex für die Einstellung von Forschern umfasst. 400
Der Ursprung einer gemeinschaftlichen FTEPolitik liegt in der Überwindung sektorieller Forschungpolitiken und geht auf Entschließungen des Rates vom 14.1.1974 (ABl. 1974, Nr. C 7/1,2,5,6,7) zurück. Bis zur Erlassung der primärrechtlichen Kompetenzgrundlage durch die EEA wurden Forschungsförderungsaktivitäten auf der Basis des heutigen Art. 308 EG durchgeführt. (hk) §§: Art. 163-173 EG; Art. III-248 – III-255 VVE Lit.: H. Eikenberg, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 28. Lfg. 2005, Vorbem. Art. 163-173 EGV, Rn. 25 ff.; A. Kallmayer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 163 EGV, Rn. 2 f.
Forschungs- und Technologiepolitik, Ziele research and technology policy, objectives – politique de la recherche et du développement technologique, objectifs
Ursprüngliches Hauptziel der gemeinschaftlichen Forschungs- und Technologiepolitik (FTEPolitik) ist die Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie, als ein Kernelement der ĺLissabon-Strategie heute wieder im Zentrum des Interesses. Die FTE-Politik steht daher in engem Zusammenhang mit der Industriepolitik (Art. 157 EG). Dies geht auch aus Art. 3 Abs. 1 lit. m, n EG sowie Art. 157 Abs. 1 4. SpS EG hervor. In Konkretisierung der allgemeinen Tätigkeitsbeschreibung der Gemeinschaft in Art. 3 Abs. 1 lit. n EG („Förderung der Forschung und technologischen Entwicklung“) nennt Art. 163 Abs. 1 EG drei Ziele der FTE-Politik: 1. die Stärkung der wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen der Industrie der Gemeinschaft, 2. die Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sowie 3. die Unterstützung aller Forschungsmaßnahmen, die aufgrund anderer Kapitel des Vertrages für erforderlich gehalten werden (z.B. Agrarforschung, Gesundheitswesen, Umweltforschung). Umfasst ist daher auch die Grundlagenforschung, soweit sie diesen Zielen dient. Das zuletzt genannte Ziel wurde erst durch den ĺVertrag von Maastricht in den Vertragstext aufgenommen und wird als Öffnung der FTEPolitik weg von einer ausschließlich wirtschaftlich-technischen Industrieförderung hin zu einer allgemeinen Forschungsförderung in allen Gebieten, auch in Bereichen wie etwa den Geistes- und Sozialwissenschaften, sowie der Grundlagenforschung interpretiert. (hk)
Forstwirtschaft §§: Art. 3 Abs. 1 lit. n EG, Art. 163 Abs. 1 EG Lit.: W. Mönig, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 163 EGV, Rn. 1-13; A. Kallmayer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 163 EGV, Rn. 6 ff.; M. Kotzur, § 38 Kultur, Forschung und Technologie, Rn. 42, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 1. Aufl. 2006
Forschungsfreiheit ĺWissenschaftsfreiheit Forschungsrahmenprogramm framework programme – programme-cadre
Die mehrjährigen Rahmenprogramme für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (Forschungsrahmenprogramme) sind das Hauptinstrument der Forschungsförderung und FTE-Politik (ĺForschungs- und Technologiepolitik, Maßnahmen) der Gemeinschaft. In ihnen werden die wissenschaftlichen und technologischen Ziele sowie die Prioritäten der gemeinschaftlichen Forschungsförderung festgelegt, die Grundzüge dieser Maßnahmen festgehalten und der Gesamthöchstbetrag sowie die Aufteilung der Finanzmittel auf die verschiedenen Maßnahmen (Förderungsbereiche) bestimmt. Seit dem ĺVertrag von Amsterdam werden sie von ĺRat und ĺParlament nach dem ĺMitentscheidungsverfahren gem. Art. 251 EG und nach Anhörung des ĺWirtschafts- und Sozialausschusses (WSA) beschlossen (vgl. Art. 166 EG). Sie ergehen daher in Form eines gemeinsamen Beschlusses von Rat und Parlament. Zuvor hatte der Rat alleine und einstimmig über die Rahmenprogramme zu entscheiden. Betreffend die Nuklearforschung (ĺKernforschung) werden sie auch auf Art. 7 EAGV gestützt. Das Erste Rahmenprogramm trat 1984 in Kraft. Von 1.1.2007 bis 31.12.2013 läuft erstmals für eine Periode von sieben Jahren das ĺSiebte Rahmenprogramm, welches das breit angelegte ĺSechste Rahmenprogramm (2002–2006) noch erweitert, insbesondere um eine explizite Förderung der Grundlagenforschung (ĺEuropäischer Forschungsrat, ERC). Die Durchführung der Rahmenprogramme erfolgt durch ĺspezifische Programme, die als Entscheidung des Rates ergehen (Art. 166 Abs. 3 f. EG) und die konkreten Maßnahmen enthalten, die zur Erreichung der in den einzelnen Aktionsbereichen des Rahmenprogramms definierten Ziele ergriffen werden sollen. Darüber hinaus legt der Rat gem. Art. 172 Abs. 2 Satz 1 EG im Mit-
entscheidungsverfahren nach Art. 251 EG und nach Anhörung des WSA die Regeln für die Beteiligung der Unternehmen, der Forschungszentren und der Hochschulen sowie Regeln für die Verbreitung der Forschungsergebnisse fest (Art. 167 EG). Beide Regelwerke stellen einen Annex zum Rahmenprogramm dar und sind für die Durchführung unerlässlich. In Zusatzprogrammen können sich bestimmte Mitgliedstaaten zu besonderen Förderungsmaßnahmen verpflichten. Diese werden als spezifische Programme qualifiziert und gem. Art. 172 Abs. 2 EG im Mitentscheidungsverfahren unter Zustimmung aller beteiligten Mitgliedstaaten verabschiedet (Art. 168 EG). Von wachsender Bedeutung ist der bisher wenig genutzte Art. 169 EG, der die Möglichkeit einer Beteiligung der Gemeinschaft an Forschungsund Entwicklungsprogrammen mehrerer Mitgliedstaaten vorsieht, einschließlich einer Beteiligung an den zu ihrer Durchführung geschaffenen Strukturen. Eine Beteiligung der Gemeinschaft kann in Zuschüssen oder Dienstleistungen bestehen. Gem. Art. 172 Abs. 2 EG entscheidet darüber der Rat im Verfahren nach Art. 251 EG nach Anhörung des WSA sowie im Einvernehmen mit den betreffenden ĺMitgliedstaaten. Der internationalen Forschungskooperation der Gemeinschaft mit Drittländern oder internationalen Organisationen ist eine eigene primärrechtliche Bestimmung gewidmet (Art. 170 EG). Die Zusammenarbeit erfolgt bei der Durchführung des Rahmenprogramms und muss daher dort vorgesehen sein. Schließlich kann die Gemeinschaft auch gemeinsame Unternehmen gründen oder andere Strukturen schaffen (Art. 171 EG). Diese müssen für die ordnungsgemäße Durchführung der Rahmenprogramme erforderlich sein, was eine spezielle Prüfung voraussetzt, der Gemeinschaft aber dennoch einen weiten Spielraum einräumt. Sie werden gem. Art. 172 Abs. 1 EG vom Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Parlaments sowie des WSA mit qualifizierter Mehrheit beschlossen. (hk) §§: Art. 166-172 EG Lit.: A. Kallmayer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172 EGV; H. Eikenberg, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 28. Lfg. 2005, Art. 166-172 EGV
Forstwirtschaft forestry – sylviculture
Forstpolitik ist grundsätzlich Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Der EGV beinhaltet weder ein 401
Fortschrittsbericht eigenes Kapitel noch eine Referenz zum Thema Forstpolitik. Da das wichtigste Produkt der Forstwirtschaft Holz nicht im ĺAnhang I des EG genannt ist, kann auch keine ĺGemeinsame Marktorganisation errichtet werden. Die nachhaltige Bewirtschaftung und Erhaltung von Wäldern und der freie Warenverkehr mit Produkten der Forstwirtschaft sind jedoch Themen die in andere Politikbereiche hinein spielen. EU-weite Regelungen, die die Forstwirtschaft betreffen, finden sich deswegen vor allem als Ergänzungen zu verschiedenen Politikbereichen oder werden unter einem andern Gesichtspunkt geregelt: ƒ Maßnahmen im Rahmen der Programme zur ĺLändlichen Entwicklung hinsichtlich Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Landund Forstwirtschaft und zur Förderung der nachhaltigen Bewirtschaftung bewaldeter Flächen ƒ Ermittlung, Abstimmung und Verarbeitung von Daten über den Forstsektor (EFCIS) ƒ Regelung des freien Warenverkehrs hinsichtlich forstlichem Vermehrungsgut ƒ Schutz von Wäldern gegen Luftverschmutzung und vor Bränden. (all) §§: VO (EG) 1698/2005, Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums, ABl. 2005, Nr. L 277/1; VO (EWG) 1615/1989, EFICS, ABl. 1989, Nr. L 165/12; RL 1999/0105, forstliches Vermehrungsgut, ABl. 2000, Nr. L 11/17; VO (EG) 2152/2003, Forest Focus, ABl. 2003, Nr. L 324/1 Lit.: F. Jäger, Forstrecht, in: R. Norer (Hrsg.), Handbuch des Agrarrechts, 2005, 363 Web: http://ec.europa.eu/agriculture/fore/index_de. htm
Fortschrittsbericht ĺRegelmäßiger Bericht über die Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt Forum non conveniens Das Prinzip des forum non conveniens stammt aus dem anglo-amerikanischen Prozessrecht und verleiht einem angerufenen und grundsätzlich international zuständigen Gericht die Befugnis, die Entscheidung mit der Begründung abzulehnen, dass ein anderes Gericht für die Entscheidung – bspw. auf Grund größerer Sachnähe oder dem Wohnsitz der Parteien – besser geeinnet sei, die Streitsache zu entscheiden. Im Rahmen des ĺEuropäische Zivilprozessrechts ist die forum non conveniens-Doktrin nicht anwendbar, weil die Zuweisung der 402
Entscheidungszuständigkeit auf einem System fester Zuständigkeiten beruht (EuGH, Rs. C281/02 – Owuso/Jackson). Ein dem forum non conveniens vergleichbarer Ansatz findet sich lediglich in Art. 15 ĺEheGVVO nach dem das angerufene Gericht eine Streitsache an ein anderes Gericht verweisen kann, das den Fall besser beurteilen kann. Dessen ungeachtet ist daran festzuhalten, dass eine solche Ermessensentscheidung im EuZPR die Ausnahme darstellt und nur dann zulässig ist, wenn dies ausdrücklich angeordnet ist. (mrm) §§: Art. 21 EuGVÜ/LGVÜ; Art. 27 EuGVVO; Art. 15 EheGVVO
Forum shopping Mit dem Begriff des forum shopping wird die nach taktischen Gesichtspunkten getroffene Wahl zwischen mehreren international zuständigen Gerichten bzw. der Versuch einer Partei bezeichnet, einer gegnerischen Klage in einem missliebigen Forum durch eine (negative Feststellungs-)Klage zuvorzukommen. Die häufig gegenläufigen Präferenzen der Parteien hinsichtlich der Entscheidung durch ein bestimmtes Gericht beruhen sowohl auf praktischen Erwägungen (Nähe der Partei zum Gericht, Verfahrenssprache, Gerichtskosten) als auch auf dem erwarteten Einfluss des Forums auf die Sachentscheidung, der aufgrund der nach wie vor bestehenden Unterschiede im Prozess- und insb. Beweisrecht sowie Kollisionsrecht zu erwarten sind. Obwohl der Begriff des forum shopping negativ konotiert ist und als missbräuchliche Prozesstaktik gebrandmarkt wird, ist es direkte Folge der zahlreichen alternativen Gerichtsstände, die das EuZPR einem potenziellen Kläger zur Verfügung stellt, forum shopping daher grundsätzlich nur der legitime Gebrauch des eingeräumten Wahlrechts. Zudem ist primäre Motivation für ausgreifendes forum shopping die Möglichkeit, über die Wahl des Forums das anwendbare Recht zu bestimmen. Dies lässt sich nur durch eine Vereinheitlichung des Kollisionsrechts effizient verhindern. Problematisch ist indes, dass aufgrund der zum Teil erheblichen Verfahrensdauer in manchen MS eine Partei bewusst Klage vor einem überlasteten Gericht erhebt, um durch die damit ausgelöste ĺRechtshängigkeitssperre die effektive Rechtsverfolgung durch den Gläubiger zu verhindern. Dies erfolgt in der Praxis häufig durch die Erhebung einer negativen Feststellungsklage (sog. Torpedos). Sol-
Francovich-Entscheidung chen Missbräuchen kann jedoch mit den auch im EuZPR vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen regelmäßig vorgebeugt werden. (mrm) §§: Art. 21 EuGVÜ/LGVÜ; Art. 27 EuGVVO; Art. 15 EheGVVO Lit.: M.-R. McGuire, Forum Shopping und Verweisung, ZfRV 2005, 83-93
FP7 ĺSiebtes Rahmenprogramm, engl. Seventh Fraumework Programme, frz. Septième Programme-cadre FRA ĺEuropäische Agentur für Grundrechte (FRA) Frachtraten, Frachtratenbildung prices, pricing (in national and international inland waterway transport) – prix, formation des prix (dans le domaine des transports nationaux et internationaux de marchandises par vioe navigable)
Die RL 96/75/EG (ABl. 1996, Nr. L 304/12) regelt Einzelheiten der Befrachtung und der Frachtratenbildung im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Binnenschiffsgüterverkehr in der Gemeinschaft. Sie stellt eine Maßnahme der Maßnahme der ĺPreisbildung dar. Die Frachtraten können danach frei ausgehandelt werden (sowohl grenzüberschreitender Verkehr als auch ĺKabotage). Jeglicher staatlicher Einfluss auf die Aushandlung der Beförderungstarife im Güterverkehr ist unzulässig. Auf Antrag eines MS kann die Kommission bei schweren Marktstörungen geeignete Maßnahmen ergreifen. Mit „schwerer Marktstörung“ sind Probleme auf dem Markt des Binnenschiffsgüterverkehrs gemeint, die zu möglicherweise anhaltenden deutlichen Angebotsüberhängen führen können. ĺKrise der internationalen Güterverkehrsmärkte; ĺernste Marktstörung. (sm) Franchisevereinbarungen franchise agreements – accord de franchise
Der Begriff Franchising bezeichnet verschiedene Formen von Kooperationen zwischen Unternehmen, die sich insbesondere mit der Lizenzierung von Firmen- und Markenrechten des Franchisegebers und der Überlassung von Know-How befassen. Der Franchisenehmer verpflichtet sich meistens im Gegenzug zum ausschließlichen Bezug der Waren des Franchisegebers. Des Weiteren finden sich in den Franchisevereinbarungen oftmals auch Wett-
bewerbsverbote und Preis- und Konditionenabsprachen. Diese Absprachen sowie die Ausschließlichkeitsvereinbarungen können gegebenenfalls als wettbewerbsbeschränkend eingestuft werden und gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen. Im Jahre 1986 entschied allerdings der ĺEuGH in der Sache Pronuptia, dass bestimmte Klauseln in Vertriebsfranchiseverträgen nicht unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG fallen, weil sie den ĺWettbewerb nicht beeinträchtigen. Dazu zählen Bestimmungen in Franchiseverträgen, die für das Funktionieren des Franchisesystems unerlässlich sind, wie bspw. solche Bestimmungen, die verhindern sollen, dass das vermittelte Know-How und die vom Franchisegeber gewährte Unterstützung den Konkurrenten zugute kommen. Zudem stellt auch die Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 2790/1999 bestimmte Franchisevereinbarungen von der Anwendung des Art. 81 EG frei. (jpt) §§: Art. 81 EG; VO (EG) 2790/1999 der Kommission über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 1999, Nr. L 336/21) Lit.: S. Mäger, in: T. Mäger (Hrsg.), Europäisches Kartellrecht, 2006, 99; V. Emmerich, Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, § 5, Rn. 22 ff.; T. Eilmannsberger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 81 EGV, Rn. 183 f. Rsp.: EuGH, Rs. 161/84 Pronuptia de Paris GmbH/ Pronuptia de Paris Irmgard Schillgallis, Slg. 1986, 353
Francovich-Entscheidung Francovich case – jurisprudence Francovich
In der Rechtssache Francovich ging es um die nicht fristgerechte Umsetzung der Konkursausfallrichtlinie durch die Republik Italien. Die Konkursausfallrichtlinie verpflichtete die Mitgliedstaaten der EG, eine spezielle Garantieeinrichtung zu schaffen, um in der Insolvenz des Arbeitgebers die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer in einem gewissen Umfang erfüllen zu können. Durch die nicht erfolgte Umsetzung dieser ĺRichtlinie durch Italien hatten der Arbeitnehmer Andrea Francovich und weitere Arbeitnehmer kein Konkursausfallgeld erhalten, als ihr Arbeitgeber zahlungsunfähig wurde. Andrea Francovich und weitere Arbeitnehmer erhoben daraufhin Klage gegen die italienische Republik auf Einhaltung der von der Richtlinie vorgesehenen Garantien. Hilfsweise verlangten sie vom Staat Italien Schadensersatz. Die italienischen Gerichte sahen Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufgewor403
Freiberufliche Tätigkeiten (Dienstleistungsfreiheit) fen und legten nach Art. 234 EG dem ĺEuGH insbesondere zwei Fragen vor. Zunächst sollte geklärt werden, ob der Einzelne für den Fall der unmittelbaren Wirkung der ĺRichtlinie die Befolgung der vorgesehenen Garantien erzwingen kann, indem er sich unmittelbar auf die Richtlinie gegenüber dem säumigen Staat beruft. Zweitens stand in Frage, ob der Einzelne im Falle fehlender unmittelbarer Wirkung der ĺRichtlinie jedenfalls den Schaden ersetzt verlangen kann, der ihm durch die nicht ordnungsgemäße Umsetzung der ĺRichtlinie durch den Mitgliedstaat entstanden ist. Unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung hat der ĺEuGH im Fall Francovich eine unmittelbare Wirkung der Konkursausfallrichtlinie verneint, da der Schuldner der Garantieansprüche nicht feststehe. Den Mitgliedstaaten stehe bei dieser ĺRichtlinie ein großer Gestaltungsspielraum bezüglich der Schaffung einer Garantieeinrichtung offen, sodass bei Nichtumsetzung der Richtlinie nicht automatisch der Staat als Garantieschuldner anzusehen sei. Das Problem der Staatshaftung der Mitgliedstaaten prüfte der ĺEuGH dann unter Anwendung des allgemeinen Systems und der Prinzipien des EG-Vertrages. Der ĺEuGH stellt klar, dass der EG-Vertrag eine Rechtsordnung, die sowohl den Mitgliedstaaten als auch dem Einzelnen Rechte und Pflichten verleiht, geschaffen hat. Unter Berücksichtigung der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts und der vollen Effektivität des Gemeinschaftsrechts (effet utile) folgert der ĺEuGH dann, dass der Schutz der durch das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen verliehenen Rechte des Einzelnen gemindert sei, wenn der Einzelne für einen Verstoß eines Mitgliedstaates keine Entschädigung enthielte. Insbesondere bei der Umsetzung von ĺRichtlinien, wo die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts vom Tätigwerden der Mitgliedstaaten abhängig sei, erfordere der effet utile einen solchen Ersatzanspruch. Nachdem der ĺEuGH damit im Urteil Francovich den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch entwickelt hatte, statuierte er in diesem Urteil auch dessen Voraussetzungen. Einen Entschädigungsanspruch hat der Einzelne demnach für einen Schaden, der ihm aus der nicht ordnungsgemäßen Umsetzung einer ĺRichtlinie entsteht, wenn die Richtlinie dem Einzelnen Rechte verleihen will, der Inhalt der ĺRichtlinie klar bestimmt ist und schließlich ein Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Nichtumsetzung besteht. 404
Auch wenn der ĺEuGH im Urteil Francovich den gemeinschaftsrechtlichen Anspruch im Gemeinschaftsrecht begründet, so verweist er doch für die Beseitigung der Folgen auf das Recht der Mitgliedstaaten. Allerdings stellt der ĺEuGH schon an dieser Stelle klar, dass die Voraussetzungen zur Leistung von Schadensersatz dabei nicht „ungünstiger als bei ähnlichen, nur das nationale Recht betreffenden Klagen und überdies nicht in der Weise gestaltet sein dürfen, dass sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädigung zu erlangen.“ (jpt) §§: Art. 234 EG; Konkursausfallrichtlinie 80/987/ EWG, ABl. 1980, Nr. L 283/3 Lit.: T. von Danwitz, Die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung, DVBl. 1997, 1; K. Hailbronner, Staatshaftung bei säumiger Umsetzung von EG-Richtlinien, JZ 1992, 284; C. Tomuschat, Das Francovich-Urteil des EuGH – Ein Lehrstück zum Europarecht, in: O. Due/M. Lutter/J. Schwarze (Hrsg.), FS für U. Everling, Band 2, 1995, 1585; C. Wolf, Die Staatshaftung der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik für Verstöße gegen das Europäische Gemeinschaftsrecht, 1999 Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-6 und 9/90 Francovich, Slg. 1991, I-5357
Freiberufliche Tätigkeiten (Dienstleistungsfreiheit) activities of the professions (freedom to provide services) – activités des professions libérales (libre prestation de services)
Freiberufliche Tätigkeiten werden in Art. 50 EG als Beispiele für ĺDienstleistungen genannt. Dieses nur als demonstratives Beispiel genannte Kriterium tritt jedoch zur Beurteilung der Frage, ob eine Dienstleistung vorliegt, vor allem hinter die Unterscheidung zwischen ĺselbstständiger und ĺunselbstständiger Tätigkeit zurück. (sh) Freier Kapitalverkehr ĺKapitalverkehr bzw. ĺKapitalverkehrsfreiheit Freier Personenverkehr ĺPersonenverkehrsfreiheit Freier Warenverkehr ĺWarenverkehrsfreiheit bzw. ĺWarenverkehr, freier Freihändige Vergabe ĺVergabeverfahren
Freisetzungsrichtlinie Freiheit ĺRecht auf Freiheit und Sicherheit Freiheit der Dienstleistung ĺDienstleistungsfreiheit Freiheit der Kunst ĺKunstfreiheit Freiheit der Wissenschaft ĺKunstfreiheit Freiheit der Luft freedom of the air – liberté de l’air
Die erste Fassung dieser standardisierten Rechte geht auf das Chicagoer Abkommen (ĺChicago-Abkommen) aus dem Jahr 1944 zurück, bei dem die ICAO (International Civil Aviation Organization) gegründet wurde. Die Freiheiten sind in Zusatzvereibarungen geregelt und nicht im Chicagoer Abkommen selber. Die 1. und 2. Freiheit sind Bestandteil der Transitvereinbarung, während die Freiheiten 3.-5. zusätzlich in der Transportvereinbarung (auch Five-Freedoms-Agreement, da es die ersten beiden Freiheiten der Luft bestätigt und drei weitere nennt) geregelt sind. Die Freiheiten 68. sind hingegen nicht in multilateralen Abkommen festgelegt. Die Freiheiten der Luft können in Überflug-, Lande- und Verkehrsrechte des internationalen Luftverkehrs unterteilt werden. Die ersten „fünf Freiheiten“ der Luft sind: Erste Freiheit: Das Recht, das Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates ohne Landung zu überfliegen.
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Zweite Freiheit: ƒ Das Recht, im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates zu nicht gewerblichen Zwecken zu landen (sog. technische Landung). Dritte Freiheit: ƒ Das Recht, Fluggäste, Fracht und Post vom Heimatstaat des Luftfahrzeugs in einen anderen Vertragsstaat zu befördern und dort abzusetzen. Vierte Freiheit: ƒ Das Recht, Fluggäste, Fracht und Post in anderen Vertragsstaaten aufzunehmen und in den Heimatstaat des Luftfahrzeuges zu befördern.
Fünfte Freiheit: ƒ Weiterbeförderung von Passagieren, Post und Fracht in Drittstaaten. Sodann unterscheidet man noch die (nicht in internationalen Abkommen festgelegte) Sechte, Siebte und Achte Freiheit: Sechste Freiheit: Das Recht, Passagiere, Post und Fracht auf zwei verschiedenen Flügen von einen anderen Staat wie den Heimatstaat in einen Drittstaat zu befördern (Transitverkehr).
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Siebte Freiheit: Das Recht, Passagiere, Post und Fracht auf einem Flug zwischen Drittstaaten zu befördern (Extorialverkehr).
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Achte Freiheit: Das Recht, Passagiere, Post und Fracht innerhalb eines Drittstaates zu befördern aber in Verbindung mit dem Heimatstaat (ĺKabotage). (sm)
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Lit.: W. Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 1996, 480 ff.
Freisetzung (Gentechnik) ĺAbsichtliche Freisetzung Freisetzungsrichtlinie council directive on the deliberate release into the environment of genetically modified organisms – directive sur la dissémination volontaire d’organismes génétiquement modifiés
Die RL 2001/18/EG wird auch als „Freisetzungsrichtlinie“ bezeichnet. Ziel dieser Richtlinie ist die Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Regelungen über die ĺFreisetzung und das ĺInverkehrbringen von ĺgenetisch veränderten Organismen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Inhaltlich normiert die RL hauptsächlich das Verfahren zur Genehmigung der Freisetzung bzw. des Inverkehrbringens von GVO. Dabei sind auch die Befragung der Öffentlichkeit und die Kennzeichnung von GVO vorgesehen. Getragen ist die Freisetzungsrichtlinie vom ĺStufenprinzip und vom ĺVorsorgeprinzip. Auch das Verursacherprinzip findet in ihr Niederschlag. Für die in der Praxis wichtigen Bereiche der Kennzeichnungspflicht für Lebens- und Futtermittel werden jedoch die Bestimmungen der Freisetzungsrichtlinie von jenen der VO (EG) 1829/2003 verdrängt. (al) §§: RL 90/220/EWG des Rates vom 23.4.1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt, ABl. 1990, Nr. L 117/15;
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Freistellung RL 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.3.2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der RL 90/220/EWG des Rates, ABl. 2001, Nr. L 106/1; VO (EG) 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.9. 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, ABl. 2003, Nr. L 268/1 Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. II., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, 2005; S. Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, 2002; C. von Kameke, Gemeinschaftliches Gentechnikrecht: Die Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG, 1995 Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l28130. htm
Freistellung exemption – exemption
Art. 81 Abs. 3 EG sieht die Möglichkeit vor, dass ĺVereinbarungen, die den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG verwirklichen, unter bestimmten Voraussetzungen freigestellt werden können. Während es vor Inkrafttreten der VO (EG) 1/2003 noch einer Freistellung durch die ĺKommission bedurfte, ist es nunmehr Aufgabe der ĺUnternehmen, abzuschätzen, ob eine Vereinbarung unter das ĺKartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG fällt. Art. 81 Abs. 3 EG ist zudem für die mitgliedstaatlichen Gerichte und Behörden unmittelbar anwendbar. Die Freistellung kann im Wege der sog. ĺEinzelfreistellung oder der ĺGruppenfreistellung erfolgen. (jpt) §§: Art. 81 Abs. 3 EG Lit.: T. Eilmannsberger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 81 EGV, Rn. 120 ff.
Freiverkehrsklausel (Rechtsangleichung) free-trade clause – clause de libre-échange
Freiverkehrsklauseln sichern in Fällen der Mindestharmonisierung (ĺRechtsangleichung, Methoden), dass MS, die von der Möglichkeit Gebrauch machen, strengere Vorschriften beizubehalten oder einzuführen, den Absatz von Waren und Dienstleistungen aus anderen MS nicht behindern; sie stellen nach der Jud. des EuGH in derartigen Konstellationen „eine notwendige Ergänzung im Hinblick auf den freien Verkehr dieser Erzeugnisse dar“ (EuGH, Rs. 148/78 Ratti, Slg. 1979, 1629, Rn. 13). Sieht die Rechtsangleichungsmaßnahme keine Freiverkehrsklausel vor, ist es den MS möglich, strengere nationale Vorschriften auch auf Waren und Dienstleistungen aus anderen MS zur Anwendung zu bringen; derartige mitgliedstaatliche Vorschriften sind am Maßstab des Primärrechts zu messen (vgl. EuGH, verb. Rs. C-49/98, C-50/ 406
98, C-52/98 bis C-54/98 und C-68/98 bis C-71/ 98 Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft, Slg. 2001, I-7831, Rn. 55 ff.). (cb) Lit.: S. Leible, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 95 EGV, Rn. 42 f. Rsp.: EuGH, Rs. 148/78 Ratti, Slg. 1979, 1629; EuGH, Rs. C-11/92 Gallagher, Slg. 1993, I-3545; EuGH, verb. Rs. C-49/98, C-50/98, C-52/98 bis C-54/98 und C-68/ 98 bis C-71/98 Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft, Slg. 2001, I-7831
Freizügigkeit, Arbeitnehmer ĺArbeitnehmerfreizügigkeit Freizügigkeit, Arbeitsuchende ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Arbeitsuche Freizügigkeit, Drittstaatsangehörige free movement, third country nationals – libre circulation, ressortissants de pays tiers
Auch wenn im Mittelpunkt des unionsrechtlichen Freizügigkeitsregimes der ĺUnionsbürger steht, sieht das Unionsrecht Freizügigkeitsverbürgungen für Drittstaatsangehörige vor. Hierzu zählt einmal das Freizügigkeitsrecht von drittstaatsangehörigen Familienangehörigen des Unionsbürgers (ĺFreizügigkeit, Familienangehörige). Des Weiteren zu nennen sind die mit den mittel- und osteuropäischen Beitrittskandidatenländern zur Vorbereitung des Beitritts abgeschlossenen „Europa-Abkommen“, das Assoziationsabkommen zwischen der EWG und der Türkei vom 12.9.1963 (ABl. 1963, Nr. P 217/ 3687), das die Rechtsstellung türkischer Arbeitnehmer in der EU regelt, das sektorielle Abkommen über die Freizügigkeit zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweiz andererseits (in Kraft seit dem 1.6. 2002, ABl. 2002, Nr. L 114/6) sowie das Abkommen mit Island, Liechtenstein und Norwegen über den Europäischen Wirtschaftsraum, das zum 1.1.1994 in Kraft getreten ist (ĺAssoziierungsabkommen; ĺEuropa-Abkommen; ĺEuropäischer Wirtschaftsraum; ĺSchweiz, Beitrittsbemühungen; ĺTürkei [TRK]). Schließlich enthält auch die RL 2003/109/EG des Rates vom 25.11.2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2003, Nr. L 16/44) ein Freizügigkeitsrecht für die von ihr erfasste Personengruppe (ĺDaueraufenthalts-Richtlinie). (fw) §§: RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35; RL 2003/ 109/EG, ABl. 2003, Nr. L 16/44
Freizügigkeit, Personen Lit.: C. Barnard, The Substantive Law of the EU. The Four Freedoms, 2004, 432 ff.; J. Handoll, Free Movement of Persons in the EU, 1995, 313 ff.; B. KahilWolff/R. Mosters, Das Abkommen über die Freizügigkeit EG – Schweiz, EuZW 2001, 5; D. Martin/E. Guild, Free Movement of Persons in the European Union, 1996, 253 ff.; H. Staples, The Legal Status of Third Country Nationals Resident in the European Union, 1999
Freizügigkeit, Familienangehörige free movement, family members – libre circulation des personnes, membres de la famille
Ohne eine gleichzeitige Berechtigung seiner Familienangehörigen wäre der Wert des Freizügigkeitsrechts für den ĺUnionsbürger bedeutend gemindert. Bereits der fünfte Erwägungsgrund der die Arbeitnehmerfreizügigkeit konkretisierenden VO (EWG) 1612/68 hielt insoweit fest: „Damit das Recht auf Freizügigkeit nach objektiven Maßstäben in Freiheit und Menschenwürde wahrgenommen werden kann, ... müssen alle Hindernisse beseitigt werden, die sich der Mobilität der Arbeitnehmer entgegenstellen, insbesondere in bezug auf das Recht des Arbeitnehmers, seine Familie nachkommen zu lassen, und die Bedingungen für die Integration seiner Familie im Aufnahmeland.“ Dementsprechend stehen auch den Familienangehörigen (ĺFamilienangehörige, Begriff) ein Aufenthaltsrecht (ĺFamilienangehörige, Aufenthaltsrecht) sowie ein weit reichender Inländerbehandlungsanspruch (ĺFamilienangehörige, Inländerbehandlung) zu. (fw) §§: RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: C. Barnard, The Substantive Law of the EU. The Four Freedoms, 2004; A. Iliopoulou, Le nouveau droit de séjours des citoyens de l’Union et des membres de leur famille: la directive 2004/38/CE, RDUE 2004, 523; H. Staples, The Legal Status of Third Country Nationals Resident in the European Union, 1999; H. Toner, Partnership Rights, Free Movement, and EU Law, 2004; F. Weiss/F. Wooldridge, Free Movement of Persons within the European Community, 2002; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Freizügigkeit, Grundrecht free movement of persons, fundamental right – libre circulation des personnes, droit fondamental
In der Grundrechtecharta (Art. 45) und im Grundrechtsteil des VVE (Art. II-105 Abs. 1) finden sich nunmehr die Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit als Bürgerrecht. Art. 45 Abs. 1 GRC bestimmt: „Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben das Recht, sich
im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.“ Der zu Art. 18 Abs. 1 EG (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines) parallele Wortlaut ändert allerdings nichts an der kategorialen Verschiedenheit beider Normen: Während Art. 45 Abs. 1 GRC ein primär gegenüber der Union zum Tragen kommendes Gemeinschaftsgrundrecht (ĺGemeinschaftsgrundrechte) kodifiziert (vgl. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC), verpflichtet Art. 18 Abs. 1 EG – wie die Marktfreiheiten auch – vorrangig die Mitgliedstaaten. Ein paralleler Anwendungsbereich ist allenfalls bei Maßnahmen der Unionsorgane, insbesondere Rechtsetzungsakten, denkbar. Für etwaige Normkonflikte ordnet Art. 52 Abs. 2 GRC den Vorrang von Art. 18 Abs. 1 EG an: „Die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte, die in den Gemeinschaftsverträgen oder im Vertrag über die Europäische Union geregelt sind, erfolgt im Rahmen der dort festgelegten Bedingungen und Grenzen.“ (fw) §§: Art. 45 GRC, Art. II-105 VVE Lit.: F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 134 ff.
Freizügigkeit, Missbrauchsvorbehalt free movement, abuse of rights – libre circulation, abus de droit
Das Freizügigkeitsrecht steht unter einem Missbrauchsvorbehalt (s. etwa EuGH, Rs. C-200/02 Zhu/Chen, Slg. 2004, I-9925, Rn. 36 ff., ĺZhu und Chen-Entscheidung), den Art. 35 RL 2004/ 38/EG erstmals kodifiziert. Nach diesem können die Mitgliedstaaten „die Maßnahmen erlassen, die notwendig sind, um die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte im Falle von Rechtsmissbrauch oder Betrug – wie z.B. durch Eingehung von Scheinehen – zu verweigern, aufzuheben oder zu widerrufen.“ Art. 35 Satz 2 unterwirft derartige Maßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Verfahrensgarantien der RL 2004/38/EG (ĺFreizügigkeit, Verfahrensgarantien). (fw) §§: Art. 35 RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: K. Engsig Sørensen, Abuse of rights in community law: A principle of substance or merely rhetoric?, CML Rev. 2006, 423; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 188 f.
Freizügigkeit, Personen ĺPersonenverkehr, freier 407
Freizügigkeit, Rechtsetzungsermächtigung Freizügigkeit, Rechtsetzungsermächtigung free movement, legal basis for secondary legislation – base juridique des actes de droit dérivé
Die Regelung des allgemeinen Freizügigkeitsrechts (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines) umfasst eine Rechtsetzungsermächtigung (Art. 18 Abs. 2 EG). Diese ermöglicht dem Rat, im Mitentscheidungsverfahren Normen zu erlassen, die die Ausübung des Freizügigkeitsrechts erleichtern, wenn zur Erreichung dieses Ziels ein Tätigwerden der Gemeinschaft erforderlich erscheint und hierfür keine anderweitigen Befugnisse im Vertrag vorgesehen sind. In Abs. 3 ausgenommen hiervon werden jedoch die Materien Pässe, Personalausweise, Aufenthaltstitel oder diesen gleichgestellte Dokumente, soziale Sicherheit und sozialer Schutz (Art. 18 Abs. 3 EG). Dieser Ausschluss entfiele mit Inkrafttreten des VVE, jedoch nur um den Preis ihrer Unterwerfung unter ein Einstimmigkeitserfordernis im Rat (Art. III-125 Abs. 2 VVE). Wie die in Abs. 3 ausgeschlossenen Regelungsmaterien zeigen, erfasst die Rechtsetzungsermächtigung nicht nur eng mit dem Freizügigkeitsrecht zusammenhängende Aspekte, sondern alles, was im weitesten Sinne geeignet ist, die innergemeinschaftliche Freizügigkeit zu erleichtern. Darüber hinaus beinhaltet die Rechtsetzungsermächtigung keine generelle Regelungskompetenz für die Freizügigkeit, sondern ermöglicht nur Maßnahmen, die den Acquis verbessern. Aufgrund der Subsidiarität des Art. 18 Abs. 2 EG vorrangige Kompetenztitel sind namentlich die im Kontext der Marktfreiheiten vorgesehenen, d.h. die Art. 40 und 42 EG im Kontext der Arbeitnehmerfreizügigkeit (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit), die Art. 44 ff. EG im Kontext der Niederlassungsfreiheit (ĺNiederlassungsfreiheit) sowie die Art. 52 und 55 i.V.m. 45 ff. EG im Kontext der Dienstleistungsfreiheit (ĺDienstleistungsfreiheit). (fw) §§: Art. 18 EG Lit.: F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 191 ff.
Freizügigkeit, Selbstständige ĺNiederlassungsfreiheit Freizügigkeit, Studierende free movement of students – libre circulation des étudiants
Seit Beginn der 1980er Jahre hat der Gerichtshof Studierende an öffentlichen Hochschulen 408
in das gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeitsregime einbezogen, obgleich weder das Primärnoch das Sekundärrecht eine entsprechende Verbürgung ausdrücklich vorsahen. Eine Heranziehung der Dienstleistungsfreiheit (ĺDienstleistungsfreiheit) scheiterte an der fehlenden Entgeltlichkeit des an öffentlichen Hochschulen erteilten Unterrichts (EuGH, Rs. 263/86 Humbel, Slg. 1988, 5365, Rn. 14 ff.; Rs. C-109/ 92 Wirth, Slg. 1993, I-6447, Rn. 15 f.). Zunächst erstreckte der Gerichtshof in den Rs. Forcheri, Gravier und Blaizot das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 12 EG) trotz bloß schwacher gemeinschaftlicher Berührungspunkte auf den Zugang zum und die Teilnahme am Unterricht im Bildungswesen einschließlich des Hochschulstudiums und in der Lehrlingsausbildung (EuGH, Rs. 152/82 Forcheri, Slg. 1983, 2323, Rn. 13 ff.; Rs. 293/83 Gravier, Slg. 1985, 593, Rn. 19 ff.; Rs. 24/86 Blaizot, Slg. 1988, 379, Rn. 16 ff.). Damit ist es den Mitgliedstaaten vorbehaltlich einer Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses untersagt, Kapazitätsgrenzen für EU-ausländische Studierende festzulegen oder von diesen höhere Einschreibe- bzw. Studiengebühren als von Inländern zu verlangen. Die aus dem zu erwartenden erhöhten Zustrom ausländischer Studenten resultierenden finanziellen Konsequenzen für inländische Hochschulen reichen als legitimer Rechtfertigungsgrund für entsprechende Beschränkungen allerdings nicht aus (EuGH, Rs. 24/86, a.a.O. Rn. 22 f.; Rs. C-147/03 EK/ Österreich, Slg. 2005, I-5969; ĺHochschulzugang). In einem weiteren Schritt erkannte der Gerichtshof als „logische Folge“ des Rechts auf gleichen Zugang zu Bildungseinrichtungen ein entsprechendes Aufenthaltsrecht an, da das Zugangsrecht sonst bedeutungslos bliebe. Das Aufenthaltsrecht ist allerdings auf die Dauer der Ausbildung beschränkt und kann von hinreichenden Existenzmitteln sowie eines Krankenversicherungsschutzes des Studierenden abhängig gemacht werden (EuGH, Rs. C-357/89 Raulin, Slg. 1992, I-1027, Rn. 30 ff.). Der Gerichtshof ging damals allerdings nicht soweit, auch den Lebensunterhalt deckende Studienbeihilfen in den Inländerbehandlungsanspruch einzubeziehen: Gleichbehandlung konnte (aber immerhin) im Hinblick auf die Bezuschussung von Einschreibe- und anderen mit dem Zugang zum Unterricht verbundenen Gebühren – wie insbesondere Studiengebühren – verlangt werden (EuGH, Rs. 39/86 Lair, Slg.
Freizügigkeit, Unionsbürger 1988, 3161, Rn. 14 f.; Rs. 197/86 Brown, Slg. 1988, 3205, Rn. 18; C-109/92, a.a.O. Rn. 25). Anfang der 1990er Jahre wurde das Aufenthaltsrecht Studierender mit den erwähnten Schranken in der RL 93/96 kodifiziert, die die aus Kompetenzgründen für nichtig erklärte RL 90/ 366 inhaltsgleich ersetzte (EuGH, Rs. C-295/90 EP/Rat, Slg. 1992, I-4193). Seit seiner Einführung mit dem Vertrag von Maastricht folgt das Freizügigkeitsrecht Studierender aus Art. 18 Abs. 1 EG; dessen Schranken bestimmt heute die diesen konkretisierende RL 2004/38/EG (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG). Im Zuge der Rechtsprechung zur Unionsbürgerschaft (ĺUnionsbürger, Inländerbehandlung) hat der Inländerbehandlungsanspruch Studierender eine weitere Ausdehnung erfahren. Dieser umfasst tatbestandlich nunmehr auch Sozialhilfe (EuGH, Rs. C-184/99 Grzelczyk, Slg. 2001, I-6193 ĺGrzelczyk-Entscheidung) und Studienbeihilfen (EuGH, Rs. C-209/ 03 Bidar, Slg. 2005, I-2119 ĺBidar-Entscheidung). Allerdings erlaubt der das unionsbürgerliche Diskriminierungsverbot insoweit primärrechtskonform kodifizierende Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG den Mitgliedstaaten, den Inländerbehandlungsanspruch hinsichtlich Studienbeihilfen bis zum Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach regelmäßig fünf Jahren (ĺRecht auf Daueraufenthalt) auszuschließen. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass sich ein Freizügigkeitsrecht Studierender auch aus den Marktfreiheiten ergeben kann. Einmal stellt der entgeltliche Unterricht an Hochschulen, die im Wesentlichen aus privaten Mitteln finanziert werden, eine Dienstleistung im Sinne des EG-Vertrages dar (EuGH, Rs. C-109/92, a.a.O. Rn. 17). Damit sind dort Studierende passive Dienstleistungsempfänger mit entsprechenden Rechten hinsichtlich Aufenthalt und Inländerbehandlung (ĺpassive Dienstleistungsfreiheit). Des Weiteren genießen Kinder von Wanderarbeitnehmern und Niederlassungsberechtigten ein Aufenthaltsrecht (ĺFamilienangehörige, Aufenthaltsrecht) und einen – auch ausbildungsbezogenen – Inländerbehandlungsanspruch (s. Art. 12 VO [EWG] 1612/68; ĺFamilienangehörige, Inländerbehandlung). Gibt schließlich ein Arbeitnehmer seine Berufstätigkeit auf, um sich fortzubilden, besteht unter bestimmten Voraussetzungen seine Arbeitnehmereigenschaft fort und damit auch sein Aufenthaltsrecht und Inländerbehandlungsanspruch (Art. 7 Abs. 3 lit. d RL 2004/38/EG; EuGH,
Rs. 39/86, a.a.O. Rn. 29 ff.; Rs. C-357/89, a.a.O. Rn. 20 ff.; Rs. C-3/90 Bernini, Slg. 1992, I-1071, Rn. 18 ff.; Rs. C-57/96 Meints, Slg. 1997, I-6689, Rn. 41; Rs. C-413/01 Ninni-Orasche, Slg. 2003, I-13187, Rn. 34 f.). (fw) §§: Art. 18 EG; RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/ 35 Lit.: S. Bode, Europarechtliche Gleichbehandlungsansprüche Studierender, 2005; M. Dougan, Fees, Grants, Loans and dole Cheques: Who covers the Costs of migrant Education within the EU?, CML Rev. 2005, 943; A. P. van der Mei, EU Law and Education: Promotion of Student Mobility versus Protection of Education Systems, in: M. Dougan/E. Spaventa (Hrsg.), Social Welfare and EU Law, 2005, 219; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Freizügigkeit, Unionsbürger free movement of Union citizens – libre circulation des citoyens de l’Union
An der Spitze des Katalogs der Unionsbürgerrechte (ĺUnionsbürgerrecht ĺUnionsbürgerschaft) ist in Art. 18 Abs. 1 EG das Recht jedes Unionsbürgers verankert, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (allgemein zur Entwicklung des Freizügigkeitsrechts ĺPersonenverkehr, freier; zum Gewährleistungsgehalt des Art. 18 Abs. 1 EG im Besonderen ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines). Sekundärrechtlich konkretisiert wird das Freizügigkeitsrecht in der neuen Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG (ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG). Trotz des ratione personae umfassend formulierten Wortlauts bestimmt sich das Freizügigkeitsrecht von Arbeitnehmern (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Aufenthaltsrecht) und Selbstständigen (ĺNiederlassungsfreiheit, Aufenthaltsrecht) allerdings nach den Marktfreiheiten, da diese als leges speciales zu Art. 18 Abs. 1 EG qualifiziert werden (EuGH, Rs. C-100/01 Olazabal, Slg. 2002, I-10981, Rn. 26). Der unionsrechtlichen Freizügigkeitsgarantie liegt ein weiter Gewährleistungsgehalt zugrunde, der nicht nur die transnationale Reisefreiheit sowie das Recht auf physische Präsenz im Aufnahmemitgliedstaat umfasst, sondern auch einen weit reichenden Anspruch auf Inländerbehandlung (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung ĺDienstleistungsfreiheit, Diskriminierungsverbot ĺNiederlassungsfreiheit, Inländerbehandlung ĺUnionsbürger, Inländerbehandlung) sowie freiheitsrechtlichen Mobilitätsschutz (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Beschränkungsverbot ĺNiederlassungsfreiheit, 409
Freizügigkeit, Verfahrensgarantien Beschränkungsverbot ĺallgemeines Freizügigkeitsrecht, Beschränkungsverbot). (fw) §§: Art. 18 EG, RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/ 35 Lit.: P. Kubicki, Die subjektivrechtliche Komponente der Unionsbürgerschaft, EuR 2006, 489; D. H. Scheuing, Freizügigkeit als Unionsbürgerrecht, EuR 2003, 744; C. Schönberger, Die Unionsbürgerschaft als Sozialbürgerschaft. Aufenthaltsrecht und soziale Gleichbehandlung von Unionsbürgern im Regelungssystem der Unionsbürgerrichtlinie, ZAR 2006, 226; ders., Unionsbürger, 2005; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007; ders., Migration und Osterweiterung: Der unionsrechtliche Rahmen innergemeinschaftlicher Freizügigkeit, AWR-Bulletin 44 (2006) 178
tien auf Entscheidungen, die das Freizügigkeitsrecht aus anderen Gründen als denen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränkenf, etwa mangels Erfüllens der ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen (Art. 15 RL 2004/38/EG) oder aufgrund des Missbrauchsvorbehalts (Art. 36 Satz 2 RL 2004/ 38/EG ĺMissbrauchsvorbehalt). (fw) §§: RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: A. Iliopoulou, Le nouveau droit de séjours des citoyens de l’Union et des membres de leur famille: la directive 2004/38/CE, RDUE 2004, 523; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 190 f.
Freizügigkeit, Verfahrensgarantien
Freizügigkeitsrecht, allgemeines
free movement, procedural safeguards – libre circulation, garanties procédurales
general right to free movement – droit général de la libre circulation
Um die unionsrechtliche Freizügigkeitsverbürgung effektiv zu schützen, sieht das Unionsrecht Verfahrensgarantien vor, die zum Tragen kommen, wenn ein Mitgliedstaat freizügigkeitsbeschränkende Maßnahmen ergreifen möchte. Sie waren bereits in der zwischenzeitlich aufgehobenen RL 64/221/EWG enthalten (Art. 6 ff.) und finden sich heute in den Art. 30 f. der neuen Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG (ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG). Gem. Art. 30 RL 2004/38/EG sind aufenthaltsbeendende Maßnahmen schriftlich und aussagekräftig zu begründen (Abs. 1 und 2) und mit einer Rechtsbehelfsbehelfsbelehrung zu versehen (Abs. 3); eine gesetzte Ausreisefrist muss angemessen sein (Abs. 3). Die Entscheidung muss hinsichtlich ihrer rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen mit einem Rechtsbehelf überprüfbar sein (Art. 31 Abs. 1, 3 RL 2004/ 38/EG). Begehrt der Unionsbürger vorläufigen Rechtsschutz gegen die Ausweisung, darf diese grundsätzlich nicht vor der Entscheidung hierüber vollzogen werden (Art. 31 Abs. 2 RL 2004/ 38/EG). Auch wenn das Hauptsacheverfahren nicht abgewartet werden muss, soll der Ausgewiesene sein Verfahren selbst führen können (Art. 31 Abs. 4 RL 2004/38/EG). Ist eine Änderung der das Aufenthaltsverbot tragenden Gründe eingetreten, können Unionsbürger spätestens drei Jahre nach seiner Vollstreckung seine Aufhebung beantragen; über diesen Antrag ist binnen sechs Monaten zu entscheiden (Art. 32 RL 2004/38/EG; zur Unzulässigkeit unbefristeter Aufenthaltsverbote s. EuGH, Rs. C-348/96 Calfa, Slg. 1999, I-11). Eine mit der RL 2004/38/EG eingeführte Neuerung ist die Erstreckung der Verfahrensgaran-
Mit dem Vertrag von Maastricht fand ein allgemeines, d.h. unabhängig von einer wirtschaftlichen Betätigung gewährleistetes, Freizügigkeitsrecht im Katalog der Unionsbürgerrechte (ĺUnionsbürgerschaft) Eingang in das Primärrecht. Der heutige Art. 18 Abs. 1 EG bestimmt: „Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.“ Anders als der Wortlaut dies nahe legen könnte, umfasst der Gewährleistungsgehalt des allgemeinen Freizügigkeitsrechts nicht nur die transnationale Fortbewegungsfreiheit einschließlich eines Aufenthaltsrechts im Zielstaat (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines, Aufenthaltsrecht), sondern schützt auch vor bestimmten nationalen Maßnahmen, die dieses Recht beeinträchtigen (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines, Beschränkungsverbot). Schließlich befindet sich ein Unionsbürger, der sich gem. Art. 18 Abs. 1 EG in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, im Anwendungsbereich des EG-Vertrages und kann damit unter Berufung auf Art. 12 EG Gleichbehandlung mit den Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats verlangen (ĺUnionsbürger, Inländerbehandlung). (fw)
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§§: Art. 18 EG; RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: P. Kubicki, Die subjektivrechtliche Komponente der Unionsbürgerschaft, EuR 2006, 489; C. Schönberger, Die Unionsbürgerschaft als Sozialbürgerschaft. Aufenthaltsrecht und soziale Gleichbehandlung von Unionsbürgern im Regelungssystem der Unionsbürgerrichtlinie, ZAR 2006, 226; ders., Unionsbürger, 2005; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt,
Freizügigkeitsrecht, allgemeines, Aufenthaltsrecht 2007; ders., Migration und Osterweiterung: Der unionsrechtliche Rahmen innergemeinschaftlicher Freizügigkeit, AWR-Bulletin 44 (2006) 178
Freizügigkeitsrecht, allgemeines, Aufenthaltsrecht general right to free movement, right of residence – droit général à la libre circulation, droit de séjour
Gem. dem mit dem Vertrag von Maastricht als Unionsbürgerrecht (ĺUnionsbürgerschaft) eingefügten Art. 18 Abs. 1 EG (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines) hat „[j]eder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.“ Freilich war ein Freizügigkeitsrecht bereits zuvor jedenfalls ratione personae lückenlos gewährleistet: Die Personenverkehrsfreiheiten (ĺPersonenverkehrsfreiheiten) verbürgten wirtschaftlich aktiven Personen einschließlich Touristen und Reisenden als Dienstleistungsempfänger Freizügigkeit, praeter legem entwickelte der Gerichtshof seit Beginn der 1980er Jahre ein ebenfalls primärrechtlich radiziertes Freizügigkeitsrecht für Studierende (ĺFreizügigkeit, Studierende). Verbliebene Lücken hinsichtlich Nichterwerbstätiger wurden durch die Anfang der 1990er Jahre in Kraft getretenen (mittlerweile aufgehobenen) drei Aufenthaltsrichtlinien 90/ 364, 90/365 und 93/96 (ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG) geschlossen. Diese Garantien galten allerdings nicht schrankenlos: Zum einen konnten aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegenüber EU-Ausländern aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (ordre-public-Vorbehalt) ergriffen werden, zum anderen galten für Nichterwerbstätige ökonomische Aufenthaltsvoraussetzungen. Da Art. 18 Abs. 1 EG ausweislich seines Wortlauts diese Schranken inkorporiert, wurde dessen Bedeutung anfangs für marginal erachtet. Dies verkennt jedoch den Stellenwert, der dem Freizügigkeitsrecht durch seine Konstitutionalisierung als Unionsbürgerrecht beigemessen wurde. Dieser Bedeutungswandel spiegelt sich in der die ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen und den ordre-publicVorbehalt relativierenden, wenn auch nicht preisgebenden Rechtsprechung des EuGH (Rs. C-184/99 Grzelczyk, Slg. 2001, I-6193; Rs. C413/99 Baumbast und R, Slg. 2002, I-7091; Rs. C-456/02 Trojani, Slg. 2004, I-7573; verb. Rs. C-482/01 und 493/01 Orfanopoulos und Oliv-
ieri, Slg. 2004, I-5257, Rn. 65; Rs. C-408/03 EK/ Belgien, Slg. 2006, I-2647) und der Neuregelung des Freizügigkeitsregime in der RL 2004/38/EG (ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG) wider. Art. 18 Abs. 1 EG ist unmittelbar anwendbar (EuGH, Rs. C-413/99 Baumbast und R, Slg. 2002, I-7091, Rn. 80 ff., ĺBaumbast-Entscheidung), sein Anwendungsbereich allerdings insofern praktisch eingeschränkt, als die Marktfreiheiten (ĺPersonenverkehrsfreiheiten) von der h.M. als leges speciales qualifiziert werden (statt vieler EuGH, Rs. C-100/01 Olazabal, Slg. 2002, I-10981, Rn. 26). Die Bedingungen und Beschränkungen konkretisiert derzeit die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG (ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG). Zu diesen zählen erstens die Aufenthaltsformalitäten (ĺAufenthaltsformalitäten). Eine Schranke findet das Aufenthaltsrecht des Weiteren in der Möglichkeit, den Aufenthalt von Unionsbürgern aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beschränken (Art. 27 f. RL 2004/38/EG; ĺAusweisung). Diese Befugnis berührt allerdings nicht den Bestand des Aufenthaltsrechts, sondern gestattet lediglich, aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen (EuGH, Rs. 48/75 Royer, Slg. 1976, 497, Rn. 28 ff.). Der Ausweisungsschutz steigt zudem mit zunehmender Aufenthaltsdauer. Für Nichterwerbstätige gelten schließlich ökonomische Aufenthaltsvoraussetzungen, deren Tragweite jedoch ebenfalls eingeschränkt wurde. Aufenthalte von einer Dauer bis zu 3 Monaten sind nunmehr voraussetzungslos möglich (Art. 6 RL 2004/38/ EG), allerdings besteht das Aufenthaltsrecht nur solange, wie der Unionsbürger Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates nicht unangemessen in Anspruch nimmt (Art. 14 Abs. 1 RL 2004/38/EG). Aufenthalte, deren Dauer drei Monate überschreitet, sind an ökonomische Bedingungen, nämlich das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel und eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes geknüpft (Art. 7 Abs. 1 lit. b und c RL 2004/38/EG). Erfüllt der nichterwerbstätige Unionsbürger diese nicht mehr, ist eine Ausweisung allerdings nur möglich, wenn sich diese als im Einzelfall nicht unverhältnismäßig darstellt: Gem. Art. 14 Abs. 3 RL 2004/38/EG darf die Inanspruchnahme von Sozialhilfe nämlich nicht automatisch zu einer Ausweisung führen. Vielmehr ist – wie von der Rechtsprechung des EuGH zu den bisherigen Aufenthaltsrichtlinien vorgezeichnet – eine um411
Freizügigkeitsrecht, allgemeines, Beschränkungsverbot fassende Abwägungsentscheidung zu treffen (ĺAusweisung). Das mit der RL 2004/38/EG neu eingeführte, regelmäßig nach fünfjährigem rechtmäßigem Aufenthalt erworbene Recht auf Daueraufenthalt kennt demgegenüber keine ökonomischen Kautelen mehr (Art. 16 ff. RL 2004/38/EG; ĺRecht auf Daueraufenthalt). (fw) §§: Art. 18 EG; RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/ 35 Lit.: K. Hailbronner, Union Citizenship and Access to Social Benefits, CML Rev. 2005, 1245; P. Kubicki, Die subjektivrechtliche Komponente der Unionsbürgerschaft, EuR 2006, 489; C. Schönberger, Die Unionsbürgerschaft als Sozialbürgerschaft. Aufenthaltsrecht und soziale Gleichbehandlung von Unionsbürgern im Regelungssystem der Unionsbürgerrichtlinie, ZAR 2006, 226; ders., Unionsbürger, 2005; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt, 2007, 126 ff.; ders., Migration und Osterweiterung: Der unionsrechtliche Rahmen innergemeinschaftlicher Freizügigkeit, AWR-Bulletin 44 (2006) 178
Freizügigkeitsrecht, allgemeines, Beschränkungsverbot restrictions to the free movement of persons – entraves à la libre circulation des personnes
Das allgemeine Freizügigkeitsrecht (Art. 18 Abs. 1 EG; ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines) ist nicht nur dann verletzt, wenn der Aufnahmemitgliedstaat das Aufenthaltsrecht versagt oder aufenthaltsbeendende bzw. -beschränkende Maßnahmen ergreift (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines, Aufenthaltsrecht ĺAusweisung). Vielmehr können auch die Ausübung des Freizügigkeitsrechts behindernde Maßnahmen unter im Einzelnen noch ungeklärten Voraussetzungen dem Tatbestand des Art. 18 Abs. 1 EG unterfallen. In der Rechtsprechung des EuGH etabliert ist die nur freiheitsrechtlich zu erklärende „Garantie der Gleichbehandlung bei Ausübung der Freizügigkeit“ (EuGH, Rs. C-135/99 Elsen, Slg. 2000, I-10409; Rs. C-224/98 Nathalie D’Hoop, Slg. 2002, I-6191; Rs. C-224/02 Pusa, Slg. 2004, I-5763; Rs. C-403/03 Schempp, Slg. 2005, I-6421; Rs. C-406/04 De Cuyper, Slg, 2006, I-6947; Rs. C-192/05 Tas-Hagen, Slg. 2006, I-10451; Rs. C-520/04 Turpeinen, Slg. 2006, I-10685; verb. Rs. C-11 und 12/06 Morgan und Bucher, n.n.v.; Rs. C-76/05 Schwarz, n.n.v.; C318/05 EK/Deutschland, n.n.v.; Rs. C-152/05 EK/Deutschland, n.n.v.). Diese verwehrt es dem Heimatstaat, Unionsbürger, die von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht haben, schlechter als im Inland verbliebene zu behandeln – vorbehaltlich einer Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses. 412
Inwieweit Art. 18 Abs. 1 EG auch sonstigen Mobilitätshindernissen entgegensteht, ist in der Rsp. des EuGH noch ungeklärt (EuGH, Rs. C-378/97 Wijsenbeek, Slg. 1999, I-6207; Rs. C-200/02 Chen/Zhu, Slg. 2004, I-9925; s. ferner GA Jacobs, in: EuGH, Rs. C-96/04 Standesamt Niebüll, Slg. 2006, I-3561, Rn. 54). Richtigerweise ist nicht jedwede nationale Maßnahme tatbestandlich von Art. 18 I EG erfasst, die die Ausübung des Freizügigkeitsrechts behindern oder weniger attraktiv machen könnte, sondern nur eine solche, die einen direkten oder schweren Eingriff in das Freizügigkeitsrecht darstellt, unbeschadet der Möglichkeit einer Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses. (fw) §§: Art. 18 EG Lit.: P. Kubicki, Die subjektivrechtliche Komponente der Unionsbürgerschaft, EuR 2006, 489; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt, 2007, 281 ff.; ders., Anmerkung zu EuGH, Rs. C-406/04 (De Cuyper), EuZW 2006, 503
Freizügigkeitsrichtlinie free movement directive 2004/38 – directive 2004/38 sur le droit de la libre circulation des personnes
Mit der am 29.4.2004 verabschiedeten und bis zum 30.4.2006 umzusetzenden neuen Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG wurde das unionsrechtliche Freizügigkeitsregime neu geregelt. Regelungsbedarf bestand zum einen, weil die zwischenzeitlich auf dreizehn Sekundärrechtsakte angewachsene Ausgestaltung des Freizügigkeitsrechts unübersichtlich wurde, und der Wortlaut dieser teils noch aus den 1960er Jahren stammenden Rechtsakte die Fortentwicklung des Freizügigkeits-Acquis durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs nur unvollkommen widerspiegelte. Zum anderen sollte die Regelung des Freizügigkeitsrechts an veränderte Umstände angepasst werden, namentlich an die Neuradizierung des Freizügigkeitsrechts in der ĺUnionsbürgerschaft. Die RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 über das Recht der ĺUnionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der VO (EWG) 1612/68 und zur Aufhebung der RL 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/ 35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/ 96/EWG – so der volle Titel – fasst nahezu den kompletten Freizügigkeits-Acquis in einem Rechtsakt zusammen; unberührt davon bleiben
Friedliche Nutzung der Atomenergie allerdings die (zwischenzeitlich anderweitig aufgehobene) VO (EWG) 1251/70 über das Verbleiberecht (ĺVerbleiberecht) sowie die VO (EWG) 1612/68 (mit Ausnahme ihrer Art. 10 und 11) über die Arbeitnehmerfreizügigkeit (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit). Die RL 2004/ 38/EG hält am zweispurigen Freizügigkeitsregime für Erwerbstätige einerseits und Nichterwerbstätige andererseits fest, das sich an den nur für Letztere geltenden ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen zeigt (Art. 7). Deren Relativierung in der Rechtsprechung des EuGH hat die RL jedoch rezipiert (vgl. Art. 14 Abs. 3; ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines ĺBaumbast-Entscheidung ĺGrzelczyk-Entscheidung). Gleichfalls eingeschränkt wurde die Tragweite des ordre-public-Vorbehalts (Art. 27 ff.; ĺAusweisung). Bedeutsame Fortschritte sind ferner die Einführung eines bedingungslosen, regelmäßig nach fünfjährigem rechtmäßigen Aufenthalt erworbenen Daueraufenthaltsrechts (Art. 16 ff. RL 2004/38/EG; ĺRecht auf Daueraufenthalt), die Verknüpfung des Aufenthaltsrechts mit einem Inländerbehandlungsanspruch (Art. 24; ĺUnionsbürger, Inländerbehandlung) sowie die Stärkung der Rechtsstellung der Familienangehörigen des Unionsbürgers (ĺFreizügigkeit, Familienangehörige). (fw) §§: RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: J.-Y. Carlier, Le devinir de la libre circulation des personnes dans l’Union Européenne: Regard sur la directive 2004/38, CDE 2006, 13; A. Iliopoulou, Le nouveau droit de séjours des citoyens de l’Union et des membres de leur famille: la directive 2004/38/ CE, RDUE 2004, 523; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Freizügigkeitsverordnung der Arbeitnehmer regulation on freedom of movement for workers within the Community – règlement relatif à la libre circulation des travailleurs à l’intérieur de la Communauté
Die Umsetzung der Freizügigkeit geschah durch den Sekundärrechtsakt VO (EWG) 1612/68. Sie stellt die vorrangige sekundärrechtliche Konkretisierung der ĺArbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 39 EG dar. Im Gegensatz zur ĺWanderarbeitnehmerverordnung VO (EWG) 1408/71 behandelt sie wesentliche sozialrechtliche Fragen nur beiläufig. Die Freizügigkeitsverordnung VO (EWG) 1612/68 bezweckt in erster Linie die umfassende Eingliederung der Wanderarbeitnehmer in die Gesellschaft sämtlicher Mitgliedstaaten. Sie regelt entsprechende Einreisemodalitäten und schreibt die umfas-
sende Gleichbehandlung der Wanderarbeitnehmer und seiner Familienangehörigen im Arbeits-, Steuer- und Sozialrecht des Aufnahmestaates fest. Dies geschieht durch Art. 7 Abs. 2 und Art. 12 der VO (EWG) 1612/68. (dh) §§: VO (EWG) 1612/68 des Rates vom 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABl. 1968, Nr. L 257/2 Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/ consleg/1968/R/01968R1612-20060430-de.pdf
Fremdenfeindlichkeit ĺRassismus und Fremdenfeidnlichkeit, Rahmenbeschlussentwurf zur Bekämpfung von Frequenzmanagement der EG radio spectrum policy of the EC – gestion des fréquences en Europe
Frequenzen spielen für die ĺMassenmedien in erster Linie bei der terrestrischen (analogen oder digitalen) Vermittlung von massenmedialen Inhalten eine Rolle. Mit dem Einsatz auch anderer mobiler Plattformen für die Übermittlung von massenmedialen Inhalten (insb. der Mobiltelefonie-Plattformen, wie z.B. UMTS) wird die Bedeutung von Frequenzen für die Massenmedien aber noch steigen. Im Bereich der Frequenzverwaltung kommt der ĺEU traditionell eine geringere Bedeutung zu als im sonstigen Kommunikationsrecht, zumal die internationale Abstimmung im Rahmen der ITU bzw. auf europäischer Ebene vor allem in einem Ausschuss der Europäischen Konferenz der Verwaltungen für Post- und Telekommunikation (CEPT) erfolgt, in dem auch die europäischen Staaten, die nicht der EU angehören, vertreten sind. In jüngerer Zeit hat die EU jedoch – vor allem vor dem Hintergrund der gestiegenen ökonomischen Bedeutung der Frequenznutzung im Mobilfunkbereich – die Bemühungen verstärkt, im Bereich der Frequenzverwaltung einheitliche EU-Positionen zu finden und einzelne Frequenzfragen auch mittels ĺRichtlinien oder ĺEntscheidungen für die ĺMitgliedstaaten verbindlich festzulegen. Eine EU-weit einheitliche Frequenznutzung wurde insbesondere für GSM- und UMTS Mobilfunkdienste festgelegt. (dd) §§: Entscheidung 676/2002/EC, ABl. 2002, Nr. L 108/1 Web: http://ec.europa.eu/information_society/policy/ radio_spectrum/index_en.htm
Friedliche Nutzung der Atomenergie ĺAtomenergie, friedliche/militärische Nutzung der 413
Frist, angemessene Frist, angemessene ĺangemessene Frist
Fusion ĺZusammenschluss
FRONTEX ĺEuropäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (FRONTEX)
Fusionskontrolle
Frühwarnmechanismus ĺMultilaterale Überwachung Frustrationsverbot ĺRichtlinien, Vorwirkungen FTE Research and Technological Development (RTD) – Recherche et Développement Technologique (RDT)
FTE steht für Forschung und technologische Entwicklung. S.a. ĺForschung und technologische Entwicklung, Begriff. (hk) Führerscheinrichtlinie directive on driving licences – directive relative au permis de conduire
Bei der RL 91/439/EWG (ABl. 1991, Nr. L 237/1) handelt es sich um eine personenbezogene Harmonisierungsmaßnahme im Rahmen der gemeinschaftlichen Verkehrspolitik (ĺVerkehrsrecht, personenbezogene Harmonisierung). Die RL stellt einen umfassenden Rechtsrahmen für die einzelstaatliche Ausstellung, Erteilung und Anerkennung von Führerscheinen in der EU dar. Neben den möglichen Führerschein-/Ausweiskategorien werden auch die Ausstellungsvoraussetzungen normiert (Einhaltung einer bestimmten Mindestaltersgrenze, Bestehen einer entsprechenden Befähigungsprüfung sowie Erfüllung gesundheitlicher Mindestanforderungen). Die MS können in einem gewissen Rahmen weitere/strengere Anforderungen vorsehen. Es besteht aber in jedem Fall die unionsweite Anerkennungspflicht von in anderen MS ausgestellten Führerscheinen. Ein Wohnortwechsel bedingt nicht die Notwendigkeit zum Umtausch/zur Neubeantragung eines Führerscheins. (sm) Lit.: S. Mesecke, Der Vorschlag für eine neue Führerscheinrichtlinie, ZVR 2004, 173 ff.; ders., Neuerungen im Führerscheinrecht der EU, ZVR 2005, 175 ff.; U. Zelenka, Führerscheintourismus – Auswirkungen der EuGH-Entscheidungen Kapper und Halbritter auf die Anerkennungspraxis in Österreich, ZVR 2006, 366 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-476/01 Kapper, Slg. 2004, I-5205; EuGH 6.4.2006, Rs. C-227/05 Halbritter, Slg. 2006, I-49
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merger control – contrôle des concentrations d’entreprises
Beim Fusionskontrollrecht, das auf europäischer Ebene im Wesentlichen sekundärrechtlich in der ĺFusionskontrollverordnung (FKVO) geregelt ist, geht es um die Frage, wie Unternehmenszusammenschlüsse aus der Perspektive des ĺWettbewerbsrechts zu beurteilen sind. Zunächst ist festzuhalten, dass Zusammenschlüsse nicht grundsätzlich negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben müssen. Horizontale Zusammenschlüsse, also Zusammenschlüsse von Wettbewerbern, können bspw. wirtschaftlich betrachtet zu Effizienzsteigerungen (etwa Größenvorteile und Synergien) führen, die letztlich auch den ĺVerbrauchern zu Gute kommen können. Es sind aber auch wettbewerbsschädliche Auswirkungen möglich, wenn z.B. durch einen Unternehmenszusammenschluss der Wettbewerbsdruck in einem Markt sinkt, weil die Zahl der Wettbewerber verringert wird. Dadurch kann das ĺUnternehmen nach dem Zusammenschluss seine Marktmarkt einheitlich ausüben (sog. unilaterale Effekte) und z.B. die Preise anheben und den anderen verbliebenen Marktteilnehmern fällt es leichter, Preise etc. zu koordinieren, weil die Summe der zu koordinierenden Akteure abgenommen hat (sog. koordinierte Effekte). Diese möglichen unterschiedlichen Effekte eines Unternehmenszusammenschlusses erschweren es, die Wirkungen eines Zusammenschlusses für die Zukunft vorherzusagen, sodass es sich bei der Entscheidung über einen Zusammenschluss immer um eine Prognoseentscheidung handelt. Die europäische Fusionskontrolle ist im Gegensatz zum materiellen ĺKartellrecht nicht im ĺPrimärrecht verankert, sondern in der im Jahre 2004 grundlegend reformierten VO (EG) 139/2004 (FKVO). Die FKVO stützt sich auf Art. 83 EG und Art. 308 EG. Zusammenschlüsse von ĺUnternehmen, die bestimmte Umsatzschwellen übersteigen, sind nach der FKVO bei der ĺKommission anzumelden. Diese genehmigt einen Zusammenschluss nur, wenn keine Gefahren für den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt zu befürchten sind. Die FKVO ist erst 1989 erlassen worden, als deutlich wurde, dass die Gefahren für den Wettbewerb, die durch Zusammenschlüsse von ĺUnternehmen hervorgerufen werden können, nicht nur über Art. 81 und 82 EG abgewendet werden können, sondern
Fusionskontrolle dass es eines Systems bedurfte, um solche Zusammenschlüsse besser kontrollieren zu können. Der Anwendungsbereich der FKVO ist eröffnet, wenn ein Zusammenschluss im Sinne von Art. 3 VO (EG) 139/2004 vorliegt. Einen solchen Zusammenschluss stellt die Fusion von ĺUnternehmen (Art. 3 Abs. 1 lit. a), der Erwerb der Kontrolle über ein anderes ĺUnternehmen (Art. 3 Abs. 1 lit. b) oder die Gründung eines sogenannten Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmens (Art. 3 Abs. 4) dar. Zusammenschlüsse fallen jedoch nur unter die FKVO, wenn eine bestimmte Größenordnung erreicht ist, die sich nach den Umsätzen der beteiligten Unternehmen richtet. Ist diese Größenordnung erreicht, ist der Zusammenschluss bei der ĺKommission anzumelden (vgl. Art. 4 FKVO), weil ab diesen Umsätzen davon ausgegangen wird, dass eine gemeinschaftsweite Bedeutung des Vorhabens vorliegt (vgl. Art. 1 FKVO). Diese gemeinschaftsweite Bedeutung liegt nach Art. 1 Abs. 2 lit. a FKVO immer vor, wenn die an einem Zusammenschluss beteiligten ĺUnternehmen zusammen mehr als 5 Mrd. Euro jährlichen Gesamtumsatz erwirtschaften und mindestens zwei an dem Zusammenschluss beteiligte Unternehmen 250 Mio. Euro in der EU erwirtschaften. Die Umsatzschwellen sind in diesem Fall kumulativ anzuwenden („und“). Eine Ausnahme besteht für den Fall, dass dieser gemeinschaftsweite Umsatz der beteiligten ĺUnternehmen jeweils zu mehr als zwei Dritteln in nur einem ĺMitgliedstaat der EU erwirtschaftet wird (Art. 1 Abs. 2 lit. b a. E.). In diesem Fall sind die mitgliedstaatlichen Behörden für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung des betreffenden Zusammenschlusses zuständig. Art. 1 Abs. 3 FKVO sieht alternative Schwellenwerte vor, die sich daran orientieren, dass der Umsatz in mehreren Mitgliedstaaten der EU erzielt wird. Der materielle Prüfungsmaßstab wurde im Rahmen der Novellierung der FKVO durch die VO (EG) 139/2004 neu formuliert. Nach der VO (EG) 139/2004 sind Zusammenschlüsse zu untersagen, „wenn durch sie wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung.“ Somit kann die ĺKommission einen Zusammenschluss, der in den Anwendungsbereich der FKVO fällt, untersagen, wenn er dazu führt, dass der wirksame Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde. Dieser neue,
nach der englischen Sprachfassung SIEC-Test („substantial impediment of effective competition“) genannte Maßstab sollte einerseits die Untersagungsbefugnis der Kommission erweitern, andererseits aber nicht den vor allem aus dem US-amerikanischen Recht bekannten „SLCTest“ („substantial lessening of competition“) übernehmen, der an eine wesentliche Verringerung von Wettbewerb infolge des Zusammenschlusses anknüpft und eine flexiblere Anwendung ermöglicht. Kern des Eingriffskriteriums soll weiterhin das Regelbeispiel der ĺMarktbeherrschung bleiben, während die hiervon abhängige Anwendung des Grundtatbestands der wesentlichen Beeinträchtigung nur in einem Spezialfall eigenständige Bedeutung haben soll. Die Prüfung des Eingriffstatbestandes der FKVO erfolgt grundsätzlich in drei Schritten. Zunächst bedarf es der Bestimmung des relevanten Marktes in sachlicher und räumlicher Hinsicht. Dann ist festzustellen, ob der wirksame Wettbewerb auf einem dieser Märkte durch die zu prognostizierenden Auswirkungen des Zusammenschlusses erheblich behindert wird, insbesondere durch die Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung. Schließlich ist zu prüfen, ob trotz einer solchen Wettbewerbsbehinderung der Zusammenschluss auf Grund mit ihm verbundener positiver Effekte ausnahmsweise freizugeben ist. Das Verfahren der Fusionskontrolle ist ebenfalls in der FKVO niedergelegt. Die Entscheidung der ĺKommission, wie ein Zusammenschlussvorhaben zu beurteilen ist, vollzieht sich grundsätzlich in drei Phasen. In der ersten Phase (Vorprüfung) prüft die Kommission, ob das Vorhaben überhaupt in den Anwendungsbereich der FKVO fällt (Art. 6 Abs. 1 lit. a FKVO). Soweit sie zu der Überzeugung gelangt, dass der Zusammenschluss zwar in den Anwendungsbereich der FKVO fällt, gegen ihn aber keine Bedenken erhebt, gibt sie ihn frei (Art. 6 Abs. 1 lit. b FKVO). Bestehen dagegen Bedenken gegen den Zusammenschluss, wird ein sog. Hauptprüfverfahren gem. Art. 6 Abs. 1 lit. c FKVO eingeleitet. Das Hauptprüfverfahren endet gem. Art. 8 Abs. 1 FKVO entweder mit einer Freigabe des Zusammenschlusses, einer Freigabe unter Auflagen (Art. 8 Abs. 2 FKVO) oder seiner Untersagung (Art. 8 Abs. 3 FKVO). Die Ermittlungsbefugnisse der Kommission sind in der FKVO ähnlich ausgestaltet wie in der VO (EG) 1/2003. (jpt) §§: VO (EG) 139/2004 des Rates vom 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen,
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Fusionskontrolle, Beurteilung ABl. 2004, Nr. L 24/1; Durchführungsverordnung zur EG-Fusionskontrollverordnung; VO (EG) 802/2004, ABl. 2004, Nr. L 133/1 Lit.: J. Hoffmann/J. P. Terhechte, Grundzüge des materiellen Fusionskontrollrechts, in: J. P. Terhechte (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 2008, § 4; dies., Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine neue Fusionskontrollverordnung, AG 2003, 415; M. Karl, Europäisches Fusionskontrollverfahrensrecht, in: J. P. Terhechte (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 2008, § 73; U. Böge, Reform der Europäischen Fusionskontrolle, WuW 2004, 138; K. Fountoukakos/S. Ryan, A New Substantive Test for EU Merger Control, ECLR 2005, 277; E. Staebe/U. Denzel, Die neue Europäische Fusionskontrollverordnung, EWS 2004, 194
Fusionskontrolle, Beurteilung merger control, assessment – contrôle de concentrations, évaluation
Art. 2 der ĺFusionskontrollverordnung (FKVO) enthält die materiellen Prüfkriterien, nach denen die ĺKommission die Vereinbarkeit eines geplanten ĺZusammenschlusses ĺgemeinschaftsweiter Bedeutung mit dem ĺGemeinsamen Markt prüft. Ein Vorhaben ist zu untersagen, wenn der Zusammenschluss zu einer erheblichen Behinderung des wirksamen Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt oder eines wesentlichen Teils desselben führen würde, wobei Verpflichtungszusagen der den Zusammenschluss anmeldenden Unternehmen (ĺFusionskontrolle, Verpflichtungszusagen) eine Untersagungsentscheidung verhindern können. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Zusammenschlusses erfolgt in zwei Schritten: Zunächst sind die sachlich und räumlich relevanten Märkte zu bestimmen, auf dem sich das geplante Zusammenschlussvorhaben auswirken wird (ĺWettbewerbsrecht, Bestimmung des relevanten Markts). Anschließend ist zu prüfen, ob der geplante Zusammenschluss auf diesen Märkten zu einer erheblichen Behinderung des wirksamen Wettbewerbs führen würde. Eine solche Behinderung ist insbesondere dann zu erwarten, wenn mit der Begründung oder Verstärkung einer ĺmarktbeherrschenden Stellung zu rechnen ist, auch wenn dieses Kriterium seit der Reform der FKVO im Jahr 2004 nicht mehr allein ausschlaggebend ist. Wie Erwägungsgrund 25 zur FKVO klarstellt, befürwortet der Gesetzgeber, den Begriff „erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs“ für die Anwendung des Art. 2 Abs. 2 und 3 FKVO dahingehend auszulegen, „dass er sich über das Konzept der Marktbeherrschung hinaus ausschließlich auf diejenigen wettbewerbs416
schädigenden Auswirkungen eines Zusammenschlusses erstreckt, die sich aus nicht koordiniertem Verhalten von Unternehmen ergeben, die auf dem jeweiligen Markt keine beherrschende Stellung haben würden.“ Demnach ist davon auszugehen, dass das neue Beurteilungskriterium vornehmlich für die Untersagung von Zusammenschlüssen im Bereich nicht koordinierter Oligopolwirkungen (ĺFusionskontrolle, oligopolistische Märkte) von Bedeutung sein wird. Ferner wird verdeutlicht, dass auch bei Begründung einer marktbeherrschenden Stellung die infolge eines Zusammenschlusses ermöglichten Effizienzgewinne (insbesondere: Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts) negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb ausgleichen und zur Zulässigkeit des Zusammenschlussvorhabens führen können (vgl. Erwägungsgrund 29 zur FKVO). Dies kommt in Betracht falls diese Effizienzgewinne dem Verbraucher zu Gute kommen, sie fusionsspezifisch und überprüfbar sind. (mke) §§: Art. 2 VO (EG) 139/2004, ABl. 2004, Nr. L 24/1; Leitlinien der Kommission zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gem. der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom 5.2.2004, ABl. 2004, Nr. C 31/5, Rn. 76 ff. Lit.: W. Berg, Die neue EG-Fusionskontrollverordnung: Praktische Auswirkungen der Reform, BB 2004, 561; D. Zimmer, Significant impediment to effective competition, ZWeR 2004, 250 ff.; K. Fountoukakos/S. Ryan, A new substantive test for EU merger control, ECLR 2005, 287; H. Bergmann/C. Burholt, Nicht Fisch und nicht Fleisch – Zur Änderung des materiellen Prüfkriteriums in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, EuZW 2004, 161 Rsp.: EuG, Rs. T 5/02 Tetra Laval und Sidel/Kommission, Slg. 2002 II-4381, insb. Rn. 246, 248, 280, 294; EuGH, verb. Rs. C-12/03 und C-13/03 Kommission/Tetra Laval; EuG, Rs. T 342/99 Airtours, Slg. 2002, II-2585, insb. Rn. 63 und 280; EuG, Rs. T 102/ 96 Gencor/Kommission, Slg. 1999, II-753, Rn. 262
Fusionskontrolle, konglomerate Zusammenschlüsse merger control, conglomerate merger – contrôle de concentrations; concentration conglomérate
Konglomerate Zusammenschlüsse bezeichnen ĺZusammenschlüsse unter Beteiligung von Unternehmen, die weder Wettbewerber sind noch in einem Bezugs- oder Lieferverhältnis zueinander stehen. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit konglomerater Zusammenschlüsse nach der ĺFusionskontrollverordnung untersucht die Kommission mögliche wettbewerbswidrige Auswirkungen auf benachbarten, d.h. in enger tatsächlicher Beziehung zueinander stehenden Märkten. Konglomerate Zusammen-
Fusionskontrolle, Verpflichtungszusagen schlüsse können insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Portfolio-Effekts eine Behinderung des wirksamen Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt begründen, wenn die Erzeugnisse der fusionierenden Unternehmen zwar funktional nicht gegeneinander austauschbar sind, aber einem Sortiment angehören, das häufig als Ganzes nachgefragt wird oder in anderer Weise in seiner Gesamtheit Marktmacht gegenüber dem Handel, der Konkurrenz oder dem Verbraucher verleiht. Insbesondere kann das erweiterte Sortimentsangebot den fusionierten Unternehmen ermöglichen, Konkurrenten vom Markt zu verdrängen oder den Handel vom Widerstand gegen eine Preiserhöhung abzuhalten. In der Mehrheit der Fälle sind konglomerate Zusammenschlüsse aber nach der Fusionskontrollverordnung zulässig. (mke) §§: Art. 2 VO (EG) 139/2004, ABl. 2004, Nr. L 24/1 Rsp.: EuG, Rs. T 05/02 Tetra Laval/Kommission, Slg. 2002, II- 4381, Rn. 142 ff.; EuGH, Rs. C 12/03 Kommission/Tetra Laval, Slg. 2005, I-987, Rn. 37 ff.; EuGH, Rs. T-210/91 General Electric, Rn. 486. Zur Erheblichkeit des Portfolioeffekts EuG, Rs. T-114/02 Babyliss, Slg. 2003, II-1279, Rn. 339 ff.
Fusionskontrolle, oligopolistische Märkte merger control, oligopolistic markets – contrôle de concentrations, marchés oligopolistiques
In einem oligopolistischen Markt gibt es nur eine begrenzte Anzahl großer Unternehmen, die insoweit voneinander abhängen, als das Verhalten eines Unternehmens spürbare Auswirkungen auf die Bedingungen des Gesamtmarktes hat und damit auch indirekt die Lage aller übrigen Unternehmen beeinflussen kann. Der bisherigen Rechtsprechung des ĺEuG zufolge setzte die Begründung oder Verstärkung einer gemeinsamen marktbeherrschenden Stellung auf oligopolistischen Märkten, welche die Untersagung eines Zusammenschlussvorhabens nach der ĺFusionskontrollverordnung („FKVO“) rechtfertigen kann, das Vorliegen koordinierter Effekte zwischen den betroffenen Unternehmen voraus. Hierfür galten drei Bedingungen als unerlässliche Voraussetzungen: 1. Jedes Oligopolmitglied muss mit hinreichender Präzision und Schnelligkeit das Marktverhalten der übrigen in Erfahrung bringen können (Markttransparenz); 2. Abschreckungsmöglichkeiten müssen für einen langfristig negativen Anreiz sorgen, von einem gemeinsamen Vorgehen abzuweichen (Abschreckungsmöglichkeiten) und 3. das absehbare Verhalten von nicht dem Oligopol angehörenden Wettbewerbern oder
Kunden darf ein gemeinsames Vorgehen von gewisser Dauer nicht in Frage stellen (Keine Gefahr der Vereitelung durch Kunden und Wettbewerber). Das neue materielle Prüfkriterium des Art. 2 FKVO (ĺFusionskontrolle, Beurteilung), dem zufolge eine Untersagungsentscheidung nicht in jedem Fall die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung voraussetzt, ist auch als Antwort auf diese als zu streng empfundenen Anforderungen der Rechtsprechung zu verstehen. Erwägungsgrund 25 zur FKVO deutet darauf hin, dass Zusammenschlüsse in oligopolistischen Märkten, die zur Beseitigung wichtiger Wettbewerbszwänge sowie zur einer Verringerung der Wettbewerbsdrucks auf den oder die verbleibenden Wettbewerber führen, selbst bei geringer Wahrscheinlichkeit einer Koordinierung zwischen den Mitgliedern des Oligopols eine erhebliche Behinderung des wirksamen Wettbewerbs herbeiführen können. Nach neuer Rechtslage kann für eine Verbotsentscheidung genügen, dass das fusionierte Unternehmen in oligopolistischen Märkten zu einseitigen Preiserhebungen in der Lage ist, ohne sich mit Wettbewerbern im Verhalten zu koordinieren. (mke) §§: Erwägungsgrund 25 und Art. 2 VO (EG) 139/ 2004, ABl. 2004, Nr. L 24/1; Leitlinien der Kommission zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gem. der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom 5.2.2004, ABl. 2004, Nr. C 31/5, Rn. 24 ff. Lit.: W. Berg, Die neue EG-Fusionskontrollverordnung: Praktische Auswirkungen der Reform, BB 2004, 561; A. Bartosch, Welche Dimension hat das „Neue“ im Airtours-Urteil des EuGH (Rs T-342/99), EuZW 2002, 645; S. Hirsbrunner, Neue Entwicklungen der Europäischen Fusionskontrolle, EuZW 2003, 709; C. Höhn, Kollektive Marktbeherrschung vor und nach der Airtours-Entscheidung des EuG, RIW 2003, 63 Rsp.: EuGH, C 68/94 und C 30/95 Französische Republik, SCPA und EMC/Kommission, Slg. 1998, I1375, Rn. 152 ff.; EuG, T 102/96 Gencor/Lonrho, Slg. 1999, II-753, Rn. 134 f.; EuG, T 342/99 Airtours, Slg. 2002, II-2585, Rn. 61-63, 192, 195
Fusionskontrolle, Verpflichtungszusagen merger control, commitments – contrôle de concentrations, engagements
Kommt die ĺKommission im Rahmen der Prüfung eines ĺZusammenschlusses nach der ĺFusionskontrollverordnung (FKVO) zu dem vorläufigen Ergebnis, dass das Konzentrationsvorhaben den wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt erheblich behindern würde, ist es für die Erzielung einer (eingeschränkten) Freigabeentscheidung von ausschlaggebender 417
Fusionskontrolle, Zuständigkeit Bedeutung, dass die beteiligten Unternehmen Änderungen des Konzentrationsvorhabens zusagen, um die Wettbewerbsbedenken der Kommission zu beseitigen (ĺFusionskontrolle, Beurteilung). Die Darlegungslast, dass die vorgeschlagenen Zusagen eine erhebliche Behinderung des wirksamen Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt oder eines wesentlichen Teils desselben ausschließen, obliegt den Unternehmen, die den Zusammenschluss anmelden. Änderungen des Konzentrationsvorhabens können noch vor Erlass einer Genehmigungsentscheidung durchgeführt werden. In der Regel aber verpflichten sich die beteiligten Unternehmen, die Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit der Fusionskontrollverordnung innerhalb einer bestimmten Frist nach der Genehmigung des Zusammenschlusses herzustellen. Die Kommission kann ihre Entscheidung gem. Art. 6 Abs. 2 bzw. Art. 8 Abs. 2 FKVO mit Bedingungen und Auflagen verbinden, um sicherzustellen, dass die beteiligten Unternehmen diesen Verpflichtungen nachkommen. (mke) §§: Erwägungsgrund 30 und Art. 2, 6 und 8 VO (EG) 139/2004, ABl. 2004, Nr. L 24/1; Art. 20 VO (EG) 802/ 2004, ABl. 2004, Nr. L 133/1; Mitteilung der Kommission über im Rahmen der VO (EWG) 4064/89 des Rates und der VO (EG) 447/98 der Kommission zulässige Abhilfemaßnahmen, ABl. 2001, Nr. C 68/03 Lit.: H. Schröter/T. Jakob/W. Mederer (Hrsg.), Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, 2003, Art. 8 FKVO Rn. 21 bis 34; A. Winckler, Some Comments on Procedure and Remedies under EC Merger Control Rules, World Competition, 2003, 219 Rsp.: EuG, T 102/96 Gencor/Kommission, Slg. 1999, II-735, Rn. 106,319; EuGH, C 12/03 Tetra Laval, Slg. 2005, I- 987, Rn.75; EuG, T 114/02 Babyliss, Slg. 2003 II-1279, Rn. 169
gen auf den zwischenstaatlichen Handel auf mitgliedstaatlichen Antrag) begründet werden. Ist der Anwendungsbereich der FKVO eröffnet, dürfen die Mitgliedstaaten ihr innerstaatliches Wettbewerbsrecht nur anwenden, falls dies in der FKVO vorgesehen ist (vgl. Art. 21 Abs. 3 FKVO und Erwägungsgrund 18 FKVO). So schließt z.B. eine Vereinbarkeitsentscheidung der Kommission jede weitere Prüfung des Vorhabens nach nationalem Wettbewerbsrecht aus. Die ausschließliche Zuständigkeit der Kommission hindert die Mitgliedstaaten allerdings nicht daran, „geeignete Maßnahmen zum Schutz anderer berechtigter Interessen“, wie insbesondere der öffentlichen Sicherheit, der Medienvielfalt und der Aufsichtsregeln zu treffen (Art. 21 Abs. 4 FKVO). Ferner sind die Mitgliedstaaten primärrechtlich befugt, Maßnahmen zur Wahrung wesentlicher Sicherheitsinteressen zu ergreifen (vgl. Art. 223 Abs. 1 lit. b EG-Vertrag). Zuletzt ist auch eine Verweisung eines Zusammenschlusses mit gemeinschaftsweiter Bedeutung an die mitgliedstaatlichen Behörden möglich, vgl. Art. 9 FKVO und Art. 4 Abs. 4 FKVO. (mke) §§: Erwägungsgrund 18 und Art. 1, 4, 21, 22 VO (EG) 139/2004, ABl. 2004, Nr. L 24/1; Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen, ABl. 2005, Nr. C 56/2 Lit.: D. Perez/R. Burnley, The article 9 referral back procedure, E.C.L.R. 2003, 364; S. Hirsbrunner, Verweisung von Unternehmenszusammenschlüssen nach Art. 9 der EG-Fusionskontrollverordnung, EWS 1998, 233; E. Niederleithinger, Das Verhältnis nationaler und europäischer Kontrolle von Zusammenschlüssen, WuW 1990, 721 Rsp.: EuG, T 346/02 und T 347/02 Cableuropa, Slg. 2003, II-04251, Rn. 182-186; EuG, T 119/02 Royal Philips Electronic, Slg. II-2003, 1433, Rn. 344
Fusionskontrolle, Zuständigkeit
Fusionskontrollverordnung
merger control, jurisdiction – contrôle de concentration, compétence
merger regulation – règlement sur les contrôles de concentrations
ĺZusammenschlüsse von ĺgemeinschaftsweieter Bedeutung unterliegen der Kontrolle durch die ĺKommission nach der ĺFusionskontrollverordnung („FKVO“). Dagegen können Zusammenschlussvorhaben, die die Schwellenwerte gemeinschaftsweiter Bedeutung des Art. 1 FKVO nicht erreichen, der nationalen Wettbewerbsaufsicht unterliegen. Trotz unterschrittener Schwellenwerte kann eine Zuständigkeit der Kommission nach Art. 4 Abs. 5 FKVO (für Zusammenschlüsse, die nach dem Wettbewerbsrecht mindestens dreier Mitgliedstaaten geprüft werden könnten auf Antrag der beteiligten Unternehmen) und nach Art. 22 FKVO (für Zusammenschlüsse mit Auswirkun-
Die VO (EWG) 139/2004 des Rates vom 20.1. 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („FKVO“) unterstellt ĺZusammenschlüsse von ĺgemeinschaftsweiter Bedeutung der alleinigen („one-stop-shop“) Kontrolle durch die ĺEuropäische Kommission. Die betroffenen Unternehmen sind nach Art. 4 FKVO Abs. 1 bis 3 grundsätzlich verpflichtet, solche Zusammenschlüssen anzumelden und bis zum Erlass einer positiven Entscheidung durch die Kommission nicht zu vollziehen (ĺFusionskontrolle, Anmeldung). Die Kommission untersagt Zusammenschlüsse gem. Art. 2 FVKO, wenn sie zu einer erheblichen Behinderung des wirksamen Wettbe-
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Fusionskontrollverordnung, Verfahren werbs im Gemeinsamen Markt oder eines wesentlichen Teil desselben führen würden (ĺFusionskontrolle, Beurteilung). Seit der Reform der FKVO im Jahr 2004 ist die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung nur noch Regelbeispiel für eine solche erhebliche Behinderung. (mke) §§: VO (EG) 139/2004, ABl. 2004, Nr. L 24/1; Leitlinien der Kommission zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gem. der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom 5.2.2004, ABl. 2004, Nr. C 31/5, Rn. 76 ff.
Fusionskontrollverordnung, Anmeldung merger regulation, notification – règlement sur les contrôles de concentrations, notification
Nach Art. 4 Abs. 1-3 der Fusionskontrollverordnung; („FKVO“) sind ĺZusammenschlüsse mit ĺgemeinschaftsweiter Bedeutung bei der ĺKommission anzumelden. Für alle anmeldepflichtigen Zusammenschlüsse gilt gem. Art. 7 FKVO ein umfassendes Vollzugsverbot, dem die Kommission mit Geldbußen und Zwangsgeldern Nachdruck verleihen kann (vgl. Art. 14, 15 FKVO). Die Pflicht zur Anmeldung wird in Art. 4 Abs. 1 UAbs. 1 FKVO an das Vorliegen konkreter Rechtshandlungen geknüpft (insbesondere Vertragsschluss, Veröffentlichung des Übernahmeangebots oder Erwerb einer die Kontrolle begründenden Beteiligung). Dabei ist auf deren zivilrechtliche Wirksamkeit und Bindungswirkung nach dem jeweiligen nationalen Recht abzustellen. Die Anmeldeformalitäten sind in Kap. II der VO (EG) 802/2004 (Verordnung der Kommission vom 21.4.2004 zur Durchführung der VO [EG] 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen) geregelt. Die Anmeldung muss auf dem sog. Formblatt CO (Anhang 1 VO [EG] 802/ 2004 Formblatt CO zur Anmeldung eines Zusammenschlusses gem. VO [EG] 139/2004 des Rates) erfolgen, das über die darzulegenden Informationen Aufschluss gibt. (mke) §§: Art. 4, 14, 15 VO (EG) 139/2004, ABl. 2004, Nr. L 24/1 Lit.: H. J. Hellmann, Die neuen Anmeldevorschriften der Fusionskontrollverordnung und ihre Bedeutung für Unternehmenszusammenschlüsse, ZIP 2004, 1388; E. Stäbe/U. Denzel, Die neue Europäische Fusionskontrollverordnung, EWS 2004, 197
Fusionskontrollverordnung, Anwendungsbereich merger regulation, scope of application – règlement sur contrôles de concentrations, champ d’application
Der Anwendungsbereich der Fusionskontrollverordnung (FKVO) ist eröffnet, wenn ein ĺZu-
sammenschluss i.S.d. Art. 3 FKVO vorliegt und die an ihm beteiligten Unternehmen die in Art. 1 Abs. 2 und 3 FKVO genannten Umsatzschwellen (ĺGemeinschaftsweite Bedeutung) überschreiten. Um zu ermitteln, ob ein Zusammenschluss in den Anwendungsbereichs der FKVO fällt, müssen zunächst die am Zusammenschlussvorhaben beteiligten Unternehmen bestimmt und deren Umsätze nach Maßgabe des Art. 5 FKVO errechnet werden. (mke) §§: Art. 1, 3, 5 VO (EG) 139/2004, ABl. 2004, Nr. L 24/1
Fusionskontrollverordnung, Verfahren merger regulation, procedure – règlement sur les contrôles de concentrations, procédure
Das Fusionskontrollverfahren nach der ĺFusionskontrollverordnung („FKVO“) ist in zwei Verfahrensabschnitte untergliedert, an deren Ende jeweils der Erlass einer Entscheidung steht. Der erste Verfahrensabschnitt gilt für sämtliche angemeldete Konzentrationsvorhaben, der zweite nur für die problematischeren, die einer genaueren Untersuchung bedürfen (ĺFusionskontrolle, Beurteilung). In der Praxis werden Zusammenschlussvorhaben zumeist in der ersten Verfahrensphase genehmigt, die Eröffnung der zweiten Verfahrensphase bildet die Ausnahme. Gem. Art. 6 Abs. 1 und 2 FKVO kann die ĺKommission zum Abschluss des ersten Verfahrensabschnitts 1. die FKVO für nicht anwendbar und sich somit für die Prüfung des Zusammenschlusses unzuständig erklären (ĺFusionskontrolle, Zuständigkeit), 2. das Zusammenschlussvorhaben uneingeschränkt oder auf Grundlage von Änderungen oder Änderungszusagen genehmigen, 3. soweit ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem ĺGemeinsamen Markt bestehen den zweiten Verfahrensabschnitt einleiten oder 4. das Verfahren oder einen Teil des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Art. 9 FKVO an eine nationale Wettbewerbsbehörde verweisen (ĺFusionskontrolle, Zuständigkeit). In der ersten Verfahrensphase muss die Kommission grundsätzlich in 25 Arbeitstagen entscheiden, andernfalls gilt das angemeldete Zusammenschlussvorhaben als genehmigt, Art. 10 Abs. 6 FKVO. Phase 2 des Fusionskontrollverfahrens wird eröffnet (Art. 6 FKVO spricht von der „Einleitung 419
Fusionsrichtlinie des Verfahrens“), wenn der geplante Zusammenschluss unter die FKVO fällt und Anlass zu „ernsthaften Bedenken“ gibt. Ernsthafte Bedenken liegen vor, wenn nach der ersten Analyse der Wettbewerbsstrukturen deutliche Hinweise bestehen, dass auf mindestens einem betroffenen Markt eine erhebliche Behinderung des wirksamen Wettbewerbs möglich erscheint. Indizien hierfür bilden insbesondere hohe Marktanteile, fehlender potenzieller Wettbewerb und wesentliche Marktzutrittschranken, und somit die üblichen Prüfkriterien der Kommission bezüglich der Vereinbarkeit eines Zusammenschlussvorhabens mit dem Gemeinsamen Markt (ĺFusionskontrolle, Beurteilung). Die zweite Prüfungsphase wird mit einer der in Art. 8 FKVO vorgesehenen Entscheidungen abgeschlossen. Dabei bestehen die Möglichkeiten 1. das Vorhaben zu genehmigen, 2. gegebenenfalls versehen mit Auflagen und Bedingungen (ĺFusionskontrolle, Verpflichtungszusagen) oder 3. es zu untersagen. In der zweiten Verfahrensphase muss die Kommission grundsätzlich in 90 Tagen entscheiden, falls keine Fristhemmung (vgl. Art. 9 FKVO) oder -verlängerung eingreift. Bei Fristversäumnis gilt der Zusammenschluss als genehmigt, Art. 10 Abs. 6 FKVO. Um sicher zu stellen, „dass ausreichend Zeit für die Untersuchung des Falls und für die Überprüfung der gegenüber der Kommission vorgetragenen Tatsachen und Argumenten zur Verfügung steht“ (Erwägungsgrund 35 FKVO) können die das Zusammenschlussvorhaben anmeldenden Parteien auch von einer zusätzlichen Möglichkeit zur einmaligen Fristverlängerung um bis zu 20 Arbeitstage Gebrauch machen (Art. 10 Abs. 3 UAbs. 2 FKVO). Sie können eine Verlängerung innerhalb von 15 Arbeitstagen nach Einleitung der zweiten Verfahrensphase beantragen. Auf Antrag der Kommission (der auch später erfolgen kann) tritt dagegen eine Fristverlängerung nur ein, falls die Anmelder zustimmen. (mke) §§: Erwägungsgrund 35, Art. 6, 8, 9, 10 VO (EG) 139/ 2004, ABl. 2004, Nr. L 24/1; Wichtige Ausführungsregeln zur Fristberechnung in den beiden Verfahrensphasen finden sich in Kap. 3 VO (EG) 802/2004, ABl. 2004, Nr. L 133/1 Lit.: D. Dittert, Die Reform des Verfahrens in der neuen EG-Fusionskontrollverordnung, WuW 2004, 148; A. Andreangeli, Fairness and timing in Merger Control proceedings: will the ‘Stop-the-Clock’ clause work?, ECLR 2005, 403
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Fusionsrichtlinie ĺVerschmelzungsrichtlinie Fusionsvertrag merger treaty – traité de fusion
S.a. ĺVertrag von Brüssel. Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 8.4.1965 in Brüssel unterzeichnet, in Kraft seit 1.7.1967. Durch diesen Vertrag wurden der ĺRat und die ĺKommission der drei Gemeinschaften (ĺEGKS, ĺEWG, ĺEAG) verschmolzen, die ihre Aufgaben je nach dem Gründungsvertrag jener Gemeinschaft ausüben, für die sie im Einzelfall tätig werden. Aufgehoben und Übernahme des wesentlichsten Inhalts durch den ĺVertrag von Amsterdam. (gm) Lit.: R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 22, 259 Web: http://europa.eu/abc/treaties/index_de.htm
Futtermittel feed/feeding stuff – alimentation des animaux
Futtermittel sind nach Art. 3 Abs. 4 der VO (EG) 178/2002 (sog. ĺBasisverordnung) Stoffe oder Erzeugnisse, auch Zusatzstoffe, die verarbeitet, teilweise verarbeitet oder unverarbeitet, zur oralen Tierfütterung bestimmt sind. Sie werden aufgrund des ganzheitlichen Ansatzes der Basisverordnung, die alle Aspekte der Lebensmittelherstellungskette als Kontinuum betrachtet und von der Primär- sowie der Futtermittelproduktion bis zum Verkauf bzw. zur Abgabe der ĺLebensmittel an den Verbraucher alle Zwischenstufen erfasst, als erstes Glied in der Nahrungskette verstanden. (mkr) §§: VO (EG) 178/2002
Futtermittelunternehmen feed business – entreprise du secteur de l’alimentation animale
Futtermittelunternehmen sind nach Art. 3 Abs. 5 der VO (EG) 178/2002 (sog. ĺBasisverordnung) alle Unternehmen, gleichgültig, ob sie auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind oder nicht und ob sie öffentlich oder privat sind, die an der Erzeugung, Herstellung, Verarbeitung, Lagerung, Beförderung oder dem Vertrieb von ĺFuttermitteln beteiligt sind, einschließlich Erzeuger, die Futtermittel zur Verfütterung in ihrem eigenen Betrieb erzeugen, verarbeiten oder lagern. (mkr) §§: Art. 3 Abs. 5 VO (EG) 178/2002
Futtermittelunternehmer Futtermittelunternehmer feed business operator – exploitant du secteur de l’alimentation animale
Futtermittelunternehmer sind nach Art. 3 Abs. 6 der VO (EG) 178/2002 (sog. ĺBasisverordnung) die natürlichen oder juristischen Personen, die dafür verantwortlich sind, dass die Anforderungen des ĺLebensmittelrechts in dem ihrer Kontrolle unterstehenden ĺFuttermittelunternehmen erfüllt werden. (mkr) §§: Art. 3 Abs. 6 VO (EG) 178/2002
421
G GAERC General Affairs and External Relations Council – Conseil des affaires générales et relations extérieures
Formation des ĺRates der Europäischen Union mit der Zuständigkeit für allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen. Seit der Reform der Ratsformationen im Jahr 2002 tagt der GAERC in zwei getrennten Subformationen zu den allgemeinen Angelegenheiten und den Außenbeziehungen mit teils unterschiedlicher Besetzung. Die Teilformation Außenbeziehungen ist zuständig für alle Aspekte der Außenbeziehungen der Europäischen Union, d.h. sowohl für die ĺGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und als auch für die auswärtigen Belange aufgrund des EG-Vertrags, insb. die Entwicklungspolitik und die humanitäre Hilfe. Informelle Ratstagungen des GAERC werden als „Gymnich“ bezeichnet, in Anlehnung an das gleichnamige Schloss zwischen Aachen und Köln, wo 1999 unter deutscher Ratspräsidentschaft das erste informelle Treffen dieser Art. stattfand. (dt) §§: Art. 202-210 EG Lit.: E. Regelsberger, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, 2004, 29 (57-59) Web: http://www.consilium.europa.eu/
GALILEO GALILEO ist Europas Initiative der Entwicklung eines modernen Satellitennavigationssystems. Das Programm hat Etablierung und Betrieb eines weltweiten Positionsbestimmungsdienstes, der unter ziviler Kontrolle stehen soll, zum Ziel und stellt nach ĺEGNOS den zweiten Schritt in der Satellitennavigationspolitik Europas dar. ĺEuropäische GNSS-Aufsichtsbehörde (GSA). (gr) Web: http://ec.europa.eu/dgs/energy_transport/galileo/ intro/steps_de.htm
meln, die Annahme, die Bestellung und die Übertragung von Sportwetten unter Strafe stellte. Der EuGH bejahte das Vorliegen einer Beschränkung sowohl der ĺNiederlassungsfreiheit als auch des ĺfreien Dienstleistungsverkehrs, zumal der betreffende MS sich weigerte, eine Genehmigung oder Konzession zu erteilen. Hinsichtlich einer möglichen Rechtfertigung durch ĺzwingende Gründe des Allgemeininteresses verwies der EuGH die konkrete Prüfung in die Zuständigkeit der nationalen Instanzen. (sh) Rsp.: Rs. C-243/01 Gambelli, Slg. 2003 I-13031
Gandolfi-Gruppe ĺAkademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler GAP ĺGemeinsame Agrarpolitik (GAP) Garantiert traditionelle Spezialität (g.t.S.): Traditional Speciality Guaranteed (TSG) – Spécialité Traditionnelle Garantie (STG)
Produkte die als garantiert traditionelle Spezialität (g.t.S.) registriert sind, werden gegen alle Praktiken geschützt, die zur Irreführung der Verbraucher führen können. Eine g.t.S bezieht sich nicht auf einen geographischen Ursprung, sondern hebt die traditionelle Zusammensetzung des Produkts oder ein traditionelles Herstellungs- und/oder Verarbeitungsverfahren hervor. (all) §§: VO (EG) 509/2006, ABl. 2006, Nr. L 93/1 Web: http://ec.europa.eu/agriculture/foodqual/quali1 _de.htm
GASP ĺGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
Gambelli-Entscheidung
Gebhard-Entscheidung
Gambelli case – jurisprudence Gambelli
Gebhard case – jurisprudence Gebhard
In der Rs. Gambelli war der ĺEuGH mit einer italienischen Regelung befasst, die das Sam-
Die Rs. Gebhard (EuGH, Rs. C-55/94 Gebhard, Slg. 1995, I-4165) befasste sich mit der Frage,
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Gebühr beim Grenzübertritt von Waren unter welchen Voraussetzungen ein ausländischer Rechtsanwalt im Inland eine anwaltliche Tätigkeit ausüben darf. Darüber hinaus enthält sie grundlegende Aussagen zur Niederlassungsfreiheit (ĺNiederlassungsfreiheit) im Besonderen und zur Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten im Allgemeinen („Gebhard-Formel“). Der EuGH betonte, dass es den Mitgliedstaaten unbenommen sei, für die Aufnahme und Ausübung einer Berufstätigkeit Bedingungen festzulegen, die der Niederlassungswillige grundsätzlich erfüllen muss. Diese dürfen jedoch die Grundfreiheiten des EGVertrags nicht in ungerechtfertigter Weise beschränken: „[N]ationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, [müssen] vier Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist“ (Rn. 37). (fw) §§: Art. 43 ff. EG Lit.: D. Ehlers/K. Lackhoff, Anmerkung, JZ 1996, 467; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 41 ff.
Gebietskörperschaft der Grundstufe, lokale basic local government units – collectivités locales de base
In lokalen Gebietskörperschaften der Grundstufe hat jeder ĺUnionsbürger eines anderen Mitgliedstaates bei Vorliegen der Voraussetzungen der ĺKommunalwahlrichtlinie das ĺKommunalwahlrecht. Unter lokalen G. der Grundstufe sind in Deutschland die Gemeinde- und Kreisebene, die Stadt-, Gemeinde- oder Ortsbezirke bzw. Ortschaften, die Hamburger und Berliner Bezirke, die Stadtgemeinde Bremen sowie in Österreich die Gemeinden und die Wiener Gemeindebezirke zu verstehen. S.a. ĺlokale Gebietskörperschaft. (ao) §§: RL 96/30/EG [Kommunalwahlrichtlinie], ABl. 22.5.1996, Nr. L 122/14, Anhang
Gebrauchsmuster utility model – modèle d’utilité
Das Gebrauchsmuster, auch als „kleines“ Patent bezeichnet, wird wie dieses für technische Neuerungen, jedoch ungeprüft erteilt (daher
rasch und günstig); die Laufzeit ist in der Regel kürzer als beim Patent, i.d.R. (z.B. in Österreich) werden geringere Anforderungen an die erfinderische Leistung gestellt. Der Vorschlag der ĺeurop. KOM für eine RL über die Angleichung der Rechtsvorschriften betreffend den Schutz von Erfindungen durch Gebrauchsmuster (KOM[1999] 309 endg.) wurde 2005 zurückgezogen. Daher ev. Schutzlücken, soweit in einigen MS Gebrauchsmusterschutz nicht besteht. Eine nationale Gebrauchsmusteranmeldung kann gem. Art. 87 Abs. 1 EPÜ als prioritätsbegründende Erstanmeldung für ein ĺeurop. Patent dienen; s.a. ĺeurop. Patent, Prioritätsrecht. (mp) Lit.: F. P. Goebel, Schutzwürdigkeit kleiner Erfindungen in Europa – die materiellen Schutzvoraussetzungen für Gebrauchsmuster in den nationalen Gesetzen und dem EU-Richtlinienvorschlag, GRUR Int. 2001, 916; R. Kraßer, Neuere Entwicklungen des Gebrauchsmusterrechts in Europa, GRUR Int. 1999, 527
Gebühr beim Grenzübertritt von Waren charge levied on the occasion of goods crossing a frontier – charge perçue à l’occasion du franchissement de la frontière (libre circulation des marchandises)
Das Verbot von ĺAbgaben zollgleicher Wirkung (Art. 25 EG) umfasst grundsätzlich auch Gebühren für an der Grenze vorgenommene Verwaltungstätigkeiten. Solche Gebühren sind nur in 3 Fällen nicht als Abgaben zollgleicher Wirkung zu werten und somit ausnahmsweise nicht gemeinschaftsrechtlich verboten. Diese Fälle sind 1. wenn die durch die Gebühr finanzierte Handlung gemeinschaftsrechtlich vorgesehen ist (z.B. wenn die Gebühr wegen gemeinschaftsrechtlich vorgesehener Kontrollen erhoben wird), 2. wenn die Gebühr das angemessene Entgelt für einen dem Einzelnen tatsächlich oder individuell geleisteten Dienst darstellt oder 3. wenn die Gebühr Teil einer allgemeinen inländischen Gebührenregelung ist. Im letzteren Fall ist die Gebühr nicht als Zoll bzw. zollgleiche Abgabe zu qualifizieren, sondern es liegt eine möglicherweise ĺdiskriminierende innerstaatliche Abgabe vor. Für letztere ist Art. 90 EG einschlägig, was eine Abgrenzung zwischen beiden Normen (ĺzollgleiche und innerstaatliche Abgabe, Abgrenzung) erforderlich macht. Davon zu unterscheiden sind Gebühren, die für im Allgemeininteresse liegende Kontrollen anlässlich des Grenzübertritts von Waren verlangt werden, nicht jedoch 423
Gefahrgutbeauftragter
Gefahrgutrecht ĺADR; ĺGefahrguttransport
trolle von Gefahrguttransporten auf der Straße aufgestellt. Die Zielsetzung der RL ist in der Überwachung aller Gefahrguttransporte auf der Straße ohne übermäßige Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels zu sehen. Die Kontrolle soll nicht an den Grenzen, sondern diskriminierungsfrei innerhalb des Hoheitsgebietes der MS stattfinden. Kontrollobjekte sind zum einen die verwendeten Fahrzeuge sowie auch zum zweiten die Unternehmen (präventiv oder aufgrund begründeten Anlasses). Die Festlegung gemeinschaftsweit einheitlicher Kontrollmaßstäbe erfolgt durch Verwendung einer Prüfliste (Anhang I). S.a. ĺGefahrguttransport, Straßenfahrzeuge; ĺADR. (sm)
Gefahrguttransport, Eisenbahnverkehr
Gefahrguttransport, Straßenfahrzeuge
transport of dangerous goods, rail traffic – transports des marchandises dangereuses, circulation ferroviaire
transport of dangerous goods, by road – transport de marchandises dangereuses
Die diesbezüglichen Regelungen finden sich in der RL 96/49/EG (ABl. 1996, Nr. L 235/25). Dieser so vorgegebene gemeinschaftsweit einheitliche Rechtsrahmen basiert auf einem völkerrechtlichen Vertragswerk, dem ĺCOTIFÜbereinkommen. Dieses enthält in Anlange I von Anhang B eine Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter, deren Geltungsbereich durch die RL auf den gesamten Binnenschienenverkehr in der Gemeinschaft erstreckt wird. In materieller Hinsicht erfolgte eine parallele Ausgestaltung zur RL 94/55/EG, die den ĺGefahrguttransport, Straßenfahrzeuge betrifft. Die RL 96/49 sieht vor, dass grundsätzlich gefährliche Güter, deren Beförderung gem. dem Anhang verboten ist, nicht mit der Eisenbahn befördert werden dürfen. Soweit sie selbst nichts anderes bestimmt, ist die Beförderung anderer gefährlicher Güter mit der Eisenbahn zulässig, wenn sie gem. den Bestimmungen des Anhangs erfolgt; dies gilt unbeschadet der Regelungen für den Marktzugang der Bahnunternehmen oder der allgemein geltenden Regelungen für die Güterbeförderung mit der Eisenbahn. (sm)
Die RL 94/55/EG (ABl. 1994, Nr. L 319/7) zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für den Gefahrguttransport auf der Straße orientiert sich an Vorgaben des ĺADR. Ihr Anwendungsbereich erfasst sowohl Beförderungen im internationalen als auch im innerstaatlichen Verkehr, jedoch nur hinsichtlich Beförderungen (alle Gefahrguttransporte, die mindestens teilweise auf öffentlichen Straßen stattfinden) mit Straßenfahrzeugen, die mindestens vier Räder und eine bautechnisch bedingte Mindestgeschwindigkeit von 25 km/h aufweisen. Im Grundsatz sind solche Beförderungen nur zulässig, soweit die einschlägigen Vorschriften der technischen Anlagen A und B (die auf das ADR verweisen) kein ausdrückliches Verbot vorsehen und die dort im Einzelnen aufgeführten Sicherheitsmodalitäten eingehalten werden. Allerdings sind Abweichungsmöglichkeiten gegeben: so insbesondere für mitgliedstaatliche Regelungen, die spezifisch auf bestimmte Gefahrgüter zugeschnitten sind und sich durch andere legitime Gemeinwohlinteressen rechtfertigen lassen. Es besteht ferner die grundsätzliche Möglichkeit des Erlasses strengerer nationaler Standards, soweit sich diese nicht auf fahrzeugtechnische Anforderungen beziehen. Schließlich sind Ausnahmegenehmigungen für sog. ad-hoc-Beförderungen zulässig. S.a. ĺGefahrguttransport, Eisenbahnverkehr. (sm)
aber gemeinschaftsrechtlich vorgesehen sind. Letztere stellen Abgaben zollgleicher Wirkung dar, fallen unter Art. 25 EG und sind folglich per se verboten. (rp) §§: Art. 25 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 27 ff.; H. G. Kamann, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 25 EGV, Rn. 16 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 46/76 Bauhuis, Slg. 1977, 5; EuGH, Rs. 63/74 Cadsky, Slg. 1975, 281
Gefahrgutbeauftragter ĺSicherheitsberater, Gefahrgutbeauftragter
Lit.: B. Törkel/H. Rein, in: A. Frohnmeyer/P. Mückenhausen (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004, 119, Rn. 1 ff.
Gefahrguttransport, Kontrolle transport of dangerous goods, checks – transports de marchandises dangereuses, contrôle
Durch die RL 95/50/EG (ABl. 1995, Nr. L 249/ 35) werden einheitliche Verfahren für die Kon424
Lit.: B. Törkel/H. Rein, in: A. Frohnmeyer/P. Mückenhausen (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004, 116, Rn. 1 ff.
Gegenseitige Anerkennung (Binnenmarkt) Gefahrstoffrecht, Recht der industriellen Risiken hazardous substances legislation – législation des matières dangereuses
Bei den unter diesem Oberbergeriff zusammenzufassenden Bestimmungen handelt es sich um produkt- und anlagen- bzw. produktionsbezogene Vorschriften. Es sind folgende Bereiche zu nennen: ƒ Das Chemikalienrecht Dieses Rechtsgebiet kann in folgende Bereiche unterteilt werden: ƒ Einstufungs- und Kennzeichnungsvorschriften ƒ Grundlegend ist die RL 67/548/EWG (ABl. 1967, Nr. L 196/1), die Vorschriften über die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe enthält. Ihr Ziel ist die Herstellung eines Ausgleichs zwischen dem ungehinderten Warenverkehr einerseits und dem Schutz der Umwelt und Gesundheit andererseits. Dabei hat eine Differenzierung zwischen Altstoffen und neuen Stoffen zu erfolgen. Letztere sind bei der zuständigen Behörde vor Inverkehrbringung anzumelden. Alle neu angemeldeten Stoffe werden in die von der Kommission geführten Liste der angemeldeten Stoffe aufgenommen (ĺELINCS); Altstoffe finden sich in der Liste der am 18.9.1981 in Verkehr befindlichen Stoffe (ĺEINECS). Flankierend tritt eine RL über Grundsätze der Guten Laborpraxis (RL 87/ 18/EWG, ABl. 1987, Nr. L 15/29) hinzu. ƒ Verwendungsbeschränkungen ƒ Beschränkungen der Verwendung besonders gefährlicher Stoffe sind unter anderem in der RL 76/769/EWG (ABl. 1976, Nr. L 262/201) vorgesehen. Diese erfasst unter anderem PCB, PCT und deren Ersatzstoffe, Asbest, Cadmium, Benzol, PFP Mittel und gefärbte Öle. Für Pflanzenschutzmittel besteht eine Sonderregelung in Form der RL 98/8/EG (ABl. 1998, Nr. L 123/1). ƒ Transport- und Export ƒ Umfassende Vorschriften für den Transport von Gefahrgut sind durch unterschiedliche RL vorgesehen. Diese betreffen unter anderem einheitliche Verfahren für die Kontrolle von Gefahrguttransporten auf der Straße und die Bestellung von Sicherheitsberatern für die Beförderung gefährlicher Güter auf Straße, Schiene oder Binnenwasserstraßen. ĺGefahrguttransport. Zudem ist auf die VO (EWG) 2455/92 über den Export und Import bestimmter gefährlicher Chemikalien aus und
nach Drittstaaten hinzuweisen (ABl. 1992, Nr. L 251/13). ƒ Das Recht der industriellen Risiken. Anlassfall war das Unglück von ĺSeveso (1976). In Reaktion auf diesen Zwischenfall erfolgt eine Regelung durch die RL 82/501/EWG (ABl. 1982, Nr. L 230/1), die nunmehr durch die RL 96/82/EG (ABl. 1997, Nr. L 10/13) ersetzt ist. Darin ist die Verpflichtung der Betreiber zu vorbeugenden Sicherheitsmaßnahmen und einer hinreichenden Ausbildung der Beschäftigten vorgesehen. Durch die RL soll die Umsetzung des Konzepts einer regulierten, durch die Öffentlichkeit überwachten Selbstkontrolle erfolgen. ƒ Das Bio- und Gentechnologierecht Im Mittelpunkt stehen zwei RL: ƒ Die RL 90/219/EWG (ABl. 1990, Nr. L 117/1): Diese betrifft die Verwendung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen (GVM) in abgeschlossenen Systemen. Sie enthält Anlagen- und produktionsbezogene Vorschriften. So ist die Anmeldung der erstmaligen Verwendung von GVM unter Vorlage einer umfassenden Risikobewertung vorgeschrieben. Die Einordnung der Sicherheitsanforderungen erfolgt anhand von vier Klassen von Tätigkeiten von GVM. ƒ RL 90/220/EWG (ABl. 1990, Nr. L 117/15): Diese betrifft die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt (GVO). ƒ Ihr Regelungsansatz ist stärker produktbezogen. Auch nach ihr ist eine umfassende Risikobewertung erforderlich, wobei die Anforderungen strenger als jene der RL 90/219/EWG sind. Das Inverkehrbringen von GVO unterliegt einem Anmeldeverfahren. ƒ Den Einsatz von GVO bei Lebensmitteln erfasst zudem die ĺNovel Food VO (EWG) 258/97 (ABl. 1997, Nr. L 43/1, NF-VO). (sm) Lit.: J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 374 ff.
Gegenseitige Anerkennung (Binnenmarkt) mutual recognition (Single European) – reconnaissance mutuelle (Marché Intérieur)
Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung baut auf dem Vertrauen der MS in die nationalen Vorschriften der anderen MS auf und soll auch jenseits von Harmonisierungsmaßnahmen die Beseitigung von Hemmnissen, die durch unterschiedliche mitgliedstaatliche Standards bedingt sind, ermöglichen und dadurch 425
Gegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der das Konzept der ĺRechtsangleichung ergänzen. Dieses Komplementärkonzept zur Harmonisierung wurde wurde durch die ĺCassis de Dijon Rsp. des EuGH eröffnet und fand in weiterer Folge Eingang in den ĺ„new approach“ zur Rechtsangleichung im Binnenmarkt (vgl. die Entschließung des Rates vom 7.5.1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung, ABl. 1985, Nr. C 136/1). Aufgrund dieses Prinzips kann ein MS den Vertrieb eines Erzeugnisses aus einem anderen MS in seinem Hoheitsgebiet nicht bereits dann untersagen, wenn die technischen und qualitativen Auflagen des Produkts von jenen abweichen, denen in seinem Land hergestellte Erzeugnisse unterliegen. Ausnahmen von diesem Prinzip bilden freilich Beschränkungen des Bestimmungsmitgliedstaats, die aus den in Art. 30 EG-Vertrag genannten Gründen oder auf der Basis der vom Gerichtshof anerkannten ĺzwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind. Für die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Waren und Dienstleistungen sind somit in erster Linie die Mitgliedstaaten zuständig (vgl. den sechsten Erwägungsgrund der Entschließung des Rates vom 28.10.1999 zur gegenseitigen Anerkennung [ABl. 2000, Nr. C 141/02]). Mit E 3052/95 EG (ABl. 1995, Nr. L 321/1) wurde ein Unterrichtungsverfahren eingeführt, das die MS verpflichtet, die ĺKOM über nationale Maßnahmen zu informieren, die Behinderungen des freien Verkehrs von Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt oder auf den Markt gebracht worden sind, in nichtharmonisierten Bereichen mit sich bringen. Die Mitteilung muss eine ausführliche Beschreibung der Art oder des Musters der Ware, der ergriffenen Maßnahmen sowie eine entsprechende Begründung enthalten. Dementsprechend sind die Gründe zu nennen, aus denen die ergriffenen Maßnahmen im öffentlichen Interesse liegen, die einzelstaatlichen Vorschriften zu nennen, aufgrund derer die Nichtübereinstimmung der Ware festgestellt wurde, sowie Angaben zu treffen, in welcher Hinsicht die einzelstaatlichen Vorschriften oder die Bedingungen, denen gem. die betreffende Ware in einem anderen Mitgliedstaat hergestellt oder in den Verkehr gebracht wird, keinen gleichwertigen Schutz des geltend gemachten öffentlichen Interesses gewährleisten. In Gestalt der gegenseitigen Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen 426
Befähigungsnachweisen kann etwa gem. Art. 47 Abs. 1 EG z.T. auch entsprechendes ĺSekundärrecht erlassen werden (vgl. insb. die allgemeine BerufsanerkennungsRL 2005/36/EG, ABl. 2005, Nr. L 255/22). (cb) §§: Entscheidung 3052/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.1995 zur Einführung eines Verfahrens der gegenseitigen Unterrichtung über einzelstaatliche Maßnahmen, die vom Grundsatz des freien Warenverkehrs in der Gemeinschaft abweichen, ABl. 1995, Nr. L 321/1; Entschließung des Rates vom 28.10.1999 zur gegenseitigen Anerkennung, ABl. 2000, Nr. C 141/02; Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen – Erleichterung des Marktzugangs für Waren in einem anderen Mitgliedstaat: praktische Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung, ABl. 2003, Nr. C 265/2 Lit.: V. Götz, Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im europäischen Binnenmarkt, in: V. Götz et al. (Hrsg.), Liber amicorum Günther Jaenicke. FS für G. Jaenicke, 1998, 763 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 940 ff.
Gegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der principle of mutual recognition of decisions in criminal matters – le principe de reconnaissance mutuelle des décisions pénales
Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen bildet einen Eckpfeiler der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen und dient damit der Errichtung des ĺRaumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts durch Verbesserung der Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden (Art. 29, 31 Abs. 1 lit. a-c EG). 1. Grundgedanke: Angestrebt ist ein „freier Verkehr strafjustizieller Entscheidungen“, der durch den Abbau von Hindernissen im Vergleich zur klassischen Rechtshilfe zur Verbesserung der Zusammenarbeit der Justizbehörden beiträgt und eine effektive grenzüberschreitende Strafverfolgung ermöglicht. Dahinter steht der Gedanke, dass der Abbau der Binnengrenzen einschließlich der Grenzkontrollen die Europäische Union (ĺSchengener Durchführungsübereinkommen) das Territorium der Mitgliedstaaten auch zu einem einheitlichen kriminalgeographischen Raum werden lässt. Da die Freizügigkeitsrechte auch von den Straftätern genutzt werden, soll der damit verbundene Nachteil für die Strafverfolgungsbehörden, die grundsätzlich an die nationalen Grenzen gebunden sind, durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ausgeglichen werden.
Geldbußen, mitgliedstaatliche 2. Voraussetzungen und Grenzen: Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen wurde durch das ĺTampere-Programm verankert. Im Gemeinschaftsrecht findet das Prinzip gegenseitiger Anerkennung seinen Ursprung im Binnenmarktgedanken (ĺBinnenmarkt). Während es dort die Möglichkeit der Wahrnehmung der ĺGrundfreiheiten gewährleistet, hat der Grundsatz im Bereich der Strafverfolgung, neben einem freiheitssichernden (ĺne bis in idem) auch repressiven Charakter, indem er die Durchsetzbarkeit des nationalen Strafanspruchs auch über das Territorium des verfolgenden Mitgliedstaates hinaus erleichtert. Es setzt daher ein gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in die Strafrechtssysteme und deren Anwendung voraus und geht davon aus, dass diese von vergleichbaren Wertentscheidungen getragen werden. Dabei stehen Harmonisierungsmaßnahmen und gegenseitige Anerkennung gerade im Bereich des Straf- und Strafprozessrechts nur scheinbar in einem Alternativverhältnis. Die gegenseitige Anerkennung von strafjustiziellen Entscheidungen setzt eine Annäherung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen voraus. Damit wird abgesichert, dass eine mit der grenzüberschreitenden Anerkennung von Entscheidungen verbundene Anerkennung des materiellen Strafrechts eines anderen Staates auf gemeinsamen Wertentscheidungen beruht. Zudem setzt aufgrund der erheblichen Unterschiede des Strafprozessrechts in den Mitgliedstaaten gerade die Anerkennung von Beweisanordnungen und Beweisen eine Mindestharmonisierung voraus, um die Wahrung der Beschuldigtenrechte zu gewährleisten. 3. Anwendungsbereich: Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ist Grundlage der wesentlichen Rechtsinstrumente der PJZS im Bereich des Strafverfahrensrechts. Dazu zählen die Rahmenbeschlüsse zum ĺEuropäischen Haftbefehl, über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln (ĺSicherstellungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Vermögensgegenstände oder Beweismittel betreffenden), die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (ĺGeldstrafen und Geldbußen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von), die ĺgegenseitige Anerkennung von Einziehungsentscheidungen (ĺEinziehungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstre-
ckung von) sowie die vorgeschlagene ĺEuropäische Beweisanordnung und die vorgeschlagene gegenseitige Anerkennung und ĺVollstreckungsübernahme freiheitsentziehender Strafen und Maßnahmen sowie die vorgeschlagene Anerkennung und Überwachung von Bewährungsstrafen, alternativen Sanktionen und bedingten Verurteilungen. Zudem kann bereits die europaweite Geltung des ne bis in idemGrundsatzes (ĺDoppelbestrafungsverbot, europäisches) nebem dem grundrechtlichen Gehalt als Ausprägung des Anerkennungsgrundsatzes gesehen werden. (sts) §§: Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, ABl. 2001 C 12/10. Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament zur gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen und zur Stärkung des Vertrauens der Mitgliedstaaten untereinander, KOM(2005) 195 endg. Lit.: S. Gleß, Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, ZStW 116 (2004), 353; H. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 2005, 138
Gehör, rechtliches right to be heard – droit d’être
Die Gewährung rechtlichen Gehörs stellt in allen Verfahren, die zu Sanktionen, namentlich zu Geldbussen oder zu Zwangsgeldern führen können, also vor belastenden Entscheidungen, einen anerkannten Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, der auch in Verwaltungsverfahren zu beachten ist (EuGH, Rs. 85/76 Hoffmann-La Roche und Co, Slg. 1979, 461). (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 6 Abs. 1 ĺEMRK als ĺGemeinschaftsgrundrecht, Art. 47, 48 GRC/Art. II-101 Abs. 2 lit. A EVV
Geldbußen, mitgliedstaatliche administrative financial penalties of the member states – sanctions pécuniaires infligées par les autorités administratives des État membres
Von den Mitgliedstaaten verhängte Geldbußen unterfallen gem. dem ĺRahmenbeschluss 2005/ 214/JI dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der). Sie sind daher nach den im Rahmenbeschluss festgelegten Bedingungen auch von den anderen Mitgliedstaaten zu vollstrecken (ĺGeldstrafen und Geldbußen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von). Zu beachten ist das ĺDoppelbestrafungsverbot. (sts) 427
Geldkapital Geldkapital financial capital – capital monétaire
Bestandteil des sachlichen Schutzbereichs der ĺKapital- und ĺZahlungsverkehrsfreiheit. G. umfasst im Gegensatz zum ĺSachkapital das ungebundene, liquide Kapital, welches einem Wirtschaftsteilnehmer zur Anlage und für Investitionen zur Verfügung steht. Dazu zählen gesetzliche Zahlungsmittel, Kredite, Wertpapiere, Forderungen etc. (mk) Geldpolitik monetary policy – politique monétaire
I. Begriff Nach Art. 105 Abs. 2 EG besteht eine der grundlegenden Aufgabe des ĺEuropäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) darin, die Geldpolitik der Gemeinschaft festzulegen und auszuführen. Die gesamte Geldpolitik ist dem Ziel der ĺPreisstabilität untergeordnet, was in der Praxis bedeutet, dass alle geldpolitischen Maßnahmen der Verfolgung dieses Zieles unter Hintanstellung anderer Ziele dienen müssen. Unterhalb dieser Zielebene dient die Geldpolitik der Aufgabe, die Volkswirtschaft im Euroraum mit dem notwendigen Zentralbankgeld zu versorgen. Die Bargeldversorgung, die nach Art. 106 Abs. 1 EG der Genehmigung des EZBRats bedarf, kann als ein Teil der Geldpolitik gesehen werden. Die Geldpolitik beinhaltet, wie sich aus Art. 12.1 ESZB-Satzung ergibt, auch die Festlegung von Leitzinssätzen, durch die die „Preise“ für die Versorgung mit Zentralbankgeld festgesetzt werden. In der Terminologie des EG-Vertrags wird der Begriff der Geldpolitik nicht von dem der ĺWährungspolitik unterschieden. Der Vertrag differenziert nur hinsichtlich der ĺDevisengeschäfte, die dem ESZB obliegen, und der Wechselkursvereinbarungen, für die der Rat gem. Art. 111 EG zuständig ist. II. Geldpolitische Strategie Aufgrund des Primats der Preisstabilität verfolgt die EZB eine Strategie, die neben einem quantitativen Ansatz zwei analytische Felder umfasst, die auch als Zwei-Säulen-Modell beschrieben werden. In quantitativer Hinsicht soll der Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahr unter, aber nahe bei 2 % liegen. Dieses Ziel muss mittelfristig verfolgt werden, ist also vorausschauend zu verwirklichen, da der geldpolitische Transmissionsmechanismus nur zeitlich verzögert und belastet von anderen 428
Faktoren wirkt. Innerhalb des Zwei-Säulen-Modells wird einerseits das Wachstum der weit gefassten Geldmenge M3 untersucht, da sich daraus Schlussfolgerungen über die Entwicklung des Preisnviveaus ziehen lassen. Anderseits sollen in einer umfassenden, qualitativen Analyse die sonstigen monetären und wirtschaftlichen Risiken für die Preisstabilität bewertet werden. Geldpolitische Beschlüsse der EZB müssen daher anhand beider Analysen gerechtfertigt werden. III. Instrumente Die EZB verwirklicht ihre geldpoltische Strategie über den Geldmarkt, indem sie dort auf die Liquidität und die kurzfristigen Zinsen Einfluss nimmt. Allerdings ist der geldpolitische Transmissionsmechanismus kompliziert und wirkt nur indirekt auf das Preisniveau ein. Stets ist die EZB auf die Mitwirkung der Geschäftsbanken angewiesen, damit diese die geldpolitischen Instrumente nutzen und die davon ausgehenden Impulse umsetzen. Im Einzelnen handelt es sich bei den Instrumenten der EZB um Offenmarktgeschäfte, ständige Fazilitäten und die Mindestreservepflicht. Sie sind rechtlich verbindlich in einer Leitlinie der EZB an die nationalen ĺZentralbanken festgelegt, der Leitlinie der EZB vom 31.8.2000 über geldpolitische Instrumente und Verfahren des Eurosystems (EZB/2000/7) mit nachfolgenden Änderungen. Zu den Offenmarktgeschäften gehören Hauptrefinanzierungsgeschäfte mit einer Häufigkeit und Laufzeit von einer Woche, längerfristige Refinanzierungsgeschäfte in monatlichem Abstand mit einer Laufzeit von drei Monaten, sog. Feinsteuerungsoperationen und sog. strukturelle Operationen. Generell wird zwischen befristeten Transaktionen und endgültigen Geschäften unterschieden. Die EZB schreibt die meisten Geschäfte als Standardtender aus, d.h. sie versteigert ihre Leistungen auf Gebote der Kreditinstitute hin. Bei den befristeten Transaktionen handelt es sich im Rechtssinne entweder um Pensionsgeschäfte, bei denen das Eurosystem notenbankfähige Sicherheiten ankauft und zum Fristablauf wieder zurückverkauft. Der Zins wird hierbei durch eine Differenz zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis festgelegt. Alternativ kann das Eurosystem besicherte, verzinsliche Kredite gewähren. Im Rahmen der Feinsteuerungsoperationen und strukturellen Operationen sind auch endgültige Käufe bzw. Verkäufe von Vermögenswerten
Geldstrafen und Geldbußen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von möglich. Schließlich darf die EZB eigene Schuldverschreibungen begeben, um damit die Liquidität am Markt abzuschöpfen. Als weitere Instrumente der Offenmarktpolitik kommen Devisenswapgeschäfte und die Hereinnahme von Termineinlagen hinzu. Bei den ständigen Fazilitäten können die Kreditinstitute auf dauerhafter Grundlage Liquidität des Eurosystems in Anspruch nehmen bzw. Guthaben anlegen. Insofern bietet die EZB die Spitzenrefinanzierungsfazilität an, über die sich Kreditinstitute gegen Leistung von zentralbankfähigen Sicherheiten Übernachtliquidität beschaffen können. Bei der Einlagenfazilität können Kreditinstitute bis zum nächsten Geschäftstag Guthaben bei den nationalen Zentralbanken zu einem vorher festgelegten Zinssatz anlegen. Mithilfe der Mindestreservepflicht kann die EZB am Geldmarkt zwangsweise Liquidität abschöpfen und damit eine Geldverknappung bewirken. In diesem Rahmen sind die Kreditinstitute verpflichtet, einen bestimmten Teil ihrer Kundeneinlagen bei einer nationalen Zentralbank anzulegen. Die Einlagen können verzinst werden. Die Mindestreservepflicht ist durch VO (EG) 2531/98 des Rates und VO (EG) 1745/2003 der EZB rechtlich mit Wirkung für die Kreditinstitute näher ausgestaltet. Schließlich kann die EZB ihre Verordnungen und Entscheidungen mithilfe von Sanktionen durchsetzen, s. hierzu VO (EG) 2532/98 des Rates sowie VO (EG) 2157/1999 der EZB. In der Praxis spielt dieses Recht für die Mindestreservepflicht eine besondere Rolle. (co) §§: Art. 12 Abs. 1, 17-21 des Protokolls über die Satzung des ESZB und der EZB; Leitlinie der EZB 2000/ 7, ABl. 2000, Nr. L 310/1; VO (EG) 2531/98, ABl. 1998, Nr. L 318/1; VO (EG) 2532/98, ABl. 1998, Nr. L 318/4 Web: http://www.ecb.int/mopo/html/index.en.html
Geldstrafen financial penalties – santions pécuniaires infligées par les autorités judiciaires
Der ĺEuropäischen Gemeinschaft kommt keine Kompetenz zum Erlass eigenen, supranationalen Strafrechts zu. Sie kann daher keine Geldstrafen verhängen, wohl aber verwaltungsrechtliche Geldbußen. Von den ĺMitgliedstaaten verhängte Geldstrafen unterfallen gem. dem Rahmenbeschluss 2005/214/JI dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der). Sie sind daher nach den im ĺRahmenbeschluss festgelegten Bedingungen auch von den ande-
ren Mitgliedstaaten zu vollstrecken (ĺGeldstrafen und Geldbußen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von). Zu beachten ist auch das ĺDoppelbestrafungsverbot. (sts) Geldstrafen und Geldbußen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von application of the principle of mutual recognition to financial penalties – l’application du principle de reconnaissance mutuelle aux santions pécuniaires
Geldstrafen und Geldbußen, die von einem Gericht oder unter bestimmten Voraussetzungen auch von einer Verwaltungsbehörde eines ĺMitgliedstaates der ĺEU erlassen wurden, unterliegen dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der). Sie sind daher grundsätzlich von jedem anderen Mitgliedstaat, dem eine solche Entscheidung zur Vollstreckung übermittelt wird, ohne jede weitere Formalität anzuerkennen und zu vollstrecken. Diese Verpflichtung ist im ĺRahmenbeschluss 2005/214/JI über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen näher geregelt. Der ĺRahmenbeschluss war bis zum 21.03. 2007 in innerstaatliches Recht umzusetzen. 1. Anwendungsbereich: Der RB bezieht sich auch, aber bei weitem nicht nur auf Sanktionen wegen Verkehrsverstößen. Erfasst ist jede rechtskräftige Entscheidung über die Zahlung einer Geldstrafe oder Geldbuße durch eine natürliche oder juristische Person, die wegen einer strafbaren Handlung oder wegen einer Zuwiderhandlung gegen innerstaatliches Recht (Verwaltungssanktionen- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht) entweder von einem Gericht eines Mitgliedstaats oder einer nicht gerichtlichen Behörde getroffen wurde. Eine behördliche Entscheidung reicht jedoch nur, wenn der Betroffene die Möglichkeit hatte, die Sache vor ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht zu bringen. Umstritten ist, ob der UVS in Österreich dazu zählt. Als Geldstrafe oder Geldbuße erfasst sind der wegen einer Zuwiderhandlung festgesetzte zu zahlende Geldbetrag, die in der gleichen Entscheidung festgesetzte Opferentschädigung, soweit es sich nicht um einen zivilrechtlichen Anspruch im Rahmen eines Adhäsionsverfahrens handelt, die Gerichts- und Verwaltungskosten sowie eine in der gleichen Entscheidung zugunsten einer öffentlichen Kasse oder einer 429
Geldwäsche Opferhilfeorganisation festgesetzte Geldauflage. Ausdrücklich nicht erfasst sind Einziehungsentscheidungen (ĺEinziehungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von) und auf Basis der ĺBrüssel-I-Verordnung zu vollstreckende zivilrechtliche Ansprüche. 2. Verfahren: Die zuständige Behörde des Entscheidungsstaats übermittelt ihre Sanktionsentscheidung unmittelbar der für die Vollstreckung zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats (zulässig ist die Errichtung zentraler Behörden im Mitgliedstaat zur administrativen Abwicklung). Beizufügen ist eine nach dem Rahmenbeschluss vorgesehene, für alle Mitgliedstaaten ident aufgebaute Bescheinigung, die der Vollstreckungsbehörde die notwendigen Informationen zur Verfügung stellen soll. Die Vollstreckungsbehörde erkennt die Entscheidung ohne jede weitere Formalität an und trifft unverzüglich alle zur Vollstreckung erforderlichen Maßnahmen, soweit sie keine nach dem RB zulässigen Versagungsgründe (Art. 7 RB) geltend macht. Nur dann, wenn kein ĺListendelikt nach dem Recht des Entscheidungsstaats vorliegt, kann die Vollstreckung davon abhängig gemacht werden, dass die Tathandlung nach dem Recht des Vollstreckungsstaats eine Straftat darstellen würde. Für die Vollstreckung ist das Recht des Vollstreckungsstaates maßgeblich; das Fehlen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen nach diesem Recht steht der Vollstreckung entsprechender Entscheidungen jedoch nicht entgegen. Die Möglichkeit von Ersatzstrafen, insbesondere Ersatzfreiheitsstrafen, richtet sich ebenfalls nach dem Recht des Vollstreckungsstaates, muss aber vom Entscheidungsstaat zugelassen worden sein. Amnestie oder Begnadigung können Entscheidungs- und Vollstreckungsstaat gewähren; über eine Wiederaufnahme entscheidet der Entscheidungsstaat. (sts) §§: Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24.2.2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, ABl. 2005, Nr. L 76/1 Lit.: U. Medigovic, Die gegenseitige Anerkennung von vermögensrechtlichen Sanktionen innerhalb der EU und ihre Umsetzung im österreichischen Justizstrafrecht, JBl. 2008, 69 ff.
Geldwäsche money laundering – blanchiment de capitaux
Geldwäsche wird international definiert als die Verarbeitung von Erträgen aus kriminellen Ge430
schäften mit dem Ziel, ihren rechtswidrigen Ursprung zu verschleiern. Geldwäsche steht heute auch in engen Zusammenhang mit der Terrorismusfinanzierung. In der Gemeinschaft verpflichten ein ĺRahmenbeschluss und eine ĺRichtlinie die Mitgliedstaaten, die vorsätzliche Geldwäsche strafrechtlich zu untersagen und vorbeugende Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche zu erlassen. Hierzu zählen vor allem Sorgfaltspflichten von Kreditinstituten und Finanzinstituten, bestimmter mit Vermögensbelangen betrauter Berufsträger, Kasinos und aller mit Gütern handelnder Personen bei Bargeschäften ab € 15.000,-. Sie sind u.a. verpflichtet, ihre Vertragspartner zu identifizieren, den wirtschaftlichen Eigentümer und den Zweck der Transaktion festzustellen und im Fall eines Geldwäscheverdachts die zuständigen Behörden zu informieren bzw. Auskünfte zu erteilen. Das Geschäft darf in diesem Fall erst ausgeführt werden, wenn die Behörde informiert worden ist. Geschäftsunterlagen zu allen derartigen Transaktionen müssen mindestens fünf Jahre aufbewahrt werden. Die Pflicht zur Anzeige eines Kunden bei der zuständigen Behörde steht in einem Spannungsverhältnis zum grundrechtlichen Schutz von Berufsgeheimnissen. (co) §§: RL 2005/60/EG, ABl. 2005, Nr. L 309/15; Rahmenbeschluss 2001/500/JI, ABl. 2001, Nr. L 182/1
Geldwäsche, strafrechtliche Bekämpfung der money laundering, combating – blanchiment d’argent, la lutte contre le
Die EU hat umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche gesetzt. Diese Aktivitäten fügen sich in die internationalen Bestrebungen zur Bekämpfung der Geldwäsche ein, die ursprünglich auf das Wiener Übereinkommen zur Bekämpfung des Drogenschmuggels (1988) zurückgehen. Die strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäsche ist Teil der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Bereits die Geldwäscherichtlinien (ĺGeldwäsche) verpflichten die Mitgliedstaaten auf die wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionierung (ĺMindesttrias der Sanktionen) der Verstöße natürlicher und juristischer Personen gegen die in der Richtlinie begründeten Pflichten. Ob die EG dabei die Kompetenz hat, auch zur strafrechtlichen Sanktionierung anzuweisen (Anweisungskompetenz), ist umstritten. Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur strafrechtlichen Sanktio-
Geltung, autonome nierung natürlicher Personen ergibt sich aber schon durch das Europaratsübereinkommen über Geldwäsche von 1990. Als unionsrechtliche Pflicht wird sie durch den Rahmenbeschluss über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten begründet. Der ĺRahmenbeschluss ƒ stellt mittelbar Mindestvorschriften für die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen auf, deren vorsätzliche Begehung durch das mitgliedstaatliche Recht unter Strafe zu stellen ist, indem er auf zentrale Tathandlungsbeschreibungen des Europaratsübereinkommens Bezug nimmt (Art. 2 RB, Art. 6 Abs. 1 lit. a und b Europaratsübereinkommen). Taugliche Vortat der Geldwäsche ist nach dem Europaratsübereinkommen jede Straftat, aus der ein wirtschaftlicher Vorteil als Ertrag herrührt. Sicherzustellen ist, dass das Waschen solcher Erträge zumindest dann durch das mitgliedstaatliche Strafrecht erfasst ist, wenn diese Vortat eine schwere Straftat ist. Zu diesen sollten jedenfalls alle Straftaten zählen, die mit einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel im Höchstmaß von mehr als einem Jahr oder im Mindestmaß von mehr als sechs Monaten bedroht ist; ƒ verlangt, dass diese Geldwäschehandlungen mit Freiheitsstrafen zu bedrohen sind, die im Höchstmaß nicht unter vier Jahren liegen dürfen (sog. Mindesthöchststrafe) (Art. 2); ƒ verlangt unabhängig vom Erfordernis der Strafbarkeit der Geldwäsche erweiterte Einziehungsmöglichkeiten für Erträge aus Straftaten. Sicherzustellen ist danach, dass zumindest in den Fällen, in denen eine Einziehung der Erträge nicht möglich ist, stattdessen eine Einziehung entsprechender Vermögenswerte („Wertersatzstrafe“) möglich ist. Ergänzt wird diese Regelung durch den Rahmenbeschluss 2005/212/JI über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten (ĺEinziehungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung). Der Rahmenbeschluss war durch die Mitgliedstaaten bis zum 31.12.2002 in innerstaatliches Recht umzusetzen. Organisatorische Fragen der strafjustiziellen Kooperation finden sich auch in der Gemeinsamen Maßnahme 98/699/JI betreffend Geldwäsche, die Ermittlung, das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten geregelt. (sts)
§§: Rahmenbeschluss des Rates 2001/500/JI vom 26.6.2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten, ABl. 2001, Nr. L 182/1; Gemeinsame Maßnahme 98/699/JI vom 3.12. 1998 – vom Rat aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – betreffend Geldwäsche, die Ermittlung, das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten, ABl. 1998, Nr. L 333/ 1; Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten, SEV-Nr. 141; RL 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10. 2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, ABl. 2005, Nr. L 309/15
Geldwäscheprotokoll (1997) Protocol on combating money laundering (1997) – Protocole de la lutte contre le blanchiment d’argent (1997)
Das zweite Zusatzprotokoll zum ĺÜbereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (1995) zielte auf die Pönalisierung der Geldwäsche durch Mindestharmonisierung des Strafrechts der Mitgliedstaaten ab. Es ergänzte zudem das Übereinkommen sowie das hierzu ergangene ĺBestechungsprotokoll (1997) durch die Regelung der Verantwortlichkeit juristischer Personen für zu ihren Gunsten begangenen Betrugs-, Bestechungs- und Geldwäschedelikte. Mangels hinreichender Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten ist es nicht in Kraft getreten. Die Pönalisierung der Geldwäsche wird zwischenzeitlich durch einen ĺRahmenbeschluss angestrebt (ĺGeldwäsche, strafrechtliche Bekämpfung der). (sts) Geltung, autonome direct applicability – applicabilité directe
Bei der autonomen Geltung handelt es sich – neben dem ĺAnwendungsvorrang – um eines der ĺStrukturprinzipien des europäischen Gemeinschaftsrechts. Dieser Grundsatz bedeutet, dass primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht mit seinem Inkrafttreten ohne weiteren Umsetzungsakt im nationalen Recht Geltung erlangt. In der Literatur wird auch der Begriff der unmittelbaren Geltung bzw. der ĺDurchgriffswirkung verwendet. Als einschlägiger leading case des EuGH gilt das Urteil im Fall ĺVan Gend & Loos, Rs. 26/ 62, Slg. 1963, 1. In diesem Urteil wurde das Gemeinschaftsrecht als „eine neue Ordnung des Völkerrechts“ bezeichnet, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch 431
Geltung, unmittelbare die einzelnen Bürger sind. Die besondere Qualität des Gemeinschaftsrechts liegt auch im Umstand, dass es – da es aus einer „autonomen Rechtsquelle“ fließt – seine Wirkungen selbst regelt und unabhängig von einem nationalen Rechtsanwendungsbefehl in den Mitgliedstaaten gilt. Das ĺBVerfG hat diesen Grundsatz anerkannt, leitet ihn jedoch aus Art. 23 GG i.V.m. dem deutschen ĺZustimmungsgesetz und dem darin enthaltenen ĺRechtsanwendungsbefehl ab (ĺBrückentheorie). Auf diese fortdauernde Rückkoppelung stützt es seinen ĺPrüfungsvorbehalt insb. zu den ĺGrundrechten und ausbrechenden ĺRechtsakten sowie die damit einhergehende Beschränkung der Doktrin vom ĺAnwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts. Der österr. VfGH hat nicht nur die autonome Geltung, sondern auch den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts vorbehaltlos anerkannt (VfSlg. 15.427), wobei die verfassungsrechtliche Legitimation dieser Übernahme des acquis communautaire mittels der durch das österr. ĺBeitrittsBVG BGBl. 1994/ 744 sanierten ĺ„Verfassungsdurchbrechung“ begrenzt wird. Nicht durchgängig, aber häufig unterschieden wird hiervon der Begriff der unmittelbaren ĺAnwendbarkeit, bei dem darauf abgestellt wird, ob der Einzelne aus dem Gemeinschaftsrecht unmittelbare Rechte herleiten kann, die von nationalen Verwaltungsbehörden und Gerichten zu beachten sind. (he) (sgk) Lit.: P. Craig/G. De Búrca, EU Law, 4. Aufl. 2007, 268 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 55 ff.; W. Schroeder, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 249 EGV, Rn. 40 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 224 ff.
Geltung, unmittelbare ĺGeltung, autonome Geltungsbereich, räumlicher application, territorial – application, territoriale
Der r. G. der EU wird durch den EUV nicht explizit geregelt. Aus dem Art. 47 EU lässt sich jedoch ableiten, dass dieser deckungsgleich mit dem Geltungsbereich der Gemeinschaftsverträge ist (Art. 299 EG und Art. 198 EAG). Grds. tritt daher ein Staat mit seinem gesamten Staatsgebiet der Union bei. Ausnahmen müssen ausdrücklich im ĺBeitrittsvertrag verankert sein. Neben einer generellen Ausnahme (Art. 299 432
Abs. 6 EG: Färöer) kann auch eine dauerhafte eingeschränkte Anwendung des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes auf einzelne Gebiete vereinbart bzw. durch Beschluss des Rates festgelegt werden (Art. 299 Abs. 2 EG: franz. überseeische Departements, die Azoren, Madeira, Kanarische Inseln; Abs. 5: Ålandinseln; Abs. 6 lit. c: Kanalinseln und Insel Man). Eine spätere Einschränkung der Wirkungen eines ĺBeitritts bedarf einer Vertragsänderung: 1985 wurde Grönland vom r. G. der Gemeinschaft ausgenommen, blieb aber Teil des dänischen Staatsgebietes (Art. 188 EG). Gem. Art. 299 Abs. 4 EG schließt ein Beitritt auch Protektorate über Hoheitsgebiete in Europa mit ein. Aufgrund des völkerrechtlichen Grundsatzes der beweglichen Vertragsgrenzen ist eine Vergrößerung bzw. Verkleinerung (z.B.: Beitritt der DDR zur BRD bzw. Erlangung der Unabhängigkeit Algeriens) des r. G. auch durch entsprechende Veränderungen des Staatsgebietes eines MS möglich. (lo) §§: Art. 47 EU; Art. 188, 299 EG; Art. 198 EAG Lit.: C. Vedder, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 17. Lfg. 2001, Art. 49 EUV, Rn. 5-6, 9
Geltungsvorrang supremacy (of general application) – primauté (de l’autorité)
Dieser Begriff bezieht sich auf das Verhältnis von unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht und bedeutet, dass bei Vorliegen von einander widersprechenden Regelungen beider Rechtsordnungen die gemeinschaftsrechtliche Regelung die nationale Vorschrift nicht nur in ihrer Anwendung zurückdrängt, sondern auch ihre Geltung beseitigt. Das Gemeinschaftsrecht würde bei der Annahme eines Geltungsvorrangs dem nationalen Recht derogieren. Die Rechtsprechung des EuGH (Rs. ĺCosta/ENEL) hat den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht aber als ĺAnwendungsvorrang präzisiert, was bedeutet, dass die Geltung der in der konkreten Anwendung verdrängten Vorschrift des nationalen Rechts weiter aufrecht bleibt. In anderen Regelungskonstellationen ohne einen vergleichbaren Wiederspruch ist sie somit weiter anwendbar, sie kann insbesondere auch weiterhin einer entsprechenden Prüfung durch ein Verfassungsgericht unterliegen. (he) Lit.: T. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, § 7, Rn. 12; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 80 ff.
Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) Common Agricultural Policy (CAP) – Politique Agricole Commune (PAC)
Die Art. 32 bis 38 EG (Titel Landwirtschaft) bilden die Grundlage der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Art. 32 EG sieht ineinander verknüpft einen Gemeinamen Markt für landwirtschaftliche Erzeugnisse und eine Gemeinsame Agrarpolitik vor. Folgend Art. 32 EG umfasst der Gemeinsame Markt prinzipiell auch die Landwirtschaft und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Art. 32 Abs. 2 EG. sieht aber gleichzeitig eine Regelung des Gemeinsamen Marktes für landwirtschaftliche Erzeugnisse nach ĺAnhang I EG gem. den Vorgaben der Art. 33 bis Art. 38 EG. Begleitend zum Gemeinsamen Markt für landwirtschaftliche Erzeugnisse ist eine Gemeinsame Agrarpolitik zu gestalten. Die GAP beschränkt sich dementsprechend nicht nur auf die Regelung der Agrarmärkte, sondern umfasst folgende Politikbereiche: ƒ ĺGemeinsame Marktorganisationen (Art. 34 EG) ƒ Beihilfensysteme zur Stützung der landwirtschaftlichen Einkommen oder der Produktion (ĺBeihilfen, landwirtschaftliche) ƒ ĺLändliche Entwicklung (Art. 36 EG) ƒ spezifische Wettbewerbsregeln ƒ Maßnahmen um das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes für landwirtschaftliche Erzeugnisse zu sichern (ĺVeterinärwesen, ĺPflanzenschutz) oder um einen Gemeinsamen Markt oder gemeinsame Standards für in der Landwirtschaft benötigte Produktionsmittel (Saatgut, ĺUrsprungsbezeichnungen zu schaffen. Der Titel Landwirtschaft des EG umfasst dementsprechend auch die ĺGemeinsame Fischereipolitik und strukturpolitische Maßnahmen in der ĺForstwirtschaft. Die Ziele der GAP sind folgend Art. 33 EG: ƒ Steigerung der Produktivität ƒ Einkommenssicherung für die in der Landwirtschaft tätigen ƒ Stabilisierung der Märkte ƒ Sicherung der Versorgung ƒ angemessene Verbraucherpreise Bei der Gestaltung der GAP ist auf die besondere Eigenart der landwirtschaftlichen Tätigkeit Rücksicht zu nehmen. Die Ziele der GAP sind zwar als Vorgabe für die Rechtsetzung bindend, stehen aber in kei-
ner Hierarchie und sind zum Teil widersprüchlich. Der notwenige Kompromiss ist politisch zu finden. Beim Setzen von agrarpolitischen Maßnahmen sind darüber hinaus die Querschnittsbestimmungen des EG, insbesondere Art. 6 EG (Umweltschutz), 152 Abs. 1 EG (Gesundheitsschutz) und Art. 153 Abs. 2 EG (Verbraucherschutz), zu beachten. Maßnahmen der GAP werden im Anhörungsverfahren nach Art. 37 Abs. 2 EG beschlossen. abweichen davon werden Maßnahmen in den Bereichen ĺVeterinärwesen und ĺPflanzenschutz, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zum Ziel haben im Mitentscheidungsverfahren auf Basis von Art. 152 Abs. 4 EG beschlossen. Maßgeblichen Einfluss auf die GAP haben im Rahmen der Gemeinsamen Handelspolitik abgeschlossene Abkommen, insbesondere das WTO-Abkommen. Mitunter ergeben sich dadurch Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen GAP und Gemeinsamer Handelpolitik. Die wichtgsten Maßnahmen der GAP beruhen seit der „Vereinfachung der GAP“ größtenteils auf 4 Ratsverodnungen: ƒ VO (EG) 1234/2007 über die Gemeinsame Organisation der Agrarmärkte (ĺGemeinsame Marktorganisation) ƒ VO (EG) 1782/2003 über ĺDirektzahlungen ƒ VO (EG) 1698/2005 über die Entwicklung des Ländlichen Raumes (ĺLändliche Entwicklung) ƒ VO (EG) 1290/2005 über die Finanzierung der GAP (ĺEGFL & ĺELER) Die Finanzierung der Maßnahmen der GAP erfolgt im Rahmen des Gesamthaushaltsplans auf Grundlage von Art. 34 Abs. 3 EG über den Europäischer Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL), den Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und durch den Europäischen Fischereifonds (EEF). Die Finanzierung von Maßnahmen über den ELER oder EEF erfolgt unter Beteiligung der Mitgliedstaaten im Rahmen von mehrjährigen Programmen. (all) §§: VO (EG) 1234/2007, Gemeinsame Organisation der Agrarmärkte, ABl. 2007, Nr. L 299/1; VO (EG) 1782/2003 Direktzahlungen, ABl. 2003, Nr. L 270/1; VO (EG) 1698/2005 Ländleiche Entwicklung, ABl. 2005, Nr. L 277/1; VO (EG) 1290/2005 GAP Finanzierung, ABl. 2005, Nr. L 209/1; VO (EG) 1198/2006 Fischereifonds, ABl. 2006, Nr. L 223/1; EuGH 5.7. 1977, 114/76 Bela Mühle, Slg. 1977, 1211; EuGH 5.10. 1994, C 280/93 Bananenmarktordnung, Slg. 1994, I-4973; EuGH 15.11.1994, Gutachten 1/94, Slg. 1994, I-05267, EuGH 13.12.1995, Gutachten 3/94, Slg. 1995,
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Gemeinsame Aktion I-04577; EuGH 9.12.1997, C-265/95 Erdbeerstreit, Slg. 1997 I-6959; EuGH 5.5.1998, C-157/96 National Farmers Union-BSE, Slg. 1998, I-02211 Lit.: Agra-Europe (Hrsg.), CAP-Monitor, lfd. aktualisiert; R. Barents, The agricultural law of the EC, 1994; C. Blumann, Politique Agricole Commune, 1996; O. Gottsmann, Der Gemeinsame Agrarmarkt, lfd. aktualisiert; A. Leidwein, Europäisches Agrarrecht, 2004; ders., Title Agriculture, Smit & Herzog on the Law of the European Union, 2006; R. Norer (Hrsg.), Handbuch des Agrarrechts, 2005; R. Priebe/D. Booß/J.-F. Heine, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 32-38 EG, lfd. aktualisiert Web: http://ec.europa.eu/agriculture/index_de.htm
Gemeinsame Aktion ĺAktion, gemeinsame Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) Common Foreign and Security Policy (CFSP) – Politique étrangère et de sécurité européenne (P.E.S.C.)
Seit dem ĺVertrag von Maastricht bildet die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) als zweite Säule der ĺEuropäischen Union die Grundlage für die Entwicklung einer europäischen Außenpolitik. Die GASP ist allerdings keine Neuschöpfung des Vertrags von Maastricht, sondern kodifiziert die frühere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Rahmen der ĺEuropäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), die in der ĺEinheitlichen Europäischen Akte erstmals im Vertragstext niedergelegt wurde. Die vertraglichen Grundlagen der GASP wurden im ĺVertrag von Amsterdam geändert, insb. durch die Schaffung des Postens eines ĺHohen Vertreters für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik. Ergänzend ermöglicht der ĺVertrag von Nizza eine ĺverstärkte Zusammenarbeit zwischen einigen Mitgliedstaaten auch im Bereich der GASP. Der ĺVertrag über eine Verfassung von Europa würde die GASP in vielfacher Hinsicht grundlegend ändern. Insb. wäre die Außenvertretung dem neuen Außenminister der Europäischen Union als Nachfolger des ĺHohen Vertreters überantwortet und nach Art. I-40 Abs. 7 könnte der ĺEuropäische Rat einstimmig den Übergang zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen beschließen. Sachlich bezieht sich die GASP auf „alle Bereiche der Außen- und Sicherheitspolitik“ (Art. 11 Abs. 1 EU) und verfolgt hierbei zahlreiche vertraglich normierte Ziele. Die Praxis der Brüsseler Institutionen dominieren freilich nicht die vertraglichen Zielvorgaben, sondern die ĺEuropäische Sicherheitsstrategie (ESS), die trotz der politischen Spaltung Europas während des 434
Irak-Kriegs der GASP strategische Ausrichtung verlieh und durch das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten die Grundlage für einen künftigen Erfolg der GASP legte. Sachlich begrenzt ist die GASP nach Art. 47 EU durch die Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft als erste Säule der ĺEuropäischen Union. In der Praxis besteht hierbei wegen der unterschiedlichen institutionellen Zuständigkeit für die Außenvertretung (ĺRat für die GASP und ĺKommission für die Gemeinschaft) ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Säulen. Aufgrund zahlreicher Reformbemühungen der ĺKommission wuchs die Bedeutung der Außenpolitik der Gemeinschaft in den vergangen Jahren beständig an und verringerte damit zugleich den Einflussbereich der GASP. Dies gilt etwa für die Förderung von Menschenrechten und Demokratie als Teil der EG-Entwicklungspolitik sowie die Neukonzeption der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Die dynamische Entwicklung der EG-Außenpolitik der ersten Säule wird durch die großzügige Finanzierung durch den ĺHaushalt gefördert, während das ĺEuropäische Parlament sich wiederholt weigerte, der ĺintergouvernementalen GASP mehr Gelder bereit zu stellen. Heute sind sachlicher Schwerpunkt der GASP allgemeine Fragen der Diplomatie, etwa Verhandlungen mit Drittstaaten und internationalen Organisationen über aktuelle Fragestellungen der Weltpolitik aufgrund spontaner Kontakte oder eines strukturierten ĺpolitischen Dialogs. Daneben ist die ĺEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) integraler Bestandteil der GASP. Die ESVP entwickelte sich in den vergangenen Jahren überaus dynamisch und leistete durch zahlreiche militärische und zivile ĺESVP-Missionen einen Beitrag zur Stärkung des weltpolitischen Gewichts der Europäischen Union. Aufgrund der teilweisen Überschneidung von außenpolitischen Maßnahmen im Bereich der GASP mit externen EG-Politiken kommt der beständigen Zusammenarbeit zwischen ĺKommission und ĺRat eine besondere Bedeutung zu, weil nur so das Ziel einer „Kohärenz aller von ihr ergriffenen außenpolitischen Maßnahmen im Rahmen ihrer Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik“ (Art. 3 EU) erreicht werden kann. Rechtlich wird die GASP von der ĺintergouvernementalen Integrationsmethode geprägt. Im Gegensatz zur supranationalen Gemeinschaftsmethode erfolgt grds. keine Kompetenz-
Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) übertragung auf die europäische Ebene und die angenommenen Rechtsakte haben weder direkte ĺDurchgriffswirkung im innerstaatlichen Rechtsraum der Mitgliedstaaten noch im Konfliktfall ĺVorrang vor dem nationalen Recht. Dies gilt insb. für Gemeinsame ĺPositionen, Gemeinsame ĺAktionen und Gemeinsame ĺStrategien als Handlungsformen der GASP. Aufgrund des vorrangig politischen Charakters der GASP als Rahmen für die Entwicklung gemeinsamer außenpolitischer Positionen kommen nichtförmlichen Absprachen eine große Bedeutung zu, die als politische Verständigungen in der Praxis der Institutionen das vertragliche Instrument der Gemeinsamen ĺPosition weitgehend ersetzt haben. Die ĺintergouvernementale Struktur der GASP findet bei der Entscheidungsfindung ihre Fortsetzung. Anders als nach der supranationalen Gemeinschaftsmethode kommt der ĺKommission kein Initiativmonopol zu. Stattdessen können auch die Mitgliedstaaten Initiativen ergreifen (Art. 22 EU), während die KOM „in vollem Umfang“ beteiligt wird (Art. 27). Das ĺEuropäische Parlament wird nur zu allgemeinen Entwicklungslinien gehört und an der Annahme konkreter Positionen überhaupt nicht beteiligt (Art. 21 EU). Die abschließende Entscheidung fällt der ĺRat grds. einstimmig; die Möglichkeit qualifizierter Mehrheitsentscheidungen in Ausnahmesituation hat in der Praxis keine Bedeutung erlangt (Art. 23 EU). Die Zuständigkeit des ĺEuGH zur Auslegung der intergouvernementalen Rechtsakte ist ausgeschlossen (Art. 46 EU). Die Durchführung der GASP obliegt den Mitgliedstaaten oder dem Sekretariat des Rates unter Leitung des ĺHohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. (dt) §§: Art. 11-28 EU Lit.: E. Regelsberger, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, 2004; D. Mahncke et al. (Hrsg.), European Foreign Policy: From Rhetoric to Reality?, 2005; D. Thym, Die neue institutionelle Architektur europäischer Außen- und Sicherheitspolitik, AVR 42 (2004), 44; R. Gosalbo Bono, Some Reflections on the CFSP Legal Order, CML Rev. 2006, 337; R. Wessel, The European Union’s Foreign and Security Policy, 1999 Web: http://www.consilium.europa.eu/
Gemeinsame Ermittlungsgruppen Joint Investigation Teams – Èquipes communes d’enquête
Mit dem ĺRahmenbeschluss (RB) über Gemeinsame Ermittlungsgruppen (2002/465/JI), ABl. 2002, Nr. L 162 wurde die Möglichkeit geschaffen, zur Aufdeckung von Straftaten sog.
Gemeinsamen Ermittlungsgruppen einzurichten. Diese werden für einen bestimmten Zweck und einen begrenzten Zeitraum, in einem oder mehreren – an der Gruppe beteiligten – Mitgliedstaaten gebildet, wobei die Zusammensetzung der Ermittlungsgruppe in einer Vereinbarung festgelegt wird. Die Ermittlungsgruppe wird von einem Vertreter jener Behörde geleitet, die für die strafrechtlichen Ermittlungen im Mitgliedstaat, in dem der Einsatz der Gruppe erfolgt, zuständig ist. Die Gruppe führt ihren Einsatz gem. den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats durch, in dem ihr Einsatz erfolgt (Art. 1 Abs. 3 RB). Die in die gemeinsame Ermittlungsgruppe entsandten Mitglieder können nach Maßgabe der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Einsatz der Ermittlungsgruppe erfolgt, von dem Gruppenleiter mit der Durchführung bestimmter Ermittlungsmaßnahmen betraut werden, sofern dies von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem der Einsatz erfolgt, und von dem entsendenden Mitgliedstaat gebilligt worden ist (Art. 1 Abs. 6 RB). Es besteht für die Beamten der Einsatzgruppen sowohl strafrechtliche als auch zivilrechtliche Verantwortlichkeit (Art. 2,3 RB) Im Rahmen von Gemeinsamen Ermittlungsgruppen können auch Bedienstete von ĺEuropol teilnehmen (Art. 3a ĺEuropol-Übereinkommen). Diese dürfen allerdings keine Zwangsmaßnahmen ergreifen. (kl) §§: Rahmenbeschluss des Rates vom 13.6.2002 über Gemeinsame Ermittlungsgruppen (2002/465/JI), ABl. 2002, Nr. L 162; Art. 3a ĺEuropol-Übereinkommen Lit.: C. Rijken/G. Vermeulen, Joint Investigation Teams in the European Union, 2006
Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) Common Fisheries Policy (CFP) – Politique Commune de la Pêche (PCP)
Die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) beruht auf denselben Rechtsgrundlagen wie die ĺGemeinsame Agrarpolitik (Art. 32 bis 38 EG). Die GFP umfasst die See- und Binnenfischerei und die Fischzucht oder Aquakultur im Meer und im Süßwasser. Die Maßnahmen der GFP betreffen vor allem die folgenden Bereiche: ƒ Regelung des Marktes für Erzeugnisse der Fischerei und Aquakultur durch eine ĺGemeinsame Marktorganisation ƒ Erhaltung und Bewirtschaftung der Fischereiressourcen. Dies wird vor allem durch die Festlegung und Zuteilung von zulässigen Fangquoten (TAC) gesteuert. 435
Gemeinsame Forschungsstelle (GFS) ƒ
Strukturpolitische Maßnahmen zur Anpassung der Organisationsstrukturen und Ausrüstungen an die sich aus der Knappheit der Ressourcen und Marktlage ergebenden Situation ƒ Abschluss von Fischereiabkommen und Verhandlungen auf internationaler Ebene im Rahmen regionaler und internationaler Fischereiorganisationen über gemeinsame Bestandserhaltungsmaßnahmen im Bereich der Hochseefischerei. Die Finanzierung der GFP erfolgt durch den Europäischen Fischereifonds (EEF) in Kofinanzierung mit den Mitgliedstaaten und durch den Europäischer Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) hinsichtlich Marktordungsmaßnahmen. (all) §§: VO (EG) 104/2000 GMO Fischerei, ABl. 2000, Nr. L 17/22; VO (EG) 1198/2006 Fischereifonds, ABl. 2006, Nr. L 223/1; VO (EG) 1290/2005 GAP Finanzierung, ABl. 2005, Nr. L 209/1 Web: http://ec.europa.eu/fisheries/index_de.htm
Gemeinsame Forschungsstelle (GFS) Joint Research Centre (JRC) – Centre commun de recherche
Die auf der Grundlage von Art. 8 EAGV eingerichtete Gemeinsame Forschungsstelle (GFS) stellt eine Großforschungseinrichtung im Eigentum der Gemeinschaft dar, die den Status einer eigenen Generaldirektion im Verantwortungsbereich des Forschungskommissars, zugleich keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt. Sie verfügt über sieben Institute mit Standorten in Italien (Ispra), Deutschland (Karlsruhe), den Niederlanden (Petten), Belgien (Geel) und Spanien (Sevilla). Mit der GFS betreibt die EG Eigenforschung durch sog. direkte Aktionen (ĺForschungs- und Technologiepolitik, Maßnahmen) sowie Forschung zur wissenschaftlich-technologischen Unterstützung anderer Gemeinschaftspolitiken, wie z.B. Industrie- und Werkstofftechnologien, Messen und Prüfen, Umwelt, Landwirtschaft, sozialwissenschaftliche Forschung und ĺKernforschung. (hk) Lit.: W. Mönig, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Vorbem. Art. 163173, Rn. 7 Web: http://www.jrc.cec.eu.int
Gemeinsame Handelspolitik Common commercial policy – Politique Commerciale Commune
Die Gemeinsame Handelspolitik der ĺEuropäischen Union ist wesentlicher Bestandteil der 436
Außenbeziehungen der Europäischen Union. Kernvorschriften zur Gemeinsamen Handelspolitik finden sich in Art. 2, 131, 133 und 300 EG. Art. 2 EG definiert als Ziele der Gemeinschaft u.a. „eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau (...), einen hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität (...)“. Nach Art. 131 EG leisten die ĺEU-Mitgliedstaaten durch Schaffung einer ĺZollunion einen Beitrag zur „harmonischen Entwicklung des Welthandels, zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr und zum Abbau der Zollschranken“. Die Errichtung der gemeinschaftsweiten Zollunion ist in diesem Sinne Gegenstück und Ergänzung der Gemeinsamen Handelspolitik. ĺArt. 133 EG definiert Umfang, Ziele und Entscheidungsverfahren der Gemeinsamen Handelspolitik. In Art. 300 EG wird das Verfahren zum Abschluss internationaler Übereinkommen geregelt. Die Europäischen Gemeinschaften sind, neben den EGMitgliedstaaten, Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO). Zur Gemeinsamen Handelspolitik gehört die einheitliche Verwaltung der Handelsbeziehungen zu Drittländern. Dabei verwendet die EU einen gemeinsamen ĺZolltarif sowie gemeinsame Ein- und Ausfuhrregelungen. Für weniger begünstigte Länder hat die EU ein ĺAllgemeines Präferenzsystem eingerichtet. Die EU macht außerdem von Instrumenten wie Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen, der Verordnung über Handelshemmnisse und Schutzmaßnahmen Gebrauch. (bh) §§: Art. 2 EG, Art. 131 EG, Art. 133 EG, Art. 300 EG
Gemeinsame Kontrollinstanz, Europol ĺEuropol, Gemeinsame Kontrollinstanz Gemeinsame Marktorganisation (GMO) Common Market Organisation – Organisation Commune des Marchés
Marktordnungen haben vielfältige Aufgaben. Die wichtigsten sind die Sicherung der Versorgung und die Stabilisierung der Märkte. Diese Ziele sind sowohl im Interesse der Verbraucher (Versorgungssicherheit, Qualitätssicherheit, angemessene Preise, Aufrechterhaltung einer in-
Gemeinsame Marktorganisation (GMO) ländischen Produktion) als auch im Interesse der Landwirte(Einkommenssicherung) und der Verarbeiter (stabiles Angebot). (ĺGemeinsame Agrapolitik) Gemeinsame Marktorganisationen (GMO) können folgend Art. 34 EG je nach Erzeugnis folgende Organisationsformen haben: ƒ gemeinsame Wettbewerbsregeln ƒ bindende Koordinierung der verschiedenen einzelstaatlichen Marktordnungen ƒ Europäische Marktordnung Mit 2008 wurden 21 Gemeinsame Marktorganisationen und einige Sondervorschriften für landwirtschaftliche Erzeugnisse in einer Gemeinsamen Organsiation der Agrarmärkte mit Sondersorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse zusammengefasst. Diese Gemeinsame Marktordnung (GMO) (VO [EG] 1234/2007) umfasst folgende Produkte/ Produktgruppen inklusive Verarbeitungserzeugnisse der 1. Stufe: ƒ Getreide (früher VO [EG] 1784/2003) ƒ Reis (früher VO [EG] 1785/2003) ƒ Faserflachs und Hanf (früher VO [EG] 1673/ 2000) ƒ Zucker (früher VO [EG] 318/2006) ƒ Obst und Gemüse (früher VO [EG] 2200/ 1996) ƒ Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse (früher VO [EG] 2201/1996) ƒ Wein (früher VO [EG] 1493/1999) (ĺWeinrecht) ƒ Tabak (früher VO [EG] 2075/1992) ƒ Hopfen /früher VO [EG] 1952/2005) ƒ Lebende Pflanzen und Pflanzen des Blumenhandels (früher VO [EWG] 234/1968) ƒ Saatgut: (früher VO [EG] 1947/2005) ƒ Trockenfutter (früher VO [EG] 1786/2003) ƒ Bananen (früher VO [EG] 404/1993) ƒ Olivenöl und Tafeloliven (früher VO [EG] 865/2004) ƒ Schweinefleisch (früher VO [EWG] 2759/ 1975) ƒ Eier (früher: VO [EWG] 2771/1975) ƒ Geflügelfleisch (früher VO [EWG] 2777/ 1975) ƒ Rindfleisch (früher VO [EG] 1254/1999) ƒ Milch und Milcherzeugnisse (früher VO [EG] 1255/1999 und VO [EG] 1788/2003) ƒ Schaf- und Ziegenfleisch (früher VO [EG] 2529/2001) ƒ sonstige landw. Erzeugnisse (früher sog. Restmarktordnung VO [EWG] 827/1968) ƒ Seidenraupen (früher: VO [EWG] 845/72) ƒ Agraralkohol (früher VO [EG] 670/2003)
ƒ
Imkereierzeugnisse (früher VO [EG] 797/ 2004) Die frühren, obig aufgelisteten Verordnungen zur Regelung des Agrarmarktes werden mit Ausnahme einiger Bestimmungen der Sektoren Obst und Gemüse sowie Wein ab 2008 aufgehoben. Die Marktordnungsmaßnahmen für Baumwolle sind nach Beitrittsakte Griechenland, Protokoll Nr. 4 vorgesehen. Für Speisekartoffeln, Honig, Naturkork und Pferdefleisch wurden bis dato keine Gemeinsamen Marktorganisationen erlassen. Für Ölsaaten, Eiweißpflanzen, Energiepflanzen, nachwachsende Rohstoffe es zudem spezifische marktlenkende Regelungen im Rahmen der VO (EG) 1782/2003. Darüber hinaus existieren ergänzend Handelsregelungen für bestimmte nicht in Anhang I vorgesehene Verarbeitungserzeugnisse der 2. Stufe (VO [EG] 3448/1993), für Eialbumin und Milchalbumin (VO [EWG] 2783/75) und Glucose und Lactose (VO [EWG] 2730/1975). Maßnahmen der ĺGemeinsamen Fischereipolitik wurde ihm Rahmen der GMO Fischereierzeugnisse und Aquakultur (VO [EG] 104/ 2000) erlassen. Art. 34 Abs. 2 EG listet nicht abschließend auf welche Maßnahmen Gemeinsame Marktorganisationen einschließen können. Alle GMOs folgten auch bisher in der Praxis einem einheitlichen Schema das aus 4 Teilen besteht. Die spezifischen Maßnahmen sind je nach GMO und Bedeutung von Produkt unterschiedlich gestaltet. Den Landwirten im Rahmen der GAP gewährten ĺDirektzahlungen sind mittlerweile zum überwiegenden Teil horizontal über die VO (EG) 1782/2003 geregelt. Struktur und Maßnahmen der Gemeinsamen Marktorganisation (VO [EG] 1234/2007) ƒ
Teil I: Einleitende Bestimmungen ƒ Bestimmung der Produkte die von der GMO umfasst werden
ƒ
Teil II: Regelung des Binnenmarktes Titel I Marktstabilisierende Maßnahmen ƒ Öffentliche Intervention ƒ Private Lagerhaltung, Ausgleichs- und Marktrücknahmemaßnahmen ƒ Sondermaßnahmen (Tierseuchen, außergewöhnliche Markteinbrüche) ƒ Quotenregelungen ƒ Beihilferegelungen (Verarbeitungsbeilfen, produktionsbezogene Beihilfen, Beihilfen für Programme) 437
Gemeinsame Maßnahme ƒ ƒ
Verarbeitungsbeihilfen mengen- oder flächenmäßige nationale Obergrenzen für Maßnahmen oder Beihilfen ƒ Erzeugerorganisationen & Branchenverbände Titel II Vermarktungsnormen und Herstellungsbedingungen ƒ
Teil III: Außenhandelsregime Kap II Bestimmungen hinsichtlich Einfuhren ƒ Einfuhrlizenzen (obligatorisch oder fakultativ) (ĺLizenz) ƒ Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs ƒ Verwaltung von Zollkontingenten ƒ Sonderbestimmungen für Getreide, Zucker, Hanf und Hopfen ƒ Anwendung der Schutzklausel gem. Art. 5 WTO-Agrarabkommen Kap III Bestimmungen hinsichtlich Ausfuhren ƒ Ausfuhrlizinzenzen (obligatorisch oder fakultativ) (ĺLizenz) ƒ Gewährung von Exporterstattungen ƒ Exportbegrenzende Maßnahmen ƒ Sonderbestimmungen für lebende Pfalnzen
Gemeinsame Maßnahme joint action – position commune
Handlungsform des Rechts der ĺEU, die bei deren Gründung mit dem ĺMaastrichter Vertrag in Art. K.3 Abs. 2 lit. b EU für Teilbereiche der damaligen ĺZusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) geschaffen wurde. Sie diente der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, der Zusammenarbeit im Zollwesen und der polizeilichen Zusammenarbeit zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus, des illegalen Drogenhandels und sonstiger schwerwiegender Formen internationaler Kriminalität. Mit dem ĺVertrag von Amsterdam wurde die Handlungsform der Gemeinsamen Maßnahme durch den ĺRahmenbeschluss und den (einfachen) Beschluss gem. Art. 34 Abs. 2 EU ersetzt. (sts) §§: Art. K.3 Abs. 2 lit. b EU a.F.
Gemeinsame Position ĺPosition, Gemeinsame
ƒ
Teil IV: Wettbewerbsvorschriften (Anwendung der Art. 87-89 EG)
Gemeinsame Strategie ĺStrategie, Gemeinsame
ƒ
Teil V: Sonderbestimmungen für einzelne Sektoren
Gemeinsame Unternehmen (Euratom)
ƒ
Teil V & VI: Regelung der Umsetzung und Verwaltung der GMO ƒ Gegenseitige Informationspflichten von Kommission und Mitgliedstaaten ƒ Einsetzung eines Verwaltungsausschusses zur Administration der GMO und zum Erlassen von Durchführungsregelungen der Kommission Die Einbeziehung eines Produktes in die Gemeinsame Marktorganisation hat zur Folge, dass ein Mitgliedstaat keinerlei nationale Marktordnungsmaßnahmen mehr setzen darf. Die Finanzierung der Maßnahmen der GMO erfolgt über den Europäischer Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL). (all) §§: Art. 34 EG; VO (EG) 1234/2007, Gemeinsame Organisation der Agrarmärkte, ABl. 2007, Nr. L 299/ 1; VO (EG) 1290/2005 GAP Finanzierung, ABl. 2005, Nr. L 209/1; VO (EG) 1782/2003 Direktzahlungen, ABl. 2003, Nr. L 270/1 Lit.: O. Gottsmann, Der Gemeinsame Agrarmarkt, lfd. aktualisiert; A. Leidwein, Europäisches Agrarrecht, 2004; ders., Title Agriculture, Smit & Herzog on the Law of the European Union, 2006; Loos/Nebe, Das Recht der Milchwirtschaft, lfd. aktualisiert; P. Wilhelmi, Agrarmarktgesetze und Verordnungen, lfd. aktualisiert
438
joint undertakings (Euratom) – entreprises communes (Euratom)
Im Rahmen von Kap. V des Zweiten Titels des ĺEAGV (Art. 45-51) können Unternehmen (vgl. Art. 196 lit. b), die für die Entwicklung der Kernindustrie in der ĺEAG von ausschlaggebender Bedeutung sind, über Vorschlag bzw. Stellungnahme der ĺKommission durch Beschluss des ĺRates als Gemeinsame Unternehmen errichtet werden. Davon sind die Gemeinsamen Unternehmen nach Art. 171 EG zu unterscheiden (ĺForschungsrahmenprogramm). Die Gemeinsamen Unternehmen verfügen über Rechtspersönlichkeit (Art. 49 Abs. 2). Außerdem können ihnen auf Vorschlag der Kommission durch den Rat bestimmte in Anh. III zum EAGV definierte Vergünstigungen insb. abgabenrechtlichen Charakters gewährt werden (Art. 48). Die Errichtung eines Gemeinsamen Unternehmens bietet sich v.a. an, wenn ein Projekt die Finanzkraft oder die technischen Möglichkeiten eines einzelnen ĺMS übersteigt. Historische Beispiele sind etwa der Schnelle Brüter in Kalkar (Deutschland) oder (bis 2000) der ĺJoint European Torus (JET) in Großbritannien. Auch ĺITER hat 2007 den Status eines
Gemeinsamer Markt auf dem Kerngebiet Gemeinsamen Unternehmens verliehen bekommen. (atm) §§: Art. 45-51 EAGV; Entscheidung 2007/198/Euratom vom 27.3.2007, ABl. 2007, Nr. L 90/58
Gemeinsame Versammlung Organ des ĺEGKS, ĺEuropäisches Parlament Gemeinsame Versorgungspolitik (Euratom) ĺEuratom-Versorgungsagentur Gemeinsamer EWR-Ausschuss EEA Joint Committee – Comité mixte de l’EEE
Der Gemeinsame EWR-Ausschuss ist ein Vertragsorgan des Abkommens über den ĺEuropäischen Wirtschaftsraum. Dieses Organ dient einerseits dem Meinungs- und Informationsaustausch der Vertragsparteien sowie der politischen Streitschlichtung, andererseits ist es durch das Abkommen mit der Befugnis ausgestattet, Beschlüsse zu fassen, die für die Vertragsparteien verbindlich sind. Die wichtigste Aufgabe des Gemeinsamen EWR-Ausschusses ist die Änderung der Anhänge des EWR-Abkommens, nachdem die EU/EG einen Rechtsakt erlassen hat, der in den Anwendungsbereich des Abkommens fällt. Beschlüsse des EWR-Ausschusses werden im Einvernehmen zwischen der EU/EG einerseits und den mit einer Stimme sprechenden EFTA-Staaten andererseits gefasst. Sie werden im ĺAmtsblatt der EU veröffentlicht (ĺVeröffentlichung der Rechtsakte). (jb) §§: Art. 300 II 2, 3 EG; Art. 92 ff. des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, ABl. 3.1. 1994, Nr. L 1/3 Lit.: M. Gittermann, Das Beschlußfassungsverfahren des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, 1998; A. von Bogdandy/J. Bast/F. Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht, ZaöRV 62 (2002), 77, 144 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-192/89 Sevince, Slg. 1990, I-3441; Rs. C-286/02 Bellio F.lli Srl, Slg. 2004, I-3465
Gemeinsamer Markt common market – marché commun
Der Begriff des Gemeinsamen Marktes ist nicht im ĺEG-Vertrag definiert. Nach der ständigen Rsp. des ĺEuGH stellt er „auf die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziele der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarktes möglichst nahe kommen“ ab. Der Gemeinsame Markt um-
fasst neben der Gewährleistung der ĺGrundfreiheiten auch das Wettbewerbsrecht, und sektorielle Politiken wie die Außenhandels-, Landwirtschafts-, Steuer-, Umwelt-, Verkehrs- und Währungspolitik. S.a. ĺBinnenmarkt. §§: Art. 14, 94, 95 EG Lit.: M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, Rn. 1321; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 14 EG, Rn. 5 f. Rsp.: EuGH, Rs. 15/81 Gaston Schul, Slg. 1982, 1409
Gemeinsamer Markt auf dem Kerngebiet nuclear common market – marché commun nucléaire
Die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes auf dem Kerngebiet gehört gem. Art. 2 lit. g ĺEAGV zu den Hauptaufgaben der ĺEAG. Dieses Ziel soll insb. durch 1. die Verwirklichung eines Gemeinsamen Marktes für die besonderen auf dem Kerngebiet verwendeten Stoffe und Ausrüstungen, 2. durch den freien Kapitalverkehr für Investitionen auf dem Kerngebiet und 3. durch die Freiheit der Beschäftigung für die Fachkräfte realisiert werden. Die Ausführungsregeln finden sich v.a. in Kap. IX des Zweiten Titels des EAGV (Art. 92-99). Für die in den Listen des Anh. IV zum EAGV aufgeführten Güter und Erzeugnisse werden alle Ein- und Ausfuhrĺzölle oder ĺAbgaben (zoll)gleicher Wirkung und alle ĺmengenmäßigen Beschränkungen der Ein- und Ausfuhr (ĺEinfuhr-/Ausfuhrbeschränkung, mengenmäßig) ausdrücklich verboten (Art. 93). Das den Art. 25 ff. EG verwandte Regime normiert zwar nicht ausdrücklich ein Verbot von ĺMaßnahmen gleicher Wirkung i.S.d. Art. 28 f. EG. Doch kommt diesbezüglich anerkanntermaßen die subsidiäre Anwendbarkeit des EGV zum Tragen (ĺEuratom-Vertrag). Dies gilt auch für die bloß rudimentären Regelungen des EAGV im Bereich der ĺFreizügigkeit, ĺDienstleistungs- und ĺNiederlassungsfreiheit. Art. 96 beseitigt lediglich alle diskriminierenden Zugangsbeschränkungen zu qualifizierten Beschäftigungen auf dem Kerngebiet. Hiezu ist im Übrigen einer der wenigen Euratom-Legislativakte zur Herstellung des Gemeinsamen Marktes auf dem Kerngebiet ergangen. Art. 97 verbietet Diskriminierungen bez. Beteiligung am Bau von Atomanlagen. Art. 98 verlangt die Erleichterung des Abschlusses von Versicherungsverträgen auf dem Kerngebiet, was im Pariser Übereinkommen von 1960 439
Gemeinsamer Referenzrahmen (GRR) (ĺAtomhaftungsrecht) seinen Niederschlag gefunden hat. Der Beförderung des freien ĺKapitalverkehrs dient Art. 99, aber insb. auch Kap. IV (Art. 40-44) über Investitionen. Die tatsächliche Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes auf dem Kerngebiet ist bis heute nur unzureichend gelungen. Der Kernenergiesektor wird nicht selten nach wie vor als nationale Prärogative verstanden. Oftmals findet kein wirklicher Wettbewerb statt, sondern Kernanlagen und das entsprechende Zubehör werden weitgehend von den jeweiligen nationalen Herstellern bezogen. (atm) §§: Art. 92-99 EAGV; RL (Euratom) vom 9.7.1962, ABl. 1962, Nr. 57/1650 Lit.: R. Lukes, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, Energierecht, M Rn. 25 ff.; N. Pelzer, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II 1. Teilbd., 2. Aufl. 2002, 415 f.
Gemeinsamer Referenzrahmen (GRR) common frame of reference – cadre commun de référence
Das Konzept eines Gemeinsamen Referenzrahmens (GRR) geht auf die Mitteilung der Europäischen Kommission „Ein kohärenteres europäisches Vertragsrecht – ein Aktionsplan“ (KOM[2003] 68 endg., ABl. EG 2003, Nr. C 63) zurück. Dieser schlägt unter anderem vor, die Kohärenz des acquis communautaire zu erhöhen, andererseits ein sog. optionales Instrument zu schaffen, das für grenzüberschreitende Transaktionen im Binnenmarkt zum Einsatz kommen könnte. Der GRR soll der Umsetzung beider Ziele dienen, in dem er die Infrastruktur für die Erhöhung der Kohärenz zur Verfügung stellt, zugleich aber auch den Ausgangspunkt für ein später zu schaffendes optionales Instrument darstellen könnte. Der GRR soll entsprechend Begriffe, Definitionen und Grundregeln enthalten, die durch Kommentare, rechtsvergleichende Anmerkungen und eine Evaluation begleitet werden sollen. Dies dient gleichermaßen der dogmatischen Durchdringung und Systematisierung des bestehenden Gemeinschaftsprivatrechts wie seiner Fortentwicklung. In Umsetzung dieser Strategie hat die Europäische Kommission im Rahmen des 6. Forschungsrahmenprogramms ein Forschernetzwerk damit beauftragt, einen Gemeinsamen Referenzrahmen auszuarbeiten. Dieses neu gegründete Joint Network on European Private Law (ĺCoPECL) vereint eine Vielzahl bereits bestehender und neu gegründeter Forschungs440
projekte und dient insbesondere auch dazu, die unterschiedlichen Forschungsansätze zu verbinden und so die Vielfalt der bereits bestehenden Vorarbeiten durch eine langfristige Zusammenarbeit bei der Erstellung des GRR zu integrieren. Grundlage für die rechtsvergleichenden Arbeiten sind die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einschließlich der Rechtsprechung und der Vertragspraxis, der bestehende acquis communautaire sowie internationales Einheitsrecht. Sowohl die Beschreibung des Inhalts als auch die Namensgebung legen nahe, dass der GRR auf den ĺGrundregeln des Europäischen Vertragsrechts (PECL) aufbauen wird. Ein erster Entwurf liegt bereits vor, die Ergebnisse sollen in einer Vielzahl von Sprachen publiziert und der Zugang zu den Quellen durch die Einrichtung einer eigens hierfür errichteten Internet-Datenbank erleichtert werden. Die Arbeiten der Forschergruppe werden von einem Netzwerk von Praktikern (dem sog. CFR-net) kritisch begleitet. (mrm) Lit.: H. Schulte-Nölke/C. von Bar, Gemeinsamer Referenzrahmen für europäisches Schuld- und Sachenrecht, ZRP 2005, 165 ff.
Gemeinsamer Standpunkt common position – position commune
Der Begriff „Gemeinsamer Standpunkt“ kommt sowohl im EGV als auch EUV jedoch in völlig unterschiedlichem Zusammenhang vor. Im ĺRechtsetzungsverfahren des Gemeinschaftsrechts kann der Rat im ĺKooperationsverfahren sowie im ĺKodezisionsverfahren nach Stellungsnahme des ĺEuropäischen Parlaments gemeinsame Standpunkte erlassen. In diesem Zusammenhang wird auf die jeweiligen relevanten ĺRechtsetzungsverfahren verwiesen. Im Zuge der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nach Art. 15 EU sowie der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 34 Abs. 2 lit. a EU werden vom Rat gemeinsame Standpunkte angenommen. Für die GASP legen sie „das Konzept der Union für eine bestimmte Frage geographischer oder thematischer Art“ fest, und betreffen großteils Sanktionen (bei Nichtumsetzung von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates) sowie Festlegungen von EU-Positionen gegenüber Drittstaaten oder bestimmten Themenbereichen. Die Mitgliedstaaten tragen nach Art. 14 Abs. 3 EU dafür Sorge, dass ihre einzelstaatliche Politik mit den gemeinsamen Standpunkten in Einklang steht (vgl. zur Bindungs-
Gemeinschaftliches Sortenamt (CPVO) wirkung der Rechtsakte der GASP die allgemeinen Ausführungen zum ĺRechtsetzungsverfahren der zweiten Säule). Ebenso werden im Bereich der ĺpolizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 34 Abs. 2 lit. a EU gemeinsame Standpunkte, „durch die das Vorgehen der Union in eine gegebene Frage bestimmt“ wird, angenommen. Dies wird in erster Linie gem. Art. 37 EU vor internationalen Verhandlungen erlassen, jedoch sind sie auch bei unionsinternen Angelegenheiten bedeutsam. (gh) §§: Art. 14 Abs. 3, 15, 34 Abs. 2, 37 EU; Art. 251, 252 EG Lit.: H.-J. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 15 EUV, Rn. 1 ff.; W. Kaufmann-Bühler, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 15 EUV, Rn. 1 ff.; E. Kehrer, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 1. Lfg. 2003, Art. 15 EUV, Rn. 1 ff.; E. Regelsberger/D. Kugelmann, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 15 EUV, Rn. 1 ff.
Gemeinsamer Zolltarif ĺZolltarif Gemeinsames Europäisches Asylsystem Common European Asylum System – Système européen commun d’asile
Die Schaffung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist das bis 2010 zu verwirklichende Ziel der ĺEuropäischen Asylpolitik. Ziffer 1.3. des ĺHaager Programms zur Stärkung der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Europäischen Union sieht bis 2010 die Einführung eines gemeinsamen Asylverfahrens (ĺAsylverfahrensrichtlinie) und eines einheitlichen Status für Menschen vor, denen Asyl oder ĺsubsidiärer Schutz gewährt wird. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem folgt den Vorgaben des internationalen Flüchtlingsrechts wie sie in der von allen Mitgliedstaaten ratifizierten ĺGenfer Flüchtlingskonvention von 1951 samt dem New Yorker ĺProtokoll über die Rechtstellung der Flüchtlinge von 1967 festgelegt worden sind. (gt) (jw) Lit.: O. Lynskey, Complementing and completing the Common European Asylum System, EL Rev. 2006, 230; O. Ferguson Sidorenko, The Common European Asylum System, 2007 Web: http://ec.europa.eu/justice_home/fsj/asylum/ fsj_asylum_intro_de.htm
Gemeinschaftlicher Besitzstand acquis communautaire – acquis communautaire
Der Gemeinschaftliche Besitzstand (G.B.) ist im Verhältnis zum Gemeinschaftsrecht der wei-
tere und unschärfere Begriff. Er umfasst die Verträge und die in ihnen ausgedrückten polit. Ziele, das gesamte ĺSekundärrecht, völkerrechtliche Abkommen, die Rsp. des EuGH, aber auch Stellungnahmen, Erklärungen und Entschließungen. Ausgenommen vom G.B. sind Rechtsakte im Rahmen der ĺverstärkten Zusammenarbeit. Die vollständige Übernahme des G.B. stellt eine ĺBeitrittsvoraussetzung der Union dar. Diese ist bis zum Zeitpunkt des ĺBeitritts zu erfüllen. Ausnahmen sind nur temporär zulässig (ĺÜbergangsvorschriften). Die neuen MS können sich nicht auf die einigen Altmitgliedern eingeräumten Sonderrechte (bspw. im Bereich der ĺWirtschafts- und Währungsunion oder der ĺSozialpolitik) berufen. Die ĺBeitrittsverhandlungen beginnen mit einer Feststellung des G.B., welcher dem nationalen Rechtsbestand gegenüber gestellt wird (ĺScreening des G.B.). Der G.B. hat seinen begrifflichen Ursprung in den Verhandlungen zur ĺNorderweiterung. Im Gegensatz zur gescheiterten Beitrittskonferenz 1961/63, unterließ Großbritannien 1971/72 jegliche Bemühungen zur Abänderung der bisherigen Verträge und akzeptierte den bisher erreichten „acquis communautaire“ (G.B.). Dieses Grundprinzip der ausnahmslosen Übernahme des G.B. fand nicht nur Niederschlag im Beitrittsvertrag (Art. 2-4 ĺBeitrittsvertrag 1972), sondern wurde zum zentralen Integrationsprinzip des Vertragswerkes und späterer ĺErweiterungen. Seit dem ĺVertrag von Amsterdam ist die „Wahrung des gemeinschaftlichen Besitzstandes und seine Weiterentwicklung“ auch als Ziel der Union primärrechtlich festgeschrieben (Art. 2 Abs. 1 5. SpS EU). (lo) §§: Art. 2 Abs. 1 EU Lit.: T. Bruha/O. Vogt, Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, VRÜ 1997, 477
Gemeinschaftlicher Besitzstand, Screening ĺScreening des Gemeinschaftlichen Besitzstandes Gemeinschaftliches Sortenamt (CPVO) Community Plant Variety Office (CPVO) – Office Communautaire des Variétés Végétales (OCVV)
Sowie beim ĺHarmonisierungsamt gewerbliche Schutzrechte für Marken und Geschmacksmuster eingetragen werden, erteilt das Sortenamt (CPVO) gemeinschaftsweit geltende gewerbliche Schutzrechte für neu gezüchtete Pflanzensorten (ĺSortenschutz). Es wurde, gestützt 441
Gemeinschaftsagenturen auf Art. 308 (ex-Art. 235) EG mit der VO (EG) 2100/94, ABl. 1994, Nr. L 227/1 gegründet. Das Sortenamt wird von einem durch den Rat ernannten Präsidenten (Art. 42 und 43 der VO (EG) 2100/94) geleitet. Es gibt eine Beschwerdekammer (Art. 45 und 46), die mit unabhängigen Fachleuten besetzt ist (Art. 47) und über Beschwerden gegen die Entscheidungen des Amtes in erster Instanz entscheiden, bevor der ĺEuGH angerufen werden kann. Präsident: Bart Kiewiet Sitz: Angers, Frankreich (gr)
barkeit der Warenverkehrsfreiheit ist ein hinreichender Gemeinschaftsbezug notwendig, der stets dann gegeben ist, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, dass ĺWaren die innergemeinschaftliche Grenze übertreten. Der ĺEuGH definiert den Gemeinschaftsbezug sehr weit; es genügt eine potenzielle Behinderung. (PistreEntscheidung, Rn. 45). (ah)
§§: Art. 308 EG, VO (EG) 2100/94, ABl. 1994, Nr. L 227/1 geändert durch VO (EG) 2506/95, ABl. 1995, Nr. L 258/3; VO (EG) 807/2003, ABl. 2003, Nr. L 122/ 36; VO (EG) 1650/2003, ABl. 2003, Nr. L 245/28 und zuletzt durch VO(EG) 873/2004, ABl. 2004, Nr. L 162/38 Lit.: D. Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, 72 Web: http://www.cpvo.europa.eu/
Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte
Gemeinschaftsagenturen community agencies – agences communautaires
Gemeinschaftsagenturen sind Einrichtungen des europäischen öffentlichen Rechts, die in den Verträgen zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften nicht vorgesehen sind. Sie werden im Rahmen des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts mit dem Ziel errichtet, technische, wissenschaftliche und Verwaltungsaufgaben zu übernehmen, die in der jeweiligen Grundverordnung genau umrissen sind. Gemeinschaftsagenturen werden auch als relativ unabhängige Einrichtungen, die auf Dauer eingerichtet, mit speziellen, eigenständigen Aufgaben befasst und als Einrichtungen des Gemeinschaftsrechts mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind, umschrieben. (gr) §§: Mitteilung über die Rahmenbedingungen für die europäischen Regulierungsagenturen, KOM(2002) 718 endg. Lit.: D. Fischer-Appelt, Die Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999; Europäische Kommission, Die Europäischen Agenturen, Amt für amtl. Veröffentlichungen, 1996 Web: http://europa.eu/agencies/community_agencies/ index_de.htm
Gemeinschaftsbezug (freier Warenverkehr) community situation (free movement of goods) – situations communautaires (libre circulation des marchandises)
Die ĺWarenverkehrsfreiheit ist auf reine Binnensachverhalte nicht anwendbar. Letztere werden ausschließlich durch die nationale Rechtsordnung der ĺMitgliedstaaten erfasst (s.a. ĺInländerdiskriminierung). Für die Anwend442
Lit.: W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 769 Rsp.: EuGH, Rs. C-321-324/94 Pistre, Slg. 1997, I-2343, Rn. 42 f.
Community Charta of the Fundamental Social Rights of Workers – la charte communautaire des droits sociaux fondamentaux des travailleurs
Am 9.12.1989 wurde in Straßburg die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer beschlossen. Da allerdings nur elf der zwölf Mitgliedstaaten für diese Charta stimmten und damit nicht die erforderliche Einstimmigkeit erreicht wurde, war dieses Regelwerk zunächst nur eine unverbindliche Absichtserklärung. Mit deren Aufnahme in den Vertrag erhält sie allerdings nachträglich den Rang einer sozialpolitischen Einzelermächtigung. In der Gemeinschaftscharta sind die Freizügigkeit, das Recht auf Berufswahl und Berufsausübung, gerechtes Arbeitsentgelt, Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und sozialer Schutz anerkannt. Darüber hinaus sind die Koalitionsfreiheit, die Freiheit der Tarifverhandlungen, die Berufsausbildung, die Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die Unterrichtung, die Anhörung und Mitwirkung von Arbeitnehmern im Unternehmen, der Gesundheitsschutz und der Schutz der Kinder, Jugendlichen, älteren sowie behinderten Menschen niedergelegt. Die Gemeinschaftscharta verfolgt den Zweck allen Arbeitnehmern der Europäischen Gemeinschaft Vorkehrungen im sozialen Bereich, vornehmlich hinsichtlich der Freizügigkeit, der Lebens- und Arbeitsbedingungen, des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit in der Arbeitswelt, des sozialen Schutzes sowie der allgemeinen und beruflichen Bildung zu bringen. Diese Ziele ergeben sich bereits aus der Begründungserwägung der Charta. (dh) Lit.: E. Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, Rn. 36 Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/cha/c10107. htm; http://www.europarl.europa.eu/workingpapers/ soci/104/teil2_de.htm
Gemeinschaftspatent Gemeinschaftsgerichte ĺEuG bzw. ĺEuGH Gemeinschaftsgesetzgeber ĺRechtsetzungsverfahren der Gemeinschaft und ĺRechtsetzungsverfahren der Europäischen Union Gemeinschaftsgrundrecht ĺGrundrechte, europäische Gemeinschaftshaushalt ĺHaushaltsplan Gemeinschaftshilfe für Wiederaufbau, Entwicklung und Stabilisierung ĺCARDS Gemeinschaftskonforme Interpretation ĺInterpretation, gemeinschaftskonforme Gemeinschaftslizenz community authorisation – licence communautaire
Hierbei handelt es sich um einen Teil der Regelung des objektiven Marktzugangs im Güterverkehr (Liberalisierungsmaßnahme im Straßenverkehr). Die VO (EWG) 881/92, (ABl. 1992, Nr. L 95/1) benennt die Gemeinschaftslizenz als Anknüpfungspunkt für die Zulässigkeit der Erbringung grenzüberschreitender Transportdienstleistungen. Danach hängt der Marktzugang im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr (entspricht internationalen gewerblichen Güterkraftverkehr; ĺGüterverkehr, international gewerblicher) ausschließlich von der Erfüllung bestimmter qualitativer Kriterien ab. Die Ausstellung der Gemeinschaftslizenz erfolgt für jeweils fünf Jahre auf Antrag durch die Behörden des Niederlassungsstaates bei Erfüllung der Voraussetzungen. Sie berechtigt den jeweiligen Inhaber zur Vornahme einer unbeschränkten Anzahl grenzüberschreitender Beförderungen innerhalb der Gemeinschaft. Hinsichtlich Ausstellungsvoraussetzungen wird auf die ĺsubjektiven Marktzugangsbedingungen nach der RL 96/26/EG (ABl. 1996, Nr. L 124/1) verwiesen – es erfolgt ein Verweis auf die Vorgängerrichtlinie 74/561/EWG. Zudem muss der Unternehmer in einem MS gem. dessen Vorschriften niedergelassen sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, besteht ein Erteilungsanspruch. Die VO enthält abschließende Tatbe-
standsmerkmale; daher ist die Formulierung weiterer Voraussetzungen unzulässig. Eine Relativierung ist jedoch aufgrund des in der VO (EWG) 3916/90 (ABl. 1990, Nr. L 375/ 10) über Maßnahmen bei Krisen auf dem Güterkraftverkehrsmarkt vorgesehenen Schutzmechanismus’ zulässig. ĺKrise der internationalen Güterverkehrsmärkte. Neben einer Gemeinschaftslizenz hat der Fahrer – sofern er Staatsangehöriger eines Drittstaats ist – über eine ĺFahrerbescheinigung zu verfügen. Sonderbestimmungen über die Gemeinschaftslizenz im ĺgrenzüberschreitenden Personenverkehr ergeben sich aus der VO (EWG) 684/ 92 (auch ĺKabotagebeförderung). (sm) Gemeinschaftsorgane ĺEuropäisches Parlament; ĺRat; ĺKommission; ĺEuGH; ĺRechnungshof Gemeinschaftspatent community patent – brevet communautaire
Existiert noch nicht; wäre (anders als das ĺeurop. Patent) ein in der gesamten EU gleich wirkendes und einheitlich vor einem zentralen ĺGemeinschaftspatentgericht durchsetzbares Schutzrecht. Das Gemeinschaftspatentübereinkommen (GPÜ) aus 1975 ist ebenso wie die Vereinbarung über Gemeinschaftspatente (VGP) aus 1989 mangels ausreichender Ratifikationen nicht in Kraft getreten. Der jüngste Ansatz besteht in der Schaffung eines Gemeinschaftspatents mittels VO (Vorschlag für eine VO über ein Gemeinschaftspatent). Das G.patent soll das europ. Patent nicht ersetzen, sondern parallel dazu bestehen. Zuständig für die Erteilung des G.patents wäre auch das ĺEuropäische Patentamt. Dazu müsste die ĺEuropäische Gemeinschaft dem ĺEuropäischen Patentübereinkommen beitreten. (mp) §§: Vereinbarung über Gemeinschaftspatente 89/695/ EWG (Luxemburger Übereinkommen), ABl. 1989, Nr. L 401/1; Vorschlag für eine VO des Rates über das Gemeinschaftspatent, KOM(2000) 412 endg.; Gemeinsame Politische Ausrichtung des Rates der EU vom 3.3.2003, ABl. EPA 2003, 218 Lit.: E. Ullmann/K. Grabinski, in: G. Benkard (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 2002, Vor Präambel Rn. 19 ff. Web: http://www.epo.org/patents/law/legislativeinitiatives/community-patent.html; Dokument des Rates vom 8.3.2004 (Nr. 7119/04) zur Vorbereitung der Tagung des Rates am 11.3.2004 (Vorschlag für eine VO über das Gemeinschaftspatent: http://register. consilium.europa.eu/pdf/de/04/st07/st07119.de04.pdf
443
Gemeinschaftspatentgericht Gemeinschaftspatentgericht Community Patent Court – Tribunal du brevet communautaire
Existiert noch nicht; zentrales Gericht, das als gerichtliche Kammer gem. Art. 225a dem EuG beigeordnet wäre; mit Möglichkeit eines Rechtsmittels an das EuG; zuständig für Fragen der Gültigkeit, Verletzung, Feststellung der Nichtverletzung, etc. von ĺGemeinschaftspatenten. Sein Urteil hätte Wirkung für alle EU-MS. Nach jüngsten Vorstellungen der ĺeurop. Kommission wäre die optimale Lösung ein spezielles Patentgericht, welches Merkmale des ĺEPLA und der ursprünglich vorgeschlagenen Gemeinschaftspatentsgerichtsbarkeit vereint und dessen Zuständigkeit sich sowohl auf (künftige) ĺGemeinschaftspatente als auch ĺeurop. Patente erstreckt. (mp) §§: Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Übertragung der Zuständigkeit in Gemeinschaftspatentsachen auf den Gerichtshof bzw. zur Errichtung eines Gemeinschaftspatentgerichts, KOM(2003) 827 endg. bzw. KOM(2003) 828 endg.; Mitteilung der KOM, Vertiefung des Patentsystems in Europa, KOM(2007) 165 endg. Lit.: W. Tilmann, Gemeinschaftspatent mit einem zentralen Gericht, GRUR Int. 2003, 381; G. Sydow, Die Ausdifferenzierung des Gerichtssystems der EU, GRUR Int. 2001, 689
Gemeinschaftsprivatrecht Community Private Law – Droit Privé Communautaire
Der Begriff des Gemeinschaftsprivatrechts (GPR) wird zunehmend als Sammelbegriff für die Rechtsakte der EU auf dem Gebiet des Privatrechts verwendet. Er stellt klarer als der Begriff des Europäischen Vertragsrechts heraus, dass es derzeit keinen konsistenten Korpus von Gemeinschaftsrecht auf dem Gebiet des Privatrechts gibt, sondern in Folge des sektorspezifischen Ansatzes lediglich eine Vielzahl einzelner Rechtsakte bestehen, die Teilgebiete in unterschiedlicher Intensität einer Harmonisierung unterziehen, um konkreten Missständen abzuhelfen oder einen konkreten Regelungsbedarf abzudecken. Im Vordergrund stehen Sekundärrechtsakte – ganz überwiegend RL – auf dem Gebiet des Verbraucherschutzrechts, Produkthaftungsrechts, Arbeitsrechts, des Handel- und Gesellschaftsrechts, Immaterialgüterrechts und des internationalen Privat- und Verfahrensrechts. Die zweite Quelle des Gemeinschaftsprivatrechts sind auf der Basis von Art. 220 EG ausgearbeitete völkerrechtliche Übereinkommen auf dem Gebiet des IPR und IZVR. Diese Vor444
gangsweise wurde gewählt, weil der EGV ursprünglich keine dem heutigen Titel IV vergleichbare Kompetenz auf diesen Gebieten vorsah, eine Vereinheitlichung aber zur Förderung eines gemeinsamen Marktes unerlässlich erschien. Durch gesonderte Protokolle der Rsp. des EuGH unterstellt sind diese Übereinkommen mit den Zielen der Gemeinschaft so eng verbunden, dass sie funktionell als GPR bezeichnet werden können. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass sie im Rahmen ihrer Modernisierung ohne erhebliche substantielle Änderungen in Gemeinschaftsrechtsakte überführt werden können. Wichtigste Beispiele sind das nunmehr durch die EuGVVO vergemeinschaftete ĺEuropäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen 1968 und das Römische EWG Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht 1980 (ĺEVÜ) für dessen Überführung in eine ĺRom-I-VO bereits ein Entwurf vorliegt. Der Erfolg dieses sektorspezifischen Harmonisierungsansatzes schlägt sich in der erheblichen Anzahl solcher Rechtsakte und dem substantiellen Einfluss auf das nationale Zivilrecht sowie Reformen desselben nieder, führt aber zugleich zu der Forderung nach einer stärkeren dogmatischen Strukturierung und größeren Kohärenz dieser Rechtsakte, denen die Europäische Kommission mit dem ĺAktionsplan für ein Europäisches Vertragsrecht Rechnung zu tragen sucht. Das GPR hat sich als ein eigenständiger Forschungsgegenstand herauskristallisiert, dem zahlreiche Publikationen und eigene Fachzeitschriften (bspw. ERPL, ERCL, GPR, ZEuP) als Diskussionsforum gewidmet sind. Die wichtigsten Sekundärrechtakte auf dem Gebiet des GPR in chronologischer Reihenfolge sind: ƒ RL 75/117/EWG vom 10.2.1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (GleichbehandlungsRL Entgelt); ƒ RL 80/987/EWG vo 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (InsolvenzausfallRL); ƒ RL 85/374/EWG vom 25.7.1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ProdukthaftungsRL); ƒ RL 85/577/EWG vom 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außer-
Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, allgemein
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halb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (HaustürwiderrufsRL); RL 87/102/EWG vom 22.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (VerbraucherkreditRL); RL 86/853/EWG vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbstständigen Handelsvertreter (HandelsvertreterRL); RL 90/314/EWG des Rates vom 13.6.1990 über Pauschalreisen (PauschalreiseRL); RL 93/13/EWG vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (KlauselRL); RL 94/47/EG vom 26.10.1997 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien (TimesharingRL); RL 97/5/EG vom 27.1.1997 über grenzüberschreitende Überweisungen (ÜberweisungsRL); RL 97/7/EG vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (FernabsatzRL); RL 1999/44/EG vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter; RL 1999/93/EG vom 13.12.1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (SignaturRL); RL 2000/13/EG vom 8.6.2000 über bestimmte Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt (E-commerceRL); RL 2000/43/EG vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (GleichbehandlungsRL Rasse und ethnische Herkunft); RL 2000/35/EG vom 29.6.2000 zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs (ZahlungsverzugsRL); RL 2000/78/EG vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (GleichbehandlungsRL Arbeitsbedingungen); VO (EG) 2560/2001 vom 19.12.2001 über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro (Euro-ÜberweisungsRL); VO (EG) 2157/2000 vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft (SE-Statut);
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RL 2002/65/EG vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher (FernabsatzfinanzRL); ƒ RL 2004/113/EG vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (GleichbehandlungsRL Geschlecht); ƒ RL 2005/29/EG vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern und Verbrauchern (unlautere GeschäftspraktikenRL). (mrm) Lit.: R. Schulze/R. Zimmermann, Basistexte zum Europäischen Privatrecht, 2004; B. Heiderhoff, Gemeinschaftsprivatrecht, 2005; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Gemeinschaftsrahmen framework – encadrement
Gemeinschaftsrahmen dienen der Vorhersehbarkeit der Ermessensausübung durch die Kommission im Rahmen des Art. 87 Abs. 3 EG und enthalten i.d.R. zweckdienliche Maßnahmen i.S.d. Art. 88 Abs. 1 Satz 2 EG. Für das Zustandekommen eines Gemeinschaftsrahmens bedarf es im Gegensatz zu ĺMitteilungen und ĺLeitlinien der Zustimmung der Mitgliedstaaten. Die Kommission ist an den Inhalt eines Gemeinschaftsrahmens gebunden, sofern dieser von den Mitgliedstaaten angenommen wurde. Mit der Zustimmung eines Mitgliedstaates wird der Gemeinschaftsrahmen auch für diesen verbindlich. (jr) §§: Art. 87 Abs. 3, Art. 88 Abs. 2 EG Lit.: T. Jestaedt/M. Schweda, in: M. Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2003, § 14, Rn. 44 ff.
Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, allgemein state liability for breach of community law, general – recours en responsabilité de l’État pour violation du droit communautaire, en général
Die Haftung der Mitgliedstaaten für Schäden, die aus einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts resultieren, ist im EG-Vertrag nicht ausdrücklich geregelt. Art. 288 Abs. 2 EG behandelt nur die ĺaußervertragliche Haftung der Gemeinschaft für die von ihren Organen oder Bediensteten durch Verletzung des Gemeinschaftsrechts verursachten Schäden. Damit besteht in der gemeinschaftsrechtlichen Regelung eine Lücke in Bezug auf die Haftung der Mit445
Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, Rechtsverletzung gliedstaaten gegenüber Einzelnen für die Verletzung von Gemeinschaftsrecht. Der Einzelne könnte nur nach dem oftmals unzulänglichen nationalen Staatshaftungsrecht Schadensersatz verlangen. Diese Regelungslücke hat der ĺEuGH durch die Entwicklung des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs geschlossen. Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch wurde maßgeblich vom ĺEuGH mit den Urteilen ĺFrancovich und ĺBrasserie du Pechêur begründet. Dogmatisch begründet der ĺEuGH den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch insbesondere mit dem ĺEffektivitätsprinzip (effet utile), das einen wirksamen Schutz der Rechte, die das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen gewährt, notwendig macht. Zudem zieht der ĺEuGH auch die in Art. 10 gegenüber der EG verankerte mitgliedstaatliche Treuepflicht zur Begründung des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs heran. Als ĺVoraussetzungen für den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch bestimmt der ĺEuGH grundsätzlich dieselben wie für die ĺaußervertragliche Haftung der Gemeinschaft gem. Art. 288 Abs. 2 EG. Damit hat der Einzelne dann einen Anspruch auf Schadensersatz gegen einen Mitgliedstaat, wenn ein ĺhinreichend qualifizierter Verstoß des Mitgliedstaates gegen eine Gemeinschaftsrechtsnorm, die dem Einzelnen subjektive Rechte verleiht, vorliegt und zwischen dem Verstoß und dem Schaden ĺKausalität besteht. Im Rahmen dieses gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs kann der Einzelne Schadensersatz sowohl für die – hinreichend qualifizierte – Verletzung von Gemeinschaftsrecht durch Behörden (ĺadministratives Unrecht) als auch durch einen nationalen Richter (ĺjudikatives Unrecht) verlangen. Einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch kann zudem auch ĺlegislatives Unrecht auslösen, wenn bspw. der Gesetzgeber Richtlinien nicht fristgem. umsetzt. Auch wenn nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des ĺEuGH der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch unmittelbar im Gemeinschaftsrecht begründet ist, so erfolgt die Beseitigung der verursachten Schäden doch nach dem Staatshaftungsrecht der Mitgliedstaaten. Hinsichtlich des Klagewegs, der Zuständigkeiten der Gerichte, der Art und Weise des Schadensersatzes sowie des Verfahrens wird auf das nationale Recht verwiesen. Zuständig sind damit grundsätzlich die nationalen Gerichte. In Deutschland muss somit gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG bei Klagen auf Schadensersatz we446
gen Verstoßes der Bundesrepublik gegen das Gemeinschaftsrecht der Zivilrechtsweg beschritten werden. Gem. § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG sind dabei die Landgerichte erstinstanzlich zuständig. Trotz des Verweises auf das nationale Staatshaftungsrecht dürfen gem. der Rechtsprechung des ĺEuGH die Voraussetzungen dieses nationalen Rechts aber nicht ungünstiger sein als bei entsprechenden innerstaatlichen Haftungsansprüchen (Diskriminierungsverbot) und insbesondere darf das nationale Recht nicht so ausgestaltet sein, dass die Erlangung von Schadensersatz praktisch unmöglich ist oder übermäßig erschwert wird (Effizienzgebot). Eine solche praktische Unmöglichkeit bestünde bspw., wenn das nationale Recht eine Haftung für ĺlegislatives Unrecht ausschließen würde, da dann die rechtswidrige Umsetzung einer Richtlinie durch einen Mitgliedstaat niemals zu einer Entschädigung aufgrund des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs führen würde. (jpt) Lit.: G. Meier, Zur Schadensersatzpflicht der Bundesrepublik Deutschland für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht, NVwZ 1996, 660; T. von Danwitz, Die gemeinschaftliche Staatshaftung, DVBl. 1997, 1; S. Detterbeck, Haftung der Europäischen Gemeinschaft und gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, AöR 125 (2000) 202 (228 ff.); B. Schoißwohl, Staatshaftung wegen Gemeinschaftsrechtsverletzung: Anspruchsgrundlagen und materielle Voraussetzungen, 2001; T. Tridimas, Liability for Breach of Community Law: Growing up or melting down, CML Rev 2001, 301 ff. Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-6 und 9/90 Francovich, Slg. 1991, I-5357; EuGH, verb. Rs. C-46 und 48/93 Brasserie du Pechêur und Factortame, Slg. 1996, I-1029; EuGH, Rs. C-224/01 Köbler, Slg. 2003, I-10239
Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung state liability for breach of community law, serious breach – recours en responsabilité de l’État pour violation du droit communautaire, violation suffisamment caractérisée
Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch setzt – wie die ĺaußervertragliche Haftung der Gemeinschaft – einen hinreichend qualifizierten Verstoß voraus. Auch im Bereich der Haftung der Mitgliedstaaten soll damit durch das Merkmal des hinreichend qualifizierten Verstoßes die Haftung eingeschränkt werden, um die Wahrnehmung gesetzgeberischer Tätigkeit nicht durch die Drohung mit Schadensersatzansprüchen übermäßig zu behindern. Ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht liegt vor, wenn ein Mitgliedstaat die Grenzen seines Ermessens beim Voll-
Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, Verhältnis zum nationalen Recht zug oder der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts „offenkundig und erheblich“ überschritten hat. Zur genauen Bestimmung, wann ein qualifizierter Verstoß, den im Streitfall ein nationales Gericht festzustellen hat, vorliegt, hat der ĺEuGH Kriterien entwickelt. Diese Kriterien knüpfen an das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Gemeinschaftsnorm, den Umfang des Ermessensspielraums, der den Mitgliedstaaten beim Vollzug und der Durchsetzung gemeinschaftlicher Normen gewährt wird, sowie die Frage der Vorsätzlichkeit an. Auch die eventuelle Entschuldbarkeit von Rechtsirrtümern der Mitgliedstaaten wird berücksichtigt. Diese Kriterien müssen aber nicht kumulativ vorliegen. Es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalles an. So kann – unter Berücksichtigung von Aspekten des Einzelfalles – auch schon die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts als hinreichend qualifizierter Verstoß betrachtet werden, wenn der Mitgliedstaat keinen oder einen nur geringen Gestaltungsspielraum bei der Anwendung oder Umsetzung des Gemeinschaftsrechts hat. Insbesondere gilt die Missachtung der Rechtsprechung des ĺEuGH oder ĺEuG durch einen Mitgliedstaat als hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht. Bei der in der Praxis nicht selten vorkommenden fehlerhaften Richtlinienumsetzung durch die Mitgliedstaaten liegt ein hinreichend qualifizierter Verstoß insbesondere dann vor, wenn die ĺRichtlinie gar nicht oder verspätet umgesetzt wurde. Bei einer fristgerechten aber unzureichenden Umsetzung der ĺRichtlinie ist dagegen ein hinreichend qualifizierter Verstoß nur dann gegeben, wenn die Umsetzung der ĺRichtlinie in einem offenkundigen Widerspruch zu Wortlaut und Zielen der ĺRichtlinie steht. (jpt) Lit.: B.-P. Säuberlich, Legislatives Unrecht und EUAmtshaftungsanspruch, 2005, 76 ff.; T. Tridimas, Liability for Breach of Community Law: Growing up or melting down, CML Rev 2001, 301 (310 ff.) Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-6 und 9/90 Francovich, Slg. 1991, I-5357; EuGH, verb. Rs. C-46 und 48/93 Brasserie du Pechêur und Factortame, Slg. 1996, I-1029; EuGH, verb. Rs. C-178, 179, 188 und 190/94 Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845
Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, Kausalität state liability for breach of community law, causal connection – recours en responsabilité de l’État pour violation du droit communautaire, causalité
Wie bei der ĺaußervertraglichen Haftung der Gemeinschaft muss auch im Bereich des ge-
meinschaftlichen Staatshaftungsanspruchs zwischen dem eingetretenem Schaden und dem rechtswidrigem Handeln, hier dem Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht, ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehen. Dieser unmittelbare Kausalzusammenhang wird vom EuGH ebenso verstanden wie bei der ĺaußervertraglichen Haftung der Gemeinschaft. (jpt) Lit.: B.-P. Säuberlich, Legislatives Unrecht und EUAmtshaftungsanspruch, 2005, 90 ff.; T. Tridimas, Liability for Breach of Community Law: Growing up or melting down, CML Rev 2001, 301 (305 ff.)
Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, Rechtsfolge state liability for breach of community law, legal consequence – recours en responsabilité de l’État pour violation du droit communautaire, conséquence juridique
Die Modalitäten des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs richten sich grundsätzlich nach nationalem Recht. Dabei dürfen jedoch die Gewährung und der Umfang des Schadensersatzes nicht ungünstiger sein als bei entsprechenden innerstaatlichen Ansprüchen und auch darf die Erlangung des Schadensersatzes nicht praktisch ausgeschlossen oder übermäßig erschwert werden. (jpt) Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-6 und 9/90 Francovich, Slg. 1991, I-5357; EuGH, verb. Rs. C-46 und 48/93 Brasserie du Pechêur und Factortame, Slg. 1996, I-1029
Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, Verhältnis zum nationalen Recht state liability for breach of community law, relationship to national law – recours en responsabilité de l’État pour violation du droit communautaire, rapport au droit interne
Wenn die Voraussetzungen des ĺgemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs vorliegen, hat der Mitgliedstaat Schadensersatz zu leisten. Die Art und Weise der Schadensersatzleistung richtet sich, auf Grund fehlender gemeinschaftsrechtlicher Regelungen, grundsätzlich nach nationalem Recht. Dessen Voraussetzungen zur Leistung von Schadensersatz nach dem gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch dürfen jedoch nicht „ungünstiger als bei ähnlichen, nur das nationale Recht betreffenden Klagen und überdies nicht in der Weise gestaltet sein, dass sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädigung zu erlangen.“ Somit sind Beschränkungen des mitgliedstaatlichen Haftungsrechts unbeachtlich. Auch mit Blick auf das deutsche Staatshaftungsrecht gilt dies sowohl für das Erfordernis des Verschuldens als auch den Ausschluss für die 447
Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, Voraussetzungen Haftung für legislatives Unrecht. Dagegen können aber typische Grenzen der Haftung, wie der Vorrang des Primärrechtsschutzes (vgl. § 839 Abs. 3 BGB) oder das Mitverschulden, berücksichtigt werden. Insbesondere bestimmt das nationale Haftungsrecht das Haftungssubjekt, was vor allem in Bundesstaaten von Bedeutung ist. Hierbei muss aber sichergestellt sein, dass das nach nationalem Recht bestimmte Haftungssubjekt leistungsfähig ist. Im Gegensatz zur Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichte für die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft sind für Klagen aus dem gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch die Gerichte der Mitgliedstaaten zuständig. (jpt) Lit.: U. Kischel, Gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung zwischen Europarecht und nationaler Rechtsordnung, EuR 2005, 441; F. Ossenbühl, Staatshaftung zwischen Europarecht und nationalem Recht, in: O. Due/M. Lutter/J. Schwarze (Hrsg.), FS für U. Everling, Band 2, 1995, 1031 Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-46 und 48/93 Brasserie du Pechêur und Factortame, Slg. 1996, I-1029
Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, Voraussetzungen state liability for breach of community law, conditions – recours en responsabilité de l’État pour violation du droit communautaire, conditions
Die Voraussetzungen des vom ĺEuGH begründeten gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs entsprechen im Wesentlichen denen, die der ĺEuGH für die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft gem. Art. 288 Abs. 2 EG entwickelt hat. Danach hat ein Mitgliedstaat für ihm zurechenbare Schäden, die durch eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts verursacht wurden, zu haften, wenn die verletzte Gemeinschaftsrechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß gegen diese Rechtsnorm ĺhinreichend qualifiziert ist und zwischen dem Verstoß und dem entstandenen Schaden ĺKausalität besteht. Diese Voraussetzungen sind aber nur gemeinschaftsrechtliche Mindestbedingungen, die im staatlichen Haftungsrecht verwirklicht werden müssen. Ansonsten bleibt die Ausgestaltung des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs dem nationalen Recht überlassen. Freilich unterliegt das nationale Haftungsrecht auch in Bezug auf den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch den Bindungen des Gemeinschaftsrechts. (jpt) Lit.: B. Schoißwohl, Staatshaftung wegen Gemeinschaftsrechtsverletzung: Anspruchsgrundlagen und materielle Voraussetzungen, 2001; T. von Danwitz,
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Die gemeinschaftliche Staatshaftung der Mitgliedstaaten, DVBl. 1997, 1; B.-P. Säuberlich, Legislatives Unrecht und EU-Amtshaftungsanspruch, 2005, 67 ff. Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-6 und 9/90 Francovich, Slg. 1991, I-5357; EuGH, verb. Rs. C-46 und 48/93 Brasserie du Pechêur und Factortame, Slg. 1996, I-1029
Gemeinschaftsrechtskonforme Interpretation ĺInterpretation, gemeinschaftsrechtskonforme Gemeinschaftsrechtsvollzug ĺVollzug Gemeinschaftstreue ĺUnionstreue Gemeinschaftsware community product – marchandise communautaire
Der Begriff bezeichnet ĺWaren, die unmittelbar aus den ĺMitgliedstaaten stammen. Eine Gemeinschaftsware hat keinen Statuswechsel durchlaufen, da sie entweder vollständig im Zollgebiet gewonnen, hergestellt oder aus im freien Verkehr befindlichen Drittlandswaren zusammengesetzt wurde (s.a. ĺWare im freien Verkehr). Grundsätzlich sind Waren, die zwar aus Drittländern stammen, sich aber im freien Verkehr befinden, einer Gemeinschaftsware gleichgestellt. (ah) Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28 EGV, Rn.120
Gemeinschaftsweite Bedeutung community dimension – cimension communautaire
Nach Art. 1 der ĺFusionskontrollverordnung (FKVO) hat ein ĺZusammenschluss gemeinschaftsweite Bedeutung und unterliegt somit dem Anwendungsbereich der FKVO (ĺFusionskontrollverordnung, Anwendungsbereich), wenn von den beteiligten Unternehmen bestimmte Umsatzschwellen überschreiten, die in den Absätzen 2 und 3 festgelegt sind. Eine Überschreitung der Umsatzschwelle gem. Abs. 2 liegt vor: a. ein weltweiter Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen von mehr als 5 Mrd. EUR und b. ein gemeinschaftsweiter Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen von jeweils mehr als 250 Mio. EUR; dies gilt nicht, wenn die beteiligten Unternehmen jeweils mehr als zwei Drittel ihres gemein-
Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen (Energierecht) schaftsweiten Gesamtumsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat erzielen. Abs. 3: Ein Zusammenschluss, der die in Abs. 2 vorgesehenen Schwellen nicht erreicht, hat gemeinschaftsweite Bedeutung, wenn a. der weltweite Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen mehr als 2,5 Mrd. EUR beträgt, b. der Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen in mindestens drei Mitgliedstaaten jeweils 100 Mio. EUR übersteigt, c. in jedem von mindestens drei von lit. b erfassten Mitgliedstaaten der Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen jeweils mehr als 25 Mio. EUR beträgt und d. der gemeinschaftsweite Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen jeweils 100 Mio. EUR übersteigt; dies gilt nicht, wenn die beteiligten Unternehmen jeweils mehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Gesamtumsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat erzielen. Die Prüfung der in Art. 1 Abs. 2 und 3 FKVO genannten Schwellenwerte erfolgt in drei Schritten. Zunächst werden die im Hinblick auf den weltweiten und den gesamtgemeinschaftsweiten Umsatz höheren Schwellenwerte des Abs. 2 lit. a und b geprüft. Werden diese nicht erreicht, so sind in einem zweiten Schritt die Schwellenwerte des Abs. 3 lit. a bis d zu prüfen. Ist das Ergebnis einer der beiden Prüfungsschritte positiv, ist eine gemeinschaftsweite Bedeutung dann zu bejahen, falls ein dritter Prüfungsschritt negativ ausfällt: Die beteiligten Unternehmen dürfen jeweils nicht mehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Gesamtumsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat erzielen. Art. 5 FKVO bestimmt Regeln zur Berechnung des Umsatzes der an dem Zusammenschlussvorhaben beteiligten Unternehmen. Die das Vorhaben anmeldenden Unternehmen müssen hierzu Angaben im sog. „Formblatt CO“ machen. (mke)
Gemeinwirtschaftliche Verpflichtung public service obligations – obligations de service public
In allgemeinster Formulierung ist unter diesem Begriff eine von der zuständigen Behörde festgelegte oder bestimmte Anforderung im Hinblick auf die Sicherstellung von ĺDienstleistungen im allgemeinen Interesse zu verstehen, die der Betreiber unter Berücksichtigung seines eigenwirtschaftlichen Interesses nicht oder nicht im gleichen Umfang oder nicht zu den gleichen Bedingungen ohne Gegenleistung übernommen hätte. Der Begriff überschneidet sich teilweise mit jenem der ĺVerpflichtungen des öffentlichen Dienstes (strittig). ĺBeihilfen, Verkehrsrecht. ĺBeihilfen, Verkehrsrecht (Sekundärrecht). (sm) §§: KOM(2005) 319 endg.; VO (EWG) 2408/92, ABl. 1992, Nr. L 240/8 Lit.: W. Küpper, in: A. Frohnmeyer/P. Mückenhausen (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004, 3, Rn. 1 ff. (12 ff.) Rsp.: EuGH, Rs. C-280/00 Altmark Trans, Slg. 2003, I-7747; EuGH, Rs. C-412/96 Kainuun Liikenne Oy, Slg. 1998, I-5141
Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen (Energierecht) public service obligations (energy law) – obligations de service public (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
public service obligations – prestations de service public
ĺElektrizitätsbinnenmarktrichtlinie und ĺErdgasbinnenmarktrichtlinie definieren verschiedene gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen, die von den Mitgliedstaaten sicherzustellen sind. Die Mitgliedstaaten sollen demnach sicherstellen, dass ein wettbewerbsorientierter, sicherer und unter ökologischen Aspekten nachhaltiger Markt betrieben wird und dass die Unternehmen hinsichtlich der Rechte und Pflichten nicht diskriminiert werden. Ausdrücklich nennen die RL die Sicherheit, einschließlich Versorgungssicherheit, Regelmäßigkeit, Qualität und Preis der Versorgung sowie Umweltschutz, einschließlich Energieeffizienz und Klimaschutz. In Bezug auf die Versorgungssicherheit, die Energieeffizienz/Nachfragesteuerung sowie zur Erreichung der Umweltziele kann weiters eine langfristige Planung der Netze vorgesehen werden. Bedeutsam ist die Festlegung solcher gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen für die Zuerkennung von ĺBeihilfen i.S.d. Art. 86 EG. (hh)
Vor allem in der deutschsprachigen Literatur verwendete Bezeichnung für ĺVerpflichtungen des öffentlichen Dienstes. (sm)
§§: Art. 3 ĺElektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/54/EG), Art. 3 ĺErdgasbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/55/EG)
§§: Art. 1, 5 VO (EG) 139/2004, ABl. 2004, Nr. L 24/1; Formblatt CO, Anhang zur VO (EG) 802/2004, ABl. 2004, Nr. L 133/1
Gemeinwirtschaftliche Leistungen
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Gemeinwohlinteresse Gemeinwohlinteresse ĺAllgemeininteresse Gemeinwohlorientierte Dienstleistungen, Zugang ĺDienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, Zugang Gemischte Zweckbestimmung dual use – fonction doublé
In den sog. dual-use-Fällen interessieren Sachverhaltskonstellationen, in denen eine Person einen Vertrag in einer sowohl beruflich-gewerblichen als auch privaten Zweckverfolgung tätigt („doppelte Zwecksetzung“). Fraglich ist nun, ob ein solcher Vertrag als Verbraucheroder als Unternehmergeschäft zu werten ist. Die reinen VerbraucherschutzRL (ĺVerbraucherschutzRL, reine) schweigen in diesem Punkt. Der EuGH (ĺEuGH und EuG I) äußerte sich bislang in einer einzigen Entscheidung dazu (EuGH 20.1.2005, Rs. C-464/01 Gruber, Slg. 2005, I-00439). In Auslegung des Art. 13 des ĺEuGVÜ (nunmehr Art. 15 ff. EuGVVO, ĺVerbrauchergerichtsstand) vertrat er die Auffassung, dass sich in einem solchen Fall die in gemischter Zweckbestimmung handelnde Person nicht auf die speziellen Zuständigkeitsvorschriften der Art. 13 ff. EuGVÜ berufen kann, es sei denn, sie kann beweisen, dass der beruflich-gewerbliche Zweck derart nebensächlich ist, dass er im Gesamtzusammenhang des betreffenden Geschäftes nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt . Es obliegt dem Gericht, anhand der Beweismittel, die sich objektiv aus den Akten ergeben, zu entscheiden, ob der beruflich-gewerbliche Zweck mehr als nur untergeordnet ist. Ergibt sich hingegen aus den den Akten objektiv zu entnehmenden Umständen kein hinreichender Beweis, hat das Gericht zu prüfen, ob die andere Vertragspartei den nicht beruflich-gewerblichen Zweck des Geschäftes zu Recht deswegen nicht zu kennen brauchte, weil der vermeintliche Verbraucher durch sein eigenes Verhalten gegenüber seinem zukünftigen Vertragspartner bei diesem den Eindruck erweckt hat, dass er zu beruflichgewerblichem Zwecke handelte. In einem solchen Fall wären die speziellen Zuständigkeitsvorschriften der Art. 13 ff. EuGVÜ für Verbrauchersachen selbst dann nicht anwendbar, wenn mit dem Vertrag als solchem ein ganz untergeordneter beruflich-gewerblicher Zweck verfolgt wird, da diesfalls anzunehmen ist, dass der 450
Verbraucher auf den in diesen Artikeln vorgesehenen Schutz verzichtet hat. Ist auch dies nicht erweislich, so ist der Vertrag grundsätzlich als Verbrauchervertrag im Sinne der Art. 13 ff. des ĺEuGVÜ anzusehen, da diesen Vorschriften andernfalls ihre praktische Wirksamkeit genommen würde. (pa) §§: Übereinkommens vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen; VO (EG) 44/2001 vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2001, Nr. L 12/01 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; M. Erhart/S. Merckens/M. Steinberger, Rechtssprechungsübersicht europäische Gerichte, ecolex 2005, 666; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006; B. Jud, Neuere Rechtssprechung zum Konsumentenschutz, ÖJZ 2007, 1
Gemischtes Abkommen mixed agreement – accord mixte
In den Gründungsverträgen sieht bloß Art. 103 EA den Abschluss „gemischter Verträge“ vor. Dennoch wurden aus praktischen, rechtspolitischen und rechtlichen Bedürfnissen in der Praxis „gemischte Abkommen“ oftmals abgeschlossen. Der Abschluss der gemischten Abkommen durch den Rat erfolgt in analoger Anwendung des Art. 102 EA erst nach Ratifikation der Abkommen durch die Mitgliedstaaten. Dabei sind sowohl die EG und die MS (als einheitliche Vertragspartei) als auch der assoziierte Drittstaat bzw. eine Staatengruppe (z.B. ĺAKP) Vertragspartner, um Unklarheiten und Probleme bei der Kompetenzzuweisung zu umgehen beziehungsweise zukünftige Kompetenzverschiebungen zu erfassen. Regelmäßig verlangen Drittstaaten, dass neben der EG die Mitgliedstaaten als Vertragspartner auftreten, um letztere direkt dem Drittstaat gegenüber zur völkerrechtlichen Durchführung des Abkommens zu verpflichten – andernfalls bestünde nur die (innergemeinschaftliche) Verpflichtung zur Vertragsdurchführung der Mitgliedstaaten gegenüber der EG. Trotz kumulativer völkerrechtlicher Verpflichtungen von EG und Mitgliedstaaten ist die innergemeinschaftliche Wirkung solcher Abkommen differenziert zu betrachten. Soweit sie von Gemeinschaftskompetenzen getragen werden, werden sie in das Gemeinschaftsrecht übernommen. Gemeinschaftsintern werden die von nationalen Kompetenzen getragenen Teile der „gemischten Abkommen“ nur nach Maßgabe des nationalen Verfassungsrechts
Genehmigungsverfahren, Kapitalverkehrsfreiheit in den nationalen Rechtsordnungen wirksam. Grundsätzlich binden diese multilateralen Abkommen alle Vertragspartner in allen ihren Teilen, es sei denn das Abkommen sieht ausdrücklich anderes vor. (bb) §§: EuGH, GA 1/76, Stillegungsfonds, Slg. 1977, 756; EuGH, GA 1/78, Naturkautschuk-Übereinkommen, Slg. 1979, 2918 Lit.: R. Arnold, Der Abschluss gemischter Verträge durch die Europäischen Gemeinschaften, AVR 1808/ 81, 419; C. Vedder, in: E. Grabitz/M. Hilf, Das Recht der Europäischen Union, 2. Lfg. 1986, Art. 228 (jetzt: Art. 300), Rn. 23; A. Bleckmann, Der gemischte Vertrag im Europarecht, EuR 1976, 302
Genehmigungsverfahren authorisation procedure – procédure d’autorisation
Genehmigungsverfahren oder auch Genehmigungsvorbehalte können wegen ihres grundsätzlich abschreckenden Effekts eine den ĺfreien Warenverkehr beeinträchtigende Wirkung haben, selbst wenn die Erlaubnis auf Antrag jedenfalls erteilt wird und/oder es sich lediglich um ein formales Anmeldeverfahren handelt (s.a. ĺZulassungsverfahren für Waren). (ah) Lit.: P. Müller-Graf, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 138
Genehmigungsverfahren, Kapitalverkehrsfreiheit authorisation procedure, free movement of capital – procédure d’autorisation, libre circulation des capitaux
Mitgliedstaatliche G. für Kapitalverkehr wie z.B. die Genehmigung für den Erwerb eines Grundstückes (EuGH, Rs. C-302/97 Konle, Slg. 1999, I-3099, Rn. 39; EuGH, Rs. C-452/01 Ospelt und Schlössle Weissenberg, Slg. 2003, I-9743, Rn. 45; ĺImmobilienerwerb), von ausländischen ĺDirektinvestitionen (EuGH, Rs. C-54/99 Église de scientologie, Slg. 2000, I-1335, Rn. 14) oder den Erwerb von Aktien (Rs. C-367/98 Kommission/Portugal, Slg. 2002, I-4731, Rn. 43 ff.; ĺGoldene Aktien) stellen einen Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 EG dar, da sie grundsätzlich geeignet sind den freien Kapitalverkehrs zu verhindern oder illusorisch zu machen. Sie können jedoch gerechtfertigt sein. Anders als bei ĺMeldeverfahren nennt der EG-Vertrag G. nicht ausdrücklich als Rechtfertigungsgrund. G. können aber aufgrund ungeschriebener Rechtfertigungsgründe zur Verfolgung ĺzwingender Gründe des Allgemeininteresses oder einem der in Art. 58 Abs. 1 EG genannten Gründe (z. B. „unerlässliche Maß-
nahmen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu verhindern“ [EuGH, Rs. C-302/97 Konle, Slg. 1999, I-3099, Rn. 43 ff.] oder Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung [EuGH, Rs. C-54/99 Église de scientologie, Slg. 2000, I-1335, Rn. 16]) gerechtfertigt sein, wenn sie zur Erreichung des jeweiligen Zwecks geeignet und erforderlich sind. An der Erforderlichkeit fehlt es indes meist deshalb, weil Meldeverfahren das mit der Einführung eines G. angestrebte Ziel in gleicher Weise zu erreichen geeignet sind. Dies ist in Fällen evident, in denen das Genehmigungsverfahren einem bloßen Informationsbedürfnis dient (EuGH, Rs. C-302/97 Konle, Slg. 1999, I-3099, Rn. 45), denn dabei ist es nicht erforderlich den Kapitaltransfer durch ein Genehmigungserfordernis zunächst zu unterbinden. Es genügt eine Melde- oder Erklärungspflicht, verbunden mit der Möglichkeit, dadurch erkannte Rechtsverletzungen zu sanktionieren oder den rechtmäßigen Zustand wieder herzustellen. Aber auch im Fall der Genehmigungspflicht für den Immobilienerwerb, mit dem die Einhaltung des Verbots der Errichtung von Zweitwohnsitzen überprüft werden soll, hat der EuGH die Erforderlichkeit eines G. verneint, weil die zulässige Kontrolle auch mit einem Meldeverfahren und nachträglich möglichen Sanktionen zu erreichen ist (ĺZweitwohnung, Beschränkung des Erwerbs). Hingegen hat er eine Genehmigungspflicht für den Immobilienerwerb als erforderlich angesehen, mit welcher gesichert werden sollte, dass die aus raumplanerischen Gründen zulässige Pflicht beachtet wird, landwirtschaftlich genutzte Grundstücke nach deren Erwerb weiterhin landwirtschaftlich zu nutzen. Die mit einer zweckfremden Nutzung landwirtschaftlicher Flächen einhergehende Beeinträchtigung der jeweiligen Flächen können nach Auffassung des EuGH nämlich „unwiederbringlich“ sein, so dass nur eine Vorabkontrolle im Wege eines Genehmigungsverfahrens geeignet sei, die raumplanerischen Ziele zu erreichen (EuGH, Rs. C-452/01 Ospelt und Schlössle Weissenberg, Slg. 2003, I-9743, Rn. 44 f.). Auch für ĺDirektinvestitionen, welche als solche die öffentliche Sicherheit und Ordnung „tatsächlich und hinreichend schwer gefährden“, hat der EuGH G. ausdrücklich für als erforderlich angesehen, weil in solch einem Fall nur die tatsächliche Aussetzung des Kapitaltransfers die Gefahr zu beseitigen geeignet wäre; im konkreten Fall hat er diese Voraussetzung allerdings nicht als erfüllt angesehen 451
Generalanwalt (EuGH, Rs. C-54/99 Église de scientologie, Slg. 2000, I-1335, Rn. 20 f.). (mk) Generalanwalt general advocat – avocat général
Am ĺEuGH arbeiten neben den Richterinnen und Richtern acht Generalanwälte. Ein Generalanwalt hat die Aufgabe den Gerichtshof zu unterstützen. Diese Unterstützung liegt insbesondere in der Ausarbeitung eines Schlussantrags. Das Gemeinschaftsrecht schreibt die Stellung von Schlussanträgen nicht mehr zwingend vor. Der EuGH kann also nach Anhörung des Generalanwalts beschließen, dass eine Rechtssache keine neuen Rechtsfragen aufwirft und daher auch ohne einen Schlussantrag des Generalanwalts entschieden werden kann. Durch den Schlussantrag bereitet der Generalanwalt die Entscheidung des EuGH vor. Er fasst darin den Verfahrensgegenstand zusammen und würdigt ihn in Form eines Rechtsgutachtens. Unter Auswertung der EuGH-Rechtsprechung enthält der Schlussantrag eine ausführliche rechtliche Stellungnahme, die dem EuGH vor seiner Entscheidungsfindung unterbreitet wird. Allerdings ist der Schlussantrag nicht verbindlich, so dass der EuGH ihn nicht zu würdigen und zu befolgen braucht. Statistisch folgt der EuGH ihm dennoch bis zu ca. 80 %. Dies unterstreicht die hohe Bedeutung der Schlussanträge für die Erfüllung der Rechtsprechungsaufgabe durch den EuGH. Der Schlussantrag des Generalanwalts wird in der Amtlichen Sammlung des Gerichtshofs und in den ĺelektronischen Datenbanken zusammen mit den Entscheidungen des EuGH veröffentlicht. Die Anzahl der Generalanwälte kann der ĺRat einstimmig auf Antrag des EuGH erhöhen. Sie werden für die Dauer von sechs Jahren ernannt. In jährlichem Turnus wählt der EuGH einen der Generalanwälte zum Ersten Generalanwalt. Zu dessen Aufgaben gehört vor allem die Zuweisung der Rechtssachen an die Generalanwälte. Der Generalanwalt ist in seiner Rechtsstellung den Richtern am EuGH gleichgestellt. Er übt sein Amt unparteilich und unabhängig aus. (dh) §§: Art. 222, 223 EG Lit.: C. Lenz, Das Amt des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof, in: O. Due/M. Lutter/J. Schwarze (Hrsg.), FS für U. Everling, Bd. I, 1995, 719 Web: http://curia.europa.eu/de/content/juris/index_ form.htm
Generaldirektionen Directorates-General – Directions génerales ƒ Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN)
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ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
Unternehmen (ENTR) Wettbewerb (COMP) Arbeit und Soziales (EMPL) Landwirtschaft (AGRI) Verkehr und Energie (TREN) Umwelt (ENV) Forschung (RTD) Gemeinsame Forschungsstelle (JRC) Informationsgesellschaft und Medien (INFSO) Fischerei (FISH) Binnenmarkt (MARKT) Regionalpolitik (REGIO) Steuern und Zollunion (TAXUD) Bildung und Kultur (EAC) Gesundheit und Verbraucherschutz (SANCO) Justiz, Freiheit und Sicherheit (JLS) Haushalt (BUDG) Finanzkontrolle (AUDIT) Außenbeziehungen: ƒ Außenbeziehungen (RELEX) ƒ Handel (TRADE) ƒ Entwicklung (DEV) ƒ Erweiterung (ELARG) ƒ Amt für Zusammenarbeit (EuropeAid bzw. AIDCO) ƒ Amt für humanitäre Hilfe (ECHO) Allgemeine Dienste: ƒ Generalsekretariat (SG) ƒ Presse- und Informationsdienst (PRESS) ƒ Eurostat(ESTAT) ƒ Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) ƒ Amt für amtliche Veröffentlichungen (OPOCE) Interne Dienste: ƒ Juristischer Dienst (SJ) ƒ Personal und Verwaltung (ADMIN) ƒ Interner Auditdienst (IAS) ƒ Generaldirektion Dolmetschen (Interpretation bzw. SCIC) ƒ Generaldirektion Übersetzung (DGT) ƒ Politischer Beraterstab (GOPA) S.a. ĺKommission, Dienststellen bzw. ĺKommission, Generaldirektion (lb) Generaldirektor ĺKommission, Generaldirektionen Generalsekretär des Rates ĺHoher Vertreter für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik Generationenrechte ĺRechte älterer Menschen, ĺKinderrechte
Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) Genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel genetically modified food and feed – denrées alimentaires et aliments pour animaux génétiquement modifiés
Genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel sind Teil der Vorschriften über ĺNeuartige Lebensmittel (Novel Food) und haben in den Verordnungen (EG) Nr. 258/97, 1829/2003 sowie 1830/2003 einen gesonderten Rechtsrahmen auf gemeinschaftlicher Ebene erhalten. (mkr) §§: VO (EG) 258/97, VO (EG) 1829/2003, VO (EG) 1830/2003
Genetisch veränderter Mikroorganismus genetically modified micro-organism – micro-organisme génétiquement modifié
Als genetisch veränderter Mikroorganismus wird jeder Mikroorganismus bezeichnet, dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie es unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht vorkommt (zu den erfassten Techniken s.a. ĺgenetisch veränderter Organsimus). (al) §§: Art. 2 lit. b, RL 90/219/EWG des Rates vom 23.4. 1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1990, Nr. L 117/1, geändert durch die RL 98/81/EG des Rates vom 26.10.1998 zur Änderung der RL 90/219/ EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1998, Nr. L 330/13. (ĺSystemrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. I., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, Rn. 13 ff. Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/ l21157.htm
Genetisch veränderter Organismus genetically modified organism – organisme génétiquement modifié
Die RL 2001/18/EG (ĺFreisetzungsrichtlinie) definiert einen genetisch veränderten Organismus in ihrem Art. 2 Z. 2 als einen ĺOrganismus mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und/ oder natürliche Rekombination nicht möglich ist. Genetische Umformungen zur Veränderung bestimmter Merkmale, die das Resultat von Züchtung sind gelten damit nicht als genetisch veränderte Organismen, ebenso wenig wie Veränderungen durch In-vitro-Befruchtung, natürliche Prozesse wie Konjugation, Transduktion, Transformation oder solche durch PolyploidieInduktion gem. Anhang I. B. der Richtlinie. Zu
einem genetisch veränderten Organismus führt jedoch entsprechend dem Anhang I. A. der RL der Einsatz von NS-Rekombinationstechniken, bei denen durch die Insertion von Nukleinsäuremolekülen, die auf unterschiedliche Weise außerhalb eines Organismus erzeugt wurden, in Viren, bakterielle Plasmide oder andere Vektorsysteme neue Kombinationen von genetischem Material gebildet werden und diese in einen Wirtsorganismus eingebracht wurden, in dem sie unter natürlichen Bedingungen nicht vorkommen, aber vermehrungsfähig sind. Genetisch veränderte Organismen sind außerdem das Ergebnis von Verfahren, bei denen in einen Organismus direkt Erbgut eingeführt wird, das außerhalb des Organismus zubereitet wurde, einschließlich der Mikroinjektion, Makroinjektion und Mikroverkapselung genauso wie die Zellfusion (einschließlich Protoplastenfusion) oder Hybridisierungsverfahren, bei denen lebende Zellen mit neuen Kombinationen von genetischem Erbmaterial durch die Verschmelzung zweier oder mehrerer Zellen anhand von Methoden gebildet werden, die unter natürlichen Bedingungen nicht auftreten. (al) §§: Art. 2 Z. 2, Anhang I A und B RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. II., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, Rn. 20 ff.; C. von Kameke, Gemeinschaftliches Gentechnikrecht: Die Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG, 1995, 16 Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/ l28130.htm
Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) Geneva Convention relating to the status of refugees – Convention de Genève relative au statut des réfugiés
Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vom 28.7.1951 (in Kraft getreten am 22.4.1954) mit Änderungen und Ergänzungen des ĺProtokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge 1967 bildet die Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts und regelt die Rechtsstellung der Flüchtlinge. Abgesehen davon, dass alle EUMitgliedstaaten Vertragsstaaten der GFK sind (und ganz allgemein völkerrechtliche Verpflichtungen nicht durch die Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf die Europäische Union umgehen können), verweist auch Art. 63 Z. 1 EG auf die GFK. Dadurch werden auf Art. 63 Z. 1 gestützte Sekundärrechtsakte primärrechtswidrig, wenn sie der GFK widersprechen. Die GFK gewährt kein subjektives ĺRecht auf Asyl, sondern legt Rechte im Asyl fest. Neben 453
Gentechnikrecht einer Definition des ĺFlüchtlings (Art. 1) enthält sie ein Diskriminierungsverbot (Art. 3), gewährt die Freiheit der Religionsausübung (Art. 4), den Schutz des Eigentums (Art. 13) sowie den Zugang zu Gerichten (Art. 16). Entscheidend ist, dass der durch die GFK gewährte Schutz erst dann zur Anwendung kommt, wenn sich der Flüchtling außerhalb des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, befindet (Art. 1 [A] Abs. 2). Keine Anwendung findet die GFK jedoch, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass die betreffende Person ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat (Art. 1 [F] lit. a); ein schweres nichtpolitisches Verbrechen vor der Einreise begangen hat (lit. b); oder sich Handlungen zu Schulden hat kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen (lit. c). Vor dem Hintergrund des „Kampfes gegen den Terrorismus“ hat ĺUNHCR 2003 Richtlinien zur Anwendung dieser Ausschlussklauseln veröffentlicht. Eine zentrale Bestimmung der GFK ist Art. 33, der unter gewissen Umständen ein Verbot der Ausweisung und Zurückweisung (auch als ĺRefoulement-Verbot bezeichnet, s. ĺPrinzip des non-refoulement), vorsieht. Des weiteren enthält die GFK Regelungen zur Erwerbstätigkeit (Kap. III) und Wohlfahrt (Kap. IV regelt Wohnungswesen, Fürsorge, Erziehung und sozialrechtliche Bestimmungen) des anerkannten Flüchtlings. (gt) (jw) Lit.: J. Wolf, Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, Die Friedens-Warte 2002, 97; J. C. Hathaway, The Rights of Refugees under International Law, 2005
Gentechnikrecht genetic engineering law – droit du génie génétique
Darunter wird die Summe jener rechtlichen Bestimmungen verstanden, die den Umgang mit ĺgenetisch veränderten Organismen regeln. Auf europäischer Ebene lassen sich erste Regelungen in diesem Bereich 1990, mit den RL 90/219/EWG des Rates vom 23.4.1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1990, Nr. L 117/1 und 90/220/EWG des Rates vom 23.4.1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt, ABl. 1990, Nr. L 117/15, ausmachen. Mit diesen Normen wurde ein horizontaler Regelungsansatz gewählt. Der Umgang mit gene454
tisch veränderten Organismen sollte damit unabhängig vom materienspezifischen Anwendungsbereich festgelegt werden. In den folgenden Jahren wurde dieser Weg jedoch durch zahlreiche gentechnikrechtliche Sondervorschriften nicht weiter beschritten. So wurde etwa 1997 mit der VO (EG) 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.1.1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten (Novel Food) eine Sonderregelung für den Lebensmittelsektor geschaffen. Mit der RL 98/81/EG wurde die Systemrichtlinie 90/219/EWG novelliert. Anfang des neuen Jahrhunderts konnte schließlich ein erhöhtes Regelungsaufkommen im Bereich es europäischen Gentechnikrechts festgestellt werden. So wurde mit der RL 2001/18/EG (ĺFreisetzungsrichtlinie) nicht nur die RL 90/220/EWG aus 1990 aufgehoben und die Materie einer Neuregelung zugeführt, sondern mit den Verordnungen VO (EG) 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.9.2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel (Food and Feed) , VO (EG) 1830/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.9.2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der RL 2001/18/EG, VO (EG) 1946/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.7.2003 über grenzüberschreitende Verbringungen genetisch veränderter Organismen und der VO (EG) 65/2004 der Kommission vom 14.1.2004 über ein System für die Entwicklung und Zuweisung spezifischer Erkennungsmarker für genetisch veränderte Organismen, auch völlig neue Regelungen geschaffen. Zur genetischen Analyse und der Gentherapie am Menschen sind hingegen bis heute keine harmonisierenden Regelungen auf europäischer Ebene getroffen worden. (al) §§: RL 90/219/EWG des Rates vom 23.4.1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1990, Nr. L 117/ 1 (ĺSystemrichtlinie); RL 90/220/EWG des Rates vom 23.4.1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt, ABl. 1990, Nr. L 117/15; VO (EG) 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.1.1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten, ABl. 1997, Nr. L 43/1; RL 98/81/EG des Rates vom 26.10.1998 zur Änderung der RL 90/219/EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1998, Nr. L 330/13; RL 2001/18/EG des Europäischen Par-
Gerichtsstand (Patentsachen) laments und des Rates vom 12.3.2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der RL 90/ 220/EWG des Rates, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie); VO (EG) 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.9.2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, ABl. 2003, Nr. L 268/1; VO (EG) 1830/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.9.2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der RL 2001/18/EG, ABl. 2003, Nr. L 268/24; VO (EG) 1946/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.7.2003 über grenzüberschreitende Verbringungen genetisch veränderter Organismen, ABl. 2003, Nr. L 287/1; VO (EG) 65/2004 der Kommission vom 14.1.2004 über ein System für die Entwicklung und Zuweisung spezifischer Erkennungsmarker für genetisch veränderte Organismen, ABl. 2004, Nr. L 10/5, RL 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.7. 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, ABl. 1998, Nr. L 213/13 Lit.: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, Loseblattwerk: Teil 1, Bd. 3; M. Schenek, Das Gentechnikrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1995 Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/s89500. htm
Georgien Georgia – Géorgie
S. ĺPartnerschafts- und Kooperationsabkommen. (bb) §§: ABl. 1999, Nr. L 205/1 (in Kraft seit 1.7.1999) Web: http://www.delgeo.ec.europa.eu/en/eu_and_ georgia/agreements.html
Gericht ĺRechtsschutz, Grundrecht auf; ĺVorabentscheidungsverfahren, Begriff des Gerichts Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (EuG I) ĺEuGH und EuG I; ĺEuGH und EuG I, Amtssitz; ĺEuGH und EuG I, Aufgaben; ĺEuGH und EuG I, Beweisaufnahme, ĺEuGH und EuG I, Funktion; ĺEuGH und EuG I, Gerichtskosten; ĺEuGH und EuG I, Rechtsstellung der Richter; ĺEuGH und EuG I, Sprache; ĺEuGH und EuG I, Zuständigkeit; ĺEuG I, Kanzler; ĺEuG I, Organisation; ĺEuG I, Präsident; ĺEuG I, Verfahrensablauf; ĺEuG I, Verfahrensordnung Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union (EuGöD) ĺEuGöD
Gerichtliche Kammern judicial panels – chambres juridictionelles
Seit dem ĺVertrag von Nizza (2001) kann der ĺRat durch einstimmigen Beschluss gerichtliche Kammern bilden. Die gerichtlichen Kammern stellen eine eigenständige gerichtliche Eingangsinstanz für bestimmte Sachgebiete dar und sind im ersten Rechtszug bspw. zuständig für Streitigkeiten um Marken und Muster. Es können jedoch auch weitere Sachgebiete auf gerichtliche Kammern übertragen werden. Dabei sollte es sich um ein spezielles Sachgebiet handeln, bei dem es dennoch einen erheblichen Umfang an Streitsachen gibt. Der ĺRat kann nach Maßgabe des Arbeitsanfalls die Anzahl der Richter einer gerichtlichen Kammer und die der Spruchkörper innerhalb dieser Gerichtsinstanz bestimmen. Eine gerichtliche Kammer für ein bestimmtes Sachgebiet kann deshalb aus mehreren Abteilungen bestehen. Gegen Entscheidungen der gerichtlichen Kammern kann vor dem ĺEuG I ein grundsätzlich auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel eingelegt werden. Eine Kontrolle der Sachfragen ist ausnahmsweise möglich, wenn dies ausdrücklich im Errichtungsbeschluss der gerichtlichen Kammer vorgesehen ist. (dh) §§: Art. 225a EG Lit.: U. Karpenstein/O. Langner, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 225a EGV, Rn. 1 ff.
Gerichtlicher Rechtsschutz ĺRechtsschutz, Grundrecht auf Gerichtsähnliche Ämter Der Begriff umschreibt das ĺHarmonisierungsamt für den Binnemarkt (OHIM) und das ĺGemeinschaftliche Sortenamt (CPVO). Beide nehmen Aufgaben im Bereich der gewerblichen Schutzrechte wahr und sind befugt quasi-judizielle Verfahren durchzuführen, wenn es um die Erledigung von Streitigkeiten geht. (gr) Lit.: D. Fischer-Appelt, Die Agenturen der EG, 1999, 69 ff.
Gerichtsatlas für Zivilsachen ĺEuropäischer Gerichtsatlas für Zivilsachen Gerichtshof ĺEuGH Gerichtsstand (Patentsachen) ĺInternationale Zuständigkeit, Patentsachen 455
Gerichtsstand der unerlaubten Handlung Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ĺDeliktsgerichtsstand
Geringfügige Forderungen ĺEuropäisches Bagatellverfahren
Gerichtsstand des Erfüllungsortes ĺErfüllungsortsgerichtsstand
fundamental modification of Constitutional Law – révision totale de la Constitution
Gerichtsstandsvereinbarung jurisdiction clause – clause attributive de juridiction
Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist eine parteiautonome Bestimmung der ĺinternationalen Zuständigkeit für eine bestimmte Rechtsstreitigkeit. Eine solche Vereinbarung ist gerade in grenzüberschreitenden Streitigkeiten zweckmäßig, birgt aber bei strukturellem Ungleichgewicht der Parteien die Gefahr, dass eine schwächere Partei durch die Auswahl eines für sie ungünstigen Gerichts an der effektiven Rechtsverfolgung gehindert wird. Zudem steht nicht allen Parteien die weittragende Bedeutung einer solchen Vereinbarung vor Augen. Um diese Risiken zu minimieren sieht die ĺEuGVVO für allgemeine Zivil- und Handelssachen die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen vor, fordert hierfür aber die Einhaltung bestimmter Formvorschriften. Die Vereinbarung einer Gerichtsstandsvereinbarung durch ĺAGB kann missbräuchlich i.S.d. Art. 3 ĺKlauselRL und in Folge unwirksam sein. Für Gerichtsstandsvereinbarungen mit Versicherungsnehmern, Verbrauchern und Arbeitnehmern geltend abweichende, strengere Anforderungen. In Ehesachen ist eine Gerichtsstandsvereinbarung nach der ĺEheGVVO grundsätzlich ausgeschlossen. Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung begründet im Zweifel eine ausschließliche Zuständigkeit zu Gunsten des gewählten Gerichts und ist dadurch in besonderem Maße geeignet, für die Vertragsparteien Rechtssicherheit zu schaffen und ein ĺforum shopping durch die gegnerische Partei auszuschließen. (mrm) §§: Art. 17 EuGVÜ/LGVÜ, Art. 23 EuGVVO; Art. 12 EheGVVO Lit.: M. Weigel/M. Blankenheim, Europäische Gerichtsstandsklauseln – Missbrauchskontrolle und Vermeidung von Unklarheiten bei der Auslegung widersprechender Vereinbarungen, WM 2006, 664 ff.
Gerichtsverfahren vor dem EuG ĺEuG I, Verfahrensarten Gerichtsverfahren vor dem EuGH ĺEuGH, Verfahrensarten 456
Gesamtänderung der Bundesverfassung Eine bedeutende Veränderung eines der ĺGrundprinzipien der österr. Bundesverfassung, die eine Volksabstimmungspflicht der entsprechenden Rechtsakte mit sich bringt (Art. 44 Abs. 3 B-VG). (he) Gesamtbericht ĺKommission, Gesamtbericht Gesamtdeckungsprinzip ĺHaushaltsgrundsätze Gesamtlenkzeit ĺLenk- und Ruhezeiten Geschäftsführende Direktoren managing directors – gérant de société
Vom ĺVerwaltungsrat in einer monistisch (ĺmonistisches System) organisierten österr. ĺSocietas Europaea (SE) zu bestellende und diesem weisungsgebundene Organwalter, die insbesondere für die laufenden Geschäfte (Tagesgeschäft) zuständig sind (vgl. §§ 56 ff. SEG). Obwohl die geschäftsführenden Direktoren nicht als Organ im formellen Sinn (wie etwa der Vorstand im ĺdualistischen System) konzipiert sind, nehmen sie dennoch materiell eigenständige Organfunktionen wahr. In nicht börsennotierten SE können auch Mitglieder des Verwaltungsrats zu geschäftsführenden Direktoren bestellt werden; insgesamt muss jedoch die Mehrheit (der Kapitalvertreter) im Verwaltungsrat aus nicht geschäftsführenden Mitgliedern bestehen (§ 59 SEG). Eine jederzeitige Abberufung durch den Verwaltungsrat ist möglich. Die SE wird durch die geschäftsführenden Direktoren und den Verwaltungsrat gemeinsam vertreten (§ 43 SEG). Neben den erwähnten Zuständigkeiten obliegen den geschäftsführenden Direktoren etwa die laufenden Geschäfte, die Aufstellung des Jahresabschlusses, des Lageberichts (§ 41 SEG) und des Gewinnverteilungsvorschlags. Weiters treffen ihn mannigfaltige Berichtspflichten (vgl. § 58 SEG). (tr) §§: 43 ff. SEG, insb. §§ 56 ff. SEG; §§ 40 ff. dSEAG Lit.: C. Egermann/S. Heckenthaler, Die geschäftsführenden Direktoren in der SE, GeS 2004, 463; M. Eiselsberg/T. Haberer, Organisationsverfassung und Lei-
Gesetzesvorbehalt, grundrechtlicher tungsstruktur, in: M. Straube/J. Aicher (Hrsg.), Handbuch zur Europäischen Aktiengesellschaft, 2006, 204 ff.
Geschlechtsdiskriminierung non-discrimination based on sex – non-discrimination fondée sur le sexe
Eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist auch grundrechtlich verboten: Art. 21 GRC/ Art. II-81 EVV verbietet Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts. Damit ist nicht nur der Vergleich Mann – Frau gemeint, wofür es eine eigene Bestimmung im Art. 23 GRC gibt. Das Verbot der Geschlechtsdiskriminierung des Art. 21 GRC umfasst allgemein die sexuelle Orientierung bzw. sexuelle Verhaltensweisen. Vgl. darüber hinaus Art. 13 EG, Art. 14 ĺEMRK, Art. 11 ĺBiomedizinkonvention (MRB). Die GRC brächte eine Erweiterung des bisherigen primär- und grundrechtlichen Diskriminierungsschutzes, weil sie den unterschiedslosen Genuss aller Rechte und nicht nur der Grundrechte betrifft. Zum grundrechtlichen Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts s. unter ĺGleichheit von Mann und Frau, ĺDiskriminierungsverbot und ĺGleichheitssatz. (ed) §§: (allgemeine sexuelle Ausrichtung) Art. 21 GRC/ Art. II-81 Abs. 1 EVV, (Mann – Frau) Art. 23 GRC/ Art. II-83 EVV
Geschützte geografische Angabe (g.g.A.) Protected Geographical Indication (PGI) – Indication Géographique Protegée (IGP)
Erzeugnisse die als ĺGarantierte traditionelle Spezialität (g.t.S.) registriert sind, sind gegen die direkte oder indirekte kommerzielle Verwendung eines eingetragenen Namens für Erzeugnisse, die nicht unter die Eintragung fallen, gegen die widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung auf den eingetragenen Namen sowie gegen alle sonstigen falschen oder irreführenden Angaben geschützt. Bei einer g.g.A. besteht eine Verbindung zwischen mindestens einer der Produktionsstufen, der Erzeugung, Verarbeitung oder Herstellung und dem Herkunftsgebiet oder es kann sich um ein Erzeugnis mit besonderem Renommee handeln. (all) §§: VO (EG) 510/2006, ABl. 2006, Nr. L 93/12 Web: http://ec.europa.eu/agriculture/foodqual/quali1 _de.htm
Geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.) Protected Designation of Origin (PDO) – Appellation d’Origine Protégée (AOP)
Erzeugnisse die als die geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.) registriert sind, sind gegen
die direkte oder indirekte kommerzielle Verwendung eines eingetragenen Namens für Erzeugnisse, die nicht unter die Eintragung fallen, gegen die widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung auf den eingetragenen Namen sowie gegen alle sonstigen falschen oder irreführenden Angaben geschützt. Die g.U. besagt, dass Erzeugung, Verarbeitung und Herstellung eines Erzeugnisses in einem bestimmten geographischen Gebiet nach einem anerkannten und festgelegten Verfahren erfolgen müssen. (all) §§: VO (EG) 510/2006 ABl. 2006, Nr. L 93/12 Web: http://ec.europa.eu/agriculture/foodqual/quali1 _de.htm
Geschwindigkeitsbegrenzer speed limitation devices – limiteurs de vitesse
Eine Regelung dieser produktbezogenen Harmonisierungsmaßnahme (ĺVerkehrsrecht, produktbezogene Harmonisierung) erfolgt in der RL 92/6/EWG (ABl. 1992, Nr. L 57/27). Die Bestimmungen bezwecken eine Erhöhung der Verkehrssicherheit, erleichterte Verkehrsabwicklung wie auch die Nutzung positiver Auswirkungen auf den Energieverbrauch und Umweltschutz. Es wird der obligatorische Einbau von Geschwindigkeitsbegrenzern in bestimmten Kfz-Typen vorgeschrieben, gleichgültig, ob es sich dabei um Alt- oder Neufahrzeuge handelt. Die Verpflichtung der MS geht dabei dahin, Geschwindigkeitsbegrenzer für alle Motorfahrzeuge vorzuschreiben, die mindestens vier Räder sowie eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von mehr als 25 km/h aufweisen und den in Anhang I der RL 70/156/EWG definierten Fahrzeugkategorien M 3 bzw. N 3 zugeordnet werden können (ĺFahrzeugtypenGenehmigung [EG-Typengenehmigung]). Im ersten Fall – Personenkraftwagen mit mehr als 9 Sitzplätzen und mehr als 10 t – ist die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/heinzustellen; bei Güterkraftfahrzeugen mit mehr als 12 t Gesamtgewicht beträgt die zulässige Höchstgeschwindigkeit 85 bzw. 90 km/h. Ausnahmen sind für Fahrzeuge der Streit- und Ordnungskräfte sowie verschiedene Notfalldienste vorgesehen. (sm) §§: RL 92/6/EWG, ABl. 1992, Nr. L 57/27; RL 70/156/ EWG, ABl. 1970, Nr. L 42/1
Gesetzesvorbehalt, grundrechtlicher ĺGrundrechtsschranken 457
Gesetzgebung, europäische Gesetzgebung, europäische ĺRechtsetzungsverfahren Gesetzgebungsakt ĺRechtsakte der EU/EG Gesetzgebungsverfahren ĺRechtsetzungsverfahren Gesetzlicher Richter ĺRichter, gesetzlicher Gesetzmäßigkeit der Strafe ĺnulla poena sine lege Gesundheitskompetenzen public health – santé publique
Die Gemeinschaft verfügt nur über beschränkte Kompetenzen im Gesundheitsbereich. 1. Querschnittsklausel und subsidiäre Kompetenz: Die Querschnittsklausel des Art. 152 Abs. 1 Satz 1 EG bestimmt, dass bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau hergestellt wird. Der Tätigkeit der Gemeinschaft kommt dabei nach Satz 2 gegenüber der Gesundheitspolitik der Mitgliedstaaten lediglich eine ergänzende Funktion zu. Die Aufgaben der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheitspolitik beziehen sich daher vorrangig auf eine Förderung und Koordination der Gesundheitspolitiken und -maßnahmen der Mitgliedstaaten sowie deren Zusammenarbeit mit Drittstaaten (vgl. Art. 152 Abs. 2, 3 EG). 2. Inhaltliche Regelungskopmpetenzen: Über originär präskriptive Regelungskompetenzen im Gesundheitsbereich verfügt der Rat lediglich im Rahmen des Art. 152 Abs. 4 EG. Der kann danach gem. dem Verfahren nach Art. 251 EG und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen folgende Maßnahmen treffen: ƒ Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs sowie für Blut und Blutderivate; ƒ in den Bereichen Veterinärwesen und Pflanzenschutz, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zum Ziel haben, 458
ƒ
Fördermaßnahmen, die den Schutz und die Verbesserung der menschlichen Gesundheit zum Ziel haben, unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten. 3. Wahrung der mitgliedstaatlichen Organisationsautonomie: Art. 152 Abs. 5 EG bestimmt, dass bei Tätigkeiten der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt bleibt. Im Ergebnis hat sich daher die gemeinschaftsrechtliche Gesundheitspolitik der Politik ihrer Mitgliedstaaten als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips (Art. 5 EG) unterzuordnen (J. C. Wichard, in: C. Calliess/M. Ruffert [Hrsg.], Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 152 EGV, Rn. 10). Da es an einer Harmonisierung der Organisation des Gesundheitswesens auf Gemeinschaftsebene fehlt, bestimmt das Recht der Mitgliedstaaten, unter welchen Voraussetzungen ein Recht auf Anschluss an ein System der sozialen Sicherheit oder eine Verpflichtung hierzu besteht und ein Anspruch auf Leistung gegeben ist (EuGH, Rs. C-157/99 [Smits und Peerbooms], Slg. 2001, I-5473, Rn. 45). Auch Art. 35 GrCh trägt diesem Vorbehalt dadurch Rechnung, dass der dort normierte Anspruch auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge nur „nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“ gewährt wird. Gemessen an der Rechtsprechung des EuGH kann Art. 152 Abs. 5 Satz 1 EG indes allenfalls eine untergeordnete Bedeutung zukommen. In der Rechtssache Watts hatte der EuGH (Rs. C-372/04 [Watts], DVBl. 2006, 965, Rn. 145 ff.; kritisch hierzu H.-U. Dettling, Ethisches Leitbild und EuGH-Kompetenz für die Gesundheitssysteme?, EuZW 2006, 519 ff.) über die Frage zu entscheiden, ob die Versagung durch einen nationalen öffentlichen Gesundheitsdienst, die Kosten einer im Hinblick auf die inländischen Wartezeiten im EU-Ausland vorgenommenen Krankenbehandlung zu erstatten, mit Art. 49 EG bzw. Art. 22 VO (EWG) 140871 (ĺ„Wanderarbeitnehmer-Verordnung“) vereinbar sei. Der EuGH hat dies im konkreten Fall verneint und auch in Art. 152 Abs. 5 Satz 1 EG kein Hindernis erblickt, der Sache nach einen gemeinschaftsrechtlich modifizierten Kostenerstattungsanspruch zuzubilligen. Art. 152
Gesundheitsschutz (Euratom) Abs. 5 Satz 1 EG schließe es nicht aus, dass die Mitgliedstaaten nach anderen Vertragsbestimmungen wie etwa Art. 49 EG oder nach Sekundärrecht verpflichtet sind, Anpassungen in ihren nationalen Systemen der sozialen Sicherheit vorzunehmen, ohne dass dies als Eingriff in ihre souveräne Zuständigkeit in dem betreffenden Bereich angesehen werden könnte. Der Sache nach hat daher Art. 152 Abs. 5 Satz 1 EG im Bereich der Grundfreiheiten und des diese sichernden Sekundärrechts keine praktische Bedeutung. Er verbietet lediglich Maßnahmen der Gemeinschaft, die zielgerichtet und gegenstandsspezifisch eine Angleichung der sozialen Sicherungssysteme vornehmen. Im Übrigen untersteht die Gesundheitsorganisation durch die Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung den allgemeinen Bestimmungen des EGV, namentlich der Warenverkehrsfreiheit, dem Diskriminierungsverbot und den Wettbewerbsregeln einschließlich Art. 86 Abs. 2 EG. Vgl. EuGH, Rs. C-120/95 Decker, Slg. 1998, I-1831, Rn. 49 ff.; Rs. C-158/96 Kohll, Slg. 1998, I-1931, Rn. 34 ff.; Rs. C-411/98 Ferlini, Slg. 2000, I 8081, Rn. 47 ff.; Rs. C-157/99 Smits und Peerbooms, Slg. 2001, I-5473, Rn. 53 ff.; T. Vollmöller, Krankenhausfinanzierung und EG-Beihilfenrecht, in: H. Bauer/D. Czybulka/A. Vosskuhle (Hrsg.), Wirtschaft im offenen Verfassungsstaat. FS für R. Schmidt, 2006, 205 (206 f.). Dies bedingt jedenfalls entsprechende Rechtfertigungszwänge. Der EuGH (Urteil vom 31.5.2005, Rs. C-438/02 Hanner, Slg. I-4541) hatte ein entsprechendes gesetzliches Monopol staatlicher Apotheken in Schweden nur anhand der Warenverkehrsfreiheit (Art. 28, 31 Abs. 1 EG) zu überprüfen und die maßgeblichen Bestimmungen für unvereinbar mit Primärrecht erklärt, weil aufgrund einer intransparenten Gestaltung des Auswahlverfahrens Diskriminierungen zum Nachteil von Arzneimittelherstellern aus anderen Mitgliedstaaten nicht nachprüfbar auszuschließen seien. Daher erscheint es jedenfalls zweifelhaft, ob es den Mitgliedstaaten allein im Hinblick auf deren Verantwortung für ihre Gesundheitssysteme z.B. unbenommen bleibt, eine diskriminierungsfreie staatliche Monopolisierung ihrer Arzneimitteldistribution zu etablieren (so aber T. Kieser, Apothekenrecht, 2006, 6). 4. Beschränkung auf Mindestvorschriften: Nach Art. 152 Abs. 4 Satz 1 lit. a Halbs. 2 EG hin-
dern Maßnahmen der Gemeinschaft die Mitgliedstaaten nicht daran, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder einzuführen. Auf die Kompetenz des Art. 152 Abs. 4 EG gestützte Qualitäts- und Sicherheitsstandards müssen sich daher stets auf bloße Mindestgewährleistungen beschränken. (gär) §§: Art. 152 EG, 28, 31 EG Lit.:M. Kment, Offene Fragen zu den Gesundheitskompetenzen, in: E. Dujmovits et al. (Hrsg.), Recht und Medizin, 2006, 37; S. Michalowski, Health Care Law, in: S. Peers/A. Ward (Hrsg.), The European Charter of Fundamental Rights, 2004, 287; R. Pitschas, Inhalt und Reichweite des Mandats der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes, ZfS 1993, 468; M. Savat, Die Gesundheitskompetenzen der Europäischen Union, E. Dujmovits et al. (Hrsg.), Recht und Medizin, 2006, 63; M. von Schwanenflügel, Die Entwicklung der Kompetenzen der Europäischen Union im Gesundheitswesen, 1996; M. Schweitzer/W. Schroeder/Y. Bock, EG-Binnenmarkt und Gesundheitsschutz, 2002; C. Trüe, EU Kompetenzen für Energierecht, Gesundheitsschutz und Umweltschutz, JZ 2004, 779
Gesundheitsschutz (Euratom) health and safety (Euratom) – protection sanitaire (Euratom)
Eine der Hauptaufgaben der ĺEAG besteht in der Schaffung von einheitlichen Sicherheitsnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlung (Art. 2 lit. b ĺEAGV); davon sind die ĺGesundheitskompetenzen der EG zu unterscheiden. Demgem. sieht Kap. III des Zweiten Titels (Art. 30-39 EAGV) vor, dass ĺGrundnormen für den Gesundheitsschutz geschaffen werden. Sie werden nach dem Verfahren des Art. 31 von der ĺKommission nach Stellungnahme einer vom ĺAusschuss für Wissenschaft und Technik nominierten Expertengruppe ausgearbeitet. Nach Stellungnahme des ĺWirtschafts- und Sozialausschusses und Anhörung des ĺEP werden sie vom ĺRat beschlossen. Die Grundnormen haben verbindlichen Charakter und sind von den ĺMS durch Erlassung geeigneter Rechtsvorschriften zu gewährleisten (Art. 33). Unter Grundnormen versteht die Legaldefinition des Art. 30 ƒ die zulässigen Höchstdosen ionisierender Strahlung, die ausreichende Sicherheit gewähren, ƒ die Höchstgrenze für die Aussetzung ggü. schädlichen Einflüssen und für schädlichen Befall sowie die ƒ Grundsätze für die ärztliche Überwachung der Arbeitskräfte. 459
Gesundheitsschutz und Schutz des Lebens von Menschen (freier Warenverkehr) Der Gesundheitsschutz i.S.d. EAGV ist demgem. vorrangig als Strahlenschutz ausgestaltet. Herzstück der Gesetzgebungstätigkeit in diesem Bereich ist die allgemeine StrahlenschutzRL von 1996. Sie ersetzt eine Reihe von Vorläuferrechtsakten, mit denen bereits verbindliche Strahlenschutzbestimmungen erlassen worden waren. Die RL verankert konkrete Grundsätze für Dosisbegrenzungen und definiert besondere Schutzgruppen (z.B. strahlenexponierte Arbeitskräfte, Schwangere und stillende Mütter). Darüber hinaus normiert sie zahlenmäßig bestimmte verbindliche Dosisgrenzwerte für Einzelpersonen sowie für die Strahlenexposition der Bevölkerung insgesamt. Im Gefolge des Reaktorunfalls von Tschernobyl erließ der Rat auf Grundlage von Art. 31 EAGV eine VO zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungs- und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls (vgl. VO [Euratom] 3954/87). Diese wurde vom EP mit dem Argument bekämpft, dass die Definition der Grundnormen keine warenspezifischen Strahlungswerte zuließen, sondern lediglich Dosen betreffend die Primärstrahlung (d.h. die durch den unmittelbaren Umgang mit Kernstoffen erzeugte Strahlung) und die zulässige Gesamtbelastung der Bevölkerung im Blick hätten. Der ĺEuGH hat in der sog. Tschernobyl-Entscheidung dazu festgestellt, dass die Art. 30 ff. einen lückenlosen und wirksamen Gesundheitsschutz der Bevölkerung gegen alle Strahlungsquellen sicherstellen sollten, unabhängig davon, wie diese auf Gesundheit von Menschen und Umwelt einwirkten, und hat die Nichtigkeitsklage folglich abgewiesen. Dieses weite Verständnis des Gesundheitsschutzes beförderte Gesetzgebungstätigkeit in mehreren weiteren Bereichen, z.B. der Information der Öffentlichkeit bei nuklearen Unfällen (vgl. RL 89/618/Euratom), aber etwa auch bez. ĺradioaktiver Abfälle. Die markanteste Weiterentwicklung hat die Kompetenzgrundlage der Art. 30 ff. aber im Bereich der ĺnuklearen Sicherheit gefunden. Die traditionelle Unterscheidung von Gesundheits-/Strahlenschutz und Sicherheitsstandards für Nuklearanlagen, die bei Abfassung des EAGV vorherrschend war, verschwimmt angesichts der beanspruchten gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeit in Fragen von Standortwahl, Bau und Betrieb von kerntechnischen Anlagen zunehmend. (atm) §§: Art. 30-39 EAGV; RL 96/29/Euratom zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Be-
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völkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen, ABl. 1996, Nr. L 159/1; VO (Euratom) 3954/87, ABl. 1987, Nr. L 371/11 i.d.F. der VO (Euratom) 2218/89, ABl. 1989, Nr. L 211/1 (vgl. aber nunmehr KOM[2007] 302 endg.); RL 89/618/Euratom, ABl. 1989, Nr. L 357/31 Lit.: N. Pelzer, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II 1. Teilbd., 2. Aufl. 2002, 393 ff.; W. Schroeder, Der Euratom-Vertrag, JA 1995, 728 (730 ff.) Rsp.: EuGH, Rs. 70/88 Parlament/Rat, Slg. 1991, I4529 (Tschernobyl) Web: http://ec.europa.eu/energy/nuclear/radiopro tection/index_en.htm
Gesundheitsschutz und Schutz des Lebens von Menschen (freier Warenverkehr) protection of life and health of humans (free movement of goods) – protection de la santé et de la vie des personnes (libre circulation des marchandises)
Der Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen hat unter den in Art. 30 EG verankerten Rechtfertigungsgründen (ĺRechtfertigungsgründe für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen) zweifellos den höchsten Rang. In der Rsp. des ĺEuGH spielt er die größte Rolle. Einschlägig ist er vor allem bei mitgliedstaatlichen Einfuhrverboten, Produktvorschriften (z.B. Zusatzstoffe) durch gesundheitspolizielich motivierten Untersuchungen und Kontrollen (z.B. gesundheitspolizeliche, veterinärpolizeiliche, ĺphytosanitäre Kontrollen). Der EuGH hat den Gesundheitsschutz unter anderem zur Rechtfertigung eines Versandhandelsverbotes für rezeptpflichtige Arzneimittel (ĺDoc Morris-Entscheidung) oder von ĺWerbebeschränkungen für Alkoholika (ĺGourmet International-Entscheidung) herangezogen. Hinsichtlich des jeweiligen Gesundheitsrisikos, gilt das ĺVorsorgeprinzip. Die Bedeutung des Gesundhitsschutzes ist auch daran erkennbar, dass es zu diesem Gebiet zahlreiche harmonisierende Richtlinien gibt. Eine Berufung auf Art. 30 EG ist im harmonisierten Bereich nur mehr möglich, wenn die jeweilige Richtlinie nicht einschlägig ist oder sie bloß Mindestschutzvorgaben macht. (rp) §§: Art. 30 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 100; S. Leible, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 28 EGV, Rn. 16 Rsp.: EuGH, Rs. C-322/01 Doc Morris, Slg. 2003, I-14887, Rn. 103 ff. (ĺDoc Morris-Entscheidung); EuGH, Rs. C-405/98 Gourmet International, Slg. 2001, I-1795, Rn. 27 ff. (ĺGourmet International-Entscheidung)
Gewässerschutz, gefährliche Stoffe Gesundheitsschutz, grundrechtlicher health care – protection de la santé
Die ĺGRC enthält ĺGrundsätze des Gesundheitsschutzes: Der Zugang zur Gesundheitsvorsorge und medizinischen Versorgung soll, allerdings mit der Einschränkung nach Maßgabe einzelstaatlicher Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten, allen offen stehen. Ein hohes Gesundheitsschutzniveau soll gesichert sein. Dabei handelt es sich nicht um einklagbare ĺGrundrechte, sondern um – allerdings verbindliche – ĺGrundsätze (Handlungsaufträge). (ed) §§: Art. 35 GRC/Art. II-95 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 33; E. Riedel, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 35
Gewässerschutz protection of waters – protection des eaux
Auch als EU-Wasserrecht bezeichnet. Schon vor der ĺEinheitlichen Europäischen Akte wurde – gestützt auf die damalige Angleichungsklausel des Art. 100 EWGV sowie Art. 235 EWGV als Klausel zur „Lückenschließung“ – eine Reihe von Rechtsakten geschaffen. An RL sind die Gewässerschutzrichtlinie 76/464/EWG (ĺGewässerschutz, gefährliche Stoffe), die Grundwasserrichtlinie 80/68/EWG (ĺGrundwasserschutz) und die Trinkwasserrichtlinie 80/78/ EWG (ĺTrinkwasser) zu nennen. In diesem Bereich wurden die RL durch die umfassenderen Regelungen der ĺWasserrahmenrichtlinie abgelöst. Für den landwirtschaftlichen Bereich spielt zudem die ĺNitratRL 91/676/EWG eine Rolle. Demgegenüber dient die RL über die Behandlung von kommunalen Abwassern (ĺAbwässer, kommunale) weniger dem Gewässerschutz denn vielmehr der Schutz der Umwelt vor schadstoffhaltugen Abwassern. Diese RL bedürfen teilweise noch der Konkretisierung durch Folgerichtlinien. Medienübergreifende Ansätze finden sich in der IVURL 96/61/EG (ĺIntegrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) sowie der UVPRL 85/337/EWG (ĺUmweltverträglichkeitsprüfung). Zu nennen sind schließlich gesetzgeberische Reaktionen der EU in dem Bereich der Schiffsicherheit in Reaktion auf verschiedene Tankerunglücke. Zudem existieren gemeinschaftliche Regelungen zur Qualität von Badegewässern (Ziel: Reduzierung der Verschmutzung und Schutz vor weiteren Qualitätsminderungen; RL 76/160/EWG). Manche der RL sehen die Ausweisung von Schutzgebieten vor (ĺMuschelgewässer; ĺFisch-
gewässer). Einige der RL werden nach einer Übergangszeit durch die Wasserrahmenrichtlinie ersetzt. S.a. ĺMeere, Verschmutzung. (sm) Lit.: D. König, Schiffssicherheit und Umweltschutz vor deutschen Küsten, NordÖR 2003, 89 ff.; s. eine (beispielhafte) Aufzählung bei M.Klopefer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 9, Rn. 131
Gewässerschutz, gefährliche Stoffe protection of waters, dangerous substances – protection des eaux, substances dangereuses
ĺGewässerschutz. Emissionsorientierte Regelung durch RahmenRL betreffend Verschmutzung infolge Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe in Gewässer der Gemeinschaft. Ziel der RL ist die Beseitigung und Verringerung der Verschmutzung infolge der Ableitung bestimmter gefährlicher Stoffe. Diese werden in einer Schwarzen Liste (Liste I: keine Einleitung ins Grundwasser; indirekte Einleitung genehmigungspflchtig) und einer Grauen Liste (Liste II: weniger gerfährliche Stoffe; direktes und indirektes Einleiten ist genehmigungspflichtig) nach Stoffgruppen aufgeführt. In der Genehmigung sind Emissionsnormen für maximale Konzentrationen und die Höchstmenge gefährlicher Stoffe festzusetzen. Die RL enthält selbst noch keine Grenzwerte für die Stoffe. Für die Schwarze Liste werden diese vom Rat auf Vorschlag der Kommission in AusführungsRL festgelegt. Zudem hat der Rat Qualitätsziele für Stoffe der Schwarzen Liste festzulegen: Kann ein MS in einem besonderen Überwachungsverfahren nachweisen, dass in einem bestimmten geographischen Gebiet diese Qualitätsziele erreicht werden, müssen die Emissionswerte nicht eingehalten werden. Für die Graue Liste gilt ein gemischter Ansatz (durch MS festzulegende Emissionsnormen und Qualitätsziele in Programmen). Die Grenzwerte der Ableitungsgenehmigungen müssen an den Qualitätszielen ausgerichtet sein. Die RL wird durch die ĺWasserrahmenrichtlinie 13 Jahre nach Inkraftreten letzterer (22.12.2000) aufgehoben. Eine Ausnahme besteht für Art. 6, der schon mit Inkrafttreten der Wasserrahmenrichtlinie aufgehoben wird. Mit der Wasserrahmenrichtlinie wird auch die Problematik um diffuse Quellen beseitigt. ĺNitratRL (sm) §§: RL 76/464/EWG, ABl. 1976, Nr. L 129/23 ff.; Entschließung Rat ABl. 1983, Nr. C 46/17 Lit.: J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 255 ff.
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Gewebe- und Zellspenderichtlinie Gewebe- und Zellspenderichtlinie directive on setting standards of quality and safety for the donation, procurement, testing, processing, preservation, storage and distribution of human tissues and cells – directive relative à l’établissement de normes de qualité et de sécurité pour le don, l’obtention, le contrôle, la transformation, la conservation, le stockage et la distribution des tissus et cellu
Die RL 2004/23/EG vom 31.3.2004 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen (ABl. 2004, Nr. L 102/48) stützt sich vornehmlich auf die Kompetenz nach Art. 152 Abs. 4 lit. a EG, Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitätsund Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs sowie für Blut und Blutderivate zu treffen. Zweck der Richtlinie ist es nach Art. 1, Maßnahmen zur Qualitätssicherung zu treffen, da gem. Erwägungsgrunde Nr. 4 angesichts der gewachsenen medizinischen Bedeutung der Transplantation von menschlichen Zellen und Geweben ein „dringender Bedarf an einheitlichen Rahmenbedingungen für die Gewährleistung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei der Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von Geweben und Zellen in der Gemeinschaft und für die Erleichterung ihres Austauschs zugunsten der Patienten“ bestehe. Gemessen daran sei es „unabdingbar, dass Gemeinschaftsbestimmungen dafür sorgen, dass menschliche Gewebe und Zellen unabhängig von ihrem Verwendungszweck von vergleichbarer Qualität und Sicherheit sind. Die Festlegung solcher Standards wird somit dazu beitragen, dass die Bevölkerung sicher sein kann, dass für menschliche Gewebe und Zellen, die in anderen Mitgliedstaaten beschafft werden, die gleichen Garantien gegeben werden wie für einheimische.“ Die Richtlinie gilt nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von zur Verwendung beim Menschen bestimmten menschlichen Geweben und Zellen sowie von auf der Basis von zur Verwendung beim Menschen bestimmten menschlichen Geweben und Zellen hergestellten Produkten. Ausnahmen, die größtenteils bereits in den Anwendungsbereich anderer Richtlinien fallen, enthält Art. 2 Abs. 2. Nach Art. 5 Abs. 1 haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Beschaffung und Testung von Geweben und Zellen nur von Personen mit angemessener Ausbildung und Erfah462
rung und unter behördlich zugelassenen Bedingungen durchgeführt wird. Art. 6 sieht eine allgemeine Genehmigungspflicht für Tätigkeiten vor, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Die Einhaltung der Vorgaben der Richtlinie ist nach Art. 7 durch regelmäßige Inspektionen und Kontrollen zu gewährleisten. Zwar überlässt es die Richtlinie den Mitgliedstaaten, wie sie ihrer Überwachungspflicht nachkommen. Unbeschadet dessen müssen die behördlichen Maßnahmen die effektive Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherstellen und dürfen nicht hinter Maßnahmen zurückbleiben, die in vergleichbaren Fällen zur Überwachung der Einhaltung des mitgliedstaatlichen Rechts durchgeführt werden (Effektivitäts- und Äquivalenzgebot nach Art. 10 EG). S. EuGH, Rs. 309/85 Barra, Slg. 1988, 355, Rn. 18; Rs. C-208/90 Emmott, Slg. 1991, I-4269, Rn. 16; Rs. C-188/95 Fantask, Slg. 1997, I-6783, Rn. 39; Rs. C-366/95 Steff-Houlbeck Export, Slg. 1998, I-2661, Rn. 15; Rs. C-201/02 Wells, Slg. 2004, I-723, Rn. 67; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 10 EGV, Rn. 31, m. zahlr. w. Nachw. Dies konkretisiert Art. 27 der Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen die in Umsetzung der Richtlinie ergangenen nationalen Vorschriften Sanktionen vorzusehen haben. Ein zentrales Instrument der Qualitätssicherung stellt das nach Art. 8 bestehende Gebot der Rückverfolgbarkeit dar. Menschliche Zellen und Gewebe müssen danach vom Spender zum Empfänger und umgekehrt zurückverfolgt werden können. Zusätzliche Transparenz wird durch eine Pflicht zur Registerführung (Art. 10) und eine Meldepflicht bei Zwischenfällen (Art. 11) hergestellt. Vergleichbare Standards sind auch für Ein- und Ausfuhren aus bzw. in Drittstaaten in Anwendung zu bringen (Art. 9). Einzelheiten über die technische und personelle Sicherung der Qualität enthalten die Art. 16 bis 24, wobei nähere Einzelheiten nach Art. 28, 29 von der Kommission im ĺKomitologieverfahren festgelegt werden. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, Zell- und Gewebespenden nur nach den Prinzipien der Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit zuzulassen. Die Freiwilligkeit ergibt sich hierbei bereits den Mindeststandards der ĺBiomedizinkonvention. Spender können nach Abs. 1 Satz 2 eine Entschädigung erhalten, die auf den Ausgleich der in Verbindung mit der Spende entstandenen Ausgaben und Unannehmlichkeiten zu beschränken ist.
GlaxoSmithKline-Entscheidungen Die Festlegungen der Richtlinie hindern die Mitgliedstaaten nach Art. 152 Abs. 4 lit. a EG (deklaratorisch wiederholend Art. 4 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie) nicht daran, strengere Schutzmaßnahmen beizubehalten oder einzuführen. Ergänzende Vorschriften finden sich in der RL 2006/17/EG der Kommission vom 8.2.2006 zur Durchführung der RL 2004/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich technischer Vorschriften für die Spende, Beschaffung und Testung von menschlichen Geweben und Zellen (ABl. 2006, Nr. L 38/40). (gär) §§: Gewebe- und Zellspenderichtlinie (2004/23/EG); Art. 95 EG Lit.:U. Hansmann, Tissue Engineering – Aktuelle Entwicklungen im EU-Recht, MedR 2006, 155 ff.; A. Pannenbecker, Verhältnis der Richtlinien 2003/24/EG und 2006/17/EG gegenüber abweichenden Anforderungen der §§ 13 ff. AMG und der PharmBetrV/ AM.W.H.V für Stellen, die menschliche Gewebe oder Zellen zum Zweck der Arzneimittelherstellung entnehmen, PharmaR 2006, 363; W. Pühler/M. Hübner/ C.-D. Middel, Regelungssystematische Vorschläge zur Umsetzung der Richtlinie 2004/23/EG (Geweberichtlinie), MedR 2007, 16 ff.
Gewerbefreiheit ĺunternehmerische Freiheit Gewerbliche Tätigkeiten (Dienstleistungsfreiheit)
sprungsangaben und geographische Herkunftsbezeichnungen, die aufgrund nationaler, zwischenstaatlicher oder gemeinschaftsrechtlicher Regelungen besonderen Schutz genießen (vgl. etwa EuGH, Rs. C-3/91, Exportur, Slg. 1992, I-5529, Rn. 39) Folglich können sich die Inhaber geistiger Eigentumsrechte gegen die Verletzung ihrer Rechte durch Importwaren wehren. Die Ausübung von Immaterialgüterrechten ist durch Art. 30 EG allerdings dann nicht gerechtfertigt, wenn das betreffende Produkt im Exportstaat vom Schutzrechtsinhaber selbst oder mit seiner Zustimmung in Verkehr gebracht wurde und es sich beim Exportstaat um ein Mitglied des ĺEWR-Abkommens handelt (ĺErschöpfungsgrundsatz). (rp) §§: Art. 30 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 104 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 78/70, Deutsche Grammophon, Slg. 1971, 487; EuGH, Rs. 15/74 Centrafarm/Sterling Drug, Slg. 1974, 1147; EuGH, Rs. 187/80 Merck/Stephar, Slg. 1981, 2063; EuGH, verb. Rs. C-267/95 und C-268/95 Merck/Beecham, Slg. 1996, I-6285; EuGH, Rs. C-10/ 83 HAG II, Slg. 1990, I-3711; EuGH, Rs. C-3/91 Exportur, Slg. 1992, I-5529, Rn. 39; EuGH, Rs. C-9/93 IHT Internationale Heiztechnik, Slg. 1994, I-6285; EuGH, verb. Rs. C-92/92 und C-326/92 EMI Electrola, Slg. 1993, I-5145; EuGH, verb. Rs. C-414/99 bis C-416/99 Davidoff, Slg. 2001, I-8691; EuGH, Rs. 355/ 96 Sihlouette, Slg. 1998, I-4799
activities of an industrial character (freedom to provide services) – activités de caractère industriel (libre prestation de services)
Gewichte ĺStraßenfahrzeuge, Abmessungen/Gewichte
G. werden in Art. 50 EG als Beispiele für ĺDienstleistungen genannt. Dieses nur als demonstratives Beispiel genannte Kriterium tritt jedoch zur Beurteilung der Frage, ob eine Dienstleistung vorliegt, vor allem hinter die Unterscheidung zwischen ĺselbstständiger und ĺunselbstständiger Tätigkeit zurück. (sh)
Gewinnerzielungsabsicht (Dienstleistungsfreiheit)
Gewerbliches und kommerzielles Eigentum (freier Warenverkehr) industrial and commercial property (free movement of goods) – propriété industrielle et commerciale (libre circulation des marchandises)
In Art. 30 EG verankerter Rechtfertigungsgrund (ĺRechtfertigungsgründe für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen). Der Begriff des gewerblichen und kommerziellen Eigentums ist weit zu verstehen. Erfasst sind neben unternehmensbezogenen geistigen Eigentumsrechten (z.B. Patentrechte, Markenrechte, Urheberrechte, MusterModelle- und Sortenschutzrechte) auch Ur-
intent of profit (freedom to provide services) – but lucratif (libre prestation de services)
Während ĺEntgeltlichkeit Merkmal einer Dienstleistung im Sinne von Art. 49 f. EG ist, ist G. nicht unbedingt Voraussetzung. (sh) Lit.: W. Kluth; in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EGV Rn. 9
Gewissensfreiheit ĺReligionsfreiheit GFK ĺGenfer Flüchtlingskonvention GlaxoSmithKline-Entscheidungen GlaxoSmithKline cases – jurisprudences GlaxoSmithKline
In der neueren Rechtsprechung des ĺEuGH und des ĺEuG spielen ökonomische Erwägun463
Gleichbehandlungsgebot gen eine zunehmend große Rolle. Dies wird insbesondere anhand der GlaxoSmithKline-Urteile deutlich: Die beiden Urteile des ĺEuGH und des ĺEuG befassen sich mit dem Parallelhandel auf Arzneimittelmärkten. Im ersten Fall (EuGH, Rs. C-53/03 Syfait/GlaxoSmithKline) hatte GlaxoSmithKline, ein den griechischen Arzneimittelmarkt beherrschendes ĺUnternehmen, versucht, diese ĺmarktbeherrschende Stellung dahingehend auszunutzen, dass die Lieferungen an griechische Händler so kontigentiert wurden, dass die gelieferten Mengen nur für die Inlandsnachfrage in Griechenland ausreichten, aber nicht für weitere Re-Exporte in andere ĺMitgliedstaaten der ĺEG. Dies stellte nach bis dahin geltender Auffassung einen gem. Art. 82 EG verbotenen ĺMissbrauch einer marktbeherrschenden Stellung dar, da es die nationalen Märkte voneinander abschottete und den Wettbewerb im Binnenmarkt der Gemeinschaft damit beschränkte. ĺGeneralanwalt Jacobs sah dies unter Zugrundelegung des ĺ„more economic approach“ allerdings anders und untersuchte die Auswirkungen des Verhaltens von GlaxoSmithKline zusätzlich anhand der Auswirkungen des Parallelhandels auf die Verbraucher. Hierzu führte der Generalanwalt aus, dass der Parallelhandel mit Arzneimitteln nicht zwangsläufig zu mehr für den Endverbraucher wahrnehmbaren Wettbewerb in den Einfuhrstaaten führt. Die Kosten für Arzneimittel werden nämlich nicht von den Endverbrauchern, sondern von den Systemen staatlicher Gesundheitsvorsorge (z.B. Krankenkassen) getragen. Diese staatlichen Systeme legen zudem die Preise für die Arzneimittel fest, sodass die aus dem Parallelhandel resultierenden Effizienzgewinne von den Parallelhändlern abgeschöpft werden und erst gar nicht die Endverbraucher erreichen. Damit besteht nach Ansicht von Generalanwalt Jacobs kein Bedürfnis, den Parallelhandel gegen Beschränkungen zu schützen. Der ĺEuGH hat zu diesen Ausführungen des ĺGeneralanwaltes aber keine Stellung beziehen müssen, denn der Fall war als ĺVorabentscheidungsverfahren von der griechischen Wettbewerbsbehörde eingeleitet worden, welche aber vom EuGH nicht als vorlageberechtigtes Gericht gem. Art. 234 EG eingestuft wurde. Der zweite Fall (EuG Rs. T-168/01 GlaxoSmithKline/Kommission) betraf eine ĺVereinbarung zwischen GlaxoSmithKline und spanischen Händlern, welche eine Behinderung des Parallelhandels mit Arzneimitteln bezweckte. So464
wohl die Kommission als auch das EuG sahen in dieser ĺVereinbarung einen Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG. Dabei verlangte das ĺEuG aber gem. dem ĺ„more economic approach“ für die Feststellung einer ĺWettbewerbsbeschränkung Auswirkungen auf die Konsumentenwohlfahrt. Nur wenn der Parallelhandel den Endverbrauchern wirksame Vorteile bringe, solle dieser nach Auffassung des EuG geschützt werden. Das EuG sah in diesem Fall – wie auch die ĺKommission – aber Vorteile des Parallelhandels für die Endverbraucher: Der Parallelhandel führe zu Kostensenkungen, sowohl für die Endverbraucher als auch für die Systeme staatlicher Gesundheitsvorsorge. Zusammenfassend lässt sich den beiden GlaxoSmithKline-Urteilen entnehmen, dass ĺVereinbarungen oder solche Verhaltensweisen von marktbeherrschenden ĺUnternehmen die den Parallelhandel beschränken, wohl nur dann gegen Art. 81 EG bzw. Art. 82 EG verstoßen, wenn – entsprechend dem „more economic approach“ – der Parallelhandel im konkreten Fall Vorteile für den ĺEndverbraucher bringen würde. (jpt) §§: Art. 81, 82 EG Lit.: P. Behrens, Parallelhandel und Konsumentenwohlfahrt im Licht des „more economic approach“, EuZW 2007, 97; C. Koenig/C. Engelmann, Parallelhandelsbeschränkungen im Arzneimittelbereich auf dem Prüfstand des Art. 82 EG, GRUR Int. 2005, 304 Rsp.: EuGH, Rs. C-53/03 Syfait/GlaxoSmithKline, Slg. 2005, I-4609; EuG Rs. T-168/01 GlaxoSmithKline/ Kommission, noch nicht in Slg.; Entscheidung 2001/ 791/EG der Kommission vom 8.5.2001 in einem Verfahren gem. Art. 81 EG-Vertrag, ABl. 2001, Nr. L 302/1
Gleichbehandlungsgebot ĺDiskriminierungsverbot Gleichheit von Mann und Frau equality between men and women – égalité entre hommes et femmes
Ein ĺGrundrecht auf Gleichbehandlung von Mann und Frau in allen Bereichen, insb. auch im Arbeitsrecht, enthält Art. 23 ĺGRC/Art. II-83 EVV. Dieses geht über den allgemeinen ĺGleichheitssatz bzw. das ĺDiskriminierungsverbot hinaus. In der Sache sind die Garantien schon jetzt Bestand des Primärrechts. (ed) §§: Art. 23 GRC/Art. II-83 EVV; Art. 20, 21 GRC/ Art. II-80, 81 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 26; S. Hölscheidt, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 23; R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, 2006, 456 f. Rsp.: EuGH, Rs. 43/75 Defrenne, Slg. 1976, 455; EuGH, Rs. C-25/02 Rinke, Slg. 2003, I-8349; (Zugang von
Goldene Aktien Frauen zum Heer:) EuGH, Rs. C-285/98 Kreil, Slg. 2000, I-69; EuGH, Rs. C-186/01 Dory, Slg. 2003, I-2479
Gleichheitssatz equality before the law – égalité en droit
Der allgemeine Gleichheits(grund)satz zählt zu den (objektiv-rechtlichen) Grundprinzipien des europäischen Gemeinschaftsrechts und zu den (subjektiv-rechtlichen) europäischen ĺGrundrechten (vgl. Art. 20 [ff.] ĺGRC/Art. II-80 [ff.] EVV). Der EuGH interpretiert die grundrechtliche Gleichheit als subjektives Recht der Gleichbehandlung (Gleichbehandlungsgrundsatz). Der Gleichheitssatz verlangt i.W., Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Eine Diskriminierung ist weder unmittelbar noch mittelbar zulässig (ĺDiskriminierungsverbot). Eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte kann sachlich gerechtfertigt sein, wenn sie verhältnismäßig, d.h. geeignet, erforderlich und angemessen ist, um ein legitimes Ziel zu erreichen. Daneben gibt es eine Reihe weiterer spezieller Diskriminierungsverbote, die dem allgemeinen Gleichheitssatz vorgehen (insb. ĺGleichheit von Mann und Frau, Gleichbehandlung Drittstaatsangehöriger im Arbeitsrecht, vgl. auch die ĺDiskriminierungsverbote in Art. 21 GRC; sowie das Gleichbehandlungsgebot bei Sozialleistungen in Art. 34 GRC). S.a. unter ĺDiskriminierungsverbot. (ed) §§: Art. 20 ff. GRC/Art. II-80 ff. EVV; Art. 6 Abs. 2 EU; 14. ZP EMRK (als Gemeinschaftsgrundrecht) Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 24; T. Kingreen, Gleichheitsrechte, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, 398 (410 ff.); E. Kocher, Allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen mitgliedstaatlichen Verfassungen und Gemeinschaftsrecht. Die Fogasa-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Zugleich Anmerkung zu EuGH, Rs. C-81/05 –, GPR 2007, 169 Rsp.: (statt vieler:) EuGH, Rs. 130/75 Vivien Prais, Slg. 1976, 1589; EuGH, Rs. C-29/95 Pastoors, Slg. 1997, I-285; EuGH, Rs. 170/78 Kommission/GB, Slg. 1980, 417; EuGH, Rs. 8/82 Wagner, Slg. 1983, 371; EuGH, Rs. 283/83, Slg. 1984, 3791; EuGH, Rs. 292/97, Slg. 2000, I-2737; EuGH 3.5.2007, Rs. C-303/05 Advocaten voor de Wereld VZW, Rn. 46
GNSS Global Navigation Satellite System. S. ĺEuropäische GNSS-Aufsichtsbehörde (GSA) Goldene Aktien golden shares – actions en or
Goldene Aktien haben den EuGH schon mehrfach beschäftigt (Rs. C-367/98 Kommission/
Portugal, Slg. 2002, I-4731; EuGH, Rs. C-483/ 99 Kommission/Frankreich, Slg. 2002, I-4781; EuGH, Rs. C-503/99 Kommission/Belgien, Slg. 2002, I-4809; EuGH, Rs. C-463/00 Kommission/Spanien, Slg. 2003, I-4581; EuGH, Rs. C-98/ 01 Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2003, I-4641; EuGH, Rs. C-174/04 Kommission/Italien, Slg. 2005, I-4933; EuGH, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 Kommission/Niederlande, Slg. 2006, I-9141). Dabei handelt es sich um einen Sammelbegriff für ganz unterschiedlich ausgestaltete rechtliche Instrumente, mittels derer ein Mitgliedstaat besondere Kontrollmöglichkeiten über den Erwerb von Aktien bestimmter nationaler Unternehmen erhält, einen solchen Aktienerwerb von einer Genehmigung abhängig macht oder auf einen bestimmten Maximalanteil beschränkt, oder sich schließlich Sonderaktien (daher der Begriff „goldene Aktien“) vorbehält, die ihm im Vergleich zu sonstigen, nicht-staatlichen Anteilseignern Sonderstimmrechte bei der Unternehmensleitung einräumen. Zielsetzung goldener Aktien ist die Sicherung staatlichen Einflusses auf Schlüsselunternehmen der nationalen Wirtschaft wie die z. B. die Energie- oder Wasserversorgung. Sie stellen nach ständiger Rsp. des EuGH einen Eingriff in die ĺKapitalverkehrsfreiheit dar, weil sie geeignet sind, Investoren aus andern Mitgliedstaaten davon abzuschrecken, Anteile an den betreffenden Unternehmen zu erwerben (EuGH, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 Kommission/Niederlande, Slg. 2006, I-9141, Rn. 20). Für den Aktienerwerb in Form von ĺDirektinvestitionen kann dieser Eingriff etwa darin liegen, dass durch goldene Aktien Sonderstimmrechte des Staates mit besonderen Einflussmöglichkeiten auf die Unternehmensleitung begründet werden, da diese zu Beschränkungen der Einflussmöglichkeiten sonstiger Anteilseigner führen. Rein renditeorientierte Kapitalanleger (ĺPortfolioinvestitionen) werden abgeschreckt, weil sowohl staatliche Sonderstimmrechte als auch die Möglichkeit der Verweigerung notwendiger staatlicher Genehmigungen für bestimmte Gesellschaftsbeschlüsse negative Auswirkungen auf den Börsenwert der Anteile an den betreffenden Unternehmen haben können, wenn ein solcher Beschluss im wirtschaftlichen Interesse der Unternehmens läge (EuGH, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 Kommission/ Niederlande, Slg. 2006, I-9141, Rn. 26 ff.). Obwohl im Fall von mit goldenen Aktien verbundenen Sonderrechten des Staates die beschriebenen nachteiligen Wirkungen für sonstige Ak465
Good Governance tieninhaber regelmäßig erst nach deren Aktienerwerb – und damit nach deren Zugang zum Aktienmarkt des betreffenden Mitgliedstaates – eintreten können, hat der EuGH auch für solche goldene Aktien keinen Ausschluss aus dem Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit nach den Grundsätzen der Keck-Rsp. (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Eingriff; ĺKeck-[Urteil]) angenommen. Auch in diesen Fällen sieht der EuGH den Zugang zum Aktienmarkt betroffen, weil auch die Sonderrechte des Staates die „Situation des Erwerbers einer Beteiligung als solche berühren“ (EuGH, Rs. C-98/01 Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2003, I-4641, Rn. 47). Auch wenn goldene Aktien nicht unmittelbar dem öffentlichen Recht eines Mitgliedstaats zugeordnet werden können, weil die mit einer Aktie verbrieften Rechte an dem betreffenden Unternehmen ausschließlich Gegenstand des privatrechtlichen Gesellschaftsvertrages sind, so handelte es sich bei den goldenen Aktien in den vom EuGH bislang entschiedenen Fällen doch stets um staatliche Maßnahmen. Der die goldenen Aktien einführende Gesellschaftsvertrag war dabei entweder Gegenstand einer staatlichen Genehmigung (EuGH, Rs. C-98/01 Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2003, I-4641, Rn. 48) oder der Staat hatte die Sonderaktien im Zuge der Privatisierung selbst geschaffen (EuGH, verb. Rs. C-282/ 04 und C-283/04 Kommission/Niederlande, Slg. 2006, I-9141, Rn. 22). Zur Rechtfertigung von goldenen Aktien kann sich ein Mitgliedstaat auf Art. 58 EG oder auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses berufen, soweit der Eingriff im Hinblick auf diese verhältnismäßig ist. Als Rechtfertigungsgründe hat der EuGH im Hinblick auf goldene Aktien bislang die Sicherstellung einer Mindestversorgung mit Erdölprodukten (EuGH, Rs. C-483/99 Kommission/Frankreich, Slg. 2002, I-4781, Rn. 49), die Sicherstellung der Energieversorgung (EuGH, Rs. C-503/99 Kommission/Belgien, Slg. 2002, I-4809, Rn. 46; EuGH, Rs. C-463/00 Kommission/Spanien, Slg. 2003, I-4581, Rn. 70 f.; EuGH, Rs. C-174/04 Kommission/Italien, Slg. 2005, I-4933, Rn. 40) und die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen (EuGH, Rs. C-463/00 Kommission/Spanien, Slg. 2003, I-4581, Rn. 70 f.; EuGH, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 Kommission/Niederlande, Slg. 2006, I-9141, Rn. 38) anerkannt. In allen Fällen bis auf einen (EuGH, Rs. C-503/99 Kommission/Belgien, Slg. 2002, I-4809, Rn. 48 ff.) sah er die mit den goldenen Aktien einhergehenden Beschränkungen der 466
Kapitalverkehrsfreiheit jedoch entweder als nicht geeignet oder als nicht erforderlich zur Erreichung dieser Ziele an. (mk) Good Governance ĺGutes Regieren Gourmet International-Entscheidung Gourmet International case – jurisprudence Gourmet International
Die Rs. betraf ein schwedisches Gesetz, nach dem die Werbung für alkoholische Getränke (mehr als 2,25 Volumprozent) generell untersagt war. Gourmet International gab eine Zeitschrift mit dem Titel „Gourmet“ heraus, wobei eine Ausgabe drei Seiten Werbung für alkoholische Getränke enthielt. Dagegen wurde eine Unterlassungsklage erhoben. Im eingeleiteten ĺVorabentscheidungsverfahren sprach der ĺEuGH aus, dass nationale Bestimmungen, die bestimmte ĺVerkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, nur dann nicht in den Anwendungsbereich des Art. 28 EG fallen, wenn sie den Marktzugang für importierte ĺErzeugnisse nicht versperren oder stärker behindern, als sie dies für inländische tun. Das vorliegende ĺWerbeverbot verbiete nicht nur eine Form der Förderung des Absatzes, sondern hindere die Hersteller und Importeure an jeder Verbreitung von Werbung, die sich an Verbraucher richte. Ein solches Verbot sei geeignet, den Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen ĺMitgliedstaaten stärker zu behindern, da der Verbraucher unwillkürlich mit einheimischen Produkten besser vertraut sei. Eine Rechtfertigung des Werbeverbots i.S.d. Gesundheitsschutzes sei nur möglich, wenn der Schutz der Gesundheit gegen schädliche Auswirkungen des Alkohols nicht durch Maßnahmen gewährleistet werden könne, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beeinträchtigen. (ah) Rsp.: EuGH, Rs. C-405/98 Gourmet International, Slg. 2001, I-1795, Rn. 18, 20, 21, 27
GPA Government Procurement Agreement (GPA) – Accord sur les marchés publics (AMP)
Das GPA ist ein plurilaterales Abkommen im Rahmen der ĺWTO (World Trade Organization), an dem einige (derzeit 28) Mitglieder der WTO teilnehmen. Das GPA verfolgt das Ziel, die öffentlichen Beschaffungsmärkte dem
Grenzüberschreitend (Grundfreiheiten) internationalen Wettbewerb zu öffnen (s. dazu das öffentliche ĺAuftragswesen). Es enthält Regeln, die zu einer transparenten und nicht diskriminierenden Auftragsvergabe in den Mitgliedstaaten beitragen sollen. Neben allgemeinen Vorgaben beinhaltet es eine Auflistung der Rechtsträger der einzelnen Mitgliedstaaten, deren Auftragsvergaben in den Anwendungsbereich des GPA fallen. Das GPA ist nur für Auftragsvergaben oberhalb bestimmter ĺSchwellenwerte anwendbar; diese Schwellenwerte sind auch für die auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene festgelegten Schwellenwerte maßgeblich. Die EU-Mitgliedstaaten dürfen untereinander keine ungünstigeren Bedingungen aufrechterhalten, als sie gem. dem GPA für ĺWirtschaftsteilnehmer aus Drittländern maßgeblich sind. (cm) §§: GPA; Art. 5 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 1324; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 47 Web: http://www.wto.org/english/tratop_e/gproc_e/ gp_gpa_e.htm
GRC ĺCharta der Grundrechte der Europäischen Union Grenzausgleich, steuerlicher borderline tax clearing – compensation aux frontières, fiscale
Der steuerliche Grenzausgleich ist die rechtssystematische Umsetzung des ĺBestimmungslandsrinzips im Bereich der Umsatzbesteuerung. So wie die ĺAusfuhr echt steuerbefreit und die ĺEinfuhr mit der ĺEinfuhrumsatzsteuer belastet ist, wird bei einer ĺinnergemeinschaftlichen Lieferung diese steuerfrei gestellt, sodann beim Erwerber ein ĺinnergemeinschaftlicher Erwerb besteuert und dafür die ĺErwerbsteuer geschuldet. Man spricht daher hier auch vom Prinzip der Wechselwirkung zwischen Steuerbarkeit des innergemeinschaftlichen Erwerbes und Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung. (pu) Grenzgänger frontier worker – travailleur frontalier
Grenzgänger sind Personen, die von ihrem Wohnsitzstaat zu einer Arbeitsstelle in einem anderen Mitgliedstaat pendeln. Besitzen sie die Staatsangehörigkeit des Wohnsitzstaates, können sie sich auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 ff. EG; ĺArbeitnehmerfreizügigkeit)
unproblematisch berufen, da sie in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihrer Herkunft eine Erwerbstätigkeit ausüben (EuGH, Rs. C-57/ 96 Meints, Slg. 1997, I-6689; Rs. C-213/05 Geven, n.n.v.). Geht der Grenzgänger allerdings nur einer geringfügigen Beschäftigung nach, lässt der Gerichtshof Abstufungen beim Inländerbehandlungsanspruch hinsichtlich sozialer Vergünstigungen (ĺSoziale Vergünstigung) im Zielstaat zu (EuGH, Rs. C-213/05, a.a.O. Rn. 15 ff.). Besitzt der Erwerbstätige demgegenüber die Angehörigkeit des Staates, in dem er arbeitet, und wohnt lediglich im EU-Ausland, scheidet nach vorzugswürdiger Auffassung eine Berufung auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit aus, da es an einem grenzüberschreitenden Moment ökonomischer Natur fehlt. Einschlägig wäre dann das in Art. 18 Abs. 1 EG verankerte allgemeine Freizügigkeitsrecht (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines). Dieses steht namentlich nicht zu rechtfertigenden Hindernissen, die an den Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat anknüpfen, entgegen, etwa dem Verlust von an den Wohnsitz im Inland geknüpften Sozialleistungsansprüchen (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines, Beschränkungsverbot, ĺTas-HagenEntscheidung). Der Gerichtshof ordnet allerdings auch diese Konstellation einer weit ausgelegten Arbeitnehmerfreizügigkeit zu, die jeden Unionsbürger erfasse, „der von seinem Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch gemacht und in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt hat, unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit“ (EuGH, Rs. C-152/03 Ritter-Coulais, Slg. 2006, I-1711, Rn. 31; ferner Rs. C-212/05 – Hartmann, n.n.v. Rn. 15 ff.). (fw) §§: Art. 18 EG; Art. 39 ff. EG Lit.: F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Grenzüberschreitend (Grundfreiheiten) cross-border (fundamental freedoms) – transfrontalier (libertés fondamentales)
Ein g. Element ist Voraussetzung bei den ĺGrundfreiheiten, dass der EG überhaupt zur Anwendung kommt. Auf rein innerstaatliche Sacherhalte findet das Gemeinschaftsrecht regelmäßig keine Anwendung. Allenfalls nach nationalem Recht verbotene ĺInländerdiskriminierungen sind nicht vom Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts umfasst. Teilweise findet sich diese Voraussetzung – wie in Art. 49 EG – sogar unmittelbar in der Norm. 467
Grenzüberschreitende Observation In welcher Form es zu einer Grenzüberschreitung kommt, hängt stark von den Umständen der Grundfreiheit ab: So kann etwa ein ĺDienstleistungserbringer die Grenze überschreiten (ĺaktive Dienstleistungsfreiheit), oder ein ĺDienstleistungsempfänger überschreitet sie (ĺpassive Dienstleistungsfreiheit), oder nur die ĺDienstleistung überschreitet die Grenze (ĺKorrespondenzdienstleistung). Auch so genannte Rückkehrfälle (ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats begibt sich z.B. zur Absolvierung einer Berufausbildung ins EU-Ausland und möchte mit der erworbenen Ausbildung in seinem Herkunftsmitgliedstaat einer Beschäftigung nachgehen) sind als g. Sachverhalte von den Grundfreiheiten umfasst. (sh) Lit.: W. Frenz, Handbuch Europarecht I – Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 373 ff.
Grenzüberschreitende Observation cross-boarder observation – l’observation transfrontalière
Bei grenzüberschreitender Observation handelt es sich um eine Befugnis, die i.S.d. Voraussetzungen des Art. 40 ĺSchengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) ausgeübt wird. Diese Observation ermöglicht es Beamten eines Vertragsstaates, die im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens in ihrem eigenen Staat eine Person observieren, die im Verdacht steht, an einer auslieferungsfähigen Straftat beteiligt zu sein, die Observation auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates fortzusetzen (Art. 40 Abs. 1 SDÜ). Bedingung ist die Zustimmung zu einem zuvor gestellten Rechtshilfeansuchen. Bei besonderer Dringlichkeit kann aber auch ohne Zustimmung des anderen Vertragsstaates observiert werden, wenn die Person in Verdacht steht, an einer besonders schweren Straftat i.S.d. Art. 40 Abs. 7 SDÜ beteiligt zu sein. Die Regelung des Art. 40 SDÜ sieht noch weitere Einschränkungen der grenzüberschreitenden Observation vor, wie etwa das Verbot, Wohnungen und nicht öffentlich zugängliche Grundstücke zu betreten. Von der grenzüberschreitenden Observation zu unterscheiden ist die grenzüberschreitende ĺNacheile. (kl) §§: Art. 40 SDÜ Lit.: O. Suhr, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007 , Art. 32 EUV, Rn. 4-8
Grenzüberschreitende Sitzverlegung transnational change of corporate domicile – transfert transnational du siége social
Bezeichnet den Vorgang der Verlegung des tatsächlichen und/oder satzungsmäßigen Sitzes 468
einer Gesellschaft über die (nationale) Grenze hinweg. Je nach kollisionsrechtlichem Anknüpfungskonzept (ĺSitztheorie oder ĺGründungstheorie) erfolgt eine unterschiedliche Behandlung durch den Wegzugsstaat (Auflösung bei Sitztheorie, Wahrung der rechtlichen Identität bei Gründungstheorie) bzw. den Zuzugsstaat (Statutenwechsel bei Sitztheorie, Anerkennung und Erhalt des Gründungsstatutes bei Gründungstheorie). Innerhalb der EU setzt die ĺNiederlassungsfreiheit der Sitztheorie nach der neueren Rsp. des ĺEuGH Grenzen: Während bei einer tatsächlichen Sitzverlegung der Zuzugsstaat die im EU-Ausland erworbene Rechtsfähigkeit ebenso wie das (nahezu) gesamte ausländische Gesellschaftsstatut anzuerkennen hat (s. die Rsp. ĺCentos, ĺÜberseering, ĺInspire Art), ist die Zulässigkeit von Wegzugsbeschränkungen nach wie vor umstritten (s. noch bejahend die Rs. ĺDaily Mail; mittlerweile lassen aber die zitierte jüngere Zuzugsjudikatur und das Urteil in der Rs. ĺLasteyrie an der Weitergeltung der „Daily Mail Doktrin“ stark zweifeln). Die förmliche Sitzverlegung – also die Umwandlung einer Gesellschaft eines MS ins die Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaates – ist nach wie vor ungeregelt und wird Gegenstand einer zu erlassenden ĺSitzverlegungsrichtlinie (14. gesellschaftliche Richtlinie) sein; die derzeit noch fehlenden Verfahrensvorschriften können von der Niederlassungsfreiheit auch nicht substituiert werden. (tr) §§: §§ 10, 12 IPRG; Art. 43, 48 EG Lit.: N. Adensamer, Ein neues Kollisionsrecht für Gesellschaften, 2006; T. Ratka, Grenzüberschreitende Sitzverlegung, 2002
Grenzüberschreitende Stromlieferung ĺStromhandelsverordnung Grenzüberschreitende Überweisungen cross-border credit transfers – virements transfrontaliers
G. Ü. sind begrifflich Kapital- oder Zahlungsverkehr (zur Abgrenzung der beiden Verkehrsarten ĺZahlungsverkehr), die als solche der Gewährleistung des Art. 56 Abs. 1 oder 2 EG unterfallen. Mitgliedstaatliche Beschränkungen derselben bedürfen daher einer Rechtfertigung (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Rechtfertigung eines Eingriffes). Zur Herstellung eines funktionierenden gemeinschaftsweiten Systems g. Ü. erließ die Kommission im Jahr 1997 die RL 97/5/ EG über grenzüberschreitende Überweisun-
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit gen (ĺÜberweisungsrichtlinie), die durch die Richtlinie 2007/60/EG zum 1.11.2009 außer Kraft gesetzt wird (ĺZahlungsdienste im Binnenmarkt). Ziel der Richtlinie ist es, Überweisungen innerhalb der Gemeinschaft „schnell, zuverlässig und kostengünstig“ zu ermöglichen. G. Ü. ist danach jeder „Geschäftsvorgang, der auf Veranlassung eines Auftraggebers über ein Institut oder eine Zweigstelle in einem Mitgliedstaat zu dem Zweck durchgeführt wird, einem Begünstigten bei einem Institut oder einer Zweigstelle in einem anderen Mitgliedstaat einen Geldbetrag zur Verfügung zu stellen, wobei es sich bei dem Auftraggeber und dem Begünstigten um die gleiche Person handeln kann“ (Art. 2 lit. f RL 97/5/EG). Dazu statuiert die Richtlinie verschiedene Informationspflichten, u.a. zur Dauer der Auftragsausführung, zur Kostenkalkulation und zum Wertstellungsdatum. Die Kunden müssen überdies berechtigt sein, sowohl hinsichtlich der anfallenden Kosten als auch bezüglich der Ausführungsfristen verbindliche Zusagen von einem Institut zu erhalten. G. Ü. werden ferner von der VO (EG) 2560/2001 über ĺgrenzüberschreitende Zahlungen in Euro erfasst (s.a. ĺZahlungsdienste im Binnenmarkt). (mk) §§: RL 97/5/EG über grenzüberschreitende Überweisungen (ABl. 1997, Nr. L 43/25) Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, RL 97/5/EG Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l24023.htm
Grenzüberschreitende Verbringung transboundary movements – mouvements transfrontières
Die VO (EG) 1946/2003 stellt die Umsetzung des Protokolls von ĺCartagena dar, das von der EG auf Beschluss des Rates (2002/628/EG, ABl. 2002, Nr. L 201/48) vom 25.6.2002 unterzeichnet wurde. Im Kern wird mit der VO ein System geschaffen bei dem sowohl beim Export als auch beim Import von ĺgenetisch veränderten Organismen in oder aus Drittstaaten ein Anmelde- beziehungsweise Informationsverfahren eingehalten werden muss. (al) §§: VO (EG) 1946/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.7.2003 über grenzüberschreitende Verbringungen genetisch veränderter Organismen, ABl. 2003, Nr. L 287/1; 2002/628/EG: Beschluss des Rates vom 25.6.2002 über den Abschluss des Protokolls von Cartagena über die biologische Sicherheit im Namen der Europäischen Gemeinschaft, ABl. 2002, Nr. L 201/48 Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l2819. htm
Grenzüberschreitende Verschmelzung ĺVerschmelzung, grenzüberschreitende Grenzüberschreitende Zahlungen in Euro cross-border payments in euro – paiements transfrontaliers en euros
Grenzüberschreitende Zahlungen in Euro sind begrifflich Kapital- oder Zahlungsverkehr (zur Abgrenzung der beiden Verkehrsarten ĺZahlungsverkehr), die als solche der Gewährleistung des Art. 56 Abs. 1 oder 2 EG unterfallen. Mitgliedstaatliche Beschränkungen derselben bedürfen daher einer Rechtfertigung (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Rechtfertigung eines Eingriffes). Zur Erleichterung grenzüberschreitender Zahlungen wurde die VO (EG) 2560/2001 über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro erlassen. Grenzüberschreitende Zahlungen im Sinne dieser Verordnung sind ĺgrenzüberschreitende Überweisungen, grenzüberschreitende elektronische Zahlungsvorgänge und grenzüberschreitende Schecks (Art. 2 lit. a VO [EG] 2560/2001). Als wichtigste Regelung legt diese Verordnung fest, dass für grenzüberschreitende Zahlungen bis € 50.000,- nur die gleichen Gebühren erhoben werden dürfen wie für vergleichbare Inlandszahlungen (Art. 3 VO [EG] 2560/2001); daneben bestimmt sie, dass die Institute Kunden „in leicht verständlicher Form“ vorab über die anfallenden Gebühren unterrichten müssen und dass IBAN und BIC mitzuteilen sind. (s.a. ĺgrenzüberschreitende Überweisungen, ĺZahlungsdienste im Binnenmarkt). (mk) §§: RL 97/5/EG über grenzüberschreitende Überweisungen (ABl. 1997, Nr. L 43/25); VO (EG) 2560/2001 über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro (ABl. 2001, Nr. L 244/13) Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, RL 97/5/EG Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l33223.htm
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit cross-border cooperation – coopération transfrontière
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Regionen, hinsichtlich derer auch der ĺAusschuss der Regionen angehört werden kann, wird insbesondere durch die EG-Strukturpolitik, vor allem das Programm „INTERREG“, das drei Ausrichtungen (A-grenzübergreifende, B-transnationale und C-interregionale Zusammenarbeit) umfasst, nachhaltig gefördert. Die bisherige grenzüberschreitende Zusammen469
Grenzüberschreitender Personenverkehr arbeit im Rahmen der INTERREG IIIA-Programme beruhte jedoch auf nicht rechtsverbindlichen Vereinbarungen. Im Rahmen des Europäischen Verbunds für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) erleichtert nunmehr ein direkt und europaweit anwendbares Rechtsinstrument die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Schaffung administrativer Strukturen. (ag) §§: Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten vom 2.9.2004 über die Leitlinien für eine Gemeinschaftsinitiative betreffend die transeuropäische Zusammenarbeit zur Förderung einer harmonischen und ausgewogenen Entwicklung des europäischen Raums – INTERREG III, ABl. 2004, Nr. C 226/2; VO (EG) 1082/2006 über den Europäischen Verbund für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ), ABl. 2006, Nr. L 210/19 Lit.: W. Petzold, Kooperation ohne Grenzen: Die EUGemeinschaftsinitiative INTERREG III, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus 2003, 2003, 407; G. Halmes, Europäisches Recht für die regionale Integration – Neue Entwicklungen beim Recht der grenzübergreifenden Zusammenarbeit europäischer Gebietskörperschaften, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus 2007, 2008, 517
Grenzüberschreitender Personenverkehr international carriage of passengers – transports internationaux de voyageurs
Die VO (EWG) 684/92 (ABl. 1992, Nr. L 74/1) enthält als Regelung des objektiven Marktzugangs Vorschriften für die einen Teil des Personenverkehrs bildenden Beförderungen mit Kraftomnibussen (ĺStraßenverkehr. ĺKabotagebeförderung). Ihr Anwendungsbereich erfasst Personenbeförderungen und damit zusammenhängende Leerfahrten, die von in der Gemeinschaft niedergelassenen Verkehrsunternehmen gewerblich (als Linien- oder Gelegenheitsverkehr) oder im Werkverkehr durchgeführt werden. Die zu verwendenden Fahrzeuge müssen nach Ausstattung und Bauart zur Beförderung von mehr als 9 Personen (inklusive Fahrer) dienen (Regelung des Omnibusverkehrs). Ausgenommen sind daher grenzüberschreitende gewerbliche Beförderungen von Taxiunternehmen sowie mit Klein- und Minibussen. Jeder Verkehrsunternehmer muss im Besitz einer ĺGemeinschaftslizenz sein. Diese ist auszustellen, wenn der Verkehrsunternehmer in der EU niedergelassen ist und die ĺsubjektiven Marktzugangsbedingungen erfüllt. Ferner muss der Verkehrsunternehmer eine nach dem Recht des Niederlassungsstaates erforderliche Genehmigung für 470
Personenbeförderungen besitzen, und es müssen die Sicherheitsvorschriften für Fahrer und Fahrzeuge eingehalten werden. Die MS können Genehmigungsvoraussetzungen zur Personenbeförderung differenziert nach Verkehrsdiensten vornehmen ƒ Bei Gelegenheitsverkehr(en) und bestimmten Sonderformen des Linienverkehrs (Pendelverkehre) ist mit Ausstellung der Gemeinschaftslizenz die Marktzutrittsberechtigung gegeben; zusätzliche Genehmigungserfordernisse sind unzulässig. ƒ Im Linienverkehr ist eine Genehmigungspflicht nach Maßgabe der VO-Bestimmungen vorgesehen. Die Genehmigung ist auf maximal 5 zu befristen und kann unter bestimmten, enumerativ aufgezählten Bedingungen verweigert werden. Die Begrifflichkeiten werden in Art. 2 VO (EG) 684/92 erläutert. Zum Begriff des Linienverkehrs ist auf EuGH 30.4.1998, Rs. C-47/97, Clarke & Sons, Slg. 1998, I-2147 hinzuweisen. (sm) Lit.: M. Fey, Zu den neuen Regelungen für die Personenbeförderung mit Kraftomnibussen im grenzüberschreitenden und im Kabotageverkehr, TraspR 1993, 281 ff.; ders., Neue Vorschriften der Europäischen Union für den Personenverkehr mit Omnibussen, TranspR 1998, 286 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-47/97 Clarke & Sons, Slg. 1998, I-2147
Griechischer Mais-Entscheidung Griechischer Mais case – jurisprudence Griechischer Mais
Grundsatzentscheidung zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Sanktionierung von Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht. Die Entscheidung erging in einem ĺVertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Griechenland, dem vorgeworfen wurde, keine strafund disziplinarrechtlichen Maßnahmen gegen die an einem Betrug zu Lasten des ĺGemeinschaftshaushalts (dazu näher ĺBetrugsbekämpfung) beteiligten Personen ergriffen zu haben. Der ĺEuGH hat in dieser Entscheidung betont, dass ƒ die Mitgliedstaaten nach Art. 10 Abs. 1 EG verpflichtet sind, im Hinblick auf Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten (Prinzip der ĺGemeinschaftstreue), ƒ den Mitgliedstaaten die Wahl der Sanktion obliegt, dabei aber Verstöße gegen das Ge-
Grönland meinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regelungen zu ahnden sind wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht und die Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht mit derselben Sorgfalt vorgehen müssen, die sie bei der Anwendung der entsprechenden nationalen Vorschriften walten lassen (Gleichstellungs- oder Äquivalenzgebot) und ƒ die Sanktionen gegen solche Verstöße jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend (sog. ĺMindesttrias der Sanktionen) sein müssen (Effektivitätsgebot). (sts) Lit.: K. Tiedemann, Der Strafschutz der Finanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft, NJW 1990, 2226 ff.; G. Dannecker, Die Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts unter dem Einfluss des Europarechts, Kap. 2, Rn. 96 ff., in: H.-B. Wabnitz/T. Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 3. Aufl. 2007 Rsp.: EuGH, Rs. 68/88 Griechischer Mais, Slg. 1989, 2965
Grönland Greenland – Grœnland
1953 wurde Grönland mit Erlass der neuen dänischen Verfassung in das Königreich Dänemark integriert. Dänemark seinerseits trat 1973 der europäischen Gemeinschaft bei, wobei der Beitrittsvertrag bereits Sonderregelungen in Bezug auf Grönland enthielt. Dem Beitritt ging ein Referendum voraus, bei dem fast 2/3 der Dänen für und 70,3 % der Grönländer gegen den Beitritt zur EG stimmten. Wirtschaftlich hing Grönland sowohl im Hinblick auf den Export als auch auf den Arbeitsmarkt vom Fischfang und der Fischverarbeitung ab und erhielt deshalb zwischen 1973 und 1982 von der EG Gelder in beträchtlicher Höhe zur wirtschaftlichen Entwicklung der Insel (insb. Ausbildung und Infrastruktur). In der Folge der forcierten wirtschaftlichen Entwicklung trat eine Verstädterung ein und damit einhergehend entwickelte sich ein stärkeres politisches Bewusstsein bei der Bevölkerung. Insbesondere die in Dänemark ausgebildete grönländische Elite verspürte das Bedürfnis mehr Verantwortung für die Gestaltung der eigenen Zukunft zu übernehmen. Eine Sezession (wie von den Nationalisten angestrebt) kam dabei wegen der Abhängigkeit von dänischen Subventionen aber nicht in Betracht. Und so erlangt Grönland 1979 den Status eines autonomen Gebietes innerhalb Dänemarks, wobei das Gesetz über die Autonomie keine Re-
gelung über die Mitgliedschaft Grönlands in der EG enthielt. Während Dänemark die Zuständigkeit für die Außenbeziehungen, Währungspolitik, Verfassungsfragen und die Verteidigung behielt, regelte Grönland u.a. seine Angelegenheiten in Sachen Fischerei, Jagd, Landwirtschaft, Umweltschutz und Steuerwesen selbst. Am 23.2.1982 stimmten die Grönländer über einen Verbleib in der Europäischen Gemeinschaft ab. Das Ergebnis war mit 12.615 Stimmen für ein Ausscheiden aus der EG gegen 11.180 Stimmen für einen Verbleib bei einer Wahlbeteiligung von 74, 9 % denkbar knapp. Hintergrund dieser Entscheidung waren im Wesentlichen die Sorge um einen Missbrauch von Fanglizenzen innerhalb der 200 Meilen Zone im Rahmen der Gemeinsamen Europäischen Fischereipolitik, Angst vor der Ausbeutung der Uranvorkommen unter dem ĺEuratom Vertrag und befürchtete Nachteile durch die Freizügigkeit von Kapital, Arbeit und Niederlassung (Angst vor Überfremdung). Außerdem nahm bei Entscheidungen in Brüssel Dänemark das Stimmrecht auch für Grönland wahr und vertrat dabei nicht primär grönländische Interessen. Hinsichtlich seines Status im Verhältnis zur EG standen Grönland grundsätzlich drei Möglichkeiten offen: ganz normales Drittland, „FäröerStatus“ oder konstitutionelle Assoziation als Überseeisches Land und Gebiet (ÜLG). Der Status eines Drittstaates hätte für Grönland insbesondere einen Importzoll von 20 % auf alle Fischereiprodukte bedeutet und kam schon deshalb nicht in Betracht. Mit den Färöer Inseln hatte die EG 1976 ein Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit abgeschlossen, welches auch den Tausch von Fischereirechten einschloss. Der ÜLG-Status dagegen bedeutete für Grönland den freien Zugang zum Gemeinsamen Markt. Dieser beruhte zwar grundsätzlich auf Gegenseitigkeit, konnte aber verbunden mit bestimmten entwicklungspolitischen Zielsetzungen Sonderregelungen zugunsten des ÜLG beinhalten. So war die EG bereit, für den Zugang zu den Märkten der ÜLG insbesondere mit Kapital aus verschiedenen Fonds die wirtschaftliche Entwicklung des ÜLG zu unterstützen. Nach dem Referendum im Februar 1982 beauftragte das grönländische Parlament die dänische Regierung das Verhandlungsverfahren über ein Ausscheiden Grönlands mit der EG in Gang zu setzen. Dies geschah durch eine auf Art. 236 EG gestützte Änderung der Verträge in Teil IV 471
Groenveld-Formel des EG, Anhang IV und Art. 227 EG wodurch Grönland den ÜLG-Status erhielt (vgl. Art. 182 bis 188 EG sowie das Protokoll Nr. 15 zum EG Vertrag über die Sonderregelungen für Grönland von 1985). (fg)
in den Rechtsetzungsprozess einfließen zu lassen, auslösen soll. Einem Grünbuch folgt oft ein ĺWeißbuch, das die Diskussionsvorschläge zusammenfasst und entsprechend konkretere Vorschläge macht. (sl)
§§: Art. 182 bis 188 EG, Protokoll Nr. 15 zum EG Vertrag über die Sonderregelungen für Grönland von 1985 Lit.: F. Harhoff, Greenland’s withdrawal from the European form the European Community, CML Rev 1983, 13; W. Ungerer, Europa-Archiv (1984) 345; O. Johansen/C. Lehmann Sörensen, Grönlands Austritt aus der Europäischen Union, Europa-Archiv 13 (1983) 399
Lit.: K. Jorna, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 211 EGV, Rn. 24 Web: http://europa.eu/documents/comm/green_papers /index_de.htm
Groenveld-Formel Groenveld-formula – Groenveld-formule
Als (verbotene) ĺMaßnahme gleicher Wirkung wie mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen gelten nach st. Rsp. (Groenveld-Formel) nur jene nationalen Maßnahmen, die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit zu einer ungleichen Behandlung des Binnen- und des Außenhandels eines Mitgliedstaates führen. Das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen ist gem. Art. 29 EG bislang ein reines ĺDiskriminierungsverbot, ein ĺBeschränkungsverbot hat der ĺEuGH bisher noch nicht judiziert. Dieser Umstand wird damit erklärt, dass sich Ausfuhrregelungen regelmäßig nur auf inländische Waren beziehen, währenddessen Einfuhrregelungen zumeist in- und ausländische Waren gleichermaßen tangieren. (db) Lit.: M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, 397; T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28-30 EGV, Rn. 127 f.; u.a. Rsp.: EuGH, Rs. 15/79 Groenveld, Slg. 1979, 3409 ff. Rn. 7
GRR ĺGemeinsamer Referenzrahmen Grünbuch Green Paper – Livre vert
Ein Grünbuch enthält ein grundlegendes Konzept für eine neue Regelung eines in den Verträgen festgehaltenen Politikbereiches. Es handelt sich dabei um eine unverbindliche Stellungnahme (ĺEuropäische Kommission – Aufgaben) der ĺKommission, die einen breiten öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs mit dem Ziel, die Ansichten interessierter Kreise 472
Gründungstheorie incorporation theory
Kollisionsrechtliches Anknüpfungskonzept zur Bestimmung der auf eine Gesellschaft anwendbaren Rechtsordnung. Staaten, die der Gründungstheorie folgen, anerkennen das Gründungsrecht einer Gesellschaft als ihr maßgebliches Personalstatut, auch dann, wenn sie ihren tatsächlichen Sitz in einen anderen Staat verlegt oder sich dieser schon ursprünglich in einem anderen Staat befunden hat. Die Gesellschaftsgründer haben daher – zumindest im Prinzip – die freie Wahl des auf sie anwendbaren Gesellschaftsrechts („im Gründungsstaat anerkannt ist überall anerkannt“). Der ĺEuGH scheint sich in seiner jüngeren Judikatur (s. dazu ĺCentros, ĺÜberseering und ĺInspire Art) immer mehr dafür auszusprechen, dass innerhalb des ĺBinnenmarktes aufgrund der ĺNiederlassungsfreiheit der Gründungstheorie gegenüber der ĺSitztheorie der Vorzug zu geben ist. (tr) Lit.: N. Adensamer, Ein neues Kollisionsrecht für Gesellschaften, 2006; T. Ratka, Grenzüberschreitende Sitzverlegung, 2002, 65 ff.
Gründungsverordnung founding regulation – règlement fondateur
Die Gründungsverordnungen bilden die Rechtsgrundlage der einzelnen ĺGemeinschaftsagenturen. Nach Initiative der ĺKommission wird durch Zusammenwirken der Hauptorgane im Rechtsetzungsverfahren eine Verordnung erlassen. Ist ursprünglich ausschließlich Art. 308 (ex-Art. 235) als Kompetenzgrundlage herangezogen worden, so wird seit der Gründung der ĺEuropäischen Umweltagentur immer häufiger auf spezielle Kompetenznormen zurückgegriffen (z.B. ĺERA, ĺCFCA, ĺFRONTEX). Inhaltlich enthalten die Gründungsverordnungen Regelungen über Rechtspersönlichkeit, Aufgaben, Organisation, Leitungsstruktur, Kontrolle, Haushaltsplanung und Haftung der Agentur. (gr)
Grundrecht auf Achtung der Wohnung Grundfreiheiten EU fundamental freedoms – libertés fondamentales
Die Grundfreiheiten in Gestalt der ĺDienstleistungsfreiheit, der ĺKapitalverkehrsfreiheit, der ĺPersonenverkehrsfreiheit und der ĺWarenverkehrsfreiheit konstituieren den Binnenmarkt. Zu den genannten Gewährleistungen tritt die ĺZahlungsverkehrsfreiheit als notwendige Hilfsfreiheit hinzu. (cb) Lit.: C. Barnard, The Substantive Law of the EU, 2. Aufl. 2007; W. Franz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004; J. Schwarze, Europäisches Wirtschaftsrecht, 2007
Grundnormen basic (safety) standards – normes de base
Von Grundnormen wird im Rahmen des ĺEuropäischen Atomrechts v.a. in Bezug auf die Bestimmungen des ĺEAGV über den ĺGesundheitsschutz (Art. 30-39) gesprochen. Demgem. hat die ĺEAG verbindliche Bestimmungen und Grenzwerte für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen zu erlassen und ist diesbezüglich auch umfassend gesetzgeberisch tätig geworden. Von diesen Euratom-Grundnormen sind die sog. OECD-Grundnormen zu unterscheiden. Auch sie normieren Grenzwerte im Bereich des Strahlenschutzes, wurden aber im Schoße der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), namentlich von deren ĺKernenergie-Agentur (NEA), entwickelt. Derartige Grundnormen (radiation protection norms) wurden schon 1962 vom OECDRat verabschiedet. Sie wurden 1981 durch die „Basic Safety Standards for Radiation Protection“ ersetzt, die von OECD/NEA, ĺIAEO, der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeinsam erarbeitet worden waren. Obschon rechtlich nicht verbindlich, haben sie vielfach Übernahme in die nationalen Rechtsordnungen gefunden. (atm) §§: Ratsbeschluss C(62)187/final vom 18.12.1962 über die Annahme von Grundnormen für den Strahlenschutz; Beschluss des Steering Committee von NEA vom 14./15.10.1981
Grundprinzipien basic constitutional principles – principes constitutionnels fondamentaux
Als Grundprinzipien oder Baugesetze wird jene Schicht des nationalen Verfassungsrechts be-
zeichnet, die im Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht durch den ĺAnwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts nicht verdrängt wird. Fraglich ist, ob sie damit auch die Funktion von ĺIntegrationsschranken erfüllen und eine weitere Vergemeinschaftung bestimmter Regelungsbereiche ausschließen. Der eigentliche Kern der ĺGrundprinzipien (jedenfalls in der österr. Doktrin) besteht in der Abgrenzung von volksabstimmungspflichtigen ĺGesamtänderungen und „bloßen“ Teiländerungen (Art. 44 österr. B-VG). Entscheidend ist damit primär ein verfahrensrechtliches Kriterium für zukünftige Änderungen des Primärrechts. Eine absolute Grenze einer weiteren „Konstitutionalisierung“ der EU (etwa in Richtung eines europäischen Bundesstaates) erscheint zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus diesen Grundprinzipien nicht ableitbar. (he) Lit.: T. Öhlinger, Verfassungsrecht, 7. Aufl. 2007, Rn. 62 ff.; R. Walter/H. Mayer/G. Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht, 10. Aufl. 2007, Rn. 146 ff.
Grundrecht ĺGrundrechte, europäische Grundrecht auf Achtung der Wohnung right to respect for his/her home – droit au respect de son domicile
Der grundrechtliche Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung (Hausrecht) gehört schon als allgemeiner Rechtsgrundsatz zu den ĺGrundrechten der EG (vgl. Gesamtgrundrecht des Art. 8 ĺEMRK als ĺGemeinschaftsgrundrecht als Schutz von ĺPrivat- und Familienleben, Wohnung und Kommunikation) (vgl. nunmehr ausdrücklich Art. 7 GRC/Art. II-67 EVV). Fraglich ist, wieweit auch Geschäftsräume als Wohnung gelten – Anlass für eine der wenigen Judikaturdivergenzen zwischen EGMR und EuGH. Nunmehr bejahen beide GH den Wohnungsschutz auch von Betriebsräumlichkeiten „unter Umständen“ (geschützt: Anwaltskanzlei). Eingriffe in dieses Grundrecht können wie nach Art. 8 Abs. 2 ĺEMRK gerechtfertigt sein. Hausdurchsuchungen dürfen demnach nur nach Vorgabe gesetzlicher Bedingungen, aus gerechtfertigten Gründen und nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit erfolgen. (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 7 GRC; Art. 8 EMRK als Gemeinschaftsgrundrecht Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 12 Pkt. III Rsp.: EuGH, verb. Rs. 46/87 und 227/88 Hoechst, Slg. 1989, 2859 (Wohnungsschutz bei Unternehmen)
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Grundrecht auf Asyl Grundrecht auf Asyl ĺRecht auf Asyl Grundrecht auf Berufsfreiheit freedom to choose an occupation – liberté professionnelle
Auch Freiheit der Berufsausübung, Erwerbsfreiheit, Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung. Vom EuGH anerkanntes ĺGemeinschaftsgrundrecht (vgl. Art. 15 ĺGRC/Art. II-75 EVV). Das Recht zu arbeiten und einen Beruf auszuüben umfassen die Berufswahl und die Ausübung. Ein Beruf setzt Entgeltlichkeit bzw. Erwerbsabsicht und eine gewisse Dauer der Tätigkeit voraus. Auch Tätigkeiten im öffentlichen Dienst fallen darunter (Art. 15 Abs. 1 GRC). Für Unternehmer vgl. jedoch die einschlägige, grundrechtlich geschützte ĺunternehmerische Freiheit in Art. 16 ĺGRC/Art. II-76 EVV (lex specialis). Daraus ergibt sich kein Recht auf Arbeit als Anspruch auf einen Arbeitsplatz (vgl. das Grundrecht auf unentgeltliche Arbeitsvermittlung nach Art. 29 ĺGRC/Art. II-89 EVV). Schranken ergeben sich im Hinblick auf die soziale Funktion der geschützten Tätigkeiten: Eingriffe sind durch ein anerkanntes Ziel anhand einer Verhältnismäßigkeitsprüfung rechtfertigbar (vgl. Art. 52 ĺGRC/Art. II-112 EVV). Auch die grenzüberschreitende Berufstätigkeit ist grundrechtlich geschützt: Die entsprechenden Freizügigkeiten (der Arbeitnehmer, der Niederlassung sowie der Dienstleistung) wurden in die Grundrechtsformulierung aufgenommen (Art. 15 Abs. 2 ĺCharta der Grundrechte). Das Verhältnis der grundrechtlichen Garantien zu (denselben) Grundfreiheiten bleibt zu erörtern (vgl. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 20 II, Rn. 20 f.). Gleiche Arbeitsbedingungen für Drittstaatsangehörige sollen nach der GRC ebenso grundrechtlich garantiert sein (Art. 15 Abs. 3). (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 15 GRC/Art. II-75 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 20 Rsp.: EuGH, Rs. 4/73 Nold, Slg. 1974, 491; EuGH, Rs. 44/79 Hauer, Slg. 1979, 3727
Grundrecht auf Bildung right to education – droit à l’éducation
Europäisches ĺGrundrecht nach dem Entwurf der ĺCharta der Grundrechte (Art. 14 GRC). Vorbildfunktion hat Art. 2 1. ZP ĺEMRK, der allerdings erweitert wird: Art. 14 ĺGRC betrifft nicht nur den schulischen Bereich, sondern auch die berufliche Aus- und Weiterbildung. 474
Wesentliches Schutzobjekt ist der Zugang zu Bildungseinrichtungen. Der Pflichtschulunterricht muss (auch) unentgeltlich zur Verfügung stehen; für die erforderliche Schulgeldfreiheit von Pflichtschulen reicht allerdings ein finanzieller Ausgleich (H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 19, Rn. 12). Einschränkungen folgen Art. 52 ĺGRC/Art. II112 EVV. (ed) §§: Art. 14 ĺGRC/Art. II-74 EVV; Art. 2 1. ZP ĺEMRK als Gemeinschaftsgrundrecht Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 19
Grundrecht auf Datenschutz protection of personal data – protection des données à caractère personnel
Vom EuGH judiziertes ĺGemeinschaftsgrundrecht; Teil des grundrechtlich geschützten Privat- und Familienlebens (konkret: Privatlebens). Vgl. nunmehr Art. 8 GRC/Art. II-68 EVV. Geschützt sind personenbezogene Daten, unabhängig von einer Qualifikation als „sensibel“ und unabhängig von der Speicherart oder -zugänglichkeit. Ein Eingriff liegt v.a. im – einwilligungslosen – Verarbeiten (Erheben, Speichern, Verwenden, Weitergeben). Eine Rechtfertigung muss den Art. II-68 EVV (Art. 8 GRC) und II-112 EVV (Art. 52 GRC) sowie Art. 8 Abs. 2 ĺEMRK (als ĺGemeinschaftsgrundrecht) genügen. Art. 8 GRC/Art. II-68 EVV enthält weiters Auskunfts- und Berichtigungsansprüche. Die Überwachung durch eine eigene Stelle (Datenschutzstelle/-beauftragter) ist verlangt. (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 8 GRC/Art. II-68 EVV; Art. 8 EMRK als Gemeinschaftsgrundrecht; RL 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr; Art. 286 EG Lit.: B. Siemen, Datenschutz als europäisches Grundrecht, 2006 Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-465/00, C-138/01 und C139/01 Rechnungshof/ORF u.a., Slg. 2003, I-4989; EuGH, Rs. C-101/01 Lindqvist, Slg. 2003, I-12971 (Veröffentlichung personenbezogener Daten im Internet)
Grundrecht auf Informationsfreiheit ĺMeinungsäußerungsfreiheit Grundrecht auf Schutz bei Ausweisung, Abschiebung, Auslieferung protection in the event of removal, expulsion or extradition – protection en cas d’éloignement, d’expulsion et d’extradition
Grundrechtlicher Schutz bei Ausweisung, verstanden als Verpflichtung, das Land zu verlas-
Grundrechte (freier Warenverkehr) sen; bei Abschiebung, verstanden als zwangsweisem Vollzug der ĺAusweisung; sowie bei Auslieferung, verstanden als Außerlandesschaffung mit Überstellung an einen anderen Staat auf dessen Ersuchen. Vgl. Art. 19 GRC/Art. II79 EVV. Besteht u.U. parallel zum ĺGrundrecht auf Asyl in Art. 18 ĺGRC/Art. II-78 EVV. Entspricht i.W. Art. 4 4. ZP ĺEMRK. Kollektivausweisungen sind grundrechtlich verboten (Abs. 1) und nicht rechtfertigbar (höchstens Anwendung der Notstandsregelung des Art. 15 ĺEMRK). Ein grundrechtliches Refoulementverbot besteht (Abs. 2): Eine Ausweisung, Abschiebung oder Auslieferung in einen Staat unter ernsthaftem Risiko der Todesstrafe, Folter oder unmenschlicher Behandlung ist grundrechtlich nicht zulässig und auch nicht rechtfertigbar (Art. 15 ĺEMRK gilt). (ed) §§: Art. 19 ĺGRC/Art. II-79 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 23
Grundrechte (deutsche Rechtslage) fundamental rights – droits fondamentaux
Die vom deutschen GG, insb. in Art. 1-19, gewährleisteten Rechte des Einzelnen. Sie bilden eine ĺIntegrationsschranke, weil Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG die deutsche Mitwirkung an der Entwicklung der EU von einem dem GG im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz abhängig macht. Nach st. Rsp. des ĺBVerfG ist dafür ein Grundrechtsschutz erforderlich, der dem vom GG als unabdingbar gebotenen im Wesentlichen gleichzuachten ist und zumal den Wesensgehalt der Grundrechte verbürgt. Ein deckungsgleicher Schutz in den einzelnen Grundrechtsbereichen wird nicht gefordert (Entscheidung zur ĺBananenmarktordnung). Während das BVerfG in der ĺSolange I-Entscheidung von 1974 den erforderlichen Standard im Gemeinschaftsrecht noch nicht gewährleistet sah und diese Frage in den anschließenden Entscheidungen ĺVielleicht und ĺMittlerweile offenließ, hält es die Anforderungen seit der ĺSolange II-Entscheidung von 1986 angesichts der einschlägigen Rsp. des ĺEuGH für erfüllt. Das BVerfG nimmt prinzipiell für sich eine Kompetenz zur Überprüfung der Einhaltung des erforderlichen Grundrechtsstandards in Anspruch (Solange I; ĺPrüfungsvorbehalt). Angesichts des vom EuGH gewährten Schutzes hat es diese Kontrolle in der Solange II-Entscheidung jedoch wesentlich eingeschränkt und
dies trotz mehrdeutiger Formulierungen in der ĺMaastricht-Entscheidung fortan beibehalten. Das BVerfG hält eine Überprüfung von ĺSekundärrecht der EG am Maßstab der deutschen Grundrechte seitdem nur noch für zulässig, wenn im einzelnen dargelegt wird, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rsp. des EuGH seit der Solange II-Entscheidung unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken und dieser generell und offenkundig nicht mehr gewährleistet ist (Entscheidung zur Bananenmarktordnung von 2000; s.a. die Entscheidungen Maastricht und ĺAlcan). Das BVerfG beschränkt sich somit auf die Absicherung vor Systemdefiziten und hat die Ausübung seiner Prüfungsbefugnis im übrigen suspendiert (im einzelnen jedoch umstr.). Die Wahrung des Grundrechtsschutzes im Einzelfall bleibt dem EuGH anvertraut (sog. ĺKooperationsverhältnis). Gleiches gilt für die Überprüfung deutscher Umsetzungsakte, soweit sie durch Vorgaben des Sekundärrechts determiniert sind (BVerfG NJW 2001, 1267; BVerfG NVwZ 2004, 1346). Auf das europäische ĺPrimärrecht hingegen hat das BVerfG diese Grundsätze nicht bezogen (Vielleicht-Entscheidung). Nur soweit die genannten Anforderungen erfüllt sind, kann das BVerfG angerufen werden, insb. im Wege der ĺVerfassungsbeschwerde oder der konkreten ĺNormenkontrolle. Die Fachgerichte sind zu einer selbstständigen Nichtanwendung von Gemeinschaftsrecht wegen Verletzung der Grundrechte des GG nicht befugt; insoweit behält sich das BVerfG ein Entscheidungsmonopol vor (Solange I bez. ĺVerordnungen). (sgk) §§: Art. 23 Abs. 1 GG Lit.: R. Scholz, Wie lange bis „Solange III“, NJW 1990, 941; G. Nicolaysen/C. Nowak, Teilrückzug des BVerfG aus der Kontrolle der Rechtmäßigkeit gemeinschaftlicher Rechtsakte: Neuere Entwicklungen und Perspektiven, NJW 2001, 1233; R. Streinz, in: M. Sachs (Hrsg.), Kommentar zum GG, 3. Aufl. 2003, Art. 23 GG, Rn. 41 ff.
Grundrechte (freier Warenverkehr) fundamental rights (free movement of goods) – droits fondamentaux (libre circulation des marchandises)
Eine Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs durch eine staatliche Maßnahme, die dem Grundrechtsschutz dient, kann laut ĺEuGH einer grundsätzlich gerechtfertigt werden. So hat der EuGH bspw. in der ĺSchmidbergerEntscheidung eine Beeinträchtigung wegen der österr. Nichtuntersagung einer Versammlung 475
Grundrechte der Arbeitnehmer mit im Wesentlichen umweltpolitischer Zielsetzung, die zu einer nahezu 30-stündigen völligen Blockade der Brenner-Autobahn führte, aufgrund des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit für gerechtfertigt angesehen. Da die Grundrechte nach Ansicht des EuGH sowohl von der Gemeinschaft als auch von ihren Mitgliedstaaten zu beachten sind, stellt der Schutz dieser Rechte ein berechtigtes Interesse dar, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs zu rechtfertigen (ĺSchmidberger-Entscheidung). Ähnlich entschied der EuGH auch in der ĺOmega-Entscheidung, wo er ein Verbot eines nach Ansicht der deutschen Behörden gegen die Menschenwürde verstoßenden Laserwaffen-Tötungsspiels durch den Rechtfertigungsgrund der ĺöffentlichen Ordnung gerechtfertigt sah. Voraussetzung ist wie bei den anderen Rechtfertigungsgründen (ĺRechtfertigungsgründe für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen) die Einhaltung des ĺVerhältnismäßigkeitsprinzips. (rp) Lit.: D. Ehlers, Die Grundfreiheiten der Europäischen Gemeinschaften: Allgemeine Lehren, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundfreiheiten und Grundrechte, 2. Aufl. 2005, 177, Rn. 86 Rsp.: EuGH, Rs. C-112/00 Schmidberger, Slg. 2003, I-5659, Rn. 74 (ĺSchmidberger-Entscheidung); EuGH, Rs. 36/02 Omega, Slg. 2004, I-9609 (ĺOmega-Entscheidung)
Grundrechte der Arbeitnehmer ĺArbeitnehmergrundrechte Grundrechte, Anwendungsbereich field of application of human rights – champ d’application des droits de l’homme
Der Anwendungsbereich der EU-Grundrechte erfordert geeignete Grundrechtsadressaten, d.h. einen möglichen ĺGrundrechtsträger und einen ĺGrundrechtsverpflichteten (EU, Mitgliedstaat im Anwendungsbereich, d.h. i.W. bei Durchführung von Unionsrecht). Die ĺGemeinschaftsgrundrechte gelten nur im Rahmen der sonstigen Zuständigkeiten und Aufgaben der Gemeinschaften: Via Grundrechte soll jedenfalls keine Kompetenzerweiterung erfolgen (Art. 52 Abs. 2ĺGRC/Art. II-111 Abs. 2 EVV). Eine Grundrechtsbindung hat zusätzlich zeitliche Elemente, sie setzt nämlich einen Sachverhalt nach Verbindlichwerden des Grundrechts voraus. 476
Örtlich ist der Anwendungsbereich mit dem räumlichen ĺGeltungsbereich des Unionsrechts begrenzt. Hoheitsakte der Grundrechtsadressaten außerhalb des Territoriums dürften via Abwehrfunktion u.U. auch erfasst sein. (ed) §§: Art. 51ĺGRC/Art. II-111 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 6, Rn. 3 ff.
Grundrechte, europäische (european) fundamental rights – droits fondamentaux (européens)
ĺGemeinschaftsgrundrechte, EG-Grundrechte, gemeinschaftsrechtliche Grundrechte. Entwicklung und Bedeutung: EG-Grundrechte wurden vom ĺEuGH seit den 1960er Jahren als Teil der von ihm zu wahrenden allgemeinen ĺRechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts (vgl. Art. 220, 230 EG) entwickelt (seit EuGH, Rs. 29/96 Stauder, Slg. 1969, 419; EuGH, Rs. 4/73 Nold, Slg. 1974, 491). Notwendig wurde dies aus der Doktrin der – u.U. gegebenen – ĺunmittelbaren Anwendbarkeit von EG-Recht samt judiziertem ĺAnwendungsvorrang, der auch gegenüber nationalem Verfassungsrecht samt Grundrechten beansprucht wird (zu Konflikten daraus mit dem deutschen BVerfG vgl. dessen ĺSolange-Rsp.). Die EG und ihre Organe sind direkt weder an die ĺEMRK noch an nationale Grundrechte gebunden. Deshalb wurde ein eigener grundrechtlicher Kontrollmaßstab auf europäischer Ebene erforderlich. Gemeinschaftsgrundrechte haben zudem rechtsstaatliche Legitimations-, Unionsbürgerrechte zusätzlich eine politische Identifikations- und Signalfunktion für die europäische Integration. Inhalt: Zur Konkretisierung der Gemeinschaftsgrundrechte greift der EuGH i.W. auf zwei Pfeiler zurück: die gemeinsamen ĺVerfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und internationale Menschenrechtsverträge, darunter insb. die ĺEMRK in ihrer Ausprägung durch die Judikatur des ĺEGMR. Art. 6 Abs. 2 EU (zuvor: Art. F ĺMaastrichter Vertrag; vgl. Art. II-9 EVV) gibt diesen Weg nunmehr explizit vor: Die Union achte die Grundrechte, wie sich sich aus EMRK und mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen als allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts ergeben. Wichtige – zumindest faktisch herangezogene – Quelle ist zusätzlich der Entwurf einer europäischen ĺGrundrechtscharta (ĺGRC, Art. II EVV) (vgl. z.B. EuG 20.1.2001,
Grundrechte, europäische T-112/98 Mannesmannröhren-Werke AG, Slg. 2001, II-729, Rn. 76; EuG 30.1.2003, T-54/99 max mobil, Slg. 2002, II-313, Rn. 48, 57; EuG 28.6.2002, T-177/01 Jégo-Quéré, Slg. 2002, II2365, Rn. 42; EuGH 3.5.2007, Rs. C-303/05 Advocaten voor de Wereld VZW, Rn. 46; EuGH 13.3.2007, Rs. C-432/05 Unibet, Rn. 37). Der EuGH hat bisher eine Fülle von Gemeinschaftsgrundrechten anerkannt: ĺEigentumsfreiheit, ĺGleichheit, ĺReligionsfreiheit, ĺFamilienleben, ĺMenschenwürde, ĺSchutz der Wohnung, ĺMeinungsfreiheit, ĺVerbot rückwirkender Strafbestimmungen, ĺBerufsfreiheit, ĺVertrauensschutz, ĺPrivatleben, ĺDatenschutz u.a.m. Die Grundrechte gelten dabei nicht absolut, sondern unterliegen Schranken: Der EuGH sieht ĺEingriffe als gerechtfertigt an, wenn diese verhältnismäßige Beschränkungen in einem anerkannten Allgemeininteresse (Gemeinwohl) darstellen und das Grundrecht nicht in seinem Wesen angetastet wird (Prüfschritte: verfolgtes Gemeinwohlinteresse, Verhältnismäßigkeit als Geeignetheit, Erforderlichkeit, Adäquanz, und ĺWesensgehaltssperre; vgl. EuGH, Rs. 4/73). Vgl. ĺGrundrechtsschranken. Rang: Gemeinschaftsgrundrechte sind verbindlich und gelten unmittelbar. Innerhalb des EURechts sind sie Teil des ĺPrimärrechts. Ihnen kommt Vorrangwirkung zu, und es gilt die Pflicht zur ĺgrundrechtskonformen Auslegung. Sekundärrechts- und Vollzugsakte sowie selten tatsächliche Handlungen der Gemeinschaften bzw. ihrer Organe sowie der Mitgliedstaaten, soweit grundrechtsgebunden (dazu unten unter „Verpflichtete“), sind an ihnen zu messen. Geltungs- und Anwendungsbereich: Ihr Geltungsbereich ist territorial, personell und auch funktionell beschränkt. Personell ist zu fragen, wer grundrechtsgebunden und wer grundrechtsberechtigt ist. Träger: Grundrechtsberechtigte, mit anderen Worten Grundrechtssubjekte oder Grundrechtsträger sind jedenfalls die EU-Bürger (ĺUnionsbürgerrechte), bei den meisten Rechten darüber hinaus jeder Betroffene im territorialen Geltungsbereich (ĺJedermannsrechte). Je nach Gehalt der grundrechtlichen Garantie können auch juristische Personen Grundrechtsträger sein (z.B. des ĺEigentumsrechts, nicht jedoch etwa personsabhängiger Rechte, u.a. eine Ehe einzugehen).
Verpflichtete: Grundrechtsverpflichtet sind die EU und ihre Organe sowie die Mitgliedstaaten, diese aber nur im Anwendungsbereich von Gemeinschaftsrecht. Funktionell: Die EU-Grundrechte binden die Mitgliedstaaten nur im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts (Art. 51 GRC/Art. II-111 EVV). Anwendung von Gemeinschaftsrecht meint i.W. die Durchführung von Unionsrecht. EG-Grundrechte verpflichten die Mitgliedstaaten demnach dann, wenn sie EG-Recht (RL) umsetzen oder (VO) vollziehen (indirekter Gemeinschaftsrechtsvollzug), oder Ausnahmen zu bzw. die Einschränkung von Grundfreiheiten geltend machen (EuGH, Rs. C-260/89 ERT, Slg. 1991, I-2925). EU-Grundrechte gelten nicht für rein innerstaatliche Sachverhalte (EuGH, Rs. C-299/ 95 Kremzow, Slg. 1997, I-2629; EuGH, 6.10. 2005, Rs. C-328/04 Vajnai). Vom EuGH judizierbare Gemeinschaftsgrundrechte gelten im Rahmen der – mit Anwendungsvorrang behafteten – I. Säule der EU (Gemeinschaftsrecht). Der EuGH nahm aber auch im Bereich der – intergouvernementalen – III. Säule bereits eine Pflicht zur unionsrechts-, nämlich grundrechtskonformen Auslegung an (für ĺRahmenbeschlüsse i.S.v. Art. 34 EG: EuGH, Rs. C-105/03 Maria Pupino, Slg. 2005, I-528). Rechtsschutz und Verfahren: Geltend gemacht werden können EU-Grundrechtsverletzungen innerstaatlich wie jede andere Gemeinschaftsrechtswidrigkeit, vor EUInstitutionen wie jede andere Verletzung von EU-Primärrecht, d.h. letztlich vor dem EuGH im Rahmen dessen allgemeiner Verfahrenszuständigkeiten und Anrufungsmöglichkeiten. Eine eigene Grundrechtsgerichtsbarkeit fehlt. System eines europäischen Grundrechtsschutzes: Im Einzelnen kann es in materieller Hinsicht zu Interferenzen sowohl mit innerstaatlichen Grundrechtsschutz sowie auch mit dem Rechtsschutzsystem der EMRK kommen (dazu vgl. EGMR Rs. ĺMatthews/GB; ĺBosphorus/Irland; BVerfG-Rsp. zu ĺSolange I, II, Maastricht, Bananenmarktordnung). Sonstiger EU-Grundrechtsschutz: Des weiteren bestehen nicht einklagbare Bekenntnisse und Grundrechtserklärungen von EU-Organen sowie Fördermaßnahmen (vgl. 477
Grundrechte, soziale Art. 6 Abs. 1 EU; Förderpflicht nach Art. 51 Abs. 1 ĺGRC/Art. II-111 Abs. 1 EVV; Sanktionierungsverfahren gem. Art. 7 EU bei schweren Verstößen; den Beschluss des Rates 2007/ 252/EG vom 19.4.2007 zur Auflegung des spezifischen Programms „Grundrechte und Unionsbürgerschaft“ als Teil des generellen Programms „Grundrechte und Justiz“ für den Zeitraum 2007–2013 (ABl. 2007, Nr. L 110/33 i.d.F. 2007, Nr. L 141/8). (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 220, 230 EG; ĺGRC; ĺEMRK (als verwiesener und über Art. 6 Abs. 2 EU hereingeholter Gemeinschaftsgrundrechtsstandard); Art. II-9 EVV Lit.: Allgemeines: R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, 2006; H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005; S. Heselhaus/C. Nowak (Hrsg.), Handbuch der europäischen Grundrechte, 2006; D. Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005; ÖJK (Hrsg.), Grundrechte in Europa, 1995; A. Duschanek/S. Griller (Hrsg.), Grundrechte für Europa. Die Europäische Union nach Nizza, 2002; G. Baumgartner, EU-Mitgliedschaft und Grundrechtsschutz, 1997; T. Öhlinger, Verfassungsrecht, 7. Aufl. 2007, Rn. 152; W. Berka, Lehrbuch Grundrechte, 2000, Rn. 191 ff.; T. Kingreen, Theorie und Dogmatik der Grundrechte im europäischen Verfassungsrecht, EuGRZ 2004, 570; T. Kingreen, Die Gemeinschaftsgrundrechte, JuS 2000, 857; D. Ehlers, Die Grundrechte des europäischen Gemeinschaftsrechts, JURA 2002, 468; T. Marauhn/R. Grote (Hrsg.), Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2005; C. Grabenwarter, Auf dem Weg in die Grundrechtsgemeinschaft?, EuGRZ 2004, 562; ders., Die Grundrechte im Verfassungsvertrag der Europäischen Union, in: S. Hammer et al. (Hrsg.), Demokratie und sozialer Rechtsstaat in Europa. FS für T. Öhlinger, 2004, 469; G. Nicolaysen, Die gemeinschaftsrechtliche Begründung von Grundrechten, EuR 2003, 719 ff.; C. Stix-Hackl, Grundrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht, RZ 2006, 134; J. Hengstschläger, Grundrechtsschutz kraft EU-Rechts, JBl. 2000, 409, 414, 494; P. Quasdorf, Dogmatik der Grundrechte der Europäischen Union, 2001; J. Schwarze, Der Schutz der Grundrechte durch den EuGH, NJW 2005, 3459; W. Weiß, Grundrechtsquellen im Verfassungsvertrag, ZEuS 2005, 323; N. Zorn, Überlegungen zu gemeinschaftsrechtlichen Grundrechten, in: M. Achatz et al. (Hrsg.), Steuerrecht – Verfassungsrecht – Europarecht. FS für H. G. Ruppe, 2007, 744; V. Martenet, L’émergence d’un „bloc de constitutionnalité“ européen ein matière de droits fondamentaux, SZIER/ RSDIE 2005, 281; R. Schwartmann, Europäischer Grundrechtsschutz nach dem Verfassungsvertrag, AVR 2005, 129; R. Winkler, Art. 6 Abs. 2 EUV (Grundrechte), in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 84. Lfg. 2007, Rn. 3-6, Rn. 13-70 Rechtschutz und Verfahren: N. Böcker, Wirksame Rechtsbehelfe zum Schutz der Grundrechte der Europäischen Union, 2005; Y. Kerth/A. Schmelz, Die Geltendmachung der Gemeinschaftsgrundrechte im Wege des Individualrechtsschutzes, JA 2004, 340 Geltungsbereich: A. Wallrab, Die Verpflichteten der Gemeinschaftsgrundrechte, 2004; A. Egger, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte in der III. Säule, EuZW 2005, 652; C. Ranacher, Die Bindung
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der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte, ZÖR 2003, 21; D. H. Scheuing, Zur Grundrechtsbindung der EU-Mitgliedstaaten, EuR 2005, 162; U. Haltern, Gemeinschaftsgrundrechte und Antiterrormaßnahmen der UNO, (zugl. Anmerkung zu EuG, U. v. 12.7.2006 – Rs. T-253/02 – und EuGH, U. v. 27.2.2007 – Rs. C-354/04 P –), JZ 2007, 537 Rsp.: EuGH, Rs. 29/69 Stauder, Slg. 1969, 419; EuGH, Rs. 11/70 IHG, Slg. 1970, 1125; EuGH, Rs. 4/73 Nold, Slg. 1974, 491; EuGH, Rs. 36/75 Rutili, Slg. 1975, 1219; EuGH, Rs. 44/79 Hauer, Slg. 1979, 3727; EuGH, Rs. 5/88 Wachauf, Slg, 1989, 2609 Anwendungsbereich: EuGH, Rs. C-299/95 Kremzow, Slg. 1997, I-2629; EuGH, Rs. C-328/04 Vajnai, Slg. 2005, I-8577; EuGH, verb. Rs. C-465/00, C-138/01 und C-139/01 Rechnungshof/ORF u.a., Slg. 2003, I4989; EuGH, Rs. C-105/03 Maria Pupino, Slg. 2005, I-5285 (Für einzelne Grundrechte s. beim betreffenden Schutzgut.)
Grundrechte, soziale ĺSoziale Grundrechte Grundrechtecharta ĺCharta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) Grundrechtliche Drittwirkung ĺDrittwirkung, grundrechtliche Grundrechtsadressaten ĺGrundrechtsverpflichtete Grundrechtscharta ĺCharta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) Grundrechtsdurchsetzung legal enforcement of (european) fundamental rights – mise en application/exécutabilité de droits fondamentaux (européens)
Was die Durchsetzbarkeit der ĺGemeinschaftsgrundrechte betrifft, zeigt der europäische Grundrechtsschutz Schwächen: Es gibt dafür weder eine eigene Institution, wie etwa ein eigenes Grundrechtsgericht, noch spezifisch dafür vorgesehene Verfahren. Zum Grundrechtsschutz sind daher die auch sonst zur Wahrung des Gemeinschaftsrechts (Grundrechte als Primärrecht) berufenen Organe zuständig, in letzter Konsequenz daher der ĺEuGH. Diesem obliegt die Wahrung des Grundrechtsschutzes nur im Rahmen seiner Zuständigkeiten (Kompetenzbereiche und Verfahrensarten). Das Fehlen eines eigenen Grundrechtsschutzsystems, u.U. auch außerhalb der Überpüfungs-
Grundrechtsmissbrauch kompetenz des EuGH, wird z.T. als Manko der ĺGRC kritisiert. Der Individualrechtsschutz im Grundrechtsbereich wird oft als defizitär angesehen. (ed) Lit.: Y. Kerth/A. Schmelz, Die Geltendmachung der Gemeinschaftsgrundrechte im Wege des Individualrechtsschutzes, JA 4/2004, 340-344; V. Martenet, L’émergence d’un „bloc de constitutionnalité“ européen ein matière de droits fondamentaux, SZIER/ RSDIE 2005, 281; M. Ruffert, Die künftige Rolle des EuGH im europäischen Grundrechtsschutzsystem, EuGRZ 2004, 466
Grundrechtseingriff interference in (Rsp.)/limitation (§) restriction of fundamental rights – ingérence (Rsp.)/limitation (§) restriction des libertés
Ein Eingriff in ein Grundrecht liegt vor, wenn der ĺSchutzbereich eines Grundrechts durch einen Rechts- oder tatsächlichen Akt berührt ist. Die Prüfung der Beeinträchtigung des Schutzbereichs steht am Anfang der Grundrechtsprüfung. Grundrechtseingriffe können aus (echten) Eingriffen (Einschränkungen), Diskriminierungen (relativen Benachteiligungen) oder Unterlassungen (von Leistungen oder Schutz) bestehen. Ein Grundrechtseingriff kann anhand grundrechtlicher Schrankenregelungen (s. ĺGrundrechtsschranken) gerechtfertigt sein („justification“/„justification“) und bedeutet noch nicht unbedingt eine Grundrechtsverletzung oder Rechtswidrigkeit. (ed) §§: Art. 52 Abs. 1 ĺGRC/Art. II-112 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 6, Rn. 15 ff.
Grundrechtsgericht bzw. Grundrechtsgerichtshof
rechtsschutzsystem, EuGRZ 2004, 466; V. Martenet, L’émergence d’un „bloc de constitutionnalité“ européen ein matière de droits fondamentaux, SZIER/ RSDIE 2005, 281
Grundrechtskollision conflict of (different) human rights – conflict de (différents) droits fondamentaux
Der Fall mehrerer – negativ – aufeinander treffender, d.h. einander entgegen stehender Grundrechte. Durch Interpretation zu lösen, die im Einzelnen schwierig ist. Das deutsche BVerfG hat – nach K. Hesse – dafür den Prüfstein der „praktischen Konkordanz“ des Grundrechtsschutzes – durch möglichst schonenden Ausgleich der kollidierenden Rechte im Einzelfall – aufgestellt. Nähere generelle Aussagen dazu lassen sich kaum treffen. (ed) Grundrechtskonkurrenz accumulation of fundamental rights (possibly applicable) – cumul de droits fondamentaux
Mehrere Grundrechte finden auf einen Sachverhalt Anwendung. Ihr Verhältnis ist durch Interpretation, zunächst des Schutzbereichs, dann auch der Schranken, zu lösen. Ergibt sich aus der Interpretation der in Frage kommenden Schutzbereiche kein Vorrang einer Gewährleistung z.B. durch Spezialität, gelten sie parallel nebeneinander. In aller Regel gibt das ĺGünstigkeitsprinzip (so Art. 53 GRC/Art. II-113 EVV, Art. 53 ĺEMRK) den Schutzumfang vor. Keine klare Antwort ergibt sich daraus freilich im Fall entgegenstehender Grundrechte mehrerer Grundrechtsträger (s. ĺGrundrechtskollision), weil hier nicht eindeutig gesagt werden kann, welche Verbürgung die günstigere ist. (ed)
human rights court – cour des droits de l’homme
Derzeit existiert im Rahmen des EU-Rechts kein eigener Grundrechtsgerichtshof. Der ĺEuGH ist im Rahmen seiner Zuständigkeiten zur Wahrung des Rechts- und damit auch des Grundrechtsschutzes (Grundrechte als Primärrecht) berufen. Das Fehlen eines eigenen Grundrechtsschutzsystems (u.U. auch außerhalb der Überpüfungskompetenz des EuGH) wird, auch als Manko der ĺGRC, z.T. kritisiert und der betreffende Individualrechtsschutz im Grundrechtsbereich als defizitär angesehen. (ed) Lit.: Y. Kerth/A. Schmelz, Die Geltendmachung der Gemeinschaftsgrundrechte im Wege des Individualrechtsschutzes, JA 4/2004, 340-344; M. Ruffert, Die künftige Rolle des EuGH im europäischen Grund-
Grundrechtskonvent ĺKonvent Grundrechtsmissbrauch abuse of (human) rights – abus de droits (fondamentaux)
Entsprechend Art. 17 EMRK enthält die Schlussbestimmung der ĺCharta der Grundrechte ein Missbrauchsverbot: Die Chartarechte dürfen nicht so ausgelegt werden, dass sie zur unverhältnismäßigen Einschränkung oder gar Abschaffung der Rechte benutzt werden. Soweit dürfe man sich nicht auf diese berufen, ohne dass die Grundrechte dadurch verloren gingen. Die Bestimmung sei restriktiv auszulegen. 479
Grundrechtsschranken Anklänge eines Konzepts „wehrhafter Demokratie“ in Europa werden darin wahrgenommen. (ed) §§: Art. 54 GRC/Art. II-114 EVV, Art. 17 ĺEMRK Lit.: M. Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 54; H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 6, Rn. 67 ff.; R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, 2006, 317, 465
Grundrechtsschranken limitatons of human rights – limitations de droits fundamentaux
Auch Gemeinschaftsgrundrechte gelten in aller Regel nicht absolut (als mögliche Ausnahme vgl. die Diskussion um die – absolute – Menschenwürdegarantie, Art. 1 GRC/Art. II-61 EVV). Einschränkungen von Grundrechten ergeben sich auf Schutzbereichsebene aus der Definition des Schutzbereichs, insb. aus anderen entgegenstehenden Regelungen auf selber Ebene, z.B. anderen Grundrechten (systemimmanente bzw. systematische Gewährleistungsschranken). Selbst in den so definierten Schutzbereich dürfen aber Gesetzgebung und Vollziehung in aller Regel noch weiter eingreifen. Grundlagen der Rechtfertigung von Eingriffen beinhalten die Grundrechtstexte durch ĺGesetzesvorbehalte: vgl. den allgemeinen in Art. 52 GRC/ Art. II-112 EVV oder spezifische, zu bestimmten Grundrechten (z.B. in Abs. 2 der Art. 8 bis 10 EMRK). Absolut geltende Grundrechte sind die Ausnahme (vgl. die Menschenwürdegarantie – Art. 1 GRC/Art. II-61 EVV bzw. das [allerdings immer wieder in seiner Absolutheit diskutierte] Folterverbot). Der EMRK weitgehend folgend, hat auch der EuGH Grundsätze für die Einschränkbarkeit von Grundrechten erarbeitet. Beschränkungen von Grundrechten, d.h. Eingriffe, können danach gerechtfertigt sein, wenn: ƒ dies entsprechend gesetzlich vorgesehen ist (ĺgesetzliche Grundlage – „provided by law“ – „prévue par la loi“); ƒ ein legitimes Eingriffsziel (Gemeinwohlinteresse) verfolgt wird; und ƒ die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs gewahrt ist, d.h. der Eingriff ƒ geeignet (tauglich), ƒ erforderlich (ultima ratio oder alternativ gelinderes Mittel?) und ƒ adäquat (verhältnismäßig im engen Sinn) ist; und ƒ das Grundrecht nicht in seinem Wesen angetastet wird (Wesensgehalt bzw. Wesensgehaltssperre) (z.B. EuGH, Rs. 4/73 Nold, Slg. 1974, 491). Spezifisches gilt für grundrechtliche Diskriminierungsverbote, wo der Eingriff in einer Dis480
kriminierung und dessen Rechtfertigung in der Prüfung der Sachlichkeit und Verhältnismäßigkeit besteht, sowie u.U. für Eingriffe durch Unterlassen (vgl. dazu H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 6, Rn. 59 ff.). Wie sich die Schrankenvorbehalte der ĺEMRK – die im Verweis der ĺGRC auf diese mit übernommen sind (vgl. Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 52 Abs. 3 GRC/Art. II-112 Abs. 3 EVV) – zum allgemeinen Chartavorbehalt (Art. 52 Abs. 1 GRC/ Art. II-112 Abs. 1 EVV) verhält, ist z.T. unklar und, soweit möglich, wohl im Sinne des ĺGünstigkeitsprinzips (Art. 53 GRC/Art. II112 Abs. 1 EVV; Art. 53 ĺEMRK) zu lösen. (ed) §§: Art. 52 GRC/Art. II-112 EVV Lit.: J. Pietsch, Das Schrankenregime der EU-Grundrechtecharta, 2005; M. Bühler, Einschränkung von Grundrechten nach der Europäischen Grundrechtecharta, 2005; H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 6, Rn. 24 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 4/73 Nold, Slg. 1974, 491; EuGH, Rs. 36/75 Rutili, Slg. 1975, 1219; EuGH, Rs. 5/88 Wachauf, Slg, 1989, 2609
Grundrechtsverpflichtete responsible/obligated party – partie obligée par les/responsable pour le respect des droits fondamentaux
ĺGrundrechtsadressaten Gemeinschaftsgrundrechte binden die EU und ihre Organe und die Mitgliedstaaten beim Vollzug von Gemeinschaftsrecht (vgl. Art. 51 GRC/ Art. II-111 EVV). Wie weit die Bindung Letzterer reicht, ist umstritten. (ed) §§: Art. 51 GRC/Art. II-111 EVV Lit.: F. Brosius-Gersdorf, Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte. Die Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des EuGH, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und ihre Fortentwicklung, 2005; A. Wallrab, Die Verpflichteten der Gemeinschaftsgrundrechte, 2004; M. Ruffert, Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft als Verpflichtete der Gemeinschaftsgrundrechte, EuGRZ 1995, 518; C. Ranacher, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte, ZÖR 2003, 21; W. Schaller, Die EU-Mitgliedstaaten als Verpflichtungsadressaten der Gemeinschaftsgrundrechte, 2003; D. H. Scheuing, Zur Grundrechtsbindung der EU-Mitgliedstaaten, EuR 2005, 162; A. Egger, Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechte in der III. Säule, EuZW 21/2005, 652 ff.
Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (PECL) Principles of European Contract Law – Principes du Droit Européen du Contrat
Die Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (PECL) wurden von der Kommission für Europäisches Vertragsrecht nach dem Vorbild
Grundsätze der EU (Art. 6 Abs. 1 EU) als Beitrittsvoraussetzungen der amerikanischen Restatements auf rechtsvergleichende Basis erarbeitet. Neben den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten fand insbesondere auch internationales Einheitsrecht (ĺUNKaufrecht, ĺPICC) Berücksichtigung. Die PECL bestehen aus den black-letter rules, d.h. den Grundregeln, die Gesetzesnormen vergleichbar knapp formuliert sind, erläuternden Kommentaren und rechtsvergleichenden Anmerkungen. In ihrem methodischen Ansatz sind sie nicht der überwiegenden Lösung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, sondern dem „better law approach“ verpflichtet und haben sich zum Ziel gesetzt, ein funktionstüchtiges System eines allgemeinen Vertragsrechts als eine Art Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, die Wahl, ob davon Gebrauch gemacht wird, aber den potenziellen Anwendern zu überlassen. Nach der Intention der Verfasser sollen die PECL der Grundlagenforschung und dem akademischen Unterricht dienen und haben vier mögliche Anwendungsbereiche: 1. die Anwendung als allgemeines Vertragsrechts in der EU, soweit das Gemeinschaftsrecht auf die allgemeinen Regeln des Vertragsrechts der Mitgliedstaaten verweist, 2. die Anwendung auf Grund der Rechtswahl der PECL als Vertragsstaat durch die Vertragsparteien, 3. die Heranziehung zur Lückenfüllung durch (Schieds-)Gerichte und 4. als Leitlinie für den nationalen oder europäischen Gesetzgeber bei der Erarbeitung neuer Gesetzgebungsvorhaben und damit als Beitrag zur europäischen Rechtsvereinheitlichung. Obgleich sie auf eine rein private Initiative der Kommission für Europäisches Vertragsrecht zurückgehen sind sie heute als fester Bestandteil der Vorarbeiten für eine Europäische Vertragsrechtsharmonisierung allgemein anerkannt. Die PECL werden dabei zugleich als eine moderne Formulierung der lex mercatoria angesehen, deren Vorteil in ihrer Neutralität und der konkreten Feststellbarkeit zu sehen ist. Die Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts gliedern sich – primär aus organisatorischen Gründen – in drei Teile, die jedoch als Einheit anzusehen sind. Mit der Vollendung dieser drei Teile hat die Kommission für Europäisches Vertragsrecht ihre Tätigkeit 2001 beendet. Das Forschungsprojekt wird heute von der ĺStudy Group on a European Civil Code fortgeführt. (mrm) Lit.: M. McGuire, Ziel und Methode der Study Group on a European Civil Code, ZfRV 2006, 63-74
Web: http://www.cbs.dk/departments/law/staff/ol/ commission_on_ecl/index.html
Grundsätze der EU (Art. 6 Abs. 1 EU) als Beitrittsvoraussetzungen fundamental principles of the EU as conditions for accession – principes fondamentaux de l’UE comme conditions d’adhésion
Der das ĺBeitrittsverfahren regelende Art. 49 EU verweist auf den Art. 6 Abs. 1 EU, in dem er festhält, dass nur jene Staaten Mitglied der Union werden können, welche die in Art. 6 Abs. 1 genannten G. „der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit“ achten. Damit wird klargestellt, dass der antragstellende Staat diesen „Verfassungskern“ der Union anzuerkennen und als ĺBeitrittsvoraussetzung zu erfüllen hat. Die Entstehungsgeschichte des Art. 6 Abs. 1 EU macht deutlich, dass sich die primärrechtliche Verankerung der G. d. U. (oft auch als gemeinsame Werte bezeichnet) parallel zur Verwirklichung der sog. ĺOsterweiterung vollzogen hat: Nachdem der Vertrag von Maastricht die „Werte-Quadriga“ in seiner Präambel festschreibt, wurde diese mit dem Vertrag von Amsterdam auch in den nunmehrigen Art. 6 Abs. 1 EU (zuvor Art. F EU) aufgenommen und Art. 49 EU mit diesem verknüpft. Abseits der unterlassenen expliziten Aufnahme des Minderheitenschutzes sind die G. des Art. 6 Abs. 1 EU deckungsgleich mit der ĺBeitrittsvoraussetzung der Verfassungsstaatlichkeit, die eines der ĺKopenhagener Kriterien darstellt. Um den G. der Demokratie zu erfüllen, müssen die antragstellenden Staaten Meinungsfreiheit, freie Wahlen, Minderheitenschutz und Selbstbestimmung gewährleisten. Dieser Kernbereich ist auch durch die EMRK geschützt, die im Verbund mit den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten (Art. 6 Abs. 2. EU) und der einschlägigen Rsp. des EuGH, den Prüfungsmaßstab für das Kriterium der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten bildet. Vom Grundwert der Rechtsstaatlichkeit sind auch die Unabhängigkeit der Rsp., effektiver Rechtsschutz, das Gebot der Verhältnismäßigkeit und ein Rückwirkungsverbot umfasst. Das Postulat der Freiheit fordert nicht nur die Gewährleistung eines „staatsfreien“ Raumes und bestätigt die freiheitliche Wirtschaftsordnung, sondern schließt – als Freiheit erst ermöglichendes Moment – auch die Solidarität mit ein. (lo) 481
Grundsätze der Grundrechtecharta §§: Art. 6 Abs. 1 EU; 3. Erwägungsgrund Präambel EU; Art. 6, 49 EU Lit.: B. Beutler, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 6 EUV
Grundsätze der Grundrechtecharta principles – principes
Die ĺGRC enthält neben ĺ„Grundrechten“ eine Reihe von „Grundsätzen“, die sich von den Grundrechten in ihrer Verbürgungsqualität offenbar unterscheiden. Grundsätze sind zwar, ebenso wie Grundrechte, verbindlich, wenn die Charta in Kraft tritt. Sie entsprechen allerdings eher Zielbestimmungen, deren Adressaten einen weiten Umsetzungsund Beurteilungsspielraum bei Durchführung haben. Auch als Auslegungshilfe kommen sie in Frage (vgl. Art. 52 ĺGRC/Art. II-112 Abs. 5 EVV). Echte subjektive Rechte sind in ihnen kaum zu sehen, vielmehr Verfassungsaufträge. Ihre rechtsförmige Durchsetzbarkeit ist beschränkt. (ed) Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 3, Rn. 5, § 7, Rn. 22 ff.
Grundsatz der Regeldelegation ĺPrinzip der Regeldelegation Grundsatz der Subsidiarität ĺSubsidiaritätsprinzip Grundsatz des Informationsvorranges ĺVerbraucherschutzmodelle Grundsatz des Informationsvorrangs ĺVerbraucherschutzmodelle
sind Kapitalbeteiligungen an privaten Unternehmen, Kapitalzuführungen an öffentlichen Unternehmen, Privatisierungen, Zahlungserleichterungen für bestimmte Unternehmen und die Darlehensgewährung durch die öffentliche Hand stets dem market economy investor test zu unterziehen. Da es für einen privaten Investor durchaus üblich ist, vorübergehende Verluste des begünstigten Unternehmens in Kauf zu nehmen, wird bloß auf die Aussicht einer längerfristigen Rentabilität abgestellt. Sollten die Zuschüsse allerdings von jeder Aussicht auf Rentabilität absehen, ist eine staatliche Beihilfe anzunehmen. Obwohl die öffentliche Hand neben der Rentabilität einer Investition üblicherweise auch volkswirtschaftliche, soziale oder regionale Ziele verfolgt (z.B. die Unterstützung bestimmter Unternehmen, um Arbeitsplätze zu erhalten oder die Wettbewerbsfähigkeit nationaler Unternehmen im internationalen Handel zu stärken), werden diese Ziele beim market economy investor test nicht berücksichtigt, da ein Privater derartige Überlegungen nicht in eine Investitionsentscheidung miteinbeziehen würde. Gibt es keinen Markt, auf dem ein vergleichbarer Investor tätig wird (insb. hoheitliches Handeln der öffentlichen Hand), findet der market economy investor keine Anwendung (z.B. Steuervergünstigungen). (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2005, 72 ff.
Grundtvig ĺBildungsprogramme Grundverkehrsbeschränkungen ĺZweitwohnung, Beschränkung des Erwerbs
Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers
Grundwasserschutz, gefährliche Stoffe
market economy investor test – principe d’investisseur privé
protection of groundwater, dangerous substances – protection des eaux souterraines, substances dangereuses
Der Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers (market economy investor test) wird für die Beurteilung herangezogen, ob eine bestimmte Maßnahme des Staates als übliche wirtschaftliche Transaktion eingestuft werden kann. Danach wird eine Maßnahme als ĺstaatliche Beihilfe eingestuft, wenn ein hypothetischer privater Investor unter den gleichen Marktbedingungen die Investition nicht getätigt hätte, weil keine Aussicht auf zumindest langfristige Rentabilität gegeben ist. Somit
ĺGewässerschutz. Emissionsorientierte RL, die konzeptionell jener für den Gewässerschutz folgt (ĺGewässerschutz, gefährliche Stoffe). Wie dort sind eine Schwarze Liste (Verbot direkter, Genehmigungspflicht indirekter Einleitungen) und eine Graue Liste (Genehmigungspflicht direkter und indirekter Einleitungen) vorgesehen. Die RL wird durch die ĺWasserrahmenrichtlinie und ihre Vorgaben 13 Jahren nach Inkraftreten letzterer (22.12.2000) aufgehoben. Mit der ĺWasserrahmenrichtlinie wird
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Gruppenfreistellungsverordnungen (Wettbewerbsrecht) auch die Problematik um diffuse Quellen beseitigt. ĺNitratRL. (sm) §§: RL 80/68/EWG, ABl. 1980, Nr. L 20/43
Gruppen- und Startlinienmodell der „Osterweiterung“ group model and starting-line model of the enlargement to the east – modèle de groupe et stratégie de la ligne de départ de l’élargissement à l’Èst
Im Zuge der sog. ĺOsterweiterung entstand die Frage, ob mit allen 10 ĺMOEL, ĺMalta und ĺZypern gleichzeitig ĺBeitrittsverhandlungen geführt und die Erweiterung individuell – je nach Geschwindigkeit der Umsetzung des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes – vollzogen werden sollte (den kompetitiven Charakter betonend Startlinien- bzw. Regatta-Modell genannt) oder die Verhandlungen nur mit den „fortgeschrittensten“ Kandidaten anzustreben seien (Gruppenmodell). Letztlich entschied sich der ĺEurop. Rat von Luxemburg (12./13.12. 1997) für ein abgeschwächtes G.: Die Verhandlungen wurden zwar nur mit der sog. ĺLuxemburg-Gruppe (Estland, Polen, Tschechien, Slowenien, Ungarn und Zypern) eröffnet, den anderen ĺBewerberländern aber zugesichert, durch ein gutes Abschneiden in den ĺ„Regelmäßigen Berichten über die Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt“ zur Luxemburg-Gruppe aufschließen zu können. Die Differenz zwischen den beiden Modellen hob sich durch den Europ. Rat von Helsinki (10./11.12.1999) auf, da dieser beschloss, Verhandlungen mit den verbleibenden ĺBewerberländern (der sog. ĺHelsinki-Gruppe: Bulgarien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien und der Slowakei) aufzunehmen (ĺOsterweiterung, Geschichte der). (lo) Lit.: ZER 1998, 4
Gruppenfreistellungsverordnungen (Beihilfenrecht) block exemption regulations (EC state aid law) – règlements d’exemption catégorielle (droit des aides d’État)
Art. 89 EG ermächtigt den ĺRat, Durchführungsverordnungen zu den Art. 87 und 88 EG zu erlassen und dabei u.a. die Arten von Beihilfen festzulegen, die vom Verfahren des Art. 88 Abs. 3 EG ausgenommen sind. Auf der Grundlage des Art. 89 EG wurde die ErmächtigungsVO (EG) 994/98 angenommen, welche die ĺKommission ermächtigt, Gruppenfreistellungsverordnungen zu erlassen. Die Kommission hat in der Folge bestimmte Gruppen von
Beihilfen bei Vorliegen der in den einzelnen VO angeführten Kriterien für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt. Sie unterliegen somit weder der ĺNotifikationspflicht noch einer Genehmigung der Kommission vor ihrer Einführung. Zu diesen Gruppen zählen: ƒ ĺAusbildungsbeihilfen ƒ ĺde-minimis-Beihilfen ƒ ĺBeihilfen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ƒ ĺBeschäftigungsbeihilfen ƒ ĺRegionalbeihilfen. (jr) §§: Art. 88 Abs. 3, Art. 89 EG Web: http://ec.europa.eu/comm/competition/state_aid/leg islation/block.html
Gruppenfreistellungsverordnungen (Wettbewerbsrecht) block exemption regulations (competition law) – règlements d’exemption par catégories (droit de la concurrence)
Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) begründen abstrakt-generell die ĺFreistellung bestimmter Gruppen von ĺVereinbarungen vom ĺKartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG und zwar sowohl für ĺhorizontale als auch ĺvertikale Vereinbarungen sowie für bestimmte Wirtschaftsbereiche (Sektoren). Sie sind ĺVerordnungen im Sinne von Art. 249 Abs. 2 EG. Als Ausnahmen vom ĺKartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG sind Gruppenfreistellungsverordnungen grundsätzlich eng auszulegen. Sind die Voraussetzung einer GVO erfüllt, bedarf es keiner weiteren Prüfung von Art. 81 Abs. 3 EG, weil die ĺFreistellung allein auf Grund des Vorliegens der Verordnungsvoraussetzungen eintritt. Die Anwendbarkeit einer GVO ist daher auch vor dem Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG zu prüfen. Die durch eine GVO erfolgte ĺFreistellung hat die Wirkung einer ĺLegalausnahme. Die ĺUnternehmen können somit durch Gestaltung ihrer ĺVereinbarungen entsprechend einer GVO für eine automatische ĺFreistellung sorgen. Eine Verpflichtung zur Anpassung ihrer Vereinbarungen besteht für die ĺUnternehmen aber nicht. Erfüllt die ĺVereinbarung nicht die Voraussetzungen einer GVO, bleibt nur noch die Möglichkeit der ĺEinzelfreistellung unter den Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG, der aber mit Erlass der VO (EG) 1/2003 und der damit einhergehenden Etablierung des Systems der Legalausnahme auch unmittelbar anwendbar ist. Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen einer GVO trägt nach Art. 2 483
Grzelczyk-Entscheidung Satz 2 VO (EG) 1/2003 das ĺUnternehmen, das sich auf die GVO beruft. Grundsätzlich sind alle ĺVereinbarungen einer bestimmten Gruppe mit ihrem gesamten Inhalt freigestellt. Ausnahmen von der ĺFreistellung werden im Falle der Überschreitung der Marktanteilsschwellen oder des Vorliegens von Kernbeschränkungen gemacht. Daneben hat sich die ĺKommission nach Art. 29 VO (EG) 1/2003 eine Entzugsentscheidung für den Fall vorbehalten, dass von der durch abstrakte Normierung der Gruppenfreistellung zulässigen ĺVereinbarung Wirkungen ausgehen, die mit Art. 81 Abs. 3 EG nicht zu vereinbaren sind. Bislang wurden verschiedenste Gruppenfreistellungsverordnungen erlassen, die grob in sektorübergreifende und in sektorspezifische eingeteilt werden können. So gibt es beispielhaft Gruppenfreistellungsverordnungen für Vertikalvereinbarungen, Spezialisierungsvereinbarungen, ĺVereinbarungen über Forschung und Entwicklung, Technologietransfer-Vereinbarungen, vertikale ĺVereinbarungen und aufeinander ĺabgestimmte Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor sowie für ĺVereinbarungen und ĺaufeinander abgestimmte Verhaltensweisen betreffend Konsultationen über Tarife für die Beförderung von Passagieren im Personenlinienverkehr und die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen. (jpt) §§: Art. 81 Abs. 3 EG; VO (EG) 2790/1999 der Kommission über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 1999, Nr. L 336/21); VO (EG) 2658/2000 der Kommission über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen (ABl. 2000, Nr. L 304/3); VO (EG) 2659/ 2000 der Kommission über die Anwendung von Art. 31 Abs. 3 auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung (ABl. 2000, Nr. L 304/7); VO (EG) 772/2004 der Kommission über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen (ABl. 2004, Nr. L 123/11); VO (EG) 1400/2002 der Kommission über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor (ABl. 2002, Nr. L 203/30); VO (EG) 1459/2006 der Kommission über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag auf bestimmte Gruppen von Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen betreffend Konsultationen über Tarife für die Beförderung von Passagieren im Personenlinienverkehr und die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen (ABl. 2006, Nr. L 272/3) Lit.: H. Schröter, in: H. Schröter/T. Jakob/W. Mederer (Hrsg.), Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, 2003, 358 ff.; T. Eilmannsberger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 81 EGV, Rn. 143 ff.; C. Liebscher/E. Flohr/A. Petsche, Hand-
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buch der EU-Gruppenfreistellungsverordnungen, 2003; J. Pfeffer, Die neue Gruppenfreistellungsverordnung (EG) Nr. 1400/2002 für die Automobilbranche, NJW 2002, 2910
Grzelczyk-Entscheidung Grzelczyk case – jurisprudence Grzelczyk
In seinem Urteil in der Rs. Grzelczyk (EuGH, Rs. C-184/99 Grzelczyk, Slg. 2001, I-6193) relativierte der Gerichtshof erstmals die ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen, die das Sekundärrecht für Nichterwerbstätige vorsah, und erstreckte den Inländerbehandlungsanspruch Studierender auf Sozialhilfe (ĺFreizügigkeit, Studierende). Der französische Student Grzelczyk finanzierte seinen Lebensunterhalt zunächst in den ersten drei Jahren seines Studiums in Belgien durch Studentenjobs selbst; aufgrund der zeitlichen Inanspruchnahme durch die Examensvorbereitung war ihm dies im vierten Studienjahr, dem Abschlussjahr, nicht mehr möglich. Um seinen Lebensunterhalt dennoch bestreiten zu können, beantragte er Sozialhilfe. Die eingetretene Mittellosigkeit hätte gem. dem Wortlaut der (zwischenzeitlich durch die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG [ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG]) ersetzten Studentenrichtlinie 93/96/EWG den Verlust des Aufenthaltsrechts zur Folge gehabt, da Studierende, wie sonstige Nichterwerbstätige auch, über hinreichende Existenzmittel verfügen müssen; zudem schloss Art. 3 der RL 93/96/EWG einen Inländerbehandlungsanspruch hinsichtlich Unterhaltsbeihilfen aus. Beides hinderte den EuGH jedoch nicht, zugunsten des Studenten Grzelczyk zu entscheiden. Hinsichtlich der ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen nahm der Gerichtshof eine teleologische Reduktion vor: Denn diese bezweckten nach den Erwägungsgründen der RL 93/96/EWG lediglich, eine übermäßige (!) Belastung der öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaates zu verhindern. Eine solche hätte aber aufgrund der Umstände des Falles nicht vorgelegen. Der versagten Inländerbehandlung beim Zugang zu Sozialhilfe stand nach Auffassung des EuGH das unionsbürgerliche Diskriminierungsverbot entgegen (ĺUnionsbürger, Inländerbehandlung): Art. 12 EG verbietet jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit im Anwendungsbereich des EGVertrages. Dieser sei in der vorliegenden Situation eröffnet, da der Aufenthalt des Studenten Grzelczyk in Belgien vom allgemeinen Freizügigkeitsrecht (Art. 18 EG; ĺFreizügigkeitsrecht,
Gurt(anlege)pflicht allgemeines) gedeckt sei und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu dessen Wahrnehmung gehöre. Art. 3 der RL 93/96/EWG stehe dieser Auslegung des allgemeinen Diskriminierungsverbots nicht entgegen, da sich dieser Ausschluss ausweislich seines Wortlauts nur auf Unterhaltsbeihilfen, nicht aber auf Sozialhilfe beziehe. (fw) §§: Art. 18 EG; RL 93/96/EWG (aufgehoben); RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: M. Dougan/E. Spaventa, Educating Rudy and the (non-)English Patient: The Double-Bill on Residency Rights under Article 18 EC, EL Rev. 2003, 699; A. Iliopoulou/H. Toner, Anmerkung, CML Rev. 2002, 609; D. Martin, A Big Step Forward for Union Citizens, but a Step Backwards for Legal Coherence, EJML 2002, 136; W. Obwexer, Anmerkung, EuZW 2002, 56; M. Rossi, Anmerkung, JZ 2002, 351; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Günstigkeitsprinzip, grundrechtliches principle of advantage/favomobility principle – sauvegarde de droits reconnus
Insb im Fall der Geltung mehrerer einschlägiger Grundrechte (Grundrechtskonkurrenz) ist nach dem sowohl in der GRC (Art. 53) als auch in der EMRK (Art. 53) die für den Grundrechtsträger/-berechtigten günstigere Interpretation zu wählen. (ed) §§: Art. 53 EMRK; Art. 53 GRC/Art. II-113 EVV
Kommentar I/6, 3. Aufl. 2004, Art. 5 EVÜ, Rn. 50; Art. 6 EVÜ, Rn. 19 f. Web: Der in Lit. erwähnte Bericht von M. Giuliano/P. Lagarde ist abrufbar unter: http://www.romeconvention.org
Güterbeförderung, innergemeinschaftliche forwarding of goods, intracommunity – factage, intracommunautaire
Grenzüberschreitende Güterbeförderungen, die in der Regel nach nationalen USt-Vorschriften befreit sind, sind im Binnenmarkt steuerpflichtig. Als innergemeinschaftliche Güterbeförderung gilt demnach jede Beförderung von Gütern, bei der Abgangs- und Ankunftsort in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten liegen. Abgangsort ist hiebei der Ort, an dem die Beförderung der Güter tatsächlich beginnt, ungeachtet der Strecken, die bis zu dem Ort zurückzulegen sind, an dem sich die Güter befinden; und Ankunftsort ist der Ort, an dem die Beförderung der Güter tatsächlich endet. Die Besteuerung erfolgt sodann in dem Staat, in dem sich der Abgangsort befindet, es sei denn, der Auftraggeber verwendet die Umsatzsteueridentifikationsnummer (UID) eines anderen Staates. Ist dies der Fall, so ist die Güterbeförderung grundsätzlich dort zu besteuern (vgl. ĺOrt des innergemeinschaftlichen Erwerbes). (pu) §§: Art. 28b Teil C 6. MwStRL
Günstigkeitsprinzip (IPR) principle of the most favourable provisions (PIL) – principe des dispositions plus favorables (DIP)
Im IPR bedeutet „Günstigkeitsprinzip“ allgemein, dass von zwei Rechtsordnungen, die auf einen bestimmten Lebenssachverhalt potenziell anwendbar sind, jene Vorschriften herangezogen werden, die für eine besonders schutzwürdige Person günstiger sind. Ausdrücklich vorgesehen ist das Günstigkeitsprinzip für ĺVerbraucherverträge (Art. 5 ĺEVÜ) und für ĺArbeitsverträge (Art. 6 ĺEVÜ). Soweit nämlich die Verbraucher- bzw. Arbeitnehmerschutzvorschriften des Heimatortes des Verbrauchers bzw. des Tätigkeitsortes des Arbeitnehmers für den Verbraucher bzw. den Arbeitnehmer günstiger sind als das durch vertragliche ĺRechtswahl bestimmte Recht, verdrängen diese günstigeren Bestimmungen das gewählte Recht. (js) §§: Art. 5, 6 ĺEVÜ Lit.: Bericht über das EVÜ von M. Giuliano/P. Lagarde, ABl. 1980, Nr. C 282/1, Anmerkungen zu Art. 5 und 6; B. Verschraegen, in: P. Rummel (Hrsg.), ABGB
Güterverkehr, international gewerblicher international carriage of goods by road for hire or reward for journeys – transports internationaux de marchandises par route
Gem. Art. 1 i.V.m. Art. 2 2. SpS der VO (EWG) 881/92 (ABl. 1992, Nr. L 95/1) sind darunter Transitbeförderungen zu verstehen, bei denen der Ausgangs- und Zielpunkt in verschiedenen MS oder Drittstaaten liegen und die zumindest teilweise durch das Gebiet eines MS führen. Die VO (EG) 881/92 gilt grundsätzlich für den grenzüberschreitenden gewerblichen Güterkraftverkehr auf den im Gebiet der Gemeinschaft zurückgelegten Wegstrecken. Der grenzüberschreitende Verkehr unterliegt einer ĺGemeinschaftslizenz in Verbindung – sofern der Fahrer Staatsangehöriger eines Drittstaats ist – mit einer ĺFahrerbescheinigung. (sm) Gurt(anlege)pflicht ĺSicherheitsgurt 485
Gutachtensverfahren, allgemein Gutachtensverfahren, allgemein advisory opinion – compétence consultative
Das Gutachtensverfahren ermöglicht die Einholung eines gerichtlichen Gutachtens über die Vereinbarkeit eines geplanten internationalen Übereinkommens mit dem EG. Der ĺEuGH wird im Rahmen dieses Verfahrens um die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung internationaler Abkommen ersucht, die von der ĺEU als Völkerrechtssubjekt abgeschlossen werden sollen. Das Gutachtensverfahren ist das einzige Verfahren, in dem der EuGH nicht streitschlichtend, sondern präventiv und streitvorbeugend tätig wird. Im Zuge dieser Verfahrensart werden häufig Fragen der Zuständigkeitsverteilung zwischen der ĺEG und den ĺMitgliedstaaten und der Auslegung des primären Gemeinschaftsrechts erörtert – das Gutachtensverfahren kann daher zu den „verfassungsgerichtlichen“ Kompetenzen des EuGH gezählt werden. Die Durchführung eines Gutachtensverfahrens schließt die Möglichkeit einer nachfolgenden ĺNichtigkeitsklage, eines ĺVorabentscheidungsverfahrens oder eines ĺVertragsverletzungsverfahrens nicht aus (EuGH, 1/75, Slg. 1975, 1355, Rn. 11). Dieses Verfahren vor dem EuGH kommt in der Praxis nur sehr selten zur Anwendung. In den letzten 50 Jahren gab es nur knapp 20 Gutachtensverfahren. Trotz der geringen Anzahl an derartigen Verfahren sind die erstellten Gutachten von großer Bedeutung für die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts und die völkerrechtliche Position des Primär- und Sekundärrechts (vgl. die Gutachten zum Europäischen Wirtschaftsraum: EuGH, 1/91, Slg. 1991, I-6079; EuGH, 1/92, Slg. 1992, I-2821; zur WTO: EuGH, 1/94, I-5267; zum Beitritt der EG zur EMRK: EuGH, 2/94, Slg. 1996, I-1759). Das Gutachtensverfahren gem. Art. 300 Abs. 6 EG entspricht dem gemeinschaftsgerichtlichen Überprüfungsverfahren nach Art. 103 Abs. 3 EAG. (lb) §§: Art. 300 Abs. 6 EG; Art. 107 f. VerfO-EuGH; Art. 103 Abs. 3 EAG Lit.: C. Tomuschat, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 300 EGV, Rn. 89 ff.; W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 85 ff.
Gutachtensverfahren, gerichtliche Entscheidung und Wirkung advisory opinion, judgement and its impact – compétence consultative, jugement et effet
Das Gutachtensverfahren wird durch die Erstattung des Gutachtens beendet. Darin kann 486
der ĺEuGH die Vereinbarkeit oder die NichtVereinbarkeit des geplanten internationalen Abkommens mit dem ĺPrimärrecht feststellen und gibt Antworten auf allfällige gemeinschaftsrechtlich relevante Fragen. Verneint der EuGH in seinem Gutachten die Konformität des Übereinkommens mit dem primären Gemeinschaftsrecht, kann das geplante Abkommen nur nach Maßgabe des Art. 48 EU – d.h. durch eine Änderung der Verträge – in Kraft treten. (lb) §§: Art. 300 Abs. 5 und 6 EG
Gutachtensverfahren, Verfahrensablauf advisory opinion, course of the proceedings – compétence consultative, déroulement de l’instance
Das Gutachtensverfahren ist als nicht kontradiktorische Verfahrensart konzipiert und lässt sich in folgende Verfahrensschritte gliedern: ƒ schriftliche Äußerung der Beteiligten ƒ mündliche Anhörung aller Generalanwälte ƒ keine Veröffentlichung von Schlussanträgen ƒ Erstattung des Gutachtens (lb) Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 84 f.
Gutachtensverfahren, Verfahrensgegenstand advisory opinion, object of the proceedings – compétence consultative, objet de l’instance
Als Gegenstand eines Gutachtensverfahrens kommt ex lege ein „geplantes Abkommen“ in Frage. Unter den bezeichneten Abkommen sind vertragliche Vereinbarungen zu verstehen, die ein völkerrechtliches Übereinkommen festlegen sollen. Ein Abkommen kann als geplant angesehen werden, wenn der wesentliche sachliche Inhalt bereits ausgehandelt ist und die Art der Beteiligung der EG noch nicht feststeht – d.h. das Abkommen muss sich in einem konkreten Vorbereitungsstadium befinden. Wenn die völkerrechtliche Bindung bereits eingetreten ist – d.h. nach Vertragsunterzeichnung bzw. Urkundenhinterlegung – kann kein Gutachtensverfahren mehr durchgeführt werden (EuGH, 1/94, I-5267, Rn. 12). Im Rahmen des Gutachtensverfahrens kann das jeweilige Abkommen hinsichtlich des Inhalts, der Zuständigkeit und des Verfahrens auf seine Vereinbarkeit mit dem gesamten Primärrecht überprüft werden (Beschluss des EuGH, 1/78, Slg. 1978, 2151, Rn. 5). (lb) §§: Art. 107 § 2 VerfO-EuGH
Gymnich Gutachtensverfahren, Verfahrensparteien advisory opinion, parties of the proceedings – compétence consultative, parties à l’instance
Die Antragsberechtigung zur Einleitung eines Gutachtensverfahrens vor dem ĺEuGH kommt ex lege dem ĺEP, dem ĺRat, der ĺKommission und den einzelnen ĺMitgliedstaaten der ĺEU zu. (lb) §§: Art. 300 Abs. 6 EG
Gutachtensverfahren, Zuständigkeit advisory opinion, competence – compétence consultative, compétence
Zur Erstattung eines Gutachtens im Rahmen des Gutachtensverfahrens ist gem. Art. 300 Abs. 6 EG der EuGH zuständig. Es besteht keine Möglichkeit eines ĺRechtsmittels. Der Anteil des Gutachtensverfahrens an allen Verfahren vor dem EuGH beträgt 0,1 %. (lb) Gute landwirtschaftliche Praxis good farming practice – bonne pratique agricole
Grundsatz der ĺGemeinsamen Agrarpolitik seit der Reform des Jahres 2000. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, auf regionaler und nationaler Ebene Leitlinien für eine gute landwirtschaftliche Praxis zu definieren. Eine gute landwirtschaftliche Praxis sollte der Form der Landwirtschaft entsprechen, der ein durchschnittlicher Landwirt in der betreffenden Region nachgehen würde und die zumindest eine Einhaltung der allgemeinen rechtlichen Umweltanforderungen beinhaltet. Die Gute landwirtschaftliche Praxis geht über die Vorgaben hinsichtlich gutem landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand und über die Vorschriften der ĺCross Compliance nach der VO (EG) 1782/2003 hinaus. (all) §§: VO (EG) 1782/2003 Direktzahlungen, ABl. 2003, Nr. L 270/1
Gute Verwaltung ĺKodex für gute Verwaltungspraxis Gutes Regieren good governance – bonne gouvernance
Der Begriff „Governance“, der gemeinhin mit „Regieren“ oder politischer Steuerung i.w.S. übersetzt werden kann, tauchte erstmals Ende der 1980er Jahre auf, als es in einer Studie der Weltbank darum ging, die „crisis of governance“ afrikanischer Staaten zu beschreiben. Ein im Rahmen der Vereinten Nationen und der
OECD entwickeltes Konzept von „Good Governance“ unter Betonung der Verteilung der Machtbefugnisse in einem Regierungssystem und der notwendigen Rechenschaftspflicht sollte dem Abhilfe schaffen. In der Folge verabschiedeten zahlreiche internationale Konferenzen und Organisationen verschiedene „Governance“-Konzepte, so auch die ĺEuropäische Union: Vom damaligen Kommissionspräsidenten Romano Prodi im Februar 2000 in einer Rede vor dem ĺEuropäischen Parlament angekündigt, erarbeite man in einem „Governance Team“ aus Kommissionsbeamten in zwölf Arbeitsgruppen eine Reformagenda, die ein demokratisch reformiertes Regieren im Zuge der administrativen Reform und des konstitutionellen Prozesses sicherstellen sollte. Das Ergebnis war das im Juli 2001 vorgelegte Weißbuch „Europäisches Regieren“ in dem unter Eingeständnis einer zunehmenden Entfremdung der Bürger von der Union fünf „Grundsätze des guten Regierens“ vorgestellt wurden. Konkret sind dies: Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Effektivität und Kohärenz. Ziel ist es, eine offenere Arbeitsweise der Union, die Beschleunigung und Qualitätsverbesserung der Rechtsetzung sicherzustellen und durch Neuausrichtung der Politikfelder langfristige Ziele klarer formulieren zu können. Erreicht werden soll dies u.a. durch eine bessere Einbindung aller Akteure, einschließlich der Zivilgesellschaft, der Regionen und Kommunen, durch Nutzung unterschiedlicher Politikinstrumente und durch eine bessere Wahrnehmung der Zuständigkeiten der EU, insbesondere die Konzentration auf die Kernaufgaben der einzelnen Institutionen. (ns) Lit.: Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.), Europäisches Regieren – Ein Weißbuch, KOM(2001) 428; C. Joerges, Das Weißbuch der Kommission über „Europäisches Regieren“: Ein missglückter Aufbruch zu neuen Ufern, Integration 2002, 187 ff.; H. Hill, Good Governance – Konzepte und Kontexte, in: G. F. Schuppert (Hrsg.), Governance-Forschung, 2005, 220 ff. Web: http://www.europa.eu.int/comm/governance/ index_en.htm
GVM ĺGenetisch veränderter Mikroorganismus GVO ĺGenetisch veränderter Organismus; ĺGruppenfreistellungsverordnung Gymnich ĺGAERC 487
H Haager Programm The Hague programme – Le programme de La Haye
Da die Europäische Gemeinschaft nicht alle der im ĺTampere-Programm für den Aufbau eines ĺRaums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts festgelegten Ziele in dem dafür vorgesehenen Zeitraum von fünf Jahren erreichen konnte, wurde unter niederländischer Präsidentschaft vom ĺEuropäischen Rat am 4./5.11. 2004 das „Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union“ zur Weiterentwicklung des ĺRaums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Zeitraum 2005–2010 angenommen. Es knüpft an das ĺTampere-Programm 1999– 2004 und den ĺWiener Aktionsplan an, nimmt deren noch ausstehende Schritte auf, sieht weitere politische Leitlinien, konkrete Ziele und Fristen vor und verpflichtet die ĺKommission zu regelmäßigen „Fortschrittsanzeigern“. Das Haager Programm basiert auf den Regelungen des geltenden Rechts, nimmt aber als Leitlinie für das anzustrebende Ziel auch auf den 2004 unterzeichneten Entwurf eines ĺVertrags über eine Verfassung für Europa Bezug, dessen Vorhaben weitestgehend in dem Reformvertrag von Lissabon eingeflossen sind. In seinem allgemeinen Teil betont das Haager Programm neben den allgemeinen Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit die Bedeutung des Schutzes der Grundrechte sowie die Notwendigkeit, die getroffenen Maßnahmen zu evaluieren. Zur Verwirklichung des Zieles eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts enthielten die Beschlüsse konkrete Aufgaben für dessen drei Verwirklichungswege (Gemeinsame Politik in den Bereichen Visa, Asyl und Einwanderung, ĺZiviljustielle Zusammenarbeit im Europäischen Rechtsraum, ĺPolizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen). Die zehn konkreten Schwerpunkte betreffen: die Stärkung der Grundrechte und der Unionsbürgerschaft, die Bekämpfung des Terrorismus, ein ausgewogenes Konzept zur Steuerung des 488
Migrationsströme, ein Gemeinsames Asylverfahren, die Maximierung der positiven Auswirkungen der Einwanderung, einen integrierten Schutz an den Außengrenzen der Union, ein richtiges Verhältnis zwischen Datenschutz und Informationsaustausch der Strafverfolgungsbehörden, die Ausarbeitung eines strategischen Konzepts gegen organisierte Kriminalität, den Ausbau eines leistungsfähigen europäischen Rechtsraums sowie die gemeinsame Ausübung von Verantwortung und Solidarität. Für die PJZS wurde festgehalten, dass der bereits im ĺTampere-Programm geforderte Grundsatz der ĺgegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, insb. auf Basis des von der Kommission 2001 beschlossenen Maßnahmenprogramms, umfassend in allen Phasen des Verfahrens verwirklicht werden soll. Begleitend werden eine Annäherung verfahrensrechtlicher Regeln und die Entwicklung gleichwertiger Standards der Verfahrensrechte (ĺBeschuldigtenrechte im Strafverfahren, Rahmenbeschlussentwurf über) gefordert. Für das materielle Strafrecht steht, wie im Tampere-Programm, eine Annäherung der Strafvorschriften gegen schwere, organisierte bzw. grenzüberschreitende Kriminalität im Vordergrund. Das zur gegenseitigen Anerkennung erforderliche Vertrauen soll neben dieser Mindestharmonisierung durch Evaluierung der getroffenen Maßnahmen sowie durch Kommunikation und Kooperation gestärkt werden. Der grenzüberschreitende Austausch strafverfolgungsrelevanter Informationen soll sich ab Beginn des Jahres 2008 nach dem Grundsatz der Verfügbarkeit (ĺInformationen, Grundsatz der Verfügbarkeit) richten. Die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den Polizei- und Zollbehörden der Mitgliedstaaten sowie ĺEuropol soll, insbesondere durch ĺGemeinsame Ermittlungsgruppen, besseren Informationsaustausch, Austausch von Ermittlungstechniken und grenzüberschreitende behördliche Austauschprogramme gestärkt werden. Im Bereich der strafjustiziellen Zusammenarbeit
Haftpflichtversicherung, Kfz wird neben der Zusammenarbeit der Justizbehörden der Mitgliedstaaten (etwa im Rahmen der ĺEuropäischen Justiziellen Netzes) eine stärkere Einbindung von ĺEurojust gefordert. Die zehn konkreten Schwerpunkte betreffen: die Stärkung der Grundrechte und der Unionsbürgerschaft, die Bekämpfung des Terrorismus, ein ausgewogenes Konzept zur Steuerung des Migrationsströme, ein Gemeinsames Asylverfahren, die Maximierung der positiven Auswirkungen der Einwanderung, einen integrierten Schutz an den Außengrenzen der Union, ein richtiges Verhältnis zwischen Datenschutz und Informationsaustausch der Strafverfolgungsbehörden, die Ausarbeitung eines strategischen Konzepts gegen organisierte Kriminalität, den Ausbau eines leistungsfähigen europäischen Rechtsraums sowie die gemeinsame Ausübung von Verantwortung und Solidarität. (mrm) (sts) §§: Art. 61-69 EG Lit.: R. Wagner, Die zivil(verfahrens-)rechtlichen Komponenten des Aktionsplans zum Haager Programm, IPRax 2005, 494-496; Tagung des Europäischen Rates (Brüssel, 4./5.11.2004) – Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, Ratsdok. 14292/1/04, ABl. 2005, Nr. C 53/1
Habitat habitat – habitat
S.a. ĺNaturschutz (Regelungsansätze), ĺNatura 2000, ĺVogelschutzrichtlinie. Nach der ĺFlora-Fauna-HabitatRL ist unter „Habitat einer Art“ ein durch spezifische abiotische und biotische Faktoren bestimmter Lebensraum zu verstehen, in dem diese Art in einem der Stadien ihres Lebenskreislaufs vorkommt. (sm) Habsburg-Lothringen, Otto von (Geb 1912) Ältester Sohn des letzten österr. Kaisers Karl I und Erbe der habsburgischen Thronansprüche, auf die er 1961 verzichtete. Ab 1978 deutscher Staatsbürger. Seit 1979 Mitglied des Europäischen Parlaments und sehr um die europäische Integration bemüht. Verfasser zahlreicher Werke, so etwa „Europa – Großmacht oder Schlachtfeld“ (1965). (gm) Lit.: P. Fischer/H. F. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 34
Haftbefehl, europäischer ĺEuropäischer Haftbefehl
Haftpflichtversicherung, Kfz compulsory civil liability insurance, insurance against civil liability in respect of the use of motor vehicles – assurance de responsabilité civile obligatoire, résultant de la circulation de véhicules automoteurs
Bei der durch ĺRichtlinien vorgeschriebenen Versicherungspflicht für Kraftfahrzeuge handelt es sich um eine Maßnahme der personenbezogenen Harmonisierung (ĺVerkehrsrecht, personenbezogenen Harmonisierung). Die einschlägigen Bestimmungen finden sich vor allem in den folgenden RL: ƒ RL 72/166/EWG (Erste Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie): Diese sieht eine obligatorische Haftpflichtversicherung für in der Gemeinschaft immatrikulierte Motorfahrzeuge vor, die zwingend auch die Deckung von in anderen MS verursachten Schäden umfassen muss. ƒ RL 84/5/EWG (Zweite Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie): Die RL enthält Mindestvorgaben in Bezug auf den Versicherungsumfang (Deckung sowohl von Personen- als auch Sachschäden; Festlegung minimaler Gesamtdeckungssummen; verpflichtende Einrichtung einer Stelle, die für Sach- und Personenschäden aufzukommen hat, die durch nicht versicherte oder nicht ermittelte Fahrzeuge verursacht werden). ƒ RL 90/232/EWG (Dritte Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie): Diese enthält u.a. Bestimmungen zur unverzüglichen Entschädigung des Geschädigten bei Uneinigkeit über die Schadenersatzpflicht. ƒ RL 2000/26/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und zur Änderung der RL 73/239/EWG und 88/ 357/EWG des Rates (Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie): Mit dieser Richtlinie werden besondere Vorschriften für Geschädigte festgelegt, die ein Recht auf Entschädigung für einen Sach- oder Personenschaden haben, der bei einem Unfall entstanden ist, welcher sich in einem anderen MS als dem Wohnsitzmitgliedstaat des Geschädigten ereignet hat und der durch die Nutzung eines Fahrzeugs verursacht wurde, das in einem MS versichert ist und dort seinen gewöhnlichen Standort hat. Die MS haben unter anderem sicher zu stellen, dass in der RL genannte Geschädigten, deren Sach- oder Personenschaden bei einem Unfall im Sinne des genannten Artikels entstanden ist, einen Direktanspruch gegen das Versicherungsunternehmen haben, das die Haftpflicht des Unfallverursa489
Haftung der Europäischen Gemeinschaft, allgemein chers deckt. Zudem haben Versicherungsunternehmen, die bestimmte Risiken abdecken, einen Schadenregulierungsbeauftragten zu benennen. Dessen Aufgabe besteht in der Bearbeitung und Regulierung von Ansprüchen, die aus Unfällen im Sinne der RL herrühren. ƒ RL 2005/14/EG zur Änderung der RL 72/166/ EWG, 84/5/EWG, 88/357/EWG und 90/232/ EWG des Rates sowie der RL 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung: Diese RL aktualisiert in unterschiedlicher Hinsicht das Kfz-Haftpflichtversicherungssystem der Gemeinschaft. (sm) §§: RL 72/166/EWG, ABl. 1972, Nr. L 103/1; RL 84/ 5/EWG, ABl. 1984 Nr. L 8/17; RL 90/232/EWG, ABl. 1990, Nr. L 129/33; RL 2000/26/EG, ABl. 2000, Nr. L 181/65; RL 2005/14/EG, ABl. 2005, Nr. L 149/14
Haftung der Europäischen Gemeinschaft, allgemein liability of the Community, general – responsabilité de la Communauté européenne, généralité
Die Haftung der europäischen Gemeinschaft umfasst die ĺvertragliche und die ĺaußervertragliche Haftung und ist in materieller Hinsicht insbesondere in Art. 288 EG geregelt. Zudem enthält Art. 288 EG in Abs. 3 die Haftung der ĺEuropäischen Zentralbank (EZB) und in Abs. 4 die persönliche Haftung der Bediensteten der Gemeinschaftsorgane gegenüber der Gemeinschaft. Dagegen ist die Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nicht in Art. 288 EG geregelt. Einen solchen ĺgemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch hat der ĺEuGH jedoch in Anlehnung an Art. 288 Abs. 2 EG, beginnend mit der Rechtssache ĺFrancovich, entwickelt. Prozessuales Gegenstück zu Art. 288 EG ist Art. 235 EG, der den EuGH für ĺSchadensersatzklagen aus Art. 288 Abs. 2 EG für zuständig erklärt. (jpt) §§: Art. 288 EG Lit.: S. Detterbeck, Haftung der Europäischen Gemeinschaft und gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, AöR 125 (2000) 202; T. Heukels/A. McDonnell (Hrsg.), The Action for Damages in Community Law, 1997; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998
Hallstein, Walter (1901–1982) Professor für Rechtswissenschaften, Staatssekretär im deutschen Außenministerium. Prägte die deutsche Außenpolitik der 1950er Jahre (Hallstein-Doktrin). In deren Zentrum stand das Bestreben nach Verankerung 490
der jungen deutschen Demokratie in Westeuropa. 1951 von ĺAdenerauer als Verhandlungsführer der deutschen Delegation bei den Beratungen über den ĺSchumannplan beauftragt. Erster Präsident der Europäischen Kommission (1958–1969). (gm) Web: http//europa.eu/abc/history/foundingfahters/ hallstein/index_de.htm
Handelsabkommen trade agreement – accord commercial
Die EG hat zahlreiche bi- und multilaterale Handelsabkommen über zollrechtliche und handelspolitische Belange geschlossen. Darunter fallen Freihandelsabkommen, die gemischte Ausschüsse einrichten, welchen das Recht zukommt, Durchführungsbeschlüsse zu fassen, die einen integrierenden Bestandteil des Gemeinschaftsrechts (Rs. 104/81, Kupferberg) bilden und unmittelbar anwendbar sein können. Handelsabkommen werden durch die KOM verhandelt, nachdem der Rat sie dazu ermächtigte, und schließlich mit qualifizierter Mehrheit des Rates nach Anhörung des EP beschlossen. Einstimmigkeitserfordernisse sind im Bereich der GATS und TRIPS-Abkommen vorgesehen. (bb) §§: Art. 133, 300 EG Web: http://ec.europa.eu/trade/issues/bilateral/index_ en.htm
Handelsabkommen, regionale ĺRegionale Handelsabkommen Handelsbeeinträchtigung (Beihilfenrecht) impairment of trade between Member States (EC state aid law) – atteinte aux échanges entre États membres
Die Handelsbeeinträchtigung ist eine von vier Eigenschaften (s. ĺstaatliche Beihilfe), die eine Maßnahme aufzuweisen hat, um von einer verbotenen staatlichen Beihilfe ausgehen zu können. Der Handel i.S.d. Art. 87 Abs. 1 EG umfasst den Waren- und Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Werden Einfuhren und Ausfuhren erschwert oder erleichtert, liegt eine Handelsbeeinträchtigung vor. Entscheidend ist, dass sich der innergemeinschaftliche Handel ohne die Beihilfengewährung anders entwickelt hätte. Herrscht auf einem bestimmten Sektor ein lebhafter Wettbewerb, genügt bereits eine verhältnismäßig geringe Beihilfe, um den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Für die Feststellung einer Handelsbeeinträch-
Harz-Entscheidung tigung besteht kein allgemein anwendbarer Prozentsatz, vielmehr entscheidet die Kommission von Fall zu Fall. (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: W. Mederer, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 87 Abs. 1, Rn. 46 ff.
Handelsbezogene Investitionsmaßnahmen (TRIMS) Trade-Related Investment Measures (TRIMS) – Mesures concernant les investissements et liées au commerce (MIC)
Das Übereinkommen über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen (TRIMS) wurde im Rahmen der Uruguay-Runde verhandelt. Das TRIMS beschränkt sich in seinem Anwendungsbereich auf solche Investitionsmaßnahmen, die den Warenhandel beeinflussen. In Bezug auf solche Investitionsmaßnahmen regelt das TRIMS, dass WTO-Mitglieder keine Maßnahmen anwenden dürfen, die den Verpflichtungen aus Art. III GATT (Inländerbehandlung) oder Art. XI GATT (Verbot mengenmäßiger Beschränkungen) zuwiderlaufen würden. Übergangsvorschriften finden auf Entwicklungsländer und auf die am wenigsten entwickelten Länder Anwendung. Durch Art. 7 des Übereinkommens wird ein Ausschuss für handelsbezogene Investitionsmaßnahmen eingesetzt. (bh) Handelspolitik, Gemeinsame ĺGemeinsame Handelspolitik Handelsspanne manufacturer’s price – marge du distributeur
Die Handelsspanne bezeichnet die Differenz zwischen Netto-Verkaufspreis und Einstandspreis. Sie stellt das Entgelt für die vom Handel erbrachte Leistung dar. Der Begriff ist im Zusammenhang mit dem ĺfreien Warenverkehr als maximale Handelsspanne (s.a. ĺHöchstpreis), Mindesthandelsspanne (s.a. ĺMindestpreis) und feste Handelsspanne (s.a. ĺFestpreis) relevant. (güh) Handlungsort ĺLex loci delicti Handwerkliche Tätigkeiten (Dienstleistungsfreiheit) activities of craftsmen (freedom to provide services) – activités artisanales (libre prestation de services)
Handwerkliche Tätigkeiten werden in Art. 50 EG als Beispiele für ĺDienstleistungen genannt. Dieses nur als demonstratives Beispiel
genannte Kriterium tritt jedoch zur Beurteilung der Frage, ob eine Dienstleistung vorliegt, vor allem hinter die Unterscheidung zwischen ĺselbstständiger und ĺunselbstständiger Tätigkeit zurück. (sh) Harmonisierung ĺRechtsangleichung Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (OHIM) Office for Harmonisation in the Internal Market (Trade Marks and Designs) (OHIM) – Office de l’harmonisation dans le marché intérieur (marques, dessins et modèles) (OHIM)
Mit der VO (EG) 40/94, ABl. 1994, Nr. L 11/1 wurde 1994 erstmals die Möglichkeit der gemeinschaftsweiten Eintragung von Marken, Mustern und Modellen geschaffen und damit – in Koexistenz mit den nationalen Markenrechten – ein System von im gesamten Gebiet der EU gültigen gewerblichen Schutzrechten etabliert. Das Verfahren der Eintragung wie auch die Geltendmachung dieser Rechte im Streitfall erfolgt beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt, das dabei sowohl unabhängig von der Kommission als auch von den mitgliedstaatlichen Behörden agiert. Diese umfassende Unabhängigkeit verlangt nach einer speziellen Struktur. So leitet das Amt ein Präsident (Art. 119 der VO [EG] 2100/94), der nicht auf Vorschlag der Kommission, sondern auf Vorschlag des Verwaltungsrates vom Rat ernannt wird (Art. 120). Ebenso speziell sind die vier beim Amt eingerichteten Beschwerdekammern (Art. 130), die mit unabhängigen Fachleuten besetzt sind (Art. 131) und über Beschwerden gegen die Entscheidungen des Amtes in erster Instanz entscheiden, bevor der EuGH angerufen werden kann. Präsident: Wubbo de Boer Sitz: Alicante, Spanien (gr) §§: Art. 308 EG; VO (EG) 40/94, ABl. 1994, Nr. L 11/ 1 geändert durch VO (EG) 3288/94, ABl. 1994, Nr. L 349/83; VO (EG) 807/2003, ABl. 2003, Nr. L 122/36; VO (EG) 1653/2003, ABl. 2003, Nr. L 245/36; VO (EG) 992/2003, ABl. 2003, Nr. L 296/1 und zuletzt durch VO (EG) 422/2004, ABl. 2004, Nr. L 70/1 Lit.: R. Schulze/M. Zuleeg, Europarecht, 2006, § 21, Rn. 60, D. Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, 70 ff. Web: http://oami.europa.eu/
Harz-Entscheidung Harz case – jurisprudence Harz
Kernurteil des EuGH (Rs. 79/83 Harz, Slg. 1984, 1921) zum Thema der „Bewehrung“ von 491
Hauptrechtsetzungsorgan ĺRichtlinien bei ihrer Umsetzung durch die Mitgliedstaaten (s.a. ĺRichtlinien, Umsetzung, Inhalt). In dieser zu einem Rechtsstreit zwischen zwei Privaten, Frau Dorit Harz und dem Unternehmen Tradax, eingeholten ĺVorabentscheidung hat der EuGH zur RL 76/207 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. 1976, Nr. L 39/40, ausgesprochen, dass deren unmittelbare Wirkung ausgeschlossen ist, da die ĺRichtlinie hinsichtlich der Sanktionen einer etwaigen Diskriminierung keine unbedingte und hinreichend bestimmte Verpflichtung enthält. Der Einzelne kann sich in diesem Fall nicht unmittelbar auf die RL stützen, um Wiedergutmachung für die Diskriminierung zu erlangen. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, bei der Umsetzung der RL Sanktionen vorzusehen, die geeignet sind, einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten und abschreckende Wirkung gegenüber den Arbeitgebern zu entfalten. (zc)
wirkung „erheblich“ im Sinne des Art. 270 EG ist, beurteilt sich danach, ob diese die im Rahmen des Haushaltskreislaufs unvermeidbaren üblichen Schwankungen und Abweichungen deutlich übersteigt (C. Waldhoff, in: C. Calliess/ M. Ruffert [Hrsg.], Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 268, Rn. 3). Die durch Art. 270 EG geregelte Haushaltsdisziplin beschränkt sich darauf, die Kommission auf prognostische Seriosität im Hinblick auf die Finanzierbarkeit ihrer Tätigkeiten zu verpflichten. Die davon zu unterscheidende Frage, ob eine finanzierbare Aufgabe notwendig, finanzwirtschaftlich sinnvoll und im Interesse einer nachhaltigen Finanzpolitik sachgerecht ist, bleibt damit den politischen Akteuren überlassen. (gär) §§: Art. 270 EG Lit.: K. Kuhlmann, Die Haushaltsdisziplin der Europäischen Gemeinschaften, 1997; C. Waldhoff, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 268
Haushaltseinheit ĺHaushaltsgrundsätze
Web: http://curia.europa.eu
Hauptrechtsetzungsorgan ĺRechtsetzungsverfahren des Rates Hauptverfahren (Beihilfenrecht) ĺFormelles Prüfverfahren Haushaltsausgleich ĺHaushaltsgrundsätze Haushaltsdisziplin fiscal discipline – discipline budgétaire
Eine Festlegung der Kommission auf die Haushaltsdisziplin enthält Art. 270 EG. Danach unterbreitet die Kommission keine Vorschläge für Rechtsakte der Gemeinschaft, ändert nicht ihre Vorschläge und erlässt keine Durchführungsmaßnahme, die erhebliche Auswirkungen auf den ĺHaushaltsplan haben könnte, ohne die Gewähr zu bieten, dass der betreffende Vorschlag bzw. die betreffende Maßnahme im Rahmen der ĺEigenmittel der Gemeinschaft finanziert werden kann. Die Finanzierbarkeit setzt eine finanzwirtschaftliche Prognose über die jeweils zu erwartende Höhe der Ausgaben und Einnahmen voraus, die nur auf ihre Vertretbarkeit hin kontrollierbar ist. Ob eine Aus492
Haushaltsgrundsätze budgetary principles – principes budgétaires
Das Haushaltsrecht der Europäischen Gemeinschaft sieht bestimmte allgemeine Grundsätze vor, die Strukturvorgaben für die Aufstellung und den Vollzug des Gemeinschaftshaushalts enthalten. Haushaltsgrundsätze enthalten danach zum einen normative Aussagen für die Haushaltsführung. Zum anderen werden hierunter aber auch grundlegende dogmatische Prinzipien gefasst, mit denen konzeptionelle Grundstrukturen des Haushaltsrechts sichtbar gemacht werden sollen. Die wichtigste Quelle gemeinschaftsrechtlicher Haushaltsgrundsätze stellt Art. 268 Abs. 1 EG dar. Danach werden alle Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft für jedes Haushaltsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingesetzt. Nach Art. 268 Abs. 3 EG ist der Haushaltsplan in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen. Eine detaillierte, das Primärrecht konkretisierende und teilweise auch ergänzende Ausgestaltung haben diese in den Art. 3 ff. der ĺHaushaltsordnung (HO) gefunden. Im Einzelnen lassen sich hierbei folgende Haushaltsgrundsätze identifizieren: ƒ der Grundsatz der Vollständigkeit und der Haushaltseinheit (1.); ƒ das Vorherigkeitsprinzip (2.);
Haushaltsgrundsätze ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
das Spezialitätsprinzip (3.); der Grundsatz des Haushaltsausgleichs (4.); das Bruttoprinzip (5.); der Grundsatz der Gesamtdeckung (6.); der Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit (7.); ƒ Transparenzprinzip (8.). 1. Der Grundsatz der Vollständigkeit und Haushaltseinheit verlangt, dass alle geplanten Einnahmen und Ausgaben vollständig in einem Haushaltsplan veranschlagt werden (vgl. Art. 268 Abs. 1 EG). Nebenhaushalte („Parafiski“) sind daher unzulässig. Dies dient der Erleichterung öffentlicher Finanzplanung und der Sicherstellung der späteren Kontrolle. Durchbrochen wird dieser Grundsatz für die nach Art. 266 Satz 1 EG rechtlich verselbstständigte Europäische Investitionsbank, die über einen eigene Haushalt verfügt (vgl. Art. 267 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EG). 2. Der Grundsatz der Vorherigkeit des Haushalts bestimmt, dass die benötigten Haushaltsmittel im Rahmen der Etataufstellung bewilligt werden müssen, bevor sie ausgegeben werden. Hierdurch wird die (parlamentarische) Steuerungsfunktion des Haushaltsrechts gewährleistet. Das ĺHaushaltsverfahren, das in Art. 272 Abs. 3 bis 7 EG eine nähere Ausformung erfahren hat, operiert daher mit normativ vorgegebenen Fristen. So muss etwa der Vorentwurf des ĺHaushaltsplans von der Kommission spätestens am 1. September des Vorjahres vorgelegt werden (Art. 272 Abs. 3 EG). Das Vorherigkeitsprinzip wird durch Art. 49 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 HO dahingehend erweitert, dass Haushaltsmittel, die für eine Maßnahme der Gemeinschaften im Haushaltsplan veranschlagt wurden, nur verwendet werden dürfen, wenn zuvor ein Basisrechtsakt erlassen worden ist. Ausnahmen hiervon enthält Abs. 2. Nach der Legaldefinition des Art. 49 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 1 HO ist ein Basisrechtsakt ein abgeleiteter Rechtsakt, der der Tätigkeit der Gemeinschaft oder der Union sowie der Ausführung der im Haushaltsplan ausgewiesenen Ausgabe eine rechtliche Grundlage verleiht. Folglich sind nach Art. 49 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 2 HO Empfehlungen und Stellungnahmen sowie Entschließungen, Schlussfolgerungen, Erklärungen und sonstige Rechtsakte, die keine rechtlichen Wirkungen haben, keine Basisrechtsakte. Durch die Voraussetzung eines vorherigen Basisrechtakts wird die Vollziehbarkeit
einer haushaltsrechtlichen Ermächtigung, die an sich von einer sachlichen Rechtsgrundlage unabhängig ist, letztlich in Abhängigkeit von außenwirksamen Rechtsgrundlage gebracht. 3. Das Spezialitätsprinzip (Art. 21 ff. HO) bestimmt, dass die Gemeinschaftsorgane nach sachlicher Spezialität zur Verfügung stehende Finanzmittel nur zu dem Zweck verwenden dürfen, zu dem sie bewilligt wurden. Das Spezialitätsprinzip, das unmittelbarer Ausdruck der Normativität des Haushaltsplanes ist, stellt dessen sachliche Steuerungsfähigkeit her, da Finanzmittel im Etat nicht nur in einer bestimmten Höhe, sondern zugleich zweckgebunden bewilligt werden. Um die Steuerungswirkung des Spezialitätsprinzips operabel zu halten, bedarf es eines angemessen spezifizierten bzw. differenzierten Haushaltsplans, der also hinreichend konkrete Zweckbindungen der angesetzten Ausgaben vorschreibt. In der Praxis wird der Haushaltsplan daher zunächst ressortspezifisch untergliedert und in Teileinheiten (Titel, Kapitel, Artikel, Posten) aufgeschlüsselt (s. C. Waldhoff, in: C. Calliess/M. Ruffert [Hrsg.], EGV/ EUV, 3. Aufl. 2007, Art. 268, Rn. 23). Eine Durchbrechung erfährt der Spezialitätsgrundsatz in Art. 274 Abs. 3 EG, wonach die Kommission nach Maßgabe der HO (s. dort Art. 22-26) Mittel von Kapitel zu Kapitel oder von Untergliederung zu Untergliederung übertragen kann. 4. Der Grundsatz des Haushaltsausgleichs ergibt sich aus Art. 268 Abs. 3 EG (s.a. Art. 14 f. HO). Da die Haushaltsplanung auf einer Einnahmen- und Ausgabenprognose beruht, können sich im Rahmen des ĺHaushaltsvollzugs Abweichungen ergeben, also entweder Überschüsse durch Mehreinnahmen oder Minderausgaben anfallen oder Defizite durch Mindereinnahmen oder Mehrausgaben entstehen. Der Grundsatz des Haushaltsausgleichs setzt sich hier durch eine fortgesetzte Veranschlagungspflicht im Rahmen des Folgehaushalts fort: Der Saldo jedes Haushaltsjahrs wird, je nachdem, ob es sich um einen Überschuss oder einen Fehlbetrag handelt, bei den Einnahmen oder den Zahlungsermächtigungen in den Haushaltsplan des folgenden Haushaltsjahrs eingestellt (Art. 15 Abs. 1 HO; s. für Überschüsse auch Art. 7 Abs. 1 Eigenmittelbeschluss [2000/597/ EG, Euratom, ABl. 2000, Nr. L 253/42]). Unbeschadet dessen beschränkt sich Art. 268 Abs. 3 EG im Hinblick auf die Ordnungs493
Haushaltsjahr funktion des Haushaltsrechts nicht allein auf das Erfordernis einer rein formellen Ausgeglichenheit. Vielmehr wird mit Recht dem Primärrecht auch ein materielles Prinzip des Haushaltsausgleichs entnommen, wonach die vorgesehenen Ausgabeposten mit den veranschlagten Finanzmitteln finanzwirtschaftlich überhaupt finanzierbar sein müssen (C. Waldhoff, ebd., Rn. 25 m.w.N.; s.a. ĺHaushaltsdisziplin). Der Sache nach muss also die Prognose über die zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben finanzwirtschaftlich vertretbar sein, was gegebenenfalls unter Berücksichtigung bestehender parlamentarischer Beurteilungsspielräume im Falle einer Anfechtung des Feststellungsbeschlusses nach Art. 230 EG (ĺHaushaltsplan) vom EuGH im Hinblick auf die Einhaltung des Vertretbarkeitsspielraumes kontrolliert werden kann. 5. Das Bruttoprinzip (Art. 17 Satz 2 HO) besagt, dass Einnahmen und Ausgaben in voller Höhe und voneinander getrennt (also ohne Saldierung) im Haushalt zu veranschlagen sind. Ausnahmen vom Bruttoprinzip enthält Art. 20 HO, wonach in bestimmten Fällen eine Saldierung zulässig ist. 6. Der Grundsatz der Gesamtdeckung (Art. 17 Satz 1 HO) besagt, dass die gesondert auszuweisenden Einnahmen in ihrer Gesamtheit der Deckung der veranschlagten Ausgaben in ihrer Summe dienen. Grundsätzlich sind daher zweckgebundene Einnahmen unzulässig. Ausnahmen hiervon, wonach im Einzelfall bestimmte Einnahmen zweckgebunden bleiben, enthält Art. 18 HO. Das Gesamtdeckungsprinzip findet seine Grundlage im Übrigen bereits in Art. 6 Eigenmittelbeschluss (2000/597/EG, Euratom, ABl. 2000, Nr. L 253/42), wonach die Eigenmitteleinnahmen unterschiedslos der Finanzierung aller im Haushaltsplan ausgewiesenen Ausgaben dienen. 7. Der Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit hat in Art. 270, 274 Abs. 1 EG, Art. 27 HO Ausdruck gefunden, gilt hier aber nur für den ĺHaushaltsvollzug durch die Kommission. Im Rahmen der Haushaltsaufstellung bleiben Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit lediglich politische Ziele, sind jedoch kein Rechtsprinzip, dass die Bewilligung von Ausgaben verbietet, für die die erforderlichen Mittel von der Gemeinschaft aufgebracht werden können. Allerdings obliegen der Kommission nach Art. 28 Abs. 2 HO bestimmte Informationspflichten inner494
halb des ĺHaushaltsverfahrens, die der Erleichterung sparsamer und wirtschaftlicher Haushaltsaufstellung dienen. Nach Art. 274 Abs. 1 Satz 2 EG obliegt den Mitgliedstaaten eine – insoweit Art. 10 EG konkretisierende – Kooperationspflicht, um die sicherzustellen, dass die Gemeinschaftsmittel nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit verwendet werden. 8. Schließlich positiviert Art. 29 HO das Transparenzprinzip, das insbesondere die Veröffentlichung des Haushalts im Amtsblatt vorsieht. Eine wichtige Ausformung dieses allgemeinen Grundsatzes stellt die Transparenz der externen Finanzkontrolle durch den ĺRechnungshof dar. In diesem Sinne bestimmt Art. 30 der Geschäftsordnung des Rechnungshofes, dass jeder Bürger der Union und jede natürliche oder juristische Person, die ihren Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat hat, unter den allgemeinen Voraussetzungen ein Recht auf Zugang zu den Dokumenten des Rechungshofes hat. (gär) §§: Art. 268, Art. 270, Art. 272, Art. 274 EG; Art. 3 ff. Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002) Lit.: F. Fugmann, Der Gesamthaushalt der EG, 1992; C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, 2001; R. Heller, Haushaltsgrundsätze für Bund, Länder und Gemeinden, 1998; C. Waldhoff, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 268, Rn. 19 ff.
Haushaltsjahr financial year – l’exercice budgétaire
Das Haushaltsjahr beginnt gem. Art. 272 Abs. 1 EG am 1. Januar und endet am 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres. Nach dem Grundsatz der Vorherigkeit (ĺHaushaltsgrundsätze) ist für jedes Haushaltsjahr vorab im ĺHaushaltsverfahren ein ĺHaushaltsplan aufzustellen. (gär) §§: Art. 272 Abs. 1 EG
Haushaltsordnung financial regulation applicable to the general budget – règlement financier applicable au budget général
Die Haushaltsordnung wird vom Rat einstimmig, auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments sowie des ĺRechungshofes beschlossen (Art. 279 Abs. 1 Satz 1 lit. a EG). Ab dem 1.1.2007 beschließt der Rat abweichend hiervon über die Haushaltsordnung mit qualifizierter Mehrheit (Art. 279 Abs. 1 Satz 2 EG). In der Haushalts-
Haushaltsverfahren ordnung werden insbesondere die Aufstellung und Ausführung des ĺHaushaltsplans sowie die ĺRechnungslegung und ĺRechnungsprüfung in ihren näheren Einzelheiten geregelt. Die Haushaltsordnung wurde zuletzt 2002 in der Rechtform einer Verordnung erlassen (VO [EG, Euratom] 1605/2002 des Rates vom 25. 6. 2002 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 2002, Nr. L 248/1). Sie gliedert sich in folgende Abschnitte: ƒ ĺHaushaltsgrundsätze (Art. 3 ff.); ƒ Aufstellung und Gliederung des ĺHaushaltsplans (Art. 31 ff.); ƒ ĺHaushaltsvollzug (Art. 48 ff.); ƒ öffentliche Auftragsvergabe (Art. 88 ff. ĺAuftrag, öffentlicher); ƒ ĺFinanzhilfen (Art. 108 ff.); ƒ ĺRechnungslegung (Art. 121 ff.); ƒ ĺexterne Kontrolle und ƒ ĺEntlastung (Art. 139 ff.). (gär) §§: Art. 279 Abs. 1 EG; Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002)
Haushaltsplan budget – état prévisionnel
Der Haushaltsplan wird als Anhang zum Feststellungsbeschluss nach Art. 272 Abs. 7 EG nach Abschluss des ĺHaushaltsverfahrens rechtsverbindlich festgestellt. Der Feststellungsbeschluss ermächtigt (nicht verpflichtet) die Organe der Gemeinschaft, die veranschlagten Ausgaben zu tätigen. Der Haushaltsplan verpflichtet zwar die Mitgliedstaaten, soweit die zu leistenden Eigenmittelanteile verbindlich festgesetzt werden. Er besitzt jedoch als Verwaltungsinternum keine Außenwirkung, auf die sich die Bürger der Gemeinschaft unmittelbar berufen könnten (EuGH, Rs. 216/83, 295/83 u.a. [Les Verts], Slg. 1984, 3325, Rn. 7; Rs. 87, 130/ 77 u.a. [Salerno], Slg. 1985, 2523, Rn. 56). Der Haushaltsplan enthält nach Art. 268 Abs. 1 EG die Veranschlagung aller Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft. Nähere Regelungen zur Struktur des Haushaltsplanes finden sich in der ĺHaushaltsordnung (s. dort Art. 31 ff.). Inhaltlich gelten für den Haushaltsplan vor allem die ĺHaushaltsgrundsätze der Gemeinschaft, namentlich die Vorherigkeit, die Vollständigkeit, die Spezialität, das Bruttoprinzip sowie die Prinzipien der Ausgeglichenheit und der Gesamtdeckung. Der Feststellungsbeschluss, als dessen Anlage nach Art. 272 Abs. 7 EG der Haushaltsplan be-
schlossen wird, stellt zwar einen Gemeinschaftsrechtsakt sui generis dar, auf den Art. 249 EG insoweit keine Anwendung findet. Er ist aber nach Art. 230 EG mit der Nichtigkeitsklage, die andere Gemeinschaftsorgane gegen das Parlament erheben, anfechtbar (EuGH, Rs. 24/86 Rat/ Parlament, Slg. 1986, 2155, Rn. 4 ff.; Rs. C-284/ 90 Rat/Parlament, Slg. 1992, I-2277, Rn. 12 f.). (gär) §§: Art. 268 Abs. 1, Art. 272 Abs. 7 EG; Art. 31 ff. Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002) Lit.: S. R. Bieber, Die Ausgaben der Europäischen Gemeinschaft, EuR 1982, 115; U. Häde, Die Finanzverfassung der Europäischen Gemeinschaft, EuZW 1993, 401; S. Hölscheidt, Das Haushaltsrecht der Europäischen Gemeinschaften, DÖV 1989, 537; C. Waldhoff, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 268 EGV, Rn. 15 ff.
Haushaltsverfahren budgetary procedure – établissement du budget
Das Haushaltsverfahren dient der Feststellung des ĺHaushaltsplans, der die eingesetzten Ausgaben der Gemeinschaft bewilligt und damit Finanzmittel für die Organe der Gemeinschaft verfügbar macht. Das Haushaltsverfahren hat eine nähere Ausdifferenzierung in Art. 272 EG erfahren. Die bezeichnete Bestimmung regelt ein mehrstufiges und komplexes Verfahren, an dem die Kommission, der Rat und als abschließend entscheidendes Organ des Europäische Parlament beteiligt sind (s. übersichtlich hierzu R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 588). Während das Initiativrecht für die Aufstellung des Haushalts bei der Kommission liegt, kommt dem Europäischen Parlament eine zentrale Rolle bei der Verabschiedung und damit Legitimation des Haushaltes zu. Insoweit hat hier eine Annäherung an das aus den nationalen Verfassungen bekannte parlamentarische Budgetrecht stattgefunden. Nähere Konkretisierungen des Haushaltsverfahrens enthalten die Art. 31 ff. der ĺHaushaltsordnung. Jedes Organ der Gemeinschaft stellt gem. Art. 272 Abs. 2 Satz 1 EG vor dem 1. Juli des dem jeweiligen ĺHaushaltsjahr vorausgehenden Jahres einen Haushaltsvoranschlag für seine Ausgaben auf. Die Kommission fasst diese Voranschläge in einem Vorentwurf für den ĺHaushaltsplan zusammen, der Ansätze der Einnahmen und Ausgaben enthält. Sie fügt eine Stellungnahme bei, die abweichende Voranschläge enthalten kann. Der Vorentwurf des Haushaltsplans wird von der Kommission spätestens am 1. September des dem jeweiligen Haushaltsjahr vorausgehenden Jahres vorgelegt (Art. 273 495
Haushaltsvollzug Abs. 3 EG). Der Entwurf wird daraufhin im Benehmen mit der Kommission vom Rat mit qualifizierter Mehrheit verabschiedet und spätestens am darauffolgenden 5. Oktober dem Europäischen Parlament zugeleitet (Art. 272 Abs. 4 Satz 1 EG). Das Europäische Parlament ist nach Art. 272 Abs. 4 Satz 2 EG berechtigt, den Entwurf des Haushaltsplans mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder abzuändern oder mit der absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen dem Rat Änderungen dieses Entwurfs in Bezug auf die Ausgaben vorzuschlagen, die sich zwingend aus dem Vertrag oder den aufgrund des Vertrags erlassenen Rechtsakten ergeben. Der Haushalt wird grundsätzlich in zwei Lesungen durch das Europäische Parlament verabschiedet. Hat das Europäische Parlament binnen fünfundvierzig Tagen nach Vorlage des Entwurfs des Haushaltsplans seine Zustimmung erteilt, so ist dieser gem. Art. 274 Abs. 4 UAbs. 2 Satz 1 EG endgültig festgestellt. Hat es innerhalb dieser Frist den Entwurf des Haushaltsplans weder abgeändert noch Änderungen vorgeschlagen, so gilt der Haushaltsplan gem. Art. 274 Abs. 4 UAbs. 2 Satz 2 EG als endgültig festgestellt. Hat das Europäische Parlament innerhalb dieser Frist Abänderungen vorgenommen oder Änderungen vorgeschlagen, so wird der Entwurf des Haushaltsplans gem. Art. 274 Abs. 4 UAbs. 3 EG mit den entsprechenden Abänderungen oder Änderungsvorschlägen dem Rat zugeleitet. Der Haushaltsplan wird anschließend durch den Parlamentspräsidenten festgestellt (Art. 272 Abs. 7 EG), was zum Inkrafttreten führt. Vom Parlament vorgenommene Änderungen binden den Rat nur begrenzt, da dieser mit qualifizierter Mehrheit parlamentarische Änderungen des Haushaltsplanes erneut ändern darf (Art. 272 Abs. 5 UAbs. 1 lit. a EG). Die Mitwirkungskompetenz des Parlaments ist aber von entscheidendem politischen Gewicht und durch das Erfordernis der qualifizierten Mehrheit auch durch prozedurale Arrangements entscheidend verstärkt, was den Druck zur kooperativen Entscheidungsfindung erhöht. Mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder und mit zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen kann das Parlament zudem „aus wichtigen Gründen“ den Haushalt ablehnen und die Vorlage eines neuen Entwurfes verlangen (Art. 272 Abs. 8 EG). Das Haushaltsverfahren wird dann erneut in Gang gesetzt, und zwar auf der Stufe der Entscheidungsfindung, auf der der zu bereinigende Dissens aufgetreten ist. Wichtige 496
Gründe, die eine Globalablehnung rechtfertigen, können sowohl rechtlicher als auch finanzpolitischer Natur sein, wobei dem Parlament als dem politisch-legitimatorischen Hauptakteur der Haushaltsbewilligung ein – nur begrenzt überprüfbarer – weiter Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Wichtigkeit politischer Ablehnungsgründe zuzugestehen ist. Im Zweifel obliegt es also der Kommission, das Parlament von der politischen und rechtlichen Vertretbarkeit seines Haushaltsentwurfes zu überzeugen. Scheitert die Verabschiedung des Haushaltsplans bis zum Beginn eines Haushaltsjahres, können notwendige Ausgaben nur noch im Rahmen einer so genannten ĺNothaushaltsführung (Art. 273 EG) getätigt werden. Eine Neugestaltung hat das Haushaltsverfahren in Art. III-404 Abs. 4-8 VVE erfahren, die vor allem institutionelle Konsequenzen aus dem Fortfall der Unterscheidung zwischen zwingenden und nicht-zwingenden Ausgaben Rechnung trägt (vgl. J. Schoo, Finanzen und Haushalt, 132 ff.; R. Streinz/C. Ohler/C. Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, 2005, 45). (gär) §§: Art. 272 EG; Art. 31 ff. Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002) Lit.: S. Hölscheidt, Das Haushaltsrecht der Europäischen Gemeinschaften, DÖV 1989, 542; S. Magiera, Die Haushaltsbefugnisse des Europäischen Parlaments – Ansatz zur parlamentarischen Mitregierung auf Gemeinschaftsebene?, in: I. Münch (Hrsg.), Staatsrecht – Völkerrecht – Europarecht. FS für H.-J. Schlochauer, 1981, 829; M. Rossi, Europäisches Parlament und Haushaltsverfassungsrecht, 1997; J. Schoo, Finanzen und Haushalt, in: J. Schwarze (Hrsg.), Der Verfassungsentwurf des Europäischen Parlaments, 2004, 127 ff.; D. R. Theato/R. Graf, Das Europäische Parlament und der Haushalt der Europäischen Gemeinschaft, 1994
Haushaltsvollzug implementation of the budget – exécution du budget
Unter Haushaltsvollzug ist die Ausführung des Haushaltsplans durch die darin zu finanzwirksamen Handlungen ermächtigten Organe der Gemeinschaft. 1. Die am Vollzug beteiligten Organe: Nach Art. 274 EG führt die Kommission den ĺHaushaltsplan nach Maßgabe der ĺHaushaltsordnung (HO) in eigener Verantwortung und im Rahmen der zugewiesenen Mittel entsprechend dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung (ĺHaushaltsgrundsätze) aus. Die näheren Einzelheiten sind in den Art. 48 ff. HO geregelt. Was den Haushaltsvollzug durch andere Organe
Haustürgeschäftsrichtlinie neben der Kommission betrifft, bestimmt Art. 50 HO, dass die Kommission den anderen Organen die erforderlichen Befugnisse zur Ausführung der sie betreffenden Einzelpläne zuerkennt. Anderer Organe sind daher zwar einerseits auf eine entsprechende Befugnisdelegation durch die Kommission angewiesen, haben aber andererseits auch einen Anspruch auf die Übertragung von Haushaltsvollzugskompetenzen im Rahmen der sie betreffenden Teilpläne. Von besonderer praktischer Bedeutung sind hierbei die vermehrt eingerichteten Exekutivagenturen (Art. 54 Abs. 2 lit. a, Art. 55 HO). 2. Die Voraussetzungen des Haushaltsvollzugs: Die Vollziehbarkeit eines Haushaltstitels setzt nach Art. 49 Abs. 1 HO grundsätzlich einen Basisrechtsakt voraus (ĺHaushaltsgrundsätze). Im Interesse unvoreingenommener Haushaltsführung und der Verhinderung von Finanzmittelzweckentfremdungen zum Nachteil der Gemeinschaft untersagt Art. 51 HO befangenen Amtswaltern die Vornahme von Haushaltsvollzugshandlungen (Befangenheit). Das wichtigste Steuerungsmittel zur Gewährleistung eines rechtmäßigen, ordnungsgemäßen und wirtschaftlichen Haushaltsvollzugs sind die interne Verwaltungsorganisation (Art. 58 ff. HO), die sich insbesondere in den getrennten Funktionen der ĺAnweisungsbefugnis und der ĺRechnungsführung verwirklicht, und die interne Finanzkontrolle (Art. 85 ff. HO). Der Haushalt wird durch verschiedene Handlungen vollzogen, deren formelle Voraussetzungen in Art. 69 ff. näher geregelt sind. Die wesentlichen Grundtypen haushaltswirksamer Handlungen sind ƒ ĺEinnahmen (Art. 69 ff. HO), die gegebenenfalls durch ĺEinziehung (Art. 73 HO) bereitgestellt werden müssen; ƒ ĺAusgaben (Art. 75 ff. HO). Die strikte Bindung an den Haushaltsplan nach dem Spezialitätsprinzip (ĺHaushaltsgrundsätze) erfährt eine Lockerung durch Art. 274 Abs. 3 EG: Die Kommission kann danach im Rahmen der Haushaltsordnung Mittel von Kapitel zu Kapitel oder von Untergliederung zu Untergliederung übertragen. Die näheren Einzelheiten sind in der Art. 22 ff. HO geregelt. 3. Die organisationsrechtlichen Typen des Haushaltvollzugs: Der Haushaltsvollzug durch die Kommission erfolgt gem. Art. 53 Abs. 1 HO ƒ nach dem Prinzip der zentralen Mittelverwaltung: Hier werden die entsprechenden
Aufgaben des Haushaltsvollzugs direkt in den Dienststellen der Kommission oder indirekt in ausgegliederten Dienststellen der Gemeinschaft erfüllt (Art. 53 Abs. 2 HO). Dies entspricht dem zentralen Vollzugsmodus des EG-Eigenverwaltungsrechts. ƒ nach dem Prinzip der geteilten oder dezentralen Verwaltung: Bei der geteilten Mittelverwaltung überträgt die Kommission den Mitgliedstaaten Haushaltsvollzugsaufgaben (Art. 53 Abs. 3 HO). Hier erfolgt also der Haushaltsvollzug im „Verwaltungsverbund“ zwischen Kommission und mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden. Bei der dezentralen Mittelverwaltung überträgt die Kommission Drittländern Haushaltsvollzugsaufgaben (Art. 53 Abs. 4 HO). ƒ nach dem Prinzip der gemeinsamen Verwaltung mit internationalen Organisationen: Hier werden bestimmte Aufgaben nach Maßgabe der zu erlassenden Durchführungsbestimmungen internationalen Organisationen des Völkerrechts übertragen, soweit diese gleichwertige Standards des Haushaltvollzugs aufweisen (Art. 53 Abs. 7 HO). 4. Kooperation beim Haushaltsvollzug: Die Mitgliedstaaten arbeiten hierbei als Ausformung der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EG) mit der Kommission zusammen, um sicherzustellen, dass die Mittel nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung verwendet werden (Art. 274 Abs. 3 EG). Konkretisierungen, insbesondere qualifizierte Prüfpflichten, finden sich namentlich in Art. 53 Abs. 6 HO. (gär) §§: Art. 48 ff. Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002)
Haustürgeschäftsrichtlinie directive to protect the consumer in respect of contracts negotiated away from business premises – directive concernant la protection des consommateurs dans le cas de contrats négociés en dehors des établissements commerciaux
Ziel der HaustürgeschäftsRL, einer reinen VerbraucherschutzRL (ĺVerbraucherschutzRL, reine) und ĺMindestRL, ist es, den Verbraucher vor der Überrumpelungsgefahr zu schützen, die bei außerhalb der Geschäftsräume des Gewerbetreibenden auf dessen Initiative hin geschlossenen Verträgen über Waren und Dienstleistungen besteht. Gleichzeitig soll durch die Angleichung der divergierenden, einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in diesem Bereich 497
Headline Goal 2010 das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes sowohl auf Anbieter- als auch auf Nachfragerseite (ĺBegründungsdreiklang) gestärkt werden. Die RL findet Anwendung auf Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern über Waren oder Dienstleistungen, wenn diese während eines vom Gewerbetreibenden außerhalb von seinen Geschäftsräumen organisierten Ausflugs oder anlässlich eines Besuchs des Gewerbetreibenden beim Verbraucher in seiner Wohnung bzw. jener eines anderen Verbrauchers sowie beim Verbraucher an seinem Arbeitsplatz abgeschlossen wurde (Art. 1 Abs. 1 RL). Voraussetzung ist allerdings, dass der Besuch nicht vom Verbraucher angebahnt wurde. Die Beweislast für die behauptete Anbahnung trifft den Gewerbetreibenden. Auf Verträge über andere Warenlieferungen oder Dienstleistungen als diejenigen, für die der Verbraucher den Gewerbetreibenden um einen Besuch gebeten hat, sind die Bestimmungen der RL jedoch anwendbar, sofern der Verbraucher im Zeitpunkt seiner Bitte nicht gewusst hat oder aus vertretbaren Gründen nicht wissen konnte, dass die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Gewerbetreibenden auch diese anderen Waren oder Dienstleistungen umfasst (Art. 1 Abs. 2 RL). Ebenso gilt die RL für Sachverhalte mit den Abs. 1 und 2 vergleichbarem Gefahrenpotenzial (Art. 1 Abs. 3 und 4 RL). Die besondere Überrumpelungsgefahr liegt darin begründet, dass der Verbraucher einerseits keine Möglichkeit hat, Qualität und Preis des Angebots am Markt zu vergleichen. Andererseits wird er mitunter nicht nur um die Möglichkeit gebracht, andernorts zu besseren Konditionen abzuschließen, sondern trifft er auch Vereinbarungen, die er überhaupt nie gewollt hat. Um dem entgegenzuwirken, sieht die Richtlinie ein Rücktrittsrecht vor, das der Verbraucher innerhalb von 7 Tagen ab erfolgter schriftlicher Belehrung über selbiges ohne Angabe von Gründen ausüben kann (Art. 5 RL). Die Rechtsfolgen des Rücktritts richten sich nach einzelstaatlichem Recht (Art. 7 RL). Bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung über das Rücktrittsrecht steht dieses unbefristet zu (EuGH 13.12.2001, Rs. C-481/99 Heininger, Slg. 2001, I-9945). Keine Geltung beansprucht die RL für Verträge über den Bau, den Verkauf und die Miete von Immobilien sowie für Verträge über andere Rechte an diesen (Art. 3 Abs. 1 RL). Ebensowenig gilt die RL für periodisch wiederkehrende Lebensmittel- und Getränkelieferungen, den 498
Versandhandel auf Basis von Katalogen und Versicherungs- und Wertpapiergeschäfte (Art. 3 Abs. 2 RL). (pa) §§: RL 85/577/EWG des Rates vom 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. 1985, Nr. L 372/31 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/ H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Headline Goal 2010 ĺFähigkeiten, militärische Health Claims Verordnung Health Claims regulation – règlement Health Claims
Die VO (EG) 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben für Lebensmittel (sog. Health Claims Verordnung) unterzieht zukünftig diesbezügliche ĺAngaben für ĺLebensmittel innerhalb der EU einheitlichen Vorgaben. Diese besonderen Vorschriften über die ĺLebensmittelkennzeichnung ermöglichen eine einheitliche gemeinschaftsweite Vermarktung entsprechend beworbener Lebensmittel und reduzieren Gefahren, die die unterschiedlichen und zum Teil widersprüchlichen Auffassungen der einzelnen Mitgliedstaaten über die Zulassung gesundheits- und nährwertbezogener Angaben für den Binnenmarkt mit sich bringen. Primäres Ziel der Verordnung ist es daher, einen Ausgleich zwischen den Regelungszielen des Binnenmarktes, des Verbraucherschutzes und dem Wettbewerb zu gewährleisten. Die Verordnung enthält europaweit einheitliche Vorgaben und Kriterien für nährwertbezogene Angaben (wie „ohne Zucker“ oder „mit hohem Ballaststoffgehalt“) sowie ebensolche für gesundheitsbezogene Angaben. Darüber hinaus ermöglicht die Verordnung künftig auch Angaben über die Reduzierung von Krankheitsrisiken. Um die Voraussetzungen festzulegen, unter denen nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben zulässig sind, enthält die Verordnung einen Nährwertprofilansatz. Dieser definiert die wichtigsten Kriterien für Nährstoffe, die ein Lebensmittel enthalten muss, um eine nährwert- oder gesundheitsbezogene Kennzeichnung führen zu dürfen. Die Nährwertprofile, die eine Irreführung des Verbrauchers verhindern und eine gesunde, ausgewogene Ernährung gewährleisten sollen, werden auf Grundlage der wissenschaftlichen Bewertung der
Heranführungsstrategie ĺEuropäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit erstellt. Insbesondere die Grenzwerte zulässiger Nährwerthöchstgehalte in den einzelnen Lebensmitteln sowie eine Liste zugelassener gesundheitsbezogener Angaben müssen noch erarbeitet werden, um Herstellern und Inverkehrbringern von Lebensmitteln entsprechende Angaben auf ihren Produkten zu ermöglichen. Für die ĺZulassung gesundheitsbezogener Angaben hat die EFSA bereits Leitlinien für das Zulassungsverfahren nach Art. 14, 15 der VO (EG) 1924/2006 veröffentlicht. Im sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung dienen diese Nährwertprofile als Zulässigkeitsvoraussetzung der „Claims“ und verdrängen das bisher im Lebensmittelrecht allgemein geltende Missbrauchsprinzip. Im Gegensatz zu einer früheren Fassung des Verordnungsentwurfs wurde der Nährwertprofilansatz jedoch weitgehend relativiert, indem man zu Recht das Zulassungsverfahren verkürzte sowie die Möglichkeit eines vereinfachten Zulassungsverfahrens für innovative gesundheitsbezogene Angaben schuf. Zudem wurden generelle Werbeverbote bis auf einige Ausnahmen gestrichen. Den Verordnungsvorschlag der Kommission zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben über Lebensmittel hat das Europäische Parlament am 16.5.2006 (ABl. 18.5.2006, Nr. C 117/ 187) bestätigt. Nach Zustimmung der Mitgliedstaaten ist die Verordnung am 30.12.2006, nach über dreijähriger, außergewöhnlich strittiger Diskussion, veröffentlicht und bereits am 18.1. 2007 berichtigt worden. Die Verordnung tritt seit Mitte März 2007 schrittweise in Kraft. Für nährwertbezogene Angaben wie „zuckerfrei“, „fettarm“ oder „leicht“ findet die Verordnung seit 1.7.2007 Anwendung. Diesbezügliche spezifische Verwendungsbedingungen sind in einer Liste im Anhang der Verordnung geregelt. Danach ist bspw. die Angabe, ein Lebensmittel sei „zuckerfrei“, nur zulässig, wenn das Produkt nicht mehr als 0,5 g Zucker pro 100 g bzw. 100 ml enthält. Für gesundheitsbezogene Angaben wird in den kommenden drei Jahren, für Nährwertprofile in den kommenden zwei Jahren, eine jeweils entsprechende Liste erarbeitet. Nach Ablauf der Übergangsfristen tritt die Verordnung voraussichtlich in vier bis fünf Jahren vollständig in Kraft. (mkr) §§: VO (EG) 1924/2006 Lit.: T. Bruggmann/H. Hohmann, Leben mit der Health Claims Verordnung – Chancen und Risiken anhand von Anwendungsbeispielen aus der Praxis, ZLR 2007, 51-74; P. Loosen, „Großer Bruder“ statt
„schöne neue Welt“ – nährwert- und gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel nach der Verabschiedung der Claims-Verordnung, ZLR 2006, 521554
Helsinki-Gruppe ĺGruppen- und Startlinienmodell der sog. Osterweiterung; ĺOsterweiterung, Geschichte der Heranführungshilfe pre-accession assistance – aide de préadhésion
Mit einer H. bezweckt die Union die Angleichung an (potenzielle ĺBewerberländer) bzw. die Umsetzung und Übernahme (aktuelle Bewerberländer) den/des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes. Zu den H. zählen ĺPHARE, ĺISPA, ĺSAPARD, die Heranführungshilfe für die ĺTürkei und ĺCARDS, die mit Beginn 2007 zu einem einheitlichen Instrument für Heranführungshilfe (ĺIPA) zusammengeführt wurden. Die KOM nimmt bei mehreren bezugsberechtigten Ländern eine proportionale Zuteilung anhand der Kriterien Bevölkerung, ProKopf-BIP und Landesfläche vor. Dabei wird prinzipiell unabhängig vom erwarteten Zeitpunkt des Beitritts eine Gleichbehandlung der ĺBewerberländer angestrebt. Als zentrale Kompetenzgrundlage fungiert der Art. 181a EG welcher dem Rat nach Anhörung des EP und auf Vorschlag der KOM die Möglichkeit einräumt, mit qualifizierter Mehrheit Maßnahmen zur wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Zusammenarbeit mit Drittländern zu beschließen. (lo) §§: Art. 181a EG
Heranführungsstrategie pre-accession strategy – stratégie de préadhésion
Mit der Formulierung einer H. erstellt die Gemeinschaft einen Fahrplan für die Annäherung eines ĺBewerberlandes an die Union. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der beitrittswillige Staat schon vor Eröffnung der Verhandlungen Anstrengungen unternimmt, jene Standards umzusetzen, die zur Erfüllung der ĺBeitrittsvoraussetzungen notwendig sind. Im Zuge der sog. ĺOsterweiterung kam es auf dem ĺEurop. Rat von Essen (9./10.12.1994) durch die Verknüpfung der ĺKopenhagener Kriterien, der ĺEuropa-Abkommen, des ĺstrukturierten Dialoges und des ĺPHAREProgrammes erstmals zur Entwicklung einer 499
Herkunftsangabe H. für die ĺMOEL. Wesentlicher Bestandteil dieser H. ist die Vorbereitung der ĺassoziierten Staaten auf die Integration in den Binnenmarkt. Daher wurde die KOM mit der Erarbeitung des Weißbuches „Vorbereitung der assoziierten Staaten Mittel- und Osteuropas auf die Integration in den Binnenmarkt der Union“ beauftragt, welches schon am folgenden Europ. Rat gebilligt werden konnte. Nach Kritik an der mangelnden Effizienz der bisherigen H. kam es auf dem Europ. Rat von Luxemburg (12./13.12. 1997) zur Vorlage der, durch die sog. ĺAgenda 2000 der KOM vorbereiteten, intensivierten H., die mittels der ĺBeitrittspartnerschaften Prioritäten in der Umsetzung des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes setzte und daran die Auszahlung der PHARE-Mitteln knüpfte (Art. 4 VO [EG] 622/98; Art. 4. Abs. 3 i.V.m. Art. 6 VO [EG] 1266/99). Darüber hinaus führte die intensivierte H. zur Einführung von ĺSAPARD als landwirtschaftlicher und ĺISPA als strukturpolitischer ĺHeranführungshilfe. (lo) §§: VO (EG) 622/98, ABl. 1998, Nr. L 85/1; VO (EG) 1266/99, ABl. 1999, L161/68; Agenda 2000, Teil I: Eine stärkere und erweiterte Union, Teil II: Die Erweiterung der Union – Eine Herausforderung, KOM/97/ 2000 endg. Lit.: D. Schübel, Die EU-Erweiterung – eine Bestandsaufnahme mit Hinblick auf die Vorbeitrittsstrategie der EU, EuZW 2000, 641; Weißbuch Vorbereitung der assoziierten Staaten Mittel- und Osteuropas auf die Integration in den Binnenmarkt der Union (KOM/ 95/163 endg.)
Herkunftsangabe indication of origin – appellation d’origine
Herkunftsangaben beinhalten eine geographische Information über das Produkt und haben die Funktion den Verbraucher darauf hinzuweisen, dass ein ĺErzeugnis aus einem bestimmten Ort, Gebiet oder Land stammt. Die Verpflichtung solcher Angaben kann eine ĺMaßnahme gleicher Wirkung darstellen, die den ĺfreien Warenverkehr beschränkt. Besonders kritisch ist dies dann zu sehen, wenn eine bestimmte Herkunftsangabe inländischen Produkten vorbehalten ist. (z.B. ĺPrantl Entscheidung, Pistre-Entscheidung). Der Vorbehalt einer Herkunftsangabe kann aber durch den Schutz ĺzwingender Erfordernisse, z.B. Schutz des ĺlauteren Handels und/oder Schutz der Verbraucher vor Verwechslungen (ĺVerbraucherschutz) und Irreführung (ĺIrreführung des Verbrauchers), oder aus Gründen des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums (ĺgewerbliches Eigentum [freier Wa500
renverkehr]) mit Art. 28 EG vereinbar sein. Gleiches gilt, wenn eine gültige Gemeinschaftsregelung eine Herkunftsangabe vorsieht. (güh) §§: VO (EG) 1107/96 der Kommission zur Eintragung geographischer Angaben und Ursprungsbezeichnungen, ABl. 1996, Nr. L 148/1; zuletzt geändert durch VO (EG) 704/2005 Lit.: P. Müller-Graf, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 106 f. Rsp.: EuGH, Rs. C-321-324/94 Pistre, Slg. 1997, I-2343, Rn. 42 f.
Herkunftslandprinzip home country principle – le principe du pays d’origine
Eine wichtige Regelung der ĺE-commerce-RL stellt das Herkunftslandprinzip in Art. 3 der RL dar. Danach trägt jeder Mitgliedstaat dafür Sorge, dass die Dienste der Informationsgesellschaft (ĺE-commerce, Dienste der Informationsgesellschaft), die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen. Weiter dürfen die Mitgliedstaaten nicht den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen. In anderen Worten dürfen die Mitgliedstaaten Dienste der Informationsgesellschaft, die Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten erbringen, nicht beschränken; es muss also gewährleistet werden, dass Angebote, die im Herkunftsstaat zulässig sind, im gesamten Gemeinschaftsbereich zulässig sind. Außerdem sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die Einhaltung der Vorgaben durch die Diensteanbieter zu überwachen, die in diesem Mitgliedstaat niedergelassen sind. Der Anwendungsbereich des Herkunftslandprinzips ergibt sich einerseits aus der Definition des koordinierten Bereichs in Art. 2 lit. h der RL. Andererseits schließt die Richtlinie in Art. 1 Abs. 4 und 5 gewisse Bereiche aus dem Anwendungsbereich der RL aus und Art. 3 Abs. 3 erklärt für die im Anhang genannten Bereiche das Herkunftslandprinzip für nicht anwendbar. Die Auswirkungen des Herkunftslandprinzips auf Privatrecht und ĺInternationales Privatrecht sind umstritten. Eine mögliche Wirkungsweise wäre, dass das Herkunftslandprinzip dazu führt, dass auf die Aktivitäten eines Diensteanbieters nur die Privatrechtsordnung seines Herkunftsstaates anwendbar ist. Damit wirkte
Hinweisendes Nuklearprogramm (für die Gemeinschaft) (PINC) das Prinzip wie eine Kollisionsnorm. Eine andere Möglichkeit wäre die Kontrolle des vom IPR berufenen Sachrechts am Maßstab des Rechts des Herkunftsstaats. Dann wäre das durch IPR berufene Recht nicht anwendbar, soweit es höhere Anforderungen an den Diensteanbieter stellt als das Recht des Staates seiner Niederlassung. Als ein Argument für ein Verständnis als Kollisionsnorm wird genannt, dass als Ausnahme vom Herkunftslandprinzip im Anhang die Freiheit der Rechtswahl für Vertragsparteien und vertragliche Schuldverhältnisse in Bezug auf Verbraucherverträge genannt sind. Diese Ausnahmen wären nicht sinnvoll, wenn das IPR durch das Herkunftslandprinzip unberührt bliebe. Andererseits stellt Art. 1 Abs. 4 der RL klar, dass die RL weder zusätzliche Regeln im Bereich des internationalen Privatrechts schafft noch sich mit der Zuständigkeit der Gerichte befasst. Eine Entscheidung dieses Streits ist nur durch eine Vorlage beim ĺEuGH zu erwarten. Da aber die Rechtswahl, das Verbrauchervertragsrecht sowie das Urheber- und Markenrecht ausdrücklich vom Herkunftslandprinzip ausgenommen sind, sind die tatsächlichen Auswirkungen des Streits eingeschränkt. (fs) §§: Art. 3 der RL 2000/31/EG, ABl. 2000, Nr. L 178/1
Herkunftslandprinzip (freier Warenverkehr) country of origin principle (free movement of goods) – principe du pays d’origine (libre circulation des marchandises)
Das Herkunftslandprinzip besagt, dass Waren den Vorschriften jenes Mitgliedstaates unterworfen sind, in dem sie rechtmäßig hergestellt (ĺGemeinschaftsware) bzw. rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind (ĺDrittlandsware). Das Herkunftslandprinzip gilt im Bereich des freien Warenverkehrs ist vor allem bezüglich des ĺBeschränkungsverbotes bei ĺProduktvorschriften einschlägig (ĺPrinzip der gegenseitigen Anerkennung). (rp) Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28-30 EGV, Rn. 45 ff.; S. Richters, Diskriminierung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit, 35 Rsp.: EuGH, Rs. 120/78 Rewe/Bundesmonopolverwaltung, Slg. 1979, 649 (ĺCassis de Dijon-Entscheidung)
Herkunftslandprinzip, kollisionsrechtliche Wirkungen country of origin principle, effects in PIL – le principe de pays d’origine, les effets en DIP
Das ĺHerkunftslandprinzip, wonach mitgliedstaatliche Vorschriften zum Schutz bestimmter
Rechtsgüter grundsätzlich als gleichwertig angesehen werden und wonach es daher nicht mehr zulässig ist, auf der Beachtung bestimmter nationaler Vorschriften als Voraussetzung für den Marktzugang zu bestehen, hat auch kollisionsrechtliche Implikationen. Die genaue Reichweite der kollisionsrechtlichen Wirkungen ist allerdings höchst umstritten. Betroffen ist vor allem das ĺinternationale Wettbewerbsrecht, das traditionell vom ĺMarktortprinzip ausgeht. Hier ist fraglich, inwieweit dieses Prinzip durch das ĺHerkunftslandprinzip verdrängt wird. Einschlägige und im Hinblick auf ihre kollisionsrechtlichen Implikationen strittige Regelungen des Sekundärrechts sind bspw. ƒ Art. 1 Abs. 2 der ĺFernsehRL (RL 89/552/ EWG, ABl. 1989, Nr. L 298/23, sog. ĺSendelandprinzip) ƒ Art. 3 der ĺE-commerce-Richtlinie (RL 2000/ 31/EG, ABl. 2000, Nr. L 178/1) ƒ Art. 1 Abs. 2a der ĺSatelliten- und KabelRL (RL 93/83/EWG, ABl. 1993, Nr. L 248/15, sog. ĺSendelandprinzip) (js) Lit.: B. Verschraegen, in: P. Rummel (Hrsg.), ABGB Kommentar I/6, 3. Aufl. 2004, § 34 IPRG, Rn. 23 f., § 48, Rn. 72 ff.; S. Grundmann, Das Internationale Privatrecht der E-Commerce-Richtlinie – was ist kategorial anders im Kollisionsrecht des Binnenmarkts und warum, RabelsZ 67 (2003) 246; J. Basedow, Europäisches Internationales Privatrecht, NJW 1996, 1921
Herkunftsstaaten, sichere ĺSichere Herkunftsstaaten Hinweisendes Nuklearprogramm (für die Gemeinschaft) (PINC) Nuclear Illustrative Programme (for the Community) (PINC) – Programme Indicatif Nucléaire (pour la Communauté) (PINC)
Gem. Art. 40 ĺEAGV veröffentlicht die ĺKommission in regelmäßigen Abständen „hinweisende Programme“ (illustrative programmes/ programmes de caractère indicatif), insb. hinsichtlich der Ziele für die Erzeugung von Kernenergie und der in Hinblick darauf erforderlichen Investitionen. Das jüngste ĺPINC ist 2007 von der Kommission vorgelegt worden und befindet sich nach der erforderlichen Stellungnahme durch den ĺWirtschafts- und Sozialausschuss unmittelbar vor der Annahme. (atm) §§: Mitteilung der Kommission vom 10.1.2007, KOM(2006) 844 endg.; Stellungnahme EWSA/2007/ 990 vom 12.7.2007, ABl. 2007, Nr. C 256/51
501
Hochschuldiplomrichtlinien Hochschuldiplomrichtlinien school diploma recognition directives – directives relatives à la reconnaissance des diplômes
Die H. sind so genannte ĺhorizontale RL, d.h., sie treffen Regelungen, die über einen bestimmten Berufssektor hinausgehen. Sie umfassen Berufe, die im Aufnahmestaat in der Weise reglementiert sind, dass ihre Ausübung – im Wege der ĺNiederlassung oder der ĺDienstleistung – vom Nachweis einer Qualifikation durch ein Hochschuldiplom abhängig gemacht wird. Inhaber eines entsprechenden Diploms sollen ihre Tätigkeit in jedem MS ausüben können. Bei erheblichen Unterschieden im Schul- und Bildungswesen oder in der Berufsstruktur können die MS Ausgleichsmaßnahmen vorsehen. Diese können etwa als Anpassungslehrgänge oder Eignungsprüfungen ausgestaltet werden. Die so genannte zweite AnerkennungsRL umfasst berufsqualifizierende Abschlüsse unterhalb der Hochschulebene. Diese beiden RL – wie auch einige sektorale RL – wurden durch eine weitere RL („ErgänzungsRL“) geändert. Mit dieser sollten Anerkennungsverfahren angeglichen, beschleunigt und erleichtert werden. Durch die ĺBerufungsanerkennungsRL wurden diese RL modifiziert bzw. aufgehoben. Grundlage für diese RL ist Art. 47 EG (ĺDienstleistungsfreiheit, Sekundärrecht). (sh) §§: RL 89/48/EWG über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, ABl. 1989, Nr. L 19, 16; RL 92/51/EWG des Rates über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur RL 89/48/EWG, ABl. 1989, Nr. L 209, 25; RL 2001/ 19/EG des EP und des Rates, ABl. 2001, Nr. L 206, 1; RL 1999/42/EG über ein Verfahren zur Anerkennung der Befähigungsnachweise für die unter die Liberalisierungs- und ÜbergangsRL fallenden Berufstätigkeiten in Ergänzung der allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Befähigungsnachweise, ABl. 1995, Nr. L 201, 77 Lit.: W. Frenz, Handbuch Europarecht I, Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 2172 ff.; E. Happacher Brezinka/W. Obwexer, Diplomanerkennung in der EU. Berufliche und akademische Anerkennung von Qualifikationen im Binnenmarkt, öZÖR 2001,465; C. Weber, Die Anerkennung beruflicher Hochschuldiplome im Recht der Europäischen Gemeinschaft, WissR 1997, 20
Hochschulzugang-Entscheidung conditions of access to university education case – jurisprudence conditions d’accès à l’enseignement universitaire
In seinem Urteil vom 7.7.2005 hat der ĺEuGH entschieden, dass es gegen die Art. 12, 149, 150 502
EG verstößt, dass die Inhaber von in anderen ĺMitgliedstaaten erworbenen Sekundarabschlüssen nicht unter den gleichen Voraussetzungen wie die von in Österreich erworbenen Sekundarschulabschlüssen Zugang zum Hochschul- und Universitätsstudium in Österreich haben. In seinem Urteil stellt der Gerichtshof nochmals klar, dass die Voraussetzungen des Zugangs zur Berufsausbildung in den Anwendungsbereich des Vertrags fallen und dass sowohl das Hochschul- als auch das Universitätsstudium eine Berufsausbildung darstellen. Daher ist die beanstandete Regelung des § 36 UniStG am Maßstab des Art. 12 EG zu messen. Diese Regelung sieht vor, dass Studieninteressierte aus einem anderen Mitgliedstaat als Österreich nicht nur ihren Sekundarschulabschluss vorlegen, sondern auch nachweisen müssen, dass die die Voraussetzung des Zugangs zu der bestimmten angestrebten Studienrichtung in dem Staat, in dem sie ihren Abschluss erworben haben, erfüllen. Darin sieht der Gerichtshof eine Benachteiligung der Inhaber von in einem anderen Mitgliedstaat als Österreich erworbenen Sekundarschulabschlüssen, da sie nicht unter den gleichen Voraussetzungen wie die Inhaber gleichwertiger österr. Abschlüsse Zugang zum Hochschulstudium in Österreich haben. Diese mittelbare Diskriminierung sei weder durch das Ziel der Wahrung der Einheitlichkeit des österr. Systems der Hochschul- und Universitätsausbildung noch wegen der Verhütung von Missbräuchen des Gemeinschaftsrechts noch aufgrund völkerrechtlicher Übereinkünfte gerechtfertigt. S. dazu auch ĺFreizügigkeit Studierender. (fs) Lit.: S. Bode, Europarechtliche Gleichbehandlungsansprüche Studierender und ihre Auswirkungen in den Mitgliedstaaten, 2005 Rsp.: EuGH, Rs. 147/03 Kommission/Österreich, Slg. 2005, I-05969
Höchstpreise (freier Warenverkehr) maximum price (free movement of goods) – prix maximal (libre circulation des marchandises)
Ein unterschiedslos für einheimische wie eingeführte ĺWaren geltender Höchstpreis ist zwar als solcher keine ĺMaßnahme mit gleicher Wirkung, doch kann er eine solche Wirkung entfalten, wenn er derart festgesetzt wird, dass der Absatz der eingeführten Waren unmöglich oder gegenüber dem Absatz einheimischer Produkte erschwert wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Preis derart niedrig festgelegt wird, dass eingeführte Pro-
Hoheitsrechte, Übertragung (deutsche Rechtslage) dukte nur noch mit Verlust verkauft werden können. Gleiches gilt für unterschiedslos anwendbare maximale ĺHandelsspannen oder ĺPreisstoppregelungen. (güh) Web: GD Binnenmarkt, Leitfaden zum Konzept und zur praktischen Anwendung der Art. 28-30 EG-Vertrag, 2000: http://ec.europa.eu/enterprise/regulation/ goods/docs/art2830/guideart2830_de.pdf
Hochwasser floods – inondation
In Ergänzung und Koordinierung zur ĺWasserrahmenRL legte die ĺKommission am 18.1.2006 einen Vorschlag für eine RL über die Bewertung und Bekämpfung von Hochwasser vor. Deren Ziel ist der Schutz gefährdeter Güter, unter denen sich u.a. Vermögenswerte, die menschliche Gesundheit und Existenz (wirtschaftliche und sozialer Schaden), die Infrastruktur sowie die Umwelt vor schwerwiegenden Auswirkungen finden. Hochwasser wird als natürliches Phänomen anerkannt, das nicht verhindert werden kann. Menschliches Handeln trägt jedoch zu einer Zunahme der Wahrscheinlichkeit und der negativen Auswirkungen von Hochwasser bei (ĺUrsprungsprinzip). Daher werden Maßnahmen zur Risikoverringerung vorgesehen, so die Implementierung eines Hochwasserrisikomanagementsystems und die Schaffung von Hochwasserrisikokarten. Dazu erfolgt die Bewertung und Klassifizierung des Hochwasserrisikos. Außerdem werden u.a. die Bedeutung von Forschungsprogrammen im Zusammenhang mit Hochwasser sowie die Möglichkeit hervorgehoben, finanzielle Ressourcen (Fonds) auf europäischer Ebene in Anspruch nehmen zu können. (sm) §§: KOM(2006) 15 endg.; Mitteilung Hochwassermanagement KOM(2004) 472 endg. vom 12.7.2004 Web.: http://eur-lex.europa.eu/Result.do?arg0=hoch wasser&arg1=&arg2=&titre=titre&chlang=de&Rech Type=RECH_mot&Submit=Suche
Hoffmann-La Roche-Entscheidung Hoffmann-La Roche case – jurisprudence Hoffmann-La Roche
Das Urteil Hoffmann-La Roche beschäftigt sich mit Fragestellungen zu Art. 82 EG. HoffmannLa Roche ist ein Pharmaunternehmen mit Sitz in der Schweiz und stellt u.a. Vitamine her. 1976 stellte die ĺKommission fest, dass HoffmannLa Roche innerhalb des Gemeinsamen Marktes bei einigen Vitaminen eine ĺmarktbeherrschende Stellung i.S.d. Art. 82 EG innehatte und diese ĺmarktbeherrschende Stellung durch die
Gewährung von Treueprämien und Treuerabatten missbräuchlich ausgenutzt hatte. Aus diesem Grund verhängte die Kommission gegen Hoffmann-La Roche ein Bußgeld i.H.v. 1.098.000 DM. Dagegen ging Hoffmann-La Roche vor dem ĺEuGH vor und rügte dabei erstens, dass der relevante Markt für die Bestimmung der ĺmarktbeherrschenden Stellung zu eng bemessen worden sei. Zweitens wurde gerügt, dass eine ĺmarktbeherrschende Stellung bei einigen Arten von Vitaminen nicht nachgewiesen worden sei. Schließlich wehrte sich Hoffmann-La Roche auch gegen den Vorwurf des Missbrauchs einer ĺmarktbeherrschenden Stellung. Der EuGH stellte in seiner Entscheidung zunächst bezüglich der Marktanteile eine Grundsatzentscheidung dahingehend auf, dass besonders hohe Marktanteile eines Unternehmens grundsätzlich ohne weiteres Beweis für eine beherrschende Stellung seien. Diese Ansicht muss heute im Lichte des ĺ„more economic approach“ wohl revidiert werden; allein auf Marktanteile kann nicht mehr abgestellt werden. (jpt) §§: Art. 82 EG Rsp.: EuGH, Rs. 85/76 Hoffmann-La Roche, Slg. 1979, 461, Entscheidung der Kommission vom 9.6.1976, ABl. 1976, Nr. L 223 (IV/29.020 – Vitamine)
Hohe Behörde high authority – haute autorité
Oberstes Rechtsetzungsorgan gem. Art. 7 Satz 1 a.F. EGKSV der EGKS, die seit dem ĺFusionsvertrag 1965 als ĺKommission bezeichnet wird. (gm) Lit.: R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 259
Hoheitsrechte, Übertragung (deutsche Rechtslage) sovereign rights, cession (German legal situation) – droits de souveraineté, cession (situation juridique allmande)
Vorgang der Ausstattung übernationaler Einrichtungen mit der Befugnis zur Ausübung öffentlicher Gewalt in dem übertragenden Staat. Stützt sich in Deutschland auf Art. 24 Abs. 1 GG sowie seit 1992 speziell für die EU auf Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Übertragung erfolgt durch Gesetz, das zugleich ĺZustimmungsgesetz zu dem jeweiligen völkerrechtlichen Vertrag nach Art. 59 Abs. 2 GG ist und den innerstaatlichen ĺRechtsanwendungsbefehl enthält. Im Falle des Art. 23 GG ist die Zustimmung des ĺBundesrates erforderlich. In materieller Hinsicht sind die in Art. 23 und 79 Abs. 3 GG definierten ĺIntegrationsschranken zu beachten. 503
Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen Die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäischen Gemeinschaften bzw. die EU ist durch die Zustimmungsgesetze zu den jeweiligen Gründungs- und Änderungsverträgen, insb. zu den ĺRömischen Verträgen von 1957 und dem ĺVertrag von Maastricht, Amsterdam und Nizza erfolgt. Das ĺBVerfG versteht die „Übertragung“ von Hoheitsrechten i.S.d. Art. 23 und 24 GG allerdings nicht wörtlich im Sinne einer Zession oder dinglichen Belastung, sondern lediglich als Öffnung der nationalen Rechtsordnung, die der autonomen ĺGeltung und unmittelbaren ĺAnwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts Raum durch Zurücknahme des ausschließlichen Herrschaftsanspruchs der nationalen Rechtsordnung lässt (ĺSolange I; ĺEurocontrol I; ĺSolange II). (sgk) §§: Art. 23 GG; Art. 24 Abs. 1 GG; Art. 59 Abs. 2 GG Lit.: T. Flint, Die Übertragung von Hoheitsrechten. Zur Auslegung des Art. 23 Abs. 1 S. 2 und Art. 24 Abs. 1 GG, 1998; D. König, Die Übertragung von Hoheitsrechten im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses – Anwendungsbereich und Schranken des Art. 23 GG, 2000
Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen United Nations High Commissioner for Refugees – Haut Commissaire des Nations Unies pour les réfugiés
Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen leitet das ĺFlüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR), das für Schutz und Unterstützung von Flüchtlingen in aller Welt zuständig ist. António Guterres trat sein Amt an der Spitze des VN-Flüchtlingshochkommissariats am 15.6.2005 an und ist als Nachfolger des Niederländers Ruud Lubbers der zehnte Hohe Flüchtlingskommissar in der Geschichte von UNHCR. (gt) (jw) Web: http://www.unhcr.org
Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik High Representative for the CFSP – Haut représentant pour la P.E.S.C.
Die Einheitlichkeit der Außenvertretung der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) soll durch den Posten eines ĺHohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gefördert werden. Diese Position wird seit 1999 von der Person des Spaniers Javier Solana besetzt und ist zugleich eine Antwort Europas auf die viel zitierte Frage Henry Kissinger’s nach der „Telefonnummer Europas“. Seine Befugnisse lassen sind jedoch 504
nur begrenzt mit den Zuständigkeiten eines nationalen Außenministers zu vergleichen. Neben der Außenvertretung der GASP ist der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Personalunion zugleich Generalsekretär des ĺRates und steht in dieser Funktion der Ministerialbürokratie des Ratssekretariats vor, das bei der Vorbereitung und Durchführung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik eine wichtige Rolle spielt. Vertretung der GASP: Außenpolitik unterscheidet sich in ihrem Wesen von den europäischen Binnenpolitiken. Es geht nicht um die Harmonisierung nationaler Rechtsnormen, sondern um die Beeinflussung der internationalen Diplomatie. Einheitlichkeit ist hier besonders wichtig, wenn man die Werte und Interessen Europas möglichst erfolgreich vertreten möchte. Aus diesem Grund strebt auch die Europäische Union nach einem möglichst einheitlichen Auftreten nach außen. Dies erfordert zuerst die Entwicklung gemeinsamer Positionen im Rahmen der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und sodann deren einheitliche Durchsetzung ggü. Drittstaaten. Eine Einheitlichkeit in diesem Sinn bezweckte die Schaffung des Postens des Hohen Vertreters für die GASP durch den ĺVertrag von Amsterdam. Er ergänzt die frühere ĺTroika von jeweils drei aufeinander folgenden Präsidentschaften des ĺRates und verleiht der GASP Stimme und Gesicht. Allerdings ist der Hohe Vertreter vertraglich von der Anleitung des Rates abhängig, in welchem die ĺMitgliedstaaten einstimmig über die grundlegende Ausrichtung der GASP beschließen. Insb. darf er nur diejenigen Positionen als EU-Position verkünden, auf welche sich die Mitgliedstaaten zuvor verständigten. Er darf bei der Kompromisssuche helfen, nicht aber selbst die Position der Union festlegen. Mit Vertretern von Drittstaaten und internationalen Organisationen darf er ebenfalls nur „auf Ersuchen“ des Rates den ĺpolitischen Dialog führen (Art. 26 EU). Tatsächlich gibt es neben dem Hohen Vertreter weitere Sprecher der europäischen Außenpolitik, die zum Hohen Vertreter für die GASP in einem institutionellem Konkurrenzverhältnis stehen. Dies ist zuerst der Vorsitz des ĺRates in Person des Außenministers der halbjährlich wechselnden Ratspräsidentschaft, dem nach Art. 18 Abs. 1 EU vorrangig die Außenvertretung der GASP überantwortet ist, welche der Hohe Vertreter für die GASP nur „unterstützt“ (Art. 18 Abs. 3 EU). Hinzu tritt die ĺKommis-
Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sion in ihrer Funktion als Vertreterin der Gemeinschaftspolitiken der ersten Säule der ĺEuropäischen Union, v.a. in den Bereichen Entwicklung, Außenhandel und humanitäre Hilfe. Gemeinsam bilden der Vorsitz des Rates, der Hohe Vertreter für die GASP und der Kommissar für auswärtige Angelegenheiten als neue ĺTroika ein Dreigespann europäischer Außenvertretung, das durch ein gemeinsames Auftreten die notwendige Einheitlichkeit erreichen soll. Für bestimmte Themenbereiche und Regionen ernennt der Hohe Vertreter für die GASP zudem Persönliche Beauftragte oder offizielle ĺSonderbeauftragte der Europäischen Union (EUSB), die sozusagen als Botschafter der GASP fungieren. Erst der ĺVertrag über eine Verfassung für Europa würde eine einheitliche Außenvertretung der europäischen Außenpolitik bewirken, indem er die Funktionen des Vorsitzes des Rates, des Hohen Vertreters für die GASP und des Kommissar für auswärtige Angelegenheiten in der Person des Außenministers der Union zusammengelegt hätte. Der Außenminister wäre in Personalunion Vorsitzender des Rates für auswärtige Angelegenheiten, Hoher Vertreter für die GASP und Mitglied der KOM mit der Zuständigkeit für Außenbeziehungen. Ob der europäische Außenminister wegen der Fortexistenz einer dualen Entscheidungsstruktur zwischen der ĺintergouvernementalen GASP und der supranationalen Zuständigkeit der ĺKommission innerhalb der Verfassung in der Praxis den erwünschten Erfolg der europäischen Außenpolitik bewirkt hätte, ist zweifelhaft (D. Thym, Die neue institutionelle Architektur europäischer Außen- und Sicherheitspolitik, AVR 42 [2004], 44). Nach dem vorläufigen Scheitern des Verfassungsvertrags ist die Schaffung des Postens ohnehin in Ferne gerückt. Dessen ungeachtet handeln neben den Vertretern der europäischen Außenpolitik immer noch die Außenminister die Mitgliedstaaten, die aufgrund des ĺintergouvernementalen Charakters der GASP eine eigenständige Außenpolitik neben und mit der Europäischen Union betreiben. Generalsekretär des Rates: In seiner Funktion als Generalsekretär des Rates ist der Hohe Vertreter für die GASP mit der administrativen Leitung des Sekretariates des ĺRates betraut. Die praktische Entscheidung der anfallenden Aufgaben hat der Hohe Vertreter auf seinen Stellvertreter delegiert. Dessen ungeachtet besitzt das Sekretariat des Rates für die GASP eine große Bedeutung, weil es in vielfacher Hin-
sicht als „Außenministerium“ der GASP fungiert. In den vergangenen Jahren wurden als Bestandteil des Sekretariats des Rates besondere Dienste geschaffen, welche für die Durchführung der GASP von großer Bedeutung sind. So entwickelt die Strategieplanungs- und Frühwarneinheit („Policy Unit“) als „Planungsstab“ beständig neue Konzepte für die Fortentwicklung der GASP durch eine strategische Angleichung der außenpolitischen Positionen der ĺMitgliedstaaten und die Identifikation anstehender Krisen und möglicher europäischer Reaktionen. Ihr größter Erfolg ist die Vorbereitung der ĺEuropäischen Sicherheitsstrategie (ESS), die als politisches Gründungsdokument der GASP in der Praxis eine große Bedeutung besitzt. Das Lagezentrum (englisch „Situation Centre SitCen“) verfolgt die Entwicklung politischer Krisenherde und ermöglicht der Europäischen Union eine schnelle Reaktion auf veränderte Verhältnisse. Insb. für die Planung und Durchführung von militärischen ĺESVP-Missionen ist die Fachexpertise des ĺMilitärstabs der Europäischen Union (EUMS) von zentraler Bedeutung. Im erweiterten Verantwortungsbereich des Sekretariat des Rates unter Leitung des Hohen Vertreters handeln zudem die eigenständigen Agenturen der GASP: die Europäische ĺVerteidigungsagentur (EDA), das ĺSatellitenzentrum der Europäischen Union (SatCen) und das ĺInstitut für Sicherheitsstudien der Europäischen Union (ISS-EU). Bei der konzeptionellen Planung der GASP befindet sich das Ratssekretariat in einem institutionellen Spannungsverhältnis zu den auswärtigen ĺGeneraldirektionen der ĺKommission, die im Anwendungsbereich des EG-Vertrags die auswärtigen Gemeinschaftspolitiken planen und durchführen. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa würde diese auswärtigen Arbeitsbereiche von KOM und Sekretariat des Rates im Europäischen Auswärtigen Dienst zusammenlegen und damit faktisch ein europäisches Außenministerium nach nationalem Vorbild geschaffen. (dt) §§: Art. 18 Abs. 3, 26 EU Lit.: E. Regelsberger, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, 2004, 33-35 und 62-66; A. Ambos, The Institutionalisation of CFSP and ESDP, in: D. Mahncke et al. (Hrsg.), European Foreign Policy: From Rhetoric to Reality?, 2005, 165 (169); D. Thym, Die neue institutionelle Architektur europäischer Außen- und Sicherheitspolitik, AVR 42 (2004) 44 Web: http://www.consilium.europa.eu/
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Hohes Schutzniveau (Harmonisierung) Hohes Schutzniveau (Harmonisierung) high level of protection (harmonisation) – niveau de protection élevé (harmonisation)
Der ĺRechtsangleichung im Binnenmarkt ist die Gefahr der Standardnivellierung („Race to the bottom“) inhärent. Aus diesem Grund hält Art. 95 Abs. 3 EG ĺKommission, ĺRat und ĺParlament dazu an, von einem hohen Schutzniveau in den Bereichen ĺGesundheit, (technische) Sicherheit, ĺUmweltschutz und ĺVerbraucherschutz auszugehen und dabei insbesondere neue, auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützte, Entwicklungen zu berücksichtigen. Das solcherart geforderte „hohe“ Schutzniveau ist dabei nicht mit dem höchstmöglichen (aus technischer Perspektive oder im Vergleich unter den ĺMS) gleichzusetzen. Auch nach dem Erlass von Rechtsangleichungsmaßnahmen besteht für die MS (in beschränktem Umfang) die Möglichkeit zu ĺnationalen Alleingängen. Maßnahmen zur BinnenmarktRechtsangleichung können überdies ĺSchutzklauseln enthalten. (cb) §§: Art. 95 Abs. 3 EG Lit.: T. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, § 18, Rn. 18; H. G. Fischer, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 95 EGV, Rn. 27 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-233/94 Deutschland/EP und Rat, Slg. 1997, I-2405, Rn. 48; Rs. C-284/95 Safety HiTech, Slg. 1998, I-4301, Rn. 43 ff.
Homöopathie, homöopathische Arzneimittel Art. 13 ff. ĺArzneimittelkodexrichtlinie Horizontale Beihilfen horizontal aids – aides horizontales
Horizontale Beihilfen verfolgen ein von Regionen (ĺRegionale Beihilfen) und Sektoren (ĺSektorale Beihilfen) unabhängiges, konkretes Förderziel. Zu den horizontalen Beihilfen zählen die durch ĺGruppenfreistellungsVO geregelten Beihilfen für ĺKMU, ĺAusbildung, ĺBeschäftigung genauso wie ĺRettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen, ĺForschungs- und Entwicklungsbeihilfen, ĺUmweltschutzbeihilfen, die Förderung von Risikokapitalinvestitionen, Ausfuhrbeihilfen sowie ĺKulturbeihilfen. In den nicht durch GruppenfreistellungsVO geregelten Bereichen wurden ĺLeitlinien bzw. ĺGemeinschaftsrahmen angenommen. (jr) §§: Art. 87 Abs. 3 lit. c und lit. d Lit.: C. Von Donat, in: M. Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2003, § 17, Rn. 1 ff., 2003
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Web: http://ec.europa.eu/comm/competition/state_ aid/legislation/horizontal.html
Horizontale Gruppe „Drogen“ (HDG) Horizontal Working Party on Drugs (HDG) – Le Groupe horizontal „Drogue“ (GDH)
Eine der Ratsarbeitsgruppen, die sich aus Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten zusammensetzt. Sie übernimmt eine Koordinationsfunktion in der Umsetzung der EU-ĺDrogenstrategie. (sts) Hosting hosting – hébergement
Unter Hosting versteht man normalerweise die Speicherung von Informationen in der Form, dass der Diensteanbieter Speicherplatz auf einem Server, auf den über das Internet zugegriffen werden kann, zur Verfügung stellt und der Nutzer darauf Inhalte speichert und so ins Internet stellt. Die RL spricht allgemein von der Speicherung von vom Nutzer eingegebenen Informationen. Nach Art. 14 der RL 2000/31/EG haftet ein Diensteanbieter nicht für gespeicherte Informationen, wenn er keine tatsächliche Kenntnis von eine rechtswidrigen Tätigkeit oder rechtswidrigen Information hat oder wenn er, sobald er diese Kenntnis erlangt, unverzüglich tätig wird, um die Information zu sperren oder zu entfernen. Es ist unklar, ob der Diensteanbieter tatsächliche Kenntnis von der Rechtswidrigkeit haben muss oder ob die Kenntnis der rechtswidrigen Information an sich genügt, um nicht mehr in den Genuss des Haftungsprivilegs zu kümmern. Angesichts der Tatsache, dass keine allgemeine Überwachungspflicht besteht, Art. 15 der RL, ist wohl die Kenntnis nur der Information ohne Kenntnis von deren Rechtswidrigkeit nicht ausreichend. In Bezug auf Schadensersatzansprüche gilt die Privilegierung des Diensteanbieters nur, wenn er sich auch keiner Tatsachen bewusst ist, aus denen die rechtswidrige Tätigkeit bzw. Information offensichtlich wird. (fs) §§: Art. 14 RL 2000/31/EG Lit.: J. Haubold, in: M. Gebauer/T. Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 8, Rn. 149
Hotel TV-Entscheidung Hotel TV case – jurisprudence Hotel TV
In der Hotel TV-Entscheidung stellte sich die Frage, ob es sich bei der Übertragung von Sendungen in Hotelzimmer durch den Hotelbetrei-
Hughes de Lasteyrie du Saillant-Entscheidung ber um eine urheberrechtlich vergütungspflichtige ĺöffentliche Wiedergabe i.S.d. Art. 3 ĺInformationsgesellschaftRL handelt. Der EuGH bejahte dies, was aufgrund der abweichenden nationalen Rechtslage insb. für Spanien und Österreich relevant ist. (js) §§: Art. 3 ĺInformationsgesellschaftRL Rsp.: EuGH, Rs. C-306/05 Hotel TV, Slg. 2006, I-11519
Hüterin der Verträge ĺKommission, Aufgaben Hughes de Lasteyrie du Saillant-Entscheidung Hughes de Lasteyrie du Saillant case – jurisprudence Hughes de Lasteyrie du Saillant
In der gegenständlichen Rechtssache hat der EuGH die französischen Regeln über die ĺWegzugsbesteuerung aufgrund eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG) für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt. Im Ausgangssachverhalt verließ Monsieur Hughes de Lasteyrie du Saillant (der Kläger) am 12.9. 1998 Frankreich, um in Belgien seinen Wohnsitz zu nehmen. Er hatte eine wesentliche (mehr als 25 %) Beteiligung im Privatvermögen, deren gemeiner Wert im Zeitpunkt des Wegzuges über den Anschaffungskosten lag. Frankreich wollte die Wertsteigerung (Differenz zwischen gemeinem Wert im Wegzugszeitpunkt und Anschaffungskosten der Beteiligung) nach seinem nationalen Recht besteuern. Der Kläger wehrte sich gegen die Wegzugsbesteuerung: Behielte er seinen Wohnsitz in Frankreich, fiele die Steuer nicht an. Die Besteuerung nicht realisierter Wertsteigerungen erschwere die Wohnsitznahme in anderen Mitgliedstaaten unverhältnismäßig und verstoße somit gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG). Der Conseil d’Etat hat dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 234 EG vorgelegt: ƒ Verwehrt die Niederlassungsfreiheit einem Mitgliedstaat, „zur Vorbeugung gegen Steuerflucht“ Wegzugsbesteuerungsregeln wie die französischen „einzuführen, wonach Wertsteigerungen bei Verlegung des steuerlichen Wohnsitzes besteuert werden?“ Die französischen Wegzugsbesteuerungsregeln stellten sich zum Streitzeitpunkt wie folgt dar: Frankreich besteuert Gewinne aus der Veräußerung wesentlicher Beteiligungen (mehr als 25 % Gewinnanteil) im Privatvermögen mit einem Einkommensteuersatz von 16 %. Um zu
verhindern, dass sich Steuerpflichtige durch Wohnsitznahme im Ausland vor der Veräußerung und Veräußerung nach der Begründung der Ansässigkeit im Ausland dieser französischen Besteuerung entziehen können, hat Frankreich folgende Missbrauchsabwehrregeln (mit Wirkung ab 9.9.1998) eingeführt: Der Wegzug (die Verlegung des steuerlichen Wohnsitzes ins Ausland) löst in der Regel (für alle, die während der letzten zehn Jahre mindestens sechs Jahre in Frankreich ansässig waren) die Steuerpflicht für Wertsteigerungen wesentlicher Beteiligungen bis zum Wegzug aus. Ein Zahlungsaufschub kann gegen Sicherheitsleistung gewährt werden). Im Fall eines Zahlungsaufschubes werden die Wertsteigerungen bis zum Wegzug erfasst; der steuerpflichtige Betrag wird jedoch begrenzt auf die im Verkaufsfall tatsächlich realisierte Wertsteigerung oder die Wertsteigerung bis zur Beendigung des Zahlungsaufschubes. Der französische Steueranspruch wird also im Fall eines Kursverlustes/ Wertverlustes nach Wegzug gedeckelt. Frankreich rechnet im Ausland (insb. im Zuzugsstaat) erhobene Steuern auf (durch Veräußerung) tatsächlich realisierte Wertsteigerungen an. Die anrechenbare Steuer ist nicht auf die Wertsteigerungen nach Wegzug begrenzt. Besteuert der ausländische Staat die Wertsteigerungen zwischen Anschaffung und Veräußerung mit einer höheren Steuer, reduziert sich die französische Wegzugssteuer durch die Anrechnung auf null. Kehrt der Steuerpflichtige innerhalb von fünf Jahren nach dem Wegzug nach Frankreich zurück oder behält er seine wesentliche Beteiligung länger als fünf Jahre nach dem Wegzug, so ist eine festgesetzte Wegzugssteuer von Amts wegen zu erlassen. So gesehen zielten die französischen Wegzugsbesteuerungsregeln darauf ab, eine Umgehung der französischen Besteuerung durch einen mittelfristigen Wegzug (Wegzug und Rückkehr innerhalb von fünf Jahren) zu verhindern. Der EuGH widersprach einer Gemeinschaftsrechtskonformität vor allem aus folgenden drei Gründen: ƒ „Verlegt eine natürliche Person ihren Wohnsitz aus dem Gebiet eines Mitgliedstaats, so bedeutet dies für sich genommen keine Steuerflucht. Eine allgemeine Vermutung von Steuerflucht oder Steuerhinterziehung kann nicht auf den Umstand gestützt werden, dass eine natürliche Person ihren Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat, und 507
Humanitäre Hilfe, Verordnung (EG) 1257/96
ƒ
ƒ
ƒ
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kann somit auch keine Steuermaßnahme rechtfertigen, die die Wahrnehmung einer durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheit beeinträchtigt“. Der EuGH sah deshalb die französische Wegzugsbesteuerung als überschießend an: Ein Steuerpflichtiger, der innerhalb von fünf Jahren nach Wegzug seine wesentliche Beteiligung veräußert, wird auch dann besteuert, wenn er nicht nach Frankreich zurückkehrt, sondern bis zu seinem Tod im Ausland wohnt/ ansässig ist. Die französischen Wegzugsbesteuerungsregeln gehen „somit weit über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten Zieles“ (der Verhinderung einer Steuerumgehung) „erforderlich ist“. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist somit verletzt worden. Das Ziel, Steuerumgehungen zu verhindern, ist legitim. Die dazu eingesetzten Mittel müssen jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Ein Zahlungsaufschub gegen Sicherheitsleistung schreckt von der Wohnsitzverlegung ins Ausland ab. Die französischen Wegzugsbesteuerungsregeln können in Frankreich Ansässige davon abschrecken, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen. Da ein Zahlungsaufschub nur gegen Sicherheitsleistung erfolgt, besteht die abschreckende Wirkung auch im Fall eines Zahlungsaufschubes. „Diese Sicherheiten haben als solche eine beschränkende Wirkung, da sie den Steuerpflichtigen an der Nutzung der als Sicherheit geleisteten Vermögenswerte hindern“. Die französischen Wegzugsbesteuerungsregeln seien nicht kohärent. Maßnahmen, die geeignet sind, die Grundfreiheiten des EGVertrages zu beschränken, können „nur zulässig sein, wenn mit ihnen ein berechtigtes und mit dem EG-Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird und sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind. In einem solchen Fall muss allerdings ihre Anwendung zur Erreichung des damit verfolgten Zieles geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist“. Die Kohärenz einer Steuerregelung wird vom EuGH als sachliche Rechtfertigung im vorgenannten Sinn grundsätzlich anerkannt. In der gegenständlichen Rs. wurde eine solche jedoch verneint, weil sie „offenbar nicht das Ziel verfolgen, allgemein die Besteuerung der Wertsteigerungen sicherzustellen, die während des Aufenthaltes in Frankreich einge-
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treten sind“. Denn wenn der Steuerpflichtige nach Ablauf von fünf Jahren seit dem Wegzug seine Beteiligungen noch immer hält, entfällt die Wegzugsbesteuerung von Amts wegen. Außerdem rechnet Frankreich im Fall einer Veräußerung innerhalb von fünf Jahren seit dem Wegzug die im Ausland erhobenen Steuern voll an; eine Begrenzung der Anrechnung auf die Steuer, welche auf die im Ausland erzielte Wertsteigerung entfällt, erfolgt nicht. (pu) §§: Art. 43 EG Lit.: R. Beiser, ÖStZ 2004/661; D. Aigner/M. Tissot, SWI 6/2004, S 293; G. Kofler, ÖStZ 2004/483; ders., ÖStZ 2003/503 Rsp.: EuGH, C-9/02, Slg. 2004, I-2409
Humanitäre Hilfe, Verordnung (EG) 1257/96 humanitarian aid, regulation (EC) No 1257/96 – l’aide humanitaire, règlement (CE) n° 1257/96
In dieser Verordnung wurde die EU Politik der humanitären Hilfe auf der Rechtsgrundlage des Titels XX EG-Vertrag (Entwicklungszusammenarbeit, Art. 177-181) detailliert geregelt. Gem. Art. 1 i.V.m. Art. 2 der VO (EG) 1257/96 kommen folgende Formen der humanitären Hilfe für eine Finanzierung in Betracht: 1. Vorrangig ist gem. Art. 1 Abs. 1 die ĺSoforthilfe; 2. Gem. Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 lit. f und g ist die Finanzierung von Maßnahmen der ĺKatastrophenvorbeugung und der ĺKatastrophenbereitschaft möglich; 3. Laut Art. 2 lit. d können Maßnahmen kurzfristiger Rehabilitations- und Wiederaufbauarbeiten finanziert werden; 4. Weiters können gem. Art. 2 lit. e Maßnahmen zur Lösung der Folgen von Bevölkerungsbewegungen (Flüchtlinge, Vertriebene und Rückkehrer) subventioniert werden; 5. Gem. Art. 2 lit. c ist die Beförderung und die Zur-Verfügung-Stellung der Hilfe durch alle möglichen Mittel zu finanzieren, ebenso wie der Schutz der Hilfsgüter und des helfenden Personals 6. Laut Art. 4 können weitere, sekundäre Maßnahmen der humanitären Hilfe finanziert werden, wie etwa vorbereitende Studien, Folgemaßnahmen, Fortbildungsmaßnahmen, humanitäre Minenräumungsaktion, uvm. Die gemeinschaftliche Finanzierung gem. der Verordnung erfolgt in Form von nichtrückzahlbaren Zuschüssen (Art. 5). (ab) §§: VO (EG) 1257/96, ABl. 1996, Nr. L 163
Humanitäre Hilfe, Verordnung (EG) 2258/96 Humanitäre Hilfe i.e.S.
Humanitäre Hilfe, Rechtsgrundlage
short-term measures of Humanitarian Aid – actions de secours immédiats d’Aide Humanitaire
humanitarian aid, legal basis of – aide humanitaire, base légale de
Geregelt in Art. 1 VO (EG) 1257/96 des Rates vom 20.6.1996. Auch: Katastrophenhilfe, Notfallhilfe, Soforthilfe. Ist begrifflich an die ĺKatastrophe gekoppelt. Vorrangiger Zweck der Soforthilfe als Überlebenshilfe ist das Abzielen auf den Schutz der von einer Katastrophe betroffenen Menschen. Die Soforthilfe umfasst Hilfs,Rettungs- und Schutzmaßnahmen, die je nach Art der Katastrophe unterschiedlich fokussiert sind und in Form von Barmitteln gewährt werden, mit denen Hilfskräfte, Arzneimittel, Nahrungsmittel, Unterkünfte, u.s.w. finanziert werden. In besonders dringlichen Fällen können Soforthilfemaßnahmen ohne vorherige Zustimmung der Mitgliedstaaten beschlossen werden. Vgl. die ĺKatastrophenbewältigung. (ab)
Die Verträge der EU enthalten keine ausdrücklichen Bestimmungen betreffend die humanitäre Hilfe. Jedoch wurde die EU Politik der humanitären Hilfe auf der Rechtsgrundlage der Art. 177-181 des EG-Vertrages (XX. Titel: „Entwicklungszusammenarbeit“) in der ĺVerordnung (EG) des Rates Nr. 1257/96 vom 20.6. 1996 detailliert geregelt. (ab)
§§: VO (EG) 1257/96, ABl. 1996, Nr. L 163 Lit.: M. Kuhn, Humanitäre Hilfe der Europäischen Gemeinschaft, 2000, 250
Humanitäre Hilfe im Rahmen der vertraglichen Assoziierung humanitarian aid within contractual association – aide humanitaire dans l’association contractuelle
Erste Maßnahmen entwicklungspolitischen Charakters wurden auf Basis der Art. 182 bis 188 EG, welche die „Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete“ regeln, getätigt (konstitutionelle Assoziierung). In Folge der Dekolonisalisierung zu Beginn der 1960er Jahre und der nachfolgenden Unabhängigkeit konnten die Bestimmungen des vierten Teils des EGV nicht mehr angewandt werden, weshalb mit den souveränen Staaten eine Reihe völkerrechtlicher Verträge geschlossen wurde (vertragliche Assoziierung). Die ersten dieser Abkommen waren die Yaoundé-Abkommen von 1964 und 1969, die Arusha-Abkommen von 1968 und 1969, die ĺLomé-Abkommen von 1975, 1980, 1986, und 1989, und das ĺCotonou-Abkommen von 2000. (ab) §§: Art. 182-188 EG
Humanitäre Hilfe i.w.S. humanitarian aide – aide humanitaire
Umfasst neben der ĺhumanitären Hilfe i.e.S. auch die ĺKatastrophenvorbeugung, die ĺKatastrophenbereitschaft, die ĺKatastrophenbewältigung und die ĺFlüchtlingshilfe. (ab) Lit.: M. Kuhn, Humanitäre Hilfe der Europäischen Gemeinschaft, 2000, 25
§§: Art. 177-181 EG; VO (EG) 1257/96, ABl. 1996, Nr. L 163
Humanitäre Hilfe, Verordnung (EG) 2258/96 humanitarian aid, regulation (EC) No 2258/96 – aide humanitaire, règlement (CE) n° 2258/96
Das Ziel dieser Verordnung ist es, Entwicklungsländer, die durch Krieg, innenpolitische Unruhen oder Naturkatastrophen schwere Zerstörungen erlitten haben, bei der Rehabilitation und beim Wiederaufbau zu unterstützen, um dadurch eine Verbindung zwischen der kurzfristig geleisteten ĺSoforthilfe und der regulären ĺEntwicklungshilfe, die nachhaltig die Entwicklung fördern soll, zu sichern. Vorrangig soll zum Wiederaufbau der Wirtschaft und der notwenigen Verwaltungskapazitäten beigetragen werden. Die primär betroffenen Bereiche sind: 1. Die Wiederankurbelung eines dauerhaften Produktionssystems; 2. funktionelle und materielle Wiederherstellung der Grundlagen der Infrastruktur (auch durch Minenräumung); 3. Flüchtlinge, Vertriebene und Demobilisierte sollen sozial wieder eingegliedert werden; 4. Wiederaufbau der für die Rehabilitation notwendigen Verwaltungseinrichtungen Die Empfängerländer sind grundsätzlich jene Länder, die für die Entwicklungshilfe der EU in Betracht kommen. Es handelt sich vor allem um die Länder in Afrika, im aribischen Raum und im Pazifischen Ozean (AKP), die Mittelmeerländer, die Länder in Lateinamerika und Asien sowie die Entwicklungsländer im Kaukasus und Zentralasien, wobei die Priorität auf den am wenigsten entwickelten Ländern liegt. Die Verordnung wurde von der Kommission in einer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament vom 23.4.2001 bewertet mit dem Vorschlag, bei der Durchführung der Verordnung flexibler vorzugehen, um die zwischen 509
Humanitäre Hilfe, Finanzierung Soforthilfe und Entwicklung bestehenden Lücken zu schließen. (ab) §§: VO (EG) 2258/96, ABl. 1996, Nr. L 306
Humanitäre Hilfe, Finanzierung humanitarian aid, financing – aide humanitaire, financement d’
Gem. Art. 5 der Verordnung (EG) des Rates Nr. 1257/96 vom 20.6.1996 erfolgt die gemeinschaftliche Finanzierung der humanitären Hilfe in Form von nichtrückzahlbaren Zuschüssen. Die von der Gemeinschaft finanzierten Maßnahmen der humanitären Hilfe werden entweder auf Ersuchen von internationalen oder nichtstaatlichen Organisationen oder auf Initiative der Kommission durchgeführt (Art. 6). Ebenso kann ein Mitgliedstaat und auch das Empfängerland um die Maßnahme ansuchen. Die Gemeinschaft kann keine eigenen Aktionen im Bereich der humanitären Hilfe setzen, sondern veranlasst diese über Partnerorganisationen. Vgl. ĺPartnerschaftsrahmenvertrag mit internationalen Organisationen, ĺPartnerschaftsrahmenvertrag mit Nicht-Regierungsoragnisationen. (ab) §§: VO (EG) 1257/96, ABl. 1996, Nr. L 163
Hybridrechtsakt, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage hybrid act, subject-matter of an action for annulment of individual applicants – acte hybride, objet du recours en annulation des requérantes particuliers
In der Literatur gebräuchliche Bezeichnung für bestimmte, durch natürliche und juristische Personen nach Art. 230 Abs. 4 EG anfechtbare Rechtsakte. Ein H. zeichnet sich dadurch aus,
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dass er ein normativer Rechtsakt mit allgemeiner Wirkung ist, zugleich aber bestimmte Personen individuell betrifft und diesen gegenüber daher wie eine individuelle Entscheidung wirkt (vgl. EuGH, Rs. C-50/00 P Unión de Pequeños Agricultores, Slg. 2002, I-6677, Rn. 36). Diese Doppelnatur macht ihn zum H. Als anfechtbare Rechtsakte mit allgemeiner Geltung, die einen Einzelnen individuell betreffen können, nennt Art. 230 Abs. 4 EG zwar nur Verordnungen ausdrücklich. Die Rechtsprechung hat diese Vorschrift teleologisch erweitert und erlaubt generell die Anfechtung normativer Rechtsakte, soweit sie einen Einzelnen individuell betreffen. Als H. kommen daher neben Verordnungen (ĺVerordnung, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage) auch Richtlinien (ĺRichtlinie, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage) und atypische Normativakte in Betracht. Praktisch relevant ist bisher nur die Hybridverordnung und – in geringerem Umfang – die Hybridrichtlinie geworden. Hybridverordnungen kommen in der Praxis meist im Rahmen von wettbewerbsrechtlichen und beihilferechtlichen Klagen vor. Die für die ĺindividuelle Betroffenheit maßgeblichen „besonderen Umstände“ können sich z.B. daraus ergeben, dass der Kläger in der Verordnung namentlich genannt wird oder von vorbereitenden Handlungen des erlassenden Organs betroffen war (EuGH, Rs. C-358/89 Extramet, Slg. 1991, I-2501, Rn. 15 f.). Den einzigen Fall außerhalb dieser Rechtsgebiete nahm der EuGH in der Rechtssache ĺCodorniu an. (mk) §§: Art. 230 Abs. 4 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 371 ff.
I i2010 European Information society in 2010
Politische Initiative der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen der Lissabon Strategie, mit welcher in einem umfassenden Ansatz die Weiterentwicklung der ĺInformationsgesellschaft und der ĺaudiovisuellen Medien angestrebt wird. Es handelt sich um das Nachfolgeprogramm des Aktionsprogramms eEurope. (dd) Web: http://europa.eu.int/information_society/eeurope/ i2010/index_en.htm
IAEO ĺInternationale Atomenergieorganisation Identität identity – identité
Der Begriff der Identität bezieht sich sowohl auf die Europäische Union, die Europäischen Gemeinschaften selbst als auch auf die Mitgliedstaaten und beschreibt deren Wesenseinheit. 1. Identität der Union. Die Identität der Union ist normativ schwach ausgeprägt; Art. 2 2. SpS EU setzt der Union das Ziel, ihre Identität auf internationaler Ebene, im Rahmen der GASP zu wahren. Die Identität der Union dient denn auch eher als integrationspolitisches Argument. Die Union wird als Kultur- und Wertegemeinschaft begriffen und ihre Identität so materiell angereichert. Identität in dieser Funktion kann der ĺErweiterung der Union entgegengehalten werden, so etwa im Falle des Türkeibeitritts. Identität hat einen funktionalen Bezug zum Prozess der ĺIntegration. Als kollektive, auf die Union bezogene Identität bezeichnet sie das Zugehörigkeitsgefühl der ĺUnionsbürger und schafft so eine verstärkte Legitimationsbasis der Union. Diese sucht namentlich die Kommission im Rahmen der ĺKulturpolitik nach Art. 151 EG zu fördern. 2. Identität der Mitgliedstaaten. Nach der auf der Amsterdamer Vertragsrevision beruhenden Norm des Art. 6 Abs. 3 EU achtet die Union die nationale Identität ihrer Mitglied-
staaten. Die Achtungsverpflichtung sucht der Sorge vor Entstaatlichung und Auflösung der Nationalstaaten entgegenzutreten. Sie ersetzt eine nicht konsensfähige Föderalismusklausel. Sie ist Ausdruck der wechselseitigen Gemeinschaftstreue des Art. 5 EG und steht in engem Zusammenhang mit dem ĺSubsidiaritätsprinzip. Geschützt ist mit der nationalen Identität der Mitgliedstaaten jedenfalls die Staatlichkeit und Souveränität der Mitgliedstaaten als Grundlage des Integrationsprozesses, aber auch ein Mindestbestand an Werten im menschlichen Zusammenleben. Die Definitionskompetenz ihrer Identität liegt bei den Mitgliedstaaten; sie wird ihrerseits aber insbesondere durch den Verfassungskern des Unionsrechts in Art. 6 Abs. 1 EU begrenzt. Art. 6 Abs. 3 EU ist kein Antagonist fortschreitender Integration. Die Regelung begründet auch keinen Vorrang mitgliedstaatlicher Identität, sondern fordert gegenseitige Abstimmung und Respektierung. Identitätsbildende Grundwerte der Union und der Mitgliedstaaten sind im Konfliktfall von der EU zu möglichst schonendem Ausgleich zu bringen. (md) §§: Art. 2 EU; Art. 6 Abs. 3 EU; Art. 151 EG Lit.: B. Beutler, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 6 EU, Rn. 195 ff.; A. Bleckmann, Die Wahrung der nationalen Identität im Unionsvertrag, in: JZ 1997, 265 ff.; A. von Bogdandy, Europäische und nationale Identität, VVDStRL 62 (2003) 156 ff.; C. Calliess, Europa als Wertegemeinschaft, JZ 2004, 1033 ff.; M. Droege, Identität und Integration in Europa, in: Y. Becker et al. (Hrsg.), Die Europäische Verfassung, 2005, 104 ff.; J. Kocka, Die Grenzen Europas, in: G. Schuppert et al. (Hrsg.), Europawissenschaft, 2005, 275 ff.; W. Graf Vitzthum, Die Identität Europas, in: EuR 2002, 1 ff.
IEEA ĺExekutivagentur für intelligente Energie IHG-Entscheidung IHG case – jurisprudence IHG
Eines der ersten Urteile des ĺEuGH zum Schutz der europäischen ĺGrundrechte als Teil der 511
Immaterialgüterrechte (IPR) allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts. (ed) §§: EuGH, Rs. 11/70 IHG, Slg. 1970, 1125
Immaterialgüterrechte (IPR) intellectual property rights (PIL) – droits de propriété intellectuelle (DIP)
Es ist ein in Europa vorherrschender Grundsatz, dass die Verletzung von Immaterialgüterrechten dem Recht des Landes, für das Schutz beansprucht wird, unterliegt (sog. Schutzlandprinzip). Dieser Grundsatz wurde auch in die ĺRom II-VO übernommen (Art. 8), die am 11.1.2009 in Kraft tritt. (js) §§: VO (EG) 864/2007 vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. 2007, Nr. L 199/40, Art. 8
Immobilienerwerb (Kapitalverkehrsfreiheit) property purchase (free movement of capital) – acquisition de biens immobiliers (libre circulation des capitaux)
I. wird durch die ĺKapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 EG geschützt. Insbesondere entbindet Art. 295 EG die Mitgliedstaaten nicht von der Pflicht, die Kapitalverkehrsfreiheit als Grundfreiheit bei der Ausübung der ihr insoweit verbliebenen Kompetenz zur Ausgestaltung der Eigentumsordnung zu beachten (EuGH, Rs. C-302/97 Konle, Slg. 1999, I-3099, Rn. 38 f.). Die Kapitalübertragung liegt beim I. in der Übertragung des Grundeigentums. Auf den ersten Blick scheint es sich dabei zwar nicht um eine einseitige Kapitalübertragung und damit nicht um ĺKapitalverkehr im Sinne des Art. 56 Abs. 1 EG zu handeln, da mit der Zahlung des Kaufpreises regelmäßig eine Gegenleistung für die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück geleistet wird. Das Element der Einseitigkeit bei der Definition des Kapitalverkehrs bezieht sich aber nicht auf das Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer eines Grundstückes, sondern auf die staatliche Zahlungsbilanz des Staates in den oder aus dem der Kapitalfluss erfolgt. Da beim I. der Erwerbsgegenstand, also das Grundstück, im Erwerbsstaat belegen bleibt und zugleich der Kaufpreis dorthin übertragen wird, liegt in diesem Fall kein bilanzneutraler gegenseitiger Austausch vor. Die Eigentumsübertragung des Grundstücks stellt vielmehr eine einseitige Wertübertragung dar. Immobilienkäufe werfen darüber hinaus Abgrenzungsfragen zwischen der Kapitalverkehrsfreiheit und der Niederlassungs512
freiheit auf (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit). Der Immobilienerwerb kann durch die Mitgliedstaaten vor allem aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls wie z.B. ĺraumplanerischen Gründen eingeschränkt werden (s.a. ĺZweitwohnung, Beschränkung des Erwerbs), soweit die Beschränkungen keine willkürliche Diskriminierung nach dem Wohnort bewirkt (EuGH, Rs. C-515/99, C-519/99 bis C-524/99 und C-526/ 99 bis C-540/99 Reisch, Slg. 2002, I-2157, Rn. 35). Häufig verlangen mitgliedstaatliche Regelungen zur Sicherung solcher Allgemeinwohlinteressen, dass der Immobilienerwerber seinen Wohnsitz in dem Staat nimmt, in dem das zu erwerbende Grundstück belegen ist. Derlei Wohnsitzerfordernisse sind nach der Rechtsprechung des EuGH nur verhältnismäßig und damit gerechtfertigt, wenn sie dem in Art. 2 Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 EMRK verbürgten Grundrecht auf freie Wahl des Wohnsitzes hinreichend Rechnung tragen (EuGH 25.1.2007, Rs. C-370/05 Festersen, noch nicht in Slg., Rn. 35 ff.). Eine vertragliche Ausnahme besteht nach dem „Protokoll betreffend den Erwerb von Immobilien in Dänemark“ zum Vertrag von Maastricht für den Erwerb von Zweitwohnungen in Dänemark (hierzu: EuGH 25.1.2007, Rs. C-370/ 05 Festersen, noch nicht in Slg., Rn. 45 f.). Im übrigen gelten aufgrund der jeweiligen Beitrittsakte für einige der seit 1.5.2004 neu beigetreten Mitgliedstaaten Ürgangsfristen von bis zu 12 Jahren, während deren Geltung der Erwerb von Zweitwohnungen sowie von land- und forstwirtschaftlichen Flächen für EG-Ausländer eingeschränkt werden kann. Im Einzelnen finden sich Übergangsregelungen in folgenden Rechtsakten: ƒ Bulgarien: Anhang VI zum Beitrittsvertrag; Liste nach Art. 23 der Beitrittsakte: Übergangsbestimmungen, Bulgarien ABl. 2005, Nr. L 157/282; ƒ Malta: Protokoll Nr. 6 über den Erwerb von Zweitwohnsitzen in Malta, ABl. 2003, Nr. L 236/947; ƒ Polen: Anhang XII zum Beitrittsvertrag; Liste nach Art. 24 der Beitrittsakte: Polen, ABl. 2003, Nr. L 236/878; ƒ Rumänien: Anhang VII zum Beitrittsvertrag; Liste nach Art. 23 der Beitrittsakte: Übergangsbestimmungen, Rumänien, ABl. 2005, Nr. L 157/315; ƒ Slowakei: Anhang XIV zum Beitrittsvertrag; Liste nach Art. 24 der Beitrittsakte: Slowakei, ABl. 2003, Nr. L 236/917;
In-house-Vergabe ƒ
Slowenien: Anhang XIII zum Beitrittsvertrag; Liste nach Art. 24 der Beitrittsakte: Slowenien, ABl. 2003, Nr. L 236/909; ƒ Zypern: Anhang VII zum Beitrittsvertrag; Verzeichnis gem. Art. 24 der Beitrittsakte: Zypern, ABl. 2003, Nr. L 236/819. (mk) §§: Protokoll betreffend den Erwerb von Immobilien in Dänemark zum Vertrag von Maastricht, ABl. 1992, Nr. C 224/104
Implied Powers implied powers – pouvoirs implicites
Als implied powers werden jene Kompetenzen verstanden, die einer ĺInternationalen Organisation (IO) bzw. ihren Organen zukommen, ohne im Recht der Organisation ausdrücklich genannt zu werden (implizite, stillschweigende Kompetenzen). Sie sind mit dem Postulat verknüpft, dass damit Ziele und Zweck der Organisation erreicht werden können. Diese aus dem Völkerrecht stammende Lehre der „implied powers“ (Zuständigkeiten kraft Sachzusammenhang) besagt, auf das Gemeinschaftsrecht umgelegt, dass die einem Gemeinschaftsorgan durch die Gemeinschaftsverträge eingeräumten Befugnisse gleichzeitig auch zum Erlass solcher Maßnahmen ermächtigt, die zur wirksamen und sinnvollen Ausführung dieser ausdrücklich zugeteilten Befugnisse erforderlich sind. Die Handlungsbefugnisse der Gemeinschaftsorgane werden hier nicht aus den Vertragszielen abgeleitet (s.a. ĺLückenschließungsklausel), sondern aus bereits vorhandenen Kompetenzbereichen der EG. In der Literatur wird z.T. eine Unterscheidung in neben-/gleichgeordnete und untergeordnete Kompetenzen vorgenommen. Erstere treten neben die ausdrücklich eingeräumten Kompetenzen hinzu, während die untergeordneten diese lediglich näher ausgestalten, ohne aber ihren Umfang zu erweitern. Die Frage, ob bei Anwendung des ĺPrinzip(s) der begrenzten Ermächtigung und der ĺLückenschließungsklausel nach Art. 308 EG, eine Annahme von implied powers überhaupt bejaht werden kann, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Art. 308 EG hindert aber keinesfalls die Annahme untergeordneter implied powers bei den Gemeinschaftsorganen. Der ĺEuGH hat vor allem im Bereich der im EGV nur punktuell zugewiesenen ĺAußenkompetenzen der EG des Öfteren bereits auf implizite Kompetenzen verwiesen und legt Ermächtigungsnormen i.S.d. ĺeffet utile grundsätzlich weit aus. (db) §§: Art. 308 EG, Art. 5 Abs. 1 EG, Art. 249 Abs. 1 EG, Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 EG, Art. 5 EU, u.a.
Lit.: M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, 174; I. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, 8. Aufl. 1994, 97; M. Herdegen, Europarecht, 8. Aufl. 2006, 181; K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, 171; P. Fischer/H. F. Köck/M .M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, 470 f.; u.a. Rsp.: EuGH, Rs. 22/70 AETR, Slg. 1971, 263 (275); EuGH, verb. Rs. 3/76, 4/76 und 6/76 Kramer, Slg. 1976, 1279; Gutachten 1/91, EWR, Slg. 1991, I-6079; Gutachten 1/92, EWR, Slg. 1992, I-2821; Gutachten 1/94, Abschluss völkerrechtlicher Abkommen auf dem Gebiet der Dienstleistungen und des Schutzes des geistigen Eigentums, Slg. 1994, I-5267; Gutachten 2/94, EMRK, Slg. 1996, I-1759; u.a.
Implizite Außenkompetenz implied external competence – compétence externe implecite
Die Zuständigkeit der Gemeinschaft zur Eingehung völkerrechtlicher Verpflichtungen kann sich nicht nur aus einer ausdrücklichen Verleihung durch den Vertrag ergeben, sondern auch stillschweigend aus Vertragsbestimmungen fließen. Eine solche implizite Außenkompetenz besteht nicht nur in allen Fällen, in denen von der internen Zuständigkeit bereits Gebrauch gemacht worden ist, um Maßnahmen zur Verwirklichung einer gemeinsamen Politik zu treffen, sondern auch dann, wenn die internen Maßnahmen der Gemeinschaft erst anlässlich des Abschlusses und der Inkraftsetzung der völkerrechtlichen Vereinbarung ergriffen werden. Somit kann sich die Befugnis, die Gemeinschaft gegenüber Drittstaaten zu verpflichten, stillschweigend aus den die interne Zuständigkeit begründenden Bestimmungen des Vertrages ergeben, sofern die Beteiligung der Gemeinschaft an der völkerrechtlichen Vereinbarung notwendig ist, um eines der Ziele der Gemeinschaft zu erreichen. Der letztgenannte Fall ist der, dass die interne Zuständigkeit wirksam nur zugleich mit der Außenkompetenz ausgeübt werden kann, der Abschluss der völkerrechtlichen Vereinbarung somit erforderlich ist, um Ziele des Vertrages zu verwirklichen, die sich durch die Aufstellung autonomer Regeln nicht erreichen lassen. (bb) §§: EuGH, Rs. C-475/98 Open Skies, Slg. 2002, I-9797; EuGH, Gutachten 1/76, Slg. 1977, 741, Rn. 3, 4; EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994, I-5267, Rn. 89
In-house-Vergabe in-house procurement – marché in-house
Das Vorliegen eines öffentlichen ĺAuftrags im Sinn des ĺVergaberechts erfordert einen zweiseitigen Vertrag zwischen zwei voneinander 513
In-vitro-Diagnostika-Richtlinie unterscheidbaren Rechtspersonen. Eine Beauftragung einer anderen Dienststelle innerhalb desselben Rechtsträgers kann daher keinesfalls eine öffentliche Auftragsvergabe darstellen (echte in-house-Vergabe). Der EuGH hat es der Beauftragung innerhalb einer Rechtsperson gleichgestellt, wenn ein öffentlicher ĺAuftraggeber einen Auftrag an eine von ihm verschiedene Person vergibt, über die er eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt und die ihre Tätigkeiten im Wesentlichen für die sie beherrschenden Gebietskörperschaften ausübt (EuGH 18.11.1999, Rs. C-107/98 Teckal, Slg. 1999, I-8121). Auch in diesen Fällen wird allgemein von einer (quasi) in-house-Vergabe gesprochen. In seiner weiteren Rsp. hat der EuGH ausgeführt, dass eine – auch nur minderheitliche – Beteiligung eines Privaten (Vorliegen einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft) es ausschließt, von einer Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle zu sprechen (EuGH 11.1.2005, Rs. C-26/03 Stadt Halle, Slg. 2005, I-1). Die Auftragsvergabe an eine gemischt-öffentliche Gesellschaft (Beherrschung durch mehrere öffentliche Auftraggeber) im Wege einer in-house-Vergabe ist dadurch allerdings nicht ausgeschlossen, so lange die genannten Bedingungen erfüllt werden. Der EuGH verfolgt in seiner Rsp. zum Vorliegen einer in-house-Vergabe eine strenge Linie (vgl. EuGH, Rs. C-458/03, Parking Brixen, Slg. 2003, I-8612; EuGH, Rs. C-29/04, Komission/Österreich, Slg. 2005, I-9705; EuGH, Rs. C-340/04, Carbotermo, Slg. 2006, I-4137). (cm) Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 390; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 191 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicprocurement/legislation_de.htm
In-vitro-Diagnostika-Richtlinie In-vitro diagnostic directive – directive relative aux dispositifs médicaux de diagnostic in-vitro
Die RL 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.10.1998 über In-vitroDiagnostika (ABl. 1998, Nr. L 331/1) stützt sich auf Art. 100a EG a.F. (= Art. 95 EG) und dient der Angleichung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften betreffend die Sicherheit, den Gesundheitsschutz und die Leistungsmerkmale sowie die Zulassungsverfahren für In-vitroDiagnostika. Wesentliches Ziel der Richtlinie sind die Aufrechterhaltung und Verbesserung des in den Mitgliedstaaten erreichten Gesundheitsschutzniveaus durch Gewährleistung eines 514
hochgradigen Gesundheitsschutzes für Patienten und Anwendern von In-vitro-Diagnostika. Das Regelungskonzept entspricht im Wesentlichen dem der ĺMedizinprodukterichtlinie. Nach Art. 1 Abs. 2 lit. b ist ein In-vitro-Diagnostikum jedes Medizinprodukt (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. a), das als Reagenz, Reagenzprodukt, Kalibriermaterial, Kontrollmaterial, Kit, Instrument, Apparat, Gerät oder System nach der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung zur Invitro-Untersuchung von aus dem menschlichen Körper stammenden Proben, einschließlich Blut- und Gewebespenden, verwendet wird und ausschließlich oder hauptsächlich dazu dient, Informationen zu liefern ƒ über physiologische oder pathologische Zustände oder ƒ über angeborene Anomalien oder ƒ zur Prüfung auf Unbedenklichkeit und Verträglichkeit bei den potenziellen Empfängern oder ƒ zur Überwachung therapeutischer Maßnahmen. Art. 2 verpflichtet die Mitgliedstaaten, insbesondere durch geeignete Überwachungsmaßnahmen sicherzustellen, dass nur Produkte im Anwendungsbereich der Richtlinie in den Verkehr gebracht werden, die den dortigen Qualitätsanforderungen entsprechen. Unterstützend sehen hierzu Art. 11 ein Beobachtungs- und Meldeverfahren und Art. 12 eine europäische Datenbank mit Regulierungsdaten vor. Darüber hinaus ergibt sich aus den im Grundsatz der Gemeinschaftstreue (Art. 10 EG) wurzelnden Geboten der Effektivität und Äquivalenz, dass die durch nationale Behörden im Rahmen des Gemeinschaftsrechtsvollzugs ergriffenen Maßnahmen die effektive Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen haben und in ihrer Wirksamkeit nicht hinter Maßnahmen zurückbleiben dürfen, die in vergleichbaren Fällen zur Überwachung der Einhaltung des mitgliedstaatlichen Rechts ergriffen werden. S. EuGH, Rs. 309/85 Barra, Slg. 1988, 355, Rn. 18; Rs. C-208/90 Emmott, Slg. 1991, I-4269, Rn. 16; Rs. C-188/95 Fantask, Slg. 1997, I-6783, Rn. 39; Rs. C-366/95 Steff-Houlbeck Export, Slg. 1998, I-2661, Rn. 15; Rs. C-201/02 Wells, Slg. 2004, I-723, Rn. 67; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 10 EGV, Rn. 31, m. zahlr. w. Nachw. Korrespondierend zur Überwachungspflicht sichert Art. 4 mit einer CE-Kennzeichnung (vgl. Art. 16) versehenen Produkten, unbeschadet der Schutzklausel des Art. 8, den freien Verkehr
Informationen, Grundsatz der Verfügbarkeit von innerhalb der Mitgliedstaaten zu. Soweit Produkte die Gesundheit, Sicherheit oder das Eigentum der Patienten, der Anwender oder Dritter gefährden können, auch wenn sie sachgem. installiert, instandgehalten und ihrer Zweckbestimmung entsprechend verwendet werden, hat nach Art. 8 jeder Mitgliedstaat alle geeigneten vorläufigen Maßnahmen zu treffen, um diese Produkte vom Markt zu nehmen oder ihr Inverkehrbringen oder ihre Inbetriebnahme zu verbieten oder einzuschränken. Daneben bleiben den Mitgliedstaat nationale Schutzmaßnahmen im Rahmen des Art. 36 EG unbenommen (Art. 13). Zusätzliche formelle Anforderungen an Entscheidungen, die gegen das Inverkehrbringen eines Produktes gerichtet ist, enthält Art. 18. Art. 3 i.V.m. Anhang I formuliert hierbei verwendungsspezifische allgemeine Anforderungen, die nach Art. 5 durch veröffentlichte technische Normen konkretisiert werden. Der Hersteller von Produkten im Anwendungsbereich der Richtlinie hat nach Art. 9 i.V.m. Anhang III eine Konformitätsbewertung durchzuführen, für das die nach Art. 15 benannten Stellen zuständig sind, und das Inverkehrbringen entsprechen Art. 10 der nach mitgliedstaatlichem Recht zuständigen Behörde zu melden. (gär) §§: In-vitro-Diagnostika-Richtlinie (98/79/EG)
Individualnichtigkeitsklage action for annulment of individual applicants – recours en annulation des requérants particuliers
Bezeichnung für das Recht natürlicher und ĺjuristischer Personen nach Art. 230 Abs. 4 EG Nichtigkeitsklage (ĺNichtigkeitsklage, Art. 230 EG) zu erheben. Die Individualnichtigkeitsklage unterliegt verschärften Zulässigkeitsanforderungen. Eine natürliche oder juristische Person kann nur Entscheidungen, die an sie gerichtet sind ohne Nachweis einer ĺKlageberechtigung mit der Nichtigkeitsklage angreifen (ĺEntscheidung, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage). Gegen Entscheidungen, die an Dritte oder die als Verordnungen (ĺVerordnung, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage) oder Richtlinien (ĺRichtlinie, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage) ergangen sind, können Individualnichtigkeitskläger nur vorgehen, soweit sie eine ĺunmittelbare oder ĺindividuelle Betroffenheit durch diese nachweisen können. (mk) §§: Art. 230 Abs. 4 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 362 ff., 391 ff.
Individualnichtigkeitsklage, Betroffenheit action for annulment of individual applicants, concern – recours en annulation des requérants particuliers, affectation
Zulässigkeitsvoraussetzung einer ĺIndividualnichtigkeitsklage. Ein solcher Kläger muss – soweit er nicht eine Entscheidung angreift, die an ihn gerichtet ist – eine ĺunmittelbare und ĺindividuelle Betroffenheit durch den angefochtenen Rechtsakt nachweisen. Der Begriff der Betroffenheit bezeichnet dabei eine tatsächliche Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Klägers durch eine rechtsverbindliche Handlung. (mk) Industrielle Risiken ĺGefahrstoffrecht Informationen, Grundsatz der Verfügbarkeit von information, principle of availability of – d’informations, principe de disponibilité
Nach dem ĺHaager Programm soll für den ĺInformationsaustausch zwischen den ĺMitgliedstaaten im Rahmen der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen gelten. Zur Umsetzung des Grundsatzes hat die ĺKommission 2005 einen Vorschlag für einen ĺRahmenbeschluss über den Austausch von Informationen nach dem Grundsatz der Verfügbarkeit zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung von Straftaten vorgelegt. Der Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses soll auf den Zeitraum vor der Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen beschränkt sein. Es soll die grenzüberschreitende Datenübermittlung erleichtert werden, indem gleichwertigen Ermittlungsbehörden anderer Mitgliedstaaten sowie ĺEuropol grundsätzlich unter den gleichen Bedingungen Zugang zu personenbezogenen Daten gewährt wird wie den entsprechenden inländischen Behörden. Soweit letztere einen Online-Zugriff auf entsprechende Datenbanken besitzen, soll dieser auch den gleichwertigen Behörden anderer Mitgliedstaaten ermöglicht werden. Jedenfalls als Indexdaten sollen auch online nicht zugängliche informationen abrufbar sein. Verweigerungen von Informationen sollen aus staatlichen Interessen oder zum Zwecke des Grundrechtsschutzes des Betroffenen möglich sein. Für die Verwendung der erlangten Daten soll der Spezialitätsgrund515
Informationsagenturen satz gelten, sie dürfen nur zur Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung der Straftat verwendet werden, für die sie bereitgestellt wurden. Eine Verwertung als Beweismittel im Strafverfahren bedürfte der vorherigen Genehmigung einer Justizbehörde des Herkunftsstaates. Bereits beschlossen und vor dem 19.12.20078 umzusetzen ist der Rahmenbeschluss 2006/960/ JI über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der EU.Er soll jenseits des Online-Zugriffs den erleichterten und beschleunigten Austausch bestehender Informationen und Erkenntnisse zum Zwecke der Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen oder polizeilicher Erkenntnisgewinnungsverfahren ermöglichen. Die Verwendung der erlangten Informationen als Beweismittel im Strafverfahren bedarf jedoch der gesonderten Einwilligung des Herkunftsmitgliedstaates. (sts) §§: Rahmenbeschluss 2006/960/JI über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2006, Nr. L 386/89 Berichtigung ABl. 2007, Nr. L 75/26; Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über den Austausch von Informationen nach dem Grundsatz der Verfügbarkeit, KOM(2005) 490 endg.; Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten zu KOM(2005) 490 endg., ABl. 2006, Nr. C 116/8 Lit.: M. Böse, Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Europäischen Union, 2007; ders., Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der EU, EuZ 2007, 62 ff.
Informationsagenturen information agencies – agences d’information
Der insbesondere von der Literatur geprägte Begriff „Informationsagentur“ beschreibt jenen Typ von ĺGemeinschaftsagenturen, deren Aufgaben sich vornehmlich um Netzwerkkoordination zum Austausch von Informationen drehen. Sie sollen einzelne Stellen über mehrdimensionale Verbindungen verknüpfen und sie zentral koordinieren. Durch Sammeln und Aufbereiten solcher gemeinschaftsweiter Informationen möchte man wirksame Schritte im Politikprozess der Gemeinschaft setzen und so die Initiativarbeit der ĺKommission unterstützen. Informationsgewinnung, manchmal auch Bewertung, Weitergabe und Zusammenarbeit mit Dritten stehen demnach im Mittelpunkt der Tätigkeit der Informationsagenturen. Es handelt sich dabei um die ĺEuropäische Umweltagen516
tur (AEE), die ĺEuropäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD), die ĺEuropäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA), und die ĺEuropäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC). (gr) Lit.: D. Fischer-Appelt, Die Agenturen der europäischen Gemeinschaft, 1999, 55 ff.
Informationsaustausch (PJZS) information exchange (PJCCM) – échange d’information (CPJMP)
Der grenzüberschreitende Austausch von Information steht im Vordergrund der operativen Zusammenarbeit der Behörden der ĺMitgliedstaaten im Rahmen der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Dem bereits im ĺTampere-Programm eingeführten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der) wurde mit dem ĺHaager Programm der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen (ĺInformationen, Grundsatz der Verfügbarkeit von) in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der EU zur Seite gestellt. Bereits nach der geltenden Rechtslage wird ein umfangreicher Informationsaustausch sowohl personenbezogener als auch allgemeiner Informationen über das ĺSchengener Informationssystem, im Rahmen von ĺEuropol und im Rahmen von ĺEurojust ermöglicht. Auch Abkommen über die Weitergabe von ĺFluggastdaten stellen einen Teil des Informationsaustausches im Rahmen der ĺDritten Säule dar. Im sachlichen Zusammenhang damit, aber außerhalb des Unionsrechts auf Basis des völkerrechtlichen ĺPrümer Vertrags wird zwischen einem Teil der Mitgliedstaaten ein weiterer grenzüberschreitender Informationsaustausch und -zugriff ermöglicht. Im Juni 2007 wurde im Rat eine politische Einigung über die Integration wesentlicher Teile des Prümer Vertrages in das Unionsrecht erzielt. Trotz der weitgehenden Möglichkeiten des Informationsaustauschs innerhalb der PJZS ist bislang kein allgemeiner ĺRahmenbeschluss über die Verwendung personenbezogener Daten beschlossen. Das Grundrecht auf Datenschutz ist aber auch im Rahmen der Dritten Säule anwendbar; spezielle Regelungen finden sich in den einzelnen Rechtsakten, auf denen der Imformationsaustausch beruht. (kl) (sts)
Informationspflicht Informationsgesellschaft information society – la société de l’information
Der Begriff Informationsgesellschaft beschreibt den gesellschaftlichen Wandel, der durch die Einführung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (kurz: IKT) ausgelöst wurde. Zu diesen neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zählen eine breite Palette von Diensten, Anwendungen, Technologien, Geräten und Computerprogrammen, wie z.B. das Internet und die Mobiltelefonie, die beide in den letzten Jahren in einem besonderen Maß zu den Veränderungen in unserer Gesellschaft beigetragen haben oder das digitale Fernsehen, von welchem man sich in der Zukunft noch besonders einschneidende Entwicklungen erwartet. Die Informationsgesellschaft definiert sich insofern – stellt man zunächst einmal nur auf diese technologischen Aspekte ab – als eine Gesellschaft, die auf Informations- und Kommunikationstechnologien aufbaut. Nimmt man auch die Veränderungen der ökonomischen Strukturen in den Blick, die diese neuen Techniken mit sich gebracht haben, liegt ein weiteres wesentliches Kennzeichen der Informationsgesellschaft in der zunehmenden Bedeutung der Gewinnung, Speicherung, Verarbeitung, Vermittlung, Verbreitung und Nutzung von Informationen und Wissen als Produktionsfaktor und Konsumgut. In diesem Zusammenhang ist auch von der Herausbildung eines „quartären Sektors“ oder der sog. „Neuen Wirtschaft (New Economy)“ die Rede. In dieser kommt insbesondere der Contentindustrie, die Inhalte produziert und (zunehmend digital) verbreitet, eine hervorragende Bedeutung zu. Schließlich ist wesentliches Merkmal der Informationsgesellschaft – unter Betonung ihrer kulturellen und sozialen Aspekte – die verstärkte Nutzung der neuen Technologien und damit verbunden die steigende Bedeutung der Medien allgemein im Zusammen- und Alltagsleben der Menschen in dieser Gesellschaft. Zusammengefasst umschreibt der Begriff Informationsgesellschaft somit eine Gesellschaft, in der die Information, die Medien und die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zunehmend wirtschaftlich, kulturell und sozial prägend werden und die Art und Weise beeinflussen, wie in der Gesellschaft gelebt und gewirtschaftet wird. Der Aufbau einer erfolgreichen Informationsgesellschaft in Europa ist ein zentraler Punkt des in Lissabon beschlossenen Ziels der EU,
bis 2010 zur dynamischsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaft der Welt zu werden. Sie wird sowohl über Forschungs-, Förderungs- (s. dazu auch ĺi2010) und regulierende Maßnahmen gesteuert. (dd) Lit.: M. Holoubek/S. Griller, Europäisches und öffentliches Wirtschaftsrech, Bd. II, 2006, 167 ff. Web: http://ec.europa.eu/information_society/index_ de.htm
Informationsgesellschaftrichtlinie directive on copyright in the information society – directive sur le droit d’auteur dans la société de l’information
Bei der InformationsgesellschaftRL (RL 2001/ 29/EG, ABl. 2001, Nr. L 167/10) handelt es sich um eine jener RL, mit denen Teile des Urheberrechts harmonisiert wurden; sie gehört damit zum ĺeuropäischen Urheberrecht. Kompetenzgrundlage ist Art. 95 EG. Die InformationsgesellschaftRL harmonisiert mit Blick auf die technologischen Entwicklungen in der sog. Informationsgesellschaft grundlegende Prinzipien des Urheberrechts und der Leistungsschutzrechte. Sie setzt außerdem die Verpflichtungen der 1996 vereinbarten und von der EU unterzeichneten WIPO-Verträge (Copyright Treaty, WCT; Performances and Phonograms Treaty, WPPT) um. Die InformationsgesellschaftRL definiert und regelt das ĺVervielfältigungsrecht (Art. 2), das ĺRecht der öffentlichen Wiedergabe (Art. 3, vgl. dazu auch ĺHotel TV), das Recht der Zugänglichmachung (Art. 3), das ĺVerbreitungsrecht (Art. 4) sowie den ĺErschöpfungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 2). Sie legt außerdem Schranken der Verwertungsrechte fest, wobei es den Mitgliedstaaten teilweise frei steht, dem Urheber einen gerechten Ausgleich einzuräumen; teilweise ist ein solcher Ausgleich zwingend vorgesehen (Art. 5). (js) Lit.: G. Spindler, Europäisches Urheberrecht in der Informationsgesellschaft, GRUR Int. 2002, 105
Informationsmodell ĺVerbraucherschutzmodelle Informationsparadigma ĺVerbraucherschutzmodelle Informationspflicht obligation to inform – obligation d’information
Werden ĺpersonenbezogene Daten von einer ĺbetroffenen Person unter deren Mitwirkung 517
Informationsprinzip (freier Warenverkehr) erhoben, so hat ihr der ĺVerantwortliche für die Verarbeitung zumindest seine Identität und die Zweckbestimmung der Verarbeitung bekannt zu geben. Diese Mindestinformationspflichten gegenüber einer betroffenen Person sieht die RL 95/46/EG (ĺDatenschutzrichtlinie) vor. Hat die betroffene Person bei der Erhebung nicht mitgewirkt so entsteht eine Informationspflicht erst bei einer Speicherung oder sobald eine Weitergabe der Daten beabsichtigt wird, spätestens aber mit der Übermittlung der Daten an Dritte. (al) §§: Art. 10 und 11 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 180; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 155
Informationsprinzip (freier Warenverkehr) consumer information (free movement of goods) – information du consommateur (libre circulation des marchandises)
Dem ĺVerbraucherschutz dienende mitgliedstaatliche absolute und relative ĺAbsatzverbote, ĺBezeichnungsverbote und ĺBezeichnungsvorbehalte sind regelmäßig im Sinne der ĺVerhältnismäßigkeitsprüfung als nicht erforderlich zu qualifizieren, da der Verbraucher durch das gelindere Mittel der angemessenen Unterrichtung und Aufklärung ebenso geschützt werden kann wie durch obige Maßnahmen. Der Schutz des Verbrauchers vor Irreführung und Täuschung kann somit regelmäßig durch entsprechende Information, insbesondere mittels der ĺEtikettierung des Erzeugnisses gewährleistet werden. (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28 EGV, Rn. 95; S. Leible, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 28 EGV, Rn. 36 Rsp.: EuGH, Rs. 120/78 Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, I-2795, Rn. 13 (ĺCassis de Dijon-Entscheidung); EuGH, Rs. 286/86 Deserbais, Slg. 1988, 4907, Rn. 19 (Edamer)
Informationsrecht ĺKommunikationsrecht Informationssystem, Schiffsverkehr ĺÜberwachungssystem, Schiffsverkehr Informationsverfahren procedure for the provision of information – procédure d’information
Mit der RL 98/34/EG (ABl. 1998, Nr. L 204/37 i.d.F. ABl. 2006, Nr. L 363/81) wurde ein Infor518
mationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft eingerichtet. Die RL sieht in den genannten Bereichen ein System der Vorabkontrolle mitgliedstaatlicher Vorschriften, die Hindernisse für den freien Waren- oder Dienstleistungsverkehr darstellen können, vor. Dementsprechend sind MS, die Vorschriften, die etwa die Merkmale eines Erzeugnisses oder den Zugang zu einer Dienstleistung der ĺInformationsgesellschaft festlegen wollen, verpflichtet, den Entwurf der Vorschrift der KOM zu übermitteln, die den Entwurf an die anderen MS weiterleitet. Innerhalb einer Frist von jedenfalls drei Monaten („Stillhaltefrist“) ist es dem jew. MS untersagt, den vorgelegten Entwurf in Kraft zu setzen. In dieser Zeit kommt der ĺKOM und den anderen ĺMS die Möglichkeit zu, die Vereinbarkeit des Entwurfs mit den Erfordernissen des ĺBinnenmarktes zu untersuchen. Die KOM und die MS können dem MS, der einen Entwurf unterbreitet hat, Änderungen vorschlagen, die dieser MS bei der weiteren Ausarbeitung der technischen Vorschrift soweit wie möglich zu berücksichtigen hat. Setzt der MS den Entwurf nach Ende der Stillhaltefrist in Kraft, kann die KOM, wenn sie die Auffassung vertritt, der Rechtsakt sei mit den Erfordernissen des Binnenmarktes nicht vereinbar, ein ĺVertragsverletzungsverfahren anstrengen. Die Vorgaben der RL über die Mitteilungs- und Stillhaltefrist entfalten dabei unmittelbare Wirkungen zu Gunsten des Einzelnen; der Verstoß gegen diese Pflichten führt somit zur Unanwendbarkeit der betreffenden technischen Vorschriften (in Bezug auf ihre handelsbeschränkenden Wirkungen), sodass sie Einzelnen nicht entgegengehalten werden können (vgl. grundlegend EuGH, Rs. C-194/94 CIA, Slg. 1996, I2201). (cb) §§: RL 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.6.1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, ABl. 1998, Nr. L 204/37 i.d.F. ABl. 2006, Nr. L 363/81 Lit.: A. Bernhard/V. Madner, Das Notifikationsverfahren nach der Informationsrichtlinie (Teil I), JRP 1998, 87 ff.; A. Bernhard/V. Madner, Das Notifikationsverfahren nach der Informationsrichtlinie (Teil II), JRP 1998, 103 ff.; H. G. Fischer, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Vorbem. Art. 94-97, Rn. 11 Rsp.: EuGH, Rs. C-194/94 CIA, Slg. 1996, I-2201; EuGH, Rs. C-226/97 Lemmens, Slg. 1998, I-3711; EuGH, Rs. C-443/98 Unilever Italia, Slg. 2000, I7535
Inkrafttreten der Rechtsakte Informationsvorrang, Grundsatz ĺVerbraucherschutzmodelle Informationszugang access to information – accès aux documents
Art. 255 Abs. 1 EG, Art. 42 GRC gewähren das Recht auf I. zu den Dokumenten des Europ. Rat, des EP und der KOM. Die Zugänglichkeit bildet damit die Regel, die Genehmigungspflicht die begründungspflichtige Ausnahme. Die sekundärrechtliche Ausgestaltung des I. wurde gem. Art. 255 Abs. 2 EG durch die Informationszugangs-VO vorgenommen. Art. 255 EG und die Informationszugangs-VO gilt gem. Art. 28 Abs. 1, 41 Abs. 1 EU auch für das Handeln der Organe im Bereich des EU. Über den Wortlaut des Art. 255 Abs. 1 EG hinaus haben sich auch die anderen Gemeinschaftseinrichtung durch sekundärrechtliche Ergänzung der Gründungs-VO dem I. für ihren Tätigkeitsbereich unterworfen. Anspruchsgrundlage für den I. zu anderen Gemeinschaftseinrichtungen ist dann allein die jeweilige Gründungs-VO, die die Informationszugangs-VO für anwendbar erklärt. Anspruchsschranken sind in der Informationszugangs-VO detailliert geregelt. Abzugrenzen ist das Recht auf I. vom Recht auf ĺAkteneinsicht. (fh) §§: Art. 255 EG; Art. 42 GRC; InformationszugangsVO (EG) des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 30.5.2001, ABl.2001, Nr. L 145/43; VO (EG) 1641/2003 bis 1655/2003, ABl. 2003, Nr. L 245 Lit.: B. Wegener, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 255 EG, Rn. 6 ff.
Ingmar-Entscheidung Ingmar case – jurisprudence Ingmar
In der Ingmar-Entscheidung (EuGH, 9.11.2000, Rs. C-381/98, Ingmar GB Ltd/Eaton Leonard Technologies Inc, Slg. 2000, I-09305) ging es um die Frage, ob in einem grenzüberschreitenden Handelsvertretervertrag der (auf die HandelsvertreterRL zurückgehende) Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters durch die Wahl des Rechts (vgl. ĺRechtswahl) eines Drittstaates (hier: USA, Kalifornien) abbedungen werden kann. Der EuGH entschied, dass der Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters, der auf EU-Gebiet tätig ist, nicht abbedungen werden kann, und zwar auch dann nicht, wenn der Unternehmer in einem Drittstaat situiert ist und der Handelsvertretervertrag kraft ĺRechtswahl dem Recht dieses Drittstaates unterworfen wurde. Damit erklärte der EuGH den Aus-
gleichsanspruch zu einer ĺEingriffsnorm im Sinne des Art. 7 ĺEVÜ. (js) §§: Art. 17 der RL 86/653/EWG vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbstständigen Handelsvertreter; Art. 7 ĺEVÜ Lit.: H.-J. Sonnenberger, Eingriffsrecht – Das trojanische Pferd im IPR oder notwendige Ergänzung?, IPRax 2003, 104
Initiativmonopol legal monopoly on initiatives – monopole des initiatives
Da i.d.R. das ĺRechtsetzungsverfahren der Gemeinschaft durch einen Vorschlag der ĺKommission eingeleitet wird (Art. 250 Abs. 1 EG), kommt dieser als „Motor der Integration“ große Bedeutung zu. Im Zuge des Vorschlages legt die Kommission auch die Rechtsgrundlage fest, was für die Wahl des jeweiligen ĺRechtsetzungsverfahrens entscheidend ist. Diese Festlegung kann jedoch vom ĺRat einstimmig nach Art. 250 Abs. 1 EG geändert werden. Sollte sich jedoch die Wahl der Rechtsgrundlage und somit das anzuwendende Verfahren als falsch herausstellen, kann der ĺEuGH den dahingehend erlassen Rechtsakt für nichtig erklären. Auch wenn der Kommission das alleinige Initiativrecht zur Rechtsetzung der Gemeinschaft zukommt, kann diese vom ĺEuropäischen Parlament (Art. 192 EG) sowie vom Rat (Art. 208 EG) dazu aufgefordert werden. (gh) §§: Art. 192, 208, 210 Abs. 1 EG Lit.: M. Gellermann, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 250 EGV, Rn. 6 ff.; E. Waldherr, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 14. Lfg. 2003, Art. 250 EGV, Rn. 1 ff.
Initiativrecht der Kommission ĺRechtsetzungsverfahren; ĺKommission; Aufgaben; ĺInitiativmonopol Inkrafttreten der Rechtsakte entry into force of legal acts – entrée en vigueur des actes juridiques
Unter Inkrafttreten eines Rechtsakts ist das Entfalten von Rechtswirkungen zu verstehen, also der Beginn seiner Wirksamkeit. Grundsätzlich tritt ein EU- bzw. EG-Rechtsakt sofort in Kraft, nachdem er vom zuständigen ĺOrgan beschlossen und der endgültige Rechtstext durch Unterschrift des Präsidenten dieses Organs beglaubigt wurde (sog. Feststellung). Das Erlassorgan kann im Text des Rechtsakts ein abweichendes Datum für das Inkrafttreten festlegen oder das Inkrafttreten von weiteren Bedingun519
Inländerbehandlung gen abhängig machen, etwa vom Inkrafttreten eines anderen Rechtsakts. In Abhängigkeit von der gewählten Handlungsform gelten jedoch für einige Rechtsakte besondere Regeln, die weitere Anforderungen stellen. Für alle Rechtsakte, die im Mitentscheidungsverfahren erlassen wurden (ĺMitentscheidung) ist die amtliche Veröffentlichung im Amtsblatt der EU eine notwendige Voraussetzung ihres Inkrafttretens, ebenso für alle ĺVerordnungen sowie für diejenigen ĺRichtlinien, die an alle Mitgliedstaaten gerichtet sind (ĺVeröffentlichung der Rechtsakte). Für nicht veröffentlichungsbedürftige Rechtsakte, die an einen spezifischen Adressaten gerichtet sind, ist ihre Bekanntgabe gegenüber dem Adressaten erforderlich. Diese Regel hat vor allem für privatgerichtete oder staatengerichtete ĺEntscheidungen praktische Bedeutung. Entscheidungen entfalten vor einer ordnungsgemäßen Zustellung bei ihrem Empfänger keine rechtlichen Wirkungen für ihn. Eine fehlerhafte oder verspätete Veröffentlichung oder Bekanntgabe ist ohne Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Akts, da es insoweit ausschließlich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses ankommt. Ereignisse, die nach der Beschlussfassung über den Akt liegen, können dessen Inkrafttreten (vorläufig) hemmen, seine Rechtmäßigkeit aber nicht mehr beeinflussen. Rechtliche Relevanz kann solchen Fehlern aber für den Zeitpunkt zukommen, zu dem die Klagefrist für eine Anfechtung zu laufen beginnt, da diese auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme des Akts abstellt (vgl. Art. 230 V EG, ĺKlagefrist, Nichtigkeitsklage). (jb) §§: Art. 254 EG; Art. 163 Euratom-Vertrag Lit.: J. Bast, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU, 2006, 331 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 17/67 Neumann, Slg. 1967, 571, 610; EuGH, Rs. 15/76 und 16/76 Frankreich/Kommission, Slg. 1979, 321, Rn. 7; EuGH, Rs. C-137/92 P Kommission/BASF u.a., Slg. 1994, I-2555, Rn. 75 f.
Inländerbehandlung ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung; ĺDienstleistungsfreiheit, Diskriminierungsverbot; ĺNiederlassungsfreiheit, Inländerbehandlung; ĺUnionsbürger, Inländerbehandlung Inländerdiskriminierung inverse discrimination – discrimination à rebours
Inländerdiskriminierung, auch umgekehrte Diskriminierung genannt, bezeichnet die Schlech520
terstellung eines eigenen Staatsangehörigen durch einen Mitgliedstaat im Vergleich zu EGAusländern. Diese Situation entsteht, wenn nationale Vorschriften aufgrund einer Unvereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht nicht auf grenzüberschreitende Sachverhalte und damit auf EGAusländer angewendet werden dürfen, während sie aber für Inländer in Fällen ohne Gemeinschaftsbezug weiter gelten. Sie ist nicht vom Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG umfasst; gegen eine solche Diskriminierung kann der Betroffene unter Umständen aufgrund nationaler Vorschriften vorgehen. (fs) Innere Sicherheit ĺPolizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) Innergemeinschaftliche Lieferung ĺLieferung, innergemeinschaftliche Innergemeinschaftlicher Erwerb ĺErwerb, innergemeinschaftlicher Innergemeinschaftlicher Erwerb, Ort des ĺErwerb, innergemeinschaftlicher, Ort des Innsbruck-Gruppe zum Versicherungsvertragsrecht ĺProject Group on a Restatement of European Insurance Contract Law (Innsbruck-Gruppe) Insolvenz ĺEuropäische Insolvenzverordnung Inspire Art-Entscheidung Inspire Art case – jurisprudence Inspire Art
S.a. ĺNiederlassungsfreiheit, für Gesellschaften): Urteil des EuGH, welches die in der Rs. ĺCentros entwickelten Grundsätze insofern fortschreibt, als der Gerichtshof auch andere als in der bloßen Eintragungsverweigerung einer Zweigniederlassung liegende Zuzugshindernisse – wie etwa nationale Sondervorschriften bzw. Eingriffsnormen zur Publizität, Mindestkapitalausstattung, Haftung, Buchführungspflicht und Jahresabschluss – als der ĺNiederlassungsfreiheit unvereinbar betrachtet. (tr) §§: Art. 43, 48 EG Lit.: C. Kersting/C. Schindler, Die EuGH-Entscheidung „Inspire Art“ und ihre Auswirkungen auf die
Integration, Integrationsprozess Praxis, RdW 2003, 539; T. Ratka, Der dritte Streich – EuGH entscheidet „Inspire Art“, GeS 2003, 432 Rsp.: EuGH, Rs. C-167/01 Inspire Art, Slg. 2003, I10155
Institut für Sicherheitsstudien der Europäischen Union (ISS-EU) EU Institute for Security Studies (ISS-EU) – Institut d’études de sécurité de l’U.E. (ISS-UE)
Vormaliges Institut für Sicherheitsstudien der ĺWesteuropäischen Union (WEU) in Paris, das die EU aufgrund der Entwicklung der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Jahr 2001 als Agentur aufgrund des Art. 14 EU übernahm. Als wissenschaftlich unabhängige Forschungseinrichtung erstellt das ISS-EU unter Aufsicht des ĺPolitischen und Sicherheitspolitische Komitees (PSK) Studien zur Entwicklung der europäischen Sicherheitspolitik. Zahlreiche dieser Studien sind auf der Homepage kostenlos zugänglich. (dt) §§: GA 2001/554/GASP, ABl. 2001, Nr. L 200/1 Web: http://www.iss-eu.org/
Institutionelle Autonomie der Mitgliedstaaten ĺAutonomie, institutionelle, der Mitgliedstaaten Institutionen ĺEuropäisches Parlament; ĺRat; ĺKommission; ĺEuGH; ĺRechnungshof Integration Behinderter ĺBehindertenrechte Integration, differenzierte ĺDifferenzierte Integration Integration, Integrationsprozess integration, process of integration – intégration, processus d’intégration
1. Allgemeines. Mit der europäischen Integration wird die Herausbildung der EG und der EU und deren Entwicklung von einem einheitlichen Wirtschaftsraum zur politischen Union bezeichnet. Die supranationalen Bezüge der Integration lassen sich neben ihr an der völkerrechtlichen Einbindung des Nationalstaates in ein zunehmend dichter geknüpftes Netzwerk internationaler Organisationen, die ihrerseits einen tendenziell ansteigenden Konstitutionalisierungsgrad aufweisen, veranschaulichen. Das Europäische Projekt, dessen Beginn mit den Namen
Monnet (ĺMonnet, Jean Omer Marie Gabriel) und Schuman (ĺSchuman, Robert) auf das Engste verbunden ist, basierte auf einem funktionalen Verständnis des Europäischen Einigungsprojekts. Stand am Beginn der gemeinsame Wirtschaftsraum für Kohle und Stahl und der Abbau von Zollschranken (Zollunion), so mündete die Europäische Wirtschaftsintegration in einen umfassend verwirklichten Binnenmarkt, dessen Absicherung Zollunion, Warenverkehrs-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit sowie Arbeitnehmerfreizügigkeit verpflichtet sind. 2. Integrationstheorien. Die Europäische Integration hatte anfangs ein funktionalistisches Verständnis der wirtschaftlichen Integration: Mittels ihrer sollte das Projekt der politischen Integration Europas vorangetrieben werden. Erhofft waren „spill over“-Effekte, die von vergemeinschafteten (wirtschaftsbezogenen) Politikbereichen auf noch mitgliedstaatliche Politikfelder ausgehen sollten. Die zunehmende Vergemeinschaftung – oder zumindest Koordination – in den Bereichen Justiz und Inneres sowie der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sprechen für den Erfolg des Konzepts. Die Europäische Union gewinnt als eine ihr inhärente Entwicklungslogik eine Integrationsdynamik, ihre Fortschreibung erfolgt in Etappen, ihre Gestalt ist immer eine vorläufige. In der politischen Theorie lässt sich diese Entwicklung abbilden. Hier betrachtet der Neofunktionalismus den Prozess der Europäischen Integration auf der Basis eines pluralistischen Gesellschaftsmodells mit einem ökonomisch-funktionalistischen Staatsmodell und dem Menschenbild des Homo Oeconomicus, also des rational agierenden, nach Nutzenmaximierung strebenden Subjekts. Hingegen betonen die Ansätze des Intergouvernementalismus die auch im supranationalen Kontext unverzichtbare Rolle des Nationalstaates und seiner Akteure für Selbstverständnis und Identität der Bürger. 3. Integrationsprozess als Gegenstand des Primärrechts. Nach Art. 1 Abs. 2 1. Halbsatz EU stellt die EU eine neue Stufe einer immer engeren Union der Völker Europas dar. Die europäische Integration wird als dynamischer Entwicklungsprozess zum abstrakten politischen Zielbegriff und soll so die Fortentwicklung des Primärrechts in Form eines Leitbildes bestimmen. Integration ist damit ein Verfassungsprinzip der Union. Der 521
Integrationsfähigkeit Integrationsprozess wirft so die Frage nach der Finalität und ĺIdentität der Union auf. Die Verfasstheit der Union als Integrationsgemeinschaft ist auf Vertiefung und Verdichtung angelegt. Telos ist langfristig die Vergemeinschaftung aller Arten von intergouvernementaler Zusammenarbeit. Für einen beschleunigten Prozess differenzierter bzw. abgestufter Integration bieten die Art. 43 bis 45 EU mit dem Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit den Mitgliedstaaten eine Handlungsform. Der Verfassungsvertrag sollte einen weiteren Schritt im dynamischen Integrationsprozess darstellen; mit ihm hätte die Union die Stufe auch formeller Konstitutionalisierung i.e.S. erreicht. (md) §§: Art. 1 EU; Art. 43 EU Lit.: C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 1 EU Rn. 6 ff.; A. Faber, Europäische Integration und politikwissenschaftliche Theoriebildung, 2005; E. B. Haas, The Uniting of Europe, 1958; P. M. Huber (Hrsg.), Das Ziel der europäischen Integration, 1996; P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2005 3.Aufl.; M. Jachtenfuchs/B. Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 1996; I. Pernice, Zur Finalität Europas, in: G. F. Schuppert et al. (Hrsg.) Europawissenschaft, 2005, 744; A. Wiener/T. Diez, European Integration Theory, 2004
Integrationsfähigkeit ĺAufnahmefähigkeit Integrationsklausel (Umweltschutz) integration clause (environmental protection) – clause d’intégration (protection de l’environnement)
ĺUmweltpolitk, Grundsätze der; ĺQuerschnittsklausel(n). Art. 6 EG. Der Bestimmung kommt ein rechtlich bindender Charakter mit materiellen Wirkungen zu; sie ist nicht nur bloße politische Handlungsanweisung. Im Einzelnen sind die Wirkungen umstritten: Ihr Hauptzweck liegt darin, dem Umweltschutz angemessene Geltung zu verschaffen. wirtschaftliche Ziele sind mit Anliegen des Umweltschutzes abzuwägen. In Zusammenschau mit dem Ziel eines hohen ĺSchutzniveaus führt dies zu einem relativen Vorrang des Umweltschutzes in solchen Abwägungsprozessen. Verfahrensrechtlich erfolgt eine Klarstellung dahingehend, dass Umweltschutz in allen gemeinschaftlichen Tätigkeitsbereichen und bei jeder Einzelmaßnahme zu berücksichtigen ist. Zu beachtende Erfordernisse sind alle Vorgaben des Art. 174 Abs. 3 EG; zudem erfolgt eine weitere Klarstellung, dass eine Berücksichtigung auch bei Interpretation primärrechtlicher Be522
stimmungen (z.B. Grundfreiheiten oder Stillstandsklauseln (ĺStillhaltepflicht, Stillhalteverpflichtung) wie Art. 72 EG) zu erfolgen hat. In einzelnen Rechtsakten werden dadurch auch Klauseln für einen Alleingang einzelner Staaten zugunsten strengerer nationaler Umweltschutzmaßnahmen ermöglicht. (sm) Lit.: I. Pernice, Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes auf das Umweltrecht, NVwZ 1990, 201 ff.; C. Calliess, Die Querschnittsklausel des Art. 6 ex 3 c EGV als Instrument zur Umsetzung des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung, DVBl. 1998, 559 ff.
Integrationsschranken restrictions for further integration – barrières á l’intégration
Mit dem Begriff der Integrationsschranken ist das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verfassungsrecht angesprochen. Da die Übernahme des Gemeinschaftsrechts durch Instrumente des völkerrechtlichen Vertragsrechts in die nationalen Rechtsordnungen umgesetzt wird, richten sich die Einzelheiten dieser Übernahme nach den speziellen zumeist verfassungsrechtlichen Vorschriften in den Mitgliedstaaten. Wenn nun diese Vorschriften inhaltliche Schranken für die Übernahme von internationalem Recht sowie die Übertragung von Hoheitsrechten beinhalten, dann spricht man von Integrationsschranken. Insoweit können die Wirkungen des Gemeinschaftsrechts, vor allem des ĺAnwendungsvorrangs, in den Mitgliedstaaten begrenzt werden. Die Frage eines integrationsfesten Kerns, der durch derartige Integrationsschranken geschützt wird, ist in der österr. Dogmatik nach wie vor umstritten (s. etwa P. Pernthaler, Der Verfassungskern, 1998). Die Funktion von Integrationsschranken kann in den ĺGrundprinzipien der Verfassung erblickt werden, deren Veränderung jedenfalls eine volksabstimmungspflichtige Gesamtänderung der Verfassung darstellt (vgl. Art. 44 Abs. 3 österr. B-VG). Im Kontext der deutschen Dogmatik sind damit jene Grenzen des Integrationsprozesses angesprochen, deren Einhaltung nach Art. 23 Abs. 1 Satz 1 und Art. 79 Abs. 3 GG verfassungsrechtliche Bedingung für die Beteiligung Deutschlands an der EU ist. Insb. muss die EU demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen sowie dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet sein und einen ausreichenden Schutz der ĺGrundrechte gewährleisten. Neben dem Grundrechtsschutz ist in der Rsp. des ĺBVerfG das Demokratieprinzip
Integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU) relevant geworden. In der ĺMaastricht-Entscheidung verlangt das BVerfG sowohl einen stetigen Ausbau der demokratischen Grundlage der EU als auch die Erhaltung einer lebendigen Demokratie in den Mitgliedstaaten (doppelgleisige Legitimation). Dem ĺBundestag müssen demnach substantielle Kompetenzen verbleiben, weil und solange die demokratische Legitimation der EU wesentlich auf der Rückkoppelung an die nationalen Parlamente beruht. Auch müssen der Umfang der Übertragung von ĺHoheitsrechten und das beabsichtigte Integrationsprogramm durch das ĺZustimmungsgesetz hinreichend bestimmbar festgelegt sein. Eine Verletzung dieser Integrationsschranke ist nach Ansicht des BVerfG zugleich eine Verletzung des Wahlrechts nach Art. 38 Abs. 1 GG und kann daher im Wege der ĺVerfassungsbeschwerde gerügt werden. Im österr. Kontext enthält demgegenüber das in Verfassungsrang stehende ĺBeitrittsBVG aus 1994 BGBl. 1994/744 nach überwiegender Ansicht keine Integrationsschranken. Demgegenüber kommt aber den ĺGrundprinzipien der Bundesverfassung, insb. dem demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzip, eine Funktion zu, die weitergehende Integrationsschritte, die diese Prinzipien verändern würden, von der Abhaltung einer Volksabstimmung nach Art. 44 Abs. 3 B-VG abhängig macht. (sgk) (he) §§: Art. 23 GG; Art. 79 Abs. 3 GG; Art. 44 Abs. 3 B-VG; Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union BGBl. 1994/744 Lit.: K. Meessen, Maastricht nach Karlsruhe, NJW 1994, 549; C. Diehr, Die Bewahrung der demokratischen und föderalen Struktur der Bundesrepublik im europäischen Integrationsprozeß: Der neue Artikel 23 GG, 1998; T. Öhlinger, Verfassungsrecht, 7. Aufl. 2007, Rn. 156 f.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 56 ff.; W. Schroeder, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 249 EGV, Rn. 47; S. Uhrig, Die Schranken des Grundgesetzes für die europäische Integration, 2000; R. Walter/H. Mayer/G. Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht, 10. Aufl. 2007, Rn. 246/10
Integrationsverfassungsrecht, staatliches ĺUnionsverfassungsrecht, staatliches Integrierte Unternehmen (Energierecht) integrated undertakings (energy law) – entreprises intégrées (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Anknüpfungspunkt der Liberalisierungsbemühungen der Europäischen Kommission im Energierecht. Unternehmen üb(t)en regelmäßig die Tätigkeiten ĺErzeugung (Import), ĺVertei-
lung und ĺLieferung von elektrischer Energie und Erdgas aus. Ziel der Liberalisierung ist die freie Wahl des Lieferanten. Die Europäische Kommission sieht das Problem, dass die Unternehmen, wenn sie sämtliche Funktionen ausüben, Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Unternehmen haben. Insbesondere ĺNetzbetreiber, die gleichzeitig Erzeuger und Händler sind, stehen im Verdacht, andere Erzeuger und Händler zu diskriminieren. Ziel der Europäischen Kommission ist daher letztlich das Aufbrechen integrierter Unternehmen mittels „Entflechtung“ („ĺUnbundling“). (hh) Lit.: B. Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006, 48 ff.
Integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU) Integrated Pollution Prevention and Control (IPPC) – prévention et réduction intégrées de la pollution (PRIP)
RL 96/61/EG des Rates über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung. Das Ziel der RL ist ein medienübergreifender, „integrierter“ Umweltschutz. Emissionen in Luft, Wasser und Boden unter Einbeziehung der Abfallwirtschaft sollen so weit wie möglich vermieden und – wo möglich – verringert werden (integriertes Konzepts). Dieses Konzept dient dem Grundsatz der nachhaltigen und umweltgerechten Entwicklung (ĺNachhaltigkeit). Der Anwendungsbereich der RL geht von einem anlagenbezogenen Ansatz aus. In Anhang I ist eine (abschließende) Aufzählung besonders umweltrelevanter Anlagentypen enthalten, auf welche die Anforderungen der RL Anwendung finden sollen. Der Anlagenbegriff beschreibt eine ortsfeste technische Einheit, in der eine oder mehrere der in Anhang I genannten Tätigkeiten sowie andere unmittelbar damit verbundene Tätigkeiten durchgeführt werden, die mit den an diesem Standort durchgeführten Tätigkeiten in einem technischen Zusammenhang stehen und die Auswirkungen auf die Emissionen und die Umweltverschmutzung haben können. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird zwischen neuen (Genehmigungsantrag erforderlich), bestehenden (schon vor IVURLAnwendung zugelassen und ein Jahr nach Anwendungsbeginn in Betrieb genommen) sowie wesentlichen (Genehmigung) und unwesentlichen Änderungen von Anlagen (nur Mitteilung) unterschieden. Unterscheidungsgrad sind erhebliche oder nachteilige Auswirkungen auf 523
Integriertes Verwaltungs- und Kontrollsystem Mensch und Umwelt. Die RL normiert zudem Grundpflichten des Anlagenbetriebers (u.a. zum Treffen geeigneter Vorsorgemaßnehmen gegen Umweltverschmutzungen, zur Abfallvermeidung sowie effizienten Energieverwendung); diese sind jedoch keine konkreten Handlungspflichten, sondern nur bei der Genehmigung des Anlagenbetriebes zu berücksichtigende Prinzipien. Bis zu einem gewissen Grad sind auch materielle Vorgaben vorgesehen: Neben der Aufstellung von sechs Grundpflichten der Betreiber (Aspekt der Eigenverantwortung des Betreibers) und zu treffender Vorsorgemaßnahmen ist vorgesehen, dass durch den Betrieb der Anlage keine erheblichen Umweltverschmutzungen verursacht werden dürfen; die Vermeidung und Verwertung von Abfällen hat Vorrang vor deren Beseitigung. Die Genehmigung muss ferner Emissionsgrenzwerte für die von der Anlage ausgehenden Schadstoffe (s. hierzu auch Anhang III der RL) enthalten. Schließlich muss die Öffentlichkeit Zugang zu den Unterlagen für die Genehmigungen und die Gelegenheit zur Stellungnahme haben. (sm) §§: RL 96/61/EG, ABl. 1996, Nr. L 257/26 Lit.: M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 14, Rn. 17 ff.
Integriertes Verwaltungs- und Kontrollsystem ĺINVEKOS Integrität, körperliche ĺUnversehrtheit, körperliche (Grundrecht auf körperliche Integrität) Integritätsschutz ĺUnversehrtheit, körperliche Intergouvernemental intergovernmental – intergouvernemental
Der Begriff der Intergouvernementalität wird in den europäischen Verträgen nicht verwendet und ist rechtlich nicht eindeutig definiert. Meist wird er als Gegenbegriff zur Supranationalität verwendet, um die Besonderheiten der intergouvernementalen Zusammenarbeit zu beschreiben. Diese ist gekennzeichnet durch ihre spezielle verfassungsrechtliche Grundlage, die eigene Entscheidungsfindung und verschiedene Rechtswirkungen – jeweils im Vergleich zur supranationalen Integrationsmethode. In der Praxis gibt es zahlreiche Zwischenstufen der Intergouvernementalität und Supranationalität, 524
sodass eine eindeutige Zuordnung in vielen Fällen nicht möglich ist. Gleichwohl hilft die Differenzierung bei der sprachlichen und konzeptionellen Orientierung zwischen verschiedenen Gestaltformen überstaatlicher Zusammenarbeit. Verfassungsrechtliche Grundlage der intergouvernementalen Zusammenarbeit sind klassische Formen der zwischenstaatlichen Kooperation aufgrund völkerrechtlicher Verträge. Dies ist besonders deutlich bei völkerrechtlichen Verträgen wie den ursprünglichen Schengener Abkommen oder der Europäischen ĺRüstungsagentur (OCCAR), welche nicht Bestandteil der europäischen Verträge sind, sondern diese als „Satellitenverträge“ ergänzen. Aber auch innerhalb der ĺEuropäischen Union ist eine völkerrechtliche Deutung der zweiten und dritten Säule zur ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen weit verbreitet. Nach diesem Verständnis werden keine ĺKompetenzen auf die Europäischen Union übertragen und die angenommenen Rechtsakte haben weder direkte ĺDurchgriffswirkung im innerstaatlichen Rechtsraum der ĺMitgliedstaaten ohne nationalen Rechtsanwendungsbefehl noch im Konfliktfall ĺVorrang vor dem nationalen Recht. Dies gilt insb. für Gemeinsame ĺAktionen und Gemeinsame ĺPositionen der zweiten Säule sowie im Grundsatz auch für ĺBeschlüsse und ĺRahmenbeschlüsse im Rahmen der dritten Säule. Besonders deutlich wird der Unterschied zwischen supranationaler und intergouvernementaler Integrationsmethode beim Beschlussverfahren. Anders als nach der supranationalen Gemeinschaftsmethode kommt der ĺKommission beim intergouvernementalen Entscheidungsverfahren kein Initiativmonopol zu. Stattdessen können auch die ĺMitgliedstaaten Initiativen ergreifen (so zur dritten Säule Art. 34 EU und zur zweiten Säule Art. 22 EU). Die abschließende Entscheidung fällt der ĺRat meist einstimmig (vgl. Art. 23, 34 EU). Das ĺEuropäische Parlament wird entweder nur angehört (Art. 34 EU) oder nur zu allgemeinen Entwicklungslinien gehört (Art. 21 EU). Die Zuständigkeit des ĺEuGH zur Auslegung der intergouvernementalen Rechtsakte ist entweder wie im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ganz ausgeschlossen (Art. 46 EU) oder wie bei der Zusammenarbeit in Strafsachen begrenzt (Art. 35 EU). Nach Maßgabe dieser Kriterien gibt es eine intergouvernemen-
International Working Group on European Trust Law tale Entscheidungsfindung nicht nur in der zweiten und dritten Säule der ĺEuropäischen Union. Auch im Anwendungsbereich des EGVertrags bestehen verschiedene Beispiele einer intergouvernementalen Entscheidungsfindung, so die ĺoffene Methode der Koordinierung oder die Koordinierung der Wirtschaftspolitik im Rahmen der ĺWirtschafts- und Währungsunion. (dt) Lit.: W. Schroeder, Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Europäischer Union und Europäischen Gemeinschaften, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 373; E. Denza, The Intergovernmental Pillars of the European Union, 2002, M. Zuleeg, Wandlungen des Begriffs der Supranationalität, Integration 1988, 103
Interinstitutionelle Vereinbarungen interinstitutional agreements – accords interinstitutionnels
Die interinstitutionelle Vereinbarung (Interorganvereinbarung) ist eine Handlungsform, die die Organe der EU/EG in der Praxis entwickelt haben. Nur in wenigen Fällen können sich diese zwischen zwei oder mehreren Organen geschlossenen Abkommen auf eine ausdrückliche Rechtsgrundlage in den Verträgen stützen (z.B. Art. 218 I EG über die Zusammenarbeit von ĺRat und ĺKommission). Im Übrigen stützten sie sich auf ein organübergreifendes Selbstorganisationsrecht als ungeschriebene Kompetenzgrundlage. In einer Erklärung zum ĺVertrag von Nizza wurde diese Handlungsform erstmals von den Mitgliedstaaten allgemein anerkannt. Interinstitutionelle Vereinbarungen werden im ĺAmtsblatt der EU in der Abteilung C (Mitteilungen und Bekanntmachungen) veröffentlicht (ĺVeröffentlichung der Rechtsakte). In interinstitutionellen Vereinbarungen gehen die beteiligten Organe wechselseitige Verpflichtungen hinsichtlich ihres zukünftigen Verhaltens ein. Dabei müssen sie den Vorrang des ĺPrimärrechts achten, insbesondere dürfen sie das sog. interinstitutionelle Gleichgewicht, d.h. die von den Gründungsverträgen vorgesehene Kompetenz- und Funktionsverteilung zwischen den Organen, nicht verschieben. Zulässige Regelungsgegenstände betreffen vor allem das Organisationsrecht, insbesondere die Konkretisierung der vertraglichen Regeln über die Zusammenarbeit von Kommission, ĺRat und ĺParlament im ĺRechtsetzungsverfahren und bei der Festlegung des Haushalts. Die Verbindlichkeit der eingegangenen Verpflichtungen ist in der juristischen Literatur umstritten, wird aber mit Blick auf das Prinzip der loyalen
Zusammenarbeit (Art. 10 EG), das auch im Verhältnis der Organe untereinander gilt, überwiegend bejaht. In der Politikwissenschaft wird die große Bedeutung der interinstitutionellen Vereinbarungen für die Fortentwicklung des politischen Systems der EU/EG hervorgehoben, nicht zuletzt für die Stärkung des Europäischen Parlaments. Wiederholt haben Neuerungen, die zunächst interinstitutionell vereinbart worden waren, später Eingang in die Gründungsverträge gefunden. Von überragender praktischer Bedeutung ist auch die Vereinbarung über die Haushaltsdisziplin, die eine mittelfristige Finanzplanung der EU/EG ermöglicht. (jb) §§: Art. 10 EG, Erklärung Nr. 3 zum Vertrag von Nizza, Interinstitutionelle Vereinbarung vom 6.5.1999 zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission über die Haushaltsdisziplin und die Verbesserung des Haushaltsverfahrens Lit.: F. von Alemann, Die Handlungsform der Interinstitutionellen Vereinbarung, 2006; P. Slominski, The Fabric of Governance: Interinstitutional Agreements in the EU, ELJ 13 (2007) 2 ff.; A.-M. Tournepiche, La clarification du statut juridique des accords interinstitutionnels, RTDE 38 (2002) 209 ff.; J. Monar, Interinstitutional Agreements, CML Rev. 31 (1994) 693 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 25/70 Köster, Slg. 1970, 1161, Rn. 4; Rs. 230/81 Luxemburg/Parlament, Slg. 1983, 225, Rn. 37; Rs. 34/86 Rat/Parlament, Slg. 1986, 2155, Rn. 50; Rs. 204/86 Griechenland/Rat, Slg. 1988, 5323, Rn. 17
International Working Group on European Trust Law Die 1996 gegründete Forschungsgruppe International Working Group on European Trust Law ist aus den rechtsvergleichenden Arbeiten des Business and Law Research Centre der Universität Nijmegen auf dem Gebiet des Trust Law hervorgegangen. Ziel des Forschungsprojekts war es, gemeinsame Principles of European Trust Law zu erarbeiten, die aber nicht als konkreter Beitrag zu einem ĺEuropäischen Zivilgesetzbuch verstanden werden dürfen, sondern primär der Zugänglichkeit des aus dem Common Law stammenden Rechtsinstituts des Trust auch für kontinental-europäische Juristen dienen. Sie müssen daher von dem derzeit laufenden Teilprojekt der ĺStudy Group on a European Civil Code zum Trust Law als Teil der Vorarbeiten für den ĺGemeinsamen Referenzrahmen geschieden werden. Das Forschungsprojekt ist bereits erfolgreich abgeschlossen; die Ergebnisse in Buchform der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. (mrm) Lit.: Hayton/Kortmann/Verhagen (Hrsg.), Principles of European Trust Law (1999)
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International zwingende Normen International zwingende Normen ĺEingriffsnormen
meinschaftsrecht und nationalem Grundrechtsschutz (ĺGrundrechte, deutsche Rechtslage). (sgk)
Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) International Atomic Energy Agency (IAEA) – Agence internationale de l’énergie atomique (AIEA)
Die IAEO ist eine eigenständige Int. Organisation mit Sitz in Wien, die aber in das UNOSystem eingebunden ist. 1957 ins Leben gerufen, hat sie heute 144 MS. Unter den unter ihren Auspizien stehenden Verträgen sind v.a. das Wiener Übereinkommen von 1963 (ĺAtomhaftungsrecht), der Atomwaffensperrvertrag von 1968 (ĺAtomenergie, friedliche/ militärische Nutzung der) sowie das Wiener Übereinkommen über nukleare Sicherheit von 1994 (ĺnukleare Sicherheit) zu nennen. Sie ist mit der EAG in vielfältiger Weise verbunden (ĺEuratom-Vertrag, Außenbeziehungen). (atm) §§: Satzung (österr.: Statuten) der Internationalen Atomenergiebehörde vom 26.10.1956, dt. BGBl. II 1957, 1359, österr. BGBl. 216/1957 Web: http://www.iaea.org/index.html
Internationale Fusionsrichtlinie ĺInternationale Verschmelzungsrichtlinie Internationale Handelsgesellschaft-Entscheidung Internationale Handesgesellschaft case – jurisprudence Internationale Handesgesellschaft
Entscheidung des ĺEuGH, Rs. 11/70 Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel, Slg. 1970, 1125. Das Verfahren betraf eine Klage gegen den Verfall einer Kaution für eine Getreideausfuhrlizenz aufgrund der VO (EWG) 120/67. Der EuGH stellte klar, dass der ĺAnwendungsvorrang von europäischem ĺSekundärrecht auch ggü. nationalem Verfassungsrecht gilt. Im Gegenzug bestätigte er jedoch die schon zuvor in einem obiter dictum anerkannte Geltung von Grundrechten als Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts, die sich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergeben. In dieser Entscheidung wendete der EuGH Gemeinschaftsgrundrechte erstmals konkret an, sah in der angegriffenen VO jedoch keine Grundrechtsverletzung. In derselben Rechtssache erging später die ĺSolange I-Entscheidung des ĺBVerfG über das Verhältnis zwischen Ge526
Internationale Verschmelzungsrichtlinie directive on cross-border mergers of limited liability companies – directive sur les fusions transfrontalières des sociétés de capitaux
Zehnte gesellschaftsrechtliche ĺRichtlinie vom 26.10.2005 (Umsetzungsfrist: 2 Jahre) über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften (optional auch von Genossenschaften) aus verschiedenen Mitgliedstaaten (RL 2005/56/EG, ABl. 25.11.2005, Nr. L 310/1). Mit dieser Richtlinie sind seit Ende 2007 grenzüberschreitende Fusionen auf gesicherter Rechtsgrundlage nicht nur wie bisher zu einer Europäischen Aktiengesellschaft (ĺSocietas Europaea [SE]), sondern auch ausschließlich zwischen nationalen Kapitalgesellschaftsformen möglich. Bedeutsam ist die neue Richtlinie besonders für Herausverschmelzungen, da der EuGH die Zulassung von Hereinverschmelzungen in der Entscheidung ĺSevic zum Gebot der ĺNiederlassungsfreiheit erklärt hat. Die neue Richtlinie schafft darüber hinausgehend eine konkrete, verfahrensrechtliche Grundlage für grenzüberschreitende Verschmelzungen (Verschmelzungsplan, Verschmelzungsprüfung, Austrittsrecht für der Verschmelzung widersprechende Gesellschafter, ggf. gerichtliche Prüfung des Barabfindungsgebotes bzw. des Umtauschverhältnisses der Anteile, Sicherstellung gefährdeter Gläubiger, Zusammenarbeit der an der Verschmelzung beteiligten nationalen Behörden) und geht dabei im Vergleich zur SE-VO in manchen Teilen durchaus eigene Wege: Hinsichtlich der schwierigen Regelung der Arbeitnehmermitbestimmung wird mit Nuancierungen analog zu dem in der SE-RL festgelegten Modell der Verhandlungslösung und dem gesetzlichen Auffangmodell gelöst, wenn eine der Gründungsgesellschaften mehr als 500 Arbeitnehmer hat. Ansonsten gilt – von der SE-RL abweichend – das Sitzstaatprinzip, womit die Arbeitnehmervertretungen in das Verfahren zur Verschmelzung diesfalls nicht einzubinden sind. (tr) Lit.: H.-W. Neye, Die neue Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, ZIP 2005, 1893; B. Priemayer, Neues zur grenzüberschreitenden Verschmelzung, ecolex 2005, 820; T. Ratka, Die grenzüberschreitende Fusionsrichtlinie ist da, GeS 2006, 56
Internationale Zuständigkeit, Zivil- und Handelssachen Internationale Zuständigkeit, Patentsachen international jurisdiction, patents – compétence judiciaire internationale, brevets
Bestimmung der Zuständigkeit der Gerichte eines Staates für grenzüberschreitende, patentrechtliche Streitfälle. ƒ Streitigkeiten über das Recht auf ein europ. Patent (ĺeurop. Patent, Patentvindikation) während des Erteilungsverfahrens; spezielle Regelung im Anerkennungsprotokoll zum EPÜ. ƒ Streitigkeiten über die Verletzung eines ĺeurop. Patents: Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten (Art. 2 EuGVVO/EuGVÜ/ LGVÜ: erfasst auch Verletzungen in anderen Staaten); am Ort der unerlaubten Handlung (Art. 5 Abs. 3 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ: beschränkt auf Verletzungen in diesem Staat); Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (Art. 6 EuGVVO/EuGVÜ/LGVÜ). ƒ Streitigkeiten über die Gültigkeit eines europ. Patents: ausschließlicher und zwingender Gerichtsstand bei den Gerichten des Staates, in dem das Patent registriert oder hinterlegt wurde (Art. 22 Abs. 4 EuGVVO, Art. 16 Abs. 4 EuGVÜ), d.h. beim europ. Patent somit Gerichte des Staates, für den es erteilt wurde. Dies gilt auch, wenn die Frage der Gültigkeit nur inzident in einem Verletzungsverfahren aufgeworfen wird (EuGH 13.7.2006, Rs. C-4/ 03, GAT, Slg. 2006, I-6509 – einredeweise geltend gemachte Ungültigkeit). ƒ kein Gerichtsstand der Streitgenossenschaft bei Klage gegen verschiedene Unternehmen eines Konzerns mit Sitz in verschiedenen MS wegen gleichgerichteter (und sogar koordinierter) Verletzungshandlungen in verschiedenen MS an einem europ. Patent mangels Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen. Eine solche sei nur bei gleicher Sach- und Rechtslage möglich, beim ĺeurop. Patent prüfe jedoch jeder Staat nach seinem nationalen Recht. EuGH 13.7.2006, Rs. C-539/03, Roche Nederland, Slg. 2006, I-6535. Damit ist Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im europäischen Patentrecht praktisch völlig unbedeutend geworden. (mp) §§: Art. 2; Art. 5 Abs. 3, Art. 6 EuGVVO/EuGVÜ/ LGVÜ; Art. 22 Abs. 4 EuGVVO; Art. 16 Abs. 4 EuGVÜ; Brüsseler Übereinkommen (EuGVÜ), ABl. 1972, Nr. L 299/32; VO (EG) 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), ABl. 2001, Nr. L 12/1; Lugano-Übereinkommen, BGBl. 448/1996
Lit.: D. Stauder, in: M. Singer/ders. (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 64, Rn. 17 ff.; A. Kur, A Farewell to Cross-Border Injunctions? The ECJ Decisions GAT v. LuK and Roche Nederland v. Primus and Goldenberg, IIC 2006, 844; NN, Europäische Union – EuGH beschränkt gerichtliche Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Patentverletzungsklagen sowie gegen Verletzermehrheiten, GRUR Int. 2006, 784; C. Heinze/E. Roffael, Internationale Zuständigkeit für Entscheidungen über die Gültigkeit ausländischer Immaterialgüterrechte, GRUR Int. 2006, 787; J. Adolphsen, Europäisches und internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen, 2005; K. Grabinski, Zur Bedeutung des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens (Brüsseler Übereinkommens) und des Lugano-Übereinkommens in Rechtsstreitigkeiten über Patentverletzungen, GRUR Int. 2001, 199
Internationale Zuständigkeit, Kompetenzkonflikt ĺRechtshängigkeit Internationale Zuständigkeit, Zivil- und Handelssachen jurisdicition, civil and commercial matters – compétence en matière civile et commerciale
Durch die internationale Zuständigkeit werden die Rechtsprechungsaufgaben zwischen verschiedenen Staaten verteilt. Traditionell hat jeder Staat selbst über die Reichweite seiner internationalen Zuständigkeit entschieden und diese häufig in extensiver Weise für sich in Anspruch genommen, bspw. durch Zuständigkeitstatbestände wie den Gerichtsstand des Vermögens oder die transient jurisdiction. Kehrseite solcher exorbitanten Zuständigkeiten ist jedoch, dass die Gerichtspflichtigkeit der Bürger, also die Last sich im Ausland auf ein Verfahren einlassen und verteidigen zu müssen, häufig überstrapaziert wird. Im Falle der ĺAnerkennung ausländischer Entscheidungen hat sich daher der Anerkennungsstaat zum Schutz seiner eigenen Bürger vorbehalten, die Zuständigkeit des Erstgerichts zu überprüfen und im Fall, dass dieses eine exorbitante Zuständigkeit in Anspruch genommen hat, dem Urteil auf Basis bilateraler Abkommen oder des nationalen Prozessrechts die Anerkennung zu verweigern. Dieses System belastet den Kläger mit den Unsicherheiten der Verteilung internationaler Entscheidungszuständigkeit und den Kosten für ein Verfahren, dessen Entscheidung möglicherweise nicht vollstreckbar ist. Das Gemeinschaftsrecht hat deshalb erstmals durch das ĺBrüsseler Übereinkommen – und in Folge durch ĺEuGVVO, ĺEheGVVO und 527
Internationales Schadenersatzrecht ĺEuInsVO – einen Systemwechsel vollzogen und schafft ein einheitliches System internationaler Zuständigkeiten, durch das die Rechtsprechungskompetenz in Zivilsachen zwischen den MS verbindlich verteilt wird. Grundregel ist dabei, dass die Gerichte im Wohnsitzstaat des Beklagten zur Streitentscheidung berufen sind (actor sequitur forum rei). Daneben bestehen eine Reihe weiterer Zuständigkeitstatbestände, die überwiegend auf der Sachnähe des Gerichts zum Streitfall beruhen. Die internationale Zuständigkeit kann schließlich parteiautonom durch eine ĺGerichtsstandsvereinbarung begründet werden. Die internationale Zuständigkeit darf nur in Anspruch genommen werden, wenn der betreffende Rechtsakt dies vorsieht, exorbitante Gerichtsstände sind ausdrücklich ausgeschlossen. Soweit konkurrierende Gerichtsstände bestehen und mehrere Gerichte zugleich angerufen werden, wird ein solcher Kompetenzkonflikt durch die ĺRechtshängigkeitsregel gelöst, die nach dem Prioritätsprinzip dem zuerst angerufenen Gericht den Vorrang einräumt. Durch die Grundregel, dass der allgemeine Beklagtengerichtsstand jedenfalls immer dann eröffnet ist, wenn nicht eine abweichende ausschließliche Zuständigkeit innerhalb der Gemeinschaft begründet ist, werden zugleich negative Kompetenzkonflikte praktisch ausgeschlossen. Weil das System der internationalen Zuständigkeit vereinheitlicht und die Gefahr gebannt ist, dass Bürger einer zu weiten Gerichtspflichtigkeit unterworfen werden, kann die Nachprüfung der Zuständigkeit im Anerkennungsverfahren grundsätzlich entfallen. Selbst die Überschreitung der Zuständigkeit durch das Erstgericht stellt grundsätzlich kein ĺAnerkennungshindernis gegenüber einer Entscheidung aus einem anderen MS dar. (mrm) Internationales Schadenersatzrecht international tort law – droit international des dommages et intérêts
Das internationale Schadenersatzrecht ist Teilgebiet des ĺInternationalen Privatrechts. Es regelt die Frage, welches Recht auf internationale Schadensfälle anzuwenden ist. Auf europäischer Ebene wird das internationale Schadenersatzrecht durch eine Verordnung (ĺ„Rom II“) geregelt, die am 11.1.2009 in Kraft tritt. (js) §§.: VO (EG) 864/2007 vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendnde Recht („Rom II“), ABl. 2007, Nr. L 199/40. Lit.: A. Haberl, Außervertragliche Schuldverhältnisse: Neuerungen durch die Verordnung „Rom II“, Zak
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2007, 287; G. Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1; H. Koziol/T. Thiede, Kritische Bemerkungen zum derzeitigen Stand des Entwurfs einer Rom II-Verordnung, ZfVglRWiss 2007, 235
Internationales Vertragsrecht ĺÜbereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Interpretation, autonome, des EVÜ ĺEinheitliche Interpretation des EVÜ Interpretation, einheitliche, des EVÜ ĺEinheitliche Interpretation des EVÜ Interpretation, gemeinschaftsrechtskonforme interpretation conform with EC Law – interprétation conforme au droit communautaire
Das Gebot der gemeinschaftsrechtskonformen Interpretation steht mit dem Grundsatz des ĺAnwendungsvorrangs in einem engen Zusammenhang. Es erfließt nach überwiegender Auffassung aus der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gemeinschaftstreue (Loyalitätsgebot, Art. 10 EG). Das Gebot der gemeinschaftsrechtskonformen Interpretation hat in jenen Fällen Bedeutung, in denen kein unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht vorliegt, weil die Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht vorliegen. Als eine Ausformung dieses Gebots ist insbesondere die ĺrichtlinienkonforme Interpretation anzusehen. Nach der Judikatur des EuGH (Rs. ĺMarleasing) ist die Auslegung von innerstaatlichem Recht soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und der Verpflichtung des Art. 249 Abs. 3 EG, der die Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten im Hinblick auf Richtlinien normiert, nachzukommen. (he) §§: Art. 10, 249 EG Lit.: U. Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2005, 302 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 91
Interpretation, unionsrechtskonforme interpretation conform with EU Law – interprétation conforme au droit de l’Union Européenne
Das Gebot der unionsrechtskonformen Interpretation steht mit dem Grundsatz der ĺgemeinschaftsrechtskonformen Interpretation in einem engen Zusammenhang und bezieht sich insb. auf die im Rahmen der zweiten (ĺGASP)
Inverkehrbringen, von genetisch veränderten Organismen und dritten (ĺPJZS) Säule des Unionsrechts geschaffenen Rechtsakte, etwa ĺRahmenbeschlüsse. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Rs. C-105/03 Pupino, Slg. 2005, I-5285) muss das nationale Recht auch im Lichte dieser Rechtsakte ausgelegt werden und ggf. an diese angepasst werden. (he) Intervention intervention – intervention
Interventionsregelungen sind ein Mittel um im Rahmen von Gemeinsamen Marktorganisationen ein Gleichgewicht am Markt zwischen Angebot und Nachfrage wiederherzustellen. Eine Interventionsregelung beinhaltet eine Verpflichtung von Seiten der öffentlichen Hand, Waren, die der Interventionsregelung unterliegen, zu einem im Vorhinein festgesetzten Preis und/oder zu im Vorhinein bestimmten Bedingungen aufzukaufen. Diese Verpflichtung kann durch die Interventionsregelung befristet oder auf bestimmte Mengen oder auf bestimmte Qualitäten beschränkt sein. Die öffentliche Hand bedient sich zur Durchführung einer Interventionsregelung im Allgemeinen staatlicher Stellen oder staatlicher Agenturen. Die angekaufte Ware geht dabei in das Eigentum der öffentlichen Hand über. Interventionsregelungen können von der Intensität verschiedene Ausrichtungen haben: ƒ Preislenkung: Aufkauf von Agrarprodukten, die kurzfristig am Markt nicht abgesetzt werden können ohne einen negativen Einfluss auf den Marktpreis zu haben. Dadurch können saisonale oder zyklische Preisfluktuationen verhindert oder geglättet werden ƒ Sicherheitsnetz bei Marktstörungen: Garantie eines Mindestpreises, der die Produktionskosten decken sollte ƒ Preisstützung: Durch das Setzen von Interventionspreisen über den (Welt-)Marktpreisen können erhöhte Produktionskosten bzw. Wettbewerbsnachteile über den Produktpreis abgegolten werden bzw. die Einkommen der Landwirte gesichert werden, aber auch die Produktion angekurbelt werden. Die Verwendung einer Interventionsregelung als Preisstützungsmaßnahme setzt einen funktionierenden Außenschutz an den Grenzen des Binnenmarktes voraus. In einer Marktsituation mit strukturellem Überangebot führt die Verwendung der Intervention als Preisstützungsmaßnahme dazu, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil des Angebotes über die Interven-
tion vermarktet wird und mittels Exportsubventionen außerhalb des Binnenmarktes abgesetzt werden muss, um nicht nachträglich Marktstörungen, die eigentlich durch die Interventionsregelung verhindert werden sollen, zu verursachen. Interventionsregelungen finden sich im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU in den Gemeinsamen Marktorganisationen für Getreide, Reis, Zucker, Milch, Rindfleisch und Wein Andere Maßnahmen zur mengenmäßigen Marktstabilisierung ist die Gewährung von Beihilfen zur privaten Lagerhaltung (EU), die Unterstützung der Marktrücknahme (EU), die Gewährung von öffentlichen Darlehen besichert durch bestimmte Agrarprodukte (USA) und Nutzung von Staatshandelsunternehmen im Agrarhandel (Australien, China, Indien, Kanada, Neuseeland). (all) §§: VO (EG) 1234/2007, Gemeinsame Organisation der Agrarmärkte, ABl. 2007, Nr. L 299/1 Lit.: F. Anhammer, Marktordnungsrecht, in: R. Norer (Hrsg.), Handbuch des Agrarrechts, 2005, 65; A. Leidwein, Europäisches Agrarrecht, 2004
INVEKOS Integrated Administration and control System (IACS) – Système intégré de Gestion et de contrôle (SIGC)
Integriertes Verwaltungs- und Kontrollsystem zur Verwaltung und Kontrolle der im Rahmen der ĺGemeinsamen Agrarpolitik gewährten ĺDirektzahlungen an Landwirte. Über das INVEKOS werden die einheitliche ĺBetriebsprämie, die sonstigen nach der VO (EG) 1782/ 2003 gewährten Beihilfenregelung, Agrarumweltprogramme, Ausgleichzulagen in benachteiligten Gebieten und in Gebieten mit umweltspezifischen Einschränkungen, Forstmaßnahmen und die Einhaltung der Bestimmungen der ĺCross-Compliance kontrolliert. (all) §§: VO (EG) 1782/2003 Direktzahlungen, ABl. 2003, Nr. L 270/1 Lit.: F. Anhammer, Marktordnungsrecht, in: R. Norer (Hrsg.), Handbuch des Agrarrechts, 2005, 100
Inverkehrbringen, von genetisch veränderten Organismen placing on the market, of genetically modified organisms – mise sur le marché, des orgamismes génétiquement modifés
Die ĺFreisetzungsrichtlinie definiert in ihrem Art. 2 Z. 4 das Inverkehrbringen als die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung von ĺgenetisch veränderten Organismen für Dritte. Davon ausgenommen ist 529
Inverkehrbringen, von Lebensmitteln ƒ
die Bereitstellung von genetisch veränderten Mikroorganismen für Tätigkeiten, die unter die RL 90/219/EWG des Rates vom 23.4.1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (ĺSystemrichtlinie) fallen, ƒ die Bereitstellung von genetisch veränderten Organismen ausschließlich für Tätigkeiten, bei denen geeignete strenge Einschließungsmaßnahmen angewandt werden, um den Kontakt der genetisch veränderten Organismen mit der Bevölkerung und der Umwelt zu begrenzen und ein hohes Sicherheitsniveau für die Bevölkerung und die Umwelt zu erreichen und ƒ die Bereitstellung von genetisch veränderten Organismen ausschließlich für die absichtliche richtlinienkonforme ĺFreisetzung. Soll ein neuer genetisch veränderter Organismus oder eine neue Kombination solcher Organismen in Verkehr gebracht werden, so ist dieser oder diese bei der zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates anzumelden (ĺAnmeldeverfahren). Die nationale Behörde nimmt die Anmeldung entgegen und erstellt einen ĺBewertungsbericht, den sie dem ĺAnmelder und der Kommission übermittelt und aus dem hervorgehen muss, ob und unter welchen Bedingungen der betreffende genetisch veränderte Organismus in Verkehr gebracht werden soll oder nicht. Die Kommission wiederum leitet den Bewertungsbericht an die zuständigen Behörden der übrigen Mitgliedstaaten weiter. Fällt der Bewertungsbericht negativ aus, so ist das Inverkehrbringen untersagt, fällt er hingegen positiv aus, so kann nur dann eine Genehmigung erteilt werden, wenn weder die übrigen Mitgliedstaaten noch die Kommission Einwende gegen das Inverkehrbringen erheben. Werden solche Einwende vorgebracht so wird über die Genehmigung in einem Ausschussverfahren (ĺKomitologie) entschieden. Ein positiver Ausgang dieses Ausschussverfahrens verpflichtet die nationale Behörde ihre Zustimmung zum Inverkehrbringen zu erteilen und dies dem Anmelder, der Kommission und den übrigen Mitgliedstaaten mitzuteilen. Hat eine nationale Behörde (nach ordnungsgemäßer Durchführung des Verfahrens) ihre Zustimmung erteilt, so darf das Inverkehrbringen des genetisch veränderten Organismus von keinem Mitgliedstaat verboten, eingeschränkt oder behindert werden. Einzige Ausnahme davon sind kurzfristig zulässige Beschränkungen auf Basis der ĺSchutzklausel in Art. 23 Freisetzungsrichtlinie. (al) 530
§§: Art. 2 Z. 4 und Art. 12 ff. RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. II., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, 2005, Rn. 67 ff.; S. Pohl, Die Risikobewertung bei der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, 2002; C. von Kameke, Gemeinschaftliches Gentechnikrecht: Die Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG, 1995, 53 Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l28130. htm
Inverkehrbringen, von Lebensmitteln placing on the market – mise sur le marché
Unter Inverkehrbringen ist nach Art. 3 Abs. 8 der VO (EG) 178/2002 (sog. ĺBasisverordnung) das Bereithalten von ĺLebens- oder ĺFuttermitteln für Verkaufszwecke einschließlich des Anbietens zum Verkauf oder jeder anderen Form der Weitergabe, gleichgültig, ob unentgeltlich oder nicht, sowie der Verkauf, der Vertrieb oder andere Formen der Weitergabe selbst, zu verstehen. Daher liegt nicht erst bei kommerziell tätigen Lebensmittelhändlern ein Inverkehrbringen vor, sondern bereits bei der (wenn auch unentgeltlich erfolgenden) Abgabe zu karitativen Zwecken. Lediglich die Weitergabe im privaten Rahmen erfüllt nicht den Tatbestand des Inverkehrbringens i.S.d. Basisverordnung. Die Weite des Begriffs lässt sich insbesondere mit der Intention des Gemeinschaftsgesetzgebers, eine effektive ĺLebensmittelsicherheit zu gewährleisten, erklären. (mkr) §§: VO (EG) 178/2002
Investitionsbeihilfen aid for investment – aides à l’investissement
Investitionsbeihilfen werden im Zusammenhang mit der Verwirklichung spezifischer Projekte (z.B. Investitionen in Sachanlagen bzw. Investitionen in immaterielle Anlagewerte) gewährt und dienen im Gegensatz zu ĺBetriebsbeihilfen nicht bloß der Senkung der laufenden Ausgaben eines Unternehmens. (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2005, Rn. 207
Investitionsmaßnahmen, handelsbezogene ĺHandelsbezogene Investitionsmaßnahmen Inzidentrüge plea of illegality – exception d’illégalité
Die I. ist keine eigenständige Klageart. Sie erlaubt im Rahmen einer anhängigen Klage vor
Ioannidis-Entscheidung den Gemeinschaftsgerichten, die Rechtswidrigkeit eines Rechtsaktes zu rügen, welcher Rechtsgrundlage für die mit dieser Klage unmittelbar angefochtene Handlung ist (Stufenverhältnis der beiden Rechtsakte). Sie wird daher häufig auch als Einrede der Rechtswidrigkeit bezeichnet. Der EuGH sieht die Regelung der Inzidentrüge in Art. 241 EG als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Gemeinschaftsrechts. Sie stellt einen wichtigen Ausgleich für die nur beschränkten Möglichkeiten dar, im Rahmen der ĺIndividualnichtigkeitsklage Rechtsakte mit allgemeiner Geltung anzufechten (ĺUnión de Pequeños Agricultores-Entscheidung), steht aber nicht nur Einzelnen, sondern allen Klägern (z.B. EG-Organe und Mitgliedstaaten) zu. Nach dem Wortlaut des Art. 241 EG kann die I. grundsätzlich im Rahmen eines jeden kontradiktorischen Verfahrens vor dem EuGH geltend gemacht werden. In der Praxis hat sie bislang über die ĺNichtigkeitsklage hinaus keine Bedeutung erlangt. Über den Wortlaut des Art. 241 EG hinaus ist, um die mangelnden Klagemöglichkeiten Einzelner nach Art. 230 Abs. 4 EG gegen Rechtsakte allgemeiner Geltung wirkungsvoll zu kompensieren, die Inzidentrüge – was ihren Gegenstand anbetrifft – nicht auf „Verordnungen“ im Sinne des Art. 249 zu beschränken, sondern im Wege der teleologischen Auslegung auf sämtliche Rechtsakte zu erstrecken, denen allgemeine und normative Wirkung zukommt und die Grundlage des mit der zugrunde liegenden Klage eigentlich angegriffenen Rechtsaktes sind (mögliche Rügegegenstände sind z.B. Geschäftsordnungen der Organe; Leitlinien der Kommission im Kartellrecht; Beschäftigungsbedingungen der EZB; im Beihilfenrecht: staatengerichtete Entscheidungen, wenn diese gegenüber Einzelnen normative Wirkung haben). Von der Rechtsprechung bislang nicht geklärt ist die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit einer Richtlinie zu rügen. Da Richtlinien ihrer Staatengerichtetheit und Umsetzungsbedürftigkeit wegen nur in Ausnahmefällen Rechtsgrundlage für andere Gemeinschaftsrechtsakte sind, hat diese Frage für die Praxis bislang keine Rolle gespielt. Soweit ein solcher Fall aber eintritt, spricht nichts gegen die Einbeziehung auch von Richtlinien in den Kreis der Rügegegenstände des Art. 241 EG. Im Hinblick auf die in Art. 230 Abs. 5 EG geregelte Klagefrist, nach deren Ablauf Rechtsakte in Bestandskraft erwachsen (ĺKlagefrist, Nichtigkeitsklage), ist in der Literatur umstrit-
ten, ob die Inzidentrüge unzulässig ist, wenn eine Nichtigkeitsklage des Rügenden nach Art. 230 EG zulässig gewesen wäre, dieser aber keinen Gebrauch davon gemacht hat und der gerügte Rechtsakt damit in Bestandskraft erwachsen ist. Da natürliche und juristische Personen (ĺIndividualnichtigkeitsklage) grundsätzlich nicht im Wege der Nichtigkeitsklage gegen normative Rechtsakte vorgehen können, stellt sich das Problem für diese Gruppe in der Praxis nicht. Für die ĺprivilegierten Kläger der Nichtigkeitsklage darf angesichts des eindeutigen Wortlautes des Art. 241 EG („unbeschadet des Ablaufs der in Artikel 230 Absatz 5 genannten Frist“) nichts anderes gelten. So hat auch die Rechtsprechung eine Rüge nach Art. 241 EG der EZB gegen eine Verordnung zugelassen, die nicht an sie gerichtet war (EuGH, Rs. C-11/00 Kommission/EZB, Slg. 2003, I-7147, Rn. 77 ff.). Anders als ein ĺNichtigkeitsurteil hat die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Rechtsaktes im Rahmen der I. nur inter-partes-Wirkung. (mk) §§: Art. 241 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 914; M. Vogt, „Bestandskraft“ von EG-Rechtsakten und Anwendungsbereich des Art. 241 EGV, EuR 2004, 618-636
Ioannidis-Entscheidung Ioannidis case – jurisprudence Ioannidis
In seinem Urteil in der Rs. Ioannidis (EuGH, Rs. C-258/04 Ioannidis, Slg. 2005, I-8275) bestätigte der Gerichtshof seine angesichts der Unionsbürgerschaft erweiterte Auslegung des grundfreiheitlichen Inländerbehandlungsanspruchs Arbeitsuchender (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Arbeitsuche), die er in der Rs. Collins begründete (ĺCollins-Entscheidung). Im vorliegenden Urteil wurde die im belgischen Recht vorgesehene Voraussetzung für die Gewährung von Überbrückungsgeld für junge Arbeitsuchende, im Inland seine höhere Schulausbildung abgeschlossen zu haben, als nicht zu rechtfertigende Verletzung des Diskriminierungsverbots der Arbeitnehmerfreizügigkeit erklärt. (fw) §§: Art. 12, 39 EG Lit.: D. Martin, Anmerkung, EJML 2006, 231; F. Wollenschläger, Anmerkung, EuZW 2005, 665; ders., Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
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Ioannina, Kompromiss von Ioannina, Kompromiss von Ioannina Compromise – Compromis de Ioannina
Politischer Beschluss des Rates, mithilfe dessen im Zuge der Vorbereitungen des Beitritts Finnlands, Schwedens und Österreichs zum 1.1. 1995 aufgekommene Streitigkeiten über die für die ĺSperrminorität bei der ĺqualifizierten Mehrheit erforderliche Schwelle beigelegt werden konnten. In Anlehnung an den Luxemburger Kompromiss (ĺLuxemburger Protokoll) wird formuliert, dass dann, wenn Mitglieder des Rates, die über insgesamt 23 bis 26 Stimmen verfügen (und damit keine Sperrminorität bilden), erklären, sich einem mit qualifizierte Mehrheit zu fassenden Beschluss des Rates zu widersetzen, der Rat „alles in seiner Macht Stehende“ tun wird, um innerhalb einer angemessenen Zeit und unbeschadet zwingender Fristen, „eine zufriedenstellende Lösung zu finden, die mit mindestens 68 Stimmen angenommen werden kann“. Nachfolgende Änderungen der Stimmenverhältnisse im Zuge der Vertragsrevisionen und Erweiterungsrunden haben den Kompromiss praktisch unanwendbar gemacht, während der Verfassungsvertrag sein Wiederaufleben in angepasster Form vorsieht (Erklärung Nr. 5 zu Art. I-25 VVE). (bho) §§: Ioannina-Beschluss vom 13.4.1994 (ABl. 1994, Nr. C 105/1); Art. I-25 VVE Lit.: K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10-047; U. Haltern, Europarecht – Dogmatik im Kontext, 2005, 97
IPA Instrument for Pre-Accession Assistance – Instrument d’aide de préadhésion
Dt., Instrument für Heranführungshilfe. Mit der Schaffung von I. (VO [EG] 1085/2006) hat der Rat die bisherigen ĺHeranführungshilfen (ĺPHARE, ĺISPA, ĺSAPARD, Heranführungshilfe für die ĺTürkei und ĺCARDS) in einem einheitlichen Rahmen zusammengeführt. I. dient zur Unterstützung der Angleichung (potenzielle ĺBewerberländer) bzw. der Umsetzung und Übernahme (aktuelle Bewerberländer) des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes. Für die Finanzperiode 2007–2013 sind 11,468 Mill. € für Programme im Rahmen von I. vorgesehen. Die Ziele die durch I. unterstützt werden sollen, sind relativ weit gefasst: Aufbau von demokratischen Institutionen, Rechtsstaatlichkeit und regionale Zusammenarbeit; Verwirklichung des Schutzes der Menschenrechte, sozialer Integration, einer Reform der öffentlichen Ver532
waltung, von Wirtschaftsreformen und einer Entwicklung der Zivilgesellschaft; Förderung der wirtschaftlichen, ländlichen und infrastrukturellen Entwicklung (Art. 2 leg. cit.). Eingeschränkt wird dieser Katalog durch die in den ĺEuropäischen Partnerschaften bzw. ĺBeitrittspartnerschaften vom Rat festgesetzten Prioritäten, die ausschlaggebend für die Mittelzuteilung sind (Art. 4 leg. cit.). Eine weitere Konkretisierung erfolgt durch die Ausrichtung der Programmierung und Durchführung der Hilfe an den Komponenten der I. Diese Komponenten sind: Übergangshilfe und Aufbau von Institutionen (Art. 8) sowie grenzüberschreitende Zusammenarbeit (Art. 9). Weitere Komponenten stehen ausschließlich für die aktuellen ĺBewerberländer zur Verfügung: Regionale Entwicklung (insb. zur Vorbereitung auf die Kohäsionspolitik der Gemeinschaft, Art. 10), Entwicklung von Humanressourcen (Art. 11) und Entwicklung des ländlichen Raumes (insb. zur Vorbereitung auf die GAP, Art. 12). Die Hilfe erfolgt aufgrund mehrjähriger, als genereller Rahmen dienender Planungsdokumente (Art. 6), die die KOM für jedes Land in enger Abstimmung mit den nationalen Behörden erstellt. Konkretisiert werden diese Leitlinien durch die Programme der jeweiligen Komponenten. Die Planungsdokumente und Programme werden durch die KOM im Wege des ĺKomitologie-Verfahrens angenommen (Art. 14 VO [EG] 1085/2006 i.V.m. Art. 4. und 7 des Beschlusses 1999/468/EG). Die Wahrung der ĺGrundsätze der EU (Art. 6 Abs. 1 EU) ist eine Voraussetzung für den Erhalt der Gemeinschaftshilfe. Werden diese von den ĺBewerberländern missachtet, die Verpflichtungen aus den ĺEuropäischen Partnerschaften bzw. ĺBeitrittspartnerschaften nicht eingehalten, oder keine befriedigenden Fortschritte bei der Erfüllung der ĺBeitrittsvoraussetzungen erzielt, kann der Rat auf Vorschlag der KOM mit qualifizierter Mehrheit entsprechende Maßnahmen beschließen (insb. die Aussetzung der Zahlungen). (lo) §§: Art. 181a EG; VO (EG) 1085/2006, ABl. 2006, Nr. L 210/82; Komitologiebeschluss (1999/468/EG, ABl. 1999, Nr. L 184 /1) Web: http://ec.europa.eu/enlargement/financial_assis tance/ipa/index_en.htm
IPR, europäisches European PIL – DIP Européen
Das IPR (Internationales Privatrecht) bestimmt, welches Recht auf Streitigkeiten mit Auslands-
ISM-Codes bezug anzuwenden ist. Teilweise wird unter das IPR auch das internationale Zivilprozessrecht subsumiert, insbesondere die Zuständigkeitsregelungen. Im deutschen Sprachraum herrscht allerdings ein Begriffsverständnis vor, wonach der Begriff „IPR“ nur materiellrechtliche und keine prozessualen Aspekte erfasst. Das Europarecht ist für das IPR in mehrfacher Hinsicht relevant: ƒ Ein wichtiger Teilbereich des IPR, das ĺinternationale Vertragsrecht ist im ĺEVÜ schon jetzt einheitlich geregelt. Eine Umwandlung des EVÜ in eine VO ist geplant (ĺRom I). ƒ Auch das IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse ist mittlerweile harmonisiert, und zwar in der sog. ĺ„Rom II VO“. ƒ Für in den Bereichen des Scheidungs- und des Erbrechts gibt es Harmonisierungsbestrebungen (ĺRom III, ĺRom IV). ƒ Die nationalen Regelungen des IPR müssen sich an den Grundfreiheiten messen, was sich bisher insbesondere im Gesellschaftsrecht bemerkbar machte (ĺCentros, ĺÜberseering, ĺInspire Art). ƒ Diverse europarechtliche Regelungsinstrumente enthalten ĺEingriffsnormen. ƒ Darüber hinaus bringt die Harmonisierung eines bestimmten Rechtsbereichs manchmal nicht nur eine Harmonisierung materiellrechtlicher Bestimmungen, sondern auch eine Harmonisierung der IPR-Bestimmungen mit sich, so etwa bei den ĺFinanzsicherheiten. ƒ Strittig ist, inwieweit das ĺHerkunftslandprinzip auch kollisionsrechtliche Implikationen hat (vgl. ĺHerkunftslandprinzip, kollisionsrechtliche Wirkungen). (js) Lit.: S. Grundmann, Das Internationale Privatrecht der E-Commerce-Richtlinie – was ist kategorial anders im Kollisionsrecht des Binnenmarkts und warum, RabelsZ 67 (2003) 246; J. Basedow, Europäisches Internationales Privatrecht, NJW 1996, 1921
Irreführung und Täuschung des Verbrauchers (freier Warenverkehr) risk of consumers being misled (free movement of goods) – risque de voir les consommateurs induits en erreur (libre circulation des marchandises)
Mitgliedstaatliche Vorschriften (ĺEtikettierung, ĺBezeichnungsverbote, ĺBezeichnungsvorbehalte) welche den Verbraucher (ĺVerbraucherleitbild) vor durch die Verwendung von bestimmter Bezeichnungen (z.B. Gattungsund Verkehrsbezeichnungen) bewirkten Irreführung und Täuschung schützen sollen, dienen dem ĺVerbraucherschutz. Solche Vor-
schriften sind gerechtfertigt, vorausgesetzt sie sind verhältnismäßig (ĺVerhältnismäßigkeitsprinzip). Irreführung des Verbrauchers liegt vor, wenn ein Erzeugnis unter einer Bezeichnung vermarktet wird, die beim Verbraucher den Eindruck hervorruft, es handele sich um eine bestimmte Ware, während sich hinter der Bezeichnung tatsächlich eine andere Ware verbirgt (vgl. etwa EuGH, Rs. C-383/97, van der Laan, Slg. 1999, I-731, Rn. 32 f.). (rp) Lit.: W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 1006 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-383/97 van der Laan, Slg. 1999, I-731, Rn. 32 f.
ISM-Codes International Safety Management Code (ISM codes) – Code international de gestion de la sécurité navires (Code ISM)
Der Internationale Code für Maßnahmen zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs und zur Verhütung der Meeresverschmutzung (nachstehend „ISM-Code“ genannt) wurde 1993 von der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) angenommen. Dieser Code wurde durch die Annahme des Kap. IX zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs des Internationalen Übereinkommens zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS) von 1974 im Mai 1994 für die meisten Schiffe auf Auslandfahrt schrittweise verbindlich. Aufgrund der VO (EG) 3051/95 über Maßnahmen zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs von ĺRoRo-Fahrgastfährschiffen wurde der ISM-Code mit Wirkung vom 1.7.1996 für alle Ro-Ro-Fahrgastfährschiffe verbindlich, die im Linienverkehr von und nach Häfen der Mitgliedstaaten auf Inland- oder Auslandfahrt eingesetzt werden, unabhängig von der geführten Flagge. Der ISM-Code wurde durch die am 5.12.2000 angenommene Entschließung MSC.104 (73) von der IMO geändert. Mit VO (EG) 336/2006 zur Umsetzung des Internationalen Codes für Maßnahmen zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs innerhalb der Gemeinschaft und zur Aufhebung der VO (EG) 3051/95 des Rates (ABl. 2006, Nr. L 64/1) soll die Organisation von Sicherheitsmaßnahmen und den sicheren Betrieb von Schiffen sowie die Verhütung von Meeresverschmutzung durch in der RL genannte Schiffe verbessert werden, indem durch folgende Maßnahmen sichergestellt wird, dass Unternehmen, die diese Schiffe betreiben, den ISM-Code einhalten: 533
ISPA ƒ
Einrichtung, Anwendung und ordnungsgemäße Aufrechterhaltung der an Bord und an Land befindlichen Systeme zur Organisation von Sicherheitsmaßnahmen durch die Unternehmen und ƒ Kontrolle dieser Systeme durch die Verwaltungen des Flaggen- und Hafenstaats. Diese VO gilt für folgende Arten von Schiffen und die sie betreibenden Unternehmen: in der Auslandfahrt eingesetzte Frachtschiffe und Fahrgastschiffe, die die Flagge eines MS führen; ausschließlich in der Inlandfahrt eingesetzte Frachtschiffe und Fahrgastschiffe, unabhängig von der geführten Flagge; Frachtschiffe und Fahrgastschiffe im Linienverkehr von oder nach Häfen der MS, unabhängig von der geführten Flagge; bewegliche Offshore-Bohreinheiten, die unter der Hoheitsgewalt eines MS betrieben werden. (sm) §§: KOM(2005) 379 endg. vom 23.8.2005
ISPA Instrument for Structural Policies for Pre-Accession – Instrument structurel de préadhésion
Dt., Strukturpolitisches Instrument zur Vorbereitung auf den Beitritt. IPSA (I.) ist bzw. war eine strukturpolitische ĺHeranführungshilfe für die ĺMOEL im Rahmen der sog. Osterweiterung und diente der Annäherung an die gemeinschaftlichen Standards im Infrastrukturbereich, sowie zur Ermöglichung von Umweltund Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen (VO [EG] 1267/1999). Dabei übernahm die EU regelmäßig 75 % der jeweiligen Projektkosten. I. wurde im Rahmen der intensivierten ĺHeranführungshilfe eingeführt und unterlag den Konditionalitäten der ĺBeitrittspartnerschaften. Die einzelnen Zahlungen genehmigte die KOM unter Beteiligung des ISPA-Verwaltungsausschusses im Rahmen des ĺKomitologieVerfahrens (Art. 14 leg. cit.). Nach den 2004 und 2007 erfolgten Beitritten der MOEL (ĺOsterweiterung) endete die I.-Förderung, da die neuen Mitglieder nun Anspruch auf Leistungen aus den Strukturfonds der Gemeinschaften besitzen. Für die aktuellen Beitrittswerber hat das Instrument für die Heranführungshilfe (ĺIPA) mit 2007 die Funktionen von I. übernommen. (lo) §§: Art. 181a EG; VO (EG) 1267/1999, ABl. 1999, Nr. L 161/73
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Lit.: T. Baerman, „Life after Phare“ – Die Zukunft der Vor-Beitrittshilfen, WiRO 2004, 97 Web: http://ec.europa.eu/enlargement/financial_assis tance/ispa_en.htm
Israel Israel – Israël
ĺEuropa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Staat Israel sowie sektorielle Abkommen. (bb) §§: ABl. 2000, Nr. L 147/1 (in Kraft seit 1.6.2000) Web: http://www.eu-del.org.il/english/content/eu_and _country/1.asp
IST Information Society Technologies – IST
Programm der Europäischen Kommission in den Jahren 2002–2006 im Rahmen des 6. Forschungsrahmenprogramms speziell zur Förderung von Forschung und technischer Entwicklung. (cd) Web: http://cordis.europa.eu/ist/about/about.htm
ITER International Thermonuclear Experimental Reactor – réacteur expérimental thermonucléaire international
Dt., Internationale thermonukleare Experimentalreaktor. Das ITER-Abkommen wurde am 26.11.2006 von den sieben Partnern China, EU (einschließlich Schweiz), Indien, Japan, Russland, Südkorea und USA unterzeichnet und ist nach seiner Ratifizierung durch alle Parteien am 24.10.2007 in Kraft getreten. Dabei handelt es sich um das größte wissenschaftliche Kooperationsprojekt im Bereich der Erforschung der Nutzbarkeit der Kernfusion als Energiequelle. Die durch das Abkommen gegründete ITER-Organisation ist für Bau und Betrieb eines Versuchsreaktors in Cadarache in Südfrankreich verantwortlich, der Aufschlüsse über die wissenschaftlich-technische Handhabbarkeit und die wirtschaftliche Verwertbarkeit der kontrollierten Kernfusion geben soll (ĺGemeinsame Unternehmen). (atm) Web: http://www.iter.org/
IVU-Richtlinie ĺIntegrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
J Jägerskiöld bzw. Fischereirechte-Entscheidung Jägerskiöld bzw. Fischereirechte case – jurisprudence Jägerskiöld bzw. Fischereirechte
In der vorliegenden Rs. hatte der ĺEuGH zu klären, ob das Recht zur Ausübung einer spezifischen Form des Fischfangs eine ĺWare i.S.d. Vertrags sei. Waren sind generell als ĺErzeugnisse definiert, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können. Die Einräumung des Fischereirechts sei hingegen eine Tätigkeit, die Dritten gegen Entgelt und unter bestimmten Voraussetzungen ein Gewässer zum Fischen zur Verfügung stelle. Dabei handelt es sich um eine ĺDienstleistung. Dass dieses Recht in Dokumenten festgehalten ist, die als solche Gegenstand des Handels sein können, ist keine ausreichende Grundlage für die Anwendbarkeit der Art. 28 ff. EG. (ah) Rsp.: EuGH, Rs. C-97/98 Jägerskiöld, Slg. 1999, I-7319, Rn. 31 ff.
und des Lageberichts; weiteres finden sich Vorschriften zur Bewertung einzelner Bilanzposten und zur Prüfung und Offenlegung der Bilanz. Die tragenden Prinzipien sind: Bilanzwahrheit, Bilanzklarheit, Gliederungsstetigkeit, Bewertungskontinuität, Bilanzidentität, Vorsichtsprinzip, Einzelbewertungsprinzip und Verrechnungsverbot (Grundsatz der Einzelbewertung). Die Richtlinie betrifft nur den Einzelabschluss, nicht den Konzernabschluss, der in der ĺKonzernabschlussrichtlinie geregelt ist; die Anforderungen an Bilanzprüfer sind in der Prüferbefähigungsrichtlinie eigens geregelt. In Österreich wurde die Jahresabschlussrichtlinie durch das EU-GesRÄG 1996 (BGBl. 1996/304) umgesetzt. (tr) Lit.: H. Albach/G. Klein (Hrsg.), Harmonisierung der Rechnungslegung in Europa – die Umsetzung der 4. EG-Richtlinie in das nationale Recht der Mitgliedstaaten der EG – ein Überblick, 1988; A. Grünwald, Europäisches Rechnungslegungsrecht unter Miteinbeziehung der Spezialnormen für Banken und Versicherungen, in: H.-G. Koppensteiner (Hrsg.), Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsprivatrecht – Teil 1: Gesellschaftsrecht, 1994/1998, 1
Jahresabschlussrichtlinie directive on the annual accounts of certain types of companies – directive concernant les comptes annuels de certaines formes de sociétés
Vierte gesellschaftsrechtliche ĺRichtlinie vom 25.7.1978 (78/660/EWG, ABl. 1978, Nr. L 222/ 11; Änderungen: Richtlinie vom 27.11.1984 [„Schwellenrichtlinie I“], 84/569/EWG, ABl. 1984, Nr. L 314/28, Richtlinie vom 25.3.1994 [„Schwellenrichtlinie II], 94/8/EWG, ABl. 1994, Nr. L 82/33, Richtlinien vom 8.11.1990 [„Mittelstandsrichtlinie“] 90/604/EWG , Nr. ABl. 1990, Nr. L 317/57, [„GmbH & Co KG-Richtlinie“], 90/605/EWG, ABl. 1990, Nr. L 317/60). Die Jahresabschlussrichtlinie dient – wegen der vielen Wahlmöglichkeiten der Umsetzung nur äußerst unzureichend – der europaweiten Harmonisierung der nationalen Bestimmungen zur Rechnungslegung. Sie regelt – je nach von ihr festgelegter Größenklasse der Gesellschaft – materielle und formelle Fragen der Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung, des Anhangs
Jahresbericht des Rechnungshofes ĺRechnungshof Jean Monnet ĺBildungsprogramme Jedermannsrechte ĺMenschenrechte, ĺGrundrechte JET ĺJoint European Torus Joint European Torus (JET) Das in Oxfordshire (Großbritannien) lokalisierte Joint European Torus (JET) war bis 2000 ein ĺGemeinsames Unternehmen. Seine Aktivitäten im Bereich der Kernfusion werden nunmehr unter Schirmherrschaft des ĺEuropean 535
Joint Network on European Private Law Fusion Development Agreement (EFDA) fortgeführt. (atm) Web: http://www.jet.efda.org/
Joint Network on European Private Law ĺCommon Principles of European Contract Law (CoPECL) Jordanien Jordan – Jordanie
ĺEuropa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Haschemitischen Königreich Jordanien ersetzt das Kooperationsabkommen aus 1997. (bb) §§: ABl. 2002, Nr. L 129/3 (in Kraft seit 1.5.2002) Web: http://www.deljor.cec.eu.int/en/eu_and_jordan/ home.htm
JRC Joint Research Centre ĺGemeinsame Forschungsstelle (GFS) Jugend in Aktion ĺBildungsprogramme Jugendarbeitsschutzgarantien ĺArbeitnehmergrundrechte Juristische Person, Nichtigkeitsklage legal person, action for annulment – personne morale, recours en annulation
Der Begriff der juristischen Person in Art. 230 Abs. 4 EG ist ein gemeinschaftsrechtlicher, er kann daher von entsprechenden Begriffen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen abweichen. Der gemeinschaftsrechtliche Begriff der juristischen Person reicht sehr weit. Es genügt, wenn Merkmale vorliegen, „an welche Rechtspersönlichkeit typischerweise anknüpft“, so z.B., wenn eine beschränkte Autonomie und Verantwortlichkeit besteht. Sowohl juristische Personen des Privat- als des öffentlichen Rechts (z.B. Gebietskörperschaften wie Bundesländer, öffentlich rechtliche Anstalten) kommen als Kläger infrage. (mk) Justizatlas ĺEuropäischer Gerichtsatlas 536
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen judicial cooperation in civil matters – cooperartion judiciare en matière civile
Durch den Vertrag von Amsterdam wurde der Auftrag, einen ĺRaum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen, im EG verankert und mit den Art. 61 ff. EG in Titel IV die entsprechenden Kompetenzgrundlagen für die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen geschaffen. Diese umfasst Maßnahmen sowohl auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts als auch des internationalen Zivilverfahrensrechts: die Verbesserung und Vereinfachung des Systems für die grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke, die Zusammenarbeit bei der Erhebung von Beweismitteln, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, die Förderung der Vereinbarkeit der in den MS geltenden Kollisionsnormen und die Beseitigung der Hindernisse für eine reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren durch die Förderung der Vereinbarkeit der in den MS geltenden Zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften. Die Aufzählung der Materien in Art. 65 ist dabei nicht abschließend. Durch die Zweckbindung, dass diese der Förderung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarks dienen sollen, sind sie grundsätzlich auf Sachverhalte mit grenzüberschreitenden Bezügen beschränkt. Auf dieser Basis kann die EG statt auf den Abschluss völkerrechtlicher Übereinkommen nach Art. 293 EG zu vertrauen, folglich auch sekundäres Gemeinschaftsrecht im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit erlassen. Die Überführung dieses Politikbereichs aus der intergouvernementalen Zusammenarbeit in die erste Säule hat erhebliche Fortschritte mit sich gebracht, wurde aber durch zwei Kompromisse erkauft, die die Effektivität erheblich belasten: die Besonderheiten des Rechtsetzungsverfahrens sowie die Sonderstellung Dänemarks, des Vereinigten Königreichs und Irlands. Während für diesen Politikbereich zunächst das Einstimmigkeitsprinzip galt ist durch Art. 67 Abs. 5 EG i.d.F. des ĺVertrags von Nizza das Mitentscheidungsverfahren nach Art. 251 EG auf Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen für anwendbar erklärt worden, soweit nicht familienrechtliche Aspekte betroffen sind. Um der besonderen Prägung familienrechtlicher Angelegenheiten durch unterschiedliche Rechtstraditionen und Anschauungen der MS Rechnung zu tragen, wurde für die-
Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen sen Bereich das Einstimmigkeitsprinzip beibehalten. Es geltend daher weiterhin zwei verschiedene Rechtsetzungsverfahren. Eine Sonderstellung bzgl. der auf Grundlage des Titel IV EG erlassenen Gemeinschaftsinstrumente genießen nach Art. 69 EG (bzw. den darin in Bezug genommenen Protokollen) sowohl Dänemark als auch das Vereinigte Königreich und Irland: Während diese Rechtsakte für Dänemark grundsätzlich keine Geltung beanspruchen, sofern es nicht seinen Vorbehalt insgesamt zurückzieht, hängt die Anwendbarkeit im Vereinigten Königreich und Irland davon ab, ob diese von ihrer opt-in-Befugnis durch eine Erklärung an den Rat Gebrauch machen. Dies führt zu einer Form der ĺabgestuften Integration, die sich für den Aufbau eines RFSR besonders nachteilig auswirkt. Bisher haben sich das Vereinigte Königreich und Irland zwar an allen Maßnahmen auf Basis des Titel IV beteiligt, andererseits aber bereits Vorbehalte bzgl. einer Verordnung über das Ehegüterrecht geäußert. Um Dänemark in den europäischen Rechtsraum einzubinden sind gesonderte völkerrechtliche Übereinkommen erforderlich. Gestützt auf diese Kompetenzvorschriften hat die EG seit dem Jahr 2000 eine Reihe von RL und VO auf dem Gebiet des ĺEuropäischen Zivilprozessrechts sowie des Internationalen Privatrechts erlassen. Sie sollen in naher Zukunft durch entsprechende Rechtsakte auf dem Gebiet des Familien- und Erbrechts ergänzt werden (ĺEuropäisches Zivilprozessrecht). Als Akte sekundären Gemeinschaftsrecht folgen sie den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts und unterstehen der Rsp. des EuGH. Lediglich die Vorlagebefugnis wurde durch die Sonderregelung in Art. 68 EG auf letztinstanzliche Gerichte beschränkt. Darüber hinaus nimmt die EG für diesen Bereich auch die Außenkompetenz in Anspruch, dies dokumentiert sich sowohl im Beitritt der EG zur Haager Konferenz für IPR als auch in der Abschlusskompetenz für die Übereinkommen mit Dänemark, deren Notwendigkeit sich aus Sonderstellung Dänemarks in Bezug auf Maßnahmen der justiziellen Zusammenarbeit ergibt. Unter den Begriff der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen fallen neben den Rechtsakten, die auf der Grundlage der Art. 61 ff. EG erlassen wurden, zahlreiche weitere Aktivitäten der EU, die der Förderung eines einheitlichen europäischen Rechtsraums in Zivilsachen dienen. Schwerpunkte sind dabei die Verbesserung
der Kenntnis der Rechtsordnungen und der Rechtspflege der anderen MS sowie der verbesserte Zugang zur Justiz. Zu diesem Zweck wurde einerseits der ĺEuropäische Gerichtsatlas erarbeitet sowie mit dem Aufbau von Rechtsprechungsdatenbanken begonnen, andererseits ein gesondertes Rahmenprogramm für die Förderung der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen aufgelegt. (mrm) Lit.: B. Hess, Die „Europäisierung“ des internationalen Zivilprozessrechts durch den Vertrag von Amsterdam – Chancen und Gefahren, NJW 2000, 23-32 Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/s22000.htm
Justizielle Zusammenarbeit, Handbuch ĺEuropäischer Gerichtsatlas Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen Judicial Network in Civil and Commercial Matters – Réseau judiciaire en matière et commerciale
Die Initiative zur Schaffung des europäischen justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen geht auf den Europäischen Rat von ĺTampere zurück und fußt auf der Überlegung, dass ein Europäischer Justizraum nicht allein durch die Schaffung von VO und RL auf dem Gebiet des ĺEuropäischen Zivilprozessrechts geschaffen werden kann, sondern gleichermaßen eine enge Kooperation der Justiz- und Verwaltungsbehörden sowie profunde Kenntnisse der Rechtsordnungen der anderen MS voraussetzt. Dem Netz gehören Vertreter der Justiz- und Verwaltungsbehörden der MS der EG (mit Ausnahme Dänemarks) an, die mehrmals im Jahr zusammenkommen, um Informationen und Erfahrungen auszutauschen und die Zusammenarbeit zwischen den MS im Zivil- und Handelsrecht auszubauen. Zu diesem Zweck hat jeder MS Kontaktstellen sowie Verbindungsrichter als Netzmitglieder zu benennen, die als Ansprechpartner zur Verfügung stehen und dazu beitragen, grenzüberschreitende Verfahren reibungslos abzuwickeln. Dies ist insb. dann von überragender Bedeutung, wenn für das konkret zu lösende Problem (noch) kein Gemeinschaftsrechtsakt besteht. Zur Kommunikation zwischen den Kontaktstellen ist ein gesichertes, begrenzt zugängliches Informationssystem eingerichtet. Daneben wird zusätzlich ein allgemein zugängliches Informationssystems eingerichtet, das Informationen über das Gemeinschaftsrecht, das internationale Recht und über diverse zivil- und handelsrechtliche Themen zur Verfü537
Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen gung stellt, wie bspw. Modalitäten für die Anrufung der Gerichte, die Beantragung von Prozesskostenhilfe, die Möglichkeit Rechtsmittel einzulegen sowie über nationale Rechtsvorschriften und Rechtsprechung. Die öffentlich zugängliche Website des Justiziellen Netzes wird von der Europäischen Kommission verwaltet und in enger Zusammenarbeit mit den MS der Europäischen Union aktualisiert. (mrm) Web: http://europa.eu.int/comm/justice_home/ejn/ index_de.htm
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K Kabel- und Satellitenrichtlinie ĺSatelliten- und KabelRL Kabelweiterverbreitung cable retransmission – retransmission par câble
Die Kabelweiterverbreitung von Rundfunksendungen wurde mit der ĺSatelliten- und KabelRL harmonisiert. (js) Kabotage cabotage – cabotage
Der Begriff meint die Durchführung von Transporten zwischen zwei Orten innerhalb eines oder mehrerer anderer MS durch ausländische Transportunternehmen. Das Gemeinschaftsrecht enthält dazu verschiedene Bestimmungen, so solche im Zusammenhang mit der Binnenschifffahrt (ĺKabotage, Binnenschifffahrt), dem Seeverkehr (ĺKabotage, Seeverkehr) und eine ĺKabotageverordnung. (sm) Lit.: A. Frohnmeyer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 71 EGV, Rn. 29, 95 ff.
Kabotage, Binnenschifffahrt cabotage, inland waterway transport – cabotage, navigation intérieure
VO (EWG) 3921/91 (ABl. 1991, Nr. L 373/1). Diese Regelungen des objektiven Marktzugangs sehen eine vollständige Liberalisierung sowohl des Güter- als auch des Personenverkehrs vor. Ab dem 1.1.1993 ist jeder Unternehmer des Güter- und Personenverkehrs in der Binnenschiffahrt zum innerstaatlichen gewerblichen Güter- und Personenverkehr in der Binnenschiffahrt in einem MS, in dem er nicht ansässig ist (ĺ„Kabotage“), zugelassen, sofern er sich in einem MS in Übereinstimmung mit dessen Rechtsvorschriften niedergelassen hat und gegebenenfalls und dort die Genehmigung für den grenzueberschreitenden Güter- und Personenverkehr in der Binnenschiffahrt erhalten hat. Erfüllt er diese Bedingungen, so kann er die Kabotage vorübergehend in dem betreffen-
den MS ausüben, ohne dort einen Unternehmenssitz oder eine Zweigniederlassung zu gründen. Soweit keine Gemeinschaftsregelungen greifen, sind mitgliedstaatliche Vorschriften heranzuziehen. (sm) Kabotage, Seeverkehr cabotage, maritime transports – cabotage, navigation maritime
Durch die VO (EWG) 3577/92 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den MS (ABl. 12.12.1992, Nr. L 364/7) werden Regelungen zur Seekabotage getroffen. Mit Wirkung vom 1.1.1993 gilt danach der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs im Seeverkehr innerhalb eines MS (Seekabotage) für Gemeinschaftsreeder, deren Schiffe in einem MS registriert sind und unter der Flagge eines MS fahren, sofern diese Schiffe alle Voraussetzungen erfüllen, um zur Kabotage in diesem MS zugelassen zu werden; hierin eingeschlossen sind die in EUROS registrierten Schiffe, sobald dieses Register vom Rat gebilligt ist. Seekabotage wird dabei als „Seeverkehrsdienstleistungen innerhalb eines MS“ verstanden, d.h. als Dienstleistungen, die gewöhnlich gegen Entgelt erbracht werden und insbesondere Folgendes umfassen: ƒ Festlandkabotage: die Beförderung von Personen oder Gütern auf dem Seeweg zwischen Häfen auf dem Festland oder auf dem Hauptstaatsgebiet ein und desselben MS, ohne dass Inselhäfen angelaufen werden; ƒ Offshore-Versorgungsdienste: die Beförderung von Personen oder Gütern auf dem Seeweg zwischen Häfen eines MS und Anlagen oder Konstruktionen auf dem Festlandsockel dieses MS; ƒ Inselkabotage: die Beförderung von Passagieren oder Gütern auf dem Seeweg zwischen ƒ Häfen auf dem Festland und auf einer oder mehreren Inseln ein und desselben MS; ƒ Häfen auf den Inseln innerhalb eines MS. ƒ Ceuta und Melilla werden wie Inselhäfen behandelt. 539
Kabotagebeförderung Ein MS kann mit Schiffahrtsgesellschaften, die sich an Liniendiensten von, zwischen und nach Inseln beteiligen, als Voraussetzung für das Recht zur Erbringung von Kabotageleistungen Verträge über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes schließen oder ihnen entsprechende Verpflichtungen auferlegen. Beim Abschluß von Verträgen über Verkehrsdienste aufgrund von ĺVerpflichtungen des öffentlichen Dienstes sowie bei der Auferlegung entsprechender Verpflichtungen haben die MS darauf zu achten, dass kein Gemeinschaftsreeder diskriminiert wird. Bei der Auferlegung von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes haben sich die MS auf Auflagen hinsichtlich der anzulaufenden Häfen, der Regelmäßigkeit, Beständigkeit und Häufigkeit des Verkehrs, der Dienstleistungskapazität, der zu erhebenden Gebühren sowie der Schiffsbesatzung zu beschränken. Für die etwaige Gewährung eines Ausgleichs für solche Verpflichtungen kommen stets alle Gemeinschaftsreeder in Betracht. Bestehende Verträge über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes können bis zum jeweiligen Ablaufdatum gültig bleiben. Im Falle einer schweren Störung des innerstaatlichen Verkehrsmarktes, die auf die Liberalisierung der Kabotage zurückzuführen ist, kann sich ein Mitgliedstaat an die ĺKommission wenden, damit Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Schwere Störungen des innerstaatlichen Verkehrsmarktes meint das Auftreten von Problemen auf dem Markt, die diesem Markt eigen sind und zu einem möglicherweise anhaltenden deutlichen Angebotsüberhang führen können, auf die Seekabotage zurückzuführen sind oder durch sie verschärft werden sowie das finanzielle Gleichgewicht bzw. die Existenz zahlreicher Gemeinschaftsreeder ernstlich gefährden können, sofern die kurz- und mittelfristigen Prognosen für den betreffenden Markt keine wesentliche und dauerhafte Besserung erwarten lassen. Es besteht ein ähnliches Schutzsystem wie beim Güterkarftverkehr (ĺernste Marktstörung). (sm) Kabotagebeförderung cabotage transport operations – transports de cabotage
Die VO (EG) 12/98 (ABl. 1998, Nr. L 4/10) orientiert sich weitgehend an der VO (EWG) 684/ 92 (ĺgrenzüberschreitender Personenverkehr); die jeweiligen Anwendungsbereiche und Begrifflichkeiten stimmen überein. Sie gilt für den gewerblichen Personenkraftverkehr. 540
Jeder gewerbliche Personenkraftverkehrsunternehmer, der Inhaber der ĺGemeinschaftslizenz nach VO (EWG) 684/92 zur Einführung gemeinsamer Regeln für den ĺgrenzüberschreitenden Personenverkehr mit Kraftomnibussen ist, wird unter den in der VO (EG) 12/ 98 festgesetzten Voraussetzungen und ohne Diskriminierung aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seines Niederlassungsorts zur zeitweiligen innerstaatlichen Personenbeförderung in einem anderen MS zugelassen, ohne dort über einen Unternehmenssitz oder eine Niederlassung verfügen zu müssen. Diese innerstaatliche Beförderung wird „Kabotagebeförderung“ genannt. Damit ist der Grundsatz festgelegt, dass jeder in der Union niedergelassene Personenkraftverkehrsunternehmer ohne Diskriminierung zum Kabotageverkehr zugelassen ist, sofern er Inhaber einer Gemeinschaftslizenz ist. Auch dies zielt auf die Erfüllung der ĺsubjektiven Marktzugangsbedingungen entsprechend der RL 96/26/EG. Die Marktöffnung ist jedoch eine weniger weit gehende: Für Gelegenheitsverkehr sowie bestimmte Sonderformen des Linienverkehrs besteht volle Kabotagefreiheit; im Werkverkehr hingegen ist überhaupt kein Marktzugang gegeben und im Linienverkehr weitgehend beschränkt. Bereichsausnahmen sind für den öffentlichen Nahverkehr (Stadt- und Vorortdienste) vorgesehen. Für den übrigen Linienverkehr ist die ĺKabotage lediglich insoweit vorgesehen, als die Inlandsbeförderung an einen zulässigen internationalen Verkehrsdienst anschließt (Anschlusskabotage), womit die von einem internationalen Transport unabhängige Bedienung innerstaatlicher Strecken, ausgeschlossen ist. Besondere Schutzmechanismen existieren für den Fall einer erheblichen Marktstörung. ĺKrise der internationalen Güterverkehrsmärkte; ĺernste Marktstörung. Hinzuweisen ist auch auf die VO (EG) 2121/98 der Kommission mit Durchführungsvorschriften zu den VO (EWG) 684/92 und VO (EG) 12/98 hinsichtlich der Beförderungsdokumente für den Personenverkehr mit Kraftomnibussen (ABl. 1998, Nr. L 268/10). Ähnliche Regelungen finden sich in der ĺKabotageverordnung. (sm) Kabotageverordnung cabotage regulation – règlement de cabotage
Die VO (EWG) 3118/93 (ABl. 1993, Nr. L 279/ 1) gewährleistet im Bereich des Güterkraftverkehrs die vollständige Kabotagefreiheit (ĺKa-
Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, Sekundärrecht botage). Der Marktzugang für einen Unternehmer des gewerblichen Güterkraftverkehrs ist vom Besitz einer ĺGemeinschaftslizenz im Sinne der VO (EG) 881/92 abhängig. Die gegenseitig ausgestellten Gemeinschaftslizenzen der MS sind untereinander anzuerkennen. Damit erfolgt auch im Bereich des Güterkabotageverkehrs ausschließlich ein Abstellen auf Erfüllung der ĺsubjektiver Marktzugangsbedingungen. Auch hier greift jedoch ein Krisenmechanismus, der Schutzmaßnahmen ermöglicht, falls in einem „bestimmten geographischen Gebiet“ eine ĺ„ernste Marktstörung“ auftritt. (sm)
terqualifizierung von Künstlerinnen und Künstlern und sonstigen Akteuren des Kultursektors leisteten einen Beitrag zur gegenseitigen Kenntnis der Kultur der europäischen Völker zu leisteten und innovative europäische Kulturprojekte zu unterstützten. (cd)
Kadi-Entscheidung
Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, Sekundärrecht
Kadi case – jurisprudence Kadi
EuGH-Urteil zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegenüber Privaten im Rahmen der internationalen Terrorismusbekämpfung (sog. ĺAnti-Terrorismus-VO, EG 881/2002). Soweit diese Maßnahmen von Forderungen des UN-Sicherheitsrats gedeckt seien, erachtete sie das ĺEuG in erster Instanz der Gerichtskontrolle weitgehend entzogen und sah darin keine Grundrechtsverletzung (geltend gemacht: Recht auf ein ĺfaires Verfahren). Dieser Verzicht des EuG auf eine vollumfängliche Rechtskontrolle würde einen Vorrang völkerrechtlicher Verpflichtungen vor gemeinschaftsrechtlichem Grundrechtsschutz bedeuten. Der Individualrechtsschutz – auch zur Durchsetzung europäischer ĺGrundrechte – bliebe soweit versagt. In zweiter Instanz vor ĺEuGH anhängig. (ed) Lit.: U. Haltern, Gemeinschaftsgrundrechte und Antiterrormaßnahmen der UNO, (zugl. Anmerkung zu EuG, U. v. 12.7.2006 – Rs. T-253/02 – und EuGH, U. v. 27.2.2007 – Rs. C-354/04 P –), JZ 11/2007, 537-547 Rsp.: EuG, Rs. T-315/01 Kadi; EuG, Rs. T-306/01 Yusuf und Al Barakaat; EuGH, Rs. C-402/05 P Kadi (anhängig); EuGH, Rs. C-415/05 P Yusuf und Al Barakaat (anhängig)
Kaleidoskop kaleidoscope – caléidoscope
Ehemaliges Kulturförderprogramm der EU bis zum Jahr 1999. Ziel war die Förderung künstlerischer und kultureller Aktivitäten im Bereich der darstellenden, musischen oder bildenden Künste mit europäischer Dimension, insbesondere die Kooperation von Netzwerken oder Organisationen aus mindestens drei europäischen Ländern. Als besonders förderungswürdig wurden Projekte eingestuft, die den künstlerischen und kulturellen Austausch unter den Mitgliedstaaten zu intensivierten, einen Beitrag zur Wei-
Kammer, gerichtliche ĺEuGH, Organisation Kandidatenstatus ĺBewerberland
free movement of capital and freedom of payments, secondary legislation – libre circulation des capitaux et liberté des paiements, droit dérivé
Die primärrechtlichen Regelungen des Kapitels über die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit in Art. 56 ff. EG enthalten seit der Reform durch den ĺVertrag von Maastricht und im Gegensatz zu anderen Grundfreiheiten (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 40 EG; ĺNiederlassungsfreiheit, Art. 44 EG; ĺDienstleistungsfreiheit, Art. 52 EG) keine spezielle Ermächtigung zum Erlass sekundärer Rechtsakte zur Liberalisierung der freien Kapital- und Zahlungsverkehrs. Die RL 88/361/EWG hat ihre Bedeutung als Liberalisierungsinstrument mit dem In-KraftTreten des Vertrages von Maastricht verloren (ĺKapitalverkehrsrichtlinie). Dies ist jedoch nicht Ausdruck einer Anomalie der Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit, vielmehr sind Kapital- und Zahlungsverkehr mit der Neufassung der Art. 56 ff. EG primärrechtlich liberalisiert worden. Einer sekundärrechtlichen Rechtsgrundlage bedurfte es daher nicht mehr. Sekundärrechtliche Regelungen des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs sind damit jedoch nicht ausgeschlossen; sie können auf andere Rechtsgrundlagen des EG-Vertrages gestützt werden, wenn sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. In der Praxis sind zwei Normkomplexe von besonderer Bedeutung. Zum einen sind dies die allgemeinen Rechtsgrundlagen in Art. 94 und 95 EG zur Rechtsangleichung im Gemeinsamen Markt und im Binnenmarkt. Zum anderen können die primärrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen der Niederlassungs- (Art. 44 EG) und der Dienstleistungsfreiheit (Art. 52 EG) herangezogen werden. Letzteres ist deshalb möglich, weil die Schutzbereiche der Kapital- und Zahlungsver541
Kapitalrichtlinie kehrsfreiheit sich in weiten Teilen mit denen der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit überschneiden (vgl. ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit, ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit). Häufig werden Rechtsakte auch auf eine Kombination aus diesen Rechtsgrundlagen gestützt. Die Zahl der Rechtsakte, welche (auch) den freien Kapital- und Zahlungsverkehrs berühren, ist inzwischen kaum noch übersehbar (vgl. die Aufstellung bei M. Sedlaczek, in: R. Streinz [Hrsg.], Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 56 EGV, Rn. 28 ff.). Für die grenzüberschreitende Übertragung von ĺSachoder ĺGeldkapital als Schutzgut der primärrechtlichen ĺKapital- und ĺZahlungsverkehrsfreiheit nach Art. 59 EG von besonderer Bedeutung sind folgende Sekundärrechtsakte: ƒ RL 88/361/EWG zur Durchführung von Art. 67 des Vertrages (ABl. 1988, Nr. L 178/5) (ĺKapitalverkehrsrichtlinie) ƒ RL 97/5/EG über grenzüberschreitende Überweisungen (ABl. 1997, Nr. L 43/25) (ĺgrenzüberschreitende Überweisungen, tritt mit Wirkung vom 1.11.2009 außer Kraft). ƒ VO (EG) 2560/2001 über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro (ABl. 2001, Nr. L 244/13) (ĺgrenzüberschreitende Zahlungen in Euro) ƒ RL 2005/60/EG zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (ABl. 2005, Nr. L 309/15) (ĺGeldwäsche) ƒ VO (EG) 1781/2006 über die Übermittlung von Angaben zum Auftraggeber bei Geldtransfers (ABl. 2006, Nr. L 345/1) (ĺGeldwäsche) ƒ RL 2006/48/EG über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (ABl. 2006, Nr. L 177/1) (ĺBankaufsichtsrecht, Harmonisierung) ƒ RL 2007/64/EG über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (ABl. 2007, Nr. L 319/1) (ĺZahlungsdienste im Binnenmarkt). (mk)
mungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Art. 58 Abs. 2 des Vertrages (jetzt: Art. 48 Abs. 2 EG) im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (77/91/EWG – ABl. 1977, Nr. L 26/1; Änderungen: 92/101/EWG – ABl. 1992, Nr. L 347/64; 2006/68/EG). Die Kapitalrichtlinie sieht zum Schutz der Gläubiger und Aktionäre gemeinschaftsweite Mindeststandards für die Gründung der AG sowie deren Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung vor. Dazu zählen etwa die Harmonisierung der Vorschriften zur Leistung von Bar- und Sacheinlagen, Voraussetzungen für den Erwerb und die Einziehung eigener Aktien, Bestimmungen zur Kapitalerhöhung und Kapitalherabsetzung; zudem legt die Kapitalrichtlinie den Gleichbehandlungsgrundsatz aller Aktionäre fest und enthält Regelungen über die Beteiligung der Hauptversammlung an Kapitalmaßnahmen, Informationspflichten bei schweren Verlusten und schränkt die Möglichkeit des Ausschlusses von Bezugsrechten der Aktionäre ein. Die Kapitalrichtlinie geht dabei vom Grundsatz des festen Gesellschaftskapitals aus. Die jüngste Änderungsrichtlinie (2006/68/EG) brachte folgende Neuerungen: ƒ Erleichterungen bei der Bewertung der Sacheinlagen (unter bestimmten Voraussetzungen kann auf einen Sachverständigen verzichtet werden), ƒ die Bestimmungen über die Beschränkung oder den Ausschluss von Bezugsrechten wurden gelockert; ƒ teilweise Lockerung des Verbots des Erwerbes eigener Aktien (dieser ist nunmehr auch bis zur Höhe der ausschüttungsfähigen Rücklagen gestattet); ƒ Erleichterung der Ausschluss- und Andienungsrechte. (tr)
Lit.: M. Sedlaczek, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 56 EGV, Rn. 28 ff. Web: http://eur-lex.europa.eu/de/repert/1040.htm
Lit.: S. Kalss, Die Bedeutung der Publizitäts-, Kapital-, Zweigniederlassungs- und Einpersonengesellschaftsrichtlinie der Europäischen Union für das österreichische Gesellschaftsrecht (AG und GmbH), in: H.G. Koppensteiner (Hrsg.), Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsprivatrecht – Teil 1: Gesellschaftsrecht 1994/1998, 119
Kapitalrichtlinie directive as regards the formation of public limited liability companies and the maintenance and alteration of their capital – directive en ce qui concerne la constitution de la société anonyme ainsi que le maintien et les modifications de son capital
Zweite gesellschaftsrechtliche ĺRichtlinie vom 13.12.1976 zur Koordination der Schutzbestim542
Kapitalverkehr movement of capital – circulation des capitaux
Schutzgut der ĺKapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 Abs. 1 EG. Der Begriff ist nicht legalde-
Kapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit finiert; auch in der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte findet sich keine allgemeingültige Definition desselben. Die Rechtsprechungspraxis stellt zur Begriffsbestimmung auf die Nomenklatur in Anhang I der ĺKapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG ab. Die Kapitalverkehrsrichtlinie kann allerdings keine verbindliche Legaldefinition liefern, da sie als sekundärrechtliche Ausgestaltung zu Art. 67 EWG a.F. erlassen wurde und damit keine Bindungswirkung für die unmittelbar anwendbare Primärrechtsregelung des Art. 56 Abs. 1 EG haben kann. Sie hat nur Hinweischarakter und ist überdies nicht abschließend. Auch erfolgt in der Kapitalverkehrsrichtlinie keine Abgrenzung des K. vom ĺZahlungsverkehr. Dies berücksichtigend wird K. als als einseitige – also nicht im Zusammenhang mit einer Warenlieferung oder Dienstleistung stehende –, grenzüberschreitende Wertübertragung in Form von ĺGeldkapital oder ĺSachkapital definiert. (mk) §§: Art. 56 Abs. 1 EG; Kapitalverkehrsrichtlinie 88/ 361/EWG, ABl. 8.7.1988, Nr. L 178/5 ff. Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 56 EG, Rn. 302 ff.
Kapitalverkehrsfreiheit free movement of capital – libre circulation des capitaux
Die K. nach Art. 56 Abs. 1 EG ist eine der fünf Grundfreiheiten des EG-Vertrages. Sie gewährleistet den freien ĺKapitalverkehr und soll damit für eine optimale Allokation dieses Produktionsfaktors sorgen; sie ist notwendige Voraussetzung der Währungsunion (ĺWirtschaftsund Währungsunion). Zusammen mit den übrigen Grundfreiheiten konstituiert sie den Binnenmarkt (Art. 14 Abs. 2 EG). Daher können auch Harmonisierungsmaßnahmen hinsichtlich des freien Kapitalverkehrs auf Art. 95 EG gestützt werden (ĺKapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, Sekundärrecht). Anders als die übrigen Grundfreiheiten umfasst die K. auch den Verkehr mit Drittstaaten (ĺKapitalverkehrsfreiheit, räumlicher Schutzbereich). Die K. ist erst seit In-Kraft-Treten des Vertrages von Maastricht am 1.1.1994 (Art. 73b Abs. 1 EG a.F.) unmittelbar anwendbar. Zuvor regelte vor allem die sekundärrechtliche ĺKapitalverkehrsrichtlinie die K. (mk) §§: Art. 56 Abs. 1 EG; Kapitalverkehrsrichtlinie 88/ 361/EWG, ABl. 8.7.1988, Nr. L 178/5 ff. Lit.: M. Sedlaczek, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 56 EGV, Rn. 1-5
Kapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zu anderen Grundfreiheiten ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit; ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit; ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit; ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Warenverkehrsfreiheit Kapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit free movement of capital, delimitation from freedom of movement for workers – libre circulation des capitaux, délimitation par rapport à la libre circulation des travailleurs
Abgrenzungsbedarf zwischen ĺArbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EG und der ĺKapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 EG besteht in zweierlei Hinsicht: Einmal im Falle des grenzüberschreitenden Immobilienerwerbs durch Arbeitnehmer und zweitens bei der Übertragung von Vermögenswerten durch Arbeitnehmer. Wenngleich ĺImmobilienerwerb grundsätzlich als Kapitalverkehr einzuordnen ist, wird die Kapitalverkehrsfreiheit in dieser Konstellation von der Arbeitnehmerfreizügigkeit verdrängt. Dies ergibt sich für den Erwerb von Wohneigentum aus Art. 9 Abs. 1 VO (EWG) 1612/68, wonach Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten auch das Recht haben, das Eigentum an von ihnen benötigten Wohnungen zu erwerben. Wenngleich nicht vom Wortlaut dieser Regelung erfasst, schützt die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 39 EG als Annex nach strittiger aber zutreffender Ansicht ganz allgemein den Immobilienerwerb durch Wanderarbeitnehmer zum Zwecke der Wohnsitznahme und erstreckt sich daher auch auf den Erwerb von Grundstücken und Häusern (EuGH, Rs. 305/87 Kommission/Griechenland, Slg. 1989, 1461, Rn. 18 f.). Die Übertragung von Vermögenswerten wie etwa Ersparnisse oder Arbeitsentgelt eines Wanderarbeitnehmers aus dem Aufnahmemitgliedstaat in seinen Heimatstaat oder umgekehrt wird der Definition nach vom Begriff des ĺKapitalverkehrs erfasst. Teleologische Gründe sprechen jedoch dafür, auch diesen Fall als Ausnahme anzusehen und dem Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuzuordnen. (mk) §§: Art. 39; 56 Abs. 1 EG; Art. 9 Abs. 1 VO (EWG) 1612/68, ABl. 1968, Nr. L 257/2 Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 56 EG, Rn. 95 ff.
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Kapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit Kapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit free movement of capital, delimitation from freedom to provide services – libre circulation des capitaux, délimitation par rapport à la libre prestation de services
ĺKapitalverkehrsfreiheit und ĺDienstleistungsfreiheit haben zahlreiche Berührungspunkte, vor allem auf dem Gebiet der Bank- und Finanzdienstleistungen. Dabei ist mit der ratio des Art. 51 Abs. 2 EG zunächst davon auszugehen, dass Bank- und Versicherungsdienstleistungen ausschließlich der einen oder anderen Grundfreiheit zugeordnet werden können. Andererseits ist damit nicht ausgeschlossen, dass sich ein einzelner Lebenssachverhalt auch dem sachlichen Schutzbereich beider Grundfreiheiten zuordnen lässt, es sich also um einen „janusköpfigen“ Vorgang handelt. In erstgenanntem Fall erübrigt sich – mangels tatbestandlicher Überschneidungen – eine Abgrenzung beider Grundfreiheiten. So können bspw. selbstständige Begleitdienstleistungen von ĺKapitalverkehr Gegenstand der Dienstleistungsfreiheit sein. Abgrenzungsfragen stellen sich hingegen im Fall eines janusköpfigen Vorganges. Entgegen einer in der Literatur verbreiteten Auffassung (ĺSubsidiärfreiheit), sieht der EuGH in Art. 50 Abs. 1 EG keine Kollisionsnorm, nach welcher die Dienstleistungsfreiheit generell als subsidiär hinter der Kapitalverkehrsfreiheit zurücktritt. (EuGH, Rs. C-452/04 Fidium Finanz AG, Slg. 2006, I-9521, Rn. 31 f.). Eine Abgrenzung beider Grundfreiheiten voneinander nimmt er vielmehr nach dem Schwerpunkt des konkreten Falles vor. Die lediglich zweitrangig berührte Grundfreiheit wird nicht geprüft. Das Anbieten von Krediten über das Internet berührt bspw. im Schwerpunkt die Dienstleistungsfreiheit, die sich nach Abschluss eines Kreditvertrages ergebenden Geldströme treten als bloße Folge der Dienstleistung hinter diese zurück (EuGH, Rs. C-452/04 Fidium Finanz AG, Slg. 2006, I-9521, Rn. 40 ff.). Offen geblieben ist in der Fidium-Entscheidung die Frage, des Verhältnisses der beiden Grundfreiheiten, wenn kein Schwerpunkt erkennbar ist. Nach der – vom EuGH allerdings nicht geteilten – Subsidiaritätslösung müsste in diesen Fällen die Dienstleistungsfreiheit zurücktreten, da die von der Auffangregel in Art. 50 Abs. 1 EG vorausgesetzte fehlende Einschlägigkeit eines anderen Grundrechts nicht gegeben ist. In der Vergangenheit ist der EuGH jedoch auch davon ausgegangen, dass beide Grundfreiheiten parallel zur Anwendung kommen können: 544
Die Stellung einer Sicherheit wertete er für den Sicherheitssteller als Kapitalverkehr, für das Bankinstitut aber als Dienstleistung (EuGH, Rs. C-279/00 Kommission/Italien, Slg. 2002, I-1425, Rn. 37 f.). Insgesamt ist die Rechtsprechung zur Frage der Abgrenzung uneinheitlich (vgl. GA Stix-Hackl, in: EuGH, Rs. C-452/04 Fidium Finanz AG, Slg. 2006, I-9521, Rn. 53 ff.). (mk) §§: Art. 49, 56 Abs. 1 EG Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 56 EG, Rn. 131 ff.; P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 28
Kapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit free movement of capital, delimitation from freedom of establishment – libre circulation des capitaux, délimitation par rapport à la liberté d’établissement
Die Frage des Verhältnisses der Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 56 Abs. 1 EG zur Niederlassungsfreiheit in Art. 43 Abs. 1 EG ist in der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte noch nicht abschließend geklärt. In praktischer Hinsicht stellt sie sich jedoch häufig. So sind mit der Errichtung einer Niederlassung meist auch Investitionen oder der Erwerb eines Grundstückes verbunden. Das Verhältnis der beiden Grundfreiheiten zueinander bestimmt sich nach folgenden Grundsätzen: Grundsätzlich können beide Grundfreiheiten durch dieselbe beeinträchtigende Maßnahme betroffen sein. In einem solchen Fall der parallelen Einschlägigkeit ist die Niederlassungsfreiheit allerdings gem. Art. 43 Abs. 2 EG subsidiär. Erwirbt daher ein Unionsbürger ein Grundstück (ĺImmobilienerwerb) in einem anderen Mitgliedstaat mit dem Ziel der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit, so ist dieser Vorgang allein am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen (EuGH, Rs. C-302/97 Konle, Slg. 1999, I-3099, Rn. 22). Lässt sich der Schwerpunkt einer Beeinträchtigung jedoch dem Schutzbereich einer der beiden Grundfreiheiten zuordnen, ist – wie bei der Abgrenzung der Kapitalverkehrsfreiheit von der Dienstleistungsfreiheit (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit) – nur diese einschlägig. Dabei kommt im Rahmen der Abgrenzung der beiden Grundfreiheiten der Zuordnung von ĺDirektinvestitionen einerseits und ĺPortfolioinvestitionen andererseits zentrale Bedeutung zu. Die Rechtsprechung ist in dieser Frage jedoch nicht eindeutig. So hat der EuGH einerseits die Auffas-
Kapitalverkehrsfreiheit, Eingriff sung vertreten ĺDirektinvestitionen, die zu einer 100 %-igen Beteiligung an einem Unternehmen führen, fielen wegen des damit verbunden unternehmerischen Einflusses „zweifellos“ in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit (EuGH, Rs. C-251/98 Baars, Slg. 2000, I-2787, Rn. 21). In einer anderen Entscheidung führte der EuGH dagegen ganz allgemein aus, dass „insbesondere“ Direktinvestitionen Kapitalbewegungen im Sinne des Art. 56 Abs. 1 EG darstellten, eine damit verbundene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ließ der EuGH als bloße Folge der Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit unberücksichtigt (EuGH, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 Kommission/Niederlande, Slg. 2006, I-9141, Rn. 19, 43). Der konkrete zu entscheidende Fall hatte allerdings einen dem Umfang nach nicht näher qualifizierten Erwerb von Aktien zum Gegenstand, die Ausübung unternehmerischen Einflusses war daher nicht entscheidungserheblich. Wenngleich daher die Einordnung von Direktinvestitionen durch die Gemeinschaftsgerichte noch nicht abschließend geklärt ist, so steht zugleich fest, dass rein renditeorientierte, sog. ĺPortfolioinvestitionen, die ausschließlich der Geldanlage dienen, der Kapitalverkehrsfreiheit zugeordnet werden, da mit Ihnen kein sicherer unternehmerischer Einfluss erlangt werden kann (vgl. EuGH, Rs. C-446/04 Test Claimants in the FII Group Litigation/Commissioners of Inland Revenue, Slg. 2006, I-11753, Rn. 36 ff.). (mk) §§: Art. 43, 56 Abs. 1 EG Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 56 EG, Rn. 107 ff.
Kapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Warenverkehrsfreiheit free movement of capital, delimitation from free movement of goods – libre circulation des capitaux, délimitation par rapport à la libre circulation des marchandises
ĺKapitalverkehrsfreiheit und ĺWarenverkehrsfreiheit überschneiden sich insoweit, als beide die grenzüberschreitende Übertragung körperlicher Gegenstände erfassen können. Beide Grundfreiheiten können jedoch nicht parallel Anwendung finden. Die Abgrenzung erfolgt nach materiellen Kriterien. Praktisch relevant wird die Abgrenzung bei der Übertragung körperlicher Gegenstände, die sowohl einen Handelswert haben, als auch einen Vermögenswert verkörpern, wie Wertpapiere oder Banknoten. Die Übertragung von Münzen als gesetzliches
Zahlungsmittel unterfällt – je nach Zweckrichtung der Übertragung – entweder der ĺZahlungs- oder der ĺKapitalverkehrsfreiheit. Werden hingegen nicht mehr als gesetzliche Zahlungsmittel geltende Münzen übertragen, die lediglich numismatischen Wert haben, ist die Warenverkehrsfreiheit einschlägig. (mk) §§: Art. 28, 56 Abs. 1 EG Lit.: U. Haferkamp, Die Kapitalverkehrsfreiheit im System der Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2003, 162; C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 56 EG, Rn. 66 ff.
Kapitalverkehrsfreiheit, Beschränkung ĺKapitalverkehrsfreiheit, Eingriff Kapitalverkehrsfreiheit, Drittstaaten ĺKapitalverkehrsfreiheit, räumlicher Schutzbereich Kapitalverkehrsfreiheit, Eingriff free movement of capital, restriction – libre circulation des capitaux, atteinte
Die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 EG wird durch einen einheitlichen Eingriffsbegriff geprägt, danach sind „alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs“ verboten. Anders als bei den ĺPersonenverkehrsfreiheiten, aber vergleichbar mit der ĺWarenverkehrsfreiheit findet sich im Wortlaut der Norm kein Hinweis auf ein Diskriminierungsverbot. Es kommt daher für das Vorliegen eines Eingriffes weder darauf an, ob eine einschränkende Maßnahme an die Kapitalherkunft noch, ob sie an die Staatsangehörigkeit der beteiligten Akteure anknüpft (Rs. C-367/98 Kommission/Portugal, Slg. 2002, I-4731, Rn. 44). Voraussetzung für einen Eingriff ist einzig, dass die fragliche Maßnahme geeignet ist, den freien Kapitalverkehr zu verhindern oder illusorisch zu machen oder Investoren aus anderen Mitgliedstaaten abzuschrecken (st. Rsp. vgl. EuGH, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 Kommission/Niederlande, Slg. 2006, I-9141, Rn. 20). Vergleichbar dem ĺKeck(-Urteil) bei der Warenverkehrsfreiheit hat die Rechtsprechung diesen weiten Eingriffsbegriff jedoch begrenzt. Zwar fehlt bislang noch eine allgemeingültige Übertragung des Begriffspaares der produktbezogenen Maßnahmen und der Verkaufsmodalitäten auf die Kapitalverkehrsfreiheit. Im Falle des Erwerbs von Aktien hat der EuGH aber bereits darauf abgestellt ob, bestimmte Erwerbsbeschränkungen für Aktien trotz ih545
Kapitalverkehrsfreiheit, persönlicher Schutzbereich rer unterschiedslosen Anwendbarkeit auf Gebietsansässige und Gebietsfremde die Situation des Erwerbers einer Beteiligung als solche betreffen. Ist dies der Fall, liegt in der Erwerbsbeschränkung ein den produktbezogenen Regelungen der Warenverkehrsfreiheit vergleichbarer Eingriff, da die Erwerbsbeschränkung geeignet ist „Anleger aus anderen Mitgliedstaaten von solchen Investitionen abzuhalten und damit den Marktzugang zu beeinflussen“ (EuGH, Rs. C-98/01 Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2003, I-4641, Rn. 47). Auch die Kapitalverkehrsfreiheit schützt daher nur vor Marktzugangsbeschränkungen; Regelungen der Modalitäten der Kapitalübertragung stellen dagegen keinen Eingriff dar. Typische Eingriffe sind etwa ĺMeldeverfahren für Kapitalverkehr, ĺGenehmigungsverfahren für Kapitalverkehr, ĺDividendenbesteuerung oder Vorzugsaktien (sog. ĺGoldene Aktien) des Staates (EuGH, Rs. C-463/00 Kommission/Spanien, Slg. 2003, I4581, Rn. 58 ff.). (mk) §§: Art. 56 Abs. 1 EG
Kapitalverkehrsfreiheit, persönlicher Schutzbereich free movement of capital, scope ratione personae – libre circulation des capitaux, champ d’application personnel
Der persönliche Schutzbereich bezeichnet den Kreis der aus der ĺKapitalverkehrsfreiheit Berechtigten. Dies sind alle natürlichen und juristischen Person. Da es sich bei der Kapitalverkehrsfreiheit nicht um eine Personenverkehrsfreiheit handelt, ist der Kreis der Berechtigten weit gefasst und nicht auf natürliche oder juristische Personen beschränkt. Auch die Mitgliedstaaten und die EG selbst können Berechtigte sein. Auch ist die Kapitalverkehrsfreiheit nicht auf Unionsangehörige beschränkt, denn Art. 56 Abs. 1 EG erstreckt sich ausdrücklich auch auf den Kapitalverkehr mit Drittstaaten (ĺKapitalverkehrsfreiheit, räumlicher Schutzbereich), so dass sich auch Drittstaatsangehörige oder Drittstaaten darauf berufen können. (mk) Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 56 EG, Rn. 224 ff.
Kapitalverkehrsfreiheit, räumlicher Schutzbereich free movement of capital, territorial scope – libre circulation des capitaux, champ d’application territorial
Der räumliche Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit geht über den aller übrigen Grund546
freiheiten hinaus. Erfasst werden von Art. 56 Abs. 1 EG nicht nur Kapitalbewegungen zwischen den Mitgliedstaaten – also der innergemeinschaftliche Verkehr –, sondern auch solche zwischen einem Drittstaat und einem Mitgliedstaat. Abgrenzungsfragen zwischen der Kapitalverkehrsfreiheit und anderen Grundfreiheiten sind bei Kapitalbewegungen aus oder in Drittstaaten daher stets auch Fragen über das „Ob“ irgendeines Grundfreiheitsschutzes (EuGH, Rs. C-452/04 Fidium Finanz AG, Slg. 2006, I9521, Rn. 25). Ausnahmen der Erga-omnesWirkung ergeben sich aus Art. 57 EG, welcher diese in wichtigen Bereichen einschränkt. Art. 57 Abs. 1 EG nimmt bestimmte Beschränkungen der wirtschaftlich bedeutendsten Formen des Kapitalverkehrs im Verhältnis zu Drittstaaten vom Beschränkungsverbot des Art. 56 Abs. 1 EG aus, soweit diese Beschränkungen bereits am 31.ಞ12.ಞ1993 bestanden. Art. 57 Abs. 2 EG räumt der EG eine Rechtsetzungskompetenz im Hinblick auf den Kapitalverkehr mit Drittstaaten ein. Die Gemeinschaft wird darin zur Vornahme von Rechtshandlungen sowohl zur Liberalisierung als auch zu über Art. 57 Abs. 1 EG hinausgehenden Begrenzungen der freien Kapitalverkehrs mit Drittstaaten ermächtigt. Art. 57 Abs. 2 EG ist damit ein ein wichtiges Instrument der EG-Außenwirtschaftspolitik. Im Hinblick auf Drittstaaten ist nach Auffassung des EuGH aber zu berücksichtigen, dass Kapitalbewegungen in einem anderen rechtlichen Rahmen ablaufen als die innerhalb der Gemeinschaft (EuGH, Rs. C-101/05 Skatteverket/A, noch nicht in Slg., passim) (mk) Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 57 EG
Kapitalverkehrsfreiheit, Rechtfertigung eines Eingriffes free movement of capital, justification for a restriction – libre circulation des capitaux, justification d’une restriction
Eingriffe in die ĺKapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 56 Abs. 1 EG sind rechtfertigungsbedürftig und -fähig. Im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit können Eingriffe, wie bei allen Grundfreiheiten, entweder auf vertraglich ausdrücklich zugelassene (Art. 57 Abs. 1, 58 EG) oder auf ungeschriebene Rechtfertigungsgründe, sog. ĺzwingende Gründe des Allgemeininteresses, gestützt werden. In beiden Fällen muss eine die Freiheit des Kapitalverkehrs einschränkende
Kapitalverkehrsfreiheit, Verpflichtete Maßnahme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, d.h. sie muss geeignet und erforderlich sein, die im Allgemeininteresse anerkannten Belange zu schützen; rein wirtschaftliche Gründe können allerdings keine zwingenden Allgemeininteressen begründen. Eine Berufung auf diese beiden Rechtfertigungsgründe ist den Mitgliedstaaten schließlich stets verwehrt, soweit ein Sekundärrechtsakt bereits die erforderlichen Schutzmaßnahmen vorsieht (EuGH, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 Kommission/Niederlande, Slg. 2006, I-9141, Rn. 32). Von der Rechtsprechung noch nicht zweifelsfrei geklärt und in der Literatur uneinheitlich bewertet wird die Frage, ob im Rahmen der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit die ungeschriebenen Gründe des Allgemeininteresses auch auf diskriminierende Maßnahmen anwendbar sind oder nach der allgemeinen – in jüngster Zeit jedoch zunehmend in Frage gestellten – Dogmatik der Grundfreiheiten nur auf die Rechtfertigung unterschiedsloser Maßnahmen beschränkt sind. Im Hinblick auf die Kapitalverkehrsfreiheit ist die Geltung dieser allgemeinen Dogmatik jedoch aus mehreren Gründen zweifelhaft. Zunächst enthält die Kapitalverkehrsfreiheit vom Wortlaut her kein spezifisches, also an ein bestimmtes Merkmal wie die Staatsangehörigkeit anknüpfendes Diskriminierungsverbot, sondern ein umfassendes Beschränkungsverbot (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Eingriff). Es fehlt also bereits an einer tatbestandlichen Unterscheidung der beiden Eingriffskategorien. Die in Art. 58 Abs. 1, lit. b EG genannten Rechtfertigungsgründe sind des Weiteren nicht abschließend, sondern können ausdrücklich („insbesondere“) um vergleichbare Tatbestände ergänzt werden; in der Sache wird es sich dabei um sachliche Gründe des Allgemeininteresses handeln. Auch die Rechtsprechung scheidet bei der Kapitalverkehrsfreiheit die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses nicht streng von den geschriebenen Rechtfertigungsgründen. So nennt der EuGH beide Rechtfertigungsmöglichkeiten häufig gleichrangig nebeneinander (EuGH, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 Kommission/Niederlande, Slg. 2006, I-9141, Rn. 32). Schließlich enthält die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit der Sache nach ein absolutes Verbot willkürlicher Diskriminierungen (ĺDiskriminierungsverbot, Kapitalverkehrsfreiheit), solche können überhaupt nicht, auch nicht nach Art. 58 EG gerechtfertigt sein. Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass Ungleichbehandlungen im
Rahmen der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit sowohl mit den geschriebenen Rechtfertigungsgründen des Art. 57 Abs. 1; 58 Abs. 1 und 2 EG sowie den ungeschriebenen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden können. Liegt allerdings eine ĺwillkürliche Diskriminierung nach Art. 58 Abs. 3 EG vor, so kann diese überhaupt nicht gerechtfertigt werden. (mk) §§: Art. 57, 58 EG Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 58 EG
Kapitalverkehrsfreiheit, sachlicher Schutzbereich free movement of capital, scope ratione materiae – libre circulation des capitaux, champ d’application matériel
Definitorisches Element der ĺKapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 56 Abs. 1 EG. Der sachliche Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 EG umfasst den ĺKapitalverkehr zwischen den EG-Mitgliedstaaten und zwischen diesen und Drittstaaten. (mk) Kapitalverkehrsfreiheit, Verpflichtete free movement of capital, persons obliged – libre circulation des capitaux, obligés
Die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 schützt in erster Linie gegen Eingriffe der Mitgliedstaaten als Vertragsparteien des EG-Vertrages. Ob daneben auch die EG und vor allem Private an die Kapitalverkehrsfreiheit gebunden sind, ist in der Praxis der Gemeinschaftsgerichte bislang nicht geklärt. Es spricht jedoch vieles für eine jedenfalls partielle Bindung. Wären die Organe der EG nicht an die Grundrechte gebunden, bestünde letztlich nur eine entsprechend eingeschränkte Bindung derselben an das Binnenmarktziel des Art. 14 Abs. 2. Für andere Grundfreiheiten hat der EuGH daher auch eine Bindung der EG-Organe angenommen (EuGH, Rs. 37/83 Rewe, Slg. 1984, 1229, Rn. 18; EuGH, Rs. C-114/96 Kieffer, Slg. 1997, I-3629, Rn. 27). Für die Bindung Privater ist eine Heranziehung der Rechtsprechung zu anderen Grundfreiheiten nur eingeschränkt möglich. So dürfte die Schutzpflichtenkonstruktion, welche der EuGH im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit entwickelt hat (EuGH, Rs. C-112/ 00 Schmidberger, Slg. 2003, I-5659, Rn. 57 ff.), auch auf die Kapitalverkehrsfreiheit übertragbar sein. Die Mitgliedstaaten können demnach verpflichtet sein, Übergriffe Privater etwa auf 547
Kapitalverkehrsrichtlinie Immobilien, in die Kapital aus einem anderen Mitgliedstaat investiert wurde, zu unterbinden. Auch die kollektive Rechtsetzung durch mit autonomen Befugnissen ausgestattete Verbände nicht staatlicher Art, wie etwa durch Berufskammern, ist nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des EuGH zu den sog. „intermediären Gewalten“ (EuGH, Rs. C-309/99 Wouters u.a., Slg. 2002, I-1577, Rn. 120) an die Kapitalverkehrsfreiheit gebunden. Eine unmittelbare Bindung Privater, wie der EuGH sie in einem Einzelfall im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit angenommen hat (EuGH, Rs. C-281/98 Angonese, Slg. 2000, I-4139, Rn. 32), scheint für die Kapitalverkehrsfreiheit, wegen des singulären Charakters dieser Entscheidung, nur schwer zu begründen. (mk) Lit.: A. Haratsch/C. Koenig/M. Pechstein, Europarecht, 5. Aufl. 2006, Rn. 903
Kapitalverkehrsrichtlinie directive on free movement of capital – directive concernant la libre circulation des capitaux
Bezeichnung für die „Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24.6.1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages“. Die K. wurde auf Grundlage der damaligen Art. 69 und 70 EWG im Rahmen des Binnenmarktprogramms erlassen, die durch Art. 73a EG/Maastricht mit Wirkung ab 1.1.1994 aufgehoben wurde. Die K. diente ursprünglich dem Zweck der Ermöglichung des freien Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaat der EG. Den primärrechtlichen Vorschriften der Kapitalverkehrsfreiheit kam bis deren Revision durch den Vertrag von Maastricht keine unmittelbare Wirkung zu, so dass der K. insoweit konstitutive Wirkung für die Liberalisierung des Kapitalverkehrs innerhalb der EG zukam und diese praktisch von großer Bedeutung war. Der Vertrag von Maastricht hat die Kapitalverkehrsfreiheit primärrechtlich verankert und unmittelbar anwendbar gemacht, so dass die K. ihre eigentliche Bedeutung verloren hat. Sie ist jedoch nach wie vor geltendes Recht und hat noch erhebliche praktische Bedeutung, denn der EuGH zieht insbesondere die Nomenklatur in Anhang I der K. regelmäßig zu Bestimmung des Begriffs des ĺKapitalverkehrs heran. (mk) §§: Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG (ABl. 1988, Nr. L 178/5)
Karner-Entscheidung Karner case – jurisprudence Karner
EuGH-Urteil zum europäischen Grundrechtsschutz, konkret zu einem zu einem Werbever548
bot vor dem Hintergrund des Art. 10 EMRK (Urteil des ĺEuGH vom 25.3.2004, Rs. C-71/ 02 ĺKarner, Slg. 2004, I-3025), zur vom österr. OGH vorgelegten Frage der Vereinbarkeit eines nationalen Werbungsverbots für Konkurswaren mit der grundrechtlichen Meinungsfreiheit und der gemeinschaftsrechtlichen Warenverkehrsfreiheit. Im Ergebnis Zulässigkeit der Werbebeschränkung. Geht von einer relativen weiten Bindung der ĺMitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte aus (bloße Verkaufsmodalität als Anknüpfungspunkt für die Beschränkung von ĺGrundfreiheiten und damit den Anwendungsbereich von Gemeinschaftsrecht). (ed) Rsp.: EuGH, Rs. C-71/02 Karner, Slg. 2004, I-3025
Kartell, Begriff cartel, definition – cartel/entente, notion
Ein Kartell wird abstrakt als „a coordination of the economic behavior of independent partners, based on their consent, which results in regulation of a particular market“ umschrieben. Es geht bei einem Kartell somit darum, dass unabhängige Partner einen bestimmten Markt beeinflussen (sei es etwa, indem sie die verfügbaren Produktmengen oder Preise der Produkte absprechen). Die Wirtschaftswissenschaften haben die Kriterien, die für die Bildung eines stabilen Kartells erforderlich sind, in drei Basiselemente eingeteilt. Diese drei Basiselemente müssen für die Existenz eines Kartells zusammentreffen. Erstes Element ist die Vereinbarung (agreement). Die Kartell-Beteiligten müssen eine Einigung über die Art, den Gegenstand (Aktionsparameter) und das Ziel der Zusammenarbeit erzielen. Das weitere Element ist der Vollzug/Umsetzung (achievement). Die kartellierenden ĺUnternehmen müssen sich auf den Ablauf verständigen, der eine mittel- und langfristige Übereinstimmung im Kartell (Kartellstabilität) gewährleisten soll (mechanism or process to achieve agreement). Schließlich ist eine Überwachung/Disziplinierung (maintenance) notwendig. Es muss für jedes Kartellmitglied eine Drohung für den Fall des eigenen Ausscherens aus dem Kartell (cheating) existieren, die – zumindest minimal – schwerer wiegt als der Anreiz, der in den Gewinnen liegt, die im Fall des Ausscherens zu erwarten sind. Es ist also ein Gleichgewicht herzustellen zwischen den Gewinnen des Alleingangs, der Möglichkeit, beim Alleingang entdeckt zu werden, und der Strafe (punishment), die in diesem Fall
Katastrophenbereitschaft von Seiten der anderen Kartellmitglieder droht. (jpt) Lit.: D. Elliot/R. Nitze, Ökonomische Methoden im Kartellverfahren, in: J. P. Terhechte (Hrsg.), Handbuch des Internationalen Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrechts, 2008, § 10, Rn. 10.13; J. P. Terhechte, OPEC und europäisches Wettbewerbsrecht, 2007, 46 ff.; H. Kronstein, The Law of International Cartels, 1973, 41
Kartell, Hardcore-Kartell cartel, hardcore cartel – cartel, cartel dur/cartel rigide
Als Hardcore-Kartelle werden in der englischsprachigen Literatur besonders wettbewerbsschädliche Kartelle bezeichnet, die meist unter unmittelbaren Konkurrenten verabredet werden, wie z.B. Preisabsprachen und Gebietsaufteilungen. Diese Hardcore-Kartelle können i.d.R. nicht ĺfreigestellt werden. Die OECD definiert als solche Hardcore-Kartelle ĺ„Vereinbarungen zwischen Konkurrenten, die zur Preisfestsetzung/-fixierung, zur Manipulation von Submissionen, zur Beschränkung der Ausbringungsmengen oder zur Aufteilung von Märkten tauglich sind oder dazu dienen sollen.“ Diese Kartelle verschaffen nach Ansicht der OECD den „Beteiligten beherrschenden Einfluss auf Märkte, in denen ohne das Kartell funktionierender Wettbewerb vorliegen würde und führen dort zu Verschwendung bzw. ineffizienter Verwendung von Ressourcen.“ Das Verbot von Hardcore-Kartellen ist nahezu allen Kartellgesetzen weltweit gemein. (jpt) §§: Art. 81 EG Lit.: D. Elliott/R. Nitze, Ökonomische Methoden im Kartellverfahren, in: J. P. Terhechte (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 2008, § 10, Rn. 10.1 ff.; OECD, Hard Core Cartels – Harm and Effective Sanctions, OECD Policy Brief, 2002 Web: http://www.oecd.org/about/0,3347,en_2649_37463 _1_1_1_1_37463,00.html
Kartellverbot, allgemein cartel prohibition, general remarks – interdiction des cartels, généralité
Das in Art. 81 Abs. 1 EG statuierte Kartellverbot verbietet alle ĺVereinbarungen zwischen ĺUnternehmen, ĺBeschlüsse von ĺUnternehmensvereinigungen und aufeinander ĺabgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine ĺVerhinderung, ĺEinschränkung oder ĺVerfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Sachlich ist das EGKartellrecht damit zunächst nur auf ĺVerein-
barungen zwischen ĺUnternehmen, ĺBeschlüsse von ĺUnternehmensvereinigungen und ĺabgestimmte Verhaltensweisen anwendbar, die den Wettbewerb beschränken. In persönlicher Hinsicht erstreckt sich das EG-Kartellrecht zunächst auf Maßnahmen, die von ĺUnternehmen und ĺUnternehmensvereinigungen ausgehen. In räumlicher Hinsicht grenzt die sog. ĺZwischenstaatlichkeitsklausel (Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten) die Anwendung des EG-Kartellrechts ein. Insbesondere für Vereinbarungen im Sinne der Vorschrift enthält Art. 81 Abs. 1 lit. a-e EG eine Reihe von Regelbeispielen. (jpt) §§: 81 Abs. 1 EG Lit.: U. Loewenheim/K. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 1: Europäisches Recht, 2005, 37 ff.; J. P. Terhechte, Die ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale des europäischen Wettbewerbsrechts, 2004, 139 ff.; H. Schröter, in: H. Schröter/T. Jakob/W. Mederer (Hrsg.), Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, 2003, 155 ff.
Katastrophen i.S.d. humanitären Hilfe catastrophes within the context of humanitarian aid – les catastrophes dans le contexte de l’aide humanitaire
Eine allgemein anerkannte Definition gibt es nicht, man kann unter dem Begriff „Katastrophe“ eine schwerwiegende Störung des menschlichen Zusammenlebens verstehen, deren Auswirkungen verheerende Verluste auf Menschen, deren Eigentum und die Umwelt haben. Weiters sind die Verluste derart hoch, dass die betroffene Gesellschaft keine Möglichkeit hat, aus eigenem Vermögen den vor der Katastrophe bestehenden Zustand wiederherzustellen. (Vgl. Art. 1, 2 VO [EG] 1257/96 des Rates vom 20.6.1996, welche eine Kategorisierung in Naturkatastrophen und in von Menschen verursachten Katastrophen vornehmen). (ab) Lit.: M. Kuhn, Humanitäre Hilfe der Europäischen Gemeinschaft, 2000, 4
Katastrophenbereitschaft disaster preparedness – actions de préparation
Im Unterschied zur ĺKatastrophenvorbeugung versuchen Maßnahmen der Katastrophenbereitschaft nicht, ĺKatastrophen zu verhindern, sondern deren negative Auswirkungen auf die Betroffenen zu minimieren. Die Aktivitäten werden zwar schon vor dem Eintritt einer möglichen Katastrophe gesetzt, der Schutz tritt allerdings erst im Fall einer Katastrophe ein, und versuche somit nachsorgend negative Folgen zu mildern (z.B. vor allem durch gesetz549
Katastrophenbewältigung geberische Maßnahmen, wie etwa gesetzlich verankerte Katastrophen- und Zivilschutzpläne). Vgl. Art. 1 Abs. 2 VO (EG) 1257/96 des Rates vom 20.6.1996. (ab) §§: Art. 1 Abs. 2 VO (EG) 1257/96, ABl. 1996, Nr. L 163 Lit.: M. Kuhn, Humanitäre Hilfe der Europäischen Gemeinschaft, 2000, 9
Katastrophenbewältigung disaster response – gestion des catastrophes
Ebenso wie die ĺSoforthilfe zielt die Katastrophenbewältigung auf den effektiven Umgang mit Katastrophen und deren Bewältigung ab. Im Gegensatz zur Soforthilfe beschäftigt sich Katastrophenbewältigung auch damit, Gegebenheiten zu schaffen, die das Wiederaufflammen der ĺKatastrophe oder den Eintritt einer neuen zu verhindern und umfasst somit weitere und längerfristigere Maßnahmen. Unter dem (Ober-)Begriff Katastrophenbewältigung können eine Reihe von eigenständigen Hilfsmaßnahmen zusammengefasst werden. (ab) Lit.: M. Kuhn, Humanitäre Hilfe der Europäischen Gemeinschaft, 2000, 15
Katastrophenschutz disaster prevention – protection contre des catastrophes
Unter diesem Begriff werden Maßnahmen und Methoden der ĺKatastrophenvorbeugung und der ĺKatastrophenbereitschaft zusammengefasst. (ab) Lit.: M. Kuhn, Humanitäre Hilfe der Europäischen Gemeinschaft, 2000, 7
Katastrophenvorbeugung disaster prevention – prévention des catastrophes
Dieser Begriff setzt voraus, dass ĺKatastrophen nicht nur wiederkehrende, zufällige und unglückliche Ereignisse sind, sondern dass sie durch eine zielführende Gestaltung menschlichen Handelns verhindert bzw. ihre Schäden minimiert werden können. Die Vorbeugung von Katastrophen umfasst Methoden und Mittel, die abwenden sollen, dass verschiedene Ereignisse in ihrem Zusammenwirken eine Katastrophe verursachen. (z.B. restriktive Siedlungspolitik in von Überschwemmungen oder Wirbelstürmen betroffenen Gebieten). Vgl. Art. 1 Abs. 2 VO (EG) 1257/96 des Rates vom 20.6. 1996. (ab) §§: VO (EG) 1257/96, ABl. 1996, Nr. 163
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Kaufmännische Tätigkeiten (Dienstleistungsfreiheit) activities of a commercial character (freedom to provide services) – activités à caractère commercial (libre prestation de services)
Kaufmännische Tätigkeiten werden in Art. 50 EG als Beispiele für ĺDienstleistungen genannt. Dieses nur als demonstratives Beispiel genannte Kriterium tritt jedoch zur Beurteilung der Frage, ob eine Dienstleistung vorliegt, vor allem hinter die Unterscheidung zwischen ĺselbstständiger und ĺunselbstständiger Tätigkeit zurück. (sh) Keck-Entscheidung Keck case – jurisprudence Keck
Die Herren Keck und Mithouard, Direktoren eines französischen Supermarktes, wurden von den französischen Behörden strafrechtlich belangt, weil sie Waren zu einem unter dem tatsächlichen Einkaufspreis liegenden Preis weiterverkauft hatten. Konfrontiert mit der Anklage, verteidigten sie sich damit, dass das französische Gesetz, dass den Weiterverkauf von Waren unter dem Einkaufspreis verbot, gegen den ĺfreien Warenverkehr (hier insbesondere Art. 28 EG) verstoße. Das gegenständliche französische Verbot des Verkaufs unter dem Einstandspreis war eine Regelung, die nur oder doch in erster Linie den Verkäufer einer Ware behinderte, den Marktzutritt eingeführter Waren wenn überhaupt dann nur mittelbar berührte. Der ĺEuGH entschied in dieser Grundsatzentscheidung, dass nationale Regelungen dieses Typs nicht (mehr) als ĺMaßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen im Sinne der ĺDassonvilleFormel gem. Art. 28 EG zu werten sind. (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 80 f.; P. Oliver/S. Enchelmaier, Free movement of goods: Recent developments in the case law, CML Rev. 2007, 671 ff. Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-267 und 268/1 Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097, Rn. 15 ff.; EuGH, verb. Rs. C-158/04 und C-159/04 Alfa Vita, Slg. 2006, I-8135, Rn. 18 f.
Keck-Formel Keck formula (free movement of goods) – Keck formule (libre circulation des marchandises)
Hinsichtlich der Frage, ob eine staatliche Maßnahme bzw. Vorschrift eine ĺMaßnahme gleicher Wirkung i.S.v. Art. 28 EG darstellt, unterscheidet der ĺEuGH seit der äußerst bedeut-
Kennzeichnung, genetisch veränderte Organismen samen ĺKeck-Entscheidung zwischen produkt- (ĺProduktvorschriften) und vertriebsbezogenen Maßnahmen (ĺVerkaufsvorschriften). Produktbezogene Vorschriften (i.e. mitgliedstaatliche Vorschriften, die hinsichtlich Bezeichung, Form, Abmessungen, Zusammensetzung etc Anforderungen an ein im Ausland legal hergestelltes und in Verkehr gebrachtes Produkt stellen), sollen weiterhin von der Dassonville-Formel erfasst sein. Sie bleiben daher weiterhin Art. 28 EG unterworfen und müssen gerechtfertigt werden (ĺRechtfertigungsgründe für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen); bloß bestimmte Verkaufsmodalitäten regelnde Maßnahmen (z.B. Vorschriften über Öffnungszeiten) seien nach Ansicht des EuGH dagegen nicht geeignet, den zwischenstaatlichen Handel im Sinne der Dassonville-Formel zu behindern, sofern sie für alle Wirtschaftsteilnehmer gelten, die im Inland tätig sind, und sofern sie den Absatz ausländischer Erzeugnisse rechtlich und tatsächlich in gleicher Weise berühren. Abschließend folgt dann die Begründung für diese Feststellung: Seien diese Bedingungen nämlich erfüllt, sei eine Bestimmung nicht geeignet, den Marktzugang für die Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten, die den dort geltenden Bestimmungen entsprechen, zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tun. Der EuGH stellte also klar, dass es hinsichtlich der Anwendbarkeit von Art. 28 EG auf unterschiedslos, d.h. nichtdiskriminierende nationale Verkaufsmodaliten bzw. den Vertrieb regelnde Vorschriften wesentlich darauf ankommt, ob die Regelung (rechtlich oder) faktisch ausländische Produkte stärker belastet als inländische Waren. Bei unterschiedslos anwendbaren (d.h. nicht zwischen inländischen und eingeführten Produkten unterscheidenden) mitgliedstaatlichen Vertriebsvorschriften kommt es letztendlich darauf an, ob diese Vorschriften die ausländischen Produkte hinsichtlich ihres Marktzutritts vergleichsweise stärker belasten als die inländischen. Diese vergleichsweise stärkere Belastung ist keine versteckte bzw. materielle Diskriminierung, da sie, im Unterschied zur Diskriminierung, sowohl die in Frage stehenden Vorschriften für die inländischen und ausländischen Produkte gleichermaßen gelten und somit rechtlich nicht (wie die Diskriminierung) zwischen zwei Produktgruppen differenziert: das sehr weitreichende Alkoholwerbeverbot der ĺGourmet International-Entscheidung galt gleichermaßen für inländische wie
für importierte Produkte, es diskriminierte nicht zwischen ihnen, belastete letztere nur bedeutend stärker. Daher wurde in Gourmet Internationial auch das Vorliegen einer rechtfertigungsbedürftigen Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne von Art. 28 EG angenommen. In der jüngeren Rsp. des EuGH gibt es eine Tendenz, nicht mehr zwischen produktbezogene und vertriebsbezogene Maßnahmen zu unterscheiden. So sah der EuGH etwa in einer griechischen Vorschrift, welche vorsah, dass die Verkäufer von Bake-Off Produkten über Produktionseinrichtungen wie ein herkömmlicher Bäckereibetrieb verfügen müssen eine Maßnahme gleicher Wirkung. Er prüfte dabei aber im obigen Sinne nicht, ob es sich bei dieser Vorschrift entweder um eine produktbezogene oder eine vertriebsbezogene Vorschrift handelte, sondern stellte lediglich fest, dass es sich bei der Vorschrift nicht um eine vertriebesbezogene Vorschrift handelt und somit als Maßnahme gleicher Wirkung zu werten ist (EuGH, verb. Rs. C-158/04 und C-159/04 Alfa Vita, Slg. 2006, I-8135, Rn. 18 f.). (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 80 f.; P. Oliver/S. Enchelmaier, Free movement of goods: Recent developments in the case law, CML Rev. 2007, 671 ff. Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-267 und 268/1 Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097, Rn. 15 ff. (ĺKeck-Entscheidung); EuGH, Rs. C-405/98 Gourmet international, Slg. 2001, I-1795, Rn. 13 ff. (ĺGourmet International-Entscheidung); EuGH, verb. Rs. C-158/04 und C-159/04 Alfa Vita, Slg. 2006, I-8135, Rn. 18 f.
Keck-Formel, Kapitalverkehrsfreiheit ĺKapitalverkehrsfreiheit, Eingriff Kennzeichnung, genetisch veränderte Organismen Labelling, of genetically modified organisms – étiquetage, des orgamismes génétiquement modifés
Mit der VO (EG) 1830/2003 wurden neue Regelungen zur Kennzeichnung und ĺRückverfolgbarkeit von genetisch veränderten Organismen festgelegt. So haben vorverpackte Produkte die ĺgenetisch veränderte Organismen enthalten den Vermerk „Diese Produkt enthält genetisch veränderte Organismen“ oder „Dieses Produkt enthält XXX, genetisch verändert“ auf dem Etikett zu enthalten. Bei nicht vorverpackten Produkten ist ein solcher Vermerk auf dem Behältnis in dem das Produkt angeboten wird oder im Zusammenhang mit der Darbietung anzubringen. 551
Kennzeichnung von Produkten (freier Warenverkehr) Dem Bezieher von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebens- oder Futtermitteln ist jede einzelne aus genetisch veränderten Organismen hergestellte Lebensmittelzutat, jedes einzelne aus genetisch veränderten Organismen hergestellte Futtermittel-Ausgangserzeugnis und bei Produkten ohne Verzeichnis der Zutaten die Angabe, dass das Produkt aus genetisch veränderten Organismen hergestellt wurde, zu übermitteln. (al) §§: VO (EG) 1830/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.9.2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der RL 2001/18/EG, ABl. 2003, Nr. L 268/24 Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l21170. htm
Kennzeichnung von Produkten (freier Warenverkehr) ĺEtikettierungsvorschriften (freier Warenverkehr) Kernbrennstoffe nuclear fuels – combustibles nucléaires
Dieser Begriff wird im ĺEAGV (vgl. etwa Art. 2 lit. d, Art. 9 oder Art. 78) als Überbegriff für ĺAusgangsstoffe und ĺbesondere spaltbare Stoffe verwendet, die in Art. 197 definiert werden. Davon ist die Legaldefinition der Kernbrennstoffe gem. Art. 1 lit. a sublit. iii des Pariser Übereinkommens und gem. Art. I Abs. 1 lit. f des Wiener Übereinkommens zu unterscheiden (ĺAtomhaftungsrecht). (atm) Kernenergie-Agentur (NEA) Nuclear Energy Agency (NEA) – Agence pour l’énergie nucléaire (AEN)
Die in Paris lokalisierte Europäische Kernenergie-Agentur (ENEA) wurde 1958 im Schoße der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als spezialisierte Agentur gegründet und nach dem Vollbeitritt Japans 1972 in K. (NEA) umbenannt. Sie hat die Aufgabe, ihre gegenwärtig 28 MS bei der Entwicklung der wissenschaftlichen, technischen und rechtlichen Grundlagen für die sichere, umweltfreundliche und wirtschaftliche Nutzung der Atomenergie zu unterstützen. Die Kernenergie-Agentur engagiert sich insb. im Bereich der Erarbeitung von Normen für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz (ĺGrundnormen) sowie gemeinsamer Haf552
tungs- und Versicherungsregeln (ĺAtomhaftungsrecht). Früher war die Kernenergie-Agentur mit einer der ĺSicherheitsüberwachung der EAG verwandten Sicherheitskontrolle betraut, die aber 1976 suspendiert wurde. Davon zu unterscheiden ist die ebenfalls im Rahmen der OECD arbeitende Internationale Energie-Agentur (IEA), die das Ziel der Koordinierung der energiewirtschaftlichen Planung ihrer MS verfolgt. Die Kernenergie-Agentur ist weiters nicht mit der ĺIAEO und der ĺEuratom-Versorgungsagentur zu verwechseln. (atm) §§: Ratsbeschluss (OECD) über die Gründung einer Europäischen K. vom 20.12.1957, österr. BGBl. 141/61; Übereinkommen zur Einrichtung einer Sicherheitskontrolle auf dem Gebiet der Kernenergie vom 20.12. 1957, dt. BGBl. II 1959, 586, österr. BGBl. 20/1960 Web: http://www.nea.fr/
Kernforschung nuclear research – recherche nucléaire
Der EAGV enthält in seinen Art. 4-11 umfassende Kompetenzen der EG auf dem Gebiet der Kernforschung, insbesondere für die Durchführung mehrjähriger Forschungs- und Ausbildungsprogramme. Diese werden auf Vorschlag der ĺKommission vom ĺRat einstimmig verabschiedet, ihr Zeitraum beträgt höchstens fünf Jahre. Sie sind zeitlich und inhaltlich mit dem allgemeinen ĺForschungsrahmenprogramm synchronisiert, beruhen jedoch auf einem eigenen Ratsbeschluss nach Art. 7 Abs. 1 EAGV. Auf der Grundlage von Art. 8 EAGV wurde eine ĺGemeinsame Forschungsstelle als gemeinschaftseigenes Zentrum u.a. für Kernforschung errichtet. Der Forschungsschwerpunkt liegt heute v.a. im Bereich der nuklearen Sicherheit. (hk) §§: Art. 4-11 EAGV Lit.: W. Mönig, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Vorbem. Art. 163173, Rn. 6-8 Web: http://itu.jrc.cec.eu.int/index.php?id=71
Kernstoffe nuclear materials – matières nucléaires
Dieser Begriff wird im ĺEAGV (vgl. Art. 2 lit. e, Art. 9) als Überbegriff für ĺErze, ĺAusgangsstoffe und ĺbesondere spaltbare Stoffe verwendet, die in Art. 197 eine Legaldefinition erfahren. Davon ist der Begriff der sog. Kernmaterialien gem. Art. 1 lit. a sublit. v das Pariser Übereinkommens (nuclear substances/substances nucléaires) und Art. I Abs. 1 lit. h des Wiener Übereinkommens (nuclear material/matiè-
Kinder, strafrechtliche Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern re nucléaire) zu unterscheiden (ĺAtomhaftungsrecht). (atm) Kfz, technische Überwachung roadworthiness tests for motor vehicles – contrôle technique des véhicules à moteur
Bei den einschlägigen Bestimmungen handelt es sich um eine produktbezogene Harmonisierungsmaßnahme (ĺVerkehrsrecht, produktbezogene Harmonisierung). Sie finden sich in der RL 96/96/EG (ABl. 1997, Nr. L 46/1), welche die RL 77/143/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die technische Überwachung der Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger ersetzt, die mehrfach erheblich geändert wurde. Die RL stellt einen der Teil gemeinschaftlicher Vorschriften über Vollzug und Kontrollverfahren dar (effektive Beachtung der materiellen Sicherheitsvorschriften). Sie enthält die Verpflichtung der MS zur regelmäßigen technischen Überwachung der von ihnen zugelassenen Kfz. Die Durchführung der technischen Überwachungen hat von staatlichen oder von unter staatlicher Aufsicht stehenden privaten Einrichtungen zu erfolgen. Zur Determinierung der materiellen Maßstäbe des Kontrollverfahrens existieren zwei Anhänge der ĺRL. In Anhang I erfolgt die Festlegung der Zeitabstände, innerhalb derer bestimmte Fahrzeugkategorien im Hinblick auf bestimmte technische Merkmale überprüft werden müssen. In Anhang II erfolgt die Festlegung der zwingend zu überprüfenden technischen Gesichtspunkte. Die zum Zwecke des Nachweises der erfolgreichen Fahrzeugkontrolle seitens der zuständigen Stellen ausgestellten Papiere sind in den ĺMS uneingeschränkt anzuerkennen. Strengere Kontrollstandards durch die MS sind ungeachtet dessen möglich. (sm) Kinder, strafrechtliche Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie children, combating the sexual exploitation of children and child pornography – enfants, lutte contre l’exploitation sexuelle des enfants et la pédopornographie
Teil der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Gem. Art. 29 Abs. 2 EU werden dazu eine engere Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden und die Annäherung der Strafvorschriften angestrebt, letztere mit dem Rahmenbeschluss 2004/ 68/JI zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie.
„Kind“ im Sinne dieses Rahmenbeschlusses ist dabei jede Person unter achtzehn Jahren. Der ĺRahmenbeschluss ƒ stellt Mindestvorschriften für die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen auf, die als sexuelle Ausbeutung von Kindern (Art. 2) oder als Kinderpornographie (Art. 3) unter Strafandrohung zu stellen sind. Strafrechtlich zu erfassen sind auch Anstiftung, Beihilfe sowie – mit einer Ausnahme – der Versuch einer solchen Tat (Art. 4); ƒ verlangt, sowohl die vorsätzliche Tatbegehung als auch deren Versuch sowie die Anstiftung oder Beihilfe im Höchstmaß mit mindestens vier Jahren Freiheitsstrafe (sog. Mindesthöchststrafe) zu bedrohen. Für bestimmte Begehungsformen oder bei Vorliegen bestimmter erschwerender Umstände wird eine Mindesthöchststrafe von fünf bis zehn Jahren gefordert. (Art. 5). Sicherzustellen ist darüber hinaus, dass Täter im Falle einer solchen einschlägigen Verurteilung auch an einer die Beaufsichtigung von Kindern ausschließenden Tätigkeit vorübergehend oder dauerhaft gehindert werden können; ƒ setzt Vorgaben für die Verantwortlichkeit einer juristischen Person (Art. 6), für die ebenfalls wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen (ĺMindesttrias der Sanktionen) verlangt werden (Art. 7). Voraussetzung ist stets eine Straftat i.S.d. Art. 2-4. Die Verantwortlichkeit der jP wird begründet entweder durch die Zurechnung des eigenen Verhaltens einer vertretungs-, entscheidungsoder kontrollbefugten Führungsperson oder durch die mangelnde Überwachung und Kontrolle der juristischen Person unterstellter Personen durch eine solche Führungsperson. Im ersten Falle sind strafrechtliche und nichtstrafrechtliche Geldsanktionen gefordert, darüber hinaus können andere Sanktionen bis hin zur richterlich angeordneten Auflösung angedroht werden. Im Falle des Organisationsverschuldens sind hingegen lediglich allgemein wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen oder Maßnahmen gefordert. ƒ macht Vorgaben für das Strafanwendungsrecht (Art. 8); ƒ fordert den besonderen Schutz der Kinder als Opfern (ĺMenschenhandel, Opferrechte) sowie die angemessene Unterstützung der Familie des Opfers (Art. 9). Der Rahmenbeschluss war bis zum 20.1.2006 durch die Mitgliedstaaten umzusetzen. Gemein553
Kinderrechte sam mit dem Rahmenbeschluss 2002/629/JI zur Bekämpfung des Menschenhandels (ĺMenschenhandel, strafrechtliche Bekämpfung) ersetzt er die Gemeinsame Maßnahme 97/154/JI betreffend die Bekämpfung des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung von Kindern. (sts) §§: Rahmenbeschluss 2004/68/JI des Rates vom 22.12. 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie, ABl. 2004, Nr. L 13/44
Kinderrechte rights of the child – droits de l’enfant
Die ĺGRC enthält eigene Kinderrechte als europäische ĺGrundrechte, deren Verbürgungen über das bestehende Primärrecht hinausgehen. Aspekte davon dürften eher ĺGrundsatz und nicht ĺGrundrecht sein, d.h. verbindlich, aber nicht unmittelbar einklagbare Handlungsaufträge (vgl. Art. 24 Satz 1 GRC/Art. II-84 EVV). Inhaltlich betreffen die Garantien Schutz und Fürsorge, Mitsprache und Gehör (Berücksichtigung der Kindesmeinung), Elternbeziehungen und -kontakte sowie die Verankerung des Kindeswohls als vorrangiges Ziel. Die ĺGRC enthält zusätzlich ein Kinderarbeitsverbot und einen Jugendarbeitsschutz (Art. 32 GRC/Art. II-92 EVV (vgl. ĺArbeitnehmergrundrechte). (ed) §§: Art. 24 GRC/Art. II-84 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 27; E. Riedel, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 27
Kindesentführung child abduction – enlèvement d’enfant
Da als Kehrseite der Mobilität der Unionsbürger auch die Fälle internationaler Kindesentführung innerhalb der EG zugenommen haben, wurde diese Problematik etwas versteckt im Rahmen der ĺEheGVVO einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung zugeführt. Vorgesehen ist insb. die Einrichtung von Zentralstellen in allen MS bei denen die betroffenen Sorgeberechtigten einen Antrag auf Rückgabe des Kindes stellen können. Zudem soll durch die Grundregel, dass die widerrechtliche Verbringung des Kindes in einen anderen MS keinen Einfluss auf die internationale Zuständigkeit für die Sorgerechtsentscheidung hat, einer Kindesentführung zu Zwecken des ĺforum shopping vorgebeugt werden. (mrm) §§: Art. 10 f. EheGVVO
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Lit.: D. Solomon, Brüssel IIa – Die neuen europarechtlichen Regeln zum internationalen Verfahrensrecht in Fragen der elterlichen Verantwortung, FamRZ 2004, 1409-1419
Kirchen ĺReligion, Religionsfreiheit Kirchenerklärung declaration on the status of churches and non-confessional organisations – déclaration relative au statut des Églises et des associations ou communautès non confessionelles
Nach der Erklärung zum Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften achtet die Europäische Union den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. Die Europäische Union achtet den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften in gleicher Weise. Die Kirchenerklärung ist als 11. Erklärung Bestandteil der Schlussakte des Amsterdamer Vertrages (ABl. EG 11.11.1997, Nr. C 340). Sie verdankt ihre Entstehung Initiativen der deutschen evangelischen und katholischen Kirchen, eine Verpflichtung der Gemeinschaft im Rahmen der Amsterdamer Vertragsnovelle im Primärrecht zu verankern, die diese zur Achtung des mitgliedstaatlichen Rechtsregimes verpflichtet hätte. Dieses Ansinnen fand keine politische Mehrheit. Als Kompromiss wurde die Achtungsverpflichtung zu den vom Europäischen Rat angenommenen Erklärungen in die Schlussakte aufgenommen. Sie ist damit weder unmittelbar, noch über die für Protokolle greifende Norm des Art. 311 EG Bestandteil des primären Gemeinschaftsrechts. Die Erklärung ist jedoch nach Art. 31 Abs. 2 der Wiener Vertragsrechtskonvention bei der Auslegung der Europäischen Verträge zu berücksichtigen (strittig). Die Erklärung hat zudem einen systematischen Bezug zu Art. 6 Abs. 3 EU: die Rolle der Kirchen und religiösen Vereinigungen in den Mitgliedstaaten ist Element der von der Union zu achtenden mitgliedstaatlichen Identität. Vermittelt auch durch die Kirchenerklärung gewinnt die ökonomisch orientierte europäische Integration eine auf die Religion bezogene Dimension. Zur Beschränkung der Grundfreiheiten ist die Erklärung aus sich heraus freilich nicht in der Lage, sie vermag allenfalls einen rechtfertigenden öffentlichen Belang der Mitgliedstaaten zu flankieren. Die Kirchenerklärung ist vornehmlich Interpretations- und Auslegungshilfe in Be-
Klagefrist, Nichtigkeitsklage zug auf die zahlreichen religiösen Berücksichtigungsklauseln im sekundären Gemeinschaftsrecht (ĺReligionsrecht). Der Verfassungsvertrag sah eine Überführung der Kirchenerklärung in das Primärrecht (Art. I-52) vor. (md) §§: Art. 6 Abs. 3 EU; Art. 311 EG; Art. 31 Abs. 2 WVK Lit.: B. Grzeszick, Die Kirchenerklärung zur Schlussakte des Vertrages von Amsterdam, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 48 (2003) 284 ff.
Kirchliche Arbeitnehmer ĺArbeitsrecht, religionsgemeinschaftliches Kläger, Nichtigkeitsklage applicant, action for annulment – partie requérante, recours en annulation
Für die Bestimmung des K. einer Nichtigkeitsklage ist zwischen der Nichtigkeitsklage nach Art. 35 Abs. 6 EU und Art. 230 EG zu unterscheiden. Erstere kennt nur die Mitgliedstaaten und die Kommission als Kläger; letztere hat einen weitergehenden Kreis von Klägern (ĺParteifähigkeit, Nichtigkeitsklage), der entsprechend den zu erfüllenden Zulässigkeitsvoraussetzungen in ĺprivilegierte und ĺnichtprivilegierte Kläger unterteilt wird. (mk) §§: Art. 35 Abs. 6 EU; Art. 230 EG
Klage vor dem EuG I ĺEuG I, Verfahrensarten Klage vor dem EuGH ĺEuGH, Verfahrensarten Klageberechtigung, Nichtigkeitsklage standing, action for annulment – droit d’agir, recours en annulation
Die K. ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung der Nichtigkeitsklagen. Mitgliedstaaten und Organe der EG/EU sind als ĺprivilegierte Kläger ohne weiteres klageberechtigt. Die K. ist daher im Rahmen der Nichtigkeitsklage nach Art. 35 Abs. 6 EU (ĺNichtigkeitsklage, Art. 35 Abs. 6 EU) nicht gesondert zu prüfen. Bei der gemeinschaftsrechtlichen Nichtigkeitsklage ist zu differenzieren: Die privilegierten Kläger müssen auch hierbei keine Klageberechtigung nachweisen. An die K. von ĺRechnungshof und EZB (ĺEuropäische Zentralbank) und die ĺIndividualnichtigkeitsklage werden jedoch besondere Voraussetzungen geknüpft. Nichtigkeitsklagen von Rechnungshof und EZB sind in gegenständlicher Hinsicht begrenzt. Diese kön-
nen Nichtigkeitsklage nur gegen Handlungen erheben, „die auf die Wahrung ihrer Rechte abzielen“ (Art. 230 Abs. 3 EG). Dies ist bspw. bei Beeinträchtigungen vertraglicher oder sekundärrechtlicher Anhörungs-, Beteiligungs- und Informationsrechte von EZB oder Rechnungshof der Fall. Bei Individualnichtigkeitsklägern sind zwei Konstellationen zu unterscheiden. Soweit ĺKlagegegenstand der Nichtigkeitsklage eine an den Kläger gerichtete Entscheidung ist, müssen diese keine besondere Klageberechtigung nachweisen. Bei Angriffen auf eine Handlung, die keine Entscheidung ist (ĺVerordnung, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage; ĺRichtlinie, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage), sind sie hingegen nur klageberechtigt, wenn sie nachweisen können, dass sie von dem Rechtsakt, den sie angreifen wollen, ĺunmittelbar und ĺindividuell betroffen sind. (mk) §§: Art. 230 Abs. 3 und 4 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 384 ff.
Klagefrist, Nichtigkeitsklage time-limit for bringing an action, action for annulment – délai de recours, recours en annulation
Die Klagefrist der gemeinschaftsrechtlichen Nichtigkeitsklage beträgt zwei Monate und zehn Tage. Dies ergibt sich aus Art. 230 Abs. 5 EG (zwei Monate) i.V.m. Art. 81 § 2 VerfOEuGH/ Art. 102 § 2 VerfOEuG (10 Tage Entfernungsfrist). Der Beginn des Laufs der Klagefrist hängt davon ab, ob ein Rechtsakt angegriffen wird, der im Amtsblatt veröffentlicht (die deutsche Fassung des Art. 230 Abs. 5 EG lautet „Bekanntgabe“) wurde. Die K. beginnt in diesem Fall nach „Ablauf des vierzehnten Tages nach der Veröffentlichung“ (Art. 81 § 1; 80 § 1, lit. a VerfOEuGH/Art. 102 § 1; 101 § 1, lit. a VerfOEuG) zu laufen. Damit sind sowohl die Fälle erfasst, in denen die Veröffentlichung nach Art. 254 Abs. 1 und 2 EG vorgeschrieben ist, als auch solche, in denen eine Veröffentlichung erfolgt, ohne ausdrücklich angeordnet zu sein. Auf die vollständige Veröffentlichung im Amtsblatt L für Rechtsakte kommt es, jedenfalls für nicht veröffentlichungspflichtige Rechtsakte, nach der Rechtsprechung des EuG nicht an. So genügt für eine Veröffentlichung bspw. die bloße Mitteilung über den Erlass einer beihilferechtlichen Genehmigungsentscheidung im Amtsblatt C, wenn diese einen Hinweis auf die Bereitstellung der vollständigen Entscheidung auf den Internetseiten der Kommission enthält, und die Ent555
Klagegegenstand, Nichtigkeitsklage scheidung dort auch tatsächlich verfügbar ist. (EuG, Rs. T-321/04 Air Bourbon SAS, Slg. 2005, II-3469, Rn. 34). Die K. für nicht veröffentlichte Rechtsakte beginnt entweder mit deren Mitteilung an den Kläger (entspricht der individuellen Bekanntgabe nach Art. 254 Abs. 3 EG und allen sonstigen Fällen der nicht vorgeschriebenen, aber dennoch erfolgten Mitteilung des Rechtsaktes) oder, falls weder eine Veröffentlichung noch eine Mitteilung erfolgt ist, mit der tatsächlichen Kenntniserlangung durch den Kläger. Für die Nichtigkeitsklage nach Art. 35 Abs. 6 EU gilt ebenfalls eine Klagefrist von zwei Monaten (Art. 35 Abs. 6 Satz 2 EU) und zehn Tagen (Art. 81 § 2 VerfOEuGH). Sie beginnt ebenfalls nach Ablauf von 14 Tagen nach der Veröffentlichung des Rechtsaktes in Amtsblatt (Art. 81 § 1, Art. 80 § 1, lit. a VerfOEuGH). Der EU-Vertrag sieht zwar keine Pflicht zur Veröffentlichung der als Klagegegenstand in Betracht kommenden Rechtsakte der PJZS (ĺNichtigkeitsklage, Art. 35 Abs. 6 EU) vor; die Mitgliedstaaten haben sich jedoch in einer Erklärung zum ĺVertrag von Amsterdam darauf verständigt, Rechtsakte nach Art. 34 Abs. 2 EU im Amtsblatt der EU zu veröffentlichen. In der Praxis werden daher alle in Frage kommenden Rechtsakte im Amtsblatt veröffentlicht. (mk) §§: Art. 230 Abs. 6 EG; Art. 35 Abs. 6 Satz 2 EU; Erklärung zu Art. K.6 Abs. 2 des Vertrags über die Europäische Union (ABl. 1997, Nr. C 340/133); Art. 80 § 1 lit. a; Art. 81 § 1 und 2 VerfOEuGH; Art. 101 § 1 lit. a; 102 § 1 und 2 VerfOEuG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 437 ff.
Klagegegenstand, Nichtigkeitsklage subject-matter, action for annulment – objet, recours en annulation
K. der gemeinschaftsrechtlichen Nichtigkeitsklage sind dem Grundsatz nach in Art. 230 Abs. 1 EG geregelt. Danach können nur „Handlungen“ der Gemeinschaftsorgane und der EZB (ĺeuropäische Zentralbank) „[a]ufgrund dieses Vertrages“ K. sein, „soweit es sich nicht um Empfehlungen oder Stellungnahmen handelt“ (zum K. der Klage nach Art. 35 Abs. 6 EU ĺNichtigkeitsklage, Art. 35 Abs. 6 EU). Diese allgemeine Definition gilt aber nur für ĺOrgan- und ĺStaatenklagen; für ĺnichtprivilegierte Kläger ist der Kreis der anfechtbaren Rechtsakte beschränkt (näher ĺIndividualnichtigkeitsklage). Der Ausschluss von Empfehlungen und Stellungnahmen steht exemplarisch für solche 556
Handlungen, die keinerlei „verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Rechtsunterworfenen beeinträchtigen“ (EuGH, Rs. C-131/03 P Reynolds Tobacco/Kommission, Slg. 2006, I-7795, Rn. 54 ff.). Der Kreis möglicher K. umfasst zum einen die typischen Rechtsakte des Art. 249 EG (ĺVerordnungen, ĺRichtlinien und ĺEntscheidungen), geht aber darüber hinaus. Es kommen aber auch atypische Rechtsakte in Betracht, soweit sie verbindliche Rechtswirkungen erzeugen. Die Rechtswirkungen müssen zudem Außenwirkung haben, reine Binnenrechtshandlungen scheiden aus. Für das Parlament regelt Art. 230 Abs. 1 EG dies ausdrücklich; es gilt aber generell für alle Handlungen. Statthafte K. neben den in Art. 249 EG genannten Handlungen sind bspw. ein Beschluss des Rates über die Modalitäten zur Aushandlung eines völkerrechtlichen Vertrages nach Art. 300 Abs. 1 EG oder eine Willenserklärung der Kommission, die auf den Abschluss eines solchen Vertrages gerichtet ist. Keine geeigneten K. sind – neben den in Art. 230 Abs. 1 EG genannten Empfehlungen und Stellungnahmen – bspw. Bestätigungen oder Durchführungshandlungen eines bereits bestehenden Rechtsaktes, Dienstanweisungen, vorbereitende Handlungen im Rahmen eines gemeinschaftsrechtlichen Verfahrens oder Klageerhebungen der Kommission vor Gerichten eines Drittstaates, da diesen eine verbindliche Rechtswirkung fehlt. Die in der Rechtsprechung gelegentlich zu findende Wendung, wonach die Rechtswirkungen stets für den Kläger bestehen müssen, ist hingegen missverständlich. Der Sache nach handelt es sich insoweit um die ĺBetroffenheit eines Individualnichtigkeitsklägers durch den Rechtsakt. Diese ist aber nicht generelle Voraussetzung für die Entfaltung von Rechtswirkungen, sondern – als deren mögliche Folge – spezielle Zulässigkeitsvoraussetzung ausschließlich für ĺIndividualnichtigkeitsklagen. Die ĺprivilegierten Kläger müssen diese Voraussetzung hingegen nicht erfüllen. Die rechtsverbindliche Handlung muss des Weiteren einem der Organe oder der EZB zugerechnet werden können. Die Zurechnung zu einem Organ kann bei Handlungen des Rates schwierig sein, da die Mitgliedstaaten sich des Rates auch für gemeinsames Handeln außerhalb des EG-Vertrages bedienen können (sog. „im Rat vereinigte Vertreter der Mitgliedstaaten“). Die Organwalter im Rat handeln in diesem Fall nicht „als Ratsmitglieder, sondern als Vertreter ihrer Mitgliedstaaten“; daher liegt keine Handlung des
Klauselrichtlinie Organs „Rat“ vor. Eine solche Handlung kann nicht K. einer Nichtigkeitsklage sein (EuGH, verb. Rs. C-181/91 und C-248/ 91 Parlament/ Rat und Kommission, Slg. 1993, I-3685, Rn. 12). Zurechnungsfragen wirft auch die Auslegung der Merkmals „[a]ufgrund dieses Vertrages“ auf. Dieses erfasst unzweifelhaft sämtliche Organhandlungen, die auf Normen des EG-Vertrages oder des EG-Sekundärrechts gestützt sind, also gemeinschaftsrechtlichen Charakter haben. Die Rsp. lässt jedoch zur Vermeidung von Rechtsschutzlücken ausnahmsweise auch nicht gemeinschaftsrechtliche Organhandlungen als K. zu. Einen solchen Fall nahm der EuGH z.B. bei Durchführungsbestimmungen des Rates im Rahmen des ĺEuropäischen Entwicklungsfonds an, bei deren Erlass der Rat außerhalb des EG-Vertrages aufgrund eines völkerrechtlichen „Internen Abkommens“ zwischen den Mitgliedstaaten tätig wird (EuGH, Rs. C-316/ 91 Parlament/Rat, Slg. 1994, I-625, Rn. 9). Zu Handlungen auf Grundlage der zweiten und dritten Säule der EU ĺUnionsrechtsakte, Gegenstand der Nichtigkeitsklage. (mk) §§: Art. 230 Abs. 1, 4 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 343 ff.
Klauselrichtlinie directive on unfair terms in consumer contracts – directive concernant les clauses abusives dans les contrats conclus avec les consommateurs
Ziel der KlauselRL, einer reinen VerbraucherschutzRL (ĺVerbraucherschutzRL, reine) und ĺMindestRL, ist es, Wettbewerbsverzerrungen zwischen Verkäufern von Waren und Dienstleistungserbringern, die aus divergierenden, einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über Vertragsklauseln resultieren, im Binnenmarkt zu beseitigen sowie die Möglichkeit der Verbraucher, grenzüberschreitend Waren und Dienstleistungen nachzufragen, zu erleichtern. I.S.d. ĺBegründungsdreiklanges bezieht sich die RL in ihren Erwägungsgründen zudem auf die Programme der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher. Der Begriff „Vertragsklauseln“ i.S.d. RL meint Klauseln, die im Voraus abgefasst wurden und auf deren Inhalt der Verbraucher deshalb keinen Einfluss nehmen konnte (Art. 3 RL). Nicht gefordert wird, dass sie Teil umfassender AGB sind. Die Missbräuchlichkeit einer Klausel wird in Art. 3 Abs. 1 RL in Form einer Generalklausel unter Berücksichtigung der Art der Güter
oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind und aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geregelt (Art. 4 Abs. 1 RL). Ebenso sollen alle anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, in die Abwägung einbezogen werden. Gegenstand der Missbräuchlichkeitsprüfung können stets nur jene Klauseln sein, die nicht eine der beiden Hauptleistungen betreffen (Art. 4 Abs. 2 RL). Eine weitere Konkretisierungshilfe soll schließlich die der RL im Anhang beigefügte, nicht erschöpfende „graue Liste“ verdächtiger Klauseln bieten, bei denen die Missbräuchlichkeit widerlegbar vermutet wird. Dem EuGH (ĺEuGH und EuG I) kommt in diesem Zusammenhang durch Art. 234 EG lediglich die Kompetenz zu, die vom Gemeinschaftsgesetzgeber zur Definition des Begriffes der missbräuchlichen Klausel verwendeten, allgemeinen Kriterien auszulegen. Er darf sich allerdings nicht zur Anwendung dieser allgemeinen Kriterien auf eine bestimmte Klausel äußern, die anhand der Umstände des konkreten Falles und damit auch unter entsprechender Würdigung der Klausel im Rahmen des anwendbaren nationalen Rechts zu beurteilen ist (EuGH 1.4.2004, Rs. C-237/02 Freiburger Kommunalbauten, Slg. 2004, I-03403). Auch ist der EuGH nicht zur Auslegung einer ihm von einem nationalen Gericht zur KlauselRL vorgelegten Frage zur Vorabentscheidung zuständig, wenn sich der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens vor dem Zeitpunkt des Beitritts jenes Mitgliedstaats, dessen Gericht den EuGH anruft, ereignet hat (EuGH 10.1.2006, Rs. C-302/ 04 Ynos, Slg. 2006, I-00371). Mit Blick auf die in der RL formulierten Schutzinstrumente wird die Überzeugung erkennbar, dass, um einen ausreichenden Schutz der Verbraucher zu gewährleisten, mitunter auch inhaltliche Eingriffe in den Vertrag nötig werden (ĺVerbraucherschutzmodelle). So spricht die RL zum einen die Unverbindlichkeit missbräuchlicher Klauseln aus (Art. 6 Abs. 1 RL), wobei der durch die KlauselRL dem Verbraucher gewährte Schutz erfordert, dass nationale Gerichte die Missbräuchlichkeit von Klauseln von Amts wegen prüfen können (EuGH 27.6.2000, Rs. C-240244/98 Oceano Grupo, Slg. 2000, I-4941). Auch stehen nationale Verfahrensbestimmungen, die den Gerichten verwehren, nach Ablauf einer Ausschlussfrist (von zwei Jahren und damit kürzer als die normale Verjährungsfrist von vertraglichen Ansprüchen) von Amts wegen oder 557
Klauseln, missbräuchliche auf Einrede des Verbrauchers die Missbräuchlichkeit einer Klausel festzustellen, zu deren Durchsetzung der Gewerbetreibende Klage erhoben hat, der RL entgegen (EuGH 21.11.2002, Rs. C-473/00 Cofidis SA, Slg. 2002, I-10875). Zum anderen enthält die RL als Schutzinstrument das Gebot zur klaren und verständlichen Abfassung von in Verträgen unterbreiteten Klauseln einschließlich der Regelung der Rechtsfolgen bei entsprechendem Zuwiderhandeln (Art. 5 RL, ĺTransparenzgebot). Weiters müssen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass Personen oder Organisationen, die nach innerstaatlichem Recht ein berechtigtes Interesse am Verbraucherschutz haben, Klagemöglichkeit gegen einzelne Gewerbetreibende, mehrere Gewerbetreibende desselben Wirtschaftssektors oder ihre Verbände eingeräumt wird (Art. 7 RL, ĺVerbraucherschutz, kollektiver). Zudem enthält die Richtlinie eine eigene IPR-Vorschrift, wonach der durch diese RL gewährte Schutz durch die Rechtswahl eines Drittlandes nicht gemindert werden kann, wenn der Vertrag einen engen Zusammenhang mit dem Gebiet der Mitgliedstaaten aufweist (Art. 6 Abs. 2 RL). (pa) §§: RL 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. 1993, Nr. L 95/29 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/ H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Klauseln, missbräuchliche ĺKlauselRL Kleinere Kooperationsmaßnahmen ĺKooperationsmaßnahmen kleinerer Art Klimaschutz climate protection – protection du climat
Ein als Klimaschutzrecht zu bezeichnendes, selbstständiges Rechtsgebiet des (gemeinschaftsrechtlichen) Umweltschutzes. Für diesen Bereich ging bzw. geht der größte Impetus vom Völkerrecht aus. Stellvertretend seien hier das Wiener (Rahmen-)Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht vom 22.3.1985, welches durch das sog. Montrealer Protokoll vom 16.9.1987 ergänzt und konkretisiert wird, das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen vom 9.5.1992 über Klimaänderungen (Klimarahmenkonvention) und das dazu in Ergänzung 558
und Konkretisierung ergangene Kyoto-Protokoll vom 11.12.1997 erwähnt. Die EG hat (neben einigen MS) die Ozon-Verträge als gemischte Abkommen unterzeichnet. Materiell-rechtlich wurden die internationalen Standards durch Verordnungen umgesetzt und partiell verschäft (VO [EG] 2037/2000). Die VO regelt sowohl die Produktion als auch die Einund Ausfuhr, das Inverkehrbringen, die Verwendung, die Rückgewinnung, das Recycling, die Aufbereitung und Vernichtung von bestimmten Stoffen (u.a. FCKW, anderen vollhalogenierten Fluorchlorkohlenwasserstoffe, Halonen). Sie enthält überdies Bestimmungen für die Übermittlung von Informationen über diese Stoffe sowie für die Aus- und Einfuhr, das Inverkehrbringen und die Verwendung solcher Produkte und Einrichtungen, die jene Soffe enthalten. Die Klimarahmenkonvention und das KyotoProtokoll werden weiterhin noch umgesetzt. Auf Ebene der EU finden sich etliche Rechtsakte, welche die Vorgaben umsetzen. (sm) Lit.: zusammenfassend M.Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 17, Rn. 1 ff.
Klinische-Arzneimittelprüfungsrichtlinie directive on the approximation of the laws,regulations and administrative provisions of the Member States relating to the implementation of good clinical practice in the conduct of clinical trials on – réglementaires et administratives des États membres relatives à l’application de bonnes pratiques cliniques dans la conduite d’essais cliniques à usage humain
Die RL 2001/20/EG vom 4.4.2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln (ABl. 2001, Nr. L 121/34) stützt sich auf Art. 95 EG. Sie enthält spezifische Vorschriften über die Durchführung von klinischen Prüfungen, einschließlich multizentrischer klinischer Prüfungen, die an Menschen mit Arzneimitteln vorgenommen werden (Art. 1 Abs. 1). Klinische Prüfung ist nach der Legaldefinition des Art. 2 lit. a jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, um klinische, pharmakologische und/oder sonstige pharmakodynamische Wirkungen von Prüfpräparaten zu erforschen oder nachzuweisen und/oder jede Nebenwirkung von Prüfpräparaten festzustellen und/ oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel und die Ausscheidung von Prüfpräparaten zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von deren Unbedenklichkeit und/oder Wirksamkeit zu überzeugen.
Klinische-Arzneimittelprüfungsrichtlinie Ziel der Richtlinie ist es, die Anwendung einer guten klinischen Praxis sicherzustellen. Die gute klinische Praxis umfasst gem. Art. 1 Abs. 2 einen Katalog international anerkannter ethischer und wissenschaftlicher Qualitätsanforderungen, die bei der Planung, Durchführung und Aufzeichnung klinischer Prüfungen an Menschen sowie der Berichterstattung über diese Prüfungen eingehalten werden müssen. Deren Einhaltung soll gewährleistet, dass die Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen der Teilnehmer an klinischen Prüfungen geschützt werden und dass die Ergebnisse der klinischen Prüfungen glaubwürdig sind. Die Grundsätze der guten klinischen Praxis und die dazugehörigen ausführlichen Leitlinien werden nach dem ĺKomitologieverfahren (vgl. Art. 21 Abs. 2) angenommen und fortgebildet. Das Herzstück der Richtlinie bilden die materiellen Anforderungen an klinische Prüfungen zum Schutz der Probanden nach Art. 3 Abs. 2. Eine klinische Prüfung darf danach nur durchgeführt werden, wenn insbesondere ƒ die vorhersehbaren Risiken und Nachteile gegenüber dem Nutzen für den Prüfungsteilnehmer und für andere gegenwärtige und zukünftige Patienten abgewogen worden sind; ƒ eine Ethikkommission und/oder die zuständige Behörde zu der Schlussfolgerung kommt, dass der erwartete therapeutische Nutzen und der Nutzen für die öffentliche Gesundheit die Risiken überwiegen; ƒ die Einhaltung dieser Anforderung ständig überwacht wird; ƒ der Prüfungsteilnehmer, oder wenn dieser seine Einwilligung nach Aufklärung nicht erteilen kann, dessen gesetzlicher Vertreter Gelegenheit hatte, sich in einem vorherigen Gespräch mit dem Prüfer oder einem Mitglied des Prüfungsteams ein Bild von den Zielen der Prüfung, ihren Risiken und Nachteilen und den Bedingungen ihrer Durchführung zu machen, und er außerdem über sein Recht informiert wurde, seine Teilnahme an der Prüfung jederzeit zu beenden (Prinzip des informed consent, s. ĺBioethikkonvention); ƒ das Recht des Prüfungsteilnehmers auf körperliche und geistige Unversehrtheit sowie das Recht des Prüfungsteilnehmers auf Datenschutz gewährleistet werden; ƒ der Prüfungsteilnehmer durch Widerruf der Einwilligung nach Aufklärung seine Teilnahme an der klinischen Prüfung jederzeit beenden kann, ohne dass ihm daraus Nachteile entstehen;
ƒ
Vorschriften über Versicherung oder Schadenersatz zur Deckung der Haftung des Prüfers und des Sponsors bestehen. Nach Art. 3 Abs. 1 bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, strengere Vorschriften zum Schutz der Probanden zu erlassen. Art. 4 enthält Schutzvorschriften zugunsten Minderjähriger Probanden (hierzu eingehend F. Sprecher, in: E. Dujmovits et al. [Hrsg.], Recht und Medizin, 2006, 147 [155 ff.]), deren Vereinbarkeit mit den Mindeststandards nach Art. 17 ĺBiomedizinkonvention allerdings umstritten ist, und Art. 5 Schutzvorschriften zugunsten nichteinwilligungsfähiger Erwachsener. Die Richtlinie enthält zudem mit der Pflicht nach Art. 6, medizinische Ethikkommissionen einzurichten, eine praktisch wichtige organisationsrechtliche Bestimmung zum Schutz von Probandenrechten. Die nach dieser Richtlinie einzurichtende Ethikkommission hat vor Beginn einer klinischen Prüfung die ethische sowie rechtliche Vertretbarkeit (s. im Einzelnen Art. 6 Abs. 3) der Durchführung zu prüfen und einen Prüfbericht abzufassen. Ein positives Ergebnis ist nach Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Voraussetzung dafür, dass mit einer klinischen Prüfung begonnen werden darf. Die Art. 9 und 10 enthalten vor allem verfahrensrechtliche Bestimmungen über den Beginn und die Durchführung klinischer Prüfungen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, dass die Durchführung einer klinischen Prüfung einer präventiven behördlichen Genehmigungspflicht unterliegt (Art. 9 Abs. 2). Auch die Herstellung und Einfuhr von Prüfpräparaten unterfällt nach Art. 13 Abs. 1 einer Genehmigungspflicht. Die Überwachung erfolgt in einem verbundförmigen Verwaltungsverfahren zwischen Gemeinschafts- und staatlichen Organen durch so genannte Inspektionen: Zur Überprüfung der Übereinstimmung mit den Bestimmungen zur guten klinischen Praxis und zur guten Herstellungspraxis benennen die Mitgliedstaaten nach Art. 15 Abs. 1 Inspektoren, die die Aufgabe haben, in den an einer klinischen Prüfung beteiligten Stellen Inspektionen durchzuführen. Für die Inspektionen sorgt die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaats, die die Agentur darüber informiert; die Inspektionen erfolgen im Namen der Gemeinschaft, und die Ergebnisse werden von allen anderen Mitgliedstaaten anerkannt. (gär) §§: Klinische Arzneimittelprüfungsrichtlinie (2001/ 20/EG)
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Klonen, reproduktives Lit.: E. Deutsch, Klinische Prüfung von Arzneimitteln: eine europäische Richtlinie setzt Standards und vereinheitlicht Verfahren, NJW 2001, 3361 ff.; ders./ A. Spickhoff, Medizinrecht, 5. Aufl. 2003, 615 ff.; G. Fischer, Der Einfluss der Europäischen Richtlinie 2001 zur Klinischen Prüfung von Arzneimitteln auf Versuche an Kindern und anderen einwilligungsfähigen Personen, in: K. Amelung (Hrsg.), Strafrecht – Biorecht – Rechtsphilosphie, FS für H.-L. Schreiber, 2003, 685; C. Kopetzki, Die klinische Arzneimittelprüfung vor dem Hintergrund des Europarechts und des Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin, in: E. Bernat/W. Kröll (Hrsg.), Recht und Ethik der Arzneimittelforschung, 2003, 26; A. Laufs, Die neue europäische Richtlinie zur Arzneimittelprüfung und das deutsche Recht, MedR 2004, 583; C. Pestalozza, Risiken und Nebenwirkungen: Die Klinische Prüfung von Arzneimitteln am Menschen nach der 12. AMG-Novelle, NJW 2004, 3374
Klonen, reproduktives reproductive cloning – clonage reproductif
Art. 3 Abs. 2 lit. d ĺGRC/Art. II-63 Abs. 2 lit. d EVV verbietet das reproduktive Klonen. Über die Zulässigkeit anderer Formen des Klonens (insb. therapeutisches Klonen) wird auf EG-Grundrechtsebene nichts ausgesagt; ihre Regelung ist dem zuständigen nationalen Gesetzgeber überlassen. S.a. ĺUnversehrtheit, körperliche. (ed) §§: Art. 3 Abs. 2 lit. d GRC/Art. II-63 Abs. 2 lit. d VVE Lit.: M. Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 3, Rn. 46; H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 9, Rn. 29; E. Dujmovits, Die EU-Grundrechtscharta und das Medizinrecht, RdM 2001, 72 (77); C. Kopetzki, Grundrechtliche Aspekte der Biotechnologie am Beispiel des „therapeutischen Klonens“, in: C. Kopetzki/H. Mayer (Hrsg.), Biotechnologie und Recht, 2002, 15 (65)
Kloppenburg-Entscheidung (BVerfG) Kloppenburg case – jurisprudence Kloppenburg
Entscheidung des ĺBVerfG vom 8.4.1987, BVerfGE 75, 223 (ĺVerfassungsbeschwerde), in der es die Rsp. des ĺEuGH zur unmittelbaren ĺAnwendbarkeit nicht umgesetzter ĺRichtlinien als zulässige Rechtsfortbildung anerkannte, die sich im Rahmen des durch ĺZustimmungsgesetz und EWGV abgesteckten Integrationsprogramms halte. Die Weigerung des BFH, die sechste Umsatzsteuerrichtlinie 77/388/EWG zugunsten der Beschwerdeführerin anzuwenden, obwohl der EuGH sie zuvor in einem ĺVorabentscheidungsverfahren für unmittelbar anwendbar erklärt hatte, verstieß daher gegen das Grundrecht auf den gesetzlichen ĺRichter. (sgk) Lit.: H. Rupp, Anmerkung, JZ 1988, 194
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KMU ĺBeihilfen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) Kodex für eine gute Verwaltungspraxis code of good administrative behaviour – code de bonne conduite administrative
Das ĺEP nahm am 6.9.2001 einen „Kodex für eine gute Verwaltungspraxis“ an. Der Kodex berücksichtigt die ĺPrinzipien des europäischen Verwaltungsrechts, die der ĺEuGH in seiner Rsp. entwickelt hat und nimmt auch Aspekte aus nationalen Gesetzen auf. Der Kodex dient zur Konkretisierung des ĺRechtes auf eine gute Verwaltung aus Art. 41 GRC. Des Weiteren hat der Kodex insoweit Bedeutung, als der Europäische Bürgerbeauftragte den Kodex für gute Verwaltung bei der Untersuchung auf Missstände gem. Art. 195 EG anwenden soll. Die Rechtsnatur dieses Kodex ist noch nicht abschließend geklärt. Augenblicklich ist eher von einer Art Empfehlung oder Selbstverpflichtung auszugehen. Soweit der Kodex jedoch Aspekte der Rsp. des ĺEuGH zu den ĺGrundsätzen des europäischen Verwaltungsrechts wiedergibt, ist er rechtsverbindlich. (fh) Lit.: J. M. Soria, Die Kodizes für gute Verwaltungspraxis, EuR 2001, 682 ff. Web: http://www.ombudsman.europa.eu/code/pdf/de/ code2005_de.pdf (Kodex 2005); http://www.ombuds man.europa.eu/home/de/default.htm (Seite des Europäischen Bürgerbeauftragten)
Kodezision ĺKodezisionsverfahren Kodezisionsverfahren process of codecision – procédure de codécision
Das in Art. 251 EG geregelte Verfahren ist das am häufigsten anzuwendende (s. dazu näher unten) und erfordert eine übereinstimmende ĺBeschlussfassung des Rates und des ĺEuropäischen Parlaments. Nach Vorschlag der ĺKommission wird dahingehend vom Parlament eine Stellungnahme erstattet, der zufolge der ĺRat mit qualifizierter Mehrheit den ĺRechtsakt erlassen kann, wenn entweder das Parlament keine Änderungen vorgeschlagen hat, oder der Rat den Abänderungen des Parlaments folgt. Sollte der Rat der Stellungnahme des Parlaments nicht folgen, hat dieser einen ĺgemeinsamen Standpunkt festzulegen, der dem Parlament rückübermittelt wird. Ab Übermittlung
Köbler-Entscheidung hat das Parlament drei Monate Zeit um den gemeinsamen Standpunkt entweder zu billigen, abzulehnen, sich nicht zu äußern oder seinerseits dem Rat mit absoluter Mehrheit wiederum Abänderungen zu dem gemeinsamen Standpunkt vorzuschlagen. Bei Zustimmung und oder Nichtäußerung des Parlaments gilt der Rechtsakt als erlassen, bei Ablehnung als gescheitert. Im Falle einer Abänderung des gemeinsamen Standpunktes seitens des Parlaments hat der Rat nunmehr (binnen drei Monaten) die Möglichkeit die Änderungen mit qualifizierter Mehrheit (bei ablehnender Stellungnahme durch die Kommission einstimmig) den Rechtsakt zu erlassen. Billigt der Rat nicht alle Änderungen des Parlaments wird vom Ratspräsidenten in Übereinstimmung mit dem Parlamentspräsidenten binnen sechs Wochen ein ĺVermittlungsausschuss einberufen. Der Vermittlungsausschuss kann nun (innerhalb von sechs Wochen) nach seiner Einberufung einen gemeinsamen Entwurf vorschlagen. Wenn dies innerhalb dieser Frist nicht erfolgt gilt der vorgeschlagene Rechtsakt als gescheitert. Dem gemeinsamen Entwurf des Vermittlungsausschusses können das Europäische Parlament mit absoluter Mehrheit und der Rat mit qualifizierter Mehrheit zustimmen. Nur wenn beide Institutionen dem Entwurf zustimmen gilt der Rechtsakt als erlassen. Das Kodezisionsverfahren ist für folgende Bereiche erforderlich, bzw. in folgenden Kompetenznormen vorgesehen: Verbot und Bekämpfung von Diskriminierung (Art. 12 Abs. 2 und Art. 13), Unionsbürgerschaft (Art. 18 Abs. 2), ĺArbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 40 und 42), ĺNiederlassungsfreiheit (Art. 44 Abs. 1, Art. 46 Abs. 2, Art. 47 Abs. 1 und 2), ĺDienstleistungsfreiheit (Art. 55), Visa, Asyl, Einwanderung und anderer Politiken betreffend den freien Personenverkehr (Art. 67 Abs. 2 und 4), ĺJustizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen (Art. 67 Abs. 5); Verkehr (Art. 71 Abs. 1 und Art. 80 Abs. 2), Rechtsangleichung im Binnenmarkt (Art. 95 Abs. 1), Maßnahmen zur Beschäftigung (Art. 129), Zusammenarbeit im Zollwesen (Art. 135), ĺSozialpolitik (Art. 137 Abs. 2, Art. 141 Abs. 3 und Art. 148), ĺBildungswesen (Art. 149 Abs. 4 und Art. 150 Abs. 4), Kulturpolitik (Art. 151 Abs. 5), Gesundheitswesen (Art. 152 Abs. 4), ĺVerbraucherschutz (Art. 153 Abs. 4), Transeuropäische Netze (Art. 156), industriepolitische Maßnahmen (Art. 157), Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts (Art. 159 und 162 Abs. 1), Forschung und technologi-
sche Entwicklung (Art. 166 Abs. 1 und Art. 172 Abs. 2), ĺUmweltpolitik (Art. 175 Abs. 1 und 3), Entwicklungszusammenarbeit (Art. 179), Bestimmung über politische Parteien (Art. 191), Zugang zu Dokumenten (Art. 255 Abs. 2), Betrugsbekämpfung (Art. 280 Abs. 4), Statistik (Art. 285 Abs. 1) sowie Errichtung einer Datenschutzbehörde (Art. 286 Abs. 2). (gh) §§: Art. 251 EG Lit.: M. Böhner, Mitentscheidungsverfahren des Europäischen Parlaments nach den Verträgen von Amsterdam und Nizza, ZG 2001, 85 ff.; M. Gellermann, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 251 EGV, Rn. 1 ff.; R. Giebenrath, Das Mitentscheidungsverfahren des Artikels 251 (ex-Art. 189b) EG-Vertrag zwischen Maastricht und Amsterdam, 2000; W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 251 EGV, Rn. 1 ff.; H. Kühner, Rechtsetzung in der Europäischen Gemeinschaft: Die Verfahren nach Art. 189b und Art. 189c EGV, 1997; E. Waldherr, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 14. Lfg. 2003, Art. 251 EGV, Rn. 1 ff.
Köbler-Entscheidung Köbler case – jurisprudence Köbler
Die ĺEuGH-Entscheidung im Fall Köbler basiert auf einem ĺVorabentscheidungsverfahren, in dem das Landesgericht Wien dem ĺEuGH gem. Art. 234 EG eine Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts vorlegte. Gegenstand dieser Frage war, ob die Mitgliedstaaten auch für ĺjudikatives Unrecht nach dem gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch haften. Das Landgericht Wien hatte sich mit der Schadensersatzklage eines Universitätsprofessors der Universität Innsbruck zu beschäftigen, in der dieser Schadensersatz für eine Entscheidung des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs wegen dessen Verweigerung der Anerkennung seiner Dienstjahre an anderen europäischen Universitäten bei der Berechung von Dienstzulagen. Diese Verweigerung des Verwaltungsgerichtshofes stellte nach Ansicht des Klägers einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht in Form des Art. 39 EG und des Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) 1612/68 dar. Der ĺEuGH stellte in dem Vorabentscheidungsverfahren fest, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich auch für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht durch die Judikative haften können. In seiner Entscheidung stützt sich der ĺEuGH insbesondere auf seine ĺFrancovich Rechtsprechung. Er begründet die Haftung der Mitgliedstaaten für ĺjudikatives Unrecht, wie schon die für ĺlegislatives Unrecht im Fall ĺFrancovich, mit der effektiven Durchsetzung des Gemein561
Körperliche Unversehrtheit schaftsrechts (effet utile) und dem Rechtsschutz des Einzelnen. Der Einzelne kann gegen Maßnahmen der nationalen Behörden mit Bezug zum Gemeinschaftsrecht keinen Rechtsschutz vor den Gemeinschaftsgerichten erlangen. Rechtsschutz bieten die nationalen Gerichte, die dann in dieser Funktion Aufgaben der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit wahrnehmen. Deshalb spielen nach Ansicht des ĺEuGH die nationalen Gerichte eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, sodass „die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert [wäre], wenn der Einzelne (...) dann keine Entschädigung erlangen könnte, wenn seine Rechte durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verletzt werden, der einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts eines Mitgliedstaates zuzurechnen ist“. Des Weiteren hat der ĺEuGH die Haftung der Mitgliedstaaten für ĺjudikatives Unrecht mit der gemeinsamen europäischen Rechtstradition der Staatshaftung für richterliches Unrecht begründet. Indes beschränken die meisten Mitgliedstaaten diese Haftung, wie bspw. Deutschland mit dem Richterprivileg des § 839 Abs. 2 BGB. Solche Beschränkungen sollen die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen und die Unabhängigkeit der Richter schützen. Auch der ĺEuGH beschränkt die mitgliedstaatliche Haftung für ĺjudikatives Unrecht und verlangt in Anlehnung an die ĺFancovich Rechtsprechung als Voraussetzung einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht. Durch dieses Erfordernis bleibt die Haftung für ĺjudikatives Unrecht zunächst auf Extremfälle begrenzt und wird nur „offenkundige Rechtsverstöße“ von Gerichten erfassen. Obwohl ein hinreichend qualifizierter Verstoß grundsätzlich im konkreten Fall von einem nationalen Gericht festzustellen ist, hat der ĺEuGH im Fall Köbler anhand der ihm vorliegenden Informationen einen solchen hinreichend qualifizierten Verstoß des österr. Verwaltungsgerichtshofes verneint. (jpt) §§: Art. 234 EG, Art. 39 EG Lit.: B. Schöndorf-Haubold, Die Haftung der Mitgliedstaaten für die Verletzung von EG-Recht durch nationale Gerichte, JuS 2006, 112; C. Kremer, Staatshaftung für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht durch letztinstanzliche Gerichte, NJW 2004, 480; J. Gundel, Gemeinschaftsrechtliche Haftungsvorgaben für judikatives Unrecht – Konsequenzen für die Rechtskraft und das deutsche „Richterprivileg“, EWS 2004, 8; H. Krieger, Haftung des nationalen Richters für Verletzung des Gemeinschaftsrechts – Das Urteil Köbler des EuGH, JuS 2004, 855
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Rsp.: EuGH, Rs. C-224/01 Köbler, Slg. 2003, I-10239
Körperliche Unversehrtheit ĺUnversehrtheit, körperliche Koexistenz coexistence – coexistence
Mit „Koexistenz“ wird in der europäischen Debatte meist die Möglichkeit umschrieben, dass konventionelle oder ökologische Landwirtschaft parallel zu einem Anbau von genetisch veränderten Kulturen (ĺgenetisch veränderter Organismus) existieren kann. In dieser Situation der Koexistenz soll der informierte Verbraucher (ĺKennzeichnung und ĺRückverfolgbarkeit) am Markt selbst die Möglichkeit haben sich für ein Produkt zu entscheiden. Der mit der VO (EG) 1829/2003 in die RL 2001/ 18/EG (ĺFreisetzungsrichtlinie) eingefügte Art. 26a ermächtigt die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um das unbeabsichtigte Vorhandensein von GVO in anderen Produkten zu verhindern. Die Kommission erstellt dazu Leitlinien für die Koexistenz. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich ableiten, dass die mitgliedstaatlichen Maßnahmen jedenfalls geeignet, erforderlich und verhältnismäßig (ĺVerhältnismäßigkeitsprinzip) sein müssen. Ein totales und undifferenziertes Verbot des Anbaues von genetisch veränderten Kulturen etwa auf der Fläche eines Bundeslandes ist, wie die Kommission (Entscheidung 2.9.2003, ABl. 2003, Nr. L 230/34) und in weiterer Folge der Gerichtshof erster Instanz (Rs. T-366/03 und T-235/04 Land Oberösterreich und Republik Österreich/Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 2005, II-4005) gegenüber Österreich festgestellt hat, unzulässig. (al) §§: Art. 26a RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1, geändert durch VO (EG) 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.9.2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, ABl. 2003, Nr. L 268/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie); Entscheidung der Kommission vom 2.9.2003 über die einzelstaatlichen Bestimmungen zum Verbot des Einsatzes gentechnisch veränderter Organismen im Land Oberösterreich, die von der Republik Österreich gem. Art. 95 Abs. 5 EG-Vertrag mitgeteilt wurden, ABl. 2003, Nr. L 230/34; Empfehlung der Kommission vom 23.7.2003 mit Leitlinien für die Erarbeitung einzelstaatlicher Strategien und geeigneter Verfahren für die Koexistenz gentechnisch veränderter, konventioneller und ökologischer Kulturen, ABl. 2003, Nr. L 189/36; Rsp.: EuG, Rs. T-366/03 und T-235/04 Land Oberösterreich und Republik Österreich/Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Slg. 2005, II-04005
Kohäsionspolitik Kohärenz des Steuersystems (Kapitalverkehrsfreiheit) cohesion of the tax system, free movement of capital – cohérence du système fiscal, libre circulation des capitaux
Ungeschriebener Rechtfertigungsgrund (ĺzwingende Gründe des Allgemeininteresses, Kapitalverkehrsfreiheit) für mitgliedstaatliche Eingriffe in die Grundfreiheiten, gilt daher auch für die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 EG (erstmals: Rs. C-300/90 Kommission/Belgien, Slg. 1992, I-305, Rn. 14 ff. und EuGH, Rs. C-204/90 Bachmann, Slg. 1992, I-249, Rn. 21 ff. zur Rechtfertigung von Eingriffen in die ĺArbeitnehmer- und die ĺDienstleistungsfreiheit). Mittels dieses Rechtfertigungsgrundes können vor allem steuerliche Ungleichbehandlungen gerechtfertigt werden. Die strukturelle Besonderheit der Kapitalverkehrsfreiheit berücksichtigend (ĺDiskriminierungsverbot, Kapitalverkehrsfreiheit), findet die Figur der Kohärenz des Steuersystems sowohl als eigenständiger Rechtfertigungsgrund Anwendung (EuGH 6. 3. 2007, Rs. C-292/04 Meilicke, noch nicht in Slg., Rn. 25) als auch im Rahmen der Abgrenzung zwischen einer unzulässigen willkürlichen Diskriminierung und einer zulässigen Ungleichbehandlung nach dem Wohn- oder Kapitalanlageort (ĺUngleichbehandlung nach Wohnund Kapitalanlageort, vgl. EuGH, Rs. C-319/02 Manninen, Slg. 2004, I-7477, Rn. 29, 40). Eine Rechtfertigung aus Gründen der Kohärenz des Steuersystems setzt voraus, dass ein „unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem steuerlichen Vorteil und einem damit in Wechselbeziehung stehenden Nachteil besteht“. Die Reichweite der Rechtfertigungsmöglichkeiten hängt in praktischer Hinsicht also maßgeblich davon ab, wie das Erfordernis des „unmittelbarer Zusammenhangs“ auszulegen ist. Der EuGH stellt bei der Untersuchung, ob ein unmittelbarer Zusammenhang vorliegt, auf das mit der beeinträchtigenden Steuerregelung verfolgte Ziel ab (EuGH, Rs. C-319/02 Manninen, Slg. 2004, I7477, Rn. 43). Nach den genannten Entscheidungen Bachmann und Kommission gegen Belgien war vielfach davon ausgegangen worden, der EuGH erkenne als solches Ziel auch an, dass sich steuerlicher Vor- und Nachteil aus ein und demselben mitgliedstaatlichen Steuersystem ergeben müssen. Damit wäre dem vorteilsgewährenden Mitgliedstaat die Möglichkeit eröffnet, den mit dem gewährten Steuervorteil verbundenen Einnahmeverlust im Wege einer anderweitigen Besteuerung zu kompensieren. In diesen Entscheidungen sah der EuGH tat-
sächlich einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Abzugsfähigkeit von Versicherungsbeiträgen und der Möglichkeit der nachgelagerten Besteuerung derjenigen Beträge, die von Versicherern nach den Alters- und Todesfallversicherungsverträgen geschuldet wurden (Rs. C-300/90 Kommission/Belgien, Slg. 1992, I-305, Rn. 14 ff.). Der betroffene Mitgliedstaat durfte daher, die steuerliche Abzugsfähigkeit auf Prämien solcher Versicherungsverträge begrenzen, deren vertragliche Ausschüttungen er später besteuern konnte. Mittlerweile hat der EuGH im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit klargestellt, dass die Verhinderung von Steuermindereinnahmen kein im Rahmen der Kohärenz des Steuersystems zulässigerweise verfolgbares Ziel ist (EuGH, Rs. C-35/98 Verkooijen, Slg. 2000, I-4071, Rn. 59). Im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit spielt der Rechtfertigungsgrund der Kohärenz des Steuersystems bei der unterschiedlichen Besteuerung von Dividenden die praktisch wichtigste Rolle. Der EuGH hat die Verhinderung der Doppelbesteuerung zwar als Ziel einer kohärenten Steuerregelung anerkannt, aber bislang keine Ungleichbehandlung der Bezieher von Dividenden einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft zugelassen (ĺDividendenbesteuerung, Kapitalverkehrsfreiheit). (mk) Kohäsionsfonds cohesion fund – fonds de cohésion
Mit der VO (EG) 1084/2006 wurde der Kohäsionsfonds auf Grundlage des Art. 161 Abs. 2 EG eingerichtet. Zweck des Fonds ist gem. Art. 1 VO die „Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Gemeinschaft im Interesse der nachhaltigen Entwicklung“. Diebezüglich werden insb. Investitionen und Infrastrukturprojekte in den Bereichen der ĺtranseuropäischen Netze und im Rahmen des ĺUmweltschutzes gefördert. (kl) §§: VO (EG/1084/2006) zur Errichtung des Kohäsionsfonds, ABl. 2006, Nr. L 210/79
Kohäsionspolitik policy of cohesiveness – politique de la cohésion
Die Rechtsgrundlagen der europäischen Kohäsionspolitik finden sich in den Art. 33–37 EG (landwirtschaftliche Aspekte), Art. 146–148 EG (Sozialfonds) und Art. 158–162 EG (Kohäsionspolitik allgemein, Regional- und ĺKohäsionsfonds). 563
Kohll/Decker-Entscheidungen Ziel ist die Verstärkung der Kohäsion – d.h. des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts innerhalb der EG – zur Förderung einer möglichst harmonischen Entwicklung der EG als Ganzes. Es sollen insb. die Unterschiede in den Entwicklungsstadien der einzelnen Regionen verringert werden. Diese Ziele sollen insb. erreicht werden durch: ƒ die Koordinierung mitgliedstaatlicher Regionalpolitiken (Art. 159 Abs. 1 EG) ƒ die Überprüfung mitgliedstaatlicher Regionalpolitiken i.S.d. europäischen ĺBeihilfenrechts (Art. 87 EG) ƒ finanzielle Förderungen über Investitionsfonds und die Europäische Investitionsbank. S. dazu auch ĺRegionalpolitik. (lb) Kohll/Decker-Entscheidungen Kohll/Decker case – jurisprudence Kohll/Decker
Die Kohll/Decker-Rechtsprechung des ĺEuGH resultiert aus zwei im Bereich des Leistungserbringungsrechts der Sozialversicherungen erlassenen Urteilen des EuGH. Gegenstand der Entscheidung in den Rechtssachen Kohll und Decker war die Übernahme von Kosten, die zwei gesetzlich in Luxemburg Krankenversicherten entstanden. Bei Herrn Decker waren das die Kosten für den Erwerb einer Brille mit Korrekturgläsern bei einem Optiker in Belgien auf der Grundlage der Verschreibung eines in Luxemburg niedergelassenen Augenarztes. Frau Kohll ging es um Kosten für eine geplante Zahnregulierung bei einem Zahnarzt in Deutschland. In beiden Fällen lehnte die zuständige Krankenkasse die Anträge auf Kostenerstattung ab, weil Herr Decker seine Brille ohne vorherige Genehmigung im Ausland erworben habe und weil die Behandlung von Frau Kohll nicht dringend sei und auch im Inland erbracht werden könne. Die beiden Fälle betrafen also die Warenverkehrsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit. Der EuGH urteilte sowohl für die ĺWarenverkehrs- als auch für die ĺDienstleistungsfreiheit, dass das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lasse. Dennoch müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Befugnis das Gemeinschaftsrecht beachten. Eine vorherige Genehmigung für eine Auslandsbehandlung im Fall des Herrn Decker und der Frau Kohll stelle eine Beschränkung des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs dar. 564
Diese Beschränkung könne aber objektiv durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein. Der EuGH diskutierte das Vorliegen einer möglichen erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit und der öffentlichen Gesundheit, verneinte allerdings das Vorliegen beider Gründe. Das Genehmigungserfordernis hielt er insbesondere für nicht geeignet, um den genannten Schutzgütern zu dienen. Es spiele im Hinblick auf die finanzielle Belastung der Krankenversicherung keine Rolle, ob der für die Anschaffung eines Mittels oder einer ärztlichen Behandlung vorgesehene Betrag an einen inländischen oder einen ausländischen Leistungserbringer fließe. Insgesamt behandelt der EuGH sozialversicherungsrechtliche Vorschriften nicht anders als Vorschriften aus anderen Dienstleistungsbereichen. (dh) Lit.: U. Becker, Brillen aus Luxemburg und Zahnbehandlung in Brüssel – Die gesetzliche Krankenversicherung im europäischen Binnenmarkt zu EuGH v. 28.4.1998, Rs. C-120/95 (Decker), und EuGH v. 28.4. 1998, Rs. C-158/96 (Kohll), NZS 1998, 359 ff.; M. Fuchs, Luxemburg locuta – causa finita – quaestio non saluta – Dienstleistungsfreiheit und Sozialversicherung in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, NZS 2002, 337 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-158/96 Kohll, Slg. 1998, I-1931; EuGH, Rs. C-120/95 Decker, Slg. 1998, I-1831
Kollegialitätsprinzip ĺKommission, Beschlussfassung Kollektive Marktbeherrschung collective dominant position – contrôle collectif du marché
Haben mehrere ĺUnternehmen gemeinschaftlich eine ĺbeherrschende Stellung im Sinne des Art. 82 EGinne, spricht man von einer kollektiven Marktbeherrschung. Eine solche liegt vor, wenn die Addition der Marktanteile der jeweiligen ĺUnternehmen zu der Annahme einer Marktbeherrschung führt und die betreffenden ĺUnternehmen gemeinsam gegenüber Dritten als eine kollektive Einheit auftreten können. Probleme können sich bei der Anwendung dieser Grundsätze auf Konzerne ergeben. Stellt nämlich der Konzern eine wirtschaftliche Einheit dar und ist er mithin als ein ĺUnternehmen zu betrachten, fehlt es am Tatbestand „mehrere Unternehmen“. In solchen Fällen liegt grundsätzlich keine kollektive Marktbeherrschung vor; möglicherweise ist aber eine ĺEinzelmarktbeherrschung durch den Konzern gegeben. Bislang besteht keine Sicherheit darüber, wie eng die Beziehungen zwischen den betreffenden
Komitologie ĺUnternehmen sein müssen, damit eine kollektive Marktbeherrschung in Betracht kommt. Immerhin eine Indizwirkung kommt bspw. der Durchführung einer einheitlichen Vorgehensweise der ĺUnternehmen zu. (jpt) §§: Art. 82 EG Lit.: T. Eilmannsberger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 82 EGV, Rn. 8 f.; J. P. Terhechte, Grundzüge des materiellen Kartellrechts, in: ders. (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 2008, § 3, Rn. 3.91
Kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten ĺVerwertungsgesellschaften Kollisionsrecht, europäisches ĺIPR, europäisches Kombinierte Nomenklatur combined nomenclature – nomenclature combinée
Im Anhang der VO (EG) 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif sind die jeweils für eine ĺWare maßgeblichen Zollsätze aufgeführt (ĺZolltarif, ĺTARIC). Gleichzeitig ist eine gemeinschaftlich einheitliche achtstellige Warennomenklatur, die sog. Kombinierte Nomenklatur eingeführt. Die entsprechend gültige Kombinierte Nomenklatur wird einmal im Jahr im ĺAmtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. Die Kombinierte Nomenklatur wird auch von Drittstaaten angewendet, welche mit der der Gemeinschaft bilaterale Handelsabkommen geschlossen haben z.B. die ĺTürkei. (ah) §§: VO (EWG) 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, ABl. 1987, Nr. L 256/1; zuletzt geändert durch die VO (EG) 733/2007
Kombinierter Verkehr combined transport – transports combinés
Unter diesem Begriff ist allgemein die Ermöglichung einer Kombination verschiedener Transportmittel zu verstehen. Den Hintergrund bildet der Gedanke der Förderung einer Benutzung umweltfreundlicherer Transportmittel wie Bahn und Schiff. Gemeinschaftliche Regelungen dienen der Gestaltung der technischen Modalitäten der Transportmöglichkeiten, um einen grenzüberschreitenden kombinierten Verkehr zu ermöglichen. Zentraler Rechtsakt ist in diesem Zusammenhang die RL 92/106/EWG btreffend den kom-
binierten Güterverkehr zwischen MS (ABl. 1992, Nr. L 368/38). Diese definiert „kombinierten Verkehr“ als Güterverkehr, bei dem nur die Zu- und Ablaufstrecke auf der Straße erfolgt, der Rest der Strecke auf der Schiene oder dem Wasser. Allerdings muss dieser Teil des Weges länger als 100 km lang sein und die Zu- und Ablaufstrecken müssen entweder in Bezug auf den nächstgelegenen Umschlagbahnhof zurückgelegt werden oder aber dürfen nicht länger als 150 km sein. Der dahinter stehende Sinn ist die Entlastung der Straße. Als Liberalisierungsmaßnahme werden die MS verpflichtet, Beförderungen im kombinierten Verkehr von Kontigentierungen zu befreien. Der objektive Marktzugang hängt damit nur von der Erfüllung subjektiver Zugangsvoraussetzungen ab. Auch hier gilt die RL 96/26/EG (ĺsubjektive Marktzugangsbedingungen). Zudem erfolgen zur Förderung des kombinierten Verkehrs Vorgaben zur steuerlichen Entlastung für Straßenfahrzeuge, die am kombinierten Verkehr teilnehmen. Diese ist zwingend vorgeschrieben; die konkrete Ausgestaltung obliegt jedoch den MS. (sm) Komitologie comitology – comitologie
Der Begriff geht zurück auf den französischen Ausdruck „comités“ (Ausschüsse) und wurde zum ersten Mal von N. Parkinson, Parkinsons Gesetz und andere Untersuchungen über die Verwaltung, 1957, verwendet – allerdings als Begriff für die Lehre der Ausschüsse. Im europäischen Kontext ist die Terminologie nicht im Sinne einer wissenschaftlichen Disziplin zu verstehen, sondern stellt einen Sammelbegriff für die Existenz und Aktivitäten sog. Durchführungsausschüsse im Bereich der ĺDurchführungsrechtsetzung dar. Streng genommen bilden die Komitologieausschüsse nur den Teil der zahlreichen ĺAusschüsse, der mit der Durchführung von ĺBasisrechtsakten befasst ist. Häufig wird der Begriff K. (nicht ganz trennscharf) als Synonym für das gesamte europäische Ausschusswesen verwendet. Im europäischen Rechtsetzungsprozess kommt der K. eine überragende Bedeutung zu. Während ĺRat bzw. Rat und ĺParlament im Bereich des ĺMitentscheidungsverfahrens (Art. 251 EG) als gemeinsame europäische Gesetzgeber mittlerweile jährlich rund 300 Rechtsakte im Sekundärrechtsetzungsverfahren (ĺSekundärrecht) erlassen, gehen auf die Kommission jähr565
Komitologie lich etwa 3.000 Durchführungsrechtsakte zurück. Die Mehrheit dieser Kommissionsmaßnahmen kommt unter Mitwirkung von rund 300 Komitologieausschüssen zustande. Ihren Ursprung fand die K. bereits in den frühen 1960er Jahren, als die ersten Verwaltungsausschüsse für den Landwirtschaftssektor (zunächst ohne Rechtsgrundlage) gegründet wurden. Der größte Anteil der Ausschusskonsultation erfolgt auch heute noch im Bereich Landwirtschaft und Fischereipolitik. Rechtsgrundlage der K. ist Art. 202 3. SpS EG, wonach der Rat bestimmte Modalitäten für die Ausübung der an die Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse festlegen kann. Die konkrete Ausgestaltung findet sich im ĺKomitologiebeschluss 1999/468/EG in der Fassung des Beschlusses 2006/512/EG. Auf dieser Grundlage wird in jedem Basisrechtsakt, der nach Ansicht des Gesetzgebers in Einzelheiten näher konkretisiert werden soll, für den entsprechenden Ausschuss eines Politikbereiches ein ĺKomitologieverfahren festgelegt. Welche Konsequenzen die Stellungnahme im Einzelnen nach sich zieht und in welcher Weise die ĺKommission daran gebunden ist, richtet sich nach den dort festgelegten Verfahrensmodalitäten/Ausschussarten: Beratungsverfahren (Beratender Ausschuss), Verwaltungsverfahren (Verwaltungsausschuss), Regelungsverfahren ohne Kontrolle (Regelungsausschuss), Regelungsverfahren mit Kontrolle (Regelungskontrollausschuss), Verfahren bei Schutzmaßnahmen (vgl. ĺKomitologieverfahren). Eine spezielle Form der K., das sog. „Lamfalussy-Verfahren“, wird im Bereich der Finanzdienstleistungen angewandt und unterliegt eigenen Verfahrensregeln. Die Konsultation der Ausschüsse bildet eine wesentliche Verfahrensvoraussetzung, so dass die Durchführungsmaßnahme im Falle des Unterbleibens fehlerhaft und anfechtbar ist. Die Ausschüsse verfügen über ein Recht zur Stellungnahme, nicht aber über eigene Entscheidungs-, Rechtsetzungs- oder Initiativbefugnisse. Obwohl sie formal als reine Beratungs- und Konsultationsgremien gedacht sind, kommt ihnen gleichwohl beachtliches Gewicht zu. Je nach Ausschussverfahren und -votum ergeben sich unterschiedliche Rechtsfolgen, wobei das Votum direkte Auswirkung auf die Machtverteilung zwischen Kommission, Rat und Parlament hat. Die Komitologieausschüsse sind in Struktur und Arbeitsweise einheitlich. Sie setzen sich aus Fachbeamten der Mitgliedstaaten (Vertreter nationalstaatlicher Regierungen/Ministerien 566
oder sonstige Experten) und einem Mitglied der Kommission zusammen. Sie tagen unter dem Vorsitz der Kommission, die auch die Sekretariatsgeschäfte wahrnimmt. Sie arbeiten auf der Grundlage einer einheitlichen Geschäftsordnung (Standardgeschäftsordnung, ABl. 2001, Nr. C 38/3). Die K. sichert durch die Mitwirkung staatlicher Regierungsbeamter dem Rat/ den Mitgliedstaaten auch bei der Anpassung und Ergänzung von Rechtsakten zusätzliche Mitwirkungs- und Kontrollrechte im Bereich der Durchführungsrechtsetzung. Die Kommission, die nicht in allen Politikfeldern auf einen adäquaten Verwaltungsunterbau zurückgreifen kann, profitiert von dem Zugewinn an Expertise. Sie bietet auch Vorteile bei der (weiteren) nationalstaatlichen Umsetzung, da die praktische Durchführung der beschlossenen Maßnahmen überwiegend den Mitgliedstaaten obliegt und häufig nationale Durchführungsregeln erfordert. Die Zusammenarbeit nationaler Fachbeamter in den Ausschüssen fördert insofern einen einheitlichen Vollzug des Gemeinschaftsrechts. Die K. bietet aber auch Anlass zur Kritik: Obwohl es sich nur um Durchführungsrechtsetzung handelt, können wichtige Themen Gegenstand der K. sein. Weil dies seit Anbeginn jenseits der öffentlichen Wahrnehmung im Verborgenen und ohne Beteiligung des Parlaments geschah, wird die K. seit ihrer Einführung wegen ihrer mangelnden demokratischen Legitimation und parlamentarischen Kontrolle kritisiert. Als im Rahmen der K. in den 1990er Jahren Entscheidungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung von BSE oder etwa die Zulassung von gentechnisch verändertem Mais und Soja getroffen wurden, geriet sie stark in den Blick der Öffentlichkeit. Durch den Komitologiebeschluss 1999/468/EG im Jahre 1999 wurde die ĺTransparenz der Ausschussarbeit jedoch wesentlich verbessert. Gem. Art. 7 Abs. 5 werden die bibliographischen Hinweise der Ausschussdokumente auf der Webseite der Kommission öffentlich zugänglich gemacht. Dort sind ein Register und eine Übersicht über Dokumente, die die Kommission dem Parlament seit dem 1.1.2003 übermittelt, einsehbar. Auch sind Tagesordnungen, Entwürfe von Durchführungsmaßnahmen, Kurzniederschriften über die Ausschusssitzungen und Ergebnisse der Abstimmungen zu finden. Die Kommission hat zudem im Jahre 2000 erstmals eine Auflistung der Ausschüsse unter Angabe der Einsetzungsbeschlüsse in den Basisrechtsakten veröffentlicht (ABl. 2000, Nr. C 225/2). Seit 2000 veröf-
Komitologie, Komitologiebeschluss fentlicht die Kommission zudem einen Jahresbericht über die Arbeit der Ausschüsse. Allerdings beziehen sich diese Neuerungen überwiegend auf den Zugang zu Dokumenten; die Teilnahme an Ausschusssitzungen durch Parlamentarier, Pressevertretern und sonstigen Zuschauern ist weiterhin nicht vorgesehen. Die K. birgt seit ihrer Einführung ein extrem hohes Konfliktpotential in sich, das bereits zu zahlreichen Spannungen zwischen Rat, Parlament und Kommission geführt hat. Hintergrund der in erster Linie vom Parlament geäußerten Kritik ist, dass Art. 202 3. SpS und 211 4. SpS EG die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an die Kommission durch den Rat zur Durchführung der von ihm erlassenen Rechtsakte regeln. Im Anwendungsbereich des Mitentscheidungsverfahrens nach Art. 251 EG ist das Parlament aber gemeinsam mit dem Rat Gesetzgeber. Insoweit sind Art. 251 EG und 202 bzw. 211 EG nicht aufeinander abgestimmt. Vielmehr ist die Beteiligung des Parlaments an der Übertragung von (eigenen) Rechtsetzungsbefugnissen im Gemeinschaftsrecht nicht normiert. Nach Ansicht des Parlaments agieren Kommission und Ausschüsse zu eigenmächtig und ohne jegliche Kontrolle. Das Parlament besteht daher darauf, dass alle wesentlichen Regelungsinhalte eines Sachgebietes der Zustimmung/Mitwirkung des Parlaments bedürfen, und deshalb nicht Gegenstand der Durchführungsrechtsetzung unter Mitwirkung der Komitologieausschüsse sein dürfen, zumal es zulässig ist, mittels Durchführungsrechts den Basisrechtsakt anzupassen (sog. „quasi-legislative“ Maßnahmen). Der Rat bzw. die Mitgliedstaaten verfolgen seit jeher das Interesse, dass die Durchführung eines im Legislativverfahren getroffenen Rechtsaktes allein Sache des Rates und der Kommission ist. Zahlreiche Reformen und interinstitutionelle Abkommen zwischen Parlament, Rat und Kommission sollten diese Konflikte beilegen (vgl. ĺPlumb/Delors-Übereinkommen, 1988; ĺSamland-Williamsen-Übereinkommen, 1996; ĺ„modus vivendi“, 1994). Bis heute ist die K. ständigen Diskussionen unterworfen, wie die jüngste Reform, die Einführung des „Regelungsverfahren mit Kontrolle“ durch den Ratsbeschluss 2006/512/EG zeigt. Hintergrund war auch hier der Anspruch des Parlaments, an der Durchführungsrechtsetzung beteiligt zu werden. (sk) §§: Art. 202 EG, Komitologiebeschluss 1999/468/EG, ABl. 1999, Nr. L 184/23; Ratbeschluss 2006/512/EG, ABl. 2006, Nr. L 2006/11
Lit.: A. E. Töller, Komitologie – Theoretische Bedeutung und praktische Arbeitsweise von Durchführungsausschüssen in der EU, 2002; M. Andenas/A. Türk (Hrsg.), Delegated Legislation and the Role of Committees in the EC, 2000; K. Lenaerts/A. Verhoeven, Towards a legal framework for executive rule-making in the EU?, CML Rev 37 (2000) 645; C. Demmke/G. Haibach, Die Rolle der Komitologieausschüsse, DÖV 1997, 710; K. S. C. Bradley, Comitology and the law, CML Rev 29 (1992), 693; H. Grams, Komitologie im Gesetzgebungsprozess der EU, KritV 1995, 112 Web: Register der Komitologie: www.Europa.eu.int/ comm/secretariat_general/regcomito/recherche.cfm ?CL=de
Komitologie, Komitologiebeschluss comitology, comitology decision – comitologie, décision comitologie
Die konkrete Ausgestaltung der ĺKomitologie findet sich im K.beschluss des ĺRates vom 28.6.1999 (1999/468/EG), der den früheren Beschluss des Rates vom 13.7.1987 (87/373/EWG) ersetzt hat. Der aktuelle 1999er-Komitologiebeschluss (auch: Modalitätenbeschluss) wurde wiederum durch Beschluss des Rates vom 17.7. 2006 (2006/512/EG) in einigen Teilen modifiziert. Er regelt Art und nähere Zusammensetzung der Ausschüsse, Zeitpunkt und Fristen für die Einholung von Stellungnahmen sowie deren Konsequenzen. Je nach Verfahren hat das Abstimmungsergebnis unterschiedliche Folgen für den weiteren Verfahrensablauf. Art. 2 beschreibt Kriterien für die Wahl der Verfahrensund Ausschussart, die allerdings – abgesehen von dem im Jahr 2006 neu eingeführten Regelungsverfahren mit Kontrolle – nicht rechtsverbindlich sind. Als Anhaltspunkte sollen sie aber in der Praxis häufig vorkommende langwierige Verhandlungen über die anzuwendende Verfahrensart vermeiden. Neben der Möglichkeit des Rates, sich in spezifischen und begründeten Fällen die Ausübung von Durchführungsbefugnissen vorzubehalten (Art. 1) werden im Einzelnen folgende Verfahrensarten (Ausschüsse) unterschieden (s. ĺKomitologieverfahren): Beratungsverfahren (Art. 3, Beratender Ausschuss), Verwaltungsverfahren (Art. 4, Verwaltungsausschuss), Regelungsverfahren ohne Kontrolle (Art. 5, Regelungsausschuss), das 2006 neu eingeführte Regelungsverfahren mit Kontrolle (Art. 5a, Regelungskontrollausschuss) und das Verfahren bei Schutzmaßnahmen (Art. 6). Seit Inkrafttreten des K.beschlusses 1999/468/EG werden dem Parlament im Anwendungsbereich des ĺMitentscheidungsverfahrens (Art. 251 EG) Informations- und Beteiligungsrechte eingeräumt. Nach Art. 8 kann 567
Komitologie, Komitologieverfahren das Parlament in einer nicht bindenden Entschließung erklären, dass sich ein Entwurf für Durchführungsmaßnahmen nicht in den im ĺBasisrechtsakt unter Mitwirkung des Parlaments gesteckten Grenzen hält (sog. „ultra-viresKontrolle“). In diesem Fall muss die ĺKommission den Entwurf prüfen, die weiteren Rechtsfolgen stehen jedoch in ihrem Ermessen. Seit der Einführung des Regelungsverfahrens mit Kontrolle nach Art. 5a ist das Parlament nicht mehr ausschließlich auf diesen Kritikpunkt beschränkt. Vielmehr können ĺRat und ĺParlament im Anwendungsbereich des Art. 5a (Änderung des Basisrechtsakts, „quasi-legislative Maßnahmen“) das Verfahren auch mit der Begründung stoppen, dass der Kommissionsentwurf mit dem Ziel und dem Inhalt des Basisrechtakts unvereinbar ist oder gegen die Grundsätze der ĺSubsidiarität oder ĺVerhältnismäßigkeit verstößt. (sk) §§: Art. 202 EG, Komitologiebeschluss 1999/468/EG, ABl. 1999, Nr. L 184/23; früherer Komitologiebeschluss 87/373/EWG, ABl. 1987, Nr. L 197/33; Beschluss des Rates 2006/512/EG, ABl. 2006, Nr. L 2006/11 Lit.: K. Lenaerts/A. Verhoeven, Towards a legal framework for executive rule-making in the EU?, CML Rev 37 (2000) 645; H. Tichy, Der neue Komitologiebeschluss, ZfRV 2000, 134; C. Mensching, Der neue Komitologie-Beschluss des Rates, EuZW 2000, 268; M. Fuhrmann, Neues zum Komitologieverfahren, DÖV 2007, 464
Komitologie, Komitologieverfahren comitology, comitology procedure – comitologie, procédure de comitologie
Der Komitologiebeschluss 1999/468/EG in der Fassung des Beschlusses 2006/512/EG sieht verschiedene Verfahrensarten/Ausschüsse vor. Welches Verfahren zur Anwendung kommt, wird im jeweiligen ĺBasisrechtsakt bestimmt. Die in Art. 2 vorgesehenen Kriterien für die Wahl des Verfahrens sind – abgesehen von dem im Jahr 2006 neu eingeführten Regelungsverfahren mit Kontrolle nach Art. 5a – nicht rechtsverbindlich. Nach allen Verfahrensarten unterbreitet der Vertreter der ĺKommission dem Ausschuss zunächst den Kommissionsentwurf für die Durchführung des jeweiligen Rechtsaktes. Die Kommission kann – abgesehen von dem neu eingeführten Regelungsverfahren mit Kontrolle nach Art. 5a – im Falle einer positiven Stellungnahme nach allen Verfahrensarten die Maßnahme erlassen. Stimmt der Ausschuss nicht zu, fallen die Rechtsfolgen je nach Ausschusstyp unterschiedlich aus. ƒ Auf das Beratungsverfahren (Art. 3) wird zurückgegriffen, wenn es um Angelegenheiten 568
von geringer politischer Tragweite geht und es als zweckmäßigstes Verfahren erscheint. Die Kommission berücksichtigt die nicht bindende Stellungnahme des Ausschusses soweit wie möglich und unterrichtet ihn darüber, inwieweit seine Stellungnahme Berücksichtigung gefunden hat. ĺRat und ĺParlament kommen innerhalb des Beratungsverfahrens keinerlei Befugnisse zu. ƒ Das Verwaltungsverfahren (Art. 4) kommt insbesondere bei Maßnahmen zur Umsetzung der gemeinsamen Agrar- oder Fischereipolitik und zur Durchführung der wichtigsten Gemeinschaftsprogramme (mit erheblichen Auswirkungen auf den Haushalt) zur Anwendung. Hier ist die Maßnahme bei zustimmendem oder fehlendem Ausschussvotum unmittelbar gültig. Trotz ablehnender Stellungnahme kann die Kommission die von ihr beabsichtigte Maßnahme erlassen. Sie teilt dies dem Rat durch die Übermittlung der Maßnahme unverzüglich mit. Die Kommission kann die Durchführung der Maßnahme allerdings auch um einen gewissen Zeitraum verschieben. Innerhalb dieser Frist kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit einen anderslautenden Beschluss fassen. Trifft der Rat keine Entscheidung, sind die Maßnahmen der Kommission anwendbar. Während dem Parlament hier keine besonderen Rechte zustehen, hat der Rat einen gewissen Einfluss. ƒ Das Regelungsverfahren ohne Kontrolle gem. Art. 5 (nach dem 1999er-Beschluss nur „Regelungsverfahren“) kommt bei Maßnahmen von allgemeiner Tragweite zum Schutz der Gesundheit oder Sicherheit von Menschen, Tieren und Pflanzen zur Anwendung. Die Kommission kann die vorgeschlagene Durchführungsmaßnahme nur erlassen, wenn der Ausschuss ausdrücklich mit qualifizierter Mehrheit zustimmt. Bei abweichendem oder fehlendem Ausschussvotum muss sie dem Rat unverzüglich einen Vorschlag unterbreiten und das Parlament unterrichten. Das Parlament kann dem Rat sodann gem. Art. 5 Abs. 5 bei Basisrechtsakten nach Art. 251 EG eine Stellungnahme übermitteln und (als einzigen Kritikpunkt) geltend machen, dass der Vorschlag über die im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungsbefugnisse hinausgeht („ultra-vires-Kontrolle“). Innerhalb einer gewissen Frist entscheidet der Rat – im Anwendungsbereich des Mitentscheidungsverfahrens unter Berücksichtigung des Standpunktes des Parlaments – über den Kommissionsvorschlag.
Kommissar Bei positiver Entscheidung kann der Rat die Maßnahme selbst erlassen, bei fehlendem Ratsbeschluss erlässt die Kommission die ursprünglich von ihr vorgeschlagene Durchführungsregelung. Bei ablehnendem Ratsbeschluss überprüft die Kommission erneut ihren Vorschlag und hat sodann drei Handlungsmöglichkeiten: Entweder legt sie erstens dem Rat einen geänderten Vorschlag oder zweitens den ursprünglichen Vorschlag unverändert erneut vor oder leitet drittens das Legislativverfahren ein. Die Verwaltungs- und Regelungsverfahren unterscheiden sich im Grunde darin, dass die Kommission im Verwaltungsverfahren eine ablehnende Stellungnahme mit qualifizierter Mehrheit vermeiden, im Regelungsverfahren dagegen auf ein zustimmendes Ausschussvotum mit qualifizierter Mehrheit hinwirken muss, um die gewünschte Durchführungsmaßnahme erlassen zu können. ƒ Mit Beschluss des Rates vom 17.7.2006 (2006/ 512/EG) wurde das Regelungsverfahren mit Kontrolle gem. Art. 5a neu eingeführt. Dies bewirkt eine beachtliche Ausweitung der Kontrollmöglichkeiten des Parlaments, wenngleich der Anwendungsbereich beschränkt ist: Es kommt nur bei Maßnahmen von allgemeiner Tragweite zur Anwendung, die eine Änderung von nicht wesentlichen Bestimmungen des Basisrechtsakts bewirken („quasi-legislative Maßnahmen“), der im Mitentscheidungsverfahren zustande kam. Im Unterschied zu den sonstigen Verfahrensarten ist die Anwendung nach der Neufassung des Art. 2 hier bindend. Art. 5a Abs. 3 bis 5 regelt den Normalfall, Art. 5a Abs. 6 enthält eine weitere Verfahrensvariante für Fälle äußerster Dringlichkeit. Stimmt der Komitologieausschuss der vorgeschlagenen Kommissionsmaßnahme zu, werden Rat und Parlament gleichzeitig damit befasst. Der Erlass kann (mit Mehrheit seiner Mitglieder) vom Parlament oder (mit qualifizierter Mehrheit) vom Rat abgelehnt werden, wenn ihrer Ansicht nach der Entwurf über die im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungsbefugnisse hinausgeht oder mit dem Ziel oder dem Inhalt des Basisrechtsakts unvereinbar ist oder gegen die Grundsätze der ĺSubsidiarität oder ĺVerhältnismäßigkeit verstößt. Erfolgt kein Widerspruch, erlässt die Kommission die Maßnahme. Wird die Maßnahme vom Rat oder Parlament blockiert, kann die Kommission dem Ausschuss einen geänderten Entwurf von Maßnahmen unterbreiten oder das Le-
gislativverfahren einleiten. In Fall eines (mit qualifizierter Mehrheit) ablehnenden oder fehlenden Ausschussvotums ergibt sich Folgendes: Die Kommission unterbreitet dem Rat einen Vorschlag und übermittelt diesen gleichzeitig dem Parlament. Spricht der Rat sich nicht binnen zwei Monaten dagegen aus oder möchte er die Maßnahme selbst erlassen, bekommt das Parlament die Maßnahme zur Kontrolle vorgelegt. Das Parlament hat vier Monate ab Übermittlung Zeit, Widerspruch einzulegen. Erfolgt kein Widerspruch, kann die Kommission (bzw. der Rat) die Maßnahme erlassen. ƒ Das Verfahren bei Schutzmaßnahmen (Art. 6) kommt zur Anwendung, wenn der Kommission in einem Basisrechtsakt die Befugnis übertragen wird, über Schutzmaßnahmen zu beschließen. Hier verfügt die Kommission über weitgehende Gestaltungsfreiheit, muss jedoch den Rat bzw. die Mitgliedstaaten informieren und gegebenenfalls konsultieren. ƒ Eine spezielle Form der Komitologie, das sog. „Lamfalussy-Verfahren“, wird im Bereich der Finanzdienstleistungen angewandt und unterliegt eigenen Verfahrensregeln. (sk) §§: Art. 202 EG; Komitologiebeschluss 1999/468/EG, ABl. 1999, Nr. L 184/23; Ratsbeschluss 2006/512/EG, ABl. 2006, Nr. L 2006/11
Kommerzielle Kommunikation commercial communication – communication commerciale
Kommerzielle Kommunikation bezeichnet jede Form der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbilds eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt, dient. Keine kommerzielle Kommunikation sind bloße Angaben über Domain-Namen und E-mail-Adressen. Auch Angaben in Bezug auf Waren und Dienstleistungen oder das Erscheinungsbild des Unternehmens fallen nicht darunter, wenn sie unabhängig und ohne finanzielle Gegenleistung gemacht werden. (fs) §§: Art. 2 lit. f der RL 2000/31/EG, ABl. 2000, Nr. L 178/1
Kommissar ĺKommission, Mitglieder 569
Kommission Kommission Commission – Commission
Die Kommission (auch: Europäische Kommission) ist neben dem ĺEuropäischen Parlament, dem ĺRat, dem ĺEuGH und dem ĺRechnungshof eines der fünf Organe der EG (Art. 7 EG). Sie setzt sich zurzeit aus 27 ĺMitgliedern (einschließlich ihrem ĺPräsidenten und ihren Vizepräsidenten) zusammen, die von einem ĺVerwaltungsunterbau in ihrer Tätigkeit unterstützt werden. Der Begriff Kommission steht also nur für das Kollegium der 27 Mitglieder; umgangssprachlich wird darunter mitunter aber auch das Kollegium samt seinem Verwaltungsunterbau verstanden. Die Kommission hat ihren Sitz in Brüssel; einige ĺDienststellen sind jedoch in Luxemburg untergebracht. Die Kommission übt ihre ĺAufgaben in voller Unabhängigkeit zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaft aus (Art. 213 Abs. 2 EG). Sie gilt daher als das „europäischste“ Organ der Gemeinschaft. (sl) §§: Art. 7, 211 ff., 289 EG; GO KOM Lit.: M. Scheitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht. Das Recht der Europäischen Union, 2007, 133 ff. Web: http://ec.europa.eu/index_de.htm
Kommission für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch (Storme-Gruppe) Working Group for the Approximation of the Civil Procedure Law – Commission du Rapprochement du Droit Judiciaire européenne
Die Kommission für ein europäisches Zivilgesetzbuch wurde 1987 in Utrecht unter dem Vorsitz von Marcel Storme gegründet und hat sich – gefördert von der Europäischen Kommission – und zunächst auf die Auslotung der Notwendigkeit einer europäischen ZPO beschränkt. Auf Basis dieses Grundlagentextes wurde die Arbeitsgruppe, die sich aus 12 renommierten europäischen Wissenschaftlern auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts zusammensetzte, von der Europäischen Kommission beauftragt das Forschungsprojekt weiterzuführen und ein Modellgesetz für eine europäische ZPO zu entwerfen. Das Forschungsergebnis ist allerdings keine vollständige ZPO sondern ein Modellgesetz, das einige wichtige Bereiche ausspart, sich aber sowohl als Modell zur kritischen Überarbeitung der nationalen Prozessordnungen als auch als Vorschlag für die Rechtsharmonisierung auf Gemeinschaftsebene versteht. Nach einem Zwischenbericht wurde der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe 1993 der Kom570
mission samt Begründung vorgelegt und 1994 in Buchform veröffentlicht. Das Vorhaben einer Vereinheitlichung des innerstaatlichen Zivilprozessrechts wurde bisher von der Kommission nicht wieder aufgegriffen, dennoch ist der Entwurf ein wichtiger Beitrag zur Diskussion um die Rechtsvereinheitlichung des Prozessrechts und wurde bspw. von der ĺCommon Core Group aufgegriffen, die nunmehr eine eigene Untergruppe für ein Casebook Civil Procedure gebildet hat. (mrm) Lit.: M.Storme (Hrsg.), Rapprochement du Droit Judiciaire de l’Union européenne – Approximation of Judiciary Law in the European Union, 1994; H. Roth, Die Vorschläge der Kommission für ein europäisches Zivilprozeßgesetzbuch – das Erkenntnisverfahren, ZZP Int. 109 (1997) 271-313 Web: http://www.law.kuleuven.ac.be/casebook/proce dural.php
Kommission für europäisches Familienrecht Commission on European Family Law (CEFL) – la Commission pour le Droit Européen de la Famille
Die Kommission für europäisches Familienrecht wurde 2001 gegründet und wird von einem sechsköpfigen Organisationskomittee unter dem Vorsitz von Katharina Boele-Woelki geleitet. Der Kommission gehören insgesamt etwa 25 namhafte Experten auf dem Gebiet des Familienrechts und der Rechtsvergleichung aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union an. Gegenstand des Forschungsprojektes ist die rechtsvergleichende Untersuchung des nationalen Familienrechts und die Erarbeitung von theoretischen und praktischen Grundlagen für eine Rechtsharmonisierung in Europa. Arbeitsschwerpunkte sich dabei das Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht (insb. Unterhaltsrecht) und das elterliche Sorgerecht. Die Forschungsergebnisse werden in Form von Länderberichten und Konferenzbeiträgen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, die Vorschläge für die Rechtsvereinheitlichung in – den PECL vergleichbaren – Prinzipien des Europäischen Familienrechts gefasst. Forschungsergebnisse zum Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht liegen bereits vor. Trotz ähnlicher Forschungsansätze und Präsentation der Ergebnisse ist die Kommission für Europäisches Vertragsrecht weder mit Lando-Kommission noch der Study Group organisatorisch verbunden. (mrm) Lit.: K. Boele-Woelki, The principles of European family law: its aims and prospects, Utrecht Law Review 2005, 160 Web: http://www.law.uu.nl/priv/cefl
Kommission, Aufgaben Kommission für Europäisches Vertragsrecht (Lando-Kommission) Commission on European Contract Law – Commission du Droit Européen des Contrats
Bereits Ende der 70er Jahre – und damit lange vor den ersten politischen Äußerungen über die Notwendigkeit (oder Entbehrlichkeit) eines europäischen Zivilgesetzbuchs – hat sich auf Initiative des dänischen Professors Ole Lando und unter seinem Vorsitz die sog. Kommision für Europäisches Vertragsrecht zusammengefunden, die nach ihrem Gründer häufig auch als Lando-Kommission bezeichnet wird und sich aus anerkannten Rechtswissenschaftlern aller (damaligen) Mitgliedstaaten der Europäischen Union zusammensetzte. Mit der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft hat sich auch die Lando-Gruppe jeweils um Mitglieder aus den Beitrittsstaaten vergrößert. Äußerer Anlass für die Initiative war der Abschluss des ĺÜbereinkommens von Rom, das von vielen als Meilenstein gefeiert wurde, aber nach Ansicht von Ole Lando nur einen ersten Schritt zur Harmonisierung darstellen konnte. An Stelle der bloßen Koordination der nationalen Rechte schlug Ole Lando zunächst die Schaffung eines European Commercial Code vor. Aus dieser Idee ist das Projekt entstanden, Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts zu kodifizieren. Die Beschränkung auf das Vertragsrecht, die sich auch in der Benennung der Ergebnisse der Forschergruppe als ĺ„Principles of European Contract Law“ oder „PECL“ widerspiegelt, ist einerseits auf die Intention zurückzuführen, das wichtigste zuerst in Angriff zu nehmen. Andererseits beruht die Beschränkung auf einer realistischen Einschätzung der Machbarkeit. Ziel war es einen Brückenschlag zwischen den zwei grundverschiedenen Rechtskreisen des Common Law und des Civil Law zu wagen und trotz des Fehlens einer einheitlichen Terminologie auf rechtsvergleichender Basis einen Kernbestand des Europäischen Vertragsrechts herauszuarbeiten und gemeinsame Traditionslinien wieder sichtbar zu machen. Dort wo es aber keinen gemeinsamen Nenner gibt, die beste und damit eine dem europäischen Anwendungsbereich entsprechende Lösung zu finden. Da die Zusammensetzung der Kommission in ihrer fast 20-jährigen Tätigkeit mehrfach wechselte und sich die Kommission drei verschiedenen und klar abgegrenzten Stoffmengen widmete, wird zwischen der ersten, zweiten und dritten Kommission unterschieden. Diese zeichnen jeweils für einen der drei Teile der „Prin-
ciples of European Contract Law“ verantwortlich. Dies darf aber nicht über die dominante Kontinuität zwischen den einzelnen Kommissionen hinwegtäuschen, die sich sowohl in den Mitgliedern als auch – und vor allem – in der gewählten Vorgangsweise zeigt. Die erste Kommission nahm nach zwei Vorbereitungstreffen im November 1982 mit einer ersten Sitzung in Hamburg die Arbeit auf und verabschiedete Teil I der PECL auf ihrer letzten Sitzung 1990. Die zweite Kommission tagte von 1992–1996 in leicht veränderte Zusammensetzung und hat neben Teil II auch Änderungen des Teils I beschlossen. Die dritte und letzte Kommission nahm ihre Arbeit 1997 auf und beendete mit dem dritten Teil der PECL ihre Tätigkeit 2001. Als das selbst gesteckte Ziel erreicht und die PECL I, II und III inhaltlich fertig gestellt waren hat sich die Kommission für Europäisches Vertragsrecht selbst aufgelöst. Das Forschungsprojekt wird nun von der ĺStudy Group on a European Civil Code fortgeführt. Alle drei Teile wurden bereits veröffentlich und zwischenzeitlich in eine Reihe anderer europäischer Sprachen übersetzt. (mrm) Lit.: H. Beale/O. Lando, Principles of European Contract Law I & II, 1999; O. Lando/E. Clive/A. Prüm/R. Zimmermann, Principles of European Contract Law III, 2002 Web: http://www.frontpage.cbs.dk/law
Kommission, Aufgaben Commission, duties – Commission, tâches
Art. 211 EG enthält einen Katalog von Aufgaben, die die ĺKommission zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Funktionierens und der Entwicklung des ĺGemeinsamen Marktes zu erfüllen hat. Er ist aber nicht abschließend; weitere Aufgaben werden der Kommission im EUV und an anderen Stellen des EGV übertragen. Die Kommission nimmt ihre Aufgaben in voller Unabhängigkeit zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaft wahr (Art. 213 Abs. 1 EG). Zu den wesentlichen Aufgaben der Kommission zählen: ƒ Kontrolle: Die Kommission ist zur Überwachung der Einhaltung des gesamten ĺPrimärrechts und ĺSekundärrechts durch natürliche und juristische Personen, somit auch andere Gemeinschaftsorgane sowie vor allem die Mitgliedstaaten berufen; sie wird in diesem Zusammenhang auch als Hüterin der Verträge bezeichnet. Kontrollmaßstab ist dabei der gesamte ĺGemeinschaftliche Besitzstand. Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht 571
Kommission, Beschlussfassung kann die Kommission von Amts wegen aufgreifen und zu beseitigen versuchen; sie können der Kommission auch von Dritten angezeigt werden; ein Anspruch auf Tätigwerden der Kommission besteht dann jedoch nicht. Zur Sachverhaltsfeststellung kann die Kommission gem. Art. 284 EG (vgl. auch Art. 10 EG) alle erforderlichen Auskünfte einholen und alle erforderlichen Nachprüfungen vornehmen. Für die meisten Verstöße gegen das Gemeinschafsrecht wird durch Konsultationen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten eine Lösung gefunden. Der Kommission steht aber die Einleitung eines ĺVertragsverletzungsverfahrens vor dem ĺEuGH offen, wenn der vermeintliche Verstoß nicht beseitigt werden kann. ƒ Initiativmonopol für Rechtsakte; Abgabe von ĺEmpfehlungen und ĺStellungnahmen: Die Kommission besitzt als einziges Organ im ĺRechtsetzungsverfahren das Recht, Initiativen für verbindliche Gemeinschaftsrechtsakte zu ergreifen (vgl. Art. 250 f. EG); dieses Initiativmonopol erlaubt ihr, auf die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts wesentlich Einfluss auszuüben. Die Kommission wird deshalb auch als Motor der Gemeinschaft bezeichnet. Der Kommission kommen im Verlauf des Rechtsetzungsverfahrens weitere Befugnisse zu. Darüber hinaus kann die Kommission unverbindliche (politische) Empfehlungen und Stellungnahmen zu Gebieten, die vom EGV ausdrücklich vorgegeben werden aber auch zu weiteren Bereichen des Gemeinschaftsrechts abgeben, sofern sie das für notwendig erachtet. Empfehlungen und Stellungnahmen ergehen vor allem in Form von ĺMitteilungen, ĺWeiß- und ĺGrünbüchern. ƒ Entscheidungskompetenzen: Der EGV überträgt der Kommission das Treffen einer Fülle von verbindlichen Entscheidungen, bei denen anderen Organen keine Mitwirkungsrechte zukommen. Diese Entscheidungen können sowohl Gesetzgebungs- als auch Vollzugsakte (ĺVollzug, direkter) sein. Sie sind etwa im ĺWettbewerbsrecht anzutreffen. ƒ Übertragene Entscheidungsbefugnisse: Die Kommission hat die Aufgabe, jene Befugnisse auszuüben, die ihr der ĺRat zur Durchführung der von ihm erlassenen Vorschriften überträgt (vgl. Art. 202 3. SpS EG). Es handelt sich dabei weder um delegierte Ratsbefugnisse noch um Befugnisse der Kommission im Bereich der Verwaltung. Es ist bei der 572
Übertragung der Entscheidungsbefugnisse daher zwischen Vorschriften, die für die zu regelnde Materie wesentlich sind und daher der Zuständigkeit des Rates vorbehalten bleiben müssen, und Vorschriften, deren Erlass, da sie nur der Durchführung dienen, der Kommission übertragen werden kann, zu unterscheiden (EuGH, Rs. 25/70 Köster, Slg. 1970, 1, Rn. 6; EuGH, Rs. 240/90 Deutschland/Kommission, Slg. 1992, I-5383, Rn. 36). Die Modalitäten der Ausführung von übertragenen Entscheidungsbefugnissen werden im Ausschussverfahren (ĺKomitologie) geregelt. ƒ Vertretung nach außen: Die EG besitzen ĺRechtspersönlichkeit (Art. 281 EG; Art. 184 EAGV). Die Kommission ist zur Vertretung der EG nach außen berufen (Art. 282 EG). Ihre Außenvertretung ist eine völkerrechtliche (z.B. Abschluss von ĺHandelsabkommen), eine zivilrechtliche (z.B. Grundstückskauf) und eine politische (z.B. Unterhalten von Presse- und Informationsstellen). (sl) §§: Art. 133, 211, 226, 250 f., 274 f., 281 f. EG Lit.: S. Lageard, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 26. Lfg. 2004, Art. 211 EGV; H. Schmitt von Sydow, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 211 EGV; M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht. Das Recht der Europäischen Union, 2007, 137 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 25/70 Köster, Slg. 1970, 1; EuGH, Rs. 240/90, Deutschland/Kommission, Slg. 1992, I-5383
Kommission, Beschlussfassung Commission, decision-making – Commission, prise de décision
Die Kommission handelt immer als Kollegium unter der Leitung ihres ĺPräsidenten und nicht durch ihre einzelnen ĺMitglieder (Kollegialitätsprinzip; Art. 1 GO KOM). Ihre Sitzungen sind nicht öffentlich; der Inhalt der Beratungen ist vertraulich (Art. 9 GO KOM). Die Kommission ist grundsätzlich beschlussfähig, wenn die Mehrheit der im Vertrag vorgesehenen Zahl der Mitglieder anwesend ist (Art. 219 Satz 2 EG i.V.m. Art. 7 GO KOM); das sind zurzeit 14 Mitglieder. Ihre Beschlüsse werden grundsätzlich mit absoluter Mehrheit der in Art. 213 EG bestimmten Anzahl ihrer Mitglieder gefasst; das sind zurzeit ebenfalls 14 Mitglieder. Im Extremfall ist für eine Beschlussfassung bei Anwesenheit von nur 14 Mitgliedern also Einstimmigkeit erforderlich. In der Praxis versucht die Kommission bei Entscheidungen einen möglichst breiten Konsens zu finden.
Kommission, bessere Rechtsetzung Die Beschlussfassung kann in vier Verfahren erfolgen (Art. 4 GO KOM): ƒ Mündliches Verfahren (Art. 5-11 GO KOM): Das mündliche Verfahren gelangt bei Entscheidungen von grundlegender Bedeutung zur Anwendung (vgl. EuGH, Rs. 5/85 AKZO Chemie/Kommission, Slg. 1986, 2585, Rn. 30 und 36 f.); quantitativ spielt es jedoch eine geringe Rolle. Die Kommission tritt in der Regel jeden Mittwoch zu einer Sitzung zusammen; diese wird von ihrem Präsidenten einberufen und geleitet. Bei den Sitzungen herrscht Anwesenheitspflicht, von der ein Mitglied durch den Präsidenten aber entbunden werden kann. Die Erstellung der Tagesordnung obliegt grundsätzlich dem Präsidenten. Die Beschlussfassung erfolgt auf Vorschlag eines oder mehrerer Mitglieder. Die Stimmabgabe ist nur persönlich möglich, auch wenn sich ein Mitglied der Kommission in einer Sitzung durch seinen Kabinettschef (ĺVerwaltungsunterbau) vertreten lassen kann. Alle Mitglieder der Kommission müssen nach dem Kollegialitätsprinzip die Beschlüsse selbst dann solidarisch mittragen, wenn sie dagegen gestimmt haben. Konsensuale Entscheidungen sind aber der Regelfall. Über die Sitzungen wird ein Protokoll angefertigt, das der Kommission in einer späteren Sitzung zur Genehmigung vorgelegt wird. ƒ Schriftliches Verfahren (Art. 12 GO KOM): Wegen der großen Anzahl zu treffender Entscheidung kann ein Mitglied der Kommission die Zustimmung zu einem Entscheidungsentwurf auch durch dessen schriftliche Übermittlung an alle weiteren Mitglieder einholen. Der Entwurf wird dabei vom Generalsekretariat unter Setzung einer Frist von regelmäßig fünf Arbeitstagen (bei Dringlichkeit auch weniger) an die Kabinette aller Mitglieder der Kommission verteilt und gilt als angenommen, wenn ihm bis zum Ablauf der Frist niemand widerspricht. Bei Einwänden auch nur eines Mitglieds der Kommission wird grundsätzlich ein mündliches Verfahren eingeleitet. ƒ Ermächtigungsverfahren (Art. 13 GO KOM): Mit einem Beschluss der Kommission im mündlichen Verfahren können einzelne Mitglieder der Kommission einerseits ermächtigt werden, innerhalb bestimmter von der Kommission festzulegender Grenzen Maßnahmen der Geschäftsführung und Verwaltung zu treffen. Andererseits kann ein Mitglied auch
beauftragt werden, im Einvernehmen mit dem Präsidenten den Wortlaut eines Beschlusses oder eines den anderen ĺOrganen der EU vorzulegenden Vorschlags, dessen wesentlichen Inhalt sie bereits in ihren Beratungen festgelegt hat, endgültig anzunehmen. Durch das Ermächtigungsverfahren darf das Kollegialitätsprinzip nicht verletzt werden (vgl. dazu insb. EuGH, Rs. 5/85 AKZO Chemie/Kommission, Slg. 1986, 2585); das Kommissionskollegium kann daher insb. jederzeit die Ermächtigung widerrufen oder dem ermächtigtem Mitglied Weisungen erteilen. ƒ Delegationsverfahren (Art. 14 GO KOM): Die Kommission kann schließlich im mündlichen Verfahren den Generaldirektoren und Dienstleitern die Befugnis delegieren, in ihrem Namen innerhalb der Grenzen und gem. den Bedingungen, die sie festlegt, Maßnahmen der Geschäftsführung und der Verwaltung vorzunehmen. Dabei muss wiederum das Kollegialitätsprinzip gewahrt bleiben. Die Kommission kann daher insb. jederzeit die Delegation widerrufen oder Weisungen erteilen. (sl) §§: Art. 219 EG; Art. 1, 4 ff., 12 ff. GO KOM Lit.: S. Lageard, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 26. Lfg. 2004, Art. 219 EGV; H. Schmitt von Sydow, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 219 EGV Rsp.: EuGH, Rs. 52/69 Geigy/Kommission, Slg. 1972, 787; EuGH, Rs. 5/85 AKZO Chemie/Kommission, Slg. 1986, 2585; EuGH, Rs. 137/92 Kommission/BASF, Slg. 1994, I-2555
Kommission, bessere Rechtsetzung Commission, better regulation – Commission, mieux légiférer
Bei den Bemühungen der Kommission um eine bessere Rechtsetzung handelt es sich um ein Bündel von Maßnahmen, das die Qualität der Rechtsetzung auf europäischer Ebene fördern soll. Besonderes Augenmerk legt die Kommission dabei auf die Vereinfachung der Rechtsvorschriften, die Verringerung der Verwaltungslasten, die Folgenabschätzung, die Sichtung und Zurückziehung anhängiger Vorschläge, die verbesserte Umsetzung und Anwendung von EURecht sowie auf Kodifizierungen, Neufassungen, Konsolidierungen und Aufhebungen bestehender Rechtsvorschriften. (sl) §§: KOM(2006) 689 Web: http://ec.europa.eu/governance/better_regulation/ index_de.htm
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Kommission, Bestellung Kommission, Bestellung Commission, appointment – Commission, nomination
Die Bestellung der Kommission läuft in einem mehrstufigen Verfahren ab. Zunächst benennt der ĺRat in der Zusammensetzung der Staatsund Regierungschefs (und nicht der ĺEuropäische Rat) mit ĺqualifizierter Mehrheit eine Persönlichkeit, die er zum ĺPräsidenten der Kommission zu ernennen beabsichtigt. Die Nominierung bedarf der Zustimmung des ĺEuropäischen Parlaments, das nach einer Anhörung des Kandidaten mit Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet (Art. 98 GO EP). Auf Vorschlag jedes einzelnen Mitgliedstaats stellen in der Folge der Rat auf Ministerebene mit qualifizierter Mehrheit und der designierte Präsident der Kommission einvernehmlich das Kollegium zusammen; der Vorschlag bedarf in seiner Gesamtheit der Zustimmung des ĺEP. Das EP kann ihm nach der Anhörung aller designierten ĺMitglieder der Kommission mit Mehrheit der abgegebenen Stimmen zustimmen oder ihn zur Gänze ablehnen. Eine Ablehnung bloß einzelner vorgeschlagener Mitglieder der Kommission ist nicht möglich. (Art. 99 GO EP) Der Präsident und die übrigen Mitglieder der Kommission werden schließlich vom Rat mit qualifizierter Mehrheit ernannt. Scheidet ein Mitglied der Kommission vorzeitig aus seinem Amt aus, so ist hinsichtlich der Nachbesetzung zwischen dem Präsidenten und den übrigen Mitgliedern zu unterscheiden. Der Präsident muss vom Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit und Zustimmung des EP, das mit Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet, bestimmt werden. Alle übrigen Mitglieder der Kommission werden vom Rat auf Ministerebene – sofern er nicht einstimmig beschließt, von der Nachbesetzung abzusehen – mit qualifizierter Mehrheit ernannt. Eine Beteiligung des Präsidenten der Kommission oder des EP ist hier nicht vorgesehen. (sl) §§: Art. 214 f. EG; Art. 98 f. GO EP Lit.: S. Lageard, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 26. Lfg. 2004, Art. 214 f. EGV; H. Schmitt von Sydow, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 214 f. EGV
Kommission, Dienste Commission, services – Commission, services
Die Dienste stellen neben den ĺGeneraldirektionen eine der beiden Ausprägungen der ĺDienststellen der Kommission dar. Die Diens574
te lassen sich im Wesentlichen wiederum in zwei Ausprägungen gliedern, nämlich in die allgemeinen und die internen Dienste. Unter ersterer sind besonders das ĺEuropäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), ĺEurostat sowie das ĺGeneralsekretariat der Kommission hervorzuheben. Zu zweiterer zählt u.a. der Juristische Dienst, dessen Aufgabe vor allem in der juristischen Beratung sämtlicher Dienststellen liegt. Jeder Dienst ist einem Mitglied oder – nach Direktionen aufgeteilt – mehreren ĺMitgliedern der Kommission unterstellt. Die Dienste selbst werden meist von einem Generaldirektor geleitet; diesem unterstellt sind die Direktoren und Referatsleiter. (sl) §§: Art. 218 EG; Art. 21 GO KOM Lit.: H. Schmitt von Sydow, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 218 EGV, Rn. 14 ff. Web: http://ec.europa.eu/dgs_de.htm
Kommission, Dienststellen Commission, departments – Commission, services
Sammelbegriff, der die ĺGeneraldirektionen und gleichgestellten ĺDienste umfasst. Die Dienststellen bilden in ihrer Gesamtheit (40) mit den Mitarbeiterstäben der Mitglieder der Kommission (Kabinette; ĺKommission, Verwaltungsunterbau) sowie zahlreichen Ausschüssen und nachgeordneten Behörden den ĺVerwaltungsunterbau der Kommission. Der Kommission sind folgende Dienststellen unterstellt: a. Politiken: Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit ƒ ĺBildung und Kultur ƒ Binnenmarkt und ĺDienstleistungen ƒ ĺExekutivagenturen ƒ ĺFischerei und maritime Angelegenheiten ƒ ĺForschung ƒ ĺGemeinsame Forschungsstelle ƒ Gesundheit und ĺVerbraucherschutz ƒ ĺInformationsgesellschaft und Medien ƒ Justiz, Freiheit und Sicherheit ƒ ĺLandwirtschaft und ĺländliche Entwicklung ƒ Regionalpolitik ƒ Steuern und Zollunion ƒ ĺUmwelt ƒ Unternehmen und Industrie ƒ ĺVerkehr und Energie ƒ ĺWettbewerb ƒ Wirtschaft und Finanzen ƒ
Kommission, Ende des Amtes b. Außenbeziehungen ĺHumanitäre Hilfe ĺAußenbeziehungen Entwicklung ĺErweiterung EuropeAid – Amt für Zusammenarbeit Handel
ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
c. Allgemeine Dienste ƒ Amt für amtliche Veröffentlichungen ƒ ĺEuropäisches Amt für Betrugsbekämpfung ƒ ĺEurostat ƒ ĺGeneralsekretariat ƒ Kommunikation d. Interne Dienste ƒ Amt für die Feststellung und Abwicklung individueller Ansprüche ƒ Beratergremium für europäische Politik ƒ Datenverarbeitung ƒ Datenschutzbeauftragter der Europäischen Kommission ƒ Dolmetschen ƒ Gebäude, Anlagen und Logistik – Brüssel ƒ Gebäude, Anlagen und Logistik – Luxemburg ƒ ĺHaushalt ƒ Interner Auditdienst ƒ Juristischer Dienst ƒ Personal und Verwaltung ƒ Übersetzung (sl)
ƒ
ƒ
ƒ
§§: Art. 218 EG; Art. 19 ff. GO KOM Lit.: M. Röttinger, Organisation und Arbeitsweise der Kommission, in: M. Röttinger/C. Weyringer (Hrsg.), Handbuch der europäischen Integration, 2. Aufl. 1996, 113 ff.; H. Schmitt von Sydow, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 218 EGV Web: http://ec.europa.eu/dgs_de.htm
Kommission, Ende des Amtes Commission, end of term – Commission, fin de mandat
Das Amt eines ĺMitglieds der Kommission kann auf fünf verschiedene Arten enden: ƒ Ablauf der Amtszeit (Art. 214 EG): Die Mitglieder der Kommission werden nach Art. 214 Abs. 1 EG auf fünf Jahre ernannt. Das Amt eines Mitglieds der Kommission endet mit Ablauf seiner Amtszeit. Der EGV erklärt eine Wiederernennung jedoch ausdrücklich für zulässig. In der Vergangenheit wurde die Amtszeit aber auch schon einmal verkürzt (von Januar 1997 auf Januar 1995). Verzögert sich die Bestellung einer neuen Kommission nach Ablauf der Amtszeit der alten Kommission (wie das im November 2004 der Fall war), so bleibt diese vorläufig im Amt und ist
ƒ
mit der Fortführung der laufenden Geschäfte betraut. Tod (Art. 214 EG): Mit dem Tod eines Mitglieds der Kommission wird dessen Stelle sofort vakant. Verstirbt der ĺPräsident, so muss diese Stelle für die restliche Amtszeit nachbesetzt werden; beim Tod eines übrigen Mitglieds der Kommission ist eine Nachbesetzung nicht zwingend geboten. Rücktritt (Art. 215, 217 Abs. 4 EG): Der Rücktritt eines Mitglieds der Kommission kann aus freien Stücken erfolgen (Art. 215 EG); er muss es nach Aufforderung durch den Präsidenten der Kommission, der eine Billigung durch das Kollegium der Kommission vorauszugehen hat (Art. 217 Abs. 4 EG). Ein freiwillig zurücktretendes Mitglied der Kommission muss bis zur Bestellung seines Nachfolgers bzw. dem Beschluss durch den ĺRat, für die restliche Amtsperiode keinen Nachfolger zu ernennen, im Amt bleiben. Ob das auch für den erzwungenen Rücktritt nach Aufforderung durch den Präsidenten der Kommission gilt, ist strittig. Amtsenthebung durch den ĺEuGH (Art. 216 EG): Sie kann einerseits erfolgen, wenn ein Mitglied der Kommission die Voraussetzungen für die Amtsausübung (ĺKommission, Mitglieder) nicht mehr erfüllt (z.B. wegen schwerer Krankheit oder Verlusts der Staatsangehörigkeit zumindest eines Mitgliedstaates) und andererseits wenn es eine schwere Verfehlung (vgl. dazu etwa Art. 213 Abs. 2 EG) begangen hat. Das Verfahren der Amtsenthebung wird durch einen Antrag des Rates oder der Kommission (Beschlusserfordernis in beiden Organen nach Art. 205 und 219 EG: einfache Mehrheit) an den EuGH eingeleitet. Der EuGH ist in seiner Entscheidung an den geltend gemachten Sachverhalt gebunden. Enthebt er ein Mitglied der Kommission seines Amtes, so verliert dieses mit dem Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung sein Amt. Die Stelle bleibt vakant bis zu einer Nachbesetzung für die restliche Amtszeit. Misstrauensvotum durch das ĺEuropäische Parlament (Art. 201 EG): Ein Misstrauensantrag ist das stärkste Kontrollinstrument (ĺEuropäisches Parlament, Kontrollbefugnisse) des EP gegen die Kommission; ein Misstrauensantrag gegen einzelne Mitglieder der Kommission ist nicht möglich. Das Misstrauen gegenüber der Kommission muss hinsichtlich deren Tätigkeit (ĺKommission, Aufgaben) bestehen; Gründe, die im Privatleben einzel575
Kommission, Generaldirektionen ner Mitglieder der Kommission liegen, können nicht geltend gemacht werden. Ein Misstrauensantrag kann von mindestens einem Zehntel der Mitglieder des EP bei dessen Präsidenten (ĺEuropäisches Parlament, Präsidium und Konferenz der Präsidenten) eingereicht und muss ausdrücklich als solcher bezeichnet und begründet werden. Frühestens 24 Stunden nach der Mitteilung an alle Mitglieder des EP muss eine öffentliche Aussprache darüber stattfinden. Mindestens 48 Stunden nach der Aussprache kommt es zu einer öffentlichen namentlichen Abstimmung. Für die Annahme des Antrags bedarf es einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen sowie der Mehrheit der Mitglieder des EP (Art. 100 GO EP). Das Misstrauen führt zur sofortigen Niederlegung des Amtes der gesamten Kommission, die allerdings bis zur Bestellung einer Nachfolgekommission die laufenden Geschäfte weiterzuführen hat. Die Amtsperiode der neu bestellten Kommission endet nicht nach fünf Jahren, sondern zu dem Zeitpunkt, zu dem die Amtsperiode der alten Kommission geendet hätte. Das EP hat bisher keinen der neun vorgelegten (von denen wiederum sieben zur Abstimmung gelangten) Misstrauensanträge angenommen. (sl) §§: Art. 201, 214 ff. EG; Art. 100 GO EP Lit.: N. Solar, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 46. Lfg. 2005, Art. 201 EGV; S. Lageard, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 26. Lfg. 2004, Art. 214 ff. EGV; R. Bieber, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 201 EGV; H. Schmitt von Sydow, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 214 ff. EGV
Kommission, Generaldirektionen Commission, Directorates-General – Commission, Directions générales
Die Generaldirektionen (GD) stellen eine der beiden Ausprägungen der ĺDienststellen der Kommission dar. Jede GD ist einem ĺMitglied oder – nach Direktionen aufgeteilt – mehreren Mitgliedern der Kommission unterstellt. Die GD selbst werden von einem Generaldirektor geleitet; diesem unterstellt sind die Direktoren und Referatsleiter. Die GD bilden den Kern des Verwaltungsunterbaus der Kommission; sie sind jeweils mit der Bearbeitung bestimmter Sachmaterien betraut. Zur konkreten Aufzählung s. ĺGeneraldirektionen. (sl) §§: Art. 218 EG; Art. 21, 27 GO KOM
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Lit.: H. Schmitt von Sydow, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 218 EGV, Rn. 14 ff. Web: http://ec.europa.eu/dgs_de.htm
Kommission, Generalsekretariat Commission, Secretariat General – Commission, Secrétariat Général
Das Generalsekretariat ist ein ĺDienst der Kommission. Seine besondere Stellung resultiert aus seiner direkten Unterstellung unter den ĺPräsidenten der Kommission und seiner Koordinationsfunktion innerhalb der Kommission und deren ĺVerwaltungsunterbau. Das Generalsekretariat wird von einem Generalsekretär geleitet, der u.a. den Präsidenten der Kommission in der Vorbereitung und Durchführung der Sitzungen der Kommission (ĺBeschlussfassung), an denen er regelmäßig teilnimmt (Art. 10 GO KOM), unterstützt und grundsätzlich die offiziellen Beziehungen zu den anderen Organen der EG unterhält (Art. 20 Abs. 5 GO KOM). (sl) §§: Art. 10 f., 17, 20, 23, 26 GO KOM Web: http://ec.europa.eu/dgs/secretariat_general/index _de.htm
Kommission, Gesamtbericht Commission, General Report – Commission, Rapport Général
Die Kommission veröffentlicht jährlich im Februar einen Gesamtbericht über die Tätigkeit der Gemeinschaften im jeweils vorangegangen Jahr. Formeller Adressat des Gesamtberichts ist das EP (ĺEuropäisches Parlament – Kontrollbefugnisse), das ihn in öffentlicher Sitzung zu erörtern hat (Art. 200 EG). Seine wesentliche Bedeutung liegt heute aber in der Information der Öffentlichkeit. (sl) §§: Art. 200, 212 EG Web: http://europa.eu/generalreport/de/welcome.htm
Kommission, Mitglieder Commission, members – Commission, membres
Der Kommission gehört grundsätzlich ein Staatsangehöriger jedes Mitgliedstaates an; die Kommission setzt sich zurzeit also aus 27 Mitgliedern (den ĺPräsidenten und seine Vizepräsidenten eingeschlossen) zusammen. Der ĺRat kann ihre Anzahl aber einstimmig ändern (EuG, Rs. T-227/99 und T-134/00, Kvaerner Warnow Werft GmbH, Slg. 2002, II-1205, Rn. 58). Die Mitglieder der Kommission werden gemeinhin Kommissare genannt. Der Auf-
Kommission, Präsident gabenbereich (ĺKommission, Aufgaben) innerhalb der Kommission wird jedem Mitglied nach seiner Bestellung vom Präsidenten zugewiesen (Art. 217 EG), steht meist aber bereits zuvor fest. Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der Kommission sind nach Art. 213 EG: ƒ Der Besitz der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates. ƒ Die allgemeine Befähigung für das Amt eines Mitglieds; spezielle Sachkenntnisse sind also nicht nötig. ƒ Die Gewähr für ihre Unabhängigkeit; Mitglieder der Kommission dürfen weder von den Mitgliedstaaten noch von anderen Stellen Weisungen annehmen. Daneben treffen die Mitglieder der Kommission folgende weitere Pflichten: ƒ Tätigkeit zum allgemeinen Wohl der Gemeinschaft (Art. 213 EG). ƒ Unterlassung jeder Handlung, die mit ihren Aufgaben unvereinbar ist (Art. 213 EG). ƒ Verbot der Ausübung eines weiteren Berufs oder anderen öffentlichen Amts während der Amtszeit (Art. 213 EG). ƒ Zurückhaltung bei der Annahme von Vorteilen nach der Amtszeit (Art. 213 EG). ƒ Beachtung des Verhaltenskodexes (SEK[2004] 1487/2). ƒ Geheimhaltung während der Amtszeit erworbener Berufsgeheimnisse auch nach Ende der Amtszeit (Art. 287 EG). ƒ Weitere Ausübung des Amtes bis zur Neubesetzung nach einem (freiwilligen) Rücktritt (ĺEnde des Amts; Art. 215 EG). ƒ Mittragen sämtlicher Entscheidungen der Kommission (Kollegialitätsprinzip; ĺBeschlussfassung). Pflichtverstöße können u.a. mit der Aberkennung von Ruhegehaltsansprüchen oder der Amtsenthebung geahndet werden (ĺEnde des Amtes). Der Kommission gehören zurzeit (Stand Juni 2008) folgende Mitglieder an: ƒ José Manuel Barroso (Präsident; Portugal) ƒ Jacques Barrot (Vizepräsident; Verkehr; Frankreich) ƒ Franco Frattini (Vizepräsident; Justiz, Freiheit und Sicherheit; Italien) ƒ Siim Kallas (Vizepräsident; Verwaltung, Audit und Betrugsbekämpfung; Estland) ƒ Günter Verheugen (Vizepräsident; Unternehmen und Industrie; Deutschland) ƒ Margot Wallström (Vizepräsidentin; Institutionelle Beziehungen und Kommunikationsstrategie; Schweden)
ƒ ƒ ƒ ƒ
ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
Joaquín Almunia (Wirtschaft und Währung; Spanien) Joe Borg (Fischerei und maritime Angelegenheiten; Malta) Stavros Dimas (Umwelt; Griechenland) Benita Ferrero-Waldner (Außenbeziehungen und europäische Nachbarschaftspolitik; Österreich) Ján Figel (Allgemeine und berufliche Bildung, Kultur und Jugend; Slowakei) Mariann Fischer Boel (Landwirtschaft und ländliche Entwicklung; Dänemark) Dalia Grybauskaite (Finanzplanung und Haushalt; Litauen) Danuta Hübner (Regionalpolitik; Polen) László Kovács (Steuern und Zollunion; Ungarn) Neelie Kroes (Wettbewerb; Niederlande) Meglena Kuneva (Verbraucherschutz, Bulgarien) Markos Kyprianou (Gesundheit; Zypern) Peter Mandelson (Handel; Großbritannien) Charlie McCreevy (Binnenmarkt und Dienstleistungen; Irland) Louis Michel (Entwicklung und humanitäre Hilfe; Belgien) Leonard Orban (Mehrsprachigkeit; Rumänien) Andris Piebalgs (Energie; Lettland) Janez Potocnik (Wissenschaft und Forschung; Slowenien) Viviane Reding (Informationsgesellschaft und Medien; Luxemburg) Olli Rehn (Erweiterung; Finnland) Vladimir Spidla (Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit; Tschechien) (sl) §§: Art. 213, 215 ff., 287 EG Lit.: H. Schmitt von Sydow, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 213 EGV Rsp.: EuG, Rs. T-227/99 und T-134/00 Kvaerner Warnow Werft GmbH, Slg. 2002, II-1205 Web: http://ec.europa.eu/commission_barroso/index_ de.htm
Kommission, Präsident Commission, President – Commission, Président
Der Kommission steht als primus inter pares ein Präsident vor. Seine besondere Stellung resultiert einerseits aus den Bestimmungen über seine ĺBestellung sowie der der übrigen ĺMitglieder der Kommission, andererseits aus seiner politischen Führungs- und Organisationsfunktion. Dies äußert sich in der Befugnis des designierten Präsidenten, die künftigen Mitglie577
Kommission, Rechtsetzungsbefugnisse der der Kommission gemeinsam mit dem ĺRat auswählen zu können (Art. 214 Abs. 2 EG) und ihnen nach der Bestellung einen nach Ressorts gegliederten Zuständigkeitsbereich zuweisen zu können (Art. 217 Abs. 2 EG). Weitere wichtige Kompetenzen des Präsidenten stellen u.a. die Sitzungsleitung der Kommission, die Festlegung politischer Leitlinien, die allgemeine politische Vertretung der Kommission nach außen und die Möglichkeit der Aufforderung an ein Mitglied der Kommission, zurückzutreten (ĺEnde des Amts; Art. 217 Abs. 4 EG), dar. Der Präsident ernennt nach Billigung der Kommission aus deren Reihe eine primärrechtlich nicht festgelegte Anzahl von Vizepräsidenten (Art. 217 Abs. 3 EG), die ihn im Fall seiner Verhinderung vertreten (Art. 25 GO KOM). (sl) §§: Art. 213, 217 EG; Art. 1 ff., 5 f., 8 f., 10 ff., 17 ff., 25 GO KOM Lit.: H. Schmitt von Sydow, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 217 EGV; S. Staeglich, Der Kommissionspräsident als Oberhaupt der Europäischen Union: vom primus inter pares zur europäischen Leitfigur, 2007 Web: http://ec.europa.eu/commission_barroso/presi dent/index_de.htm
Kommission, Rechtsetzungsbefugnisse ĺRechtsetzungsverfahren der Kommission Kommission, Verwaltungsunterbau Commission, administrative apparatus – Commission, appareil administratif
Die Kommission ist ein Kollegialorgan (ĺBeschlussfassung). Zur Erfüllung ihrer ĺAufgaben ist den ĺMitgliedern der Kommission neben den einzelnen Mitarbeiterstäben (Kabinette; Art. 19 GO KOM) auch ein ressortmäßig organisierter Verwaltungsunterbau beigegeben, der sich zurzeit in 40 ĺDienststellen gliedert. Die Dienststellen lassen sich in ĺGeneraldirektionen und gleichgestellte ĺDienste unterscheiden. Beide Typen gliedern sich in Direktionen und diese wiederum in Referate (Art. 21 GO KOM). Für die nötige Koordination in der Arbeit zwischen den Dienststellen sorgt vor allem das ĺGeneralsekretariat, das selbst eine Dienststelle ist. Darüber hinaus kann die Kommission unter gewissen Voraussetzungen besondere Funktionen und Verwaltungsstrukturen mit bestimmten Befugnissen einrichten (Art. 22 GO KOM); so bestehen zahlreiche Ausschüsse und nachgeordnete Behörden (vgl. da578
zu H. Schmitt von Sydow, in: H. von der Groeben/J. Schwarze [Hrsg.], Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 218 EGV, Rn. 24 ff.). Der Kommission unterstehen schließlich die Vertretungen in den Mitgliedstaaten und die Delegationen in Drittstaaten und bei internationalen Organisationen. (sl) §§: Art. 218 EG; Art. 19 ff. GO KOM Lit.: M. Röttinger, Organisation und Arbeitsweise der Kommission, in: M. Röttinger/C. Weyringer (Hrsg.), Handbuch der europäischen Integration, 2. Aufl. 1996, 113 ff.; H. Schmitt von Sydow, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 218 EGV Web: http://ec.europa.eu/dgs_de.htm
Kommunalwahlen municipal elections – élections municipales
Bezeichnung für die allgemeinen, unmittelbaren Wahlen, die darauf abzielen, die Mitglieder der Vertretungskörperschaft und gegebenenfalls gem. den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats den Leiter und die Mitglieder des Exekutivorgans einer lokalen ĺGebietskörperschaft der Grundstufe zu bestimmen. Vielfach lassen Länder auf dieser Ebene, außerhalb des Schutzbereiches von Art. 19, zu Abstimmungen in Form von Bürgerentscheiden und Bürgerbegehren auch ĺUnionsbürger zu. (ao) §§: Art. 2 Abs. 1 lit. a und b, Art. 4 RL 94/80/EG, ABl. 1994, Nr. L 368/38 Lit.: M. Hilf, in: E. Grabitz/ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 19 EGV, Rn. 15; A. Hatje, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 19 EGV, Rn. 4
Kommunalwahlrecht right to vote at municipal elections – droit de vote aux élections municipales
Jeder ĺUnionsbürger mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, genießt das aktive und passive Wahlrecht bei ĺKommunalwahlen unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige des jeweiligen Mitgliedstaates. Die Definition und Voraussetzungen für die Begründung von Wohnsitz regeln dabei die Mitgliedstaaten. Zudem umfasst das K. entsprechende Nebenrechte wie das Recht auf aktive und passive Teilnahme am Wahlkampf oder das Recht auf Ausübung des Mandats. Das Kommunalwahlrecht ist ein ĺUnionsbürgerrecht der ĺUnionsbürger, das nur grundsätzlich in Art. 19 EG geregelt und nicht unmittelbar anwendbar ist, da es der Ausführung
Kompetenz durch Sekundärrecht bedarf (ĺKommunalwahlrichtlinie). (ao) §§: Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EG; Art. 40 GRC Lit.: M. Haag, in: von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 19 EGV
Kommunalwahlrichtlinie directive on municipal elections – directive relative aux élections municipales
Die Kommunalwahlrichtlinie RL 94/80/EG über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den ĺKommunalwahlen für ĺUnionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen (ĺKommunalwahlrecht), regelt den Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen, Einzelheiten und Wahlrechtsvoraussetzungen, die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts sowie besondere Bestimmungen für Mitgliedstaaten mit besonders hohen Anteilen von ĺUnionsbürgern aus anderen Mitgliedstaaten. Das ĺKommunalwahlrecht ist abhängig von einer gewissen Mindestwohndauer im Gebiet des jeweiligen Staates und der jeweiligen lokalen ĺGebietskörperschaft der Grundstufe; eine Beschränkung auf den Hauptwohnsitz des ĺUnionsbürgers ist zulässig. Eine Doppelwahlberechtigung ist, im Gegensatz zum ĺWahlrecht zum Europäischen Parlament, möglich. Eine Beschränkung des passiven Wahlrechts für die unmittelbar gewählten Leiter des Exekutivorgans (z.B. Bürgermeister), seiner Vertreter sowie der Mitglieder des leitenden kollegialen Exekutivorgans auf eigene Staatsangehörige ist, in Abweichung von Art. 39 IV EG, zulässig. Frankreich sowie die deutschen Bundesländer Bayern und Sachsen haben von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht; Gerichte dieser Staaten sowie die ĺKommission halten diesen Vorbehalt für primärrechtlich unbedenklich. (ao) §§: RL 94/80/EG, ABl. 1994, Nr. L 368/38, Art. 88 III 2 i.V.m. Art. 24 und Art. 3 frz. Verf., Art. 36 I bay. WahlG Lit.: H. G. Fischer, Kommunalwahlrecht für Unionsbürger, NVwZ 1995, 455 ff.
Kommunikation, Recht auf Achtung der right to respect for his/her communication – droit au respect de ses communications
Der Schutz der Vertraulichkeit der ĺKommunikation, etwa des Schriftverkehrs zwischen Anwalt und Mandant (vgl. EuGH, Rs. 155/79
AM&S Europe Limited, Slg. 1982, 1575) oder mit Ärzten (Schutz des Arztgeheimnisses: EuGH, Rs. C-62/90 Kommission/BRD, Slg. 1992, I-2575) ist ein vom ĺEuGH anerkanntes ĺGemeinschaftsgrundrecht (vgl. Schutz der Korrespondenz bzw. Briefgeheimnis nach Art. 8 ĺEMRK). Nunmehr verlangt Art. 7 ĺGRC/Art. II-67 EVV die Achtung von Privat- und Familienleben, der Wohnung sowie der (vermittelten) Kommunikation. Eingriffe in dieses Grundrecht können wie nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sein. (ed) §§: Art. 8 EMRK als ĺGemeinschaftsgrundrecht; Art. 7 ĺGRC/Art. II-67 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 12 Rsp.: EuGH, Rs. 155/79 AM&S Europe Limited, Slg. 1982, 1575 (Vertraulichkeit, Anwaltskommunikation); EuGH, Rs. C-62/90 Kommission/BRD, Slg. 1992, I2575
Kommunikationsfreiheit ĺMeinungsfreiheit Kommunikationsrecht right to communicate – droit de communication
Das K. ist das in Art. 21 III EG festgelegte ĺUnionsbürgerrecht, sich schriftlich in einer der in Art. 314 EG genannten Sprachen an jedes ĺOrgan der Gemeinschaft oder den ĺEuropäischen Bürgerbeauftragten zu wenden und in der gewählten Sprache eine Antwort zu erhalten. Davon umfasst sind alle Arten von formlosen wie förmlichen Anfragen, Stellungnahmen und Petitionen. Die Intensität der Antwort ist von der Komplexität der Fragestellung, von Geheimhaltungspflichten und sonstigen Interessen Dritter abhängig. (ao) §§: Art. 21 EG, Art. 314 EG, Art. 7 EG; VO (EWG) 1/58, ABl. 1958, Nr. C 17/385; VO (EG) 1049/2001, ABl. 2001, Nr. L 145/43 Lit.: A. Hatje, in: J. Schwarze (Hrsg), EU-Kommentar, 2000, Art. 21 EGV Rn. 4, M. Hilf, in: E. Grabitz/ ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 21 EGV, Rn. 1
Kompetenz competence – compétence
Mit dem Begriff „Kompetenz“ als Rechtsbegriff kann man eine Befugnis, eine Aufgabe oder auch eine Zuständigkeit umschreiben. Letztlich versteht man darunter jedoch zumeist die Rechtsmacht eines Hoheitsträgers zur Herbeiführung einer verbindlichen Entscheidung. Folgende Kompetenzunterscheidungen sind von besonderer Relevanz im EG/EU Recht: 579
Kompetenz, ausschließliche Unter „Verbandskompetenz/vertikaler Kompetenzverteilung“ versteht man die Summe aller Kompetenznormen, die den EG/EU zustehen und definiert damit zugleich die (vertikale) Verteilung im Verhältnis EG/EU und den einzelnen ĺMitgliedstaaten (Art. 5 Abs. 1 und 2 EG, Art. 5 EU). Unter „Organkompetenz/horizontaler Kompetenzverteilung“ wird die Machtverteilung der Gemeinschaftsorgane untereinander verstanden (Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 EG). Die Lehre identifiziert prinzipiell verschiedene Arten von Gemeinschaftskompetenzen, wobei sich folgende Klassifizierungen durchgesetzt haben: ĺausschließliche Kompetenzen, ĺkonkurrierende Kompetenzen und ĺparallele Kompetenzen. Zudem werden z.T. weitere Subkategorien gebildet, wie z.B. ĺRahmenkompetenzen und ĺBeitrags/Förderkompetenzen. (db) §§: Art. 5 EG, Art. 5 EU, Art. 3 EAV, Art. 7 EG Lit.: W. Schroeder/K. Weber, Die Kompetenzrechtsreform aus österreichischer und europäischer Perspektive, 2006, 38 ff. (42); R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, 356; u.a.
Kompetenz, ausschließliche competence, exclusive – compétence, exclusive
Bei ausschließlichen Gemeinschaftskompetenzen handelt es sich um diejenigen Bereiche, in denen die Mitgliedstaaten unabhängig von einem konkreten Tätigwerden der EG nicht mehr handlungsbefugt sind. Welche Bereiche zu den ausschließlichen Kompetenzen zählen sollen, ist umstritten und durch die Judikatur des ĺEuGH nur teilweise geklärt (z.B. der gemeinsame Zolltarif, der internationale Verkehr in der EU, die Dienstleistungsfreiheit von Verkehrsunternehmen, die Gemeinsame Handelspolitik, Fischerei-Erhaltungsmaßnahmen, die Währungspolitik sowie das interne Organisations- und Verfahrensrecht). Die möglichst genaue Definition einer Aufgabe im EG-Vertrag soll Indizcharakter für eine ausschließliche Zuständigkeit haben; der bloße Bezug zu Binnenmarkt und Grundfreiheiten hingegen erscheint als zu loser Zusammenhang, um eine ausschließliche Kompetenz zu begründen. Ausschließliche Kompetenzen können daher nur nach Wortlaut bzw. Sinn und Zweck aus dem EGVertrag abgeleitet werden. Eine Kompetenz der Mitgliedstaaten ist bei einer ausschließlichen EG-Kompetenz grundsätzlich selbst dann ausgeschlossen, wenn die Kompetenz durch die EG nicht konkret ausgeübt wird. Sofern der Gemeinschaft nach der ĺKompetenzverteilung eine 580
ausschließliche Kompetenz zukommt, findet das ĺSubsidiaritätsprinzip gem. Art. 5 Abs. 2 EG keine Anwendung. Das ĺSubsidiaritätsprinzip ist hingegen bei ĺkonkurrierenden oder ĺparallelen Kompetenzen anzuwenden, wo die Mitgliedstaaten prinzipiell eine Kompetenz wahrnehmen können. (ag) §§: Art. 5 Abs. 2, Art. 26, 71 Abs. 1 lit. a und b, Art. 107 Abs. 5 und 6, Art. 110 Abs. 1, Art. 111, 133 EG u.a. Lit.: R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 5 EGV; A. von Bogdandy/J. Bast, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 5 EGV, Rn. 28 ff.
Kompetenz, ergänzende bzw. Beitrags- oder Förderkompetenz supplementary competence – compétence complémentaire
Von ergänzenden Kompetenzen bzw. Beitrags/ Förderkompetenzen spricht man, wenn die Kompetenzen der EG/EU ausdrücklich auf die Ergänzung der Tätigkeit der ĺMitgliedstaaten beschränkt sind. Formen der Ausübung sind u.a. Fördermaßnahmen und sonstige Maßnahmen, die zur Verwirklichung der im Vertrag genannten Ziele beitragen, sowie Empfehlungen. Diese Bereiche unterliegen aber grundsätzlich der mitgliedstaatlichen Zuständigkeit. Insbesondere folgende Bereiche zählen zu den ergänzenden Kompetenzen: die Sozialpolitik (Art. 137 Abs. 1 EG, die ansonsten unter die ĺRahmenkompetenz und unter die ĺkonkurrierenden Kompetenzen fällt), die allgemeine und berufliche Bildung und Jugend (Art. 149 und Art. 150 EG), Kultur (Art. 151 EG), Gesundheitspolitik (Art. 152 EG) und der ĺVerbraucherschutz (Art. 153 EG). (db) §§: Art. 137 EG, Art. 149 EG, Art. 150 EG, Art. 151 EG, Art. 152 EG, Art. 153 EG, u.a. Lit.: R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, 61; M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, 178; P. Fischer/H. F. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, 360; W. Schroeder/K. Weber, Die Kompetenzrechtsreform aus österreichischer und europäischer Perspektive, 2006, 67; u.a.
Kompetenz, konkurrierende competence, concurrent – compétence, concurrente
Im Rahmen einer konkurrierenden Kompetenz bleiben die Mitgliedstaaten nur insoweit zuständig, als die EG keine Rechtsakte erlassen hat, die die Materie abschließend regeln (z.B. Zollunion-Anwendungsmaßnahmen, Agrarpolitik, Freizügigkeit des Personen- und Kapitalverkehrs, steuerliche Vorschriften, Wirtschaftpolitik, Umweltschutz, Teilbereiche des Verkehrs sowie der Wirtschafts- und Sozialpolitik).
Kompetenz-Kompetenz Das in Art. 5 Abs. 2 EG verankerte ĺSubsidiaritätsprinzip ist nicht bei ĺausschließlichen Kompetenzen der Gemeinschaft, hingegen bei konkurrierenden oder ĺparallelen Kompetenzen anzuwenden, wo die Mitgliedstaaten prinzipiell eine Kompetenz wahrnehmen können. (ag) §§: Art. 5 Abs. 2, Art. 32 ff., 39 ff., 71 Abs. 1 lit. c, Art. 90 ff., 99, 141, 174 ff. EG u.a. Lit.: R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 5 EGV, Rn. 266; A. von Bogdandy/J. Bast, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 5 EGV, Rn. 32 ff.
Kompetenz, koordinierende bzw. Rahmenkompetenz competence to issue framework legislation – compétence cadre
In bestimmten Bereichen beschränken die Gründungsverträge die Kompetenzen der EG auf den Erlass von generellen Koordinierungsbzw. Kooperationsregeln. Die Formen der Ausübung erschöpfen sich in der Aufstellung von Rahmenbestimmungen und Programmen. Das Zuordnungskriterium stellt dabei allein auf die materielle Regelungsdichte ab. Darunter fallen u.a. Teilbereiche der ĺGrundfreiheiten, wie z.B. der ĺfreie Personenverkehr (Art. 40 lit. a EG, Art. 44 Abs. 2 lit. g EG, Art. 46 Abs. 2 EG), der ĺfreie Dienstleistungsverkehr (gem. Art. 55 EG, Art. 45 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 EG), die Wirtschafts- und Sozialpolitik (Art. 99 EG und Art. 137 Abs. 2 EG, soweit Mindestvorschriften zu erlassen sind), die Politik betreffend die Transeuropäischen Netze ĺTEN (Art. 154-156 EG), die Industriepolitik (Art. 157 EG) und die Politik betreffend Forschung und technologische Entwicklung (Art. 163-173 EG). (db) §§: Art. 40 EG, Art. 44 EG, Art. 45 EG, Art. 46 EG, Art. 55 EG, Art. 99 EG, Art. 137 EG, Art. 154-156 EG, Art. 157 EG, Art. 163-173 EG Lit.: R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, 61; P. Fischer/H. F. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, 359; W. Schroeder/K. Weber, Die Kompetenzrechtsreform aus österreichischer und europäischer Perspektive, 2006, 66; u.a.
Kompetenz, parallele competence, parallel – compétence, parallèle
Im Rahmen einer parallelen Kompetenz können sowohl die EG als auch die Mitgliedstaaten rechtsetzend tätig werden, ohne dass letztere durch die Gemeinschaftsrechtsetzung determiniert werden (z.B. im Kartell- und Monopolrecht sowie der Regionalpolitik). Das in Art. 5 Abs. 2 EG verankerte ĺSubsidiaritäts-
prinzip ist nicht bei ĺausschließlichen Kompetenzen der Gemeinschaft, hingegen bei ĺkonkurrierenden oder parallelen Kompetenzen anzuwenden, wo die Mitgliedstaaten prinzipiell eine Kompetenz wahrnehmen können. (ag) §§: Art. 5 Abs. 2, Art. 81, 82, 158 ff. EG Lit.: R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 5 EGV; A. von Bogdandy/J. Bast, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 5 EGV, Rn. 37 ff.
Kompetenz-Kompetenz competence for jurisdictional allocation – compétence de la compétence
Der Begriff „Kompetenz-Kompetenz“ kommt aus dem innerstaatlichen Bereich und bedeutet, dass man über die Befugnis verfügt, autonom eigene neue ĺKompetenzen begründen zu dürfen. Den EG/EU hingegen werden nur jene Befugnisse zuteil, die ihnen von den ĺMitgliedstaaten in den Gründungsverträgen eingeräumt wurden. Die Kompetenzen werden in den Gründungsverträgen nach dem ĺPrinzip der begrenzten Ermächtigung (Art. 5 Abs. 1 und 2 EG, Art. 5 EU, Art. 3 Abs. 1 EAV, Art. 7 Abs. 1 EG, u.w.) übertragen und erfolgen einerseits durch die Zuweisung von Aufgaben an die EG/EU und andererseits durch die Zuweisung von Befugnissen an die ĺOrgane (beschränkte Verbands-/Organkompetenz). Der Umfang der Kompetenzen (Einzelermächtigungen) ergibt sich aus der Gesamtheit der konkret zugewiesenen Zuständigkeiten in den Gründungsverträgen. Im Gegensatz dazu besteht in bundesstaatlichen Verfassungen meist ein in sich geschlossener und systematischer Katalog (vgl. z.B. Kompetenzartikel Art. 10-15 B-VG). Zudem gibt es subsidiär wirkende Ersatzkompetenzen, wie z.B. die ĺLückenschließungsklausel des Art. 308 EG, die als Ermächtigungskompetenz im Hinblick auf die Verwirklichung der Vertragsziele dient. Sie stellt eine Auffangkompetenz und keine Kompetenz-Kompetenz zugunsten des Rates dar. Dieser muss bei Tätigwerden nach dieser Bestimmung im Rahmen der „Verfassung“ der EG agieren. Die Entscheidung über eine Erweiterung bestehender Kompetenzen liegt nicht bei den Gemeinschaftsorganen selbst, sondern bedarf einer Änderung des primären Gemeinschaftsrechts, wobei die Allzuständigkeit in diesem Bereich, trotz einer immer weiter fortschreitenden Integration, bisher bei den Mitgliedstaaten, als ĺ„Herren der Verträge“, verblieb. Formell wird diesem Um581
Kompetenzabgrenzung stand durch die Letztentscheidungungsbefugnis der Mitgliedstaaten bei Vertragsänderungen Rechnung getragen und materiell dadurch, dass die Mitgliedstaaten zumindest theoretisch das Recht hätten, ihre Volkswirtschaften wieder aus der bestehenden Integration zu lösen. In der Realität stünde eine tatsächliche Umsetzung dieses Vorhabens aber dem bereits bestehenden vertieften Integrationsgrad diametral gegenüber. (db) §§: Art. 5 EG, Art. 5 EU, Art. 3 EAV, Art. 7 EG, Art. 1015 B-VG, u.a. Lit.: C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 5 EGV, Rn. 8 ff.; A. von Bogdandy/J. Bast, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 27. Lfg. 2005, Art. 5 EGV, Rn. 8 ff.; M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, 175 ff.; u.a. Rsp.: EuGH, Rs. C-376/98 Deutschland/Europäisches Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419 (Tabakwerbeverbot); Rs. 2 BvR 2134/92 und 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (Maastricht); u.a.
Kompetenzabgrenzung ĺDoppelabstützung Kompetenzausübung competence exercise – l’exercice de la compétence
Das ĺSubsidiaritätsprinzip stellt in der Ausprägung, die es durch Art. 5 Abs. 2 EG erfahren hat, keine klassische Regel der ĺKompetenzverteilung – wozu das ĺSubsidiaritätsprinzip prinzipiell auch dienen könnte –, sondern der Kompetenzausübung dar. Die ĺKompetenzverteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten wird vielmehr nach dem in Art. 5 Abs. 1 EG verankerten ĺPrinzip der begrenzten Einzelermächtigung vorgenommen. Soweit es sich um Bereiche handelt, die nicht in die ĺausschließliche Zuständigkeit der EG fallen, d.h. im Falle ĺparalleler oder ĺkonkurrierender Zuständigkeitsbereiche, bestimmt das ĺSubsidiaritätsprinzip, ob die Gemeinschaft von einer ihr nach der ĺKompetenzverteilung abstrakt, wenn auch nicht ausschließlich zustehenden Zuständigkeit Gebrauch machen soll. Diese Funktion als bloße Kompetenzausübungsschranke tritt auch im ĺProtokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit deutlich zutage, wonach das ĺSubsidiaritätsprinzip nicht die Befugnisse in Frage stellt, über die die Gemeinschaft aufgrund des Vertrages entsprechend der Auslegung des ĺEuGH verfügt, sondern vielmehr eine Richtschnur dafür sein soll, wie 582
diese Befugnisse auf Gemeinschaftsebene auszuüben sind. (ag) §§: Art. 5 Abs. 1 und 2 EG, Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Lit.: M. Zuleeg, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 5 EGV
Kompetenzen der EG, gerichtliche Kontrolle competences, judicial control – compètences, contrôle judiciaire
Die prinzipielle Begrenztheit der Verbandskompetenz von EU und EG infolge des Prinzips der begrenzten ĺEinzelermächtigung geht einher mit einer gerichtlichen Kontrolle, ob Gemeinschaftsrechtsakte innerhalb dieser Verbandskompetenz bleiben. Diese Kontrolle wird durch den ĺEuGH im Rahmen einer ĺNichtigkeitsklage oder eines ĺVorabentscheidungsverfahrens ausgeübt. Auf der Grundlage der ĺBrückentheorie erhebt jedoch auch das deutsche ĺBVerfG prinzipiell den Anspruch, Gemeinschaftsrechtsakte darauf zu überprüfen, ob sie im Rahmen der übertragenen ĺHoheitsrechte bleiben und daher in Deutschland anwendbar sind (ausbrechender ĺRechtsakt). (sgk) Kompetenzen, Übertragung ĺHoheitsrechte, Übertragung Kompromiss von Ioannina ĺIoannina, Kompromiss von Konferenz der Europaausschüsse (COSAC) Conference of Community and European Affairs Committees of Parliaments of the European Union (COSAC) – Conférence des Organes Spécialisés en Affaires Communautaires (COSAC)
Bei der COSAC handelt es sich um die Konferenz der Europaausschüsse, genauer der auf Gemeinschafts- und Europaangelegenheiten spezialisierten Organe der nationalen Parlamente. Delegationen der nationalen Europaausschüsse sowie Vertreter des ĺEuropäischen Parlaments treffen sich halbjährlich im jeweils vorsitzführenden Land und orientieren sich in ihrer Arbeit an den Schwerpunkten der Ratspräsidentschaft. Die Gründung der COSAC geht zurück auf die Initiative des damaligen Präsidenten der Französischen Nationalversammlung Laurent Fabius, der einen entsprechenden Vorschlag im Mai 1989 auf der ĺKonferenz der Parlamentspräsidenten vorgelegt hatte. Die
Konferenz der Europäischen Regionalen Gesetzgebenden Parlamente (CALRE) erste COSAC trat schließlich im November 1989 in Paris zusammen. Der v.a. von Frankreich artikulierte Wunsch nach einem „Europäischen Senat“ wurde zwar dadurch nicht verwirklicht, doch brachte die Aufnahme der COSAC in das institutionelle Europarecht über ein verbindliches Protokoll zur Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der ĺEU im ĺVertrag von Amsterdam eine institutionelle und thematische Verbreiterung ihrer Tätigkeiten. So sieht das Protokoll neben Informations- und Stellungnahmerechten für nationale Parlamente auch Mitwirkungsmöglichkeiten der COSAC vor. Die Konferenz kann „Beiträge“ an die ĺOrgane der EU vorlegen sowie Vorschläge und Initiativen der Gemeinschaft in Zusammenhang mit der Errichtung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts prüfen, ohne dabei die Standpunkte nationaler Parlamente zu präjudizieren. Seit November 1991 verfügt die COSAC über eine eigene Geschäftsordnung, die mittlerweile mehrfach novelliert wurde. Darin vorgesehen sind halbjährliche Treffen im vorsitzführenden Mitgliedstaat, dessen Parlament auch den Vorsitz in der Konferenz führt. Vorgesehen sind höchstens sechs Vertreter pro nationalem Parlament sowie sechs Vertreter des ĺEuropäischen Parlaments, welche i.d.R. dem Konstitutionellen Ausschuss entstammen. Zentrales Leitungsorgan ist die Vorsitz-Troika, bestehend aus je zwei Vertretern des vorsitzführenden Parlaments sowie des vorangegangenen und nachfolgenden Mitgliedstaates und dem ĺEuropäischen Parlament. Jüngste Änderungen der Geschäftsordnung betrafen u.a. die Einführung qualifizierter Mehrheitsentscheidungen für künftige COSAC-Beiträge sowie die Einrichtung eines Sekretariates, bestehend aus Vertretern der Vorsitz-Troika, des EP und einem ständigen Beamten. (ns) §§: Protokoll (Nr. 9) über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union (1997); Geschäftsordnung der Konferenz der Ausschüsse für Gemeinschafts- und Europa-Angelegenheiten der Parlamente der Europäischen Union, ABl. 2004, Nr. C 270/01 Lit.: K. Pöhle, Das Demokratiedefizit der Europäischen Union und die nationalen Parlamente. Bietet COSAC einen Ausweg?, ZParl, 1998, 77 ff.; T. Grunert, Die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten – auf dem Weg zu einer neuen Partnerschaft?, in: E. Busek/W. Hummer (Hrsg.), Etappen auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung, 2004, 395 ff. (401 ff.); M.-O. Pahl, Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen in der Europäischen Union, 2004, 79 ff.; S. Hölscheidt, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 189 EGV, Rn. 30 ff. Web: http://www.cosac.eu/
Konferenz der Europäischen Regionalen Gesetzgebenden Parlamente (CALRE) Conference of the European Regional Legislative Parliaments (CALRE) – Conférence des Assemblées législatives régionales d’Europe (CALRE)
Die CALRE ist die Konferenz der europäischen regionalen gesetzgebenden Parlamente und damit neben der ĺREGLEG eine weitere Vertretung der Regionen. Es handelt sich dabei um ein politisches Netzwerk aus 73 Vorsitzenden der Regionalparlamente mit Legislativbefugnissen aus insgesamt acht EU-Staaten, konkret der Autonomen Gemeinschaften Spaniens, der Regionen und autonomen Provinzen Italiens, der Bundesländer Österreichs und Deutschlands, der finnischen Region Åland, der portugiesischen Regionen Azoren und Madeira, der Gemeinschaften und Regionen Belgiens, sowie Schottland und Wales. Die CALRE wurde 1997 auf Initiative des Präsidenten des Regionalparlaments von Asturien, Ovidio Sánchez Díaz, gegründet und trat erstmals im Oktober 1997 in Oviedo zusammen. Die Konferenz setzte sich u.a. zum Ziel, die Berücksichtigung des ĺSubsidiaritätsprinzips als Grundlage für die ĺKompetenzverteilung zwischen der ĺEU und den ĺMitgliedstaaten zu wahren und den Regionalparlamenten Europas eine stärkere Rolle in der Europapolitik zu verschaffen. Die Tätigkeit der CALRE besteht in der Abhaltung jährlicher Konferenzen zu einschlägigen Themen samt der Formulierung von Abschlussdokumenten, sowie der Pflege formeller und informeller Kontakte zu anderen europäischen Institutionen wie dem ĺAdR, der ĺREGLEG, dem ĺEuropäischen Parlament und der ĺKommission. Seit der fünften Konferenz im Oktober 2001 in Funchal (Madeira) regelt eine eigene Geschäftsordnung die internen Verfahren der Konferenz, die aus einem jährlich wechselnden Vorsitz, einem ständigen Ausschuss bestehend aus je einem Parlamentspräsidenten pro Mitgliedstaat, einem Sekretariat und einem Generalsekretär besteht. Oberstes politisches Gremium ist die jährlich tagende Vollversammlung aller Präsidenten der vertretenen Regionalparlamente. (ns) Lit.: A. Kiefer, Gesetzgebende Regionalparlamente und ihr europäischer Verband: die CALRE, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus, 2006, 606 ff.; P. Bußjäger, Die Beteiligung nationaler und regionaler Parlamente an der EU-Rechtsetzung – Chance oder Vortäuschung von Partizipation?, in: A. Gamper/P. Bußjäger (Hrsg.), Subsidiarität anwenden: Regionen, Staaten, Europäische Union, 2006, 33 ff. (51 f.) Web: http://www.calre.be
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Konferenz der Parlamentspräsidenten Konferenz der Parlamentspräsidenten European Conference of Presidents of Parliaments – Conférence européenne des Présidents de Parlements
Auf Initiative des ĺEuropäischen Parlaments kam es bereits 1963 zu einer ersten Zusammenkunft der Präsidenten der Parlamente der Mitgliedstaaten auf EU-Ebene, welche zehn Jahre später in regelmäßigen jährlichen Treffen institutionalisiert wurde. Diese Konferenz versteht sich als Kommunikationsplattform, deren Themen mit der jeweiligen Entwicklung der ĺEU korrespondieren und sich in den vergangenen Jahren folglich v.a. um die Erweiterung und den Verfassungsentwurf drehten. Aufgrund der Heterogenität der unterschiedlichen Verfassungstraditionen und der teilweise strikten Neutraliätsverpflichtung der Parlamentspräsidenten kann die Konferenz keine bindenden Beschlüsse fassen, lediglich die „Schlussfolgerungen des Vorsitzes“ stehen am Ende einer Konferenz. Vielmehr will man den Dialog und die interparlamentarische Zusammenarbeit in allen Formen fördern, wie dies mit der Entwicklung der ĺCOSAC auch erfolgreich praktiziert wurde. Neben dieser sog. „kleinen“ Parlamentspräsidentenkonferenz gibt es noch eine „große“ Konferenz, die über die EU hinaus geht und auch die 46 Mitgliedstaaten des Europarates, die parlamentarische Versammlung des Europarates, der WEU und die Parlamentspräsidenten Mexikos, Israels und Kanadas umfasst und sich alle zwei Jahre trifft. Daneben existieren noch zahlreiche Konferenzen von Parlamentspräsidenten in unterschiedlicher regionaler Zusammensetzung, sowie eine Zusammenkunft der assoziierten Länder Mittel- und Osteuropas. (ns) Lit.: T. Grunert, Die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten – auf dem Weg zu einer neuen Partnerschaft?, in: E. Busek/W. Hummer (Hrsg.), Etappen auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung, 2004, 395 ff. (407 f.); S. Hölscheidt, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 189 EGV, Rn. 34 ff.
Konferenz der Präsidenten von Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen (REGLEG) Conference of European regions with legislative power – Conférence des Présidents de Régions à Pouvoirs Législatifs
Die REGLEG (Group of Regions with Legislative Powers) ist ein informeller Zusammenschluss von Regionen mit Gesetzgebungshoheit in Europa, namentlich der Regionen Finnlands, Deutschlands, Italiens, Spaniens, Portugals, Österreichs, Belgiens und Großbritanniens. 584
Im Gegensatz zur ĺCALRE handelt es sich hier um eine Vertretung auf Ebene der Exekutive. Obzwar gerade die Regionen mit Gesetzgebungskompetenz in Zusammenhang mit der Durchführung des EU-Rechts eine nicht unbedeutende Rolle spielen, wurden deren Positionen und Stellungnahmen in den Dokumenten des AdR kaum berücksichtigt, weshalb man – nach Vorbild der ĺCALRE – begann, sich selbst zu organisieren. In einer Arbeitsgruppe der im Rahmen der vom Europarat eingerichteten Kammer der Regionen des Kongresses der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften kam die Idee, sich nicht zuletzt aufgrund der Vorbereitungen zum Gipfel von Nizza zusammenzuschließen. Im November 2000 fand schließlich in Barcelona die erste Konferenz der REGLEG statt. In weiteren Jahreskonferenzen präsentierten die REGLEG jeweils ihre Vorstellungen zur Stärkung der regionalen Komponente auf europäischer Ebene – von der Stärkung des ĺSubsidiaritätsprinzips bis hin zu Forderungen nach einer Stärkung des ĺAdR und Klagrechten auf europäischer Ebene für die Regionen, welche in der Folge auch in den Zukunftserklärungen von Nizza und Laeken entsprechende Berücksichtigung fanden. Die Organisation der REGLEG besteht aus einer Vorsitz-Troika, zusammengesetzt aus dem Vorsitzenden, samt Vorgänger und Nachfolger. Der Vorsitz wechselt jährlich im November und überträgt die Verantwortung zur Abhaltung der Jahreskonferenzen einem Koordinationskomittee, das wiederum von der vorsitzführenden Region betreut wird. (ns) §§: Erklärung Nr. 23 zur Zukunft der Union, ABl. 2001, Nr. C 80/85; Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäischen Union, Europäischer Rat von Laeken, 14. und 15.12.2001, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Anlage I, Dok. SN 283/01 Lit.: A. Kiefer, Informelle effektive interregionale Regierungszusammenarbeit: REGLEG – die Konferenz der Präsidenten von Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen und ihre Beiträge zur europäischen Verfassungsdiskussion 2000 bis 2003, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus, 2004, 398 ff.; M.-O. Pahl, Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen in der Europäischen Union, 2004, 81 ff. Web: http://www.regleg.org/
Konglomerater Zusammenschluss ĺFusionskontrolle, konglomerate Zusammenschlüsse Konkrete Normenkontrolle ĺNormenkontrolle, konkrete
Kontrolle (freier Warenverkehr) Konkurrierende Kompetenz ĺKompetenz, konkurrierende Konle-Entscheidung ĺZweitwohnung, Beschränkung des Erwerbs; ĺMeldeverfahren für Kapitalverkehr Konsignationslager consignment stock – stock de consignation
Ein Konsignationslager liegt vor, wenn der Verkäufer ein Lager beim Abnehmer unterhält, von dem der Abnehmer Ware bei Bedarf entnimmt. Im Allgemeinen ist in diesem Fall davon auszugehen, dass die Verfügungsmacht über die Ware erst mit der Entnahme übergeht. Obwohl der künftige Abnehmer feststeht, erfolgt die Beschickung des Lagers somit nicht im Zuge einer Lieferung, sondern im Wege einer unternehmensinternen Warenbewegung. Gelangt die Ware somit aus dem Ausland (übriges Gemeinschaftsgebiet) in ein inländisches Konsignationslager, so erfüllt der ausländische Unternehmer im Ausland daher den Tatbestand des Verbringens (ĺVerbringung, innergemeinschaftliche) und im Inland des ĺinnergemeinschaftlichen Erwerbes. Die Entnahme aus dem Lager führt in der Folge zu einer normalen inländischen Lieferung. Die Mitgliedstaaten haben zum Teil korrespondierende Vereinfachungsregeln erlassen: Im Fall der Verbringung von Waren durch den inländischen Unternehmer in ein Konsignationslager in einem anderen Mitgliedstaat kann der Unternehmer den Tatbestand der Warenentnahme aus dem ausländischen Lager – parallel zur Erwerbsbesteuerung durch den Leistungsempfänger – als ĺinnergemeinschaftliche Lieferung behandeln. In der entsprechenden ĺZusammenfassenden Meldung ist somit nicht das Verbringen beim Transport, sondern die innergemeinschaftliche Lieferung im Zeitpunkt der Entnahme auszunehmen. Verbringt ein ausländischer Unternehmer seine Waren in ein inländisches Konsignationslager, das nur einem einzigen Abnehmer zur Verfügung steht, so kann der Abnehmer den Tatbestand der Warenentnahme als innergemeinschaftlichen Erwerb behandeln (parallel zur Behandlung als innergemeinschaftliche Lieferung im anderen Mitgliedstaat. Die Regelung ist nur anwendbar auf Waren, die innerhalb der im anderen Mitgliedstaat maßgeblichen Frist, spätestens jedoch innerhalb von sechs Monaten ab Einlagerung entnommen werden. Soweit die
Frist überschritten wird, tätigt der ausländische Unternehmer einen innergemeinschaftlichen Erwerb; die Entnahme führt in der folge zu einer steuerpflichtigen Lieferung im Inland. (pu) Konsularischer Schutz protection by the consular authorities – protection de la part des autorités consulaires
Recht auf konsularischen Schutz nach Art. 20 EG i.V.m. Beschluss 95/553/EG und den jeweiligen nationalen Regelungen genießt jeder ĺUnionsbürger (ĺUnionsbürgerschaft) im Hoheitsgebiet eines Drittstaates, in dem der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht vertreten ist, unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige dieses Staates. Dieses Recht zielt nur auf die Herstellung von Inländergleichbehandlung im Fall fehlender diplomatischer Einrichtungen eines Mitgliedstaates in Drittstaaten ab und schafft insbesondere keine eigenständige Schutzpflicht der EU. S. näher ĺdiplomatischer Schutz Gem. Art. 5 des Beschlusses 95/553/EG umfasst der konsularische Schutz Hilfeleistungen und allenfalls Ermöglichung der Rückführung in akuten Notlagen wie Todesfällen, schweren Unfällen und Erkrankungen, bei Festnahme oder Haft sowie bei Gewaltverbrechen. (ao) §§: Art. 20 EG, Beschluss 95/553/EG, ABl. 1995, Nr. L 314/73 Lit.: M. Ruffert, Diplomatischer und konsularischer Schutz zwischen Völker- und Europarecht: Bemerkungen zu Art. 8c EGV, AVR 1997, 459 (466 ff.); W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 20, Rn. 7-9
Konsularischer Schutz, Grundrecht ĺdiplomatischer und konsularischer Schutz, Grundrecht auf Konsument ĺVerbraucherbegriff Kontingent quota – contingent
Kontingente begrenzen die ĺEin- oder Ausfuhr einer ĺWare nach dem Kriterium der Menge, dem Wert und/oder der Zeit (ĺEinfuhrbeschränkung, mengenmäßig). (güh) Kontrolle (freier Warenverkehr) control (free movement of goods) – contrôle (libre circulation des marchandises)
Kontrollen zur Überprüfung der Konformität einer ĺWare mit nationalen Standards unmit585
Kontrollgerät telbar bei der ĺEinfuhr oder auch zu einem späteren Zeitpunkt fallen unter den Anwendungsbereich des Art. 28 EG. Verbotene Maßnahmen sind u.a. ĺVeterinärkontrollen oder ĺphytosanitäre Kontrollen im Zuge der Grenzüberschreitung. ĺMitgliedstaaten dürfen Kontrollen beim Grenzübertritt lediglich in demselben Umfang und Ausmaß durchführen wie Kontrollen innerhalb des Hoheitsgebiets. Sind die Kontrollen für den betroffenen Unternehmer darüber hinaus noch mit Mehraufwendungen; z.B. finanziellen Belastungen oder Zeitverzögerungen, verbunden, die ausschließlich an den Umstand anknüpfen, dass es sich um eine ausländische Ware handelt, oder werden dem Unternehmer zusätzlich zu im Herkunftsstaat bereits durchgeführten Kontrollen weitere Untersuchungen auferlegt, liegt eine ĺDiskriminierung vor. (ah) Lit.: P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 7.04; T. Jaeger, Veterinärkontrollen und phytosynitäre Kontrollen, in: H. Herzig (Hrsg.) Hemnisse im grenzüberschreitenden Warenverkehr und EU-Recht, 2004, 95 Rsp.: EuGH, Rs. 4/75 ĺRewe-Zentralfinanz/Landwirtschaftskammer, Slg. 1975, 843
Kontrollgerät recording equipment – appareil de contrôle
Bei den in der VO (EWG) 3821/85 (ABl. 1985, Nr. L 370/8) enthaltenen Vorschriften handelt es sich um personenbezogene Harmonisierungsmaßnahmen (ĺVerkehrsrecht, personenbezogene Harmonisierung). Der Anwendungsbereich der ĺVO erfasst alle im Inland immatrikulierten Fahrzeuge. Schon mit der VO (EWG) 1463/70 wurde ein Kontrollgerät im Straßengüterverkehr eingeführt; diese wird aufgrund vorzunehmender Adaptionen durch die VO (EWG) 3821/85 aufgehoben. Es wird die verpflichtende Verwendung eines Kontrollgerätes vorgesehen, das der erleichterten Überprüfung der Einhaltung der ĺLenk- und Ruhezeiten dient. Entsprechend wird auf die Begrifflichkeiten der VO (EWG) 3820/85 über die Harmonisierung bestimmter ĺSozialvorschriften (im) Straßenverkehr verwiesen (ABl. 1985, Nr. L 370/1). Die RL 88/599/EWG sieht einheitliche Verfahren zur Anwendung der VO (EWG) 3820/85 über die ĺHarmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und der VO (EWG) 3821/85 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr vor (ABl. 1988, Nr. L 325/55). Da die ordnungsgemäße Durchführung der Sozial586
verordnungen im Straßenverkehr eine einheitliche und effiziente Kontrolle durch die MS erfordert, werden durch die RL Mindestanforderungen festgelegt , damit die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften überprüft und Verstöße eingeschränkt und verhindert werden können. Es werden folglich Festlegung von Mindestanforderungen im Hinblick auf die Effektivität der in den MS bestehenden Kontrollverfahren im Interesse des Binnenmarktes, der Verkehrssicherheit sowie des sozialen Fortschritts getroffen. Die MS haben Vollzugsregelungen zu schaffen und anzuwenden, die eine angemessene, regelmäßige Kontrolle der in obiger VO festgelegten Mindestvorschriften erlauben, wobei die Kontrollen sowohl auf der Straße als auch in den betroffenen Unternehmen zulässig sind. In einer neueren Anpassung der VO (EWG) 3821/85 wurden Bestimmungen über elektronische Kontrollgeräte aufgenommen. (sm) §§: VO (EWG) 3821/85 (ABl. 1985, Nr. L 370/8); VO (EWG) 3820/85 (ABl. 1985, Nr. L 370/1); RL 88/599/ EWG (ABl. 1988, Nr. L 325/55)
Kontrollinstanz, gemeinsame (Europol) ĺEuropol, Gemeinsame Kontrollinstanz Kontrollstelle (Datenschutz) supervisory authority (data protection) – autorité de contrôle (protection de donées)
Die Kontrollstelle ist eine, von den Mitgliedstaaten einzurichtende, unabhängige nationale Behörde, die die Einhaltung der Vorschriften der RL 95/46/EG (ĺDatenschutzrichtlinie) überwacht. Die Aufgaben der Kontrollstelle können auch durch mehrere Behörden wahrgenommen werden. In Österreich nimmt die Datenschutzkommission, in Deutschland der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit die Aufgaben der Kontrollstelle wahr. (al) §§: Art. 28 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 305; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 336 Web: http://www.dsk.gv.at; http://www.bfdi.bund.de
Konvent convent – convention (sur la Charte des Droits fondamentaux)
Konvent zur Ausarbeitung des Entwurfs einer ĺCharta der Grundrechte der Europäischen Union; auch Grundrechtskonvent.
Konvergenz (Informationsgesellschaft) Zur Ausarbeitung der ĺCharta der Grundrechte der EU (ĺGRC) eingesetzes Gremium. Überwiegend aus Parlamentariern zusammengesetzt. Erarbeitete den Entwurf einer Grundrechtscharta als Kodifikation von ĺGemeinschaftsgrundrechten. Die Arbeitsweise folgte der sog. „Konventsmethode“, d.h. in öffentlichen Konventssitzungen und einem Diskurs zwischen Delegierten, Präsidium und der Öffentlichkeit. (ed) Lit.: S. Barriga, Die Entstehung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2003
Konvent, Europäischer European convention – convention européenne
Der Europäische Konvent („Verfassungskonvent“) wurde durch die Erklärung von Laeken im Dezember 2001 eingerichtet und tagte von Februar 2002 bis Juli 2003. Ziel des Konvents war eine neue vertikale Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten, eine Vereinfachung der Verträge, mehr Demokratie, Transparenz und Effizienz auf europäischer Ebene sowie insb. die Ausarbeitung einer „Verfassung“ für Europa. Der Konvent als Institution selbst stellte eine Veränderung im Vergleich zu der Ausarbeitung der bisherigen Verträge dar. Diese „Konvents-Methode“ war zuvor bei Erarbeitung der europäischen ĺGrundrechtecharta zur Anwendung gekommen. Der Konvent setzte sich zusammen aus einem Präsidenten (Valéry Giscard d’Estaing), zwei Vizepräsidenten, 15 Vertretern der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, 30 Mitgliedern nationaler Parlamente, 16 Mitgliedern des ĺEuropäischen Parlaments und zwei Vertretern der ĺKommission zusammen. Zusätzlich waren je ein Vertreter der Staats- bzw. Regierungschefs der 13 Bewerberstaaten und 26 Parlamentarier aus diesen Ländern, die allerdings kein Stimmrecht hatten. Nach dem ursprünglichen Zeitplan sollte der vom Konvent entworfene Verfassungsvertrag im Oktober 2003 von der Regierungskonferenz angenommen und zeitgleich mit dem Beitritt der zehn neuen Mitgliedstaaten am 1.5.2004 unterzeichnet werden. Nach dem Scheitern des Europäischen Rates in Brüssel am 12./13.12. 2003 konnte dieser ursprüngliche Zeitplan nicht eingehalten werden. Die Verfassung wurde schließlich am 29.10.2004 unterzeichnet. Der Verfassungsvertrag sollte den ĺEG-Vertrag und den ĺEU-Vertrag ablösen und ursprünglich am 1.11.2006 in Kraft treten. Zuvor war
aber die Ratifikation durch die dafür zuständigen nationalen Parlamente oder in Volksabstimmungen in allen Mitgliedstaaten notwendig. Dieser Prozess erlitt durch die Ablehnung der EU-Verfassung bei Volksabstimmungen in Frankreich am 29.5.2005 und in den Niederlanden am 1.6.2005 einen schweren Rückschlag. Die danach ausgerufene Reflexionsphase endete mit dem Beschluss des Europäischen Rats vom 21./22.6.2007, der nunmehr vorsieht, die bereits bestehenden gemeinschaftlichen Verträge zu ändern statt durch einen EU-Verfassungsvertrag zu ersetzen. Mit einem ĺReformvertrag, der ohne nationale Volksabstimmungen ratifiziert werden kann, soll ein Großteil der Inhalte des Verfassungsvertrages in die Verträge eingearbeitet werden. S. dazu auch ĺVertrag über eine Verfassung für Europa. Zu den jüngsten Entwicklungen s. insb. ĺVertrag von Lissabon. (lb) Lit.: E. Brok, Der Konvent – eine Chance für die europäische Verfassung, integration 2003, 338; E. Busek/ W. Hummer (Hrsg.), Der Europäische Konvent und sein Ergebnis – eine europäische Verfassung, 2004; C. Calliess/H. Isak (Hrsg.), Der Konventsentwurf für eine EU-Verfassung im Kontext der Erweiterung, 2004; H. Klinger, Der Konvent. Ein neues Institut des europäischen Verfassungsrechts, 2007; W. Mantl/S. Puntscher-Riekmann/M. Schweitzer, Der Konvent zur Zukunft der Europäischen Union, 2005; T. Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union. Der Entwurf des Europäischen Konvents, DVBl. 2003, 1165 ff. (1234 ff.); J. Schwarze, Ein pragmatischer Verfassungsentwurf. Analyse und Bewertung des vom Europäischen Verfassungskonvent vorgelegten Entwurfs eines Vertrags über eine Verfassung für Europa, EuR 2003, 537 ff.; ders. (Hrsg.), Der Verfassungsvertrag des Europäischen Konvents, 2004; M. Schweitzer/ W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, Rn. 3005 ff. Web: http://european-convention.eu.int/
Konvergenz (Informationsgesellschaft) convergence (information society) – convergence (société de l’information)
Unter Berufung auf die technischen und ökonomischen Entwicklungen in der ĺInformationsgesellschaft und den daraus resultierenden Strukturveränderungen auf den ĺelektronischen Kommunikationsmärkten (das schrittweise Zusammenwachsen einst recht klar voneinander unterscheidbare Wirtschaftssektoren, der audiovisuellen Medien, Telekommunikation und Informationstechnologie) ist der Begriff der Konvergenz geprägt worden. Die Europäische Kommission hat 1997 ein Grünbuch zur Konvergenz veröffentlicht, mit welchem sie eine jahrelange politische Diskus587
Konvergenzkriterien sion zu den notwendigen regulatorischen Anpassungen, die aus diesen Entwicklungen folgen, eingeleitet hat. Ergebnis der Konvergenzdiskussion sind im Kern das 2002 erlassene Maßnahmenpaket für die ĺelektronischen Kommunikationsmärkte und die Überarbeitung der ĺFernsehRL. (dd) Lit.: D. Damjanovic, Regulierung der Kommunikationsmärkte unter Konvergenzbedingungen, 2002
Konvergenzkriterien convergence criteria – critères de convergence
Für die Teilnahme der Mitgliedstaaten an der dritten Stufe der ĺWirtschafts- und Währungsunion stellt der EG-Vertrag in Art. 121 Abs. 1 vier sog. Konvergenzkriterien auf. Im Protokoll über die Konvergenzkriterien sind sie näher ausgeführt. Sie galten ursprünglich für den Übergang zur dritten Stufe und gelten bis heute für alle Mitgliedstaaten, die den Euro noch nicht eingeführt haben (sog. Mitgliedstaaten mit einer Ausnahmeregelung). Diese Kriterien verdeutlichen, welchen Grad an wirtschaftlicher Konvergenz die Mitgliedstaaten erreichen müssen, um an der einheitlichen Währung teilnehmen zu können. Gemessen werden die Preisstabilität, die Finanzlage der öffentlichen Hand, die Wechselkursentwicklung der nationalen Währung und die langfristigen Zinssätze. Für die Preisstabilität eines Mitgliedstaats bedeutet dies, dass seine Inflationsrate nicht um mehr als 1,5 Prozentpunkte über der Inflationsrate der drei besten Mitgliedstaaten liegen darf. Das Kriterium der auf Dauer tragbaren Finanzlage der öffentlichen Hand wird daran bestimmt, ob im Rahmen eines ĺDefizitverfahrens gegen einen Mitgliedstaat der Rat festgestellt hat, dass ein übermäßiges ĺDefizit vorliegt. Hinsichtlich des Wechselkurses muss ein Mitgliedstaat in den letzten zwei Jahren vor der Prüfung seiner Lage am Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems (ĺWirtschafts- und Währungsunion) teilgenommen und die normalen Bandbreiten ohne starke Spannungen eingehalten haben. Seit dem Übergang zur dritten Stufe der WWU ist das Währungssystem durch den ĺWechselkursmechanismus II ersetzt worden. Bei den langfristigen Zinssätzen wird verlangt, dass die langfristigen Nominalzinssätze um nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem entsprechenden Satz in jenen – höchstens drei – Mitgliedstaaten liegen, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben. (co) 588
Konvergenzprogramme ĺStabilitäts- und Wachstumspakt Konzernabschlussrichtlinie directive on consolidated accounts – directive concernant les comptes consolidés
(Siebente gesellschaftsrechtliche ĺRichtlinie, „Konzernabschlussrichtlinie“, ABl. 1983, Nr. L 193): Harmonisiert zum Teil die nationalen Bestimmungen über die Rechnungslegung der Unternehmensträger als Konzernspitze, unter denen sich eine AG bzw. GmbH befindet. Behandelt werden Gliederungsvorschriften, Bewertungsmethoden und Konsolidierungstechniken. Insb. legt sie für den Konzernabschluss das „Einheitsprinzip“ (die Vermögens-, Finanzund Ertragslage der in die Konsolidierung einbezogenen Unternehmen ist im Konzernabschluss trotz ihrer rechtlichen Selbstständigkeit so auszuweisen, als ob sie ein einziges Unternehmen wären) und das „Weltkonzernabschlussprinzip“ (der Sitzstaat des Tochterunternehmens ist für dessen Einbeziehung in den Konzernabschluss ohne Bedeutung; alle Konzernunternehmen sind zu konsolidieren) fest. In Österreich wurde die Konzernabschlussrichtlinie durch das EU-GesRÄG 1996 (BGBl. 1996/ 304) umgesetzt. (tr) Lit.: S. Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht (2004), 262 ff.
Konzernbilanzrichtlinie directive on consolidated accounts – directive concernant les comptes consolidés
Siebente gesellschaftsrechtliche ĺRichtlinie vom 13.6.1983 über den konsolidierten Abschluss (83/349/EWG, ABl. 1983, Nr. L 193/1); behandelt werden Gliederungsvorschriften, Bewertungsmethoden und Konsolidierungstechniken; s.a. ĺJahresabschlussrichtlinie. (tr) Konzernprivileg group privilege – privilège de groupe
Art. 81 Abs. 1 EG findet grundsätzlich auf ĺVereinbarungen innerhalb eines ĺUnternehmens oder einer Unternehmensgruppe (bspw. zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft oder sonstigen verbundenen Unternehmen) keine Anwendung. ĺVereinbarungen zwischen zwei auf den ersten Blick selbstständigen ĺUnternehmen fallen dann nicht unter Art. 81 Abs. 1 EG, wenn die beteiligten ĺUnternehmen eine wirtschaftliche Einheit
Kooperationsprinzip dergestalt bilden, dass eines der beiden ĺUnternehmen sein Vorgehen auf dem Markt nicht autonom bestimmen kann. Dies ist bspw. der Fall, wenn eine Tochtergesellschaft den Anweisungen der Muttergesellschaft zu folgen hat. Eine wirtschaftliche Einheit liegt auch vor, wenn nur die Möglichkeit des beherrschenden Einflusses der Muttergesellschaft besteht, ohne ausgeübt worden zu sein. Das Konzernprivileg gilt auch für ĺVereinbarungen zwischen ĺUnternehmen, die nicht in einem Über-/Unterordnungsverhältnis zueinander stehen, aber Mitglieder ein und desselben Konzerns sind (sog. Schwesterunternehmen). (jpt) §§: Art. 81 Abs. 1 EG Lit.: M. Buntscheck, Das Konzernprivileg im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag, 2001; T. Lettl, Kartellrecht, Rn. 58 f.; C. Potrafke, Kartellrechtswidrigkeit konzerninterner Vereinbarungen, 1991; J. P. Terhechte, Die ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale des europäischen Wettbewerbsrechts, 2004, 237 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 30/87 Bodson, Slg. 1988, 2479; EuGH, Rs. C-73/95 P, Viho, Slg. 1996, I-5457
Konzession (freier Warenverkehr) concession (free movement of goods) – concession (libre circulation des marchandises)
Eine Konzession weist i.d.R. den Vertrieb spezifischer ĺWaren an bestimmte Personen zu, welche die nötigen persönlichen Qualitätsanforderungen besitzen. Vor ĺKeck galt z.B. der Vorbehalt des Verkaufs von Augenkorrekturgläsern durch Personen mit Optikerdiplom als mit dem ĺfreien Warenverkehr unvereinbar, war aber aus Gründen des Gesundheits- oder Verbraucherschutzes rechtfertigbar. Unter Berücksichtigung der ĺKeck-Entscheidung sind Konzessionserfordernisse aber als ĺVerkaufsmodalitäten zu bewerten, welche, sofern sie unterschiedslos angewendet werden, nur dann einen Verstoß gegen Art. 28 EG begründen, wenn sie importierte Produkte im Vergleich zu inländischen tatsächlich oder rechtlich stärker belasten. (ah) Rsp.: EuGH, Rs. C-271/92 LPO, Slg. 1993, I-2899, Rn. 7/13
Kooperationsmaßnahmen kleinerer Art smaller co-operation measures – actions de coopération inférieures
Im Rahmen des Programms Kultur2000 geförderte Kooperationen von kulturellen Organisationen aus mindestens drei teilnahmeberechtigten Ländern. Im Rahmen der Ausschreibung für das Jahr 2007 können sich derartige Ko-
operationen um Zuschüsse zwischen € 50.000,und € 200.000,- und maximal 50 % des Projektbudgets bewerben. Die englische und französische Übersetzung sind wörtlich, ein entsprechender Fachbegriff wird in diesen Sprachen nicht verwendet. (cd) Web: http://www.europa-foerdert-kultur.info/politik 01/programm01/teilnahme.php?&nav1=politik01+& nav2=programm01; http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/en/oj/2007/c_184/c_18420070807en000500 06.pdf; http://eacea.ec.europa.eu/culture/calls2007/ strand_1/index_en.htm
Kooperationsnetze multi-annual co-operation projects – projets pluriannuels de coopération
Im Rahmen des Programms Kultur2000 geförderte, drei- bis fünfjährige Kooperationen von kulturellen Organisationen aus mindestens sechs teilnahmeberechtigten Ländern. Im Rahmen der Ausschreibung für das Jahr 2007 können sich solche Kooperation um Zuschüsse von bis zu € 500.000,- und maximal 50 % ihres Projektbudgets bewerben. (cd) Web: http://www.ib-sh.de/fileadmin/ibank/EU/EUAusschreibungen/Kurzinfo_Kultur_2007.pdf
Kooperationsprinzip principle of cooperation – principe de coopération
Das K. dient der Operationalisierung der ĺUnionstreue als eines zweier Subprinzipien (das zweite Subprinzip ist das ĺRücksichtnahmegebot). Es umfasst sowohl (positiv) Handlungsals auch (negativ) Unterlassungspflichten. Diese dienen der Wahrung und der Weiterentwicklung des Gemeinschaftlichen Besitzstands (vgl. Art. 2 Abs. 1 5. SpS, Art. 3 EU). Es findet in zahlreichen Bestimmungen neben Art. 10 EG konkretisierende Ausgestaltung und verleiht der EG ihr Gepräge als kooperative Verfassungsund Verwaltungsgemeinschaft. (fh) §§: Art. 5 Abs. 2, Art. 10, Art. 125, Art. 127 Abs. 1, Art. 137 Abs. 2 UAbs. 3, Art. 140, Art. 149 Abs. 1, Art. 151 Abs. 1 und 2, Art. 152 Abs. 1 UAbs. 2 und 3, Abs. 2, Art. 153 Abs. 1 und 3, Art. 154 Abs. 1, Art. 157 Abs. 1 und 2, Art. 163 Abs. 2, Art. 164, Art. 165 Abs. 1, Art. 177 Abs. 1, Art. 180 Abs. 1, Art. 274 Abs. 1, Art. 280 Abs. 2, 3 und 5 EG Lit.: R. Schulze/M. Zuleeg, Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2006, § 7, Rn. 14; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 10 EG, Rn. 7 Rsp.: grundlegend EuGH, verb. Rs. 6 und 11/69 Kommission/Frankreich, Slg. 1969, 523, Rn. 14/17; Rs. C-217/88 Kommission/Deutschland, Slg. 1990, I-2879, Rn. 33
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Kooperationsprogramm EU-Kanada Kooperationsprogramm EU-Kanada ĺBildungsprogramme Kooperationsprogramm EU-USA ĺBildungsprogramme Kooperationsverfahren process of cooperation – procédure de coopération
In seltenen Fällen (s. dazu näher unten) ist das in Art. 252 EG geregelte Kooperationsverfahren zwischen dem ĺRat und dem ĺEuropäischen Parlament vorgesehen. Nach einem Vorschlag der ĺKommission gibt das Europäische Parlament eine Stellungnahme ab, worauf sich der Rat auf einen ĺgemeinsamen Standpunkt festlegt. Dieser gemeinsame Standpunkt des Rates wird wieder dem Europäischen Parlament übermittelt, das diesen binnen drei Monaten billigen, (mit absoluter Mehrheit) ablehnen oder Änderungen vorschlagen kann. Wird der gemeinsame Standpunkt des Rates vom ĺEuropäischen Parlament gebilligt oder äußert sich dieses nicht innerhalb der vorgesehen Frist, erlässt der Rat endgültig den betreffenden Rechtsakt. Lehnt das Europäische Parlament jedoch den gemeinsamen Standpunkt des Rates ab, so kann dieser den Rechtsakt trotzdem (jedoch nur einstimmig) beschließen. Hat das Europäische Parlament Änderungen vorgeschlagen, so werden diese von der Kommission geprüft und weiter an den Rat geleitet. Dieser kann nun im Falle einer Zustimmung der Kommission mit qualifizierter Mehrheit die Änderungen des Parlaments übernehmen und den Rechtsakt erlassen, bei ablehnender Haltung der Kommission ist dies nur mit Einstimmigkeit möglich. Auch kann der Rat die Vorschläge der Kommission die nach den Änderungen durch das Parlament vorgelegt werden mit Einstimmigkeit abermals abändern. Das Kooperationsverfahren ist nur noch in gewissen Bereichen der ĺWirtschafts- und Währungspolitik vorsehen, wie Art. 99 Abs. 5 (Verfahren der multilateralen Überwachung der Wirtschaftspolitik), Art. 102 Abs. 2 (Zugang zu Finanzinstituten), Art. 103 Abs. 2 (Ausschluss der Haftung der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten) und Art. 106 Abs. 2 EG (Ausgabe von Münzen). (gh) §§: Art. 99 Abs. 5, 102 Abs. 2, 103 Abs. 2, 106 Abs. 2, 252 EG Lit.: M. Gellermann, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 252 EGV, Rn. 1 ff.; W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/
590
EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 252 EGV, Rn. 1 ff.; H. Kühner, Rechtsetzung in der Europäischen Gemeinschaft: die Verfahren nach Art. 189b und Art. 189c EGV, 1997; E. Waldherr, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 14. Lfg. 2003, Art. 252 EGV, Rn. 1 ff.
Kooperationsverhältnis EuGH – BVerfG relation of cooperation ECJ – Federal Constitutional Court – relation de cooperation CJCE – tribunal constitutionnel fédéral
Charakterisierung des Verhältnisses zwischen ĺEuGH und ĺBVerfG in der ĺMaastrichtEntscheidung des BVerfG. Der Begriff bezieht sich auf die vom BVerfG postulierte Aufgabenteilung beim Schutz der ĺGrundrechte, wonach der EuGH den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der EU garantiert, während sich das BVerfG auf eine generelle Gewährleistung des unabdingbaren Grundrechtsstandards in Deutschland beschränkt und daher seinen ĺPrüfungsvorbehalt weitgehend zurückgenommen hat. Einzelheiten und dogmatische Begründung dieses Kooperationsverhältnisses sind jedoch umstritten. (sgk) Lit.: R. Streinz, Das „Kooperationsverhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof nach dem Maastricht-Urteil, in: J. Ipsen et al. (Hrsg.), Verfassungsrecht im Wandel. FS zum 180jährigen Bestehen des Carl-Heymanns-Verlags, 1995, 633; P. Funk-Rüffert, Kooperation von Europäischem Gerichtshof und Bundesverfassungsgericht im Bereich des Grundrechtsschutzes, 1999
Koordinierung humanitärer Hilfe auf internationaler Ebene coordination of humanitarian aid on an international level – la coordination de l’aide humanitaire à l’échelon international
Die Wichtigkeit der Koordinierung und eines aufeinander abgestimmten Vorgehens wurde zuletzt vom Rat in der VO (EWG) 1257/96 des Rates vom 20.6.1996 über die humanitäre Hilfe (vgl. ĺHumanitäre Hilfe, VO (EWG) 1257/ 96 des Rates vom 20.6.1996 über die humanitäre Hilfe) hervorgehoben und betont. Das ĺEuropäische Amt für humanitäre Hilfe hat weiters den Auftrag zur Verbesserung der Koordination mit externen Partnern und Geldgebern erhalten. Die wichtigsten Partner sind die Vereinten Nationen (vgl. ĺPartnerschaftsrahmenvertrag mit internationalen Organisationen), Nichtregierungsorganisationen (vgl. ĺPartnerschaftsrahmenvertrag mit Nicht-Regierungsorganisationen), das Rote Kreuz und Drittgeberländer. (ab) §§: VO (EG) 1257/96, ABl. 1996, Nr. L 163
Kopenhagener Kriterien Koordinierung humanitärer Hilfe auf interner Ebene
Koordinierungsrichtlinie
cooridination of humanitarian aid on an internal level – la coordination de l’aide humanitaire à l’échelon interne
Die zur Gewährleistung von ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, ĺNiederlassungsfreiheit und ĺDienstleistungsfreiheit notwendige Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung von Erwerbstätigkeiten wird durch K. sichergestellt. Die meisten K. wurden durch die ĺBerufsanerkennungsRL geändert bzw. aufgehoben (vgl. auch ĺAnerkennungsRL). (sh)
Mit der Schaffung des ĺEuropäischen Amtes für humanitäre Hilfe konnte zwar einerseits ein signifikanter Fortschritt im Bezug auf die Koordinierung zwischen den Gemeinschaftsorganen bzw. in der Kommission erzielt werden. Andererseits ist die Koordination zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft nur in Ansätzen geregelt und eine ausschließliche Kompetenz der Gemeinschaft ist nicht umsetzbar. Vgl. die ĺKoordinierung der humanitären Hilfe auf internationaler Ebene. (ab) §§: VO (EG) 1257/96, ABl. 1996, Nr. L 163 Web: http://ec.europa.eu/echo/presentation/mandate _en.htm
Koordinierungsausschuss (PJZS) ĺArtikel 36-Ausschuss Koordinierungsbeihilfen state aid meeting needs of coordination – aides qui répondent aux besoins de la coordination
S.a. ĺVerpflichtungen des öffentlichen Dienstes, ĺBeihilfen, Verkehrsrecht, Sekundärrecht. Hierbei handelt es sich um eine nach Art. 73 1. Alt. EG spezifisch für den Verkehrsbereich zugeschnitte Legalausnahme zu den (anwendbaren) beihilfenrechtlichen Ausnahmebestimmungen des Art. 87 Abs. 2, 3 EG. Beihilfen zur Koordinierung des Verkehrs, sind ex lege mit dem ĺGemeinsamen Markt vereinbar. Damit sind staatliche Unterstützungsmaßnahmen gemeint, durch welche die MS im Rahmen einer verkehrspolitischen Gesamtkonzeption gezielt Einfluss auf Angebot und Nachfrage im Beförderungssektor nehmen und damit die jeweiligen Wirtschaftsaktivitäten hoheitlich gestalten. Die Gewährung darf (auch hier) grundsätzlich nur bei Verwirklichung eines in der Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannten Gemeinwohlziels erfolgen. Denkbar ist z.B. die Steigerung der Effizienz des Verkehrssystems. (sm) Lit.: C. Jung, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 73 EGV, Rn. 1 ff.; A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 283 ff.; D. Boenig, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 73 EGV, Rn. 4, 9 ff.
coordination directives – directives de coordination
Kopenhagener Kriterien Copenhagen criteria – critères de Copenhague
Auf dem ĺEurop. Rat in Kopenhagen 1993 fiel die Grundsatzentscheidung zur sog. ĺOsterweiterung der EU. In den Schlussfolgerungen des Vorsitzes wurden die ĺBeitrittsvoraussetzungen mittels der sog. K.K. konkretisiert (Europ. Rat Kopenhagen 21./22.6.1993, 13): ƒ Politisches Kriterium (Verfassungsstaatlichkeit): Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muss der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben. ƒ Wirtschaftliches Kriterium (Binnenmarktfähigkeit): Der Beitritt erfordert ferner eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten. ƒ Kriterium der Integrationswilligkeit (auch Acquis-Kriterium): Die Mitgliedschaft setzt außerdem voraus, dass die einzelnen Beitrittskandidaten die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen übernehmen und sich auch die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschaftsund Währungsunion zu eigen machen können. ƒ Gesichtspunkt der ĺAufnahmefähigkeit: Die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten, stellt ebenfalls einen sowohl für die Union als auch für die Beitrittskandidaten wichtigen Gesichtspunkt dar. Bei den Schlussfolgerungen des Vorsitzes handelt es sich grds. um politische Absichtserklärungen, denen keine direkte Rechtsqualität zukommt. Der Inhalt der K.K. kann jedoch schon 591
Korrespondenzdienstleistungsfreiheit aus den politischen und wirtschaftlichen Zielbestimmungen und Prinzipien der Gemeinschaftsverträge bzw. des EUV abgeleitet werden. Die K.K., die seit 1993 wiederholt bestätigt wurden, sind daher als autoritative Interpretation der Verträge zu verstehen. Ihre Erfüllung stellt daher – neben den sonstigen ĺBeitrittsvoraussetzungen – eine zwingende Bedingung für die Mitgliedschaft in der Union dar. Die explizite, primärrechtliche Verankerung wesentlicher Eckpunkte der K.K. (Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit) als ĺGrundsätze der Europäischen Union durch den ĺVertrag von Amsterdam kann daher als authentische Interpretation der bisherigen Verträge verstanden werden. Zusätzlich hält der Art. 49 Abs. 1 EU seither fest, dass nur Staaten, welche die Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EU achten, Mitglied der Union werden können. Wie auch die anderen ĺBeitrittsvoraussetzungen stecken die K.K. nur einen weiten rechtlichen Rahmen ab, der durch die entscheidenden Akteure der ĺBeitrittsverhandlungen näher bestimmt werden muss (ĺBeitrittsvoraussetzungen, Justiziabilität der). (lo) §§: Art. 6 Abs. 1, 49 EU; Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europ. Rat Kopenhagen 21./22.6.1993, 13 Lit.: T. Bruha/O. Vogt, Rechtliche Grundfragen der EU-Erweiterung, VRÜ 1997, 477
Bestandteil zu einer umfassenden Ausgestaltung der Dienstleistungsfreiheit im Binnenmarkt anerkannt. (sh) Lit.: W. Kluth; in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EG; W. Frenz, Handbuch Europarecht I – Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 2497 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C 205/84 KOM/D, Slg. 1986, 3755; EuGH, Rs. 155/73 ĺSacchi, Slg. 1974
Korruption, strafrechtliche Bekämpfung ĺBestechung und Bestechlichkeit, strafrechtliche Bekämpfung Kosmetikrichtlinie cosmetics directive – directive relatives aux produits cosmétiques
Die auf Art. 100 EG a.F. (= Art. 94 EG) gestützte RL 76/768/EWG vom 27.7.1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel (ABl. 1976, Nr. L 262/169) enthält Qualitätsvorschriften, die beim Inverkehrbringen von Kosmetika zu beachten sind. Die Richtlinie wurde zuletzt geändert durch die ÄndRiL 2003/15/EG vom 27.2.2003 (ABl. 2003, Nr. L 66/26). (gär) §§: Kosmetikrichtlinie (76/768/EWG)
Korrespondenzdienstleistungsfreiheit
Kraft-Wärme-Kopplung ĺKWK
freedom to provide services by correspondance – libre prestation des services par correspondance
Kraftstoffqualität, Otto- und Dieselkraftstoffe
Während bei ĺaktiver und passiver Dienstleistungsfreiheit sich jeweils der ĺDienstleistungserbringer oder der ĺDienstleistungsempfänger in einen anderen MS begeben, umfasst die K. jene Sachverhalte, in denen das ĺgrenzüberschreitende Element, das Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Bestimmungen des EGV über die Dienstleistungsfreiheit ist, in einer Grenzüberschreitung ausschließlich der Dienstleistung selbst gelegen ist. Beispiele für Korrespondenzdienstleistungen sind Direktversicherungen (EuGH, Rs. C205/84 KOM/D, Slg. 1986, 3755, Rn. 18 ff.), Bankgeschäfte (ĺDienstleistungsfreiheit, Abgrenzung vom freien Kapitalund Zahlungsverkehr), Telekommunikation (EuGH, Rs. 155/73, ĺSacchi, Slg. 1974, Rn. 6) oder Lotterien. Auch Beratungsdienstleistungen im Rahmen von E-business und E-commerce sind umfasst. Auch wenn sich die K. nicht unmittelbar aus dem Wortlaut von Art. 49 ff. EG ergibt, wurde sie vom EuGH als notwendiger 592
quality of petrol and diesel fuels – qualité de l’essence et des carburants diesel
Anforderungen an die Qualität von Kraftstoff(en) finden sich in den RL 98/70/EG sowie RL 99/32/EG. Bei diesen handelt es sich um produktbezogene Harmonisierungsmaßnahmen (ĺVerkehrsrecht, produktbezogene Harmonisierung). Das gemeinsame Ziel der RL kann in der stufenweisen Verschärfung der bestehenden Kraftstoffmerkmale gesehen werden. In einem ersten Schritt wird das Inverkehrbringen von verbleitem Benzin im Hoheitsgebiet der MS untesagt; unverbleite Otto- sowie Dieselkraftstoff(e) sind nur zugelassen, wenn diese den in Anhang I bzw. II der RL 98/70/EG enthaltenen Spezifikationen entsprechen. In einem zweiten Schritt sind gemeinschaftsweit die in Anhang III bzw. IV der RL 98/70/EG enthaltenen Qualitätsmerkmale einzuhalten. Die MS dürfen das Inverkehrbringen von Kraftstoffen, die den für sie geltenden Anforderun-
Krankenhausprivatisierung gen gerecht werden, weder untersagen noch beschränken oder verhindern (Freiverkehrsklausel). Steuerliche Regelungen, die sich auf die Verwendung bestimmter Fahrzeuge beziehen, dürfte diese Klausel indes nicht entgegenstehen. Abweichend davon kann ein MS entsprechend Art. 95 Abs. 10 EG Maßnahmen treffen, um vorzuschreiben, dass in bestimmten Gebieten seines Hoheitsgebiets Kraftstoffe nur dann in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie in Bezug auf die Gesamtheit oder einen Teil der Fahrzeugflotte strengeren umweltbezogenen Spezifikationen als den in der RL 98/70/EG vorgesehenen genügen, um die Gesundheit der Bevölkerung in einem bestimmten Ballungsraum oder die Umwelt in einem bestimmten ökologisch oder in Bezug auf die Umweltgegebenheiten empfindlichen Gebiet in diesem MS zu schützen, wenn die Luftverschmutzung oder die Grundwasserverschmutzung ein schwerwiegendes und wiederkehrendes Problem für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt oder nach vernünftigem Ermessen darstellen kann. Die RL 99/32/EG zielt hingegen auf die Verringerung der Schwefeldioxidemissionen aus der Verbrennung bestimmter flüssiger Kraft- oder Brennstoffe und dadurch auf die Verringerung der schädlichen Auswirkungen solcher Emissionen auf Mensch und Umwelt. Sie enthält Vorgaben für den maximalen Schwelfelgehalt von Schwerölen, Gasölen, von Schiffskraftstoffen zur Verwendung in SOx-Emissions-Überwachungsgebieten und in Fahrgastschiffen im Linienverkehr von oder nach einem Gemeinschaftshafen sowie von Schiffskraftstoffen zur Verwendung durch Binnenschiffe und Schiffe an Liegeplätzen in Häfen der Gemeinschaft. Es sind Sonderbestimmungen für Versuche zur Erprobung und Einsatz neuer emissionsmindernder Technologien und Ausnahmebestimmungen im Fall einer Veränderungen bei der Versorgung mit Kraft- oder Brennstoffen (d.h. Schwierigkeiten aufgrund einer plötzlichen Veränderung bei der Versorgung mit Rohöl, Erdölerzeugnissen oder sonstigen Kohlenwasserstoffen) vorgesehen. Schließlich ist auf die RL 94/12/EG über Maßnahmen gegen die Verunreinigungen der Luft durch Emissionen von Kraftfahrzeugen und zur Änderung der RL 70/220/EWG (ABl. 1994, Nr. L 100/42) hinzuweisen, mit welcher wird ein neues Konzept für Maßnahmen zur Emissionsverringerung bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus eingeführt wurde. Danach soll die
ĺKommission unter anderem untersuchen, welchen Beitrag Verbesserungen der Qualität von Otto- und Dieselkraftstoff sowie sonstiger Kraftstoffe zur Verringerung der Luftverunreinigung leisten können (ĺEmissionsnormen). (sm) §§: RL 98/70/EG über die Qualität von Otto- und Dieselkraftstoffen und zur Änderung der RL 93/12/ EWG (ABl. 1998, Nr. L 350/58); RL 1999/32/EG über eine Verringerung des Schwefelgehalts bestimmter flüssiger Kraft- oder Brennstoffe und zur Änderung der RL 93/12/EWG (ABl. 1999, Nr. L 121/13)
Krankenhausprivatisierung privatization of hospitals – privatisation des hopitaux
In jüngster Zeit werden aus Gründen des Kostendrucks auch vermehrt im Krankenhausbereich Privatisierungsmodelle erprobt. 1. Privatisierungsformen: Die Krankenhausprivatisierung kann in unterschiedlichen Formen erfolgen. Bei einer funktionalen Privatisierung werden Aufgaben der Verwaltung auf Private ausgelagert, bei einer formellen Privatisierung wird eine vormals in öffentlich-rechtlicher Form erfüllte Aufgabe zukünftig als öffentliche Aufgabe in Privatrechtsform fortgeführt, bei der materiellen Privatisierung schließlich die staatliche Verantwortung im Bereich der Krankenversorgung zugunsten einer eigenverantwortlichen Erfüllung durch Private zurückgenommen. 2. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben: Das Gemeinschaftsrecht verhält sich hierzu prinzipiell neutral, enthält sich insbesondere konkreter Aussagen zur Organisation des Gesundheitswesens (ĺGesundheitskompetenzen) und lässt damit Privatisierungen in den bezeichneten Formen grundsätzlich zu. Begrenzungen ergeben sich dabei aus den allgemeinen Wettbewerbsregeln des EG-Primär- und Sekundärrechts, da Krankenhäuser, zumal es auf eine Gewinnerzielungsabsicht nicht ankommt, eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben und damit grundsätzlich Unternehmen im Sinne des EGWettbewerbsrechts darstellen können (vgl. korrespondierend für die wirtschaftlichen Grundfreiheiten EuGH, Rs. C-8/02 Leichtle, Slg. 2004, I-2541, Rn. 28 ff.). Voraussetzung ist dabei, dass den Krankenhäusern Raum für ein wettbewerbliches Verhalten verbleibt, diese also nicht vollständig in ein gesetzliches System öffentlichrechtlicher Gesundheitsversorgung integriert sind. Für Krankenhäuser in Deutschland, die von den gesetzlichen Krankenkassen verselbstständigt sind, lassen sich die Unternehmensei593
Krankheiten, armutsbedingte genschaft und damit die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts bejahen. Unter diesen Voraussetzungen ergeben sich Vorgaben für die Krankenhausprivatisierung vor allem aus ƒ dem Beihilfenrecht und ƒ dem Vergaberecht. Beihilfenrecht: Beihilferechtlich stellt sich regelmäßig die Frage, ob die im Krankenhausbereich üblichen Defizitausgleichszahlungen als Beihilfen im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EG anzusehen sind. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Rs. C-280/00 Altmark Trans, Slg. 2003, I-7747, Rn. 89 ff.) ist dies nicht der Fall, wenn das begünstigte Unternehmen mit einer Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut wurde (Art. 86 Abs. 2 EG), die Parameter, nach denen sich der Ausgleich bestimmt, zuvor und objektiv nachvollziehbar festgelegt wurden und die Kosten nicht über das hinausgehen, was zur Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung erforderlich ist. Vom Vorliegen einer Betrauung nach Art. 86 Abs. 2 EG ist hierbei regelmäßig auszugehen, da öffentliche Krankenhäuser landesrechtlich verpflichtende Aufgaben im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsversorgung zu erfüllen haben. Diese Verpflichtung bleibt auch dann bestehen, wenn die (in der Regel kommunalen) Träger des Krankenhauses den Betrieb in privater Rechtsform fortführen oder sich zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen Privater bedienen. Vergaberecht: Das europäische ĺVergaberecht (vgl. dazu §§ 97 ff. GWB) findet auf einen Privatisierungsvorgang grundsätzlich Anwendung, wenn dieser mit der Vergabe eines öffentlichen Auftrags verbunden ist, was bei einer (Teil-)Privatisierung grundsätzlich dann der Fall ist, wenn der private Investor zugleich in den Kommunalgesetzen festgelegte Aufgaben der öffentlichen Krankenversorgung gegen Entgelt übernimmt. (gär) §§: Art. 86 88 EG Lit.: W. Bausback, Public Private Partnership im deutschen öffentlichen Recht und im Europarecht, DÖV 2006, 901 ff.; A. Rinken/O. Kellmer, Kommunale Krankenhäuser als Instrumente sozialstaatlich-kommunaler Daseinsvorsorge im Europäischen Verfassungsverbund, Die Verwaltung 39 (2006) 1 ff.; U. Soltész/J.C. Puffer-Mariette, Krankenhäuser im Fokus des Europäischen Wettbewerbrechts, EWS 2006, 438; T. Vollmöller, Krankenhausfinanzierung und EG-Beihilfenrecht, in: H. Bauer/D. Czybulka/A. Vosskuhle (Hrsg.), Wirtschaft im offenen Verfassungsstaat. FS für R. Schmidt, 2006, 205 ff.
Krankheiten, armutsbedingte ĺarmutsbedingte Krankheiten 594
Kreditfinanzierung des Haushalts financing by public loans – financement par voie de crédit
Ob der Haushalt der Gemeinschaft auch über Kredite finanziert werden darf, ist im EGV grundsätzlich ungeregelt geblieben. Lediglich für die Europäische Investitionsbank bestimmt Art. 267 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EG, dass sich diese zur Finanzierung auch des Kapitalmarkts bedienen darf. Aus der abschließenden Festlegung der Haushaltsfinanzierung auf Eigenmittel durch Art. 269 EG lässt sich aber der Schluss ziehen, dass eine Kreditaufnahme jedenfalls nicht der Deckung von im Haushalt veranschlagten Ausgaben dienen darf (C. Waldhoff, in: C. Calliess/M. Ruffert [Hrsg.], Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 269, Rn. 14). Dies stellt auch Art. 14 Abs. 2 der ĺHaushaltsordnung sekundärrechtlich klar. (gär) §§: Art. 269, 267 Abs. 1 EG; Art. 14 Abs. 2 Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002) Lit.: W. Höfling, Staatsschuldenrecht, 1993; C. Jahndorf, Grundlagen der Staatsfinanzierung durch Kredite und alternative Finanzierungsformen im Finanzverfassungs- und Europarecht, 2003
Kreditinstitut credit institution – établissement de crédit
K., dessen Tätigkeit nach den Harmonisierungsvorschriften der RL 2006/48/EG geregelt wird (ĺBankaufsichtsrecht, Harmonisierung), ist nach Art. 5 Abs. 1 RL 2006/48/EG ein „Unternehmen, dessen Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren“ oder „ein E-GeldInstitut im Sinne der RL 2000/46/EG“. Auf „Kreditinstitute“ im weiteren Sinne, die nicht unter diese Legaldefinition fallen (z.B. Kreditvermittler), ist die RL 2006/48/EG nicht anwendbar; mitgliedstaatliche Regelungen müssen in diesem Fall aber mit den Grundfreiheiten, insbesondere der ĺKapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 ff. EG und der ĺDienstleistungsfreiheit nach Art. 49 ff. EG (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit), vereinbar sein. (mk) Kremzow-Entscheidung Kremzow case – jurisprudence Kremzow
Die Fragestellung betrifft den gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutz, im Kern die Frage, ob die ĺEMRK als solche einen integralen Bestandteil des Gemeinschaftsrechts bildet. Der ĺEuGH wies die Vorlage nach dem zu-
Kroatien, Beitritt grundeliegenden Sachverhalt mangels Anwendungsbereichs des EU-Rechts zurück: Ein gewisser Herr Kremzow, in Österreich aufgrund div Straftaten inhaftiert, behauptete die Verletzung seines (gemeinschafts-)grundrechtlich geschützen Rechts auf persönliche Freiheit sowie gemeinschaftsrechtlicher Freizügigkeiten durch seine Haft. Der EuGH vermisste einen hinreichenden Gemeinschaftsrechtsbezug für die Anwendbarkeit des Gemeinschafts(grund)rechts. Die Entscheidung enthält eine Aussage zur besonderen Bedeutung der EMRK im gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutz. (ed) Lit.: M. Holoubek, OGH, EMRK und Gemeinschaftsgrundrechte, ZfV 1996, 28; G. Baumgartner, Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch den EuGH? JBl 1996, 338 Rsp.: EuGH, Rs. C-299/95 Kremzow, Slg. 1997, I-2629, infolge eines vom österr. OGH eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahrens
Krise der internationalen Güterverkehrsmärkte crisis in the market in the carriage of goods by road – crise dans le marché des transports de marchandises par route
Die VO (EWG) 3916/90 (ABl. 1990, Nr. L 375/ 10) enthält einen Schutzmechanismus zur Relativierung der Grundsätze betreffend den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft. ĺGemeinschaftslizenz. Eine Krise der internationalen Güterverkehrsmärkte liegt (ausschließlich) dann vor, wenn ein anhaltender deutlicher Angebotsüberhang auftritt, der das finanzielle Gleichgewicht oder aber das Überleben zahlreicher Unternehmen im Güterverkehr ernstlich gefährden könnte und eine Marktentwicklungsprognose keine zumindest mittelfristige Besserung erwarten lässt. Gründe, die das Eingreifen etwaiger Schutzvorkehrungen nicht zulassen, sind in Art. 2 leg cit normiert. Ein Antrag eines MS setzt den Schutzmechanismus in Gang. Durch die ĺKommission festzusetzenden Maßnahmen zur Verringerung des Angebotsüberhangs sind zeitlich zu begrenzen. In Art. 4 Abs. 6 leg cit sind Möglichkeiten der ĺMS vorgesehen, die Kommissionsentscheidung durch einen qualifizierten Ratsbeschluss „umzustoßen“. Eine ähnliche Sytematik gilt im Zusammenhang mit der ĺKabotagebeförderung nach der VO (EG) 12/98. (sm) Kroatien, Beitritt Croatia, accession – Croatie, adhésion
Der ĺEurop. Rat von Feira (19./20.6.2000) erklärte K. – sowie alle anderen sog. Länder des
ĺWestlichen Balkans – zu potenziellen ĺBewerberländern (Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Rn. 67). Nicht zuletzt durch das Ende der autokratischen Ära Tuđman und der damit verbunden Demokratisierung konnte K. 2001 als zweiter Staat ein ĺStabilisierungsund Assoziationsabkommen (SAA) mit der EU abschließen. Am 21.2.2003 stellte K. einen Antrag auf ĺBeitritt zur EU, den die KOM auf Grundlage der allgemeinen ĺBeitrittsvoraussetzungen und den Kriterien des ĺStabilisierungs- und Assoziierungsprozesses (insb. Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien [ICTY] und regionale Kooperation [Schlussfolgerungen des Rates vom 29.4.1997]) prüfte und deren Erfüllung als ausreichend für die Aufnahme von ĺBeitrittsverhandlungen bewertete. Obwohl der Europ. Rat von Brüssel (17./18.6. 2004) den Beginn der ĺBeitrittsverhandlungen für das Frühjahr 2005 ansetzte, musste der Rat diesen Termin – aufgrund mangelnder Kooperation K. mit dem ICTY – absagen. Die sich abzeichnende Verhaftung des letzten gesuchten k. Kriegsverbrechers Ante Gotovina und eine entsprechenden Bestätigung der Hauptanklägerin des ICTY, dass K. nun voll kooperiere, ebnete den Weg zur Eröffnung der Verhandlungen (Beschluss des Rates vom 3.10.2005). Der Rat hat 2006 die ĺEuropäische Partnerschaft durch eine ĺBeitrittspartnerschaft mit Kroatien ersetzt. Das ĺScreening des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes konnte im Oktober 2006 abgeschlossen werden. Auch erste Verhandlungskapitel sind bereits abgeschlossen bzw. stehen kurz vor ihrem Abschluss. Nachdem der ĺFortschrittsbericht der KOM 2007 – neben einer grds. gut vorankommenden Annäherung an den ĺGemeinschaftlichen Besitzstand – Mängel vor allem in den Bereichen Justiz- und Verwaltungsreform, Korruptionsbekämpfung, Minderheitenrechte, Rückkehr von Flüchtlingen und der Herstellung gutnachbarlicher Beziehungen feststellte, ist es fraglich, ob der mit 2011 avisierte Beitrittstermin K., eingehalten werden kann. (lo) §§: Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kroatien andererseits, ABl. 2005, Nr. L 26/3; Europäische Partnerschaft mit Kroatien, Beschluss des Rates 2004/648/ EG, ABl. 2004, Nr. L 297/19; Beitrittspartnerschaft mit Kroatien, Beschluss des Rates 2004/648/EG Lit.: Mitteilung der Kommission – Stellungnahme zum Antrag Kroatiens auf Beitritt zur Europäischen Union, KOM(2004) 257 endg.
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Krombach-Entscheidung Web: http://ec.europa.eu/enlargement/croatia/index _en.htm
Krombach-Entscheidung Krombach case – jurisprudence Krombach
Rsp. des EuGH und des EGMR zum europäischen Grundrechtsschutz. (ed) Rsp.: EuGH, Rs. C-7/98 Krombach, Slg. 2000, I-1935; EGMR 13.2.2001, Krombach/F
Kühne & Heitz-Entscheidung Kühne & Heitz case – jurisprudence Kühne & Heitz
Urteil des EuGH (Rs. C-453/00, Slg. 2004, I-837), in dem er entgegen früheren Urteilen (vgl. EuGH, Rs. C-224/97 Ciola, Slg. 1999, I-2517) ausgesprochen hat, dass ein ĺAnwendungsvorrang gegenüber individuellen Rechtsakten aufgrund des auch im Gemeinschaftsrecht zu beachtenden Grundsatzes der Rechtssicherheit nicht in Betracht kommt. (he) Web: http://curia.europa.eu/
Kulturelle Vielfalt cultural diversity – diversité culturelle
Nach der ĺGRC verpflichtet sich die Union zur Achtung der kulturellen Vielfalt: s. ĺVielfalt, kulturelle, religiöse, sprachliche. (ed) §§: Art. 22 GRC/Art. II-82 EVV
Kultur 2007–2013 Culture 2007–2013 – Culture 2007–2013
Förderprogramm der EG: hat die Unterstützung der kulturellen Zusammenarbeit und des kulturellen Austausches zum Gegenstand; gefördert werden Projekte aus allen Kulturbereichen und allen Kategorien von Kulturakteuren und damit insb. aus dem Bereich der ĺMassenmedien (bzw. der Contentindustrie, zu diesem Begriff s.a. den Eintrag zu ĺeContent). (dd) §§: Beschluss Nr. 1855/2006/EG über das Programm „Kultur“ (2007–2013), ABl. 2006, Nr. L 372/1
Kultur2000 Cultur2000 – Culture2000
Größtes Kulturförderprogramm der EU, sowohl, was die Anzahl der geförderten Projekte, als auch, was das finanzielle Volumen betrifft. Rechtliche Grundlage ist Art. 151 des Einigungsvertrages der Europäischen Gemeinschaft (Nizza 2001, eingeführt mit dem Art. 128 im Vertrag von Maastricht 1992). 596
Bis zum Jahr 2007 fand im Rahmen dieses Programms fast ausschließlich eine Projektförderung statt, was zu starker Kritik geführt hat, da eine strukturelle Förderung von langfristig tätigen Organisationen damit ausgeschlossen war. Das „alte“ Programm Kultur2000 wird im Jahr 2007 durch ein neues Programm (ebenfalls unter dem Namen Kultur2000, trotz großer inhaltlicher Veränderungen) abgelöst. Das neue Programm ist zunächst bis zum Jahr 2013 vorgesehen. Es gliedert sich in 3 Förderbereiche: 1. Förderung von (ein- oder mehrjährigen) Kooperationsprojekten, Übersetzungen und „Sondermaßnahmen“ wie die Kulturhauptstädte, Preisverleihungen, Kooperationen mit Drittländern u.a., 2. Betriebskostenzuschüsse für europaweit tätige Kulturorganisationen 3. Studien und Analysen zu kulturrelevanten Themen von europäischem Interesse Nach wie vor ist eine Förderung durch das streng budgetierte Programm Kultur2000 nur im Rahmen einer jährlich stattfindenden Ausschreibung zu erreichen. Kulturträger, die sich um eine solche Förderung bewerben, stehen somit in Konkurrenz zueinander. Eine Fachjury, die vor Ende der Ausschreibungsfrist nicht bekannt gegeben wird, entscheidet über die Zuteilung der Fördersummen. Bemerkenswert ist, dass Antragsteller und Kooperationspartner aus den neuen, erst im Jahr 2004 der EU beigetretenen Mitgliedstaaten schon deren offiziellen Beitritt im Rahmen des Programms Kultur2000 den selben Status und die gleichen Förderrechte hatten wie Antragsteller aus den Mitgliedstaaten. (cd) Web: http://ec.europa.eu/culture/eac/index_en.html
Kulturbeihilfen ĺBeihilfen zur Förderung der Kultur Kulturerbe-Laboratorien Cultural Heritage Laboratories – Laboratoires d’Héritage Culturel
Kulturförderprogramm der EU, welches Kooperationsprojekte fördert, die die Konservierung, Restaurierung oder sonstige Förderung von Bauwerken oder Anlagen (Kulturdenkmale) von herausragender europäischer Bedeutung beinhalten. Über die Förderung eines solchen Kooperationsprojektes wird im Rahmen einer Ausscheidung entschieden. Kriterien für die Ausscheidung sind die Teilnahme von mindes-
Kurzberichterstattungsrecht tens drei Mitgliedstaaten bzw. am Programm Kultur2000 teilnehmenden Staaten am Projekt, das hohe Niveau der Arbeit, die Innovation von Methoden und Techniken, die von den Partnerorganisationen gemeinsam entwickelt, durchgeführt und kofinanziert werden sollten, die Verbreitung dieser Innovationen auf europäischer Ebene und die Zugänglichkeit des jeweiligen Kulturdenkmals für ein breites Publikum. Die Bewerbung zu diesem Förderprogramm kann nur über die zuständige Denkmalschutzbehörde des federführenden Staates über dessen Ständige Vertretung in Brüssel eingereicht werden. (cd) Kulturerbepreise European Union prizes for cultural heritage – prix du patrimoine culturel de l’Union européenne
Von der EU ausgeschriebene Preise für herausragende Leistungen auf dem Gebiet des Erhalts und der Aufwertung des Kulturerbes in den drei Kategorien: 1. herausragendes Projekt aus den Bereichen architektonische Kulturerbe, Kulturlandschaften, Sammlungen von Kunstwerken, Archäologische Stätten 2. Herausragende Studie im Bereich Kulturerbe 3. Engagierte Dienstleistungen einer Einzelperson oder Gruppe im Bereich Kulturerbe Der Preis kann an Einzelpersonen, Organisationen und öffentliche Träger aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, des Europäischen Wirtschaftsraums und der Beitrittsländer sowie der Beitrittskandidaten vergeben werden. Um die Preise muss sich beworben werden, es besteht kein Vorschlagsrecht. (cd) Web: http://www.europanostra.org/lang_fr/index.html
Kulturkompetenz der EG EC competence for culture – Compétence de l’Europe pour la culture
Im Kulturbereich hat die EG gem. Art. 151 EG nur eine beschränkte Kompetenz. Sie darf in kulturellen Angelegenheiten grundsätzlich keine Harmonisierung vornehmen, sondern ist hier auf Fördermaßnahmen beschränkt. Der Begriff der Kultur wird in diesem Kompetenzartikel nicht definiert, sondern in Art. 151 Abs. 2 lediglich durch die Aufzählung verschiedener Gegenstandsbereiche von Kultur konkretiert. Der Wirtschaftssektor der Massenmedien (insb. der ĺaudiovisuellen Medien) wird allgemein als ein solcher Gegenstandsbereich von Kultur angesehen.
Die ĺEG hat daher bei der Regulierung dieses Sektors darauf zu achten, dass die den ĺMitgliedstaaten in diesem Bereich vorbehaltenen ausschließlichen Kulturkompetenzen gewahrt bleiben. (dd) Kulturkontaktstelle, europäische ĺEuropäische Kulturkontaktstelle Kumulverbot ĺDienstleistungsfreiheit, Kumulverbot Kunde (Energierecht) ĺEndkunde (Energierecht) Kundenschutzrichtlinie directive on costumer protection – directive concernant la protection des clients et consommateurs
KundenschutzRL zeichnen sich durch einen persönlichen Anwendungsbereich aus, der nicht bloß Verbraucher i.S.d. Verbraucherbegriffes (ĺVerbraucherbegriff, europäischer) erfasst, sondern auch Personen, deren abgeschlossene Verträge ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zuzuordnen sind. (pa) Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005
Kunstfreiheit freedom of the arts – liberté de l’art
Der Schutz der Freiheit der Kunst und der Wissenschaft ist ein europäisches ĺGrundrecht und Gegenstand von Art. 13 ĺGRC/Art. II-73 EVV (im Regime der ĺEMRK Teil des Art. 10 – ĺMeinungsäußerungsfreiheit). Die Kunstfreiheit schützt die Schaffung und Vermittlung von Kunst. Einschränkungen haben die Voraussetzungen des allgemeinen ĺGesetzesvorbehalts nach Art. 52 ĺGRC sowie des Art. 10 Abs. 2 ĺEMRK zu beachten. (ed) §§: Art. 13 GRC/Art. II-73 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 18
Kurzberichterstattungsrecht right to short reporting – droit aux brefs reportages d’actualité
Das europäische Medienrecht kennt bislang keine Maßnahmen, die auf einer sektorspezifischen Basis den Zugang zu bestimmten Inhalterechten (z.B. Fernsehprogrammen) für die Marktteilnehmer garantieren. Mit Inkrafttreten 597
Kus der ĺAudiovisuelle MediendiensteRL soll nun ein solches sektorspezisches Zugangsrecht für die Verwendung kurzer Auszüge für allgemeine Nachrichtenzwecke normiert werden: Zur angemessenen und vollständigen Wahrung des Grundrechts auf Information der europäischen Bevölkerung haben die Mitgliedstaaten nach Art. 3 lit. j der letzten Fassung des Vorschlags für eine Audiovisuelle MediendiensteRL sicherzustellen, dass die Inhaber ausschließlicher Rechte für Ereignisse, die von großem öffentlichen Interesse sind, anderen Fernsehveranstaltern und Vermittlern, soweit diese für Fernsehveranstalter tätig werden, unter fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen das Recht auf Verwendung kurzer Auszüge für allgemeine Nachrichtenzwecke gewähren, wobei jedoch den ausschließlichen Rechten angemessen Rechnung zu tragen ist. Solche kurzen Auszüge sollten nicht länger als 90 Sekunden dauern. (dd) §§: Art. 3 lit. j Vorschlag für eine Richtlinie „Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“, KOM(2007) 170 endg.
Kus Kus case – juriprudence Kus
In EuGH, Rs. C-237/91 Kus, hielt der EuGH als Leitsätze fest: „1. Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des ARB 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei ist dahin auszulegen, dass ein türkischer Arbeitnehmer die in dieser Bestimmung vorgesehene Voraussetzung, seit mindestens vier Jahren ordnungsgemäß beschäftigt zu sein, nicht erfüllt, wenn er diese Beschäftigung im Rahmen eines Aufenthaltsrechts ausgeübt hat, das ihm nur aufgrund einer nationalen Regelung eingeräumt war, nach der der Aufenthalt während des Verfahrens zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmeland erlaubt ist; dies gilt auch dann, wenn das Aufenthaltsrecht des Betroffenen durch ein Urteil eines erstinstanzlichen Gerichts, gegen das ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, bestätigt worden ist. 2. Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich des ARB 1/80 ist dahin auszulegen, dass ein türkischer Staatsangehöriger, der eine Aufenthaltserlaubnis für das Gebiet eines Mitgliedstaats erhalten hat, um dort mit einer Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats die Ehe zu schließen, und der dort seit mehr als einem Jahr mit gültiger Arbeitserlaubnis bei demselben Arbeitgeber gearbeitet hat, nach dieser Be598
stimmung einen Anspruch auf Verlängerung seiner Arbeitserlaubnis hat, selbst wenn seine Ehe zu dem Zeitpunkt, zu dem über den Verlängerungsantrag entschieden wird, nicht mehr besteht. 3. Ein türkischer Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 erster oder dritter Gedankenstrich des ARB 1/80 erfüllt, kann sich unmittelbar auf diese Bestimmungen berufen, um außer der Verlängerung seiner Arbeitserlaubnis die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu erreichen, da das Aufenthaltsrecht für den Zugang zur Ausübung einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis unbedingt erforderlich ist. Dem steht nicht entgegen, dass die Einzelheiten der Durchführung des Art. 6 Abs. 1 nach Art. 6 Abs. 3 des ARB 1/80 durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt werden. Durch Art. 6 Abs. 3 dieses Beschlusses wird die den Mitgliedstaaten obliegende Verpflichtung zum Erlass derjenigen Verwaltungsmaßnahmen, die zur Durchführung dieser Bestimmung gegebenenfalls erforderlich sind, nämlich nur konkretisiert, ohne dass die Mitgliedstaaten dadurch ermächtigt wurden, die Ausübung des genau bestimmten und nicht an Bedingungen geknüpften Rechts, das den türkischen Arbeitnehmern aufgrund dieser Bestimmung zusteht, an Bedingungen zu binden oder einzuschränken.“ (bb) §§: EuGH, Rs. C-237/91 Kus, Slg. 1992, I-6781
KWK cogeneration – cogénération
Dt., Kraft-Wärme-Kopplung. Gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme. Durch die doppelte Nutzung der Wärme erzielen solche Kraftwerke eine erhöhte Effizienz gegenüber Kraftwerken, die die erzeugte (Wärme-)energie ausschließlich zur Stromerzeugung nützen. Da es so zu Primärenergieeinsparungen kommt, werden Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung durch die KWK-RL 2004/8/EG bevorzugt. Diese Richtlinie ordnet – ähnlich wie die ĺErneuerbare-Energien-Richtlinie – an, dass Herkunftsnachweise für Strom aus KWK-Anlagen geschaffen werden sollen und die KWK gefördert werden soll. Die Richtlinie schafft einheitliche Definitionen der KWK-Anlagen, jedoch – wie die Erneuerbare-Energien-Richtlinie – keine Ausnahme vom Beihilfen-Regime der Art. 87, 88 EG. (hh) §§: KWK-RL 2004/8/EG
L Labelling (freier Warenverkehr) ĺEtikettierungsvorschriften (freier Warenverkehr) Laeken, Europäischer Rat von European Council Meeting in Laeken – Conseil Européen de Laeken
Tagung des ĺEuropäischen Rates am 14./15.12. 2001, auf der Fragen zur Zukunft der Europäischen Union aufgeworfen und durch die Erklärung zur Zukunft der Union der sog. ĺVerfassungskonvent einberufen wurde. Entsprechend den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere 1999 und unter dem Eindruck der terroristischen Anschläge vom 11.9. 2001 hat sich der Europäische Rat zudem mit Fragen der inneren und äußeren Sicherheit befasst und in einer Zwischenbilanz die Fortschritte bei der Umsetzung des ĺTampereProgramms zur Errichtung des ĺRaums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts reflektiert. (sts) §§: Tagung des Europäischen Rates (Laeken, 14. und 15.12.2001) – Schlußfolgerungen des Vorsitzes, Ratsdok. SN 300/1/01 REV 1
Lagezentrum ĺHoher Vertreter für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik Länder (deutsche Rechtslage) ĺBundesländer (deutsche Rechtslage) Landessprache (freier Warenverkehr) national language (free movement of goods) – langue nationale (libre circulation des marchandises)
Die Verpflichtung zur Verwendung einer bestimmten Sprache für die ĺEtikettierung oder sonstige am Produkt angebrachten Hinweise, kann den ĺfreien Warenverkehr beschränken. Es besteht jedoch die Möglichkeit der Rechtfertigung aus Gründen des ĺVerbraucherschutzes, da der Grundsatz des freien Warenverkehrs nicht zu erheblichen Verständnisschwierigkei-
ten bei den Adressaten der ĺWare führen soll. Zufolge des ĺEuGH ist zu unterscheiden, ob nationale Regelungen auf die Verständlichkeit eines Hinweises abstellen und somit auch die Verwendung einer anderen leichtverständlichen Sprache zu lassen oder ausschließlich die Verwendung der eigenen Landessprache vorschreiben. Als sprachspezifische Behinderung sind Erfordernisse zu bewerten, die nur eine bestimmte Sprache erlauben, ohne dabei die Möglichkeit vorzusehen, eine andere für den Käufer leicht verständliche Sprache oder verständliche Bilddarstellungen zu verwenden (s.a. ĺPiageme-Entscheidung). Sprachspezifische Vorschriften fallen nicht unter den Anwendungsbereich der ĺtechnischen Vorschriften (s.a. ĺColim-Entscheidung). Besondere Vorschriften bestehen für den Vertrieb von ĺLebensmitteln (s.a. ĺDouwe Egberts-Entscheidung). (ah) Lit.: P. Thyri, Verwendung der Landessprache in: G. Herzig (Hrsg.) Hemmnisse im grenzüberschreitenden Warenverkehr und EU-Recht, 2004, 205 f.
Ländliche Entwicklung rural development – développement rural
Die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums ist neben den Marktpolitischen Maßnahmen der 2. Pfeiler der ĺGemeinsamen Agrarpolitik und ein wesentliches Element des ĺEuropäischen Agrarmodells. Ziel der Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums ist die Schaffung eines kohärenten und nachhaltigen Rahmens, der die Zukunft der ländlichen Gebiete gewährleistet und die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen garantiert. Nach den Vorgaben der VO (EG) 1698/2005 werden für bestimmte Maßnahmen Beihilfen gewährt. Maßnahmen sind für folgende Schwerpunkte vorgesehen: ƒ Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft ƒ Verbesserung der Umwelt und der Landschaft Lebensqualität im ländlichen Raum und Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft 599
Lando-Kommission ƒ
Lebensqualität im ländlichen Raum und Diversifizierung der ländlichen Wirtschaft Unter anderem werden unter diesem Titel Agrarumweltprogramme, Ausgleichzulagen für Landwirte in Benachteiligten Gebieten, strukturpolitische Maßnahmen, Berufsbildungsmaßnahmen, Förderungen für die ĺForstwirtschaft und bestimmte Dorferneuerungsmaßnahmen finanziert. Die tatsächlichen Maßnahmen werden auf Basis eines nationalen Strategieplans in nationalen Entwicklungsprogrammen für den ländlichen Raum in einem partnerschaftlichen Prozess ausgearbeitet und festgelegt. Grundprinzipien der Programmplanung: ƒ Die Multifunktionalität der Landwirtschaft ƒ branchenübergreifender und integrierter Ansatz ƒ Flexibilität bei der Maßnahmen- und Beihilfengestaltung ƒ Transparenz bei der Ausarbeitung und der Verwaltung der Programm Die im Rahmen der Ländlichen Entwicklung gewährten Beihilfen können entweder als ĺDirektzahlungen an Landwirte oder als Zuschüsse zu Projekten, Schulungsprogrammen oder für Investitionen gestaltet sein. Die Maßnahmen der Ländlichen Entwicklung werden im Rahmen von von den Mitgliedstaaten kofinanzierten mehrjährigen Programmen über den ĺEuropäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) finanziert. (all) §§: Art. 36 EG; VO (EG) 1290/2005 GAP Finanzierung, ABl. 2005, Nr. L 209/1; VO (EG) 1698/2005, Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums, ABl. 2005, Nr. L 277/1 Web: http://ec.europa.eu/agriculture/rur/index_de.htm; http://land.lebensministerium.at/article/archive/4959
Lando-Kommission ĺKommision für Europäisches Vertragsrecht Lando-Principles ĺPrinciples of European Contract Law Landwirt farmer – agriculteur
Der Begriff „Landwirt“ wird in den einschlägigen Rechtsvorschriften meist als Betriebsinhaber, der eine landwirtschaftliche Tätigkeit ausübt, umschrieben. Als Landwirt wird in diesem Sinne eine natürliche oder juristische Person oder eine Vereinigung natürlicher oder ju600
ristischer Personen, unabhängig davon, welchen rechtlichen Status die Vereinigung und ihre Mitglieder aufgrund nationalen Rechts haben, und die eine landwirtschaftliche Tätigkeit ausübt, verstanden. (all) §§: Art. 2 VO (EG) 1782/2003, ABl. 2003, Nr. L 270/ 1-69
Landwirtschaft ĺGemeinsame Agrarpolitik Langfristige Planung (Energierecht) ĺPlanung, langfristige Lärmschutz noise control – mesures contre le bruit
Es erfolgte nahezu eine ausschließliche Regelung durch Emissionsbegrenzungen. Das dahinterstehende Motiv ist die Gewährleistung der freien Zirkulation der Produkte im ĺBinnenmarkt. Bislang erfolgte die Festsetzung von Emissionsnormen insbesondere für folgende Produkte: Kfz (RL 70/157/EWG), Krafträder (RL 78/1015/EWG), zwei- und dreirädrige Kfz (RL 97/24/EG), Baumaschinen und Baugeräte (RahmenRL 79/113/EWG), Rasenmäher (RL 84/538/EWG) und Haushaltsgeräte (RL 86/594/ EWG). Die ĺRL legen allesamt Geräuschemissionen für Produkte des grenzüberschreitenden innergemeinschaftlichen Handels fest. Soweit noch keine ausführenden, Lärmhöchstwerte festsetzenden Vorschriften vorliegen, können sich diese aus den Europäischen Normen (EN) ergeben. Hinzuweisen ist auch auf die Relegungen betreffend eine Reduktion von ĺFluglärm (Reduzierung). (sm) Lateinamerika, Abkommen Latin America, agreements – Amérique latine, accords
Abkommen über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit bestehen u.a. mit der Föderativen Republik Brasilien (ABl. 2005, Nr. L 295/38), mit der Republik Chile (ABl. 2003, Nr. L 199/20), mit letzterer auch ein Assoziationsabkommen (ABl. 2002, Nr. L 352/1). Ferner besteht der EG – Andenpakt (zwischen der E[W]G und dem Vertrag von Cartagena und seinen MS Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Peru und Venezuela) zum Allgemeinen Präferenzsystem und zur handelspolitischen Zusammenarbeit (ABl. 1984, Nr. L 153/2; ABl. 1998, Nr. L 127/11).
Lebensmittel Mit den Republiken Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua und Panama schloss die EG ein Rahmenabkommen über die Zusammenarbeit in Wirtschaft, Finanzen, Handel, soziale Angelegenheiten, Wissenschaft, Technik und Umwelt (Beschluss des Rates 1999/194/ EG). Ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit den Vereinigten Mexikanischen Staaten institutionalisiert den ĺpolitischen Dialog und fördert die Zusammenarbeit und Liberalisierung des Handels (Beschluss des Rates 2000/ 658/EG). Nach dem Abschluss von bilateralen Abkommen mit Brasilien, Paraguay, Uruguay und Argentinien schloss die EG ein interregionales Abkommen EG – Mercosur (Beschluss des Rates 1999/279/EG), das auf eine Zusammenarbeit in Wirtschaft und Handel abzielt. (bb) §§: Mitteilung der Kommission vom 8.12.2005 an den Rat und das Europäische Parlament – „Eine verstärkte Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika“ KOM(2005) 636 endg. Lit.: W. Hummer, Demokratieklauseln in regionalen Präferenzzonen – Europäische versus lateinamerikanische Praxis, JRP 2001, 185 Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/r14020.htm
einschlägig, die auf Ausschließlichkeitsrechte zurückzuführen sind. (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 2277; T. Kingreen, in: C. Calliess/M.Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28-30 EGV, Rn. 213 Rsp.: EuGH, Rs.58/80 Dansk Supermarket, Slg. 1981, 181; EuGH, Rs.6/81 Industri Diensten Groep/Beele, Slg. 1982, 707; EuGH, Rs. 286/81 Oosthoek’s Uitgeversmaatschappij, Slg. 1982, 4575; EuGH, Rs. 177/83 Kohl/Ringelhan, Slg. 1984, 3651, Rn. 15 f.; EuGH, Rs. C-238/89 Pall, Slg. 1990, I-4827, Rn. 21
Leben ĺRecht auf Leben Lebendtransport von Schlachtvieh (freier Warenverkehr) ĺMonsees-Entscheidung; ĺTier- und Pflanzenschutz (freier Warenverkehr) Lebenslanges Lernen ĺAktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens Lebensmittel
Lauterkeit des Handelsverkehrs (freier Warenverkehr) principle of fair trading (free movement of goods) – caractére loyal des transactions commerciales (libre circulation des marchandises)
Laut ĺEuGH erfasst dieser ungeschriebene Rechtfertigungsgrund (ĺErfordernisse, zwingende, ĺRechtfertigungsgründe für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen) vor allem Maßnahmen, die dem Schutz der anerkannten Handelsbräuche des Einfuhrlandes dienen und sich dabei auf das nationale Wettbewerbsrecht stützen. Erfasst sind hiervon etwa Maßnahmen die unlautere Vermarktungspraktiken (Rs. 58/80 Dansk Supermarket, Slg. 1981, 181, Rn. 18), die sklavische Nachahmung von Produkten (Rs. 6/81 Industri Diensten Groep/Beele, Slg. 1982, 707, Rn. 11 ff.) und die irreführende Verwendung von Firmenoder Warenzeichen (Rs. 177/83 Kohl/Ringelhan, Slg. 1984, 3651, Rn. 15 f.) untersagen. Bei der Prüfung geht der EuGH vom Leitbild des umsichtigen Wirtschaftsteilnehmers aus (Rs. C-238/ 89 Pall, Slg. 1990, I-4827, Rn. 21). Davon abzugrenzen ist der ĺSchutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums. Dieser ist bei Beeinträchtigungen des ĺfreien Warenverkehrs
food – denrée alimentaire
Art. 2 Abs. 1 der VO (EG) 178/2002 (sog. ĺBasisverordnung) definiert erstmals den europäischen Lebensmittelbegriff. Demzufolge sind Lebensmittel alle Stoffe oder Stofferzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand vom Menschen aufgenommen werden. Dazu zählen auch Kaugummi, Getränke sowie alle Stoffe einschließlich Wasser, die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Be- und Verarbeitung absichtlich zugesetzt werden. Infolge des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts sind die dieser Definition widersprechenden, bisherigen mitgliedstaatlichen Bestimmungen des Lebensmittelbegriffs außer Acht zu lassen. Art. 2 Abs. 3 der VO (EG) 178/2002 enthält zu dem bewusst weit gewählten Lebensmittelbegriff zahlreiche Ausnahmen. Dies sind neben Futtermitteln, Kosmetika sowie Tabakerzeugnissen insbesondere Arzneimittel. Aus diesem Regel-Ausnahmeverhältnis folgt, dass ein und dasselbe Erzeugnis in der Form, in der es in Verkehr gebracht wird, nicht Lebensmittel und Arzneimittel zugleich sein kann. Die Qualifi601
Lebensmittel- und Veterinäramt kation als Arzneimittel schließt insofern die Lebensmitteleigenschaft aus. Problematisch erweisen sich in diesem Zusammenhang insbesondere Produkte, die je nach Dosierung und Art ihrer Verwendung dem Arznei- oder dem Lebensmittelbegriff zugeordnet werden können (sog. „dual use“ Produkte). Um zumindest potenziellen Handelshemmnissen im Binnenmarkt entgegenzuwirken, die eine unterschiedliche Qualifikation ein und desselben Produkts in den verschiedenen Mitgliedstaaten mit sich bringt, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber daher für bestimmte Produktkategorien spezifische Regelungen erlassen. Diätetische Lebensmittel (RL 89/398/EWG), bilanzierte Diäten (RL 1999/ 21/EG) sowie kalorienarme Ernährung zur Gewichtsreduzierung (RL 96/8/EG) stuft das sekundäre Gemeinschaftsrecht daher als Lebensmittel ein. Ist die Qualifikation eines Erzeugnisses als Arznei- bzw. Lebensmittel mangels weiterführender Sekundärrechtsakte nicht möglich, ist eine restriktive Interpretation des Begriffs des Funktionsarzneimittels geboten, wobei auf das objektiv zu bestimmende, pharmakologische Wirkpotential abzustellen ist. Neben dieser gemeinschaftsrechtlichen Definition des Lebensmittelrechtsbegriffs kommt auf internationaler Ebene dem durch die FAO/ WHO ĺCodex Alimentarius Commission erarbeiteten Standards für das Lebensmittelrecht besondere Bedeutung zu. (mkr) Lit.: B. Klaus, Der gemeinschaftsrechtliche Lebensmittelbegriff, 2005; M. Kraus, Great Spirit, No Glory? – Probleme des neuen europäischen Lebensmittelrechts, EWS 2005, 498 ff.; W. Schroeder/M. Kraus, Das neue Lebensmittelrecht – Europarechtliche Grundlagen und Konsequenzen für das deutsche Recht, EuZW 2005, 423 ff.; W. Schroeder, Die rechtliche Einstufung von Nahrungsergänzungsmitteln als Arznei- oder Lebensmitteln – eine endlose Geschichte?, ZLR 2005, 411 ff.; R. Streinz, Lebens- und Arzneimittelrecht, in: R. Schulze/M. Zulegg (Hrsg.), Handbuch Europäische Rechtspraxis, 2006
Lebensmittel- und Veterinäramt Food and Veterinary Office – Office alimentaire et vétérinaire
Das Lebensmittel- und Veterinäramt gehört seit 1.4.1997 organisatorisch der Generaldirektion für Verbraucherpolitik und Gesundheitsschutz an und zählt neben der ĺEuropäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit zu den wichtigen Behörden der EG im ĺLebensmittelrecht. Aufgabe des in Dublin ansässigen Amtes ist es, die Kommission über die Anwendung des europäischen Lebensmittelrechts, insbesondere der Lebensmittelüberwachung, in den einzelnen Mit602
gliedstaaten zu informieren. Um die Effektivität der Lebensmittelüberwachung sicherzustellen, führt das Lebensmittel- und Veterinäramt als kommissionseigener Inspektionsdienst regelmäßige Kontrollen in den Mitgliedstaaten durch. Die Kontrollen erfolgen in den Sektoren der Lebensmittel tierischen und pflanzlichen Ursprungs, Tiergesundheit, Tierschutz und Tierzucht, unzulässige Stoffe und Rückstände sowie Pflanzenzucht. Die Kontrollen erstrecken sich sowohl auf das Funktionieren der mitgliedstaatlichen Kontrollsysteme als auch auf Betriebe in den Mitgliedstaaten selbst. (mkr) Lit.: L. Fuchs, Lebensmittelsicherheit in der Mehrebenenverwaltung der Europäischen Gemeinschaft, 2004
Lebensmittelhygiene hygiene of foodstuffs – hygiène des denrées alimentaires
Um ein hohes Maß an Gesundheitsschutz i.S.d. ĺBasisverordnung zu gewährleisten hat der Gemeinschaftsgesetzgeber erkannt, dass neben den allgemeinen Hygienevorschriften i.S.d. RL 93/43/EWG spezifische Hygienevorschriften für bestimmte Lebensmittel erforderlich sind. Auf europäischer Ebene wurde daher ein sog. Hygienepaket erlassen, das sich aus insgesamt drei Verordnungen zusammensetzt. Die VO (EG) 852/2004 enthält detaillierte Hygienevorschriften für Lebensmittelunternehmer. Nach der Legaldefinition in Art. 2 Abs. 1 lit. a der Verordnung sind unter „Lebensmittelhygiene“ all diejenigen Maßnahmen und Vorkehrungen zu verstehen, die notwendig sind, um Gefahren unter Kontrolle zu bringen und zu gewährleisten, dass ein Lebensmittel unter Berücksichtigung seines Verwendungszwecks für den menschlichen Verzehr tauglich ist. Die Verordnung verpflichtet die Unternehmer zur Errichtung von Kontrollpunkten und einer nachhaltigen Lebensmittelkontrolle. Ferner enthält sie Leitlinien für eine gute Verfahrenspraxis. Ergänzt wird die VO (EG) 852/2004 durch die VO (EG) 853/2004 sowie die VO (EG) 854/ 2004, die besondere Vorschriften für zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs sowie deren Überwachung enthalten. (mkr) §§: RL 93/43/EWG; VO (EG) 852/2004; VO (EG) 853/2004; VO (EG) 854/2004
Lebensmittelkennzeichnung food labelling – étiquetage des denrées alimentaires
Die Lebensmittelkennzeichnung erfolgt auf europäischer Ebene sowohl durch horizontale, d.h.
Lebensmittelrecht, europäisches für alle ĺLebensmittel geltende Vorschriften, als auch durch vertikale, sich auf bestimmte Produktgruppen beschränkende Regelungen des sekundären Gemeinschaftsrechts. Die RL 2000/13/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür erstreckt sich auf alle Lebensmittel. Diese enthält als zentrale Vorschriften u.a. in Art. 2 ein Irreführungs- und Täuschungsverbot, normiert zwingende Angaben von Lebensmitteln und regelt diese im Einzelnen (Verkehrsbezeichnung, Zutatenverzeichnis, Mengenangaben, Mindesthaltbarkeit, Alkoholgehalt sowie sprachliche Anforderungen an die Kennzeichnung). Spezifische Kennzeichnungsvorschriften finden sich im europäischen ĺLebensmittelrecht u.a. für die Etikettierung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus ökologischem Landbau in der VO (EG) 2092/91 (sog. ĺÖko-Verordnung), zuletzt geändert durch VO (EG) 1991/2006, für Konfitüren, Gelees, Marmeladen und Maronenkrem in der RL 2001/ 113/EG, für Wein in der VO (EG) 122/94 sowie der VO (EG) 753/2002, für Spirituosen in der VO (EG) 1576/89 sowie für Produkte die genetisch veränderte Organismen enthalten in der VO (EG) 1830/2003 (ĺNeuartige Lebensmittel). (mkr) §§: RL 2000/13/EG; VO (EG) 1576/89; VO (EG) 2092/ 91; VO (EG) 122/94 Lit.: C. Herrmann/M. Kraus, Die sprachlichen Anforderungen an die Etikettierung von Lebensmitteln – Ein Beitrag zur Auslegung des Art. 16 EG-EtikettierungsRL 2000/13/EG, ZLR 2001, 679 ff.; H. Rützler, Kennzeichnungsrecht, in: R. Streinz (Hrsg.), Lebensmittelrechts-Handbuch, 27. Lfg. 2007, II.C; W. Schroeder/M. Kraus, Europäisches und Österreichisches Lebensmittelrecht, 2006; W. Zipfel/K. Rathke (Hrsg.), Lebensmittelrecht, Bd. II, C.105 ff.
Lebensmittelrecht, europäisches food law, european – législation alimentaire, européenne
Das Lebensmittelrecht ist Teil des Binnenmarktrechts und unterliegt damit der Rechtsetzungsbefugnis des Gemeinschaftsgesetzgebers. Dieser hat den Lebensmittelsektor durch horizontale Regelungen, die alle ĺLebensmittel betreffen, sowie vertikale Regelungen für bestimmte Produktgruppen weitgehend harmonisiert. Die VO (EG) 178/2002 (sog. ĺBasisverordnung) regelt die allgemeinen Grundsätze des Lebensund Futtermittelrechts sowie die Anforderungen an die ĺLebensmittelsicherheit. Nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 erfasst das Lebensmittelrecht alle europäischen und innerstaatli-
chen Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Allgemeinen und die Lebensmittelsicherheit im Besonderen. Als Rahmenverordnung bezieht die VO (EG) 178/2002 alle Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen von Lebensund ĺFuttermitteln, Wasser sowie auch von Futtermitteln, die ausschließlich für die zur Lebensmittelgewinnung dienenden Tieren hergestellt oder an sie verfüttert werden, ein. Dieser ganzheitliche Ansatz („vom Acker zum Teller“ bzw. „from farm to fork“) deckt damit die gesamte Lebensmittelherstellungskette einschließlich der Futtermittel ab. Kosmetika, Tabak und Tabakerzeugnisse sind jedoch nach Art. 2 Abs. 3 lit. e bzw. f der VO (EG) 178/2002 vom Anwendungsbereich der Basisverordnung ausgenommen. Dem europäischen Lebensmittelrecht liegt traditionell das Missbrauchsprinzip zugrunde. Lebensmittel dürfen daher grundsätzlich in eigener Verantwortung des Lebensmittelunternehmers und ohne staatliche Genehmigung in Verkehr gebracht werden. Die Lebensmittel haben lediglich den allgemeinen Anforderungen des Gesundheits- und des Verbraucherschutzes einschließlich der Vorschriften über die ĺLebensmittelkennzeichnung zu entsprechen. Lediglich besonders sensible Bereiche, wie z.B. ĺneuartige Lebensmittel sowie ĺZusatzstoffe, unterliegen aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes dem Verbotsprinzip. Dieses liegt auch dem umstrittenen Entwurf der Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (sog. Health Claims) zugrunde, weshalb das Verbotsprinzip im Europäischen Lebensmittelrecht zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die materiell-rechtlichen Grundsätze des Europäischen Lebensmittelrechts werden institutionell insbesondere durch die ĺEuropäische Behörde für Lebensmittelsicherheit mit Sitz in Parma ergänzt und abgesichert. (mkr) §§: VO (EG) 178/2002 Lit.: D. Gorny, Grundlagen des Europäischen Lebensmittelrechts – Kommentar zur Verordnung 178/2002, 2003; H. Rützler, Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, in: R. Streinz (Hrsg.), LebensmittelrechtsHandbuch, 27. Lfg. 2007, II.A.; W. Schroeder/M. Kraus, Das neue Lebensmittelrecht – Europarechtliche Grundlagen und Konsequenzen für das deutsche Recht, EuZW 2005, 423 ff.; dies., Europäisches und Österreichisches Lebensmittelrecht, 2006, 19 ff.; dies., Grundprinzipien des neuen Lebensmittelrechts, wbl 2006, 245 ff.; R. Streinz, Lebensmittel- und Arzneimittelrecht, in: R. Schulze/M. Zulegg, Handbuch Europäisches Recht, 2006; W. Zipfel/K. Rathke Lebensmittelrecht, Bd. II, C.101
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Lebensmittelrechtliche Melde-, Warn- und Rückrufpflichten Lebensmittelrechtliche Melde-, Warn- und Rückrufpflichten responsibilities for food – responsabilités en matière de denrées alimentaires
Die ĺBasisverordnung statuiert in ihrem Art. 19 umfassende Melde-, Warn- und Rückrufpflichten, die der effektiven ĺLebensmittelsicherheit dienen. So hat ein ĺLebensmittelunternehmer, der erkennt, dass ein ĺLebensmittel, mit dem er auf einer Stufe der Lebensmittelkette befasst war und das nicht mehr seiner Kontrolle untersteht, nicht mehr den Voraussetzungen der Lebensmittelsicherheit i.S.v. Art. 14 BasisVO entspricht, nach Art. 19 Abs. 1 BasisVO unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um das betreffende Erzeugnis vom Markt zu nehmen und dies der zuständigen Behörde mitzuteilen. Ferner hat der Unternehmer nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 BasisVO die Verbraucher über risikobehaftete Lebensmittel zu informieren und erforderlichenfalls bereits ausgelieferte Produkte zurückzurufen. Adressat dieser Warnpflicht sind nicht nur die Hersteller, sondern auch die Händler eines Lebensmittels. Zusätzlich folgt aus Art. 19 Abs. 3 BasisVO eine Verpflichtung zur Unterrichtung der Behörden, wenn ein Lebensmittelunternehmer Grund zur Annahme hat, dass ein von ihm in Verkehr gebrachtes Lebensmittel möglicherweise gesundheitsschädlich ist. Art. 19 Abs. 3 BasisVO geht dabei über Art. 19 Abs. 1 BasisVO, der den Fall einer fehlenden Eignung zum Verzehr betrifft, hinaus und enthält eine frühzeitige Meldepflicht gegenüber der Behörde. Art. 19 Abs. 4 BasisVO verpflichtet schließlich den Lebensmitteleinzelhandel und -vertrieb mit anderen Lebensmittelunternehmen sowie den zuständigen Behörden zu kooperieren, um die Rücknahme oder den Rückruf von Lebensmitteln nach Art. 19 Abs. 1, 3 BasisVO zu ermöglichen. (mkr) §§: Art. 19 VO (EG) 178/2002 Lit.: W. Schroeder/M. Kraus, Das neue Lebensmittelrecht – Europarechtliche Grundlagen und Konsequenzen für das deutsche Recht, EuZW 2005, 423428; dies., Österreichisches und Europäisches Lebensmittelrecht, 2006, 37 f.; O. Sosnitza, Die Folgen der BasisVO Nr. 178/2002 für Verträge, Qualitätssicherung und Produkthaftung, ZLR 2004, 123 (134)
Lebensmittelrechtliche Risikoanalyse ĺRisikoanalyse, lebensmittelrechtliche Lebensmittelrechtliche Rückverfolgbarkeit ĺRückverfolgbarkeit, lebensmittelrechtliche 604
Lebensmittelsicherheit food safety – sécurité des denrées alimentaires
Die Lebensmittelsicherheit ist in Art. 14 ĺBasisverordnung (VO [EG] 178/2002) normiert und zählt zu den wichtigsten Grundprinzipen des europäischen ĺLebensmittelrechts. Demnach ist das ĺInverkehrbringen von nicht sicheren Lebensmitteln untersagt. Nicht sicher sind Lebensmittel nach der Legaldefinition, wenn davon auszugehen ist, dass sie entweder gesundheitsschädlich oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind. Bei der Beurteilung eines Lebensmittels als sicher bzw. nicht sicher sind insbesondere die normalen Bedingungen seiner Verwendung durch den Verbraucher sowie die dem Verbraucher durch die ĺLebensmittelkennzeichnung vermittelten Informationen zu beachten. Die Gesundheitsschädlichkeit ist anhand der wahrscheinlichen sofortigen und/oder kurzfristigen und/oder langfristigen Auswirkungen auf den Verbraucher sowie der nachfolgenden Generationen, die wahrscheinlichen kumulativen toxischen Wirkungen sowie die besondere Empfindlichkeit besonderer Verbrauchergruppen zu beurteilen. (mkr) §§: VO (EG) 178/2002
Lebensmittelunternehmen food business – entreprise du secteur alimentaire
Lebensmittelunternehmen sind nach Art. 3 Abs. 2 der VO (EG) 178/2002 (sog. ĺBasisverordnung) alle Unternehmen, gleichgültig, ob sie auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind oder nicht und ob sie öffentlich oder privat sind, die eine mit der Produktion, der Verarbeitung und dem Vertrieb von ĺLebensmitteln zusammenhängende Tätigkeit ausführen. (mkr) §§: Art. 3 Abs. 2 VO (EG) 178/2002
Lebensmittelunternehmer food business operator – exploitant du secteur alimentaire
Lebensmittelunternehmer ist nach Art. 3 Abs. 3 der VO (EG) 178/2002 (sog. ĺBasisverordnung) jede natürliche oder juristische Person, die dafür verantwortlich ist, dass die Anforderungen des Lebensmittelrechts in dem ihrer Kontrolle unterstehenden Lebensmittelunternehmen erfüllt werden. (mkr) §§: Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 178/2002 Lit.: W. Schroeder/M. Kraus, Das neue Lebensmittelrecht – Europarechtliche Grundlagen und Konsequenzen für das deutsche Recht, EuZW 2005, 423 ff.; dies.,
Leitlinien zur Stromhandelsverordnung Europäisches und Österreichisches Lebensmittelrecht, 2006, 19 ff.
Lebensmittelzusatzstoffe ĺZusatzstoffe Lebensraum ĺFlora-Fauna-HabitatRL Legalausnahmen im Beihilfenrecht automatic exemptions – dérogations admises de plein droit
Die Ausnahmetatbestände des Art. 87 Abs. 2 EG werden Legalausnahmen genannt, weil sie bestimmte ĺBeihilfen per se für vereinbar mit dem ĺGemeinsamen Markt erklären. Ist einer der Tatbestände erfüllt, hat die Kommission eine Maßnahme für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt zu erklären; ihr kommt daher hinsichtlich der Rechtsfolgen kein Ermessen zu. Hingegen hat die Kommission das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen. Daher sind auch Beihilfen des Art. 87 Abs. 2 EG vorab der Kommission zu ĺnotifizieren und ist das ĺDurchführungsverbot durch die Mitgliedstaaten zu beachten. Zu den Legalausnahmen des Beihilfenrechts zählen: ƒ ĺBeihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher ƒ ĺBeihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder andere außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind ƒ ĺBeihilfen zum Ausgleich der durch die Teilung Deutschlands verursachten wirtschaftlichen Nachteile. (jr) §§: Art. 87 Abs. 2 EG Lit.: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, 1101 f.
Legitimation, demokratische ĺDemokratiedefizit Lehrendenmobilität ĺErasmus Leistungsbeschreibung Specification of service – spécifications du marché
Die Leistungsbeschreibung im Sinn des ĺVergaberechts stellt einen wesentlichen Teil der ĺAusschreibung dar, in der der Gegenstand der nachgefragten Leistung eindeutig und vollständig beschrieben wird. Die Leistungsbe-
schreibung muss für alle ĺWirtschaftsteilnehmer in gleicher Weise verständlich sein und sie darf nicht zu ĺDiskriminierungen führen. Für die Leistungsbeschreibung sind insbesondere ĺtechnische Spezifikationen heranzuziehen. (cm) §§: Art. 23 VergabeRL Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Leistungsfähigkeit, finanzielle ĺSubjektive Marktzugangsbedingungen Leistungsfähigkeit, wirtschaftliche und finanzielle bzw. technische ĺEignung Leitlinien guidelines – régime
Ähnlich wie in ĺGemeinschaftsrahmen werden in Leitlinien die Ansichten der ĺKommission zur Ermessensausübung im Rahmen des Art. 87 Abs. 3 EG veröffentlicht. Aufgrund der uneinheitlichen Terminologie finden sich in bestimmten Leitlinien allerdings auch Erläuterungen zur Ermessensausübung im Rahmen des Art. 87 Abs. 1 EG. Da die Leitlinien einseitig durch die Kommission erlassen werden, ist eine Abgrenzung zu den ĺMitteilungen kaum möglich. Wie Mitteilungen binden die Leitlinien nur die Kommission selbst. (jr) §§: Art. 87 Abs. 3 EG Lit.: T. Jestaedt/M. Schweda, in: M. Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2003, § 14, Rn. 25 ff.
Leitlinien zur Stromhandelsverordnung guidelines – orientations
Die Leitlinien für die Verwaltung und Zuweisung verfügbarer Übertragskapazität von Verbindungsleitungen zwischen nationalen Netzen wurden ursprünglich durch die ĺStromhandelsverordnung selbst festgesetzt. Durch Entscheidung der Kommission 32006D0770 vom 9.11.2006 wurden nunmehr neue Leitlinien erlassen. Diese regeln detailliert die Vergabe von Kapazitäten für den grenzüberschreitenden Stromhandel, etwa die Frage, wie Auktionen zur Vergabe von Kapazitäten durchzuführen sind oder wie die eingehobenen Mittel zu verwenden sind. Die (neuen) Leitlinien sind am 1.12.2006 in Kraft getreten. (hh) 605
Leitzinsen Leitzinsen ĺEuropäische Zentralbank Lenk- und Ruhezeiten driving periods and rests – temps de conduite et repos
Regelungen finden sich in einem Teilbereich der Vorschriften der VO (EWG) 3820/85; ĺStraßenverkehr, Sozialvorschriften. ĺVerkehrsrecht, personenbezogene Harmonisierung. Die einzuhaltenden Lenk- und Ruhevorschriften ergeben sich aus einer bestimmten Abfolge verschiedener Zeitabschnitte, deren maximale bzw. minimale Länge die VO jeweils im Hinblick auf einen zeitlichen Bezugsrahmen festlegt. Am bedeutendsten sind dabei die sog. Tageslenkzeiten, die sich jeweils mit einer täglichen bzw. – nach maximal 6 Abfolgen – mit einer wöchentlichen Ruhezeit abwechseln. Die höchstzulässige tägliche Lenkzeit beträgt i.d.R. 9 h; dabei ist die maximale Gesamtlenkzeit von 90 h in einem Bezugszeitraum von 2 Wochen zu beachten. Hält der Fahrer keine Ruhezeit ein, ist die Fahrt zu unterbrechen, wobei innerhalb von 4,5 h eine Pause von mindestens 45 min. einzulegen ist. In diesem Zeitraum ist die Vornahme jeglicher Arbeiten untersagt. Innerhalb von 24 h beträgt die Mindestdauer der täglichen Ruhezeit mindestens 11 h, die der wöchentlichen Ruhezeit 45 h. Die konkreten Arbeitsabläufe sind von den Fuhrunternehmen so zu planen und zu beaufsichtigen, dass die entsprechenden Vorgaben eingehalten werden können. Von diesem System sind verschiedene Ausnahmen vorgesehen, von denen besonders zwei Aspekte hervorzuheben sind: Soweit es sich nicht um Beförderungen handelt, die von im Ausland immatrikulierten Fahrzeugen im grenzüberschreitenden Verkehr durchgeführt werden, können die ĺMS strengere Vorschriften vorsehen. Ferner gibt es in engen Voraussetzungen zulässige „Abweichungen nach unten“. So sind bspw. für bestimmte, abschließend aufgezählte ĺBagatelltransporte aufgestellte Sonderregelungen der ĺKommission lediglich mitzuteilen. Ferner besteht unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit, im Falle außergewöhnlicher Umstände nach Genehmigung der Kommission Abweichungen von den Vorgaben der ĺVO vorzusehen. Zudem existiert zur flexiblen Handhabung eine Art ĺ„Notklausel“. (sm) §§: VO (EWG) 3820/85, ABl. 1985, Nr. L 370/1 Lit.: C. Rang, in: A. Frohnmeyer/P. Mückenhausen (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004, 71,
606
Rn. 62 ff.; A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 349
Lenkzeit ĺLenk- und Ruhezeiten Lennox-Entscheidung Lennox case – jurisprudence Lennox
Im Anlassfall sollten lebende Schlachtschafe aus England nach Italien verbracht werden, die mit einer Gesundheitsbescheinigung für Mastschafe ausgestatten waren. Italien sah für die ĺEinfuhr von Mastschafen eine eigene ĺVeterinärkontrolle vor, mit dem Ziel das Auftreten von BSE zu verhindern. Betreffend der streitgegenständlichen ĺEinfuhr war das Auftreten von BSE bereits im Vereinigten Königreich kontrolliert worden. Der ĺEuGH führte dazu aus, dass sobald sekundärrechtliche Bestimmungen ein gemeinschaftliches Verfahren zur Kontrolle vorsehen, darüber hinausgehende Kontrollen nicht mehr gerechtfertigt seien. Allerdings habe das betreffende ĺSekundärrecht zum relevanten Zeitpunkt die Möglichkeit einer Ansteckung von Schafen mit BSE nicht in Betracht gezogen. Es bestand somit keine ĺHarmonisierung der Kontroll- und Schutzmaßnahmen, sodass die nationalen Maßnahmen dem bestehenden Sekundärrecht grundsätzlich nicht entgegenstanden. Hinsichtlich der konkreten Einfuhrverweigerung führte der EuGH jedoch aus, dass Mastschafe höheren gesundheitlichen Anforderungen genügen müssen als Schlachtschafe. Schlachtschafe, die über eine Bescheinigung für Mastschafe verfügen, erfüllen somit jedenfalls auch die Gesundheitsanforderungen für Schlachtschafe. Die Einfuhr darf daher nicht aufgrund eines schlichten Formfehlers verweigert werden. (ah) Rsp.: EuGH, Rs. C-220/01 Lennox, Slg. 2003, I-0709
Leonardo da Vinci ĺBildungsprogramme Leonardo-Ausschuss Leonardo Committee – Comité Leonardo
Bei der EK eingerichtet gewesener Ausschuss (ĺKomitologie) für die Durchführung sowohl der ersten wie der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms im Bereich der beruflichen Bildung (ĺLeonardo da Vinci). Seine früheren Agenden werden im neuen
Lieferschwelle ĺAktionsprogramms für lebenslanges Lernen, in dem das Leonardo-Programm weitergeführt wird, nun entsprechend vom ĺAusschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens wahrgenommen. (jbu) §§: Art. 7 Beschluss 1999/382/EG des Rates vom 26.4. 1999 über die Durchführung der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms in der Berufsbildung „Leonardo da Vinci“ (ABl. 1999, Nr. L 146/ 33)
Lex loci delicti lex loci delicti – lex loci delicti
Die Regel der „lex loci delicti“ (auch: Tatortregel) ist eine Grundregel des ĺinternationalen Schadenersatzrechts. Sie wurde auch in die ĺRom II-VO aufgenommen und besagt, dass internationale Schadensfälle dem Recht des Schadensortes unterliegen. Schwierigkeiten bereitet diese Regel bei den so genannten Distanzdelikten, das sind Delikte, bei denen das schadensursächliche Verhalten in einem Land (Handlungsort) gesetzt wird, der Schaden aber in einem anderen Land (Erfolgsort) eintritt. Die ĺRom II-VO löst dieses Problem zu Gunsten des Erfolgsortes (vgl. Art. 4). Es ist also grundsätzlich das Recht des Landes anzuwenden, in dem der Schaden eintritt. Ausnahmsweise kann aber auch die Rechtsordnung eines anderen Landes anzuwenden sein, und zwar dann, wenn eine engere Verbindung zu diesem Land besteht (Ausweichklausel). Dies ist etwa dann der Fall, wenn Schädiger und Geschädigter im selben Land ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Darüber hinaus enthält die RomII-VO zahlreiche Sonderregeln für bestimmte Delikte, die von der Grundregel der Erfolgsortanknüpfung abgehen. (js) §§: VO (EG) 864/2007 vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. 2007, Nr. L 199/40 Lit.: G. Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1; H. Koziol/T. Thiele, Kritische Bemerkungen zum derzeitigen Stand des Entwurfs einer Rom II Verordnung, ZfVglRWiss 2007, 235
LGVÜ ĺLuganer Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen Libanon Lebanon – Liban
ĺEuropa-Mittelmeer-Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und
ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Libanesischen Republik andererseits. (bb) §§: ABl. 2006, Nr. L 143/2 (in Kraft seit 1.4.2006) Web: http://www.dellbn.cec.eu.int/en/index.htm
Lieferauftrag, öffentlicher public supply contract – marché public de fournitures
Ein öffentlicher Lieferauftrag im Sinn des ĺVergaberechts ist ein öffentlicher ĺAuftrag, der den Kauf, das Leasing, die Miete, die Pacht oder den Ratenkauf – mit oder ohne Kaufoption – von Waren betrifft. Lieferaufträge können auch bestimmte Nebenleistungen – wie das Verlegen und Anbringen – umfassen. (cm) §§: Art. 1 Abs. 2 lit. c VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 306; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 141 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Lieferschwelle threshold for application of the special scheme for distance selling – seuil retenu pour l’application du régime
Die Lieferschwelle ist integraler Bestandteil der ĺVersandhandelsregelung, welche unter gewissen Umständen trotz einer Versendung an private Abnehmer innerhalb der EU einen switch vom ĺUrsprungslandprinzip hin zum ĺBestimmungslandprinzip vorsieht. Hiebei muss der Gesamtbetrag der Entgelte, der den Lieferungen in den jeweiligen Mitgliedstaat zuzurechnen ist, im vorangegangenen oder voraussichtlich im laufenden Kalenderjahr die maßgebliche Lieferschwelle übersteigen. Zu berücksichtigen sind nur die entgelte für Lieferungen im Sinne der Versandhandelsregelung. Nicht einzubeziehen sind daher Entgelte für die Lieferung neuer Fahrzeuge (vgl. ĺErwerb neuer Fahrzeuge) und für die Lieferung verbrauchsteuerpflichtiger Waren (vgl. ĺErwerb verbrauchsteuerpflichtiger Waren). Die Lieferschwelle ist pro Mitgliedstaat zu ermitteln. Maßgeblich sind zunächst die Verhältnisse im vorangegangenen Kalenderjahr: Wurde in diesem die Lieferschwelle überschritten, gilt die Versandhandelsregelung jedenfalls im laufenden Jahr. Wurde sie im Vorjahr nicht überschritten, so gilt sie im laufenden Jahr (erst) ab jener Lieferung, mit der die Schwelle überschritten wird. Ebenso wie auf die Anwendung der ĺErwerbsschwelle, kann auch auf die Lieferschwelle verzichtet werden. Der Ort der Lieferung verlagert 607
Lieferung, innergemeinschaftliche sich sodann unabhängig von der Höhe der ausgeführten Umsätze in das jeweilige Bestimmungsland. Der Verzicht muss sich nicht auf das gesamte Gemeinschaftsgebiet beziehen, sondern kann für einzelne Länder ausgesprochen werden. Ein solcher Verzicht kann sinnvoll sein, wenn die Steuersätze des Bestimmungslandes unter jenen des Ursprungslandes liegen und nicht etwaige andere Gründe (z.B. ĺFiskalvertreter usw.) dagegen sprechen. (pu) §§: Art. 28b Teil B Abs. 2 6. MwStRL Web: Schwellenwerte in der Europäischen Union: http://ec.europa.eu/taxation_customs/taxation/vat/ traders/vat_community/index_de.htm
Lieferung, innergemeinschaftliche intra-Community supplies of goods – livraisons intracommunautaires
Eine echt steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung auf Seiten des leistenden Unternehmers liegt entsprechend dem ĺBestimmungslandprinzip dann vor, wenn auf Seiten des Leitungsempfängers (Erwerbers der Ware) ein ĺinnergemeinschaftlicher Erwerb zu besteuern ist. Zu den sonstigen Voraussetzungen des Wirksamwerdens des steuerlichen Grenzausgleiches (ĺGrenzausgleich, steuerlicher), insbesondere der tatsächlichen Überführung eines Gegenstandes von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat s. die Erläuterungen zum ĺinnergemeinschaftlichen Erwerb. Nur wenn eine solche tatsächliche grenzüberschreitende Warenbewegung (bewegte Lieferung) vorliegt, kommt eine Steuerfreiheit in Betracht. Fehlt ein solcher Grenzübertritt (ruhende Lieferung) wird weder ein innergemeinschaftlicher Erwerb noch eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung verwirklicht. (pu) Lindqvist-Entscheidung Lindqvist case – jurisprudence Lindqvist
EuGH-Urteil zum Datenschutz als ĺGrundrecht des Gemeinschaftsrechts. Die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung personenbezogener Daten im Internet ist anhand der RL 96/46 zum Schutz personenbezogener Daten zu prüfen. Es ist Sache der nationalen Gerichte, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den betroffenen Rechten und Interessen einschließlich der betreffenden durch das Gemeinschaftsrecht geschützten Grundrechte (insb. Art. 10 EMRK als Gemeinschaftsgrundrecht) sicherzustellen. 608
Rsp.: EuGH, Rs. C-101/01 Lindqvist, Slg. 2003, I-12971
Linienflug, Überbuchung scheduled flight, overbooking – vol régulier, surréservation
Die VO (EWG) 295/91 (ABl. 1991, Nr. L 36/5) legt Mindestregeln für Fälle fest, in denen Fluggäste auf einen überbuchten Linienflug von einem Flughafen im Gebiet des MS nicht befördert werden, obwohl sie für den fraglichen Linienflug einen gültigen Flugschein mit bestätigter Buchung vorweisen können. Grundsätzlich obliegt es jedem Luftfahrtunternehmen, (interne) Auswahlregeln aufzustellen, nach denen in solchen Fällen zu verfahren ist. Jene Regeln sollen die Möglichkeit vorsehen, Freiwillige zu ermitteln, die auf die Beförderung verzichten. Ferner müssen Interessen der Fluggäste Berücksichtigung finden, die aus berechtigten Gründen vorrangig zu befördern sind (z.B. Personen mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit und alleinreisende Kinder). Dem nicht beförderten Linienflugpassagier steht sodann ein Wahlrecht zwischen der vollständigen Erstattung des Flugscheinpreises, der schnellstmöglichen Beförderung zum Endziel oder der Umbuchung auf einen späteren Flug zu einem dem Fluggast genehmen Zeitpunkt zu. (sm) Lit.: R. Schmid, Die Entschädigung von Fluggästen bei Nichtbeförderung wegen Überbuchung, TranspR 1991, 128 ff.; E. Giemulla, Überbuchungen bei Luftbeförderung, EuZW 1991, 367 ff.
Lissabon-Strategie Lisbon strategy – stratégie de Lisbonne
Auch Lissabon-Prozess oder Lissabon-Agenda. Der Europäische Rat von Lissabon im März 2000 hat das strategische Ziel vorgegeben, die Union bis zum Jahr 2010 „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt“ zu machen. Daraus wurde die „Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung“ entwickelt, die ein umfassendes Konzept zur Hebung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft sowie zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in Europa darstellt. Sie wurde im Jahr 2005 evaluiert und trotz einer ernüchternden Zwischenbilanz (Midterm-Review) erneut zur Leitlinie europäischer Politik erklärt. Verstärkten Anstrengungen in der Forschungspolitik kommt darin eine wesentliche Bedeutung zu. Dazu zählt auch die Steigerung der Gesamtforschungsausgaben auf rund 3 % des BIP in der EU (ĺBar-
Lizenz (Landwirtschaft) celona-Ziel). Die Forschungsförderung durch das ĺForschungsrahmenprogramm und die Stärkung des ĺEuropäischen Forschungsraums sind im Licht der Lissabon-Strategie Grundlagen europäischer Prosperität. (hk) §§: Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Lissabon, 23./24.3.2000 (SN 100/00), Nr. 5; Dok. KOM(2001) 282 endg.; ABl. 2000, Nr. C 205/1 und ABl. 2000, Nr. C 374/1; „Zusammenarbeit für Wachstum und Arbeitsplätze. Ein Neubeginn für die Strategie von Lissabon“ (KOM[2005] 24 endg.) Lit.: W. Mönig, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Vorbem. Art. 163173, Rn. 25 Web: http://ec.europa.eu/growthandjobs/index_de.htm; http://europa.eu/scadplus/leg/de/cha/c11325.htm
Lissabonner Anerkennungsübereinkommen ĺAkademische Anerkennung; ĺDiploma Supplement Listendelikte listed offences – infractions énumérées sur la liste des groupes d’infractions
Als Listendelikte werden diejenigen strafbaren Handlungen bezeichnet, bei denen strafjustizielle (teils auch verwaltungsrechtliche) Entscheidungen eines ĺMitgliedstaates der ĺEU nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der) von den anderen Mitgliedstaaten ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit anerkannt und vollstreckt werden. Darüber hinaus entfällt – wie bei allen dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung unterliegenden strafjustiziellen Entscheidungen – das Erfordernis einer politischen Bewilligungsentscheidung und – bei der Vollstreckung von Sanktionen – das im klassischen Rechtshilfeverfahren vorgesehene Exequaturverfahren zur förmlichen Gleichstellung und Anpassung an innerstaatliche Entscheidungen des Vollstreckungsstaats. Gleichlautende, 32 Deliktgruppen umfassende Listen finden sich im ĺRahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl (ĺEuropäischer Haftbefehl), im RB über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungsentscheidungen (ĺSicherstellungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Vermögensgegenstände oder Beweismittel betreffenden) und im RB über die gegenseitige Anerkennung von Einziehungsentscheidungen (ĺEinziehungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von). Die
Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit ist hier zu unterlassen, wenn die Handlung im Entscheidungsstaat mit einer Mindesthöchststrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist. Weiter gefasst ist die Liste im RB über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (ĺGeldstrafen und Geldbußen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von), hier ist zudem keine Mindesthöchststrafe erforderlich. Vorschläge für weitere Rechtsakte, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruhen und bei Listendelikten auf die Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit verzichten, betreffen die ĺVollstreckungsübernahme von freiheitsentziehenden Sanktionen und die Anerkennung und Überwachung von Bewährungsstrafen, alternativen Sanktionen und bedingten Verurteilungen. Der ĺEuGH hat in der Rechtsache Advocaten voor de Wereld in der vielfach kritisierten Unbestimmtheit der Listendelikte keinen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip gesehen. Denn die Einordnung einer Handlung unter diese Listendelikte betreffe lediglich die verfahrensrechtliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, die Liste bilde aber nicht die gesetzliche Grundlage der Strafverfolgung. (sts) §§: Art. 2 Abs. 2 Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten; ABl. 2002, Nr. L 190/1; Art. 3 Abs. 2 Rahmenbeschluss 2003/577/JI vom 22.7.2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. 2003, Nr. L 196/45; Art. 6 Abs. 1 Rahmenbeschluss 2006/783/JI des Rates vom 6.10.2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen, ABl. 2006, Nr. L 328/59; Art. 5 Abs. 1 Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24.2.2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, ABl. 2005, Nr. L 76/1 Rsp.: EuGH, Rs. C-303/05 Advocaten voor de Wereld, Slg. 2007, I-3633
Lizenz (Landwirtschaft) licence (agriculture) – certificat (agriculture)
Die Aufgaben einer Lizenzregelung sind ƒ eine genaue Übersicht über die Warenbewegungen, die über die Außengrenzen der Gemeinschaft abgewickelt werden, zu erhalten, um Marktentwicklungen besser zu beurteilen und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen können ƒ die Steuerung der Warenzu- und -abflüsse: Unterliegt die Ein- und gegebenenfalls die Ausfuhr eines Agrarproduktes über die Gemein609
Lobbyismus schaftsaußengrenzen einer Lizenzregelung, dann ist die Ein- oder Ausfuhr nur zulässig, wenn zuvor für die vorgesehene gattungsmäßig beschriebene Warenmenge eine Lizenz beantragt wird und bei der tatsächlichen Ein- oder Ausfuhr auch vorgelegt wird. Eine Lizenz berechtigt jedoch nicht nur zur beantragten Warenbewegung, sondern verpflichtet auch gleichzeitig dazu. Gegebenfalls sind ĺSicherheiten zu erlegen. (all) §§: VO (EG) 1234/2007, Gemeinsame Organisation der Agrarmärkte, ABl. 2007, Nr. L 299/1; Teil II Kap. II & III; VO (EG) 1291/2000 Durchführungsvorschriften für Ein- und Ausfuhrlizenzen für landwirtschaftliche Erzeugnisse, ABl. 2000, Nr. L 152/1-43 Lit.: F. Anhammer, Markordnungsrecht, in: R. Norer (Hrsg.), Handbuch des Agrarrechts, 2005, 57; R. Jäger, Kautionen im Agrarrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1994; A. Leidwein, Europäisches Agrarrecht, 2004
Lobbyismus lobbying
Der Begriff geht auf die Vorhalle oder Wandelhalle in Parlamentsgebäuden zurück, in denen die Vertreter verschiedener Gruppen den Mitgliedern des Parlamentes Vorteile für ein bestimmtes Verhalten in Aussicht stellten. Nach Hans Merkle ist Lobbyismus die zielgerichtete Beeinflussung von Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung. Charakteristisch ist dabei die Einwirkung auf Entscheidungsträger durch präzise Information im Rahmen einer zuvor ausgearbeiteten Strategie. Die Tätigkeit von Lobbyisten lässt sich mit Informationsbeschaffung, Informationsaustausch und Einflussnahme beschreiben. Auf Unionsebene können sich Lobbyisten insbesondere beim ĺEuropäischen Parlament akkreditieren lassen, wo ihre Detailkenntnisse gerne von den Abgeordneten in Anspruch genommen werden. Aufgrund der großen Zahl von Lobbyisten der unterschiedlichsten Interessengruppen, die im Laufe eines Meinungsbildungsprozess angehört werden, ist die Gefahr einer einseitigen oder parteiisch gefärbten Beeinflussung des Parlaments eher gering. Neben den Parlamentariern kommt einer Reihe weiterer Personen besondere Bedeutung in der Lobbyarbeit zu. Wegen des ĺInitiativrechts im ĺ„Gesetzgebungsverfahren“ stellt die ĺKommission einen wichtigen Ansprechpartner für die Lobbyverbände dar. Wobei nicht nur die Kommissare Ziel der Lobby-Maßnahmen sind. Fast noch wichtiger ist der Kontakt in die „Kabinette“ der einzelnen Kommissare und die 610
ĺGeneraldirektionen. Letztere arbeiten auf den unterschiedlichen Ebenen (Referat, Abteilung, Direktion) die Entscheidungsvorlagen für die Kommission und den ĺRat aus. Die erfolgversprechende Einflussnahme bereits in einem frühen Entwurfsstadium eines Rechtsakts, muss also auf diesen unteren Ebenen ansetzen. Daneben kommt den Mitgliedern des ĺCOREPER eine wichtige Rolle im Lobbyprozess zu. Sowohl über die Ständigen Vertreter im COREPER als auch über deren Stellvertreter, die in eigenen Ausschüssen tagen, können insbesondere noch Änderungen von Kommissionsvorschlägen durch den Rat angestrebt werden. Schließlich spielen in ĺVermittlungsverfahren nach Art. 251 EG die Berichterstatter eine bedeutende Rolle, die sie zu wichtigen Ansprechpartnern für Lobbyisten macht. Die Vielzahl der möglichen Ansprechpartner macht eine fundierte Kenntnis von Zuständigkeiten und Geschäftsverteilungsplänen innerhalb der einzelnen Organe unerlässlich. Das Handlungsspektrum der Lobbyisten reicht von Arbeitsessen, bei denen einzelne oder kleine Gruppen von Entscheidungsträgern mit sachlichen Fakten und den Positionen des jeweiligen Interessenverbandes vertraut gemacht werden, über Infobriefe, dem zur Verfügungsstellen von themenbezogenen Informationen bis zur Ausrichtung großer Fachtagungen und gezieltem Einsatz der internationalen Medien. Neben den Akteuren in Brüssel sind auch die Europabeauftragten in nationalen Parlamenten und Ministerien als Sprachrohr der Interessenverbände nicht zu vernachlässigen. Aufgrund der komplexen Entscheidungsstrukturen innerhalb der Europäischen Union, der großen Zahl beteiligter Akteure, des halbjährlich wechselnden Ratsvorsitzes und der schier unübersehbaren Themenvielfalt, erfordert der Lobbyismus auf europäischer Ebene eine besonders effektive Organisation, weshalb sich viele nationale Lobbygruppen zu großen europäischen Lobby-Organisationen zusammen geschlossen haben. Zu den wichtigsten zählen ĺBUSINESSEUROPE bzw. ĺUNICE, ĺBEUC und ĺCIAA. Zurzeit gibt es in Brüssel zwischen 10.000 und 15.000 professionelle Lobbyisten. (fg) Löschung von Daten erasure of data – radiation des données
Unter Löschung versteht die RL 95/46/EG (ĺDatenschutzrichtlinie) die Vernichtung des
Loyale Zusammenarbeit, Pflicht zur Datums (ĺpersonenbezogene Daten) oder die Auflösung des Personenbezuges einer Information. Ein Recht auf Löschung hat jede ĺbetroffene Person, wenn ihre Daten nicht entsprechend den Regelungen der Richtlinie verarbeitet werden (ĺVerarbeitung von Daten). Die Löschung hat durch den ĺVerantwortlichen für die Verarbeitung zu erfolgen. (al) §§: Art. 12 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 197; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 185
Lokale Gebietskörperschaft local body – collectivité locale
Art. 263 EG spricht von „lokalen Gebietskörperschaften“, deren Vertreter zusammen mit jenen der ĺ„regionalen Gebietskörperschaften“ den ĺ„Ausschuss der Regionen“ bilden, dessen Bezeichnung insofern verkürzt wirkt. Was unter einer lokalen Gebietskörperschaft zu verstehen ist, wird im EG-Vertrag nicht explizit definiert. Jedenfalls sind darunter subregionale Gebietskörperschaften zu verstehen, die als kleinste politische Einheit der Mitgliedstaaten die größte Bürgernähe aufweisen. Darunter fallen regelmäßig die Gemeinden, aber auch, je nach der inneren Organisation des jeweiligen Mitgliedstaates, allenfalls Kreise, Gemeindeverbände, Städte, Provinzen, Departements etc. Mitunter kann es dabei zu Abgrenzungsfragen gegenüber den ĺregionalen Gebietskörperschaften kommen (z.B. Hauptstädte als Gemeinden und Bundesländer). Die Heterogenität der lokalen Gebietskörperschaften untereinander, aber auch Interessendivergenzen zu den ĺregionalen Gebietskörperschaften lassen den ĺAusschuss der Regionen nur bedingt als geeignete Institution gemeinsamer Interessenvertretung erscheinen. (ag) §§: Art. 263 EG Lit.: J. Loughlin (Hrsg.), Subnational Democracy in the European Union, 2001; M. W. Schneider, Kommunaler Einfluß in Europa, 2004
Lomé-Abkommen Lomé agreement – la convention de Lomé
Die vier Abkommen von Lomé (1975, 1980, 1986, 1989) wurden aufgrund der ĺhumanitären Hilfe im Rahmen der vertraglichen Assoziierung zwischen den AKP-Staaten (African, Caribbean and Pacific Group of States, kurz ACP-Gruppe) und der EG geschlossen; das
letzte Lomé-Abkommen lief am 29.2.2000 ab und wurde vom ĺCotonou-Abkommen ersetzt. (ab). Lit.: M. Kuhn, Humanitäre Hilfe der Europäischen Gemeinschaft, 2000, 40 ff. Web: http://ec.europa.eu/development/Geographical/ LomeGen_en.cfm; http://ec.europa.eu/development/ Geographical/Cotonou/LomeGen/LomeItoIV.cfm
Londoner Übereinkommen über die Anwendung des Art. 65 EPÜ London agreement on the application of Art. 65 EPC – accord de Londres sur l’application de l’art. 65 CBE
Regelt die Übersetzungserfordernisse, die die EPÜ-Vertragsstaaten (ĺEuropäisches Patentübereinkommen) für die Validierung eines europ. Patents stellen dürfen (ĺeurop. Patent, Validierung). Die beteiligten EPÜ-Staaten verzichten ganz oder teilweise auf die Übersetzung der Patentschrift in ihre Amtssprache. Nach der Ratifikation durch Frankreich am 29.1.2008 wird es am 1.5.2008 in Kraft treten. (mp) §§: Londoner Übereinkommen vom 17.10.2000 über die Anwendung des Art. 65 EPÜ, ABl. EPA 2001, 549 Lit.: D. Schennen, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 65, Rn. 3 Web: http://www.epo.org/patents/law/legislative-initia tives/london-agreement_de.html; http://www.epo.org/ patents/law/legislative-initiatives/london-agreement/ status_de.html
Losvergabe award in the form of seperate lots – marchés passés par lots séparés
Bei einer Losvergabe im Sinn des ĺVergaberechts entscheidet sich der öffentliche ĺAuftraggeber, eine Leistung in mehrere Lose aufzuteilen und getrennt – möglicherweise an unterschiedliche ĺAuftragnehmer – zu vergeben. Eine Losvergabe bietet sich insb. bei umfangreichen Leistungen (Teillose) oder bei Leistungen verschiedener Handwerks- und Gewerbezweige (Fachlose) an. Die Vergabe eines öffentlichen ĺAuftrags in Losen soll insb. kleinen und mittleren Unternehmen die Teilnahme am ĺVergabeverfahren ermöglichen. (cm) Lit.: A. Kus, in: H. P. Kulartz/A. Kus/N. Portz (Hrsg.), Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2006, 23 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Loyale Zusammenarbeit, Pflicht zur ĺUnionstreue 611
Lückenschließungsklausel, subsidiäre Generalermächtigung des Art. 308 EG Lückenschließungsklausel, subsidiäre Generalermächtigung des Art. 308 EG
Lütticke-Entscheidung (BVerfG)
article 308 EC – article 308 CE
Entscheidung des ĺBVerfG vom 9.6.1971, BVerfGE 31, 145 (ĺVerfassungsbeschwerde). Eine der ersten Entscheidungen des BVerfG zum Gemeinschaftsrecht. In ihr erkannte das BVerfG die Rsp. des ĺEuGH zur unmittelbaren ĺAnwendbarkeit und zum ĺVorrang des europäischen ĺPrimärrechts an. Im konkreten Fall ging es um die zuvor in derselben Rechtssache vom EuGH (Rs. 57/65 Alfons Lütticke GmbH/Hauptzollamt Saarlouis, Slg. 1966, 258) postulierte unmittelbare Anwendbarkeit des steuerlichen Diskriminierungsverbotes in Art. 95 Abs. 1 EWGV (nunmehr Art. 90 Abs. 1 EG) und die darauf vom BFH gestützte teilweise Nichtanwendung des deutschen UStG auf die Erhebung einer Umsatzausgleichssteuer beim Import von Milchpulver. (sgk)
Die Vorschrift des Art. 308 EG (Art. 203 EAV) bietet eine „Abrundungsermächtigung“, deren Ausübung fast die Grenze zur Vertragsänderung tangiert und das ĺPrinzip der begrenzten Ermächtigung abschwächt. Sie wird in der Literatur häufig auch als „Ersatzkompetenz“, „Ergänzungsklausel“, „Vertragsabrundungskompetenz“, „Subsidiärkompetenz“ oder „Reserveermächtigung“ bezeichnet. Die Inanspruchnahme der Kompetenzausweitung des Art. 308 EG kann jedoch nur unter Bezugnahme und im Rahmen der Verwirklichung der Vertragsziele gem. Art. 2-4 EG bzw. Art. 1 f. EAV und an weiteren Stellen der Gründungsverträge festgelegten, erfolgen und begründet keine ĺKompetenz-Kompetenz der EG/EU. Der ĺRat kann einstimmig die entsprechenden Vorschriften erlassen, wenn der EGV zwar ein Ziel vorgibt, aber zur Erreichung desselben im Rahmen des ĺGemeinsamen Marktes keine entsprechende Befugnis enthält. Der Rückgriff auf Art. 308 EG ist gegenüber anderen Ermächtigungsgrundlagen (wie z.B. Art. 94 EG, Art. 18 EG) subsidiär und kann nur unter folgenden kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen erfolgen: Das Tätigwerden der Gemeinschaft muss erforderlich sein, um im Rahmen des Gemeinsamen Marktes eines der Ziele zu verwirklichen und die erforderlichen Befugnisse müssen tatsächlich fehlen, d.h. die Bestimmung des Art. 308 EG kann nicht zur Umgehung bestehender Kompetenznormen und damit im Zusammenhang stehende Verfahren dienen. Weiters muss ein entsprechender Vorschlag der ĺKommission vorliegen und das ĺEP angehört werden. Der Ratsbeschluss zum Erlass „geeigneter“ Vorschriften muss einstimmig erfolgen. Bei unzulässiger Inanspruchnahme des Art. 308 EG durch den Rat kann der Rechtsakt beim ĺEuGH mittels ĺNichtigkeitsklage angefochten werden. (db) §§: Art. 308 EG, Art. 203 EAV, Art. 48 EU, Art. 94 EG, Art. 18 EG, u.a. Lit.: M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, 174; M. Herdegen, Europarecht, 8. Aufl. 2006, 182; M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 308 EGV, Rn. 1 ff.; J. Bitterlich, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 308 EGV, Rn. 6 ff.; u.a. Rsp.: EuGH, Rs. 45/86 APS, Slg. 1987, 1493, Rn. 13 ff.; EuGH, Rs. 22/70 AETR, Slg. 1971, 263, Rn. 95; EuGH, Rs. C-295/90 Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1992, I-4193, Rn. 11; EuGH, Gutachten 2/94, EMRK, Slg. 1996, I-1759 ff., Rn. 30
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Lütticke case – jurisprudence Lütticke
Lit.: H.-P. Ipsen, EuR 1972, 57
Luftfahrtunternehmen, Betriebsgenehmigungen air carriers, licensing – transporteurs aériens, licences des
Als Teil der Liberalisierung des Luftverkehrs stellt die VO (EWG) 2407/92 (ABl. 1992, Nr. L 240/1) einheitliche Voraussetzungen für Zulassung einer Tätigkeit als Luftfahrtunternehmer auf und enthält eine abschließende Regelung der ĺsubjektiven Marktzugangsvoraussetzungen. Erteilung und Aufrechterhaltung einer Betriebsgenehmigung für Luftfahrtunternehmen in der EU sind von drei Voraussetzungen abhängig: ƒ der persönlichen Zuverlässigkeit, ƒ der finanziellen Zuverlässigkeit sowie ƒ der fachlichen und organisatorischen Befähigung. Notwendig ist zudem der Nachweis eines ausreichenden Haftpflichtversicherungsschutzs, die Registrierung der eingesetzten Flugzeuge in einem EWR-Staat sowie der Sitz des antragstellenden Unternehmens in einem EWR-Staat. Bei Erfüllung der Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf Erteilung der Betriebsgenehmigung. Diese Bestimmungen werden flankiert durch die RL 91/670/EWG (ABl. 1991, Nr. L 373/21): Durch diese wird ein gemeinschaftliches Verfahren zur gegenseitigen Anerkennung von Erlaubnissen der MS für Luftfahrpersonal in der Zivilluftfahrt eingeführt. Die MS sind verpflichtet, Erlaubnisse von Luftfahrzeugführern anzuerkennen, wenn diese gem. den Anforderungen des Anhangs I des ĺAbkommen von Chica-
Luftreinhaltung gos über die Internationale Zivilluftfahrt aufgestellt worden sind und die besonderen, im Anhang der RL näher spezifizierten Voraussetzungen für die Gültigkeitserklärung vorliegen. (sm) Lit.: M. Niejahr, in: A. Frohnmeyer/P. Mückenhausen (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004, 51, Rn. 27 ff.
Luftfahrtunternehmen, Haftung bei Unfällen air carrier liability in the event of accidents – responsabilité des transporteurs aériens en cas d’accident
Die VO (EG) 2027/97 (ABl. 1997, Nr. L 285/1) enthält Vorschriften über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr. Angestrebt wird eine Verbesserung des Schutzniveaus von Fluggästen, die von Unfällen im Luftverkehr betroffen sind. Erfasst sind Unfälle von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, bei denen ein Fahrgast getötet, körperlich verletzt oder sonst gesundheitlich geschädigt wird, sofern der Unfall an Bord oder beim Ein- oder Aussteigen erfolgte. Die Haftung der Luftfahrtunternehmen ist keinen Begrenzungen unterworfen. Für Schäden bis zu einem bestimmten Mindestbetrag kann sich Unternehmen auch nicht mit dem Verweis auf die getroffenen Vorsichtsmaßnahmen lösen. Bei (Mit-)Verschulden des Fahrgastes ist eine gänzliche oder teilweise Haftungsbefreiung des Untenehmens möglich. Es ist auch kein Ausschluss einer Mithaftung von Drittpersonen bzw. Regressierung vorgesehen. Zur Kompensation der unmittelbaren Kosten aufgrund eines Luftverkehrsunfalls soll die rasche (spätestens 15 Tage nach der Feststellung der Identität der schadensersatzberechtigten natürlichen Person) Zahlung eines Vorschusses erfolgen. (sm) Luftfrachtraten ĺFlugpreise Luftqualitätsnormen air quaility standards – normes de qualité de l’air
Unter diesem Oberbegriff erfolgt die Festlegung von Luftqualitätszielen für Schwefeldioxid, Schwebstaub, Stickstoffdioxid und Leitwerte mittels ĺRichtlinien. Dabei erfolgt jeweils die Regelung von (Mindest-) Grenzwerten und längerfristigen Leitwerte, Meßmethoden und Weitergabe von Daten über Probenamen und Ergebnisse an die ĺKommission.
Einzelne Grenzwerte sind in folgenden Richtlinien enthalten: ƒ Grenzwerte für Konzentration für Schwefeldioxid und Schwebstaub: RL 80/779/EWG. ƒ Weitergehende Anforderungen: Genfer Protokoll über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung (ABl. 1998, Nr. L 326/35). ƒ Grenz- und Leitwerte für Stickstoffdioxidgehalt in der Luft: RL 85/203/EWG. ƒ Festlegung von (im Vergleich wesentlich strenger gefassten) Grenzwerte für Bleigehalt in der Luft: RL 82/884/EWG. ƒ Errichtung eines Warnsystems (Warn-Grenzwerte) für Luftverschmutzung durch Ozon: RL 92/72/EWG. Die Vorgabe eines gemeinsamen Rahmens für Luftqualitätsvorschriften erfolgte durch die RahmenRL 96/62/EG: Diese enthält nur allgemeine Grundsätze, insbesondere über die Festlegung von Luftqualitätszielen für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Feinpartikel, Schwebestaub, Blei und Ozon. Die RL bedarf der Konkretisierung in einzelnen TochterRL, die entsprechende Grenzwerte und Alarmschwellen vorgeben sollen. (sm) Luftreinhaltung air pollution control – contrôle de la pollution atmosphérique
Das als „Luftreinhaltungsrecht der EG“ anzusehende Gebiet weist eine sehr komplexe Regelungsstruktur auf, basierend fast ausschließlich auf Bestimmungen ordnungsrechtlicher Natur. Ausgangspunkt der Regelungen war ein medialer Regelungsansatz; seit Anfang der 80er Jahre werden Anforderungen an die Luftqualität in Immissionsvorschriften geregelt. Die Luftqualitätsziele des Gemeinschaftsrechts werden durch Emissionsvorschriften für Genehmigungsentscheidungen im Einzelfall relevant. Zudem erfolgt neben der Entwicklung des medialen Ansatzes auch die Ausprägung eines kausalen Ansatzes, ausgerichtet auf Regelung des Inverkehrbringens und des Umgangs mit gefährlichen Stoffen. Als Beispiele für einen medienübergreifenden, integrierten Umweltschutz sind zu nennen: ƒ RL 87/217/EWG (Asbest) ƒ ĺUVPRL (Auswirkungen eines Projekts auf die Luft) ƒ IVURL (ĺIntegrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) Neuerdings wird das Luftreinhaltungsrecht durch nichtregulative Steuerungsinstrumente ergänzt, wie 613
Luftverkehrskommando, europäisches ƒ
freiwillige Absprachen mit einzelnen Industriezweigen ƒ Einsatz finanzieller Instrumente (z.B. Anlastung der Wegekosten des Schwerverkehrs), RL 93/89/EWG ƒ VO über Verteilung von Transitrechten durch Österreich (ĺÖkopunktesystem), VO (EG) 3298/94 In regelungstechnischer Hinsicht vorgelagert sind stoff- und produktbezogene Bestimmungen. Bestimmungen zur Produktqualität und -verwendung erfassen den Gehalt eines Schadstoffes in bestimmten Produkten und sollen Luftverunreinigungen durch bestimtme Stoffe erfassen, noch bevor es zu Emissionen kommt. Zu nennen sind hier u.a. die RL 93/12/EWG über den Schwefelgehalt von Gasölen oder die RL 85/210/EWG betreffend den zulässigen Bleiund Benzolgehalt von Benzin. Gleichfalls finden sich Bestimmungen zu Gefahrstoffen, deren schädigende Auswirkungen vornehmlich über den Schadstofftransport in der Luft erfolgen. Hier existieren unterschiedliche ĺVerordnungen und ĺRichtlinien, die zumeist einen ordnungsrechtlichen Ansatz verfolgen. Als vornehmlich tangierte Stogffe sind Asbest, FCKW sowie Hallonen zu nennen. Schließlich ist auch in diesem Zusammenhang der Einsatz anderer Steuerungsinstrumente, wie vor allem die freiwiliigen Absprachen (z.B. mit den Aerosol-Herstellern, der Kühlgeräte- und der Schaumstoff-Industrie) zu erwähnen. Die EG ist wichtigen internationalen Abkommen zur Luftreinhaltung (u.a. betreffend Stickstoffdioxidemissionen, Schwefelemissionen, den Schutz der Ozonschicht und Klimaveränderungen) beigetreten. S.a. ĺLuftqualitätsnormen, ĺEmissionsnormen. (sm) §§: KOM(2005) 446 endg. Lit.: J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 304 ff.
Luftverkehrskommando, europäisches ĺFähigkeiten, militärische Luganer Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (LGVÜ) Lugano Convention – Convention de Lugano
Der große Erfolg des ĺBrüsseler Übereinkommens 1968 führte zu dem Wunsch, dieses System auch auf andere europäische Nachbarstaa614
ten auszudehnen, mit denen enge Beziehungen bestanden, sodass ebenfalls häufig grenzüberschreitende Streitigkeiten mit Bezug zu diesen Staaten auftraten. Allerdings war das Brüsseler Übereinkommen ein völkerrechtliches Übereinkommen auf der Basis des Art. 220 EWG (Art. 293 EG) und stand damit nur MS der EG zur Unterzeichnung offen. Schließlich war es für Nicht-EG-Staaten nicht selbstverständlich, sich der Rechtsprechungskompetenz des EuGH zum EuGVÜ zu unterwerfen. Man entschloss sich daher 1988 ein Parallelübereinkommen zu schließen, dass inhaltlich fast wörtlich dem EuGVÜ entsprach, aber hinsichtlich des Kreises der Vertragsstaaten offen ausgestaltet ist und auch Raum für die Berücksichtigung einzelner nationaler Vorbehalte lässt. Nachteil des LGVÜ gegenüber dem Vorbild ist jedoch das Fehlen einer gemeinsamen Auslegungsinstanz. Die Vertragsstaaten verpflichten sich lediglich auf Basis eines Protokolls die Rsp. der anderen Vertragsstaaten zu berücksichtigen. Eine echte Bindung besteht jedoch nicht. Vertragsparteien dieses nach seinem Abschlussort Luganer Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (LGVÜ) genannte Übereinkommens waren die damaligen MS der EG und der ĺEFTA. Das LGVÜ hat jedoch zunächst durch den Beitritt einer Reihe von EFTA-Staaten zur EU an Bedeutung verloren, weil zwischen den EG-MS das EuGVÜ – bzw. heute die ĺEuGVVO – Vorrang beansprucht. Die Bedeutung beschränkt sich damit heute auf Sachverhalte mit Berührungspunkten zu Norwegen, der Schweiz und Island. Um den durch die Änderungen des EuGVÜ im Zuge der Vergemeinschaftung gefährdeten Gleichlauf zwischen den Parallelübereinkommen wieder herzustellen, ist geplant, das LGVÜ zu überarbeiten. Ein Entwurf, der eine Anpassung an die EuGVVO vorsieht, wurde bereits im März 2007 auf einer diplomatischen Konferenz verabschiedet. Im Einklang mit einem Gutachten des EuGH liegt die Kompetenz für den Abschluss der Neufassung mit den EFTAStaaten direkt bei der Gemeinschaft und nicht länger bei den einzelnen MS. Ein solcher Abschluss durch die EG wird zu einer automatischen Ausdehnung des Anwendungsbereichs auch auf die neuen MS führen, die mit Ausnahme Polens bisher nicht Vertragsstaaten des LGVÜ sind. (mrm) Lit.: H. Schack, Die Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von Brüssel und Lugano, ZEuP 1999, 783-796
Luxemburger Kompromiss Luisi und Carbone-Entscheidung Luisi and Carbone case – jurisprudence Luisi et Carbone
Gegenstand der verb. Rs. Luisi und Carbone war eine italienische Bestimmung, aufgrund derer es verboten war, ausländische Devisen über einen bestimmten Betrag hinaus auszuführen. Devisenausfuhren spielten vor allem im Zusammenhang mit touristischen Reisen eine Rolle. Nach Ansicht des ĺEuGH stellte dies eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar, da diese auch die Freiheit des Dienstleistungsempfängers umfasst, „sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen MS zu begeben, ohne durch Beschränkungen – und zwar auch im Hinblick auf Zahlungen – daran gehindert zu werden, und dass Touristen sowie Personen, die eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen, oder die Studien- und Geschäftsreisen unternehmen, als Empfänger von Dienstleistungen anzusehen sind“ (verb. Rs. Luisi und Carbone, Rn. 16). Eine ähnliche Argumentation zur Begründung der ĺpassiven Dienstleistungsfreiheit wandte der EuGH in der Rs. ĺCowan an. (sh) Lit.: W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EGV, Rn. 87 Rsp.: EuGH, verb. Rs. 286/82 und 26/83, Luisi und Carbone, Slg. 1984, 377
Luxemburg-Gruppe ĺGruppen- und Startlinienmodell der sog. Osterweiterung; ĺOsterweiterung, Geschichte der Luxemburger Kompromiss Luxembourg compromise – compromis de Luxembourg
Ein am 29.1.1966 zwischen den Mitgliedstaaten erreichter Kompromiss, eine Art „gentlemen’s agreement“, um die von Frankreich im Jahr 1965 betriebene sog. „Politik des leeren Stuhls“ zu beenden. Frankreich war über mehrere Monate von den Ratstagungen ferngeblieben, um gegen den Übergang vom Einstimmigkeits- zum Mehrheitsprinzip im Bereich der Landwirtschaft zu protestieren. Durch dieses Protokoll wurde die in den Gemeinschaftsverträgen vorgesehene Möglichkeit der Mehrheitseintscheidungen bei Ratsbeschlüssen beschränkt. Es sah vor, dass wareneine Einvernehmensentscheidung angestrebt werden konnte, soweit vitale Interessen eines Mitgliedstaates berührt waren, auch wenn nach dem Primärrecht eine Mehrheitsentscheidung zulässig gewesen wäre. (gm) Lit.: C. Thun-Hohenstein/F. Cede/G. Hafner, Europarecht, 5. Aufl. 2005, 106 Web: http://europa.eu/abc/history/1960-1969/1966/ index_de.htm
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M Maastricht-Entscheidung (BVerfG) Maastricht case – jurisprudence Maastricht
Grundsatzentscheidung des ĺBVerfG vom 12.10.1993, BVerfGE 89, 155, über eine ĺVerfassungsbeschwerde gegen das deutsche ĺZustimmungsgesetz zum ĺVertrag von Maastricht. Die Verfassungsbeschwerde wurde teils als unzulässig, teils als unbegründet zurückgewiesen. Jedoch nahm das BVerfG grundlegend zum Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und deutschem Verfassungsrecht Stellung. Hinsichtlich des Grundrechtsschutzes prägte es zur Kennzeichnung der jeweiligen Rolle von ĺEuGH und BVerfG den Begriff des ĺKooperationsverhältnisses und klassifizierte abweichend von früheren Entscheidungen auch Gemeinschaftsrechtsakte als zulässigen Gegenstand von Verfahren vor dem BVerfG. Umstritten war zunächst, ob das Urteil eine Wiederaufnahme der in ĺSolange II suspendierten Ausübung der Gerichtsbarkeit des BVerfG in Grundrechtsfragen bedeutete. In späteren Entscheidungen wies das BVerfG eine solche Deutung jedoch zurück und hielt die Suspendierung seines ĺPrüfungsvorbehalts aufrecht (ĺGrundrechte; ĺBananenmarktordnung). Zum anderen ging das BVerfG auf die kompetentiellen Grenzen des ĺIntegrationsprozesses ein. Es folgerte aus dem Demokratieprinzip, dass die Übertragung von ĺHoheitsrechten auf die EU und das beabsichtigte Integrationsprogramm durch das Zustimmungsgesetz hinreichend bestimmbar festgelegt sein und dem ĺBundestag Befugnisse von substantiellem Gewicht belassen müssen (ĺIntegrationsschranken). Diesem Gebot hat es durch Rückgriff auf das Grundrecht des Wahlrechts nach Art. 38 Abs. 1 GG zugleich eine subjektiv-rechtliche, mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbare Dimension verliehen. In der umstrittensten Passage des Urteils schließlich hat das BVerfG den Anspruch postuliert, europäische Rechtsakte dahingehend zu überprüfen, ob sie sich in den Grenzen der übertragenen Hoheitsrechte und zulässiger Rechtsfortbildung halten oder 616
die Verbandskompetenzen der Union übersteigen (ausbrechender ĺRechtsakt; ĺBrückentheorie). Dieser Anspruch wendete sich v.a. gegen die extensive Auslegung von Kompetenznormen durch den EuGH. Das BVerfG hat in seiner späteren Rsp. jedoch bislang keinen Gebrauch von diesem Prüfungsanspruch gemacht. (sgk) §§: Art. 23 GG Lit.: C. Tomuschat, Die Europäische Union unter der Aufsicht des Bundesverfassungsgerichts, EuGRZ 1993, 489; K. Meessen, Maastricht nach Karlsruhe, NJW 1994, 549
Maastrichter Vertrag ĺVertrag von Maastricht Mahnschreiben formal notification – lettre de mise en demeure de présenter des observations
Am Anfang des ĺformellen Vorverfahrens steht die Aufforderung der Kommission an den Mitgliedstaat, sich zu dem vorgeworfenen Vertragsverstoß zu äußern. Diese Aufforderung erfolgt schriftlich, daher hat sich für sie der Begriff des Mahnschreibens eingebürgert. Der Mitgliedstaat kann nach dem Erhalt des Mahnschreibens zu den Vorwürfen Stellung nehmen (Gegenvorstellung), etwaige Verteidigungsstrategien vorbereiten – er hat natürlich auch Gelegenheit, den Vertragsverstoß abzustellen. Das Mahnschreiben selbst ist kein verbindlicher Rechtsakt i.S.d. Art. 249 EG, sondern eine unselbstständige Vorbereitungshandlung und kann daher nicht isoliert im Wege der Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG angefochten werden. Ebenso wenig besteht im Gegenzug eine Verpflichtung des Mitgliedstaats sich auf das Mahnschreiben hin zu äußern. In den meisten Fällen wird er jedoch gut beraten sein, dies zu tun, da sich mit größerer Mitwirkung am Verfahren auch die Chancen auf eine gütliche Einigung erhöhen. An den Inhalt des Mahnschreibens sind bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Zunächst muss die Kommission dem Mitgliedstaat mit-
Marken- und Sortenrechtsklage, allgemein teilen, dass überhaupt ein Vertragsverletzungsverfahren gegen ihn eingeleitet wurde. Dem Mitgliedstaat ist in rechtlicher und tatsächlicher Weise offen zu legen, aufgrund welchen Sachverhalts die Kommission von einem Vertragsverstoß ausgeht. Anders als die genauere ĺmit Gründen versehene Stellungnahme muss das Mahnschreiben als erste offizielle Kommunikation zwischen Kommission und Mitgliedstaat keine zu hohen inhaltlichen Anforderungen erfüllen. Schließlich ist dem Mitgliedstaat eine Frist für eine Gegenvorstellung zu den Vorwürfen zu setzen. Diese beträgt in der Praxis meist zwei Monate, sie kann jedoch verkürzt werden. Wichtig ist, dass die Frist mit Blick auf den Einzelfall angemessen ist. Viele Praxisfälle zeigen, dass Mitgliedstaaten oft die ihnen eingeräumte Frist zur Gegenvorstellung verstreichen lassen, wodurch sie allerdings nicht das Recht verlieren, in späteren Verfahrensschritten zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Zu übersenden ist das Mahnschreiben an die Zentralregierung des Mitgliedstaates und nicht an die funktionelle oder regionale Stelle deren Handlung oder Unterlassung beanstandet wird. Hat also z.B. in Deutschland eine Gemeinde oder ein Bundesland einen Vertragsverstoß begangen, dann muss trotzdem das entsprechende Mahnschreiben an die Bundesregierung geschickt werden. Wenn in das Vorverfahren nach Versendung des Mahnschreibens an den Mitgliedstaat neue rechtliche oder tatsächliche Vorwürfe eingeführt werden sollen, bedarf es nach dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs eines neuen Mahnschreibens, damit der Mitgliedstaat seine Verteidigungsstrategie entsprechend anpassen kann. (cv) §§: Art. 226 EG Lit.: P. Karpenstein/U. Karpenstein, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 226, Rn. 48
Mahnverfahren ĺEuropäische Mahnverfahrensverordnung Malta, Beitritt Malta, accession – Malta, adhésion
Der ĺBeitritt M. erfolgte am 1.5.2004 im Rahmen der sog. ĺOsterweiterung. Nach dem M. schon 1990 einen Beitrittsantrag gestellt und 1993 einen positiven ĺAvis erhalten hatte, fror es 1996 nach einem Wahlsieg der Malta Labour Party (MLP) seinen Antrag ein. Nach ei-
nem weiteren Regierungswechsel schloss M. als Staat der ĺHelsinki-Gruppe zu den anderen Bewerberländern der 5. Erweiterungsrunde auf. (lo) Mannheimer Akte Revised Convention for the navigation of the Rhine – Convention révisée pour la navigation sur le Rhin
Revidierte Rheinschifffahrtsakte vom 17.10. 1868. Diese regelt den objektiven Marktzugang für den Bereich der internationalen Binnenschifffahrt. Es handelt sich bei dieser um einen völkerrechtlichen Vertrag für Regelung des internationalen Binnenschifffahrtsverkehrs. Sie etabliert ein überaus liberales Marktregime: So gewährt sie die freie Schifffahrt auf dem Rhein für Binnenschiffe aller Nationen, grundlegende Abgabenfreiheit, die Verankerung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und einen ungehinderter Marktzugang. Sekundärrechtlich finden sich die materiellen Vorgaben der Mannheimer Akte in der VO (EG) 1356/96 kodifiziert (ĺDienstleistungsfreiheit, Binnenschifffahrt). (sm) Maria Pupino-Entscheidung ĺPupino-Entscheidung Marken- und Sortenrechtsklage, allgemein disputes in trademark law – contentieux du droit des marques
Die Möglichkeit der Erhebung von Markenund Sortenrechtsklagen ist eine relativ junge Verfahrensart, die erst in den letzten zehn Jahren entwickelt wurde. Im Rahmen dieser Verfahrensform können gemeinschaftsrechtliche Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Eintragung bzw. dem Schutz einer Marke bzw. Sorte gerichtlich geregelt werden. Die Registrierung und Eintragung von Gemeinschaftsmarken und -sorten beim ĺHarmonisierungsamt für den Binnenmarkt (OHIM) bzw. dem ĺGemeinschaftliches Sortenamt (CPVO) ist erst seit dem Jahr 1996 möglich. Diese beiden Einrichtungen haben eine Vielzahl von Geschäftsfällen abzuwickeln, sodass auch der Rechtsschutz in diesem Gebiet schnell an Bedeutung gewonnen hat. Das Verfahren zur Durchsetzung von Markenund Sortenrechtsklagen findet keine Entsprechung in anderen Gemeinschaftsverträgen. (lb) §§: Art. 130-136 VerfO-EuGH; Art. 57-63 VO (EG) 40/94, ABl. 1994, Nr. L 11/1; Art. 73 ff. VO (EG) 2100/
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Marken- und Sortenrechtsklage, Urteil und Wirkung 94, ABl. 1994, Nr. L 227/1; VO (EG) 2868/95, ABl. 1995, Nr. L 303/1 Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 94 ff. Web: http://www.oami.eu.int; http://www.cpvo.eu.int
Marken- und Sortenrechtsklage, Urteil und Wirkung disputes in trademark law, judgement and its impact – contentieux du droit des marques, jugement et l’instance
Die Beendigung des Verfahrens erfolgt bei Markenrechtsklagen durch Urteil und bei Sortenrechtsklagen durch Beschluss. Beide Arten von Entscheidungen des ĺEuG enthalten entweder die Aufhebung der Entscheidung des ĺHarmonisierungs- oder ĺGemeinschaftliches Sortenamtes oder die Abweisung der Klage. Die gerichtliche Entscheidung enthält auch einen Ausspruch über die Kosten: grundsätzlich trägt die unterlegene Partei die Kosten; das EuG kann Privaten aber auch bei Obsiegen die Kosten auferlegen – Gerichtskosten werden nicht eingehoben. Das Urteil bzw. der Beschluss entfaltet seine Wirkung grundsätzlich inter partes und ex tunc. (lb) Marken- und Sortenrechtsklage, Verfahrensablauf
ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
Vorverfahren einmalige (schriftliche) Äußerung der Verfahrensparteien und Streithelfer Replik und Duplik nur nach ausdrücklicher Genehmigung des Präsidenten des EuG. mündliche Verhandlung in allen Fällen bei Marken: Urteilsverkündung bei Sorten: Beschlussverkündung. (lb) §§: VO (EG) 216/96, ABl. 1996, L 28, 11; Art. 135 VerfOEuGH Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 94 ff.
Marken- und Sortenrechtsklage, Verfahrensgegenstand disputes in trademark law, object of the proceedings – contentieux du droit des marques, objet de l’instance
Als Verfahrensgegenstand der Marken- und Sortenrechtsklage kommt hauptsächlich die Verweigerung der Eintragung einer Marke oder Sorte (ĺSortenschutz) in Frage. Die häufigsten Klagegründe sind die Ablehnung wegen der mangelnden Unterscheidungskraft oder wegen des Widerspruchs eines älteren Marken- bzw. Sorteninhabers (EuG, Rs. T-203/02 Sunrider/ HABM; EuG, Rs. T-115/03 Samar SpA/HABM). (lb) §§: Art. 8 VO (EG) 40/94
disputes in trademark law, course of the proceedings – contentieux du droit des marques, déroulement de l’instance
Marken- und Sortenrechtsklage, Verfahrensparteien
Vor der Erhebung einer Marken- und Sortenrechtsklage ist grundsätzlich ein Vorverfahren durchzuführen. Dieses Vorverfahren ist in erster Stufe als Prüfungsverfahren durch die jeweiligen Prüfer und in zweiter Stufe als Beschwerdeverfahren vor den Beschwerdekammern des ĺHarmonisierungs- bzw. ĺGemeinschaftliches Sortenamtes ausgestaltet. Der Kläger hat eine Beschwerde an die jeweilige Kammer zu richten und kann gegebenenfalls die Entscheidung der Beschwerdekammer beim EuG anfechten. Die Frist zur Einbringung der Klage beim ĺEuG beträgt zwei Monate ab Zustellung der Entscheidung der Beschwerdekammer. Das Marken- und Sortenrechtsverfahren vor dem EuG unterscheidet sich durch die straffere Organisation von den anderen gemeinschaftsgerichtlichen Verfahrensarten. Diese Verfahrensform ist als eingeschränkt kontradiktorisches Klageverfahren konzipiert und lässt sich in folgende Verfahrensschritte gliedern:
disputes in trademark law, parties of the proceedings – contentieux du droit des marques, parties de l’instance
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Als mögliche Kläger sind in diesem Verfahren natürliche und juristische Personen vorgesehen. Außerdem kommen die ĺGemeinschaftsorgane, die ĺMitgliedstaaten oder Personen mit berechtigtem Interesse als Streithelfer bzw. Drittbeteiligte in Betracht. Passivlegitimiert sind das ĺHarmonisierungsamt für den Binnenmarkt und das ĺSortenamt der Gemeinschaft. (lb) Marken- und Sortenrechtsklage, Zuständigkeit disputes in trademark law, competence – contentieux du droit des marques, compétence
Das ĺEuG ist zur Entscheidung über Markenund Sortenrechtsklagen in erster Instanz ausschließlich zuständig. Es besteht die Möglichkeit eines Rechtsmittels an den ĺEuGH. Der Anteil der Marken- und Sortenrechtsklage an allen Verfahren vor dem EuG beträgt 22 %.
Marktbeherrschende Stellung, Begriff Seit Einführung dieser Klageart waren bisher nur Gemeinschaftsmarken betroffen; Gemeinschaftssorten waren noch nie Klagegegenstand vor einem Gemeinschaftsgericht. (lb) Marks & Spencer-Entscheidung Marks & Spencer case – jurisprudence Marks & Spencer
In der Rs. Marks & Spencer betraf der Ausgangssachverhalt „Marks & Spencer plc“, eine in Großbritannien ansässige Gesellschaft, die Tochtergesellschaften (in Deutschland, Belgien und Frankreich) über eine niederländische Holding hielt. Aufgrund permanenter Verluste dieser Töchter wurde die Tätigkeit der deutschen und belgischen Tochter eingestellt und die französische Tochter verkauft. Der von Marks & Spencer plc gestellte Antrag auf Berücksichtigung der Verluste dieser ausländischen Töchter im Wege des britischen group relief (= Konzernabzug), wurde von den britischen Behörden abgelehnt, weil dieser nur für in Großbritannien ansässige Konzern(tochter)gesellschaften offen stand. Dem EuGH wurde schließlich vom britischen High Court die Frage vorgelegt, ƒ ob eine derartige „Inlandsbeschränkung“ des britischen Gruppenbesteuerungsregimes mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sei. Der EuGH behandelt im vorliegenden Urteil mehrere mögliche Rechtfertigungsgründe für die „Inlandsorientierung“ des group relief. Zunächst verwirft der EuGH das noch von GA Maduro ausführlich diskutierte Territorialitätsprinzip als Rechtfertigungsgrund für die Versagung der grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung, betont jedoch gleichzeitig, dass es dem „im internationalen Steuerrecht geltenden und vom Gemeinschaftsrecht anerkannten“ Territorialitätsprinzip entspreche, gebietsansässige Gesellschaften mit ihren weltweit erwirtschafteten Gewinnen und gebietsfremde Gesellschaften ausschließlich für den Gewinn aus ihrer inländischen Tätigkeit zu besteuern. Die bloße Tatsache, dass der Gewinn gebietsfremder Tochtergesellschaften nicht besteuert werde, rechtfertige allerdings noch keine Beschränkung des Konzernabzugs (auf Ebene der gebietsansässigen Muttergesellschaft) auf Verluste der gebietsansässigen Tochtergesellschaften. Die Gefahr der doppelten Verlustberücksichtigung erkennt der EuGH in weiterer Folge als zwingenden Grund des Allgemeininteresses an. Mit der Feststellung, dass durch die grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung die
Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung im Staat der Mutter- als auch der Tochtergesellschaft bestehe, setzt der Gerichtshof jene bereits früher begonnene dogmatische Kehrtwende einer grenzüberschreitenden Gesamtbetrachtung fort. Schließlich erkennt der EuGH auch die Gefahr der Steuerflucht als Rechtfertigungsgrund an, da die grenzüberschreitende Verlustübertragung die Gefahr der Weiterleitung und Nutzung der Verluste innerhalb eines Konzerns in Richtung derjenigen Mitgliedstaaten in sich berge, in denen die höchsten Steuersätze gelten und folglich der steuerliche Wert der Verluste am höchsten ist. Darauf abstellend kam der EuGH zu folgendem Ergebnis: ƒ Die Art. 43 EG und 48 EG stehen beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts einer Regelung eines Mitgliedstaates nicht entgegen, die es einer gebietsansässigen Muttergesellschaft allgemein verwehrt, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste abzuziehen, die einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dort entstanden sind, während sie einen solchen Abzug für Verluste einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft zulässt. ƒ Es verstößt jedoch gegen die Art. 43 EG und 48 EG, der gebietsansässigen Muttergesellschaft eine solche Möglichkeit dann zu verwehren, ƒ wenn die gebietsfremde Tochtergesellschaft die im Staat ihres Sitzes für den von dem Abzugsantrag erfassten Steuerzeitraum sowie frühere Steuerzeiträume vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat, gegebenenfalls durch Übertragung dieser Verluste auf einen Dritten oder ihre Verrechnung mit Gewinnen, die die Tochtergesellschaft in früheren Zeiträumen erwirtschaftet hat, und ƒ wenn keine Möglichkeit besteht, dass die Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft im Staat ihres Sitzes für künftige Zeiträume von ihr selbst oder von einem Dritten, insbesondere im Fall der Übertragung der Tochtergesellschaft auf ihn, berücksichtigt werden. (pu) §§: Art. 43 EG, Art. 48 EG Lit.: M. Lang, SWI 2006, 3; M. Petritz/M. Schilcher, ecolex 2003, 147 Rsp.: EuGH, Rs. C-446/03, Slg. 2005 I-10837
Marktbeherrschende Stellung, Begriff dominant position, definition – position dominante, notion
Nach der Rechtsprechung des ĺEuGH liegt eine marktbeherrschende Stellung i.S.d. Art. 82 619
Marktbeherrschung, kollektive EG vor, wenn ein ĺUnternehmen in der Lage ist, sich ohne Rücksichtnahme auf Konkurrenten, Geschäftspartner oder ĺVerbraucher auf dem ĺrelevanten Markt zu verhalten. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn das ĺUnternehmen bei bestimmten Produkten die Preise oder die Verteilung der Produkte einseitig zu bestimmen vermag. Der ĺEuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine Marktbeherrschung durch ein ĺUnternehmen nahe liegt, wenn das betreffende Unternehmen zwischen 50 % und 100 % Marktanteil aufweist. Freilich umschreibt der Marktanteil nur einen Ausschnittsbereich – nur auf Marktanteile kann bei der Bestimmung, ob ein ĺUnternehmen marktbeherrschend ist, nicht abgestellt werden. Daneben spielen auch eventuell bestehende Marktzutrittsschranken und die Struktur des Marktes eine wichtige Rolle. Bei der Frage der Marktbeherrschung muss zudem zwischen der Situation, dass nur ein Unternehmen einen Markt beherrscht (sog. ĺEinzelmarktbeherrschung), und der Situation, dass mehrere Unternehmen zusammen eine marktbeherrschende Stellung innehaben (sog. ĺkollektive Marktbeherrschung), unterschieden werden. Bei der ĺkollektiven Marktbeherrschung kommt es dann insbesondere darauf an, dass zwischen den fraglichen Unternehmen kein wesentlicher Wettbewerb mehr besteht. (jpt) §§: Art. 82 EG Lit.: I. Brinker, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 82 EGV, Rn. 11 ff.; T. Eilmannsberger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 82 EGV, Rn. 4 ff.; V. Emmerich, Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, § 9, Rn. 19 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 85/76 Hoffmann-La Roche, Slg. 1979, 461; EuGH, Rs. verb. Rs. 40/73 u.a. Suiker Unie, Slg. 1975, 1663; EuGH, Rs. C-62/86 AKZO, Slg. 1991, I-3359
Marktbeherrschung, kollektive ĺKollektive Marktbeherrschung
Im Gegensatz zur späteren ĺUnionsbürgerschaft besteht die M. aus Rechtspositionen, die nur aufgrund des Bezugs zu Arbeit, Waren und Kapital verliehen werden. Mit dem ĺMaastrichter Vertrag wird die nicht ausdrücklich geregelte Marktbürgerschaft durch die explizite ĺUnionsbürgerschaft abgelöst. (ao) Lit.: E. Grabitz, Europäisches Bürgerrecht zwischen Marktbürgerschaft und Staatsbürgerschaft, 1970, 65 ff.
Marktordnung ĺGemeinsame Marktorganisation Marktortprinzip principle of the distorted market – principe du marché troublé
Das Marktortprinzip besagt, dass Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb bei grenzüberschreitenden Fällen nach dem Recht des Landes zu beurteilen sind, wo die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beinträchtigt wurden oder beeinträchtigt werden könnten. Dieses Prinzip wurde in die ĺRom II-VO übernommen, allerdings mit der Ausnahmeregelung, dass wenn nur die Interessen eines bestimmten Konkurrenten betroffen sind, die allgemeine Regel der ĺlex loci delicti des Art. 4 zur Anwendung kommt (Art. 6). Das Marktortprinzip steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zum ĺHerkunftslandprinzip (vgl. ĺHerkunftslandprinzip, kollisionsrechtliche Wirkungen). (js) §§: VO über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 11.7.2007 („Rom II“), ABl. 2007, Nr. L 199/40, Art. 6 Lit.: G. Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1 (7 f.)
Marktstörung, ernste ĺErnste Marktstörung Marktstrukturmissbrauch
Marktbürgerschaft
abuse of the market structure – abus de structure de marché
market citizenship – citoyenneté de marché
Marktstrukturmissbrauch beschreibt Maßnahmen von ĺUnternehmen mit ĺmarktbeherrschender Stellung im Sinne des Art. 82 EG, mit denen sich diese Unternehmen die Möglichkeit der Einflussnahme auf das Verhalten der restlichen Wettbewerber auf dem Markt verschaffen. In den Fällen, in denen die marktbeherrschende Stellung des ĺUnternehmens durch den Erwerb der Kontrolle über Wettbewerber erst begründet wird, ist die ĺFusionskontrolle auf
Unter Marktbürgerschaft (auch Wirtschaftsbürgerschaft) wurde die Summe jener subjektiven Rechtspositionen verstanden, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten aufgrund der einzelnen primärrechtlichen Vorschriften zustanden, insbesondere die unmittelbar anwendbaren ĺGrundfreiheiten und damit verbundenen ĺAufenthaltsrechte und seit 1979 das ĺWahlrecht zum ĺEuropäischen Parlament. 620
Mars-Entscheidung Grundlage der ĺFKVO anwendbar. Unter den Marktstrukturmissbrauch fällt aber nicht nur der Erwerb der vollständigen Kontrolle über einen Wettbewerber, sondern gegebenenfalls auch schon der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung. (jpt) §§: Art. 82 EG Lit.: T. Eilmannsberger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 82 EGV, Rn. 74 ff.; W. Möschel, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 1, Art. 82, Rn. 263 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 6/72 Continental Can, Slg. 1973, 215; EuGH, verb. Rs. 142 und 156/84 BAT und Reynolds, Slg. 1987, 4487
Marktzugang, Kapitalverkehrsfreiheit ĺKapitalverkehrsfreiheit, Eingriff Marktzugangsbedingungen, subjektive ĺsubjektive Marktzugangsbedingungen Marleasing Marleasing case – jurisprudence Marleasing
Dabei handelt es sich um die Leitentscheidung des EuGH (Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135) in der Frage des Gebots der ĺrichtlinienkonformen Interpretation. Diese ist in allen Konstellationen zu beachten, in denen keine unmittelbare Anwendbarkeit eines gemeinschaftlichen Rechtsaktes vorliegt. (he) Web: http://curia.europa.eu/
Marokko Morocco – Maroc
ĺEuropa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko. (bb) §§: ABl. 2000, Nr. L 70/2 (in Kraft seit 1.3.2000) Web: http://www.delmar.ec.europa.eu/fr/ue_maroc/ accord_association.htm
MARPOL 73/78 Das MARPOL-Übereinkommen ist ein internationales, weltweit geltendes Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt durch Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe. Es besteht aus einem Artikelteil, der allgemeine Vorschriften und Begriffsbestimmungen enthält und sechs Anlagen, die bestimmte Teilbereiche der Meeresverschmutzung durch Schif-
fe regeln. Das Übereinkommen und die Anlage I sind 1983, die übrigen Anlagen zu späteren Zeitpunkten in Kraft getreten. Anlage VI ist seit 19.5.2005 in Kraft. Die einzelnen Anlagen regeln folgende Teilbereiche: Anlage I: Verhütung der Verschmutzung durch Öl
ƒ
Anlage II: Verhütung der Verschmutzung durch schädliche Stoffe, die als Massengut befördert werden (also Chemikalien, die durch Chemikalientanker transportiert werden).
ƒ
Anlage III: Verhütung der Verschmutzung durch Schadstoffe, die in verpackter Form befördert werden (also z.B. gefährliche Güter in Containern)
ƒ
Anlage IV: Verhütung der Verschmutzung durch Schiffsabwasser
ƒ
Anlage V: Verhütung der Verschmutzung durch Schiffsmüll
ƒ
Anlage VI: Regeln zur Verhütung der Luftverunreinigung durch Seeschiffe Gemeinsam mit der Safety of Life at Sea (ĺSOLAS)-Konvention von 1974 bildet die MARPOL-Konvention das Rückgrat der weltweiten Anstrengungen zur Minimierung der Verschmutzung der Meeresumwelt. (sm)
ƒ
Web: http://www.bsh.de/de/Meeresdaten/Umweltschutz/ MARPOL%20Umweltuebereinkommen/index.jsp
Mars-Entscheidung Mars case – jurisprudence Mars
Die im nationalen Verfahren beklagte Partei vertrieb die Eiscremeriegel der Marken Mars, Snickers, Bounty und Milky Way. Die Menge der ĺErzeugnisse war aufgrund einer europaweiten Werbekampagne um 10 % erhöht, wobei dies durch einen Aufdruck auf der Verpackung „+10 %“ ersichtlich war. Die ĺWare wurde in Frankreich hergestellt, verpackt und sodann europaweit vertrieben. In der in Deutschland eingebrachten Unterlassungsklage wurde die Verwendung des Aufdrucks „+10 %“ mit der Begründung beanstandet, die optische Gestaltung des fraglichen Aufdrucks erwecke beim Verbraucher den Eindruck, das Produkt sei um den farblich gekennzeichneten Teil der Verpa621
Martínez Sala-Entscheidung ckung vergrößert. Der farblich gekennzeichnete Teil mache aber deutlich mehr als 10 % des Produkts aus. Es liege hier eine Irreführung des Verbrauchers vor. Im folgenden ĺVorabentscheidungsverfahren sprach der ĺEuGH aus, dass eine Regelung, die sich gegen das Inverkehrbringen von Produkten richte, die die gleichen Werbeaufdrucke tragen wie diejenigen, die in anderen ĺMitgliedstaaten rechtmäßig verwendet werden, selbst wenn sie unterschiedslos für alle Produkte gelte, geeignet sei, den innergemeinschaftlichen Handel zu beeinträchtigen. Generell zwingt eine derartige Regelung den Importeur dazu, die Ausstattung seiner Produkte je nach dem Ort des Inverkehrbringens unterschiedlich zu gestalten und demgem. die zusätzlichen Verpackungs- und Werbungskosten zu tragen (Rn. 13). Eine Vereinbarkeit mit Art. 28 EG i.S.d. ĺVerbraucherschutzes wird restriktiv ausgelegt. Von einem verständigen Verbraucher ist nämlich zu erwarten, dass er den fehlenden Zusammenhang zwischen der versprochenen Mengenerhöhung und dem Werbeaufdruck erkennt (Rn. 24). (ah) Rsp.: EuGH, Rs. C-470/93 Mars, Slg. 1995, I-1923
Martínez Sala-Entscheidung ĺSala-Entscheidung Mary Carpenter-Entscheidung Mary Carpenter case – jurisprudence Mary Carpenter
Urteil des EuGH vom 11.7.2002, Rs. C-60/00 Mary Carpenter, Slg. 2002, I-6279, zum Thema Grundrecht auf Achtung und Schutz des ĺFamilienlebens (Art. 8 ĺEMRK als ĺeuropäisches Grundrecht) im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsrecht: Die Dienstleistungsfreiheit müsse im Licht des Grundrechts auf Achtung des Familienlebens ausgelegt werden. Im konkreten Fall stünde eine solche Lesart, nämlich die grundrechtskonforme Interpretation der Grundfreiheit, der Ausweisung der – selbst nicht aufenthaltsberechtigten – Ehefrau eines Dienstleistungserbringers entgegen. Gedanke der vollen Wirksamkeit der Grundfreiheit erst mit begleitendem Grundrechtsschutz (vgl. C. Stix-Hackl, Grundrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht, RZ 2006, 134 [139]). Kritische Aufnahme in der Lehre. (ed) Rsp.: EuGH, Rs. C-60/00 Mary Carpenter, Slg. 2002, I-6279 = JZ 4/2003, 202 (Anm Mager 204); EuGH, 9.1.2007, Rs. C-1/05 Yuniying Jia (Aufenthaltsrecht von Verwandten aus Drittstaaten in Schweden)
622
Massenmedien mass media – mass média
Es handelt sich um einen Begriff aus den Kommunikationswissenschaften. Im Europäischen Medienrecht wird er weder im ĺPrimärrecht noch in den einschlägigen ĺSekundärrechtsakten als Rechtsbegriff verwendet. V.a. gibt es auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene auch keine einheitliche und geschlossene Regelung für die Massenmedien. Die europäische Medienrechtsordnung stellt sich vielmehr als ein Netzwerk von verschiedenen Regelungssystemen dar, in welchem unterschiedliche Politik- und Regelungsbereiche ineinander greifen (Vorgaben aus dem EG: neben dem ĺKulturkompetenztatbestand in Art. 151, insb. die Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln; ĺFörderprogramme, Steuerrecht, Immaterialgüterrecht, sowie sektorspezifische Regelungsmaßnahmen [zum einen für die Inhalte-, zum anderen für die Infrastrukturebene der Massenmedien]). Der Großteil dieser Regelungskomplexe stellt an die unterschiedlichen Massenmedien auch keine einheitlichen Anforderungen. Traditionellerweise wird unterschieden zwischen: ƒ ĺPrintmedien in den Erscheinungsformen Zeitung, Magazin, Buch und Datenverzeichnisse; ƒ physische Datenträger (z.B. CDs, Videos, DVDs), ƒ ĺKino und ƒ Medien des ĺRundfunks (klassisch analoge terrestrische Funknetze, Satelliten- und Kabelnetze). Mit dem Einsatz digitaler Technologien in der Massenmedienindustrie können sämtliche Medieninhalte (Verlagsinhalt, Musik, Film, Unterhaltungsspiele und Rundfunkinhalte) nunmehr auchĺonline über die verschiedenen ĺMultiplattformen (PC-Breitband, digitales Fernsehen, mobile Plattformen) übertragen werden. Aus diesen Entwicklungen ist eine Vielzahl an neuen Mediendiensten enstanden. Online-Zeitungen und Online-Magazine, Online-Musikstores, ĺWeblogs, Webcasting, Streaming oder Video On Demand sind nur einige wenige Beispiele davon. Für diese ist auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene auch der Übergriff ƒ ĺeContent geprägt worden. Dennoch kommt dem Begriff der Massenmedien auch weiterhin eine rechtssystematische Ordnungsfunktion zu. Die besonderen Struktur- und Wirkungseigenarten der Massenme-
Maßnahme, staatlich (freier Warenverkehr) dien – sie sind „Träger und Mittler der öffentlichen Meinungsbildung“ (vgl. BVerfGE 12, 205, vom 28.2.1961 sowie insb. auch EGMR, Fall Sunday Times Nr. 1, A-30) und damit für die Herausbildung demokratischer Prozesse geradezu konstituierend, bilden einen rechtssystematischen Bezugspunkt der rechtlichen Ordnung des Medienwesens, insbesondere auch in Abgrenzung zu den zwei anderen zentralen Regelungskomplexen für die Kommunikationsmärkte, dem Telekommunikations- und dem E-commerce-Recht. Im Rahmen der Regulierung der ĺelektronischen Kommunikationsmärkte nehmen sie eine rechtliche Sonderstellung ein. Der ĺKulturkompetenztatbestand des EGV oder die in Art. 10 EMRK verankerte Medienfreiheit (vgl. auch Art. 11 GR-Charta) als die grundlegendsten europäischen Normen in diesem Bereich beziehen sich etwa auf das Wesen der Massenmedien als solches (und dabei auch insb. auf ihre besonderen kulturellen, demokratiepolitischen und sozialen Aspekte). Im Unterschied zum Medienrecht behandelt das Telekommunikationsrecht die rein technischen und ökonomischen Fragen des Mediensektors. Gegenstand des Telekommunikationsrechts sind die Kommunikationsinfrastrukturen, d.h. die technischen Plattformen, über die u.a. auch massenkommunikative Inhalte vermittelt werden; das E-commerce-Recht wiederum bezieht sich auf die interaktiven elektronischen Dienste (bezeichnet als ĺ„Dienste der Informationsgesellschaft“) und damit im Unterschied zum Medienrecht primär auf die individuelle Kommunikation, die z.B. im Rahmen eines Online-Vertragsabschlusses erfolgt. Es erfasst aber auch bestimmte Mediendienste, nämlich jene, die zwar grundsätzlich an die Allgemeinheit gerichtet, allerdings individuell abrufbar sind (die sog. „On Demand Services“). In diesem Bereich, konkret bei den ĺnicht linearen audiovisuellen Mediendiensten, weist das E-commerce-Recht gewisse Überschneidungen zum Medienrecht auf, jedoch nur den Regelungsgegenstand betreffend. Der Regulierungszugang dieser beiden Rechtsmaterien ist ein jeweils anderer: während das E-commerce-Recht die betreffenden Mediendienste nur unter ökonomischen Gesichtspunkten erfasst, verfolgt das Medienrecht vor allem auch kulturelle, demokratiepolitische und soziale Aspekte bei der Regulierung dieser Dienste. (dd) Lit.: M. Holoubek/D. Damjanovic/T. Traimer (Hrsg.), Regulating Content – European Regulatory Framework for the Media and Related Creative Sectors,
2007, 215; M. Holoubek/D. Damjanovic/G. Ribarov, Das Recht der Massenmedien, in: M. Holoubek/M. Potacs (Hrsg.), Handbuch öffentliches Wirtschaftsrecht, Bd. I, 2007, 1187
Maßnahme measure – mesure
Zu den Maßnahmen der Gemeinschaft zählen jedenfalls die in Art. 249 EG erwähnten rechtlich verbindlichen oder unverbindlichen Akte, d.h. ĺVerordnungen, ĺRichtlinien, ĺEntscheidungen, ĺEmpfehlungen, ĺStellungnahmen, aber auch andere dort nicht erwähnte unverbindliche Akte. Unter Maßnahmen sind außerdem nicht ganze Gemeinschaftspolitiken, sondern relativ konkretisierte Tätigkeiten zu verstehen. (ag) §§: Art. 5 Abs. 2, Art. 249 EG Lit.: C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 5 EGV
Maßnahme, staatlich (freier Warenverkehr) state measure (free movement of goods) – mesure d’État (libre circulation des marchandises)
Die ĺWarenverkehrsfreiheit bezieht sich nur auf Maßnahmen, die von den ĺMitgliedstaaten getroffen werden, nicht aber auf Verhaltensweisen von Privaten. Grundsätzlich ist die Frage der ĺDrittwirkung der ĺGrundfreiheiten nicht abschließend geklärt, wobei der ĺEuGH diese für den Bereich der ĺWarenverkehrsfreiheit zuletzt ablehnte. Der Begriff der staatlichen Maßnahme ist weit auszulegen, denn er umfasst die Tätigkeit aller staatlichen Organe, einschließlich der Organe der Gesetzgebung, der öffentlichen Verwaltung und der Justiz. Dabei kann es sich um Einrichtungen der Zentralregierung, um Behörden auf örtlicher und regionaler Ebene, aber auch um halbstaatliche Gremien handeln. (s.a.ĺCMA Gütezeichen-Entscheidung). Erfasst sind nicht nur gesetzliche Maßnahmen mit zwingendem Charakter, sondern auch einfache Maßnahmen der Hoheits(Kommission/Frankreich – Frankiermaschinen-Entscheidung) und der Privatwirtschaftsverwaltung. (s.a.ĺBuy Irish-Entscheidung). Neben positivem Handeln kann nach st. Rsp. auch das Unterlassen einer staatlichen Handlung Art. 28 EG verletzen (s.a. ĺSchmidberger-Entscheidung; ĺstaatliche Schutzpflicht). (ah) Lit.: P. Oliver/S. Enchelmaier, Free movement of goods: Recent developments in the case law, CML Rev. 2007, 663; M. Kenntner, Grundfälle zur Warenverkehrsfreiheit, JuS 2004, 22
623
Maßnahmen gleicher Wirkung Rsp.: EuGH, Rs. 311/85 VVR/Sociale Dienst van de Plaatselijke en Gewestelijke Overheidsdiensten, Slg. 1987, 3801, Rn. 30; EuGH, Rs. 65/86 Bayer u.a., Slg. 1988, 5249, Rn. 11; EuGH, Rs. 21/84 Kommission/ Frankreich (Frankiermaschinen), Slg. 1985, 1355
Maßnahmen gleicher Wirkung measures of equivalent effect – mesure d’effet équivalent
Art. 28 EG verbietet neben mengenmäßigen Beschränkungen (s.a. ĺKontingente) auch Maßnahmen gleicher Wirkung. Der ĺEuGH legt diesen Begriff weit über seinen Wortsinn hinaus denkbar extensiv aus und entwickelt daraus eine eigenständige Dogmatik des Rechts des ĺfreien Warenverkehrs. Die klassische Definition erfolgte durch den EuGH in der ĺDassonville-Entscheidung (s.a. ĺDassonville-Formel) mit weiteren wesentlichen Präzisierungen in der ĺCassis-de-Dijon-Entscheidung und der ĺKeck-Entscheidung. (güh) Lit.: P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 6.01 ff.; P. Müller-Graf, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 24 ff.; G. Herzig, Grenzüberschreitender Warenverkehr und Europäisches Gemeinschaftsrecht, in: ders. (Hrsg.), Hemmnisse im grenzüberschreitenden Warenverkehr und EU-Recht, 2004, 24 Rsp.: EuGH, Rs. 8/74 ĺDassonville, Slg. 1974, 837, Rn. 5; EuGH, Rs. 120/78 ĺCassis de Dijon, Slg. 1979, 649; EuGH, verb. Rs. C-267 und 268/91 ĺKeck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097
Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen program of measures to implement the principle of mutual recognition in civil and commercial matters – programme des mesures destinés à mettre en oeuvre le principe de reconnaissance mutuelle des decisions civiles et commerciales
Das im November 2000 vom Rat angenommene Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001, Nr. C 12, 1) dient der Umsetzung der Beschlüsse des Sondergipfels von ĺTampere und zum Aufbau eines ĺRaums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Als wesentlichen Kern sieht es die vollständige Abschaffung des Exequaturverfahrens an, die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des ĺEuropäischen Zivilprozessrechts auf weitere Materien (insb. Familien- und Erbrecht). Es nimmt zunächst auf die damals bereits angestrebte Revision des ĺEuGVÜ zur ĺEuGVVO 624
Bezug und stellt klar, dass die Beschränkung der ĺAnerkennungshindernisse und die Straffung des ĺVollstreckbarerklärungsverfahrens ein bloßes Zwischenstadium auf dem Weg zur Verwirklichung des Grundsatzes gegenseitiger ĺAnerkennung ausländischer Entscheidungen darstellt. Entsprechend sieht das Programm die stufenweise Abschaffung des Exequaturverfahrens in Zivil- und Handelssachen, d.h. die automatische Anerkennung und Vollstreckbarkeit vor. Um den Beklagtenschutz zu stärken sollen als flankierende Maßnahmen zeitgleich im Erkenntnisverfahren einzuhaltende Mindeststandards eingeführt werden und die ĺjustizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen verbessert werden. Als Pilotprojekt wird ausdrücklich der Bereich unbestrittener Forderungen genannt. Dieses Vorhaben ist mit der ĺEuVTVO inzwischen bereits umgesetzt, durch die ĺEuMVVO wird es in einem weiteren Bereich ergänzt. (mrm) Masterfoods-Entscheidung ĺNichtigkeitsklage, Verhältnis zum Vorabentscheidungsverfahren Materiell rechtswidrige Beihilfe substantial illegal aid – aide matérielle illégale
Materiell rechtswidrige Beihilfen sind mit dem ĺGemeinsamen Markt nicht vereinbar. Erlässt die ĺKommission zum Abschluss eines ĺförmlichen Prüfverfahrens eine ĺNegativentscheidung, so stimmt die betreffende Maßnahme auch nicht unter Heranziehung allfälliger ĺRechtfertigungsgründe mit den Zielen des EGV überein. Wurde eine materiell rechtswidrige Beihilfe vor Abschluss des Verfahrens ausbezahlt, ist die Kommission verpflichtet, die ĺRückforderung der Beihilfe anzuordnen (Art. 14 ĺVO [EG] 659/1999). (jr) §§: Art. 87 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 EG
Matthews-Entscheidung Matthews case – jurisprudence Matthews
Urteil des ĺEGMR vom 18.2.1999 Matthews/ GB, zum Verhältnis zwischen ĺEMRK und EU-Recht: EU-Primärrecht (der ĺDirektwahlakt 1976) schloss die Bewohner von Gibraltar von den Wahlen zum ĺEuropäischen Parlament aus. Dagegen erhob eine Bewohnerin von Gibraltar gegen GB Beschwerde vor dem EGMR wegen Verletzung ihres (EMRK-)Grundrechts auf Teilnahme an Wahlen nach Art. 3 Abs. 1 1. ZP EMRK. Der EGMR sah die EU als solche
Medienfreiheit nicht an die Grundrechte der EMRK gebunden. Die einzelnen Vertragsstaaten entgingen allerdings auch nicht durch die Übertragung von Hoheitsgewalt an internationale Organisationen (hier an die EU) deren Verpflichtungen. Der einzelne Konventionsstaat sei für die Folgen des EGV bzw. EG-Rechts verantwortlich; GB habe daher durch den – wenn auch EG-rechtlich verfügten – Ausschluss von Gibraltar vom Wahlrecht – Art. 3 Abs. 1 1. ZP EMRK verletzt. S. in der Folge das Urteil des EGMR vom 30.6.2005, Bosphorus/Irland (ĺBosphorus-Rsp). (ed) Rsp.: EGMR 18.2.1999, Matthews/GB; EGMR 30.6. 2005, Bosphorus/Irland; EuGH, Rs. C-402/05 P ĺKadi, Schlussanträge Generalanwalt vom 16.1.2008
Mautgebühren tolls – péages
RL 99/62/EG ĺWegekostenrichtlinie. Streckenabhängige Gebühr, die für eine Fahrt zwischen zwei Punkten ausschließlich nach Maßgabe der zurückgelegten Strecke erhoben wird. (sm) MDA Museum Documentation Association – MDA
MDA ist eine britische Organisation, die Museen und ihren Mitarbeitern Hilfe und Unterstütungs bei der Archivierung und Verwaltung ihrer Sammlungen bietet. Die Organisation ist gemeinnützig tätig und war maßgeblich an EMII, DCF (s. dort) beteiligt. (cd) Web: http://www.mda.org.uk/
MEDA MEDA ist das Programm mit dem die Europäische Union die Staaten im südlichen Mittelmeerraum finanziell und technisch unterstützt. Längerfristig sollen die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder vorangetrieben und eine Europa-Mittelmeer-Freihandelszone geschaffen werden. Maßnahmen im Rahmen des Programms beinhalten bspw. Förderungen für kleine und mittlere Unternehmen, Erneuerung der wirtschaftlichen Infrastruktur sowie die Schaffung von Anreizen für Investoren. ĺEuropäische Stiftung für Berufsbildung (ETF). (gr) §§: VO (EG) 780/98, ABl. 1998, Nr. L 113/1, VO (EG) 2698/2000, ABl. 2000, Nr. L 311/1 Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/r15006.htm
Media ĺBildungsprogramme
MEDIA 2007 Förderprogramm der EG zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen audiovisuellen Industrie. Gefördert wird va a. die Vorproduktionsphase (der Erwerb und die Vertiefung von Kompetenzen im audiovisuellen Bereich sowie die Entwicklung europäischer ĺaudiovisueller Werke und b. nach Produktionsabschluss: der Vertrieb und die Förderung des Absatzes europäischer audiovisueller Werke, sowie c. Pilotprojekte, um die Anpassung des Programms an Marktentwicklungen zu gewährleisten. (dd) §§: Beschluss Nr. 1718/2006/EG zur Umsetzung eines Förderprogramms für den europäischen audiovisuellen Sektor (MEDIA 2007), ABl. 2006, Nr. L 327/ 12 Web: http://ec.europa.eu/information_society/media/ overview/2007/index_en.htm
Mediendiensteanbieter media service provider – fournisseur de services de médias
Die natürliche oder juristische Person, welche die redaktionelle Verantwortung für die Auswahl der audiovisuellen Inhalte des ĺaudiovisuellen Mediendienstes trägt und bestimmt, wie diese organisiert werden. Wesentlich ist die Zusammenstellung mehrerer audiovisueller Inhalte (folgt aus der Wendung „Auswahl der audiovisuellen Inhalte). Nicht als Mediendiensteanbieter gelten demnach die Anbieter einzelner audiovisueller Inhalte. Mit dem Begriffsmerkmal „und bestimmt, wie diese organisiert werden“ ist das Erstellen eines Programmschemas oder Katalogs (z.B. eines Fernsehprogramms) gemeint. (dd) §§: Art. 1 lit. a und b, Vorschlag für eine Richtlinie „Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“, KOM(2007) 170 endg.
Medienfreiheit freedom of media – liberté des medias
Freiheit der Medienschaffenden, die verschiedenen Typen von Medien (Print, Radio, TV u.v.m.; näher bei ĺ„Massenmedien“) als Ausdrucks- und Transportformen von Meinungen und Informationen zu nutzen. Sie umfasst insofern (traditionell) die Pressefreiheit und die Rundfunkfreiheit, nunmehr auch die Freiheit der neuen Medien (z.B. der ĺnicht-linearen audiovisuellen Mediendienste und der anderen ĺDienste der Informationsgesellschaft, die massenmediale Inhalte vermitteln). 625
Medienvielfalt Die Medienfreiheit ist Teil der ĺMeinungsfreiheit (in Europa zentral in Art. 10 EMRK und bislang noch unverbindlich in Art. 11 der EU-Grundrechtecha verankert). Der Medienfreiheit kommt im Rahmen der Kommunikationsfreiheit eine besondere Bedeutung zu. Sie soll den Medien ermöglichen, ihre für die Demokratie unverzichtbaren Aufgaben wahrzunehmen: über gemeinschaftswichtige Angelegenheiten zu informieren und als „public watchdog“ demokratische Kontrollaufgaben zu erfüllen (grundlegend EGMR, Fall Sunday Times, Nr. 1, A-30, EuGRZ 1979, 386 ff). (dd) §§: Art. 10 EMRK, Art. 11 EU-Grundrechtecharta Lit.: W. Berka, Die Grundrechte. Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich, 1999, § 23
Medienvielfalt media pluralism – diversité des medias
Medienvielfalt meint Pluralität der Meinungen und Informationen in den Medien (= das Gegenteil von Meinungsmonpolen, seien diese staatlichen Ursprungs oder von wirtschaftlicher Macht). Die publizistische (qualitative) Medienvielfalt ist von der bloß wettbewerblichen (quantitativen) Medienvielfalt zu unterscheiden. Leitbildhaft geht das ĺeuropäische Medienrecht davon aus, dass die Sicherstellung wettbewerblicher Medienvielfalt gleichzeitig auch der Verwirklichung der publizistischen Medienvielfalt dient. Wettbewerbliche Medienvielfalt wiederum wird im europäischen Medienrecht durch die ĺBinnenmarktregeln (zentral: Grundfreiheiten und Wettbewerbsregeln), die ĺMedienfreiheit (ĺ„free flow of information“) und allgemein funktionierende Marktstrukturen in der Medienwirtschaft absichern sollen, gewährleistet. Stellt sich diese leitbildhafte Ordnung nicht ein, sind (nach der Konzeption des europäischen Medienrechts) besondere „medienvielfaltswahrende“ regulatorische Maßnahmen zulässig. Diese sieht das Gemeinschaftsrecht selbst nicht vor; es anerkennt die kultur- und medienpolitische Zielsetzung der Wahrung der „Medienvielfalt“ (die damit primär eine Aufgabe der nationalen Medienrechtsordnungen ist) lediglich als einen ĺ„zwingenden Grund des Allgemeininteresses“, der nach der Rsp. des EuGH nicht diskriminierende Beschränkungen der Grundfreiheiten zu rechtfertigen vermag. Grundlegend etwa: EuGH, Rs. 288/89 Gouda, Slg. 1991, I-331, Rn. 23. (dd) 626
Medizinprodukterichtlinie medical device directive – directive relative aux dispositifs médicaux
Die auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 100a EG a.F. (= Art. 95 EG) gestützte RL 93/42/EWG vom 14.6.1993 über Medizinprodukte (ABl. 1993, Nr. L 169/1; Änderungen: RL 98/79/EG vom 27.10.1998, ABl. 1998, Nr. L 331/1; RL 2000/ 70/EG vom 16.11.2000, ABl. 2000, Nr. L 313/22; RL 2001/104/EG vom 7.12.2001, ABl. 2001, Nr. L 6/50; VO (EG) 1882/2003 vom 29.9.2003, ABl. 2003, Nr. L 284/1) enthält Bestimmungen zur Angleichung mitgliedstaatlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die grundlegende Anforderungen an die Zulassung und Kontrolle von Medizinprodukten festlegen. 1. Anwendungsbereich: Medizinprodukte sind ausweislich Art. 1 I ƒ alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe oder anderen Gegenstände, ƒ die zur Anwendung für Menschen für folgende Zwecke bestimmt sind: Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten; Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen; Untersuchung, Ersatz oder Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs; Empfängnisregelung. In Abgrenzung zu Arzneimitteln, die unter die ĺArzneimittelkodexrichtlinie fallen, sind vom Anwendungsbereich nach Art. 1 I Halbs. 2 solche Produkte ausgenommen, deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird. 2. Voraussetzung des Inverkehrbringens: Nach dem Konzept der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass in Verkehr gebrachte Medizinprodukte den im Anhang genannten Standards entsprechen (vgl. Art. 2, 3). Solche Produkte sind mit einer CE-Kennzeichnung zu versehen (Art. 17). Korrespondierend hierzu sind die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, das Inverkehrbringen und die Ingebrauchnahme von Medizinprodukten, die den Anforderungen der Richtlinie entsprechen, nicht zu behindern (Art. 4). Die Anforderungen werden im Rahmen eines Normungsverfahrens nach Art. 5 ff. näher konkretisiert. Die Schutzklausel des Art. 8
Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten zu vorläufigen Maßnahmen, insbesondere einer Rücknahme vom Markt, falls eine Gesundheitsgefahr erkannt wird, die von einem Medizinprodukt ausgeht. (gär) §§: Art. 95 EG, Medizinprodukterichtlinie (93/42/ EWG) Lit.: E. Deutsch/A. Spickhoff, Medizinrecht, 5. Aufl. 2003, 749 ff.; B. Jeschek, Die Umsetzung der EG-Richtlinie über Medizinprodukte in das nationale Recht, PharmaR 1999, 201
Meere, Verschmutzung marine pollution – pollution de la mer
Die Verschmutzung der Meere ist Gegenstand unterschiedlicher gemeinschaftsrechtlicher ĺRichtlinien und internationaler Übereinkommen. Systematisch und teleologisch stellen die Bestimmungen einen Bestandteil des gemeinschaftsrechtlichen ĺGewässerschutzes dar. In diesem Zusammenhang ist u.a. auf die ĺWasserrahmenrichtlinie sowie hinsichtlich inhaltlicher Überschneidungen auch auf die Bestimmungen betreffend ĺMuschelgewässer und ĺFischgewässer hinzuweisen. Zur Prävention und Verringerung der Meeresverschmutzung inbes. durch Schiffsunfälle existieren u.a. Unfallverhütungsmaßnahmen: ƒ RL 79/115/EWG: Beratung von Schiffen durch Überseelotsen in der Nordsee und im Englischen Kanal ƒ RL 93/75/EWG: Mindestanforderungen an Schiffe, die Seehäfen der Gemeinschaft anlaufen oder aus ihnen auslaufen und gefährliche oder umweltschädliche Güter befördern ƒ VO (EG) 2099/2002: Einsetzung eines Ausschusses für die Sicherheit im Seeverkehr und die Vermeidung von Umweltverschmutzung durch Schiffe (COSS) sowie zur Änderung der Verordnungen über die Sicherheit im Seeverkehr und die Vermeidung von Umweltverschmutzung durch Schiffe ƒ (bislang lediglich) Mitteilung der Kommision über die Sicherheit des Erdöltransports zur See, KOM(2000) 142 endg. Emissionsbegrenzung: ƒ RL-Vorschlag über das Einbringen von Abfällen ins Meer, KOM(1988) 8 endg. (sm) Lit.: J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 269 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-225/96 Kommission/Italien, Slg. 1997, I-6887; EuGH, Rs. C-26/04 Kommission/Spanien, Slg. 2005, I-11059
Mehrwertsteuerrichtlinie VAT directive – directive TVA
Langtitel: Erste RL 67/227/EWG des Rates vom 11.4.1967, ABl. 1967, Nr. L 71; i.d.F. 69/463/ EWG vom 9.12.1969, ABl. 1969, Nr. L 320; zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer. Am 11.4.1967 wurden die ersten beiden MwStRichtlinien erlassen, mit denen eine allgemeine, mehrstufige, aber nicht-kumulative Umsatzsteuer eingeführt wurde, die an die Stelle aller sonstigen Umsatzsteuern in den Mitgliedstaaten treten sollte. Mit diesen beiden Richtlinien wurde allerdings nur die allgemeine Struktur des neuen MwSt-Systems geregelt, die Festlegung des Anwendungsbereichs der MwSt. und der MwSt-Sätze blieb den Mitgliedstaaten überlassen. Die wesentlichste Weiterentwicklung der Harmonsierung auf dem Gebiet der Umsatzsteuer wurde durch die 6. MwStRL (ĺMwStRL, sechste) erreicht. (pu) Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie VAT-Systemdirective – directive sur le système commun de TVA
Langtitel: RL 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. 11.12.2006, Nr. L 347. Im Jahr 2004 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Neufassung der Sechsten MwSt-Richtlinie (ĺMwStRL, sechste) vor. Mit der Neufassung sollten die verschiedenen Bestimmungen in einen einzigen Rechtsakt zusammengefasst werden. Zudem sollte sie eine klarere Übersicht über das derzeit geltende gemeinschaftliche Mehrwertsteuerrecht geben. Durch die am Entwurf vorgenommenen Verbesserungen sollte der Text schließlich benutzerfreundlicher und leichter zugänglich werden. Die Annahme jener RL 2006/112/EG durch die Wirtschafts- und Finanzminister am 28.11.2006 war der Höhepunkt einer Initiative, mit der eine bessere Rechtsetzung und eine größere Transparenz des EU-Rechts erreicht werden sollte. Zum 1.1.2007 wurde die Sechste MwSt-Richtlinie durch diese neue Richtlinie ersetzt, wobei der Text ohne Änderung der bestehenden Rechtsvorschriften kodifiziert wird. Die Änderungen an der Gliederung und Aufmachung des Textes dienen nur seiner qualitativen Verbesserung und lassen den wesentlichen Inhalt unberührt. Der üblichen Praxis gem. enthält die neue Richtlinie eine Entsprechungstabelle, die die 627
Mehrwertsteuerinformationsaustauschsystem (MIAS) Verbindung zwischen den Bestimmungen der Sechsten MwSt-Richtlinie und denen der neuen Richtlinie aufzeigt. Diese Tabelle findet sich am Ende der Richtlinie. Die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie umfasst nicht nur alle Änderungen, die durch die Rechtsakte zur Änderung der ursprünglichen ĺMehrwertsteuerrichtlinie vorgenommen wurden, sondern auch alle relevanten Bestimmungen, die derzeit in separaten Rechtsakten niedergelegt sind, mit Aunahme der Richtlinien über die Mehrwertsteuererstattungen (ĺMwStRL, achte und ĺMwStRL, dreizehnte). Als Zitierung erscheint – neben mehreren anderen Möglichkeiten – die vom deutschen BMF verwendete Arbeitsbezeichnung „Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie, MwStSystRL“ am geeignetsten, um Verwirrungen vorzubeugen. (pu) Lit.: W. Berger, Was bringt die neue Mehrwertsteuerrichtlinie?, SWK 13/2007, 462
Mehrwertsteuerinformationsaustauschsystem (MIAS) VAT Information Exchange System (VIES)
Mit Beginn des Binnenmarktes am 1.1.1993 wurden die Steuerkontrollen an den Binnengrenzen abgeschafft und ein neues MwSt-Kontrollsystem für den innergemeinschaftlichen Handel eingerichtet. Der größte Vorteil dieses Systems war die Verringerung des Verwaltungsaufwandes für die Unternehmen: Jährlich entfielen rund 60 Mio. Zollpapiere. Nach diesen neuen MwSt-Vorschriften sind ĺinnergemeinschaftliche Lieferungen von Gegenständen an Steuerpflichtige in anderen Mitgliedstaaten im Abgangsmitgliedstaat von der MwSt. befreit, sind dafür aber in dem betreffenden Ankunftsmitgliedstaat mit der MwSt. zu belasten. Jeder Steuerpflichtige muss deshalb in solchen Fällen die Möglichkeit haben, auf einfache und schnelle Weise zu prüfen, ob seine Kunden im anderen Mitgliedstaat steuerpflichtig sind und über eine gültige MwSt-Nummer verfügen. Jede Steuerverwaltung unterhält u.a. zu diesem Zweck eine elektronische Datenbank mit den Daten der MwSt-Registrierungen aller Wirtschaftsbeteiligten, für die sie zuständig ist. Dazu gehören die MwSt-Nummer, das Datum der Registrierung, Name und Anschrift des Steuerpflichtigen und gegebenenfalls das Datum, an dem die MwSt-Nummer verfällt. Um den Fluss der in den einzelnen Mitgliedstaaten gespeicherten Daten über die Binnengrenzen hinweg zu gewährleisten, wurde ein elektronisches MwSt-Informationsaustausch628
system (MIAS) eingeführt, über das Unternehmen sich die Gültigkeit der MwSt-Nummern ihrer Geschäftspartner bestätigen lassen können und Steuerverwaltungen den Fluss des innergemeinschaftlichen Handels beobachten und auf etwaige Unregelmäßigkeiten hin überprüfen können. Die in jedem Mitgliedstaat für die mehrwertsteuerliche Kontrolle des innergemeinschaftlichen Handels zuständige Stelle, das zentrale Verbindungsbüro, hat über das MIAS direkten Zugriff auf die Datenbanken, in denen die MwSt-Registrierungen anderer Mitgliedstaaten gespeichert sind. Wirtschaftsbeteiligte, die eine Anfrage stellen, um zu erfahren, ob eine bestimmte MwSt-Nummer gültig ist oder zu dem Namen oder der Anschrift eines Unternehmers gehört, erhalten über ihr nationales Verbindungsbüro Zugang zum Prüfsystem für MwSt-Registrierungen, das eine der folgenden Antworten zurücksendet: ƒ MwSt-Nummer gültig ƒ MwSt-Nummer ungültig ƒ MwSt-Nummer gehört zu dem angegebenen Namen/der angegebenen Anschrift ƒ MwSt-Nummer gehört nicht zu dem angegebenen Namen/der angegebenen Anschrift Aus Sicherheitsgründen und aus Gründen des Datenschutzes geben die nationalen Steuerverwaltungen Namen und Anschrift in Verbindung mit einer gültigen MwSt-Nummer nicht bekannt. (pu) Web: Website der Europäischen Kommission zur Überprüfung von Umsatzsteueridentifikationen aus ganz Europa: http://ec.europa.eu/taxation_customs/ vies/de/vieshome.htm
Mehrwerttest ĺSubsidiaritätsprinzip Meinungsäußerungsfreiheit freedom of expression – liberté d’expression
Als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkanntes ĺGemeinschaftsgrundrecht; vgl. nunmehr Art. 11 GRC/Art. II-71 EVV. Die Meinungs- und Informationsfreiheit des Art. 11 Abs. 1 GRC/Art. II-71 EVV ist der grundrechtlichen Freiheit der Meinungsäußerung im Art. 10 ĺEMRK nachgebildet. Geschützt ist das Recht, eine Meinung zu haben (Meinungsfreiheit – freedom to hold opinions – liberté d’opinion) sowie diese zu kommunizieren, also zu äußern und zu empfangen (Informationsfreiheit). Abgrenzungsschwierig-
Melchers-Entscheidung (BVerfG) keiten können sich aus dem Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation aus dem Recht auf ĺPrivatleben nach Art. 8 EMRK als ĺGemeinschaftsgrundrecht ergeben. Die Presse- bzw. Medienfreiheit ist eigens verbürgt (Art. 11 Abs. 2 GRC). Praktisch relevant sind insb. ihre Auswirkungen auf Rundfunk und Fernsehen, insb. auch Frequenz- bzw. Konzessionsvergaben (vgl. z.B. ĺVorabentscheidungsersuchen ĺEuGH, Rs. C-380/05 Centro Europa 7, anhängig) sowie (unzulässige) staatliche Rundfunkmonopole. Formal unterscheidet sich dieses Konzept von dem der ĺEMRK, wo die Medienfreiheit Teil des allgemeinen Schutzbereichs des Art. 10 EMRK ist. Ob sich auch inhaltlich daraus Abweichungen ergeben, ist fraglich. Zur ĺKunstfreiheit vgl. Art. 13 GRC/Art. II-73 EVV (im Unterschied zur EMRK, wo sie nicht selbstständig garantiert, sondern vom Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK mitumfasst ist). Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind an der allgemeinen Regel des Art. 52 GRC/Art. II112 EVV und zusätzlich am Vorbehalt des Art. 10 Abs. 2 EMRK zu messen. Der Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit wurde vom EuGH als hinreichendes Motiv einer Beschränkung von Grundfreiheiten anerkannt (vgl. EuGH, Rs. ĺSchmidberger). (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 10 EMRK (als Gemeinschaftsgrundrecht); Art. 11 GRC/Art. II-71 EVV Lit.: C. Engel, Die Europäische Grundrechtscharta und die Presse, ZUM 2000, 975; H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 16 Rsp.: EuGH, Rs. C-368/95 ĺFamiliapress, Slg. 1997, I-3689 (Vertriebsverbot); EuGH, Rs. C-71/02 ĺKarner, Slg. 2004, I-3025 (Werbeverbot geprüft an Meinungsfreiheit und Warenverkehrsfreiheit); EuGH, Rs. C-274/99 P Connolly, Slg. 2001, I-1611 (Beamtentreuepflicht und freie Meinungsäußerung); EuGH, verb. Rs. 43/82 und 63/82 Verenigingter Bevordering van het Vlaamse Boekwezen u.a., Slg. 1984, 19; EuGH, Rs. C-159/90 The Society for the Protection of Unborn Children Ireland, Slg. 1991, I-4685
Meinungsfreiheit ĺMedienfreiheit Meistbegünstigung most-favoured nation treatment
Die Thematik einer allfällig verpflichteten Meistbegünstigung wurde vom EuGH zuletzt unter anderem in der Rs. D (ĺD, EuGH 5.7.2005, C 376/03) behandelt. Die Existenz einer solchen (vom EuGH abgelehnten) Verpflichtung hätte auf dem Gebiet des
DBA-Rechts zur Folge, dass sich ein Angehöriger eines Mitgliedstaates der EU zur Erlangung von Abkommensbegünstigungen auch auf für ihn günstigere Bestimmungen in von einem Mitgliedstaat der EU mit anderen Staaten als seinem Ansässigkeitsstaat abgeschlossenen DBA berufen könnte. Systematisch muss unterschieden werden, ob es um eine etwaige Verpflichtung des Quellenstaats geht, zwei aus verschiedenen Mitgliedstaaten stammende Investoren im Sinne einer Inbound-Meistbegünstigung gleich zu behandeln und damit die jeweils günstigste Abkommenrechtslage zu gewähren, oder ob sich ein Steuerpflichtiger im Sinne einer OutboundMeistbegünstigung auf Basis der Grundfreiheiten gegenüber seinem Ansässigkeitsstaat auf das jeweils günstigste ĺDoppelbesteuerungsabkommen, das dieser mit einem anderen Mitgliedstaat oder gar einem Drittstaat geschlossen hat, berufen kann. (pu) Meistbegünstigungsklausel ĺMeistbegünstigung Melchers-Entscheidung (BVerfG) Melchers case – jurisprudence Melcher
Entscheidungen des ĺBVerfG vom 10.4.1987, EuGRZ 1987, 386 (ĺVerfassungsbeschwerde) und der Europäischen Kommission für Menschenrechte zur Grundrechtskontrolle von Gemeinschaftsrecht. In dem Verfahren ging es um eine Vollstreckungsklausel, die der Bundesjustizminister gem. Art. 192 Abs. 2 EWGV (nunmehr Art. 256 EG) für ein EuGH-Urteil ausgestellt hatte, das einen wettbewerbsrechtlichen Bußgeldbescheid der ĺKommission bestätigte. Das BVerfG entschied im Anschluss an seinen ĺSolange II-Beschluss, dass deutsche Fachgerichte oder Behörden derzeit nicht befugt oder verpflichtet seien, Akte der Gemeinschaftsorgane auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten des GG zu überprüfen (ĺRechtsweggarantie). Der Fall kam anschließend vor die Europäische Menschenrechtskommission, die in ihrer wegweisenden Entscheidung vom 9.2. 1990 an den in der Solange II-Entscheidung gewählten Lösungsweg anknüpfte und eine Prüfung nationaler, gemeinschaftsrechtlich determinierter Hoheitsakte am Maßstab der EMRK für unzulässig erklärte, solange der ĺEuGH einen der EMRK adäquaten Grundrechtsschutz gewährleiste. (sgk) 629
Meldeverfahren für Kapitalverkehr Meldeverfahren für Kapitalverkehr procedures for the declaration of capital movements – procédures de déclaration des mouvements de capitaux
Mitgliedstaatliche M. für Kapitalverkehr stellen einen Eingriff in die Kapital- oder Zahlungsverkehrsfreiheit (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Eingriff) dar, da sie grundsätzlich geeignet sind den freien Kapitalverkehr zu verhindern. M. können allerdings gerechtfertigt sein; sie werden in Art. 58 Abs. 1 lit. b, 2. Alt. EG ausdrücklich als zu rechtfertigende Einschränkung des Kapitalverkehrs genannt, wobei die Regelung über ihren Wortlaut hinaus auch für den Zahlungsverkehr gilt. Wegen der dort vorgenommenen Beschränkung auf „administrative und statistische Informationen“ hat diese Regelung in der Praxis bislang wenig Bedeutung entfaltet. Meldeverfahren werden zumeist als Mittel der Kontrolle von Kapitalübertragungen angewendet, um diese auf deren Vereinbarkeit mit nationalen Rechtsvorschriften (z.B. Beachtung des Steuer- und Strafrechts bei ĺDirektinvestitionen und des Raumordnungsrechts bei ĺImmobilieninvestitionen, insbesondere dem Erwerb von ĺZweitwohnungen) zu prüfen. Ihre rechtliche Grundlage finden sie daher in Art. 58 Abs. 1 lit. b, 1. Alt. EG, wonach die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen können, um „Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechtsund Verwaltungsvorschriften“ zu verhindern (EuGH, Rs. C-358/93 und C-416/93 Bordessa, Slg. 1995, I-361, Rn. 27; EuGH, Rs. C-302/97 Konle, Slg. 1999, I-3099, Rn. 43 ff.). M. ermöglichen den Behörden der Mitgliedstaaten die Überwachung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs, ohne dass dieser, wie im Falle von ĺGenehmigungsverfahren, generell ausgesetzt werden muss und erst nach Erteilung einer Genehmigung durchgeführt werden kann; sie erlauben vielmehr eine Intervention im Einzelfall. M. sind daher im Vergleich zu ĺGenehmigungsverfahren regelmäßig das mildere Mittel zur Erreichung des damit verfolgten Zwecks der Kontrolle des Kapitalverkehrs auf „Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften“. M. sind daher grundsätzlich gerechtfertigte Eingriffe in die ĺKapital- oder ĺZahlungsverkehrsfreiheit. (mk) Meldung der Datenverarbeitung notification – notification
Werden ĺpersonenbezogene Daten zumindest teilweise in automatisierter Form (ĺautomatisierte Verarbeitung) verarbeitet so ist dies ei630
ner nationalen ĺKontrollstelle zu melden. Dabei dürfen besonders risikoimmanente Verarbeitungsformen erst nach einer Prüfung durch die Kontrollstelle (ĺVorabkontrolle der Datenverarbeitung) aufgenommen werden. Ist durch eine automatisierte Datenverarbeitung die Beeinträchtigung der Rechte und Freiheiten von ĺbetroffenen Personen unwahrscheinlich oder sogar ausgeschlossen kann die Meldepflicht unter Einhaltung besonderer Auflagen vereinfacht werden oder sogar entfallen. Eine Meldung muss gem. Art. 19 der RL 95/ 46/EG (ĺDatenschutzrichtlinie) zumindest ƒ Name und Anschrift des für die Verarbeitung Verantwortlichen und gegebenenfalls seines Vertreters, ƒ die Zweckbestimmung der Verarbeitung, ƒ eine Beschreibung der Kategorien der betroffenen Personen und der diesbezüglichen Daten oder Datenkategorien, ƒ die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, denen die Daten mitgeteilt werden können, ƒ eine geplante Datenübermittlung in Drittländer, sowie ƒ eine allgemeine Beschreibung, die es ermöglicht, vorläufig zu beurteilen, ob die Maßnahmen nach Art. 17 zur Gewährleistung der Sicherheit der Verarbeitung angemessen sind beinhalten. (al) §§: Art. 18 ff. RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 240; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 250
Melker Prozess Melk process – processus de Melk
Am 12.12.2000 wurden in Melk zwischen dem österr. Bundeskanzler Schüssel und seinem tschechischen Amtskollegen Zeman im Beisein von Kommissionsmitglied Verheugen Verhandlungen über das tschechische Atomkraftwerk Temelín geführt, deren Ergebnisse im sog. Melker Protokoll festgehalten wurden. Dem folgte ein Jahr später das sog. Melker Abkommen, in dem die bisherige Umsetzung ausgewertet und weitere Schritte vereinbart wurden. Der völkerrechtlich verbindliche Charakter des Abkommens, v.a. seines Kap. VI, darf als weitgehend gesichert gelten. Die Schlussakte des Beitrittsvertrags von 2003 enthält überdies eine bilaterale Erklärung, derzufolge die beiden Staa-
Menschenhandel, Definition ten ihre Verpflichtungen aus dem Melker Abkommen erfüllen werden. (atm) §§: Protokoll der Verhandlungen zwischen den Regierungen der Tschechischen Republik und der Republik Österreich (nicht im BGBl. kundgemacht); Abkommen zwischen Österreich und der Tschechischen Republik betreffend Schlussfolgerungen des Melker Prozesses und Follow up vom 29.11.2001, BGBl. III 266/2001; Gemeinsame Erklärung der Tschechischen Republik und der Republik Österreich zu ihrer bilateralen Vereinbarung über das Kernkraftwerk Temelín zum Beitrittsvertrag vom 16.4.2003, ABl. 2003, Nr. L 236/974
Menschenhandel, Definition trafficking in human beings, definition – traite des êtres humains, définition
Der ĺRat (Justiz und Inneres) hat am 1./2.12. 2005 einen EU-Plan über bewährte Vorgehensweisen, Normen und Verfahren zur Bekämpfung und Verhütung des Menschenhandels angenommen. Dieser setzt die Vorgabe des ĺHaager Programms (Pkt. 1.7.1.), einen Plan aufzustellen, damit gemeinsame Normen, vorbildliche Verfahrensweisen und Mechanismen zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels entwickelt werden können, in einen konkreten Maßnahmenplan um. Schwerpunkte bilden die operative Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung und der Opferschutz. Aufbauend auf Fragen des koordinierten Vorgehens der EU und der Erfassung des Problems werden Maßnahmen zur Vorbeugung des Menschenhandels, zur Ermittlung und Strafverfolgung, zum Schutz und zur Unterstützung der Opfer des Menschenhandels sowie zu deren Rückkehr und Wiedereingliederung festgelegt, die durch eine entsprechende Strategie auch in den Außenbeziehungen ergänzt werden. Der Aktionsplan benennt die einzelnen Ziele, die dafür zu ergreifenden Maßnahmen, die zuständige Stelle, den Zeitrahmen für die Durchführung sowie Bewertungsinstrumente bzw. Indikatoren. (sts)
Für die Zwecke der Mindestharmonisierung des mitgliedstaatlichen Strafrechts durch den Rahmenbeschluss 2002/629/JI zur Bekämpfung des Menschenhandels (ĺMenschenhandel, strafrechtliche Bekämpfung des) stellt dieser in Anlehnung an Art. 3a des UN-Zusatzprotokolls zur Bekämpfung des Menschenhandels aus dem Jahr 2000 auf drei den Menschenhandel konstituierende Tatbestandselemente ab. Erforderlich ist eine bestimmte Tathandlung unter Einsatz bestimmter Tatmittel zur Verfolgung eines bestimmten Tatzwecks (Art. 1 Abs. 1): ƒ Tathandlung kann sein die Anwerbung, Beförderung, Weitergabe, Beherbergung und spätere Aufnahme einer Person, einschließlich des Tausch der Kontrolle oder der Weitergabe der Kontrolle über sie. ƒ Tatmittel sind a) die Anwendung oder Androhung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, einschließlich Entführung, b) arglistige Täuschung oder Betrug, c) der Missbrauch einer Machtstellung oder Ausnutzung einer Position der Schwäche, in einer Weise, dass die betroffene Person keine wirkliche und für sie annehmbare andere Möglichkeit hat, als sich dem Missbrauch zu beugen oder d) die Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vergünstigungen mit dem Ziel, das Einverständnis einer Person zu erhalten, die die Kontrolle über eine andere Person hat. ƒ Tatzweck ist die Ausbeutung der Person a) durch Arbeiten oder Dienstleistungen, mindestens einschließlich unter Zwang geleisteter Arbeiten oder Dienstleistungen, Sklaverei oder der Sklaverei oder der Knechtschaft ähnlichen Verhältnissen oder b) mittels Prostitution oder anderer Formen der sexuellen Ausbeutung einschließlich Pornografie. Der Tatzweck des Organhandels ist, anders als im UN-Protokoll 2000 und im Europaratsübereinkommen 2005 nicht integriert. Die Einwilligung des Tatopfers ist unerheblich, wenn eines der Tatmittel vorliegt. Ist das Tatopfer ein Kind, so ist eine einschlägige Tathandlung mit entsprechender Absicht auch ohne Einsatz eines der genannten Mittel tatbestandsmäßig. (sts)
§§: EU-Plan über bewährte Vorgehensweisen, Normen und Verfahren zur Bekämpfung und Verhütung des Menschenhandels, ABl. 2005, Nr. C 311/01
§§: Rahmenbeschluss des Rates vom 19.6.2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels (2002/629/JI), ABl. 2002, Nr. L 203/1
Mengenmäßige Ausfuhrbeschränkung ĺAusfuhrbeschränkung, mengenmäßige Menschenhandel trafficking in human beings – traite des êtres humains
Zum ĺgrundrechtlichen Verbot des Menschenhandels in Art. 5 Abs. 3 ĺGRC/Art. II-65 Abs. 3 EVV s. ĺVerbot von Sklaverei und Zwangsarbeit. (ed) Menschenhandel, Aktionsplan trafficking in human beings, action plan – traite des êtres humains, plan d’action concernant le combat de la
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Menschenhandel, Opferrechte Menschenhandel, Opferrechte trafficking in human beings, victims rights – traite des êtres humains, droites des victimes de la criminalité
Der Opferschutz ist neben der Bekämpfung des Menschenhandels durch das Strafrecht (ĺMenschenhandel, strafrechtliche Bekämpfung) eine der tragenden Säulen des EU-Plans über bewährte Vorgehensweisen, Normen und Verfahren zur Bekämpfung und Verhütung des Menschenhandels (ĺMenschenhandel, Aktionsplan). 1. Vorläufiges Bleiberecht: Zu den wesentlichen Opferrechten gehört das durch die RL 2004/81/EG geschaffene Bleiberecht für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels wurden. Mit der Richtlinie wird ein vorläufiger Aufenthaltstitel geschaffen. Dieser soll den Opfern des Menschenhandels Anreize für eine Kooperation mit den zuständigen Behörden bieten und ist an entsprechende Voraussetzungen geknüpft. 2. Kinder als Opfer: Der Rahmenbeschluss 2002/629/JI fordert in Art. 7 insbesondere den Schutz von Kindern als Opfern des Menschenhandels, indem diese als besonders gefährdete Opfer i.S.d. der entsprechenden Vorschriften des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI über die Stellung des Opfers im Strafverfahren betrachtet werden sollten. Gleiches gilt nach Art. 9 des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI für Kinder, die Opfer einer sexuellen Ausbeutung wurden. Als „Kinder“ sind in beiden Fällen alle Personen bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensjahres anzusehen. Zur finanziellen Unterstützung von Maßnahmen zum Schutz u.a. von Opfern des Menschenhandels hat die EG zudem Aktionsprogramme (Daphne-Programme) aufgelegt. (sts) §§: RL 2004/81/EG des Rates vom 29.4.2004 über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren, ABl. 2004, Nr. L 261/19; Rahmenbeschluss des Rates vom 19.6.2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels (2002/629/JI), ABl. 2002, Nr. L 203/1; Rahmenbeschluss 2004/68/JI des Rates vom 22.12.2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie, ABl. 2004, Nr. L 13/44
Menschenhandel, Sachverständigengruppe trafficking in human beings, expert groups on – traite des êtres humains, groupe d’experts sur la
Die durch Beschluss 2003/209/EG der Kommission eingerichtete „Sachverständigengruppe Menschenhandel“ berät die Kommission in Fra632
gen zum Thema „Menschenhandel“ und legt auf Ersuchen oder aus eigener Initiative entsprechende Stellungnahmen und Berichte vor. Die Einrichtung einer solchen beratenden Gruppe war eine Forderung der ĺBrüsseler Erklärung zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels. Die Gruppe setzt sich aus zwanzig unabhängigen Sachverständigen zusammen, die von der Kommission aus Vorschlägen der Mitgliedstaaten und einschlägiger Organisationen ausgewählt werden. Auszuwählen sind Einzelpersonen, die aufgrund ihrer Erfahrung im Rahmen einer Tätigkeit für Behörden der EU-Mitgliedstaaten oder der Kandidatenländer, für zwischenstaatliche, internationale und regierungsunabhängige Organisationen, die sich für die Bekämpfung des Menschenhandels einsetzen, oder im Rahmen wissenschaftlicher Forschungsarbeiten für öffentliche oder private Hochschulen und Einrichtungen zur Auseinandersetzung mit Menschenhandelsfragen qualifiziert sind. (sts) §§: Beschluss der Kommission vom 25.3.2003 zur Einrichtung einer Beratenden Gruppe mit der Bezeichnung „Sachverständigengruppe Menschenhandel“ (2003/ 209/EG), ABl. 2003, Nr. L 79/25
Menschenhandel, strafrechtliche Bekämpfung des trafficking in human beings, combating – traite des êtres humains, la lutte pénale contre la
Teil der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Gem. Art. 29 Abs. 2 EU werden dazu eine engere Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden und die Annäherung der Strafvorschriften angestrebt; letztere durch den Rahmenbeschluss 2002/629/JI zur Bekämpfung des Menschenhandels. Der ĺRahmenbeschluss ƒ stellt Mindestvorschriften für die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen auf, die als Menschenhandel unter Strafandrohung zu stellen sind (Art. 1 Abs. 1) (ĺMenschenhandel, Definition). Strafrechtlich zu erfassen sind auch Anstiftung, Beihilfe sowie der Versuch einer solchen Tat (Art. 2); ƒ verlangt wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen (ĺMindesttrias der Sanktionen), die zu einer Auslieferung führen können (Art. 3 Abs. 1). Die vorsätzliche Täterschaft nach Art. 1 Abs. 1 ist im Höchstmaß mit mindestens acht Jahren Freiheitsstrafe (sog. Mindesthöchststrafe) zu bedrohen, wenn einer der besonders benannten Erschwerungsgründe (vorsätzliche oder leichtfertige
Meroni-Entscheidung Gefährdung des Lebens des Opfers, besondere Schutzbedürftigkeit des Opfers, Tatbegehung unter Anwendung schwerer Gewalt oder Zufügung besonders schweren Schadens, Tatbegehung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung) vorliegt (Art. 3); ƒ setzt Vorgaben für die Verantwortlichkeit einer juristischen Person (Art. 4), für die ebenfalls wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verlangt werden (Art. 5). Voraussetzung ist stets eine Straftat i.S.d. Art. 1 oder 2. Die Verantwortlichkeit der jP wird begründet entweder durch die Zurechnung des eigenen Verhaltens einer vertretungs-, entscheidungs- oder kontrollbefugten Führungsperson oder durch die mangelnder Überwachung und Kontrolle der juristischen Person unterstellter Personen durch eine solche Führungsperson. Vorzusehen werden sind strafrechtliche und nichtstrafrechtliche Geldsanktionen (ĺGeldstrafen; ĺGeldbußen), darüber hinaus können andere Sanktionen bis hin zur richterlich angeordneten Auflösung angedroht werden; ƒ macht Vorgaben für das Strafanwendungsrecht (Art. 6); ƒ fordert insbesondere den Schutz von Kindern, die Opfer von Menschenhandel geworden sind (Art. 7) (ĺMenschenhandel, Opferrechte). Der Rahmenbeschluss war bis zum 1.8.2004 durch die Mitgliedstaaten umzusetzen. Gemeinsam mit dem Rahmenbeschluss 2004/68/ JI zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie (ĺKindesmissbrauch, strafrechtliche Bekämpfung) ersetzt er die Gemeinsame Maßnahme 97/154/JI betreffend die Bekämpfung des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung von Kindern. Die strafrechtliche Bekämpfung des Menschenhandels ist eingebettet in das ĺHaager Programm (Pkt. 1.7.1.) und den Aktionsplan zur Bekämpfung und Verhütung des Menschenhandels (ĺMenschenhandel, Aktionsplan). (sts) §§: Rahmenbeschluss des Rates vom 19.6.2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels (2002/629/JI), ABl. 2002, Nr. L 203/1; Bericht der Kommission vom 2.5.2006 über die Umsetzung des Rahmenbeschlusses durch die Mitgliedstaaten, KOM(2006) 187 endg. Lit.: B. Hecker, Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. 2007, § 11, Rn. 24 ff.
Menschenrechte human rights – droits de l’homme
ĺGrundrechte, die für alle Menschen gelten, daher auch Jedermannsrechte; im Unterschied
zu ĺUnionsbürgerrechten, die nur EU-Bürger berechtigen. Die meisten ĺGemeinschaftsgrundrechte sind Menschenrechte. S.a. ĺGrundrechte. (ed) Menschenwürde human dignity – dignité humaine
Das ĺGrundrecht auf Menschenwürde ist ein in der Rsp. des ĺEuGH anerkanntes ĺGemeinschaftsgrundrecht (vgl. EuGH ĺOmega; EuGH ĺBiopatentRL; Art. 1 ĺGRC/Art. II-61 EVV). Zudem in Erwägungsgründen, Zielbestimmungen oder Präambeln (die Präambel zur GRC beruft sich u.a. auf die völkerrechtliche ĺBiomedizinkonvention, die in ihrem Art. 1 eine Menschenwürdegarantie enthält) oft paradigmatisch zitiertes Motiv von EG-Rechtsakten sowie allgemeine Grundlage und Fundament der übrigen (Einzel-)Grundrechte. In der ĺGRC ein eigenes Grundrecht (Art. 1), sowie die Bezeichnung des ganzen ersten Kapitels (u.a. mit den Themen Recht auf Leben, Unversehrtheit, Verbot von Folter, Sklaverei, Zwangsarbeit, Menschenhandel). Grundrechtsträger ist jeder Mensch; der Embryo eher nicht (strittig). Die Menschenwürde ist der Formulierung nach absolut garantiert („unantastbar“). Restriktionen sind allenfalls zum Würdeschutz anderer zulässig. Der Achtung der Menschenwürde laufen z.B. unmenschliche und erniedrigende Strafen zuwider. Der Schutz der Menschenwürde ist anerkanntes Ziel zur Legitimation der Einschränkung von EG-rechtlichen ĺGrundfreiheiten (vgl. EuGH, Rs. ĺOmega). (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 1 GRC/Art. II-61 EVV Lit.: W. Höfling, in: P. J. Tettinger/K. Stern (Hrsg.), GRC, 2006, Art. 1-5; M. Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 1-5; H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, II. § 8, 115 ff.; R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, 2006, 358 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-36/02 ĺOmega Spielhallen, Slg. 2004, I-9609; EuGH, Rs. C-377/98 NL/Parl. und Rat, Slg. 2001, I-7079 (ĺBiopatentRL)
Meroni-Entscheidung Meroni case – jurisprudence Meroni
Vor der Gründung der ersten ĺGemeinschaftsagentur gab es bereits in den Jahren 1954/55 den Versuch zwei vertragsfremde Einrichtungen zu etablieren. Die ĺHohe Behörde der ĺEGKS hatte das „Gemeinsame Büro der Schrottverbraucher“ und die „Ausgleichskasse für eingeführten Schrott“ eingerichtet. Diese Organe wa633
Mertens-Gruppe, Rat der Europäischen Union ren beauftragt die bei Import von Schrott zu zahlenden Ausgleichsbeträge festzusetzen und einzuziehen. Ein vollstreckbarer Titel konnte auf deren Antrag von der Hohen Behörde erlassen werden. Der ĺEuGH nahm dazu 1958 in den so genannten Meroni-Entscheidungen (Rs. 9, 10/56) Stellung und entschied, dass die Einschaltung solcher Einrichtungen prinzipiell zulässig sei. Für den Fall, dass Befugnisse übertragen werden, die weitreichende Ermessensfragen ermöglichen, müsse sich die Hohe Behörde allerdings einen bestimmenden Einfluss vorbehalten. Der EuGH hielt fest, dass man bei der Übertragung von Befugnissen an die „Ausgleichskasse für eingeführten Schrott“ nicht dafür gesorgt hatte und beurteilte die von der Klägerin angefochtene Entscheidung als vertragswidrig und damit nichtig. Aus heutiger Sicht ist zu erkennen, dass es dem EuGH nicht so sehr um die rechtliche Selbstständigkeit der Schrottausgleichskasse ging, als vielmehr um das Defizit an Genauigkeit bei Übertragung und fehlende Aufsichts- und Kontrollelemente. Unabhängig davon führten diese Urteile dazu, dass es bis 1975 dauerte bis mit dem ĺEuropäischen Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (Cedefop) eine derart selbstständige Einrichtung und erste ĺGemeinschaftsagentur gegründet wurde. (gr) Lit.: D. Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, 106 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 9,10/56, Slg. 1958, 9 bzw. 51
Mertens-Gruppe, Rat der Europäischen Union Mertens group, Council of the European Union – groupe Mertens, Conseil de l’Union Européenne
Die Mertens-Gruppe ist ein informelles Gremium zur Vorbereitung der Ratsarbeit. Ihre Zusammensetzung und Funktion entspricht der der ĺAntici-Gruppe bezüglich ĺCOREPER II. Im Unterschied dazu bereitet diese 1993 ins Leben gerufene Gruppe die Beratungen von ĺCOREPER I vor. (bho) Lit.: M. Westlake/D. Galloway, The Council of the European Union, 3. Aufl. 2004, 211 f.
Metronome-Entscheidung Metronome case – jurisprudence Metronome
In der Entscheidung Metronome (EuGH 28.4. 1998, Rs. C-200/96, Slg. 1998, I-1953) ging es um die Frage, ob das in der ĺVermiet- und VerleihRL vorgesehene ausschließliche Vermietrecht des Urhebers und die Ausnahme dieses 634
Rechts aus dem ĺErschöpfungsgrundsatz gegen die Grundfreiheiten verstoßen. Der EuGH verneinte diese Frage mit der Begründung, dass – wie schon in der Entscheidung ĺWarner Bros festgestellt – nur die körperliche Verbreitung, nicht aber die Vermietung dem gemeinschaftlichen ĺErschöpfungsgrundsatz unterliegt. (js) §§: ĺVermiet- und VerleihRL (RL 92/100/EWG), insb. Art. 1 Abs. 4; Art. 28, 30 EWG Lit.: R. Sack, Die Erschöpfung von gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten nach europäischem Recht, GRUR Int. 1999, 193
MHP-Multimedia Home Plattform MHP-Multimedia Home Plattform – MHP-Multimedia Home Plattform
Art. 18 Abs. 1 lit. a RahmenRL (ABl. 2002 L 108/ 33), Teil des Richtlinienpakets für die ĺelektronischen Kommunikationsmärkte, trägt den Mitgliedstaaten in Form einer soft law Maßnahme auf, sich auf ihren Märkten für die Verwendung offener ĺAnwendungsprogrammierschnittstellen (API) einzusetzen. Die „Multimedia Home Plattform (MHP)“ ist ein solcher gemeinsamer offener API Standard. Er ist von der Industrie im Rahmen des „Digital Video Broadcasting Project (DVB)“ entwickelt worden. (dd) Web: http://www.mhp.org/
Michael Projekt der ĺEuropäischen Kommission, welches die Erstellung einer mehrsprachig geführten digitalen Inventurliste des Europäischen Kulturerbes zum Ziel hat, sowie Name dieser Liste selbst. Das Projekt will für Museen, Bibliothenken, Archive und andere Kulturistitutionen verschiedener europäischer Länder einen schnellen und einfachen Zugang zu den gegenseitigen Bestandslisten erreichen. (cd) Web: http://www.michael-culture.org
Micheletti-Entscheidung Micheletti case – jurisprudence Micheletti
In der Rs. Micheletti stellt der ĺEuGH klar, dass sich ein ĺDoppelstaater in einem Aufnahmemitgliedstaat, der die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates und eines weiteren Mitgliedstaates besitzt, auf letztere auch dann berufen kann, wenn er nach dem Recht des Aufnahmestaats als Angehöriger des Drittstaats gilt. Die ĺEU-Mitgliedstaaten erkennen ihr Staats-
Militärausschuss der Europäischen Union (EUMC) angehörigkeitsrecht untereinander vorbehaltlos an. (ao) §§: Art. 17 EG Lit.: S. O’Leary, Nationality Law and Community Citizenship: a tale of two uneasy bedfellows, in: A. Barav et al (eds.), Yearbook of European Law (1992) 353 Rsp.: EuGH, Rs. C-369/90 Micheletti, Slg. 1992, I-4239
Microsoft-Entscheidung Microsoft case – jurisprudence Microsoft
In seinem Microsoft-Urteil vom 17.9.2007 hat das ĺEuG die Entscheidung der ĺEuropäischen Kommission gegen Microsoft, wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung eine Geldbuße in Höhe von 497 Mio. Euro zu verhängen, bestätigt. Zudem wies das ĺEuG die Klage von Microsoft auch hinsichtlich der Auflage der ĺKommission, nach der Microsoft die vollständigen und genauen Schnittstellenspezifikationen für seine Konkurrenten offenzulegen hat, zurück. Bestand hat nach dem Urteil zudem die Auflage, dass Microsoft eine entkoppelte Windows-Version ohne Media Player auf den Markt bringen muss. Das EuG hat aber die Entscheidung der Kommission insoweit aufgehoben, als sie die Auflage betraf, dass Microsoft einen Treuhänder vorschlägt, der unabhängig von der Kommission Zugang zu Informationen, Dokumenten, Geschäftsräumen und Quellcodes der relevanten Microsoft-Produkte hat, und diesen Treuhänder auch bezahlt. Hintergrund des Urteils des ĺEuG ist eine Entscheidung der ĺKommission aus dem Jahr 2004, in der die Kommission gegen Microsoft wegen ĺMissbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für Arbeitsgruppenserver-Betriebssysteme und dem Markt für Medienabspielprogramme eine hohe Geldbuße verhängt und Microsoft die oben erwähnten Auflagen erteilt hat. Bemerkenswert an dem Urteil des EuG ist insbesondere, dass das EuG die zentrale Begründung der Klage von Microsoft zurückgewiesen hat, in der sich Microsoft auf seine geistigen Eigentumsrechte berufen hatte, die durch die Auflage der Offenlegung der vollständigen und genauen Schnittstellenspezifikationen verletzt würden. Das EuG entgegnete darauf in seinem Urteil, dass Rechte des geistigen Eigentums keine absolut geschützten Rechte seien und dort Grenzen haben, wo Missbrauch von Marktmacht vorliegt. Somit gibt das Urteil hier Aufschluss über das Verhältnis des Wettbewerbsrechts zu den Rechten des geistigen Eigentums.
In Bezug auf den Windows Media Player wertete das ĺEuG es als Missbrauch, dass das Microsoft eine ausschließlich eine Windows Version mit integriertem Media Player auf den Markt gebracht hatte. Eine solche Kopplung stellt laut Urteil des EuG dann einen Missbrauch i.S. des Art. 82 EG dar, wenn erstens eine ĺmarktbeherrschende Stellung des Unternehmens vorliegt, zweitens beide verknüpften Produkte – hier Windows Betriebssystem und Media Player – als getrennte Produkte zu beurteilen seien, drittens die Verbraucher gezwungen würden, das integrierte Produkt zu kaufen und viertens die Integration den Wettbewerb behindere. Damit gibt das Urteil des EuG auch über Kopplungspraktiken weiteren Aufschluss. (jpt) §§: Art. 82 EG Rsp.: EuG, Rs. T-201/04 Microsoft/Kommission, noch nicht in Slg. Web: http://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/ cases/microsoft/
Mikroorganismus micro-organism – micro-organisme
Als Mikroorganismus versteht die ĺSystemrichtlinie jede zelluläre oder nichtzelluläre mikrobiologische Einheit, die zur Vermehrung oder zur Weitergabe von genetischem Material fähig ist; hierzu zählen Viren, Viroide sowie tierische und pflanzliche Zellkulturen. Keine Mikroorganismen sind hingegen die „nackte DNA“ sowie höher entwickelte ĺOrganismen. (al) §§: Art. 2 lit. a, RL 90/219/EWG des Rates vom 23.4. 1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1990, Nr. L 117/1, geändert durch die RL 98/81/EG des Rates vom 26.10.1998 zur Änderung der RL 90/219/ EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1998, Nr. L 330/13. (ĺSystemrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. I., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, 1992, Rn. 13 f. Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l21 157.htm
Militärausschuss der Europäischen Union (EUMC) European Union Military Committee (EUMC) – Comité militaire de l’Union européenne (EUMC)
Höchstes militärisches Gremium der EU im Rahmen des Sekretariats des ĺRates, errichtet im Jahr 2001 aufgrund der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das EUMC 635
Militärische Fähigkeiten umfasst die Generalstabschefs der Mitgliedstaaten, welche durch ständige Delegierte vertreten werden. Es berät das ĺPolitische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) in militärischen Fragen und legt Leitvorgaben für das Personal im ĺMilitärstab der Europäischen Union (EUMS) fest. (dt) §§: Beschluss 2001/79/GASP, ABl. 2001, Nr. L 27/1 Lit.: E. Regelsberger, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, 2004, 77 ff.
Militärische Fähigkeiten ĺFähigkeiten, militärische Militärische Nutzung der Atomenergie ĺAtomenergie, friedliche/militärische Nutzung der Militärmissionen ĺESVP-Missionen, militärische Militärpolitik ĺEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Militärstab der Europäischen Union (EUMS) European Union Military Staff (EUMS) – État-major de l’U.E. (EUMS)
Militärisches und ziviles Personal im Sekretariat des ĺRates aufgrund von Abordnungen der Mitgliedstaaten, zumeist aus den nationalen Verteidigungsministerien und der Armeeverwaltung. Einrichtung im Jahr 2001 aufgrund der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Der EUMS stärkt die militärische Fachexpertise des ĺRates bei der strategischen Lagebeurteilung sowie der Planung und Durchführung von ĺMilitärmissionen. Die im Rahmen der Verbesserung der militärischen ĺFähigkeiten neu eingerichtete zivil-militärische Zelle als Ausgangspunkt eines möglichen EUHauptquartiers ist institutionell ein Bestandteil des EUMS. (dt) §§: Beschluss 2001/80/GASP, ABl. 2001, Nr. L 155/18 Lit.: E. Regelsberger, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, 2004, 77-81
Minderheitenschutz protection of minorities – protection des minorités
Ein Aspekt des Minderheitenschutzes liegt in der ĺgrundrechtlichen Verpflichtung der Union zur Achtung der Vielfalt der Kulturen, Spra636
chen und Religionen (Weltanschauungen) nach Art. 22 ĺGRC/Art. II-82 EVV. Damit sind jedoch keine subjektiven Rechte einzelner Minderheitenangehöriger verbunden. S.a. ĺVielfalt, kulturelle, sprachliche, religiöse. (ed) §§: Art. 22 GRC/Art. II-82 EVV Lit.: S. Hölscheidt, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 22; H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 25 III
Mindestrichtlinie directive on minimum protection – directive concernant la moindre protection
MindestRL zeichnen sich dadurch aus, dass der in ihren Bestimmungen vorgesehen Schutz lediglich Mindestcharakter aufweist. Damit kann das in der RL vorgegebene Schutzniveau im Rahmen der Umsetzung zwar nicht unterschritten, sehr wohl aber restriktiver ausgestaltet werden. Die Grenze einer solch strengeren Umsetzung zeigt sich dort, wo umgesetzte Rechtsvorschriften gegen die Grundfreiheiten verstoßen. Der ganz überwiegende Teil der reinen VerbraucherschutzRL (ĺVerbraucherschutzRL, reine) ist als MindestRL konzipiert (größtenteils abschließenden Charakter besitzt etwa die ĺFernabsatz-FinanzdienstleistungsRL). (pa) Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005
Mindestpreise (freier Warenverkehr) minimum price (free movement of goods) – prix minimal (libre circulation des marchandises)
Ein unterschiedslos geltender Mindestpreis für den Einzelhandelskauf kann als ĺMaßnahme gleicher Wirkung angesehen werden. Eine Beeinträchtigung ist dann gegeben, wenn durch die Mindestpreisregelung die eingeführten ĺWaren gegenüber gleichartigen inländischen Produkten z.B. dadurch benachteiligt sind, dass sie nicht mehr gewinnbringend verkauft werden können oder dem Händler durch die Festlegung des Mindestpreises unabhängig von den Gestehungskosten der Wettbewerbsvorteil genommen wird. Eine ähnliche Wirkung kann von Mindesthandelsspannen ausgehen. (güh) Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M.Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28 EGV, Rn. 156 Rsp.: EuGH, Rs. 231/83 ĺCullet, Slg. 1985, 305, Rn. 23; EuGH, Rs. 82/77 van Tiggele, Slg. 1978, 25, Rn. 13 f.; EuGH, Rs. C-287/89 Kommission/Belgien, Slg. 1991, I-2233, Rn. 17
Missbräuchliche Anwendung von Beihilfen Mindesttrias der Sanktionen Minimum requirements of sanctions – conditions minimums du sanctions
Nach der Formulierung des EuGH in der Grundsatzentscheidung ĺGriechischer Mais (Rs. 68/ 88) müssen Sanktionen für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht bzw. die Verletzung von Gemeinschaftsrechtsgütern „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein. Um wirksam und abschreckend zu sein, muss die Sanktion geeignet sein, die Allgemeinheit von einem Verstoß abzuhalten (negative Generalprävention), einen Täter von einem erneuten Verstoß abzuschrecken (negative Spezialprävention) sowie das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltungskraft des Gemeinschaftsrecht zu stärken (positive Generalprävention). Das Kriterium der Verhältnismäßigkeit bildet im hier gebrauchten Sinne eine Untergrenze für die Strafe, die dem Maß der Rechtsverletzung entsprechen muss. Davon zu unterscheiden ist das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip, das gemeinsam mit anderen allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts eine Obergrenze der Sanktion bildet. (sts) Lit.: H. Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, 2001, 368 ff.
Mineralwässer, natürliche mineral waters, natural – eaux minérales naturelles
Es erfolgte eine gemeinschaftsrechtliche über eine ĺRL über die Gewinnung und den Handel mit natürlichen Mineralwässern. Ihr Schwerpunkt liegt in der Formulierung von Vorschriften über den ĺBinnenmarkt bezüglich Lebensmittel (daher ist die Ermächtigungsgrundlage auch in den Art. 100 EWG/Art. 94 EG zu finden). Die RL enthält bindende Kriterien für Mineralwässer und Regelungen für deren Etikettierung. In ihrem Anhang I sind u.a. Definitionen der einzelnen Wässer und Anweisungen und Kriterien für die Anwendung der Definitionen gegeben. (sm) §§: RL 80/777/EWG, ABl. 1980, Nr. L 229/1
Minerva ĺBildungsprogramme Ministerrat ĺRat der Europäischen Union Missbrauch ĺMissbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 82 EG), allgemein
Missbrauch einer marktbeherrschendem Stellung, allgemein abuse of a dominant position, general remarks – abus d’une position dominante (art. 82), généralité
Das ĺeuropäische Wettbewerbsrecht verbietet in Art. 82 EG nicht schon das reine Innehaben einer marktbeherrschenden Stellung, sondern nur ihren „Missbrauch“. Hierunter sind Verhaltensweisen eines ĺUnternehmens zu verstehen, die die Struktur des Marktes, auf dem auf Grund der Anwesenheit des ĺmarktbeherrschenden Unternehmens ohnehin schon eine verminderte Wettbewerbsintensität besteht, beeinflussen können und die die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden (Rest-)Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindern, die von den Mitteln eines „normalen Wettbewerbs“ abweichen. Mit der Regelbeispielstechnik in Art. 82 EG gibt der EG Hinweise, welche Maßnahmen diese Behinderung erzeugen können. Gemeinhin wird hier zwischen ĺAusbeutungs-, ĺBehinderungs- und ĺMarktstrukturmissbrauch unterschieden; dazu erfasst Art. 82 EG auch allgemein Diskriminierungen von Geschäftspartnern oder Verbrauchern. Art. 82 EG ist wie Art. 81 Abs. 1 EG als unmittelbar wirksames Verbot ausgestaltet, d.h. es bedarf keiner gesonderten Feststellung o.ä. durch eine Behörde. (jpt) §§: 82 EG Lit.: H. Schröter, in: H. Schröter/T. Jakob/W. Mederer (Hrsg.), Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, 2003, 790 ff.; J. Temple Lang, Monopolisation and the definition of „abuse“ of a dominant position under article 86 EEC Treaty, CML Rev. 17 (1980) 345; T. Eilmannsberger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 82 EGV, Rn. 19 ff.
Missbrauch von Grundrechten ĺGrundrechtsmissbrauch Missbräuchliche Anwendung von Beihilfen misuse of aid – aide appliquée de facon abusive
Die missbräuchliche Anwendung von Beihilfen erfasst die zweckwidrige Verwendung einer durch Entscheidung der Kommission genehmigte Beihilfe durch den Beihilfeempfänger. Dabei ist gem. Art. 16 VO (EG) 659/1999 grundsätzlich das gleiche Verfahren wie bei der Prüfung ĺrechtswidriger Beihilfen anzuwenden; allerdings tritt das Verfahren unmittelbar in die Phase des ĺformellen Prüfverfahrens ein. Die Bestimmungen über das ĺvorläufige Prüfverfahren und die vorläufige ĺRück637
Missbrauchsvorbehalt forderung von Beihilfen sind nicht einschlägig. (jr) §§: Art. 88 Abs. 2 EG Lit.: F. P. Sutter, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2005, Art. 88 EGV, Rn. 89 f.
Missbrauchsvorbehalt ĺFreizügigkeit, Missbrauchsvorbehalt Missstand grievance – inconvénient
Der Gegenstand einer ĺBeschwerde zum ĺEuropäischen Bürgerbeauftragten muss ein Missstand sein. Darunter fallen alle rechtswidrigen Verhalten von ĺGemeinschaftsorganen und institutionen sowie Verstöße gegen die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Verwaltung, auch wenn durch letztere keine Rechtsvorschrift verletzt wird. Nach der Definition des Bürgerbeauftragten in seinem Jahresbericht 1997 liegen Missstände vor, „wenn eine öffentliche Einrichtung nicht im Einklang mit den für sie verbindlichen Regeln oder Grundsätzen handelt“. In den Jahren zuvor wurde ein Missstand bereits bejaht, wenn eine Institution oder ein Organ der Gemeinschaften gegen die Gemeinschaftsverträge und aus den Verträgen abgeleitete Rechtsakte verstieß, oder Rechtsgrundsätze und Bestimmungen missachtete, die vom ĺEuGH oder dem ĺEuG aufgestellt wurden. Der mit diesem Ansatz verbundene Ermessensspielraum erschien dem ĺEuropäischen Parlament als zu weit und so forderte es den Bürgerbeauftragten 1996 auf, den Begriff enger zu definieren. Als Beispiele für Missstände lassen sich dem 1. Jahresbericht des Europäischen Bürgerbeauftragten von 1995 entnehmen: Grundrechtsverstöße, Unregelmäßigkeiten in der Verwaltung, Versäumnisse in der Verwaltung, Machtmissbrauch, Fahrlässigkeit, rechtswidriges Verfahren, Verstoß gegen die Fairness, schlechtes Funktionieren oder Unfähigkeit, Diskriminierung, vermeidbare Verzögerungen, unzureichende Unterrichtung sowie das Vorenthalten von Informationen. (fg) Lit.: M. Haag, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2004, Art. 195 EG Web: http://ombudsman.europa.eu/home/de/default. htm
Mitgliedstaaten member states – États membres
Belgien – Bulgarien – Dänemark – Deutschland – Estland – Finnland – Frankreich – Griechen638
land – Großbritannien – Irland – Italien – Lettland – Litauen – Luxemburg – Malta – Niederlande – Österreich – Polen – Portugal – Rumänien – Schweden – Slowakei – Slowenien – Spanien – Tschechien – Ungarn – Zypern (lb) Mitteilung (Beihilfenrecht) communication (EC state aid law) – communication (droit des aides d’État)
Mitteilungen beziehen sich im Gegensatz zu ĺGemeinschaftsrahmen (diese betreffen grundsätzlich die Ermessensausübung der ĺKommission im Rahmen des Art. 87 Abs. 3 EG) i.d.R. auf die Auslegung des Beihilfenbegriffes in Art. 87 Abs. 1 EG (z.B.: Grundstücksmitteilung, Bürgschaftsmitteilung, Unternehmenssteuermitteilung, Unternehmensmitteilung). Sie werden wie ĺLeitlinien einseitig von der Kommission erlassen und binden diese selbst. Eine Abgrenzung zu den Leitlinien fällt aufgrund der uneinhetlichen Terminologie der Kommission in ihren veröffentlichten Dokumenten schwer. So hat die Kommission etwa in ihrer Mitteilung hinsichtlich des staatlichen Rundfunks Erläuterungen zu ihrer Ermessensausübung sowohl hinsichtlich des Art. 87 Abs. 1 EG als auch zu Art. 87 Abs. 3 EG aufgenommen. (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: T. Jestaedt/M. Schweda, in: M. Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2003, § 14, Rn. 25 ff.
Mitteilung der Beschwerdepunkte statement of objections – communication de griefs
Die Mitteilung der Beschwerdepunkte informiert den potenziellen Adressaten einer belastenden abschließenden Entscheidung der ĺKommission in Verfahren nach den Art. 81 (ĺKartellverbot) und 82 EG (ĺMissbrauch einer marktbeherrschendem Stellung) sowie in der zweiten Phase von Verfahren nach der ĺFusionskontrollverordnung über die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission und deren Tatsachengrundlage. Sie ermöglicht es ihm, vor der Entscheidungsfindung zu den Bedenken Stellung zu nehmen und ist mithin Kernstück der Wahrung des Anhörungsrechts. Obgleich die abschließende belastende Entscheidung nicht notwendig ein Abbild der Mitteilung der Beschwerdepunkte darstellen muss, darf sie sich nur auf Einwände und Beweismittel stützen, die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte zum Ausdruck gekommen sind. An-
Mittelmeerstaaten dernfalls droht die Aufhebung der Entscheidung durch den Gerichtshof, falls nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie bei Beachtung des Anhörungsrechts einen anderen Inhalt gehabt hätte. (mke) §§: Art. 10, 11, 15 VO (EG) 773/2004, ABl. 2004, Nr. L 123/18; Art. 13 Abs. 2, 17 VO (EG) 802/2004, ABl. 2004, Nr. L 133/1 Lit.: S. Durande/M. Kellerbauer, Der Anhörungsbeauftragte in EG-Wettbewerbsverfahren, WuW 9/2007, 870; J. P. Heidenreich, Anhörungsrechte im EG-Kartell- und Fusionskontrollverfahren, 2004, 200 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 41/69 ACF Chemiefarma, Slg. 1970, 661, Rn. 94; EuG, verb. Rs. T-191/98 und T-212/98 bis T-214/98 Atlantic Container Line, Slg. 2003, II-3275, Rn. 138; EuG, verb. Rs. T-25/95 u.a. Cimenteries, Slg. 2000, II-491, Rn. 323; EuGH, verb. Rs. C-204/00 u.a. Aalborg Portland, Slg. 2004, I-123, Rn. 75
Mitteilungen communications – communications
Die Mitteilung ist eine Handlungsform, die die Kommission in der Praxis entwickelt hat; in den Verträgen findet sie keine Erwähnung. In Mitteilungen legt die ĺKommission ihren Standpunkt zu politischen und rechtlichen Fragen gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit oder den übrigen Organen fest, ohne hierfür eine der in den Verträgen vorgesehenen verbindlichen oder unverbindlichen Handlungsformen nutzen zu wollen. Mitteilungen erscheinen als sog. KOMDokumente in gedruckter und elektronischer Form. Einige Mitteilungen werden zusätzlich im ĺAmtsblatt der EU in der Abteilung C (Mitteilungen und Bekanntmachungen) veröffentlicht (ĺVeröffentlichung der Rechtsakte). Mitteilungen haben eine wichtige Funktion im Vorfeld eines formellen Rechtsetzungsvorschlags der Kommission, um den Bedarf für ein zukünftiges Rechtsetzungsprojekt zu demonstrieren und politischen Konsens über dessen Grundausrichtung zu organisieren. Rechtliche Wirkungen können den Mitteilungen dann zukommen, wenn die Kommission in ihnen allgemeine Festlegungen über die Ausübung eigener Entscheidungsbefugnisse trifft. In diesem Fall erfüllen sie die Funktion von Verwaltungsvorschriften, die das Ermessen der Kommission über die Entscheidung von Einzelfällen binden. Von diesen Festlegungen kann die Kommission nicht ohne das Vorliegen besonderer Umstände abweichen, ohne gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu verstoßen. Dieser Typus von Mitteilungen (sog. Entscheidungs-Mitteilungen) wird vor allem im ĺWettbewerbsrecht genutzt. Nur
ausnahmsweise können Mitteilungen anfechtbare Handlungen darstellen (ĺNichtigkeitsklage, Art. 230 EG). Dies gilt etwa dann, wenn die Kommission ihre Auffassung über Inhalt und Umfang von Pflichten bekannt gibt, die sich angeblich aus geltendem Recht ergeben (sog. Auslegungs-Mitteilungen). Trifft diese Auslegung nicht zu, kann der Rechtsschein einer Verpflichtung im Wege der Nichtigkeitsklage beseitigt werden. (jb) Lit.: L. Senden, Soft Law in European Community Law, 2004; A. von Bogdandy/J. Bast/F. Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht, ZaöRV 62 (2002) 77, 87 ff.; A.-M. Tournepiche, Les Communications: instruments privilégiés de l’action administrative de la Commission européenne, RMCUE 454 (2002) 55 ff.; H. Adam, Die Mitteilungen der Kommission, 1999; J. Gundel, Rechtsschutz gegen Kommissions-Mitteilungen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, EuR 1998, 90 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-325/91 Frankreich/Kommission, Slg. 1993, I-3283; EuG, Rs. T-7/89 Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Rn. 53; EuGH, Rs. C-366/88 Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I3571; EuG, Rs. T-228/02 Organisation des Mudjahedines du peuple d’Iran/Rat, Slg. 2006, II-4665, Rn. 109, 138 ff. Web: http://eur-lex.europa.eu/COMIndex.do?ihmlang =de
Mittel- und Osteuropäische Länder (MOEL) Central and Eastern European countries (CEECs) – Pays de l’Europe centrale et orientale (PECO)
Im Rahmen der sog. ĺOsterweiterung etablierte sich unter den Gemeinschaftsorganen und anderen europäischen Stakeholdern der Begriff der M., der aber keinen Niederschlag als Rechtsbegriff fand. Darunter werden Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn subsumiert. (lo) Mittelbare Diskriminierung ĺDiskriminierung, mittelbare Mittelbare Drittwirkung ĺDrittwirkung, grundrechtliche Mittelbarer Vollzug ĺVollzug, mittelbarer Mittelmeerstaaten mediterranean countries – pays méditerranéens
S. ĺEuropa-Mittelmeerabkommen. (bb) §§: ĺEuropa-Mittelmeerabkommen zur Gründung einer Assoziierung der EG und ihrer MS mit der De-
639
Mittlerweile-Entscheidung (BVerfG) mokratischen Volksrepublik Algerien (ABl. 2005, Nr. L 265/2), mit der Arabischen Republik Ägypten (ABl. 2004, Nr. L 304/39), mit dem Staat Israel (ABl. 2000, Nr. L 147/1), mit dem Haschemitischen Königreich Jordanien (ABl. 2005, Nr. L 283/10), mit der Libanesischen Republik (ABl. 2006, Nr. L 143/2), mit dem Königreich Marokko (ABl. 2000, Nr. L 70/2), mit der PLO (ABl. 1997, Nr. L 187/3), mit der Tunesischen Republik (ABl. 2005, Nr. L 278/9)
Mittlerweile-Entscheidung (BVerfG) Mittlerweile case – jurisprudence Mittlerweile
Entscheidung des ĺBVerfG vom 14.2.1983, NJW 1983, 1258 (ĺVerfassungsbeschwerde). Gilt als Zwischenetappe der Grundrechts-Rsp. zwischen ĺSolange I und ĺSolange II, weil das BVerfG explizit offenlässt, ob es seine Gerichtsbarkeit über die Anwendung von ĺVerordnungen solange nicht mehr in Anspruch nimmt, als auf Ebene des Gemeinschaftsrechts ein ausreichender Grundrechtsschutz generell gewährleistet erscheint. (sgk) Mobilitätsprogramme ĺBildungsprogramme Mobilitätsprogramme, Bildungspolitik ĺBildungspolitik Modulation modulation – modulation
Systematische Kürzung von im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik gewährten Direktzahlungen an Landwirte über eine Zeittangente teils in Verbindung mit der Betriebsgröße oder Höhe der Zahlung. (all) §§: VO (EG) 1782/2003 Direktzahlungen, ABl. 2003, Nr. L 270/1
Modus vivendi von 1994 modus vivendi from 1994 – modus vivendi de 1994
Eine der interinstitutionellen (trilateralen) Vereinbarungen zwischen ĺKommission, ĺRat und ĺParlament, die den Konflikt im Rahmen der ĺKomitologie beilegen sollte. Seit den Anfängen der Komitologie beansprucht das Parlament Informations- und Beteiligungsrechte auch im Rahmen der ĺDurchführungsrechtsetzung. Mangels Regelungen im EG-Vertrag wurden dem Parlament sukzessiv durch (unverbindliche) Abkommen Rechte eingeräumt. Der „Modus Vivendi“ vom 20.12.1994 (ABl. 1996, Nr. C 102/1) zielte auf eine Verbesserung der Information des Parlaments und sah gewis640
se Anhörungsrechte vor. Heute sind die parlamentarischen Rechte im ĺKomitologiebeschluss 1999/468/EG in der Fassung des Ratsbeschlusses 2006/512/EG festgeschrieben. (sk) MOEL ĺMittel- und Osteuropäische Länder (MOEL) Moldawien, Republik Moldau Moldova – Moldavie
Abkommen über ĺdie Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Moldau. (bb) §§: ABl. 1998, Nr. L 181/3 (in Kraft seit 1.7.1998) Web: http://www.delmda.cec.eu.int/en/eu_and_mol dova/pca_moldova.pdf
Monaco ĺZwergstaaten, Abkommen Monistisches System monistic system one-tier-system/board-system
Organisationsverfassung einer juristischen Person, welche Geschäftsführung und Kontrolle einund demselben Organ (ĺ„Verwaltungsrat“, „board of directors“) zuweist. Das monistische System findet sich einerseits im anglo-amerikanischen Rechtskreis, aber auch vereinzelt in Kontinentaleuropa (z.B. der Schweiz), andererseits als wahlweise Alternative zum ĺdualistischen System bei den auf ĺVerordnungen basierenden ĺsupranationalen Gesellschaftsformen ĺSocietas Europaea („Europäische Aktiengesellschaft“, SE) und ĺSocietas Cooperativa Europaea („Europäische Genossenschaft“, SCE). (tr) §§: Art. 43 ff. SE-VO; §§ 38 ff. SEG; Art. 37 ff. SCEVO; §§ 24 ff. SCEG Lit.: C. J. Eder, Die monistisch verfasste Societas Europaea – Überlegungen zur Umsetzung eines CEOModells, NZG 2004, 544; M. Eiselsberg/T. Haberer, Organisationsverfassung und Leitungsstruktur, in: Straube/Aicher (Hrsg.), Handbuch zur Europäischen Aktiengesellschaft, 2002, 184 ff.; F. Prändl/B. Sammer, Das monistische System in der Europäischen Aktiengesellschaft (SE), GeS 2004, 300; C. Völkl, Die Vertretung der monistischen SE durch ihre „Organe“, ecolex 2004, 763
Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen monitoring report on the state of preparedness for EU membership – rapport global de suivi sur le degré de préparation à l’adhésion à l’UE
Der M.-B. ist ein Instrument im Rahmen der ĺErweiterung der Union, welches nach Abschluss der ĺBeitrittsverhandlungen sicherstel-
More Economic Approach (ökonomische Betrachtungsweise) len soll, dass die Implementierung des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes fortgesetzt und zu Ende geführt wird. Mit diesem Bericht versucht die KOM die beitretenden Staaten – kurz vor der Aufnahme in die Union – zur Umsetzung aller eingegangen Verpflichtung anzuhalten und allenfalls Vorschläge zur Lösung etwaiger Probleme zu unterbreiten. Der M.-B. übernimmt daher nach Verhandlungsabschluss die Aufgaben des ĺRegelmäßigen Berichtes über die Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt. Nach Beschluss des ĺEurop. Rat von Kopenhagen (12./13.12.2002) erstellte die KOM erstmals M.B. Die Ergebnisse der Überwachung können zur Aktivierung der Schutzklauseln der ĺBeitrittsakte führen (ĺOsterweiterung). Der letzte M.-B. über ĺBulgarien und Rumänien hatte besondere Brisanz: Die KOM bewertete darin die letzten Anstrengungen zur Erfüllung der ĺBeitrittsvoraussetzungen als ausreichend. U.a. dadurch kam es nicht – zu der nach der Beitrittsakte möglichen – Verschiebung des Beitrittsdatums. (lo) §§: Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europ. Rat von Kopenhagen 12./13.12.2002, Rn. 5 Lit.: Monitoring-Bericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens, KOM(2006) 549 endg.
Monnet, Jean Omer Marie Gabriel (1888–1979) Französischer Politiker und Unternehmer. Von 1919–1923 stellv. Generalsekretär des Völkerbundes; 1943 Mitbegründer des französischen Befreiungskomitees in Algerien; 1946–1950 als Leiter des Amtes für wirtschaftliche Planung maßgeblich an der Ausarbeitung eines großen Modernisierungsprogrammes für die französische Wirtschaft und am Entwurf des Schumanplanes beteiligt; 1950–1952 Präsident der Schuman-Plan-Konferenz zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 1952–1955 Vorsitzender der Hohen Behörde der EGKS. Gründete 1955 das ĺ„Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa“, das bis 1975 bestand und dessen Vorsitzender Monnet war. 1976 durch die Staatsund Regierungschefs der MS zum ersten „Ehrenbürger von Europa“ ernannt. (gm) Lit.: W. Wessels, „Jean Monnet – Mensch und Methode. Überholt und überschätzt?“, Reihe Politikwissenschaften/Political Science Series 74 (2001) IHS Wien; Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 18, 21. Aufl. 2006, 738
Monsees-Entscheidung Monsees case – jurisprudence Monsees
In dieser Entscheidung sah der ĺEuGH in einer österr. Bestimmung (§ 5 Abs. 2 Tiertrans-
portgesetz), die vorsah dass der Lebendtransport von Schlachttieren nur bis zum nächstgelegenen geeigneten inländischen Schlachtbetrieb durchgeführt werden darf und weiters eine Gesamttransportdauer von sechs Stunden und eine Entfernung von 130 km nicht überschritten werden dürfen, eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung sowohl des Art. 28 EG sowie des Art. 29 EG. Diese Bestimmung hatte nach Ansicht des EuGH nämlich zur Folge, dass die Durchfuhr internationaler Straßentransporte von Schlachttieren durch Österreich beinahe unmöglich gemacht wurde. Der mit dieser Maßnahme verfolgte ĺTierschutz sei zwar prinzipiell einer Rechtfertigung zugänglich, doch hätten diesbezüglich auch andere geeignete Maßnahmen und zwar solche, die den freien Warenverkehr weniger beschränkt hätten, gewählt werden können. Die Maßnahme war somit unverhältnismäßig. (rp) Rsp.: EuGH, Rs. C-350/97 Monsees, Slg. 1999, I-2921, Rn. 28 ff.
Montanunion ĺEuropäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) More Economic Approach (ökonomische Betrachtungsweise) Das ĺeuropäische Wettbewerbsrecht hat sich insbesondere im Zuge des umfassenden „Modernisierungsprogramms“ der Europäischen ĺKommission zwischen 1999 und 2004 einem sog. more economic approach zugewandt. Der Begriff more economic approach steht im Kern für eine verstärkte Verwendung ökonomischer Instrumente im Rahmen der Entscheidungsprozesse. So spielen heute ökonomische Modelle und verschiedene quantitative Untersuchungsmethoden eine ungleich größere Rolle als vor einigen Jahren. Dem liegt das Bestreben der Kommission zu Grunde, die Einzelfallgerechtigkeit ihrer Entscheidungen zu verbessern, insbesondere weil es sich in vielen Bereichen (z.B. bei der ĺFusionskontrolle) um Prognoseentscheidungen handelt. Die ökonomischen Modelle sollen Aussagen darüber treffen, wie sich kartellrechtliche Interventionen auf den Wettbewerbsprozess auswirken bzw. welche „an sich“ de lege lata wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen im Endeffekt nicht wettbewerbsschädlich sind, sondern wettbewerbsneutral wirken oder gar den Wettbewerb fördern. Daraus resultiert eine Verschie641
Morgenbesser-Entscheidung bung der Akzente. Während das „klassische“ Kartellrecht eher formal auf die Typisierung bzw. Einordnung bestimmter Verhaltensweisen abstellte (etwa mit sog. per-se Verboten), wird heute in vielen Fällen nicht nur formal auf die Beschaffenheit und den Inhalt einer Vereinbarung und flankierend auf die Marktanteile der an der ĺVereinbarung beteiligten ĺUnternehmen geschaut, sondern auch auf die tatsächliche Wirkung der ĺVereinbarung. Dieser Ansatz hat insgesamt zu einer großzügigeren Haltung gegenüber bestimmten ĺVereinbarungen geführt. Der more economic approach hat in der ĺFusionskontrolle ebenso seine Bedeutung wie auch aktuell bei der Ausarbeitung von Leitlinien zur Anwendung des Art. 82 EG. Ausgangspunkt war die ĺGVO Nr. 2790/99 über vertikale Vereinbarungen, die einen bis dahin im ĺeuropäischen Wettbewerbsrecht unbekannten liberalen Ansatz gegenüber ĺvertikalen Vereinbarungen in das ĺeuropäische Wettbewerbsrecht einführte. Hiernach sind ĺvertikale Vereinbarungen erst ab Marktanteilen von 30 % von Interesse für das ĺeuropäische Wettbewerbsrecht (soweit sie keine Kernbeschränkungen enthalten). Mit diesem Ansatz hat die ĺKommission die Kontrolle von ĺvertikalen Vereinbarungen auf absolute Ausnahmefälle reduziert. Diese Umstellung war auch von der Überzeugung geleitet, dass ĺvertikale Vereinbarungen in vielen Fällen nützlich für den Wettbewerb sein können. Ähnlich großzügigere Ansätze hat die ĺKommission inzwischen auch in der neuen deminimis Bekanntmachung und den übrigen ĺGruppenfreistellungsverordnungen und Leitlinien implementiert. Die verstärkte Berücksichtigung ökonomischer Methoden stellt das Kartellrecht jedoch auch vor Probleme: In materiellrechtlicher Hinsicht ist fraglich, wo die Grenzen der Berücksichtigung liegen und letztlich auch, wie insbesondere die Wettbewerbsbehörden einen gleich hohen Anwendungsstandard sicherstellen sollen. Dies ist sachlogisch nur möglich, wenn ausreichend Personalressourcen u.s.w. zur Verfügung stehen. Der Einfluss ökonomischer Methoden auf die Anwendung des Kartellrechts ist nicht unbeschränkt; vielmehr setzen hier die positivrechtlichen Regeln des Wettbewerbs- und Kartellrechts Grenzen. Indes stellt der oft sehr weite Wortlaut kartellrechtlicher Normen ein geeignetes Einfallstor dar. Entscheidend wird diese Frage in Bezug auf die gerichtliche Kontrolldichte bei der Überprüfung kartellbehördlicher 642
Entscheidungen. Kartellrechtliche Sachverhalte sind bisweilen äußerst komplex und erfordern so auch komplexe ökonomische Einschätzungen. Diesbezüglich gesteht bspw. der ĺEuGH der Europäischen ĺKommission bei der Prüfung, ob eine ĺVereinbarung gem. Art. 81 Abs. 3 EG freistellungsfähig ist, traditionell einen weiten Beurteilungsspielraum zu. Trotzdem zeichnet sich verstärkt die Tendenz ab, dass er eine sorgfältige Analyse einfordert, bei der der ĺEuGH grundsätzlich weite Teile für gerichtlich überprüfbar hält. (jpt) Lit.: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker, in: U. Immenga/ E.-J. Mestmäcker (Hrsg.) Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 1, Einl. C, Rn. 28; W. Heckenberger, in: U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 1, 2005, Anh. 1, Art. 81, Rn. 9; L.-H. Röller, Der ökonomische Ansatz in der europäischen Wettbewerbspolitik; P. Behrens, Parallelhandel und Konsumentenwohlfahrt im Licht des „more economic approach“, EuZW 2007, 97; M. Albers, „More economic approach“ bei der Anwendung von Art. 82 EGV, WuW 2006, 3; U. Immenga, Der „more economic approach“ als Wettbewerbspolitik, WuW 2006, 463; D. Schmidtchen, „More economic approach“ in der Wettbewerbspolitik, WuW 2006, 6; J. P. Terhechte, Grundzüge des materiellen Kartellrechts, in: ders. (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 2008, § 3, Rn. 3.10 ff. Rsp.: EuG Rs. T-168/01 ĺGlaxoSmithKline/Kommission, noch nicht in Slg.
Morgenbesser-Entscheidung Morgenbesser case – jurisprudence Morgenbesser
Im Urteil in der Rs. Morgenbesser war der ĺEuGH mit Fragen der Anerkennung von ĺQualifikationsnachweisen befasst. Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens, eine französische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Italien, beantragte bei der zuständigen italienischen Stelle die Eintragung in die Rechtsanwaltsliste und führte aus, dass sie über einen französischen Abschluss verfüge. Ihr Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass Eintragungsvoraussetzung der Besitz eines von einer italienischen Universität verliehenen oder bestätigten Diploms (ĺQualifikationsnachweis) sei. Zur Unterstützung ihres Vorbringens berief sich die Antragstellerin auf die RL 98/5 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen MS (ĺDiplomanerkennungsRL). Der EuGH stellte fest, dass in einem solchen Fall eine ĺGleichwertigkeitsprüfung vorzunehmen sei. Ohne eine derartige Prüfung der vorgelegten Qualifikationsnachweise stellt die Verweigerung der Eintragung jedenfalls einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar.
Must carry-Bestimmung Zu Fragen der Anerkennung von ĺQualifikationsnachweisen für Rechtsanwälte vgl. auch die Entscheidungen des EuGH in den Rs. ĺVlassopoulou, ĺGebhard und ĺvan Binsbergen. (sh) Rsp.: Rs. C-313/01 Morgenbesser, Slg. 2003, I-13467
Motor der Gemeinschaft ĺKommission, Aufgaben Multikulturelle Kooperationen multicultural cooperations – coopérations multiculturelles
Programm der Vertretung der Europäischen Kommission in Indien zur Förderung multikultureller Kooperaitonen in den Bereichen Medien, Kommunikation und Kultur, Unternehmensnetzwerke sowie Universität und Studium. Voraussetzungen zur Teilnahme sind, dass mindestens zwei europäische mit mindestens einer indischen non-profit-Ortanisation kooperrieren. Drei Bereichen werden mit jeweils 4 Mio. € gefördert, pro Projekt beträgt die Förderungung bis zu 80 %, wobei die Summen zwischen € 250.000,- und € 500.000,- liegen können. (cd) Web: http://www.iti-germany.de
Multilaterale Überwachung multilateral surveillance – surveillance multilaterale
Neben dem repressiven Verbot übermäßiger ĺDefizite kommt im Rahmen des ĺStabilitäts- und Wachstumspakts das System der präventiven Haushaltsüberwachung nach Art. 99 Abs. 3 und 4 EG zur Anwendung. Die Bestimmungen des EG-Vertrags zielen auf die engere Koordinierung der mitgliedstaatlichen Haushaltspolitiken und die Konvergenz der Wirtschaftsleistungen der Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten legen zu diesem Zweck nationale Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogramme vor, die anschließend im Rat erörtert werden. Das Verfahren ist eine Art „peer review“, die nicht zu rechtlich verbindlichen Entscheidungen führt, sondern der Selbstkontrolle dienen soll. In der Sache geht es aber vor allem um die gegenseitige Überprüfung der nationalen Haushaltspolitik mit Blick auf möglicherweise entstehende übermäßige Defizite. Dies ergibt sich daraus, dass das Recht des Rates, Empfehlungen auszusprechen, u.a. an die drohende Gefährdung der Ziele der ĺWirtschafts- und Währungsunion durch einen Mitgliedstaat knüpft. Der Rat spricht seine Empfehlungen daher als sog.
Frühwarnung aus, um auf haushaltspolitische Fehlentwicklungen hinzuweisen. Auch die Kommission ist in dieses Frühwarnsystem involviert, da sie bei den Mitgliedstaaten die wirtschaftsund haushaltspolitischen Daten sammelt und Empfehlungen an den Rat ausspricht. Die primärrechtlichen Vorgaben werden durch die VO (EG) 1466/97 konkretisiert, die 2005 durch die VO (EG) 1055/2005 geändert wurde. Sie enthält auch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, mittelfristige haushaltspolitische Ziele für einen nahezu ausgeglichenen Haushalt oder einen Haushaltsüberschuss aufzustellen. (co) Multimediarichtlinie ĺInformationsgesellschaftRL Multiplexing multiplexing – multiplexing
Umschreibung des technischen Verfahrens, bei welchem verschiedene Mediendienste (z.B. traditionelle Rundfunkprogramme und ĺAbrufdienste) zu einem Transportdatenstrom gebündelt werden, um gemeinsam über eine digitale Plattform (die sog. Multiplexplattform) übertragen werden zu können. (dd) Muschelgewässer shellfish waters – des eaux conchylicoles
Die RL 79/923/EWG regelt die Qualität von Muschelgewässern. Sie stellt einen Teil des gemeinschaftsrechtlichen ĺGewässerschutzes bzw. Gewässerschutzrechts dar. Inhaltlich legt sie hinsichtlich der zu fordernden Qualität Grenzund Leitwerte fest. Ihre Anwendbarkeit hängt von der Ausweisung von Schutzgebieten durch die MS ab. Für ĺFischgewässer erklärte der ĺEuGH die nicht erfolgende Ausweisung für gemeinschaftsrchtswidrig. Die RL wird aufgrund der ĺWasserrahmenrichtinie 13 Jahren nach Inkrafttreten letzterer (22.12.2000) aufgehoben. (sm) Must carry-Bestimmung must carry rule – Règle d’obligation de diffusion
Übertragungsverpflichtungen für bestimmte Infrastrukturbetreiber (Betreiber von Kabelfernseh-, Satellitenrundfunk und terrestrischen Rundfunknetzen) für die öffentliche Verbreitung von Hörfunk- und ĺFernsehsendungen (vgl. Art. 31 Universaldienstrichtlinie, ABl. 2002, Nr. L 108/51, welche Teil des Richtlinienpakets für die ĺelektronischen Kommunikationsmärk643
Mutter-Tochterrichtlinie te ist). Das Gemeinschaftsrecht selbst sieht die Übertragungspflichten nicht vor, sondern ermöglicht den ĺMitgliedstaaten lediglich in ihren nationalen Medienrechtsordnungen solche zu verankern. Das europäische Medienrecht berücksicht solche Bestimmungen insofern bloß als Ausnahmeklauseln von den ĺBinnenmarktregeln.Konkret legt Art. 31 UniversaldienstRL fest, dass must carry Verpflichtungen nur bei Netzen vorgesehen werden dürfen, die von den Endnutzern als Hauptmittel zum Empfang von Hörfunk- und Fernsehsendungen genutzt werden und nur soweit sie zur Erreichung klar umrissener Ziele von allgemeinem Interesse erforderlich sind. Sie müssen i.S.d. Art. 86 Abs. 2 EG verhältnismäßig und transparent ausgestaltet sein. (dd) §§: UniversaldienstRL, ABl. 2002, Nr. L 108/51
Mutter-Tochterrichtlinie parent subsidiary directive – application de la directive mère/filiale
Langtitel: RL 90/435/EWG des Rates vom 23.7. 1990 i.d.F. 2003/123/EG vom 22.12.2003 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten Am 22.12.2003 hat der Rat die RL 2003/123/ EG zur Änderung der Ratsrichtlinie 90/435/ EWG über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten angenommen. Zweck der Änderungen war die Erweiterung des Anwendungsbereichs und ein besseres Funktionieren der Richtlinie. Die ursprüngliche Richtlinie aus 1990 war auf die Beseitigung von steuerlichen Hemmnissen bei Gewinnausschüttungen innerhalb von Unternehmensgruppen ausgerichtet. Dabei gilt, dass Gewinnausschüttungen zwischen verbundenen Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten von der Quellensteuer befreit sind und dass eine Doppelbesteuerung von Gewinnen, die eine Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft auszahlt, vermieden wird. Die neue Richtlinie basiert auf einem Kommissionsvorschlag vom 8.9.2003, der im Wesentlichen die folgenden drei Elemente enthält: ƒ Erweiterung der Liste mit den Gesellschaftsformen, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen; ƒ Absenkung des Beteiligungsschwellenwerts als Voraussetzung für den Wegfall der Quellenbesteuerung von Dividenden; und 644
ƒ
Vermeidung der Doppelbesteuerung im Fall von Enkelgesellschaften. Die ergänzte Liste der Gesellschaftsformen umfasst nun auch die ĺEuropäische Gesellschaft und die ĺEuropäische Genossenschaft. Der Beteiligungsschwellenwert um in den Genuss der Quellensteuerbefreiung zu gelangen ist nunmehr bis 2009 wie folgt vorgegeben: 20 % vom 1.1.2005 bis zum 31.12.2006; 15 % vom 1.1.2007 bis zum 31.12.2008; und 10 % vom 1.1.2009. Die neue Fasung der Richtlinie betrifft auch die Behandlung der von nachgelagerten Tochtergesellschaften der direkten Tochtergesellschaften gezahlten Steuern. Mitgliedstaaten haben auch die von den Enkelgesellschaften oder noch weiter nachgelagerten Tochtergesellschaften auf ihre Gewinne gezahlten Steuern auf die Steuerschuld der Muttergesellschaft anzurechnen. Diese Regelung zielt ebenfalls auf eine Minderung der Doppelbesteuerung ab. (pu) Mutterschutz right to maternity protection – droit à la protection maternelle
Die ĺGRC enthält im Kapitel Solidarität ein eigenes ĺGrundrecht zum Schutz von Mutter und Eltern (Art. 33/Art. II-93 Abs. 2 EVV). Dabei wird insb. auf die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben Bezug genommen. Die Bestimmung beinhaltet einen Entlassungsschutz sowie das Recht auf einen (bezahlten) Elternurlaub nach Geburt oder Adoption. (ed) §§: Art. 33 Abs. 2 GRC/Art. II-93 Abs. 2 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 31; E. Riedel, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 33
MwSt-Richtlinie, achte eight VAT directive – huitième directive TVA
Langtitel: RL 79/1072/EWG des Rates vom 6.12.1979, ABl. 1979, Nr. L 331 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige Die Richtlinie bezieht sich auf die Steuerpflichtigen im Sinne der 6. MwStRL (ĺMwStRL, sechste) des Rates, die nicht im Inland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind. Die Richtlinie findet auf die Steuerpflichtigen Anwendung, die innerhalb eines Zeitraums von mindestens drei Monaten und höchstens einem Kalenderjahr oder in einem Zeitraum von weniger als drei Monaten, wenn es sich dabei um
MwSt-Richtlinie, sechste den restlichen Zeitraum eines Kalenderjahres handelt, im Inland: weder den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind, gehabt haben; ƒ auch nicht in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer festen Niederlassung ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort gehabt haben; ƒ im Inland keine Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht haben, mit Ausnahme von Beförderungsumsätzen und den damit verbundenen Nebentätigkeiten und Dienstleistungen, bei denen die Steuer vom Empfänger geschuldet wird. ƒ
Die Mitgliedstaaten erstatten den betroffenen Steuerpflichtigen: ƒ die Mehrwertsteuer, mit der die ihm von anderen Steuerpflichtigen im Inland erbrachten Dienstleistungen oder gelieferten beweglichen Gegenständen belastet wurden; ƒ die Mehrwertsteuer, mit der die Einfuhr von Gegenständen, die für ihre Wirtschaftstätigkeiten notwendig sind, ins Inland oder die Erbringung von Dienstleistungen, bei denen die Steuer vom Empfänger geschuldet wird, belastet wurde. Bedingungen für den Erstattungsantrag: ƒ Der Anspruch auf Erstattung der Steuer wird gem. der 6. MwStRL geregelt. ƒ Bei der Lieferung von Gegenständen, die gem. dieser Richtlinie von der Steuer befreit sind oder von der Steuer befreit werden können, erfolgt daher keine Erstattung. Von der Steuer befreit ist die Lieferung von Gegenständen, die durch den nicht im Inland ansässigen Abnehmer oder für dessen Rechnung nach Orten außerhalb des Gemeinschaftsgebietes versandt oder befördert werden, mit Ausnahme der vom Abnehmer selbst beförderten Gegenstände zur Ausrüstung oder Versorgung von Beförderungsmitteln, die privaten Zwecken dienen. Die Behandlung der nicht im Gemeinschaftsgebiet niedergelassenen Steuerpflichtigen wird in der 13. MwStRL (ĺMwStRL, dreizehnte) des Rates geregelt. (pu) MwSt-Richtlinie, dreizehnte 13th VAT directive – treizième directive TVA
Langtitel: RL 86/560/EWG vom 17.11.1986 des Rates, ABl. 21.11.1986, Nr. L 326 zur Harmoni-
serung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige) Als nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässiger Steuerpflichtiger gilt diejenige Person, die in einem von den Mitgliedstaaten festzulegenden Zeitraum in diesem Gebiet weder den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit noch einen festen Wohnsitz gehabt hat und die in dem genannten Mitgliedstaat keine Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht hat, mit Ausnahme von Beförderungsumsätzen oder Dienstleistungen, bei denen die Steuer lediglich vom Empfänger geschuldet wird. Im Allgemeinen erstatten die Mitgliedstaaten jede Mehrwertsteuer, mit der ein nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässiger Steuerpflichtiger für von anderen Steuerpflichtigen im Inland erbrachte Dienstleistungen oder gelieferte Ware belastet worden ist. Diese Erstattungen können von der Gewährung vergleichbarer Vorteile durch Drittländer abhängig gemacht werden (Reziprozität). Die nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässigen Steuerpflichtigen müssen die Erstattungen beantragen. Die Mitgliedstaaten entscheiden über die Modalitäten der Antragstellung, insbesondere über Fristen, Mindestbeträge der Erstattungen u.s.w. Auch können sie die Benennung eines Steuervertreters verlangen. Sie unternehmen alle erforderlichen Schritte zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen. Die Erstattungen dürfen nicht zu günstigeren Bedingungen erfolgen als für in der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige. Der Anspruch auf Erstattung wird nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten über Mehrwertsteuer-Abzüge bestimmt, obgleich bestimmte Ausgaben ausgenommen oder bestimmte Auflagen gemacht werden können. (pu) MwSt-Richtlinie, sechste sixth VAT directive – sixième directive TVA
Langtitel: RL 77/388/EWG des Rates vom 17.5. 1977, ABl. 13.6.1977, Nr. L 145 i.d.F. 2006/69/ EG vom 12.8.2006, ABl. 12.8.2006, Nr. L 221 vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage. Diese umfangreiche und grundlegende Richtlinie stellt die wesentlichste Fortentwicklung der 645
MwSt-Richtlinie, sechste (ersten) ĺMehrwertsteuerrichtlinie aus 1966 dar, und wurde seit ihrer Einführung bereits knappe 30 Mal geändert und erweitert. Sie gibt in ihrer jeweils aktuellen Fassung die Rahmenbedingungen für das Funktionieren des Binnenmarktes auf dem Gebiet der Umsatzbesteuerung vor. Ihre wesentlichsten Inhalte sind folgende: Anwendungsbereich Der Mehrwertsteuer unterliegen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt, sowie die Einfuhr von Gegenständen. Räumlicher Geltungsbereich Folgende nationale Gebiete gehören nicht zum räumlichen Geltungsbereich der Sechsten MwStRichtlinie: ƒ die Insel Helgoland und das Gebiet von Büsingen (Deutschland); ƒ Grönland (Dänemark); ƒ Livigno, Camipione d’Italia, der zum italienischen Gebiet gehörende Teil des Luganer Sees. Steuerpflichtige Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der folgenden wirtschaftlichen Tätigkeiten „selbstständig“ und unabhängig von ihrem Ort und gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis ausübt: alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden, einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Die Mitgliedstaaten können außerdem Personen als Steuerpflichtige behandeln, die gelegentlich eine der vorstehend genannten Tätigkeiten ausüben und insbesondere einen der folgenden Umsätze bewirken: Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt; Lieferung von Baugrundstücken. Der Begriff „selbstständig“ schließt Lohn- und Gehaltsempfänger und sonstige Personen von der Besteuerung aus, soweit sie an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das ein Verhältnis der Unterordnung schafft. Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, es sei denn eine Behandlung als Nichtsteuer646
pflichtige würde zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen. Ort des steuerbaren Umsatzes Als Ort der Lieferung von Gegenständen gilt der Ort, ƒ an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet (wenn der Gegenstand vom Lieferer, vom Erwerber oder von einer dritten Person versandt oder befördert wird); ƒ an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der Lieferung befindet (wenn der Gegenstand weder versandt noch befördert wird). Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort. Jedoch gilt: ƒ als Ort einer Dienstleistung im Zusammenhang mit einem Grundstück, einschließlich der Dienstleistung von Grundstücksmaklern und -sachverständigen, wie z.B. Leistungen von Architekten, der Ort an dem das Grundstück gelegen ist; ƒ als Ort einer Beförderungsleistung der Ort, an dem die Beförderung nach Maßgabe der zurückgelegten Beförderungsstrecke jeweils stattfindet; ƒ als Ort einer Dienstleistung, die Nebenleistungen zur Beförderung, Tätigkeiten auf dem Gebiet der Kultur, der Künste, des Sports, der Wissenschaften, des Unterrichts, der Unterhaltung, Begutachtungen von und Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen umfasst, der Ort an dem die Dienstleistungen ausgeführt werden; ƒ als Ort einer Dienstleistung in Zusammenhang mit der Vermietung beweglicher körperlicher Gegenstände, ausgenommen Beförderungsmittel, der Ort der Nutzung; ƒ als Ort der folgenden Dienstleistungen der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder, in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung, sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort: Abtretung und Einräumung von Urheberrechten, Patentrechten, Lizenzrechten, Fabrik- und Warenzeichen sowie
MwSt-Richtlinie, sechste ähnlichen Rechten; Leistungen auf dem Gebiet der Werbung, Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Anwälten, Buchprüfern, Bank-, Finanz- und Versicherungsumsätze (...). Um Doppelbesteuerung, Nichtbesteuerung oder Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, können die Mitgliedstaaten ƒ den Ort einer Dienstleistung, der im Inland liegt, so behandeln, als läge er außerhalb der Gemeinschaft, wenn dort die tatsächliche Nutzung oder Verwertung erfolgt; ƒ den Ort einer Dienstleistung, der außerhalb der Gemeinschaft liegt, so behandeln, als läge er im Inland, wenn dort die tatsächliche Nutzung oder Verwertung erfolgt. Steuertatbestand und Steueranspruch Als Steuertatbestand gilt der Tatbestand, durch den die gesetzlichen Voraussetzungen für den Steueranspruch verwirklicht werden. Als Steueranspruch gilt der Anspruch, den der Fiskus nach dem Gesetz gegenüber dem Steuerschuldner von einem bestimmten Zeitpunkt an auf die Zahlung der Steuer geltend machen kann, selbst wenn Zahlungsaufschub gewährt werden kann. Der Steuertatbestand und der Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird, hiervon wird nur in den genannten Fällen abgewichen. Bei der Einfuhr treten der Steuertatbestand und der Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Einfuhr des Gegenstands erfolgt. Besteuerungsgrundlage Im Inland ist die Besteuerungsgrundlage von den unterschiedlichen Arten der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen abhängig und umfasst: ƒ alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen; ƒ der Einkaufspreis dieser Gegenstände oder gleichartiger Gegenstände oder mangels eines Einkaufspreises den Selbstkostenpreis, und zwar jeweils zu den Preisen, die zum Zeitpunkt der Bewirkung dieser Umsätze festgestellt werden; ƒ der Betrag der Ausgaben des Steuerpflichtigen für die Erbringung der Dienstleistung;
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den Normalwert des betreffenden Umsatzes (unter „Normalwert“ einer Dienstleistung ist alles zu verstehen, was der Leistungsempfänger auf der Stufe, auf der der Umsatz bewirkt wird, an einen selbstständigen Leistungserbringer im Inland zu dem Zeitpunkt, zu dem der Umsatz bewirkt wird, unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs zahlen müsste, um die gleiche Dienstleistung zu erhalten). Bei der Einfuhr von Gegenständen ist die Besteuerungsgrundlage: ƒ der vom Einführer gezahlte oder zu zahlende Betrag, wenn dieser Preis die einzige Gegenleistung bildet; ƒ der Normalwert, wenn der Preis fehlt oder wenn der gezahlte oder zu zahlende Betrag nicht die einzige Gegenleistung für den eingeführten Gegenstand bildet (unter „Normalwert“ eines eingeführten Gegenstandes ist alles zu verstehen, was der Einführer auf der Stufe, auf der der Umsatz bewirkt wird, an einen selbstständigen Lieferanten im Herkunftsland des Gegenstands zu dem Zeitpunkt, zu dem der Umsatz bewirkt wird, unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs zahlen müsste, um den gleichen Gegenstand zu erhalten). Steuersätze Diese Umsätze unterliegen dem Steuersatz und den Besteuerungsvorschriften des Bestimmungsmitgliedstaates, wobei die durch die Richtlinien festgelegten angenäherten Sätze gelten: ƒ Der Normalsatz muss in allen Mitgliedstaaten bis zum 31.12.2000 mindestens 15 % betragen; ƒ ein oder zwei ermäßigte Sätze von mindestens 5 % sind für Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen zulässig, die sozialen oder kulturellen Zwecken dienen (Anhang H, dessen Anwendungsbereich der Rat alle zwei Jahre überprüft); ƒ Sätze von 12 % oder mehr sind für andere als unter Anhang H erfasste Güter und Dienstleistungen zulässig, sofern sie am 1.1.1991 einem ermäßigten Satz unterliegen; ƒ die am 1.1.1991 geltenden Nullsätze und besonders ermäßigten Sätze (unter 5 %) können grundsätzlich bis 1997 beibehalten werden; ƒ alle erhöhten Steuersätze werden abgeschafft. Steuerbefreiungen Die Mitgliedstaaten befreien im Inland folgende Umsätze von der Steuer: ƒ bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten; 647
MwSt-Richtlinie, sechste ƒ
Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze; ƒ Vermietung und Verpachtung von Grundstücken (ausgenommen ist die Gewährung von Unterkunft, Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen, die Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen, die Vermietung von Schließfächern); ƒ die Lieferungen von Gegenständen, die ausschließlich für eine von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt sind ƒ und zahlreiche andere Umsätze wie die Gewährung und Vermittlung von Krediten, Umsätze – einschließlich der Vermittlung – im Einlagengeschäft und Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr, Umsätze – einschließlich der Vermittlung –, die sich auf Devisen beziehen, Umsätze – einschließlich der Vermittlung –, die sich auf Aktien, Anteile an Gesellschaften und Vereinigungen beziehen. Die Mitgliedstaaten gewähren ebenfalls Steuerbefreiungen bei der Einfuhr für folgende Umsätze: ƒ die endgültige Einfuhr von Gegenständen, deren Lieferung durch Steuerpflichtige im Inland auf jeden Fall steuerfrei ist; ƒ die Einfuhr von Gegenständen, die zum Versandverfahren angemeldet sind, die Einfuhr von Gegenständen, die unter das Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung unter vollständiger Befreiung von Einfuhrabgaben fallen oder fallen würden, wenn sie aus einem Drittland eingeführt würden; ƒ die endgültige Einfuhr von Gegenständen, für die eine andere Zollbefreiung als die im Gemeinsamen Zolltarif vorgesehene gilt, oder gelten würde, wenn sie aus einem Drittland eingeführt würden. Die Mitgliedstaaten haben jedoch die Möglichkeit, die Steuerbefreiungen nicht zu gewähren. insbesondere wenn die Gewährung die Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt erheblich beeinträchtigen würde. Steuerbefreiungen werden auch bei der Ausfuhr von Gegenständen gewährt, bei Ausfuhren gleichgestellten Umsätzen und grenzüberschreitenden Beförderungen, sowie im Rahmen besonderer Befreiungen für den internationalen Güterverkehr. Vorsteuerabzug Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug: Das Recht auf Vorsteuerabzug ent648
steht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen: ƒ die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden; ƒ die Mehrwertsteuer, die für eingeführte Gegenstände im Inland geschuldet wird oder entrichtet worden ist; ƒ die Mehrwertsteuer für Gegenstände, die von einem Steuerpflichtigen im Rahmen und für die Zwecke seines Unternehmens hergestellt, gewonnen, umgestaltet, gekauft oder eingeführt wurden, sofern für den Erwerb eines solchen Gegenstands von einem anderen Steuerpflichtigen der Vorsteuerabzug nicht in vollem Umfang in Anspruch genommen werden könnte; ƒ für Dienstleistungen, die von einem Steuerpflichtigem im Rahmen seines Unternehmens für dessen Zwecke erbracht werden, sofern er für die Erbringung einer solchen Dienstleistung durch einen anderen Steuerpflichtigen den Vorsteuerabzug nicht in vollem Umfang in Anspruch nehmen könnte. Die Mitgliedstaaten gewähren jedem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug oder Erstattung der MwSt. soweit die betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen verwendet werden für Zwecke seiner Umsätze, ƒ die sich aus den im Ausland ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeiten ergeben, für die das Recht auf Vorsteuerabzug bestünde, wenn diese Umsätze im Inland bewirkt worden wären; ƒ bestimmter befreiter Umsätze des Steuerpflichtigen; ƒ seiner befreiten Umsätze, wenn der Leistungsempfänger außerhalb der Gemeinschaft ansässig ist oder wenn diese Umsätze unmittelbar mit Gegenständen zusammenhängen, die zur Ausfuhr in ein Drittlandsgebiet bestimmt sind. Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug: Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige in Bezug auf die abziehbare Steuer eine Rechnung oder ein die Einfuhr bescheinigendes Dokument besitzen, das ihn als Empfänger oder Importeur ausweist und aus dem sich der ge-
MwSt-Richtlinie, sechste, Durchführungsverordnung schuldete Steuerbetrag ergibt oder aufgrund dessen seine Berechnung möglich ist und die von jedem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Formalitäten erfüllen. Steuerschuldner Im inneren Anwendungsbereich kann die MwSt. je nach Fall geschuldet werden ƒ von dem Steuerpflichtigen, der einen steuerpflichtigen Umsatz tätigt, wenn es sich um einen im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen handelt. Wenn der steuerpflichtige Umsatz von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen getätigt wird, können die Mitgliedstaaten Regelungen treffen, nach denen die Steuer von einer anderen Person geschuldet wird. Dies kann ein Steuervertreter oder der Empfänger der steuerpflichtigen Lieferung bzw. der steuerpflichtigen Dienstleistung sein. Die Mitgliedstaaten können ebenfalls vorsehen, dass eine andere Person als der Steuerschuldner die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat; ƒ von dem Empfänger einer Dienstleistung, wenn diese von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird. Die Mitgliedstaaten können auch vorsehen, dass der Leistungserbringer gesamtschuldnerisch die Steuer zu entrichten hat. ƒ jeder Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung oder einem ähnlichen an ihre Stelle tretenden Dokument ausweist. Bei der Einfuhr kann die MwSt. von der Person oder den Personen geschuldet werden, die vom Einfuhrmitgliedstaat bestimmt oder anerkannt wird bzw. werden. Die Richtlinie legt ebenfalls bestimmte Pflichten für die Steuerschuldner im inneren Anwendungsbereich und bei der Einfuhr fest. So hat jeder Steuerpflichtige die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit als Steuerpflichtiger anzuzeigen. Jeder Steuerpflichtige hat Aufzeichnungen zu führen, die so ausführlich sind, dass sie die Anwendung der Mehrwertsteuer und die Überprüfung durch die Steuerverwaltung ermöglichen. Diese Pflichten gestatten eine ordnungsgemäße Anwendung der Steuer. Sonderregelungen Es gelten zahlreiche Sonderregelungen: ƒ für kleine Unternehmen;
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für Landwirte (Pauschalregelung für Landwirte); ƒ für Lieferungen von Gebrauchtgegenständen, Kunstgegenständen, Sammlungsstücken und Antiquitäten; ƒ für Lieferungen von Gold; ƒ für arbeitsintensive Dienstleistungen; ƒ für Reisebüros. Unter bestimmten Voraussetzungen können die Mitgliedstaaten von der Richtlinie abweichen, um die MwSt-Erhebung zu vereinfachen oder um Steuerhinterziehung oder -umgehung zu vermeiden. Am 25.6.1997 hat die Kommission überdies die Einrichtung eines beratenden MwSt-Ausschusses vorgeschlagen. Die jüngste Weiterentwicklung im Bereich der Harmonisierung des europäischen indirekten Steuerrechts erfolgte durch die ĺMehrwertsteuer-Systemrichtlinie. Durch eine Verweistabelle am Ende dieser neuen ĺMehrwertsteuer-Systemrichtlinie werden die Rechtsinhalte der Artikel der Sechsten MwStRL auch weiterhin nahezu unverändert angewendet. (pu) MwSt-Richtlinie, sechste, Durchführungsverordnung sixth VAT directive, regulation laying down implementing measures – sixième directive TVA, règlement portant mesures d’exécution
Die 6. MwStRL (ĺMwStRL, sechste) legt fest, dass in bestimmten Fällen eine Auslegung der Vorschriften durch die Mitgliedstaaten erlaubt ist. Der Erlass von gemeinsamen Durchführungsvorschriften sollte gewährleisten, dass in Fällen, in denen es zu divergenzen bei der Anwendung kommt oder kommen könnte, die nicht mit dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes zu vereinbaren sind, die Anwendung des Mehrwertsteuersystems stärker auf das Ziel des Binnenmarkts ausgerichtet wird. Die gegenständlichen Durchführungsvorschriften beziehen sich insbesondere auf den Begriff der Steuerpflichtigen, der Lieferung von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen sowie den Ort der Lieferung bzw. Dienstleistung. (pu) §§: VO (EG) 1777/2005 des Rates vom 17.10.2005 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur RL 77/388/EWG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
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N Nacheile hot pursuit – poursuite
Bei Nacheile handelt es sich um eine Befugnis, die i.S.d. Voraussetzungen des Art. 41 ĺSchengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) ausgeübt wird. Die Nacheile ermöglicht es Beamten eines Vertragsstaates, die in ihrem Land eine Person verfolgen, die auf frischer Tat bei der Begehung von oder der Teilnahme an einer Straftat betroffen wird, die Verfolgung auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates bei besonderer Dringlichkeit ohne vorherige Zustimmung des betroffenene Vertragsstaates fortzusetzen (Art. 41 Abs. 1 SDÜ). Bedingung ist der Verdacht des Vorliegens einer besonders schweren Straftat i.S.d. Art. 41 Abs. 4 SDÜ. Spätestens bei Grenzübertritt müssen die nacheilenden Beamten Kontakt mit der zuständigen Behörde des Gebietsstaates aufnehmen. Die Regelung des Art. 41 SDÜ sieht noch zahlreiche weitere Einschränkungen der Nacheile vor, wie etwa das Verbot, Wohnungen und nicht öffentlich zugängliche Grundstücke zu betreten. Von der grenzüberschreitenden Nacheile ist die grenzüberschreitende Observation zu unterscheiden. (kl) §§: Art. 41 SDÜ Lit.: E. von Bubnoff, Die Funktionsfähigkeit der vertraglichen Nacheileregelungen über die Grenzen und Ansätze für deren Verbesserung, ZRP 2000, 60; O. Suhr, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 32 EU, Rn. 4-8
Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeitsprinzip sustainability, principles of sustainability – durabilité, Principes de durabilité
ĺPrinzip der Umweltpolitik. Dieses Prinzip ergibt sich aus dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung, wie es z.B. in der Präambel zum EU sowie in den Art. 2 und 6 EG angesprochen wird. Materiell soll dadurch ausgedrückt werden, dass natürliche Ressourcen nur in dem Umfang in Anspruch genommen werden dürfen und nur so zu bewirtschaften sind, dass ihre langfristige Erhaltung und Nutzbarkeit auch durch künftige Generationen gewährleistet sind. 650
Es geht mithin um eine generationsübergreifende Sicherung einer Tätigkeit oder Funktion und die Begrenzung der Nutzung erneuerbarer natürlicher Ressourcen auf ein Maß, das ein Nachwachsen ermöglicht. Hinsichtlich nicht erneuerbarer Ressourcen wird die Forderung nach einem möglichst sparsamen Umgang unter Beachtung der Bedürfnisse zukünftiger Generationen aufgestellt. Darin manifestiert sich im Prinzip ein selbstständiger Vorsorgegedanke unter Verbindung eines anthropozentrischen Ansatzes mit gleichermaßen ressourcenökonomischen und ökologischen Interessenschutz. (sm) §§: 5. Umweltprogramm, ABl. 1993, Nr. C 138/1 Lit.: J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 28; W. Erbguth, Konsequenzen der neuen Rechtsentwicklung im Zeichen nachhaltiger Raumentwicklung, DVBl. 1999, 1082 ff.; zur Entwicklung der Nachhaltigkeitsdebatte vgl. auch SRU, Umweltgutachten 2002, BT-Drs. 14/8729, Tz. 2 ff.
Nahrungsmittelsoforthilfe alimentary immediate aid – secours d’urgence agroalimentaire
Das ĺAmt für humanitäre Hilfe (ECHO) ist für die Gewährung von Nahrungsmittelsoforthilfe verantwortlich, dies allerdings gemeinsam mit der GD VI Landwirtschaft, welche für die Beschaffung der benötigten Nahrungsmittel zuständig ist. Viele Entscheidungen werden auf Dringlichkeitsbasis getroffen, da eine ehest mögliche Auslieferung der Hilfe definitionsgemäß essentiell ist. Vgl. ĺSoforthilfe. (ab) Lit.: M. Kuhn, Humanitäre Hilfe der Europäischen Gemeinschaft, 2000, 252
Naric ĺBildungsprogramme Nationale Agentur National Agency – Agence Nationale
Bei der Durchführung der ĺFörderprogramme im innerstaatlichen Bereich bedient sich die EU im Zusammenwirken mit den zustän-
Nationale Zulassungsbehörde (Gentechnik) digen nationalen Behörden mitunter einem eigenen Typ von Verwaltungsagenturen, der sog. Nationalagenturen. Das ist v.a. bei der Durchführung der Förderprogramme im Bereich der ĺBildungspolitik der Fall. Parallel zur Aufgabenverteilung zwischen EK und ĺExekutivagentur auf europäischer Ebene sehen die Programmbeschlüsse der EK im Bildungsbereich eine Aufgabenverteilung zwischen zuständigen nationalen Behörden (Bildungs-, Wissenschaftsministerien etc.) und einzurichtenden Nationalen Agenturen vor. So regelt Art. 6 Abs. 2 lit. b-e des Beschlusses 1720/2006/EG (über ein ĺAktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens) die Einrichtung einer Nationalen Agentur für die Aktionen des LLP. Demnach müssen die Nationalagenturen Rechtspersönlichkeit besitzen und dem Recht des betreffenden MS unterliegen; ein nationales Ministerium (oder seine Dienststellen) darf – entsprechend er erwähnten Aufgabenteilung – nicht als Nationalagentur fungieren. Die MS haben weiters dafür Sorge zu tragen, dass die NA über genügend ausreichend qualifiziertes (Fremdsprachkompetenzen) Personal und moderne Infrastruktur verfügen. Interessenkonflikte sind auszuschließen, die Vertragsbedingungen der Förderprogramme sind einzuhalten (lit. b) und die MS haften für die Gebarung der NA (lit. b, sub vi und e). Entsprechend kommt den MS die Fach- und Finanzaufsicht über die Tätigkeit der NA und die Letztverantwortung für die Programmdurchführung im innerstaatlichen Bereich zu (lit. c und d). Entsprechend der Struktur des LLP sind die MS und damit die NA für die Durchführung der dezentralen Programmteile zuständig (während die zentralen von der Exekutivagentur in Brüssel verwaltet werden). Der Anhang „Verwaltung und Finanzierung“ zu Beschluss 1720/2006/EG kennt zwei Varianten der dezentralisierten Programmdurchführung: Das „NA-Verfahren 1“ sieht für bestimmte Maßnahmen der einzelnen Teilprogramme die Einreichung, Auswahl, und Auszahlung der Fördermittel direkt bei bzw. durch die NA vor. Im „NA-Verfahren 2“ sind für bestimmte Maßnahmen Projektanträge ebenfalls bei der NA einzureichen, die auch eine Bewertung vornimmt und der EK einen Vorschlag zur Förderung von Projekten unterbreitet. Die EK entscheidet über die Vorschläge der NA, der wiederum die Vergabe und Evaluierung der bewilligten Fördermittel zukommt. Die zentral verwalteten Maßnahmen des LLP werden in einem dritten, dem sog. Kommissionsverfahren
durchgeführt (komplette Durchführung von der Einreichung bis zum Abschluss durch die EK bzw. die Exekutivagentur). Wichtige Maßnahmen des LLP, die durch die Nationalen Agenturen nach Maßgabe der Rechtsgrundlagen und der vertraglichen Vereinbarungen mit der EK (im Zuge der jährlichen Zuerkennung von EUMitteln zur Durchführung von dezentralen LL-Maßnahmen im innerstaatlichen Bereich) durchgeführt werden, sind etwa die Mobilität von Einzelpersonen (z.B. ĺErasmus Studierenden- und Lehrendenmobilität, ĺComeniusSchüleraustausch) und bilaterale und multilaterale Partnerschaften (z.B. ĺLeonardo da Vinci-Partnerschaften, ĺGrundtvig-Lernpartnerschaften). Die konkrete Ausgestaltung der Zuständigkeiten der EK, der MS und der NA bei der Durchführung des LLP obliegt dem ĺAusschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens (lt. Art. 9 Abs. 1 lit. f) und basiert dzt. auf einer entsprechenden Entscheidung der EK für 2007-2013 (Register der Komitologie CMT 2006/3360 vom 11.12.2006). In Österreich nimmt der Österreichische Austauschdienst (ÖAD) – Nationalagentur Lebenslanges Lernen, in Deutschland der Deutsche Akademische Austausch Dienst (DAAD) – Gruppe 33 „EU-Programme“ die Agenden der Nationalagentur war. (jbu) §§: Beschluss 1720/2006/EG über ein Aktionsprogramm im Bereich des lebenslangen Lernens (ABl. 2006, Nr. 327/45); Register der Komitologie CMT 2006/3360 vom 11.12.2006 Lit.: DAAD (Hrsg.), Der DAAD und die EU-Programme, 2005 Web: http://www.oead.ac.at/ (Österreichischer Austauschdienst als Trägerorganisation der Nationalagentur); http://www.lebenslanges-lernen.at (Nationalagentur Österreich); http://www.sokrates.at/down load/sokrates (Nationalagentur Österreich für die Programmgeneration Sokrates II, mit statistischen Übersichten und Jahresberichten); http://eu.daad.de/ eu/index.html (Nationalagentur Deutschland); http:// ec.europa.eu/education/programmes/llp/national_en. html (Liste der Nationalagenturen)
Nationale Stelle, Europol ĺVerbindungsstelle, Europol Nationale Zentralbanken ĺZentralbanken, nationale Nationale Zulassungsbehörde (Gentechnik) competent authority (genetic engineering) – l’autorité nationale compétente (génie génétique)
Die RL 2001/18/EG (ĺFreisetzungsrichtlinie), verpflichtet die Mitgliedstaaten eine nationale 651
Nationaler Alleingang (Harmonisierung) Behörde namhafte zu machen, die für die Zulassung der ĺFreisetzung und des ĺInverkehrbringens von ĺgenetisch veränderten Organismen oder ĺProdukten von genetisch veränderten Organismen zuständig ist. In Österreich ist dies etwa der Bundesminister für Gesundheit, in Deutschland das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. (al) §§: Art. 4 Abs. 4 RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie) Web: http://www.bmgf.gv.at; http://www.bvl.bund.de
Nationaler Alleingang (Harmonisierung) national solo attempt (harmonisation) – disposition étatique nationale (harmonisation)
Auch nach Erlassung einer Harmonisierungsmaßnahme steht den MS gem. Art. 95 Abs. 4 und 5 EG unter engen Voraussetzungen die Möglichkeit offen, strengere einzelstaatliche Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen („nationaler Alleingang“). Diese Möglichkeit kommt jedoch nur dann zur Anwendung, wenn die Harmonisierungsmaßnahme abweichenden nationalen Bestimmungen keinen Raum lässt. Beschränkt sich die Harmonisierungsmaßnahme hingegen darauf, bloße Mindeststandards vorzugeben, ist der MS ermächtigt, strengere Bestimmungen zur Anwendung zu bringen, ohne die Vorgaben von Art. 95 Abs. 4-6 berücksichtigen zu müssen. Gem. Art. 95 Abs. 4 EG besteht für die MS die Möglichkeit, Sonderregelungen beizubehalten, die bei Erlass der Harmonisierungsmaßnahme bereits vorhanden waren und ein höheres Schutzniveau als die gemeinschaftliche Maßnahme aufweisen. Die Beibehaltung dieser Sonderregelungen muss durch wichtige Erfordernisse i.S.v. Art. 30 EG, den Schutz der Arbeitsumwelt oder den Umweltschutz gerechtferigt sein. Eine Rechtfertigung durch weitere ĺ„zwingende Erfordernisse“ i.S.d. ĺCassis de Dijon Rsp. des ĺEuGH (vgl. nur den SA von GA Tesauro zu EuGH, Rs. C-41/93 Frankreich/KOM, Slg. 1994, I-1829, Rn. 4) oder durch Unterschiede im Schutzniveau auf Ebene des ĺSekundärrechts (EuGH, Rs. C-3/00 Dänemark/KOM, Slg. 2003, I-2643, Rn. 88 ff.) ist nicht möglich. Weitere Voraussetzungen (wie sie etwa bei der Einführung einzelstaatlicher Regelungen zu erfüllen sind) sind im Rahmen der Beibehaltung einzelstaatlicher Regelungen gem. Abs. 4 nicht gegeben (wiewohl die KOM dargelegte spezifische Probleme oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse entsprechend zu berücksichtigen 652
hat; EuGH, Rs. 3/00 Dänemark/KOM, Slg. 2003, I-2643, Rn. 59 f., 62). Die Voraussetzungen zur Einführung nationaler Sonderregelungen nach Erlass einer Harmonisierungsmaßnahme sind gem. Art. 95 Abs. 5 EG weitaus enger gefasst als jene zur Beibehaltung solcher Vorschriften und kumulativ (EuGH, Rs. C-512/99 Deutschland/KOM, Slg. 2003, I845, Rn. 81) zu erfüllen. Zunächst sind solche Regelungen nur zum Schutz der Umwelt oder der Arbeitsumwelt zulässig; somit besteht insb. nicht die Möglichkeit der Rechtfertigung durch wichtige Erfordernisse i.S.v. Art. 30 EG. Die einzelstaatliche Maßnahme muss sich darüber hinaus auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse stützen und auf einem spezifischen Problem basieren, das sich für den MS nach Erlass der Harmonisierungsmaßnahme ergibt. Die wissenschaflichen Erkenntisse müssen objektiv vorliegen und dürfen erst nach Erlass der Harmonisierungsmaßnahme bekannt geworden sein. Der MS muss mit der Maßnahme einem spezifischen Problem begegnen, das sich nach Erlass der Harmonisierungsmaßnahme ergeben hat (evident geworden ist). Die Spezifität des Problems muss sich jedoch nicht auf den MS beschränken; sie ist inhaltlich weit auszulegen, wenngleich an den eigentlichen Nachweis des Problems hohe Anforderungen gestellt werden. Ein MS, der sich verstärkter Schutzmaßnahmen nach Art. 95 Abs. 4 und 5 EG bedienen will, hat die jeweiligen Bestimmungen und die Gründe für deren Beibehaltung oder Einführung der ĺKOM mitzuteilen. Die KOM hat daraufhin innerhalb von sechs Monaten die einzelstaatlichen Bestimmungen zu billigen oder abzulehnen (Art. 95 Abs. 6 EG). Die Frist beginnt mit Mitteilungseingang zu laufen. Bei der Durchführung dieses Verfahrens trifft KOM und MS die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit (insb. Verzögerungen sind zu vermeiden; EuGH, Rs. C-319/97 Kortas, Slg. 1999, I-3143, Rn. 35). Die KOM hat die einzelstaatlichen Bestimmungen in Bezug auf die in Abs. 4 bzw. 5 genannten Kriterien (EuGH, Rs. C-41/93 Frankreich/KOM, Slg. 1994, I-1829, Rn. 27) sowie dahingehend zu prüfen, ob sie ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung und eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den MS darstellen und ob sie das Funktionieren des ĺBinnenmarkts behindern. Nach der Entscheidungspraxis der KOM in Bezug auf die letztgenannten Kriterien darf die einzelstaatliche Maßnahme nicht vergleichbare Situationen unterschiedlich und unterschiedliche Situationen nicht gleich
NATO behandeln; es darf sich nicht in Wirklichkeit um Maßnahmen wirtschaftlicher Art handeln, die eingeführt wurden, um die Einfuhr von Produkten aus anderen Mitgliedstaaten zu verhindern und somit die nationale Produktion auf indirekte Weise zu schützen. Schließlich muss die Schutzmaßnahme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen (vgl. E 1999/832/ EG, ABl. 1999, Nr. L 329/25, Rn. 107 ff.). Der Billigung der einzelstaatlichen Maßnahme kommt konstitutive Wirkung zu (SA von GA Saggio zu EuGH, Rs. C-319/97 Kortas, Slg. 1999, I-3143, FN 20), der MS ist erst im Billigungsfall ermächtigt, die Maßnahme einzuführen oder beizubehalten. Sollte die Umsetzungsfrist abgelaufen sein, ist die gemeinschaftliche Maßnahme bis zur Entscheidung der KOM uneingeschränkt anwendbar (EuGH, Rs. C-319/97 Kortas, Slg. 1999, I-3143, Rn. 36). Die Kommission hat die Entscheidung gem. Art. 253 EG zu begründen. Trifft die KOM innerhalb der Frist keine Entscheidung, so gilt die einzelstaatliche Bestimmung gem. Art. 95. Abs. 6 EG als gebilligt. Die sechsmonatige Frist kann jedoch – sofern dies auf Grund der Schwierigkeit des Sachverhalts gerechtfertigt ist und keine Gefahr für die menschliche Gesundheit besteht – seitens der KOM um einen weiteren Zeitraum bis zu sechs Monaten verlängert werden (Art. 95 Abs. 6 EG a.E.). Billigt die KOM die Einführung oder Beibehaltung einer einzelstaatlichen Regelung, hat sie die Notwendigkeit der Implementierung von ĺAnpassungsklauseln gem. Art. 95 Abs. 7 und 8 zu prüfen. Der MS, der einzelstaatliche Vorschriften einführen oder beibehalten will, kann gegen eine ablehnende Entscheidung der KOM, die übrigen MS gegen eine billigende Entscheidung der KOM mit ĺNichtigkeitsklage gem. Art. 230 Abs. 1 und 2 EG vorgehen. Sollte ein MS die in Art. 95 EG eingeräumten Befugnisse missbrauchen (materieller oder formeller Verstoß gegen Abs. 4-6), räumt Abs. 9 in Abweichung von Art. 226 f. EG den MS und der KOM die Möglichkeit der unmittelbaren Anrufung des EuGH im Wege eines ĺVertragsverletzungsverfahrens ein („beschleunigtes Vertragsverletzungsverfahren“). (cb) §§: Art. 95 Abs. 4, 5 , 6 und 9 Lit.: S. Albin/S. Bär, Nationale Alleingänge nach dem Vertrag von Amsterdam, N&R 1999, 185; A. Bücker/ S. Schlacke, Rechtsangleichung im Binnenmarkt – Zur Konkretisierung verfahrens- und materiell-rechtlicher Anforderungen an nationale Alleingänge durch den EuGH, NVwZ 2004, 62; H. G. Fischer, in: C. Lenz/
K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 95 EGV, Rn. 39 ff.; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 95 EGV, Rn. 50 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-41/93 Frankreich/KOM, Slg. 1994, I-1829; EuGH, Rs. C-319/97 Kortas, Slg. 1999, I-3143; EuGH, Rs. C-512/99 Deutschland/KOM, Slg. 2003, I-845; EuGH, Rs. C-3/00 Dänemark/KOM, Slg. 2003, I-2643
Nationales Kulturgut von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischen Wert (freier Warenverkehr) the protection of national treasures possessing artistic, historic or archaeological value (free movement of goods) – protection des trésors nationaux ayant une valeur artistique, historique ou archéologique (libre circulation des marchandises)
In Art. 30 EG verankerter Rechtfertigungsgrund, welcher vor allem zur Rechtfertigung von Ausfuhrbeschränkungen herangezogen werden kann. Dieser Rechtfertigungsgrund hat keine große praktische Bedeutung (Rs. 7/68 Kommission/ Italien, Slg. 1969, 633). ĺRechtfertigungsgründe für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen. (rp) §§: Art. 30 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 103 Rsp.: EuGH, Rs. 7/68 Kommission/Italien, Slg. 1969, 633
NATO NATO – O.T.A.N.
Die europäische Integration erstreckte sich erst in den 90er-Jahren im Rahmen der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) auf Fragen der Verteidigung. Davor war die NATO die unangefochtene Kernzelle der Verteidigungspolitik der beteiligten Mitgliedstaaten. Tatsächlich begründet die Entwicklung der ESVP ein potenzielles Spannungsverhältnis zwischen der Europäischen Union und der NATO, das auch in Zukunft fortbesteht. Klar ist derzeit nur, dass die kollektive Verteidigung als rechtlicher Kern der Bündnissolidarität der NATO von der ESVP in ihrer aktuellen Form nicht umfasst ist (dies erlaubt neutralen Mitgliedstaaten die Teilnahme an der ESVP ohne formelle Aufgabe der Neutralität). Bei der Realisierung von ĺESVP-Missionen besteht dagegen ein potenzielles Konkurrenzverhältnis, da sowohl die NATO als auch die ĺEuropäische Union als militärischer Akteur in Betracht kommen. Bisher galt die Faustregel, dass die NATO unter Beteiligung der Vereinigten Staaten militärisch anspruchsvolle 653
Natura 2000 (Kampf-)Einsätze durchführt und die Union sich auf friedenschaffende zivile und militärische ĺESVP-Missionen konzentriert, auch in Fortführung anfänglicher NATO-Einsätze wie in Bosnien-Herzegowina. Die Verbesserung der militärischen ĺFähigkeiten der Europäischen Union könnte das Konkurrenzverhältnis zwischen Union und Allianz in Zukunft erstarken lassen, zumal die Union bei der Aufstellung taktischer Einheiten („battle groups“) teils auf dieselben nationalen Streitkräfte zugreift wie die NATO Rapid Response Force der Allianz. Der Rückgriff von Europäischer Union und NATO auf dieselben militärischen Einheiten der Mitgliedstaaten und die Abhängigkeit der Union von den Planungs- und Kommandostrukturen der NATO legten die Grundlage für eine Verständigung von Union und Allianz im Dezember 2002 (sog. Berlin-plus-Vereinbarung in Fortführung der Verständigung für eine europäische Verteidigungsidentität auf dem NATO-Gipfel in Berlin im Jahr 1996). Diese Vereinbarung ist rechtlich nicht verbindlich, politisch durch die parallele Mitgliedschaft vieler EU-Mitgliedstaaten in der NATO und das in beiden Organisationen vorherrschende Einstimmigkeitsprinzip in Fragen der Verteidigung aber gleichwohl tragfähig. Hiernach sichert die NATO der EU einen Rückgriff auf die Planungs- und Kommandostrukturen der NATO zu, während umgekehrt die EU allen NATOMitgliedern, einschließlich der Türkei, ein Teilnahmerecht an ĺESVP-Missionen unter Rückgriff auf NATO-Mittel gewährt. Die enge Zusammenarbeit wird durch den Aufbau einer zivil-militärischen Zelle als Teil des ĺMilitärstabs der Europäischen Union (EUMS) im Gebäude des NATO-Hauptquartiers im belgischen Mons im Rahmen der Verbesserung der militärischen ĺFähigkeiten veranschaulicht. Praktisch bedeutet eine ĺESVP-Mission unter Rückgriff auf NATO-Mittel, dass die politische Entscheidungsautonomie der Europäischen Union in ĺRat und ĺPolitischem und Sicherheitspolitischem Komitee (PSK) nicht berührt wird und diese die strategische Leitung und politische Kontrolle der ESVP-Mission nach Maßgabe des EU-Vertrags wahrnehmen. Auf der Ebene der militärischen Planung und Durchführung wird das NATO-Hauptquartier im belgischen Mons (Supreme Headquarter Allied Powers Europe SHAPE) jedoch als EUHauptquartier tätig. Dies wiederum bedeutet, dass die militärische Infrastruktur der NATO an die Europäische Union entliehen wird, wäh654
rend die politische Entscheidungsstrukturen der NATO unter Führung des Nordatlantikrats in Brüssel durch den ĺRat der Europäischen Union ersetzt werden. Die EU besitzt ggü. der NATO den Vorteil einer Rückgriffsmöglichkeit auf die gesamte Palette außenpolitischer Instrumentarien, die der NATO nur teilweise zur Verfügung stehen: militärische Mittel, ĺziviles Krisenmanagement, diplomatisches Vorgehen im Rahmen der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bis hin zur Verhängung von ĺSanktionen. (dt) §§: Nordatlantikvertrag vom 4.4.1949 in der Fassung vom 15.10.1951 (BGBl. 1955 II 256) Lit.: H. Ojanen, The EU and Nato: Two Competing Models for a Common Defence Policy, JCMS 44 (2006) 57; S. Dietrich, Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), 2006, 376; M. Reichard, Some Legal Issues concerning the EU-Nato Berlin Plus Arrangement, Nordic Journal of International Law 73 (2004) 37 Web: http://www.nato.int/
Natura 2000 Unter diesem Begriff ist ein gemeinschaftsweites Netz von ausgewiesenen Lebensräumen zu verstehen, welches die EU als europäisches Biotopverbundsystem entwickelt, um dem Rückgang der europäischen Artenvielfalt entgegenzuwirken (Stichwort: Ausstreben sowie Verlust einer Vielzahl einzigartiger Landschaftstypen, Tier- und Pflanzenarten). Es basiert auf der ĺFlora-Fauna-HabitatRL sowie der ĺVogelschutzrichtilinie. (sm) Lit.: B. Rajal/A. Tschugguel, Natura 2000 – Das Schutzgebietssystem der EU, 2004; D. Ennöckl, NATURA 2000 – Die Vogelschutz und Fauna-Flora-HabitatRichtlinie und ihre Umsetzung im österreichischen Naturschutzrecht, 2002; N. Raschauer/W. Wessely, Handbuch Umweltrecht, 2006, 379 f.
Naturschutz, Regelungsansätze nature conservation (systemtic approach) – protection de la nature (approche systématique)
Es existieren zwei Ansätze im EG-Naturschutzrecht: ƒ Artenschutz (ĺartenbezogene Regelungen) und ƒ umweltgerechte Flächenbewirtschaftung (ĺraumbezogene Regelungen). Ein Bodenschutzrecht ist (erst) in Entstehung begriffen (ĺBodenschutz). Zwischen dem arten- und dem raumbezogenen Ansatz bestehen erhebliche Wechselwirkungen. So betrifft der Artenschutz vor allem den Erlass von Regelungen des Handels mit bestimm-
Netzbetreiber (Energierecht) ten Arten und deren umweltgerechter Nutzung, der raumbezogene Ansatz liegt Vorschriften über Ausweisung von Schutzflächen für besonders gefährdete Arten (ĺHabitate) zugrunde. Dadurch sollen die ökologischen Gleichgewichte stabilisiert und einer Verringerung der Artenvielfalt vorgebeugt werden. ĺNatura 2000. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang schließlich auch auf das Abkommen über die biologische Artenvielfalt (ABl. 1993, Nr. L 309/ 3, berichtigt in ABl. 1994, Nr. L 82/39). (sm) Ne bis in idem right not to be tried or punished twice in criminal proceedings for the same criminal offence – droit à ne pas être jugé ou puni pénalement deux fois pour une même infraction
Der Grundsatz des ne bis in idem (auch Doppelbestrafungsverbot, auch Verbot der Mehrfachbestrafung) erlaubt keine zweite Bestrafung und auch nicht Verfolgung wegen derselben Sache. Er ist bereits jetzt als allgemeiner ĺRechtsgrundsatz Teil des ĺPrimärrechts. Die ĺGRC sieht ihn nun explizit als ĺGrundrecht vor. (ed) §§: Art. 50 GRC/Art. II-110 EVV; Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 4 7. ZP ĺEMRK als Gemeinschaftsgrundrecht Lit.: A. Eser, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 50
Ne bis in idem, europäisches ĺDoppelbestrafungsverbot, europäisches
Negativkriterium ĺSubsidiaritätsprinzip Nettomehrkosten-Prinzip ĺAltmark-Kriterien Nettosubventionsäquivalent net grant equivalent – équivalent-subvention net
ĺSubventionsäquivalente drücken den wirtschaftlichen Nutzen einer Förderung aus. Das Nettosubventionsäquivalent steht für den endgültigen Nutzen, den ein Unternehmen aus einer gewährten ĺstaatlichen Beihilfe zieht. Es wird durch den Abzug der mitgliedstaatlichen Steuer vom ĺBruttosubventionsäquivalent berechnet. (jr) Lit.: C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2005, Rn. 110
Netzbenutzer (Energierecht) system user (energy law) – utilisateur du réseau (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Natürliche oder juristische Personen, die Elektrizität oder Erdgas in ein Übertragungs- oder Verteilernetz einspeisen oder daraus versorgt werden. Anknüpfungspunkt zahlreicher elektrizitäts- und erdgasrechtlicher Vorschriften, insb. über den ĺNetzzugang. (hh) §§: Art. 2 Z. 18 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/54/EG); Art. 2 Z. 23 Erdgasbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/55/EG)
NEA ĺKernenergie-Agentur
Netzbetreiber (Energierecht)
Negative Entscheidung (Beihilfenrecht)
system operator (energy law) – gestionnaires de réseau (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
negative decision (EC state aid law) – décision négative (droit des aides d’État)
Stellt die ĺKommission die Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt fest (ĺmateriell rechtswidrige Beihilfe), so erlässt sie zum Abschluss des ĺformellen Prüfverfahrens eine negative Entscheidung. In diesem Fall ist es dem Mitgliedstaat nicht gestattet, die geplante Maßnahme durchzuführen (Art. 7 Abs. 5 VO [EG] 659/1999). Die Kommission ist verpflichtet, in einer Negativentscheidung die ĺRückforderung einer materiell und ĺformell rechtswidrigen Beihilfe anzuordnen (Art. 14 Abs. 1 ĺVO [EG] 659/1999). (jr) §§: Art. 88 Abs. 2 EG
Unterschieden werden ĺÜbertragungsnetzbetreiber und ĺVerteilernetzbetreiber. Elektrische Netze und Gasnetze sind ein natürliches Monopol, weil regelmäßig potenzielle Netzbenutzer nur mit einer Leitung versorgt werden. Ein diskriminierungsfreier ĺNetzzugang ist somit für die Liberalisierung entscheidend. Verpflichtungen für Netzbetreiber stehen daher im Mittelpunkt der Bemühungen der Europäischen Kommission (vgl. etwa auch ĺUnbundling). Netzbetreiber haben – neben der Pflicht zum sicheren, zuverlässigen, leistungsfähigen Betrieb des Netzes unter Bedachtnahme auf den Umweltschutz – vor allem die Pflicht zum ĺEngpassmanagement, zur Koordination der Daten, zur Veröffentlichung von nicht diskriminieren655
Netzwerk der regionalen Europaausschüsse (NORPEC) den Netzbedingungen und zur Gewährung von ĺNetzzugang unter diesen Bedingungen. (hh) §§: Art. 9-21 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/54/EG); Erdgasbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/ 55/EG) Lit.: B. Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006, 69 ff.
Netzwerk der regionalen Europaausschüsse (NORPEC) Network of Regional Parliamentary European Committees (NORPEC)
Die Idee zur Gründung des NORPEC entstand bereits bei Gründung der ĺCALRE im Oktober 1997 in Oviedo, als in deren Zielen u.a. eine Zusammenarbeit regionaler Europaausschüsse angestrebt wurde. Beginnend mit einem informellen Treffen der Vorsitzenden der Europaausschüsse der Regionalparlamente Schottlands, Kataloniens und Flanderns im November 2002 in Edingburgh wurde die NORPEC im November 2004 offiziell gegründet und tritt seitdem in regelmäßigen Abständen zu Konferenzen in ihren Mitgliedsregionen zusammen. Ziel ist es u.a., neben der ĺCOSAC eine Vertretung regionaler Europaauschüsse zu forcieren und sich mit deren Anliegen in die Entscheidungsprozesse der EU einzubinden, wie dies auch durch Vorlage eines gemeinsamen Papiers der NORPEC-Mitglieder beim Konvent zur Zukunft der Europäischen Union geschehen ist. Dennoch hält sich die Bedeutung des Netzwerks in Grenzen, zudem mangelt es an formaler Organisation, die weitgehend vom Schottischen Parlament wahrgenommen wird, das auch die Homepage der NORPEC betreut. (ns) Lit.: A. Kiefer, Gesetzgebende Regionalparlamente und ihr europäischer Verband: die CALRE, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus, 2006, 606 ff. (627 f.) Web: http://www.scottish.parliament.uk/business/ committees/europe/norpec.htm
erleichtern. Die Teilnehmer des Netzwerks werden per email über ein zu beurteilendes Dokument, also ein Grün- oder Weißbuch, eine Mitteilung oder einen Legislativvorschlag benachrichtigt. Binnen knapper Frist können Stellungnahmen hiezu in online-Formularen eingetragen werden. Auf der Webseite des ĺAusschusses der Regionen werden alle eingegangenen Stellungnahmen veröffentlicht und zusammengefasst auch dem jeweiligen Berichterstatter des ĺAusschusses der Regionen für die Erarbeitung seiner Stellungnahme zum Thema zur Verfügung gestellt. Mit diesem Netzwerk werden zwei Ziele verfolgt: Die Teilnehmer (ĺregionale und ĺlokale Gebietskörperschaften bzw. deren Verbände) sollen rasch und effizient über die politischen Initiativen der ĺKommission informiert werden und dabei auch die Möglichkeit erhalten, ihre Interessen im politischen Willensbildungsprozess zu vertreten. Thematisch soll sich das Netzwerk auf die zehn Bereiche konzentrieren, bei denen der EG-Vertrag eine obligatorische ĺAnhörung des ĺAusschusses der Regionen vorsieht: Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt, Bildung und Jugend, Kultur, Gesundheitswesen, transeuropäische Netze und Verkehr, Beschäftigung, Sozialpolitik, Umwelt, europäischer Sozialfonds sowie Berufsausbildung. Erste Pilotversuche des Netzwerks wurden mit ausgewählten Teilnehmern bereits durchgeführt, um bereits vor dem allfälligen Inkrafttreten des ĺReformvertrags auszutesten, wie eine künftige Subsidiaritätskontrolle mit Überwachungsnetzwerk funktionieren könnte. (ag) §§: Art. 263-265 EG Lit.: C. Gsodam, Die Subsidiaritätsprüfung in der Praxis des Ausschusses der Regionen, in: A. Gamper/ P. Bußjäger (Hrsg.), Subsidiarität anwenden: Regionen, Staaten, Europäische Union, 2006, 135 ff.; A. Kiefer, Von der Philosophie zur praktischen Anwendung: Das Subsidiaritätskontroll-Netzwerk des Ausschusses der Regionen, ibidem, 157 ff. Web: http://subsidiarity.cor.europa.eu
Netzwerke der Wettbewerbsbehörden Netzwerk für die Subsidiaritätskontrolle subsidiarity monitoring network – réseau de monitorage de la subsidiarité
Das Netzwerk für die Subsidiaritätskontrolle wurde vom ĺAusschuss der Regionen eingerichtet, um den Informationsaustausch zwischen den ĺregionalen und ĺlokalen Gebietskörperschaften der EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich der verschiedenen politischen Dokumente und Vorschläge der ĺKommission zu 656
networks of competition authorities – réseau des autorités de concurrence
In Europa gibt es seit dem Jahr 2000 zwei Netzwerke der Kartellbehörden, die jeweils verschiedene Aspekte der kartellbehördlichen Zusammenarbeit abdecken. Das European Competition Network (ECN) besteht aus sämtlichen Kartellbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie der ĺKommission. Das ECN dient der Durchsetzung der Art. 81 f. EG.
Neuartige Lebensmittel Es basiert auf der VO (EG) 1/2003. Die Kriterien der Zusammenarbeit im ECN werden zudem in der Gemeinsamen Erklärung von ĺRat und ĺKommission zur Verabschiedung der VO (EG) 1/2003 (Gemeinsame Erklärung) sowie in der Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden (Netzbekanntmachung) dargestellt. Die VO (EG) 1/2003 begründet die parallele Zuständigkeit der Kommission und der nationalen Behörden bei der Anwendung der Art. 81 f. EG, indem sie z.T. die ĺKommission (Art. 4 VO [EG] 1/2003) und z.T. die Mitgliedstaaten (Art. 5 VO [EG] 1/2003) für zuständig erklärt. Die Gemeinsame Erklärung und die Netzbekanntmachung bezwecken vor diesem Hintergrund insbesondere, eine Verständigung auf Regeln für eine sinnvolle Verteilung der Arbeit zwischen den zuständigen Behörden herzustellen und transparent zu machen. Des Weiteren verschafft die VO (EG) 1/2003 dem ECN bedeutende Kooperationsinstrumente. So können sich die nationalen Kartellbehörden gem. Art. 22 VO (EG) 1/2003 gegenseitig bei Ermittlungen in Verfahren nach Art. 81 f. EG unterstützen und ĺAmtshilfe leisten. Beweismittel und Informationen können zudem gem. Art. 12 VO (EG) 1/2003 ausgetauscht werden. Das ECN dient aber auch der Koordinierung der Tätigkeit der nationalen Kartellbehörden und der ĺKommission bei der Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln und stellt so ein wichtiges Beispiel für die netzwerkartige Koordinierung der nationalen Verwaltungsbehörden im ĺeuropäischen Verwaltungsverbund dar. Das zweite Netzwerk ist das Netzwerk der European Competition Authorities (ECA). Es besteht seit dem Jahr 2000 und umfasst alle ECNBehörden und darüber hinaus die nationalen Wettbewerbsbehörden aus Norwegen, Island und Liechtenstein sowie die EFTA-Überwachungsbehörde. Ziel des Netzwerkes ECA ist die verbesserte Zusammenarbeit bei der Durchsetzung des europäischen und nationalen Wettbewerbsrechts, wobei im Gegensatz zum ECN auch die ĺFusionskontrolle erfasst wird. Die Arbeit des ECA besteht u.a. in der Entwicklung von „best practices“ und Grundsätzen zum gemeinsamen Vorgehen. So wurden im November 2001 Gemeinsame Prinzipien für LeniencyProgramme zur Aufdeckung und Verfolgung von Kartellabsprachen veröffentlicht. (jpt) §§: EG-Kartellverfahrensverordnung, VO (EG) 1/2003, ABl. EU 2003, Nr. L 1/1; Gemeinsame Erklärung des
Rates und der Kommission zur Arbeitsweise des Netzes der Wettbewerbsbehörden, vom 10.12.2002, Ratsdokument 15435/02 ADD 1; Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden, ABl. EU 2004, Nr. C 101/43 Lit.: S. Hossenfelder, Verwaltungskooperation in ECN und ECA, in: J. P. Terhechte (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 2008, § 84; S. Hossenfelder/M. Lutz, Die neue Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81, 82 EG-Vertrag, WuW 2003, 118 ff. Web: http://ec.europa.eu/comm/competition/inter national/multilateral/eea.html
Netzzugang (Energierecht) access to grid (energy law) – accès au réseau (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Kern der Liberalisierung des Energiesektors ist der geregelte Netzzugang. Damit sind – anders als im Monopol – Unternehmen zum Zugang zu fremden Netzen berechtigt und Wettbewerb unter den Energielieferanten ist möglich. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie und Erdgasbinnenmarktrichtlinie sehen daher vor, dass der Netzzugang nichtdiskriminierend, transparent und zu angemessenen Preisen (= festgelegten ĺSystemnutzungstarifen für den Netzzugang) gewährleistet sein muss, damit Wettbewerb zustande kommt. Der Netzzugang muss auch für ĺNetzbetreiber auf den jeweiligen höherrangigen Netzen zur Verfügung stehen, um die ihre ĺVersorgung sicherzustellen. Beide Richtlinien sind hinsichtlich der Frage, wie der Netzzugang im Detail ausgestaltet ist, unter der Voraussetzung offen, dass die Grundbedingungen der Diskriminierungsfreiheit sowie des Vorliegens von genehmigten Tarifen, erfüllt sind. (hh) §§: Art. 20 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/54/EG); Art. 18 ErdgasbinnenmarktRL (RL 2003/ 55/EG) Lit.: B. Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006, 82 ff., 186 ff.
Neuartige Lebensmittel novel food – nouveaux aliments
Die industrielle und technologische Entwicklung im Bereich der Biotechnologie veranlassten den europäischen Gesetzgeber zur Regelung neuartiger Lebensmittel und neuartiger Lebensmittelzutaten durch die VO (EG) 258/97 (sog. Novel Food Verordnung). Art. 1 und 2 definieren den sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung. Die in der Novel Food Verordnung ebenfalls erfassten Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten sowie Lebensmittel, die aus genetisch veränder657
Neubeihilfe ten Organismen hergestellt wurden, sie aber nicht enthalten, sind im Rahmen der Neuregelung des Rechts für genetisch veränderte ĺLebens- und ĺFuttermittel durch die VO (EG) 1829/2003 einer gesonderten, detaillierteren Regelung unterzogen worden. Ferner ergänzt die VO (EG) 1830/2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung die ursprüngliche Novel Food Verordnung. Die materiell-rechtlichen Anforderungen an Novel Food Produkte ergeben sich insbesondere aus Art. 3 der Novel Food Verordnung i.V.m. den Vorschriften über das Verfahren und die Prüfung dieser Lebensmittel und Lebensmittelzutaten. Die Novel Food Verordnung differenziert zwischen einem Mitteilungsverfahren nach Art. 5 sowie einem Genehmigungsverfahren nach Art. 6 in Abhängigkeit des Risikos des betreffenden neuartigen Lebensmittels, die um spezifische Anforderungen aus der VO (EG) 1829/2003 ergänzt werden. (mkr) §§: VO (EG) 258/97; VO (EG) 1829/2003; VO (EG) 1830/2003 Lit.: M. Kraus, Novel Food: Risikominimierung neuartiger Lebensmittel durch Zulassungsrestriktionen?, 2001; R. Streinz, Novel Food, in: ders. (Hrsg.), Lebensmittelrechts-Handbuch, 27. Lfg. 2007, II.I; W. Zipfel/ K. Rathke (Hrsg.), Lebensmittelrecht, Bd. II, C.150 ff.
Neubeihilfe new aid – aide nouvelle
Die Definition von Neubeihilfen erfolgt nach der ĺArt. 1 lit. c VO (EG) 659/999 durch eine negative Abrenzung von den ĺbestehenden Beihilfen (Altbeihilfen). Demnach werden als neue Beihilfen sämtliche Beihilfen bezeichnet, die keine bestehenden Beihilfen sind. Änderungen bereits bestehender Beihilfen gelten ebenfalls als Neubeihilfen. Die Abgrenzung der Neubeihilfen von bereits bestehenden Beihilfen ist für das ĺVerfahren in Beihilfesachen (s.a. ĺVerfahren bei bestehenden Beihilfenregelungen) von zentraler Bedeutung. (jr) §§: Art. 88 EG, Art. 1 lit. c VO (EG) 569/1999, ABl. 1999, Nr. L 83/1
Neue Strategie (Rechtsangleichung) ĺNew approach (Rechtsangleichung) Neue Unabhängige Staaten New Independent States – Pays de l’ex-Union Soviétique
Mit den Neuen Unabhängigen Staaten in Osteuropa und Zentralasien, der Republik Arme658
nien (99/602/EG, ABl. 1999, Nr. L 239/1), der Republik Aserbaidschan (99/614/EG, ABl. 1999, Nr. L 246/1), Georgien (99/515/EG, ABl. 1999, Nr. L 205/1), der Republik Kasachstan (99/490/ EG, ABl. 1999, Nr. L 196/1), der Republik Kirgisistan (99/491/EG, ABl. 1999, Nr. L 196/46), der Republik Moldau (98/401/EG, ABl. 1998, Nr. L 181/1), der Russischen Föderation (97/ 800/EG, ABl. 1997, Nr. L 327/1), der Ukraine (98/149/EG, ABl. 1998, Nr. L 49/1) und der Republik Usbekistan (99/593/EG, ABl. 1999, Nr. L 299/1) hat die EG ĺPartnerschafts- und Kooperationsabkommen geschlossen, mit denen die Demokratie konsolidiert und die Wirtschaft befördert werden soll. (bb) Neutralität ĺEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik New approach (Rechtsangleichung) new approach – „nouvelle approche“ ou „nouvelle conception“
Die ursprüngliche Konzeption der ĺRechtsangleichung im Gemeinsamen Markt verfolgte einen vertikal orientierten Ansatz der legislativen Vollharmonisierung aller Anforderungen eines Produkttyps. Diese Konzeption begegnete jedoch erheblichen praktischen Schwierigkeiten. Nicht zuletzt auf Grund des erforderlichen Determinierungsgrades erwiesen sich entsprechende Regelungen als schwerfällig, unflexibel und wenig innovationsoffen. Auf Grund der Undurchführbarkeit eines solchen Ansatzes wurde zur Verwirklichung des Binnenmarktes, basierend auf den Erkenntnissen der ĺCassis de Dijon Rsp. des ĺEuGH eine neue Strategie zur Rechtsangleichung entwickelt („new approach“), der zufolge die Rechtsangleichung auf die Harmonisierung der ĺzwingenden Erfordernisse abzielt, um auf diesem Weg die Hindernisse für die Grundfreiheiten, die sich aus den Unterschieden der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ergeben, abzubauen. In Gestalt horizontaler Harmonisierungsmaßnahmen werden solcherat auf Gemeinschaftsebene allgemeine Anforderungen (im Interesse des Gemeinwohls) festgelegt. Die einzelnen Erzeugnisse müssen, um verkehrsfähig zu sein, diesen grundlegenden Anforderungen genügen. Die Konkretisierung der technischen Spezifikationen wird in weiterer Folge auf Grundlage der allgemeinen Anforderungen von privaten Normungsgremien (ĺCEN, ĺCENELEC,
Nichtigkeitsgrund ĺETSI) übernommen. Der Rückbezug dieser Normen auf die Rechtsangleichungsmaßnahme erfolgt über die an die MS adressierte Vermutung der Konformität jener Erzeugnisse, die normgerecht hergestellt wurden, mit den im Rechtsakt vorgegebenen allgemeinen Anforderungen. Unbeschadet dessen bleibt dem Hersteller auch die Möglichkeit von den Normvorgaben abzuweichen; der Nachweis der Konformität mit den allgemeinen Vorgaben der RL ist diesfalls individuell zu erbringen. Der new approach der Rechtsangleichung wird durch das Prinzip der ĺgegenseitigen Anerkennung ergänzt. (cb) §§: Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes, KOM(85) 310 endg.; Entschließung des Rates vom 7.5.1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung, ABl. 1985, Nr. C 136/1; Entschließung des Rates vom 28.10.1999 zur Funktion der Normung in Europa, ABl. 2000, Nr. C 141/1 Lit.: T. Klindt, Der „new approach“ im Produktrecht des europäischen Binnenmarkts: Vermutungswirkung technischer Normung, EuZW 2002, 133 (134 f.); H. G. Fischer, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Vorbem. Art. 94-97, Rn. 11; C. Fuchs, Strukturen und Merkmale neuer Verwaltungsverfahren, Diss. Univ. Wien 2006, 134 ff., M. Holoubek, Technisches Sicherheitsrecht, in: M. Holoubek/M. Potacs (Hrsg.), Handbuch öffentliches Wirtschaftsrecht, Bd. II, 2. Aufl. 2007, 451 (475 ff.)
Nicht-prioritäre Dienstleistung ĺDienstleistungsauftrag, öffentlicher Nicht-Umsetzung von Richtlinien ĺRichtlinien, Schadenersatz bei fehlerhafter Umsetzung; ĺRichtlinien, Vertragsverletzung durch fehlerhafte Umsetzung Nichtigkeit von Rechtsakten non-existent legal acts – actes juridiques inexistants
Nichtigkeit von Rechtsakten bedeutet deren rechtliche Inexistenz. Das Gemeinschaftsrecht kennt, wie die meisten nationalen Rechtsordnungen, eigene Regeln, nach denen sich bemisst, ob ein Rechtsakt so gravierend fehlerhaft ist, dass er von vornherein als nicht existent anzusehen ist. In diesen Fällen bedarf es keines besonderen behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens, um den fehlerhaften Rechtsakt zu beseitigen. Mit Blick auf den ĺVorrang des Gemeinschaftsrechts und das Monopol des ĺEuGH, rechtswidrige Gemeinschaftsakte nach Art. 231 I EG für nichtig zu erklären (ĺNichtigkeitsklage,
Art. 230 EG), sind diese Regeln vergleichsweise streng. Nach der Rechtsprechung des EuGH besteht grundsätzlich eine Vermutung der Gültigkeit, nach der auch fehlerhafte Rechtsakte angewendet werden müssen, solange sie nicht durch den EuGH für nichtig erklärt oder durch eine spätere Handlung eines Rechtsetzungsorgans aufgehoben worden sind. Inexistenz ist nur ausnahmsweise bei solchen Handlungen anzunehmen, die mit besonders schweren und offensichtlichen Fehlern behaftet sind. In allen anderen Fällen ist ein rechtswidriger Akt lediglich anfechtbar bzw. kann unter erleichterten Voraussetzungen zurückgenommen werden. Die genannten Regeln unterscheiden nicht zwischen Rechtsakten mit allgemeiner Geltung und individuellen Maßnahmen. Allerdings werden Rechtsakte mit allgemeiner Geltung nur unter außergewöhnlichen Umständen unangreifbar, nämlich dann, wenn ihre Anfechtbarkeit durch den Betroffenen offenkundig gewesen ist und er gleichwohl die Klagefrist des Art. 230 V EG hat verstreichen lassen (ĺNichtigkeitsklage, Verhältnis zum Vorabentscheidungsverfahren). Beispiele für offenkundig anfechtbare ĺVerordnungen sind im ĺAntidumpingrecht zu finden (ĺHybridrechtsakt. Ob die gemeinschaftsrechtlichen Regeln über die Nichtigkeit der Rechtsakte auch im Bereich des EU-Vertrags gelten, ist bislang ungeklärt. (jb) §§: Art. 231, 241 EG Lit.: C. Annacker, Der fehlerhafte Rechtsakt im Gemeinschafts- und Unionsrecht, 1998, 81 ff.; X. Arzoz, Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaften, JöR n.F. 49 (2001) 299, 321 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 15/85 Consorzio Cooperative d’Abruzzo/Kommission, Slg. 1987, 1005, Rn. 10; Rs. 314/85 Foto-Frost, Slg. 1987, 4199, Rn. 12 ff.; Rs. C-137/92 P Kommission/BASF u.a., Slg. 1994, I-2555, Rn. 48 ff.; Rs. C-475/01 Kommission/Griechenland, Slg. 2004, I-8923, Rn. 19
Nichtigkeitsgrund ground for annulment – moyen d’annulation
N. bilden bilden den Maßstab der Begründetheitsprüfung einer Nichtigkeitsklage. Sie sind geregelt in Art. 230 Abs. 2 EG und Art. 35 Abs. 6 EU. Die einzelnen Nichtigkeitsgründe sind: ƒ ĺUnzuständigkeit, ƒ ĺVerletzung einer wesentlichen Formvorschrift, ƒ ĺVerletzung des (jeweiligen) Vertrages oder einer bei dessen Durchführung anzuwendender Rechtsvorschrift und 659
Nichtigkeitsklage (Art. 230 EG) ƒ ĺErmessensmissbrauch. Die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Rechtsaktes kann nur anhand dieser N. überprüft werden; eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung ist im Rahmen der Nichtigkeitsklagen nicht vorgesehen, wird der Sache nach aber wegen des Nichtigkeitsgrundes der Vertragsverletzung doch meist möglich sein (ĺVerletzung des Vertrages als Nichtigkeitsgrund). Die Heranziehung der Nichtigkeitsgründe durch die Gemeinschaftsgerichte ist abhängig von deren Rüge durch den Kläger. Nach nicht ganz einheitlicher Rechtsprechung prüfen die Gemeinschaftsgerichte die formellen Nichtigkeitsgründe der Unzuständigkeit und der Verletzung wesentlicher Vertragsvorschriften von Amts wegen; die beiden anderen, in der Rechtsprechung als materiell-rechtlich eingestuften Nichtigkeitsgründe allerdings nur, soweit sich der Kläger darauf beruft (EuGH, Rs. C-367/95 P Kommission/Sytraval und Brink’s France, Slg. 1998, I-1719, Rn. 67). Die Rechtsprechung hierzu ist jedoch schwankend und auch nicht konsistent (GA Jacobs, in: EuGH, Rs. C210/98 P Salzgitter/Kommission, Slg. 2000, I5843, Rn. 136 ff.), so dass in der Praxis stets alle in Frage kommenden Nichtigkeitsgründe ausdrücklich geltend gemacht werden sollten. (mk) §§: Art. 230 Abs. 2 EG; Art. 35 Abs. 6 EU Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 431 ff.
Nichtigkeitsklage (Art. 230 EG) action for annulment (article 230 EC) – recours en annulation (article 230 CE)
Die Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG erfüllt innerhalb des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsschutzsystems zwei wichtige Funktionen: Mit dem Klagerecht der Gemeinschaftsorgane und der Mitgliedstaaten stellt sie einerseits ein Instrument der gegenseitigen Kontrolle der Gemeinschaftsorgane dar; andererseits dient sie auch dem Individualrechtsschutz vor den Gemeinschaftsgerichten. Die Nichtigkeitsklage vermittelt wie das ĺVertragsverletzungsverfahren und die ĺUntätigkeitsklage eine Direktklagemöglichkeit zu EuG oder EuGH (ĺNichtigkeitslage, Zuständigkeit) und leitet ein kontradiktorisches Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten ein. Dadurch unterscheidet sie sich vom ĺVorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, welches nur von einem mitgliedstaatlichen Gericht eingeleitet werden kann und daher keine Parteien kennt. Mit letzterem gemeinsam dient sie jedoch der Rechtmäßigkeitskontrolle der Rechtsetzungstätigkeit der EG. Die Nichtigkeits660
klage zielt auf die Nichtigerklärung des angegriffenen Gemeinschaftsrechtsaktes. ĺKläger können die EG-Mitgliedstaaten, der Rat (ĺRat der Europäischen Union), die ĺKommission, das Parlament (ĺEuropäisches Parlament) (Art. 230 Abs. 2 EG), der ĺRechnungshof, die ĺEuropäische Zentralbank (Art. 230 Abs. 3 EG) sowie jede natürliche oder juristische Person (Art. 230 Abs. 4 EG) sein (ĺParteifähigkeit, Nichtigkeitsklage). Die jeweiligen Klagerechte sind jedoch an unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen geknüpft. Während Rat, Kommission und Parlament als ĺprivilegierte Kläger ohne weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen gegen jeden EG-Rechtsakt (ĺKlagegegenstand, Nichtigkeitsklage) vorgehen können, müssen die übrigen Kläger als ĺnichtprivilegierte Kläger besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllen. Mit der Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG können nur Rechtsakte angegriffen werden, welche die Gemeinschaftsorgane im Rahmen des EG-Vertrages erlassen haben. Das Handeln der Organe im Rahmen der ĺGASP ist mit der Nichtigkeitsklage überhaupt nicht, Rechtsakte der ĺPJZS sind nur mittels der ĺNichtigkeitsklage nach Art. 35 Abs. 6 EU angreifbar (s.a. ĺUnionsrechtsakte, Gegenstand der Nichtigkeitsklage, mit einer Ausnahme von dieser Regel). Die Gemeinschaftsgerichte prüfen die Rechtmäßigkeit eines Gemeinschaftsrechtsaktes nicht umfassend, sondern am Maßstab der in Art. 230 Abs. 2 EG genannten ĺNichtigkeitsgründe. (mk) §§: Art. 230 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 317 ff.
Nichtigkeitsklage (Art. 35 Abs. 6 EU) action for annulment (article 6 paragraph 6 EU) – recours en annulation (article 6 paragraphe 6 EU)
Spezielle, unionsrechtliche Nichtigkeitsklage im Rahmen der PJZS, mit der abweichend von der gemeinschaftsrechtlichen ĺNichtigkeitsklage nach Art. 230 EG ĺRahmenbeschlüsse nach Art. 34 Abs. 2 lit. b EU, und ĺBeschlüsse nach Art. 34 Abs. 2 lit. c Satz 1 angefochten werden können. Über den Wortlaut hinaus werden in der Literatur zutreffenderweise auch Maßnahmen, zur Durchführung der letztgenannten Beschlüsse nach Art. 34 Abs. 2 lit. c Satz 2 EU zum Kreis der Klagegegenstände gerechnet. Zuständig für Klagen nach Art. 35 Abs. 6 EU ist nur der EuGH, nicht das EuG. Anders als die Nichtigkeitsklage nach Art. 230
Nichtigkeitsklage, Verhältnis zum Vorabentscheidungsverfahren EG sieht Art. 35 Abs. 6 EG ausschließlich die Mitgliedstaaten und die Kommission als Kläger vor; das Parlament aber auch natürliche und juristische Personen haben keine Klagemöglichkeit (ĺUnionsrechtsakte, Gegenstand der Nichtigkeitsklage). (mk) §§: Art. 35 Abs. 6 EU Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 560 ff.
Nichtigkeitsklage, Beklagter action for annulment, defendant – recours en annulation, partie défenderesse
Richtiger Beklagter einer Nichtigkeitsklage ist dasjenige Organ (s.a. ĺParteifähigkeit, Nichtigkeitsklage), welches die angefochtene Handlung erlassen hat. Besonderheiten weisen dabei im Wege des Mitentscheidungsverfahrens nach Art. 251 EG erlassene Rechtsakte auf. Da diese von Rat (ĺRat der Europäischen Union) und Parlament (ĺEuropäisches Parlament) gemeinsam erlassen werden, ist eine Klage in diesen Fällen gegen beide Organe gemeinsam zu richten. Sie bilden in diesem Fall eine notwendige passive Streitgenossenschaft (Art. 230 Abs. 1 EG: „gemeinsame Handlungen des Europäischen Parlaments und des Rates“). (mk) Nichtigkeitsklage, Handlungen ĺKlagegegenstand, Nichtigkeitsklage Nichtigkeitsklage, individuelle Betroffenheit action for annulment, individual concern – recours en annulation, affectation individuelle
Zulässigkeitsvoraussetzung für ĺIndividualnichtigkeitsklagen nach Art. 230 Abs. 4 EG. Die i.B. ist neben der ĺunmittelbaren Betroffenheit Bestandteil der Klageberechtigung, wird aber auch zur Bestimmung des statthaften ĺKlagegegenstands der Individualnichtigkeitsklage herangezogen. Der EuGH hat die i.B. in der ĺPlaumann-Entscheidung definiert. Eine natürliche oder juristische Person (ĺjuristische Personen, Nichtigkeitskläger) ist nach dieser Entscheidung individuell betroffen, „wenn die Entscheidung ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten [einer Entscheidung]“. Daraus ergibt sich in der Praxis, dass die i.B. bei Klagen gegen ĺVerordnungen (ĺVerordnungen, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage) sehr selten zu
bejahen ist, da diese allgemeine Geltung und selten Einzelnen gegenüber Entscheidungswirkung in diesem Sinne haben (ĺVerordnung, Gegenstand der Individualnichtigkeitsklage). Die daran geübte Kritik und Forderungen nach einer weiteren Auslegung der i.B. hat der EuGH in der Entscheidung ĺUnión de Pequeños Agricultores allerdings zurückgewiesen, so dass für die Definition nach wie vor die Plaumann-Formel maßgeblich ist. (mk) §§: Art. 230 Abs. 4 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 410 ff., 460 ff., 507 ff., 520 ff.
Nichtigkeitsklage, Verhältnis zum Vorabentscheidungsverfahren action for annulment, relationship to the preliminary ruling procedure – recours en annulation, relations avec la procédure préjudicielle
Sowohl im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG (ĺNichtigkeitsurteil) als auch auf die Vorlage einer Gültigkeitsfrage nach Art. 234 Abs. 1, lit. b, 1. Alt. EG (ĺVorabentscheidungsverfahren) kann ein Gemeinschaftsrechtsakt für nichtig erklärt werden. Das Verhältnis beider Verfahren zueinander ist in zwei Konstellationen klärungsbedürftig: 1. Da die Erhebung einer Nichtigkeitsklage nur innerhalb der Klagefrist des Art. 230 Abs. 5 EG (ĺKlagefrist, Nichtigkeitsklage) zulässig ist, stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen nach Ablauf dieser Frist, die Gültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsaktes im Wege des Art. 234 EG überprüft werden kann. Hierzu gilt nach der ĺDeggendorf-Rechtsprechung des EuGH, dass ein Rechtsakt nach Ablauf der Klagefrist des Art. 230 Abs. 5 EG in Bestandskraft erwächst. Dessen Rechtswidrigkeit kann daher von jemandem, der „zweifellos“ Nichtigkeitsklage hätte erheben können aber die Klagefrist ungenutzt hat verstreichen lassen, auch nicht in einem späteren Rechtsstreit vor einem mitgliedstaatlichen Gericht gerügt werden, denn die Bestandskraft präkludiert in diesem Fall eine Vorlage nach Art. 234 EG (EuGH, Rs. C-188/92 TWD Textilwerke Deggendorf, Slg. 1994, I-833, Rn. 15 ff.; EuGH, Rs. C-239/99 Nachi Europe, Slg. 2001, I-1197, Rn. 30). 2. Ist die Frage der Gültigkeit eines Rechtsaktes bereits bei einem Gemeinschaftsgericht im Wege einer Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG anhängig gemacht worden und wird die Frage nach dessen Rechtmäßigkeit zusätzlich 661
Nichtigkeitsklage, Zuständigkeit auch in einem Rechtsstreit vor einem mitgliedstaatlichen Gericht aufgeworfen, stellt sich die Frage, ob eine Vorlage nach Art. 234 EG an den EuGH zulässig ist. Die Zulässigkeit einer solchen Vorlage birgt die Gefahr unterschiedlicher Entscheidungen über die Gültigkeit des Rechtsaktes durch die jeweils befassten Gemeinschaftsgerichte oder Spruchkörper. Nach den Grundsätzen der Masterfoods-Entscheidung des EuGH, muss das nationale Gericht in einem solchen Fall das Verfahren aussetzten. Es kann dann eine Entscheidung der Nichtigkeitsklage abwarten oder, soweit es dies „unter den gegebenen Umständen für gerechtfertigt“ hält, dem EuGH die Frage nach der Gültigkeit selbst vorlegen (EuGH, Rs. C-344/98 Masterfoods, Slg. 2000, I-11369, Rn. 57). Welche Umstände eine Vorlage rechtfertigen, hat der EuGH bislang nicht geklärt. Nahe liegend ist eine Vorlage im Falle von Parallelverfahren indes nur, wenn das mitgliedstaatliche Gericht den fraglichen Gemeinschaftsrechtsakt aus anderen als den im Rahmen der Nichtigkeitsklage gerügten Gründen für nichtig hält. (mk) §§: Art. 230 EG, 234 EG Lit.: W. Bartels, Kooperation zwischen EU-Kommission und nationalen Gerichten im europäischen Wettbewerbsverfahren – Einige Anmerkungen zum Masterfoods-Urteil des EuGH, ZfRV 2002, 83-94; M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007
Nichtigkeitsklage, Zuständigkeit action for annulment, jurisdiction – recours en annulation, compétence
Für Nichtigkeitsklagen nach Art. 230 Abs. 4 EG, die von einer natürlichen oder juristischen Person erhoben werden (ĺIndividualnichtigkeitsklage), ist nach Art. 225 Abs. 1 EG i.V.m. Art. 51 EuGH-Satzung das EuG zuständig. Für ĺOrganklagen, ĺStaatenklagen und Klagen der EZB ist – wegen deren „verfassungsrechtlichen“ Charakters – der EuGH zuständig. (mk) §§: Art. 230 Abs. 4; 225 Abs. 1 EG; Art. 51 EuGH-Satzung
Rechtsakts gemeinschaftsrechtswidrig und der Akt teilbar ist, d.h. der bestehen bleibende Teilakt muss für sich gesehen sinnvoll sein. Dies ist bereits bei der Erhebung einer Klage zu beachten, da sie mangels Teilbarkeit des Rechtsaktes bereits unzulässig sein kann. Nach Art. 231 EG können die Gemeinschaftsgerichte die Fortgeltung eines Rechtsaktes (Verordnungen, nach der Rechtsprechung auch Richtlinien) anordnen. Davon machen die Gemeinschaftsgerichte insbesondere zur Verhinderung von Regelungslücken bis zum (Neu-)Erlass gemeinschaftsrechtskonformer Rechtsakte Gebrauch. Den Gemeinschaftsgerichten fehlt die Kompetenz, die Gemeinschaftsorgane zu einem bestimmten Verhalten zu verpflichten. Diese sind nach Art. 233 EG indes verpflichtet, die sich „aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen“. (mk) §§: Art. 231, 233 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 585 f.
Nicht offenes Verfahren restricted procedure – procédure à huis-clos
Bei einem nichtoffenen Verfahren im Sinn des ĺVergaberechts wird eine unbeschränkte Anzahl von ĺWirtschaftsteilnehmern vom öffentlichen ĺAuftraggeber aufgefordert, sich um die Teilnahme an einem ĺVergabeverfahren zu bewerben. Nach der Prüfung der Teilnahmeanträge werden ausgewählte Wirtschaftsteilnehmer aufgefordert, ein ĺAngebot abzugeben. Die Anzahl der ausgewählten Wirtschaftsteilnehmer kann begrenzt werden, sie hat aber zumindest fünf zu betragen. Die Auswahl der Teilnehmer erfolgt anhand objektiver und nicht diskriminierender Kriterien. (S. allgemein zu den Verfahrensarten das ĺVergabeverfahren). (cm) §§: Art. 1 Abs. 11 lit. b VergabeRL, Art. 44 Abs. 3 VergabeRL Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 197, 270 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Nichtigkeitsurteil annulling judgment – arrêt d’annulation
Nichtprivilegierte Kläger, Nichtigkeitsklage
Ein N. ergeht auf eine Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG oder Art. 35 Abs. 6 EU. Ist die Klage begründet wird die angefochtene Handlung für nichtig erklärt (Art. 231 Satz 1 EG). Die Nichtigerklärung hat erga omnes-Wirkung und ergeht grundsätzlich ex tunc. Teilnichtigkeit ist möglich, soweit nur ein Teil des angegriffenen
non-privileged applicant, action for annulment – partie requérante non privilégiée, recours en annulation
662
Bezeichnung für die Gruppe von Nichtigkeitsklägern, die anders als die ĺprivilegierten Kläger nur ein eingeschränktes Klagerecht nach Art. 230 EG haben. Dazu gehören: ƒ ĺRechnungshof,
Niederlassungsfreiheit ĺEuropäische Zentralbank, natürliche Personen, juristische Personen. Für den Rechnungshof und die EZB besteht diese Einschränkung nach Art. 230 Abs. 3 EG darin, dass sie zwar alle von Art. 230 Abs. 2 EG umfassten Klagegegenstände (ĺKlagegegenstand, Nichtigkeitsklage) anfechten können, aber eine besondere Klageberechtigung (ĺKlageberechtigung, Nichtigkeitsklage) nachweisen müssen. Nichtigkeitslagen natürlicher und juristischer Personen unterliegen sowohl hinsichtlich des ĺKlagegegenstandes als der ĺKlageberechtigung den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 230 Abs. 4 EG (ĺIndividualnichtigkeitsklage). (mk) ƒ ƒ ƒ
Niederlassungsform establishment – implantation
Die ĺNiederlassungsfreiheit wird durch primäre und/oder sekundäre Niederlassungen ausgeübt. 1. primäre Niederlassungsformen entstehen durch solche Niederlassungsvorgänge, bei denen der von der Niederlassungsfreiheit Begünstigte im Aufnahmemitgliedstaat eine Erwerbstätigkeit neu aufnimmt und gleichzeitig im Herkunftsmitgliedstaat keine weitere Betriebsstätte (mehr) besitzt oder die Leitung des Unternehmens und allenfalls weitere Betriebsteile in den Aufnahmemitgliedstaat verlegt, wobei jedoch im Herkunftsmitgliedstaat zumindest eine sekundäre Niederlassung verbleibt, die organisatorisch und wirtschaftlich von der Hauptniederlassung im EU-Aufnahmemitgliedstaat abhängig ist. 2. sekundäre Niederlassungsformen entstehen durch solche Niederlassungsvorgänge, bei denen der von der Niederlassungsfreiheit Begünstigte zusätzlich zu seiner wirtschaftlichen Tätigkeit im Herkunftsmitgliedstaat, in dem Hauptniederlassung und Leitung des Unternehmens weiter verbleiben, auch im EU-Aufnahmemitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung aufnimmt und ausübt, mit der er im EU-Aufnahmemitgliedstaat Standortvorteile wahrnimmt und sich i.d.R. in dessen Wirtschaftskreislauf eingliedert. Die neuere Judikatur des EuGH zum Internationalen Gesellschaftsrecht lässt sogar eine ausschließliche (!) Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat (s. dazu ĺCentros, ĺInspire Art) mittels einer sekundären Niederlassung zu. Formen se-
kundärer Niederlassung sind: Tochtergesellschaften, Agenturen und Zweigniederlassungen sowie Vertreter und Vermittler. (tr) Lit.: S. Fina, Niederlassungsfreiheit, in: Straberger (Hrsg.), EU-Recht – Handbuch für die österreichische Rechtspraxis, 2000
Niederlassungsfreiheit freedom of establishment – liberté d’établissement
Die Freizügigkeit Selbstständiger innerhalb der Gemeinschaft gewährleistet die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG). Abzugrenzen ist sie von der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 ff. EG; ĺArbeitnehmerfreizügigkeit), die weisungsabhängig Beschäftige erfasst (ĺArbeitnehmer, Begriff), und von der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EG; ĺDienstleistungsfreiheit), die die vorübergehende Ausübung selbstständiger Tätigkeiten in anderen Mitgliedstaaten umfasst (ĺDienstleistungsfreiheit, Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit). Gem. Art. 48 EG erstreckt sich die Niederlassungsfreiheit auf „nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet[e] Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben“, wobei als „Gesellschaften ... die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen“, gelten (ĺNiederlassungsfreiheit, für Gesellschaften). Unterschieden werden können (ĺNiederlassungsfreiheit, Arten) die primäre Niederlassung, d.h. die Sitznahme in einem anderen Mitgliedstaat bzw. die Sitzverlegung dorthin (Art. 43 UAbs. 1 Satz 1 EG), sowie die sekundäre Niederlassung, d.h. die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften (Art. 43 UAbs. 1 Satz 2 EG). Der Gewährleistungsgehalt der Niederlassungsfreiheit umfasst ein Aufenthaltsrecht für Selbstständige (ĺNiederlassungsfreiheit, Aufenthaltsrecht), einen Anspruch auf Inländerbehandlung (ĺNiederlassungsfreiheit, Inländerbehandlung) sowie ein Beschränkungsverbot (ĺNiederlassungsfreiheit, Beschränkungsverbot). Bedeutsame sekundärrechtliche Konkretisierungen der Niederlassungsfreiheit finden sich nunmehr in Kap. III der bis zum 28.12.2009 umzusetzenden Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG (ĺNiederlassungsfreiheit, Dienstleistungsrichtlinie ĺDienstleistungsrichtlinie). 663
Niederlassungsfreiheit, Arten (primäre und sekundäre) Auf Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, findet die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 45 Abs. 1 EG keine Anwendung (zur Reichweite dieser Bereichsausnahme ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Bereichsausnahme). (fw) §§: Art. 43 ff. EG; RL 2006/123/EG, ABl. 2006, Nr. L 376/36 Lit.: C. Tietje, Niederlassungsfreiheit, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, § 10; W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1. Europäische Grundfreiheiten, 2004, 695 ff.; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Niederlassungsfreiheit, Arten (primäre und sekundäre) freedom of establishment (primary and secondary) – liberté d’établissement (primaire et secondaire)
Die Niederlassungsfreiheit (Art. 43-48 EG) bildet gemeinsam mit der ĺArbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39-42 EG) die ĺFreiheit des Personenverkehrs und stellt damit eine der zentralen ĺGrundfreiheiten des ĺBinnenmarktes dar. Sie gewährt – ebenso wie die ĺDienstleistungsfreiheit (Art. 49-55 EG) – ĺUnionsbürgern unabhängig von ihrem Wohnsitz das Recht auf grundsätzlich schrankenlose Aufnahme und Ausübung selbstständiger (auf eigene Rechnung und eigenes Risiko) wirtschaftlicher (es ist ein – weit auszulegender – Erwerbszweck erforderlich) Tätigkeit (nicht der Beruf, sondern die einzelne Erwerbstätigkeit ist begünstigt) in einem anderen Mitgliedstaat (grenzüberschreitender Gemeinschaftsbezug). Anders als im Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit erfolgt die Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung und auf unbestimmte Dauer; die Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit ist jedoch durchaus fließend und im Einzelfall nicht immer eindeutig. Der Arbeitnehmerfreizügigkeit fehlt im Vergleich zur Niederlassungsfreiheit das Merkmal der Selbstständigkeit; sie erfasst daher die unselbstständig Erwerbstätigen. Von der Judikatur des EuGH wird die Niederlassungsfreiheit nicht nur als (bloßes) ĺDiskriminierungs-, sondern zunehmend auch als ĺBeschränkungsverbot (s. insb. EuGH 31.3. 1993, Rs. C-19/92, Kraus, Slg. 1994 I-1593; EuGH 30.11.1995, Rs. C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165), das auch versteckte und mittelbare Diskriminierungen erfasst, verstanden. In einem Mitgliedstaat ansässigen EU-Bürgern kommt durch die Niederlassungsfreiheit das 664
Recht auf Gründung primärer und sekundärer Niederlassungsformen zu (primäre und sekundäre Niederlassungsfreiheit): Primäre Niederlassungsformen entstehen durch solche Niederlassungsvorgänge, bei denen im Zuzugsstaat eine Erwerbstätigkeit neu aufgenommen wird und gleichzeitig im Wegzugsstaat keine weitere Betriebsstätte verbleibt, oder dadurch, dass die Leitung des Unternehmens und allenfalls weitere Betriebsteile in den Zuzugsstaat verlegt werden und im Wegzugsstaat eine sekundäre Niederlassungsform verbleibt, die organisatorisch und wirtschaftlich von der Hauptniederlassung im Zuzugsstaat abhängig ist. Sekundäre Niederlassungsformen entstehen, wenn zusätzlich zur primären (Haupt-)Niederlassung auch in einem anderen Mitgliedstaat eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung aufgenommen und ausgeübt wird, die im Aufnahmemitgliedstaat Standortvorteile wahrnimmt und sich i.d.R. in dessen Wirtschaftskreislauf eingliedert. Formen sekundärer Niederlassung sind Tochtergesellschaften, Agenturen, Zweigniederlassungen, Vertreter und Vermittler. Die neuere Judikatur des EuGH (ĺCentros, ĺÜberseering, ĺInspire Art) lässt sogar eine ausschließliche Tätigkeit im EUAufnahmemitgliedstaat mittels einer sekundären Niederlassungsform zu. (tr) §§: Art. 43, 48 EG
Niederlassungsfreiheit, Aufenthaltsrecht freedom of establishment, right of residence – liberté d’établissement, droit de séjour
Anders als dies bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit der Fall ist, enthalten die Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht explizit ein Aufenthaltsrecht Selbstständiger in anderen Mitgliedstaaten. Da ein solches jedoch zwingende Voraussetzung für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist, wird es der Niederlassungsfreiheit als Annexgewährleistung bzw. Begleitrecht entnommen. Diese Berechtigung geht dem allgemeinen Freizügigkeitsrecht (Art. 18 Abs. 1 EG) als lex specialis vor und ist anders als dieses nicht von ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen abhängig (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines). Der Aufnahmemitgliedstaat ist allerdings befugt, aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit zu ergreifen (ĺAusweisung). Sekundärrechtlich konkretisert wird das Aufenthaltsrecht zwischenzeitlich in der neuen Freizügigkeitsrichtlinie
Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsrichtlinie 2004/38/EG (ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/ 38/EG). Das Aufenthaltsrecht des Selbstständigen erstreckt sich auch auf dessen Familienangehörige (ĺFreizügigkeit, Familienangehörige) und besteht bei dessen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben fort (ĺVerbleiberecht). (fw) §§: RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: ĺNiederlassungsfreiheit
Niederlassungsfreiheit, Beschränkungsverbot restrictions to the freedom of establishment – entraves à la liberté d’établissement
Wie bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist auch bei der Niederlassungsfreiheit noch ungeklärt, wie weit ihr Gewährleistungsgehalt jenseits des Gebots der Inländerbehandlung (ĺNiederlassungsfreiheit, Inländerbehandlung) reicht (ausführlich dazu ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Beschränkungsverbot). Nach der Rechtsprechung des EuGH sind als tatbestandlich von Art. 43 EG erfasste Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit „alle Maßnahmen anzusehen ..., die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen“ (EuGH, Rs. C-79/01 Payroll, Slg. 2002, I-8923, Rn. 26; s.a. Rs. C-299/02 EK/Niederlande, Slg. 2004, I-9761, Rn. 15). Weitgehend Einigkeit besteht aber, dass hierunter nicht jede potenziell mobilitätshemmende Maßnahme zu subsumieren ist; umstritten ist jedoch, wann eine tatbestandliche Beschränkung vorliegt. Fordert man nicht mit den Befürwortern ausschließlich gleichheitsrechtlich verstandener Grundfreiheiten (Grundfreiheiten als materielle Diskriminierungsverbote) eine Schlechterstellung grenzüberschreitender gegenüber rein inländischen Sachverhalten, stellt sich die Frage, wie der freiheitsrechtlich verstandene Tatbestand zu konturieren ist (ausführlich dazu ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Beschränkungsverbot). Unterschiedslos anwendbare nationale Maßnahmen, die dem Tatbestand der Niederlassungsfreiheit unterfallen, können „gerechtfertigt sein, wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen und soweit sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist“ (EuGH, C-79/01, a.a.O. Rn. 28; ĺGebhard-Entscheidung). Für die Konkretisierung der Niederlassungsfreiheit bedeutsame Vorgaben finden sich zwischenzeitlich in den Art. 9 ff. der bis zum
28.12.2009 umzusetzenden Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG (ĺNiederlassungsfreiheit, Dienstleistungsrichtlinie ĺDienstleistungsrichtlinie). (fw) §§: Art. 43 EG; RL 2006/123/EG, ABl. 2004, Nr. L 376/36 Lit.: W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1. Europäische Grundfreiheiten, 2004, 821 ff.; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 41 ff.; im Übrigen ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Beschränkungsverbot
Niederlassungsfreiheit, Dienstleistungsrichtlinie freedom of establishment, directive on services in the internal market – liberté d’établissement, directive relative aux services dans le marché intérieur
In der bis zum 28.12.2009 umzusetzenden RL 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ĺDienstleistungsrichtlinie) finden sich namentlich in Kap. III (Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer, Art. 9 ff.) Regelungen zur Niederlassungsfreiheit. Diese greifen freilich nur im Anwendungsbereich der Richtlinie (horizontaler Ansatz mit zahlreichen Ausnahmen, Art. 2; Spezialität anderer Gemeinschaftsrechtsakte, Art. 3). Kap. III der Dienstleistungsrichtlinie regelt, in welchen Fällen ein Mitgliedstaat die Aufnahme und Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von einer Genehmigung abhängig machen darf, welche Genehmigungsvoraussetzungen zulässig sind und wie das Genehmigungsverfahren auszugestalten ist. Darüber hinaus von Relevanz sind ferner die Bestimmungen zur Verwaltungsvereinfachung (Art. 5 ff.), namentlich zum einheitlichen Ansprechpartner (Art. 6) und zur elektronischen Verfahrensabwicklung (Art. 8), sowie zur Verwaltungszusammenarbeit (Art. 28 ff.). Die Aufnahme und Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit darf nur dann von einer vorherigen Genehmigung abhängig gemacht werden, wenn das Genehmigungserfordernis als solches nicht diskriminierend, durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt und erforderlich ist (Art. 9). Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung dürfen der Behörde keine willkürliche Ermessensausübung ermöglichen und müssen nicht diskriminierend, durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt, verhältnismäßig, klar, unzweideutig, objektiv, transparent und zugänglich sein sowie im Voraus bekannt 665
Niederlassungsfreiheit, Diskriminierungsverbot gemacht werden (Art. 10 Abs. 1 und 2); bei bereits erfolgter Niederlassung dürfen Genehmigungsvoraussetzung nicht doppelt geprüft werden (Art. 10 Abs. 3). Die Genehmigung muss grundsätzlich unbefristet erteilt werden (Art. 11); ihre Verweigerung ist ausführlich zu begründen und muss anfechtbar sein (Art. 10 Abs. 6). Art. 12 enthält Regeln für die Auswahl in Knappheitssituationen, Art. 13 Anforderungen an die Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens (namentlich Objektivität, Transparenz, Beschleunigung, Verbot abschreckender Formalitäten und unvertretbarer Kosten). Schließlich benennt die Dienstleistungsrichtlinie unzulässige Anforderungen (Art. 14, etwa Residenzpflicht oder Staatsangehörigkeitserfordernis) und von den Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Rechtfertigung zu überprüfende Anforderungen (Art. 15, z.B. Rechtsformwahl). (fw) §§: Art. 43 EG; RL 2006/123/EG, ABl. 2006, Nr. L 376/36 Lit.: C. Calliess, Europäischer Binnenmarkt und europäische Demokratie: Von der Dienstleistungsfreiheit zur Dienstleistungsrichtlinie – und wieder retour?, DVBl. 2007, 336; W. Frenz, Grundfragen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit im neuen Gewande, GewArch 2007, 98; A. Hatje, Die Dienstleistungsrichtlinie – Auf der Suche nach dem liberalen Mehrwert, NJW 2007, 2357; F. Lemor, Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf ausgesuchte reglementierte Berufe, EuZW 2007, 135; M. Möstl, Wirtschaftsüberwachung von Dienstleistungen im Binnenmarkt, DÖV 2006, 281; J. Ziekow, Die Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf das deutsche Genehmigungsverfahrensrecht, GewArch 2007, 179 (Teil 1), 217 (Teil 2)
Niederlassungsfreiheit, Diskriminierungsverbot ĺNiederlassungsfreiheit, Inländerbehandlung Niederlassungsfreiheit, für Gesellschaften freedom of establishment, for companies – liberté d’établissement, pour sociétés
Nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründete Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, werden von Art. 48 Abs. 1 EG in Bezug auf die Ausübung der ĺNiederlassungsfreiheit den natürlichen Personen grundsätzlich gleichgestellt. Der Gesellschaftsbegriff des Art. 48 Abs. 2 EG ist weit: Als Gesellschaften gelten die Gesellschaften bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts, einschließlich der Genossenschaften, sonstige juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Aus666
nahme solcher ohne Erwerbszweck. Trotzdem ist die Frage, ob Gesellschaften in vollem Umfang unter die Niederlassungsfreiheit fallen, nach wie vor unklar (der EuGH bejaht dies für den Zuzug, für den Wegzug fehlen bisher eindeutige Entscheidungen; s zu dieser Frage weiterführend ĺgrenzüberschreitende Sitzverlegung, ĺSitztheorie, ĺGründungstheorie, ĺDaily Mail, ĺCentros, ĺÜberseering, ĺInspire Art). (tr) §§: Art. 43, 48 EG Lit.: s. bei ĺgrenzüberschreitende Sitzverlegung
Niederlassungsfreiheit, Inländerbehandlung freedom of establishment, national treatment – liberté d’établissement, traitement national
Die Niederlassungsfreiheit verleiht dem EUausländischen Selbstständigen einen weit reichenden Anspruch auf Inländerbehandlung. Genauso wie im Kontext der Arbeitnehmerfreizügigkeit (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung) erstreckte der Gerichtshof das erwerbstätigkeitsbezogen formulierte Diskriminierungsverbot über den Bereich des Erwerbslebens hinaus und begründete damit einen thematisch nahezu unbegrenzten Inländerbehandlungsanspruch. Dieses beziehe sich nämlich „nicht nur auf besondere Vorschriften über die Ausübung beruflicher Tätigkeiten, es gilt auch ... für jede Beeinträchtigung der Ausübung selbstständiger Tätigkeiten durch Angehörige anderer Mitgliedstaaten, die in einer unterschiedlichen Behandlung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten gegenüber Inländern besteht ...“ (EuGH, Rs. C-111/91 EK/Luxemburg, Slg. 1993, I-817, Rn. 17; s. ferner Rs. 63/86 EK/Italien, Slg. 1988, 29, Rn. 14 ff.; Rs. 305/87 EK/Griechenland, Slg. 1989, 1461, Rn. 21 f.). Das Diskriminierungsverbot erfasst offene, d.h. unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpfende (ĺDiskriminierung, offene), und versteckte, d.h. auf ein das die Staatsangehörigkeit vertretende Differenzierungskriterium rekurrierende (s.a. ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung, mittelbare Diskriminierung ĺDiskriminierung, versteckte ĺDiskriminierung, mittelbare), Diskriminierungen. Während offene Diskriminierungen nur über die ausdrücklich vertraglich vorgesehenen Ausnahmen gerechtfertigt werden können, also aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Art. 46 EG), genügt bei versteckten Diskriminierungen das Vorliegen zwingender Gründe des Allgemeininteresses. (fw) §§: Art. 43 EG; RL 2006/123/EG, ABl. 2006, Nr. L 376/36
Normenhierarchie, im europäischen Gesellschaftsrecht Lit.: F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 31 ff.
Niederlassungsrecht ĺNiederlassungsfreiheit Nitratrichtlinie nitrates – nitrates
Es handelt sich um eine emissionsorientierte ĺRL zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigungen durch Nitrat aus der Landwirtschaft. Sie stellt eine Reaktion der EG auf ungenügenden ĺGewässerschutz (s.a. ĺGrundwasserschutz) aus diffusen Quellen dar. Hinreichende oder zumindest entsprechende Bestimmungen sind nunmehr durch die ĺWasserrahmenRL vorgegeben, die zur Sicherstellung des Gewässerschutzes beitragen (sollen). Der Schutz wird an die Quelle der Verschmutzung vorverlagert. Es erfolgt die Aufstellung von Regeln der ĺ„Guten Landwirtschaftlichen Praxis“. Von Verunreinigungen durch Stickstoffeinträge besonders betroffene Gewässer sind als gefährdete Gebiete bezeichnet. Für diese ist ein Aktionsprpgramm durchzuführen (Begrenzungen für Aufbringen von Düngemitteln und für den bei der Tiefhaltung anfallenden Dünger). (sm) §§: RL 91/676/EGW, ABl. 1991, Nr. L 375/1
Nizza-Vertrag ĺVertrag von Nizza Nold-Entscheidung Nold case – jurisprudence Nold
Eine der frühen Entscheidungen zu gemeinschaftsrechtlichen ĺGrundrechten: ĺEuGH anerkennt Grundrechte (konkret: ĺEigentum) als Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts. (ed) Rsp.: EuGH, Rs. 4/73 Nold, Slg. 1974, 491
Non-refoulement ĺPrinzip des non-refoulement Nordamerika, Abkommen America, agreements – Amérique, accords
Die Beziehungen mit den USA stützen sich insbesondere auf die Transatlantische Partnerschaft, wonach ein regelmäßiger Dialog statt findet, insbesondere um die Zusammenarbeit
in wirtschaftlichen Belangen voranzutreiben. Mit Kanada wurde ein Rahmenabkommen für Handels- und Wirtschaftskooperation (ABl. 1976, Nr. L 260/2), eines über wissenschaftlichtechnische Zusammenarbeit (ABl. 1996, Nr. L 74/26, geändert durch ABl. 1999, Nr. L 156/24) sowie eines über die Anwendung des Wettbewerbsrechts geschlossen (ABl. 1999, Nr. L 175/ 50). (bb) Lit.: A. Evans, The Integration of the European Community and Third States in Europe, 1996 Web: http://ec.europa.eu/comm/external_relations/us/ economic_partnership/trans_econ_partner_11_98.htm
Norderweiterung enlargement in the north – élargissement au nord
1973 wurde die Gemeinschaft erstmalig, um Großbritannien (GB), Dänemark und Irland, erweitert. Die relativ ausgeprägte ökonomische Abhängigkeit Dänemarks und insb. Irlands von GB legten einen gemeinsamen Beitritt nahe. Den zeitgleich vorgesehenen Beitritt Norwegens verhinderte eine negative Volksabstimmung (ĺNorwegen, Beitrittsbemühungen). GB hatte schon 1961 einen Antrag auf Beitritt gestellt. Dieser scheiterte jedoch an der kritischen Haltung GB gegenüber der ĺGAP und der Ablehnung des franz. Präsidenten de Gaulle, dem insb. die transatlantische Orientierung GB in der Außen- und Sicherheitspolitik widerstrebte. Veränderte politische und wirtschaftliche Verhältnisse ermöglichten schließlich 1972 nach kurzen ĺBeitrittsverhandlungen einen positiven Abschluss. (lo) §§: Beitrittsvertrag 1973, ABl. 27.3.1972, Nr. L 73 Lit.: H. Neisser/B. Verschraegen, Die Europäische Union, 2001, 24
Normenhierarchie, im europäischen Gesellschaftsrecht hierarchy of norms in European Company Law – l’hierarchie des normes en droit commercial européen
Gibt im Regelungsbereich der jeweiligen ĺVerordnung zu einer ĺsupranationalen Gesellschaftsform (ĺSocietas Europaea [SE], ĺSocietas Cooperativa Europaea [SCE], ĺEuropäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung [EWIV]) eine Reihenfolge der anzuwendenden Rechtsnormen vor (vgl. Art. 9 SE-VO, Art. 8 SCE-VO, Art. 2 EWIV-VO). Eine derartige Regelung ist erforderlich, da sämtliche bestehende supranationale Gesellschaftsformen vom ĺSekundärrecht nur unvollständig geregelt werden; die verbleibenden „Lücken“ bedürfen somit in ers667
Normenkontrolle, konkrete (deutsche Rechtslage) ter Linie der „Ausfüllung“ durch nationale Ausführungsgesetze (in Österreich: SEG, SCEG, EWIVG) des Staates, in dem sich der Hauptverwaltungssitz der Gesellschaft befindet. In zweiter Linie gelangt das jeweilige nationale Gesellschaftsrecht einer bestimmten nationalen Gesellschaftsform (SE: Aktienrecht; SCE: Genossenschaftsrecht; EWIV: Recht der Offenen Gesellschaft) zur Anwendung, sodass insgesamt aus 1. der VO (und der von der VO zugelassenen Satzungsbestimmungen) 2. der jeweiligen nationalen Ausführungsbestimmungen (und der von diesen zugelassenen Satzungsbestimmungen) und 3. nationalem Gesellschaftsrecht (und den von diesem zugelassenen Satzungsbestimmungen) im Sitzstaat ein vollständiges Gesellschaftsstatut der supranationalen Gesellschaftsform entsteht. (tr)
der konkreten Normenkontrolle nicht geltend gemacht werden. Dafür steht allein das ĺVorabentscheidungsverfahren zum EuGH zur Verfügung. Aus der ĺMaastricht-Entscheidung folgt jedoch, dass ein Normenkontrollantrag wegen Überschreitung der EG-Verbandskompetenz (ausbrechender ĺRechtsakt) oder wegen Verletzung der ĺIntegrationsschranken des Art. 23 Abs. 1 GG bei der Übertragung von ĺHoheitsrechten möglich ist. Das BVerfG ist bei der Auslegung des jeweiligen Gemeinschaftsrechtsaktes an die Rsp. des EuGH gebunden. Es kann lediglich die Unanwendbarkeit des Rechtsaktes in Deutschland feststellen, nicht aber seine Anwendbarkeit in einer vom EuGH abweichenden Auslegung (VielleichtEntscheidung). (sgk)
§§: Art. 9 SE-VO, Art. 8 SCE-VO, Art. 2 EWIV-VO Lit.: M. Straube/T. Ratka/R. Rauter, Entwicklung, Rechtsgrundlagen, Normenhierarchie und Grundkonzeption der SE, in: M. Straube/J. Aicher (Hrsg.), Handbuch zur Europäischen Aktiengesellschaft, 2006, 30 ff.
NORPEC ĺNetzwerk der regionalen Europaausschüsse
Normenkontrolle, konkrete (deutsche Rechtslage) Verfahren im deutschen Verfassungsprozessrecht, das den Fachgerichten eine Vorlage einfacher Gesetze an das ĺBVerfG ermöglicht, um ihre Vereinbarkeit mit dem GG zu klären. Das Verfahren kann nach der Rsp. des BVerfG prinzipiell auch zur Überprüfung von Gemeinschaftsrecht angewendet werden. Als Vorlagegegenstand kommen in analoger Anwendung insbesondere europäische ĺVerordnungen in Betracht, die durch deutsche Behörden oder Gerichte vollzogen werden (BVerfG-Entscheidungen ĺSolange I und ĺBananenmarktordnung). Soweit es um Grundrechtsverletzungen geht, sind Normenkontrollanträge zu europäischem ĺSekundärrecht jedoch regelmäßig unzulässig, weil das BVerfG seit ĺSolange II seinen ĺPrüfungsvorbehalt wesentlich zurückgenommen hat und die Grundrechtssicherung im Einzelfall dem ĺEuGH überlässt (ĺGrundrechte; ĺKooperationsverhältnis). Europäisches ĺPrimärrecht ist kein zulässiger Vorlagegegenstand. Statt dessen kann das inhaltsgleiche deutsche ĺZustimmungsgesetz vorgelegt werden (BVerfGE 22, 134; ĺVielleicht-Entscheidung). Prüfungsmaßstab des BVerfG ist das GG. Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht können mit 668
§§: Art. 100 Abs. 1 GG; §§ 80-82 BVerfGG
Norwegen, Beitrittsbemühungen Norway’s efforts for accession – Norvège, efforts d’adhésion
Aufgrund seiner starken handelspolitischen Verflechtung mit Großbritannien und Dänemark stellte das EFTA-Mitglied N. schon 1962 im Rahmen des ersten Versuches einer ĺNorderweiterung der Gemeinschaft einen Beitrittsantrag. Im zweiten Anlauf gelang es 1972 einen Dänemark, Großbritannien, Irland und N. umfassenden ĺBeitrittsvertrag (ABl. 27.3.1972, Nr. L 73) auszuhandeln. Aufgrund einer negativen, wenn auch nur beratenden, Volksabstimmung (53,5 % Nein-Stimmen) ratifizierte N. – im Gegensatz zu den anderen Staaten der Norderweiterung – den Vertrag jedoch nicht. Auch der bisher letzte Versuch eines ĺBeitritts Norwegens im Zuge der sog. ĺEFTA-Erweiterung (Beitrittsv. 1995, ABl. 1.1.1995, Nr. L 1) scheiterte 1994 an einem negativen Referendum (52,6 % Nein-Stimmen). Daher hat Norwegen – über seine EWR-Mitgliedschaft hinaus – durch politische und wirtschaftliche Abkommen seine Zusammenarbeit mit der EU vertieft (ĺEuropäische Freihandelszone, EFTALänder, Abkommen). (lo) Lit.: H. Neisser/B. Verschraegen, Die Europäische Union, 2001, 25 ff.
Notfall ĺKonsularischer Schutz
Nukleare Abfälle Nothaushaltsführung budgetary execution under exceptional circumstances – gestion budgétaire sous circonstances exceptionelles
Die Nothaushaltsführung nach Art. 273 EG sichert die unabdingbare finanzielle Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft, falls die Verabschiedung eines ĺHaushaltsplans scheitert und damit an sich keine haushaltsrechtliche Ausgabendeckung mehr besteht. Zur Nothaushaltsführung kann es auch kommen, falls der EuGH im Verfahren nach Art. 230 EG (Nichtigkeitsklage) einen Haushaltsplan für nichtig erklärt hat (vgl. C. Waldhoff, in: C. Calliess/M. Ruffert [Hrsg.], Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 273 EGV, Rn. 2). Das Nothaushaltsrecht ermächtigt im Wesentlichen zu monatlichen Ausgaben, die höchstens ein Zwölftel der im abgelaufenen Haushaltsjahr bereitgestellten Mittel und zudem höchstens ein Zwölftel der Mittel der in Vorbereitung befindlichen Haushaltsplanung betragen (Art. 273 Abs. 1 EG). Der Rat kann aber – bei nicht zwingenden Ausgaben unter Mitwirkung des Parlaments – mit qualifizierter Mehrheit Ausgaben genehmigen, die hierüber hinausgehen (Art. 273 Abs. 2 und 3 EG). Der Verfassungsvertrag sieht eine Einengung der administrativen Spielräume im Rahmen der Nothaushaltsführung dahingehend vor, dass die zur Verfügung stehenden Mittel für jedes Kapitel des ĺHaushaltsplans gesondert ermittelt werden (Art. 405-III Abs. 1 VVE). Was die Sätze der ĺEigenmittel der Gemeinschaft als deren primäre Finanzierungsquelle betrifft, enthält Art. 2 Abs. 6 des Eigenmittelbeschlusses (ABl. 2000, Nr. L 253/42) eine Sonderregelung für Fälle der Nothaushaltsführung: Ist der Haushaltsplan zu Beginn des Haushaltsjahres noch nicht angenommen, bleiben danach der einheitliche Mehrwertsteuer-Eigenmittelsatz und der auf die Bruttosozialprodukte der Mitgliedstaaten anwendbare Satz bis zum Inkrafttreten der neuen Sätze gültig. (gär) §§: Art. 273 EG; Art. 2 Abs. 6 Eigenmittelbeschluss (2000/596/EG, Euratom) Lit.: C. Waldhoff, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 273 EGV
Notifikationspflicht duty of notification – obligation de notification
Die Vorhaben zur Gewährung ĺneuer Beihilfen, die den Tatbestand des Art. 87 Abs. 1 EG erfüllen, haben die Mitgliedstaaten vor deren Einführung der Kommission zu notifizieren.
Aus Gründen der Rechtssicherheit ist trotz Zweifel an der Beihilfeeigenschaft die Anmeldung einer Maßnahme bei der Kommission zu empfehlen. Bestimmte Gruppen von Beihilfen sind bei Einhaltung festgesetzter Schwellenwerte (s. die einzelnen ĺGruppenfreistellungsVO) von der Notifikationspflicht ausgenommen. Eine Notifikation hat vor Abschluss des Normsetzungsverfahrens zu erfolgen. Das Gesetzgebungsverfahren sollte lediglich so weit fortgeschritten sein, dass von der Kommission beantragte Änderungen noch vorgenommen werden können. Für die Anmeldung ist das im Anhang I Teil I der ĺVO (EG) 794/2004 vorgesehene Anmeldeformular heranzuziehen. Art. 4 Abs. 2 VO (EG) 794/2004 sieht ein vereinfachtes Notifikationsverfahren für bestimmte Änderungen bereits genehmigter Beihilferegelungen vor. Wird die Notifkationspflicht verletzt, handelt es sich bei der durchgeführten Maßnahme um eine ĺrechtswidrige Beihilfe. (jr) §§: Art. 88 Abs. 3 EG Lit.: F. P. Sutter, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 63. Lfg. 2005, Art. 88 EGV, Rn. 29 ff.
Notklausel escape clause – clause échappatoire
Art. 12 VO (EWG) 3820/85. Dem Fahrer wird ausnahmsweise eine Abweichung von geltenden ĺLenk- und Ruhezeiten zugestanden, wenn im Interesse des Fahrzeugs, der Fahrgäste oder des Fahrguts ein geeigneter Halteplatz erreicht werden muss und sich dies mit der Verkehrssicherheit vereinbaren lässt. Laut ĺEuGH greift diese Ausnahmeregelung nur, wenn die Notwendigkeit einer Abweichung erst während der Fahrt deutlich wird. Die Entscheidung liegt ausschließlich beim Fahrer; eine entsprechende Planung durch das Unternehmen vor Antritt der Fahrt ist unzulässig. (sm) Rsp.: EuGH, Rs. C-235/94 Allan Jeffrey Bird, Slg. 1995, I-3933
Novel Food Verordnung regulation concerning novel foods – règlement relatif aux nouveaux aliments
S. ĺNeuartige Lebensmittel. (mkr) §§: VO (EG) 258/97
Nukleare Abfälle ĺRadioaktive Abfälle 669
Nukleare Sicherheit Nukleare Sicherheit nuclear safety – sécurité nucléaire
Zur Zeit der Abfassung des ĺEAGV wurde strikt zwischen Fragen der nuklearen Sicherheit, d.h. der technischen Sicherheit von Kernanlagen, und des ĺStrahlenschutzes unterschieden. Während der i.S.d. Strahlenschutzes verstandene ĺGesundheitsschutz anerkanntermaßen eine der Kernaufgaben der ĺEAG darstellte, war die nukleare Sicherheit den ĺMS vorbehalten. Namentlich die Genehmigung und der Betrieb von Kernanlagen (v.a. Atomkraftwerken) wurden in der ausschließlichen Zuständigkeit der MS angesiedelt. Bis heute finden sich im EAGV keine ausdrücklichen Bestimmungen zur Anlagensicherheit. Eine markante Weiterentwicklung wurde indes mit dem Beitritt der EAG zum Übereinkommen über nukleare Sicherheit von 1994 eingeleitet (ĺEuratom-Vertrag, Außenbeziehungen). Die ĺKommission begehrte beim ĺEuGH die Nichtigerklärung des Genehmigungsbeschlusses des ĺRates vom 7.12.1998, mit dem dieser festlegte, dass sich die Zuständigkeiten der EAG auf Angelegenheiten des Strahlenschutzes und Informationen im Notfall beschränkten. Der EuGH unterstrich in seinem Urteil (Rs. C-29/99), dass zwischen der Sicherheit von Strahlungsquellen und dem Strahlenschutz erhebliche Überschneidung bestehe und daher bei der Zuständigkeitsabgrenzung nicht künstlich zwischen den beiden zu unterscheiden sei. Die EAG hat demnach auf Grund von Art. 30-32 EAGV als Ergänzung der ĺGrundnormen die Kompetenz, im Hinblick auf den Gesundheitsschutz ein von den MS anzuwendendes Genehmigungssystem zu schaffen, das auch Standortwahl, Bau und Betrieb von Nuklearanlagen erfasst. Vor diesem Hintergrund hat die Kommission über den bisherigen soft-law-Ansatz (vgl. die unverbindlichen Entschließungen von 1975 und 1992) hinaus in einer Mitteilung von 2002 einen „new Community approach to nuclear safety“ i.S. eines integrierten Ansatzes angekündigt, der in den Gesundheitsschutzauftrag des EAGV ausdrücklich auch Aspekte der Anlagensicherheit mit einbezieht. Herzstück desselben ist ein 2003 vorgelegter und 2004 verbesserter RLVorschlag, der indes noch der Annahme harrt. Entgegen den Vorstellungen bei Schaffung des EAGV gehen die Zuständigkeiten auf Grundlage der Art. 30 ff. demnach aus heutiger Sicht über den Strahlen-/Gesundheitsschutz i.e.S. hinaus und umfassen auch Fragen der Anlagensicherheit, soweit sie einen Bezug zum Gesundheits670
schutz aufweisen. Der EAG kommt aber nach wie vor nicht zu, Bau und Betrieb von Kernanlagen selbst zu genehmigen. Überdies hat sie von den ihr zustehenden Kompetenzen im Bereich der nuklearen Sicherheit bisher nur beschränkt Gebrauch gemacht. Es gibt insofern nach wie vor keine verbindlichen europ. Sicherheitsstandards für Kernanlagen, namentlich für Atomkraftwerke. Allerdings hat die EU unter dem Eindruck des Reaktorunfalls von Tschernobyl im Rahmen der jüngsten Erweiterungsrunden ggü. den beitrittswilligen ĺMOEL insb. Verbesserungen im Bereich der nuklearen Sicherheit eingefordert. Diese wurden im Rahmen diverser Programme, v.a. von ĺPHARE und ĺTACIS, unterstützt. Damit hat sich die EU erstmals markant im Bereich der Betriebssicherheit von Atomkraftwerken engagiert. (atm) §§: Entschließungen des Rates vom 22.7.1975, ABl. 1975, Nr. C 185/1 und vom 18.6.1992, ABl. 1992, Nr. C 172/2; Mitteilung der Kommission vom 6.11.2002, Nukleare Sicherheit im Rahmen der EU, KOM(2002) 605 endg., 12 ff.; Geänderter Vorschlag für eine RL (Euratom) zur Festlegung grundlegender Verpflichtungen und allgemeiner Grundsätze im Bereich der Sicherheit kerntechnischer Anlagen vom 8.9.2004, KOM(2004) 526 endg. Lit.: C. Trüe, Legislative competences of Euratom and the European Community in the energy sector, EL Rev. 2003, 664 (673 ff.); W. Schroeder, Der EuratomVertrag, JA 1995, 728 (732 f.) Rsp.: EuGH, Rs. C-29/99 Kommission/Rat, Slg. 2002, I-11221, Rn. 74 ff. (vgl. auch Schlussanträge von GA Jacobs vom 13.12.2001, Rn. 123 ff.) Web: http://ec.europa.eu/energy/nuclear/safety/index_ en.htm; http://ec.europa.eu/energy/nuclear/legislation/ safety_en.htm
Nuklearrecht ĺEurop. Atomrecht Nulla poena (nullum crimen) sine lege „Keine Strafe ohne Gesetz“: Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafe. Die Strafe muss eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage haben. Es gibt ein grundrechtliches Analogieverbot im Strafrecht, grundrechtlich garantiert durch einen entsprechenden allgemeinen ĺRechtsgrundsatz im ĺPrimärrecht (vgl. auch Art. 7 ĺEMRK), nun vorgesehen in der ĺGRC. Eine Ausnahme des Rückwirkungsverbots betrifft besonders schwere Menschenrechtsverletzungen (insb. Verbrechen gegen die Menschlichkeit), die im Zeitpunkt der Begehung nicht strafbar waren, und nun dennoch bestraft werden dürfen. (ed) §§: Art. 49 GRC/Art. II-109 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 42; A. Eser, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 49
O Oberschwellenbereich ĺSchwellenwert Objektive Sperre (Dienstleistungsfreiheit) objective limits (freedom to provide services) – limites objectives (libre prestation de services)
Objektive Sperren für ĺDienstleistungen stellen insbesondere allgemeine Tätigkeitsverbote dar. Gleiches gilt für Tätigkeitsverbote im Zusammenhang mit staatlichen ĺDienstleistungsmonopolen. Objektive Sperren können aus objektiven Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. Für ĺDienstleistungsmonopole ergibt sich eine weitere Möglichkeit der Rechtfertigung aus dem in Art. 86 Abs. 2 EG verankerten Privileg für Unternehmen, die mit ĺDienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind. (sh) §§: Art. 49, 86 EG Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 92 Rsp.: EuGH, Rs. C-275/92 Schindler, Slg. 1994, I-1039; EuGH, Rs. C-67/98 Zenatti, Slg. 1999, I-7289
biet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (OECD-MA 2003) ist die aktuelle (deutschsprachige) Fassung der Vorlage sämtlicher ĺDoppelbesteuerungsabkommen. Der in den jeweiligen DBA konkretisierte Rechtstoff kann auf Grundlage des OECD-MA wie folgt gegliedert werden: ƒ Regelung des Anwendungsbereiches ƒ Definition bestimmter im Abkommen verwendeter Ausdrücke ƒ Zuteilung der Besteuerungsreche (= Zuteilungsregeln) ƒ Festlegung der Methode, die zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anzuwenden ist ƒ Sonstige Bestimmungen (Diskriminierungsverbote; Verständigungsverfahren; Informationsaustausch) Seitens des OECD-Steuerausschusses wurde überdies ein Kommentar zum OECD-MA herausgegeben, welcher den einzelnen Mitgliedstaaten, wie das OECD-MA selbst, als Auslegungshilfe im Sinne der Wiener Vertragsrechtskonvention dienen soll. (pu)
Objektiver Kostenmaßstab ĺAltmark-Kriterien
Web: Tax Treaty Site der OECD http://www.oecd.org/ topic/0,2686,en_2649_33747_1_1_1_1_37427,00.html
Obligatorische Anhörung ĺAnhörung, obligatorische
OEEC ĺOrganisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit
Observation, grenzüberschreitende ĺgrenzüberschreitende Observation OCCAR ĺRüstungsagentur, europäische OECD ĺOrganisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD Musterabkommen OECD Model Tax Convention – OCDE Modèle de convention
Das OECD-Musterabkommen 2003 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Ge-
Offene Methode der Koordinierung Open Method of Coordination (OMC) – méthode ouverte de coordination
Die Offene Methode der Koordinierung (OMK) ist ein neueres Phänomen der EU-Zusammenarbeit, die auf dem Ratstreffen von Lissabon im März 2000 eingeführt wurde. Dieses neue Politikinstrument ist als Alternative zur Gemeinschaftsmethode entstanden und findet in unterschiedlicher Ausprägung mittlerweile in praktisch allen Bereichen der EU-Zusammenarbeit Anwendung. Als Prototyp gilt die Beschäftigungspolitik, in der die Mitgliedstaaten für eine bestimmte Politik gemeinsame Ziele 671
Offenes Verfahren definieren, die Erreichung dieser Ziele mit Indikatoren und Benchmarks sowie quantifizierten Zielvorgaben verbinden und eine regelmäßige Berichterstattung der Mitgliedstaaten über die Fortschritte auf dem Weg zur Erreichung dieser Ziele vorsehen. Im Bildungsbereich findet die OMK unter dem Stichwort „Arbeitsprogramm der EU-Bildungsminister“ statt; im Forschungsbereich findet sie Anwendung bei dem Weg zur Erreichung des ĺBarcelona-Ziels. (hk) Lit.: Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.), Europäische Zusammenarbeit in Bildung und Forschung. Eine Handreichung, 2005, 11; A. Schäfer, Beyond the Community Method: Why the Open Method of Coordination Was introduced to EU Policymaking, EIoP Vol. 8 (2004) 13; P. P. Craig, EU administrative law, 2006; European Union Scientific and Technical Research Committee, CREST report on the application of the open method of coordination in favour of the Barcelona research investment objective, 2005 Web: http://ec.europa.eu/invest-in-research/coordina tion/coordination01_en.htm; http://eiop.or.at/eiop/pdf/ 2004-013.pdf
Offenes Verfahren open procedure – procédure publique
Bei einem offenen Verfahren im Sinn des ĺVergaberechts wird eine unbeschränkte Anzahl von ĺWirtschaftsteilnehmern vom öffentlichen ĺAuftraggeber zur Angebotsabgabe aufgefordert; jeder interessierte Wirtschaftsteilnehmer kann somit ein ĺAngebot abgeben. (S. allgemein zu den Verfahrensarten das ĺVergabeverfahren.) (cm) §§: Art. 1 Abs. 11 lit. a VergabeRL Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 196 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
seits um eine ĺBeschränkung handeln kann. Diskriminierend sind etwa nationale Vorschriften nach denen ausländische Bieter höhere Sicherheiten oder besondere Zuverlässigkeitsnachweise stellen müssen oder durch die Ausschreibung gezwungen sind, ausschließlich oder überwiegend inländische Produkte zu verwenden (Rs. 76/81 Transporoute, Slg. 1982, 417). Ebenso als diskriminierend einzustufen sind Vorschriften nach denen die Bieter ausschließlich oder überwiegend inländische Arbeitskräfte beschäftigen sowie inländische Baustoffe, Verbrauchsgüter und Geräte verwenden müssen (Rs. C-243/89 Kommission/Dänemark, Slg. 1993, I-3353 – Brücke über den „Storebaelt“). Eine Diskriminierung ist weiters auch dann gegeben, wenn eine Ausschreibung unter Bezugnahme auf ein Produkt mit einem bestimmten Warenzeichen oder einer bestimmten technischen Spezifikation erfolgt, ohne dass der Ausschreibung der Zusatz „oder gleichwertiger Art“ hinzugefügt wurde (Rs. C-359/93 Kommission/ Niederlande, Slg. 1995, I-157). (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: K. Hailbronner, B2 Marktfreiheiten und Vergaberichtlinien, Rn. 11 ff., in: M. Hilf/K. Hailbronner (Hrsg.), Grabitz/Flilf: das Recht der europäischen Union, Kommentar, Band 3: Sekundärrecht (Loseblattsammlung. Stand 2006); P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 12.99 ff.; K. Stolz, das öffentliche Auftragswesen in der EG, 1991, 7 Rsp.: EuGH, Rs. 76/81 Transporoute, Slg. 1982, 417; EuGH, Rs. 103/84 Kommission/Italien, Slg. 1986, 1759; EuGH, Rs. C-243/89 Kommission/Dänemark (Brücke über den „Storebaelt“), Slg. 1993, I-3353; EuGH, Rs. C-359/93 Kommission/Niederlande, Slg. 1995, I-157
Öffentliche Ordnung ĺOrdre public
Öffentliche Auftragsvergabe (freier Warenverkehr)
Öffentliche Ordnung (freier Warenverkehr)
public procurement (free movement of goods) – marchés publics (libre circulation des marchandises)
public policy (free movement of goods) – ordre public (libre circulation des marchandises)
Nationale Vorschriften, die die grenzüberschreitende Vergabe öffentliche Aufträge be- bzw. verhindern, können als ĺMaßnahmen gleicher Wirkung i.S.v. Art. 28 EG qualifiziert werden, da diese den ĺfreien Warenverkehr mit ausländischen Waren (ĺGemeinschaftsware, ĺWare im freien Verkehr) beeinträchtigen können. Bei diesen Beeinträchtigungen handelt es um produktbezogene Maßnahmen (ĺProduktvorschriften, ĺKeck-Formel), wobei es sich bei der konkreten staatlichen Maßnahmen einerseits um eine ĺDiskriminierung, ander-
In Art. 30 EG verankerter Rechtfertigungsgrund (ĺRechtfertigungsgründe für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen) Die öffentliche Ordnung ist gefährdet, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft (vgl. EuGH, Rs. 30/77 Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 33/35). Dieser Rechtfertigungsgrund spielt hinsichtlich Art. 28 EG eine eher untergeordnete Rolle. Von diesem Rechtfertigungsgrund erfasst ist etwa die Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten (EuGH,
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Öffentliche Sittlichkeit (freier Warenverkehr) Rs. 154/85 Kommission/Italien [Verhinderung der Einfuhr gestohlener Fahrzeuge], Slg. 1987, 2717) oder die Beschränkung der Einfuhr alkoholischer Getränke durch Reisende aus Drittländern (EuGH, Rs. C-394/97 Heinonen, Slg. 1999, I-3599, Rn. 34). Eine mitgliedstaatliche Maßnahme, die der öffentlichen Ordnung dient, muss weiters auch verhältnismäßig sein (ĺVerhältnismäßigkeitsprinzip) Neben der öffentlichen Ordnung ist in Art. 30 EG auch noch die thematisch nahestehende ĺöffentliche Sicherheit verankert. (rp)
kehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen). Die öffentliche Sicherheit erfasst die innere und äußere Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaates. Darunter fällt etwa ein Exportverbot für strategisches und kriegswichtiges Material, wenn er der Vermeidung äußerer Bedrohungen dient (Rs. C-367/89 Richardt, Slg. 1991, I-4621, Rn. 22) oder mitgliedstaatliche Maßnahmen, die zur Aufrechterhaltung des Gemeinwesens und des Überlebens der Bevölkerung unverzichtbar sind (Rs. 72/83 Campus Oil, Slg. 1984, 2727, Rn. 35). (rp)
§§: Art. 30 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 97; W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 945 ff.; P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 8.48 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 30/77 Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 33/35; EuGH, Rs. 154/85 Kommission/Italien (Verhinderung der Einfuhr gestohlener Fahrzeuge), Slg. 1987, 2717, Rn. 13 f.; EuGH, Rs. C-394/97, Heinonen, Slg. 1999, I-3599, Rn. 34
§§: Art. 30 EG Lit.: W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 945; P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 8.52 ff. Rsp.: Rs. C-367/89 Richardt, Slg. 1991, I-4621, Rn. 22; Rs. 72/83 Campus Oil, Slg. 1984, 2727, Rn. 35
Öffentliche Ordnung und Sicherheit (Kapitalverkehrsfreiheit) public policy and public secusrity, free movement of capital – ordre public et sécurité publique, libre circulation des capitaux
Rechtfertigungsgrund nach Art. 58 Abs. 1 lit. b EG für Eingriffe in die Kapitalverkehrsfreiheit. Wie bei allen Grundfreiheiten ist für das Verständnis der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht ein mitgliedstaatlicher, sondern ein einheitlicher gemeinschaftsrechtlicher Maßstab anzulegen. Im Übrigen ist er als „Ausnahme von dem grundlegenden Prinzip des freien Kapitalverkehrs“ eng auszulegen. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist demnach betroffen, wenn „eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“ (EuGH, Rs. C-54/99 Église de scientologie, Slg. 2000, I-1335, Rn. 17). Ein solches Interesse hat der EuGH z.ಞB. in den militärischen Interessen eines Mitgliedstaat (EuGH, Rs. C-423/98 Albore, Slg. 2000, I-5965, Rn. 22) oder der Sicherung einer Mindestversorgung mit Erdölprodukten (EuGH, Rs. C-483/99 Kommission/Frankreich, Slg. 2002, I-4781, Rn. 49) gesehen. (mk) Öffentliche Sicherheit (freier Warenverkehr) public security (free movement of goods) – sécurité publique (libre circulation des marchandises)
In Art. 30 EG verankerter Rechtfertigungsgrund (ĺRechtfertigungsgründe für die Warenver-
Öffentliche Sittlichkeit (freier Warenverkehr) public morality (free movement of goods) – moralité publique (libre circulation des marchandises)
In Art. 30 EG verankerter Rechtfertigungsgrund (ĺRechtfertigungsgründe für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen). Unter der öffentlichen Sittlichkeit sind die Moralvorstellungen zu verstehen, nach denen sich das Zusammenleben der Menschen im betreffenden Mitgliedstaat gestalten soll. Die zu diesem Rechtfertigungsgrund ergangen Entscheidungen betrafen hauptsächlich Einfuhrbeschränkungen für Waren mit sexuellem Bezug (z.B. pornographisches Material). Grundsätzlich ist es Sache des jeweiligen Mitgliedstaates, auf Grundlage der eigenen Werteskala die Anforderungen der öffentlichen Moral in seinem Hoheitsgebiet festzulegen (EuGH, Rs. 34/79 Henn und Darby, Slg. 1979, 3795, Rn. 15; EuGH, Rs. 121/85 Conegate, Slg. 1986, 1007, Rn. 14 f.). Bei dieser Beurteilung räumt der EuGH dem Mitgliedstaat einen entsprechend großen Ermessensspielraum reim. Eine Berufung auf die öffentliche Sittlichkeit ist aber nur dann erfolgreich, wenn der betreffende Mitgliedstaat gegen die im Inland hergestellten Waren anstößigen oder obszönen Charakters mit der gleichen Strenge vorgeht wie gegen Einfuhrwaren (EuGH, Rs. 121/85 Conegate, Slg. 1986, 1007, Rn. 15). Kurzum, der Mitgliedstaat muss diesbezüglich die inländischen und ausländischen Waren an den gleichen sittlichen Standards messen. Er darf letztere somit nicht strengere sittliche Kriterien anlegen als an die inländischen Produkte. (rp) §§: Art. 30 EG
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Öffentliche Unternehmen (Beihilfenrecht) Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 95 ff.; W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 941 ff.; P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 8.41 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 34/79 Henn und Darby, Slg. 1979, 3795, Rn. 15; EuGH, Rs. 121/85 Conegate, Slg. 1986, 1007, Rn. 14 f.
Öffentliche Unternehmen (Beihilfenrecht) public undertakings (EC state aid law) – entreprises publiques (droit des aides d’État)
Unter öffentlichen Unternehmen werden (privatrechtliche oder öffentlich rechtlich gegründete) Wirtschaftseinheiten verstanden, die unter der Kontrolle bzw. im Einflussbereich der öffentlichen Hand stehen. Dieser Einfluss des Staates kann durch Eigentumsverhältnisse, finanzielle Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, gegeben sein. Neben der mehrheitlichen Beteiligung am Kapital eines Unternehmens oder der Entsendung der Mehrheit der Vertreter in ein Entscheidungsgremium eines Unternehmens, kann für die Annahme eines öffentlichen Unternehmens i.S.d. Beihilfenrechts die Tatsache ausreichen, dass der Staat das Unternehmen kontrolliert. Dies ist etwa anzunehmen, wenn Vorstandsund Aufsichtsratmitglieder vom Ministerpräsidenten per Dekret ernannt werden oder aber eine mittelbare Einflussnahme der Muttergesellschaft auf ihre Tochtergesellschaften durch konzerninterne Vereinbarungen stattfindet. Ebenso kann der Einfluss durch mehrere juristische Personen des Staates (z.B. durch einen Syndikatsvertrag) ausgeübt werden. Die Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Unternehmen ist von zentraler Bedeutung für die Anwendung der Beihilfevorschriften. Gewährt ein öffentliches Unternehmen eine Begünstigung ist von staatlichen Mitteln auszugehen; hingegen unterliegen Maßnahmen privater Einheiten, die nicht im Einflussbereich des Staates stehen, nicht dem Beihilfenregulativ. Die ĺMitgliedstaaten werden durch die ĺTransparanz-Richtlinie dazu verpflichtet, ihre finanziellen Beziehungen zu öffentlichen Unternehmen der Kommission offen zu legen. Ebenso haben öffentliche Unternehmen, die mit ĺausschließlichen oder ĺbesonderen Rechten ausgestattet sind, sowie öffentliche Unternehmen, die mit der Erbringung einer ĺDienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse 674
betraut sind und für die Erbringung dieser Dienstleistungen staatliche Beihilfen empfangen und in verschiedenen Geschäftsbereichen tätig sind, eine getrennte Buchführung der verschiedenen Geschäftsbereiche vorzuweisen (s. näher ĺTransparenz-Richtlinie). (jr) §§: Art. 86 Abs. 1 EG, Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33, Rn. 40 ff.
Öffentlicher Auftrag ĺAuftrag, öffentlicher Öffentlicher Auftraggeber ĺAuftraggeber, öffentlicher Öffentlicher Bauauftrag ĺBauauftrag, öffentlicher Öffentlicher Baukonzessionsauftrag ĺBaukonzessionsauftrag, öffentlicher Öffentlicher Dienst ĺBeamter Öffentlicher Dienstleistungsauftrag ĺDienstleistungsauftrag, öffentlicher Öffentlicher Lieferauftrag ĺLieferauftrag, öffentlicher Öffentlicher Rundfunk Public broadcasting – Télévision publique
In allen Mitgliedstaaten Europas basiert das Rundfunksystem auf zwei Säulen: dem öffentlichen und privaten Hörfunk und Fernsehen (= duales Rundfunksystem). D.h., öffentlichrechtliche und private kommerzielle (sowie nicht-kommerzielle) Rundfunkanbieter existieren auf den Rundfunkmärkten in unterschiedlicher Trägerschaft nebeneinander. Das Bestehen öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten ist in der besonderen demokratie- und kulturpolitischen Bedeutung des Rundfunks und dem grundsätzlichen „Angewiesensein“ sowohl des Staates als auch seiner Bürger auf diese Dienstleistung, begründet. Das Konzept des öffentlichen Rundfunks ist also das eines staatlich verantworteten gemeinnützigen „public service“ Rundfunks. Charakteristisch an diesem Konzept ist (in einem groben Überblick):
Öffnungszeiten (freier Warenverkehr) ƒ ƒ
die staatliche Trägerschaft der Organisation, ein klar definierter Aufgabenbereich (= der öffentliche Auftrag), ƒ die Unabhängigkeit der Anstalt sowohl von staatlichen als auch kommerziellen Einflüssen und ƒ die staatliche Finanzierung über ĺRundfunkgebühren. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene wird die besondere Bedeutung und Funktion des öffentlichen Rundfunks durch die ausdrückliche Festlegung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Einrichtung einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt im sog. Amsterdamer Protokoll verankert. Nach diesem Protokoll berühren die Bestimmungen des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (insb. die Binnenmarktregeln und hier wiederum insb. das Beihilfenrecht) nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finanzieren. Dies wird unter Bezugnahme seiner herausragenden Rolle für das soziale, demokratische und kulturelle Leben in der Europäischen Union auch nochmals in einer Entschließung des Rates (ABl. 1999, Nr. C 30/01), in einer Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über Staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ABl. 2001, Nr. C 320/4) und schließlich im Grünbuch zu den ĺDienstleistungen von allgemeinem Interesse (KOM[2003] 270) bekräftigt. Die in diesen Dokumenten verankerte Freiheit der Mitgliedstaaten selbst über die Aufgaben ihrer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu bestimmen, erfährt allerdings eine wesentliche Einschränkung über den generell für ĺDienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in Art. 86 Abs. 2 EG normierten ĺVerhältnismäßigkeitsgrundsatz. Im Kern trägt dieser den Mitgliedstaaten bei der Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten in Bezug auf den öffentlichrechtlichen Rundfunk die Einhaltung der Wettbewerbsregeln des EGV auf, sofern dadurch nicht die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags verhindert wird. Aktuell werden die mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten in diesem Bereich durch die Überprüfung der Finanzierungssysteme der öffentlichen Rundfunkanstalten am europäischen Beihilfenrecht durch die Europäische Kommission maßgeblich beschnitten. (dd) Lit.: E. Barendt, Broadcasting Law, 1995, 32 ff.
Öffentliches Auftragswesen ĺVergaberecht Öffentliches Auftragswesen, allgemein ĺAuftragswesen, öffentliches Öffentliches Wiedergaberecht ĺRecht der öffentlichen Wiedergabe Öffentlichkeit (Gentechnik) ĺUnterrichtung der Öffentlichkeit Öffentlichkeit der Datenverarbeitung publicizing of processing operations – publicité des traitements des données
Die RL 95/46/EG (ĺDatenschutzrichtlinie) sieht vor, dass bei der ĺVerarbeitung von Daten ein gewisser Grad an Öffentlichkeit sichergestellt wird. So müssen für jede Datenverarbeitung folgende Informationen für die Öffentlichkeit zugänglich sein: ƒ Name und Anschrift des für die Verarbeitung Verantwortlichen und gegebenenfalls seines Vertreters, ƒ die Zweckbestimmung der Verarbeitung, ƒ eine Beschreibung der Kategorien der betroffenen Personen und der diesbezüglichen Daten oder Datenkategorien, ƒ die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, denen die Daten mitgeteilt werden können und ƒ eine geplante Datenübermittlung in Drittländer. Für meldepflichtige Datenverarbeitungen (ĺMeldung der Datenverarbeitung) ist die Öffentlichkeit über ein von der ĺKontrollstelle geführtes allgemein einsehbares Register zu gewährleisten. In Bezug auf nicht meldepflichtige Datenverarbeitungen hat der jeweilige ĺVerantwortliche für die Datenverarbeitung jedermann auf Anfrage Einblick in diese Informationen zu gewähren. (al) §§: Art. 21 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 255; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 271
Öffnungszeiten (freier Warenverkehr) opening hours (free movement of goods) – horaire d’ouverture (libre circulation des marchandises)
Vor ĺKeck vertrat der ĺEuGH die Ansicht, dass Regelungen über die Ladenschlusszeiten 675
OHIM zu einer Beeinträchtigung bezüglich des Vertriebs der ĺWare führen können; z.B. würden sich strengere Öffnungszeiten negativ auf das Einfuhrvolumen auswirken (Conforama-Entscheidung u.a. Rn. 8). Nach ĺKeck ist jedoch klar gestellt, dass mitgliedstaatliche Regelungen der Ladenöffnungszeiten nicht mehr als Beeinträchtigungen angesehen werden, sofern importierte und inländische ĺWaren gleichermaßen betroffen sind (Punto Casa SpA-Entscheidung). Eine nationale Regelung des Geschäftsschlusses, die für alle Wirtschaftsteilnehmer gilt, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben und die den Absatz der inländischen und der Erzeugnisse aus anderen ĺMitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berührt, fällt nicht unter den Verbotszweck des Art. 28 EG. (güh) Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28 EGV, Rn. 165 Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-69/93 und C-258/93 Punto Casa SpA, Slg. 1994, I-2355; EuGH, verb. Rs. C-401/ 92 und C-402/92 Tankstation, T Heuske vof und J. B. E. Boermans, Slg. 1994, I-219; EuGH, Rs. C-312/89 Conforama u.a., Slg. 1991, I-997
OHIM ĺHarmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (OHIM) Öko-Audits eco-audit – audit environnemental
Auch als Umwelt-Audits bezeichnetes gemeinschaftliches System für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung. Politisches Ziel ist es, die Eigenverantwortung der Industrie für die Bewältigung der Umweltfolgen ihrer Tätigkeit ins Bewusstsein zu bringen und zu stärken. Auf europäischer Ebene ist in erster Linie die Umwelt-Audit-Verordnung 761/2001/EG zu beachten, welche als „EMAS II“ bezeichnet wird und die ältere Verordnung „EMAS I“ ablöste (EMAS: Eco-Management and AuditScheme). Die Verordnung steht in einem gewissen Konkurrenzverhältnis zur weltweit geltenden Norm ISO 14001. Ziel der EMAS II-VO ist die Schaffung eines Anreizes für gewerbliche Unternehmungen, leistungsfähige betriebliche Umweltschutzinstrumentarien einschließlich sog. Audit-Programme einzurichten und die Öffentlichkeit auf der Grundlage interner Selbstüberprüfungen über die umweltorientierten Leistungen der Unter676
nehmungen zu informieren. Die Teilnahme erfolgt zwar freiwillig, wenn sie aber erfolgt, sind alle Verfahrensschritte verpflichtend einzuhalten, beginnend mit der Festlegung einer Umweltpolitik als Ganzes für das Unternehmen (Einhaltung bestehender Umweltvorschriften, Verbesserung des betrieblichen Umweltschutzes nach Maßgabe der besten verfügbaren Technik unter Beachtung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit). Sodann bedarf es der Einhaltung weiterer Verfahrensschritte (u.a Schaffung eines Umweltprogramms und eines Umweltmanagement, Durchführung einer Umweltbetriebsprüfung, Abgabe einer von zugelassenen Umweltprüfern validierten Umwelterklärung). Das System ist dynamisch und auf Dauer angelegt, verlangt daher eine periodische Bewertung und eine ständige Verbesserung der umweltbezogenen Leistungen der beteiligten Unternehmen. Die Eintragung des Standorts erfolgt in ein im ĺABl. der EG veröffentlichtes Verzeichnis durch die ĺKommission. (sm) §§: VO (EG) 1836/93, ABl. 1993, Nr. L 168/1; VO (EG) 761/2001, ABl. 2001, Nr. L 114/1
Ökopunktesystem System of Ecopoints (rights of transit) – Système d’écopoints (de droits de transit)
Dieses System bildet das Kernstück des ĺTransitprotokolls. Seine Zielsetzung ist die Reduktion der NOx-Gesamtemissionen von Lkw im Transit durch Österreich um 60 % bis 31.12. 2003. Mit dem Protokoll wurde eine doppelte Limitierung des Transitverkehrs versucht: einerseits durch die Einräumung beschränkter Transitrechte (= Ökopunkte), anderseits durch eine Plafondierung des Verkehrs im Wege einer Beschränkung der zulässigen Fahrten in absoluten Zahlen (Referenzwert; 108 % Klausel). Dabei erfolgte jährlich die Ermittlung einer Ökopunkte-Anzahl (entsprechende Anzahl der Fahrten im Referenzjahr 1991), multipliziert mit dem prognostizierten durchschnittlichen NOx-Vorgabewert für das betreffende Jahr. Für jeden Lkw ist bei einer Transitfahrt durch Österreich eine bestimmte Anzahl von Ökopunkten zu entrichten, wobei die Aufteilung der Ökopunkte auf die MS nach einem festen Schlüssel erfolgt. Der dahinterstehende Grundgedanke war die Festlegung einer bestimmten Obergrenze für Gesamtemissionen von Lastwagen im Transitverkehr. Daraus resultieren Emissionsrechte („Ökopunkte“), die unter den MS der EU verteilt werden. Nach
Omega-Entscheidung Auslaufen dieses Systems wurden durch die VO (EG) 2327/2003 Übergangsvorschriften geschaffen. Nach diesen ist vorgesehen, dass es nach 2006 zu keiner Anwendung einer auf Punkten basierenden Übergangsregelung kommen soll. Gegenüber dem status quo ante sind modifizierte Bestimmungen vorgesehen, wie etwa, dass die auf Punkten basierende Übergangsregelung nicht für den Transit von Schwerlastkraftwagen gilt, die andernfalls (nur) 5 Punkte oder weniger verbrauchen würden. (sm) §§: VO (EG) 3298/94, ABl. 1994, Nr. L 341/20; KOM(2000) 862 Lit.: W. Hummer, Prolongierungsmöglichkeit des „Ökopunktemodells“ bzw. dessen Schadstoffreduktion über die Laufzeit des Transotprotokolls (2003/2004) hinaus?, ZVR 2001, 146 ff.; M. E. Sallinger, „Hoffnungslos ausgeliefert – rechtlich geschützt?“ – Ausgewählte Rechtsfragen zum alpenquerenden Straßentransit in Tirol, AnwBl. 2004, 384 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-112/00 Schmidberger, Slg. 2003, I-5659
Öko-Verordnung regulation on organic production – règlement concernant le mode de production biologique
Um den charakteristischen Anforderungen von Agrarerzeugnissen Rechnung zu tragen, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die VO (EWG) 2092/ 91 über den ökologischen Landbau (ĺbiologische Landwirtschaft) und die entsprechende Kennzeichnung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und ĺLebensmittel (sog. Öko-Verordnung) erlassen. Die Verordnung bestimmt als gemeinschaftsweite Rahmenvorschrift unter welchen Voraussetzungen ein Produkt als aus dem ökologischen Landbau stammend qualifiziert werden darf. Sie ergänzt die Vorschriften der allgemeinen ĺLebensmittelkennzeichnung um spezifische, gemeinschaftsweit einheitliche Kennzeichnungsvorschriften für landwirtschaftliche Erzeugnisse, um die durch eine unterschiedliche Etikettierung in den einzelnen Mitgliedstaaten bedingten potenziellen Handelshindernisse zu vermeiden. Die Öko-Verordnung dient damit „dem Ausgleich der aktuellen Bedürfnisse des Gemeinsamen Marktes für Lebensmittel, den Zielen der Gemeinsamen Agrarpolitik und den Zielen des Verbraucherschutzes“ (EuGH, Rs. C-107/04, Slg. 2005, I-7137, Rn. 19). In den sachlichen Anwendungsbereich der ÖkoVerordnung fallen bestimmte, näher definierte Produkte, die als aus ökologischem Landbau stammend gekennzeichnet sind oder gekennzeichnet werden sollen. Nach Art. 2 der Öko-
Verordnung gilt ein Erzeugnis als aus ökologischem Anbau gekennzeichnet, wenn in der Etikettierung, der Werbung oder den Geschäftspapieren das Produkt oder seine Bestandteile durch Angaben gekennzeichnet werden, die dem Käufer den Eindruck vermitteln, dass das Erzeugnis oder seine Bestandteile nach den in Art. 6 und 7 der Verordnung näher festgelegten Erzeugungsregeln gewonnen wurde. Art. 2 der Öko-Verordnung enthält schließlich eine beispielhafte Aufzählung von Begriffen, die diese Voraussetzungen erfüllen (z.B.: „ökologisch“ [spanisch, dänisch, schwedisch, finnisch]/„ökologisch“ [griechisch, italienisch, niederländisch, portugisisch]). (mkr) §§: VO (EWG) 2092/91, zuletzt geändert durch die VO (EG) 1991/2006 Lit.: M. Kraus, Great Spirit, No Glory? – Probleme des neuen europäischen Lebensmittelrechts, EWS 2005, 498 ff.; H. Rützler, Kennzeichnungsrecht, in: R. Streinz (Hrsg.), Lebensmittelrechts-Handbuch, 27. Lfg. 2007, II.C. Rsp.: EuGH, Rs. C-107/04 Comité Andaluz de Agricultura Ecológica, Slg. 2005, I-7137
OLAF Office européen de Lutte Anti-Fraud ĺEuropäisches Amt für Betrugsbekämpfung OLAF-Verordnung OLAF-directive – OLAF-directive
Die als OLAF-Verordnung bezeichnete VO (EG) 1073/1999 und die parallele VO (Euratom) 1074/99 legen den Rahmen für die Durchführung von externen und internen Verwaltungsuntersuchungen durch das ĺEuropäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) fest, verweisen dabei aber zugleich auf weitere Befugnis regelnde Vorschriften des Gemeinschaftsrechts. (sts) §§: VO (EG) 1073/99, ABl. 1999, Nr. L 136/1; VO (Euratom) 1074/99, ABl. 1999, Nr. L 136/8
Ombudsman ĺEuropäischer Bürgerbeauftragter Omega-Entscheidung Omega case – jurisprudence Omega
Urteil des EuGH vom 14.10.2004, Rs. C-36/02 Omega, Slg. 2004, I-9609, zum Verhältnis von europäischen ĺGrundfreiheiten und ĺGrundrechten: Die Partei des nationalen Verfahrens betrieb in Deutschland eine Anlage mit dem Namen „Laserdrome“ und bediente sich dabei einer Ausrüstung, die aus Großbritannien ge677
OMK liefert wurde. Der ĺEuGH hatte sich in der Folge mit der Frage zu befassen, ob es mit dem freien ĺDienstleistungs- und ĺWarenverkehr vereinbar sei, dass nach nationalem Recht eine bestimmte gewerbliche Betätigung untersagt werde, weil sie gegen die grundgesetzlichen Wertentscheidungen verstoße. Dem betroffenen Betrieb war untersagt, die Anlage nach einer im Vereinigten Königreich rechtmäßig vermarkteten Spielvariante zu betreiben (ĺDienstleistungsverkehr). Da das Spiel die Benutzung einer besonderen Ausrüstung inkludiert, die ebenfalls rechtmäßig im Vereinigten Königreich vermarktet wurde, war der Betrieb daran gehindert, die fragliche Ausrüstung zu erwerben, wodurch sich der ĺfreie Warenverkehr beschränkte. Eine nationale Maßnahme ist aber, wenn sie sowohl den freien Dienstleistungsverkehr als auch den freien Warenverkehr beeinträchtigt, grundsätzlich nur in Hinblick auf eine dieser beiden ĺGrundfreiheiten zu prüfen, wenn sich herausstellt, dass eine der beiden Freiheiten der anderen gegenüber völlig zugeordnet werden kann. Im konkreten Fall trat der Aspekt der ĺWarenverkehrsfreiheit hinter den der ĺDienstleistungsfreiheit zurück. Die ĺEinfuhr von ĺWaren war nur hinsichtlich der speziell für die verbotene Laserspielvariante entwickelten Ausrüstung untersagt und dies war eine zwangsläufige Folge der Beschränkung in Bezug auf die erbrachte ĺDienstleistung. Somit stellt dieses Verbot, das sich gegen ein Unternehmen, das als Franchise-Nehmer auftritt, richtet, eine Beschränkung des freien ĺDienstleistungsverkehrs dar, doch ist ein solches Verbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt, weil die angestrebte Tätigkeit eine Verletzung der Menschenwürde darstellen kann (ĺzwingende Gründe des Allgemeininteresses). Bei dem rechtfertigenden Grundrecht kann es sich nicht um eine bloß nationale Garantie handeln, dies schon im Interesse einer einheitlich Anwendung von EU-Recht (so schon EuGH, Rs. 11/70 IHG, Slg. 1970, 1125). Vielmehr wendet der EuGH ein europäisches Grundrecht, die ĺMenschenwürde, an. Hier ist also eine doppelte Kontrolle erforderlich: vor dem Hintergrund des nationalen und des europäischen Grundrechts. Der EuGH anerkennt jedoch explizit, dass gerade der Schutz der Menschenwürde sowie des Persönlichkeitsrechts in den einzelnen Mitgliedstaaten nach unterschiedlichen Standards gewährleistet sein kann. 678
Die Aussage, dass der Schutz europäischer Grundrechte zulässiges Beschränkungsmotiv von Grundfreiheiten sein kann, enthält zuvor schon EuGH, Rs. C-112/00 ĺSchmidberger, Slg. 2003, I-5659 („Brenner Blockade“). Der EuGH bestimmt mit dieser Rsp. die Reichweite der Grundfreiheiten mit Hilfe der Grundrechte. (ed) (ah) (sh) Lit.: W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EGV, Rn. 81; A. Schultz, Das Verhältnis von Gemeinschaftsgrundrechten und Grundfreiheiten des EGV, 2005; D. Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005. Rsp.: EuGH, Rs. C-36/02 Omega, Slg. 2004, I-9609; vgl. EuGH, Rs. C-112/00 ĺSchmidberger, Slg. 2003, I-5659; EuGH, verb. Rs. C-465/00, C-138/01 und C139/01 Rechnungshof gg. ORF u.a., Slg. 2003, I-4989; EuGH, Rs. C-71/02 ĺKarner, Slg. 2004, I-3025; EuGH, Rs. C-368/95 ĺFamiliapress, Slg. 1997, I-3689
OMK ĺOffene Methode der Koordinierung One-stop-scheme (steuerrechtlich) one-stop-scheme (tax law) – one-stop-scheme (droit fiscal)
Ziel dieser Initiative der EU-Kommission ist es, den Verwaltungsaufwand von in mehreren Mitgliedstaaten operierenden Unternehmen phasenweise zu senken ohne den Aufwand der Verwaltungen unverhältnismäßig zu erhöhen. Derzeit müssen, vor allem mittlere Unternehmer, die in anderen Mitgliedstaaten keine Niederlassungen unterhalten und EU-weit tätig werden, Mehrwertsteuerpflichten schlimmstenfalls für alle 25 Mitgliedstaaten erfüllen. Unternehmer sollten daher nach Auffassung der Kommission mit einer Steuernummer in ganz Europa Umsätze gegenüber Letztverbrauchern (B2C) und Unternehmen (B2B) tätigen können und deren Abfuhr am Sitzfinanzamt ihres Heimatstaates abwickeln dürfen. Dadurch sollten die Verwaltungsbelastungen der Unternehmen gesenkt werden, wobei die Zahlungen weiterhin an die nationalen Behörden bzw. Kreditinstitute erfolgen sollten. (pu) Opfer von Straftaten, Entschädigungsansprüche crime victims, compensation – des victimes de la criminalité, l’indemnisation
Vorgaben zur Frage der Entschädigung der Opfer von Straftaten setzt die Richtlinie 2004/80/ EG. Zu den Opferrechten im Übrigen ĺOpfer-
Ordre public, Verfahrensrecht rechte im Strafverfahren, Rahmenbeschluss über die Stellung des Opfers (sts).
Vgl. zu Opferrechten auch ĺMenschenhandel, Opferrechte. (sts)
§§: Richtlinie 2004/80/EG des Rates vom 29. April 2004 zur Entschädigung der Opfer von Straftaten, ABl. 2004, L 261/2 Rsp.: EuGH, Rs. C-467/05 Dell’Orto, Slg. 2007, I-5557
§§: Rahmenbeschluss 2001/220/JI des Rates vom 15.3. 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren; ABl. 2001, Nr. L 82/1 Lit.: A. Dearing/M. Löschnig-Gspandl (Hsg.), Opferrechte in Österreich – Eine Bestandsaufnahme, 2004; S. Kuhn, Opferrechte und Europäisierung des Strafprozessrechts, ZRP 2005, 125 Rsp.: EuGH, Rs. I-105/03 Pupino, Slg. 2005, I-5285
Opferrechte im Strafverfahren, Rahmenbeschluss über die Stellung des Opfers victims in criminal proceedings, framework decision on the standing of – victimes dans le cadre de procédures pénales, décision-cadre relative au statut des
Die ĺMitgliedstaaten der ĺEU sind aufgrund des ĺRahmenbeschlusses über die Stellung des Opfers im Strafverfahren verpflichtet, eine Sekundärviktimisierung zu vermeiden und bestimmte Mindestrechte der Opfer einer Straftat sicherzustellen. Dazu gehören u.a. ƒ das Recht auf Achtung und Anerkennung, ƒ die Möglichkeit, im Verfahren gehört zu werden und Beweismaterial liefern zu können, aber nicht mehr als erforderlich befragt zu werden, ƒ das Recht, für den Schutz seiner Interessen relevante Informationen zu erhalten, etwa über Voraussetzungen eines Zugangs zu unentgeltlicher (Rechts)beratung und Rechtsbeistand sowie über die Anforderungen eines Anspruchs auf Entschädigung, ƒ das Recht, bei Kommunikationsschwierigkeiten vergleichbare Unterstützung wie ein Beschuldigter zu erlangen (Kommunikationsgarantien) sowie ƒ das Recht auf Schutz der Privatsphäre des Opfers und ggf. seiner Familie sowie gleichgestellter Personen, insbesondere vor möglichen Racheakten, aber auch vor Lichtbildaufnahmen. Die Mitgliedstaaten haben zudem dafür Sorge zu tragen, dass Opfer aus anderen Mitgliedstaaten möglichst unkompliziert ihre Rechte ausüben können. Zur Gewährleistung der Opferrechte sind spezialisierte Opferhilfe-Institutionen einzurichten. Zur Frage der Opferentschädigung vgl. auch die RL 2004/80/EG zur Entschädigung der Opfer von Straftaten. Zwar entfaltet ein ĺRahmenbeschluss keine unmittelbare Wirkung gegenüber dem Einzelnen, jedoch hat der EuGH in der ĺPupinoEntscheidung exemplarisch am Beispiel des Opferrechterahmenbeschlusses die Verpflichtung aller innerstaatlichen Organe zu rahmenbeschlusskonformer Auslegung (ĺAuslegung, rahmenbeschlusskonforme) des mitgliedstaatlichen Rechts betont.
Ordre public (IPR) public order (PIL) – ordre public (DIP)
Unter ordre public versteht man den Kernbereich und die tragenden Grundwertungen einer Rechtsordnung. Im Kollisionsrecht ist der ordre public insoweit relevant, als zu seinen Gunsten die Anwendung ausländischen Rechts eingeschränkt wird. Wenn nämlich die Anwendung einer ausländischen Norm zu einem Ergebnis führen würde, das mit dem inländischen ordre public (also dem ordre public des Gerichtsstaates) in Widerspruch steht, dann hat das Gericht die Anwendung dieser Norm zu unterlassen. Im Vertragsrecht gilt dies kraft ausdrücklicher Anordnung in Art. 16 ĺEVÜ, im außervertraglichen Schuldrecht kraft Art. 26 ĺRom II-VO. Der ordre public umfasst nicht nur nationales, sondern auch Gemeinschaftsrecht. Vom ordre public, der auch genauer als „negativer ordre public“ bezeichnet wird, ist der sog. „positive ordre public“ zu unterscheiden, womit die ĺEingriffsnormen gemeint sind. (js) §§: Art. 16 ĺEVÜ; Art. 26 ĺRom II VO Lit.: Bericht über das EVÜ von M. Giuliano/P. Lagarde, ABl. 1980, Nr. C 282/1, Anmerkungen zu Art. 16; B. Verschraegen, in: P. Rummel (Hrsg.), ABGB Kommentar I/6, 3. Aufl. 2004, Art. 16 EVÜ; G. Wagner, Internationales Deliktsrecht, die Arbeiten an der Rom II-Verordnung und der Europäische Deliktsgerichtsstand, IPRax 2006, 372 Web: Der in Lit. erwähnte Bericht von M. Giuliano/P. Lagarde ist abrufbar unter: http://www.romeconvention.org
Ordre public, Verfahrensrecht public order, civil procedure – ordre public, procedure civile
Der Begriff des ordre public bezeichnet die Grundwerte der inländischen Rechtsordnung, deren Bedeutung als so überragend angesehen wird, dass ihre Wahrung auch gegenüber der Anwendung ausländischen Rechts nach den Regeln des ĺIPR sowie der ĺAnerkennung ausländischer Entscheidungen durchgesetzt 679
Organe der EU wird. Ein Verstoß gegen den ordre public kann sich einerseits aus dem Inhalt der Entscheidung als auch aus der Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (insb. Art. 6 ĺEMRK) ergeben. Mit dem ordre public-Vorbehalt können sowohl Vorschriften des nationalen Rechts als auch gemeinschaftsrechtliche Standards abgesichert werden. Ein Verstoß gegen den ordre public kann auch im Anwendungsbereich des ĺEuropäischen Zivilprozessrechts und trotz des Prinzips der gegenseitigen ĺAnerkennung ausländischer Entscheidungen die Verweigerung der Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung aus einem anderen MS rechtfertigen. (mrm) §§: Art. 27 Abs. 1 EuGVÜ/LGVÜ; Art. 34 Nr. 1 EuGVVO; Art. 22. lit. a EheGVVO; Art. 23 lit. a EheGVVO; Art. 16 EuInsVO Lit.: A. Bruns, Der anerkennungsrechtliche ordre public in Europa und den USA, JZ 1999, 278 ff.
Organe der EU ĺEuropäisches Parlament; ĺRat; ĺKommission; ĺEuGH; ĺRechnungshof Organhandel organ traffic – traffic d’organes
Das Verbot der Gewinnerzielung mit menschlichen Körperteilen als Teil des (Grund-)Rechts auf körperliche Unversehrtheit in Art. 3 Abs. 2 lit. c ĺGRC bedeutet – spätestens mit Inkrafttreten der Charta, wenn nicht schon als allgemeiner Rechtsgrundsatz des EG-Rechts – ein Verbot des Handels mit menschlichen Organen als gemeinschaftsrechtliches ĺGrundrecht. Ausschlaggebend ist dabei eine (nicht nur geldwerte, sondern auch sonstige Vorteile beinhaltende) Gewinnerzielungsabsicht. Ein bloßer Aufwandsersatz oder Nachteilsausgleich wie auch die Entlohnung der beteiligten Berufsgruppen bleiben davon unberührt. (ed) §§: Art. 2 Abs. 2 lit. c GRC/Art. 63 Abs. 2 lit. c EVV (vgl. Art. 21 ĺBiomedizinkonvention (MRB); Art. 21 ZP MRB – Leichenspende) Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 9, Rn. 29; M. Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 3; F. Breyer u.a., Organmangel, 2006, 204 ff.
Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) Organisation for European Economic Co-operation (OEEC) – Organisation Européenne de Coopération Economique (OECE)
Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit, gegründet am 16.4.1948 durch 680
sechzehn europäische Staaten zur Umsetzung des Marshall-Planes. Die US-Regierung gewährte den europäischen Staaten ein langfristiges Hilfsprogramm, sog. ERP-Mittel (European Recovery Programme). Bedingung war lediglich die Organisation der europäischen Staaten, um die Verteilung und zweckmäßigste Verwendung der Mittel hinsichtlich des Wiederaufbaues ihrer Volkswirtschaften zu gewährleisten. Die OEEC brachte neben der Hilfe zur Wiederherstellung der nationalen Volkswirtschaften auch einen integrationspolitischen wichtigen Beitrag. Um die Wirtschaftsbeziehungen der europäischen Staaten zueinander zu verbessern, wurde die Beseitigung von Handelshemmnissen angestrebt. Mengenmäßige Beschränkungen wurden beseitigt. Auf Grundlage der OEEC-Liberalisierungskodizes wurden Hemmnisse im Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr weitgehend beseitigt. Mitglieder der OEEC waren Belgien, Deutschland, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien, Türkei. Finnland und Jugoslawien besaßen einen Sonderstatus. Die OEEC wurde durch das am 14.12.1960 in Paris unterzeichnete ĺÜbereinkommen über die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in die ĺOECD umgewandelt. (gm) Lit.: P. Fischer, Aufgaben und Organisation von EG, EFTA, OECD und GATT, ÖNZ 1991, 258; H. Hahn, Organization for Economic Co-operation and Development, Encyclopedia of Political Community III, 215; P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 45
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Organisation for Economic Co-Operation and Development (OECD) – Organisation de Coopération et de Développement Économique (OCDE)
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist eine aus der ĺOEEC hervorgegangene Organisation von Staaten zum Zweck der Wahrung der finanziellen Stabilität der Mitgliedstaaten, der Optimierung der Wirtschaftsentwicklung und Beschäftigung sowie Steigerung des Lebensstandards. Mitgliedstaaten sind neben den Gründungsmitgliedern Belgien, Deutschland, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande,
Osterweiterung Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien, Türkei nun auch USA, Kanada, Japan, Australien, Neuseeland und Mexiko. Sitz ist in Paris. Hauptorgane sind der Rat sowie der Generalsekretär. Der Rat ist allein zur Rechtsetzung befugt, setzt sich aus allen Mitgliedern zusammen und kann durch (i.d.R. einstimmige) Beschlüsse auch für die Mitglieder bindende Beschlüsse fassen und Empfehlungen an sie richten. (gm) Lit.: P. Fischer, Aufagben und Organisation von EG, EFTA, OECD und GATT, ÖNZ 1991, 258; H. Hahn, Organization for Economic Co-operation and Development, Encyclopedia of Political Community III, 1983, 215; C. Thun-Hohenstein/F. Cede/G. Hafner, Europarecht, 5. Aufl. 2005, 224 Web: http://www.oecd.org
Organismus organism – organisme
Die RL 2001/18/EG (ĺFreisetzungsrichtlinie) definiert in ihrem Art. 2 Z. 1 einen Organismus als jede biologische Einheit, die fähig ist, sich zu vermehren oder genetisches Material zu übertragen. (al) §§: Art. 2 Z. 1 RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie)
Organklage, Nichtigkeitsklage action brought by an institution, action for annulment – recours introduits par une institution, recours en annulation
Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG, die von einem Gemeinschaftsorganen erhoben wird. Die Organe können gegen jede Handlung klagen, die tauglicher ĺKlagegegenstand einer Nichtigkeitsklage sein kann. Die Organe Rat, Parlament und Kommission müssen als privilegierte Kläger keine ĺKlageberechtigung nachweisen. ĺRechnungshof und und ĺEZB benötigen eine solche; sie können eine O. nur „zur Wahrung ihrer Rechte“ erheben. (mk) Originäre Rechtsetzungsbefugnisse original law-making-competences – autorisation de législation orginal
Neben dem ĺInitiativmonopol der Kommission im ĺRechtsetzungsverfahren der Gemeinschaft kommt dieser in ausgewählten Bereichen (bspw. hinsichtlich Wettbewerbsregeln) auch die Befugnis selbst „geeignete Richtlinien und Entscheidungen an die Mitgliedstaaten“ erlassen, zu (Art. 86 Abs. 3 EG). (gh) §§: Art. 86 Abs. 3 EG
Lit.: C. Jung, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 86 EGV, Rn. 54 ff.; C. Koenig/J. Kühling, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 86 EGV, Rn. 67 ff.; I. Pernice/S. Wernicke, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 86 EUV, Rn. 69 ff.
Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbes ĺErwerb, innergemeinschaftlicher, Ort des OSHA ĺEuropäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) Österreich, Sanktionen ĺSanktionen Osterweiterung Eastward enlargement of the European Union – L’élargissement à l’Est de l’Union européenne
Unter der sog. O. (auch fünfte ĺErweiterung genannt) wird jener Prozess verstanden, der mit dem 2004 erfolgten ĺBeitritt von Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern und der Erweiterung um ĺBulgarien und Rumänien 2007 seinen Abschluss fand. Mit der Aufnahme von ca. 105 Mio. neuen ĺUnionsbürger/innen, dem Anwachsen der Union auf 27 MS und der Erweiterung des ĺräumlichen Geltungsbereichs des Unionsrechts um 34 % fand damit die größte aller bisherigen ĺErweiterungen statt. Unter die begrifflich unscharfe Kategorisierung „Osterweiterung“ (bspw. liegen Maribor und Prag weiter westlich als Wien) wird auch der Beitritt Maltas und ĺZyperns subsumiert. Zur entsprechenden Differenzierung hat sich der Begriff der ĺMOEL – von dem Zypern und Malta nicht umfasst werden – eingebürgert. Mit dem Aufbau von Demokratien westlichen Typs, der marktwirtschaftlichen Restrukturierung und der Übernahme des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes haben die MOEL in den letzten 1 ½ Jahrzehnten (ĺOsterweiterung, Geschichte der) einen rasanten Umbau vollzogen, der nicht ohne soziale Verwerfungen stattgefunden hat. Zwar hat die EU durch ĺHeranführungshilfen die Transformation gefördert, doch beträgt das Gesamtausmaß dieser finanziellen Unterstützung, trotz einer weitaus höheren Bevölkerungszahl, nur 10 % der Zahlungen, welche die ostdeutschen Länder von der BRD erhielten. Die Struktur-, Regional- und 681
Osterweiterung ĺSozialpolitik der EU steht daher aufgrund der verbleibenden ökonomischen Asymmetrien (zum Zeitpunkt ihres Beitritts betrug das BIP der MOEL nur 5 % der Wirtschaftskraft der bisherigen MS) vor großen Herausforderungen. Kernpunkte des Beitrittsvertrages 2004 (für die in weiten Teilen deckungsgleichen Details der 2007 erfolgten Erweiterung ĺBulgarien und Rumänien, Beitritt): Neben „technischen“ Anpassungen (insb. jenen institutioneller Natur: Art. 11-18 Beitrittsa.) enthält der ĺBeitrittsvertrag 2004 bzw. die ĺBeitrittsakte, u.a. aufgrund der besonderen ökonomischen und politischen Ausgangslage der MOEL in manchen Bereichen eine abgestufte Integration, Schutzklauseln, umfassende Übergangsvorschriften und Übergangshilfen. Wesentliche Aspekte dieser zeitlich befristeten Einschränkungen des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes sind: ƒ Abgestufte Integration Die neuen MS haben sich auch zur Übernahme des ĺAcquis im Bereich der ĺWWU verpflichtet, ihre volle Teilnahme (dritte Stufe) in der Eurozone hängt aber von der Erfüllung der ĺKonvergenzkriterien ab (Art. 4 Beitrittsa. i.V.m. Art. 122 EG). Nach dem entsprechenden Beschluss des ĺECOFIN-Rates (Art. 122 Abs. 2 i.V.m. Art. 123 Abs. 4 EG) hat Slowenien als erster neuer MS am 1.1.2007 mit der Euroeinführung begonnen. 2008 folgten ĺZypern und ĺMalta. Auch die Grenzöffnung im Rahmen des ĺSchengener Durchführungsübereinkommen bedarf einer eigenständigen Entscheidung des Rates (Anhang I des Beitrittsa. 2004, 50 ff). Für Details s. ĺSchengen-Raum. Im Bereich der ĺGAP sieht die Beitrittsa. nicht nur eine Einschleifregelung für die Direktzahlungen vor (erst 2013 erhalten die neuen MS die vollen Zahlungen, Art. 20 Beitrittsa. i.V.m. Anhang II, der u.a. die VO (EG) 1259/1999 entsprechend abändert), sondern beinhaltet in Art. 23 der Beitrittsa. auch ein Verfahren zur einseitigen (unter Ausschluss der neuen MS) Abänderung der GAP bis zum Zeitpunkt des Beitritts. Von dieser Möglichkeit hat der Rat im Rahmen der Reform der GAP 2003 Gebrauch gemacht und damit den Bestimmungen des Beitrittsa. zuungunsten der neuen MS derogiert. Auch die Zahlungen im Bereich der strukturpolitischen Maßnahmen wurden für die neuen MS erst Schritt für Schritt bis Ende 2006 eingeführt (Art. 20 Beitrittsa. i.V.m. Anhang II, der
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u.a. die VO [EG] 1164/94 und [EG] 1260/1999 entsprechend abändert). ƒ Schutzklauseln Neben der schon aus vorangegangenen Erweiterungen bekannten Schutzklausel für das Auftreten erheblicher wirtschaftlicher Schwierigkeiten (Art. 37 Beitrittsa.) umfasst die Beitrittsa. 2007 auch neue Schutzklauseln: Erfüllt ein beigetretener MS eingegangene Verpflichtungen nicht und gefährdet damit das Funktionieren des Binnenmarktes, kann die KOM in einem Zeitraum von bis zu drei Jahren nach Inkrafttreten des Beitrittsv. geeignete Maßnahmen treffen (Art. 38 Beitrittsa.). Diese Binnenmarkt-Schutzklausel ermöglicht der KOM bspw. den Ausschluss eines Produktes vom gemeinsamen Markt oder das Einfrieren von Gemeinschaftsförderungen. Die funktionale Entsprechung der BinnenmarktSchutzklausel im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Straf- und Zivilsachen findet sich im Art. 39 Beitrittsa., der u.a. die Aussetzung der Anwendung einschlägiger Bestimmungen und Beschlüsse vorsieht. Auch für den Bereich des Veterinärrechts und bei der Pflanzengesundheit sieht die Beitrittsa. eine Option zum Beschluss von bis zu dreijährigen Maßnahmen (bspw. Ausnahmen vom Binnenmarkt) vor (Art. 42). ƒ Übergangsmaßnahmen Die Übergangsmaßnahmen sind, dem bilateralen Charakter der ĺBeitrittsverhandlungen folgend, jeweils in einem eigenständigen Anhang für jeden MS geregelt (Art. 24 Beitrittsa.). Insgesamt lassen sich in ungefähr der Hälfte der Verhandlungskapiteln befristete Ausnahmen vom ĺGemeinschaftlichen Besitzstand auffinden: Dienstleistungs-, Kapitalverkehrsund Warenverkehrsfreiheit, Personenfreizügigkeit, Energie, Fischerei, Gesellschaftsrecht, Landwirtschaft, Verkehrspolitik, Sozialpolitik und Beschäftigung, Steuerwesen, Telekommunikation und Informationstechnologie, Umwelt, Wettbewerbspolitik. Insb. die Übergangsvorschriften im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit sind relativ umfassend: Die bisherigen MS können ihren Arbeitsmarkt gegenüber Arbeitnehmern aus den MOEL in einem Übergangszeitraum von maximal 7 Jahren (2+3+2 Jahre-Modell) abschotten (für Details ĺPersonenverkehrsfreiheiten, Übergangsvorschriften). ƒ
Übergangshilfen(-fazilitäten) Die Beitrittsa. sah bis Ende 2006 zwei jährlich sinkende finanzielle Übergangshilfen vor. Die
Osterweiterung, Geschichte der Übergangsfazilität (Art. 34) dient der Entwicklung von weiteren Verwaltungskapazitäten zur Anwendung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts vor allem in jenen Bereichen, in denen die KOM u.a. im ĺMonitoring-Bericht Defizite festgestellt hat. Die Schengenfazilität (Art. 35) finanziert Maßnahmen an den neuen Außengrenzen, welche die vollständige Umsetzung des Schengen-Besitzstandes unterstützen sollen. Während Übergangsvorschriften bisher das Bild aller ĺErweiterungen prägten (bspw. auch im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit, ĺSüderweiterungen) ist die abgestufte Integration erstmalig im Rahmen der O. zum Einsatz gekommen. Die Volumina der mittels der Einschleifregelungen vorenthaltenen Finanzmittel im Bereich der GAP und der strukturpolitischen Maßnahmen übersteigen jene der Übergangshilfen bei weitem. Die Konditionalitätenpolitik der ĺBeitrittsverhandlungen (ĺBeitrittsvoraussetzungen) wird durch die Ausdehnung der Schutzklauseln auch nach der Erweiterung fortgesetzt. Diese neue Flexibilität des Beitrittsvertrages wird daher nicht zu Unrecht als Mitgliedschaft zweiter Ordnung – wenn auch nur temporär Art – kritisiert. (lo) §§: Beitrittsvertrag 2004, ABl. 23.9.2003, Nr. L 236; Beitrittsvertrag 2007, ABl. 21.6.2005, Nr. L 157; VO (EG) 1259/1999, ABl. 1999, Nr. L 160/113; VO (EG) 1164/94, ABl. 1994, Nr. L 130; VO (EG) 1260/1999, ABl. 1999, Nr. L 161/1 Lit.: K. Inglis, The Union’s Fifth Accession Treaty: New Means to Make Enlargement Possible, CML Rev. 2004, 937; B. Kohler-Koch/T. Conzelmann/M. Knodt, Europäische Integration – Europäisches Regieren, 2004, 299 ff.
Osterweiterung, Geschichte der Eastward enlargement, history – l’élargissement à l’Est de l’Union européenne, histoire
Parallel zum Verlauf der sog. ĺOsterweiterung fand auch eine Vertiefung (ĺEUV, ĺVertrag von Amsterdam und Nizza, Entwurf des Vertrages über eine Verfassung für Europa) der Gemeinschaften bzw. der Union statt, die deutlich macht, dass ĺErweiterung und Vertiefung sich nicht grds. ausschließen: Die sog. Osterweiterung gab nicht nur Anstoß zur Entwicklung neuer Heranführungs- bzw. Beitrittsinstrumente der EU, sondern auch zum institutionellen und politischen Wandel der Union. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch des real-sozialistischen Blockes beschlossen die G-7 auf ihrem Gipfel in Paris (Juli 1989) den Übergangsprozesses zu Marktwirtschaft und westli-
cher Demokratie durch finanzielle Hilfe zu fördern. Mit der Abwicklung und Verwaltung der Zahlungen wurde die EG beauftragt. In diesem Zusammenhang legte die KOM 1989 das ĺPHARE-Programm vor. Da eine politische Einigung zur O. erst 1993 erreicht wurde, zielte PHARE – bis zu seiner Umgestaltung im Rahmen der intensivierten ĺHeranführungsstrategie (1999) – nicht direkt auf den Beitritt der ĺMOEL ab, sondern fungierte als Entwicklungs- und marktwirtschaftliche Umstrukturierungshilfe. Divergierendes Engagement für und Interesse an der O. waren stark durch die unterschiedlichen wirtschaftlichen und geopolitische Interessen der bisherigen MS geprägt. Da eine Haushaltserhöhung auf Ablehnung der Nettozahler stieß, befürchteten die von den ĺStrukturfonds der Gemeinschaften und der ĺGAP stark profitierenden MS (insb.: Spanien, Griechenland, Portugal und Irland) einschneidende Reformen im Zuge der O. Frankreich erwartete durch die große Zahl an potenziellen MS eine Verschiebung der Machtbalance – nicht zuletzt zugunsten der den MOEL benachbarten und mit diesen durch relativ intensiven Handel verbundenen MS (insb. Deutschland). Dem standen Investitionswünsche von Unternehmen, das Interesse der nordischen MS an einem Beitritt der baltischen Staaten und der „mitteleuropäischen“ MS an einer O. entgegen. Vor diesem widersprüchlichen Hintergrund wird ersichtlich, warum die Gemeinschaft vorerst nur die ĺAssoziation der MOEL durch die sog. ĺEuropa-Abkommen präferierte. Angestoßen durch die Einigung über den ĺEUV auf der Regierungskonferenz von Maastricht, in der u.a. Deutschland der franz. Forderung nach der Einführung einer gemeinsamen Währung im Rahmen der ĺWWU nachgab, forderte der Europ. Rat (9./10.12 1991) die KOM jedoch auf, die Auswirkungen einer O. auf Basis des neuen Vertragswerkers zu erheben. Als Ergebnis präsentierte die KOM den Bericht „Die Erweiterung Europas: eine neue Herausforderung“ (Bull., Beilage 3/92), in dem sie sich neben der Erstellung strenger Kriterien (die später in die sog. ĺKopenhager Kriterien mündeten) sehr deutlich für den Beitritt der MOEL aussprach: „[...] die Gemeinschaft [...] darf sich jetzt der historischen Aufgabe, die Verantwortung für den gesamten Kontinent zu übernehmen und zur Entwicklung einer politischen und wirtschaftlichen Ordnung für ganz Europa beizutragen, nicht entziehen.“ 683
Osterweiterung, Geschichte der Vor diesem Hintergrund erklärte der Europ. Rat in Kopenhagen (21./22.6.1993) erstmalig, dass die ĺMOEL, die dies wünschen, Mitglieder der EU werden können. Mit dieser Zusicherung, der Aufstellung der ĺKopenhagener Kriterien und der Einrichtung regelmäßiger bilateraler Treffen (ĺstrukturierter Dialog) gab der Europ. Rat den politischen Startschuss für die sog. O. Diesem Signal folgend, stellten alle ĺMOEL beginnend mit Polen und Ungarn (1994) bis 1996 ihre Beitrittsanträge. ĺZypern und ĺMalta hatten bereits 1990 ihre Anträge übermittelt. Der Europ. Rat von Essen (9./10.12.1994) entwickelte durch die Verknüpfung der ĺKopenhagener Kriterien, der ĺEuropa-Abkommen, des ĺstrukturierten Dialoges und des ĺPHAREProgrammes eine ĺHeranführungsstrategie für die MOEL. Weitere Schritte im Rahmen der O., insb. die Aufnahme von ĺBeitrittsverhandlungen, machte der Europ. Rat von einem Gelingen der institutionellen Reform durch die Regierungskonferenz 1997 (ĺVertrag von Amsterdam; ĺAufnahmefähigkeit) abhängig. Nachdem die KOM 1997 mit der ĺAgenda 2000, neben einer Einschätzung der Auswirkungen und Kosten der O., auch ihren umfassenden ĺAvis zu den Beitrittsanträgen abgegeben hatte, beschlossen die Staats- und Regierungsoberhäupter der EU in Luxemburg (Europ. Rat, 12./13.12.1997), dem Vorschlage der KOM folgend (ĺGruppenmodell), die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit den 6 „fortgeschrittensten“ Staaten (der sog. ĺLuxemburgGruppe: Estland, Polen, Tschechien, Slowenien, Ungarn und Zypern – Malta hatte seinen Beitrittsantrag zurückstellen lassen). Darüber hinaus wurde ein ganzes Paket von Instrumenten zur Operationalisierung der Erweiterung beschlossen: ĺEuropa-Konferenz, intensivierte ĺHeranführungsstrategie, ĺRegelmäßiger Bericht über die Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt. Mittels 6 Regierungskonferenzen im März 1998 eröffnete der Rat die ĺBeitrittsverhandlungen mit der sog. Luxemburg-Gruppe. Zu Beginn stand vor allem die analytische Prüfung des Gemeinsamen Besitzstandes, das sog. ĺScreening im Vordergrund, welches nach und nach in
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die Eröffnung und Verhandlung einzelner Kapiteln überging. Durch die Sorge im Beitrittsprozess zurück zu fallen, entstand unter den Kandidaten der informelle Druck möglichst zügig Positionspapiere vorzulegen und Kapiteln abzuschließen. Nicht zuletzt durch die Nichtaufnahme von Verhandlungen beschleunigten die später als Helsinki-Gruppe benannten Länder ihren wirtschaftlichen und politischen Wandel (bspw. wurde in der Slowakei die von der Union kritisierte Regierung Vladimir Meciars abgewählt; Lettland lockerte die russische Minderheit diskriminierende Einbürgerungsbestimmungen). Dies führte dazu, dass der Europ. Rat von Helsinki (10./11.12.1999) die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit ĺBulgarien, Lettland, Litauen, der Slowakei, ĺRumänien und Malta (sog. Helsinki-Gruppe) beschloss. Mit der in Nizza (Dezember 2000) abgeschlossenen Regierungskonferenz stellte die Union ihre ĺAufnahmefähigkeit sicher (ĺVertrag von Nizza). Nach einer weiteren Erhöhung von Druck und Tempo der Verhandlungen und dem vorläufigen Abschluss von ca. 2/3 aller Verhandlungskapitel entschloss sich der Europ. Rat von Göteborg (15./16.6.2001) den ĺBewerberländern „die ausreichend auf den Beitritt vorbereitet sind“ die Vollendung der Beitrittsverhandlungen bis Ende 2002 in Aussicht zu stellen, um u.a. deren Teilnahme an den Wahlen zum EP 2004 zu ermöglichen (Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Rn. 9). Diesem Fahrplan konnte entsprochen werden: Im zweiten Halbjahr 2002 schloss der Rat die ĺBeitrittsverhandlungen – bis auf Bulgarien und Rumänien – mit allen MOEL, Malta und Zypern ab. Die Unterzeichung des Beitrittsvertrages erfolgte am 16.4.2003 in Athen. Nach planmäßiger Ratifikation traten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern am 1.5.2004 der EU bei. (lo) Lit.: M. Sajdik/M. Schwarzinger, Die EU-Erweiterung, 2003; F. Schimmelfennig, Osterweiterung: Strategisches Handeln und kollektive Ideen, in: M. Jachtenfuchs/B. Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, 2003, 541
P Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), Abkommen Palestine Liberation Organisation (PLO), agreement – Organisation de la libération de la Palestine (OLP), accord
ĺEuropa-Mittelmeer-Interimsassoziationsabkommen über Handel und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft einerseits und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) zugunsten der Palästinensischen Behörde für das Westjordanland und den Gaza-Streifen andererseits. (bb) §§: ABl. 1997, Nr. L 187/3 (in Kraft seit 1.7.1997) Web: http://www.delwbg.cec.eu.int/en/eu_and_palestine/ ec_plo.htm
Paneuropa 1923 in Wien erschienenes Buch von ĺRichard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi, in dem er die Schaffung der ĺ„Vereinigten Staaten von Europa“ nach dem Vorbild der USA postulierte. (gm) Lit.: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 20, 21. Aufl. 2006, 767; T. Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. 1999, Rn. 9 ff.
Parafiskalische Abgaben parafiscal charges – taxes parafiscales
Im Gegensatz zu Steuern, die der Verpflichtete ohne einer zuordenbaren Gegenleistung des Staates bezahlt, erfolgt die Einhebung einer parafiskalischen Abgabe zu einem ganz bestimmten Zweck. Folgende Merkmale beschreiben parafiskalische Abgaben: ƒ Die Einhebung der Abgaben erfolgt zwangsweise ƒ von einer bestimmten Gruppe ƒ zu einem bestimmten Zweck (ein Sachzusammenhang muss gegeben sein). ƒ Die Erlöse fließen nicht in den allgemeinen öffentlichen Haushalt. Beispiel: Auf Erdölerzeugnisse erhobene Abgaben, die einem Wirtschaftsbetrieb der öffentlichen Hand zur Förderung der Energieeinsparung zugute kommen; die verpflichtende Ab-
führung von Mitteln zugunsten eines Absatzfonds zur Förderung der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft durch Fleischbetriebe; Beiträge, die bei der Schlachtung und Ausfuhr von Rindern, Kälbern und Schweinen zugunsten eines Fonds erhoben werden, der Tierkrankheiten bekämpfen, sowie die Volksgesundheit und das wirtschaftliche Wohlergehen der Tierhalter fördern soll; Abgaben, die öffentlichen Einrichtungen zugewiesen werden, welche die Aufgabe haben, sämtliche Einrichtungen für das Beund Entladen zu verwalten. (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: T. Jaeger, Beihilfen durch Steuern und parafiskalische Abgaben, 2006, Rn. 280 ff.
Parallelhandel mit Arzneimitteln, Parallelimport parallel trade (drugs) – importation parallèle de médicaments
In einigen Mitgliedstaaten bestehen für Arzneimittel staatliche festgesetzte Höchstpreise, die den Pharmahersteller dazu zwingen, seine Produkte zu den im jeweiligen Mitgliedstaat geltenden Preisen anzubieten, die deutlich unter den Preisen liegen, die in anderen Mitgliedstaaten, insbesondere in solchen ohne Preisregulierung, erzielt werden könnten. Ein Parallelimporteur erwirbt nun die Arzneimittel zu den durch hoheitliche Festsetzung künstlich niedrig gehaltenen Preisen und führt die Produkte in einen anderen Mitgliedstaat aus, in dem höhere Preise zu erzielen sind. Ein Parallelimport ist zunächst ein nach Art. 28 EG zulässiges Marktverhalten. Er kann nach Maßgabe des Art. 30 EG allenfalls dann untersagt werden, wenn der Mitgliedstaat eine Rechtsgutsgefährdung, etwa der Gesundheit, nachgewiesen hat (EuGH, Rs. C-94/98 Rhône-Poulenc Rorer, Slg. 1999, I-8789, Rn. 40). Parallelimporte bedürfen zwar ebenfalls der Genehmigung. Jedoch wird diese in einem vereinfachten Verfahren erteilt, sofern das Erzeugnis im Ausfuhrstaat genehmigt wurde und Einfuhrstaat bereits eine vergleichbare Genehmigung („Referenzge685
Parallelimport nehmigung“) vorliegt. Eine für eine Paralleleinfuhr erteilte Genehmigung ist in ihrem Bestand unabhängig von der Referenzgenehmigung. Sie darf also ihrerseits nur unter den Voraussetzungen des Art. 30 EG zurückgenommen oder widerrufen werden (EuGH, Rs. C-172/00 Ferring, Slg. 2002, I-6891, Rn. 33 ff.; Rs. C-15/01 Paranova, Slg. 2003, I-4175, Rn. 22 ff.). Dem wird, in Fortführung der Doktrin von der Drittwirkung der Grundfreiheiten, auch Bedeutung für das Horizontalverhältnis zwischen Inhabern gewerblicher Schutzrechte (vor allem Patente, Markenrechte) und Importeuren beigemessen. So soll der Inhaber eines Schutzrechts nicht verhindern können („Erschöpfung des Schutzrechts“), dass ein mit seiner Einwilligung – also nicht bloß aufgrund einer so genannten Zwangslizenz in einem anderen Mitgliedstaat in den Verkehr gebrachtes Arzneimittelprodukt reimportiert wird. (gär) §§: Art. 28, Art. 30 EG Lit.: T. Bauroth, Staatliche Interventionen, duale Preissysteme und europäisches Kartellrecht – Wie weit kann die pharmazeutische Industrie bei der Beschränkung des Parallelhandels gehen?, PharmaR 2005, 386; C. Freytag, Parallelimporte im EG- und WTO-Recht, 2001; U. M. Gassner, Parallelimporte und Kartellrecht, PharmaR 2004, 57; E. Krapf/B. Lange, Staatliche Interventionen, duale Preissysteme und europäisches Kartellrecht, PharmaR 2006, 255; A. Meier, Arzneimittelrecht im Wandel, in: H. Bauer/D. Czybulka/A. Vosskuhle (Hrsg.), Wirtschaft im offenen Verfassungsstaat. FS für R. Schmidt, 2006, 111 (116 ff.); N. Reich, Parallelimport von Arzneimitteln nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaft, NJW 1984, 2000; J. Schickert, Einzelfragen zu Rechtsfolgen des markenrechtswidrigen Arzneimittel-Parallelimports, PharmaR 2005, 125; J. Schwarze (Hrsg.), Unverfälschter Wettbewerb für Arzneimittel im europäischen Binnenmarkt, 1998; N. Stöcker, „Parallelhandel mit Arzneimitteln in der EU“ – Ein Sachstandsbericht, PharmaR 2006, 415; R. Streinz, Lebensmittel- und Arzneimittelrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, § 24, Rn. 88 ff.; M. Wagner, Kein Aprilscherz – das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 1. April 2004 in der Rechtssache C-112/02 zum Parallelimport von Arzneimitteln, MedR 2004, 489; S. A. Wagner, Europäisches Zulassungssystem für Arzneimittel und Parallelhandel, 2000
Parallelimport parallel trade – importation parallèle
Parallelimport bezeichnet die ĺEinfuhr von bereits in einem anderen ĺMitgliedstaat registrierten und genehmigten ĺErzeugnissen, deren Importeur jedoch nicht identisch mit der Person ist, der eine solche Registrierung oder Genehmigung erteilt wurde. Gemeint ist die kommerzielle Vermarktung von Erzeugnissen, 686
die mit bereits in einem Mitgliedstaat genehmigten Erzeugnissen identisch sind und aus anderen Ländern eingeführt werden. Eine staatliche Regelung oder Praxis, die dazu führt, die Einfuhren in einer Weise zu kanalisieren, dass sie nur bestimmten Handelsteilnehmer möglich sind, andere jedoch davon ausschließen, stellt eine ĺMaßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung dar. Behinderungen des Parallelimports durch private Wirtschaftsteilnehmern werden durch das gemeinschaftliche ĺWettbewerbsrecht sanktioniert. (ah) Lit.: P. Oliver/M.Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 2.28; Mitteilung der Kommission über Paralleleinfuhren von Arzneispezialitäten, deren Inverkehrbringen bereits genehmigt ist, KOM/2003/0839 endg. Rsp.: EuGH, Rs. 104/75 Adriaan de Peijper, Slg. 1976, 613 Web: GD Binnenmarkt, Leitfaden zum Konzept und zur praktischen Anwendung der Art. 28-30 EG-Vertrag, 2000: http://ec.europa.eu/enterprise/regulation/ goods/docs/art2830/guideart2830_de.pdf
Pariser Verbandübereinkunft (PVÜ) Paris Convention for the Protection of Industrial Property – Convention de Paris pour la protection de la proprieté industrielle
Internationales Übereinkommen aus 1883; legt Grundprinzipien des Patentrechts fest, von denen insbesondere Inländergleichbehandlung und Unionspriorität hervorzuheben sind. Für das ĺEuropäische Patentamt ist die PVÜ nicht formell bindend. Das ĺEuropäische Patentübereinkommen ist jedoch (wie der ĺPCT) ein Sonderübereinkommen gem. Art. 19 PVÜ. Daher ist es im Einklang mit dem PVÜ auszulegen (EPA, T 301/87, ABl. EPA 1990, 335 Z. 7.5 – Biogen). (mp) §§: Pariser Verbandübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, BGBl. 399/1973 i.d.F. BGBl. 384/1984 Web: http://www.wipo.int/treaties/en/ip/paris/
Pariser Vertrag Treaty of Paris – Traité de Paris
Vertrag vom 18.4.1951 (in Kraft seit 23.7.1952) zur Errichtung der ĺEuropäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (ĺEGKS) zwischen Frankreich, Deutschland, Niederlande, Belgien, Luxemburg und Italien zur ĺsupranationalen Organisation mit dem wirtschaftlichen Ziel der Errichtung eines ĺGemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl (sowie die zu deren Erzeugung notwendigen Rohstoffe und den aus ihnen ab-
Parteien, politische auf europäischer Ebene geleiteten Produkte). Die EGKS ging am 24. 7. 2002 in der EG auf. (gm) Lit.: P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 53
Parlament, Europäisches ĺEuropäisches Parlament Parlamentspräsidenten, Konferenz ĺKonferenz der Parlamentspräsidenten Partei, politische political party – parti politique
Die Freiheit zur Bildung politischer Parteien ist Teil des europäischen ĺGrundrechts auf ĺVereins- bzw. ĺVersammlungsfreiheit und in der ĺGRC (Art. 12 Abs. 2/Art. II-72 Abs. 2 EVV) verbürgt. S.a. unter ĺVereinsfreiheit. (ed) §§: Art. 12 Abs. 2 GRC/Art. II-72 Abs. 2 EVV; Art. 191 EG; Art. 46 Abs. 4 VE; Art. 11 ĺEMRK als Gemeinschaftsgrundrecht Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 17, Rn. 18, 30
Parteiautonomie ĺRechtswahl Parteien im Beihilfeverfahren parties in the procedure concerning the application of state aid rules – les parties dans la procédure en matière d’aides d’État
Die Parteien des ĺBeihilfeverfahrens sind die ĺKommission und der betroffene ĺMitgliedstaat; die Kommission richtet daher sämtliche Schriftstücke an letzteren (insbesondere ist der Mitgliedstaat Empfänger sämtlicher ĺEntscheidungen). Die auszahlende Stelle, die nicht der zentralen Verwaltung des Mitgliedstaates zugerechnet werden kann (z.B. Bundesländer, Kommunen, öffentliches Unternehmen, etc ...), bzw. der Beihilfeempfänger und dessen Wettbewerber sind ĺBeteiligte des Verfahrens. (jr) §§: Art. 88 EG
Parteien, politische auf europäischer Ebene parties, political at European level – partis, politiques au niveau européen
Der Begriff „Politische Parteien auf europäischer Ebene“ wird im ĺPrimärrecht nicht definiert, sondern vorausgesetzt. Zu seiner konkreten Inhaltsbestimmung sind daher die Verfassungstraditionen der ĺMitgliedstaaten heranzuziehen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber
darf ihn bei der näheren Ausgestaltung des Parteienrechts näher konkretisieren, aber nicht modifizieren. Eine solche nähere Konkretisierung enthält die auf Grundlage von Art. 191 Abs. 2 EG ergangene „VO (EG) 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung“. Sie differenziert in ihrem Art. 2 zwischen „politischen Parteien“ und „Bündnissen politischer Parteien“. Die erste Kategorie entspricht dem Idealtypus einer politischen Partei wie er sich in sämtlichen Verfassungen der Mitgliedstaaten verankert findet. Es muss sich dabei um „eine Vereinigung von Bürgern [handeln], die politische Ziele verfolgt und die nach der Rechtsordnung mindestens eines Mitgliedstaates anerkannt ist oder in Übereinstimmung mit dieser Rechtsordnung gegründet wurde“. Die zweite Kategorie hingegen stellt auf faktische Gegebenheiten auf europäischer Ebene ab und erklärt „eine strukturierte Zusammenarbeit mindestens zweier politischer Parteien“ zu einer politischen Partei auf europäischer Ebene. Mit dieser Regelung werden die bereits seit langem existierenden Parteienbündnisse (Europäische Volkspartei, Sozialdemokratische Partei Europas, etc.) erfasst und gleichsam zu politischen Parteien erklärt. Die Aufgabengebiete politischer Parteien auf europäischer Ebene werden nur sehr vage umschrieben; dazu zu rechnen sind jedenfalls die Mitwirkung an der europäischen ĺIntegration, der Beitrag zur Bildung eines europäischen Bewusstseins und die Artikulation des politischen Willens der Bürger. Die Erklärung Nr. 11 zur Schlussakte der Konferenz von Nizza (ĺVertrag von Nizza) hält fest, „dass Artikel 191 [EG, Anm.] keine Übertragung von Zuständigkeiten auf die Europäische Gemeinschaft zur Folge hat und die Anwendung der einschlägigen einzelstaatlichen Verfassungsbestimmungen nicht berührt.“ Das europäische Parteienrecht ist somit strikt vom Parteienrecht in den Mitgliedstaaten zu trennen. Trotzdem ist auf Gemeinschaftsebene aber auch zwischen politischen Parteien und Parlamentsfraktionen (ĺEuropäisches Parlament – Fraktionen) zu unterscheiden. (sl) §§: Art. 191 EG; Vertrag von Nizza: 11. Erklärung zu Art. 191 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft; Art. 12 GRC; VO (EG) 2004/2003 Lit.: C.-C. Buhr, Europäische Parteien. Die rechtliche Regelung ihrer Stellung und Finanzierung, 2003; H.
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Parteien, politische: Rechtspersönlichkeit, Gründungsvoraussetzungen H. von Arnim/M. Schurig, Die EU-Verordnung über die Parteienfinanzierung, 2004; H. H. Klein, Europäisches Parteienrecht, in: J. Bröhmer et al. (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte. FS für G. Ress, 2005, 541; N. Solar, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 46. Lfg. 2005, Art. 191 EGV; W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 191 EGV
das Bestehen politischer Parteien, deren Mitglieder natürliche Personen und nicht nationale Parteien sind, in der Praxis fast unmöglich gemacht wird. Dieses Faktum hat eine Zementierung des Status Quo zur Folge und unterdrückt das Entstehen echter „Bürgerparteien“. (sl)
Parteien, politische: Rechtspersönlichkeit, Gründungsvoraussetzungen
§§: Art. 191 EG; VO (EG) 2004/2003 Lit.: H. H. von Arnim/M. Schurig, Die EU-Verordnung über die Parteienfinanzierung, 2004; H. H. Klein, Europäisches Parteienrecht, in: J. Bröhmer et al. (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte. FS für G. Ress, 2005, 541; N. Solar, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 46. Lfg. 2005, Art. 191 EGV; W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 191 EGV
parties, political: legal personality, conditions for formation – partis, politiques: personnalité juridique, conditions pour la fondation
Weder Art. 191 EG noch die „VO (EG) 2004/ 2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung“ enthalten Bestimmungen über die Rechtspersönlichkeit politischer ĺParteien auf europäischer Ebene. Art. 3 der VO stellt als eine der Voraussetzungen für das Bestehen einer politischen Partei auf europäischer Ebene das Erlangen von Rechtspersönlichkeit in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, auf. Das Erlangen von Rechtspersönlichkeit richtet sich somit nach mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften. Liegen auch die weiteren Voraussetzungen des Art. 3 der VO vor, so erklärt dieser politische Parteien auf europäischer Ebene zu juristischen Personen. Für das Bestehen politischer Parteien sind neben den Voraussetzungen für das Bestehen ihrer beiden Erscheinungsformen (politische Partei: Verfolgung politischer Ziele und Anerkennung oder Gründung in einem Mitgliedstaat; Bündnis politischer Partei: strukturierte Zusammenarbeit mindestens zweier politischer Parteien) nach Art. 3 der VO noch folgende weitere Kriterien kumulativ zu erfüllen: a. Rechtspersönlichkeit im Mitgliedstaat ihres Sitzes b. Bestimmte Wahlerfolge bei regionalen, nationalen und europäischen Wahlen in zumindest einem Viertel aller Mitgliedstaaten c. Beachtung der Grundsätze, auf denen die EU beruht (Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie Rechtsstaatlichkeit) d. Bereits erfolgte Teilnahme an Wahlen zum EP oder entsprechende Absichtsbekundung. Politische Parteien auf europäischer Ebene müssen nicht auf eine verstärkte ĺIntegration hinwirken. Wichtig festzuhalten ist im gegebenen Zusammenhang, dass insb. durch das Erfordernis bestimmter Wahlerfolge die Gründung und 688
Parteienfinanzierung auf europäischer Ebene financing of political parties at european level – financement des partis politiques au niveau européen
Der ĺHaushaltsplan der EG sieht für das Jahr 2008 Zuschüsse an die politischen ĺParteien auf europäischer Ebene in der Höhe von € 10.645.000,vor. Die Verteilung erfolgt mittels einem Sockelbetrag (15 % der Mittel), der zu gleichen Teilen auf alle anspruchsberechtigten Parteien aufgeteilt wird, und einem Steigerungsbetrag (85 % der Mittel), der sich nach der Zahl der Mitglieder der politischen Parteien auf europäischer Ebene im ĺEP bemisst. Die Parteienförderung auf europäischer Ebene ist antragsgebunden. Neben den für das Bestehen politischer Parteien auf europäischer Ebene nötigen Voraussetzungen (ĺParteien, politische: Rechtspersönlichkeit, Gründungsvoraussetzungen) sind dem jährlich beim EP einzubringenden Antrag auf Förderung bestimmte Unterlagen beizufügen. Mit der Gewährung von Zuschüssen gehen auch Pflichten einher, die von der jährlichen Veröffentlichung der Einnahmen und Ausgaben der Parteien, über eine zweckgebundene Verwendung der Gemeinschaftszuschüsse bis hin zu einem Verbot der Annahme von Spenden aus bestimmten Quellen reichen. Finanzielle Zuwendungen nationaler Tochterparteien an politische Parteien auf europäischer Ebene sind bis zu einer bestimmten Höhe zulässig; politischen Parteien auf europäischer Ebene ist die Finanzierung insb. von nationalen Tochterparteien aber verboten. (sl) §§: Art. 191 EG; Vertrag von Nizza: 11. Erklärung zu Art. 191 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft; VO (EG) 2004/2003 Lit.: H. H. von Arnim/M. Schurig, Die EU-Verordnung über die Parteienfinanzierung, 2004; H. H. von
Partnerschaftsrahmenvertrag mit internationalen Organisationen Arnim, Die neue EU-Parteienfinanzierung, NJW 2006, 247; H. H. Klein, Europäisches Parteienrecht, in: J. Bröhmer et al. (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte. FS für G. Ress, 2005, 541; N. Solar, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 46. Lfg. 2005, Art. 191 EGV, Rn. 13 ff.; W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 191 EGV, Rn. 7 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 294/83 Les Verts/Parlament, Slg. 1986, 1339
Parteifähigkeit, Nichtigkeitsklage locus standi, action for annulment – qualité pour agir, recours en annulation
Fähigkeit in einer Nichtigkeitsklage Partei zu sein. Aktiv parteifähig (ĺKläger, Nichtigkeitsklage) können sein: ƒ Mitgliedstaaten, ƒ Rat (ĺRat der Europäischen Union), ƒ ĺKommission, ƒ Parlament (ĺEuropäisches Parlament), ƒ ĺRechnungshof, ƒ ĺEuropäische Zentralbank, ƒ natürliche Personen, ƒ juristische Personen. In der Literatur wird zudem eine Erweiterung der aktiven P. auf den ĺWirtschafts- und Sozialausschuss sowie den ĺAusschuss der Regionen diskutiert, um das institutionelle Gleichgewicht der Organe und Einrichtungen zu gewährleisten. Der Gerichtshof hat sich hierzu noch nicht geäußert. Passiv parteifähig nach Art. 230 Abs. 1 EG (ĺBeklagter, Nichtigkeitsklage) können sein: ƒ Rat (ĺRat der Europäischen Union), ƒ ĺKommission, ƒ ĺEuropäische Zentralbank, ƒ Parlament (ĺBeklagter, Nichtigkeitsklage; ĺEuropäisches Parlament). Daneben regelt Art. 237 lit. b und c EG für bestimmte Klagegegenstände auch die passive Parteifähigkeit folgender Organe der EIB (ĺEuropäische Investitionsbank): ƒ Rat der Gouverneure der EIB ƒ Verwaltungsrat der EIB. (mk) §§: Art. 230, 237 EG
Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) Partnership and Co-operation Agreement (PCA) – Accord de partenariat et de co-opération (APC)
Die EU hat mit osteuropäischen und zentralasiatischen Ländern (ĺArmenien, ĺAserbaidschan, ĺGeorgien, Kasachstan, Kirgisistan, ĺMoldau, ĺRussische Föderation, ĺUkraine und Usbekistan) PKAs geschlossen, um in die-
sen Ländern die demokratische und wirtschaftliche Konsolidierung zu unterstützen. Die Wandlung zur freien Marktwirtschaft wird dabei begleitet, Handel und Investitionen werden gefördert, eine Grundlage für Kooperationen in Gesetzgebung, Wirtschaft, sozialen, finanziellen, wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Belangen geschaffen. Ein ĺpolitischer Dialog ist ebenso vorgesehen, wie Kooperationsräte zur Durchführung und Überwachung des PKA. (bb) Lit.: I. Kempe (Hrsg.), Prospects and Risks Beyond EU-Enlargement. Eastern Europe: Challenges of a Pan-European Policy, 2003
Partnerschaftsabkommen partnership agreement – accord de partenariat
Rechtmäßig in einem EU-MS beschäftigte Drittstaatsangehörige können sich direkt auf das entsprechende Partnerschaftsabkommen berufen, um ihre daraus erfließenden Rechte geltend zu machen. Dies stellte der EUGH auch im Zusammenhang mit dem Partnerschaftsabkommen EU-Russische Föderation fest: EuGH, Rs. C-265/03, Simutenkov, Slg. 2005, I-2579 unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 23 Abs. 1 Partnerschaftsabkommen EG – Russland. (bb) §§: Beschluss des Rates und der Kommission vom 30.10.1997 über den Abschluss des Abkommens über Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der ĺRussischen Föderation andererseits (ABl. 1997, Nr. L 327/1) Lit.: M. M. Karollus, Einige Überlegungen aus Anlass der EuGH-Entscheidung in der Rechtsache Simutenkov, wbl 2005, 497
Partnerschaftsrahmenvertrag mit internationalen Organisationen Framework Partnership Agreement with International Organisations – contrat-cadre de partenariat avec des organisations internationales
Am 29.4.2003 wurde ein Partnerschaftsrahmenvertrag mit den Vereinten Nationen (UN) geschlossen, der den rechtlichen Rahmen für die Beziehungen zwischen der Europäischen Kommissionen und den respektiven UN-Organisationen im Bereich der humanitären Hilfe regelt (EC/UN Financial Administrative Framework Agreement). Um dem speziellen Charakter von Organisationen wie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz Rechnung zu tragen, hat das ĺAmt für Humanitäre Hilfe (ECHO) entschieden, einem Partnerschaftsvertrag mit Internationalen Organisationen das EC/UN Financial Administrative Framework Agreement 689
Partnerschaftsrahmenvertrag mit Nicht-Regierungsorganisationen zu Grunde zu legen. Vgl. ĺKoordinierung humanitärer Hilfe auf internationaler Ebene. (ab) Web: http://ec.europa.eu/echo/partners/index_en.htm; http://ec.europa.eu/echo/pdf_files/fafa/agreement_en. pdf
Partnerschaftsrahmenvertrag mit Nicht-Regierungsorganisationen Framework Partnership Agreement with Non Governmental Organisations (NGOs) – contrat-cadre de partenariat avec des organisations non gouvernementales
Der jetzige Partnerschaftsrahmenvertrag mit Nichtsregierungsorganisationen ist seit 1.1.2004 in Kraft. Dieser Vertrag ist die Grundlage für die Partnerschaft des ĺAmtes für humanitäre Hilfe (ECHO) und humanitären Organisationen. Er legt die wechselseitigen Aufgaben, Rechte und Pflichten fest und enthält weiters die rechtliche Grundlage für die von ECHO finanzierten Hilfsmaßnahmen. Eines der vorrangigen Ziele dieses Partnerschaftsrahmenvertrages war die Vereinfachung der administrativen Durchführung humanitärer Maßnahmen. (ab) Web: http://ec.europa.eu/echo/partners/fpa_ngos_en. htm
den meisten Fällen das Zwangsgeld dem Pauschalbetrag vor. Zum Pauschalbetrag wird von Seiten der Kommission gegriffen, wenn sich eine schnelle Beseitigung des Vertragsverstoßes durch andere Zwangsmaßnahmen nicht erreichen ließ und die Vertragsverletzung somit lange fortbestanden hat (EuGH, Rs. C-304/02 Kommission/ Fraunkreich, Slg. 2005, I-6263, Rn. 81). Die Verhängung eines Pauschalbetrages ist zudem denkbar, wenn der Mitgliedstaat während des Vorverfahrens gem. Art. 228 Abs. 2 EG mit Blick auf das Damoklesschwert eines empfindlichen Zwangsgeldes den Vertragsverstoß noch vor Erhebung der Sanktionsklage durch die Kommission beseitigt, die Kommission aber von einer hohen Wiederholungsgefahr in gleich gelagerten Fällen ausgehen muss. (cv) §§: Art. 228 EG Lit.: P. Karpenstein/U. Karpenstein, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 32. Lfg. 2007, Art. 228 EG, Rn. 34 Web: Zur Berechnung des Pauschalbetrags vgl. das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Deutschen Bundestag: http://www.bundestag.de/bic/analysen/ 2006/Vertragsverletzungsverfahren_gemaess_Art_228 _EG-Vertrag.pdf
Passenger Name Record ĺFluggastdatenspeicherung
Pauschalreiserichtlinie
Passerelle ĺEuropäische Union
Ziel der PauschalreiseRL, einer ĺKundenschutzund ĺMindestRL, ist es, Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr (ĺDienstleistungsfreiheit), die aus divergierenden, einzelstaatlichen Rechtsvorschriften in diesem Bereich resultieren und die damit einhergehenden Wettbewerbsverzerrungen zwischen Unternehmern der Mitgliedstaaten zu beseitigen sowie den Verbrauchern die Möglichkeit zu bieten, in sämtlichen Mitgliedstaaten Pauschalreisen zu vergleichbaren Bedingungen zu buchen. Die besondere Bezugnahme auf Pauschalreisen ist darauf zurückzuführen, dass der Verbraucher Pauschalreisen im Vergleich zu Individualreisen im Voraus zu bezahlen hat, wodurch ihm die Möglichkeit genommen wird, bei Störung der vertraglichen Leistung das Entgelt entsprechend zurückzuhalten. Gleichzeitig ist der Verbraucher davor zu schützen, dass der Reiseveranstalter bzw. Reisevermittler insolvent wird. Eine Pauschalreise i.S. dieser RL liegt vor, wenn mindesten zwei der in Art. 2 RL aufgezählten Dienstleistungen verbunden und zu einem Gesamtpreis verkauft werden, wobei die Leistung
Passive Dienstleistungsfreiheit ĺDienstleistungsfreiheit, passive Passiver Verbraucher ĺVerbraucher, passiver Patent ĺEurop. Patent (mit zahlreichen weiteren Verweisen) Pauschalbetrag flat rate – montant global
Der Pauschalbetrag spiegelt, wie der Name schon sagt, nicht den unterschiedlichen Grad der Vertragsverletzung in einem Mitgliedstaat wider. Daher ist zur schnellen und effizienten Beseitigung des Vertragsverstoßes durch den Mitgliedstaat eher das Zwangsgeld geeignet. In der Praxis zieht deswegen die Kommission in 690
directive on package travel, package holidays and package tours – directive concernant les voyages, vacances et circuits à forfait
PCT, Bestimmungserklärung länger als 24 Stunden dauert oder eine Übernachtung beinhaltet. Erfasst werden von der RL sowohl Veranstalter als auch Vermittler solcher Reisen (Art. 2 RL). Der in der RL verwendete ĺVerbraucherbegriff ist hingegen ein sehr untechnischer und umfasst ebenso den zu beruflichen oder gewerblichen Zwecken Reisenden (Art. 2 RL). Um ihr Regelungsanliegen zu erfüllen, sieht die RL gewisse Informationen vor, die der Veranstalter oder Vermittler bei Verwendung eines Reiseprospekts anzugeben hat und die für ihn grds. auch verbindlich sind (Art. 3 RL). Zudem werden dem Veranstalter oder Vermittler sowohl für den vorvertraglichen Bereich als auch nach Vertragsabschluss bestimmte Informationspflichten auferlegt (Art. 4 RL). Weiters werden dem Verbraucher in den Art. 46 RL eine Reihe von Rechtsbehelfen bei erfolgter Leistungsstörung eröffnet, die von Erfüllungs- über Minderungsansprüchen bis hin zum Recht auf Vertragsaufhebung reichen. Wird nicht oder nicht gehörig erfüllt, steht dem Verbraucher u.a. auch ein Anspruch auf Schadenersatz nach Art. 5 RL zu, in dessen Rahmen auch immaterieller Schaden zu ersetzen ist (EuGH 12.3.2002, Rs. C-168/00 Leitner, Slg. 2002, I-2631). Schließlich muss der Veranstalter oder Vermittler nachweisen, dass bei dessen Insolvenz die Erstattung gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sichergestellt ist (Art. 7 RL), wofür insbesondere Fonds- oder Versicherungslösungen in Frage kommen. Die PauschalreiseRL regelt erstmals auch ihren eigen Anwendungsbereich, indem sie auf den Ort der Werbung oder des Vertragsanbots abstellt (Art. 1 RL). Ergänzt wird die PauschalreiseRL durch die Flugannulierungs-VO aus dem Jahre 2004. (pa) §§: RL 90/314/EWG des Rates vom 13.6.1990 über Pauschalreisen, ABl. 1990, Nr. L 158/59; VO (EG) 261/ 2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der VO (EWG) 295/91, ABl. 2004, Nr. L 46/1 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/ H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
PCT Patent Cooperation Treaty (PCT) – Traité de coopération en matière de brevets (PCT)
Der Patentzusammenarbeitsvertrag ist ein Sonderabkommen nach Art. 19 PVÜ (ĺPariser
Verbandsübereinkunft) und seit 1978 in Kraft; 138 Mitglieder (Jänner 2008), darunter alle EPÜ-Vertragsstaaten (ĺEuropäisches Patentübereinkommen). Der PCT ermöglicht durch eine Anmeldung (= internationale Anmeldung) Patentschutz in sämtlichen PCT-Staaten zu erreichen. Die Patenterteilung erfolgt jedoch durch die nationalen Patentämter jener Staaten, die in der Anmeldung bestimmt wurden (ĺPCT, Bestimmungserklärung). Dem entsprechend ist zu unterscheiden zwischen 1. einer int. Phase bestehend aus int. Anmeldung, int. Recherche (Kap. I PCT, ĺPCT, internationale Recherche) und allenfalls int. vorläufiger Prüfung (ĺPCT, Kap. II PCT), wobei Recherche und Prüfung bei zurzeit weltweit 13 Patentämtern (ISA: int. Recherchenbehörde = International Searching Authority; IPEA: int. Prüfbehörde = International Preliminary Examinating Authority) zentralisiert sind. Auch das ĺEuropäische Patentamt wird als ISA (Art. 154 EPÜ [Art. 152 EPÜ 2000]) und IPEA (Art. 155 EPÜ [Art. 152 EPÜ 2000]) tätig. An die internationale Phase schließt 2. die nationale bzw. regionale (ĺeurop. Patent, EURO-PCT-Anmeldung) Phase an. (mp) §§: Patentzusammenarbeitsvertrag, BGBl. 348/1979; Patentverträge-Einführungsgesetz BGBl. 52/1979 i.d.F. BGBl. I 149/2004 Lit.: R. Hesper, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 154 f.; G. Gall/K.-D. Rippe/G. Weiss, Die europäische Patentanmeldung und der PCT in Frage und Antwort, 7. Aufl. 2006; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 753 ff.; M. Reischle, Ausführliche Darstellung der ab 1.1.2004 geltenden Änderungen der PCT-Ausführungsordnung, Mitt. 2004, 529 Web: http://www.wipo.int/pct/en/texts/articles/atoc. htm; http://www.wipo.int/pct/en/texts/rules/rtoc1.htm; http://www.wipo.int/pct/en/access/isa_ipea_agreements. htm; http://www.wipo.int/pct/guide/en/gdvol1/annexes/ annexa/ax_a.pdf
PCT, Bestimmungserklärung PCT, designation – PCT, désignation
Bestimmung in der PCT-Anmeldung (ĺPCT) der Staaten, in denen ein Patent angestrebt wird; ab 1.1.2004: Fiktion der automatischen Bestimmung aller PCT-Vertragsstaaten (sofern kein Vorbehalt eingelegt) für alle nach dem nationalen/regionalen Recht möglichen Schutzrechtsarten gem. R. 4.9a (i) (ii) PCT („all inclusive system“); Rücknahme ist möglich (R. 90bis.2 PCT). Entsprechendes gilt auch für ĺPCT, Kap. II PCT. Spezifische Angaben, welches Schutzrecht gewünscht ist, erfolgen erst beim Eintritt in die 691
PCT, internationale Recherche nationale Phase (R. 49 bis.1) – im Zweifel wird von einer Patentanmeldung ausgegangen. Zum ĺEuropäischen Patentamt als Bestimmungsamt s. ĺeurop. Patent, EURO-PCT-Anmeldung. (mp) §§: Art. 4(1) (ii) PCT; R. 4.9, R. 49bis.1, R. 90bis.2 PCT Lit.: M. Reischle, Ausführliche Darstellung der ab 1.1. 2004 geltenden Änderungen der PCT-Ausführungsordnung, Mitt. 2004, 529
PCT, internationale Recherche PCT, international search – PCT, recherche internationale
In der internationalen Phase gem. ĺPCT obligatorisch durchzuführende Ermittlung des Standes der Technik zum Anmeldezeitpunkt (s.a. ĺeurop. Patent, Stand d. T.; beachte die von Art. 54 Abs. 2 EPÜ abweichende Definition) und Erstellung eines nicht bindenden Recherchenbericht durch eine ISA; seit 2004 auch Erstellung eines unverbindlichen schriftlichen Bescheids der ISA bezüglich Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit (erweiterter internationaler Recherchenbericht; EISPE-System). (mp) §§: Art. 15 ff. PCT; R. 43, R. 43bis, R. 44bis PCT Lit.: R. Hesper, in: M. Singer/D. Stauder (Hrsg.), Europäisches Patentübereinkommen, 4. Aufl. 2007, Art. 154, Rn. 53 ff.; L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 760 f.; M. Reischle, Ausführliche Darstellung der ab 1.1.2004 geltenden Änderungen der PCT-Ausführungsordnung, Mitt. 2004, 529
PCT, internationale vorläufige Prüfung PCT, international preliminary examination – PCT, examen préliminaire international
ĺPCT, Kap. II PCT PCT, Kapitel II PCT
ĺeurop. Patent, Stand d. T.). Mangels Vorliegens eines Vorbehalts nach Art. 64 Abs. 1 PCT sind zurzeit (Stand: 7.2.2008) alle PCT-Vertragsstaaten an Kap. II PCT gebunden. Nach dem neuen all-inclusive-System (ĺPCT, Bestimmungserklärung) gelten gem. R. 53.7 mit dem Antrag auf internationale vorläufige Prüfung (eingereicht nach dem 1.1.2004) alle Bestimmungsländer, für die Kap. II verbindlich ist, als ausgewählt (Möglichkeit der Rücknahme nach Art. 37 PCT; R. 90bis.4). Zum ĺEPA als ausgewähltes Amt s. ĺeurop. Patent, EUROPCT-Anmeldung. (mp) §§: Art. 31 ff.; Art. 64 PCT; R. 53.7, R. 70, R. 90bis.4 PCT Lit.: L. Dybdahl, Europäisches Patentrecht, 2. Aufl. 2004, Rn. 762, 765; M. Reischle, Ausführliche Darstellung der ab 1.1.2004 geltenden Änderungen der PCTAusführungsordnung, Mitt. 2004, 529 Web: http://www.wipo.int/pct/de/texts/reservations/ res_incomp.pdf
PECL ĺGrundregeln des Europäischen Vertragsrechts PEL ĺPrinciples of European Law Persönliche Freiheit ĺRecht auf Freiheit und Sicherheit Personenbezogene Daten ĺDaten Personenverkehr ĺGrenzüberschreitender Personenverkehr
PCT, Chapter II PCT – PCT, Chapitre II PCT
Kap. I PCT (ĺPCT) regelt für alle PCT-Staaten die internationale Anmeldung, ĺPCT, internationale Recherche, den schriftliche Bescheid der ISA und die Veröffentlichung der internationalen Anmeldung (internationale Phase nach Kap. I). Darüber hinaus ermöglicht Kap. II für Staaten, für die (mangels Vorbehalt nach Art. 64 Abs. 1 PCT) Kap. II verbindlich ist, eine internationale vorläufigen Prüfung und Erstellung eines „Internationalen vorläufigen Prüfberichts zur Patentfähigkeit Kap. II“ über Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit, der von den für die Erteilung zuständigen ausgewählten Ämter berücksichtigt wird (jedoch keine Bindung; s.a. zum vom EPÜ abweichenden PCT-Begriff des Standes der Technik; 692
Personenverkehr, freier free movement of persons – libre circulation des personnes
Zentrales Integrationsziel der am 25.3.1957 gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war, einen Gemeinsamen Markt zu errichten (Art. 2 EWGV). Zu diesem Zwecke musste u.a. die Mobilität des Produktionsfaktors Arbeit innerhalb der Gemeinschaft hergestellt, d.h. die Hindernisse für den freien Personenverkehr von Erwerbstätigen beseitigt (Art. 3 lit. c EWGV), werden. Dem dienten die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 48 ff. EWGV, Art. 39 ff. EG; ĺArbeitnehmerfreizügigkeit) und das Niederlassungsrecht Selbstständiger (Art. 52 ff. EWGV, Art. 43 ff. EG; ĺNiederlassungsrecht).
Personenverkehrsfreiheiten, Übergangsvorschriften Relevant für den freien Personenverkehr sind darüber hinaus die primär auf den grenzüberschreitenden Handel mit Produkten zielenden Freiheiten des Dienstleistungs- (ĺDienstleistungsfreiheit) und Warenverkehrs (ĺWarenverkehr, freier). Denn sie setzen ein transnationales Freizügigkeitsrecht für den Erbringer (ĺDienstleistungsfreiheit, aktive) und Empfänger (ĺDienstleistungsfreiheit, passive) von Dienstleistungen bzw. den Käufer (EuGH, Rs. 362/88 GB-Inno-BM, Slg. 1990, 667, Rn. 8) oder Verkäufer von Waren voraus. Das den Personenverkehrsfreiheiten ursprünglich zugrunde liegende Ziel der Marktintegration spiegelt sich in deren auf wirtschaftlich aktive Personen beschränkten Anwendungsbereich wider. Mit fortschreitender Integration hat das Freizügigkeitsrecht jedoch diesen instrumentellen Charakter zunehmend verloren. Bereits die nicht unumstrittene Anerkennung der passiven Dienstleistungsfreiheit bedeutet nichts anderes als ein ratione personae nahezu umfassendes Freizügigkeitsrecht, da sich jeder Aufenthalt als Serie einer Inanspruchnahme von Dienstleistungen (Hotel, Restaurant etc.) darstellt. Des Weiteren hat der Gerichtshof praeter legem ein Freizügigkeitsrecht für Studierende entwickelt (ĺFreizügigkeit, Studierende), das nur noch einen sehr schwachen ökonomischen Bezug aufweist. Beide Gewährleistungen blieben jedoch hinter der Erwerbstätiger zurück. Mit den zwischenzeitlich durch die neue Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG (ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG) ersetzten drei Aufenthaltsrichtlinien 93/96/EWG (Studierende), 90/365/EWG (Rentner) und 90/364/EWG (sonstige Nichterwerbstätige) hat der Gemeinschaftsgesetzgeber Anfang der 1990er Jahre schließlich die bestehenden Lücken hinsichtlich Nichterwerbstätiger im gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsregime geschlossen. Um die finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten zu schützen, war das Freizügigkeitsrecht Nichterwerbstätiger allerdings an eine ausreichende ökonomische Absicherung geknüpft. Den konzeptionellen Bruch zwischen Freizügigkeit und Marktintegration hat das durch den Vertrag von Maastricht als Unionsbürgerrecht eingeführte allgemeine Freizügigkeitsrecht (Art. 18 EG; ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines) gebracht. Dieses ist nämlich allen Unionsbürgern zweckfrei, d.h. unabhängig von einer ökonomischen Betätigung, gewährleistet. An der prinzipiellen Unterscheidung seines Gewährleistungsumfangs für Erwerbstätige einerseits (bedingungslos) und
Nichterwerbstätige andererseits (ökonomische Aufenthaltsvoraussetzungen) hat sich allerdings aller Annäherung zum Trotz nichts geändert. Die erwähnten Freizügigkeitsgarantien erfassen ausschließlich Unionsbürger, d.h. Angehörige der Mitgliedstaaten (ĺUnionsbürgerschaft), und deren Familienangehörige (ĺFreizügigkeit, Familienangehörige). In zunehmendem Maße bedeutsamer wird darüber hinaus aber die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen (ĺFreizügigkeit, Drittstaatsangehörige). (fw) §§: Art. 2, 3 lit. c, 18, 39 ff., 43 ff., 49 f. EG Lit.: D. H. Scheuing, Freizügigkeit als Unionsbürgerrecht, EuR 2003, 744; F. Weiss/F. Wooldridge, Free Movement of Persons within the European Community, 2002; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Personenverkehrsfreiheiten ĺPersonenverkehr, freier Personenverkehrsfreiheiten, Übergangsvorschriften free movement of persons, transitional provisions – libre circulation des personnes, dispositions transitoires
Mit allen zum 1.5.2004 neu beigetretenen Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Malta und Zypern (ĺOsterweiterung) wurden Übergangsfristen im Rahmen der Personenfreizügigkeit vereinbart, um Migrationsbewegungen steuern zu können. Unionsrechtlich verankert sind diese in Art. 24 i.V.m. den Anhängen V bis XIV der Beitrittsakte, die identische Regelungen in Bezug auf die Tschechische Republik, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Slowenien und die Slowakische Republik enthalten. Die jeweiligen Anhänge sehen eine gestufte, maximal siebenjährige Übergangsfrist für die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit mit vorübergehender Entsendung von Arbeitskräften vor. Für einen Zeitraum von zwei Jahren nach dem Beitritt können die Mitgliedstaaten bestehende Zugangsbeschränkungen zum Arbeitsmarkt beibehalten (Nr. 2 UAbs. 1 Satz 1). Diese Übergangsvorschriften können nach einer dann durchzuführenden Überprüfung durch den Rat (Nr. 3) für weitere drei Jahre beibehalten werden (Nr. 2 UAbs. 1 Satz 2). Bei schwerwiegenden Störungen des nationalen Arbeitsmarktes oder einer entsprechenden Gefahr können die Beschränkungen um zwei weitere Jahre verlängert werden (Nr. 5). Zugangsbeschränkungen sind gem. Nr. 2 UAbs. 2 bis 4 nicht zulässig, 693
Petersberg-Aufgaben wenn die Person im jeweiligen Mitgliedstaat zum Beitrittstag bereits zwölf Monate rechtmäßig gearbeitet hat oder danach für zwölf Monate arbeitet. Nr. 8 trifft für diesen Fall auch Sonderregelungen für arbeitswillige Familienangehörige. Macht ein Mitgliedstaat von der Möglichkeit, Zugangsbeschränkungen beizubehalten oder aufrechtzuerhalten, keinen Gebrauch, so kann dieser deren Wiedereinführung in einem in Nr. 7 näher beschriebenen Verfahren beantragen, wenn er „auf seinem Arbeitsmarkt Störungen erleidet oder voraussieht, die eine ernstliche Gefährdung des Lebensstandards oder des Beschäftigungsstandes in einem bestimmten Gebiet oder Beruf mit sich bringen könnten“. In dringenden und außergewöhnlichen Fällen besteht zudem die Möglichkeit, die Vorschriften über die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu suspendieren (Nr. 7 UAbs. 3). Deutschland und Österreich wird zudem in Nr. 13 die Möglichkeit eingeräumt, bei tatsächlichen und schwerwiegenden Störungen in bestimmten Sektoren (Baugewerbe, Reinigung, Innendekoration) die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen durch Arbeitnehmer von in den neuen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen einzuschränken. Nr. 14 UAbs. 1 bestimmt schließlich, dass keine restriktiveren Maßnahmen eingeführt werden dürfen als die zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Beitrittsvertrages bestehenden. Dem weitgehend entsprechende Übergangsregelungen für Angehörige der zum 1.1.2007 beigetretenen Staaten Bulgarien und Rumänien (ĺBulgarien und Rumänien, Beitritt) finden sich in Art. 23 i.V.m. den Anhängen VI und VII Beitrittsakte. (fw) §§: Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge, ABl. 23.9. 2003, Nr. L 236/33; Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht, ABl. 21.6.2005, Nr. L 157/203 Lit.: K. Dienelt, Freizügigkeit nach der Osterweiterung, 2004; P. Tschäpe, Die Übergangsbestimmungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit und zum Grundstücksverkehr im Rahmen der EU-Osterweiterung, 2004 Web: http://ec.europa.eu/employment_social/free_ movement/enlargement_de.htm
Petersberg-Aufgaben ĺEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) 694
Petitionsrecht, Petitionsausschuss petition/right to petition, Petition Committee – pétition/ droit de pétition, Commission des pétitions
Art. 194 i.V.m Art. 21 I EG verbürgen ein Petitionsrecht zum EP, das durch die Art. 191-193 GO-EP näher ausgeformt wird. Die ĺGrundrechte-Charta gewährt in ihrem Art. 44 ebenfalls das Petitionsrecht, ohne dass dieses dadurch in seinem Umfang erweitert würde. Das Petitionsrecht ist Teil des „Status activus“ der ĺUnionsbürger und dient sowohl dem Rechtsschutz des Bürgers als auch seiner Partizipation am politischen Leben der Union, denn es gewährt ihm einen direkten Zugang zum EP. Petitionsberechtigt ist jeder Bürger der Union, aber auch jede natürliche und juristische Person, die ihren Wohnsitz oder satzungsgemäßen Sitz in einem Mitgliedstaat hat. Petitionsfähige Gegenstände können nur solche sein, die in den Tätigkeitsbereich der Gemeinschaft fallen. Dies schließt Aktivitäten im Bereich der zweiten und dritten Säule ein, wie Art. 191 I GO-EP („Tatigkeitsbereich der Union“) klarstellt. Zugleich setzt Art. 194 EG voraus, dass der Petent ein unmittelbares Interesse am Gegenstand der Petition haben muss. Dies setzt keine Betroffenheit in eigenen Rechten voraus. Die Form der Petition ist nicht näher vorgeschrieben. Petitionen können als Einzel- und als Sammelpetitionen eingereicht und schriftlich oder mündlich erhoben werden. Sie soll jedoch in einer Amtssprache der Union verfasst sein (Art. 191 III GO-EP). Art. 192 GO-EP legt das Verfahren fest, in dem der Petitionsausschuss des EP die Petition prüft. Es kann dazu einen Bericht ausarbeiten, Stellungnahmen anderer Instanzen anfordern oder auch Anhörungen oder Mitglieder zur Tatsachenfeststellung vor Ort schicken (Art. 192 I, III, IV GO-EP). Der Petent wird vom ĺPräsidenten des Parlaments über die gefassten Beschlüsse und über deren Begründung unterrichtet, Art. 192 VII GO-EP. (pd) §§: Art. 21, Art. 194 EG; Art. 191-193 GO-EP Lit.: J. M. Meese, Das Petitionsrecht beim Europäischen Parlament und das Beschwerderecht beim Bürgerbeauftragten der Europäischen Union, 2000; A. Guckelberger, Der Europäische Bürgerbeauftragte und die Petition zum Europäischen Parlament, 2004; P. M. Huber, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 194
Petitionsrecht, grundrechtliches right to petition – droit de pétition
Schon bislang im ĺPrimärrecht verankert, soll nun auch die ĺGRC ein Petitionsrecht als
Pharmakovigilanz ĺGrundrecht garantieren. Es handelt sich dabei um ein Bürgerrecht unter der Voraussetzung der Unionsbürgerschaft oder des Wohnsitzes (Sitzes). (ed) §§: Art. 44 GRC/Art. II-104 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 37 III; S. Magiera, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 44
Pflanzenschutz Pyhtosanitary measures – Protection des plants
Die Regelung des Schutzes von Pflanzen erfolgt in 2 Bereichen: Phytosanitärrecht: beinhaltet Maßnahmen zum Schutz gegen das Verbringen von Schadorganismen auf oder durch Pflanzen oder Pflanzenerzeugnissen. Diese Maßnahmen umfassen Verbote und Vorschriften, die sich auf den Verkehr und die Verwendung von Schadorganismen, Pflanzen und Pflanzenteile und sonstige Gegenstände beziehen. Gegebenfalls können Schutzgebiete festgelegt werden. Bestimmte Pflanzen müssen bei der Verbringung von einem Pflanzenpass bzw. einem Pflanzengesundheitszeugnis begleitet werden. Pflanzenschutzmittelrecht: beinhaltet Regelungen hinsichtlich der Zulassung und Anwendung von Pflanzenschutzmitteln: (all) §§: RL 2000/29/EG, Pflanzenschutz, ABl. 2000, Nr. L 169/1; RL 91/414/EWG, Pflanzenschutzmittel, ABl. 1991, Nr. L 230/1; EuGH, Rs. 272/80, Slg. 1981, 3277; EuGH, Rs. 104/75 De Pejper, Slg. 1976, 613; EuGH, Rs. C-201/94 Primecrowne, Slg. 1996, I-5819; EuGH, Rs. C-400/96 Pflanzenschutzmittel, Slg. 1998, I-05121 Web: http://www.ages.at
PHARE Poland and Hungary: Aid for Restructuring of the Economies – le programme Phare
Dt., Polen und Ungarn: Hilfe zur Restrukturierung der Wirtschaft. P. ist bzw. war eine der drei ĺHeranführungshilfen der EU für die ĺMOEL. Durch die finanzielle Unterstützung von Projekten zur Stärkung der Verwaltungsstrukturen (bzw. des Institutionenaufbaues) und von Investitionen sollte P. den beitrittswilligen Staaten die möglichst rasche Übernahme des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes ermöglichen. Die P.-Programme sind ab dem Zeitpunkt des ĺBeitritts zur EU nicht mehr neu ausgeschrieben worden. Durch eine sog. Übergangsfazilität in den ĺBeitrittsakten (Art. 34 Beitrittsa. 2004; Art. 31 Beitrittsa. 2007) ermöglicht die Union den neuen MS (ĺOsterweiterung bzw. ĺBulgarien und Rumänien, Beitritt) eine bis zu zweijährige Fortsetzung der Maß-
nahmen. Für die aktuellen ĺBewerberländer hat das Instrument für die Heranführungshilfe (ĺIPA) mit 2007 die Funktionen von P. übernommen. Angeregt durch den Beschluss der G-7 (Gipfel in Paris, Juli 1989), welcher die EG mit der Abwicklung und Verwaltung der Finanzhilfe für den Transformationsprozess in Mittel- und Osteuropa beauftrage, schlug die KOM 1989 das P.-Programm vor, welches der Rat mittels der VO (EWG) 3906/89 einrichtete. Zu Anfang nur, wie der volle Name „Poland/Hungary Aid for the Reconstruction of the Economy“ verrät, für Polen und Ungarn gedacht, wurde das Programm Schritt für Schritt auf alle ĺMOEL ausgeweitet. Auch die Länder des sog. ĺWestlichen Balkans waren von P. umfasst, bis die EU 2001 mit ĺCARDS ein eigenständiges Entwicklungs- und Stabilisierungsprogramm für diese Region entwickelte. Die Hilfe sollte – unter Berücksichtigung der Präferenzen der Empfängerländer – zur Unterstützung der marktwirtschaftlichen Umgestaltung dienen und vor allem dem „privaten Sektor“ zugute kommen (Art. 3 leg. cit.). Die einzelnen Zahlungen werden von der KOM im Rahmen des ĺKomitologie-Verfahrens unter Beteiligung des P.-Verwaltungausschuss genehmigt (Art. 9 leg. cit.). Nach dem Beginn der ĺBeitrittsverhandlungen (ĺOsterweiterung) formte die Union P. von einer Umstrukturierungs- bzw. Entwicklungshilfe zu einem Beitrittsinstrument um. Im Rahmen der intensivierten ĺHeranführungsstrategie diente P. nunmehr vor allem der Übernahme des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes. Dies erfolgte durch die Finanzierung von Programmen zur Stärkung der Verwaltungsstrukturen (ca. 65 % der Mitteln), zur Umstrukturierung der Industrie und regionalen Entwicklung (35 %), die nach den Prioritäten der ĺBeitrittspartnerschaften zu gestalten waren (Art. 4 i.V.m. Art. 6 VO [EG] 1266/1999). Das wichtigste P.-Instrument im Bereich des Institutionenaufbaues ist das sog. ĺTwinning. (lo) §§: Art. 181a EG; Art. 34 Beitrittsakte 2004, ABl. 23.9. 2003, Nr. L 236/33; Art. 31 Beitrittsakte 2007, ABl. 21.6. 2005, Nr. L 157/203; VO (EWG) 3906/89, ABl. 1989, Nr. L 375; VO (EG) 1266/1999, ABl. 1999, Nr. L 161/68 Lit.: T. Baerman, „Life after Phare“ – Die Zukunft der Vor-Beitrittshilfen, WiRO 2004, 97 Web: http://ec.europa.eu/enlargement/financial_assis tance/phare/index_en.htm
Pharmakovigilanz Art. 16 ff. ĺArzneimittelzulassungsverordnung; Art. 101 ff. ĺArzneimittelkodexrichtlinie 695
PHEA PHEA ĺExekutivagentur für das Gesundheitsprogramm (PHEA) Phil Collins-Entscheidung Phil Collins case – jurisprudence Phil Collins
In der Phil Collins-Entscheidung (EuGH 20.10. 1993, Rs. C-92/92 und 326/92, Slg. 1993, I05145) ging es um die Frage, inwieweit urheberrechtliche Bestimmungen dem ĺDiskriminierungsverbot (Art. 12 EG) unterliegen. Phil Collins, ein britischer Sänger, wollte der Imtrat, einer deutschen GmbH, den Vertrieb von Tonträgern in Deutschland verbieten, weil diese Tonträger eine ohne seine Einwilligung hergestellte Aufnahme eines Konzerts in den USA enthielten. Gem. damaliger deutscher Rechtslage konnten ausländische Künstler – anders als deutsche Künstler – die Verbreitung von Tonträgern allerdings nur dann untersagen, wenn die strittige Darbietung in Deutschland stattgefunden hatte. Nach Ansicht des EuGH verstößt eine solche unterschiedliche Behandlung von in- und ausländischen Künstlern gegen das ĺDiskriminierungsverbot und darf, weil das ĺDiskriminierungsverbot unmittelbar anwendbar ist, gegen Künstler aus Mitgliedstaaten nicht angewendet werden. (js) §§: Art. 12 EG Lit.: U. Loewenheim, Gemeinschaftsrechtliches Diskriminierungsverbot und nationales Urheberrecht, NJW 1994, 1046; M. M. Walter, Das Diskriminierungsverbot nach dem EWR-Abkommen und das österreichische Urheber- und Leistungsschutzrecht, MR 1994, 101, 152; J. Schacherreiter, in: G. Kucsko (Hrsg.), UrhG-Kommentar, 2007, vor §§ 94-100 UrhG Rsp.: EuGH, Rs. C-360/00 Ricordi, Slg. 2002, I-05089; EuGH, Rs. C-28/04 Tod’s, Slg. 2005, I-05781
Phytosanitäre Kontrolle health inspection – contrôle phytosanitaire
S.a. ĺVeterinärkontrolle. (ah) §§: u.a. RL 2000/29/EG über Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaft gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Schadorganismen der Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse, ABl. 2000, Nr. L 169/1; zuletzt geändert durch RL 2007/41/EG zur Änderung einiger Anhänge der RL 2000/29/EG, ABl. 2007, Nr. L 169/51
Piageme-Entscheidung
te geltend, dass eine belgische Regelung bestimme, dass die vorgeschriebenen Angaben auf den Etiketten zumindest in der oder den Sprachen des Sprachgebiets abgefasst sein müssten, in dem die Lebensmittel zum Verkauf angeboten würden. Peeters stützte sich dagegen auf die Unvereinbarkeit der belgischen Regelung mit Art. 28 EG und der RL 2000/13/EG (ĺLebensmittelkennzeichnung). Der ĺEuGH sprach dazu aus, dass die RL über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln, die ĺMitgliedstaaten nur dazu verpflichte, dafür zu sorgen, dass Erzeugnisse in ihrem Hoheitsgebiet nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn bestimmte Angaben nicht in einer dem Käufer leicht verständlichen Sprache abgefasst sind, es sei denn, die Unterrichtung des Käufers ist durch andere Maßnahmen gewährleistet. Der Gebrauch einer bestimmten Sprache ist somit nicht vorzuschreiben. Eine nationale Regelung, die allein die Verwendung der Sprache des Sprachgebiets, in dem die Erzeugnisse in den Verkehr gebracht werden, vorschreibt und nicht die Möglichkeit vorsieht, die Unterrichtung des Verbrauchers durch andere Maßnahmen zu gewährleisten, geht über die Anforderungen der RL hinaus und verstößt daher gegen Art. 28 EG. (ah) Rsp.: EuGH, Rs. C-369/89 Piageme, Slg. 1991, I-2971; ähnlich EuGH, Rs. C-366/98 Yannick Geffroy, Slg. 2000, I-6579
PICC ĺPrinciples of International Commercial Contracts PIF-Konvention ĺÜbereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (1995) PINC Akronym für franz. programme indicatif nucléaire pour la Communauté; ĺHinweisendes Nuklearprogramm Pirateriebekämpfung ĺProduktpiraterie; ĺProduktpiraterieverordnung
Piageme case – jurisprudence Piageme
Piraterieware
Die Rs. betraf den Verband der Hersteller, Importeure und Generalagenten ausländischer Mineralwässer (Piageme) und die in Belgien niedergelassene Firma Peeters. Piageme mach-
counterfeit and pirated goods – marchandises de contrefaçon et marchandises pirates
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Ware, die unter Verletzung von Rechten des geistigen Eigenums (Marken-, Geschmacks-
Politischer Dialog muster-, Patent-, Schutzzertifikatrechte) nachgeahmt, unerlaubt vervielfältigt oder nachgebildet wurde (z.B. nachgeahmte Markenprodukte; widerrechtlich kopierte CDs oder Nachbau von patent- oder designgeschützten Produkten) ĺProduktpiraterieverordnung. (mp) PJZS ĺPolizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) Planung, langfristige (Energierecht) long-term planning (energy law) – planification à long terme (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Langfristige Planung des Bedarfs an Investitionen in Erzeugungs-, Übertragungs- und Verteilungskapazität zur Deckung der Elektrizitätsnachfrage des Netzes und zur Sicherung der Versorgung der Kunden. Den Mitgliedstaaten ist es freigestellt, eine solche Langfristplanung vorzusehen. Österreich hat die Verpflichtung sowohl im Erdgas- als auch im Elektrizitätsbereich als Pflicht des ĺRegelzonenführers vorgesehen. (hh) §§: Art. 3 Abs. 2 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/54/EG), ErdgasbinnenmarktRL (RL 2003/55/EG)
Plaumann-Entscheidung Plaumann case – jurisprudence Plaumann
Entscheidung des EuGH vom 15.7.1963, in welcher der Gerichtshof die individuelle Betroffenheit gem. Art. 230 Abs. 4 EG für den Fall der Anfechtung einer Entscheidung, die nicht an den Kläger gerichtet ist, definiert hat (EuGH, Rs. 25/62 Plaumann, Slg. 1963, 213, 238). Die nach dem Kläger des Verfahrens benannte „Plaumann-Formel“ gilt seit dem generell für die Definition der ĺindividuellen Betroffenheit, auch über die Fälle der an einen Dritten gerichteten Entscheidung hinaus (EuGH, Rs. C-50/00 P Unión de Pequeños Agricultores, Slg. 2002, I-6677, Rn. 36; ĺUnión de Pequeños Agricultores-Entscheidung). (mk) §§: Art. 230 Abs. 4 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 411 ff.
Plenum ĺEuGH, Organisation PLT (Patentrechtsvertrag)
dung und Aufrechterhaltung nationaler und regionaler Patente. Entgegen dem ursprünglichen Vorhaben sind Fragen des materiellen Patentrechts ausgeklammert (dazu liegt bisher nur ein Entwurf für einen „Substantive Patent Law Treaty“, ĺSPLT vor). Der PLT ist am 28.4.2005 in Kraft getreten; der aktuelle Ratifikationsstand ist auf der WIPO-Homepage abzufragen. U.a. wurden die Anforderungen an eine Patentanmeldung zum Zweck der Zuerkennung eines Anmeldetages fixiert (Art. 5 PLT); auf europ. Ebene setzt das EPÜ 2000 (ĺEuropäisches Patentübereinkommen, EPÜ 2000) Inhalte des PLT bereits um. (mp) Lit.: NN, Neues internationales Patentabkommen unterzeichnet, GRUR Int. 2000, 648 Web: http://www.wipo.int/patent/law/en/plt.htm
Plumb/Delors-Übereinkommen von 1988 Plumb/Delors Agreement from 1988 – Accord Plum/Delors de 1988
Eine der interinstitutionellen Vereinbarungen zwischen ĺKommission und ĺParlament, die den Konflikt der EU-Organe innerhalb der ĺKomitologie beilegen sollte. Seit den Anfängen der Komitologie beansprucht das Parlament Informations- und Beteiligungsrechte auch im Rahmen der ĺDurchführungsrechtsetzung. Mangels Regelungen im EG-Vertrag wurden dem Parlament sukzessiv durch (unverbindliche) Abkommen Rechte eingeräumt. Die Vereinbarung besteht im Wesentlichen aus einem Briefwechsel zwischen dem seinerzeitigen Parlamentspräsidenten Plumb und der Antwort des damaligen Kommissionspräsidenten Delors vom 14.3.1988 und regelt die Übermittlung von Dokumenten an das Parlament. Heute sind die parlamentarischen Rechte im ĺKomitologiebeschluss 1999/468/EG in der Fassung des Ratsbeschlusses 2006/512/EG festgeschrieben. (sk) PNR ĺFluggastdatenspeicherung Policy Unit ĺHoher Vertreter für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik Politische Parteien auf europäischer Ebene ĺParteien, politische auf europäischer Ebene
Patent Law Treaty (PLT) – Traité sur le droit des brevets (PLT)
Politischer Dialog
Dt., Patentrechtsvertrag. Der WIPO-Patentrechtsvertrag 2000 (PLT) harmonisiert bestimmte Formalitäten im Zusammenhang mit Anmel-
political dialogue – dialogue politique
Der Begriff des „politischen Dialogs“ ist kein Rechtsbegriff, der mit einem festen Inhalt be697
Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee (PSK) legt wäre. Er wird als Sammelbegriff verwandt für den allgemeinen politischen Meinungsaustausch zwischen der EG/EU und Drittstaaten, meist im Rahmen von bestehenden Vertragsbeziehungen wie ĺAssoziationsabkommen. Teils gibt es eine spezielle Vertragsgrundlage zur Durchführung des politischen Dialogs, teils entspringt er der diplomatischen Praxis. Er kann auf unterschiedlichen Ebenen (Staats- und Regierungschefs, Minister, Beamte) erfolgen und wiederholt sich zumeist in regelmäßigen Abständen. In vielen Fällen bezieht sich der politische Dialog auf allgemeine politische Fragestellungen jenseits des konkreten Vertragsgegenstandes. Hierbei legt die Europäische Union meist einen besonderen Wert auf die Debatte von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Teil ihrer Konditionalitätspolitik, welche die Gewährung und den Fortbestand von vertraglichen Beziehungen von der Einhaltung diesbezüglicher Standards abhängig macht. (dt) Lit.: J. Monar, Political Dialogue with Third Countries and Regional Political Groupings, in: E. Regelsberger et al. (Hrsg.), Foreign Policy of the European Union, 1997, 263, A. Williams, The Human Rights Clause in the European Union’s External Trade and Development Agreements, ELJ 9 (2004), 677
Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee (PSK) Political and Security Committee (PSC) – Comité politique et de sécurité (CoPS)
Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) ist ein ständiges Arbeitsgremium des ĺRates im Rahmen der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) als zweite Säule der ĺEuropäischen Union. Es entwickelte sich in den vergangenen Jahren zum zentralen Entscheidungsorgan der GASP, in dem die Positionen der Mitgliedstaaten beständig abgeglichen und angenähert werden. Seine Einrichtung ist nach Einschätzung zahlreicher Beobachter ein wichtiger Grund für den Erfolg der GASP in den vergangenen Jahren, weil der institutionalisierte ständige Kontakt Vertrauen schafft und damit die Angleichung der unterschiedlichen außenpolitischen Positionen der Mitgliedstaaten befördert. Als ständiges Arbeitsgremium obliegt dem PSK seit dem ĺVertrag von Nizza die eigenständige politische Kontrolle und strategische Leitung von militärischen und zivilen ĺESVP-Missionen zwischen den monatlichen Tagungen des ĺRates für auswärtige Angelegenheiten (ĺGAERC). In dieser 698
Funktion nimmt das PSK eigenständige Rechtsakte an, die als Beschlüsse des PSK auch im ĺAmtsblatt veröffentlicht werden. Mitglieder des PSK sind Vertreter der ĺMitgliedstaaten auf Botschafterebene; der Vorsitz obliegt der jeweiligen Präsidentschaft des ĺRates mit Unterstützung des Sekretariats und des ĺHohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Seit der Einrichtung des PSK infolge des ĺVertrags von Amsterdam sind die Mitglieder ständig in Brüssel präsent und reisen nicht für die Sitzungen aus den Hauptstädten an, wie dies beim Vorgänger des Politischen Komitees der ĺEuropäischen Politischen Zusammenarbeit EPZ und dem Politischen Komitee der GASP unter Geltung des Vertrags von ĺMaastricht der Fall war. Sachlich befasst sich das PSK ausschließlich mit Fragen der GASP, einschließlich der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Es wird hierbei durch den ĺMilitärausschuss der Europäischen Union (EUMC), den ĺMilitärstab der Europäischen Union (EUMS) und den ĺAusschuss für die nichtmilitärischen Aspekte der Krisenbewältigung (CivCom) unterstützt. Formal ist das PSK dem ĺAusschuss der Ständigen Vertreter (AStV) untergeordnet, da letzterer alle Fragen der GASP und der ESVP an den Rat weiterleitet. Dessen ungeachtet besteht ein institutionelles Konkurrenzverhältnis zwischen AStV und PSK, da das PSK sich als gleichwertiges ständiges Leitungsgremium der GASP und der ESVP versteht. Anstatt Streitfragen vom AStV klären zu lassen, versucht das PSK alle Konflikte auf seiner Ebene zu klären, damit sie danach ohne weitere Diskussion den AStV passieren. (dt) §§: Beschluss 2001/78/GASP, ABl. 2001, Nr. L 27/1 Lit.: E. Regelsberger, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, 2004, 35-38 und 67-71
Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) Police and Judicial Cooperation in Criminal Matters (PJCCM) – La coopération policière et judiciaire en matière pénale (CPJMP)
Die „Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen“ hat zum Ziel, den Bürgern in der EU in einem ĺRaum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten. 1. Historische Grundlagen: Im Rahmen der PJZS können die EU und die Mitgliedstaaten häufig auf vertragliche Rege-
Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) lungen und bestehende Kooperationen im Rahmen des ĺEuroparates zurückgreifen. Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten der EG bereits in den 70-erJahren außerhalb der Verträge über die Europäischen Gemeinschaften in den sog. ĺTREVI-Gruppen ihre Kooperation zur Kriminalitätsbekämpfung intensiviert. Der Abbau der Binnengrenzkontrollen im Rahmen der Schengen-Verträge war verbunden mit einer Weiterentwicklung dieser grenzüberschreitenden Kooperation bei der Strafverfolgung. Mit Gründung der ĺEuropäischen Union durch den ĺMaastricht-Vertrag wurde für die Kooperation der Mitgliedstaaten bei der Kriminalitätsbekämpfung als Teil der ĺZusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres eine Rechtsgrundlage im ĺEU-Verrtrag geschaffen. Mit dem Amsterdamer Vertrag wurden Teile dieser Zusammenarbeit in das supranationale Gemeinschaftsrecht überführt, so dass die Dritte Säule nunmehr nur noch die PJZS umfasst. Zugleich wurde der ĺSchengen-Besitzstand durch das ĺSchengen-Protokoll entsprechend seiner sachlichen Zuordnung in das ĺPrimärrecht integriert und das Ziel des ĺRaums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in den Verträgen verankert. 2. Aufgaben und Kompetenzen: Die PJZS ist in den Art. 29 ff. EU-Vertrag geregelt und bildet die neben dem ĺEG-Vertrag und dem ĺEuratom-Vertrag als Erster Säule und der ĺGASP als Zweiter Säule sog. ĺDritte Säule der ĺEuropäischen Union. Sie ist auf ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedstaaten bei der Verhütung und Bekämpfung der organisierten oder nichtorganisierten Kriminalität gerichtet und umfasst sowohl Fragen der Prävention und Gefahrenabwehr als auch der Strafverfolgung. Die intergouvernementale Kooperation geht über klassische völkervertragliche Zusammenarbeit hinaus, erreicht aber nicht die supranationale Integrationstiefe des Gemeinschaftsrechts (ĺSupranationalität). Eine Beschränkung auf die Bekämpfung grenzüberschreitender Formen der Kriminalität enthält der Vertragswortlaut nicht. Diese kann sich aber u.U. aus dem ĺSubsidiaritätsprinzip ergeben. Die PJZS umfasst drei Bereiche. Dies sind: ƒ eine engere Zusammenarbeit der Polizei-, Zoll- und anderer Behörden auch unter Einbeziehung des Europäischen Polizeiamtes (ĺEuropol), ƒ eine engere Zusammenarbeit der Justiz- und anderer Behörden, auch unter Einbeziehung von ĺEurojust sowie
ƒ
eine Annäherung der Strafvorschriften der Mitgliedstaaten, soweit erforderlich (ĺBestechung und Bestechlichkeit, strafrechtliche Bekämpfung; ĺBetrugsbekämfpung; ĺDrogenhandel, strafrechtliche Bekämpfung des illegalen; ĺGeldwäsche, strafrechtliche Bekämpfung der; ĺKinder, strafrechtliche Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Kinderpornographie; ĺMenschenhandel, strafrechtliche Bekämpfung des; ĺRassismus und Fremdenfeindlichkeit, Rahmenbeschlussentwurf zur Bekämpfung; ĺTerrorismus, strafrechtliche Bekämpfung des).
3. Akteure und Handlungsformen: Der ĺRat der Europäischen Union ist im Bereich der PJZS der alleinige Gesetzgeber. Die ĺKommission teilt sich mit den ĺMitgliedstaaten das Initiativrecht zur Gesetzgebung, der ĺEuGH hat im Vergleich zum ĺEG-Vertrag nur eingeschränkte Kompetenzen (ĺVorabentscheidungsverfahren, Dritte Säule), das ĺEP ist auf Anhörungs- und Stellungnahmerechte beschränkt. Im Rahmen der PJZS sind eigenständige europäische Institutionen, insb. ĺEuropol und ĺEurojust, eingerichtet worden. Für die PJZS bestehen eigene, vom Gemeinschaftsrecht zu unterscheidende Handlungsformen, zu denen wesentlich der der ĺRichtlinie nachgebildete ĺRahmenbeschluss und das ĺÜbereinkommen zählen. 4. Zukunftsperspektive: Der ĺVertrag von Lissabon zielt auf eine Aufgabe der Säulenstruktur und Integration der PJZS in die allgemeinen Regeln des jetzigen Gemeinschafts- und zukünftigen Unionsrechts ab. Die inhaltlichen Grundzüge der bisherigen PJZS werden beibehalten; es gelten jedoch grundsätzlich die aus dem bisherigen Gemeinschaftsrecht übertragenen allgemeinen Regeln und Handlungsformen des neuen Unionsrechts. Für die strafjustizielle Zusammenarbeit wird die ĺgegenseitige Anerkennung als Grundsatz nunmehr primärvertraglich verankert. Der Rat kann zukünftig mit Mehrheit durch ĺRichtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen und, soweit erforderlich, strafverfahrensrechtliche Vorgaben beschließen. Ebenso wird die strafrechtliche ĺAnnexkompetenz primärvertraglich verankert. Sieht jedoch ein Mitgliedstaat durch eine dieser Regelungen grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung berührt, wird auf seinen Antrag hin das Gesetzgebungsverfahren ausgesetzt. Eine Beschlussfassung gegen seinen Willen ist dann 699
Polizeimission der Europäische Union nur noch im Rahmen einer ĺverstärkten Zusammenarbeit von mindestens neun Mitgliedstaaten mit Wirkung nur für diese möglich. Die nationalen Parlamente sind zur Kontrolle der Einhaltung des ĺSubsidiaritätsprinzips in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden. Zum ĺSchutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union kann auf der Grundlage von ĺEurojust eine ĺEuropäische Staatsanwaltschaft errichtet werden. (sts) §§: Art. 29 ff. EU Lit.: A. Jour-Schröder/M. Wasmeier, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Vorbem. Art. 29-42 EU
Polizeimission der Europäische Union ĺESVP-Missionen, zivile Polydor-Entscheidung Polydor case – jurisprudence Polydor
In der Polydor-Entscheidung (EuGH 8.6.1971, Rs. 78/0, Deutsche Grammophon GmbH/Metro-SB-GmbH, Slg. 1971, 487) formulierte der EuGH erstmals den Grundsatz der gemeinschaftsweiten Erschöpfung des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts (ĺErschöpfungsgrundsatz). Der Entscheidung lag folgender Rechtsstreit zu Grunde: Die deutsche Grammophon GmbH produzierte Schallplatten, vertrieb diese mit Preisbindungsklauseln unter deutschen Händlern und in Frankreich ohne Preisbindung durch eine französische Tochter, deren Weiterverbreitungsrechte sie auf Frankreich beschränkte. Die deutsche Metro GmbH erwarb diese Schallplatten über zwei Intermediäre von der französischen Tochter, führte sie nach Deutschland ein und vertrieb sie dort zu niedrigeren Preisen, als sie in den Preisbindungsklauseln der Herstellerin vorgesehen waren. Unter Berufung auf ihr ausschließliches ĺVerbreitungsrecht wollte die deutsche Herstellerin diesen Vertrieb unterbinden. Nach Ansicht des EuGH wäre eine solche Unterbindung der Schallplatteneinfuhr nach Deutschland gemeinschaftsrechtswidrig. Es verstoße nämlich gegen den freien Warenverkehr, wenn der Inhaber eines ausschließlichen ĺVerbreitungsrechts den inländischen Vertrieb von Erzeugnissen, die von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung auf dem Markt eines anderen Mitgliedstaats in Verkehr gebracht worden sind, allein deshalb verbietet, weil sein eigenes Inverkehrbringen nicht im Inland erfolgt ist. (js) 700
§§: Art. 28, 30 EG Lit.: L. C. Ubertazzi, Urheberrecht und freier Warenverkehr, GRUR Int. 1984, 327; R. Sack, Die Erschöpfung von gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten nach europäischem Recht, GRUR Int. 1999, 193
Portfolioinvestitionen portfolio investment – investissements de portefeuille
Praktisch wichtige Modalität der Ausübung der ĺKapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 EG. Der EuGH definiert P. als „Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt allein in der Absicht einer Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen“ (EuGH 28. 9. 2006, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 Kommission/Niederlande, noch nicht in Slg., Rn. 19). Im Merkmal der unternehmerischen Einflussnahme unterscheiden sich P. von sog. ĺDirektinvestitionen. Dieser Unterschied kommt in der Praxis vor allem bei der Abgrenzung der Schutzbereiche von Kapitalverkehrsfreiheit auf der einen und Niederlassungsfreiheit auf den anderen Seite zum tragen (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit). (mk) Position, Gemeinsame common position – position commune
Handlungsform der ĺGemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik (GASP) im Rahmen des EU-Vertrags. Gemeinsame Positionen betreffen die politische Position der ĺEuropäischen Union für eine bestimmte außenpolitische Fragestellung geographischer oder thematischer Art. Sie dienen damit der Angleichung der nationalen Außenpolitiken. Dies erfordert nach Art. 23 EU grds. Einstimmigkeit und keine Beteiligung des ĺEuropäischen Parlaments. Soweit für die Entsendung von Personal oder die Ausgabe von Finanzmitteln im Rahmen der GASP eine Rechtsgrundlage benötigt wird, nimmt der Rat keine Gemeinsame Position, sondern eine Gemeinsame ĺAktion an. In der Praxis besitzen Gemeinsame Positionen keine große Bedeutung, weil in den meisten Fällen eine außenpolitische Position der EU nicht rechtsverbindlich niedergelegt wird. Eine solche politische Einigung aufgrund einer politischen Absprache oder Schlussfolgerungen des ĺRates ist zwar formal nicht rechtsverbindlich, in der Praxis aber zumeist ebenso wirksam, solange die ĺMitgliedstaaten die konsentierte Politik befolgen. Mangels Zuständigkeit des ĺEuGH für die GASP kann die Nicht-
PPP beachtung einer Gemeinsamen Position nicht auf dem Rechtsweg erstritten werden. (dt) §§: Art. 15 EU Lit.: E. Regelsberger, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, 2004, 107-111
Positive Entscheidung (Beihilfenrecht) poitive decision (EC state aid law) – décision positive (droit des aides d’État)
Kommt die ĺKommission im Rahmen des ĺformellen Prüfverfahrens zu dem Schluss, dass die Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der angemeldeten Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt ausgeräumt sind, so erlässt sie eine Entscheidung, welche die ĺBeihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt. Gegebenenfalls ist in der Entscheidung anzuführen, welche Ausnahmevorschrift des Vertrags zur Anwendung kommt (Art. 7 Abs. 3 VO [EG] 659/1999). (jr) §§: Art. 88 Abs. 2 EG
Positiventscheidung (Beihilfenrecht) ĺpositive Entscheidung Positivkriterium ĺSubsidiaritätsprinzip Poucet und Pistre-Entscheidung Poucet and Pistre case – jurisprudence Poucet et Pistre
In dieser verbundenen Rechtssache „Poucet und Pistre“ aus dem Jahr 1993 stellt der ĺEuGH fest, dass der Begriff des Unternehmens im Sinne des gemeinschaftsrechtlichen Kartellrechts jede wirtschaftlich ausübende Einheit erfasst. Einrichtungen, die bei der Verwaltung der öffentlichen Aufgabe der sozialen Sicherheit mitwirken und eine Aufgabe mit ausschließlich sozialem Charakter erfüllen, sind nicht vom Begriff des Unternehmens im Sinne der Art. 81 und 82 EG (damals Art. 85, 86) erfasst. Diese Einrichtungen sind jedoch nur davon ausgeschlossen, soweit sie eine Tätigkeit ohne Gewinnzweck ausüben, die auf dem Grundsatz der nationalen Solidarität beruht. In der Sache wendeten sich Christian Poucet und Daniel Pistre mit Widersprüchen gegen zugestellte Zahlungsbefehle, mit denen sie von ihren Krankenkassen zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen aufgefordert wurden. Sie stellten dabei nicht ihre grundsätzliche Versiche-
rungspflicht in Frage. Sie vertraten vielmehr die Auffassung, dass sie sich frei an jede in der EG niedergelassene private Versicherungsgesellschaft wenden könnten und sich nicht den Bedingungen ihrer Krankenkassen unterwerfen brauchten, weil diese Bedingungen einen Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbs- und Kartellrecht darstellten. Der EuGH urteilte, dass die Krankenkassen eine Aufgabe mit ausschließlich sozialem Charakter erfüllten und damit kein Unternehmen im Sinne der Art. 81, 82 EG vorlag. (dh) Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-159/91 und C-160/91, Poucet und Pistre, Slg. 1993, I-637
PPP Mit dem Begriff „public private partnerships“ (öffentlich-private Partnerschaften) werden verschiedene Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Einrichtungen und Privatunternehmen umschrieben, die (zumeist) der Finanzierung, dem Bau oder dem Betrieb einer Infrastruktur oder einer Dienstleistung dienen. Mögliche Anwendungsgebiete von PPP sind etwa die Bereiche Verkehr, Gesundheit, Abfallwirtschaft, Wasserbau oder Bildung. Die möglichen Vorteile einer PPP bestehen nicht nur darin, dass die Finanzierung und die zu tragenden Risiken zwischen den beiden Partnern geteilt werden, für die öffentliche Hand geht es darüber hinaus darum, haushaltspolitischen Zwängen zu entkommen und das Know-How sowie die Arbeitsmethoden des privaten Sektors verstärkt für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu nutzen. Mögliche Formen einer PPP können die gemeinsame Gründung einer Gesellschaft durch die öffentliche Hand und ein Privatunternehmen sein, der in weiterer Folge die Erbrngung einer Leistung übertragen werden soll, oder die Beteiligung eines Privatunternehmens an einer bestehenden Gesellschaft der öffentlichen Hand, die bereits eine bestimmte Dienstleistung erbringt. In beiden Fällen stellt sich – unter anderem – die Frage, wie eine transparente und diskriminierungsfreie Beteiligung eines einzelnen Privaten sichergestellt werden kann bzw. inwieweit das ĺVergaberecht auf derartige Konstellationen zur Anwendung kommt. Die KOM hat zu diesen Bereichen bislang ein Grünbuch (KOM[2004] 327 endgültig vom 30.4.2004) und eine Mitteilung (KOM[2005] 569 endgültig vom 15.11.2005) vorgelegt; eine auslegende Mitteilung zur Anwendung des Ver701
Präqualifikation gaberechts auf institutionalisierte PPP befindet sich in Ausarbeitung. (cm) Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des europäischen Vergaberechts, 2005, 120 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/ppp_de.htm#presentation
Präqualifikation prequalification – préqualification
Im Zusammenhang mit der ĺEignung können amtliche oder zertifizierte Verzeichnisse eingeführt werden, in die sich ĺWirtschaftsteilnehmer eintragen lassen können – in diesem Zusammenhang spricht man von der Präqualifikation im Sinn des ĺVergaberechts. Im Zuge der Eintragung haben die Wirtschaftsteilnehmer die Erfüllung bestimmter Eignungsanforderungen generell nachzuweisen, dafür können sie sich in weiterer Folge bei einem konkreten ĺVergabeverfahren auf ihre aufrechte Eintragung in einem solchen Verzeichnis berufen und auf diesem Weg ihre Eignung nachweisen. Bei der Präqualifikation wird somit die Eignungsprüfung im Vorfeld eines Vergabeverfahrens in genereller Weise durchgeführt. (cm) §§: Art. 52 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 765; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 268 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm; http://www.bmvbs.de/ Bauwesen/Bauaufttragsvergabe-,1795/Praequalifizie rung.htm
Prantl-Entscheidung Prantl case – jurisprudence Prantl
Die Entscheidung behandelt die Frage, ob eine nationale Regelung, die die Benutzung einer spezifischen Flaschenform (Bocksbeutelflasche) bestimmten einheimischen Erzeugern vorbehält und alle anderen Anbieter (unabhängig ob in- oder ausländisch), die eine ähnliche Flasche verwenden, mit Strafe bedroht, einen Verstoß gegen Art. 28 EG begründet. Es handelt sich um eine produktbezogene Vorschrift, welche eine Beschränkung des ĺfreien Warenverkehrs darstellt. Diese ist auch nicht aus Gründen des ĺVerbraucherschutzes gerechtfertigt. Der Gefahr der Verwechslung von Qualität und Herkunft des Produkts kann auch durch eine entsprechende Kennzeichnung (s.a. ĺEtikettierung) begegnet werden. (s.a ĺCassis De DijonEntscheidung). (güh) Rsp.: EuGH, Rs. 16/83, Prantl, Slg. 1984, 1299, Rn. 38
702
Preis- und Kreuzpreiselastizität price elasticity and cross elasticity of demand – elasticitéprix et elasticité croisée
Preis- und Kreuzpreiselastizität sind im Wettbewerbsrecht Indikatoren bei der Bestimmung des relevanten Markts (ĺWettbewerbsrecht, Bestimmung des relevanten Markts). Die Preiselastizität der Nachfrage nach einem Produkt gibt Aufschluss, wie die Nachfrage auf Änderungen des Preises reagiert (ist die Nachfrage elastisch, führen Preiserhöhungen zum Rückgang der Nachfrage). Die Kreuzpreiselastizität fragt danach, welche Auswirkungen Änderungen des Preises eines Produkts auf die Nachfrage nach einem anderen haben (Beispiel: Steigt der Preis für Butter, so wäre zu untersuchen, ob sich die Nachfrage nach Margarine erhöht). Je höher die Kreuzpreiselastizität zwischen zwei Produkten, desto wahrscheinlich ist es, dass beide Produkte dem gleichen Markt angehören. (mke) §§: Zur Berücksichtigung der Kreuzpreiselastizität in der Entscheidungspraxis der Kommission (im Bereich der ĺFusionskontrollverordnung) vgl. Entscheidung Nr. 96/435/EG der Kommission vom 16.1.1996 – IV/ M.623 (Kimberly -Clark/Scott) Rn. 174-177; Entscheidung Nr. 2000/276/EG der Kommission vom 22.9. 1999 – IV/M.1524 (Airtours) Rn. 22 und 28-41, Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997, Nr. C 372/5, Rn. 58
Preisangabenrichtlinie directive on consumer protection in the indication of the prices of products offered to consumers – directive relative à la protection des consommateurs en matière d’indication des prix des produits offerts aux consommateurs
Ziel der PreisangabenRL, einer reinen VerbraucherschutzRL (ĺVerbraucherschutzRL, reine) und ĺMindestRL, ist es, durch die Verpflichtung zur Information über den Preis eines Erzeugnisses den Verbraucherschutz (ĺVerbraucherschutz, Europäischer) sowie den Wettbewerb zwischen Unternehmern zu fördern. Eine Vorläuferfunktion i.d.Z. besaßen die RL 79/ 581/EWG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise für Lebensmittel und die RL 88/314/EWG über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise für andere Erzeugnisse als Lebensmittel. Die PreisangabenRL sieht vor, dass nun beides, der Verkaufspreis und der Preis je Maßeinheit bei Erzeugnissen, die dem Verbraucher vom Händler angeboten werden, anzugeben ist (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 RL). Nach der Legaldefinition des Art. 2 RL meint Verkaufspreis, den
Preisbildung, Eisenbahnverkehr „Endpreis für eine Produkteinheit oder eine bestimmte Erzeugnismenge, der die Mehrwertsteuer und allen sonstigen Steuern einschließt“. Preis je Maßeinheit wird definiert als „Endpreis für ein Kilogramm, einen Liter, einen Meter, einen Quadratmeter, einen Kubikmeter des Erzeugnisses oder eine einzige andere Mengeneinheit, die beim Verkauf spezifischer Erzeugnisse in dem betreffenden Mitgliedstaat allgemein verwendet wird und üblich ist“, jeweils inklusive der Mehrwertsteuer und allen sonstigen Steuern. Der Verkaufspreis und der Preis je Maßeinheit muss unmissverständlich, klar erkennbar und gut lesbar sein (Art. 4 RL). Die Brücke vom Preisangabenrecht zum Preiswerbungsrecht wird in Art. 3 Abs. 4 RL geschlagen, wonach bei jeglicher Werbung, bei der der Verkaufspreis der Erzeugnisse genannt wird, auch der Preis je Maßeinheit anzugeben ist. Keine Anwendung findet die RL auf den Bereich der Dienstleistungen. Art. 8 RL sieht schließlich vor, dass die Mitgliedstaaten die Sanktionen bei Zuwiderhandeln gegen umgesetztes Richtlinienrecht bestimmen und alle erforderlichen Maßnahmen zur Durchsetzung der RL ergreifen. (pa) §§: RL 98/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.1998 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Erzeugnisse, ABl. 1998, Nr. L 80/27; RL 79/581/ EWG des Rates vom 19.6.1979 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Lebensmittelpreise, ABl. 1979, Nr. L 158/19; RL 88/314/EWG des Rates vom 7.6.1988 über den Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise von anderen Erzeugnissen als Lebensmittel, ABl. 1988, Nr. L 142/19 Lit.: N. Reich/H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003
Preisbildung (Verkehrsrecht) pricing (traffic law) – formation des prix (droit de transports)
Unter diesem Oberbegriff ist die Summe von Regeln zur Verhinderung von nachfragelenkenden Preisregulierungen zu verstehen. Es existieren vor allem folgende Bereiche: Güterkraftverkehr (gewerblicher Güterkraftverkehr zwischen den ĺMS) ƒ Anwendbar ist die VO (EWG) 4058/89 (ABl. 1989, Nr. L 390/1). Die Entgelte für Beförderungen werden in freier Preisbildung zwischen den Vertragspartnern vereinbart. Es gilt ein Verbot mitgliedstaatlicher Vorschreibungen von Beförderungspreisen. Der Anwendungsbereich der VO erfasst nur den gewerblichen Güterkraftverkehr zwischen den MS
(einschließlich des Transitverkehrs durch Drittstaaten). Eine entsprechende Regelung für Kabotagegüterverkehr existiert nicht. ƒ ĺCMR (grenzüberschreitender Straßengüterverkehr) Gewerblicher Personenverkehr ƒ Hier ist insbesondere auf die VO (EWG) 1191/ 69 (ABl. 1969, Nr. L 156/1) zu verweisen. ĺBeihilfen, Verkehrsrecht (Sekundärrecht). ƒ Sie ermöglicht die hoheitliche Auferlegung von Tarifpflichten (ĺVerpflichtungen des öffentlichen Dienstes), d.h. die Anwendung von behördlich festgesetzten oder genehmigten Tarifen, die nicht oder nur teilweise im eigenwirtschaftlichen Interesse des betroffenen Unternehmens liegen in zwei Fällen: 1. die MS können Tarifpflichten allgemein für Beförderungen im Stadt-, Vorort- und Regionalverkehr vorsehen; 2. eine ausdrückliche Zulässigkeit der Auferlegung von Sozialtarifen ist zugunsten besonderer sozialer Gruppen im Bereich der Personenbeförderung vorgesehen. Sonderregelungen gelten für die ĺPreisbildung (im) Eisenbahnverkehr sowie für die Schifffahrt (ĺSchifffahrt, unlauterer Preispraktiken). (sm) Preisbildung, Eisenbahnverkehr pricing, rail transport – formation des prix, transport ferroviaire
Die Regelung der Preisbildung im Eisenbahnverkehr erfolgte vor allem durch die RL 91/ 440/EWG und RL 2001/14/EG. Diese Regelungen bestehen neben sonstigen Bestimmungen zur ĺPreisbildung. RL 91/440/EWG ƒ Die RL betrifft die Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft. Sie gilt für den Betrieb der Eisenbahninfrastruktur und das Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen durch Eisenbahnunternehmen, die ihren Sitz in einem MS haben oder haben werden. Art. 4 und 5 der RL regeln die Unabhängigkeit der Geschäftsführung der Eisenbahnunternehmen. Aus ihnen folgt die Verpflichtung der MS, die Trennung des Vermögens, des Haushaltsplans und der Rechnungsführung der Unternehmen von denen des Staates zu gewährleisten. Ferner wird der erforderliche Rechtsrahmen geschaffen, damit die Unternehmen ihre gesamte Geschäftsund Investitionstätigkeit am Markt ausrichten können. Dazu gehört insbesondere die 703
Preisbildung, innerstaatlicher und grenzüberschreitender Binnenschiffsgüterverkehr Befugnis zur eigenständigen Festsetzung der Preise. Unberührt bleiben (allerdings) die Vorschriften der VO (EWG) 1191/69 (ĺgemeinwirtschaftliche Verpflichtung). Zudem enthält die RL Bestimmungen zur ĺEntflechtung (des) Schienenverkehr(s). RL 2001/14/EG ƒ Die RL betrifft die Zuweisung von ĺFahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und enthält Regelungen der für die Benutzung der Infrastruktur maßgeblichen Entgeltgrundsätze. Die MS haben eine Entgeltrahmenregelung zu schaffen, die den Infrastrukturbetreibern eine unabhängige Geschäftsführung ermöglicht und gewährleistet, dass sich deren Einnahmen und Ausgaben über einen angemessenen Zeitraum hinweg zumind. ausgleichen. ƒ Zudem finden sich Regelung des Umfangs der durch den Infrastrukturbetreiber zu gewährenden Leistungen und Modalitäten der Entgeltfestsetzung: Eisenbahnunternehmen haben unter anderem Anspruch auf das in Anhang II beschriebene Mindestzugangspaket (Recht zur Nutzung zugewiesener ĺFahrwegkapazitäten, Inanspruchnahme von Diensten der Zugsteuerung etc.), haben uneingeschränkt Zugang zu Serviceeinrichtungen sowie zu angebotenen Zusatzleistungen. Hinsichtlich der Modalitäten der Entgeltfestsetzung richtet sich die Höhe des für das Mindestzugangspaket zu entrichtenden Entgelts grundsätzlich nach den Kosten, die unmittelbar durch den Zugbetrieb anfallen. (sm) Lit.: A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 411 ff. §§: RL 91/440/EWG (ABl. 1991, Nr. L 237/25) und RL 2001/14/EG (ABl. 2001, Nr. L 75/29)
Preisbildung, innerstaatlicher und grenzüberschreitender Binnenschiffsgüterverkehr ĺFrachtraten, Frachtratenbildung Prinzip gemeinsamer Verantwortung und Partnerschaft principle of joint responsibility and partnership – principe de responsabilité et partenariat conjoint
Auch diese Prinzip kann als Prinzip der Umweltpolitk (ĺUmweltpoliitk, Prinzipien der) angesehen werden: Es ist zwar nicht primärrechtlich verankert, lässt sich aber (durchaus) sekundärrechtlich nachweisen. Es entspricht 704
dem bspw. im deutschen Umweltrecht anerkannten Kooperationsprinzip. Es verlangt als primär umweltpolitische Handlungsmaxime ein gemeinsames Handeln aller Beteiligten in partnerschaftlicher Zusammenarbeit. Es enthält verfahrensrechtliche und aufgabenbezogene Determinanten, wie sie sich z.B. in der Beteiligung der Öffentlichkeit nach der UVPRL (ĺUmweltverträglichkeitsprüfung) und der Instrumentalisierung der Öffentlichkeit zur Kontrolle in der Umweltpolitik aufzeigen lassen, UI-RL (ĺUmweltinformationen). (sm) §§: Kommission KOM(1995) 647 Lit.: S. Heselhaus, in: K. Lange (Hrsg.), Gesamtverantwortung statt Verantwortungsparzellierung im Umweltrecht (1997), 93 ff.; M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. (2004), § 4 Rn. 56 ff.
Preisregelungen (freier Warenverkehr) price regulations (free movement of goods) – réglementations des prix (libre circulation des marchandises)
Nationale Regelungen über den Preis der ĺWare können als ĺMaßnahme gleicher Wirkung ausländische Produkte benachteiligen. Preisregelungen dürfen nicht anhand ihrer konkreten Ausgestaltung den grenzüberschreitenden Handel beeinträchtigen. Dies gilt sowohl für Preisregelungen, die zwischen eingeführten und einheimischen Waren unterscheiden, als auch für unterschiedslos anwendbare Preisvorschriften. Letztere werden allerdings eine Eignung zur ĺEinfuhrbeschränkung i.d.R. nicht aufweisen, da sie i.S.d. ĺKeck-Entscheidung den ĺVerkaufsmodalitäten zu zuordnen sind. Die Wirkungsweise und Beurteilung von Preisvorschriften sind nach der Form der jeweiligen Preisregelung (z.B.ĺHöchstpreis-, ĺPreisstopp-, ĺMindestpreisregelungen, ĺPreiskontrollen) zu beurteilen. Steht die Eignung einer Preisregelung zur Einfuhrbehinderung fest, ist deren Rechtfertigung aus der nationalen Preis-, Konjunktur- oder Wirtschaftspolitik regelmäßig ausgeschlossen, da weder ein ĺzwingendes Erfordernis i.S.d.ĺCassis-Entscheidung noch ein Schutzgut i.S.d. Art. 30 EG vorliegt. (güh) Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 90; P. Müller-Graf, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 139
Preisstabilität price stability – stabilité des prix
Der EG-Vertrag erklärt in mehreren Bestimmungen (Art. 2, 4 Abs. 2 und 3, 105 Abs. 1) das
Preussen-Entscheidung (Energierecht) Ziel der Preisstabilität für vorrangig gegenüber anderen Zielen der ĺGeldpolitik und Wirtschaftspolitik. Dahinter steht die Vorstellung, dass die Sicherung von Preisstabilität den wichtigsten Beitrag einer Zentralbank zum gesamtwirtschaftlichen Wohlergehen bildet. Sowohl historisch als auch makrökonomisch lassen sich die gravierenden Nachteile fehlender Preisstabilität belegen. Hierzu zählen die Verzerrung bei der Preisbildung für Güter, der Anstieg des langfristigen Zinsniveaus und die schleichende Entwertung von Kapitaleigentum. Jedoch definiert der Vertrag nicht, was unter Preisstabilität zu verstehen ist. Bei wörtlichem Verständnis läge Preisstabilität nur vor, wenn über alle Perioden hinweg für das gleiche Gut derselbe Preis gezahlt würde. Nur dann bliebe der Binnenwert der Währung unverändert. In der Realität ist dieser Zustand nicht anzutreffen, da zu viele veränderliche Faktoren auf das Güterangebot, die Güternachfrage und das allgemeine Preisniveau einwirken (u.a. technische Entwicklung, Lohnniveau). Aus geldpolitischer Sicht muss zudem berücksichtigt werden, dass sowohl Inflation als auch Deflation gleichermaßen volkswirtschaftlich schädliche Erscheinungen darstellen. Um das Ziel der Preisstabilität operabel zu machen, wird zunächst die allgemeine Preisentwicklung anhand verschiedener Preisindizes gemessen. Erst im zweiten Schritt lassen sich hieraus – qualitative oder quantitative – Aussagen über Veränderungen beim Binnenwert des Euro zu treffen. Der für die Geldpolitik des Europäischen Systems der Zentralbanken verantwortliche ĺEZBRat hat sich in einer rechtlich nicht verbindlichen, praktisch aber ebenso wirkenden Erklärung auf eine quantitative Definition festgelegt. Danach wird Preisstabilität definiert als ein jährlicher Anstieg der Verbraucherpreise (gemessen im Harmonisierten Verbraucherpreisindex) im ĺEuroraum von unter 2 %. Der EZB-Rat hat präzisiert, dass er bei Verfolgung dieses Ziels mittelfristig die Inflationsrate im Euroraum unter, aber nahe bei 2 % halten möchte. Diese geringfügige Inflation wird mit dem Ziel gerechtfertigt, eine Sicherheitsmarge zu bilden, um Deflation zu vermeiden. Ferner erlaubt ein solcher Ansatz, Messungenauigkeiten und die unterschiedlichen Preisentwicklungen im Euroraum zu berücksichtigen, ohne dass es regional zu einer Deflation kommt. (co) Lit.: J. Endler, Europäische Zentralbank und Preisstabilität, 1997; U. Palm, Preisstabilität in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, 2000
Web: http://www.ecb.int/mopo/intro/html/objective. en.html
Preisstoppregelung (freier Warenverkehr) measure to freeze prices (free movement of goods) – mesure de blocage du prix (libre circulation des marchandises)
Eine Preisstoppregelung liegt z.B. bei einer ĺstaatlichen Maßnahme vor, welche die Abwälzung der Preiserhöhung der eingeführten ĺWaren auf die Verkaufspreise ausschließt und die Preise auf einem bestimmten Niveau stoppt. Eine Preisstoppregelung kann auch in einer nationalen Vorschrift gegeben sein, nach der jede Erhöhung der Preise spätestens nach einer festgelegten Zeit vor Inkrafttreten der zuständigen Behörde zu melden ist. Der ĺEuGH hat bestätigt, dass eine unterschiedslos sowohl auf inländische als auch eingeführte Produkte geltende Preisstoppregelung für sich allein genommen noch keine ĺMaßnahme gleicher Wirkung darstellt, de facto aber eine solche Wirkung entfalten kann, wenn der Absatz der eingeführten Produkte aufgrund des Preisniveaus entweder unmöglich oder gegenüber dem Absatz inländischer Produkte erschwert wird. Dies kann etwa der Fall sein, wenn die Preise auf einem zu geringen Niveau gestoppt werden (s.a. ĺHöchstpreise; ĺMindestpreise). (ah) Rsp.: EuGH, Rs. 31/74, Galli, Slg. 1975, 47; EuGH, Rs. 5/79, Hans Buys, Slg. 1979, 2303, Rn. 26 Web: GD Binnenmarkt, Leitfaden zum Konzept und zur praktischen Anwendung der Art. 28-30 EG-Vertrag, 2000, http://ec.europa.eu/enterprise/regulation/ goods/docs/art2830/guideart2830_de.pdf
Pressefreiheit freedom of the press – liberté de la presse
ĺMedienfreiheit; ĺMeinungsäußerungsfreiheit Preussen-Entscheidung (Energierecht) Preußen case (energy law) – jurisprudence Preußen (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Urteil Preussen Elektra/Schleswag (Rs. C-379/ 98) über Förderung von Erneuerbarer Energie (ĺErneuerbare-Energien-Richtlinie). EuGH hat am 13.3.2001 festgestellt, dass von privater Seite gewährte Unterstützungen auch dann keine Beihilfen i.S.d. Art. 87 EG sind, wenn die Privaten aufgrund staatlicher Normen zur Finanzierung veranlasst werden. Art. 87 EG ist danach etwa dann nicht anwendbar, wenn Elektrizitätsunternehmen zur Subventionierung von Ökostromerzeugern verpflichtet werden. Ob diese Judikatur noch aufrecht ist, ist unklar. 705
PreussenElektra/Schleswag-Entscheidung Die Europäische Kommission hat vergleichbare österr. Regelungen als ĺBeihilfe qualifiziert (Entscheidung der Europäischen Kommission vom 4.7.2006, ABl. 2006, Nr. C 221/6 ff.) (hh) Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jaeger/P. Thyri, Materielles Europarecht (2005) Rn. 614
PreussenElektra/Schleswag-Entscheidung PreussenElektra/Schleswag case – jurisprudence PreussenElektra/Schleswag
Im deutschen Stromeinspeisungsgesetz wurden regionale Elektrizitätsversorgungsunternehmen verpflichtet, den in ihrem Versorgungsgebiet erzeugten Strom von Erzeugern, die Strom aus erneuerbare Energieträgern gewinnen, zu einem Mindestpreis abzunehmen. Der Gerichtshof geht hier nicht von einer ĺstaatlichen Beihilfe aus, da ein Geldmitteltransfer ausschließlich zwischen Privaten angeordnet wird und ein Transfer ĺstaatlicher Mittel nicht angenommen werden kann. Der Umstand alleine, dass eine Zahlungsverpflichtung unter Privaten durch Gesetz angeordnet wird, lässt daher nicht den Schluss auf das Vorliegen staatlicher Mittel zu. (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG Rsp.: EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2099
Primärrecht primary community law – droit communautaire primaire
Das primäre Gemeinschaftsrecht lässt sich unterteilen in geschriebenes und ungeschriebenes Primärrecht. Das geschriebene Primärrecht umfasst das Vertragsrecht – d.h. die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften inklusive aller Anhänge, Anlagen und Protokolle sowie spätere Änderungen und Ergänzungen. Anbei die wichtigsten primärrechtlichen Bestimmungen: ƒ Verträge zur Gründung der drei Europäischen Gemeinschaften (EGKS 1951, EWG 1957 und EAG 1957) ƒ Vertrag über die Errichtung der Europäischen Union und den Verträgen zur Änderung dieser Verträge (ĺMaastricht 1992, ĺAmsterdam 1997 und ĺNizza 2001) ƒ Abkommen über gemeinsame Organe (1957) ƒ ĺFusionsvertrag (1965) ƒ die Beitrittsverträge mit DK, GB und IRL (1972), GR (1979), E und P (1985), FIN, A und S (1994), CY, CZ, EST, H, LT, LV, M, PL, SK und SLO (2004), BG, RO (2007) 706
ƒ ĺEinheitliche Europäische Akte (1986) Das ungeschriebene Primärrecht umfasst außerdem auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze und das Gewohnheitsrecht. Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen sind all jene grundlegenden Bestimmungen zu zählen, die der Rechtsordnung der Gemeinschaften oder den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Hinsichtlich der Entstehung von Gewohnheitsrecht sind die entsprechenden Grundsätze des Völkerrechts heranzuziehen. Sowohl das geschriebene als auch das ungeschriebene Primärrecht entfalten unter der Voraussetzung unmittelbare Wirkung, dass die relevanten Normen unmittelbar anwendbar – d.h. inhaltlich unbedingt und ausreichend genau formuliert – sind. (lb) Lit.: M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, Rn. 239 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 405 ff.
Principles of European Contract Law ĺGrundregeln des Europäischen Vertragsrechts Principles of European Law (PEL) Der Begriff Principles of European Law ist in Anlehnung an die ĺPrinciples of European Contract Law (PECL) der Überbegriff für die von der ĺStudy Group on a European Civil Code derzeit erarbeiteten Regeln auf dem Gebiet des binnenmarktrelevanten Vermögensrechts, die in Fortführung des Forschungsansatzes der ĺKommission für Europäisches Vertragsrecht erarbeitet werden. Allerdings werden gleiche oder ähnliche Bezeichnungen auch von anderen Forschergruppen verwendet, die ebenfalls einen Beitrag zur Rechtsharmonisierung in Europa leisten, aber weder mit der LandoKommission noch der Study Group on a European Civil Code in einer organisatorischen Verbindung stehen; vgl. bspw. die Principles of European Tort Law der ĺEuropean Tort and Insurance Law Group sowie die Principles of European Family Law der ĺKommission für Europäisches Familienrecht. (mrm) Principles of International Commercial Contracts (PICC) Principles of International Commercial Contracts – Principes d’Unidroit relatifs aux contrats du Commerce international
Dt., Grundregeln der internationalen Handelsverträge. Die Principles of International Com-
Prinzip der Partnerschaft mercial Contracts wurden unter dem organisatorischen Rahmen der UNIDROIT von einer Gruppe renommierter Rechtsvergleicher ausgearbeitet und in ihrer ersten Fassung 1994, in einer überarbeiteten Fassung 2004 vorgelegt. Sie sind ein nicht verbindliches Regelwerk, dass als moderne Fassung der lex mercatoria angesehen wird und insbesondere in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit Verwendung findet. Darüber hinaus ist ihr Modellcharakter unbestritten und ein erheblicher Einfluss auf Reformen des nationalen (deutsche Schuldrechtsreform, neue Zivilrechtskodifikationen in Estland, Lettland und Ungarn) wie auch des europäischen Gesetzgebers (VerbrauchsgüterkaufRL) zu beobachten. Nicht zuletzt sind die Principles of International Commercial Contracts auch eine wichtige Quelle des internationalen Einheitsrechts, die bei der Ausarbeitung der ĺPECL und den Arbeiten der ĺStudy Group on a European Civil Code Berücksichtigung finden. (mrm) Lit.: E. Brödermann, Die erweiterten UNIDROITPrinciples 2002, RIW 2004, 721 ff. Web: http://www.unidroit.org/english/principles/ contracts/main.htm
Prinzip der begrenzten (Einzel)Ermächtigung principle of conferred powers – principe de compétence d’attribution
Das Prinzip der begrenzten Ermächtigung (Einzelermächtigung) bildet die Grundlage des Kompetenzgefüges in den EG/EU und drückt in ihrem Kern aus, dass den EG/EU keine allumfassende Hoheitsgewalt (ĺKompetenz-Kompetenz) zukommt (s.a. ĺAbtretung von Hoheitsrechten). Die ĺMitgliedstaaten haben den EG/EU in den Gründungsverträgen keine generelle Ermächtigung zur Rechtsetzung übertragen, sondern nur Einzelermächtigungen. Die übertragenen Zuständigkeiten werden durch ausdrückliche Regeln, die Grundlage für jegliches Tätigwerden, sei es legislativer, iudikativer oder exekutiver Natur ist, begrenzt. Verankert ist dieses Prinzip in den Gründungsverträgen v.a. in Art. 5 Abs. 1 EG, Art. 5 EU (beschränkte Verbandskompetenz) und in Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 EG, Art. 249 EG, Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EAV und Art. 161 Abs. 1 EAV (beschränkte Organkompetenz) (s.a. ĺKompetenz). Nach dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung dürfen die ĺGemeinschaftsorgane weder in Bereichen Recht setzen, die in den Gründungsverträgen nicht geregelt sind, noch dürfen sie die zugeteilten
Ermächtigungen überschreiten. Dies bezieht sich ausschließlich auf verbindliche Rechtsakte, da nur diese die Souveränität der Mitgliedstaaten beeinträchtigen können. Die Einhaltung des Prinzips der begrenzten Ermächtigung unterliegt der gerichtlichen Kontrolle durch den ĺEuGH (strittig). Eine Ausweitung dieses Prinzips kann in der Umsetzung der Lehre von den ĺimplied powers gesehen werden, eine weitere Aufweichung bzw. eine Abschwächung dieses Grundprinzips erfolgt durch die ĺLückenschließungsklausel nach Art. 308 EG. Diese Ersatzkompetenz erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen, dass der ĺRat Vorschriften erlassen kann, wenn der EGV ein entsprechend adäquates Ziel vorgibt, aber keine expliziten Befugnisse enthält. Ergänzt wird das Prinzip der begrenzten Ermächtigung durch zwei weitere Grundsätze der Kompetenzausübung: den Grundsatz der ĺSubsidiarität (Art. 5 Abs. 2 EG) und den Grundsatz der ĺVerhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 3 EG). (db) §§: Art. 5 EG, Art. 5 EU, Art. 3 EAV, Art. 7 EG, Art. 202 EG, Art. 211 EG, Art. 230 EG, Art. 249 EG, u.a. Lit.: C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 5 EGV, Rn. 8 ff.; A. von Bogdandy/J. Bast, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 27. Lfg. 2005, Art. 5 EGV, Rn. 8 ff.; M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, 175 ff.; K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, 168 f.; W. Schroeder/K. Weber, Die Kompetenzrechtsreform aus österreichischer und europäischer Perspektive, 2006, 55 ff.; u.a. Rsp.: EuGH, Rs. 26/62 Van Gend en Loos, Slg. 1963, 1 (7); EuGH, Rs. 45/86 APS, Slg. 1987, 1493 (1519), Rn. 7 ff.; EuGH, Rs. C-189/97 Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1999, I-4741, Rn. 25; Rs. 2 BvR 2134/ 92 und 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155 (Maastricht); u.a.
Prinzip der Partnerschaft principle of partnership – principe du partenariat
Das Prinzip der Partnerschaft stammt ursprünglich aus der EG-Strukturpolitik. Es besagt, dass alle vier Ebenen – lokale, regionale, nationale und europäische Ebene – zusammenarbeiten sollen, um ein möglichst gutes Regieren für Europa zu ermöglichen. Der ĺAusschuss der Regionen soll es den ĺlokalen und ĺregionalen Gebietskörperschaften gestatten, am EG-Rechtsetzungsprozess zu partizipieren. Als gleichberechtigten „Partner“ kann man die subnationalen Gebietskörperschaften allerdings nach wie vor nicht ansehen, da der ĺAusschuss der Regionen nur beratende Funktionen hat und ins707
Prinzip der Regeldelegation besondere keine „dritte Kammer“ neben ĺRat und ĺEuropäischem Parlament darstellt. (ag) §§: VO (EG) 1083/2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und der Aufhebung der VO (EG) 1260/1999, ABl. 2006, Nr. L 210/25 Lit.: W. Hummer, Das neue „Prinzip der Partnerschaft“ als Sonderform gemeinschaftlicher Subsidiarität, in: F. Matscher/I. Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Europa im Aufbruch. FS für F. Schwind, 1993, 269
Prinzip der Regeldelegation principle of delegation – principe de délégation
Der ĺRat, als ĺHauptrechtsetzungsorgan nach dem EG-Vertrag, ist nach Art. 202 3. GS EG verpflichtet „der Kommission in den von ihm angenommen Rechtsakten die Befugnisse zur Durchführung der (von ihm erlassenen) Vorschriften“ zu übertragen. Die sich darauf beziehenden Befugnisse der Kommission werden als ĺabgeleitete Rechtsetzungebefugnisse bezeichnet. In diesem Zusammenhang hat der Rat im ĺKomitologieBeschluss bestimmte Modalitäten für die Durchführung der Vorschriften erlassen. (gh) §§: Art. 202 3. GS EG Lit.: A. Egger, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 11. Lfg. 2003, Art. 202 EGV, Rn. 18 ff.; W. Hummer/W. Obwexer, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 202 EGV, Rn. 28; M. Schweitzer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 202 EUV, Rn. 26; J. C. Wichard, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 202 EGV, Rn. 5
Prinzip der Subsidiarität ĺSubsidiaritätsprinzip Prinzip des gegenseitigen Vertrauens ĺDiplomanerkennung, Prinzip des gegenseitigen Vertrauens Prinzip des non-refoulement principle of non-refoulement – principe de non-refoulement
Eine zentrale Bestimmung der ĺGenfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist das in Art. 33 enthaltene Refoulement-Verbot (auch als Prinzip oder Verpflichtung des non-refoulement bezeichnet), welches den Vertragsstaaten eine Ausweisung oder Zurückweisung eines Flüchtlings in Gebiete, in denen sein Leben oder seine Freiheit aufgrund seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, der Zugehörigkeit zu einer bestimm708
ten sozialen Gruppe, oder der politischen Überzeugung bedroht sein würde, untersagt. Eine Ausnahme von dieser Bestimmung ist nur dann vorgesehen, wenn der betreffende Flüchtling aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes oder für die Allgemeinheit des jeweiligen Staates anzusehen ist, weil er eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtkräftig verurteilt wurde (Art. 33 Abs. 2 GFK). Das Refoulement-Verbot verbietet nicht nur die Abschiebung des Flüchtlings in seinen Heimatstaat, sondern auch in jeden anderen Staat, in dem eine direkte Verfolgung oder aber die Abschiebung in einen Verfolgerstaat (sog. Verbot der Kettenabschiebung) droht. Nach herrschender Rechtsprechung des EGMR ist auch aus Art. 3 EMRK ein breiter Abschiebungsschutz abzuleiten, der insofern einen weitergehenden Schutz als Art. 33 GFK gewährt, als das absolute und nicht derogierbare Folterverbot eine Abschiebung auch dann verbietet, wenn die Person ein Sicherheitsrisiko für den betreffenden Staat darstellt. Darüber hinaus ist die Abschiebung in einen Staat, in dem Misshandlung droht unabhängig davon verboten, ob die Gefahr von staatlichen oder nicht-staatlichen Gruppen oder Personen ausgeht. Ein vergleichbarer Schutz folgt auch aus Art. 19 Abs. 2 GRC. Außerdem darf auch gem. Art. 3 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe sowie nach Art. 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ein Vertragsstaat eine Person nicht in einen anderen Staat ausweisen, abschieben oder an diesen ausliefern, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie dort Gefahr liefe, gefoltert zu werden. Bei drohender Todesstrafe in Folge eines gerichtlichen Verfahrens hat der EGMR entschieden, dass eine entsprechende Abschiebung bzw. Ausweisung zwar nicht gegen Art. 2 EMRK, auf Grund der Art der Vollstreckung (Todeszellensyndrom) jedoch gegen Art. 3 EMRK verstoßen kann. Daraus ergibt sich, dass auch bei infolge von Abschiebungen ins Ausland drohenden, an sich anderen (als Art. 3 EMRK) Konventionsverletzungen, welche aber doch die Intensität eines in Art. 3 EMRK verpönten Verhaltens erreichen, Refoulementschutz auf Grund von Art. 3 EMRK (aber nicht der Bestimmung, die an sich verletzt zu werden droht) besteht. Fraglich ist, ob Refoulementschutz auch selbstständig, ohne das Vorliegen einer drohenden
Privatrecht, Europäisches Art. 3 EMRK-widrigen Beeinträchtigung, aus einer rein „extraterritorialen“ Wirkung anderer Rechte und Freiheiten wie etwa Art. 4, 6, 7, 9 oder 14 EMRK abgeleitet werden kann. Der EGMR hat diesbezüglich erkennen lassen, dass eine Auslieferungsentscheidung ausnahmsweise dann im Hinblick auf Art. 6 EMRK konventionswidrig sein kann, wenn dem Betroffenen im ersuchenden Staat „a flagrant denial of justice“ droht. (gt) (jw) Lit.: W. Kälin, Das Prinzip des Non-Refoulement (1982); G. Gornig, Das „non-refoulement“-Prinzip, ein Menschenrecht „in statu nascendi“, EuGRZ 1986, 521; U. Zellenberg, Der grundrechtliche Schutz vor Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung – Art. 3 EMRK, in: Machacek/Pahr/Stadler (Hrsg.), Grund- und Menschenrechte in Österreich, Bd III (1997), 441; K. Hailbronner, Art. 3 EMRK – ein neues europäisches Konzept der Schutzgewährung? DÖV 1999, 617; G. Thallinger, Das neue Asylgesetz – ein verfassungsrechtlicher Grenzgänger, ZfV 2004, 161, 172-174; K. Hailbronner, Art. 6 EMRK als Hindernis der Auslieferung und Abschiebung, in: J. Bröhmer et al. (Hrsg), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte. FS für G. Ress, 2005, 997 Rsp.: EGMR, Urteil vom 7.7.1989, Fall Soering, Serie A-161; EGMR, Urteil vom 30.10.1991, Fall Vilvarajah, A-215; EGMR, Urteil vom 17.12.1996, Fall Ahmed, RJD 1996-VI, 2195
Prinzipien, Subsidiarität – Verhältnismäßigkeit – Solidarität principles, subsidiarity-proportionality-solidarity – principes, subsidiarité-proportionnalité-solidarité
Während das „Ob“ der gemeinschaftlichen Rechtsetzung in nicht ĺausschließlichen Zuständigkeiten der Gemeinschaft durch das in Art. 5 Abs. 2 EG verankerte ĺSubsidiaritätsprinzip bestimmt wird, determiniert das ĺVerhältnismäßigkeitsprinzip des Art. 5 Abs. 3 EG das „Wie“ der Ausübung dieser Zuständigkeiten durch die Gemeinschaft. Ein Spannungsverhältnis des ĺSubsidiaritätsprinzips im Sinne des Gegensatzes von Dezentralisierung und Zentralisierung ergibt sich zum ĺSolidaritätsprinzip (Art. 1 Abs. 3 Satz 2 EU). Nach dem ĺProtokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit gewährleistet jedes Organ bei der Ausübung seiner Befugnisse die Einhaltung der Prinzipien der ĺSubsidiarität und ĺVerhältnismäßigkeit, die unter Beachtung der allgemeinen Bestimmungen und Ziele des EG-Vertrags, insbesondere unter voller Wahrung des gemeinschaftlichen Besitzstands und des institutionellen Gleichgewichts, angewandt werden. Dabei werden die vom ĺEuGH aufgestellten Grundsätze für das Verhältnis zwischen einzel-
staatlichem Recht und Gemeinschaftsrecht nicht berührt. Dem in Art. 6 Abs. 4 EU verankerten Grundsatz, wonach sich die Union mit den Mitteln ausstattet, die zum Erreichen ihrer Ziele und zur Durchführung ihrer Politiken erforderlich sind, soll Rechnung getragen werden. Das ĺSubsidiaritätsprinzip soll die Befugnisse, über die die Gemeinschaft auf Grund des EG-Vertrags entsprechend der Auslegung des ĺEuGH verfügt, nicht in Frage stellen und nur Richtschnur für die Ausübung jener Funktionen sein, für die die Gemeinschaft nicht die ĺausschließliche Zuständigkeit besitzt. Es ist als ein dynamisches Prinzip konzipiert, das, je nach Berücksichtigung der im EG-Vertrag festgelegten Ziele, die Tätigkeit der Gemeinschaft im Rahmen ihrer Befugnisse erweitern oder aber einschränken oder einstellen kann. (ag) §§: Art. 1 Abs. 3 Satz 2 EU, Art. 5 Abs. 2 und 3 EG, Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Lit.: C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 5 EGV
Prioritäre Dienstleistung ĺDienstleistungsauftrag, öffentlicher Privatleben, Recht auf Achtung von right to respect for private life – droit au respect de sa vie privée
Grundrecht auf Privatleben, vom EuGH anerkanntes Gemeinschaftsgrundrecht (vgl. Art. 7 GRC/Art. II-67 EVV; Art. 8 EMRK als Gemeinschaftsgrundrecht). Gesamtgrundrecht umfasst Grundrecht auf Schutz von Privat- und Familienleben, das Recht der Unverletzlichkeit der Wohnung und Kommunikation. Das Tatbestandsmerkmal Privatleben betrifft die Privatsphäre des Menschen, darunter sein Selbstbestimmungsrecht sowie auch sein Sexualleben, den Namen, das Recht am eigenen Bild u.a.m. Eingriffe in dieses Grundrecht können wie nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sein. (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 8 EMRK als ĺGemeinschaftsgrundrecht; Art. 7 GRC/Art. II-67 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 12, Pkt. I; E. Wiederin, in: K. Korinek/M. Holoubek (Hrsg.), B-VG, 1999, Art. 8 EMRK Rsp.: z.B. EGMR 20.3.2007, Tysiac/Polen (Entschädigung für nicht zugelassene, medizinisch indizierte Abtreibung unter Art. 8 EMRK)
Privatrecht, Europäisches ĺGemeinschaftsprivatrecht 709
Privatschulfreiheit Privatschulfreiheit freedom to found educational establishments – liberté des établissements d’enseignement
Grundrechtlich garantiert durch Art. 14 Abs. 3 GRC/Art. II-74 EVV; zuvor schon aus Art. 2 1. ZP EMRK abgeleitet und daher bereits jetzt ein europäisches ĺGrundrecht. Das Recht, Schulen unter privater Trägerschaft zu gründen und zu betreiben, erfließt aus der unternehmerischen Freiheit. Das Öffentlichkeitskriterium stellt auf die – allgemeine oder beschränkte – Zugänglichkeit ab. Grundrechtlich geschützt sind nur „unter Achtung demokratischer Grundsätze“ geführte Schulen. Einschränkungen sind gem. Art. 52 GRC/Art. II112 EVV möglich. (ed) Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 19 II
Privilegierte Kläger, Nichtigkeitsklage privileged applicant, action for annulment – partie requérante privilégiée, recours en annulation
Bezeichnung für die Gruppe von Nichtigkeitsklägern nach Art. 230 Abs. 2 EG. Im Unterschied zu den ĺnichtprivilegierten Klägern können sie jeden Rechtsakt, der Gegenstand einer Nichtigkeitsklage (ĺKlagegegenstand, Nichtigkeitsklage) sein kann, ohne jede weitere Zulässigkeitsvoraussetzung anfechten. Privilegierte Kläger sind: ƒ Mitgliedstaaten, ƒ Rat (ĺRat der Europäischen Union), ƒ ĺKommission und ƒ Parlament (ĺEuropäisches Parlament). (mk) Pro-Eurojust Im März 2001 in Brüssel errichteter provisorischer Vorläufer von ĺEurojust. (sts) Produkt (Gentechnik) product (genetic engineering) – produit (génie génétique)
Unter Produkt im gentechnikrechtlichen Sinn versteht die RL 2001/18/EG, eine Zubereitung, die aus genetisch veränderten Organismen oder einer Kombination von genetisch veränderten Organismen besteht oder genetisch veränderten Organismen oder eine Kombination von genetisch veränderten Organismen enthält und in den Verkehr gebracht wird. Ein Produkt aus genetisch veränderten Organismen muss demnach genetisch veränderte Organismen, also intakte biologische Einheiten enthalten. (al) §§: Art. 2 Z. 7, RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/ 1 (ĺFreisetzungsrichtlinie)
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Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. II., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin; C. von Kameke, Gemeinschaftliches Gentechnikrecht: Die Freisetzungsrichtlinie 90/220/EWG, 1995, 16 Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l28130. htm
Produkthaftung (IPR) product liability (PIL) – responsabilité du fait des produits défectueux (DIP)
Bei der internationalprivatrechtlichen Beurteilung der Produkthaftung geht es um die Frage, welches Recht auf Produkthaftungsfälle anzuwenden ist. Die ĺRom II-VO enthält diesbezüglich in Art. 5 eine ausdrückliche Regelung, die zunächst auf das Recht des Aufenthaltsortes des Geschädigten verweist. Das Recht dieses Ortes ist dann maßgeblich, wenn das Produkt auch dort in Verkehr gebracht wurde. Ist dies nicht der Fall, dann kommt das Recht jenes Staates zur Anwendung, in dem das Produkt erworben und in Verkehr gebracht wurde. Greift auch diese Regelung nicht, so ist auf jenen Staat abzustellen, in dem das Produk in Verkehr gebracht wurde und in dem der Schaden eingetreten ist. Ausnahmsweise ist auch dann auf den gewöhnlichen Aufenthalt abzustellen, wenn das Produkt nicht dort in Verkehr gebracht wurde. Weiters ist einer offensichtlich engeren Verbindung zu einem anderen Staat Rechnung zu tragen. (js) §§: VO (EG) 864/2007 vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), Art. 6 Lit.: G. Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1 (6 f.)
Produkthaftungsrichtlinie directive on the approximation of the laws, regulations and administrative provisions of the Member States concerning liability for defective products – directive relative au rapprochement des dispositions législatives, réglementaires et administratives des États membres en matière de responsabilité du fait des produits défectueux
Ziel der ProdukthaftungsRL, einer ĺKundenschutzRL mit abschließendem Charakter (EuGH 25.4.2002, Rs. C-154/00 Kommission/Griechenland, Slg. 2002, I-3879), die im Jahre 1999 novelliert wurde, ist die Angleichnung der divergierenden, einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über die Haftung des Herstellers für durch die Fehlerhaftigkeit seiner Produkte verursachte Schäden, um die daraus resultierenden Wettbewerbsverzerrungen zwischen Herstellern, Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs innerhalb des Gemeinsamen Marktes sowie Un-
Produktpiraterieverordnung terschiede im Schutz des Verbrauchers vor Schädigungen seiner Gesundheit und seines Eigentums durch solch fehlerhafte Produkte zu beseitigen. Problembehaftete Fallgestaltungen zeigten sich in den Mitgliedstaaten insbesondere bei der Behandlung von Ausreißerschäden (mangels Verschulden des Herstellers) und in Bezug auf den „innocent bystander“, der nicht vom Schutzbereich des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zwischen Hersteller und Lieferanten umfasst ist. Aus diesem Grund sieht die RL eine verschuldensunabhängige (Gefährdungs-)Haftung des Herstellers eines Produkts, d.h. einer jeden beweglichen Sache, auch wenn sie Teil einer anderen beweglichen oder unbeweglichen Sache ist (Art. 2 RL), für jenen Schaden vor, der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist (Art. 1 RL). Diese Einstandspflicht besteht nicht bloß gegenüber dem Abnehmer einer Ware, sondern auch gegenüber Dritten. Voraussetzung ist allerdings, dass die Sache in Verkehr gebracht worden ist. Fehlerhaft ist ein Produkt dann, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist (Art. 6 RL). Hersteller i.S. dieser RL ist jeder Hersteller eines Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts sowie der Anscheinshersteller und Importeur (Art. 3 Abs. 1 und 2 RL). Ebenso trifft jeden Lieferanten die Haftung, wenn er der Pflicht zur Benennung des Herstellers, des vorherigen Lieferanten oder Importeurs nicht nachkommt (Art. 3 Abs. 3 RL). Die Beweislast für den Schaden, den Fehler des Produkts und die Kausalität zwischen Fehler und Schaden liegt beim Geschädigten (Art. 4 RL). Ersetzt werden sowohl Personen-, als auch Sachschäden, wobei für letztere ein Selbstbehalt von € 500,- vorgesehen ist (Art. 9 RL). Zudem muss die Sache von einer Art sein, wie sie gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt ist und muss vom Geschädigten hauptsächlich zum Privaten Ge- oder Verbrauch verwendet worden sein (Art. 9 RL). Allerdings enthält die RL auch eine Auflistung von Fällen, in denen sich der Hersteller frei beweisen kann (Art. 7 RL). Ergänzt wird der Regelungskomplex durch zwei Fristenregelungen (Art. 10 und 11 RL) und die Anordnung, dass die Haftpflicht des Herstellers gegenüber dem Geschädigten nicht durch eine haftungsbegrenzende oder -befreiende Klausel ausgeschlossen werden kann (Art. 12 RL). Ansprüche aufgrund von Vorschriften über die vertragliche oder außerver-
tragliche Haftung bleiben bestehen (Art. 13 RL). (pa) §§: RL 85/374/EWG des Rates vom 25.7.1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. 1985, Nr. L 210/29; RL 1999/34/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10.5.1999 zur Änderung der RL 85/374/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. 1999, Nr. L 141/20 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/ H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Produktpiraterie product piracy – contrefaçon des produits
Produktpiraterie betreibt, wer Marken-, Patent-, Urheber- oder sonstige gewerbliche Schutzrechte verletzt, indem er Fälschungen von Markenwaren herstellt oder urheberrechtlich geschützte Werke ohne Einwilligung des Berechtigten vervielfältigt und vertreibt (vgl. auch ĺVervielfältigungsrecht, ĺVerbreitungsrecht). Um die Pirateriebekämpfung zu verbessern, erließ die EU die ĺProduktpiraterieverordnung (VO [EG] 3295/94), die mittlerweile durch eine neue ĺProduktpiraterieverordnung, die VO (EG) 1383/2003, ersetzt wurde. Ein weiteres wichtiges Instrument zur Bekämpfung der Produktpiraterie ist die ĺDurchsetzungsRL. (js) Lit.: K. D. Deumeland, Die Möglichkeit der Grenzbeschlagnahme bei Verletzung des deutschen Urheberrechts, GRUR Int. 2006, 994; M. M. Walter in: ders., Europäisches Urheberrecht. Kommentar, 2001, ProduktpiraterieV
Produktpiraterieverordnung regulation on product piracy – réglement concernant la piracie des produits
Um den Kampf gegen die ĺProduktpiraterie zu verbessern, erließ der europäische Gesetzgeber 1994 die Produktpiraterieverordnung VO (EG) 3295/94. Diese VO bezog die Zollbehörden in die Bekämpfung ein und ermöglichte es ihnen, an den EU-Außengrenzen Piraterieprodukte zu beschlagnahmen. Mittlerweile wurde die VO (EG) 3295/94 durch eine neue Produktpiraterieverordnung, die VO (EG) 1383/2003 (ABl. 2003, Nr. L 196/7), ersetzt und der Anwendungsbereich des Grenzbeschlagnahmesystems ausgedehnt. Die VO regelt die Voraussetzungen, unter denen die Zollbehörden der MS tätig werden dürfen, wenn Waren unter dem Verdacht stehen geis711
Produktplatzierung tiges Eigentum zu verletzen sowie welche Maßnahmen zu treffen sind, wenn die Verletzung festgestellt wird (Grenzbeschlagnahmeverfahren – Zurückhaltung der Ware bzw. Aussetzung der Überlassung – bzw. daran anschließend Vernichtung der Ware) und ist auch in bloßen Durchfuhrfällen anwendbar (wenn vermeintliche ĺPiraterieware aus einem Drittstaat – durch die EG – in einen anderen Drittstaat verbracht wird, EuGH, Rs. C-383/98, Polo/Lauren, Slg. 2000, I-2519). (mp) (js) §§: VO (EG) 1383/2003 über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen, ABl. 2003, Nr. L 196/ 7; Durchführungs-VO der KOM(EG) Nr. 1891/2004, ABl. 2004, Nr. L 328/16; s.a. ProduktpiraterieG 2004, BGBl. I 56/2004 i.d.F. BGBl. I 17/2007 Lit.: C. Cordes, Die Grenzbeschlagnahme in Patentsachen, GRUR Int. 2007, 483; T. Braun/A.Heise, Die Grenzbeschlagnahme illegaler Tonträger in Fällen des Transits, GRUR Int. 2001, 28; K. D. Deumeland, Die Möglichkeit der Grenzbeschlagnahme bei Verletzung des deutschen Urheberrechts, GRUR Int. 2006, 994; M. M. Walter, in: ders., Europäisches Urheberrecht. Kommentar, 2001, ProduktpiraterieV
Produktplatzierung product placement – placement de produits
Produktplatzierung (im deutschsprachigen Raum wird dafür häufig die entsprechende anglo-amerikanische Bezeichnung „product placement“ verwendet) ist erstmals in den USA in Erscheinung getreten; mittlerweile dient sie auch in Europa als klassisches Finanzierungsinstrument für Spielfilmproduktionen, wird aber auch regelmäßig in anderen Fernsehformaten (z.B. Fernsehshows) eingesetzt. Nach dem Werberegelungskomplex der ĺAVMRL stellt sie eine mögliche Werbeform im Rahmen der ĺaudiovisuellen kommerziellen Kommunikation dar. Enstprechend der Legaldefinition in Art. 1 lit. k der AVMRL bezeichnet als: „jede Form ĺaudiovisueller kommerzieller Kommunikation, die in der Einbeziehung eines Produkts, eines Dienstes oder der entsprechenden Marke bzw. der Bezugnahme darauf besteht, so dass diese innerhalb eines audiovisuellen Mediendienstes erscheinen, üblicherweise gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung.“ Zusammengefasst bezeichnet der Begriff Produktplatzierungen im Programmumfeld: die entgeltliche Darstellung von Produkten oder Marken im Rahmen von redaktionellen Sendungen bzw. andersherum formuliert: die In712
szenierung von Fernsehsendungen und anderen audiovisuellen Medieninhalten durch die Darstellung oder Erwähnung von bekannten Produkten oder Marken. Charakteristisch an der Produktplatzierung ist demnach die natürliche Einflechtung von Werbung in den Sendungszusammenhang (die Vermischung von Werbung und Programm). Sie steht damit im Spannungsfeld zum Begriff der Schleichwerbung. Die Abgrenzung zwischen zulässigen Produktplatzierungen und verbotener Schleichwerbung erfolgt über das Konzept der ,undue prominence‘. Im Interesse der redaktionellen Unabhängigkeit und dem Schutz vor einem Übermaß an Werbung darf im Rahmen der Produktplatzierung das betreffende Produkt nicht übermäßig hervorgehoben worden. Andernfalls liegt Schleichwerbung vor. (dd) §§: Art. 1 lit. k und Art. 3 lit. f, Vorschlag für eine Richtlinie „Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“, KOM(2007) 170 endg. Lit.: K. Kassai, Europäisches Werberecht für die elektronischen Medien, in: W. Berka/C. Grabenwarter/ M. Holoubek (Hrsg.), Gemeinschaftsrecht & Rundfunk. Revolution oder Anpassung, 2007, 97, 105
Produktvorschriften (freier Warenverkehr) product rules (free movement of goods) – réglementations relatives aux produits (libre circulation des marchandises)
Im Unterschied zu den ĺVerkaufsvorschriften beziehen sich mitgliedstaatliche Produktvorschriften auf das Produkt an sich. Damit gemeint sind etwa Vorschriften, die auf die Zusammensetzung, die Verpackung, Verwendungsmöglichkeiten der Ware regeln. Eine mitgliedstaatliche Produktvoschrift stellt dann eine ĺMaßnahme gleicher Wirkung gem. Art. 28 EG dar, wenn sie dazu zwingt, das ausländische Produkt an die geltenden Vorschriften des Einfuhrstaates anzupassen (vgl. EuGH, Rs. C390/99, Canal Satélite Digital, Slg. 2002, I-607, Rn. 30). (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 70 ff.; P. Oliver/S. Enchelmaier, Free movement of goods: Recent developmnets in the case law, CML Rev. 2007, 671 ff. Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-267 und 268/1 Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097, Rn. 15 ff. (ĺKeck-Entscheidung); EuGH, Rs. C-390/99, Canal Satélite Digital, Slg. 2002, I-607, Rn. 30
Project Group on a Restatement of European Insurance Contract Law (Innsbruck-Gruppe) Die Projektgruppe zum Europäisches Versicherungsvertragsrecht wurde 1999 von Fritz Rei-
Protokoll über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten chert Facilides an der Universität Innsbruck gegründet und hat später die Hamburger Gruppe zum Europäischen Versicherungsvertragsrecht in sich aufgenommen. Die heute von Helmut Heiss geleitete Arbeitsgruppe ist mit der ĺStudy Group on a European Civil Code assoziiert und Mitglied des Joint Network on European Private Law (ĺCoPECL), in dessen Rahmen es die Ausarbeitung von Grundregeln für ein Europäisches Versicherungsvertragsrecht übernommen hat. (mrm) Lit.: J. Basedow/T. Fock, Europäisches Versicherungsvertragsrecht, Bde. 1 & 2 (2002), Bd. 3 (2003); H. Heiss, Stand und Perspektiven der Harmonisierung des Versicherungsvertragsrechts in der EG, 2005 Web: http://www.restatement.info
Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit (1997) protocol (no. 30) on the application of the principles of subsidiarity and proportionality (1997) – protocole (no. 30) sur l’application des principes de subsidiarité et de proportionnalité (1997)
Das Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit wurde dem 1997 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam beigefügt und ist gem. Art. 311 EG Bestandteil des EG-Vertrags. Die Vertragsparteien entschlossen sich, darin die Bedingungen für die Anwendung der durch den Vertrag von Amsterdam in Art. 5 Abs. 2 und 3 EG verankerten Grundsätze der ĺSubsidiarität und der Verhältnismäßigkeit festzulegen, die Kriterien für ihre Anwendung zu präzisieren und die strikte Beachtung und kohärente Anwendung dieser Grundsätze durch alle Organe zu gewährleisten. Dem lag die Zielvorstellung größtmöglicher Bürgernähe der EU zu Grunde. Das Protokoll baut auf den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Birmingham vom 16.10.1992 und dem vom Europäischen Rat auf seiner Tagung vom 11./12.12. 1992 in Edinburgh vereinbarten Gesamtkonzept für die Anwendung des ĺSubsidiaritätsprinzips sowie der Interinstitutionellen Vereinbarung vom 25.10.1993 zwischen dem ĺEuropäischen Parlament, dem ĺRat und der ĺKommission über die Verfahren zur Anwendung des ĺSubsidiaritätsprinzips auf. Es enthält allgemeine Leitlinien über die Gewährleistung und Berücksichtigung der Prinzipien der ĺSubsidiarität und ĺVerhältnismäßigkeit, die einzelnen ĺAnwendungskriterien des Subsidiaritätsprinzips sowie Vorschriften über die ĺSubsidiaritätsprüfung. (ag)
§§: Art. 5 Abs. 2 und 3 EG, Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit (1997) Lit.: R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 5 EGV; M. Zuleeg, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 5 EGV
Protokoll aus 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge protocol of 1967 relating to the status of refugees – protocole de 1967 relatif au statut des réfugiés
Mit dem Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.1967 wurde vor allem die in der ĺGenfer Flüchtlingskonvention (GFK) enthaltene zeitliche Beschränkung des Flüchtlingsbegriffes aufgehoben (Art. 1 Abs. 2 des Protokolls). Die ursprüngliche Flüchtlingsdefinition der GFK bezog sich ausschließlich auf Personen, die auf Grund der Ereignisse, die vor dem 1.1.1951 eingetreten waren, Flüchtlinge wurden. Gleichzeitig wird die ursprünglich in der GFK enthaltene optionale räumliche Einschränkung aufgehoben, wonach neue Vertragsstaaten den Flüchtlingsbegriff nicht mehr auf Ereignisse in Europa (europäische Flüchtlinge) beschränken können (Art. 1 Abs. 3 des Protokolls). (gt) (jw) Protokoll über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union protocol on asylum for nationals of member states of the European Union – protocole sur le droit d’asile pour les ressortissants des États membres de l’Union européenne
Das Protokoll (Nr. 29) zum ĺVertrag von Amsterdam über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. 10.11.1997, Nr. C 340/ 103) sieht in Anbetracht des hohen Schutzniveaus der Grundrechte und Grundfreiheiten in der Union sämtliche Mitgliedstaaten als ĺsichere Herkunftsstaaten an und schließt grundsätzlich die Prüfung eines Asylantrags eines Unionsbürgers aus. Ein Asylantrag eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats darf von einem anderen Mitgliedstaat nur berücksichtigt oder zur Bearbeitung zugelassen werden, a. wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam Art. 15 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten anwendet und Maßnahmen ergreift, die in seinem Hoheitsgebiet 713
Protokoll über die strategische Umweltprüfung die in der Konvention vorgesehenen Verpflichtungen außer Kraft setzen; b. wenn das Verfahren des Art. 7 Abs. 1 des Vertrags über die Europäische Union eingeleitet worden ist und bis der ĺRat diesbezüglich einen Beschluss gefasst hat; c. wenn der ĺRat nach Art. 7 Abs. 1 des Vertrags über die Europäische Union eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung von in Art. 6 Abs. 1 genannten Grundsätzen durch den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger der Antragsteller ist, festgestellt hat; d. wenn ein Mitgliedstaat in Bezug auf den Antrag eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats einseitig einen solchen Beschluss fasst; in diesem Fall wird der ĺRat umgehend unterrichtet; bei der Prüfung des Antrags wird von der Vermutung ausgegangen, dass der Antrag offensichtlich unbegründet ist, ohne dass die Entscheidungsbefugnis des Mitgliedstaats in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird. (gt) (jw) Lit.: K. Hailbronner, Immigration and Asylum Law and Policy of the European Union, 2000, 463-465; G. Muzak, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 44. Lfg. 2005, Art. 63 EGV, Rn. 10-13
Protokoll über die strategische Umweltprüfung ĺStrategische Umweltprüfung, Protokoll über die Providerhaftung ĺE-commerce-RL, Haftung Prozesskosten ĺEuropäische Prozesskosten-Richtlinie Prozesskostenrichtlinie legal aid directive – reglement relatif à l’aide judiciaire
Die RL 2003/8/EG des Rates vom 27.1.2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (PKHRL) ist am 31.1.2003 in Kraft getreten und war bis zum 30.11.2004 in nationales Recht umzusetzen. Anlass war die Erkenntnis, dass die Bindung der Gewährung von Prozesskostenhilfe an Antragsvoraussetzungen wie bspw. die Staatsangehörigkeit oder einen gewöhnlichen Aufenthalt bestimmter Dauer gegen das ĺDiskriminierungsverbot des 714
Art. 12 EG verstößt. Darüber hinaus zielt die RL darauf ab, den Zugang zu Prozesskostenhilfe im Binnenmarkt zu erleichtern und insb. die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich aus den praktischen Anforderungen der Antragstellung im Ausland und der unterschiedlichen Höhe der Lebenserhaltungskosten ergeben. Die PKHRL stellt eine Maßnahme der Mindestharmonisierung dar und verpflichtet die MS allen Personen, die nicht über ausreichende finanzielle Mittel für die Rechtsverfolgung verfügen, Prozesskostenhilfe nach ihren jeweiligen nationalen Vorschriften zu gewähren. Der sachliche Anwendungsbereich umfasst Zivil- und Handelssachen mit grenzüberschreitendem Bezug. Ein solcher liegt nach Art. 2 vor, wenn der Antragsteller seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen MS als dem Forumstaat hat. Anspruchsberechtigt sind natürliche Personen und damit neben Unionsbürgern auch Angehörige von Drittstaaten, soweit sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt innerhalb der Union haben. Der Begriff der Prozesskostenhilfe umfasst dabei sowohl die vorprozessuale Beratungshilfe, die Vertretung durch einen Rechtsanwalt, die Befreiung von der Übernahme der Gerichtskosten sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch die Übernahme der in Folge des grenzüberschreitenden Charakters entstehenden Zusatzkosten. Neben der Gewährung von PKH wird die Rechtsverfolgung im Ausland auch dadurch erleichtert, dass der Antragsteller den Antrag auf PKH bei den Gerichten seines Wohnsitz-MS stellen kann und dieses Gericht den Antrag nach Überprüfung von Ordnungsgemäßheit und Vollständigkeit gegebenenfalls für Übersetzung sorgt und dann an das zuständige ausländische Gericht übermittelt. Die im Rahmen der Antragstellung anfallenden Kosten trägt der WohnsitzMS. Ablehnende Entscheidungen über einen entsprechenden Antrag sind zu begründen, dagegen muss ein Rechtsbehelf vorgesehen werden. (mrm) Lit.: S.-D. Jastrow, EG Richtlinie 8/2003 – Grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe, MDR 2004, 75-77
Prüferbefähigungsrichtlinie directive on the approval of persons responsible for carrying out the statutory audits of accounting documents – directive concernant l’agrément des personnes chargées du contrôle légal des documents comptables
Achte gesellschaftsrechtliche ĺRichtlinie vom 10.4.1984 über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungsunterlagen beauftrag-
Public Private Partnership ten Personen (84/253/EWG – ABl. 1984, L 126/ 20) der EU. Die Prüferbefähigungsrichtlinie harmonisiert die erforderliche fachliche Mindestqualifikation der Abschlussprüfer für den ĺJahresabschluss (s. bei ĺJahresabschlussrichtlinie) und den Konzernabschluss. Die Pflichtprüfung darf nur von dafür zugelassenen natürlichen Personen (Mindestvoraussetzungen: nach erlangter Hochschulreife praktische Ausbildung von mindestens drei Jahren, berufliche Eignungsprüfung) und Prüfungsgesellschaften (die prüfenden Personen müssen dieselben Voraussetzungen erfüllen) vorgenommen werden; Anforderungen an die Unabhängigkeit und die berufliche Sorgfalt der Prüfer sind von den Mitgliedstaaten autonom festzulegen. In Österreich wurde die Prüferbefähigungsrichtlinie durch das EU-GesRÄG 1996 (BGBl. 1996/304) umgesetzt. (tr) Prüfungsvorbehalt des BVerfG Vorbehalt des ĺBVerfG, die Einhaltung der Grenzen der übertragenen ĺHoheitsrechte und der ĺIntegrationsschranken aus Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG durch das Gemeinschaftsrecht zu überprüfen. Dieser Vorbehalt stützt sich auf die Auffassung, dass die ĺGeltung des europäischen ĺPrimär- und ĺSekundärrechts in Deutschland auf dem deutschen ĺZustimmungsgesetz zu den Gründungsverträgen und dem darin ausgesprochenen ĺRechtsanwendungsbefehl beruht. Der Vorbehalt wird relevant insb. bei möglichen Überschreitungen der Verbandskompetenz der EU/EG (ausbrechender ĺRechtsakt) und bei Grundrechtsverletzungen. Hinsichtlich des Grundrechtsschutzes hat das BVerfG seine Prüfungstätigkeit mit der ĺSolange II-Entscheidung jedoch wesentlich zurückgenommen (ĺGrundrechte). Im Falle eines Verfassungsverstoßes kann das BVerfG das Gemeinschaftsrecht nicht für ungültig, sondern lediglich für in Deutschland unanwendbar erklären. (sgk) Prümer Vertrag Prüm Convention – Le Traité de Prüm
Der Vertrag über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Migration (Prümer Vertrag) wurde als multilateraler völkerrechtlicher Vertrag außerhalb der Möglichkeiten ĺverstärkter Zusammenarbeit von Belgien, Deutschland, Spanien, Frank-
reich, Luxemburg, den Niederlanden und Österreich abgeschlossen. Der Vertrag wurde am 27.5.2005 im deutschen Ort Prüm unterzeichnet. Der Prümer Vertrag wurde bereits von Deutschland und Österreich innerstaatlich ratifiziert (S. für Deutschland BGBl. 2006 II 626 sowie das Ausführungsgesetz – Prümer Vertrag BGBl. 2006 I 1458; für Österreich BGBl. III 159/2006). Überdies wurde bereits ein Durchführungsübereinkommen zwischen Österreich und Deutschland abgeschlossen. Ziel des Vertrages ist die Vertiefung der grenzüberschreitende Zusammenarbeit, insbesondere in Hinblick auf den Informationsaustausch (Art. 1 Prümer Vertrag; s.a. ĺInformationsaustausch [PJZS]). Der Datenaustausch bezieht sich im Kap. 2 des Vertrages auf DNA-Profile, daktyloskopische Daten und sonstige Daten, wie Fahrzeugregister, sowie eine allgemeine Ermächtigung zur Übermittlung personenbezogener Daten. Dabei sind z.T. auch automatisierte Datenabgleiche vorgesehen. Kap. 3 regelt Maßnahmen zur Verhinderung terroristischer Straftaten, wiederum durch Informationsaustausch, aber auch Regelungen zu ĺFlugsicherheitsbegleitern (sog. Sky Marshalls). Maßnahmen zur Bekämpfung von illegaler Migration werden in Form von Dokumentenberatern (Spezialisten zur Erkennung gefälschter Dokumente, wie Pässe etc.) und durch gegenseitige Unterstützung von Rückführungen geleistet (Kap. 4). Weitere Formen der Zusammenarbeit (Kap. 5) ermöglichen gemeinsame Streifen und Einsatzformen der Polizei in einem weiten Spektrum sowie gegenseitige Hilfeleistung bei Großereignissen, Katastrophen und schweren Unglücksfällen. Aufgrund des Erfolgs des Vertrags ist eine Überführung des Vertrages in die ĺDritte Säule angedacht. (kl) §§: Prümer Vertrag BGBl. 2006 II 626 (D); BGBl. III 2006/159 (Ö) Lit.: W. Hummer, Der Vertrag von Prüm – Schengen III?, Europarecht 2007, 517; D. Kietz/A. Maurer, Der Vertrag von Prüm: Vertiefungs- und Fragmentierungstendenzen in der Justiz- und Innenpolitik der EU, integration 2006, 201; P. Schaar, Datenaustausch und Datenschutz im Vertrag von Prüm, DuD 2006, 691; J. Ziller, The Prüm Convention, EUI Law Working Paper 2006/32
PSK ĺPolitisches und sicherheitspolitisches Komitee Public Private Partnership ĺPPP 715
Publizitätsrichtlinie Publizitätsrichtlinie directive on public disclosure – directive relative à la publicité
Erste gesellschaftsrechtliche ĺRichtlinie vom 9.3.1969 zur Koordination der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (68/151/EWG; ABl. 1968, L 65/8; Änderungsrichtlinie: 2003/58/EG). Die Publizitätsrichtlinie legt für Kapitalgesellschaften (in Österreich: GmbH, AG) gemeinschaftsweite Standards hinsichtlich handelsrechtlicher Offenlegung (Publizitätsmittel, Publizitätsgegenstände, Publizitätswirkungen), Wirksamkeit von Organhandlungen gegenüber Dritten (Gültigkeit der von der Gesellschaft eingegangenen Verpflichtungen: Handeln im Namen der Vorgesellschaft, Handeln des fehlerhaft bestellten Organwalters, Grundsatz der unbeschränkten und unbeschränkbaren Vertretungsmacht), Gründungskontrolle und taxative Nichtigkeitsgründe einer Kapitalgesellschaft (Fehlen des Errichtungsaktes, Rechtswidrigkeit des Unternehmensgegenstandes, wesentliche Mängel der Satzung, Nichtbeachtung nationaler Rechtsvorschriften betreffend die Mindesteinzahlung auf das Gesellschaftskapital, Geschäftsunfähigkeit aller Gründer). In Österreich wurde die Publizitätsrichtlinie durch das EU-GesRÄG 1996 umgesetzt (BGBl. 1996/304). Eine Änderungsrichtlinie (2003/58/EG; in Österreich umgesetzt im „PublizitätsrichtlinienG“, BGBl. I 103/ 2006, 26.6.2006) brachte folgende Ergänzungen in folgenden Bereichen: Elektronischer Rechtsverkehr (Möglichkeit des elektronischen Rechtsverkehrs in Firmenbuchsachen), elektronische Urkundensammlung (nunmehr gesetzlicher Normalfall), beglaubigte verkehrsfähige Version einer elektronischen Abschrift aus der Urkundensammlung, Anspruch auf unentgeltliche Mitteilungen aus der Urkundensammlung, Möglichkeit der Einreichung auch fremdsprachiger
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Urkunden (etwa zur Information ausländischer Investoren); Verschärfung der Zwangsstrafen zur Durchsetzung der Vorlage von Jahresabschlüssen. (tr) Lit.: Kalss, Die Bedeutung der Publizitäts-, Kapital-, Zweigniederlassungs- und Einpersonengesellschaftsrichtlinie der Europäischen Union für das österreichische Gesellschaftsrecht (AG und GmbH), in: Koppensteiner (Hrsg.), Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsprivatrecht – Teil 1: Gesellschaftsrecht, 1994/1998, 119; Merkt, Unternehmenspublizität – Offenlegung von Unternehmensdaten als Korrelat der Marktteilnahme (2001); Rauter, Firmenbuchverfahren noch „elektronischer“, JAP 2007, 159
Pupino-Entscheidung Pupino case – jurisprudence Pupino
ĺVorabentscheidungsverfahren im Rahmen der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (ĺVorabentscheidungsverfahren, PJZS), in dem der ĺEuGH die Verpflichtung der ĺMitgliedstaaten bejaht hat, ihr nationales Recht rahmenbeschlusskonform auszulegen (ĺAuslegung, rahmenbeschlusskonforme). Dabei stützt er sich auf den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten und Europäischer Union (ĺUnionstreue), den er damit auch für die ĺDritte Säule anerkennt, sowie auf die an der ĺRichtlinie orientierte Struktur der Rechtsform des ĺRahmenbeschlusses. Die Entscheidung hat die Diskussion darüber entfacht, inwieweit das Recht der ĺDritten Säule noch als klassisches Völkerrecht zu betrachten oder aber dem supranationalen ĺGemeinschaftsrecht angenähert bzw. gleichzusetzen ist. (sts) Lit.: K.-F. Gärditz/C. Gusy, Zur Wirkung europäischer Rahmenbeschlüsse im innerstaatlichen Recht, GA 2006, 225 ff.; T. Fetzer/T. Groß, Die Pupino-Entscheidung des EuGH – Abkehr vom intergouvernementalen Charakter der EU? – Erwiderung auf Herrmann, EuZW 2005, 436, EuZW 2005, 550 ff.; M. von Unger, Pupino: Der EuGH vergemeinschaftet das intergouvernementale Recht, NVwZ 2006, 46 ff. Rsp.: EuGH, RS. C-105/03 Pupino, Slg. 2005, I-5285
Q Qualifikationsnachweis evidence of qualifications – titres concernant les qualifications requises
Gem. Art. 47 EG hat der ĺRat die Kompetenz, RL zur Erleichterung für die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten zu erlassen, die sich auf die Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen beziehen (ĺDiplomanerkennungsRL). Es geht vor allem um Maßnahmen zur effektiven Gewährleistung der ĺNiederlassungs- und der ĺDienstleistungsfreiheit. Der Begriff der Q. ist dabei weit auszulegen und bezieht sich z.B. auch auf Bescheinigungen der staatlichen Gewerbe- und Wirtschaftsaufsicht. Sonderregeln der Anerkennung von Qualifikationen ergeben sich auch aus der ĺBerufsanerkennungsRL. (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 47 EGV, Rn. 10
Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen ĺEuropäischer Hochschulraum Qualifikationsrichtlinie ĺAnerkennungsrichtlinie Qualifizierte Mehrheit, Rat der Europäischen Union qualified majority, Council of the European Union – majorité qualifiée, Conseil de l’Union Européenne
Regelfall der Beschlussfassung im Rat. Qualifizierte Mehrheit meint ein System der Stimmengewichtung, das in Abweichung vom „one state, one vote“-Grundsatz des klassischen Völkerrechts demographischen Gegebenheiten durch Zuweisung unterschiedlicher Stimmengewichte an die einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung trägt, wobei kleinere im Verhältnis zu größeren Mitgliedstaaten überproportional mehr Stimmen zugeteilt werden (vgl. Art. 205 Abs. 2 EG). Im Zuge des ĺBeitritts neuer Mitgliedstaaten waren jeweils Anpassungen der zugewiesenen
Stimmenzahlen erforderlich. Nach dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum 1.1.2007 erfordert das Erreichen einer qualifizierten Mehrheit mindestens 255 von insgesamt 345 Stimmen – dies entspricht ca. 73,91 % (Art. 205 Abs. 2 EG). Die Zustimmung muss die Mehrheit der Mitglieder umfassen, sofern der Rat auf Vorschlag der ĺKommission tätig geworden ist. Wird der Rat ausnahmsweise ohne Vorschlag der Kommission tätig (vgl. z.B. Art. 272 Abs. 3 EG), so muss die Zustimmung mindestens zwei Drittel der Mitglieder des Rates umfassen (Art. 205 Abs. 2 EG). Darüber hinaus kann ein Mitglied des Rates in jedem Fall eine Überprüfung beantragen, ob jene Mitgliedstaaten, die die qualifizierte Mehrheit bilden, mindestens 62 % der Gesamtbevölkerung der EU repräsentieren. Ist dies nicht der Fall, kann der entsprechende Beschluss nicht zustande kommen (Art. 205 Abs. 4 EG). Eine Stimmenthaltung wirkt bei qualifizierten Mehrheitsentscheidungen als Gegenstimme. Art. I-25 Abs. 1 VVE verzichtet auf das komplizierte System der Stimmengewichtung vollends. Stattdessen setzt sich eine qualifizierte Mehrheit neu aus mindestens 55 % der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, zusammen, sofern die von diesen Mitgliedern vertretenen Mitgliedstaaten mindestens 65 % der Gesamtbevölkerung der EU repräsentieren. (bho) §§: Art. 205 EG; Art. I-25 VVE Lit.: U. Haltern, Europarecht – Dogmatik im Kontext, 2005, 95 ff.; J. C. Wichard, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 205 EGV, Rn. 3 ff.; K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10045
Quellen(steuer)staat source country – état à la source
Als Quellen(steuer)staat wird jener Staat bezeichnet, von dem aus ein in einem anderen Staat ansässiger Steuerpflichtiger Einkünfte (vor allem Zinsen, Dividenden) bezieht. Im Rahmen der ĺDoppelbesteuerungsabkommen wird regelmäßig dem Quellenstaat das Besteuerungs717
Quellensteuer recht zugewiesen, weshalb dieser eine ĺQuellensteuer für die in seinem Gebiet erzielten Erträge einhebt. Der Ansässigkeitsstaat rechnet diese Quellensteuer sodann entweder auf seine (Welt-)Einkommensteuer an oder befreit diese Einkünfte aus dem Quellen(steuer)staat (gegebenenfalls unter der Bedingung eines Progessionsvorbehalts) von seiner Besteuerung. (pu) Quellensteuer withholding tax – retenue à la source
Als Quellensteuer wird jene Ertragsteuer bezeichnet, die der ĺQuellen(steuer)staat für die in seinem Gebiet erzielten Einkünfte einhebt. Da der Ansässigkeitsstaat eines Steuerpflichtigen grundsätzlich das gesamte Welteinkommen besteuern würde, sorgen ĺDoppelbesteuerungsabkommen für eine entsprechende Anrechnung der Quellensteuer bzw. Befreiung der Quelleneinkünfte durch den Ansässigkeitsstaat. (pu) Querschnittsklausel horizontal clause(s) – clause(s) transversale(s)
S.a. ĺDoppelabstützung, ĺIntegrationsklausel (Umweltschutz). Die hinter solchen Klauseln stehende konzeptionelle Grundidee ist, dass die effektive Durchsetzung der Belange der entsprechenden Politiken nur unter der Voraussetzung ihrer Berücksichtigung auch im Rahmen anderer Tätigkeitsbereiche der EG erfolgen kann. Für die Bereiche des Verkehrs- und des Umweltrechts der Gemeinschaft bspw. liegt dieser Zusammenhang auf der Hand. Funktionell betrachtet handelt es sich um primärrechtlich fundierte Abwägungs- und Einbeziehungsgebote; ihre Zielsetzungen treten zu den jeweils vorhandenen bereichsspezifischen Zielen und Inhalten hinzu. Auch wenn die Querschnittsklauseln und die Handlungsvorgaben, auf die sie Bezug nehmen, den Gemeinschaftsorganen aufgrund ihrer normativen Unschärfe im Rahmen notwendiger Interessenabwägungen einen gewissen Gestaltungsspielraum einräumen, sind sie dennoch rechtsverbindlich (Berücksichtigungspflicht) und ĺSekundärrechtsakte an ihnen zu messen. Die ĺGemeinschaftsorgane sind nicht nur verpflichtet, die Erfordernisse des entsprechenden Politikbereichs in die Betrachtungen einzubeziehen, sondern diese Berücksichtigungen haben angesichts der den Querschnittsklauseln 718
innewohnenden Schutzfunktion auch ihren Niederschlag im Ergebnis der letztlich verfolgten Politik zu finden. Als Beispiele sind zu nennen: Art. 6 EG (Umwelt, nachhaltige Entwicklung), Art. 151 Abs. 4 EG (Kultur), Art. 152 Abs. 1 EG (Gesundheitswesen), Art. 147 Abs. 3 EG (Industrie), Art. 159 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 EG (wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt), Art. 178 EG (Entwicklungszusammenarbeit). Vor allem das Verhältnis der umweltrechtlichen Belange bei der Gestaltung der gemeinschaftsrechtlichen Verkehrspolitik wird durch die besondere Bedeutung des Art. 6 EG (Stichworte: systematische Stellung; umweltrechtliches Integrationsgebot; ĺIntegrationsklausel) als Spannungsverhältnis Verkehr-Umwelt angesehen. Die Gemeinschaftsorgane haben bei sekundärrechtlichen Maßnahmen im Verkehrsbereich diese auch im Hinblick auf ihre (potenziellen) Umweltbeeinträchtigungen zu beurteilen und die Maßnahmen entsprechend zu begründen (s. auch Art. 174 Abs. 1, 2 EG). Allerdings folgt daraus kein Vorrang von Umweltbelangen gegenüber anderen Gemeinschaftspolitiken. Die Bedeutung liegt vor allem in einem Anwendungs- und Einbeziehungsgebot. Dieses ist verletzt, wenn die Politikgestaltung in einem Bereich erhebliche Umweltbeeinträchtigungen zur Folge hat oder so einseitig ausfällt, dass im Ergebnis umweltpolitischen Belangen nicht Rechnung getragen wird. (sm) Lit.: A. Epiney, Umweltrechtliche Querschnittsklausel und freier Warenverkehr: die Einbeziehung umweltpolitischer Belange über die Beschränkung der Grundfreiheit, NuR 1995, 497 ff.; J. Jahns-Böhm/S. Breier, Die umweltrechtliche Querschnittsklausel des Art. 130r II EWGV, EuZW 1992, 49 ff.
Quersubventionen cross subsidisation – subventions croisées
Quersubventionen erfassen die Unterstützung der Tätigkeit eines Unternehmens auf einem liberalisierten Markt durch Mittel, die aus Tätigkeiten auf einem reservierten Markt gewonnen werden. Voraussetzung für eine Quersubventionierung ist das Tätigwerden eines Unternehmens in mehreren Geschäftsbereichen und dass einer dieser Geschäftsbereiche für dieses Unternehmen reserviert ist (i.d.R. durch die Einräumung eines Monopols). Die Problematik der Quersubventionierung stellt sich häufig bei ehemals monpolisierten Betrieben, die nun in liberalisierten und nicht liberalisierten Tätigkeitsbereichen ihre Dienstleistungen erbringen (z.B. Energie, Post). Zur Vermeidung von
Quersubventionen Quersubventionen sind Unternehmen, denen ĺausschließliche bzw. ĺbesondere Recht gewährt werden sowie Unternehmen, die mit ĺDienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, zu einer getrennten Buchführung verpflichtet, sofern diese eine ĺstaatliche Beihilfe erhalten und in verschiedenen Geschäftsbereichen tätig sind (Art. 2 Abs. 1 lit. d) ĺTransparenz-Richtlinie. (jr) §§: Art. 86 Abs. 1 und Abs. 2 EG Lit.: T. Eilmansberger, Neues zur beihilfenrechtlichen Beurteilung von Quersubventionen: Das ChronopostUrteil des EuGH, wbl 2004, 101
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R Radioaktive Abfälle radioactive waste – déchets radioactifs
Anfänglich wurde dem Problem radioaktiver Abfälle keine besondere Bedeutung beigemessen. Im Laufe der Zeit sind jedoch Mechanismen zur effektiven Kontrolle ihrer Verbringung entwickelt worden. Allerdings unterliegen radioaktive Abfälle nicht dem allgemeinen Regime der AbfallrahmenRL 72/442/EWG i.d.F. RL 91/156/EWG (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. b sublit. i; ĺAbfall). Vielmehr wurden auf Grundlage von Art. 31 ĺEAGV mehrere spezielle Rechtsakte erlassen, die Dokumentations-, Melde- und Genehmigungspflichten für den Transport radioaktiver Abfälle verankern, aber grds. keine verbindlichen Sicherheitsstandards für dessen Durchführung normieren. Daneben hat die ĺKommission auf gleicher Rechtsgrundlage einen Vorschlag über die Entsorgung radioaktiver Abfälle vorgelegt, der aber noch der Annahme harrt. (atm) §§: RL 92/3/Euratom, ABl. 1992, Nr. L 35/24 (wird zum 25.12.2008 von der RL 2006/117/Euratom, ABl. 2006, Nr. L 337/21 ersetzt); Entscheidung 93/552/ Euratom, ABl. 1993, Nr. L 268/83; VO (Euratom) 1493/93, ABl. 1993, Nr. L 148/1; Geänderter Vorschlag für eine RL (Euratom) über die Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle vom 8.9.2004, KOM(2004) 526 endg. Lit.: N. Pelzer, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, 1. Teilbd., 2. Aufl. 2002, 434 ff. Web: http://ec.europa.eu/energy/nuclear/waste/index _en.htm
Radlberger und Spitz-Entscheidung Radlberger and Spitz case – jurisprudence Radlberger et Spitz
Eine Änderung der deutschen Verpackungsverordnung verpflichtete Hersteller bzw. Vertreiber von in Einwegverpackungen abgefüllten Getränken zur Rücknahme der Verpackungen, sobald der Anteil der Mehrwegverpackungen am Getränkemarkt unter einem bestimmten Prozentsatz fallen würde. Durch diese Regelung sollte das bis dahin in Geltung stehende flächendeckenden System der Sammlung von 720
Verpackungsabfällen („Grüner Punkt“) durch ein Pfand- und Rücknahmesystem ersetzt werden. Zwei österr. Unternehmen, die Erfrischungsgetränke nach Deutschland ausführen und am bisherigen System teilnahmen, klagten gegen obige Verpackungsverordnung. Sie stützten sich darauf, dass die deutsche Regelung gegen die RL 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle und gegen die vom EG-Vertrag garantierte ĺWarenverkehrsfreiheit verstieße. Der EuGH erachtete die deutsche Regelung als gemeinschaftsrechtswidrig, da die Verordnung keine angemessene Übergangsfrist für die Hersteller und Vertreiber vorsah und darüber hinaus auch nicht sichergestellt war, dass Hersteller und Vertreiber sich im Zeitpunkt der Umstellung des Systems der Bewirtschaftung von Verpackungsabfall auch tatsächlich an einem arbeitsfähigen System beteiligen konnten. ĺUmweltschutz (freier Warenverkehr). (rp) Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-463/01 und C-309/02 Radlberger und Spitz, Slg. 2004, I-11763
Räumlicher Geltungsbereich ĺGeltungsbereich, räumlicher Rahmenbeschluss framework decision – décision-cadre
Der Rahmenbeschluss ist die bedeutendste Handlungsform der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Er wurde durch den ĺ Vertrag von Amsterdam in Art. 34 Abs. 2 Satz 2 lit. b EU eingeführt und ersetzt – zusammen mit dem (einfachen) Beschluss – das Instrument der ĺGemeinsamen Maßnahme. Der Rahmenbeschluss dient zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten. Diese Zwecksetzung ist weit zu verstehen und umfasst sowohl die Annäherung materiellen Strafrechts als auch verfahrensrechtlicher Regelungen einschließlich der Einführung neuer Regelungen. Der Rahmenbeschluss ist strukturell der ĺRichtlinie nachgebildet. Er ist für die Mitgliedstaa-
Rahmenbeschlusskonforme Auslegung ten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Mit der Schaffung der Rechtsform wurde eine höhere Bindungswirkung gegenüber der ĺGemeinsamen Maßnahme, deren Verbindlichkeit im Einzelfall festzulegen war, angestrebt. Anders als bei einem Übereinkommen bedarf der Rahmenbeschluss keiner verfassungsrechtlichen Ratifikation, sondern erlangt Geltung bereits aufgrund des Ratsbeschluss. Ausdrücklich ausgeschlossen ist jedoch gem. Art. 34 Abs. 2 Satz 2 lit. b Satz 2 EU eine ausnahmsweise ĺunmittelbare Wirkung von Rahmenbeschlüssen. Die Übertragung der entsprechenden Rechtsprechung des EuGH zur ausnahmsweise ĺunmittelbaren Wirkung von ĺRichtlinien bei Nichtumsetzung trotz Ablaufs der Umsetzungsfrist ist damit nicht möglich. Im Übrigen sind die Wirkungen von Rahmenbeschlüssen denjenigen von Richtlinien angenähert, aber nicht ident. So sind die Mitgliedstaaten etwa zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung (ĺAuslegung, rahmenbeschlusskonforme) ihres Rechts verpflichtet. In diesem Zusammenhang ist streitig, ob im unauflöslichen Konfliktfall Vorgaben eines Rahmenbeschlusses ĺVorrang auch vor mitgliedstaatlichem Verfassungsrecht haben. Über die Auslegung eines Rahmenbeschlusses entscheidet der EuGH, soweit die Mitgliedstaaten diesem eine Vorabentscheidungskompetenz nach Art. 35 Abs. 2, 3 EU eingeräumt haben (ĺVorabentscheidungsverfahren, Dritte Säule) oder, soweit zwischen den Mitgliedstaaten im Rat kein Einvernehmen herbeigeführt werden kann, im Streitbeilegungsverfahren nach Art. 35 Abs 7 EU. (sts) §§: Art. 34 EU Lit.: O. Lagodny/E. Wiederin/R. Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, 2007; D. Reichelt, Die Rechtmäßigkeitskontrolle von Rahmenbeschlüssen und Beschlüssen gem. Art. 35 Abs. 6 EU, 2004 Rsp.: EuGH, Rs. C-105/03 Pupino, Slg. 2005, I-5289; EuGH, Rs. C-303/05 Advocaten voor de Wereld, Slg. 2007, I-3633
Rahmenbeschlusskonforme Auslegung indirect effect of framework decisions (harmonious interpretation) – interprétationà la lumière de la décisioncadre
Verpflichtung der ĺMitgliedstaaten, ihr nationales Recht im Lichte der unionsrechtlichen Rahmenbeschlüsse (ĺRahmenbeschluss) zu interpretieren. Der EuGH hat diese Verpflich-
tung erstmals in der ĺPupino-Entscheidung (Rs. C-105/03) judiziert. 1. Grundlage: Die Verpflichtung schlussfolgert der ĺEuGH aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Mitgliedstaaten und der EU (Pflicht zur ĺUnionstreue) und der Zielverbindlichkeit der strukturell an der ĺRichtlinie orientierten Rechtsform des Rahmenbeschlusses gem. Art. 34 Abs. 2 Satz 2 lit. b EU. In der Literatur ist die für die Bestimmung der Grenzen der Pflicht notwendige dogmatische Einordnung dieser Verpflichtung strittig. 2. Anwendungsbereich: Ebenso wie die Pflicht zu ĺgemeinschaftsrechts- und insbesondere ĺrichtlinienkonformer Auslegung trifft die Pflicht zu rahmenbeschlusskonformer Auslegung alle Organe der ĺMitgliedstaaten im Rahmen der ihnen durch das innerstaatliche Recht eingeräumten Befugnisse. Sie ist grundsätzlich bei der Anwendung des gesamten mitgliedstaatlichen Rechts zu beachten und umfasst auch die Pflicht zur Konforminterpetation des Verfassungsrechts, soweit dies möglich ist. Sie greift ab Ablauf der Umsetzungsfrist des jeweiligen Rahmenbeschlusses. Zuvor gilt lediglich, ebenso wie bei Richtlinien vor Ablauf der Umsetzungsfrist, ein ĺFrustrationsverbot. Der Mitgliedstaat darf danach keine Handlung setzen, die die fristgerechte Erreichung des Ziels des Rahmenbeschlusses gefährden würde. 3. Grenzen: Die Pflicht zu rahmenbeschlusskonformer Auslegung wird begrenzt durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts. Insbesondere sind das Gesetzlichkeitsprinzip und das Rückwirkungsverbot im Strafrecht zu beachten. Anders als der Grundsatz völkerrechtskonformer Auslegung, dessen innerstaatliche Geltung aus dem Verfassungsrecht abzuleiten ist, greift die Pflicht zu rahmenbeschlusskonformer Auslegung unmittelbar aufgrund des Unionsrechts. Sie ist der Pflicht zu gemeinschaftsrechtsund ĺrichtlinienkonformer Auslegung weitgehend angenähert, aber dogmatisch nicht gleichzusetzen. Eine Gleichsetzung der Pflicht zu rahmenbeschlusskonformer Auslegung mit der zu richtlinienkonformer Auslegung würde zugleich die Annahme eines uneingeschränkten ĺVorrangs der unionsrechtlichen Rahmenbeschlüsse vor nationalem Verfassungsrecht bedeuten. Dagegen ist spricht jedoch noch die bewusste Unterscheidung der geltenden ĺPri721
Rahmenbeschlüsse märverträge zwischen ĺUnions- und ĺGemeinschaftsrecht, die jedoch bei Inkrafttreten des ĺVertrages von Lissabon aufgehoben werden wird. (sts) Lit.: K.-F. Gärditz/C. Gusy, Zur Wirkung europäischer Rahmenbeschlüsse im innerstaatlichen Recht, GA 2006, 225 ff.; T. Fetzer/T. Groß, Die Pupino-Entscheidung des EuGH – Abkehr vom intergouvernementalen Charakter der EU? – Erwiderung auf Herrmann, EuZW 2005, 436, EuZW 2005, 550 ff.; M. von Unger, Pupino: Der EuGH vergemeinschaftet das intergouvernementale Recht, NVwZ 2006, 46 ff.; W. Schroeder, Neues vom Rahmenbeschluss, EuR 2007, 349 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C 105/03, Slg. 2005, I-5285
Rahmenbeschlüsse framework decisions – décisions-cadres
Der Rahmenbeschluss ist eine besondere Handlungsform des unter dem EU-Vertrag erlassenen Rechts. Rahmenbeschlüsse werden zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der ĺMitgliedstaaten im Bereich der ĺpolizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 29 ff. EU-Vertrag beschlossen. Dabei entscheidet der ĺRat auf Initiative eines Mitgliedstaats oder der ĺKommission einstimmig; das ĺParlament wird lediglich angehört. Der Gerichtshof ist im Rahmen des Verfahrens nach Art. 35 EU-Vertrag für die Vorabentscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung von Rahmenbeschlüssen zuständig, ebenso für Nichtigkeitsklagen, die ein Mitgliedstaat oder die Kommission erhebt (ĺNichtigkeitsklage, Art. 35 EU). Nach der Geschäftsordnung des Rates müssen Rahmenbeschlüsse im ĺAmtsblatt der EU veröffentlicht werden (ĺVeröffentlichung der Rechtsakte). Hinsichtlich ihrer rechtlichen Wirkungen entsprechen Rahmenbeschlüsse gem. ihrer Definition in Art. 34 II lit. b EU-Vertrag weitgehend den Richtlinien nach dem EG-Vertrag (vgl. die Übereinstimmung mit Art. 249 III EG, ĺRichtlinien). Dies gilt mit Ausnahme der Fähigkeit einer Richtlinie, im Fall einer fehlenden oder unzureichenden Umsetzung durch die Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkungen zu erzielen. Rahmenbeschlüsse sind somit umsetzungsbedürftige, hinsichtlich des herbeizuführenden innerstaatlichen Rechtszustands für die Mitgliedstaaten verbindliche Rechtsakte. Sie können als sektorspezifische HarmonisierungsRichtlinien ohne die Fähigkeit zu unmittelbaren Wirkungen beschrieben werden. Mit Blick auf das auch unter dem EU-Vertrag geltende Prinzip der loyalen Zusammenarbeit hat der ĺEuGH in der Rechtssache ĺPupino 722
konsequenterweise das Rechtsinstitut der richtlinienkonformen Auslegung auf Rahmenbeschlüsse übertragen, wobei im Bereich des Strafrechts die gleichen Gründe wie bei Richtlinien gegen eine strafbegründende oder strafverschärfende Wirkung zu Lasten eines Einzelnen sprechen. Noch nicht entschieden ist die Frage, ob die unterlassene oder fehlerhafte Umsetzung eines Rahmenbeschlusses einen unionsrechtlichen Haftungsanspruch gegenüber dem säumigen Mitgliedstaat begründen kann. Dies ist wohl zu bejahen, denn nach den Kriterien der ĺFrancovich-Rechtsprechung ist die unmittelbare Wirkung der fraglichen Bestimmung hierfür nicht vorausgesetzt. Dass die allgemeinen Rechtsgrundsätze, zu denen neben den Grundrechten auch der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch gehört, auch im Bereich des EU-Vertrags gelten, hat der Gerichtshof mehrfach anerkannt. Seit ihrer Einführung durch den ĺAmsterdamer Vertrag haben Rahmenbeschlüsse in der Praxis schnell große Bedeutung gewonnen, insbesondere nach den Ereignissen des 11.9.2001. Das alternative Handlungsinstrument des Art. 34 EU-Vertrag – die Ausarbeitung eines internen Abkommens durch den Rat, das er den Mitgliedstaaten zur Ratifikation empfiehlt – wird als zu schwerfällig angesehen, um dem Rechtsetzungsbedarf im Bereich der inneren Sicherheit zu genügen. Als besonders konfliktträchtig hat sich der Rahmenbeschluss über den ĺEuropäischen Haftbefehl erwiesen, dessen Umsetzung in verschiedenen Mitgliedstaaten verfassungsrechtliche Schwierigkeiten aufgeworfen hat. Das einschlägige Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts favorisiert eine völkerrechtliche Deutung von Rahmenbeschlüssen, die zukünftige Konflikte mit dem EuGH befürchten lässt. Diese würden mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon obsolet, der, ebenso wie schon der gescheiterte Verfassungsvertrag, die Abschaffung der besonderen Handlungsformen des EU-Vertrags vorsieht. (jb) §§: Art. 29-42 EU-Vertrag, Rahmenbeschluss des Rates vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl (2002/584/JI) Lit.: J. Bast, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU, 2006, 204, 261 ff.; W. Schroeder, Neues vom Rahmenbeschluss – ein verbindlicher Rechtsakt der EU; J. Masing, Vorrang des Europarechts bei umsetzungsgebundenen Rechtsakten, NJW 2006, 264 ff.; V. Skouris, Rechtswirkungen von nicht umgesetzten EG-Richtlinien und EU-Rahmenbeschlüssen gegenüber Priva-
Rat der Europäischen Union ten, ZEuS 2005, 463 ff.; H. Baddenhausen/J. Pietsch, Rahmenbeschlüsse der Europäischen Union, DVBl. 2005, 1562 ff.; C. Tomuschat, Ungereimtes – Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.7.2005 über den Europäischen Haftbefehl, EuGRZ 2005, 453 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-105/03 Pupino, Slg. 2005, I-5285, Rn. 33 ff.; Rs. C-355/04 P Segi, Slg. 2007, I-1657, Rn. 52 ff.; Rs. C-303/05 Advocaten voor de Wereld VZW, Slg. 2007, I-3633, Rn. 24 ff.; BVerfG, NJW 2005, 2289 (Europäischer Haftbefehl)
Rahmenvereinbarung framework agreement – accord-cadre
Bei einer Rahmenvereinbarung im Sinn des ĺVergaberechts wird zwischen einem oder mehreren öffentlichen ĺAuftraggebern und einem oder mehreren ĺWirtschaftsteilnehmern eine Vereinbarung mit dem Ziel getroffen, die Bedingungen (insb. den Preis und die in Aussicht genommene Menge) für bestimmte ĺAufträge, die im Laufe eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen. Die Rahmenvereinbarung ist ein zweistufiges Verfahren, in der ersten Stufe werden die Teilnehmer an der Rahmenvereinbarung ermittelt (das können einer oder mehrere sein), in der zweiten Stufe wird unter diesen Teilnehmern derjenige ermittelt, der den ĺZuschlag erhält. Für den öffentlichen Auftraggeber besteht keine Abnahmeverpflichtung. (S. allgemein zu den Verfahrensarten das ĺVergabeverfahren). (cm) §§: Art. 1 Abs. 5, Art. 32 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 669 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Raphael Raphael – Raphael
Ehemaliges Kulturförderprogramm der EU bis zum Jahr 1999. Gefördert wurden Projekte des gemeinsamen kulturellen Erbes, die „grenzübergreifende Strömungen herausgestellt, zur Entstehung eines gemeinsamen kulturellen Erbeis beigetragen, durch Zusammenarbeit auf europäischer Ebene zur Erhaltung, Schutz und Erschließung des europäischen Kulturerbes beigetragen, die Zusammenarbeit für den Austausch von Erfahrungen und die Entwicklung von Techniken zur Pflege des Kulturerbes gefördert und die durch entsprechende Aufklärung der Bevölkerung oder Erschließung des Zugangs die Teilhabe der Bürger am Kulturerbe vergrößert haben“. (cd) Web: http://ec.europa.eu/culture/eac/culture2000/ historique/raphael_en.html
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Rahmenbeschlussentwurf zur Bekämpfung proposal for a Council Framework Decision on combating racism and xenophobia – proposition de décisioncadre du Conseil concernant la lutte contre le racisme et la xénophobie
Im Rahmen der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen liegt der Entwurf eines Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vor. Angestrebt wird insbesondere, dass das vorsätzliche öffentliche Aufstacheln zu Gewalt oder Hass gegen eine nach den Kriterien Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethische Herkunft definierte Gruppe von Personen oder gegen Mitglieder einer solche Gruppe unter Strafe zu stellen ist. Gleiches soll für das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gelten. Dabei soll den Mitgliedstaaten freigestellt bleiben, nur solche Handlungen unter Strafe zu stellen, die in einer Weise begangen werden, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, oder die Drohungen, Beschimpfungen oder Beleidigungen darstellen. Unberührt von der Pönalisierungsverpflichtung bleibt die Pflicht zur Achtung der Grundrechte, insbesondere der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit. Nach einer grundsätzlichen Einigung des Rates über den Rahmenbeschluss im April 2007 steht das Rechtssetzungsverfahren kurz vor seinem Abschluss. (sts) §§: KOM(2001) 664 endg. Lit.: öBMJ (Hrsg.), Seminar on Racism and Xenophobia, 2006
Rat der Europäischen Union Council of the European Union – Conseil de l’Union Européenne
Aufgrund seiner weit reichenden ĺAufgaben und ĺKompetenzen nimmt der Rat eine herausragende Stellung im institutionellen Gefüge der EU ein, wobei er im Gegensatz zur ĺKommission das intergouvernementale Element repräsentiert. Dies spiegelt sich in seiner ĺZusammensetzung sowie dem zwischen den Mitgliedstaaten rotierenden ĺVorsitz wider. Trotz der stetig gestiegenen Bedeutung des ĺEuropäischen Parlaments kommt dem Rat weiterhin eine Schlüsselrolle im ĺRechtsetzungsverfahren zu. Der Rat tritt in verschiedenen ĺFormationen zusammen, gibt sich eine ĺGeschäfts723
Rat der Europäischen Union, Abstimmung ordnung und wird durch ein ĺGeneralsekretariat administrativ unterstützt. (bho) §§: Art. 202 – Art. 210 EG Lit.: P. Craig/G. de Búrca, EU Law – Text, Cases and Materials, 3. Aufl. 2003, 65 ff.; U. Haltern, Europarecht – Dogmatik im Kontext, 2005, 91 ff.; K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10-032 ff. Web: http://www.consilium.europa.eu
Rat der Europäischen Union, Abstimmung Council of the European Union, vote – Conseil de l’Union Européenne, vote
Abstimmungen im Rat erfolgen auf Veranlassung seines ĺPräsidenten; spricht sich zudem die Mehrheit der Ratsmitglieder dafür aus, muss der Präsident das Abstimmungsverfahren einleiten (Art. 11 Abs. 1 GO). Eine rechtsgültige Abstimmung im Rat erfordert dessen ĺBeschlussfähigkeit. In der Praxis sind aufgrund der im Rat vorherrschenden Konsenskultur förmliche Abstimmungen äußerst selten. (bho) §§: Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/ EG) Lit.: K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10-044 und 10-048
Rat der Europäischen Union, Achtzehnmonatsprogramm draft programme of Council activities for a period of 18 months – projet de programme des activités du Conseil pour une période de 18 mois
Im Interesse der Rationalisierung der Ratsarbeit durch stärkere Kohärenz zwischen den aufeinander folgenden ĺPräsidentschaften des Rates sieht die Neufassung der ĺGeschäftsordnung des Rates vom 15.9.2006 vor, dass alle 18 Monate die drei künftig amtierenden Vorsitze in enger Zusammenarbeit mit der Kommission und nach entsprechenden Konsultationen den Entwurf eines Programms für die Tätigkeiten des Rates in diesem Zeitraum erstellen. Dieser Entwurf ist dem ĺRat „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ spätestens einen Monat vor Beginn des betreffenden Zeitraumes zur Billigung vorzulegen (Art. 2 Abs. 4 GO). (bho) §§: Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/EG)
Rat der Europäischen Union, Arbeitsgruppen Council of the European Union, working parties – Conseil de l’Union Européenne, groupes de travail
Gem. Art. 19 Abs. 3 GO können von ĺCOREPER oder mit seiner Zustimmung Ausschüsse oder 724
Arbeitsgruppen eingesetzt werden, um bestimmte vorbereitende Arbeiten oder Untersuchungen durchzuführen. Gegenwärtig gibt es etwa 250 verschiedene, nach Sachbereichen organisierte Arbeitsgruppen, in denen in der Regel Beamte aus den Mitgliedstaaten unter dem Vorsitz eines Beamten des den ĺVorsitz im Rat führenden Mitgliedstaates zusammentreffen. Die im Rahmen des Rechtsetzungsverfahrens tätig werdenden Arbeitsgruppen sind von ĺKomitologieausschüssen zu unterscheiden, denen erst bei der Durchführung bereits erlassener Rechtsakte auf Gemeinschaftsebene eine Rolle zukommt. Im Gegensatz dazu werden die dem ĺRat zugeleiteten Vorschläge der Kommission der oder den sachlich zuständigen Arbeitsgruppen zur Beratung vorgelegt. Die Aufgabe der Arbeitsgruppen besteht darin, die Tagesordnung von COREPER durch Außerstreitstellung möglichst vieler Aspekte eines Kommissionsvorschlags vorzubereiten. Die bereits auf Beamtenebene akkordierten Bereiche werden COREPER als I-Punkte zugeleitet und gelangen in weiterer Folge unter ĺTeil A auf die Tagesordnung des Rates. Scheitert die Erzielung eines Konsenses in der Arbeitsgruppe, wird der streitige Aspekt als II-Punkt auf die Tagesordnung von COREPER gesetzt, der sich dann auf diplomatischer Ebene um einen Kompromiss bemüht. (bho) §§: Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/ EG) Lit.: K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10-050; M. Westlake und D. Galloway, The Council of the European Union, 3. Aufl. 2004, 220 ff. Web: http://www.consilium.europa.eu/cms3_fo/show Page.asp?id=426&lang=de
Rat der Europäischen Union, Aufgaben Council of the European Union, tasks – Conseil de l’Union Européenne, tâches
Die Aufgaben des Rates werden durch Art. 202 EG umschrieben. Demnach obliegt dem Rat die Wahrnehmung von Koordinierungsfunktionen in Bezug auf die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten sowie von Entscheidungs- und Durchführungsbefugnissen (ĺAusschusswesen). Gem. Art. 202 EG nimmt der Rat diese Aufgaben „zur Verwirklichung der Ziele und nach Maßgabe dieses Vertrags“ wahr. Damit wird deutlich, dass es sich bei Art. 202 EG um keine Kompetenznorm handelt, da im Sinne des Prinzips der ĺbegrenzten Einzelermächtigung der Rat nur im Rahmen der ihm durch
Rat der Europäischen Union, Einheit des Rates den Vertrag eingeräumten ĺKompetenzen tätig werden darf. (bho) §§: Art. 202 EG Lit.: P. Craig/G. de Búrca, EU Law – Text, Cases and Materials, 3. Aufl. 2003, 68 ff.; J. C. Wichard, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 202 EGV, Rn. 1 ff.
Rat der Europäischen Union, Beschlussfähigkeit Council of the European Union, quorum – Conseil de l’Union Européenne, quorum de présence
Eine Abstimmung im Rat setzt die Anwesenheit der Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder – das sind gegenwärtig mindestens 14 Mitglieder – voraus (Art. 11 Abs. 4 GO). (bho) §§: Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/ EG)
Rat der Europäischen Union, Beschlussfassung Council of the European Union, decision-making – Conseil de l’Union Européenne, prise de décisions
Nach Massgabe der ĺRechtsgrundlage, auf die ein zu beschließender Rechtsakt gestützt werden soll, erfolgt die Beschlussfassung im Rat im Rahmen vor allem hinsichtlich der Beteiligung des ĺEuropäischen Parlaments differenzierter ĺRechtsetzungsverfahren mit unterschiedlichen Mehrheiten. Je nach Rechtsgrundlage ist für die Beschlussfassung im Rat eine ĺqualifizierte Mehrheit, ĺEinstimmigkeit oder ĺeine einfache Mehrheit erforderlich. Aufgrund des weitgehenden ĺInitiativmonopols der ĺKommission kann der Rat in der Regel nur auf deren Vorschlag hin tätig werden. Bleibt die ĺKommission untätig, kann der Rat die Kommission auffordern, Vorschläge einzubringen (Art. 208 EG). In Bereichen, in denen eine Pflicht der EG besteht, legislatorisch tätig zu werden, ist die Kommission verpflichtet, entsprechende Vorschläge vorzulegen. Bleibt sie passiv, kann diese Pflicht mittels ĺUntätigkeitsklage nach Art. 232 EG vom Rat durchgesetzt werden kann. (bho) §§: Art. 208 EG Lit.: K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10-044 ff. und 14-011 ff.
Rat der Europäischen Union, Dokumentenzugang Council of the European Union, public access to documents – Conseil de l’Union Européenne, l’accès du public aux documents
Art. 255 Abs. 3 EG verpflichtet das ĺEuropäische Parlament, den Rat und die ĺKommission,
in ihren ĺGeschäftsordnungen Bestimmungen über den Dokumentenzugang (s.a. ĺÖffentlichkeit) vorzusehen. Art. 207 Abs. 3 EG bekräftigt und konkretisiert diese Pflicht in Bezug auf den Rat: Letzterer hat jene Fälle zu definieren, in denen er als Gesetzgeber tätig wird und folglich „umfassenderen Zugang“ zu den Dokumenten gewähren kann, ohne aber die Wirksamkeit des Rechtsetzungsverfahrens zu gefährden. In jedem Fall müssen die Abstimmungsergebnisse sowie die Erklärungen zur Stimmabgabe und die Protokollerklärungen veröffentlicht werden. Durch die organübergreifende ĺVO (EG) 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission werden die primärrechtlichen Regeln präzisiert. (bho) §§: Art. 255 Abs. 3 EG; Art. 207 EG; VO (EG) 1049/ 2001, ABl. 2001, Nr. L 145/43 Lit.: N. Marsch, Das Recht auf Zugang zu EU-Dokumenten. Die VO (EG) 1049 in der Praxis, DÖV 2005, 449 ff.; S. Bartelt/H. E. Zeitler, Zugang zu Dokumenten der EU, EuR 2003, 487 ff. Web: http://www.consilium.europa.eu/docCenter.asp? lang=de&cmsid=245
Rat der Europäischen Union, Einberufung Council of the European Union, convocation – Conseil de l’Union Européenne, convocation
Gem. Art. 204 EG und Art. 1 Abs. 1 GO wird der Rat von seinem ĺPräsidenten aus eigenem Entschluss oder auf Antrag eines seiner Mitglieder oder der Kommission einberufen. (bho) §§: Art. 204 EG; Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/EG) Lit.: K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10-042
Rat der Europäischen Union, Einheit des Rates Council of the European Union – Conseil de l’Union Européenne
Der Umstand, dass der Rat in unterschiedlichen ĺFormationen zusammentritt, ändert nichts daran, dass es sich beim Rat um eine einzige Institution handelt. Aus dieser Einheit des Rates folgt auch, dass jede Ratsformation Legislativprojekte zu jedem Sachgebiet im Aufgabenbereich des Rates verabschieden kann. So könnte z.B. der Rat der Landwirtschafts- und Fischereiminister auch über eine Richtlinie im Telekommunikationsbereich rechtsgültig abstimmen. Faktisch wird die Einheit des Rates durch die Koordinierungsrolle des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ sowie das ĺGeneralsekretariat des Rates sicher725
Rat der Europäischen Union, Formationen gestellt, das als institutionelles Gedächtnis fungiert. (bho) Lit.: R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union – Europarecht und Politik, 7. Aufl. 2006, 121
Rat der Europäischen Union, Formationen Council of the European Union, configurations – Conseil de l’Union Européenne, formations
Je nach behandeltem Sachgebiet tritt der Rat in unterschiedlichen Formationen zusammen, in denen sich die jeweils ressortzuständigen Fachminister wieder finden. Nach Art. 2 der ĺGeschäftsordnung des Rates beschließt der in der Regel durch die Aussenminister besetzte Rat „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ über die Ratsformationen, wobei deren Anzahl gegenwärtig bei neun liegt. Neben der Formation „Allgemeine Angelegenheit und Außenbeziehungen“ sieht Anhang I zur Geschäftsordnung die folgenden weiteren Formationen vor: ƒ Wirtschaft und Finanzen; ƒ Justiz und Inneres; ƒ Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz; ƒ Wettbewerbsfähigkeit (Binnenmarkt, Industrie und Forschung); ƒ Verkehr, Telekommunikation und Energie; ƒ Landwirtschaft und Fischerei; ƒ Umwelt; ƒ Bildung, Jugend und Kultur. Jeder Mitgliedstaat entscheidet selbst, durch welchen Minister er in den entsprechenden Formationen vertreten sein möchte. Aufgrund der ĺEinheit des Rates tritt der Rat unabhängig von seiner Zusammensetzung als einheitliche Institution auf. Eine Koordinierungsrolle zwischen den einzelnen Ratsformationen kommt dem ĺRat „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ sowie – vor allem in technischer Hinsicht – dem ĺGeneralsekretariat des Rates zu. (bho) §§: Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/ EG) Lit.: K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10-039; R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union – Europarecht und Politik, 7. Aufl. 2006, 121 Web: http://www.consilium.europa.eu/cms3_fo/show Page.asp?id=427&lang=DE&mode=g
Rat der Europäischen Union, Generalsekretär Secretary-General of the Council of the European Union – Secrétaire général du Conseil de l’Union Européenne
Dem Generalsekretär des Rates untersteht ein Generalsekretariat, das organisatorisch durch 726
den Stellvertreter des Generalsekretärs des Rates geleitet wird (Art. 207 Abs. 2 EG). Der Generalsekretär ist zugleich ĺHoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. In dieser Funktion vertritt er im Rahmen der ĺGASP zusammen mit dem ĺVorsitz des Rates die Europäische Union nach außen (Art. 26 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 EU). Die Funktion des Generalsekretärs/Hohen Vertreters wird gegenwärtig von Javier Solana ausgeübt. (bho) §§: Art. 207 EG; Art. 26 EU; Art. 18 EU Lit.: P. Craig/G. de Búrca, EU Law – Text, Cases and Materials, 3. Aufl. 2003, 69; K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10-053
Rat der Europäischen Union, Generalsekretariat Council of the European Union, General Secretariat – Conseil de l’Union Européenne, secrétariat général
Dem Rat gem. Art. 207 Abs. 2 EG beigegebener Behördenapparat mit eigenem Rechtsdienst, der als „Gedächtnis der Institution“ dient und insbesondere den ĺVorsitz des Rates in administrativer und inhaltlicher Hinsicht unterstützt. Das Generalsekretariat steht unter der organisatorischen Leitung des Stellvertreters des ĺGeneralsekretärs des Rates. (bho) §§: Art. 207 EG Lit.: A. Egger, Das Generalsekretariat des Rates der EU, 1994; P. Craig/G. de Búrca, EU Law – Text, Cases and Materials, 3. Aufl. 2003, 69
Rat der Europäischen Union, Geschäftsordnung Council of the European Union, rules of procedure – Conseil de l’Union Européenne, règlement intérieur
Art. 207 Abs. 3 EG ermächtigt den Rat, sich eine Geschäftsordnung zu geben. Ein diesbezüglicher Ratsbeschluss bedarf der ĺeinfachen Mehrheit. Die Geschäftsordnung definiert die Modalitäten der Ratsarbeit einschließlich der Beschlussfassung. Die Geschäftsordnung vom 22.3.2004 (Beschluss 2004/338/EG) wurde durch Beschluss vom 15.9.2006 novelliert (Beschluss 2006/683/EG), womit insbesondere eine erweiterte ĺÖffentlichkeit von Ratssitzungen sowie eine gesteigerte Koordinierung zwischen aufeinander folgenden ĺRatspräsidentschaften einhergeht. Im Lichte der durch den ĺBeitritt Bulgariens und Rumäniens zum 1.1.2007 erforderlichen Anpassungen wurde die Geschäftsordnung durch Beschluss 2007/4/EG hinsicht-
Rat der Europäischen Union, Sperrminorität lich der Modalitäten der ĺqualifizierten Mehrheit geändert. (bho) §§: Art. 207 EG; Beschluss 2004/338/EG, Euratom, ABl. 2004, Nr. L 106/22; Beschluss 2006/683/EG, Euratom, ABl. 2006, Nr. L 285/47; Beschluss 2007/4/EG, Euratom, ABl. 2007, Nr. L 1/9 Lit.: R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union – Europarecht und Politik, 7. Aufl. 2006, 121 f.
Rat der Europäischen Union, Mertens-Gruppe ĺMertens-Gruppe, Rat der Europäischen Union Rat der Europäischen Union, Öffentlichkeit Council of the European Union, openness – Conseil de l’Union Européenne, ouverture
Die Tagungen des Rates sind grundsätzlich nicht öffentlich (Art. 5 Abs. 1 GO). Im Sinne einer grösseren Transparenz und damit auch einer gesteigerten Legitimität der Ratsarbeit wurde dieser Grundsatz stetig eingeschränkt. Am bislang weitesten geht dabei die Änderung der ĺGeschäftsordnung vom 15.9.2006 (Beschluss 2006/683/EG). Die primärrechtliche Untergrenze der Öffentlichkeit wird durch Art. 207 Abs. 3 Satz 3 EG festgelegt, wonach in jedem Fall, in dem der Rat als Gesetzgeber tätig wird, die Abstimmungsergebnisse (ĺBeschlussfassung) sowie die Erklärungen zur Stimmabgabe und die Protokollerklärungen zu veröffentlichen sind. Öffentlich sind nach Art. 8 Abs. 1 GO hinsichtlich im ĺMitentscheidungsverfahren zu erlassender Rechtsakte darüber hinaus: ƒ Ausführungen der ĺKommission zu ihren Rechtsetzungsvorschlägen und die anschließenden Beratungen im Rat; ƒ die der Abstimmung über Rechtsetzungsakte vorausgehenden letzten Beratungen im Rat; ƒ alle weiteren Beratungen des Rates, sofern der Rat oder der Ausschuss der Ständigen Vertreter „fallweise in Bezug auf bestimmte Beratungen“ nicht etwas anderes beschließt. Betreffend nicht im Mitentscheidungsverfahren zu erlassende Rechtsakte sind lediglich die ersten Beratungen des Rates über wichtige neue Rechtsetzungsvorschläge öffentlich, wobei die Wichtigkeit vom ĺRatsvorsitz bestimmt wird (Art. 8 Abs. 2 GO). Darüber hinaus können auf mit ĺqualifizierter Mehrheit des Rates oder des ĺAusschusses der ständigen Vertreter gefassten Beschluss hin öffentliche Aussprachen über wichtige Fragen, welche die Interessen der EU und ihrer Bürger berühren, durchgeführt werden (Art. 8 Abs. 3 GO). Hinzu kommen öffentliche allgemeine Orientierungsaussprachen des ĺRates „Allgemeine Angelegenheiten und
Außenbeziehungen“, die einmal pro Achtzehnmonatsprogramm des Rates stattfinden (Art. 8 Abs. 4 GO). (bho) §§: Art. 207 EG; Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/EG) Lit.: K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10-043 Web: http://www.consilium.europa.eu/cms3_fo/show Page.asp?id=1103&lang=DE&mode=g
Rat der Europäischen Union, Präsident ĺRat der Europäischen Union, Vorsitz Rat der Europäischen Union, Präsidentschaft ĺRat der Europäischen Union, Vorsitz Rat der Europäischen Union, Rechtsetzungsbefugnisse ĺRechtsetzungsverfahren des Rates Rat der Europäischen Union, schriftliche Abstimmung Council of the European Union, written vote – Conseil de l’Union Européenne, procédure écrite
In dringenden Angelegenheiten können Rechtsakte des Rates durch schriftliche Abstimmung angenommen werden, sofern der Rat oder COREPER dies einstimmig beschließt bzw. sich alle Mitgliedstaaten mit einem entsprechenden Vorschlag des Vorsitzes einverstanden erklären (Art. 12 Abs. 1 GO). In bestimmten in Art. 12 Abs. 2 GO aufgezählten Fällen kann der Rat auf Veranlassung des Vorsitzes zudem im Wege des vereinfachten schriftlichen Verfahrens tätig werden, bei dem Zustimmung zu einem Text angenommen wird, sofern binnen Frist kein Einwand erhoben wurde. (bho) §§: Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/EG) Lit.: R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union – Europarecht und Politik, 7. Aufl. 2006, 122
Rat der Europäischen Union, Sitz Council of the European Union, seat – Conseil de l’Union Européenne, siège
Der Rat hat seinen Sitz in Brüssel. In den Monaten April, Juni und Oktober finden die Tagungen des Rates in Luxemburg statt (Art. 1 Abs. 3 GO). (bho) §§: Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/EG)
Rat der Europäischen Union, Sperrminorität Council of the European Union, blocking minority – Conseil de l’Union Européenne, minorité de bloquage
Ist für einen Beschluss eine qualifizierte Mehrheit erforderlich, kann eine Minderheit der Mit727
Rat der Europäischen Union, Stimmenthaltung gliedstaaten, die mindestens 91 Stimmen auf sich vereint, die Verabschiedung eines Rechtsaktes verhindern. (bho) §§: Art. 205 EG Lit.: R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union – Europarecht und Politik, 7. Aufl. 2006, 123; K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10-045
Rat der Europäischen Union, Stimmenthaltung Council of the European Union, abstention – Conseil de l’Union Européenne, abstention
Eine Stimmenthaltung steht einer Beschlussfassung mit ĺEinstimmigkeit nicht entgegen (Art. 205 Abs. 3 EG). Erfordert ein Beschluss eine ĺqualifizierte oder ĺeinfache Mehrheit, wirkt eine Stimmenthaltung wie eine Gegenstimme. (bho) §§: Art. 205 EG Lit.: U. Haltern, Europarecht – Dogmatik im Kontext, 2005, 95
Rat der Europäischen Union, Stimmrechtsübertragung Council of the European Union, voting on behalf of another member – Conseil de l’Union Européenne, délégation de vote
Jedes Mitglied des Rates kann sich das Stimmrecht höchstens eines anderen Mitglieds übertragen lassen (Art. 206 EG; Art. 11 Abs. 3 GO). (bho) §§: Art. 206 EG; Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/EG)
Rat der Europäischen Union, Tagesordnung Council of the European Union, agenda – Conseil de l’Union Européenne, ordre du jour
Zu Beginn jeder Tagung setzt der Rat die Tagesordnung, die sich in ĺTeil A und ĺTeil B gliedert, auf der Grundlage einer ĺvorläufigen Tagesordnung fest. Eine Aufnahme neuer Tagesordnungspunkte erfordert einen einstimmigen Beschluss (Art. 3 Abs. 7 GO). (bho) §§: Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/ EG) Lit.: K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10-048
Rat der Europäischen Union, Teil A Council of the European Union, part A – Conseil de l’Union Européenne, partie A
Teil der Tagesordnung einer Tagung des Rates, der jene Punkte enthält, die vom Rat ohne Aussprache angenommen werden können (Art. 3 728
Abs. 6 GO); dies deshalb, weil bereits auf der Ebene von ĺCOREPER ein Kompromiss erzielt werden konnte. Könnte eine Stellungnahme zu einem A-Punkt trotzdem zu einer neuerlichen Aussprache führen oder wird ein solcher Antrag gestellt, wird der Punkt von der Tagesordnung abgesetzt und an COREPER zurückverwiesen, es sei denn, der Rat entscheidet anders (vgl. Art. 3 Abs. 8 GO). (bho) §§: Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/ EG)
Rat der Europäischen Union, Teil B Council of the European Union, part B – Conseil de l’Union Européenne, partie B
Teil der Tagesordnung einer Tagung des Rates, der jene Punkte enthält, die erst nach einer Aussprache des Rates angenommen werden können (vgl. Art. 3 Abs. 6 GO). Über Punkte im Teil B konnte also noch kein politischer Kompromiss erzielt werden. (bho) §§: Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/ EG)
Rat der Europäischen Union, uneigentliche Ratsbeschlüsse Council of the European Union – Conseil de l’Union Européenne
Beschlüsse, die zwar in der Regel anlässlich einer Tagung des Rates gefasst werden, allerdings nicht der Gemeinschaft, sondern den Mitgliedstaaten zuzurechnen sind. Dabei handeln die Regierungen im gegenseitigen Einvernehmen, werden jedoch nicht als Gemeinschaftsorgan „Rat“ tätig. Ein Beispiel für uneigentliche Ratsbeschlüsse findet sich in Art. 223 EG hinsichtlich der Ernennung von Richtern und Generalanwälten des ĺEuGH. (bho) §§: Art. 223 EG Lit.: M. Herdegen, Europarecht, 8. Aufl. 2006, 107; R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union – Europarecht und Politik, 7. Aufl. 2006, 125
Rat der Europäischen Union, Vertretung eines Ratsmitglieds Council of the European Union, representation of a Council member – Conseil de l’Union Européenne, représentation d’un membre du Conseil
Ein Ratsmitglied kann sich vertreten lassen, wenn es verhindert ist, an einer Tagung teilzunehmen (Art. 4 GO). Davon unberührt bleibt die Frage des Stimmrechts (ĺStimmrechtsübertragung). (bho) §§: Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/EG)
Rat „Landwirtschaft und Fischerei“ Rat der Europäischen Union, vorläufige Tagesordnung Council of the European Union, provisional agenda – Conseil de l’Union Européenne, ordre du jour provisoire
Der ĺPräsident des Rates stellt die vorläufige Tagesordnung jeder Tagung des Rates auf. Dabei hat er das ĺAchtzehnmonatsprogramm sowie die fristgebundenen Aufnahmeanträge der anderen Ratsmitglieder und der Kommission zu berücksichtigen, genießt ansonsten jedoch ein politisches Ermessen (Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 GO). Die vorläufige Tagesordnung ist den anderen Ratsmitgliedern und der Kommission spätestens vierzehn Tage vor Beginn der Tagung zu übersenden (Art. 3 Abs. 1 GO) und bildet die Grundlage der ĺTagesordnung (Art. 3 Abs. 7 GO). (bho) §§: Geschäftsordnung des Rates (Beschluss 2006/683/ EG)
Rat der Europäischen Union, Vorsitz Council of the European Union, presidency – Conseil de l’Union Européenne, présidence
Der Vorsitz im Rat wird von den Mitgliedstaaten nacheinander für je sechs Monate wahrgenommen. Die Reihenfolge wird vom Rat einstimmig (ĺEinstimmigkeit) festgelegt (Art. 203 EG). Durch Beschluss 2007/5/EG wird das Rotationssystem an die mittlerweile auf 27 Mitgliedstaaten angewachsene EU angepasst und die Reihenfolge ab dem 1.1.2007 festgelegt. Neben der Aufstellung der ĺvorläufigen Tagesordnung kommt dem Vorsitz ganz allgemein eine wesentliche Leitungsfunktion hinsichtlich der Arbeit im Rat zu, die in der Erstellung eines Arbeitsprogramms für die Sechs-MonatsPeriode sowie der Vorsitzführung in den Sitzungen auf sämtlichen Ebenen der Ratshierarchie sowie des ĺEuropäischen Rates zum Ausdruck kommt. Zudem nimmt der Vorsitz gemeinsam mit dem ĺHohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen der ĺGASP die Vertretung der EU nach außen wahr (Art. 26 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 EU). Mittels ĺAchtzehnmonatsprogrammen versucht man, die Kohärenz zwischen den Arbeitsprogrammen der aufeinander folgenden Vorsitze zu erhöhen. Der VVE bringt eine begrenzte Reform des Rotationsmodells mit sich, indem er einen gewählten Präsidenten des ĺEuropäischen Rates sowie die Vorsitzführung durch den zu schaffenden Europäischen Außenminister im ĺRat „Auswärtige Angelegenheiten“ vorsieht. (bho)
§§: Art. 203 EG; Beschluss 2007/5/EG, Euratom, ABl. 2007, Nr. L 1/11; Art. 26 EU; Art. 18 EUV Lit.: P. Craig/G. de Búrca, EU Law – Text, Cases and Materials, 3. Aufl. 2003, 66 f.; K. Lenaerts/P. van Nuffel, Constitutional Law of the European Union, 2. Aufl. 2005, Rn. 10-041
Rat der Europäischen Union, Zusammensetzung Council of the European Union, composition – Conseil de l’Union Européenne, composition
Der Rat setzt sich aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaates auf Ministerebene zusammen, der befugt ist, für seine Regierung verbindlich zu handeln (Art. 203 EG). Dabei kommt es insoweit zu einem dédoublement fonctionnel als Vertreter der Mitgliedstaaten zugleich als Angehörige eines Gemeinschaftsorgans tätig werden. Die weite Textierung des Art. 203 EG (Vertreter „auf Ministerebene“) ermöglicht es den Mitgliedstaaten, entsprechend ihrer nationalen Zuständigkeitsordnung auch Minister eines Landes oder einer Region in den Rat zu entsenden. Zudem entspricht es ständiger Praxis, auch Staatssekretäre als Vertreter zu zuzulassen, selbst wenn diese nach nationalem Verfassungsrecht nicht Minister sind. Die Charakterisierung des Rates als intergouvenementale Institution trägt dem Umstand Rechnung, dass die im Rat zusammentretenden Minister – innerhalb der Schranken der ĺUnionstreue – primär mitgliedstaatliche Interessen vertreten. (bho) §§: Art. 203 EG Lit.: J. C. Wichard, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 203 EGV, Rn. 2 ff.
Rat „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ ĺRat der Europäischen Union, Formationen Rat „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ ĺRat der Europäischen Union, Formationen Rat „Bildung, Jugend und Kultur“ ĺRat der Europäischen Union, Formationen Rat „Justiz und Inneres“ ĺRat der Europäischen Union, Formationen Rat „Landwirtschaft und Fischerei“ ĺRat der Europäischen Union, Formationen 729
Rat „Umwelt“ Rat „Umwelt“ ĺRat der Europäischen Union, Formationen Rat „Verkehr, Telekommunikation und Energie“ ĺRat der Europäischen Union, Formationen Rat „Wettbewerbsfähigkeit (Binnenmarkt, Industrie und Forschung)“ ĺRat der Europäischen Union, Formationen Rat „Wirtschaft und Finanzen“ ĺRat der Europäischen Union, Formationen Ratifizierung ratification – ratification
Da sämtlichen ĺRechtsakten des Gemeinschaftsrechts ĺunmittelbare Wirkung zukommt, bedürfen sie keiner weiteren Ratifizierung in das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten. Grundlegend davon zu unterscheiden sind jedoch Rechtsakte der ĺzweiten und ĺdritten Säule, die zwar für ĺMitgliedstaaten verbindlich sind (Art. 14 Abs. 3 EU), jedoch nach den jeweiligen verfassungsrechtlichen Regelungen ratifiziert werden müssen. In diesem Sinne wird von Art. 23 f. Abs. 1 letzter Satz des österr. B-VG ausdrücklich festgelegt, dass „Beschlüsse des Europäischen Rates zu einer gemeinsamen Verteidigung der Europäischen Union sowie zu einer Integration der Westeuropäischen Union in die Europäische Union der Beschlussfassung des Nationalrates und des Bundesrates in sinngemäßer Anwendung des Art. 44 Abs. 1 und 2 (bedürfen)“. So erfordern verfassungsändernde Rechtsakte der zweiten Säule die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und die Zwei-DrittelMehrheit der abgegebenen Stimmen. Ebenso verlangt eine Änderung der Gründungsverträge (ĺVertragsänderung) nach Art. 48 EG eine innerstaatliche Ratifizierung. Da schon der ĺBeitritt Österreichs zur Europäischen Union durch ein eigenes Bundesverfassungsgesetz (BVG über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, BGBl. 1994/744) vollzogen wurden, entschied sich der Verfassungsgesetzgeber auch bezüglich der Verträge von Amsterdam und Nizza gesetzliche Einzelermächtigungen zu schaffen (BVG über den Abschluss des Vertrages von Amsterdam, BGBl. I 1998/76; BVG über den Abschluss des Vertrages von Nizza, BGBl. I 2001/120). Sollten durch eine Änderung 730
der Gründungsverträge auch Baugesetze betroffen werden, was zu einer Gesamtänderung der Bundesverfassung führen würde, wäre zusätzlich eine Volksabstimmung erforderlich. (gh) §§: Art. 14 Abs. 3 EU; Art. 48 EG; Art. 23 f. Abs. 1 B-VG; BVG über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, BGBl. 1994/744; BVG über den Abschluss des Vertrages von Amsterdam, BGBl. I 1998/ 76; BVG über den Abschluss des Vertrages von Nizza, BGBl. I 2001/120 Lit.: J. Budischowsky, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 34. Lfg. 2004, Art. 48 EUV, Rn. 20; E. Kehrer, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 1. Lfg. 2003, Art. 14 EUV, Rn. 13 ff.; T. Öhlinger, EUBeitrittsBVG, BVG Amsterdam/Nizza, in: K. Korinek/ M. Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1999; S. Hammer, EU-Verfassungsvertrag, Gesamtänderung der Bundesverfassung und pouvoir constituant, juridicum 2004, 112
Rau-Entscheidung Rau case – jurisprudence Rau
Streitgegenständlich war die Art der Verpackung einer im Einzelhandel vertriebenen Margarine. Ein deutscher Verkäufer hatte gegenüber seinem belgischen Käufer die Garantie übernommen, dass die von ihm gelieferte und in kegelstumpfförmige Plastikbecher abgepackte Margarine in Belgien in den Verkehr gebracht werden dürfte. Nach der bei der Vertragsunterzeichnung in Belgien geltenden Regelung konnte Margarine jedoch nur in Würfelform verkauft werden. Die in Rede stehende ĺWare erfüllte diese Voraussetzung nicht. Der ĺEuGH hatte sich folglich mit der Frage zu befassen, ob es eine ĺMaßnahme gleicher Wirkung sei, wenn in einem ĺMitgliedstaat auf eingeführte Margarine eine Reglung angewandt werde, wonach dieses Erzeugnis im Einzelhandel nur in einer bestimmten Aufmachung vertrieben werden dürfe. Zwar ist dadurch, dass ein Mitgliedstaat die Verpflichtung, eine bestimmte Verpackungsform zu benutzen, auf eingeführte Erzeugnisse erstreckt, die ĺEinfuhr nicht vollkommen ausgeschlossen, dieses Vorgehen kann aber den Vertrieb der fraglichen Produkte erschweren oder verteuern, weil ihnen dadurch bestimmte Absatzwege verschlossen werden oder weil durch die Notwendigkeit besondere Verpackungen zu verwenden, zusätzliche Kosten entstehen. Wird daher zwingend eine bestimmte Art der Verpackung vorgeschrieben und jede andere Verpackungsart ausgeschlossen, geht dies erheblich über das Ziel des ĺVerbraucherschutzes hinaus. Dieser kann ebenso wirksam durch andere Maßnahmen, z.B. ĺEti-
REACH kettierung gewährleistet werden. (Rn. 17-18). (ah)
Lit.: P. C. Müller-Graff (Hrsg.), Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2005; N. Walker (ed.), Europe’s Area of Freedom, Security and Justice, 2004
Rsp.: EuGH, Rs. 261/81 Rau, Slg. 1982, 3961
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR) Area of Freedom, Security and Justice (AFSJ) – Espace de liberté, de sécurité et de justice (ELSJ)
Die Erhaltung und Weiterentwicklung der Union als ĺRaum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist als Ziel der Europäischen Union durch den ĺVertrag von Amsterdam in den Vertragstext (Art. 2 4. SpS EU sowie – mit Benennung der Handlungsbereiche – Art. 61 EG) aufgenommen. Es ergänzt das Ziel der Errichtung eines Raumes ohne Binnengrenzen, das insbesondere durch Verwirklichung des ĺBinnenmarktes erreicht werden soll. Diese Verknüpfung betont der Vertrag, in dem er darauf verweist, dass die Zusammenarbeit den freien Personenverkehr gewährleistet (vgl. Art. 61 lit. a, c, Art. 65 EG, Art. 2 4. SpS EU) und damit insbesondere, aber nicht ausschließlich an die Grundfreiheiten des Binnenmarktes anknüpft. Das Ziel greift die in ihren Wurzeln bereits in die 70er Jahre zurückreichende und mit dem ĺVertrag von Maastricht insbesondere in der damaligen Dritten Säule verankerte ĺZusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres auf und intensiviert diese. Nach der Reform durch den ĺVertrag von Amsterdam wird es säulenübergreifend auf folgenden Wegen verwirklicht: Die Zusammenarbeit in den Bereichen Visa, Asyl und Einwanderung (Art. 62-65 EG) sowie die ĺZiviljustizielle Zusammenarbeit (Art. 67 EG) sind in Titel IV des ĺEGVertrages verankert. Titel VI des ĺEU-Vertrages bildet die Rechtsgrundlage für die ĺPolizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. In den Rechtsbestand, der sich auf diese Kompetenzen stützt, ist durch das sog. ĺSchengen-Protokoll auch der ĺSchengen-Besitzstand einbezogen. Erste Prioritäten und Maßnahmen bei der Verwirklichung des RSFR hat der ĺRat durch den sog. ĺWiener Aktionsplan vom 3.12.1998, gebilligt vom ĺEuropäischen Rat am 10./11.12. 1998, gesetzt. Das weitere Vorgehen wurde durch das auf fünf Jahre angelegte sog. ĺTampereProgramm des Europäischen Rates vom 15./16. 10.1999 geprägt, welches durch das am 4./5.11. 2004 verabschiedete ĺHaager Programm abgelöst wurde. (sts) §§: Art. 2 4. SpS EU; Art. 61 EG
Raumbezogene Regelungen (Naturschutz) provisions relating to land use, nature conservation – dispositions relatives à l’espace, protection de la nature
Hierbei handelt es sich um einen Aspekt des gemeinschaftlichen ĺNaturschutzes. Die ĺVogelschutzrichtlinie (ĺartenbezogene Regelungen, Naturschutz) und die ĺFlora-Fauna-HabitatRL 92/43/EWG (ĺartenbezogene Regelungen, Naturschutz) regeln die Flächenbewirtschaftung durch die Verpflichtung der MS zur Ausweisung von ĺSchutzgebieten. Dabei wird die Errichtung eines gemeinschaftsweiten Netzes von ausgewiesenen Lebensräumen, ĺ„Natura 2000“, angestrebt. (sm) Raumplanerische Ziele, Rechtfertigung Kapitalverkehrsfreiheit town and country planning objectives, justification free movement of capital – buts d’aménagement du territoire, justification libre circulation des capitaux
R. Z. können zwingende Gründe des Allgemeininteresses sein. Sie vermögen als solche Beschränkungen des von der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 EG geschützten ĺImmobilienerwerbs zu rechtfertigen (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Rechtfertigung eines Eingriffes). Der EuGH hat bspw. Erwerbsbeschränkungen für ĺZweitwohnungen aus Gründen der Erhaltung „einer dauerhaft ansässigen Bevölkerung und einer vom Tourismus unabhängigen Wirtschaftstätigkeit“ (EuGH, Rs. C-302/ 97 Konle, Slg. 1999, I-3099, Rn. 40) sowie die Genehmigungspflichtigkeit (ĺGenehmigungsverfahren, Kapitalverkehrsfreiheit) des Erwerbs landwirtschaftlicher Grundstücke u.a. aus dem Gesichtspunkt einer die „harmonische Pflege des Raumes und der Landschaft ermöglichenden Aufteilung des Grundeigentums“ (EuGH, Rs. C-452/01 Ospelt und Schlössle Weissenberg, Slg. 2003, I-9743, Rn. 39) als rechtfertigungsfähig angesehen. (mk) RAXEN ĺEuropäisches Informationsnetz über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit REACH Registration, Evaluation, Authorisation of Chemicals (REACH) – L’enregistrement, évaluation et autorisation des produits chimiques (REACH)
Am 1.6.2007 ist der neue europäische Rechtsrahmen für Chemikalien in Kraft getreten. Mit 731
Rechnungseinheit diesem wird das sog. REACH-System – Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe – eingerichtet. Die Unternehmer sollen verpflichtet werden die mit der Verwendung der Chemikalien verbundenen Risiken zu bewerten sowie Maßnahmen zur Beherrschung derselben zu treffen. Damit soll die Gewährleistungsverantwortung hinsichtlich der Sicherheit von Chemikalien teilweise auf die Wirtschaft verlagert werden. So ist vorgesehen, dass die von Unternehmen produzierten oder importierten chemischen Stoffe in einer zentralen Datenbank registriert werden müssen, sobald die in der VO genannten Schwellenwerte (Herstellung oder Einfuhr von mehr als einer Tonne/Jahr) erreicht sind. Die Verwaltung dieser Datenbank ist Aufgabe des neuen ĺAmts für chemische Stoffe (ECHA), das 12 Monate nach In-Kraft-treten der Verordnung seine Arbeit aufnehmen soll. (gr) §§: KOM(2003) 644, KOM(2006) 375 Lit.: K. Fischer/T. Fetzer, Zulässigkeit einer europäischen Chemikalienagentur mit Entscheidungsbefugnissen, EurUP 2003, 51 Web: http://ec.europa.eu/enterprise/reach/index_de. htm
Rechnungseinheit unit of account – unité de compte
Der ĺHaushaltsplan wird nach Art. 277 EG in der Rechnungseinheit aufgestellt, die in der ĺHaushaltsordnung bestimmt wird. Nach Art. 16 der ĺHaushaltsordnung 2002 ist dies der Euro. (gär) §§: Art. 277 EG Lit.: A. Kees, Die Rechnungseinheit als Finanzinstrument der Europäischen Gemeinschaften, EuR 1978, 122
Rechnungsführer accounting officer – comptable
Nach Art. 61 Abs. 1 ĺHaushaltsordnung (HO) hat jedes Organ einen Rechnungsführer zu ernennen. Dessen Aufgabe besteht in der Rechnungsprüfung, also in der „Gewährleistung der Ordnungsmäßigkeit der Zahlungen, der Annahme der Einnahmen und der Einziehung der festgestellten Forderungen“. In seiner haushaltsrechtlichen Kontrollfunktion steht er damit als Kontrastorganisationseinheit dem ĺAnweisungsbefugten gegenüber, der die Finanzmittel nach Maßgabe des Art. 60 HO zu bewirtschaften hat. Beide Funktionen sind nach Art. 58 HO voneinander zu trennen und auch von getrennten Personen wahrzunehmen. Auch die Aufga732
ben des Rechnungsführers sind rein binnenadministrativer Natur. Auf Rechtsverstöße kann sich also ein betroffener Bürger nicht berufen. Was die Verantwortlichkeit des dienstrechtliche Rechnungsführers betrifft, kann auf die ĺAnweisungsbefugnis verwiesen werden (s.a. Art. 64, 65 HO); eine disziplinarrechtliche Ahndung von Dienstvergehen ist nach Art. 68 HO ausdrücklich möglich. Im Übrigen haftet der Rechnungsführer gem. Art. 67 HO nach beamtenrechtlichen Grundsätzen für Dienstpflichtverletzungen auf Schadensersatz (vgl. Art. 67 HO). (gär) §§: Art. 61 ff. Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002)
Rechnungshof Court of Auditors – Cours des comptes
Der 1975 geschaffene Rechnungshof der Europäischen Gemeinschaft nimmt nach Art. 246 EG die Rechnungsprüfung war. Er ist als gesondertes Organ (vgl. Art. 7 Abs. 1 EG) für die externe Rechungskontrolle zuständig und kontrolliert die ĺRechnungslegung durch die Organe der Gemeinschaft. Er ergänzt damit die von den jeweiligen Organen selbst vorgenommene interne Finanzkontrolle und dient insoweit zugleich dem Parlament als Hilfsorgan bei der endgültigen externen Finanzkontrolle im Rahmen der Entscheidung über die ĺEntlastung nach Art. 267 EG. Insoweit bestimmt Art. 248 Abs. 4 UAbs. 4, dass der Rechnungshof das Europäische Parlament und den Rat bei der Kontrolle der Ausführung des ĺHaushaltsplans unterstützt. 1. Organisation: Der Rechnungshof besteht nach Art. 247 Abs. 1 EG aus je einem Staatsangehörigen aus jedem Mitgliedstaat. Er hat seinen Sitz in Luxemburg. Die Mitglieder werden nach Art. 247 Abs. 3 UAbs. 1 EG vom Rat mit qualifizierter Mehrheit gewählt. Sie wählen ihrerseits aus ihrer Mitte für jeweils drei Jahre den Präsidenten des Rechnungshofs (Art. 247 Abs. 3 UAbs. 2 EG). Wer zum Mitglied ernannt werden soll, muss nach Art. 247 Abs. 2 EG etwa aufgrund einer Tätigkeit in einem Rechnungsprüfungsorgan eines Mitgliedstaates für diese Tätigkeit fachlich qualifiziert sein und die Gewähr der Unabhängigkeit bieten. Der besonderen Verantwortung des Rechnungshofes entspricht die persönliche und sachliche Unabhängigkeit seiner Mitglieder (Art. 247 Abs. 4 EG), die frei von Weisungen agieren und nur unter qualifizierten Vorausset-
Rechnungshof zungen ihres Amtes enthoben werden können (Art. 247 Abs. 7 EG). Korrespondierend hierzu ist ihnen nach Art. 247 Abs. 5 Satz 1 EG eine weitere entgeltliche Berufstätigkeit während der Mitgliedschaft untersagt (Inkompatibilität). Die Effektivität der Finanzkontrolle wird also zum einen durch verwaltungsorganisationsrechtliche Arrangements und zum anderen durch Professionalität gewährleistet (vgl. E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, 235). Neben den unabhängigen Mitgliedern verfügt der Rechnungshof über einen personellen Stab, der nach Maßgabe einer Geschäftsordnung in aufgabenspezifisch agierende Prüfgruppen unterteilt ist. Der Rechnungshof nimmt seine jährlichen Berichte, Sonderberichte oder Stellungnahmen mit der Mehrheit seiner Mitglieder an (Art. 248 Abs. 4 UAbs. 3 Satz 1 EG). Unbeschadet dessen kann er jedoch für die Annahme bestimmter Arten von Berichten oder Stellungnahmen nach Maßgabe seiner Geschäftsordnung gem. Art. 248 Abs. 4 UAbs. 3 Satz 2 EG auch (gebietsspezifische) Kammern bilden. Der Rechnungshof gibt sich nach Art. 248 Abs. 4 UAbs. 5 EG eine Geschäftsordnung, die der Genehmigung des Rates mit qualifizierter Mehrheit bedarf. Derzeit gültig ist die Geschäftsordnung des Rechnungshofes der Europäischen Gemeinschaft vom 8.12.2004 (ABl. 2005, Nr. L 18/1). 2. Externe Finanzkontrolle: Eine nähere Aufgabenbeschreibung der vom Rechnungshof durchzuführenden Rechnungsprüfung enthält Art. 248 EG. Nach Art. 248 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 EG prüft der Rechnungshof die Rechnung über alle Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft sowie grundsätzlich die Rechnungen von der Gemeinschaft geschaffener Einrichtungen. Diese Prüfungen können bereits vor Abschluss der Rechnung des betreffenden Haushaltsjahrs durchgeführt werden (Art. 248 Abs. 2 UAbs. 4 EG). Der Rechnungshof legt in diesem Rahmen dem Europäischen Parlament und dem Rat eine, gegebenenfalls durch spezifische Beurteilungen zu bestimmten Tätigkeitsbereichen ergänzte, Erklärung über die Zuverlässigkeit der Rechnungsführung sowie die Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Vorgänge vor, die als Ausdruck des Transparenzprinzip (ĺHaushaltsgrundsätze) im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wird (Art. 248 Abs. 1 UAbs. 2 EG). Als haushalts-
rechtliches Kontrollinstrument dient die Rechnungsprüfung zum einen der Durchsetzung der Rechtlichkeit (vgl. Schmidt-Aßmann, ebd., 234), aber auch der Sicherung der demokratisch begründeten Budgethoheit des Parlaments im ĺHaushaltsvollzug sowie dem mittelbaren Schutz der – über die ĺEigenmittel indirekt zur Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben verpflichteten – Mitgliedstaaten vor einer zweckwidrigen oder unwirtschaftlichen Mittelverwendung. Kontrollmaßstab der Rechnungsprüfung bilden nach Art. 248 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 1 EG die Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Einnahmen und Ausgaben sowie die Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung (s. zum Folgenden im Einzelnen C. Waldhoff, in: C. Calliess/ M. Ruffert [Hrsg.], Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 248 EGV, Rn. 5 ff.). Rechtmäßigkeit bedeutet dabei die Übereinstimmung mit dem geltenden (primären und sekundären) Gemeinschaftsrecht. Unter Ordnungsmäßigkeit ist die formelle (also vor allem rechnerische) Richtigkeit der Rechnungslegung zu verstehen. Die Wirtschaftlichkeit ist schließlich ein Relationsbegriff, der die Effektivität der Aufgabenerfüllung, also die für die Zielerreichung aufgewendeten Mittel, und die Sparsamkeit im Umgang mit den veranschlagten Finanzmitteln in den Blick nimmt. Das Primärrecht legt hierbei in Art. 248 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 EG die jeweiligen Bezugsgrößen fest: Die Prüfung der Einnahmen erfolgt anhand der Feststellungen und der Zahlungen der Einnahmen an die Gemeinschaft; die Prüfung der Ausgaben erfolgt anhand der Mittelbindungen und der Zahlungen. Das Kriterium der Mittelbindung ist dabei Ausdruck des haushaltsrechtlichen Spezialitätsprinzips (ĺHaushaltsgrundsätze) und soll verhindern, dass Finanzmittel am Haushaltsplan vorbei zweckentfremdet werden. Art. 248 Abs. 3 EG regelt dabei die näheren Modalitäten der Durchführung der Prüfung. Die Prüfung wird anhand der Rechnungsunterlagen und erforderlichenfalls an Ort und Stelle bei den anderen Organen der Gemeinschaft, in den Räumlichkeiten der Einrichtungen, die Einnahmen oder Ausgaben für Rechnung der Gemeinschaft verwalten, sowie der natürlichen und juristischen Personen, die Zahlungen aus dem Haushalt erhalten, und in den Mitgliedstaaten durchgeführt. Die Prüfung in den Mitgliedstaaten erfolgt in Verbindung mit den einzelstaatlichen Rechnungsprüfungsorganen oder, wenn diese nicht über die erforderli733
Rechnungshof/ORF u.a.-Entscheidung che Zuständigkeit verfügen, mit den zuständigen einzelstaatlichen Dienststellen. Der Rechnungshof und die einzelstaatlichen Rechnungsprüfungsorgane haben dabei, in Konkretisierung der aus Art. 10 EG folgenden Treuepflichten, vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Alle überprüften Stellen sowohl der Gemeinschaft als auch der Mitgliedstaaten sind verpflichtet, dem Rechnungshof antragsgemäß die für die Erfüllung seiner Aufgabe erforderlichen Unterlagen oder Informationen zu übermitteln (Art. 248 Abs. 3 UAbs. 1 Satz 5 EG), wobei die näheren Einzelheiten des im Grundsatz bestehenden Zugangs zu Informationen der Europäischen Investitionsbank im Zusammenhang mit deren Tätigkeit bei der Verwaltung von Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft in einer gesonderten Vereinbarung zu regeln sind (Art. 248 Abs. 3 UAbs. 2 EG). Ergänzende und konkretisierende Bestimmungen über die externe Finanzkontrolle enthalten die Art. 139 ff. ĺHaushaltsordnung (HO). 3. Jahresbericht und Sonderbericht: Wichtigstes Instrument der Finanzkontrolle durch den Rechnungshof ist dessen im Amtsblatt zu veröffentlichender Jahresbericht nach Art. 248 Abs. 4 Satz 1 EG, der zwar keine unmittelbaren Rechtspflichten begründet, jedoch erhebliche politische Wirkung entfalten kann. Nähere Einzelheiten sind in Art. 143 HO geregelt. Der Rechnungshof übermittelt danach der Kommission und den anderen Organen spätestens am 15. Juni zunächst vertraulich die Bemerkungen, die seiner Ansicht nach in den Jahresbericht aufzunehmen sind. Alle Organe übersenden dem Rechnungshof ihre Antworten spätestens am 30. September. Der Kommission werden die Antworten der anderen Organe gleichzeitig zugeleitet. Daraufhin erstellt der Rechnungshof den Jahresbericht, der eine Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung enthält, in eigene Abschnitte für jedes der Organe gegliedert ist und vom Rechnungshof um alle ihm sachdienlich erscheinenden Bemerkungen ergänzt werden kann. Der Rechnungshof sorgt dabei dafür, dass in der veröffentlichten Fassung seines Jahresberichts die Antworten der Organe unmittelbar auf seine Bemerkungen folgen. Auch dies dient der Ermöglichung einer politischen Darstellung, daneben aber auch der Transparenz der haushaltsrechtlichen Verantwortlichkeit der Gemeinschaftsorgane. Der Rechnungshof übermittelt schließlich der Entlastungsbehörde und den an734
deren Organen spätestens am 31. Oktober seinen Jahresbericht mit den Antworten der Organe und sorgt für dessen Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften. Nach Art. 248 Abs. 4 UAbs. 2 EG kann der Rechnungshof jederzeit (insbesondere in Form von Sonderberichten) Bemerkungen zu besonderen Fragen vorlegen und auf Antrag eines der anderen Organe der Gemeinschaft Stellungnahmen abgeben. Eine Verpflichtung hierzu besteht nicht. Insoweit hat der Rechnungshof gegebenenfalls im pflichtgemäßen Ermessen über die Veröffentlichung einer Stellungnahme zu entscheiden. 4. Klagerecht: Nach Art. 230 Abs. 3 EG verfügt der Rechnungshof über die aktive Parteifähigkeit, Nichtigkeitsklage zum EuGH zur Wahrung seiner Rechte zu erheben. Damit kann der Rechnungshof vor allem seine Prüfungsbefugnisse nach Maßgabe des Art. 248 EG gerichtlich gegenüber anderen Organen durchsetzen. (gär) §§: Art. 7 Abs. 1, Art. 246 ff. EG; Art. 139 ff. Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002) Lit.: C.-D. Ehlermann, Der Europäische Rechnungshof, 1976; M. Freytag, Der Europäische Rechnungshof, 2005; B. Friedmann, Der Europäische Rechnungshof und die Wirtschafts- und Finanzhilfen der EU für Mittel- und Osteuropa, 1994; C. Friedrich/J. Inghelram, Die Klagemöglichkeiten des Europäischen Rechnungshofs vor dem Europäischen Gerichtshof, DÖV 1999, 669; R. Graf, Die Finanzkontrolle in der Europäischen Gemeinschaft, 1999; C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, 2001, 560 ff.; S. Magiera, Finanzkontrolle in der Europäischen Gemeinschaft, in: H. H. von Arnim (Hrsg.), Finanzkontrolle im Wandel, 1989, 221 Web: http://www.eca.europa.eu/index_de.htm
Rechnungshof/ORF u.a.-Entscheidung Rechnungshof/ORF et.al. case – jurisprudence Rechnungshof/ORF et.al
Urteil zum europäischen Grundrechtsschutz: Datenschutz und Bezügebegrenzung. (ed) §§: Art. 10 EMRK, DatenschutzRL Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-465/00, C-138/01 und C-139/ 01 Rechnungshof/ORF u.a., Slg. 2003, I-4989
Rechnungslegung presentation of the accounts – reddition des comptes
Nach Art. 275 EG legt die Kommission dem Rat und dem Europäischen Parlament jährlich die Rechnung des abgelaufenen Haushaltsjahres für die Rechnungsvorgänge des Haushaltsplans vor. Sie übermittelt ihnen überdies eine Übersicht über das Vermögen und die Schul-
Recht auf Asyl den der Gemeinschaft. Konkretisierende und ergänzende Bestimmungen über die Rechnungslegung finden sich in den Art. 121 ff. ĺHaushaltsordnung (HO). Die Rechnungslegung dient der nachträglichen Haushaltskontrolle und damit der Einhaltung der sich aus dem Haushaltsplan sowie den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit ergebenden Anforderungen an die Haushaltsführung durch die Gemeinschaftsorgane. Gem. Art. 121 HO umfassen die zu kontrollierenden Rechnungen Jahresabschlüsse der Organe und verschiedener selbstständiger Einrichtungen, konsolidierte Jahresabschlüsse, die die Finanzdaten der Jahresabschlüsse in aggregierter Form darstellen, Übersichten über den Haushaltsvollzug der Organe und Einrichtungen, sowie konsolidierte Übersichten über den Haushaltsvollzug. Die Art. 123 ff. HO enthalten insoweit nähere formale und inhaltliche Bestimmungen über die Mindestanforderungen an die zu kontrollierenden Rechnungen, die Jahresabschlüsse und die Übersichten. Nach Art. 124 HO werden die Jahresabschlüsse nach Maßgabe allgemein anerkannter Rechnungsführungsprinzipien erstellt. Bei den allgemein anerkannten Rechnungsführungsprinzipien handelt es sich um einen Rezeptionsbegriff, der auf Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre verweist und auch vor diesem Hintergrund auszulegen ist. Art. 124 HO benennt dabei abstrakt die anzuwendenden Prinzipien: a) Kontinuität der Tätigkeiten, b) Vorsichtsprinzip, c) Stetigkeit der Rechnungsführungsmethoden, d) Vergleichbarkeit der Daten, e) relative Wesentlichkeit, f) Bruttoprinzip, g) Vorrang der Wirklichkeit gegenüber dem äußeren Anschein, h) Periodenrechnung. Die Erstellung der (vorläufigen) Rechnung erfolgt gebündelt durch die Kommission. Die Rechnungsführer der anderen Organe und Einrichtungen übermitteln nach Art. 128 Abs. 1 HO spätestens zum 1. März des auf das abgeschlossene Haushaltsjahr folgenden Jahres dem Rechnungsführer der Kommission ihre vorläufigen Rechnungen mit dem Bericht über die Haushaltsführung und das Finanzmanagement für dieses Haushaltsjahr. Der Rechnungsführer der Kommission konsolidiert diese vorläufigen Rechnungen und übermittelt dem ĺRechnungshof spätestens am 31. März des auf das abgeschlossene Haushaltsjahr folgenden Jahres die
vorläufigen Rechnungen sowie die konsolidierten vorläufigen Rechnungen. Zugleich übermittelt er dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Rechnungshof die dazugehörigen Berichte. Nach Art. 129 HO hat der Rechnungshof spätestens am 15. Juni seine etwaigen Bemerkungen zu den vorläufigen Rechnungen der Organe Einrichtungen vorzulegen. Anschließend werden die endgültigen Jahresabschlüsse jeweils in eigener Verantwortung erstellt und dem Rechnungsführer der Kommission sowie dem Rechnungshof spätestens am 1. Juli des auf das abgeschlossene Haushaltsjahr folgenden Jahres zur Erstellung der endgültigen konsolidierten Rechnungen übermittelt (Art. 129 Abs. 2 HO). Die Kommission billigt diese endgültigen konsolidierten Rechnungen und übermittelt sie dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Rechnungshof vor dem 31. Juli des auf das abgeschlossene Haushaltsjahr folgenden Jahres (Art. 129 Abs. 3 HO). Die endgültigen konsolidierten Rechnungen werden spätestens am 31. Oktober des auf das abgeschlossene Haushaltsjahr folgenden Jahres zusammen mit der Zuverlässigkeitserklärung, die der Rechnungshof gem. Art. 248 EG abgibt, im Amtsblatt veröffentlicht (Art. 129 Abs. 4 HO). (gär) §§: Art. 275 EG; Art. 121 ff. Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/2002)
Rechnungsprüfung audit – contrôle de comptes
Die Rechnungsprüfung obliegt nach Art. 246 EG dem ĺRechnungshof. Die näheren Einzelheiten sind in Art. 248 EG geregelt (ĺRechnungshof). (gär) §§: Art. 246 EG
Recht auf Arbeit ĺBerufsfreiheit Recht auf Asyl right to asylum (Art. 18 Charter of Fundamental Rights of the European Union) – droit d’asile (Art. 18 Charte des Droits fondamentaux de l’Union Européenne)
Gem. Art. 18 ĺCharta der Grundrechte der Europäischen Union wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28.7.1951 (ĺGenfer Flüchtlingskonvention) und des Protokolls vom 31.1.1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (ĺProtokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge) sowie nach Maßgabe der Verfassung gewährleistet. 735
Recht auf Bildung Strittig ist, ob Art. 18 GRC einen subjektiv-individuellen Anspruch auf Asylgewährung gewährt oder bloß die Verankerung eines objektiv-rechtlichen Grundsatzes darstellt, dem entweder kein oder höchstens geringfügig eigenständiger Gehalt im Vergleich zu Art. 63 EG zukommt. Gegen letztere, restriktive Interpretation der Bestimmung, welche das Recht auf Asyl gem. Art. 18 GRC zu einer bloßen „Verdoppelung“ des Bezugs auf die GFK in Art. 63 EG machen würde, sprechen folgende Gründe: Anknüpfend an den Wortlaut „Recht auf Asyl“ (statt bloß Rechte im Asyl) gewährt die Vorschrift dem Einzelnen einen unmittelbaren, subjektiven Anspruch auf Asylgewährung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere bei Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 1 A Z. 2 GFK. Vom Schutzbereich des Grundrechts auf Asyl erfasst sind ĺFlüchtlinge im Sinne des Art. 1 A Z. 2 GFK, also Menschen, die aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung nicht den Schutz ihres Heimatlandes in Anspruch nehmen können oder infolge dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen wollen und in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union einen Asylantrag stellen. Sie haben einen subjektiven Anspruch darauf, dass ihr Antrag nach den gesetzlichen, insbesondere sekundärrechtlichen Bedingungen erledigt wird und dass ihnen, sofern sie die darin aufgestellten Voraussetzungen erfüllen, Asyl und die damit verbundenen Rechte gewährt werden. Die Behörden jenes Mitgliedstaats, in dem der Asylwerber erstmals einen Antrag auf Asyl gestellt hat, müssen sodann über die Asylgewährung entscheiden. Auf das Recht auf Asyl können sich jedenfalls alle Drittstaatsangehörigen berufen; das ergibt sich schon aus der Natur des Rechts auf Asyl, steht aber im Gegensatz zu sonstigen Grundrechten, die teils nur Staats- bzw. Unionsbürgern zukommen. Gegen die Eigenschaft von Unionsbürgern, in den persönlichen Anwendungsbereich von Art. 18 GRC zu gelangen, spricht der grundsätzliche Ausschluss der Gewährung von Asyl für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Union. Dieser Ausschluss ist aber nicht ausnahmslos, s. dazu die engen Ausnahmen im ĺProtokoll zum Vertrag von Amsterdam über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Euro736
päischen Union, ABl. 10.11.1997, Nr. C 340/103 (vgl. auch ĺAsyl für Unionsbürger). (gt) (jw) §§: Art. 18 Charta der Grundrechte der Europäischen Union Lit.: N. Bernsdorff, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 18; M. Rossi, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 18 GRCh, 2620 ff.
Recht auf Bildung ĺBildung, Recht auf Recht auf Daueraufenthalt right of permanent residence – droit de séjour permanent
Eine der wesentlichen konzeptionellen Neuerungen der neuen Freizügigkeitsrichtlinie 2004/ 38/EG (ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG) ist die Einführung eines Rechts auf Daueraufenthalt. Dieses erwirbt der Unionsbürger in der Regel nach einem rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat von fünf Jahren (Art. 16 f. RL 2004/38/ EG). Die mit dem Recht auf Daueraufenthalt verbundene gefestigte aufenthaltsrechtliche Position soll der zunehmenden Integration des ĺUnionsbürgers in den Aufnahmemitgliedstaat Ausdruck verleihen. Der Fortbestand eines einmal erworbenen Rechts auf Daueraufenthalt hängt von keinen ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines) mehr ab; auch nimmt der Schutz vor Ausweisungen aufgrund des ordre-publicVorbehalts (ĺAusweisung) zu, dessen Aktualisierung nur noch beim Vorliegen schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung möglich ist (Art. 28 Abs. 2 RL 2004/ 38/EG). Allerdings erlischt das Recht auf Daueraufenthalt bei einer Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat von mehr als zwei Jahren (Art. 16 Abs. 4 RL 2004/38/EG). Als Konsequenz des Zusammenspiels von unionsbürgerlichem Diskriminierungsverbot und Aufenthaltsrecht führt das unbedingt gewährleistete Recht auf Daueraufenthalt zu einem umfassen Inländerbehandlungsanspruch namentlich im sozialen Bereich. Im Daueraufenthaltsrecht ist im Übrigen das Verbleiberecht aus dem Erwerbsleben ausgeschiedener Personen aufgegangen; insoweit gelten erleichterte Erwerbsvoraussetzungen (Art. 17 RL 2004/38/EG; ĺVerbleiberecht). (fw) §§: Art. 16 ff. RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/ 35 Lit.: J.-Y. Carlier, Le devinir de la libre circulation des personnes dans l’Union Européenne: Regard sur
Recht auf Leben la directive 2004/38, CDE 2006, 13; A. Iliopoulou, Le nouveau droit de séjours des citoyens de l’Union et des membres de leur famille: la directive 2004/38/CE, RDUE 2004, 523; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Recht auf eine gute Verwaltung right to good administration – droit à une bonne administration
Das Recht auf ein faires Verwaltungsverfahren ist bereits als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts vom ĺEuGH angenommen worden (s. Recht auf ein ĺfaires Verfahren). Nun enthält die ĺGrundrechtecharta (GRC) auch explizit das Recht auf eine gute Verwaltung als Verfahrensgrundrecht (Art. 41 GRC/Art. II-101 EVV). Demonstrativ genannt sind davon die Elemente eines fairen Verwaltungsverfahrens: Recht auf rechtliches Gehör, Akteneinsicht und Begründungspflicht, die Unparteilichkeit und die Entscheidung binnen angemessener Frist. Damit ist der Grundsatz allerdings nicht erschöpft („insbesondere“). Die GRC enthält des Weiteren einen Schadenersatzanspruch bei rechtswidrigem Verhalten der Union (Art. 41/Art. II-101 Abs. 3 EVV) sowie ein Sprachen- bzw. Korrespondenzrecht (Abs. 4). (ed) §§: Art. 41 GRC/Art. II-101 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 36; S. Magiera, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 41; R. Bauer, Das Recht auf eine gute Verwaltung im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002; R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, 2006, 475 f.
Recht auf Freiheit und Sicherheit right to liberty and security – droit à la liberté et à la sûreté
Der Schutz vor Freiheitsentziehungen (Recht des „habeas corpus“) zählt zu den gemeinschaftsrechtlichen ĺGrundrechten (vgl. Art. 6 GRC/ Art. II-66 EVV). In Tragweite und Bedeutung entspricht es Art. 5 EMRK. Wie dieses enthält es eine Schadenersatzregelung (Haftentschädigung) bei Verletzung. (ed) §§: Art. 6 GRC/Art. II-66 EVV; Art. 5 EMRK Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 11
Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz right to judicial protection – droit à la protection juridictionelle
Nach der Rechtsprechung des ĺEuGH ist die ĺEG „eine Rechtsgemeinschaft (...), in der we-
der die Mitgliedstaaten, noch die Gemeinschaftsorgane der Kontrolle daraufhin entzogen sind, ob ihre Handlungen im Einklang mit (...) dem EG-Vertrag stehen, und (...) mit diesem Vertrag (ist) ein umfassendes Rechtsschutzsystem geschaffen worden.“ Soweit es um das individuelle R. geht, wurzelt dieses in Art. 6, 13 EMRK und den mitgliedstaatlichen Rechtstraditionen. Das R. tritt in Wechselwirkung mit der Herstellung von Rechtssicherheit und der effektiven Durchsetzung getroffener administratorischer und legislatorischer Entscheidungen. Da das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz auch effektiven Rechtsschutz fordert, muss dort, wo Rechtsschutz in der Hauptsache zeitlich nicht mehr gewährleistet werden kann, vorläufiger Rechtsschutz gewährleistet werden. Zur Gewährleistung verpflichtet sind zunächst die europäischen Gerichte (ĺEuG und ĺEuGH). Ihre Zuständigkeit ergibt sich durch Enumeration in den Verträgen und erfasst in der Tendenz institutionelle Streitigkeiten zwischen den Institutionen der Gemeinschaft, zwischen diesen und den Mitgliedstaaten, zwischen den Mitgliedstaaten untereinander, sowie zwischen natürlichen oder juristischen Personen und den Institutionen der Gemeinschaft wegen deren administrativen Handelns. Im Übrigen sind die nationalen Gerichte im Rahmen des umfassenden Rechtsschutzsystems zuständig. Sie müssen dabei die Effektivität der Anwendung des Gemeinschaftsrechts als auch des Rechtsschutzes gewährleisten. Bei Zweifeln hinsichtlich bestehenden EG-Rechts sind die nationalen Gerichte zur Vorlage verpflichtet, Art. 234 EG. (fh) §§: Art. 226, 227, 230, 232, 234, 235 i.V.m. 288 Abs. 2, 236 EG Lit.: R. Schulze/M. Zuleeg, Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2006, § 4, Rn. 1 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-314/91 Weber, Slg. 193, I-1093, Rn. 8
Recht auf Leben right to life – droit à la vie
Obwohl eine explizite Entscheidung des ĺEuGH dazu noch aussteht, ist davon auszugehen, dass auf Gemeinschaftsebene ein ĺGrundrecht auf Leben samt entsprechenden ĺSchutzpflichten besteht. Explizit sieht der Entwurf der ĺGRC ein solches vor (Art. 2 GRC/Art. II-62 EVV). Art. 2 Abs. 1 GRC garantiert jedem Menschen – die frühere Fassung „Person“ wurde nach Kritik und befürchteten Unklarheiten geändert – das Recht auf Leben. 737
Recht der öffentlichen Wiedergabe Der Status des Embryos ist von der Charta offen gelassen und ungeklärt. Der EGMR hat bisher Aussagen dazu, ob der Schutz ungeborenen Lebens im Grundrecht auf Leben (Art. 2 EMRK) inkludiert ist, vermieden (nach EGMR 8.7.2004, Vo/F; EGMR 20.3.2007, Tysiak/Polen; EGMR 10.4.2007, Evans/GB, Sache des nationalen Beurteilungsspielraums. In der Lehre ist dies umstritten, wird im Hinblick auf die Enstehungsgeschichte (in den meisten Konventionsstaaten bestanden Abtreibungsregeln zum Beitrittszeitpunkt, dennoch wurden keine Vorbehalte dazu gemacht) aber überwiegend verneint (vgl. C. Kopetzki, Art. 2 EMRK, in: K. Korinek/M. Holoubek (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 1999, Rn. 14 ff.). Als Folge liegt es im mitgliedstaatlichen Ermessen, dem Fötus grundrechtlichen Schutz zu gewähren. Die Todesstrafe ist verboten (Art. 2 Abs. 2 GRC/Art. II-66 Abs. 2 EVV). Der – im Vergleich zum allgemeinen ChartaVorbehalt in Art. 52 GRC/Art. II-112 EVV – engere verwiesene Vorbehalt zu Art. 2 EMRK (Abs. 2) ist dazuzulesen: (Gesetzliche) Einschränkungen sind daher nur zulässig zu Gunsten von Notwehr, Nothilfe, rechtmäßiger Festnahme bzw. Hinderung der Flucht, Niederschlagung eines Aufruhrs oder Aufstandes – bzw. rechtmäßigen Kriegshandlungen gem. Art. 15 EMRK, unter den sonstigen Einschränkungsbedingungen (insb. Verhältnismäßigkeit). Zu Gunsten des Rechts auf Leben bestehen staatliche Schutzpflichten, insb. auch Aufklärungs- und Verfahrenspflichten. (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 2 GRC/Art. II-62 EVV; Art. 2 EMRK als Gemeinschaftsgrundrecht; 13. ZP EMRK zur Abschaffung der Todesstrafe als Gemeinschaftsgrundrecht Lit.: W. Höfling, in: P. J. Tettinger/K. Stern (Hrsg.), GRC, 2006, Art. 2; M. Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 2; R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, 2006, 364 ff.; H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 9 Rsp.: EGMR 8.7.2004, Vo/F = NJW 2005, 727; EGM 20.3.2007, Tysiak/Polen; EGMR 10.4.2007, Evans/GB
Recht der öffentlichen Wiedergabe right of official report – droit de communication au public
Das Recht der öffentlichen Wiedergabe ist das ausschließliche Recht des Urhebers, die öffentliche Wiedergabe seiner Werke zu gestatten oder zu verbieten. Gemeinschaftsrechtliche Regelungen dieses Rechts finden sich in der ĺVermiet- und VerleihRL (Art. 8) und in der ĺInformationsgesellschaftRL (Art. 3). Weitere Vorschriften hinsichtlich der öffentlichen Wieder738
gabe über Satellit enthält die ĺSatelliten- und KabelRL (Art. 2, vgl. auch ĺSenderecht). Das Recht der öffentlichen Wiedergabe unterliegt nicht dem gemeinschaftsrechtlichen ĺErschöpfungsgrundsatz. Eine (insb. für Österreich und Spanien) bedeutende Entscheidung zum Begriff der öffentlichen Wiedergabe der InformationsgesellschaftRL ist die Entscheidung ĺHotel-TV, in der der EuGH die Übertragung von Sendungen in Hotelzimmern als öffentliche Wiedergabe i.S.d. Art. 3 qualifiziert. (js) Rechte älterer Menschen rights of the elderly – droits des personnes âgées
Der Entwurf der ĺGRC enthält eine eigene Bestimmung zum Schutz der Rechte älterer Menschen. Eigene Rechte werden hier nicht eingeräumt, sondern vorausgesetzt. Dabei handelt es sich um ĺGrundsätze (d.h. verbindliche, aber nicht einklagbare; Handlungsaufträge) und keine ĺGrundrechte im Sinn von echten subjektiven Rechten. Vgl. auch das Diskriminierungsverbot in Art. 21 GRC/Art. II-81 EVV. (ed) §§: Art. 25 GRC/Art. II-85 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 28; S. Hölscheidt, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 25
Rechte für Kinder ĺKinderrechte Rechtfertigungsgründe für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen, Überblick grounds of justification (free movement of goods) – justifications (libre circulation des marchandises)
Staatliche, die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende Maßnahmen können durch die Art. 30 EG verankerten geschriebene Rechtfertigungsgründe und durch die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe der ĺzwingenden Erfordernisse im Sinne der ĺCassis de Dijon-Entscheidung gerechtfertigt werden. In beiden Fällen muss das ĺVerhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt werden. Zu den in Art. 30 EG geschriebenen Rechtfertigungsgründen zählen: der Schutz der ĺöffentlichen Sittlichkeit, der Schutz der ĺöffentlichen Ordnung, der Schutz der ĺöffentlichen Sicherheit, der Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen (ĺGesundheitsschutz [freier Warenverkehr]), der Schutz von Tieren und Pflanzen (ĺTier-
Rechtsakte der EU/EG und Pflanzenschutz [freier Warenverkehr]), der Schutz des nationalen Kulturgutes (ĺNationales Kulturgut von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischen Wert [freier Warenverkehr]), der Schutz des ĺgewerblichen und kommerziellen Eigentums. Zur erweiterbaren Kategorie den zwingenden Erfordernissen zählen etwa: eine wirksame steuerliche Kontrolle, den Schutz der öffentlichen Gesundheit, ĺdie Lauterkeit des Handelsverkehrs und den ĺVerbraucherschutz, der ĺUmweltschutz, raumplanerische Ziele, der Schutz öffentlicher Netze, die Kohärenz des Steuersystems, der Gläubigerund der aktienrechtliche Minderheitenschutz, die berufliche Qualifikationssicherung, die Erhaltung der Medienvielfalt, die Erhaltung und Aufwertung des kulturellen und künstlerischen Erbes, der Schutz von Arbeitnehmern und der sozialen Sicherungssysteme sowie die Verkehrssicherheit. Daneben kann auch der ĺGrundrechtsschutz eine Beeinträchtigung rechtfertigen. (rp) §§: Art. 30 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 92 ff.; T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28-30 EGV, Rn. 80 ff.; P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 8.03 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 120/78 Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649 (ĺCassis de Dijon-Entscheidung)
Rechtliches Gehör right to be heard – droit d’être entendu
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt sich als ungeschriebener Grundsatz unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip. Nach der Rsp. des ĺEuGH zählt er zu den Grundsätzen einer ĺguten Verwaltung. Dem Einzelnen wird dadurch das Recht verliehen, seinen Standpunkt in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht vorzutragen, bevor ihm gegenüber eine nachteilige Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung ergeht. Auch die Versagung einer Begünstigung stellt insoweit einen Nachteil dar. Besondere Bedeutung erlangt das rechtliche Gehör bei Entscheidungsspielräumen des Entscheidungsträgers, bei der Erforderlichkeit spezifischen Sachverstandes sowie beim Sanktionscharakter der nachteiligen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung. Das rechtliche Gehör ist nur dann gewährleistet, wenn der Betroffene hinreichend Zeit zur Vorbereitung seiner Stellungnahme hatte. Die belastende Entscheidung darf nur auf Gesichtspunkte gestützt werden, zu denen sich der Betroffene äußern konnte. (fh)
§§: Art. 6 Abs. 1 EU; Art. 41 Abs. 2 1. SpS GRC Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 41 GRC, Rn. 13; R. Schulze/M. Zuleeg, Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2006, § 6, Rn. 43 Rsp.: EuGH, Rs. 32/62 Alvis, Slg. 1963, 107, 123 f.; Rs. 40/85 Belgien/Kommission (Kapitalbeteiligung), Slg. 1986, 2321, Rn. 28
Rechtsakt, ausbrechender Im Anschluss an die ĺMaastricht-Entscheidung des ĺBVerfG gängige Bezeichnung für ĺSekundärrecht, das die Grenzen der Verbandskompetenz der EG überschreitet. In der Maastricht-Entscheidung hat das BVerfG auf der Grundlage der ĺBrückentheorie festgestellt, dass ausbrechende Rechtsakte in Deutschland nicht verbindlich sind und das BVerfG die Einhaltung der Verbandskompetenzen durch europäisches Sekundärrecht überprüft. Schon vorher hatte es diese Position in den Entscheidungen ĺEurocontrol I und ĺKloppenburg entwickelt. Zulässig ist demnach eine Rechtsfortbildung durch den ĺEuGH im Wege methodisch vertretbarer Vertragsauslegung, die aber nicht das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung sprengen und im Ergebnis einer Vertragsänderung gleichkommen darf. Die vom BVerfG beanspruchte Kompetenz zur Prüfung der Einhaltung der Verbandskompetenzen ist in der Lit. vielfach auf Widerspruch gestoßen. Das BVerfG hat die Frage in der ĺAlcan-Entscheidung noch einmal berührt, von seiner in Maastricht postulierten Prüfungskompetenz jedoch bislang keinen Gebrauch gemacht. (sgk) Lit.: P. Kirchhof, Die Gewaltenbalance zwischen staatlichen und europäischen Organen, JZ 1998, 965; F. C. Mayer, Kompetenzüberschreitung und Letztentscheidung. Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Letztentscheidung über Ultra viresAkte in Mehrebenensystemen, 2000; G. Nicolaysen/C. Nowak, Teilrückzug des BVerfG aus der Kontrolle der Rechtmäßigkeit gemeinschaftlicher Rechtsakte: Neuere Entwicklungen und Perspektiven, NJW 2001, 1233
Rechtsakt, europäischer S. Rechtsakte der EU/EG, insb. ĺVerordnungen, ĺRichtlinien, ĺEntscheidungen, ĺBeschlüsse. (lb) §§: Art. 249 EG
Rechtsakte der EU/EG legal acts of the EU/EC – actes juridiques de l’UE/CE
Es gehört zu den grundlegenden Eigenschaften der EU/EG, wie schon der Europäischen 739
Rechtsakte der EU/EG Wirtschaftsgemeinschaft von 1957, dass sie über eigenständige Organe verfügt, die durch die Gründungsverträge mit Rechtsetzungsbefugnissen ausgestattet sind. Die Rechtsetzungsaufgaben der EU/EG werden hauptsächlich von drei Organen wahrgenommen, entweder in alleiniger Verantwortung oder im kooperativen Zusammenwirken: von ĺParlament, ĺRat und ĺKommission. Das zuständige Organ und das anzuwendende Rechtsetzungsverfahren richten sich nach der jeweils in Anspruch genommenen Rechtsgrundlage. In der Terminologie der Verträge wird jedes in einem Dokument fixierte Ergebnis eines solchen Verfahrens als „Rechtsakt“ oder „Handlung“ bezeichnet (engl. [legal] act, franz. acte [juridique]), ohne dass damit etwas über seine rechtlichen Eigenschaften ausgesagt wäre. Demnach kann es sich bei einem „Rechtsakt“ auch um eine Einzelmaßnahme oder um eine unverbindliche Verlautbarung handeln. Die rechtlichen Eigenschaften eines Rechtsakts der EU/EG werden maßgeblich bestimmt über die Handlungsform, der dieser Akt zugeordnet ist. Hierunter versteht man in der rechtswissenschaftlichen Dogmatik eine durch gemeinsame Merkmale geeinte Gattung von Rechtsakten. Die Gemeinsamkeiten können sich insbesondere auf die rechtlichen Wirkungen sowie die Anforderungen an die Gültigkeit und die gerichtliche Kontrolle beziehen. Die Zuordnung zu einer Handlungsform des Unions- und Gemeinschaftsrechts erfolgt in der Praxis über die Überschrift des Rechtsakts sowie eine Reihe weiterer äußerer Merkmale, insbesondere formentypische Einleitungs- und Abschlussklauseln. Entsprechende Vorgaben für die äußere Form finden sich in den Geschäftsordnungen der Organe. Entgegen einer in der Literatur verbreiteten Ansicht beansprucht der ĺEuGH nicht, eine Zuordnung, die sich aus dem Text des Rechtsakts eindeutig ergibt und damit dem Willen des handelnden Organs entspricht, eigenmächtig zu korrigieren. Der Gerichtshof behält sich jedoch vor, über die Eröffnung von Rechtsschutz weitgehend unabhängig von der Zuordnung zu einer Handlungsform zu entscheiden. Dies hat namentlich zu einer erweiterten Auslegung des Begriffs „Entscheidung“ in Art. 230 IV EG geführt, sodass nicht nur Akte in der Handlungsform Entscheidung, sondern jegliche Rechtsakte Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage sein können, wenn sie die den Kläger individuell und unmittelbar betreffen (ĺIndividualnichtigkeitsklage, Art. 230 EG, ĺEntscheidungen). 740
Für den Bereich des EG-Vertrags stellt Art. 249 EG (im Wesentlichen gleichlautend Art. 161 Euratom-Vertrag) den Rechtsetzungsorganen fünf Handlungsformen zur Verfügung: ĺVerordnungen, ĺRichtlinien, ĺEntscheidungen, ĺEmpfehlungen und ĺStellungnahmen. Darüber hinaus können der Rat und einschränkt auch die Kommission im Namen der EG völkerrechtliche Abkommen mit anderen Völkerrechtssubjekten schließen (Art. 300 EG, ĺDrittstaatsabkommen). Für diese Handlungsformen hält der EG-Vertrag (partielle) Definitionen ihrer rechtlichen Wirkungen bereit, die als Grundlage für eine weitere Konturierung durch die Rechtsprechung gedient haben. In Praxis und Wissenschaft bestand von Beginn an Einigkeit darüber, dass dieser Kanon an Handlungsformen nicht abschließend zu verstehen ist, sondern die Organe nicht-typisierte Rechtsakte nutzen und in der Praxis zu Handlungsformen mit eigenständigem Profil fortentwickeln dürfen. Die wichtigsten unter ihnen sind ĺBeschlüsse, ĺEntschließungen, ĺMitteilungen und ĺinterinstitutionelle Vereinbarungen. Über die Grenzen dieser Formenprägungsbefugnis besteht in der Literatur Uneinigkeit, insbesondere bei verbindlichen Rechtsakten mit Wirkung gegenüber Dritten. Als allgemeine Grenze ist der Grundsatz der Rechtssicherheit zu beachten, wonach die Bestimmungen eines Rechtsakts klar und ihre Wirkungen für den Betroffenen vorhersehbar sein müssen. Hieraus wird man einen Grundsatz der Formenklarheit ableiten können. Der EU-Vertrag sieht weitere Handlungsformen mit nur sektorspezifischem Anwendungsbereich vor, insbesondere gemeinsame Standpunkte, ĺRahmenbeschlüsse, Beschlüsse und interne Abkommen im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (Art. 34 EU-Vertrag) sowie zahlreiche weitere Handlungsformen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Art. 12 EU-Vertrag). In beiden Bereichen kann der Rat völkerrechtliche Abkommen schließen (Art. 24, 38 EU). Die in Art. 249 EG normierten Handlungsformen stehen für die Rechtsgrundlagen des EU-Vertrags nicht zur Verfügung. Die Rechtsetzungsbefugnisse, die die ĺEZB im Bereich der Währungspolitik ausübt, werden durch Verordnungen, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen ausgeübt, nicht jedoch durch Richtlinien (Art. 110 EG). Ihre Definition entspricht der in Art. 249 EG, es handelt sich um identische Handlungsformen. Darüber
Rechtsakte der EU/EG hinaus sieht das Statut des Europäischen Systems der Zahlbanken und der EZB vor, dass die EZB an die nationalen Zentralbanken der Euro-Zone verbindliche Leitlinien und Weisungen richten kann (Art. 12.1 und 14.3 ESZB-Statut). In der Praxis nutzt die EZB darüber hinaus Beschlüsse und schließt Abkommen. Wie die Regelung in Art. 249 EG zeigt, sagt die Zuordnung zu einer Handlungsform etwas über den Wirkungsmodus eines Rechtsakts aus, nicht jedoch notwendigerweise über das handelnde Organ und das angewendete Rechtsetzungsverfahren. Vielmehr stellt Art. 249 EG den regulären Rechtsetzungsorganen einen identischen Grundbestand an Handlungsformen zur Verfügung. Art. 249 EG enthält nur insofern eine Hierarchie, als verbindliche Handlungen Vorrang vor unverbindlichen genießen. Im Übrigen sind die Handlungsformen gleichrangig, sodass verbindliche Rechtsakte sich wechselseitig aufheben oder abändern können (Vorrang des jüngeren vor dem älteren Recht). Die Rechtsprechung des EuGH belegt, dass es insoweit auch nicht darauf ankommt, von welchem Organ und in welchem Verfahren der aufgehobene oder geänderte Rechtsakt erlassen wurde. Vielmehr kommt es allein darauf an, ob die Rechtsgrundlage, auf die sich der jüngere Rechtsakt stützt, dieses Vorgehen erlaubt. Bei der Ausübung ihrer Rechtsetzungsbefugnisse genießen die Rechtsetzungsorgane einen weiten Ermessensspielraum, welche der grundsätzlich zugelassenen Handlungsformen sie im konkreten Fall wählen wollen. Die meisten Rechtsgrundlagen sprechen unspezifisch von „Maßnahmen“, „Vorschriften“ oder nutzen ähnliche Blankettbegriffe, die die Handlungsform nicht festlegen. Nur in wenigen Fällen ist die Wahl ausdrücklich vorgegeben. Zwar genießt aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Wahl einer Handlungsform den Vorzug, die weniger intensiv in die Rechtsstellung der Einzelnen oder die mitgliedstaatliche Autonomie eingreift; bislang ist jedoch kein Fall aufgetreten, in dem der Gerichtshof die Formenwahl eines Organs beanstandet hätte. Die gewählte Handlungsform ist in erster Linie von Bedeutung für die Frage, welche rechtlichen Wirkungen ein konkreter Rechtsakt erzielen kann. So sind Verordnungen in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar, wohingegen Richtlinien der Umsetzung in nationales Recht bedürfen. Entscheidungen sind nur für ihren Adressaten verbindlich, Beschlüsse entfalten keine Verpflichtungswirkung gegenüber
den Einzelnen und Empfehlungen sind unverbindlich. Das handelnde Organ kann sich also mit der Wahl einer bestimmten Handlungsform gezielt bestimmte Wirkungsgrenzen zu Nutze machen, indem es einen umsetzungsbedürftigen, adressatenbezogenen, verpflichtungsneutralen oder unverbindlichen Rechtsakt erlässt. Die Handlungsform hat ferner Bedeutung für die Anforderungen an das ĺInkrafttreten der Rechtsakte, insbesondere ob sie einer Veröffentlichung oder individuellen Bekanntgabe bedürfen. Nur in begrenztem Umfang variieren die Rechtmäßigkeitsanforderungen mit der gewählten Handlungsform. Dies betrifft in erster Linie das Begründungs- und Sprachenregime des Rechtsakts (ĺBegründung der Rechtsakte, ĺVeröffentlichung der Rechtsakte). Die übrigen Rechtmäßigkeitsanforderungen ergeben sich aus der einschlägigen Rechtsgrundlage sowie übergreifend aus dem Primärrecht, stehen also nicht in Abhängigkeit von der Handlungsform. Für den Rechtsschutz ist vor allem von Bedeutung, ob es sich um eine Handlungsform des Gemeinschaftsrechts oder um eine besondere Handlungsform nach dem EU-Vertrag handelt. Ein vollständiges System der Rechtsbehelfe besteht nur im Gemeinschaftsrecht. Das Handlungsformensystem der EU/EG unterscheidet sich damit in einigen Hinsichten grundlegend von den nationalen Verfassungsordnungen. Da die meisten Handlungsformen mehreren Organen zur Verfügung stehen und in ganz unterschiedlichen Rechtsetzungsverfahren erlassen werden, spiegelt sich die Gewaltenteilung in der EU/EG nicht in den Handlungsformen wieder. Dies hat zu Reformvorschlägen geführt, eine Hierarchie der Rechtsakte einzuführen, die danach unterscheidet, ob ein Rechtsakt legislativen oder nicht-legislativen Charakter hat. Der gescheiterte Verfassungsvertrag plante, entlang dieser Unterscheidung zwischen verschiedenen Handlungsformen mit je eigenen Bezeichnungen zu differenzieren (Einführung eines „Europäischen Gesetzes“ und eines „Europäischen Rahmengesetzes“ als Bezeichnung für Verordnungen bzw. Richtlinien mit Gesetzescharakter). Dieses Vorhaben hat der Vertrag von Lissabon zugunsten der hergebrachten Terminologie aufgegeben. (jb) §§: Art. 110, 230, 249, 300 EG; Art. 12, 24, 34, 38 EUVertrag, Art. 161 Euratom-Vertrag, Anhang VI, Teil B der Geschäftsordnung des Rates (2006/683/EG, Euratom) Lit.: J. Bast, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU, 2006; C. Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, 2003; P.-Y. Monjal, Recherches sur la hiérarchie des normes communautaires, 2000;
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Rechtsangleichung H. Hofmann, Normenhierarchien im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000; B. Biervert, Der Mißbrauch von Handlungsformen im Gemeinschaftsrecht, 1999; G. Winter (Hrsg.), Sources and Categories of European Union Law, 1996; F. von Alemann, Die Notwendigkeit eines formalen Rechtsbegriffes der Unionsrechtsordnung, Der Staat 45 (2006) 383; C. Bumke, Rechtsetzung in der Europäischen Gemeinschaft, in: G. F. Schuppert et al. (Hrsg.), Europawissenschaft, 2005, 645; K. Lenaerts, A Unified Set of Instruments, European Constitutional Law Review 1 (2005) 57; M. Kaltenborn, Gibt es einen numerus clausus der Rechtsquellen?, Rechtstheorie 2003, 459, 473 ff.; A. von Bogdandy/J. Bast/F. Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht, ZaöRV 62 (2002) 77; T. Koopmans, Regulations, Directives, Measures, in: O. Due/M. Lutter/J. Schwarze (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Everling, 1995, 691; A. Scherzberg, Verordnung – Richtlinie – Entscheidung, in: H. Siedentopf (Hrsg.), Europäische Integration und nationalstaatliche Verwaltung, 1991, 17; U. Everling, Probleme atypischer Rechts- und Handlungsformen bei der Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts, in: R. Bieber/G. Ress (Hrsg.), Die Dynamik des Gemeinschaftsrechts, 1987, 417; E. Grabitz, Quellen des Gemeinschaftsrechts: Rechtshandlungen der Gemeinschaftsorgane, in: Kommission (Hrsg.), Dreißig Jahre Gemeinschaftsrecht, 1983, 91 Rsp.: EuGH, Rs. 26/62 van Gend & Loos, Slg. 1963, 1, 24 f.; Rs. 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251, 1270; Rs. 19/67 van der Vecht, Slg. 1967, 445, 457; Rs. 74/69 Krohn, Slg. 1970, 451, Rn. 9; Rs. 41/69 ACF Chemiefarma/ Kommission, Slg. 1970, 661, Rn. 60/62; Rs. 30/70 Scheer, Slg. 1970, 1197, Rn. 21; Rs. 22/70 Kommission/Rat, Slg. 1971, 263, Rn. 38/42; Rs. 5/73 Balkan-Import-Export, Slg. 1973, 1091, Rn. 18; Rs. 106/77 Simmenthal, Slg. 1978, 629, Rn. 14/16; Rs. 188/80 bis 190/80 Frankreich u.a./Kommission, Slg. 1982, 2545, Rn. 6; Rs. C-309/89 Codorniu/Rat, Slg. 1994, I-1853, Rn. 19 f.; Rs. C-259/95 Parlament/Rat, Slg. 1997, I-5303, Rn. 27; Rs. C-163/99 Portugal/Kommission, Slg. 2001, I-2613, Rn. 20; Rs. C-105/03 Pupino, Slg. 2005, I-5285, Rn. 33 ff.; Rs. C-355/04 P Segi, Slg. 2007, I-1657, Rn. 52 ff.
Rechtsangleichung legislative alignment – rapprochement des législations
Gem. Art. 3 Abs. 1 lit. h EG umfasst die Tätigkeit der Gemeinschaft i.S.d. Art. 2 EG die Angleichgung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, soweit dies für das Funktionieren des ĺGemeinsamen Marktes erforderlich ist (Rechtsangleichung); soweit sich der Vertrag anderer Begriffe, wie „Koordinierung“ oder „Harmonisierung“ bedient, kommt diesen dieselbe Bedeutung zu. Die Rechtsangleichung bleibt dabei schon ihrem Wesen nach hinter einer Vereinheitlichung von Rechtsvorschriften zurück; versucht sich einer solchen vielmehr in Gestalt von Zielvorgaben weitgehend anzunähern. Rechtsangleichungsmaßnahmen operieren weitgehend mit umsetzungspflichtigen Rechtsakten (vgl. jedoch die Handlungsformen im Rahmen der ĺRechtsangleichung im Binnenmarkt), die den ĺMS (wenngleich z.T. nur geringen) Spielraum im Rahmen der Umsetzung lassen. 742
Das Instrument der Rechtsangleichung (Harmonisierung) dient durch die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen, die auf Grund unterschiedlicher rechtlicher Rahmenbedingungen auf mitgliedstaatlicher Ebene zu Tage treten, der Errichtung und dem Funktionieren des Gemeinsamen Marktes. Es ist nach der Rsp. des ĺEuGH darauf gereichtet „Hindernisse aller Art zu mildern“, die sich aus den unterschiedlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften des MS ergeben (EuGH, Rs. 193/80 Kommission/Italien, Slg. 1981, 3019, Rn. 17). Rechtsangleichungsmaßnahmen sind solcherart in Konstellationen zu treffen, „in denen die Gefahr besteht, daß diese Unterschiede verfälschte Wettbewerbsbedingungen schaffen oder aufrechterhalten“ (EuGH, Rs. C-350/92 Spanien/Rat, Slg. 1995, I-1985, Rn. 32). In Gestalt von Maßnahmen zur Vermeidung wahrscheinlicher Hindernisse für die Verwirklichung der Grundfreiheiten infolge einer heterogenen Entwicklung nationaler Rechtsvorschriften besteht auch die Möglichkeit zur präventiven Rechtsangleichung (EuGH, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04 Natural Health u.a., Slg. 2005, I-6451, Rn. 29). Die Rechtsangleichungskompetenz der EG versteht sich somit nicht als Selbstzweck. Sie stellt auch keine allgemeine Befugnis zur Regelung der Marktverhältnisse dar, sondern ist vielmehr als, vom funktionalen Blickwinkel aus, inhaltlich begrenzte Regelungsbefugnis aufzufassen. Die Intensität einer Rechtsangleichungsmaßnahme ist je nach Regelungsgegenstand und -bedürfnis unterschiedlich ausgeprägt und kann von der Festlegung bloßer Mindeststandards bis zur weitgehenden Gleichschaltung bestimmter Rechtsvorschriften reichen (ĺRechtsangleichung, Methoden). Nach dem Ansatz einer Rechtsangleichungsmaßnahme lassen sich horizontale Rechtsangleichung und vertikale Rechtsangleichung unterscheiden. Anfänglich wurde im Rahmen der Rechtsangleichung ein vertikal orientierter Ansatz der Vollharmonisierung verfolgt, der jedoch erheblichen praktischen Schwierigkeiten, insb. in Form mangelnder Innovationsoffenheit, begegnete. Auf Grund der Undurchführbarkeit eines solchen Konzepts wurde eine neue Strategie zur Rechtsangleichung entwickelt (ĺnew approach [Rechtsangleichung]), der zufolge in Gestalt horizontaler Harmonisierungsmaßnahmen auf Gemeinschaftsebene allgemeine Anforderungen festgelegt werden, deren Konkretisierung privaten Normungsgremien überlassen ist. Das Konzept der Rechtsangleichung wird durch das Prinzip
Rechtsangleichung (Binnenmarkt) der ĺgegenseitigen Anerkennung ergänzt. Für mitgliedstaatliche technische Vorschriften und Vorschriften der MS, die den Zugang zu Dienstleistungen der ĺInformationsgesellschaft regeln besteht ein eigenes Konsultationsverfahren (ĺInformationsverfahren [RL 98/34/EG]). Die allgemeinen Grundlagen der Angleichung der Rechtsvorschriften sind in Titel VI Kap. 3 EG (Art. 94 ff.) festgelegt. Dabei normiert Art. 94 EG eine Generalkompetenz zur ĺRechtsangleichung im Gemeinsamen Markt; Art. 95 EG bestimmt das Verfahren zur ĺRechtsangleichung im Binnenmarkt. Die Rechtsangleichungskompetenzen gem. Art. 96 und 97 EG sind demgegenüber weitgehend ohne praktische Bedeutung geblieben. Neben diesen Grundlagen bestehen zahlreiche Einzelkompetenzen zur Rechtsangleichung (vgl. Art. 40, Art. 44, Art. 46 Abs. 2, Art. 47 Abs. 2, Art. 52 Art. 55 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 und Art. 47 Abs. 2, Art. 57 Abs. 2, Art. 65 i.V.m. Art. 67 sowie Art. 93 EG). In einer Reihe von Politikbereichen ist die Rechtsangleichung jedoch dezidiert ausgeschlossen (so etwa in der Beschäftigungs- und der Bildungspolitik – vgl. Art. 129 EG, Art. 149 Abs. 4 EG, Art. 150 Abs. 4 EG). (cb) §§: Art. 3 Abs. 1 lit. h, Art. 94 ff., Art. 40, Art. 44, Art. 46 Abs. 2, Art. 47 Abs. 2, Art. 52 Art. 55 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 und Art. 47 Abs. 2, Art. 57 Abs. 2, Art. 65 i.V.m. Art. 67, Art. 93 EG; Entschließung des Rates vom 7.5.1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung, ABl. 1985, Nr. C vom 136/1; Art. 94 ff. EG Lit.: T. Klindt, Der „new approach“ im Produktrecht des europäischen Binnenmarkts: Vermutungswirkung technischer Normung, EuZW 2002, 133 (134 f.); M. Möstl, Grenzen der Rechtsangleichung im europäischen Binnenmarkt, EuR 2002, 318; M. Ludwigs, Rechtsangleichung nach Art. 94, 95 EG-Vertrag, 2004; Y. Bock, Rechtsangleichung und Regulierung im Binnenmarkt, 2005; T. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, § 18; H. G. Fischer, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Vorbem. Art. 94-97, Rn. 1 ff.; M. Seidel, Präventive Rechtsangleichung im Bereich des Gemeinsamen Marktes, EuR 2006, 26 ff.; M. Herdegen, Europarecht, 9. Aufl. 2007, § 20, Rn. 1; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 94 EGV, Rn. 1 ff.; M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, Rn. 1833 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 193/80 Kommission/Italien, Slg. 1981, 3019; EuGH, Rs. C-350/92 Spanien/Rat, Slg. 1995, I-1985; EuGH, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04 Natural Health u.a., Slg. 2005, I-6451
Rechtsangleichung (Binnenmarkt) legislative alignment (Single European Market) – rapprochement des législations (Marché Intérieur)
Art. 95 EG bildet als lex specialis (arg.: „abweichend“; s.a. EuGH, Rs. C-350/92 Spanien/Rat,
Slg. 1995, I-1985, Rn. 29) zur ĺRechtsangleichung im Gemeinsamen Markt (Art. 94 EG) bzw. als lex generalis relativa („soweit in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist“) zu speziellen binnenmarktbezogenen Rechtsangleichungskompetenzen (Art. 40, Art. 44, Art. 46 Abs. 2, Art. 47 Abs. 2, Art. 52 Art. 55 i.V.m. Art. 46 Abs. 2 und Art. 47 Abs. 2, Art. 57 Abs. 2, Art. 65 i.V.m. Art. 67 sowie Art. 93 EG) die Rechtsgrundlage für die Angleichung (Harmonisierung) der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der ĺMS in Bezug auf die Errichtung und das Funktionieren des ĺBinnenmarktes. Nach der Rsp. des ĺEuGH handelt es sich bei der Rechtsangleichungskompetenz gem. Art. 95 um eine ĺkonkurrierende Kompetenz (vgl. nur EuGH, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04 Natural Health u.a., Slg. 2005, I-6451, Rn. 103; für eine Qualifikation als ausschließliche Kompetenz der EG etwa noch GA Fennelly im SA zu EuGH, Rs. C-376/ 98 Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419, Rn. 142). Rechtsangleichungsmaßnahmen, die auf Basis von Art. 95 EG ergehen, müssen deshalb insb. dem ĺSubsidiaritätsprinzip entsprechen. Im Anwendungsbereich der Binnenmarktharmonisierungskompetenz existieren gem. Art. 95 Abs. 2 EG in Gestalt der Bestimmungen über die Steuern, über die Freizügigkeit sowie über die Rechte und Interessen der Arbeitnehmer gewichtige Ausnahmen (ĺBereichsausnahmen Rechtsangleichung). Unter Berücksichtigung dieser Bereichsausnahmen sowie der genannten speziellen Rechtsangleichungskompetenzen kommt Art. 95 EG vor allem im Bereich der ĺWarenverkehrsfreiheit zum Tragen. Anders als im Anwendungsbereich von Art. 94 EG, ist der Gemeinschaftsgesetzgeber bei Harmonisierungsmaßnahmen gem. Art. 95 EG nicht auf die Erlassung von ĺRL beschränkt (wenngleich dieses Instrument in der Gemeinschaftspraxis bevorzugt herangezogen wird). Vielmehr steht ihm das gesamte Spektrum der in Art. 249 EG genannten Handlungsformen (somit insb. auch die ĺVO) offen. Entgegen dem unklaren Wortlaut von Art. 95 Abs. 1 EG bezieht sich die Wendung „Rechtsund Verwaltungsvorschriften der ĺMS, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben“ nicht auf einzelstaatliche Regelungen, sondern auf jene Vorschriften, die vom Rat zu erlassen sind, um die mitgliedstaatlichen Vorschriften anzugleichen (EuGH, Rs. C-359/92 Deutschland/ Rat, Slg. 1994, I-3681, Rn. 37). 743
Rechtsangleichung (Binnenmarkt) Rechtsangleichungsmaßnahmen nach Art. 95 EG verfolgen den Zweck, Hindernissen der Verwirklichung der Grundfreiheiten und Wettbewerbsverfälschungen entgegenzuwirken, die sich auf Grund von Unterscheiden zwischen den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ergeben (grundlegend EuGH, Rs. C-300/89 KOM/ Rat („Titandioxid“), Slg. 1991, I-2867, Rn. 15); sie sollen die „Einheit des Marktes“ gewährleisten (EuGH, Rs. C-359/92 Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-3681, Rn. 37), bieten jedoch keine allgemeine Kompetenz zur Regelung der Verhältnisse im Binnenmarkt – vielmehr kann der Gemeinschaftsgesetzgeber nur Maßnahmen auf Art. 95 EG stützen, welche die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes verbessern sollen (grundlegend EuGH, Rs. C-376/98 Deutschland/EP und Rat [„Tabakwerbung“], Slg. 2000, I-8419, Rn. 83; vgl. jedoch auch Rn. 100, wonach ein auf Art. 95 EG gestützter Rechtsakt auch Bestimmungen enthalten kann, die nicht zur Beseitigung von Hemmnissen für die Grundfreiheiten beitragen, jedoch die Umgehung binnenmarktwirksamer Bestimmungen verhindern sollen). Hindernisse in Bezug auf die Verwirklichung der ĺGrundfreiheiten (vgl. aus der jüngeren Jud. etwa EuGH, Rs. C-210/03 Swedish Match, Slg. 2004, I-11893, Rn. 33) treten dabei insb. in Gestalt mitgliedstaatlicher Sonderregeln aus zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses i.S.d. ĺCassis de Dijon Rsp. des EuGH oder zum Schutz der im EG explizit genannten Rechtsgüter (vgl. etwa Art. 30 EG) zu Tage. Danenben dienen Rechtsangleichungsmaßnahmen nach Art. 95 EG auch dem Abbau von spürbaren (EuGH, Rs. C-300/89 KOM/Rat [„Titandioxid“], Slg. 1991, I-2867, Rn. 23) Wettbewerbsverfälschungen, nicht jedoch zu bloß allgemeinen Wettbewerbsbeschränkungen (vgl. EuGH, Rs. C-376/98 Deutschland/EP und Rat [„Tabakwerbung“], Slg. 2000, I-8419, Rn. 113). Zur Rechtfertigung der Heranziehung von Art. 95 EG ist es jedoch nicht erforderlich, Wettbewerbsverzerrungen darzutun, wenn das Bestehen von Handelshemmnissen festgestellt wurde (EuGH, Rs. C-380/03 Deutschland/EP und Rat [„Tabakwerbung II“], Slg. 2006, I-11573, Rn. 67). Aus dem Rechtsakt muss objektiv und tatsächlich hervorgehen, dass er den Zweck hat, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zu verbessern (EuGH, Rs. C-66/04 Vereinigtes Königreich/EP 744
und Rat, Slg. 2005, I-10553, Rn. 44). Die Harmonisierungsmaßnahme muss überdies dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, somit insb. zur Zielerreichung geeignet sein (vgl. etwa EuGH, Rs. C-434/02 Arnold André, Slg. 2004, I-11825, Rn. 34). In Gestalt von Maßnahmen zur Vermeidung wahrscheinlicher Hindernisse für die Verwirklichung der Grundfreiheiten infolge einer heterogenen Entwicklung nationaler Rechtsvorschriften kann Art. 95 EG (gleich Art. 94 EG) auch zur präventiven Rechtsangleichung eingesetzt werden (EuGH, verb. Rs. C-154/04 und C-155/04 Natural Health u.a., Slg. 2005, I-6451, Rn. 29). Art. 95 EG kann darüber hinaus als Grundlage für Maßnahmen dienen, welche die Beziehungen zwischen MS und Drittstaaten regeln (EuGH, Rs. 355/96 Silhouette, Slg. 1998, I-4799, Rn. 21 f. und 28). Gleichermaßen können Änderungen (Anpassungen an neue Erkenntnisse und Umstände) bestehender Rechtsangleichungsmaßnahmen auf Art. 95 EG gestützt werden (EuGH, Rs. C-491/ 01 British American Tobacco, Slg. 2002, I-11453, Rn. 77). Die ĺKOM hat bei Vorschlägen gem. Art. 95 Abs. 1 EG von einem ĺhohen Schutzniveau in den Bereichen Gesundheit, (technische) Sicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz auszugehen (Art. 95 Abs. 3 EG). Auch nach Erlass einer Harmonisierungsmaßnahme bleibt den MS unter engen Voraussetzungen die Möglichkeit, einzelstaatliche Sonderregelungen beizubehalten oder einzuführen (ĺnationaler Alleingang; vgl. Art. 95 Abs. 4-6 EG), die unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die KOM stehen. Im Billigungsfall hat die KOM eine entsprechende Anpassung der Harmonisierungsmaßnahme zu prüfen (ĺAnpassungsklausel; vgl. Art. 95 Abs. 7 und 8 EG). Harmonisierungsmaßnahmen können gem. Art. 95 Abs. 10 EG in geeigneten Fällen mit ĺSchutzklauseln verbunden werden. Rechtsangleichungsmaßnahmen gem. Art. 95 werden im Verfahren der ĺMitentscheidung nach Art. 251 EG angenommen. Der ĺWirtschafts- und Sozialausschuss ist anzuhören. Der Rat entscheidet – anders als im Verfahren der Rechtsangleichung im Gemeinsamen Markt gem. Art. 94 EG – grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit. Sind der KOM Durchführungsbefugnisse übertragen worden, ist die Zusammenarbeit mit einem beratenden Ausschuss vorgesehen (Art. 3 des ĺBeschlusses 1999/468/ EG, ABl. 1999, Nr. L 184/23). (cb) §§: Art. 95 EG
Rechtsangleichung (Gemeinsamer Markt) Lit.: C. Hillgruber, Die Verwirklichung des Binnenmarktes durch Rechtsangleichung – Gemeinschaftsziel und -kompetenz ohne Grenzen?, in: R. Krause et al. (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa, Gedächtnisschrift für W. Blomeyer, 2004, 597; T. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, § 18, Rn. 14 ff.; H. G. Fischer, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 95 EGV, Rn. 3 ff.; M. Herdegen, Europarecht, 9. Aufl. 2007, § 20, Rn. 2 ff.; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 95 EGV, Rn. 4 ff.; M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, Rn. 1841 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-300/89 KOM/Rat („Titandioxid“), Slg. 1991, I-2867; EuGH, Rs. C-359/92 Deutschland/ Rat, Slg. 1994, I-3681; EuGH, Rs. C-350/92 Spanien/ Rat, Slg. 1995, I-1985; EuGH, Rs. 355/96 Silhouette, Slg. 1998, I-479; EuGH, Rs. C-376/98 Deutschland/ EP und Rat („Tabakwerbung“), Slg. 2000, I-8419; EuGH, Rs. C-491/01British American Tobacco, Slg. 2002, I-11453, Rn. 77; EuGH, Rs. C-434/02 Arnold André, Slg. 2004, I-11825; EuGH, Rs. C-210/03 Swedish Match, Slg. 2004, I-11893; EuGH, verb. Rs. C-154/ 04 und C-155/04 Natural Health u.a., Slg. 2005, I-6451; EuGH, Rs. C-66/04 Vereinigtes Königreich/EP und Rat, Slg. 2005, I-10553, Rn. 44; EuGH, Rs. C-380/03 Deutschland/EP und Rat („Tabakwerbung II“), Slg. 2006, I-11573
Rechtsangleichung (Gemeinsamer Markt) legislative alignment (Common Market) – rapprochement des législations (Marché commun)
Art. 94 EG gibt dem Gemeinschaftsgesetzgeber die Möglichkeit zur Angleichung jener Rechtsund Verwaltungsvorschriften der ĺMS, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des ĺGemeinsamen Marktes auswirken. Vor dem In-Kraft-Treten der ĺEEA kam der Bestimmung die Funktion einer allgemeinen Grundnorm für die ĺRechtsangleichung zu. Insbesondere durch die Rechtsangleichungskompetenz gem. Art. 95 EG (ĺRechtsangleichung, Binnenmarkt) hat die allgemeine Rechtsangleichungskompetenz nach Art. 94 EG jedoch weitgehend ihr ursprüngliches Gewicht eingebüßt; über weite Strecken erfüllt sie nur noch die Funktion einer subsidiären Auffangnorm. Bedeutung kommt der Bestimmung auf dem Gebiet der direkten Steuern zu. Der Begriff der „Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ ist dabei in weitem Sinn zu verstehen; er erfasst sohin sämtliche generell-abstrakte Regeln, die in Ausübung von Hoheitsgewalt erlassen wurden. Auch die Tätigkeit privatrechtlicher Gesellschaften, „die sich wie eine staatliche Regelung auf den innergemeinschaftlichen Handel auswirken kann“ (EuGH, Rs. C-325/00 Kommission/Deutschland, Slg. 2002, I-9977, Rn. 14 ff.), kann dem Staat in diesem Sinne zuzurechnen sein.
Die Zielsetzung der Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften besteht darin, jene Hindernisse zu beseitigen, die sich aus den Unterschieden der Rechtsordnungen der MS ergeben (vgl. EuGH, Rs. 193/80 Kommission/ Italien, Slg. 1981, 3019, Rn. 17). Dabei müssen nicht in sämtlichen MS entsprechende Vorschriften bestehen, vielmehr ist es hinreichend, wenn Vorschriften in einzelnen MS entsprechende Disparitäten nach sich ziehen. Rechtsangleichungsmaßnahmen können überdies auch ergriffen werden werden, wenn Vorschriften in den einzelnen MS fehlen („präventive Rechtsangleichung“), jedoch Hindernisse aus einer künftigen divergenten Rechtsentwicklung resultieren können. Das Entstehen solcher Hindernisse muss jedoch wahrscheinlich sein und die fragliche Maßnahme ihre Vermeidung bezwecken. (vgl. EuGH, Rs. C-350/92 Spanien/Rat, Slg. 1996, I-1985, Rn. 35 sowie EuGH, Rs. C-376/ 98 Deutschland/EP und Rat, Slg. 2000, I-8419, Rn. 86). Die unmittelbare Auswirkung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der MS auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes ist dann gegeben, wenn diese Vorschriften einen negativen Effekt zeitigen. Der ĺEuGH lässt dabei grundsätzlich bereits die Eignung, „Verzerrungen hervorzurufen oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zu beeinträchtigen“ (EuGH, Rs. 33/76 Rewe, Slg. 1976, 1989, Rn. 5), genügen, stellt in seiner Rsp. zuweilen jedoch auch auf die Spürbarkeit einer allfälligen Wettbewerbsverzerrung ab (EuGH, Rs. 91/79 Kommission/Italien, Slg. 1980, 1099, Rn. 8; EuGH, Rs. 92/79 Kommission/Italien, Slg. 1980, 1115, Rn. 8). Um den jeweiligen Einzelkonstellationen gerecht werden zu können, ist den Gemeinschaftsorganen bei dieser Einschätzung ein entsprechender Entscheidungsspielraum zuzugestehen. Bereits aus Art. 3 Abs. 1 lit. h EG ergibt sich, dass Rechtsangleichungsmaßnahmen für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich sein müssen. Gleich der Rechtsangleichungskompetenz gem. Art. 95 EG (ĺRechtsangleichung, Binnenmarkt) handelt es sich bei jener gem. Art. 94 EG um eine ĺkonkurrierende Kompetenz; somit ist das ĺSubsidiaritätsprinzip zu beachten. Für Rechtsangleichungsmaßnahmen auf Basis von Art. 94 EG steht ausschließlich die ĺRL als Handlungsform zur Verfügung. Entsprechende Maßnahmen müssen vom ĺRat auf Vorschlag der ĺKOM einstimmig beschlossen werden. 745
Rechtsangleichung, Methoden Dem ĺEP und dem ĺWSA kommen Anhörungsrechte zu. (cb) §§: Art. 94 EG Lit.: S. Leible, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 94 EGV, Rn. 7 ff.; H. G. Fischer, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 94 EGV, Rn. 2 ff.; M. Seidel, Präventive Rechtsangleichung im Bereich des Gemeinsamen Marktes, EuR 2006, 26 ff.; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 94 EGV, Rn. 3 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 33/76 Rewe, Slg. 1976, 1989; EuGH, Rs. 91/79 Kommission/Italien, Slg. 1980, 1099; EuGH, Rs. 92/79 Kommission/Italien, Slg. 1980, 1115; EuGH, Rs. 193/80 Kommission/Italien, Slg. 1981, 3019; EuGH, Rs. C-350/92 Spanien/Rat, Slg. 1996, I-1985; EuGH, Rs. C-376/98 Deutschland/EP und Rat, Slg. 2000, I-8419
Rechtsangleichung, Methoden harmonisation techniques – méthodes du rapprochement des législations
Je nach Intensität der Harmonisierung lassen sich verschiedene Methoden der Rechtsangleichung unterscheiden: Dabei zeitigt die vollständige Rechtsangleichung („Totalangleichung“), die abschließende Regelungen trifft, die weitreichendsten Wirkungen. In Fällen vollständiger Rechtsangleichung bleibt den MS grundsätzlich (ĺnationaler Alleingang) keine Möglichkeit, abweichende Bestimmungen vorzusehen („Sperrwirkung“). Ob eine ĺRichtlinie eine abschließende Regelung des jeweiligen Bereichs beabsichtigt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln (vgl. etwa EuGH, Rs. C-101/01 Lindqvist, Slg. 2003, I-12971, Rn. 95 f.). Jene Rechtsangleichungsformen, die (wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung) mitgliedstaatliche Abweichungen von der Rechtsangleichungsmaßnahme zulassen, werden als „Teilangleichung“ bezeichnet. Mit der Lit. lassen sich dabei Mindestharmonisierung, optionelle und fakultative Harmonisierung unterscheiden. Die Mindestharmonisierung gibt den MS lediglich Mindeststandards vor, stellt es ihnen jedoch frei, strengere Anforderungen festzuschreiben (vgl. etwa EuGH, Rs. C-44/01 Hartlauer, Slg. 2003, I-3095, Rn. 40). Um dessen unbeschadet die Einfuhr von Produkten aus anderen MS zu ermöglichen, die den gemeinschaftsrechtlichen Mindeststandards entsprechen, sehen Mindestharmonisierungsmaßnahmen z.T. ĺFreiverkehrsklauseln vor. Optionelle Rechtsangleichungsmaßnahmen gestatten es den MS in Bezug auf Produkte, die in ihrem Hoheitsgebiet erzeugt werden, andere Vorschriften einzuführen oder aufrechtzuerhalten, solange sie die Einfuhr von Produkten zulassen, 746
die den gemeinschaftsrechtlichen Standards genügen (vgl. EuGH, Rs. 211/81 Kommission/Dänemark, Slg. 1982, 4547, Rn. 30 f.). Eine allfällige, durch Mindestharmonisierungsmaßnahmen oder optionelle Rechtsangleichung bedingte Schlechterstellung inländischer Erzeugnisse ist nach der Rsp. des ĺEuGH gemeinschaftsrechtlich unbedenklich (EuGH, Rs. C-11/92 Gallagher, Slg. 1993, I-3545, Rn. 22). Die fakultative Harmonisierung gestattet den Marktteilnehmern ihre Tätigkeit wahlweise am gemeinschaftsrechtlichen Standard oder jenem des Importlandes zu orientieren. Die genannten Harmonisierungsmethoden stehen dabei nicht isoliert nebeneinander; vielmehr ist keineswegs ausgeschlossen, dass eine Harmonisierungsmaßnahme für bestimmte Bereiche abschließende Regelungen trifft, in anderen Punkten jedoch bloß eine Teil- oder Mindestharmonisierung bestimmt (vgl. bereits EuGH, Rs. C-11/92 Gallagher, Slg. 1993, I-3545, Rn. 14). (cb) §§: Art. 94 EG ff. Lit.: S. Leible, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 95 EGV, Rn. 38 ff.; C. Barnard, The substantive law of the EU, 2004, 506 ff.; H. G. Fischer, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 4. Aufl. 2006, Vorbem. Art. 94-97, Rn. 15 ff.; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 94, Rn. 5 Rsp.: EuGH, Rs. 211/81 Kommission/Dänemark, Slg. 1982, 4547; EuGH, Rs. C-11/92 Gallagher, Slg. 1993, I-3545; EuGH, Rs. C-44/01 Hartlauer, Slg. 2003, I-3095; EuGH, Rs. C-101/01 Lindqvist, Slg. 2003, I-12971
Rechtsanwendungsbefehl application ordinance – ordre d’application (règle de conflit)
Norm des nationalen Rechts, die die innerstaatliche ĺGeltung und ĺAnwendbarkeit einer Norm des internationalen Rechts anordnet. Wird in Deutschland für die allgemeinen Regeln des Völkerrechts durch Art. 25 GG, für völkerrechtliche Verträge hingegen durch das jeweilige ĺZustimmungsgesetz gem. Art. 59 Abs. 2 GG bewirkt, das ggf. zugleich den für die Übertragung von ĺHoheitsrechten geltenden Gesetzesvorbehalt gem. Art. 23 Abs. 1 und 24 Abs. 1 GG erfüllt. Der für das Gemeinschaftsrecht maßgebliche Rechtsanwendungsbefehl ist daher in den Zustimmungsgesetzen zu den Gründungs- und Änderungsverträgen erteilt worden. Er bewirkt auch die unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit des europäischen ĺSekundärrechts. Während mit Blick auf Normen des allgemeinen Völkerrechts umstritten
Rechtsetzungskompetenz (Verkehrspolitik) ist, ob sie durch Transformation, Adoption oder Vollzugsbefehl der deutschen Rechtsordnung eingegliedert werden, dürfte für das Gemeinschaftsrecht nur die Vollzugstheorie in Betracht kommen. (sgk) Rechtsetzungsbefugnisse, abgeleitete ĺDurchführungsrechtsetzung Rechtsetzungsbefugnisse, delegierte ĺDurchführungsrechtsetzung Rechtsetzungsbefugnisse, originäre ĺoriginäre Rechtsetzungsbefugnisse
weltpolitk auf. Bei dieser Bestimmung handelt es sich nicht um eine eigenständige Kompetenzgrundlage, eine solche wird aber vorausgesetzt. ƒ Abs. 5 schließlich ermächtigt den Rat zum Erlass vorübergehender Ausnahmeregelungen und/oder zur Gewährung finanzieller Unterstützung aus dem ĺKohäsionsfonds (Art. 161 Abs. 1 EG) zugunsten eines MS zum Ausgleich finanzieller Härten, die sich für einzelne MS aus der Festlegung von Umweltmaßnahmen mit qualifizierter Mehrheit ergeben können. (sm) Lit.: W. Kahl, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 175 EGV; J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 51 ff.
Rechtsetzungsbefugnisse, übertragene ĺDurchführungsrechtsetzung
Rechtsetzungskompetenz (Verkehrspolitik)
Rechtsetzungskompetenz (Umweltpolitik)
legislative competence (transport policy) – compétence normative (politique des transports)
legislative competence, environmental policy – compétence normative, politique de l’environnement
Während Art. 174 Abs. 1 EG die Ziele der Umweltpolitik (ĺUmweltpolitik, Ziele der) festschreibt, finden sich die entsprechenden Kompetenzgrundslagen in Art. 175 EG. Zu den einzelnen Absätzen ist im Wesentlichen Folgendes festzuhalten: ƒ Abs. 1: „Tätigwerden“ ist als ein umfassender Handlungsbegriff zu verstehen und ermächtigt zum Erlass aller ĺRechtsakte, zur Setzung aller übrigen Rechtshandlungen und aller Maßnahmen ohne Rechtscharakter (Beschlüsse, Warnungen, Mitteilungen). Anwendung findet das ĺKodezisionsverfahren (Art. 251 EG), womit eine starke Stellung des ĺEP einher geht. ƒ Abs. 2 betrifft Bereiche, die besonders sensible Interessen der ĺMS tangieren. Daher ist ein abweichendes ĺRechtsetzungsverfahren und Einstimmigkeit bei der Beschlussfassung vorgeschrieben. UAbs. 2 eröffent die Möglichkeit, dass der ĺRat durch einstimmigen Beschluss die Beschlussfassung durch Mehrheitsentscheidung ausreichen lassen kann. Dadurch ergäben sich aber keine stärkeren Beteiligungsrechte des Europäischen Parlaments. Als Ausnahmevorschrift ist die Bestimmung eng auszulegen. ƒ Abs. 3 sieht gleichfalls ein besonderes Verfahren zur Verabschiedung allgemeiner ĺUmweltprogramme vor und bildet eine eigenständige Kompetenzgrundlage. ƒ Abs. 4 stellt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zur Finanzierung und Durchführung der Um-
Grundsätzlich hat eine Unterscheidung zwischen der für spezifische Bereiche eingeräumten Ermächtigung des Art. 75 Abs. 3 EG und den eher allgemeinen Kompetenzgrundlagen der Art. 71, 80 Abs. 2 EG zu erfolgen. Art. 75 Abs. 3 EG stellt eine spezielle Rechtsgrundlage für den Erlass von Vorschriften zur Beseitigung von Tarifdiskriminierungen (Art. 75 Abs. 1 EG) dar. Aufgrund des Zusammenhangs mit der ĺWarenverkehrsfreiheit ist nur ein eng begrenzter Anwendungsbereich gegeben: erfasst sind ausschließlich Ungleichbehandlungen in Anknüpfung an Warenherkunft auf dem Gebiet von Fracht- und Beförderungsbedingungen im Binnenverkehr. In Differenzierung nach den unterschiedlichen ĺVerkehrsträgern können nach Art. 70, 80 Abs. 2 EG die zur Durchführung einer gemeinsamen ĺVerkehrspolitik erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden. In materieller Hinsicht dürfte die Ausgestaltung der Reichweite der Bestimmungen parallel sein, so dass es in der Praxis zu keiner Auswirkung der Differenzierung der Maßnahmen nach den unterschiedlichen Verkehrsträgern kommt. Art. 80 Abs. 2 Satz 2 EG verweist auf die Verfahrensvorschriften des Art. 71 EG, so dass die materiellen Maßnahmen nach den in Art. 71 EG vorgesehenen Verfahren zu erlassen sind. Art. 80 Abs. 2 Satz 1 EG dürfte daher in erster Linie für eine „Grundsatzentscheidung“ relevant sein. Art. 71 EG verweist auf das Verfahren nach Art. 251 EG (Mitentscheidungsverfahren); Art. 71 Abs. 2 EG sieht davon abwei747
Rechtsetzungsverfahren chend einstimmige Beschlussfassung vor, was durch besondere Interessen im Bereich der Verkehrspolitik zu rechtfertigen ist. Art. 71 Abs. 1 lit. a-c enthalten Spezialermächtigungen; in lit. d ist eine Generalklausel für alle sonstigen zweckdienlichen Vorschriften vorgesehen. Art. 71 Abs. 2 EG ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Erforderlich ist das Vorliegen zweier kumulativer Voraussetzungen: die gemeinschaftliche Regelung muss „Grundsätze der Verkehrsordnung“ betreffen (was davon abhängen dürfte, ob sie wesentliche Auswirkungen auf die Art und Weise der Ausgestaltung der „Verkehrsversorgung“ oder der Durchführung des Verkehrs entfaltet). Die Anwendung dieser Grundsätze muss dazu führen können, dass die Lebenserhaltung und die Beschäftigungsgrundlage in bestimmten Gebieten oder der Betrieb der Verkehrseinrichtungen ernstlich beeinträchtigt werden. Für den Bereich der ĺtranseuropäischen Netze ist Art. 156 EG einschlägige Rechtsgrundlage, dessen materielle Reichweite sich aus den Art. 155 Abs. 1 und Art. 154 EG ergibt. Anzuwendendes Verfahren ist jenes der Mitentscheidung (Art. 251 EG). Art. 155 Abs. 1 EG differenziert nach Leitlinien, Aktionen und Maßnahmen von gemeinsamen Interesse. In systematischer Hinsicht sind zunächst Leitlinien aufzustellen und auf deren Grundlage Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen. Weitere Kompetenzgrundlagen mit verkehrspolitischem Bezug ergeben sich aus Art. 138, 175 EG; ferner grundsätzlich auch aus den Art. 95 und 308 EG. Es existiert kein Über- bzw. Unterordnungsverhältnis zwischen den für die Verkehrspolitik in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen. Eine Ausnahme bildet (nur) Art. 156 EG, der lex specialis gebenüber Art. 71 EG ist. Die Bestimmung der Abgrenzungskriterien ist zur Vermeidung von ĺDoppelabstützungen notwendig (s. inhaltlich dort). Im Verkehrssektor kann zusammenfassend folgende Einteilung vorgenommen werden: ƒ Art. 95 Abs. 1 EG: produktbezogene Maßnahmen ƒ Art. 156 EG: Infrastrukturmaßnahmen im Bereich transeuropäische Netze ƒ Art. 71 bzw. 80 Abs. 2 EG: sonstige Maßnahmen im verkehrspolitischen Bereich (sm) Rsp.: EuGH, Rs. C-45/86 Kommission/Rat, Slg. 1987, 1493, Rn. 11; EuGH, verb. Rs. C-164/97 und C-165/97 Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1999, I-01139 ff.;
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EuGH, Rs. C-377/98 Niederlande/Europäisches Parlament, Slg. 2001, I-7079
Rechtsetzungsverfahren law-making process – procédure de décision
Beim Rechtsetzungsverfahren der EU ist generell zu unterscheiden in welche der drei Säulen der EU der zu erlassende ĺRechtsakt fällt. Im ĺRechtsetzungsverfahren des Gemeinschaftsrechts (also in der ĺersten Säule) finden die jeweiligen Bestimmungen des EGV Anwendung. In der Regel beginnt das Rechtsetzungsverfahren mit einem Vorschlag der ĺKommission und der betreffende Rechtsakt wird vom ĺRat erlassen. Unterschiedlich je nach Rechtsetzungsverfahren ist die Beteiligung des ĺEuropäischen Parlaments, die vor einem reinen Anhörungsrecht (ĺAnhörungsverfahren) bis hin zur Zustimmung (ĺZustimmungsverfahren) reicht. Für weitere dahingehende Ausführungen wird auf das ĺRechtsetzungsverfahren der Gemeinschaft verwiesen. Bezüglich der ĺRechtsetzung der zweiten Säule (ĺgemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) sind die Bestimmungen des EUV heranzuziehen. In diesem Bereich können nach Art. 12 EU ĺgemeinsame Strategien, ĺgemeinsame Aktionen sowie ĺgemeinsame Standpunkte erlassen, welche somit als Rechtsakte der zweiten Säule bezeichnet werden können und entweder vom ĺEuropäischen Rat oder vom ĺRat der Europäischen Union erlassen werden. Im ĺRechtsetzungsverfahren der dritten Säule ergreift der Rat Maßnahmen und fördert in der geeigneten Form und nach dem geeigneten Verfahren eine Zusammenarbeit die den Zielen der Union dient. Nach Initiative eines Mitgliedstaates oder der Kommission kann der Rat nach Art. 34 Abs. 2 EU einstimmig ĺgemeinsamen Standpunkte, ĺRahmenbeschlüsse oder sonstige ĺBeschlüsse annehmen, sowie ĺÜbereinkommen erstellen, die den Mitgliedstaaten zur innerstaatlichen Ratifizierung empfohlen werden. Ebenso ist der Rat befugt ĺDurchführungsmaßnahmen zu ĺBeschlüssen oder ĺÜbereinkommen anzunehmen. Rechtsakte der zweiten und der dritten Säule sind jedoch grundlegend von jenen des Gemeinschaftsrechts und somit der ersten Säule zu unterscheiden, da ihnen keine unmittelbare Wirkung zukommt, auch wenn sie für ĺMitgliedstaaten verbindlich sind, weshalb eine innerstaatliche Ratifizierung in den Mitgliedstaaten nach den jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften erforderlich ist. (gh)
Rechtsetzungsverfahren des Gemeinschaftsrechts Rechtsetzungsverfahren der dritten Säule law-making process of the third pillar – procédure de décision au sein du troisième pilier
Nach Art. 34 EU besteht in Angelegenheiten der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen eine Konsultations- sowie eine Kooperationspflicht der ĺMitgliedstaaten. In diesen Bereichen ergreift der Rat Maßnahmen und fördert in der geeigneten Form und nach dem geeigneten Verfahren eine Zusammenarbeit die den Zielen der Union dient. Nach Initiative eines Mitgliedstaates oder der ĺKommission kann der Rat nach Art. 34 Abs. 2 EU einstimmig ĺgemeinsame Standpunkte, ĺRahmenbeschlüsse oder sonstige ĺBeschlüsse annehmen, sowie ĺÜbereinkommen erstellen, die den Mitgliedstaaten zur innerstaatlichen ĺRatifizierung empfohlen werden. Ebenso ist der Rat befugt ĺDurchführungsmaßnahmen zu Beschlüssen oder Übereinkommen anzunehmen. ĺRechtsakte der dritten Säule sind jedoch grundlegend von jenen des Gemeinschaftsrechts und somit der ersten Säule zu unterscheiden, da ihnen keine ĺunmittelbare Wirkung zukommt, auch wenn sie für Mitgliedstaaten verbindlich sind. Somit ist ähnlich wie beim ĺRechtsetzungsverfahren der zweiten Säule eine innerstaatliche Ratifizierung in den Mitgliedstaaten nach den jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften erforderlich. (gh) Rechtsetzungsverfahren der Kommission law-making process of the Commission – procédure de décision de la Commission
Neben dem generellen Vorschlagsrecht (ĺInitiativmonopol) der ĺKommission im ĺAnhörungsverfahren, ĺKooperationsverfahren, ĺKodezisionsverfahren und ĺZustimmungsverfahren, genießt sie in ausgewählten Bereichen auch ĺoriginäre Rechtsetzungsbefugnisse. So kann sie im Bereich der Wettbewerbsregeln „geeignete Richtlinien und Entscheidungen an die Mitgliedstaaten“ erlassen (Art. 86 Abs. 3 EG). Da i.d.R. das ĺRechtsetzungsverfahren der Gemeinschaft durch einen Vorschlag der Kommission eingeleitet wird (Art. 250 Abs. 1 EG), kommt dieser als „Motor der Integration“ große Bedeutung zu. Im Zuge des Vorschlages legt die Kommission auch die Rechtsgrundlage fest, was für die Wahl des jeweiligen Rechtsetzungsverfahrens entscheidend ist. Nach Art. 211 3. GS EG übt die Kommission Befugnisse aus, die ihr der Rat zur Durchfüh-
rung der von ihm erlassenen Vorschriften überträgt (ĺDurchführungsrechtsetzung, ĺabgeleitete Rechtsetzung, ĺGrundsatz der Regeldelegation). Die Ausübung dieser Befugnisse wurde vom Rat nach Art. 202 3. GS EG an „bestimmte Modalitäten“ geknüpft, die im ĺKomitologie oder Modalitäten-Beschluss näher geregelt sind. (gh) Rechtsetzungsverfahren der zweiten Säule law-making process of the second pillar – procédure de décision au sein du deuxième pilier
Nach Art. 12 EU werden die Ziele der ĺgemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik durch ĺGemeinsame Strategien, ĺGemeinsame Aktionen sowie ĺGemeinsame Standpunkte verfolgt, welche somit als ĺRechtsakte der zweiten Säule bezeichnet werden können. Darüber hinaus werden vom ĺEuropäischen Rat nach Art. 13 Abs. 1 EU auch Grundsätze und allgemeine Leitlinien bestimmt, für die jedoch keine nähere Ausgestaltung im EUV zu finden ist. Dies hat somit zur Folge, dass sie nicht als solche bezeichnet werden müssen, und in der Praxis in die Schlussfolgerung des Vorsitzes des Europäischen Rates aufgenommen werden. Anhand dieser Leitlinien werden in weitere Folge vom Rat die erforderlichen Entscheidungen getroffen. Rechtsakte der zweiten Säule sind jedoch grundlegend von jenen des ĺGemeinschaftsrechts und somit der ersten Säule zu unterscheiden, da ihnen keine ĺunmittelbare Wirkung zukommt, auch wenn sie für Mitgliedstaaten bindend sind. So wird von Art. 23 f Abs. 1 letzter Satz B-VG ausdrücklich festgeschrieben, dass „Beschlüsse des Europäischen Rates zu einer gemeinsamen Verteidigung der Europäischen Union sowie zu einer Integration der Westeuropäischen Union in die Europäische Union der Beschlussfassung des Nationalrates und des Bundesrates in sinngemäßer Anwendung des Art. 44 Abs. 1 und 2 (bedürfen)“. So bedürfen verfassungsändernde Rechtsakte der zweiten Säule der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und der Zwei-Drittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen. (gh) Rechtsetzungsverfahren des Gemeinschaftsrechts law-making process of community law – procédure de décision de droit communautaire
Da die Mitgliedstaaten durch ihren Beitritt nur gewisse ĺKompetenzen an die EU abgegeben 749
Rechtsetzungsverfahren des Rates haben, kann diese auch nur in den ihr übertragenen Zuständigkeiten ĺRechtsakte erlassen (ĺPrinzip der begrenzten Ermächtigung, ĺEinzelermächtigung). Außerdem ist für die Rechtsetzung der Gemeinschaft der ĺGrundsatz der Subsidiarität sowie der ĺGrundsatz der Verhältnismäßigmäßigkeit heranzuziehen. Je nach der zu regelnden Rechtsgrundlage ist gem. Art. 249 EG das ĺEuropäische Parlament (ĺRechtsetzungsverfahren des Parlaments) und der ĺRat (ĺRechtsetzungsverfahren des Rates) gemeinsam, oder der Rat und die ĺKommission (ĺRechtsetzungsverfahren der Kommission) alleine zur Erlassung der Rechtsakte ermächtigt. Da i.d.R. das Rechtsetzungsverfahren der Gemeinschaft durch einen Vorschlag der Kommission eingeleitet wird (Art. 250 Abs. 1 EG), indem die Kommission die Rechtsgrundlage festlegt, was für die Wahl des jeweiligen Rechtsetzungsverfahrens entscheidend ist. Aufgrund der von der Kommission festgelegten Rechtsgrundlage werden zur Erlassung des Rechtaktes unterschiedliche Verfahren durchgeführt, die besonders für die Rolle des Europäischen Parlaments entscheidend sind. Diese Verfahren sind: ƒ ĺAnhörungsverfahren, ƒ ĺKodezisionsverfahren ƒ ĺKooperationsverfahren ƒ ĺZustimmungsverfahren. (gh) §§: Art. 149 ff. Lit.: R. Bieber, Europäische Gesetzgebung nach dem Vertrag von Maastricht, ZG 9 (1994) 297; M. Gellermann, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, vor Art. 250 EGV, Rn. 1 ff.
Rechtsetzungsverfahren des Rates law-making process of the Council – procédure de décision du Conseil
Dem ĺRat der Europäischen Union kommt in erster Linie die Stellung als „Hauptrechtsetzungsorgan“ des sekundären Gemeinschaftsrechts zu, der je nach zu regelnder Materie nach Art. 249 EG entweder alleine oder gemeinsam mit dem Europäischen Parlament ĺRechtsakte erlässt. So verlangt zwar das ĺAnhörungsverfahren, dem ĺEuropäischen Parlament die Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen, jedoch ist der Rat nicht an diese Stellungnahme gebunden und entscheidet mit der für die ĺBeschlussfassung erforderlichen Mehrheit. Ähnlich ist der Rat im ĺKooperationsverfahren nach Art. 252 EG ermächtigt einen Rechtsakt trotz Ablehnung des Europäischen Parlaments 750
zu beschließen. In diesem speziellen Fall ist jedoch eine einstimmige Beschlussfassung erforderlich. Das am häufigsten angewendete ĺKodezisionsverfahren nach Art. 251 EG verlangt hingegen eine übereinstimmende Beschlussfassung des Rates und des Europäischen Parlaments; in seltenen Fällen kann auch ein Rechtsakt nur mit Zustimmung des Europäischen Parlaments erlassen werden (ĺZustimmungsverfahren). Im Rahmen der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik kommt dem Rat ebenso Bedeutung zu, indem er für ein einheitliches, kohärentes und wirksames Vorgehen der Union Sorge zu tragen hat (Art. 12 Abs. 3 UAbs. 3 EU). In diesem Zusammenhang werden vom Rat entweder zur Durchführung vom Europäischen Rat erlassener ĺGemeinsamer Strategien, oder auch selbstständig ĺGemeinsame Aktionen und ĺGemeinsame Standpunkte angenommen. (gh) Rechtshängigkeit lis pendens – litispendance
Der Begriff der Rechtshängigkeit (Streitanhängigkeit) wird durch die Befassung eines Gerichts mit einer bestimmten Rechtsstreitigkeit definiert. Die Rechtshängigkeit stellt ein Prozesshindernis dar, dass einer über die Zurückweisung durch eine prozessuale Entscheidung hinausgehende Befassung eines zweiten Gerichts mit derselben Sache, d.h. insbesondere einer Sachentscheidung, durch dieses entgegensteht. Die Rechtshängigkeit verhindert damit sowohl unökonomische Parallelverfahren als auch den Erlass widersprechender Entscheidungen. Die Situation, dass zwei Gerichte mit derselben Streitsache befasst sind, kann aber nicht nur im nationalen Kontext, sondern insb. auch bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten auftreten, zumal die Parteien hier häufig gegenläufige Interessen verfolgen, für die jeweils unterschiedliche Foren die besten Voraussetzungen bieten können und einen entsprechenden Anreiz bilden durch die Klageerhebung auch das zuständige Gericht zu bestimmen (ĺforum shopping). Die Wahrscheinlichkeit, dass in verschiedenen MS erlassene Entscheidungen sich inhaltlich widersprechen ist auf Grund der Unterschiede im ĺIPR und im Verfahrensrecht evident erheblich größer als bei nationalen Parallelverfahren. Bereits das ĺEuGVÜ/ĺLGVÜ sah daher eine Rechtshängigkeitsregel vor, die einen zweiten Prozess sperrt. Es gilt ein stren-
Rechtshilfe in Strafsachen ges Prioritätsprinzip: Das später angerufene Gericht hat das Verfahren auszusetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht und im Falle der positiven Zuständigkeitsentscheidung durch dieses das Verfahren abzuweisen. Die praktische Bedeutung dieser Bestimmung war erheblich, die Frage wann dieselbe Streitigkeit vorliegt und zu welchem Zeitpunkt die Rechtshängigkeit eintritt entsprechend heftig umstritten. Die Antwort auf die erste Frage wurde durch den EuGH im Wege der autonomen Interpretation gefunden und wird häufig als Kernpunkttheorie bezeichnet. Danach liegt derselbe Streitgegenstand vor, wenn die geltend gemachten Ansprüche im Kern auf demselben Klagegrund beruhen. Entsprechend haben bspw. auch Leistungsklage und negative Feststellungsklage denselben Streitgegenstand. Die zweite Streitfrage nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit wurde erst im Zuge der Revision des EuGVÜ zur ĺEuGVVO gelöst. Nach der Neuregelung tritt Rechtshängigkeit entweder mit Klageeinreichung bei Gericht oder Zustellung der Klageschrift an die beklagte Partei ein. Welcher der beiden Schritte maßgeblich ist, richtet sich danach, welcher nach dem anwendbaren nationalen Prozessrecht zuerst erfolgt. Eine vergleichbare Rechtshängigkeitsregel findet sich heute auch in Art. 16 EheGVVO. Den zahlreichen Versuchen von Lehre und Rsp. die strenge Rechtshängigkeitsregel wegen einer negativen Anerkennungsprognose oder überlanger Verfahrensdauer zu durchbrechen, ist der EuGH stets entgegengetreten, weil eine solche Ausnahme den Grundsatz der Gleichwertigkeit der Justiz in allen MS in Frage stellen würde. (mrm) Rechtsharmonisierung ĺHarmonisierung Rechtshilfe, Zivilsachen judicial assistance, civil and commercial matters – assistance judiciaire, matières civile et commerciale
Nach traditioneller Auffassung ist die Tätigkeit der Gerichte unabhängig von der konkret durchgeführten Maßnahme eine hoheitliche Tätigkeit und darum auf das Territorium des eigenen Staates begrenzt. Um bei Rechtsstreitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug ein Verfahren effektiv durchführen zu können, bedarf es daher der Rechtshilfe. Unter Rechtshilfe versteht man die Tätigkeit eines Gerichts oder ei-
ner Behörde, die zur Förderung eines inländischen Verfahrens im Ausland oder zur Förderung eines ausländischen Verfahrens im Inland geleistet wird. Die wichtigsten Bereiche der Rechtshilfe betreffen die Zustellung von Schriftstücken, die Beweisaufnahme im Ausland, die Vollstreckung von Entscheidungen im Ausland, Ersuchen um Verfahrenshilfe bspw. durch Auskünfte oder Aktenübersendung, schließlich das Ersuchen um Rechtsauskunft über die ausländische Rechtsordnung. Für Teilbereiche besteht bereits Gemeinschaftsrecht, allerdings wird auch durch das ĺEuropäische Zivilprozessrecht nicht der gesamte Bereich der Rechtshilfe abgedeckt, insb. ist auf Grund der Regeln des ĺIPR in grenzüberschreitenden Fällen häufig das materielle Recht eines anderen MS anzuwenden, ohne dass es hierfür auf Gemeinschaftsebene eine Regelung über die Ermittlung von bzw. die Gewährung von Rechtsauskunft über das Recht anderer MS gibt. Auch zwischen MS ist daher weiterhin auf das Londoner Europäische Übereinkommen betreffend Auskünfte über ausländisches Recht 1968 und für den Bereich des nicht harmonisierten Internationalen Verfahrensrechts auf die diversen Haager Übereinkommen zurückzugreifen sowie subsidiär nationales Prozessrecht anzuwenden. Für die Kontaktaufnahme mit Gerichten und Behörden in anderen MS kann aber die Infrastruktur des ĺJustiziellen Netzes in Zivilsachen auch dann genutzt werden, wenn das Rechtshilfeersuchen sich nicht auf Gemeinschaftsrecht stützt. (mrm) Lit.: K. Siehr, Grundfragen der internationalen Rechtshilfe in Zivilsachen, RIW 2007, 321-330 Web: http://ec.europa.eu/civiljustice/index_de.htm; www.hcch.net
Rechtshilfe in Strafsachen cooperation in Criminal Matters – entraide judiciaire en matière pénale
Die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den ĺMitgliedstaaten der ĺEU basiert in weiten Teilen auf Übereinkommen des ĺEuroparates. Einschlägig sind dabei insbesondere für die sog. sonstige Rechtshilfe das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.4.1959 samt Zusatzprotokollen und das Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten vom 8.11.1990 sowie für die Vollstreckungshilfe das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21.3.1983. 751
Rechtsmittelrichtlinien Für Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander vorrangige oder anderweitige Regelungen bilden insbesondere die zur Verwirklichung des Grundsatzes der gegenseitiges Anerkennung (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der) ergangenen Rechtsakte (ĺEuropäischer Haftbefehl; ĺEinziehungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von; ĺSicherstellungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Vermögensgegenstände betreffenden). Die Europaratsübereinkommen ergänzende Regelungen finden sich im ĺSchengener Durchführungsübereinkommen. Mangels hinreichender Ratifikation findet das EU-Übereinkommen vom 29.5.2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union samt Zusatzprotokoll vom 16.10.2001 nur teilweise bilaterale Anwendung. Zur Zulässigkeit von Rechtshilfemaßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten vgl. auch ĺATLAS. (sts) §§: Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, SEV-Nr. 30; Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen, SEV-Nr. 112; Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten, SEV-Nr.: 141; Übereinkommen gem. Art. 34 des Vertrags über die Europäische Union – vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 2000, Nr. C 197/3 Lit.: W. Schomburg/O. Lagodny/S. Gleß/T. Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. 2006 Web: http://www.coe.int/
Rechtsmittelrichtlinien directives on remedies – directives recours
RL 89/665/EWG des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge sowie RL 92/13/EWG des Rates vom 25.2.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (beide zuletzt geändert durch RL 2007/66/EG). Die beiden Rechtsmittelrichtlinien beinhalten Mindestvorgaben betreffend die Ausgestaltung des Rechtsschutzes, der – in einem ĺVergabeverfahren unterlegenen – ĺBietern durch die 752
Mitgliedstaaten einzuräumen ist. Entscheidungen von öffentlichen ĺAuftraggebern (bzw. von ĺSektorenauftraggebern) müssen wirksam und möglichst rasch auf Verstöße gegen das ĺVergaberecht nachgeprüft und im Falle ihrer Rechtswidrigkeit aufgehoben werden können. Antragsberechtigt sind alle ĺWirtschaftsteilnehmer, die an einem bestimmten öffentlichen ĺAuftrag Interesse haben und denen durch den behaupteten Rechtsverstoß bereits ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Weiters muss die Möglichkeit der Erlassung einstweiliger Verfügungen vorgesehen werden, um weitere Schädigungen zu verhindern. (cm) §§: RechtsmittelRL Lit.: S. Arrosmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 1394; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 308 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Rechtsmittelverfahren, allgemein appeal procedure – procédure de recours
Seit der Einrichtung des ĺEuG erfüllt der ĺEuGH auch die Rolle eines Rechtsmittelgerichts. Im Zuge dieses Verfahrens können die Entscheidungen des erstinstanzlichen Gerichts mit einem auf Rechtsfragen beschränkten Rechtsmittel überprüft werden. Im Unterschied zu zahlreichen nationalen Rechtsordnungen kennt das Gemeinschaftsrecht nur ein einziges Rechtsmittel. Die Einbringung eines Rechtsmittels hemmt zwar den Eintritt der Rechtskraft des Urteils des EuG, hat allerdings keine aufschiebende Wirkung (s. dazu das ĺVerfahren des einstweiligen Rechtsschutzes). Die Erfolgsquote der eingebrachten Rechtsmittel liegt bei etwa 15 %. Das Rechtsmittelverfahren nach Art. 225 EG entspricht der Regelung des Art. 140a EAG. (lb) §§: Art. 225 Abs. 1 EG; Art. 56-61 EuGH-Satzung; Art. 110-123 VerfO-EuGH; Art. 117-121 VerfO-EuGH; Art. 140a EAG Lit.: C. Jung, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 235 EGV, Rn. 1 f.; Art. 225 EGV, Rn. 128 ff.; W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 102 ff.
Rechtsmittelverfahren, Urteil und Wirkung appeal procedure, judgement and its impact – procédure de recours, jugement et effet
Die Beendigung des Rechtsmittelverfahrens erfolgt durch Urteil oder Beschluss. Der ĺEuGH kann das erstinstanzliche Urteil aufheben und
Rechtspersönlichkeit entweder selbst entscheiden oder an das EuG zurückverweisen. Das Rechtsmittel kann allerdings auch durch Urteil oder Beschluss zurückgewiesen werden. Außer für den Fall der Zurückverweisung an die Unterinstanz enthält die Entscheidung des EuGH einen Ausspruch über die Kosten: Die unterlegene Partei ist zur Kostentragung verpflichtet; Gerichtskosten werden nicht eingehoben. Die Entscheidung entfaltet ihre Wirkung grundsätzlich inter partes und ex tunc. (lb)
ƒ
Entscheidungen über Unzuständigkeits- oder Unzulässigkeitseinreden. Keinen Verfahrensgegenstand des Rechtsmittelverfahrens bieten hingegen Kostenentscheidungen bzw. Kostenfestsetzungsentscheidungen (EuGH, Rs. C-253/94P Roujansky/Rat, Slg. 1995, I-7, Rn. 12 f.; EuGH, Rs. C-396/93P Henrichs/ Kommission, Slg. 1995, I-2611, Rn. 64 f.). (lb) Lit.: C. Jung, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 235 EG, Rn. 1 f.; Art. 225 EG, Rn. 132 ff.
Rechtsmittelverfahren, Verfahrensablauf
Rechtsmittelverfahren, Verfahrensparteien
appeal procedure, course of the proceedings – procédure de recours, déroulement de l’instance
appeal procedure, parties of the procedure – procédure de recours, parties de l’instance
Das Rechtsmittelverfahren vor dem EuGH ist als auf Rechtsfragen eingeschränktes kontradiktorisches Rechtsmittelverfahren konzipiert und lässt sich in folgende Verfahrensschritte gliedern: ƒ keine Notwendigkeit eines Vorverfahrens ƒ einmalige Äußerung der Verfahrensparteien in Form von Schriftsätzen ƒ Replik bzw. Duplik nur nach ausdrücklicher Genehmigung des Präsidenten des EuGH ƒ mündliche Verhandlung nur bei Widerspruch einer Partei ƒ Schlussanträge des zuständigen Generalanwalts ƒ Urteilsverkündung Zur Erhöhung der Rechtssicherheit wurde die Rechtsmittelfrist auf europäischer Ebene mit zwei Monaten ab Zustellung der angefochtenen Entscheidung festgelegt. (lb)
Als Beteiligte des Rechtsmittelverfahrens sind jedenfalls alle Verfahrensparteien des Ausgangsrechtsstreits anzusehen. Dazu zählen auch die Streithelfer. Zur Einbringung eines Rechtsmittels ist die unterlegene Partei des Ausgangsverfahrens aktivlegitimiert. ĺMitgliedstaaten und ĺGemeinschaftsorgane sind immer zur Einleitung eines Rechtsmittelverfahrens befugt, unabhängig davon ob sie im Hauptverfahren Partei, Streithelfer oder überhaupt unbeteiligt waren. Sonstige Streithelfer des Ausgangsverfahrens haben im Rechtsmittelverfahren nur dann die Antragsbefugnis, wenn sie von der gemeinschaftsgerichtlichen Entscheidung unmittelbar berührt werden. Als Beklagte des Rechtsmittelverfahrens kommen die obsiegenden Parteien des Hauptverfahrens in Frage. Die möglichen Streithelfer in dieser Verfahrensart richten sich nach den Regelungen des Ausgangsverfahrens. (lb)
Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 102 f.
Rechtsmittelverfahren, Verfahrensgegenstand appeal procedure, object of the proceedings – procédure de recours, objet de l’instance
Der Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist die rechtliche Überprüfung von Entscheidungen des ĺEuG. Es können sowohl Urteile als auch Beschlüsse angefochten werden. Als Verfahrensgegenstand kommt die Kontrolle folgender Entscheidungen des EuG in Frage: ƒ Endentscheidungen – d.h. Urteile oder Beschlüsse, die ein Verfahren über eine Klage abschließen ƒ gerichtliche Entscheidungen über einen Teil des erstinstanzlichen Streitgegenstandes – d.h. insbesondere Teil- und Zwischenurteile, während der Rechtsstreit noch anhängig bleibt
§§: Art. 56 EuGH-Satzung
Rechtsmittelverfahren, Zuständigkeit appeal procedure, competence – procédure de recours, compétence
Der ĺEuGH ist auf europäischer Ebene als Rechtsmittelgericht gegen Entscheidungen des ĺEuG zuständig. Der Anteil des Rechtsmittelverfahrens an allen Verfahren vor dem EuGH beträgt 10 %. (lb) §§: Art. 225 Abs. 1 EG
Rechtspersönlichkeit legal personality – personnalité juridique
Die EG und die EAG besitzen gem. Art. 281 EG und Art. 184 EAG Rechtspersönlichkeit und damit Rechtsfähigkeit (d.h. die Fähigkeit Trä753
Rechtsschutz, effektiver gerin von Rechten und Pflichten des Völkerrechts, des Gemeinschaftsrechts und des einzelstaatlichen Rechts zu sein) und Geschäftsfähigkeit. Die Völkerrechtssubjektivität der EG wurde durch Anerkennung seitens der Drittstaaten und internationaler Organisationen begründet und befugt die EG zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge, zum Beitritt zu internationalen Abkommen und zur Ausübung des Gesandtschaftsrechts (Art. 20 EU, die KOM unterhält in über 100 Staaten und bei Internationalen Organisationen Delegationen). Die Rechte und Pflichten der EG sind beschränkt, sie beruhen auf Einzelermächtigungen, die durch die Judikatur des EuGH näher definiert und ergänzt wurden (Rs. ĺAETR; ĺImplizite Außenkompetenz). Die Rechts- und insbesondere Vertragsfähigkeit der EG ist auf das für die Durchführung ihrer Aufgaben und die Erreichung ihrer Ziele notwendige Maß beschränkt. Die EG hat mit über 180 Staaten und zwölf Internationalen Organisationen völkerrechtliche Abkommen (ĺDrittstaatsabkommen) geschlossen. Zu ihren Vertragsschlusskompetenzen gehören: Art. 111 EG (Vereinbarungen über ein Wechselkurssystem gegenüber Drittwährungen, über Währungsfragen, Devisenregelungen), Art. 133 EG (ĺHandelsabkommen), Art. 149 Abs. 3, 150 Abs. 3 EG (Kooperation in (beruflicher) Bildung), Art. 164 lit. b EG (Forschungskooperation), Art. 170 EG (Forschungs- und Technologieabkommen), Art. 174 Abs. 4 EG (Umweltabkommen), Art. 177 Abs. 3 EG (Zusagen im Rahmen internationaler Organisationen), Art. 181 EG (Entwicklungszusammenarbeit), Art. 181a (wirtschaftliche, finanzielle und technische Zusammenarbeit), Art. 300 (allgemeine Abkommen), Art. 310 ĺAssoziierungsabkommen sowie ĺimplizite Außenkompetenzen (Rs. Open Skies). Die EU ist Trägerin der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik (GASP) und handelt auch im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) intergouvernmental. Die EU ist generell nicht befugt, mit Drittstaaten Verträge abzuschließen. Dennoch verfolgt sie auf internationaler Ebene eigene Ziele entweder durch den Abschluss von Übereinkünften durch den Rat der Europäischen Union oder indem sie auf internationaler Bühne, insbesondere im Rahmen der GASP, Stellung bezieht. Nach Art. 24 und Art. 38 EU kommt ihr sogar Vertragsschlusskompetenz zu, und damit zumindest beschränkte Rechtspersönlichkeit. Einige Autoren sprechen der EU 754
nach wie vor die Rechtspersönlichkeit ab und rechnen Maßnahmen im Rahmen der GASP/ PJZS nach wie vor kollektiv den beteiligten Mitgliedstaaten zu. Dies war im Zusammenhang der EU-Verwaltung von Mostar der Fall und bringt Probleme. Österreich und Deutschland bejahen mittlerweile die Rechtspersönlichkeit der EU. Diese Position wird durch die Praxis bekräftigt (z.B. Abkommen EU – FYROM, ABl. 2001, Nr. L 241/1). Dennoch gibt es nach wie vor keine ausdrückliche, vertragliche Klarstellung. Im Vertrag über eine Verfassung für Europa sowie im Vertrag von Lissabon wäre das Säulenmodell aufgehoben und die Rechtspersönlichkeit der EU rechtlich verankert. (bb) §§: Art. 210 EG Lit.: C. Schreuer, in: C. Neuhold/W. Hummer (Hrsg.), Handbuch des Völkerrechts, 1997, Rn. 886; A. Huber, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 16. Lfg. 2003, Art. 281 EG; P. Kustor, in: H. Mayer(Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 33. Lfg. 2004, Art. 24 EU; R. Feik, in: H. Mayer(Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 68. Lfg. 2006, Art. 38 EU Rsp.: EuGH, Rs. 22/70 ĺAETR, Slg. 1971, 263; EuGH, Rs. C-475/98 Open Skies, Slg. 2002, I-9797 Web: http://europa.eu/scadplus/glossary/union_legal_ personality_de.htm
Rechtsschutz, effektiver right to an effective remedy – droit à un recours effectif
Das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ist ein allgemein anerkannter Grundsatz des EG-Rechts und damit ein – relativ häufig judiziertes – ĺGemeinschaftsgrundrecht. (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 6, 13 EMRK als Gemeinschaftsgrundrechte, Art. 47 GRC/Art. II-107 EVV Rsp.: M.w.H. EuGH, Rs. C-432/05 Unibet, Rn. 37; EuGH, Rs. 222/84 Johnston, Slg. 1986, 1651; EuGH, Rs. 222/86 Heylens, Slg. 1987, 4097; EuGH, Rs. C-424/ 99 KOM/Ö, Slg. 2001, I-9285; EuGH, Rs. C-50/00 P Pequeños Agricultores, Slg. 2000, I-6677
Rechtsschutz, einstweiliger ĺVerfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Rechtsschutz, Grundrecht auf right to an effective remedy and to a fair trial – droit à un recours effectif et à accéder à un tribunal impartial
In Anlehnung an Art. 13 ĺEMRK enthält die ĺGRC ein (justizielles) ĺGrundrecht auf – allerdings gerichtlichen – Rechtsschutz (Art. 47 Abs. 1 GRC/Art. II-107 Abs. 1 EVV). Dazu gehören das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht. Inhaltlich gehörten dessen Vorgaben schon vor Inkrafttreten der GRC zum ĺPrimärrecht.
Rechtsweggarantie (deutsche Rechtslage) Die Bestimmung gilt für das gerichtliche Verfahren; für Verwaltungsverfahren vgl. Art. 41 GRC/Art. II-101 EVV. Voraussetzung für das Recht auf Zugang zu Gericht ist eine (behauptete) Verletzung in Rechten und ein subjektives Recht. Das derart verlangte Gericht muss eine gesetzliche Grundlage haben und unabhängig sowie unparteilich sein. Vor dem Gericht ist ein ĺfaires Verfahren garantiert (insb. Verteidigungsrechte, Gehör, Waffengleichheit), das zudem mündlich und öffentlich sein muss. Die Entscheidung hat binnen ĺangemessener Frist zu ergehen. Beratung, Verteidigung und Vertretung sind ebenfalls garantierte Rechte. Nicht zuletzt ist das Recht auf Verfahrenshilfe beinhaltet. (ed) §§: Art. 47 Abs. 1 GRC/Art. II-107 Abs. 1 EVV; Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 6, 13 EMRK Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 40; A. Eser, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 47
Rechtsschutzbedürfnis, Nichtigkeitsklage interest in bringing an action, action for annulment – intérêt à agir, recours en annulation
R. bezeichnet das berechtigte Interesse, eine Nichtigkeitsklage erheben zu dürfen. Ein allgemeines R. muss nicht nachgewiesen werden. Es ergibt sich bei den ĺprivilegierten Klägern aus dem Bedürfnis nach Herstellung der objektiven Rechtmäßigkeit, bei den ĺnichtprivilegierten aus den konkreten Anforderungen der Klageberechtigung (ĺKlageberechtigung, Nichtigkeitsklage). Für Rechtsakte die keine Rechtswirkungen (mehr) erzeugen, weil sie bspw. aufgehoben wurden oder sich anderweitig erledigt haben, besteht grundsätzlich kein Aufhebungsbedürfnis. Ein solches kann aber ausnahmsweise in einem speziellen Rechtsschutzbedürfnis zum Ausdruck kommen, wenn trotz fehlender Rechtswirkungen Wiederholungsgefahr besteht, grundsätzliche Rechtsfragen aufgeworfen werden, die Rechtswidrigkeit des Rechtsaktes Grundlage für eine Klage aus außervertraglicher Haftung gegen die Gemeinschaft (Art. 235, 288 Abs. 2 EG) ist oder eine unklare Rechtslage besteht. (mk) Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 444 ff.
Rechtsvereinheitlichung harmonisation of law – harmonisation du droit
Bei der Rechtsvereinheitlichung im europarechtlichen Kontext handelt es sich um die
Schaffung von europaweit einheitlichen Regelungen (ĺHarmonisierung). Erreicht wird dies in der Regel durch die Erlassung einer unmittelbar anwendbaren ĺVerordnung. Demgegenüber stellt die ĺRichtlinie ein Element der ĺRechtsangleichung dar, bei der keine Vereinheitlichung, sondern eine Teilharmonisierung und die Schaffung eines gemeinsamen Mindeststandards sowie die Beseitigung von für das Funktionieren des ĺBinnenmarktes abträglichen Unterschieden im Vordergrund stehen. (he) Lit.: T. Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, § 18, Rn. 1 ff.
Rechtswahl freedom of choice – liberté de choix
Rechtswahl bedeutet, dass für ein Rechtsverhältnis mit Auslandsberührung durch Vereinbarung festgelegt wird, welchem Recht dieses Rechtsverhältnis unterliegen soll. Eine Rechtswahl wirkt grundsätzlich so, dass alle (insbesondere auch zwingende) Vorschriften jener Rechtsordnung abbedungen werden, die ohne Rechtswahl für das Rechtsverhältnis maßgeblich wäre. Die größte Bedeutung hat die Rechtswahl im internationalen Vertragsrecht. Art. 3 ĺEVÜ sieht ausdrücklich den Grundsatz der Rechtswahlfreiheit (auch: Grundsatz der Parteiautonomie) vor. Danach können die Parteien eines Vertrages mit Auslandsbezug das auf den Vertrag anzuwendende Recht wählen. Eingeschränkt wird die Rechtswahl bei ĺArbeits- und ĺVerbraucherverträgen sowie durch ĺEingriffsnormen und den ĺordre public. Auch die ĺRom II-VO, die das Kollisionsrecht außervertraglicher Schuldverhältnisse regelt, sieht die Möglichkeit einer Rechtswahl vor (Art. 14). (js) §§: Art. 3 ĺEVÜ; Art. 14 ĺRom II VO Lit.: Bericht über das EVÜ von M. Giuliano/P. Lagarde, ABl. 1980, Nr. C 282/1, Anmerkungen zu Art. 3; B. Verschraegen, in: P. Rummel (Hrsg.), ABGB Kommentar I/6, 3. Aufl. 2004, Art. 3 EVÜ; G. Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1 (13 f.) Web: Der in Lit. erwähnte Bericht von M. Giuliano/ P. Lagarde ist abrufbar unter: http://www.rome-convention.org
Rechtsweggarantie (deutsche Rechtslage) Grundrecht des deutschen GG, wonach gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt der Rechtsweg offenstehen muss. Das schließt Verletzungen gemeinschaftsrechtlich 755
Rechtswidrige Beihilfe gewährter Rechtspositionen ein. Das Grundrecht garantiert effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gegen die deutsche vollziehende Gewalt, auch wenn sie Gemeinschaftsrecht anwendet. Das kann eine Verpflichtung zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Vollzug von Gemeinschaftsrecht einschließen (BVerfG NJW 1995, 950 T. Port; BVerfG NVwZ 2004, 1346). Ob auch Rechtsschutz unmittelbar gegen Handlungen von EU-Organen garantiert wird, ist seit der ĺMaastricht-Entscheidung des ĺBVerfG umstr. (ablehnend das BVerfG zuvor noch in ĺEurocontrol I). Die deutschen Fachgerichte sind befugt und verpflichtet, deutsches Recht unangewendet zulassen, wenn es gegen Gemeinschaftsrecht verstößt (ĺAnwendungsvorrang). Sie besitzen jedoch keine Verwerfungskompetenz für Gemeinschaftsrechtsakte. Insoweit steht ihnen nur eine Vorlage zum ĺEuGH (ĺVorabentscheidungsverfahren) oder zum BVerfG (konkrete ĺNormenkontrolle wegen Verstoßes gegen das GG) offen. Normenkontrollanträge zum BVerfG wegen Grundrechtsverstößen durch Gemeinschaftsrecht sind seit der ĺSolange II-Entscheidung jedoch weitgehend unzulässig (ĺGrundrechte; ĺMelchers). (sgk) §§: Art. 19 Abs. 4 GG Lit.: R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 249 ff.
Rechtswidrige Beihilfe illegal aid – aide illégale
Gewährt ein Mitgliedstaat eine (Neu-)Beihilfe, ohne diese der Kommission vorab zu ĺnotifizieren, oder führt er eine angemeldete Maßnahme durch, ohne das Verfahren vor der Kommission abzuwarten, gilt die gewährte Maßnahme als rechtswidrige Beihilfe, da das ĺDurchführunsgverbot missachtet wird (Art. 1 lit. f VO [EG] 659/1999). Diesen (formell) rechtswidrigen Beihilfen (beachte die Unterscheidung zur ĺmateriell rechtswidrigen Beihilfe) droht stets ihre ĺRückforderung durch nationale Behörden. Diese kann entweder durch die Kommission oder durch ein nationales Gericht angeordnet werden (s. ĺRückforderung staatlicher Beihilfen). (jr) §§: Art. 88 EG Lit.: C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2005, Rn. 384 ff
Rechtswidrige Beihilfen, Verfahren ĺVerfahren bei rechtswidrigen Beihilfen 756
Referenzzinssätze reference and discount rates – taux de référence
Die Referenzzinssätze (genauer Referenz- und Abzinsungssätze) werden zur Berechnung des ĺBeihilfensäquivalents einer in mehreren Tranchen gezahlten Beihilfe bzw. für die Ermittlung der Beihilfeelemente zinsgünstiger Darlehen verwendet. So spiegeln sie etwa die Durchschnittshöhe der geltenden Zinssätze für mittel- und langfristige (5 bis 10 Jahre) mit den üblichen Sicherheiten versehene Darlehen wider. Darüber hinaus finden die Referenzzinsätze im Rahmen des ĺde-minimis-Regulativs und der Regelung für die ĺRückforderung rechtswidriger Beihilfen Anwendung. Der Referenzzinssatz wird von der Kommission als Mindestsatz verstanden. Die Kommission hat die Methode zur Berechnung der Referenzzinssätze in der Referenzzinssatzmitteilung (vom 9.9.1997, ABl. 1997, Nr. C 273/3, geändert durch Mitteilung vom 26.8.1999, ABl. 1999, Nr. C 241/9) dargelegt. (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:51997XC0909(01):DE:HTML; http:// eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX :31999Y0826(01):DE:HTML
Reformvertrag ĺVertrag von Lissabon Refoulement-Verbot ĺPrinzip des non-refoulement Regeldelegation ĺPrinzip der Regeldelegation Regelmäßiger Bericht über die Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt regular report on the progress towards accession – rapport régulier sur les progrès réalisés sur la voie de l’adhésion
Der regelmäßige Bericht ü. d. F. auf dem Weg zum B. (auch Fortschrittsbericht genannt) wird von der KOM seit 1998 für jedes ĺBewerberland im Herbst jeden Jahres erstellt. Auf dessen Basis legt der Rat den weiteren Verlauf der ĺBeitrittsverhandlungen, bis hin zu deren Abschluss fest. Erstmals trug der ĺEurop. Rat von Luxemburg (12./13.12. 1997) der KOM auf, einen r. B. über jedes ĺMOEL zu erstellen, in dem die KOM untersuchen solle, „welche Fortschritte der betreffende Staat auf dem Weg zum Beitritt unter
Regionale Gebietskörperschaft dem Gesichtspunkt der ĺKopenhagener Kriterien gemacht hat, und insb. wie rasch er den Besitzstand der Union übernimmt.“ Um ihre Vergleichbarkeit zu gewährleisten, folgen die Berichte einer einheitlichen Struktur: Einer kurzen Darstellung der Beziehungen zwischen dem Beitrittsland und der EU folgt eine Analyse der Umsetzung der einzelnen ĺKopenhagener Kriterien (politisches Kriterium, wirtschaftliches Kriterium und Acquis-Kriterium – das Acquis-Kriterium wird gem. der Kapitel der ĺBeitrittsverhandlungen untergliedert). Dabei werden in Aussicht genommene Reformvorhaben grds. nicht behandelt, sondern nur beschlossene Rechtsakte berücksichtigt. (lo) §§: Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europ. Rat von Luxemburg 12./13.12. 1997, Rn. 29 Lit.: J. Sack, Erweiterung – Fortschrittsberichte der Kommission über den Stand der Anpassungen an das Recht der EU bzw. die Annäherung an die Union, EuZW 2003, 514
Regelungsverfahren regulatory procedure – procédure de réglementation
Eine spezielle Form des Rechtsetzungsverfahrens im Bereich der europäischen ĺDurchführungsrechtsetzung. Die Rechtsakte werden nicht wie das sonstige ĺSekundärrecht durch ĺRat bzw. durch Rat und ĺParlament gemeinsam in einem gem. Art. 250 bis 252 EG festgelegten Rechtsetzungsverfahren erlassen, sondern durch die ĺKommission unter Mitwirkung unterschiedlich zusammengesetzter Komitologieausschüsse (ĺKomitologie). Weitere Verfahren sind das ĺVerwaltungsverfahren und das ĺBeratungsverfahren. Der Ablauf richtet sich im Einzelnen nach dem ĺKomitologiebeschluss des Rates 1999/468/EG in der Fassung des Ratsbeschlusses 2006/512/EG. Unter der Geltung der Rechtslage bis Juli 2006 gab es nur das Regelungsverfahren gem. Art. 5 des Komitologiebeschlusses, das jetzt „Regelungsverfahren ohne Kontrolle“ genannt wird, während das neu eingeführte „Regelungsverfahren mit Kontrolle“ jetzt in Art. 5a geregelt ist, vgl. ĺKomitologie, Komitologieverfahren. (sk) Regelzonenführer (Energierecht) Verantwortliches Unternehmen für die Systemstabilisierung in Elektrizitäts- und Erdgasnetzen. Europarechtlich nicht ausdrücklich vorgesehen. In Österreich wird Funktion des Regelzonenführers regelmäßig von Übertragungsnetzbetreibern und Fernleitungsunternehmern übernommen. (hh)
Lit.: B. Raschauer, Handbuch Energierecht 2006, 78 ff., 180 f.
Regierungskonferenz ĺVertragsänderung Regionalbeihilfen regional aids – aides régionales
Regionalbeihilfen sind staatliche Zuwendungen an Unternehmen, die eine langfristige Entwicklung benachteiligter Gebiete ermöglichen sollen. Für Regionalbeihilfen gibt es zwei mögliche Grundlagen im EGV: Art. 87 Abs. 3 lit. a (Gebiete mit außergewöhnlich niedriger Lebenshaltung oder erheblicher Unterbeschäftigung im Vergleich zum Gemeinschaftsdurchschnitt) bzw. Art. 87 Abs. 3 lit. c (Gebiete, die im Vergleich zum nationalen Durchschnitt schlechter gestellt sind). Im Gegensatz zu ersteren dürfen Beihilfen nach lit. c die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die den gemeinsamen Interessen zuwiderläuft. Regionalbeihilfen lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: ƒ Produktive Investitionen ƒ Schaffung von Arbeitsplätzen Die Kriterien für die Festlegung der Fördergebiete und die Behandlung von Regionalbeihilfen durch die Kommission finden sich in den Regionalbeihilfeleitlinien vom 4.3.2006, ABl. 2006, Nr. C 54/13. Ebenso werden nun die Regelungen über Regionalbeihilfen für große Investitionsprojekte in diesen Leitlinien geregelt (Punkt 4.3.; vormals multisektoraler Regionalbeihilferahmen) Erstmals wurde auch mit 1.1.2007 eine GruppenfreistellungVO für Regionalbeihilfen erlassen. Beihilfen, welche die Kriterien der VO (EG) 1628/2006 vom 24.10.2006, ABl. 2006, Nr. L 302/29 erfüllen, unterliegen somit nicht der Notifikationspflicht und gelten als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar. (jr) §§: Art. 87 Abs. 3 lit. a und c EG Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ .do?uri=CELEX:52006XC0304(02):DE:HTML; http:// eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ: L:2006:302:0029:01:DE:HTML
Regionale Gebietskörperschaft regional body – collectivité régionale
Art. 263 EG spricht von „regionalen Gebietskörperschaften“, deren Vertreter zusammen mit jenen der ĺ„lokalen Gebietskörperschaften“ den ĺ„Ausschuss der Regionen“ bilden, des757
Regionale Handelsabkommen (RTA) sen Bezeichnung insofern verkürzt wirkt. Was unter einer regionalen Gebietskörperschaft zu verstehen ist, wird im EG-Vertrag nicht explizit definiert. Eine bloß unter statistischen Gesichtspunkten getroffene Einteilung in Regionen unternimmt die VO (EG) 1059/2003, während Art. 1 Abs. 1 der „Gemeinschaftscharta der Regionalisierung“ die Region als ein Gebiet, das aus geographischer Sicht eine deutliche Einheit bildet, oder als einen gleichartigen Komplex von Gebieten, die ein in sich geschlossenes Gefüge darstellen und deren Bevölkerung durch bestimmte gemeinsame Elemente (z.B. Sprache, Kultur, Geschichte) gekennzeichnet ist, definiert. Jedenfalls soll es sich um eine subnationale, jedoch supralokale Ebene handeln, die eine bestimmte institutionelle Struktur (gewählte Regionalversammlung mit Legislativ- und Kontrollbefugnissen sowie Regionalregierung mit exekutiven Aufgaben) aufweist. Nicht alle EU-Mitgliedstaaten verfügen aber überhaupt über eine regionale Untergliederung, und nur eine Minderzahl über Regionen, die auf Grund ihrer politisch-institutionellen Ausstattung Gliedeinheiten eines Bundesstaats (Belgien, Deutschland, Österreich) oder hochregionalisierten Staats (Italien, Spanien, Vereinigtes Königreich) darstellen (ĺ„Europa der Regionen“). Die sog. „konstitutionellen“ Regionen mit verfassungsrechtlicher Absicherung und Gesetzgebungshoheit (mit ihren Vereinigungen ĺREGLEG und ĺCALRE) scheiterten bisher mit ihren Bemühungen, auch auf EU-Ebene einen Sonderstatus im Vergleich zu bloßen Verwaltungsregionen zuerkannt zu bekommen. Die Heterogenität der Regionen untereinander, aber auch Interessendivergenzen zu den ĺlokalen Gebietskörperschaften lassen den ĺAusschuss der Regionen nur bedingt als geeignete Institution gemeinsamer Interessenvertretung erscheinen. (ag) §§: Art. 263 EG; VO (EG) 1059/2003 über die Festlegung einer gemeinsamen Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik (NUTS), ABl. 2003, Nr. L 154/1; Gemeinschaftscharta der Regionalisierung, ABl. 1988, Nr. C 326/296 Lit.: A. Gamper, Die Regionen mit Gesetzgebungshoheit, 2004
Regionale Handelsabkommen (RTA) Regional Trade Agreements (RTA) – Accords Commerciaux Régionaux (ARC)
Regionale Handelsabkommen (RTA) sind Handelsabkommen zwischen Ländern derselben Region. Im Rahmen der WTO besteht eine Notifizierungspflicht für RTA. Bis Juli 2007 ist die 758
WTO in Bezug auf 380 RTA notifiziert worden. Davon erfolgte die Notifizierung bei 300 RTA gem. Art. XXIV GATT, bei 22 gem. der Ermächtigungsklausel und bei 58 RTA gem. Art. V GATS. Im Juli 2007 waren insgesamt 205 dieser RTA in Kraft. Die Zahl der RTA steigt seit Anfang der 1990er an; für das Jahr 2010 rechnet das WTO Sekretariat mit 400 aktiven RTA. Diese RTA bestehen zum weit überwiegenden Teil aus Freihandelsabkommen oder sektoriellen Handelsabkommen (90 %). Bei weniger als 10 % dieser RTA handelt es sich lediglich um eine Zollunion. Der Allgemeine Rat der WTO richtete 1996 einen Ausschuss für RTA ein (CRTA). Der Ausschuss ist damit beauftragt, die Wechselwirkung zwischen Regionalabkommen und dem multilateralen Handelssystem zu überprüfen. (bh) Regionalpolitik regional policy – politique regionale
Die Aufgaben der Regionalpolitik werden auf europäischer Ebene von einer eigenen ĺGeneraldirektion wahrgenommen. Das Ziel der Generaldirektion Regionalpolitik besteht darin, die territoriale, soziale und wirtschaftliche Kohäsion in der EU zu verstärken, indem die Unterschiede zwischen dem jeweiligen Stand der Entwicklung der verschiedenen Regionen und der einzelnen Mitgliedstaaten verringert werden. Es wird in das lokale Potenzial der jeweiligen Region investiert, um die Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Wirtschaftsleistung zu fördern und den Regionen, die noch höheren Entwicklungsbedarf haben, zu ermöglichen, den Abstand zu den reicheren Regionen zu verringern. Dabei soll darauf Bedacht genommen werden, dass der EU-Beitrag zur regionalen Entwicklung den größtmöglichen Mehrwert bringt. Die europäische Regionalpolitik soll ein Antrieb für mehr Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EU sein. Die wichtigsten Fördermaßnahmen der europäischen Regionalpolitik sind: ƒ der Europäische Fonds für regionale Entwicklung, der in allen Mitgliedstaaten aktiv werden kann. Damit werden Investitionen kofinanziert und Bildungsmaßnahmen für Bürger gefördert. ƒ Der ĺKohäsionsfonds, mit dem hauptsächlich Umwelt- und Verkehrsprojekte in den Mitgliedstaaten gefördert werden , deren BIP pro Einwohner unter 90 % des EU-Durchschnitts liegt.
Regulierungsbehörde (Energierecht) Die politische Kompetenz und Verantwortlichkeit für diesen Bereich ist der Kommissarin Danuta Hübner übertragen. S.a. ĺKohäsionspolitik (lb) Web: http://ec.europa.eu/dgs/regional_policy/index_ de.htm
REGLEG ĺKonferenz der Präsidenten von Regionen mit Gesetzgebungskompetenzen Reglementierte Berufe reglemented professions – professions reglementées
R. sind Berufe, für deren Aufnahme und/oder Ausübung bestimmte Ausbildungen und/oder praktische Tätigkeiten von den einzelnen MS vorgeschrieben werden. Zur Gewährleistung von ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, ĺNiederlassungsfreiheit und ĺDienstleistungsfreiheit wurden mehrere RL zur Anerkennung von ĺQualifikationsnachweisen für diese Berufe erlassen. Auch die eine annähernd umfassende Regelung anstrebende ĺBerufsanerkennungsRL kennt die Unterscheidung zwischen r. und nicht r. (sh) §§: Art. 3 Abs. 1 lit. a RL 2005/36/EG (ĺBerufsanerkennungsRL) Lit.: W. Obwexer/E. Happacher Brezinka, Diplomanerkennung in der EU. Berufliche und akademische Anerkennung von Diplomen im Binnenmarkt, ZÖR 2001, 465 (468 ff.)
Regulierungsagenturen regulatory agencies – agences de régulation
Der Begriff „europäische Regulierungsagentur“ bezeichnet laut ĺKommission (KOM[2002] 718) ĺGemeinschaftsagenturen, deren Aufgabe es ist, durch Handlungen, die zur Regulierung eines bestimmten Sektors beitragen, aktiv an der Wahrnehmung der Exekutivfunktion mitzuwirken. Dazu werden die Regulierungsagenturen innerhalb eines rechtlich verankerten, klaren Rahmens mit einem gewissen Maß an Unabhängigkeit ausgestattet. Die Intention der Schaffung autonomer Regulierungsagenturen in klar festgelegten Bereichen war es, die Anwendung und Durchsetzung von Regeln in der gesamten Gemeinschaft zu verbessern. Wenn auch die Exekutivzuständigkeit für gemeinschaftspolitische Maßnahmen grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten und ihren innerstaatlichen Behörden liegt, erfordern es die Verträge oder Legislativakte der Gemeinschaft dennoch in bestimmten Fällen, dass die Exekutivaufgaben zen-
tral auf europäischer Ebene durchgeführt werden. So soll eine kohärente Vorgehensweise und ein ordnungsgemäßes Funktionieren der betreffenden Politiken sichergestellt werden. Innerhalb der Kategorie Regulierungsagenturen unterscheidet die Kommission 3 Untergruppen: 1. Agenturen, die Unterstützung in Form von Stellungnahmen und Empfehlungen leisten, welche ihrerseits wieder die Grundlage für Beschlüsse der Kommission in verschiedenen Bereichen darstellen. Das ist bspw. bei der ĺEuropäischen Arzneimittelagentur und der ĺAgentur für Lebensmittelsicherheit der Fall. 2. Agenturen, die vor allem auf eine Verbesserung des Vollzugs von Gemeinschaftsrecht hinarbeiten sollen, wie etwa die ĺEuropäischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit oder die ĺEuropäische Eisenbahnagentur, und die Inspektionen und Kontrollen durchführen, wie etwa die ĺAgentur für die Sicherheit des Seeverkehrs, oder die ĺEuropäische Fischereiaufsichtsbehörde (CFCA). 3. Manche unter ihnen haben die Befugnis, Einzelentscheidungen aufgrund von Regelungsmaßnahmen zu treffen, die gegenüber Dritten rechtlich bindend sind. E contrario bedeutet dies jedoch, dass allgemeine Regelungen nicht erlassen werden dürfen. Insbesondere handelt es sich um Entscheidungsbefugnisse in Bereichen, in denen ein bestimmtes öffentliches Interesse vorherrscht und wo die zu erfüllenden Aufgaben besonderes Fachwissen erfordern. So z.B. die Sicherheit im Luftverkehr, mit der die ĺEuropäische Agentur für Flugsicherheit beauftragt ist. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Agenturen, die Tätigkeiten, die eigentlich in den nationalen Zuständigkeitsbereich fallen, zum Zwecke größerer Kohärenz und Effizienz der Regulierung auf Gemeinschaftsebene zusammenlegen und miteinander vernetzen. Auch das ĺAmt für die Harmonisierung im Binnenmarkt und das ĺGemeinschaftliche Sortenamt fallen in diese Kategorie. (gr) §§: Mitteilung über die Rahmenbedingungen für die europäischen Regulierungsagenturen, KOM(2002) 718 endg.
Regulierungsbehörde (Energierecht) Regulatory authorities (energy law) – Autorités de régulation (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Regulierungsbehörden haben unabhängig von den Interessen des jeweils regulierten Energie759
Regulierungsstelle (Eisenbahnrecht) bereichs zu sein. Die Aufgaben der R. sind die Sicherstellung von Nichtdiskriminierung, echtem Wettbewerb und effizientem Funktionieren des Markts sowie ein Monitoring insbesondere im Hinblick auf das Engpassmanagement, Entflechtung und Transparenz der Netzbetreiber. Die Regulierungsbehörden legen außerdem die Berechnung (oder zumindest die Methoden zur Berechnung) der ĺSystemnutzungstarife fest. Die Regulierungsbehörden sind auch befugt, die Tarife festzusetzen, Regeln, Mechanismen und Methoden zur Berechnung ändern, um sicherzustellen, dass die Tarife angemessen sind und nichtdiskriminierend angewendet werden. (hh) §§: Art. 23 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/54/EG); Art. 25 Erdgasbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/55/EG) Lit.: B. Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006, 133 ff., 218 ff.
der erste Unternehmer dem letzten Abnehmer in der Reihe die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschafft. Wesentlich für die steuerrechtliche Beurteilung, vor allem des Lieferortes bzw. des Vorliegens einer ĺinnergemeinschaftlichen Lieferung ist, dass jeweils nur eine Lieferung eine innergemeinschaftliche Lieferung sein kann. alle anderen Lieferungen erfolgen entweder im Abgangsland (Ort wo sich die Ware bei Beginn der Beförderung oder Versendung befindet), oder bereits im Bestimmungsland (Ort, wo sich die Ware am Ende der Beförderung oder Versendung befindet). Die innergemeinschaftliche – und deshalb echt steuerfreie – Lieferung ist immer jene Lieferung, bei der entweder der Verkäufer oder der Abnehmer den Auftrag zur Beförderung oder Versendung gegeben hat. Vgl. die Vereinfachungsregeln im Zusammenhang mit ĺDreiecksgeschäften. (pu)
Regulierungsstelle (Eisenbahnrecht) regulatory body (rail transport) – organisme de contrôle (transports ferroviaires)
Diese ist ein Bestandteil der durch die RL 2001/ 14 (ABl. 2001, Nr. L 75/29) vorgesehenen Streitbeiligungsverfahren im Zusammenhang mit der Zuweisung von ĺFahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur. Die Regulierungsstelle ist neben spezifischen Streitbeilegungsverfahren innerhalb der Zuweisungsverfahren betreffend die Fahrwegkapazität geschaffen worden. Sie ist eine von den übrigen Akteuren unabhängige (organisatorisch, rechtlich und hinsichtich Entscheidungsfindung) Einrichtung, der neben der Wahrnehmung bestimmter Aufsichtsfunktionen auch die verbindliche Beurteilung von Beschwerden obliegt, die ein Antragsteller gegen Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers erhebt. Die MS sind verpflichtet, die Möglichkeit einer gerichtlichen Nachprüfung der von der Regulierungsbehörde getroffenen Entscheidung vorzusehen. Die Regulierungsstelle hat das für Verkehrsfragen zuständige Ministerium oder eine andere Behörde zu sein. Die Details sind in Art. 30 der RL normiert. (sm) Reihengeschäft sequel trade – affaire de la série
Von einem Reihengeschäft spricht man dann, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und 760
Reimport (freier Warenverkehr) ĺErschöpfungsgrundsatz; ĺWiedereinfuhr (freier Warenverkehr) Reinheitsgebot, Bier-Entscheidung beer purity case – jurisprudence loi de pureté pour la bière
Nach dem deutschen Biergesetz ist zur Bereitung von untergärigem Bier nur Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser vorgesehen. Ein dieser Vorschrift nicht entsprechendes Getränk dürfe nicht unter der Verkehrsbezeichnung Bier verkauft werden. Folglich stellte sich die Frage, ob diese Regelung als ĺMaßnahme gleicher Wirkung einen Verstoß gegen Art. 28 EG bewirke (s.a.ĺDassonville-Entscheidung, ĺCassis De Dijon-Entscheidung). Der ĺEuGH geht davon aus, dass die Anwendung der deutschen Regelung auf importiertes Bier, zu dessen Herstellung rechtmäßig andere Grundstoffe verwendet werden, die ĺEinfuhr behindern kann. Eine Rechtfertigung i.S.d. ĺVerbraucherschutzes ist nicht gegeben. Das Recht eines ĺMitgliedstaats darf nicht dazu dienen, die gegebenen Verbrauchergewohnheiten zu zementieren, um einer mit deren Befriedigung befassten inländischen Industrie erworbene Vorteile zu bewahren. Darüber hinaus ist die Bezeichnung Bier in anderen Mitgliedstaaten eine Gattungsbezeichnung für ein durch Gärung auf der Grundlage von Gerstenmalz gewonnenes Getränk, unabhängig davon, ob zusätzlich Reis
Religion, Religionsfreiheit oder Mais verwendet wird. Die Informationspflicht gegenüber Verbrauchern (s.a. ĺInformationsprinzip) über die genaue Zusammensetzung des Getränks kann auch mit weniger beschränkenden Mitteln erreicht werden, z.B. durch eine umfassende ĺEtikettierung. (ah) Rsp.: EuGH, Rs. 178/84 Kommission/BRD, Slg. 1987, 1227, Rn. 27 ff.
REITOX European Information Network on Drugs and Drug Addiction – Réseau Européen d’Information sur les Drogues et les Toxicomanies
Der ĺEuropäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht zugeordnetes Europäisches Informationsnetz für Drogen und Drogensucht. (sts) Relative Absatzverbote (freier Warenverkehr) prohibitions of sale (free movement of goods) – interdiction de vente (libre circulation des marchandises)
Im Unterschied zu ĺabsoluten Absatzverboten (freier Warenverkehr), welche den Absatz von Erzeugnissen per se verbieten, machen relative Absatzverbote deren Inverkehrbringen von einer Zulassung bzw. Genehmigung der Erzeugnisse abhängig. Wie absolute Absatzverbote so sind auch relative Absatzverbote als ĺMaßnahmen gleicher Wirkung Im Sinne des Art. 28 EG zu werten. Wird daher das Inverkehrbringen einer ĺGemeinschaftsware oder einer ĺWare im freien Verkehr von einer Zulassung oder Genehmigung abhängig gemacht, so stellt dieses Erfordernis eine Beeinträchtigung des Art. 28 EG dar. Im Unterschied zu einem relativen Absatzverbot, welches im Sinne der ĺKeck-Formel als ĺProduktvorschrift zu charakterisieren ist, gelten Vertriebsbeschränkungen als Verkaufsmodalitäten (ĺVerkaufsvorschriften). (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 873; T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28 EGV, Rn. 142 Rsp.: EuGH, Rs. 174/82 Sandoz, Slg. 1983, 2445; EuGH, Rs. 45/87 Kommission/Irland, Slg. 1988, 4929; EuGH, Rs. C-375/92 Kommission/Spanien, Slg. 1994, I-923; EuGH, Rs. 390/99 Canal Satélite Digital, Slg. 2002, I-607
Relevanter Markt ĺWettbewerbsrecht, Bestimmung des relevanten Markts
Religion, Religionsfreiheit religion, freedom of religion – religion, liberté de religion
Der Schutz der Entfaltung der Religion ist das Hauptanliegen des europäischen ĺReligionsrechts. Ein wesentliches Element dieses Schutzes ist die Garantie der Religionsfreiheit als Gemeinschaftsgrundrecht. 1. Rechtsgrundlagen An das Grundrecht der Religionsfreiheit sind nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 2 EU die Europäische Union und damit die Europäischen Gemeinschaften gebunden. Religionsfreiheit ist in allen europäischen Verfassungsordnungen gewährleistet und gehört deshalb als Schutzgut zu den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten. Die Religionsfreiheit wurde denn auch früh vom EuGH als Gemeinschaftsgrundrecht anerkannt (EuGH, Rs. 130/ 75 Prais, Slg. 1976, 1589); der EuGH hat ihr in seiner Rechtsprechung nachfolgend indes keine näheren Konturen verliehen. Als wesentliche Rechtserkenntnisquelle dient nicht zuletzt deshalb die Garantie der Religionsfreiheit in Art. 9 EMRK, deren Einzelgewährleistungen nachfolgend dargestellt werden. Die Religionsfreiheit ist zudem in Art. 10 der Grundrechtecharta (GRC) aufgenommen worden; dieser entspricht weitgehend den Gewährleistungen des Art. 9 EMRK. Die GRC kann vom EuGH als soft law zur Interpretation des gemeinschaftlichen Grundrechtsstandards herangezogen werden. Dieser Rechtsbestand sollte in Art. II-70 des Verfassungsvertrages in das Primärrecht überführt werden. Den freiheitsrechtlichen Grundrechtsschutz flankiert Art. 13 EG mit dem Verbot der ĺDiskriminierung aufgrund Religion. 2. Gewährleistungsgehalt Neben der Gedanken-, und Gewissenfreiheit sind als Elemente der Religionsfreiheit die Rechte geschützt, eine Religion zu haben, sie auszuüben und sie zu wechseln. Die Ausübungsfreiheit umfasst jedenfalls Kultus und Gottesdienst und auch Glaubenswerbung. Gleichermaßen ist die negative Religionsfreiheit garantiert, d.h. das Recht, keine Religion zu haben und diejenige Dritter nicht unterstützen oder teilen zu müssen. Primär ist die Religionsfreiheit ein Abwehrrecht. Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten im Vollzug des Gemeinschaftsrechts sind in Gestalt einer Schutzpflicht zudem aber gehalten, die Religionsausübung zu erleichtern. Die Religionsfreiheit nach Art. 9 761
Religionsfreiheit EMRK ist ein Doppelgrundrecht: neben die individualrechtliche Seite treten korporative und kollektive Aspekte. Auch Religionsgemeinschaften besitzen damit die materielle Grundrechtsfähigkeit. In sachlicher Hinsicht schützt die Religionsfreiheit daher im Grundsatz auch die Binnenorganisation der Religionsgemeinschaft und ihr religionsgemeinschaftliches Selbstbestimmungsrecht (nur: EGMR, vom 13.12.2001 – Metropolitenkirche von Bessarabien/Moldawien, öarr 2003, 156). Namentlich die Besonderheiten des religionsgemeinschaftlichen Arbeitsrechts (ĺArbeitsrecht, religionsgemeinschaftliches) genießen Schutz durch das Gemeinschaftsgrundrecht. Das grundrechtliche Achtungsgebot wird zudem konkretisiert und interpretatorisch angereichert durch die Gewährleistungen der sog. ĺKirchenerklärung. Entsprechend zur Religionsfreiheit ist der Schutz der Weltanschauungsfreiheit ausgestaltet. 3. Beschränkbarkeit Nach Art. 9 Abs. 2 EMRK unterfällt die Freiheit der Religionsausübung einem ausdrücklichen Schrankenvorbehalt. Ihre Beschränkung kann gerechtfertigt sein, soweit sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, einem der enumerativ aufgezählten Ziele dient (öffentliche Sicherheit und Ordnung, Schutz der Rechte anderer etc.) und als sich in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, d.h. als verhältnismäßig erweist. Bei der Beurteilung verbleibt den Mitgliedstaaten regelmäßig ein Spielraum. (md) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 9 EMRK; Art. 10 GRC Lit.: A. Bleckmann, Von der individuellen Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, 1995; N. Blum, Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1990; H.-T. Conring, Korporative Religionsfreiheit in Europa, 1998; W. Fiedler, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000) 199 ff.; J. Frowein, Die Bedeutung des die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit garantierenden Artikels 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention, Essener Gespräche 27 (1993) 46 ff.; J. Frowein, in: ders./W. Peukert (Hrsg.), EMRK, Kommentar, 2. Aufl. 1996, Art. 9; S. Muckel, Die Rechtstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften nach dem Vertrag über eine Verfassung für Europa, DÖV 2005, 191 ff.; G. Robbers,Religionsfreiheit in Europa, in: J. Isensee/W. Rees/W. Rüfner (Hrsg.), Dem Staate, was des Staates – der Kirche, was der Kirche ist. FS für J. Listl, 1999, 201 ff.; G. Robbers, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000) 231 ff.; H. de Wall, Das Religionsrecht der EU, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 50 (2005) 383 ff.; H. Weber, Die Religionsfreiheit im nationalen und internationalen Verständnis, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 45 (2000) 109 ff.
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Religionsfreiheit freedom of religion – liberté de religion
Vom ĺEuGH anerkanntes ĺGemeinschaftsgrundrecht. Art. 10 ĺGRC nennt die Gedankens-, Gewissens- und Religionsfreiheit als Schutzgüter. Die ĺGRC enthält zusätzlich – über die ĺEMRK und das derzeitige ĺPrimärrecht hinaus – das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen unter Verweis auf die nationale Rechtsordnung (Art. 10 Abs. 2 GRC/Art. II-70 EVV). Nach Art. 22 GRC ist die Union zudem zur Achtung der Vielfalt der Religionen (und Weltanschauungen) verpflichtet: s. ĺVielfalt, kulturelle, religiöse, sprachliche. (ed) §§: Art. 10 GRC/Art. II-70 EVV; Art. 22 GRC/Art. II82 EVV; Art. 6. Abs. 2 EU; Art. 9 EMRK als Gemeinschaftsgrundrecht Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 15 Rsp.: EuGH, Rs. 130/75 Vivien Prais, Slg. 1976, 1589
Religionsgemeinschaft ĺReligion, Religionsfreiheit Religionsrecht church-state-law – droit des religions
Religionsrecht bezeichnet die Normen, die das Verhältnis von öffentlicher Gewalt und Religionsgesellschaften bzw. der Religion des Individuums betreffen. Europäisches Religionsrecht ist keine kohärente Materie des Europarechts: Mit Ausnahme des Verbotes religiöser Diskriminierung (ĺDiskriminierung aufgrund Religion) in Art. 13 EG weist das Primärrecht der Europäischen Union keine Aufgaben und Kompetenzen in Bezug auf Religion (ĺReligion, Religionsfreiheit) und Religionsgemeinschaften zu. Nach dem Grundsatz der beschränkten Einzelermächtigung des Art. 5 Abs. 1 EG kann die Gemeinschaft hiernach kein selbstständiges Religionsrecht entwickeln. Die Wahl des religionsverfassungsrechtlichen Systems und die grundsätzliche Regelung des Verhältnisses des Staates zur Religion und zu Religionsgemeinschaften obliegen den Mitgliedstaaten; diese Regelungen bilden in ihrem Kern auch Elemente der ĺIdentität der Mitgliedstaaten und sind damit Gegenstand des die Union diesbezüglich verpflichtenden Achtungsgebots aus Art. 6 Abs. 3 EU. Das europäische Religionsrecht bezeichnet danach eine Querschnittsmaterie. Wesentliche Bausteine des Religionsrechts sind danach:
Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen 1. Garantie der Religionsfreiheit. Über die Implementationsnorm des Art. 6 Abs. 2 EU ist die EU an das Grundrecht der ĺReligionsfreiheit aus Art. 9 EMRK als Bestandteil der gemeinsamen Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten gebunden. Ein entsprechender Grundrechtsstandard soll durch Art. 10 der Europäischen Grundrechtecharta (GRC), die noch keine unmittelbare Rechtsbindung der Gemeinschaft hervorzurufen geeignet ist, in das zukünftige Primärrecht überführt werden. 2. Verbot der Diskriminierung wegen der Religion. Art. 13 EG ermächtigt den Rat zu Vorkehrungen, um Diskriminierungen aus Gründen der Religion zu bekämpfen (ĺDiskriminierung aufgrund Religion). 3. Religionsgemeinschaften als Akteure der Zivilgesellschaft. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften wirken im öffentlichen Dialog mit den Gemeinschaftsorganen auf Rechtsetzung und Politik ein. Ihr Status ist grundrechtlich über den Schutz ihres Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der korporativen Religionsfreiheit abgesichert. Dieser Statusschutz drückt sich auch in der sog. Amsterdamer ĺKirchenerklärung aus. Diese ist – soweit ihre Überführung in das Primärrecht in Gestalt des Art. I-52 Abs. 1 und 2 Verfassungsvertrag nicht gelingen sollte – als Protokollerklärung indes von nur mittelbarer Rechtsgeltung. 4. Religionsbezüge im Sekundärrecht. Zahlreiche Rechtsakte des sekundären Gemeinschaftsrechts enthalten Klauseln zur Berücksichtigung religiöser Besonderheiten. Dessen ungeachtet finden sich hier höchst praxisrelevante Reibungspunkte mitgliedstaatlicher Ausgestaltungen mit den mit Anwendungsvorrang ausgestatteten europarechtlichen Vorgaben. Hier seien nur zwei Kernbereiche angesprochen: So unterliegen auch Einrichtungen der religionsgemeinschaftlichen sozialen Dienste (namentlich des Gesundheitswesens) dann, wenn sie sich gewerblich organisieren und mit Gewinnstreben am Markt auftreten grundsätzlich dem gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregime der Art. 81 ff. EG. Freilich partizipieren sie auch an den Privilegierungen der Leistungen der Daseinsvorsorge. Schließlich unterliegen die Kirchen und Religionsgemeinschaften auch in ihrer Rolle als Arbeitgeber (ĺArbeitsrecht, religionsgemeinschaftliches) namentlich den gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungs-
geboten. Auch hier finden sich indes religionsspezifische Ausnahmetatbestände. 5. Selbstbeschreibung der Union. Bietet so das Gemeinschaftsrecht einen freiheitsverträglichen Rahmen zur Entfaltung von Religion und Religionsgemeinschaften, so ist Religion doch kein konsentierter Faktor zur Selbstbeschreibung der Union (ĺIdentität). Hier zeigen die Auseinandersetzungen um einen Gottesbezug in den Präambeln zunächst zur Grundrechtecharta und schließlich auch zum Verfassungsvertrag erhebliche Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten, die wiederum die trotz aller Tendenz zur Konvergenz bestehenden Unterschiede in deren Verhältnisbestimmung zu Religion und Religionsgemeinschaften spiegeln. (md) §§: Art. 6 EU; Art. 5 EG; Art. 13 EG Lit.: A. von Campenhausen/H. de Wall, Staatskirchenrecht, 2006, § 40; M. Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, 2003, 375; S. Mückl, Europäisierung des Staatskirchenrechts, 2005; N. Riedel, Gott in der Europäischen Verfassung, EuR 2005, 676 ff.; M. Vachek, Das Religionsrecht der Europäischen Union, 2000; H. d. Wall, Das Religionsrecht der EU, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 50 (2005) 383 ff.; C. Walter, Religionsverfassungsrecht in vergleichender und internationaler Perspektive, 2006
Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen state aid for rescuing and restructuring firms – aides d’État au sauvetage et à la restructuration d’entreprises
Unternehmen in Schwierigkeiten können unter sehr restriktiven Voraussetzungen Rettungsund Umstrukturierungsbeihilfen gewährt werden (s. Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABl. 1.10.2004, Nr. C 244/2). „Ein Unternehmen befindet sich in Schwierigkeiten, wenn es nicht in der Lage ist, mit eigenen finanziellen Mitteln oder Fremdmitteln, die ihm von seinen Eigentümern/Anteilseignern oder Gläubigern zur Verfügung gestellt werden, Verluste aufzufangen, die das Unternehmen auf kurze oder mittlere Sicht so gut wie sicher in den wirtschaftlichen Untergang treiben werden, wenn der Staat nicht eingreift „(Rettungsund Umstrukturierungsleitlinien Z. 9.). Eine Rettungsbeihilfe ist eine vorübergehende, einmalige Unterstützungsmaßnahme. Sie kann einem Unternehmen für einen Zeitraum von maximal sechs Monaten gewährt werden. Nach Ablauf diese Zeitraumes hat der Mitgliedstaat entweder einen Umstrukturierungsplan oder einen Liquidationsplan vorzulegen oder aber 763
Reverse Charge System den Nachweis zu erbringen, dass das Darlehen vollständig zurückgezahlt und/oder die Bürgschaft ausgelaufen ist. Die Begünstigung hat in Form einer Darlehensbürgschaft oder eines Darlehens zu einem Zinssatz zu erfolgen, der den von der Kommission festgelegten ĺReferenzzinssätzen entspricht. Sie müssen aus akuten sozialen Gründen gerechtfertigt sein und dürfen einen Betrag nicht überschreiten, der für die Weiterführung des Unternehmens erforderlich ist. Maßnahmen auch struktureller Art, die umgehend durchgeführt werden müssen, um Verluste aufzufangen (z.B. sofortiger Rückzug aus defizitären Geschäftsbereichen), können etwa mit Rettungsbeihilfen finanziert werden (Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien Z. 15). Eine Umstrukturierungbeihilfe ist eine Unterstützung auf der Grundlage eines von der Kommission zu genehmigenden Umstrukturierungsplanes zur Wiederherstellung der langfristigen Rentabilität eines Unternehmens (Rettungsund Umstrukturierungsleitlinien Z. 17). Die Kommission achtet im Rahmen des Genehmigungsverfahrens auf die Vermeidung unzumutbarer Wettbewerbsbeschränkungen und möchte die Höhe der Beihilfe auf das erforderliche Mindestmaß begrenzen (Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien Z. 38-45). Darüber hinaus kann die Kommission die Genehmigung einer Umstrukturierungsbeihilfe an die Erfüllung von Auflagen (z.B. die Öffnung bestimmter Märkte) knüpfen (Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien Z. 46). In der Praxis werden Umstrukturierungsbeihilfen häufig nach Ablauf der Sechsmonatsfrist einer Rettungsbeihilfe angemeldet. Dennoch stellt die Genehmigung einer Umstrukturierungsbeihilfe ein eigenständiges Verfahren dar, das unabhängig von der Gewährung einer Rettungsbeihilfe durchgeführt wird. (jr) §§: Art. 87 Abs. 3 lit. c EG Lit.: U. Ehricke, Die neuen Leitlinien der EG-Kommission über Sofort- und Umstrukturierungsbeihilfen, EuZW 2005, 71 Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:52004XC1001(01):DE:HTML
Reverse Charge System Das Reverse Charge System regelt den Übergang der Umsatzsteuerschuld vom leistenden Unternehmer auf den Leistungsempfänger. Bei sonstigen Leistungen und Werklieferungen ausländischer Unternehmer, die im Inland über keinen Sitz oder Betriebsstätte verfügen, geht 764
die Steuerschuld auf den inländischen Leistungsempfänger über. Der ausländische Unternehmer darf keine Umsatzsteuer in seiner Rechnung ausweisen. Der inländische Leistungsempfänger führt die USt ab und kann – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – den entsprechenden Vorsteuerabzug geltend machen; auch und gerade obwohl diese Vorsteuer in der Rechnung des ausländischen Unternehmers nicht ausgewiesen ist. In bestimmten Fällen (z.B. in Österreich für den Bereich der Bauleistungen, sicherungsübereigneten Gegenstände, Erdgas und Elektrizität) besteht darüberhinaus noch aufgrund einer Ratsermächtigung für den jeweiligen Mitgliedstaat die Möglichkeit das Reverse Charge System über den Anwendungsbereich der 6. MwStRL (ĺMwStRL, sechste) hinaus anzuwenden. (pu) §§: Art. 9 Abs. 2 lit. e; Art. 28b Teile C, D, E und F; Art. 21 Abs. 1 6. MwStRL
Revisionsklausel (Harmonisierung) ĺAnpassungsklausel RFSR ĺRaum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Rheinschifffahrtsakte, revidierte ĺMannheimer Akte Richter, gesetzlicher (deutsche Rechtslage) lawful judge (German legal situation) – juge légal (situation juridique allmande)
Grundrecht in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, das dem Bürger eine gerichtliche Entscheidung durch einen gesetzlich bestimmten Richter garantiert. Im Rahmen des ĺVorabentscheidungsverfahrens ist der ĺEuGH nach st. Rsp. des ĺBVerfG gesetzlicher Richter im Sinne dieses Grundrechts. Dadurch wird die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte gem. Art. 234 EG in begrenztem Umfang verfassungsrechtlich verstärkt und mittels ĺVerfassungsbeschwerde durchsetzbar. Das BVerfG beschränkt sich jedoch auf eine Willkürkontrolle. Das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter ist demnach verletzt, wenn die Nichtvorlage am Maßstab des Art. 234 EG und der dazu ergangenen EuGH-Rsp. willkürlich und offensichtlich unhaltbar ist. Dies bejaht das BVerfG bei grundsätzlicher Verkennung der Vorlagepflicht, bei bewusstem Abweichen von der EuGH-Rsp.
Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken ohne erneute Vorlage und bei unvertretbarer Überschreitung des angesichts der EuGH-Rsp. ev. noch verbliebenen Beurteilungsspielraumes. Wichtige Entscheidungen des BVerfG zu dieser Frage sind ĺSolange II; ĺKloppenburg; BVerfGE 82, 159 (193); BVerfG EuZW 1998, 728 und BVerfG NJW 2001, 1267. (sgk) §§: Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; Art. 234 EG Lit.: C. Vedder, Ein neuer gesetzlicher Richter?, NJW 1987, 526; U. Fastenrath, Der Europäische Gerichtshof als gesetzlicher Richter, in: J. Bröhmer et al. (Hrsg.), Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte. FS für G. Ress, 2005, 461
Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken directive concerning unfair business-to-consumer commercial practices in the internal market – directive relative aux pratiques commerciales déloyales des entreprises vis-à-vis des consommateurs dans le marché intérieur
Ziel der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, einer reinen ĺVerbraucherschutzRL, mit grds. abschließendem Charakter (Art. 3 Abs. 5 RL), ist es, Wettbewerbsverzerrungen, die aus divergierenden, einzelstaatlichen Verbraucherschutzvorschriften über unlautere Geschäftspraktiken einschließlich der unlauteren Werbung resultieren, zu beseitigen. Damit gehen die Bestimmungen der ĺWerbeRL im Verhältnis zu Verbrauchern in der gegenständlichen RL auf und beanspruchen lediglich zwischen Unternehmern nach wie vor Geltung. Vergleichende Werbung muss um zulässig zu sein, sowohl die Bedingungen der WerbeRL als auch jene der gegenständlichen RL erfüllen (Art. 14 RL). Gleichzeitig soll mit der Harmonisierung das Vertrauen der Verbraucher, im Binnenmarkt nachzufragen, gestärkt werden. I.S.d. ĺBegründungsdreiklanges unterstreicht die RL in ihren Erwägungsgründen, dass die bewirkte Rechtsangleichung ein hohes Verbraucherschutzniveau schafft. Nach Art. 3 Abs. 1 RL finden die Bestimmungen der RL auf alle Geschäftspraktiken zwischen Unternehmern und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenes Handelsgeschäftes Anwendung. Produkt i.S.d. RL sind Waren oder Dienstleistungen einschließlich Immobilien, Rechte und Verpflichtungen (Art. 2 lit. c RL). Bestimmungen über die Wirksamkeit, das Zustandekommen oder die Wirkungen eines Vertrags sowie Rechtsvorschriften der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten bleiben von dieser RL unberührt. Kollidieren deren Bestimmungen mit anderen Rechtsvorschriften der
Gemeinschaft, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, so gehen letzteren vor (Art. 3 RL). Kernelement der RL ist Art. 5, der in seinem Abs. 1 das Verbot unlauterer Geschäftspraktiken vorsieht. Art. 5 Abs. 2 enthält eine generalklauselartige Umschreibung unlauterer Geschäftspraktiken. Demnach ist eine Geschäftspraxis dann unlauter, wenn sie den Erfordernissen der „beruflichen Sorgfaltspflicht“ (Legaldefinition in Art. 2 lit. h RL) widerspricht und sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Verbrauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, „wesentlich beeinflusst“ (Legaldefinition in Art. 2 lit. e RL) oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen. Geschäftspraktiken, die für den Gewerbetreibenden in einer vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die aufgrund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese Praktiken oder die ihnen zugrunde liegenden Produkte besonders schutzbedürftig sind, werden aus der Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe beurteilt (Art. 5 Abs. 3 RL). Durch das Abstellen auf den Durchschnittsverbraucher als Maßstab für die Beurteilung einer Geschäftspraxis in der Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 RL hat der Gemeinschaftsgesetzgeber das Verbraucherleitbild (ĺVerbraucherleitbild, Europäisches) nunmehr sekundärrechtlich verankert. In Erwägungsgrund 18 der RL wird der Begriff des Durchschnittsverbrauchers noch näher definiert. Demnach nimmt die RL den Durchschnittsverbraucher, der „angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist, unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren in der Auslegung des Gerichtshofs als Maßstab“. Ebenfalls gesetzlich niedergelegt wird in Art. 5 Abs. 3 RL die bisherige Rechtssprechung des EuGH, wonach in Bezug auf Verbraucher, die aufgrund bestimmter Eigenschaften wie Alter, geistige oder körperliche Gebrechen oder Leichtgläubigkeit besonders für eine Geschäftspraxis oder das ihr zugrunde liegende Produkt anfällig sind, sofern durch diese Praxis voraussichtlich das wirtschaftliche Verhalten nur dieser Verbraucher 765
Richtlinie, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise wesentlich beeinflusst wird, sichergestellt werden muss, dass diese entsprechend geschützt werden, indem die Praxis aus der Sicht eines Durchschnittsmitglieds dieser Gruppe beurteilt wird. Nach Art. 5 Abs. 4 RL sind Geschäftspraktiken – unabhängig der Anforderungen des Art. 5 Abs. 2 RL – insbesondere dann als unlauter zu qualifizieren, wenn sie irreführend i.S.d. Art. 6 und 7 RL oder aggressiv i.S.d. Art. 8 und 9 RL sind. Im Anhang der RL findet sich eine schwarze Liste von Geschäftspraktiken, die jedenfalls als unlauter anzusehen sind. Die darin enthaltenen Punkte 1 bis 23 betreffen irreführende, die Punkte 24 bis 31 aggressive Geschäftspraktiken. Die Mitgliedstaaten haben zudem Sorge zu tragen, dass Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse an der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken haben (ĺVerbraucherschutz, kollektiver) sowie Mitbewerbern, die Möglichkeit eingeräumt wird, gerichtlich gegen solche unlauteren Geschäftspraktiken vorzugehen und/oder gegen solche unlauteren Geschäftspraktiken ein Verfahren bei einer Verwaltungsbehörde einzuleiten, die für die Entscheidung über Beschwerden oder für die Einleitung eines geeigneten gerichtlichen Verfahrens zuständig ist (Art. 11 RL). (pa) §§: RL 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der RL 84/450/EWG des Rates, der RL 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der VO (EG) 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. 2005, Nr. L 149/22 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Richtlinie, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage directive, subject-matter of an action for annulment – directive, objet du recours en annulation
Ob ĺRichtlinien nach Art. 249 Abs. 3 EG im Wege der ĺIndividualnichtigkeitsklage angefochten werden können, ist noch nicht abschließend geklärt. Der Wortlaut des Art. 230 Abs. 4 EG erfasst diesen Fall nicht, sondern spricht nur von ĺVerordnungen (ĺVerordnung, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage) und ĺEntscheidungen (ĺEntscheidung, Gegenstand 766
einer Individualnichtigkeitsklage). Da Richtlinien wie Verordnungen allgemeine Rechtsakte sind, hat das EuG die Voraussetzungen für die Anfechtbarkeit von Verordnungen zutreffenderweise auch auf Richtlinien übertragen (EuG 25.4.2006, Rs. T-310/03 Kreuzer Medien/Rat und Parlament, Slg. 2006, II-36, Rn. 40 ff.). Richtlinien können daher Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage sein, wenn es sich dabei entweder um eine ĺScheinrichtlinie oder um einen ĺHybridrechtsakt handelt. Da Richtlinien grundsätzlich umsetzungsbedürftig sind, stellt sich auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Individualkläger von einer Richtlinie unmittelbar betroffen, also klagebefugt ist (ĺunmittelbare Betroffenheit). (mk) §§: Art. 230 Abs. 4 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 378 ff.
Richtlinien directives – directives
Die Richtlinie (RL) ist eine an die Mitgliedstaaten gerichtete, generell-abstrakte Rechtsquelle des ĺSekundärrechts. RL sind neben ĺVerordnungen, ĺEntscheidungen und ĺEmpfehlungen (Stellungnahmen) eine der in Art. 249 EG vorgesehenen Handlungsformen der Gemeinschaftsorgane. „Die Richtlinie ist für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überläßt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel“ (Art. 249 Abs. 3 EG). Nach der ursprünglichen Konzeption enthält die RL keine abschließende Regelung, sondern bloße Ziel- bzw. Rahmenvorgaben für die Mitgliedstaaten, schafft also kein EU-weit einheitliches Recht. Damit der Inhalt einer RL Wirkungen auf die Bürger entfalten kann, bedarf sie grundsätzlich der Umsetzung in innerstaatliches Recht (ĺRichtlinien, Umsetzung, Allgemeines) innerhalb einer bestimmten, i.d.R. in der RL normierten, Frist („zweistufiges Rechtsetzungsverfahren“, „gestufte Verbindlichkeit“, „mittelbarer mitgliedstaatlicher Vollzug“ „zweistufiges Verfahren kooperativer Rechtsetzung“). Grund für diese „Parallelgesetzgebung“ ist die Rücksichtnahme auf die jeweiligen nationalen Rechts- und Verwaltungsstrukturen, sodass gemeinschaftsrechtliche Norminhalte harmonisch in das innerstaatliche Recht integriert werden können, um eine möglichst effiziente Wirkung zu entfalten. Lässt die Rechtsgrundlage eine Wahlmöglichkeit zwischen ĺVer-
Richtlinien, Horizontalwirkung ordnungen und RL zu, ist daher grundsätzlich unter Berücksichtigung des ĺVerhältnismäßigkeitsprinzips und des Subsidiaritätsprotokolls der RL der Vorzug zu geben. Wegen der mangelhaften Umsetzungsdisziplin vieler Mitgliedstaaten werden in der Praxis jedoch ĺVerordnungen bevorzugt. Adressaten der RL sind die Mitgliedstaaten, die RL ist also für alle (hoheitlich oder privatwirtschaftlich tätigen) staatlichen Organe im Rahmen ihrer Zuständigkeiten verbindlich, nicht aber für natürliche oder juristische Personen. Eine RL muss nicht notwendigerweise an alle Mitgliedstaaten adressiert sein (allgemeine RL), sie kann sich auch lediglich an bestimmte einzelne Mitgliedstaaten richten (individuelle RL). Der Zeitpunkt des Inkrafttretens einer RL bestimmt sich danach, ob diese veröffentlichungsbedürftig oder nicht veröffentlichungsbedürftig ist: Nichtveröffentlichungsbedürftig sind die nicht an alle Mitgliedstaaten gerichteten RL des ĺRates der EU und der ĺKommission – diese werden nach Art. 254 Abs. 3 EG mit der Bekanntgabe an die konkreten Adressaten wirksam. Veröffentlichungsbedürftige RL treten nach Art. 254 Abs. 1 und 2 EG mit dem in ihnen festgelegten Zeitpunkt oder – wenn die RL selbst keine solche Festlegung beinhaltet – mit dem 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im ĺAmtsblatt der EG in Kraft. Da RL lediglich hinsichtlich ihres Zieles verbindlich sind, bedeutet die Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten im Hinblick auf Form und Mittel der Umsetzung, dass die Entscheidung, unter Anwendung welcher Rechtstechnik oder wirtschafts- und sozialpolitischer Methode die Zielvorgaben erreicht werden, grundsätzlich den innerstaatlichen Stellen überlassen bleibt. Unter Berücksichtigung der Treuepflicht des Art. 10 EG (ĺUnionstreue) müssen die Mitgliedstaaten jedoch jene Formen und Mittel wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit (ĺeffet utile) der RL unter Berücksichtigung des von ihr verfolgten Zwecks am besten eignen („Gebot der perfekten Umsetzung“) ĺRichtlinien, Form sowie ĺRichtlinien, Inhalt. Trotz der Ausgestaltung als zweistufiges Rechtsetzungsverfahren muss sich der Inhalt einer RL nicht auf die Normierung von Zielen und Zwecken beschränken, sondern darf durchaus detailliert sein – insofern besteht nicht unbedingt ein Unterschied zu ĺVerordnungen; insb. technische HarmonisierungsRL sind sehr detailliert. Ist dies der Fall, verbleibt den Mitglied-
staaten als Adressaten der RL faktisch kein Gestaltungsspielraum. Wird eine RL nicht fristgerecht, vollständig und effektiv umgesetzt, kann sie bzw. können einzelne ihrer Bestimmungen unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Wirkung (ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung) entfalten. Die Nicht-Umsetzung der RL kann Staatshaftungsansprüche begründen und in einem ĺVertragsverletzungsverfahren sanktioniert werden (ĺRichtlinien, Schadenersatzpflicht bei fehlerhafter Umsetzung sowie ĺRichtlinien, Vertragsverletzung durch fehlerhafte Umsetzung). Schließlich ist das gesamte nationale Recht im Lichte des Wortlauts und der Zielsetzung einschlägiger RL-Vorschriften auszulegen (ĺrichtlinienkonforme Auslegung). (zc) §§: Art. 249 Abs. 3 EG Lit.: P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 1261 ff., 1285; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 67 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 433 ff.; H. D. Jarass/S. Beljin, Die Bedeutung von Vorrang und Durchführung des EG-Rechts für die nationale Rechtsetzung und Rechtsanwendung, NVwZ 2004, 1; G. Schmidt, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 249 EGV, Rn. 36 ff.; M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 249 EGV, Rn. 45 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 48/75 Royer, Slg. 1976, 497, Rn. 69 ff.; EuGH, Rs. C-129/96 Inter-Environnement Wallonie, Slg. 1997, I-7411, Rn. 40
Richtlinien, Horizontalwirkung horizontal direct effect of directives – effet direct horizontal des directives
auch horizontale unmittelbare Richtlinienwirkung, Drittwirkung: Zu den Voraussetzungen und Folgen der unmittelbaren Richtlinienwirkung im Allgemeinen s. ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung Unter Horizontalwirkung einer RL versteht man die Geltendmachung des Inhalts einer nicht-umgesetzten, aber unbedingten und hinreichend genauen Richtlinienbestimmung in einem horizontalen Rechtsverhältnis zwischen zwei Bürgern, wobei ein Bürger durch die Richtlinienbestimmung unmittelbar verpflichtet wird. Der EuGH lehnt eine derartige horizontale Richtlinienwirkung aus zwei Gründen explizit ab: Zum einen würde die Zulässigkeit der Horizontalwirkung dem Prinzip der Rechtssicherheit zuwider laufen; zum anderen würde dadurch die Unterscheidung von RL und ĺVer767
Richtlinien, mittelbare Wirkung ordnungen obsolet und der gemeinschaftsrechtliche Gesetzesvorbehalt verletzt. Da eine RL nicht selbst Verpflichtungen für den Einzelnen begründen darf, darf sich der durch die RL begünstigte Bürger nur gegenüber dem säumigen Staat auf eine nicht umgesetzte Richtlinienbestimmung berufen, nicht gegenüber einem privaten Dritten. Dabei wird der Begriff „Staat“ sehr weit ausgelegt, sodass Richtlinienbestimmungen dem Staat unabhängig davon entgegen gehalten werden können, ob dieser privatrechtlich – insb. als Arbeitgeber – oder als Träger von Hoheitsgewalt auftritt (ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung). Daneben besteht nach wie vor die Pflicht zur ĺrichtlinienkonformen Auslegung und trifft den säumigen Staat eine Schadenersatzpflicht gegenüber dem Einzelnen, der im Falle einer ordnungsgemäßen Richtlinienumsetzung begünstigt gewesen wäre (ĺRichtlinien, Schadenersatz bei fehlerhafter Umsetzung). Ungeachtet dieser st. Rsp. hat der EuGH die Berufung auf Richtlinienvorschriften immer wieder auch in Streitigkeiten zwischen Privaten zugelassen. Dazu gibt es zahlreiche unterschiedliche Erklärungsansätze in der Lit. Insb. soweit es um Richtlinienbestimmungen verfahrensrechtlicher Natur geht (vgl. z.B. RL 85/ 337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten – UVPRL , ABl. 5.7.1985, Nr. L 175/ 40; RL 98/34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften – InformationsRL, ABl. 21.7. 1998, Nr. L 204/37 vom) lässt der EuGH die Berufung auf die unmittelbare Wirkung der RL zu, selbst wenn dies im Ergebnis negative Auswirkungen auf Rechte Dritter hat (ĺRichtlinien, objektive Wirkung). Die Abgrenzung der verbotenen horizontalen Richtlinienwirkung von dieser durch den EuGH als zulässig erachteten „Reflexwirkung“ einer RL auch gegenüber Privaten ist schwierig und lässt die Rsp. als in dieser Frage nicht konsistent erscheinen. Zuletzt hat der EuGH in der Rs. Mangold die unmittelbare Wirkung der RL 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – AntidiskriminierungsRL, ABl. 2.12.2000, Nr. L 303/16 (auch unter Berufung auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz des ĺDiskriminierungsverbotes) zu Lasten privater Arbeitgeber zugelassen. (zc) §§: Art. 249 Abs. 3 EG Lit.: P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 1275 f.; T. Öhlinger/M. Potacs, Ge-
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meinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 68 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 447 ff.; C. Brenn, Auf dem Weg zur horizontalen Direktwirkung von EU-Richtlinien, Österreichische Juristenzeitung 2005, 41; T. Eilmansberger, Zur Direktwirkung von Richtlinien gegenüber Privaten, Juristische Blätter 2004, 283 f.; H. D. Jarass/S. Beljin, Grenzen der Privatbelastung durch unmittelbar wirkende Richtlinien, EuR 2004, 714; M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 249 EGV, Rn. 83 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 8/81 Becker, Slg. 1982, 53, Rn. 71; EuGH, Rs. 152/84 Marshall I, Slg. 1986, 723, Rn. 46 ff.; EuGH, Rs. C-91/92 Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325, Rn. 20 ff.; EuGH, Rs. C-443/98 Unilever Italia, Slg. 2000, I-7535, Rn. 50 f.; EuGH, Rs. C-201/02 Wells, Slg. 2004, I-723, Rn. 56 f.; EuGH, Rs. C-431/92 Kommission/Deutschland („Großkrotzenburg“), Slg. 1995, I-2189, Rn. 37 f.; EuGH, Rs. C-144/04 Mangold, Slg. 2005, I-9981, Rn. 52
Richtlinien, mittelbare Wirkung indirect effect of directives – l’effet indirect des directives
ĺRichtlinien sind das zentrale Instrument des mittelbaren Vollzuges des Gemeinschaftsrechts (s.a. ĺVollzug, mittelbarer). Unter mittelbarer Richtlinienwirkung versteht man – im Gegensatz zum Ausnahmefall der unmittelbaren Richtlinienwirkung (ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung) – den Regelfall der durch das in Umsetzung der Richtlinienvorschriften ergangene nationale Recht (ĺRichtlinien, Umsetzung, Allgemeines) vermittelten Wirkung des Richtlinieninhaltes in den innerstaatlichen Rechtsordnungen. (zc) §§: Art. 249 Abs. 3 EG
Richtlinien, objektive Wirkung objective effect of directives – l’effet objectif des directives
Darunter versteht die deutschsprache Lit. die Verpflichtung zur Wahrnehmung des Anwendungsvorrangs vor unmittelbar wirkenden ĺRichtlinien (RL) durch die nationalen Organe von Amts wegen, ohne dass sich der einzelne Bürger darauf berufen muss. Aus der Rsp. des EuGH, wonach sich der Einzelne auf unmittelbar anwendbare Richtlinienbestimmungen „berufen könne“, wurde von einem Teil der Lit. abgeleitet, dass eine unmittelbare Richtlinienwirkung nur auf Antrag des Betroffenen in Betracht komme (ĺRichtlinien, subjektive Wirkung). In der jüngeren Rsp. hat der EuGH jedoch explizit festgehalten, dass die Frage der unmittelbaren Wirkung unabhängig davon zu sehen ist, ob sich der Einzelne gegenüber dem Staat auf hinreichend genaue und unbedingte Bestimmungen einer nicht umgesetzten RL berufen kann, sprich: unabhängig davon, ob ihm
Richtlinien, Schadenersatz bei fehlerhafter Umsetzung die RL ein durchsetzbares subjektives Recht einräumt. Gegenstand dieser Rsp. waren insb. verfahrensrechtliche RL, wie z.B. die RL 85/337/ EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten – UVPRL, ABl. 5.7.1985, Nr. L 175/40. Die Einräumung subjektiver Rechte durch die in Frage stehende Richtlinienbestimmung ist demnach keine Voraussetzung für die unmittelbare Richtlinienwirkung, vielmehr kommen dafür auch „neutrale“ RL – die weder Rechte, noch Pflichten für den Einzelnen normieren – in Betracht. Der EuGH hat weiters grundsätzlich ausgesprochen, dass das Gemeinschaftsrecht nationale Gerichte nicht daran hindere, den Anwendungsvorrang von Amts wegen wahrzunehmen. Voraussetzung ist, dass das innerstaatliche Recht der betreffenden Behörde eine amtswegige Wahrnehmung gestattet. Richtlinienbestimmungen, die hinreichend genau und inhaltlich unbedingt sind, sind daher von den nationalen Behörden grundsätzlich immer anzuwenden, unabhängig von der Frage, ob sie Rechte des Einzelnen begründen und selbst dann, wenn die Anwendung der RL (mittelbar) Nachteile für den Einzelnen zur Folge hat. Die nationalen Behörden können die Anwendung der RL nicht unter Hinweis auf das Nicht-Tätigwerden des Gesetzgebers ablehnen. (zc) Lit.: P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 1278; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 72, 82 f.; P. Fischer, Die objektive Direktwirkung von EU-Richtlinien: Die Lektion aus dem Fall Wärmekraftwerk Großkrotzenburg 1995, in: H. Mayer et al. (Hrsg.), Recht in Österreich und Europa. FS für K. Hempel, 1997, 191; W. Klagian, Die objektiv unmittelbare Wirkung von Richtlinien, Zeitschrift für Öffentliches Recht 2001, 305; M. Ruffert, in: C. Calliess/ ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 249 EGV, Rn. 100 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 103/88 Fratelli Constanzo, Slg. 1989, 1839, Rn. 29 ff.; EuGH 11.7.1991, C-87/90 Verholen, Slg. 1991, I-3757, Rn. 16; EuGH 11.8.1995, C-431/92 Kommission/Deutschland („Großkrotzenburg“), Slg. 1995, I-2189, Rn. 37 f.; EuGH, Rs. C 312/93 Peterbroeck, Slg. 1995, I-4599, Rn. 21; EuGH, Rs. C-72/95 Kraaijeveld, Slg. 1996, I-5403, Rn. 57 f.; EuGH, Rs. C224/97 Ciola, Slg. 1999, I-2517, Rn. 30
Richtlinien, Schadenersatz bei fehlerhafter Umsetzung member state liability in case of failure to transpose a directive – responsabilité de l’État pour la non-transposition de directive
Der EuGH hat in der Rs. ĺFrancovich festgestellt, dass die Mitgliedstaaten für Schäden haften, die dem einzelnen Bürger dadurch entste-
hen, dass eine ĺRichtlinie (RL) nicht fristgerecht in nationales Recht umgesetzt wurde (ĺRichtlinien, Umsetzung, Allgemeines). Ein derartiger Schaden kann insb. dann entstehen, wenn weder durch unmittelbare Wirkung der begünstigenden Richtlinienbestimmung (ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung) noch durch ĺrichtlinienkonforme Auslegung Abhilfe geschaffen werden kann. Für diesen Fall gewährt das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen einen Anspruch auf Schadenersatz gegenüber dem säumigen Mitgliedstaat. Obwohl ein derartiger Anspruch im ĺPrimärrecht nicht ausdrücklich verankert ist, sieht der EuGH im Grundsatz der ĺStaatshaftung – der Haftung für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zurechenbare Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht entstanden sind – einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der im Wesen der mit dem EGV geschaffenen Rechtsordnung begründet ist. Der Mitgliedstaat ist zur Leistung von Schadenersatz verpflichtet, wenn ƒ der Zweck der verletzten Rechtsnorm darin besteht, dem Einzelnen (inhaltlich bestimmbare) Rechte zu verleihen, ƒ der Verstoß hinreichend qualifiziert ist, d.h. die Grenzen der Rechtsetzungsbefugnis offenkundig und erheblich überschritten worden sind und ƒ der Verstoß kausal für den entstandenen Schaden war. Ein hinreichend qualifizierter Verstoß liegt jedenfalls dann vor, wenn der Mitgliedstaat innerhalb der in der RL normierten Umsetzungsfrist keinerlei Umsetzungsmaßnahmen trifft. Ist die RL rechtzeitig, aber nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden, prüft der EuGH, ob der Verstoß gegen die Umsetzungspflicht im konkreten Fall hinreichend qualifiziert ist. Kein hinreichend qualifizierter Verstoß und damit kein Staatshaftungsanspruch ist gegeben, wenn die vom Mitgliedstaat vorgenommene Auslegung angesichts der Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift noch als vertretbar anzusehen ist. Eine rückwirkende und vollständige Umsetzung schließt die Schadenersatzpflicht aus, wenn die Betroffenen nicht darlegen können, dennoch Einbußen erlitten zu haben. Der Schadenersatzanspruch ist verfahrensmäßig im Rahmen des nationalen Haftungsrechts durchzusetzen, wobei die im Schadenersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei ähnlichen 769
Richtlinien, subjektive Wirkung Klagen, die nur nationales Recht betreffen (ĺÄquivalenzprinzip), und nicht so ausgestaltet sein dürfen, dass sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädigung zu erlangen (ĺEffektivitätsprinzip). (zc) Lit.: P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 1281 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 195 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 461 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-6/90 Francovich, Slg. 1991, I-5357, Rn. 31 ff.; EuGH, Rs. C-178/94 Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845, Rn. 19 ff.; EuGH, Rs. C-392/93 British Telecommunications, Slg. 1996, I-1631, Rn. 38 ff.; EuGH, Rs. C-94/95 Bonifaci, Slg. 1997, I-3969, Rn. 51 ff.
Richtlinien, subjektive Wirkung Subjective effect of directives – l’effet subjectif des directives
Der Ausgangspunkt für die Entwicklung der unmittelbaren Richtlinienwirkung in der Rsp. des EuGH war, ein Korrektiv für den Fall zu schaffen, dass der Mitgliedstaat eine den einzelnen Bürger subjektiv berechtigende ĺRichtlinie (RL) nicht umsetzt. Deshalb sollte es dem Einzelnen möglich sein, sich im Fall der Säumnis bei der Umsetzung gegenüber dem Staat auf unbedingte und hinreichend genaue Richtlinienbestimmungen zu berufen (s. ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung) , um ihn in die Lage zu versetzen, die ihm durch die RL eingeräumten Rechtspositionen – seine gemeinschaftsrechtlichen subjektiven Rechte – zu genießen. Der Begriff „subjektive Rechte“ wird vom EuGH im weitesten Sinne verstanden und umfasst jede Begünstigung, die den konkret Betroffenen unmittelbar besser stellt, als er es bei Anwendung der (verdrängten) nationalen Vorschrift wäre. Ausgehend von dieser Rsp. wurde in der Lit. z.T. vertreten, dass die Einräumung subjektiver Rechte durch die RL eine der Voraussetzungen für ihre unmittelbare Wirkung ist. Mittlerweile hat der EuGH klargestellt, dass die Frage der unmittelbaren Richtlinienwirkung unabhängig davon zu sehen ist, ob die RL auch subjektive Rechtspositionen verleiht (ĺRichtlinien, objektive Wirkung). (zc) Lit.: P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 1272 f.; W. Hummer/W. Obwexer, Die unmittelbare Wirkung von EG-Richtlinien und die Haftung des Staates für Umsetzungsmängel, in: S. Griller/H. P. Rill (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Grundfragen der EU-Mitgliedschaft, 1997, 21 (40); M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 249 EGV, Rn. 64 ff., 87 ff.
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Richtlinien, Umsetzung, Allgemeines implementation (transposition) of directives, preface – transposition des directives, généralité
ĺTransformation, Durchführung. Umformung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften in bzw. ihre inhaltliche Konkretisierung durch nationale Rechtsvorschriften. Da schlussendlich die nationalen Umsetzungsmaßnahmen angewendet werden, spricht man in diesem Zusammenhang auch von mittelbarem Vollzug des Gemeinschaftsrechts (s.a. ĺRichtlinien, mittelbare Wirkung; ĺVollzug, mittelbarer). Eine allgemeine Umsetzungspflicht wird aus der Treuepflicht des Art. 10 EG abgeleitet (ĺUnionstreue). Einer Umsetzung in nationales Recht zugänglich sind neben gemeinschaftsrechtlichem ĺPrimärrecht auch ĺEntscheidungen und insb. ĺRichtlinien. Eine etwaige Umsetzungsbedürftigkeit einer Entscheidung ist dieser selbst zu entnehmen; die Umsetzung von Primärrecht ist wohl zulässig, dürfte i.d.R. aber nicht geboten sein. Während ĺVerordnungen unmittelbar wirken und ihre Umsetzung in nationales Recht i.d.R. nicht nur unnötig sondern sogar unzulässig wäre, kann bei sog. „hinkenden Verordnungen“ sehr wohl eine Umsetzung in nationales Recht erforderlich sein. Hinsichtlich der Qualität des Umsetzungsaktes besteht eine umfangreiche Rsp. des EuGH, die sich in jene zur Form und in jene zum Inhalt der Umsetzungsvorschrift unterteilen lässt. Zwecks größerer Übersichtlichkeit werden unter diesem Stichwort lediglich die Grundsätze der Umsetzungspflicht dargestellt und die Details unter ĺRichtlinien, Umsetzung, Form und ĺRichtlinien, Umsetzung, Inhalt dargestellt. Richtlinien (RL) bedürfen nach der Systematik des Art. 249 Abs. 3 EG zu ihrer Wirksamkeit grundsätzlich eines zweistufigen Rechtsetzungsverfahrens (ĺRichtlinien), es sei denn, sie bzw. einzelne ihrer Bestimmungen erfüllen die Voraussetzungen der unmittelbaren Richtlinienwirkung (ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung). Die Mitgliedstaaten, die Adressaten der RL sind, sind daher verpflichtet, in ihrer nationalen Rechtsordnung Umsetzungsmaßnahmen zu treffen. Nach dem Wortlaut des Art. 249 Abs. 3 EG ist die RL lediglich hinsichtlich ihrer Ziele verbindlich, überlässt aber den Mitgliedstaaten die Wahl der Form und Mittel der Umsetzung. Dieser scheinbare Freiraum wird durch die z.T. sehr strenge Rsp. des EuGH eingeschränkt: Der als „zu erreichendes Ziel“ beschriebene Normenzweck der RL ist auch nicht ausschließlich
Richtlinien, Umsetzung, Allgemeines „final programmiert“, sondern erfasst auch den Wortlaut der RL. Die prinzipielle Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten reduziert sich häufig auf ein „Gebot perfekter Umsetzung“. Diese strenge Linie des EuGH resultiert aus der Überlegung, dass die Umsetzung nicht Selbstzweck ist: Die Regelungen der RL und das mit ihnen angepeilte Ergebnis sollen sich in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten wieder finden, so, als handelte es sich dabei um genuin mitgliedstaatliches Recht. In der Rs. Royer hat der EuGH den Entscheidungsspielraum der Mitgliedstaaten insoweit eingeschränkt, als diese bei der Umsetzung von RL diejenigen Formen und Mittel zu wählen hätten, die sich zur Gewährung der praktischen Wirksamkeit (ĺeffet utile) der RL unter Berücksichtigung des von ihr verfolgten Zwecks am besten eignen. Die RL ist demnach „perfekt“ umzusetzen. Welche Form und Mittel für eine perfekte Umsetzung erforderlich sind, ergibt sich aus der Zielsetzung der jeweiligen RL. Danach bemessen sich auch die Anforderungen an die Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und den Rechtsschutz, die der EuGH als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts (ĺPrimärrecht) anerkennt. Eine etwaige unmittelbare Wirkung einer Richtlinienbestimmung (ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung) entbindet die Mitgliedstaaten nicht von der Pflicht zur Umsetzung , ebenso wenig die Möglichkeit einer ĺrichtlinienkonformen Auslegung: Werden richtlinienwidrige Bestimmungen des nationalen Rechts beibehalten, werden die betroffenen Normadressaten bezüglich der ihnen eröffneten Möglichkeiten, sich auf Gemeinschaftsrecht zu berufen, in einem „Zustand der Ungewissheit“ gelassen. Dies gilt insb. dann, wenn die RL darauf abzielt, Angehörigen anderer Mitgliedstaaten – die die Grundsätze der Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaates schon gar nicht kennen – Ansprüche zu verleihen. Die Unvereinbarkeit des innerstaatlichen Rechts mit der RL lässt sich schließlich nur mit Hilfe des verbindlichen innerstaatlichen Rechts ausräumen. Adressaten der Umsetzungsverpflichtung sind die Mitgliedstaaten, genauer gesagt sind es die nach dem nationalen Recht dafür zuständigen Organe. Die Entscheidung darüber, welches innerstaatliche Organ die Umsetzung vorzunehmen hat, ergibt sich aus der mitgliedstaatlichen Kompetenzverteilung, auf die das Gemeinschaftsrecht keinen Einfluss hat. Insb. in Bundesstaaten können sich aufgrund oftmals komplizierter kompetenzrechtlicher Abgren-
zungen Schwierigkeiten bei der Umsetzung ergeben. Eine komplizierte Kompetenzverteilung entbindet nach der Rsp. des EuGH den Mitgliedstaat jedoch nicht von der Verpflichtung sicherzustellen, dass die RL uneingeschränkt und genau in verbindliches innerstaatliches Recht zwingenden Charakters umgesetzt wird. Nach erfolgreicher Umsetzung gelangt nicht mehr die RL, sondern die nationale Umsetzungsmaßnahme zur Anwendung (mittelbarer mitgliedstaatlicher Vollzug, s.a. ĺRichtlinien, mittelbare Wirkung; ĺVollzug mittelbarer). Grund für diese Stufung ist die Rücksichtnahme auf die jeweiligen nationalen Rechts- und Verwaltungsstrukturen: Gemeinschaftsrechtliche Norminhalte sollen auf diese Weise harmonisch in das innerstaatliche Recht integriert werden können, um so ihre Geltung effizient und möglichst ohne Widersprüche zu anderen Normen zu entfalten. Dadurch soll verhindert werden, dass der Richtlinieninhalt einen Fremdkörper in der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung bildet, wie es bei ĺVerordnungen der Fall ist. Die RL ist deshalb im Vergleich zur VO das effizientere Rechtsgestaltungsmittel – vorausgesetzt, sie wird korrekt umgesetzt. Darin ist aber zugleich auch die Problematik der RL begründet: Durch mangelhafte, unzureichende oder verspätete Umsetzung können die vom Gemeinschaftsgesetzgeber verfolgten Ziele vereitelt werden. Um dem entgegenzuwirken, hat der EuGH die unmittelbare Wirkung von RL entwickelt (ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung), die aber als bloßer Notbehelf die Mitgliedstaaten nicht von ihrer Umsetzungspflicht entbindet. Verstöße gegen die Umsetzungspflicht werden streng geahndet: Der säumige Mitgliedstaat riskiert neben etwaigen Schadenersatzpflichten aus Staatshaftung (ĺRichtlinien, Schadenersatz bei fehlerhafter Umsetzung) ein Vertragsverletzungsverfahren (ĺRichtlinien, Vertragsverletzung durch fehlerhafte Umsetzung). Die Kommission überprüft, ob die Mitgliedstaaten ihrer Umsetzungspflicht nachgekommen sind. Neuere RL enthalten einen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die Umsetzungsmaßnahme der Kommission mitzuteilen ist, wodurch dieser die Prüfung erleichtert wird, ob die Mitgliedstaaten der Umsetzungsverpflichtung tatsächlich nachgekommen sind. (zc) §§: Art. 249 Abs. 3 EG Lit.: P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 1264 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006,
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Richtlinien, Umsetzung, Form 108 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 437 ff.; M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 249 EGV, Rn. 48 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 48/75 Royer, Slg. 1976, 497, Rn. 74, 75; EuGH, Rs. C-131/88 Kommission/Deutschland, Slg. 1991, I-825, Rn. 71; EuGH, Rs. C-433/93 Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-2303, Rn. 24; weitere Rsp. s. unter ĺRichtlinien, Umsetzung, Form sowie ĺRichtlinien, Umsetzung, Inhalt
Richtlinien, Umsetzung, Form implementation (transposition) of directives, formally – transposition des directives, forme
Aus Gründen der Rechtssicherheit verlangt der EuGH in st. Rsp. eine gewisse Rechtsförmlichkeit der Umsetzung: Die Mitgliedstaaten haben die RL durch zwingende, außenwirksame Vorschriften umzusetzen (Rechtsnormvorbehalt). Nur dadurch werden die Erfordernisse der Eindeutigkeit und Bestimmtheit des Rechtszustandes erfüllt (Publizitätserfordernis). Die Form, in der RL in verbindliche Rechtsvorschriften umgesetzt werden, bestimmt sich nach dem nationalen Verfassungsrecht: In Österreich kommen dafür ausschließlich Gesetze und (Rechts-) VO in Betracht, wobei eine Umsetzung durch VO nach österr. Verfassungsrecht nur dann zulässig ist, wenn dafür eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage besteht. Eine Umsetzung durch bloße Verwaltungspraxis, die die Verwaltung beliebig ändern kann und die den Bürgern nur unzureichend bekannt ist, ist jedenfalls keine ordnungsgemäße Umsetzung, da nicht gewährleistet ist, dass die durch die RL Begünstigten davon Kenntnis erlangen und sich vor Gericht darauf berufen können. Dies gilt selbst dann, wenn es den zur Vollziehung zuständigen Behörden gar nicht möglich ist, diese Verwaltungspraxis zu ändern. Ein Rundschreiben an die zuständigen Behörden reicht daher mangels Publizität nicht aus. Dasselbe muss demnach auch für (generelle wie individuelle) Weisungen, Erlässe sowie VerwaltungsVO bzw. Verwaltungsvorschriften gelten, also für alle behördlichen Akte, die keine Außenwirksamkeit erlangen. Die erforderliche Form der Umsetzungsmaßnahme ist immer auch vom Regelungszweck der jeweiligen RL und von ihrem Inhalt abhängig. Die Umsetzungsverpflichtung erfordert daher nicht notwendigerweise in jedem Mitgliedstaat ein Tätigwerden des Gesetzgebers (im materiellen Sinn) i.S. einer förmlichen und wortgenauen Wiedergabe der Richtlinienbestimmungen in einer besonderen Gesetzesvorschrift. Allgemeine verfassungs- oder verwal772
tungsrechtliche Grundsätze bzw. das Bestehen eines allgemeinen rechtlichen Rahmens in der betreffenden innerstaatlichen Rechtsordnung können die Umsetzung in einem besonderen Umsetzungsgesetz überflüssig machen. Die Voraussetzung dafür ist die Gewährleistung der vollständigen Anwendung der RL durch die zuständigen Behörden und – falls die RL subjektive Rechte der einzelnen Bürger begründet – die Möglichkeit der Begünstigten, von ihren Rechten Kenntnis zu erlangen. Die Umsetzung durch einen allgemeinen rechtlichen Rahmen wird daher vor allem dann nicht ausreichend sein, wenn die RL sehr genaue und ins einzelne gehende Bestimmungen enthält. Der EuGH steht auch der Möglichkeit einer ĺrichtlinienkonformen Auslegung unbestimmter nationaler Rechtsbegriffe durch die Höchstgerichte ablehnend gegenüber, da eine höchstgerichtliche Rsp. nicht die gleiche Klarheit und Bestimmtheit wie eine ausdrückliche gesetzliche Regelung aufweise. Es müssen jedoch nicht immer alle Bestandteile einer RL in formelles innerstaatliches Recht umgesetzt werden: So kann ein Anhang zu einer RL, der eine nicht erschöpfende, beispielhafte Aufzählung enthält und keinen normativen Charakter hat, sondern den zur Vollziehung zuständigen Behörden lediglich als Hinweis dienen soll, auch nur in den Gesetzesmaterialien angeführt werden: Eine wörtliche Aufnahme in den Rechtsakt selbst ist nicht notwendig, sofern gewährleistet ist, dass die Allgemeinheit von diesem Anhang Kenntnis erlangen kann und die Behörden diesen Anhang als Teil der Gesetzesmaterialien zur Auslegung heranziehen. Nach der Rsp. des EuGH kann die Umsetzung mittels eines Sammelgesetzes wirksam und ausreichend sein, wenn dieses nach dem lex-posterior-Grundsatz Vorrang gegenüber der alten (richtlinienwidrigen) Rechtslage hat. Der EuGH stellt insb. dann besonders hohe Anforderungen an die Umsetzungsmaßnahmen, wenn die RL die Verleihung von subjektiven Rechten an Einzelne bezweckt. Dabei wählt er diejenige Auslegung, die den Gemeinschaftsbürger zur Durchsetzung des EG-Rechts aktiviert bzw. geht er davon aus, dass die Einräumung subjektiver Rechte jedenfalls immer dann bezweckt werde, wenn die mangelnde Befolgung der Richtlinienvorschriften die Gesundheit von Menschen gefährden könnte. In der deutschen Lit. wurde daher die Meinung vertreten, dass eine rechtsförmliche Umsetzung in bestimmten Bereichen nicht erforderlich sei,
Richtlinien, Umsetzung, Inhalt etwa soweit es sich um bloße Berichtspflichten der Mitgliedstaaten oder um die staatliche Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten handelt. Die Rechtsförmlichkeit der Umsetzung sei nur dort gefordert, wo eine RL die Begründung von Rechten oder Pflichten Einzelner impliziert. RL, die keine direkte Relevanz für den Bürger besitzen, ihn weder berechtigen noch verpflichten und auch keine genauen und ins Einzelne gehenden Regelungen enthalten, bedürften hingegen keiner außenwirksamen Umsetzungsmaßnahme. Diese Ansicht ist insofern problematisch, als der EuGH den Begriff der subjektiven Rechte weit auslegt: In der Lit. wird angenommen, dass eine RL die Einräumung subjektiver Rechte nicht nur dann erforderlich mache, wenn sie ihrem Inhalt nach die Interessensphäre bestimmter Personen berührt, sondern diese darüber hinaus auch einem nicht von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreis einzuräumen wären, sobald dessen Beeinträchtigung theoretisch in Betracht kommt. Strittig ist, ob der EuGH über diese Vorgaben hinaus auch eine Parallelität der Umsetzung insofern fordert, als RL in Vorschriften desselben Ranges umzusetzen sind, wie die dabei zu ändernden Bestimmungen. Ein Teil der Lit. leitet diesen Grundsatz der Parallelität aus der Rsp. des EuGH ab, wonach sich die Unvereinbarkeit des innerstaatlichen Rechts mit den Bestimmungen der umzusetzenden RL nur mit Hilfe von „verbindlichem innerstaatlichen Recht ausräumen läßt, das denselben Rang hat, wie die zu ändernden Bestimmungen“. Demnach müsse die Rechtsqualität der Umsetzungsmaßnahme dieselbe sein, wie die jener innerstaatlichen Vorschriften, die die betreffende Materie bislang geregelt haben, insb. wenn durch die RL subjektive Rechte begründet werden sollen. Ausgangspunkt sei dabei der bestehende innerstaatliche Rechtszustand und die innerstaatliche Rechtsnormenhierarchie, sodass das Gemeinschaftsrecht es erforderlich machen könnte, eine RL durch Verfassungsänderung umzusetzen. Dieses Verständnis wird von einem anderen Teil der Lehre mit der Begründung abgelehnt, dass diese Rsp. des EuGH jeweils zur „Umsetzung“ von RL durch nicht außenwirksame Erlässe bzw. reine Verwaltungspraxis ergangen ist. Der Verpflichtung zur Umsetzung „im gleichen Rang“ ist nach dieser Ansicht nur die Bedeutung zuzumessen, dass sie durch Vorschriften vorzunehmen sei, die den gleichen zwingenden Charakter und die gleiche Publizität aufweisen, nicht aber, dass sie auch den
Rang der Umsetzungsmaßnahme im innerstaatlichen Stufenbau der Rechtsordnung determinieren sollte. Nach dieser Ansicht würde sich die Erforderlichkeit einer „gleichrangigen“ Umsetzung ausschließlich aus dem nationalen Verfassungsrecht ergeben. Entspricht die nationale Rechtslage bereits der RL, ist keine rechtsförmliche Umsetzung erforderlich: In diesem Fall reicht eine Mitteilung an die Kommission. (zc) §§: Art. 249 Abs. 3 EG Lit.: P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 1264 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 112 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 437 ff.; S. Himmelmann, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für die Umsetzung von EG-Recht, Die Öffentliche Verwaltung, 1996, 145 ff. (145 f.); C. Stix-Hackl, Zu Aspekten der Umsetzung in der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, Zeitschrift für europarechtliche Studien, 2002, 541; H. D. Jarass/S. Beljin, Die Bedeutung von Vorrang und Durchführung des EG-Rechts für die nationale Rechtsetzung und Rechtsanwendung, NVwZ 2004, 1; G. Schmidt, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 249 EGV, Rn. 40; M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 249 EGV, Rn. 46 ff., 48 ff., 59 ff. Rsp.: Zum Gebot der perfekten Umsetzung: EuGH, Rs. 48/75 Royer, Slg. 1976, 497, Rn. 69-73 Zur Erforderlichkeit einer eindeutigen Umsetzung: EuGH, Rs. 168/85 Kommission/Italien, Slg. 1986, 2945, Rn. 11; EuGH, Rs. C-144/99 Kommission/Niederlande, Slg. 2001, I-3541, Rn. 17, 21; EuGH, Rs. 102/79 Kommission/Belgien, Slg. 1980, 1473, Rn. 11; EuGH, Rs. C-256/98 Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I-2487, Rn. 36 Zur Unzulänglichkeit der Umsetzung durch bloße Verwaltungspraxis: EuGH, Rs. 102/79 Kommission/ Belgien, Slg. 1980, 1473, Rn. 11; EuGH, Rs. 145/82 Kommission/Italien, Slg. 1983, 711, Rn. 10; EuGH, Rs. 239/85 Kommission/Belgien, Slg. 1986, 3645, Rn. 7 Zur Umsetzung in Gesetzesmaterialien: EuGH, Rs. C-478/99 Kommission/Schweden, Slg. 2002, I-4147, Rn. 23 Zur Parallelität der Umsetzung: EuGH, Rs. 168/85 Kommission/Italien, Slg. 1986, 2945, Rn. 13; EuGH, Rs. 102/79 Kommission/Belgien, Slg. 1980, 1473, Rn. 10; EuGH, Rs. C-145/99 Kommission/Italien, Slg. 2002, I-2235, Rn. 30
Richtlinien, Umsetzung, Inhalt implementation (transposition) of directives, contents – transposition des directives – contenu
Der EuGH stellt hohe Anforderungen nicht nur an die Form (ĺRichtlinien, Umsetzung, Form), sondern auch an die inhaltliche Ausgestaltung von Umsetzungsregelungen. Er verlangt, dass der mitgliedstaatliche Umsetzungsgesetzgeber die vollständige Anwendung der RL in hinreichend bestimmter und klarer Art und Weise sichert, sodass der einzelne Bürger 773
Richtlinien, Umsetzung, Inhalt Kenntnis von ev. darin enthaltenen subjektiven Rechten nehmen kann. Er verlangt eine Umsetzung, die den Erfordernissen der Eindeutigkeit und Bestimmtheit des Rechtszustandes gerecht wird (Präzision der Umsetzung). Ob dafür eine wörtliche Wiedergabe der Richtlinienvorschriften erforderlich ist, richtet sich nach dem Inhalt der RL und dem von ihr verfolgten Zweck: Der erforderliche Grad an Genauigkeit kann nicht pauschal festgelegt werden, sondern hängt von der jeweiligen Sachmaterie ab. Gibt etwa die RL nur einen groben Rahmen vor, ist ihre Umsetzung auch durch unbestimmte Rechtsbegriffe zulässig. Ist die RL sehr detailliert, sind ihre Bestimmungen förmlich und wörtlich in das innerstaatliche Recht zu übernehmen; dasselbe gilt i.d.R. auch dann, wenn die RL subjektive Rechte normiert. Unzulässig sind nationale Alleingänge, die den Inhalt der RL nicht vollständig bzw. nicht sofort Bestandteil der nationalen Rechtsordnungen werden lassen, wie etwa der eigenmächtige Erlass von Übergangsfristen. Ziel der Gemeinschaftsgesetzgebung durch RL ist eine möglichst harmonische Einbettung des Richtlinieninhalts in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Es ist daher wünschenswert, dass die Umsetzung so erfolgt, dass sich die RL auch in begrifflicher und systematischer Hinsicht so weit wie möglich in die innerstaatliche Rechtsordnung einfügt, insb. auch durch die Verwendung der jeweiligen nationalen Rechtssprache. Das ist nicht immer einfach: Tatsächlich weisen viele RL einen derart hohen Grad an Detailliertheit auf, dass der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten stark eingeschränkt ist. In solchen Fällen reduziert sich die Umsetzung auf ein reines Abschreiben der Richtlinienbestimmungen („Xerox-Gesetzgebung“). Strittig ist die Zulässigkeit der Richtlinienumsetzung mittels Verweisung. Nach der Rsp. des EuGH ist eine allgemeine Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht keine ausreichende Umsetzungsmaßnahme, insb. wenn die RL subjektive Rechte vorsieht. Aber auch eine partielle Verweisung – also eine ausdrückliche Bezugnahme auf eine konkrete Richtlinienbestimmung – wird den Anforderungen an eine präzise Umsetzung nur dann entsprechen, wenn die verwiesene Richtlinienbestimmung selbst hinreichend bestimmt ist. Bedenken gegen diese Rechtstechnik bestehen auch auf nationaler verfassungsrechtlicher Ebene. Die jüngere Rsp. des EUGH deutet darauf hin, dass der Umsetzungshinweis – also die Aufnahme eines eindeutigen Hinweises auf die 774
umzusetzende RL in den Umsetzungsakt – ein wesentlicher Teil einer vollständigen und korrekten Umsetzung ist (s. näher ĺRichtlinien, Umsetzungshinweis). RL sind grundsätzlich in ihrem vollen Umfang und von allen Mitgliedstaaten umzusetzen. Unklar ist, inwieweit diese Verpflichtung auch für Richtlinienvorschriften gilt, die in einem oder mehreren bestimmten Mitgliedstaaten von vornherein nicht zur Anwendung kommen können: Der EuGH hat ausgesprochen, dass die Umsetzung einer RL nicht erforderlich ist, wenn ihre Umsetzung aus geographischen Gründen gegenstandslos wäre; ist die Verwirklichung der in der RL geregelten Tatbestände aber zumindest möglich, muss die RL umgesetzt werden. Da der Umsetzungsakt Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung wird, ergibt sich bereits aus dem innerstaatlichen Verfassungsrecht die Pflicht, über den Richtlinientext hinaus weitere normative Anordnungen in die Umsetzungsmaßnahme aufzunehmen: Dazu gehören Vorschriften zur innerstaatlichen Vollziehung, also insb. die Festlegung von Zuständigkeiten und Aufnahme von Verfahrensregelungen. Aber auch das Gemeinschaftsrecht kann die Mitgliedstaaten zur Aufnahme über den Wortlaut der RL hinausgehender Normen verpflichten. Nach der Rsp. des EuGH verpflichtet Art. 10 EG die Mitgliedstaaten zur „Bewehrung“ von in den Gemeinschaftsrechtsvorschriften enthaltenen Verhaltensnormen. Enthält eine gemeinschaftsrechtliche Regelung keine besonderen Sanktionen für den Fall ihrer Verletzung bzw. verweist sie zu diesem Zweck ausdrücklich auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, sind diese verpflichtet, entsprechende Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des in der RL normierten Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Bei der Wahl der Sanktionen ist der Mitgliedstaat an die Grundsätze der Effektivität (ĺEffektivitätsgrundsatz), Äquivalenz (ĺÄquivalenzprinzip) und Verhältnismäßigkeit (ĺVerhältnismäßigkeitsprinzip) gebunden: Ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsrechtsvorschrift muss nach den gleichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, wie sie für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht gelten. Nach dem Äquivalenzgrundsatz dürfen Verfahren, die bei der Durchführung von Gemeinschaftsrecht zur Anwendung gelangen, nicht ungünstiger ausgestaltet sein, als entsprechende Verfahren, die nur innerstaatliches Recht betreffen. Enthält das nationale Recht keine
Richtlinien, Umsetzungshinweis ähnliche Sanktion, muss die neu zu schaffende Sanktion jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein (Effektivität). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die im nationalen Recht vorzusehenden Maßnahmen – insb. (verwaltungs)strafrechtlicher Natur – der Schwere der Tat angemessen sein müssen und nicht über den Rahmen des zu erreichenden Zieles hinausgehen dürfen – dadurch werden der Verhängung (unverhältnismäßiger) Sanktionen Grenzen gesetzt. Die Feinabstimmung hat jeder Mitgliedstaat selbst vorzunehmen: Selbst wenn im betreffenden Gemeinschaftsrechtsakt eine besondere Rechtsfolge vorgesehen ist, kann es im Einzelfall geboten sein, dass der Mitgliedstaat zusätzliche Maßnahmen trifft, um die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu wahren. (zc) §§: Art. 249 Abs. 3 EG Lit.: P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 1264 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 117 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 437 ff.; M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 249 EGV, Rn. 49 ff., 55 ff.; I. Pernice, Kriterien der normativen Umsetzung von Umweltrichtlinien der EG im Lichte der Rechtsprechung des EuGH, EuR 1994, 325; I. Eisenberger/W. Urbantschitsch, Die Verweisung als Instrument zur Umsetzung von Gemeinschaftsrecht, Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 1999, 74 ff.; A. Guckelberger, Die Gesetzgebungstechnik der Verweisung unter besonderer Berücksichtigung ihrer verfassungsund gemeinschaftsrechtlichen Probleme, Zeitschrift für Gesetzgebung, 2004, 62 ff. (69) Rsp.: Zur Präzision der Umsetzung: EuGH, Rs. C-58/ 89 Kommission/Deutschland, Slg. 1991, I-4983, Rn. 13; EuGH, Rs. 29/84 Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 1661, Rn. 23; EuGH, Rs. C-144/99 Kommission/Niederlande, Slg. 2001, I-3541, Rn. 17; EuGH, Rs. C-190/90 Kommission/Niederlande, Slg. 1992, I-3265, Rn. 29 ff., 35 Zur Umsetzung durch Verweisung: EuGH, Rs. C-96/95 Kommission/Deutschland, Slg. 1997, I-1653, Rn. 36 Zum Umfang der Umsetzungspflicht: EuGH, Rs. C441/00 Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2002, I-4699, Rn. 17 Zur „Bewehrung“ von RL mit Sanktionen: EuGH, Rs. 203/80 Casati, Slg. 1981, 2595, Rn. 27; EuGH, Rs. 79/83 ĺHarz, Slg. 1984, 1921, Rn. 28; EuGH, Rs. C383/92 Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1994, I-2479, Rn. 40; EuGH, Rs. C-36/94 Siesse, Slg. 1995, I-3573, Rn. 20; EuGH, Rs. C-387/02 Berlusconi, Slg. 2005, I-3565, Rn. 65 ff. Zur Unzulässigkeit von Übergangsvorschriften: EuGH, Rs. C-396/92 Bund Naturschutz, Slg. 1994, I-3717, Rn. 17 ff.
Richtlinien, Umsetzungsfrist time limits for implementation of directives – délai par la transposition d’une directive
Zeitraum, innerhalb dessen eine ĺRichtlinie (RL) umzusetzen ist. Die Umsetzungsfrist er-
gibt sich aus der RL selbst. Nach der Rsp. des EuGH sind die Umsetzungsfristen strikt einzuhalten, da ansonsten der angestrebte einheitliche Vollzug des in der RL normierten Gemeinschaftsrechts gefährdet wäre. Erweist sich die Umsetzungsfrist für einen Mitgliedstaat als zu kurz, besteht die Möglichkeit, das auf Gemeinschaftsebene zuständige Organ zu einer Fristverlängerung zu bewegen. Zu den Folgen einer nicht fristgerechten Umsetzung s. ĺRichtlinien, Schadenersatz bei fehlerhafter Umsetzung und ĺRichtlinien, Vertragsverletzung durch fehlerhafte Umsetzung. (zc) Lit.: P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 1268; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006 117 ff.; G. Schmidt, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 249 EGV, Rn. 39; M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 249 EGV, Rn. 46 Rsp.: EuGH, Rs. 52/75 Kommission/Italien, Slg. 1976, 277, Rn. 11-13; EuGH, Rs. 10/76 Kommission/Italien, Slg. 1976, 1359, Rn. 11-12; EuGH, Rs. C-176/00 Kommission/Griechenland, Slg. 2001, I-2063, Rn. 7
Richtlinien, Umsetzungshinweis Reference to the transposition of a directive – référence à la transposition d’une directive
Seit den 1990er Jahren enthalten neu erlassene RL in ihren Schlussbestimmungen die Verpflichtung, im Umsetzungsakt auf die umgesetzte RL Bezug zu nehmen. Das Fehlen des Umsetzungshinweises wird vom EuGH als Zeichen für eine nicht vollständige Umsetzung gewertet. Durch das „Zitiergebot“, also die Aufnahme des Umsetzungshinweises in den Text oder bei der amtlichen Veröffentlichung soll sichergestellt werden, dass der Rechtsanwender erkennt, welche Vorschriften in Ausführung einer RL ergangen sind; der Umsetzungshinweis dient also insb. der Erkennbarkeit der Umsetzung (ĺRichtlinien, Umsetzung, Allgemeines). Daneben erleichtert der Umsetzungshinweis die Kontrolle der mitgliedstaatlichen Umsetzungsmaßnahme durch die Kommission. Für die Aufnahme des Umsetzungshinweises bieten sich die Einleitungs- oder die Schlussbestimmung des Umsetzungsaktes an, bzw. seine Anführung im Rahmen der amtlichen Veröffentlichung. Die bloße Anführung der CELEXNummer reicht wohl nicht aus. Es ist daher davon auszugehen, dass der ursprünglich als bloß „förmliche Nebenpflicht“ bezeichnete Umsetzungshinweis mittlerweile an Bedeutung dazugewonnen hat. (zc) Lit.: T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 110; C. Kleiser, Die
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Richtlinien, unmittelbare Wirkung Umsetzung von Gemeinschaftsrecht aus legistischer Sicht: Der Umsetzungshinweis, Journal für Rechtspolitik, 2001, 28; H. D. Jarass/S. Beljin, Die Bedeutung von Vorrang und Durchführung des EG-Rechts für die nationale Rechtsetzung und Rechtsanwendung, NVwZ 2004, 1; G. Obenaus, Gesetzliche Anforderungen an die österreichische Legistik, Journal für Rechtspolitik, 1999, 111, 116 Rsp.: EuGH, Rs. C-137/96 Kommission/Deutschland, Slg. 1997, I-6749, Rn. 8; EuGH, Rs. C-361/95 Kommission/Spanien, Slg. 1997, I-7351, Rn. 15
Richtlinien, unmittelbare Wirkung direct effect of directives – l’effet direct des directives
S.a. ĺunmittelbare Anwendbarkeit, unmittelbare Geltung, Drittwirkung, Durchgriffswirkung, Direktwirkung. Eigenschaft von ĺRichtlinien (RL), auch ohne mitgliedstaatlichen Umsetzungsakt unmittelbare Rechtswirkungen im innerstaatlichen Recht zu entfalten, sprich: Grundlage einer nationalen gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Entscheidung im Einzelfall zu sein. Grundsätzlich entfalten RL ihre Wirkung erst durch eine nationale Umsetzungsmaßnahme (ĺRichtlinien, Umsetzung, Allgemeines), wobei diesfalls aber nicht die RL zur Anwendung gelangt, sondern der innerstaatliche Rechtsakt, der in Umsetzung der RL ergangen ist (s.a. ĺVollzug, mittelbarer; ĺRichtlinien, mittelbare Wirkung). Ist der Mitgliedstaat mit der Umsetzung säumig, hat er also die RL verspätet, unvollständig oder (inhaltlich) fehlerhaft bzw. gar nicht in innerstaatliches Recht umgesetzt, liegt ein Fehlverhalten seinerseits vor, das die Effektivität der gemeinschaftlichen Rechtsordnung beeinträchtigt (s.a. ĺEffektivitätsgrundsatz). Der EuGH hat für solche Fälle aus dem völkerrechtlichen estoppel-Prinzip und aus Überlegungen zur nützlichen Wirkung des Gemeinschaftsrechts (ĺeffet utile) mittels richterlicher Rechtsfortbildung die Rechtsfigur der unmittelbaren Richtlinienwirkung entwickelt: Der einzelne Bürger soll sich zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegenüber dem säumigen Staat auf eine Richtlinienbestimmung berufen können, sofern diese inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheint. Inhaltlich unbedingt ist eine Richtlinienbestimmung, wenn sie weder einem Vorbehalt unterliegt, noch an eine Bedingung geknüpft ist, sodass dem Mitgliedstaat bei der Umsetzung kein größerer Gestaltungsspielraum eingeräumt ist; hinreichend genau ist sie, wenn sich ihr Inhalt klar erkennen lässt – Tatbestand und Rechtsfolge stehen ohne aufwändige Interpretation eindeutig fest – 776
und dem Mitgliedstaat kein Ermessen eingeräumt wird. Die unmittelbare Richtlinienwirkung ist lediglich als Mindestgarantie für den Einzelnen anzusehen; der säumige Mitgliedstaat kann sich nicht darauf berufen, um seine Säumnis mit der rechtzeitigen und vollständigen Umsetzung zu rechtfertigen (s. näher ĺRichtlinien, Umsetzung, Allgemeines). Die unmittelbare Richtlinienwirkung ist grundsätzlich eine vertikale (vertical direct effect): Der einzelne Bürger kann sich gegenüber dem Staat auf die für ihn günstige Richtlinienbestimmung berufen und auf diese Art und Weise die Anwendung einer für ihn nachteiligen innerstaatlichen Rechtsvorschrift abwenden. Dieses Recht kommt umgekehrt aber nicht dem säumigen Staat zu: Ihm ist es verwehrt, sich selbst zu Lasten des Einzelnen auf Bestimmungen der nicht umgesetzten RL zu berufen (Ausschluss der umgekehrt vertikalen unmittelbaren Richtlinienwirkung [inverse direct effect], z.B. wenn die RL die strafrechtliche Verantwortlichkeit verschärft), genauso wie es ihm untersagt ist, sich auf jene nationalen Bestimmungen zu berufen, die – wäre die RL ordnungsgemäß umgesetzt worden – keine Anwendung gefunden hätten. Der Staatsbegriff ist in diesem Zusammenhang weit auszulegen und umfasst den Staat sowohl als Träger von Hoheitsgewalt als auch als Privatrechtsträger. Darüber hinaus sind auch all jene Einrichtungen als Staat anzusehen, die unter staatlicher Aufsicht Dienstleistungen im öffentlichen Interesse erbringen und dabei mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über das hinausgehen, was für Beziehungen unter Privaten gilt; hingegen kommt es dabei nicht auf die Rechtsform an (EuGH, Rs. Foster, funktionelle Betrachtungsweise). Im Zusammenhang mit der unmittelbaren Wirkung von RL hat die Lit. unterschiedliche Begriffe entwickelt. Vom Regelfall der unmittelbaren Richtlinienwirkung im vertikalen Verhältnis zwischen dem Bürger und dem Staat ist die sog. horizontale Richtlinienwirkung zu unterscheiden, die im Verhältnis Bürger-Bürger wirkt (ĺRichtlinien, Horizontalwirkung). Die Zulässigkeit der horizontalen unmittelbaren Richtlinienwirkung wird vom EuGH in st. Rsp. verneint, mit der Folge, dass all jene Fallkonstellationen von der unmittelbaren Richtlinienwirkung ausgeschlossen sind, in denen eine aus der RL unmittelbar folgende Verpflichtung Privater eingefordert wird; im Einzelnen ist vieles strittig (vgl. insb. die Diskussion zur unmittel-
Richtlinien, Vertragsverletzung durch fehlerhafte Umsetzung baren RL-Wirkung im Dreiecksverhältnis [incidental direct effect]). Des Weiteren kann zwischen dem Begriffspaar subjektive – objektive Richtlinienwirkung unterschieden werden (ĺRichtlinien, subjektive Wirkung; ĺRichtlinien, objektive Wirkung). Überblick über die Voraussetzungen der unmittelbaren Richtlinienwirkung: ƒ Die Umsetzungsfrist ist abgelaufen; ƒ der Mitgliedstaat ist mit der Umsetzung säumig; ƒ die fragliche Richtlinienbestimmung ist inhaltlich unbedingt und hinreichend genau (self-executing); ƒ die unmittelbare Richtlinienverpflichtung betrifft den Staat und nicht einen anderen Bürger (vertikale unmittelbare Richtlinienwirkung in Abgrenzung zur – unzulässigen – Horizontalwirkung von RL). Die wichtigste Konsequenz für das nationale Recht, die sich aus der unmittelbaren Wirkung einer RL ergibt, ist die Pflicht zur Wahrnehmung des ĺAnwendungsvorrangs dieser Bestimmung: Sie verdrängt entgegenstehendes innerstaatliches Recht, d.h. Gerichte und Verwaltungsbehörden haben die innerstaatliche Vorschrift unangewendet zu lassen und stattdessen die Richtlinienvorschrift anzuwenden. Der Vollzug unmittelbar wirkender Richtlinienbestimmungen erfolgt im Rahmen der nationalen Kompetenzverteilung und Behördenorganisation. In Österreich unterliegt die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts und damit auch die amtswegige Wahrnehmung des Anwendungsvorrangs der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof. (zc) Lit.: P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 1272 ff., 1277; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 68 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 443 ff.; C. Brenn, Auf dem Weg zur horizontalen Direktwirkung von EU-Richtlinien, Österreichische Juristenzeitung, 2005, 41; M. Holoubek, Die Zuständigkeit bei unmittelbarer Anwendung von Gemeinschaftsrecht, in: M. Holoubek/M. Lang (Hrsg.), Abgabenverfahrensrecht und Gemeinschaftsrecht, 2005, 68 ff.; G. Schmidt, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 249 EGV, Rn. 41; M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 249 EGV, Rn. 73 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 148/78 Ratti, Slg. 1979, 1629, Rn. 23; EuGH, Rs. 41/74 Van Duyn, Slg. 1974, 1331, Rn. 12; EuGH, Rs. 80/86 Kolpinghuis Nijmegen, Slg. 1987, 3969, Rn. 9, 13; EuGH, Rs. C-188/89 Foster, Slg. 1990, I-3313, Rn. 17 ff.; EuGH, Rs. C-91/92 Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325, Rn. 20 ff.; EuGH, Rs. C-54/96 Dorsch Consult, Slg. 1997, I-4961, Rn. 44
Richtlinien, Vertragsverletzung durch fehlerhafte Umsetzung infringement in case of failure to transpose a directive – manquement en raison d’une mauvaise transposition de directive
Eine mangelhafte Umsetzung verstößt gegen die sich aus dem Primärrecht sowie der ĺRichtlinie (RL) selbst ergebende Transformationsverpflichtung. Eine Verletzung der Umsetzungspflicht liegt nicht nur dann vor, wenn der Mitgliedstaat innerhalb der Umsetzungsfrist (ĺRichtlinien, Umsetzungsfrist) überhaupt keine Umsetzungsmaßnahme gesetzt hat, sondern auch dann, wenn er die RL unzureichend (unvollständig) oder fehlerhaft umgesetzt hat. Die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, die Säumnis bei der Umsetzung zu rechtfertigen, sind nach der Rsp. des EuGH stark eingeschränkt, insb. die regelmäßige Argumentation mit der Kürze der Umsetzungsfrist geht ins Leere, da es den Mitgliedstaaten offen steht, auf Gemeinschaftsebene eine Verlängerung der Frist zu bewirken. Die Mitgliedstaaten können sich zur Rechtfertigung ihrer mangelhaften Richtlinienumsetzung auch nicht auf interne Umstände (z.B. Regierungskrise, komplizierte nationale Kompetenzverteilung) berufen, ebenso wenig darauf, dass auch andere Mitgliedstaaten säumig geblieben sind. Die Nicht-Umsetzung einer RL kann in einem ĺVertragsverletzungsverfahren nach den Art. 226 und 227 EG sanktioniert werden. Ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Nicht-Umsetzung einer RL kann sowohl von der Kommission als auch von einem anderen Mitgliedstaat eingeleitet werden. Die Verurteilung an sich hat aber keine Umsetzung der RL zur Folge; da der einzelne Bürger auch keine Aktivlegitimation im Vertragsverletzungsverfahren hat, verbleibt ein Rechtsschutzdefizit. Der EuGH hat zur Effektuierung der Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten zwei weitere Instrumentarien entwickelt, nämlich die unmittelbare Wirkung von hinreichend genauen und unbedingten Richtlinienbestimmungen (ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung) und die Staatshaftung bei mangelhafter Richtlinienumsetzung gegenüber durch die Nicht-Umsetzung geschädigten Bürgern (ĺRichtlinien, Schadenersatz bei fehlerhafter Umsetzung). (zc) §§: Art. 226, 227, 249 Abs. 3 EG Lit.: P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 1268 f.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 195 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 461 ff.; G. Schmidt, in: H. von der Groeben/J. Schwarze
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Richtlinien, Vorwirkungen (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 249 EGV, Rn. 39; M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 249 EGV, Rn. 72 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 52/75 Kommission/Italien, Slg. 1976, 277, Rn. 7-9; EuGH, Rs. 227-230/85 Kommission/Belgien, Slg. 1988, 1, Rn. 9 f.
Richtlinien, Vorwirkungen pre-effect of directives – l’effet anticipé des directives
Richtlinien entfalten bereits ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens (s. dazu ĺRichtlinien) – also zeitlich betrachtet bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist – bestimmte Rechtswirkungen für die Mitgliedstaaten. Nach dem sog. Frustrationsverbot, das der EuGH auch aus der Treuepflicht des Art. 10 EG (ĺUnionstreue) ableitet, ist es den Mitgliedstaaten untersagt, während der Umsetzungsfrist Rechtsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die in der RL normierten Ziele ernstlich in Frage zu stellen. Insbesondere ist es den Mitgliedstaaten während der Umsetzungsfrist nicht gestattet, Maßnahmen zu erlassen, die mit den Zielen der RL unvereinbar sind. Strittig ist, ob die Vorwirkung einer RL auch darin besteht, dass sie bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist als Interpretationshilfe herangezogen werden muss bzw. kann (s. ĺrichtlinienkonforme Auslegung). (zc) §§: Art. 249 Abs. 3 EG Lit.: T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 109; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 460; J. Kühling, Vorwirkungen von EG-Richtlinien bei der Anwendung nationalen Rechts – Interpretationsfreiheit für Judikative und Exekutive? DVBl. 2006, 857 Rsp.: EuGH, Rs. C-129/96 Inter-Environnement Wallonie, Slg. 1997, I-7411, Rn. 45; EuGH, Rs. C-14/02 ATRAL SA, Slg. 2003, I-4431, Rn. 58; EuGH, Rs. C144/04 Mangold, Slg. 2005, I-9981, Rn. 72
Richtlinienkonforme Auslegung harmonious interpretation, interpretation in the light of a directive – interprétation à la lumière de la directive, interprétation conforme
Die richtlinienkonforme Auslegung stellt die praktisch wichtigste Ausprägung des Gebotes der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung (ĺInterpretation, gemeinschaftsrechtskonforme) dar, die wiederum eine Ausprägung der rechtskonformen Interpretation ist. Die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, das nationale Recht soweit wie möglich im Sinne der ĺRichtlinien (RL) auszulegen, wobei sich die Auslegung am Wortlaut und Zweck der RL ausrichten muss. Diese Pflicht gilt nicht nur hinsichtlich der Auslegung 778
der konkret in Umsetzung einer RL ergangenen Rechtsvorschriften, sondern erfasst das gesamte nationale Recht im Regelungsbereich der RL, unabhängig davon, ob es vor oder nach der RL erlassen worden ist. Der EuGH begründet diese Pflicht mit der Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten (ĺRichtlinien, Umsetzung): Die Mitgliedstaaten werden durch die Treuepflicht des Art. 10 EG verpflichtet, alle zur Umsetzung einer RL geeigneten Maßnahmen zu treffen (s.a. ĺUnionstreue). Während die Umsetzungspflicht auf Ebene der Rechtsetzung gilt, soll die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation auf Ebene der Rechtsanwendung sicherstellen, dass die Richtlinienziele erreicht werden. Die nationalen Behörden müssen im Rahmen ihrer Zuständigkeit und unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts sowie der Ausschöpfung der ihnen durch das nationale Recht eingeräumten Beurteilungsspielräume alles tun, um die volle Wirksamkeit einer RL (ĺeffet utile) zu gewährleisten. Von besonderer Bedeutung ist die richtlinienkonforme Interpretation bei der Ausfüllung nationaler Beurteilungs- bzw. Ermessensspielräume. Wird eine nationale Vorschrift entgegen dem Gebot gemeinschaftsrechtskonformer Interpretation ausgelegt, liegt eine Vertragsverletzung vor. Die Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung einer nationalen Vorschrift hat dort ihre Grenzen, wo sie zu einer Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit und des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots (Art. 7 EMRK) führen würde: Eine Strafvorschrift darf daher nicht richtlinienkonform ausgelegt werden, wenn dies gegen das Rückwirkungs- oder Analogieverbot verstoßen würde (EuGH ĺArcaro-Entscheidung). Strittig ist, ob der EuGH eine richtlinienkonforme Interpretation ausschließlich innerhalb der Auslegungsregeln der jeweiligen nationalen Rechtsordnung verlangt, oder ob er dabei auf einen europäischen Standard allgemein anerkannter Auslegungsgrundsätze abstellt. Eine richtlinienkonforme Interpretation wird jedenfalls dann nicht in Betracht kommen, wenn die Auslegung der nationalen Vorschrift nach ihrem Wortlaut, ihrer Systematik, ihrem Zweck und ihrer Entstehungsgeschichte dem Ergebnis der richtlinienkonformen Interpretation widersprechen würde. Ist eine nationale Vorschrift von ihrem Wortlaut und ihrem Sinn her eindeutig, wird ihr im Wege der richtlinienkonformen Interpretation kein entgegen gesetzter Sinn bzw. ein grundlegend
Risikoanalyse, lebensmittelrechtliche neuer normativer Inhalt verliehen werden dürfen. Nationales, richtlinienwidriges Recht kann demnach nicht mittels richtlinienkonformer Interpretation korrigiert werden; in einem solchen Fall können die Betroffenen lediglich den Ersatz des Schadens verlangen, der ihnen durch die Säumnis bei der Umsetzung entstanden ist (ĺRichtlinien, Schadenersatz bei fehlerhafter Umsetzung). Die Abgrenzung zur unmittelbaren Richtlinienwirkung (ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung) ist teilweise fließend, es bestehen aber wesentliche Unterschiede zwischen diesen beiden Rechtsinstituten: Während sich die Rechtsfolgen bei der unmittelbaren Richtlinienwirkung unmittelbar an hinreichend genaue und unbedingte Vorschriften einer (nicht umgesetzten) RL knüpfen, bedarf es für die richtlinienkonforme Auslegung eines auslegungsfähigen nationalen Regelungsrahmens, der den nationalen Behörden auch einen gewissen Beurteilungsspielraum einräumt. Die richtlinienkonforme Interpretation kommt zur Anwendung, wenn die einschlägige Richtlinienbestimmung nicht unbedingt oder hinreichend bestimmt ist. Weiters findet die richtlinienkonforme Auslegung auch in horizontalen Rechtsverhältnissen, sprich: in Rechtsstreitigkeiten Privater untereinander Anwendung (vgl. z.B. EuGH ĺFaccini Dori, EuGH ĺHarz), während die horizontale Direktwirkung von Richtlinien grundsätzlich ausgeschlossen ist (ĺs.a. Richtlinien, Horizontalwirkung). In zeitlicher Hinsicht gilt die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung vom Ablauf der Umsetzungsfrist an (ĺRichtlinien, Umsetzungsfrist) und bleibt selbst nach ordnungsgemäßer Umsetzung der RL aufrecht. Strittig ist die Frage, ob RL auch Vorwirkungen (ĺRichtlinien, Vorwirkungen) in dem Sinne entfalten können, dass die richtlinienkonforme Auslegung bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist geboten wäre; ebenso umstritten ist es, ob eine solche Vorwirkung nach nationalem Verfassungsrecht überhaupt zulässig ist. Als unproblematisch wird der Fall angesehen, dass eine bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist erlassene Umsetzungsmaßnahme teleologisch-historisch im Einklang mit der ihr zugrunde liegenden RL ausgelegt wird. Darüber hinaus wird die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts vor Ablauf der Umsetzungsfrist jedoch überwiegend verneint. (zc) §§: Art. 249 Abs. 3 EG Lit.: P. Fischer/H. Köck/M. M. Karollus, Europarecht, 4. Aufl. 2002, Rn. 1279 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Ge-
meinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 91 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 454 ff.; M. Klamert, Richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts, 2001; G. Schmidt, in: H. von der Groeben/ J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 249 EGV, Rn. 41; M. Ruffert, in: C. Calliess/ ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 249 EGV, Rn. 113 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-106/89 Marleasing, Slg. 1990, I4135, Rn. 8; EuGH, Rs. 14/83 Von Colson und Kamann, Slg. 1984, 1891, Rn. 26; EuGH, Rs. C-397/01 Pfeiffer, Slg. 2004, I-8835, Rn. 113 ff.; EuGH, Rs. C-91/ 92 Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325, Rn. 26; EuGH, Rs. 79/83 Harz, Slg. 1984, 1921, Rn. 26; EuGH, Rs. C-168/ 95 Arcaro, Slg. 1996, I-4705, Rn. 41 f.; EuGH, Rs. C111/97 EvoBus Austria, Slg. 1998, I-5411, Rn. 18, 21; s.a. österr. VwGH 23. 10. 1995, 95/10/0108
Richtlinienkonforme Interpretation ĺRichtlinienkonforme Auslegung Risikoanalyse, lebensmittelrechtliche risk analysis – analyse des risques
Die Risikoanalyse zählt zu den allgemeinen Grundsätzen des europäischen ĺLebensmittelrechts, mit deren Hilfe ein Gefahrenverdacht, den man als Risiko bezeichnet, erkannt und bekämpft werden soll. Sie gliedert sich nach Art. 3 Abs. 10 der VO (EG) 178/2002 (sog. ĺBasisverordnung) in die unterschiedlichen Phasen der 1. Risikobewertung, 2. des Risikomanagements sowie 3. der Risikokommunikation. Unter der Risikobewertung versteht man die wissenschaftliche Einschätzung eines Risikopotentials. Sie dient den Risikomanagern als Entscheidungsgrundlage und erstreckt sich von der Gefahridentifizierung, über die Gefahrcharakterisierung sowie die Expositionsabschätzung bis hin zur Risikocharakterisierung. Die Risikobewertung obliegt nach Art. 22 f., 29-36 VO (EG) 178/2002 der ĺEuropäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, die durch die nationalen Behörden der Mitgliedstaaten unterstützt wird. Der Risikobewertung folgt das Risikomanagement, das insbesondere in den sachlichen Zuständigkeitsbereich der einzelnen EU-Organe, insbesondere der ĺKommission sowie des Gemeinschaftsgesetzgebers fällt. Es dient nach Art. 3 Abs. 12 VO (EG) 178/2002 dazu, nach Konsultationen mit den Betroffenen Handlungsalternativen gegeneinander abzuwiegen sowie geeignete Mittel zur Kontrolle des Risikos zu ergreifen. Die darauf erfolgende Risikokommunikation ist nach Art. 3 Abs. 13 VO (EG) 178/2002 der Aus779
Risikobewertung bei Anwendungen im geschlossenen System tausch zwischen Risikobewertern und -managern sowie Lebensmittelunternehmern und Verbrauchern. Zuständig hierfür sind die Kommission, die ĺEuropäische Behörde für Lebensmittelsicherheit sowie die Mitgliedstaaten. (mkr) §§: VO (EG) 178/2002 Lit.: W. Berg, Risikokommunikation als Bestandteil der Risikoanalyse, ZLR 2003, 527-542; U. Di Fabio, Risikovorsorge – uferlos?, ZLR 2003, 163-173; W. Schroeder/M. Kraus, Das neue Lebensmittelrecht – Europarechtliche Grundlagen und Konsequenzen für das deutsche Recht, EuZW 2005, 423-428; dies., Europäisches und Österreichisches Lebensmittelrecht, 2006, 19-43
Risikobewertung bei Anwendungen im geschlossenen System risk assessment – évaluation des risques
Bevor ein ĺAnwender eine ĺAnwendung im geschlossenen System aufnimmt hat er eine Bewertung der mit der Arbeit verbundenen Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt durchzuführen. Dabei müssen die verwendeten Empfängerorganismen, das inserierte genetische Material, der Vektor, der Spenderorganismus und der neu geschaffene genetisch veränderte Mikroorganismus ebenso berücksichtigt werden wie die Merkmale der Tätigkeit, die Schwere der potenziellen Auswirkungen sowie die Wahrscheinlichkeit, dass Auswirkungen eintreten. Solche Auswirkungen können etwa Krankheiten bei Menschen, Tieren oder Pflanzen, die Unmöglichkeit eine Krankheit zu behandeln, die Etablierung oder Verbreitung in der Umwelt oder die natürliche Übertragung von inseriertem genetischen Material auf andere Organismen sein. Ziel dieser Bewertung ist die Einstufung der Anwendung in eine von vier Klassen: ƒ Klasse I: Tätigkeiten, die mit keinem oder vernachlässigbarem Risiko verbunden sind ƒ Klasse II: Tätigkeiten, die mit geringem Risiko verbunden sind ƒ Klasse III: Tätigkeiten die mit mäßigem Risiko verbunden sind ƒ Klasse IV: Tätigkeiten die mit hohem Risiko verbunden sind. Auf Basis dieser Einstufung hat der Anwender die nötigen Sicherheitsmaßnahmen und Einschließungsstufen zu bestimmen. (al) §§: Art. 5 f., RL 90/219/EWG des Rates vom 23.4. 1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1990, Nr. L 117/1, geändert durch die RL 98/81/EG des Rates vom 26.10.1998 zur Änderung der RL 90/219/ EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mi-
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kroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1998, Nr. L 330/13 (ĺSystemrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. I., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, 1992, Rn. 44 ff. Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l211 57.htm
Risikobewertung, lebensmittelrechtliche risk assessment – évaluation des risques
Wichtiger Bestandteil der lebensmittelrechtlichen ĺRisikoanalyse. (mkr) Risikokommunikation, lebensmittelrechtliche risk communication – communication sur les risques
Wichtiger Bestandteil der lebensmittelrechtlichen ĺRisikoanalyse. (mkr) Risikomanagement, lebensmittelrechtliches risk management – gestion des risques
Wichtiger Bestandteil der lebensmittelrechtlichen ĺRisikoanalyse. (mkr) Ro-Ro-Fahrgastfährschiffe roll-on/roll-off passenger ferries (ro-ro ferries) – transbordeurs routiers de passagers
Diese werden auch als Roll-On/Roll-Off-Fahrgastfährschiffe bezeichnet. Einschlägig war die VO (EG) 3051/95 (ABl. 1995, Nr. L 320/14) über Maßnahmen zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs von Ro-Ro-Fahrgastfährschiffen, die Sicherheits- bzw. umweltschützende Harmonisierungsmaßnahmen vorsah. Ihr Zweck war die Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs wie auch die Verhütung der Meeresverschmutzung. Betreibern von Ro-Ro-Fahrgastährschiffen war vorgeschrieben, die ĺISMCodes einzuhalten. Die sog. „Ro-Ro-Fähre“ wurde definiert als ein im Seeverkehr eingesetztes Fahrgastfährschiff, das so gestaltet ist, dass Straßen- oder Eisenbahnfahrzeuge unmittelbar an und von Bord fahren können, und das mehr als 12 Passagiere befördern kann. Neue Bestimmungen sind nunmehr in der VO (EG) 336/2006 zur Umsetzung des Internationalen Codes für Maßnahmen zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs innerhalb der Gemeinschaft und zur Aufhebung der VO (EG) 3051/95 des Rates (ABl. 2006, Nr. L 64/1) enthalten. In dieser wird „Ro-Ro-Fahrgastfährschiff“ als ein im Seeverkehr eingesetztes Fahrgastschiff im Sinne von Kap. II-1 des ĺSOLAS Übereinkommens in seiner jeweils geltenden Fassung bezeichnet. Zudem ist auf die RL 1999/
Rom II 35/EG (ABl. 1999, Nr. L 138/1) hinzuweisen. Diese beinhaltet ein System verbindlicher Überprüfungen für den Betrieb von Ro-Ro-Fahrgastschiffen. (sm) Robinson-Liste Robinson list (opt-out registers) – liste Robinson (registres „opt-out“)
Listen im Sinne des Art. 7 Abs. 2 der E-commerce-RL, in die sich natürliche, je nach Umsetzung auch juristische, Personen kostenlos eintragen können, die keine Werbe-Emails erhalten wollen, bezeichnet man als RobinsonListen. Solche Listen werden auch für Briefpost, Telefax etc. geführt. Nach Art. 7 Abs. 2 der RL müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Diensteanbieter die Listen konsultieren und beachten. ĺSpamming. (fs) Web: http://www.fachverbandwerbung.at/de-servicerobinsonliste.shtml; http://www.erobinson.de/
Römer Übereinkommen ĺÜbereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Römische Verträge Treaties of Rome – Traités des Rome
S.a. ĺEWG und ĺEuratom. Am 25.3.1957 wurden von Frankreich, Deutschland, Niederlande, Belgien, Luxemburg und Italien der ĺVertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ĺ(EWG-Vertrag), der ĺVertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (ĺEAG-Vertrag, ĺEuratom-Vertrag) und das Abkommen über gemeinsame Organe für die europäischen Gemeinschaften abgeschlossen. Die Verträge traten am 1.1.1958 in Kraft. (gm) Rom I Rome I – Rome I
„Rom I“ bezeichnet die geplante Verordnung, in die das ĺEVÜ umgewandelt werden soll. Vorarbeiten zu diesem Projekt fanden bis dato in den folgenden beiden Dokumenten Niederschlag: ƒ Grünbuch über die Umwandlung des EVÜ in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung, KOM(2000)654 endg. ƒ Vorschlag für eine Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnis anzuwendende Recht (Rom I), KOM(2005) 650 endg. Mit der Umwandlung in eine Verordnung soll auch die inhaltliche Änderung einiger Vorschriften des ĺEVÜ einhergehen. Details der
inhaltlichen Änderungen können den Vorbemerkungen zum oben genannten Verordnungsvorschlag entnommen werden. (js) Lit.: S. Leible, Internationales Vertragsrecht, die Arbeiten an einer Rom I-Verordnung und der Europäische Vertragsgerichtsstand, IPRax 2006, 365 Web: Grünbuch und Verordnungsvorschlag sind abrufbar unter: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l3 3109.htm
Rom II Rome II – Rome II
Das Schlagwort „Rom II“ bezeichnet die VO (EG) 864/2007 vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht. Diese VO harmonsiert das ĺinternationale Schadenersatzrecht, also die Frage nach welchem Recht bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Schadenersatzansprüche zu beurteilen sind. Darüber hinaus regelt Rom II auch Bereicherungsansprüche (Art. 10) und Ansprüche aus der Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 11) sowie aus culpa in contrahendo (Art. 12). Rom II tritt am 11.1.2009 in Kraft. Der Anwendungsbereich der Rom II VO erfasst grundsätzlich außervertragliche Ansprüche des gesamten Zivil- und Handelsrechts. Ausgenommen sind familien- und ehegüterrechtliche Ansprüche, Ansprüche aus Wechsel, Schecks und anderen handelbaren Wertpapieren, aus dem Gesellschafts- und Vereinsrecht, Trusts, Schäden aus Kernenergie sowie die Verletzung der Privatsphäre und von Persönlichkeitsrechten (Art. 1). Rom II stellt eine Grundregel auf, die auf das ĺErfolgsortrecht verweist (Art. 4), di das Recht des Staates, in dem der Schaden eintritt. Durchbrochen wird diese Grundregel einerseits in jenen Fällen, in denen ausnahmsweise eine engere Verbindung zu einem anderen Staat besteht sowie durch zahlreiche Sonderregelungen für bestimmte Typen von Schadensfällen, und zwar für ĺProdukthaftung (Art. 5), unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsbeschränkendes Verhalten (Art. 6), ĺUmweltschädigung (Art. 7), Verletzung von Immaterialgüterrechten (Art. 8, vgl. ĺSchutzlandprinzip) und für ĺArbeitskampfmaßnahmen (Art. 9). Darüber hinaus enthält die Rom II VO allgemeine kollisionsrechtliche Bestimmungen über die ĺRechtswahl (Art. 14), über ĺEingriffsnormen (Art. 16) und den ĺordre public (Art. 26) sowie über den ĺRenvoi (Art. 24). (js) §§: VO (EG) 864/2007 vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. 2007, Nr. L 199/40
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Rom III Lit.: A. Haberl, Außervertragliche Schuldverhältnisse: Neuerungen durch die Verordnung „Rom II“, Zak 2007, 287; G. Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1; H. Koziol/T. Thiede, Kritische Bemerkungen zum derzeitigen Stand des Entwurfs einer Rom II-Verordnung, ZfVglRWiss 2007, 235
Rom III Rome III – Rome III
„Rom III“ bezeichnet das geplante Gemeinschaftsinstrument über die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Scheidungssachen. Die Kommission hat zu diesem Vorhaben am 14.3.2005 ein Grünbuch vorgelegt (KOM[2005] 82 endg.). (js) Web: Das Grünbuch ist abrufbar unter: http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2005/com200 5_0082de01.pdf
Rom IV Rome IV – Rome IV
„Rom IV“ bezeichnet das geplante Gemeinschaftsinstrument über die Regelung von Erbfällen mit Auslandsbezug. Das von der Kommission dazu vorgelegte Grünbuch vom 1.3.2005 (KOM[2005]65 endg.) bezieht sich auf Fragen des Kollisionsrechts, der internationalen Zuständigkeit sowie der Anerkennung und Vollstreckung. (js) Web: Das Grünbuch ist abrufbar unter: http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2005/com200 5_0065de01.pdf
Root Causes Approach (Asylrecht) Der Root Causes Approach der ĺEuropäischen Asylpolitik sieht vor, dass zur Vermeidung von Flüchtlingsströmen die sozio-kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Lebensbedinungen in den Herkunftsländern der Asylwerber verbessert werden sollen, um die Ursachen von Flüchtlingsströmen wie Bürgerkriege, politische Instabilität, Hunger, etc. direkt an ihren Wurzeln zu bekämpfen. (gt) (jw) Lit.: C. Boswell, The ,External Dimension‘ of EU Immigration and Asylum Policy, International Affairs 2003, 79
Roquette frères-Entscheidung Roquette frères case – jurisprudence Roquette frères
Rsp. zu europäischen ĺGrundrechten; zur Bedeutung der ĺEMRK s. Rn. 25. (ed) Rsp.: EuGH, Rs. C-94/00 Roquette Frères, Slg. 2002, I-9011
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6. RP ĺSechstes Rahmenprogramm 7. RP ĺSiebtes Rahmenprogramm RTA ĺRegionale Handelsabkommen Rückerstattung einer Beihilfe ĺRückforderung einer Beihilfe Rückforderung staatlicher Beihilfen state aid recovery – la restitution des aides d'État
Die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen ist die logische Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit. Der Beihilfeempfänger soll den Vorteil, den er im Gegensatz zu seinen Mitwerbern erhalten hat, vollständig verlieren. Das Verfahren für die Rückforderung erfolgt in zwei Schritten: Zunächst bedarf es einer Anordnung der Rückforderung durch die ĺKommission oder durch das nationale Gericht. Die Durchführung der Rückforderung obliegt dann den nationalen Behörden nach nationalem Verfahrensrecht. Bei ĺformell rechtswidrigen Beihilfen hat die Kommission nur eingeschränkte Möglichkeiten, den mitgliedstaatlichen Behörden eine Rückforderung aufzutragen. Nach der ĺVO (EG) 659/1999 ist eine vorläufige Rückerforderung einer bloß formell rechtswidrigen Beihilfe dann möglich, wenn hinsichtlich des Beihilfecharakters keine Zweifel bestehen, ein Tätigwerden dringend geboten ist und ein erheblicher, nicht wieder gut zu machender Schaden für Konkurrenten zu befürchten ist (Art. 11 Abs. 2 VO [EG] 659/1999). Die Anordnung der Rückforderung ĺmateriell-rechtswidriger Beihilfen ist der Kommission hingegen zwingend vorgeschrieben (Art. 14 Abs. 1 VO [EG] 659/1999). Die maximale Rückforderungsfrist von Beihilfen durch Anordnung der Kommission beträgt zehn Jahre. Die Frist beginnt mit jenem Tag zu laufen, an dem die rechtswidrige Beihilfe erstmals gewährt wird. Jede Handlung der Kommission bzw. eines Mitgliedstaates auf Ersuchen der Kommission im Zusammenhang mit einer Beihilfe unterbrechen den Fristenlauf (Art. 15 VO [EG] 659/1999). Im Gegensatz zu den beschränkten Kompetenzen der Kommission ist ein nationales Gericht
Rückverfolgbarkeit, lebensmittelrechtliche verpflichtet, die Rückforderung formell rechtswidriger Beihilfen anzuordnen. Dies gilt selbst dann, wenn die Kommission im Nachhinein die Vereinbarkeit einer Maßnahme mit den Beihilfevorschriften feststellt. Die Rückforderung kann nur bei einem Verstoß gegen die allgemeinen Rechtsgrundsätze (Beispiel: Vertrauensschutz, Rechtssicherheit) des Gemeinschaftsrechtes und bei einer absoluten Unmöglichkeit der Rückforderung unterbleiben. Ein begünstigtes Unternehmen kann sich aber nur dann auf den Vertrauensgrundsatz berufen, wenn das Notifikationsverfahren eingehalten wurde. Der Mitgliedstaat kann dagegen unter keinen Umständen die Verletzung des Vertrauens des Beihilfeempängers auf die Ordnungsmäßigkeit einer Beihilfe geltend machen. Eine absolute Unmöglichkeit der Rückforderung der Beihilfe ist nur unter außergewöhnlichen Umständen anzunehmen. Der drohende Konkurs eines begünstigten Unternehmens stellt jedenfalls keinen Hinderungsgrund für eine Rückforderung dar. Die Rückabwicklung erfolgt nach nationalem Verfahrensrecht durch die nationalen Behörden. Den genauen Betrag der zurückzufordernden Beihilfe berechnet ebenfalls die nationale Behörde. Bei der Anwendung der nationalen Vorschriften sind insbesondere das ĺÄquivalenz- und Effizienzgebot zu beachten. Nationale Vorschriften, die eine Rückforderung der Beihilfe verhindern, sind außer Acht zu lassen. (jr) §§: Art. 88 Abs. 2 EG Lit.: C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2005, Rn. 433 ff.
Rückkehrausweis emergency travel document – titre de voyage provisoire
Der Beschluss 96/409/GASP führt ein einheitliches Modell für Rückkehrausweise ein, welche ĺUnionsbürger zur einmaligen Rückkehrreise in grds. ihr Heimatland oder Aufenthaltsland berechtigt. Im Rahmen des ĺdiplomatischen und konsularischen Schutzes stellen die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen einem ĺUnionsbürger einen Rückkehrausweis aus. (ao) §§: Beschluss 96/409/GASP, ABl. 1996, Nr. L 168/4 i.d.F. Beschluss 2006/881/GASP, ABl. 2006, Nr. L 363/422
Rücksichtnahmegebot duty to mutual consideration – obligation de prudence et de prévoyance
Das R. ist eines zweier Subprinzipien der ĺUnionstreue, welches diese näher ausgestaltet (das
zweite Subprinzip ist das ĺKooperationsprinzip). Es findet neben Art. 10 EG auch in Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 3 EU sowie Art. 5 Abs. 2 und 3 EG seinen Ausdruck. Dabei ist das R. vor allem Kompetenzausübungsschranke. Als solches muss es vom ĺSubsidiaritätsprinzip abgegrenzt werden, welches darüber entscheidet, ob auf der jeweiligen Ebene überhaupt Kompetenzen bestehen. Dagegen betrifft das R. das „Wie“ der Ausübung bestehender Kompetenzen der Gemeinschaft, der Gemeinschaftsorgane oder der Mitgliedstaaten. (fh) Lit.: R. Schulze/M. Zuleeg, Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2006, § 7, Rn. 15
Rückverfolgbarkeit, genetisch veränderte Organismen traceability – traçabilité
Mit der VO (EG) 1830/2003 wurden neue Regelungen zur ĺKennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von genetisch veränderten Organismen geschaffen. Dabei muss durch ein System der Kennzeichnung von der ersten Phase des ĺInverkehrbringens eines ĺProdukts aus genetisch veränderten Organismen bis zur Abgabe an den Endverbraucher sichergestellt sein, dass die Information über in dem Produkt enthaltenen genetisch veränderten Organismen erhalten und zugänglich bleibt. (al) §§: VO (EG) 1830/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.9.2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der RL 2001/18/EG, ABl. 2003, Nr. L 268/24 Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l211 70.htm
Rückverfolgbarkeit, lebensmittelrechtliche traceability, food and drug administration – traçabilité, droit alimentaire
Der in Art. 18 VO (EG) 178/2002 (sog. ĺBasisverordnung) normierte Grundsatz der Rückverfolgbarkeit ist wichtiger Bestandteil des umfassenden Konzepts der ĺLebensmittelsicherheit. Er ermöglicht im Rahmen des ĺRisikomanagements einen Stoff, der in einem ĺLebensmittel verarbeitet wird, durch alle Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen eines Nahrungsmittels zu verfolgen. Nach Art. 18 Abs. 2 VO (EG) 178/2002 müssen Lebensmittelhersteller daher in der Lage sein, jede Person festzustellen, von der sie ein Lebensmittel, ĺFuttermittel, ein zur Lebensmittelgewinnung dienendes Tier 783
Rückwirkungsverbot, strafrechtliches oder einen entsprechenden Stoff erhalten haben. Aufgrund des Wortlautes sowie aus Praktikabilitätserwägungen beschränkt sich der Grundsatz der Rückverfolgbarkeit nach h.M. jedoch lediglich auf die vor- und nachgelagerte Stufe („one step back/one step forward“) und erstreckt sich nicht auf die gesamte Lebensmittelkette. Um die Effizienz der Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten, richten die Lebensmittel- und Futtermittelunternehmer nach Art. 18 Abs. 3 der VO (EG) 178/2002 Systeme und Verfahren zur Feststellung der anderen Unternehmen ein, an die sie ihre Erzeugnisse liefern. Die Reichweite dieser Verpflichtung ist jedoch offen, da die Norm den Lebensmittelunternehmern ein Ermessen zugesteht. Informations- und Dokumentationspflichten hinsichtlich der Chargenrückverfolgbarkeit, des Vertriebsweges oder Verpackungsmaterialien über die vor- bzw. nachgelagerten Produktionsstufen ergeben sich allenfalls aus anderen spezifischen Verpflichtungen. Eine umfangreiche Dokumentation dürfte jedoch auch ohne diesbezügliche Rechtspflicht im Interesse des Lebensmittelunternehmers sein, da dieser im Krisenfall entsprechenden Melde- und Rückrufpflichten i.S.v. Art. 19 VO (EG) 178/2002 unterliegt. (mkr) §§: VO (EG) 178/2002 Lit.: W. Schroeder/M. Kraus, Das neue Lebensmittelrecht – Europarechtliche Grundlagen und Konsequenzen für das deutsche Recht, EuZW 2005, 423-428; dies., Grundprinzipien des neuen Lebensmittelrechts, wbl 2006, 245-252; K. Schroeter, Das Gebot der Rückverfolgbarkeit, ZLR 2003, 509-512
Rückwirkungsverbot, strafrechtliches ĺNulla poena sine lege Rüstungsagentur, Europäische (OCCAR) Organization for Joint Armament Cooperation (OCCAR) – Organisation Conjointe de Coopération en matière d’Armement (OCCAR)
Internationale Organisation auf Grundlage eines völkerrechtlichen Vertrags aus dem Jahr 1998, der im Jahr 2001 in Kraft trat. Gründungsmitglieder: D, F, I, GB; Beitrittsländer: B (2003) und Spanien (2005). OCCAR ist rechtlich kein Bestandteil der ĺEuropäischen Union und insb. nicht zu verwechseln mit der Europäischen ĺVerteidigungsagentur. Gleichwohl steht OCCAR in einem engen politischen Zusammenhang mit der Verbesserung der militärischen ĺFähigkeiten im Rahmen der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. OCCAR bezweckt insb. ein effektives Be784
schaffungswesen und koordinierte die gemeinsame Beschaffung des Militärtransporters Airbus A400M. (dt) §§: Übereinkommen zur Gründung der Gemeinsamen Organisation für Rüstungskooperation vom 9.9. 1998 (BGBl. 2000 II 414) Web: http://www.occar-ea.org/
Rüstungspolitik armament policy – politique d’armement
Die Rüstungspolitik liegt im Schnittbereich von EG- und EU-Vertrag: Zum einen ist die Wirtschafts- und Industriepolitik ein Bestandteil des Binnenmarkts und damit des EG-Vertrags; zum anderen lässt der EG-Vertrag wichtige Sicherheitsinteressen der ĺMitgliedstaaten unberührt. Aufgrund der hiernach begründeten nationalen Zuständigkeit kooperieren die Mitgliedstaaten teils auf völkerrechtlicher Grundlage außerhalb des rechtlichen und institutionellen Rahmens der ĺEuropäischen Union. So vereinbarten einige Mitgliedstaaten im Jahr 1998 die Errichtung der Europäischen ĺRüstungsagentur (OCCAR) und schlossen im Jahr 2000 ein Rahmenübereinkommen („Letter of Intent“) über Maßnahmen zur Erleichterung der Unstrukturierung und der Tätigkeit der Europäischen Rüstungsindustrie (Mitglieder: D, F, I, Schweden, Spanien und GB). Zudem wurde im Rahmen der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik die Errichtung der Europäischen ĺVerteidigungsagentur vereinbart, welche die völkerrechtlichen Tätigkeiten als EUAgentur ergänzt, nicht aber ersetzt. (dt) §§: Art. 296 EG, Rahmenübereinkommen über Maßnahmen zur Erleichterung der Unstrukturierung und der Tätigkeit der Europäischen Rüstungsindustrie vom 27.7.2000 (BGBl. 2001 II 91) Lit.: M. Trybus, European Union Law and Defence Integration, 2005
Rufdatenspeicherung ĺVorratsdatenspeicherung Ruhezeit ĺLenk- und Ruhezeiten Rule of Reason, Abwägungsregel rule of reason – règle de raison
Grundsätzlich gilt als ĺWettbewerbsbeschränkung i.S.d. Art. 81 Abs. 1 EG jede Beschränkung der wettbewerblich relevanten Handlungsfreiheit. Eine Ausnahme davon könnte aber für den Fall bestehen, dass die aus einem Verhalten
Rutili-Entscheidung resultierende Beschränkung des Wettbewerbs durch positive Wirkungen auf den Wettbewerb aufgewogen wird. Diese Abwägung wird als „rule of reason“ bezeichnet. Vorbilder für eine solche Abwägung finden sich im US-Antitrustrecht (Sec. 1 Sherman Act). Im Gegensatz zum US-Recht ist eine Anwendung der rule of reason im ĺeuropäischen Wettbewerbsrecht allerdings umstritten. Grund dafür ist in erster Linie, dass das ĺeuropäische Wettbewerbsrecht eine Freistellung gem. Art. 81 Abs. 3 EG kennt, nach der ebenfalls positive Auswirkungen auf den Wettbewerb berücksichtigt werden. Der ĺEuGH hat zu einer Anwendung der rule of reason noch nicht explizit Stellung bezogen. Das ĺEuG sprach sich indes gegen eine solche Abwägungsregel aus. Allerdings haben sowohl der ĺEuGH als auch das ĺEuG Abwägungsgrundsätze ähnlich der rule of reason in der Vergangenheit wiederholt angewendet. (jpt) §§: Art. 81 EG Lit.: T. Ackermann, Art. 85 Abs. 1 EGV und die rule of reason, 1997; V. Emmerich, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 1, Art. 81 Abs. 1, Rn. 246 ff.; E. Gellhorn/W. E. Kovacic/S. Calkins, Antitrust Law and Economics, 5. Aufl. 2004, 204 ff.; 224 ff.; R. Joliet, The rule of reason in Antitrust Law, 1967; J. P. Terhechte, Die ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale des europäischen Wettbewerbsrechts, 2004, 192 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-235/92 Montecatini/Kommission, Slg. 1999 I-4538; EuG, Rs. T-112/99 Métropole télévision, Slg. 2001, II-2459; U.S. Supreme Court, Standard Oil Co. of New Jersey/U.S., 221 U.S. 1 (1911); U.S. Supreme Court, Chicago Board of Trade/U.S., 246 U.S. 231 (1918)
Rumänien, Beitritt ĺBulgarien und Rumänien, Beitritt
Rundfunkgebühren broadcasting fees – redevance radio-télévision
Der ĺöffentliche Rundfunk wird zumindest z.T. über Rundfunkgebühren finanziert. (Daneben finanzierten sich öffentliche Rundfunkanstalten i.d.R. auch über Werbeeinnahmen.) Es handelt sich um von den Zuschauern aufgrund einer gesetzlichen Vorschreibung zu leistende Abgaben für den Empfang von Rundfunkprogrammen der öffentlichen-rechtlichen Rundfunkanstalt. Die Festsetzung und Einhebung dieser Gebühr wird in den ĺMitgliedstaaten für ihre jeweiligen nationalen Rundfunkanstalten unterschiedlich festgelegt. Gemeinschaftsrechtlich werden Rundfunkgebühren als staatliche Zuwendungen i.S.d. Art. 87 Abs. 1 EG (ĺBeihilfen) klassifiziert. Sie sind nach der Kommissionspraxis jedenfalls dem Staat zurechenbar und grundsätzlich auch geeignet den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einen Vorteil gegenüber ihren privaten Wettbwerbern, die allein auf kommerzielle Einnahmen angewiesen sind, zu verschaffen. Die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten über Rundfunkgebühren wird aktuell von der Europäischen Kommission am Beihilfenrecht gemessen. (dd) Lit.: D. Beck et al, Service Public unter Druck?, 2004
Rundfunkunion, europäische ĺEuropäische Rundfunkunion Russische Föderation ĺStrategische Partnerschaft Rutili-Entscheidung
Rundfunk ĺFernsehsendungen (= lineare audiovisuelle Mediendienste) und Hörfunksendungen Rundfunkfreiheit ĺMedienfreiheit
Rutili case – jurisprudence Rutili
Eines der ersten Urteile des ĺEuGH zum Schutz der europäischen ĺGrundrechte als Teil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts. (ed) Rsp.: EuGH, Rs. 36/75 Rutili, Slg. 1975, 1219
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S SAA ĺStabilisierungs- und Assoziierungsabkommen Sacchi-Entscheidung Sacchi case – jurisprudence Sacchi
In der Rs. Sacchi hat der EuGH unter Betonung des subsidiären Charakters der ĺDienstleistungsfreiheit Fernsehsendungen einschließlich Werbesendungen als ĺDienstleistungen qualifiziert (ĺKorrespondenzdienstleistungen). Bei der Beschränkung der damit verbundenen Freiheit sind die Mitgliedstaaten an das Prinzip der ĺVerhältnismäßigkeit gebunden. (sh) Rsp.: EuGH, Rs. 155/73 Sacchi, Slg. 1974, 409
Sachkapital real capital – capital en nature
Bestandteil des sachlichen Schutzbereichs der ĺKapitalverkehrsfreiheit. S. umfasst im Gegensatz zum ĺGeldkapital das gebundene, nicht flüssige Kapital eines Wirtschaftsteilnehmers. Dazu zählen Grundstücke, Unternehmensbeteiligungen, sachliche Produktionsmittel, Warenvorräte etc., soweit es sich dabei um Investitions- und nicht um Handelsgüter handelt. Im letzteren Falle greift der Schutz der Warenverkehrsfreiheit nicht der Kapitalverkehrsfreiheit (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Warenverkehrsfreiheit). (mk) Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für Digitalisierung und digitale Bewahrung expert group on digitisation and digital preservation – groupe d’experts des États membres sur la numérisation et la conservation numérique
Zur Digitalisierung und Online-Zugänglichkeit kulturellen Materials und dessen digitaler Bewahrung in Europa ist im Rahmen der Initiative ĺi2010 die Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für Digitalisierung und digitale Bewahrung auf europäischer Ebene eingerichtet worden. Ihre Aufgaben liegen in der ƒ Beobachtung der Umsetzung der Digitalisierungspläne der EG und der 786
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Bereitstellung eines Forums für die Zusammenarbeit zwischen den Stellen der Mitgliedstaaten und der Kommission in diesem Bereich. (dd) §§: Empfehlung der Kommission vom 24.8.2006 zur Digitalisierung und Online-Zugänglichkeit kulturellen Materials und dessen digitaler Bewahrung, ABl. 2006, Nr. L 236/28; Beschluss der Kommission vom 22.3.2007 zur Einsetzung der Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für Digitalisierung und digitale Bewahrung , ABl. 2007, Nr. L 119/45
SafeSeaNet SafeSeaNet – SafeSeaNet
Das SafeSeaNet ist ein paneuropäisches Netzwerk, das der Harmonisierung des Austauschs von Seeverkehrsdaten dient und eine Vielzahl von Seeverkehrsbehörden in den ĺMitgliedstaaten sowie Island und Norwegen verbindet. SafeSeaNet bietet Zugang zu Informationen über das Verhalten eines Schiffes, also etwa ob es in Unfälle verwickelt war oder Schifffahrtsvorschriften verletzt hat, und Angaben über den Transport gefährlicher Stoffe. So wurde neben einem präzisen Meldesystem auch die Möglichkeit geschaffen, Schiffsbewegungen zu verfolgen und frühzeitig jene Schiffe zu ermitteln, die eine potenzielle Gefahr darstellen. (gr) §§: RL 2002/59/EG über die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr, ABl. 2002, Nr. L 208/ 10 Lit.: Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs, Mehr Sicherheit und Sauberkeit im Seeverkehr in der Europäischen Union, 2006, abrufbar unter http://www.emsa.europa.eu/Docs/Technical_Reports/ emsa_brochure_30_5_2006_de.pdf Web: http://www.emsa.europa.eu
Sala-Entscheidung Sala case – jurisprudence Sala
Das Urteil in der Rs. Martínez Sala (EuGH, Rs. C-85/96 Martínez Sala, Slg. 1998, I-2691) steht am Anfang der Entscheidungen, mit denen der Gerichtshof der Unionsbürgerschaft eine beträchtliche Tragweite verliehen hat. Der von Frau Sala geltend gemachte gleiche Zugang zu
Sanktionen Erziehungsgeld scheiterte nach herkömmlicher Auslegung des EG-Vertrages daran, dass ihr als Nichterwerbstätige kein entsprechender Inländerbehandlungsanspruch zustand. Als Arbeitnehmerin hätte sie sich dagegen auf Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) 1612/68 berufen können, da sich das Erziehungsgeld als soziale Vergünstigung i.S.d. Vorschrift darstellt (ĺSoziale Vergünstigung). Nach Auffassung des Gerichtshofs folge der Gleichbehandlungsanspruch jedoch aus dem im Lichte der Unionsbürgerschaft gelesenen allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG: „Als Angehörige eines Mitgliedstaates, die sich rechtmäßig im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, fällt die Klägerin in den persönlichen Anwendungsbereich der Vertragsbestimmungen über die ĺUnionsbürgerschaft. Artikel [17 Abs. 2 EG] knüpft an den Status eines Unionsbürgers die im Vertrag vorgesehenen Pflichten und Rechte, darunter das in Artikel [12 EG] festgelegte Recht, im sachlichen Anwendungsbereich des Vertrages nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert zu werden. Folglich kann sich ein ĺUnionsbürger, der sich wie die Klägerin rechtmäßig im Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, in allen vom sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts erfassten Fällen auf Artikel [12 EG] berufen, ...“. In den sachlichen Anwendungsbereich falle die Vergünstigung, da sie sowohl von Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) 1612/68 als auch von Art. 4 Abs. 1 lit. h VO (EWG) 1408/71 erfasst sei (Rn. 62 ff.). Diese Begründung des Gerichtshofs ist allerdings insofern problematisch, als die Tatsache allein, dass Frau Sala einen Inländerbehandlungsanspruch gehabt hätte, wäre sie Arbeitnehmerin gewesen, keine Schlüsse für ihre Rechtsposition als Nichterwerbstätige zulässt. (fw) §§: Art. 12, 17 EG Lit.: S. Fries/J. Shaw, Citizenship of the Union: First Steps in the European Court of Justice, 4 EPL (1998) 533; S. O’Leary, European Communities and EEA. Putting Flesh on the Bones of European Union Citizenship, EL Rev. 1999, 68; C. Tomuschat, Anmerkung, CML Rev. 2000, 449; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Samland-Williamsen-Übereinkommen von 1996 Samland-Williamsen Agreement from 1996 – Accord Samland-Williamsen de 1996
Eine der interinstitutionellen Vereinbarungen zwischen ĺKommission und ĺParlament, die den Konflikt der EU-Organe innerhalb der
ĺKomitologie beilegen sollte. Seit den Anfängen der Komitologie beansprucht das Parlament Informations- und Beteiligungsrechte auch im Rahmen der ĺDurchführungsrechtsetzung. Mangels Regelungen im EG-Vertrag wurden dem Parlament sukzessiv durch (unverbindliche) Abkommen Rechte eingeräumt. Das sog. „Samland-Williamsen“-Abkommen vom 25.9.1996 entspricht Z. 72 der Entschließung des EP zum Entwurf des Gesamthaushaltsplans der EU für das Haushaltsjahr 1997, ABl. 1996, Nr. C 347/125, und sieht die Möglichkeit des Parlaments vor, die Teilnahme an einer Sitzung eines Komitologieausschusses zu beantragen. Es regelt ferner die Übermittlung von Tagesordnungen und Abstimmungsergebnissen an das Parlament. Heute sind die parlamentarischen Rechte im ĺKomitologiebeschluss 1999/468/EG in der Fassung des Ratsbeschlusses 2006/512/EG festgeschrieben. (sk) Sanktion (freier Warenverkehr) penalty (free movement of goods) – sanction (libre circulation des marchandises)
Sind Sanktionen derart ausgestaltet, dass für den Fall der Missachtung zulässiger einfuhrbedingter Formalitäten unverhältnismäßig hohe Strafen verhängt werden, dann können diese Sanktionen als ĺMaßnahmen gleicher Wirkung zu qualifizieren sein. Eine Strafe ist z.B. unverhältnismäßig, wenn sie zu einer Einziehung des gesamten Warenbestands führt. Strafrechtliche Maßnahmen stehen im Widerspruch zu Art. 28 EG, wenn sie eine diskriminierende Wirkung auf ĺEinfuhren haben; z.B. nationales Recht sieht für inländische ĺWaren keine oder nur geringere Strafen vor. Eine Maßnahme gleicher Wirkung liegt letztlich auch dann vor, wenn ein ĺMitgliedstaat bei Strafen nicht differenziert, ob es sich um verbotene oder erlaubte Einfuhren handelt. (ah) Lit.: P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 7.0; P. MüllerGraf, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 88 Rsp.: EuGH, Rs. 179/78 Rivoira, Slg. 1979, 1147; EuGH, Rs. 52/77 Cayrol, Slg. 1977, 2261
Sanktionen sanctions – sanctions
Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen (nicht: politische Sanktionen gegen einen Mitgliedstaaten aufgrund innenpolitischer Entwick787
Sanktionen, gegen Mitgliedstaaten lungen, wie etwa ggü. Österreich nach der Regierungsbeteiligung der FPÖ) durch die Europäische Gemeinschaft war über viele Jahre hinweg in ihrer rechtlichen Gestaltung umstritten. Kernpunkt war die Frage, ob die gemeinsame Handelspolitik nur Maßnahmen zur Förderung des Handels umfasst oder auch Handelsunterbrechungen in Form von Sanktionen erlaubt. Eine Klärung brachte der Vertrag von ĺAmsterdam, als er in Art. 301 EG eine spezielle Kompetenz der EG zur Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen einen Drittstaat einführte (entsprechend Art. 60 EG zur Unterbrechung des Zahlungsverkehrs). Voraussetzung hierfür ist, dass im Rahmen der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zuvor eine Gemeinsame ĺPosition mit der politischen Verständigung über die Wirtschaftssanktionen erreicht wird. Ob der EU-/EG-Sanktionsbeschluss insoweit der Umsetzung von UN-Sanktionen dient, ist nicht maßgeblich. Die EU/EG darf auch autonome Sanktionsmaßnahmen verhängen, die durch den UN-Sicherheitsrat nicht angeordnet wurden. Das EuG entschied im Jahr 2005, dass die genannten Bestimmungen des Vertrags auch Sanktionen gegen Einzelpersonen und nicht nur gegen Drittstaaten gestatten (sog. „smArt. sanctions“, etwa zum Einfrieren von Geldern potenzieller Terroristen; vgl. EuG 21.9.2005, T-306/ 01 Yusuf & Al Baraak/Rat & Kommission, Slg. 2005, II-3533). Zuständig ist die EG nur für die Verhängung von Sanktionen im Anwendungsbereich des EG-Vertrags, d.h. in erster Linie für Wirtschaftssanktionen. Dagegen fallen Einreisebeschränkungen für Einzelpersonen oder die Unterbrechung von kulturellen und sportlichen Kontakten nicht in die Zuständigkeit der EG und werden in der Praxis durch EU-Sanktionen aufgrund Gemeinsamer ĺPositionen im Rahmen der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik verhängt und sodann von den ĺMitgliedstaaten ohne Beteiligung der Europäischen Gemeinschaft umgesetzt. Auch die Beschränkung der Ein- und Ausfuhr von Waffen gehört in Fortfolge der begrenzten Geltung des EG-Vertrags für die ĺRüstungspolitik nicht zur Zuständigkeit der Gemeinschaft. Auch hier handelt die ĺEuropäische Union im Rahmen der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Annahme eines neuen Verhaltenskodex für Waffenexporte ist seit vielen Jahren umstritten. Grund ist nicht der Gegenstand der neuen Leitlinien, sondern ihre Verknüpfung mit 788
der politischen Streitfrage der Aufhebung des bestehenden Waffenembargos mit China aus dem Jahr 1989. (dt) §§: Art. 60, 301 EG Lit.: K. Osteneck, Die Umsetzung von UN-Wirtschaftssanktionen durch die Europäische Gemeinschaft, 2004; P. Eeckhout, External Relations of the European Union, 2004, 424; P. Koutrakos, Trade, Foreign Policy and Defence in EU Constitutional Law, 2001
Sanktionen, gegen Mitgliedstaaten ĺSuspendierung mitgliedschaftlicher Rechte in der Europäischen Union Sanktionen, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende ĺMindesttrias der Sanktionen Sanktionsverfahren enforcement procedure – procédure en sanction (de non exécution d’un arrêt en manquement)
Wenn der vom EuGH verurteilte Mitgliedstaat die Vertragsverletzung nicht beseitigt, kann die Kommission nach Art. 228 Abs. 2 EG ein Sanktionsverfahren einleiten. In diesem Sanktionsverfahren wird die Pflicht des Mitgliedstaates zur Beseitigung der Vertragsverletzung durch die Verurteilung zur Zahlung eines ĺZwangsgeldes eingefordert. Die Kommission leitet das Sanktionsverfahren von der Stufenabfolge her wie die Aufsichtsklage ein, d.h. sie muss gem. Art. 228 Abs. 2, UAbs. 1, 2. Halbsatz EG dem Mitgliedstaat zunächst ein Mahnschreiben übersenden, in dem sie ihn auf die Nichtbefolgung seiner Pflicht zur Beseitigung des Vertragsverstoßes aus der Verurteilung nach Art. 226 oder 227 EG aufmerksam macht. Der Mitgliedstaat hat dann Gelegenheit, sich zum Vorwurf der Nichtbefolgung zu äußern, muss dies aber nicht tun. Falls der Mitgliedstaat sich nach Ablauf einer angemessenen Frist nicht geäußert hat und auch keine frühe gütliche Einigung über die Befolgung der Verurteilung gefunden wurde, gibt die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an den Mitgliedstaat ab. Darin muss sie klar und genau auflisten, in welchen einzelnen Punkten der Mitgliedstaat seinen Beseitigungspflichten aus der vorherigen Verurteilung nach Art. 226, 227 EG nicht nachgekommen ist. Insofern gelten dieselben Formerfordernisse wie bei Art. 226 Abs. 1 EG. In der mit Gründen versehenen Stellungnahme muss die Kommission dem Mitgliedstaat eine
SAPARD Frist zur Befolgung des vorangegangen Urteils gewähren, die ebenfalls meist zwei Monate beträgt. Befolgt der Mitgliedstaat nach Ende der Abhilfefrist immer noch nicht seine Pflichten aus dem vorangegangenen Urteil, steht es im Ermessen der Kommission, eine Sanktionsklage vor dem EuGH zu erheben. Die Klageschrift der Kommission muss einen Antrag auf Verhängung eines von ihr für angemessen erachteten ĺPauschalbetrages oder ĺZwangsgeldes gegen den Mitgliedstaat enthalten. Die Kriterien zur Bemessung der Pauschalbeträge und der Zwangsgelder hat die Kommission im Amtsblatt veröffentlicht (ABl. 1996, Nr. C 242/6; ABl. 1997, Nr. C 63/2). Die Kommission geht in der Praxis davon aus, dass nicht in jedem Fall ein Sanktionsmittel beantragt werden muss, was allerdings mit Blick auf den Wortlaut des Art. 228 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 2 EG nicht unproblematisch ist, da der Vertrag so formuliert ist, dass die Kommission in ihrer Sanktionsklage vor dem EuGH entweder einen Pauschalbetrag oder ein Zwangsgeld beantragt. Dabei kommt ihr nach dem Wortlaut der Vorschrift zwar ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Höhe des Sanktionsmittels zu („wie“), nicht aber ein Ermessen hinsichtlich der Frage, ob überhaupt ein Sanktionsmittel beantragt wird. Innerhalb des Sanktionsverfahrens klärt der EuGH, ob die gerügte Vertragsverletzung bis zum Ablauf der in dem erneuten Mahnschreiben der Kommission gesetzten Frist (vgl. Art. 228 Abs. 2 UAbs. 1 EG) zur Befolgung des Ausgangsurteils angedauert hat. Will die Kommission den Mitgliedstaat mit einer Strafzahlung belegen, so legt der EuGH in der Praxis zu Grunde, ob die Vertragsverletzung auch noch zu dem Zeitpunkt bestand, in dem der EuGH den Sachverhalt für das Verfahren nach Art. 228 Abs. 3 EG prüft. Es obliegt der Kommission, dem EuGH die erforderlichen Fakten zu präsentieren, damit dieser bestimmen kann, inwiefern der Mitgliedstaat das erste Verletzungsurteil i.S.d. Art. 228 Abs. 1 EG nicht befolgt hat. Mit anderen Worten: Die Kommission muss hinreichende Anhaltspunkte für den Fortbestand der Vertragsverletzung liefern, während es Sache des angeprangerten Mitgliedstaats ist, das Vorbringen der Kommission substanziiert zu bestreiten (EuGH, Rs. C-119/04 Kommission/Italien, Slg. 2006, I-6885, Rn. 28, 34 und 41). (cv) §§: Art. 228 EG Lit.: K.-D. Borchardt, in: C. Lenz/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 228 EGV, Rn. 11 ff.
Sanktionsverordnung regulation on administrative penalities – règlement relatif à les sanctions administratives
Die als Sanktionsverordnung bezeichnete VO (EG, Euratom) 2988/95 bildet einen horizontalen Rechtsrahmen für sektorielle (Verwaltungs-) Sanktionsregelungen der EG zum ĺSchutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und ist auf diese anwendbar. Sie enthält hingegen nicht selbst unmittelbar geltende Sanktionsbestimmungen. Sie wird daher auch als Allgemeiner Teil des gemeinschaftsrechtlichen Sanktionenrechts bezeichnet. Angeknüpft wird an „Unregelmäßigkeiten in bezug auf das Gemeinschaftsrecht“. Diese sind gegeben bei jedem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers, der einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften (ĺHaushaltsplan) oder für einen von den Gemeinschaften verwalteten Haushalt bewirkt hat oder haben würde. Die VO enthält Regelungen über allgemeine Grundsätze, verwaltungsrechtliche Maßnahmen (insb. Entzug des Vorteils) und Sanktionen (insb. Geldbußen) gegen natürliche und juristische Personen sowie Kontrollbefugnisse der ĺKommission, die vom ĺEuropäischen Amt für Betrugsbekämpfung ausgeübt werden. (sts) §§: VO (EG, Euratom) 2988/95 des Rates vom 18.12. 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl.1995, Nr. L 312/1
SAPARD Special Accession Programme for Agriculture and Rural Development – Programme spécial d’adhésion pour l’agriculture et le développement rural
Dt., Sonderprogramm zur Heranführung im Bereich der Landwirtschaft und der Entwicklung des ländl. Raumes. SAPARD (S.) ist bzw. war eine landwirtschaftspolitische ĺHeranführungshilfe für die ĺMOEL im Rahmen der sog. ĺOsterweiterung und diente der Übernahme des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes im Bereich der ĺGAP, der Lösung von Problemen, die bei der Anpassung des Agrarsektors entstanden und zur Entwicklung der ländlichen Gebiete (Art. 1 VO [EG] 1268/1999). Dabei übernahm die Union regelmäßig bis zu 75 % der jeweiligen Projektkosten. S. wurde im Rahmen der intensivierten ĺHeranführungshilfe eingeführt und unterlag den Konditionalitäten der ĺBeitrittspartnerschaften. Die einzelnen Programme genehmigt die KOM mit der Beteiligung des Ausschusses für „Agrarstrukturen 789
SatCen und die Entwicklung des ländlichen Raumes“ (Art. 4 Abs. 5 VO [EG] 1268/1999 i.V.m. Art. 50 Abs. 2 VO [EG] 1260/1999) im Rahmen des ĺKomitologie-Verfahrens. Die Programme mussten an den Prioritäten der GAP-Reform ausgerichtet werden. Nach den 2004 und 2007 erfolgten Beitritten der MOEL (ĺOsterweiterung) endete die S.Unterstützung, da die neuen Mitglieder nun Anspruch auf Leistungen aus den Strukturfonds der Gemeinschaften besitzen. Für die aktuellen Beitrittswerber hat das Instrument für die Heranführungshilfe (ĺIPA) mit 2007 die Funktionen von S. übernommen. (lo) §§: Art. 181a EG; VO (EG) 1268/1999, ABl. 1999, Nr. L161/87; VO (EG) 1260/1999, ABl. 1999, Nr. L 161/1) Lit.: T. Baerman, „Life after Phare“ – Die Zukunft der Vor-Beitrittshilfen, WiRO 2004, 97 Web: http://ec.europa.eu/enlargement/financial_assis tance/sapard_en.htm
SatCen ĺSatellitenzentrum der Europäischen Union Satelliten- und Kabelrichtlinie directive on satellite broadcasting and cable retransmission – directive relative à la radiodiffusion par satellite et à la retransmission par câble
Bei der Satelliten- und KabelRL (RL 93/83/EWG, ABl. 1993, Nr. L 248/15) handelt es sich um eine jener RL, mit denen Teile des Urheberrechts harmonisiert wurden; sie gehört daher zum ĺeuropäischen Urheberrecht. Kompetenzgrundlage ist Art. 95 EG. Mit dieser RL zog der europäische Gesetzgeber Konsequenzen aus der Coditel I-Entscheidung (vgl. ĺCoditel), wonach die Einschränkungen des Dienstleistungsverkehrs, die aus der Geltendmachung eines territorial definierten ausschließlichen ĺKabelweiterverbreitungsrechts entstehen, gerechtfertigt sind. Mit der RL sollten die vom EuGH akzeptierten Beschränkungen beseitigt werden. Kernstück der RL ist die Übernahme der ĺSendelandtheorie für Satellitensendungen. Danach ist der urheberrechtlich relevante Ort bei Satellitensendungen das Ausstrahlungsland. Weiters will die RL sicherstellen, dass der Erwerb von ĺKabelweiterleitungsrechten vertraglich erfolgt. Gleichzeitig soll das reibungslose Funktionieren der Weiterleitung gewährleistet sein, was durch die unüberschaubare Anzahl von Rechteinhabern und die möglichen Einsprüche von Außenseitern gefährdet sein könnte. Die RL legt daher fest, dass für die Kabelweiter790
verbreitung grundsätzlich vertragliche Zustimmung erforderlich ist, überträgt aber das Recht, die Erlaubnis zu erteilen oder zu verweigern zwingend auf die ĺVerwertungsgesellschaften (Art. 9). (js) Lit.: M. M. Walter, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Urheberrecht. Kommentar, 2001, Satelliten- und KabelRL; M.-H. Pichler, EG-Richtlinie über Urheberrecht, Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung vom 27. September 1993, MR 1994, 54
Satellitensenderecht ĺSenderecht Satellitenzentrum der Europäischen Union (SatCen) EU Satellite Centre (SatCen) – Centre satellitaire de l’U.E. (SatCen)
Vormaliges Satellitenzentrum der ĺWesteuropäischen Union (WEU) in Torrejón nahe Madrid, das die EU aufgrund der Entwicklung der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Jahr 2001 als Agentur aufgrund des Art. 17 EU übernahm. Unter Leitung des ĺPolitischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK) verschafft es der Europäischen Union Informationen für die strategische Lagebeurteilung, gerade auch bei der Planung und Durchführung von zivilen und militärischen ĺESVP-Missionen. (dt) §§: GA 2001/555/GASP, ABl. 2001, Nr. L 200/5 Web: http://www.eusc.europa.eu/
Schadenersatzrecht, internationales ĺInternationales Schadenersatzrecht; ĺRom II Schadensersatzklage, allgemein damages actions and money claims – recours en indemnisation
Die Schadenersatzklage ermöglicht die gerichtliche Geltendmachung von Schäden wegen einer außervertraglichen Haftung der ĺEG. Die ĺEU ist in den Bereichen der Titel V und VI (ĺGASP und ĺPJZS) des EU wegen mangelnder Rechts- und Geschäftsfähigkeit im Sinne des Art. 282 EG und wegen Art. 46 EU nicht haftungsfähig Diese Klageart ergänzt den Individualrechtsschutz auf europäischer Ebene. Mit der gemeinschaftsrechtlichen Schadenersatzklage werden die Schäden abgedeckt, in denen eine Änderung der (gemeinschafts-)rechtlichen Situation nicht ausreicht, sondern eine Kompensation des eingetretenen Schadens notwendig ist (EuGH, Rs. 5/71 Schöppenstedt/ Rat, Slg. 1971, 975). Die Schadenersatzklage
Schadensersatzklage, Verfahrensgegenstand kommt nur in Fällen der ĺaußervertraglichen Haftung – d.h. in deliktischen Situationen – zur Anwendung. Bezüglich der ĺvertraglichen Haftung von ĺGemeinschaftsorganen sind entweder die nationalen Gerichte zuständig oder es besteht eine Schiedsvereinbarung gem. Art. 238 EG. Die EG haftet grundsätzlich für all jene Schäden, die durch die Gemeinschaftsorgane bzw. ihre Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursacht werden. Zur Regelung des zu ersetzenden Schadens wird auch auf die – den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen – ĺallgemeinen Rechtsgrundsätze verwiesen. Die Schadenersatzklage ist grundsätzlich nicht subsidiär zur ĺNichtigkeits- oder ĺUntätigkeitsklage. Diese Form der gemeinschaftsrechtlichen Klage ist allerdings subsidiär zu nationalen Rechtsbehelfen, die vor nationalen Gerichten gegen staatliche Organe zur Anwendung gebracht werden können, die Gemeinschaftsrecht anwenden (EuGH, Rs. C-119/ 88 AEPRO u.a./Kommission, Slg. 1990, I-2189). Die Schadenersatzklage gem. Art. 235 i.V.m. 288 Abs. 2 EG entspricht wörtlich der Klage nach Art. 151 i.V.m. 188 EAG. (lb) §§: Art. 235, 288 Abs. 2 und 3 EG; Art. 151, 188 EAG Lit.: P. Gilsdorf/M. Niejahr, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 235 EGV, Rn. 1 f.; Art. 288 EGV Rn. 1 ff.; W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 57 ff.
Schadensersatzklage, Urteil und Wirkung damages actions and money claims, judgement and its impact – recours en indemnisation, jugement et effet
Die Beendigung des gemeinschaftsgerichtlichen Schadenersatzverfahrens erfolgt durch Urteil. Die gerichtliche Entscheidung enthält entweder die Verurteilung zur Zahlung des Schadenersatzes oder die Abweisung der Klage. Es besteht auch die Möglichkeit eines Zwischenurteils über das grundsätzliche Bestehen der außervertraglichen Haftung und eines abschließenden Urteils über die konkrete Höhe des Schadens. Das gerichtliche Urteil enthält auch einen Ausspruch über die Kosten: Die unterlegene Partei hat die Kosten zu tragen – Gerichtskosten werden nicht eingehoben. Das Urteil entfaltet seine Wirkung grundsätzlich inter partes und ex tunc. (lb) Schadensersatzklage, Verfahrensablauf damages actions and money claims, course of the proceedings – recours en indemnisation, déroulement de l’instance
Die Schadenersatzklage ist als kontradiktorisches Klageverfahren konzipiert und lässt sich in folgende Verfahrensschritte gliedern:
ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
keine Notwendigkeit eines Vorverfahrens Klage Klageerwiderung Replik Duplik einmalige schriftliche Äußerung der Streithelfer ƒ mündliche Verhandlung ƒ Urteilsverkündung. (lb) Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 57 f.
Schadensersatzklage, Verfahrensgegenstand damages actions and money claims, object of the proceedings – recours en indemnisation, objet de l’instance
Der Klagegegenstand dieses Verfahrens ist auf den Ersatz jenes Schadens im außervertraglichen Bereich gerichtet, den die Gemeinschaftsorgane bzw. ihre Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursacht haben. Das funktionelle Kriterium der Schadensverursachung „in Ausübung der Amtstätigkeit“ dient der Abgrenzung zwischen den hoheitlichen und privaten Tätigkeiten eines Organbediensteten. Besondere Bedeutung erlangt diese Unterscheidung etwa bei Verkehrsunfällen, die von Angestellten eines Gemeinschaftsorgans verursacht werden (EuGH, Rs. 5/68 Sayag, Slg. 1968, 590; EuGH, verb. Rs. 169/83 und 136/84 Leussink, Slg. 1986, 2801). Es besteht auch die Möglichkeit, den Schaden nur dem Grunde nach zum Verfahrensgegenstand zu machen und erst später über die Höhe des konkreten Schadens zu entscheiden (EuGH, Rs. C-152/88 Sofrimport/Kommission, Slg. 1990, I-2477). Private haben auf europäischer Ebene außerdem die Möglichkeit, legislatives Unrecht im Rahmen des Schadenersatzverfahrens zum Klagegegenstand zu machen. In Frage kommen insbesondere fehlerhafte ĺVerordnungen oder ĺRichtlinien, die zu Schäden bei den Betroffenen geführt haben. Keinen Verfahrensgegenstand der Schadenersatzklage bildet hingegen das primäre Gemeinschaftsrecht (EuGH, Rs. C-104/89 und C-37/90 Mulder u.a./Rat und Kommission, Slg. 1992 I-3061; EuG, Rs. T-113/ 96 Dubois/Rat und Kommission, Slg. 1998, II125). Zu beachten sind im Fall des (sekundärrechtlichen) legislativen Unrechts die Klagevoraussetzungen der qualifizierten Verletzung einer höherrangigen gemeinschaftsrechtlichen Norm und eines besonders schweren Schadens 791
Schadensersatzklage, Verfahrensparteien (EuGH, Rs. 5/71 Schöppenstedt/Rat, Slg. 1971, 975). (lb) §§: Art. 288 Abs. 2 und 3 EG
Schadensersatzklage, Verfahrensparteien damages actions and money claims, parties of the proceedings – recours en indemnisation, parties à l’instance
Als Haftungssubjekt bzw. aktivlegitimierter Kläger der Schadenersatzklage ist anzusehen, wer durch ein ĺGemeinschaftsorgan einen Schaden erlitten hat und dies in der Klage schlüssig vorbringt. Die Bestimmungen des EGV beinhalten keine Einschränkung der Klageberechtigten – d.h. es kommen alle rechtsfähigen, natürlichen oder juristischen Personen aus den Mitgliedstaaten und aus Drittstaaten als Kläger in Frage. Auch Rechtssubjekte des öffentlichen Rechts wie etwa Bundesländer oder Gemeinden können als Aktivlegitimierte der Schadenersatzklage angesehen werden. Strittig ist die Klageberechtigung für die ĺMitgliedstaaten selbst und für Drittstaaten sowie ihre öffentlich-rechtlichen Rechtssubjekte (EuGH, Rs. 44/81 Deutschland/Kommission, Slg. 1982, 1855). Grundsätzlich hat die ĺEG für einen eingetretenen Schaden einzustehen – es handelt sich dabei um eine Haftung des Rechtssubjekts EG. Die EG wird im Rahmen der Schadenersatzklage von dem passivlegitimierten ĺGemeinschaftsorgan vertreten, das zur Entschädigung des Schadens verklagt ist. Die Klage ist gegen das schadenauslösende Organ der EG zu richten. In Frage kommen in diesem Zusammenhang die ĺKommission, der ĺRat, das ĺEP, der ĺRechnungshof bzw. in Ausnahmefällen auch der ĺEuGH. Die Passivlegitimation kommt außerdem der ĺEZB, der ĺEIB, dem ĺEuropäischen Bürgerbeauftragten, dem ĺWirtschaftsund Sozialausschuss und dem ĺAusschuss der Regionen zu. (lb) §§: Art. 288 Abs. 2 und 3 EG Lit.: P. Gilsdorf/M. Niejahr, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG, Rn. 15 ff.
Schadensersatzklage, Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung damages actions and money claims, conditions of extracontractual liability – recours en indemnisation, conditions de la responsabilité
Die europäische Gerichtsbarkeit verlangt in Anlehnung an das nationale Schadenersatzrecht in ständiger Rsp. das Vorliegen folgender 792
Voraussetzungen für eine außervertragliche Haftung der ĺEG: ƒ Vorliegen eines Schadens ƒ Kausalzusammenhang zwischen Schaden und dem der EG bzw. den Organen zur Last gelegten Verhalten ƒ Rechtswidrigkeit der Tätigkeit der Gemeinschaftsorgane ƒ Schutznormverletzung (vgl. EuGH, Rs. 4/69 Lütticke II, Slg. 1971, 325) Das Verschulden stellt hingegen grundsätzlich keine Bedingung für die außervertragliche Haftung der EG bzw. der ĺGemeinschaftsorgane dar. Die Einleitung eines Schadenersatzverfahrens ist grundsätzlich nicht an Fristen gebunden. Zu beachten ist allerdings die Verjährungsfrist des materiellen Anspruchs: 5 Jahre ab Eintritt des schadenauslösenden Ereignisses (Art. 46 EuGH-Satzung). (lb) §§: Art. 288 Abs. 2 und 3 EG; Art. 46 EuGH-Satzung Lit.: M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 288 EGV, Rn. 5 ff.; P. Gilsdorf/M. Niejahr, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG, Rn. 32 ff.
Schadensersatzklage, Zuständigkeit damages actions and money claims, competence – recours en indemnisation, compétence
Das ĺEuG ist gem. Art. 235 i.V.m. 225 Abs. 1 EG in erster Instanz zur Entscheidung über Schadenersatzklagen wegen der außervertraglichen Haftung der ĺGemeinschaftsorgane zuständig. Es besteht die Möglichkeit der Einbringung eines Rechtsmittels an den ĺEuGH. Der Anteil der Schadenersatzklage an allen Verfahren vor dem EuG beträgt 5 %. (lb) §§: Art. 225 Abs. 1; 235 EG
Scheinrichtlinie, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage sham directive, subject-matter of an action for annulment of individual applicants – directive apparente, objet du recours en annulation des requérants particuliers
S. ist eine nach Art. 230 Abs. 4 EG anfechtbare Entscheidung, die lediglich formell als Richtlinie bezeichnet wird; materiell-rechtlich handelt es sich indes entweder um eine einzelne Entscheidung oder um „ein Bündel von Einzelfallentscheidungen“. Anders als der ĺHybridrechtsakt, enthält die S. also überhaupt keine allgemeine Regelung, die sie als Richtlinie im Sinne des Art. 249 Abs. 3 EG auszeichnen würde. In
Schengen-Visum der Praxis hat das EuG die Existenz von S. zwar dem Grunde nach bestätigt (EuG 25. 4. 2006, Rs. T-310/03 Kreuzer Medien/Rat und Parlament, noch nicht in Slg., Rn. 44), aber bislang die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Individualkläger unmittelbar von einer S. betroffen sein kann, nicht eindeutig beantwortet. Dies ist vor allem im Hinblick auf die grundsätzlich fehlende unmittelbare Anwendbarkeit von Richtlinien klärungsbedürftig. (mk) §§: Art. 230 Abs. 4 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 378 ff.
Scheinverordnung, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage sham regulation, subject-matter of an action for annulment of individual applicants – règlement apparente, objet du recours en annulation des requérants particuliers
S. ist eine nach Art. 230 Abs. 4 EG anfechtbare Entscheidung, die lediglich formell als Verordnung bezeichnet wird; materiell-rechtlich hat sie jedoch ausschließlich Entscheidungscharakter („Entscheidung, die als Verordnung ergangen ist“). Es handelt sich entweder um eine einzelne Entscheidung oder um „ein Bündel von Einzelfallentscheidungen“. Anders als der ĺHybridrechtsakt, enthält die S. also überhaupt keine allgemeine Regelung, die sie als Verordnung im Sinne des Art. 249 Abs. 2 EG auszeichnen würde. S. kommen in der Praxis der Gemeinschaftsgerichte häufiger vor. So hat die Rechtsprechung bspw. eine Verordnung zur Eröffnung eines Zollkontingents, die nur für bestimmte, bereits vor ihrem Erlass gestellte Anträge ein Regelung traf und damit der Sache nach eine Bescheidung jedes dieser Anträge war, als „Bündel von Einzelfallentscheidungen“ angesehen (EuGH, Rs. 354/87 Weddel/Kommission, Slg. 1990, 3847, Rn. 20 ff.). (mk) §§: Art. 230 Abs. 4 EG Lit.: D. Booß, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 230 EGV, Rn. 56 f.; M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 370 ff.
Schengen I ĺSchengener-Vertrag Schengen II ĺSchengener Durchführungsübereinkommen
Schengen-Besitzstand Schengen-acquis – acquis de Schengen
Der Schengen-Besitzstand bezeichnet über das ĺSchengener Übereinkommen und das ĺSchengener Durchführungsübereinkommen hinaus jene Rechtsakte, die im Zusammenhang mit diesen zwei Übereinkommen gesetzt wurden. Dies sind unter anderem Beitrittsprotokolle zu diesen Übereinkommen, Beschlüsse und Erklärungen des durch das ĺSDÜ eingesetzten Exektutivausschusses sowie Beschlüsse der Zentralen Gruppe, zu denen diese vom Exekutivausschuss ermächtigt worden war. Mit dem ĺVertrag von Amsterdam wurde der Schengen-Besitzstand in das Vertragsregime der Europäischen Union (EUV, EGV) übergeführt. Mit Beschluss des Rates 1999/435/EG, ABl. 1999, Nr. L 176/1, wurde der SchengenBesitzstand bestimmt und eine Rechtsgrundlage in den Verträgen festgelegt. Der Schengen Besitzstand wurde im ĺAmtsblatt (ABl. 2000, Nr. L 239/1) veröffentlicht. In Hinblick auf die Stellung des Schengen-Besitzstandes im Gemeinschaftsrecht sei auf ein Urteil des EuGH 31.1.2006, Rs. C-503/03 Kommission/Spanien, verwiesen. (kl) Schengen-Raum Schengen area – espace Schengen
Der Schengen-Raum bezeichnet jenes Gebiet der ĺMitgliedstaaten, in denen das ĺSchengener Übereinkommen umgesetzt wurde, vor allem der Wegfall der Personenkontrollen an den Binnengrenzen. Folgende Schengener Mitgliedstaaten bilden den Schengen-Raum: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden und Spanien. Hervorzuheben ist die Teilnahme von Island und Norwegen als NichtEU-Staaten am Schengen-Raum. Die Kleinstaaten wie Monaco sind – obwohl nicht Vertragpartner – durch bestehende völkerrechtliche Verträge Teil des Schengen-Raums. Mit Ende 2007 werden überdies Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn Teil des Schengen-Raums (kl). §§: ĺSchengener Übereinkommen, ABl. 2000, Nr. L 239/13 ĺSchengener Durchführungsabkommen. ABl. 2000, Nr. L 239/19
Schengen-Visum Schengen visa – visa Schengen
Schengen III ĺPrümer Vertrag
Das Schengen-Visum stellt einen Aufenthaltstitel für den kurzfristigen Aufenthalt eines 793
Schengener Durchführungsübereinkommen ĺDrittstaatsangehörigen im ĺSchengen-Raum dar, also dem Hoheitsgebiet derjenigen ĺEUMitgliedstaaten, die das Schengener Recht in vollem Umfang anwenden, sowie derjenigen Drittstaaten, die aufgrund einer völkerrechtlichen Vereinbarung am Schengen-System unter den gleichen Voraussetzungen wie ein EU-Mitgliedstaat teilnehmen (ĺEuropäisches Einwanderungsrecht). Ein Schengen-Visum wird von der Konsular- oder Grenzbehörde des Schengen-Staats, in dem der Aufenthalt hauptsächlich beabsichtigt ist, erteilt und entfaltet seine berechtigende Wirkung in allen übrigen Staaten des Schengen-Raums (ĺVerwaltungsakt, transnationaler). Die Rechtsgrundlagen für die Erteilung oder Versagung finden sich im Schengener Durchführungsübereinkommen von 1990 oder, im Ausnahmefall der Erteilung an der Grenze, im Schengener Grenzkodex (VO [EG] 562/2006). Welche Drittstaatsangehörigen ein solches Visum benötigen, ergibt sich aus der entsprechenden Liste in der Visa-VO 539/2001. Je nach Typus des Schengen-Visums berechtigt es seinen Inhaber zur Ein- oder Durchreise in die Staaten des Schengen-Raums und zu einem Aufenthalt von bis zu drei Monaten innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab dem Datum der ersten Einreise. (jb) §§: Art. 62 Nr. 2 lit. b EG Lit.: A. Meloni, Visa Policy within the European Union Structure, 2006; D. Kugelmann, Einwanderungsund Asylrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, § 41, Rn. 138 ff.; S. Peers/N. Rogers, EU Immigration and Asylum Law, 2006, 185 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-257/01 Kommission/Rat, Slg. 2005, I-345, Rn. 54 ff.; Rs. C-241/05 Bot, Slg. 2006, 9627
schnitten, auf Polizei und Sicherheit (Regelungen zur polizeilichen Zusammenarbeit, zu ĺRechtshilfe in Strafsachen, zum ĺVerbot der Doppelbestrafung, zu ĺAuslieferung, zur Übertragung (Übernahme) der Vollstreckung von ĺStrafurteilen sowie zu den Bereichen Betäubungsmittel, Feuerwaffen und Munition) und auf das ĺSchengener Informationssystem (SIS). Die Verpflichtung zur Berücksichtigung des ĺDatenschutzes wird in einem eigenen Abschnitt geregelt. Abschließend war ein eigener Exekutivausschuss vorgesehen, der auf die richtige Anwendung des Abkommens zu achten hatte. Dieser Ausschuss hat sich aber durch die Integration des ĺSchengenBesitzstandes in die Verträge (EUV, EGV) erübrigt. Innerhalb des Schengener Durchführungsübereinkommen sind das ĺVerbot der Doppelbestrafung (Art. 54 SDÜ) und die polizeilichen Zusammenarbeit in Rahmen von ĺgrenzüberschreitender Observation (Art. 40 SDÜ) und ĺNacheile (Art. 41 SDÜ) sowie das ĺSchengener Informationssystem hervorzuheben. (kl) Lit.: E. von Bubnoff, Die Funktionsfähigkeit der vertraglichen Nacheileregelungen über die Grenzen und Ansätze für deren Verbesserung, ZRP 2000, 60; K. Famira, Der freie Personenverkehr in Europa. Schengen nach Amsterdam, 2004; N. Haas, Die Schengener Abkommen und ihre strafprozessualen Implikationen, 2001; S. Jagla, Auf dem Weg zu einem zwischenstaatlichen ne bis in idem im Rahmen der Europäischen Union, 2007; C. Joubert/H. Bevers, Schengen Investigated, 1996; S. Leutheusser-Schnarrenberger, Ein System gerät außer Kontrolle: Das Schengener Informationssystem, ZRP 2004, 97
Schengener Informationssystem Schengener Durchführungsübereinkommen convention implementing the Schengen agreement – convention d’application de l’accord de Schengen
Das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) wurde als Konkretisierung des ĺSchengener Übereinkommens ebenfalls im Ort Schengen (Luxemburg) am 19.6.1990 von Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden abgeschlossen. Die detaillierten Regelungen des SDÜ beziehen sich neben der Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen (Regelungen über das Überschreiten der Innen- und Aussengrenzen, über Sichtvermerke für einen kurz- oder längerfristigen Aufenthalt, über Voraussetzungen für den Reiseverkehr von Drittausländern sowie über Aufenthaltstitel) auch in zwei weiteren Ab794
Schengen Information System – Système d’information Schengen
Das Schengener Informationssystem (SIS) wurde im Rahmen des ĺSchenger-Durchführungsübereinkommens (SDÜ) rechtlich grundlegend geregelt. Das SIS hat das Ziel, in dem Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten anhand der aus diesem System erteilten Informationen die öffentliche Sicherheit und Ordnung einschließlich der Sicherheit des Staates und die Anwendung der Bestimmungen dieses Übereinkommens im Bereich des Personenverkehrs zu gewährleisten (Art. 93 SDÜ). Es wird ein gemeinsames Informationssystem etabliert, dass den nationalen Behörden bei der Suche nach Personen (für Zwecke der Festnahme, des Eigenschutzes und für Vermisste) und Sachen (Sicherstellung
Schengener Übereinkommen oder Beweissicherung in Strafverfahren, im Besonderen Fahrzeuge) dienen soll und den Behörden für Grenzkontrollen, sonstige polizeiliche und zollrechtliche Überprüfungen im Inland, für Zwecke des Sichtvermerksverfahrens, der Erteilung der Aufenthaltstitel und der Handhabung des Ausländerrechts im Rahmen der Anwendung dieses Übereinkommens im Bereich des Personenverkehrs zum Abruf im automatisierten Verfahren bereitgehalten wird (Art. 92 Abs. 1 SDÜ). Das SIS besteht dabei aus einem nationalen Teil (N-Teil) bei jedem Vertragsstaat und aus einer technischen Unterstützungseinheit (C-Teil). Die Regelungen des SDÜ in Bezug auf das SIS enden mit einem eigenen Datenschutzteil und Bestimmungen über die Kostentragung. Die Umsetzung des SIS wurde durch das (Kommunikations-)Netz SIRENE (Supplementary Information Request at the National Entry) unterstützt, das in Form von SIRENE-Büros die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Vertragsstaaten abwickelt. Die nationalen SIRENE-Büros sind dabei die kommunikativen Schnittstellen zwischen den jeweiligen nationalen Behörden, die die für SIS-Daten verantwortlich sind. Aufgrund der technischen und rechtlichen Begrenztheit von SIS wurde mit Verordnung des Rates, VO (EG) 2424/2001, sowie Beschluss des Rates, 2001/886/JI, vorgesehen, ein Nachfolgemodell für das SIS – ein SIS zweiter Generation (SIS II) – zu entwickeln. Die ĺKommission wurde mit dieser Aufgabe betraut. Aufgrund unterschiedlicher technischer Verzögerungen dauert die Entwicklung von SIS II noch an. Mit einem Abschluss der Entwicklung von SIS II wird mit 2009 gerechnet. Mit der VO (EG) 1987/2006 und dem Beschluss des Rates, 2007/ 533/JI, wurden die rechtlichen Regelungen hinsichtlich der Einrichtung, des Betriebs und der Nutzung von SIS II festgelegt. SIS II wird sowohl ein zentralen System („zentrales SIS II“), bestehend aus der technischen Unterstützungseinheit (CS-SIS) und nationalen Schnittstellen (NI-SIS), als auch nationale Systeme (N.SIS II) sowie eine Kommunikationsinfrastruktur (zwischen CS.SIS und NI-SIS) umfassen. SIS II soll über die Fahndung hinaus Datenaustausch für Zwecke der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit bieten (s.a. ĺInformationsaustausch [PJZS]). Als Zwischenlösung wurde für die Öffnung des ĺSchengen-Raums für die osteuropäischen Staaten ein SISone4all mit Ende 2007 zur Verfügung gestellt werden. (kl)
§§: Art. 92 ff. SDÜ, VO des Rates (EG) 1987/2006, ABl. 2006, Nr. L 381/4; Beschluss des Rates, 2007/533/ JI, ABl. 2007, L 205/63 Lit.: S. Leutheusser-Schnarrenberger, Ein System gerät außer Kontrolle: Das Schengener Informationssystem, ZRP 2004, 97; M. Tuffner, Das Schengener Informationssystem (SIS). Ein Quantensprung der polizeilichen Fahnung in Europa, Kriminalistik 2000, 39; P. Wilkesmann, Ein Plädoyer für das Schengener Informationssystem (SIS), NStZ 1999, 68
Schengener Übereinkommen Schengen agreement – l’accord de Schengen
Das Übereinkommen betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Übereinkommen) wurde am 14.6.1985 im Ort Schengen (Luxemburg) abgeschlossen. Kerninhalt des Schengener Übereinkommens ist es, im Sinne des freien ĺPersonenverkehrs die Personenkontrollen und im Hinblick auf den freien ĺWarenverkehr auch die Warenkontrollen an den Binnengrenzen der Mitgliedstaaten dieses Vertrages abzuschaffen. Das Schengener Übereinkommen sah neben dem schrittweisen Abbau der Grenzkontrollen eine Reihe von kurz- und langfristigen Begleitmaßnahmen vor, wie etwa die Annäherung der Sichtvermerkspolitik, verstärkte Zusammenarbeit der Zoll- und Polizeibehörden, die Angleichung des Waffen- und Melderechts oder die Harmonisierung der ĺMehrwertsteuern. Das Schengener-Übereinkommen wurde schrittweise umgesetzt, vor allem auch durch Ausarbeitung des detaillierteren ĺSchengener Durchführungsübereinkommens und der darauf erfolgenden Einrichtung des ĺSchengener Informationssystems. Mit 1995 wurde sodann die Abschaffung der Binnengrenzen im dadurch geschaffenen ĺSchengen-Raum umgesetzt. Die ursprüngliche Gruppe der Vertragsstaaten 1985 (Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Niederlande) ist mittlerweile erheblich ausgeweitet (dazu näheres unter ĺSchengenRaum). Der sog. ĺSchengen Besitzstand ging mit dem ĺVertrag von Amsterdam in das Recht der EU über und wurde durch die nachfolgenden Rechtsentwicklungen (im Rahmen des ĺAsylrechts und der ĺPJZS) wesentlich umgesetzt und weiterentwickelt. Dabei ist v.a. auch auf die Integration der Politiken „Visa, Asyl, Einwanderung“ in Titel IV des EG-Vertrages hinzuweisen. (kl) §§: Übereinkommen betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Übereinkommen) vom 14.6.1985
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Schiedsverfahren, allgemein Lit.: K. Famira, Der freie Personenverkehr in Europa. Schengen nach Amsterdam, 2004; N. Haas, Die Schengener Abkommen und ihre strafprozessualen Implikationenen, 2001; W. Hummer/W. Obwexer, Österreich in der Europäischen Union: Die Schengener Übereinkommen und die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, 1996; C. Joubert/H. Bevers, Schengen Investigated, 1996
Schiedsverfahren, allgemein arbitration – arbitrage
Das Schiedsverfahren eröffnet die Möglichkeit, im Wege einer Schiedsklausel oder eines Schiedsvertrags die Zuständigkeit der europäischen Gerichtsbarkeit für rechtliche Streitigkeiten aus Vertragsbeziehungen zu vereinbaren, zu deren Entscheidung andernfalls die nationale Gerichtsbarkeit zuständig wäre. Im Rahmen dieser Verfahrensart ist es möglich, rechtliche Auseinandersetzungen, die aus einer Vertragsbeziehung mit der ĺEG resultieren und die bedeutende Interessen der EG betreffen können, vor einem Gemeinschaftsgericht auszutragen. Der Abschluss einer „Schiedsklausel“ bzw. eines „Schiedsvertrags“ bedeutet nicht, dass das zuständige Gemeinschaftsgericht den Charakter eines speziellen Schiedsgerichts bekommt. Das ĺEuG bzw. der ĺEuGH übt seine Gerichtsbarkeit als ĺGemeinschaftsorgan ausschließlich nach den relevanten Bestimmungen des EGV, der Satzung und der Verfahrensordnung aus. Die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Gemeinschaftsgerichts schließt die Zuständigkeit eines nationalen Gerichts aus – d.h. ein dennoch angerufenes innerstaatliches Gericht muss sich für unzuständig erklären. Das Schiedsverfahren kommt in der Praxis nur selten zur Anwendung. Die häufigsten Anwendungsbereiche sind Verträge zwischen den ĺGemeinschaftsorganen und Privaten (vor allem Miet- und Werkverträge), öffentlich-rechtliche Subventionsverträge oder Auftragsvergaben durch die Organe der EG (EuGH, Rs. C299/93 Bauer/Kommission, Slg. 1995, I-839; EuGH, Rs. C-77/99 Kommission/Oder Plan GmbH, Slg. 2001, I-7355; EuG, Rs. T-134/01 Hans Fuchs KG/Kommission, Slg. 2002, II-3909; EuG, Rs. T-93/01 Seisenbacher GmbH/Kommission, Slg. 2002, II-2117). Die Regelungen des Schiedsverfahrens im EG sind beinahe identisch mit den Bestimmungen des Art. 153 EAG. (lb) §§: Art. 238; 239; 240 EG; Art. 153 EAG Lit.: C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 238 EG, Rn. 1 f.; Art. 239, EG Rn. 1 ff.; W. Hakenberg/C.
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Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 88 ff.
Schiedsverfahren, Urteil und Wirkung arbitration, judgement and its impact – arbitrage, jugement et effet
Diese Verfahrensart wird mit der Erlassung des Schiedsurteils beendet. Das Urteil kann je nach Schiedsvereinbarung und Antragstellung sehr unterschiedliche Inhalte aufweisen. Die Bindungswirkung der Entscheidung richtet sich nach der Schiedsabrede. Grundsätzlich wirkt das Schiedsurteil inter partes und ex nunc. Die unterliegende Partei hat die Kosten zu tragen; Gerichtskosten werden keine eingehoben. (lb) Schiedsverfahren, Verfahrensablauf arbitration, course of the proceedings – arbitrage, déroulement de l’instance
Das Schiedsverfahren ist als kontradiktorisches Klageverfahren konzipiert und ist in folgende Verfahrensabschnitte gegliedert: ƒ keine Notwendigkeit eines Vorverfahrens ƒ Antrag ƒ Antragserwiderung ƒ Replik ƒ Duplik ƒ einmalige schriftliche Äußerung der Streithelfer ƒ vor dem ĺEuGH: mündliche Verhandlung, wenn beantragt; Schlussanträge des zuständigen Generalanwalts ƒ vor dem ĺEuG: immer mündliche Verhandlung ƒ Schiedsurteil. (lb) §§: Art. 238; 239 EG; Art. 44a VerfO-EuGH Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 88 ff.
Schiedsverfahren, Verfahrensgegenstand arbitration, object of the proceedings – arbitrage, objet de l’instance
Gegenstand eines Schiedsverfahrens ist entweder die Frage der Wirkung privater bzw. öffentlich-rechtlicher Verträge zwischen den Vertragsparteien oder die Entscheidung von rechtlichen Streitigkeiten, die sich aus diesen Verträgen ergeben (EuGH, Rs. 426/85 Kommission/Zoubek, Slg. 1986, 4057). In Betracht kommen daher neben den vertraglichen Ansprüchen insbesondere Schadenersatz- oder Bereicherungsansprüche.
Schiffsüberprüfungsorganisationen, Schiffbesichtigungsorganisationen Der Umfang der Prüfungsbefugnis des Gemeinschaftsgerichts ergibt sich aus der Schiedsvereinbarung. Enthält diese keine Beschränkungen, ist von einer unbeschränkten Nachprüfungsund Entscheidungsbefugnis auszugehen. (lb) §§: Art. 229; 238; 239 EG
Schiedsverfahren, Verfahrensparteien arbitration, parties of the proceedings – arbitrage, parties de l’instance
Als mögliche Kläger und Beklagte in einem Schiedsverfahren vor einem europäischen Gericht kommen die ĺEG bzw. ihre ĺOrgane, die ĺEZB, die ĺEIB, der ĺWirtschafts- und Sozialausschuss, die ĺMitgliedstaaten, Drittstaaten, Körperschaften öffentlichen Rechts sowie juristische und natürliche Personen in Frage. (lb) §§: Art. 238; 239 EG Lit.: C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 238 EG, Rn. 8 f.; Art. 239 EG, Rn. 7
Schiedsverfahren, Zuständigkeit arbitration, competence – arbitrage, compétence
Voraussetzung der Zuständigkeit des Gemeinschaftsgerichts im Zuge eines Schiedsverfahrens ist eine wirksame Schiedsvereinbarung. Hinsichtlich der Zuständigkeit zur Entscheidung in Schiedsverfahren ist zwischen der Verfahrenseinleitung aufgrund einer Schiedsklausel nach Art. 238 EG und wegen eines Schiedsvertrages nach Art. 239 EG zu unterscheiden: ƒ für Klagen gem. Art. 238 EG ist das ĺEuG zuständig ƒ für Klagen gem. Art. 239 EG ist der ĺEuGH zuständig Im Fall der Entscheidung durch das EuG besteht die Möglichkeit eines Rechtsmittels an den EuGH. Der Anteil des Schiedsverfahrens an allen Verfahren vor dem EuGH beträgt 0,6 % – der Anteil an allen Verfahren vor dem EuG beträgt 2 %. (lb) §§: Art. 225 Abs. 1; 238; 239 EG; Art. 51 EuGH-Satzung Lit.: C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 238 EG, Rn. 11 f.
Schifferpatent, Anerkennung recognition of national boatmasters’ certificates – Reconnaissance réciproque des certificats nationaux de conduite des bateaux
Die RL 91/672/EWG (ABl. 1991, Nr. L 373/29) regelt die Klassifizierung und gegenseitige Anerkennung der einzelstaatlichen Schifferpatente.
Demgegenüber formuliert die RL 96/50/EG (ABl. 1996, Nr. L 235/31) materielle Festlegungen bezüglich der Anforderungen zur Erlangung eines Patents. Damit werden die Bedingungen für den Erwerb einzelstaatlicher Schifferpatente für den Binnenschiffsgüter- und Personenverkehr harmonisiert. Schifferpatente dürfen von den MS nur bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen wie Mindestalter oder körperliche und geistige Eignung des Bewerbers erteilt werden. Bei Erfüllung der Voraussetzungen besteht eine Pflicht der MS zur gegenseitigen Anerkennung. Systematisch ähnliche Bestimmungen finden sich im Zsammenhang mit der ĺFührerscheinRL. (sm) Schifffahrt, unlautere Preispraktiken maritime transport, unfair pricing practices – transports maritimes, pratiques tarifaires déloyales
Die in der VO (EWG) 4057/86 (ABl. 1988, Nr. L 117/35) enthaltenen Bestimmungen stellen eine Maßnahme der ĺPreisbildung dar. Die ĺVO zielt auf die gleiche Gestaltung der Wettbewerbsbedingungen für in der EU niedergelassenen Reedereien im Seeverkehr mit Drittstaaten. Sie regelt die Vorraussetzungen, unter denen Linienreedereien dritter Länder, die im internationalen Seeverkehr tätig sind, zur Zahlung einer durch die Gemeinschaft erhobenen Ausgleichsabgabe verpflichtet werden können Die Vefahren kommen zur Anwendung, welche die Frachtverhältnisse auf einer bestimmten Schiffahrtsroute nach, von oder innerhalb der Gemeinschaft ernsthaft stören und eine erhebliche Schädigung der auf dieser Route tätigen Reedereien der Gemeinschaft sowie der Interessen der Gemeinschaft verursachen oder zu verursachen drohen (kumulative Tatbestandsmerkmale sind somit: unlautere Preisbildungspraktiken, Schädigung, Kausalität und Gemeinschaftsinteresse). Das Verfahren kann auf Antrag jeder natürlichen oder juristischen Person sowie jeder Vereinigung ohne Rechtspersönlichkeit, die im Namen des Wirtschaftszweigs der Seeschiffahrt der Gemeinschaft handelt, welche sich durch unlautere Preisbildungspraktiken für geschädigt oder bedroht hält, schriftlich gestellt werden. (sm) Schiffsüberprüfungsorganisationen, Schiffbesichtigungsorganisationen ship inspection and survey organizations – organismes habilités à effectuer l’inspection et la visite des navires
Als Teil der Bestimmungen betreffend die Sicherheit des Seeverkehrs (ĺSicherheit, Seever797
Schindler-Lotterielose-Entscheidung kehr) wurde die RL 94/57/EG erlassen. Mit dieser RL sollen Vorschriften aufgestellt werden, die von den MS und Organisationen, die sich mit der Überprüfung, Besichtigung und Zertifizierung von Schiffen hinsichtlich der Einhaltung der internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See und zur Verhütung der Meeresverschmutzung befassen, zu befolgen sind und zugleich dem Ziel der Dienstleistungsfreiheit dienen. Hierzu gehören auch die Ausarbeitung und Durchführung von Sicherheitsvorschriften für Schiffskörper, Maschinen, elektrische sowie Steuer-, Regel- und Überwachungseinrichtungen von Schiffen, auf die die internationalen Übereinkommen anwendbar sind. Es wird ein System der gemeinschaftsweiten Anerkennung von Organisationen eingeführt, die in Einklang mit den internationalen Übereinkommen zur Überprüfung von Schiffen sowie zur Aufstellung einschlägiger Sicherheitszeugnisse für die MS zugelassen werden können. Dies hängt von einer mitgliedstaatlichen Delegation der Verantwortung ab. Eine solche ist lediglich zulässig, wenn die Organisationen gewisse im Anhang der RL vorgegebenen Mindestanforderungen erfüllen. (sm) §§: RL 94/57/EG (ABl. 1994, Nr. L 319/20)
Schindler-Lotterielose-Entscheidung Schindler-Lotterielose case – jurisprudence SchindlerLotterielose
In der Rs. Schindler war der ĺEuGH mit einer britischen Regelung befasst, die die Einfuhr von Lotterielosen und den Versand von Werbematerial für Glücksspiele in das Vereinigte Königreich untersagte. Zunächst stellte der EuGH fest, dass die Bestimmungen betreffend die ĺDienstleistungsfreiheit, und nicht über den freien ĺWarenverkehr anwendbar sind: Die Einfuhr und Verteilung von Gegenständen sind kein Selbstzweck, sondern sollen den Personen, die sie erhalten, die Teilnahme an Lotterien ermöglichen, weshalb es sich hier um eine ĺDienstleistung handelt. Diese wird entgeltlich (ĺEntgeltlichkeit) erbracht, da für ein Los ein Preis entrichtet werden muss. Auch ein ĺgrenzüberschreitendes Element liegt vor, weil eben die Lose versandt werden (ĺKorrespondenzdienstleistung). Der EuGH hat dann die von der britischen Regierung vorgebrachten Rechtfertigungsgründe für das Einfuhrverbot, nämlich die Verhinderung von Straftaten und die faire Behandlung der Spieler, als ĺzwin798
gende Gründe des Allgemeininteresses anerkannt und die verfahrensgegenständliche Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit für zulässig erklärt. (ah) (sh) Rsp.: EuGH, Rs. C-275/92 Schindler, Slg. 1994, I-1039, Rn. 22 ff.
Schleichwerbung aurreptitious audiovisual – publicités commerciales clandestines
Der Begriff der Schleichwerbung steht im Grunde als Synonym für sämtliche unzulässige Werbepräsentationen (in den audiovisuellen Mediendiensten). Das sind insb. jene, die gegen die allgemeinen Werbegrundsätze – das Gebot der Erkennbarkeit von Werbung für den Zuschauer und ihrer Trennung vom sonstigen redaktionell gestalteten Programm – verstoßen. Demgem. gelten als unzulässige Schleichwerbung jene werbewirksamen Erwähnungen oder Darstellungen von Waren, Dienstleistungen, Namen, etc (in den ĺaudiovisuellen Mediendiensten), die (vom ĺMediendiensteanbieter) absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen werden und den Zuschauer über den Werbezweck in die Irre führen können. Eine Erwähnung oder Darstellung gilt insbesondere dann als beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt. Die Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung erfolgt demnach zentral über das Kriterium der „Werbeabsicht“, von der nicht bei jeder Werbewirkung automatisch auszugehen ist. Erfolgt sie unentgeltlich oder ist sie aus redaktionellen, dramaturgischen oder journalistischen Gründen unvermeidbar, deutet dies darauf hin, dass die Werbewirkung gerade nicht beabsichtigt war. Die Abgrenzung der unzulässigen Schleichwerbung von den nach dem Vorschlag für eine audiovisuelle MediendiensteRL in Hinkunft zulässigen Formen des ĺProduct Placement gestaltet sich schwierig, weil letztere schon per definitionem die zwei wesentlichen Begriffselemente der Schleichwerbung – absichtlich zu Werbezwecken und können Zuschauer über den Werbezweck in die Irre führen – erfüllen. (dd) §§: Art. 1 lit. h, Vorschlag für eine Richtlinie „Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen“, KOM(2007) 170 endg.
Schlenkerverkehr sheer traffic
Im Gegensatz zum ĺinternationalen gewerblichen Güterkraftverkehr ein Transport, bei
Schuman-Plan dem Ausgangs- und Zielpunkt in ein- und demselben MS befindlich sind, die Transportstrecke jedoch über das Gebiet eines anderen MS führt (z.B. ein Transport von Deutschland über Frankreich nach Deutschland). (sm) Schlussantrag ĺGeneralanwalt Schmidberger/Brennerblockade-Entscheidung Schmidberger/Brennerblockade case – jurisprudence Schmidberger/Brennerblockade
Urteil des ĺEuGH vom 12.6.2003, Rs. C-112/ 00 Schmidberger, Slg. 2003, I-5659, zum Verhältnis europäische ĺGrundfreiheiten versus ĺGrundrechte („Brenner Blockade“). Den Gegenstand der Rs. bildete eine behördlich genehmigte (nicht untersagte) 30 stündige Versammlung auf der Brenner-Autobahn. Diese Versammlung führte zu einer völligen Blockade des Verkehrs. Im nationalen Verfahren forderte die Klägerin, ein internationales Transportunternehmen, Schadenersatz aus dem Titel der ĺStaatshaftung von der Republik Österreich aufgrund der erzwungenen Nichtbenutzbarkeit der LKWs. Der ĺEuGH hatte sich in der Folge mit der Vorlagefrage auseinanderzusetzen, ob der Umstand, dass die zuständigen Behörden eines ĺMitgliedstaats eine Versammlung, die zu einer ununterbrochenen 30stündigen Blockade einer wichtigen Verkehrsverbindung führte, nicht untersagten, eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung des grundlegenden Prinzips des ĺfreien Warenverkehrs darstelle. Grundsätzlich hat der EuGH dazu ausgesprochen, dass der innergemeinschaftliche Handelsverkehr ebenso wie durch eine Handlung dadurch beeinträchtigt werden kann, dass ein Mitgliedstaat untätig bleibt oder es versäumt, ausreichende Maßnahmen zur Beseitigung von Hemmnissen für den freien Warenverkehr zu treffen, die insbesondere durch Handlungen von Privatpersonen in seinem Gebiet geschaffen wurden, die sich gegen ĺErzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten richten. Die nicht untersagte Blockade einer wichtigen Verkehrsverbindung stelle daher eine Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs dar und sei als ĺMaßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkungen anzusehen, sofern die Nichtuntersagung nicht objektiv gerechtfertigt werden kann. Die Rechtfertigung wurde gegenständlich unter Berücksichtigung der Grundrechte
auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit bejaht. Der EuGH sah nach Lage des konkreten Falls die Einschränkung von ĺEU-Grundfreiheiten (ĺWarenverkehrsfreiheit) durch die Ausübung bzw. den Schutz von Grundrechten (ĺMeinungs- und ĺVersammlungsfreiheit) gerechtfertigt. Die laut EuGH als berechtigtes Beschränkungsinteresse in Frage kommenden Grundrechte waren dabei nicht nur innerstaatlich (nach der österr. Verfassung bzw. der ĺEMRK) verbürgt, sondern auch als Gemeinschaftsgrundrechte anerkannt und geprüft. (ed) (ah) Lit.: C. Mayer, Die Warenverkehrsfreiheit im Europarecht – eine Rekonstruktion, EuR 2003, 793 (820) Rsp.: EuGH, Rs. C-112/00 Schmidberger, Slg. 2003, I-5659, Rn. 50, 58, 64; zur selben Problematik – Beschränkung von Grundfreiheiten durch Grundrechte – mit anderem Hintergrund vgl. EuGH, Rs. C-36/ 02 ĺOmega, Slg. 2004, I-9609 (Menschenwürde/ Dienstleistungsfreiheit); EuGH, Rs. C-368/95 Familiapress, Slg. 1997, I-3689 (Meinungs-/Warenverkehrsfreiheit)
Schranken, grundrechtliche Schrankenbestimmungen, s. ĺGrundrechtsschranken Schule ĺRecht auf Bildung: ĺPrivatschulfreiheit Schuman, Robert (1886–1963) Französischer Politiker. 1940 nach Deutschland deportiert, floh 1942 und schloss sich der Résistance an. Er setzte sich als Außenminister 1948–1952 für die europäische Einigung und deutsch-französische Annäherung ein, die er mit dem ĺSchuman-Plan maßgeblich förderte. In einer Erklärung am 9.5.1950 schlug er die Schaffung einer Gemeinschaft vor, die aus deutscher und französischer Kohle- und Stahlindustrie bestehen sollte (ĺ„Montanunion“). 1955/1956 Justizminister; 1955 Präsident der Europäischen Bewegung; 1958–1960 ĺerster Präsident des ĺEuropäischen Parlaments. (gm) Lit.: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 25, 21. Aufl. 2006, 176 Web: http://europa.eu/scadplus/treaties/ecsc_fr.htm
Schuman-Plan Schuman plan – plan Schuman
ĺJean Monnet entwickelte einen Plan über die Vereinigung der deutschen und französi799
Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften schen Kohle- und Stahlindustrie. Durch die Verschmelzung dieser nationalen Industrien sollte ein Krieg zwischen den beiden Staaten unmöglich gemacht werden. Der Plan sah weiters vor, dass ein supranationales Organ, die ĺHohe Behörde (haute autorité), geschaffen werden solle. Dies sollte die Grundlage für eine europäische Föderation bilden, die neben Friedensbewahrung auch die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Stahlindustrie gegenüber der US-Schwerindustrie auf dem Weltmarkt fördern sollte. Dieser Plan ĺMonnets wurde durch Schuman, damals französischer Außenminister, vorgelegt und am 9.5.1950 in einer Erklärung der französischen Regierung feierlich verkündet, bildete die Grundlage der ĺEGKS und wurde durch den ĺPariser Vertrag (EGKS) vom 18.4. 1951 verwirklicht. (gm) Lit.: F. Breuss (Hrsg.), Vom Schuman-Plan zum Vertrag von Amsterdam : Entstehung und Zukunft der EU, Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft für Europaforschung, 2000; W. Hallstein, Probleme des Schuman-Plans – eine Diskussion zwischen Walter Hallstein und Andreas Predoehl und Fritz Baade, Kieler Vorträge, 1951; L. Herbst et. al. (Hrsg.), Vom Marshallplan zur EWG. Die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschlands in die westliche Welt, 1990; K. Schwabe (Hrsg.), Die Anfänge des Schuman-Plans 1950/51 – The Beginnings of the Schumanplan, 1988 Web: http://europa.eu/scadplus/treaties/ecsc_fr.htm
Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften protection of the European Communities financial interests – la protection des intérêts financiers des Communautés européennes
Angesichts des Haushaltsvolumens der Europäischen Gemeinschaften von ca. 126,5 Mrd. Euro (Haushaltsjahr 2008) (ĺHaushaltsplan) stellt der Schutz der finanziellen Interessen eine bedeutsame Aufgabe dar, die den Gemeinschaften und den Mitgliedstaaten gemeinsam obliegt. Diese Verpflichtung ist primärvertraglich (ĺPrimärrecht) in Art. 280 EG (sowie ähnlich in Art. 183a EAG) verankert. 1. Schutzgut und Gefährdungshandlung: Der Begriff der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft ist weit zu verstehen. Er umfasst die Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaften, daneben aber auch alle sonstigen von den Gemeinschaften oder in ihrem Auftrag verwalteten Finanzmittel. Die finanziellen Interessen sind nicht erst bei einer Vermögensschädigung, sondern bereits bei einer Vermögensgefährdung betroffen. Zu bekämp800
fen sind alle gegen das Schutzgut gerichteten rechtswidrigen Handlungen. Der Begriff der Betrügereien ist europarechtlich autonom auszulegen und nicht auf Betrugshandlungen (einschließlich Steuer-, Subventions- und Submissionsbetrug) i.S.d. des nationalen Rechts beschränkt (ĺBetrugsbekämpfung). Weitere Untergruppen der zu bekämpfenden rechtswidrigen Handlungen sind etwa Korruptionsdelikte (ĺBestechung und Bestechlichkeit, strafrechtliche Bekämpfung der), Urkundenfälschung, Amtsmissbrauch, die Verletzung eines Dienstgeheimnisses durch Gemeinschaftsbeamte u.a. mehr, soweit dies zumindest indirekt die finanziellen Interessen der Gemeinschaften gefährdet. 2. Verpflichtungen der Mitgliedstaaten: Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, einen effektiven Schutz zu bewirken (Effektivitätsprinzip, Art. 280 Abs. 1 EG). Dazu gehört die abschreckende, effektive und verhältnismäßige Sanktionierung von Verstößen [ĺMindesttrias der Sanktionen; ĺGriechischer Mais (EuGH, Rs. 68/88)]. Zugleich gilt das Äquivalenzprinzip, nach dem die Mitgliedstaaten gegen Betrügereien zu Lasten der finanziellen Interessen der Gemeinschaften ebenso zu bekämpfen haben, wie sie dies mit vergleichbaren Handlungen zu Lasten der eigenen finanziellen Interessen tun (ĺAssimilierungspflicht) (Art. 280 Abs. 2 EG). Die Mitgliedstaaten koordinieren ihr Vorgehen untereinander und mit der Kommission (Art. 280 Abs. 3 EG). 3. Maßnahmen der Gemeinschaft: Die Europäische Gemeinschaft hat die VO (EG, Euratom) 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ĺSanktionsverordnung) erlassen, die verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen vorsieht. Institutionell ist zur Betrugsbekämpfung seitens der Gemeinschaft das ĺEuropäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) geschaffen worden. 4. Strafrechtliche Kompetenzen: Im Rahmen der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen ist eine Mindestharmonisierung des mitgliedstaatlichen Strafrechts durch das Übereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sowie zwei Zusatzprotokolle (ĺBestechungsprotokoll (1996); ĺGeldwäscheprotokoll [1997]) zu diesem angestrebt. Umstritten ist, ob nach der Neufassung des Art. 280 Abs. 4 EG dieser eine gemeinschafts-
Schutzdauerrichtlinie rechtliche Kompetenzgrundlage bildet, aufgrund derer die Mitgliedstaaten mittels einer supranationalen Richtlinie zum Erlass entsprechender Strafnormen angewiesen werden können. Die hL lehnt dies bislang ab. Fraglich ist, ob dies im Lichte der ĺUmweltrahmenbeschlussEntscheidung des EuGH zur strafrechtlichen Annexkompetenz anders zu sehen ist. Der gegen eine solche Anweisungskompetenz häufig angeführte Satz 2 des Art. 280 Abs. 4 EG würde bei Inkrafttreten des ĺVertrages von Lissabon entfallen; eine Anweisungskompetenz wäre spätestens nach dieser Vertragsreform zu bejahen. (sts) §§: Art. 280 Abs. 4 EG Lit.: G. Dannecker, Strafrechtlicher Schutz der Finanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft gegen Täuschung, ZStW 108 (1996) 577 ff.; H.-J. Prieß/ H. Spitzer, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 280 EG, Rn. 1 ff. Web: http://www.europa.eu/pol/fraud/index_de.htm
Schutz personenbezogener Daten ĺDatenschutz, Grundrecht auf Schutz, diplomatischer ĺDiplomatischer Schutz Schutz, konsularischer ĺKonsularischer Schutz Schutzbereich (Grundrechte) scope of protection (of human rights) – champ d’application (des droits fondamentaux)
Der Schutzbereich des jeweiligen ĺGrundrechts meint – im Unterschied zum abstrakten ĺAnwendungsbereich – den jeweiligen konkreten Tatbestand, d.h. das durch ein Grundrecht geschützte Rechtsgut (sachlicher Schutzbereich) sowie die geschützte Person (persönlicher Schutzbereich). In der Grundrechtsprüfung ist zuerst durch Auslegung des betreffenden Grundrechts sein Schutzbereich zu klären: Gibt es im konkreten Fall einen geeigneten ĺGrundrechtsträger? Ist der betreffende Sachverhalt unter den Grundrechtstatbestand subsumierbar? Nur wenn die Vorfrage des Schutzbereichs bejaht wird, kann überhaupt ein Grundrecht berührt sein und, wenn ja, von einem ĺGrundrechtseingriff gesprochen werden. (ed) Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 6, Rn. 6 ff.
Schutzbereich, sachlich (freier Warenverkehr) material scope (free movement of goods) – champ d’application materiel (libre circulation des marchandises)
Die ĺWarenverkehrsfreiheit schützt die ungestörte Zirkulation von ĺWaren im ĺBinnenmarkt. Die Definition des sachlichen Schutzbereichs ist für die Abgrenzung zu den weiteren ĺGrundfreiheiten erforderlich. Die Warenverkehrsfreiheit zählt neben der ĺDienstleistungsfreiheit und der ĺKapitalverkehrsfreiheit zu den Produktverkehrsfreiheiten, welche stets dann einschlägig sind, wenn nicht eine Person, sondern ein Produkt die Grenze überschreitet. In der Praxis ist eine klare Abgrenzung nicht ohne weiteres möglich, da sich ein Sachverhalt oftmals mehreren Grundfreiheiten zu ordnen lässt. Jedenfalls notwendig ist das Vorliegen einer ĺWare, entweder unmittelbar aus den ĺMitgliedstaaten stammend oder ĺim freien Verkehr befindlich. Die Anwendbarkeit setzt darüber hinaus auch einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraus, wobei der ĺEuGH dieses Tatbestandselement weit fasst (s.a. ĺGemeinschaftsbezug). (ah) Lit.: C. Mayer, Die Warenverkehrsfreiheit im Europarecht – eine Rekonstruktion, EuR 2003, 794 ff.; A. Epiney, Freiheit des Warenverkehrs, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, 227, Rn. 8 ff.
Schutzdauer ĺSchutzdauerRL Schutzdauerrichtlinie directive on the term of protection of copyright – directive relative à la durée de protection du droit d’auteur
Bei der SchutzdauerRL (RL 93/98/EWG, ABl. 1993, Nr. L 290/9) handelt es sich um eine jener RL, mit denen Teile des Urheberrechts harmonisiert wurden; sie gehört damit zum ĺeuropäischen Urheberrecht. Kompetenzgrundlage ist Art. 95 EG. Die SchutzdauerRL war Reaktion auf die Entscheidung ĺEmi Electrola/Patricia, wonach Beeinträchtigungen des Binnenmarktes, die aus der unterschiedlichen ĺSchutzdauer für Urheberrechte resultieren, hinzunehmen seien, solange keine Harmonisierung des Urheberrechts erfolgt sei. Für das Urheberrecht legt die RL eine Schutzdauer von 70 Jahren post mortem auctoris fest. Urheberpersönlichkeitsrechte werden von dieser Regelung allerdings nicht erfasst. Bei den verwandten Schutzrechten wurde die Schutzdauer für ausübende Künstler, 801
Schutzgebiet Tonträgerhersteller, Filmproduzenten und Sendeunternehmen auf 50 Jahre festgelegt. Diese Grundsatzregeln werden ergänzt durch zahlreiche Detail- und Sonderregelungen. (js) Lit.: A. Dietz, Die Schutzdauer-Richtlinie der EU, GRUR Int. 1995, 670
Schutzgebiet area of conservation – zone de conservation
Gem. der ĺFlora-Fauna-HabitatRL ist unter „besonderes Schutzgebiet“ ein von den MS durch eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift und/oder eine vertragliche Vereinbarung als ein von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewiesenes Gebiet zu verstehen, in dem die Maßnahmen durchgeführt werden, die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und/oder Populationen der Arten, für die das Gebiet bestimmt ist, erforderlich sind. Zudem anerkennt der ĺEuGH die Existenz sog. „faktischer Schutzgebiete“. Das sind Vogelschutz- (oder FFH- [strittig, s. unten]) Gebiete, die unter Zugrundelegung der in der ĺVogelschutzrichtlinie (bzw. der FFHRL) genannten Kriterien eigentlich als Schutzgebiete durch die MS hätten ausgewiesen werden müssen, da sie sich aus naturfachlicher bzw. ornithologischer Sicht in besonders hohem Ausmaß dazu eignen, bei denen jedoch eine Ausweisung durch die MS nicht erfolgte. Der EuGH wendet dabei das für reguläre Vogelschutzgebiete geltende Beeinträchtigungsverbot der Vogelschutzrichtlinie auch auf (noch) nicht gemeldete, aber ornithologisch schutzwürdige Flächen unmittelbar an. Der EuGH neigt zudem dazu, den nach der FFHRL auszuweisenden, aber noch nicht oder unvollständig gemeldeten Gebieten einen materiellen Schutzstatus zuzusprechen (sog. „potenzielle FFH-Gebiete“). Schwierigkeiten bestehen hinsichtlich einer Übernahme der zur ĺVogelschutzrichtlinie ergangenen Rechtsprechung allerdings u.a. aufgrund der Dreistufigkeit des Auswahlverfahrens nach der FFHRL und dem lediglich einstufigen Auswahlmechanismus der Vogelschutzrichtlinie. (sm) Lit.: D. Ennöckl, Das Schutzgebietssystem NATURA 2000 – Auslegungsfragen zu den Richtlinien 79/409/ EWG und 92/43/EWG, Master These, 2001; M. Gellermann, NATURA 2000 – Europäischer Habitatschutz und seine Durchfürhrung in der Bundesrepublik Deutschland, 2002; B. Rajal/A. Tschugguel, NATURA 2000 – Das Schutzgebietssystem der EU, 2004, 18 ff. (49 f.); M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 11, Rn. 186 ff.
802
Rsp.: EuGH, Rs. C-355/90 Kommission/Spanien („Santona“), Slg. 1993, I-422; EuGH, Rs. C-44/95 Lappel Bank, Slg. 1996, I-3805, Rn. 36 ff.
Schutzklausel (Harmonisierung) Safeguard Clause (harmonisation) – Clause de sauvegarde (harmonisation)
Art. 95 EG ermöglicht es, ĺHarmonisierungsmaßnahmen in geeigneten Fällen mit Schutzklauseln zu verbinden. Derartige Schutzklauseln ermächtigen die MS zur Gefahrenabwehr in Bezug auf Erzeugnisse, die unter die Harmonisierungsmaßnahme fallen. Eine solche Verbindung mit „geeigneten Fällen“ liegt im Ermessensspielraum des Gemeinschaftsgesetzgebers. Nach der Judikatur des ĺEuGH sind Schutzklauseln auf Grund ihres Ausnahmestatus eng auszulegen (EuGH, Rs. 11/82 PiraikiPatraiki, Slg. 1985, 207, Rn. 26). Die Schutzklausel darf die MS nur aus einem oder mehreren der in Art. 30 EG genannten (nichtwirtschaftlichen) Gründe zu Maßnahmen ermächtigen. Anders als im Rahmen der ĺBeibehaltung einzelstaatlicher Bestimmungen nach Art. 95 Abs. 4 EG zählen der Schutz der Umwelt und der Arbeitsumwelt nicht zu diesen Gründen. Die MS dürfen nur Maßnahmen treffen, die einem gemeinschaftlichen Kontrollverfahren unterliegen. Art. 95 Abs. 10 schließt die Möglichkeit eines ĺnationalen Alleingangs nicht aus. Beide Möglichkeiten bestehen vielmehr parallel zu einander. (cb) §§: Art. 95 Abs. 10 EG; Art. 30 EG Lit.: H. G. Fischer, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 95 EGV, Rn. 34 ff.; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 95 EGV, Rn.70 ff.; A. Weber, Schutznormen und Wirtschaftsintegration, 1982 Rsp.: EuGH, Rs. 11/82 Piraiki-Patraiki, Slg. 1985, 207
Schutzklausel beim Inverkehrbringen von GVO safeguard clause – clause de sauvegarde
Die RL 2001/18/EG (ĺFreisetzungsrichtlinie) sieht ein Verfahren zur Genehmigung des ĺInverkehrbringens von ĺProdukten aus ĺgenetisch veränderten Organismen vor. Im Rahmen dieses Verfahrens hat jede nationale Zulassungsbehörde die Möglichkeit Einwände gegen die Zulassung eines neuen Produkts in einem Mitgliedstaat einzubringen. Die Entscheidung über solche Einwände wird im Rahmen eines Ausschussverfahrens getroffen. Diese Entscheidung bildet die Grundlage für die Zulassung oder die Verweigerung der Zulassung
Schutzniveau, hohes durch die nationale Zulassungsbehörde des Mitgliedstaates in dem das ĺAnmeldeverfahren eingeleitet wurde. Erhält ein Produkt schließlich in einem Mitgliedstaat die Zulassung zur Inverkehrbringung, so darf kein anderer Mitgliedstaat das Inverkehrbringen dieses Produkts verbieten, einschränken oder behindern. Eine Ausnahme davon sieht Art. 23 der Freisetzungsrichtlinie mit einer Schutzklausel vor. Hat ein Mitgliedstaat auf Grund neuer Informationen berechtigten Grund zur Annahme, dass ein Produkt aus genetisch veränderten Organismen eine Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt darstellt so kann er den Einsatz und Verkauf dieses Produkts in seinem Hoheitsgebiet vorübergehend einschränken oder verbieten. Aufgrund dieser Schutzklausel ist derzeit etwa der Import einer Rapssorte (GT73) und dreier Maissorten (MON810, T25, Bt176) in Österreich per Verordnung untersagt. (al) §§: Art. 23, RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. II., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, Rn. 107 ff. Web: http://www.bmgf.gv.at/cms/site/inhalte.htm? channel=CH0252&thema=CH0264
Schutzlandprinzip ĺImmaterialgüterrecht, im IPR Schutzmaßnahmen, Kapitalverkehrsfreiheit safeguard measures, free movement of capital – mesures de sauvegarde, libre circulation des capitaux
Nach Art. 59 EG mögliche Maßnahmen gegen ĺKapitalverkehr zwischen den an der WWU (ĺWirtschafts- und Währungsunion) teilnehmenden EG-Mitgliedstaaten und Drittstaaten, wenn dieser „das Funktionieren der Wirtschaftsund Währungsunion stört oder zu stören droht“. Nach überwiegender Auffassung wird daneben auch der freie ĺZahlungsverkehr von WWUMitgliedstaaten mit Drittstaaten (Art. 56 Abs. 2 EG) von Art. 59 EG erfasst, soweit davon eine Gefahr für das Funktionieren der WWU ausgeht. Nicht WWU-EG-Mitgliedstaaten können zum Schutz ihres Zahlungsverkehrs S. nach Art. 119, 120 EG erlassen. Mit einer S. nach Art. 59 EG können daher nur geld- und währungspolitische Ziele verfolgt werden, politische Sanktionen im Bereich des Kapitalverkehrs sind auf Art. 60 EG zu stützen (ĺSofortmaßnahmen, Kapitalverkehrsfreiheit). Als S. kommt jegliche direkte oder indirekte Einschränkung
der ĺKapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 in Betracht. Art. 59 EG enthält eine Ausnahmevorschrift („unter außergewöhnlichen Umständen“, „unbedingt erforderlich“, höchstens für sechs Monate) und ist daher restriktiv auszulegen. S. müssen also insbesondere verhältnismäßig sein. S. können nach Art. 59 EG ausschließlich von der EG, nicht aber den Mitgliedstaaten erlassen werden, da diese seit InKraft-Treten der dritten Stufe der WWU keine Kompetenzen in der Geld- und Währungspolitik mehr haben. Die Entscheidung zum Erlass von S. nach Art. 59 EG trifft der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission nach Anhörung der EZB und der Mitwirkung des ĺWirtschafts- und Finanzausschusses (Art. 114 Abs. 2 EG). (mk) Schutzniveau (Datenschutz) ĺAngemessenes Schutzniveau (Datenschutz) Schutzniveau (Harmonisierung) ĺHohes Schutzniveau (Harmonisierung) Schutzniveau, hohes level of protection (high) – niveau de protection (élevé)
Gem. Art. 174 Abs. 2 Satz 1 und Art. 95 Abs. 3 EG besteht die Verpflichtung der EG-Umweltpolitik, auf ein hohes Schutzniveau unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen abzuzielen. Der Umweltschutz darf nicht vollends in den Hintergrund treten. Er ist laut der Literatur und der Rechtsprechung mit anderen Vertragszielen abzuwägen (praktische Konkordanz), wobei nicht das in technischer Hinsicht höchstmögliche Umweltschutzniveau anzustreben ist, da die MS stärkere Schutzmaßnahmen ergreifen können. Zudemm soll verhindert werden, dass der Umweltschutz stets wirtschaftlichen Interessen zu weichen hat. Manche Autoren räumen dem Umweltschutz einen relativen Vorrang im Sinne einer Argumentationslastregel ein, wonach dieser im Zweifel vorginge. Die Verpflichtung zur Erzielung eines hohen Schutzniveaus ist als einer der Grundsätze der Umweltpolitik anzusehen (ĺUmweltpolitik, Grundsätze der). Die Rechtspflicht zur Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten trägt den lokalen Differenzen in puncto Güterabwägung, Umweltbelastungen und dergleichen beim Umweltschutz Rechnung. Erfasst werden geographische und ökologische, nicht aber ökonomi803
Schutzpflicht, grundrechtliche sche Umstände – hierfür trifft Art. 175 Abs. 5 EG eine Sonderregelung. (sm) Lit.: M. Zuleeg, Vorbehaltene Kompetenz der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Umwetlschutzes, NVwZ 1987, 280 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-284/95 Safety Hi-Tech, Slg. 1998, I-4301
Lit.: F. Kainer, Grundfreiheiten und staatliche Schutzpflicht – EuGH, NJW 1998, 1931; JuS 2000, 431 Rsp.: EuGH, Rs. C-265/95 ĺKommission/Frankreich (Spanische Erdbeeren), Slg. 1997, I-6959, Rn. 30 f.
Schutzzertifikat, ergänzendes ĺErgänzendes Schutzzertifikat
Schutzpflicht, grundrechtliche
Schwangerschaftsabbruch
positive obligation – obligation positive
abortion – avortement
Auch Gewährleistungspflicht, „status activus“. Verpflichtet ĺGrundrechtsadressaten (ĺEU und u.U. ĺMitgliedstaaten) über einen Abwehranspruch als Eingriffsverbot („status negativus“) hinaus zu einem positivem Grundrechtsschutz durch aktives Tun. In der Grundrechtsdogmatik und insb. in der Rsp. des ĺEGMR eine anerkannte Funktion von Grundrechten. Vom ĺEuGH in seiner Grundrechtsjudikatur bislang kaum bemüht. Der jeweilige Umfang der vom ĺEGMR anerkannten Schutzpflichten fließt über den Verweis auf die Bedeutung und Tragweite der ĺEMRK-Rechte in Art. 52 Abs. 3 ĺGRC (Art. II-112 Abs. 3 EVV) ins EU-Recht ein. Insb. in die Verbotsbestimmungen der ĺGRC (Verbot des reproduktiven ĺKlonens, Verbot der Gewinnerzielung mit menschlichen Körperteilen, Verbot von Menschenhandel und Kinderarbeit) sind sehr wohl Schutzpflichten als Handlungspflichten mit hineinzulesen, schon um diesen Garantien zur Durchsetzung zu verhelfen. (ed)
Regelungen darüber zu treffen liegt im staatlichen Ermessensspielraum. Aus den in Frage kommenden europäischen ĺGrundrechten ergibt sich keine zwingende (eindeutige) Lösung (vgl. ĺMenschenwürde, Schutz des ĺLebens, Recht auf ĺPrivatleben, Selbstbestimmung). Zur Frage, ob Art. 2 ĺEMRK den Schutz ungeborenen Lebens erfasst, haben sich weder ĺEuGH noch ĺEGMR explizit geäußert; in der Lehre wird dies überwiegend verneint (vgl. C. Kopetzki, Art. 2 EMRK, in: K. Korinek/M. Holoubek [Hrsg.], B-VG, 1999, Rn. 14 ff.). Vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit erklärte der EuGH ein irisches Verbot der Verbreitung von Informationen über Kliniken im EU-Ausland, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, für zulässig (EuGH, Rs. C-159/90 The Society for the Protection of Unborn Children Ireland, Slg. 1991, I-4685). (ed)
Lit.: M. Holoubek, Grundrechtliche Gewährleistungspflichten, 1997, 66 ff.; P. Szczekalla, Die sog. grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2002; J. Suerbaum, Die Schutzpflichtdimension der Gemeinschaftsgrundrechte, EuR 2003, 417
Schutzpflicht, mitgliedstaatlich (freier Warenverkehr) member states’ obligation to protect (free movement of goods) – obligation d’État membre de garantir (libre circulation des marchandises)
Ergreifen Private Maßnahmen, die gegen ĺErzeugnisse aus anderen ĺMitgliedstaaten gerichtet sind, so hat der Mitgliedstaat die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um eine Verletzung des ĺfreien Warenverkehrs zu vermeiden. D.h. der Mitgliedstaat kann die ĺWarenverkehrsfreiheit durch bloßes Unterlassen verletzen. (s.a. ĺSchmidberger-Entscheidung, ĺSpanische Erdbeeren-Entscheidung). (güh) 804
Lit.: M. Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 2 EMRK, Rn. 30 ff. Rsp.: EGMR 8.7.2004, Vo/F. = NJW 2005, 727; EGMR 20.3.2007, Tysiak/Polen (Entschädigung für nicht zugelassene, medizinisch indizierte Abtreibung unter Art. 8 EMRK); EGMR 10.4.2007, Evans/GB
Schweiz, Beitrittsbemühungen Switzerland, efforts for accession – Suisse, efforts d’adhésion
Bis 1992 lehnte die Schweizerische Eidgenossenschaft einen ĺBeitritt zu den europäischen Gemeinschaften aus neutralitätspolitischen Erwägungen ab. Veranlasst durch die Verhandlungen zur Gründung des ĺEWR und der sich abzeichnenden ĺEFTA-Erweiterung stellte die S. am 26.5.1992 einen Beitrittsantrag. Nachdem die Ratifikation des EWR-Abkommens an der obligatorischen Volksabstimmung (50,3 % NeinStimmen) scheiterte, entschied sich der Bundesrat dazu, den EG-Beitritt nicht weiter zu verfolgen. Aufgrund der nichterfolgten Zurückziehung des ĺBeitrittsantrages ist eine Eröffnung der ĺBeitrittsverhandlungen jedoch rechtlich jederzeit möglich. In einer weiteren Volksabstimmung 2001 entschied sich eine deutliche
Schwellenwert Mehrheit gegen die Aufnahme von Verhandlungen. Das EFTA-Mitglied S. hat nach dem Scheitern der B. – durch mehrere bilaterale Verträge – eine weit über das Niveau des Freihandelsabkommen von 1973 hinausreichende, politische und wirtschaftliche Verschränkung mit der EU erreicht (ĺEuropäische Freihandelszone, EFTA-Länder, Abkommen). (lo) §§: Freihandelsabkommen der EWG mit der Schweiz, ABl. 1972, Nr. L 300/188 Lit.: W. Meng, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 49 EUV, Rn. 46; A. Weber, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 310 EG, Rn. 58 Web: http://ec.europa.eu/comm/external_relations/ switzerland/intro/index.htm
Schweizer Formel Swiss Formula – Formule suisse
In der Tokyo-Runde (1973–1979) schlug die Schweiz eine mathematische Formel zur Harmonisierung der Zollsätze vor („Schweizer Formel“), die zwei Anforderungen zugleich gerecht wurde: Zum einen war es mit ihrer Hilfe möglich, unabhängig von der Höhe des ursprünglichen Zollsatzes einen neuen Zollhöchstsatz festzulegen. Zum anderen konnte die Formel über die ganze Bandbreite existierender Zollsätze angelegt werden und diese auf eine kleinere Anzahl neuer Zollsätze reduzieren. Die Schweizer Formel lautet: Z = AX/(A+X) Z als Ergebnis der Formel gibt den sich aus der Formel ergebenden niedrigeren Zollsatz an, wie er zum Ende des Vereinbarungszeitraums bestehen soll. X steht für den Ausgangszollsatz, A gibt den so genannten „Koeffizienten“ an. Der Koeffizient ist dabei zugleich der sich aus der Formel ergebende Höchstzollsatz. Im Rahmen der WTO-Verhandlungsrunden wird über diesen so genannten Koeffizienten verhandelt. Die aus der Formel erforderlich werdenden Zollsenkungen werden schließlich in jährlich gleich große Schritte unterteilt. (bh) Schwellenerwerber threshhold purchaser – acquéreur de seuil
Schwellenerwerber sind ƒ Unternehmer, die nur steuerfreie Umsätze ausführen, die zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führen; ƒ Unternehmer, die den erworbenen Gegenstand zur Ausführung von Umsätzen im Rahmen eines pauschlaierten (nicht rechnungslegungspflichtigen) land- und forstwirtschaftlichen Betriebes verwenden;
ƒ
juristische Personen, die nicht Unternehmer sind oder den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen verwenden. Diese Erwerber erfüllen im Prinzip die persönlichen Voraussetzungen für einen ĺinnergemeinschaftlichen Erwerb, werden jedoch von einer konkreten Erwerbsteuerpflicht wieder ausgenommen, solange sie mit ihren Erwerben die jeweils maßgebliche ĺErwerbsschwelle nicht überschreiten. (pu) Schwellenwert
threshold – seuil
Die EG-Richtlinien im Bereich des ĺVergaberechts (ĺVergabeRL, ĺSektorenRL, ĺRechtsmittelRL) gelten nur für Aufträge, deren geschätzter Auftragswert netto ohne Mehrwertsteuer bestimmte Schwellenwerte erreicht oder übersteigt. Im Bereich oberhalb der Schwellenwerte (so genannter Oberschwellenbereich) gelten daher die sekundärrechtlichen Regelungen uneingeschränkt (soweit nicht die Richtlinien bestimmte Ausnahmen bzw. Einschränkungen vorsehen), im Bereich unterhalb der Schwellenwerte (so genannter Unterschwellenbereich) gelten nur die primärrechtlichen Grundsätze. Diese Zweiteilung des Regimes in einen Bereich oberhalb und einen Bereich unterhalb der Schwellenwerte beruht auf der Annahme, dass Aufträge unterhalb bestimmter Schwellenwerte für den Wettbewerb außer acht gelassen werden können und daher nicht unter die Koordinierungsmaßnahmen fallen sollen (s. insb. die Ausführungen im Schlussantrag vom 18.1.2007 in der Rs. C-195/04 Kommission/Finnland). Auch ist davon auszugehen, dass die Einhaltung der sekundärrechtlichen Vorgaben auf der Seite des ĺAuftraggebers bestimmte Transaktionskosten verursacht, was bei „geringwertigen“ Aufträgen nicht gerechtfertigt erscheint. Um einem möglichen Missbrauch durch Auftraggeber entgegenzuwirken, enthalten die Richtlinien Vorgaben, die bei der Berechnung des geschätzten Auftragswertes zu beachten sind. Eine Aufteilung eines öffentlichen ĺAuftrags zu dem Zweck, das Vorhaben der Anwendung der VergabeRL zu entziehen, ist verboten. Die konkrete Höhe der Schwellenwerte richtet sich nach den Schwellenwerten des ĺGPA. Die Schwellenwerte werden durch die KOM alle zwei Jahre überprüft und gegebenenfalls angepasst. Derzeit betragen die Schwellenwerte auf Grund der VO (EG) 1422/2007 der KOM für öffentliche ĺAuftraggeber 805
Scoping bei ĺBauaufträgen € 5.150.000,-; bei ĺLiefer- und ĺDienstleistungsaufträgen € 206.000,-; ƒ bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen für so genannte zentrale Regierungsbehörden (insb. Ministerien) € 133.000,-. Im Bereich der ĺSektorenauftraggeber betragen die Schwellenwerte derzeit ƒ bei Bauaufträgen € 5.150.000,-; ƒ bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen € 412.000,-. (cm) ƒ ƒ
§§: Art. 7 und 9 VergabeRL, Art. 16 und 17 SektorenRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 362; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 174 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Scoping ĺUmweltverträglichkeitsprüfung Screening des Gemeinschaftlichen Besitzstandes Screening the acquis communautaire – Examen analytique de l’acquis communautaire
Das Screening (S.) ist der erste Schritt in den ĺBeitrittsverhandlungen und stellt eine analytische Prüfung des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes (G.B.) dar. Der Prozess wird durch die KOM geleitet, die für jedes ĺBewerberland die nach den Verhandlungskapiteln gegliederten S.-Listen erstellt. Diese führen die Rechtsakte des G.B. (bzw. dessen „soft law“: z.B. Erläuterungen, Empfehlungen und Erklärungen) an, und stellen sie den etwaigen Umsetzungsmaßnahmen der nationalen Rechtsordnung gegenüber. Der Zweck des Verfahrens liegt darin, den G.B. für die Beitrittsweber transparent zu machen und in bilateralen Sitzungen allfällige Probleme der Umsetzung zu identifizieren. Im Rahmen der sog. ĺOsterweiterung wurde der S.-Prozess mit den später als ĺHelsinkiGruppe bezeichneten Beitrittswerbern schon vor der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aufgenommen, um diese möglichst schnell an die ĺLuxemburg-Gruppe heranzuführen und die späteren Verhandlungen abzukürzen. (lo) Lit.: H. Vogelmann, Acquis Screening – Der erste Abschnitt der EU-Beitrittsverhandlungen, ecolex 1998, 892
SDÜ ĺSchengener Durchführungsübereinkommen 806
SE (Societas Europea) ĺSocietas Europa Sechstes Rahmenprogramm Sixth Framework Programme – Sixième Programmecadre
Das „Sechste Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration als Beitrag zur Verwirklichung des Europäischen Forschungsraums und zur Innovation (2002–2006)“ (6. RP), beschlossen auf der Grundlage von Art. 166 EG, stellte das maßgebliche Instrument der europäischen Forschungsförderung für den Zeitraum 1.1.2002 bis 31.12. 2006 dar. Es wurde durch das ĺSiebte Rahmenprogramm abgelöst. Im Gegensatz zu seinen Vorgängerprogrammen verfolgte das 6. RP erstmals einen breiteren Ansatz: Thematisch breit gefächert, führte es unter Berücksichtigung sowohl der angewandten Forschung als auch der Grundlagenforschung neue Förderinstrumente ein (vlg. Exzellenznetze, integrierte Projekte) und verstand sich als wesentlicher Beitrag zur Verwirklichung des ĺEuropäischen Forschungsraums. S.a. ĺForschungsrahmenprogramm. (hk) §§: Beschluss Nr. 1513/2002/EG des EP und des Rates, ABl. 2002, Nr. L 232/1 Lit.: H. Eikenberg, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 28. Lfg. 2005, Art. 163 EGV, Rn. 11 Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/i23012.htm
Secola ĺSociety of European Contract Law Security Sector Reform ĺZiviles Krisenmanagement Seeleute, Ausbildung seafarers, (minimum) level of training of – des gens de mer, le niveau (minimal) de formation
Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Seeschifffahrt (ĺSeeverkehr, Sicherheit) sind in der RL 2001/25/EG (ABl. 2001, Nr. L 136/17) enthalten. Die MS haben dafür zu sorgen, dass Seeleute am Bord eines Schiffes eine den Anforderungen des ĺSTCW-Übereinkommens (Übereinkommen von 1978 über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten) übereinstimmende Mindestausbildung erhalten und Träger bestimmter Befä-
Sektorale Beihilfen higungszeugnisse sind. Die Unternehmen müssen für die Einhaltung der RL bezüglich der Beschäftigungsmodalitäten des Personals verantwortlich sein, und die MS haben ein entsprechendes Sanktionssystem aufzustellen. (sm) Seeling-Entscheidung Seeling case – jurisprudence Seeling
Mit dieser Entscheidung zur Thematik der Besteuerung des Eigenverbrauches hat der EuGH eine wahre Lawine an Diskussion in Literatur und folgenden nationalen Gerichtsentscheidungen ausgelöst sowie die nationalen Rechtsordnungen zum Handeln bewogen. Im Ausgangssachverhalt stand Herr Seeling im Mittelpunkt, Inhaber eines Baumpflege- und Gartenbaubetriebs, der der Regelbesteuerung unterliegt. Im Jahr 1995 errichtete er ein Gebäude, das er insgesamt seinem Unternehmen zuordnete und seit Fertigstellung teilweise unternehmerisch und teilweise für eigene Wohnzwecke nutzt. In seiner USt-Erklärung für 1995 beantragte Herr Seeling den vollen Abzug der im Zusammenhang mit der Herstellung des Gebäudes angefallenen MwSt. als Vorsteuer. Im Hinblick auf die private Nutzung einer Wohnung im Gebäude erklärte er steuerpflichtigen Eigenverbrauch. Das FA beurteilte dagegen die private Nutzung eines Teils des Gebäudes als steuerfreien Eigenverbrauch und versagte insoweit den Vorsteuerabzug. Das deutsche FinanzG bestätigte die Entscheidung des FA und wies die bei ihm erhobene Klage von Herrn Seeling ab. Herr Seeling legte gegen diese Entscheidung Revision an den BFH ein. Er macht geltend, aus dem Gemeinschaftsrecht ergebe sich, dass die Nutzung eines Teils des Gebäudes für private Zwecke steuerpflichtig und der Abzug der auf diesen Teil des Gebäudes entfallenden Vorsteuerbeträge daher nicht ausgeschlossen sei. Die Frage des vorlegenden Gerichts ging im Wesentlichen dahin, ob die Art. 6 Abs. 2 UAbs. 1 lit. a und Art. 13 Teil B lit. b der 6. MwStRL so auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, wonach die Verwendung eines Teils eines insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Betriebsgebäudes für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen als eine – als Vermietung oder Verpachtung eines Grundstücks i.S.d. Art. 13 Teil B lit. b – steuerfreie Dienstleistung behandelt wird.
Der EuGH kommt in seinem Urteil zum Ergebnis, dass die deutsche Rechtslage bzw. die dazu bislang ergangene Rechtsprechung des BFH nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Im Wesentlichen begründet der Gerichtshof sein Urteil wie folgt: ƒ Bei gemischt genutzten Gegenständen hat der Unternehmer die Wahl, ob er den privat genutzten Teil des Gegenstands seinem Unternehmen zuordnen will oder nicht. ƒ Bei Zuordnung des privat genutzten Teils zum Unternehmen steht der Vorsteuerabzug aus den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten in voller Höhe zu. Diesem Recht steht die Verpflichtung des Unternehmers zur Vornahme der Eigenverbrauchsbesteuerung gegenüber. ƒ Die Bestimmung des Art. 13 Teil B lit. b der 6. MwStRL – und somit der Begriff „Vermietung und Verpachtung“ – ist eng auszulegen, da Steuerbefreiungen Ausnahmen vom allgemeinen Grundsatz, dass jede Dienstleistung gegen Entgelt der Steuerpflicht unterliegt, sind. ƒ Die Vermietung i.S.d. Art. 13 Teil B lit. b der 6. MwStRL besteht darin, „dass der Vermieter eines Grundstücks dem Mieter gegen Zahlung des Mietzinses für eine vereinbarte Dauer das Recht überträgt, seine Sache in Besitz zu nehmen und andere von ihr auszuschließen“. ƒ Da der Verwendungseigenverbrauch die genannten Merkmale einer Vermietung i.S.d. Art. 13 Teil B lit. b der 6. MwStRL nicht erfüllt, ist er nicht unter diese Bestimmung subsumierbar. Aus diesem Grund stehen die Bestimmungen der 6. MwStRL nationalen Rechtsvorschriften entgegen, welche den ƒ Verwendungseigenverbrauch als steuerfreie Dienstleistung (namentlich als steuerfreie Vermietung) behandeln. (pu) §§: Art. 6 Abs. 2; Art. 13 Teil B 6. MwStRL Lit.: A. Pircher/P. Pülzl, SWK 2003, 125; H. Gurtner/ M. Schima, ÖStZ 2003, 686; B. Prechtl/M. Tumpel, SWK 2003, 778 Rsp.: EuGH, Rs. C-269/00, Slg. 2003, I-4101
Sekretariat des Rates ĺHoher Vertreter für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik Sektorale Beihilfen sectorial aid – aides sectorielles
Sektorale Beihilfen sind Vergünstigungen, die Unternehmen eines bestimmten Wirtschafts807
Sektorales Fahrverbot Tirol-Entscheidung zweiges gewährt werden. I.d.R. sollen sie strukturelle Probleme eines sensiblen Wirtschaftszweiges beseitigen. Die ĺKommission steht diesen Beihilfen grundsätzlich ablehnend gegenüber, hat allerdings für bestimmte Bereiche sektorale Regelungen angenommen, welche die Voraussetzungen für zulässige Förderungen in den einzelnen Sektoren festlegen. Hierzu zählen der Kohle- und Stahlbereich, der Schiffbau-, Agrar- und Forstsektor sowie die Automobil-, Kunstfaser- und Luftverkehrsbranche. Allen sektoralen Regelungen ist gemeinsam, dass eine allfällige Beihilfengewährung erforderlich sein muss, um einen bestimmten Wirtschaftszweig wiederzubeleben und nicht bloß der Beibehaltung des Status quo dient. Ein weiteres gemeinsames Element der sektoralen Beihilfen stellt auch das Erfordernis der degressiven und zeitlich befristeten Ausgestaltung der Maßnahme dar. (jr) §§: Art. 87 Abs. 3 lit. c EG Lit.: T. Schmidt-Kötters, in: M. Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2003, § 18, Rn. 1 ff. Web: http://ec.europa.eu/comm/competition/state_aid/ legislation/specific_rules.html
Sektorales Fahrverbot Tirol-Entscheidung Sektorales Fahrverbot Tirol case – jurisprudence Sektorales Fahrverbot Tirol
Eine Tiroler Verordnung sah zum Schutz von Menschen sowie des Tier- und Pflanzenbestands für Lastkraftwagen mit einer Gesamtmasse von mehr als 7,5 t, die bestimmte Güter (z.B. Abfälle, Steine u.a.) befördern, ein Fahrverbot auf einem 46 km langen Teilstück der A 12 Inntalautobahn vor. Der ĺEuGH erkannte zwar diese Güter als schützenswert an, erachtete die Verordnung aber als unverhältnismäßig, da vor der Erlassung die österr. Behörden sorgfältig hätten prüfen müssen, ob zu Zielerreichung nicht auf weniger beschränkende Maßnahmen zurückgegriffen werden könnte. Insbesondere hätte das Bestehen realistischer Ausweichmöglichkeiten (z.B. das Vorhandensein ausreichender Schienenkapazität) geprüft werden müssen. Weiters erachtete der EuGH den vorgesehenen Übergangszeitraum von 2 Monaten als unzureichend, um es den betroffenen Unternehmen in zumutbarer Weise zu ermöglichen, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Daher wertete der EuGH das sektorale Fahrverbot als Verstoß gegen Art. 28 EG und 29 EG (ĺDurchfuhr [freier Warenverkehr], ĺGesundheitsschutz [freier Warenver808
kehr], ĺUmweltschutz [freier Warenverkehr]). (rp) Rsp.: EuGH, Rs. C-320/03 Sektorales Fahrverbot Tirol, Slg. 2005, I-9871
Sektorenauftraggeber contracting entity – entité adjudicatrice
Der Begriff Sektorenauftraggeber umschreibt im Bereich des ĺVergaberechts eine besondere Gruppe von Auftraggebern, für die die vereinfachten Vergabevorschriften der ĺSektorenRL maßgeblich sind. Folgende Rechtspersonen kommen als Sektorenauftraggeber in Frage: ƒ Öffentliche ĺAuftraggeber ƒ Öffentliche Unternehmen: Das sind solche Unternehmen, auf die der Auftraggeber auf Grund von Eigentum, finanzieller Beteiligung oder der für das Unternehmen geltenden Vorschriften unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann; ein derartiger Einfluss wird vermutet, wenn der Auftraggeber die Mehrheit des gezeichneten Kapitals hält, über die Mehrheit der mit den Anteilen am Unternehmen verbundenen Stimmrechte verfügt oder mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens ernennen kann. ƒ bestimmte andere (private) Unternehmen, sofern sie ihre ĺSektorentätigkeit auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben. Besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne dieser Definition sind solche Rechte, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden und die dazu führen, dass die Ausübung einer Sektorentätigkeit diesem Unternehmen (ggf. auch mehreren Unternehmen) vorbehalten wird oder dass zumindest die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird. Besteht für alle interessierten Unternehmen die Möglichkeit, bei Erfüllen von objektiven, nicht diskriminierenden Bedingungen die Berechtigung zur Ausübung der fraglichen Tätigkeit zu erhalten, liegen keine besonderen oder ausschließlichen Rechte vor. Diese Rechtspersonen sind Sektorenauftraggeber, soweit sie eine ĺSektorentätigkeit ausüben. Die Anhänge I bis X zur SektorenRL enthalten – allerdings nicht erschöpfende – Auflistungen der jeweiligen Sektorenauftraggeber der einzelnen Mitgliedstaaten. (cm) §§: Art. 2, Art. 8 SektorenRL
Sektorentätigkeit Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 842; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 160, 165 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Sektorenrichtlinie utilities directive – directive secteurs spéciaux
RL 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl. 30.4.2004, Nr. L 134/1 ff. Die SektorenRL beinhaltet Regelungen zur Koordinierung der ĺVergabeverfahren durch so genannte ĺSektorenauftraggeber. Der Grund für eine derartige Regelung liegt darin, dass in den erfassten Wirtschaftsbereichen (s. ĺSektorentätigkeit) oftmals noch keine vollständige Öffnung der Märkte erfolgt ist (somit noch kein echter Wettbewerb herrscht) und die Mitgliedstaaten in der Regel über erhebliche Einflussmöglichkeiten über die als Auftraggeber auftretenden Akteure verfügen. Im Vergleich mit der für den (so genannten) klassischen Bereich maßgeblichen ĺVergabeRL beinhaltet die SektorenRL allerdings weniger strenge Vorgaben. Sektorenauftraggeber verfügen somit über einen größeren Spielraum als die öffentlichen ĺAuftraggeber. S. allgemein auch ĺVergaberecht. (cm) §§: SektorenRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 149; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 86 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Sektorentätigkeit sectoral activity – activité sectorielle
Im Bereich des ĺVergaberechts ist es für die Qualifikation als ĺSektorenauftraggeber (und damit für die Anwendbarkeit der ĺSektorenRL) unabdingbare Voraussetzung, dass die betreffende Rechtsperson eine der in den Art. 3 bis 7 der SektorenRL angeführten Sektorentätigkeiten ausübt. Sektorentätigkeiten bestehen in folgenden Bereichen: ƒ Gas, Wärme und Elektrizität (Art. 3 SektorenRL): Sektorentätigkeit ist die Bereitstellung und das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Erzeugung, der Fortleitung und der Abgabe von Gas, Wärme und Elektrizität so-
wie (mit gewissen Einschränkungen) die Einspeisung von Gas, Wärme und Elektrizität in diese Netze. ƒ Wasser (Art. 4 SektorenRL): Sektorentätigkeit ist die Bereitstellung und das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Gewinnung, der Fortleitung und der Abgabe von Trinkwasser sowie (mit gewissen Einschränkungen) die Einspeisung von Trinkwasser in diese Netze. Weiters findet die SektorenRL Anwendung auf gewisse Aufträge, die mit Wasserbau-, Bewässerungs- oder Entwässerungsvorhaben bzw. mit der Ableitung oder Klärung von Abwässern in Zusammenhang stehen. ƒ Verkehrsleistungen (Art. 5 SektorenRL): Sektorentätigkeit ist die Bereitstellung und das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Schiene, automatische Systeme, Straßenbahn, Trolleybus, Bus (mit gewissen Ausnahmen) oder Kabel. Im Verkehrsbereich gilt ein Netz als vorhanden, wenn die Verkehrsleistung gem. den festgelegten Bedingungen (hinsichtlich Strecken, Transportkapazitäten und Fahrplänen) erbracht wird. ƒ Postdienste (Art. 6 SektorenRL): Sektorentätigkeit ist die Bereitstellung von Postdiensten (das sind das Abholen, das Sortieren, der Transport und die Zustellung von Postsendungen) sowie gewisser anderer (damit zusammenhängender) Dienste. ƒ Erdöl, Gas, Kohle und andere feste Brennstoffe (Art. 7 lit. a SektorenRL): Sektorentätigkeit ist die Nutzung eines geographisch abgegrenzten Gebietes zum Zweck des Aufsuchens und der Förderung der genannten Stoffe. ƒ Häfen und Flughäfen (Art. 7 lit. b SektorenRL): Sektorentätigkeit ist die Bereitstellung von Flughäfen, Häfen und anderen Verkehrsendeeinrichtungen für Beförderungsunternehmen im Luft-, See- oder Binnenschiffsverkehr. Der Grund für die Einbeziehung dieser Wirtschaftsbereiche in gemeinschaftsrechtliche Koordinierungsmaßnahmen liegt darin, dass in diesen Bereichen oftmals noch keine vollständige Öffnung der Märkte erfolgt ist (und somit noch kein echter Wettbewerb herrscht). (Die von der Vorgängerrichtlinie 93/38/EWG noch erfassten Leistungen im Bereich der Telekommunikation sind auf Grund der erfolgten Liberalisierung in diesem Bereich nicht mehr erfasst.) Dementsprechend fallen Aufträge dann nicht in den Anwendungsbereich der SektorenRL, wenn die betreffende Tätigkeit in dem Mit809
Sekundärrecht gliedstaat, in dem sie ausgeübt wird, auf Märkten mit (de facto und de iure) freiem Zugang unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt ist. Eine dementsprechende Freistellung von Sektorenauftraggebern in bestimmten Bereichen bedarf einer Entscheidung der KOM. (cm) §§: Art. 3 bis 7, Art. 30 SektorenRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 854; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 161 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
sungsfreiheit zur ĺArbeitnehmerfreizügigkeit. Der Begriff der S. ist im System des EG autonom auszulegen und muss sich nicht mit nationalen Begriffen decken. Selbstständig ist jede Tätigkeit, die außerhalb einer Anstellung und ohne Weisungsgebundenheit erfolgt (EuGH, Rs. 36/74 ĺWalrave, Slg. 1974, 1405, Rn. 20/24: Der EuGH prüft, ob Sportler selbstständig oder im Rahmen einer Anstellung tätig werden). (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 26
Sekundärrecht
Selbstbefassung
secondary community law – droit communautaire dérivé
opinion on its own initiative – avis de sa propre initiative
Das sekundäre Gemeinschaftsrecht umfasst das von den ĺOrganen der Gemeinschaften auf Grundlage der Gründungsverträge erlassene Recht. Die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Sekundärrechts sind in Art. 249 EG aufgezählt; diese werden als gekennzeichnete Rechtsakte bezeichnet. Zusätzlich ist in einigen Vertragsbestimmungen die Erlassung von sekundärrechtlichen Vorschriften vorgesehen, die keiner bestimmten Form zugeordnet sind; diese Formen des Sekundärrechts werden ungekennzeichnete Rechtsakte genannt. Es können demnach folgende Erscheinungsformen des sekundären Gemeinschaftsrechts unterschieden werden: ƒ ĺVerordnung (Art. 249 Abs. 2 EG) ƒ ĺRichtlinie (Art. 249 Abs. 3 EG) ƒ ĺEntscheidung (Art. 249 Abs. 4 EG) ƒ ĺEmpfehlung und Stellungnahme (Art. 249 Abs. 5 EG) ƒ Ungekennzeichnete Rechtsakte (z.B. Regelungen, Maßnahmen, Vorkehrungen) Daneben gibt es noch weiteres organgeschaffenes Gemeinschaftsrecht außerhalb dieser Aufzählung wie etwa Geschäfts- und Verfahrensordnungen (z.B. Verfahrensordnung des EuGH). Diese beziehen sich größtenteils auf den internen Bereich, können aber auch Außenwirkung entfalten. (lb)
Gem. Art. 265 Abs. 5 EG kann der ĺAusschuss der Regionen, wenn er dies für zweckdienlich erachtet, von sich aus eine ĺStellungnahme abgeben. Damit wird dem Ausschuss die Möglichkeit verschafft, unabhängig von den Fällen der obligatorischen und fakultativen ĺAnhörung Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahmen sind weder auf bestimmte Gemeinschaftspolitiken noch auf die Berührung regionaler oder lokaler Interessen beschränkt, sondern können sich auf alle Vorhaben im Rahmen des EG-Vertrags beziehen, was dem Ausschuss ermöglicht, sich zu einer breiten Themenvielfalt zu äußern. (ag)
Lit.: M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, Rn. 252 ff.; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 423 ff.
Selbstständigen-Aufenthaltsrichtlinie ĺFreizügigkeitsrichtlinie Selbstständigkeit, Tätigkeit activities of the professions – activités des professions libérales
S. ist das wichtigste Abgrenzungsmerkmal der ĺDienstleistungsfreiheit und der ĺNiederlas810
§§: Art. 265 Abs. 5 EG Lit.: H.-J. Blanke, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 18. Lfg. 2001, Art. 265 EGV, Rn. 13
Selbstbestimmungsrecht, religiöses ĺReligion, Religionsfreiheit Selektive Vertriebssysteme selective distribution systems – systèmes de distribution sélective
Bei selektiven Vertriebsystemen handelt es sich um Mechanismen zur Beschränkung oder Kontrolle des Warenvertriebs, etwa in zeitlicher, räumlicher oder personeller Hinsicht. Bei der kartellrechtlichen Beurteilung von selektiven Vertriebssystemen muss grundsätzlich differenziert werden: So sind zunächst solche Vertriebsformen unbedenklich, die dem belieferten Händler keine weiteren Beschränkungen auferlegen (sog. offene Vertriebssysteme). Fachhandelsbindungen, bei denen der belieferte Händler verpflichtet wird, die gelieferte Ware nur an qualifizierte Wiederverkäufer, nicht aber an Supermärkte o.ä. weiterzuverkaufen, fallen ebenfalls nicht unter Art. 81 Abs. 1 EG. Etwas ande-
Sendelandprinzip (Herkunftslandprinzip) res gilt, wenn den Händler weitere Beschränkungen treffen, er bspw. verpflichtet ist, einen bestimmten Mindestumsatz zu erzielen, oder bei ĺVereinbarungen betreffend den Umfang des Produktsortiments oder hinsichtlich der Warenmenge eines bestimmten Artikels (sog. qualifizierte Fachhandelsbindung). Hier kann eine ĺWettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG vorliegen. Ebenso können im Falle eines sog. quantitativen selektiven Vertriebs, wenn also neben gewissen qualitativen Anforderungen auch noch gewisse quantitative Vorgaben aufgestellt werden (also aus einer Summe objektiv geeigneter Händler nur eine kleine Anzahl vom Hersteller ausgewählt und beliefert wird), wettbewerbsbeschränkende Wirkungen auftreten. Die ĺFreistellung von Vereinbarungen, die eine qualifizierte Fachhandelsbindung aufweisen oder im Rahmen eines quantitativen selektiven Vertriebs geschlossen werden, richtet sich nach der ĺVertikal-GVO Nr. 2790/1999. (jpt) §§: Art. 81 EG; VO (EG) 2790/1999 der Kommission über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 1999, Nr. L 336/21) Lit.: V. Emmerich, Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, § 5, Rn. 25 ff.; S. Mäger, in: T. Mäger (Hrsg.), Europäisches Kartellrecht, 2006, 99; V. Emmerich, Kartellrecht, 2006, 103; T. Eilmannsberger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 81 EGV, Rn. 178 f.
Selektivität (Beihilfenrecht) selectivity (EC state aid law) – sélectivité (droit des aides d’État)
Die Selektivität ist eine von vier Eigenschaften, die eine Maßnahme aufzuweisen hat, um eine verbotene ĺstaatliche Beihilfe darzustellen. Ausschließlich Maßnahmen, die bestimmte ĺUnternehmen oder Produktionszweige begünstigen, werden von Art. 87 Abs. 1 EG erfasst. Der Bestimmtheitsbegriff ist aber eher weit auszulegen. So kann eine allgemein formulierte Steuervergünstigung de facto nur bestimmten Unternehmen zu gute kommen, wenn sie an bestimmte Zugangsvoraussetzungen geknüpft ist. Beispiel: Begünstigungen für Unternehmen bestimmter Unternehmensgrößen; Steuervorteile für öffentliche Unternehmen; Steuervorteile für Unternehmen, deren Schwerpunkt in der Herstellung körperlicher Güter liegt. Nur weil daher ein wirtschaftlicher Vorteil einer verhältnismäßig großen Zahl an Unternehmen gewährt wird, ist deshalb noch nicht die Selektivität auszuschließen.
Bloß wirtschaftliche Vorteile, die unterschiedslos sämtlichen Unternehmen unter den gleichen Bedingungen gewährt werden, unterliegen nicht dem Beihilfeverbot (z.B. allgemeine Senkung einer Steuer). Ebenso ist keine Selektivität anzunehmen, wenn eine Maßnahme zwar einen Vorteil darstellt, aber durch das Wesen oder die allgemeinen Zwecke des Systems, dem sie angehört, gerechtfertigt ist (z.B. Steuerprogression). (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 43, Rn. 43 ff.
Senator Lines-Entscheidung Senator Lines case – jurisprudence Senator Lines
Rsp. des ĺEGMR zum Verhältnis von ĺEuGH und ĺEGMR beim Schutz europäischer ĺGrundrechte. Anlass war eine von der ĺEurop. Kommission wegen einer ĺKartellrechtsverletzung über eine Schiffahrtsgesellschaft verhängte Geldbuße. Gegen diesen EG-Rechtsakt erhob die betreffende Gesellschaft (Senator Lines) als letztes Mittel Individualbeschwerde gegen die 15 EG-Mitgliedstaaten an den ĺEGMR. Sie machte eine Verletzung von Art. 6 ĺEMRK gelten. Der ĺEGMR wies die Beschwerde schließlich aus prozessualen Gründen mangels Rechtsverletzung nach Art. 34 und 35 ĺEMRK zurück, weil durch die Aufhebung der bekämpften Geldbuße inzwischen die Opfer-Eigenschaft fehlte. Damit wurde der hier unmittelbar anstehende Konflikt zwischen den beiden Rechtsregimes (EU – ĺEMRK) im konkreten Fall entschärft. (ed) Rsp.: EGMR, 10.3.2004, Senator Lines/15 EU-Mitgliedstaaten
Sendelandprinzip (Herkunftslandprinzip) country of transmission principle (country of origin principle) – principe du pays d’établissement
Bezeichnet das in der ĺFernsehRL (in Hinkunft: ĺAudiovisuelle MediendiensteRL) für den audiovisuellen Bereich verankerte ĺHerkunftslandprinzip. Danach kommt ausschließlich demjenigen Mitgliedstaat die Regelungszuständigkeit über einen ĺFernsehveranstalter (in Hinkunft ist am Begriff des ĺMediendiensteanbieters anzuknüpfen), in dem dieser seine Niederlassung hat. Ein Fernsehveranstalter (bzw. Mediendiensteanbieter) gilt in einem Mitgliedstaat als niedergelassen, wenn er in die811
Sendelandtheorie sem Mitgliedstaat seine Hauptverwaltung hat und die wesentlichen redaktionellen Entscheidungen dort getroffen werden. Zur Sicherstellung einer ungehinderten Verbreitung von Fernsehsendungen schreibt die FernsehRL (RL für audiovisuelle Mediendienste) zusätzlich die grundsätzliche Empfangs- und Weiterverbreitungsfreiheit fest und folgt damit dem Prinzip des „free flow of information“ (zu letzterem s.a. bei ĺMedienfreiheit). (dd) §§: Art. 2 Abs. 1-3 Vorschlag für eine RL über audiovisuelle Mediendienste, KOM(2007) 170 endg.
Sendelandtheorie country of transmission theory – théorie du pays d’émission
Bei einer grenzüberschreitenden Programmverbreitung durch Satellit stellt sich die Frage, in welchem Land der urheberrechtlich relevante Akt der öffentlichen Mitteilung erfolgt bzw. für welches Land die ĺVerbreitungsrechte erworben werden müssen. Die Sendelandtheorie beantwortet diese Frage zu Gunsten der Sendeunternehmen, weil sie allein das Ausstrahlungsland für beachtlich hält. Das bedeutet, dass das Sendeunternehmen nur für das Ausstrahlungsland und nur entsprechend den urheberrechtlichen Vorgaben dieses Landes eine Erlaubnis des Rechteinhabers benötigt. Die ĺKabel- und SatellitenRL enthält für Satellitensendungen eine diesem Ansatz entsprechende Regelung (Art. 1 Abs. 2a). Damit hat sich der europäische Gesetzgeber zumindest im Regelungsbereich dieser RL gegen die im deutschsprachigen Raum bisher vorherrschende ĺBogsch-Theorie entschieden, wonach sowohl Ausstrahlungs- als auch Empfangsland relevant sind. Ein vergleichbares Problem stellt sich bei Verwertungsakten im Internet. Als Ort der Verwertung kommen theoretisch sowohl der Ort der Abrufbarkeit (der Angebotsort) als auch der Ort des Empfangs (des Downloads beim Nutzer) in Betracht. Diesbezüglich hat der europäische Gesetzgeber noch keine Regelung vorgenommen, insbesondere auch nicht in der ĺInformationsgesellschaftRL, die sich gerade mit jenen urheberrechtlichen Problemen beschäftigt, die aufgrund neuer technologischer Entwicklungen der Informationsgesellschaft entstehen. (js) §§: Art. 1 Abs. 2a ĺKabel- und SatellitenRL Lit.: G. Hohloch, EG-Direktsatellitenrichtlnie versus Bogsch-Theorie – Anmerkungen zum Kollisionsrecht des Senderechts, IPRax 1994, 387
812
Senderecht broadcasting right – droit de radiodiffusion
Als Senderecht definiert Art. 2 der ĺSatelliten- und KabelRL das ausschließliche Recht, die ĺöffentliche Wiedergabe eines urheberrechtlich geschützten Werkes über Satellit zu gewähren. Die Mitgliedstaaten sind gem. dieser Bestimmung verpflichtet, den Urhebern ein solches Senderecht zu gewähren. Wer Urheber ist, regelt die RL – mit Ausnahme einer Mindestbestimmung hinsichtlich der ĺFilmurheberschaft – allerdings nicht. Die Erlaubnis zu senden kann nur vertraglich erworben werden; die kollektive Wahrnehmung des Senderechts durch ĺVerwertungsgesellschaften ist möglich (Art. 3). Die Senderechte von ausübenden Künstlern, Tonträgerherstellern und Sendeunternehmen werden nicht durch die ĺSatelliten- und KabelRL, sondern durch die ĺVermiet- und VerleihRL geschützt (vgl. Art. 4 ĺSatelliten- und KabelRL). (js) Seniorenrechte ĺRechte älterer Menschen Sensitive Daten sensitive data – données sensitives
Unter sensitiven Daten oder auch „sensiblen“ Daten, versteht man Daten die von ihrer Art her besonders anfällig dafür sind, Personen denen sie zugeordnet sind diskriminierendem Verhalten auszusetzen. Die ĺDatenschutzrichtlinie legt an die ĺVerarbeitung solcher Daten, im konkreten Fall Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie Daten über Gesundheit oder Sexualleben, einen besonders hohen Sicherheitsmaßstab. So ist deren Verarbeitung grundsätzlich untersagt und nur ausnahmsweise zulässig, wenn ƒ die betroffene Person ausdrücklich in die Verarbeitung der genannten Daten eingewilligt hat, oder ƒ die Verarbeitung erforderlich ist, um den Rechten und Pflichten des für die Verarbeitung Verantwortlichen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts Rechnung zu tragen, oder ƒ die Verarbeitung zum Schutz lebenswichtiger Interessen der betroffenen Person oder eines Dritten erforderlich ist, sofern die Person aus
Sichere Drittstaaten physischen oder rechtlichen Gründen außerstande ist, ihre Einwilligung zu geben, oder ƒ die Verarbeitung auf der Grundlage angemessener Garantien durch eine politisch, philosophisch, religiös oder gewerkschaftlich ausgerichtete Stiftung, Vereinigung oder sonstige Organisation erfolgt, die keinen Erwerbszweck verfolgt, im Rahmen ihrer rechtmäßigen Tätigkeiten und unter der Voraussetzung, oder ƒ die Verarbeitung sich auf Daten bezieht, die die betroffene Person offenkundig öffentlich gemacht hat ƒ oder sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche vor Gericht erforderlich ist. (al)
als von der ĺNiederlassungsfreiheit erfasst qualifiziert wurde. Der Hereinverschmelzungsstaat kann danach eine Verschmelzung auf eine Inlandsgesellschaft nicht mit dem Argument verhindern, die ausländische Gesellschaft habe mit der „Sitzverlegung“ ihre Rechtsfähigkeit verloren und komme damit als übertragende Gesellschaft nicht in Betracht (s. dazu auch ĺSitztheorie). Die Möglichkeit von Herausverschmelzungen (und das hiefür notwendige Verfahren zum Schutz der Arbeitnehmer, Gläubiger und Minderheitsgesellschafter) wird demgegenüber von der Niederlassungsfreiheit unmittelbar zwar nicht gewährleistet, doch ist im November 2007 eine diese regelnde ĺinternationale Fusionsrichtlinie in Kraft getreten. (tr)
§§: Art. 8 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: D. Bainbridge, EC Data Protection Directive, 1996, 55; U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 159; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 130
§§: Art. 43, 48 EG Lit.: B. Rieder, Grenzübehrschreitende Verschmelzung zulässig, GeS 2006, 4 Rsp.: EuGH, Rs. C-411/03 Sevic Systems, Slg. 2005, I-10805
SEPA ĺEinheitlicher Euro-Zahlungsverkehrsraum Seveso Bei dem so bezeichneten Sevesounglück handelt es sich um den bislang größten Chemieunfall Europas. Die Umweltkatastrophe ereignete sich am 10.7.1976 in der chemischen Fabrik Icmesa S.p.A in dem ca. 20 Kilometer nördlich von Mailand gelegenen Meda. Das Firmengelände erstreckte sich über das Gebiet vierer Gemeinden, von denen die Gemeinde Seveso letztlich Namensgeberin für den Zwischenfall wurde. Während des Unglücks wurden große Mengen des hochgiftigen Dioxins TCDD freigesetzt. Infolge der Auswirkungen des Unglücks reagierte die Europäische Gemeinschaft mit dem Erlass einer ĺRL, die ebenfalls nach der Gemeinde benannt wurde. ĺGefahrstoffrecht, Recht der industriellen Risiken. (sm) Seveso-Richtlinie ĺGefahrstoffrecht, Recht der industriellen Risiken Sevic Systems-Entscheidung Sevic Systems case – jurisprudence Sevic Systems
Urteil des EuGH, nach welchem der Vorgang der grenzüberschreitenden Hereinverschmelzung einer Gesellschaft i.S.d. Art. 43 Abs. 2 EG
Sevince-Entscheidung Sevince case – jurisprudence sevince
In der EuGH, Rs. 192/89 stellte der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 6 ĺARB 1/80 (EWG – ĺTürkei) fest. Diese Rechtsprechung wurde mehrfach bestätigt (EuGH, Rs. ĺKus, Rs. Bozkurt, Rs. Tetik etc.). Daraus ist abzuleiten, dass türkische Arbeitnehmer, wenn sie die Voraussetzung der ordnungsgemäßen Beschäftigung vorweisen, einen Rechtsanspruch auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat haben. (bb) Rsp.: EuGH, Rs. C-192/89 Sevince, Slg. 1990, I-3461
SGECC ĺStudy Group on a European Civil Code Sichere Drittstaaten safe third countries – pays tiers sûrs
Sichere Drittstaaten sind Staaten, die den Anforderungen der ĺGenfer Flüchtlingskonvention und der ĺEMRK gerecht werden und Asylwerbern den Schutz dieser Konventionen gewährleisten. Gem. Art. 27 der RL 2005/85/EG über Mindeststandards für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 13.12. 2005, Nr. L 326/13) (ĺAsylverfahrensrichtlinie [RL 2005/85/EG]) ist die Sicherheit auf Grund der Rechtspraxis des betreffenden Staats festzustellen, wobei eine Einzelfallprüfung gewähr813
Sichere Herkunftsstaaten leistet sein muss. Gem. Art. 25 Abs. 2 lit. c der RL 2005/85/EG können die Mitgliedstaaten einen Asylantrag als unzulässig betrachten, wenn ein Staat, der kein Mitgliedstaat ist, als für den Asylwerber sicherer Drittstaat gem. Art. 27 betrachtet wird. (gt) (jw) Lit.: K. Hailbronner, Immigration and Asylum Law and Policy of the European Union, 2000, 443-452; H. Mayer, Aspekte eines harmonisierten Asylrechts, in: H. F. Köck/A. M. Lengauer/G. Ress (Hrsg.), Europarecht im Zeitalter der Globalisierung. FS für P. Fischer, 2004, 353 (357-360); J. Rohrböck, Fragen der Drittstaatsicherheit, migraLex 2004, 51 (1. Teil) und 77 (2. Teil)
Sichere Herkunftsstaaten safe countries of origin – pays d’origine sûrs
Die Qualifizierung eines Landes als sicherer Herkunfsstaat hat zur Folge, dass ein Antrag eines Asylwerbers aus einem solchen Staat gem. Art. 31 der ĺAsylverfahrensrichtlinie (RL 2005/ 85/EG) als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist. Anhang II der RL 2005/85/EG konkretisiert, dass ein Staat dann als sicherer Herkunftsstaat gilt, wenn sich anhand der dortigen Rechtslage, der Anwendung der Rechtsvorschriften in einem demokratischen System und der allgemeinen politischen Lage nachweisen lässt, dass dort generell und durchgängig weder eine Verfolgung im Sinne des Art. 9 der ĺAnerkennungsrichtlinie (RL 2004/83/EG) noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe noch Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu befürchten sind. Bei der entsprechenden Beurteilung wird unter anderem berücksichtigt, inwieweit Schutz vor Verfolgung und Misshandlung geboten wird durch a. die einschlägigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Staates und die Art und Weise ihrer Anwendung; b. die Wahrung der Rechte und Freiheiten nach der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (ĺEMRK) und/oder dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und/oder dem Übereinkommen gegen Folter, insbesondere der Rechte, von denen gem. Art. 15 Abs. 2 der ĺEMRK keine Abweichung zulässig ist; c. die Einhaltung des Grundsatzes der NichtZurückweisung nach der Genfer Flüchtlingskonvention (s. ĺPrinzip des non-refoulement); 814
d. das Bestehen einer Regelung, die einen wirksamen Rechtsbehelf bei Verletzungen dieser Rechte und Freiheiten gewährleistet. Aus dem ĺProtokoll über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten folgt, dass die Mitgliedstaaten füreinander grundsätzlich als sichere Herkunfsländer gelten. Gem. Art. 29 Abs. 1 der ĺAsylverfahrensrichtlinie (RL 2005/85/EG) erstellt der ĺRat auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des europäischen Parlaments mit qualifizierter Mehrheit eine gemeinsame Minimalliste der Drittstaaten, die von den Mitgliedstaaten als sichere Herkunfsstaaten gem. Anhang II zu betrachten sind. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten zum Zwecke der Prüfung von Asylanträgen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften beibehalten oder erlassen, aufgrund derer sie im Einklang mit Anhang II andere als die in der gemeinsamen Minimalliste aufgeführten Drittstaaten als sichere Herkunftsstaaten bestimmen können. Hierzu kann gehören, dass ein Teil eines Staates als sicher bestimmt wird, sofern die Bedingungen nach Anhang II in Bezug auf diesen Teil erfüllt sind (Art. 30 RL 2005/85/EG). (gt) (jw) Lit.: K. Hailbronner, Immigration and Asylum Law and Policy of the European Union, 2000, 460 ff.; H. Mayer, Aspekte eines harmonisierten Asylrechts, in: H. F. Köck/A. M. Lengauer/G. Ress (Hrsg.), Europarecht im Zeitalter der Globalisierung. FS für P. Fischer, 2004, 353 (357-360)
Sicherheit der Datenverarbeitung security of processing – sécurité des traitements des données
Die RL 95/46/EG (ĺDatenschutzrichtlinie) schreibt unter dem Titel Sicherheit der Verarbeitung in ihrem Art. 17 vor, dass der ĺVerantwortliche für die Verarbeitung technische und organisatorische Maßnahmen setzen muss, die für den Schutz gegen die zufällige oder unrechtmäßige Zerstörung, den zufälligen Verlust, die unberechtigte Änderung, die unberechtigte Weitergabe oder den unberechtigten Zugang und gegen jede andere Form der unrechtmäßigen Verarbeitung ĺpersonenbezogener Daten erforderlich sind. Das anzulegende Schutzniveau ist dabei vom Stand der Technik, der entstehenden Kosten, dem von der ĺVerarbeitung der Daten ausgehenden Risiko und der Art der verarbeiteten Daten abhängig. (al) §§: Art. 17 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie)
Sicherheiten (Landwirtschaft) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 226; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 240
Sicherheit von Atom-/Kernanlagen ĺNukleare Sicherheit Sicherheit, europäische ĺGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP); ĺPolizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)
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Sicherheit, Seeverkehr security, maritime transport – sécurité, transport maritime
Unter diesem Oberbegriff können unterschiedliche ĺRechtsakte und/oder interpretative Dokumente gefasst werden, die alle samt der Sicherheit des Seeverkehrs dienen. Zumeist sind sie umweltpolitisch motiviert. Der ĺRat hat in seiner Entschließung vom 8.6.1993 über eine gemeinsame Politik im Bereich der Sicherheit im Seeverkehr (ABl. 1993, Nr. C 271/1) das Ziel vorgegeben, alle nicht den Normen genügenden Schiffe aus den Gewässern der Gemeinschaft auszuweisen, und er hat die wirksame und einheitliche Durchführung internationaler Regeln sowie die Ausarbeitung gemeinsamer Normen für Klassifikationsgesellschaften im Rahmen eines Aktionsprogramms der Gemeinschaft als prioritär eingestuft. Die einzelnen ĺMS treffend Verpflichtungen z.B. aus den internationalen Abkommen ĺSOLAS (74), ĺMARPOL 73/78 und dem Freibordübereinkommen 1966. An gemeinschaftsrechtlichen Dokumenten sind z.B. zu nennen: ƒ die RL zur gegenseitigen Anerkennung von ĺSchiffsüberprüfungsorganisationen zu nennen, die sich mit der Überprüfung, Besichtigung und Zertifizierung von Schiffen hinsichtlich der Einhaltung der internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See und zur Verhütung der Meeresverschmutzung befassen (ĺMeere, Verschmutzung); ƒ zuletzt die VO (EG) 93/2007 der ĺKommission zur Änderung der VO (EWG) 2099/2002 des ĺEuropäischen Parlaments und des Rates zur Einsetzung eines Ausschusses für die Sicherheit im Seeverkehr und die Vermeidung von Umweltverschmutzung durch Schiffe (COSS), ABl. 2007, Nr. L 22/12; ƒ die VO (EG) 2099/2002 zur Einsetzung eines Ausschusses für die Sicherheit im Seeverkehr
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und die Vermeidung von Umweltverschmutzung durch Schiffe (COSS), ABl. 2002, Nr. L 324/1; der Vorschlag für eine VO des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der VO des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung einer Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehr, KOM/ 2002/0406 endg. – COD 2002/0182 (ABl. 2001, Nr. C 331 E/87); die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zur Erhöhung der Sicherheit im Seeverkehr nach dem Untergang des Öltankschiffs „Prestige“, KOM/ 2002/0681 endg.; die RL 2002/84/EG zur Änderung der Richtlinien über die Sicherheit im Seeverkehr und die Vermeidung von Umweltverschmutzung durch Schiffe (ABl. 2002, Nr. L 324/53); die RL 2001/25/EG über Mindestanforderungen für die Ausbildung von Seeleuten (ABl. 2001, Nr. L 136/17), ĺSeeleute, Ausbildung; die RL 93/75/EWG über Mindestanforderungen an Schiffe, die Seehäfen der Gemeinschaft anlaufen oder aus ihnen auslaufen und gefährliche oder umweltschädliche Güter befördern (ABl. 1993, Nr. L 247/19); Mitteilung der Kommission für eine gemeinsame Politik im Bereich der Sicherheit im Seeverkehr, KOM/93/66ENDG. (sm) Lit.: D. Boeing, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 80 EGV, Rn. 77 ff.
Sicherheiten (Landwirtschaft) securities (agriculture) – garanties (agriculture)
Die Stellung von Sicherheiten (Kautionen) wird im Rahmen von Maßnahmen der ĺGemeinsamen Marktorganisationen verlangt um entweder Rückforderungsansprüche gemeinschaftseinheitlich effektiv durchzusetzen (Erstattungskautionen) oder um zur Erfüllung von Handlungspflichten, deren Nichterfüllung zu einer Bereicherung bzw. unmittelbarem Schaden finden zu motivieren (Wohlverhaltenskautionen). Der Erlag von Sicherheiten ist in folgenden Fällen denkbar bzw. vorgeschrieben: ƒ bei Ein- und Ausfuhren ƒ in Zusammenhang mit den Beihilfen für private Lagerhaltung ƒ bei Verkäufen aus staatlicher Lagerhaltung ƒ im Rahmen des Ausschreibungsverfahrens beim Verkauf aus der ĺIntervention ƒ bei Exporten im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe 815
Sicherheitsberater, Gefahrgutbeauftragter ƒ
bei Gewährung von Beihilfen, bevor die Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt oder nachgewiesen sind ƒ bei der Gewährung von Produktionsbeihilfen. (all) §§: VO (EG) 1234/2007, Gemeinsame Organisation der Agrarmärkte, ABl. 2007, Nr. L 299/1; VO (EG) 2220/85, Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Sicherheiten für landwirtschaftliche Erzeugnisse, ABl. 1985, Nr. L 205/5 ff. Lit.: F. Anhammer, Marktordnungsrecht, in: R. Norer (Hrsg.), Handbuch des Agrarrechts, 2005; R. Jäger, Kautionen im Agrarrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1994; A. Leidwein, Europäisches Agrarrecht, 2004
Sicherheitsberater, Gefahrgutbeauftragter safety adviser, for the transport of dangerous goods – conseiller à la sécurité, pour le transport de marchandises dangereuses
Die verkehrsträgerübergreifend wirkende RL 96/35/EG über die Bestellung und die berufliche Befähigung von Sicherheitsberatern für die Beförderung gefährlicher Güter auf Straße, Schiene oder Binnenwasserstraßen (ABl. 1996, Nr. L 145/10) zielt auf die Schaffung innerbetrieblicher organisationsbezogener Vorkehrungen zur Optimierung der Sicherheit im Rahmen der Gefahrgutbeförderungen ab. Die MS haben sicherzustellen, dass jeder Betrieb, dessen Tätigkeit die Beförderung oder das Be- oder Entladen von Gefahrgut umfasst, einen sog. Gefahrgutbeauftragten benennt. Diesen obliegt gem. Anhang I eine Reihe von Beratungs-, Dokumentation- und Überwachungsaufgaben. Gefahrgutbeauftragter kann ein Mitarbeiter des Unternehmens oder eine betriebsexterne Person sein. Sie kann noch andere Aufgaben als die des Gefahrgutbeauftragten wahrnehmen. Ihre Bestellung setzt allerdings stets das Vorhandensein besonderen Sachverstandes voraus, das durch einen für den betroffenen Verkehrsträger gültigen und nach dem Muster des Anhangs III ausgefertigten EG-Schulungsnachweis nachgewiesen werden muss. ĺGefahrguttransport. In Ergänzung enthält die RL 2000/18/EG detaillierte Vorgaben für die Prüfung des Gefahrgutbeauftragten.Die MS ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Sicherheitsberater für die Beförderung gefährlicher Güter unter Einhaltung dieser Mindestanforderungen geprüft werden. Dabei hat die zuständige Behörde oder die Prüfungsstelle eine obligatorische schriftliche Prüfung durchzuführen, die sie durch eine mündliche Prüfung ergänzen kann, um festzustellen, ob die Kan816
didaten über den erforderlichen Kenntnisstand zur Erfüllung der Aufgaben eines Gefahrgutbeauftragten und somit zum Erhalt des EG-Schulungsnachweises verfügen. Die obligatorische Prüfung besteht aus einer schriftlichen Prüfung, die den Beförderungsarten angepaßt ist, für die der EG-Schulungsnachweis ausgestellt wird. (sm) §§: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Beförderung gefährlicher Güter im Binnenland, KOM(2006) 0852 endg. – 2006/0278 (COD)
Sicherheitsgurt safety belts – ceinture de sécurité
Die RL 91/671/EWG (ABl. 1991, Nr. L 373/26) sieht als personenbezogene Harmonisierungsmaßnahme (ĺVerkehrsrecht, personenbezogene Harmonisierung) eine Gurtanlegepflicht und die Pflicht zur Benutzung von Kinderrückhalteeinrichtungen in Kraftfahrzeugen vor. Es wird das Anlegen von Sicherheitsgurten für die Benutzung bestimmter Fahrzeugkategorien (Gurtpflicht) vorgeschrieben wie auch die Verwendung von Kinderrückhalteeinrichtungen in bestimmten Fahrezugen für Kinder eines bestimtmen Alters. Ausnahmen bestehen ex lege für den Fall, dass ernste medizinische Gründe eine befristete Dispensierung rechtfertigen; ein entsprechend von einer medizinischen Fachperson ausgestelltes Attest ist gemeinschaftsweit anzuerkennen. Ferner sind weitere Ausnahmen im Zusammenhang mit Diensten für die öffentliche Ordnung, Sicherheit bzw. Hilfe im Notfall zulässig. (sm) Sicherheitspolitik ĺGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Sicherheitsüberwachung nuclear safeguards – contrôle de sécurité
Das mit „Überwachung der Sicherheit“ überschriebene Kap. VII des Zweiten Titels des ĺEAGV (Art. 77-85) regelt nicht etwa Fragen der ĺnuklearen Sicherheit, sondern soll vielmehr durch geeignete Überwachung gewährleisten, dass die ĺKernstoffe nicht einer anderen als der für sie vorgesehenen Bestimmung zugeführt werden (Art. 2 lit. e). So soll insb. verhindert werden, dass diese zu nicht erwünschten nicht friedlichen Zwecken Verwendung finden. Die Betreiber kerntechnischer Anlagen haben der ĺKommission Mitteilung über die grundlegenden technischen Merkmale dersel-
Sicherstellungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung ben zu machen und über ihre Bestände an Kernstoffen Buch zu führen (Art. 78-79). Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Nutzung von Kernstoffen zu Verteidigungszwecken von den Überwachungsbefugnissen nicht erfasst ist (Art. 84 Abs. 3; ĺAtomenergie, friedliche/militärische Nutzung der). Mit der Sicherheitsüberwachung ist vorrangig die Kommission betraut. Das in diesem Bereich tätige ĺAmt für Euratom-Sicherheitsüberwachung ist 2002 vollständig in die ĺGeneraldirektion Verkehr und Energie (GD TREN) integriert worden. Die Aufgaben der Sicherheitsüberwachung sind nunmehr bei der Direktion I (Überwachung nuklearer Sicherheit) angesiedelt. Diese zeichnet mit ihren ca. 200 Inspektoren für die im EAGV vorgesehenen Inspektionen der kerntechnischen Anlagen im Gebiet der Gemeinschaft verantwortlich und verfügt diesbezüglich über weit reichende Befugnisse (Art. 81-82). Bei Pflichtverletzungen stehen der Kommission diverse Zwangsmaßnahmen offen, die von bloßer Verwarnung über zeitweise Zwangsverwaltung bis hin zu teilweisem oder vollständigem Entzug der ĺKernbrennstoffe gehen (Art. 83). Gem. Art. 77 lit. b sind bei der Sicherheitsüberwachung auch völkerrechtliche Verträge, namentlich das mit der ĺIAEO abgeschlossene Verifikationsabkommen beachtlich. In Umsetzung der dadurch übernommenen Pflichten, insb. in Zshg. mit dem 2004 in Kraft getretenen ZP, ist jüngst die VO (Euratom) 302/2005 erlassen worden (ĺAtomenergie, friedliche/ militärische Nutzung der). Dagegen ist die Sicherheitskontrolle im Rahmen der ĺKernenergie-Agentur von historischer Bedeutung. (atm) §§: Art. 77-85 EAGV; VO (Euratom) 302/2005, ABl. 2005, Nr. L 54/1
Sicherstellungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Vermögensgegenstände oder Beweismittel betreffenden mutual recognition of orders freezing property or evidence – reconnaissance mutuelle relative à l’exécution dans l’Union européenne des décisions de gel de biens ou d’éléments de preuve
Im Zusammenhang mit einer Strafverfolgung ergangene justizbehördliche Sicherstellungsentscheidungen eines ĺMitgliedstaates der ĺEU unterliegen dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der). Sie sind daher grundsätzlich von jedem anderen
Mitgliedstaat, dem eine solche Entscheidung zur Vollstreckung übermittelt wird, ohne jede weitere Formalität anzuerkennen und zu vollstrecken. Diese Verpflichtung ist im ĺRahmenbeschluss 2003/577/JI über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union näher geregelt. Dieser RB war durch die Mitgliedstaaten vor dem 2.8.2005 in innerstaatliches Recht umzusetzen. 1. Anwendungsbereich: Der Begriff der Sicherstellungsentscheidung ist unionsrechtlich eigenständig definiert. Er umfasst jede von einer zuständigen Justizbehörde des Entscheidungsstaats getroffene Maßnahme, mit der vorläufig jede Vernichtung, Veräußerung, Verbringung, Übertragung oder Veräußerung von Vermögensgegenständen verhindert werden soll, deren Einziehung angeordnet werden könnte oder die ein Beweismittel in einem Strafverfahren darstellen könnten. Der im RB definierte Begriff des Vermögensgegenstands ist weit gefasst; jedenfalls muss es a) sich um einen Ertrag aus einer Straftat handeln oder dessen Gegenwert ganz oder teilweise entsprechen oder b) Tatwerkzeug bzw. Tatobjekt sein. 2. Verfahren: Das Gericht des Entscheidungsstaats übermittelt seine Sicherstellungsentscheidung unmittelbar der für die Vollstreckung zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats. Beizufügen ist eine nach dem Rahmenbeschluss vorgesehene, für alle Mitgliedstaaten ident aufgebaute Bescheinigung, die der Vollstreckungsbehörde die notwendigen Informationen zur Verfügung stellen soll. Die Vollstreckungsbehörde erkennt die Einziehungsentscheidung ohne jede weitere Formalität an und trifft unverzüglich alle zur Vollstreckung erforderlichen Maßnahmen, soweit sie keine nach dem RB zulässigen Versagungs- oder Aufschubgründe geltend macht. Die Einrede des Nichtvorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit kann einer Entscheidung zur Sicherstellung von Beweismitteln nur dann entgegengehalten werden, wenn kein ĺListendelikt vorliegt, das im Entscheidungsstaat mit einer Mindesthöchststrafe von drei Jahren bedroht ist. Bei Nichtvorliegen eines solchen Listendelikts kann eine Sicherstellungsentscheidung zum Zwecke der späteren Einziehung davon abhängig gemacht werden, dass die zugrundeliegende Handlung nach dem Recht des Vollstreckungsstaats eine Straftat darstellen würde, 817
Siebtes Rahmenprogramm die eine solche Sicherstellung ermöglichen würde. Das Vollstreckungsverfahren erfolgt gleich der Vollstreckung einer inländischen Entscheidung, jedoch unter Beachtung der Form- und Verfahrensvorschriften, welche die Behörde des Entscheidungsstaats übermittelt hat und die Voraussetzung für die Verwertung als Beweismittel sind. Diese Verpflichtung wird durch die Grundprinzipien des Rechts des Vollstreckungsstaats begrenzt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass vor den Gerichten des Entscheidungs- oder Vollstreckungsstaats Rechtsbehelfe ohne aufschiebende Wirkung eingelegt werden können. Die Sachgründe für den Erlass der Einziehungsentscheidung können jedoch nur vor einem Gericht des Entscheidungsstaats angefochten werden. Die Übermittlung sichergestellter Beweismittel erfolgt im Wege der förmlichen Rechtshilfe. Die Einziehung von Vermögensgegenständen bedarf ebenso eines entsprechenden Ersuchens, wenn nicht eine dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung unterliegende Einziehungsentscheidung übermittelt wird (ĺEinziehungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von). (sts) §§: Rahmenbeschluss 2003/577/JI vom 22.7.2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union, ABl. 2003, Nr. L 196/45 Lit.: S. Gless, Beweisrechtsgrundsätze einer grenzüberschreitenden Strafverfolgung, 2007
Siebtes Rahmenprogramm Seventh Framework Programme – Septième Programmecadre
Das auf der Grundlage von Art. 166 Abs. 1 EG (ĺForschungsrahmenprogramm) beschlossene Siebte Rahmenprogramm der EG für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (RP7) hat erstmals eine Laufzeit von sieben Jahren (1.1.2007 bis 31.12.2013). Es ist das Hauptinstrument der Gemeinschaft für die europäische Forschungsförderung und führt den umfassenden Ansatz des ĺSechsten Rahmenprogramms weiter. Seiner Ausarbeitung ging ein intensiver Konsultationsprozess zwischen den EU-Institutionen, insbesondere ĺRat und ĺEuropäisches Parlament, sowie den ĺMitgliedstaaten und Vertretern aus der Scientific Community voraus. Es gliedert sich in vier ĺspezifische Programme (Zusammenarbeit, Ideen, Menschen, Kapazitäten). Ferner werden innerhalb des RP7 durch ein eigenes spezifi818
sches Programm die direkten Maßnahmen (ĺForschungs- und Technologiepolitik, Maßnahmen) der ĺGemeinsamen Forschungsstelle außerhalb des Nuklearbereiches unterstützt. Den Schwerpunkt der europäischen Forschungsförderung bildet im Bereich Zusammenarbeit die Förderung der transnationalen, europaweiten Forschungsprojekte („Collaborative Research“). In thematisch vorgegebenen Ausschreibungen („Calls“) können sich europäische Forschungsteams (Konsortien) um die Förderung ihrer Projekte bewerben. Inhaltlich werden zehn Prioritäten vorgeschlagen, wobei das generelle Ziel die Förderung der nachhaltigen Entwicklung in Europa ist. Das RP7 soll eine zentrale Säule des ĺEuropäischen Forschungsraumes sein. Neu ist die Einführung der expliziten Grundlagenforschungsförderung in Gestalt des ĺEuropäischen Forschungsrates (ERC) durch das spezifische Programm Ideen. Das RP7 dient außerdem der Erreichung der Ziele Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung und stellt damit ein wesentliches Instrument der ĺLissabon-Strategie dar. (hk) §§: Beschluss Nr. 1982/2006/EG des EP und des Rates vom 18.12.2006, ABl. 2006, Nr. L 412/1 Lit.: W. Mönig, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 166 EGV, Rn. 10-12 Web: http://ec.europa.eu/research/fp7/home_en.html; http://cordis.europa.eu/fp7/home_de.html
Siebtes Rahmenprogramm (Euratom) Seventh Framework Programme (Euratom) – Septième programme-cadre (Euratom)
Funktionell analog zum ĺSiebten Rahmenprogramm der ĺEG ist auf Grundlage von Art. 7 ĺEAGV das RP 7 für die Forschungsund Ausbildungsprogramme der ĺEAG erlassen worden. Es stellt das hauptsächliche Forschungsförderungsinstrument der EAG dar (ĺKernforschung). Im Gegensatz zu seinem Pendant ist seine Laufzeit aber nach Art. 7 Abs. 2 auf maximal fünf Jahre begrenzt, welche daher zum 31.12.2011 endet. Das RP 7 Euratom umfasst zwei spezifische Programme, wobei Gegenstand des ersten die Forschung zu Kernfusion, Kernspaltungsenergie und Strahlenschutz ist. Das zweite beinhaltet die Maßnahmen der ĺGemeinsamen Forschungsstelle. Der Löwenanteil der veranschlagten Mittel von 2,75 Mill. € ist für die Finanzierung des int. Projekts ĺITER zur Kernfusion vorgesehen. (atm) §§: Beschluss Nr. 2006/970/Euratom des Rates vom 18.12.2006, ABl. 2006, Nr. L 400/60; Beschluss Nr.
Sitzlandbesteuerung 2006/977/Euratom des Rates vom 19.12.2006, Nr. L 400/434 Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/i23 032.htm
Signaturrichtlinie directive on a community framework for electronic signatures – directive sur un cadre communautaire pour les signatures électroniques
Die RL 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (SignaturRL) legt die rechtlichen Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen und für bestimmte Zertifizierungsdienste fest, um das reibungslose Funktionieren des ĺBinnenmarktes zu gewährleisten. Dabei schreibt die Richtlinie nicht ein bestimmtes Signaturverfahren vor, eine elektronische Authentifizierung soll vielmehr durch verschiedene Technologien und Dienstleistungen möglich sein. Anbieter von Zertifizierungsdiensten (ĺZertifizierungsdiensteanbieter) sollen diese gemeinschaftsweit ungehindert ohne vorherige Genehmigung bereitstellen können. Die Mitgliedstaaten können allerdings freiwillige Akkreditierungssysteme einführen, die dann zur Steigerung des Niveaus der erbrachten Zertifizierungsdienste beitragen können. Unter bestimmten Voraussetzungen müssen die Mitgliedstaaten von einem Zertifizierungsdienstanbieter eines Drittlandes ausgestellte Zertifikate denen eines in der Gemeinschaft niedergelassenen Anbieters gleichstellen. Anhang 2 der RL enthält die Anforderungen an Zertifizierungsdienstanbieter, die qualifizierte Zertifikate ausstellen. Die Richtlinie sieht drei Sicherheitsstufen für elektronische Signaturen vor: die einfache elektronische Signatur, die fortgeschrittene und die qualifizierte elektronische Signatur. Deren notwendige Eigenschaften werden in Anhang 1 der RL aufgeführt (ĺelektronische Signatur). Sie sollen handschriftlichen Unterschriften gleichgestellt und vor Gericht als Beweismittel zugelassen werden. Ein Zertifizierungsdienstanbieter, der ein solches qualifiziertes Zertifikat anbietet, haftet nach Art. 6 der RL gegenüber demjenigen, der vernünftigerweise auf das Zertifikat vertraut, für Schäden durch unrichtige Zertifikate. Der Zertifizierungsdienstanbieter kann sich durch den Nachweis, dass er nicht fahrlässig gehandelt hat, entlasten. (fs) §§: Art. 47 Abs. 2 EG, Art. 55, Art. 95, RL 1999/93/ EG, ABl. 2000, Nr. L 13/12
Web: http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2000/ l_013/l_01320000119de00120020.pdf
Simmenthal II-Entscheidung Simmenthal II case – jurisprudence Simmenthal II
Grundlegendes Urteil des EuGH (Rs. 106/77, Slg. 1978, 629), in dem dieser klargestellt hat, dass der ĺAnwendungsvorrang auch gegenüber später erlassenem innerstaatlichen Recht gilt, womit die sonst im Völkerrecht geltende lex-posterior-Regel im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht aufgrund seiner besonderen Qualität nicht gilt. (he) Web: http://curia.europa.eu/
SIRENE ĺSchengener Informationssystem SIS ĺSchengener Informationssystem SIS II ĺSchengener Informationssystem SitCen ĺHoher Vertreter für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik Sitzlandbesteuerung home state taxation – imposition selon les règles de l’état de résidence
Das von der Kommission vorgeschlagene Konzept der „Sitzlandbesteuerung“ basiert auf dem Prinzip der freiwilligen gegenseitigen Anerkennung der Steuervorschriften durch die Mitgliedstaaten. Dabei würden die Gewinne einer Unternehmensgruppe, die in mehr als einem Mitgliedstaat tätig ist, nach den Unternehmensteuervorschriften eines einzigen Landes ermittelt werden, nämlich nach denen des Sitzlandes der Muttergesellschaft bzw. der Hauptverwaltung der Gruppe. KMU, die eine Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat gründen wollen, könnten somit die Steuerregelungen in Anspruch nehmen, die ihnen bereits vertraut sind. Als KMU würden dabei – gem. der allgemein üblichen Definition der EU-Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, einem Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro und/oder einer Jahresbilanzsumme von bis zu 43 Mio. Euro gelten. 819
Sitzverlegungsrichtlinie Sitzlandbesteuerung heißt nicht, dass ausschließlich im Sitzland Steuern erhoben werden. Es würde lediglich bedeuten, dass die Steuerbemessungsgrundlage (d.h. die steuerpflichtigen Gewinne) der KMU nach den Vorschriften des jeweiligen Sitzlandes berechnet würde. Jeder teilnehmende Mitgliedstaat würde dann seinen eigenen Körperschaftssteuersatz auf den Anteil der Gewinne anwenden, der entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtlohnsumme und/ oder des Gesamtumsatzes ermittelt würde. Die Neuregelung soll zunächst versuchsweise befristet eingeführt werden, um ihren praktischen Nutzen für die KMU und ihren allgemeinen wirtschaftlichen Nutzen für die EU zu testen, wobei sich der Verwaltungsaufwand und Einnahmerisiken für die Mitgliedstaaten in Grenzen halten sollen. Die Kommission legt in ihrer Mitteilung ausführlich dar, wie eine solche Pilotregelung im Einzelnen aussehen könnte. Mitgliedstaaten, die zur Einführung der Regelung bereit sind, könnten entsprechende bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen treffen, sich auf befristete Ergänzungen zu bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen oder multilateralen Übereinkünften verständigen oder aber ein neues multilaterales Übereinkommen abschließen. (pu) §§: Mitteilung der Kommission (KOM/05/702) vom 23.12.2005
Sitzverlegungsrichtlinie directive on transnational change of corporate domicile – directive relative au transfert d’entreprise
Entwurf einer vierzehnten gesellschaftsrechtlichen ĺRichtlinie, der ein Verfahren vorsieht, das Kapital- und Personengesellschaften eine förmliche grenzüberschreitende Sitzverlegung unter Wahrung ihrer Identität ermöglichen soll, ohne dass diese die Auflösung der Gesellschaft im Wegzugsstaat bzw. eine Neugründung im Zuzugsstaat erforderlich macht. (tr) Lit.: J. Hoffmann, Neue Möglichkeiten zur identitätswahrenden Sitzverlegung in Europa? Der Richtlinienvorentwurf zur Verlegung des Gesellschaftssitzes innerhalb der EU, ZHR 2000, 43; Straube, Was bleibt von der 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie?, in: S. Kalss/C. Nowotny/M. Schauer (Hrsg.), FS für P. Doralt, 2004, 637 ff.
Sklaverei ĺVerbot von Sklaverei und Zwangsarbeit Sky Marshall ĺFlugsicherheitsbegleiter 820
Slots ĺZeitnischen (slots) Small Claims ĺEuropäisches Bagatellverfahren Societas Cooperativa Europaea (SCE) European Cooperative Society – société coopérative européenne
Dt., Europäische Genossenschaft: ĺsupranationale, primär auf der SCE-VO basierende (ĺNormenhierarchie) Gesellschaftsform mit Rechtspersönlichkeit und (dispositiver) Geschäftsanteilshaftung ihrer Mitglieder, deren Grundkapital (mindestens € 30.000,-) in Geschäftsanteile zerlegt und veränderlich ist. Sie ersetzt die nationalen Genossenschaften nicht, sondern steht neben diesen insbesondere für das grenzüberschreitende Tätigwerden und die Kooperation der Genossenschaften im ĺBinnenmarkt zur Verfügung. Zweck der SCE ist es, den Bedarf ihrer Mitglieder zu decken und/ oder soziale Tätigkeiten zu fördern. Eine SCE kann gegründet werden: ƒ von mindestens fünf natürlichen Personen, deren Wohnsitze in mindestens zwei Mitgliedstaaten liegen; ƒ von insgesamt mindestens fünf natürlichen Personen und nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG bzw. juristischen Personen des öffentlichen oder privaten Rechts, deren Wohnsitze in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten liegen bzw. die dem Recht mindestens zweier verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen; ƒ von nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG bzw. juristischen Personen des öffentlichen oder privaten Rechts, die ihren Sitz in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten haben bzw. dem Recht mindestens zweier verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen; ƒ durch Verschmelzung von Genossenschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet wurden und ihren satzungsmäßigen Sitz sowie ihre Hauptverwaltung in der Gemeinschaft haben, sofern mindestens zwei von ihnen dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen; ƒ durch Umwandlung einer Genossenschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet wurde und ihren satzungsmäßigen Sitz
Societas Europaea (SE) sowie ihre Hauptverwaltung in der Gemeinschaft hat, wenn sie seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Niederlassung oder Tochter hat. Die SCE-VO regelt beinhaltet zusätzlich eine (Teil-)Regelung der Organisationsstruktur (für die das ĺmonistische oder das ĺdualistische Leitungssystem gewählt werden kann), die Voraussetzungen und Grenzen der Ausgabe von Wertpapieren mit besonderen Vorteilen, die Verwendung des Betriebsergebnisses, den Jahresabschluss sowie die Auflösung, Liquidation, Zahlungsunfähigkeit und Zahlungseinstellung; die Arbeitnehmermitbestimmung ist – wie bei der ĺSocietas Europaea (SE) – in einer eigenen ĺRichtlinie geregelt. (tr) §§: VO (EG) 1435/2003 des Rates vom 22.7.2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE); RL 2003/72/EG des Rates vom 22.7.2003 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer; SCE-Gesetz Lit.: R. Schulze (Hrsg.), Die Europäische Genossenschaft – SCE Handbuch, 2004; G. Zawischa, Die Europäische Genossenschaft, in: S. Kalss/C. Nowotny/ M. Schauer (Hrsg.), FS für P. Doralt, 2004, 729 ff.
Societas Europaea (SE) European Company – Société européenne
Dt., Europäische (Aktien-)Gesellschaft (SE). S. ĺsupranationale, primär auf der SE-Verordnung (VO [EG] 2157/2001) basierende Gesellschaftsform; in Österreich umgesetzt durch das SE-AusführungsG (SEG, BGBl. I 2004/67); zu den auf die SE anwendbaren Rechtsnormen s. ĺNormenhierarchie. Die SE kann gegründet werden durch ƒ Verschmelzung zweier oder mehrerer Aktiengesellschaften aus mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten, ƒ Bildung einer Holding-SE durch AGs oder GmbHs, wenn mindestens zwei von ihnen entweder dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen oder seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft oder Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat haben (Holding-Gründung), ƒ Gründung einer Tochter-SE durch Gesellschaften (einschließlich juristischer Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Sitz und Hauptverwaltung in einem Mitgliedstaat), wenn mindestens zwei von ihnen entweder dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen oder seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft oder Niederlas-
sung in einem anderen Mitgliedstaat haben, sowie ƒ durch Umwandlung einer Aktiengesellschaft mit Sitz und Hauptverwaltung in einem Mitgliedstaat in eine SE, wenn diese seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat hat („primäre Gründungsformen“). Eine „genuine Gründung“ ist somit nicht möglich. Zudem kann eine bestehende SE eine oder mehrere Tochter-SE gründen („sekundäre Gründungsform“); aus dem Diskriminierungsverbot gegenüber nationalen AG stehen der SE sämtliche Umgründungsmöglichkeiten wie der nationalen AG im Sitzstaat der SE zur Verfügung (im Detail strittig). Das Gründungsverfahren ist durch Publizitätsvorschriften (Gründungsplan und dessen Prüfung), Abfindungsansprüche der aus den Gründungsgesellschaften austretenden Gesellschafter, Prüfung des Umtauschverhältnisses der Anteile, Sicherstellung der Gläubiger, Verhandlungen zur Wahrung der Arbeitnehmermitbestimmung und Zusammenarbeit der an der SE-Gründung beteiligten nationalen Registerbehörden gekennzeichnet. Die SE ist eine Kapitalgesellschaft mit gemeinschaftsweit anerkannter Rechtspersönlichkeit. Das in Aktien zerlegte Mindestkapital beträgt € 120.000,-. Der Sitz der SE muss sich in jenem Mitgliedstaat der EU befinden, in dem deren Hauptverwaltung gelegen ist. Die SE wird in das Register (Firmenbuch) des Sitzstaates eingetragen; sie kann ihren Sitz innerhalb des gesamten Gemeinschaftsgebietes unter Wahrung ihrer Rechtspersönlichkeit verlegen. Eine solche Sitzverlegung führt zu einem teilweisen Wechsel des anwendbaren Rechts (Statutenwechsel), da für die SE das nationale Recht (Aktienrecht) des jeweiligen Sitzstaates gilt. Die für alle Mitgliedstaaten einheitlichen Normen des Gemeinschaftsrechts (SE-VO) bleiben unberührt. Die SE kann wahlweise nach ĺmonistischem (ĺVerwaltungsrat, ĺgeschäftsführende Direktoren) oder ĺdualistischem System geführt werden; die Arbeitnehmermitbestimmung ist in einer gesonderten Richtlinie (2001/86/EG, ABl. 10.11.2001, Nr. L 294/22 ff.) geregelt und basiert auf einer Verhandlungslösung der an der Bildung der SE beteiligten Gesellschaften. Als Vorteile der SE werden genannt: Möglichkeit der förmlichen grenzüberschreitenden Sitzverlegung; Durchführung einer grenzüberschreitenden Verschmelzung auf gesicherter Rechtsgrundlage; Vereinfachung von Organisationsstrukturen (z.B. im internationalen Konzern); 821
Society of European Contract Law (Secola) Möglichkeit einer Standortwahl nach ökonomischen Gesichtspunkten; „Europäisches“ Auftreten der Gesellschaft. (tr) Lit.: M. Barnert/A. Dolezel/C. Egermann/A. Illgasch, Societas Europaea – Ein Handbuch für Praktiker, 2005; S. Kalss/H. Hügel (Hrsg.), SE-Kommentar, 2004; G. Manz/B. Mayer/A. Schröder (Hrsg.), SE-Kommentar, 2005; M. Straube/J. Aicher (Hrsg.), Handbuch zur Europäischen Aktiengesellschaft, 2006; C. Schindler, Die Europäische Aktiengesellschaft, 2002; M. R. Theisen/M. Wenz (Hrsg.), Die europäische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 2006 Web: http://www.seeurope-network.org
Society of European Contract Law (Secola) Die Society of European Contract Law ist kein Rechtsvereinheitlichungsprojekt, sondern eine offene Diskussions- und Informationsplattform, die den Prozess der europäischen Privatrechtsharmonisierung auf dem Gebiet des Schuldvertragsrechts kritisch begleitet. Die Beiträge der durchgeführten Konferenzen sind zum Teil veröffentlicht, eine Internet-Datenbank mit Rechtsquellen und Literatur zum Europäischen Schuldvertragsrecht befindet sich im Aufbau. (mrm) Lit.: S. Grundmann, Die Gesellschaft für Europäisches Vertragsrecht (SECOLA), ZEuP 2003, 189 ff. Web: http://www.secola.org/
Sodemare-Entscheidung Sodemare case – jurisprudence Sodemare
In dem ĺVorabentscheidungsverfahren der Rechtssache „Sodemare“ von 1997 legte das Gericht dem ĺEuGH die Frage vor, ob die Regelungen eines regionalen Gesetzes, nur gemeinnützige Heime zur Leistungserbringung zuzulasssen, gegen Art. 82 (ex Art. 86) EG verstieße oder einer Kartellbildung Vorschub leiste. Der EuGH hat das selektive Verhalten des regionalen Gesetzgebers bei der Auswahl von Heimen auf dem „Markt“ jedoch nicht am Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft gemessen. Er hat lediglich untersucht, ob den bevorzugten Heimen selbst eine marktbeherrschende Stellung gegenüber anderen Heimen eingeräumt werde. Der ĺGeneralanwalt hatte in seinem Schlussantrag festgehalten, dass es zweifelhaft sei, ob dem Begriff „Markt“ im Zusammenhang mit der Erbringung aus öffentlichen Mitteln finanzierter Dienstleistungen überhaupt Bedeutung zukommen sollte. (dh) Rsp.: EuGH, Rs. C-70/95 Sodemare, Slg. 1997, I-3395. Schlussantrag des Generalanwalts zu EuGH, Rs. C-70/ 95 Sodemare, Slg. 1997, I-3395: Slg. 1997, I-3420
822
Soforthilfe ĺHumanitäre Hilfe i.e.S. Sofortmaßnahmen, Kapitalverkehrsfreiheit urgent measures, free movement of capital – mesures urgentes, libre circulation des capitaux
S. sind Wirtschaftssanktionen gegenüber Drittstaaten. Sie dienen als gemeinschaftsrechtliches Instrument zur Durchführung gemeinsamer Standpunkte (Art. 15 EU) und gemeinsamer Aktionen (Art. 14 EU) der GASP (ĺGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) sowie von Sanktionsbeschlüssen des Sicherheitsrates der UN im Rahmen des Gemeinschaftsrechts. Allgemeine Rechtsgrundlage für ihren Erlass ist Art. 301 EG. Art. 60 Abs. 1 EG stellt klar, dass S. auch auf dem Gebiet des ansonsten nach Art. 56 EG im Verhältnis zu Drittstaaten liberalisierten ĺKapital- und ĺZahlungsverkehrs erlassen werden können, und enthält damit einen Rechtfertigungsgrund für Eingriffe (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Eingriff) in diese beiden Grundfreiheiten. Im Gegensatz zu Schutzmaßnahmen nach Art. 59 EG (ĺSchutzmaßnahmen, Kapitalverkehrsfreiheit) verfolgen S. nach Art. 60 Abs. 1, 301 EG politische Zwecke. Soweit ein gemeinsamer Standpunkte (Art. 15 EU) oder eine gemeinsame Aktionen (Art. 14 EU) S. vorsehen, ist die EG zu deren Erlass nach Art. 60 Abs. 1, 301 EG verpflichtet. Der Begriff der S. umfasst jegliche Beschränkungen des freien ĺKapital- und ĺZahlungsverkehrs, so z.B. das Einfrieren von Bankkonten und sonstigen Vermögens. Auf die zeitliche Länge kommt es nicht an, so dass auch längerfristige S. auf Art. 60 Abs. 1, 301 EG gestützt werden können. Nach dem Wortlaut von Art. 60 Abs. 1, 301 EG können S. nur gegen Staaten gerichtet werden; nach Auffassung des EuG hat die EG allerdings nach Art. 60 Abs. 1, 301 EG i.V.m. Art. 308 EG auch eine Kompetenz zum Erlass von kapital- und zahlungsverkehrsbezogenen S. gegen natürliche Personen (sog. „targetet sanctions“ oder „smart sanctions“) (EuG, Rs. T-306/01 Yusuf u.a./Rat und Kommission, Slg. 2005, II-3533). Diese Auffassung ist indes nicht ubestritten geblieben (Rechtsmittel beim EuGH anhängig als Rs. C-415/05 P). S. nach Art. 60 Abs. 1, 301 EG erlässt der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission nach Mitwirkung des ĺWirtschafts- und Finanzausschusses (Art. 114 Abs. 2 EG). Wie Art. 60 Abs. 2 EG zeigt, enthält Art. 60 Abs. 1 EG eine konkurrierende Kompetenz der Gemeinschaft; so-
Solange II-Entscheidung (BVerfG) lange der Rat von dieser aber keinen Gebrauch gemacht hat, dürfen die Mitgliedstaaten – unter Beachtung der Anforderungen des Art. 61 Abs. 2 EG – eigene Schutzmaßnahmen erlassen. (mk) §§: Art. 14, 15 EU, Art. 60, 114 Abs. 2, 301, 308 EG Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 60 EG
Softwarerichtlinie ĺComputerprogrammRL Sokrates ĺBildungsprogramme Sokrates-Ausschuss Socrates Committee – Comité Socrates
Bei der EK eingerichtet gewesener Ausschuss (ĺKomitologie) für die Durchführung sowohl der ersten wie der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms im Bereich der allgemeinen Bildung (SOKRATES). Seine Agenden hinsichtlich der Durchführung der SOKRATES-Teilprogramme ĺComenius, ĺErasmus oder ĺGrundtvig werden im neuen ĺAktionsprogramms für lebenslanges Lernen, in dem diese Teilprogramme weitergeführt werden, nun entsprechend vom ĺAusschuss des integrierten Aktionsprogramms im Bereich des lebenslangen Lernens wahrgenommen. (jbu) §§: Art. 8 Beschluss 253/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.1.2000 über die Durchführung der zweiten Phase des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms im Bereich der allgemeinen Bildung Sokrates; Art. 4 Beschluss 819/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.3. 1995 über das gemeinschaftliche Aktionsprogramm Sokrates
Solana, Javier ĺHoher Vertreter für die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik Solange I-Entscheidung (BVerfG) Solange I case – jurisprudence Solange I
Entscheidung des ĺBVerfG vom 29.5.1974, BVerfGE 37, 271 (konkrete ĺNormenkontrolle). In dieser Entscheidung nahm das BVerfG erstmals grundlegend zum Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Grundrechtsschutz Stellung (ĺGrundrechte). Das Verfahren betraf eine Klage gegen den Verfall
einer Kaution für eine Getreide-Ausfuhrlizenz aufgrund der VO (EWG) 120/67. Nachdem der ĺEuGH in derselben Rechtssache (Rs. 11/70 ĺInternationale Handelsgesellschaft) den ĺAnwendungsvorrang des europäischen ĺSekundärrechts ggü. deutschen Verfassungsnormen festgestellt hatte, legte das VG Frankfurt a.M. dem BVerfG die Frage nach der Vereinbarkeit der einschlägigen VO mit dem GG vor. Das BVerfG behandelte die Vollziehung europäischer Rechtsakte durch deutsche Stellen als Ausübung deutscher Hoheitsgewalt und löste den potenziellen Konflikt zwischen Gemeinschaftsrecht und deutschem Verfassungsrecht vorläufig zugunsten des GG auf. Es entschied, eine Kontrolle nationaler Umsetzungs- und Anwendungsakte am Maßstab deutscher Grundrechte bleibe zulässig, solange das Gemeinschaftsrecht nicht einen von einem Parlament beschlossenen, ausformulierten Grundrechtskatalog enthalte, der demjenigen des GG adäquat sei. Verfahrensrechtlich erklärte es ĺVerordnungen zu einem zulässigen Gegenstand von Normenkontrollverfahren. Im konkreten Fall allerdings blieb der Normenkontrollantrag unbegründet, da das BVerfG eine Grundrechtsverletzung verneinte. Die Solange I-Entscheidung wurde in der Literatur vielfach kritisiert, gilt aber als ein wesentlicher Faktor für die Weiterentwicklung der Grundrechtsjudikatur des EuGH. Der vom BVerfG formulierte ĺPrüfungsvorbehalt wurde später in der ĺSolange II-Entscheidung entscheidend relativiert. (sgk) §§: Art. 24 Abs. 1 GG; Art. 79 Abs. 3 GG Lit.: B. Börner, Deutsche Grundrechte und Gemeinschaftsrecht, NJW 1976, 2041
Solange II-Entscheidung (BVerfG) Solange II case – jurisprudence Solange II
Entscheidung des ĺBVerfG vom 22.10.1986, BVerfGE 73, 339 (ĺVerfassungsbeschwerde). Leitentscheidung für das Verhältnis zwischen europäischem ĺSekundärrecht und deutschem Grundrechtsschutz. Dem Verfahren lag die Ablehnung einer Einfuhrgenehmigung für Champignon-Konserven aufgrund VO (EWG) 2107/ 74 zugrunde. Das BVerfG bekräftigte und präzisierte den in ĺSolange I aufgestellten Grundsatz, dass Art. 24 Abs. 1 GG nicht zur vorbehalt- und grenzenlosen Übertragung von ĺHoheitsrechten ermächtige und dass insbesondere der Wesensgehalt der Grundrechte geschützt bleiben müsse. Nunmehr hielt das BVerfG den 823
SOLAS Übereinkommen vom ĺEuGH gewährleisteten Grundrechtsstandard jedoch für ausreichend und gab seinen in Solange I postulierten ĺPrüfungsvorbehalt daher vorläufig, aber nicht endgültig auf: Solange der EuGH einen wirksamen Schutz der Grundrechte generell gewährleiste, der dem vom GG als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleichzuachten sei, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürge, werde das BVerfG seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht nicht mehr ausüben. Verfassungsbeschwerden und Normenkontrollanträge dieses Inhaltes seien daher unzulässig. Trotz einiger durch die ĺMaastrichtEntscheidung ausgelöster Unsicherheiten ist dies bis heute die Grundlage der Rsp. des BVerfG (ĺGrundrechte). Zugleich stellte das BVerfG klar, dass der EuGH im Rahmen des ĺVorabentscheidungsverfahrens gesetzlicher ĺRichter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei und eine willkürliche Verletzung der Vorlagepflicht durch deutsche Gerichte daher durch Verfassungsbeschwerde gerügt werden könne. Das BVerfG flankiert die Rücknahme seiner eigenen Gerichtsbarkeit somit durch eine gewisse verfassungsrechtliche Gewährleistung des Zugangs zum EuGH. (sgk) §§: Art. 24 Abs. 1 GG; Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Lit.: H.-P. Ipsen, Das Bundesverfassungsgericht löst die Grundrechts-Problematik, EuR 1987, 1; C. Vedder, Ein neuer gesetzlicher Richter?, NJW 1987, 526
SOLAS Übereinkommen International Convention for the Safety of Life at Sea (SOLAS Convention) – Convention internationale pour la sauvegarde de la vie humaine en mer (Convention SOLAS)
Dabei handelt es sich um das Internationale Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See. Es ist eine UN-Konvention zur Schiffssicherheit. Schon am 12.11.1913 erfolgte die erste Einberufung der „International Convention for the Safety of Life at Sea“ in Reaktion auf den Untergang der Titanic. Nach ersten Vertragsversionen zur Schaffung eines internationalen Mindeststandards auf Handelsschiffen sowie anschließenden grundlegenden Änderungen erfolgte nach Gründung der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) im Jahre 1959 eine neuerliche (vierte) Fassung des Übereinkommens im Jahr 1960. Die aktuelle Fassung des SOLAS-Übereinkommens datiert aus dem Jahr 1974 und geht in seinen Kapiteln auf Fragen der Bemannung, des Sicher824
heitsmanagements, der Technik, Ladung und der Rettungsmitteln ein. Aktuelle Bedürfnisse werden durch zusätzliche Novellierungen (Amendments) berücksichtigt. Seit dem 1.7.2006 ist bspw. ein Ergänzungsprotokoll zur SOLASKonvention aus dem Jahr 1974 in Kraft getreten. Mit ihm wurden neue Kapitel bzw. existente geändert, um Massengutschiffen und den mit dem Betrieb dieser Fahrzeuge einhergehenden Risiken zu erfassen, indem man unter anderem nun auch aus Sicherheitsgründen Doppelhüllenkonstruktionen (ĺDoppelhüllen) verbindlich vorschreibt. (sm) Web: http://www.imo.org/Conventions/contents.asp? topic_id=257&doc_id=647
Solidarität solidarity – solidarité
Zur Solidaritätsrechten als Form von ĺGrundrechten vgl. unter ĺsoziale Grundrechte bzw. Kap. IV der ĺGRC. (ed) Solidaritätsprinzip principle of solidarity – principe de solidarité
Gem. Art. 1 Abs. 3 Satz 2 EU ist es Aufgabe der Union, die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen ihren Völkern kohärent und solidarisch zu gestalten. Daraus wird ein auch in der Rechtsprechung des ĺEuGH bestätigtes Solidaritätsprinzip abgeleitet, das den Mitgliedstaaten die Pflicht auferlegt, die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft zu beachten und die eigenen Interessen nicht ohne Rücksicht auf die gemeinsamen Interessen durchzusetzen, sowie der Gemeinschaft ermöglicht, bestimmte Aufgaben im Sinne des europäischen Gemeinwohls zu regeln. Das Solidaritätsprinzip findet in zahlreichen Einzelvorschriften des EG-Vertrags (z.B. über die Kohäsion) seinen Niederschlag und steht in seiner zentralisierenden Tendenz in einem Spannungsfeld zum ĺSubsidiaritätsprinzip. (ag) §§: Art. 1 Abs. 3 Satz 2 EU Lit.: C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 2. Aufl. 1999; C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 1 EUV
SOLON Im Rahmen des ĺEuropäischen Justiziellen Netzes für Strafsachen auf dessen Homepage verfügbares multilinguales Glossar der Fachtermini für Ermittlungsmaßnahmen für straf-
Soziale Grundrechte prozessuale Ermittlungsmaßnahmen in den Amtssprachen der EU. (sts) Web: http://www.ejn-crimjust.europa.eu
Sonderbeauftragte der Europäischen Union (EUSB) Special Representative of the European Union (EUSR) – Représentant spécial de l’U.E. (RSUE)
Vertreter des ĺRates für bestimmte politische Fragen im Rahmen der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). In der Praxis werden EUSB für bestimmte Länder oder Regionen ernannt, z.B. für Bosnien-Herzegowina, den südlichen Kaukasus oder die afrikanische Region der Großen Seen. EUSB fungieren damit quasi als „Botschafter“ der GASP im Rahmen des EU-Vertrags und stehen damit in einem potenziellen Konkurrenzverhältnis zu Delegationen der ĺKommission als Vertreter der EG aufgrund des EG-Vertrags. EUSB handeln unter Aufsicht des ĺHohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und des ĺRates. Es gibt zudem Persönliche Beauftragte des Hohen Vertreters für bestimmte Politikfelder, z.B. für die Nichtverbreitung von Atomwaffen. Persönliche Beauftragte haben zwar nicht die vertragliche Funktion eines EUSB, nehmen in der Praxis als Sondergesandte der Europäischen Union jedoch ähnliche Aufgaben wahr. (dt) §§: Art. 18 Abs. 5 EU Lit.: E. Regelsberger, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, 2004, 81 ff.
Sortenschutz plant variety rights – protection des variétés végétales
Der Sortenschutz ist ein gewerbliches Schutzrecht und betrifft die Eigentumsrechte an Pflanzensorten. Er unterscheidet sich damit grundsätzlich von der ĺSortenzulassung, die eine hoheitliche Entscheidung ist, welche Pflanzensorten unter welchen Bedingungen für den geschäftlichen Verkehr zugelassen werden. Auf EU-Ebene erfolgt die Erteilung des Sortenschutzes über das ĺGemeinschaftliche Sortenamt (CPVO). Es ist auch die Möglichkeit gegeben den Sortenschutz nur national zu beantragen. Auf internationaler Ebene sind die Vorgaben für den Sortenschutz über das UPOVAbkommen harmonisiert. (all) §§: VO (EG) 2001/1994, ABl. 1994, Nr. L 227/1 Lit.: A. Leidwein, Europäisches Agrarrecht, 2004, Kap VII
Web: http://www.ages.at; http://www.cpvo.fr; http:// www.upov.int
Sortenzulassung approval of varieties – admission des variétés
Die Sortenzulassung ist das Verfahren zur Zulassung von Pflanzensorten für den freien Verkehr und ist vom ĺSortenschutz zu unterscheiden. Die Sortenzulassung wir auf nationaler Ebene erteilt und in nationalen Sortenlisten (Sortenkatalogen) eingetragen. Die Sorten der nationalen Listen werden laufend in den Gemeinsamen Sortenkatalog übertragen. Zugelassene Sorten sind nach Eintragung im Gemeinsamen Sortenkatalog im gesamten Gemeinschaftsgebiet frei verkehrsfähig und anbaubar. Hinsichtlich gentechnisch veränderter Sorten gelten für die Zulassung zusätzlich die Bestimmungen des ĺGentechnikrechts. Darüber hinaus sind auf EU-Ebene die Voraussetzungen für das Saat- und Pflanzgut harmonisiert. Dies umfasst die Kategorisierung von Saat- und Pflanzgut, Anforderungen hinsichtlich Sortenechtheit und – reinheit und Gesundheitszustand sowie die Bedingungen für die Zulassung des Saat- und Pflanzgut für den freien Verkehr (Keimfähigkeit, Reinheit, Besatzfreiheit, Gesundheitszustand, Sortenechtheit). (all) §§: RL 2002/53/EG, Gemeinsamer Sortenkatalog, ABl. 2002, Nr. L193/1; 2002/55/EWG, Verkehr mit Gemüsesaatgut, ABl. 2002, Nr. L 193/33 Lit.: A. Leidwein, Europäisches Agrarrecht, 2004, Kap VII
Sozialcharta, europäische ĺEuropäische Sozialcharta Soziale Grundrechte social rights – droits sociaux
Soziale ĺGrundrechte garantieren ihrer Funktion nach dem Einzelnen ein Recht auf staatliche Leistungen, wie z.B. ein ĺRecht auf Arbeit oder Wohnen. Auf europäischer Ebene sind soziale Grundrechte teilweise in der ĺGRC vorgesehen (vgl. insb. das Kap. IV Solidarität, Art. 27 ff./Art. II87 ff.). Vorbildcharakter für diese Charta-Rechte hatte die ĺeuropäische Sozialcharta aus 1961 sowie die ĺCharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer aus 1989 (je nach Zuständigkeit auf Gemeinschafts- oder Mitgliedsebene zu verwirklichen). 825
Soziale Sicherheit Rechtspolitisch sind soziale ĺGrundrechte insbesondere im Hinblick auf ihre Durchsetzbarkeit umstritten. (ed) Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 5, Rn. 25; E. Riedel, Kap. IV Vorbem, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006; B.-C. Funk, Die sozialen Rechte der Grundrechtscharta vor dem Hintergrund des EGRechtsbestandes und im Vergleich zur Europäischen Sozialcharta, in: A. Duschanek/S. Griller (Hrsg.), Grundrechte für Europa, 2002, 39; R. Geesmann, Soziale Grundrechte im deutschen und französischen Verfassungsrecht und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2005; P. Hilpold, Der Schutz sozialer Grundrechte in der Europäischen Union, in: K. Weber/N. Wimmer (Hrsg.), Vom Verfassungsstaat am Scheideweg. FS für P. Pernthaler, 2005, 167; C.-M. Herrera, Sur le statut des droits sociaux – La constitutionalisation du social, RUDH 2004, 32; M. Holoubek, Zur Struktur sozialer Grundrechte, in: S. Hammer et al. (Hrsg.), Demokratie und sozialer Rechtsstaat in Europa. FS für T. Öhlinger, 2004, 507; H. Neisser, Die sozialpolitische Dimension der europäischen Grundrechtsdiskussion, in: S. Hammer et al. (Hrsg.), Demokratie und sozialer Rechtsstaat in Europa. FS für T. Öhlinger, 2004, 529; Dt. BMAS (Hrsg.), Soziale Grundrechte in der Europäischen Union, 2001
Soziale Sicherheit social security – sécurité sociale
Die ĺGRC enthält im Kapitel „Solidarität“ eigene Bestimmungen zur Gewährleistung der sozialen Sicherheit. Dabei handelt es sich allerdings eher um ĺGrundsätze als um (einklagbare) ĺGrundrechte. (ed) §§: Art. 34 GRC/Art. II-94 EVV Lit.: E. Riedel, Kap. IV: Solidarität, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Vorbem. Art. 34
Soziale Vergünstigung social advantage – avantage social
Gem. Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) 1612/68 hat jeder von der Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch machende Unionsbürger Anspruch auf die gleichen sozialen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer. Damit stellt Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) 1612/68 eine Konkretisierung des in Art. 39 Abs. 2 EG verankerten Inländerbehandlungsanspruchs des Arbeitnehmers (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung) dar, die allerdings nicht den Rückgriff auf Art. 39 Abs. 2 EG sperrt, sollte eine Vergünstigung nicht unter Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) 1612/68 fallen. Der Gerichtshof versteht den Gleichbehandlungsanspruch nicht streng beschäftigungsbezogen (so allerdings noch EuGH, Rs. 76/72 Michel S., Slg. 1973, 457, Rn. 6/10), sondern sehr 826
weit: Eine „soziale Vergünstigung“ sind alle Vorteile, „die – ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht – den inländischen Arbeitnehmern hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnorts im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern“ (EuGH, Rs. 207/78 Even, Slg. 1979, 2019, Rn. 22; Rs. 261/83 Castelli, Slg. 1984, 3199, Rn. 11; Rs. 59/85 Reed, Slg. 1986, 1283, Rn. 26; Rs. C-57/96 Meints, Slg. 1997, I-6689, Rn. 39). Dementsprechend hat der Gerichtshof nicht nur Sozialleistungen wie Sozialhilfe (EuGH, Rs. 249/83 Hoeckx, Slg. 1985, 973, Rn. 22; Rs. 122/84 Scrivener, Slg. 1985, 1027, Rn. 26), Ausbildungsförderung (EuGH, Rs. 39/86 Lair, Slg. 1988, 3161, Rn. 23) oder Fahrpreisermäßigungen der staatlichen Eisenbahngesellschaft für kinderreiche Familien (EuGH, Rs. 32/75 Cristini, Slg. 1975, 1085, Rn. 10/13) unter Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) 1612/68 gefasst, sondern auch das Recht, sich in seiner Heimatsprache vor Gericht zu verteidigen (EuGH, Rs. 137/84 Mutsch, Slg. 1985, 2681, Rn. 14 ff.) oder eine Aufenthaltserlaubnis für drittstaatsangehörige Ehepartner (EuGH, Rs. 59/85, a.a.O. Rn. 24 ff.; s. aber auch, Rs. C-356/98 Kaba I, Slg. 2000, I-2623). Zurückhaltung legte der EuGH lediglich bei Vergünstigungen an den Tag, die Ausdruck des geleisteten Wehr- und Kriegsdienstes sind (EuGH, Rs. 207/78, a.a.O. Rn. 23 f.; Rs. C-386/02 Baldinger, Slg. 2004, I-8411, Rn. 19; s. aber auch, Rs. 15/69 Ugliola, Slg. 1969, 363, Rn. 4 ff.). (fw) §§: Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) 1612/68, ABl. 1968, Nr. L 257/2 (zuletzt geändert RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35) Lit.: E. Ellis, Social Advantages: A new lease of life?, CML Rev. 2003, 639; R. Lippert, Gleichbehandlung bei sozialen Vergünstigungen und Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Gemeinschaft, 1993; D. O’Keeffe, Equal Rights for Migrants: the Concept of Social Advantages in Article 7 (2) Regulation 1612/68, 5 YEL (1985) 93; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 32 ff.
Sozialer Dialog European Social Dialogue – Dialogue Social Européen
Der soziale Dialog stellt einen Programmsatz dar, um die von der EU anerkannten Sozialpartner zu gemeinsamen Gesprächen über allgemeine sozial- und wirtschaftspolitische Leitli-
Sozialpolitik, gemeinschaftliche nien zu bewegen. Dieser Dialog kann zur Herstellung vertraglicher Beziehungen, einschließlich des Abschlusses von Vereinbarungen führen. Die Vereinbarungen unterscheiden sich von bloßen Stellungnahmen insofern, als sie von einem rechtlichen Bindungswillen getragen sind. Als anerkannte Sozialpartner kommen vor allem die Spitzenverbände verschiedener nationaler Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in Betracht. Der soziale Dialog habe, so die ĺKommission, eine hervorgehobene Bedeutung für die Beschäftigungsstrategie der Gemeinschaft und für die Beitrittsländer. (dh) §§: Art. 138, 139 EG Lit.: U. Rust, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 138 und 139 EG
Soziales Modell ĺVerbraucherschutzmodelle Sozialfonds, Europäischer ĺEuropäischer Sozialfonds Sozialleistungen social services – services sociaux
Die ĺGRC enthält ein ĺGrundrecht auf Gleichbehandlung bei Sozialleistungen (Leistungen der sozialen Sicherheit und Unterstützung, z.B. Berechnung der Versicherungs- und Beschäftigungsjahre, Fürsorge, Sozialhilfe etc.) (vgl. Art. 34 GRC/Art. II-94 Abs. 2 EVV). Die Garantien überschneiden sich z.T. mit jenen des Art. 12 EG. Als ĺGrundsatz ist außerdem die Sicherung der sozialen Untersützung festgeschrieben (Art. 34 GRC/Art. II-94 Abs. 3 EVV). Darunter fällt die Sozialhilfe, samt Sicherung der Wohnungsunterstützung. (ed) §§: Art. 34 GRC/Art. II-94 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 32; E. Riedel, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 34
Sozialpolitik, gemeinschaftliche community social policy – politique sociale communautaire
Die gemeinschaftliche Sozialpolitik umfasst alle Maßnahmen, welche zur Erreichung der sozialpolitischen Ziele beitragen. Zielsetzungen einer gemeinschaftlichen Sozialpolitik sind gem. Art. 136 EG die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedin-
gungen, einen angemessenen sozialen Schutz, die Förderung des sozialen Dialogs und die Bekämpfung von Ausgrenzungen. Zudem soll die Entwicklung des Arbeitskräftepotentials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau gefördert werden. Diese Ziele dienen jedoch nicht als Ermächtigungsgrundlage für ein entsprechendes Handeln der Gemeinschaft. Art. 136 EG und damit die gemeinschaftliche Sozialpolitik haben im Wesentlichen programmatischen Charakter. Die Zuständigkeit der Gemeinschaft ergibt sich vielmehr aus Art. 137, 140, 141 Abs. 3 EG. Art. 140 EG überträgt der Kommission entsprechend den allgemeinen Vertragszielen die Aufgabe, eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen zu fördern, insbesondere auf dem Gebiet der Beschäftigung, des Arbeitsrechts und der Arbeitsbedingungen, der beruflichen Ausund Fortbildung, der sozialen Sicherheit, der Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten, des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit und des Koalitionsrechts und der Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Dennoch dient Art. 136 EG als Interpretationsgrundlage für andere Bestimmungen des EG-Vertrages und des sekundären Gemeinschaftsrechts im Bereich der Sozialpolitik. Einzelne sozialpolitische Maßnahmen, die von einem Mitgliedstaat erlassen wurden, können hingegen nicht auf ihre Übereinstimmung mit Art. 136 EG und der gemeinschaftlichen Sozialpolitik überprüft werden. Die ĺSozialcharta von 1961 und die ĺGemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 bieten bei der Umsetzung der in Art. 136 EG genannten Ziele einen Orientierungsmaßstab. Das wichtigste Instrument zur Realisierung der sozialpolitischen Vertragsziele stellen die Vorschriften über den ĺEuropäischen Sozialfonds dar. Es gibt insgesamt aber keine zusammenfassende Regelung der gemeinschaftlichen Sozialpolitik. Aus der wirtschaftspolitischen Zielsetzung, einen einheitlichen Binnenmarkt zu schaffen, sowie aus den unterschiedlichen Vorstellungen der Mitgliedstaaten über eine gemeinschaftliche Sozialpolitik wird deutlich, warum der EGVertrag kein eigenständiges sozialpolitisches Konzept mit entsprechender Begründung vorsieht. Aus diesem Grund muss sich die gemeinschaftliche Sozialpolitik weiterhin mit der Unterstützung und Koordinierung staatenübergreifender sozialpolitischer Angelegenheiten begnügen. Die gemeinschaftliche Sozialpolitik 827
Sozialversicherungsabkommen findet sich daher im EG-Vertrag in zahlreichen Normen. Die wesentlichen sozialpolitischen Rechtsgrundlagen im EG-Vertrag bilden die Präambel, Art. 2, 3j, 3k, 39 bis 42, 136 bis 148, 158 bis 162 EG. (dh) Lit.: S. Leiber, Europäische Sozialpolitik und nationale Sozialpartnerschaft, 2005; E. Eichenhofer, Sozialrecht der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, Rn. 35 ff.
Sozialversicherungsabkommen social security agreement – la convention de sécurité sociale
Sozialversicherungsabkommen werden zwischen Staaten abgeschlossen. Sie dienen der Koordinierung nationaler Sozialversicherungssysteme. Durch sie soll eine doppelte Beitragsentrichtung vermieden und eine Vereinheitlichung der Sozialsysteme angestrebt werden. Die in den Sozialversicherungsabkommen enthaltenen Regelungen, sind den deutschen sehr ähnlich, teilweise sogar wortidentisch. Dennoch schaffen die internationalen Vorgaben im Rahmen der Sozialversicherungsabkommen kein eigenes internationales Anspruchssystem, sondern treten nur ergänzend zu den nationalen Vorschriften hinzu, die sie für die Zwecke der Koordinierung ergänzen und modifizieren. (dh) Lit.: U. Petersen, Sozialversicherungsabkommen, in: B. Baron von Maydell/F. Ruland (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch (SRH), 3. Aufl. 2003, 1701 ff.
Spaak, Paul Henri (1899-1972) Belgischer Politiker. Zunächst hatte er das Amt des belgischen Außenministers inne, dann das des Premierministers. Er hatte schon während des Zweiten Weltkriegs Pläne für eine Zusammenführung der Benelux-Staaten entwickelt. Nach Kriegsende trat er verstärkt für die Einigung Europas ein und unterstützte die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl und die Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Bei der Ausarbeitung des Vertrags von Rom war Spaak die führende Persönlichkeit. (gm) Web: http://europa.eu/abc/history/foundingfathers/ spaak/index_de.htm
Spaltungsrichtlinie directive concerning the division of public limited liability companies – directive concernant les scissions des sociétés anonymes
Sechste gesellschaftsrechtliche ĺRichtlinie vom 17.12.1982 über die Spaltung von Aktiengesellschaften (2/891/EWG – ABl. 1982, Nr. L 378/ 828
47). Die Spaltungsrichtlinie harmonisiert die innerstaatliche Spaltung zur Aufnahme und Spaltung zur Neugründung (erfasst sind daher keine grenzüberschreitenden Vorgänge; s dazu auch die ĺVerschmelzungsrichtlinie), stellt es den Mitgliedstaaten aber frei, ob sie das Rechtsinstitut der Spaltung überhaupt einführen oder nicht. Sie bezweckt einen gemeinschaftsweiten Mindestschutz der Gläubiger und Aktionäre der sich spaltenden Gesellschaft und regelt Voraussetzungen, Verfahren und Rechtsfolgen der Spaltung. In Österreich wurde die Richtlinie durch das SpaltG im Zuge des EU-GesRÄG 1996 (BGBl. 1996/304) umgesetzt. (tr) Spamming unsolicited communications – communications non sollicitées
Die Zusendung von unerbetenen elektronischen Nachrichten („Spam“) ist in Art. 13 der RL 2002/58/EG (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) geregelt, der anders als Art. 7 der E-commerce-RL (ĺRobinson-Listen) den Ansatz der vorherigen Zustimmung zur Zusendung elektronischer Nachrichten verfolgt. Der Begriff der elektronischen Nachrichten ist zudem weiter als der Begriff der ĺkommerziellen Kommunikation in Art. 7 E-commerce-RL und schließt jede Information, die – nicht als Teil eines Rundfunkdienstes –, zwischen einer endlichen Zahl von Beteiligten über einen öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienst ausgetauscht bzw. weitergeleitet wird, ein, Art. 2 lit. d der RL 2002/ 58/EG. (fs) §§: RL 2002/58/EG, ABl. 2002, Nr. L 201/37 Web: http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2002/ l_201/l_20120020731de00370047.pdf; http://europa. eu/scadplus/leg/de/lvb/l24120.htm
Spanische Erdbeeren-Entscheidung Spanische Erdbeeren case – jurisprudence Spanische Erdbeeren
Dem ĺVertragsverletzungsverfahren lag zugrunde, dass bei der ĺKommission nahezu ein Jahrzehnt lang regelmäßig Beschwerden eingingen, welche die Untätigkeit der französischen Behörden bei Gewalttaten rügten, die Privatpersonen und organisierte Protestbewegungen einheimischer Landwirte gegen Gemüse- und Obstimporte aus anderen ĺMitgliedstaaten verübten. Ausdrücklicher Zweck der gewalttätigen Protestaktionen war, die billigeren Importprodukte vom französischen Markt fern-
Sponsoring zuhalten, um damit den eigenen Absatz zu fördern. Im Verfahren wurde der Französischen Republik eine Verletzung ihrer Verpflichtungen aus Art. 28 i.V.m. Art. 10 EG vorgeworfen, da sie nicht alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, um den ĺfreien Warenverkehr zu schützen. Der ĺEuGH hat den Verstoß gegen die ĺWarenverkehrsfreiheit bestätigt und dadurch die Wirkungen der ĺGrundfreiheiten einmal mehr erweitert. Einem Mitgliedstaat kann unter bestimmten Voraussetzungen die Pflicht zur Beseitigung von „privaten“ Hindernissen des grenzüberschreitenden Handelsverkehrs auferlegt werden (s.a. ĺSchutzpflicht, staatlich, ĺBinnenmarktverordnung). (ah) Rsp.: EuGH, Rs. C-265/95 Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-6959, Rn. 30 f.
Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit ĺHaushaltsgrundsätze; ĺHaushaltsdisziplin Spezialitätsprinzip, haushaltsrechtliches ĺHaushaltsgrundsätze Spezifische Programme specific programmes – programmes spécifiques
Die spezifischen Programme gem. Art. 166 Abs. 3 EG konkretisieren das ĺForschungsrahmenprogramm (FRP), d.h. sie enthalten Einzelheiten seiner Durchführung und legen die Laufzeit und die für notwendig erachteten Mittel fest. Sie stellen die Rechtsgrundlage für die Vergabe von Fördermitteln dar und bilden gemeinsam mit den nach Art. 167 EG i.V.m. Art. 172 Abs. 2 EG von ĺEP und ĺRat zu erlassenden Beteiligungs- und Verbreitungsregeln die rechtlich zwingende Voraussetzung für die Durchführung des FRP und damit die konkrete Fördertätigkeit der Gemeinschaft. Nach Art. 166 Abs. 4 EG entscheidet darüber der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der ĺKommission und nach Anhörung von EP und ĺWirtschafts- und Sozialausschuss (WSA). In nächster Stufe werden die spezifischen Programme durch von der Kommission beschlossene Arbeitsprogramme konkretisiert, darauf beruhen dann die im ABl. veröffentlichten Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen („Calls for proposals“), die sich an die potenziellen Antragsteller richten. Die spezifischen Programme für das ĺSiebte Rahmenprogramm und das 7. Euratom-RP hat der Rat am 19.12. 2006 beschlossen. (hk)
§§: Entscheidungen des Rates vom 19.12.2006, Nr. 2006/971/EG bis 2006/975/EG, 2006/976/Euratom, 2006/977/Euratom, ABl. 2007, Nr. L 54 Lit.: H. Eikenberg, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 28. Lfg. 2005, Art. 166 EGV, Rn. 58-72 Web: http://ec.europa.eu/research/fp7/documents_en. html
Spielhallen-Entscheidung ĺOmega (Spielhallen)-Entscheidung Spinelli, Altiero (1907–1986) Zählt zu den Gründungsvätern der ĺEuropäischen Union. 1924 Beitritt zur Kommunistischen Partei Italiens, unter faschistischem Regime von 1927 bis 1943 im Gefängnis. 1944 Teilnahme an einer Konferenz über den europäischen Widerstand und Mitverfasser eines Vorschlags für ein europäisches Manifest. Gründer der föderalistischen Europäischen Bewegung in Italien. Von 1970–1976 als Mitglied der Europäischen Kommission für Industriepolitik und Forschung zuständig. Berater von Persönlichkeiten wie ĺMonnet, ĺSpaak und ĺDe Gaspari. Maßgeblich an dem vom ĺEuropäischen Parlament erarbeiteten Vertragsentwurf zur Gründung der ĺEuropäischen Union beteiligt (Spinelli-Entwurf). Die EU-Verträge in den 1980er und 1990er Jahren sind maßgeblich von diesem Entwurf beeinflusst. (gm) Lit.: A. Spinelli, Manifest der europäischen Föderalisten, 1958 Web: http://europa.eu/abc/history/foundingfathers/ spinelli/index_de.htm
SPLT ĺAbkommen zur Harmonisierung des materiellen Patentrechts Sponsoring sponsoring – sponsoring
Sponsoring wird als eine gegenüber der klassischen ĺFernsehwerbung abgegrenzte Werbetechnik definiert. Im Unterschied zu den sonstigen Werbeformen erfolgt beim Sponsoring keine direkte kommerzielle Darstellung von Produkten bzw. Dienstleistungen, sondern bloß eine finanzielle Unterstützung der Programme, auf welche der Zuschauer mittels Sponsorhinweisen aufmerksam gemacht wird. Diese dürfen nicht so gestaltet sein, dass sie einem klassischen Werbespot gleichkommen, andernfalls liegt nicht Sponsoring sondern Fernsehwerbung vor. 829
Sprache Nach der Legaldefinition in Art. 1 lit. i ĺAVMRL (die weitgehend unverändert aus der ĺFernsehRL übernommen ist) wird Sponsoring dementsprechend umschrieben als: jeder Beitrag eines nicht mit der Erbringung audiovisueller Mediendienste oder der Produktion ĺaudiovisueller Werke befassten öffentlichen oder privaten Unternehmens zur Finanzierung ĺaudiovisueller Mediendienste mit dem Ziel, seinen Namen, seine Marke, sein Erscheinungsbild, seine Tätigkeiten oder seine Produkte Leistungen zu fördern. (dd) Lit.: D. Damjanovic, Die Regulierung von Werbeformaten, in: W. Berka/C. Grabenwarter/M. Holoubek (Hrsg.), Medienfreiheit versus Inhaltsregulierung, 2006, 63, 74 f.
Sprache language – language
In der ĺGRC verpflichtet sich die Union grundrechtlich zur Achtung der sprachlichen Vielfalt: s. ĺVielfalt, kulturelle, religiöse, sprachliche. (ed) §§: Art. 22 GRC/Art. II-82 EVV
Squeeze out ĺÜbernahmerichtlinie Staatenklage Member State complaint procedure – plainte d’un État
In der Praxis spielt das Verfahren der Staatenklage ggü. der Aufsichtsklage keine Rolle. Nur ganz wenige Staatenklagen sind tatsächlich vom ĺEuGH entschieden worden, was vor allem an der diplomatischen Zurückhaltung liegt. Vertragsverletzungsverfahren werden der Kommission als neutraler Instanz überlassen. Die traditionell guten Beziehungen der meisten Mitgliedstaaten untereinander sollen nicht unnötig durch ein gegenseitiges Anschwärzen vor dem ĺEuGH gestört werden. Beantragt ein Mitgliedstaat die Befassung der Kommission mit seiner Beschwerde gem. Art. 227 Abs. 2 EG, so kann die Kommission das ĺkontradiktorische Vorverfahren einleiten. Im Verhältnis zu Art. 226 EG ist die Kommission nicht gehindert, trotz einer anhängigen Staatenklage selbst eine eigene Aufsichtsklage zu erheben. (cv) §§: Art. 227 EG Lit.: R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 578; P. Karpenstein/U. Karpenstein, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 32. Lfg. 2007, Art. 227 EG
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Staatenklage, Nichtigkeitsklage action brought by a member state, action for annulment – recours introduit par un État membre, libre circulation des capitaux
Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG, die von einem Mitgliedstaat erhoben wird. Als ĺprivilegierte Kläger können die Mitgliedstaat gegen jede Handlung klagen, die tauglicher ĺKlagegegenstand einer Nichtigkeitsklage sein kann. Sie müssen keine ĺKlageberechtigung nachweisen. (mk) Staatenverbund Charakterisierung des Wesens der EU durch das ĺBVerfG in seiner ĺMaastricht-Entscheidung. Sie soll deutlich machen, dass EU und EG sich der Einordnung in die herkömmlichen Kategorien Staatenbund und Bundesstaat entziehen, aber auf die Staatlichkeit und nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten gegründet bleiben und somit die Schwelle zu einem europäischen Staat mit eigenem Staatsvolk, Kompetenz-Kompetenz und prinzipiell umfassenden Befugnissen nicht überschritten haben. (sgk) Lit.: P. Huber, Der Staatenverbund der Europäischen Union, in: J. Ipsen et al. (Hrsg.), Verfassungsrecht im Wandel. FS zum 180jährigen Bestehen des Carl-Heymanns-Verlags, 1995, 349
Staatliche Beihilfe state aid – aide d’état
Eine Maßnahme hat kumulativ vier Eigenschaften aufzuweisen, um vom Beihilfeverbot des Art. 87 Abs. 1 EG erfasst zu werden: 1. Die Fördermaßnahme wird aus ĺstaatlichen Mitteln gewährt, die der öffentlichen Hand ĺzugerechnet werden können. 2. Sie hat ein bestimmtes Unternehmen oder einen bestimmten Produktionszweig zu begünstigen (ĺSelektivität). 3. Die Maßnahme muss geeignet sein, den ĺWettbewerb zu verfälschen und 4. sie hat den gemeinschaftsweiten Handel zu beeinträchtigen (ĺHandelsbeeinträchtigung). (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG
Staatliche Mittel (Beihilfenrecht) State resources (EC state aid law) – ressources d’État (droit des aides d’État)
Eine ĺBeihilfe muss aus staatlichen Mitteln gewährt werden. Voraussetzung für das Vorliegen staatlicher Mittel ist die Belastung des öf-
Stabilitäts- und Wachstumspakt fentlichen Haushaltes durch eine bestimmte Maßnahme. Dafür reicht auch eine bloß potenzielle Belastung bereits aus. Mittel, die vom Staat selbst gewährt werden, werden als staatliche Beihilfen vom Verbot des Art. 87 Abs. 1 EG erfasst. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Mittel von einem Mitgliedstaat selbst oder von in den Mitgliedstaat eingegliederten Gebietskörperschaften gewährt werden. Erfasst werden daher Maßnahmen sämtlicher Hoheitsträger des Bundes, der Bundesländer sowie der Gemeinden (Kommunen). Die Bezeichnung „staatliche Mittel“ soll sicherstellen, dass nicht nur Vergünstigungen staatlicher Behörden dem Beihilfenverbot unterliegen. Ebenso sollen die Mitgliedstaaten das Beihilfenverbot nicht durch Zahlungen durch in ihrem Einflussbereich stehende, private oder öffentliche Einrichtungen umgehen können. Daher reicht auch ein direkter oder auch nur indirekter Transfer staatlicher Mittel aus, um in den Anwendungsbereich des Beihilfenregulativs zu gelangen. Neben öffentlich-rechtlichen Stiftungen, Anstalten oder Körperschaften kommen hier insbesondere ĺöffentliche Unternehmen in Betracht. Das Vorliegen staatlicher Mittel ist von der ĺZurechenbarkeit einer Maßnahme zum Staat zu unterscheiden. Beide Kriterien müssen neben den übrigen Voraussetzungen (s. ĺstaatliche Beihilfe) kumulativ erfüllt sein, um von einer staatlichen Beihilfe i.S.d. Art. 87 EG ausgehen zu können. (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2005, 116 ff.
Staatliches Unionsverfassungsrecht ĺUnionsverfassungsrecht, staatliches Staatshaftung ĺGemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch; ĺaußervertragliche Haftung der EG; ĺvertragliche Haftung der EG Staatskirchenrecht ĺReligionsrecht Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) Stabilisation and Association Agreement (SAA) – Accord de stabilisation et d’association (ASA)
Die SAAs wurden bzw. werden mit den Ländern des westlichen Balkans ausverhandelt, um
die Region zu stabilisieren, sie im Aufbau demokratischer und marktwirtschaftlicher Strukturen zu unterstützen und eine langfristige Befriedung zu erreichen. Die SAAs zielen auf die Institutionalisierung eines ĺpolitischen Dialogs ab, unterstützen die Entwicklung wirtschaftlicher und internationaler Kooperationen durch die Rechtsharmonisierung, sehen die Errichtung einer Freihandelszone ebenso vor wie die regionale Zusammenarbeit, der zentrale Bedeutung zukommt. Die Prinzipien der Achtung der Menschenrechte, der Demokratie und der freien Marktwirtschaft bilden die Grundlage einer privilegierten Partnerschaft, die Frieden, Stabilität und gute nachbarschaftliche Beziehungen fördern soll. Dabei sollen die SAA-Länder auch untereinander bilaterale Verträge schließen, um die Begünstigungen auf ihre Nachbarstaaten auszudehnen und so die regionale Zusammenarbeit zu forcieren. Der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess, dessen Ziele im Jahr 2000 in der Gipfelerklärung von Zagreb festgehalten wurden, umfasst neben Kroatien, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien (FYROM), die bereits SAAs geschlossen haben und Albanien (SAA in Ratifizierung) auch Bosnien & Herzegowina, Serbien, Montenegro und Kosovo, mit denen Europäische Partnerschaften geschlossen wurden, um sie an die EU heranzuführen und dereinst – die Erfüllung aller Kopenhagen-Kriterien inkl. der Aufnahmefähigkeit der EU vorausgesetzt (dazu s. Erweiterungsstrategie der KOM, KOM[2005] 561 endg.) – in die EU aufzunehmen. (bb) §§: Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen der EG und ihrer MS mit Kroatien (ABl. 2005, Nr. L 26/3). SAA der EG und ihrer MS mit der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien (ABl. 2004, Nr. L 84/3). SAA der EG und ihrer MS und Albanien (unterzeichnet, aber noch nicht in Kraft, Text s.: http:// ec.europa.eu/enlargement/pdf/albania/st08164.06_en. pdf) Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/s05055.htm
Stabilitäts- und Wachstumspakt Stability and Growth Pact – Pacte de stabilité et de croissance
1997 wurden durch verschiedene sekundärrechtliche Maßnahmen Schritte unternommen, um das primärrechtliche Verbot übermäßiger ĺDefizite effektiver zu machen und die Glaubwürdigkeit der Institutionen der ĺWirtschaftsund Währungsunion zu stärken. Diese Maßnahmen wurden als „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ bezeichnet. Der Streit zwischen 831
Stabilitäts- und Wachstumspakt Kommission und Rat über das Defizitverfahren gegen Frankreich und Deutschland im Jahre 2004 führte dann 2005 zu einer Reform des Paktes, der seither den Organen ein höheres Maß an Flexibilität erlaubt. Im technischen Sinne bilden neben einer rein politisch verbindlichen Entschließung des Europäischen Rates (ABl. 2.8.1997, Nr. C 236) zwei Verordnungen den Kern des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Die VO (EG) 1467/97 konkretisiert die Bestimmungen des ĺDefizitverfahrens nach Art. 104 EG. Hierzu enthält sie zunächst nähere Regelungen zu Art. 104 Abs. 2 lit. a und b EG, wann ein schwerwiegender Wirtschaftsabschwung als Ausnahmetatbestand zum Vorliegen eines übermäßigen Defizits besteht. Daneben werden durch die VO die einzelnen Schritte des Defizitverfahrens an bestimmte, kurze Fristen gebunden. Damit soll gewährleistet werden, dass Kommission und Rat zügig die Anforderungen aus Art. 104 EG umsetzen und ein Haushaltsdefizit rasch beseitigt wird, ohne dass sich das Überwachungsverfahren möglicherweise totläuft. Zum Ausgleich sieht Art. 9 der VO das Ruhen des Verfahrens vor, wenn ein Mitgliedstaat in Umsetzung der Empfehlungen tätig wird. Art. 11 bis 16 der Verordnung schließlich regeln Details des Sanktionsregimes nach Art. 104 Abs. 11 EG. Im Jahre 2005 wurde diese Verordnung durch VO (EG) 1056/2005 geändert. Dabei wurde vor allem die Möglichkeit erweitert, Ausnahmen vom Verstoß gegen das Defizitverbot festzustellen. Anstelle des ursprünglichen, formal eindeutigen und strengen Kriteriums, wonach ein schwerwiegender Wirtschaftsabschwung vorliegt, wenn das reale BIP innerhalb eines Jahres um mehr als 2 % fällt, tritt eine allgemeinere Umschreibung. Ein schwerwiegender Wirtschaftsabschwung liegt nunmehr vor, wenn über einen längeren Zeitraum ein äußerst geringes Wirtschaftswachstum gemessen am Potenzialwachstum herrscht. Die VO definiert den Begriff Potenzialwachstum nicht, doch handelt es sich nach ökonomischem Verständnis um das Wachstum der Volkswirtschaft in durchschnittlichen Jahren, d.h. unter Ausschaltung konjunktureller Schwankungen und bei Berücksichtigung langfristiger Trends. Es errechnet sich üblicherweise aus der Summe von Beschäftigungswachstum und Produktivitätswachstum, wobei beide Werte aber prognostisch ermittelt werden müssen. Die VO definiert aber auch den Begriff des äußerst geringen Wachstums nicht und lässt der Rechtsanwendung damit weiten Spielraum. Nach der 832
VO sollen zudem diejenigen Faktoren gebührend beachtet werden, die „aus Sicht des betreffenden Mitgliedstaats von Bedeutung sind“. Allerdings kommt eine Ausnahme aufgrund einer Prüfung der Gesamtlage nur dann in Betracht, wenn die Defizitüberschreitung vorübergehender Natur ist und sich in der Nähe des Referenzwertes bewegt. Verfahrensrechtlich werden die Fristen auf den verschiedenen Stufen des Defizitverfahrens etwas verlängert. Unangetastet bleibt aber die generelle Pflicht des Mitgliedstaats, das Defizit bis zum Ende des Jahres zu korrigieren, das auf die Feststellung des Defizits durch den Rat folgt. Die Empfehlungen des Rates sollen zudem Maßgaben für den mindestens zu erreichenden, nominellen Abbau des Defizits pro Jahr enthalten, wobei Einmaleffekte wie z.B. Privatisierungserlöse nicht berücksichtigt werden dürfen. Vorgesehen ist jetzt auch, dass der Rat auf Empfehlung der Kommission seine Empfehlungen ändern kann, wenn der Mitgliedstaat wirksame Maßnahmen zu ihrer Umsetzung ergriffen hat, aber unerwartete, nachteilige wirtschaftliche Ereignisse eintreten, die sehr ungünstige Auswirkungen auf die Staatsfinanzen haben. Unter diesen Voraussetzungen darf auch die Frist zum Abbau des Defizits verlängert werden. Auf der nächsten Verfahrensstufe des Art. 104 Abs. 9 EG, der sog. Inverzugsetzung, bestehen nunmehr die gleichen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zur zeitlichen Streckung des Defizitverfahrens wie auf der vorigen Stufe. Die VO (EG) 1466/97, die das System der ĺmultilateralen Überwachung konkretisiert, verpflichtet die Mitgliedstaaten der ĺEurozone zunächst, jährlich Stabilitätsprogramme vorzulegen, und legt den Inhalt solcher Programme fest. Der Rat kann die ökonomischen Annahmen dieser Programme überprüfen und insbesondere prüfen, ob das mittelfristige Haushaltsziel eine Sicherheitsmarge zur Verhinderung eines übermäßigen Defizits vorsieht. Schließlich gestaltet die Verordnung das Recht des Rates aus, frühzeitig Warnungen an die Mitgliedstaaten auszusprechen, die das Stabilitätsziel zu verletzen drohen. Für die Mitgliedstaaten, die nicht den Euro eingeführt haben, regelt die Verordnung die Aufstellung und Überwachung sog. Konvergenzprogramme, wobei die Verfahrensregeln aber weitgehend denen der Stabilitätsprogramme entsprechen. Durch die VO (EG) 1055/2005 wird geregelt, dass länderspezifisch für jeden Mitgliedstaat mittelfristige Ziele für einen nahezu ausgeglichenen Haus-
Stammzellforschung halt oder Haushaltsüberschuss festgelegt werden müssen. Damit besteht zwar keine sekundärrechtliche Pflicht zum Haushaltsausgleich, aber ein Anreiz, einen solchen zu erreichen. Der Rat würdigt daher vorrangig den Anpassungspfad, den ein Mitgliedstaat zur Verfolgung dieses Zieles beschreitet. Ferner ist der Grundsatz verankert, dass in wirtschaftlich guten Zeiten die Haushaltsdisziplin verbessert werden soll. Allerdings bleiben bloß einmalige oder temporäre Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltslage außer Betracht, da der Stabilitätspakt auf die Beseitigung struktureller Defizite zielt. Insgesamt dürfte die Wirksamkeit der präventiven Seite des Paktes nicht als hoch einzuschätzen sein, da der „peer pressure“ aus den verschiedensten Gründen nur geringe Wirkung entfaltet. (co) §§: VO (EG) 1466/97, ABl. 1997, Nr. L 209/1; VO (EG) 1055/2005, ABl. 2005, Nr. L 174/1; VO (EG) 1467/97, ABl. 1997, Nr. L 209/6; VO (EG) 1056/2005, ABl. 2005, Nr. L 174/5 Lit.: A. Hatje, Die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes: Sieg der Politik über das Recht?, DÖV 2006, 597 ff.; C. Konow, Der Stabilitäts- und Wachstumspakt, 2002; J.-V. Louis, The Review of the Stability and Growth Pact, CML Rev. 2006, 85 ff.
Stabilitätsprogramme ĺStabilitäts- und Wachstumspakt Stadt Halle-Entscheidung Stadt Halle case – jurisprudence Stadt Halle
Entscheidung des EuGH vom 11.1.2005, Rs. C26/03 Stadt Halle, Slg. 2005, I-1; ĺin-houseVergabe. (cm) Stammzellforschung Stem Cell Research – Recherche sur le cellules souche
Der Umgang mit humanen Stammzellen ist gemeinschaftsrechtlich nicht geregelt, so dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, entsprechend ihren bioethischen Anschauungen diesbezügliche Regelungen oder Verbote zu schaffen. Nationale Einschränkungen des Verkehrs mit Stammzellen oder entsprechenden Dienstleistungen (z.B. Import- oder Forschungsverbote) sind nach Art. 30, Art. 55 i.V.m. Art. 46 EG unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt, jedenfalls soweit sie dem auch gemeinschaftsrechtlich akzeptierten Schutz der Menschenwürde dienen (vgl. EuGH, Rs. C-36/02 Omega, Slg. 2004, I-9609, Rn. 34 f.; K. F. Gärditz, Menschenwürde, Biomedizin und europäischer Ordre Public, in: E. Dujmovits et al. [Hrsg.], Recht und Medizin, 2006, 11 [32]).
Unbeschadet dessen ist die Stammzellforschung Gegenstand einer Kontroverse über die Grundausrichtung der gemeinschaftlichen Forschungspolitik. Die Gemeinschaft verfügt zwar im Bereich der Forschungspolitik über keine unmittelbare präskriptive Regelungskompetenz. Die Art. 164 ff. EG enthalten jedoch weitreichende Bestimmungen über eine sich vornehmlich durch die Bereitstellung von Fördermitteln vollziehende Forschungspolitik. Instrument hierfür ist das ĺForschungsrahmenprogramm. Denn die für die Forschung benötigten (undifferenzierten) Stammzellen lassen sich bislang nur aus embryonalem Gewebe gewinnen, wobei die Tötung des Embryos nach dem bisherigen Stand der Technik unvermeidbar ist. Bislang wurde daher auf eine Förderung der embryonenverbrauchenden Stammzellforschung bislang – zuletzt im 7. Forschungsrahmenprogramm – verzichtet. Die Zulässigkeit einer etwaigen Forschungsförderung sähe sich im Übrigen auch primärrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Da im Forschungsbereich eine unmittelbare Verhaltenssteuerung im Hinblick auf die auch gemeinschaftsrechtlich anerkannte Forschungsfreiheit (vgl. Art. 13 Satz 2 EU-Grundrechtecharta) allenfalls begrenzt möglich ist, gewinnt die Zurverfügungstellung von Finanzmitteln als mittelbare Steuerungsressource erheblich an der Bedeutung, zumal gerade im Bereich investitionsintensiver naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung erhebliche Abhängigkeiten von diesen Forschungsgeldern besteht. Das Forschungsrahmenprogramm ist daher als vollwertiges Instrument der Gemeinschaftspolitik ernst zu nehmen und dementsprechend im Hinblick auf die Gemeinschaftsgrundrechte inhaltlich zu begrenzen. Bedenken bestehen im Hinblick auf eine mögliche Unvereinbarkeit des im Rahmen der Stammzellforschung hingenommenen Embryonenverbrauchs mit der auch gemeinschaftsrechtlich anerkannten Menschenwürde (vgl. Art. 1 EU-Grundrechtecharta; EuGH, Rs. C-377/ 98 Niederlande/EP, Slg. 2001, I-7149, Rn. 70). Jedenfalls erscheint eine Förderung der Stammzellforschung angesichts der Divergenzen in den bioethischen und rechtlichen Anschauungen über den Schutz des vorgeburtlichen Lebens innerhalb der Mitgliedstaaten unvereinbar mit der Achtung der nationalen Identität (Art. 6 Abs. 3 EU) und dem Rücksichtnahmegebot (Art. 10 EG), wenn einzelne Mitgliedstaaten zur Mitfinanzierung von Forschungsvorhaben gezwungen wären, die ihren elemen833
Stand-still-Klausel, Kapitalverkehrsfreiheit taren Wertaunschauungen zuwiderlaufen (K. F. Gärditz, a.a.O., 34). (gär) §§: Art. 164 ff. EG Lit.:T. K. Hervey/H. Black, The European Union and the Governance of Stem Cell Research, MJ 12 (2005) 11; J. Krauß/M. Engelhard, Patente im Zusammenhang mit der menschlichen Stammzellforschung, GRUR Int. 2003, 985 ff.; S. Schulz, Schleichende Harmonisierung der Stammzellforschung in Europa?, ZRP 2001, 526; T. M. Spranger, Patentability of Stem Cell Inventions with Special Emphasis to EC Law, Journal of International Biotechnology Law 1 (2004) 247 ff.; C. Starck, Ist die finanzielle Förderung der Forschung an embryonalen Stammzellen durch die Europäische Gemeinschaft rechtlich zulässig?, EuR 2006, 1; C. Wendtland, Die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen als Gegenstand der Rechtsetzung, 2005
Stand-still-Klausel, Kapitalverkehrsfreiheit ĺUngleichbehandlung nach Wohn und Kapitalanlageort Standard, europäischer European standard – standard européen
Auslegungsmethode in der Grundrechtsjudikatur des ĺEGMR, den der ĺEuGH übernommen hat: Wenn bei Zweifeln in der Interpretation eines Grundrechts ein europäischer Konsens besteht, wird dieser in der Auslegung herangezogen. (ed) Standardformulare ĺBekanntmachung Standardverfahren zur Genehmigung des Inverkehrbringens standard procedure – procédure standard
Ist in einem Verfahren zur Zulassung eine neuen ĺProdukts aus ĺgenetisch veränderten Organismen im Sinne der RL 2001/18/EG (ĺFreisetzungsrichtlinie), das ĺAnmeldeverfahren abgeschlossen und von der ĺnationalen Zulassungsbehörde der ĺBewertungsbericht verfasst, wird das Standardverfahren eingeleitet. Bringt der Bewertungsbericht der nationalen Zulassungsbehörde ein negatives Ergebnis so ist die Anmeldung ohne Einbeziehung der übrigen nationalen Zulassungsbehörden und der Kommission abgelehnt. Fällt der Bericht hingegen positiv aus, haben die Kommission und die nationalen Zulassungsbehörden der übrigen Mitgliedstaaten die Möglichkeit weitere Informationen anzufordern, Bemerkungen anzubringen oder begründete Ein834
wende vorzulegen. Werden innerhalb von 60 Tagen keine Einwende angebracht, so erteilt die nationale Behörde Ihre Zustimmung zum Inverkehrbringen für maximal zehn Jahre und teilt dies dem ĺAnmelder, den übrigen Mitgliedstaaten und der Kommission mit. (al) §§: Art. 15 RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. II., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, Rn. 78 ff. Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l28 130.htm
Standardzulassungsverfahren zur Freisetzung von GVO standard authorisation procedure – procédure standard d’autorisation
Wer einen ĺgenetisch veränderten Organismus freisetzen möchte (ĺabsichtliche Freisetzung) hat eine diesbezügliche Anmeldung bei der ĺnationalen Zulassungsbehörde eines Mitgliedstaates einzubringen. Diese Anmeldung hat eine technische Akte mit Informationen wie etwa über die freizusetzenden genetisch veränderten Organismen, über mögliche Wechselwirkungen mit der Umwelt und über den ĺÜberwachungsplan enthalten. Daneben müssen der Anmeldung die Ergebnisse einer Umweltverträglichkeitsprüfung angeschlossen sein. Die nationale Zulassungsbehörde informiert die Kommission und diese die Zulassungsbehörden der übrigen Mitgliedstaaten über die Anmeldung. Im Gegensatz zum ĺStandardverfahren zur Genehmigung des Inverkehrbringens haben die übrigen Mitgliedstaaten und die Kommission jedoch kein Recht durch begründete Einwendungen die Entscheidung über die Zulassung zur Freisetzung zu beeinflussen. Hat die nationale Zulassungsbehörde die Anmeldung geprüft, muss sie binnen 90 Tagen nach Eingang der Anmeldung eine Entscheidung über die Zulassung treffen. Die nationale Zulassungsbehörde hat die übrigen Mitgliedstaaten, die Kommission und den ĺAnmelder von ihrer Entscheidung zu informieren. Nur nach Erhalt der positiven Zulassungsentscheidung ist es dem Anmelder gestattet die Freisetzung durchzuführen. (al) §§: Art. 6 RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. II., Rn. 75 ff., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l28 130.htm
Stellungnahme, mit Gründen versehene Startlinienmodell ĺGruppen- und Startlinienmodell der sog. Osterweiterung Stauder-Entscheidung Stauder case – jurisprudence Stauder
Berühmtes frühes Urteil – eine der ersten Entscheidungen – zum Schutz europäischer ĺGrundrechte durch den EuGH. Betrifft aus der Menschenwürde abgeleitet Persönlichkeitsrechte, die der EuGH als allgemein anerkannte Grundsätze des Gemeinschaftsrechts anerkennt. §§: Art. 6 Abs. 2 EU Rsp.: EuGH, Rs. 29/96 Stauder, Slg. 1969, 419
STCW-Übereinkommen Convention on Standards of Training, Certification and Watchkeeping for Seafarers (STCW Convention) – Convention internationale sur les normes de formation des gens de mer, de délivrance des brevets et de veille (Convention STCW)
Das Internationale Übereinkommen über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten (STCW) ist eine UN-Konvention, die 1978 durch die International Maritime Organization entstand. Die derzeit aktuell gültige Version ist die STCW 95. Durch das Übereinkommen sollen international vergleichbare Standards in der Ausbildung von Seeleuten geschaffen werden (ĺSeeleute, Ausbildung). Zu diesem Zwecke werden u.a. die nationalen Befähigungsnachweise vereinheitlicht. Zudem enthält die STCW allgemeine Verfahrensanweisungen für im Wachdienst eingesetztes Personal, wie auf der Brücke, im Zusammenhang mit Maschinen oder dem Ladungsumschlag. Die STCW gilt auch für Schiffe aus Flaggenstaaten, welche die STCW nicht ratifizierten, sofern sie den Hafen eines Vertragsstaates anlaufen. (sm) Web: http://www.imo.org/Conventions/contents.asp? doc_id=651&topic_id=257
Stellungnahme, mit Gründen versehene reasoned opinion – avis motivé
Wenn im Zuge eines Verfahrens vor dem EuGH nach Art. 226 EG eine gütliche Einigung nach Versendung des ĺMahnschreibens nicht erreicht werden konnte, fertigt die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu dem vorgeworfenen Vertragsverstoß an, in der sie ggf. auch auf die in der Gegenvorstellung
vorgebrachten Argumente des Mitgliedstaats eingeht, wobei eine Behandlung mit sämtlichen vom Mitgliedstaat vorgebrachten Gegenargumenten nicht erforderlich ist. Die Kommission hat in der Frage, ob sie überhaupt eine mit Gründen versehene Stellungnahme verfasst, einen Ermessenspielraum. Zwar deutet die Formulierung „gibt ab“ in Art. 226 Abs. 1 EG zunächst auf eine gebundene Entscheidung hin, es ist jedoch die vorangestellte Formulierung „nach Auffassung“ (engl. „considers“) zu beachten, die für ein Ermessen der Kommission spricht. Als Hüterin der Verträge kann der Kommission auch in dieser Frage eine Opportunitätsentscheidung nicht verwehrt werden. In dieser an die Zentralregierung des Mitgliedstaates zu verschickenden Stellungnahme muss die Kommission dem Mitgliedstaat eine angemessene Frist zur Abhilfe setzen, die in der Praxis zwischen zwei und drei Monaten beträgt. Anders als die im Mahnschreiben durch die Kommission zu setzende Frist, mit der der Mitgliedstaat zu einer Abgabe einer Gegenvorstellung aufgefordert wurde, wird dem Mitgliedstaat durch die Frist in der mit Gründen versehenen Stellungnahme aufgetragen, den vorgeworfenen Vertragsverstoß abzustellen. Wenn die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an den Mitgliedstaat schickt, muss die Kommission positiv von der Gemeinschaftswidrigkeit des Verhaltens eines Mitgliedstaates überzeugt sein, bloße Zweifel, dergestalt, dass eine mitgliedstaatliche Handlung nur möglicherweise gemeinschaftsrechtswidrig sei, reichen nicht aus. Auch die mit Gründen versehene Stellungnahme kann als unselbstständige Vorbereitungshandlung ebenso wenig wie das Mahnschreiben mit einer Nichtigkeitsklage isoliert angefochten werden. Wie die Bezeichnung dieses Verfahrensschrittes schon verrät, muss die Stellungnahme eine detaillierte und zusammenhängende Darstellung der Gründe enthalten, die nach Überzeugung der Kommission eine Vertragsverletzung auslösen. Sämtliche Tatsachen, Rechtsgründe, Beweismittel und eine Bewertung der etwaigen Vertragsverletzung sind aufzuführen. So muss vor allem für den Mitgliedstaat klar ersichtlich sein, gegen welche Normen des Gemeinschaftsrechts die mitgliedstaatliche Handlung verstoßen soll und welche Tatsachen den Verstoß ausmachen. Erfüllt eine Begründung der Kommission diese Vorschriften nicht, so ist allein deswegen schon die Aufsichtsklage der Kommission unzulässig. Der Kommission ist es mit 835
Stellungnahmen Blick auf den Anspruch des Mitgliedstaates auf rechtliches Gehör verwehrt, in die Gründe der Stellungnahme andere Vorwürfe und Erwägungen als im Mahnschreiben aufzunehmen. Dem steht allerdings nicht eine schlichte Präzisierung der im Mahnschreiben gegebenen Begründung oder ein Abrücken von einzelnen noch im Mahnschreiben erwähnten Vorwürfen entgegen. Die Kommission ist den Mitgliedstaaten aus dem Prinzip der gegenseitigen Gemeinschaftstreue zu einer vertraulichen Behandlung des Inhalts der mit Gründen versehen Stellungnahme verpflichtet, was insbesondere ein Zugänglichmachen des Inhalts für die Verfasser einer Bürgerbeschwerde oder gar an die Presse verbietet. (cv) §§: Art. 226 EG Lit.: U. Ehricke, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 226 EGV, Rn. 22 ff.; J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 226 EGV, Rn. 18 ff.
Stellungnahmen opinions – avis
Die Stellungnahme ist eine der Handlungsformen des Gemeinschaftsrechts, die in den Verträgen ausdrücklich erwähnt werden (Art. 249 V und 110 II EG, Art. 161 V Euratom-Vertrag). Stellungnahmen werden in der Praxis überwiegend von der ĺKommission und der ĺEZB genutzt. Gem. der vertraglichen Definition sind Stellungnahmen unverbindlich und können nicht Gegenstand einer ĺNichtigkeitsklage sein (Art. 230 I EG). Sie wurden bislang im ĺAmtsblatt der EU in der Reihe L (Rechtsvorschriften) veröffentlicht, seit 1.1.2007 in der Reihe C (Mitteilungen und Bekanntmachungen, ĺVeröffentlichung der Rechtsakte). Die Kommission besitzt im Anwendungsbereich der Gemeinschaftsverträge eine umfassende Kompetenz, Stellungnahmen abzugeben (Art. 211 2. SpS EG). Von dieser Befugnis macht sie jedoch nur zurückhaltend Gebrauch. Die Kommission gibt ihren unverbindlichen Verlautbarungen überwiegend die Form von ĺMitteilungen. Mit einer gewissen Häufigkeit kommen Stellungnahmen im Bereich der Verkehrspolitik und der Atomaufsicht vor. Sie erfüllen dort die Funktion von präventiven Rechtsgutachten über die Vereinbarkeit einer geplanten Maßnahme oder eines tatsächlichen Zustands mit bestehenden Vorschriften. Die EZB nutzt die Handlungsform der Stellungnahme, wenn sie sich gem. Art. 105 IV EG zu Rechtsetzungs836
vorhaben der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten äußert, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Stellungnahmen des Rates spielen nur im Bereich der multilateralen Überwachung der Haushaltsdisziplin nach Art. 104 EG eine Rolle. Ein Sonderfall ist die „mit Gründen versehene Stellungnahme“ nach Art. 226 EG, die einen notwendigen Verfahrensschritt zur Vorbereitung einer Aufsichtsklage der Kommission gegenüber einem Mitgliedstaat darstellt (ĺVertragsverletzungsverfahren). Im Übrigen verwenden die Verträge den Begriff der Stellungnahme auch zur Bezeichnung von Handlungsbeiträgen anderer Organe im Rahmen eines komplexen Rechtsetzungsverfahrens (vgl. Art. 253 EG). Bei solchen vorbereitenden Handlungen handelt es sich nicht um Stellungnahmen im Sinne von Art. 249 V EG. (jb) §§: Art. 105 IV, 110 II, 226, 249 V, 253 EG; Art. 161 V Euratom-Vertrag Lit.: L. Senden, Soft Law in European Community Law, 2004; A. von Bogdandy/J. Bast/F. Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht, ZaöRV 62 (2002) 77, 118 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 132/77 Société pour l’exportation des sucres/Kommission, Slg. 1978, 1061; Rs. 133/79 Scurimex S.A. u.a./Kommission, Slg. 1980, 1299, Rn. 16
Steuerrecht, Kapitalverkehrsfreiheit ĺDividendenbesteuerung, Kapitalverkehrsfreiheit; ĺKohärenz des Steuersystems, Rechtfertigung Kapitalverkehrsfreiheit; ĺWirksamkeit der steuerlichen Kontrolle, Rechtfertigung Kapitalverkehrsfreiheit Steuersätze, Umsatzbesteuerung S. die entsprechenden Erläuterungen bei ĺMwStRL, sechste Stillhaltepflicht, Stillhalteverpflichtung standstill rule – règle de standstill
Art. 72 EG beinhaltet eine vertragliche Vorgabe für die Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Verkehrspolitik. Den ĺMS ist es bis zum Erlass entsprechenden ĺSekundärrechts verwehrt, das einschlägige nationale Recht derart zu modifizieren, dass sich dadurch die Lage der Verkehrsunternehmen anderer MS im Vergleich zu den inländischen Verkehrsunternehmen unmittelbar oder mittelbar ungünstiger gestaltet. Funktional besteht damit eine unmittelbare Beziehung zu Art. 71 EG – ist doch in Art. 72 EG eine Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten der dort vorgesehenen Bestimmungen zur Rea-
Strahlenschutz lisierung der gemeinsamen Verkehrspolitik vorgesehen. Inhaltlich enthält Art. 72 EG ein besonderes ĺDiskriminierungsverbot im Sinne eines Schlechterstellungsverbots bezüglich der Lage der ausländischen Verkehrsunternehmen. Es bestehen (extensive) Rechtfertigungsmöglichkeiten, wobei drei Aspekte im Vordergrund stehen: ƒ Es besteht ein absolutes Verbot der Veränderung der im Zeitpunkt des Inkrafttreten des EG bestehenden Relation zwischen in- und ausländischen Verkehrsunternehmen zu Ungunsten Letzterer. ƒ Die Beurteilung der Frage, ob eine (materiellen) Diskriminierung vorliegt, hat aufgrund einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung zu erfolgen – womit eine Schlechterstellung ausländischer Verkehrsunternehmen auch auf ein Paket unterschiedlicher Maßnahmen zurückgeführt werden kann. ƒ Schließlich besteht die Möglichkeit, sachliche Gründe für einen Verstoß gegen Art. 72 EG geltend zu machen. Im Ergebnis ist jedenfalls eine nur materielle Schlechterstellung der ausländischen Verkehrsunternehmer auf der Grundlage der Heranziehung wichtiger öffentlicher Interessen auch im Rahmen des Art. 72 EG prinzipiell möglich, sofern dabei die Verhältnismäßigkeit gewährt bleibt. (sm) Lit.: A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 159 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-195/90 Kommission/Deutschland, Slg. 1992, I-3141; EuGH, Rs. C-221/91 Chritof Oorburg, Slg. 1993, I-1633
Storme-Gruppe ĺKommission für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch Strafe, Gesetzmäßigkeit ĺNulla poena sine lege Strafen, Verhältnismäßigkeit ĺVerhältnismäßigkeit von Strafen
nach den Art. 13 und 22 des Rechtshilfeübereinkommens des Europarates (ĺRechtshilfe in Strafsachen). Ergänzend hinzugetreten ist der Beschluss 2005/ 876/JI des Rates über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister, der die Mitgliedstaaten zur Einrichtung einer Zentralstelle verpflichtet. Dieser Zentralstelle obliegt die unverzügliche Information ihres Pendants in einem anderen Mitgliedstaates, wenn hinsichtlich eines Staatsangehörigen dieses anderen Mitgliedstaates strafrechtliche Verurteilungen und nachfolgende Maßnahmen in das Strafregister eingetragen werden. Über diese Zentralbehörden erfolgt auch das Ersuchen um Informationen aus den Strafregistern eines anderen Mitgliedstaates u.a. zum Zwecke der Verwendung im Strafverfahren. Die Antwort ist grundsätzlich innerhalb von 10 Tagen zu übermitteln; hat die betreffende Person selbst den Antrag gestellt, gilt eine Frist von 20 Tagen ab Eingang des Ersuchens. Im Übrigen richtet sich die Auskunftserteilung nach dem maßgeblichen innerstaatlichen Recht. Eine grundlegende Neuregelung des Verfahrens wird mit dem Rahmenbeschlussentwurf über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten angestrebt. Über den Rahmenbeschlussentwurf wurde im Juni 2006 grundlegende politische Einigung erzielt, derzeit befindet er sich im Rechtssetzungsverfahren. Von seinem Grundgedanken her steht der Rahmenbeschlussentwurf im Zusammenhang mit dem ebenfalls vorgeschlagenen Rahmenbeschlussentwurf zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren. (sts) §§: Beschluss 2005/876/JI des Rates vom 21. November 2005 über den Austausch von Informationen aus dem Strafregister, ABl. 2005, L 322/33; KOM (2005) 690 endg.; KOM (2005) 91 endg.
Straftatbestände, Assimilierung ĺAssimilierung von Straftatbeständen Strahlenschutz
Strafregister, Informationsaustausch
radiation protection – protection radiologique
the exchange of information extracted from the criminal record – l’échange d’informations extraites du casier judiciaire
Dabei geht es um den Schutz der menschlichen Gesundheit vor dem gefährdenden Einfluss ionisierender Strahlung oder radioaktiven Materials. Er stellt eine der Kernzuständigkeiten der EAG dar und ist im Kap. über den ĺGesundheitsschutz geregelt. (atm)
Der Austausch von Informationen über strafrechtliche Verurteilungen richtet sich im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander bislang
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Straßenbenutzungsgebühr, allgemeine Straßenbenutzungsgebühr, allgemeine road tax, general – droit de péage, général
Bei allgemeinen Straßenbentzungsgebühren handelt es sich um verkehrsnetzbezogene Abgaben. Allgemeine Straßenbenutzungsgebühren knüpfen nicht an die Zurücklegung nur einer bestimmten Strecke an, sondern beziehen sich auf das gessamte Straßennetz; sie stellen mit anderen Worten den gesamten Bereich des betroffenen Straßenverkehrs umfassende Maßnahmen dar. Sie sind insbesondere von ĺMautgebühren und ĺBenutzungsgebühren zu unterscheiden. Problematisch ist, ob sie unter den Anwendungsbereich der ĺWegekostenrichtlinie fallen. Diese findet derweil auf solche nationalen Abgaben Anwendung und regelt die Voraussetzungen deren Zulässigkeit, die auf bestimmten Strecken erhoben werden; allgemeine, das gesamte Straßennetz betreffende Abgaben fallen hingegen aus ihrem Anwendungsbereich heraus. (sm) Lit.: A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 370 ff.
Straßenfahrzeuge, Abmessungen/Gewichte road vehicles, dimensions/weights – véhicules routiers, dimensions/poids
Abmessungen und Gewichte für bestimmte Straßenfahrzeuge werden in der RL 96/53/EG zur Festlegung der höchstzulässigen Abmessungen für bestimmte Straßenfahrzeuge im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr in der Gemeinschaft sowie zur Festlegung der höchstzulässigen Gewichte im grenzüberschreitenden Verkehr festgelegt (ABl. 1996, Nr. L 235/59). Systematisch kann diese ĺRL als sonstige technische Standardisierung als Teil der produktbezogenen Harmonisierungsmaßnahmen im Bereich der gemeinschaftlichen Verkehrspolitik angesehen werden (ĺVerkehrsrecht, produktbezogene Harmonisierung). In regelungstechnischer Hinsicht beinhaltet die RL ein unterschiedliches Konzept für den grenzüberschreitenden und den innerstaatlichen Güter- und Personenverkehr: Die ĺMS dürfen in ihrem Gebiet den Einsatz von ƒ Fahrzeugen, die in einem der MS zugelassen oder in Betrieb genommen sind, im grenzüberschreitenden Verkehr nicht aus Gründen, die die Gewichte und Abmessungen betreffen, ƒ Fahrzeugen, die in einem der MS zugelassen oder in Betrieb genommen sind, im inner838
staatlichen Verkehr nicht aus Gründen, die die Abmessungen betreffen, verweigern oder verbieten, wenn diese Fahrzeuge mit den in Anhang I festgelegten Grenzwerten übereinstimmen. Sind die Grenzwerte des Anhangs I daher eingehalten, darf eine Zulassung im grenzüberschreitenden Verkehr nicht verweigert werden. Im innerstaatlichen Verkehr ist den MS lediglich die Verweigerung der Zulsassung aus Gründen mangelnder Einhaltung der Abmessungen verwehrt; verboten werden dürfen (nur) innerstaatliche Transporte, wenn diese nicht den im Inland geltenden Gewichtslimits entsprechen. Bis auf wenige Ausnahmen dürfen die MS Verkehr mit nicht den Vorgabend es Anhangs I entsprechenden Fahrzeugen nicht zulassen. (sm) Straßenverkehr road traffic – circulation routière
In systematischer Hinsicht lassen sich die sekundärrechtlichen Bestimmungen in die Bereiche Güterverkehr und (gewerblicher) Personenverkehr unterteilen. Beim Güterverkehr kann wiederum zwischen dem internationalen Verkehr und dem sog. Kabotageverkehr unterschieden werden. ĺKabotage. ĺKabotageVO. Auch beim Personenverkehr ist zwischen dem internationalen (ĺgrenzüberschreitender Personenverkehr) und dem Kabotageverkehr zu unterscheiden. Vgl. auch ĺGemeinschaftslizenz und ĺsubjektive Marktzugangsbedingungen. (sm) Straßenverkehr, Sozialvorschriften road transport, social legislation – transports par route, dispositions en matière sociale
Hierbei handelt es sich um personenbezogene Harmonisierungsmaßnahmen (ĺVerkehrsrecht, personenbezogene Harmonisierung). Die VO (EWG) 3820/85 über die ĺHarmonisierung bestehender Sozialvorschriften im Straßenverkehr erfasst ihrem Anwendungsbereich nach den gesamten innergemeinschaftlichen ĺStraßenverkehr. Im Rahmen der in Art. 4 der VO (EWG) 3820/85 vorgesehenen Legalausnahmen finden die nationalen Regelungen Anwendung. Zu nennen sind die Beförderung mit ƒ Fahrzeugen, die zur Personenbeförderung dienen und die nach ihrer Bauart und Ausstattung geeignet und dazu bestimmt sind, bis zu neun Personen – einschließlich des Fahrers – zu befördern,
Strategische Partnerschaft mit Russland ƒ
Fahrzeugen, die zur Personenbeförderung im Linienverkehr dienen, wenn die Linienstrecke nicht mehr als 50 km beträgt; ƒ Fahrzeugen mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 30 km/h, ƒ Fahrzeugen, die von den Streitkräften, dem Zivilschutz, der Feuerwehr und den für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zuständigen Kräften selbst oder unter deren Aufsicht verwendet werden, ƒ Fahrzeugen, die von den zuständigen Stellen für Kanalisation, Hochwasserschutz, der Wasser-, Gas und Elektrizitätswerke, der Straßenbauämter, der Müllabfuhr, des Telegraphenund Fernsprechdienstes, des Postsachenbeförderungsdienstes, von Rundfunk und Fernsehen oder für die Erkennung von Rundfunkund Fernsehübertragungen oder -empfang eingesetzt werden, ƒ Fahrzeugen, die in Notfällen oder für Rettungsmaßnahmen eingesetzt werden sowie ƒ Spezialfahrzeugen für ärztliche Aufgaben. Die VO enthält ein Verbot der Akkordentlohnung, Vorschriften betreffend des Mindestalter der Fahrzeugführer sowie einen einheitlichen Rechtsrahmen zu den ĺLenk- und Ruhezeiten. (sm) Lit.: C. Rang, in: A. Frohnmeyer/P. Mückenhausen (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004, 71; A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 347 ff.
Strategie, Gemeinsame common strategy – stratégie commune
Handlungsform der ĺGemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik (GASP) im Rahmen des EU-Vertrags. Gemeinsame Strategien wurden durch den ĺVertrag von Amsterdam gemeinsam mit dem Amt des ĺHohen Vertreters für die GASP eingeführt mit dem Ziel, der GASP strategische Ausrichtung zu geben. Angenommen werden Gemeinsame Strategien durch den ĺEuropäischen Rat; ihre Durchführung ermöglicht theoretisch Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit nach Art. 23 Abs. 2 EU. Tatsächlich wurden bislang drei Gemeinsame Strategien für Russland, die Ukraine und den Mittelmeerraum angenommen, ohne dass diese zur erhofften strategischen Neuausrichtung der GASP führten. Das Bemühen des ĺHohen Vertreters für die GASP zur Annahme von neuartigen Strategien der zweiten Generation war nicht erfolgreich (vgl. J. Solana, Report: Common Strategies, Rats-Dok. 14871/00, öf-
fentlich zugänglich), sodass in der Folge keine Gemeinsamen Strategien mehr angenommen wurden. Insb. die ĺEuropäische Sicherheitsstrategie (ESS) ist keine Gemeinsame Strategie, sondern ein rechtlich unverbindliches politisches Dokument. Ebenso wie die Europäische Sicherheitsstrategie sind auch die Schlussfolgerungen des ĺEuropäischen Rats zu wichtigen Fragestellungen keine Gemeinsame Strategie im Rechtssinn, sondern politische Verständigungen über die Ausrichtung der GASP. (dt) §§: Art. 13 EU Lit.: E. Regelsberger, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, 2004, 43-45 und 101-103; C. Spencer, The EU and Common Strategies: The Revealing Case of the Mediterranean, EFA Rev. 6 (2001) 31
Strategische Partnerschaft mit Russland strategic partnership with Russia (Russian Federation) – partenariat stratégique avec la Russie (Fédération Russe)
Seit 1.12.1997 besteht ein vorerst auf 10 Jahre geschlossenes ĺPartnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA), das auf gemeinsamen Grundsätzen und Zielen beruht und politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit stärkt und die Gründung einer Freihandelszone in Aussicht stellt. Der ĺpolitische Dialog ist darin ebenso vorgesehen wie Bestimmungen über Handel, Investitionen, finanzielle und legislative Zusammenarbeit, Wissenschaft, Technologie, Bildung, Energie, Umwelt, Nukleares und Weltraum, Verkehr, Kultur und Kriminalitätsbekämpfung. Das PKA wird durch zahlreiche sektorielle Abkommen ergänzt (z.B. Handelsabkommen über Stahl und Textilien, Verkehrsabkommen, Wissenschafts- und Technologieabkommen in Bezug auf nukleare Sicherheit). 2005 wurde ein Fahrplan zur Errichtung vier gemeinsamer Räume erstellt (gemeinsamer Wirtschaftsraum, gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, gemeinsamer Raum der äußeren Sicherheit und gemeinsamer Raum der Forschung, Bildung und Kultur), an dessen Umsetzung gearbeitet wird. Seit 2006 wird als Ergänzung zu ĺENP eine strategische Partnerschaft mit dem besonderen Schwerpunkt auf Energiefragen erarbeitet und ein neues EU – Russland Abkommen ausgearbeitet. Bis zum In-Kraft-Treten des neuen Abkommens wird das bestehende Abkommen fortgelten. (bb) Web: http://ec.europa.eu/comm/external_relations/ russia/intro/index.htm; Fahrplan zur Errichtung 4 gemeinsamer Räume: http://ec.europa.eu/comm/external _relations/russia/russia_docs/road_map_ces.pdf
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Strategische Umweltprüfung, Protokoll über die Strategische Umweltprüfung, Protokoll über die strategic environmental assessment, protocol on – evaluation stratégique environnementale, protocole relatif à l’
Protokoll über die Strategische Umweltprüfung (SEA-Protokoll). Mit dem im Mai 2003 in Kiev von der Wirtschaftkommission der Vereinten Nationen für Europa (UN-ECE) verabschiedeten SEA-Protokoll zur ĺEspoo-Konvention werden die Staaten – ähnlich wie nach der SUP-Richtlinie der EU (ĺUmweltprüfung, Strategische) – zur Durchführung strategischer Umweltprüfungen für bestimmte Pläne und Programme im grenzüberschreitenden Rahmen verpflichtet. (sm) Streitanhängigkeit ĺRechtshängigkeit Streitbeilegungsgremium (DSB) Dispute Settlement Body (DSB) – Organe de Règlement des Différends (ORD)
Das Streitbeilegungsgremium ist das ranghöchste Streitbeilegungsorgan der WTO. Es hat die selben Mitglieder wie der Allgemeine Rat der WTO. Gem. Art. IV Abs. 3 WTO-Übereinkommen tagt der Allgemeine Rat in Streitbeilegungsfragen als Streitbeilegungsgremium. Art. 2.1 und Art. 2.2 des Dispute Settlement Understanding regeln die Aufgaben des Streitbeilegungsgremiums. Demnach setzt das Streitbeilegungsgremium die Panels ein, nimmt die Berichte der Panels und des Berufungsgremiums an, überwacht die Umsetzung von Entscheidungen und genehmigt die Aussetzung von Zugeständnissen und Verpflichtungen. Das Streitbeilegungsgremium wendet gem. Art. 2.4 des Dispute Settlement Understanding die Regel des „Konsensus“ an. Fußnote 1 zu Art. 2.4 definiert den „Konsensus“: Dieser ist gegeben, wenn kein WTO-Mitglied, das bei der Abstimmung anwesend ist, der Annahme der vorgeschlagenen Entscheidung förmlich widerspricht. Für die Einrichtung von Panels, die Annahme von Berichten von Panels oder des Berufungsgremiums oder die Ermächtigung zu Sanktionen gilt hingegen die Regel des „negativen Konsensus“: Demnach muss das Streitbeilegungsgremium stets entscheiden, die fragliche Entscheidung zu treffen, wenn es nicht einen gegenläufigen Konsensus gibt. Das bedeutet, dass bereits ein einzelnes WTO-Mitglied einen solchen „negativen Konsensus“ verhindern kann, indem es darauf besteht, dass die fragliche Entscheidung getroffen werden soll. (bh) 840
Streitbeilegungsmechanismus dispute settlement mechanism – mécanisme de règlement des différends
Der Streitbeilegungsmechanismus stellt das zentrale juristische Element der ĺWTO dar. Ziel des Streitbeilegungsmechanismus ist es, die Sicherheit und Berechenbarkeit des Welthandels durch die Stärkung formaler Prozesse zu erhöhen. Der Streitbeilegungsmechanismus ist geregelt in der „Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten“ („Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes“, kurz: DSU). Diese Vereinbarung ist integraler Bestandteil der WTO-Übereinkommen. Eine der wesentlichen Neuerungen im Vergleich zur Streitbeilegung unter dem GATT-System stellt das Prinzip des negativen Konsensus dar (ĺStreitbeilegungsgremium): Demnach kann nur ein Konsensus der WTO-Mitglieder die Einsetzung eines Panels oder die Annahme eines Panelberichts bzw. eines Berichts des ĺBerufungsgremiums verhindern. Auch die Einrichtung des ĺBerufungsgremiums und die damit verbundene Berufungsmöglichkeit gegen Panelberichte stellt eine mit der Einrichtung der WTO verbundene Neuerung dar. (bh) Stresemann, Gustav (1878–1929) Deutscher Politiker. Ab 1923 Reichskanzler und Außenminister. Er verfolgte eine Revision der Versailler Verträge auf der Grundlage einer Verständigungspolitik im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems. Der Abschluss des Dawesplanes 1924, der Locarnopakt 1925, die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund 1926, der Berliner Vertrag 1926 und die Vorbereitung des Youngplanes markieren wichtige Etappen seiner Politik. Er erhielt 1926 gemeinsam mit ĺBriand den Friedensnobelbpreis. (gm) Lit.: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 26, 21. Aufl. 2006, 470; K. Koszyk, Gustav Stresemann. Der kaisertreue Demokrat, 1989; J. R. C. Wright, Gustav Stresemann. Weimar’s greatst statesman, 2002
Stromhandelsverordnung regulation on conditions for access to the network for cross-border exchanges in electricity – règlement sur les conditions d’accès au réseau pour les échanges transfrontaliers d’électricité
Die VO (EG) 1228/2003 vom 26.6.2003 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel sieht einen dis-
Study Group on a European Civil Code kriminierungsfreien Netzzugang auch im grenzüberschreitenden Stromtransport vor. Sie ist am 1.7.2004 in Kraft getreten. Für die Gewährung von Netzzugang sind transparente Entgelte zu verrechnen, die der Notwendigkeit der Netzsicherheit Rechnung tragen und die tatsächlichen Kosten des Netzbetreibers widerspiegeln. Allerdings dürfen nur die Kosten in Ansatz gebracht werden, die einem effizienten und strukturell vergleichbaren Netzbetreiber entsprechen. Entfernungsabhängige Entgelte sind nicht zulässig. Von Bedeutung sind insbesondere die Regelungen über das ĺEngpassmanagement. Die Kapazitätsvergabe erfolgt entsprechend den ĺLeitlinien der Stromhandelsverordnung. Die ĺRegulierungsbehörden haben für die Einhaltung der Verordnung und der Leitlinien zu sorgen. (hh) §§: Stromhandelsverordnung VO (EG) 1228/2003
Stromlieferungen, grenzüberschreitende ĺStromhandelsverordnung Strukturierter Dialog structured dialogue – dialogue structuré
Im Rahmen der am ĺEurop. Rat von Essen (9./10.12.1994) beschlossenen ĺHeranführungsstrategie belebte die Union den S. D. (eingerichtet durch den Europ. Rat von Kopenhagen). Der S. D. hat konsultativen Charakter und dient dem regelmäßigen multilateralen Austausch ausgewählter Institutionen der EU mit den durch ein ĺEuropa-Abkommen assoziierten Staaten. Daher fanden zwischen 1994 und 1997 im Anschluss an die Tagungen des Rates Treffen der Fachminister der MS und der ĺMOEL statt, die sich mit Fragen von gemeinsamen Interesse aus allen drei Säulen der EU beschäftigten. Seit Essen wurden die Staats- und Regierungsoberhäupter der MOEL auch zu allen Europ. Räten eingeladen. Aufgrund der Aufnahme von ĺBeitrittsverhandlungen mit der ĺLuxemburg-Gruppe (ĺOsterweiterung, sog.) entschloss sich der Europ. Rat von Luxemburg (12./13.1997) den S. D. durch die ĺEuropaKonferenz zu ersetzen. Mittels der Heranführung an die Arbeitsmethoden und den ĺGemeinschaftlichen Besitzstand der Union konnte der S. D. die späteren ĺBeitrittsverhandlungen vorbereiten und verkürzen. (lo) §§: Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europ. Rat Kopenhagen 21./22.6.1993 und Europ. Rat von Essen, 9./10.12.1994 Lit.: B. Lippert/P. Becker, Bilanz und Zukunft des Strukturierten Dialogs, integration 1997, 56
Strukturprinzipien der Verfassung ĺGrundprinzipien der Bundesverfassung Strukturrichtlinie directive to coordinate Member States’ legislation on the structure of public limited companies – directive entendant coordonner les législations des États membres sur la structure des sociétés anonymes
Vorschlag (ABl. 1983, Nr. C 240/2 und ABl. 1991, Nr. C 7/4) einer fünften gesellschaftsrechtlichen ĺRichtlinie über die die Organstruktur der Aktiengesellschaft. Sie enthält Harmonisierungsvorschläge über Kompetenzen und Zusammensetzung der Leitungs- und Aufsichtsorgane sowie die Arbeitnehmermitbestimmung. Vorgesehen ist ein Wahlrecht zwischen ĺdualistischem und ĺmonistischem Leitungssystem. Derzeit hat sie nur noch geringe Chancen auf ihre Erlassung. (tr) Lit.: T. Abeltshauser, Strukturalternativen für eine europäische Unternehmensverfassung – eine rechtsvergleichende Untersuchung zum 5. gesellschaftsrechtlichen EG-Richtlinienvorschlag, 1990
Studenten-Aufenthaltsrichtlinie ĺFreizügigkeit, Studierende Studierendenmobilität ĺErasmus Study Group on a European Civil Code Die Study Group on a European Civil Code (SGECC) wurde 1997 durch ihren Vorsitzenden Christian von Bar gegründet. Sie versteht sich selbst als Nachfolgeprojekt zu dem Forschungsprojekt der ĺKommission für Europäisches Vertragsrecht. Sie konnte nicht nur eine erhebliche Anzahl der Mitglieder der Lando-Kommission für die Mitarbeit an dem Folgeprojekt gewinnen, sondern ist auch in ihrem Forschungsansatz deren Vorarbeiten verpflichtet. Die ĺPECL fungieren gleichermaßen als Allgemeiner Teil für alle weiteren Teilprojekte der Study Group. Die Study Group setzt sich heute aus Rechtswissenschaftlern aller Mitgliedstaaten der EU sowie Norwegens und der Schweiz zusammen. Ziel ist es, die Arbeiten der Kommission für Europäisches Vertragsrecht auf breiter Basis fortzuführen und Grundregeln für das binnenmarktrelevante Vermögensrecht zu erarbeiten. In ihrem Forschungsansatz wie in der Präsentation der Ergebnisse als Grundregeln mit Kommentaren und rechtsvergleichenden Anmerkungen lehnt sich die Study 841
Stufenprinzip Group eng an das Vorbild der Lando-Kommission an. Es ist der rechtsvergleichenden Grundlagenforschung verpflichtet, verfolgt den Ansatz, die „beste Lösung“ für ein modernes Vertragsrecht herauszuarbeiten, und will damit zugleich einen Beitrag zur europäischen Rechtsharmonisierung leisten. Trotz des Projektnamens, der in Abgrenzung zur Commission on European Contract Law gewählt wurde und u.a. auf den Titel der Resolutionen des EP zurückgeht, zielt die Study Group nicht darauf ab, ein umfassendes Zivilgesetzbuch nach dem Vorbild der nationalen Kodifikationen zu schaffen, sondern hat sich auf das für Transaktionen im Binnenmarkt besonders bedeutsame wirtschaftsnahe Vermögensrecht beschränkt. Ausgeklammert bleiben damit das Immobiliarsachenrecht sowie das Familien- und Erbrecht. Die Study Group setzt sich aus mehreren Working Teams zusammen, die sich jeweils einem spezifischen Teilgebiet des Privatrechts widmen. Derzeit bestehen Arbeitsgruppen zu den Themen Kreditsicherheiten und Personalsicherheiten (Hamburg), E-commerce (Stockholm), Eigentumsübergang an beweglichen Sachen (Salzburg), Miete beweglicher Sachen (Bergen), Finanzdienstleistungen (Nancy), Trust Law (Edinburg), außervertragliche Schuldverhältnisse (Osnabrück), Kauf, Dienstleistung und Dauerschuldverhältnisse (Amsterdam, Tilburg, Utrecht) und die assoziierte ĺProject Group on a Restatement of European Insurance Contract Law (Innsbruck und Hamburg). Jedem Working Team ist ein Advisory Council aus renommierten Experten zugeordnet. Die von den Working Teams mit Unterstützung des Advisory Councils ausgearbeiteten Entwürfe werden schließlich von der Coordinating Group beraten und beschlossen. Die Entwürfe der einzelnen Teilprojekte der Study Group sind im Internet abrufbar, zum Teil bereits mit Kommentaren und Anmerkungen versehen in Buchform erschienen. Ein Steering Committee hat die Koordination der Einzelprojekte wie des Gesamtprojekts mit den laufenden Vorarbeiten für den ĺGemeinsamen Referenzrahmen übernommen. Trotz der Einbindung in dieses Joint Network on European Private Law (ĺCoPECL) muss jedoch auch weiterhin zwischen dem Study Group-Projekt ĺPrinciples of European Law zu erarbeiten und dem Gemeinschaftsprojekt CoPECL unterschieden werden. (mrm) Lit.: M.-R. McGuire, Ziel und Methode der Study Group on a European Civil Code, ZfRV 2006, 83 ff. Web: http://www.sgecc.net
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Stufenprinzip step by step principle – principe d’une progression par étapes
Entsprechend Erwägungsgrund 24 der ĺFreisetzungsrichtlinie hat die ĺFreisetzung von ĺgenetisch veränderten Organismen dem Stufenprinzip zu folgen. Das bedeutet, dass die Einschließung solcher Organismen nur schrittweise gelockert werden darf und Freisetzungen zuerst zur in kleinem Ausmaß zulässig sind. Erst wenn von der Unbedenklichkeit für die menschliche Gesundheit und die Umwelt ausgegangen werden kann, darf die Freisetzung in größerem Maßstab folgen. Eine spezielle Ausprägung des Stufenprinzips findet sich in Art. 4 Abs. 2 der RL. (al) §§: Art. 4 Abs. 2, Erwägungsgrund 24 der RL 2001/ 18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. II., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, Rn. 67
Stufenverantwortung assigned responsibility – domaine de responsabilité
Der in Art. 17 VO (EG) 178/2002 (sog. ĺBasisverordnung) verankerte Grundsatz der Stufenverantwortung ist wichtiger Bestandteil des umfassenden Konzepts der Lebensmittelsicherheit. Demnach sorgen die Lebensmittel- und Futtermittelunternehmer auf allen Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen in den ihrer Kontrolle unterstehenden Unternehmen dafür, dass die ĺLebensmittel oder ĺFuttermittel den Anforderungen des ĺLebensmittelrechts entsprechen, die für ihre Tätigkeit gelten, und überprüfen deren Einhaltung. Der Umfang der Stufenverantwortung wird durch spezifische Vorschriften, wie Rückhol- oder Informationspflichten i.S.v. Art. 19 VO (EG) 178/ 2002, konkretisiert. (mkr) §§: VO (EG) 178/2002 Lit.: W. Schroeder/M. Kraus, Das neue Lebensmittelrecht – Europarechtliche Grundlagen und Konsequenzen für das deutsche Recht, EuZW 2005, 423-428; O. Sosnitza, Die Folgen der BasisVO Nr. 178/2002 für Verträge, Qualitätssicherung und Produkthaftung, ZLR 2004, 123-141
Subauftrag ĺUnterauftrag Subjektive Marktzugangsbedingungen subjective conditions for market access – conditions subjectives d’accès au marché
Oberbegriff für gemeinschaftliche Regelungen der subjektiven, d.h. in der Person des jeweili-
Subsidiaritätsprinzip, Anwendungskriterien gen Unternehemrs zu erfüllende Voraussetzungen des Zugangs zu nach Verkehrsträgern differenzierten Berufen. Diese spielen aufgrund ihres Konnex zum objektiven Marktzugang eine, wenn nicht die zentrale Rolle für die Verwirklichung des ĺBinnenmarktes im Verkehrssektor. Es sind vor allem Regelungen für den Zugang zu Beruf des Binnenschifffahrtsunternehmers (ĺBinnenschifffahrtsunternehmer, Marktzugang), des Kraftverkehrsunternehmers (ĺBerufszugang, Güter- und Personenkraftverkehrsunternehmer) sowie des Eisenbahnunternehmers (ĺEisenbahnunternehmen, Genehmigungserteilung) vorgesehen. Diese knüpfen in ähnlicher Weise sämtlich an die Zuverlässigkeit, die finanzielle Leistungsfähigkeit sowie die fachliche Eignung der jeweiligen Personen an. Ebenso existieren Regelungen für Luftfahrtunternehmen (ĺLuftfahrtunternehmen, Betriebsgenehmigungen). (sm) Subsidiärer Schutz subsidiary protection – protection subsidiaire
Subsidiärer Schutz kann Personen gewährt werden, welche keine Flüchtlinge sind, sich jedoch aus begründeter Furcht vor Todesstrafe, Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder individueller Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts auf der Flucht befinden. Die Konzeption des subsidiären Schutzes in der EU (gem. Art. 63 Z. 2. lit. a) zweiter Fall „Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen“) ist uneinheitlich. Die ĺAnerkennungsrichtlinie (RL 2004/83/EG) enthält einen eigenen Abschnitt über die Gewährung subsidiären Schutzes (Art. 15 ff). (gt) (jw) Lit.: G. Muzak, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 44. Lfg. 2005, Art. 63 EGV, Rn. 33-36; K. Hailbronner, Asylum Law in the Context of a European Migration Policy, in: N. Walker (ed.), Europe’s Area of Freedom, Security and Justice, 2004, 41, 6267
Subsidiärfreiheit subsidiary freedom – liberté subsidiaire
Die ĺDienstleistungsfreiheit wird auch als S. bezeichnet, weil sie gem. Art. 50 EG nur jene Leistungen umfasst, die ĺentgeltlich erbracht werden und nicht den Vorschriften über den freien ĺWaren- und ĺKapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen. Es muss folglich zuerst geprüft werden, ob
eine andere ĺGrundfreiheit einschlägig ist, und erst, wenn dies nicht der Fall ist, kann – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – davon ausgegangen werden, dass die Dienstleistungsfreiheit zur Anwendung kommt. Diese Qualifizierung ändert nichts an der großen Bedeutung, die der Dienstleistungsfreiheit für die Verwirklichung des ĺBinnenmarkts zukommt. Ein „Rangverhältnis“ zwischen den einzelnen Grundfreiheiten kann aus dieser Bestimmung nicht abgeleitet werden. (sh) §§: Art. 50 EG Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 8; W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 49, 50 EGV, Rn. 13 ff.
Subsidiaritätsprinzip, Anwendungskriterien principle of subsidiarity, criteria of applicability – principe de subsidiarité, critères d’application
Das Subsidiaritätsprinzip findet nur Anwendung, wenn gem. Art. 5 Abs. 2 EG folgende Kriterien erfüllt sind: ƒ in Bereichen, die nicht in die ĺausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft fallen, ƒ sofern und soweit die ĺZiele der in Betracht gezogenen ĺMaßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht (Negativkriterium) und ƒ die daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können (Positivkriterium). Diese Kriterien müssen kumulativ vorliegen, wobei das letztgenannte kausal („daher“) mit dem zweitgenannten verbunden ist. Es ist umstritten, ob das Negativkriterium „nicht ausreichend“ (in Bezug auf die Mitgliedstaaten, wobei wiederum unklar ist, ob damit die einzeln oder aber die gemeinsam handelnden Mitgliedstaaten zu verstehen sind) im Positivkriterium „besser“ (in Bezug auf die Gemeinschaftsebene) aufgeht. Das ĺProtokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit trennt deutlich zwischen den Kriterien und legt folgende Leitlinien für die Prüfung des Vorliegens der Kriterien fest: ƒ Der betreffende Bereich weist transnationale Aspekte auf, die durch ĺMaßnahmen der Mitgliedstaaten nicht ausreichend geregelt werden können; ƒ Alleinige ĺMaßnahmen der Mitgliedstaaten oder das Fehlen von Gemeinschaftsmaßnahmen würden gegen die Anforderungen des Vertrags (z.B. Erfordernis der Korrektur von 843
Subsidiaritätsprinzip, Entwicklung Wettbewerbsverzerrungen, der Vermeidung verschleierter Handelsbeschränkungen oder der Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts) verstoßen oder auf sonstige Weise die Interessen der Mitgliedstaaten erheblich beeinträchtigen; ƒ ĺMaßnahmen auf Gemeinschaftsebene würden wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen im Vergleich zu ĺMaßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten deutliche Vorteile mit sich bringen. Was Art und Umfang des Handelns der Gemeinschaft betrifft, so sollte bei ĺMaßnahmen der Gemeinschaft so viel Raum für nationale Entscheidungen bleiben, wie dies im Einklang mit dem ĺZiel der ĺMaßnahme und den Anforderungen des Vertrags möglich ist. Unter Einhaltung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften sollten bewährte nationale Regelungen sowie Struktur und Funktionsweise der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten geachtet werden. Den Mitgliedstaaten sollten in den Gemeinschaftsmaßnahmen Alternativen zur Erreichung der Ziele der ĺMaßnahmen angeboten werden, sofern dies für eine ordnungsgemäße Durchführung der ĺMaßnahmen angemessen und erforderlich ist. Wenn die Gemeinschaft ĺMaßnahmen setzt, ist eine möglichst einfache Form zu wählen, wobei darauf geachtet werden muss, dass das ĺZiel der ĺMaßnahme in zufriedenstellender Weise erreicht wird und die ĺMaßnahme tatsächlich zur Anwendung gelangt. Da die Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaft über das erforderliche Maß nicht hinausgehen sollte, wäre unter sonst gleichen Gegebenheiten eine Richtlinie einer Verordnung und eine Rahmenrichtlinie einer detaillierten Maßnahme vorzuziehen. Führt die Anwendung des ĺSubsidiaritätsprinzips hingegen dazu, dass ein Tätigwerden der Gemeinschaft unterbleibt, so müssen die Mitgliedstaaten bei ihren Tätigkeiten den allgemeinen Vorschriften des Art. 5 EG genügen, indem sie alle geeigneten ĺMaßnahmen zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Vertrag treffen und alle ĺMaßnahmen, welche die Verwirklichung der ĺZiele des Vertrags gefährden könnten, unterlassen. Ob das ĺZiel einer Maßnahme „besser“ auf Gemeinschaftsebene erreicht werden kann, soll durch eine wertende Abwägung der Effizienz eines Handelns der Gemeinschaft gegenüber einem Handeln der Mitgliedstaaten bewertet werden („Mehrwert“ des gemeinschaftlichen Handelns im Vergleich zum Kompetenzverlust der Mitgliedstaaten). Schließlich 844
hat die ĺKommission gebührend zu berücksichtigen, dass die finanzielle Belastung und der Verwaltungsaufwand der Gemeinschaft, der Regierungen der Mitgliedstaaten, der örtlichen Behörden, der Wirtschaft und der Bürger so gering wie möglich gehalten werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen müssen. (ag) §§: Art. 5 Abs. 2 EG, Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Lit.: M. Zuleeg, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 5 EGV; R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 5 EGV; C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 5 EGV
Subsidiaritätsprinzip, Entwicklung principle of subsidiarity, development – principe de subsidiarité, évolution
Durch den Vertrag von Maastricht im Jahr 1992 wurde das ĺSubsidiaritätsprinzip als ein allgemeiner Grundsatz der ĺKompetenzausübung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten in den EG-Vertrag aufgenommen (ex Art. 3b EG). Der Europäische Rat von Edinburgh vom 11./12.12.1992 legte einen umfassenden Ansatz für die Anwendung des ĺSubsidiaritätsprinzips fest, der weitgehend in das dem Vertrag von Amsterdam (1997) beigefügte ĺProtokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit übernommen wurde. Durch den Vertrag von Amsterdam wurde Art. 3b EG außerdem in Art. 5 Abs. 2 EG umgewandelt. Insbesondere der ĺAusschuss der Regionen sprach sich seitdem in zahlreichen Resolutionen und Stellungnahmen für die Stärkung der Grundsätze der ĺSubsidiarität und Verhältnismäßigkeit aus. Die im ĺVertrag über eine Verfassung für Europa vorgesehenen Neuerungen traten nicht in Kraft. Dennoch wurde vom ĺAusschuss der Regionen bereits ein ĺNetzwerk für die Subsidiaritätskontrolle eingerichtet, das für eine künftige Anpassung des Kontrollinstrumentariums wegweisend sein soll. (ag) §§: Vertrag von Maastricht, Vertrag von Amsterdam, Art. 5 Abs. 2 EG, Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit Lit.: D. Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 2. Aufl. 1994; C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 2. Aufl. 1999; A. Kahl, Das Subsidiaritätsprinzip im EGV vor und nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam, JBl. 1999, 701
Subsidiaritätsprinzip, Rechtsprechung Subsidiaritätsprinzip, Justiziabilität principle of subsidiarity, justiciability – principe de subsidiarité, justiciabilité
Der ĺEuGH hat die Justiziabilität des ĺSubsidiaritätsprinzips grundsätzlich anerkannt. Er trennt dabei aber nicht exakt zwischen den einzelnen ĺAnwendungskriterien des Subsidiaritätsprinzips und zieht sich regelmäßig auf die Überprüfung der Beachtung der (äußersten) Grenzen des durch Art. 5 Abs. 2 EG eingeräumten Beurteilungsspielraums zurück. Er erkennt den Legislativorganen der Gemeinschaft einen weiten Ermessensspielraum zu, wenn es sich um ein Gebiet handelt, auf dem der Gesetzgeber sozialpolitische Entscheidungen zu treffen und komplexe Abwägungen zu tätigen hat. In diesem Fall überprüft der ĺEuGH den gemeinschaftlichen Rechtsakt nur darauf, ob ein offensichtlicher Irrtum oder ein Ermessensmissbrauch vorliegt oder ob das Gemeinschaftsorgan die Grenzen seines Ermessens offenkundig überschritten hat. Die in Art. 5 Abs. 2 EG verwendeten gemeinschaftlichen Ermessensbegriffe lassen den Gemeinschaftsorganen allerdings nicht einen unbegrenzten Ermessensspielraum offen; im Rahmen der Kontrolle der Erfüllung der strengen Anforderungen an die Begründungspflicht kann der ĺEuGH überprüfen, ob die Legislativorgane im Rechtsetzungsverfahren eine Subsidiaritätsprüfung ĺex ante nach den im Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit verankerten Leitlinien vorgenommen und deren Ergebnis entsprechend begründet haben. (ag) §§: Art. 5 Abs. 2 EG, Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit; ĺSubsidiaritätsprinzip, Rechtsprechung Lit.: M. Zuleeg, Justiziabilität des Subsidiaritätsprinzips, in: K. W. Nörr/T. Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, 1997, 185
Subsidiaritätsprinzip, Rechtsgrundlagen principle of subsidiarity, legal provisions – principe de subsidiarité, dispositions légales
Außer in Art. 5 Abs. 2 EG ist das ĺSubsidiaritätsprinzip noch in anderen primärrechtlichen Bestimmungen festgelegt: Zu erwähnen ist etwa die Präambel des EU-Vertrags, in der es im 12. Erwägungsgrund heißt, den Prozess der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas, in der die Entscheidungen entsprechend dem ĺSubsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah getroffen werden, weiterzuführen. Dies wird auch durch Art. 1 Abs. 2 EU bestätigt, wonach der EU-Vertrag eine neue
Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas darstellt, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden. Gem. Art. 2 Abs. 2 EU werden die Ziele der Union nach Maßgabe dieses Vertrags entsprechend den darin enthaltenen Bedingungen und der darin vorgesehenen Zeitfolge unter Beachtung des ĺSubsidiaritätsprinzips, wie es in Art. 5 Abs. 2 EG bestimmt ist, verwirklicht. Darüber hinaus finden sich spezielle Formen des ĺSubsidiaritätsprinzips in verschiedenen einzelnen Vorschriften des EG-Vertrags, die Art. 5 Abs. 2 EG überlagern bzw. ergänzen. Es handelt sich dabei z.B. um Bestimmungen, die eine die nationalen Tätigkeiten „unterstützende und ergänzende“ gemeinschaftliche Tätigkeit vorsehen. Auch das eine gemeinschaftliche Kompetenz begründende Kriterium „soweit erforderlich“ kann als spezielle Ausprägung des ĺSubsidiaritätsprinzips verstanden werden, weil damit das „Ob“ des gemeinschaftlichen Tätigwerdens determiniert wird. Damit wird die sonst nur das „Wie“ des gemeinschaftlichen Tätigwerdens bestimmende ĺVerhältnismäßigkeit in die Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten einbezogen. Genauere Bestimmungen zum ĺSubsidiaritätsprinzip finden sich im ĺProtokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. (ag) §§: Präambel EU; Art. 1 Abs. 2 EU u.a. Lit.: C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 5 EGV
Subsidiaritätsprinzip, Rechtsprechung principle of subsidiarity, case law – principe de subsidiarité, jurisprudence
Die zum ĺSubsidiaritätsprinzip ergangene Rechtsprechung des ĺEuGH ist bisher nicht sehr umfangreich. So stellte der ĺEuGH etwa klar, dass das erst am 1.11.1993 in Kraft getretene ĺSubsidiaritätsprinzip keine Rückwirkung entfalte und sich die Mitgliedstaaten nicht unter Berufung darauf ihren vertraglichen Verpflichtungen entziehen, daraus also weder die ungenügende Durchführung einer Richtlinie noch grundfreiheitsbeschränkende Maßnahmen gerechtfertigt werden könnten. In der Entscheidung Rs. C-84/94 Vereinigtes Königreich/ Rat (Arbeitszeit-Richtlinie), Slg. 1996, I-5755, setzte sich der ĺEuGH erstmals mit der Einhaltung des ĺSubsidiaritätsprinzips bei der Erlassung eines Sekundärrechtsaktes auseinander. Das Vereinigte Königreich machte in sei845
Subsidiaritätsprinzip, theoretischer Hintergrund ner ĺNichtigkeitsklage unter anderem geltend, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber weder vollständig geprüft noch hinreichend dargetan habe, dass dieses Gebiet transnationale Aspekte aufweise, die durch nationale Maßnahmen nicht angemessen geregelt werden könnten, und dass ein Vorgehen auf Gemeinschaftsebene offenkundige Vorzüge gegenüber einem Vorgehen auf Ebene der Mitgliedstaaten habe. Der ĺEuGH entschied jedoch, dass, sobald der ĺRat festgestellt habe, dass das bestehende Niveau des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit der Arbeitnehmer verbessert und die in diesem Bereich bestehenden Bedingungen bei gleichzeitigem Fortschritt harmonisiert werden müssten, die Erreichung dieses ĺZieles durch das Setzen von Mindestvorschriften unvermeidlich ein gemeinschaftsweites Vorgehen voraussetze. In der Entscheidung Rs. C-233/94 Deutschland/Parlament und Rat (Richtlinie Einlagensicherungssysteme), Slg. 1997, I-2405, äußerte sich der ĺEuGH zur Verpflichtung der Gemeinschaftsorgane, die Erlassung einer Richtlinie auch unter Subsidiaritätsgesichtspunkten zu begründen, was aus Art. 253 EG in Verbindung mit dem ĺProtokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit folge. In den Erwägungsgründen der Richtlinie fanden sich keine expliziten Bezugnahmen auf das ĺSubsidiaritätsprinzip, worin die Klägerin eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften im Sinne des Art. 230 EG erblickte. Der ĺEuGH hielt jedoch allgemeine Aussagen zur Zweckmäßigkeit der Erlassung der Richtlinie in den Erwägungsgründen für ausreichend, implizit darzutun, warum das verfolgte Ziel nach Ansicht des Gemeinschaftsgesetzgebers besser auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden könnte und durch die Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden hätte können. Diese Ansicht wird in der Entscheidung Rs. C-377/98 Niederlande/Parlament und Rat (BiopatentRichtlinie), Slg. 2001, I-7079, bestätigt, wobei der ĺEuGH in diesem Urteil immerhin dem Generalanwalt nicht darin gefolgt war, dass das Subsidiaritätsprinzip auf Harmonisierungsmaßnahmen, die auf der Grundlage von Art. 95 EG ergriffen werden, überhaupt nicht anwendbar sein sollte. Diese Ansicht wird in der Entscheidung Rs. C-491/01 British American Tobacco (Investments) Ltd. and Imperial Tobacco Ltd. (Tabakprodukte-Richtlinie), Slg. 2002, I-11453, erstmals ausdrücklich bestätigt. Der ĺEuGH zeigt darin deutlich, dass er Art. 5 846
Abs. 2 EG für justiziabel hält, und führt seine bisher genaueste inhaltliche ĺSubsidiaritätsprüfung durch, ohne dabei allerdings die ĺAnwendungskriterien des ĺSubsidiaritätsprinzips, d.h. insbesondere Negativ- und Positivkriterium, differenziert zu prüfen. Außerdem prüft der ĺEuGH die Regelungsdichte der angefochtenen ĺMaßnahme im Rahmen der ĺSubsidiaritätsprüfung, was die Frage nach dem „Wie“ gemeinschaftlichen Handelns stellt, die eigentlich nach dem ĺVerhältnismäßigkeitsprinzip des Art. 5 Abs. 3 EG zu beurteilen ist. Dies zeigt auf, wie sehr die Prinzipien der ĺSubsidiarität und ĺVerhältnismäßigkeit miteinander verbunden sind und als Schranken der ĺKompetenzausübung ineinandergreifen. In der jüngsten erwähnenswerten Entscheidung vom 12.7. 2005, verb. Rs. C-154/04 und 155/04 Alliance for Natural Health u.a. (Nahrungsergänzungsmittel-Richtlinie), Slg. 2005, I-06451, bestätigt der ĺEuGH seine bisherige Auffassung dahingehend, dass die Gefahr, dass durch ungleiche nationale Regelungen verursachte Handelshemmnisse und Wettbewerbsverfälschungen zwischen den Mitgliedstaaten bestehen blieben, eine ausreichende Rechtfertigung für die Erlassung einheitlicher Gemeinschaftsregelungen auch unter Subsidiaritätsaspekten darstelle. Seine kursorische Prüfung der ĺAnwendungskriterien beschränkt sich auf das Positivkriterium. Anders als in der zuvor erwähnten Entscheidung führt er in diesem Urteil aber keine erweiterte ĺSubsidiaritätsprüfung unter Einbezugnahme des ĺVerhältnismäßigkeitsprinzips durch. (ag) Lit.: C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 5 EGV; C. Ranacher, Das Subsidiaritätsprinzip in der Rechtsprechung des EuGH, in: A. Gamper/P. Bußjäger (Hrsg.), Subsidiarität anwenden: Regionen, Staaten, Europäische Union, 2006, 178 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-84/94 Vereinigtes Königreich/Rat (Arbeitszeit-Richtlinie), Slg. 1996, I-5755; Rs. C-233/ 94 Deutschland/Parlament und Rat (Richtlinie Einlagensicherungssysteme), Slg. 1997, I-2405; Rs. C-233/ 94 Deutschland/Parlament und Rat (Richtlinie Einlagensicherungssysteme), Slg. 1997, I-2405; Rs. C491/01 British American Tobacco (Investments) Ltd. and Imperial Tobacco Ltd. (Tabakprodukte-Richtlinie), Slg. 2002, I-11453; verb. Rs. C-154/04 und 155/ 04 Alliance for Natural Health u.a. (Nahrungsergänzungsmittel-Richtlinie), Slg. 2005, I-06451
Subsidiaritätsprinzip, theoretischer Hintergrund principle of subsidiarity, theoretical background – principe de subsidiarité, fondement théorique
Theoretische Ansätze des ĺSubsidiaritätsprinzips (aus dem Lateinischen subsidium = Hilfe,
Subsidiaritätsprüfung, ex ante Unterstützung) finden sich schon bei Platon und Aristoteles, in der frühen Neuzeit dann vor allem bei Johannes Althusius. Die päpstliche Enzyklika „Quadragesimo Anno“ (1931) führt zur Wiederbelebung des ĺSubsidiaritätsprinzips in der Katholischen Soziallehre: Demnach verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen erfolgreich leisten können, für die größere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen. Rechtlichen Ausdruck findet das Subsidiaritätsprinzip, abhängig von der konkreten Rechtsordnung, als Kriterium der ĺKompetenzverteilung (zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen Staat und Selbstverwaltung, im Bundesstaat, zwischen EU und Mitgliedstaat) und/oder als Interpretationsmaxime für die ĺKompetenzausübung. Im Rahmen der EU ist das ĺSubsidiaritätsprinzip ausdrücklich im Art. 5 Abs. 2 EG verankert. (ag) Lit.: A. Riklin/G. Batliner (Hrsg.), Subsidiarität, 1994; K. W. Nörr/T. Oppermann (Hrsg.), Subsidiarität: Idee und Wirklichkeit, 1997; J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2001
Subsidiaritätsprinzip, Überblick principle of subsidiarity, overview – principe de subsidiarité, vue globale
Das Subsidiaritätsprinzip ist ausdrücklich in Art. 5 Abs. 2 EG (ex Art. 3b EG) verankert. Demnach wird die Gemeinschaft in den Bereichen, die nicht in ihre ĺausschließliche Zuständigkeit fallen, nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die ĺZiele der in Betracht gezogenen ĺMaßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden können. Dieser Grundsatz steht in engem Zusammenhang zum in Art. 5 Abs. 3 EG verankerten ĺVerhältnismäßigkeitsprinzip sowie zum ĺPrinzip der begrenzten Einzelermächtigung des Art. 5 Abs. 1 EG, wonach die Gemeinschaft innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig wird. Ein Spannungsverhältnis ergibt sich zum gemeinschaftlichen ĺSolidaritätsprinzip. Detailliertere Bestimmungen über die Gewährleistung, Anwendung und Überprüfung des Subsidiaritätsprinzips enthält das ĺProtokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Die praktische Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips, insbesondere auch in der ĺRechtsprechung des
ĺEuGH, ist allerdings eher gering, auch wenn seine ĺJustiziabilität überwiegend anerkannt wird. (ag) §§: Art. 5 Abs. 2 EG, Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Lit.: H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip: Strukturprinzip einer europäischen Union, 1993; D. Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 2. Aufl. 1994; C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 3. Aufl. 1999; C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 5 EGV; R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 5 EGV; M. Zuleeg, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 5 EGV
Subsidiaritätsprotokoll ĺProtokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Subsidiaritätsprüfung, ex ante aubsidiarity monitoring, ex ante – monitorage de la subsidiarité, ex ante
Die Subsidiaritätsprüfung kann nach der im ĺProtokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit vorgesehenen Form ex ante oder ĺex post erfolgen. Im Rahmen der ex ante durchgeführten Form der Kontrolle kann außerdem zwischen der prälegislativen Verpflichtung zur Berücksichtigung des Prinzips und der im legislativen Verfahren vorgenommenen Prüfung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips unterschieden werden. Das ĺProtokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit sieht dahingehend folgendes vor: Im Fall der prälegislativen Prüfung ist die ĺKommission gehalten, vor der Unterbreitung von Vorschlägen für Rechtsvorschriften außer im Falle besonderer Dringlichkeit oder Vertraulichkeit umfassende Anhörungen durchzuführen und in jedem geeigneten Fall Konsultationsunterlagen zu veröffentlichen; die Konsultation kann dazu dienen, die Sachdienlichkeit der Kommissionsvorschläge unter dem Aspekt des ĺSubsidiaritätsprinzips ausführlich zu begründen, wozu die ĺKommission jedenfalls dann verpflichtet ist, wenn eine Gemeinschaftsmaßnahme ganz oder teilweise aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert wird. Weiters soll die ĺKommission gebührend berücksichtigen, dass die finanzielle Belastung und der Verwaltungsaufwand der Gemeinschaft, der 847
Subsidiaritätsprüfung, ex post Regierungen der Mitgliedstaaten, der örtlichen Behörden, der Wirtschaft und der Bürger so gering wie möglich gehalten werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen. Außerdem soll die ĺKommission dem ĺEuropäischen Rat, dem ĺEuropäischen Parlament und dem ĺRat jährlich einen Bericht über die Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EG vorlegen, der auch dem ĺAusschuss der Regionen und dem ĺWirtschafts- und Sozialausschuss zuzuleiten ist. Dieser Jahresbericht der ĺKommission ist vom ĺEuropäischen Rat im Rahmen des Berichts über die Fortschritte der Union zu berücksichtigen, der wiederum dem ĺEuropäischen Parlament gem. Art. 4 Abs. 3 EU vorzulegen ist. Bei der ex ante vorgenommenen Subsidiaritätsprüfung im legislativen Verfahren prüfen das ĺEuropäische Parlament und der ĺRat unter strikter Einhaltung der geltenden Verfahren als Teil der umfassenden Prüfung der Kommissionsvorschläge, ob diese mit Art. 5 Abs. 2 EG im Einklang stehen. Dies gilt sowohl für den ursprünglichen Vorschlag der ĺKommission als auch für vom ĺEuropäischen Parlament und vom ĺRat in Betracht gezogene Änderungen an dem Vorschlag. Das ĺEuropäische Parlament wird im Rahmen der Anwendung der Verfahren gem. Art. 251 und 252 EG durch die Angabe der Gründe, die den ĺRat zur Festlegung seines gemeinsamen Standpunkts veranlasst haben, über die Auffassung des ĺRates hinsichtlich der Anwendung des Art. 5 Abs. 2 EG unterrichtet. Der ĺRat teilt dem ĺEuropäischen Parlament mit, weshalb seiner Auffassung nach ein Kommissionsvorschlag ganz oder teilweise im Widerspruch zu Art. 5 Abs. 2 EG steht. Abgesehen von diesen Berichts- und Begründungspflichten, können aus dem Protokoll allerdings keine prozeduralen Befugnisse (z.B. Ablehnungsrechte) abgeleitet werden, die über die in Art. 251 und 252 EG verankerten hinausgingen. Nach dem dem Vertrag von Amsterdam beigefügten Protokoll (Nr. 9) über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union kann außerdem die am 16./17.11.1989 in Paris gegründete ĺKonferenz der Europa-Ausschüsse (COSAC) dem ĺEuropäischen Parlament, dem ĺRat und der ĺKommission jeden ihr zweckmäßig erscheinenden Beitrag über die Gesetzgebungstätigkeiten der Union, insbesondere auch hinsichtlich der Anwendung des ĺSubsidiaritätsprinzips, vorlegen, ohne freilich damit die einzelstaatlichen Parlamente zu präjudizieren. Eine 848
neuartige Form der ex ante vorgenommenen Subsidiaritätsprüfung stellt das vom ĺAusschuss der Regionen eingerichtete ĺNetzwerk für die Subsidiaritätskontrolle dar. (ag) §§: Art. 5 Abs. 2, Art. 251, 252 EG; Protokoll (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Lit.: C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 5 EGV
Subsidiaritätsprüfung, ex post subsidiarity monitoring, ex post – monitorage de la subsidiarité, ex post
Die ĺex ante nach den Vorschriften des ĺProtokolls (Nr. 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit vorgenommene Subsidiaritätsprüfung wird letztlich erst durch die ex post durchgeführte Kontrolle des ĺEuGH effektiv. Gem. Art. 230 Abs. 2 EG ist der ĺEuGH für Klagen zuständig, die ein Mitgliedstaat, das ĺEuropäische Parlament, der ĺRat oder die ĺKommission wegen Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des Vertrags oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder wegen Ermessensmissbrauchs erhebt. Eine direkte Klagebefugnis ĺregionaler Gebietskörperschaften ist hingegen in der Judikatur des ĺEuGH noch nicht grundsätzlich anerkannt, auch wenn verfassungsrechtlich eingeräumte Legislativkompetenzen ĺregionaler Gebietskörperschaften die individuelle und unmittelbare Betroffenheit einer Gebietskörperschaft im Sinne von Art. 230 Abs. 4 EG indizieren könnten. Der ĺEuGH ist gem. Art. 230 EG befugt, über eine ĺNichtigkeitsklage zu entscheiden, die gegen eine das in Art. 5 Abs. 2 EG verankerte ĺSubsidiaritätsprinzip verletzende ĺMaßnahme erhoben wird. Allerdings ist die Frage der ĺJustiziabilität des ĺSubsidiaritätsprinzips umstritten. In seiner nicht allzu umfangreichen ĺRechtsprechung zum ĺSubsidiaritätsprinzip hat der ĺEuGH diese zwar grundsätzlich anerkannt, dabei aber nicht exakt zwischen den einzelnen ĺAnwendungskriterien des ĺSubsidiaritätsprinzips getrennt. Er zieht sich regelmäßig auf die Überprüfung der Beachtung der (äußersten) Grenzen des durch Art. 5 Abs. 2 EG eingeräumten Beurteilungsspielraums zurück und erkennt den Legislativorganen der Gemeinschaft einen weiten Ermessensspielraum zu, wenn es sich um ein Gebiet handelt, auf dem der Gesetzgeber sozialpolitische Entscheidungen zu treffen und komplexe Abwägungen zu tätigen hat. In
Subvention diesem Fall überprüft der ĺEuGH den gemeinschaftlichen Rechtsakt nur daraufhin, ob ein offensichtlicher Irrtum oder ein Ermessensmissbrauch vorliegt oder ob das Gemeinschaftsorgan die Grenzen seines Ermessens offenkundig überschritten hat. Die in Art. 5 Abs. 2 EG verwendeten gemeinschaftlichen Ermessensbegriffe lassen den Gemeinschaftsorganen allerdings nicht einen unbegrenzten Ermessensspielraum offen; im Rahmen der Kontrolle der Erfüllung der strengen Anforderungen an die Begründungspflicht kann der ĺEuGH überprüfen, ob die Legislativorgane im Rechtsetzungsverfahren eine Subsidiaritätsprüfung ĺex ante vorgenommen und deren Ergebnis entsprechend begründet haben. (ag) §§: Art. 5 Abs. 2, Art. 230 EG Lit.: C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 5 EGV
Subvention subsidy – subvention
Es gibt keine allgemein gültige und rechtlich anerkannte Definition des Begriffs „Subvention“. Auch umgangsprachlich werden der Begriff „Subvention“ und der Begriff „ĺBeihilfe“ oft gleichgesetzt. Vom ĺEuGH wird der Begriff Subvention enger als der Begriff Beihilfe gesehen. Unter Subvention werden vom EuGH in der grundlegenden Entscheidung Rs. 30/59 nur aktive finanzielle Transfers verstanden. Beihilfen werden vom EuGH in dieser Urteil als „Maßnahmen, in verschiedenster Form, die Belastungen die ein Unternahmen normalerweise zu tragen hat vermindern“ definiert. ĺBeihilfen werden aber im EU-Recht mit rechtlicher Relevanz nur hinsichtlich Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt geprüft. In der Wissenschaft werden generell 3 Gruppen von Subventionen unterschieden ƒ Finanzieller Transfer von Mitteln an Produzenten oder Konsumenten, mittels direkter oder potenzieller Budgetausgaben, auch unter Einbeziehung privatrechtlicher Einrichtungen ƒ Zur Verfügung stellen von Gütern oder Dienstleistungen unter dem Marktpreis ƒ Staatliche Marktregelung Der EU-rechtliche Beihilfenbegriff entspricht damit eher dem international üblichen Subventionsbegriff. WTO Definition „Subvention“
Von wirtschaftpolitischer Bedeutung ist die Begriffsbestimmung des WTO-Subventionsabkommens: Die WTO (ĺWTO Abkommen) definiert Subventionen als: ƒ Leistung von finanziellen Beihilfen durch eine Regierung oder öffentliche Körperschaft im Gebiet eines Mitglieds ƒ Einkommens- oder Preisstützungen, die mittelbar oder unmittelbar die Ausfuhr von waren steigern oder die Einfuhr vermindern (Art. XVI GATT) Als Finanzielle Beihilfen gelten in dieser Hinsicht: ƒ direkte Transfers von Geldern (z.B. Zuschüsse, Kredite und Kapitalzufuhren) sowie potenziell direkte Transfers von Geldern oder Verbindlichkeiten (z.B. Kreditbürgschaften) beinhaltet. ƒ Verzicht oder Nichteinhebung auf normalerweise zu entrichtende Abgaben (z.B. Steueranreize wie Steuergutschriften, ausgenommen Erstattung der USt oder Verbrauchsteuern beim Export) ƒ Zur Verfügung stellen von Waren oder Dienstleistungen, die nicht zur allgemeinen Infrastruktur gehören oder der Aufkauf Waren Es ist hierbei gleich ob die Beihilfen direkt oder mittels eines Fördermechanismus oder eine private Einrichtung durch den Staat gegeben werden. WTO-Subventionsabkommen betrifft allerdings nur „Waren“ und nicht den Sektor Dienstleistungen. Ausfuhrsubventionen – mit Ausnahme in der Landwirtschaft – sind generell verboten. (Branchen)-spezifische Subventionen sind anfechtbar, wenn sie zu einer Schädigung des inländischen Wirtschaftszweigs eines anderen Mitglieds, zu einer Zunichtemachung oder Schmälerung der einem anderen Mitglied mittelbar oder unmittelbar aus dem GATT erwachsenden Vorteile, oder zu einer ernsthaften Schädigung der Interessen eines anderen Mitglieds führen. Subventionen für Forschung, benachteiligte Gebiete etc sind unter bestimmten Bedingungen wieder ausgenommen. Für die Landwirtschaft (ĺWTO-Agrarabkommen) gibt es zudem eigene Bestimmungen. (all) §§: Art. 87-89 EG; EuGH, Rs. 30/59, Slg. 1961 1/43, Art. 2 und Anhang I & II WTO-Subventionsabkommen ABl. 1994, Nr. L 336/156-0183; WTO-Agrarabkommen ABl. 1994, Nr. L 336/22-39 Lit.: WTO World Trade Report 2006 Web: http://www.wto.org/english/res_e/booksp_e/ anrep_e/world_trade_report06_e.pdf
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Subventionsäquivalent Subventionsäquivalent grant equivalent – équivalent-subvention
Das Subventionsäquivalent drückt den wirtschaftlichen Nutzen einer Förderung aus. Es ist insbesondere auf staatliche Maßnahmen anzuwenden, die nicht als einmaliger Zuschuss, sondern in einer anderen Form gewährt werden (z.B. in mehreren Tranchen gezahlte Beihilfe oder Darlehen). Das Subventionsäquivalent ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Marktwert der tatsächlich erbrachten Leistung und der tatsächlich erhaltenen Gegenleistung. Die Berechnung des Subventionsäquivalents ist von erheblicher Bedeutung für die Prüfung, ob bestimmte Beihilfeintensitäten bzw. Beihilfeschwellenwerte im Rahmen von ĺGruppenfreistellungsVO überschritten werden. Abhängig von der Art der Beihilfe ist entweder auf das ĺBrutto- oder das ĺNettosubventionsäquivalent abzustellen. (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG, Art. 87 Abs. 3 EG Lit.: C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2. Aufl. 2005, Rn. 107 ff.
Süderweiterung enlargement to the south – élargissement au Sud
Die S. fand in zwei Phasen statt: Griechenland trat 1981 den Gemeinschaften bei, 1986 folgten Portugal und Spanien. Charakteristisch für die S. ist, dass nicht nur wirtschaftliche Interessen, sondern insb. politische Erwägungen den ĺBeitritt beförderten. Die jungen Demokratien – alle antragstellenden Staaten hatten erst kürzlich Diktaturen überwunden – sollten stabilisiert und aus „sicherheitspolitischen“ Überlegungen an die Gemeinschaften gebunden werden. Diese „Politisierung“ der Integration spiegelte sich in der Folge auch in rechtlichen Innovationen wieder. So wurde bspw. die Regionalpolitik durch die ĺEinheitliche Europäische Akte in den Verträgen verankert. U.a. sollte damit die starke ökonomische Asymmetrie zwischen den neuen und alten Mitgliedern entschärft werden. Aufgrund der durch das ĺAssoziierungsabkommen von 1962 erreichten Annäherung, konnten die Verhandlungen mit Griechenland schnell abgeschlossen werden. Die Verhandlungen zur zweiten S. dauerten hingegen relativ lange (die Beitrittsanträge erfolgten bereits 1977). Ausschlaggebend dafür waren insb. die Größe des span. Landwirtschaftssektors und die wirtschaftliche Schwäche der beiden ĺBewerberländer. Beide ĺBei850
trittsverträge sahen daher Übergangsvorschriften im Interesse der bisherigen MS vor (Freizügigkeit der Arbeitnehmer: 7 Jahre; Einzelne landwirtschaftliche Produkte: bis zu 10 Jahren). (lo) §§: Beitrittsvertrag 1981, ABl. 19.11.1979, Nr. L 291; Beitrittsvertrag 1986, ABl. 15.11.1985, Nr. L 302 Lit.: P. Dagtoglou, The Southern Enlargement of the European Community, CML Rev. 1984, 149
Sugar, Emesa-Entscheidung ĺEmesa Sugar-Entscheidung SUP ĺUmweltprüfung, Strategische (SUP) Supranationale Gesellschaftsformen supranational company forms – sociétés supranationales
Gesellschaften, die von der Gemeinschaft durch entsprechende ĺVerordnungen geschaffen wurden und zusätzlich zu nationalen Gesellschaftsformen zur Verfügung stehen. Als „supranational“ werden sie bezeichnet, weil sie in erster Linie vom ĺGemeinschaftsrecht determiniert sind. Derzeit bestehen die ĺSocietas Europaea („Europäische Aktiengesellschaft“, SE), die ĺSocietas Cooperativa Europaea („Europäische Genossenschaft“, SCE) und die ĺEuropäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV); im Entwurfsstadium befinden sich der ĺEuropäische Verein (EUV), die ĺEuropäische Gegenseitigkeitsgesellschaft (EGG) und in jüngster Zeit vor allem die ĺEuropäische Privatgesellschaft (EPG), die als „europäische Alternative“ zur nationalen GmbH geplant ist. (tr) Lit.: S. Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004, 478 ff.
Supranationalität supranationality – supranationalité
Es handelt sich dabei um Eigenschaften von Rechtsvorschriften, die diese von einer bloß völkerrechtlichen Wirkung unterscheiden. Die typischen supranationalen Eigenschaften des europäischen Gemeinschaftsrechts liegen in der Möglichkeit der Schaffung ĺautonom geltenden und ĺunmittelbar anwendbaren Rechts im Rahmen einer Mehrheitsentscheidung. Im Zusammenhang der Drei-Säulenkonstruktion der EU stellen sich die erste Säule (ĺEG und ĺEAG) als der supranationale Bereich und die
Suspendierung mitgliedschaftlicher Rechte in der Europäischen Union 2. (ĺGASP) und 3. (ĺPJZS) Säule als ĺintergouvernementale Bereiche dar. (he) Lit.: U. Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2005, 43 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 4 f.
Suspendierung mitgliedschaftlicher Rechte in der Europäischen Gemeinschaft suspension of membership rights in the EC – suspension droit affiliation dans la CE
Voraussetzung für Maßnahmen nach Art. 309 EG ist die Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der Grundsätze aus Art. 6 Abs. 1 EU (vgl. ĺSuspendierung mitgliedschaftlicher Rechte in der Europäischen Union). Neben der Aussetzung der Stimmrechte gem. Art. 7 Abs. 2 EU, Art. 309 Abs. 1 EG, die unmittelbar von der Unions- auf die Gemeinschaftsebene durchgreift, kommen im Bereich der Europäischen Gemeinschaft weitere Maßnahmen in Betracht. Auf der Grundlage von Art. 309 Abs. 2 UAbs. 1 EG kann der ĺRat mit qualifizierter Mehrheit die Aussetzung von Rechten aus dem EG-Vertrag beschließen. Die Rechte des Mitgliedstaates können sich dabei sowohl aus dem ĺPrimär- als auch aus dem ĺSekundärrecht ergeben. Besonders schmerzhaft dürfte die Suspendierung finanzieller Rechte in den Bereichen Agrar, Fischerei und Infrastruktur sein. Bei der Suspendierung mitgliedschaftlicher Rechte hat der Rat nach Art. 309 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 2 die Auswirkungen der Suspendierung von Rechten eines Mitgliedstaates auf die Rechte und Pflichten der Unionsbürger und juristischen Personen zu berücksichtigen und muss zudem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Die Pflichten des betroffenen Mitgliedstaates bleiben weiterhin bestehen. Bei einer Veränderung der Sachlage folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Pflicht des Rates, Sanktionsmaßnahmen zu ändern oder aufzuheben, vgl. Art. 309 Abs. 3 EG. Die Änderung oder Aufhebung von Sanktionsmaßnahmen erfolgt wie ihr Erlass mit qualifizierter Mehrheit. (fg) Lit.: J. Bitterlich, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2006, Art. 309
Suspendierung mitgliedschaftlicher Rechte in der Europäischen Union suspension of membership rights in the EU – suspension droit affiliation dans l’UE
Die Suspendierung mitgliedschaftlicher Rechte ist in Art. 7 EU geregelt. Sie kann nur erfol-
gen, wenn ein ĺMitgliedstaat zuvor schwerwiegende und anhaltende Vertragsverletzungen der in Art. 6 Abs. 1 EU festgeschriebenen Grundsätze von Freiheit, Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit begangen hat bzw. begeht (qualifizierte Vertragsverletzung). Als Verletzungshandlung kommen sowohl aktives Tun als auch Unterlassen in Betracht, wobei die Verstöße eine gewisse Intensität aufweisen müssen. Einzelne Beeinträchtigungen von oder Verstöße gegen die Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EU erfüllen dieses Kriterium jedoch noch nicht. Anhaltend ist die Verletzung, wenn der gegen Art. 6 Abs. 1 EU verstoßende Zustand dauerhaft aufrecht erhalten wird. Davon zu unterscheiden ist die ĺVertragsverletzung nach Art. 226-228 EG, die sich auf konkrete Einzelverstöße bezieht, während Art. 7 EU Verletzungen des Wertekanons der Union ahndet. Das Verfahren nach Art. 7 EU gliedert sich in drei Phasen. In einer ersten Stufe (Art. 7 Abs. 1 EU) wird das Bestehen einer eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Grundsätze des Art. 6 Abs. 1 EU durch den ĺEuropäischen Rat mit einer Mehrheit von vier Fünfteln nach Zustimmung des ĺParlamentes festgestellt. Die dieser Entscheidung zugrunde liegende Gefahrprognose liegt im politischen Ermessen der beteiligten Organe und ist praktisch nicht justiziabel. Das Vorschlagsund damit Initiativrecht für ein Verfahren zur Feststellung einer Gefahr liegt bei den Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament und der ĺKommission. Im Rahmen des Verfahrens ist der betroffene Mitgliedstaat anzuhören. Erst danach ergeht der Feststellungsbeschluss des Rates. Alternativ kann der Rat Empfehlungen an den betroffenen Mitgliedstaat richten. Daneben besteht noch die Möglichkeit einen sog. Weisenbericht unabhängiger Persönlichkeiten zur Lage im betroffenen Mitgliedstaat einzuholen. Dies hat allerdings vor dem Feststellungsbeschluss zu erfolgen und erfordert einen möglichst konkreten Arbeitsauftrag im Hinblick auf Untersuchungsgegenstand und -umfang. In der zweiten Stufe stellt der Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten oder der Kommission sowie nach Zustimmung des Parlamentes und nachdem der betroffene Mitgliedstaat zur Stellungnahme aufgefordert wurde, die qualifizierte Vertragsver851
Syrien letzung einstimmig fest, ohne dass die Stimme des betroffenen Staates bei der Entscheidung Berücksichtigung findet (Art. 7 Abs. 5 EU). Auch hierbei handelt es sich um eine Beurteilung, die im politischen Ermessen der beteiligten Organe liegt. In einem dritten Schritt beschließt der Rat auf der Grundlage des Feststellungsbeschlusses mit qualifizierter Mehrheit, bestimmte mitgliedschaftliche Rechte auszusetzten, die sich aus dem Unionsvertrag ergeben (Art. 7 Abs. 3 EU). Als Folge der Europarechtssubjektivität der Bürger ist dabei den Auswirkungen auf deren Rechte sowie die Rechte juristischer Personen Rechnung zu tragen. Eine Beteiligung von Parlament, Kommission und betroffenem Mitgliedstaat findet in dieser Phase nicht mehr statt. Die schärfste Sanktion stellt der Verlust des Stimmrechts eines Mitgliedstaats dar. Dieser wirkt sich nicht nur bei Abstimmungen in Verfahren im Rahmen des Unionsvertrages aus, sondern auch zwingend auf alle Verfahren unter dem Regime der Gemeinschaftsverträge (Art. 309 Abs. 1 EG, Art. 204 Abs. 1 EAG). Über die Suspension weiterer Rechte aus den Gemeinschaftsverträgen entscheidet der Ministerrat auf der Grundlage der Feststellung nach Art. 7 Abs. 1 EU im Rahmen von Art. 309 Abs. 2 EG, Art. 204 Abs. 2 EAG. Der Verlust mitgliedschaftlicher Rechte befreit den betroffenen Mitgliedstaat indessen nicht von der Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten. Der Rat ist verpflichtet, regelmäßig das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen der Sanktionen zu überprüfen (vgl. Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 EU). Bei einer Veränderung der Sachlage folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Pflicht des Rates, Sanktionsmaßnahmen zu ändern oder aufzuheben. Dieser Pflicht korrespondiert ein entsprechender nicht justiziabler Anspruch des betroffenen Staates. Die Änderung oder Aufhebung von Sanktionen bedarf wie auch ihre Verhängung einer qualifizierten Mehrheit (Art. 7 Abs. 4 EU). Eine gerichtliche Kontrolle von Handlungen nach Art. 7 EU ist nur auf Betreiben des betroffenen Mitgliedstaates innerhalb eines Monats möglich und auf die Kontrolle von Verfahrensvorschriften beschränkt (ordnungsgemäße Initiative, Mehrheitserfordernisse, Abfolge der Verfahrensschritte). (fg) §§: Art. 6, 7 EU; Art. 309 EG, Art. 204 EAG Lit.: M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2007, Art. 7 EUV
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Syrien Syria – Syrie
Die Verhandlungen zum ĺEuropa-Mittelmeer Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EU und ihren MS und Syrien wurden 2004 abgeschlossen, der Ratifikationsprozess ist noch im Gange. Bis zu dessen in Kraft treten gilt das Kooperationsabkommen aus 1977 (ABl. 1978, Nr. L 269/2). (bb) Web: http://www.delsyr.cec.eu.int/en/eu_and_syria/ eu_syr_association_agreement/European_Parliament _Report_on_EU_Syria_Euro_Mediterranean_Asso ciation_Agreement.htm
System der Zentralbanken, europäisches ĺEuropäisches System der Zentralbanken Systemnutzungstarife (Energierecht) tariffs (energy law) – tarifs (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Sowohl im Elektrizitäts- als auch im Erdgasrecht kommt dem diskriminierungsfreien ĺNetzzugang zu veröffentlichten, diskriminierungsfreien Tarifen höchste Priorität zu. Die ĺRegulierungsbehörden sollen daher befugt sein, die Tarife oder wenigstens die Methoden zur Berechnung der Tarife festzulegen oder zu genehmigen. Nähere Methoden zur Berechnung der Tarife sind für den Bereich des Ergasrechts in der ĺZugangsverordnung festgelegt. Auch die ĺLeitlinien zur Stromhandelsverordnung treffen detaillierte Regeln, zumindest hinsichtlich der grenzüberschreitenden Lieferungen im Elektrizitätsrecht. (hh) Systemrichtlinie (Gentechnik) council directive on the contained use of genetically modified micro-organisms – directive relative à l’utilisation confine de mirco-organismes génétiquement modifiés
Die RL 90/219/EWG regelt Maßnahmen, die bei der Anwendung von ĺgenetisch veränderten Mikroorganismen in geschlossenen Systemen zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt getroffen werden müssen. Art und Umfang der vorgeschriebenen Mindestmaßnahmen ist dabei von einer für jede Anwendung durchzuführenden Risikobewertung abhängig. Je nach Menge und Gefährdungspotential der verwendeten Mirkoorganismen werden dem Anwender Pflichten aufgebürdet. Arbeiten mit hohem Risikopotential dürfen dabei erst mit der Zustimmung der zu-
Systemrichtlinie (Gentechnik) ständigen Behörde aufgenommen werden. Darüber hinaus verpflichtet die Systemrichtlinie zur Erstellung von Notfallplänen, zur Belehrung über Sicherheitsmaßnahmen und zum festgelegten Vorgehen bei Unfällen. (al) §§: RL 90/219/EWG des Rates vom 23.4.1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1990, Nr. L 117/ 1; RL 98/81/EG des Rates vom 26. 10.1998 zur Änderung der RL 90/219/EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1998, Nr. L 330/13 Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. I., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l211 57.htm
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T Tabakwerbe-Richtlinie I tabacco advertising I (directive 98/43/EC) – tabac promotion I (directive 98/43/CE)
Die Tabakwerbe-Richtlinie I (RL 98/43/EG) zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der ĺMitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen wurde 1998 mit der erforderlichen qualifizierten Mehrheit im ĺRat, gegen die Stimmen Deutschlands und Österreichs bei Stimmenthaltung Dänemarks und Spaniens beschlossen und trat am 30.7.1998 in Kraft. Die ĺRichtlinie sah ein umfassendes Werbe- und Sponsoringverbot für Tabakerzeugnisse vor und stützte sich als Rechtsgrundlage auf Art. 95 EG. Der Londoner High Court legte dem ĺEuGH die Frage der Primärrechtskonformität der RL gem. Art. 234 EG zur ĺVorabentscheidung vor und auch die deutsche Bundesregierung erhob gegen die RL ĺNichtigkeitsklage gem. Art. 230 EG und begründete dies damit, dass die Wahl der Rechtsgrundlage verfehlt sei. Der EuGH stellte fest, dass Art. 95 EG der Gemeinschaft keine allgemeine ĺKompetenz zur Regelung des Binnenmarktes verleiht. Vielmehr dürfen Maßnahmen nur dann auf Art. 95 EG gestützt werden, wenn sie die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des ĺBinnenmarkt(es) verbessern. Der EuGH argumentierte, dass eine abstrakte Gefahr von Beeinträchtigungen von ĺGrundfreiheiten oder daraus resultierende Wettbewerbsverzerrungen nicht ausreichen, es müssten vielmehr tatsächlich Hemmnisse bestehen. Der EuGH gelangte zum Ergebnis, dass der Erlass einer Richtlinie, die bestimmte Formen der Werbung und des Sponsoring von Tabakerzeugnissen verboten hätte, die tatsächlich ein Binnenmarkthemmnis darstellten, auf der Grundlage von Art. 95 EG durchaus zulässig gewesen wäre. Die einzige Auswirkung der Tabakwerbe-RL auf den Binnenmarkt sei aber das Verbot des Handels mit Waren und Dienstleistungen im Bereich der Tabakwerbung. Eine Maßnahme, die eine bestimmte Wirtschaftstätigkeit verbietet, sei aber 854
nicht dazu geeignet, diese Tätigkeit betreffende Hindernisse auszuräumen In ihrer Gesamtheit fand die RL 98/43/EG daher keine Rechtsgrundlage in dieser Bestimmung. Da eine bloße Teilnichtigkeit der Richtlinie eine Änderung ihrer Bestimmungen durch den EuGH verlangt hätte, aber Änderungen dem Gemeinschaftsgesetzgeber vorbehalten sind, erklärte der EuGH die RL 98/43/EG in ihrer Gesamtheit für nichtig (s. dazu auch ĺTabakwerbe-Richtlinie II). (db) §§: Art. 14 EG, Art. 94 EG, Art. 95 EG, Art. 152 EG; RL 98/43/EG des EP und des Rates vom 6.7.1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen, ABl. 1998, Nr. L 213/9 ff., u.a. Lit.: I. Eisenberger/W. Urbantschitsch, TabakwerbeRichtlinie: Gemeinschafts- und verfassungsrechtliche Fragestellungen, ÖZW 1998, 106 ff.; M. Leitner, Die Tabakwerberichtlinie und der Binnenmarkt, ecolex 2000, 695 f.; J. Casper, Das Europäische Tabakwerbeverbot und das Gemeinschaftsrecht, EuZW 2000, 237 ff.; u.a. Rsp.: EuGH, Rs. 376/98 Deutschland/Europäisches Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419, Rn. 13 ff. (84 ff.); EuGH, Rs. C-74/99 Imperial Tobacco u.a., Slg. 2000, I-8599, u.a.
Tabakwerbe-Richtlinie II tabacco advertising II (directive 2003/33/EC) – tabac promotion II (directive 2003/33/CE)
Mit Urteil vom 12.12.2006 in der Rs. C-380/03 hat der Gerichtshof (ĺEuGH) die ĺNichtigkeitsklage der Bundesrepublik Deutschland gegen Art. 3 und 4 der RL 2003/33/EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen abgewiesen. Die ĺRichtlinie, die am 31.7.2005 in Kraft trat, verbietet Tabakwerbung in den Printmedien, im Rundfunk und im Internet. Außerdem untersagt sie das Sponsoring grenzüberschreitender Kultur- und Sportveranstaltungen. Die Bestätigung des Art. 95 EG als dienliche Rechtsgrundlage für ein Tabakwerbeverbot unterscheidet sich in erheblicher Weise von der
Tampere-Programm (PJZS) zur ĺersten Tabakwerbe-Richtlinie im Jahr 2000 ergangenen Entscheidung und stellte das generalklauselartige Totalverbot der RL 98/43/ EG auf eine enumerative Aufzählung einzelner, jeweils verbotener Werbemittel um. Der EuGH geht auch in dieser Entscheidung davon aus, dass eine auf Art. 95 EG gestützte Maßnahme die Beseitigung von Hemmnissen des freien Waren- bzw. Dienstleistungsverkehrs oder von Wettbewerbsverzerrungen bezwecken muss. Hinsichtlich des in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie aufgeführten generellen Verbots der Werbung in Erzeugnissen der Presse und in anderen gedruckten Veröffentlichungen sieht der EuGH die Voraussetzungen des Art. 95 EG als gegeben an. Das gleiche gilt für das Verbot der Werbung in den Diensten der Informationsgesellschaft sowie für das Verbot der Werbung im Rundfunk (Art. 4), die der Gerichtshof ebenfalls in Art. 95 EG gedeckt sah. Kontrovers diskutiert wird in der Literatur jedoch u.a., ob der ĺGemeinschaftsgesetzgeber mit der Verabschiedung der Tabakwerbe-Richtlinie II nicht überhaupt gegen das ĺPrinzip der begrenzten Ermächtigung verstoßen hat, weil keine tragfähige Rechtsgrundlage zum Erlass gegeben war. Dabei wird argumentiert, dass die vom Gerichtshof verlangte Eignung divergierender mitgliedstaatlicher Rechtslagen, die eine Beeinträchtigung der ĺGrundfreiheiten darstellen müssten, in diesem Fall nicht gegeben war. (db) §§: Art. 14 EG, Art. 94 EG, Art. 95 EG, Art. 152 EG, Art. 253 EG, Art. 251 EG, RL 2003/33/EG des EP und des Rates vom 26.5.2003 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen, ABl. 2003, Nr. L 152/16 ff., u.a. Lit.: W. Schroeder, Die neue EG-Tabakwerberichtlinie, ecolex 2004, 578 f.; C. Calliess, Die Binnenmarktkompetenz der EG und das Subsidiaritätsprinzip, Göttinger Online – Beiträge zum Europarecht 2005, 10 ff.; N. Görlitz, EU-Binnenmarktkompetenzen und Tabakwerbeverbote – Kompetenzrechtliche Anmerkungen zur neuen Richtlinie über Werbung und Sponsoring zu Gunsten von Tabakerzeugnissen; EuZW 2003, 493 ff.; W. Berg, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 153 EGV, Rn. 23 ff.; u.a. Rsp.: EuGH, Rs. C-380/03 Deutschland/Europäisches Parlament und Rat, Slg. 2006, I-11573
TACIS Technical Aid to the Commonwealth of Independent States – TACIS
Bei TACIS handelt es sich um eine Förderung, mit der die, aus dem Untergang der Sowjetunion hervorgegangenen, neuen unabhängigen Staaten im Übergang zur Marktwirtschaft und
in der Stärkung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit unterstützt werden sollen. Dies geschieht primär durch Organisation von Ausbildungsmaßnahmen und technischer Hilfe, etwa der Abstellung von europäischen Fachkräften. ĺEuropäische Stiftung für Berufsbildung (ETF). (gr) §§: VO(EG) 99/2000, ABl. 2000, Nr. L 12/1 Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/r17003.htm
Tageslenkzeit ĺLenk- und Ruhezeiten TAIEX Technical Assistance and Information Exchange – Programme d’assistance technique et d’échange d’informations
Dt., Technische Hilfe und Informationsaustausch. TAIEX (T.) ist ein Programm der ĺGeneraldirektion Erweiterung der KOM. Eingerichtet im Rahmen der sog. ĺOsterweiterung dient es der technischen Beratung, Schulung und Information von Einrichtungen der ĺBewerberländer, die für die Übernahme und Anwendung des ĺGemeinschaftlichen Besitzstandes zuständig sind. Der Schwerpunkt liegt auf kurzfristigen und gezielten Unterstützungsleistungen. 2006 weitete der Rat T. auch auf die Staaten der ĺEuropäischen Nachbarschaftspolitik und Russland aus (2006/62/EG). Dadurch soll eine verstärkte wirtschaftliche und politische Integration in die Union gefördert werden. (lo) §§: Art. 181a EG; Beschluss des Rates 2006/62/EG, ABl., Nr. L 32/80 Lit.: ZER 2005, 124; ZER 2006, 52 Web: http://taiex.cec.eu.int
Tampere-Programm (PJZS) Tampere programme (PJCCM) – programme de Tampere (CPJMP)
Nach dem Tagungsort benannte Schlussfolgerungen einer Sondertagung des ĺEuropäischen Rat über die Schaffung eines ĺRaums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR) in der Europäischen Union vom 15./ 16.10.1999. Der RFSR war durch den am 1.5. 1999 in Kraft getretenen ĺVertrag von Amsterdam ausdrücklich in den Vertragstext aufgenommenen. Die Beschlüsse von Tampere nahmen auf die Vorgaben des nach Unterzeichnung, aber vor Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam bereits beschlossenen ĺWiener Aktionsplans ausdrücklich Bezug. Zur Verwirk855
TARGET lichung dieses Zieles enthielten die Beschlüsse konkrete Aufgaben für dessen drei Verwirklichungswege (Gemeinsame Politik in den Bereichen Visa, Asyl und Einwanderung, ĺPolizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen [PJZS]). Wesentlicher Bestandteil dieses europäischen Justizraums ist die ĺjustizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen, die ihre Grundlage in den Art. 61-69 EG findet. Für die PJZS wurde unter dem Schlagwort eines „echten Europäischen Rechtsraum(s)“ der Grundsatz der ĺgegenseitigen Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen als Eckpunkt der Zusammenarbeit benannt und mit der Notwendigkeit einer Annäherung mitgliedstaatlicher Rechtsvorschriften verknüpft. Der Anerkennungsgrundsatz solle sich sowohl auf Urteile als auch auf andere Entscheidungen von Justizbehörden beziehen. Im Rahmen der unionsweiten Kriminalitätsbekämpfung wurde eine intensivierte Kooperation u.a. durch die Stärkung von ĺEuropol, die Errichtung von ĺEurojust sowie die Errichtung der ĺEuropäischen Polizeiakademie gefordert. Für die Annäherung des materiellen Strafrechts der Mitgliedstaaten wurde eine Konzentration zunächst auf besonders relevante Bereiche gefordert. Dabei standen der Schutz von Rechtsgütern der Gemeinschaft sowie die Bekämpfung schwerer, organisierter bzw. grenzüberschreitender Kriminalität im Vordergrund. Ausdrücklich benannt wurden Finanzkriminalität (ĺGeldwäsche, ĺBestechung, Fälschung des Euro), illegaler ĺDrogenhandel, ĺMenschenhandel, insbesondere Ausbeutung von Frauen, sexuelle Ausbeutung von Kindern (Kinder, strafrechtliche Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie), Hightech-Kriminalität und Umweltkriminalität. Die Umsetzung des Wiener Aktionsplans und des Tampere-Programms sollte innerhalb von fünf Jahren erfolgen. Die Kommission wurde ersucht, für die Überprüfung der Umsetzung einen regelmäßigen Fortschrittsanzeiger zu entwickeln. Da die hoch gesteckten Ziele in dem kurz bemessenen Zeitraum nicht vollständig umgesetzt werden konnten, wurde im Dezember 2004 auf einer Sondertagung in Den Haag ein Folgeprogramm verabschiedet (ĺHaager Programm), das in zehn Punkten die weiteren Maßnahmen auf dem Gebiet des RFSR vorgibt. (mrm) (sts) §§: Schlussfolgerungen des Vorsitzes – Europäischer Rat (Tampere) 15. und 16.10.1999; Mitteilung der Kommission – Bilanz des Tampere-Programms, KOM(2004) 401 endg.
856
Lit.: A. Jour-Schröder/M. Wasmeier, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Vorbem. Art. 29-42 EU, Rn. 45 ff.
TARGET Trans-European Automated Real-time Gross settlement Express Transfer System
Dahinter verbirgt sich das von dem ĺEuropäischen System der Zentralbanken betriebene Zahlungsverkehrssystem, mit dem auf Euro lautende Geldbeträge innerhalb der Gemeinschaft und im Verkehr mit dritten Staaten transferiert werden können. Das System verarbeitet Zahlungen in Echtzeit und zum Bruttobetrag, d.h. ohne Verrechnung (Netting) zwischen den Teilnehmern. TARGET besteht aus den Echtzeit-Brutto-Zahlungsverkehrssystemen der nationalen Zentralbanken in der ĺEurozone, dem EZB-Zahlungsverkehrsmechanismus sowie den Systemen weiterer EU-Staaten. Das System dient zunächst der Abwicklung der ĺGeldpolitik der EZB, um den Zahlungsverkehr zwischen den nationalen Zentralbanken und den Kreditinstituten durchzuführen. TARGET steht außerdem für den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr von privaten Teilnehmern offen, die aber grundsätzlich als Kreditinstitute in der EG beaufsichtigt sein müssen. Auf diese Weise verwirklicht die ĺEZB das vertraglich vorgesehene Ziel gem. Art. 105 Abs. 2 EG bzw. Art. 22 ESZB-Satzung, innerhalb der Gemeinschaft und im Verkehr mit dritten Staaten effiziente und zuverlässige Verrechnungs- und Zahlungssysteme zu gewährleisten. TARGET soll nach den Plänen der EZB künftig durch TARGET-2 abgelöst und um eine Plattform ergänzt werden, über die auch die Wertpapierabwicklung erfolgt. (co) §§: Leitlinie der EZB über TARGET vom 30.12.2005 (EZB/2005/16), ABl. 2006, Nr. L 18/1 Web: http://www.ecb.int/paym/target/html/index.en. html
TARIC integrated tariff of the European Communities – Tarif intégré des Communautés européennes
Dt., Integrierter Tarif der Europäischen Gemeinschaften. Um das Zollsystem (s.a. ĺZolltarif) für die mitgliedstaatlichen Behörden transparent zu machen, wurde in der VO (EWG) 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif ein Informationssystem in Gestalt des integrierten Tarifs der Gemeinschaft (TARIC) eingeführt. TARIC ist eine von der
Technische Spezifikationen ĺKommission herausgegebene kompakte Tarifinformation, wobei eine konkrete Abfrage auch Online erfolgen kann. TARIC steht für Tarif intégré des Communautés européennes. (ah) Lit.: Mitteilung der Kommission zum Integrierten Tarif der Europäischen Gemeinschaft, ABl. 2003 C 103/1 Web: http://ec.europa.eu/taxation_customs/dds/de/ tarhome.htm.
Tarifäre Belastungen (freier Warenverkehr) ĺZölle (freier Warenverkehr); ĺAbgabe zollgleicher Wirkung; ĺGebühr beim Grenzübertritt von Waren; ĺzollgleiche Abgabe und interstaaliche Abgabe (Abgrenzung) Tarifierung ĺSystemnutzungstarife Tarifpflicht ĺVerpflichtungen des öffentlichen Dienstes Tas-Hagen-Entscheidung Tas-Hagen case – jurisprudence Tas-Hagen
In der Rs. Tas-Hagen (EuGH, Rs. C-192/05 TasHagen, Slg. 2006, I-10451) stellte sich erneut die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Unionsbürger mit dem Wegzug aus seinem Heimatstaat aus der nationalen Solidargemeinschaft ausscheiden kann (s. dazu bereits EuGH, Rs. C-406/04 De Cuyper, Slg. 2006, I-6947 ĺDe Cupyer-Entscheidung). Zu befinden war diesmal über die Gemeinschaftsrechtskonformität einer niederländischen Regelung, nach der die Gewährung einer Sozialleistung für zivile Kriegsopfer niederländischer Staatsangehörigkeit davon abhing, dass der Berechtigte zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen Wohnsitz in den Niederlanden hat. Hieran scheiterte der Anspruch der zwischenzeitlich nach Spanien verzogenen Eheleute Tas-Hagen und Tas. Der Gerichtshof qualifizierte die streitgegenständliche Anspruchsvoraussetzung als tatbestandlich von Art. 18 Abs. 1 EG erfasste Benachteiligung aufgrund der Ausübung des Freizügigkeitsrechts (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines, Beschränkungsverbot). Eine Rechtfertigung komme nicht in Betracht: Zwar könne der Heimatstaat die Gewährung der Vergünstigung von einer hinreichend engen Verbundenheit mit dessen Gesellschaft abhängig machen; hierfür sei der Wohnsitz im Inland zum Zeitpunkt der Antragstellung jedoch kein aussagekräftiges Kriterium. (fw)
§§: Art. 18 EG Lit.: F. Wollenschläger, Anmerkung zu EuGH, Rs. C406/04 – De Cuyper, EuZW 2006, 503; ders., Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 281 ff., 346 ff.
Task Force der Polizeichefs Police Chief Task Force (PCTF) – Task force des chefs de police (TFCP)
Auf Basis des ĺTampere-Programms seit April 2000 eingerichtetes informelles Forum der Polizeidirektoren und -präsidenten der Mitgliedstaaten der EU. Grundsätzlich ist eine Tagung pro Ratsvorsitz (Rat der Europäischen Union, Vorsitz) unter der Verantwortung dieses Mitgliedstaates vorgesehen. Ziel der Treffen ist es, zur Erstellung gemeinsamer Strategien einer verstärkten polizeilichen Zusammenarbeit insbesondere bei grenzüberschreitender organisierter Kriminalität beizutragen sowie im Falle einer möglichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch bestimmte Ereignisse Strategien für gemeinsame operative Maßnahmen zu deren Aufrechterhaltung festzulegen. Die Task Force kann auch als Gruppe hochrangiger Vertreter i.S.d. Art. 3 der Gemeinsamen Maßnahme 97/339/JI vom 26.5.1997 betreffend die Zusammenarbeit im Bereich der öffentlichen Ordnung und Sicherheit beraten. (sts) §§: Gemeinsame Maßnahme 97/339/JI vom 26.5. 1997 – vom Rat aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – betreffend die Zusammenarbeit im Bereich der öffentlichen Ordnung und Sicherheit; ABl. 1997, Nr. L 147/1; Art. 46 SDÜ, ABl. 2000, Nr. L 239/19 Lit.: Schriftliche Anfrage E-2312/00 von Marco Cappato (TDI) an den Rat, ABl. 2001, Nr. C 103E/114
Tatortregel (IPR) ĺLex loci delicti Technische Spezifikationen technical specifications – spécifications techniques
Technische Spezifikationen im Sinn des ĺVergaberechts sind Anforderungen, die an die ausgeschriebene Leistung gestellt werden und mit deren Hilfe die Leistung so umschrieben wird, dass sie den vom ĺAuftraggeber festgelegten Verwendungszweck erfüllt. Technische Spezifikationen können sich auf das verwendete Material, die Abmessungen, die Gebrauchstauglichkeit, die Sicherheit, Umweltaspekte, Produktionsmethoden und ähnliches beziehen. Die Festlegung technischer Spezifikationen darf nicht zu einer ĺDiskriminierung oder zu einer 857
Technische Vorschriften (freier Warenverkehr) ĺWettbewerbsverfälschung führen; primär sind daher gemeinschaftsweit anerkannte Normen heranzuziehen. Auf bestimmte Marken darf nur in Ausnahmefällen (und nur unter Beifügung des Zusatzes „oder gleichwertig“) verwiesen werden. (cm) §§: Art. 23 VergabeRL, Anhang VI VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 1101; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 238 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Technische Vorschriften (freier Warenverkehr) technical regulations (free movement of goods) – règle technique (libre circulation des marchandises)
Mitgliedstaatliche technische Vorschriften müssen vor ihrer Einführung gem. der RL 98/34/EG der ĺKommission bekannt gegeben werden. Geschieht dies nicht, so sind die Artikel 8 und 9 der Richtlinie dahin auszulegen, dass sie von einzelnen vor dem nationalen Gericht herangezogen werden können, das die Anwendung einer nationalen technischen Vorschrift, die nicht gem. der Richtlinie mitgeteilt wurde, ablehnen muss (vgl. EuGH, Rs. C-194/94 CIA Security, Slg. 1996, I-2201, Rn. 55) Technische Vorschriften i.S.d. Art. 1 Z. 9 der RL sind „ technische Spezifikationen sowie sonstige Vorschriften einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung de jure oder de facto für das Inverkehrbringen oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie – vorbehaltlich der Bestimmungen des Art. 10 – der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses verboten wird.“ Dieser Begriff wird vom ĺEuGH eng ausgelegt. Technische Spezifikationen müssen sich laut EuGH auf das Erzeugnis als solches beziehen (EugH, Rs. C-314/98 Snellers Auto’s, Slg. 2000, I-8633, Rn. 38). Keine technische Vorschriften i.S.d. RL ist daher eine nationale Regelung, die nicht die Merkmale eines Erzeugnisses vorschreibt, sondern sich auf die Festlegung der Ladenöffnungszeiten beschränkt (EuGH, Rs. C-418-421/93 Semeraro Casa Uno/ Erbusco, Slg. 1996, I-2975, Rn. 38); eine nationale Regelung, die dazu verpflichtet, den Garantieschein, die Gebrauchsanweisung oder unmittelbar auf dem Erzeugnis bzw. dessen Verpackung angebrachte Hinweise (etwa bezüglich der Verwendung oder der Zusammensetzung 858
des Erzeugnisses) in der Sprache oder den Sprachen des Gebiets abzufassen, in dem das Erzeugnis auf den Markt gebracht wird (ĺColimEntscheidung); eine nationale Regelung über die Bestimmung des Zeitpunkts der Erstzulassung eines Fahrzeugs zum Verkehr (EuGH, Rs. C-314/98 Snellers Auto’s, Slg. 2000, I-8633, Rn. 35 ff.); eine nationale Reglung nach der in Schweinehaltungsbetrieben ein oder mehrere Desinfektionsbehälter für Schuhe oder Reinigungseinrichtungen vorhanden sein müssen, die sich zur Desinfektion von Schuhen eignen, weil diese keinen Bezug zur eigentlichen Produktion des betreffenden landwirtschaftlichen Erzeugnisses aufweist (EuGH, Rs. C-37/99 Donkersteeg, Slg. 2000, I-10223, Rn. 20 f.); eine nationale Regelung, die Werbung für Sendeanlagen eines nicht zugelassenen Typs verbietet, weil sich diese nicht auf das Erzeugnis als solches bezieht, sondern lediglich eine bestimmte Art und Weise des Absatzes verbietet und nicht die vorgeschriebenen Merkmale eines Erzeugnisses festlegt (EuGH, Rs. C-278/99 Van der Burg, Slg. 2001, I-2015, Rn. 18 ff.). (rp) §§: RL 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.6.1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, ABl. 1998, Nr. 204/37 Lit.: P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 12.77 ff.; M. Ritter, Sprachliche Anforderungen an Warenetikettierungen und freier Warenverkehr: Maßnahmen gleicher Wirkung, die keine technischen Vorschriften, sondern zusätzliche Vorschriften sind: zugleich eine Anmerkung zu EuGH, Rs. 33/97 – Colim, ÖZW 1999, 105 Rsp.: EuGH, Rs. C-194/94 CIA Security, Slg. 1996, I-2201; EuGH, Rs. C-314/98 Snellers Auto’s, Slg. 2000, I-8633; EuGH, Rs. C-418-421/93 Semeraro Casa Uno/ Erbusco, Slg. 1996, I-2975; EuGH, Rs. C-33/97, Colim, Slg. 1999, I-3175 (ĺColim-Entscheidung); EuGH, Rs. C-314/98 Snellers Auto’s, Slg. 2000, I-8633; EuGH, Rs. C-37/99 Donkersteeg, Slg. 2000, I-10223; EuGH, Rs. C-278/99 Van der Burg, Slg. 2001, I-2015
Teckal-Entscheidung Teckal case – jurisprudence Teckal
Entscheidung des EuGH vom 18.11.1999, Rs. C-107/98 Teckal, Slg. 1999, I-8121; ĺin-houseVergabe. (cm) TED Tenders Electronic Daily ĺBekanntmachung Teilnahmefrist time limit for the receipt of requests to participate – délai de réception des demandes de participation
Teilnahmefrist (Bewerbungsfrist) im Sinn des ĺVergaberechts ist die Frist, die der ĺAuf-
Terrorismus, strafrechtliche Bekämpfung des traggeber einem ĺWirtschaftsteilnehmer für die Stellung eines Teilnahmeantrages in einem zweistufigen Verfahren (s. dazu das ĺVergabeverfahren) einräumt. Ebenso wie bei den ĺAngebotsfristen ist die Komplexität des Auftragsgegenstandes zu berücksichtigen. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene sind bestimmte Mindestfristen festgelegt (37 Tage bei ĺnichtoffenen Verfahren), diese Mindestfristen können etwa bei der Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel (s. dazu ĺE-Procurement) oder in Fällen von Dringlichkeit unterschritten werden. (cm) §§: Art. 38 VergabeRL Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 233 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Telaustria-Entscheidung Telaustria case – jurisprudence Telaustria
Entscheidung des EuGH vom 7.12.2000, Rs. C-324/98 Telaustria, Slg. 2000, I-10745; ĺDienstleistungskonzession; ĺTransparenzgebot. (cm) Teleshopping teleshopping – télé-achat
Teleshopping wird in Art. 1 lit. j der ĺAVMRL definiert als „die Sendung direkter Angebote an die Öffentlichkeit für den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, gegen Entgelt.“ Teleshopping stellt insofern keine Werbetechnik i.e.S., sondern ein Programm dar, welches in der Ausstrahlung direkter Angebote an die Öffentlichkeit (dh. im Verkauf von Waren bzw. Dienstleistungen über die audiovisuellen Mediendienste) besteht. Von Teleshopping gehen aber sehr ähnliche Gefahrenlagen wie von der Werbung (ĺFernsehwerbung) für den Zuschauer und allgemein die redaktionelle Unabhängigkeit der Medien aus. Teleshopping fällt insofern nach der Werberegelungssystematik der AVMRL unter den Tatbestand der ĺaudiovisuellen kommerziellen Kommunikation und wird in Kap. IV der ĺAVMRL denselben Regelungsanforderungen unterworfen wie die ĺFernsehwerbung. (dd) Tendenzschutz, religiöser ĺArbeitsrecht, religionsgemeinschaftliches
Terrorismus, strafrechtliche Bekämpfung des terrorism, combating – terrorisme, la lutte pénale contre le
Die Verfolgung von Terroristen, des Terrorismus Verdächtigen und terroristischen Aktivitäten mit den Mitteln der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen ist Teil einer umfassenden Strategie der Europäischen Union (ĺTerrorismusbekämpfung, Strategie). Gem. Art. 29 Abs. 2 EU werden dazu eine engere Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden und die Annäherung der Strafvorschriften angestrebt; letztere mit dem Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung. Der ĺRahmenbeschluss ƒ stellt Mindestvorschriften für die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen auf: Er definiert, welche Handlungen als terroristische Straftaten i.S.d. Rahmenbeschlusses unter Strafe zu Stellen sind (ĺTerroristische Straftaten) (Art. 1). Mit Strafe zu bedrohen sind auch das Anführen einer ĺterroristischen Vereinigung sowie die Beteiligung an deren Handlungen einschließlich der Bereitstellung von Informationen, materiellen Mitteln oder der sonstigen Finanzierung mit dem Wissen, damit zu den strafbaren Handlungen der Vereinigung beizutragen (Art. 2 Abs. 2). Schwerer Diebstahl, Erpressung und die Ausstellung gefälschter Verwaltungsdokumente sind, wenn sie mit dem Ziel der Begehung einer terroristischen Straftat verwirklicht werden, als Straftaten im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten einzustufen (Art. 3). Unter Strafe zu stellen sind auch Anstiftung, Beihilfe sowie – mit Einschränkungen – der Versuch all dieser Taten (Art. 4). Mit seinen Vorgaben setzt der Rahmenbeschluss weitgehend auf einen präventiven Einsatz des Strafrechts, indem er insbesondere fordert, Vorbereitungshandlungen möglicher terroristischer Aktivitäten unter Strafe zu stellen (sog. Vorbereitungsdelikte); ƒ verlangt wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen (ĺMindesttrias der Sanktionen) (Art. 5 Abs. 1). Der besondere Unwertgehalt terroristischer Straftaten ist zu berücksichtigen, indem die Strafandrohung für deren vorsätzliche Begehung, ihres Versuch oder der Beteiligung an einer solchen Tat mit höheren Freiheitsstrafen bedroht sein muss als dies gleichartige Handlungen ohne die besondere Absicht sind. Das Anführen einer terroristischen Vereinigung ist im Höchst859
Terrorismusbekämpfung, Aktionsplan maß mit mindestens 15 Jahren Freiheitsstrafe (sog. Mindesthöchststrafe) zu bedrohen. Anderes gilt, wenn lediglich die Drohung mit terroristischen Straftaten beabsichtigt ist. Die Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung muss mit einer Mindesthöchststrafe von acht Jahren bedroht sein. Im Falle tätiger Reue kann die Möglichkeit einer Strafmilderung zugelassen werden (Art. 6); ƒ setzt Vorgaben für die Verantwortlichkeit einer juristischen Person (Art. 7), für die ebenfalls wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verlangt werden (Art. 8). Voraussetzung ist stets eine Straftat i.S.d. Art. 14. Die Verantwortlichkeit der jP wird begründet entweder durch die Zurechnung des eigenen Verhaltens einer vertretungs-, entscheidungs- oder kontrollbefugten Führungsperson oder aufgrund mangelnder Überwachung und Kontrolle der juristischen Person unterstellter Personen durch eine solche Führungsperson. Vorgesehen werden können strafrechtliche und nichtstrafrechtliche Geldsanktionen (ĺGeldstrafen; ĺGeldbußen), darüber hinaus andere Sanktionen bis hin zur richterlich angeordneten Auflösung; ƒ macht Vorgaben für das Strafanwendungsrecht und stellt einen abgestuften Kriterienkatalog auf für die Klärung der Zuständigkeit, wenn die Gerichtsbarkeit mehrerer Mitgliedstaaten eröffnet ist (Art. 8); ƒ fordert insbesondere zur Unterstützung der Opfer auch über die Vorgaben des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI (ĺOpferrechte im Strafverfahren, Rahmenbeschluss über die Stellung des Opfers) hinaus auf (Art. 10). Der Rahmenbeschluss war bis zum 31.12.2003 durch die Mitgliedstaaten umzusetzen. Bestimmungen zur Prävention und Bekämpfung des Terrorismus durch Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen finden sich auch in zahlreichen weiteren Rechtsakten sowohl zur Annäherung des materiellen Strafrechts (etwa zur Strafbarkeit der ĺGeldwäsche und zur Strafbarkeit der ĺBeteiligung an einer kriminellen Vereinigung) als auch zu Fragen der polizeilichen und strafjustiziellen Zusammenarbeit (etwa zu ĺEuropol, zum ĺEuropäischen Justiziellen Netz sowie zu ĺGemeinsamen Ermittlungsgruppen). Die strafrechtliche Bekämpfung des Terrorismus ist – eingebettet in das ĺHaager Programm – wesentlicher Teil der Strategie der EU zur des Terrorismusbekämpfung (ĺTerrorismus860
bekämpfung, Strategie der EU) und des der Umsetzung dienenden Aktionsplans (ĺTerrorismusbekämpfung, Aktionsplan). (sts) §§: Rahmenbeschluss des Rates vom 13.6.2002 zur Terrorismusbekämpfung (2002/475/JI), ABl. 2002, Nr. L 164/3 Lit.: K. Ambos, Internationales Strafrecht, 2006, § 12, Rn. 12 ff.; B. Hecker, Europäisches Strafrecht, 2. Aufl. 2007, § 11, Rn. 52 ff. Web: http://www.consilium.europa.eu/showPageasp? id=406&lang=de&mode=g
Terrorismusbekämpfung, Aktionsplan combating terrorism, action plan – le plan d’action de lutte contre le terrorisme
Der ĺEuropäische Rat hat bereits auf einer außerordentlichen Tagung nach den Anschlägen vom 11.9.2001 einen Aktionsplan der EU zur Bekämpfung des Terrorismus angenommen. Dieser wurde und wird regelmäßig fortentwickelt. Der im Februar 2006 umfassend revidierte Aktionsplan setzt die Vorgaben der neuen Strategie der Europäischen Union zur Bekämpfung des Terrorismus (ĺTerrorismusbekämpfung, Strategie der EU) in einen konkreten Maßnahmenplan um. Aufgeschlüsselt in die vier Arbeitsbereiche der Strategie, benennt er insbesondere die zu ergreifenden Maßnahmen, das dafür zuständige ĺOrgan der EU sowie die Frist für die Durchführung. Dazu gehören sowohl innereuropäische als auch außenpolitische Maßnahmen. Letztere sind auch mit der ĺEuropäischen Sicherheitsstrategie verknüpft. Die innenpolitischen Maßnahmen sind vor allem auf eine Verstärkung der ĺPolizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (ĺTerrorismus, strafrechtliche Bekämpfung des) und der Zusammenarbeit bei den Grenzkontrollen und in den Bereichen Visa, Asyl und Einwanderung gerichtet. (sts) §§: Europäischer Rat vom 21.9.2001 – Schlussfolgerungen und Aktionsplan, Dok. SN 140/01; Aktionsplan der EU zur Bekämpfung des Terrorismus, Ratsdok. 5771/1/06 REV 1 Lit.: C. Gusy, Möglichkeiten und Grenzen einer europäischen Antiterrorpolitik, GA 2005, 215 ff.
Terrorismusbekämpfung, EU-Koordinator für die EU Counter-Terrorism Coordinator – UE Coordinateur pour la lutte contre le terrorisme
Der EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung ist dem Rat der Europäischen Union zugeordnet. Die Funktion wurde durch den Rat der Innenminister unmittelbar nach den
Terrorismusbekämpfung, smart sanctions Anschlägen von Madrid im März 2004 geschaffen. Der Funktionsträger wird vom ĺHohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ernannt. Ihm obliegen ƒ die Analyse der europäischen Aktivitäten zur Terrorismusbekämpfung und das Erarbeiten von Verbesserungsvorschlägen; ƒ die Unterstützung und Vorbereitung der Ratssitzungen (Justiz und Inneres); ƒ die Überwachung der Umsetzung der europäischen Vorgaben auf nationaler Ebene. Von 2004–2007 hatte Gijs de Vries die Funktion inne; seit September 2007 hat Gilles de Kerckhove diese Aufgabe übernommen. (sts)
combating terrorism, smart sanctions – la lutte contre le terrorisme, smart sanctions
zwei Gruppen von Sanktionsbetroffenen, nämlich jenen, die auf Ebene des UN-Sicherheitsrates bereits individualisiert sind und solchen, die erst auf Ebene der Europäischen Union als Sanktionsadressat ausgewählt werden. Bei letzteren hat das ĺEuG eine umfassende Prüfung der Sanktionen auch am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte bejaht. Bei den bereits auf UN-Ebene benannten Sanktionsbetroffenen hat das EuG die Möglichkeit einer umfassenden Prüfung am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte abgelehnt, weil es sich an die Entscheidung auf UN-Ebene gebunden sah. Diese Entscheidung sei gegenüber dem Gemeinschaftsrecht vorrangig und könne nicht an diesem gemessen werden. Allein eine Prüfung am Maßstab des auch für die UN maßgeblichen ius cogens sei möglich. Der ĺGeneralanwalt ist dieser Auffassung im Rechtsmittelverfahren C-415/ 05 P entgegengetreten und hat eine Prüfung am Maßstab der Gemeinschaftsgrundrechte befürwortet. Eine Entscheidung des Gerichtshofes steht noch aus. (sts)
Zur Prävention und Bekämpfung des Terrorismus setzt die Europäische Union auch sog. „smart sanctions“ ein, die auf das Einfrieren der Vermögenswerte von natürlichen oder juristischen Personen, Gruppierungen oder nichtstaatlichen Einheiten abzielen, wenn der Verdacht besteht, dass diese Personen oder Organisationen zur Finanzierung des Terrorismus beitragen könnten. Der Einsatz dieser gezielten Sanktionen geht auf entsprechende Resolutionen des UN-Sicherheitsrates auf Basis des Kap. VII UN-Charta (Maßnahmen gegen die Bedrohung des Weltfriedens) zurück. Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind zur Umsetzung dieser Resolutionen verpflichtet. Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union erfolgt die Umsetzung seitens der Europäischen Union im Zusammenspiel von ĺGemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik und ĺGemeinschaftsrecht (ĺSofortmaßnahmen, Kapitalverkehrsfreiheit), da die Kompetenzen zum Erlass der Wirtschaftssanktionen der EG übertragen sind. Der ĺVertrag von Lissabon schafft zukünftig eine explizite Kompetenzgrundlage für den Erlass von smart sanctions gegen natürliche oder juristische Personen, Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten mit dem Ziel der Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus. Fragen des Rechtsschutzes gegen solche smart sanctions sind bislang noch nicht vollständig geklärt. Zu unterscheiden ist dabei zwischen
§§: Art. 15, 34 EU; Art. 60, 301, 308 EG; SR-Res. 1390 (2002); Gemeinsamer Standpunkt 2002/402/GASP, ABl. 2002, Nr. L 139/4; VO (EG) 881/2002, ABl. 2002, Nr. L 139/9; VO (EG) 220/2008, ABl. 2008, Nr. L 68/ 11 (UN-determinierte Liste); SR-Res. 1373(2001); Gemeinsamer Standpunkt 2001/931/GASP, ABl. 2001, Nr. L 344/93; Gemeinsamer Standpunkt 2007/871/ GASP, ABl. 2007, Nr. L 340, 109; VO (EG) 2580/2001, ABl. 2001, Nr. L 344/70; Beschluss des Rates 2007/ 868/EG, ABl. 2007, Nr. L 340/100 (EU-autonome Liste); Art. 61h EG-Vertrag idF des Reformvertrages. Lit.: B. Fassbender, Art. 19 Abs. 4 GG als Garantie innerstaatlichen Rechtsschutzes gegen Individualsanktionen des UN-Sicherheitsrates, AöR 2007, 257 ff.; F. Meyer, Lost in Complexity. Gedanken zum Rechtsschutz gegen smart sanctions in der EU, ZEuS 2007, 1 ff.; ders./J. Macke, Rechtliche Auswirkungen der Terrorlisten im deutschen Recht, HRRS 12/2007, 445 ff.; K. Schmalenbach, Normentheorie vs. Terrorismus: Der Vorrang des UN-Rechts vor EU-Recht, JZ 2006, 349 ff.; S. Schmahl, Effektiver Rechtsschutz gegen „targeted sanctions“ des UN-Sicherheitsrats?, EuR 2006, 566 ff.; S. Schumann/R. Soyer, Rechtsschutz im Mehrebenenverbund zwischen Gefahrenabwehr und Strafrecht, in: Landesgruppe Österreich der AIDP (Hrsg.), Terrorismus und Menschenrechte. Neue Entwicklungen und Herausforderungen, 2007, 81 ff. Rsp.: EuG, Rs. T-306/01 Ysuf, Slg. 2005, II-3533; Rs. T-315/01 Kadi, Slg. 2005, II-3649; Rs. T-49/04 Hassan, Slg. 2006, II-52; Rs. T-253/02 Ayadi, Slg. 2006, II2139; T-228/02 OMPI, Slg. 2006, II-4665; T-47/03 Sison, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht; T-327/03 Al-Aqsa, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht; EuGH, C-354/04 P Gestoras Pro Amnistía, Slg. 2007, I-1579; C-117/06 Möllendorf, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht; Rs. C-402/05 P Kadi – Schlussantrag des Generalanwalts vom 16.1.2008; EMRK, GrK v. 30.6. 2005, 45036/98, NJW 2006, 197 – Bosphorus
§§: Summary Transcript of Joint Press Briefing, 30.3. 2004, S0090/04; Implementation of the Action Plan to Combat Terrorism, Report of the Counter-Terrorism Coordinator, 19.5.2006, Ratsdok. 9589/06
Terrorismusbekämpfung, smart sanctions
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Terrorismusbekämpfung, Strategie der EU Terrorismusbekämpfung, Strategie der EU combating terrorism, EU Counter-Terrorism Strategy – stratégie de l’Union européenne visant à lutter contre le terrorisme
Am 15./16.12.2005 hat der ĺEuropäische Rat die neue Strategie der Europäischen Union zur Bekämpfung des Terrorismus angenommen. Sie umfasst vier Arbeitsbereiche: ƒ Prävention, um zu verhindern, dass sich Menschen dem Terrorismus zuwenden; ƒ Schutz der Bevölkerung und kritischer Infrastrukturen; ƒ transnationale Verfolgung von Terroristen und terroristischen Aktivitäten sowohl mit repressiven als auch mit präventiven Mitteln und ƒ verbesserte Reaktion auf terroristische Anschläge zur Folgenbewältigung und -minimierung. Die Terrorismusbekämpfung ist eine Querschnittsmaterie, die sowohl innereuropäische als auch außenpolitische Maßnahmen umfasst. Die mit der Strategie gesetzten Rahmenvorgaben werden insbesondere in dem Aktionsplan der EU zur Bekämpfung des Terrorismus (ĺTerrorismusbekämpfung, Aktionsplan) näher aufgeschlüsselt. (sts) §§: Ratsdok. 14469/4/05 REV 4
Terroristische Straftaten terrorist offences – infractions terroristes
Es besteht keine allgemeingültige Definition dessen, was als terroristische Straftaten einzuordnen ist. Im Rahmen der EU wurde erstmals mit Art. 1 Abs. 3 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus eine Begriffsdefinition vorgenommen. Der Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung (ĺTerrorismus, strafrechtliche Bekämpfung des) greift diese Definition in Art. 1 Abs. 1 weitestgehend auf. Terroristische Straftaten sind danach Vorsatzdelikte mit überschießender Innentendenz: Erfasst sind bestimmte, ausdrücklich benannte vorsätzliche Handlungen, die ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen können, wenn sie mit dem Ziel begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder internationale Organisationen rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die Grundstrukturen eines Landes oder einer iO ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören. (sts) 862
§§: Rahmenbeschluss des Rates vom 13.6.2002 zur Terrorismusbekämpfung (2002/475/JI), ABl. 2002, Nr. L 164/3
Terroristische Vereinigung terrorist group – un groupe terroriste
Für die Zwecke der Mindestharmonisierung des mitgliedstaatlichen Strafrechts durch den Rahmenbeschluss 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung (ĺTerrorismus, strafrechtliche Bekämpfung des) definiert dieser eine terroristische Vereinigung als „einen auf Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die zusammenwirken, um terroristische Straftaten zu begehen. Der Begriff ,organisierter Zusammenschluss‘ bezeichnet einen Zusammenschluss, der nicht nur zufällig zur unmittelbaren Begehung einer strafbaren Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder, eine kontinuierliche Zusammensetzung oder eine ausgeprägte Struktur hat.“ (sts) §§: Art. 2 Abs. 1 Rahmenbeschluss des Rates vom 13.6.2002 zur Terrorismusbekämpfung (2002/475/JI), ABl. 2002, Nr. L 164/3
Thompson-Entscheidung Thompson case – jurisprudence Thompson
In dieser Entscheidung sprach der ĺEuGH u.a. aus, dass Münzen, die in einem ĺMitgliedstaat als gesetzliches Zahlungsmittel dienen, nicht unter die ĺWarenverkehrsfreiheit fallen. Die betreffenden Münzen werden auf den Währungsmärkten, die den Handel mit ihnen gestatten, als Geld behandelt. Anders zu beurteilen ist jedoch der Fall, wenn es sich um Münzen handelt, die als gesetzliches Zahlungsmittel gedient haben, diesen Zweck aber nicht mehr erfüllen. Solche Münzen können als ĺWare qualifiziert werden. (ah) Rsp.: EuGH, Rs. 7/78 Thompson, Slg. 1978, 2247, Rn. 26 ff.
Tier- und Pflanzenschutz (freier Warenverkehr) the protection of health and life of humans, animals or plants (free movement of goods) – protection des animaux ou de préservation des végétaux (libre circulation des marchandises)
Der Tier- und ĺPflanzenschutz ist ein in Art. 30 EG verankerter Rechtfertigungsgrund. Der ĺEuGH hat etwa ein dänisches Gebot, dass auf der Insel Læsø nur eine bestimmte Bienen-
Tierseuchen unterart gehalten werden darf, als gerechtfertigt erachtet (EuGH, Rs. C-67/97 Bluhme, Slg. 1998, I-8033, Rn. 33 ff.). Bei Bestehen entgegenstehende gemeinschaftsrechtliche harmonisierende Maßnahmen, kann nicht mehr erfolgreich auf den Tierschutz im Rahmen des Art. 30 EG zurückgegriffen werden (vgl. etwa EuGH, Rs. C-1/96 Compassion in World Farming, Slg. 1988, I-1252, Rn. 63 f.). Mitgliedstaatliche den Tier- und Pflanzenschutz dienende Maßnahmen sind am ĺVerhältnismäßigkeitsprinzip (freier Warenverkehr) zu messen. Der EuGH (ĺMonsees-Entscheidung) hat bspw. eine österr. Tiertransportregelung als unverhältnismäßig angesehen, da diese vorsah, dass Importe nach Grenzübertritt zwingend beim nächsten inländischen Schlachthof endeten. Dies hätte ein absolutes Durchführverbot von Lebendtiertransporten zur Folge gehabt. (rp) §§: Art. 30 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 97; W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 101; P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 8.106 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-67/97 Blume, Slg. 1998, I-8033, Rn. 33 ff.; Rs. C-1/96 Compassion in World Farming, Slg. 1988, I-1252, Rn. 63 f.; EuGH, Rs. C-350/97 Monsees, Slg. 1999, I-2921, Rn. 30 f. (ĺMonsees-Entscheidung)
Tierschutz animal protection – protection des animaux
Der EGV hat keine eigene Gemeinschaftskompetenz für den Bereich Tierschutz. Bestehende Tierschutzregelungen haben aufgrund dieser Tatsache primär keine tierschützerische Ausrichtung, sondern sind als Regelungen, die im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik zur Verwirklichung der in Art. 33 EG genannten Ziele beitragen, zu sehen. Eine Ausnahme dazu bildet die Tierversuchsrichtlinie, die auf Art. 94 EG gestützt ist. Ziel der EU-Regelungen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen ist in erster Linie, die Verfälschung der Wettbewerbsbedingungen durch unterschiedliche einzelstaatliche Tierschutzvorschriften hintan zu halten. Damit soll das reibungslose Funktionieren des Gemeinsamen Marktes gewährleistet werden und ein Kostenwettbewerb zu Lasten der Nutztiere verhindert werden. Regelungsbereiche zur Harmonisierung von Tierschutzstandards: ƒ Allgemeine Vorgaben zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere
ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
Mindestanforderungen für die Haltung von Legehennen Mindestanforderungen zum Schutz von Masthühnern Mindestanforderungen für die Haltung von Kälbern Mindestanforderungen für die Haltung von Schweinen Tiertransport Tierversuche. (all) §§: RL 1998/58/EG, Tierschutz Landwirtschaft allgemein, ABl. 1998, Nr. L 221/23; RL 1999/74/EG, Legehennen, ABl. 1999, Nr. L 203/53; RL 91/629/EWG, Kälber ABl. 1991, Nr. L 340/28; RL 91/629/EWG, Schweine ABl. 1991, Nr. L 340/33; RL 93/119/EWG, Schlachtung, ABl. 1993, Nr. L 340/21; VO (EG) 1/2005, Tiertransport, ABl. 2005, Nr. L 3/1; RL 86/609/EWG, Tierversuche, ABl. 1986, Nr. L 358/1; RL 2007/43/EG, Masthühner, ABl. 2007, Nr. L 182/19 Lit.: H. Herbrüggen/H. Randl/N. Raschauer/W. Wessely (Hrsg.), Österreichisches Tierschutzrecht, 2006 Rsp.: EuGH, Rs. 131/86 Großbritannien/Rat, Slg. 1988 905; EuGH, Rs. 141-143/81 Holdijk, Slg. 1982 1299 ff., Rn. 12-13
Tierseuchen animal diseases – maladies des animaux
Die Bekämpfung von Tierseuchen in der EU konzentriert sich auf eine strikte Abschirmung des akuten Seuchengeschehens von anderen Gebieten der Gemeinschaft. Diese Regionalisierungspolitik soll ein Weiterverbreiten der Seuche durch rigorose Restriktionsmaßnahmen verhindern. Für die Seuchenbekämpfung am Binnenmarkt wurde ein gemeinsames System für eine schnelle Anzeige von Tierseuchen (animal disease notification system = A.D.N.S.) eingerichtet und die Maßnahmen hinsichtlich Bekämpfungsmethoden, Referenzlaboratorien, und Entschädigungszahlungen harmonisiert. Bei gefährlichen Viehseuchen (Liste A der Weltorganisation für Tiergesundheit – OIE) beruht die Gemeinschaftspolitik auf Nicht-Impfung und Ausmerzung durch Tötung (Keulung) der betroffenen Bestände. Im falle eines Seuchenausbruchs werden seuchenfreie Zonen in einem Mitgliedstaat von Zonen, in denen die Seuche herrscht, streng abgeschirmt. Bei Auftreten einer Seuche in einem Betrieb wird von den Behörden um diesen Seuchenherd eine Schutzzone von jeweils einem Mindestradius von 3 km und eine Überwachungszone mit einem Mindestradius von 10 km abgegrenzt. (all) §§: RL 82/894/EWG, ABl. 1982, Nr. L 378/58
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Tierzucht Web: http://ec.europa.eu/food/animal/diseases/adns/ index_en.htm; www.oie.int; http://www.ages.at
Tierzucht animal breeding – matières zootechniques
Tierzucht wird grundsätzlich auf nationaler Ebene geregelt. Auf EU-Ebene sind Voraussetzungen für die Annerkennung eines Tieres als Zuchttier und Bestimmungen für die Anerkennung derer Erzeugnisse(Samen, Eizellen und Embryonen) harmonisiert, um die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes und die Liberalisierung des Handels mit Zuchttieren sowie deren Erzeugnissen zu unterstützen. Grundsätzlich gilt, schon folgend Art. 28 EG, dass die Zulassung von Zuchttieren zur Zucht durch die Mitgliedstaaten nicht verboten, beschränkt oder behindert werden darf. Es existieren neben allgemeinen Gemeinschaftlichen Regelungen spezifische Reglungen für die Zucht von Rindern, Schweinen, Schafen, Ziegen, Pferden und Eseln. (all) §§: Art. 28 EG, RL 91/174/EWG, reinrassige Tiere, ABl. 1991, Nr. L 85/37; RL 77/504/EWG, Rinder, ABl. 1977, Nr. L 206/8; RL 88/881/EWG, Schweine, ABl. 1988, Nr. L 382/36; RL 89/361, Schafe, ABl. 1989, Nr. L 153/30; RL 90/427/EWG, Equiden, ABl. 1990, Nr. L 224/55 Lit.: T. Gulz, Tierzuchtrecht, in: R. Norer (Hrsg.), Handbuch des Agrarrechts, 2005; A. Leidwein, Europäisches Agrarrecht, 2004, VII Rsp.: EuGH, Rs. C-67/97 Läsö Biene, Slg. 1998 I-8033, EuGH, Rs. C-162/97 Helsingborgs tingsrätt (Schweden), Slg. 1998, I-07477
Tilburg Group ĺEuropean Group on Tort Law Timesharing-Richtlinie directive on the protection of purchasers in respect of certain aspects of contracts relating to the purchase of the right to use immovable properties on a timeshare basis – directive concernant la protection des acquéreurs pour certains aspects des contrats portant sur l’acquisition d’un droit d’utilisation à temps partiel de biens immobiliers
Ziel der TimesharingRL, einer reinen VerbraucherschutzRL (ĺVerbraucherschutzRL, reine) und ĺMindestRL, ist es, die aus divergierenden, einzelstaatlichen Rechtsvorschriften im Bereich der Teilzeitnutzung resultierenden Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern und ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Binnenmarktes und sohin auch den Schutz der Erwerber zu gewährleisten. Ein Vertrag über den unmittelbaren oder mittelbaren Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an 864
einer oder mehreren Immobilien i.S. dieser RL meint „einen Vertrag oder eine Gruppe von Verträgen mit einer Mindestlaufzeit von 3 Jahren, durch den (die) unmittelbar oder mittelbar gegen Zahlung eines bestimmten Gesamtpreises ein dingliches Recht oder sonstiges Nutzungsrecht an einer oder mehreren Immobilien für einen bestimmten oder einen zu bestimmenden Zeitraum des Jahres, der nicht weniger als eine Woche betragen darf, begründet oder übertragen wird oder eine entsprechende Übertragungsverpflichtung begründet wird“. Allerdings steht den Mitgliedstaaten weiterhin die Festlegung der Rechtsnatur hinsichtlich der den Gegenstand des Vertrags bildenden Rechte anheim (Art. 1 RL). Um beschriebenes Regelungsanliegen zu erfüllen, sieht die RL einerseits bestimmte Informationspflichten des Verkäufers vor (Art. 3 und 4 RL), und zwar sowohl in einem schriftlichen Prospekt im vorvertraglichen Bereich als auch bei – zwingend schriftlichem – Vertragsabschluss. Die Umstände, über die aufzuklären ist, befinden sich im Anhang der RL und müssen auch in den Vertrag aufgenommen werden. Zweites Schutzinstrument neben der Informationsverpflichtung ist ein binnen 10 Tagen auszuübendes Rücktrittsrecht des Erwerbers (Art. 5 RL) ab erfolgter Unterzeichnung ohne Angabe von Gründen. Innerhalb dieser Rücktrittsfrist dürfen keine Anzahlungen geleistet werden (Art. 6 RL). Wurde über das Rücktrittsrecht nicht aufgeklärt oder wurde den Informationspflichten nicht vollständig entsprochen, verlängert sich das Rücktrittsrecht auf 3 Monate. Werden innerhalb der 3 Monate die Informationen rechtmäßig erteilt, beginnt die 10-tägige Frist mit diesem Zeitpunkt (Art. 5 RL). Das Rücktrittsrecht besteht ebenso bei Kreditierung des Verkäufers oder bei Drittfinanzierung, wenn sie aufgrund einer Vereinbarung wischen dem Dritten und dem Verkäufer gewährt wird, in Bezug auf den Kreditvertrag (Art. 7 RL). Mit der Beurteilung des Verhältnisses der TimesharingRL zur ĺHaustürgeschäftsRL, va auch in Bezug auf die in beiden Richtlinien vorgesehenen Rücktrittsrechte, beschäftigte sich der ĺEuGH am 22.4.1999 in der Rs. C-423/97 Travel Vac, Slg. 1999, I-2195. Die TimesharingRL enthält als erste VerbraucherschutzRL eine explizite Sprachenvorschrift (Art. 4 RL). Der Vertrag und auch der Prospekt sind nach Wahl des Erwerbers in der oder einer zu den Amtssprachen der Gemeinschaft zählenden Sprache des Mitgliedstaats, in dem
Traghetti-Entscheidung der Erwerber seinen Wohnsitz hat, oder des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehöriger er ist, abzufassen. Zudem regelt die RL ihren eigenen räumlichen Anwendungsbereich, indem die Mitgliedstaaten Sorge zu tragen haben, dass der durch diese RL gewährte Schutz unabhängig von dem anwendbaren Recht seine Wirkung entfalten kann, wenn die Immobilie in einem Mitgliedstaat belegen ist (Art. 9 RL). Seit der Verabschiedung der TimesharingRL hat sich die betreffende Branche weiterentwickelt und neue teilzeitähnliche Urlaubsprodukte auf den Markt gebracht. Die neuen Produkte sowie bestimmte mit Teilzeitnutzungsrechten zusammenhängende Geschäfte, wie der Wiederverkauf und der Tausch, werden von dieser RL nicht erfasst. Ferner hat sich bei ihrer Anwendung gezeigt, dass einige ihrer Bestimmungen aktualisiert oder klargestellt werden müssen. Aus diesem Grund hat die Kommission am 7.6.2007 einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsrechten, langfristigen Urlaubsprodukten sowie des Wiederverkaufs und Tausches derselben vorgelegt. (pa) §§: RL 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, ABl. 1994, Nr. L 280/83; Vorschlag der Kommission vom 7.6.2007 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsrechten, langfristigen Urlaubsprodukten sowie des Wiederverkaufs und Tausches derselben, KOM(303) endg. Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/ H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Tindemans-Bericht ĺDifferenzierte Integration Todesstrafe death penalty – peine de mort
Das als ĺGemeinschaftsgrundrecht geschützte ĺRecht auf Leben enthält ein Verbot der Todesstrafe (Art. 2 Abs. 2 ĺGRC/Art. II-62 Abs. 2 EVV). Näher s. unter ĺRecht auf Leben. (ed) §§: Art. 2 Abs. 2 GRC/Art. II-62 Abs. 2 EVV; Art. 2 EMRK; 6. ZP EMRK; 13. ZP EMRK Lit.: s. die angegebene Lit. zum ĺRecht auf Leben
Traghetti-Entscheidung Traghetti case – jurisprudence Traghetti
In seinem Urteil in der Rechtssache Traghetti bestätigt der ĺEuGH, dass ein Mitgliedstaat für Schäden haftet, die dem Einzelnen durch offenkundige Verstöße eines obersten nationalen Gerichts gegen Gemeinschaftsrecht entstanden sind. Hintergrund des Traghetti-Urteils war eine Klage von Traghetti del Mediterraneo (bzw. ihres Insolvenzverwalters) gegen einen Konkurrenten wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht. Diese Klage wurde jedoch in allen Instanzen abgewiesen. Diese Klageabweisung der italienischen Gerichte soll nach Ansicht des Klägers aber auf einer falschen Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruht haben. Deshalb verlangte Traghetti del Mediterraneo Schadensersatz vom italienischen Staat auf Grundlage des ĺgemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs. Das Tribunale di Genova legte im Vorabentscheidungsverfahren dem ĺEuGH zwei Fragen zum gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch vor. Die Fragen des Tribunale Genua bezogen sich zum einen darauf, ob das Gemeinschaftsrecht und insbesondere die im ĺKöbler-Urteil aufgestellten Grundsätze einer nationalen Regelung entgegenstehen, die jegliche Haftung eines Mitgliedstaates für Schäden ausschließt, die dem Einzelnen durch einen von einem letztinstanzlichen nationalen Gericht begangenen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, wenn sich dieser Verstoß nur aus einer falschen Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder einer falschen Sachverhalts- und Beweiswürdigung ergibt. Zum anderen wollte das Tribunale wissen, ob die Haftung der Mitgliedstaaten für ĺjudikatives Unrecht auf Fälle von Vorsatz und grob fehlerhaftem Verhalten des Richters zu begrenzen ist. Der ĺEuGH entschied in seinem Urteil, dass die Haftung der Mitgliedstaaten für ĺjudikatives Unrecht nicht auf Fälle von Vorsatz oder grob fehlerhaftem Verhalten des Richters begrenzt werden kann, wenn diese Begrenzung dazu führen würde, dass die Haftung für Fälle, in denen ein offenkundiger Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliegt, ausgeschlossen wird. Zudem haften die Mitgliedstaaten nach Aussage des ĺEuGH auch dann, wenn sich der offenkundige Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht aus einer falschen Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder einer falschen Sachverhaltsund Beweiswürdigung ergibt. Wie schon im 865
Transeuropäische Netze, Gemeinschaftszuschüsse ĺKöbler Urteil begründet der ĺEuGH diese Haftung der Mitgliedstaaten für ĺjudikatives Unrecht mit dem effet utile sowie den unionalen Rechtsschutzgarantien für den Einzelnen. Damit führt der ĺEuGH, insbesondere in der Begründung seiner Entscheidung, seine ĺKöbler-Rechtsprechung fort. (jpt) Lit.: D. Tietjen, Die Bedeutung der deutschen Richterprivilegien im System des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsrechts – Das EuGH-Urteil Traghetti del Mediterraneo, EWS 2007, 15 Rsp.: EuGH, Rs. C-173/03 Traghetti del Mediterraneo SpA/Italienische Republik, EWS 2006, 314
Transeuropäische Netze, Gemeinschaftszuschüsse Trans-European networks, granting of Community financial aid – des réseaux transeuropéens,concours financier communautaire dans le domaine
Hierbei handelt es sich um einen Aspekt der Finanzierungshilfen zur Förderung des Aufund Ausbaus ĺTranseuropäischer Netze. Zu verweisen ist insbesondere auf die VO (EG) 2236/95 (ABl. 1995, Nr. L 228/1) über die Grundregeln für die Gewährung von Gemeinschaftszuschüssen für TEN. Neben auf jener Grundlage gewährten Zuschüssen kommen auch Beiträge durch den ĺKohäsionsfonds in Frage, der durch die VO (EG) 1164/94 eingerichtet wurde. Schlussendlich können andere Finanzierungsinstrumente – wie z.B. der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) – herangezogen werden. (sm) Transeuropäische Netze, Interoperabilität Trans-European networks, interoperability – des réseaux transeuropéens, interopérabilité
Die hinter den einschlägigen Bestimmungen stehende Intention ist die Sicherstellung der Kompabilität der verschiedenen in den MS benutzten Systeme, d.h. die Sicherstellung der Verbundfähigkeit mitgliedstaatlicher Verkehrsnetze in infrastruktureller und technischer Hinsicht. Für den Bereich des Verkehrsrechts sind vor allem die RL betreffend das transeuropäische Eisenbahnnetz zu verweisen, nämlich ƒ zum einen: die RL 96/48/EG (ABl. 1996, Nr. L 235/6) über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems; ƒ zum anderen: die RL 2001/16/EG(ABl. 2001, Nr. L 110/1) über die Interoperabilität des konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsystems. Beide folgen den gleichen Regelungsmustern. In einem Anhang wird unter Verweis auf die 866
in der Entscheidung 1692/96 ausgewiesenen Infrastrukturen (ĺTranseuropäische Netze) das jeweilige Bahnsystem in (Teil-)Systeme untergliedert, für die jeweils getrennt die technischen Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI) zu erstellen sind; es erfolgt die Festlegung von Kennwerte, Interoperabilitätskomponenten, Schnittstellen und Verfahren sowie Bedingungen für die Gesamtkohärenz des Hochgeschwindigkeitsbahnsystems. Diesen Anforderungen müssen die Bahnsysteme entsprechen. Zur Sicherstellung der Interoperabilität werden Verfahren zur Festlegung der TSI vorgesehen und verschiedene „Sicherungsmechanismen“ geschaffen, so dürfen Interoperabilitätskomponenten nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie durch eine EG-Konformitätsoder Gebrauchstauglichkeitserklärung zu bescheinigenden grundlegenden Anforderungen entsprechen. Für Teilsysteme bedarf es zur Sicherstellung der Erfüllung der grundlegenden Anforderungen einer EG-Prüferklärung. Zur „Überwachung“ u.a. der Einhaltung der grundlegenden Anforderungen sind von den MS sog. ĺbenannte Stellen nahmhaft zu machen. (sm) Transeuropäische Netz (TEN) Trans-European networks – réseaux transeuropéens
Die relevanten Art. 154 ff. EG stehen in einem eigenen Ka pitel des EG, dessen Anwendungsbereich sich im Verkehrssektor auf alle ĺVerkehrsträger bezieht. Ziel der Bestimmungen ist der Aufbau der TEN. Die Gemeinschaft trägt (nur) zum Auf- und Ausbau dieser Netzte bei. Planung, Bau und Betrieb obliegen grundsätzlich den MS bzw. den Regionen. Neben dem regulären Bereich des „Verkehrs“ sind auch die Bereiche Telekommunikation und Energie erfasst. Gemeinschaftliche Maßnahmen zielen auf die Formulierung von Leitlinien für die Infrastrukturplanung und den Infrastrukturausbau, die Sicherstellung der Verbundfähigkeit der nationalen Verkehrsnetze sowie gegebenfalls der finanziellen Förderung mitgliedstaatlichen Infrastrukturvorhaben ab. Die Entscheidung 1692/96/EG über gemeinschaftliche Leitlinien für den Aufbau eines TEN legt Grundzüge und Prioritäten einer auf Dauer tragbaren europaweiten Integration der Netze fest und formuliert entsprechende Leitlinien. Zentral ist dabei die Umschreibung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse (Art. 7 der
Transparente Beihilfe Entscheidung). In Bezug auf diese Vorhaben sind die MS verpflichtet, erforderlich erscheinende Maßnahmen zu treffen. Es wird keine abschließende Festlegung vorgenommen, welche genauen Streckenabschnitte als Vorhaben von gemeinsamen Interessen anzusehen sind, sondern noch einen gewisser Spielraum belassen. Es besteht eine (rechtliche) Verpflichtung der MS, die Vorhaben durch grundsätzlich geeignete Maßnahmen zumindest zu fördern. Hierzu sind jedenfalls voraussehbare und zumutbare Anstrengungen zu unternehmen. Ausdrücklich werden die MS bei der Verwirklichung der Vorhaben an die Anforderungen der UVPRL (ĺUmweltverträglichkeitsprüfung) sowie der ĺFlora-Fauna-HabitatRL gebunden. (sm) §§: Entscheidung 1692/96/EG vom 23.7.1996
Transformation ĺRichtlinien, Umsetzung, Allgemeines Transitprotokoll transit protocol – protocole relatif au transit
Protokoll Nr. 9 der Akte über den Beitritt des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden (ABl. 1994, Nr. C 241/361). Das Protokoll bezieht sich auf den Straßenund Schienenverkehr sowie den kombinierten Verkehr in Österreich. In den Art. 10-15 des Protokolls wird die Anwendung einer Regelung zur Begrenzung bestimmter Emissionen von Lastkraftwagen im Transitverkehr durch Österreich gestattet. Dieses ĺÖkopunktesystem bildet das Kernstück des Protokolls. Es etabliert mit dem System von Transitrechten (Ökopunkten) für Lastkraftwagen im Transit durch Österreich eine Sonderregelung zum Beitrittsvertrag Österreichs zur EU (ABl. 1992, Nr. L 373/4). Damit wird seit dem ĺBeitritt Österreichs zur EU das Abkommen zwischen der ĺEWG und der Republik Österreich über den Güterverkehr im Transit auf der Schiene und Straße (ABl. 1992, Nr. L 373/6) ersetzt. In der VO (EG) 3298/94 der Kommission vom 21.12.1994 werden verfahrenstechnische Einzelheiten im Zusammenhang mit dem dadurch begründeten System von Transitrechten (Ökopunkten) für Lastkraftwagen im Transit durch Österreich festgelegt. Diese VO wurde mehrfach geändert. Zuvor galt die VO (EWG) 3637/ 92 des Rates vom 27.11.1992 über die Vertei-
lung von Transitrechten (Ökopunkten) für Lastkraftwagen mit einem Gesamtgewicht von über 7,5 Tonnen, die in einem MS zugelassen sind und Österreich durchqueren. Die Laufzeit dieser Regelung endet am 31.12.2003. Die VO sieht eine Übergangsregelung für das Jahr 2004, unter best. Voraussetzungen bis 2006 vor; nach 2006 wird keine auf Punkten basierende Übergangsregelung angewendet. Gegen die neue, den Transit regelnde VO (EG) 2327/2003 brachte Österreich ĺNichtigkeitsklage beim ĺEuGH ein (Rs. C-161/04, ABl. 2004, Nr. C 106/49). Da die Republik Österreich durch ein am 3.7.2006 bei der Kanzlei des EuGH eingegangenes Schreiben die Klage zurücknahm, wurde die Sache aus dem Register des EuGH gestrichen und eine Kostenentscheidung gefällt. (sm) Lit.: W. Obwexer, Das sektorale Fahrverbot in Tirol auf dem Prüfstand des Gemeinschaftsrechts, ZVR 2006, 56 ff.; M. E. Sallinger, „Hoffnungslos ausgeliefert – rechtlich geschützt?“, AnwBl. 2004, 384 ff.; A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L 223 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-320/03 Kommission/Österreich, Slg. 2005, I-9871; SA GA L. A. Geelhoed, Rs. C-161/ 04 Österreich/Parlament und Rat; EuGH, Rs. C-161/ 04 Österreich/Parlement und Rat, Slg. 2006, I-7183
Transitvereinbarung ĺChicago-Abkommen Transnationaler Verwaltungsakt ĺVerwaltungsakt, transnationaler Transparente Beihilfe transparent aid – aides transparentes
Darunter versteht man Beihilfen, deren ĺBruttosubventionsäquivalent im Voraus berechnet werden kann, ohne dass eine Risikobewertung durchgeführt werden muss. So ist etwa von einer transparenten Beihilfe auszugehen, wenn einem Unternehmen ein Darlehen gewährt wird und das Bruttosubventionsäquivalent auf der Grundlage marktüblicher Zinssätze berechnet werden kann; maßgeblich ist dabei der Bewilligungszeitpunkt. Von Bedeutung sind die transparenten Beihilfen etwa für das ĺde minimis Regulativ, da von der ĺde minimis VO ausschließlich transparente Beihilfen erfasst werden. (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG; Art. 2 Abs. 4 VO (EG) 1998/ 2006 (ĺde minimis VO) Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/ 2006/l_379/l_37920061228de00050010.pdf
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Transparenz-Richtlinie Transparenz-Richtlinie directive on the transaprancy of financial relations between Member States and public undertakings – directive relative à la transparence des relations financières entre les États membres et les entreprises publiques
Die Transparenz-Richtlinie (RL 80/273/EWG vom 25.6.1980 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den ĺMitgliedstaaten und den ĺöffentlichen Unternehmen, zuletzt geändert durch RL 2000/52/EG vom 26.7.2000, ABl. 2000, Nr. L 193/75) verpflichtet die Mitgliedstaaten, bestimmte Informationen (Herkunft der Mittel, Eigenart der Transaktionen) über die Beziehungen zu öffentlichen Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Die Mitgliedstaaten haben die Transaktionen zu dokumentieren und diese Informationen fünf Jahre aufzubewahren. Über öffentliche Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes haben die Mitgliedstaaten jährlich Bericht zu erstatten. Durch die Informationspflichten der Mitgliedstaaten soll insbesondere die Gleichbehandlung von privaten und ĺöffentlichen Unternehmen im Beihilfenrecht gesichert werden. Nach der RL 2000/52 haben darüber hinaus die Mitgliedstaaten, Unternehmen, die mit ĺbesonderen oder ĺausschließlichen Rechten nach Art. 86 Abs. 1 EG ausgestattet bzw. mit ĺDienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind und für die Erbringung dieser Dienstleistungen staatliche Beihilfen erhalten und in verschiedenen Geschäftsbereichen tätig sind, zur getrennten Buchführung zu verpflichten (Art. 2 Abs. 1 lit. d RL 2000/52/ EG). Dadurch soll ĺQuersubventionen innerhalb dieser Unternehmen vorgebeugt werden. Bei Mißachtung dieser Informationspflichten durch die ĺMitgliedstaaten, kann die ĺKommission ein ĺVertragsverletzungsverfahren einleiten. (jr) §§: Art. 86 Abs. 1 und Abs. 2 EG Lit.: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 35, Rn. 20 ff.
Transparenzgebot principle of transparency – principe de transparence
Da die Transparenz im Bereich der Vergabe öffentlicher ĺAufträge für die Öffnung des Wettbewerbs und die Gewährleistung der Nichtdiskriminierung von erheblicher Bedeutung ist, stellt das Transparenzgebot einen wesentlichen Grundsatz der ĺVergabeRL dar. Die Regelungen betreffend die ĺBekanntmachung von ĺAusschreibungen dienen der Umsetzung dieses Grundsatzes. Der EuGH hat in seiner Rsp. 868
im Bereich der ĺDienstleistungskonzessionen ausgeführt, dass das Diskriminierungsverbot eine Verpflichtung zur Transparenz einschließt (EuGH 7.12.2000, Rs. C-324/98 Telaustria, Slg. 2000, I-10745) und somit das Transparenzgebot auf eine primärrechtliche Grundlage gestellt. Ein öffentlicher ĺAuftraggeber muss daher einen angemessenen Grad von Öffentlichkeit sicherstellen, durch den der Markt geöffnet und die Nachprüfung ermöglicht wird, ob das ĺVergabeverfahren unparteiisch durchgeführt worden ist. Strittig ist, inwieweit diese aus den primärrechtlichen Regelungen resultierenden Vorgaben auch für den Bereich unterhalb der ĺSchwellenwerte maßgeblich sind (s. insb. die Ausführungen im Schlussantrag vom 18.1. 2007 in der Rs. C-195/04 Kommission/Finnland). (cm) §§: Art. 35 bis 37 VergabeRL Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 227 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Transparenzgebot, Klauselrichtlinie transparency requirement, directive on unfair terms in consumer contracts – obligation d’indiquer clairement toutes les clauses, directive concernant les clauses abusives dans les contrats conclus avec les consommateurs
Das Transparenzgebot bildet eines der Schutzinstrumente der ĺKlauselRL und ist in deren Art. 5 geregelt. Es betrifft den formalen Aspekt des Missbrauchsbegriffs. Dem Verbraucher schriftlich unterbreitete Klauseln müssen demnach stets klar und verständlich formuliert werden. Bestehen Zweifel über die Bedeutung einer Klausel, gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung (sog. „contra proferentem-Regel“ oder „Unklarheiten-Regel“). Zwei Begriffe stehen im Zentrum der Bestimmung, der Begriff der Klarheit und jener der Verständlichkeit. Klarheit meint, dass dem Verbraucher die rechtliche Bedeutung und Tragweite der Klausel erkennbar sein muss. Dies ist etwa nicht der Fall, wenn sich der Gewerbetreibende von der Haftung „soweit gesetzlich zulässig“ (sog. „salvatorische Klausel“) freizeichnet. Demgegenüber rekurriert die Verständlichkeit auf die Lesbarkeit der Klausel und richtet sich gegen das Kleingedruckte in Vertragsklauseln, das von Verbrauchern nur schwer aufgenommen werden kann. Das Transparenzgebot erfasst auch Klauseln, die die gegenseitigen Hauptleistungen betreffen und somit von der materiellen Missbrauchsprüfung nach Art. 4
Trinkwasser Abs. 2 KlauselRL ausgeschlossen sind (EuGH 10.5.2001, Rs. C-144/99 Kommission/Niederlande, Slg. 2001, I-3541). Die Auslegungsregel findet allerdings keine Anwendung auf Klagen von Personen und Organisationen nach Art. 7 Abs. 2 KlauselRL (ĺVerbraucherschutz, kollektiver). Ob dem Transparenzgebot auch Schlüsse auf ein Gebot zur sprachlich verständlichen Formulierung zu entnehmen sind, wird in der Literatur indes unterschiedlich beurteilt. (pa) §§: RL 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. 1993, Nr. L 95/29 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; M. Leitner, Das Transparenzgebot, 2005; N. Reich/H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Transportvereinbarung ĺChicago-Abkommen Trento-Gruppe ĺCommon Core of European Private Law TREVI-Gruppe TREVI group – le groupe TREVI
1975 aufgrund der Zunahme terroristischer Aktivitäten zu Beginn der siebziger Jahre auf Initiative des ĺEuropäischen Rates gegründeter Zusammenschluss der für die innere Sicherheit zuständigen Minister der ĺEG-Mitgliedstaaten. Ziel war eine enge politische Abstimmung, ein systematischer Informationsaustausch und eine operative Zusammenarbeit der Polizeibehörden bei der Terrorismusbekämpfung. In den achtziger Jahren wurde die Kooperation um die Bekämpfung organisierter Kriminalität erweitert. Hinzu kam die Koordination von Ausgleichsmaßnahmen für den Wegfall der Personenkontrollen an den Binnengrenzen der Gemeinschaft im Rahmen der Verwirklichung des ĺBinnenmarktkonzepts und des ĺSchengener Übereinkommens. Die Bezeichnung „TREVI“ soll sich vom ersten Tagungsort nahe der Fontana die Trevi in Rom ableiten. Teils wird jedoch behauptet, der Name stehe als Abkürzung für „Terrorisme, Radicalisme, Extrémisme, Violence Internationale“. Die Zusammenarbeit in der TREVI-Gruppe erfolgte nach den Regeln intergouvernementaler Zusammenarbeit außerhalb des vertraglichen
Rahmens der ĺEuropäischen Gemeinschaften. Auf Arbeitsebene wurden unter der Federführung der TREVI-Gruppe entsprechend der übertragenen Aufgaben fünf Arbeitsgruppen sowie zahlreiche Untergruppen eingerichtet: Gruppe I Bekämpfung des Terrorismus (1975), Gruppe II Öffentliche Ordnung, Polizeitechnik, Ausbildung (1975), Gruppe III Bekämpfung des Organisierten Verbrechens, insbesondere der Drogenkriminalität (1985), TREVI ‘92 Koordination der Ausgleichsmaßnahmen im Rahmen des ĺBinnenmarktkonzepts sowie die Adhoc-Gruppe ĺEuropol (1991). Die Beschlüsse der TREVI-Gruppe hatten keine Rechtsverbindlichkeit, ihre Umsetzung war von den Mitgliedstaaten abhängig. Die Organe der Europäischen Gemeinschaften waren kaum eingebunden. Die ĺKommission und das ĺGeneralsekretariat des Rates waren lediglich in der TREVI ‘92-Gruppe sowie in der ad-hoc-Gruppe Europol als Beobachter zugelassen. Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung mündete mit dem ĺVertrag von Maastricht in der ĺZusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres als ĺDritter Säule unter dem Dach der ĺEuropäischen Union. (sts) Lit.: M. Degen, in: H. von der Groeben/J. Thiesing/ C.-D. Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EGVertrag, 5. Aufl. 1997, Vorbem. Art. K-K.9 EUV, Rn. 2 ff.; A. Jour-Schröder/M. Wasmeier, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Vorbem. Art. 29 bis 42 EU, Rn. 11 f.
TRIMS ĺHandelsbezogene Investitionsmaßnahmen Trinkwasser drinking water – eau potable
Unter diesem Begriff ist das Wasser für den menschlichen Gebrauch zu verstehen. Die RL 98/83/EG, welche die RL 80/778/EWG ersetzt, definiert es als das für den menschlichen Verbrauch bestimmte, über Verteilernetze für die Allgemeinheit gelieferte Oberflächenwasser. Die RL 80/778/EWG ergänzte die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zur ĺTrinkwassergewinnung (RL 75/440/EWG). Sie erfasste grundsätzlich alles Wasser, das zum Gebrauch geliefert wird – außer Heil- und Mineralwasser (ĺMineralwässer, natürliche) – oder das von der Lebensmittelindustrie verwendet wird und die Genusstauglichkeit des Enderzeugnisses beeinflusst. Es erfolgte eine Unterteilung der Anfor869
Trinkwassergewinnung derungen nach organoleptischen und physikalischen Parametern sowie solchen für toxische und unerwünschte Stoffe; ferner wurden die jeweils zulässigen Höchstkonzentrationen wie auch sog. Richtzahlen als Zielvorgaben festgelegt. Die Ende 2003 in Kraft getretene RL 98/ 83/EG verzichtet demgegenüber unter Hinweis auf das Subsidiaritätsprinzip auf allzu detaillierte Vorgaben. Für sog. Komfortmaßstäbe (Geruch, Färbung usw.) werden nur noch nicht zwingende Indikatoren angegeben. Von bindenden Parametern können die ĺMS Abweichungen für Gebiete zulassen, in denen die Trinkwasserversorgung anders nicht aufrecht erhalten werden kann. Insgesamt bleibt es aber bei der Verpflichtung auf einen hohen Qualitätsstandard für Trinkwasser. (sm) §§: RL 98/83/EG, ABl. 1998, Nr. L 330/32; RL 80/ 778/EWG, ABl. 1980, Nr. L 229/11
Trinkwassergewinnung abstraction of drinking water – production d’eau alimentaire
Durch eine ĺRichtlinie formulierte die EG Qualitätsanforderungen an Oberflächengewässer für die Trinkwassergewinnung. Die speziell auf die Trinkwassergewinnung zugeschnittene RL wird allerdings sieben Jahre nach Inkrafttreten der ĺWasserrahmenrichtlinie (22.12. 2000) außer Kraft treten. Im Ansatz geht es um den Schutz schon im Vorfeld der Trinkwassergewinnung durch Festlegung von Qualitätsanforderungen. Als Ausnahmen vom Anwendungsbereich sind Grundwasser, Brackwasser und das zur Anhebung des Grundwassers bestimmte Wasser vorgesehen. Rückwirkungen bestehen zu der die Qualität des ĺTrinkwassers regelnde RL 80/778/EWG bzw. RL 98/83/EG. Die Oberflächenwasserqualität wird in drei Kategorien eingeteilt, die zur Trinkwassergewinnung jeweils eine bestimmte, angemessene Aufbereitung verlangen. Wasser, das diesen Kategorien nicht entspricht, darf nur ausnahmsweise verwendet werden, wenn durch eine besondere Aufbereitung die Qualitätsmerkmale für Trinkwasser erreicht werden. Die Bestimmungen der RL werden u.a. durch die Analysemethoden, Probeentnahmen und -häufigkeit festlegende RL 79/869/EGW ergänzt, die ebenfalls sieben Jahre nach Inkrafttreten der ĺWasserrahmenrichtlinie (22.12. 2000) außer Kraft treten wird. (sm) §§: RL 75/440/EWG, ABl. 1975, Nr. L 194/26
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TRIPS Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights – Accord sur les aspects des droits de propriété intellectuelle qui touchent au commerce
Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS-Abkommen) regelt als Teil der WTOÜbereinkommen den Schutz geistigen Eigentums. Das TRIPS-Abkommen wurde mit der WTO neu eingeführt und stellt eine erstmalige Regelung dieser Aspekte im Rahmen der Welthandelsordnung dar. Das TRIPS-Abkommen regelt im Wesentlichen drei verschiedene Bereiche: 1. Materielle Schutzstandards. Diese Schutzstandards überlagern die Regelungen zum Schutz geistigen Eigentums, die sich bereits vor dem TRIPS-Abkommen aus einer Reihe internationaler Konventionen (z.B.: Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst vom 9.9.1886, Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken vom 14.4.1891) ergaben. Diese Schutzstandards finden sich in Teil I und II des TRIPS-Abkommens. 2. Private Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums. In Teil III des TRIPS-Abkommens wird festgelegt, welche Verfahren und Rechtsmittel die WTO-Mitglieder zu diesem Zweck einrichten müssen. 3. Institutionelle Fragen. Teil IV und V des TRIPS-Abkommens sehen die Einrichtung des Rates für die handelsrelevanten Aspekte des geistigen Eigentums, Transparenz- und Notifikationspflichten, Regelungen zur Beilegung von Streitigkeiten (vgl. ĺDSU) und eine Ausnahmeregelung für Fragen der nationalen Sicherheit vor. (bh) Troika Troika – Troïka
Die Troika ist der Versuch, die Vielheit der Außenvertretung der Europäischen Union durch eine Gruppenlösung zu überwinden. Der Begriff erlangte Bedeutung unter Geltung des Vertrags von ĺMaastrichts, als er das Zusammenspiel von jeweils drei aufeinanderfolgenden Präsidentschaften des ĺRates bezeichnete, die sich in der Außenvertretung der ĺGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) abstimmten und für Kontinuität sorgen sollten. Der begrenzte Erfolg dieses Modells war ein wichtiger Grund für die Einführung der Position des ĺHohen Vertreters für die Gemein-
Türkei, Assoziierung und Zollunion same Außen- und Sicherheitspolitik durch den ĺVertrag von Amsterdam. Seither gibt es ein reformiertes Troika-Modell, das das gemeinsame Auftreten von Ratspräsidentschaft, Hohem Vertreter für die GASP und das zuständige Mitglied der ĺKommission für Außenbeziehungen umfasst. Hierdurch sollen die unterschiedlichen Aufgaben der drei Hauptakteure europäischer Außenpolitik in der GASP und aufgrund des EG-Vertrags als komplementäre Säulen der ĺEuropäischen Union institutionell zusammengeführt werden und die notwendige Kohärenz europäischer Außenpolitik auf personeller Ebene hergestellt werden. Eine wirkliche Einheitlichkeit würde erst der Vertrag über eine Verfassung für Europa schaffen, wenn er die Troika im Posten eines Außenministers der Europäischen Union zusammenführte. (dt) Lit.: E. Regelsberger, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, 2004, 28 ff.
Trojani-Entscheidung Trojani case – jurisprudence Trojani
In seinem Urteil in der Rs. Trojani (EuGH, Rs. C-456/02 Trojani, Slg. 2004, I-7573) hat der Gerichtshof zum einen den Ausnahmecharakter der in den Rs. Grzelczyk (ĺGrzelczyk-Entscheidung) und Baumbast (ĺBaumbast-Entscheidung) erfolgten Relativierung der in den – zwischenzeitlich durch die neue ĺFreizügigkeitsrechtsrichtlinie 2004/38 ersetzten – Freizügigkeitsrichtlinien 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG für Nichterwerbstätige vorgesehenen ökonomischen Aufenthaltsvoraussetzungen betont (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines). Diese seien zwar, wie in der Rs. Baumbast entschieden, „unter Einhaltung der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grenzen und im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, anzuwenden“ (Rn. 34); an ihrer grundsätzlichen Fortgeltung ändere dies jedoch nichts. Zum anderen erstreckte der Gerichtshof in Fortführung seines nicht unproblematisch begründeten Urteils in der Rs. Martínez Sala (ĺSala-Entscheidung) den Inländerbehandlungsanspruch Nichterwerbstätiger, die sich für eine bestimmte Dauer im Aufnahmemitgliedstaat rechtmäßig aufgehalten haben, auf Sozialhilfe. (fw) §§: Art. 18 EG; RL 90/364/EWG (aufgehoben) Lit.: A. P. van der Mei, Anmerkung, EJML 2005, 203; F. Sander, Die Unionsbürgerschaft als Türöffner zu
mitgliedstaatlichen Sozialversicherungssystemen? – Überlegungen anlässlich des Trojani-Urteils des EuGH, DVBl. 2005, 1014; F. Wollenschläger, Anmerkung, EuZW 2005, 309; ders., Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Trust ĺInternational Working Group on European Trust Law Tschernobyl-Entscheidung Chernobyl case – jurisprudence Tschernobyl
Zum Tschernobyl-Urteil des ĺEuGH vgl. ĺGesundheitsschutz (Euratom). (atm) Türkei, Assoziierung und Zollunion Turkey, association and tariff union – Turquie, association et union douanière
Das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Republik Türkei (Abkommen von Ankara) ist 1964 in Kraft getreten und sieht die Verwirklichung einer Zollunion vor, die per ĺAssoziationsratsbeschluss (ARB) 1/95 verwirklicht wurde und damit alle Zölle und Abgaben gleicher Wirkung bei der Einfuhr von Industriegütern beseitigte. Die Präferenzregelung für Agrarprodukte erfolgte durch ARB 1/98. Ferner übernahm die Türkei den EU-Außenzolltarif. Um ein gutes Funktionieren der Zollunion sicherzustellen, musste die Türkei vor deren Verwirklichung wichtige Teile des Besitzstandes übernehmen, vor allem in den Bereichen Zoll, Handelspolitik, Wettbewerb und Schutz des geistigen, gewerblichen und kommerziellen Eigentums. Gem. ARB 1/2006 können Waren, die die Voraussetzungen für den freien Warenverkehr innerhalb der Zollunion erfüllen, aber zwischen der EG und der Türkei über andere Länder des paneuropäischen Kumulierungssystems gehandelt werden. Sie können insofern die Vorteile der Zollunion in Anspruch nehmen, als der in einem dieser anderen Länder ausgestellte oder ausgefertigte Nachweis, dass es sich um Ursprungswaren der Gemeinschaft oder der Türkei handelt, als Nachweis für eine Präferenzbehandlung auf Grundlage der Zollunion anerkannt wird. In Art. 12 ff. des Abk. vereinbaren die Vertragsparteien, sich von den Grundfreiheiten des E(W)G-Vertrages leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 12) schrittweise herzustellen, die Beschrän871
Türkei, Assoziierung und Zollunion kungen der Niederlassungsfreiheit (Art. 13) und des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 14) aufzuheben. Die Stillhalteklausel des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls (ZP) von 1970 ist unmittelbar anwendbar (EuGH, Rs. C-37/98 Savas, Slg. 2000, I-2927; EuGH, Rs. C-192/89 ĺSevince, EuGH, Rs. C-317/ und 369/01 ĺAbatay und Sahin) und verbietet den Vertragsparteien, untereinander neue Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen. Art. 37 ZP (aus dem Jahr 1970) sieht ein Diskriminierungsverbot hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Entgelts vor. Ferner anerkennen die Parteien des Abkommens, dass die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen zum Wettbewerb, zu den Steuern und zur Angleichung der Rechtsvorschriften im Assoziationsverhältnis anwendbar zu machen sind. Die Vertragsparteien kamen ferner überein, sich über die Erleichterung des Kapitalverkehrs und die Handelspolitik mit Drittstaaten zu konsultieren. Zur Verwirklichung und Konkretisierung der Ziele fasste der ĺAssoziationsrat Beschlüsse. Der (unveröffentlichte, aber uneingeschränkt anzuwendende) Beschluss ARB 1/80 bezieht sich auf die Assoziationsfreizügigkeit der Arbeitnehmer und sieht in Art. 6 vor, dass türkische Arbeitnehmer (AN) nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber Anspruch auf Erneuerung der Arbeitserlaubnis haben, sofern dieser über einen Arbeitsplatz verfügt. Nach 3 Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung erwirbt der AN das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem anderen AG auf ein Angebot zu bewerben, das ihm unter normalen Bedingungen unterbreitet wird und bei einem Arbeitsamt eingetragen ist. Freien Zugang zu jeder abhängigen Beschäftigung in dem Aufenthalts-MS erhält der AN nach 4 Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung. In Art. 7 wird den Familienangehörigen der regulär beschäftigten Wanderarbeitnehmer, die eine Nachzugsgenehmigung erhielten, das Recht eingeräumt nach 3 Jahren ordnungsgemäßen Wohnsitzes, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben und nach 5 Jahren Zugang zu jeder Beschäftigung im Lohn- und Gehaltsverhältnis zu haben. Kinder türkischer AN mit im Aufnahmeland abgeschlossener Berufsausbildung können sich in diesem Staat auf jedes Stellenangebot bewerben, sobald ein Elternteil dort zumindest 3 Jahre ordnungsgemäß beschäftigt war. Durch eine unmittelbar anwendbare (EuGH, Rs. C-37/98, Savas; EUGH, Rs. C872
192/89, ĺSevince, EuGH, Rs. C-317/ und 369/01, ĺAbatay und Sahin) Stillhalte-Klausel (Art. 13 ARB 1/80) werden die MS und die assoziierte Türkei gehindert, neue Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt für AN und ihre Angehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung ordnungsgemäß sind, zu erlassen. Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer AN umfasst demnach die Bewerbungsfreiheit und nach erfolgreicher Bewerbung ein Aufenthaltsrecht, sowie ein (beschränktes) Verbleiberecht nach Beendigung der Beschäftigung (z.B. um in angemessenem Zeitraum eine neue Beschäftigung zu finden). Die Regelung über die Ersteinreise und die Aufnahme der ersten Beschäftigung verbleibt in der Zuständigkeit der MS. Art. 10 ARB 1/80 bestimmt: „Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft räumen den türkischen AN, die ihrem regulären Arbeitsmarkt angehören, eine Regelung ein, die gegenüber den AN aus der Gemeinschaft hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der sonstigen Arbeitsbedingungen jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ausschließt.“ Sowohl Art. 37 ZP als auch Art. 10 ARB 1/80 verpflichten daher zu Vorkehrungen zur Verhinderung von Diskriminierungen in Bezug auf Arbeitsbedingungen und Entgelt. Dass aber Einzelheiten der Durchführung der den türkischen AN zuerkannten Rechte durch nationale Vorschriften festgelegt werden, steht der unmittelbaren Wirkung nicht entgegen; diese Befugnis zur Erlassung allenfalls erforderlicher nationaler Bestimmungen ermächtigt die Mitgliedstaaten nämlich nicht, die Ausübung des genau bestimmten und an keine Bedingungen geknüpften Rechts auf Nichtdiskriminierung bei Arbeitsbedingungen und Entgelt an irgendwelche zusätzlichen Bedingungen zu knüpfen oder einzuschränken. Art. 39 ZP sieht vor, dass der AR Bestimmungen für türkische AN erlässt, die von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu- oder abwandern, sowie für deren in der Gemeinschaft wohnende Familien. ARB 3/80 macht gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen über soziale Sicherheit für Wanderarbeitnehmer (VO [EWG] 1408/ 71) teilweise für türkische Staatsangehörige anwendbar. Art. 3 enthält ein Diskriminierungsverbot in Bezug auf Sozialleistungen und sorgt für eine sozialrechtliche Gleichstellung mit Bürgern der EG. 2005 unterzeichnete die Türkei ein ZP zum Abkommen von Ankara zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der Zollunion auf die neu-
Türkei, Beitritt en Mitgliedstaaten. Da die Türkei ihrer Verpflichtung der vollständigen Umsetzung des ZP gegenüber Zypern noch nicht nachkam, und daher bestimmte Beschränkungen des freien Warenverkehrs und in Bezug auf Verkehrsmittel gegenüber Zypern bestehen, hat sich die EU dazu entschlossen, über acht Kapitel keine Verhandlungen zu eröffnen bis die Türkei ihre diesbezüglichen völkerrechtlichen Verpflichtungen uneingeschränkt erfüllt hat. (bb) §§: ABl. 1964, Nr. L 217/3687 (in Kraft seit 1964); ARB 1/80 abgedruckt in: InfAuslR 1982, 33; ZP aus 1970, ABl. 1972, Nr. L 293/1, Finanzprotokoll aus 1970, ABl. 1972, Nr. L 293/74; ARB 1/95, ABl. 1996, Nr. L 35/1, ARB 1/98, ABl. 1998, Nr. L 86/1; ARB 1/2006, ABl. 2006, Nr. L 265/18 berichtigt durch ABl. 2006, Nr. L 267/48 (Art. 52 des ARB 1/2006 hebt die ARB 1/1999, 1/2000 und 1/2001 auf) Lit.: H. Krück, Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach dem Assoziierungsabkommen EWG/Türkei, EuR 1984, 290; R. Feik, Das Aufenthaltsrecht türkischer Arbeitnehmer – europarechtliche Vorgaben und innerstaatliche Konsequenzen, ZfV 1995, 4; M. Akyürek, Das Assoziationsabkommen EWG – Türkei, Aufenthalt und Beschäftigung von türkischen Staatsangehörigen in Österreich, 2005; ders., Die Türkei in der EU – Ein künftiger Mitgliedstaat ohne Arbeitnehmerfreizügigkeit, JRP 2006, 21; R. Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger – Ihre Entdeckung und ihr Inhalt, 1999; ders. Die aufenthaltsrechtliche Bedeutung des Beschlusses 1/80 des Assoziationsrats, Verwaltungsblätter Baden-Würtemberg, 1997, 409; K. Hailbronner, Die Freizügigkeit türkischer Staatsangehöriger nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei, EuR 1984, 54; G. Nolte, Freizügigkeit nach dem Assoziationsvertrag EWG-Türkei: Auslegungskompetenz, unmittelbare Anwendbarkeit und Familiennachzug, ZaöRV 1987, 755; J. Egger, Zur arbeits- und sozialrechtlichen Stellung türkischer Arbeitnehmer, RdA 1997, 411; W. Weiß, Die Personenverkehrsfreiheiten von Staatsangehörigen assoziierter Staaten in der EU, 1998; W. Obwexer, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für die Umsetzung der Assoziierungsabkommen, in: E. Antalovsky/K. König/B. Perchinig/H. Vana (Hrsg.), Assoziierungsabkommen der EU mit Drittstaaten, 1998, 87; W. Hummer, Binnenmarkt als Daueraufgabe, EuR Beiheft 1/2002, 75 Rsp.: Der EuGH hat die unmittelbare Anwendbarkeit einzelner Bestimmungen von Assoziationsratsbeschlüssen zum Abkommen EWG – Türkei festgestellt: Insbesondere Art. 6 ARB 1/80 (dazu s. Rs. ĺSevince, ĺKus, ĺEroglu; EuGH, Rs. C-434/93, Bozkurt, Slg. 1995, I-1475; EuGH, Rs. C-171/95 Tetik, Slg. 1997, I329; EuGH, Rs. C-386 Eker, Slg. 1997, I-2697; EuGH, Rs. C-36/96 Guenaydin, Slg. 1976, 5143; EuGH, Rs. C-285/95 Kol, Slg. 1997, I-3069; EuGH, Rs. C-98/96 Erantir, Slg. 1997, I-5179; EuGH, Rs. C-1/97 Birden, Slg. 1998, I-7747; EuGH, Rs. C-340/97 Nazli, Slg. 2000, I-957; EuGH, Rs. C-502/04 Torun, Slg. 2006, I-1563; EuGH, Rs. C-4/05 Güzel, Slg. 2006, I-000; EuGH, Rs. C-230/03 Sedef, Slg. 2006, I-157), Art. 7 (EuGH, Rs. C-355/93 ĺEroglu, Slg. 1994, I-5113; EuGH, Rs. C351/95 Kadiman, Slg. 1997, I-2133; EuGH, Rs. C-210/ 97 Akman, Slg. 1998, I-7519; EuGH, Rs. C-329/97 Ergat, Slg. 2000, I-1487; EuGH, Rs. C-65/98 Eyüp, Slg. 2000, I-4747; EuGH, Rs. C-373/03 Aydinli, Slg. 2005,
I-6181; EuGH, Rs. C-275/02 Ayaz, Slg. 2004, I-8765; EuGH, Rs. C-502/04 Torun, Slg. 2006, I-1563); Art. 9 Abs. 1, 2 (EuGH, Rs. C-374/03 Gürol, Slg. 2005, I-6199), Art. 10 Abs. 1 (EuGH, Rs. C-171/01 Wählergruppe Gemeinsam, Slg. 2003, I-4301), Art. 13 (ĺSevince), Art. 14 (EuGH, Rs. C-502/04 Torun, Slg. 2006, I-1563), ferner in Bezug auf Art. 3. Abs. 1 ARB 3/80 (EuGH, Rs. C-102/98 und C-211/98 Kocak, Slg. 2000, I-1287; EuGH, Rs. C-262/96 Sürül, Slg. 1999, I-2685) Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/e40113.htm; zur Zollunion s.: http://ec.europa.eu/taxation_customs/ customs/customs_duties/rules_origin/customs_unions/ article_414_de.htm
Türkei, Beitritt Turkey, accession – Turquie, adhésion
Mit der 2005 erfolgten Aufnahme von ĺBeitrittsverhandlungen haben die bisherigen MS die Beitrittsperspektive der T. erneut konkretisiert und endgültig außer Streit gestellt, dass es sich bei der T., um einen ĺeuropäischen Staat i.S.d. Art. 49 EU handelt. Die EU verfolgt mit dem Beitritt der T. Ziele, die über jene bisheriger ĺErweiterungen hinausgehen. Die Heranführung und Integration der T. soll einen Beitrag dazu leisten, dass die Union zu einem vollwertigen außenpolitischen Akteur in der Region wird, die Alterung der EU-Gesellschaften abgeschwächt und die Energieversorgungswege gesichert werden. Darüber hinaus wäre die T. durch eine ĺStärkung der Grundsätze der Union, ein „wichtiges Modell eines Landes mit einer mehrheitlich moslemischen Bevölkerung, das sich zu grundlegenden Werten wie Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten bekennt“ (KOM[2004] 656 endg.). Die Zustimmung für einen Beitritt der T. ist bisher relativ schwach ausgeprägt. Mehrere MS – darunter Österreich – haben eine Volksabstimmung über das Ergebnis der Beitrittsverhandlungen angekündigt. Nach einer 2005 erfolgten Änderung der französischen Verfassung ist eine Volksabstimmung über die Ratifikation eines ĺBeitrittsvertrages obligatorisch und bindend. Die Beitrittsverhandlungen sind durch die mangelnde Ratifizierung eines Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen mit der EG ins Stocken geraten (ĺTürkei, Beitritt – Konflikt um die Anerkennung der Republik Zypern). Nachdem die T. 1952 Mitglied der NATO, 1954 Vertragspartei der EMRK wurde und das t. Militär ein Jahr nach dem Putsch von 1960 die Macht wieder an eine zivile Regierung übertragen hatte, konnte die T. 1963 mit der Unterzeichung eines Assoziationsvertrages mit der EWG (ĺTürkei, Assoziierungsabkommen) ih873
Türkei, Beitritt re „westeuropäische“ Verankerung weiter festigen. Bei dem sog. Abkommen von Ankara handelt es sich um eine ĺBeitrittsassoziierung, dessen Art. 28 bereits eine explizite Beitrittsperspektive stipuliert. Den t. Beitrittsantrag im Jahr 1959 als auch 1989 beantwortete der Rat vorerst nicht mit der Aufnahme von ĺBeitrittsverhandlungen. In ihrer Stellungnahme 1989 begründet die KOM ihre ablehnende Haltung mit ungelösten Problemen der T. in den Bereichen: Demokratie, Menschen- und Minderheitenrechte (insb. jene der Kurden), dem Verhältnis zu ĺZypern und Griechenland und der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Auf diese ungelösten Problembereiche stützte der Europ. Rat von Luxemburg (12./13. 12.) auch 1997 die Nichtaufnahme von Beitrittsverhandlungen und empfahl eine Intensivierung der Beziehungen im Wege einer ein einzurichtenden ĺEuropa-Konferenz und einer „Europäischen Strategie für die Türkei.“ Diese in der Folge von der KOM konkretisierte Strategie umfasste eine Vertiefung des Assoziierungsabkommens und der in diesem vorgesehenen Zollunion, sowie eine verstärkte Heranführung der T. an den ĺGemeinschaftlichen Besitzstand der EU. Seit 1998 erstellt die KOM auch für die T. einen ĺFortschrittsbericht. Die in den Fortschrittsberichten konstatierten Anstrengungen der T. zur Annäherung an die ĺBeitrittsvoraussetzungen veranlassten den Europ. Rat von Helsinki (10./11.12.1999), der T. den Status eines ĺBewerberlandes zu verleihen, das „auf [...] Grundlage derselben Kriterien, die auch für die übrigen beitrittswilligen Länder gelten, Mitglied der Union werden kann“ (Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Rn. 12). Auf dieser Grundlage kam es zur Entwicklung einer eigenen ĺHeranführungsstrategie für die T., die insb. eine ĺBeitrittspartnerschaft und eine ĺHeranführungshilfe umfasst. Als Rechtsgrundlage und einheitlicher Rahmen hierfür fungiert die VO (EG) 390/2001. Mit dem Beschluss 2006/35/EG hat der Rat seine jüngste Beitrittspartnerschaft für die T. vorgelegt (vorangegangene Beitrittspartnerschaften: 2003/398/ EG und 2001/235/EG) und damit die Prioritäten angepasst, nach denen die finanziellen Förderungen zu gewähren sind. Die Heranführungshilfe für die T. (VO [EG] 2500/2001) orientierte sich an den Förderzielen von ĺPHARE, ĺISPA und ĺSAPARD, wobei besondere Aufmerksamkeit der Förderung politischer Reformen galt. ĺIPA das einheitliche Instrument für die Heranführungshilfe hat mit seinem Inkraft874
treten 2007 u.a. auch die Heranführungshilfe für die T. ersetzt. Bis 2004 hat die KOM in ihren Fortschrittsberichten zur T. verneint, dass diese das politische Kriterium der ĺKopenhagener Kriterien, welches sich als Mindestvoraussetzung zur Aufnahme von ĺBeitrittsverhandlungen etabliert hat, erfüllt. 2002 stellte der Europ. Rat (Kopenhagen, 12./13.12.2002) der T. in Aussicht, dass die EU ohne Verzug Beitrittsverhandlungen aufnehmen werde, wenn „der Europäische Rat im Dezember 2004 auf Grundlage eines Berichtes und einer Empfehlung der Kommission“ entscheidet, dass die T. die „politischen Kriterien von Kopenhagen“ erfüllt (Schlussfolgerungen, Rn. 19). Insb. aufgrund der Verfassungsreform 2004, den Verbesserungen im Bereich der Minderheitenrechte, der Stärkung des Rechtes auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, der „Europäisierung“ der Beziehungen von Zivilregierung und Militär, sowie dem kurz bevorstehenden Inkrafttreten einer Reform des Vereins- und Strafrechtes bejahte die KOM 2004 die Erfüllung des politischen Kriteriums durch die T. und empfahl die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen (KOM[2004] 656 endg.). Darüber hinaus legte die KOM unter dem Titel „Fragen im Zusammenhang mit der möglichen Mitgliedschaft der Türkei in der EU“ einen ersten Bericht über die möglichen Auswirkungen eines Beitritts der T. vor (SEK [2004] 1202). Der Europ. Rat (Brüssel, 16./17. 2004) folgte der Aufforderung der KOM und beschloss die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen im Oktober 2005. Neben den üblichen Bestimmungen und Selbstverständlichkeiten, wie der teilweise als politischer Erfolg geschilderten Feststellung, dass die Verhandlungen „ein[en] Prozess mit offenem Ende“ darstellen, „dessen Ausgang sich nicht im Vorhinein garantieren lässt“ (Schlussfolgerungen, Rn. 23), enthalten die Kriterien für den zu beschließenden Verhandlungsrahmen einige Besonderheiten. So hält der Europ. Rat fest, dass die Verhandlungen erst nach dem Beschluss eines Finanzrahmens für den Zeitraum nach 2014 abgeschlossen werden können. Der KOM folgend, zieht der Europ. Rat „lange Übergangszeiten, Ausnahmeregelungen, spezifische Vereinbarungen oder dauerhafte Schutzklauseln“, insb. in Bereichen wie dem freien Personenverkehr, der Struktur- und Landwirtschaftspolitik in Erwägung. „Darüber hinaus sollte im Entscheidungsprozess in Bezug auf die Frage, wann der freie Personenverkehr letztlich ein-
Türkei, Beitritt – Konflikt um die Anerkennung der Republik Zypern geführt wird, den einzelnen Mitgliedstaaten eine möglichst umfassende Rolle zukommen“ (Rn. 23). Der in den Schlussfolgerungen angedeutete langfristige Ausschluss von Grundfreiheiten bzw. anderen Politikbereichen der Union, könnte über die von der sog. ĺOsterweiterung bekannte „temporäre Mitgliedschaft zweiter Ordnung“ hinausgehen. Auch wenn diese neue Form der „differenzierten Integration“, aufgrund ihrer in einem allfälligen ĺBeitrittsvertrag erfolgenden primärrechtlichen Absicherung, zulässig sein mag, steht sie in einem Spannungsverhältnis zur Wahrung des ĺgemeinschaftlichen Besitzstandes (Art. 2 Abs. 1 5. SpS EU). Des Weiteren findet sich in den durch den Europ. Rat aufgestellten Kriterien für den Verhandlungsrahmen eine, an das Sanktionsverfahren des Art. 7 EU angelehnte Notfallklausel. Diese sieht für den Fall einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der ĺGrundsätze der Union (Art. 6 EU), eine auf Antrag der KOM oder einem Drittel der MS mit qualifizierter Mehrheit durch den Rat zu beschließende Aussetzung der Verhandlungen vor. Indem der Rat als Maßstab der Notfallsklausel, anstatt des politischen Kriteriums der ĺKopenhagener Kriterien die Grundsätze der Union heranzuziehen hat, entfällt problematischer Weise die explizite Nennung des Schutzes von Minderheiten (ĺGrundsätze der Union). Trotz gegenteiliger Ankündigungen einiger MS hat der Rat, den von der KOM vorgeschlagenen Verhandlungsrahmen nahezu unverändert am 3.10.2005 angenommen und damit den Startschuss für die Beitrittsverhandlungen mit der T. erteilt. Obwohl sich die Beitrittsverhandlungen durch den Konflikt um die lückenlose Umsetzung des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (ĺTürkei, Beitritt – Konflikt um die Anerkennung der Republik Zypern) stark verlangsamt haben, konnten 2007 – nach Vorlage der entsprechenden Screening-Berichte – weitere Kapitel eröffnet werden. (lo) §§: Commission opinion on Turkey’s request for accession to the community, SEC (89) 2290 final/2 corrigendum vom 20.12.1989; Empfehlung der Europäischen Kommission zu den Fortschritten der Türkei auf dem Weg zum Beitritt, KOM(2004) 565 endg.; Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei, ABl. 29.12.1964, Nr. L 217/3687; Beitrittspartnerschaften: 2006/35/EG, ABl. 26.1.2006, Nr. L 22/34, 2003/398/EG, ABl. 12.6.2003, Nr. L. 145/ 40, 2001/235/EG, ABl. 2001, Nr. L 85/13; VO (EG) 390/2001, ABl. 28.3.2001, Nr. L 58/1; VO (EG) 2500/ 2001, ABl. 27.12.2001, Nr. L 342/1
Lit.: R. Streinz, Die Türkei als Partner – Formen der Zugehörigkeit zur EU, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 2005/II (2006) 111; B. Verschraegen, Nationalrat und Beitrittsverhandlungen EU – Türkei, JRP 2005, 12; B. Lippert, Die Türkei als Sonderfall und Wendepunkt der klassischen EU-Erweiterungspolitik, integration 2005, 119
Türkei, Beitritt – Konflikt um die Anerkennung der Republik Zypern Turkey, accession; conflict concerning the recognition of the Republic of Cyprus – Turquie, adhésion; conflit au sujet de la réconnaissance de la République de Chypre
Bei der Unterzeichnung des Zusatzprotokolls zum ĺAssoziierungsabkommen zwischen der EWG und der T. (2005/672/EG), das durch die sog. ĺOsterweiterung notwendig wurde und den räumlichen Geltungsbereich des Abkommens auf die neuen MS ausweitet, hielt die T. am 29.7.2005 in einer einseitigen Erklärung zum Protokoll fest, dass die Unterzeichnung keine Anerkennung der Republik ĺZypern bedeutet. Die Antwort darauf stellt die Erklärung der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten vom 21.9.2005 dar. In dieser wird festgehalten, dass die Erklärung der T. keinen Bestandteil des Zusatzprotokolls bildet und die EU seine uneingeschränkte und diskriminierungsfreie Anwendung beobachten und 2006 bewerten wird. Bzgl. der ĺBeitrittsverhandlungen wird erklärt, dass die Öffnung von Kapiteln, die mit dem Protokoll in Zusammenhang stehen, davon abhängt, ob „die Türkei ihren vertraglichen Verpflichtungen gegenüber allen Mitgliedstaaten nachkommt.“ Die Anerkennung aller MS bilde, so die Erklärung „eine unerlässliche Komponente des Beitrittsprozesses“. Die T. hat bisher das Zusatzprotokoll im Bezug auf die Republik Zypern nicht umgesetzt und insb. ihre Flug- und Seehäfen nicht für griechisch-zypriotische Schiffe geöffnet. Die T. fordert zuvor ein Ende der wirtschaftlichen Isolierung des türkischen Nordzyperns durch die EU. Der Rat (Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen) hat daher der Empfehlung der KOM([2006] 773 endg.) entsprochen und in seinen Schlussfolgerungen (11.12.2006) vorgeschlagen wesentliche Schritte in den Beitrittsverhandlungen erst dann zusetzen, wenn die KOM, insb. in ihren Fortschrittsberichten, feststellt, dass die T. ihre Verpflichtungen aus dem Zusatzprotokoll erfüllt. Einerseits betrifft dies die Eröffnung von Verhandlungskapitel, die politische Bereiche betreffen, in denen die Türkei Beschränkungen gegenüber der Republik Zypern verhängt hat. Dabei handelt es sich um die 875
Tunesien Kapitel: Freier Warenverkehr, Niederlassungsrecht und freier Dienstleistungsverkehr, Finanzdienstleistungen, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Fischerei, Verkehrspolitik, Zollunion und Außenbeziehungen. Andererseits soll kein einziges Kapitel vorläufig abgeschlossen werden. Der Europ. Rat vom 14./15.12.2006 hat sich dem Rat in seinen Schlussfolgerungen angeschlossen (Rn. 10). Dadurch haben sich Geschwindigkeit und Intensität der Beitrittsverhandlungen mit der T. stark reduziert (ĺTürkei, Beitritt). (lo) §§: Beschluss des Rates über die Unterzeichnung eines Zusatzprotokolls zum Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei aufgrund der Erweiterung der Europäischen Union (2005/672/EG), ABl. 30.9.2005, Nr. L 254/57; Erweiterung: Türkei, Erklärung der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten vom 21.9.2005 (12541/05 [Presse 243])
Tunesien Tunisia – Tunisie
ĺEuropa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Tunesischen Republik andererseits. (bb) §§: ABl. 1998, Nr. L 97/2 (in Kraft seit 1.3.1998) Web: http://www.deltun.cec.eu.int/fr/article.asp?ID0= 12&ID1=180&ID=180
Twinning Beim T. handelt es sich um eine Maßnahme im Rahmen der ĺHeranführungshilfen. Zur Stärkung der Verwaltungskapazität, die zur Umsetzung des ĺGemeinschaftlichen Besitzstands erforderlich ist, werden Fachleute eines MS über längere Zeit in das Land eines ĺBe-
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werberlandes entsandt. Aufgabe der sog. Heranführungsberater ist es, Wissen und Erfahrungen der mitgliedstaatlichen Behörden an die Bewerberländer weiterzugeben (daher auch die Wahl des Begriffes „Twinning“, der einerseits Partnerschaft, anderseits auch Verdopplung beinhaltet). Im Rahmen des T. muss ein prioritärer Bereich, der in der jeweiligen ĺBeitrittspartnerschaft aufgelistet ist, bearbeitet werden. Die MS können Vorschläge zu entsprechenden Projekten abgeben, unter denen der Beitrittswerber auswählen kann und die durch die KOM im Rahmen der jeweiligen ĺHeranführungshilfe genehmigt werden (ĺPHARE, ĺCARDS, Heranführungshilfe ĺTürkei und seit 2007 ĺIPA). Rechtsgrundlage sind die zwischen MS und Beitrittskandidat abgeschlossenen Partnerschaftsvereinbarungen, in denen u.a. die zu erreichenden Ziele aufgelistet werden müssen. Um auch einen kleineren Projektumfang und kurzfristigere Beratungen zu ermöglichen, führte die KOM das sog. T.-Light ein, das 6 Monate (bisher mind. 12 Monate) und Kosten in der Höhe von 1,5 Mill. € nicht überschreiten darf. Für die MS ist T. nicht nur aufgrund der Chance ihre Verwaltungspraxis bzw. Rechtsinstitute „exportieren“ zu können interessant, sondern bietet auch einen gewissen finanz. Anreiz: Seit der Einführung des T. im Rahmen der intensivierten ĺHeranführungsstrategie (1998) und 2002 wurden für T.-Projekte 471 Mio. € aufgewandt. (lo) §§: Art. 181a EG Lit.: Sonderbericht der KOM(Nr. 6/2003) über Partnerschaften („Twinning“) als Hauptinstrument zur Unterstützung des Institutionenaufbaus in Bewerberländern, ABl. 2003, Nr. C 167/21 Web: http://ec.europa.eu/enlargement/financial_as sistance/institution_building/twinning_en.htm
U Ubiquitätsprinzip ĺUmweltschäden, im IPR Übereinkommen convention – convention
Im Rahmen der ĺpolizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen kann der ĺRat den ĺMitgliedstaaten Übereinkommen gem. Art. 34 Abs. 2 lit. d EU empfehlen, die jedoch gem. den jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften angenommen werden müssen. Diese stellen somit eingeständige völkerrechtliche Verträge dar, die zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der PJZS abgeschlossen werden. Diese jeweiligen Ratifizierungsverfahren sind innerhalb einer vom Rat festgesetzten Frist einzuleiten. Sofern in den Übereinkommen nichts anderes vorgesehen ist, treten sie, sobald sie von mindestens der Hälfte der Mitgliedstaaten angenommen wurden, für diese Mitgliedstaaten in Kraft. Die auf Grund von Art. 34 Abs. 2 lit. d EU abgeschlossenen Verträge sind Bestandteil des sekundären Unionsrechts und als solches unionskonform auszulegen. Die Wiener Vertragsrechtskonvention kommt demnach nur subsidiär zur Anwendung und Rang sowie Geltung richten sich nach nationalem Recht. (gh) §§: Art. 34 Abs. 2 lit. d EU Lit.: R. Feik, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 68. Lfg. 2006, Art. 34 EUV, Rn. 18 ff.; V. Röben, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 34 EUV, Rn. 25 ff.; H. Satzger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 34 EUV, Rn. 12 ff.; O. Suhr, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 34 EUV, Rn. 23
Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 (Römer Übereinkommen, EVÜ) Convention on the Law Applicable to Contractual Obligations of 19 June 1980 (Rome Convention) – Convention sur la Loi Applicable aux Obligations Contractuelles du 19 juin 1980 (Convention de Rome)
Das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 (ABl. 1980, Nr. L 266/1), kurz „Euro-
päisches Vertragsübereinkommen“ (EVÜ) oder auch (weil in Rom zur Unterzeichnung aufgelegt) „Römer Übereinkommen“, ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den EU-Mitgliedstaaten und regelt das Vertragskollisionsrecht bzw. das internationale Vertragsrecht, also die Frage, welches materielle Recht auf grenzüberschreitende Verträge anzuwenden ist. Das EVÜ gilt in allen EU-Mitgliedstaaten. Die wichtigsten Grundregeln des EVÜ sind die freie ĺRechtswahl, die Regel der ĺengsten Verbindung und die Regel von der ĺcharakteristischen Leistung. Als internationales Übereinkommen mit starkem Gemeinschaftsbezug ist das ĺEVÜ autonom auszulegen (ĺAuslegung, autonome, des EVÜ). Man ist derzeit bestrebt, das EVÜ in eine Verordnung umzuwandeln und hat dafür auch schon einen Verordnungsvorschlag vorgelegt (ĺ„Rom I“-Verordnung). (js) §§: Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980, ABl. 1980, Nr. L 266/1 Lit.: B. Verschraegen, Vor Art. 1 EVÜ, in: P. Rummel (Hrsg.), Kommentar zum ABGB I/6, 3. Aufl. 2004; R. Plender/M. Wilderspin, The European Contracts Convention, 2. Aufl. 2001 Web: Text des Übereinkommens in mehreren Sprachen: http://www.rome-convention.org
Übereinkommen über die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Convention on Organisation for Economic Co-Operation and Development – Convention d’Organisation de Coopération et de Développement Économique
Am 14.12.1960 unterzeichnetes Übereinkommen, durch welches die ĺOEEC in die ĺOECD umgewandelt wurde. (gm) Übereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (1995) Convention on the protection of the European Communities’ financial interests (1995) – convention relative à la protection des intérêts financiers des Communautés européennes (1995)
Mit der sog. PIF-Konvention wird der ĺSchutz der finanziellen Interessen der Europäischen Ge877
Übernahmerichtlinie meinschaften vor betrügerischen Handlungen verfolgt, indem eine Annäherung der Strafvorschriften der Mitgliedstaaten beschlossen wurde. Das ĺÜbereinkommen regelt insbesondere ƒ Mindestvorschriften für die Tatbestandsmerkmale strafbarer Betrugshandlungen zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts oder der sonst von der Gemeinschaft oder in ihrem Auftrag verwalteten Mittel (Art. 1). Es definiert insoweit den Betrug europarechtlich autonom. Umfasst sind im Zusammenhang mit den Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaft im Wesentlichen die vorsätzliche Verwendung falscher Unterlagen, das rechtspflichtwidrige Verschweigen einer Information und die missbräuchliche Verwendung von Mitteln. Auch Anstiftung, Beihilfe und Versuch sind zu erfassen (Art. 2); ƒ wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen (ĺMindesttrias der Sanktionen), die zumindest in schweren Betrugsfällen auch Freiheitsstrafen umfassen, die zu einer Auslieferung führen können (Art. 2). Als schwerer Betrug gilt jedenfalls eine Schadensverursachung von € 50.000,-, als minderschwerer Betrug, bei denen auch Sanktionen anderer Rechtsnatur ausreichend sind, eine Schadensverursachung von weniger als € 4.000,-; ƒ Vorgaben für eine strafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit der Leiter, Entscheidungsträger und Kontrollbefugten bei Tatbegehung zum Vorteil eines Unternehmens (Art. 3). Eine Verantwortlichkeit der juristischen Person selbst wird durch das bislang nicht in Kraft getretene Zweite Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (1995) (ĺGeldwäscheprotokoll [1996]) angeordnet; ƒ Vorgaben für das Strafanwendungsrecht, Auslieferung und Verfolgung sowie die Koordination der Strafverfolgung zwischen den Mitgliedstaaten (Art. 4-7). In Ergänzung der PIF-Konvention sind das ĺBestechungsprotokoll (1996) und das ĺGeldwäscheprotokoll (1997) beschlossen worden. Die PIF-Konvention ist gemeinsam mit dem Bestechungsprotokoll (1996) am 17.10.2002 in Kraft getreten. Die Auslegungszuständigkeit des EuGH für diese Übereinkommen kann von den Mitgliedstaaten auf Basis des zum Übereinkommen ergangenen Auslegungsprotokolls begründet werden. (sts) §§: Übereinkommen aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz
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der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. 1995, Nr. C 316/49; Erläuternder Bericht zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (vom Rat am 26.5.1997 gebilligter Text), ABl. 1997, Nr. C 191/1 Lit.: G. Dannecker, Das Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften – Zur Umsetzung der im Jahre 1994 verabschiedeten Betrugsbekämpfungsstrategie der Europäischen Kommission, in: R. Leitner (Hrsg.), Finanzstrafrecht. Aktualisierte Beiträge der Finanzstrafrechtlichen Tagungen, 1996–2002, 2006, 895 ff.
Übernahmerichtlinie directive on takeover bids – directive concernant les offres de reprise
Dreizehnte gesellschaftsrechtliche ĺRichtlinie vom 30.4.2004 (2004/25/EG, ABl. 2004, Nr. L 142, 12), die als Kernpunkt die Verpflichtung des Bieters, bei Übernahme einer börsenotierten Gesellschaft auch den Minderheitsaktionären ein Angebot zu einem „angemessenen“ Preis zu unterbreiten, normiert. Ein zweiter Kernpunkt liegt in der Bestimmung, bei Übernahmeangeboten grundsätzlich das Recht des Staates anzuwenden, in dem die betroffene Gesellschaft ihren Sitz hat. Nur dann, wenn das Unternehmen in seinem Sitzstaat nicht börsennotiert ist, werden Zuständigkeiten und das anwendbare Recht geteilt. Der Sitzstaat wäre dann für die gesellschaftsrechtlichen Aspekte, der Marktort für Verfahrensfragen zuständig. Auch die hierzu erforderliche Kooperation der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten wird von der Richtlinie zur Auflage gemacht. Zudem enthält die Richtlinie ein Optionsmodell, das den Mitgliedstaaten bzw. den Unternehmen die Entscheidung über den Abbau von Verteidigungsmaßnahmen überlässt, die Offenlegung der Kapital- und Kontrollstrukturen, die Preisregelung, das Squeeze-out sowie die grenzüberschreitende Zuständigkeit der Aufsichtsorgane. Die Vorgabe an die Mitgliedstaaten, einen Squeezeout vorzusehen (darunter versteht man die Möglichkeit des in einem bestimmten Umfang beteiligten Mehrheitsgesellschafters, die Minderheitsgesellschafter aus der Gesellschaft auszuschließen) hat in Österreich zur Erlassung eines eigenen „Gesellschafterausschlussgesetzes“ geführt. Insgesamt wurde die Übernahmerichtlinie durch das Übernahmerechtsänderungsgesetz 2006 (BGBl. I 2006/75) umgesetzt. (tr) Lit.: P. Huber/K. Alscher, Das Übernahmerechts-Änderungsgesetz – ein Überblick, ecolex 2006, 574; R. Rauter, Squeeze out nun salonfähig? JAP 2007, 16; M. Winner, Das Pflichtangebot nach neuem Übernahmerecht, ÖJZ 2006, 42
Übertragung (Energierecht) Überseering-Entscheidung Überseering case – jurisprudence Überseering
S.a. auch ĺNiederlassungsfreiheit, für Gesellschaften): Urteil des EuGH, nach welchem einer nach dem Recht eines EU-Staates gegründeten Gesellschaft die Rechts- und Parteifähigkeit nicht wegen einer grenzüberschreitenden Verwaltungssitzverlegung abgesprochen werden darf. Zu Sachverhalt und Entscheidung: Eine nach niederländischem Recht gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung (dort: B.V.) hatte den Sitz ihrer tatsächlichen Hauptverwaltung nach Deutschland verlegt und wollte – in Deutschland – als Klägerin einen Schadenersatzanspruch gerichtlich geltend machen. Die deutschen Vorinstanzen wiesen die Klage zurück, weil die B.V. durch die erfolgte Sitzverlegung ihre Rechts- und damit auch Parteifähigkeit verloren habe (s. dazu auch ĺSitztheorie). Der EuGH stellte demgegenüber fest, dass die ĺNiederlassungsfreiheit den Mitgliedstaaten gebiete, zugezogene Gesellschaften „nach dem Recht ihres Gründungsstaates“ anzuerkennen. Damit ließ der EuGH explizit ein grenzüberschreitendes Auseinanderfallen von Satzungs- und Verwaltungssitz zu und verwarf den Einwand, dass Art. 293 3. Alt EG den Vorrang des innerstaatlichen IPR vor der Niederlassungsfreiheit normiere. Seither kann das frühere Urteil in der Rs. ĺDaily Mail zumindest aus der Sicht des Zuzugsstaates nicht mehr als Stütze der Sitztheorie herangezogen werden. (tr) §§: Art. 43, 48 EG Lit.: M. Straube/T. Ratka, Das „Herkunftslandprinzip“ im EU-Gesellschaftsrecht nach der „Überseering“-Entscheidung, ÖZW 2003, 34 Rsp.: EuGH, Rs. C-208/00 Überseering, Slg. 2002, I-9919
Übersetzungsprojekte translation projects – projets de traduction
Im Rahmen des Programms Kultur2000 geförderte Übersetzungen für jeweils vier bis zehn europäische literarische Werke. Antragsberechtigt für Übersetzungsprojekte sind Verlage. Im Amtsblatt wörtlich: Unterstützung kultureller Projekte – literarische Übersetzungen (Aktionsbereich 1.2.2), (Support for cultural actions: litarary translation, Soutien aux actions culturelles: traduction littéraire) Die Höhe des Zuschusses pro Projekt beläuft sich auf € 2.000,- bis € 60.000,-. Mit diesem Beitrag können sämtliche Übersetzungskosten gedeckt werden, sofern diese 50 % der gesam-
ten Projektkosten (inkl. Druck und Vertrieb) nicht übersteigen. (cd) Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/fr/oj/ 2007/c_184/c_18420070807 fr00090010.pdf; http:// www.eic.ac.cy/easyconsole.cfm?page=downloaddocu ment&progl_id=596&doctype=inline
Übersetzungszentrum für die Einrichtungen der Europäischen Union (Cdt) Translation Centre for the Bodies of the European Union (Cdt) – Centre de traduction des organes de l’Union européenne (Cdt)
Das Übersetzungszentrum für die Einrichtungen der Europäischen Union wurde, gestützt auf Art. 308 (ex-Art. 235) EG, durch die VO (EG) 2965/94, ABl. 1994, Nr. L 314/1 gegründet. Seine Aufgabe ist es Übersetzungsdienste für die anderen dezentralisierten Einrichtungen der Gemeinschaft sowie für Europol zur Verfügung zu stellen. Damit ist sie die einzige Agentur die eine bloß verwaltungstechnische Funktion hat und keine Aufgaben im Verhältnis der Gemeinschaft mit den Mitgliedstaaten wahrnimmt. Direktor: Gailé Dagiliené Sitz: Luxemburg, Luxemburg (gr) §§: Art. 308 EG; VO (EG) 2965/94 ABl. 1994, Nr. L 314/1 geändert durch die VO (EG) 2610/95, ABl. 1995, Nr. L 268/1 und die VO (EG) 1645/2003, ABl. 2003, Nr. L 245/13 Lit.: D. Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, 1999, 61 f. Web: http://www.cdt.europa.eu/
Übertragung (Energierecht) transmission (energy law) – transport (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Ü. ist eine in der ĺElektrizitätsbinnenmarktrichtlinie geregelte Tätigkeit. Die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie versteht darunter den Transport von Elektrizität über ein Höchstspannungs- und Hochspannungsverbundnetz zum Zwecke der Belieferung von Endkunden oder Verteilern, jedoch mit Ausnahme der Versorgung. Die Tätigkeit entspricht damit im Wesentlichen der ĺFernleitung nach der ĺErdgasbinnenmarktrichtlinie. Übertragungsnetzbetreiber werden dabei von den MS benannt. Sie trifft die Verpflichtung, auf lange Sicht die Fähigkeit des Netzes, eine angemessene Nachfrage nach Übertragung von Elektrizität zu befriedigen, sicherzustellen, durch entsprechende Übertragungskapazität und Zuverlässigkeit des Netzes zur Versorgungssicherheit beizutragen und die Energieübertragung durch das Netz 879
Übertragungsnetzbetreiber unter Berücksichtigung des Austauschs mit anderen Verbundnetzen zu regeln. Die Übertragungsnetzbetreiber haben daher ein sicheres, zuverlässiges und effizientes Elektrizitätsnetz zu unterhalten und in diesem Zusammenhang für die Bereitstellung aller unentbehrlichen Hilfsdienste zu sorgen, sofern diese Bereitstellung unabhängig von jedwedem anderen Übertragungsnetz ist, mit dem das Netz einen Verbund bildet. Weiters sind Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, dem Betreiber eines anderen Netzes, mit dem sein eigenes Netz verbunden ist, sowie Netzbenutzern ausreichende Informationen bereitzustellen, um den sicheren und effizienten Betrieb, den koordinierten Ausbau und die Interoperabilität des Verbundnetzes sicherzustellen. Übertragungsnetzbetreiber haben sich jeglicher Diskriminierung von Netzbenutzern oder Kategorien von Netzbenutzern, insbesondere zugunsten der mit ihm verbundenen Unternehmen, zu enthalten. Sie trifft auch die Pflicht zum ĺUnbundling und zur Geheimhaltung von Betriebsgeheimnissen. Soweit sie diese Funktion haben, beschaffen sich die Übertragungsnetzbetreiber die Energie, die sie zur Deckung von Energieverlusten und Kapazitätsreserven in ihrem Netz verwenden, nach transparenten, nichtdiskriminierenden und marktorientierten Verfahren. Die von den Übertragungsnetzbetreibern festgelegten Ausgleichsregelungen für das Elektrizitätsnetz müssen objektiv, transparent und nichtdiskriminierend sein, einschließlich der Regelungen über die von den Netzbenutzern für Energieungleichgewichte zu zahlenden Entgelte. Darüber hinaus können den Übertragungsnetzbetreibern weitere Verpflichtungen, etwa zur vorrangigen Abnahme von KWK-Strom und Abnahme von Strom aus heimischen Energieträgern, auferlegt werden. (hh) §§: Art. 2, 8 ff. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/54/EG)
Übertragungsnetzbetreiber ĺÜbertragung Überwachungssystem, Schiffsverkehr monitoring system, vessel traffic – système de suivi du trafic des navires
Auf Basis der RL 2002/59/EG erfolgt die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr. Ziel der RL ist die Verbesserung der Sicherheit und Effizienz des Seeverkehrs 880
wie auch die Verhütung von Verschmutzungen durch Schiffe im Anwendungsbereich der RL (allerdings bestehen Ausnahmetatbestände). Eingeführt wird eine Anmeldungspflicht vor dem Einlaufen in Häfen der EG. Die einlaufenden Schiffe müssen mit einem automatischen Identifizierungssystem ausgestattet sein und über einen Schiffsdatenschreiber verfügen. Die MS trifft eine Ausstattungspflicht ihrer Küstenstationen betreffend Empfang und Verarbeitung der auf diesem Wege übermittelnden Informationen. Zudem müssen die MS bei der Verknüpfung und Interoperabilität der einzelstaatlichen Informationssysteme zusammenarbeiten. Sie ergreifen zudem gegenüber Schiffen, die ein potenzielles Risiko für die Seeschifffahrt darstellen, geeignete Maßnahmen zur Eindämmung der Sicherheitsrisiken oder Umweltgefahren auf See. Hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs der RL überwachen und ergreifen die MS alle erforderlichen und geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Kapitäne, Betreiber oder Agenten von Schiffen sowie Verlader oder Eigentümer von gefährlichen oder umweltschädlichen Gütern, die an Bord der Schiffe befördert werden, die Anforderungen dieser Richtlinie erfüllen. Durch die RL 2002/6/EG (ABl. 2002, Nr. L 67/ 31) erfolgte eine Standardisierung der Meldeformalitäten zur Erleichterung für Schiffe bei Aus- oder Einlaufen von Häfen. Sechs standardisierte Formulare sollen anerkannt werden. Diese gehen auf das von der Internationalen Konferenz zur Erleichterung des Personenund Güterverkehrs zur See am 9.4.1965 verabschiedete Übereinkommen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisationen zur Erleichterung des internationalen Seeverkehrs in seiner geänderten Fassung zurück („IMO-FAL-Übereinkommen). (sm) §§: RL 2002/59/EG, ABl. 2002, Nr. L 208/10; RL 2002/ 6/EG, ABl. 2002, Nr. L 67/31; vgl. auch Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Grundsätze für die Untersuchung von Unfällen im Seeverkehr und zur Änderung der RL 1999/35/EG und 2002/59/EG (SEK[2005] 1515), KOM/2005/0590 endg. – COD 2005/0240; Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der RL 2002/ 59/EG über die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr (SEK[2005] 1514), KOM/2005/0589 endg. – COD 2005/0239
Überweisung ĺVerweisung
Überweisungsrichtlinie Überweisungen, grenzüberschreitende ĺGrenzüberschreitende Überweisungen Überweisungsrichtlinie directive on cross-border credit transfers – directive concernant les virements transfrontaliers
Ziel der ÜberweisungsRL, einer ĺKundenschutzRL mit abschließendem Charakter, ist es insbesondere, den Wettbewerb auf dem Markt für Überweisungen zu fördern, um damit eine bessere Qualität der Dienstleistungen und einen niedrigeren Preis zu erreichen. Gleichzeitig wird die Bedeutung der damit einhergehenden Effizienzsteigerung der grenzüberschreitenden Überweisungen im Hinblick auf die Vorbereitung der dritten Stufe der Wirtschaftsund Währungsunion betont. Anwendung finden die Bestimmungen dieser RL auf grenzüberschreitende Überweisungen in den Währungen der Mitgliedstaaten und in ĺEuro bis zum Gegenwert von € 50.000,- sofern sie von Personen in Auftrag gegeben werden, die nicht als Kredit- oder Finanzinstitut sowie als ein anderes Institut, das solche Überweisungen gewerbsmäßig ausführt, zu qualifizieren sind (Art. 1 RL). Damit sind Geschäftsvorgänge angesprochen, die auf Veranlassung eines Auftraggebers über ein Institut (oder Zweigstelle) in einem Mitgliedstaat zu dem Zwecke durchgeführt werden, einem Begünstigten bei einem Institut (oder Zweigstelle) in einem anderen Mitgliedstaat einen Geldbetrag zur Verfügung zu stellen (Art. 2 RL). Um beschriebenes Regelungsanliegen zu erreichen, sieht die RL zwei Schutzinstrumente vor. Erstens enthält die RL bestimmte Informationspflichten, welchen die Institute ihren tatsächlichen oder potenziellen Kunden gegenüber bereits im vorvertraglichen Bereich nachzukommen haben (Art. 3 RL). Insbesondere ist über die Dauer der Überweisung, die bei der Umrechnung angewandten Referenzkurse, über bestehende Beschwerde- und Abhilfeverfahren sowie über die Berechnungsmodalitäten der vom Kunden zu zahlenden Provisionen und Gebühren aufzuklären. Zu beachten ist allerdings, dass hinsichtlich letzterer keine zwingenden inhaltlichen Gebührenbeschränkungen bestehen. Ebenso verpflichtet die Richtlinie das überweisende Institut und das Empfängerinstitut, nach erfolgter grenzüberschreitender Überweisung gewisse Mitteilungen an den Auftraggeber und Empfänger über diese zu erstatten, etwa den eigentlichen Überweisungsbetrag oder
den Betrag sämtlicher vom Kunden zu zahlender Provisionen und Gebühren (Art. 4 RL). Das zweite Instrument zum Schutz der Kunden sollen gewisse Fristenbestimmungen bilden (Art. 6 RL). Grundsätzlich ist die Frist, innerhalb derer die Überweisung auszuführen ist, frei vereinbar. Wird die vereinbarte Frist allerdings nicht gewahrt oder ist der zu überweisende Betrag, sofern keine Frist vereinbart wurde, am Ende des fünften Bankgeschäftstags nach dem Tag der Annahme des Auftrags dem Konto des Instituts des Begünstigten noch nicht gutgeschrieben worden, ist das Institut dem Auftraggeber gegenüber zur Zahlung einer Entschädigung in Form von verschuldensunabhängigen Verzugszinsen verpflichtet. Entbunden wird das Institut von dieser Verpflichtung, wenn es nachweist, dass die Verzögerung auf den Auftraggeber oder höhere Gewalt zurückzuführen ist (Art. 9 RL). Selbiges gilt für das Institut des Empfängers, wobei hier lediglich eine eintägige Frist besteht. Zudem trifft die RL Regelungen über die Verpflichtung zur weisungsgemäßen Ausführung des Überweisungsauftrages (Art. 7 RL), zur Erstattungspflicht der Institute bei Nichtabwicklung der Überweisung (Art. 8 RL) sowie zur Beilegung von Streitigkeiten (Art. 10 RL). Das erwähnte Schutzdefizit der mangelnden Deckelung der für die grenzüberschreitenden Überweisungen zu entrichtenden Gebühren wurde durch den Erlass der VO (EG) 2560/ 2001 vom 19.12.2001 über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro behoben. Diese sieht eine entsprechende Regelung vor, wonach Institute für solche Überweisungen und elektronische Zahlungsvorgänge bis zu einem Betrag von € 50.000,- die gleichen Gebühren verrechnen müssen, wie für entsprechende Zahlungsvorgänge, die sie innerhalb des Mitgliedstaats, in dem sie niedergelassen sind, in Euro tätigen (Art. 3 VO). (pa) §§: RL 97/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.1.1997 über grenzüberschreitende Überweisungen, ABl. 1997, Nr. L 43/25; VO (EG) 2560/ 2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.12.2001 über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro, ABl. 2001, Nr. L 344/13 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/ H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Überweisungsrichtlinie ĺGrenzüberschreitende Überweisungen 881
Ukraine Ukraine Ukraine – Ukraine
Es wurden ein ĺPartnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EG und ihren MS und der Ukraine und eine Reihe sektorieller Abkommen geschlossen. Im PKA räumt die EU der Ukraine beim Warenhandel ab dem GATT und WTO-Beitritt der Ukraine eine Meistbegünstigung ein. Eine Befreiung von Einfuhrzöllen und –abgaben ist ebenso vorgesehen, wie das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen (ausgenommen Textilwaren und nukleares Material). Bestimmungen erleichtern schrittweise den grenzüberschreitenden Dienstleistungs- und Zahlungsverkehr, sowie die Niederlassung und verbieten die Diskriminierung von Arbeitnehmern. Ferner ist die wirtschaftliche und industrielle Zusammenarbeit vorgesehen, um Reformen voranzutreiben und eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten, überdies Kooperationen im Bereich Wissenschaft, Bildung, Soziales, Tourismus, regionale Entwicklung, KMUs, Verbraucherschutz, Zoll, Energie, Verkehr, Umweltschutz, Statistik. Die PKAs mit ĺArmenien, ĺAserbaidschan, ĺGeorgien, Kasachstan, Kirgisistan, ĺMoldau, ĺRussische Föderation und Usbekistan sind vergleichbaren Inhalts. (bb) §§: ABl. 1998, Nr. L 49/3 (in Kraft seit 1.3.1998) Web: http://www.delukr.ec.europa.eu/en/Data/pcaeng.pdf
Umgekehrte Diskriminierung ĺInländerdiskriminierung Umpacken (freier Warenverkehr) repackaging (free movement of goods) – reconditionnement (libre circulation des marchandises)
Trotz vorangegangener Erschöpfung (ĺErschöpfungsgrundsatz) seines Markenrechts kann sich der Markeninhaber gegen das Umpacken von mit seinem Warenzeichen versehener Ware grundsätzlich zu Wehr setzen. Dies gilt aber nicht, wenn 4 (EuGH, Rs. C-349/95 Loendersloot/Ballantine, Slg. 1997, I-6227, Rn. 50) bzw. bei Arzneimitteln 5 (EuGH, verb. Rs. C-427/ 93, C-429/93 und C-436/93 Bristol-Myers Sqibb, Slg. 1996, I-3457, Rn.79) Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: 1. Die Geltendmachung der Rechte aus der Marke dient nicht einer künstlichen Abschottung der Märkte. 882
2. Der Originalzustand der Ware wird nicht beeinträchtigt. 3. Die umgepackte Ware darf nicht so aufgemacht sein, dass der Ruf der Marke geschädigt wird. 4. Der Importeur muss den Markeninhaber vorab vom Feilhalten der umgepackten Ware unterrichten und – falls es sich dabei um ein Arzneimittel handelt – ihm auf Verlangen ein Muster liefern. 5. Bei Arzneimitteln kommt noch hinzu, dass auf der Verpackung sowohl das die Verpackung vornehmende Unternehmen, als auch der Hersteller genannt sein müssen. (rp) Lit.: W. Nautha, Ausnahmen vom Erschöpfungsgrundsatz im Markenrecht, GRUR Int. 2004, 994; P. Oliver/ M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 8.221 ff.; F. Urlesberger, Warenverkehrsfreiheit und Markenrecht, 2002, 87 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 102/77 Hofmann-La Roche, Slg. 1978, 1039; EuGH, Rs. C-427/93 Bristol-Myers Sqibb, Slg. 1996, I-3457, Rn. 79; EuGH, Rs. C-349/95 Loendersloot/Ballantine, Slg. 1997, I-6227, Rn. 50
Umsatzsteuer (USt) ĺMehrwertsteuerrichtlinie Umsetzung von Richtlinien ĺRichtlinien, Umsetzung, Allgemeines; ĺRichtlinien, Umsetzung, Form; ĺRichtlinien, Umsetzung, Inhalt Umsetzungsfrist ĺRichtlinien, Umsetzungsfrist Umsetzungshinweis ĺRichtlinien, Umsetzungshinweis Umwelt environment – environnement
Der Begriff der Umwelt wird im EG nicht definiert und ist daher umstritten. Es können im Wesentlichen folgende unterschiedliche Definitionsversuche erkannt werden: ƒ Es wird ein auf die natürliche Umwelt begrenzter Begriff vertreten, was allerdings eingedenk der Einbeziehung auch des Städtebaus nicht vertretbar erscheint (Art. 175 Abs. 2 EG). ƒ Daneben existieren weitergehende Begriffsbestimmungen: Einbezogen werden solle ebenfalls die künstlich geschaffene Umwelt des Menschen oder aber auch dessen sozio-ökonomisches Umfeld. Als Gegenargument könn-
Umweltinformationen te einer solchen Definition entgegengehalten werden, dass sie zur Konturenlosigkeit des Begriffs und zur Ablösung seines eigentlichen Ursprungs (durchaus nämlich: Umwelt im natürlichen Sinn), beiträgt. ƒ Letztlich wird noch eine vermittelnde Ansicht vertreten, welcher der Vorzug zu geben ist: Sie bezieht sowohl die natürliche als auch die künstlich geschaffene Umwelt ein, das sozioökonomische Umfeld hingegen nur insoweit als eine unmittelbare Beziehung zur natürlichen Umwelt besteht. Der Umwelt-Begriff ist jedenfalls entwicklungsoffen angelegt; ein weites Begriffsverständnis wird bereits durch das 1. ĺUmweltprogramm impliziert. Sekundärrechtlich bestätigt die UVPRL (ĺUmweltverträglichkeitsprüfung) ein extensives Begriffsverständnis. Tierschutz als Teil des Schutzes von Flora und Fauna gehört ebenfalls zur Umweltpolitik nach Art. 174 EG (vgl. Protokoll 24 zum Amsterdamer Vertrag, das ausdrücklich erklärt, dass dem Wohlergehen der Tiere bei der Durchführung der EG-Politiken Rechnung zu tragen ist). Diese Ansicht ist allerdings strittig. (sm) Lit.: S. Beier, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 163 EGV, Art. 174 EGV, Rn. 4 ff., Art. 175 EGV, Rn. 12; A. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, 1997, 6 f.
Umwelthaftung environmental liability – responsabilité environnementale
Eine Regelung der Umwelthaftung erfolgt durch die RL 2004/35/EG, welche der nationalen Umsetzung bedarf. Ihr Ziel ist die Schaffung eines gemeinsamen Ordnungsrahmens zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden zu vertretbaren Kosten für die Gesellschaft. Dabei erfolgt eine starke Orientierung am ĺVerursacher- und ĺNachhaltigkeitsprinzip. Umweltschäden umfassen Schädigungen (d.h. direkt oder indirekt eintretende feststellbare nachteilige Veränderungen an einer natürlichen Ressource oder Beeinträchtigung der Funktion einer natürlichen Ressource) von geschützten Arten und natürlichen Lebensräumen, Gewässern und des Bodens. Der Anwendungsbereich der RL erfasst im Grundsatz Umweltschäden, die durch eine in Anhang III der RL aufgeführten beruflichen Tätigkeit verursacht werden. Adressaten sind dabei die „Betreiber“, d.h. jede natürliche oder juristische Pers. des privaten oder öffentlichen Rechts, welche die berufliche Tätigkeit ausübt oder bestimmt oder welcher die ausschlaggebende wirtschaftliche Verfügungs-
macht über die technische Durchführung einer solchen Tätigkeit übertragen wurde. Bei noch nicht eingetretenem Umweltschaden trifft den Betreiber eine Vermeidungspflicht; bei eingetretenem Umweltschaden eine Informationspflicht gegenüber der zuständigen Behörde sowie eine Sanierungspflicht (Anhang II: Sanierungsmaßnahmen). Entsprechend dem ĺVerursacherprinzip trägt der Betreiber die Kosten für die Vermeidungs und Sanierungstätigkeit. Eine Umsetzung der RL hatte bis spätestens 30.4.2007 zu erfolgen. (sm) §§: RL 2004/35/EG, ABl. 2004, Nr. L 143/56 Lit.: Zur Rechtslage vor der RL 2004/35/EG J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 231 ff.
Umweltinformationen environmental information – information(s) relative(s) à l’environnement
Der Begriff der Umweltinformationen wird in der RL 90/313/EWG (RL über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, Umweltinformationsrichtlinie, UI-RL) definiert. Danach sind „Informationen über die Umwelt“ alle in Schrift-, Bild-, Ton- oder DV-Form vorliegenden Informationen über den Zustand der Gewässer, der Luft, des Bodens, der Tier- und Pflanzenwelt und der natürlichen Lebensräume sowie über Tätigkeiten (einschließlich solcher, von denen Belästigungen wie bspw. Lärm ausgehen) oder Maßnahmen, die diesen Zustand beeinträchtigen oder beeinträchtigen können, und über Tätigkeiten oder Maßnahmen zum Schutz dieser Umweltbereiche einschließlich verwaltungstechnischer Maßnahmen und Programme zum Umweltschutz. Die UI-RL normiert einen Anspruch auf Erhalt solcher Informationen. Systematisch ist nach sekundärrechtlichen Bestimmungen eine Zweigliedrigkeit der Zurverfügungstellung von Umweltinformationen an EU-Bürgern erkennbar: ƒ Einerseits zur Milderung von Vollzugsdefiziten: Öffentlichkeitsbeteiligung an umweltrelevanten Verfahren (ĺUmweltverträglichkeitsprüfung; ĺEspoo-Konvention). ƒ Andererseits als Instrument indirrekter Verhaltenssteuerung: Informationsanspruch. Völkerrechtlich erfolgt die Gewährung eines allgemeinen Umweltinformationsanspruchs durch die ĺAarhus-Konvention. Im Gemeinschaftsrecht ist der Zugang zu Informationen der ĺMS aufgrund der UI-RL 883
Umweltinformationsrichtlinie gegeben. Ihr Ziel ist die Gewährleistung des freien Zugangs des einzelnen zu bei nationalen Behörden vorhandenen Informationen über die Umwelt (Jedermann-Recht). Durch die ĺRL erfolgt die Festgelegung der inhaltlichen und verfahrensrechtlichen Zugangsvoraussetzungen sowie der Ausnahmetatbestände. Die Informationsrechte beziehen sich auf alle Daten über den Zustand der Umweltmedien und über Tätigkeiten, die diesen Zustand beeinträchtigen können sowie auf Maßnahmen zum Schutz der Umwelt. Bei (geplantem) Beitritt zur ĺAarhus-Konvention wird eine Erweiterung erforderlich werden, nämlich auf die menschliche Gesundheit, Kulturstätten und Bauwerke, sofern jene über den Zustand der Umweltmedien oder die erwähnten Tätigkeiten betroffen sein können. Der Anspruch ist auf die bei Behörden vorhandenen Informationen beschränkt, ein Beschaffungsanspruch besteht nicht. Antragsberechtigung sind natürliche oder juristische Personen; es bedarf keines Nachweises eines rechtlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Interesses. Antragsgegner sind die Behörden, die Aufgaben im Bereich der Umweltpflege wahrnehmen, wobei aber nur solche Tätigkeiten erfasst sind, die in besonderem Maße eine Berücksichtigung von Aspekten der Umweltpflege erfordern. Die MS haben die Art und Weise des Zugangs in Form „praktischer Regeln“ festzulegen. Beschränkungen des Zugangsrechts sind u.a. zulässig aufgrund von Geheimhaltungsinteressen des Staates sowie einzelner. Schließlich ist noch ein Verhaltenskodex für den Zugang der Öffentlichkeit zu Kommissions- und Ratsdokumenten (Verhaltenskodex) existent. Dieser räumt EU-Bürgern ein grundsätzliches Zugangsrecht zu den bei den Gemeinschaftsorganen vorhandenen Informationen ein. Rechtlich erfolgt die Umsetzung durch eine Entscheidung des ĺRates, der ĺKommission sowie Beschlüsse der ĺEuropäischen Umweltagentur und des ĺParlaments. Umfang und Grenzen des Zugangsrechts ergeben sich aus den rechtlich verbindlichen Umsetzungsbeschlüssen der Organe. Es ist ein schriftlicher Antrag erforderlich. Die Einsichtnahme der Dokumente kann vor Ort erfolgen oder dem Antragsteller wird eine Kopie übersandt. Bei Antragsablehnung und Stellung eines Zweitantrags ist die Ablehnung des letzteren innerhalb eines Monats unter Beifügung einer Rechtsmittelbelehrung nachvollziehbar zu begründen. Es sind abschließende Ablehnungsgründe in den Umsetzungsbe884
schlüssen aufgezählt (z.B. Schutz der Privatsphäre oder Geschäftsgeheimnissen, Geheimhaltung der Beratung in dem EG-Organ). Gegen die Antragsablehung kann – ausgenommen die ĺEuropäische Umweltagentur – Nichtigkeitsklage (Art. 230 EG) erhoben werden. (sm) §§: Verhaltenskodex, ABl. 1993, Nr. L 340/41 ff.; UI-RL 90/313/EWG, ABl. 1990, Nr. L 158/56 Lit.: J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 175 ff., 184 ff. Rsp.: EuG, Rs. T-105/95 WWF, Slg. 1997, II-313 ff.; EuG, Rs. T-174/95 Svenska Journalistförbundet, Slg. 1998, II-2289
Umweltinformationsrichtlinie ĺUmweltinformationen Umweltpolitik, Abwägungsfaktoren environmental policy, comparative examination – politique de l’environnement, examen comparatif
S.a. ĺUmweltpolitik, Grundsätze der. Art. 174 Abs. 3 EG verpflichtet die ĺGemeinschaftsorgane bei der Erarbeitung ihrer Umweltpolitik zur abwägenden Berücksichtigung vierer, bezüglich ihrer rechtlichen Relevanz umstrittener Faktoren – insb. der ĺEuGH aber hält sie für durchaus justiziabel: ƒ Die verfügbaren wissenschaftlichen und technischen Daten ƒ Nur auf zutreffenden, empirisch gesicherten Daten beruhende Maßnahmen sind zur Erreichung umweltpolitischer Gemeinwohlziele geeignet; dies folgt bereits aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der EuGH limitierte die Bedeutung dieses Kriteriums bislang denn auch auf Verhältnismäßigkeitserwägungen. ƒ Die Umweltbedingungen in den einzelnen Regionen der Gemeinschaft ƒ Dies stellt eine Ergänzung zu dem aus Art. 174 Abs. 2 Satz 1 EG erfließenden Gebot der Beachtung regionaler Besonderheiten dar. ƒ Die Vorteile und Belastungen aufgrund des Tätigwerdens bzw. des Nichttätigwerdens ƒ Diese Vorgabe steht in engem Zusammenhang mit Verhältnismäßigkeits- und Subsidiaritätserwägungen („bessere“ Zielerreichung auf Gemeinschaftsebene). Insbesondere hinsichtlich letzterer dürfen Zweifel bei der Abwägung von Vorteilen und Belastungen nicht zulasten des Umweltschutzes gehen. ƒ Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Gemeinschaft insgessamt sowie die ausgewogene Entwichlung ihrer Regionen
Umweltpolitik, Regelungsansätze ƒ
Umweltschutzmaßnahmen haben die wirtschaftliche und soziale Gesamtentwicklung der Gemeinschaft zu berücksichtigen; dieser Gedanke („Herstellung praktischer Konkordanz“) findet auch in Art. 2 EG seinen Ausdruck. Zwischen den Regionen bestehende Unterschiede sollen durch umweltpolitische Maßnahmen weder vergrößert noch sollen neue geschaffen werden. (sm)
Umweltpolitik, Grundsätze der environmental policy, foundations of – politique de l’environnement, principes de la
Eigenständige, flankierend zu den Prinzipien der Umweltpolitik (ĺUmweltpolitik Prinzipien der) tretende (weitere) Grundsätze oder auch bedeutsame Teilkomponenten der Prinzipien der Umweltpolitik. Genannt werden können ƒ die Verpflichtung der EG-Umweltpolitik auf ein hohes ĺSchutzniveau unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen; ƒ die in Art. 174 Abs. 3 EG enthaltene Verpflichtung zur Berücksichtigung vierer Abwägungsfaktoren (ĺUmweltpolitik, Abwägungsfaktoren); ƒ die ĺIntegrationsklausel sowie ƒ das ĺSubsidiaritätsprinzip. In begrifflicher Überschneidung werden Teilaspekte auch zusätzlich als Prinzipien der Umweltpolitk genannt. So wird vertretenn, es ließen sich weitere umweltpolitische Prinzipien der Gemeinschaft unterscheiden, nämlich ƒ Schutz der Umwelt auf hohem Niveau ƒ Erhaltung und Verbesserung der Umweltqualität ƒ Schutz der menschlichen Gesundheit ƒ Schonung natürlicher Ressourcen ƒ Förderung internationaler Maßnahmen ƒ Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten (sm) Lit.: G. Winter, Umweltrechtliche Prinzipien des Gemeinschaftsrechts, ZuR 2003, 137 ff. (Sonderheft)
Umweltpolitik, Prinzipien der environmental policy, principles of – politique de l’environnement, principes de la
Bereits durch das ĺ1. Umweltprogramm erfolgte eine Festlegung von elf Grundprinzipien der Umweltpolitik. Diesen ist aber lediglich politische Bedeutung beizumessen, soweit keine Aufnahme in den EG oder das Sekundärrecht erfolgte. In Art. 174 Abs. 2 UAbs. 1 EG explizit verankert sind das ĺVorsorgeprinzip,
das Prinzip der Bekämpfung am Ursprung (ĺUrsprungsprinzip) sowie das ĺVerursacherprinzip. Diese ergänzen die allgemeinen Prinzipien der Art. 1 bis 16 EG und sind rechtsverbindlich. Im Konfliktfall hat eine Abwägung zu erfolgen, wobei den ĺGemeinschaftsorganen ein Ermessensraum zusteht. Rechtliche Folgen entfließen den Prinzipien bei der Auslegung sekundärrechtlicher, aber auch primärrechtlicher Bestimmungen. Der ĺEuGH anerkannte, dass aufgrund der Prinzipien ein Abweichen von der strikten Verfolgung der Binnenmarktziele zugunsten des Umweltschutzes zu rechtfertigen ist. Im Einzelnen sind zu nennen: ĺVorsorgeprinzip; ĺUrsprungsprinzip; ĺVerursacherprinzip; ĺNachhaltigkeitsprinzip; ĺPrinzip gemeinsamer Verantwortung und Partnerschaft. Zum Teil werden daneben noch weitere Prinzipien genannt (vgl. zu diesen ĺUmweltpolitik, Grundsätze der). Hinzuweisen ist zudem auf die in der Umweltpolitik geltenden Abwägungsfaktoren (ĺUmweltpolitik, Abwägungsfaktoren), die für Umweltschutzmaßnahmen gelten. (sm) Lit.: G. Winter, Umweltrechtliche Prinzipien des Gemeinschaftsrechts, ZuR 2003, 137 ff. (Sonderheft)
Umweltpolitik, Regelungsansätze environmental policy, systematic approach – politique de l’environnement, approche systématique
In der Umweltpolitik können in systematischer Hinsicht unterschiedliche Regelungsansätze ausgemacht werden. So kann eine Unterscheidung zwischen einem ordnungsrechtlichen Ansatz und dem Einsatz von Instrumenten indirekter Verhaltenssteuerung erfolgen. Der ordnungsrechtliche Ansatz prägt nach wie vor weite Bereiche der EG-Umweltpolitik. Ursprünglich wurden Maßnahmen primär medien- und stofforientiert gesetzt; seit den neunziger Jahren traten ergänzend zunehmend medienübergreifende Maßnahmen hinzu. Zudem erfolgte eine stärkere Prozeduralisierung des EG-Umweltrechts. Seit dem 5. ĺUmweltprogramm ist eine zunehmende Berücksichtigung auch sog. marktorientierter ökonomischer und steuerlicher Lenkungselemente (Verhaltenssteuerung durch Motivation der Adressaten) zu konstatieren. Dabei kann wiederum eine Unterscheidung von sechs Kategorien von Instrumenten vorgenommen werden: ƒ ĺHarmonisierung der nationalen Abfallsysteme 885
Umweltpolitik, Ziele der Schaffung größerer Transparenz und Vergleichbarkeit umweltbezogener Abgaben und Gebühren. Die MS können verpflichtet werden, externe Umweltkosten in Preisen und Gebühren zu berücksichtigen (ĺUmweltpolitik, Prinzipien der. ĺVerursacherprinzip). ƒ Einführung von Ökosteuern Bei Einführung durch die ĺMS darf kein Verstoß gegen die Binnenmarktvorschriften (insbesondere Art. 90 EG) erfolgen. Die Kommission veröffentlichte ihre Maßstäbe erläuternde Mitteilungen. ƒ ĺUmweltschutzbeihilfen Die ĺKommission veröffentliche einen Gemeinschaftsrechtsrahmen für mitgliedstaatliche ĺBeihilfen mit umweltpolitischer Zielsetzung. Die Gewährung gemeinschaftlicher Beihilfen erfolgt vor allem im Rahmen der Struktur- und ĺKohäsionsfonds. ƒ Entwicklung von Methoden der Umweltbilanzierung und des ĺÖko-Audits ƒ Einführung von Umweltzertifikatslösungen Gemeint sind staatliche, zum Teil handelbare Berechtigungsscheine zur entgeltlichen Verleihung des Rechts, die Umwelt mit einer bestimmten Menge an Schadstoffen zu belasten. Als Beispiel kann das ĺÖkopunktesystem für Transittransportfahrten durch Österreich genannt werden ƒ Zudem werden einheitliche Haftungsvorschriften geschaffen ĺUmwelthaftung. (sm) §§: KOM(1992) 23 endg.; KOM(1997) 9 endg. vom 29.1.1997; Gemeinschaftsrahmen für staatliche Umweltschutzbeihilfen (ABl. 1994, Nr. C 72/3) Lit.: K. Hailbronner, Umweltrecht und Umweltpolitik in der Europäischen Gemeinschaft, 1991, 88 f.; S. Heselhaus, Abgabenhoheit der Europäischen Gemeinschaften in der Umweltpolitik, Bd. I-IV, 1999; U. Klocke, Klimaschutz durch ökonomische Instrumente, 1995, 87 ff.
Umweltpolitik, Ziele der environmental policy, objekctives of – politique de l’environnement, objectifs de la
Art. 174 EG enthält vier Zielsetzungen einer gemeinschaftlichen Umweltpolitik (demgegenüber ist Art. 175 EG die umweltrechtliche Kompetenzgrundlagen). Die Zielvorgaben stellen rechtverbindliche inhaltliche Vorgaben für die Aufgabenerfüllung der Gemeinschaftsorgane dar; sie sind mit anderen Vertragszielen in Ausgleich zu bringen. Durch den Terminus „beiträgt“ erfolgt keine Relativierung, sondern der Verweis darauf, dass im Sinne der ĺIntegrationsklausel (ĺUmweltpolitk, Grundsätze der) Umweltschutzziele ne886
ben den anderen Gemeinschaftspolitiken zu berücksichtigen sind. Eine inhaltliche Abgrenzung der einzelnen Zielbestimmungen untereinander ist nicht immer möglich; in Konfliktfällen hat eine Lösung im Einzelfall durch Ausgleich zu erfolgen. Laut ĺEuGH verfügen die ĺGemeinschaftsorgane aufgrund der notwendigen Abwägung und der Komplexität der anzuwendenden Kriterien über ein weites Ermessen; er beschränkt seine Rechtsprechung auf die Prüfung einer offensichtlich falschen Beurteilung der Anwendungsvoraussetzungen. Im Einzelnen kann festgehalten werden: ƒ Art. 174 Abs. 1 1. SpS EG enthält die Vorgabe, die ĺUmwelt zu erhalten und zu schützen sowie ihre Qualität zu verbessern. „Erhalten“ meint dabei die Verhütung der Zerstörung und die Beschränkung auf einen vertretbaren Verbrauch. Unter „Schutz“ ist die Sicherung der derzeitigen Qualität zu verstehen. Die Verbesserung der Qualität der Umwelt zielt auf eine qualitative Anhebung und unterstreicht den dynamischen Charakter der Umweltpolitik. Eine bloße Abwehr von Umweltschäden ist unzureichend. Denkbare Maßnahmen stellen die Bekämpfung oder Beseitigung von Umweltverschmutzungen, die Verhinderung jedweder Umweltbeeinträchtigungen, die Planung und Umweltlenkungsabgaben, Maßnahmen der Information, der Forschung, Erziehung und Förderung umweltfreundlicher Technologien und letzthin die Finanzierung umweltpolitischer Projekte dar. ƒ Art. 174 Abs. 1 2. SpS EG stellt den Schutz der menschlichen Gesundheit als eigenständigen Aspekt des Umweltschutzes heraus. Der EuGH anerkannte diesen Aspekt gar für die Begründung subjektiver Rechte im Rahmen einer unmittelbaren Wirkung von RL. Inhaltlich hat laut EuGH eine am Schwerpunkt der Maßnahme orientierte Abgrenzung zu dem Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer (Art. 137 Abs. 1 EG) sowie zum Schutz der öffentlichen Gesundheit (Art. 152 EG) zu erfolgen. ƒ Art. 174 Abs. 1 3. SpS EG beinhaltet das Gebot der Gewährleistung umsichtiger und rationeller Verwendung der natürlichen Ressourcen. Weiter Ressourcenbegriff (erneuerbare und nicht erneuerbare Ressourcen). Hinsichtl. Ressource Energie: Sonderregelung in Art. 175 Abs. 2 EG (Einstimmigkeitsprinzip). Im 5. ĺUmweltprogramm wurde eine Konkretisierung des Gebots des 3. SpS im Sinne
Umweltprüfung, Strategische (SUP) einer Forderung nach einer „dauerhaften und umweltgerechten Bewirtschaftung“, die auch zukünftigen Generationen zugute kommen soll, vorgenommen. ƒ Art. 174 Abs. 1 4. SpS EG schließlich enthält die Zielvorgabe, die Bewältigung von Umweltproblemen auf internationaler Ebene zu fördern. Laut ĺAETR-Rechtsprechung des EuGH verfügt die EG auch im Umweltbereich über ĺAußenkompetenzen. Daher hat eine Auslegung des Art. 174 Abs. 1 4. SpS EG im Lichte des effet utile dahingegehend zu erfolgen, dass Maßnahmen seitens der EG auch dann möglich sind, wenn Umweltprobleme in anderen Regionen keine direkten Auswirkungen auf die Umwelt in der EG selbst haben. (sm) Lit.: W. Kahl, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 174; A. Epiney; Die umweltpolitischen Handlungsprinzipien in Art. 130r EGV: Politische Leitlinien oder rechtsverbindliche Vorgaben?, NuR 1999, 181 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-284/95 Safety Hi-Tech, Slg. 1998, I-4301; EuGH, Rs. C-341/95 Bettati, Slg. 1998, I-4355
Umweltprogramme environmental programme – programme environnemental
Die Umweltprogramme dienen seit 1973 zur Festlegung der grundsätzlichen Ziele der Umweltpolitik (ĺUmweltpolitik, Ziele der), der politischen Prioritäten und der zur Zielerreichung geeigneten Mittel. Die Umsetzung der entsprechenden Vorgaben erfolgt durch ĺSekundärrechtsakte. Bislang existieren sechs Umweltprogramme: ƒ 1. Umweltprogramm (1973–1976), ABl. 1973, Nr. C 112/1 ff. (Definition des Umweltbegriffs und Konkretisierung der Ziele der EGUmweltpolitik) ƒ 2. Umweltprogramm (1977–1981), ABl. 1977, Nr. C 139/1ff. (noch Aufstellung sog. Orientierungsgrundsätze) ƒ 3. Umweltprogramm (1982–1986), ABl. 1983, Nr. C 46/1ff. (Bereits Betonung des Aspekts des vorbuegenden Umweltschutzes) ƒ 4. Umweltprogramm (1987–1992), ABl. 1987, Nr. C 328/5ff. (Betonung der Bedeutung des Umweltschutzes in anderen Gemeinschaftspolitiken und im Rahmen wirtschaftl. Entsch.) ƒ 5. Umweltprogramm (1993–1999), ABl. 1993, Nr. C 138/1ff. („neue Strategie“: Abkehr von dem bislang ordnungsrechtl. Ansatz und Zuwendung zu marktwirtschaftl. Steuerungsinstrumenten und einem „Konzept der gemeinsamen Verantwortung“)
ƒ
6. Umweltprogramm (2002; Laufzeit auf zehn Jahren festgesetzt), ABl. 2002, Nr. L 242/1ff. (umfassende Strategie für nachhalt. Entw.; Festlegung von Umweltprioritäten der gemeinschaftl. Umweltpolitik; Versuch einer Entkoppelung von Umweltbelastung und Wirtschaftswachstum). S.a. ĺRechtsetzungskompetenz (Umweltpolitik). (sm) Umweltprüfung, Strategische (SUP)
Strategic Environmental Assessment (SEA) – Evaluation stratégique environnementale (ESIE)
Mittel der SUP erfolgt die Prüfung des Vorliegens voraussichtlicher erheblicher Umweltauswirkungen von Plänen und Programmen. Völkerrechtlicher Hintergrund ist das Protokoll über die Strategische Umweltprüfung (ĺStrategische Umweltprüfung, Protokoll über die). Im Gegensatz zur ĺUmweltverträglichkeitsprüfung werden bei der SUP der/das einem Vorhaben übergeordnete Plan bzw. Programm auf dessen Umweltauswirkungen hin geprüft. Die Umweltprüfung besteht in der Ausarbeitung eines Umweltberichts, der Durchführung von Konsultationen mit Behörden und der Öffentlichkeit (gegebenfalls grenzüberschreitenden Konsultationen, wenn die Durchführung eines Plans bzw. Programmes voraussichtlich erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt eines anderen MS haben wird), der Berücksichtigung des Umweltberichts und der Ergebnisse der Konsultationen bei der Entscheidungsfindung und der Unterrichtug Behörden und der Öffentlichkeit über die Entscheidung. Ziel der SUP ist die Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus (ĺSchutzniveua, hohes) zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung (ĺNachhaltigkeit, Nachhaltigkeitsprinzip); zudem soll dazu beigetragen werden, dass Umwelterwägungen bei Ausarbeitung und Annahme von Plänen bzw. Programmen einbezogen werden. Die Verpflichtung, eine SUP durchzuführen, besteht in drei (Fall-)Kategorien: ƒ Kat. I: Pläne bzw. Programme, die bereits aufgrund expliziter RL-Vorgaben jedenfalls SUPpflichtig sind (Art. 3 Abs. 2 SUPRL). Es besteht kein mitgliedstaatlicher Spielraum bei Festlegung des Anwendungsbereiches. ƒ Kat. II: Pläne bzw. Programme, bei denen die Festlegung der SUP-Pflicht den MS obliegt. In der Literatur erfolgt überwiegend Verwendung des missverständlichen Begriffes „nichtobligatorischer“ Anwendungsbereich. Entgegen dem dadurch erweckten Eindruck ist es 887
Umweltrahmenbeschluss-Entscheidung den MS nicht uneingeschränkt überlassen, den konkreten nationalen Anwendungsbereich der SUPRL zu bestimmen. Eine seitens der MS auferlegte SUP-Pflicht kann nur dann angenommen werden, wenn der jeweilige MS bestimmt, dass ein Plan bzw. Programm voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben wird (Art. 3 Abs. 3 SUPRL). ƒ Kat. III: Pläne bzw. Programme, die ausdrücklich vom Anwendungsbereich der RL ausgeschlossen sind. Die Durchführung der Umweltprüfung hat während der Ausarbeitung und vor Annahme eines Plans bzw. Programms oder dessen Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren zu erfolgen. Ist eine Umweltprüfung durchzuführen, ist auch ein Umweltbericht zu erstellen. Dessen Inhalt sind die voraussichtlichen erheblichen Auswirkungen, welche die Durchführung des Plans bzw. Programms auf die Umwelt hat; es ist eine Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der vernüftigen Alternativen, welche die Ziele und den geographischen Anwendungsbereich des Plans bzw. Programms berücksichtigen, vorzunehmen. Plan- bzw. Programmentwurf und Umweltbericht sind den Behörden und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen; beide haben die Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Umweltbericht und die abgegebenen Stellungnahmen werden bei der Ausarbeitung und vor Annahme des Plans bzw. Programms oder vor dessen Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt. (sm) §§: RL 2001/42/EG, ABl. 2001, Nr. L 197/30 Lit.: P. Bußjäger/D. Larch, Gemeinschaftsrecht, internationales Umweltrecht und Verkehrsprojekte (Teil I), RdU 2006, 38 ff.; B. Gstir, Die Strategische Umweltprüfung (SUP) in der Raumordnung, bbl 2005, 188 ff.
Umweltrahmenbeschluss-Entscheidung Umweltrahmenbeschluss case – jurisprudence Umweltrahmenbeschluss
Urteil des ĺEuGH, mit dem dieser eine strafrechtliche Annexkompetenz der EG bejaht, aufgrund derer der Gemeinschaftsgesetzgeber die Mitgliedstaaten zum Erlass strafrechtlicher Regelungen anweisen darf (ĺAnweisungskompetenz, strafrechtliche). Zugleich hat er die aus Art. 47 EU resultierende Verpflichtung des ĺRates betont, seine Rechtsakte soweit möglich auf die ĺKompetenzen der ĺErsten Säule zu stützen und nicht auf Maßnahmen der ĺPolizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in der ĺDritten Säule auszuweichen. (sts) 888
Rsp.: EuGH, Rs. C-176/03, Slg. 2005, I-7879; EuGH, Rs. C-440/05, noch unveröffentlicht
Umweltschäden (IPR) environmental damages (PIL) – dommages environnementaux (DIP)
Der Problembereich „Umweltschäden im IPR“ betrifft die Frage, welchem Recht grenzüberschreitende Umweltschadensfälle unterliegen. Der ĺRom II-Vorschlag enthält diesbezüglich eine ausdrückliche Regelung, wonach grundsätzlich das Recht des ĺErfolgsortes anzuwenden ist, der Geschädigte sich aber auch dafür entscheiden kann, stattdessen das Recht des ĺHandlungsortes anzuwenden (Art. 7). Diese Wahlmöglichkeit des Geschädigten wird als Ubiquitätsprinzip bezeichnet. (js) §§: VO (EG) 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. 2007, Nr. L 199/40 Lit.: G. Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1 (9)
Umweltschutz ĺUmweltpolitik Umweltschutz (freier Warenverkehr) environmental protection (free movement of goods) – protection de l’environnement (libre circulation des marchandises)
Mitgliedstaatliche dem Umweltschutz dienende Vorschriften können ĺMaßnahmen gleicher Wirkung gem. Art. 28 EG darstellen, sind aber grundsätzlich einer Rechtfertigung zugänglich, da das Gemeinschaftsrecht den Umweltschutz als ĺzwingendes Erfordernis anerkennt (EuGH, Rs. 302/86 Kommission/Dänemark, Slg. 1988, 4607, Rn. 9). Solche Vorschriften müssen jedoch auch verhältnismäßig sein (ĺVerhältnismäßigkeitsprinzip [freier Warenverkehr]) Mit Bezug auf den Umweltschutz hat der ĺEuGH bisweilen auch ĺdiskriminierende Maßnahmen als gerechtfertigt erachtet (vgl. etwa EuGH, Rs. C-379/98 PreussenElektra, Slg. 2001, I-2099) Der EuGH räumt den Mitgliedstaaten in Hinblick auf den Umweltschutz einen eher weiten Beurteilungsspielraum ein. Bei dem Umweltschutz dienenden Maßnahmen ist etwa an ĺVerwendungsverbote bzw. Vertriebsverbote für ĺWaren, die den mitgliedstaatlichen Verpackungs- bzw. ĺProduktvorschriften nicht entsprechen (z.B. Einwegverpackungen), Festsetzungen von höchstzulässigen Schadstoffemissionen von Kraftfahrzeugmotoren oder dem Lärmschutz dienende ĺZulassungserfor-
Umweltverschmutzung, Vermeidung dernisse für Luftfahrzeuge (EuGH, Rs. C-389/ 96 Aher-Waggon, Slg. 1998, I-4473, Rn. 19 ff.) zu denken. (rp) Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28-30 EGV, Rn. 214; P. Müller-Graff, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 174; P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 8.158 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 302/86 Kommission/Dänemark, Slg. 1988, 4607, Rn. 8 ff.; EuGH, Rs. C-389/96 Aher-Waggon, Slg. 1998, I-4483; EuGH, Rs. C-379/98 PreussenElektra, Slg. 2001, I-2099
Umweltschutz, grundrechtlicher environmental protection, fundamentals – protection de l’environnement
Die ĺGRC verpflichtet die Union als ĺGrundsatz (nicht als unmittelbar einklagbares ĺGrundrecht) zur Berücksichtigung eines hohen Umweltschutzniveaus, der Verbesserung der Umweltqualität samt dem Prinzip der ĺNachhaltigkeit. (ed) §§: Art. 37 GRC/Art. II-97 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 34
Umweltschutzbeihilfe (Umweltrecht) state aid for environmental protection (environmental law) – aide d’État pour la protection de l’environnement (droit de l’environnemnet)
Mitteilung der ĺKommission über die Vereinbarkeit einer staatlichen ĺBeihilfe mit dem ĺGemeinsamen Markt gem. Art. 87 Abs. 2 und/oder 3 EG. Der Gemeinschaftsrahmen enthält insbesondere Vorgaben, unter denen es die Kommission für zulässig erachtet, zugunsten des Umweltschutzes staatliche Beihilfen i.S.d. Art. 87 Abs. 1 EG zu vergeben. Die Kommission versteht dabei unter Umweltschutz jede Maßnahme, die darauf abzielt, einer Beeinträchtigung der natürlichen Umwelt oder der natürlichen Ressourcen abzuhelfen oder vorzubeugen oder eine rationelle Nutzung dieser Ressourcen zu fördern. Umweltschutzmaßnahmen sind auch Maßnahmen zugunsten von Energieeinsparungen und erneuerbaren Energieträgern. Eine Genehmigung erfolgt bei Vorliegen der Voraussetzungen vor allem über Art. 87 Abs. 3 lit. c EG. Der Umweltrahmen unterscheidet bei zwischen Investitions- und Betriebsbeihilfen. Unbeschadet besonderer Bestimmungen betreffend ĺBeihilfen an KMU sind Investitionsbeihilfen ansonsten zur Überschreitung oder bei Fehlen von Gemeinschaftsnormen in drei Fällen zulässig:
ƒ
zur Überschreitung der geltenden Gemeinschaftsnormen, ƒ bei Fehlen verbindlicher Gemeinschaftsnormen, ƒ zur Erfüllung nationaler Normen, die strenger sind als die geltenden Gemeinschaftsnormen. Genehmigungsfähig sind folglich nur solche Investitionen, mit denen ein Unternehmen einen Umweltschutzstandard erreicht, der über den der Gemeinschaft hinausgeht, es sei denn, dass geltende Gemeinschaftsnormen übertroffen werden, dass verbindliche Gemeinschaftsnormen fehlen oder dass die Investitionen der Anpassung an nationale Vorschriften gilt, die über das geltende Gemeinschaftsrecht hinausgeht. Der Gemeinschaftsrahmen enthält Vorgaben hinsichtlich der Beihilfeintensitäten, der beihilfefähigen Kosten und Investitionen und zulässiger Zuschläge. S.a. ĺUmweltpolitik, Regelungsansätze. (sm) §§: Mitteilung der Kommission – Gemeinschaftsrahmen für staatliche Umweltschutzbeihilfen ABl. 2001, Nr. C 37/3 ff. Lit.: R. Repplinger-Hach, in: M. Heidenhain (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Beihilferechts, 2003, § 17, Rn. 148 ff.
Umweltschutzbeihilfen (Beihilfenrecht) environmental aid (EC state aid law) – aides d’État pour la protection de l’environement (droit des aides d’État)
Die ĺKommission hat die Behandlung von Umweltschutzbeihilfen im Umweltschutz-Gemeinschaftsrahmen (vom 3.2.2001, ABl. 2001, Nr. C 37/3) dargelegt. Dabei wird streng zwischen ĺInvestitions- und ĺBetriebsbeihilfen unterschieden. Investitionen können bis zu bestimmten Beihilfeintensitäten gefördert werden, soweit sie dem Umweltschutz dienen. Betriebsbeihilfen müssen dagegen degressiv ausgerichtet sein und können bloß vorübergehend gewährt werden. Dies gilt aber nicht für die in der Praxis sehr bedeutenden Betriebsbeihilfen zugunsten erneuerbarer Energieträger und zugunsten der kombinierten Kraft-Wärme-Erzeugung. Letztere behandelt die Kommission wesentlich großzügiger. (jr) §§: Art. 87 Abs. 3 lit. b, Art. 87 Abs. 3 lit. c Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:32001Y0203(02):DE:HTML
Umweltverschmutzung, Vermeidung ĺIntegrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU) 889
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) assessment of the effects of certain projects on the environment (environmental impact assessment) – évaluation des incidences de certains projets sur l’environnement (évaluation des incidences sur l’environnement)
Die UVP ist das zentrale Instrument zur Verwirklichung des ĺVorsorgeprinzipis, des ĺPrinzips gemeinsamer Verantwortung und des medienübergreifenden Umweltschutzes. Die UVP basiert auch einer Richtlinie (UVP-RL). Durch Änderungen der RL wurden auch die Vorgaben des Übereinkommens von ĺEspoo über die UVP im grenzüberschreitenden Rahmen berücksichtigt; zudem erfolgte die Einführung eines „Scoping“ (Festlegung eines Untersuchungsrahmens und der vom Projektträger vorzulegenden Unterlagen). Inhalt der UVP ist die umfassende Prüfung der Auswirkungen bestimmter Projekte auf die Umwelt in einem geregelten Verfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit und anschließender Berücksichtigung bei der Genehmigung. Im Gegensatz zur SUP (ĺUmweltprüfung, Strategische) ist die UVP vorhabenbezogen. Erfasst werden Projekte, die möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben. Der Umweltbegriff ist umfassend zu verstehen: er erfasst bauliche oder sonstige Anlagen sowie sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft. Eine Kategorisierung der Vorhaben in den Anhängen entscheidet über das Ob und den Umfang einer UVP: Vorhaben gem. Anhang I sind stets einer UVP zu unterziehen, Vorhaben nach Anhang II nur nach entsprechenden Feststellung im Einzelfall. Zudem umfasst Anhang II Änderungen von Vorhaben nach Anhang I. Anhang III enthält Auswahlkriterien. Im Rahmen der Genehmigung ist das Vorhabens einer Gesamtbewertung zu unterziehen (medienübergreifender, integrativer Ansatz). Das reguläres Verfahren kann wie folgt skizziert werden: Der Projektträger hat insbesondere umfassende und detaillierte Angaben zu dem Projekt (Standort, Art, Umfang) und dessen möglicherweise umweltrelevanten Auswirkungen, Maßnahmen zur Vermeidung, Verringerung und zum Ausgleich der Umweltauswirkungen zu tätigen. Die Behörde kann mittels des Scoping-Verfahrens nach Anhörung des Projektträgers festlegen, welche Angaben dieser vorzulegen hat. Sodann ergehen Stellungnahme der Behörden, deren umweltbezogener Aufgabenbereich von dem Vorhaben berührt sein kann, zu den Angaben des Projektträgers und seinem Genehmigungsantrag. Bei erheblichen 890
Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt eines anderen MS ist ein besonderes Konsultationsverfahren vorgesehen. Die Öffentlichkeit ist zu beteiligen durch Zugang zu den Genehmigungsanträgen des Projektträgers und der von ihm vorlegten Informationen; sie hat das Recht, sich vor Erteilung der Genehmigung zu dieser zu äußern. Die Ergebnisse der Anhörungen und die vom Projektträger, den beteiligten Behörden und der Öffentlichkeit eingeholten Angaben sind bei dem Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen (materielle Steuerungsfunktion). (sm) §§: RL 85/337/EWG, ABl. 1985, Nr. L 175/40 Rsp.: EuGH, Rs. C-431/92 Großkrotzenburg, Slg. 1995, I-2189
Umweltzeichen eco-label – label écologique
Diese stellen ein Instrument indirekter Verhaltenssteuerung dar. Ihre Einführung erfolgte aus Basis einer Verordnung. Es geht um umweltbezogene Produktbezeichnung zum Hinweis auf Produkte mit besonders geringen Umweltauswirkungen. Ziel der Umweltzeichen bzw. der VO ist die Schaffung eines gemeinschaftlichen Systems zur Vergabe eines gemeinschaftsweiten Umweltzeichens, das Entwicklung, Herstellung, Vertrieb und Verwendung von Erzeugnissen mit geringen Umweltauswirkungen fördern und die Verbraucher besser über die Umweltbelastungen durch die Erzeugnisse informieren soll. Die Vergabe der Umweltzeichen erfolgt – außer für Lebensmittel, Getränke und Arzneimittel – für Produkte, die während ihrer gessamten Lebensdauer geringere Umweltauswirkungen haben als ähnlichen Zwecken dienende, gebrauchsgleiche und konkurrierende Erzeugnisse der gleichen Produktgruppe (ĺ„cradle to grave“Prinzip). In Anhang I der VO findet sich ein Beurteilungsschema für die Auswirkungen eines Produktes während der fünf Stadien seines Lebenszyklus: ƒ Produktionsvorstufe ƒ Produktion ƒ Vertrieb ƒ Verwendung ƒ Entsorgung Zu berücksichtigen sind acht Umweltaspekte: ƒ Abfallaufkommen, ƒ Boden-, ƒ Wasser-, ƒ Luftverschmutzung, ƒ Lärm, ƒ Energieverbrauch,
Unfall ƒ ƒ
Verbrauch von natürlichen Ressourcen, Auswirkungen auf Ökosysteme Vorgesehen ist ein mehrfach gestuftes Verfahren zur Festlegung der Produktgruppen, der jeweils maßgeblichen Umweltkriterien und der Vergabe im Einzelfall durch eine unabhängige Jury. Bis auf weiteres bleiben nationale Umweltzeichen bestehen. Es existieren ergänzend weitere Rechtsakte u.a. zum Vergabeverfahren sowie zur Gebührenerhebung. (sm) §§: VO (EWG) 880/92, ABl. 1992, Nr. L 99/1; Entscheidung Kommission 93/326 (Gebührenfestlegung); Entscheidung Kommission 93/517 (Mustervertrag über Verwendungsbedingungen); Entscheidung Kommission 94/10 (Musterformblatt über Mitteilung der Vergabe) Lit.: J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 189 ff.
UN-Kaufrecht United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (CISG) – Convention des Nations Unis sur les contrats de vente internationale de merchandises (CVIM)
Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf (UN-Kaufrecht) ist unter der Ägide der UNCITRAL ausgearbeitet und am 11.4.1980 in Wien verabschiedet worden. Der Originaltitel lautet United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods und wird entsprechend als CISG abgekürzt. Zum Teil findet auch die Bezeichnung als Wiener Kaufrecht Verwendung. Dem UN-Kaufrechtsübereinkommen sind zwischenzeitlich mehr als 70 Staaten beigetreten. Mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands gehören auch alle Mitgliedstaaten der EU zu den Vertragsstaaten. Gegenstand des UN-Kaufrechts ist der Warenkauf von gewerblichen Verkäufern aus verschiedenen Vertragsstaaten. Für das Europäische Privatrecht ist das UN-Kaufrecht insoweit von Bedeutung, als es die wichtigste moderne Vertragsrechtskodifikation darstellt und erheblichen Einfluss sowohl direkt auf das Europäische Sekundärrecht (bspw. VerbrauchsgüterkaufRL) als auch indirekt über andere Einheitsrechtsintrumente (ĺPICC, ĺPECL) ausübt. (mrm) Lit.: H.-F. Müller, Europäische Vertragsrechtskodifikation und UN-Kaufrecht, GPR 2006, 168 ff.
Unbundling, Entflechtung (Energierecht) Unbundling (energy law) – séparation (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Die Verflechtung von Netzbetreibern in ĺintegrierten Unternehmen ist für die Europäische
Kommission der Hauptgrund für die noch nicht erfolgte vollständige Liberalisierung der Energiemärkte. Netzbetreiber unterliegen daher – auch wenn sie eigentumsrechtlich verflochten sind mit Energieerzeugern und Lieferanten – bereits besonderen Entflechtungsvorschriften. Netzbetreiber müssen insbesondere rechtlich, organisatorisch und hinsichtlich ihrer Entscheidungsgewalt von Erzeugern und Lieferanten getrennt sein. Nach wie vor steht auch die eigentumsrechtliche Entflechtung, und damit die Aufsplittung der großen Energieunternehmen, auf der Wunschliste der Europäischen Kommission. (hh) §§: Art. 10, 15 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/54/EG); Art. 9, 13 Erdgasbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/55/EG)
Unfall accident – accident
Als einen Unfall bezeichnet die ĺSystemrichtlinie jedes Vorkommnis, das eine bedeutende und unbeabsichtigte Freisetzung (vgl. ĺabsichtliche Freisetzung) von ĺgenetisch veränderten Mikroorganismen während ihrer ĺAnwendung in geschlossenen Systemen mit sich bringt, die zu einer unmittelbaren oder späteren Gefahr für die menschliche Gesundheit oder für die Umwelt führen kann. Ereignet sich ein Unfall so hat der ĺAnwender die zuständige Behörde umgehend über die Umstände des Unfalls, die Identität und die Menge der betroffenen genetisch veränderten Mikroorganismen, die getroffenen Maßnahmen und über alle anderen für die Bewertung der Auswirkungen des Unfalls auf die Gesundheit der Bevölkerung und auf die Umwelt notwendigen Umstände zu informieren. Die Mitgliedstaaten haben mit den möglicherweise von dem Unfall betroffenen übrigen Mitgliedstaaten die durchzuführenden Notfallpläne abzuklären. Darüber hinaus ist auch die Kommission von jedem Unfall im Sinne der Systemrichtlinie zu informieren. (al) §§: Art. 2 lit. d, Art. 15 ff., RL 90/219/EWG des Rates vom 23.4.1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1990, Nr. L 117/1, geändert durch die RL 98/81/EG des Rates vom 26.10.1998 zur Änderung der RL 90/219/EWG über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, ABl. 1998, Nr. L 330/13 (ĺSystemrichtlinie) Lit.: C. Palme, Einleitung zu Teil I. D. I., in: W. Eberbach/P. Lange/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Recht der Gentechnik und Biomedizin, Rn. 79 ff. Web: http://www.europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l21 157.htm
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Ungleichbehandlung nach Wohn- oder Kapitalanlageort Ungleichbehandlung nach Wohn- oder Kapitalanlageort unequal treatment based on the place of residence or on the place where capital is invested – différence de traitement fondée sur le résidence ou le lieu où des capitaux sont investis
Rechtfertigungsgrund nach Art. 58 Abs. 1 lit. a EG. Die danach zulässige Ungleichbehandlung darf nicht zu einer willkürlichen Diskriminierung nach Art. 58 Abs. 3 EG führen. Im Rahmen der Untersuchung dieses Rechtfertigungsgrundes ist also stets eine zulässige Ungleichbehandlung von einer unzulässigen willkürlichen Diskriminierung abzugrenzen. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Ungleichbehandlung diskriminierend, wenn entweder objektiv vergleichbare Sachverhalte ungleich behandelt werden oder wenn die Ungleichbehandlung durch zwingende Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (EuGH, Rs. C-315/02 Lenz, Slg. 2004, I-7063, Rn. 27). In einem ersten Schritt ist also zu prüfen, ob eine willkürliche Diskriminierung im Sinne des Art. 58 Abs. 3 EG vorliegt. Sind die Sachverhalte objektiv vergleichbar, so muss eine Ungleichbehandlung dennoch nicht zwangsläufig eine willkürliche Diskriminierung darstellen. Es ist vielmehr in einem zweiten Schritt zu untersuchen, ob die Anknüpfung an den Wohn- oder Kapitalanlageort ein als zwingender Grund des Allgemeininteresses zu qualifizierendes Ziel – wie etwa die Kohärenz des Steuerrechts – verfolgt. Ist dies der Fall, so liegt eine zulässige Ungleichbehandlung nach dem Wohn oder Kapitalanlageort vor (s. a.ĺDividendenbesteuerung, Kapitalverkehrsfreiheit). Die Mitgliedstaaten haben sich in einer Erklärung zur Schlussakte des Vertrages von Maastricht darauf verständigt, Art. 58 Abs. 1 lit. a EG nur auf solche Regelungen anzuwenden, die bereits Ende 1993 bestanden (sog. „Stand-still“-Klausel). Da einer solchen Erklärung völkerrechtlich indes nur Bedeutung als Auslegungshilfe, nicht aber als Rechtsquelle zukommt, ist deren rechtliche Bedeutung gering. Praktisch ist die Erklärung bislang nicht relevant geworden. (mk) §§: Erklärung zu Art. 73 d des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. 1992, Nr. C 1691/99 Lit.: C. Ohler, Rn. 5 ff., in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 58 EG
UNHCR ĺFlüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) 892
UNIDROIT International Institute for the Unification of Private Law – Institut International pour l’Unification du Droit Prive
Das Internationale Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts (UNIDROIT) ist eine unabhängige zwischenstaatliche Organisation, die bereits 1926 als Hilfsorgan des Völkerbundes mit Sitz in Rom gegründet wurde und der heute mehr als 50 Staaten angehören. Sie widmet sich der Erforschung des Bedürfnisses und der Methoden für eine grenzüberschreitende Modernisierung, Harmonisierung und Koordinierung des Privatrechts, insbesondere, aber nicht ausschließlich auf dem Gebiet des Handelsrechts. Zu den bedeutendsten Arbeiten gehören die ĺPrinciples of International Commercial Contracts sowie die Principles and Rules of Transnational Civil Procedure. (mrm) Web: http://www.unidroit.org
Unión de Pequeños Agricultores-Entscheidung Unión de Pequeños Agricultores case – jurisprudence Unión de Pequeños Agricultores
Entscheidung des EuGH vom 25.12.2002 (EuGH, Rs. C-50/00 P Unión de Pequeños Agricultores, Slg. 2002, I-6677) zur Auslegung der ĺindividuellen Betroffenheit, in Fällen, in denen eine ĺVerordnung (ĺVerordnung, Gegenstand einer Nichtigkeitsklage) von einem Individualkläger angegriffen wird, die weder mitgliedstaatlicher noch gemeinschaftsrechtlicher Durchführungsakte bedarf. Gegenstand der Nichtigkeitsklage in der Rechtssache Unión de Pequeños Agricultores war eine Verordnung zur Regelung der Marktorganisation für Fette, durch deren Änderung eine bestehende Beihilfe für Olivenölproduzenten unmittelbar abgeschafft wurde. Gegen diese Änderung wandte sich die Unión de Pequeños Agricultores, ein spanischer Kleinbauernverband, mit der Nichtigkeitsklage nach Art. 230 Abs. 4 EG. Nach den Grundsätzen der ĺPlaumann-Entscheidung war die Unión de Pequeños Agricultores allerdings nicht ĺindividuell betroffen von der Verordnung. Es lagen keine Umstände vor, welche sie in besonderer Weise individualisiert und damit über den Kreis der übrigen von der Regelung Betroffenen herausgehoben hätten. In seinen Schlussanträge hatte ĺGeneralanwalt Jacobs ausgeführt, diese Auslegung sei nicht zwingend und, im Hinblick auf den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes, dafür plädiert, die enge Plaumann-Formel für diese
Unionsbürger Fallgruppe aufzugeben und statt dessen vorgeschlagen die individuelle Betroffenheit eines Individualkläger bereits dann anzunehmen, wenn „wenn die [angefochtene] Handlung aufgrund seiner persönlichen Umstände erhebliche nachteilige Auswirkungen auf seine Interessen hat oder wahrscheinlich haben wird“ (GA Jacobs, in: EuGH, Rs. C-50/00 P Unión de Pequeños Agricultores, Slg. 2002, I-6677, Rn. 60). Dem war – ebenfalls aus Rechtsschutzerwägungen – das EuG gefolgt, welches in seiner Entscheidung der Rechtssache Jégo Quéré vom 3. 5. 2002, die ĺindividuelle Betroffenheit danach bestimmte, ob die angegriffene Verordnung die Rechtsposition der klagenden natürlichen oder juristischen Person „unzweifelhaft und gegenwärtig beeinträchtigt, indem sie ihre Rechte einschränkt oder ihr Pflichten auferlegt“ (EuG, Rs. T-177/01 Jégo-Quéré/Kommission, Slg. 2002, II-2365, Rn. 51). Der EuGH hat diesen Auslegungen der individuellen Betroffenheit in seiner Unión de Pequeños Agricultores-Entscheidung eine klare Absage erteilt. Einzig die Auslegung der individuellen Betroffenheit nach der ĺPlaumannFormel werde dem Wortlaut des Art. 230 Abs. 4 EG gerecht. Dieser lässt ĺIndividualnichtigkeitsklagen nur gegen Verordnungen zu, die dem Kläger „gegenüber Entscheidungscharakter“ haben. Es muss sich also bei echten Verordnungen um sog. ĺHybridrechtsakte handeln, um im Wege der Individualnichtigkeitsklage angefochten werden zu können. Auch der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes kann nach Auffassung des EuGH daran nichts ändern, da die Voraussetzungen des Art. 230 Abs. 4 zwar im Lichte dieses Grundsatzes auszulegen sind, eine solche Auslegung aber keinesfalls zu einem Wegfall „der fraglichen Voraussetzung“ führen könne. Im übrigen vertrat der EuGH die Auffassung, es bestehe mit Art. 230 i.V.m. 241 EG (ĺInzidentrüge) sowie dem ĺVorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG durchaus ein vollständiges Rechtsschutzsystem. Der EuGH betonte dabei die Pflicht der mitgliedstaatlichen Gerichte nach Art. 10 EG „die nationalen Verfahrensvorschriften über die Einlegung von Rechtsbehelfen möglichst so auszulegen und anzuwenden, dass natürliche und juristische Personen die Rechtmäßigkeit jeder nationalen Entscheidung oder anderen Maßnahme, mit der eine Gemeinschaftshandlung allgemeiner Geltung auf sie angewandt wird, gerichtlich anfechten und sich dabei auf die Ungültigkeit dieser Handlung berufen kön-
nen“. Ein anderes Rechtsschutzsystem ist nach Ansicht des EuGH nur im Wege der Änderung des EG-Vertrages zu verwirklichen. In Art. 263 Abs. 4 des Vertrages von Lissabon ist nunmehr die Möglichkeit der Individualnichtigkeitsklage auch gegen Verordnungen vorgesehen, die „keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“. (mk) §§: Art. 230 Abs. 4 EG Lit.: J. Gundel, Rechtsschutzlücken im Gemeinschaftsrecht? Der Fall des Sekundärrechts ohne nationalen Vollzugsakt, VerwArch 2001, 81 ff.; M. Köngeter, Die Ambivalenz effektiven Rechtsschutzes Einzelner gegen EG-Verordnungen, ZfRV 2003, 123 ff.; M. Nettesheim, Effektive Rechtsschutzgewährleistung im arbeitsteiligen System europäischen Rechtschutzes, JZ 2002, 928 ff.
Union of Industrial and Employers’ Confederation of Europe (UNICE) ĺBUSINESSEUROPE Unionsbürger citizen of the Union – citoyen de l’Union
Unionsbürger sind alle natürlichen Personen mit Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates. Deren Familienangehörige, die nur eine Drittstaatsangehörigkeit besitzen, können sich zwar nicht auf die primärrechtlichen ĺUnionsbürgerrechte, aber auf sekundärrechtliche Vorschriften berufen. ĺDoppelstaater (Staatsbürgerschaft eines EU- und eines Drittstaates) können sich uneingeschränkt auf die kraft Akzessorietät zur Staatsbürgerschaft des EU-Staates verliehenen Unionsbürgerrechte berufen. Juristische Personen können sich auf die Unionsbürgerschaft berufen, soweit sie ihren Sitz in einem Mitgliedstaat haben (s. die Kriterien in der ĺNiederlassungsfreiheit), ein sachlicher Anknüpfungspunkt an aus Unionsbürgerrechten fließenden Begünstigungen, die diesen nicht explizit zuerkannt werden, existiert und eine vergleichbare Interessenlage vorliegt. ĺUnionsbürgerschaft. Aus der Akzessorietät folgt auch, dass Drittstaatsangehörige oder Staatenlose niemals Unionsbürger sein können. (ao) §§: 17 EG Lit.: S. Kadelbach, Die Unionsbürgerrechte, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, 551 ff.; W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 17 EG; M. Hilf, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 17-22 EG, J. Weiler, To be a European Citizen, in: ders. (ed.), The Constitution of Europe, 1999,
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Unionsbürger, Inländerbehandlung 324 ff.; Kommission, Dritter Bericht der Kommission über die Unionsbürgerschaft, KOM(2001) 506 endg., 7.9.2001 Web: http://ec.europa.eu/justice_home/doc_centre/ citizenship/doc_citizenship_intro_de.htm
Unionsbürger, Inländerbehandlung Union citizen, national treatment – citoyen de l’Union, traitement national
Jedem Unionsbürger steht mittlerweile ein weit reichender Anspruch auf Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat zu. Seit den Anfängen der europäischen Integration geboten die marktfreiheitlichen Diskriminierungsverbote eine Gleichbehandlung wirtschaftlich aktiver Personen mit den Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaates (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Inländerbehandlung ĺDienstleistungsfreiheit, Diskriminierungsverbot ĺNiederlassungsfreiheit, Inländerbehandlung); seit Beginn der 1980er Jahre entwickelte der Gerichtshof praeter legem einen ausbildungsbezogenen Inländerbehandlungsanspruch für Studierende an öffentlichen Hochschulen (ĺFreizügigkeit, Studierende). Als mit der Einführung des allgemeinen Freizügigkeitsrechts als Unionsbürgerrecht (ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines) der Konnex von Freizügigkeit und Marktintegration getrennt war (ĺPersonenverkehr, freier), dehnte der Gerichtshof im Zuge seiner Rechtsprechung zur Unionsbürgerschaft den Inländerbehandlungsanspruch auf Nichterwerbstätige aus (EuGH, Rs. C-85/96 Sala, Slg. 1998, I2691; Rs. C-274/96 Bickel und Franz, Slg. 1998, I-7637; Rs. C-184/99 Grzelczyk, Slg. 2001, I-6193; Rs. C-148/02 Avello, Slg. 2003, I-11613; Rs. C-138/02 Collins, Slg. 2004, I-2703; Rs. C-456/ 02 Trojani, Slg. 2004, I-7573; Rs. C-209/03 Bidar, Slg. 2005, I-2119; Rs. C-258/04 Ioannidis, Slg. 2005, I-8275). Aufgrund seines von Art. 18 Abs. 1 EG geschützten Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat befindet sich nunmehr auch der nichterwerbstätige Unionsbürger im Anwendungsbereich des EG-Vertrages und kann damit gem. dem allgemeinen Diskriminierungsverbot (Art. 12 Abs. 1 EG; ĺDiskriminierungsverbot) Gleichbehandlung mit Inländern verlangen. Dieser Inländerbehandlungsanspruch ist mit Ausnahme namentlich eng mit der nationalen Staatsangehörigkeit verknüpfter Rechte tatbestandlich umfassend angelegt (strittig). In der Rechtsprechung des EuGH erfasste er bislang vornehmlich Sozialleistungen (für Sozialhilfe ĺGrzelczyk-Entscheidung ĺTrojani894
Entscheidung; für Erziehungsgeld ĺSala-Entscheidung; für Studierenden gewährte Unterhaltsstipendien ĺBidar-Entscheidung), aber auch das Recht zur Sprachwahl vor nationalen Gerichten und Behörden (ĺBickel und FranzEntscheidung) und das Namensrecht (ĺAvello-Entscheidung). Der Inländerbehandlungsanspruch des Unionsbürgers gebietet jedoch keine absolute Gleichbehandlung. Vielmehr kann die unterschiedliche Behandlung von Inländer und nichterwerbstätigem EU-Ausländer gerechtfertigt werden, wenn sie „auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck steht, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt wird“ (st. Rsp. EuGH, Rs. C-258/ 04, a.a.O. Rn. 29). Insoweit hat der Gerichtshof anerkannt, dass der gleiche Zugang Nichterwerbstätiger zu Sozialleistungen von einer an der Aufenthaltsdauer gemessenen Integration in den Aufnahmemitgliedstaat abhängig gemacht werden (EuGH, C-209/03, a.a.O. Rn. 49 ff.) oder der Zweck der Sozialleistung Grenzen ziehen (EuGH, Rs. C-138/02, a.a.O. Rn. 67 ff.; C-258/04, a.a.O. Rn. 30 ff.) kann. Mit der neuen Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG (ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG) wurde dieser Inländerbehandlungsanspruch nunmehr kodifiziert. Gem. Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38 genießt nunmehr „[v]orbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen ... jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats.“ Der zweite Absatz des Art. 24 nimmt Nichterwerbstätige für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, Arbeitsuchende für die Dauer der Arbeitsuche (durch die ĺCollins-Entscheidung und die ĺIoannidis-Entscheidung in Frage gestellt ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Arbeitsuche) vom gleichen Zugang zu Sozialhilfe aus; Studierenden steht darüber hinaus bis zum Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt kein Inländerbehandlungsanspruch hinsichtlich Studienbeihilfen zu. (fw) §§: Art. 12 EG, Art. 24 RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: K. Hailbronner, Union Citizenship and Access to Social Benefits, CML Rev. 2005, 1245; P. Kubicki, Die subjektivrechtliche Komponente der Unionsbürgerschaft, EuR 2006, 489; C. Schönberger, Die Unions-
Unionsbürgerschaft bürgerschaft als Sozialbürgerschaft. Aufenthaltsrecht und soziale Gleichbehandlung von Unionsbürgern im Regelungssystem der Unionsbürgerrichtlinie, ZAR 2006, 226; ders., Unionsbürger, 2005; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007, 197 ff.; ders., Migration und Osterweiterung: Der unionsrechtliche Rahmen innergemeinschaftlicher Freizügigkeit, AWR-Bulletin 44 (2006) 178
Unionsbürgerrechte citizen rights – droits des citoyens
Europäische ĺGrundrechte, deren personeller Geltungsbereich auf ĺUnionsbürger (vgl. Art. 18 EG) abzielt (z.B. bestimmte politische Mitwirkungsrechte). Ergänzen und verstärken bestehende ĺGemeinschaftsgrundrechte und ĺGrundfreiheiten. Im Unterschied zu ĺMenschen- oder Jedermannsrechten, die für alle Menschen gelten. Unionsbürgerrechte sind die Ausnahme: Die meisten europäischen Grundrechte sind nicht auf Unionsbürger beschränkt. Unionsbürgerrechte gewinnen aber zunehmend an Bedeutung, auf einer grundsätzlichen politischen Ebene, wie etwa konkret im sozialrechtlichen Bereich (vgl. J. Schwarze, Grundrechtsschutz durch den EuGH, 3459 [3463 ff.], kritisch zu EuGH, Rs. C-209/03 ĺBidar, Slg. 2005, I-2119; Gewährung einer Studienbeihilfe für EU-ausländ. Studenten; Ausdehnung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes aus dem Gemeinschafts- in den Unionsbereich via Unionsbürgerschaftsanknüpfung). (ed) §§: z.B. Art. 42 ff. GRC/Art. II-102 ff. EVV Lit.: S. Kadelbach, Die Unionsbürgerrechte, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, 467
Unionsbürgerrichtlinie ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG Unionsbürgerschaft citizenship of the Union – citoyenneté de l’Union
Unionsbürgerschaft besitzt jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der EU (ĺUnionsbürger). Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft und verleiht gemeinschaftsunmittelbaren Status, der vor allem aus dem ĺAufenthaltsrecht (Art. 18 EG), dem aktiven und passiven Wahlrecht zu ĺKommunalwahlen (Art. 19 Abs. 1 EG) und zum ĺEuropäischen Parlament (Art. 19 Abs. 2 EG), dem ĺPetitionsrecht beim ĺEuropäischen Parla-
ment (Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 194 EG), dem ĺBeschwerderecht an den ĺEuropäischen Bürgerbeauftragten (Art. 21 Abs. 2 i.V.m. Art. 194 EG) sowie dem ĺKommunikationsrecht gegenüber den EG-Organen (Art. 21 Abs. 3 EG) besteht (zu Umfang und Bedeutung der einzelnen ĺUnionsbürgerrechte ebendort). Die Unionsbürgerschaft besteht aus sämtlichen den Unionsbürger unmittelbar betreffenden Regelungen des EGV (nicht aber des EUV), einschließlich sekundärrechtlich garantierter und durch die Rsp. des ĺEuGH eingeräumten Rechte. Inwieweit Unionsbürgerrechte unmittelbar primärrechtlich gewährt werden oder sich erst aus Sekundärrechtsakten ableiten, hängt von den jeweiligen Einzelvorschriften ab. Den ĺMitgliedstaaten steht es frei, für die eigenen Staatsbürger strengere Vorschriften zu erlassen (Fall der ĺInländerdiskriminierung). Die U. hebt die bis dahin so genannte ĺMarktbürgerschaft auf eine neue, im ĺMaastrichter Vertrag expliziert verankerte und durch den ĺAmsterdamer Vertrag um weitere Bestimmungen ergänzte Ebene. Gem. Art. 22 EG ist die U. dynamisch angelegt; auch die derzeit noch nicht rechtsverbindliche ĺGrundrechteCharta greift die U. auf und erweitert sie. Die U. ist akzessorisch zur Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates, welche über deren Verleihung selbstständig entscheiden (diese müssen dabei jedenfalls EG-relevante Sachverhalte berücksichtigen). Die Staatsangehörigkeit wirkt aber als ein bloßes Tatbestandsmerkmal der Unionsbürgerschaft, der Rechtsstatus zwischen Unionsbürger und EU wird daher als gemeinschaftsunmittelbar bezeichnet. Ähnlich wie die Staatsbürgerschaft symbolisiert die Unionsbürgerschaft den Charakter der EU als Solidargemeinschaft (z.B. ĺdiplomatischer Schutz) und als politische Rechtsgemeinschaft (ĺWahlrecht), unterscheidet sich aber von jener durch ihren fragmentarischen Charakter und insbesondere das Fehlen von Solidarpflichten. Der Begriff U. knüpft zwar an die Staatsangehörigkeit an, spielt aber primär auf das Konzept der Staatsbürgerschaft, also der Trägerschaft einzelner Rechte und Pflichten, an, das dem staatsbürgerlichen Aktivstatus ähnelt. Der an die U. geknüpfte Rechtsstatus unterliegt prinzipiell durch die Stellung im EGV auch der Kontrolle durch den ĺEuGH, der die U. als „grundlegende[n] Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten“ (ĺGrzelczyk-Entscheidung) bezeichnet und insbesondere i.V.m. Art. 12 EG (ĺUnionsbürgerschaft, Inländerbehandlung) be895
Unionsbürgerschaft, Diskriminierungsverbot deutsame Entscheidungen trifft (ĺSala-Entscheidung, ĺBaumbast-Entscheidung, ĺD’HoopEntscheidung sowie ĺBickel und Franz-Entscheidung und ĺAvello-Entscheidung). Zur Weiterentwicklung der U. auch ĺEvolutivklausel, Unionsbürgerschaft. (ao) §§: Art. 17-22 EG, Erklärung Nr. 2 zur Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates (EUV) Lit.: S. Kadelbach, Die Unionsbürgerrechte, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, 551 ff.; W. Kluth, in: C. Calliess/ M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 17-22; M. Hilf, in: E. Grabitz/ders. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 17-22 EGV Rsp.: EuGH, Rs. C-369/90 Micheletti, Slg. 1992, I-4239 (ĺMicheletti-Enscheidung); EuGH, Rs. C-85/96 Martinez Sala, Slg. 1998, I-2691 (ĺSala-Entscheidung); EuGH, Rs. C-274/96 Bickel und Franz, Slg. 1998, I-7637 (ĺBickel und Franz-Entscheidung); EuGH, Rs. C-184/ 99 Grzelczyk, Slg. 2001, I-6193 (ĺGrzelczyk-Entscheidung); EuGH, Rs. C-224/94 D’Hoop, Slg. 2002, I-6191 (ĺD’Hoop-Entscheidung), EuGH, Rs. C-200/ 02 Zhu und Chen, Slg. 2004, I-1925 (ĺZhu und ChenEntscheidung) Web: http://ec.europa.eu/justice_home/doc_centre/ citizenship/doc_citizenship_intro_de.htm
Unionsbürgerschaft, Diskriminierungsverbot ĺUnionsbürger, Inländerbehandlung; ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines Unionsloyalität ĺUnionsbürgerschaft Unionsrechtsakt, Gegenstand der Nichtigkeitsklage act adopted under the Treaty on European Union, subjectmatter of an action for annulment – acte adopté en vertu du traité UE, objet du recours en annulation
Handlungen, welche von einem Gemeinschaftsorgan im Rahmen der ĺGASP oder ĺPJZS – also außerhalb des EG-Vertrages – erlassen werden, können nur nach Maßgabe des Art. 46 EU Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein. Dieser verweist für bestimmte Maßnahmen der PJZS auf Art. 35 Abs. 6 EU (ĺNichtigkeitsklage, Art. 35 Abs. 6 EG). Demnach können Handlungen der PJZS nicht nach Art. 230 EG angefochten werden. Der EuGH hat allerdings in seiner Flughafentransit-Entscheidung aus dem Jahr 1998 entschieden, dass eine im Rahmen der dritten Säule der EU (damals: „Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres“) erlassene „Gemeinsame Maßnahme“ insoweit Gegenstand einer Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG sein könne, als der Gerichtshof nach Art. 230 i.V.m. Art. 46 lit. f, 47 EU prü896
fen dürfe, ob „die Handlungen, von denen der Rat behauptet, sie fielen unter [den Vertrag] über die Europäische Union, nicht in die Zuständigkeiten übergreifen, die die Bestimmungen des EG-Vertrags der Gemeinschaft zuweisen“ (EuGH, Rs. C-170/96 Kommission/Rat, Slg. 1998, I-2763, Rn. 12 ff.). Nach Einführung der ĺNichtigkeitsklage gem. Art. 35 Abs. 6 EU können Handlungen im Rahmen der PJZS nunmehr unzweifelhaft mit dieser angegriffen werden, so dass der (Um-)Weg über Art. 230 EG nicht mehr notwendig ist. Im Wege dieser Klage prüft der EuGH nunmehr auch Übergriffe in EG-Kompetenzen (EuGH, Rs. C-176/03 Kommission/Rat, Slg. 2005, I-7879, Rn. 38 ff.). Handlungen im Rahmen der GASP kommen weder als Gegenstand einer Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG noch nach Art. 35 EU in Betracht, da Art. 46 EU überhaupt keine Zuständigkeit des EuGH für Handlungen der GASP eröffnet (ĺEuGH und EuG I, Zuständigkeit). Das EuG hält nichtsdestotrotz eine beschränkte Überprüfung nach Art. 230 EG für möglich, soweit nach den Grundsätzen der Flughafentransit-Entscheidung ein Übergreifen des GASPRechtsaktes in Kompetenzen der EG gerügt wird (EuG 12. 12. 2006, Rs. T-228/02 Organisation des Modjahedines du Peuple d’Iran (OMPI)/Rat, noch nicht in Slg., Rn. 56 ff.). (mk) §§: Art. 230 Abs. 1 EG; Art. 35 Abs. 6 EU; Art. 46 EU Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 355 f., 565
Unionsrechtskonforme Interpretation ĺInterpretation, unionsrechtskonforme Unionstreue loyalty to the union – loyauté à l’égard de l’union
Die U. ist ein Verfassungsstrukturprinzip der EU. Sie bringt damit auf europäischer Ebene einen allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck, dem zu Folge Rechtssubjekte, die in besonders enger Beziehung zueinander stehen zum Zwecke der Funktionalität der Beziehung ihre Rechte in Bezug zueinander kooperativ und rücksichtsvoll ausüben müssen. Damit ist die U. vor allem ein Optimierungsgebot, dass zum Teil richterrechtlich, zum Teil primär- und sekundärrechtlich ausgestaltet ist. Der ĺEuGH sieht in Art. 10 EG eine Teilpositivierung des Grundsatzes der Unionstreue. Der Sprachgebrauch ist dabei nicht einheitlich, so dass sinngem. von Gemeinschaftstreue (in Bezug auf die Europäische Gemeinschaft), der
Unmittelbare Betroffenheit ĺPflicht zu loyaler Zusammenarbeit oder vom Grundsatz der Mitwirkungspflicht die Rede ist. Der Grundsatz der U. lässt sich unterteilen in das ĺKooperationsprinzip und das ĺRücksichtnahmegebot. Der Grundsatz der U. kann Grundlage selbstständiger Pflichten sein, also konstitutiv wirken, insbesondere dann, wenn sich die Adressaten nur durch eine einzige Maßnahme gemeinschaftsrechtskonform verhalten können (Ermessensreduzierung auf null). Regelmäßig bedarf der Grundsatz der U. jedoch der Konkretisierung, um Pflichten erzeugend und justiziabel sein zu können. Dabei kommen horizontale und vertikale Rechtswirkungen in Betracht, die jeweils reziprok sind. So kann man von einer vierdimensionalen Wirkungsweise sprechen. Pflichten können also für die Mitgliedstaaten gegenüber der EU sowie deren Organe entstehen wie auch umgekehrt, weiter auch jeweils zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen untereinander. Dabei ist jedoch zu beachten, dass nach dem Wortlaut des Art. 10 EG die Anwendung des Grundsatzes der U. vertragsakzessorisch ist, also den Bezug zum Gemeinschaftsrecht voraussetzt. Art. 10 EG ist subsidiär gegenüber speziellen Vorschriften, die Ausdruck des Grundsatzes der U. sind, so z.B.: Art. 86 Abs. 1, 97, 228, 234, 249 Abs. 3, 307 EG. Auch in sekundärrechtlichen Akten wird dem Grundsatz der U. Ausdruck verliehen (vgl. RL 98/34/EG; VO [EG] 2679/98). (fh) §§: Art. 10, 86 Abs. 1, 97, 228, 234, 249 Abs. 3, 307 EG Lit.: R. Schulze/M. Zuleeg, Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2006, § 7, Rn. 1 ff.; W. Kahl, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 10, Rn. 1 ff. Rsp.: grundlegend EuGH, verb. Rs. 6 und 11/69 Kommission/Frankreich, Slg. 1969, 523, Rn. 14/17; Rs. 22/70 AETR, Slg. 1971, 263, Rn. 20/22; Rs. 78/70 Deutsche Grammophon, Slg. 1971, 487, Rn. 5
Unionsverfassungsrecht, staatliches National Constitutional Law concerning EU Membership – Droit constitutionnel national concernant l’Union Européenne
Dabei handelt es sich um Bestimmungen des nationalen Verfassungsrechts, die die Mitgliedschaft in der EU betreffen. Typische Regelungsgehalte sind dabei die Mitwirkungsmodalitäten nationaler Stellen (etwa der Parlamente) hinsichtlich der Organe der EU (va ĺEP, ĺWirtschafts- und Sozialausschuss, ĺAusschuss der Regionen), die Mitwirkung der Gliedstaaten eines Bundesstaates an der europäischen
Integration und im Besonderen die Ausgestaltung allfälliger ĺIntegrationsschranken. (he) §§: Art. 23a ff. B-VG; Art. 23 Bonner Grundgesetz Lit.: C. Grabenwarter, Staatliches Unionsverfassungsrecht, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 283; T. Öhlinger, Verfassungsrecht, 7. Aufl. 2007, Rn. 169
Unionsvertrag ĺVertrag von Maastricht Unklarheiten-Regel ĺTransparenzgebot der KlauselRL Unlauterer Wettbewerb (IPR) ĺMarktortprinzip Unmittelbare Anwendbarkeit ĺAnwendbarkeit, unmittelbare Unmittelbare Betroffenheit direct concern – affectation directe
Zulässigkeitsvoraussetzung für ĺIndividualnichtigkeitsklagen nach Art. 230 Abs. 4 EG. Die u.B. ist neben der ĺindividuellen Betroffenheit Bestandteil der Klageberechtigung. Ein Kläger ist unmittelbar betroffen, wenn er durch den angegriffenen Rechtsakt und nicht erst durch einen zu dessen Durchführung oder Umsetzung erlassenen oder diesen konkretisierenden Rechtsakt in seinen Interessen beeinträchtigt ist (ĺBetroffenheit eines Individualnichtigkeitsklägers). Es kommt dabei nicht darauf an, ob der angegriffene Rechtsakt überhaupt keines Durchführungsaktes mehr bedarf, sondern ob die Interessenbeeinträchtigung sich bereits aus dem angegriffenen (Grund-)Rechtsakt und nicht erst aus dem Durchführungsakt ergibt. Rechtsakte, die einer mitgliedstaatlichen Behörde bestimmte Handlungen verbindlich vorschreiben und dieser kein Ermessen einräumen, betreffen den Kläger daher trotz der formellen Notwendigkeit eines mitgliedstaatlichen Vollzugs der Handlung unmittelbar; z.B. ist der Bezieher einer gemeinschaftsrechtswidrigen Beihilfe bereits von der Entscheidung der Kommission unmittelbar betroffen, mit welcher dem Mitgliedstaat aufgegeben wird, die Beihilfe zurückzufordern (ĺRückforderung staatlicher Beihilfen). Räumt der angegriffene Rechtsakt dagegen einen Ermessensspielraum ein, ist der Betroffene in der Regel erst von der Durchführungsentscheidung unmittelbar betroffen. 897
Unmittelbare Diskriminierung Dies gilt nicht, im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null oder wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls bereits erkennbar ist, dass und auf welche Art und Weise das Ermessen ausgeübt werden wird. Genehmigt bspw. die ĺKommission eine von einem Mitgliedstaat beantragte Einzelbeihilfe, so berührt erst die Gewährung der Beihilfe die wettbewerblichen Interessen eines Konkurrenten des Begünstigten. Da aber wegen des Antrags auf Genehmigung der Beihilfe kein Zweifel an der Absicht des Mitgliedstaat besteht, die Beihilfe auch auszuzahlen, ist der Konkurrent bereits von der Genehmigungsentscheidung der Kommission unmittelbar betroffen. Schwierigkeiten bereitet die Ermittlung der u.B. bei ĺRichtlinien (ĺRichtlinie, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage). Geht man mit der Rsp. davon aus, dass Richtlinien keine unmittelbare Drittwirkung haben können, so scheint es fraglich, ob Richtlinien einen Einzelnen überhaupt unmittelbar betreffen können, da stets ein Umsetzungsakt erforderlich ist, der die Vorgaben der Richtlinie ihm gegenüber wirksam macht. Indes muss es darauf nicht ankommen. Es spricht nichts dagegen, die genannten Ausnahmen bei Ermessenspielräumen auch auf den Umsetzungsspielraum bei Richtlinien anzuwenden und zu prüfen, ob entweder im Einzelfall gar kein Umsetzungsspielraum besteht oder die Art der Umsetzung bereits feststeht und die Beeinträchtigung der Interessensphäre letztlich bereits durch die Richtlinie erfolgt. (mk) §§: Art. 230 Abs. 4 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 398 ff., 456 ff., 505 ff., 519 f.
Unmittelbare Diskriminierung ĺDiskriminierung, unmittelbare Unmittelbare Drittwirkung ĺDrittwirkung, grundrechtliche Unmittelbare Geltung ĺGeltung, autonome Unmittelbare Richtlinienwirkung ĺRichtlinien, unmittelbare Wirkung Unmittelbare Wirkung ĺAnwendbarkeit, unmittelbare 898
Unmittelbarer Vollzug ĺVollzug, unmittelbarer Unschuldsvermutung presumption of innocence – présomption d’innocence
Wiewohl das ĺPrimärrecht via allgemeine ĺRechtsgrundsätze (vgl. Art. 6 ĺEMRK als ĺGemeinschaftsgrundrecht) bereits eine Unschuldsvermutzung bei der Strafverfolgung und ähnlichen Verfahren enthält, schreibt sie die ĺGRC noch einmal als ĺGrundrecht fest. Voraussetzung der Garantie ist eine „Anklage“ bzw. das Drohen einer Strafe oder strafähnlichen Sanktion. (ed) §§: Art. 48 GRC/Art. II-108 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 41; A. Eser, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 48
Untätigkeitsklage, allgemein appeal for failure to act – recours en carence
Die Untätigkeitsklage ermöglicht die Anrufung der europäischen Gerichtsbarkeit in all jenen Fällen, in denen einem ĺGemeinschaftsorgan eine Verletzung der Gemeinschaftsverträge durch rechtswidriges Unterlassen der gemeinschaftsrechtlichen Handlungspflichten vorgeworfen wird. Diese Klageform ist als subsidiäres Pendant zur ĺNichtigkeitsklage (Art. 230 EG) konzipiert. Die beiden Klagearten unterscheiden sich insb. dadurch, dass die Untätigkeitsklage auf die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit durch Unterlassen ausgelegt ist, während sich die Nichtigkeitsklage gegen rechtswidrige Handlungen eines Gemeinschaftsorgans richtet. Die Subsidiarität äußert sich darin, dass die Untätigkeitsklage nicht zulässig ist, wenn das beklagte Organ – wenn auch rechtswidrig – tätig geworden ist oder wenn das Gemeinschaftsrecht andere Rechtsbehelfe vorsieht. Im Unterschied zur Nichtigkeitsklage, die als Gestaltungsklage konzipiert ist, kommt der Untätigkeitsklage die Funktion einer Feststellungsklage zu – d.h. sie ist auf die gerichtliche Feststellung der Verletzung des Gemeinschaftsrechts infolge Unterlassen ausgerichtet. Das Gemeinschaftsrecht kennt keine Klage, die zur Erlassung von Gemeinschaftsrechtsakten verpflichten kann. Der Zweck der Untätigkeitsklage liegt darin, die Gemeinschaftsorgane zur Erfüllung ihrer gemeinschaftsvertraglichen Handlungspflichten anzuhalten. Diese Klage soll die Basis für eine rasche Beseitigung des vertragswidrigen Zustandes schaffen.
Untätigkeitsklage, Verfahrensablauf Die Untätigkeitsklage gem. Art. 232 EG entspricht wörtlich der Klage nach Art. 148 EAG. (lb) §§: Art. 232-233 EG; Art. 107f VerfO-EuGH; Art. 148 EAG Lit.: C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 232 EG, Rn. 1 f.; W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 54 ff.
Untätigkeitsklage, Klagebefugnis appeal for failure to act, right to sue – recours en carence, possibilité de dépôt de plainte
Die rechtliche Zulässigkeit der Untätigkeitsklage hängt nicht vom Nachweis einer konkreten Klagebefugnis des Aktivlegitimierten ab. Die Untätigkeitsklage ist – ebenso wie das ĺVertragsverletzungsverfahren nach den Art. 226 und 227 EG – als objektives Verfahren konzipiert, das die Beklagten zur Einhaltung des Gemeinschaftsrechts anhalten soll. Die Beschränkung des Verfahrensgegenstands bei Privaten bzw. bei der ĺEZB bezieht sich lediglich auf den konkreten Verfahrensgegenstand. Liegt ein legitimer Klagegegenstand vor, dann ist auch die Klagebefugnis gegeben. Es besteht keine Notwendigkeit ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis nachzuweisen. Die Untätigkeitsklage ist allerdings wegen fehlendem Rechtsschutzbedürfnis gegenstandslos, wenn die eingeklagte Untätigkeit bei Klagseinbringung bzw. spätestens vor Verkündung des Urteils bereits beseitigt ist. In diesem Fall erklärt das Gemeinschaftsgericht den Rechtsstreit für erledigt. (lb) §§: Art. 226, 227, 232 EG Lit.: C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 232 EG, Rn. 25 f.
Untätigkeitsklage, Urteil und Wirkung appeal for failure to act, judgement and its impact – recours en carence, jugement et effet
Das Verfahren zur Untätigkeitsklage wird durch Urteil beendet. Das gemeinschaftsgerichtliche Urteil enthält im Fall der Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch das beanstandete Unterlassen eine Feststellung der Vertragswidrigkeit durch die Untätigkeit des beklagten Gemeinschaftsorgans bzw. der ĺEZB. Art. 233 EG normiert für den Fall der Verurteilung eine positive Handlungspflicht des untätigen Organs bzw. der EZB, die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil ergeben. Die Rsp.
zeigt, dass die Gemeinschaftsgerichte in ihren Urteilen häufig Maßnahmen vorschlagen oder Handlungsalternativen aufzeigen um die gemeinschaftsrechtswidrige Untätigkeit zu beseitigen (EuGH, verb. Rs. 59 und 129/81 Turner/ Kommission, Slg. 1981, 1883; EuGH, Rs. 192/ 83 Griechenland/Kommission, Slg. 1983, 2791; EuGH, Rs. 34/86 Rat/Parlament, Slg. 1986, 2155). Die gerichtliche Entscheidung entfaltet ihre Bindungswirkung inter partes und ex tunc. Das Urteil enthält auch einen Ausspruch über die Kosten: Die unterlegene Partei hat die Kosten zu tragen – Gerichtskosten werden nicht eingehoben. Die Verpflichtungen, die sich aus dem Urteil der Untätigkeitsklage ergeben, haben keinen Einfluss auf Schadenersatzansprüche nach Art. 288 Abs. 2 EG: D.h. auch die vertragswidrige Unterlassung eines Gemeinschaftsrechtsakts kann eine Schadenersatzpflicht begründen (EuGH, verb. Rs. C-15/91 und C-108/91, Buckl u.a./Kommission, Slg. 1992, I-6061). (lb) §§: Art. 233, 235, 288 Abs. 2 EG Lit.: C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 233 EG, Rn. 1 ff.
Untätigkeitsklage, Verfahrensablauf appeal for failure to act, course of the proceedings – recours en carence, déroulement de l’instance
Die Untätigkeitsklage ist nur zulässig, wenn das betroffene beklagte ĺGemeinschaftsorgan bzw. die ĺEZB zuvor aufgefordert wurde die relevante gemeinschaftsrechtliche Handlung vorzunehmen. Der Beklagte soll im Zuge eines Vorverfahrens die Möglichkeit erhalten eine Stellungnahme abzugeben und die Streitigkeit außergerichtlich zu lösen. Die Aufforderung muss die vom Klagegegner zu ergreifende Maßnahme eindeutig bezeichnen und diesen um eine Stellungnahme ersuchen. Aus Beweisgründen sollte die Aufforderung schriftlich erfolgen. Mit Zugang der Aufforderung beginnt eine Frist von zwei Monaten zur Stellungnahme zu laufen. Gibt das beklagte Gemeinschaftsorgan bzw. die EZB binnen offener Zweimonatsfrist eine Stellungnahme ab oder erlässt die gewünschte Maßnahme, wird die Beschwerde wegen Untätigkeit gegenstandslos. Aus der Stellungnahme muss die rechtliche Haltung zu den geforderten gemeinschaftsrechtlichen Maßnahmen ersichtlich werden (EuGH, Rs. 13/83 Parlament/Rat, Slg. 1985, 1513). Die Untätigkeit ist auch dann als beendet anzusehen, wenn das beklagte Organ einen anderen als den geforderten 899
Untätigkeitsklage, Verfahrensgegenstand Rechtsakt erlässt. Stellt diese Maßnahme eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts dar, steht dem Kläger die ĺNichtigkeitsklage nach Art. 230 EG offen. Wird binnen offener Frist keine Stellungnahme abgegeben, so ist der Beschwerdeführer zur Erhebung der Untätigkeitsklage ermächtigt. Die Frist zur Einbringung der Klage beträgt zwei Monate. Sie beginnt mit Ablauf der Zweimonatsfrist, die dem Beklagten zur Stellungnahme eingeräumt wurde. Der Ablauf der kontradiktorisch konzipierten Untätigkeitsklage gliedert sich in folgende Verfahrensschritte: ƒ Vorverfahren ƒ Klage ƒ Klageerwiderung ƒ Replik ƒ Duplik ƒ einmalige schriftliche Äußerung der Streithelfer ƒ vor dem ĺEuGH: mündliche Verhandlung, wenn beantragt; Schlussanträge des zuständigen Generalanwalts ƒ vor dem ĺEuG: immer mündliche Verhandlung ƒ Urteilsverkündung. (lb) §§: Art. 230, 232 Abs. 2 EG; § 19 Abs. 2 EuGH Satzung; Art. 44a VerfO-EuGH Lit.: C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 232 EG, Rn. 15 ff.
Untätigkeitsklage, Verfahrensgegenstand appeal for failure to act, object of the proceedings – recours en carence, objet de l’instance
Der Verfahrensgegenstand einer Untätigkeitsklage vor dem ĺEuGH richtet sich danach, ob der Kläger ein privilegierter oder ein nicht privilegierter Klageberechtigter ist. Für beide gilt, dass die in der Klage begehrte Maßnahme nicht über den im Vorverfahren festgelegten Klagegegenstand hinausgehen darf. ƒ privilegierte Klageberechtigte (s.a. ĺUntätigkeitsklage, Verfahrensparteien): Verfahrensgegenstand ist in diesem Fall das Unterlassen eines Beschlusses. Unter den Begriff des Beschlusses fallen in diesem Zusammenhang alle Maßnahmen, zu denen der Beklagte gemeinschaftsrechtlich verpflichtet ist (s.a. EuGH, Rs. 13/83 Parlament/Rat, Slg. 1985, 1513, Rn. 34). Im Sinne des primärrechtlichen Handlungskatalogs nach Art. 249 EG ist unter diesen Maßnahmen insb. die Erlassung von ĺVerordnungen, ĺRichtlinien, ĺEntscheidungen 900
und ĺStellungnahmen zu verstehen. Zu beachten ist die Beschränkung des Verfahrensgegenstandes für die ĺEZB auf unterlassene Gemeinschaftsrechtsakte in ihrem Zuständigkeitsbereich. Nach der Rsp. des EuGH muss sich die Untätigkeitsklage nicht auf das Fehlen eines bestimmten gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakts stützen. Es können auch „weniger deutlich umschriebene Untätigkeiten“ eingeklagt werden (EuGH, Rs. 13/83 Parlament/Rat, Slg. 1985, 1513). Der Kläger muss die gewünschte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme und die Verletzung der Handlungspflicht in der Klageschrift ausreichend detaillieren. ƒ nicht privilegierte Klageberechtigte (s.a. ĺUntätigkeitsklage, Verfahrensparteien): Diese Gruppe von Klägern ist hinsichtlich der Wahl des Verfahrensgegenstandes erheblich eingeschränkt. Private können im Rahmen der Untätigkeitsklage nur geltend machen, dass es ein Gemeinschaftsorgan unterlassen hat, einen verbindlichen (rechtlichen) Akt an sie zu richten. Natürliche und juristische Personen können keine rechtswidrige Unterlassung der Erlassung von sekundärrechtlichen Empfehlungen oder Stellungnahmen einklagen (EuGH, Rs. 15/70 Chevalley/Kommission, Slg. 1970, 975, Rn. 11/14; EuGH, verb. Rs. 83 und 84/84 N.M./Kommission, Slg. 1984, 3571, Rn. 10). Der begehrte Rechtsakt muss an eine bestimmte Person adressiert sein: Vgl. auch den Wortlaut von Art. 232 Abs. 3 EG „an sie zu richten“. Daraus folgt, dass die generell-abstrakt formulierten sekundären Gemeinschaftsrechtsakte wie Verordnungen und Richtlinien kein Verfahrensgegenstand der Untätigkeitsklage für Private sein können. (lb) §§: Art. 232 Abs. 1, 3 und 4, 249 EG Lit.: H.-J. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 232 EG, Rn. 4 ff.
Untätigkeitsklage, Verfahrensparteien appeal for failure to act, parties of the proceedings – recours en carence, parties de l’instance
Als mögliche Kläger im Verfahren zur Einbringung der Untätigkeitsklage kommen der ĺRat, die ĺKommission, das ĺEP, der ĺEuropäische Rechnungshof, die ĺEZB, die einzelnen Mitgliedstaaten sowie natürliche und juristische Personen – d.h. Private – in Frage (vgl. auch EuGH, Rs. 13/83 Parlament/Rat, Slg. 1985, 1513). Keine aktive Klagslegitimation kommt hingegen dem ĺEuGH selbst, dem ĺWirt-
Untätigkeitsklage, Zuständigkeit schafts- und Sozialausschuss und dem ĺAusschuss der Regionen zu. Im Zusammenhang mit der aktiven Parteifähigkeit können unterschieden werden: ƒ privilegierte Klageberechtigte ƒ nicht privilegierte Klageberechtigte Zu den privilegierten Klägern gehören neben den ĺMitgliedstaaten, die ĺOrgane der Gemeinschaft sowie die EZB. Unter dem Begriff der nicht privilegierten Kläger sind die natürlichen und juristischen Personen zu verstehen. Als mögliche Gegner einer Untätigkeitsklage kommen der Rat, die Kommission, das EP und die EZB in Frage. Diese Organe der EG sind wegen der beanstandeten Verletzung ihrer gemeinschaftsrechtlichen Handlungspflichten passivlegitimiert. (lb) §§: Art. 7 Abs. 1, Art. 232 Abs. 1, 3 und 4 EG
Untätigkeitsklage, Verkehr appeal for failure to act, traffic – recours en carence, circulation
Im Rahmen des gemeinschaftsrechtlichen Verkehrsrechts hat ein Urteil des ĺEuGH nach Klage des ĺEuropäischen Parlaments gem. Art. 232 EG gegen den ĺRat besondere Bedeutung erlangt: Der EuGH urteilte, dass der Rat es in pflichtwidriger Weise sowie unter Verstoß gegen Art. 3, 51, 71 und 80 EG unterlassen habe, eine gemeinsame Politik auf dem Gebiet des Verkehrs einzuführen und hierzu den entsprechenden Rahmen verbindlich festzulegen (auch ĺVerkehrspolitik); ferner habe es der Rat verabsäumt, über 16 namentlich aufgeführte Vorschläge der ĺKommission zu beschließen. Die Klage ergab sich, nachdem im Rahmen der gemeinsamen ĺVerkehrspolitik der Rechtsetzungs- bzw. politische Prozess gänzlich zum Erliegen kam. Der wesentliche Urteilsinhalt (EuGH): ƒ Grundsätzlich sei eine klagsweise Durchsetzung der (allgemeinen) Handlungspflicht des Rates im Bereich der Verkehrspolitik nicht möglich, da zwar auch eine legislative Untätigkeit als Untätigkeit im Sinne des Art. 232 Abs. 1 EG anzusehen, diese aber nur unter sehr engen Voraussetzungen justiziabel sei. Es fehle konkrte an einer hinreichenden Bestimmbarkeit der zu verabschiedenden Beschlüsse, da sich der konkrete Inhalt der Verkehrspolitik ständig verändere und daher weder für den Zeitpunkt des Urteils noch für das Ende der Übergangszeit festgestellt werden könne. Der Rat verfüge folglich über einen erheblichen Gestaltungsspielraum.
ƒ
Demgegenüber bestünde aber eine hinreichend präzise Pflicht zur Verwirklichung der ĺDienstleistungsfreiheit. Daher war die Begründetheit der Klage in diesem Punkt gegeben. Das Urteil führte zu einer Belebung der gemeinsamen Verkehrspolitik, so zur Aufhebung des seit Mitte der 70er Jahre bestehenden Junktims zwischen Liberalisierung und Harmonisierung (Abhängigkeit von Fortschritten im Bereich der Deregulierung der Verkehrsmärkte von der vorherigen Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im Verkehrssektor) und zur Schaffung eines Zugzwangs für den Rat, da dieser laut EuGH Maßnahmen gem. Art. 71 Abs. 1 lit. a und b EG innerhalb angemessener Frist zu beschließen habe; daher bestand die Gefahr von Anschlussklagen. Der EuGH beschränkte die festgestellte justiziable Handlungspflicht des Rates indes auf Liberalisierungsmaßnahmen für den internationalen Verkehr und die ĺKabotage. Hinsichtlich der nicht behandelten Kommissionsvorschläge lehnte der EuGH eine vertragswidrige Untätigkeit hingegen ab. Zur ĺUntätigkeitsklage s. die Einzelbeiträge. (sm) Lit.: J. Erdmenger, Die EG-Verkehrspolitik vor Gericht, EuR 1985, 375 ff.; C. Lenz, Die Verkehrspolitik der Europäischen Gemeinschaft im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofes, EuR 1988, 158 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-18/83 Europäisches Parlament/ Rat, Slg. 1985, 1513 ff.
Untätigkeitsklage, Zuständigkeit appeal for failure to act, competence – recours en carence, compétence
Hinsichtlich der Zuständigkeit zur Entscheidung über Untätigkeitsklagen ist zwischen der Klagseinbringung durch die ĺMitgliedstaaten, die ĺGemeinschaftsorgane bzw. die ĺEZB sowie der Erhebung der Untätigkeitsklage durch natürliche und juristische Personen zu unterscheiden. Nach der aktuellen gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung ist für Klagen von den Mitgliedstaaten, den einzelnen Gemeinschaftsorganen (ĺRat, Kommission, ĺEP, ĺEuropäischer Rechnungshof) und der EZB der ĺEuGH sachlich zuständig. Für Untätigkeitsklagen von natürlichen oder juristischen Personen ist in erster Instanz das EuG zuständig. Gegen Urteile des ĺEuG besteht die Möglichkeit eines Rechtsmittels an den EuGH. Der Anteil der Untätigkeitsklage an allen Verfahren vor dem EuGH beträgt 0,6 % – der An901
Unterauftrag teil an allen Verfahren vor dem EuG beträgt 2,5 %. (lb) §§: Art. 232 Abs. 1 und 3 EG
Unterauftrag subcontracting – sous-traitance
Ein Unterauftrag (in der österr. Terminologie: Subauftrag) im Sinn des ĺVergaberechts liegt vor, wenn ein ĺBieter bestimmte Teile eines öffentlichen ĺAuftrags an einen dritten ĺWirtschaftsteilnehmer weitergibt. Wirtschaftsteilnehmer, an die ein Unterauftrag vergeben werden soll, müssen ihrerseits über die erforderliche ĺEignung verfügen. Der öffentliche ĺAuftraggeber kann verlangen, dass der Bieter die Teile des Auftrags, die er im Wege von Unteraufträgen an Dritte weiterzugeben gedenkt (sowie bereits bekannte Unterauftragnehmer) bekannt gibt. (cm) §§: Art. 25 VergabeRL Lit.: J. Byok/W. Jäger, Kommentar zum Vergaberecht (2000) 231 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Unterlassungsklagenrichtlinie directive on injunctions for the protection of consumers’ interests – directive relative aux actions en cessation en matière de protection des intérêts des consommateurs
Ziel der UnterlassungsklagenRL, einer reinen VerbraucherschutzRL (ĺVerbraucherschutzRL, reine) und ĺMindestRL, ist es, divergierende, einzelstaatliche Rechtsvorschriften über Unterlassungsklagen anzugleichen, um so den Schutz der Kollektivinteressen jener Verbraucher, die unter die im Anhang angeführten Richtlinien fallen, zu gewährleisten, Wettbewerbsverzerrungen zwischen Untenehmern im Binnenmarkt zu beseitigen und und das Vertrauen des Verbrauchers in diesen zu stärken (ĺBegründungsdreiklang). Um dieses Regelungsanliegen zu erfüllen, räumt die RL bestimmten „qualifizierten Einrichtungen“, mit denen sie jede Stelle oder Organisation meint, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats ordnungsgemäß errichtet wurde und ein berechtigtes Interesse daran hat, den Schutz von Kollektivinteressen sicherzustellen, Klagebefugnis ein (ĺVerbraucherschutz, kollektiver). Unter Kollektivinteressen i.S.d. RL werden jene Interessen verstanden, bei denen es sich nicht um eine Kumulierung von Interessen durch einen Verstoß geschädigter Personen handelt (Erwägungsgrund 2 der RL). Ein Verstoß 902
i.S.d. RL ist jede Handlung, die den im Anhang angeführten Richtlinien in der in die innerstaatliche Rechtsordnung der Mitgliedstaaten umgesetzten Form zuwiderläuft und die Kollektivinteressen der Verbraucher beeinträchtigt (Art. 1 Abs. 2 RL). Die Mitgliedstaaten bestimmen die zuständigen Gerichte oder Verwaltungsbehörden für die Entscheidung über die von qualifizierten Einrichtungen eingelegten Rechtsbehelfe. Diese können gem. Art. 2 Abs. 1 RL einerseits auf Anordnung der Einstellung oder des Verbots eines Verstoßes (gegebenenfalls im Rahmen eines Dringlichkeitsverfahrens), andererseits auf Veröffentlichung der Entscheidung und/oder einer Richtigstellung sowie auf die Verhängung von Konventionalstrafen lauten, wobei sich die Zuständigkeit der Gerichte und Verwaltungsbehörden nach nationalen Vorschriften richtet. Die Bestimmungen des internationalen Privatrechts und des internationalen Zivilprozessrechts bleiben unberührt. Zudem muss jeder Mitgliedstaat für den Fall Sorge tragen, dass, wenn ein Verstoß gegen die nationalen Umsetzungsvorschriften der im Anhang aufgelisteten Richtlinien seinen Ursprung in seinem Hoheitsgebiet hat, auch die qualifizierten Einrichtungen jedes anderen Staates, in dem von diesen geschützte Interessen beeinträchtigt werden, die zuständigen Gerichte und Verwaltungsbehörden des Ursprungsstaates des Verstoßes anrufen können (Art. 4 RL). Sofern die qualifizierte Einrichtung des anderen Staates in ein von der ĺKommission erstelltes Verzeichnis solcher Stellen oder Organisationen eingetragen ist, muss dies als Nachweis der Berechtigung zur Klagebefugnis akzeptiert werden. Dieses Verzeichnis wird im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. Voraussetzung für eine effiziente, gemeinschaftsweite Rechtsdurchsetzung ist zudem eine funktionierende Zusammenarbeit der für den Verbraucherschutz zuständigen, nationalen Behörden. Diesem Regelungsanliegen ist das Europäische Parlament und der Rat schließlich mit dem Erlass der ĺVerordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz nachgekommen. (pa) §§: RL 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. 1998, Nr. L 166/51 Lit.: W. Berg, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 153 EG; B. Lurger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 153 EG; B. Lurger/S. Augenho-
Unternehmen, öffentliches fer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003
Unternehmen undertaking – entreprise
Der Begriff des Unternehmens wird in allen Bestimmungen des ĺeuropäischen Wettbewerbsrechts (Art. 81 ff. EG) gleich ausgelegt. Nach dem vom ĺEuGH vertretenen funktionalen Unternehmensbegriff ist ein Unternehmen „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“. Unter diese Definition des Unternehmensbegriffs fallen folglich alle natürlichen und juristischen Personen sowie sonstige, nicht rechtsfähige Organisationen, soweit sie eine wirtschaftliche Tätigkeit auf einem wettbewerbsbestimmten Markt ausüben. Eine wirtschaftliche Tätigkeit liegt dann vor, wenn die betroffene Einheit am Wirtschaftsverkehr teilnimmt. Auch dieses Merkmal legt der ĺEuGH grundsätzlich weit aus. Die Rechtsform, die Art der Finanzierung, eine Kaufmannseigenschaft, die Eigentumsverhältnisse, der Sitz des Rechtsträgers oder die Größe des Unternehmens sind grundsätzlich nicht von Bedeutung. Auch auf die Absicht der Gewinnerzielung kommt es vordergründig nicht an, so dass u.U. auch gemeinnützige Einrichtungen vom Unternehmensbegriff erfasst sein können. Aufgrund dieses weiten Verständnisses des Unternehmensbegriffs fallen unter den Unternehmensbegriff insbesondere auch Angehörige der freien Berufe wie Ärzte oder allgemein Künstler, Anbieter von Bank-, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, Berufssportler, Gewerkschaften als Anbieter und Nachfrager von Produkten (nicht aber als Tarifpartner), Arbeitgeber als Anbieter und Nachfrager von Produkten (nicht aber in ihrer Eigenschaft als Tarifpartner), Tochtergesellschaften (u.U. auch wenn sie rechtlich oder wirtschaftlich von der Muttergesellschaft abhängig sind ĺs. aber Konzernprivileg) oder Arbeitsvermittlungen. Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist allerdings abzulehnen bei Einrichtungen aus dem Bereich der sozialen Sicherheit, die mit der Verwaltung gesetzlicher Kranken- und Rentensysteme betraut sind, weil sie einen rein auf dem Grundsatz der Solidarität beruhenden Zweck verfolgen. Gleiches gilt bei rein hoheitlichen Tätigkeiten, bei der Nachfrage privater Endverbraucher und bei Arbeitnehmern. Auch soziale, kulturelle und künst-
lerische Tätigkeiten fallen grundsätzlich nicht unter den Unternehmensbegriff. (jpt) §§: Art. 81f EG Lit.: J. P. Terhechte, Materielles Kartellrecht, in: J. P. Terhechte (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 2008, § 3, Rn. 3.37; E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 8, Rn. 1 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-41/90 Höfner, Slg. 1991, I-1979; EuGH, Rs. C-364/92 Eurocontrol, Slg. 1994, I-43
Unternehmen mit ausschließlichen Rechten undertaking that enjoys exclusive rights – entreprise titulaire de droits exclusifs
Behält ein ĺMitgliedstaat einem Unternehmen unter Ausschluss anderer Wettbewerber eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit vor, handelt es sich um ein Unternehmen, dem ein ausschließliches Recht gewährt wird. Hier handelt es sich in aller Regel um hoheitlich geschaffene Monopole. Unternehmen mit ausschließlichen Rechten, haben eine getrennte Buchführung vorzuweisen (Art. 2 Abs. 1 lit. d ĺTransparenz-Richtlinie). (jr) §§: Art. 86 Abs. 1 EG, Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33, Rn. 1 ff.; J. Schwarze, Der Staat als Adressat. des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2000, 613
Unternehmen mit besonderen Rechten undertaking that enjoys special rights – entreprise titulaire de droits spéciaux
Wird eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit einer bestimmten Anzahl an Unternehmen (aber zumindest zwei) durch eine staatliche Maßnahme vorbehalten, handelt es sich um Unternehmen, denen besondere Rechte gewährt werden. Im Unterschied zu den Unternehmen mit ausschließlichen Rechten wird hier zumindest nicht von vornherein eine Konkurrenz ausgeschlossen. Unternehmen mit besonderen Rechten, haben eine getrennte Buchführung vorzuweisen (Art. 2 Abs. 1 lit. d ĺTransparenzRichtlinie). (jr) §§: Art. 86 Abs. 1 EG, Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 33, Rn. 1 ff.; J. Schwarze, Der Staat als Adressat. des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2000, 613
Unternehmen, öffentliches undertaking, public – entreprise publique
Öffentliche ĺUnternehmen sind solche, die durch die öffentliche Hand betrieben werden, 903
Unternehmensvereinigung oder auf die sie einen erheblichen Einfluss ausübt, etwa im Bereich der ĺDaseinsvorsorge (z.B. in den Sektoren Wasser, Energie oder Verkehr). Gem. Art. 86 Abs. 1 EG ist das ĺeuropäische Wettbewerbsrecht grundsätzlich auch auf solche öffentlichen ĺUnternehmen anzuwenden. Damit werden im ĺeuropäischen Wettbewerbsrecht öffentliche und private ĺUnternehmen im Allgemeinen gleich behandelt. Gem. Art. 86 Abs. 2 EG kann aber von diesem Grundsatz abgewichen werden, soweit es sich um ĺUnternehmen handelt, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind und die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften die Erfüllung dieser Dienstleistungen rechtlich oder tatsächlich verhindern würde. Bei diesen Unternehmen handelt es sich in aller Regel um öffentliche ĺUnternehmen. Diese Ausnahme bezweckte insbesondere in der Gründungsphase der EG den Ausgleich zwischen der weitgehend liberalen Ausrichtung der EG und den ausgeprägt etatistischen Vorstellungen einiger Mitgliedstaaten. Art. 86 Abs. 3 EG ermächtigt zudem die ĺKommission, Richtlinien zu erlassen, damit die Grundsätze des Art. 86 Abs. 1 EG verwirklicht werden können. Von dieser Ermächtigung hat die ĺKommission bislang insbesondere im Telekommunikationssektor und im Bereich der Transparenz der finanziellen Beziehungen der Mitgliedstaaten zu öffentlichen Unternehmen Gebrauch gemacht (ĺ„Transparenzrichtlinie“). (jpt) §§: 86 EG; § 130 GWB; RL 90/388/EWG vom 28.6. 1990 über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikation, ABl. 1990, Nr. L 192/10, zuletzt geändert durch RL 2002/77/EG vom 16.9.2002, ABl. 2002, Nr. L 249/21; RL 80/723/EWG vom 25.6.1980 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen, ABl. 1980, Nr. L 195/35, zuletzt geändert durch RL 2000/52/EG vom 26.7.2000, ABl. 2000, Nr. L 193/75 Lit.: A. Hatje, Public Private Partnership und europäisches Wettbewerbsrecht, in: Studiengesellschaft für Wirtschaft und Politik (Hrsg.), Public Private Partnership, 2003, 115 ff.; J. Schwarze, Der Staat als Adressat des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2000, 613; W. Weiß, Öffentliche Unternehmen und EGV, EuR 2000, 165
Unternehmensvereinigung associations of undertakings – association d’entreprises
Der Begriff der Unternehmensvereinigung im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EG ist ebenso wie der des ĺUnternehmens weit auszulegen. Hierunter fallen deshalb alle Organisationen, die die 904
Möglichkeit haben, auf das Marktverhalten ihrer Mitglieder Einfluss auszuüben, unabhängig von der Rechtsform der jeweiligen Vereinigung, so z.B. Vereine, Genossenschaften, offene Handelsgesellschaften oder Interessengemeinschaften. (jpt) §§: Art. 81 f. EG Lit.: V. Emmerich, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 1, Art. 81 Abs. 1, Rn. 41 f. Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-180/98 bis C-184/98 Pavlov, Slg. 2000, I-6451, Rn. 78 ff.
Unternehmerische Freiheit freedom to conduct a business – liberté d’entreprise
Ein ĺGrundrecht auf unternehmerische Freiheit wird im Rahmen des EU-Rechts und nationalen Bestimmungen und Praktiken durch die ĺGRC eingeführt. Vgl. ĺGrundrecht auf Berufsfreiheit. (ed) §§: Art. 16 GRC
Unterrichtung der Öffentlichkeit von der Zulassung eines GVO information to the public – information du public
Die ĺFreisetzungsrichtlinie verpflichtet die Kommission die Entscheidung über die Zulassung oder Ablehnung der Zulassung eines ĺProdukts aus genetisch veränderten Organismen umgehend öffentlich zugänglich zu machen. Darüber hinaus sind die ĺBewertungsberichte und die Stellungnahmen der ĺwissenschaftlichen Ausschüsse, die im Rahmen des gemeinschaftsrechtsrechtlichen Genehmigungsverfahrens eingebunden waren, zu veröffentlichen. (al) §§: Art. 25 RL 2001/18/EG, ABl. 2001, Nr. L 106/1 (ĺFreisetzungsrichtlinie) Web: http://ec.europa.eu/food/food/biotechnology/ authorisation/2001-18-ec_authorised_en.pdf
Unterschwellenbereich ĺSchwellenwert Unterwegskontrollen, technische roadside inspection, technical – contrôle (technique) routier
Hierbei handelt es sich um eine produktbezogene Harmonisierungsmaßnahme (ĺVerkehrsrecht, produktbezogene Harmonisierung). Die Bestimmungen stellen einen Teil der gemeinschaftlichen Vorschriften über Vollzug und Kontrollverfahren dar (effektive Beachtung der materiellen Sicherheitsvorschriften).
Unzuständigkeit als Nichtigkeitsgrund Die RL 96/96/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die technische Überwachung der Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger (ABl. 1997, Nr. L 46/1) verpflichtet die ĺMS zur regelmäßigen technischen Überwachung der von ihnen zugelassenen Kfz (ĺKfz, technische Überwachung). In Ergänzung dazu sieht die RL 2000/30/EG technischen Unterwegskontrolle von Nutzfahrzeugen, die in der Gemeinschaft am Straßenverkehr teilnehmen vor (ABl. 2000, Nr. L 203/ 1). Unter technische Unterwegskontrollen sind nicht vorangekündigte Kontrollen auf dem öffentlichen Straßennetz im Interesse der Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes zu verstehen. Im Gegensatz zu der RL 96/96/EG ist der Anwendungsbereich der RL 2000/30/ EG auf Nutzfahrzeuge, d.h. Fahrzeuge der Kategorien 1 bis 3 des Anhangs I der RL 96/96/ EG beschränkt (Kraftomnibusse mit mehr als 9 Sitzplätzen inklusive Fahrer und Güterkraftfahrzeuge mit Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t sowie deren Anhänger). Die MS werden zur Durchführung technischer Unterwegskontrollen in ausreichender Frequenz (ohne Diskriminierung oder übermäßige Belastung der betroffenen Verkehrsteilnehmer) verpflichtet. In erster Linie sind dafür wohl das Ausmaß, der Zeitpunkt und der Ort der Kontrolle relevant. Aufgrund dieser Flexibilität dürfte der Nachweis dass der von der RL vorgegebene Mindeststandard unterschritten wurde, schwierig sein. Gegenstand der Kontrolle ist der Wartungszustand der Fahrzeuge. Der Umfang der Kontrolle ist einzelfallabhängig und kann in einer Sichtkontrolle des Wartungszustandes ebenso wie in der Prüfung eines kürzlich erstellten, im Anschluss an eine technische Unterwegskontrolle anzufertigenden Bericht oder anderer Bescheinigungen für den Wartungszustand bestehen. Die von der RL 2000/30/EG erfassten Fahrzeuge können vor Ort auf Wartungsmängel hin untersucht werden. Werden Wartungsmängel festgestellt, die möglicherweise auf das Bestehen eines Sicherheitsrisikos hinweisen, sind die betroffenen Fahrzeuge in einer vom MS zu bezeichnenden Prüfstelle einer eingehenderen Untersuchung zu unterziehen (Bezugspunkt: RL 96/96/EG). Bei bedeutenden Sicherheitsrisiken müssen die zuständigen Behörden befugt sein, bis zur Mängelbeseitigung die vorübergehende Stilllegung des Fahrzeugs zu verfügen. Es hat eine Unterrichtung des Zulassungsstaates zu erfolgen, damit
dieser notwendige Maßnahmen veranlassen kann. (sm) Unversehrtheit, körperliche right to integrity of a person – droit à l’intégrité de la personne
Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Der grundrechtliche Schutz der körperlichen und geistigen Integrität des Menschen ist Teil des Gemeinschaftsrechts und der ĺGRC (Art. 3 bzw. Art. II-63 EVV). Im Vergleich zur ĺEMRK sind dies neue Grundrechtsgarantien medizinrechtlichen Inhalts. Vorbild waren neben der Rsp. des EuGH insb. die ĺBiomedizinkonvention samt ZP sowie Art. 7 Abs. 1 lit. g des Statuts des IGH. Die allgemeine Schrankenregel der GRC (Art. 52/ Art. II-112 EVV) ist durch Art. 3 GRC/II-63 EVV Abs. 2 begrenzt (Schranken-Schranke). Dieser enthält folgende absolute Verbote bzw. Grundsätze für biomedizinische Eingriffe: ƒ ein Einwilligungserfordernis in (Heil-)Eingriffe („informed consent“); ƒ ein ĺEugenikverbot (mangels Grundrechtadressaten nicht durch Private, sd. unter hoheitlicher Verantwortung), ƒ ein Gewinnerzielungsverbot mit dem menschlichen Körper als solchem, was ein ĺOrganhandelsverbot inkludiert, ƒ ein Verbot des reproduktiven ĺKlonens. Die Garantien des Art. 3 GRC sind nicht nur abwehrrechtlich, sd. als auf Schutz und Leistung ausgerichtete Handlungsaufträge zu lesen. Sonst ergäben die Garantien aufgrund der grundrechtlichen Bindungswirkung (nur EU und Staaten als unmittelbar Verpflichtete) keinen Sinn. (ed) Lit.: M. Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 3, 118; R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, 2006, 374 ff.; H. D. Jarass, EUGrundrechte, 2005, § 9; E. Dujmovits, Die Grundrechtscharta und das Medizinrecht, RdM 2001, 72
Unzuständigkeit als Nichtigkeitsgrund lack of competence as ground for annulment – incompétence comme moyen d’annulation
Nichtigkeitsgrund nach Art. 230 Abs. 2 EG, der von Amts wegen zu prüfen ist (ĺNichtigkeitsgründe). Erfasst werden, die äußere Unzuständigkeit (fehlende Verbandskompetenz der EG im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten oder der EU, Art. 5 EG), die innere Unzuständigkeit (fehlende Organkompetenz des handelnden Organs, Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EG), die sachliche 905
Urheberrecht, europäisches Unzuständigkeit (Gebrauch einer unzulässigen Handlungsform, z.B. Erlass einer Verordnung, obwohl in Ermächtigungsgrundlage nur Richtlinien zugelassen sind) und die räumliche Unzuständigkeit (Verletzung des räumliche Anwendungsbereichs des EG-Vertrages). Für die ĺNichtigkeitsklage nach Art. 35 Abs. 6 EU gelten diese Ausführungen entsprechend. Insbesondere sind Eingriffe der EU in Kompetenzen der EG als Verletzung der äußeren Zuständigkeit der EU anzusehen (EuGH, Rs. C-176/03 Kommission/Rat, Slg. 2005, I-7879, Rn. 53). (mk) §§: Art. 230 Abs. 2 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 544 f.
Urheberrecht, europäisches European copyright law – droit d’auteur Européen
Zwar gibt es kein einheitliches europäisches Urheberrechtssystem. Dennoch hat das Gemeinschaftsrecht das nationale Urheberrecht bereits in vielerlei Hinsicht geformt, und zwar einerseits durch Entscheidungen des EuGH, die sich mit Konflikten zwischen nationalen urheberrechtlichen Regelungen und Gemeinschaftsrecht (insbesondere Grundfreiheiten und Wettbewerbsrecht) beschäftigen und anderseits durch Richtlinien, die bestimmte Teilbereiche des Urheberrechts harmonisieren. Die Urheberrechtsharmonisierung ist Teil der Maßnahmen zur Herstellung des Binnenmarktes und stützt sich daher regelmäßig auf Art. 95 EG. Ihr Zweck besteht primär darin, Hindernisse für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr zu beseitigen. Konkret wurden die folgenden RL erlassen: ƒ ĺComputerprogrammRL ƒ ĺVermiet- und VerleihRL ƒ ĺKabel- und SatellitenRL ƒ ĺSchutzdauerRL ƒ ĺDatenbankRL ƒ ĺInformationsgesellschaftRL ƒ ĺFolgerechtRL ƒ ĺDurchsetzungsRL Darüber hinaus wurde eine VO zur Bekämpfung der ĺProduktpiraterie erlassen (vgl. ĺProduktpiraterieverordnung). Von den einschlägigen Entscheidungen des EuGH sind insbesondere zu erwähnen: ƒ ĺPhil Collins (betrifft: ĺDiskriminierungsverbot) ƒ ĺPolydor (betrifft: ĺWarenverkehrsfreiheit; ĺErschöpfungsgrundsatz) ƒ ĺWarner Bros (betrifft: ĺWarenverkehrsfreiheit; ĺErschöpfungsgrundsatz) 906
ĺMetronome (betrifft: ĺWarenverkehrsfreiheit; ĺErschöpfungsgrundsatz; ĺVermietund VerleihRL) ƒ ĺCoditel I (betrifft: ĺDienstleistungsfreiheit; ĺErschöpfungsgrundsatz; ĺKabelweiterverbreitung) ƒ ĺEmi Electrola (betrifft: ĺWarenverkehrsfreiheit; ĺSchutzdauer). (js) ƒ
Lit.: M. M. Walter (Hrsg.), Europäisches Urheberrecht. Kommentar, 2001
Ursprungsbezeichnung, lebensmittelrechtliche designation of origin – appellations d’origine
Die VO (EG) 510/2006 gewährleistet in Anlehnung an die im romanischen Rechtskreis übliche Differenzierung zwischen Ursprungsbezeichnungen und geographischen Angaben einen Formalschutz für Produkte aus bestimmten Gebieten. Mittelbare Herkunftsangaben erfasst Art. 3 der VO (EG) 510/2006 hingegen nur dann, wenn es sich um bestimmte traditionelle Bezeichnungen handelt. Ist der Anwendungsbereich der VO (EG) 510/2006 eröffnet, so kann ein Produkt in das bei der Kommission geführte „Verzeichnis der geschützten Ursprungsbezeichnungen und der geschützten geographischen Angaben“ eingetragen werden. Mit Eintragung ist es berechtigt die Bezeichnung „g.U.“ (ĺgeschützte Ursprungsbezeichnung) bzw. „g.g.A.“ (ĺgeschützte geographische Angabe) oder eine entsprechende traditionelle Bezeichnung zu führen. Es genießt nach Art. 13 VO (EG) 510/2006 umfassenden gemeinschaftsweiten Schutz gegen eine widerrechtliche Verwendung. Nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen hingegen Weine und Spirituosen. Diese unterliegen gesonderten Vorschriften des ĺWeinrechts, die ein höheres Schutzniveau aufweisen. (mkr) §§: VO (EG) 510/2006 Lit.: M. Kraus, Great Spirit, No Glory? – Probleme des neuen europäischen Lebensmittelrechts, EWS 2005, 498 ff.; S. Leible, Schutz geographischer Herkunftsangaben, in: R. Streinz (Hrsg.), LebensmittelrechtsHandbuch, 27. Lfg. 2007, III.F.6; W. Zipfel/K. Rathke (Hrsg.), Lebensmittelrecht, Bd. III, C.135
Ursprungslandprinzip Principe du pays d’origine/Principe du pays d’acquisition
Das Ursprungslandprinzip gilt im Zusammenhang mit dem privaten innergemeinschaftlichen Reiseverkehr. Im Gegensatz zum ĺBestimmungslandprinzip werden Lieferungen von Waren an Letztverbraucher in dem Mitgliedstaat besteuert, in
UVP-Richtlinie dem sie erworben (abgeholt) werden. Gleiches gilt für ĺinnergemeinschaftliche Lieferungen an private Abnehmer, die durch Versendung oder Beförderung erfüllt werden, wenn der Gesamtwert der vom jeweiligen Unternehmer an solche Abnehmer versandten oder beförderten Waren im laufenden und vorangegangenen Kalenderjahr bestimmte Schwellen je EU-Mitgliedstaat (s. ĺLieferschwelle) nicht übersteigt. (pu) Ursprungsprinzip principle of rectification of pollution at source – principe de correction à la source (de la pollution environnementale)
Es handelt sich dabei um ein ĺPrinzip der Umweltpolitik. Es besagt, dass Umweltbeeinträchtigungen („vorrangig“, Art. 174 Abs. 2 UAbs. 1 EG) an ihrem Ursprung bzw. ihrer Quelle zu bekämpfen sind. Dadurch wird verdeutlicht, dass letztlich der Mensch Ursprung aller Umweltbeeinträchtigungen ist und Maßnahmen an dem am weitesten vorgelagerten Punkt einer Kausalkette anzusetzen haben. Damit ist ein zeitliches Moment angesprochen; eine Beschränkung auf ein rein räumliches Moment, wie es zum Teil vertreten wird, ist durch den Wortlaut nicht veranlasst. Ein wichtiges Instrument zu seiner Umsetzung ist das ĺ„cradle to grave“-Prinzip. Aus dem Ursprungsprinzip folgt, dass die Emissionsverhinderung Vorrang vor der Immissionsbekämpfung und der Festsetzung von Umweltstandards hat. Unter Berufung auf dieses Prinzip hat der ĺEuGH eine dem freien Verkehr der Ware Abfall grundsätzlich entge-
genstehende Regelung der wallonischen Regionalverwaltung für zulässig gehalten, nach welcher die Beseitigung von Abfällen aus anderen Mitgliedstaaten und Regionen in Wallonien verboten ist. (sm) Rsp.: EuGH, Rs. C-2/90 Kommission/Königreich Belgien, Slg. 1992, I-4431
Ursprungszeugnisse (freier Warenverkehr) originating products (free movement of goods) – produits originaires (libre circulation des marchandises)
Wird bei der ĺEinfuhr von ĺWaren ein Ursprungsnachweis verlangt, so kann dies eine ĺMaßnahme gleicher Wirkung darstellen (s.a. ĺBescheinigung). Ein Verstoß gegen Art. 28 EG liegt aber dann nicht vor, wenn es sich um eine Ware handelt, die unter die gemeinschaftlichen Überwachungs- und Schutzmaßnahmen fällt. Gelten für Waren handelspolitische Maßnahmen, sind die ĺMitgliedstaaten berechtigt vom Importeur Angaben zum Warenursprung zu verlangen. Der Importeur hat aber nur solche Angaben zu machen, wie er sie kennt oder vernünftigerweise kennen kann (s.a. ĺHerkunftsangabe). (güh) Lit.: P. Müller-Graf, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 86
Urteilsfreizügigkeit ĺAnerkennung ausländischer Entscheidungen UVP-Richtlinie ĺUmweltverträglichkeitsprüfung
907
V Van Binsbergen-Entscheidung Van Binsbergen case – jurisprudence Van Binsbergen
In der Rs. van Binsbergen stellte der ĺEuGH zunächst die unmittelbare Anwendbarkeit der Bestimmungen über die ĺDienstleistungsfreiheit fest. Gegenstand des Verfahrens war das einen niederländischen Anwalt treffende Verbot, nach seiner Wohnsitzverlegung in einen anderen MS weiterhin vor niederländischen Gerichten als Prozessbevollmächtigter aufzutreten. Der EuGH beantwortete im Sinne des ĺBeschränkungsverbots des freien Dienstleistungsverkehrs die Vorlagefrage dahingehend, dass nationale Rechtsvorschriften die Erbringung von Dienstleistungen nur dann durch das Erfordernis eines ständigen Aufenthalts beschränken dürfen, wenn die anwendbaren nationalen Vorschriften die Erbringung dieser Dienstleistung von keiner besonderen Voraussetzung, die sich aus der Anwendung durch das Allgemeininteresse gerechtfertigter Berufsregeln ergeben, abhängig machen. Es soll verhindert werden, dass sich der einzelne durch die Verlegung des Wohnsitzes dem Zugriff dieser Regelungen entziehen kann. Zu Fragen der Anerkennung von ĺQualifikationsnachweisen für Rechtsanwälte vgl. auch die Entscheidungen des EuGH in den Rs. ĺVlassopoulou, ĺGebhard und ĺMorgenbesser. (sh) §§: Art. 49, 50 EG Rsp.: EuGH, Rs. 33/74 van Binsbergen, Slg. 1974, 1299
Van Gend & Loos-Entscheidung
meinschaftsrechts sind von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängig: es gilt in diesen vielmehr ohne einen speziellen nationalen Rechtsanwendungsbefehl. (he) Web: http://curia.europa.eu/
Variante variant – variante
Eine Variante (in der österr. Terminologie: Alternativangebot) im Sinn des ĺVergaberechts ist ein ĺAngebot eines ĺBieters, mit dem dieser die Erbringung einer – von der ĺAusschreibung in bestimmten Punkten abweichenden – Leistung vorschlägt, durch die der vom ĺAuftraggeber festgelegte Verwendungszweck ebenfalls erreicht wird. Eine Variante ist nur zulässig, wenn sie vom Auftraggeber ausdrücklich zugelassen wurde. Darüber hinaus können Varianten nur dann zugelassen werden, wenn der ĺZuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erteilt wird (und somit nicht allein der niedrigste Preis maßgeblich ist). Eine Variante muss jedenfalls die vom Auftraggeber verlangten Mindestanforderungen an die Leistung erfüllen. (cm) §§: Art. 24 VergabeRL Lit.: M. Rusam, in: W. Heiermann/R. Riedl/M. Rusam (Hrsg.), Handkommentar zur VOB, 2003, A § 21 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Vatikan ĺZwergstaaten, Abkommen
Van Gend & Loos case – jurisprudence Van Gend & Loos
Bei diesem Urteil des EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1, handelt es sich um die Leitentscheidung zur Frage der ĺautonomen Geltung des Gemeinschaftsrechts. Die besondere Qualität des Gemeinschaftsrechts liegt nach dieser Rechtsprechung in seiner Abkoppelung von bloßem völkerrechtlichen Vertragsrecht. Die Rechtssubjekte des Gemeinschaftsrechts sind nicht mehr nur die Vertragsstaaten, sondern auch die einzelnen Bürger. Auch die Wirkungen des Ge908
Verantwortlicher für die Datenverarbeitung controller – responsable du traitement des données à caractère personnel
Verantwortlicher für die Datenverarbeitung ist jede (natürliche oder juristische) Person, Behörde, Einrichtung oder jede andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Die Festlegung der Verantwortlichkeit ist für das ĺDa-
Verbindungsrichter/-staatsanwälte tenschutzrecht im Allgemeinen und die ĺDatenschutzrichtlinie im Besondern von Bedeutung. Den Verantwortlichen treffen die meisten datenschutzrechtlichen Verpflichtungen, wie etwa die ĺInformationspflicht, die Datensicherungspflicht (ĺSicherheit der Datenverarbeitung) oder die Auskunftspflicht (ĺAuskunftsrecht). Zu unterscheiden ist der Verantwortliche für die Datenverarbeitung vom ĺAuftragsverarbeiter. (al) §§: Art. 2 lit. d RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 112; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 79
Verarbeitung von Daten processing of personal data – traitement de données à caractère personnel
Jeder Vorgang im Zusammenhang mit ĺpersonenbezogenen Daten wird als Verarbeitung von Daten verstanden, unabhängig davon ob dabei automatisierte Verfahren (ĺautomatisierte Datenverarbeitung) wie etwa bei der elektronischen Datenverarbeitung zum Einsatz kommen oder nicht. Dies kann etwa das Erheben, das Speichern, die Organisation, die Aufbewahrung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Benutzung, die Weitergabe durch Übermittlung, Verbreitung oder jede andere Form der Bereitstellung, die Kombination oder die Verknüpfung sowie das Sperren, Löschen oder Vernichten sein. Der Begriff ist bewusst sehr weit gefasst um möglichst jeden Umgang mit Daten unter das Schutzregime der ĺDatenschutzrichtlinie zu stellen. Die automatisierte Verarbeitung von Daten ist nur unter den in den Art. 6 ff. der Datenschutzrichtlinie festgelegten Voraussetzungen zulässig. Sind keine ĺsensitiven Daten betroffen ist eine Verarbeitung nur rechtmäßig, wenn eine der folgenden Voraussetzungen vorliegt: ƒ Einwilligung des Betroffenen; ƒ die Verarbeitung ist erforderlich für die Erfüllung eines Vertrags, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder für die Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen, die auf Antrag der betroffenen Person erfolgen; ƒ die Verarbeitung ist für die Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der für die Verarbeitung Verantwortliche unterliegt; ƒ die Verarbeitung ist erforderlich für die Wahrung lebenswichtiger Interessen der betroffenen Person;
ƒ
die Verarbeitung ist erforderlich für die Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt und dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder dem Dritten, dem die Daten übermittelt werden, übertragen wurde; ƒ die Verarbeitung ist erforderlich zur Verwirklichung des berechtigten Interesses eines Dritten. (al) §§: Art. 2 lit. b und Art. 6 ff. RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999
Verarbeitungsverbote, -gebote, -beschränkungen (freier Warenverkehr) ĺVerwendungsverbote, -gebote, -beschränkungen Verbandsklage ĺVerbraucherschutz, kollektiver Verbindungsbeamte, Europol Liaison officers, Europol – Officiers de liaison, Europol
Die von der nationalen ĺVerbindungsstelle entsandten Verbindungsbeamten vertreten zum einen die Interessen der Mitgliedstaaten bei ĺEuropol und unterstützen den Informationsaustausch zwischen Europol und den Mitgliedstaaten (Art. 5 ĺEuropol-Übereinkommen). Überdies unterstützen und koordinieren die Verbindungsbeamten den Austausch von Informationen der nationalen Stellen. Europol stellt den Mitgliedstaaten für die Tätigkeit der jeweiligen Verbindungsbeamten die notwendigen Räume im Europol-Gebäude unentgeltlich zur Verfügung. (kl) §§: Art. 5 ĺEuropol-Übereinkommen
Verbindungsrichter/-staatsanwälte liaison magistrates – Magistrats de liaison
Die Gemeinsame Maßnahme 96/277/JI des Rates vom 22.4.1996 bietet einen Rahmen für den Austausch von Verbindungsrichtern/-staatsanwälten zur Verbesserung der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im straf- und gegebenenfalls ziviljustiziellen Bereich. Durch den Austausch sollen der direkte Kontakt und der Informationsaustausch sichergestellt und damit die Kenntnis der jeweiligen Rechtsordnungen gefördert werden. Verbindungsrichter und -staats909
Verbindungsstelle, Europol anwälte können in das 1998 gegründete ĺEuropäische Justizielle Netz eingebunden sein. (sts) §§: Gemeinsame Maßnahme 96/277/JI vom 22.4. 1996, vom Rat aufgrund von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen, betreffend den Rahmen für den Austausch von Verbindungsrichtern/-staatsanwälten zur Verbesserung der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. 1996, Nr. L 105/1
Verbindungsstelle, Europol liaison body, Europol – organe de liaison, Europol
Die Verbindungsstelle wurde im Rahmen der Kooperation der Mitgliedstaaten mit ĺEuropol errichtet. Diese wird von jeden Mitgliedstaat gem. Art. 4 ĺEuropol-Übereinkommen eine nationale Verbindungsstelle, die mit der Wahrnehmung der in diesem Artikel aufgezählten Aufgaben betraut wird. Die nationale Stelle ist grundsätzlich die einzige Verbindungsstelle zwischen Europol und den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten können aber darüber hinaus direkte Kontakte zwischen bezeichneten zuständigen Behörden und Europol nach Maßgabe der von dem betreffenden Mitgliedstaat festgelegten Bedingungen zulassen. Die nationale Stelle erhält zeitgleich von Europol alle im Verlauf direkter Kontakte zwischen Europol und den bezeichneten zuständigen Behörden ausgetauschten Informationen. Die nationale Verbindungsstelle entsendet ihrerseits wiederum mindestens einen ĺVerbindungsbeamten zu Europol. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich ist das Bundeskriminalamt die nationale Verbindungsstelle. Mit Ende 2007 wurden überdies Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn Teil des Schengen-Raums. (kl) §§: Art. 4 ĺEuropol-Übereinkommen i.d.g.F.
Verbleiberecht right to remain – droit de demeurer sur le territoire
Gem. Art. 39 Abs. 3 lit. d EG umfasst die Arbeitnehmerfreizügigkeit das Recht, „nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission in Durchführungsverordnungen festlegt.“ Näher ausgestaltet wurde dieses zunächst in der VO (EWG) 1251/70 der Kommission vom 29.6.1970 über das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verbleiben. Eine vergleichbare Regelung für Selbstständige enthielt die RL 910
75/34/EWG. Angesichts der Einführung des Rechts auf Daueraufenthalt (ĺRecht auf Daueraufenthalt) mit der neuen ĺFreizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG erschien die Fortgeltung der VO (EWG) 1251/70 entbehrlich, weshalb sie mit der VO (EG) 635/2006 der Kommission vom 25.4.2006 (ABl. 2006, Nr. L 112/9) zum 30.4.2006 aufgehoben wurde; die RL 75/ 34/EWG war ohnehin schon durch die RL 2004/38/EG aufgehoben worden. Aus dem Erwerbsleben ausgeschiedene Personen können das Daueraufenthaltsrecht unter erleichterten Voraussetzungen erwerben (dazu im Einzelnen Art. 17 RL 2004/38/EG), die im Wesentlichen der bisherigen Regelung des Verbleiberechts (VO [EWG] 1251/70, RL 75/34/EG) entsprechen. (fw) §§: RL 2004/38/EG, ABl. 2004, Nr. L 229/35 Lit.: F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Verbot der Doppelbestrafung, grundrechtliches ĺNe bis in idem Verbot des Inverkehrbringens von importierten Waren vor dem Hintergrund des freien Warenverkehrs ĺAbsolute Absatzverbote (freier Warenverkehr) Verbot rückwirkender Strafbestimmungen nullum crimen nulla poena sine lege – nullum crimen nulla poena sine lege
Als Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze vom ĺEuGH anerkanntes ĺGemeinschaftsgrundrecht. Keine Tat darf mit Strafe bedroht sein, die nicht schon im Zeitpunkt ihrer Begehung mit Strafe bedroht war. Erfließt aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen (ĺ„nulla poena sine lege“). (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 7 ĺEMRK als Gemeinschaftsgrundrecht; Art. 49ĺGRC/Art. II-109 EVV Rsp.: EuGH, Rs. 63/83 Regina/Kent Kirk, Slg. 1984, 2689; EuGH 3.5.2007, Rs. C-303/05 Advocaten voor de Wereld VZW, Rn. 46
Verbot unmenschlicher Behandlung oder Strafe prohibition of inhuman or degrading treatment or punishment – interdiction de peines ou traitements inhumains ou dégradants
Europäisches ĺGrundrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz, spätestens mit Inkrafttreten
Verbraucherbegriff, europäischer der ĺGRC (Art. 4/Art. II-64 EVV). Regelungsvorbild ist Art. 3 ĺEMRK. Verboten sind unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen, dazu zählt insb. Folter, und ebensolche Strafen. Einschränkungen des Grundrechts sind nicht zulässig; es gilt absolut. Die Praxisrelevanz dieses Grundrechts im Europarecht ist gering. (ed) §§: Art. 4 GRC/Art. II-64 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 10; M. Borowsky, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 4
Verbot von Sklaverei und Zwangsarbeit prohibition of slavery and forced labour – interdiction de l’esclavage et du travail forcé
Ein ĺGemeinschaftsgrundrecht verbietet Sklaverei, Leibeigenschaft, Zwangs- oder Pflichtarbeit und Menschenhandel und beinhaltet grundrechtlichen Schutz vor Sklaverei und Zwangsarbeit für jedermann (Art. 5/II-65 ĺGRC; Art. 4 ĺEMRK als ĺGemeinschaftsgrundrecht); mangels ĺDrittwirkung leider nicht vor. Die in Art. 4 Abs. 3 EMRK genannten Tätigkeiten (im Wesentlichen die von rechtmäßig Gefangenen oder bedingt Entlassenen; Militäroder Ersatzdienste; Notstands- und Katastrophendienste sowie übliche Bürgerpflichten) sind keine Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne der Bestimmung. (ed) §§: Art. 5 GRC/Art. II-65 EVV; Art. 4 EMRK als Gemeinschaftsgrundrecht
Staates maßgebend ist, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 5 Abs. 3 leg cit). Für beide Anordnungen ist allerdings Voraussetzung, dass der Vertragsabschluss sich als Folge der Werbe- oder Vertriebstätigkeit des Unternehmers im Verbraucherstaat zeigt, denn rechtfertigt gerade dieser Umstand die Anwendung des für den Unternehmer fremden Rechts, während der aktive Verbraucher, der den Geschäftskontakt zum ausländischen Anbieter eigeninitiativ anbahnt, nicht geschützt wird. Ihm wird zugemutet, sich über die fremde Rechtsordnung ausreichend informieren zu können. Art. 5 Abs. 2 leg cit kennt dabei drei mögliche Varianten. Entweder geht dem Vertragsschluss ein ausdrückliches Angebot oder eine Werbung im Verbraucherstaat voraus, in dem der Verbraucher auch die nötige Vertragsabschlusshandlung vornimmt oder die Bestellung wird vom Unternehmer oder einem Vertreter in diesem Staat entgegengenommen. Der letzte Fall betrifft die sog. Kaffeefahrten. Anwendung findet Art. 5 leg cit auf Verträge über die Lieferung beweglicher Sachen, auf die Erbringung von Dienstleistungen sowie auf Verträge zur Finanzierung solcher Geschäfte. In Art. 5 Abs. 4 leg cit werden gewisse Vertragstypen von der Regelung ausgenommen. (pa) §§: Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrech, 2005; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Verbraucher, passiver passive consumer – consommateur passif
Verbraucherbegriff, europäischer
Das „Bild“ des passiven Verbrauchers stammt aus Art. 5 des ĺÜbereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 (Römer Übereinkommen, EVÜ). Dieser Artikel schützt den Verbraucher einerseits davor, dass der Unternehmer ob des Macht- und Informationsgefälles eine für ihn günstige Rechtsordnung durch Rechtswahl in den Vertrag aufnimmt, indem er sie einer Kontrolle im Rahmen des ĺGünstigkeitsprinzips unterzieht. Andererseits trägt Art. 5 leg cit Sorge, dass für den Vertrag entgegen dem mangels Rechtswahl zur Anwendung gelangenden Prinzip der charakteristischen Leistung des Art. 4 Abs. 2 leg cit, aus dem regelmäßig das Recht des Staates der Unternehmensniederlassung als anwendbares materielles Recht folgen würde, das Recht jenes
european term of consumer – notion européenne de consommateur
Der Verbraucherbegriff wird im Gemeinschaftsrecht nicht einheitlich geregelt, vielmehr wird er im jeweiligen Kontext definiert. Mitunter wird zudem nicht einmal von Verbraucher sondern etwa von Erwerber, wie in der ĺTimesharingRL, gesprochen. Dennoch lassen sich die verschiedenen Definitionen des Verbrauchers in den ĺreinen VerbraucherschutzRL auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Der Verbraucher ist demnach eine natürliche Person, deren abgeschlossene Verträge nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Der Verbraucher wird damit rollenbezogen definiert. Auf der einen Seite steht der Unternehmer, der einer selbstständigen Erwerbstätigkeit am Markt nachgeht, 911
Verbrauchergerichtsstand auf der anderen Seite der Verbraucher, der eine private Tätigkeit verfolgt. Juristische Personen gelten auch bei ideeller Zweckverfolgung nicht als Verbraucher (EuGH 22.11.2001, verb. Rs. C-541-542/99 Cape Snc, Slg. 2001, I-9049). Zu beachten ist, dass der Verbraucherbegriff etwa in der ĺPauschalreiseRL in einem sehr untechnischen Sinne verstanden wird und auch den Unternehmer umfasst. Bei Vorbereitungs- oder Gründungsgeschäften muss die Verbrauchereigenschaft in Anlehnung an eine zum ĺVerbrauchergerichtsstand der Art. 13 ff. EuGVÜ (nunmehr Art. 15 ff. EuGVVO) ergangene Entscheidung (EuGH 3.7.1997, Rs. C-269/95 Benincasa, Slg. 1997, I-3767) verneint werden. Die Frage nach der Verbrauchereigenschaft bei Unternehmensbeendigung hat der EuGH (ĺEuGH und EuG I) in einer Entscheidung zur ĺHaustürgeschäftsRL (EuGH 14.3. 1991, Rs. C-361/89 di Pinto, Slg. 1991, I-1189) verneint. In einer weiteren Entscheidung zum Verbrauchergerichtsstand der Art. 13 ff. EuGVÜ (EuGH 19.1.1993, Rs. C-89/91 Shearson Lehmann Hutton, Slg. 1993, I-139) vertritt der EuGH die Auffassung, dass im Falle einer Abtretung von Verbraucherrechten an einen NichtVerbraucher sich dieser nicht auf die speziellen Zuständigkeitsvorschriften der Art. 13 ff. EuGVÜ berufen kann. (pa) §§: Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen; VO (EG) 44/2001 vom 22.12.2000, ABl. 2001, Nr. L 12/01 Lit.: W. Berg, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 153 EG; B. Lurger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 153 EG; N. Reich/H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; H. Grub, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 153 EG; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Verbrauchergerichtsstand jurisdiction over consumer contracts – compétence en matière des contrats conclus par les consommateurs
Der Verbraucherschutz ist schon seit den 80er Jahren einer der Politikbereiche, in dem die EG besonders aktiv ist. Das Bemühen den als schutzbedürftig angesehenen Verbraucher vor den Gefahren des Binnenmarktes zu schützen, hat sich in einer Vielzahl von RL und VO niedergeschlagen. Diese materiellrechtlichen Standards bedürfen aber auch der Absicherung auf dem Gebiet des ĺIPR und des Verfahrensrechts. 912
Dies beruht einerseits auf der Überlegung, dass die Rechtsverfolgung im Ausland im Verhältnis zum Streitwert für den Verbraucher häufig zu teuer und langwierig ist und den Verbraucher folglich regelmäßig davon abhalten wird, seine Rechte geltend zu machen. Andererseits soll der Verbraucher davon geschützt werden, sich im Ausland verteidigen zu müssen. Zu diesem Zweck sieht die zentrale Regelung über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen – die ĺEuGVVO – Sonderregeln für den Gerichtsstand in Verbrauchersachen vor. Die betreffenden Regelungen finden sich in Art. 15 ff. EuGVVO. Der Begriff des Verbrauchers ist dabei autonom auszulegen und umfasst Personen, die zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Weitere Voraussetzung für den besonderen Schutz ist, dass der sachliche Anwendungsbereich eröffnet ist. Er umfasst neben Teilzahlungskäufen über bewegliche Sachen, Darlehen und anderen Finanzierungskaufverträgen alle Sachverhalten, in denen der Vertragspartner des Verbrauchers seine gewerbliche Tätigkeit im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausübt oder auf diesen ausgerichtet hat, wie dies bspw. auch durch eine aktive Website der Fall ist. Durch diese Erweiterung gegenüber Art. 13 ĺEuGVÜ/ LGVÜ sind kaum noch Verbrauchersachverhalte denkbar, in denen der Anwendungsbereich der Art. 15 ff. EuGVVO nicht eröffnet wird. Die Privilegierung des Verbrauchers gegenüber den allgemeinen Regeln erfolgt einerseits dadurch, dass dem Verbraucher ein Wahlrecht eingeräumt wird, auf Grund dessen ihm neben dem allgemeinen Gerichtsstand seines Vertragspartners auch eine Klage am Heimatforum eröffnet wird. Für Klagen des Vertragspartners gegen den Verbraucher bleibt es dagegen bei der Grundregel, dass diese Klage am Wohnsitz des Verbrauchers erhoben werden muss. Andererseits ist der Verbrauchergerichtsstand halbzwingend ausgestaltet, sodass zu Lasten des Verbrauchers auch durch eine ĺGerichtsstandsvereinbarung nur unter bestimmten strengen Voraussetzungen abgewichen werden. Ein Verstoß gegen die internationale Zuständigkeit kann auch im Anerkennungsverfahren noch als ĺAnerkennungshindernis geltend gemacht werden. In den neuen VO, die auf ein Anerkennungsverfahren gänzlich verzichten, wird der Verbrau-
Verbraucherleitbild, Europäisches cherschutz dadurch verwirklicht, dass ein Europäischer Zahlungsbefehl (ĺEuMVVO) oder ein Europäischer Vollstreckungstitel (ĺEuVTVO) nur durch die Gerichte des Wohnsitzstaates des Verbrauchers ausgestellt werden darf. (mrm) §§: Art. 13 ff. EuGVÜ/LGVÜ; Art. 15 ff. EuGVVO
Verbraucherkreditrichtlinie directive for the approximation of the laws, regulations and administrative provisions of the Member States concerning consumer credit – directive relative au rapprochement des dispositions législatives, réglementaires et administratives des États membres en matière de crédit à la consommation
Ziel der VerbraucherkreditRL, einer reinen VerbraucherschutzRL (ĺVerbraucherschutzRL, reine) und ĺMindestRL, die in den Jahren 1990 und 1998 bereits zweimal novelliert wurde, ist es, die aus divergierenden, einzelstaatlichen Rechtsvorschriften im Bereich des Verbraucherkredits resultierenden Wettbewerbsverzerrungen zwischen Kreditgebern auf dem Gemeinsamen Markt zu beseitigen sowie die Möglichkeit der Verbraucher, durch einen Konditionenvergleich am Gemeinsamen Markt günstige Kredite aufzunehmen, zu erleichtern. I.S. des ĺBegründungsdreiklanges bezieht sich die Richtlinie in ihren Erwägungsgründen zudem auf die Programme der ĺEuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft für eine Politik zum Schutz und zur Unterrichtung der Verbraucher. Die RL verwendet einen weiten Kreditgeberbegriff und umschreibt den Kreditgeber als natürliche oder juristische Person, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit einen Kredit gewährt, womit nicht nur Kreditinstitute i.S.d. Bankrechts gemeint sind (Art. 1 RL). Auch der Kreditvertrag, der nach Art. 4 RL der Schriftform bedarf, wird weit definiert, und zwar als Zahlungsaufschub, Darlehen oder sonstige Finanzierungshilfe (Art. 1 RL). Als Finanzierungshilfe i.S.d. RL wird etwa ein Leasing-Vertrag angesehen, sofern die Sache oder Leistung dem Kreditnehmer endgültig zufließen soll. Die Bürgschaft subsumiert der EuGH (ĺEuGH und EuG I) allerdings nicht unter die Finanzierungshilfe (EuGH 23.3.2000, Rs. C-208/98 Berliner Kindl Brauerei, Slg. 2000, I-1741). Bei der Definition des Verbrauchers wird auf die klassische Formulierung (ĺVerbraucherbegriff) abgestellt. In Art. 2 RL werden zahlreiche Vertragstypen von der Anwendung der RL ausgenommen. Um ihr Regelungsanliegen zu erfüllen, sieht die RL einerseits Informationspflichten vor, die so-
wohl im vorvertraglichen Stadium (Art. 3 und 6 RL) als auch bei Vertragsabschluss (Art. 4 und 6 RL) und während der Vertragsdauer (Art. 6 RL) Geltung beanspruchen. Diese betreffen insbesondere den effektiven Jahreszinssatz, dessen Berechnung nach der im Anhang II zur RL dargestellten mathematischen Formel vorzunehmen ist. Andererseits verbietet die RL bestimmte vertragliche Gestaltungen, die sich für den Verbraucher besonders negativ auswirken, und zwar im Bereich der Vertragsbeendigung bei Herausverlangen der Ware (Art. 7 RL) bzw. bei vorzeitiger Erfüllung (Art. 8 RL) sowie beim ĺEinwendungserhalt und ĺEinwendungsdurchgriff gegenüber dritten Personen (Art. 911 RL). Es bestehen nunmehr bereits Bestrebungen, die VerbraucherkreditRL abermals zu novellieren (Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbraucherkreditverträge und zur Änderung der RL 93/13/EWG des Rates vom 7.10. 2005, KOM(2005) 483 endg.). (pa) §§: RL 87/102/EWG des Rates vom 22.12.1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. 1987, Nr. L 42/48; RL 90/88/EWG des Rates vom 22.2.1990 zur Änderung der RL 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. 1990, Nr. L 61/14; RL 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.1998 zur Änderung der RL 87/102/EWG zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. 1998, Nr. L 101/17 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/ H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Verbraucherleitbild, Europäisches European ideal of the consumer – référence européenne de consommateur
Das Europäische Verbraucherleitbild ist ein einheitliches, normatives Rollenbild des Verbrauchers, das diejenigen Anforderungen definiert, die an den Verbraucher und an sein Verhalten zu stellen sind. Es ist der Maßstab für die Ausgestaltung des Verbraucherschutzes und bildet mit Blick auf die inhaltliche Reichweite dieses Schutzes die Bruchlinie zwischen „Informationsmodell“ und „sozialem Modell“ (ĺVerbraucherschutzmodelle). Der EuGH (ĺEuGH und EuG I) prägte anfänglich vor allem in seiner Rsp. zur ĺWaren- und ĺDienstleistungs913
Verbraucherschutz freiheit sowie zur ĺWerberichtlinie das Bild des „verständigen“ Verbrauchers“ (EuGH 6.7. 1995, Rs. C-470/93 Mars, Slg. 1995, I-01923), zu dessen Schutz i.S.d. Verhältnismäßigkeit (ĺVerhältnismäßigkeit [Grundfreiheiten]) prinzipiell Kennzeichnungs- und Informationspflichten als ausreichend erachtet werden. Erstmal ausdrücklich hat sich der EuGH in der Entscheidung „Gut Springenheide“ (EuGH 16.7.1998, Rs. C-210/96 Gut Springenheide, Slg. 1998, I-4657) zum Verbraucherleitbild geäußert und den Verbraucher als „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“ definiert. Der durch dieses Leitbild gewonnene Schutzstandard ändert sich nicht, wenn der konkrete Verbraucher die an ihn gestellten Anforderungen nicht erfüllt. In manchen Fällen räumt der EuGH jedoch ein, dass bestimmte, besonders schutzbedürftige Gruppen von Verbrauchern dem Modellbild nicht entsprechen und passt es demgem. an (EuGH 16.5.1989, Rs. 382/87 Buet, Slg. 1989, I-1235). Durch das Abstellen auf den Durchschnittsverbraucher als Maßstab für die Beurteilung einer Geschäftspraxis in der Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 der ĺRichtlinie über unlautere Geschäftspraktiken hat der Gemeinschaftsgesetzgeber das Verbraucherleitbild nunmehr sekundärrechtlich verankert. In Erwägungsgrund 18 der RL wird der Begriff des Durchschnittsverbrauchers noch näher definiert. Demnach nimmt die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken den Durchschnittsverbraucher, der „angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist, unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren in der Auslegung des Gerichtshofs als Maßstab“. Ebenfalls gesetzlich niedergelegt wird in Art. 5 Abs. 3 RL die bisherige Rechtssprechung des EuGH, wonach in Bezug auf Verbraucher, die aufgrund bestimmter Eigenschaften wie Alter, geistiger oder körperlicher Gebrechen oder Leichtgläubigkeit besonders für eine Geschäftspraxis oder das ihr zugrunde liegende Produkt anfällig sind, sofern durch diese Praxis voraussichtlich das wirtschaftliche Verhalten nur dieser Verbraucher in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise wesentlich beeinflusst wird, sichergestellt werden muss, dass diese entsprechend geschützt werden, indem die Praxis aus der Sicht eines Durchschnittsmitglieds dieser Gruppe beurteilt wird. (pa) 914
§§: RL 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der RL 84/450/EWG des Rates, der RL 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der VO (EG) 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. 2005, Nr. L 149/22 Lit.: W. Berg, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 153 EG; B. Lurger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 153 EG; N. Reich/H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; H. Grub, in: C. Lenz/ K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 153 EG; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006
Verbraucherschutz consumer protection – protection des consommateurs
Die ĺGRC verpflichtet die Union als ĺGrundsatz (nicht als unmittelbar einklagbares ĺGrundrecht) – zur Sicherstellung eines hohen Verbraucherschutzniveaus. (ed) §§: Art. 38 GRC/Art. II-98 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 34; E. Riedel, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 38
Verbraucherschutz (freier Warenverkehr) consumer protection (free movement of goods) – protection des consommateurs (libre circulation des marchandises)
Verbraucherschutz soll den Verbraucher vor ĺIrreführung und Täuschung aufgrund der Verwendung irreführender Bezeichnungen (z.B. Gattungsbezeichnungen) schützen. Der Verbraucherschutz wird nicht im Katalog der Rechtfertigungsgründe des Art. 30 EG angeführt, wird jedoch seit der ĺCassis de DijonEntscheidung vom ĺEuGH als ĺzwingendes Erfordernis anerkannt. Vor allem bei unterschiedslos anwendbaren ĺProduktvorschriften spielt der Verbraucherschutz eine Rolle. Dem Verbraucherschutz dienende Vorschriften sind aber nur dann gerechtfertigt, wenn sie verhältnismäßig (ĺVerhältnismäßigkeitsprinzip) sind. Bei der hier durchzuführenden Verhältnismäßigkeitsprüfung geht der EuGH vom Leitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen nationalen Durchschnittsverbrauchers aus (ĺVerbraucherleitbild). So erachtete der EuGH etwa ĺVerkehrsverbote für Erzeugnisse, die nicht den nationalen Verbrauchergewohnheiten entsprechen, als unverhältnismäßig, da der angestrebte Schutzzweck (Schutz der Verbraucher vor Irreführung
Verbraucherschutz, europäischer und Täuschung) auch durch das gelindere Mittel der ĺEtikettierung erreicht werden kann (ĺInformationsprinzip). Mitgliedstaatliche Vorschriften, die den Verbraucher vor gesundheitlichen Risiken schützen sollen, fallen nicht unter den Rechtfertigungsgrund des Verbraucherschutzes. Stattdessen sind sie dem Rechtfertigungsgrund des ĺSchutzes von Leben und Gesundheit von Menschen zuzuordnnen, da sie einem anderen Schutzzweck (Gesundheitsschutz) dienen. (rp) Lit.: W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 1006 ff.; S. Leible, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 28 EGV, Rn. 36; T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28-30 EGV, Rn. 211 f.; P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 8.125 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 120/78 Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649 (ĺCassis de Dijon-Entscheidung); EuGH, Rs. C-210/96 Gut Springenheide und Tusky, Slg. 1998, I-4657, 4691
Verbraucherschutz, europäischer European consumer protection – protection européen du consommateur
Nach den ersten Bemühungen der EG auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes in den siebziger Jahren und der Etablierung des Verbraucherschutzes als ĺzwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses durch den EuGH (ĺCassis de Dijon), der als Rechtfertigungsgrund neben jenen des Art. 30 EG releviert werden kann, dauerte es bis zum ĺVertrag von Maastricht, um den Verbraucherschutz als eigene sektorielle Politik in Art. 3 lit. s EG a.F. (nunmehr Art. 3 Abs. 1 lit. t EG) im EG-Vertrag festzuschreiben. Demzufolge leistet die Gemeinschaft einen Beitrag zu Verbesserung des Verbraucherschutzes. Ebenso wurde durch den ĺVertrag von Maastricht mit Art. 129a EG a.F. eine Kompetenznorm aufgenommen, die mit dem ĺVertrag von Amsterdam zum jetzigen Art. 153 EG weiterentwickelt wurde. Der den Verbraucherschutz betreffende Aufgabenbereich der Gemeinschaft wird durch den Ziel- und Aufgabenkatalog des Art. 153 Abs. 1 EG determiniert. Als übergeordnete Ziele werden die Förderung der Verbraucherinteressen sowie die Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes („Verschlechterungsverbot“) genannt. In Verfolgung dieser Ziele leistet die Gemeinschaft einen Beitrag zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit, der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher sowie zur Förde-
rung ihres Rechts auf Information, Erziehung und Bildung von Vereinigungen zur Wahrung ihrer Interessen (ĺVerbraucherschutz, kollektiver). Dieser Aufzählung der Handlungsfelder der EG kommt bloß demonstrativer Charakter zu. Dazu erlässt die Gemeinschaft zum einen entsprechende Maßnahmen (ĺMaßnahme) gem. Art. 153 Abs. 3 lit. a EG im Rahmen der Harmonisierungskompetenz des Art. 95 EG. Die auf diesem Wege ergangenen Maßnahmen müssen neben Verbraucherschutzgesichtspunkten auch dem Binnenmarktziel i.S. einer marktbezogenen Notwendigkeit zur Rechtsvereinheitlichung dienen (ĺBegründungsdreiklang), ein bloß minimaler oder marginaler Binnenmarktbezug reicht nicht (EuGH 5.10.2000, Rs. C-376/ 98 Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419). Art. 153 Abs. 3 lit. b EG sieht zum anderen – binnenmarktunabhängige – Maßnahmen zur Unterstützung, Ergänzung und Überwachung der Politik der Mitgliedstaaten vor. Maßnahmen i.S.d. Art. 153 EG umfassen sämtliche verbindliche und unverbindliche Handlungsformen und werden vom Rat nach dem Verfahren der Mitentscheidung beschlossen. Daneben kommen spezielle Handlungsermächtigungen (etwa Art. 37 EG) sowie die Lückenschließungsklausel in Art. 308 EG als Kompetenzgrundlagen in Betracht. In der Formulierung „Beitrag“ des Art. 153 Abs. 1 EG wird die Ergänzungsfunktion der Gemeinschaftsmaßnahmen im Hinblick auf einzelstaatliche Maßnahmen verdeutlicht („Primat der Mitgliedstaaten“). Dieser grds. nachrangige Charakter der Gemeinschaftspolitik im Verhältnis zur Politik der Mitgliedstaaten sowie zur Binnenmarktregelung zeigt sich auch in den Handlungsformen des Art. 153 Abs. 3 EG. Gem. der durch den ĺVertrag von Amsterdam neu eingefügten Querschnittsklausel in Art. 153 Abs. 2 EG ist bei der Festlegung und Durchführung der anderen Gemeinschaftpolitiken und -maßnahmen den Erfordernissen des Verbraucherschutzes Rechnung zu tragen, soweit dies technisch möglich und rechtlich zumutbar ist (sog. „Optimierungsgebot“). Art. 153 Abs. 5 EG ermöglicht den Mitgliedstaaten, trotz beschlossener Maßnahmen gem. Art. 153 Abs. 3 lit. b EG strengere nationale Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen (sog. „Ausscherklausel“). In Bezug auf Maßnahmen nach Art. 153 Abs. 3 lit. a EG können restriktivere Regelungen lediglich im Rahmen des nationalen Alleinganges nach Art. 95 915
Verbraucherschutz, kollektiver Abs. 4 EG, der wesentlich enger formuliert ist, aufrechterhalten oder beschlossen werden. Darin liegt auch begründet, dass viele der auf Art. 95 EG gestützten Richtlinien sog. „Mindestschutzklauseln“ aufweisen. Strengere nationale Schutzvorschriften müssen jedenfalls mit dem EGVertrag vereinbar sein, insbesondere mit Blick auf die ĺWarenverkehrsfreiheit. Die auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes ergangenen Sekundärrechtsakte der Gemeinschaft lassen sich in vier Bereiche untergliedern. Zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher sind die produktbezogenen Regelungen für Lebensmittel, Arzneimittel, Kosmetika und technische Produkte sowie die ProduktsicherheitsRL und ĺProdukthaftungsRL zu nennen. Im Bereich der Unterrichtung und Aufklärung der Verbraucher wurden auf Gemeinschaftsebene insbesondere die ĺRichtlinie über irreführende und vergleichende Werbung, die ĺFernsehrichtlinie, die TabakwerbeRL und die ĺPreisangabenRL erlassen. Um die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher zu schützen wurde die Gemeinschaft va im Bereich des Vertrags- und Finanzrechts tätig. Hierher ressortieren etwa die ĺHaustürgeschäftsRL, die ĺVerbraucherkreditRL, die ĺPauschalreiseRL, die ĺKlauselRL, die ĺTimesharingRL, die ĺFernabsatzRL, die ĺFinanz-DienstleistungsRL, die ĺVerbrauchsgüterkaufRL, die ĺE-commerceRL und die ĺRichtlinie über unlautere Geschäftspraktiken. Um den Rechtsschutz für Verbraucher zu verbessern, hat die Gemeinschaft va die ĺUnterlassungsklagenRL sowie die ĺVerordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz verabschiedet. Auf Kommissionsebene ist für den Bereich Verbraucherschutz die Generaldirektion für Gesundheit und Verbraucherschutz zuständig. Mitte Dezember 2006 wurde vom Europäischen Parlament und vom Rat das neue Aktionsprogramm der Gemeinschaft in den Bereichen Gesundheit und Verbraucherschutz (2007–2013) beschlossen. Daraufhin legte die Kommission Mitte März 2007 die verbraucherpolitische Strategie vor (2007–2013), deren Kernelemente in der Stärkung der Verbraucher, der Verbesserung des Verbraucherwohls und im wirksamen Schutz der Verbraucher liegen. Diese wurde in der Entschließung des Rates vom 31.5.2007 zur verbraucherpolitischen Strategie der EU (2007– 2013) angenommen. (pa) §§: Art. 3 Abs. 1 lit. t EG; Art. 153 EG; Beschluss 1926/2006/EG des Europäischen Parlaments und des
916
Rates vom 18.12.2006 über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft im Bereich der Verbraucherpolitik (2007–2013); ABl. 2006, Nr. L 404/39; Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss – Verbraucherpolitische Strategie der EU (2007–2013), KOM(2007) 99 endg. vom 13.3.2007; Entschließung des Rates vom 31.5.2007 zur Verbraucherpolitischen Strategie der EU (2007–2013), ABl. 2007, Nr. C 166/1 Lit.: W. Berg, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 153 EG; B. Lurger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 153 EG; N. Reich/H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; B. Lurger/ S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; H. Grub, in: C. Lenz/ K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 153 EG; M. Schweitzer/W. Hummer/ W. Obwexer, Europarecht, 2007
Verbraucherschutz, kollektiver collective consumer protection – protection collective du consommateur
Die Notwendigkeit kollektiven Verbraucherschutzes ergibt sich aus der Unzulänglichkeit individueller Rechtsverfolgung in Verbraucherrechtsstreitigkeiten. So wird der Verbraucher insbesondere angesichts der oft niedrigen Streitsumme, der in Relation dazu hohen Prozesskosten sowie der mitunter mangelnden Kenntnis der ihm aus des Verbraucherschutzvorschriften erfließenden Rechte von der gerichtlichen Verfolgung im Individualprozess Abstand nehmen und damit dem materiell-rechtlichen Verbraucherschutz seine Effektivität nehmen. Um dies zu verhindern, normiert der für den europäischen Verbraucherschutz (ĺVerbraucherschutz, europäischer) zentrale Art. 153 Abs. 1 EG, dass die Gemeinschaft u.a. einen Beitrag zum „Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher“ sowie zur „Bildung von Vereinigungen zur Wahrung der Verbraucherinteressen“ leistet. Darunter wird einerseits die Vereinigungsfreiheit der Verbraucher verstanden, sich auch zur Verfolgung von Verbraucherinteressen zu Organisationen zusammenzuschließen, denen überdies der Schutz des Diskriminierungsverbots des Art. 12 EG (ĺDiskriminierungsverbot, Begriff) zuteil wird. Andererseits ist damit der Verbraucherschutz durch solche Verbraucherorganisationen mittels sog. „Verbandsklagen“ angesprochen, die von erwähnten Vereinigungen ohne eigenes rechtliches Interesse bzw. ohne rechtliche Beziehung zu den Verbraucherschutzbestimmungen verletzenden Unternehmen (sog. „abstrakte Anspruchs- und Klagszuständigkeit“) erhoben werden können und damit die Einhaltung
Verbraucherschutzmodelle der durch materielle Rechte gewährleisteten Schutzpositionen garantieren. Dabei steht bislang der Unterlassungsrechtsschutz („negatorischer Rechtsschutz“) im Zentrum des in Art. 153 EG primärrechtlich verankerten kollektiven Verbandsklagerechts, das durch Sekundärrechtsakte, wie etwa die ĺKlauselRL, die ĺFernabsatzRL oder die ĺRichtlinie über unlautere Geschäftspraktiken sowie insbesondere durch die ĺUnterlassungsklagenRL, eine Konkretisierung erfahren hat. Während die ersten drei ĺRichtlinien die kollektive Rechtsdurchsetzung im notwendigen Konnex zur Regelung materieller Rechtsfragen vorsehen, hat die UnterlassungsklagenRL vor allem die Sicherstellung der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Unterlassungsklagen vor Augen. Voraussetzung für eine effiziente, gemeinschaftsweite Rechtsdurchsetzung ist zudem eine funktionierende Zusammenarbeit der für den Verbraucherschutz zuständigen, nationalen Behörden. Diesem Regelungsanliegen ist das Europäische Parlament und der Rat schließlich mit dem Erlass der ĺVerordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz nachgekommen. (pa) §§: Art. 153 EG Lit.: W. Berg, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 153 EG; B. Lurger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 153 EG; B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003
Verbraucherschutzrichtlinie, reine directives on pure consumer protection – directive concernant la pure protection du consommateur
Reine VerbraucherschutzRL zeichnen sich dadurch aus, dass ihr persönlicher Anwendungsbereich lediglich natürliche Personen erfasst, deren abgeschlossene Verträge nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden können (ĺVerbraucherbegriff). (pa) Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005
Verbraucherschutzkompendium EC Consumer Law Compendium – Base de données de l’Acquis Communautaire du droit de la consommation
Finanziert durch die Europäische Kommission wird im Internet ein „EC Consumer Law Compendium“ zur Verfügung gestellt, dass Informationen über die wichtigsten Verbraucherschutzrichtlinien sowie ihre Umsetzung in den
EU-25 und hierzu ergangene Rechtsprechung in Form einer Datenbank verknüpft. Die Suchfunktion bietet die Recherche an Hand von Stichworten, Mitgliedstaaten, Rechtsprechungsorganen und Richtlinien. Durch eine rechtsvergleichende Studie und bibliographische Angaben ergänzt ist diese Datenbank ein sinnvolles Hilfsmittel, um das geltende EG-Verbraucherprivatrecht und hierzu ergangene Rechtsprechung zu erschließen. Das Forschungsprojekt steht in engem inhaltlichen und personellen Zusammenhang mit der ĺAcquis Group. (mrm) Web: http://www.eu-consumer-law.org/index.html
Verbraucherschutzmodelle models of consumer protection – modèles de protection du consommateur
Die unterschiedlichen Verbraucherschutzmodelle differieren danach, inwieweit sie das Gewicht von dem Prinzip der Privatautonomie („Prinzip der Vertragsfreiheit“) auf das Prinzip der Rücksichtnahme und Fairness verlagern. Das sog. Informationsmodell („Informationsparadigma“ oder „Grundsatz des Informationsvorranges“) vertritt einen (ordo-)liberalen Ansatz und betont den Grundsatz der Vertragsfreiheit. Insofern lässt es bloß jene Schutzinstrumente zu, die sich durch die geringste Eingriffsintensität auszeichnen. Dies sind insbesondere die dem Unternehmer auferlegten Informationspflichten. Wird der Verbraucher über alle vertragsrelevanten Umstände aufgeklärt und damit das bestehende Informationsgefälle nivelliert, wird der Rahmen für eine Entscheidungsfindung i.S. einer materialen Selbstbestimmung geschaffen. Das Informationsmodell zeigt sich insbesondere in der Rsp. des EuGH (ĺEuGH und EuG I) zu den Grundfreiheiten (ĺInformationsprinzip [freier Warenverkehr]) und in den zahlreichen Informationspflichten der ĺVerbraucherschutzRL. Die informationsbetonte Komponente des Verbraucherschutzes (ĺVerbraucherschutz, Europäischer) wird auch in Art. 153 Abs. 1 EG unterstrichen. Das sog. soziale Modell betont hingegen das Prinzip der Rücksichtnahme und Fairness und stellt es dem Prinzip der Vertragsfreiheit gleichrangig gegenüber. Es ist von der Überlegung getragen, dass es bestimmte Situationen gibt, in denen die bloße Bereitstellung von Informationen für einen entsprechenden Schutz des Verbrauchers nicht ausreicht. Diesfalls müssen 917
Verbrauchervertrag (IPR) neben Formvorschriften und Beweislastregeln insbesondere auch die Schutzinstrumente des Widerrufsrechts und des inhaltlichen Eingriffs vorgesehen werden. Insofern wird ein Lösen vom bereits geschlossenen Vertrag, d.h. ein Abgehen vom Grundsatz „pacta sunt servanda“, möglich. Widerrufsrechte finden sich etwa in der ĺHaustürgeschäftsRL, der ĺTimesharingRL oder in der ĺFernabsatzRL, inhaltliche Eingriffe enthält vor allem die ĺKlauselRL. Die Frage, in welchem Maße das Instrument der Informationsverpflichtung dem Verbraucherschutz genüge tun soll bzw. inwiefern weitergehende Eingriffe in die Vertragsfreiheit Not tun, lässt sich anhand des Verbraucherleitbildes beantworten (ĺVerbraucherleitbild, Europäisches). (pa) §§: Art. 153 EG Lit.: B. Lurger, Vertragliche Solidarität,1998; dies., Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union, 2002; dies., in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 153 EG; B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/ H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003
Verbrauchervertrag (IPR) consumer contract (PIL) – contrat conclu par des consommateurs (DIP)
Verbraucherverträge mit Auslandsbezug sind hinsichtlich der Frage des anzuwendenden Rechts in Art. 5 ĺEVÜ geregelt. Der Anwendungsbereich dieser Bestimmung beschränkt sich allerdings auf Verträge über Warenlieferungen und über die Erbringung von Dienstleistungen. Soweit der Unternehmer durch Werbung oä in den Sitzstaat des Verbrauchers hineingewirkt hat, gehen die zwingenden Verbraucherschutzbestimmungen dieses Staates dem gewählten Recht (das ist typischerweise das Heimatrecht des Unternehmers; vgl. ĺRechtswahl) vor soweit sie für den Verbraucher günstiger sind (Art. 5 Abs. 2 ĺEVÜ). Es gilt also das ĺGünstigkeitsprinzip. Im Zuge der Umwandlung des ĺEVÜ in eine Verordnung (ĺRom I) ist eine Vereinfachung der verbraucherrechtlichen Regelung geplant, die sich am europäischen Zivilprozessrecht orientiert. Neben Art. 5 EVÜ schützen auch einige RL-Bestimmungen den Verbraucher auf kollisionsrechtlicher Ebene, und zwar mittels sog. ĺEingriffsnormen (vgl. etwa Art. 7 Abs. 2 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, RL 1999/44/EG, ABl. 1999, Nr. L 171/12; Art. 9 Abs. 2 der Time918
sharingRL, RL 1994/47/EG, ABl. 1994, Nr. L 280/83; Art. 6 Abs. 2 der AGB-Richtlinie, RL 1993/13/EWG, ABl. 1993, Nr. L 95/29). (js) §§: Art. 5 EVÜ Lit.: Bericht über das EVÜ von M. Giuliano/P. Lagarde, ABl. 1980, Nr. C 282/1, Anmerkungen zu Art. 5; B. Verschraegen, in: P. Rummel (Hrsg.), ABGB Kommentar I/6, 3. Aufl. 2004, Art. 5 EVÜ Web: der in Lit. erwähnte Bericht von von M. Giuliano/P. Lagarde ist abrufbar unter: http://www.romeconvention.org
Verbrauchsgüterkaufrichtlinie directive on certain aspects of the sale of consumer goods and associated guarantees – directive sur certains aspects de la vente et des garanties des biens de consommation
Ziel der VerbrauchsgüterkaufRL, einer reinen VerbraucherschutzRL (ĺVerbraucherschutzRL, reine) und ĺMindestRL, ist es, Wettbewerbsverzerrungen zwischen Verkäufern im Binnenmarkt, die aus divergierenden, einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter resultieren, zu beseitigen und die Möglichkeit des Verbrauchers, sich grenzüberschreitend Waren zu beschaffen, zu erleichtern. I.S.d. ĺBegründungsdreiklanges verweist die RL zudem auf die Erhöhung des Verbraucherschutzes. Im Zentrum steht die zugunsten des Verbrauchers zwingende, gesetzliche Gewährleistung. In einem ersten Schritt wird in Art. 2 RL eine Vermutung über die Vertragsmäßigkeit der geschuldeten Verbrauchsgüter, bei denen es sich grds. um bewegliche körperliche Gegenstände handelt, aufgestellt, wobei auch die vom Verkäufer oder Hersteller in der Werbung oder bei der Etikettierung gemachten öffentlichen Äußerungen mit gewissen Einschränkungen beachtlich sind. Weicht die erbrachte Leistung davon ab, stehen dem Verbraucher sodann die in Art. 3 RL geregelten Gewährleistungsbehelfe offen, die auf einem zweistufigen System aufbauen. Zunächst kann der Verbraucher unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder Ersatzlieferung verlangen (sog. „primäre Gewährleistungsbehelfe“). Stellt sich dies als unmöglich oder unverhältnismäßig dar, gelangt der Verbraucher auf die zweite Stufe der Rechtsbehelfe und kann Preisminderung oder Vertragsauflösung fordern (sog. „sekundäre Gewährleistungsbehelfe“). Letzteres jedoch nur, wenn es sich nicht um eine geringfügige Vertragswidrigkeit handelt. Ebenso kann sich der Verbraucher auf die Gewährleistungsbehelfe stützen,
Verbringen wenn ein Mangel als Folge einer unrichtigen Montageanleitung auftritt (sog. „IKEA-Klausel“). Ergänzt wird diese Regelung durch eine 2-jährige Frist ab Lieferung des Verbrauchsgutes, binnen der die Vertragswidrigkeit hervorkommen muss (Art. 5 Abs. 1 RL). Zeigt sich diese binnen 6 Monaten nach Lieferung, wird widerlegbar vermutet, dass die Vertragswidrigkeit bereits bei Lieferung bestanden hat (Art. 5 Abs. 3 RL). Weitere Kernpunkte der RL sind die Regelungen über vertraglich vereinbarte Garantien (Art. 6 RL) sowie jene über die Rückgriffsrechte des Letztverkäufers gegenüber den oder die Haftenden innerhalb der Vertragskette (Art. 5 RL). Letzteres ist insofern bemerkenswert, als es nicht Verbrauchern, sondern unternehmerisch tätigen Personen Schutz bieten soll. Schließlich enthält die Richtlinie eine eigene IPR-Vorschrift, wonach der durch die VerbrauchsgüterkaufRL gewährte Schutz durch die Rechtswahl eines Drittlandes nicht gemindert werden kann, wenn der Vertrag einen engen Zusammenhang mit dem Gebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten aufweist (Art. 7 RL). (pa) §§: RL 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. 1999, Nr. L 171/12 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005; N. Reich/ H.-W. Micklitz, Europäisches Verbraucherrecht, 4. Aufl. 2003; K. Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2006; R. Welser/B. Jud, Reform des Gewährleistungsrechts, 2000
Verbrauchssteuer, Mineralöle excise duties on mineral oils – droits d’accises sur les huiles minérales
Durch zwei ĺRL, die RL 92/81/EWG zur ĺHarmonisierung der Struktur der Verbrauchssteuern auf Mineralöle und die RL 92/82/EWG zur Annäherung der Verbrauchsteuersätze für Mineralöle werden ĺVerkehrsabgaben für Treibstoff vorgesehen. Sie stellen beide Ausführungsrichtlinien zur RL 92/12/EWG über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. 1992, Nr. L 76/1) dar (Systemrichtlinie). Deren Ziel besteht in der Schaffung der notwendigen Grundlagen zur Errichtung eines gemeinschaftsweiten Verbundsystems für den steuerfreien Verkehr verbrauchsteuerpflichtiger Abgaben. In ihr ist insbesondere die Verpflichtung vorgesehen, Verbrauchsteuern im Sinne ihrer Bestimmungen zu erheben – ein gänzlicher Verzicht auf die Erhebung einer Mineralölsteuer wäre folglich nicht zulässig.
Der Anwendungsbereich der RL 92/81/EWG erfasst Mineralölerzeugnisse, soweit sie als Kraftstoff oder Heizmittel dienen sowie andere Erzeugnisse, die als Kraftstoff verwendet werden können. Eine ausdrückliche Ausnahme ist für feste Kohlenwasserstoffe und Erdgas vorgesehen. In der RL finden sich eine Reihe spezifischer, abschließend aufgeführter Steuerbefreiungs- bzw. Steuerermäßigungstatbestände, so u.a. die obligatorische Steuerbefreiung für Kerosin. Auf Grundlage eines besonderen Antragsverfahren können die ĺMS ausnahmsweise weitere Steuerbefreiungen oder -ermäßigungen durch den ĺRat genehmigen lassen, die sich „aus besonderen politischen Erwägungen“ heraus als opportun betrachten. Die Verbrauchssteuersätze für bestimmte, der Mineralölsteuer unterfallende Erzeugnisse (besonders Diesel und Benzin) werden in der RL 92/82/EWG in Form von Mindestsätzen festgelegt. (sm) §§: RL 92/81/EWG (ABl. 1992, Nr. L 316/12); RL 92/ 82/EWG (ABl. 1992, Nr. L 316/19); RL 92/12/EWG (ABl. 1992, Nr. L 76/1)
Verbrauchsteuerpflichtige Waren, steuerrechtliche Erwerb ĺErwerb von verbrauchsteuerpflichtigen Waren Verbreitungsrecht distribution right – droit de distribution
Das Verbreitungsrecht ist das ausschließliche Recht des Urhebers, die Verbreitung seines Werkes zu kontrollieren bzw. zu untersagen. Gemeinschaftsrechtliche Regelungen des Verbreitungsrechts finden sich in der ĺComputerprogrammRL (Art. 4 lit. c), der ĺVermietund VerleihRL (Art. 9), der ĺDatenbankRL (Art. 5 lit. c) sowie der ĺInformationsRL (Art. 4). Beschränkt wird das Verbreitungsrecht durch den ĺErschöpfungsgrundsatz. (js) Verbringen delivery – livraison
Einem ĺinnergemeinschaftlichen Erwerb gegen Entgelt gleichgestellt ist das „Verbringen eines Gegenstandes des Unternehmens aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in das Inland durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung“. Im Ursprungsland ist das Verbringen ein der steuerfreien ĺinnergemeinschaftlichen Lieferung gleichgestellter Vorgang. Wenngleich nach allgemeinem USt-Recht das unternehmensinterne Verbingen eines Gegen919
Verbringung, genetisch veränderte Organismen standes im Ursprungsland irrelevant ist und im Bestimmungsland der ĺEinfuhrumsatzsteuer unterliegt, gelten im Binnenmarkt die erwähnten Sonderregelungen, um Missbräuche, vor allem durch die unterschiedlichen Regelungen über den Vorsteuerabzug und die unterschiedlichen Steuersätze zu vermeiden. Der Verbingungstatbestand erfasst somit die nicht lieferungsbedingte unternehmensinterne innergemeinschaftliche Warenbewegung. Die Bemessungsgrundlage des Verbingens ist, da ein Entgelt fehlt, derjenigen des Eigenverbrauches nachgebildet; maßgebend ist somit der auf den Zeitpunkt des Umsatzes hochgerechnete Einkaufspreis, somit regelmäßig die Wiederbeschaffungskosten. Bestimmte Vereinfachungsregeln bestehen im Zusammenhang mit ĺKonsignationslager. (pu) §§: Art. 28a Abs. 5 lit. b 6. MwStRL
Verbringung, genetisch veränderte Organismen ĺGrenzüberschreitende Verbringung Verdingungsunterlagen ĺAusschreibung Verein, europäischer ĺEuropäischer Verein Vereinbarung agreement – entente
Der Begriff der Vereinbarung im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EG ist grundsätzlich weit auszulegen. Nach der Rechtsprechung des ĺEuGH kann vom Vorliegen einer Vereinbarung ausgegangen werden, wenn die beteiligten ĺUnternehmen den gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Es muss somit nicht ein förmlicher Vertrag o.ä. vorliegen, sondern es genügt, dass ein gemeinsamer Wille nachweisbar ist, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. Die Bildung des gemeinsamen Willens kann schriftlich und ausdrücklich oder aber auch formlos und stillschweigend begründet werden. Auch ein sog. Gentlemen’s Agreement kann eine Vereinbarung i.S.d. Art. 81 EG darstellen. Für die Anwendung des Art. 81 EG spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob eine ĺVereinbarung zwischen ĺUnternehmen geschlossen wird, die auf derselben Handelsstufe stehen, (sog. ĺhorizontale Vereinbarungen) oder solchen, die auf unterschied920
lichen Handelsstufen stehen (sog. ĺvertikale Vereinbarungen), wie z.B. Hersteller und Händler. (jpt) §§: Art. 81 EG Lit.: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004, § 9, Rn. 3 ff.; V. Emmerich, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 1, Art. 81 Abs. 1, Rn. 65 ff.
Vereinbarung, horizontale agreement, horizontal – entente horizontale
Als horizontale Vereinbarungen sind solche ĺVereinbarungen, ĺBeschlüsse und aufeinander ĺabgestimmte Verhaltensweisen anzusehen, die von auf derselben Marktstufe tätigen ĺUnternehmen getroffen werden. Zur Beurteilung von horizontalen Vereinbarungen gem. Art. 81 Abs. 1 EG hat die ĺKommission ĺLeitlinien erlassen. Die allgemeine Haltung gegenüber horizontalen Maßnahmen ist erkennbar restriktiver als bei ĺvertikalen Vereinbarungen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass horizontale ĺVereinbarungen i.d.R. ein weitaus höheres Beschränkungspotential aufweisen als ĺvertikale Vereinbarungen, weil sich hier i.R.d. unmittelbare Wettbewerber koordinieren. Aus diesem Grunde werden horizontale Vereinbarungen oft auch als Kernbeschränkungen oder ĺHardcore-Kartelle bezeichnet. Hierbei handelt es sich um Vereinbarungen, die etwa Märkte aufteilen oder Preise festsetzen. (jpt) §§: Art. 81 EG; Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. 2001, Nr. C 3/02 Lit.: S. Gehring, in: T. Mäger (Hrsg.), Europäisches Kartellrecht, 2006, 39 ff.
Vereinbarung, Nichtigkeit agreement, nullity – entente, nullité
Gem. Art. 81 Abs. 2 EG sind ĺVereinbarungen, die unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG fallen, nichtig. Hieraus folgt, dass sich ĺUnternehmen im Rechtsverkehr nicht auf Verträge berufen können, die gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen. Allerdings sind grundsätzlich nur die Teile eines Vertrages nichtig, die mit Art. 81 Abs. 1 EG unvereinbar sind. In Deutschland bestimmt sich diese Teilnichtigkeit nach § 139 BGB. Neben der Nichtigkeit als Folge eines Verstoßes gegen Art. 81 EG kann auch Schadensersatz verlangt werden. Rechtsgrundlage hierfür in Deutschland ist § 33 GWB. (jpt) §§: Art. 81 Abs. 2 EG
Vereinsfreiheit Lit.: K. Schmidt, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 1, Art. 81 Abs. 2, Rn. 1 ff.
Vereinbarung, vertikale agreement, vertical – entente verticale
Vertikale Vereinbarungen sind in Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO definiert als „ĺVereinbarungen, ĺBeschlüsse und ĺabgestimmte Verhaltensweisen zwischen zwei und mehr ĺUnternehmen, von denen jedes zwecks Durchführung der ĺVereinbarung auf einer unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufe tätig ist, und welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können.“ Die ĺKommission hat zur Beurteilung solcher vertikaler Vereinbarungen zudem ĺLeitlinien erlassen, in denen der Anwendungsbereich des Art. 81 EG auf vertikale Vereinbarungen und die Vorgehensweise bei der Prüfung von Einzelfällen dargestellt werden. In aller Regel fallen vertikale Vereinbarungen zwischen ĺUnternehmen, deren Anteil jeweils auf dem ĺrelevanten Markt 30 % nicht übersteigt, nicht unter das Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG; dies gilt grundsätzlich auch für vertikale Vereinbarungen zwischen kleinen und mittleren ĺUnternehmen. (jpt) §§: Art. 81 EG; VO (EG) 2790/1999 der Kommission vom 22.12.1999 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, ABl. 1999, Nr. L 336/21; Mitteilung der Kommission – Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. 2000, Nr. C 291/01 Lit.: M. Baron, in: U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 1, 2005, 474 ff.; V. Korah/D. O’Sullivan, Distribution Agreements under the EC Competition Rules, Oxford 2002
Vereinbarungen, interinstitutionelle ĺInterinstitutionelle Vereinbarungen Vereinfachte Vertragsänderung ĺVertragsänderung Vereinigung der Europäischen Ernährungsindustrie (CIAA) Confederation of the Food and Drink Industry
Die CIAA – Struktur, Ziele, Position I. Geschichte und Organisation der CIAA Die Vereinigung der Europäischen Nahrungsindustrie (CIAA) ging 1982 aus der „Commission of Food and Drink Industrie“ der UNICE hervor und stellt seit dem als unabhängige Interessenvertretung der Ernährungsindustrie für
die Institutionen der EU einen wichtigen (Gesprächs-)Partner dar. Dabei hat sich die Vereinigung insbesondere durch ihre Arbeit auf den Feldern Ernährung und Gesundheit, Lebensmittelqualität und Sicherheit, Beschriftung („labeling“), Agrarpolitik und nachhaltige Entwicklung hervorgetan. Das ständige Sekretariat der CIAA in Brüssel pflegt den Kontakt mit den europäischen Institutionen und koordiniert die Tätigkeit der Arbeitsgruppen, an denen mehr als 500 Experten beteiligt sind. Die Experten sind Mitarbeiter von Ernährungsmittelherstellern aus ganz Europa und bieten so die Gewähr für ein breit angelegtes Detailwissen, welches sich in den von den Expertengremien formulierten Positionen des CIAA widerspiegelt. Die Vereinigung setzt sich aus 25 Interessenvertretern der nationalen Lebensmittelwirtschaften (aus Deutschland der BLL, für Österreich die WKO-Die Lebensmittelindustrie), 32 europäischen Sektorenvertretern (z.B. CEREAL, CAOBISCO, Backwaren, Bier, Tiernahrung, Pasta, Zucker u.ä.) und 22 großen in der EG tätigen Lebensmittelherstellern (u.a. Kellogg’s, Ferrero) zusammen. II. Aufgaben und Ziele Die Aufgabe der Vereinigung der Europäischen Ernährungsindustrie besteht in der Vertretung der Interessen der europäischen Lebensmittelhersteller (Speisen und Getränke) auf europäischer und internationaler Ebene. Erklärtes Ziel ist es dabei, an der Gestaltung eines wirtschaftlichen Umfeldes mitzuwirken, dass es den Unternehmen der Ernährungsindustrie erlaubt vor dem Hintergrund einer sich vergrößernden EU und globalisierter Märkte nachhaltig zu wachsen. Die CIAA unterstützt deshalb die Schaffung rechtlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, die Wettbewerb, Lebensmittelqualität und -sicherheit sowie Verbraucherinformationen nachhaltig sicherstellen. Insbesondere die Steigerung des Vertrauens der Verbraucher in die Produkte der Ernährungsmittelindustrie stellt neben der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und dem reibungslosen Funktionieren des europäischen ĺBinnenmarktes einen zentralen Schwerpunkt der Tätigkeit der Vereinigung dar. (fg) Web: http://www.ciaa.be
Vereinsfreiheit freedom of association – liberté d’association
ĺGrundrecht auf Vereinsfreiheit, auch Vereinigungsfreiheit. Grundrecht auf Vereinigungs921
Vereniging voor Energie/Milieu en Water-Entscheidung und Versammlungsfreiheit ist ein vom ĺEuGH aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen anerkanntes ĺGemeinschaftsgrundrecht (vgl. Art. 11 ĺEMRK, Art. 12 ĺGRC/Art. II-72 EVV). S.a. ĺVersammlungsfreiheit. Freie und friedliche Zusammenschlüsse mehrerer Personen zu einem gemeinsamen Zweck mit einem gewissen Grad an Organisation und Dauerhaftigkeit fallen unter den Schutz. Auch die negative Vereinsfreiheit (das Recht, nicht beizutreten) ist geschützt. Die Vereinsfreiheit beinhaltet auch die Koalitionsfreiheit (Bildung von Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen), ebenso wie Art. 11 ĺEMRK. Die Bildung politischer Parteien auf europäischer Ebene ist eigens erwähnt (Art. 12 Abs. 2 ĺGRC); sie unterfallen aber sonst dem Schutz nach Abs. 1. Einschränkungen haben den Regeln des Art. 52 GRC/Art. II-112 EVV sowie des Art. 11 Abs. 2 EMRK zu folgen. Die grundrechtlich geschützte Vereinsfreiheit deckt etwa nicht die Aufstellung von Regeln, die die Freizügigkeit von Berufssportlern einschränken können, durch Sportverbände: Der EuGH erachtete die betreffenden Entschädigungsregelungen bei Spielertransfers zur Ausübung der grundrechtlichen Vereinsfreiheit für nicht unbedingt erforderlich. Grundrechtliche ĺSchutzpflichten werden angenommen. S.a. ĺVersammlungsfreiheit. (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 11 EMRK als Gemeinschaftsgrundrecht, Art. 12 GRC/Art. II-72 Abs. 1 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 17 II Rsp.: EuGH, Rs. C-415/93 ĺBosman, Slg. 1995, I-4921; EuGH, Rs. ĺSchmidberger
Vereniging voor Energie/Milieu en WaterEntscheidung Vereniging voor Energie/Milieu en Water case – jurisprudence Vereniging voor Energie/Milieu en Water
Urteil des EuGH vom 7.6.2005, C-17/03 betreffend diskriminierungsfreier Netzzugang zu Stromnetzen. Der EuGH hat eine Regelung, wonach vorrangig Netzkapazitäten einem Unternehmen zugeteilt wurden, für unzulässig erklärt, ohne nähere Prüfung historischer Umstände oder Vertragsdauern. Der EuGH spricht aus, dass nationale Maßnahmen, mit denen einem Unternehmen eine Kapazität für die grenzüberschreitende Übertragung von Elektrizität vorrangig zugeteilt wird, im Hinblick auf die ĺElektrizitätsbinnenmarktrichtlinie unabhängig davon entgegen, ob sie vom Netzbetreiber, 922
von demjenigen, der die Aufsicht über den Netzbetrieb führt, oder vom Gesetzgeber stammen. Die Frage der Reservierbarkeit von Netzkapazitäten ist nach wie vor ungeklärt. (hh) Lit.: T. Gruber, Grenzüberschreitende Stromlieferungen, 2006
Verfahren bei angemeldeten Beihilfen procedure regarding notified aid – procédure concernant les aides notifiées
Das Verfahren bei angemeldeten Beihilfen setzt sich aus dem ĺvorläufigen Prüfverfahren und dem ĺformellen Prüfverfahren zusammen. Bei angemeldeten Beihilfen ist die Kommission allerdings im Gegensatz zur Prüfung ĺrechtswidriger Beihilfen an Fristen (2 Monatsfrist im vorläufigen Prüfverfahren, 18 Monate im formellen Prüfverfahren, s. näher ĺvorläufiges Prüfverfahren, ĺformelles Prüfverfahren) gebunden. (jr) §§: Art. 88 Abs. 2 und Abs. 3 EG
Verfahren bei bestehenden Beihilferegelungen procedure regarding existing aid schemes – procédure relative aux régimes d’aides existants
Wird eine Beihilfe auf der Grundlage einer ĺbestehenden ĺBeihilferegelung gewährt, so unterliegt letztere gem. Art. 88 Abs. 1 EG der fortlaufenden Überprüfung durch die ĺKommission. Das konkrete Verfahren ist in den Art. 17 ff. der ĺVO (EG) 659/1999 geregelt. Sollte die Kommission eine bestehende Beihilferegelung für nicht mehr mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ansehen, erlässt sie eine vorläufige Stellungnahme, zu der sich der adressierte Mitgliedstaat binnen eines Monats zu äußern hat (Art. 17 VO [EG] 659/1999). Können auch die vom Mitgliedstaat übermittelten Auskünfte zu der in Frage stehenden Beihilferegelung nicht die Bedenken der Kommission beseitigen, so schlägt sie dem betroffenen Mitgliedstaat zweckdienliche Maßnahmen vor. Als zweckdienliche Maßnahmen kommen die inhaltliche Änderung der Beihilferegelung oder die Einführung von Verfahrensvorschriften oder die Abschaffung der Beihilferegelung in Betracht (Art. 18 VO [EG] 659/1999). Der Vorschlag zweckdienlicher Maßnahmen stellt eine ĺEmpfehlung ohne Bindungswirkung dar. Der Mitgliedstaat kann der Empfehlung zustimmen und sich zur Durchführung der vorgeschlagenen Maßnahmen verpflichten. Weigert er sich hingegen die vorgeschlagenen Maß-
Verfahren der Mitentscheidung (Kodezisionsverfahren) nahmen umszusetzen, eröffnet die Kommission das ĺformelle Prüfverfahren. Bis zum Vorliegen einer negativen Entscheidung der Kommission können Maßnahmen auf der Grundlage einer bestehenden Beihilferegelung rechtmäßig gewährt werden. Eine ĺRückforderung bereits erbrachter Leistungen ist vor Abschluss des Prüfverfahrens bei bestehenden Beihilferegelungen ausgeschlossen. Hingegen können Vergünstigungen, die nach einer ĺNegativsentscheidung der Kommission weiterhin gewährt werden, zurückgefordert werden. (jr) §§: Art. 88 Abs. 1, Art. 88 Abs. 2 EG Lit.: F. P. Sutter, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 63. Lfg. 2005, Art. 88 EGV, Rn. 14 ff.
Verfahren bei rechtswidrigen Beihilfen procedure regarding unlawful aid – procédure en matière des aides illégales
Die ĺKommission ist verpflichtet, sämtliche Informationen gleich welcher Herkunft über angebliche ĺrechtswidrige Beihilfen unverzüglich zu prüfen. Von vermeintlichen Beihilfen erfährt die Kommission in aller Regel durch Beschwerden von ĺBeteiligten oder durch Medienberichte. Zunächst richtet sie ein Auskunftsersuchen an den betroffenen Mitgliedstaat. Kommt der Mitgliedstaat diesem Ersuchen nicht nach, erlässt die Kommission eine ĺEntscheidung, welche die Auskunftserteilung verbindlich anordnet (Anordnung zur Auskunftserteilung, Art. 10 Abs. 3 VO [EG] 659/ 1999). Erhält die Kommission auch nach dieser Entscheidung nicht die notwendigen Informationen, ist sie berechtigt auf der Grundlage der vorliegenden Auskünfte eine Entscheidung über die Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu erlassen. Zusätzlich ist die Kommission ermächtigt für die Dauer des Prüfverfahrens Aussetzungs- und/ oder Rückforderungsanordnungen zu treffen. Erstere verpflichtet die Mitgliedstaaten, rechtswidrige Beihilfen auszusetzen, letztere ordnet eine vorläufige Rückforderung bereits geleisteter Beträge bei Vorliegen bestimmter Kriterien (s. ĺRückforderung staatlicher Beihilfen) an. Beide Anordnungen sind vom Mitgliedstaat bis zu einer Entscheidung über die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu beachten (Art. 11 VO [EG] 659/1999). An die im ĺVerfahren bei angemeldeten Beihilfen vorgesehenen Fristen (2 Monatsfrist im ĺvorläufigen Prüfverfahren, 18 Monate im ĺformellen Prüfverfahren) ist die Kommissi-
on bei rechtswidrigen Beihilfen nicht gebunden (Art. 13 Abs. 2 VO [EG] 659/1999). (jr) §§: Art. 88 EG Lit.: F. P. Sutter, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 63. Lfg. 2005, Art. 88 EGV, Rn. 80 ff.
Verfahren der Mitentscheidung (Kodezisionsverfahren) co-decision procedure – procédure de codécision
Das Verfahren der Mitentscheidung (Kodezisionsverfahren) wird in Art. 251 EG geregelt. Seine Anwendbarkeit ergibt sich gem. Art. 251 Abs. 1 EG aus der ausdrücklichen Bezugnahme in den jeweiligen Kompetenzvorschriften (z.B. Art. 12 EG, Art. 95 EG). Dieses Rechtsetzungsverfahren gilt seit dem ĺVertrag von Nizza als Regelverfahren, bei dem ĺRat und ĺEP gemeinsam als Rechtsetzer auftreten und sich beide Organe einigen müssen, um einen gültigen Rechtsakt erlassen zu können. Die wichtigsten Verfahrensabläufe können stark vereinfacht wie folgt wiedergegeben werden: Der Vorschlag der ĺKommission (ĺInitiativrecht der Kommission) wird dem EP und dem Rat gleichzeitig zur Stellungnahme zugeleitet. Der Rechtsakt kann bereits in diesem Verfahrensabschnitt beschlossen werden, andernfalls beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit einen Gemeinsamen Standpunkt, der vom EP in einer zweiten Lesung beraten wird. Lehnt das EP den gemeinsamen Standpunkt mit absoluter Mehrheit ab, so ist der Rechtsakt gescheitert und das Rechtsetzungsverfahren beendet. Schlägt das EP Änderungen zum gemeinsamen Standpunkt des Rates vor, können diese vom Rat mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Lehnt allerdings die Kommission die Änderungen ab, so kann der Rat nur mehr einstimmig beschließen. Billigt der Rat hingegen die Änderungsvorschläge des EP nicht, wird ein Vermittlungsausschuss, bestehend aus 27 Abgeordneten des EP und den 27 Mitgliedern des Rates, einberufen. Kommt es innerhalb einer Frist von 6 Wochen zu einer Einigung im Vermittlungsausschuss, müssen ihr EP und Rat in dritter Lesung zustimmen, das EP mit absoluter Mehrheit, der Rat mit qualifizierter Mehrheit. Der Rechtsakt ist gescheitert, wenn eines der beiden Organe den gemeinsamen Entwurf ablehnt. Zu den weiteren Rechtsetzungsverfahren der Europäischen Union s.a. das ĺVerfahren der Anhörung (z.B. Art. 308 EG), das ĺVerfahren 923
Verfahren der Zusammenarbeit der Zusammenarbeit (Art. 252 EG) und das ĺVerfahren der Zustimmung (z.B. Art. 161 EG, Art. 49 EU, Art. 300 Abs. 3 UAbs. 2 EG). (db) §§: Art. 251 EG, Art. 308 EG, Art. 26 EG, Art. 252 EG, Art. 161 EG, Art. 49 EU, Art. 300 EG, Art. 12 EG, Art. 95 EG, u.a. Lit.: W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 251 EGV, Rn. 1 ff.; H. Hetmeier, in: C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 251 EGV, Rn. 1 ff.; M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, 183 f.; K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, 199 ff.; u.a.
Verfahren der Zusammenarbeit ĺKooperationsverfahren Verfahren der Zustimmung ĺZustimmungsverfahren Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (deutsche Rechtslage) ĺRechtsweggarantie (deutsche Rechtslage) Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, allgemein interim measures of legal protection – mesures provisoires (de protection juridique), généralité
Klagen vor den Gemeinschaftsgerichten entfalten grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Unter bestimmten Umständen kann jedoch im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes der Vollzug der angefochtenen Handlungen ausgesetzt werden. Der einstweilige Rechtsschutz erfüllt auf europäischer Ebene eine bedeutende rechtsstaatliche Aufgabe. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren stellt sicher, dass während des laufenden Hauptverfahrens keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, die dem abschließenden Urteil die praktische Bedeutung nehmen (EuGH, Rs. C-393/ 96P, Antonissen/Rat und Kommission, Slg. 1997, I-447, Rn. 6). Der begehrte vorläufige Rechtsschutz kann die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Handlung, die Aussetzung der Zwangsvollstreckung oder den Erlass sonstiger einstweiliger Verfügungen vorsehen. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist im Rahmen aller Direktklagen möglich – d.h. es besteht keine Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens im ĺVorabentscheidungsverfahren. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz setzt außerdem die Anhängigkeit der Hauptsache bei einem Gemeinschaftsge924
richt voraus. Sowohl die Anzahl der angestrebten einstweiligen Rechtsschutzverfahren als auch die Erfolgsquote der angestrebten Rechtsschutzverfahren ist allerdings eher gering, sodass diese Verfahrensart in der Praxis keine besonders große Rolle spielt. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach den Art. 242, 243 EG ist praktisch identisch mit den Regelungen der Art. 157, 158 EAG. (lb) §§: Art. 242; 243; 256 Abs. 4 EG; Art. 83-90 VerfOEuGH; Art. 39 EuGH-Satzung; Art. 104-110 VerfOEuGH; Art. 157; 158 EAG Lit.: C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 242, 243 EG, Rn.1 f.; W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 98 ff.
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, Entscheidung und Wirkung interim measures of legal protection, judgement and its protection – mesures provisoires (de protection juridique), jugement et effet
Diese Verfahrensart wird durch Beschluss des ĺEuGH bzw. des ĺEuG beendet. Die gerichtliche Entscheidung kann die beantragte einstweilige Maßnahme (ev. unter Auflagen oder befristet) anordnen, den Antrag verwerfen oder die Beurteilung dem mit der Beurteilung der Hauptsache betrauten Gemeinschaftsgericht übertragen werden. Zu beachten ist das Verbot der Präjudizialisierung des Hauptverfahrens durch die vorläufige Anordnung – d.h. die Vorwegnahme der gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache. Die Kostenentscheidung wird grundsätzlich erst im Urteil in der Hauptsache getroffen – Gerichtskosten werden nicht eingehoben. (lb) §§: Art. 39 Abs. 3 EuGH-Satzung; Art. 86 § 4 VerfOEuGH; Art. 107 § 4 VerfO-EuGH
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, Verfahrensablauf interim measures of legal protection, course of the proceedings – mesures provisoires (de protection juridique), déroulement de l’instance
Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist als kontradiktorisches Eilverfahren konzipiert und lässt sich in folgende Verfahrensschritte gliedern: ƒ keine Notwendigkeit eines Vorverfahrens ƒ Antrag ƒ Möglichkeit der Stellungnahme durch Gegenpartei binnen kurzer Frist
Verfahren für die Kontrolle staatlicher Beihilfen ƒ ƒ
gegebenenfalls mündliche Anhörung informelle Anhörung durch den Berichterstatter bzw. Generalanwalt der Hauptsache ƒ Verkündung des Beschlusses. (lb) Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 98 f.
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, Verfahrensgegenstand interim measures of legal protection, object of the proceedings – mesures provisoires (de protection juridique), objet de l’instance
Der Verfahrensgegenstand muss in unmittelbarem Zusammenhang mit der Klage in der Hauptsache stehen. Als Gegenstand eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz kommen die Aussetzung der Vollziehung der im Hauptverfahren beanstandeten Handlung, die Aussetzung der Zwangsvollstreckung oder die Erlassung einstweiliger Verfügungen in Frage. (lb) §§: Art. 242; 243; 256 Abs. 4 EG Lit.: C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 242, 243 EG, Rn. 23 ff.
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, Verfahrensparteien interim measures of legal protection, parties of the proceedings – mesures provisoires (de protection juridique), parties à l’instance
Die Verfahrensparteien des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens richten sich nach den Parteienregelungen für das Hauptverfahren. (lb) Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, Verfahrensvoraussetzungen interim measures of legal protection, conditions of the proceedings – mesures provisoires (de protection juridique), conditions de recevabilité de l’action
Die Gemeinschaftsgerichte können ex lege Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes verfügen, soweit dies nach den Umständen notwendig und erforderlich ist. Aus den Verfahrensbestimmungen ergeben sich folgende Verfahrensvoraussetzungen: ƒ Rechtsanhängigkeit der Klage im Hauptverfahren ƒ Bezeichnung des Antragsgegenstandes ƒ Glaubhaftmachung der Dringlichkeit der begehrten einstweiligen Maßnahme im Hinblick auf die drohenden Nachteile und Schäden (EuGH, Rs. 25/62R Plaumann/Kommission, Slg. 1962, 271; EuGH, Rs. C-152/88R Sofrimport/Kommission, Slg. 1988, 2931; EuG, Rs.
T-168/95R Eridania u.a./Rat, Slg. 1995, II-2817, Rn. 33) ƒ Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der beantragten einstweiligen Anordnung aus rechtlicher und tatsächlicher Sicht (EuGH, Rs. C195/90R Deutschland/Kommission, Slg. 1990, I-3351) Als Mittel der Glaubhaftmachung der Dringlichkeit und Notwendigkeit der einstweiligen Rechtsschutzmaßnahme sind insb. die Beweismittel nach Art. 45 § 2 VerfO-EuGH zulässig. (lb) §§: Art. 242; 243 EG; Art. 83-90 VerfO-EuGH Lit.: C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 242, 243 EG, Rn. 30 ff.
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, Zuständigkeit interim measures of legal protection, competence – mesures provisoires (de protection juridique), compétence
Die Zuständigkeit bezüglich eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz richtet sich nach der gerichtlichen Entscheidungskompetenz für das Hauptverfahren. Je nachdem ob das Verfahren in der Hauptsache vor dem ĺEuGH oder dem ĺEuG geführt wird, ist das jeweilige Gericht auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zuständig. Gegen den Beschluss des EuG besteht die Möglichkeit eines ĺRechtsmittels an den EuGH; gegen Beschlüsse des EuGH steht kein Rechtsmittel zur Verfügung. Die Anzahl der vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist im Vergleich zur Gesamtzahl der anhängigen Rechtssachen eher gering. Der Anteil dieser Verfahrensart an allen Verfahren vor dem EuGH beträgt 0,3 % – der Anteil an allen Verfahren vor dem EuG beträgt 5,5 %. (lb) Verfahren für die Kontrolle staatlicher Beihilfen procedure concerning the application of state aid rules – procédure en matière d’aides d’État
Das beihilfenrechtliche Kontrollverfahren ist in der ĺVO [EG] 659/1999 geregelt. Neben eigenen Verfahrensbestimmungen für ĺbestehende Beihilferegelungen sind für ĺNeubeihilfen folgende Verfahrensschritte vorgesehen: Die ĺMitgliedstaaten haben sämtliche geplante Maßnahmen, die den Tatbestand des Art. 87 Abs. 1 erfüllen, der ĺKommission mitzuteilen (ĺNotifikationspflicht) und dürfen diese nicht durchführen bevor sie von der Kommission ge925
Verfahren, faires nehmigt worden sind oder als genehmigt gelten (ĺDurchführungsverbot). Je nachdem, ob ein Mitgliedstaat eine Beihilfe angemeldet hat oder nicht, sind verschiedene Verfahrensvorschriften (ĺVerfahren bei angemeldeten Beihilfen und ĺVerfahren bei rechtswidrigen Beihilfen) anzuwenden. In beiden Fällen ist aber ein zweistufiges Verfahren, bestehend aus dem ĺvorläufigen Prüfverfahren und dem ĺformellen Prüfverfahren, vorgesehen. Zentrales Organ im Beihilfeverfahren ist die ĺKommission, die für die Überwachung ĺbestehender Beihilfen sowie für die Prüfung und Genehmigung ĺneuer Beihilfen zuständig ist. Die nationalen Behörden sind zur loyalen Zusammenarbeit mit der Kommission verpflichtet. Die Kompetenzen des ĺRates im Bereich des Beihilfenrechts sind begrenzt. Er ist befugt bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände abweichend von den Beihilfevorschriften eine Beihilfe ausnahmsweise für vereinbar mit dem ĺGemeinsamen Markt zu erklären (Art. 88 Abs. 2 UAbs. 3 EG). Darüber hinaus kann der Rat auf Vorschlag der Kommission Durchführungsverordnungen gem. Art. 89 EG erlassen. Auf letzterer Bestimmung beruht die ErmächtigungsVO (EG) 994/98, welche der Kommission die Möglichkeit einräumt, ĺGruppenfreistellungsverordnungen zu erlassen. Die nationalen Gerichte haben die Rechte Einzelner gegen Verletzungen der ĺNotifikationspflicht und des ĺDurchführungsverbotes durch die Mitgliedstaaten zu schützen. Dies ergibt sich aus der ĺunmittelbaren Wirkung des Art. 88 Abs. 3 EG. (jr) §§: Art. 88 Abs. 2 und Abs. 3 EG; VO (EG) 659/1999, ABl. 1999, Nr. L 83/1 Lit.: A. Sinnaeve, Die neue Verfahrensordnung in Beihilfesachen, EuZW 1999, 270 ff.
Verfahren, faires ĺFaires Verfahren Verfahrensarten ĺEuGH, Verfahrensarten bzw. ĺEuG I, Verfahrensarten Verfahrensdauer (EuGH und EuG I) duration of proceedings (ECJ and CFI) – durée de la procédure (CJCE et TPI)
Damit die gemeinschaftsrechtlich garantierten Rechte prozessual durchgesetzt werden können, bedarf es einer angemessenen Verfahrensdauer. Die Angemessenheit einer Verfahrensdauer 926
ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach den Interessen der Beteiligten, nach der Komplexität der Rechtssache sowie nach dem Verhalten der Parteien, zu beurteilen. Ein Verstoß gegen effektiven und zeitangemessenen Rechtsschutz kann einen Staatshaftungsanspruch zur Folge haben. (dh) Lit.: V. Schlette, Der Anspruch auf Rechtsschutz innerhalb angemessener Frist, EuGRZ 1999, 369 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-185/95 Baustahlgewebe GmbH, Slg. 1998, I-8417, Rn. 29; EuGH, verb. Rs. C-238/99 P, C-244/99 P, C-245/99 P, C-247/99 P, C-250/99 P bis C-252/99 P und C-254/99 P Limburgse Vinyl, Slg. 2002, I-8375, Rn. 207 ff.
Verfahrenskosten ĺEuropäische Prozesskosten-Richtlinie Verfahrensordnung ĺEuGH, Verfahrensordnung Verfahrensrechtliche Autonomie der Mitgliedstaaten ĺAutonomie, verfahrensrechtliche, der Mitgliedstaaten Verfahrenssprache ĺEuGH und EuG I, Sprache Verfahrensverordnung 659/1999 procedural regulation 659/1999 – règlement de procédure 659/1999
Mit dem In-Kraft-Treten der VO (EG) 659/99 wurde eine sekundärrechtliche Grundlage für ein Verfahren in Beihilfesachen geschaffen. Bis zu ihrem In-Kraft-Treten bildete auschließlich Art. 88 EG und die dazu ergangene Rsp. des EuGH die normative Grundlage für die Rechte und Pflichten der ĺParteien sowie der ĺBeteiligten des Verfahrens. Die Kompetenzgrundlage für die Verfahrensverordnung bildet Art. 89 EG, der den ĺRat ermächtigt, auf Vorschlag der ĺKommission und nach Anhörung des ĺEuropäischen Parlamentes alle zweckdienlichen Durchführungsverordnungen zu den Art. 87 und 88 EG zu erlassen. (jr) §§: Art. 88 EG, Art. 89 EG; VO (EG) 659/1999, ABl. 1999, Nr. L 83/1 Lit.: A. Sinnavae, Die neue Verfahrensordnung in Beihilfesachen, EuZW 1999, 270 ff.
Verfassung für Europa ĺVertrag über eine Verfassung für Europa
Verfassungsverbund der EU Verfassungsbeschwerde (deutsche Rechtslage) constitutional complaint/appeal on an institutional issue (German legal situation)– plainte constitutionelle (situation juridique allmande)
Individualbeschwerdeverfahren vor dem deutschen ĺBVerfG zur Geltendmachung der ĺGrundrechte. Mit ihr können prinzipiell auch Verletzungen der Grundrechte des GG durch Gemeinschaftsrecht geltend gemacht werden. Als Beschwerdegegenstand kommen primär deutsche Umsetzungs- und Anwendungsakte von Gemeinschaftsrecht in Betracht. Eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen europäisches ĺSekundärrecht hielt das BVerfG ursprünglich für von vornherein unzulässig, da eine Verfassungsbeschwerde nur gegen Akte deutscher öffentlicher Gewalt möglich sei (BVerfGE 22, 293; BVerfG EuR 1975, 168 Rewe; vgl. auch ĺEurocontrol I). In der ĺMaastricht-Entscheidung hat es diesen Grundsatz aufgegeben, so dass unmittelbar anwendbares Sekundärrecht nunmehr als zulässiger Beschwerdegegenstand gelten kann (aber umstr.). Verfassungsbeschwerden gegen Sekundärrecht und deutsche Umsetzungsakte sind jedoch regelmäßig unzulässig, weil das BVerfG seit ĺSolange II seinen ĺPrüfungsvorbehalt wesentlich zurückgenommen hat und die Grundrechtssicherung im Einzelfall dem ĺEuGH überlässt (ĺGrundrechte; ĺKooperationsverhältnis). Europäisches ĺPrimärrecht ist kein zulässiger Beschwerdegegenstand. Stattdessen kann Verfassungsbeschwerde gegen das inhaltsgleiche deutsche ĺZustimmungsgesetz erhoben werden (ĺMaastrichtEntscheidung). Ebenfalls kein zulässiger Beschwerdegegenstand sind nach bisheriger Rsp. des BVerfG Mitwirkungsakte der ĺBundesregierung bei der Beschlussfassung im ĺRat (BVerfG EuGRZ 1989, 339; BVerfG NVwZ 1993, 883). Prüfungsmaßstab des BVerfG sind lediglich die Grundrechte des GG bzw. ihr Wesensgehalt. Eine Verletzung von Grundrechten oder anderen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts kann mit der Verfassungsbeschwerde nicht geltend gemacht werden. Möglich ist jedoch nach st. Rsp. eine Rüge der Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen ĺRichter bei willkürlicher Nichtvorlage an den EuGH durch die deutschen Fachgerichte. Ebenso kann i.V.m. dem betroffenen Grundrecht die Unanwendbarkeit ausbrechender ĺRechtsakte geltend gemacht werden. Schließlich folgt aus der MaastrichtEntscheidung, dass eine Verletzung der ĺIntegrationsschranken des Art. 23 Abs. 1 GG bei
der Übertragung von ĺHoheitsrechten u.U. als Verletzung des Wahlrechts aus Art. 38 Abs. 1 GG gerügt werden kann. (sgk) §§: Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG; §§ 90-95 BVerfGG Lit.: R. Zuck/C. Lenz, Verfassungsrechticher Rechtsschutz gegen Europa, NJW 1997, 1193; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 241 ff.
Verfassungsdurchbrechung Rechtstechnik des ĺBeitrittsBVG Verfassungskonvent ĺEuropäischer Konvent Verfassungsüberlieferungen, gemeinsame constitutional traditions common to the Member States – traditions constitutionelles communes aux États membres
Die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der ĺMitgliedstaaten sind für den ĺEuGH eine der wichtigsten Quellen zur Gewinnung und Konkretisierung europäischer ĺGrundrechte aus den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, neben der ĺEMRK (und anderen internationalen Menschenrechtsverträgen, wie z.B. der ĺBiomedizinkonvention). Nachdem sich zunächst der EuGH in seiner Grundrechtsrechtsprechung darauf bezog, haben die mitgliedstaatlichen Verfassungstraditionen als Grundrechtsquelle und –interpretationsmaßstab nun auch Eingang in die Verträge gefunden: Art. 6 Abs. 2 EU nennt sie ausdrücklich zur Gewinnung europäischer ĺGrundrechte. Gemeinsame Verfassungsüberlieferungen meinen weder einen Minimal- noch einen Maximalstandard, sondern erfordern dem EuGH zufolge einen „wertenden Rechtsvergleich“. Eine grundrechtliche Auslegungsregel, die auf gemeinsame Verfassungsüberlieferungen ähnlich einem europäischen Standard zurückgreift, enthält nunmehr auch die ĺGRC. (ed) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 52 Abs. 4ĺGRC/Art. II-112 Abs. 4 EVV Lit.: vgl. die länderspezifischen Beiträge im Kapitel „A. Grundlagen der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen“ in: P. J. Tettinger/K. Stern (Hrsg.), GRC, 2006, 1-186
Verfassungsverbund der EU European Constitutional Network – Association des constitutions européennes
Zwischen dem „Verfassungsrecht“ der EG/EU, also dem ĺPrimärrecht, und den nationalen Verfassungen, besteht ein charakteristisches 927
Verfassungsvertrag Wechselwirkungsverhältnis. Einerseits ist das Verhältnis beider Verfassungsordnungen durch einen prinzipiellen ĺAnwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts geprägt, andererseits nährt sich die europäische Verfassungsordnung, insb. die Grundrechtsordnung, durch die „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten“ (vgl. Art. 6 Abs. 1 EU). Beide bilden damit einen „Verfassungsverbund“. Der nationale Gesetzgeber ist damit sowohl an das Gemeinschaftsrecht als auch an das nationale Verfassungsrecht gebunden, im Hinblick auf Letzteres aber nur, soweit das Gemeinschaftsrecht einen Spielraum lässt (ĺdoppelte Bindung). (he) Lit.: I. Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001) 148 (163 ff)
Verfassungsvertrag ĺVertrag über eine Verfassung für Europa Vergaberecht public procurement law – droit de distribution
Das Vergaberecht umfasst jene Regelungen, die öffentliche ĺAuftraggeber im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen (somit bei der Vergabe öffentlicher ĺAufträge) bestimmten Vorgaben unterwerfen (s.a. öffentliches ĺAuftragswesen). Ziel des Vergaberechts ist es, den Wettbewerb im Bereich der öffentlichen Märkte zu öffnen und für einen diskriminierungsfreien, transparenten und damit möglichst effektiven Einkauf durch die öffentliche Hand zu sorgen. Es sollen Handelshemmnisse beseitigt und die Bevorzugung einheimischer ĺWirtschaftsteilnehmer verhindert werden (s. etwa EuGH 3.10.2000, Rs. C-380/98 University of Cambrindge, Slg. 2000, I-8035). Das Vergaberecht richtet sich zwar primär an die öffentlichen Auftraggeber, enthält aber auch für die Wirtschaftsteilnehmer relevante Vorgaben (z.B. vergaberechtliche Konsequenzen von wettbewerbswidrigem Verhalten von ĺBietern). Das Vergaberecht erfasst nicht alle Aspekte eines Beschaffungsvorgangs, es regelt weder die Frage, welche Leistungen überhaupt angeschafft werden sollen, noch die Entscheidung, ob eine Gebietskörperschaft die Erbringung einer Leistung auf dem Markt ausschreibt oder auf die Erbringung durch eine eigene Dienststelle zurückgreift. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene sind – neben den primärrechtlichen Vorgaben (ĺDiskri928
minierungsverbot) – vor allem die ĺVergabeRL, die ĺSektorenRL und die beiden ĺRechtsmittelRL von Bedeutung. Wenn die Vergabe eines öffentlichen Auftrags in den persönlichen (s. dazu auch öffentlicher Auftraggeber) sowie den sachlichen (s. dazu den öffentlichen Auftrag sowie die Regelungen betreffend die ĺSchwellenwerte) Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt, sind für die Abwicklung eines ĺVergabeverfahrens bestimmte Vorgaben zu beachten. Dies betrifft insb. (wobei die Vorgaben je nach gewähltem Verfahren unterschiedlich sein können) ƒ Vorgaben betreffend die Wahl des Vergabeverfahrens, ƒ Verpflichtungen hinsichtlich der ĺBekanntmachung, ƒ Regelungen betreffend die Ausgestaltung der ĺAusschreibung, ƒ Anforderungen an die ĺEignung der Bieter, ƒ die Prüfung und Bewertung der ĺAngebote sowie ƒ die Auswahl des ĺAuftragnehmers (den ĺZuschlag). Regelungen, die die Auftragsabwicklung betreffen, sind nicht mehr Bestandteil des Vergaberechts. Hingegen beinhaltet das Vergaberecht Regelungen betreffend den Rechtsschutz, der unterlegenen Bietern zur Verfügung steht, die einen Rechtsverstoß durch den öffentlichen Auftraggeber behaupten. (cm) §§: VergabeRL; SektorenRL; RechtsmittelRL Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 1 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Vergaberichtlinie procurement directive – directive sur les marchés publics
RL 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. 30.4.2004, Nr. L 134/114 ff. Durch die im Frühjahr 2004 erlassene VergabeRL wurden die bis dahin bestehenden drei materiellen Richtlinien für öffentliche ĺBauaufträge, öffentliche ĺLieferaufträge und öffentliche ĺDienstleistungsaufträge in einer einheitlichen Richtlinie zusammengefasst. Die VergabeRL enthält Vorgaben für die Vergabe von öffentlichen ĺAufträgen durch (so genannte klassische) öffentliche ĺAuftraggeber (s. demgegenüber die ĺSektorenRL), soweit die Auf-
Vergabevermerk tragswerte bestimmte ĺSchwellenwerte übersteigen. S. allgemein auch ĺVergaberecht. (cm) §§: VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 149; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 88 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Vergabeverfahren contract award procedure – procédure de passation de marchés
Der Begriff Vergabeverfahren umschreibt die konkrete Abwicklung eines Vorgangs zur Beschaffung einer Leistung durch einen öffentlichen ĺAuftraggeber. Wenngleich die Entscheidung darüber, was in welcher Form beschafft werden soll, auch als zum Beschaffungsvorgang gehörig angesehen werden kann, setzt das (durch das ĺVergaberecht normierte) Vergabeverfahren erst mit der außenwirksamen Einleitung eines Vergabeverfahrens ein (etwa durch die ĺBekanntmachung einer ĺAusschreibung oder durch die Kontaktierung interessierter ĺWirtschaftsteilnehmer). Zwar kommen dem Vergaberecht bestimmte Vorwirkungen zu, als die ĺLeistungsbeschreibung bzw. die Anforderungen an die ĺEignung der Wirtschaftsteilnehmer bestimmten Schranken unterworfen sind. Allerdings können Überlegungen über die Beschaffung einer Leistung jederzeit ohne Voraussetzung wieder eingestellt werden, solange das Vergabeverfahren noch nicht außenwirksam eingeleitet worden ist. Das Vergabeverfahren endet mit dem ĺZuschlag an einen bestimmten ĺBieter oder mit der ĺAufhebung der Ausschreibung, wenn keinem der Bieter der Zuschlag erteilt werden soll. Das Vergaberecht sieht mehrere Typen von Vergabeverfahren vor (ĺoffenes Verfahren, ĺnichtoffenes Verfahren, ĺVerhandlungsverfahren, ĺWettbewerb, ĺRahmenvereinbarung, ĺdynamisches Beschaffungssystem, ĺwettbewerblicher Dialog), für die teilweise unterschiedliche Vorgaben normiert werden. Grob kann zwischen so genannten einstufigen Verfahren und zweistufigen Verfahren unterschieden werden. Bei einem einstufigen Verfahren (insb. dem offenen Verfahren) findet ein Wettbewerb lediglich zwischen unterschiedlichen ĺAngeboten statt, wobei die Zahl der Angebote nicht beschränkt ist. Demgegenüber findet bei den zweistufigen Verfahren zuerst ein Teilnahmewettbewerb statt und lediglich die ausgewählten Teilnehmer werden zur Abgabe eines An-
gebots aufgefordert; der Angebotswettbewerb findet somit zwischen einer beschränkten Anzahl von Teilnehmern statt. Für die einzelnen Verfahrensarten gelten zum Teil unterschiedliche ĺTeilnahme- und ĺAngebotsfristen, für die zweistufigen Verfahren gibt es darüber hinaus Regelungen bezüglich der Auswahl der Teilnehmer am Verfahren. Der öffentliche Auftraggeber ist hinsichtlich der Wahl der Verfahrensart nicht frei; auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene ist lediglich die freie Wahl zwischen dem offenen Verfahren und dem nichtoffenen Verfahren vorgesehen, alle anderen Verfahrensarten können nur unter bestimmten Voraussetzungen gewählt werden. Bei Auftragsvergaben, die in den Anwendungsbereich der ĺVergabeRL fallen, hat der Auftraggeber jedenfalls eine der vorgegebenen Verfahrensarten zu wählen. Eine Vorgehensweise, bei der ein Auftraggeber eine Leistung ohne Durchführung eines formalisierten Vergabeverfahrens unmittelbar von dem von ihm ausgewählten Wirtschaftsteilnehmer bezieht (in der österr. Terminologie Direktvergabe, vereinzelt findet sich auch der Begriff freihändige Vergabe, wobei dieser Begriff auch für das Verhandlungsverfahren verwendet wird), ist im Anwendungsbereich der VergabeRL nicht vorgesehen und somit unzulässig. Außerhalb des Anwendungsbereichs der VergabeRL ist eine derartige direkte Zuschlagserteilung zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht schrankenlos zulässig (Schranken können sich etwa aus der Rsp. des EuGH zu den primärrechtlichen Vorgaben im Bereich des Vergaberechts – s. dazu etwa das ĺTransparenzgebot – ergeben). Eine Zuschlagserteilung ohne formalisiertes Vergabeverfahren kommt insb. bei der Vergabe von Aufträgen mit geringem Auftragswert in Betracht. (cm) Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des europäischen Vergaberechts, 2005, 195, 209 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Vergabevermerk report – procès-verbal
Vergabevermerk im Sinn des ĺVergaberechts ist ein Dokument, das ein öffentlicher ĺAuftraggeber über jeden vergebenen ĺAuftrag erstellt und das die wesentlichen Informationen eines ĺVergabeverfahrens (z.B. Auftragsgegenstand, Name des Auftraggebers und des ĺAuftragnehmers, berücksichtigte und nicht berück929
Vergebende Stelle sichtigte ĺBieter und ĺBewerber) enthält. Der Vergabevermerk ist der KOM auf deren Ersuchen mitzuteilen. (cm) §§: Art. 43 VergabeRL Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 304 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Vergebende Stelle ĺAuftraggeber, öffentlicher
C-55/94, ĺGebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37; Rs. 265/87, Schräder, Slg. 1989, 2237, Rn. 21). V. im engeren Sinn bedeutet, dass eine Abwägung zwischen dem angestrebten Ziel und der verbundenen Einschränkung der Grundfreiheit stattzufinden hat. (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 109 ff.; D. Ehlers, Allgemeine Lehre; in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, Rn. 96
Verhältnismäßigkeit von Strafen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, grundrechtlicher principle of proportionality – principe de proportionnalité
Die Verhältnismäßigkeit ist Teil der Prüfung anhand der ĺGrundrechtsschranken: Sie ist – neben dem Vorhandensein eines anerkannten ĺAllgemeininteresses sowie dem unangetasteten ĺWesensgehalt – Voraussetzung für die Zulässigkeit (Rechtfertigung) eines ĺGrundrechtseingriffs. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung besteht aus drei Prüfschritten: 1. Geeignetheit (Tauglichkeit: Kann die Maßnahme das verfolgte Ziel erreichen?); 2. Erforderlichkeit (ultima ratio: Ist die Maßnahme das gelindeste Mittel zur Zielerreichung?) und 3. Verhältnismäßigkeit im engen Sinn (Adäquanz: Ist der Eingriff für sich genommen angemessen?). Verhältnismäßigkeitserfordernisse ergeben sich z.T. aus dem Gesetz, überwiegend aber hat sie der ĺEuGH in seiner Rsp. – oft der des ĺEGMR folgend – aufgestellt. (ed) Lit.: R. Winkler, Die Grundrechte der Europäischen Union, 2006, 266 ff.
Verhältnismäßigkeit (Grundfreiheiten) proportionality (fundamental freedoms) – proportionnalité (libertés fondamentales)
Eingriffe in Grundfreiheiten stehen unter dem Grundsatz der V., der ihre Zulässigkeit beschränkt. Das Prinzip der V. stellt einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts dar. Dabei wird zwischen V. im weiteren Sinn und V. im engeren Sinn unterschieden. V. im weiteren Sinn meint, dass die gewählten Maßnahmen zur Erreichung des als Rechtfertigung herangezogenen ĺzwingenden Grundes des Allgemeininteresses geeignet (ĺEignung), erforderlich (ĺErforderlichkeit) und verhältnismäßig im engeren Sinn sind (EuGH, Rs. 930
proportionality of penalties – proportionalité des peines
Ein ĺGrundrecht auf verhältnismäßige Strafen gilt bereits als allgemeiner ĺRechtsgrundsatz des ĺPrimärrechts. Nunmehr ist ein solches ĺGrundrecht explizit in der ĺGRC vorgesehen. (ed) §§: Art. 49 GRC/Art. II-109 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 42; A. Eser, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 49
Verhältnismäßigkeitsprinzip principle of proportionality – principe de proportionnalité
Gem. Art. 5 Abs. 3 EG gehen die ĺMaßnahmen der Gemeinschaft nicht über das für die Erreichung der Ziele dieses Vertrags erforderliche Maß hinaus. Gemeinsam mit dem in Art. 5 Abs. 1 EG verankerten ĺPrinzip der begrenzten Einzelermächtigung sowie dem in Art. 5 Abs. 2 EG verankerten ĺSubsidiaritätsprinzip determiniert das Verhältnismäßigkeitsprinzip Art und Umfang des Handelns der Gemeinschaft. Während das ĺSubsidiaritätsprinzip das „Ob“ des gemeinschaftlichen Handelns bestimmt, bezieht sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf das „Wie“ einer geplanten ĺMaßnahme. Darüber hinaus stellt das Verhältnismäßigkeitsprinzip aber auch einen in der ständigen Rechtsprechung des ĺEuGH anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsatz dar, der auf den Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit beruht und nicht nur bei Eingriffen der Gemeinschaft in Grundrechte einzelner Personen, sondern auch in Interessen der Mitgliedstaaten angewendet wird. Dem ĺEuGH zufolge müssen die gewählten Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet sein und dürfen das Maß des hierzu Erforderlichen nicht übersteigen, wobei, abhängig vom berührten Politikbereich, der ĺEuGH dem ĺRat einen weiten Ermessensspielraum zuerkennt und nur offenkundige Überschreitungen des Ermessens bzw. einen Ermessens-
Verhaltensweise, aufeinander abgestimmte missbrauch überprüft. Nach dem ĺProtokoll (Nr. 30) über die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit soll, was Art und Umfang des Handelns der Gemeinschaft betrifft, bei ĺMaßnahmen der Gemeinschaft so viel Raum für nationale Entscheidungen bleiben, wie dies im Einklang mit dem ĺZiel der ĺMaßnahme und den Anforderungen des Vertrags möglich ist. Unter Einhaltung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften sollen bewährte nationale Regelungen sowie Struktur und Funktionsweise der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten geachtet werden. Den Mitgliedstaaten sollen in den Gemeinschaftsmaßnahmen Alternativen zur Erreichung der ĺZiele der ĺMaßnahmen angeboten werden, sofern dies für eine ordnungsgemäße Durchführung der ĺMaßnahmen angemessen und erforderlich ist. Wenn die Gemeinschaft ĺMaßnahmen setzt, ist eine möglichst einfache Form zu wählen, wobei darauf geachtet werden muss, dass das ĺZiel der ĺMaßnahme in zufriedenstellender Weise erreicht wird und die ĺMaßnahme tatsächlich zur Anwendung gelangt. Da die Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaft nicht über das erforderliche Maß hinausgehen soll, wäre unter sonst gleichen Gegebenheiten eine Richtlinie einer Verordnung und eine Rahmenrichtlinie einer detaillierten Maßnahme vorzuziehen. Daraus wird eine „Hierarchie der Mittel“ abgeleitet, sodass das jeweils gelindeste Mittel innerhalb des Kanons der gemeinschaftlichen Handlungsformen zu wählen und ein möglichst schonender Ausgleich zwischen gemeinschaftlichen und nationalen Interessen zu treffen ist. (ag) §§: Art. 5 Abs. 3 EG, Protokoll (Nr. 30) über die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Lit.: R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 5 EGV; C. Calliess, in: ders./M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 5 EGV
Verhältnismäßigkeitsprinzip (freier Warenverkehr) principle of proportionality (free movement of goods) – principe de proportionnalité (libre circulation des marchandises)
Eine mitgliedstaatliche, als ĺMaßnahme gleicher Wirkung gem. Art. 28 EG zu wertende Maßnahme kann mittels der in Art. 30 EG verankerten geschriebenen Rechtfertigungsgründe bzw. der ungeschrieben Rechtfertigungsgründe der ĺzwingenden Erfordernisse Vorschriften nur dann gerechtfertigt (ĺRechtfertigungsgründe für die Warenverkehrsfreiheit
beeinträchtigende staatliche Maßnahmen) werden, wenn sie verhältnismäßig, d.h. geeignet, erforderlich und angemessen ist. Diesbezüglich muss die in Frage stehende mitgliedstaatliche Maßnahme folgende Kriterien kumulativ erfüllen: 1. die Maßnahme dient einem legitimen Zweck. Das sind die durch die Rechtfertigungsgründe geschützten Interessen (z.B. ĺGesundheitsschutz, ĺUmweltschutz etc.). 2. die Maßnahme ist geeignet, das betreffende Schutzziel (z.B. den Umweltschutz, ĺVerbraucherschutz etc.) zu erreichen. 3. Die Maßnahme muss weiters erforderlich und angemessen sein. Es darf daher kein gelinderes Mittel um dasselbe Ziel zu erreichen. Deswegen ist etwa ein ĺabsolutes Absatzverbot für ein bestimmtes Produkts aufgrund der dafür verwendeten irreführenden Gattungsbezeichnung nicht erforderlich und somit unverhältnismäßig, da hier derselbe Schutzzweck (Schutz vor Irreführung und Täuschung des Verbrauchers) wohl auch durch das gelindere Mittel einer entsprechenden ĺEtikettierung erreicht werden kann. Mit letzterer Begründung wurden etwa das italienische Verbot des Verkaufs von Weichweizenpasta (EuGH, Rs. 407/85 Drei Glocken, Slg. 1988, 4233), das spanische Verbot des Verkaufs von Schokolade, die keine Kakaobutter enthält (EuGH, Rs. C-12/00 Kommission/Spanien, Slg. 1993, I-459), das holländische Verbot des Verkaufs von Genever mit einem bestimmten Alkoholgehalt (EuGH, Rs. 182/84 Miro, Slg. 1985, 3731) oder das deutsche Verbot, nicht nach dem Reinheitsgebot hergestelltes Bier unter der Gattungsbezeichnung „Bier“ zu verkaufen (ĺReinheitsgebot, Bier-Entscheidung) als unverhältnismäßig und somit als nicht gerechtfertigt erachtet. (rp) Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 114 ff.; W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 533 ff.; P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 8.18 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 407/85 Drei Glocken, Slg. 1988, 4233; EuGH, Rs. C-12/00 Kommission/Spanien Slg. 1993, I-459; EuGH, Rs. 182/84, Miro, Slg. 1985, 3731; EuGH, Rs. 178/84 Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1227 (ĺReinheitsgebot, Bier-Entscheidung)
Verhaltensweise, aufeinander abgestimmte concerted practice – pratique concertée
Das Merkmal der abgestimmten Verhaltensweise in Art. 81 Abs. 1 EG dient als Auffangtatbestand und ist erforderlich, weil sich „Vertrags931
Verhandlungsverfahren kartelle“ in der Praxis nur schwer nachweisen lassen. Zweck oder Wirkung solcher Maßnahmen muss dann eine ĺWettbewerbsbeschränkung sein, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist. Während eine ĺVereinbarung auf dem gemeinsamen Willen der Kartellanten basiert, genügt es bei der abgestimmten Verhaltensweise im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EG, dass eine Abstimmung oder Koordinierung vorliegt. (jpt) §§: Art. 81 EG Lit.: V. Emmerich, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 1, Art. 81 Abs. 1, Rn. 95 ff.
Verhandlungsverfahren negotiated procedure – procédure négociée
Bei einem Verhandlungsverfahren im Sinn des ĺVergaberechts werden ausgewählte ĺWirtschaftsteilnehmer vom öffentlichen ĺAuftraggeber zur Abgabe von ĺAngeboten aufgefordert. Der Auftraggeber kann dann mit einem oder mehreren Teilnehmern über die Auftragsbedingungen verhandeln. Der Auswahl der Teilnehmer kann (muss aber nicht) die Veröffentlichung einer ĺBekanntmachung vorangehen; diesfalls erfolgt die Auswahl der Teilnehmer anhand einer Prüfung der Teilnahmeanträge. Das Verhandlungsverfahren kann nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gewählt werden. Die Anzahl der ausgewählten Wirtschaftsteilnehmer kann begrenzt werden, sie hat aber zumindest drei zu betragen. Die Auswahl der Teilnehmer erfolgt anhand objektiver und nicht diskriminierender Kriterien. Auch im Zuge der Verhandlungen ist das ĺDiskriminierungsverbot zu beachten. (S. allgemein zu den Verfahrensarten das ĺVergabeverfahren). (cm) §§: Art. 1 Abs. 11 lit. b, Art. 30 und 31 VergabeRL, Art. 40 bis 42, Art. 44 Abs. 3 VergabeRL Lit.: H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 198, 270 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Verifikationsabkommen ĺAtomenergie, friedliche/militärische Nutzung der Verkaufsvorschriften, vertriebsbezogene Vorschriften selling arrangements (free movement of goods) – modalités de vente (libre circulation des marchandises)
Mitgliedstaatliche Verkaufvorschriften (vertriebsbezogene Vorschriften, Verkaufsmodalitäten re932
gelnde Vorschriften) regeln wann und wo Waren verkauft werden dürfen bzw. wer die Waren verkaufen darf. Auch ĺPreisregelungen und sĺWerbebeschränkungen sind als Verkaufsvorschriften zu qualifizieren. Nach der ĺKeck-Formel sind unterschiedslos anwendbare Verkaufsvorschriften nicht als ĺMaßnahmen gleicher Wirkung gem. Art. 28 EG zu werten, sofern sie für alle Wirtschaftsteilnehmer gelten, die im Inland tätig sind, und sofern sie den Absatz ausländischer Erzeugnisse (rechtlich und) tatsächlich in gleicher Weise berühren. Verkaufsvorschriften stellen daher nur dann Maßnahmen gleicher Wirkung dar, wenn diese die ausländischen Produkte zwar nicht offen oder versteckt gegenüber den inländischen Produkten diskriminieren (ĺDiskriminierung [freier Warenverkehr]), die ausländischen Erzeugnisse aber dennoch in Vergleich zu den inländischen Erzeugniss vor allem in Hinblick auf den Marktzutritt der Waren vergleichsweise stärker belasten. Kurzum, Verkaufsvorschriften sind dann Maßnahmen gleicher Wirkung, wenn sie gerade den grenzüberschreitenden Handel in besonderer Weise belasten. (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 80 f.; P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 6.54 ff.; P. Oliver/S. Enchelmaier, Free movement of goods: Recent developmnets in the case law, CML Rev. 2007, 671 ff. Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-267 und 268/1 Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097, Rn. 15 ff. (ĺKeck-Entscheidung); EuGH, verb. Rs. C-158/04 und C-159/04 Alfa Vita, Slg. 2006, I-8135, Rn. 18 f.
Verkehr transport – transport
Der Begriff findet sich vor allem in den Bestimmungen über die gemeinsame ĺVerkehrspolitik (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. f sowie Art. 70 ff., Titel V EG). Unter Verkehr sind in materieller Hinsicht nicht nur unmittelbar die Beförderungen selbst durch ĺVerkehrsträger zu verstehen, sondern auch die damit im engen Zusammenhang stehenden Aspekte (z.B. Verkehrssicherheit oder Verkehrsnebengewerbe). Der Anwendungsbereich des Titels V EG erstreckt sich damit sowohl auf die Erbringung von durch Art. 70 f. EG erfassten Beförderungsleistungen als auch auf die damit untrennbar zusammenhängenden Bereiche. (sm) Lit.: D. Beoing, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, vor Art. 70 EGV, Rn. 1 ff. und Art. 70 EGV, Rn. 1 ff.
Verkehrspolitik Verkehrsabgabe
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levy on traffic – taxe de circulation
Art. 90 EG enthält materielle Vorgaben in Bezug auf von ĺMS erhobene Steuern und Abgaben. Prägendes Element des steuerrechtlichen Instrumentariums ist die funktionale Ausrichtung auf die Verwirklichung des ĺBinnenmarktes, d.h. des freien Warenverkehrs. Anwendbarkeitsvoraussetzung ist, dass es sich um Abgaben auf Waren handelt. Laut ĺEuGH sind die Warenpreisinzidenz maßgeblicher Gesichtspunkt, d.h. das Vorliegen einer auf der Abgabe beruhenden finanziellen Belastung einer Ware, sodass ein erkennbarer Produktbezug der Abgabe notwendig ist. Der Warenkonnex ergibt sich aus der Wahl des Besteuerungsgegenstandes oder einer entsprechenden Ausgestaltung der Bemessungsgrundlagen. Damit ist der Anwendungsbereich auch für Verkehrsabgaben in aller Regel eröffnet: z.B. bei Verbrauchsabgaben auf Energie und Treibstoffe (ĺVerbrauchssteuer, Mineralöle), Kfz-Steuern und Wegeentgeltsysteme ist ein hinreichender Produktbezug gegeben. Zudem enthält Art. 90 EG ein Diskriminierungsverbot. Zwar ist eine allgemeine Übertragung dieser Grundsätze auf verkehrsbezogene Abgaben nicht möglich; gleichwohl können durch Bezugnahme auf einige typische verkehrsbezogene Abgaben Anhaltspunkte für die konkrete Bedeutung des Art. 90 EG in diesem Bereich entwickelt werden: ƒ Kraftfahrzeugsteuern Eine Anknüpfung der Abgabenlast z.B. an Emissionseigenschaften oder Kraftstoffverbrauch ist grundsätzlich unproblematisch, da bzw. sofern keine Differenzierung nach Produktherkunft. ƒ Steuer- oder Abgabenbefreiungen ƒ Soweit ein Bezug direkt auf bestimmte Waren erfolgt (z.B. Entlastungen für aus erneuerbaren Energieträgern hergestellten Strom oder Abstufung nach Umweltschädlichkeit von Treibstoffen), dürfen die Regelungen nicht diskriminierend ausgestaltet sein. Die Begünstigungen sind auch für importierte Produkte vorzusehen (ĺDiskriminierungsverbot). ƒ Im Fall der Begünstigung bestimmter Verkehrszweige, z.B. eine Befreiung des öffentlichen Verkehrs von der Mineralölsteuer, erscheint grundsätzlich unproblematisch, da keine Diskriminierung zwischen in- und ausländischen Waren erfolgen dürfte. In der Regel wird es um die Art der Erbringung der entsprechenden Transportdienstleistung gehen.
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ĺStraßenbenutzungsgebühren Bei solchen bedarf es zunächst eines hinreichenden Warenbezugs. Grundsätzlich ist dieser nur mittelbar gegeben, da an die Benutzung von Infrastrukturen angeknüpft wird. Bei Anknüpfung von Abgaben an das Gewicht der transportierten Ware dürfte er jedoch gegeben sein. Merkmale von Fahrzeugen Da die Differenzierung an objektive Merkmale (der Fahrzeuge) anknüpft, fehlt hier eine Ungleichbehandlung. Erhebung nur auf bestimmten Strecken Bei einer solchen Ausgestaltung ist darauf zu achten, dass nicht Strecken belastet werden, auf denen insbesondere aus dem Ausland stammende Güter und Fahrzeuge verkehren. Zeitliche Staffelung von Gebührensystemen Eine solche erscheint rechtstechnisch grundsätzlich bedenklich, da z.B. bei einer Autobahnvignette eine mittelbar stärkere Belastung von nicht Ortsansässigen erfolgt (nur kurzzeitige Streckenbenutzung, aber Zahlung der Abgabe für einen längeren Zeitraum). Ein sachlicher Grund dafür kann gegebenenfalls darin gesehen werden, dass auch ortansässige „Wenigfahrer“ genauso belastet werden (strittig); zudem können die Zeiträume der Gültigkeit der Vignetten gestaffelt werden. Forderung der Existenz spezieller technischer Vorrichtungen Bei der Ausgestaltung ist darauf zu achten, dass nicht indirekt eine stärkere Belastung ausländischer Transporteure erfolgt, da diese etwaige Kosten für einen kurzen Weg tragen müssen, während die Ausgaben für inländische Transporteure möglicherweise längerfristige Investitionen darstellten. (sm) Lit.: R. Voß, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, J; A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 201 ff.; R. Voß, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, vor Art. 90 EGV, Rn. 1 ff. und Art. 90 EGV, Rn. 1 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-213/96 Outokumpu Oy, Slg. 1998, I-1777; EuGH, Rs. C-32/81 Kortmann, Slg. 1981, 251
Verkehrsbeschränkung ĺAbsatzbeschränkung Verkehrspolitik transport policy – politique des transports
ĺVerkehrspolitik, Rechtsetzungskompetenz. Essentiell ist Art. 70 EG, welcher den Grundsatz einer Ausgestaltung der Verkehrspolitik als 933
Verkehrsrecht, personenbezogene Harmonisierung „gemeinsame Politik“ aufstellt. Anzustreben ist damit eine umfassende Politik mit Auswirkungen auf das gesamte Gemeinschaftsgebiet, wobei die einzelnen Maßnahmen auf der Grundlage eines Gesamtkonzeptes bzw. von Leitlinien ergriffen werden sollen. Inhaltlich richtet sich die gemeinschaftliche Verkehrspolitik an Herausforderungen auf zwei Ebenen aus: der Integration der Märkte (Überwindung der einzel- und zwischenstaatlichen Abschottung der Verkehrsmärkte) und der nachhaltigen Mobilität (Suche nach Mitteln und Wegen, um eine nachhaltige Mobilität im Sinne einer [auch] umwelt- und sozialverträglichen Mobilität sicherzustellen). Aus dem Integrationsziel ergeben sich Grundpositionen für das verkehrspolitische Programm: ƒ Beseitigung aller Diskriminierungen im ĺVerkehr zwischen den EG-MS, insbesondere Verwirklichung der Grundfreiheiten ƒ Liberalisierung des grenzüberschreitenden Verkehrs sowie der ĺKabotage und Verankerung von Wettbewerb als Ordnungsprinzip der Verkehrswirtschaft (ĺWettbewerb, Verkehrsrecht) ƒ Angleichung der Wettbewerbsbedinungen ƒ Ordnung des Verkehrsmarktes ƒ Gemeinsame Infrastrukturpolitik Dem EG-Vertrag selbst lassen sich nach einer Analyse der inhaltlichen Vorgaben folgende Konkretsierungen für die Ausgestaltung der gemeinschaftlichen Verkehrspolitik entnehmen: ƒ grundsätzliche Ermöglichung von Verkehrsbewegungen und Anstrebung ihrer Erleichterung ƒ Beachtung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung ƒ Realisierung der ĺGrundfreiheiten (insbesondere aufgegebene Herstellung der Freiheit des Dienstleitungsverkehrs); Einschränkungen sind aber zur Wahrung öffentlicher Interessen und der Beachtung der Verhältnismäßigkeit möglich ƒ keine Vorgabe präziser ordnungspolitischer oder sonstiger materieller Vorgaben für die Ausgestaltung der gemeinschaftlichen Verkehrspolitik ƒ aber: Ausgestaltung einer umweltverträglichen gemeinsamen Verkehrspolitik durch verbindliche Einbeziehung umweltpolitischer Anliegen. Nunmehr kann wohl ein Abschluss der konzeptionelle Entwicklung der gemeinschaftlichen Verkehrspolitik angenommen werden – wenngleich seitens der ĺKommission Tätigkeitsberichte und interpretative Dokumente zum weiteren V orgehen in bestimmten Tätigkeitsberichten vorgelegt wurden (werden). Die gemein934
schaftlichen Leitlinien wurden grundsätzlich unter Betonung folgender Aspekte definiert: ƒ Verwirklichung der ĺDienstleistungsfreiheit und Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs, jedenfalls intramodal; ƒ Schaffung geeigneter und notwendiger Infrastrukturen; ƒ Lenkung der Verkehrsnachfrage und Beeinflussung des „modal split“; ƒ Einbezug von Belangen des Umweltschutzes in die Verkehrspolitik; ƒ Verwirklichung der Kostenwahrheit, und ƒ Verkehrssicherheit. (sm) §§: vgl. z.B. Weißbuch der Kommission „Die europäische Verkehrspolitik bis 2010“, KOM(2001) 370, Bull. 9/2001, 1.4.43 Lit.: A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 1 ff., 143 ff., 126 ff.; A. Frohnmeyer, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 33. Lfg. 2007, Art. 71, Rn. 143 ff.; P. Mückenhausen, in: A. Frohnmeyer/ders. (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004, 1
Verkehrsrecht, personenbezogene Harmonisierung traffic law, person related harmonisation – droit de transports, harmonisation se rapportant à des personnes
Entgegen der produktbezogenen Harmonisierung (ĺVerkehrsrecht, produktbezogene Harmonisierung) knüpft die personenbezogene Harmonisierung an die Individuen, deren Schutz sowie deren Verhalten an und normiert unter anderem auch im Sinne der Verkehrssicherheit schutzgewährende oder verhaltenssteuernde Vorschriften. (sm) Verkehrsrecht, produktbezogene Harmonisierung traffic law, product related harmonisation – droit de transports, harmonisation se rapportant à des produits
Regelungen, die schwerpunktmäßig Anforderungen an die Produktbeschaffenheit stellen. Ihr Ziel ist die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen in den ĺMS und die Sicherstellung des ĺfreien Warenverkehrs sowie der ĺDienstleistungsfreiheit unter Berücksichtigung der jeweils relevanten Schutzinteressen. Im Mittelpunkt steht das Bemühen um die Verkehrssicherheit. ĺVerkehrsrecht, personenbezogene Harmonisierung. (sm) Verkehrsträger means of transportation – moyen de transport
Der Anwendungsbereich des Titel V EG (ĺVerkehr) erstreckt sich auf die in Art. 80 Abs. 1
Verletzung des Vertrages als Nichtigkeitsgrund EG genannten Verkehrsträger und wird zugleich auf diese begrenzt. Es gilt der Grundsatz der freien Wahl der Verkehrsträger (ĺVerkehrsträger, Grundsatz der freien Wahl der). Nach Art. 80 Abs. 1 EG gilt der Titel V für Beförderungen im Eisenbahn-, Straßen- und binnen Schifffahrtsverkehr; laut Abs. 2 leg cit kann der ĺRat geeignete Vorschriften auch für die Seeund Luftschifffahrt erlassen. In materieller Hinsicht ist im Ergebnis wohl eine parallele Reichweite der gemeinschaftlichen ĺKompetenzen in beiden Bereichen gegeben – die systematisch unglückliche Unterscheidung zwischen den Verkehrsträgern in Art. 80 Abs. 1 und Abs. 2 EG dürfte auf den Besonderheiten der Seeschifffahrt und der Luftfahrt als Teilen eines weltweiten Verkehrssystems und auf der geographischen Ausgangslage der Gründungsstaaten der EG beruhen. Die einzelnen Verkehrsträger: ƒ ĺStraßenverkehr meint die Beförderung mit Landfahrzeugen, gleich welcher Bauart, über Straßen, Wege und Plätzen. Aufspaltung in zwei weitgehend selbstständigen Marktsegmenten, dem Güterkraftverkehr und Personenkraftverkehr. ƒ Eisenbahnen erfassen alle spurgebundenen Verkehrsmittel, die sich mittels Rad-SchieneTechnik auf Schienen fortbewegen. Erfasst sind Schwebebahnen, nicht aber Seil- oder Magnetschwebebahnen. ƒ Binnenschifffahrt ist unabhängig von der Bauart des Schiffes grundsätzlich jede Beförderung auf den Binnenwasserstraßen, insbesondere der Transport zu Wasser innerhalb eines Binnenhafens oder zwischen zwei oder mehreren Binnenhäfen. Ausschlaggebend für die Anwendbarkeit der Art. 70 f. EG ist die Benutzung der genannten Verkehrsträger. Die Aufzählung ist enumerativ; eine analoge Anwendung der Art. 70 ff. EG auf alle Arten der Fortbewegung, des Transports oder der Kommunikation kann nicht erfolgen. (sm) Verkehrsträger, Grundsatz der freien Wahl der means of transportation, principle of free choice of – moyen(s) de transport, principe de la libre choix des
Dieser Grundsatz wurde von der ĺKommission entwickelt und avancierte zwischenzeitlich zum Leitmotiv der gemeinschaftlichen ĺVerkehrspolitik. Er wurde zudem in der Literatur aufgegriffen. Sein Mindestgehalt dürfte der
Ausschluss einer Einflussnahme auf die Verteilung des Verkehrs unter den verschiedenen ĺVerkehrsträgern sowie die prinzipielle Unzulässigkeit eines Benutzungszwangs sein. Ansonsten ist dieser Grundsatz dogmatisch nicht hinreichend aufbereitet. Zutreffend dürfte die von Epiney vertretene Meinung sein, dass sich rechtlich ein solcher Grundsatz aus dem Vertrag nicht ableiten lässt (strittig). Steuernde und in den Markt eingreifende Maßnahmen sind daher nicht von vornherein ausgeschlossen. Die rechtliche Verankerung eines solchen Grundsatzes. würde auch zu einer erheblichen Einschränkung des politischen Gestaltungsspielraumes des Gemeinschaftsgesetzgebers führen. (sm) §§: Empfehlung der Kommission vom 25.4.1986, ABl. 1986, Nr. L 163/41; Aktionsprogramm Verkehrspolitik 1995–2000, KOM(1995) 302 endg. Lit.: M. Ronellenfitsch, in: H.-W. Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II, Teilband 2, 2. Aufl. 2004, § 89; A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 113 ff.
Verkehrsverbot ĺAbsatzverbot Verleihrecht lending right – droit du prêt
Als Verleihrecht bezeichnet man das dem Urheber zukommende ausschließliche Recht, den Verleih seines Werkes zu erlauben oder zu verbieten; es wurde durch die ĺVermiet- und VerleihRL (RL 92/100/EWG) harmonisiert. (js) Verletzung des Vertrages als Nichtigkeitsgrund infringement of the treaty as ground for annulment – violation du traité comme moyen d’annulation
Nichtigkeitsgrund nach Art. 230 Abs. 2 EG, der nach der überwiegenden Praxis der Gemeinschaftsgerichte nicht von Amts wegen, sondern nur auf Rüge des Klägers zu prüfen ist (ĺNichtigkeitsgründe). Die V. ist zu den übrigen Nichtigkeitsgründen subsidiär. Sie umfasst Verletzungen des Primärrechts, des Sekundärrechts und des in das Gemeinschaftsrecht integrierten Völkerrechts. Die V. bildet einen Auffangtatbestand durch den die in der Einführung von Nichtigkeitsgründen an sich angelegte abschließende Aufzählung bestimmter Gemeinschaftsrechtsverstöße zugunsten einer Ausdeh935
Verletzung wesentlicher Formvorschriften als Nichtigkeitsgrund nung des Prüfungsmaßstabs auf sämtliche Verletzungen des Gemeinschaftsrechts überspielt wird. Für die ĺNichtigkeitsklage nach Art. 35 Abs. 6 EU gelten diese Ausführungen entsprechend; Rechtsprechung hierzu fehlt bislang. (mk) §§: Art. 230 Abs. 2 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 555
Verletzung wesentlicher Formvorschriften als Nichtigkeitsgrund infringement of an essential procedural requirement as ground for annulment – violation des formes substantielles comme moyen d’annulation
Nichtigkeitsgrund nach Art. 230 Abs. 2 EG, der von Amts wegen zu prüfen ist (ĺNichtigkeitsgründe). Der Begriff der Formvorschriften ist weit gefasst, Darunter fallen Verletzungen von Verfahrensvorschriften sowie von Regelungen zur Form eines Rechtsaktes (z.B. Begründung, Bekanntgabe, Veröffentlichung). Die Wesentlichkeit einer Verletzung von Formvorschriften haben die Gemeinschaftsgerichte bislang nicht abstrakt definiert. In der Praxis werden solche Verstöße als wesentlich angesehen, die geeignet sind, den Inhalt des Rechtsaktes zu beeinflussen oder Beteiligungsrechte garantieren (vgl. etwa GA Fennelly, in: EuGH, Rs. C-286/95 P Kommission/ICI, Slg. 2000, I-2341, Rn. 22). Für die ĺNichtigkeitsklage nach Art. 35 Abs. 6 EU gelten diese Ausführungen entsprechend; Rechtsprechung hierzu fehlt bislang. (mk) §§: Art. 230 Abs. 2 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 552 ff.
Verlustausgleich, grenzüberschreitender loss compensation, cross border – compensation de la perte, transfrontalière
Die Frage eines grenzüberschreitenden Verlustausgleichs wurde jüngst in der Rs. ĺMarks & Spencer vom EuGH thematisiert. Insbesondere im Zusammenhang mit Gruppenbesteuerungsmodellen, welche regelmäßig nur eine begrenzte Verrechnungsmöglichkeit von Verlusten ausländischer Betriebsstätten und/oder Tochtergesellschaften zulassen, bleibt die zukünftige Rechtsprechung des EuGH abzuwarten. Die Problematik wird noch zusätzlich dadurch erschwert, dass in bestimmten Mitgliedstaaten die Möglichkeit eines Verlustrücktrages (Verrechnung der Verluste mit Gewinnen aus den 936
Vorjahren) besteht, in anderen hingegen nicht. Wenn nun eine Gesellschaft in einem Staat mit und in einem ohne Verlustrücktragsmöglichkeit eine Betriebsstätte unterhält, kann es hinsichtlich einer grenzüberschreitenden Verrechnungsmöglichkeit zu heiklen Auslegungsfragen kommen. (pu) Lit.: P. Unger/A. Wagner, SWI 2005, 426
Vermiet- und Verleihrichtlinie directive on rental and lending rights – directive relative au droit de location et de prêt
Bei der Vermiet- und VerleihRL (RL 92/100/ EWG, ABl. 1992, Nr. L 346/61) handelt es sich um eine jener RL, mit denen Teile des Urheberrechts harmonisiert wurden; sie gehört damit zum ĺeuropäischen Urheberrecht. Kompetenzgrundlage ist Art. 95 EG. Die RL umfasst zwei Regelungsbereiche, nämlich das ĺVermiet- und ĺVerleihrecht (Kap. I) einerseits sowie die verwandten Schutzrechte (Kap. II) andererseits. Urheber, ausübende Künstler, Tonträger- und Filmhersteller sollen (originär) ein ausschließliches ĺVermietrecht haben (Art. 2). Dasselbe gilt grundsätzlich für den Verleih; diesbezüglich haben die Mitgliedstaaten allerdings die Möglichkeit, anstelle des Ausschließlichkeitsrechts einen bloßen Vergütungsanspruch vorzusehen (Art. 5). Das ĺVermiet- und ĺVerleihrecht sind vom ĺErschöpfungsgrundsatz ausgenommen (Art. 1 Abs. 4). Selbst nach dem ersten Verkauf oder einem sonstigen Inverkehrbringen eines Stückes bleiben sie dem Rechteinhaber also erhalten. Die Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit dem ĺPrimärrecht bejahte der EuGH in der Entscheidung ĺMetronome. Die RL definiert den Begriff des Urhebers zwar nicht, sieht allerdings für Filme vor, dass der Hauptregisseur jedenfalls als Miturheber zu qualifzieren ist (Art. 2 Abs. 2; vgl. auch ĺFilmurheberschaft). Gem. Art. 2 Abs. 5 ist bei einer Filmproduktion zu vermuten, dass die ausübenden Künstler dem Filmhersteller ihr ĺVermietrecht abgetreten haben, wobei ihnen gem. Art. 4 Abs. 1 dafür ein unverzichtbarer Vergütungsanspruch zukommt. Kap. II regelt, inwieweit die Mitgliedstaaten ausübenden Künstlern, Tonträger- und Filmherstellern sowie Sendeunternehmen ĺAufzeichnungs-, ĺVervielfältigungs- und ĺVerbreitungsrechte sowie das Recht der Kontrolle über die öffentliche Sendung und Wiedergabe (ĺRecht der öffentlichen Wiedergabe) gewäh-
Veröffentlichung der Rechtsakte ren müssen (Art. 6 ff). Für das ĺVerbreitungsrecht sieht Art. 9 Abs. 2 ausdrücklich vor, dass es sich mit dem erstmahligen Inverkehrbringen in einem Mitgliedstaat erschöpft (ĺErschöpfungsgrundsatz). (js) Lit.: J. Reinbothe/S. von Lewinski, The EC Directive on Rental and Lending Rights and on Piracy, 1993; S. von Lewinski, in: M. M. Walter (Hrsg.), Europäisches Urheberrecht. Kommentar, 2001, Vermiet- und VerleihRL
Vermietrecht renting right – droit de location
Als Vermietrecht bezeichnet man das dem Urheber ausschließlich zukommende Recht, die Vermietung seines Werkes zu erlauben oder zu verbieten. Das Vermietrecht wurde durch die ĺVermiet- und VerleihRL (RL 92/100/EWG) harmonisiert. Ausdrücklich ausgenommen aus dem Regelungsbereich der ĺVermiet- und VerleihRL ist die Vermietung von Computerprogrammen, die bereits in der ĺComputerprogrammRL (RL 91/250/EWG) geregelt wurde. Das Vermietrecht unterliegt nicht dem gemeinschaftsrechtlichen ĺErschöpfungsgrundsatz. (js) Vermittlungsausschuss Conciliation Committee – Comité de conciliation
Nachdem im ĺVerfahren der Mitentscheidung zwischen dem Rat und dem ĺEuropäischen Parlament keine Einigung gefunden wurde, beruft der Präsident des Rates in Übereinstimmung mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments gem. Art. 251 Abs. 3 EG binnen sechs Wochen ab Ablehnung durch den Rat den Vermittlungsausschluss ein. Dieser Ausschuss besteht aus den Mitgliedern des Rates bzw. deren Vertreter (derzeit 27) und ebenso vielen Vertretern des Europäischen Parlaments und hat die Aufgabe eine Einigung über einen gemeinsamen Entwurf zu erzielen, der mit qualifizierter Mehrheit der Mitglieder des Rates und Mehrheit der Vertreter des Parlaments erlassen werden kann (Art. 251 Abs. 4 EG). Billigt der Vermittlungsausschuss binnen sechs Wochen ab Einberufung einen gemeinsamen Entwurf, verfügen das Europäische Parlament und der Rat nochmals über sechs Wochen, den betreffenden Rechtsakt entsprechend dem gemeinsamen Entwurf zu erlassen. Dafür ist im Europäischen Parlament die absolute Mehrheit der abgegeben Stimmen und im Rat die quali-
fizierte Mehrheit erforderlich (Art. 251 Abs. 5 EG). (gh) §§: Art. 251 EG Lit.: M. Böhner, Mitentscheidungsverfahren des Europäischen Parlaments nach den Verträgen von Amsterdam und Nizza, ZG 2001, 85 ff.; M. Gellermann, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 251 EGV, Rn. 1 ff.; R. Giebenrath, Das Mitentscheidungsverfahren des Artikels 251 (ex-Art. 189b) EG-Vertrag zwischen Maastricht und Amsterdam, 2000; W. Kluth, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 251 EGV, Rn. 1 ff.; H. Kühner, Rechtsetzung in der Europäischen Gemeinschaft: Die Verfahren nach Art. 189b und Art. 189c EGV, 1997; E. Waldherr, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 14. Lfg. 2003, Art. 251 EGV, Rn. 1 ff.
Vermögensrechtliche Anordnungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von ĺEinziehungsentscheidungen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Veröffentlichung der Rechtsakte publication of legal acts – publication des actes juridiques
Die amtliche Veröffentlichung der Rechtsakte der EU/EG erfolgt im ĺAmtsblatt der Europäischen Union (vormals Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften). Es wird vom ĺAmt für Amtliche Veröffentlichungen in Luxemburg herausgegeben und erscheint in Papierform und in elektronischer Fassung in allen Amtssprachen. Für die Veröffentlichung von Rechtsakten ist die Abteilung L (Rechtsvorschriften) vorgesehen. Rechtlich sind zwei Arten von Veröffentlichung zu unterscheiden. Bei bestimmten Arten von Rechtsakten ist die Veröffentlichung konstitutiv für das ĺInkrafttreten (sog. veröffentlichungsbedürftige Rechtsakte). Bei veröffentlichungsbedürftigen Rechtsakten sind sämtliche Sprachfassungen gleichermaßen verbindlich (derzeit gelten wegen technischer Schwierigkeiten noch Sonderregeln für Maltesisch). Die schon in den Römischen Verträgen vorgesehene Veröffentlichungspflicht für ĺVerordnungen beruht auf dem grundlegenden Prinzip, nach dem ein hoheitlicher Rechtsakt den Bürgern nicht entgegengehalten werden darf, bevor sie die Möglichkeit hatten, von ihm Kenntnis zu nehmen. Die mit dem ĺVertrag von Maastricht eingeführte Veröffentlichungsbedürftigkeit von Mitentscheidungsakten sowie ĺRichtlinien, die an alle Mitgliedstaaten gerichtet sind, trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich in formeller bzw. materieller Hinsicht um Rechtsakte mit Gesetzescharakter handelt. 937
Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht In allen anderen Fällen erfolgt die Veröffentlichung, weil dies in der Geschäftsordnung des Erlassorgans so vorgesehen ist oder aufgrund einer Ermessensentscheidung (sog. informatorische Veröffentlichung). Vereinzelt ist die Pflicht zur informatorischen Veröffentlichung in Rechtsakten des Sekundärrechts angeordnet, insbesondere von Entscheidungen im ĺWettbewerbsrecht. Nicht veröffentlichungsbedürftige Rechtsakte können Akte von allgemeiner Geltung sein, insbesondere ĺBeschlüsse und staatengerichtete ĺEntscheidungen, die an alle Mitgliedstaaten gerichtet sind. Bei nicht veröffentlichungsbedürftigen Rechtsakten, die an einen spezifischen Adressaten gerichtet sind, ist nur die Sprache des Adressaten rechtlich maßgeblich. In der Praxis werden die meisten Handlungen der Organe, von denen Rechtswirkungen ausgehen könnten, sowie eine Vielzahl unverbindlicher Rechtsakte im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Ausnahmen gelten, wenn Sicherheitsinteressen oder die Wahrung geschäftlicher Geheimnisse einer (ungekürzten) Veröffentlichung entgegenstehen, sowie bei staatengerichteten Entscheidungen im Bereich der Leistungsverwaltung. (jb) §§: Art. 254 EG, Art. 163 Euratom-Vertrag, Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft vom 15.4.1958 Lit.: J. Bast, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU, 2006, 335 ff.; C. Tomuschat, Normenpublizität und Normenklarheit in der Europäischen Gemeinschaft, in: W. G. Grewe/H. Rupp/H. Schneider (Hrsg.), Europäische Gerichtsbarkeit und nationale Verfassungsgerichtsbarkeit. FS für H. Kutscher, 1981, 461 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 185/73 König, Slg. 1974, 607, Rn. 6; EuGH, Rs. 98/78 Racke, Slg. 1979, 69, Rn. 15; EuGH, Rs. C-149/96 Portugal/Rat, Slg. 1999, I-8440, Rn. 54 Web: http://eur-lex.europa.eu/JOIndex.do?ihmlang =de
Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ĺRom I Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz regulation on cooperation between national authorities responsible for the enforcement of consumer protection laws – règlement relatif à la coopération entre les autorités nationales chargées de veiller à l’application de la législation en matière de protection des consommateurs
Ausgangspunkt der Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (ĺVerbraucherschutz, Europäischer) ist die Erkenntnis, dass nationale Durchsetzungsregelungen 938
für Gesetze zum Schutz von Verbraucherinteressen nicht an die Erfordernisse einer Durchsetzung im Binnenmarkt angepasst sind. Dadurch wird Verkäufern und Dienstleistungserbringern, die gegen Verbraucherschutzbestimmungen verstoßen, ermöglicht, sich durch Geschäftsverlegung innerhalb der Gemeinschaft Durchsetzungsversuchen zu entziehen. Das Regelungsanliegen dieser Verordnung (ĺVerordnungen) ist es sohin, die daraus resultierenden Wettbewerbsverzerrungen durch verbesserte Zusammenarbeit der zuständigen nationalen Behörden zu beseitigen sowie zur Qualität und Kohärenz der Durchsetzung entsprechender Gesetze und zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Verbrauchers beizutragen. Gleichfalls wird damit versucht, die Bereitschaft der Verbraucher zur Annahme grenzüberschreitender Angebote und das Verbrauchervertrauen in den Binnenmarkt zu stärken (ĺBegründungsdreiklang). Um die geforderte Zusammenarbeit sicherzustellen, hat jeder Mitgliedstaat die zur Durchsetzung der Gesetze zum Schutz von Verbraucherinteressen berufenen Behörden, andere Behörden, die zur Erfüllung der aus dieser VO entspringenden Pflichten nötig sind, Stellen, die ein legitimes Interesse daran haben, dass innergemeinschaftliche Verstöße eingestellt werden sowie eine zentrale Stelle, die für die Anwendung dieser VO verantwortlich ist, zu benennen (Art. 4 VO). Diese Behörden und Stellen sind der ĺKommission und den anderen Mitgliedstaaten mitzuteilen und werden von der Kommission in einem entsprechenden Verzeichnis im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht (Art. 5 VO). Zudem enthält die VO in ihrem Kap. II und III Bestimmungen über die innergemeinschaftliche Amtshilfe sowie die Bedingungen für diese. Aus der Notwendigkeit, Maßnahmen zur Durchführung der Bestimmungen dieser VO zu treffen, die die Verfahren und Bedingungen für die Amtshilfe unter den zuständigen Behörden sowie die Stellung der zentralen Verbindungsstelle betreffen, erließ die ĺKommission am 22.12.2006 eine entsprechende Entscheidung (ĺEntscheidungen) zur Durchführung dieser VO. (pa) §§: VO (EG) 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.10.2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden, ABl. 2004, Nr. L 364/1; Entscheidung der Kommission vom 22.12.2006 zur Durchführung der VO (EG) 2006/2004 des Europäischen Parlaments und
Verordnungen des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden bezüglich der Amtshilfe, KOM(2006) 6903, ABl. 2007, Nr. L 32/192 Lit.: B. Lurger/S. Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht, 2005
Verordnung, Gegenstand einer Individualnichtigkeitsklage regulation, subject-matter of an action for annulment – règlement, objet du recours en annulation
Individualnichtigkeitskläger können als ĺnichtprivilegierte Kläger nur bestimmte Kategorien von Rechtsakten mit der Nichtigkeitsklage nach Art. 230 Abs. 4 EG anfechten. Verordnungen gehören dem Wortlaut dieser Vorschrift nach nur dann zu den anfechtbaren Rechtsakten, wenn es sich dabei um „Entscheidungen handelt, die als Verordnung ergangen sind“. Es muss also ein Rechtsakt sein, der materiellrechtlich Entscheidungswirkung hat. Dies ist bei ĺScheinverordnungen und bei ĺHybridrechtsakten der Fall. (mk) §§: Art. 230 Abs. 4 EG Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 370 ff.
Verordnungen regulations – règlements
Die Verordnung ist eine der wichtigsten Handlungsformen des Gemeinschaftsrechts. Verordnungen werden in den Verträgen charakterisiert als verbindliche Rechtsakte mit allgemeiner Geltung, die in allen ĺMitgliedstaaten unmittelbar anwendbar sind (Art. 249 II und 110 II EG, Art. 161 II Euratom-Vertrag). Sie können von ĺRat und ĺParlament als Mitentscheidungsgesetzgeber, vom Rat oder von der ĺKommission erlassen werden, und punktuell auch von der ĺEZB. Das Merkmal, das die Verordnung von allen anderen Handlungsformen unterscheidet, ist ihre uneingeschränkte unmittelbare Anwendbarkeit (engl. direct applicability, franz. applicabilité directe). Die Bestimmungen einer Verordnung sind eine unmittelbare Quelle von Rechten und Pflichten für alle diejenigen, die sie betreffen, ob es sich um die Mitgliedstaaten oder um Einzelpersonen handelt. Ferner sind Verordnungen unmittelbar vollziehbar, können also als Ermächtigungsgrundlage für belastende Verwaltungsakte nationaler Behörden dienen. In ihrer Wirkungsweise entspricht die Verordnung somit dem Gesetz in den nationalen Verfassungsordnungen. Aufgrund dieser Fähigkeit zum „Durch-
griff“ auf Bürger und Unternehmen sind Verordnungen stets im ĺAmtsblatt der EU zu veröffentlichen, bevor sie in Kraft treten (Art. 254 II EG, ĺVeröffentlichung der Rechtsakte). Für den Gerichtshof folgt aus der Definition in Art. 249 II EG, dass Verordnungen ihre volle Wirkung einheitlich in sämtlichen Mitgliedstaaten vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an und während der gesamten Dauer ihrer Gültigkeit entfalten müssen. Den Mitgliedstaaten sind alle Handlungen untersagt, die „eine Änderung ihrer Tragweite oder eine Ergänzung ihrer Vorschriften zum Gegenstand haben“ oder durch die „die gemeinschaftliche Natur einer Rechtsvorschrift und die sich daraus ergebenden Wirkungen für den Einzelnen verborgen würden“. Dies schließt eine normtextwiederholende Umsetzung in nationales Recht ebenso aus wie norminterpretierende Rechtsetzung durch nationale Stellen. Andererseits verpflichtet die Verordnungs-Form den Gemeinschaftsgesetzgeber nicht zu einer erschöpfenden Regelung, sodass eine Verordnung den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume belassen oder sie zur Vornahme von lückenfüllenden Ausführungsakten verpflichten kann. Verordnungen können also sowohl zur Rechtsvereinheitlichung als auch zur Rechtsangleichung verwendet werden. Verordnungen spielen auch für das EG-Eigenverwaltungsrecht eine wichtige Rolle. So wird die laufende Verwaltung der europäischen Agrarmärkte praktisch ausschließlich in Verordnungen der Kommission abgewickelt. Auch handelspolitische Schutzmaßnahmen gegen gedumpte oder subventionierte Einfuhren aus Drittstaaten werden in Verordnungen beschlossen, ebenso Fangverbote im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik. Das Verwaltungsverfahren für den Erlass solcher Verordnungen mit Vollzugscharakter ist seinerseits in sektorspezifischen Grundverordnungen niedergelegt. Die gesetzesgleiche Verpflichtungs- und Berechtigungskraft einer Verordnung ist zu unterscheiden von der unmittelbaren Wirkung von ĺRichtlinien, die diese nur im Fall einer fehlerhaften Umsetzung und grundsätzlich nur zugunsten des Betroffenen entfalten können. Zwar sind auch Richtlinien regelmäßig Akte mit allgemeiner Geltung, sie sind aber im Gegensatz zu Verordnungen auf einen zweistufigen Rechtsetzungsprozess angelegt, also umsetzungsbedürftig. Unter der überwiegenden Mehrzahl von Rechtsgrundlagen können sowohl Verordnungen als auch Richtlinien erlassen werden, 939
Verpackungsvorschrift (freier Warenverkehr) ebenso ĺBeschlüsse und staatengerichtete ĺEntscheidungen. Die Auswahl ist eine Frage des gesetzgeberischen Ermessens. In der Praxis werden die Rechtsetzungsermächtigungen der Verträge etwa zu gleichen Teilen für Verordnungen und Richtlinien genutzt. In der Durchführungsrechtsetzung der Kommission dominieren Verordnungen. Für den Rechtsschutz gegen Verordnungen sahen die Verträge ursprünglich einige Sonderregelungen vor. So ist die Individualanfechtung einer Verordnung zugelassen, wenn sie den Kläger individuell und unmittelbar betrifft (Art. 230 IV EG, ĺIndividualnichtigkeitsklage); ein Kläger kann die Unanwendbarkeit einer rechtswidrigen Verordnung geltend machen, wenn diese als Rechtsgrundlage für eine ihn belastende Einzelmaßnahme gedient hat (Art. 241 EG, ĺInzidentrüge). Diese Spezialregelungen sind durch den Gerichtshof im Wege der Analogie auf alle Akte mit allgemeiner Geltung ausgedehnt worden. (jb) §§: Art. 110 II, 230 IV, 241, 249 II, 254 II EG; Art. 161 II Euratom-Vertrag Lit.: J. Bast, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU, 2006, 33 ff.; 212 ff.; ders., Handlungsformen, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 485 ff.; A. von Bogdandy/J. Bast/F. Arndt, Handlungsformen im Unionsrecht, ZaöRV 62 (2002) 77, 92 ff.; J.-V. Louis, Les règlements de la Communauté économique européenne, 1969 Rsp.: EuGH, Rs. 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251, 1270; Rs. 40/69 Bollmann Slg. 1970, 69, Rn. 4.; Rs. 39/ 72 Kommission/Italien, Slg. 1973, 101, Rn. 17; Rs. 34/ 73 Variola, Slg. 1974, 981, Rn. 10 f.; Rs. 94/77 Zerbone, Slg. 1978, 99, Rn. 22/27; Rs. 106/77 Simmenthal, Slg. 1978, 629, Rn. 14/16; Rs. 31/78 Bussone, Slg. 1978, 2429, Rn. 28/33; Rs. 230/78 Eridania, Slg. 1979, 2749, Rn. 34; Rs. 239/82 und 275/82 Allied u.a./Kommission, Slg. 1984, 1005, Rn. 11; Rs. C-309/89 Codorniu/Rat, Slg. 1994, I-1853, Rn. 19 f.; Rs. C-97/96 Verband dt. Daihatsu-Händler, Slg. 1997, I-6843, Rn. 24
Verpackungsvorschrift (freier Warenverkehr) packing instructions (free movement of goods) – règles de conditionnement (libre circulation des marchandises)
Nationale Regelungen über die Verpackung einer ĺWare können eine ĺMaßnahme gleicher Wirkung darstellen und sind auch nach der ĺKeck-Entscheidung als produktbezogene Vorschriften von Art. 28 EG erfasst. Beispiele sind etwa Regelungen über die Einhaltung einer bestimmten Verpackungsform für Margarine oder der Vorbehalt bestimmter Flaschenformen für inländische ĺErzeugnisse; s.a. ĺEtikettierungsvorschriften (freier Warenverkehr). (güh) Lit.: P. Müller-Graf, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EGV, Rn. 86
940
Rsp.: EuGH, Rs. 261/81 ĺRau, Slg. 1982, 3961; EuGH, Rs. 16/83 Prantl, Slg. 1984, 1299
Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes public service obligations – obligations de service public
Hierunter sind Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes zu verstehen, die ein Verkehrsunternehmen im eigenen wirtschaftlichen Interesse nicht oder nicht im gleichen Umfang und nicht unter den gleichen Bedingungen übernehmen würde. Der Terminus wird vor allem im Zusammenhang mit den beihilfenrechtlichen Bestimmungen der sekundärrechtlichen VO (EWG) 1191/69 (ABl. 1969, Nr. L 156/1) und VO (EWG) 1107/70 (ABl. 1970, Nr. L 130/1) gebraucht. Der Begriff geht auf Art. 73 2. Alternative EG zurück, der eine spezifische für den Verkehrsbereich zugeschnittene Legalausnahme zu den ansonsten anwendbaren beihilfenrechtlichen Bestimmungen der Art. 87 Abs. 2 und 3 EG enthält. Es wird in diesem Zusammenhang vor allem in der deutschsprachigen Literatur auch von „gemeinwirtschaftlichen Leistungen“ gesprochen. Er überschneidet sich teilweise mit dem Begriff der ĺgemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen; nach anderer Ansicht ist er deckungsgleich mit diesem. Nachdem das Gemeinschaftsrecht beide Termini kennt, ist die Annahme einer teilweisen Überschneidung zutreffender sein (vgl. zum Begriff der „gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen“ z.B. VO [EWG] 2408/92 über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs, ABl. 1992, Nr. L 240/8). Zudem steht er in einem gewissen Spannungsverhältnis zu dem Begriff der ĺDienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, wie er in Art. 86 EG gebraucht wird. Es fehlt eine einschlägige Legaldefinition der Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes bzw. gemeinwirtschaftlichen Leistungen im Primärrecht. Als allgemeines Verständnis kann die Zusammenfassung von Verpflichtungen angesehen werden, die ein Verkehrsunternehmen im eigenen wirtschaftlichen Interesse nicht oder nicht unter den gleichen Bedingungen übernehmen würde. Angesichts der sekundärrechtlichen Terminologie der „Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes“ im Zusammenhang mit den genannten VO kann dies als Teilbereich der gemeinwirtschaftlichen Leistungen angesehen werden. Die VO (EWG) 1191/69 jedenfalls sieht die Betriebspflicht, die Beförderungspflicht und die Tarifpflicht als Verpflichtungen des öffentlichen
Versandhandel (freier Warenverkehr) Dienstes vor. Die Betriebspflicht ist die Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, für die Strecken oder die Einrichtungen, deren Betrieb ihnen durch Konzession oder gleichwertige Genehmigung übertragen ist, alle Maßnamen zu treffen, um eine Verkehrsbedienung sicherzustellen, welche festgesetzten Normen für die Kontinuität, die Regelmäßigkeit und die Kapazität entspricht. Eingeschlossen ist auch die Verpflichtung, zusätzliche Betriebseinrichtungen zu unterhalten, sowie die Verpflichtung, die Strecken, das Material – soweit es auf dem gesamten Streckennetz überzählig ist – und die Anlagen nach der Einstellung von Verkehrsdiensten in gutem Zustand zu erhalten. Beförderungspflicht im Sinne dieser Verordnung ist die Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, alle Personen- oder Güterbeförderungen zu bestimmten Beförderungsentgelten und -bedingungen anzunehmen und auszuführen. Tarifpflicht im Sinne dieser Verordnung ist die Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, zur Anwendung von behördlich festgesetzten oder genehmigten, mit dem kaufmännischen Interesse des Unternehmens nicht zu vereinbarenden Entgelten, die sich insbesondere bei bestimmten Gruppen von Reisenden, bestimmten Güterarten oder bestimmten Verkehrswegen aus der Auferlegung oder verweigerten Änderung von besonderen Tarifmaßnahmen ergeben. Erlaubt ist (u.a. nach den genannten VO) der finanzielle Ausgleich besonderer Mehrbelastungen, die bestimmte Verkehrsträger aufgrund einer ungünstigeren wirtschaftlichen Ausgangslage oder aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes treffen, als andere. S.a. ĺBeihilfen, Verkehrsrecht (Sekundärrecht). (sm) §§: VO (EGW) 1191/69 (ABl. 1969, Nr. L 156/1) und VO (EWG) 1107/70 (ABl. 1970, Nr. L 130/1); KOM(2005) 319 endg. vom 20.7.2005 Lit.: W. Küpper, in: A. Frohnmeyer/P. Mückenhausen (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004, 3, Rn. 1 ff. (12 ff.)
Verpflichtungen, gemeinwirtschaftliche ĺGemeinwirtschaftliche Verpflichtung; ĺVerpflichtungen des öffentlichen Dienstes; ĺBeihilfe, Verkehrsrecht; ĺBeihilfen, Verkehrsrecht (Sekundärrecht) Verpflichtungsermächtigung commitment appropriation – crédits d’engagement
Eine Verpflichtungsermächtigung ist eine haushaltsrechtliche Ermächtigung im ĺHaushalts-
plan, auf deren Grundlage Verpflichtungen eingegangen werden dürfen, die Ausgaben in einem künftigen Haushaltsjahr verursachen. Ein typisches Beispiel wäre das Eingehen von Dauerschuldverhältnisse (z.B. eines Mietvertrages) mit einer Laufzeit über das jeweilige Haushaltsjahr hinaus. Die Zulässigkeit einer Verpflichtungsermächtigung ergibt sich aus Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 ĺHaushaltsordnung. (gär) §§: Art. 7 Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/ 2002) Lit.: C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, 2001, 467 ff.
Versammlungsfreiheit freedom of assembly – liberté de réunion
Die Versammlungs- und Verein(igung)sfreiheit sind europäische ĺGrundrechte (allgemeine Rechtssätze, Art. 11 EMRK als Gemeinschaftsgrundrecht; vgl. jetzt Art. 12 GRC/Art. II-72 EVV). Ihre Bedeutung deckt sich mit der des Grundrechts auf Versammlungs- und Vereinsfreiheit nach Art. 11 EMRK. Als Versammlungen in dem Sinn geschützt sind friedliche Zusammenkünfte mehrerer Menschen zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks. Einschränkungen sind nach Art. 11 Abs. 2 EMRK, zusätzlich zum – weiteren – Art. 52 GRC/Art. II-112 EVV, erlaubt. Grundrechtliche Schutzpflichten aus diesem Grundrecht sind anerkannt. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist u.U. geeignet, die gemeinschaftsrechtliche ĺWarenverkehrsfreiheit zu beschränken (EuGH, Rs. C-112/00 ĺSchmidberger, Slg. 2003, I-5659 – „Brenner Blockade“). S.a. unter ĺVereinsfreiheit. (ed) §§: Art. 12 GRC/Art. II-72 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 17, I;
Versandhandel (freier Warenverkehr) direct mail selling (free movement of goods) – vente par catalogue (libre circulation des marchandises)
Viele ĺMitgliedstaaten haben nationale Regelungen für den Vertrieb von bestimmten Produktgruppen (z.B. Arzneimittel, Pyrotechnika, jugendgefährende Schriften) im Fernabsatz (ĺFernabsatzRL). Nach der Entscheidung ĺKeck könnten solche Verbote als ĺVerkaufsmodalitäten aus dem Tatbestand des Art. 28 EG fallen. In der ĺDocMorris-Entscheidung hat der ĺEuGH jedoch klargestellt, dass ein Versandhandelsverbot unter bestimmten Umständen doch den Zugang zum Endkunden941
Versandhandelsregelung markt für Hersteller aus anderen Mitgliedstaaten unmöglich bzw. zumindest erheblich erschweren kann und daher nach Art. 28 ff. EG auf eine mögliche Rechtfertigung hin zu überprüfen ist. (ah) Lit.: R. Streinz, Das Verbot des Apothekenversandhandels mit Arzneimittel – Eine „Verkaufsmodalität“ im Sinne der Keck-Rechtsprechung?, EuZW 2003, 37
Versandhandelsregelung rules applicable to mail order – règles applicables à la vente par correspondance
Die USt-Regelung des europäischen Binnenmarktes beruht prinzipiell auf dem Bestimmungslandprinzip. Das Ursprungslandprinzip wird nur in Ausnahmefällen, speziell im Fall der Abholung des Liefergegenstandes durch natürliche Personen ohne Unternehmereigenschaft (privater Reiseverkehr) verwirklicht. Um bei Versendung an private Abnehmer im Ausland, die de facto nicht der Erwerbsbesteuerung unterworfen werden können, die Anwendung des ĺBestimmungslandprinzips sicherzustellen, verlegt die 6. MwStRL den Ort der Lieferung in das Bestimmungsland, wenn die Lieferung des Unternehmens in dieses Land einen bestimmten Grenzwert – die ĺLieferschwelle – übersteigen. Damit sollen Wettbewerbsvorteile von Lieferungen aus Mitgliedstaaten mit niedrigeren Steuersätzen verhindert oder zumindest abgeschwächt werden. (pu) §§: Art. 28b Teil B Abs. 2 6. MwStRL
Verschleierte Beschränkung der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit disguised restriction on the free movement of capital and payments – restriction déguisée à la libre circulation des capitaux et des paiements
In Art. 58 Abs. 3, 2. Alt EG niedergelegter Ausschluss (sog. Schranken-Schranke) einer Rechtfertigung der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit. Von der Rechtsprechung bislang nicht näher definiert. In der Literatur wird der eigenständige Charakter der verschleierten Beschränkung überwiegend verneint und diese lediglich als Unterfall der in Art. 58 Abs. 3, 1. Alt. EG genannten willkürlichen Diskriminierung oder als Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verstanden (ĺDiskriminierungsverbot, Kapitalverkehrsfreiheit). (mk) §§: Art. 58 Abs. 3 EG Lit.: J. Bröhmer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 58 EGV, Rn. 39
942
Verschmelzung, grenzüberschreitende cross-border merger – fusion transfrontalières
Bezeichnet die Verschmelzung zweier oder mehrerer Gesellschaften mit Satzungssitz in verschiedenen Staaten. Die Zulässigkeit eines solchen Vorganges war in der Vergangenheit wegen der Gefährdung der Interessen der Gläubiger, Arbeitnehmer und Minderheitsgesellschafter in der Lehre str und wurde auch von der Rsp. nicht einheitlich beantwortet (auch für Verschmelzungen innerhalb der Gemeinschaft; für Verschmelzungen in oder aus Drittstaaten bestehen weiterhin Hindernisse). Mittlerweile wurde die grenzüberschreitende Verschmelzung durch die Judikatur des EuGH (ĺSevicEntscheidung), andererseits durch die ĺVerordnung zur Schaffung der ĺSocietas Europaea (SE) und die ĺInternationale Verschmelzungsrichtlinie zuwischen Mitgliedstaaten weitestgehend ermöglicht. (tr) Lit.: C. Bühler, Grenzüberschreitende Fusion von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union, 2000; F. Harrer, Internationale Verschmelzungen, GesRZ 1995, 141
Verschmelzungsrichtlinie directive concerning mergers of public limited liability companies – directive sur les fusions des sociétés de capitaux
Dritte gesellschaftsrechtliche ĺRichtlinie vom 9.10.1978 betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften (78/855/EWG, ABl. 1978, L 295/36). Die Verschmelzungsrichtlinie betrifft nur die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, die innerhalb eines Mitgliedstaates erfolgt; für grenzüberschreitende Verschmelzungen ist die ĺinternationale Fusionsrichtlinie einschlägig. Zwei Arten der Verschmelzung sind vorgesehen: Die Verschmelzung durch Aufnahme einer oder mehrerer Gesellschaften durch eine andere Gesellschaft und die Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft; weiters finden sich Bestimmungen zur Verschmelzung im Konzern und Normen für der Verschmelzung gleichgestellte Vorgänge (etwa, wenn nicht sämtliche übertragende Gesellschaften erlöschen). Die Rechtsfolge der Verschmelzung ist die Gesamtrechtsnachfolge (unter Vorbehalt des allgemeinen Zivilrechts); Aktionäre der übertragenden Gesellschaft werden zu Aktionären der übernehmenden Gesellschaft. Die Verschmelzungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten einerseits, das Institut der Verschmelzung als solches überhaupt einzuführen und enthält andererseits Schutzbe-
Verstärkte Zusammenarbeit stimmungen für Aktionäre und Gläubiger (etwa die Pflicht zur Aufstellung eines Verschmelzungsplans und eines Verschmelzungsberichts, Informations- und Beteiligungsrechte der Aktionäre, Haftung der beteiligten Organe und Berichtsprüfer). In Österreich wurde die Verschmelzungsrichtlinie durch das EU-GesRÄG 1996 (BGBl. 1996/304) umgesetzt. (tr)
Kunden“. Unternehmen, die die Versorgung durchführen, sind ĺNetzbenutzer und damit zur diskriminierungsfreien Netzbenützung berechtigt. Die Versorgung wird an verschiedenen Stellen angesprochen, im Mittelpunkt der Richtlinie stehen aber die ĺNetzbetreiber. Vergleichbare Regelungen trifft die Erdgasbinnenmarktrichtlinie. (hh)
Versicherungsvertragsrecht (Harmonisierung)
§§: Art. 2 Z. 19 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/54/EG); Art. 2 Z. 7 Erdgasbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/55/EG)
Insurance Contract Law (harmonisation) – Droit des contrats d’assurance (harmonisation)
Das Gebiet des materiellen Versicherungsvertragsrechts ist in die laufenden Vorarbeiten für den ĺGemeinsamen Referenzrahmen einbezogen. Dies beruht auf der Überlegung, dass die bloße Vereinheitlichung des Kollisionsrechts, die lediglich das Recht des jeweiligen Versicherungsnehmers für anwendbar erklärt, unzureichend bleibt, weil es die Versicherungsunternehmer davon abschreckt, ihre Leistungen grenzüberschreitend in mehreren Mitgliedstaaten anzubieten. Die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit in diesem Bereich setzt vielmehr eine wirkliche Integration der Versicherungsmärkte voraus. Den hierzu nötigen Vorarbeiten für eine europäische Harmonisierung widmet sich die ĺProject Group on a Restatement of European Insurance Contract Law (Innsbruck-Gruppe). (mrm) Versorger letzter Instanz (Energierecht) supplier of last resort (energy law) – fournisseur de dernier recours (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Gem. Art. 3 ElektrizitätsbinnenmarktRL, Art. 3 ErdgasbinnenmarktRL haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, einen V.l.I. zu benennen, sodass angeschlossene ĺEndkunden und schutzbedürftige (sonstige) Kunden jedenfalls mit elektrischer Energie bzw. Erdgas versorgt werden. (hh) §§: Art. 3 Abs. 3 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL 2003/54/EG); Art. 3 Abs. 3 Erdgasbinnenmarkrichtlinie (RL 2003/55/EG) Lit.: B. Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006, 47, 181
Versorgung (Energierecht) supply (energy law) – alimentation (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Versorgung ist gem. Art. 2 Z. 19 Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie der „Verkauf einschließlich des Weiterverkaufs von Elektrizität an
Versorgungsagentur ĺEuratom-Versorgungsagentur Verstärkte Zusammenarbeit enhanced cooperation – coopération renforcée
Die durch den ĺVertrag von Amsterdam in EUV (Art. 27a-27e, 40-40b, 43-45) und EGV (Art. 11, 11a) eingefügten Bestimmungen über eine verstärkte Zusammenarbeit ermöglichen es einem Teil der ĺMitgliedstaaten, in bestimmten Vertragsbereichen untereinander enger zusammenzuarbeiten, wenn unter Einbeziehung der Gesamtheit der Mitgliedsländer die angestrebten Ziele nicht in einem vertretbaren Zeitraum verwirklicht werden können. Die verstärkte Zusammenarbeit darf sich der in EUVertrag und EG-Vertrag vorgesehenen Organe, Verfahren und Mechanismen bedienen und in beiden Vertragsbereichen Recht mit beschränktem Geltungsumfang schaffen (ĺVerstärkte Zusammenarbeit, Rechtsfolgen). Die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten sind bei der Entscheidung über die Einsetzung einer verstärkten Zusammenarbeit stimmberechtigt, dürfen aber an den Ratssitzungen zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit nur als Beobachter teilnehmen (ĺVerstärkte Zusammenarbeit, Beschlussfassung). Für die Begründung und Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit gelten restriktive Voraussetzungen (ĺverstärkte Zusammenarbeit, Voraussetzungen), die durch den ĺVertrag von Nizza nur geringfügig gelockert wurden. Auch deshalb wurde von den Bestimmungen über die verstärkte Zusammenarbeit in der Praxis bislang kein Gebrauch gemacht. Die in EU- und EG-Vertrag enthaltene Ermächtigung zur verstärkten Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten ist eine Form der Flexibilisierung oder Differenzierung im Integrationsprozess (ĺDifferenzierte Integration). Ihre Besonderheit besteht darin, dass sie zur 943
Verstärkte Zusammenarbeit, Beitritt Inanspruchnahme der vertraglichen Organe, Verfahren und Mechanismen ermöglicht, ohne primärrechtlich den genauen Bereich der engeren Zusammenarbeit vorwegzunehmen. Stattdessen wird das Tätigkeitsfeld für jede verstärkte Zusammenarbeit erst durch Beschluss des Rates (sekundärrechtlich) bestimmt. Hierin unterscheidet sich die verstärkte Zusammenarbeit von den seit dem Vertrag von Maastricht geschaffenen Differenzierungsformen, bei denen einem Teil der Mitgliedstaaten die Nutzung des institutionellen Rahmens der EU nur in primärrechtlich vorbestimmten Bereichen gestattet wurde (so z.B. im Rahmen der ĺWirtschafts- und Währungsunion). Nach richtiger Auffassung lässt die EU- und EG-vertraglich eingeräumte Möglichkeit zur verstärkten Zusammenarbeit die Befugnis einzelner Mitgliedstaaten unberührt, auch weiterhin außerhalb des institutionellen Rahmens unter Rückgriff auf die herkömmlichen Mittel des Völkerrechts miteinander enger zu kooperieren, um damit die Vertragsziele zu fördern, wie z.B. im ĺVertrag von Prüm über die Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen Immigration. (mke) §§: Art. 27a-27e, 40-40b, 43-45 EU; Art. 11, 11a EG Lit.: M. Kellerbauer, von Maastricht bis Nizza, Neuformen differenzierter Integration in der Europäischen Union, 2003, 165; M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 43 EUV; T. Bender, die verstärkte Zusammenarbeit nach Nizza, ZaöRV 61 (2001) 729 ff.
Verstärkte Zusammenarbeit, Beitritt enhanced cooperation, accession – coopération renforcée, adhésion
Jede ĺverstärkte Zusammenarbeit unterteilt die Europäische Union in Teilnehmer- und Nichtteilnehmerstaaten. Eine Möglichkeit zur Überwindung dieser Aufspaltung ist der Beitritt zu dem Integrationsniveau, dass sich die verstärkt zusammenarbeitenden Mitgliedstaaten erschlossen haben. Voraussetzung für einen Beitritt ist gem. Art. 43b EU, dass sich die Nachzügler dem zur Einsetzung der verstärkten Zusammenarbeit gefassten Grundbeschluss anschließen. Ähnlich des Beitritts eines neuen Mitgliedstaates zur Europäischen Union (ĺBeitritt) muss ferner die Gesamtheit des Rechts übernommen werden, das durch die verstärkt zusammenarbeitenden Mitgliedstaaten geschaffen wurde. Andere Voraussetzungen dürfen an 944
den Beitritt zu einer verstärkten Zusammenarbeit dagegen nicht geknüpft werden (Grundsatz der Offenheit verstärkter Zusammenarbeit, Art. 43b EU). Für den Beitritt zu einer verstärkten Zusammenarbeit in den verschiedenen Säulen der ĺEuropäischen Union existieren spezielle Beitrittsverfahren, die in den Art. 27e, 40b EU und 11a EG näher beschrieben sind. (mke) §§: Art. 43b EU, Art. 27e, 40b EU; Art. 11a EG Lit.: s. Lit. zu ĺverstärkte Zusammenarbeit
Verstärkte Zusammenarbeit, Beschlussfassung enhanced cooperation, decision-making – coopération renforcée, prise de décision
ĺMitgliedsländer, die eine ĺverstärkte Zusammenarbeit begründet haben, bedienen sich im Grundsatz der gleichen Rechtsgrundlagen, der gleichen Handlungsinstrumente und der gleichen Beschlussverfahren, die in den verschiedenen Säulen der ĺEuropäischen Union auch unter Zugrundelegung der einheitlichen Integrationsmethode Anwendung finden. In Abweichung davon ordnen Art. 44 EU besondere Abstimmungsregeln für den Rat und die Art. 27c, 27d, 45 EU besondere Unterrichtungsund Koordinierungspflichten an. Die allgemeinen Regeln zur Beschlussfassung erfahren nur insoweit eine Abänderung, als die an der verstärkten Zusammenarbeit nicht beteiligten Mitgliedstaaten im Rat von der Beschlussfassung ausgeschlossen sind (Art. 44 EU). Der für einen qualifizierten Mehrheitsbeschluss erforderliche Stimmanteil von derzeit etwa 73,91 % ist demnach nur im Hinblick auf die Gesamtstimmenzahl der Teilnehmerstaaten zu erzielen. Ferner bemisst sich die für einen Ratsbeschluss erforderliche Mehrheit der Ratsmitglieder (bzw. bei Tätigwerden des Rats ohne Vorschlag der ĺKommission das Mindestquorum von zwei Dritteln) nur nach den Ratsmitgliedern, deren Staaten an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligt sind. Sollte ein Teilnehmerstaat die Überprüfung beantragen, ob jene Mitgliedstaaten, welche die qualifizierte Mehrheit bilden, mindestens 62 % der Gesamtbevölkerung repräsentieren, so zählen zur Errechnung der Gesamtbevölkerung nur die an der verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten. Für die übrigen Gemeinschaftsorgane ordnet Art. 44 EU keine Sonderregeln an. ĺEuropäisches Parlament, ĺKommission, ĺEuGH und ĺRechnungshof handeln auch im Rahmen
Versteckte Diskriminierung verstärkter Zusammenarbeit in ihrer herkömmlichen Zusammensetzung nach den in EUV und EGV vorgesehenen Verfahren. Hierdurch ist es denkbar, dass Abgeordnete des Europäischen Parlaments aus 27 Mitgliedsländern auf einen Rechtsetzungsvorgang einwirken, der für weniger als ein Drittel der EU-Mitglieder bindende Wirkung (ĺVerstärkte Zusammenarbeit, Rechtsfolgen) entfaltet. (mke) §§: Art. 27c, 27d, 44, 45 EU Lit.: s. Lit. zu ĺverstärkte Zusammenarbeit
Verstärkte Zusammenarbeit, Rechtsfolgen enhanced cooperation, legal consequences – coopération renforcée, conséquences juridiques
Gegenüber den an einer ĺverstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten bestimmen sich die Rechtswirkungen der im Verlaufe der engeren Kooperation geschaffenen Rechtsakte und gefassten Beschlüsse nach den allgemeinen Vorschriften der betreffenden Säule der ĺEuropäischen Union (vgl. Art. 44 Abs. 2 EU, Art. 11 Abs. 3 EG). Dies bedeutet insbesondere, dass das in der ersten Säule geschaffene Recht unmittelbare Geltung in den Teilnehmerstaaten besitzt und Anwendungsvorrang vor den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen beansprucht. Für die Nichtteilnehmerstaaten entfalten die ohne ihre Teilnahme getroffenen Ratsbeschlüsse (ĺverstärkte Zusammenarbeit, Beschlussfassung) dagegen keine Wirkung. Entsprechend tragen sie nicht zur Erweiterung des ĺGemeinschaftlichen Besitzstands bei (Art. 44 Abs. 1 letzter Satz EU). Dies ist nicht unproblematisch, da die Koexistenz unterschiedlicher gemeinschaftlicher Rechtskörper inkongruenten Geltungsumfangs widersprüchliche Auswirkungen auf das Kompetenzgefüge in der EG (s. z.B. ĺAETR-Rechtsprechung) haben kann. (mke) §§: Art. 44 Abs. 2 EU; Art. 11 Abs. 3 EG Lit.: s. Lit. zu ĺverstärkte Zusammenarbeit
Verstärkte Zusammenarbeit, Voraussetzungen enhanced cooperation, conditions – coopération renforcée, conditions
Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer ĺverstärkten Zusammenarbeit sind allgemein in Art. 43 und 43a EU enthalten. Flankierende Regeln sind je nach Säule der ĺEuropäischen Union aufgestellt in Art. 11 EG (ĺerste Säule), Art. 27a-27c EU (ĺzweite Säule) und Art. 40 EU (ĺdritte Säule). Dabei ist zu unterscheiden
zwischen den Anforderungen an den Einsetzungsbeschluss, mit dem eine verstärkte Zusammenarbeit begründet wird und den Voraussetzungen für Durchführungsbeschlüsse, die im engeren Kreis zur Ausgestaltung und Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit getroffen werden. Der Einsetzungsbeschluss, der die verstärkt zusammenarbeitenden Mitgliedstaaten zur Inanspruchnahme der vertraglichen Organe, Verfahren und Mechanismen ermächtigt, wird durch den ĺRat gefasst, und zwar unter Beachtung der für die verschiedenen Unionspfeiler unterschiedlich ausgestalteten Einsetzungsverfahren (vgl. Art. 11 Abs. 2 EG für die erste Säule, 27c EU für die zweite Säule und Art. 40a EU für die dritte Säule). Seit Inkrafttreten des ĺVertrags von Nizza haben einzelne ĺMitgliedstaaten kein Vetorecht mehr, mit dem sie die Einsetzung einer verstärkten Zusammenarbeit in der ersten oder dritten Säule verhindern können. Die materiellen Voraussetzungen für die Begründung einer verstärkten Zusammenarbeit sind insbesondere in den Art. 43 lit. a, d, g, j, 43a, 43b EU enthalten. Hervorzuheben sind das Mindestteilnehmererfordernis (acht Mitgliedstaaten), das Zielerfordernis (Integrationsfortschritte in Richtung auf die Vertragsziele), das Gebot der Offenheit für alle teilnahmebereiten Mitgliedstaaten und das Erfordernis eines vorherigen Scheiterns der herkömmlichen Integrationsmethode (verstärkte Zusammenarbeit nur als ultima ratio bei Blockaden oder unvertretbaren Verzögerungen im Integrationsprozess). Während der Durchführung unterliegt eine verstärkte Zusammenarbeit im Grundsatz den allgemeinen primärrechtlichen Regeln der Unionssäule, in der sie begründet wurde. Darüber hinaus gelten zusätzlichen Erfordernisse, die insbesondere in Art. 43 lit. b, c, d, e, f, h, i, j und Art. 43b EU angeordnet sind. Hervorzuheben sind das Gebot der Wahrung des ĺGemeinschaftlichen Besitzstands, das zur Beachtung des unter Mitwirkung aller Mitgliedstaaten geschaffenen Rechts anhält, die Pflicht zur Wahrung der Interessen der nicht beteiligten Mitgliedstaaten und das Verbot, über die bestehenden Zuständigkeiten und den institutitionellen Rahmen der EU/EG hinauszugehen. (mke) §§: Art. 27a, 27b, 27c, 40, 43, 43a, 43b EU; Art. 11 EG Lit.: s. Lit. zu ĺverstärkte Zusammenarbeit
Versteckte Diskriminierung ĺDiskriminierung, mittelbare 945
Verteidigungsagentur, Europäische (EDA) Verteidigungsagentur, Europäische (EDA) European Defence Agency (EDA) – Agence européenne de défense (EDA)
Errichtung im Jahr 2004 im Rahmen der ĺEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) aufgrund der Bemühungen zur Verbesserung der militärischen ĺFähigkeiten nach Maßgabe des militärischen Planziels 2010. Als eine ĺAgentur der GASP/ESVP im Rahmen der zweiten Säule der ĺEuropäischen Union verfügt die Europäische Verteidigungsagentur EDA (gebräuchliche einheitliche Abkürzung für englisch „European Defence Agency“) über eine eigene Rechtspersönlichkeit. Ihrem Verwaltungsrat gehören alle ĺMitgliedstaaten an, mit Ausnahme Dänemarks aufgrund seiner ungleichzeitigen Sonderstellung in der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik; die Leitung obliegt dem ĺHohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Neben allgemeiner Forschungsarbeit koordiniert die Agentur auch spezielle „Ad-hoc-Projekte“ bzw. „Ad-hoc-Programme“, an denen sich jeweils nicht alle Mitgliedstaaten beteiligen müssen, sondern variable Gruppierungen spontan zusammenarbeiten. Die ständigen Verwaltungsausgaben der EDA werden von den Mitgliedstaaten als nationale Beiträge außerhalb des EU-Haushalts nach dem Vorbild des militärischen Finanzierungsmechanismus ĺATHENA geleistet, die Finanzierung von Ad-hoc-Projekten obliegt den hieran beteiligten Mitgliedstaaten. Die Aufgaben der EDA sind weitreichend, in ihrer konkreten Umsetzung aber von der freiwilligen Beteiligung der Mitgliedstaaten an Adhoc-Projekten und -Programmen abhängig. Im Einzelnen sind der EDA folgende vier Zielvorgaben gesetzt: 1. Verbesserung der Verteidigungsfähigkeiten durch Ermittlung bestehender Engpässe durch Mitwirkung an und in enger Abstimmung mit den bestehenden Mechanismen und Vorgaben der ESVP zur Verbesserung der militärischen ĺFähigkeiten der Mitgliedstaaten im Bereich des Krisenmanagements. 2. Förderung der Rüstungszusammenarbeit durch neue multinationale Projekte, Koordinierung nationaler Aktivitäten sowie Übernahme der Verantwortung eigener Projekte des Beschaffungs- und Entwicklungswesens, auch in Zusammenarbeit mit der fortbestehenden und formal unabhängigen Europäischen ĺRüstungsagentur OCCAR, die an946
gesichts der überlappenden Aufgabenbereiche nicht mit der Europäischen Verteidigungsagentur EDA zu verwechseln ist. 3. Maßnahmen zur Errichtung eines europäischen (Binnen-)Markts für Verteidigungsgüter, welche aufgrund von Ausnahmebestimmungen im EG-Vertrag für die ĺRüstungspolitik nicht dem freien Warenverkehr des EG-Binnenmarkts unterfallen. In Umsetzung dieser Vorgabe verständigten sich alle Mitgliedstaaten außer Dänemark und Spanien im Jahr 2006 auf einen Code of Conduct on Defence Procurement (CoC), der zwar keine Rechtsverbindlichkeit besitzt, als politische Selbstverpflichtung der nationalen Ministerien gleichwohl eine Vernetzung des europäischen Rüstungsgütermarktes bewirkt. 4. Verbesserung der Effektivität der Europäischen Verteidigungsforschung und -technologie (F&T), insb. durch die Koordinierung nationaler Projekte, eine enge Abstimmung mit den EG-Maßnahmen aufgrund der ĺForschungsrahmenprogramme und die Durchführung eigener Forschungsprojekte. (dt) §§: GA 2004/551/GASP, ABl. 2004, Nr. L 245/17 Lit.: M. Trybus, The new European Defence Agency: A contribution to a common European security and defence policy and a challenge to the Community acquis?, CML Rev. 2006, 667 Web: http://www.eda.europa.eu/
Verteidigungspolitik ĺEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Verteidigungsrechte rights of defence – droits de la défense
Verteidigungsrechte bei der Strafverfolgung und ähnlichen Verfahren (wo strafähnliche Sanktionen drohen) sind als ĺGrundrecht bereits jetzt primärrechtlich, explizit künftig auch durch die ĺGRC garantiert. S.a. ĺUnschuldsvermutung. Voraussetzungen sind die Anklage bzw. Beschuldigung wegen einer Straftat, sowie ein Verfahren zur Verhängung zumindest strafähnlicher Sanktionen. (ed) §§: Art. 48 GRC/Art. II-108 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 41; A. Eser, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 48
Verteilernetzbetreiber (Energierecht) ĺVerteilung (Energierecht)
Vertrag über eine Verfassung für Europa Verteilung (Energierecht) distribution (energy law) – distribution (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Neben der ĺErzeugung und ĺÜbertragung die dritte von der ĺElektrizitätsbinnenmarktrichtlinie und ĺErdgasbinnenmarktrichtlinie vorgesehene Funktion. Art. 13 ff. Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie und Art. 12 ff. Erdgasbinnenmarktrichtlinie normieren die Voraussetzungen für die Benennung eines Verteilernetzbetreibers und definieren die Aufgaben dieser Netzbetreiber. Im Mittelpunkt steht der sichere Betrieb des Netzes und die diskriminierungsfreie Vergabe von Kapazitäten, zumal die Verteilernetze – wie Netze für die ĺÜbertragung – „natürliche Monopole“ sind. Die Europäische Kommission betrachtet die diskriminierungsfreie Vergabe von Kapazitäten als Schlüssel zu einem funktionierenden Wettbewerb. Deshalb treffen Betreiber von Netzen zur V. und ĺÜbertragung Pflichten zum ĺUnbundling. (hh) Lit.: B. Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006, 69 ff.
Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung block exemption for vertical agreements – règlement d’exemption verticale par catégorie
Für vertikale Vereinbarungen gibt es im Gegensatz zu ĺhorizontalen Vereinbarungen mit der VO (EG) 2790/1999 (Vertikal-GVO) eine umfassende ĺGruppenfreistellungsverordnung. Die ĺVerordnung VO (EG) 2790/1999 der ĺKommission über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von ĺvertikalen Vereinbarungen und aufeinander ĺabgestimmten Verhaltensweisen hat die speziellen ĺGruppenfreistellungsverordnungen zu Alleinvertriebsvereinbarungen, zu Alleinbezugsvereinbarungen und zu Franchise-Vereinbarungen ersetzt. Die Vertikal-GVO geht davon aus, dass zahlreiche vertikale Vereinbarungen grundsätzlich die wirtschaftliche Effizienz einer Vertriebs- oder Produktionskette erhöhen können. Die Vertikal-GVO hat einen recht umfassenden Anwendungsbereich und bezieht sich somit auf alle ĺvertikalen Vereinbarungen mit Ausnahme von solchen im Kfz-Vertrieb. Anders als die Vorgängerverordnungen stellt die VertikalGVO in Art. 3 alle ĺvertikalen Vereinbarungen grundsätzlich frei, wenn der Lieferant auf dem Markt, auf dem er die Vertragswaren verkauft einen Marktanteil von weniger als 30 % hat. Bei Alleinbelieferungsverpflichtungen sind
ebenfalls vertikale Vereinbarungen grundsätzlich freigestellt, wenn der Käufer auf dem Beschaffungsmarkt weniger als 30 % Marktanteil hat. Dieser grundsätzlichen ĺFreistellung liegt die Annahme zu Grunde, dass bei geringer Marktmacht der beteiligten ĺUnternehmen die positiven Effekte (Effizienzgewinne) von ĺVertikalvereinbarungen überwiegen. Allerdings statuiert die Vertikal-GVO in Art. 4 eine schwarze Liste mit ĺVereinbarungen, für die diese ĺFreistellung nicht gilt. Nicht freigestellt werden bspw. Klauseln in Verträgen, die eine Beschränkung der Preisfestsetzungsfreiheit des Käufers, eine Einschränkung des Käufers bei der Auswahl des zu beliefernden Gebietes und der zu beliefernden Kunden sowie Beschränkungen von Querlieferungen zwischen Händlern innerhalb eines selektiven Vertriebssystems bezwecken. Ebenso ist gem. Art. 5 der VertikalGVO die ĺVereinbarung von Wettbewerbsverboten für eine unbestimmte Dauer oder für mehr als 5 Jahre von der grundsätzlichen Freistellung ausgenommen. Zudem kann gem. Art. 6 die ĺKommission einer ĺVereinbarung die grundsätzlich nach der Vertikal-GVO gewährte ĺFreistellung entziehen, wenn diese ĺVereinbarung im konkreten Fall nicht mit Art. 81 Abs. 3 EG vereinbar sein sollte. (jpt) §§: VO (EG) 2790/1999 der Kommission über die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 1999, Nr. L 336/21) Lit.: T. Ackermann, Die neuen EG-Wettbewerbsregeln für vertikale Beschränkungen – Ein Wegweiser durch die geplante Gruppenfreistellungsverordnung und die geplanten Leitlinie der Kommission, EuZW 1999, 741; M. Baron, in: U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 1, 2005, 474 ff.; C. Liebscher/E. Flohr/A. Petsche, Handbuch der EUGruppenfreistellungsverordnungen, 2003
Vertrag über die Europäische Union ĺVertrag von Maastricht Vertrag über eine Verfassung für Europa Treaty establishing a constitution for Europe – Traité établissant une Constitution pour l’Europe
Der Vertrag über eine Verfassung für Europa wurde im Rahmen des ĺEuropäischen Konvents erarbeitet. Im Zuge der Regierungskonferenz 2003/2004 wurde der Verfassungsvertrag politisch akkordiert und am 29.10.2004 in Rom unterzeichnet und authentifiziert. Der Verfassungsvertrag sollte den ĺEG-Vertrag und den ĺEU-Vertrag ablösen und ursprüng947
Vertrag von Amsterdam lich am 1.11.2006 in Kraft treten. Zuvor war aber die Ratifikation durch die dafür zuständigen nationalen Parlamente oder in Volksabstimmungen in allen Mitgliedstaaten notwendig. Dieser Prozess erlitt durch die Ablehnung der EU-Verfassung bei Volksabstimmungen in Frankreich am 29.5.2005 und in den Niederlanden am 1.6.2005 einen schweren Rückschlag. Die danach ausgerufene Reflexionsphase endete mit dem Beschluss des Europäischen Rats vom 21./22.6.2007, der nunmehr vorsieht, die bereits bestehenden gemeinschaftlichen Verträge zu ändern statt durch einen EU-Verfassungsvertrag zu ersetzen. Mit einem ĺReformvertrag, der ohne nationale Volksabstimmungen ratifiziert werden kann, soll ein Großteil der Inhalte des Verfassungsvertrages in die Verträge eingearbeitet werden. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa besteht aus dem Verfassungsvertrag, mehreren Protokollen und einer Schlussakte mit verschiedenen Erklärungen. Der Verfassungsvertrag selbst umfasst 448 Artikel, beginnt mit einer Präambel und ist in vier Teile gegliedert. Teil I VVE beinhaltet die Struktur der Verfassung hinsichtlich der Grundlagen, Institutionen und Zuständigkeiten der EU und umfasst 60 Artikel. Teil II VVE umfasst die Charta der Grundrechte der Union und enthält eine Präambel und 54 Artikel. Teil III VVE regelt in 322 Artikeln die Politikbereiche und die Arbeitsweise der EU. Teil IV VVE enthält 12 Artikel, die Allgemeines und Schlussbestimmungen regeln. Die Neuerungen durch den Verfassungsvertrag betreffen ƒ strukturelle Neuerungen (Gründung einer neuen Europäischen Union, Vereinfachung durch Zusammenführung der vertraglichen Grundlagen, Auflösung der europäischen Säulenstruktur) ƒ institutionelle Neuerungen (Aufwertung des EP, Organstellung für den Europäischen Rat, ...) ƒ neue Kompetenzverteilung ƒ Neukodifikation zentraler Grundsätze (Werte und Ziele der Union, Vorrang des Unionsrechts) ƒ Materielle Neuerungen (Grundrechtecharta, ...). (lb) Lit.: M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, Rn. 3016 ff.; K. Fischer, Der Europäische Verfassungsvertrag, 2004; M. Höreth/C. Janowski/L. Kühnhardt (Hrsg.), Die Europäische Verfassung, 2005; W. Hummer/W. Obwexer (Hrsg.), Der Vertrag
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über eine Verfassung für Europa, 2007; M. Jopp/S. Matl (Hrsg.), Der Vertrag über eine Verfassung für Europa, 2005; C. Lenz/K.-D. Borchardt (Hrsg.), Vertrag über eine Verfassung für Europa, 2005; M. Möstl, Verfassung für Europa. Einführung und Kommentierung mit vollständigem Verfassungstext, 2005; R. Streinz C. Ohler/Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, 2005; C. Vedder/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäischer Verfassungsvertrag. Handkommentar, 2007; M. Zuleeg (Hrsg.), Die neue Verfassung der Europäischen Union, 2006
Vertrag von Amsterdam Amsterdam Treaty – Traité d’Amsterdam
Der Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte wurden am 17. und 18.6. 1997 angenommen und am 2.10.1997 unterzeichnet. Nach Ratifikation durch die Mitgliedstaaten am 1.5.1999 in Kraft getreten (ABl. 1997, Nr. C 340, 1). Durch den Vertrag von Amsterdam erfolgte eine redaktionelle Änderung der Texte des EGund des EU-Vertrages. Der EU-Vertrag umfasst nun die Art. 1-53 an Stelle der Art. A-S und der EG-Vertrag die Art. 1-314 anstelle der Art. 1248. Weiters brachte der Vertrag von Amsterdam die ĺVergemeinschaftung eines Teiles der ĺDritten Säule (Asyl, Visa, Einwanderung und Grenzkontrolle) und die Integration der ĺSchengen-Zusammenarbeit. Das Maastrichter Sozialabkommen wurde in den EG-Vertrag (Art. 136141 bzw. 143 EG) eingebaut. Im Bereich der Ersten und Dritten Säule wurde das Konzept der ĺverstärkten Zusammenarbeit rechtlich verwirklicht (Titel VII, Art. 43 EU). Art. 255 EG brachte mehr Transparenz für die Bürger. (gm) Lit.: F. Breuss (Hrsg.), Vom Schuman-Plan zum Vertrag von Amsterdam. Entstehung und Zukunft der EU, 2002; R. Streinz, Aufbau, Struktur und Inhalt des Vertrages von Amsterdam, in: W. Hummer (Hrsg.), Die Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, 1998, 47; P.-C. Müller-Graff, Institutionelle und materielle Reformen in der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres, in: W. Hummer (Hrsg.), Die Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, 1998, 259; U. Runggaldier, Der neue Beschäftigungstitel des EG-Vertrages und die Übernahme des „Sozialabkommens“ in den EG-Vertrag, in: W. Hummer (Hrsg.), Die Europäische Union nach dem Vertrag von Amsterdam, 1998, 197; P. Fischer, The Dynamics of European Law in the Light of the Innovations in the Treaty of Amsterdam, in: W. Benedek/H. Isak/R. Kicker (Hrsg.), Development and Developing International and European Law. Essays in Honor of Konrad Ginther, 1999, 355 Web: http://europa.eu/abc/treaties/index_de.htm
Vertrag von Maastricht Vertrag von Lissabon Treaty of Lisbon – Traité de Lisbonne
Aufgrund des politischen Scheiterns des ĺVertrags über eine Verfassung für Europa, wurde nach Abschluss einer Reflexionsphase der Beschluss des Europäischen Rats am 21./22.6.2007 gefasst, die bereits bestehenden gemeinschaftlichen Verträge zu reformieren. Dies soll durch einen sog. Reformvertrag geschehen, der ohne zusätzliche nationale Volksabstimmungen ratifiziert werden kann. Das Mandat für die Regierungskonferenz wurde vom ĺRat am 26.6. 2007 erteilt, die Regierungskonferenz fand am 18./19.10.2007 in Lissabon statt, an der eine Einigung über den Reformvertrag erfolgte. Die Unterzeichnung erfolgte im Dezember 2007. Das formale Konzept betrachtend, führt der Vertrag von Lissabon nicht zu einer Substitution der bisherigen Verträge, sondern „nur“ zu einer Abänderung. Die Struktur zweier Verträge bleibt erhalten; die Verträge aber neu nummeriert. Der EU-Vertrag wird weiterhin so bezeichnet; der EG-Vertrag wird hingegen in „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ umbenannt (AEUV). Eine Hierarchie zwischen den Verträgen soll aber nicht bestehen (Art. 1 Abs. 3 EU). Zu einer Neuzählung kommt es nicht. Die neuen Bestimmungen werden in die Verträge eingefügt. Inhaltlich sind zahlreiche Punkte hervorzuheben: so die explizite Rechtspersönlichkeit der EU (Art. 47 EUV), die Anerkennung der Grundrechtecharta und der Beitritt zur EMRK (Art. 6 EUV), Wahl eines Ratpräsidenten für zweieinhalb Jahre (Art. 15 EUV), die Einrichtung des Mitentscheidungsverfahrens als Standardverfahren (Art. 16 EUV), die Beschränkung der Mitglieder der Kommission (Art. 17 EUV), die Einrichtung des Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (Art. 18 EUV), die Übernahme der PJZS in den Titel V des AEUV. Es werden überdies Bestimmungen über die demokratischen Grundsätze der Union in den EU-Vertrag aufgenommen (Art. 9 EUV) sowie die GASP neu konzipiert (Art. 23 ff. EUV), die Einführung eines vereinfachten Änderungsverfahrens der Verträge (Art. 48 EUV), die explizite Möglichkeit eines Austritts aus der EU (Art. 50 EUV), die Neuregelung der Zuständigkeiten (Art. 3 ff. AEUV) vorgesehen und das Datenschutzrechts (Art. 16 AEUV) sowie eine allgemeine Anerkennung von Kirchen (Art. 17 AEUV) eingeführt. Auch in allen anderen Bereichen des Europarechts würde der Vertrag von Lissabon z.T. zu massiven Ände-
rungen führen. Nach dem negativen Ergebnis des Referendums in Irland vom 12.6.2008 zur Ratifizierung des Vertrags von Lissabon sind die weiteren Schritte auf europäischer Ebene noch unklar. Die zukünftige Entwicklung in Bezug auf die Umsetzung des Reformvertrags von Lissabon bleibt offen. (kl) §§: Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember 2007, ABl 2007, Nr. C 306/1 Lit.: K. Fischer, Der Vertrag von Lissabon (2008); H. Rabe, Zur Metamorphose des Europäischen Verfassungsvertrages, NJW 2007, 3153; T. Richter, Die EUVerfassung ist tot, es lebe der Reformvertrag, EuZW 2007, 631 Web: http://europa.eu/lisbon_treaty/index_de.htm
Vertrag von Maastricht Treaty of Maastricht – Traité de Maastricht
Am 10.12.1991 vereinbarten die zwölf Staatsund Regierungschefs der EG-Mitgliedstaaten den „ĺVertrag über die Europäische Union“, der am 7.2.1992 von den Außen- und Finanzministern der Gemeinschaft unterzeichnet und durch 17 Protokolle und 33 Erklärungen ergänzt wurde (ABl. 1992, C 191, 1). Der Vertrag ist am 1.11.1993 in Kraft getreten. Mit dem ĺUnionsvertrag wurde die ĺUnion als Dachorganisation über den ĺdrei Säulen der Gemeinschaften, der ĺGASP und der ĺZBJI geschaffen. Weiters wurde die ĺUnionsbürgerschaft eingeführt, die Rechte des EP durch Einführung eines ĺMitbestimmungsverfahrens (Art. 251 EG) gestärkt, die Prinzipien der ĺbeschränkten Einzelermächtigung, der ĺSubsidiarität und der ĺProportionalität im ĺPrimärrecht ausdrücklich verankert (Art. 5 EG), die stufenweise Errichtung der ĺWWU bis zum Jahr 1999, die verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen der ĺSozialpolitik bzw. der WWU eingeführt, neue ĺGemeinschaftskompetenzen begründet bzw. bestehende vertieft sowie die EWG in EG umbenannt. (gm) Lit.: C. Calliess (Hrsg.) Kommentar des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007; J. Monar, The European Union after the treaty of Amsterdam, 2001; M. Weiler, Neither Unity Nor Three Pilars – The Trinity Structur of the Treaty an European Union, in: J. Monar/T. Ungerer/ W. Wessels (Hrsg.), The Maastricht Treaty on European Union. Legal Complexity and Political Dynamic, 1993, 49; T. Oppermann, Zur Eigenart der Europäischen Union, in: P. Hommelhoff/P. Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund in der Europäischen Union, 1994, 24
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Vertrag von Nizza Vertrag von Nizza Treaty of Nice – Traité de Nice
Der „Vertrag zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte vom 26.2.2001“ (ABl. 2001, Nr. C 80/1) wurde am 26.2.2001 unterzeichnet und trat am 17.2.2003 in Kraft. Der Vertrag brachte eine institutionelle Reform. Zunächst wurden diese Änderungen nur für die fünfzehn Mitgliedstaaten festgelegt. Für die ĺErweiterung wurden die Grundsätze und Methoden in einem eigenen Protokoll (Protokoll über die Erweiterung der EU) hinsichtlich der Zusammensetzung der ĺKommission, ĺGewichtung der Stimmen im ĺRat, Festlegung der Höchstzahl der Abgeordneten des ĺEP festgelegt. Weiters enthalt der Vertrag von Nizza eine umfassende Reform der ĺGerichtsbarkeit sowie eine Neuregelung der ĺverstärkten Zusammenarbeit. (gm) Lit.: K. Fischer, Der Vertrag von Nizza, 2. Aufl. 2003; S. Griller (Hrsg.), Die EU nach Nizza, 2002; W. Hummer (Hrsg.), Die EU nach Nizza. Europäischer Rat und Regierungskonferenz 2000: Ergebnisse und Perspektiven, 2002; F. Wegener, Die Neuordnung der EU-Gerichtsbarkeit durch den Vertrag von Nizza, DVBl. 2001, 24 Web: http://europa.eu/scadplus/nice_treaty_en.htm
Vertrag von Prüm ĺPrümer Vertrag Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft ĺEuratom-Vertrag (EAGV) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-Vertrag) ĺEuropäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinsschaft (EWG-Vertrag) ĺEuropäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Vertragliche Haftung der EG, allgemein contractual liability of the Community, general – responsabilité contractuelle de la Communauté européenne, en général
Die Gemeinschaft besitzt gem. Art. 282 EG in jedem Mitgliedstaat die weitestgehende Rechtsund Geschäftsfähigkeit, die juristischen Perso950
nen in diesem Mitgliedstaat zuerkannt ist. Damit kann die Gemeinschaft potenziell auch in jedem Mitgliedstaat Verträge abschließen, für deren ordnungsgemäße Erfüllung sie ggf. zu haften hat. Die vertragliche Haftung der EG gem. Art. 288 Abs. 1 EG umfasst dementsprechend sowohl privatrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Verträge. Dagegen fallen völkerrechtliche Verträge nicht unter die vertragliche Haftung der Gemeinschaft aus Art. 288 Abs. 1 EG. Der Begriff der vertraglichen Haftung wird grundsätzlich weit ausgelegt. Hierzu zählen neben vertraglichen Ansprüchen auch solche aus der Verletzung vertragsähnlicher Pflichten und aus Verschulden bei Vertragsschluss. Zuständig für die Entscheidung über die vertragliche Haftung sind gem. Art. 240 EG die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten. Die Vertragsparteien können aber ggf. gem. Art. 238 EG den ĺEuGH in einer Schiedsklausel für zuständig erklären. Die Einzelheiten der vertragliche Haftung der Gemeinschaft richten sich gem. Art. 288 Abs. 1 EG nach dem Recht, das auf den Vertrag anzuwenden ist. Dieses Recht bestimmt sich grundsätzlich nach den Regeln des ĺInternationalen Privatrechts des Mitgliedstaates des zuständigen nationalen Gerichts, die in der Regel zunächst auf den ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen der Vertragsparteien abstellen. Die Gemeinschaftsorgane legen in der Praxis dieses auf den Vertrag anzuwendende Recht ausdrücklich in dem Vertrag fest. In der Regel wird belgisches Recht oder das des Mitgliedstaates, in dem die Leistung erbracht werden soll, vereinbart. Ist der ĺEuGH gem. Art. 238 EG zuständig, so bestimmt sich das auf den Vertrag anzuwendende Recht (Vertragsstatut) nach einer ungeschriebenen Regel des Gemeinschaftsrechts nach dem Willen der Vertragsparteien. Sollten die Parteien, wie bei öffentlich-rechtlichen Verträgen möglich, sich auf Gemeinschaftsrecht geeinigt haben, so bestimmt sich entsprechend Art. 288 Abs. 2 EG die vertragliche Haftung nach den allgemeinen Rechtsregeln, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind. (jpt) §§: Art. 238 EG, Art. 240 EG, Art. 288 Abs. 1 EG Lit.: S. Detterbeck, Haftung der Europäischen Gemeinschaft und gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch, AöR 125 (2000), 202 (205 ff); A. G. Toth, European Community Law, Vol. 1, 1991, 123 ff.
Vertragsänderung amendment of the treaties – modification des traités
Eine Änderung der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht, richtet sich nach
Vertragsverletzung dem in Art. 48 EU geregelten Vertragsänderungsverfahren. Das Initiativrecht zu dessen Einleitung kommt neben der ĺKommission auch den Regierungen der Mitgliedstaaten zu, wobei die jeweiligen Entwürfe an den ĺRat gerichtet werden müssen. Dieser leitet den Entwurf zur Anhörung an das ĺEuropäische Parlament und gegebenenfalls an die Kommission weiter. Bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich ist auch die Anhörung der ĺEuropäischen Zentralbank erforderlich. Nach den jeweiligen Anhörungen gibt der Rat eine Stellungnahme ab, worin der Ratspräsident im Falle einer Zustimmung zur Einberufung einer Regierungskonferenz verpflichtet wird. Der Terminus „Stellungnahme“ ist in diesem Fall irreführend, da es sich vielmehr um eine an den Ratspräsidenten gerichtete bindende Entscheidung handelt, die vom Rat mit absoluter Mehrheit (vgl. dazu Art. 205 Abs. 1 EG) beschlossen werden muss. Im Zuge der Regierungskonferenz werden die an den genannten Verträgen vorzunehmenden Änderungen vereinbart, die jedoch erst nach erfolgter innerstaatliche ĺRatifizierung (gem. den jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften) in Kraft treten. Dieses Verfahren trägt dem Grundsatz Rechnung, dass die Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ angesehen werden, ohne die die Gründungsverträge nicht geändert werden dürfen. Daneben ist in speziellen Fällen eine vereinfachte Vertragsänderung vorgesehen, wobei vom Rat durch einstimmigen Organbeschluss (anstatt der Vereinbarung im Zuge einer Regierungskonferenz) eine Vertragsänderung empfohlen wird. Erforderlich ist jedoch nach wie vor die innerstaatliche Ratifizierung nach den jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften. Beispiele für vereinfachte Vertragsänderungen finden sind u.a. in Art. 42 EU (Übertragung gewisser Bereiche der dritten Säule ins Gemeinschaftsrecht) und Art. 17 Abs. 1 EU (Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik). Ausnahmsweise in speziell geregelten Fällen kann der Rat auch selbstständig gewisse Änderungen von Gründungsverträgen vornehmen, die einstimmig gefasst werden müssen. Dabei ist keine innerstaatliche Ratifizierung erforderlich, doch wird durch das Erfordernis der Einstimmigkeit das Mitspracherecht der Mitgliedstaaten gewahrt. Beispiele für diese autonome Vertragsänderung finden sich bei der Änderung der Mitgliedgliederzahlen der ĺKommission (Art. 213 Abs. 1 UAbs. 2 EG) sowie die Erhö-
hung der Zahl der ĺGeneralanwälte des ĺEuropäischen Gerichtshofes (Art. 222 UAbs. 1 EG). (gh) §§: Art. 17 Abs. 1, Art. 42, 48 EU; Art. 205 Abs. 1, Art. 213 Abs. 1 UAbs. 2, Art. 222 UAbs. 1 EG Lit.: J. Budischowsky, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 34. Lfg. 2004, Art. 48 EUV; H.-J. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 48 EUV; M. Pechstein, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 48 EUV; M. Schweitzer/W. Hummer/W. Obwexer, Europarecht, 2007, Rn. 97
Vertragskollisionsrecht ĺÜbereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Vertragsrecht ĺEuropäisches Vertragsrecht Vertragsrecht, internationales ĺÜbereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 Vertragssprachen, Verwendung ĺKommunikationsrecht Vertragsverletzung infringement – manquement
Eine Vertragsverletzung i.S.d. Art. 226-228 EG ist nicht nur ein Verstoß gegen die Bestimmungen des EG. Der EuGH praktiziert eine weite Auslegung und qualifiziert auch Verletzungen von Sekundärrecht, von Abkommen mit Drittstaaten (EuGH, Rs. C-61/94 Kommission/ Deutschland, Slg. 1996, I-3989, Rn. 15), sowie von allgemeinen Rechtsgrundsätzen der EG als Verstöße i.S.d. Art. 226 Abs. 1 EG. Infolgedessen ist sämtliches geschriebenes und ungeschriebenes Gemeinschaftsrecht Prüfungsmaßstab des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren (EuGH, Rs. C-354/99 Kommission/Irland, Slg. 2001, I-7657, Rn. 34). Dies ist mit Blick auf Art. 211 1. SpS EG und Art. 10 EG folgerichtig, da die Kommission auch zur Überwachung der Einhaltung von Sekundärrecht tätig wird und sich der Grundsatz der Gemeinschaftstreue auch auf die vollständige Umsetzung von Gemeinschaftsrecht unterhalb des Primärrechts bezieht. Hauptfall der Vertragsverletzung ist die Nichtumsetzung von gemeinschaftsrechtlichem Sekundärrecht. Dabei kann der Mitgliedstaat nicht anführen, eine Umsetzung von Richt951
Vertragsverletzungsverfahren linien sei entbehrlich, da sie ohnehin bei Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbare Wirkung entfalteten. Auch die Umsetzung von ĺRichtlinien durch eine bloße Änderung der nationalen Verwaltungspraxis ist schon ein Vertragsverstoß, da es an einer hinreichenden Publizität des Umsetzungsaktes fehlt. Eine Vertragsverletzung kann sowohl durch eine Handlung als auch durch ein Unterlassen ausgelöst werden. So wurde bspw. Frankreich vom EuGH im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens verurteilt, da es gewaltsame Proteste französischer Bauern nicht verhindert hat, durch die der freie Warenverkehr von Gemeinschaftswaren nach Frankreich behindert wurde (EuGH, Rs. C-265/95 Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-6959). Auch die nationale Verwaltungspraxis kann nach ständiger Rechtsprechung des EuGH Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens sein, denn trotz gemeinschaftskonformer nationaler Gesetze, kann ein gemeinschaftsrechtswidriger Zustand durch eine Verwaltungspraxis bestehen, die den Bestimmungen des EG oder des Sekundärrechts widerspricht (EuGH, Rs. C-441/02 Kommission/Deutschland, Slg. 2006, I-3449, Rn. 47). Im Vertragsverletzungsverfahren tritt der Mitgliedstaat nach dem Prinzip der völkerrechtlichen Einheit der EG gegenüber, womit er sich jegliche gemeinschaftsrechtswidrige Handlungen oder Unterlassungen seiner funktionellen und regionalen Untergliederungen zurechnen lassen muss. Deutschland muss demnach für gemeinschaftsrechtswidrige Handlungen der Bundesländer oder Gemeinden ggü. der EG einstehen. Das gemeinschaftsrechtswidrige Verhalten Privater kann einem Mitgliedstaat nur dann als Vertragsverstoß zugerechnet werden, wenn er sich zur Verwirklichung seiner Aufgaben privater Helfer bedient hat (z.B. Beliehene) oder wie im Fall der französischen Bauern eine Handlungspflicht zur Unterbindung privater Handlungen hatte. Der Zeitpunkt zur Beurteilung, ob ein Vertragsverstoß vorliegt, ist der Zeitpunkt des Ablaufs der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist zur Abhilfe. Dafür kann der EuGH sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht einen Sachverhalt voll überprüfen. Schwierig ist die Beurteilung eines Vertragsverstoßes, wenn es um ein angeblich gemeinschaftsrechtswidriges Urteil geht (EuGH, Rs. C-173/ 03 Traghetti del Mediterraneo SpA/Italien, Slg. 2006, I-5177, Rn. 30 ff.). Die Missachtung der 952
Vorlagepflicht aus Art. 234 EG durch ein nationales Gericht stellt einen Vertragsverstoß dar. Die richterliche Unabhängigkeit kann zwar nicht zur Rechtfertigung eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht ins Feld geführt werden, jedoch ist zu bedenken, dass die Beseitigung eines vom EuGH für gemeinschaftsrechtswidrig erklärten Urteils nahezu unmöglich ist, da es sich um eine rechtskräftige Entscheidung handelt. Insofern kann eine Abhilfe nur für zukünftige Urteile, in der Sache selbst aber höchstens durch Zuerkennung eines Schadensersatzanspruches geleistet werden (EuGH, Rs. C-224/01 Köbler/Österreich, Slg. 2003, I-10239, Rn. 30 ff.) Aus diesem Grund ist die Kommission sehr zurückhaltend, ein Vertragsverletzungsverfahren bei etwaigen gemeinschaftsrechtswidrigen Gerichtsurteilen einzuleiten, wenn sie sich auch die Möglichkeit hierzu offen hält. Der EuGH schließt die Aufsichtsklage gegen einzelne oder in der Minderheit gebliebene gemeinschaftsrechtswidrige Gerichtsentscheidungen zwar aus, lässt aber eine Aufsichtsklage gegen ein einzelnes Gerichtsurteil zu, wenn dieses eine bedeutsame Vertragsverletzung (vor allem der Vorlagepflicht) enthält und von dem obersten nationalen Gericht nicht verworfen worden ist (EuGH, Rs. C-129/00 Kommission/ Italien, 2003, I-14637, Rn. 32). (cv) §§: Art. 226, 227 EG Lit.: U. Ehricke, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 226 EGV, Rn. 9; B. Wegener, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 234 EGV, Rn. 30
Vertragsverletzungsverfahren infringement procedure – recours en manquement
Die ĺKommission hat gem. Art. 211 1. SpS EG die Aufgabe, für die Anwendung des ĺPrimärrechts und des auf Grundlage der Vorschriften des EG ordnungsgemäß zu Stande gekommenen ĺSekundärrechts Sorge zu tragen. Diese Überwachungsfunktion der Kommission muss aus Effizienzgründen von einem gerichtlichen Durchsetzungsmechanismus flankiert sein. Dieser Durchsetzungsmechanismus bietet sich der Kommission durch das Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH gem. Art. 226228 EG. Es werden drei Verfahrensarten unterscheiden: ƒ ĺAufsichtsklage (Art. 226 EG) ƒ ĺStaatenklage (Art. 227 EG) ƒ ĺSanktionsklage (Art. 228 EG) Der Zweck des Vertragsverletzungsverfahrens ist nicht die Bestrafung eines Mitgliedstaates,
Vertragsverletzungsverfahren, Begründetheit sondern die Schaffung von Voraussetzungen für eine möglichst schnelle Beseitigung des mitgliedstaatlichen Vertragsverstoßes. Dies entspricht dem ĺeffet-utile-Grundsatz im Gemeinschaftsrecht. Die Kommission soll alles tun, um Verstöße gegen Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht abzustellen. Die Anprangerung eines Mitgliedstaates als Selbstzweck würde dem Geist des EG widersprechen. Eine Prangerwirkung haftet dem Vertragsverletzungsverfahren zwar faktisch an, sie ist aber nur Mittel zur effektiven Durchsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Pflichten. Die Zahl der durch die Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren hat sich in den vergangenen Jahren stetig erhöht. Dies liegt vor allem daran, dass die Rechtsetzungsaktivität der EG in den vergangenen zwei Jahrzehnten um ein Vielfaches zugenommen hat und deswegen immer mehr Sekundärrechtsakte in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Auch der Erweiterungsprozess, der das Vertragsverletzungsverfahren auf nun 25 Mitgliedstaaten ausdehnte, spielt dabei eine Rolle. Laut dem letzten Jahresbericht der Kommission über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts vom 24.7.2006 ist die Zahl der von der Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren im Jahre 2005 mit 2.653 Fällen im Vergleich zum Jahre 2004 mit 2.993 Fällen aber wieder gesunken. Durchschnittlich liegen zwischen der Einleitung des Verfahrens bis zur Anrufung des Gerichtshofs nach Art. 226 EG-Vertrag 24 Monate. (cv) §§: Art. 226-228 EG Web: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=COM:2006:0416:FIN:DE:HTML (23. Jahresbericht der Kommission über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts [2005], KOM[2006] 416 endg.)
Vertragsverletzungsverfahren beschleunigtes enforcement procedure advanced – procédure en manquement accélérée
Stellt die ĺKommission fest, dass eine ĺstaatliche Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt nicht vereinbar ist oder dass sie von einem Mitgliedstaat ĺmißbräuchlich angewandt wird, so wird dem betroffenen Mitgliedstaat in einer Entscheidung aufgetragen, die Maßnahme aufzuheben oder umzugestalten. Kommt der Mitgliedstaat nicht innerhalb der in der Entscheidung festgelegten Frist dieser Aufforderung nach, kann die Kommission oder ein Mitgliedstaat ohne die Zwischenschaltung des ĺVor-
verfahrens gem. Art. 226 bzw. Art. 227 EG unmittelbar den Gerichtshof anrufen. (jr) §§: Art. 88 Abs. 2, UAbs. 2 EG
Vertragsverletzungsverfahren, Begründetheit infringement procedure, well founded – recours en manquement, bien fondé
Die ĺAufsichtsklage der Kommission gem. Art. 226 EG ist begründet, wenn die von der Kommission behaupteten Tatsachen zutreffen, das gerügte Verhalten dem beklagten Mitgliedstaat zuzurechen ist und sich daraus eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts ergibt. Die Kommission hat die Beweislast hinsichtlich der rechtlichen und tatsächlichen Umstände, die den Vorwurf gegen den Mitgliedstaat ausmachen. Hat die Kommission aber hinreichende Beweise vorgelegt, dann muss der Mitgliedstaat substantiiert die von der Kommission vorgetragenen Beweise angreifen und darf sich nicht auf ein schlichtes Bestreiten aller Vorwürfe beschränken. Im Verfahren vor dem EuGH ist dem Mitgliedstaat die Möglichkeit eröffnet, den von der Kommission vorgetragenen Sachverhalt zu bestreiten, was allerdings in der Praxis kaum vorkommt. Der häufigste Vortrag zur Verteidigung durch den Mitgliedstaat ist, dass das beanstandete Verhalten gar kein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht sei, wobei aber zu bedenken ist, dass Rechtfertigungsgründe aus der eigenen Rechtsordnung, wie etwa der Beseitigung des Vertragsverstoßes hinderliche Vorgaben der nationalen Verfassung, vom EuGH nicht anerkannt werden. Auch der Grundsatz pacta sunt servanda kann vom Mitgliedstaat nicht zur Rechtfertigung angeführt werden. Der Grundsatz der Stabilität von Verträgen und der Vertrauensschutz des Vertragspartners entbinden den Mitgliedstaat nicht von seiner Verfpflichtung, den in einem Vertrag vereinbarten gemeinschaftsrechtswidrigen Zustand zu beseitigen (EuGH, Rs. C-503/04 Kommission/Deutschland, noch nicht in Slg., Rn. 33 ff.). Notfalls muss die öffentliche Hand für den Fall, dass sie zur Beseitigung des durch einen Vertrag geschaffenen gemeinschaftsrechtswidrigen Zustandes verurteilt wird, Sonderkündigungsrechte vereinbaren. Ein Hinweis darauf, dass andere Mitgliedstaaten in einer bestimmten Frage ebenfalls einen Vertragsverstoß begangen haben, wird vom EuGH ebenso verworfen (EuGH, Rs. 52/75 Kommission/Italien, Slg. 1976, 277, Rn. 11 ff.). 953
Vertragsverletzungsverfahren, Einleitung Ein bisweilen ins Feld geführtes Argument ist die Unmöglichkeit der Beseitigung einer Vertragsverletzung (EuGH, Rs. C-78/00 Kommission/Italien, Slg. 2001, I-8195, Rn. 38). Schließlich berufen sich Mitgliedstaaten mitunter darauf, dass der umzusetzende Sekundärrechtsakt selbst gemeinschaftsrechtswidrig sei. Diese Argumentation ist dem Mitgliedstaat jedoch nach Rechtsprechung des EuGH verwehrt, da ihm für einen solchen Fall die ĺNichtigkeitsklage gem. Art. 230 EG offen steht (EuGH, Rs. C-74/ 91 Kommission/Deutschland, Slg. 1992, I-5437, Rn. 10). Äußert sich der Mitgliedstaat im Gerichtsverfahren nicht zu den Vorwürfen kann ein Versäumnisurteil ergehen, in dem der EuGH nur die Schlüssigkeit des Vortrages der Kommission prüft. Bis zur Entscheidung über die Klage der Kommission vergehen in der Praxis ca. 24 Monate. Wird die Klage der Kommission durch ein Sachurteil als unbegründet abgewiesen, so ist gem. Art. 44 EuGH-Satzung eine erneute Befassung des EuGH mit derselben Rechtssache nicht mehr möglich – es sei denn, es liegen Wiederaufnahmegründe vor. Dagegen kann der EuGH erneut mit der Rechtssache befasst werden, wenn die Klage der Kommission lediglich wegen mangelnder Zulässigkeitsvoraussetzungen durch ein Prozessurteil abgewiesen wurde. (cv) §§: Art. 226 EG; Art. 44 EuGH-Satzung Lit.: U. Ehricke, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 226 EGV, Rn. 34; U. Jasper/M. Steuber, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 170 vom 25.7.2007, 19
mission, ob sie ihre Mitarbeiter eine bestimmte Vertragsverletzung verfolgen lässt. Die Kommission entscheidet alle 3 Monate über die Einleitung neuer Verfahren gegen die Mitgliedstaaten. Ein subjektives Recht des EG-Bürgers auf Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens existiert nicht. Deshalb kann die Entscheidung der Kommission, kein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, nicht von natürlichen oder juristischen Personen mit der Nichtigkeitsklage gem. Art. 230 Abs. 4 EG angefochten werden, da es an einer individuellen Betroffenheit des Bürgers oder der juristischen Person fehlt (EuGH, Rs. C-141/02 P Kommission/max mobil, Slg. 2005, I-1283, Rn. 70). Aus demselben Grund ist eine Schadensersatzklage gegen die Kommission wegen der Nichteinleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens, die der Verfasser einer Bürgerbeschwerde einlegt, unzulässig (EuG, Rs. T-202/02 Makedoniko Metro and Michaniki/Kommission, Slg. 2004, II-00181, Rn. 43 ff.) Ebenso scheidet eine Untätigkeitsklage gegen die Kommission aus, da die Entscheidung über die Nichteinleitung keine Entscheidung an den Bürger oder die juristische Person als Kläger („an sie“ vgl. Art. 232 III EG) sondern an den angeprangerten Mitgliedstaat ist (EuGH, Rs. 247/87 Star-Fruit, Slg. 1989, 291, Rn. 11). (cv) §§: Art. 226 EG Lit.: K.-D. Borchardt, in: C. Lenz/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 226 EGV, Rn. 13 Web: http://ec.europa.eu/community_law/complaints/ form/index_en.htm
Vertragsverletzungsverfahren, Einleitung infringement Procedure, commencement – recours en manquement, introduction du recours
Vertragsverletzungsverfahren, einstweilige Anordnung
Das Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 226 EG kann durch die Beschwerde einer natürlichen oder juristischen Person an die Kommission in Gang kommen, durch die die Kommission oft erst auf den Vertragsverstoß des in Rede stehenden Mitgliedstaates aufmerksam gemacht wird. Dazu hat die Kommission ein Formblatt im internet veröffentlicht, das allerdings nicht verpflichtend zu benutzen ist (s. Link unten). In der Beschwerde muss klar zum Ausdruck kommen, dass die natürliche oder juristische Person einen hoheitlichen Akt (Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift) oder eine schlichte Verwaltungshandlung für unvereinbar mit dem EG oder mit dem sekundären Gemeinschaftsrecht hält. Geht eine solche Bürgerbeschwerde ein, liegt es im Ermessen der Kom-
infringement procedure, interim measures – recours en manquement, décision provisoire
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Nach der Rechtspraxis des EuGH ist auch im Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung nach Art. 243 EG eröffnet, da dieser allgemein formuliert ist und daher für das Vertragsverletzungsverfahren fruchtbar gemacht werden kann. Ein Antrag der Kommission auf eine einstweilige Anordnung muss jedoch die allgemeinen Voraussetzungen des Art. 83 § 2 EuGHVerfahrensordnung erfüllen. Demnach muss die Kommission neben der Bezeichnung des Streitgegenstandes vor allem die rechtlichen und tatsächlichen Umstände anführen, aus denen sich die Dringlichkeit und die Notwendigkeit der einstweiligen Anordnung ergeben.
Vertragsverletzungsverfahren, Rechtsschutzinteresse in einem Liegen diese Voraussetzungen vor, nimmt der EuGH eine Interessenabwägung dergestalt vor, ob die überzeugenderen Argumente für oder gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen. Mit dieser einstweiligen Anordnung können dem Mitgliedstaat vorläufige Handlungsoder Unterlassungspflichten auferlegt werden. Hinzuweisen ist jedoch auf die weit reichende Kritik aus der Wissenschaft, die der EuGH für seine Praxis bzgl. einer einstweiligen Anordnung im Vertragsverletzungsverfahren geerntet hat. (cv) §§: Art. 243 EG; Art. 83 § 2 EuGH-Verfahrensordnung Lit.: C. Koenig/M. Pechstein/C. Sander, EG-Prozessrecht, 2. Aufl. 2002, Rn. 302 f.
Vertragsverletzungsverfahren, Klageerhebung infringement procedure, referral to the court – recours en manquement, saisine de la Cour
Bleibt die Aufforderung zur Abhilfe in der mit Gründen versehen Stellungnahme erfolglos, dann kann die Kommission gem. Art. 226 Abs. 2 EG den nach Art. 225 EG zuständigen EuGH anrufen. Die Klage der Kommission muss schriftlich beim Kanzler des Gerichtshofes eingereicht werden, dabei kommt der Kommission hinsichtlich des Zeitpunktes der Klageerhebung ein weiter Ermessenspielraum zu. Der EuGH hat in Einzelfällen sogar eine Klage für zulässig erachtet, die erst mehr als sechs Jahre nach Kenntniserlangung durch die Kommission eingereicht wurde. Eine Pflicht der Kommission, in jedem Fall, wo die Frist zur Abhilfe erfolglos verstrichen ist, Klage vor dem EuGH zu erheben, besteht nicht. Insofern kann die Kommission Bagatellfälle zwar durchaus mit allen Mitteln des formellen Vorverfahrens verfolgen, schließlich aber dennoch von der Klageerhebung absehen. Die weiteren Formerfordernisse der Klageschrift ergeben sich aus Art. 21 der EuGH-Satzung und aus der EuGH-Verfahrensordnung, insbesondere aus Art. 37 f. Danach muss die Klageschrift vor allem eine Darstellung des Streitgegenstandes und der Klagegründe enthalten. Die Kommission muss wie schon bei der ĺmit Gründen versehenen Stellungnahme von dem Vorliegen eines Vertragsverstoßes überzeugt sein; bloße Zweifel an einer möglichen Unvereinbarkeit eines mitgliedstaatlichen Verhaltens mit dem Gemeinschaftsrecht reichen nicht aus. Eine bloße Bezugnahme auf die Darlegungen im Vorverfahren ist nicht ausreichend. Die Parteien müssen eindeutig bezeichnet sein und der
Klageantrag der Kommission muss darauf gerichtet sein, dass der Gerichtshof eine Verletzung von Gemeinschaftsrecht durch das Verhalten eines Mitgliedstaates feststellt. Unklarheiten in der Klageschrift gehen zu Lasten der Kommission. Der Streitgegenstand wird begrenzt durch die Weite des Streitgegenstandes im Vorverfahren. Eine Erweiterung der Vorwürfe erst in der Klageschrift verstieße gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs des Mitgliedstaates, da ihm so die Chance auf Ergänzung seiner Verteidigungsstrategie genommen würde. Aus diesem Grunde müssen sogar dann nachträgliche Ergänzungen des Verfahrensgegenstandes außer Acht bleiben, wenn Kommission und Mitgliedstaat Einvernehmen über die Berücksichtigung dieser Ergänzungen erzielt haben. In einem solchen Fall muss eine neue ĺAufsichtsklage angestrengt werden. (cv) §§: Art. 225, 226 EG; Art. 21 EuGH-Satzung; Art. 37 f. EuGH-Verfahrensordnung Lit.: J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 226 EGV, Rn. 22 ff.
Vertragsverletzungsverfahren, Parteifähigkeit infringement procedure, capacity to sue and to be sued – recours en manquement, partie à l’instance
Die aktive Parteifähigkeit der Kommission richtet sich bei der Aufsichtsklage nach Art. 226 Abs. 2 EG. Bei der Staatenklage regelt Art. 227 Abs. 1 EG die aktive Parteifähigkeit des beschwerdeführenden Mitgliedstaates. Die passive Parteifähigkeit des beklagten Mitgliedstaates, der durch seine Regierung gerichtlich vertreten wird, wird zwar nicht ausdrücklich in Art. 226, 227 EG erwähnt, jedoch wird diese in Art. 228 Abs. 1 vorausgesetzt. Andere Parteien sind im Vertragsverletzungsverfahren nicht zugelassen, insbesondere nicht die Verfasser einer Bürgerbeschwerde. (cv) §§: Art. 226, 227, 228 EG
Vertragsverletzungsverfahren, Rechtsschutzinteresse in einem The Commission’s continued interest in bringing an action for infringement – intérêt par protection juridique
Aufgrund ihrer Überwachungsfunktion gem. Art. 211 1. SpS EG kann die Kommission im allgemeinen Interesse der Gemeinschaft ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, es ist also nicht erforderlich, dass sie selbst eine Verletzung eigener Rechte geltend macht. Insoweit 955
Vertragsverletzungsverfahren, spezielle kann das Vertragsverletzungsverfahren in die Gruppe der objektiv-rechtlichen Verfahren eingeordnet werden. Diskutiert wird, ob das objektive Rechtsschutzbedürfnis der Kommission nachträglich wegfällt und damit zur Unzulässigkeit der Klage führt, wenn sich der Vertragsverstoß nach Klageerhebung erledigt. Unproblematisch ist, dass dann kein Rechtsschutzinteresse mehr besteht, wenn sich der Vertragsverstoß vor Klagebeginn, d.h. bis zum Ablauf der in der ĺmit Gründen versehenen Stellungnahme vorgegebenen Frist zur Abhilfe erledigt. Falls sich der Vertragsverstoß nach Klageerhebung erledigt hat, fordert der EuGH von der Kommission die Darlegung eines spezifischen Rechtsschutzinteresses. Dies wird dann angenommen, wenn die Kommission mit einer Wiederholungsgefahr des Verstoßes rechnet oder eine Rechtsfrage von besonderer Bedeutung für das Funktionieren der Gemeinschaft berührt ist. Ferner ist ein spezifisches Rechtsschutzinteresse gegeben, wenn die Feststellung eines Vertragsverstoßes durch den EuGH eine Präjudizwirkung für die Haftung eines Mitgliedstaates im Wege eines Schadensersatzprozesses entfalten kann. (cv) Lit.: U. Ehricke, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 226 EGV, Rn. 29
Abs. 1 bis 9, so dass die Verletzung der Pflicht des Mitgliedstaates nach einem entsprechenden ĺRatsbeschluss gem. Art. 104 Abs. 11 4. SpS EG eine Geldbuße zu zahlen, Gegenstand einer ĺAufsichtsklage sein kann. (cv) §§: Art. 88, 95, 104, 237 EG
Vertragsverletzungsverfahren, Unionsrecht infringement procedure, law of the European Union – recours en manquement, droit de l’Union européenne
Im Falle einer etwaigen Verletzung von EGRecht durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Rahmen der ĺPJZS, steht der Kommission aufgrund ihrer Überwachungsfunktion über das Gemeinschaftsrecht (Art. 211 1. SpS EG) die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG offen. Die ĺAufsichtsklage der Kommission ist nach dem Wortlaut des Art. 226 EG nur an die Mitgliedstaaten der ĺEuropäischen Union zu richten und nicht an die Union selbst. Insoweit können Kommission und EuGH das Gemeinschaftsrecht auch vor mitgliedstaatlichen Verletzungshandlungen, die auf Unionsrecht beruhen, schützen. (cv) §§: Art. 6, 7 EU
Vertragsverletzungsverfahren, spezielle
Vertragsverletzungsverfahren, Urteilsdurchsetzung
special Infringement procedures – recours en manquement spécial
infringement procedure, enforcement of the judgement – recours en manquement, exécution de l’arrêt
Spezielle Vertragsverletzungsverfahren existieren im ĺBeihilfenrecht gem. Art. 88 Abs. 2 EG, in puncto ĺHarmonisierung gem. Art. 95 Abs. 9 EG und hinsichtlich von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der ĺEuropäischen Investitionsbank und der ĺEuropäischen Zentralbank gem. Art. 237 lit. a und d EG. Näheres dazu in den jeweiligen thematischen Abschnitten. Im Bereich der ĺWährungsunion ist die Verletzung der vertraglichen Pflicht des Mitgliedstaates, übermäßige Defizite in seinem öffentlichen Haushalt zu vermeiden gem. Art. 104 Abs. 10 EG nicht dem Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 226 ff. EG zugänglich. Dieser Ausschluss des Vertragsverletzungsverfahrens ist dadurch zu erklären, dass die Zuständigkeit für die Einhaltung der Vertragspflichten im Bereich der Defizitkontrolle gem. Art. 104 Abs. 6 ff. EG beim ĺRat liegt. Der Ausschluss des Vertragsverletzungsverfahrens bezieht sich allerdings nur auf Art. 104
Zur Erfüllung der mit dem Feststellungsurteil begründeten Verpflichtung zur Beseitigung des Vertragsverstoßes muss die mitgliedstaatliche Legislative die gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßenden nationalen Normen ändern, die Judikative und Exekutive dürfen diese Normen nicht mehr anwenden. Der verurteilte Mitgliedstaat hat den Vertragsverstoß unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern zu beseitigen. Der Mitgliedstaat darf dabei nicht warten, bis eine neue gemeinschaftsrechtskonforme Norm des nationalen Rechts durch die Legislative beschlossen ist, sondern er muss in der Zwischenzeit dafür Sorge tragen, dass etwa durch Weisungen die Verwaltung ihre Verwaltungspraxis gemeinschaftsrechtskonform ausübt. Eine Pflicht zur ex-tunc wirkenden Beseitigung der Folgen des gemeinschaftsrechtswidrigen Zustands im Mitgliedstaat wurde vom EuGH bisher nicht bejaht, wenn diese auch von Teilen der Wissenschaft gefordert wird. Es ist daher davon auszugehen, dass den verur-
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Verursacherprinzip teilten Mitgliedstaat keine allgemeine Pflicht zur Folgenbeseitigung in Form von Wiedergutmachungszahlungen und Ähnlichem trifft. Dies wird dadurch bestätigt, dass eine Spruchkompetenz des EuGH zur Tenorierung einer Pflicht zur Folgenbeseitigung des verurteilten Mitgliedstaats im EG und in der EuGH-Satzung nicht vorgesehen ist. (cv) Lit.: U. Ehricke, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 228 EGV, Rn. 6
Vertragsverletzungsverfahren, Urteilswirkung infringement procedure, effect of a judgement – recours en manquement, effet de l’arrêt
Mit dem Feststellungsurteil des EuGH nach Art. 228 Abs. 1 EG wird die gemeinschaftsrechtliche Pflicht des Mitgliedstaates zur Beseitigung des Vertragsverstoßes begründet. Eine Befugnis zur Aufhebung von nationalen Rechtsakten, die gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, kommt dem EuGH nicht zu. Ebenfalls darf der EuGH den beklagten Mitgliedstaat nicht zu bestimmten Maßnahmen für die Beseitigung des Vertragsverstoßes verurteilen. Gem. Art. 228 Abs. 1 EG hat sich daher der Urteilstenor auf die schlichte Feststellung eines Vertragsverstoßes zu beschränken. Insoweit hat das Feststellungsurteil im Vertragsverletzungsverfahren keine Kassationsfunktion, sondern eine Appellfunktion. Jedoch kann der EuGH in den Urteilsgründen andeuten, wie der Vertragsverstoß zu beseitigen wäre. (cv) §§: Art. 228 EG
Vertriebene Personen displaced persons – personnes déplacées
Der in Art. 63 Z. 2 lit. a EG verwendete Begriff der „vertriebenen Personen“ ist weiter als der in der ĺGenfer Flüchtlingskonvention enthaltene Flüchtlingsbegriff (s. ĺFlüchtling) und umfasst auch Binnenflüchtlinge, also Personen welche die Grenzen ihres Heimatstaates noch nicht überschritten haben („de-facto-Flüchtlinge“). Auf „de-facto-Flüchtlinge“ kann das ĺRefoulement-Verbot (s. ĺPrinzip des nonrefoulement) unter bestimmten Bedingungen anwendbar sein. Zu den ebenfalls in Art. 63 Z. 2 lit. a EG genannten Personen, die anderweitigen Schutz benötigen, zählen auch Personen, die nicht wegen drohender Gewalt sondern aus anderen Gründen, etwa wegen Naturkatastrophen, aus ihrem Heimatstaat fliehen („Personen, die an-
derweitig internationalen Schutz benötigen“, s. ĺSubsidiärer Schutz). Mindestnormen betreffend den Schutz dieser beiden Personengruppen sind in der Richtlinie über die Gewährung vorübergehenden Schutzes (RL 2001/55/EG des Rates vom 20.7.2001, s.a. ĺVorübergehender Schutz) sowie in der ĺAnerkennungsrichtlinie (RL 2004/83/EG) enthalten. (gt) (gw) Lit.: G. Muzak, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 44. Lfg. 2005, Art. 63 EGV, Rn. 29-36
Vertriebsbeschränkungen (freier Warenverkehr) ĺRelative Absatzverbote (freier Warenverkehr) Verursacherprinzip principle that the damaging actor should pay – principe du pollueur-payeur
Es handelt dabei um ein ĺPrinzip der Umweltpolitk, dabei vorrangig, aber nicht ausschließlich um ein Kostenrzurechnungsprinzip: Die Kosten der Beseitgung einer Umweltbeeinträchtigung sind von demjenigen zu tragen sind, der diese herbeigeführt hat; sie sollen grundsätzlich nicht der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Unter der Prämisse, dass durch die Aufstellung von Verhaltensnormen zugleich entscheiden wird, dass die Verantwortlichen die Maßnahmen finanzieren müssen, können auch ordnungsrechtliche Maßnahmen unter das Prinzip subsumiert werden. Zudem sind Komponenten der Vorsorge abzuleiten, weshalb auch Lenkungsaufgaben darauf gestützt werden können, die Abgabenpflichtige zu überobligatorischen Leistungen anspornen sollen. Auf dem Prinzip basieren auch marktwirtschaftliche Instrumente des Umweltschutzes (Erhebung von Umweltfinanzierungsabgaben, Umweltsteuern, Monetarisierung der Umweltnutzung durch Unternehmen). Die Inanspruchnahme des ummittelbaren Verursachers ist nicht zwingend – vielmehr ist das Prinzip weit gefasst, weshalb bei entsprechender Verantwortlichkeit auch aus Gründen der Verwaltungseffizienz eine Ausgestaltung als Verbraucherabgaben möglich ist. (sm) §§: Empfehlung des Rates 75/436 Euratom/EAGV/ EWGV, ABl. 1975, Nr. L 194/1 ff.; Kommission, Weißbuch zur Umwelthaftung, KOM(2000) 66 endg.; geänderter Vorschlag für eine Haftung für Schäden durch Abfälle, ABl. 1991, Nr. C 192, 6 ff. Lit.: S. Heselhaus, Abgabenhoheit der Europäischen Gemeinschaft in der Umweltpolitik, 2001, B.I.2.c); M. Klopefer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 4, Rn. 41 ff.
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Vervielfältigungsrecht Vervielfältigungsrecht reproduction right – droit de reproduction
Das Vervielfältigungsrecht ist das ausschließliche Recht des Urhebers, die Vervielfältigung seines Werkes zu erlauben oder zu verbieten. Auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene finden sich diesbezügliche Regelungen in der ĺComputerprogrammRL (Art. 4 lit. a), der ĺVermietund VerleihRL (Art. 7) und der ĺInformationsgesellschaftRL (Art. 2). (js) Verwaltung, gute good administration – bonne administration
Das Recht auf gute V. findet bislang in Art. 41 GRC und in Art. II-101 EuVerfV seine Konkretisierung. Letzteres ergibt sich daraus, dass der europäische Verfassungsvertrag die Grundrechtecharta mitumfassen soll. Art. 41 GRC umfasst ein einheitliches Grundrecht, wobei Art. 41 Abs. 2 GRC wichtige Teilrechte benennt. Teilweise wird auch vom Recht auf faires Verwaltungsverfahren oder vom Recht auf eine ordnungsgemäße Verwaltung gesprochen. Art. 41 Abs. 2 GRC zählt folgende einzelne Rechtspositionen auf: ƒ Unparteiische und gerechte Behandlung von Angelegenheiten in angemessener Frist ƒ Anhörungsrecht vor nachteiligen individuellen Maßnahmen (ĺRechtliches Gehör) ƒ Zugangsrecht zu betreffenden Akten (ĺAkteneinsicht) ƒ Begründungspflicht für Entscheidungen ƒ Recht auf Schadensersatz bei Amtspflichtverletzungen ƒ Recht auf Kommunikation in einer der Sprachen der Verträge. Art. 42 GRC beinhaltet das Recht auf Zugang zu den Dokumenten des Europäischen Parlamentes, des Rates und der Kommission. Art. 43 GRC begründet das Recht, den Bürgerbeauftragten mit Missständen der Tätigkeit der Organe und der Einrichtungen der Gemeinschaft zu befassen. Art. 44 GRC regelt das Petitionsrecht zum EP. Die aufgezählten Rechte sind bereits nach bisherigem Gemeinschaftsrecht geltendes Recht. Insbesondere finden sie ihre Grundlage in der Rsp. des ĺEuGH bzw. des ĺEuG. Die Tatsache, dass sowohl die GRC als auch der Europäische Verfassungsvertrag noch keine Rechtswirkung entfalten hindert es damit nicht, dass das Recht auf gute Verwaltung geltendes Primärrecht ist. Die aufgeführten Rechte sind damit mehr als nur Grundsätze; sie sind dem Cha958
rakter nach einklagbares Recht, wofür insbesondere die Rsp. des ĺEuGH und des ĺEuG spricht, die stets von unmittelbar anwendbaren Rechten ausgegangen ist. Die Frage des Anwendungsbereichs von Art. 41 GRC ist noch nicht abschließend geklärt. Dem Wortlaut nach sowie mit Blick auf Art. 51 GRC werden auf jeden Fall alle der Union zuzurechnenden Aktivitäten von Art. 41 GRC erfasst. Dabei muss es sich um Verwaltungstätigkeit handeln. Gebunden ist jedoch auch der Gesetzgeber, wenn und soweit er das Verwaltungsverfahren der Organe und der Einrichtungen der Union regelt. Hinsichtlich der Mitgliedstaaten ist zu vermerken, dass sie dem klaren Wortlaut des Art. 41 GRC nicht an das Recht auf eine gute Verwaltung gebunden sind. Dies gilt dem Wortlaut nach selbst dann, wenn sie Gemeinschaftsrecht ausführen. Die Mitgliedstaaten können natürlich durch nationales Recht ähnlichen Gewährleistungen unterworfen sein. Es ist jedoch denkbar, dass der ĺEuGH an seine Rechtsprechung zum ĺVerfahrensrecht anknüpft und den Anwendungsbereich des Art. 41 GRC ausdehnt. S.a. ĺKodex für eine gute Verwaltung. (fh) §§: Art. 41-44, 51 GRC; Art. II-101, 111 EuVerfV Lit.: H.-D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 36; M. Lais, Das Recht auf eine gute Verwaltung unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, ZEuS 2002, 447 ff.; H. Hill/R. Pitschas, Europäisches Verwaltungsverfahrensrecht, 2004, 278 ff.; J. M. Soria, Die Kodizes für gute Verwaltungspraxis, EuR 2001, 682 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 255/90, Slg. 1992, I-2253; Rs. 222/86, Slg. 1987, I.4097, Rn. 15; Rs. 374/87, Slg. 1989, 3283; Rs. 269/90, Slg. 1991, I-5469, Rn. 14 Web: http://www.ombudsman.europa.eu/code/pdf/de/ code2005_de.pdf (Kodex 2005); http://www.ombudsman. europa.eu/home/de/default.htm (Seite des Europäischen Bürgerbeauftragten)
Verwaltung, Recht auf eine gute ĺRecht auf eine gute Verwaltung Verwaltungsakt, transnationaler transnational administrative act – acte administratif transnational
Als transnationaler V. wird eine Entscheidung einer nationalen Verwaltungsbehörde bezeichnet, die ipso iure unionsweite Geltung beansprucht. Durch diese Funktion ist sie ein Instrument des ĺindirekten Vollzugs von Europarecht durch die Mitgliedstaaten und führt zu einer horizontalen Zentralisation: Ein Mitgliedstaat entscheidet für alle anderen. Die
Verwaltungsrat transnationale Wirkung beruht entweder auf nationalen Anerkennungsbestimmungen der anderen Mitgliedstaaten, die gemeinschaftsrechtlich durch ĺRichtlinien determiniert sind, oder auf unmittelbar geltendem, primärem oder sekundärem Gemeinschaftsrecht, welches als vorrangiges Recht die Geltung einer mitgliedstaatlichen Entscheidung auf das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten erstreckt. In der Literatur ist umstritten, ob sich die transnationale Wirkung aus der nationalen Behördenentscheidung selbst ergibt oder diese erst durch die entsprechenden Anerkennungsregelungen im nationalen Recht oder im Gemeinschaftsrecht eintritt. Die transnationale Wirkung führt dazu, dass die Verwaltung der anderen Mitgliedstaaten die Verwaltungsentscheidung so anzuerkennen hat, als ob sie diese selbst getroffen hätte. In der deutschen Verwaltungsrechtsterminologie entspricht dies der Tatbestandswirkung von ĺVerwaltungsakten. Dies bedeutet jedoch nicht die Fiktion der originär eigenen Entscheidung der Behörden. Vielmehr bleibt es allein bei der Natur der Entscheidung als Akt eines anderen Mitgliedstaates. Konsequenz ist zunächst, dass zum actus contrarius der Aufhebung nur die Erlassbehörde berechtigt ist. Maßstab der Rechtmäßigkeit ist allein das Recht des Mitgliedstaates, dessen Behörde die Entscheidung mit transnationaler Wirkung erlassen hat. Rechtsschutz kann auch nur von den Gerichten dieses Mitgliedstaates gewährt werden. Schließlich haften auch die anderen Mitgliedstaaten nicht für die von ihnen nicht erlassenen Akte. Auswirkungen von transnationalen V. sind in der Wissenschaft noch nicht abschließend geklärt. Grundsätzlich gilt jedoch, dass sie auch dann anzuerkennen sind, wenn sie nach dem Recht des Erlassstaates rechtswidrig sind, solange sie noch nicht von dessen Gerichten aufgehoben wurden. Erst recht ist der Verstoß gegen das Recht des zur Anerkennung verpflichteten Staates für die Geltung unerheblich. Eine Frage des jeweiligen nationalen Verwaltungsprozessrechts ist es, ob ein zur Anerkennung verpflichteter Staat bezüglich des transnationalen V. klagebefugt ist. Der ĺEuGH wäre für solche Fragen nicht zuständig. Für den zur Anerkennung verpflichteten Mitgliedstaat ist jedoch der Weg über das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 227 EG oder eine Aufforderung an die Kommission nach Art. 227 EG möglich, wenn es denkbar ist, dass der die Ent-
scheidung treffende Mitgliedstaat seinen Vertragspflichten nicht nachkommt. Beispiele für transnationale Entscheidungen bilden die Zulassungsentscheidungen im Bereich der ĺDienstleistungs-, ĺNiederlassungsund ĺWarenverkehrsfreiheit. (fh) Lit.: P. Stelkens/U. Stelkens, in: P. Stelkens/H. J. Bonk/ M. Sachs (Hrsg), Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl. 2001, § 35, Rn. 255; J. Becker, Der transnationale Verwaltungsakt, DVBl. 2001, 855 ff.; G. Sydow, Vollzug des europäischen Unionsrechts im Wege der Kooperation nationaler und europäischer Behörden, DÖV 2006, 66 ff.; ders., Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, 2004, 141 ff.; S. Burbaum, Rechtsschutz gegen transnationales Verwaltungshandeln, 2003; E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, 405 f.; B. Raschauer, Transnationale Verwaltungsakte, in: S. Hammer et al. (Hrsg.), Demokratie und sozialer Rechtsstaat in Europa. FS für T. Öhlinger, 2004, 661
Verwaltungseffizienz administrative efficiency – efficacité administrative
Als Gewährleistung des gesetzlich jeweils angestrebten Verwaltungszwecks begrenzt die V. die Verfahrensrechte der Betroffenen im Verwaltungsverfahren. Dies hat der ĺEuGH sowohl bezüglich der vorherigen Mitteilung der Durchführung einer Nachprüfung im Bereich des Wettbewerbsrechts entschieden, als auch hinsichtlich des Rechts auf ĺrechtliches Gehör. (fh) Lit.: J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, 1155 Rsp.: EuGH, Rs. 136/79 National Panasonic/Kommission, Slg. 1980, 2033 (2053 ff.); EuGH, Rs. 60/81 IBM/Kommission, Slg. 1981, 2639 (2654). Vgl. dazu auch weiter EuGH, Rs. 41/70 International Fruit Co u.a./Kommission, Slg. 1971, 411 (441)
Verwaltungsentscheidung mit transnationaler Wirkung ĺVerwaltungsakt, transnationaler Verwaltungsrat administrative board, management board – conseil d’administration
Der Verwaltungsrat fungiert innerhalb der Leitungsstruktur der ĺGemeinschaftsagenturen als ein kollegiales, einem Aufsichtsrat ähnliches Planungs- und Kontrollorgan, dem, zumindest bei den meisten neueren Agenturen, auf Vorschlag der Kommission auch die Ernennung des ĺDirektors der Agentur obliegt (zu den Aufgaben im einzelnen vgl. z.B. für die ĺEASA den Erwägungsgrund 13 der VO [EG] 1592/ 2002). Der Verwaltungsrat setzt sich im Regelfall aus einem Vertreter pro Mitgliedstaat und 959
Verwaltungsrat, einer Gesellschaft zwei Vertretern der Kommission (diese haben in der Regel kein Stimmrecht) zusammen. In manchen Gemeinschaftsagenturen entsenden auch Interessensvertretungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer Mitglieder in den Verwaltungsrat (ĺEuropäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung [Cedefop], ĺEuropäische Stiftung zur Verbesserung der Lebensund Arbeitsbedingungen [EUROFOUND], ĺAgentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz [OSHA]). (gr) Verwaltungsrat, einer Gesellschaft board of directors – administrateur
Zentrales Organ der Unternehmensleitung und –kontrolle einer monistisch (ĺmonistisches System) organisierten österr. ĺSocietas Europaea (SE) (vgl. insb. Art. 43-45 SE-VO, §§ 38 ff. SEG) oder ĺSocietas Cooperativa Europaea (im Folgenden wird nur die SE behandelt). Der Verwaltungsrat besteht aus drei bis zehn Mitgliedern (Kapitalvertretern) und ggf. weiteren Arbeitnehmervertretern (§ 45 SEG); die Kapitalvertreter werden grundsätzlich durch die Hauptversammlung bestellt und abberufen (§§ 46-48 SEG; Funktionsperiode maximal 6 Jahre); der Verwaltungsrat hat mindestens einen (weisungsunterworfenen) ĺgeschäftsführenden Direktor zu bestellen (§ 59 SEG), welcher für die laufenden Geschäfte zuständig ist. Der Verwaltungsrat ist grundsätzlich zusammen mit den geschäftsführenden Direktoren zur Vertretung der SE berufen (§ 43 SEG; vgl. jedoch auch § 38 Abs. 3 SEG). (tr) Lit.: C. Egermann/S. Heckenthaler, Der Verwaltungsrat in der Europäischen Gesellschaft (SE), GesRZ 2004, 256; K. Murschitz, Die Organstruktur der Societas Europaea (SE) und Corporate Governance (CG), GesRZ 2005, 227 (Teil 1) und 284 (Teil 2)
Verwaltungssanktionen, mitgliedstaatliche ĺGeldbußen, mitgliedstaatliche Verwaltungsstellen (Umweltrecht) administrative unites (environmental law) – unités administratives (droit de l’environnement)
Bei diesen handelt es sich um (andere) Verwaltungsstellen (neben ĺEuropäischen Umweltagentur und ĺEuropäisches Beratendes Forums für Umwelt sowie dauerhafte und umweltgerechte Entwicklung), die im Rahmen der ĺKomitologie eingerichtet wurden. Funktional handelt es sich um Beratungs-, Verwaltungsund Regelungsausschüsse. In systematischer 960
Hinsicht lassen sich Segmente einer Art gemeinschaftsrechtlichen Verfahrens- und Organisationsrechts im Umweltrecht erkennen. Zu nennen sind insbesondere: ƒ die Beratenden Ausschüsse ƒ für den Umweltschutz in besonders gefährdeten Gebieten (Mittelmeerbecken), ABl. 1986, Nr. L 282/23, ƒ für die Prüfung der Toxizität und Ökotoxizität chemischen Verbindungen, ABl. 1978, Nr. L 198/17 und ƒ auf dem Gebiet der Überwachung der Verringerung der Meeresverschmutzung durch Öl, ABl. 1980, Nr. L 188/11. ƒ Verwaltungsaufgaben obliegen ƒ dem Europäischen Büro für die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzungen beim Institut für Technologische Zukunftsforschung der Gemeinsamen geschaffenen Forschungsstelle in Sevilla, KOM(1997), 733 und ƒ der innerhalb der Gemeinsamen Forschungsstelle zur Koordinierung des Beobachtungsund Informationssystems für die Alpen geschaffenen Stelle, KOM(1996), 713. ƒ Zudem wurden auf Grundlage des Art. 220 EG Regelungsausschüsse eingerichtet, die den ĺMS ein Mitspracherecht bei Durchführungsbefugnissen der ĺKommission zusichern. Für das Umweltrecht nennenswert: Tätigkeit der Regelungsausschüsse insbesondere beim Vollzug der Freisetzungsrichtlinie 90/ 220/EWG (ABl. 1990, Nr. L 117, 15), des Finanzierungsinstruments LIFE (ABl. 1992, Nr. L 206, 1 ff.) und der ĺFlora-Fauna-HabitatRL 92/43/EWG. Hinzuweisen ist zudem auf das informelle Netz der Industrieanlageninspektoren (IMPEL). Es konzentriert sich auf den Informations- und Erfahrungsaustausch (KOM[1995] 624, 128). (sm) Lit.: J. Scherer/S. Heselhaus, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, O Rn. 169 ff. Web: z.B. http://ec.europa.eu/environment/impel/index. htm; http://ec.europa.eu/environment/ippc/index_de. htm
Verwaltungsstrafen ĺGeldstrafen und Geldbußen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Verwaltungsverfahren (Komitologie) management procedure (comitology) – procédure de gestion (comitologie)
Eine spezielle Form des Rechtsetzungsverfahrens im Bereich der europäischen ĺDurch-
Verwertungsgesellschaften führungsrechtsetzung. Die Rechtsakte werden nicht wie das sonstige ĺSekundärrecht durch den ĺRat bzw. durch Rat und ĺParlament gemeinsam in einem gem. Art. 250 bis 252 EG festgelegten Rechtsetzungsverfahren erlassen, sondern durch die ĺKommission unter Mitwirkung unterschiedlich zusammengesetzter Komitologieausschüsse (ĺKomitologie). Weitere Verfahren sind das ĺBeratungsverfahren und das ĺRegelungsverfahren. Der Ablauf richtet sich im Einzelnen nach dem ĺKomitologiebeschluss des Rates 1999/468/EG in der Fassung des Ratsbeschlusses 2006/512/EG, vgl. ĺKomitologie, Komitologieverfahren. (sk) Verweisung ĺEuGH und EuG I, Zuständigkeit Verweisung (Zivil- und Handelssachen) transfer (civil and commercial matters – renvoi (matières civile et commerciale)
Ist ein unzuständiges Gericht in einer Streitsache angerufen, so entspricht es sowohl der Prozessökonomie als auch den Interessen des Klägers das Verfahren nicht ergebnislos zu beenden, sondern den bereits getätigten Aufwand dadurch zu erhalten, dass das Verfahren an das zuständige Gericht verwiesen (überwiesen) wird. Dieses kann den Prozess im jeweiligen Stadium übernehmen und weiterführen: die Rechtshängigkeit bleibt dabei aufrecht. Solche oder vergleichbare Regelungen sind in einer Vielzahl nationaler Prozessordnungen enthalten und sind insbesondere dann von erheblicher Bedeutung, wenn sich die Unzuständigkeit erst in einem späten Stadium des Prozesses, bspw. in der Rechtsmittelinstanz, erweist. Da eine vergleichbare Situation auch bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten auftreten kann, wird entsprechend auch auf europäischer Ebene eine vergleichbare Regelung gefordert. Dem stehen jedoch derzeit die mangelnde Harmonisierung der nationalen Prozessordnungen und der darin vorgesehenen Prozessvoraussetzungen sowie praktische Gründe (bspw. unterschiedliche Sprache, Aktenführung) entgegen. Das ĺEuZPR kennt daher zwar Regelungen zur Verfahrenskoordination (ĺRechtshängigkeit), bis heute aber keine grenzüberschreitende Verweisung unter Aufrechterhaltung der Rechtshängigkeit. Auch die missverständlich als Verweisung bezeichnete Vorschrift des Art. 15 EheGVVO sieht lediglich vor, dass das Erstgericht das Verfahren aussetzen kann, und entweder die Par-
tei dazu einladen kann, beim für besser geeignet erachteten Gericht (ĺforum non conveniens) einen entsprechenden Antrag zu stellen, oder direkt das betreffende Gericht zu ersuchen, sich für zuständig zu erklären. Wird ein Verfahren vor dem Zweitgericht eingeleitet, so muss sich das Erstgericht für unzuständig erklären. Sowohl bei Fehlen der internationalen Zuständigkeit als auch bei einem Vorgehen nach Art. 15 EheGVVO muss daher das Erstverfahren beendet und ein neues Verfahren vor den nunmehr als zuständig erkannten Gerichten eingeleitet werden. Dies kann für den Kläger sowohl hinsichtlich der Prozesskosten als auch der Wahrung von Fristen (insb. der Verjährung) erhebliche Nachteile mit sich bringen. (mrm) §§: Art. 21 EuGVÜ/LGVÜ; Art. 27 EuGVVO; Art. 15 EheGVVO Lit.: M.-R. McGuire, Forum Shopping und Verweisung, ZfRV 2005, 83 ff.
Verwendungsverbot, -gebot, -beschränkung (freier Warenverkehr) use restrictions (free movement of goods) – restriction d’utiliser un produit (libre circulation des marchandises)
Verwendungsverbote, Verwendungsgebote und Verwendungsbeschränkungen bzw. ĺVerarbeitungsverbote, -gebote, -beschränkungen können den Absatz eingeführter Waren hemmen, somit den ĺfreien Warenverkehr beeinträchtigen und können daher als ĺMaßnahmen gleicher Wirkung gem. Art. 28 EG qualifiziert werden. So hat der ĺEuGH etwa in einem Verbot, Ausgangsstoffe aus einem anderen Mitgliedstaat zu destillieren (EuGH, Rs. 119/78 Peureux, Slg. 1979, 975, Rn. 32, ĺDiskriminierung [freier Warenverkehr]) oder in einem Erfordernis der Schlachtung und Produktzubereitung in demselben Mitgliedstaat (EuGH, Rs. 153/78 Kommission/Deutschland, Slg. 1979, 2555, Rn. 3 f.) Maßnahmen gleicher Wirkung gesehen. (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: P. C. Müller-Graff, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 28 EG, Rn. 101 f.; P. Oliver/S. Enchelmaier, Free movement of goods: Recent developmnets in the case law, CML Rev. 2007, 671 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 119/78 Peureux, Slg. 1979, 975, Rn. 32; EuGH, Rs. 153/78 Kommission/Deutschland, Slg. 1979, 2555, Rn. 3 f.
Verwertungsgesellschaften collecting society – société de gestion collective
Eine Verwertungsgesellschaft ist eine Organisation, die Urheber- und/oder verwandte Schutz961
Veterinärkontrolle rechte wahrnimmt oder verwaltet. Sie soll den Rechtsverkehr mit Urheberrechten erleichtern bzw. ermöglichen, wo ein direkter Kontakt zwischen Urheber und Nutzer gar nicht oder nur schwer stattfinden kann. Man spricht insofern auch von „kollektiver Rechtewahrnehmung“; dementsprechend wird das Verwertungsgesellschaftenrecht auch als Wahrnehmungsrecht bezeichnet. Verwertungsgesellschaften spielen derzeit europarechtlich in mehrfacher Hinsicht eine Rolle: Sie sind erstens Gegenstand der wettbewerbsrechtlichen Kontrolle, insbesondere im Hinblick auf Art. 82 EG (Missbrauch von Marktmacht, etwa durch Tarifexzesse). Eine der wichtigsten Entscheidungen in diesem Zusammenhang ist die SACEM-Entscheidung (EuGH, Rs. 110/88, 241/88, 242/88, Francois Lucazeau u.a. vs SACEM, Slg. 1989, 2811). Zweitens finden sich im Sekundärrecht vereinzelt Regelungen, die auf dem nationalen System der Verwertungsgesellschaften aufbauen. Die ĺSatelliten- und KabelRL etwa definiert Verwertungsgesellschaften als Organisationen, die Urheber oder verwandte Schutzrechte als einziges Ziel oder als eine ihrer Hauptaufgaben wahrnehmen oder verwalten (Art. 1 Abs. 4). Weiters sieht diese RL in Art. 9 vor, dass die Geltendmachung des Rechts der zeitgleichen, unveränderten und vollständigen Kabelweitersendung zwingend den Verwertungsgesellschaften vorbehalten ist. Die ĺVermiet- und VerleihRL hält fest, dass die Wahrnehmung von Vergütungsansprüchen auf eine Verwertungsgesellschaft übertragen werden kann und stellt es den Mitgliedstaaten frei, diese Form der Rechtewahrnehmung zwingend vorzuschreiben (Art. 4 Abs. 3 und 4). Drittens wird in der EU bereits darüber diskutiert, die Bedingungen, unter denen die Verwertungsgesellschaften arbeiten, zu harmonisieren (Mitteilung der Komm, KOM[2004] 261endg; Empfehlung der Komm, ABl. 2005, Nr. L 276/ 54). (js) Lit.: K. Riesenhuber, Europäisches Wahrnehmungsrecht – Zur Mitteilung der Kommission über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt, EuZW 2004, 519; Mitteilung der Kommisson über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten im Binnenmarkt vom 16.4.2004, KOM(2004) 261 endg.; Empfehlung der Kommission vom 18.5.2005 für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten für legale Online-Musikdienste, ABl. 2005, Nr. L 276/ 54; W. Dillenz, in: M. M. Walter (Hrsg.), Europäisches Urheberrecht. Kommentar, 2001, 66 ff.
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Veterinärkontrolle veterinary inspection – inspection vétérinaire
Unter Veterinär- und phytosanitären Kontrollen sind Einfuhrkontrollen über die Gewährleistung von Gesundheitserfordernissen beim Transport von lebenden Tieren oder Tierprodukten bzw. Pflanzen oder Saatgut zu verstehen. Soweit veterinär- und phytosanitäre Kontrollen nicht von besonderen Vorschriften des ĺSekundärrechts vorgeschrieben werden, sind sie an Art. 28 EG zu messen. Ungeachtet ihres möglichen behindernden Charakters werden solche Kontrollen allerdings häufig nach Art. 30 EG z.B. zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen gerechtfertigt sein. Bestehen jedoch bereits gleichwertige Kontrollen im Herkunftsstaat, so darf der Bestimmungsstaat nur noch unter besonderen Umständen, nämlich, wenn vernünftigerweise anzunehmen ist, dass das betreffende Produkt nicht den Gemeinschaftsvorschriften entspricht, eine Kontrolle „doppelt“ durchführen (s.a. ĺLennox-Entscheidung). (ah) §§: u.a. VO (EG) 136/2004 mit Verfahren für die Veterinärkontrollen von aus Drittländern eingeführten Erzeugnissen an den Grenzkontrollstellen der Gemeinschaft, ABl. 2004, Nr. L 21/11; zuletzt geändert durch Art. 1 Abs. 1 ÄndVO 1792/2006, ABl. 2006, Nr. L 362 /1; VO (EG) 882/2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz, ABl. 2004, Nr. L 165/1; zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO 1791/ 2006, ABl. 2006; Nr. L 363/1; RL 2002/99/EG zur Festlegung von tierseuchenrechtlichen Vorschriften für das Herstellen, die Verarbeitung, den Vertrieb und die Einfuhr von Lebensmitteln tierischen Ursprungs, ABl. 2003, Nr. L 18/11 (ĺLebensmittelrecht); RL 97/ 78/EG zur Festlegung von Grundregeln für die Veterinärkontrollen von aus Drittländern in die Gemeinschaft eingeführten Erzeugnissen, ABl. 1998, Nr. L 24/9; zuletzt geändert RL 2006/104/EG zur Anpassung bestimmter RL im Bereich Landwirtschaft (Veterinär- und Pflanzenschutzrecht) anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens, ABl. 2006, Nr. L 363/352 Lit.: T. Jaeger, Veterinärkontrollen und phytosanitäre Kontrollen, in: G. Herzig (Hrsg.), Hemmnisse im grenzüberschreitenden Warenverkehr und EU-Recht, 2004, 95 f. Rsp.: EuGH, Rs. C-105/94 Celestini, Slg. 1997, I-2971, Rn. 35
Veterinärwesen veterinary measures – mesures vétérinaires
Das Veterinärwesen umfasst zwei grundlegende Aspekte: Tierseuchenrechtlicher Aspekt (animal health): ƒ Erhaltung des Gesundheitszustandes von Tieren ƒ Bekämpfung der Seuchen, die Tiere befallen
Vlassopoulou-Entscheidung ƒ ƒ
Hygienischer Aspekt (public health): Abwehr der aus der Tierhaltung und der bei der Verwertung der tierischen Produkte mittelbar der Volksgesundheit drohenden Gefahren Veterinärrechtliche Regelungen können sowohl nur einen als auch beide Aspekte berücksichtigen. Mit der Schaffung des Binnenmarktes und dem Wegfall der Grenzkontrollen für das Veterinärwesen wurde ein umfassendes gemeinschaftliches System (Trade Control and Expert System – TRACES) geschaffen werden, um den Aspekten der öffentlichen Gesundheit und der Tiergesundheit sowohl im eigenen Staat als auch im innergemeinschaftlichen Handel nachzukommen. Mit dem System TRACES kann der Verkehr mit Tieren und tierischen Produkten lückenlos erfasst werden. Bei einem etwaigen Seuchenausbruch soll ein Zurückverfolgen der Seuche bis zum Seuchenursprung ermöglicht werden. Das Veterinärrecht beinhaltet eine Reihe von Maßnahmen zur Sicherung der hygienischen Standards bei der Schlachtung und Verarbeitung, dem Handel von Tieren und tierischen Erzeugnissen sowie Maßnahmen im Rahmen der Bekämpfung von ĺTierseuchen. Das Veterinärrecht geht damit in das ĺLebensmittelrecht über. (all) Lit.: K. Schachinger, Veterinärrecht, 1990 Web: http://www.vetlex.com
Vielfalt, kulturelle, religiöse, sprachliche cultural, religious and linguistic diversity – diversité culturelle, religieuse et linguistique
Die ĺGRC enthält eine Garantie der Achtung der kulturellen, religiösen (ebenso: weltanschaulichen) und sprachlichen Vielfalt in der und durch die Union. Überwiegend wird die Ansicht vertreten, dass es sich dabei um kein spezifisches Minderheitenrecht handelt, sondern die Kulturen, ĺReligionen und Sprachen unabhängig von Mehroder Minderheitsverhältnissen geschützt sind. Die Bestimmung wird aber auch als Minderheitenschutz ohne subjektives Recht daraus gelesen. (ed) §§: Art. 22 GRC/Art. II-82 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 25 III, Rn. 43 ff.; S. Hölscheidt, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 22
Vielleicht-Entscheidung (BVerfG) Vielleicht case – jurisprudence Vielleicht
Entscheidung des ĺBVerfG vom 25.7.1979, BVerfGE 52, 187 (konkrete ĺNormenkontrol-
le). Gilt als Zwischenetappe zwischen den Entscheidungen ĺSolange I und ĺSolange II, weil das BVerfG in der namensgebenden Passage ausdrücklich offengelassen hat, ob die in der Solange I-Entscheidung aufgestellten Anforderungen an den europäischen Grundrechtsschutz erfüllt seien. In verfahrensrechtlicher Hinsicht stellte das BVerfG den Grundsatz auf, dass zwar nicht ĺPrimärrecht als solches, wohl aber das deutsche ĺZustimmungsgesetz zulässiger Gegenstand einer konkreten Normenkontrolle sein kann. Nicht zulässig sei jedoch eine konkrete Normenkontrolle mit dem Ziel, einer Norm des Gemeinschaftsrechts für die Anwendung in Deutschland eine andere Auslegung zugrundezulegen als diejenige, die vom ĺEuGH vorgegebenen worden ist. Im ĺVorabentscheidungsverfahren durch den EuGH ergangene Entscheidungen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts seien für alle mit demselben Ausgangsverfahren befassten mitgliedschaftlichen Gerichte einschließlich des BVerfG bindend. (sgk) Lit.: M. Sachs, Normenkontrollverfahren bei primärem Gemeinschaftsrecht?, NJW 1982, 465
Vlassopoulou-Entscheidung Vlassopoulou case – jurisprudence Vlassopoulou
In der Rs. Vlassopoulou ging es um eine Klägerin, die in Athen als Rechtsanwältin zugelassen war und den Grad einer Doktorin der Rechte einer deutschen Universität erworben hatte. Nach einer Tätigkeit unter Verantwortung eines deutschen Anwalts beantragte sie die Zulassung als Rechtsanwältin. Dies wurde ihr von der zuständigen Behörde untersagt, was im Wesentlichen damit begründet wurde, dass sie nicht alle erforderlichen Zeugnisse nachweisen konnte. Der ĺEuGH stellte fest, dass jeder MS bereits aufgrund des Primärrechts verpflichtet sei, „die Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen befähigungsnachweise, die der Betroffene erworben hat, um den gleichen Beruf in einem anderen MS auszuüben, in der Weise zu berücksichtigen, dass er die durch diese Diplome bescheinigten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnisse und Fähigkeiten vergleicht.“ (Rs. V., Rn. 16). Diese Rsp. fand ihren Niederschlag in den Regeln für die ĺDiplomanerkennung und wurde teilweise auch in den ĺDiplomanerkennungsRL wie auch der ĺBerufsanerkennungsRL kodifiziert. Zu Fragen der Anerkennung von ĺQualifikationsnachweisen für Rechtsanwälte vgl. auch 963
Vogelschutzrichtlinie die Entscheidungen des EuGH in den Rs. ĺvan Binsbergen, ĺGebhard und ĺMorgenbesser. (sh) Rsp.: EuGH, Rs. C-340/89 Vlassopoulou, Slg. 1991, I-2357
Vogelschutzrichtlinie wild birds directive – directive concernant la conservation des oiseaux sauvages
ĺArtenbezogene Regelungen, Naturschutz. Eine Normierung erfolgt mittels der RL 79/409/ EWG. Durch diese erfolgte erstmals die Verwirklichung des Konzepts des umfassenden Artenschutzes. Zur Erhaltung und Wiederherstellung der Lebensstätten und Lebensräume treffen die MS insbesondere folgende Maßnahmen: ƒ Einrichtung von ĺSchutzgebieten, ƒ Pflege und ökologisch richtige Gestaltung der Lebensräume in- und außerhalb von Schutzgebieten, ƒ Wiederherstellung zerstörter Lebensstätten, ƒ Neuschaffung von Lebensstätten. Erfasst sind alle Vogelarten, die auf dem Gemeinschaftsgebiet beheimatet sind. Für in Anhang I aufgeführte besonders bedrohte Vogelarten sind besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, insbesondere geeignete ĺSchutzgebiete (ĺHabitate) einzurichten. Für bestimmte Zugvögelarten sind entsprechende Gebiete zur Vermehrung und Überwinterung vorzusehen. Schutzgebiete sind vor Verschmutzungen und sonstigen Beeinträchtigungen zu schützen. Die Pflicht zur Erhaltung und Wiederherstellung der Lebensräume besteht bereits, wenn sich die Zahl der Vögel verringert oder sich die Gefahr des Verschwindens einer geschützten Art konkretisiert. Die Ausweisung der Schutzgebiete erfolgt ausschließlich nach ornithologischen Gesichtspunkten. Bei Unterlassen der Ausweisung besonders bedeutsamer Gebiete kommt laut ĺEuGH der ĺRL unmittelbare Wirkung zu. Der betroffene MS hat sich so behandeln zu lassen, als hätte er das Gebiet ausgewiesen. Es ist eine Begrenzung der Zahl der handel- und jagbaren Arten vorgesehen. Zudem werden bestimmte Fangmethoden verboten und für best. Vogelarten die Jagdzeiten geregelt. (sm) Lit.: K. Iven, Anmerkung: Zur Praxis der Mitgliedstaaten bei der Ausweisung von Vogelschutzgebieten 19.5.1998, Rs. C-3/96, NuR 1998, 528 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C 355/90 Kommission/Spanien („Santoña“), Slg. 1993, I-4221 ff.
Vollständigkeitsprinzip, haushaltsrechtliches ĺHaushaltsgrundsätze 964
Vollstreckung ausländischer Entscheidungen Nach dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung sind Entscheidungen aus anderen MS anzuerkennen und zu vollstrecken. Während die Anerkennung ipso iure Eintritt, d.h. die Wirkung auf das Inland erstreckt wird, bedurfte die Vollstreckung bisher immer einer positiven Entscheidung des Vollstreckungsmitgliedstaats, der Vollstreckbarkeitserklärung (Exequatur). Erst wenn die ausländische Entscheidung förmlich für vollstreckbar erklärt war, konnte die Vollstreckung auf der Grundlage des nationalen Prozessrechts durchgeführt werden. Heute gibt es zwei unterschiedliche Systeme für die Vollstreckung von Entscheidungen aus anderen MS: Nach ĺEuGVVO und ĺEheGVVO ist eine Vollstreckbarerklärung erforderlich, wird aber auf Grund eines vereinfachten Verfahrens gewährt, ohne dass der Antragsgegner zunächst die Möglichkeit hat, ĺAnerkennungshindernisse geltend zu machen. Diese können erst in Folge im Rechtsbehelfsverfahren geprüft werden und gegebenenfalls zur Nichtanerkennung bzw. Verweigerung der Vollstreckbarerklärung führen. Damit wird die Initiative für die Anerkennungsverweigerung auch für solche Verweigerungsgründe dem Schuldner aufgebürdet, die – wie der ĺordre public – primär in öffentlichem Interesse bestehen. Die ĺEuVTVO und ĺEuMVVO haben dagegen dieses beschleunigte Zwischenverfahren vor den Gerichten des Vollstreckungsstaates ersatzlos gestrichen: die Vollstreckung erfolgt nun unmittelbar aus dem Europäischen Vollstreckungstitel bzw. dem Europäischen Zahlungsbefehl, ohne dass das Zweitgericht die Wirksamkeit oder Richtigkeit desselben in Frage stellen kann. (mrm) §§: Art. 31 ff. EuGVÜ/LGVÜ; Art. 38 ff. EuGVVO; Art. 28 ff. EheGVVO Lit.: A. Stein, Neuere Entwicklungen bei der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Europa, WiRO 2003, 289-294
Vollstreckungstitel ĺEuropäische Vollstreckungstitelverordnung Vollstreckungsübernahme freiheitsentziehender Sanktionen und Maßnahmen enforcement of custodial sentences or measures involving deprivation of liberty – l’exécution des jugements en matière pénale prononçant des peines ou des mesures privatives de liberté
Regelungen zur Übertragung der Strafvollstreckung und zur Überstellung verurteilter Per-
Vollzug, direkter sonen finden sich im Europaratsübereinkommen (ETS 112) und dem dazu ergangenen Zusatzprotokoll (ETS 167). Sowohl Deutschland als auch Österreich sind Vertragspartei beider völkerrechtlicher Übereinkommen. Das Übereinkommen soll vor allem die soziale Wiedereingliederung verurteilter Personen erleichtern, indem es Ausländern, die wegen der Begehung einer Straftat zu Freiheitsentzug verurteilt wurden, die Möglichkeit gibt, ihre Strafe in ihrem Heimatland zu verbüßen. Sowohl der Urteilsstaat als auch der Herkunftsstaat des Verurteilten können ein solches Ersuchen um Vollstreckungsübernahme stellen, die Überstellung setzt jedoch über die Zustimmung dieser beiden Staaten hinaus auch diejenige des Verurteilten voraus. Das Übereinkommen legt weiter das Vollstreckungsverfahren nach Überstellung fest. Es untersagt die Umwandlung einer Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe oder Geldbuße und ordnet die Anrechung von Vorhaftzeiten an. Zugleich untersagt es eine der Art oder der Dauer nach härtere Vollstreckung als es der vom Urteilsstaat verhängten Strafe entspricht. Auf Ebene der Europäischen Union liegt ein Rahmenbeschlussentwurf über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung (ĺgegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, Grundsatz der) auf freiheitsentziehende Strafen oder Maßnahmen zum Zwecke der Vollstreckung vor, der sich nach einer politischen Einigung im ĺRat im Mai 2007 im weiteren Rechtsetzungsverfahren befindet. Gemeinsam mit dem Entwurf einer ĺEuropäischen Überwachungsanordnung fügt sich dieser Entwurf zur Vollstreckungsübernahme in das Konzept des grenzüberschreitenden Vollzugs strafjustizieller Endentscheidungen ein, dass bereits mit dem Rahmenbeschluss über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (ĺGeldstrafen und Geldbußen, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von) verfolgt wird. (sts) §§: Ratsdok. 9688/07; Ratsdok. 9688/07 COR1 REV 1 Lit.: C. Morgenstern, Strafvollstreckung im Heimatstaat – der geplante EU-Rahmenbeschluss zur transnationalen Vollstreckung von Freiheitsstrafen, ZIS 2/ 2008, 76 ff.
Vollzug, direkter direct enforcement – administration directe
Unter direktem V. ist die Anwendung des Gemeinschaftsrechts unmittelbar durch die Behörden der EU zu verstehen. Dabei ist der di-
rekte V. die Ausnahme gegenüber dem Regelfall des ĺindirekten Vollzugs. Im direkten V. erfolgt die Anwendung von Gemeinschaftsrecht im Bereich der gemeinschaftsinternen Verwaltung, wozu die Personal- und Materialverwaltung ebenso zählen wie die Vergabe und Kontrolle von Haushaltsmitteln. Der Vollzug erfolgt durch das jeweils zuständige Organ. Der direkte V. gegenüber den Gemeinschaftsbürgern – gemeinschaftsexterne Verwaltung – umfasst insbesondere die Aufgabenfelder des Wettbewerbsrechts (Art. 81, 82, 85 EG), des Beihilfenrechts (Art. 87, 88 EG), der Überwachung von Maßnahmen des Außenwirtschaftsrechts (Art. 133 EG), der Mittelvergabe im Bereich der beruflichen Bildung (Art. 150 EG) und der Verwaltung der Strukturfonds (Art. 159161 EG). Er obliegt regelmäßig der ĺKOM. Dabei wird sie in bestimmten Bereichen durch gemeinschaftseigene Agenturen unterstützt, die durch Verordnungen (i.d.R. gestützt auf Art. 308 EG) als selbstständige Einrichtungen geschaffen werden und mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet sind. Neben den primärrechtlichen Gegenständen des direkten V. können der ĺKOM auch in Rechtsvorschriften des ĺEurop. Rates (Art. 202, 211 EG) Durchführungsbefugnisse überantwortet werden. Die Durchführungsmodalitäten können in Rechtsakten des ĺEurop. Rates, gestützt auf Art. 308 EG, geregelt werden. Ein einheitliches europäisches Verwaltungsverfahren im direkten V. besteht bislang nicht. Lediglich in bestimmten Sachgebieten des direkten V. gibt es Gemeinschaftsrechtsakte, die verfahrensrechtliche Spezialregelungen enthalten, z.B. VO (EWG) 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 88 EG, ABl. 1999, Nr. L 83, 1 ff. Allerdings enthalten das ĺPrimärrecht, die Verfassungsprinzipien der Mitgliedstaaten und die allgemeinen Rechtsgrundsätze Regelungen, aus denen sich allgemeine Rechtsgrundsätze eines ĺEuropäischen Verwaltungsrechts ergeben. Anhaltspunkte dabei sind der Art. 230 EG und die Rsp. des ĺEuGH zu den Rechtsgrundsätzen eines allgemeinen Verwaltungsverfahrens. Zu diesen Grundsätzen s. im Einzelnen ĺEuropäisches Verwaltungsrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze. (fh) Lit.: K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, 208 ff.; J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, 25 ff. Web: http://europa.eu/agencies/index_de.htm
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Vollzug, indirekter Vollzug, indirekter indirect enforcement – administration indirecte
Der indirekte V. des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten ist die Regel, der ĺdirekte Vollzug durch die Organe der Gemeinschaft stellt dagegen die Ausnahme dar. Hierbei gilt der Grundsatz der ĺverfahrensrechtlichen Autonomie der Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten führen das Gemeinschaftsrecht im eigenen Namen durch, ohne an Weisungen der Unionsbehörden gebunden zu sein. Sie bestimmen dabei also insbesondere das Verfahrensrecht, das materielle Verwaltungsrecht (Zinsansprüche, Verjährung, Aufrechnungsmöglichkeiten) sowie das System des Verwaltungsrechtsschutzes. Die ĺverfahrensrechtliche Autonomie der Mitgliedstaaten ist an gemeinschaftsrechtliche Grenzen gebunden. Diese können sich zunächst aus der unmittelbaren Anwendbarkeit von ĺprimärem und ĺsekundärem Gemeinschaftsrecht ergeben, auch wenn dieses gerade nicht den Vollzug an sich regeln soll, sondern z.B. durch Rechtsfolgenfestlegung auf das Verfahrensrecht „ausstrahlt“. Soweit der Gemeinschaftsgesetzgeber die Kompetenz hat, kann er in einzelnen Sekundärrechtsakten Fragen des Vollzugs einheitlich regeln. (ĺ„Soweit-Formel“) Der sich aus dem ĺVorrang des Gemeinschaftsrechts ergebende Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung nationalen Rechts kann auch auf das Verfahrensrecht Wirkungen entfalten. Weiter haben die nationalen Behörden beim Vollzug von Gemeinschaftsrecht die ĺGrundrechte der Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 2 EU, Art. 51 GRC) neben den nationalen Grundrechten zu beachten. Schließlich wurzelt in Art. 10 EG in Verbindung mit dem ĺVorrang des Gemeinschaftsrechts der ĺEffektivitätsgrundsatz, wonach beim mitgliedstaatlichen Vollzug von Gemeinschaftsrecht dessen effektive Anwendung gewährleistet sein muss. Auch insoweit ist die ĺAutonomie, verfahrensrechtliche der Mitgliedstaaten eingeschränkt. Darüber hinaus fordert das ĺÄquivalenzprinzip, dass das nationale Verfahrensrecht ohne Diskriminierung im Verhältnis zum Vollzug nationalen Rechts auf das Gemeinschaftsrecht angewendet wird. Schließlich wirkt sich das Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes als unabdingbare Vor966
aussetzung der tatsächlichen und effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts auf die Anwendung nationalen Verwaltungsrechts und Verwaltungsprozessrechts aus. (fh) §§: Art. 6 Abs. 2 EU; Art. 51 GRC; Art. 10 EG Lit.: R. Bieber/A. Epiney/M. Haag, Die Europäische Union, 7. Aufl. 2006, § 8, Rn. 11 ff.; K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 3. Aufl. 2006, Rn. 514 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 205-215/82 Deutsches Milchkontor, Slg. 1983, 2633 ff., 2665
Vollzug, mittelbarer indirect implementation – administration indirecte
Bei dieser Form der Vollziehung des Gemeinschaftsrechts werden keine Rechtsvorschriften des Gemeinschaftsrechts als solche vollzogen, sondern jene Vorschriften, die durch staatliche Rechtsvorschriften umzusetzen sind. Diese Form des Vollzugs findet sich daher vor allem bei ĺRichtlinien. (he) Lit.: U. Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2005, 315 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 102
Vollzug, unmittelbarer direct implementation – administration directe
Diese Form des Vollzugs von Gemeinschaftsrecht betrifft jene Bestimmungen, die unmittelbar anwendbar sind und auf die daher einzelfallbezogene Entscheidungen von Verwaltungsbehörden gestützt werden können. Es kommt in dieser Hinsicht darauf an, ob im jeweiligen Fall die Voraussetzungen der ĺunmittelbaren Anwendbarkeit der entsprechenden Vorschriften gegeben sind. In diesen Fällen werden daher in der Regel keine umsetzenden Rechtsakte im nationalen Recht erlassen. Einschlägig ist dies vor allem bei ĺVerordnungen, aber auch – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – bei ĺRichtlinien. (he) Lit.: U. Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2005, 315 ff.; T. Öhlinger/M. Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 3. Aufl. 2006, 102
Vorabentscheidungsverfahren, allgemein preliminary ruling procedure, general (German legal situation) – renvoi préjudiciel (art. 234 CE), généralité
Das Vorabentscheidungsverfahren ist in Art. 234 EG geregelt. Im Gegensatz zu anderen Verfahrensarten vor dem ĺEuGH handelt es sich beim Vorabentscheidungsverfahren um ein indirektes Klageverfahren bzw. um ein Zwischenverfahren.
Vorabentscheidungsverfahren, Auslegungsfragen Das Gemeinschaftsrecht als zum großen Teil unmittelbar anwendbares Recht wird nicht nur vom ĺEuG und ĺEuGH, sondern insbesondere von den Gerichten der Mitgliedstaaten angewandt. Dieses dezentrale Rechtsschutzsystem kann zu verschiedenen Interpretationen des Gemeinschaftsrechts führen, wenn die nationalen Gerichte auch das Gemeinschaftsrecht nach rein nationalen Kriterien auslegen bzw. auf Gültigkeit überprüfen. Daher ist Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens die einheitliche Anwendung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts sowie die Stärkung des Rechtsschutzes für den Einzelnen. Dies wird dadurch erreicht, dass die das Gemeinschaftsrecht anwendenden nationalen Gerichte dem EuGH Auslegungsund Gültigkeitsfragen vorlegen können bzw. müssen. Hierbei besteht in Bezug auf Gültigkeitsfragen eine Vorlagepflicht für alle nationalen Gerichte. Auslegungsfragen müssen dagegen nur letztinstanzliche nationale Gerichte vorlegen, also solche, gegen deren Entscheidung kein Rechtsmittel mehr möglich ist. Die Entscheidung des EuGH ist für das vorlegende Gericht verbindlich. Für den Fall, dass ein vorlageverpflichtetes nationales Gericht eine Auslegungs- oder Gültigkeitsfrage nicht vorlegt, können als Sanktionen ein Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 226 EG, ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch und innerstaatliche Rechtsbehelfe in Betracht kommen. (jpt) §§: Art. 234 EG Lit.: G. Bebr, Preliminary rulings of the Court of justice: Their authority and temporal effect, CML Rev 1981, 475; M. A. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 2. Aufl. 1995; U. Everling, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, 1986; C. Herrmann, Die Reichweite der gemeinschaftsrechtlichen Vorlagepflicht in der neueren Rechtsprechung des EuGH, EuZW 2006, 231; A. Middeke, Das Vorabentscheidungsverfahren, in: H.-W. Rengeling/A. Middeke/M. Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, § 10; M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 776 ff.; C. Sellmann/S. Augsberg, Entwicklungstendenzen des Vorlageverfahrens nach Art. 234 EGV, DÖV 2006, 533; B. Schimma, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH, 2. Aufl. 2004; J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 234 EGV, Rn. 1 ff.; ders., Die Befolgung von Vorabentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs durch deutsche Gerichte – Ergebnisse einer rechtstatsächlichen Bestandsaufnahme, 1988; R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn. 630 ff.; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, § 9; R. Wernsmann/J. Behrmann, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG, Jura 2006, 181 ff.
Vorabentscheidungsverfahren (deutsche Rechtslage) preliminary ruling procedure (German legal situation) – renvoi préjudiciel (situation juridique allmande)
Die Vorlagepflicht aus Art. 234 EG ist für deutsche letztinstanzliche Gerichte aufgrund des deutschen ĺZustimmungsgesetzes und des darin enthaltenen ĺRechtsanwendungsbefehls verbindlich (BVerfGE 82, 159, 193). Der ĺEuGH wird vom ĺBVerfG im Rahmen dieses Verfahrens als gesetzlicher ĺRichter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angesehen. Eine Verletzung der Vorlagepflicht kann daher u.U. vor dem BVerfG als Verletzung dieses Grundrechts gerügt werden. Alle mit demselben Ausgangsverfahren befassten deutschen Gerichte, ggf. einschließlich des BVerfG selbst, sind an die vom EuGH im Vorabentscheidungsverfahren getroffene Entscheidung über die Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts gebunden (ĺLütticke-Entscheidung; BVerfGE 45, 142, 162; ĺVielleicht-Entscheidung; ĺKloppenburg-Entscheidung). (sgk) Vorabentscheidungsverfahren, Auslegungsfragen preliminary ruling procedure, questions of interpretation – renvoi préjudiciel, questions d’interprétation
Gegenstand einer Auslegungsfrage in einem Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 234 EG kann grundsätzlich das gesamte Gemeinschaftsrecht sein. Darunter fällt zunächst der in Art. 234 Abs. 1 lit. a EG explizit genannte EG-Vertrag einschließlich seiner Anhänge, Protokolle und Verträge zu seiner Änderung sowie Verträge zur Aufnahme neuer Mitgliedstaaten. Neben dem ĺPrimärrecht kann in einem Vorabentscheidungsverfahren auch gem. Art. 234 Abs. 1 lit. b EG eine Frage hinsichtlich nach der Auslegung des ĺSekundärrechts gestellt werden. Dabei ist es gleichgültig, ob dieses ĺSekundärrecht verbindlich ist, wie ĺVerordnungen, ĺRichtlinien und ĺEntscheidungen, oder ob es sich um zumindest nach außen unverbindliche ĺEmpfehlungen und ĺStellungsnahmen handelt. Ebenso spielt es keine Rolle, welches Gemeinschaftsorgan dieses ĺSekundärrecht erlassen hat. Gegenstand einer ĺAuslegungsfrage können darüber hinaus von den Gemeinschaftsorganen geschlossene und nach Art. 300 Abs. 7 EG für die Gemeinschaft bindende völkerrechtliche Verträge sein. Schließlich ist gem. Art. 234 Abs. 1 lit. c EG der ĺEuGH auch für die Auslegung von Satzungen der durch den ĺRat ge967
Vorabentscheidungsverfahren, Begriff des Gerichts schaffenen Einrichtungen zuständig, soweit dies in den entsprechenden Satzungen vorgesehen ist. Der ĺEuGH ist im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens zwar zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts berechtigt, nicht aber zur Auslegung nationalen Rechts. Damit sind Fragen nationaler ĺGerichte, ob eine bestimmte nationale Rechtsnorm mit einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift vereinbar ist oder ob auf einen bestimmten Sachverhalt Gemeinschaftsrecht anzuwenden ist, an sich nicht zulässig. In der Praxis formuliert der ĺEuGH solche Vorlagefragen aber um, sodass diese sich dann auf die Auslegung des Gemeinschaftsrechts beziehen. Zudem lehnt der ĺEuGH auch eine Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf den Einzelfall ab. Dies bleibt den nationalen ĺGerichten vorbehalten. Allerdings sind abstrakte Auslegung und konkrete Anwendung nicht immer leicht zu trennen. Der ĺEuGH bleibt daher zwar bei seiner Aussage, dass er nationale Rechtsnormen nicht auslegt und für unvereinbar mit Gemeinschaftsrecht erklärt, er gibt aber bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts den nationalen ĺGerichten Kriterien mit, anhand derer die nationalen ĺGerichte über die Unvereinbarkeit ihres nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht entscheiden können. (jpt) §§: Art. 234 EG Lit.: M. A. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 1995, 77 ff.; U. Ehricke, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 234 EGV, Rn. 15 f.
Vorabentscheidungsverfahren, Begriff des Gerichts preliminary ruling procedure, definition of court/tribunal – renvoi préjudiciel, définition de tribunal
Gem. Art. 234 EG sind nur „Gerichte“ der Mitgliedstaaten berechtigt, dem ĺEuGH eine Frage zur ĺVorabentscheidung vorzulegen. Damit sind die Parteien eines Rechtstreites nicht vorlageberechtigt. Der Begriff des Gerichts ist jedoch nicht der nationalen Definition überlassen, sondern muss gem. dem Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens gemeinschaftsrechtlich bestimmt werden. Nach der Rechtsprechung des ĺEuGH sind Gerichte i.S.d. Art. 234 EG solche nationalen Einrichtungen, die einen unabhängigen Spruchkörper darstellen, der auf gesetzlicher Grundlage beruhend für die Entscheidung von Rechtssachen in einem streitigen Verfahren zuständig ist. Auch Schiedsgerichte außerhalb der staatlichen Gerichtsbar968
keit können aufgrund der Weite der Definition als Gerichte i.S.d. Art. 234 EG angesehen werden, allerdings nicht, wenn es sich um private Schiedsgerichte handelt. Zudem hat der ĺEuGH als Gerichte i.S.d. Art. 234 EG bislang angesehen: Gerichte von besonderen Gemeinschaftsterritorien, Streitsachenausschüsse von Berufsorganisationen, Vergabeüberwachungsausschüsse, ein mehreren Mitgliedstaaten gemeinsames Gericht und nationale Verfassungsgerichte. Dagegen sind nicht vorlagebefugt und damit keine Gerichte i.S.d. Vorabentscheidungsverfahrens Anklagebehörden in Strafverfahren und Gerichte, die als Verwaltungsbehörden handeln. (jpt) §§: Art. 234 EG Lit.: M. A. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 1995, 84 ff.; C. Gaitanides, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 234 EG, Rn. 41; B. Wegener, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 234 EGV, Rn. 16 f. Rsp.: EuGH, Rs. C-24/92 Corbiau/Administration des contributions, Slg. 1993, I-1277; EuGH, Rs. C-54/96 Dorsch Consult, Slg. 1997, I-4961; EuGH, Rs. C-407/ 98 Abrahamsson und Anderson, Slg. 2000, I-5539; EuGH, Rs. C-92/00 Hospital Ingenieure II, Slg. 2002, I-5553
Vorabentscheidungsverfahren, beschleunigtes Verfahren preliminary ruling procedure, fast track procedure – renvoi préjudiciel, procédure d’urgence
Gem. Art. 104a Abs. 1 VerfO-EuGH kann der Präsident des ĺEuGH auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des ĺGeneralanwalts in Fällen, in denen eine Entscheidung dringlich geboten ist, ein beschleunigtes Verfahren einleiten. Das beschleunigte Verfahren verkürzt die Frist zur Einreichung der Schriftsätze und beschränkt das ĺschriftliche Verfahren auf nur einen Schriftsatzwechsel zwischen den Parteien. Der Termin der ĺmündlichen Verhandlung wird sofort festgesetzt. (jpt) §§: Art. 234 EG, Art. 104a Abs. 1 VerfO-EuGH
Vorabentscheidungsverfahren, Dritte Säule preliminary ruling, third pillar – renvoi préjudiciel, troisième pilier
Die Kompetenz des ĺEuGH für ĺVorabentscheidungsverfahren in der Dritten Säule richtet sich nach Art. 46 EU i.V.m. Art. 35 Abs. 1 EU. Sie unterscheidet sich in drei Punkten von der umfassenden Zuständigkeit gem. Art. 234 EG:
Vorabentscheidungsverfahren, Gegenstand ƒ
Gem. Art. 35 Abs. 2 EU bedarf es einer Anerkennung der Zuständigkeit des EuGH durch die einzelnen ĺMitgliedstaaten. Die Vorlagemöglichkeit kann in der Anerkennungserklärung entweder nur dem im nationalen Verfahren letztinstanzlichen Gericht (Art. 35 Abs. 3 lit. a EU) oder aber allen Gerichten (Art. 35 Abs. 3 lit. b EU) eingeräumt werden. Bis 2007 haben 15 ĺMitgliedstaaten die Zuständigkeit des ĺEuGH anerkannt, dabei haben 12 dieser Staaten, unter ihnen Deutschland und Österreich, auch nicht letztinstanzlichen Gerichten die Möglichkeit zur Vorlage eingeräumt. ƒ Die Vorlage ist nach dem Vertragswortlaut auch für letztinstanzliche Gerichte nicht obligatorisch. Die Mitgliedstaaten können sich jedoch entsprechend der Erklärung Nr. 10 zum Amsterdamer Vertrag vorbehalten, ihre letztinstanzlichen Gerichte zur Vorlage zu verpflichten. Neun Mitgliedstaaten haben eine solche Erklärung abgegeben. ƒ Die Zuständigkeit bezieht sich nach dem Wortlaut des Art. 35 Abs. 1 EU nicht auf die Auslegung des Unionsprimärrechts, sondern lediglich auf die Akte des Unionssekundärrechts (Rahmenbeschluss, Beschluss). Da es aber zur Feststellung deren Gültigkeit auch der Auslegung des Primärrechts, besteht jedenfalls insoweit eine entsprechende Kompetenz des EuGH. (sts)
entgegentreten. Dies wird durch das Verwerfungsmonopol des ĺEuGH für das ĺEG-Sekundärrecht unterstrichen. Die Ausgestaltung des Vorabentscheidungsverfahrens als objektives Zwischenverfahren, bei dem die Parteien des Ausgangsrechtsstreits kein Antragsrecht haben, verbindet zudem die Gerichte der Mitgliedstaaten mit denen der Gemeinschaft. Das Vorabentscheidungsverfahren dient zudem dem Rechtsschutz des Einzelnen. Das Gemeinschaftsrecht verleiht dem Einzelnen unmittelbar wirksame Rechte. Beispiele hierfür sind u.a. die ĺGrundfreiheiten und die in richterlicher Rechtsfortbildung vom ĺEuGH entwickelten ĺGrundrechte. Für die Umsetzung dieser Rechte sind aber zumeist die nationalen Behörden und ĺGerichte zuständig. Grundsätzlich kann sich der Einzelne nicht unmittelbar an den ĺEuGH wenden, wenn die Behörden oder ĺGerichte seines Mitgliedstaates gemeinschaftswidrig handeln. Auch gegen rechtswidrige Handlungen von Gemeinschaftsorganen kann der Einzelne nur unter engen Voraussetzungen vor dem ĺEuGH vorgehen. Die ĺNichtigkeitsklage gem. Art. 230 EG ist zwar ein Rechtsmittel gegen solche Rechtsakte, doch können nichtprivilegierte Kläger nur unter strengen Voraussetzungen davon Gebrauch machen. Diese Lücken im Individualrechtsschutz werden zumindest teilweise durch das Vorabentscheidungsverfahren geschlossen. (jpt)
§§: Art. 35, 46 EU Lit.: M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 865 ff.
§§: Art. 234 EG Lit.: B. Wegener, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 234 EGV, Rn. 1 f.; U. Ehricke, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 234 EGV, Rn. 3 f.
Vorabentscheidungsverfahren, Funktion preliminary ruling procedure, function – renvoi préjudiciel, fonction
Das Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 234 EG erfüllt im Allgemeinen eine doppelte Funktion: Zum einen soll die Rechtseinheit innerhalb der Gemeinschaft gewahrt werden und zum anderen dient es der Sicherung des Rechtsschutzes des Einzelnen. Das Gemeinschaftsrecht wird überwiegend von den Behörden und ĺGerichten der einzelnen Mitgliedstaaten vollzogen. Dieser dezentrale Vollzug des Gemeinschaftsrechts birgt aber grundsätzlich die Gefahr, dass das Gemeinschaftsrecht in den einzelnen Mitgliedstaaten verschieden ausgelegt und angewandt wird. Das Vorabentscheidungsverfahren soll hier ansetzen und die gemeinschaftsweite einheitliche Auslegung sichern und so einer divergierenden Anwendung durch die einzelnen Mitgliedstaaten
Vorabentscheidungsverfahren, Gegenstand preliminary ruling procedure, scope of application – renvoi préjudiciel, objet
Gem. Art. 234 Abs. 1 EG sind die zulässigen Gegenstände eines Vorabentscheidungsverfahrens entweder ĺAuslegungsfragen oder ĺGültigkeitsfragen hinsichtlich des Gemeinschaftsrechts. Die Auslegungsfragen können sich nach Art. 234 Abs. 1 lit. a EG auf das gesamte ĺPrimärrecht beziehen. Auch wenn der Wortlaut nur den Vertrag an sich umfasst, so ist damit doch das gesamte ĺPrimärrecht einschließlich aller Anhänge des EG-Vertrages, der Protokolle und Beitrittsverträge gemeint. Die vom ĺEuGH entwickelten ĺallgemeinen Rechtsgrundsätze sowie die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschafsrechts, wie z.B. der ĺVorrang, gehören 969
Vorabentscheidungsverfahren, Gültigkeitsfragen ebenfalls dazu. Dagegen zählt der EU-Vertrag nicht zum primären Gemeinschaftsrecht. Allerdings statuiert auch der EU-Vertrag gewisse Vorabentscheidungskompetenzen des ĺEuGH. So entscheidet bspw. der ĺEuGH gem. Art. 35 Abs. 1 EU-Vertrag über die Gültigkeit und die Auslegung der Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse, über die Auslegung der Übereinkommen nach dem 6. Titel des EU-Vertrages sowie über die Gültigkeit und die Auslegung der dazugehörigen Durchführungsabkommen. Gem. Art. 234 Abs. 1 lit. b EG kann auch die Gültigkeit von Handlungen der Gemeinschaft sowie der ĺEZB Gegenstand von Vorlagefragen sein. Unter den Begriff der Handlungen fällt das gesamte ĺSekundärrecht, wie ĺVerordnungen, ĺRichtlinien, ĺEntscheidungen, ĺEmpfehlungen und ĺStellungnahmen. Auch Urteile der Gemeinschaftsgerichte können dem ĺEuGH als Gegenstand einer Vorabentscheidung vorgelegt werden, wobei hier jedoch ĺGültigkeitsfragen nicht statthaft sind. Kein zulässiger Vorlagegegenstand ist dagegen das mitgliedstaatliche Recht. (jpt) §§: Art. 234 EG Lit.: G. Nicolaysen, Europarecht I, 2002, 402 ff.; B. Wegener, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 234 EGV, Rn. 3 ff.; M. A. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 1995, 53 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-68/95 Port, Slg. 1996, I-6065
Vorabentscheidungsverfahren, Gültigkeitsfragen preliminary ruling procedure, questions of validity – renvoi préjudiciel, questions de validité
Im Gegensatz zu ĺAuslegungsfragen, die das gesamte Gemeinschaftsrecht betreffen können, dürfen sich Gültigkeitsfragen nur auf die Gültigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane und der ĺEuropäischen Zentralbank gem. Art. 234 Abs. 1 b EG beziehen. Das ĺPrimärrecht sowie die Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte können grundsätzlich nicht im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden. Das von Gemeinschaftsorganen erlassene ĺSekundärrecht, wie bspw. ĺVerordnungen und ĺRichtlinien, kann dagegen ĺGegenstand einer Gültigkeitsfrage sein. Maßstab der Prüfung der Gültigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane ist das gegenüber der Handlung höherrangige Gemeinschaftsrecht. Es können die gleichen Ungültigkeitsgründe geltend gemacht werden, die auch bei der ĺNichtigkeitsklage gem. 970
Art. 230 EG zulässig sind. Der ĺEuGH nimmt im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens eine umfassende Prüfung der formellen und materiellen Vereinbarkeit mit dem höherrangigen Gemeinschaftsrecht vor. Ob auch im Rang zwischen ĺPrimär- und ĺSekundärrecht stehende völkerrechtliche Abkommen der Gemeinschaft als Prüfungsmaßstab herangezogen werden können, hängt nach Ansicht des ĺEuGH davon ab, ob diese Abkommen ĺunmittelbare Wirkung entfalten. Wenn völkerrechtliche Abkommen der Gemeinschaft nicht unmittelbar anwendbar sind, wie dies der ĺEuGH bspw. für das GATT annimmt, kann ĺSekundärrecht nicht an ihnen gemessen werden. Da dieser Prüfungsmaßstab auch für die ĺNichtigkeitsklage gem. Art. 230 EG gilt, kann dies dazu führen, dass ĺSekundärrecht der Gemeinschaft gegen völkerrechtliche Abkommen, an welche die Gemeinschaft und ihre Organe gem. Art. 300 Abs. 7 EG gebunden sind, verstößt, ohne dass sich ein Mitgliedstaat bzw. ein Einzelner dagegen zur Wehr setzen kann. Kein Prüfungsmaßstab für die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht ist dagegen unstreitig nationales Recht gleich welchen Ranges. Fraglich und bislang vom ĺEuGH nicht entschieden ist zudem, ob auch völkerrechtliche Verträge der Gemeinschaft, an welche diese gem. Art. 300 Abs. 7 EG gebunden ist, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens auf ihre Gültigkeit hin geprüft werden können. Im ĺVerhältnis zur Nichtigkeitsklage von individuellen – nicht privilegierten – Klägern gem. Art. 230 EG, mit der ebenfalls gegen Handlungen von Gemeinschaftsorganen vorgegangen werden kann, ist die Präklusionswirkung des Art. 230 Abs. 5 EG zu beachten. (jpt) §§: Art. 234 EG Lit.: M. A. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 1995, 74 ff.; U. Ehricke, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 234 EGV, Rn. 21 f. Rsp.: EuGH, Rs. 314/85 Foto-Frost, Slg. 1987, 4199
Vorabentscheidungsverfahren, Kosten preliminary ruling procedure, costs – renvoi préjudiciel, dépens
Grundsätzlich ist das Vorlageverfahren vor dem ĺEuGH gem. Art. 72 VerfO-EuGH kostenfrei. Die von den Parteien zu tragenden Kosten sind somit im Wesentlichen die Anwaltskosten. Die Erstattung der Kosten der Parteien des Ausgangsverfahrens richtet sich nach den Vorschriften des nationalen Rechts. Damit entscheidet
Vorabentscheidungsverfahren, schriftliches Verfahren immer das vorlegende nationale Gericht über die Kosten. Das Urteil des ĺEuGH enthält keine Kostenentscheidung. Die Kosten der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaftsorgane, die sich am Verfahren beteiligt haben, sind nicht erstattungsfähig. Der ĺEuGH kann aber gem. Art. 104 § 5 Abs. 2 VerfO-EuGH im Wege der Prozesskostenhilfe einer Partei finanzielle Hilfe gewähren, um es ihr zu ermöglichen, sich anwaltlich vor dem ĺEuGH vertreten zu lassen oder dort persönlich zu erscheinen. Es ist dabei aber nachzuweisen, dass dieses nicht durch eine nationale Prozesskostenhilfe abgedeckt wird. (jpt) §§: Art. 234 EG, VerfO-EuGH Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 170 f.; M. A. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 1995, 143; S. Hackspiel, in: H.-W. Rengeling/A. Middeke/M. Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, § 29, Rn. 1 ff.
Vorabentscheidungsverfahren, mündliche Verhandlung preliminary ruling procedure, oral proceeding – renvoi préjudiciel, procédure orale
Nach Abschluss des ĺschriftlichen Verfahrens findet gem. Art. 104 § 4 VerfO-EuGH die mündliche Verhandlung statt. Nur im beschleunigten Verfahren beginnt das gesamte Verfahren schon mit der mündlichen Verhandlung. In der mündlichen Verhandlung können die Beteiligten, die schon gem. Art. 23 Abs. 1 EuGH-Satzung Schriftsätze einzureichen hatten, auftreten und auf das Vorbringen der anderen Beteiligten eingehen. Soweit keiner der Beteiligten beantragt, etwas mündlich vorzubringen, kann der ĺEuGH nach Einreichung der Schriftsätze und schriftlichen Erklärungen, nach Bericht des Berichterstatters und nach Anhörung des ĺGeneralanwalts auf die mündliche Verhandlung verzichten. Für die Parteien des Ausgangsrechtsstreits besteht während der mündlichen Verhandlung gem. Art. 58 VerfO-EuGH grundsätzlich Anwaltszwang. Allerdings wird gem. Art. 104 § 2 VerfOEuGH das nationale Prozessrecht berücksichtigt. (jpt) §§: Art. 234 EG, EuGH-Satzung, VerfO-EuGH Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 62 ff.; M. A. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 1995, 139 ff.; S. Hackspiel, in: H.-W. Rengeling/A. Middecke/M. Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, § 25, Rn. 1 ff.
Vorabentscheidungsverfahren, schriftliches Verfahren preliminary ruling procedure, written proceedings – renvoi préjudiciel, procédure écrite
Das schriftliche Verfahren im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens richtet sich im Wesentlichen nach Art. 23 EuGH-Satzung. Nach der Zustellung der Vorlageentscheidung durch das vorlegende nationale ĺGericht an den ĺEuGH wird diese Vorlageentscheidung durch den Kanzler des ĺEuGH den am Ausgangsrechtsstreit beteiligten Parteien, den Mitgliedstaaten und der ĺKommission zugestellt. Ist eine Handlung des ĺRates oder der ĺEZB betroffen, so wird auch ihnen die Vorlageentscheidung des vorlegenden Gerichts übermittelt. Ist der Anwendungsbereich des ĺEWR- oder ĺEFTA-Abkommens tangiert, so wird die Vorlageentscheidung auch den ĺEWR-Staaten bzw. der EFTA-Überwachungsbehörde zugestellt. Nach der Zustellung können die beteiligten Parteien, die Mitgliedstaaten, die ĺKommission und gegebenenfalls der ĺRat, die ĺEZB sowie die ĺEFTA-Überwachungsbehörde gem. Art. 23 Abs. 2 EuGH-Satzung innerhalb von zwei Monaten Schriftsätze sowie schriftliche Stellungnahmen zu der ĺAuslegungs- bzw. ĺGültigkeitsfrage beim ĺEuGH einreichen. Alle Beteiligten haben ihre Schriftsätze und Stellungnahmen zum gleichen Zeitpunkt einzureichen. Somit handelt es sich nicht um ein kontradiktorisches Verfahren. Nach der Abgabe der Schriftsätze und Stellungnahmen legt der Berichterstatter einen Bericht vor, auf Grund dessen über die weitere Beweiserhebung und den Verweis an bestimmte Kammern entschieden wird. Auch wenn der ĺEuGH zu einer Beweisaufnahme im engeren Sinne nicht berechtigt ist, so kann er doch von den Parteien des Ausgangsrechtsstreits, dem vorlegenden ĺGericht und der ĺKommission zusätzliche Informationen verlangen. Verfahrenssprache ist die Sprache des vorlegenden ĺGerichts. Auf das Vorlageverfahren finden grundsätzlich gem. Art. 103 § 1 VerfO-EuGH die allgemeinen Bestimmungen der VerfO-EuGH unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Vorabentscheidungsverfahrens Anwendung. (jpt) §§: Art. 234 EG, EuGH-Satzung, VerfO-EuGH Lit.: W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 142 ff.; M. A. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 1995, 133 ff.; S. Hackspiel, in: H.-W. Rengeling/A. Middeke/M. Gel-
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Vorabentscheidungsverfahren, Urteil lermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, § 23, Rn. 1 ff.
Vorabentscheidungsverfahren, Urteil preliminary ruling procedure, judgement/ruling – renvoi préjudiciel, jugement
Im Vorabentscheidungsverfahren entscheidet der ĺEuGH gem. Art. 64 § 1 VerfO-EuGH grundsätzlich durch ein in öffentlicher Sitzung verkündetes Urteil. Dieses Urteil wird am Tage seiner Verkündung gem. Art. 65 VerfO-EuGH rechtskräftig. Stimmt die vorlegte Frage mit einer anderen überein, über die der ĺEuGH schon einmal entschieden hat, so kann der EuGH gem. Art. 104 § 3 VerfO-EuGH durch einen mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden. (jpt) §§: Art. 234 EG, VerfO-EuGH Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-405 bis 408/96 Beton Express u.a., Slg. 1998, I-4253
Vorabentscheidungsverfahren, Verhältnis zur Nichtigkeitsklage preliminary ruling procedure, relation to action for annulment – renvoi préjudiciel, rapport au recours en annulation
Anders als bei der ĺNichtigkeitsklage gem. Art. 230 EG ist der ĺEuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 234 EG bei der Überprüfung der Gültigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane nicht an einen Klagegrund gebunden. Auch gibt es bei der Vorabentscheidung im Gegensatz zur ĺNichtigkeitsklage keine einzuhaltende Frist sowie keine Unterteilung in privilegierte und nicht-privilegierte Kläger. Diese Unterschiede basieren maßgeblich auf den verschiedenen Funktionen der beiden Klagearten. Während die ĺNichtigkeitsklage Handlungen der Gemeinschaftsorgane der richterlichen Kontrolle unterwerfen soll, hat das Vorabentscheidungsverfahren die Funktion, zunächst die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen. Auf Grund dieser Unterschiede ist es problematisch, wenn jemand die Möglichkeit der Anfechtung eines Rechtsaktes der Gemeinschaft mit der ĺNichtigkeitsklage nicht fristgem. wahrnimmt, dann aber vor einem nationalen Gericht diesen Rechtsakt inzident mit einer ĺGültigkeitsfrage angreifen will. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist das nationale Gericht dann an diesen Rechtsakt gebunden, wenn zwar dessen Rechtswidrigkeit im Verfahren gerügt wird, eine offensichtlich zulässige ĺNichtigkeitsklage aber nicht fristgerecht er972
hoben worden ist. Ansonsten hätte ein Kläger die Möglichkeit, die nach Ablauf der Klagefrist der ĺNichtigkeitsklage nach Art. 230 Abs. 5 EG bestehende Rechtskraft zu umgehen. Dies ist aus Gründen der Rechtssicherheit nicht zulässig. Nur wenn eine ĺNichtigkeitsklage nicht offensichtlich zulässig ist, kann die Gültigkeit des entsprechenden Rechtsaktes der Gemeinschaft unabhängig von der fristgerechten Erhebung der ĺNichtigkeitsklage im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens überprüft werden. (jpt) §§: Art. 230, 234 EG Lit.: E. Pache, Keine Vorlage ohne Anfechtung? Zum Verhältnis des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 177 I lit. b EGV zur Nichtigkeitsklage nach Art. 173 IV EGV, EuZW 1994, 615
Vorabentscheidungsverfahren, Vorlageberechtigung preliminary ruling procedure, right to reference – renvoi préjudiciel, droit au recours préjudiciel
Die Vorlageberechtigung zu einem Vorabentscheidungsverfahren hängt abstrakt von vier Voraussetzungen ab. Zunächst können nur ĺGerichte der Mitgliedstaaten dem ĺEuGH eine Frage vorlegen. Zweitens muss es sich bei dieser Frage um eine ĺAuslegungs- oder ĺGültigkeitsfrage handeln. Drittens muss die Entscheidung des ĺEuGH zu dieser ĺAuslegungsoder ĺGültigkeitsfrage für die Entscheidung des vorlegenden ĺGerichts erforderlich sein. Die Vorlage hypothetischer Fragen ist deshalb nicht zulässig. Schließlich muss sich die Vorlagefrage in einem echten, also nicht in einem nur zur Beantwortung einer Frage zum Gemeinschaftsrecht zum Schein geführten, Rechtsstreit gestellt haben. (jpt) §§: Art. 234 EG Lit.: M. A. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 1995, 94 ff.; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, § 9, Rn. 6 ff.; M. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 821 ff. Rsp.: EuGH, verb. Rs. C-422 bis 424/93 Erasun, Slg. 1995, I-1567; EuGH, Rs. 104/79 Foglia/Novello I, Slg. 1980, 745
Vorabentscheidungsverfahren, Vorlagepflicht preliminary ruling procedure, mandatory references – renvoi préjudiciel, obligation de recours préjudiciel
Art. 234 Abs. 3 EG regelt die Fälle, in denen nationale ĺGerichte zur Vorlage an den ĺEuGH verpflichtet sind. Auch wenn dies anhand des Wortlauts des Art. 234 Abs. 3 EG nicht unbedingt deutlich wird, so muss bei der Vorlage-
Vorabentscheidungsverfahren, Vorlageverfahren pflicht zwischen ĺAuslegungsfragen und ĺGültigkeitsfragen differenziert werden. Hinsichtlich der Auslegung des Gemeinschaftsrechts (ĺAuslegungsfragen) sind nach Art. 234 Abs. 3 EG grundsätzlich letztinstanzliche ĺGerichte vorlageverpflichtet. Letztinstanzliche ĺGerichte sind in diesem Zusammenhang ĺGerichte der Mitgliedstaaten, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können. Als solche Rechtsmittel des nationalen Rechts gelten nach Ansicht des deutschen BVerwG neben der Berufung und der Revision auch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung. Dagegen zählen außerordentliche Rechtsbehelfe wie die Verfassungsbeschwerde oder der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zu den Rechtsmitteln im Sinne des Art. 234 EG. Umstritten ist, ob das nationale ĺGericht abstrakt-institutionell oder konkret betrachtet als letztinstanzlich zu qualifizieren ist. Nach der abstrakt-institutionellen Betrachtungsweise sind nur Gerichte, die generell und gerichtsverfassungsrechtlich letzte Instanz sind, vorlageverpflichtet. Konkret betrachtet kommt es dagegen auf den jeweiligen Fall an. Letztinstanzliche ĺGerichte sind damit solche, deren Entscheidungen in dem konkreten Fall, bspw. wegen zu geringen Streitwerten, nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden können. Der Wortlaut des Art. 234 Abs. 3 EG lässt prinzipiell beide Betrachtungsweisen zu. Jedoch sprechen sowohl der effektivere Individualrechtsschutz als auch der Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens, die einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, eher für eine konkrete Betrachtungsweise. Hiernach kann in Deutschland auch schon ein Amtsgericht vorlageverpflichtet sein (etwa bei Streitwerten unter € 600,-, vgl. § 511 ZPO). Fragen nach der Gültigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane (ĺGültigkeitsfragen) müssen im Gegensatz zu ĺAuslegungsfragen von jedem nationalen ĺGericht dem ĺEuGH vorgelegt werden, wenn dieses nationale Gericht eine Handlung eines Gemeinschaftsorgans für ungültig hält. Die Vorlagepflicht ist dem Wortlaut des Art. 234 Abs. 3 EG zwar nicht direkt zu entnehmen. Der ĺEuGH begründet sein Verwerfungsmonopol aber mit dem Grundsatz der Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung, dem Erfordernis der Rechtssicherheit und allgemein der notwendigen Kohärenz des gemeinschaftlichen Rechtsschutzsystems. Dementsprechend besteht eine Vorlagepflicht auch
für jedes nationale Gericht, das eine vom EuGH in einem anderen Verfahren für ungültig erklärte Handlung eines Gemeinschaftsorgans anwenden will. Ausnahmen zu dieser oben geschilderten Vorlagepflicht für letztinstanzliche wie nicht-letztinstanzliche nationale ĺGerichte ergeben sich u.U. in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes oder wenn eine gesicherte Rechtsprechung des ĺEuGH bereits vorliegt. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes besteht diese Ausnahme aber nur unter der Voraussetzung, dass die Parteien die Möglichkeit haben, den Rechtsstreit im Hauptsacheverfahren weiter zu verfolgen. (jpt) §§: Art. 234 Abs. 3 EG Lit.: M. A. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 1995, 109 ff.; J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 234 EG Rn. 41 ff.; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, § 9, Rn. 44 ff.; M. Pechstein, EU-/EGProzessrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 829 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 314/85 Foto Frost, Slg. 1987, 4199; EuGH, verb. Rs. 35-36/82 Morson, Slg. 1982, 3723
Vorabentscheidungsverfahren, Vorlageverfahren preliminary ruling procedure, proceeding – renvoi préjudiciel, procédure
Das Vorlageverfahren gliedert sich in zwei Teile: Das Verfahren vor dem vorlegenden ĺGericht und das vor dem ĺEuGH. Das vorlegende nationale ĺGericht leitet das Verfahren durch seine Vorlageentscheidung ein. In Deutschland geschieht dies grundsätzlich durch einen Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des jeweiligen ĺGerichts. In dieser Vorlageentscheidung bzw. dem Beschluss ist die ĺAuslegungs- bzw. ĺGültigkeitsfrage formuliert. Zudem sollte die Vorlageentscheidung eine Begründung in Bezug auf den zu entscheidenden Sachverhalt enthalten. Die Vorlageentscheidung wird dann gem. Art. 23 EuGH-Satzung dem ĺEuGH zugeleitet. Das Verfahren vor dem ĺEuGH, das als nicht-kontradiktorisches Zwischenverfahren zu verstehen ist, besteht grundsätzlich aus einem ĺschriftlichen und einem ĺmündlichen Verfahren. Die Verfahrenssprache ist die des vorlegenden ĺGerichts. Für die Parteien des Ausgangsrechtsstreits besteht gem. Art. 58 VerfOEuGH grundsätzlich Anwaltszwang. Allerdings wird gem. Art. 104 § 2 VerfO-EuGH das nationale Prozessrecht berücksichtigt. Ist den Parteien des Ausgangsrechtsstreits das Auftreten ohne Anwalt nach ihrem nationalen Recht möglich, so besteht für sie auch vor dem EuGH 973
Vorabentscheidungsverfahren, Zulässigkeit der Vorlagefrage kein Anwaltszwang. Das ĺschriftliche Verfahren beinhaltet die Zustellung an die Parteien des Ausgangsrechtsstreits, die Mitgliedstaaten, die ĺKommission und gegebenenfalls an den ĺRat und das ĺeuropäische Parlament. Diese können dann innerhalb von zwei Monaten schriftliche Erklärungen einreichen. In der ĺmündlichen Verhandlung können weitere Stellungnahmen abgegeben werden. Die ĺmündliche Verhandlung endet mit den Anträgen des ĺGeneralanwaltes. Das Urteil wird schließlich in einem weiteren Termin in öffentlicher Sitzung verkündet und dem vorlegenden ĺGericht und den Beteiligten übermittelt. Auf Antrag des vorlegenden Gerichts kann der Präsident des EuGH ausnahmsweise beschließen, das Vorabentscheidungsverfahren in einem ĺbeschleunigten Verfahren zu vollziehen. Dafür bedarf es der außerordentlichen Dringlichkeit der Entscheidung. Bei einem beschleunigten Verfahren verkürzt sich das ĺschriftliche Verfahren und die ĺmündliche Verhandlung wird sofort terminiert. 2003 betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer 26 Monate. Für das Verfahren vor dem ĺEuGH fallen grundsätzlich gem. Art. 72 VerfO-EuGH keine ĺKosten an. (jpt) §§: Art. 234 EG, EuGH-Satzung, VerfO-EuGH Lit.: M. A. Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EG-Vertrag, 1995, 132 ff.; W. Hakenberg/C. Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 3. Aufl. 2005, 62 ff.; A. Middeke, in: H.-W. Rengeling/A. Middeke/M. Gellermann (Hrsg.), Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, § 10, Rn. 70 ff.
Vorabentscheidungsverfahren, Zulässigkeit der Vorlagefrage preliminary ruling procedure, admissibility of the questions referred for a preliminary ruling – renvoi préjudiciel, recevabilité du recours préjudiciel
Art. 234 EG beinhaltet keine Regelung über Inhalt und Form des Vorabentscheidungsersuchens des nationalen ĺGerichts. Zulässigkeitsvoraussetzungen des Vorabentscheidungsverfahrens haben sich vielmehr in der Rechtsprechung des ĺEuGH herausgebildet. Hier ist zwischen formellen und materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen zu differenzieren: In formeller Hinsicht richtet sich die Form des Vorabentscheidungsersuchens nach den Regeln des innerstaatlichen Rechts des vorlegenden Gerichts. In Bezug auf den Inhalt des Vorabentscheidungsersuchens hat der ĺEuGH zunächst nur eine Begründung verlangt, die ihm eine Prüfung seiner Zuständigkeit und eine Be974
antwortung der gestellten Vorlagefrage ermöglicht. Zudem sollten die vorlegenden nationalen ĺGerichte aber auch die nationalen Gerichtsakten sowie eventuell vorhandene Entscheidungen von Vorinstanzen dem ĺEuGH übermitteln, insbesondere weil sich der ĺEuGH vorbehält, aus dem gesamten vom nationalen ĺGericht vorgelegten Material die für die Auslegung relevanten „Elemente des Gemeinschaftsrechts“ herauszuarbeiten. In letzter Zeit hat der ĺEuGH allerdings die Anforderungen an die formelle Zuständigkeit im Zuge andauernder Arbeitsüberlastung erheblich erhöht. Nunmehr wird vom vorlegenden ĺGericht gefordert, dass sowohl der tatsächliche und rechtliche Rahmen der Vorlagefrage erläutert wird als auch die Gründe geschildert werden, die eine Vorlage nach Ansicht des vorlegenden ĺGerichts erforderlich machen. Diese gesteigerten Anforderungen dienen neben der Ermöglichung einer sinnvollen Antwort durch den ĺEuGH insbesondere auch der Abgabe von Stellungnahmen durch äußerungsberechtigte andere Beteiligte, wie bspw. durch die Kommission und die Mitgliedstaaten. 1996 hat der ĺEuGH Hinweise zur Gestaltung von Vorlageersuchen durch nationale Gerichte veröffentlicht (s. EuZW 1997, 142). Diese haben zwar keine bindende Wirkung, sollen aber dennoch die Beachtung der gesteigerten Anforderungen erleichtern. Der ĺEuGH weist nunmehr Vorlagen, die die neuen Anforderungen nicht erfüllen, als unzulässig zurück. Bezieht sich eine Vorlagefrage nur auf „genau beschriebene technische Einzelheiten“, ist eine ausführliche tatsächliche und rechtliche Schilderung des Rahmens der Vorlagefrage nicht notwendig, soweit der ĺEuGH eine sachdienliche Antwort geben kann. Materielle Zulässigkeitsvoraussetzung eines Vorabentscheidungsersuchens ist zunächst, dass eine ĺAuslegungs- oder ĺGültigkeitsfrage gem. Art. 234 Abs. 1 EG gestellt wird. Die Entscheidungskompetenz darüber, ob eine Frage dem ĺEuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegt wird, liegt ausschließlich beim nationalen Gericht des Ausgangsrechtsstreits und nicht etwa bei den Parteien des Ausgangsrechtsstreits. Die Parteien können aber eine Vorlage an den ĺEuGH anregen. Zudem kann auch eine nationale Regelung, die die nationalen Gerichte an die Entscheidungen der höheren Instanzen bindet, den ĺGerichten nicht die Kompetenz zur Vorlage an den ĺEuGH nehmen. Die nationalen ĺGerichte können zu
Vorläufiges Prüfverfahren (Beihilfenrecht) jedem Zeitpunkt des Verfahrens Vorlagefragen an den ĺEuGH stellen. Voraussetzung ist allerdings, dass das Verfahren noch beim nationalen Gericht anhängig ist. Der ĺEuGH hat auch die Zulässigkeit von Vorlagen im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes bejaht; der summarische Charakter eines solchen Verfahrens steht dem nicht entgegen. Selbst wenn das nationale ĺGericht bereits im Eilverfahren entschieden hat, kann eine Frage dem ĺEuGH vorgelegt werden, soweit entweder das Hauptverfahren anhängig gemacht wurde oder aber das Eilverfahren selber noch anhängig ist. Weitere materielle Zulässigkeitsvoraussetzung ist die Entscheidungserheblichkeit und Erforderlichkeit der Vorabentscheidung durch den ĺEuGH. Grundsätzlich ist die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit sowie der Erforderlichkeit Sache des vorlegenden nationalen ĺGerichts. Der ĺEuGH kann diese Beurteilung grundsätzlich nicht überprüfen. Dennoch sind dem Beurteilungsspielraum der vorlegenden nationalen ĺGerichte bestimmte Schranken gesetzt. So kann der ĺEuGH auch zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände der Vorlage durch nationale ĺGerichte prüfen. Nach ständiger Rechtsprechung des ĺEuGH sind daher Vorlagen unzulässig, die nicht für die tatsächliche Entscheidung eines echten Rechtstreits erforderlich sind, sondern nur dazu dienen sollen, allgemeine oder hypothetische Fragen zu klären. Eine solche Vorlage hypothetischer Natur liegt insbesondere dann vor, wenn kein Zusammenhang zwischen der Vorlagefrage und dem Ausgangsrechtsstreit besteht. (jpt) §§: Art. 234 EG; Praktische Hinweise zur Gestaltung von Vorlagefragen, EuZW 1997, 142 Lit.: A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, § 9, Rn. 16 ff.; L. Malferrari, Zurückweisung von Vorabentscheidungsersuchen durch den EuGH, 2003; R. Wernsmann/J. Behrmann, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG, Jura 2006, 181 (182) Rsp.: EuGH, verb. Rs. 320 bis 322/90 Telemarsicabruzzo u.a., Slg. 1993, I-393; EuGH, Rs. C-66/97 Banco de Fomento e Exterior, Slg. 1997, I-3757; EuGH, Rs. C314/96 Djabali, Slg. 1998, I-1149; EuGH, Rs. 244/80 Foglia/Novello, Slg. 1981, 3045
Vorabkontrolle der Datenverarbeitung prior checking – contrôles préalables
Datenverarbeitungen (ĺVerarbeitung von Daten), die mit besonderen Risiken für die Freiheiten und Rechte der ĺbetroffenen Personen verbunden sind vor ihrem Beginn durch die ĺKontrollstelle zu prüfen. Wann solche Risiken gegeben sind, muss durch die Mitglied-
staaten festgelegt werden. Sie können sich etwa durch die Art der verwendeten Daten (etwa bei der Verarbeitung ĺsensitiver Daten) oder durch die besondere technische Ausführung der Datenverarbeitung ergeben. (al) §§: Art. 20 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 251; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 265
Vorbehalt, völkerrechtlicher reservation – réserve
Im Unterschied zum grundrechtlichen ĺGesetzesvorbehalt als Beschränkungsregime ein völkerrechtlicher Akt bei Vertragsunterzeichnung: Ein Staat erklärt, eine oder mehrere (bestimmte) Verpflichtung(en) aus bestehenden entgegenstehenden nationalen rechtlichen (anzugebenden, bestimmten und das Vertragsziel nicht wesentlich beeinträchtigenden) Gründen nicht eingehen zu können. Ermöglicht auch Staaten, die im Einzelnen eine abweichende Rechtslage haben, die prinzipielle Teilnahme an Konventionen. Sinnvoll v.a. für eine möglichst weite Einbeziehung, z.B. im Menschenrechtsschutz. Vgl. z.B. Art. 57 (ex-Art. 64) ĺEMRK. (ed) Vorbeitrittsstrategie ĺBeitrittsvorbereitung Vorherigkeitsprinzip ĺHaushaltsgrundsätze Vorläufiger Rechtsschutz ĺVerfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Vorläufiger Rechtsschutz (deutsche Rechtslage) ĺRechtsweggarantie (deutsche Rechtslage) Vorläufiges Prüfverfahren (Beihilfenrecht) preliminary examination (EC state aid law) – examen préliminaire (droit des aides d’État)
Das ĺvorläufige Prüfverfahren soll der ĺKommission eine erste Meinungsbildung über die Vereinbarkeit einer fraglichen Beihilfe ermöglichen. Bei notifizierten Beihilfen hat die Kommission die vorläufige Prüfung innerhalb von 2 Monaten (sog. Lorenzfrist) ab dem Eingang einer vollständigen Anmeldung per ĺEntschei975
Vorlageverweigerung, Sanktionen dung zu schließen. Eine Anmeldung gilt als vollständig, wenn die Kommission innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Anmeldung oder nach Eingang der von ihr angeforderten zusätzlichen Informationen keine weiteren Auskünfte anfordert. Bei ĺrechtswidrigen Beihilfen ist die Kommission nicht an diese Frist gebunden (Art. 13 Abs. 2 VO [EG] 659/1999). Kommt die Kommission im Rahmen des vorläufigen Prüfverfahrens zur Ansicht, dass eine Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, so schließt sie das Verfahren mit einer Entscheidung, welche die Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt feststellt (Entscheidung keine Einwände zu erheben, Art. 4 Abs. 3 VO [EG] 659/1999). Auch kann die Kommission im vorläufigen Prüfverfahren feststellen, dass keine Beihilfe i.S.d. Art. 87 EG vorliegt (Art. 4 Abs. 2 VO [EG] 659/1999). Diese Entscheidung kann nicht mit Bedingungen verbunden werden. Hat die Kommission „Bedenken“ hinsichtlich der Vereinbarkeit einer geplanten Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt, ist sie verpflichtet, das ĺformelle Prüfverfahren einzuleiten (arg. „... so entscheidet sie ...“, Art. 4 Abs. 4 VO [EG] 659/1999). Erlässt die Kommission innerhalb der Zwei-Monatsfrist keine Entscheidung, hat der Mitgliedstaat die Kommission zu informieren, dass er die geplante Maßnahme durchführen wird. Trifft die Kommission innerhalb der nächsten 15 Arbeitstage nach dieser Benachrichtigung keine Entscheidung, ist der Mitgliedstaat berechtigt, die Beihilfe durchzuführen. Sie gilt dann gem. Art. 1 lit. b iii i.V.m. Art. 4 Abs. 6 VO (EG) 659/1999 als ĺbestehende Beihilfe. Das vorläufige Prüfverfahren findet ausschließlich zwischen Mitgliedstaat und Kommission statt. Dritte (ĺBeteiligte) können nur im Rahmen des ĺformellen Prüfverfahrens Stellungnahmen abgeben. Der Eingang von ĺNotifikationen und die Einleitung des vorläufigen Prüfverfahrens werden nicht im ĺAmtsblatt veröffentlicht. (jr) §§: Art. 88 Abs. 3 EG Lit.: F. P. Sutter, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 63. Lfg. 2005, Art. 88 EGV, Rn. 48 ff.
Vorlageverweigerung, Sanktionen refusal of reference, sanctions – Refus de recours préjudiciel, sanctions
Für Fälle, in denen ein nationales ĺGericht die Vorlage einer Auslegungs- oder Gültigkeits976
frage an den ĺEuGH verweigert, obwohl es gem. Art. 234 Abs. 3 EG vorlageverpflichtet ist, kommen als Sanktionen auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene die Einleitung eines ĺVertragsverletzungsverfahrens gem. Art. 226 EG sowie ein ĺgemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch in Betracht. Zudem kann das Gemeinschaftsrecht u.U. dazu führen, dass die Rechtskraft eines Urteils durchbrochen werden kann. Auf nationaler (deutscher) Ebene kann gegen eine solche Nichtvorlage mit einer Verfassungsbeschwerde vorgegangen werden. Die Sanktion in Form des ĺVertragsverletzungsverfahrens gem. Art. 226 EG für eine unterlassene Vorlage ist allerdings umstritten. Bei einer ĺVertragsverletzungsklage ist zunächst der Mitgliedstaat der Klagegegner. Dieser hat aber auf Grund der Unabhängigkeit der ĺGerichte grundsätzlich keine Möglichkeit, ein rechtskräftiges Urteil abzuändern. Hierzu wäre aber ein in einem – wegen unterlassener Vorlage eines nationalen Gerichts eingeleiteten – ĺVertragsverletzungsverfahren verurteilter Mitgliedstaat verpflichtet. Schon deshalb übt insbesondere die Kommission bei der Einleitung solcher ĺVertragsverletzungsverfahren bislang Zurückhaltung. Dennoch hat der EuGH schon angedeutet, dass eine unterlassene Vorlage eines zur Vorlage verpflichteten nationalen ĺGerichts Gegenstand eines ĺVertragsverletzungsverfahrens sein kann. Nach Ansicht des EuGH kann eine Vertragsverletzung eines Mitgliedstaates „grundsätzlich gem. Art. 226 EG unabhängig davon festgestellt werden, welches Staatsorgan durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß verursacht hat, selbst wenn es sich um ein verfassungsgemäß unabhängiges Organ handelt.“ Neben einem Vertragsverletzungsverfahren kommt bei einer offenkundigen und erheblichen Missachtung der Vorlagepflicht auch der ĺgemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch als Sanktion in Betracht. Dieser ist aber nur auf einen finanziellen Ausgleich von Schäden, die durch das Unterlassen der Vorlage durch ein ĺvorlageverpflichtetes Gericht entstanden sind, gerichtet. Der ĺgemeinschaftliche Staatshaftungsanspruch setzt u.a. eine hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung voraus. Eine solche hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung kann nach Rechtsprechung des ĺEuGH das Unterlassen der Vorlagepflicht durch nationale Gerichte darstellen. Als eine weitere Sanktion für das pflichtwidrige Unterlassen von Vorlagen durch nationale Ge-
Vorratsdatenspeicherung richte kommt eine Durchbrechung der Rechtsbzw. Bestandskraft in Betracht. Dies kann in Fällen vorkommen, in denen ein Verfahren in einem Mitgliedstaat abgeschlossen und dadurch ein Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist. Diese Bestandskraft kann dann aber durch ein paralleles Verfahren, welches unter Beachtung der Vorlagepflicht durchgeführt worden ist, durchbrochen werden. Der Mitgliedstaat ist, soweit der ĺEuGH in diesem Vorabentscheidungsverfahren konträr entscheidet, verpflichtet, den gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden Verwaltungsakt aufzuheben, obwohl dieser bestandskräftig ist. Eine solche Aufhebung ist allerdings nur dann möglich, wenn das nationale Recht über entsprechende Vorschriften zur Aufhebung, wie bspw. §§ 48 f. VwVfG in Deutschland, verfügt. Diese nationalen Vorschriften sind hierbei europarechtskonform auszulegen. Auch im nationalen Recht stehen Sanktionsmöglichkeiten gegen eine pflichtwidrig unterlassene Vorlage an den ĺEuGH zur Verfügung. Das BVerfG hat den ĺEuGH schon früh als gesetzlichen Richter i.S.d. GG anerkannt. Damit kann nach der Rechtsprechung des BVerfG ein pflichtwidriges Unterlassen der Vorlage die Gewähr des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auf den gesetzlichen Richter verletzen und mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden. Das BVerfG ist bei Erfolg dieser Verfassungsbeschwerde dann in der Lage, das Urteil aufzuheben. Allerdings sieht das BVerfG einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur bei einer willkürlichen Verletzung der ĺVorlagepflicht, bei einer unhaltbaren Handhabung sowie einer grundsätzlichen Verkennung der ĺVorlagepflicht als gegeben an. (jpt) §§: Art. 234, 226, 227 EG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Lit.: B. Schöndorf-Haubold, Die Haftung der Mitgliedstaaten für die Verletzung von EG-Recht durch nationale Gerichte, JuS 2006, 112; J. P. Terhechte, Temporäre Durchbrechung des Vorrangs des europäischen Gemeinschaftsrechts beim Vorliegen „inakzeptabler Regelungslücken“?, EuR 2006, 828 (843 f.); B. Wegener, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 234 EGV, Rn. 29 ff.; C. Kremer, Staatshaftung für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht durch letztinstanzliche Gerichte, NJW 2004, 480; J. Gundel, Gemeinschaftsrechtliche Haftungsvorgaben für judikatives Unrecht – Konsequenzen für die Rechtskraft und das deutsche „Richterprivileg“, EWS 2004, 8; H. Kube, Verfassungsbeschwerde gegen Gemeinschaftsrecht und Vorlagepflicht des BVerwG nach Art. 234 III EGV, JuS 2001, 858 Rsp.: EuGH, Rs. C-129/00 Kommission/Italien, Slg. 2003, I-14637; EuGH, Rs. C-224/01 Köbler, Slg. 2003, I-10239; EuGH, Rs. C-453/00 Kühne & Heitz NV/ Produktschap voor Pluimvee en Eieren, Slg. 2004, I-837;
BVerfGE 73, 339 (366 ff.); BVerfGE 75, 223 (231 f.); BVerfGE 82, 159 (192)
Vorrang des Gemeinschaftsrechts supremacy – primauté
Grundlegende Doktrin des Gemeinschaftsrechts, die diesem den Vorrang vor widersprechendem nationalem Recht einräumt. Dem Gemeinschaftsrecht kommt jedoch nur ein ĺAnwendungsvorrang, kein ĺGeltungsvorrang zu. (sgk) Vorratsdatenspeicherung Retention of data – Conservation de données
Die RL (2006/24/EG) über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste erzeugt oder verarbeitet werden, zielt darauf ab, zum Zweck der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten, Daten von öffentlichen Kommunikationsnetzen und -diensten auf eine bestimmte Zeitperiode zu speichern. Auf Vorrat zu speichernde Daten betreffen Verkehrs- und Standortdaten (also Rufnummern, Name des Benutzers, Benutzerkennungen, Datum und Uhrzeit, usw.) bei Telefonnetzen, Mobilfunk, Internetbenutzung, Internet-Email und Internet-Telefonie (Art. 5 RL). Die Speicherungsfristen können gem. Art. 6 RL zwischen sechs Monaten und zwei Jahren betragen. Dabei ist Datenschutz und Datensicherheit (Art. 7 RL) innerhalb des Systems zu gewährleisten. Die Umsetzungsfrist ist am 15.9.2007 abgelaufen. Es besteht allerdings gem. Art. 15 RL die Möglichkeit der Mitgliedstaaten bis 15.3.2009 die Anwendbarkeit der RL aufzuschieben. Die sowohl kompetenzrechtlichen (die RL basiert auf Art. 95 EG, also auf der ĺ1. Säule und nicht auf der ĺ3. Säule) als auch grundrechtlichen (vor allem datenschutzrechtlichen) Bedenken gegenüber der RL haben zu einer ĺNichtigkeitsklage Irlands (2006) beim ĺEuGH geführt. (kl) §§: RL (2006/24/EG) über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste erzeugt oder verarbeitet werden, ABl. 2006, Nr. L 105/54 Lit.: D. Westphal, Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von Verkehrsdaten, EuR 2006, 706; P. Breyer, Rechtsprobleme der Richtlinie 2006/26/EG zur Vorratsdatenspeicherung und ihrer Umsetzung in Deutschland, StV 2007, 214; R. Gitter/C. Schnabel, Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung und ihre Umsetzung in das nationale Recht, MMR 2007, 411; M. Zöll-
977
Vorsorgeprinzip ner, Vorratsdatenspeicherung zwischen nationaler und europäischer Strafverfolgung, GA 2007, 393
Vorsorgeprinzip precautionary principle – principe de précaution
1. Im ĺLebensmittelrecht. Dem in Art. 7 Abs. 1 der VO (EG) 178/2002 (sog. ĺBasisverordnung) normierten Vorsorgeprinzip kommt im Rahmen der ĺRisikoanalyse im europäischen ĺLebensmittelrecht besondere Bedeutung zu. Demnach können vorläufige Maßnahmen zur Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus getroffen werden, sofern nach Auswertung der verfügbaren Informationen mögliche Gesundheitsgefährdungen durch ein ĺLebensmittel zwar nicht positiv festgestellt werden können, jedoch wissenschaftliche Bedenken bestehen. Die Maßnahmen sind nach Art. 7 Abs. 2 der VO (EG) 178/2002 zeitlich zu befristen und müssen verhältnismäßig sein. Bei der Auslegung von Art. 7 der VO (EG) 178/2002 sind die vom EuGH zu dem in Art. 174 Abs. 2 EG und Art. 152 Abs. 1 EG primärrechtlich verankerten Vorsorgeprinzip entwickelten Grundsätze (s. insbesondere EuGH, Slg. 1998, I-2211, Rn. 63) sowie die Mitteilung der ĺKommission über die Anwendung des Vorsorgeprinzips (KOM[2000], 1 endg.) heranzuziehen. 2. In der ĺUmweltpolitik, Prinzipien der Umweltpolitik. In der gemeinschaftsrechtlichen Umweltpolitik stellt das Vorsorgeprinzip eines der ĺPrinzipien der Umweltpolitik dar. Aus ihm folgt, dass umweltpolitische Maßnahmen auch unterhalb der Gefahrenschwelle ansetzen können. Ausreichend ist im Ergebnis, wenn bei entsprechendem Gefährdungspotential einer Situation die Eignung einer gewählten Maßnahme zur Vermeidung der Gefährdung möglich ist. Zunächst war lediglich das sog. Vorbeugeprinizp im EG verankert. Bei diesem war umstritten, welche Anforderungen an das Vorliegen einer Gefahrenlage und an den notwendigen Kausalitätsnachweis zu stellen waren. Das Vorbeugeprinzip besagt, dass Umweltbeeinträchtigungen nicht abgewartet, sondern präventiv vermieden werden sollen. Voraussetzung für ein Tätigwerden, das zu Eingriffen in die Rechtspositionen einzelner führen kann, ist danach das Vorliegen einer Gefährdung. Dazu ist bei umweltrelevanten Maßnahmen eine ex-ante-Beurteilung unter Beachtung der möglichen Folgewirkungen für alle Umweltmedien erforder978
lich. Vorbeugung kann über Gebots- und Verbotsnormen sowie über Planungsverfahren (wie z.B. die ĺUmweltverträglichkeitsprüfung) erzielt werden. Durch die zusätzliche Einführung des Vorsorgeprinzips durch den ĺVertrag von Maastricht wurden die beschriebenen Unklarheiten im Sinne einer Herabsetzung der Anforderungen entschieden: Nunmehr ist die mögliche Eignung einer Maßnahme zur Gefahrverminderung ausreichend. In der Praxis wird mangels klarer Trennung ein einheitliches Prinzips der Vorbeugung und Vorsorge angenommen. (mkr) §§: Art. 152, 174 EG; VO (EG) 178/2002; Mitteilung der Kommission über die Anwendung des Vorsorgeprinzips vom 2.2.2000, KOM(2000), 1 endg. Mitteilung der Kommission über die Anwendung des Vorsorgeprinzips vom 2.2.2000, KOM(2000), 1 endg. sowie KOM(2000) 66 endg. Lit.: W. Schroeder/M. Kraus, Grundprinzipien des neuen Lebensmittelrechts, wbl 2006, 245 ff.
Vorsorgeprinzip (freier Warenverkehr) precautionary principle (free movement of goods) – principe de precaution (libre circulation des marchandises)
Mitgliedstaatliche, dem ĺSchutz der Gesundheit von Menschen dienende Maßnahmen sind gerechtfertigt (ĺRechtfertigungsgründe für die Warenverkehrsfreiheit beeinträchtigende staatliche Maßnahmen), wenn das Gesundheitsrisiko, das es abzuwehren gilt, zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Der Mitgliedstaat muss in dieser Hinsicht nicht dartun, dass die Gesundheitsgefährdung tatsächlich und jedenfalls zu befürchten ist. Es reicht daher aus, dass diesbezüglich Unsicherheiten bestehen und eine potenzielle Gefährdung vorhanden ist (vgl. etwa EuGH, Rs. 174/82 Sandoz, Slg. 1983, 2445, Rn. 17 ff.) Er muss jedoch eine eingehende wissenschaftliche Prüfung des Risikos durchführen (vgl. Rs. C-192/01 Kommission/Dänemark, Slg. 2003, Rn. 47). Ergibt sich daraus, dass wissenschaftliche Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens und des Umfangs tatsächlicher Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung bestehen, ist einem Mitgliedstaat zuzugestehen, dass er nach dem Vorsorgeprinzip Schutzmaßnahmen trifft, ohne abwarten zu müssen, dass das Vorliegen und die Größe dieser Gefahren klar dargelegt sind (vgl. EuGH, Rs. C-157/96 National Farmers’ Union u.a., Slg. 1998, I-2211, Rn. 63). Eine solche Risikobewertung darf jedoch nicht auf rein hypothetische Erwägungen gestützt werden (EuGH, Rs. C-192/01 Kommission/Dänemark, Slg. 2003, Rn. 49). Wenn es sich als dabei als unmöglich erweist, das Be-
Vorverfahren, formelles stehen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unzureichend, unschlüssig oder ungenau sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die Gesundheit der Bevölkerung jedoch fortbesteht, falls das Risiko eintritt, rechtfertigt das Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen (vgl. EuGH, Rs. C-192/01 Kommission/Dänemark, Slg. 2003, Rn. 52). (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 100; P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 8.59 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 174/82 Sandoz, Slg. 1983, 2445, Rn. 17 ff.; EuGH, Rs. C-157/96 National Farmers’ Union u.a., Slg. 1998, I-2211, Rn. 63; EuGH, Rs. C-192/ 01 Kommission/Dänemark, Slg. 2003; EuGH, Rs. C-24/ 00 Kommission/Frankreich, Slg. 2004, I-1277, Rn. 56
Vorübergehend (Dienstleistungsfreiheit) temporarily (freedom to provide services) – à titre temporaire (libre prestation de services)
Das v. Element ist ein Abgrenzungskriterium zwischen ĺNiederlassungsfreiheit und ĺDienstleistungsfreiheit. Nach Art. 50 EG kann der Leistende „unbeschadet des Kapitels über die Niederlassungsfreiheit“ seine Tätigkeit v. in einem anderen Staat ausüben. Bei der Dienstleistungsfreiheit kommt es im Gegensatz zur Niederlassungsfreiheit zu keiner wirtschaftlichen Integration im Mitgliedstaat, in dem die Leistung erbracht wird (E. Pache, Dienstleistungsfreiheit; in: D. Ehlers [Hrsg.], Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, Rn. 24). Ob eine Leistung v. erbracht wird, ergibt sich nicht nur aus der Dauer der Leistung, sondern auch daraus, ob sie häufig oder regelmäßig erbracht wird und ob ihr in kontinuierlicher Weise nachgegangen wird. Auch einmalige Projekte (z.B. Bauprojekte), die sich über mehrere Jahre hinziehen, können noch vorübergehende Leistungen, und damit ĺDienstleistungen im Sinne von Art. 50 EG sein (vgl. auch EuGH, Rs. C-215/01 Schnitzer, Slg. 2003, I-14847, Rn. 28). Jedenfalls ergeben sich in der Praxis immer wieder Abgrenzungsfragen, so etwa auch bei ständiger wiederholter grenzüberschreitender Tätigkeit. Auch in der ĺDienstleistungsRL fehlt eine Definition dessen, was v. im Sinne von Art. 50 EG bedeutet. Hingegen positiviert Art. 5 Abs. 2 der ĺBerufsanerkennungsRL, dass der vorübergehende und gelegentliche Charakter einer Dienstleistung anhand der Dauer, Häufigkeit, regelmäßigen Wiederkehr und Kontinuität der Dienstleistung zu beurteilen ist. (sh)
§§: Art. 50 EG; Art. 5 Abs. 2 RL 2005/36/EG des EP und des Rates vom 7.9.2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen, ABl. 2005, Nr. L 255/22 (ĺBerufsanerkennungsRL) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 27; E. Pache, Dienstleistungsfreiheit, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, Rn. 34
Vorübergehender Schutz (Asylrecht) temporary protection (right to asylum) – protection temporaire (droit d’asile)
Die RL 2001/55/EG über vorübergehenden Schutz regelt den Massenzustrom von Vertriebenen in Ausnahmesituationen wie etwa im Gefolge eines plötzlich ausbrechenden Bürgerkriegs. Hintergrund der Annahme der Richtlinie war der enorme Zustrom von Vertriebenen aus dem ehemaligen Jugoslawien in etliche Mitgliedstaaten in den 1990er-Jahren. Gem. Art. 1 der Richtlinie sollen die aus einem plötzlichen Zustrom von Vertriebenen für einige Mitgliedstaaten enstehenden Belastungen zwischen den Mitgliedstaaten verteilt und ausgeglichen werden (s. ĺBurden sharing [Asylrecht]). Der ĺRat legt per Beschluss fest, wann ein Massenzustrom von Vertriebenen im Sinne der Richtlinie vorliegt (Art. 5 Abs. 1). Dann greifen die Bestimmungen der Richtlinie, die Mindeststandards für die Aufnahme der Vertriebenen vorsehen. Die Mitgliedstaaten sollen Vertriebenen einen Aufenthaltstitel ausstellen und unter anderem die Ausübung einer abhängigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit ermöglichen. Personen, denen vorübergehender Schutz gewährt wurde, haben jederzeit die Möglichkeit, einen Antrag auf Gewährung von Asyl zu stellen. (gt) (jw) Lit.: G. Muzak, in: H. Mayer (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 44. Lfg. 2005, Art. 63 EGV, Rn. 30-32; K. Hailbronner, Asylum Law in the Context of a European Migration Policy, in: N. Walker (ed.), Europe’s Area of Freedom, Security and Justice, 2004, 41, 6870; D. Kugelmann, Einwanderungs- und Asylrecht, in: R. Schulze/M. Zuleeg (Hrsg.), Europarecht, 2006, 1827, Rn. 182-183
Vorverfahren ĺVertragsverletzungsverfahren Vorverfahren, formelles contentious stage – procédure formelle
Die ordnungsgemäße Durchführung eines Vorverfahrens gem. den Vorgaben in Art. 226, 227 EG ist vom EuGH von Amts wegen als Zulässigkeitsvoraussetzung zu prüfen. Angesichts diplomatischer Probleme, die entstehen kön979
Vorverfahren, informelles nen, wenn ein Mitgliedstaat der Prangerwirkung eines ĺVertragsverletzungsverfahrens unterworfen wird, soll das Vorverfahren dazu dienen, Vertragsverstöße schnell und leise und damit effizient aus der Welt zu räumen. So wurde in den letzten fünf Jahren für mehr als zwei Drittel der eingeleiteten ĺVertragsverletzungverfahren bereits im Vorverfahren eine Lösung gefunden, die einen Gang der Kommission vor den ĺEuGH überflüssig machte. Das formelle Vorverfahren gliedert sich in drei Stufen: Auf der ersten Stufe steht das ĺMahnschreiben der Kommission, auf der zweiten Stufe die Gegenvorstellung durch den Mitgliedstaat und auf der dritten Stufe die Versendung einer ĺmit Gründen versehenen Stellungnahme durch die Kommission. Diesen Stufen vorgeschaltet ist faktisch die Kenntnisnahme der Kommission von einem etwaigen Vertragsverstoß eines Mitgliedstaates, die entweder aus Bürgerbeschwerden oder aus eigenen Ermittlungen resultiert. In vielen Fällen sind die Unionsbürger gleichsam dezentrale Wächter der Kommission, die oft den Anstoß für die ĺEinleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens geben. In der Praxis herrscht Kostenfreiheit, so dass der Bürger nicht durch Gebühren davon abgehalten wird, eine Beschwerde vorzutragen. Die Angaben des Bürgers unterliegen dem Vertraulichkeitsgrundsatz und nach Eingang seiner Beschwerde informiert die Kommission die Bürger über Stand und Fortschritte, wobei sie hierfür immer stärker auf das Internet zurückgreift. Der Bürger hat hinsichtlich seiner Beschwerde gegen die Kommission zwar keinen Entscheidungsanspruch, jedoch einen Anspruch auf Beachtung. Da Bürgerbeschwerden in den letzten Jahren stark zugenommen haben, hat die Kommission bereits im Jahre 1989 ein Formblatt herausgegeben, mit dem die Beschwerde als eine solche – im Unterschied zu einer bloßen Bürgeranfrage – zu erkennen ist. Zugleich gibt das Formblatt Bearbeitungshinweise für die mit der Beschwerde betrauten Sachbearbeiter. Zu finden ist es im ABl. 1989 C 26/6 und im Internet (s. Link unten). Außer durch Bürgerbeschwerden erhält die Kommission im Wege von Presseartikeln, Anfragen aus dem Europaparlament oder an dieses gerichtete Petitionen oder auch vermehrt im Wege von Online-Datenbanken von einem Vertragsverstoß Kenntnis, welche z.B. eine Auflistung darüber bieten, welche Richtlinien von welchem Mitgliedstaat nicht oder erst verspätet umgesetzt worden sind. 980
Die Dauer des formellen Vorverfahrens beträgt meist zwischen 12-18 Monaten. In der Praxis erreicht die Kommission eine Beschleunigung des Vorverfahrens durch das Setzen kurzer Fristen im Vorverfahren. (cv) Lit.: K.-D. Borchardt, in: C. Lenz/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 4. Aufl. 2006, Art. 226 EGV, Rn. 16 ff.; J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 226 EGV, Rn. 11 Web: http://ec.europa.eu/community_law/complaints/ form/index_en.htm
Vorverfahren, informelles pre-contentious stage – procédure informelle
Da das Vorverfahren zur schnellen, lautlosen und effektiven Beseitigung einer Vertragsverletzung dienen soll, hat sich eine langjährige Praxis der Kommission entwickelt, nach Kenntnisnahme eines etwaigen Vertragsverstoßes, aber noch vor der Eröffnung des formellen Vorverfahrens, ein informelles Vorverfahren durchzuführen. Die Kommission nimmt nach Kenntnisnahme eines etwaigen Vertragsverstoßes zunächst Kontakt mit den in Rede stehenden Behörden und anderen Stellen eines Mitgliedstaates auf und versucht in Vorgesprächen bereits in diesem sehr frühen Stadium die Beseitigung einer etwaigen ĺVertragsverletzung zu erreichen. Diese Vorgehensweise ist besonders empfehlenswert bei kleineren, nicht hochpolitischen oder finanziell nicht sehr bedeutenden Streitfällen, da Lösungen in informellen Vorgesprächen die schnellste und preiswerteste Option darstellen. Einen Anspruch auf Durchführung von zunächst informellen Gesprächen hat ein Mitgliedstaat nicht. (cv) Lit.: U. Ehricke, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 226 EGV, Rn. 16
Vorverfahren, kontradiktorisches oral and written submissions before the Commission – procédure, contradictoire
Im Vorfeld der Staatenklage gibt die Kommission gem. Art. 227 Abs. 3 EG beiden Staaten die Gelegenheit, ihre Positionen dem jeweils anderen Staat schriftlich und mündlich im kontradiktorischen Vorverfahren darzulegen, wobei es den Mitgliedstaaten freisteht, dies zu tun. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt soll hierdurch eine gütliche Einigung erreicht werden. In der Praxis wohnt der mündlichen Verhandlung im kontradiktorischen Vorverfahren ein Kommissionsmitglied bei, um die anschließende mit Gründen versehene Stellungnahme
VVE nicht dem Angriff auszusetzen, sie berücksichtige nicht die Ergebnisse dieser mündlichen Verhandlung. In diesem Verfahrensschritt dürfen nur Vorwürfe behandelt werden, die bereits in der Beschwerde des Mitgliedstaats an die Kommission geltend gemacht wurden (Grundsatz des rechtlichen Gehörs). Eine mit Gründen versehene Stellungnahme, die gem. Art. 227 Abs. 3 EG an den angeprangerten Mitgliedstaat verschickt wird, schließt das kontradiktorische Vorverfahren ab. Diese Stellungnahme der Kommission ist im Gegensatz zu Art. 226 EG eher wie ein Gutachten for-
muliert, da die Kommission nicht als Partei auftritt, sondern als Mittler zwischen den Staaten. (cv) §§: Art. 227 EG Lit.: J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 227 EGV, Rn. 4 ff.
Vorwirkungen von Richtlinien ĺRichtlinien, Vorwirkungen VVE ĺVertrag über eine Verfassung für Europa
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W Wachauf-Entscheidung
Wahlrecht zum Europäischen Parlament
Wachauf case – jurisprudence Wachauf
right to vote at elections to the European Parliament – droit de vote aux élections du Parlement européen
EuGH-Urteil zur gemeinsamen ĺMarktorganisation (Abgaben für Milch). Der ĺEuGH wiederholt die Geltung der ĺGemeinschaftsgrundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze. Diese binden die Mitgliedstaaten bei der Anwendung von EG-Sekundärrecht (EG-Verordnungen). Enthält Aussagen zu den ĺGrundrechtsschranken: Solche ergäben sich aus der gesellschaftlichen Funktion der Grundrechte. Die Ausübung der Grundrechte könne zu Gunsten eines anerkannten Ziels, in verhältnismäßiger Weise und in Wahrung des Wesensgehalts des betreffenden Grundrechts beschränkt werden (zulässiger Eingriff). (ed) Rsp.: EuGH, Rs. 5/88 Wachauf, Slg, 1989, 2609
Waffenausfuhren ĺAusfuhrkontrolle Wahlrecht (deutsche Rechtslage) ĺIntegrationsschranken; ĺVerfassungsbeschwerde Wahlrecht und -grundsätze right to vote – droit de vote
Die ĺGRC enthält im Kapitel Bürgerrechte als europäische ĺGrundrechte auch einige Bestimmungen und Garantien zum Wahlrecht. Dazu zählen: das Recht auf Inländergleichbehandlung bei Wahlen zum ĺEuropäischen Parlament, Wahlgrundsätze für die Wahlen zum Europäischen Parlament, die allgemein, unmittelbar, frei und geheim sein sollen (Art. 39 GRC/ Art. II-99 EVV), sowie den Grundsatz der Inländergleichbehandlung bei Kommunalwahlen (Art. 40 GRC/Art. II-100 EVV). (ed) §§: Art. 39 GRC/Art. II-99 EVV, Art. 40 GRC/Art. II100 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 35; S. Magiera, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 39, 40
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Jeder ĺUnionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht besitzt, hat in jenem Mitgliedstaat, in dem er seinen Wohnsitz hat, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum ĺEuropäischen Parlament unter denselben Bedingungen wie Staatsangehörige des jeweiligen Mitgliedstaates. Die Definition und Voraussetzungen für die Begründung von Wohnsitz regeln dabei die Mitgliedstaaten. Zudem umfasst das W. entsprechende Nebenrechte wie das Recht auf aktive und passive Teilnahme am Wahlkampf oder das Recht auf Ausübung des Mandats. Das Europawahlrecht ist ein Bürgerrecht der ĺUnionsbürger, das nur grundsätzlich in Art. 19 Abs. 2 EG geregelt und nicht unmittelbar anwendbar ist, da es der Ausführung durch Sekundärrecht bedarf (ĺEuropawahlrichtlinie). Es dient der Verbesserung der Wahlrechtsgleichheit zwischen den Mitgliedstaaten. Entgegen dem Wortlaut besitzen auch Unionsbürger, die in ihrem Heimatstaat leben, ein subjektives öffentliches Recht auf Wahlteilnahme. Unionsbürger bestimmen mit ihrer Wahl die Besetzung der Sitze des Aufnahme-, nicht des Herkunftsstaates und durchbrechen insoweit das Prinzip nationaler Stimmkontingente der Mitgliedstaaten. (ao) §§: Art. 19 Abs. 2 EG; Art. 39 GRC; RL 93/109/EG, Art. 190 EG; Art. 3 1. ZP EMRK Lit.: S. Winkler, Der EuGHMR, das Europäische Parlament und der Schutz der Konventionsgrundrechte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, EuGRZ 2001, 18 ff., S. Kadelbach, Unionsbürgerrechte, in: D. Ehlers (Hrsg.), Grundrechte und Grundfreiheiten in Europa, 2. Aufl. 2005, 551 ff. Rsp.: EGMR, Matthews/Vereinigtes Königreich (ĺMatthews-Fall); EuGH, C-145/04 Spanien/Vereinigtes Königreich, Slg. 2006, I-07917
Wahrnehmungsrecht ĺVerwertungsgesellschaften
Wanderarbeitnehmerverordnung Währungsabkommen monetary agreement – accord monétaire
Währungsabkommen mit der EG schlossen die ĺZwergstaaten Monaco, San Marino und Staat Vatikanstadt. (bb) Währungsinstitut, europäisches ĺEuropäisches Währungsinstitut Währungskorb ĺECU Währungspolitik monetary policy – politique monétaire
Unter dem Begriff Währungspolitik wird in der Volkswirtschaftslehre derjenige Bereich verstanden, der sich speziell mit dem Außenwert einer Währung und generell mit dem Verhältnis zu anderen Währungen beschäftigt. Im Gegensatz hierzu steht die Geldpolitik, die die Versorgung mit Zentralbankgeld, Zins- und Geldmengensteuerung und den Binnenwert des Geldes zum Gegenstand hat. Der EG-Vertrag unterscheidet terminologisch nicht zwischen den Begriffen Währungspolitik und ĺGeldpolitik. Jedoch trennt er systematisch klar zwischen der Wechselkurspolitik gegenüber dritten Staaten, die nach Art. 111 EG dem Rat obliegt, und den geldpolitischen Aufgaben der ĺEuropäischen Zentralbank (EZB). Letztere umfassen aber auch ĺDevisengeschäfte, mit deren Hilfe auf den Außenwert des Euro Einfluss genommen werden kann. (co) Währungsunion ĺWirtschafts- und Währungsunion. Walrave und Koch-Entscheidung Walrave and Koch case – jurisprudence Walrave et Koch
Die Rs. Walrave und Koch hatte eine Regelung eines internationalen Radsportverbandes zum Gegenstand, die es vorschrieb, dass bei SteherRennen Schrittmacher und Radrennfahrer dieselbe Staatsangehörigkeit aufweisen müssen. Der ĺEuGH bejahte die Anwendbarkeit der Bestimmungen des EG auf kollektive Maßnahmen im Arbeits- und Dienstleistungsbereich durch private Institutionen. Die „Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr [...] wäre gefährdet, wenn die Beseitigung der staatlichen Schranken dadurch in ihrer Wirkung wieder aufge-
hoben würde, dass privatrechtliche Vereinigungen oder Einrichtungen kraft ihrer rechtlichen Autonomie derartige Hindernisse aufrichteten“ (Rs. W., Rn. 16/19). Mit dieser Rsp. legte der EuGH den Grundstein für sein späteres Urteil in der Rs. ĺBosman. (sh) Rsp.: EuGH, Rs. 36/74 Walrave und Koch, Slg. 1974, 1405; EuGH Rs. C-415/93 ĺBosman, Slg. 1995, I4921
Wanderarbeitnehmer migrant worker – travailleur migrant
Person, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihrer Herkunft wohnt und dort eine abhängige Erwerbstätigkeit ausübt. Sie profitiert von den Vergünstigungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit (ĺArbeitnehmerfreizügigkeit). (fw) §§: ĺArbeitnehmerfreizügigkeit Lit.: ĺArbeitnehmerfreizügigkeit
Wanderarbeitnehmerverordnung regulation concerning migrant workers – règlement aux travailleurs migrants
Die Wanderarbeitnehmerverordnung Nr. 1408/ 71 wurde als Konkretisierung der Ermächtigung in Art. 42 EG erlassen. Auf diese Weise wird ein System geschaffen, das Wanderarbeitnehmern die Zusammenrechnung der nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften erworbenen Versicherungszeiten für den Erwerb von Leistungsansprüchen ermöglicht. Die VO (EWG) 1408/71 koordiniert also die Sicherungssysteme der Mitgliedstaaten. Ein Arbeitnehmer, der im Laufe seines Arbeitslebens in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt ist, erwirbt keinen eigenständigen Leistungsanspruch, sondern mehrere selbstständige Leistungsansprüche gegen die jeweiligen nationalen Sozialleistungsträger. Der persönliche Anwendungsbereich der VO (EWG) 1408/71 erstreckt sich auf Arbeitnehmer, Selbstständige, Beamte und Studierende sowie deren Familienangehörige und Hinterbliebene. Die wesentlichen Prinzipien der VO (EWG) 1408/71 bestehen in der Gleichbehandlung von Wanderarbeitnehmern mit nationalen Arbeitnehmern, der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten und den Leistungsexport, falls der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats der EG wohnt, als der zur Zahlung verpflichtete Sozialleistungsträger. (dh) §§: Verordnung des Rates, vom 14.6.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Ar-
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Ware beitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (1408/71/EWG), ABl. 1971, Nr. L 149/2; Verordnung des Rates, vom 21.3.1972 über die Durchführung der VO (EWG) 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (574/ 72/EWG), ABl. 1972, Nr. L 74/1. Konsolidierte Fassung, ABl. 1997, Nr. L 28/1 Lit.: J. M. Bergmann, Grundstrukturen der Europäischen Gemeinschaft und Grundzüge des gemeinschaftlichen Sozialrechts, SGb 1998, 449 ff.
Ware goods – marchandise
Im EGV ist keine Definition des Begriffs Ware enthalten. Unter Berücksichtigung der ständigen Rsp. sind darunter jedoch alle Arten von ĺErzeugnisse zu verstehen, die einen Geldwert besitzen und dadurch Gegenstand eines Handelsgeschäfts sein können. Darunter fallen nicht nur körperliche sondern auch unkörperliche Sachen, wie z.B. Elektrizität (PreussenElektraEntscheidung). Abgrenzungsprobleme stellen sich zur ĺKapitalverkehrsfreiheit (s.a. Münzen ĺThompson-Entscheidung) und zur ĺDienstleistungsfreiheit (s.a. Lotterielose ĺSchindlerEntscheidung oder Fischereirechte ĺJägerskiöldEntscheidung). Im Zweifel lässt der ĺEuGH eine Berufung nur auf eine der beiden Freiheiten zu und prüft, welche der beiden ĺGrundfreiheiten der anderen gegenüber völlig zweitrangig ist und ihr zugeordnet werden kann (s.a. ĺOmega-Entscheidung Rn. 26). In jüngerer Zeit hat der EuGH allerdings davon abweichend auch eine kumulative Berufung zugelassen (Canal Satélite Digital SL-Entscheidung, Rn. 32.). (güh) Lit.: P. Oliver/M.Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 2.02 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 7/68 Kommission/Italien, Slg. 1968, 634; EuGH, Rs. 7/78 Thompson u.a., Slg. 1978, 2247; EuGH, Rs. C-97/98 Jägerskiöld, Slg. 1999, I-7319, EuGH, Rs. C-379/98 PreussenElectra, Slg. 2001, I-2099; EuGH, Rs. C-2/90 Kommission/Belgien, Slg. 1992, I-4431; EuGH, Rs. C-275/92 Schindler, Slg. 1994, I-1039; EuGH, Rs.C-390/99 Canal Satélite Digital SL, Slg. 2002, I-607 Web: GD Binnenmarkt, Leitfaden zum Konzept und zur praktischen Anwendung der Art. 28-30 EG-Vertrag, 2000: http://ec.europa.eu/enterprise/regulation/ goods/docs/art2830/guideart2830_de.pdf
Ware im freien Verkehr goods in free circulation – marchandises en libre circulation
Die Bestimmung des Art. 24 EG regelt unter welchen Voraussetzungen Drittlandswaren, d.h. ĺWaren, die ihren Ursprung in Drittländern 984
haben, somit außerhalb der Gemeinschaft, die Vorteile des innergemeinschaftlichen ĺfreien Warenverkehrs genießen und damit den Status einer ĺGemeinschaftsware erhalten. Die Vorgaben dazu ergeben sich u.a. aus dem ĺZollkodex: 1. Die Einfuhrmöglichkeiten müssen erfüllt sein. 2. Die vorgeschriebenen ĺZölle und ĺAbgaben gleicher Wirkung müssen eingehoben sein. 3. Weder Zölle noch die Abgaben gleicher Wirkung dürfen ganz oder teilweise rückerstattet sein. Es genügt wenn die genannten Voraussetzungen in einem beliebigen ĺMitgliedstaat erfüllt sind. (ah) §§: Art. 24 EG; Art. 79 Abs. 1 Zollkodex; VO (EG) 2913/92, ABl. 1992, Nr. L 321/23; zuletzt geändert durch VO (EG) 1791/2006 Lit.: C. Waldhoff, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 24 EGV, Rn. 2
Warenverkehr, freier ĺWarenverkehrsfreiheit Warenverkehrsfreiheit free movement of goods – libre circulation des marchandises
Die Warenverkehrsfreiheit bildet eine der vier ĺGrundfreiheiten des ĺBinnenmarkts. Zentrale Bestimmung sind die Art. 28 bis 30 EG, deren Auslegung maßgeblich durch die Rechtsprechung des EuGH bestimmt wird. (s.a. ĺDassonville-Entscheidung, ĺCassis de DijonEntscheidung, ĺKeck-Entscheidung). Eine Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit ist bei Vorliegen hinreichender ĺRechtfertigungsgründe oder ĺzwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses möglich. (güh) Warner Bros-Entscheidung Warner Bros case – jurisprudence Warner Bros
In der Entscheidung Warner Bros (EuGH 17.5. 1988, Rs. 158/86, Slg. 1988, 2605) verneinte der EuGH die Frage, ob der gemeinschaftsrechtliche ĺErschöpfungsgrundsatz auch für das ĺVermietrecht gilt. Um dem Urheber einen angemessenen Anteil am Vermietungsmarkt zu sichern, sei es notwendig, ihm die Kontrolle über die Vermietung zu belassen, und zwar auch nachdem er selbst das Werkexemplar in einem Mitgliedstaat in Verkehr gebracht hat.
Wechselkursmechanismus II (WKM II) In der späteren Entscheidung ĺMetronome bestätigte der EuGH diese Rechtsansicht in Bezug auf die entsprechenden Bestimmungen der ĺVermiet- und VerleihRL. Die Warner Bros Entscheidung ist außerdem insofern beachtlich, als der EuGH hier festhielt, dass die unterschiedliche Regelung des ĺVermietrechts in den Mitgliedstaaten zwar zu einer mittelbaren Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs führe, aber nach Art. 36 (nunmehr Art. 30) EG gerechtfertigt sei. Diese Argumentation impliziert, dass der freie Warenverkehr nur durch eine Harmonisierung der einschlägigen Bestimmungen bewirkt werden kann, was mit der ĺVermiet- und VerleihRL schließlich auch geschah. (js) §§.: Art. 28, 30 EWG Lit.: L.-C. Ubertazzi, Urheberrecht und freier Warenverkehr, GRUR Int. 1984, 327; R. Sack, Die Erschöpfung von gewerblichen Schutzrechten und Urheberrechten nach europäischem Recht, GRUR Int. 1999, 193
Wasserrahmenrichtlinie water framework directive – directive-cadre sur l’eau
Die ĺRL stellt ein bedeutendes Instrument des gemeinschaftlichen ĺGewässerschutzes dar und hat unterschiedliche bislang geltende Einzelrichtlinien abgelöst. Ihr Ziel ist die Schaffung eines einheitlichen Ordnungsrahmens für Maßnahmen im Bereich der Wasserpolitik. Gegenstand ihrer Schutzbestimmungen sind die Binnenoberflächengewässer, Übergangsgewässer, Küstengewässer und das Grundwasser. Inhaltlich sieht die RL insbesondere Folgendes vor: ƒ die Normierung eines Verschlechterungsverbots des Zustandes der aquatischen Ökosysteme und der direkt von ihnen abhängenden Landökosysteme und Feuchtgebiete im Hinblick auf deren Wasserhaushalt; ƒ die Verpflichtung auf zu erreichende Umweltziele; ƒ die Kategorisierung und Typisierung der Oberflächengewässer und des Grundwassers; zu diesem Zwecke erfolgt die Festlegung eines (qualitativen) Referenzzustandes (Leitbild); ƒ die mengenmäßige Überwachung des Wasserverbrauchs; ƒ Vorgaben zur Flussgebietsbewirtschaftung; ƒ die verbindliche Festlegung von Emissionsgrenzwerten und Umweltqualitätsnormen (kombinierter Ansatz) sowie ƒ die Verpflichtung zur Erstellung von Bewirtschaftungsplänen und Maßnahmenprogrammen zur Erreichung der Umweltziele.
Die Begriffe der RL sind ausfüllungsbedürftig, die Bestimmungen stark verfahrensbezogen. In detaillierten Anhängen werden die Vorgaben konkretisiert. S.a. ĺHochwasser. (sm) §§: RL 2000/60/EG, ABl. 2000, Nr. L 327/1 Lit.: E. Hödl, Wasserrahmenrichtlinie und Wasserrecht, 2005
Wechselkursmechanismus II (WKM II) Exchange Rate Mechanism II – Mécanisme des taux de change II
Der Wechselkursmechanismus II bildet den Nachfolger des Europäischen Währungssystems (EWS), das zur Vorbereitung der ĺWirtschaftsund Währungsunion die Wechselkurse der Mitgliedstaaten zueinander stabilisieren sollte. Die Einhaltung der normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus des EWS war zudem Voraussetzung für die Teilnahme eines Mitgliedstaats an der dritten Stufe der WWU (ĺKonvergenzkriterien). Für den Zeitraum nach ihrer Einführung bedurfte es eines neuen Systems, das den noch nicht teilnehmenden und den künftig der EU beitretenden Mitgliedstaaten erlauben würde, ihre Währungen an den Euro zu binden und damit die Voraussetzung für eine spätere Einführung des Euro zu schaffen. Zu diesem Zweck beschloss der Europäische Rat am 16.6.1997 die Einrichtung eines Wechselkursmechanismus II, der ab Beginn der dritten Stufe der ĺWirtschafts- und Währungsunion (WWU) zm 1.1.1999 das Europäische Währungssystem ersetzte. Im Mittelpunkt des WKM II steht die Anbindung der Währungen der nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten an den Euro. Die operativen Verfahren des Mechanismus werden in einem Abkommen zwischen der ĺEuropäischen Zentralbank und den nationalen Zentralbanken der nicht der Eurozone angehörenden Mitgliedstaaten geregelt. Die Teilnahme am WKM II ist für diese Mitgliedstaaten allerdings freiwillig, sie kann auch zu einem späteren Zeitpunkt jederzeit erfolgen. In der Sache entspricht der WKM II seinem Vorläufer: Für die Währung jedes nicht der Eurozone angehörenden Mitgliedstaats wird ein Leitkurs gegenüber dem Euro festgelegt. Vorgesehen ist eine Standardbandbreite von +/15 % bezogen auf die Leitkurse. An den Interventionspunkten intervenieren die EZB bzw. die nationalen Zentralbanken grundsätzlich automatisch und in unbegrenzter Höhe. Hierfür steht eine Kreditfazilität zur sehr kurzfristigen Finanzierung zur Verfügung. Zudem sind be985
Wechselkurspolitik grenzte Wechselkursinterventionen innerhalb der Bandbreiten nach Absprache der beteiligten Zentralbanken möglich (sog. koordinierte, intramarginale Interventionen). Am WKM II nehmen teil: Zypern (Pfund); Dänemark (Krone); Estland (Krone); Litauen (Litas); Lettland (Lats); Malta (Lira); Slowakei (Krone). (co) §§: Abkommen zwischen der EZB und den nationalen Zentralbanken über den WKM II, ABl. 2006, Nr. C 73/21 Web: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/l25082.htm
Wechselkurspolitik exchange rate policy – politique de change
ĺDevisengeschäfte und Währungspolitik Wegekostenrichtlinie infrastructure charges (directive) – taxes routières (directive)
RL 99/62/EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge. Durch sie wird eine ĺVerkehrsabgabe eingeführt. Die Zielsetzung der RL besteht in der Beseitigung bzw. Minderung der durch die Anwendung unterschiedlicher Abgabensysteme hervorgerufenen Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Verkehrsunternehmen der verschiedenen ĺMS. Ersetzt die vom ĺEuGH aufgehobene RL 93/ 89/EWG. Da nur eine Ergänzung in Einzelheiten erfolgte, änderte sich die Rechtslage nicht grundsätzlich. Der Anwendungsbereich umfasst Nutzfahrzeuge im Güterverkehr mit einem Gesamtgewicht von mindestens 12 t. Inhaltlich geht es um die Harmonisierung der Abgabensysteme betreffend die Benutzung bestimmter Straßeninfrastrukturen einer-, und die Angleichung der mitgliedstaatl. Kfz-Steuersätze andererseits. Letzteres erfolgt insbesondere durch die Harmonisierung der Mindestsätze; die Struktur der Kfz-Steuern wird nicht geregelt. Die materiellen Vorgaben betreffend die Erhebung von Wegeentgelten unterscheiden strukturell zwischen den Gebührenarten ĺMautgebühren und ĺBenutzungsgebühren. Einige Vorgaben der RL 99/62/EG: ƒ Maut- und Benutzungsgebühren dürfen nur auf Infrastrukturen mit bestimmten Merkmalen (Autobahnen, Brücken, Tunnel, Gebirgspässe) erhoben werden. Eine Kombination beider Abgabentypen ist grundsätzlich unzulässig. ƒ Bei Benutzungsgebühren wird die zulässige Abgabenhöhe nach oben begrenzt (Maximalwerte). Die Ausrichtung von Mauten erfolgt 986
ausschließlich an den effektiven Infrastrukturkosten des betroffenen Streckennetzes. ƒ Laut EuGH (Brennermautgebühr-Urteil): Die Erhöhung der Gebührensätze für Brennermaut ist u.a. deshalb mit RL 93/89/EWG unvereinbar, weil diese nicht durch die Deckung der Infrastrukturkosten gerechtfertigt ist. ƒ Bei der Ausgestaltung der Abgabensysteme haben die MS allgemeine Vorgaben, darunter insbesondere das Diskriminierungsverbot sowie die Vermeidung einer Beeinträchtigung des Verkehrsflusses zu beachten. (sm) §§: RL 99/62/EG, ABl. 1999, Nr. L 187/42 Lit.: A. Epiney, in: M. A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Wirtschaftsrechts, Bd. II, 20. Lfg. 2007, L Rn. 360 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-21/94 Europäisches Parlament/ Rat, Slg. 1995, I-1827; EuGH, Rs. C-205/98 Kommission/Österreich, Slg. 2000, I-7367
Wegzugsbesteuerung exit tax rules – règles d’imposition à la sortie
Die Wegzugsbesteuerung wurde jüngst unter anderem in der Rs. ĺHughes de Lasteyrie du Saillant vom EuGH thematisiert. Durch die Entscheidung des Gerichtshofs sahen und sehen sich zahlreiche Mitgliedstaaten dazu veranlasst, über ihre Besteuerungsregeln zu reflektieren. Im Kern geht es bei einer Wegzugsbesteuerung darum, dass der Wegzug für einen Steuerinländer aus einem Staat, mit einer bestimmten (sofortigen oder aufgeschobenen) Besteuerung – vor allem auch durch Aufdeckung der stillen Reserven- verbunden ist. Wenn dies nun weniger dem akzeptierten Grund der Vermeidung einer Steuerumgehung und Steuerflucht dient, sondern – wie im zitierten Rechtsstreit – der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, dann wäre eine solche (gemeinschafts-)rechtswidrig. (pu) Wehrdienstverweigerung, Recht auf right to conscientious objection – droit à l’objection de conscience
Das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen – allerdings nach Maßgabe nationalen Regelungen – soll nach der ĺGRC ein europäisches ĺGrundrecht werden (Art. 10 Abs. 2). Geht über bisherigen Gemeinschaftsund ĺEMRK-Grundrechtsschutz hinaus. Vgl. auch Recht auf ĺGewissens- bzw. ĺReligionsfreiheit. (ed) §§: Art. 10 Abs 2 GRC/Art. II-70 Abs. 2 EVV
Weißbuch Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 15, Kap. II
Weinrecht, europäisches wine law, european – législation vinicole, européenne
Das europäische Weinrecht ist durch die VO (EG) 1493/1999 bzw VO (EG) 1234/2007 über die ĺGemeinsame Marktorganisation für Wein sowie deren Anlagen und ergänzende Verordnungen geregelt. Diese Grundverordnung trägt den spezifischen Bedürfnissen des Weinsektors als spezieller Bestandteil des Agrarsektors sowie den Besonderheiten des Weins, der ĺLebensmittel sui generis, Nahrungs- und Genussmittel zugleich ist, Rechnung. Die Gemeinschaftsgesetzgeber ist im Rahmen der allgemeinen Agrarpolitik bemüht, die Charakteristika der einzelnen Weinbauregionen herauszustellen und zu schützen. Diese Tendenz zeigt sich insbesondere im Bereich der Qualitätsweine. Während die Zuständigkeit für Tafelweine fast ausschließlich in die Kompetenz der EG fällt, beschränkt sich diese im Qualitätsweinbereich auf grundlegende Bestimmungen, deren Ausgestaltung den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen wird. Die Gemeinschaft hat in Art. 47 ff. i.V.m. den Anlagen VII und VIII der VO (EG) 1493/1999 bestimmte Vorschriften betreffend der „Beschreibung, Bezeichnung, Aufmachung und Schutz“ für Tafelwein, Qualitätswein, Schaumwein, Perl- und Likörwein sowie Drittlandsweine erlassen. Hierbei legt die Verordnung zwar zwingende Eigenschaften der Weine fest, jedoch werden den nationalen Gesetzgebern als Normadressaten weitgehende Freiheiten, insbesondere im Hinblick auf die Definition bestimmter Produkteigenschaften, zugestanden. (mkr) §§: VO (EG) 1493/1999; VO (EG) 1234/2007 Lit.: H.-J. Koch, Weinrecht; M. Kraus, In signo veritas: die Bedeutung der A.O.C. im französischen und europäischen Weinrecht – Definition sowie Abgrenzung zur Marken- und „Cru“- Bezeichnung, ZLR 2004, 667-680
Weißbuch White Paper – Livre blanc
Ein Weißbuch enthält konkrete Vorschläge für eine neue Regelung eines in den Verträgen festgehaltenen Politikbereiches. Es knüpft oft an ein entsprechendes ĺGrünbuch an und inkorporiert die Ergebnisse des an seine Veröffentlichung anschließenden Diskurses. Als unverbindliche ĺStellungnahme (ĺEuropäische Kommission – Aufgaben) der ĺKommission bleibt es
jedoch dem ĺRechtsetzungsverfahren vorgeschaltet. Zu den wichtigsten Weißbüchern bisher zählen das Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes (KOM[85]310) und das Weißbuch Europäisches Regieren (KOM[2001]428). (sl) Lit.: K. Jorna, in: J. Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 211 EGV, Rn. 24 Web: http://europa.eu/documents/comm/white_papers/ index_de.htm
Weißbuch Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung White Paper Growth, competitiveness, employment – Livre blanc Croissance, competitivite, emploi
Das Weißbuch „Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung“ gab die Kommission Ende 1993 heraus. Es sollte einen Anstoß dafür liefern, wie das Problem der Arbeitslosigkeit gelöst werden kann. In Prognosen wurde zu dem Zeitpunkt ein Anstieg der Arbeitslosenquote auf einen Durchschnittswert von 12 % vorhergesagt. Die zunehmende Arbeitslosigkeit stellte in Europa die bedeutendste soziale Herausforderung dar. Außerdem befand sich die Wirtschaft ebenfalls in einer sehr schwierigen Lage. Zur Überwindung der unionsweiten wirtschaftlichen Rezension schlug die Kommission ein Konzept vor, das bis zum Jahr 2000 die Schaffung von 15 Mio. neuen Arbeitsplätzen vorsah. Bei dem Weißbuch sollte es sich nicht um ein „Allheilmittel“, sondern um eine „Reflexionsgrundlage“ handeln. Vom europäischen Parlament wurde das Weißbuch begrüßt. Das Parlament empfahl zahlreiche Maßnahmen, die nach seiner Ansicht geeignet sind, den strukturellen Ursachen der Wirtschaftslage zu begegnen. Inhaltlich setzt das Weißbuch auf beschäftigungswirksames Wachstum und fordert neben der Verbesserung der Beschäftigungschancen durch allgemeine und berufliche Bildung, die Senkung der Lohnnebenkosten, insbesondere bei gering qualifizierten Tätigkeiten. Darüber hinaus fordert es die Steigerung der Beschäftigungsintensität und des Wachstums durch Förderung, in erster Linie durch flexiblere Regelungen der Arbeitsorganisation und Dämpfung des Lohnanstiegs. (dh) §§: EG-Kommission, Weißbuch Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung – Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert, vom 5.12.1993, KOM(93) 700 endg. Lit.: J. C. K. Ringler, Die Europäische Sozialunion, 1997, 237 f.; H. Kuhn, Die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft, 1995, 77 f.
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Weißrussland Weißrussland Belarus – Belarussie
Weder das 1995 unterzeichnete ĺPartnerschaftsund Kooperationsabkommen noch das Interimabkommen traten in Kraft. (bb) Web: http://www.delblr.ec.europa.eu/page104.html
Weltanschauung ĺReligion; ĺReligionsfreiheit; ĺVielfalt, kulturelle, weltanschauliche, sprachliche Werbebeschränkung restriction on advertising – restriction de la publicité
Werbebeschränkungen, die rechtlich oder tatsächlich den Marktzugang importierter Produkte im Vergleich zu inländischen stärker behindern, können unter den Anwendungsbereich des Art. 28 EG fallen (ĺWerbeverbot, ĺWerbung [freier Warenverkehr]). Eine ĺMaßnahme gleicher Wirkung ist z.B. dann anzunehmen, wenn die für bestimmte ĺErzeugnisse verbotene Fernsehwerbung die einzig wirksame Form der Absatzförderung ist, um in den Markt des ĺMitgliedstaates einzudringen (s.a. ĺDe Agostini-Entscheidung, ĺGourmet International-Entscheidung) Im Gegensatz dazu sind Standesregeln, die Apothekern die Werbung außerhalb der Apotheke für apothekenübliche Waren verbietet (Hünermund-Entscheidung, bzgl. Versandhandel anders s.a. ĺDocMorrisEntscheidung) oder das in § 30 Abs. 1 UWG verankerte Per-Se Verbot der Ankündigung von ĺWaren aus der Konkursmasse (Karner-Entscheidung) keine Maßnahmen gleicher Wirkung, da sie den Absatz importierter Waren nicht stärker behindern als für inländische Produkte. (ah) Lit.: P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 7.41; S. Leible, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union: EUV/EGV, Bd. 1, 31. Lfg. 2006, Art. 28 EGV, Rn. 38; G. Perau, Werbeverbote im Gemeinschaftsrecht: gemeinschaftsrechtliche Grenzen nationaler und gemeinschaftsrechtlicher Werbebeschränkungen, 1997 Rsp.: EuGH, Rs. C-292/92 Hünermund, Slg. 1993, I-6787, Rn. 23; EuGH, Rs. C-71/02 Karner, Slg. 2004, I-3025, Rn. 42
Werbekampagne, staatlich state advertising campaign – campagne publicitaire d’État
Staatliche Werbekampagnen zur Förderung des Absatzes inländischer Produkte auf dem eigenen Markt können den Import ausländischer 988
ĺWaren beeinträchtigen (s.a. ĺstaatliche Maßnahmen). Werbekampagnen, die den Erwerb von eingeführten Waren behindern, zum Kauf von nur inländischen Produkten anspornen, diesen einen Vorzug einräumen oder zu einem solchen Erwerb verpflichten, sind ĺMaßnahmen gleicher Wirkung. Staatliche Werbekampagnen sind somit stets dann problematisch, wenn sie darauf gerichtet sind, zum Kauf inländischer Produkte anstelle von importierten Produkten zu bewegen (s.a.ĺBuy Irish-Entscheidung). Verkaufsförderungsprogramme für nationale Produkte können nur zulässig sein, wenn die Qualität des Produkts nicht mit der inländischen Herkunft verknüpft wird. (ah) Lit.: P. Thyri, Staatliche Kampagnen, in: G. Herzig (Hrsg.) Hemmnisse im grenzüberschreitenden Warenverkehr und EU-Recht, 2004, 197
Werberichtlinie directive concerning misleading and comparative advertising – directive en matiére de publicité trompeuse et de publicité comparative
Die RL dient dem Schutz von Gewerbetreibenden vor irreführender Werbung und deren unlauteren Auswirkungen sowie der Festlegung der Bedingungen für zulässige vergleichende Werbung (Art. 1 der RL). Die RL hindert jedoch die ĺMitgliedstaaten nicht daran, Bestimmungen aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, die bei irreführender Werbung einen weiterreichenderen Schutz der Gewerbetreibenden und Mitbewerber vorsehen (Art. 8 der RL). (ah) §§: RL 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung, ABl. 2006, Nr. L 376/21
Werbeverbot prohibition of advertising – interdiction de publicité
Werbeverbote für bestimmte Gruppen von ĺWaren oder bestimmte Formen der Vermarktung sind i.d.R. nichtproduktbezogene Regelungen (ĺVerkaufsmodalitäten), die nicht in den Anwendungsbereich des Art. 28 EG fallen, vorausgesetzt, sie behindern den Marktzugang für importierte ĺErzeugnisse nicht stärker als für inländische Erzeugnisse (ĺWerbung [freier Warenverkehr]). In der Praxis wird aber bei einem vollständigen Verbot der Werbung, zumeist eine tatsächliche stärkere Belastung der importierten Waren gegeben sein (s.a. ĺGourmet International-Entscheidung, ĺDe Agostini-Entscheidung). (ah)
Westeuropäische Union (WEU) Werbung (freier Warenverkehr) advertising (free movement of goods) – publicité (libre circulation des marchandises)
Unter Berücksichtigung der in der ĺKeckEntscheidung aufgestellten Grundsätze sind ĺWerbebeschränkungen als ĺVerkaufsmodalitäten zu bewerten, sofern nicht zwischen inländischen und importierten Produkten differenziert wird. D.h. Werbebeschränkungen sind nur dann nach Art. 28 EG verboten, wenn sie rechtlich oder faktisch ausländische Produkte stärker belasten. Nach Art. 28 EG verbotene Werbebeschränkungen erfassen im Wesentlichen zwei Konstellationen. 1. Es liegt ein unmittelbarer Produktbezug vor; d.h. die Werbung und das beworbene Produkt sind körperlich untrennbar miteinander verbunden. Z.B. die österr. Regelung, welche die Werbung für Verlosungen in periodischen Druckwerken untersagte. Die ausländischen Anbieter waren aufgrund dieser Regelung angehalten den Inhalt ihrer Zeitschrift zu ändern (s.a. ĺFamiliapress-Entscheidung). 2. Die Werbung ist für die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen erforderlich. Ausländische Produkte können durch ĺWerbeverbote daran gehindert sein einen durch ein inländisches Produkt beherrschten Markt zu erschließen. Selbiges gilt auch für Werbebeschränkungen, da ein Einfuhrhindernis nicht ausgeschlossen werden kann, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer eine Werbesystem aufgeben muss, dass er für besonders wirksam hält. (ah) §§: RL 2000/13/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der MS über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, ABl. 2000, Nr. L 109/29 Lit.: T. Kingreen, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 28 EGV, Rn. 173 Rsp.: EuGH, Rs. C-368/95 ĺFamiliapress, Slg. 1997, I-3689; EuGH, Rs. C-470/93 ĺMars, Slg. 1995, I-1923, Rn. 13; EuGH, Rs. C-239/02 ĺDouwe Egberts, Slg. 2004, 7007, Rn. 52
Wertpapiere, grenzüberschreitender Transfer securities, cross-border transfer – valeurs mobilières, tranfert transfrontalier
Der grenzüberschreitende Transfer von Wertpapieren, wird von der ĺKapital- oder der ĺZahlungsverkehrsfreiheit nach Art. 56 EG erfasst. W. verkörpern nämlich regelmäßig ein bestimmtes Recht (z.B. eine Geldforderung bei einem Scheck oder Wechsel); auf diese Funk-
tion eines W., nicht aber auf die stoffliche Eigenschaft der Urkunde als körperlicher Gegenstand, ist bei der rechtlichen Einordnung der Übertragung von W. abzustellen. Daher liegt bei einem grenzüberschreitenden Transfer von W. eine Wertübertragung vor. Ob eine solche Übertragung als Kapital- oder als Zahlungsverkehr einzuordnen ist hängt von dem mit der Übertragung verfolgten Zweck ab. Dient die grenzüberschreitende Hingabe von W. der Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung, ist sie als ĺZahlungsverkehr im Sinne des Art. 56 Abs. 2 EG einzuordnen. Andernfalls liegt ĺKapitalverkehr im Sinne des Art. 56 Abs. 1 EG vor. (mk) §§: Art. 56 EG Lit.: C. Ohler, Rn. 76, 78, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 56 EG
Wesensgehalt essence of rights and freedoms – contenu essentiel de droits et libertés
Element der Grundrechtsschranken und Prüfstein der Rechtfertigung (Zulässigkeit) eines Grundrechtseingriffs: Eine Beschränkung von ĺGrundrechten ist dann zulässig, wenn sie 1. in einem allgemein anerkannten Gemeinwohlinteresse (Allgemeininteresse) erfolgt, 2. verhältnismäßig ist (ĺVerhältnismäßigkeitsprüfung) und eben 3. das betreffende Grundrecht in seinem Wesen unberührt lässt („Wesensgehaltsperre“). S.a. ĺGrundrechtsschranken. (ed) §§: Art. 52 Abs 1 GRC/Art. II-112 Abs. 1 EVV Rsp.: EuGH, Rs. 4/73 Nold, Slg. 1974, 491; EuGH, Rs. 5/88 Wachauf, Slg. 1989, 2609
Westeuropäische Union (WEU) Western European Union (WEU) – Union de l’Europe occidentale (U.E.O.)
Erste kollektive Sicherheitseinrichtung Westeuropas noch vor Gründung der ĺNATO, neben der die WEU lange Zeit keine praktische Bedeutung erlangte. Reaktivierung in den frühen 90er-Jahren als eigenständige europäische Militärorganisation, die unter Geltung der Verträge von ĺMaastricht und ĺAmsterdam als militärischer Arm der ĺGemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik fungieren sollte. Einstellung der operationellen Funktionen im November 2000 aufgrund der Entwicklung der ĺEuropäischen Sicherheits- und Verteidigungspo989
Westlicher Balkan, Länder des westlichen Balkans litik (ESVP), welche die Funktionen der WEU innerhalb der Europäischen Union rekonstruierte. Die völkerrechtliche Beistandspflicht aufgrund des Art. V WEU-Vertrag besteht trotz der Einstellung der operationellen Funktionen bis zur Kündigung des Vertrags fort. Auch die parlamentarische WEU-Versammlung hat ihre Aktivitäten bislang nicht eingestellt und versteht sich als ergänzende parlamentarische Kontrollinstanz der ESVP neben dem ĺEuropäischen Parlament. (dt) §§: (Brüsseler) Vertrag zwischen B, F, Luxemburg, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich vom 17.3.1948 in seiner 1954 modifizierten Fassung (BGBl. 1955 II 283) Lit.: A. Dumoulin/E. Remacle, L’Union de l’Europe occidentale: Phénix de la défense européenne, 1998, R. Wessel, The EU as a Black Widow: Devouring the WEU to Give Birth to a European Security and Defence Policy, in: V. Kronenberger (ed.), The European Union and the International Legal Order, 2001, 405 Web: http://www.weu.int/
Westlicher Balkan, Länder des westlichen Balkans Western Balkan Countries – pays des Balkans occidentaux
Unter dem Sammelbegriff „Länder des westlichen Balkans“ bezeichnen die Organe der Gemeinschaft und der Europ. Rat regelmäßig Albanien, Bosnien und Herzegowina, ĺKroatien, Serbien und Montenegro (bzw. mittlerweile als Republik Serbien und Republik Montenegro, nachdem sich Montenegro aufgrund einer Volksabstimmung vom 21.5.2006 aus der Staatenunion S. und M. zurückzog und seine Unabhängigkeit erklärte), sowie die ehem. jugoslawische Republik Mazedonien. Die mit allen L. des w. B. begonnenen Verhandlungen über den Abschluss von ĺStabilisierungs- und Assoziationsabkommen (SAA) konnten mit Kroatien, Mazedonien und Albanien bereits abgeschlossen werden und sollen 2008 und 2009 verstärkt vorangetrieben werden. Der Europ. Rat von Feira (19./20.6.2000) erkannte die L. des w. B. erstmals als potenzielle ĺBewerberländer der Union an (Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Rn. 67). In der am Europ. Rat von Thessaloniki (19./20.6.2003) angenommenen „Agenda von Thessaloniki“ (Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Rn. 41) wird hervorgehoben, dass es an den Westlichen Balkanländer selbst liegt, wie schnell sie sich der EU durch die sukzessive Erfüllung der ĺKopenhagener Kriterien und der Bedingungen des ĺStabilisierungs- und Assoziationsprozess, annähern. 990
Nach der Aufnahme von ĺBeitrittsverhandlungen wird ĺKroatien getrennt von den L. des w. B. aufgezählt und behandelt. Ähnlich verhält es sich mit der ehem. jugoslawische Republik Mazedonien, die am 24.3.2004 ihren Beitrittsantrag gestellt hat und der der Europ. Rat (Brüssel, 15./16.12.2005) den Status eines Bewerberlandes verlieh. Bisher hat der Rat jedoch keine Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien aufgenommen. (lo) Wettbewerb ĺWettbewerbsrecht, europäisches, Funktion Wettbewerb, Verfälschung competition, distortion – concurrence, falsification
Ob eine Verfälschung des Wettbewerbs im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EG vorliegt, wird durch einen Vergleich zwischen dem Wettbewerb mit und ohne die fragliche Maßnahme deutlich. Eine Verfälschung liegt etwa stets vor, wenn Wettbewerbsbedingungen durch das Verhalten entstehen, die bei wirksamem Wettbewerb nicht entstünden. Es ist allerdings umstritten, ob dem Merkmal der Verfälschung überhaupt eine eigenständige Bedeutung i.R.d. Art. 81 Abs. 1 EG zukommt oder ob das Merkmal der Verfälschung nicht vielmehr in den Merkmalen der ĺVerhinderung und ĺEinschränkung enthalten ist. Die ĺKommission stellte jedoch in einigen Fällen auf eine Verfälschung des Wettbewerbs ab und benutzte dort auch diesen Begriff. Dies waren Fälle, in denen ĺUnternehmen Fonds zur Zahlung von Ausfuhrbeihilfen errichtet hatten oder sich zu Ausgleichslieferungen und -zahlungen im Rahmen von Gebietsschutzabkommen oder Quotenkartellen verpflichtet hatten. Zudem wird auch dann von einer Wettbewerbsverfälschung gesprochen, wenn ĺVereinbarungen Auswirkungen auf die Wettbewerbsposition Dritter haben, obwohl sie deren Handlungen im Wettbewerb nicht beschränken. Beispiele hierfür sind langfristige Liefer- oder Bezugsverträge. (jpt) §§: Art. 81 EG Lit.: V. Emmerich, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 1, Art. 81 Abs. 1, Rn. 151
Wettbewerb, vergaberechtlich competition/design contest – concours
Ein Wettbewerb im Sinn des ĺVergaberechts ist ein Auslobungsverfahren, das einem öffentlichen ĺAuftraggeber insbesondere auf den
Wettbewerbsbeschränkung Gebieten der Raumplanung, der Stadtplanung, der Architektur und des Bauwesens oder der Datenverarbeitung einen Plan oder eine Planung verschaffen soll. Die Anzahl der Wettbewerbsteilnehmer kann beschränkt werden. Die Auswahl des Wettbewerbsgewinners erfolgt durch ein unabhängiges Preisgericht. Das Preisgericht hat die Anonymität der vorgelegten Arbeiten zu wahren. Die Durchführung eines Wettbewerbs kann dazu dienen, dass mit dem Gewinner (bzw. den Gewinnern) ein ĺVerhandlungsverfahren über einen ĺDienstleistungsauftrag durchgeführt wird. Ein Wettbewerb muss aber nicht mit der Vergabe eines Dienstleistungsauftrages in Zusammenhang stehen, es kann auch lediglich eine Verteilung von Preisgeldern vorgesehen werden. (cm) §§: Art. 1 Abs. 11 lit. e, Art. 66 bis 74 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 829; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 207 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Wettbewerb, Verhinderung competition, prevention – concurrence, empêchement
Eine ĺWettbewerbsbeschränkung i.S.d. Art. 81 Abs. 1 EG setzt die Verhinderung, Einschränkung oder ĺVerfälschung des Wettbewerbs voraus. Die Verhinderung des Wettbewerbs als schwerste Form der Wettbewerbsbeschränkung führt zur völligen Ausschaltung oder Beseitigung des Wettbewerbs. Eine solche Verhinderung liegt bspw. vor, wenn alle auf einem Markt tätigen und in einer Genossenschaft zusammengeschlossenen Unternehmen sich verpflichten, ihre Waren ausschließlich von der Genossenschaft zu beziehen. (jpt) §§: Art. 81 EG Lit.: V. Emmerich, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 1, Art. 81 Abs. 1, Rn. 149
Wettbewerblicher Dialog competitive dialogue – dialogue compétitif
Ein wettbewerblicher Dialog im Sinn des ĺVergaberechts ist ein Verfahren für besonders komplexe Vorhaben, bei denen der öffentliche ĺAuftraggeber nicht in der Lage ist, die ĺtechnischen Spezifikationen bzw. die rechtlichen und/oder finanziellen Konditionen des Vorhabens vorab festzulegen, und die nicht im Wege eines ĺoffenen oder ĺnichtoffenen Verfahrens vergeben werden können (s. allgemein zu den Verfahrensarten das ĺVergabeverfahren).
Daher werden alle ĺWirtschaftsteilnehmer aufgefordert, eine den Bedürfnissen des öffentlichen Auftraggebers entsprechende Lösung auszuarbeiten. Der öffentliche Auftraggeber kann mit den Teilnehmern einen Dialog über alle Aspekte des Auftrags führen mit dem Ziel, die am besten geeignete(n) Lösung(en) zu ermitteln. Die Anzahl der Teilnehmer am Dialog kann während der Dialogphase verringert werden, wobei das ĺDiskriminierungsverbot zu beachten ist. Nach Abschluss der Dialogphase werden die verbleibenden Teilnehmer aufgefordert, auf der Grundlage der vorgelegten Lösungen ein ĺAngebot zu legen. (cm) §§: Art. 1 Abs. 11 lit. c, Art. 29 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 629; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 199 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Wettbewerbsbeschränkung restriction of Competition – restriction à la concurrence
Die „Wettbewerbsbeschränkung“ ist zentrales Tatbestandsmerkmal des Art. 81 Abs. 1 EG. Aufgrund der Weite dieses Begriffs fällt es allerdings schwer, eine allgemeine Definition dieses Merkmals zu entwickeln. Dies hängt schon mit der überaus dynamischen Grundanlage des Phänomens „Wettbewerbs“ zusammen. Überwiegend wird im Zusammenhang mit dem ĺeuropäischen Wettbewerbsrecht davon ausgegangen, dass es Aufgabe der EG ist, den freien, redlichen, wirksamen und unverfälschten Wettbewerb zu schützen. Allgemeiner dürfte es sich bei einer Wettbewerbsbeschränkung stets um die Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer (Verbraucher) handeln. Art. 81 Abs. 1 EG nennt verschiedene Formen solcher Wettbewerbsbeschränkungen: Die ĺVerhinderung, die Einschränkung und die ĺVerfälschung des Wettbewerbs innerhalb des ĺGemeinsamen Marktes. Wann genau eine solche Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, wird insbesondere durch die in Art. 81 Abs. 1 lit. a-e EG aufgeführten Regelbeispiele verdeutlicht. Demnach liegt eine Wettbewerbsbeschränkung insbesondere in der unmittelbaren oder mittelbaren Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen, der Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen, der Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen, der Anwendung un991
Wettbewerbsbeschränkung, spürbare terschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden, sowie in der an den Abschluss von Verträgen geknüpften Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen. (jpt) §§: Art. 81 Abs. 1 EG Lit.: H. Schröter, in: H. Schröter/T. Jakob/W. Mederer (Hrsg.), Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, 2003, Art. 81 Abs. 1 EGV, Rn. 100 ff.; T. Eilmannsberger, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 2003, Art. 81 EGV, Rn. 37 ff.
Wettbewerbsbeschränkung, spürbare de minimis rule – restriction sensible de la concurrence
Um den Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG zu erfüllen, reicht nach ständiger Kommissionspraxis und der Rechtsprechung des ĺEuGH nicht jede ĺWettbewerbsbeschränkung aus; es muss vielmehr ein gewisser Beschränkungsgrad erreicht werden. Die ĺWettbewerbsbeschränkung muss spürbar sein. Dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal bezieht sich sowohl auf das Merkmal der ĺWettbewerbsbeschränkung als auch auf die ĺZwischenstaatlichkeitsklausel. Die ĺKommission hat es durch zwei sog. Mitteilungen konkretisiert. Hiernach liegt eine ĺBeschränkung bzw. ĺVerfälschung in der Regel nicht vor, wenn die betreffenden ĺUnternehmen einen Marktanteil von nicht mehr als 10 % (bei ĺhorizontalen Vereinbarungen) bzw. 15 % (bei ĺvertikalen Vereinbarungen) aufweisen. (jpt) §§: Art. 81 EG; Mitteilung der Kommission über die Neufassung ihrer Bekanntmachung von 1997 betreffend Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die nicht unter Art. 81 Abs. 1 des Vertrages fallen, ABl. 2001, Nr. C 149/18; Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, ABl. 2004, Nr. C 101/81, Rn. 44 ff. Lit.: J. P. Terhechte, Die Revision der Bagatellbekanntmachung der Europäischen Kommission, EWS 2002, 66 ff.; ders., Die ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale des europäischen Wettbewerbsrechts, 2004, 154 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 56/65 Maschinenbau Ulm, Slg. 1966, 281 ff.
Wettbewerbsrecht, Bestimmung des relevanten Markts Competition Law, definition of the relevant market – Droit de la concurrence, définition du marché pertinent
Im Wettbewerbsrecht müssen Märkte insbesondere deshalb bestimmt werden, um die wettbe992
werblichen Zwänge zu ermitteln, die sich auf das Verhalten eines Unternehmens disziplinierend und marktmachtmindernd auswirken können. Die Marktabgrenzung erfolgt unter Bestimmung des sachlich relevanten Markts („Produktmarkt“) und des geographisch relevanten Markts („räumlicher Markt“). Sie ist bei der Untersuchung des ĺMissbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und bei der ĺFusionskontrolle von zentraler Bedeutung. Wettbewerbszwänge können vornehmlich dadurch erzeugt werden, dass die Nachfrageseite auf Produkte oder Dienstleistungen ausweichen kann, die denen des in Frage stehenden Unternehmens vergleichbar sind, insbesondere was Eigenschaften, Preise und Verwendungszweck angeht (Nachfragesubstituierbarkeit). Ferner dadurch, dass die Angebotsseite auf die Bereitstellung von Produkten oder Dienstleistungen übergehen kann, die denen des untersuchten Unternehmens vergleichbar sind (Angebotssubstitutierbarkeit oder Produktumstellungsflexibilität). Zur Bestimmung der Austauschbarkeit untersucht die Kommission unter Befragung von Kunden und Wettbewerbern die Substitution in jüngster Vergangenheit, die ĺPreis- und Kreuzpreiselastizität, technische Merkmale, Verbraucherpräferenzen, Marktzutrittsschranken, die Homogenität von Wettbewerbsbedingungen etc. Ein Hilfsmittel, um die Austauschbarkeit zu bestimmen, ist der sog. SNIPP (Small but significant and non-transitory increase in price) – Test. Bei ihm wird untersucht, ob die Nachfrageseite als Reaktion auf eine kleine aber dauerhafte Preiserhöhung (im Bereich zwischen 5 und 10 %) für die untersuchten Produkte/ Dienstleistungen auf verfügbare Substitute ausweichen würde. Im Hinblick auf die Angebotssubstituierbarkeit ist zu prüfen, ob die Angebotsseite als Reaktion auf eine entsprechende Preiserhöhung in der Lage wäre, kurzfristig vergleichbare Erzeugnisse auf den Markt zu bringen oder ob spürbare Zusatzkosten oder Risiken dies erschweren würden. Ist die Substitution so erheblich, dass durch den mit ihr einhergehenden Absatzrückgang die untersuchte Preiserhöhung nicht mehr einträglich wäre, so werden in den sachlich relevanten Markt so lange (weitere) substituierbare Produkte/Dienstleistungen einbezogen, bis eine kleine aber dauerhafte Erhöhung der Preise profitabel wäre. Entsprechend lässt sich der SNIPP-Test auf die Ermittlung des räumlich relevanten Marktes anwenden, indem die Rentabilität einer gerin-
Wettbewerbsrecht, Deutschland gen aber dauerhaften Preissteigerung unter Einbeziehung oder Auslassung der Konkurrenz aus bestimmten Gebieten untersucht wird. (mke) §§: Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997, Nr. C 372/ 5 Lit.: F. Bien, Kerneuropäische Märkte! Ländergruppen als räumlich relevante Märkte in der Europäischen Fusionskontrolle, EWS 2005, 9; T. E. Kauper, The Problem of market definition under EC Competition Law, Fordham Int’l L.J. 20 no 5 (1997) 1682 Rsp.: EuGH, Rs. 27/76 United Brands, Slg. 1978, 207, Rn. 12 bis 35, 44; EuGH, Rs. C-68/94 und C-30/95 Kali und Salz, Slg. 1998 I-1375, Rn. 143
Wettbewerbsrecht, Deutschland Competition Law, Germany – Droit de la concurrence, Allemagne
Das deutsche Wettbewerbs- und Kartellrecht, das hauptsächlich im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) niedergelegt ist, war in den vergangenen Jahren Gegenstand häufiger Novellierungsbemühungen mit dem Ziel, eine umfangreiche Harmonisierung der deutschen Bestimmungen mit dem ĺeuropäischen Wettbewerbsrecht zu erreichen. Diese Bestrebungen gipfelten 2005 in der 7. GWBNovelle. Die Vorschriften über wettbewerbsbeschränkende ĺVereinbarungen, ĺBeschlüsse und ĺabgestimmte Verhaltensweisen finden sich im deutschen Recht vor allem in den §§ 1 bis 3 GWB und werden ergänzt durch Vorschriften über die Wettbewerbsregeln (§§ 24 bis 27 GWB) und durch die Sonderregeln für bestimmte Wirtschaftsbereiche in § 28 GWB, der eine Bereichsausnahme für die Landwirtschaft enthält, und in § 30 GWB, in dem die Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften normiert ist. In den §§ 19 bis 21 GWB finden sich zudem Vorschriften über ĺden Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Die ĺFusionskontrolle ist schließlich in den §§ 35 bis 43 GWB geregelt. Normadressaten des deutschen Kartell- und Fusionskontrollrechts sind in erster Linie ĺUnternehmen (z.T. daneben auch Vereinigungen von Unternehmen, z.B. in § 1 und § 20 GWB). Der Unternehmensbegriff ist im Kern deckungsgleich mit dem Unternehmensbegriff des europäischen Kartellrechts. In räumlicher Hinsicht gilt im deutschen Kartellrecht das ĺAuswirkungsprinzip, welches in § 130 Abs. 2 GWB verankert ist. Allerdings wird es in Fällen mit zwischenstaatlichem Bezug praktisch regelmä-
ßig vom ĺeuropäischen Wettbewerbsrecht verdrängt. Ein generalklauselartiges ĺKartellverbot ist in § 1 GWB formuliert, dessen Wortlaut sich nach der 7. GWB-Novelle eng an den des Art. 81 Abs. 1 EG anlehnt. Auch bei der Auslegung und Anwendung des § 1 GWB sind nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers die Rechtsprechung der europäischen Gerichte und die Praxis der Kommission zu Art. 81 Abs. 1 EG wichtige Interpretationshilfen. Wie im europäischen Kartellrecht setzt auch das deutsche Kartellverbot in § 1 GWB als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal voraus, dass die jeweilige Beschränkung des Wettbewerbs ĺspürbar ist. ĺVereinbarungen, ĺBeschlüsse und aufeinander ĺabgestimmte Verhaltensweisen, die gegen § 1 GWB verstoßen, sind nach § 1 GWB in Verbindung mit § 134 BGB ĺnichtig, es sei denn, es greift eine der gesetzlichen Ausnahmen vom ĺKartellverbot. Die ĺNichtigkeit bezieht sich grundsätzlich zunächst auf die jeweilige gegen § 1 GWB verstoßende Klausel; der Bestand des restlichen Vertrages bestimmt sich nach § 139 BGB. Danach ist von Gesamtnichtigkeit auszugehen, wenn nicht anzunehmen ist, dass das Rechtsgeschäft auch ohne den nichtigen Teil abgeschlossen worden wäre. Geschriebene Ausnahmen vom ĺKartellverbot finden sich in den § 2 (Freigestellte ĺVereinbarungen), § 3 (Mittelstandskartelle), § 28 (Sonderregeln für die Landwirtschaft) und § 30 GWB (Preisbindung bei Zeitungen und Zeitschriften). Die Generalklausel des § 2 Abs. 1 GWB hat erst 2005 mit der 7. GWB-Novelle Eingang in das deutsche Recht gefunden und dient insbesondere der Angleichung des deutschen Rechts an das System der ĺLegalausnahme des europäischen Kartellrechts. Im Wesentlichen entspricht § 2 Abs. 1 GWB dem Art. 81 Abs. 3 EG. § 3 GWB enthält seit der Novelle 2005 nunmehr die einzige gesetzliche ĺEinzelfreistellung und betrifft ĺVereinbarungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden ĺUnternehmen, die die Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge durch zwischenbetriebliche Zusammenarbeit zum Gegenstand haben. Vorschriften über ĺmarktbeherrschende und marktstarke ĺUnternehmen finden sich im GWB in den §§ 19 bis 21. Zentrale Vorschrift ist der Verbotstatbestand des § 19 Abs. 1 GWB, nach welchem die missbräuchliche Ausnutzung einer ĺmarktbeherrschenden Stellung durch 993
Wettbewerbsrecht, europäisches ein oder mehrere ĺUnternehmen untersagt ist. Eine Konkretisierung erfährt diese Generalklausel durch die in § 19 Abs. 4 Nr. 1 bis 4 GWB aufgeführten Regelbeispiele. Eine gesetzliche Definition des Begriffs der Marktbeherrschung enthält § 19 Abs. 2 GWB, und zwar für die ĺEinzelmarktbeherrschung in Satz 1 und für die ĺkollektive Marktbeherrschung in Satz 2. Mögliche Arten des Missbrauchs sind in den Regelbeispielen des § 19 Abs. 4 Nr. 1 bis 4 GWB genannt. Danach fallen insbesondere der ĺBehinderungsmissbrauch (Nr. 1), der Preismissbrauch, der Konditionenmissbrauch (Nr. 2), die Preis- und Konditionenspaltung (Nr. 3) und die Verweigerung des Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen (Nr. 4) unter den Verbotstatbestand des § 19 Abs. 1 GWB. Die Ausgestaltung als Regelbeispiele schließt dabei nicht aus, dass auch andere Formen des Missbrauchs von § 19 Abs. 1 GWB erfasst werden. Zu nennen sind hier insbesondere Fälle von ĺMarktstrukturmissbrauch. Im Falles eines Verstoßes gegen § 19 Abs. 1 GWB kann die Kartellbehörde zunächst eine Untersagungsverfügung gem. § 32 GWB erlassen oder eine Vorteilsabschöpfung gem. § 34 GWB anordnen. Geschädigte Dritte können sich gem. § 33 GWB in Verbindung mit §§ 249 bis 252 BGB selbst mit Unterlassungsund Schadensersatzansprüchen gegen das missbräuchliche Verhalten wehren. Die Fusionskontrolle ist schließlich in den §§ 3543 GWB niedergelegt. § 35 GWB definiert die für das deutsche Recht maßgeblichen Aufgreifschwellen. Nach § 36 Abs. 1 GWB ist ein Zusammenschluss zu untersagen, wenn zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt. Ein vom Bundeskartellamt untersagter Zusammenschluss kann gleichwohl im Wege der sog. Ministererlaubnis genehmigt werden. (jpt) §§: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), in der Fassung der Bekanntmachung vom 26.8.1998 (BGBl. I 2546/1998), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 7.7.2005 (BGBl. I 1954/2005), zu finden im Schönfelder Nr. 74, abrufbar unter http:// www.bundesrecht.juris.de Lit.: R. Bechtold, GWB, Kommentar, 4. Aufl. 2006; V. Emmerich, Kartellrecht, 10. Aufl. 2006; K. W. Lange (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 2. Aufl. 2006; T. Lettl, Kartellrecht, 2005; W. Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983; J. P. Terhechte/H.-H. Schneider/J. Hoffmann/M. E. Orth, Bundesrepublik Deutschland, in: J. P. Terhechte (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 2008, § 12; G. Wiedemann (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl. 2007 Web: http://www.bundeskartellamt.de/
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Wettbewerbsrecht, europäisches Competition Law, european – Droit de la concurrence, européen
Das europäische Wettbewerbsrecht ist hauptsächlich in den Art. 81-89 EG sowie in zahlreichen ĺVerordnungen niedergelegt. Art. 81 Abs. 1 EG enthält ein allgemeines ĺKartellverbot. Die unter das Verbot fallenden ĺVereinbarungen sind grundsätzlich gem. Art. 81 Abs. 2 EG ĺnichtig. Art. 81 Abs. 3 EG sieht schließlich unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit vor, ĺVereinbarungen, die „an sich“ unter das ĺKartellverbot fallen, von diesem Verbot auszunehmen (ĺFreistellung). Das entsprechende ĺKartellverfahren ist in der Kartellverfahrensordnung Nr. 1/2003 geregelt, mit der insbesondere das System der ĺLegalausnahme etabliert wurde. Indes kann auch ein einzelnes Unternehmen, sofern es über ausreichende Marktmacht verfügt, den Wettbewerb beeinträchtigen. Ein solches Verhalten soll Art. 82 EG (ĺVerbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung) verhindern. Zudem kann ein ĺZusammenschluss (Fusion) von ĺUnternehmen wettbewerbsbeschränkend wirken, dementsprechend werden solche ĺZusammenschlüsse auf der Grundlage der Fusionskontrollverordnung (FKVO) überprüft. Art. 86 EG ordnet die prinzipielle Gleichbehandlung von öffentlichen und privaten ĺUnternehmen an, wobei es hier bestimmte Ausnahmen gibt. Schließlich verbietet Art. 87 EG den Mitgliedstaaten, durch ĺBeihilfen (Subventionen) Einfluss auf den Wettbewerb zu nehmen. Ergänzt werden diese Vorschriften jeweils durch verschiedene Verfahrensverordnungen. Im Verhältnis zu den nationalen Wettbewerbsordnungen der Mitgliedstaaten genießt das europäische Wettbewerbsrecht aufgrund des ĺAnwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts im Falle einer Kollision Vorrang. Jedoch ist das europäische Kartellrecht nur bei ĺWettbewerbsverstößen, die den zwischenstaatlichen Handel betreffen, anwendbar. Gleiches gilt für die Regelungen über staatliche ĺBeihilfen. Das europäische Fusionskontrollrecht ist dann anwendbar, wenn eine gemeinschaftsweite Bedeutung des ĺZusammenschlusses vorliegt, was bei Erreichen von bestimmten ĺSchwellenwerten der Fall ist. (jpt) §§: Art. 81 – 89 EG Lit.: E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004; U. Loewenheim/K. M. Meessen/A. Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, Bd. 1, 2005; K. W. Lange (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 2. Aufl. 2006;
Wettbewerbsrecht, europäisches, Funktion V. Korah, An Introductory Guide to EC Competition Law and Practice, 8. ed. 2004; J. P. Terhechte, Die ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale des europäischen Wettbewerbsrechts, 2004 Web: http://europa.eu/pol/comp/index_de.htm
Wettbewerbsrecht, europäisches, räumlicher Anwendungsbereich Competition Law, European, territorial scope of application – Droit de la concurrence, européen, domaine d’application territorial
Den Anwendungsbereich des ĺeuropäischen Wettbewerbsrechts hat der ĺEuGH erstmals in der „Zellstoff-Entscheidung“ festgelegt. Demnach liegt dem EG-Kartellrecht grundsätzlich das qualifizierte Territorialitätsprinzip zugrunde. Es kommt nach dem ĺEuGH darauf an, ob ein ĺKartell innerhalb des Gemeinsamen Marktes „durchgeführt“ wird (implementation theory). Allerdings hat der ĺEuGH das Merkmal der „Durchführung“ nicht näher inhaltlich ausgestaltet, sodass es teilweise als eine verklausulierte Rezeption des ĺAuswirkungsprinzips interpretiert wird. Nach dem Auswirkungsprinzip kommt es lediglich darauf an, dass sich eine wettbewerbsbeschränkende Maßnahme im Hoheitsbereich eines Staates auswirkt. Die ausdrückliche Berufung auf das Territorialitätsprinzip wurde auf diese Weise stark relativiert. Trotzdem muss man das Zellstoff-Urteil zunächst so verstehen, dass der ĺEuGH bislang einen Rückgriff auf das „reine“ Auswirkungsprinzip ablehnt. Dagegen stellen das ĺEuG und die ĺKommission inzwischen nur noch auf das Kriterium der Auswirkung ab. Im Bereich der ĺFusionskontrolle kommt es allerdings nicht primär auf das Merkmal der „Durchführung“ an, sondern darauf, ob die ĺSchwellenwerte des Art. 1 der Fusionskontrollverordnung erfüllt sind. (jpt) §§: Art. 81 ff. EG Lit.: J. Schwarze, Die extraterritoriale Anwendung des EG-Wettbewerbsrechts – Vom Durchführungsprinzip zum Prinzip der qualifizierten Auswirkung, in: ders. (Hrsg.), Europäisches Wettbewerbsrecht im Zeichen der Globalisierung, 2002, 38; J. P. Terhechte, Zwischen Kooperation und Konvergenz, in: ders. (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 2008, § 90, Rn. 90.62 ff. Rsp.: EuGH, verb. Rs. 89, 104, 114, 116, 117, 125129/85 Zellstoff, Slg. 1988, 5193; EuG, Rs. T 102/96 Gencor, Slg. 1999, II-753
Wettbewerbsrecht, europäisches, Entwicklung Competition Law, European, development – Droit de la concurrence, européen, histoire
Das ĺeuropäische Wettbewerbsrecht hat wie kaum ein anderes Rechtsgebiet unter dem Dach
des EG-Vertrages seit 1957 eine beeindruckende Anwendungsrelevanz. Zunächst war es eines von wenigen Feldern des europäischen Verwaltungsrechts, das zentral von der Europäischen ĺKommission vollzogen wurde (sog. direkte Gemeinschaftsverwaltung). Die Kommission verfügte im Bereich des Kartellrechts über ein Freistellungsmonopol (vgl. auch den Wortlaut des Art. 81 Abs. 3 EG: „wird freigestellt“). Dieser zentrale Vollzug war der Kommission aber durch den stetigen Aufgabezuwachs durch die Erweiterungsrunden seit Anfang der 1990er nicht mehr möglich. Deshalb haben in den letzten Jahren eine Reihe von tiefgreifenden Reformen für ein arbeitsteiliges Vorgehen der Mitgliedstaaten und der EG gesorgt, sodass das europäische Wettbewerbsrecht heute dezentral im ĺeuropäischen Verwaltungsverbund vollzogen wird. Mit den Reformen ging eine großzügigere Haltung gegenüber bestimmten Kooperationen von Unternehmen einher, insbesondere im Bereich der ĺvertikalen Vereinbarungen (ĺ„more economic approach“). (jpt) Lit.: H. Schulte Nölke/J. P. Terhechte, Historischer Abriss, in: J. P. Terhechte (Hrsg.), Internationales Kartellund Fusionskontrollverfahrensrecht, 2008, § 9; H.-J. Bunte, in: E. Langen/H.-J. Bunte (Hrsg.), Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 2006, 3 ff.; A. Weitbrecht, Das neue EG-Kartellverfahrensrecht, EuZW 2003, 69
Wettbewerbsrecht, europäisches, Funktion Competition Law, European, function – Droit de la concurrence, européen, fonction
Gem. Art. 3 lit. g EG hat die europäische Gemeinschaft das Ziel, ein System zu schaffen, das den Wettbewerb innerhalb des ĺBinnenmarktes vor ĺVerfälschungen schützt. Darüber hinaus ist es Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft, durch die Errichtung eines ĺGemeinsamen Marktes für einen hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistungen zu sorgen (vgl. Art. 2 EG). Schließlich verpflichtet Art. 4 EG die Gemeinschaft zu dem Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb. Der „Wettbewerb“ nimmt somit eine prominente Stellung im EG-Vertrag ein, was freilich zunächst nur seine Bedeutung unterstreicht, aber noch nichts darüber aussagt, welche Funktionen er im Allgemeinen erfüllt. Abstrakt betrachtet stellt der Wettbewerbsprozess ein System „dezentraler Planungskompetenz“ dar. Die Entscheidung über die Allokation 995
Wettbewerbsrecht, internationales von Gütern und Dienstleistungen wird nicht in die Hände einer zentralen Planungsinstanz gelegt (wie etwa im Falle einer Zentralverwaltungs- oder Planwirtschaft), sondern in die der Marktteilnehmer. Die Verteilung der Güter wird durch das Prinzip von Angebot und Nachfrage organisiert. Die Entscheidung über die konkrete Zuteilung fällt aufgrund des Strebens eines oder mehrerer Marktteilnehmer, ein bestimmtes wirtschaftliches Ziel zu erreichen. Die jeweils optimale Zielerreichung auf der einen Seite korrespondiert dabei aber stets mit einem geringeren Zielerreichungsgrad auf der anderen Seite. Beide Seiten versuchen aber, bestmögliche Marktergebnisse zu erzielen und dieses Streben zeichnet den Wettbewerbsgedanken aus; er ähnelt gewissermaßen einem Wettkampf. Um aber „unfaire“ Züge der jeweiligen Marktteilnehmer zu verhindern und bestimmte Prämissen dieses Systems zu garantieren (wie etwa verschiedene Wirtschaftsfreiheiten), bedarf es gewisser Spielregeln, die durch das Wettbewerbsrecht verkörpert werden. Ihm kommt damit die Funktion zu, die Wirtschaftsfreiheiten der Marktteilnehmer abzusichern, die eine Grundvoraussetzung der wirtschaftlichen Betätigung bilden, und ĺBeschränkungen und ĺVerfälschungen des Prozesses, wie bspw. ĺKartelle und Monopole, denen der Gedanke zu Grunde liegt, sich dem „Wettkampf“ zu entziehen, zu verbieten. (jpt) Lit.: I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 8. Aufl. 2005; H. Schröter, in: H. Schröter/T. Jakob/W. Mederer (Hrsg.), Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, 2003, Vorbem. zu Art. 8189, Rn. 1 ff.
Wettbewerbsrecht, internationales ĺMarktortprinzip Wettbewerbsrecht, Österreich Competition Law, Austria – Droit de la concurrence, Autriche
Das österr. Kartellrecht, das im Wesentlichen im Bundesgesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (KartG) niedergelegt ist, hat in den letzten Jahren einige Reformen durchlebt. Diese Reformen waren u.a. im Zuge der Dezentralisierung des ĺEG-Wettbewerbsrechts notwendig geworden und haben neben Änderungen des materiellen Kartellrechts auch eine Umgestaltung der Institutionenlandschaft bewirkt. So wurden eine Bundeswettbewerbsbehörde sowie ein im Rahmen der Justizverwaltung eingerich996
teter Bundeskartellanwalt neu eingeführt. Das Kartellgericht, das im Zentrum des österr. Kartellverfahrens steht, bleibt neben diesen neuen Einrichtungen bestehen. Insbesondere weil auch weiterhin nur das Kartellgericht für die beteiligten Parteien bindende Entscheidungen treffen kann. Das neue österr. KartG regelt das materielle Kartellrecht, das kartellgerichtliche Verfahren sowie Aspekte der interinstitutionellen Zusammenarbeit. Für das Verfahren vor dem Kartellgericht gelten neben dem KartG auch die Regeln der österr. ZPO. Die Einrichtung der Bundeswettbewerbsbehörde sowie deren Aufgaben und Befugnisse sind im WettbG 2002 geregelt. Das österr. Kartellrecht umfasst, wie auch das europäische Wettbewerbsrecht, ein ĺKartellverbot (§§ 1 f. KartG), das ĺVerbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (§§ 4-6 KartG) sowie Vorschriften über die ĺFusionskontrolle (§§ 7f KartG). Das in § 1 KartG statuierte ĺKartellverbot verbietet in Anlehnung an Art. 81 Abs. 1 EG alle ĺVereinbarungen zwischen ĺUnternehmern, ĺBeschlüsse von ĺUnternehmervereinigungen und ĺaufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine ĺVerhinderung, ĺEinschränkung oder ĺVerfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Solche ĺVereinbarungen sind gem. § 1 Abs. 3 KartG ĺnichtig. Als Kartell i.S.d. § 1 Abs. 1 KartG gelten gem. § 1 Abs. 4 KartG auch sog. Empfehlungskartelle. Solche Empfehlungskartelle beinhalten als verbotene Verhaltensweisen: Empfehlungen zur Einhaltung bestimmter Preise, Preisgrenzen, Kalkulationsrichtlinien, Handelsspannen oder Rabatte, durch die eine ĺBeschränkung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt wird. Die Missbrauchskontrolle der §§ 4-6 KartG bestimmt zunächst in § 4 KartG anhand von Marktanteilen, wann eine ĺmarktbeherrschende Stellung vorliegt. Der Missbrauchstatbestand ist in § 5 KartG niedergelegt. Durch die jüngsten Reformen des KartG wurde das Anmeldesystem durch ein System der ĺLegalausnahme ersetzt. Dabei regelt § 2 Abs. 1 KartG unter Übernahme des Wortlauts des Art. 81 Abs. 3 EG, wann Ausnahmen vom ĺKartellverbot des § 1 KartG bestehen. Daneben sieht § 2 Abs. 2 Z. 1 KartG eine ausdrückliche Ausnahme für Bagatellkartelle vor. Weitere Ausnahmen sehen die Ziffern 2-5 des § 2 Abs. 2 KartG vor, so bspw. für die Bindung des Letztverkäufers im Handel mit Büchern, Zeit-
Wettbewerbssicherung (Verkehrsrecht) schriften und Zeitungen. Zudem können ĺFreistellungsverordnungen gem. § 3 KartG erlassen werden. Der ĺFusionskontrolle unterfallen alle Zusammenschlüsse i.S.d. § 7 KartG, wobei für den Mediensektor Besonderheiten gelten. Ob ein Zusammenschluss nach § 17 KartG der Anmeldepflicht unterliegt, ist von bestimmten Schwellenwerten (§ 9 KartG) abhängig. Ein anmeldepflichtiger Zusammenschluss wird untersagt, wenn zu erwarten ist, dass durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 KartG). (jpt) §§: Bundesgesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (KartG 2005), BGBl. I 61/2005, abrufbar unter: http://www.bwb.gv.at/BWB/Gesetze/default.htm; Bundesgesetz über die Errichtung einer Wettbewerbsbehörde (WettbG 2002), BGBl. I 62/2002 i.d.F. BGBl. I 62/2005, abrufbar unter: http://www.bwb.gv.at/BWB/ Gesetze/default.htm Lit.: R. Hoffer/J. Barbist, Das neue Kartellrecht, 2005; A. Reidlinger/I. Hartung, Das neue österreichische Kartellrecht, 2005; P. Thyri, Österreichisches Kartellund Fusionskontrollverfahrensrecht, in: J. P. Terhechte (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 2008, § 25; P. Stockenhuber, Das neue Kartellrecht 2002, ÖZW 2002, 74; E. Tremmel, Die Kartellrechtsreform 2005, ÖBl. 2005/38; J. Barbist, Austria Goes Europe – Major Reform in the Austrian Competition System, ECLR 2005, 611; G. Bauer, Das Kartellverbot des KartG 2005, ecolex 2005, 504 Web: http://www.bwb.gv.at
Wettbewerbssicherung (Verkehrsrecht) restoration of market competition (traffic law) – retablissement de la libre concurrence (droit des transports)
Neben den primärrechtlichen Vorgaben (ĺBeihilfen, Verkehrsrecht) auf sekundärrechtlicher Ebene geschaffene gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen zur Schaffung und Sicherung von Wettbewerb im Bereich des Verkehrsrechts; jene Bestimmungen bilden einen Teil der sekundärrechtlichen gemeinschaftlichen ĺVerkehrspolitik. Es kann zwischen Bestimmungen zur Sicherung des unverfälschten Wettbewerbs und sonstigen bereichsübergreifenden allgemeinen Regelungen unterschieden werden. Das unternehmensbezogene Wettbewerbsrecht sowie das Beihilfenrecht (ĺBeihilfen, Verkehrsrecht; ĺBeihilfen, Verkehrsrecht, Sekundärrecht) spielen bei der Sicherung des unverfälschten Wettbewerbs eine besonders wichtige Rolle. Zudem gewinnt die Aufgabe der Sicherung des unverfälschten Wettbewerbs im Lichte der gem. Art. 71 Abs. 1 lit. a und lit. b EG bestehenden Verpflichtung zur Verwirklichung der ĺDienstleistungs-
freiheit im Verkehrssektor zusätzlich an Bedeutung. Allgemein konkretisiert das Sekundärrecht die primärrechtlichen Bestimmungen des ĺKartell- und ĺBeihilfenrechts, die laut ĺEuGH auch im Verkehrssektor Anwendung finden. ƒ Betreffend das unternehmensbezogene Wettbewerbsrecht ist kurz Folegndes auszuführen: Aufgrund der VO (EWG) 141/62 über die Nichtanwendung der Verordnung Nr. 17 des Rates auf den Verkehr finden die Durchführungsvorschriften der VO (EWG) 17/62 zur Durchsetzung der kartellrechtlichen Vorgaben der Art. 81 f. EG insoweit keine Anwendung auf Kartelle bzw. Missbrauchstrategien marktmächtiger Unternehmen, als diese die Erbringung von Verkehrsdienstleistungen unmittelbar betreffen; es gelten daher grundsätzlich besondere Verfahrensvorschriften im Verkehrssektor. Dadurch entstand für Binneverkehrsträger einer- und für den Seeunf Luftverkehr andererseits eine Regelungslücke. Für Binnenverkehrsträger findet die VO (EWG) 1017/68 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs Anwendung. Diese schließt die durch die VO (EWG) 141/62 entstandene Regelungslücke. Sie enthält verkehrsspezifische Ausnahmen vom Kartellverbot. Problematisch ist (vor allem) deren Art. 3 Abs. 1, der „technische Vereinbarungen“, die „ausschließlich die Anwendung technischer Verbesserungen oder die technische Zusammenarbeit bezwecken oder bewirken“ ex lege für zulässig und damit wirksam erklärt. Qua Verordnung kann es aber nicht zu einer Relativierung des in Art. 81 EG vorgesehenen Kartellverbots kommen. Daher wird in der Literatur vertreten, dass es keine Ausnahme der technischen Vereinbarungen kraft VO aus dem Wirkungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EG geben kann, sondern diese lediglich deklaratorischer Natur (im Sinne eines generellen Negativtest seien). Die weiteren Tatbestände der VO (EWG) 1017/68 stellen im Ergebnis Konkretisierungen der in Art. 81 Abs. 3 EG enthaltenen Möglichkeit einer (Gruppen-)Freistellung dar und sind daher grundsätzlich unproblematisch. Die VO (EWG) 4056/86 über Einzelheiten der Anwendung der Art. 81 f. EG auf den Seeverkehr beinhaltete materiellrechtliche Regelungen zur Konkretisierung der Art. 81 f. EG auf die internationale Linienschifffahrt, Verfahrens997
Wettbewerbsverfälschung regeln für die Untersuchung und Sanktion von Wettbewerbsverstößen und die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG. Hinzuweisen ist zudem auf die VO (EWG) 479/92, auf deren Grundlage die Kommission auch für Konsortialverträge zwischen Seeschifffahrtsunternehmen Gruppenfreistellungen vorsehen kann. Durch VO (EG) 1419/2006 zur Aufhebung der VO (EWG) 4056/86 und zur Ausweitung des Anwendungsbereichs der VO (EG) 1/2003 auf ĺKabotage und internationale Trampdienste wurde die VO (EWG) 4056/86 aufgehoben. Die VO (EG) 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 EG niedergelegten Wettbewerbsregeln modifizierte diese dahingehend, dass die allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Durchführungsvorschriften der Gemeinschaft mit Wirkung vom 1.5.2004 auf den Seeverkehr (ausgenommen Kabotage und internationale Trampdienste) ausgedehnt wurden. Die spezifischen materiellrechtlichen Wettbewerbsvorschriften für den Seeverkehr fielen jedoch nach wie vor in den Geltungsbereich der VO (EWG) 4056/ 86. Die Kommission gelante zu der Auffassung, dass der Linienseeverkehr nicht derart außergewöhnlich ist, dass er vor Wettbewerb geschützt werden müsse. Im Luftverkehr gelten insbesondere die VO (EWG) 3975/87 und VO (EWG) 3976/87. Ihr Geltungsbereich umfasst sowohl den Luftverkehr zwischen den MS als auch den innerhalb eines MS. Inhaltlich enthält die VO (EWG) 3975/87 vor allem Gruppenfreistellungen für bestimmte Wettbewerbsbeschränkungen im Luftverkehr, die VO (EWG) 3976/77 demgegenüber eine Ermächtigung der Kommission zur Gewährung zeitlich begrenzter Gruppenfreistellungen für bestimmte Wettbewerbsbeschränkungen im Luftverkehr. ƒ Zudem bestehen besondere Regelungen betreffend die Zulässigkeit staatlicher ĺBeihilfen (ĺBeihilfen, Verkehrsrecht). An weiteren bereichsübergreifenden Regelungen sind in erster Linie noch folgende Aspekte zu nennen: ƒ VO (EWG) 1108/70 des Rates vom 4.6.1970 zur Einführung einer Buchführung über die Ausgaben für die Verkehrswege des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs ƒ VO (EWG) 2988/74 des Rates vom 26.11. 1974 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 998
ƒ
RL 2006/111/EG der Kommission vom 16.11. 2006 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen sowie über die finanzielle Transparenz innerhalb bestimmter Unternehmen (diese löst die alte RL 80/723/EWG ab). (sm) Lit.: C. Jung, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 83 EGV; vgl. zudem folgende Autoren in: A. Frohnmeyer/P. Mückenhausen (Hrsg.), EG-Verkehrsrecht, Kommentar, 2004: O. Stehmann, 2; W. Küpper, 3; P. F. Nemitz, 4; I. Hering, 4; J. Schüßlburner, 54 Rsp.: EuGH, Rs. C-185/91 Bundesanstalt für den Güterfernverkehr/Reiff, Slg. 1993, I-5801; EuGH, Rs. C-66/ 86 Ahmed Saeed Flugreisen e.a./Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, Slg. 1989, 803; EuGH, Rs. C-167/73 Kommission/France, Slg. 1974, 359
Wettbewerbsverfälschung distortion of competition – falsification de la concurrence
Die Wettbewerbsverfälschung ist eine von vier Eigenschaften (s. ĺstaatliche Beihilfe), die eine Maßnahme aufzuweisen hat, um eine verbotene staatliche Beihilfe darzustellen. Für die Beurteilung einer Maßnahme ist ausschließlich der Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt ausschlaggebend, eine Verfälschung auf einem nationalen Markt ist nicht zu berücksichtigen. Allerdings können auch Maßnahmen vom Verfälschungsverbot erfasst werden, wenn sie den Wettbewerb nur potenziell stören (z.B. Marktzutrittsbehinderungen). Eine Verfälschung des Wettbewerbes liegt dann vor, wenn die Beihilfe die Marktposition des Empfängers zu Lasten seiner (potenziellen) Konkurrenten verstärkt. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Verfälschung vorliegt, ist immer auf die Wettbewerbslage vor Erlass der fragwürdigen Maßnahme auf dem ĺräumlich und ĺsachlich relevanten Markt abzustellen. Auf die Spürbarkeit einer Verfälschung wird im Beihilfenrecht nicht abgestellt (einzige Ausnahme:ĺde-minimis-Beihilfen). (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: C. Koenig/J. Kühling, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 87 EGV, Rn. 55 ff.
WEU ĺWesteuropäische Union Widerruf ĺAufhebung, einer Ausschreibung
Winter Report Wiedereinfuhr (freier Warenverkehr) reimportation (free movement of goods) – réimportation (libre circulation des marchandises)
Nicht nur die Beeinträchtigungen von erstmaligen Einfuhren, auch solche von Wiedereinfuhren (d.h. Reimporten) sind nach Art. 28 EG grundsätzlich verboten (EuGH, Rs. 78/70, Deutsche Grammophon, Slg. 1971, 487). Eine Berufung auf Art. 28 EG ist jedoch dann unzulässig, wenn der Export lediglich dazu dient im Wege des Reimports nationale Vorschriften zu umgehen (EuGH, Rs. 229/83, Leclerc, Slg. 1985, 1). (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: P. Oliver/M. Jarvis, Free movement of goods in the European community, 2003, Rn. 2.27; W. Schroeder, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 28 EGV, Rn. 21 Rsp.: EuGH, Rs. 78/70 Deutsche Grammophon, Slg. 1971, 487; EuGH, Rs. 229/83 Leclerc, Slg. 1985, 1
Wiedergabe, Recht der öffentlichen ĺRecht der öffentlichen Wiedergabe Wiener Aktionsplan Viennese Action Plan – plan d’action de Vienne
Von der ĺKommission im politischen Auftrag des ĺEuropäischen Rates vorgelegter Aktionsplan „zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrages über den Aufbau eines ĺ„Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“, der vom ĺRat (Justiz und Inneres) am 3.12.1998 angenommen und vom Europäischen Rat am 10./11.12.1998 ausdrücklich gebilligt wurde. In einem einleitenden Teil wurden die Teilziele des auszubauenden Raumes – „Freiheit“, „Sicherheit“ und „Recht“ – analysiert, ihre wechselseitige Abhängigkeit betont und allgemeine Ansatzpunkte für ihre Verwirklichung benannt. Der zweite Teil enthielt, unterteilt nach den Bereichen Asyl, Außengrenzen und Einwanderung, ĺJustizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen sowie ĺPolizeiliche und Justizielle Zu sammenarbeit in Strafsachen, einen Katalog konkreter Maßnahmen, die ergriffen werden sollten. Unter Benennung allgemeiner Auswahlkriterien für die Prioritäten wurde dabei unterschieden zwischen Maßnahmen, die binnen zwei Jahren und solchen, die binnen fünf Jahren ergriffen werden sollten. Der Wiener Aktionsplan wurde ergänzt und in Bezug genommen durch das sog. ĺ„TampereProgramm“ des Europäischen Rates vom 15./16. 10.1999. (sts) §§: ABl. 1999, Nr. C 19/1
Lit.: A. Jour-Schröder/M. Wasmeier, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Vorbem. Zu Art. 29-42 EU, Rn. 43 f.
Wijsenbeek-Entscheidung Wijsenbeek case – jurisprudence Wijsenbeek
In seinem Urteil in der Rs. Wijsenbeek (EuGH, Rs. C-378/97 Wijsenbeek, Slg. 1999, I-6207) bejahte der Gerichtshof die Unionsrechtskonformität der Pflicht eines ĺUnionsbürgers, seinen Ausweis bei Einreise aus einem anderen Mitgliedstaat vorzulegen: Solange keine gemeinschaftlichen Bestimmungen für die Kontrolle der Außengrenzen, die auch gemeinsame oder harmonisierte Vorschriften über die Einwanderungs-, Visums- und Asylbedingungen umfassen, erlassen worden seien, müsse der Betroffene seine Berechtigung nachweisen, um in den Genuss des allgemeinen Freizügigkeitsrechts (Art. 18 EG; ĺFreizügigkeitsrecht, allgemeines) zu kommen. (fw) §§: Art. 18 EG Lit.: D. Martin, Anmerkung, EJML 2000, 101; H. Toner, Passport controls at borders between Member States, EL Rev. 2000, 415; F. Wollenschläger, Grundfreiheit ohne Markt. Die Herausbildung der Unionsbürgerschaft im unionsrechtlichen Freizügigkeitsregime, 2007
Willkürliche Diskriminierung, Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit arbitrary discrimination, free movement of capital and payments – discrimination arbitraire, libre circulation des capitaux et des paiements
In Art. 58 Abs. 3, 1. Alt. EG niedergelegter Ausschluss (sog. Schranken-Schranke) einer Rechtfertigung der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit. S. ĺDiskriminierungsverbot, Kapitalverkehrsfreiheit. (mk) Winter Report winter report – rapport winter
Im November 2002 veröffentlichter Bericht einer von der ĺKommission eingesetzten „hochrangigen Expertengruppe auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts“ (Vorsitz: Jaap Winter), die den Auftrag hatte, Vorschläge für eine Verbesserung und Harmonisierung des gesamten Rechts der börsennotierten Gesellschaften in Europa und ihrer Corporate Governance zu entwickeln. Der Report enthält Empfehlungen zu den Bereichen Corporate Governance, Unternehmensfinanzierung, Konzernrecht, Umwandlung und Sitzverlegung, zur Europäischen Privatgesellschaft und weiteren ĺsupranatio999
Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle, Rechtfertigung Kapitalverkehrsfreiheit nalen Gesellschaftsformen; im Mai 2003 hat die Kommission – auf dem Winter Report aufbauend – einen detaillierten ĺAktionsplan zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance vorgelegt. (tr) Lit.: T. Haberer, The road ahead – Zur Zunkunft des europäischen Gesellschaftsrechts, GesRZ 2003, 21 Web: http://europa.eu.int/comm/internal_market/en/ company/company/modern/consult/report_de.pdf
Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle, Rechtfertigung Kapitalverkehrsfreiheit effectiveness of tax based control mechanisms, justification of free movement of capital – efficacité des contrôles fiscaux, justification libre circulation des capitaux
Die Wirksamkeit der steuerlichen Kontrolle ist ein vom EuGH anerkannter ĺzwingender Grund des Allgemeininteresses. Im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit wird er von den Mitgliedstaaten regelmäßig herangezogen zur Rechtfertigung steuerlicher Ungleichbehandlungen, so etwa bei der ĺDividendenbesteuerung. Während der EuGH den Rechtfertigungsgrund als solchen anerkennt, stellt er an die Erforderlichkeit der konkreten Regelungen regelmäßig strenge Anforderungen. So genügen tatsächliche Schwierigkeiten der Überprüfbarkeit von Voraussetzungen für die Steuerbefreiung eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen nicht, um diesem die betreffende Steuerbefreiung komplett vorzuenthalten. Als weniger einschneidendes Mittel sieht der EuGH hier die Auferlegung von Beibringungspflichten. Im Übrigen ermöglicht in vielen Fällen bereits die RL 77/799/EWG über die gegenseitige Amtshilfe der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern, die erforderlichen Informationen im Wege der Amtshilfe zu beschaffen. (EuGH 14.9.2006, Rs. C-386/04 Stauffer/Finanzamt München, noch nicht in Slg., Rn. 48 ff.). (mk) §§: RL 77/799/EWG über die gegenseitige Amtshilfe der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABl. 1977, Nr. L 336/15)
Wirkung, unmittelbare ĺAnwendbarkeit, unmittelbare
ĺCotonou-Abkommen in Aussicht genommen ist. Sie werden zwischen EU und den AKPStaaten geschlossen, werden regionale Gegebenheiten berücksichtigen und zielen letztlich auf eine graduelle und flexible Handelsliberalisierung ab und unterstützen die regionale Integration. Langfristig sollen schließlich asymmetrische Regelungen reziproken weichen. (bb) Web: http://ec.europa.eu/trade/issues/bilateral/regions/ acp/epas.htm
Wirtschafts- und Finanzausschuss Economic and Financial Committee – Comité economique et financier
Der Wirtschafts- und Finanzausschuss hat nach Art. 114 Abs. 2 EG die Aufgabe, gegenüber dem Rat und der Kommission Stellungnahmen zu Fragen der Wirtschafts-, Währungs- und Finanzpolitik abzugeben. Er beobachtet daher die Entwicklung in den Mitgliedstaaten sowie die finanziellen Beziehungen zu Drittländern und berät die Gemeinschaftsorgane bei Gesetzgebungsvorhaben. Im Rahmen des ĺDefizitverfahrens muss er gem. Art. 104 Abs. 4 EG eine Stellungnahme abgeben. Die Mitgliedstaaten, die Kommission und die Europäische Zentralbank ernennen jeweils zwei Mitglieder des Wirtschafts- und Finanzausschusses. (co) Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Arbeitsmethoden European Economic and Social Committee, working methods – Comité économique et social européen, methode de travail
Zur Erarbeitung der Stellungnahmen haben die ĺFachgruppen zumeist Studiengruppen eingerichtet und ein Berichterstatter bestellt, der über die Ergebnisse der Beratungen der Studiengruppen berichtet. Die Stellungnahmen der Studiengruppen werden in den Fachgruppen angenommen und danach im Plenum verabschiedet. Es finden neun Plenartagungen pro Jahr statt. Die ĺFachgruppen treten in der Regel einmal pro Monat zusammen. Die Studiengruppen halten bis zu drei Sitzungen ab. (gm)
Wirtschaftliches Partnerschaftsabkommen
Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Aufgaben
economic partnership agreement – accords de partenariat économique
European Economic and Social Committee, function – Comité économique et social européen, fonction
Es handelt sich um Nachfolgeabkommen zu den Lomé-Abkommen, deren Verhandlung im
Die Aufgaben und Arbeitsweise des EWSA werden durch die Geschäftsordnung (2002/769/
1000
Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Geschichte und Überblick EG, Euratom, ABl. 4.10.2002, Nr. L 268) geregelt. Dem EWSA obliegen drei Hauptaufgaben. Er erfüllt eine beratende Funktion beim ĺEuropäischen Parlament, dem ĺRat und der ĺKommission, er fördert auf nationaler wie auf europäischer Eben eine stärkere Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft der Mitgliedstaaten in das europäische Einigungswerk und stärkt die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft in Staaten außerhalb der Gemeinschaft, zu denen Beziehungen mit der Gemeinschaft bestehen und führt insbesondere mit den Sozialpartner einen Dialog und fördert die Schaffung beratender Strukturen nach dem Vorbild des EWSA. Das mit dem ĺVertrag von Rom 1957 verankerte Anhörungsrecht des Rates und der Kommission wurde durch den ĺVertrag von Amsterdam 1997 auch dem Europäischen Parlament zuerkannt, wobei neben die fakultative Befassung in bestimmten Bereichen eine obligatorische Anhörung vorgesehen wurde. Weiters verfügt der EWSA über das Initiativrecht, er kann Sondierungsstellungnahmen erarbeiten und als Initiator und Förderer des zivilen Dialogs auftreten. Der EWSA erarbeitet und verabschiedet ca. 150 Stellungnahmen pro Jahr. (gm) Lit.: O. Suhr, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 257 EGV; S. Siebeke, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 257 EVG Web: http://wwww.esc.eu.int; zur Geschäftsordnung: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/consleg/ 2002/Q/02002Q0769-20041024-de.pdf
Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Binnenmarktbeobachtungsstelle European Economic and Social Committee, Single Market Observatory – Comité économique et social européen, l’Observatoire du marché unique
1994 wurde mit Unterstützung des ĺEuropäischen Parlaments, des ĺRates und der ĺKommission eine Binnenmarktbeobachtungsstelle (BBS) innerhalb des EWSA eingerichtet. Diese umfasst 30 Mitglieder. Deren Aufgaben sind die Überwachung, Beobachtung und Erstattung von Vorschlägen zur Verbesserung der Funktionsweise des Binnenmarktes auf der Ebene der Akteure und Nutzer. Die BBS hat ein interaktives Informationsnetzwerk eingerichtet, in dem Nutzer des Binnenmarktes, EWSA-Mitglieder und deren Organisationen Daten übermitteln können (PRISM-Datenbank, PRISM = „Pro-
gress Report on Initiatives in the Single Market“). (gm) Web: http://www.esc.eu.int/omu_smo/prism/
Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Fachgruppen European Economic and Social Committee, section – Comité économique et social européen, section
Die sechs Fachgruppen sind die Arbeitsorgane des EWSA: Fachgruppe INT (Bereich Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch), Fachgruppe TEN (Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft), Fachgruppe NAT (Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz), Fachgruppe ECO (Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt), Fachgruppe SOC (Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft) und Fachgruppe REX (Außenbeziehungen). (gm) Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Geschichte und Überblick European Economic and Social Committee, history and overview – Comité économique et social européen, histoire et historique
Der EWSA wurde 1957 durch die ĺRömischen Verträge (zur Gründung der ĺEuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der ĺEuropäischen Atomgemeinschaft) errichtet. Die Gründungstexte des EWSA sind im Vertrag zur Gründung der ĺEuropäischen Gemeinschaft (Art. 7 und 257 bis 262 EG) und im Vertrag zur Gründung der ĺEuropäischen Atomgemeinschaft (Art. 3 und 165 bis 170 EuratomV) enthalten. Aufgabe des EWSA ist, den Rat und die Kommission beratend zu unterstützen. Seit dem ĺVertrag von Amsterdam 1997 kann der EWSA neben dem ĺRat und der ĺKommission auch vom ĺEuropäischen Parlament gehört werden (Art. 262 Abs. 4 EG). Weiters verfügt der EWSA über ein Initiativrecht, er kann Sondierungsstellungnahmen erarbeiten und ist bemüht, den zivilen Dialog zu initiieren und zu fördern. Zur Erarbeitung der Stellungnahmen werden von den Fachgruppen meist Studiengruppen eingerichtet. Die Stellungnahmen werden nach Annahme in den Fachgruppen im Plenum des EWSA verabschiedet. Der EWSA verfügt über kein Gesetzesinitiativrecht. Zur Unterstützung der Mitglieder ist ein Generalsekretariat eingerichtet. (gm) Lit.: O. Suhr, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 257 ff. EGV; S.
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Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Gruppe I Siebeke, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 257 ff. EVG Web: http://wwww.esc.eu.int; zur Geschäftsordnung: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/consleg/ 2002/Q/02002Q0769-20041024-de.pdf
Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Gruppe I European Economic and Social Committee, Group I – Comité économique et social européen, Groupe I
Der EWSA ist in drei Gruppen organisiert (Art. 27 Geschäftsordnung EWSA). In der Gruppe I – Arbeitgeber sind Vertreter des öffentlichen und privaten gewerblichen Sektors, des Groß- und Einzelhandels, des Verkehrswesens, der kleinen und mittleren Unternehmen, des Bank- und Versicherungswesens, der Handelskammern sowie der Landwirtschaft vertreten. Die Politik der Gruppe I ist im Wesentlichen von den Ansichten der Industrieverbände geprägt. Marktwirtschaft, Freiheit des Handels und freier Verkehr im Binnenmarkt gewährleisten nach Meinung der Gruppe I Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung. Das Zusammenwachsen Europas zu einem großen Wirtschaftsraum bedeutet eine Stärkung Europas in einem ausgewogenen Welthandel. (gm) Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Gruppe II European Economic and Social Committee, Group II – Comité économique et social européen, Groupe II
Der EWSA ist in drei Gruppen organisiert. Die Gruppe II – Arbeitnehmer wird von Vertretern aus einzelstaatlichen Gewerkschaftsverbänden (Dachverbänden und auch Einzelgewerkschaften) besetzt. Dieser Gruppe gehören seit 1.5. 2004 110 Mitglieder an. Vorrangiges Ziel dieser Gruppe ist, zur Verbesserung der Lebensund Arbeitsbedingungen aller Arbeitnehmer, zu sozialem Fortschritt und echter Solidarität mit den Arbeitnehmern, auch außerhalb Europas, beizutragen. Sie verfolgt auch die von der europäischen Gewerkschaftsbewegung verfolgten Ziele, insbesondere die soziale Dimension auf Grundlage von Vollbeschäftigung. (gm) Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Gruppe III European Economic and Social Committee, Group III – Comité économique et social européen, Groupe III
Der EWSA ist in drei Gruppen organisiert. In der Gruppe III – sog. „Verschiedene Interes1002
sen“ sind Vertreter aus den Bereichen Landwirtschaft, Verbraucher, Sozialwirtschaft, Handwerk und KMU, regierungsunabhängige Organisationen im Sozial- und Umweltbereich, freie Berufe, Familienverbände, Freiwilligenund Behindertenorganisationen, Forschung und Lehre u.a. vertreten. (gm) Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Kommission für den industriellen Wandel European Economic and Social Committee, Consultative Commission on Industrial Change (CCMI) – Comité économique et social européen, Commission Consultative des Mutations industrielles
Die Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) erhielt nach dem Auslaufen des ĺEGKS-Vertrages am 23.7.2002 eine neue Aufgabe übertragen. Auf Grundlage der in den Bereichen Kohle und Stahl gesammelten Erfahrungen werden die Schwierigkeiten des industriellen Wandels und der Modernisierung untersucht und Vorschläge zur Verbesserung erarbeitet. (gm) Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Organisation European Economic and Social Committee, structure – Comité économique et social européen, structure
Der EWSA ist eine Versammlung von 344 Mitgliedern aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die Mitglieder werden für vier Jahre vom Rat gem. den Vorschlägen der Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit ernannt (Art. 259 Abs. 1 EG). Die Wiederernennung ist zulässig. Die Mitglieder setzen ihre berufliche Tätigkeit in ihren Heimatländern fort und kommen nur für die Arbeitssitzungen des Ausschusses nach Brüssel. PräsidentIn und Präsidium werden vom EWSA für einen Zeitraum von zwei Jahren gewählt. Die Mitglieder des EWSA sind gem. Art. 258 EG an keine Weisungen gebunden. Gem. Art. 260 EG gibt sich der EWSA eine Geschäftsordnung (ABl. L 093 v. 3.4.2007). Der EWSA ist keine paritätisch besetzte Interessenvertretung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern zur Vertretung aller wirtschaftlichen und sozialen Gruppen bestimmt. Der EWSA ist in drei Gruppen organisiert: ĺWirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Gruppe I – Arbeitgeber, ĺWirtschaftsund Sozialausschuss, Europäischer, Gruppe II – Arbeitnehmer und ĺWirtschafts- und Sozi-
Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) alausschuss, Europäischer, Gruppe III – sog. „Verschiedene Interessen“. Beschlussfassungsorgane des EWSA sind die Präsidentschaft, das Präsidium sowie das Plenum. Die Mitglieder bestimmen selbst, welcher Gruppe sie angehören möchten. Arbeitsorgane des EWSA sind die sechs ĺFachgruppen. Auf Grundlage der Stellungnahmen der Fachgruppen verabschiedet das Plenum des Ausschusses seine Stellungnahmen mit einfacher Mehrheit. Diese werden dem Rat, der Kommission und dem Europäischen Parlament übermittelt und im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. (gm) Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Verfahren der Ausarbeitung einer Initiativstellungnahme European Economic and Social Committee, Process for drawing up own-initiative opinions of the Committee – Comité économique et social européen, L’élaboration des avis d’initiative du Comité
Grundsätzlich erfolgt die Ausarbeitung einer Initiativstellungnahme nach dem gleichen Verfahren wie eine ĺStellungnahme. Eine Initiativstellungnahme bedarf aber vor Ausarbeitung auf Vorschlag des Ausschusspräsidiums einer Genehmigung des Plenums. (gm) Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Verfahren der Ausarbeitung einer Stellungnahme European Economic and Social Committee, Standard procedure for drawing up EESC opinions – Comité économique et social européen, Process d’élaboration d’un avis du Comité
Das jeweilige Organ (ĺParlament, ĺRat, ĺKommission) übermittelt dem Ausschusspräsidenten das Stellungnahmeersuchen. Im Präsidium wird die für die Vorbereitung der Arbeiten des Ausschusses zuständige ĺFachgruppe festgelegt und dieser das Stellungnahmeersuchen übermittelt. Die ĺFachgruppe setzt aus ihren Mitgliedern eine Studiengruppe ein und bestellt einen Berichterstatter, der von höchstens vier Sachverständigen unterstützt wird. Die Studiengruppe besteht durchschnittlich aus neun Mitgliedern. Das Arbeitsergebnis der Studiengruppe wird der zuständigen ĺFachgruppe vorgelegt und mit einfacher Mehrheit angenommen und dem Ausschusspräsidenten übermittelt. Diese Stellungnahme wird auf der Plenartagung mit einfacher Mehrheit verabschiedet und dem ĺRat, der ĺKom-
mission und dem ĺEuropäischen Parlament übermittelt und im ĺAmtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. (gm) Wirtschafts- und Sozialausschuss, Europäischer, Verteilung der Sitze auf die Mitgliedstaaten European Economic and Social Committee, distribution of seats – Comité économique et social européen, répartition des sièges
Der EWSA hat höchstens 350 Mitglieder. Derzeit sind 317 Mitglieder nominiert, die gem. Art. 258 EG wie folgt auf die Mitgliedstaaten verteilt sind: Deutschland, Frankreich, Italien und das Vereinigte Königreich über je 24, Spanien und Polen über je 21, Rumänien 15, Belgien, Bulgarien, die Tschechische Republik, Griechenland, Ungarn, die Niederlande, Österreich, Portugal und Schweden verfügen über je 12, Dänemark, Irland, Litauen, Slowakei und Finnland über 9, Estland, Lettland und Slowenien über je 7, Zypern und Luxemburg über 6 und Malta über 5 Vertreter. (gm) Web: http://www.eesc.europa.eu/
Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) Economic and Monetary Union – Union économique et monétaire
I. Allgemeines Die WWU wurde durch den Vertrag von Maastricht, der am 1.11.1993 in Kraft trat, rechtlich verbindlich beschlossen. Sie beinhaltet die Einführung einer einheitlichen Währung, des ĺEuro, und die Übertragung der geld- und währungspolitischen Zuständigkeiten auf die Einrichtungen der EG, insbesondere die ĺEuropäische Zentralbank. Tragende Motive für dieses bereits lange zuvor verfolgte, grundlegende politische Ziel waren 1. die Wohlfahrtsförderung durch Wegfall der wechselkursbedingten Transaktionskosten, insbesondere der Absicherungskosten gegen Wechselkursschwankungen, 2. Erhöhung der Preistransparenz im grenzüberschreitenden Güter- und Leistungsaustausch, 3. Schutz des gemeinsamen Agrarmarktes vor Wechselkursänderungen, 4. wirtschaftspolitische Stärkung der EG gegenüber den USA und Japan. Die WWU unterliegt einer marktwirtschaftlichen Logik, was neben ihrer engen Verknüpfung mit der ĺKapitalverkehrsfreiheit vor allem an der Verpflichtung zur ĺPreisstabilität deutlich wird. 1003
Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) II. Historische Entwicklung Bis zum Vertrag von Maastricht unternahm die Gemeinschaft verschiedene vergebliche Anläufe, um diesen wichtigen Politikbereich in die supranationale Domäne zu überführen. Bereits auf der Gipfelkonferenz in Den Haag am 1./2. 12.1969 hatten die Staats- und Regierungschefs beschlossen, eine Wirtschafts- und Währungsunion zu errichten. Der daraufhin unter Leitung des Luxemburgischen Ministerpräsidenten Pierre Werner erarbeitete Stufenplan (ABl. 1970, Nr. C 136/1) wurde jedoch aufgrund von divergierenden integrationspolitischen Vorstellungen nie realisiert. Schließlich führte der Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods mit seinen festen Wechselkursen im Jahr 1972 zu einem währungspolitischen Paradigmenwechsel. Die seit 1973 frei floatenden Wechselkurse offenbarten aber erhebliche wirtschafts- und währungspolitische Unterschiede der Mitgliedstaaten. Auch verschärften die freien Wechselkurse die Probleme der Gemeinsamen Agrarpolitik. Zwar hatten sich im April 1972 die Zentralbanken der Mitgliedstaaten auf eine begrenzte gegenseitige Interventionspflicht bei Wechselkursschwankungen geeinigt, die als „Währungsschlange“ bekannt wurde. Diese Interventionspolitik wurde durch den Europäischen Fonds für die währungspolitische Zusammenarbeit unterstützt (VO [EWG] 907/73, ABl. 1973, Nr. L 89/2). Insgesamt blieb die Währungsschlange jedoch weitgehend erfolglos. Im Dezember 1978 führten die Mitgliedstaaten den Währungskorb ĺECU und das Europäische Währungssystems (EWS) ein (VO [EWG] 3180/ 78 und 3181/78). Abgesehen von der begrenzten Interventionspflicht zur Abwehr von Währungsschwankungen im EWS blieben die Mitgliedstaaten jedoch wirtschafts- und währungspolitisch souverän. Daher machten bis Mitte der 1980er Jahre vor allem Dänemark, Frankreich, Griechenland und Italien sowie die damals neu beigetretenen Mitgliedstaaten Portugal und Spanien von devisenrechtlichen Kontrollmöglichkeiten lebhaften Gebrauch. Erst die ĺEinheitliche Europäische Akte belebte die politischen Ambitionen für eine einheitliche Währung und eine zumindest koordinierte Geld- und Währungspolitik. Erste konkrete Schritte waren 1988 die Einführung eines einheitlichen Systems des mittelfristigen finanziellen Beistands zur Stützung der Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten durch VO (EWG) 1969/ 88 und die Einsetzung einer Arbeitsgruppe unter Leitung des damaligen Präsidenten der Kom1004
mission Delors, die die Einführung einer einheitlichen Währung vorbereiten sollte. Das Beistandssystem sollte Mitgliedstaaten mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten helfen, die durch die gleichzeitige Liberalisierung des ĺKapitalverkehrs ausgelöst würden. Gleichzeitig schuf die Kapitalverkehrsliberalisierung die marktmäßigen Voraussetzungen für eine institutionell einheitliche Währungspolitik. Der qualitative Sprung geschah durch den Unionsvertrag von Maastricht vom 7.2.1992, der die Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion ähnlich wie bereits der Werner-Plan in drei Stufen vorsah. An die erste Stufe, die bereits zuvor aufgrund eines Beschlusses des Europäischen Rats zum 1.7.1990 in Kraft getreten war, knüpften – abgesehen vom Inkrafttreten der Kapitalverkehrs-RL 88/361 – keine unmittelbaren rechtlichen Wirkungen an. Rechtlich erheblich war jedoch der Beginn der zweiten Stufe am 1.1. 1994, der in Art. 116 EG geregelt ist. Zu diesem Zeitpunkt nahm das ĺEuropäische Währungsinstitut, die Vorläufereinrichtung der ĺEuropäischen Zentralbank, ihre Tätigkeit auf. Zugleich traten die unmittelbar anwendbaren primärrechtlichen Vorschriften über die Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit in Kraft. Damit wurde ein funktionaler Zusammenhang zwischen Kapitalverkehrsfreiheit und Wirtschaftsund Währungsunion hergestellt. Auch waren seit diesem Zeitpunkt das ĺDefizitverfahren partiell und andere, die WWU flankierende Verbote anwendbar. Alle diese Regelungen, die in Hinblick auf die Einführung der dritten Stufe getroffen wurden, unterliegen der gleichen wirtschaftspolitischen Sachlogik, die in Art. 2 und 4 EG zum Ausdruck kommt, nämlich die ĺPreisstabilität zu sichern und damit der WWU zu einem langfristigen Erfolg zu verhelfen. Die dritte Stufe der WWU trat am 1.1.1999 in Kraft, wie es Art. 121 Abs. 4 Satz 1 EG vorsieht. Dies erforderte jedoch eine Entscheidung des Rates in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs (Entscheidung 98/317/EG), welche Mitgliedstaaten die notwendigen Voraussetzungen für die Einführung der einheitlichen Währung erfüllen (ĺKonvergenzkriterien). Da sich Großbritannien und Dänemark primärrechtliche Vorbehalte für die Teilnahme an der dritten Stufe hatten einräumen lassen und Griechenland und Schweden nicht die Voraussetzungen erfüllten, wurde die einheitliche Währung nur in den Mitgliedstaaten Belgien, Deutschland, Spanien, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich,
Wirtschaftsteilnehmer Portugal und Finnland eingeführt. Zum 1.1. 2001 wurde der Teilnehmerkreis um Griechenland erweitert. Die Einführung des Euro erforderte neben der Einigung über die Teilnehmer zudem die unwiderrufliche Festlegung der Umrechnungskurse ihrer Währungen zum Euro. Diese Festlegung erfolgte durch VO (EG) 2866/98 des Rates (s. ĺEuro). Während eines Übergangszeitraums, der bis zum 31.12.2001 dauerte, war der Euro zwar bereits die gesetzliche Währung der teilnehmenden Mitgliedstaaten, jedoch wurden auf Euro lautende ĺBanknoten und Münzen erst zum 1.1.2002 eingeführt. In den später zur ĺEurozone beitretenden Mitgliedstaaten (wie Slowenien zum 1.1. 2007) bedurfte es einer solchen Übergangszeit nicht.
meinschaftsrechtskonform ausgeübt werden muss. Die Selbstständigkeit staatlicher Haushaltspolitik kommt schließlich im Verbot der gegenseitigen Haftung nach Art. 103 EG zum Ausdruck, das für diesen Bereich die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und der EG zum Schutz der Funktionsfähigkeit der WWU ausschließt. Ob das Auseinanderfallen der Zuständigkeit für die Geldpolitik einerseits und der Wirtschafts- und Haushaltspolitik andererseits langfristig die WWU lähmen oder sogar zu ihrem Misserfolg führen kann, wie von wirtschaftswissenschaftlicher Seite immer wieder vermutet wird, lässt sich kaum prognostizieren. Die institutionellen Vorkehrungen für die WWU dürfen jedoch vor dem historischen Hintergrund als vorbildlich gelten. (co)
III. Rechtliche Bedeutung Die WWU bedeutet zweierlei: Zum einen wurde der Euro als alleinige gesetzliche Währung der teilnehmenden Mitgliedstaaten eingeführt und damit deren nationale Währungen abgeschafft. Zum anderen gingen im gleichen Zuge die geld- und währungspolitischen Kompetenzen der Mitgliedstaaten auf die EG über. Die entsprechenden Zuständigkeiten der Gemeinschaft sind ausschließlicher Natur. Ausgeübt werden die geldpolitischen Befugnisse durch die ĺEuropäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Zentralbanken des ĺEurosystems, deren Unabhängigkeit konstitutives Merkmal der WWU ist. Vorrangiges Ziel der gesamten ĺGeldpolitik ist die Sicherung von ĺPreisstabilität, die sich aber auf die Stabilität des Binnenwerts beschränkt. Für die Wechselkurspolitik gegenüber dritten Währungen ist dagegen der Rat gem. Art. 111 EG zuständig. Den Mitgliedstaaten obliegen verschiedene die Währungsintegration begleitende Pflichten, insbesondere für eine Koordinierung ihrer nationalen Wirtschaftspolitiken zu sorgen (ĺMultilaterale Überwachung) und übermäßige ĺDefizite zu vermeiden. Ferner verbietet der Vertrag die Kreditaufnahme bei den nationalen ĺZentralbanken oder der EZB und den bevorrechtigten, d.h. nicht-marktkonformen Zugang zu Finanzinstituten. Hierbei ist aber zu beachten, dass die Haushalts- und Wirtschaftspolitik weiterhin zur Domäne der Mitgliedstaaten gehören und nur durch besagte Koordinierungspflichten bzw. Verschuldungs- und Kreditverbote eingeschränkt werden. Dies begründet die fortdauernde Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet, die aber ge-
§§: Art. 98-124 EG Lit.: J.-V. Louis, The Economic and Monetary Union: Law and Institutions, CML Rev. 2004, 575 ff.; H.-P. Rill (Hrsg.), Rechtsfragen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, 1998, M. Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, 2001 Web: http://europa.eu/pol/emu/index_de.htm
Wirtschaftsbürgerschaft ĺMarktbürgerschaft Wirtschaftsgrundrechte economic rights – droits et libertés économique
Dazu werden im Kern die ĺunternehmerische Freiheit, die ĺBerufsfreiheit und die ĺEigentumsfreiheit gezählt. S. jeweils dort. (ed) Wirtschaftsteilnehmer economic operator – opérateur économique
Wirtschaftsteilnehmer im Bereich des ĺVergaberechts ist eine natürliche oder juristische Person, die auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken (s. dazu den öffentlichen ĺBauauftrag), die Lieferung von Waren (s. dazu den öffentlichen ĺLieferauftrag) bzw. die Erbringung von Dienstleistungen (s. dazu den öffentlichen ĺDienstleistungsauftrag) anbietet und damit grds. an einem ĺVergabeverfahren teilnehmen kann. Wirtschaftsteilnehmer dürfen sich für die Teilnahme an einem Vergabeverfahren zu Gruppen (z.B. Arbeitsgemeinschaften) zusammenschließen. Auftraggeber können nicht verlangen, dass derartige Gruppen für die Angebotsabgabe eine bestimmte Rechtsform annehmen; dies kann nur verlangt werden, wenn einer Gruppe der ĺZuschlag erteilt worden ist. Ei1005
Wissenschaftsfreiheit ner der am Vergabeverfahren teilnehmenden Wirtschaftsteilnehmer wird (sofern das Verfahren nicht aufgehoben wird) letztlich ĺAuftragnehmer. (cm) §§: Art. 1 Abs. 8, Art. 4 VergabeRL Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Wissenschaftsfreiheit academic freedom – liberté académique
Die Freiheit der Wissenschaft gehört zum gemeineuropäischen Grundrechtsstandard. Gemeinschaftsrechtlich wird die Wissenschaftsfreiheit in Art. 13 GRC garantiert, vgl. auch die ĺEuropäische Charta für Forscher. Art. 13 GRC formuliert: „Kunst und Forschung sind frei. Die akademische Freiheit wird geachtet.“ Wissenschaft gilt dabei als Oberbegriff für Forschung und Lehre. Der Schutzbereich umfasst die wissenschaftliche Betätigung im Sinne methodisch geleiteten Generierens von neuem Wissen. Mit der akademischen Freiheit ist die Freiheit der akademischen Lehre mitumfasst. Zugleich ist darin die notwendige organisationsrechtliche Dimension der Wissenschaftsfreiheit mitenthalten, d.h. dass Wissenschaftsfreiheit auf organisatorische Vorkehrungen angewiesen ist, in denen sie zu wahren ist. Der organisationsrechtliche Zugriff des Gemeinschaftsgesetzgebers auf Universitäten und außeruniversitäre Forschungsstätten wird dadurch begrenzt. Grenzen der Wissenschaftsfreiheit ergeben sich aus der allgemeinen Schrankenregelung in Art. 52 Abs. 1 GRC sowie aus ethischen Grundlagen (ĺEthische Grenzen der Forschung). In der Praxis steht die Forschungspolitik (ĺForschungs- und Technologiepolitik, Ziele) in einem Spannungsverhältnis zur Wissenschaftsfreiheit. Einerseits verlangt die Gemeinschaft eine gewisse Forschungsförderung, andererseits darf sie den Aktionsradius der geförderten Personen und Institutionen nicht soweit einschränken, dass ihnen kein Spielraum mehr zur Gestaltung der wissenschaftlichen Tätigkeit bleibt. (hk) §§: Art. 13 GRC; ABl. 2005, Nr. L 75/70 Lit.: A. Kallmayer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 163 EGV, Rn. 16; M. Ruffert, in: C. Calliess/ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 13 GRCh; M. Ruffert, Grund und Grenzen der Wissenschaftsfreiheit, VVDStRL 65 (2006) 146 ff.
Wohnsitzpflicht, Kapitalverkehrsfreiheit ĺImmobilienerwerb (Kapitalverkehrsfreiheit) 1006
Working Group on Uniform Terminology for European Private Law Die Working Group on Uniform Terminology ist ein Forschungsprojekt an dem sieben europäische Universitäten (Turin, Barcelona, Lyon 3, Münster, Nijmegen, Oxford und Warschau) beteiligt sind und die sich zum Ziel gesetzt haben, die einheitliche Umsetzung von europäischem Sekundärrecht in das jeweilige nationale Recht durch die Erforschung der historischen Entwicklung und Divergenzen der Rechtssprache zu vereinfachen und dadurch zu dem Ziel einer größeren Kohärenz des Europäischen Privatrechts beitragen. Der Arbeitsgruppe gehören Wissenschaftler auf dem Gebiet des Privatrechts aus verschiedenen Mitgliedstaaten an. In verschiedenen Untergruppen befassen sie sich mit den Bereichen Legal Taxonomy Syllabus (LTS), Law and Obligation, Brussels II Convention, Transnational Business Law, Unjustified Enrichment, Unfair Competition, Civil Procedure and Enforcement of Judgements. Die Ergebnisse des Projekts sollen der Öffentlichkeit in Form von wissenschaftlichen Publikationen sowie durch eine interaktive Datenbank zugänglich gemacht werden. (mrm) Lit.: M. Ebers, Uniform Terminology for European Private Law – Ein neues Forschungsnetzwerk der Europäischen Union“, ZEuP 2003, 185 ff. Web: http://www.dsg.unito.it/ut/
Wouters-Entscheidung Wouters case – jurisprudence Wouters
Im Fall Wouters ging es um die Vereinbarkeit eines von der niederländischen Rechtsanwaltskammer verfügten Verbotes von Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern mit Art. 81 Abs. 1 EG. Der ĺEuGH sah eine ĺWettbewerbsbeschränkung i.S.d. Art. 81 Abs. 1 EG als gegeben an, weil das Verbot gemischter Sozietäten die Erzeugung und die technische Entwicklung einschränke. Dennoch hat der EuGH die Anwendbarkeit des Art. 81 Abs. 1 EG verneint. Der ĺEuGH begründet seine Entscheidung mit den hohen Anforderungen an Rechtsanwälte nach dem niederländischen Standesrecht (insbesondere Vermeidung von Interessenkonflikten, Berufsgeheimnis etc.), die aber für Wirtschaftsprüfer nicht gelten. Damit stellt der ĺEuGH fest, dass „die Regelung trotz der notwendig mit ihr verbundenen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen für die ordnungsgemäße Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, wie er in dem betreffenden
WTO-SPS-Abkommen Staat angeordnet ist, erforderlich ist.“ Somit macht das Urteil „Wouters“ deutlich, dass Standesregeln für bestimmte Berufe trotz Vorliegens einer ĺWettbewerbsbeschränkung nicht in den Anwendungsbereich des Art. 81 Abs. 1 EG fallen. (jpt) §§: Art. 81 EG Lit.: M. Henssler, Satzungsrecht der verkammerten Berufe und europäisches Kartellverbot, JZ 2002, 983; O. Andresen, Verbot von Sozietäten zwischen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern als Wettbwerbsbeschränkung, DVBl. 2002, 685 Rsp.: EuGH, Rs. C-309/99 Wouters, Slg. 2002, I-1577
WTO-Abkommen WTO Agreement – Accord sur l’OMC
Das WTO-Abkommen (Abkommen zur Errichtung einer Welthandelsorganisation) ist ein multilaterales Abkommen zur Errichtung einer Welthandelsorganisation (WTO) und zur Regelung des Welthandels. Das WTO-Abkommen umfasst ƒ multilaterale Regelungen für den: ƒ Handel mit Waren (GATT ergänzt durch weiter Subabkommen wie ĺAgrarabkommen, ĺSPS-Abkommen, Textilabkommen, TBT-Abkommen, ĺSubventionsabkommen, etc.) ƒ Handel mit Dienstleistungen (GATS) ƒ Schutz geistigen Eigentums (TRIPS) ƒ einen Streitbeilegungsmechanismus ƒ einen handelspolitischen Überprüfungsmechanismus ƒ institutionelle Regelungen Die WTO (Welthandelsorganisation) ist eine zwischenstaatliche Organisation, der 150 Länder angehören. Die WTO ist kein Organ der Vereinten Nationen. Zwischen der WTO und den VN besteht weder eine formale Beziehung, noch ein Rechtsabkommen. (all) §§: Art. 133 EG, Art. 300 EG, WTO-Abkommen ABl. 1994, Nr. L 336 Web: http://www.wto.org/
WTO-Agrarabkommen WTO Agreement on Agriculture – OMC Accord sur l’Agriculture
Das WTO-Agrarabkommen (Übereinkommen über die Landwirtschaft) unterwirft sowohl den landwirtschaftlichen Handel und in umfassendem Maße die einzelstaatliche Agrarpolitik internationalen Regelungen und Verpflichtungen. Im Besonderen beinhaltet es Vorgaben hinsichtlich Zollsenkungen, der Exportsubventionen
und der handelsverzerrenden nationalen Stützungen. Nationale Agrarsubventionen (Stützungen) werden zu diesem Zweck kategorisiert und 3 Gruppen (Boxen) zugeordnet: Green Box: beinhaltet nationale Stützungsmaßnahmen, die als nicht oder nur wenig handelsverzerrend eingestuft werden. In diese Kategorie fallen u.a. ĺAgrarumweltprogramme, Entkoppelte ĺDirektzahlungen (ĺEinheitliche Betriebsprämie) und ĺAusgleichzulagen für Landwirte in Benachteiligten Gebieten (ĺLändliche Entwicklung): Green Box Maßnahmen sind von Verpflichtungen zum Stützungsabbau ausgenommen. Blue Box: beinhaltet Direktzahlungen an Landwirte im Rahmen „produktionsbeschränkender“ Blue Box Maßnahmen sind von Verpflichtungen zum Stützungsabbau zwar ausgenommen. Da aber mit Abschluss der WTO-Doha Runde zu rechnen ist, dass diese Ausnahme fällt hat die EU im Rahmen der Agrarreform 2003 die meisten in diese Kategorie fallenden ĺSubventionen in weniger handelsverzerrende Green Box Maßnahmen gewandelt (ĺEinheitliche Betriebsprämie) Amber Box: Nationale Stützungsmaßnahmen die handelsverzerrend wirken. Diese betreffen insbesondere die Preisstützung (Festsetzung von Inlandspreisen über dem Weltmarktpreisniveau) im Rahmen der ĺGemeinsamen Marktorganisationen über ĺInterventionspreise. Bei Maßnahmen, die in die Amber Box fallen, musste das Stützniveau abgebaut werden. (all) §§: Art. 133 EG, Art. 300 Abs. 3 EG, WTO-Agrarabkommen ABl. 1994, Nr. L 336/22 ff. Web: http://www.wto.org/
WTO-SPS-Abkommen WTO Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures – OMC Accord sur l’Application des Mesures Sanitaires et Phytosanitaires
Das WTO-SPS Abkommen (Übereinkommen über die Anwendung sanitärer und phytosanitärer Maßnahmen) legt fest unter welchen Bedingungen Staaten Maßnahmen zum Schutz des Lebens bzw. der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie Gewährleistung der ĺLebensmittelsicherheit, die sich direkt oder indirekt auf den internationalen Handel auswirken können, treffen können. Prinzipiell haben alle Staaten das Recht Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen zu setzen. 1007
Würde Die WTO-Mitglieder haben aber im Sinne der internationalen Harmonisierung ihre sanitären und phytosanitären Maßnahmen auf internationale Standards, Richtlinien und Empfehlungen abzustellen. Als derartige internationale Standards gelten ƒ für die Nahrungsmittelsicherheit: ƒ die Standards, Richtlinien und Empfehlungen der ĺCodex-Alimentarius-Commission ƒ für Tiergesundheit und Zoonosen: ƒ die Standards, Richtlinien und Empfehlungen, des Internationalen ĺTierseuchenamtes ƒ für Pflanzengesundheit: ƒ die internationalen Standards, Richtlinien und Empfehlungen der Internationalen Pflanzenschutzkonvention Diese (Mindest)standards werden als notwendig erachtet, um Leben und Gesundheit von
1008
Menschen, Tieren oder Pflanzen zu schützen. Sanitäre oder phytosanitäre Maßnahmen mit einem höheren Niveau als die internationalen Standards, Richtlinien und Empfehlungen bedürfen einer wissenschaftlichen Rechtfertigung, sind aber prinzipiell erlaubt. (all) §§: Art. 133 EG, Art. 300 Abs. 3 EG, Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen; ABl. 1994, Nr. 40-48 Lit.: J. Bohanes/M. Stilwell, Trade and Environment, in: P. Macrory/A. Appleton/M. Plummer (eds.), The World Trade Organization: Legal, Economic and Political Analysis, 2005, Vol II, 511-570; A. Leidwein, WTO-Recht und Umweltschutz, RdU 04/2005, 148158 Web: http://www.wto.org/
Würde ĺMenschenwürde
Z Zahlungen in Euro, grenzüberschreitende ĺGrenzüberschreitende Zahlungen in Euro Zahlungsanspruch ĺBetriebsprämie einheitliche Zahlungsbefehl, europäischer ĺEuropäischer Zahlungsbefehl Zahlungsbilanz balance of payments – balance des paiements
Eine rechtliche Definition des Begriffs Zahlungsbilanz existiert im Primärrecht der EG nicht. Die einzelnen Mitgliedstaaten und die ĺEuropäische Zentralbank wenden seit jeher die auf internationaler Ebene vereinbarten Usancen, insbesondere die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) in dessen Zahlungsbilanzhandbuch (Balance of Payments Manual, 5. Aufl.) an. Hieran orientiert sich auch die VO (EG) 184/2005 betreffend die gemeinschaftliche Statistik der Zahlungsbilanz, des internationalen Dienstleistungsverkehrs und der Direktinvestitionen, die in Anhang I die Bestandteile der Zahlungsbilanz aufführt. Nähere Definitionen enthält die VO (EG) 2223/96 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen. Die Zahlungsbilanz umfasst folgende Unterbilanzen: 1. Leistungsbilanz (Current Account) mit den Teilbilanzen Waren, Dienstleistungen, Erwerbs- und Vermögenseinkommen, laufende Übertragungen = Bilanz der laufenden Posten; 2. Vermögensübertragungen (Capital Account): z.B. Schuldenerlasse, Erbschaften, Schenkungen, Übertragungen durch Einwanderer bzw. Auswanderer, die nicht das Einkommen oder den Verbrauch der beteiligten Länder verändern; 3. Kapitalbilanz (Financial Account) mit den Teilbilanzen Direktinvestitionen; Portfolioinvestitionen; sonstige Investitionen [langund kurzfristige Kredite]); Währungsreserven der Zentralbank (früher: Devisenbilanz);
4. Restposten (Errors and Omissions). Die Zahlungsbilanz erfasst systematisch alle wirtschaftlichen Transaktionen des Inlands mit dem Ausland in einer Periode. Sie stellt allein Stromgrößen, also Veränderungen auf der Aktiv- und Passivseite, während dieses Zeitraums dar. Bestandsgrößen in Form eines Vermögensstatus der Volkswirtschaft sind in ihr nicht enthalten. Rechnerisch ist die Zahlungsbilanz stets ausgeglichen. Wenn daher Art. 4 Abs. 3 EG eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz verlangt, so ist damit vorausgesetzt, dass eine oder mehrere der Unterbilanzen ein Defizit bzw. einen Überschuss ausweisen. Dies schlägt sich im Rückgang bzw. Anstieg der Währungsreserven der Zentralbank (Devisenbilanz) nieder. Im Falle einer negativen Devisenbilanz wäre die Erbringung von Zahlungen an das Ausland nicht mehr gesichert. In der EU weist die ĺEurozone eine einheitliche Zahlungsbilanz auf, wenngleich eine getrennte Aufstellung aller Teilbilanzen mit Ausnahme der Währungsreserven für die Mitgliedstaaten der Eurozone noch möglich ist. In der Praxis stellt aber die EZB die Zahlungsbilanz für die gesamte Eurozone auf. Die Mitgliedstaaten, die noch nicht den Euro eingeführt haben, führen weiterhin eine eigene, vollständige Zahlungsbilanz. Ist einer dieser Mitgliedstaaten hinsichtlich seiner Zahlungsbilanz in Schwierigkeiten oder besteht sogar eine Zahlungsbilanzkrise, so sind die anderen Mitgliedstaaten zum Beistand verpflichtet bzw. darf der betroffene Mitgliedstaat Schutzmaßnahmen ergreifen (Art. 119, 120 EG). Nähere Regelungen der Beistandspflicht durch Gewährung von Euro-Darlehen enthält VO (EG) 332/2002. (co) §§: VO (EG) 184/2005, ABl. 2005, Nr. L 35/23; VO (EG) 2223/96, ABl. 1996, Nr. L 310/1
Zahlungsdienste im Binnenmarkt payment services in the internal market – services de paiement dans le marché intérieur
Bereits seit Anfang der 90er Jahre arbeitet die ĺKommission an einer Vereinheitlichung der 1009
Zahlungsermächtigung mitgliedstaatlichen Märkte für Zahlungsdienste. Zu Anfang setzte die Kommission dabei auf das nicht rechtsverbindliche Instrument der Empfehlung (z.B.: die Empfehlungen 87/598/ EWG, 88/590/EWG, 90/109/EWG und 97/489/ EG). Das Ziel der Harmonisierung des entsprechenden mitgliedstaatlichen Bankvertragsrechts und damit einhergehend der Verbesserung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs wurde damit jedoch nach Einschätzung der Kommission nicht erreicht. Daher erließ die EG in den 90er Jahren zwei verbindliche Rechtsakte zur Regelung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs: Die RL 97/5/EG vom 27.1.1997 über ĺgrenzüberschreitende Überweisungen und die VO (EG) 2560/2001 vom 19.12.2001 über ĺgrenzüberschreitende Zahlungen in Euro. Sowohl die mit den unverbindlichen Empfehlungen als auch die durch diese beiden verbindlichen Rechtsakte erreichten Ziele haben es nach Ansicht der Kommission gleichwohl nicht vermocht die Rechtszersplitterung durch die einzelnen mitgliedstaatlichen Regelungen der Zahlungsdienste zu überwinden und einen funktionierenden Binnenmarkt für Zahlungsdienste zu errichten. Im Rahmen ihrer Politik eines ĺEinheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraumes strebt die Kommission daher eine weitreichendere Harmonisierung der Z.i.B. an. Zentrales Instrument dieses Vorhabens ist die Richtlinie 2007/64/EG über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (ABl. 2007, Nr. L 319/1). Durch diese Richtlinie wird die RL 97/5/EG (ĺÜberweisungsrichtlinie) mit Wirkung ab dem 1.11.2009 aufgehoben. Ihr wesentlicher Inhalt wie auch derjenige der genannten Empfehlungen wird weitgehend in die Richtlinie 2007/64/EG übernommen. Mit dieser sollen daher sowohl die bisher auf verschiedene Instrumente verstreuten Regelungen besser aufeinander abgestimmt als die Marktzugangsvoraussetzungen für Anbieter von Zahlungsdiensten verbessert sowie das Angebot von Zahlungsdiensten für die Verbraucher transparenter und für grenzüberschreitende Zahlungen einfacher gestaltet werden. Die Richtlinie 2007/64/EG ist am 25.12.2007 in Kraft getreten. Die Umsetzungsfrist läuft bis zum 31.10.2009. (mk) §§: RL 97/5/EG über grenzüberschreitende Überweisungen (ABl. 1997, Nr. L 43/25); VO (EG) 2560/2001 über grenzüberschreitende Zahlungen in Euro (ABl. 2001, Nr. L 244/13) Web: http://ec.europa.eu/internal_market/payments/ index_de.htm; zum Stand des Verfahrens zum Erlass
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der RL über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (COD/ 2005/245): http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier _real.cfm?CL=de&DosId=193603#385184
Zahlungsermächtigung payment appropriation – crédits de paiement
Eine Zahlungsermächtigung (Ausgabeermächtigung) ist eine haushaltsrechtliche Ermächtigung im ĺHaushaltsplan, auf deren Grundlage Verpflichtungen eingegangen werden dürfen, die zu Geldleistungen im jeweiligen Haushaltsjahr führen. Art. 7 Abs. 3 ĺHaushaltsordnung bestimmt insoweit: „Die Zahlungsermächtigungen decken die Ausgaben zur Erfüllung der im Laufe des Haushaltsjahrs eingegangenen und/ oder in früheren Haushaltsjahren eingegangenen rechtlichen Verpflichtungen.“ (gär) §§: Art. 7 Haushaltsordnung (VO [EG, Euratom] 1605/ 2002)
Zahlungssysteme ĺTARGET Zahlungsverkehr movement of payments – circulation des paiements
Schutzgut der ĺZahlungsverkehrsfreiheit des Art. 56 Abs. 2 EG. Der Begriff ist nicht legaldefiniert. In der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte finden sich nur partielle Definitionen desselben (EuGH, Rs. C-412/97 ED, Slg. 1999, I-3845, Rn. 17, EuGH, verb. Rs. 286/ 82 und 26/83 Luisi und Carbone, Slg. 1984, 377, Rn. 200 ff.). Allgemein lässt sich Z. definieren als grenzüberschreitende Wertübertragung in Form von ĺGeldkapital als Gegenleistung im Rahmen einer Kapitalanlage, für eine Warenlieferung oder für die Erbringung einer Dienstleistung (vgl. GA Kokott, in: EuGH, Rs. C-265/04 Bouanich, Slg. 2006, I-923, Fn. 17). Entscheidend für die Abgrenzung zum Kapitalverkehr nach Art. 56 Abs. 1 EG ist die Frage, ob Kapital zum Zwecke der Erfüllung einer Gegenleistung übertragen wird. Daneben kennt das sekundäre Gemeinschaftsrecht auch einen weitergehenden Begriff des Z., der allein auf in den jeweiligen Rechtsakten näher bestimmte grenzüberschreitende Wertübertragungen abstellt, ohne dass es auf den Zweck derselben ankommt. Dieser Begriff des Z. prägt die gesamte Politik der Kommission zur Schaffung eines ĺEinheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraumes (ĺZahlungsdienste im Binnenmarkt). In der Sache liegt er auch den sekundärrechtlichen
Zertifizierungsdiensteanbieter Regelungen zu ĺgrenzüberschreitenden Überweisungen und ĺgrenzüberschreitenden Zahlungen in Euro zugrunde. (mk) §§: Art. 56 Abs. 2 EG Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 56 EG, Rn. 302 ff.
Zahlungsverkehrsfreiheit free movement of payments – libre circulation des paiements
Die Z. nach Art. 56 Abs. 2 EG schützt den freien ĺZahlungsverkehr und ist eine spezielle Ausprägung der ĺKapitalverkehrsfreiheit. Der Unterschied zwischen beiden ist praktisch wichtig, weil sie anders als die Kapitalverkehrsfreiheit nicht den Beschränkungen des Art. 57 EG unterliegt. Die Z. dient in erster Linie als Korrelat zu den übrigen Grundfreiheiten, indem sie den grenzüberschreitenden Austausch der im Rahmen der Warenverkehrs-, Arbeitnehmer-, Niederlassungs-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit im mitgliedstaatlichen Verkehr zu erbringenden Gegenleistungen schützt. Bis zum In-Kraft-Treten des ĺVertrages von Maastricht am 1.1.1994 war die Liberalisierung des Zahlungsverkehrs nach Art. 106 Abs. 1 EWG a.F. ausschließlich an den Stand der Liberalisierung der jeweiligen Grundfreiheit geknüpft. Seit In-Kraft-Treten des ĺVertrages von Amsterdam am 1.5.1999 geht sie jedoch darüber hinaus, indem – vergleichbar der Regelung bei der ĺKapitalverkehrsfreiheit – zusätzlich der Zahlungsverkehr mit Drittstaaten geschützt wird. (mk) §§: Art. 106 EWG-Vertrag a.F.; Art. 56 Abs. 2 EG; Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG, ABl. 8.7.1988, Nr. L 178/5-18 Lit.: C. Ohler, in: ders. (Hrsg.), Europäische Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit – Kommentar zur den Art. 56 bis 60 EGV, der Geldwäscherichtlinie und der Überweisungsrichtlinie, 2002, Art. 56 EG, Rn. 299 ff.
Zahlungsverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Warenverkehrsfreiheit ĺKapitalverkehrsfreiheit, Abgrenzung zur Warenverkehrsfreiheit ZBJI Abkürzung für Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres; ĺPolizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)
Zeitnischen, slots slots – créneaux horaires
Die VO (EWG) 95/93 über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft (ABl. 1993, Nr. L 14/1) stellt eine Maßnahme zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen bei der Aufstellung von neutralen, transparenten und nicht diskriminierenden Regeln zur Zuweisung von Zeitnischen auf überlasteten Flughäfen für Starts und Landungen (slots) dar. Gemeinschaftsflughäfen, die zumindest zeitweise über zu geringe Kapazitäten verfügen, werden für diese Perioden zu „vollständig koordinierten Flughäfen“ erklärt. Die jeweiligen MS ernennen für diese koordinierten Flughäfen eine geeignete natürliche oder juristische Person zum Flughafenkoordinator. Dieser hat u.a. die Zeitnischen zuzuweisen sowie deren Nutzung zu überwachen. (sm) Zentralbanken, nationale national central banks – banques centrales nationales
Die nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten sind die alleinigen Zeichner und Inhaber des Kapitals der ĺEuropäischen Zentralbank (EZB). Sie bilden zusammen mit ihr das ĺEuropäische System der Zentralbanken (ESZB). Dabei ist gleichgültig, ob die jeweiligen Mitgliedstaaten bereits den Euro als gemeinsame Währung eingeführt haben. Als Währungsbehörde des Euro wird allerdings nur das sog. ĺEurosystem tätig, das aus den Zentralbanken des ĺEuroraums und der EZB besteht. Nur diese Zentralbanken sind auch verpflichtet, die Leitlinien und Weisungen der Beschlussorgane der EZB umzusetzen. Alle nationalen Zentralbanken müssen nach Art. 109 EG seit dem Beginn der dritten Stufe der ĺWirtschafts- und Währungsunion (1.1.1999) unabhängig sein. Die Mitgliedstaaten trifft insoweit eine Anpassungspflicht, um die Übereinstimmung ihrer Zentralbankstatute mit Gemeinschaftsrecht sicherzustellen. (co) Zentrale Beschaffungsstelle ĺBeschaffungsstelle, zentrale Zertifizierungsdiensteanbieter certification service-provider – prestataire de service de certification
Nach Art. 2 Abs. 11 der ĺSignaturrichtlinie ist ein Zertifizierungsdiensteanbieter eine Stelle 1011
Zhu und Chen-Entscheidung oder juristische oder natürliche Person, die Zertifikate ausstellt oder anderweitige Dienste im Zusammenhang mit elektronischen Signaturen bereitstellt. Die Anbieter unterliegen den innerstaatlichen Bestimmungen des Niederlassungsstaats. Sie müssen ihre Zertifizierungsdienste ohne vorherige Genehmigung bereitstellen können. Die ĺMitgliedstaaten können lediglich eine freiwillige Akkreditierung der Anbieter vorsehen. (fs) §§: RL 1999/93/EG, ABl. 2000, Nr. L 13/12
Zhu und Chen-Entscheidung Zhu and Chen case – jurisprudence Zhu et Chen
Gem. der Zhu und Chen-Entscheidung kann ein Aufnahmemitgliedstaat den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eines minderjährigen Kindes mit der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates nicht allein mit der Begründung ablehnen, dass der Erwerb dieser Staatsangehörigkeit darauf abgezielt habe, einem Staatsangehörigen eines Drittstaats ein Aufenthaltsrecht aufgrund Gemeinschaftsrechts zu verschaffen. Es ist nicht erforderlich, dass der Minderjährige selbst über die notwendigen Existenzmittel verfügt. S. ĺ Freizügigkeit, Missbrauchsvorbehalt. (ao) §§: Art. 18 EG, RL 90/364 Rsp.: EuGH, Rs. C-200/02 Zhu und Chen, Slg. 2004, I-9925
Ziel objective – objectif
Die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips hängt von der Erreichung der in Art. 5 Abs. 2 EG erwähnten ĺZiele konkret zu setzender ĺMaßnahmen ab. Die ĺZiele beziehen sich auf jene Aufgaben und Tätigkeiten, die in Art. 2 EG allgemein grundgelegt und im Einzelnen in den jeweiligen Bestimmungen über die in Art. 3 und 4 EG programmatisch erwähnten Politikfelder ausgeführt sind. Aufgabe der Gemeinschaft ist es gem. der allgemeinen Formulierung des Art. 2 EG, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in den Art. 3 und 4 EG genannten gemeinsamen Politiken und ĺMaßnahmen in der ganzen Gemeinschaft eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Gleichstellung von Männern und Frauen, ein beständi1012
ges, nichtinflationäres Wachstum, einen hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. (ag) §§: Art. 2, 3 und 4 EG Lit.: J. Ukrow, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 2 EGV; R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 2 EGV; A. von Bogdandy, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 15. Lfg. 2000, Art. 2 EGV; M. Zuleeg, in: H. von der Groeben/ J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 2 EGV
Zinsenrichtlinie savings directive – directive sur la fiscalité de l’épargne
Langtitel: RL 2003/48/EG des Rates vom 3.6. 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinsenerträgen Um Störungen des Kapitalverkehrs zu vermeiden und eine wirksame Besteuerung von Zinserträgen zu gewährleisten, die Privatpersonen in anderen Mitgliedstaaten als dem ihres Wohnsitzes vereinnahmen, wurde die gegenständliche Richtlinie erlassen, die es ermöglicht, die betreffenden Zinszahlungen im Einklang mit den Rechtsvorschriften des Wohnsitzmitgliedstaates einer wirksamen Besteuerung zu unterwerfen. Seit dem 1.7.2005 werden die Bestimmungen dieser Richtlinie in allen Mitgliedstaaten der EU angewandt. Dieselben Bestimmungen der Richtlinie werden seit demselben Tag auch in den zehn abhängigen oder assoziierten Gebieten der EU-Mitgliedstaaten angewandt. Hierzu wurden von allen 25 Mitgliedstaaten der EU und diesen Gebieten bilaterale Abkommen geschlossen. Außerdem finden seit demselben Datum in fünf europäischen Drittländern (unter anderem der Schweiz). (pu) Web: Hintergrundinformation über die Anwendung der ZinsenRL: http://europa.eu/rapid/pressReleases Action.do
Zivil-militärische Zelle ĺFähigkeiten, militärische Zivile Nutzung der Atomenergie ĺAtomenergie, friedliche/militärische Nutzung der
Ziviles Krisenmanagement Ziviles Krisenmanagement Civil Crisis Management – Gestion civile des crises
Die ĺEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) war in ihren Anfängen in erster Linie ein militärisches Unterfangen. Auf Bestreben v.a. der nordeuropäischen ĺMitgliedstaaten entwickelte sich jedoch die zivile Dimension der ESVP, die inzwischen eine anerkannte eigenständige Bedeutung erlangte. Ihr Engagement für ziviles Krisenmanagement unterstreicht das Bestreben der Europäischen Union, internationale Konflikte nicht einseitig durch militärische Mittel zu befrieden, sondern in Übereinstimmung mit der ĺEuropäischen Sicherheitsstrategie durch den möglichst kohärenten Einsatz politischer, wirtschaftlicher, militärischer und ziviler Instrumente nachhaltige Lösungen anzustreben. Die zivile Dimension unterscheidet die ESVP zugleich vom Krisenmanagement der ĺNATO, die als militärische Einrichtung einzig militärische Mittel einsetzt. Im Bereich des zivilen Krisenmanagements entwickelte sich die Europäische Union binnen kurzer Zeit zu einem der aktivsten Akteure weltweit, wie die zunehmende Zahl ziviler ĺESVP-Missionen belegt. Der Erfolg des zivilen Krisenmanagements führte dazu, dass das ursprüngliche Ziel des Jahres 2000 einer Einsatzfähigkeit von bis zu 5.000 Polizisten angesichts der Nachfrage nach zivilen ĺESVP-Missionen bald nicht mehr ausreichte. Daher verständigte sich die Mitgliedstaaten nach dem Vorbild der Absprachen zur Verbesserung der militärischen ĺFähigkeiten auf die Einrichtung einer Beitragskonferenz zu den zivilen Fähigkeiten, die beständig die Fortschritte der Mitgliedstaaten misst und neben Planziffern an Personal die Planungsressourcen verbessert und den schnellen Einsatz der zivilen ĺESVP-Missionen ermöglicht. Grundlage sind der Aktionsplan für die zivilen Aspekte der ESVP, den der Europäische Rat im Juni 2006 in Brüssel billigte (Rats-Dok. 10325/04) sowie die ministeriellen Erklärungen zur zivilen Beitragskonferenz vom November 2004 (RatsDok. 14724/04) und November 2006 (RatsDok. 14781/06). Ziel der Europäischen Union ist die gleichzeitige Planung und Durchführung mehrerer ziviler ĺESVP-Missionen unter Rückgriff auf die im Voraus abgestimmten nationalen Ressourcen der Mitgliedstaaten. Als integraler Bestandteil der ESVP unterfällt das zivile Krisenmanagement der ĺintergouvernementalen Entscheidungsfindung der zweiten Säule der ĺEuropäischen Union und grün-
det mithin auf dem ĺRat als zentralem Entscheidungsorgan. Die supranationalen Organe der ersten Säule aufgrund des EG-Vertrags stehen der erfolgreichen Entwicklung des zivilen Krisenmanagements krit. ggü. und versuchen durch die dynamische Entwicklung auswärtiger EG-Programme teils entsprechende Kapazitäten aufzubauen. Dies gilt insb. für Projekte der Entwicklungshilfe sowie der technischen Zusammenarbeit mit Drittstaaten, die anders als die ESVP über umfassende Finanzmittel aufgrund des EU-Haushalts verfügen. Im Vorfeld zahlreicher ziviler ESVP-Missionen kann es zu interinstitutionellen Auseinandersetzungen zwischen ĺRat und ĺKommission. Tatsächlich kommt der möglichst kohärenten Zusammenarbeit des zivilen Krisenmanagements mit externen EG-Politiken große Bedeutung bei. Der besondere Mehrwert der zivilen ĺESVPMissionen im Vergleich zu Kommissionsprojekten liegt im Zugriff der im ĺRat vereinigten nationalen Regierungen auf die nationalen Personalressourcen von Polizei, Justiz und Grenzschutz. Die bislang durchgeführten zivilen ĺESVPMissionen sind im dortigen Eintrag aufgeführt. Hierbei entwickelten sich verschiedene Typen ziviler Krisenmanagementeinsätze, deren Zuschnitt sich von Fall zu Fall unterscheidet und die daher keinen einheitliches numerus clausus zivilen Krisenmanagements begründen: ƒ EUPOL = Polizeimission zum Aufbau von Polizeikräften zur Sicherung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach westlichen Standards als einem wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Befriedung ehemaliger Konfliktregionen. ƒ EUJUST = Rechtsstaatsmission zur Reform des Justizwesens, insb. im Bereich der Strafjustiz und der Strafvollziehung (Gefängnisse) zum Aufbau eines Vertrauens der Bevölkerung in den Staat als Garant der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. ƒ EUSEC = Reform des Sicherheitssektors (englisch „security“) als beratende Rahmenmission zum Aufbau tragfähiger und rechtsstaatlicher Staatsfunktionen zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Die Reform des Sicherheitssektors (englisch „Security Sector Reform SSR“) ist in den internationalen Sicherheitsstudien ein gängiger Fachbegriff. ƒ BAM = Unterstützung des Grenzschutzes (englisch „Border Assistance Mission BAM“) zur Vermeidung grenzüberschreitender Kri1013
Zivilluftfahrt, technische Untersuchungen minalität, einschließlich des Schmuggels von Menschen und Waffen. ƒ MM = Überwachungsmission (englisch „Monitoring Mission MM“) zur Überwachung und Kontrolle politischer Vereinbarung, etwa zur Entwaffnung bestimmter Regionen oder Militärverbände als Teil eines Friedensvertrags nach dem Vorbild entsprechender Überwachungsmissionen der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen. (dt) Lit.: R. Rummel, Die zivile Komponente der ESVP, SWP-Studie 2006, 16: http://www.swp-berlin.org; H.G. Ehrhart, Die EU als zivil-militärischer Krisenmanager: zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Integration 2005, 217 Web: http://www.consilium.europa.eu/
Zivilluftfahrt, technische Untersuchungen civil aviation, technical investigation – aviation civile, enquêtes techniques
Durch die RL 94/56/EG (ABl. 1994, Nr. L 319/ 14) werden Grundsätze für die Untersuchung von Unfällen und Störungen in der Zivilluftfahrt festgelegt. Zweck der ĺRL ist die zügige Durchführung technischer Untersuchungen von Unfällen und Störungen in der Zivilluftfahrt. Damit soll sie einen Beitrag zur Erhöhung der Luftverkehrssicherheit durch die Verhütung künftiger Unfälle und Störungen leisten. Die Klärung von Haftungs- oder Schuldfragen wird ausgeklammert. Vorgesehen ist eine Untersuchungspflicht aller Unfälle und schwerer Störungen. Einzurichtenden Untersuchungsstellen werden bestimmte Rechte übertragen: Sie legen innerhalb der Grenzen der RL den jeweiligen Umfang und des anzuwendende Verfahren fest und haben über gewisse Untersuchungsfreiheiten zu verfügen, die ihnen von den ĺMS zuzuerkennen sind (z.B. freier Zutritt zur Unfallsstelle). Es sind Unfallberichte sowie Sicherheitsempfehlungen zu verfassen; eine Abschrift ist an die ĺKommission zu übersenden. (sm) Zivilluftfahrt, technische Vorschriften civil aviation, technical requirements – aviation civile, règles techniques
Die VO (EWG) 3922/91 (ABl. 1991, Nr. L 373/ 4) stellt eine allgemeine Maßnahme zur ĺHarmonisierung der technischen Vorschriften und Verwaltungsverfahren in der Zivilluftfahrt dar. Durch sie erfolgt die Angleichung der Vorschriften auf dem Gebiet der Sicherheit in der Zivilluftfahrt, die sich sowohl auf die Entwicklung, Herstellung, den Betrieb und die Instand1014
haltung von Luftfahrzeugen als auch auf Personen und Stellen beziehen, die diese Tätigkeit ausführen. In sachlicher Hinsicht erfolgt eine Anpassung an die Vereinbarungen der JointAviation-Authorities (JAA), einer der Europäischen Zivilluftfahrtkonferenz (ECAC) angeschlossenen Organisation, die eine Zusammenarbeit bei der Ausarbeitung und Durchführung gemeinsamer Vorschriften (Joint-Aviation-Requirements, JAR) für alle Bereiche der Sicherheit ohne des sicheren Betriebes von Luftfahrzeugen vorsehen. (sm) Zölle (freier Warenverkehr) customs duties (free movement of goods) – droits de douane (libre circulation des marchandises)
Ein- und Ausfuhrzölle (ĺZoll) im innergemeinschaftlichen Handel sind gem. Art. 23 und Art. 25 EG per se verboten. Diesese Verbot gilt sowohl für Schutzzölle wie auch für Finanzzölle. Ein Zoll im Sinne des EG-Vertrages ist eine hoheitliche Abgabe zu verstehen, die auf Güter anlässlich der Grenzüberschreitung auf der Grundlage eines ĺZolltarifs erhoben und die als Zoll bezeichnet wird. Terminolgisch davon zu unterscheiden sind solche Abgaben, die zwar nicht als Zölle bezeichnet werden, aber die selbe Wirkung entfalten wie diese. Diese ĺzollgleichen Abgaben werden rechtlich genauso wie Zölle behandelt und sind daher gleichermaßen vom Per-se-Verbot erfasst. (rp) §§: Art. 23 EG, Art. 25 EG Lit.: N. Vaulont, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 25 EGV, Rn. 3 ff.; J. Kohler, Abgaben zollgleicher Wirkung im Recht der Europäischen Gemeinschaften, 1978, 26 ff.
Zollgleiche Abgabe und innerstaatliche Abgabe, Abgrenzung charge having an equivalent effect to customs duties, internal taxation – taxes d’effet équivalent à un droit de douane
Die Abgrenzung zwischen ĺzollgleichen Abgaben und ĺinnerstaatlichen Abgaben ist erforderlich, da hier 2 unterschiedliche, nicht kumulativ anwendbare Normen einschlägig sind: Art. 25 EG verbietet per se zollgleiche Abgaben, Art. 90 EG verbietet lediglich diskriminierende innerstaatliche Abgaben. Das Abgrenzungsmerkmal liegt darin, dass eine zollgleiche Abgabe ausschließlich die über die Grenze verbrachte Ware als solches, eine inländische Abgabe aber eingeführte, ausgeführte und inländische Waren systematisch nach gleichen, ob-
Zollunion (freier Warenverkehr) jektiven Kriterien trifft. Ein Abgrenzungsproblem kann sich in zweierlei Hinsicht stellen: 1. eine Abgabe wird auf eine Ware erhoben, die im Inland nicht hergestellt, d.h. ausschließlich importiert wird. Eine derartige Abgabe wird vom ĺEuGH dann als innerstaatliche Abgabe (Art. 90 EG) gewertet, wenn sie Teil eines allgemeinen inländischen Abgabensystems ist, das grundsätzlich auch einheimische Waren erfassen würde und im konkreten Fall gewissermaßen nur zufällig ausschließlich Importwaren trifft, weil es momentan keine entsprechenden inländischen Produkte gibt. 2. eine Abgabe wird zwar sowohl auf inländische als auch ausländische Waren erhoben, der Ertrag wird aber dazu verwendet, um die betreffende inländische Produktion zu unterstützen. Diesbezüglich differenziert der EuGH wie folgt: Wird die finanzielle Belastung für inländische Erzeugnisse durch den Zuschuss vollständig ausgeglichen (trifft sie faktisch also ausschließlich die ausländische Ware), ist diese Belastung als zollgleiche Abgabe (Art. 25 EG) anzusehen; wird durch den Zuschuss die Belastung für die inländischen Erzeugnisse nur teilweise ausgeglichen, liegt eine diskriminierende innerstaatliche Abgabe (Art. 90 EG) vor. (rp) §§: Art. 25 EG, Art. 90 EG Lit.: T. Eilmansberger/G. Herzig/T. Jäger/P. Thyri, Materielles Europarecht, 2005, Rn. 38 ff.; H. G. Kamann, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 90 EGV, Rn. 30 ff. Rsp.: EuGH, Rs. C-383/01 De Danske Bilimportører, Slg. 2003, I-6065; Rs. 90/79 Kommission/Frankreich (Reprographieabgabe), Slg. 1981, 283; EuGH, Rs. 77/ 72, Capolongo, Slg. 1973, 611
Zollkodex community customs code – code des douanes communautaire
Darin wird das ĺZollrecht und das Verfahren zur Einhebung von ĺZöllen an den Außengrenzen vereinheitlicht. Der Vollzug des Außenzollrechts obliegt den ĺMitgliedstaaten, die eine Entschädigung für den Aufwand in Form von 25 % der betreffenden Einnahmen erhalten (ĺZollunion, ĺZolltarif). (ah) §§: VO (EG) 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. 1992, Nr. L 302/1; zuletzt geändert durch VO (EG) 1791/2006
Zollrecht customs legislation – règles douanières
Die wesentliche Grundlage des Zollrechts der Gemeinschaft bildet der ĺZollkodex, der in
der Rechtsform einer Verordnung des ĺRates erlassen wurde. Ergänzt wird dieser durch die Bestimmungen der Zollkodex-Durchführungsverordnung (ZK-DVO). (güh) §§: VO (EG) 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der VO (EG) 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. 1993, Nr. L 253/1; zuletzt geändert durch VO (EG) 214/2007
Zolltarif common customs tariff – tarif douanier commun
Der Gemeinsame Zolltarif ist geregelt in der VO (EWG) 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif und enthält mehrere tausend Tarifpositionen mit jeweils zugeordneten Zollsätzen. Aufgrund der Abschaffung von ĺZöllen zwischen den ĺMitgliedstaaten (ĺZollunion) ist nur die gemeinsame Zollerhebung gegenüber den Drittländern wesentlich. Die Zollschuld richtet sich nach den im Zolltarif festgelegten Abgaben. Nach Art. 4 der VO besteht der Gemeinsame Zolltarif aus den Abgabensätzen, die sich nach der ĺKombinierten Nomenklatur von ĺWaren richten (s.a. ĺTARIC). (ah) §§: VO (EWG) 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, ABl. 1987, Nr. L 256/1; zuletzt geändert durch die VO (EG) 733/2007 Lit.: W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 621; M. Lux, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 6. Aufl. 2004, Art. 26 f. EGV, Rn. 12 ff.
Zollunion customs union – d’union douanière
Die Zollunion wird als Grundlage der Gemeinschaft bezeichnet (Art. 23 Abs. 1 EG). Von der EWG bereits am 1.7.1968 verwirklicht. Gleichzeitig damit wurde ein Gemeinsamer Zolltarif gegenüber ĺDrittländern eingeführt (VO [EWG] 950/68 des Rates vom 28.6.1968, ABl. 1968, Nr. L 172/1968, 1). (gm) Zollunion (freier Warenverkehr) customs union (free movement of goods) – union douanière (libre circulation des marchandises)
Nach Art. 23 EG ist die Grundlage der Gemeinschaft eine Zollunion, welche sich auf den gesamten Warenaustausch bezieht. Das Verbot von Ein- und Ausfuhrzöllen ist wesentlich für das Funktionieren des ĺfreien Warenverkehrs. Ziel der Zollunion ist die wirtschaftliche In1015
Zugang zu Dienstleistungen tegration ohne hinderliche Binnengrenzen (s.a. ĺBinnenmarkt). Die Mitglieder einer Zollunion wenden gegenüber Drittländern eine gemeinsame Handelspolitik an, daher bedarf es keiner Regelung zur Bestimmung der ĺWaren, die innerhalb der Zollunion frei gehandelt werden können. Eine Zollunion geht somit weiter als eine Freihandelzone (ĺEuropäische Freihandelszone). Bei der Entwicklung der gemeinschaftlichen Zollunion sind zwei Stufen zu unterscheiden, einerseits der Abbau der Binnenzölle zwischen den ĺMitgliedstaaten, andererseits die Errichtung eines gemeinsamen Außenzolls durch den gemeinsamen ĺZolltarif. Die gemeinschaftliche Zollunion umfasst nicht nur die 27 ĺMitgliedstaaten sondern seit 1996 auch die ĺTürkei. Nicht Teil der Zollunion sind hingegen Staaten des ĺEWR. Jede finanzielle Belastung, die an die Überschreitung der Staatsgrenzen anknüpft, behindert den ĺfreien Warenverkehr. Das Verbot von Einund Ausfuhrzöllen enthält daher keine Ausnahmen. Erfasst sind ĺGemeinschaftswaren und ĺWaren im freien Verkehr. Normadressaten sind die Mitgliedstaaten und selbstverständlich die Organe der Gemeinschaft. Aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit des Rechts kann sich jeder Unionsbürger vor den nationalen Gerichten auf das Verbot von Ein- und Ausführzöllen berufen. (ah) Lit.: C. Waldhoff, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 25 EGV, Rn. 2 f.; W. Schön, Der freie Warenverkehr, die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten und der Systemgedanke im europäischen Steuerrecht: Die Grundlagen und das Verbot der Zölle und zollgleichen Abgaben, EuR 2001, 216 (Teil I), 341 (Teil II) Rsp.: EuGH, Rs. 41/76 ĺDonckerwolcke, Slg. 1976, 1921
Zugang zu Dienstleistungen ĺDienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, Zugang Zugang zu Dokumenten right to access to documents – droit d’accès aux documents
Die ĺGRC verbürgt ein ĺGrundrecht auf Zugang zu Dokumenten des ĺEuropäischen Parlaments, des ĺRats und der ĺKommission (Art. 42 GRC/Art. II-102 EVV). Das Recht beruht auf demokratischer Transparenz. (ed) §§: Art. 42 GRC/Art. II-102 EVV Lit.: H. D. Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 37; S. Magiera, in: J. Meyer (Hrsg.), GRC, 2. Aufl. 2006, Art. 42
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Zugangsverordnung (Energierecht) regulation on conditions for access to the natural gas transmission networks (energy law) – règlement concernant les conditions d’accès aux réseaux de transport de gaz naturel (législation en ce qui concerne la production et la distribution de l’énergie)
Die „Zugangsverordnung“, VO (EG) 1775/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.9.2005 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen regelt – mit Wirkung vom 1.7.2006 – den Netzzugang zu ĺFernleitungsnetzen. Die Betreiber von Fernleitungsnetzen sind verpflichtet, für den Erdgastransport die größtmögliche Kapazität zur Verfügung zu stellen. Außerdem wird die Pflicht für ein ĺEngpassmanagement normiert. Die Z. ergänzt damit die ĺErdgasbinnenmarktrichtlinie. Ihr Regelungsgegenstand ist dem der ĺStromhandelsverordnung für den Elektrizitätsbereich ähnlich. (hh) Lit.: B. Raschauer, Handbuch Energierecht, 2006, 82 ff., 186 ff.
Zulassung gesundheitsbezogener Angaben application for authorisation of a health claim – demande d’autorisation des allégations de santé
Um ĺLebensmittelunternehmern die Vorbereitung und Stellung eines Antrags auf wissenschaftliche Bewertung gesundheitsbezogener ĺAngaben für Lebensmittel i.S.v. Art. 15 Abs. 5 der VO (EG) 1924/2006 (sog. ĺHealth Claims Verordnung) zu vereinfachen, veröffentlichte die ĺEuropäische Behörde für Lebensmittelsicherheit am 26.7.2007 „Leitlinien zur Beantragung von gesundheitsbezogenen Angaben“ samt Zulassungsformularen. Ziel dieser Leitlinie ist festzulegen, welche wissenschaftlichen Daten und Nachweise ein Unternehmer einem Antrag auf Zulassung gesundheitsbezogener Angaben für ĺLebensmittel beizufügen hat. Hierbei erfasst die Leitlinie zunächst gesundheitsbezogene Angaben von Lebensmitteln über die Verringerung eines Krankheitsrisikos sowie Angaben über die Entwicklung und Gesundheit von Kindern i.S.v. Art. 14 der VO (EG) 1924/2006. Zu einem späteren Zeitpunkt wird die Leitlinie um Hinweise für die Zulassung anderer gesundheitsbezogener Angaben ergänzt, die ein Lebensmittelunternehmer nach Art. 18 der VO (EG) 1924/ 2006 zu verwenden beabsichtigt, die aber nicht in der nach Art. 13 Abs. 3 der VO (EG) 1924/ 2006 vorgesehenen Liste aufgeführt sind. Der Antrag auf Zulassung einer gesundheitsbezogenen Angabe hat nach Art. 15 Abs. 3 der VO (EG) 1924/2006 insbesondere
Zurechenbarkeit 1. die Bezeichnung des Nährstoffs oder der anderen Substanz oder des Lebensmittels oder der Lebensmittelkategorie, wofür die gesundheitsbezogene Angabe gemacht werden soll, sowie die jeweiligen besonderen Eigenschaften und 2. ein Vorschlag für die Formulierung der gesundheitsbezogenen Angabe, deren Zulassung beantragt wird, zu enthalten. Des Weiteren hat der Antragsteller seinen Namen und seine Anschrift, die Kopie der Studien hinsichtlich der gesundheitsbezogenen Angaben sowie eine Kopie anderer wissenschaftlicher Studien dem Zulassungsantrag beizufügen. (mkr) §§: Art. 13, 14, 15, 18 VO (EG) 1924/2006; Scientific and technical guidance for the preparation and presentation of the application for authorisation of a health claim (Request Nr. EFSA-Q-2007-006) Web: http://www.efsa.eu
Zulassungserfordernis ĺZulassungsverfahren (für Waren) Zulassungsmodalität (Dienstleistungsfreiheit) modalities of approval (freedom to provide services) – modalités d’agréation (libre prestation de services)
Z. für ĺDienstleistungen sind z.B. Rechtsträgervorbehalte, Berufs- und Tätigkeitszulassungsvoraussetzungen oder Befähigungsnachweise. Z. sind nicht grundsätzlich verboten, solange sie nicht diskriminierend eingesetzt werden und eine Rechtfertigung aus ĺzwingenden Gründen des Allgemeininteresses vorliegt (EuGH, Rs. C-340/89 Vlassopoulou, Slg. 1991, I-2357, Rn. 16). Auch dürfen sie nicht angewandt werden, wenn schon eine RL zur gegenseitigen Anerkennung von Diplomen (ĺDiplomanerkennungsRL; ĺBerufsanerkennungsRL) für den betreffenden Sektor besteht. (sh) Lit.: P. Müller-Graff, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 49 EGV, Rn. 93
Zulassungsverfahren, für Waren registration procedure of goods – procédure d’autorisation de mise sur le marché
Zulassungsverfahren sind eine Form der ĺAbsatzbeschränkung. Es wird kein Verbot ausgesprochen, jedoch das Inverkehrbringen spezifischer ĺWaren von einer Zulassung oder Genehmigung abhängig gemacht. Anders als bei der ĺKonezessionserfordernis wird an die Eigenschaft oder die Zusammensetzung der Ware angeknüpft; z.B. Zulassungserfordernisse für
Funk- und Fernsehsprechgeräte oder die Zulassung ausländischer Gebrauchtfahrzeuge wird an die Vorlage bestimmter Dokumente gebunden, die für Neufahrzeuge nicht erforderlich sind. Ein Zulassungsverfahren für Waren ist i.S.d. Art. 28 EG stets tatbestandsmäßig, kann jedoch durch ĺSekundärrecht (z.B. RL zur Arzneimittelzulassung) zulässig sein oder aufgrund ĺzwingender Erfordernisse bzw. nach Art. 30 EG gerechtfertigt werden. (ah) Lit.: W. Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 1: Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 873 f. Rsp.: EuGH, Rs. C-18/88 GB-Inno-BM, Slg. 1991, I-5941, Rn. 32; EuGH, Rs. 154/85 Kommission/Italien, Slg. 1987, 2717, Rn. 8
Zurechenbarkeit imputability – imputabilité
Von der Frage, ob eine Beihilfe aus ĺstaatlichen Mitteln gewährt wird, ist die Prüfung der Zurechenbarkeit einer Maßnahme zu unterschieden. Beide Kriterien müssen neben den übrigen Voraussetzungen (s. ĺstaatliche Beihilfe) kumulativ erfüllt sein, um von einer staatlichen Beihilfe i.S.d. Art. 87 EG ausgehen zu können. Seit der Rs. Stardust Marine stellt der Gerichtshof zur Annahme einer staatlichen Beihilfe neben dem generellen potenziellen Einfluss der öffentlichen Hand auf ein Unternehmen auch auf die Tatsache ab, ob der Staat die Kontrolle im konkreten Fall tatsächlich ausgeübt hat. Da angesichts der engen Beziehungen zwischen dem Staat und öffentlichen Unternehmen einem Mitbewerber nicht zugemutet werden kann, im konkreten Fall eine Anweisung der Behörden nachzuweisen, stellt der Gerichtshof auf Indizien im konkreten Fall ab. Diese Indizien ergeben sich aus den Umständen des konkreten Falles. Demnach sind für die Zurechenbarkeit einer Beihilfenmaßnahme eines öffentlichen Unternehmens zum Staat die Eingliederung des Unternehmens in die öffentliche Verwaltung des Mitgliedstaates, die Art der Tätigkeit und deren Ausübung auf dem Markt, der Rechtsstatus des Unternehmens, die Intensität der behördlichen Aufsicht über die Unternehmensführung und alle anderen Indizien, die auf eine Beteiligung der Behörden hinweist, entscheidend. Als konkrete Beispiele aus der Rsp. dienen etwa Unternehmen, die bei der Entscheidungsfindung den Anforderungen der öffentlichen Stellen Rechnung zu tragen haben bzw. Beihilfe gewährende Unternehmen, die Richtlinien eines interministeriellen Auschus1017
Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) ses für Wirtschaftsplanung (CIPE) zu beachten haben. Ganz allgemein kann immer dann von dem Staat zuzurechnenden Einrichtungen ausgegangen werden, wenn Entscheidungen dieser Einrichtungen einer Zustimmung staatlicher Behörden vorbehalten sind. Eine Maßnahme kann daher nicht schon alleine aufgrund einer staatlichen Mehrheitsbeteiligung oder einer Mehrheit staatlicher Vertreter in den Entscheidungsgremien dem Staat zugerechnet werden. Vielmehr muss darüber hinaus eine konkrete Einflussnahme der öffentlichen Hand auf die Durchführungsentscheidung eines Unternehmens vorliegen. (jr) §§: Art. 87 Abs. 1 EG Lit.: A. Bartosch, Schranken-Schranken in der EGBeihilfenkontrolle – Tendenzen der jüngsten Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte, NJW 2002, 3588 Rsp.: EuGH, Rs. C-482/99, Slg. 2002, I-4397
Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) Cooperation in the Fields of Justice and Home Affairs (CJHA) – La cooperation dans les domaines de la justice et des affaires intérieures (CJAI)
Mit Gründung der ĺEU durch den 1993 in Kraft getretenen ĺVertrag von Maastricht geschaffene sog. ĺDritte Säule, die zum damaligen Zeitpunkt sowohl die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Kriminalitätsprävention und Strafverfolgung als auch die ziviljustizielle Zusammenarbeit und diejenige in den Bereichen Visa, Asyl und Einwanderung enthielt. Mit dem 1999 in Kraft getretenen ĺVertrag von Amsterdam wurden die beiden letztgenannten Bereiche in den ĺEG-Vertrag überführt. Die ĺDritte Säule umfasst seither allein die ĺPolizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). (sts) Zusammenarbeit, grenzüberschreitende ĺGrenzüberschreitende Zusammenarbeit Zusammenfassende Meldungen (steuerrechtlich) recapitulative statements (tax law) – états récapitulatifs (droit fiscal)
Die ordnungsgemäße Besteuerung des innergemeinschaftlichen Handels, speziell die Korrespondenz zwischen Steuerfreiheit von ĺinnergemeinschaftlicher Lieferung und Erwerbsbesteuerung wird durch mehrere Mechanismen gewährleistet. Eine zentrale Rolle spielt hiebei neben der Umsatzsteueridentifikationsnummer die Zusam1018
menfassenden Meldung (ZM), mit der der Unternehmer periodisch die Finanzverwaltung über seine innergemeinschaftliche Lieferungen und Warenbewegungen zu informieren hat. Damit ist die Basis für einen Informationenaustausch zwischen den Finanzverwaltungen der Mitgliedstaaten zwecks Kontrolle der Besteuerung des ĺinnergemeinschaftlichen Erwerbes im EU-Ausland gelegt (s. ĺMIAS). (pu) §§: Art. 22 6. MwStRL; VO (EWG) 218/92 vom 27.1. 1992
Zusammenschluss merger – concentration
Der für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der ĺFusionskontrollverordnung (FKVO) maßgebliche Begriff des Zusammenschlusses ist in Art. 3 FKVO definiert. Hiernach ist für den Tatbestand eines Zusammenschlusses die dauerhafte Veränderung der Marktstruktur entscheidend, und zwar entweder durch eine Fusion bislang voneinander unabhängiger Unternehmen oder Unternehmensteile (Abs. 1 lit. a) oder durch die Erlangung dauerhafter Kontrolle über bisher vom Erwerber unabhängige Unternehmen oder Unternehmensteile (Abs. 1 lit. b). Zur Auslegung des Begriffs des Zusammenschlusses in Art. 3 FKVO durch die Kommission ist auch die Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Zusammenschlussmitteilung) heranzuziehen. Eine Fusion i.S.d. Art. 3 Abs. 1 lit. a liegt nach der Zusammenschlussmitteilung in erster Linie dann vor, „wenn zwei oder mehr bisher voneinander unabhängige Unternehmen zu einem neuen Unternehmen verschmelzen und keine eigene Rechtspersönlichkeiten mehr bilden“, oder „wenn ein Unternehmen in einem anderen Unternehmen aufgeht, wobei das letztere seine Rechtspersönlichkeit behält, während das erstere als juristische Person untergeht“. Der Kontrollerwerb i.S.d. Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO ist in Abs. 2 als die Erlangung der Möglichkeit zur Ausübung bestimmenden Einflusses näher bestimmt. Dies wird anhand sämtlicher rechtlicher (insbesondere: Erwerb von Anteilsrechten oder Vermögenswerten, Abschluss von Unternehmensverträgen) wie auch tatsächlicher Umstände des Einzelfalls ermittelt. Ob der Einfluss tatsächlich ausgeübt wird, ist ohne Belang. (mke) §§: Art. 3 und Erwägungsgrund 20 der VO (EG) 139/ 2004 des Rates über die Kontrolle von Unterneh-
Zustimmungsgesetz (deutsche Rechtslage) menszusammenschlüssen vom 20.1.2004; Mitteilung der Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der VO (EWG) 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 2.3.1998, Nr. C 66/5 Lit.: M. Broberg, The concept of control in the merger control regulation, ECLR 2004, 743 ff.; M. Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, 1996
Zusatzstoffe additives – additifs
Um die Eigenschaften, den Geschmack, das Aussehen, die Haltbarkeit, die Herstellung und die leichtere Fertigstellung zu sichern oder um den Nährwert von ĺLebensmitteln zu verbessern, werden Zusatzstoffe verwendet. Zusatzstoffe dürfen Lebensmitteln nur zugesetzt werden, wenn und soweit sie dafür ausdrücklich zugelassen sind. Insofern unterliegt das Zusatzstoffrecht einem generellen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Die wichtigsten Stoffgruppen hat der Gemeinschaftsgesetzgeber durch ĺRichtlinien nach Art. 249 Abs. 3 EG angeglichen. Nachdem die Richtlinien für einzelne Zusatzstoffe bzw. Zusatzstoffgruppen zunächst darauf beschränkt waren, die in den jeweiligen Anlagen enthaltenen Zusatzstoffe nicht generell zu verbieten, stand es den Mitgliedstaaten frei, den Inhalt sowie die Höchstmenge von Zustatzstoffen für einzelne Lebensmittel selbst festzulegen. Die RahmenRL 89/107/EWG enthielt jedoch bereits eine Liste von ausschließlich zu verwendenden Zusatzstoffen sowie eine Liste von Lebensmitteln, denen nur bestimmte Lebensmittel zugesetzt werden dürfen. Eine derartige Ausschließlichkeitsregelung wurde auch für Farbstoffe, Süßungsmittel und andere Lebensmittelzusatzstoffe in den Richtlinien 94/36/EG, 94/35/EG, 95/2/EG sowie 88/334/EWG aufgenommen. Nach Art. 249 Abs. 3 EG waren diese Richtlinien durch die Mitgliedstaaten in innerstaatliches Recht umzusetzen. Nationale Behörden und Gerichte haben aufgrund des ĺAnwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts widersprechende, mitgliedstaatliche Bestimmungen außer Acht zu lassen. (mkr) §§: RL 89/107/EWG; RL 88/334/EWG; RL 94/36/EG; RL 94/35/EG; RL 95/2/EG Lit.: W. Zipfel/K. Rathke (Hrsg.), Lebensmittelrecht, Bd. II, C. 120
Zuschlag contract award – attribution des marchés
Mit dem Zuschlag im Sinn des ĺVergaberechts fixiert der öffentliche ĺAuftraggeber nach der
Prüfung der ĺAngebote und dem Ausscheiden der nicht in Frage kommenden Angebote, welches der verbleibenden Angebote gem. seinen Zuschlagskriterien das am besten geeignete ist und welcher ĺBieter damit den Zuschlag erhält. Der Zuschlagsempfänger wird zum ĺAuftragnehmer. Für die Zuschlagserteilung kommen zwei Kriterien in Betracht: ƒ der niedrigste Preis (Billigstbieterprinzip) oder ƒ das wirtschaftlich günstigste Angebot (Bestbieterprinzip): Bei dieser Variante hat der Auftraggeber die Kriterien, die für die wirtschaftliche Günstigkeit maßgeblich sind (z.B. Qualität, Preis, Zweckmäßigkeit, Betriebskosten, Lieferzeitpunkt), mit dem ihnen beigemessenen Gewicht anzugeben. Die Kriterien müssen mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen und sie dürfen nicht diskriminierend sein. Der EuGH hat festgehalten, dass nicht jedes Kriterium für die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes rein wirtschaftlicher Art sein muss (EuGH 17.9. 2002, Rs. C-513/99 Concordia Bus, Slg. 2002, I-7213; die Heranziehung von Umweltschutzkriterien wurde in diesem Erkenntnis grds. für zulässig erachtet). Der EuGH hat in seiner Rsp. zu den ĺRechtsmittelRL festgehalten, dass die Entscheidung des Auftraggebers, wem der Zuschlag erteilt werden soll, jedenfalls nachprüfbar und ggf. aufhebbar sein muss (EuGH 28.10.1999, Rs. C81/98 Alcatel Austria, Slg. 1999, I-7671). (cm) §§: Art. 53 VergabeRL Lit.: S. Arrowsmith, The Law of Public and Utilities Procurement, 2005, 499; H.-J. Prieß, Handbuch des Europäischen Vergaberechts, 2005, 272 Web: http://ec.europa.eu/internal_market/publicpro curement/legislation_de.htm
Zuständigkeit (Zivil- und Handelssachen) ĺInternationale Zuständigkeit Zustellung (Zivil- und Handelssachen) ĺEuropäische Zustellverordnung in Zivil- und Handelssachen Zustimmungsgesetz (deutsche Rechtslage) act of sanctioning/law of assent (German legal situation) – loi du assentiment (situation juridique allmande)
Gesetz, mit dem der ĺBundestag und ggf. der ĺBundesrat ihre Zustimmung zum Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages erteilen. Nach Art. 59 Abs. 2 GG erforderlich bei Verträgen, 1019
Zustimmungsverfahren die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen. Das Zustimmungsgesetz enthält die Ermächtigung des Bundespräsidenten zur Ratifikation des Vertrages und zugleich den innerstaatlichen ĺRechtsanwendungsbefehl. Bei der Übertragung von ĺHoheitsrechten erfüllt das Zustimmungsgesetz auch den Gesetzesvorbehalt der Art. 23 Abs. 1 Satz 2 bzw. Art. 24 Abs. 1 GG. Zustimmungsgesetze waren insb. erforderlich für die Gründungs- und Änderungsverträge der Europäischen Gemeinschaften und der EU. (sgk) Zustimmungsverfahren process of assent – procédure d’assentiment
Neben dem ĺAnhörungsverfahren, dem ĺKooperationsverfahren und dem ĺKodezisionsverfahren ist in seltenen Fällen zur Erlassung eines ĺRechtsaktes die Zustimmung des ĺEuropäischen Parlaments erforderlich (vgl. bspw. Art. 161 EG). Dieses Verfahren beginnt wie in den anderen Verfahren üblich mit einem Vorschlag der ĺKommission, der dem Europäischen Parlament zur Zustimmung weitergeleitet wird. Sollte dieses nach Art. 198 EG mit absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmen dem Vorschlag zustimmen, wird dieser (nach Anhörung des ĺWirtschafts- und Sozialausschusses und des ĺAusschlusses der Regionen) dem ĺRat übermittelt, der den Rechtsakt mit qualifizierter Mehrheit erlassen kann. In weiteren besonders bedeutsamen Angelegenheiten ist außerdem die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich, wobei die jeweiligen Verfahrensvorschriften besonders geregelt sind. Dies ist bspw. für ĺSanktionsmaßnahmen gegen Mitgliedstaaten (Art. 7 Abs. 2 EG), den Beitritt neuer Mitglieder (Art. 49 EG), den Abschluss von ĺAssoziierungsabkommen (Art. 310 EG) und sonstiger Abkommen, die durch Einführung von Zusammenarbeitsverfahren einen besonderen institutionellen Rahmen schaffen, sowie Abkommen mit erheblichen finanziellen Folgen für die Gemeinschaft und Abkommen, die eine Änderung eines nach dem Verfahren des Art. 251 EG angenommen Rechtsaktes bedingen (Art. 300 Abs. 3 UAbs. 2 EG). (gh) §§: Art. 7 Abs. 2, 49, 161, 251, 300 Abs. 3 UAbs. 2, 310 EG
Zuverlässigkeit ĺSubjektive Marktzugangsbedingungen 1020
Zuverlässigkeit, vergaberechtlich ĺEignung Zwangsarbeit ĺVerbot von Sklaverei und Zwangsarbeit Zwangsgeld pecuniary penalty – astreinte
Das Zwangsgeld ist nach Definition der ĺKommission die Summe der Tagessätze, die ein Mitgliedstaat zu zahlen hat, wenn er einem Urteil des EuGH gem. Art. 226, 227 EG nicht nachkommt. Berechnet wird das Zwangsgeld ab dem Tag, an dem das Sanktionsurteil des ĺEuGH dem Mitgliedstaat zur Kenntnis gebracht worden ist, bis zur Beendigung des Verstoßes (vgl. ABl. 1997, Nr. C 63/2, Punkt 1). Bei der Bemessung des Zwangsgeldes legt die Kommission die Schwere des Vertragsverstoßes, seine Dauer und die zur Verhinderung eines erneuten Verstoßes nötige Abschreckungswirkung zu Grunde. Die genaue Berechnung erfolgt folgendermaßen: Es wird zunächst ein einheitlicher Ausgangsbetrag i.H.v. € 500,- pro Tag angenommen. Dieser Grundbetrag wird auf einer ersten Rechenstufe mit dem Schwerekoeffizienten multipliziert, der je nach Schwere des Verstoßes einen Wert von 1 bis 20 haben kann. Auf einer zweiten Rechenstufe erfolgt eine Multiplikation mit dem Dauerkoeffizienten, der je nach Dauer des Vertragsverstoßes einen Wert von 1 bis 3 haben kann. Dieses Ergebnis wird auf einer dritten Rechenstufe multipliziert mit einem Länderkoeffizienten, der Bruttoinlandsprodukt und Stimmgewicht des Mitgliedstaates widerspiegeln soll. Dieser Länderkoeffizient reicht von 1,0 für Luxemburg bis 26,4 für Deutschland. Der EuGH ist allerdings nicht an die Höhe des auf diese Weise von der Kommission ermittelten und bezifferten Zwangsgeldes gebunden. In der Praxis nimmt der EuGH die Berechnung der Kommission jedoch meist als Anhaltspunkt und hat sogar in einer Entscheidung gegen Griechenland aus dem Jahre 2000 die Berechnungspraxis der Kommission als ausdrücklich sachgerecht und nützlich bewertet (EuGH, Rs. C-387/97 Kommission/Griechenland, Slg. 2000, I-5047, Rn. 87-89). Bei der Festsetzung des Zwangsgeldes darf er aber nach dem Grundsatz, des Verbots, über den Klageantrag hinauszugehen, den Mitgliedstaat nicht zur Zahlung eines höheren als durch die Kommission bean-
Zweckbindung tragten Zwangsgeldes verurteilen. Ebenso verwehrt ist dem EuGH das Setzen einer erneuten Abhilfefrist für den Mitgliedstaat in seinem Urteil. Der EuGH hat aber in der Praxis breits die Höhe des von der Kommission beantragten Zwangsgeldes aufgrund unvollständiger Beweisführungen abgesenkt. Zudem hat er in einem Urteil aus dem Jahre 2003 den Klageantrag der Kommission auf Zahlung eines täglichen Zwangsgeldes in eine Verurteilung zur Zahlung eines jährlichen Zwangsgeldes umgewandelt, da der in Frage stehende Zustand der Badegewässerqualität nur anhand von Jahresberichten beurteilt werden konnte (EuGH, Rs. C-278/01 Kommission/Spanien, Slg. 2003, I14141, Rn. 47). Im Falle einer Verurteilung muss der Mitgliedstaat das Zwangsgeld auf das Konto „Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaft“ überweisen. Weigert sich der Mitgliedstaat auch nach der Zustellung des Sanktionsurteils die Vertragsverletzung abzustellen, sieht der EG keine weiteren Sanktionsmöglichkeiten mehr für Kommission und EuGH vor. Sanktionen des allgemeinen Völkerrechts werden von dem speziellen in sich abgeschlossenen Regime des EG verdrängt. Die Praxis hat allerdings bisher gezeigt, dass die Mitgliedstaaten über kurz oder lang den Urteilen des EuGH nach Art. 226-228 EG mit Blick auf den ansonsten entstehenden politischen und moralischen Druck in einem solch engen Beziehungsgeflecht der Staaten, wie die EG es ist, nachkommen. Dies illustrieren die Erfahrungen aus der jüngeren Kommissions- und Staatenpraxis. Seit 1997 hat die Kommission zahlreiche Verfahren nach Art. 228 Abs. 2 EG eingeleitet und Sanktionsklagen vor dem EuGH auf Verurteilung von Mitgliedstaaten zur Zahlung eines Zwangsgeldes erhoben. Unter dem Damoklesschwert eines Zwangsgeldes in empfindlicher Höhe haben sich mehr und mehr Mitgliedstaaten seitdem um eine rasche Beseitigung des Vertragsverstoßes bemüht. Die Möglichkeit der Verhängung eines Zwangsgeldes oder eines ĺPauschalbetrages hat auf die Mitgliedstaaten bislang trotzdem noch nicht die von Unionsseite erhoffte disziplinierende Wirkung gehabt. Daher hat der EuGH jüngst zum ersten Mal – abweichend von den Anträgen der Kommission – ein Zwangsgeld zusammen mit einem ĺPauschalbetrag gegen einen Mitgliedstaat verhängt (EuGH, Rs. C-304/02 Kommission/Frankreich, Slg. 2005, I-6263, Rn. 81 f.). Einwände mehrerer Mitgliedstaaten, das Wort „oder“ in Art. 228
Abs. 2 UAbs. 3 EG sei nur alternativ und nicht kumulativ zu verstehen, und das Vorbringen, ein Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem läge vor, wenn für denselben Vertragsverstoß Zwangsgeld und Pauschalbetrag zusammen verhängt würden, hat der EuGH abgewiesen (EuGH, Rs. C-304/02 Kommission/Frankreich, Slg. 2005, I-6263, Rn. 83 f.). Das im Feststellungsurteil gem. Art. 228 Abs. 2 UAbs. 3 EG vom EuGH verhängte Zwangsgeld kann als gemeinschaftsrechtlicher Zahlungstitel nach Art. 244 EG und den Verfahrensregeln des Art. 256 EG gegen den Mitgliedstaat vollstreckt werden. Zwar schließt Art. 256 Abs. 1 EG die Vollstreckung von Entscheidungen der Kommission und des Rats gegen Mitgliedstaaten aus, spricht aber nicht von Urteilen der Gemeinschaftsgerichte. Das Urteil des EuGH gem. Art. 228 Abs. 2 UAbs. 3 EG gilt dabei als Vollstreckungstitel nach dem nationalen Zivilprozessrecht und wird durch den nationalen Gerichtsvollzieher oder das nationale Vollstreckungsgericht gegen den Mitgliedstaat als öffentlich-rechtliche Körperschaft vollstreckt. Die dazu notwendige Erteilung der Vollstreckungsklausel wird auf Antrag der Kommission durch die nach nationalem Recht zuständige Behörde vorgenommen, die den Titel nur auf formelle Echtheit hin überprüfen darf. (cv) §§: Art. 228, 244, 256 EG Lit.: U. Ehricke, in: R. Streinz (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, 2003, Art. 228 EGV, Rn. 12 ff.; W. Cremer, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/ EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 228 EG, Rn. 11 ff.; A. Huck/F. Klieve, Neue Auslegung des Art. 228 Abs. 2 EG und ein Zeichen gesteigerter Autorität des EuGH: Erstmalige Verhängung von Zwangsgeld und Pauschalbetrag gegen einen Mitgliedstaat, EuR 2006, 413 ff.
Zweckbindung limited use (of personal data)/limitation of use to specific circumstances – limitation des données à caractère personnel
Die Zweckbindung ist ein Grundsatz des in der RL 95/46/EG (ĺDatenschutzrichtlinie) festgelegten Umganges mit ĺpersonenbezogenen Daten. So dürfen Daten einer ĺautomatisierten Verarbeitung beziehungsweise solche, die in einer ĺDatei gespeichert sind oder werden sollen nur für festgelegte eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben und nicht in einer mit diesen Zweckbestimmungen nicht zu vereinbarenden Weise weiterverarbeitet werden. Die Datenverwendung muss für den Zweck erheblich sein und darf nicht darüber hinausgehen. Der Verantwortliche für die Da1021
Zweigniederlassungsrichtlinie tenverarbeitung hat der ĺbetroffenen Person bei der Erhebung der Daten den Zweck der Datenverarbeitung mitzuteilen und diesen auch später bei der Beantwortung eines Auskunftsersuchen (ĺAuskunftsrecht) anzuführen. (al) §§: Art. 6, 10 und 19 RL 95/46/EG, ABl. 1995, Nr. L 281/31 (ĺDatenschutzrichtlinie) Lit.: U. Dammann/S. Simitis, EG-Datenschutzrichtlinie, 1996, 169; E. Ehmann/M. Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie, 1999, 111
Zweigniederlassungsrichtlinie directive in respect of branches opened in a member state by certain types of company governed by the law of another state – directive concernant la publicité des succursales crées dans un état membre par certaines formes de société relevant du droit d’un autre état
Elfte gesellschaftsrechtliche Richtlinie vom 21.12. 1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen (89/666/EWG – ABl. 1989, Nr. L 395/36). Sie dient wie die ĺPublizitätsrichtlinie, die ĺJahresabschlussrichtlinie und die ĺKonzernabschlussrichtlinie der Harmonisierung der nationalen Offenlegungsbestimmungen und regelt die Publizität von Unterlagen über Zweigniederlassungen (s. bei ĺNiederlassungsformen) von Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten, wie etwa Anschrift, Geschäftsgegenstand, Personalstatut der Hauptniederlassung und deren Registernummer (Firmenbuchnummer), Rechtsform, Firma, Satzung, Organe etc. In Österreich wurde die Zweigniederlassungsrichtlinie durch das EU-GesRÄG 1996 (BGBl. 1996/304) umgesetzt. (tr) Zweite Säule ĺGemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Zweitwohnung, Beschränkung des Erwerbs second home, restriction of acquisition – résidence secondaire, restriction d’acquisition
Grenzüberschreitender Erwerb und Errichtung einer Z. ist nach Art. 56 Abs. 1 EG als freier Kapitalverkehr geschützt (ĺImmobilienerwerb; vgl. dort v.a. die primärrechtlichen Beschränkungen des Erwerbs von Z. für Dänemark und neue Mitgliedstaaten). Allerdings erlaubt der EuGH mitgliedstaatliche Beschränkung der Errichtung von Zweitwohnsitzen sowohl dann, wenn diese Beschränkungen notwendig sind, um Zuwiderhandlungen gegen nationale Rechtsund Verwaltungsvorschriften zu verhindern 1022
(Art. 58 Abs. 1, lit. b EG), als auch aus ĺzwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die einen Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit zu rechtfertigen vermögen. Wobei beide Rechtfertigungsgründe häufig nicht trennscharf von einander abgegrenzt werden. Eine Beschränkung aus diesen Gründen muss nach Art. 58 Abs. 3 EG stets diskriminierungsfrei (ĺDiskriminierungsverbot, Kapitalverkehrsfreiheit) gelten und angewandt werden (zu letzterem: EuGH, Rs. C-302/97 Konle, Slg. 1999, I-3099, Rn. 41, 49) und die zur Erreichung des Ziels eingesetzten Mittel müssen verhältnismäßig sind. Das Ziel der Erhaltung „einer dauerhaft ansässigen Bevölkerung und einer vom Tourismus unabhängigen Wirtschaftstätigkeit“ hat der EuGH als ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel anerkannt, das grundsätzlich geeignet ist, das Verbot des Erwerbs von Zweitwohnungen in einer bestimmten Region zu rechtfertigen. Im Hinblick auf ein verhältnismäßiges Mittel zur Durchsetzung dieses Ziels hat die Rechtsprechung anerkannt, dass das Kontrollbedürfnis der mitgliedstaatlichen Behörden über ein bloßes Informationsbedürfnis hinausgeht. Eine bloße Anmeldepflicht des Immobilienerwerbs (ĺMeldeverfahren für Kapitalverkehr) wäre daher nicht geeignet, um die verbotene Nutzung einer Immobilie als Zweitwohnsitz zu verhindern. Andererseits sind nach Ansicht des EuGH zur verfahrensrechtlichen Absicherung des Ziels der Erhaltung einer dauerhaft ansässigen Bevölkerung grundsätzlich keine mitgliedstaatlichen Genehmigungsvorbehalte für den Immobilienerwerb erforderlich. Die Überprüfung des Zwecks einer Immobilieninvestition kann nach Auffassung des EuGH vielmehr regelmäßig mit dem weniger einschneidenden Mittel einer Anmeldung oder Mitteilung des Erwerbsvorgangs erreicht werden, zu der im Falle der Feststellung einer unerlaubten Errichtung eines Zweitwohnsitzes weitere nachträgliche Maßnahmen treten (EuGH, Rs. C-452/01 Ospelt und Schlössle Weissenberg, Slg. 2003, I-9743, Rn. 45). Diese müssen allerdings ebenfalls verhältnismäßig sein. In Betracht kommen Maßnahmen zur Sanktionierung der rechtswidrigen Nutzung als Zweitwohnsitz (z.B. Geldbußen oder -strafen) oder zur Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes (z.B. Nutzungsuntersagung, Anordnung der oder Klage auf Feststellung des Nichtigkeit des Grundstückserwerbs) (EuGH, Rs. C-302/97 Konle, Slg. 1999, I-3099, Rn. 47; EuGH, Rs. C515/99, C-519/99 bis C-524/99 und C-526/99
Zwingende Gründe des Allgemeininteresses bis C-540/99 Reisch, Slg. 2002, I-2157, Rn. 38). Als nicht erforderlich hat der EuGH hingegen eine Regelung angesehen, wonach die Gültigkeit des zivilrechtlichen Rechtsgeschäfts über den Erwerb einer Immobilie unter der aufschiebenden Bedingung der rechtzeitigen Abgabe einer Erklärung über die ordnungsgemäße Nutzung derselben stand, da der damit verfolgte Zweck der Abgabe der Erklärung auch mit einem weniger einschneidenden Mittel wie etwa einer Geldbuße geahndet werden könne (Rs. C-213/04 Burtscher/Stauderer, Slg. 2005, I-10309, Rn. 53 ff.). In der Kombination aus Anmeldungsverpflichtung oder Nutzungserklärung des Immobilienerwerbers und der Möglichkeit einer Sanktionierung rechtswidrigen Verhaltens oder einer Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands sieht der EuGH also grundsätzlich eine weniger einschneidende Maßnahme als in einer generellen Genehmigungspflicht für den Erwerb einer Immobilie (Rs. C-213/04 Burtscher/Stauderer, Slg. 2005, I-10309, Rn. 58). (mk) Zwergstaaten, Abkommen mini states, agreements – petits pays, accords
Zwergstaaten haben mit der EG diverse Abkommen geschlossen: z.B. ĺZollunion mit Andorra (ABl. 1990, Nr. L 374/14), Monaco (ABl. 2002, Nr. L 142/59 [Währungsvereinbarung]), San Marino hat mit der EG ein Kooperationsund Zollunionsabkommen (ABl. 2002, Nr. L 84/43) geschlossen. ĺWährungsabkommen mit der EU haben ferner San Marino (ABl. 2001, Nr. C 209/1) und der Heilige Stuhl (ABl. 2001, Nr. C 299/1) geschlossen. (bb) Zwingende Erfordernisse (freier Warenverkehr) overriding reasons in the public interest (free movement of goods) – raisons impérieuses d’intérêt général (libre circulation des marchandises)
Zwingende Erfordernisse sind ungeschriebene Rechtfertigungsgründe. Das Konzept der zwingenden Erfordernisse wird vom ĺEuGH in der ĺCassis-Formel umschrieben. Zuweilen werden Zwingende Erfordernisse als negative Tatbestandsmerkmale klassifiziert. Ihre strittige dogmatische Einordnung ist letztendlich nicht von großer praktischer Relevanz: wie bei den geschriebenen Rechtfertigungsgründen des Art. 30 EG, so ist auch bei Zwingende Erfordernisse eine Verhältnismäßigkeitsprüfung (ĺVerhältnismäßigkeitsprinzip) durchzufüh-
ren. Jedoch unterscheiden sie sich von den geschriebenen Rechtfertigungsgründen in zweierlei Hinsicht. 1. Nach der Rsp. des EuGH können mit zwingenden Erfordernissen grundsätzlich nur nicht diskriminierende Regelungen gerechtfertigt werden. Nur solche Regelungen, die unterschiedslos für einheimische wie für ausländische Erzeugnisse gelten, die also bloß beschränkenden Charakter haben, können durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt werden. Von diesem Grundsatz weicht der EuGH jedoch zuweilen vor allem im Bereich des ĺUmweltschutzes ab. 2. Im Unterschied zu den schriftlich fixierten Rechtfertigungsgründen in Art. 30 EG handelt es sich bei den zwingenden Erfordernissen um eine offene Kategorie, d.h. der Katalog der zwingenden Erfordernisse ist erweiterbar. Als schützenswerte Rechtsgüter gelten etwa: eine wirksame steuerliche Kontrolle, der Schutz der Lauterkeit des Handelsverkehrs, der ĺVerbraucherschutz, der Umweltschutz, kulturelle Zwecke, die Aufrechterhaltung der Medienvielfalt, der ordnungsgemäße Betrieb eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes, die Bewahrung des finanziellen Gleichgewicht des Systems sozialer Sicherheit, der Schutz der Nahversorgung oder der Schutz der öffentlichen Gesundheit. Rein wirtschaftliche Anliegen sind dagegen nicht schützenswert. Diese Rechtsgüter rechtfertigen eine Beeinträchtigung der Warenfreiheit aber nur dann, wenn die konkret ergriffene staatliche Maßnahme zu deren Schutz geeignet, notwendig und verhältnismäßig ist. (rp) §§: Art. 28 EG Lit.: M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997; A. Epiney, Freiheit des Warenverkehrs, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundfreiheiten und Grundrechte, 2. Aufl. 2005, 227, Rn. 56 ff.; S. Leible, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 31. Lfg. 2006, Art. 28 EG, Rn. 19 ff.; F. C. Mayer, Die Warenverkehrsfreiheit im Eroparecht: eine Rekonstruktion, EuR 2005, 793 (797 ff.) Rsp.: EuGH, Rs. 120/78 Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, I-2795 (ĺCassis de Dijon-Entscheidung)
Zwingende Gründe des Allgemeininteresses overriding reasons of general interest – raisons impérieuses d’intérêt général
Z. sind Rechtfertigungsgründe, bei deren Vorliegen ein Eingriff in eine ĺGrundfreiheit zulässig sein kann. Sie bestehen neben den ge1023
Zwingende Gründe des Allgemeininteresses (Kapitalverkehrsfreiheit) schriebenen Rechtfertigungsgründen, die sich unmittelbar in den Bestimmungen des EG finden (vgl. Art. 30 – freier ĺWarenverkehr, Art. 39 – ĺArbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 46 – ĺNiederlassungsfreiheit und i.V.m. mit Art. 55 ĺDienstleistungsfreiheit, Art. 58 EG – ĺfreier Kapitalverkehr). Bei den z. handelt es sich um ungeschriebene Rechtfertigungsgründe, die der ĺEuGH prominent in seinem Urteil in der Rs. 120/78, ĺCassis, Slg. 1979, 649, Rn. 8 formulierte. Z. sind mögliche Rechtfertigungen für Eingriffe in alle Grundfreiheiten, soferne diese Eingriffe nicht nach Nationalität unterscheiden (ĺDienstleistungsfreiheit, immanente Schranke). Sekundärrechtlich findet sich bspw. in Art. 16 Abs. 1 DienstleistungsRL eine Positivierung dieser Rechtfertigungsgründe, wobei fraglich ist, ob in diesem Fall neben diesen Rechtfertigungsgründen noch Platz für andere z. bleibt (vgl. C. Calliess, Europäischer Binnenmarkt und europäische Demokratie: Von der Dienstleistungsfreiheit zur DienstleistungsRL – und wieder retour? DVBl. 2007, 336 [344]). (sh) Lit.: R. Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005; D. Ehlers, Allgemeine Lehren; in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2005, Rn. 86 ff.; W. Frenz, Handbuch Europarecht I – Europäische Grundfreiheiten, 2004, Rn. 478 ff.; C. Calliess, Europäischer Binnenmarkt und europäische Demokratie: Von der Dienstleistungsfreiheit zur DienstleistungsRL – und wieder retour? DVBl. 2007, 336
Zwingende Gründe des Allgemeininteresses (Kapitalverkehrsfreiheit) overriding reasons in the public interest, free movement of capital – raisons impérieuses d’intérêt général, libre circulation des capitaux
Z.G. können, wie bei allen übrigen Grundfreiheiten auch, Beschränkungen der ĺKapitalund ĺZahlungsverkehrsfreiheit rechtfertigen. Die im Rahmen der allgemeinen Grundfreiheitsdogmatik umstrittene Frage, ob diese nur auf unterschiedslose, nicht diskriminierende Maßnahmen angewendet werden können, stellt sich bei der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit aufgrund deren Ausgestaltung als umfassende Beschränkungsverbote und der besonderen Regelung der Rechtfertigungsgründe in Art. 58 EG nicht (ĺKapitalverkehrsfreiheit, Rechtfertigung eines Eingriffes). Die in der Rechtsprechung bislang herangezogenen zwingenden Gründe des Allgemeininteresses sind nicht abschließend, sondern können durch weitere Gemeinwohlbelange ergänzt werden. Der EuGH legt bei der Anerkennung solcher Belange als z.G. einen großzügigen Maßstab an. Ei1024
ne Grenze gilt nur hinsichtlich rein wirtschaftlicher Ziele. Daher kann eine die Kapitalverkehrsfreiheit beeinträchtigende Befreiung von der Einkommenssteuer auf Dividenden, die von inländischen Unternehmen ausgeschüttet werden nicht mit der Schaffung von Anreizen zur Investitionen in diese inländische Gesellschaften gerechtfertigt werden (EuGH, Rs. C-35/98 Verkooijen, Slg. 2000, I-4071, Rn. 48). Im Rahmen der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit werden in der Praxis insbesondere folgende z. G. relevant: ĺKohärenz des Steuersystems, ĺWirksamkeit der steuerlichen Kontrolle und ĺraumplanerische Ziele. (mk) Zwingende Normen, international zwingende Normen ĺEingriffsnormen Zwischenstaatlichkeitsklausel may affect trade between member states criterion – clause interétatique
Die Zwischenstaatlichkeitsklausel in Art. 81 Abs. 1 bzw. Art. 82 EG dient zunächst der Abgrenzung des ĺeuropäischen Wettbewerbsrechts von den mitgliedstaatlichen Wettbewerbs- und Kartellgesetzen. Das gemeinschaftliche Kartellrecht findet grundsätzlich nicht auf jede ĺwettbewerbsbeschränkende Verhaltensweise Anwendung, sondern nur auf solche, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen können. Nach der ständigen Rechtsprechung des ĺEuGH ist eine ĺVereinbarung geeignet, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, „wenn sich anhand einer Gesamtheit objektiver oder rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass eine ĺVereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten beeinflussen kann.“ Aufgrund dieses weiten Ansatzes spielt die Zwischenstaatlichkeitsklausel bislang nur selten eine Rolle. (jpt) §§: Art. 81 f. EG Lit.: J. P. Terhechte, Die ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale des europäischen Wettbewerbsrechts, 2004, 140; K. Mayer, Die Zwischenstaatlichkeitsklausel als Abgrenzungskriterium zwischen europäischem und nationalem Kartellrecht, 1999; E. Rehbinder, in: U. Immenga/E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht EG, 4. Aufl. 2007, Teil 1, Art. 81 Abs. 1, Rn. 262 ff. Rsp.: EuGH, Rs. 56/65 Maschinenbau Ulm, Slg. 1966, 281 ff. (303); EuGH, Rs. 42/84 REMIA, Slg. 1985, 2545 ff., Rn. 22
Zypern, Beitritt Zypern, Beitritt Cypress, accession – Chypre, adhésion
Der ĺBeitritt Z. erfolgte am 1.5.2004 im Rahmen der ĺOsterweiterung. Seit 1964 leben die griechisch-zypriotische und die türkisch-zypriotische Gemeinde nach einer bürgerkriegsähnlichen Situation getrennt von einander. 1972 schlossen Z. und die Gemeinschaft ein ĺAssoziierungsabkommen, das die stufenweise Schaffung einer Zollunion vorsah. 1974 besetzte die ĺTürkei den Norden Z. Die in diesem Zusammenhang entstandene politische Entität wird von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt. Nachdem Z. schon 1990 seinen Beitrittsantrag gestellt hatte, hielt erst der Europ. Rat in Helsinki (10./11.12.1999) fest, dass eine politische Lösung der „Z.-Frage“ keine Vorbedingung für den Beitritt darstelle (Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Z. 9.b.). Daher konnte die Republik Z. 2004 als Ganzes der Union beitreten, obwohl der vom ehem. Generalsekretär der VN ausgearbeitete Anan-Plan kurz vor dem Inkrafttreten des Beitritts scheiterte. Daher ist dem ĺBeitrittsvertrag das „Protokoll Nr. 10 über Zypern“ angeschlossen, das die Anwendung des Gemeinschaftsrechts für jene Teile der Insel ausschließt, über die die Republik Z. keine tatsächliche Kontrolle ausübt. (lo) §§: Beitrittsvertrag 2004, Prot. Nr. 10 über Zypern, ABl. 23.9.2003, Nr. L 236 Lit.: C. Iliopoulos, Rechtsfragen der Osterweiterung der EU unter besonderer Berücksichtigung des Beitritts der Republik Zypern, EuR 2004, 637
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