Parker mimt den Augenzeugen Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Lady Agatha Sim...
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Parker mimt den Augenzeugen Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Lady Agatha Simpson fühlte sich in ihrer Bewegungsfreiheit empfindlich eingeschränkt. Sie saß am Steuer ihres Land-Rover und war von parkenden Wagen restlos eingekeilt. Sie hatte keine Möglichkeit, sich in den Verkehr einzufädeln. Grimmig schaute sie auf den Fahrer des nächsten Wagens. Der Mann rührte sich nicht und reagierte keineswegs auf das gereizte Hupkonzert, das Lady Simpson einleitete. »Was sagen Sie zu dieser Frechheit, Kindchen?« erkundigte sie sich bei ihrer Sekretärin und Gesellschafterin. »Vielleicht könnte man ein paar Zentimeter zurücksetzen, Mylady«, erwiderte Kathy Porter beruhigend. Ihr war sehr daran gelegen, Myladys Unmut ein wenig zu dämpfen. Sie kannte das Temperament der älteren Dame. »Worauf Sie sich verlassen können!« Agatha Simpson schaltete den Rückwärtsgang ein, was nicht ohne deutlich hörbare Schaltgeräusche vor sich ging. Die Lady ging mit der Technik stets rigoros um. Sie ließ die Kupplung kommen und setzte zurück. Ein knirschendes Geräusch des hinter ihr parkenden Wagens verriet, daß sie wohl doch etwas zu viel Gas gegeben hatte. »War da was?« fragte sie bei Kathy Porter an. »Wahrscheinlich sind die Scheinwerfer des hinter uns stehenden Wagens eingedrückt worden«, vermutete Kathy ergeben. »Soll ich nachsehen, Mylady?« »Papperlapapp, Kindchen! Mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab. Warten Sie, ich werde es nach vorn noch mal versuchen.« Sie schaltete und war ganz bei der Sache. Agatha Simpson, die sich vorgenommen hatte, es mit ihrer Geschicklichkeit zu schaffen, gab erneut Gas und lädierte auch prompt die Rückscheinwerfer des vor ihr parkenden Wagens.
Glas splitterte, und dazu gab es erneut ein knirschendes, häßliches Geräusch von zerknautschtem Blech. »War da was?« erkundigte sich die resolute Fahrerin noch mal. »Mir schien, als hätte ich was gehört.« »Eigenartig«, wunderte sich Kathy halblaut und schüttelte den Kopf. »Der Fahrer reagiert überhaupt nicht. Er muß es doch auch gehört haben.« »Tatsächlich.« Agatha Simpson richtete sich auf und straffte ihre majestätische Erscheinung. »Dieser Verkehrsrowdy scheint besonders schwerfällig zu sein.« »Mylady, vielleicht sollten Sie nicht noch mal rammen», schlug Kathy vor.
Agatha Simpson aber ließ sich nicht beirren. Sie hatte bereits zurückgesetzt, sorgte dafür, daß die Scheinwerfer des hinter ihr stehenden Wagens restlos in die Brüche gingen, und fuhr dann wieder an. Diesmal handelte es sich um einen echten Rammstoß. Der vor dem Land-Rover stehende Wagen wurde gehörig durchgeschüttelt und nach vorn getrieben. Kathy schloß für einen Moment die Augen. Jetzt mußten die Rückfahrscheinwerfer mit Sicherheit endgültig in ihre Bestandteile zerlegt worden sein. »Sehen Sie doch, Kindchen!« Agatha Simpson deutete nach vorn. »Dieser phlegmatische Bursche scheint sich hingelegt zu haben.« Myladys Beobachtung entsprach vollkommen der Tatsache. Der Fahrer war verschwunden. Wahrscheinlich hatte er sich entsetzt zur Seite auf den Beifahrersitz geworfen. Doch er richtete sich nicht wieder auf, was normal gewesen wäre. »Da stimmt doch was nicht.« Agatha Simpson drückte die Wagentür auf und stieg aus. Erst jetzt zeigte sich, wie erhaben sie wirkte. Sie trug ein Kostüm aus Tweed, das ihr ein wenig zu groß war. Die Schuhe waren derb und in jedem Fall unmodisch. Agatha Simpson liebte legere Kleidung, was sich auch in ihrer Kopfbedeckung ausdrückte. Der Hut glich einem sturmerprobten Südwester, wie er von Hochseefischern verwendet wird. Ihr Gesicht erinnerte an das eines etwas angejahrten Rassepferdes. Es war faltenreich und verriet Energie. Lady Simpson hatte hellwache, graue Augen, die schnell im Zorn aufblitzten. Sie war
eine durch und durch ungewöhnliche Frau, deren Alter schwer zu schätzen war. Sie selbst gab es stets mit »etwas über sechzig Jahre« an, woran zu erkennen war, daß sie nicht ganz frei von einer gewissen Eitelkeit war. Diese ungewöhnliche Frau also marschierte auf ihren stämmigen Beinen zum vor ihr parkenden Wagen und schaute in das Innere. Sie hatte sich nicht getäuscht. Der Fahrer lag halb auf dem Nebensitz und rührte sich auch dann noch nicht, als die passionierte Detektivin energisch gegen die Scheibe klopfte. Der Mann rührte sich immer noch nicht. Lady Simpsons Temperament kam prompt zum Durchbruch. Sie öffnete die Wagentür und beugte sich über den auf den Polstern liegenden Mann. »Haben Sie sich gefälligst nicht so«, schnauzte sie den Fahrer an. »Das bißchen Glas und Blech werden Sie ja wohl noch verschmerzen können, oder?« Der Fahrer äußerte sich nicht zu dieser Frage. Er war nämlich tot! * »Er wurde vergiftet«, berichtete Lady Simpson und strahlte ihren Butler förmlich an. »Das muß man sich mal vorstellen, Mr. Parker. Er wurde vergiftet! Und wissen Sie auch, wo das geschehen sein muß?« »Ich möchte mich nicht erkühnen, Mylady vorzugreifen«, antwortete Josuah Parker zurückhaltend und gemessen. Er hatte gleich nach Myladys Rückkehr den obligaten Tee serviert und stand abwartend vor dem kleinen Tisch. Er war bereit, Mylady zum Tee den eben-
falls obligaten Kreislaufbeschleuniger zu reichen. Dabei handelte es sich um einen erstklassigen alten Kognak, den die Hausherrin bevorzugte. Parker trug, eine schwarze Hose, eine gelb-schwarz gestreifte Weste und einen schwarzen Binder, der den altväterlich aussehenden Eckkragen zierte. Er war der Prototyp eines englischen Butlers, wie man ihn vielleicht nur noch in englischen Gesellschaftsfilmen zu sehen bekommt. Butler Parker stand schon seit geraumer Zeit in Diensten der älteren Dame und fühlte sich hier außerordentlich wohl. Lady Simpson teilte seine Neigungen und betätigte sich ebenfalls als Amateurdetektivin. Ihr unermeßlicher Reichtum gestattete es, dieser Laune zu frönen. Im Augenblick war sie von dem Mord sehr angetan. Sie witterte einen neuen Fall. »Sie werden nicht erraten, wo er vergiftet worden ist«, vermutete Agatha Simpson. »Mit einiger Sicherheit nicht, Mylady.« »In der Kantine von New Scotland Yard«, sagte die Detektivin und lachte spöttisch. »Solch eine Blamage muß man sich mal vorstellen! Es ist einfach nicht zu fassen.« »Wie Mylady meinen.« Parker sah den Zeitpunkt gekommen, den Kreislaufbeschleuniger zu reichen. Agatha Simpson ließ sich den Schwenker servieren und stärkte ihren Organismus nachhaltig. »Haben Sie dazu sonst nichts zu sagen?« wunderte sich die resolute Dame, nachdem sie den Kognakschwenker abgesetzt hatte. Sie sah ihren Butler leicht verärgert an.
»Darf man erfahren, Mylady, wer der Tote ist?« »Ralph Tainers, Mr. Parker. Das hier entdeckte ich in seinem Wagen, halb unter dem Sitz.« Sie reichte Parker einen Zettel, der wohl aus einem größeren Notizbuch stammte. Auf diesem Zettel stand nichts anderes als eine Telefonnummer. Die Ziffern waren entweder in größter Eile öder vielleicht sogar mit schwindender Lebenskraft geschrieben worden. Sie sahen zittrig und leicht verwischt aus. »Darf ich mir die Freiheit nehmen, Mylady zu fragen, woher Mylady den Namen des Toten in Erfahrung bringen konnte?« Parker drückte sich stets barock aus. »Ich schnappte ihn von den Polizeidetektiven auf«, erwiderte sie. »Selbstverständlich verständigten Kathy und ich sofort die Polizei, nicht wahr, Kindchen?« »Nachdem Sie den Toten durchsucht hatten, Mylady«, erwiderte Kathy und stellte die Dinge richtig. »Halten wir uns nicht mit solchen Kleinigkeiten auf«, sagte die Detektivin ungerührt. »Was meinen Sie zu diesem Wisch, Mr. Parker?« »Mylady haben sich bereits eine feste Meinung gebildet?« erkundigte sich Parker gemessen. »Und ob ich das getan habe, Mr. Parker! Dieser Tainers hatte vor seinem Tod gerade noch die Kraft, die Telefonnummer seines Mörders niederzuschreiben. Für mich liegt das auf der Hand.« »Mylady vergaßen wahrscheinlich, diese Telefonnummer den zuständigen Behörden zu übergeben?«
»Das ist vollkommen richtig, Mr. Parker.« Sie nickte. »Sie können sich ja vorstellen, wie durcheinander ich war.« Parker konnte sich das zwar überhaupt nicht vorstellen, doch er hütete sich, dies zu sagen. Mylady hatte den Zettel mit der Telefonnummer ganz einfach unterschlagen. »Sollte man dieses bedauerliche, aber verständliche Versäumnis möglicherweise nachholen, Mylady?« »Unterstehen Sie sich!« Sie blitzte ihn gereizt an. »Ich würde mich ja unmöglich machen. Nein, nein, das muß ich jetzt durchstehen. Leider.« Sie seufzte tragisch auf und tat so, als habe sich eine unsichtbare, aber schwere Last auf ihre Schultern gesenkt. Dann trank sie den Rest des Kognaks und stand auf. Sie machte einen sehr animierten Eindruck. »Sie müssen zugeben, Mr. Parker, daß das hier ein neuer Fall für uns ist, oder? « »Mylady haben sich bereits entschieden?« »Mylady hat sich bereits entschieden«, schaltete sich Kathy Porter ein. »Mylady rief diese Nummer bereits an und nannte ihren Namen.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit bestürzt«, gab Josuah Parker zurück. »Darf man erfahren, wie die Gegenseite reagierte?« »Überhaupt nicht«, erwiderte Agatha Simpson grimmig. »Sehr schlecht erzogene Leute unter diesem Anschluß. Es wurde einfach aufgelegt. Was sagen Sie dazu, Mr. Parker?« »Die Manieren mancher Leute lassen in der Tat zu wünschen übrig, Mylady.« »Es wurde einfach aufgelegt, Mr. Parker. Daraus geht doch hervor, daß man
Dreck am Stecken hat. Ist Ihnen das nicht aufgegangen?« »Durchaus, Mylady. Aber die Gegenseite dürfte jetzt wissen, wer da eine Spur aufgenommen zu haben scheint.« »Das möchte ich doch sehr hoffen«, lautete die Antwort. »Ich habe meinen Namen schließlich laut und deutlich genannt. Sicherheitshalber zweimal! Sie müssen ihn genau verstanden haben.« * Er kam wieder mal zufällig vorbei, wie er behauptete. Superintendent McWarden hatte sein bestes Sonntagsgesicht aufgesetzt und begrüßte Lady Simpson. Er schaffte es sogar, so etwas wie einen Kratzfuß anzudeuten, der allerdings leicht verunglückte. McWarden, seit einigen Wochen der berühmten »Flying Squadron« angehörend, war ein untersetzter, bullig aussehender Mann von etwa fünfzig Jahren. Er war ein ausgezeichneter Detektiv, der es überhaupt nicht schätzte, wenn Amateure seine Kreise störten. Zu seinem Pech und Leidwesen aber war es immer dieses Trio – Agatha Simpson, Butler Parker, Kathy Porter -, das ihm über den Dienstweg lief. Und nur zu oft schon hatte dieses Trio ihm fertig gelöste Kriminalfälle geliefert, während er noch nach den Tätern suchte. An diesem frühen Nachmittag gab McWarden sich freundlich, was ihm allerdings schwerfiel. Er wiederholte noch mal, er sei wirklich zufällig vorbeigekommen. »Natürlich war das ohne Absicht, McWarden«, meinte Agatha Simpson genußvoll. »Und rein zufällig wollen
Sie herausbekommen, wie ich diesen Ralph Tainers entdeckte, nicht wahr?« »Ich hörte davon«, meinte McWarden und nahm den angebotenen Platz in einem alten und schweren Ledersessel an. »Aber diese Sache interessiert Sie nicht, wie ich vermute.« »Nun, das möchte ich nicht unbedingt sagen«, erklärte der Superintendent gequält. »Tainers war ein interessanter und wichtiger Mann.« »In der Tat, Sir«, schaltete sich Josuah Parker ein, der dem Gast einen Brandy servierte. »Mr. Ralph Tainers war ein wichtiger Augenzeuge im Fall Edward Healers.« »Aha, Sie haben sich inzwischen schon informiert? « »Man brauchte nur in den Zeitungen nachzulesen, Sir«, redete der Butler höflich und gemessen weiter. »Mr. Tainers wollte vor Gericht beschwören, daß Healers einen Mord begangen hat. Er war sich seiner Sache sicher und – wenn ich es so salopp ausdrücken darf – der wichtigste Zeuge der Anklage.« »Das stimmt, Mr. Parker«, entgegnete McWarden. »Warum wurde solch ein wichtiger Zeuge nicht besser beschützt?« grollte die ältere Dame ihren zufälligen Besucher an. »Wieso konnte Mr. Tainers in der Kantine von Scotland Yard vergiftet werden? Die Polizei ist längst nicht mehr das, was sie mal war.« »Wir sind dabei, die Zusammenhänge aufzudecken«, entschuldigte sich McWarden grimmig. »Tainers wurde rund um die Uhr überwacht und abgesichert. « »Mit bestem Erfolg, wie man sieht«, spottete die Hausherrin. »Die Zeitungen werden über die Polizei herfallen.«
»Und ein gewisser Edward Healers dürfte nun befreit aufatmen, Sir«, vermutete der Butler zurückhaltend. »Damit dürfte die Anklage gegen ihn zusammenbrechen, wenn ich es so ungeschminkt ausdrücken darf.« »Vollkommen richtig.« McWarden nickte ergeben. »Healers ist aus dem Schneider.« »Seine Leute haben Ralph Tainers umgebracht, nicht wahr?« »Natürlich.« McWarden nickte erneut. »Aber wie soll man das beweisen? Ja, wenn Tainers uns noch einen Tip hätte geben können.« »Einen Tip?« Agatha Simpson runzelte die an sich schon faltenreiche Stirn zusätzlich. »Ein Sterbender? Wie hat er es überhaupt geschafft, aus der Kantine in seinen Wagen zu kommen?« »An der Giftbestimmung wird noch gearbeitet«, schickte McWarden voraus. » Es muß sich aber um einen Stoff gehandelt haben, der mit einer gewissen Spätzündung arbeitete. Der Mann war bereits tot, Mylady, als Sie ihn fanden?« , »Mausetot, McWarden«, bestätigte die Detektivin mit Nachdruck. »Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen! Er hat mir nichts mehr zuflüstern können.« »Wie schade! Aber es hätte ja sein können, nicht wahr?« »Er rührte sich nicht mehr, McWarden. Keiner bedauert das mehr als ich.« »Sie werden sich um diesen Fall kümmern, Mylady?« McWarden fragte beiläufig. »Werden wir, Mr. Parker?« Agatha Simpson wandte sich an ihren Butler und sah ihn fragend an. »Wenn mein Rat erwünscht ist, Mylady«, sagte Parker, »würde ich mir erlauben zu sagen, daß dieser Fall ein Spiel
mit dem organisierten Tod sein dürfte. Mr. Edward Healers war und ist noch der Chef einer sehr gut organisierten Verbrecherbande, die vor nichts zurückschreckt. « »Das kann ich nur unterstreichen«, warnte McWarden prompt. »Die Healers-Bande ist die große Nuß, die selbst der Yard bisher nicht geknackt hat. Ich gebe Ihnen den Rat, die Finger davon zulassen, Mylady. Ich sehne mich nicht gerade danach, an Ihrem vorzeitigen Begräbnis teilzunehmen.« »Weil Sie ein Geizkragen sind, McWarden«, stellte Agatha Simpson grimmig klar. » Sie scheuen ja nur die Ausgabe für einen Kranz!« * »Mylady scheinen verfolgt und beschattet zu werden«, meldete Josuah Parker nach hinten in den Wagen. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr durch die City von London. Man befand sich auf dem Weg zum Haus jenes Mannes, dem der Telefonanschluß gehörte. Parker hatte inzwischen herausgefunden, daß es sich um einen gewissen Mr. Brett Nichols handelte. Mr. Nichols war der Besitzer eines kleinen Dienstleistungsunternehmens. Er vermietete Papierhandtücher, die man nach Bedarf aus Kunststoff-Boxen ziehen konnte. »Es werden doch nicht etwa schon die Ganoven sein?« hoffte die ältere Dame. »Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte es sich um ein Fahrzeug der Polizei handeln«, erwiderte Butler Parker. »Sie glauben, daß McWarden mich beschatten läßt?«
»Mit solch einer Möglichkeit sollte man durchaus rechnen, Mylady«, gab der Butler zurück. »Er scheint sich der Hoffnung hinzugeben, über Myladys Reaktionen neue Informationen gewinnen zu können.« »Was werden Sie jetzt tun, Mr. Parker?« »Man sollte die Verfolger abschütteln, Mylady.« »Worauf warten Sie noch?« Agatha Simpson widerstand der Versuchung, sich umzuwenden. Sie blieb zufrieden in der Wagenecke sitzen und freute sich auf das kommende kleine Intermezzo. Für Abwechslung war sie immer zu haben. Parker hingegen sah noch mal genau in den Rückspiegel und nahm Maß. Die Verfolger saßen in einem unscheinbar aussehenden Zivilwagen der Marke Morris. Das Fahrzeug war ihnen bisher hartnäckig gefolgt, doch wahrscheinlich wurde er schon bald durch ein zweites, anderes Fahrzeug ersetzt, um Parker nicht mißtrauisch werden zu lassen. Der Butler kannte sich in den diversen Tricks der Polizei und auch der Gangster aus. Er wußte, was zu tun war. Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum in eine Hochgarage und war durchaus zufrieden, als der Morris ihm folgte, der inzwischen dichter aufgeschlossen hatte. Der Butler erkannte zwei Männer, die sich angeregt miteinander unterhielten und es darauf anlegten, einen unverdächtigen Eindruck zu machen. Parker drückte den Knopf für den Parkschein, wartete, bis die automatisch arbeitende Sperrschranke sich hob und
fuhr dann über die Wendelrampe hinauf zum zweiten Parkdeck. Dann gab er allerdings sehr viel Gas, brauste durch das Deck und wischte über die zweite Wendel wieder nach unten. »Darf ich Mylady zumuten, sich ein wenig abzuducken?« fragte er seine Herrin. »Soll ich mich auf den Boden legen?« erkundigte sie sich. »Die Sitzpolster dürften schon durchaus reichen, Mylady.« »Wenn schon, denn schon!« Agatha Simpson rollte sich zur Seite und ging in volle Deckung. Als Parker am Kassenschalter stand und den Grundpreis bezahlte, erschien hinter dem hochbeinigen Monstrum ein Ford, in dem eine kinderreiche Familie saß. Erst dahinter war wieder der Morris zu sehen. Der Beifahrer stieg aus. Er war ganz eindeutig der Meinung, Parker habe Lady Simpson oben auf dem zweiten Parkdeck abgesetzt. Der Mann hastete zurück und zwängte sich an nachfolgenden Wagen vorbei zurück nach oben. Er wollte den Anschluß nicht verlieren und glaubte wohl, Mylady sei vom Parkdeck aus mit dem Fahrstuhl hinunter in das angrenzende Kaufhaus gefahren. Vor Parker hob sich die Sperrschranke. Er fuhr an und sah, daß die Schranke sich hinter ihm wieder senkte, wie es sich für solch eine Schranke eben gehörte. Der Fordfahrer mit der großen und kinderreichen Familie folgte. Parker sorgte für eine Vollsperrung. Er hatte das Wagenfenster auf seiner Seite heruntergekurbelt und griff in die Tasche seines schwarzen Zweireihers.
Er holte eine Handvoll Münzen hervor und ließ sie auf die Betonrampe fallen. Sie hüpften neckisch umher, rollten durcheinander und waren nicht zu übersehen. Die Kinder im Ford reagierten wie erwartet. Während ihr Vater noch zahlte, hüpften auch sie, nämlich aus dem Wagen. Sie rannten nach vorn und betätigten sich als Sammler. Sie spürten verbissen jeder Geldmünze nach und hielten den ganzen Betrieb auf. Der Fahrer des Morris war ausgestiegen und schimpfte wie ein gereizter Rohrspatz. Er forderte den Vater der Kinder energisch auf, die Sperre zu räumen. Bevor Parker sich in den Verkehr einfädelte, sah er noch deutlich, daß der Morris-Fahrer sogar so etwas wie einen Dienstausweis zeigte. Doch das beeindruckte weder Vater noch Kinder. Sie waren ordentliche Bürger und kümmerten sich erst mal um die diversen Fundstücke. * »Natürlich wird diese alte Schachtel auftauchen«, sagte Brett Nichols. »Und ihr komischer Butler wird dabei sein. Diese beiden Typen lassen doch keine Gelegenheit aus, um mit dem Feuer zu spielen.« Brett Nichols, Inhaber des Papierhandtuch-Schnelldienstes, war etwa vierzig Jahre alt, mittelgroß und schlank. Der Mann sah vertrauenerweckend aus, absolut nicht wie ein Gangster, wie er in einschlägigen Filmen gern dargestellt wird. Er war aber ein Gangster!
Brett Nichols gehörte jener Organisation an, deren Boß Healers unter Mordanklage in Untersuchungshaft saß. Seine Rolle in dieser Gang war sogar bemerkenswert. Nichols war so etwas wie Healers rechte Hand und verfügte über großen Einfluß. Sein Geschäft diente zwar nur zur Tarnung, doch es florierte eigenständig. Es gab da eine Anzahl von Vertretern und Kundendienstberatern, es gab ein gutes Dutzend kleiner Lieferwagen, und sogar die Steuern wurden pünktlich und korrekt bezahlt. Nichols hielt auf Ordnung. Er wollte bei den Behörden nicht unangenehm auffallen. Nach außen hin war er von einem Saulus zum Paulus geworden. Einige Male vorbestraft, war er der Polizei natürlich bekannt, doch schon seit Jahren wollte er mit kriminellen Dingen nichts mehr zu tun haben. Seine tatsächliche Verbindung zu Healers hielt er geheim. Es gab nur zwei Vertraute, die davon wußten, und auf diese beiden Männer konnte er sich verlassen. Sie waren ihm treu ergeben. Sie befanden sich in seinem einfach eingerichteten Büro und hießen Pete Stornay und Jess Wavers. Pete Stornay war sechsundzwanzig Jahre alt, klein und drahtig, Jess Wavers schon dreißig, untersetzt und vollschlank. Auch sie sahen keineswegs wie Gangster aus. Sie galten in der Firma als Inspektoren und überprüften die Arbeit der Außenangestellten. Dadurch hatten sie die Möglichkeit, sich frei und ungehindert zu bewegen. Sie erledigten gewisse Spezialeinsätze für Brett Nichols. Sie trugen nie Schußwaffen bei sich. Sie konnten jedem Polizisten oder Detektiv treuherzig in die
Augen sehen. Wenn sie einen Mord zu erledigen hatten, geschah das auf raffinierte Art und Weise. Nun, Mord war natürlich nicht ihr tägliches Brot. Es gab da noch ganz andere Dinge zu tun. Sie baldowerten interessante Beutezüge aus und sorgten für eine stetige Ausweitung des Kundenstamms. »Was machen wir, wenn sie kommen?« wollte Pete Stornay wissen. »Gar nichts«, antwortete Brett Nichols. Er lächelte und zündete sich eine Zigarette an. »Die beiden Typen lassen wir gegen eine Gummiwand laufen.« »Die beiden Typen sind aber nicht ungefährlich«, warnte Jess Wavers. »Es werden die verrücktesten Geschichten über sie erzählt.« »Maßlos übertrieben«, meinte Brett Nichols. »Und wie ist die Alte an unsere Firma gekommen?« fragte Stornay. »Das möchte ich allerdings auch mal wissen«, wunderte sich Wavers und hob die Schultern. «Ob Tainers ihr das noch gesteckt haben kann?« »Wie denn, Jungens?« Brett Nichols schüttelte den Kopf. »Er wußte doch gar nicht, wer ihm das Gift untergejubelt hat. Tainers hatte keine blasse Ahnung.« »Dann muß die Alte 'ne Hellseherin sein«, erklärte Stornay. »Die rief doch nicht einfach so hier bei uns an, oder?« »Wir sollten sie mal in die Mache nehmen«, schlug Wavers vor. »Innerhalb von zehn Minuten wissen wir dann genau Bescheid, wetten?« »Nicht jetzt«, entschied Nichols, der ein vorsichtiger Fuchs war. »Wir sollten...«
Das Telefon unterbrach ihn. Er hob den Hörer ab und hörte einen Moment zu. »Ich lasse bitten«, sagte er dann und legte wieder auf. Er wandte sich Stornay und Wavers zu. »Sie sind da, wie ich's mir gedacht habe. Verschwindet, Jungens, laßt euch nicht sehen! Mit den beiden Typen werde ich allein fertig.« * »Was kann ich für Sie tun?« erkundigte sich Brett Nichols, nachdem Lady Simpson und Butler Parker sein Büro betreten hatten. Er gab sich höflich und bescheiden und sah vor allen Dingen die resolut wirkende Dame erwartungsvoll an. »Ihr Besuch ehrt mich, Mylady.« »Mr. Tainers läßt grüßen«, erwiderte Agatha Simpson grimmig. »Tainers? Wer ist das?« Nichols schluckte. Solch eine direkte Offenheit hatte er nun wirklich nicht erwartet. »Der Mann, den Sie oder Ihre Subjekte umgebracht haben«, antwortete die Detektivin. »Mr. Parker, zeigen Sie ihm den Zettel, den Tainers mir noch in die Hand drücken konnte!« Josuah Parker griff in die Tasche seines schwarzen Zweireihers und erfüllte Myladys Wunsch. Nichols sah deutlich seine Telefonnummer. »Was soll das?« fragte der Papierhandtuch-Chef gereizt. »Telefonnummern kann jeder aufschreiben.« »Das soll Ihnen nur zeigen, weshalb ich mich für Sie interessiere«, entgegnete die ältere Dame. »Vor seinem Tod war Tainers noch in der Lage, mir einige Hinweise zu geben, über die bei passender Gelegenheit zu reden sein wird.«
»Verlassen Sie augenblicklich mein Büro«, verlangte nun Brett Nichols mit scharfer Stimme. »Ich habe große Lust, Sie wegen Verleumdung zu verklagen.« Natürlich bluffte er, denn er hätte von sich aus nie die Polizei angerufen. Aber für ihn stand es nun fest, daß diese verrückte Lady und ihr Butler aus dem Weg geräumt werden mußten. Sie machten die Pferde nur unnötig scheu und würden ihm früher oder später die Polizei auf den Hals hetzen. Und gerade sie brauchte nicht zu wissen, wie eng er mit Edward Healers liiert war. Die Tarnung hatte bisher immer funktioniert. Und so sollte und mußte es auch bleiben. »Sie kleiner Miesling«, erwiderte Agatha Simpson. »Ich verspüre auch große Lust, nämlich Ihnen ein paar Ohrfeigen zu verabreichen.« »Das würden Sie bereuen!« Er hatte keine Ahnung, was er da heraufbeschwor, sonst hätte er es wahrscheinlich lieber gelassen. Er wich ein wenig zurück, als die forsche Frau auf ihn zumarschierte. Und dann täuschte sie ihn raffiniert. Sie holte mit der linken Hand aus, worauf Nichols seinen Kopf nach rechts nahm. Agatha Simpson hatte auf diese Reaktion nur gewartet. Sie landete ihre rechte Hand und schüttelte Nichols kräftig durch. Als geübte Golfspielerin besaß sie trainierte Muskeln und wußte damit deutliche Akzente zu setzen. Nichols traten die Tränen in die Augen. Er schnappte keuchend nach Luft und rief mit erstickter Stimme nach seinen Paladinen Stornay und Wavers. Sie hatten im kleinen Nebenraum nur auf ihren Einsatzbefehl gewartet. Erfreut brausten sie herein, nachdem sie die Tür
aufgerissen hatten, doch sie kamen nicht sonderlich weit. Butler Parker hatte nämlich bereits eine taktisch günstige Position bezogen und stand dicht neben der Tür. Als die beiden Vertrauten von Nichols ihn passierten, langte Parker mit dem bleigefütterten Griff seines UniversalRegenschirms zu. Er war darin ein Meister. Stornays Sturmlauf endete rapide. Nachdem der bleigefütterte Griff seinen Hinterkopf berührt hatte, absolvierte er eine etwas mißlungene Rolle vorwärts und schrammte anschließend mit seinem Riechorgan über den dicken Teppich. Wavers hingegen versuchte sich an einem Salto, der allerdings auch nicht recht klappte. Der temperamentvolle Kämpfer fiel krachend auf den Rücken und verstauchte sich dabei einen Halswirbel. Parker interessierte sich für die waffentechnische Ausrüstung der beiden Nichols-Mitarbeiter und barg je eine Automatik. Er schien mit Waffen dieser Art nicht sonderlich gut umgehen zu können. Die Mündungen richteten sich auf Nichols, der abwehrend die Arme hob und ins Stottern geriet. Was er sagen wollte, war leider nicht zu verstehen. »Ich hoffe, Sie werden Myladys Einladung nicht ablehnen«, sagte Parker. »Ei... Ei. .. Einladung?« »Zu einer kleinen Spazierfahrt«, präzisierte der Butler. »Mylady lieben Gesellschaft. « »Ich ... Ich ...« »Sie sind also einverstanden«, deutete Parker diesen Sprechversuch.« »Gehen wir also.«
»Und zwar ein bißchen plötzlich«, grollte Agatha Simpson. »Ich hoffe nicht, daß Sie noch eine schriftliche Einladung brauchen. Die können sie allerdings haben!« Doch Brett Nichols kam der höflichen Einladung ohne Widerstand nach, während seine beiden Vertrauten noch immer angeschlagen, allerdings auch dekorativ auf dem Teppich lagen. * Er saß neben Lady Simpson und berechnete seine Chancen. Schön, sie hatte ihn mit dieser gewaltigen Ohrfeige überrascht, aber noch einmal würde sie so etwas nicht schaffen. Sie war immerhin nur eine Frau! Und Parker vorn am Steuer dieses komischen Wagens konnte nicht eingreifen. Die Trennscheibe war erfreulicherweise geschlossen. Agatha Simpson verhielt sich schweigend. Ihre Rechte spielte mit den Perlen des Pompadours, der an ihrem linken Handgelenk hing. Es handelte sich dabei um einen antiquiert aussehenden Handbeutel, wie er um die Jahrhundertwende von Damen benutzt wurde. Solch ein Pompadour war längst aus der Mode gekommen, doch er paßte zu Mylady. Brett Nichols hatte seine Chancen inzwischen berechnet und war zu einem positiven Ergebnis gekommen. Wenn er die komische Alte als Geisel nahm, konnte er den ulkigen Butler zwingen, den Wagen zu stoppen. Danach brauchte er dann nur noch auszusteigen... Brett Nichols spannte seine Muskeln, nahm eine Art Countdown vor und warf
sich dann jäh auf die falsch eingeschätzte Gegnerin. Es bekam ihm gar nicht gut. Mylady schien auf diesen Angriff nur gewartet zu haben. Sie reagierte nicht schreckhaft, sondern sehr konzentriert. Ihre linke Hand beschrieb einen kleinen Halbkreis, und der Pompadour folgte dieser Bewegung. Er setzte sich auf die Nase des Gangsters, die daraufhin deutliche Quetschfalten zeigte. Nichols hatte das Gefühl, von einem Pferd getreten zu werden. Er heulte auf und sackte zurück in seine Ecke. Er konnte nicht wissen, daß ein echtes Hufeisen ihn außer Gefecht gesetzt hatte. Im Pompadour befand sich nämlich tatsächlich solch ein harter Gegenstand, der nur ganz oberflächlich in dünnen Schaumstoff gewickelt war. »Sie Naivling«, kommentierte die ältere Dame seine Niederlage. »Lassen Sie sich bei Gelegenheit Ihr Lehrgeld zurückzahlen! Wenn Healers davon hört, wird er an Ihnen zweifeln.« Nichols fingerte vorsichtig an seiner lädierten Nase herum und sah seine Kontrahentin scheu an. Sie hatte inzwischen eine Hutnadel aus ihrem »Südwester« herausgezogen und hielt das lange und spitze Gerät wie ein Florett stoßbereit in der rechten Hand. Die Spitze dieser Hutnadel war selbstverständlich auf Nichols Weichteile gerichtet. Der Gangster zog sich noch tiefer in seine Polsterecke zurück und traute der verrückten Alten durchaus zu, daß sie angriff. Er sah sie plötzlich mit völlig anderen Augen. »Sie Streiten also ab, Tainers umgebracht zu haben?« fragte sie nun. »Ich weiß überhaupt nicht, wer das ist?«
Parker vorn am Steuer umkurvte in diesem Moment einen Lastwagen, wodurch sein hochbeiniges Monstrum sich ein wenig auf die Seite legte. »Hoppla«, sagte Lady Agatha, die prompt gegen Nichols fiel. »Au!« keuchte Nichols, der von der Hutnadel getroffen wurde. Er hatte das Gefühl, von einem Miniaturflorett durchbohrt worden zu sein. Er begann, um sein Leben zu fürchten. »Sie kennen auch keinen Edward Healers, nicht wahr?« erkundigte sich Agatha Simpson ungerührt. »Ich ... Ich habe über ihn in den Zeitungen gelesen«, antwortete der Gangster blitzschnell und rieb sich die schmerzende Seite. »Aber persönlich kennen Sie ihn nicht, oder?« »Natürlich nicht, Mylady.« Er sagte bereits »Mylady« zu ihr, um Bruchteile von Sekunden später wieder aufzustöhnen. Der Wagen hatte sich erneut in eine Kurve gelegt. Und wiederum war die ältere Dame samt ihrer überlangen Hutnadel gegen ihn gerutscht. »Sie . .. Sie bringen mich um«, beschwerte sich Nichols. Ihm war jetzt alles egal. Er langte nach der Türklinke und wollte sich ins Freie stürzen. Darin sah er seine einzige Überlebenschance. Er war zu dem Schluß gekommen, es mit Verrückten zu tun zu haben. Die Tür war von Parker längst elektrisch verriegelt worden, doch das wußte Nichols nicht. Er merkte nur, daß sie sich nicht öffnen ließ. »Ich habe Sie eben nicht richtig verstanden«, sagte die Detektivin und setzte sich wieder zurecht. Seinen Fluchtversuch ignorierte sie. »Wie sagten Sie noch?«
»Ich kenne ihn«, räumte Nichols jetzt ein. »Nein, bitte, fallen Sie nicht wieder gegen mich, Mylady. Ich rede ja schon. Stornay und Wavers haben Tainers umgebracht. Mein Ehrenwort!« »Sind das diese beiden Subjekte aus Ihrem Büro?« »Sie gehören zu Healers. Er hat sie mir auf den Hals geschickt. Ich mußte sie einfach einstellen. Er benutzt meinen Betrieb als Deckmantel für seine Geschäfte. Ich werde von ihm erpreßt. Ich muß tun, was er will, sonst bringen mich Stornay und Wavers glatt um.« »Reden Sie weiter«, forderte Agatha Simpson ihn grimmig auf. »Ich sitze nicht besonders fest.« »Sie haben Tainers umgebracht. Er ist doch der einzige Augenzeuge gegen Healers. Er war es. Jetzt wird man Healers nicht mehr den Prozeß machen können.« »Und wie haben sie ihn ermordet?« Sie sah ihn streng ah. »Mit Gift. Sie sind als Getränkelieferanten nach oben in die Kantine gekommen. War ganz einfach, wie sie mir sagten. Wie sie es genau geschafft haben, weiß ich nicht. Die reden ja nicht mit mir.« »Sie sind natürlich bereit, das zu beeiden?« »Bringen Sie mich zur nächsten Polizeistation! Ich leiste jeden gewünschten Eid.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hatte mehr gesagt, als er sagen wollte, aber in seiner Vorstellung war das nicht besonders entscheidend. Er konnte das alles jederzeit wieder abstreiten und behaupten, die beiden Verrückten hätten ihn zu dieser Aussage gezwungen. Hauptsache, er kam erst
mal raus aus diesem rollenden Gefängnis, aus dieser fahrbaren Folterkammer. Brett Nichols fühlte sich sehr schlecht. Er hatte bereits leichte Sehstörungen und fühlte ein starkes Schlafbedürfnis in sich aufsteigen. Er wußte nicht, daß Lady Simpsons Hutnadel chemisch präpariert war. Die Spitze war von Parker behandelt worden und stellte eine Art Geheimwaffe seiner Herrin dar. Das leichte Gift wirkte. Nichols gähnte inzwischen langanhaltend und sackte wenig später entspannt in sich zusammen. Ein paar Augenblicke später waren bereits seine Schnarchtöne zu hören. »Was machen wir mit diesem Subjekt?« fragte die Detektivin nach vorn. Trotz der geschlossenen Trennscheibe konnte sie sich mit Parker gut verständigen. Es gab nämlich im Wagen eine versteckt angebrachte Sprechanlage. »Falls ich mir einen Vorschlag erlauben darf, Mylady, sollte man Mr. Nichols irgendwo aussetzen«, antwortete der Butler gemessen. »Seine Aussagen sind offiziell ohne jeden Wert und Beweiskraft. Aber es würde seine Mitarbeiter gehörig verunsichern, wenn er für ein paar Stunden oder länger wie von der sprichwörtlichen Bildfläche verschwindet. In Gangsterkreisen schießen Gerüchte erfahrungsgemäß üppig ins Kraut!« * Als Brett Nichols wieder zu sich kam, fühlte er sich ein wenig unterkühlt. Irgend etwas schüttelte ihn durch, doch er war noch nicht wach genug, um sich darauf einen Reim zu machen. Noch war diese lähmende Müdigkeit in seinen
Gliedern, die es ihm kaum gestattete, die Augenlider zu heben. Er brauchte einige Minuten, bis er merkte, daß er auf einer harten, piekenden Unterlage lag. Er tastete herum und kam zu dem Schluß, daß diese Unterlage aus Eisenschrott bestehen mußte. Dann richtete er sich vorsichtig auf und wurde von einem scharfen Wind gestoppt. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er lag in einem offenen Waggon, der mit Eisenschrott beladen war. Wie er hierher gekommen war, konnte er nur mühsam rekonstruieren. War da nicht etwas mit dieser komischen Alten und diesem Butler gewesen? Natürlich, sie hatten ihn zu dieser Spazierfahrt eingeladen, und dabei hatte die Frau ihn mit ihrer Hutnadel gefoltert. Als seine Gedanken diesen Erinnerungspunkt erreicht hatten, schoß Nichols das Blut in den Kopf. So entwürdigend war er noch nie behandelt worden. Bisher hatte man vor ihm nur gezittert. Er richtete sich noch mal auf und stemmte sich mit dem Oberkörper gegen' den Fahrtwind. Nun erfuhr er die letzte und schreckliche Wahrheit. Der Güterzug, zu dem sein Schrottwaggon gehörte, rollte durch eine zwar liebliche, ihm aber völlig unbekannte Gegend. Von London war weit und breit nicht mal etwas zu erahnen, geschweige denn zu sehen. Er wäre am liebsten abgesprungen, doch Nichols – im Grunde ein feiger und ängstlicher Mensch – traute sich nicht. Er sah sich bereits mit gebrochenen Knochen neben dem Bahndamm liegen. Dieses Risiko wollte er nicht eingehen.
Seine Wut auf Lady Simpson und Butler Parker steigerte sich noch. Sie hatten ihn gezwungen, mehr zu sagen, als er vorgehabt hatte. Ihnen gegenüber hatte er seine innige Verbindung zu dem inhaftierten Edward Healers zugegeben. Darüber hinaus hatte er gestanden, daß seine Mitarbeiter Stornay und Wavers den Augenzeugen Tainers ermordet hatten. Gut, vor der Polizei und einem Gericht war dieses Eingeständnis wertlos. Er brauchte es ja nur zu widerrufen oder behaupten, Lady Simpson und Butler Parker hätten sich das aus den Fingern gesogen. Doch wenn dieses komische Paar in Unterweltskreisen mit seinem Wissen hausieren ging, konnte das recht unangenehm werden. Der Güterzug rollte behäbig durch die Landschaft. Brett Nichols hatte sich wieder abgeduckt und fror entsetzlich. Wenn er wenigstens gewußt hätte, wohin die Reise ging. Nach seiner Uhr hatte er gut und gern zweieinhalb Stunden geschlafen. Dem Sonnenstand nach zu urteilen, ging es in Richtung Nordwest, doch das ließ ihn kaum klüger werden. Er suchte sich auf dem spitzen und sperrigen Schrott eine halbwegs passable Stelle aus und dachte über Lady Simpson und Butler Parker nach. Er hatte diese beiden Leute völlig unterschätzt. Sie waren offensichtlich Vollprofis. Nichols sah noch deutlich vor sich, wie Parker seine beiden Vertrauten Stornay und Wavers außer Gefecht gesetzt hatte. Der Gangster fuhr nervös zusammen, als die Lokomotive schrill pfiff. Er richtete sich auf und entdeckte, daß der Zug sich einem Tunnel näherte. Sofort wur-
de Nichols wieder nervös. Er preßte sich auf den Schrott und harrte ängstlich der Dinge, die da kommen mußten. Seine Geduld wurde auf keine lange Probe gestellt. Der Güterzug fuhr in den langen Tunnel, in dem die Rauchfahne der kohlenbeheizten Lokomotive nachdrücklich festgehalten wurde. Nichols glaubte ersticken zu müssen. Er hustete und keuchte, geriet in Panik und schwitzte Blut und Wasser vor Angst. Als der Güterzug den Tunnel wieder verließ, hatte der Gangster sich in eine Art Halbblut verwandelt. Seine eben noch grauweiße Gesichtsfarbe hatte einem braunschwarzen Teint Platz gemacht. Nein, Brett Nichols sah nicht mehr sonderlich gepflegt aus. Er glich einem ungewaschenen Landstreicher, da schließlich auch sein Anzug und das Hemd sich verfärbt hatten. Er war zu einer Gestalt geworden, die man noch nicht mal mit der Feuerzange anfaßte. * »Ich hätte nicht auf Sie hören sollen«, beschwerte sich Agatha Simpson und sah ihren Butler mißmutig an. »Drei Gangster hätten wir hinter Schloß und Riegel bringen können. Aber nein, Mr. Parker mußte wieder mal seinen Kopf durchsetzen.« »Falls Mylady diesen Eindruck haben, würde ich das zutiefst bedauern«, erwiderte Josuah Parker gemessen. »Darf ich mir erlauben darauf hinzuweisen, daß Myladys Anschuldigungen vor den Polizeibehörden juristisch ohne jeden Effekt gewesen wären?«
»Aber die Polizei sollte vielleicht doch wissen, daß dieser Nichols-Betrieb für Healers arbeitet. Sie scheint das bisher nicht gewußt zu haben.« »Davon sollte man in der Tat ausgehen, Mylady.« »Also, was werden wir nun machen?« »Mit Verlaub, Mylady, gar nichts, wenn ich mir diesen Rat erlauben darf.« »Das ist nicht gerade viel, Mr. Parker.« Lady Simpson und Butler Parker befanden sich wieder im Stadthaus der älteren Dame in Shepherd's Market. Agatha Simpsons wunderschönes altes Fachwerkhaus nahm die Stirnseite eines kleinen U-förmigen Platzes ein, der mit weiteren alten Gebäuden besetzt war. Dieser Platz inmitten der Riesenstadt London war so etwas wie eine Oase der Ruhe und des Friedens. »Mylady verzeihen meine Kühnheit, da ich widersprechen möchte«, schickte Parker voraus. »Healers wird mit Sicherheit erfahren, daß seine engsten Mitarbeiter in diverse Schwierigkeiten geraten. Healers wird weiter erleben, daß ein Teil dieser engsten Mitarbeiter möglicherweise sogar von der Polizei vereinnahmt wird, um es mal so vulgär auszudrücken. Das wird seine Selbstsicherheit, die er an den Tag legt, erheblich erschüttern.« »Wie sollen Healers Subjekte denn festgenommen werden, wenn wir nichts tun?« Sie sah ihn empört an. »Nun, Mylady, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden zum Beispiel die Herren Stornay und Wavers bald versuchen, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit aus dem Weg zu räumen. Ich rechne mit der kommenden Nacht.«
»Das hört sich schon besser an, Mr. Parker.« Agatha Simpsons Gesicht nahm einen versöhnlichen Ausdruck an. »Vielleicht gehen sie aber auch schon Miß Porter ins Garn«, redete der Butler weiter. »Ich war so frei, sie auf diese beiden Gangster anzusetzen.« »Das erfahre ich erst jetzt?« Parkers Herrin grollte. »Ich wollte Mylady nicht mit Kleinigkeiten belästigen, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Sie wollen mich nur ausmanövrieren, Mr. Parker! Sie scheinen mir nichts zuzutrauen.« »Durchaus nein und nicht, Mylady!« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Falls Mylady sich in der Laune befinden, einen Besuch abzustatten, würde ich mir erlauben, Mylady zu einer Ausfahrt einzuladen.« »Sie verfügen so einfach über mich? Sie wissen, daß ich das nun mal nicht ausstehen kann.« »Das, Mylady, würde ich mir niemals erlauben.« »Wohin soll es denn gehen?« »Zu Anwalt Arthur Pimlay, Mylady. Er ist der Rechtsvertreter des Mr. Edward Healers.« »Ich verstehe. Sie wollen ihn als Sprachrohr einsetzen, nicht wahr?« »Es ist anzunehmen, daß er Mr. Healers informieren wird. Anwalt Pimlay ist übrigens ein äußerst gefragter Mann. Er hat sich darauf spezialisiert, die Unterwelt zu vertreten. Es wird sogar behauptet, er arbeite im Grund ausschließlich für Healers.« »Das haben Sie wohl von Ihren ominösen Kontaktleuten, wie?« »In der Tat, Mylady! Man erfreut meine bescheidene Wenigkeit hin und
wieder mit vertraulichen Informationen, um es allgemein auszudrücken.« »Dann werde ich mir diesen Pimlay mal ansehen, Mr. Parker. Aber Sie haben mich da eben abgelenkt. Sie haben Kathy auf die beiden Nichols-Gangster angesetzt? « »Auf die Herren Stornay und Wavers«, erwiderte Parker. »Ich möchte davon ausgehen, daß sie dem Charme Miß Porters kaum gewachsen sein werden.« * »Klar, Pete, die ist seit gut zehn Minuten hinter uns her«, sagte Jess Wavers. »Sie sitzt in 'nem kleinen Mini-Cooper.« »Ich hab sie in der Optik«, erwiderte Pete Stornay, der den Wagen steuerte. Er sah in den Rückspiegel und konzentrierte sich auf das kleine wendige Fahrzeug. »Scheint nicht schlecht auszusehen, die Kleine.« »Von der Polizei ist sie bestimmt nicht«, meinte der untersetzte Wavers. »Wahrscheinlich hat die verrückte Alte sie uns auf den Hals gehetzt.« »Klar, die hat so was wie 'ne Sekretärin, Jess.« Pete Stornay lächelte. »Was hältst du davon, wenn wir sie hochnehmen?« »Und sie gegen Nichols austauschen?« Wavers hatte verstanden und nickte nachdenklich. »Genau, Jess!« Pete Stornay gefiel diese Vorstellung. »Nichols wird uns dankbar sein.« Die beiden Gangster einigten sich schnell, zumal sie eine ungeheure Wut auf Agatha Simpson und Butler Parker hatten. Sie waren von diesem so harmlos aussehenden Duo nach allen Regeln
der Kunst ausgeschaltet worden. Sie hatten darüber hinaus immer noch leichte Kopfschmerzen. Der bleigefütterte Bambusgriff des Regenschirms wirkte nach. Als ausgekochte Profis wußten sie, wie man Verfolger abhängt, aber auch wie man diese in eine Falle lockt. Sie verschoben also ihren Besuch, der einem gewissen Finch gelten sollte. Sie kreuzten die eigentliche Innenstadt und fuhren die Hochgarage eines Warenhauses ein. Sie wollten sich aber nicht absetzen, wie Parker es getan hatte, sondern auf einem der Parkdecks die charmante Verfolgerin kidnappen und in ihre Gewalt bringen. Der Mini-Cooper folgte ihnen und schloß auf. Pete Stornay konnte das Gesicht der Fahrerin jetzt recht deutlich erkennen. Er war sehr angetan. »Die sieht ja prima aus«, freute er sich prompt. »Mensch, Jess, bevor wir die austauschen, sollten wir uns erst mal mit ihr beschäftigen.« »Nichts gegen einzuwenden.« Wavers war sofort einverstanden. »So was hat mir der Arzt immer schon verordnet.« Pete Stornay grinste anzüglich. »Auf 'ne zusätzliche Stunde wird's Nichols ja wohl nicht ankommen«, fügte Jess Wavers hinzu. »Warum hat er sich auch abschleppen lassen? Soviel Schlappheit hätte ich ihm gar nicht zugetraut. « »Nichols ist'n Feigling«, meinte Pete Stornay. »Ist das so neu für uns?« »Aber er hat die genau richtigen Verbindungen«, warnte Jess Wavers. »Du weißt, daß Healers ihn für'n As hält. Und dagegen stinke ich nicht an.«
Die beiden Gangster, Vertraute Brett Nichols', hatten inzwischen das Parkhochhaus am Rande von Soho erreicht, zogen ihr Ticket und fuhren über die Wendel hinauf in die dritte Etage. »Is' sie noch immer hinter uns ? « fragte Pete Stornay. »Worauf du dich verlassen kannst, Pete.« Wavers lächelte und glich in diesem Moment überhaupt nicht einem Finsterling. Er wirkte gemütlich und sah freundlich aus. Nur seine Augen glitzerten ein wenig. Die Aussicht, sich mit dieser jungen Frau intensiv befassen zu können, reizte ihn immer mehr. Sie schafften es ohne Schwierigkeiten. Als sie den Wagen abgestellt hatten, gingen sie zum Fahrstuhl, ließen sich etwas Zeit und warteten, bis ihre Verfolgerin zu ihnen aufgeschlossen hatte. Als sie gerade zuschnappen wollten, erschien ein anderer Wagen, der ausgerechnet in Höhe des Fahrstuhls hielt. Die beiden Gangster verständigten sich mit einem schnellen Blick. Das Kidnapping konnte dann eben im Fahrstuhl selbst über die Bühne gehen. Vielleicht war das sogar noch gefahrloser. In der engen Kabine hatte die Kleine nicht die Spur einer Chance. Sie beging tatsächlich den Fehler, zu ihnen in die Kabine zu kommen. Wavers war einen Schritt zur Seite getreten und forderte sie höflich zum Einsteigen und Mitfahren ein. Sie reagierte sofort und ohne Zögern. Die Tür schloß sich, der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung. Pete Stornay sah sich die junge Dame aus nächster Nähe an. Sie war groß, schlank und besaß genau jene Linien und Formen, die er an Frauen sehr schätzte. Sie hatte ein pikant
geschnittenes Gesicht, wirkte aber irgendwie ein wenig scheu und gehemmt. Wahrscheinlich war sie sich ihrer Attraktivität überhaupt nicht bewußt... Dann ächzte Pete Stornay. Sie hatte ihm ihren linken Ellbogen in die Magengrube geschickt, nachdrücklich und blitzschnell. Pete Stornay schnappte nach Luft und verbeugte sich tief. »Was is'? « wollte der ahnungslose Jess Wavers wissen. Er schaute seinen Freund Stornay bestürzt an. »Verdammt«, keuchte Stornay. Er wollte noch mehr sagen und Wavers vor der scheuen jungen Dame warnen, doch die Luft reichte dazu nicht aus. Er verbeugte sich noch tiefer. Wavers schob sich an der jungen Dame vorbei und wollte sich um seinen Freund kümmern. Dazu kam er jedoch nicht mehr. Er hatte plötzlich das Gefühl, als sei ein Eisenträger gegen seinen Hals gefallen. Er sackte gegen die Wand der Fahrstuhlkabine und sah die junge Dame fast vorwurfsvoll an. Bevor er bewußtlos wurde, beobachtete er gerade noch, wie sie sich die Kante ihrer rechten Hand massierte. Pete Stornay hingegen sah noch mehr. Er kniete inzwischen neben seinem liegenden Partner und bekam genau mit, daß die junge Dame sich sehr bewußt und kühl ihre leichte Bluse zerfetzte. Sie zerzauste ihr Haar und verschmierte ihren Lippenstift. Und da war bereits das melodische Glockensignal zu hören. Der Fahrstuhl war unten im Erdgeschoß angekommen. Die junge Dame schrie ohne jede Vorwarnung gellend auf und schluchzte. Als die Tür des Fahrstuhls sich öffnete, warf sie sich in die Arme eines stämmi-
gen Mannes, der wohl nach oben in die Garage fahren wollte. »Hilfe«, stieß sie mit gekonnt versagender Stimme aus. »Diese beiden Männer wollten mich vergewaltigen! Bitte, helfen Sie mir!« * Anwalt Arthur Pimlay war ein sehr elegant aussehender Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Er trug einen teuren, aber auch etwas zu auffälligen Maßanzug, hatte graumeliertes Haar und wache, schnelle Augen. »Es ist mir eine Ehre, Mylady«, begrüßte er die vermeintliche Mandantin. »Bitte, nehmen Sie doch Platz. Was darf ich für Sie tun?« »Überhaupt nichts, Mr. Pimlay«, lautete Lady Simpsons Antwort. »Einen Mann wie Sie ließe ich niemals für mich arbeiten, doch das nur am Rand.« »Sie sind sehr deutlich, Mylady.« Pimlay geriet nur für einen Moment aus der Fassung, hatte sich dann aber sofort wieder unter Kontrolle. »Sie sind der Anwalt dieses Healers«, schickte Agatha Simpson barsch voraus. »Richten Sie diesem Subjekt aus, daß ich ihn für den Mord an Mr. Ralph Tainers zur Rechenschaft ziehen werde!« »Ich betrachte das Gespräch als beendet«, erwiderte Pimlay scharf. Er ging zur Tür und wollte sie öffnen. Dabei geriet er ungewollt in die Nähe von Myladys Pompadour, der ein wenig in Bewegung gekommen war und schaukelte. Als das Hufeisen darin – Mylady nannte es ihren »Glücksbringer« – gegen seine linke Kniescheibe pendelte,
blieb Pimlay beeindruckt stehen und sog scharf die Luft ein. »Das Gespräch ist erst dann beendet, wenn ich es für beendet erkläre, junger Mann«, warnte die resolute Dame ihn unwillig. »Setzen Sie sich gefälligst!« Pimlay gehorchte augenblicklich. Er humpelte zu einem der lederbezogenen Besuchersessel und ließ sich nieder. Er rieb sich nachdrücklich sein Knie. »Wir sprachen von Healers«, fuhr Mylady grimmig fort. »Aus der Zelle heraus hat dieses Subjekt den einzigen Augenzeugen umbringen lassen. Diese Schmutzarbeit haben zwei Strolche namens Stornay und Wavers erledigt, die für einen gewissen Brett Nichols arbeiten. Ist es nicht so, Mr. Parker?« »In der Tat, Mylady«, erwiderte der Butler gemessen. Er stand schräg hinter seiner Herrin und ließ den Anwalt nicht aus den Augen. »Richten Sie diesem Subjekt Healers aus, daß der sterbende Mr. Tainers mir noch einige Hinweise zuflüstern konnte, die sich nicht nur auf Nichols bezogen. Sagen Sie diesem Gangsterboß, daß wir dafür sorgen werden, daß seine Organisation aufgelöst werden wird! In einigen Tagen wird man für einen Healers keine Hand mehr rühren.« »Damit beenden Mylady das Gespräch«, schaltete sich Josuah Parker gemessen ein. »Ziehen Sie Ihre persönlichen Schlüsse aus diesen Informationen, Mr. Pimlay!« Agatha Simpson stand in Pimlays Nähe. Als sie grimmig davon marschierte, geriet ihr Pompadour wieder in pendelnde Bewegung. Ob es allerdings nur ein Zufall war, daß der »Glücksbringer« gegen Pimlays Schulter stieß, stand auf einem anderen Blatt. Pimlay röchelte
beeindruckt auf und senkte seinen Körper tief in den Sessel ab. Dann sah er dem davongehenden Duo aus tränenverschleierten Augen nach. Er hoffte, nur geträumt zu haben, doch er wußte, daß dies nicht der Fall war. Die schrullige Alte war ein Naturereignis, vor dem man in Zukunft wohl besser auswich. * Der muskelbepackte Mann, an dessen Brust Kathy Porter sich geflüchtet hatte, kam zur Sache. »Moment mal«, bat er die hilflose junge Frau. »Das werden wir gleich haben.« »Passen Sie auf«, warnte Kathy Porter schluchzend. »Ich glaube, sie sind bewaffnet.« »Nicht mehr lange, Miß.« Der Mann betrat den Fahrstuhl und ließ die Tür der Kabine hinter sich zugleiten. Sekunden später setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung. Er hob ab und fuhr nach oben. Kathy Porter ließ sich von einigen aufgebrachten Hausfrauen trösten. Sie schilderte in dramaturgisch geschickter Steigerung die brutalen Annäherungsversuche der beiden Sittenstrolche und erweckte nicht nur das Mitgefühl ihrer Zuhörerinnen. Nein, sie brachte sie auch noch in eine gelinde Wut, die nach einem Ventil suchte. Weitere Zuhörer stellten sich ein. Ein Abteilungsleiter, der bereits das zuständige Revier angerufen hatte, beobachtete den Etagenanzeiger des Fahrstuhls. Er senkte sich gerade wieder nach unten. Kathy Porter war eine vollendete Schauspielerin.
Sie streckte abwehrend beide Arme aus, als die Tür des Fahrstuhls sich öffnete. Der Mitfahrer stieg aus und massierte sich die Hände, die an kleine Kohlenschaufeln erinnerten. Dann wies er auf die beiden Gangster Stornay und Wavers, die nicht mehr so aussahen wie vor wenigen Minuten. Sie waren von ihrem Mitfahrer ein wenig deformiert worden. Sie lagen wie nasse Lappen in je einer Ecke des Fahrstuhls und stierten schielend auf die aufgebrachten Hausfrauen. Der Mitfahrer lächelte Kathy Porter tröstend an. »Das werden sie nie wieder versuchen«, sagte er dann. »Sie hatten recht, Miß, diese beiden Typen haben wirklich Kanonen mit sich 'rumgeschleppt.« Er zeigte der aufgebrachten Menge die beiden kurzläufigen Revolver und trat dann zur Seite. »Wer sich noch bedienen möchte?« Er sah die aufgebrachten Hausfrauen aufmunternd an. Stornay und Wavers wären für die rachedurstigen Damen eine mehr als leichte Beute gewesen. Zu ihrem Glück jedoch erschienen in diesem Moment zwei uniformierte Polizisten, die sich der beiden Gangster annahmen. Als sie in Handschellen abtransportiert wurden, kassierten sie allerdings noch einige derbe Fausthiebe. Sie waren schier überglücklich, als sie endlich im Streifenwagen saßen. Ein zweiter Wagen brachte Kathy Porter und ihren Beschützer zum Revier. »Ich ... Ich verweigere jede Aussage«, sagte Kathy schluchzend zum diensttuenden Inspektor. »Morgen sind diese beiden Männer wieder frei. Und dann
werden sie hinter mir her sein. Nein, ich sage nichts, überhaupt nichts!« »Und wer hat ihre Bluse zerrissen?« fragte der Inspektor und hatte einige Mühe, sich von Kathy Porters Formen loszureißen. »Die ... Die habe ich mir an einem Nagel zerrissen«, erwiderte Kathy prompt. »Die beiden Männer haben damit überhaupt nichts zu tun.« »Aber die wollten Sie doch vergewalti... Äh, ich meine, die wurden zudringlich.« Kathys Beschützer zeigte Neigung, noch mal auf Stornay und Wavers loszugehen. »Nein, nein, da müssen Sie mich falsch verstanden haben«, erwiderte Kathy hastig. »Verstehe, Miß.« Der Beschützer zwinkerte dem Inspektor zu. »Ich muß sie wirklich falsch verstanden haben. Reichen die beiden Schießeisen?« »Darauf können Sie sich verlassen, Sir«, erwiderte der Inspektor und nickte. »Waffenscheine werden sie wahrscheinlich nicht haben. Diese beiden Burschen landen erst mal hinter Schloß und Riegel.« »Und für wie lange, Sir?« Kathy wandte sich an den Inspektor und sah ihn flehend an. »Keine Sorge, Miß Porter! Wenigstens für Wochen, wahrscheinlich aber für Monate, falls nicht noch was dazu kommt. Machen Sie sich keine Sorgen!« »Ich erhebe aber keine Anklage gegen die beiden Männer«, erklärte Kathy Porter und genoß innerlich die wütenden Blicke von Stornay und Wavers, die ihr prompt ins Garn gegangen waren. Nachdrücklicher hätte sie sie nicht aus dem Gangsterverkehr ziehen können. Parkers Ratschlag war wieder mal ausgezeichnet
gewesen. List gegen Brutalität, das war und blieb seine Devise. Sie zahlte sich immer aus. Stornay und Wavers wurden abgeführt. Als sie sich noch mal umwandten, lächelte Kathy ihnen verstohlen zu und nahm sich die Freiheit, ihnen auch noch andeutungsweise die Zunge herauszustrecken. Sie verstanden sehr gut und gerieten in wilde Wut. Sie rissen sich von dem sie abführenden Beamten los und wollten sich auf Kathy stürzen. Damit taten sie genau das, was Kathy gewollt hatte. Sie verwickelten die Polizisten des Reviers, die sie natürlich festhielten, in ein wildes Handgemenge und leisteten nun auch noch erheblichen Widerstand gegen die Staatsgewalt. »Nein, nein, sie haben mir wirklich nichts getan«, sagte Kathy danach noch mal. »Das kann ich beschwören, Sir. Sie haben mich noch nicht mal angerührt.« »Natürlich nicht, Miß Porter.« Der schnaufende Inspektor, der sich am allgemeinen Nahkampf beteiligt hatte, nickte nun verständnisvoll. »Das sind völlig harmlose Zeitgenossen. Haben wir ja gerade gesehen.« * »Sagen Sie nichts«, meinte Agatha Simpson ironisch zu Superintendent McWarden, der von Butler Parker in den großen Wohnraum geführt wurde. »Sie kommen natürlich wieder mal ganz zufällig vorbei, nicht wahr?« »Diesmal nicht«, erwiderte McWarden gereizt. »Ich möchte Ihnen einige Fragen stellen.«
»Eine Erfrischung, Sir?« erkundigte sich Parker. »Ich bin quasi dienstlich hier.« Der Superintendent schüttelte den Kopf. »Ist übrigens Miß Porter im Haus?« » Sie möchten sie ebenfalls sprechen? « fragte die ältere Dame. »Auf jeden Fall, Mylady.« »Mr. Parker, bemühen Sie sie herunter«, wandte Agatha Simpson sich an ihren Butler. Dann drehte sie sich wieder zu McWarden um und sah ihn fragend an. »Worauf warten Sie noch, junger Mann? Verhören Sie mich! Darauf läuft es ja wohl hinaus, oder?« »Ich möchte warten, bis Miß Porter und Mr. Parker wieder hier sind, Mylady.« »Täusche ich mich, oder sehen Sie wirklich verärgert aus, McWarden?« wollte die Detektivin wissen. »Sie leiden unter dem Wetter, nicht wahr? Oder ist Ihre Galle nicht ganz in Ordnung?« »Sie ist bestens in Ordnung, Mylady, aber sie wird mir eines Tages noch überlaufen. Aha, da kommen ja Miß Porter und Mr. Parker. Guten Abend, Miß Porter! Sie erschienen vor etwa anderthalb Stunden auf einer Revierwache der Polizei, nicht wahr?« »Das ist richtig«, antwortete Kathy freundlich. »Sie beschuldigten zwei Männer namens Pete Stornay und Jess Wavers. Ist das auch richtig? « »Ich habe keinen Menschen beschuldigt«, entrüstete sich Kathy prompt. »Wer hat das behauptet?« »Äh, ein paar Leute, die zusammen mit Ihnen in Annons Warenhaus waren. Sie erklärten dort, die beiden Männer hätten versucht, Sie zu vergewaltigen.«
»Das nehme ich selbstverständlich sofort wieder zurück. Aber das habe ich ja bereits in der Polizeiwache erklärt, Mr. McWarden. Das muß dort im Protokoll stehen.« »Sie haben Angst?« McWarden versuchte väterlich zu erscheinen, doch diese Rolle lag ihm gar nicht. »Vor Ihnen, Sir?« »Nicht vor mir. Vor den beiden Männern?« »Ich kenne sie ja gar nicht.« »Und wieso war Ihre Bluse zerrissen, als Sie aus dem Fahrstuhl kamen? Und warum haben Sie darin geschrien? Das muß doch einen Grund gehabt haben, oder?« »Die Bluse war noch neu, Sir. Ich habe ärgerlich aufgeschrien, als ich sie mir an diesem hervorstehenden Nagel zerriß.« »Miß Porter, Sie haben nichts zu befürchten«, schickte McWarden voraus. »Diese beiden Burschen sitzen fest hinter Schloß und Riegel.« »Was sind denn das für Männer?« wollte Agatha Simpson jetzt gespielt neugierig wissen. »Äh, zwei Gangster, nach denen wir schon lange Zeit gefahndet haben.« McWarden räusperte sich. »Es ist doch sehr eigenartig, daß sie ausgerechnet zusammen mit Miß Porter in einem Fahrstuhl waren, nicht wahr?« »Das Leben liebt Überraschungen«, ließ der Butler sich vernehmen. »Eine banale Feststellung, Sir, wie mir durchaus bewußt ist, aber sie entspricht den Tatsachen.« »Vielen Dank für diesen Hinweis«, sagte McWarden ärgerlich. »Der Name Brett Nichols sagt Ihnen nichts, wie?
Auch Ihnen nicht, Mylady? Miß Porter?« »Nichols? Das ist ein Name, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf, der nicht gerade ungewöhnlich auf der Insel ist, Sir«, antwortete Josuah Parker höflich. »Welchen Nichols meinen Sie?« erkundigte sich Agatha Simpson genußvoll. »Brett Nichols«, wiederholte McWarden. » Er ist Inhaber einer kleinen Firma, die Papierhandtücher vertreibt. Wissen Sie, diese scheußlichen Dinger, die man aus Kunststoff boxen zieht.« »Und was ist mit diesem Mr. Nichols?« fragte die Detektivin weiter. »Er muß für Sie wohl recht interessant sein.« »Der Mann wurde vor einer Stunde in Birmingham festgenommen.« McWarden holte tief Luft. »Er wurde aufgrund eines anonymen Anrufes aus einem Güterwagen geholt.« »Ein Eisenbahndieb, junger Mann?« Die ältere Dame wußte angeblich von nichts. »Was warf man ihm vor?« »Nennen Sie mich nicht immer junger Mann, Mylady«, beschwerte sich McWarden wütend. »Eine uralte Frau wie ich kann sich das leisten«, erklärte Agatha Simpson. »Ich könnte ja Ihre Mutter sein.« »Nur das nicht, Mylady!« McWarden hob abwehrend die Arme, lächelte dann jedoch versöhnlich. »Ja, was wirft man diesem Brett Nichols vor? Eigentlich nichts. Er wirft Ihnen und Mr. Parker etwas vor. Deswegen bin ich ja hier.« »Er wirft Mr. Parker und mir etwas vor? Das ist ja unglaublich!« »Er behauptet, Sie hätten ihn gefoltert und dann vergiftet. Er will von Ihnen in
den Schrottgüterwagen geworfen worden sein.« »Trauen Sie mir so etwas zu?« Agatha Simpson sah McWarden unschuldig an. »Natürlich traue ich Ihnen so etwas zu«, sagte McWarden. »Brett Nichols behauptet, Sie hätten ihn mit Ihrer Hutnadel zerstochen. Erstaunlicherweise ließen sich in den seitlichen Weichteilen dieses Nichols Stichwunden feststellen.« »Dieser Lümmel phantasiert. Die Papierhandtücher scheinen seinen Kopf verwirrt zu haben.« »Überraschenderweise, das wissen wir inzwischen, ist er der Arbeitgeber jener beiden Typen, die zusammen mit Miß Porter im Fahrstuhl waren. Zufall? « »Dies, Sir, sollten Sie allein beurteilen«, meinte nun Parker gemessen. »Dieser erwähnte Mr. Nichols scheint eine recht ungewöhnliche Firma zu betreiben, wenn ich das so ausdrücken darf. Er beschäftigt zwei Gangster? « »Die von der Polizei bisher gesucht wurden?« wunderte sich die Detektivin prompt und schüttelte verständnislos den Kopf. »Sollte Mr. Nichols ebenfalls ein Gangster sein?« »Ich lasse mich nicht auf den Arm nehmen«, beschwerte sich der Superintendent ärgerlich. »Sie verschweigen den Behörden wichtige Tatsachen, die wahrscheinlich zur Aufklärung eines Mordes dienen können. Das ist strafbar.« »Sie bringen Nichols mit einem Mord in Verbindung?« staunte die ältere Dame. »Sollte man unterstellen, Sir, daß Sie den Mord an Mr. Tainers meinen?« fragte Josuah Parker.
»Das sollte man unterstellen.« McWarden nickte. »Nichols scheint für Healers eine Art Filialbetrieb zu führen.« »Von dem Sie bisher nichts wußten?« Agatha Simpson schüttelte noch mal indigniert und erstaunt den Kopf. »Dann können Sie sich zu diesem Fang doch nur gratulieren. Meinen Glückwunsch, Mr. McWarden!« »Fang? Wir haben Nichols wieder auf freien Fuß setzen müssen. Das heißt, meine Kollegen in Birmingham haben das getan. Leider etwas zu voreilig. Sie müssen ab sofort damit rechnen, daß Nichols sich revanchieren wird. Und davor möchte ich sehr warnen.« * »Er war verärgert, nicht wahr?« Agatha Simpson sah ihren Butler abwartend an. McWarden war gegangen, gereizt und verschnupft. »Er schien in der Tat sehr verärgert gewesen zu sein, Mylady«, weitete Parker diese Beobachtung aus. »Diese schnelle Entlassung Mr. Nichols schafft Probleme, wenn ich es so umschreiben darf.« »Er wird sich umgehend rächen wollen, nicht wahr?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady. Hinzu kommt noch die Tatsache, daß Anwalt Pimlay inzwischen wohl seinen Mandanten Healers aufgesucht und informiert haben dürfte. Die Dinge nähern sich, um es deutlich auszudrücken, einem ersten Höhepunkt.« »Wie schön«, freute sich die Hausherrin, ohne im geringsten Angst zu zeigen. »Was schlagen Sie vor, Mr. Parker?
Sollen wir hier in Shepherd's Market bleiben oder das Quartier wechseln?« »Ich möchte keineswegs verhehlen, Mylady, daß Healers ausgesuchte Mitarbeiter einsetzen wird.« »Schüsse aus dem Hinterhalt und so weiter? « »Damit sollte man ab sofort rechnen, Mylady.« »Eine wenig schöne Vorstellung, Mr. Parker. Ich möchte nicht den lieben langen Tag mit einer Panzerweste herumlaufen.« »Darf ich mich erkühnen, Mylady einen Vorschlag zu unterbreiten?« »Sie haben also bereits disponiert, ja?« »Ich war so frei, Mylady.« »Wohin werden wir fahren?« »Darf ich Myladys Wochenendhaus in den Cotswold Hills als Aufenthalt vorschlagen?« »Das klingt nicht schlecht, Mr. Parker.« Sie nickte ausnahmsweise mal beifällig. Es handelte sich um eine liebliche Hügellandschaft östlich von Oxford. »Und was werden wir dort tun, Mr. Parker?« »Mr. Healers Mitarbeiter werden Mylady selbstverständlich folgen und von der Voraussetzung ausgehen, Mylady dort in aller Ruhe erledigen zu können. Mylady mögen diese vulgäre Umschreibung verzeihen.« »Wann fahren wir?« »Die Koffer sind bereits gepackt, Mylady. Ich war so frei, die Vorbereitungen zu treffen.« »Und was wird aus Nichols, Mr. Parker? Er dürfte bereits auf dem Weg zurück nach London sein, wenn er nicht schon wieder hier ist.«
»Mr. Nichols wird es nicht versäumen, sich ebenfalls die Cotswold Hills anzusehen, Mylady.« »Hoffentlich enttäuscht er mich nicht. Aber da ist etwas, was Sie natürlich wieder mal völlig übersehen haben, Mr. Parker.« »Mylady sind auf einen Denkfehler meiner bescheidenen Wenigkeit gestoßen? « Parker sah seine Herrin aufmerksam an. »Healers Organisation setzt sich nicht nur aus dieser Nichols-Bande zusammen, oder?« »Durchaus nicht, Mylady. Mr. Healers betreibt offiziell einen sogenannten Informationsdienst. « »Was ist denn das, Mr. Parker? Nur ein Bluff für die Öffentlichkeit?« »So sollte man es in der Tat umschreiben, Mylady. Healers gab und gibt pro Woche eine sogenannte Presseschau heraus. Sie enthält fast ausschließlich Zitate aus englischen und ausländischen Zeitungen.« » Die er wahrscheinlich für teures Geld an den Mann bringt, nicht wahr?« »Durchaus, Mylady. Die Kosten sind für die jeweiligen Bezieher dieses Pressedienstes erheblich, wie ich in Erfahrung bringen konnte. Dennoch erfreut sich dieser Pressedienst größter Beliebtheit. Die Auflage soll beträchtlich sein.« »Man abonniert aus Angst vor Repressalien, oder?« »Dies trifft den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf, Mylady.« »Und wo befindet sich das Büro von Healers?« »In Soho, Mylady. Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß Healers dort ein richtiges Verlagsbüro unterhält.«
»Und warum sehen wir uns dort nicht mal gründlich um, Mr. Parker? Ich habe plötzlich überhaupt keine Lust mehr, in mein Wochenendhaus zu fahren.« »Der von Mylady angesprochene und offensichtlich gewünschte Besuch steht durchaus auf dem Programm«, gab Parker gemessen zurück. »Er sollte und könnte vielleicht von den Cotswold Hills aus erfolgen, falls Mylady darauf bestehen.« »Ich bestehe darauf«, lautete ihre lakonische Antwort. * Butler Parker war nicht nur ein umsichtiger, sondern auch ein sehr phantasiebegabter Mensch. Noch im größeren Stadtbereich von London bog er mit seinem hochbeinigen Monstrum von der Ausfallstraße ab und durchfuhr ein Gewirr kleiner Straßen, bis er das Lagerhaus einer renommierten Speditionsfirma erreichte, die sich auf Luftfracht spezialisiert hatte. Parker wußte seit gut zwanzig Minuten, daß Mylady, Kathy Porter und er recht geschickt verfolgt wurden. Es handelte sich um insgesamt drei unauffällig aussehende Wagen, die sich wechselweise an seinen Wagen hängten, um nicht ausgemacht zu werden. Ihm ging es jetzt darum, erst mal für eine gewisse Verwirrung der Verfolger zu sorgen. Sie sollten den Eindruck gewinnen, Agatha Simpson habe die Absicht, die Insel Hals über Kopf zu verlassen. Nach knapp zehn Minuten kam Parker zum Wagen zurück, in dem seine Herrin und Kathy Porter saßen. Er setzte sich ans Steuer und fuhr weiter.
»Nachforschende Gangster werden jetzt erfahren, Mylady beabsichtige, für einige Wochen nach Paris zu fahren«, erläuterte der Butler, als er wieder die Ausfallstraße ansteuerte. »Morgen wird ein Wagen der Speditionsfirma vor Myladys Haus erscheinen, um die Schrankkoffer abzuholen.« »Glauben Sie etwa, wir hätten jetzt die drei Verfolger abgeschüttelt? «fragte die Detektivin spöttisch. »Mitnichten und keineswegs, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Es dürften sich immer noch zwei Wagen auf Myladys Spur befinden.« »Und wann werden wir den zweiten Wagen los?« »Vor dem Flughafen, Mylady«, versprach Josuah Parker höflich. »In Heathrow wird die zweite Verfolgergruppe in gewisse Schwierigkeiten kommen, Mylady.« »Und was ist dann mit dem dritten Wagen? Die Gangster sollen doch schließlich erfahren, daß ich in meinem Wochenendhaus bin.« »Der dritte Wagen darf Mylady selbstverständlich folgen«, antwortete Parker. »Er wird in den Cotswold Hills sein Cannae erleben, wenn ich es so umschreiben darf.« »Na, ich lasse mich überraschen.« Agatha Simpson lehnte sich zurück und verfiel in einen leichten Schlummer, aus dem sie erst wieder erwachte, als man sich dem großen Flughafen von London näherte. Parker benutzte die Auffahrt für VIP's, jene Zufahrt also, die nur hochgestellten Persönlichkeiten aus Industrie, Kunst und Politik vorbehalten war. Als er ausstieg, um Lady Simpson aus dem Wagen zu helfen, sah er die beiden
Fahrzeuge der Verfolger. Sie standen auf der Zufahrt und harrten der Dinge, die sich ja nun tun mußten. Der dritte Wagen war tatsächlich, wie vorausberechnet, zurückgeblieben und stand wohl noch auf dem Parkplatz der Speditionsfirma. Parker geleitete seine Herrin feierlichgemessen in die separate Abfertigung, wo sie in einem bequemen Sessel Platz nahm. Dann verschwand der Butler in einer Telefonzelle und wählte die Notrufnummer der Polizei. »Als verantwortungsbewußter Bürger Ihrer Majestät möchte ich Ihnen einen Hinweis geben«, schickte er voraus, nachdem auf der Gegenstelle abgehoben worden war. »Auf der Zufahrt zur VIPAbfertigung steht ein Wagen, in dessen Reifen sich Heroin im Wert von schätzungsweise zwei Millionen Pfund befindet. Merken Sie sich bitte das Kennzeichen dieses Wagens! Und nun viel Glück!« Er legte auf, nachdem er das Kennzeichen eines der beiden Wagen genannt hatte, ging zu Lady Simpson und Kathy Porter zurück und wartete dann geduldig auf das Erscheinen der Polizei. Sie kam überraschend schnell. Das Stichwort »Heroin« bewirkte Wunder. Zwei Zivilwagen rauschten über die Auffahrt heran und keilten den bewußten Wagen ein. Je drei Detektive sprangen aus den Fahrzeugen und ließen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß sie mit Gegenwehr rechneten. Sie zeigten, wenn auch diskret, ihre Schußwaffen. »Darf ich mir erlauben, Mylady zur Weiterfahrt einzuladen?« Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und ge-
leitete die noch sehr rüstige Dame zurück zum hochbeinigen Monstrum. »Recht nett«, fand Agatha Simpson, als sie wenig später an dem festgehaltenen Wagen vorüberfuhren. »Hoffentlich verlieren die Lümmel im dritten Wagen nicht die Lust, sich weiter an uns zu hängen.« »Mit Sicherheit nicht, Mylady«, versprach Josuah Parker. »Man wird sie vor Myladys Wochenendhaus wiedersehen. « * »Gut, daß wir mit drei Schlitten losgefahren sind«, sagte Melvin Scinner zu seinem Partner Randy Mince. »Uns wird sie nicht mehr los.« »Die Alte ist ein raffiniertes Luder«, meinte der dritte Mann im Wagen, der Paul Panners hieß. »Der Butler ist das verdammte Schlitzohr«, fand Randy Mince, der den Wagen steuerte. »Healers hat uns extra vor ihm gewarnt. Ich kann den Boß nicht verstehen. Warum haben wir diese drei Typen nicht schon im Stadtbereich erledigen dürfen. Wäre doch ein Klacks gewesen.« »Der Boß wird schon seine Gründe dafür haben«, erwiderte Melvin Scinner gelassen. »Wenn die jetzt draußen auf dem flachen Land hopsgehen, fällt das nicht so auf. Das dürfte wohl der Grund sein.« »Warum haben die Bullen sich nicht mit uns befaßt?« fragte Paul Panners nachdenklich. »Warum hat Parker sie nicht auch auf uns gehetzt?« »Weil diese Amateure uns übersehen haben.« Melvin Scinner lachte leise.
»Wer rechnet denn auch schon mit drei Verfolgerwagen, he?« Die Gangster befanden sich auf der Straße in Richtung Oxford und unterhielten sich angeregt miteinander. Obwohl sie es nicht ausdrücklich sagten, waren sie im Grund alle froh, daß sie die Verfolgung fortsetzen konnten. Nun brauchten sie sich den kommenden Erfolg nicht mit den Freunden aus den beiden anderen Wagen zu teilen, die auf der Strecke geblieben waren. Mit einer fetten Sonderprämie Healers' war fest zu rechnen. Für die drei Gangster stand es bereits fest, daß sie ihren Auftrag erfolgreich beenden würden. Melvin Scinner, Randy Mince und Paul Panners sahen unauffällig aus und waren im Schnitt etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Sie gehörten zum engeren Kreis der Healers-Organisation. Jeder von ihnen war ohne weiteres bereit, einen Mord zu begehen. Diese Bereitschaft sah man ihnen aber nicht an. Scinner war mittelgroß, schlank und hatte ein sportlich gebräuntes Gesicht; Randy Mince hingegen war füllig, ohne dick zu sein. Sein rundliches Gesicht flößte Vertrauen ein; Panners hingegen wirkte ein wenig leidend, was seine großen, etwas traurig erscheinenden Augen nur noch unterstrichen. Normalerweise waren sie als Vertreter unterwegs und verkauften Abonnements des Healers-Pressedienstes. Sie verfügten über gute Manieren und waren erfolgreich. Falls ein potentieller Kunde nämlich so gar nicht an einem Abonnement interessiert war, erschien bald darauf ein Schlägertrupp und machte diese Kunden kaufwillig. Das begann entweder mit dem Zerschlagen einer Büroeinrichtung, oder
vielleicht mit dem Rammen des Fahrzeugs solch eines Kunden oder mit einer bösartigen Lektion in der Kunst des Boxens und Schlagens. Bisher hatte im Endeffekt noch jeder den Pressedienst bestellt und teures Geld für diesen Schund bezahlt. Scinner, Mince und Panners wußten bereits von der Panne des Brett Nichols und der beiden Mitarbeiter Stornay und Wavers. Sie konnten darüber eigentlich nur schadenfroh lachen, denn sie fühlten sich als Elite der Organisation. Mit ihnen, darüber waren sie sich einig, konnte man so etwas nicht machen. Dazu fühlten sie sich doch zu gerissen. .. Ihrer Meinung nach würde der Boß bald aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Der einzige Augenzeuge war nicht mehr in der Lage, gegen Healers auszusagen. Ralph Tainers war erledigt worden. Ihrer Meinung nach übrigens recht amateurhaft. Wieso hatte Tainers überhaupt noch reden können? Ihnen wäre so etwas nicht passiert. Nun hatte man es also mit der verrückten Lady zu tun, die unbedingt vor Gericht gegen den Boß aussagen wollte. Lächerlich! Sie würde den kommenden Tag nicht mehr erleben. Und zusammen mit ihr dieser schlitzohrige Butler und diese Kathy Porter ... »Wo lassen wir die drei Leichen verschwinden?« fragte Paul Panners mit leidender Stimme. »Irgendwo wird ja wohl'n Spaten aufzutreiben sein«, meinte Melvin Scinner optimistisch. »Und dann ein paar Fuß 'runter in den Boden«, fügte Randy Mince fachmännisch hinzu. »Drüben in den Hills ist das doch 'ne Kleinigkeit.«
»Die drei Gangster wußten inzwischen, wo das Trio sich versteckt halten wollte. Durch Ferngläser hatten sie beobachtet, wie Lady Simpson, Kathy Porter und Butler Parker in einem sehr ansehnlichen Cottage verschwunden waren, das inmitten eines weiträumigen Parks lag. Wälder säumten die weiten Rasenflächen ein. Rechts hinter dem Cottage gab es sogar so etwas wie ein kleines Hochmoor. Eine bessere Gegend hätten ihre Opfer sich gar nicht aussuchen können. »Sobald das Licht aus ist, pirschen wir uns 'ran«, sagte Scinner. »In 'ner knappen Stunde können wir zurück nach London und Vollzugsmeldung machen. War nicht gerade aufregend, dieser Job, wie?« * Das Trio befand sich auf dem Kriegspfad. Agatha Simpson, Kathy Porter und Josuah Parker hatten das Wochenendhaus längst wieder verlassen. Sie wollten sich nicht leichtsinnig als Zielscheibe anbieten. Es war damit zu rechnen, daß die drei Gangster sofort schössen, und dieses Risiko durfte man laut Butler Parker nicht eingehen. Obwohl es dunkel war, vermochte Parker alle Einzelheiten im Gelände gut zu überblicken. Er benutzte dazu ein Nachtsichtgerät der Armee. Es war klein, handlich und leistungsstark. Er hatte sich mit den beiden Damen in einen Geräteschuppen neben dem Teich zurückgezogen. Von hier aus waren das Cottage, ein großer Teil des Parks und auch die Zufahrtsstraße zu überwachen.
Im Wochenendhaus brannte selbstverständlich Licht, denn die Gangster sollten schließlich angelockt werden. Was sich im Haus jedoch abspielte, konnten sie nicht ausmachen. Dicke Vorhänge verwehrten den Einblick in die Räume des Erdgeschosses. »Darf ich mir erlauben, Mylady eine kleine Stärkung zu servieren?« fragte Parker seine Herrin, die auf einem Klappstuhl rechts hinter dem Eingang saß. »Was haben Sie denn mitgenommen?« wollte Agatha Simpson wissen. »Ich könnte mit heißem Tee dienen, Mylady.« »Wollen Sie mich umbringen?« grollte die ältere Dame prompt. »Oder bevorzugen Mylady vielleicht einen Kognak? « »Das klingt schon besser, Mr. Parker.« Satte Zufriedenheit lag jetzt in ihrer Stimme. »Worauf warten Sie noch? Was ist denn, Mr. Parker?« »Die drei Besucher, Mylady. Sie scheinen sich nun zum Angriff entschlossen zu haben.« »Lassen Sie sehen!« Sie zerrte ihrem Butler das Nachtsichtgerät aus den Händen und vergewisserte sich selbst. Parker hatte richtig beobachtet. Neben dem kleinen, flachen Teich erschienen hintereinander drei Gestalten, die sich vorsichtig an das Haus pirschten. Sie benutzten die hohen Sträucher neben dem Teich als Deckung. Es war genauso, wie Josuah Parker es vorausberechnet hatte. Er verfügte über die wunderbare Gabe, sich in die Gedankenwelt seiner Gegner zu versetzen. So konnte er in vielen Fällen immer ihre Aktionen und Reaktionen vorausberechnen.
Die drei Besucher mußten zwangsläufig hier am Geräteschuppen vorbeikommen. Der Butler machte seine »Schußwaffe« einsatzbereit. Er hob seinen altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm hoch und entsicherte ihn. Durch ein Verdrehen des bleigefütterten Bambusgriffes wurde die Kohlensäurepatrone an den durchbohrten Schirmstock herangeführt. In diesem Lauf befand sich bereits ein stricknadellanger Blasrohrpfeil, dessen Pfeilspitze mit einem schnell wirkenden Lähmungsgift bestrichen war. Der Butler verfügte selbstverständlich nicht nur über diesen einen Pfeil. Je nach Bedarf konnte er die als Spannstäbe getarnten, anderen Giftpfeile hervorziehen und in das Blasrohr einfügen. Mit diesem Schirm schoß er sicherer als ein erfahrener Indianer aus dem Amazonasbecken. Kathy Porter hielt eine Automatik in Händen, die mit einem modernen Schalldämpfer versehen war. Sie bildete damit die letzte Reserve. Agatha Simpson verfügte neben ihrem Pompadour über einen modernen Sportbogen, mit dem sie gut umzugehen verstand. Dieses Gerät hatte sie aus ihrem Wochenendhaus mitgenommen. Die Detektivin hoffte, ihn bald einsetzen zu können. Sie brannte darauf, diesen Gangstern einen Denkzettel zu verpassen. Die drei ahnungslosen Kerle schürten wie scheue, aber dennoch gierige Füchse auf den Steinbau zu. Sie kamen gar nicht auf den Gedanken, daß sie inzwischen zum Wild geworden waren. Sie dachten nur an ihre Prämie. Josuah Parker hob seinen UniversalRegenschirm und schickte kurz danach
seinen ersten Blasrohrpfeil auf die Reise. Der Effekt war schon fast lustig zu nennen. * Paul Panners, der Gangster mit dem leidenden Gesichtsausdruck, litt plötzlich tatsächlich. Er fuhr wie unter einem Peitschenhieb zusammen und blieb für Sekunden unbeweglich und wie erstarrt stehen, um dann stöhnend nach der Kehrseite zu fassen. Seine Finger interessierten sich für die linke Gesäßhälfte und fanden dort einen schmalen, länglichen Gegenstand, den sie als eine Art Pfeil identifizierten. Der Mann wollte einen unterdrückten Schrei ausstoßen und seine vor ihm marschierenden Partner warnen, doch in diesem Moment durchfuhr die leicht mißhandelte Gesäßhälfte ein Schmerz, der ihm die Luft nahm. Paul Panners riß den Pfeil aus dem Muskelfleisch und setzte sich nachdrücklich auf seine vier Buchstaben. Dann wetzte er mit seiner Hose über das taunasse Gras, um den wilden Schmerz ein wenig zu mildern. Doch es half nicht viel. »Was ist denn?« fragte Randy Mince, der nun aufmerksam geworden war. Er sah seinen Partner Panners, der aufsprang und quiekte. Dann brauste Panners lustvoll in den Teich und suchte hier die ersehnte Kühlung. »Is' der verrückt geworden?« wunderte sich Melvin Scinner, der sich inzwischen ebenfalls umgedreht hatte. Mißtrauisch, wie er war, schaute er sich sofort nach allen Seiten um. Irgend etwas
stimmte hier doch nicht! Panners benahm sich mehr als eigenartig ... Panners saß bis zum Hals im seichten Wasser und preßte sein Gesäß in den kühlenden Schlamm. Dazu produzierte sein Mund Geräusche, die fremd und fast lustvoll klangen. Panners schien den Verstand verloren zu haben. Dann war Mince an der Reihe. Er sprang aus dem Stand etwa achtzehn Zentimeter hoch, stieß dabei einen undefinierbaren Laut aus und landete dann ebenfalls auf seinem Gesäß. »Laß den Quatsch«, fuhr Scinner seinen Partner Mince an. Dann aber fuhr er zurück und starrte auf den Pfeil, den Mince ihm präsentierte. »In . . . In .. . Indianer!« Randy Mince schien zu wissen, was solch ein Pfeil bedeutete. »Gift. . . Gift!« »Halt die Klappe!« Melvin Scinner brach der Schweiß aus. Als ein Mann, der in einer Großstadt aufgewachsen war, fühlte er sich hier draußen in der freien Natur ohnehin nicht besonders wohl. Schon allein die Geräusche der Nachtvögel und das Quaken der Frösche machten ihn nervös. »Ich bin vergiftet«, röchelte Mince inzwischen. Dann rannte er los und suchte Trost bei Paul Panners, der inzwischen recht friedlich geworden war. Mince warf sich in das aufrauschende Wasser und erquickte sein Gesäß. »'raus, sage ich«, empörte sich Scinner gereizt. »Ihr habt wohl nicht alle Tassen im Schrank, was? Wir haben schließlich 'nen Job zu erledigen.« Bruchteile von Sekunden später jaulte auch er. Und das hatte seinen einleuchtenden Grund, wie sich zeigte. In seiner rechten Schuhspitze befand sich ein langschäfti-
ger Sportpfeil, der offensichtlich aus Aluminiumrohr bestand. Scinner spürte nur einen leisen Schmerz und wollte losspurten. Der Pfeil aber war durch das Oberleder, die Schuhsohle und durch den Rasen tief ins Erdreich gedrungen. Scinner kam nicht von der Stelle. »Hilfe!« Er wollte laut schreien, doch das Entsetzen schnürte ihm die Kehle zu. Er fiel nach vorn, verlor das Gleichgewicht und landete mit dem Gesicht im feuchten Gras. Er griff nach dem Sportpfeil, riß und zerrte ihn aus dem Schuh und dachte voller Panik an seine durchtrennten Zehen. Seiner Vorstellung nach mußten sie entsetzlich zugerichtet worden sein. Scinner humpelte los und hatte nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich zum Wagen zu gelangen. An seine im Teich sitzenden Partner dachte er nicht mehr. Sie existierten für ihn überhaupt nicht. Doch er kam nicht weit. Er hörte hinter sich das scharfe Zischen zusammengepreßter Luft und erhielt dann einen harten Schlag gegen den Hinterkopf. Melvin Scinner absolvierte eine anderthalbfache Rolle vorwärts und blieb bewußtlos auf dem Rasen liegen. Er bekam nicht mehr mit, daß er von einem Pompadour gefällt worden war. »Treffer«, sagte Agatha Simpson zufrieden und sah ihren Butler augenzwinkernd an. »Sammeln Sie diese Subjekte ein, Mr. Parker! Ich denke, es ist eine gute Strecke.« * Er hatte nicht die Nerven, sich noch mal an das Haus heranzupirschen.
Als Melvin Scinner wieder zu sich kam, faßte er erst mal nach seinem schmerzenden Hinterkopf, dann nach seinem rechten Schuh. Er vermißte zu seiner Überraschung den wilden Schmerz. Waren seine Zehen doch unversehrt geblieben? Er richtete sich vorsichtig auf und spähte zum Teich hinüber. Von seinen Partnern Mince und Panners war nichts mehr zu sehen. Sie mußten das Gewässer inzwischen verlassen haben. Sollten sie vielleicht schon mit dem Wagen verduftet sein? Scinner stand auf, belastete vorsichtig den rechten Fuß und stöhnte erleichtert. Er konnte sich ohne jeden Schmerz bewegen und griff zur Halfter, doch irgendwie mußte er seine Schußwaffe verloren haben. Sollte er sie suchen? Sollte er sich einem zweiten Pfeil anbieten? Niemals! Melvin Scinner ging zurück zur Straße und verfluchte seine Partner Mince und Panners. Die beiden Feiglinge hatten ihn einfach zurückgelassen und sich überhaupt nicht um ihn gekümmert. Darüber mußte er sich mal gründlich mit ihnen unterhalten. Und wenn er ihnen dabei an den Kragen ging ... Die nächste Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Als er um die Sträucher herumkam, stand vor ihm der Wagen, aber von Mince und Panners war nichts zu sehen. Hatten sie es doch nicht geschafft? Waren sie vielleicht sogar ertrunken? Melvin Scinner riß die Wagentür auf und setzte sich ans Steuer, ließ den Motor an, kuppelte und schoß los, als säße ihm Satan persönlich im Nacken. Sollten Mince und Panners doch sehen, wo
sie blieben! Er wollte erst mal seine eigene Haut in Sicherheit bringen. Während der Fahrt zurück nach London legte sich seine Panik ein wenig. Nun galt es zu überlegen, was man an Ausreden und Erklärungen benötigte. Melvin Scinner hatte da einem Mann Rechenschaft abzulegen, der die Organisation stellvertretend für Healers leitete. Dieser Mann war ganz schön scharf. Wer er war, wußte Melvin Scinner nicht, aber ihm war bekannt, wie man sich mit ihm in Verbindung setzen konnte. Diesem Stellvertreter Healers mußte er einen erstklassigen Bären aufbinden. Er fragte sich, ob er nicht vielleicht doch noch mal zurück zum Wochenendhaus fuhr. Aber was sollte er dort schon ausrichten? Wahrscheinlich wartete man nur darauf, daß er zurückkehrte. War Healers damit gedient, wenn auch er sich einfangen und ausschalten ließ? Natürlich fuhr der Gangster weiter. Und immer wieder sah er nervös in den Rückspiegel. Es konnte ja durchaus sein, daß man ihn verfolgte. Zu seiner Erleichterung war dies aber nicht der Fall. Die Straße hinter ihm blieb leer und dunkel. Soweit war also alles in Ordnung. Als er durch eine kleine, wie ausgestorben wirkende Ortschaft kam, hielt er neben einer Telefonzelle und wählte die Nummer, die er sich für die Erfolgsmeldung eingeprägt hatte. Er ließ immer wieder durchläuten, doch auf der Gegenseite wurde nicht abgehoben. Melvin Scinner setzte sich wieder in seinen Wagen und kam zu dem Entschluß, die Kontaktadresse anzufahren. Hauptsache, er wurde nicht verfolgt.
Was das allerdings anbetraf, so hatte er sich gründlich getäuscht. Er wurde sogar sehr hartnäckig beschattet, bekam es aber nicht mit. * Constable Ruthers machte die Runde und langweilte sich. In einer Stadt wie Oxford massierte sich nicht gerade das Verbrechen. Die Universitätsstadt war noch so etwas wie eine Idylle, wenn man mal von den mehr oder weniger guten Streichen der älteren Studentenjahrgänge absah. Nein, der uniformierte Polizist erwartete auch in dieser zu Ende gehenden Nacht keine Überraschungen. Als er um eine Straßenecke bog, blieb er allerdings sofort stehen und nahm Witterung auf. Irgend etwas stimmte nicht. Hier gab es fast ausschließlich kleinere Geschäfte wie Buchhandlungen, Kneipen, Boutiquen und Restaurants. Um diese Zeit -es ging auf die vierte Morgenstunde zu waren sie alle selbstverständlich geschlossen. Und vor allen Dingen nicht mehr beleuchtet, wenn man mal von einigen trüben Notlichtern absah. Natürlich war es der helle Lichtschein, der seinen Verdacht weckte. Er drang aus einem kleinen Delikatessengeschäft nach draußen, das um diese Zeit normalerweise stockfinster war. Constable Ruthers pirschte sich an den Lichtschein heran und warf einen mißtrauisch-prüfenden Blick in das schmale, aber sehr tiefe Ladenlokal. Zuerst konnte er nichts entdecken, doch dann sah er mehr ... Die Tür war nur angelehnt.
Durch den Spalt drang penetranter Alkoholgeruch nach draußen. Und zu seinen Füßen machte er dann eine schwach rote Lache aus, die eindeutig nach Sherry roch. Zu seiner Überraschung nahm er wahr, daß sie von Sekunde zu Sekunde immer größer wurde. Constable Ruthers hatte seine Instruktionen. Alleingänge waren nicht erwünscht. Er zog sich deshalb in die Dunkelheit zurück und griff nach seinem kleinen Funksprechgerät, um eine motorisierte Streife anzufordern. Er hatte die Antenne gerade ausgezogen, als er eine Art Duett hörte, das allerdings sehr mißtönend war. Zwei Männerstimmen – ein schwacher Bariton und ein zu greller Tenor priesen die Schönheit Cornwalls und schmückten das an sich einfache Lied durch allerlei Schnörkel. Die beiden Männerstimmen wurden lauter und verzerrter. Sie beschäftigten sich nun übergangslos mit einer gewissen Mary, die angeblich die Neigung zeigte, mit jedem Freund ins Bett zu gehen. Constable Ruthers lächelte unwillkürlich. Er kannte dieses leicht obszöne Lied, hatte es aber in dieser Form noch nie gehört. Der Text war erheblich abgeändert und eindeutig. Ruthers gewann den Eindruck, es mit total betrunkenen Sängern zu tun zu haben. Konnte er damit nicht allein fertig werden? Vorschrift war Vorschrift! Über sein Funksprechgerät setzte er eine Meldung ab und bezog seitlich neben der Tür Posten. Er brauchte den sehr unmelodischen Gesang nur knapp vier Minuten anzuhören, als auch schon der angeforderte Streifenwagen in der schmalen Straße erschien. Er rollte leise heran und entließ dann zwei große Uni-
formierte, die sich wie auf Katzenpfoten Ruthers näherten. »Wahrscheinlich Einbrecher, die sich betrunken haben«, meldete der Constable dem Sergeant. »Bisher haben sie Volkslieder gesungen, jetzt haben sie's aber mit Zoten.« »Singen wir doch mit«, schlug der Sergeant vor. »Vielleicht brauchen sie noch ein paar gute Stimmen.« Die drei Polizisten schoben sich vorsichtig in den Laden und wateten notgedrungen durch den duftenden Sherry. Als sie das Ende der Theke erreicht hatten, sahen sie die Sänger. Es handelte sich um zwei Männer, die vor einem hochgebockten Sherryfaß saßen und ihnen zuwinkten. Sie bekamen überhaupt nicht mit, daß sich drei uniformierte Polizisten mit ihnen zu einem Quintett vereinigen wollten. Aus dem Sherryfaß sprudelte noch immer der kostbare Wein und rann über den gekachelten Boden nach draußen. Die beiden Betrunkenen machten einen durchaus friedlichen Eindruck, bis der Sergeant die beiden Automatics entdeckte, die, mit Schalldämpfern versehen, auf einem kleineren Weinfaß lagen. Dieser Anblick brachte die Polizisten in Harnisch. Bewaffnete Einbrecher, das war genau das, was sie haßten. Sie warfen sich auf die beiden Sherrytrinker, die sich unwillig und hartnäckig wehrten, gegen die Profis in Uniform aber keine Chance hatten. Der Constable holte die Brieftaschen der Männer hervor und reichte sie an den Sergeant weiter. »Randy Mince und Paul Panners«, las er halblaut vor, »stammen aus London, die Burschen. Weiß der Teufel, warum die ausgerechnet hierher nach Oxford
kamen, um sich vollaufen zu lassen! Na ja, so schnell werden die bestimmt nicht mehr an Sherry kommen * Melvin Scinner hupte nur ganz kurz, doch das genügte bereits. Das Kipptor der Garage hob sich wie von Geisterhand bewegt. Scinner ließ die Kupplung kommen und steuerte seinen Wagen in die große Garage. Er stieg aus und nickte einem überraschend kleinen, fetten Mann zu, der das Garagentor wieder schloß. »Ich muß Pimlay sprechen«, sagte Melvin Scinner. »Ich hab schon versucht, ihn telefonisch zu erreichen, aber das haute nicht hin.« »Er ist wieder mal beschäftigt«, sagte der kleine, fette Mann verächtlich. »Was ist denn passiert?« »Panne auf der ganzen Linie«, erklärte Scinner nervös. »Wo kann man Pimlay denn erreichen? Es ist dringend.« »Er hat keine Adresse hinterlassen«, lautete die Antwort. »Du mußt schon warten.« »Hat sich irgendwer gemeldet?« fragte Scinner weiter. Er dachte an seine Partner Mince und Panners. Er dachte aber auch an seine Freunde, die er vor der Speditionsfirma zurückgelassen hatte, als man noch in Gesamtstärke hinter dieser schrulligen Lady her war. »Bruce und Rob sind schon oben«, meldete der kleine Fette. »Mit Ruhm habt ihr euch ja nicht gerade bekleckert, wie?« »Halt's Maul, Sol«, fuhr Melvin Scinner seinen Gesprächspartner gereizt an. »Habt ihr die Sache wenigstens beenden können?« wollte Sol wissen.
»Das geht dich einen Dreck an, Sol!« »Also nicht.« Sol nickte und grinste. »Da wird Healers sich aber sehr freuen.« »Du kannst mich mal.« Melvin Scinner wandte sich ab und stieg über die Eisentreppe hinauf ins Obergeschoß der Garage. Sol blieb zurück und kicherte. Der kleine Fette amüsierte sich. Im Grund seines Herzens haßte er diese aufgeblasenen Männer, die sich ihm gegenüber wie kleine Götter aufspielten. Sie spotteten über seinen Wuchs und über sein Aussehen, aber sie waren durch die Bank nichts als großspurige Idioten. Sol kontrollierte noch mal den Verschluß der Garage und verließ dann ebenfalls die kleine, niedrige Halle, in der drei Wagen standen. Sol war für die Wagen zuständig, mehr traute man ihm ja nicht zu. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, blieb es still in der Garage. Hin und wieder war nur noch das scharfe Knacken des auskühlenden Motorblocks zu hören. Dann aber, einige Minuten waren verstrichen, öffnete sich plötzlich der Deckel eines Kofferraums. Es handelte sich um den Kofferraum jenes Wagens, mit dem Melvin Scinner gekommen war. Im schwachen Notlicht der Garage war eine schlanke, geschmeidige Gestalt zu erkennen, die sich herausschob und den Deckel vorsichtig zudrückte. Die Gestalt blieb einen Augenblick abwartend und prüfend stehen, um dann zur Eisentreppe hinüberzuwechseln. Es handelte sich um Kathy Porter. Ungebeten hatte sie an dieser Rückfahrt teilgenommen. Es hatte sie viel Überredungskunst gekostet, von Lady
Simpson und Butler Parker dazu die Erlaubnis zu bekommen. Aber sie hatte sich durchgesetzt. Mylady und Butler Parker waren zu der Einsicht gekommen, daß man noch viel zuwenig von den Gangstern um Healers wußte. Kathy sollte nun weitere Details in Erfahrung bringen. Leider tat sie nicht genau das, was sie ihrer Chefin versprochen hatte. Kathy begnügte sich nicht damit, dieses Versteck ausfindig zu machen. Nun wollte sie die Gelegenheit beim Schopf packen und noch weitere Informationen sammeln. Vorsichtig stieg sie über die Eisentreppe nach oben und ahnte nicht, daß sie damit bereits einen Alarm auslöste. Sie hatte nicht weiter auf eine winzig nachgebende Eisenstufe geachtet, die diesen Kontakt auslöste. Ahnungslos pirschte Kathy Porter sich an die Eisentür heran. * »Mince und Panners hat es erwischt«, sagte Melvin Scinner. »Wie das passiert ist, weiß ich immer noch nicht. Die beiden Rindviecher sausten plötzlich in so 'nen Teich und stellten sich an wie verrückt. « »Und du bist einfach abgehauen?« wunderte sich Bruce, ein stiernackiger Bursche mit fleischigem Gesicht und kleinen Schweinsaugen. »Nachdem da plötzlich so ein Pfeil in meinem Schuh war«, berichtete Scinner aufgebracht weiter. »Seht euch mal das Loch an! Ich dachte, es hätte mir sämtliche Zehen 'rausgerissen.« »Wir sind auch verladen worden«, schaltete sich Rob ein, ein Gangster, der
erstaunlicherweise wie ein schüchterner, großer Junge aussah, was aber nichts über seine Brutalität aussagte. »Bruce und ich mußten fast zehn Minuten in der Spedition warten, bis wir endlich was 'rausbekommen konnten.« »Die haben uns absichtlich warten lassen«, beschwerte sich sein Partner Bruce wütend. »Wahrscheinlich waren sie von diesem komischen Butler geimpft worden.« »Und was wurde aus Hale und Joe?« wollte Rob wissen. Er spielte auf die beiden Männer an, die von der Polizei vor dem Flughafengebäude gestellt worden waren. »Sie sind kassiert worden«, berichtete Melvin Scinner. »Die gehen auch auf Parkers Konto.« »Healers wird toben«, prophezeite der stiernackige Bruce. »Vier Leute kassiert, Mince und Panners, Hale und Joe.« »Und die beiden Typen von Nichols«, erinnerte der schüchterne Rob. »Stornay und Wavers. Mann, von so was hätte ich noch nicht mal geträumt. Die schrullige Alte und ihr Butler sind doch nur Amateure! Die nehmen uns noch glatt auseinander.« »Nun übertreib' mal nicht gleich«, warnte Melvin Scinner und gab sich optimistisch. »U n s legt man bestimmt nicht mehr aufs Kreuz. Wir wissen jetzt, woran wir sind.« »Bis zur nächsten Panne.« Der stiernackige Bruce zog ein skeptisches Gesicht. »Healers Stern scheint mächtig zu sinken«, glaubte der schüchterne Rob zu wissen. »Laß das bloß nicht Healers hören!« Scinner grinste. »Der hat's eigentlich
verdammt gut. Sitzt da im Bau und braucht sich nicht mit diesen Schlitzohren 'rumzuschlagen.« »Wenn wir nicht aufpassen, sitzen wir auch bald«, unkte Bruce. »Und Pimlay treibt sich wieder mit Weibern 'rum. Wie sollen wir erfahren, was wir tun müssen?« Die drei Gangster Scinner, Bruce und Rob drehten sich wie auf Kommando um, als die Tür hart aufgestoßen wurde. Herein kam der kleine, fette Sol. Über seiner linken Schulter lag eine schlanke Frau, die einen engen, schwarzen Lederanzug trug. Ihr Haar war kastanienrot. Die junge Frau war ohnmächtig. Sol ließ sie fast behutsam in einen der billigen Strohsessel gleiten. »Wo hast du denn die aufgegabelt?« fragte Melvin Scinner. »Moment mal, die kenne ich doch.« »Sie war im Kofferraum deines Wagens«, meinte Sol und baute sich vor der jungen Frau auf. »Das ist die Porter, Gesellschafterin und Sekretärin der alten Lady.« Scinner wußte jetzt Bescheid. »Sie war im Kofferraum?« »Ich erwischte sie, als sie die Treppe 'raufkam«, berichtete Sol und ließ Kathy Porter nicht aus den Augen. »Ich hab sie kalt erwischt. Sie hat gar nicht mitbekommen, als ich zulangte.« »Mensch, die sieht ja scharf aus«, stellte der schüchterne Rob fest. »Superklasse«, fand auch Bruce, der Gangster mit dem Stiernacken. »In dem schwarzen Leder sieht sie aus wie nackt.« »Du hast sie doch nicht etwa abserviert?« fragte Rob, Sol ansehend. Er wußte, wie stark der fette Sol war. Und wie brutal.
»Quatsch«, gab Sol gelassen zurück. »Die wird noch gebraucht. Das ist so was wie'n Geschenk für uns.« »Richtig, damit locken wir die Alte und ihren Butler in die Falle«, fügte Melvin Scinner hinzu. »Damit sind wir aus dem Schneider. Wo lassen wir die Kleine?« »Das übernehme ich«, erwiderte Sol und drehte sich zu Scinner, Rob und Bruce um. »Die gehört erst mal mir, bis Healers Stellvertreter entschieden hat. Irgendeiner anderer Meinung?« Falls sie anderer Meinung waren, so äußerten sie sie jedenfalls nicht. Sol war ihnen unheimlich. * Kathy Porter war wieder zu sich gekommen, doch sie zeigte das nicht. Sie hatte eine Menge von dem gehört, worüber die Gangster Scinner, Rob und Bruce sich unterhalten hatten. Die Stimme des Mannes aber, der mit Sol angeredet wurde, gefiel ihr nicht. Kathy getraute sich nicht, ihre Augen zu öffnen. Sie hätte sich den Besitzer dieser gleichgültigen Stimme gern mal angesehen. Sie blieb weich und schlaff, als sie wieder aus dem Sessel gehoben wurde. Der Mann, der sie trug, mußte klein und dick sein, aber er war auch gewiß unheimlich stark. Er schulterte sie ohne jede Mühe und trug sie wohl aus dem Raum, in dem die Männer waren. »Sol, wohin schaffst du sie?« fragte Scinner. »Sie wird erst mal von der Bildfläche verschwinden«, erwiderte Sol gelassen. »Das ist mein Job.« Eine Tür fiel ins Schloß.
Kathy Porter riskierte nun einen schnellen Blick. Ihr Kopf lag auf dem Rücken des kleinen Fetten. Er konnte nicht merken, daß sie wieder völlig klar war. Kathy überlegte, ob sie einen Überrumpelungsversuch riskieren sollte. In Dingen der Selbstverteidigung war sie gewiß keine Anfängerin. Doch noch mal meldete sich ihre innere Stimme und warnte sie. Gegen diesen fetten, kleinen Mann hatte sie sicher keine Chance. Kathy entschloß sich, erst mal alles über sich ergehen zu lassen. Unmittelbare Lebensgefahr bestand ja wohl ohnehin nicht. Die Gangster hatten es mehr als deutlich gesagt. Man würde sie wohl als Geisel festhalten. Der kleine Fette trug die junge Dame durch einen schmalen Korridor wieder hinunter ins Erdgeschoß, öffnete hier eine schwere Stahltür und stand dann mit ihr in einem verwahrlost aussehenden Hinterhof, in dem sich Autoschrott türmte. Viel konnte Kathy Porter leider nicht ausmachen, dazu war es zu dunkel. Der kleine fette Mann wand sich geschickt durch die ausgeschlachteten Autos und blieb vor einer häßlich aussehenden Brandmauer stehen. Hier sperrte er eine weitere Eisentür auf und ließ sie hinter sich vorsichtig ins Schloß fallen. Dann ging es durch einen kleinen Garten, der von hohen Mauern begrenzt wurde. Kathy sah die Rückseite eines dreistöckigen Hauses, wußte aber immer noch nicht wo sie sich befand. Sol trug sie über eine Treppe ins Souterrain des Hauses und ließ sie in einem engen Keller zu Boden gleiten.
Vielleicht hätte sie jetzt versuchen können, ihn zu überlisten, doch eigenartigerweise traute sie sich einfach nicht. Sie wurde das Gefühl nicht los, daß der Fette nur darauf wartete. Er mußte längst wissen, daß sie wieder in Ordnung war. »Wo... Wohin bringen Sie mich?« fragte sie ängstlich. Es hatte keinen Sinn, sich noch länger bewußtlos zu stellen. Das hätte den Mann nur noch vorsichtiger werden lassen. Sol wandte sich zu ihr um und sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Wieder in Ordnung?« fragte er mit seiner schrillen Stimme. »Es geht«, erwiderte Kathy und rieb sich den Hals. »Gibt sich alles, Süße«, meinte er wegwerfend. »Sei froh, daß ich nicht richtig zugelangt habe, sonst wär's längst vorbei mit dir.« »Wo bin ich hier?« »Erst mal weg von der Bildfläche, Süße. Mach keinen Unsinn, dann passiert dir nichts!« »Wie haben Sie mich eigentlich erwischt?« fragte Kathy weiter. »Alarmanlage in der Garage«, lautete seine Antwort. Darauf lachte er kurzatmig. »Ich seh' blöd aus, bin's aber nicht. Los, komm weiter! Du kannst deine eigenen Beine gebrauchen.« Sie stand auf und ging zur Tür, die er gerade aufzog. Feuchte Wärme schlug ihr entgegen. Kathy zuckte zusammen, als sein überraschend langer Arm an ihr vorbei nach dem Lichtschalter langte. Licht flammte auf und ließ sie geblendet die Augen schließen. »Hier wirst du nicht gerade umkommen«, sagte Sol und lachte wieder kurz-
atmig. Kathy öffnete die Augen und staunte. Der niedrige Keller war nicht gerade groß, aber komfortabel eingerichtet. Es gab ein kleines, gekacheltes Schwimmbecken, eine Art Liegewiese gleich neben dem Eingang, eine Liegewiese, die aus dickflauschigem Nylongewebe bestand, eine Sitzgruppe und eine Bar, die gut bestückt zu sein schien. »Gehört das Ihnen?« erkundigte sie sich bei Sol. »Kann ich mir nicht leisten, das is' nur was für den Chef«, gab er zurück. »Schreien hat hier unten keinen Sinn, klar? Und auch das Telefon ist abgestellt. « »Und wer ist der Chef?« »Abwarten«, sagte er und lachte wieder kurzatmig. »Alles zu seiner Zeit, Süße.« Er zog die Tür hinter sich zu und sperrte sie von außen ab. Kathy staunte die Wand an, in die die Tür eingelassen war. Sie war kaum noch auszumachen, so nahtlos paßte sie. Die junge Dame war allein und wartete eigentlich nur darauf, daß das Licht abgeschaltet würde. Sie lief hastig hinüber zu der »Liegewiese« und ließ sich darauf nieder. Dann entspannte sie sich und wartete. * »Ich mache mir große Vorwürfe«, sagte die Detektivin und sah ihren Butler grimmig an. »Ich hätte nicht auf Sie hören sollen, Mr. Parker.« »Mylady spielen auf eine bestimmte Sache an?«
»Sie hätten das hilflose Kind nicht in den Kofferraum schicken dürfen, Mr. Parker.« »In der Tat, Mylady!« Parker ging auf diesen Vorwurf nicht näher ein. Er wie auch Agatha Simpson wußten nur zu gut, daß Kathy darauf bestanden hatte. Die resolute Dame suchte wieder mal nach einem Sündenbock. Parker kannte dieses Verfahren nur zu gut. »Was dem armen Kind nicht alles passiert Sein kann.« »Es gibt der Möglichkeiten viele, Mylady«, räumte der Butler gemessen ein. »Vielleicht hat man Kathy bereits umgebracht?« »Damit ist auf keinen Fall zu rechnen, Mylady. Miß Porter wäre für einen simplen Mord nun doch zu wichtig.« »Sie glauben auch, daß man sie als Geisel festhalten wird?« »Davon sollte man ausgehen, Mylady.« Parker deutete eine knappe und zustimmende Verbeugung an. »Darf ich Mylady nachgießen?« »Natürlich. Ich brauche jetzt etwas für meinen Kreislauf, Mr. Parker. Ich fühle mich sehr angegriffen.« Parker versorgte seine Herrin mit einem doppelten Kognak und blieb abwartend stehen. Er war zusammen mit ihr zurück nach Shepherd's Market gefahren. Sie waren also wieder in London, um von hier aus den Fall weiter zu betreiben. »Ob diese Gangster sich bald melden werden, Mr. Parker?« »Gewiß, Mylady. Man wird Bedingungen stellen.« »Und wie werden die aussehen?« »Es gibt zwei Möglichkeiten, Mylady, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf. Entweder wird man versuchen,
Mylady und meine bescheidene Person in eine tödliche Falle zu locken, oder aber man wird Mylady als mögliche Belastungszeugin zum Schweigen verdammen.« »Mit dem Versprechen, daß Kathy dann nichts passieren wird?« »So dürfte die Formel wahrscheinlich lauten, Mylady.« »An welche Möglichkeit glauben Sie, Mr. Parker?« Agatha Simpson nahm einen herzhaften Schluck. »An beide, Mylady«, lautete Parkers gemessene Antwort. »Man hat es mit gereizten und entschlossenen Gangstern zu tun.« »Wir sollten vielleicht doch McWarden informieren, Mr. Parker. Ich war ja schon immer dafür.« »Gewiß, Mylady«, meinte der Butler, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Die Behauptungen seiner Herrin irritierten ihn längst nicht mehr. »Wollen wir ihn also informieren?« »Die Entscheidung darüber liegt bei Mylady. « »Zum Teufel, ich will mich aber nicht entscheiden, Mr. Parker. Tun Sie das gefälligst! Rufen wir McWarden an?« »Auch die zuständigen Behörden würden das Versteck Miß Porters kaum aufzuspüren vermögen«, erklärte der Butler. »Aktivitäten der Polizei könnten die Gangster nur unnötig reizen.« »Das sage ich doch die ganze Zeit«, behauptete die resolute Dame prompt. »Wir dürfen das arme Kind nicht unnötig gefährden. Wir können im Moment also nichts unternehmen?« »Man sollte den Anruf der Entführer abwarten, Mylady. Daß Miß Porter sich in der Gewalt der Gangster befindet,
dürfte inzwischen eine bedauerliche Tatsache sein.« »Könnte sie in der Firma dieses Healers festgehalten werden?« »Das, Mylady, möchte ich verneinen. Die Gangster müßten ja mit einer Durchsuchung rechnen.« »In Nichols Firma?« »Auch dieses Risiko würden die Gangster nicht eingehen, Mylady.« »Im Hause von Anwalt Pimlay? Er steckt doch mit Healers unter einer Decke. Natürlich, sie wird in seinem Haus festgehalten! Widersprechen Sie nicht, Mr. Parker!« »Es ist mehr als fraglich, Mylady, ob Anwalt Pimlay sich auf so etwas einlassen würde.« »Papperlapapp, Mr. Parker!« Agatha Simpson stand auf und trank ihr Glas leer. Sie machte einen sehr animierten Eindruck. Ihr angegriffener Kreislauf schien wieder in Ordnung zu sein. »Sie w i r d in seinem Haus festgehalten. Und das stellen wir jetzt fest!« * Kathy Porter hatte das sichere Gefühl, heimlich beobachtet zu werden. Ob es sich dabei um diesen fetten Sol handelte, oder aber um einen anderen Mann, wußte sie natürlich nicht. Sie kam sich auf jeden Fall wie auf einem Präsentierteller vor und überlegte, wie sie die Situation nutzen konnte. Es wäre ihrer Ansicht nach albern und dumm gewesen, die scheue Naive zu spielen. Die Tatsache allein, daß sie sich in den Kofferraum gelegt hatte, mußte jedem Profi sagen, daß auch sie keine ängstliche Anfängerin war. Nein, sie
mußte jetzt irgendwie herausfordernd wirken und Interesse erregen. Das Licht im Raum war immer noch nicht ausgeschaltet worden. Das war ein zusätzliches Indiz dafür, daß man sie nicht aus den Augen ließ. Wer, so fragte sich Kathy, mochte der Chef sein, von dem Sol gesprochen hatte? Meinte er damit nur Healers, der ja bekanntlich in Untersuchungshaft saß? Oder gab es da einen neuen Mann, der diesen Healers bereits abgelöst hatte? Kathy tat etwas sehr Ungewöhnliches. Ihre Handlungsweise bot sich förmlich an. Die feuchte Wärme in dem niedrigen Schwimmraum war drückend. Sie zog den Reißverschluß ihres eng anliegenden Overalls aus dünnem Leder und . . . stieg wie selbstverständlich aus dieser Hülle. Sie trug jetzt nur noch BH und Höschen. Sie löste auch den BH und hechtete dann mit einem eleganten Sprung in das angenehm warme Wasser. Sie tauchte auf, prustete wohlig und kraulte dann die Längsbahn hinunter. Sie bewegte sich mit der selbstverständlichen Geschmeidigkeit einer durchtrainierten Sportlerin. Kathy war nicht prüde. Sie fand nichts dabei, sich in ihrer Nacktheit zu zeigen. Nachdem sie einige Bahnen geschwommen hatte, stieg sie aus dem Wasser und ging zur Bar. Sie hatte dort auf einem Sessel eine Art Bademantel entdeckt. Als sie sich gerade abtrocknete, hörte sie auf der gegenüberliegenden Stirnseite der kleinen unterirdischen Schwimmhalle ein Geräusch. Sie drehte sich langsam um und sah sich einem elegant aussehenden Mann gegenüber, der ihr freundlich zuwinkte. Der Chef?
»Sie scheinen sich ja bereits eingelebt zu haben«, sagte der Mann, der langsam näher kam. »Mein Name ist Pimlay.« »Sie sind das also?« Kathy zeigte kaum Überraschung, nickte ihm zu und dachte nicht daran, ihre nackten Schultern einzuhüllen. »Sie haben bereits von mir gehört?« Er stand jetzt vor ihr und zündete sich eine Zigarette an. »Von Lady Simpson und Butler Parker«, gab Kathy zurück und stieg auf einen der Barhocker vor Pimlay. Sie bedeckte auch ihre langen, schlanken Beine nicht. Ja, sie streckte sie sogar herausfordernd vor und schlug sie lässig übereinander. Ihr entging nicht, daß er sie sehr interessiert anschaute. »Wahrscheinlich hat man nicht gut über mich gesprochen, wie?« »Man vermutet, daß Sie mit Healers eng zusammenarbeiten«, erklärte Kathy wahrheitsgemäß, um dann sogar zu schmeicheln. »Mr. Parker glaubt darüber hinaus, daß Sie es sind, der Healers lenkt und steuert.« »Angst scheinen Sie nicht zu kennen, Miß Porter. Oder sollte ich mich irren?« »Das Leben ist ein einziges Risiko«, sagte Kathy. »Im Moment bin ich zu wichtig, als daß mir was passieren könnte. Oder sollte ich mich jetzt irren?« »Ich habe nichts gegen Sie, Miß Porter. Sie stehen nur eben auf der falschen Seite.« »Ich stehe auf keiner Seite«, korrigierte sie ihn sofort. »Das heißt, ich sorge dafür, daß ich stets auf der Sonnenseite stehe. Mal gelingt es auf Anhieb, mal dauert es etwas länger.« »Warum versuchen Sie nicht, mich anzuspringen? Sie sind doch eine durch-
trainierte Frau. Und übrigens auch sehr attraktiv, wie ich sehen konnte.« »Sie dürften nicht allein gekommen sein. Ich wette, daß Sol in der Nähe ist.« »Okay. Sol ist ein zuverlässiger Junge. Mir treu ergeben. Drehen Sie sich mal um, Miß Porter!« Sie tat es und fuhr zusammen. Er hatte sich ihr unhörbar genähert, stand knapp hinter ihr und sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. Kathy wußte, daß sie ihn richtig eingeschätzt hatte. Dieser fette, kleine Sol war gefährlich . .. »Ich muß leider gehen«, meinte Pimlay und nickte ihr zu. »Ich muß Sie bitten, für die nächste Zeit mein Gast zu bleiben. Es sind da noch einige wichtige Dinge zu regeln. Sol wird Ihnen Gesellschaft leisten. Ach richtig, Miß Porter, versuchen Sie erst gar nicht, ihn um einen ihrer reizenden Finger wickeln zu wollen. Sol ist unbestechlich. Tun Sie haargenau das, was er will, dann werden Sie überleben!« Er ging. Kathy rutschte vom Barhocker und schaute dem Anwalt nach. Daß er es war, wußte sie. Butler Parker hatte den Mann genau beschrieben. Pimlay schien seiner Sache sicher zu sein. Von der Tür aus winkte er ihr noch mal zu. Sol ließ sich in einem der Sessel nieder und starrte ins Wasser. Er schien gewillt zu sein, ihre Anwesenheit zu ignorieren. Kathy schlang den weiten Bademantel um sich und wanderte am Beckenrand entlang. Sie ging auf einen Vorhang zu, hinter dem sie eine kunststoffbespannte Tür entdeckte. »Darf man da 'rein?« fragte sie. Er nickte nur und wandte sich wieder ab. Kathy öffnete die Tür und schaute
flüchtig in den fensterlosen Waschraum, in dem es Toilette und Dusche gab. Sie schloß wieder die Tür und baute sich vor Sol auf. Absichtlich ließ sie den Bademantel aufklaffen. »Wo soll ich denn schlafen?« fragte sie. »Wahrscheinlich bleibe ich ja nicht nur für ein paar Stunden hier, oder?« »Da is' doch genug Platz, Süße«, meinte Sol und deutete auf die »Liegewiese«. »Un' warm bleibt's hier sowieso.« »Und wo werden Sie sein?« »Hier«, sagte er und sah sie ernst an. »Hier, Süße. Ich laß' dich keinen Moment aus den Augen! Katzen wie dich kenne ich. Die machen mir nichts vor...« * »Hat das Telefon nicht geläutet?« fragte Lady Simpson. Sie kam die Treppe herunter und hatte sich wie für einen Feldzug umgekleidet. Sie trug ein derbes, viel zu weites Tweed-Kostüm, derbe Schuhe und ihren Pompadour, der allerdings ein wenig größer aussah als der normale Handbeutel. Auf ihrem Kopf saß der unvermeidliche »Südwester«, der jetzt sogar von drei Hutnadeln auf ihrem Haar festgehalten wurde. »Das Telefon hat geläutet«, meldete Parker und verbeugte sich. »Ich war so frei, das Gespräch zu führen.« »Haben Kathys Entführer sich etwa gemeldet, Mr. Parker?« »In der Tat, Mylady! Ich möchte vorausschicken, daß es Miß Porter gutgehen soll, wie man mir versicherte.« »Haben Sie die Stimme erkannt?« »Sie war technisch verzerrt«, meldete Parker gemessen weiter. »Dies stand natürlich zu erwarten. Man nannte Mylady
und meiner bescheidenen Person gewisse Bedingungen.« »Aha. Und wenn wir die nicht einhalten, wird es dem armen Kind schlecht gehen, nicht wahr?« »Davon sollte man tunlichst ausgehen, Mylady. Man drohte, ich muß es sagen, mit ihrer Ermordung.« »Wie lauten die Bedingungen? Lassen Sie sich gefälligst nicht jedes Wort einzeln aus dem Mund ziehen!« Sie sah ihn grimmig, aber auch erwartungsvoll an. »Mylady und meine bescheidene Person dürfen demnach das Haus nicht verlassen. Mylady dürfen sich der Anklage nicht als Zeuge gegen Healers oder Nichols zur Verfügung stellen. Mit weiteren Auflagen ist zu rechnen.« »Das ist doch eine ungeheure Frechheit«, entrüstete sich die resolute Dame! »Lassen wir uns das bieten, Mr. Parker?« »Man muß an Miß Porter denken, Mylady. Ihr Leben darf nicht gefährdet werden.« »Es paßt mir überhaupt nicht, die Hände in den Schoß zu legen, Mr. Parker. So etwas macht mich ganz nervös.« »Mylady müssen damit rechnen, daß der Zwangsaufenthalt hier im Haus unter Umständen recht lange dauern kann.« »Mit welchem Zeitraum rechnen Sie, Mr. Parker?« »Es könnte sich um Wochen handeln.« »Und so etwas wollen Sie sich bieten lassen? « Sie sah ihn empört an. »Natürlich nicht, Mylady«, gab der Butler zurück. »Man wird versuchen müssen, die Gangster ein wenig aufs sprichwörtliche Glatteis zu führen.« »Aha, das klingt schon besser.«
»Man wird sich, wie Mylady es bereits nachdrücklich andeuteten, mit Anwalt Pimlay befassen müssen.« »Eben, Mr. Parker. Sie sollten mehr auf mich hören. Healers kann doch nur über seinen Anwalt auch weiterhin die Organisation leiten. Pimlay ist die Schlüsselfigur. Und ich wiederhole es noch mal! Pimlay hat das arme Kind entführen lassen. Pimlay weiß, wo sie versteckt gehalten wird.« »Myladys Ansicht möchte ich mich freudig anschließen.« »Warum kidnappen wir nicht diesen Pimlay?« fragte die Detektivin unternehmungslustig. »Dann entsteht ein Patt, wie es so schön heißt. Pimlay gegen Kathy. Diese Rechnung müßte doch aufgehen, wie?« Bevor der Butler antworten konnte, meldete sich wieder das Telefon. Diesmal langte Parkers Herrin nach dem Hörer. Sie war schneller als ihr Butler und meldete sich. »Was für eine Überraschung«, sagte sie grimmig. »Mr. Pimlay, der ehrenwerte Anwalt der Unschuldigen und Verdammten! Natürlich höre ich, was denken denn Sie? Wie war das? Sie möchten sich mit mir unterhalten? Auf dem Golfplatz von Greenford? Warum so umständlich? Haben Sie keinen besseren Vorschlag?« Agatha Simpson hörte zu und unterbrach den Anrufer nicht mehr. Dann legte sie auf und nickte ihrem Butler zu. »Sie haben es ja gehört, Mr. Parker. Pimlay erwartet mich heute vormittag im Country Club von Greenford. Er hat mir angeblich eine vertrauliche Mitteilung zu machen.« »Nannte er Gründe für diesen ungewöhnlichen Treffpunkt, Mylady?«
»Er möchte nicht mit uns gesehen werden. Er behauptet, er habe Angst.« »Mylady werden auf Mr. Pimlays Bitte eingehen?« »Was dachten denn Sie, Mr. Parker! Natürlich werden wir hinaus nach Greenford fahren. Es soll mir ein Vergnügen sein, diesem Subjekt einen gezielten Golfball gegen den Schädel zu schmettern. Wir werden uns um zehn Uhr treffen. Bereiten Sie alles vor!« »Gewiß, Mylady, zumal die Möglichkeit besteht, daß man Mylady und meine bescheidene Person vielleicht dort umbringen möchte.« * Exklusiv war der Golfplatz gerade nicht zu nennen. Hier auf dem Grün spielte der wohlhabende Mittelstand. Darüber hinaus konnte man sich Schläger und Bälle mieten, ein Ticket lösen und auch als vereinsexterner Privatmann Golf spielen. Es war zehn Uhr geworden. Trotz der relativ frühen Morgenstunde herrschte auf dem Golfplatz bereits reger Betrieb. Einen unauffälligeren Treffpunkt hätte Anwalt Pimlay sich gar nicht suchen können. Agatha Simpson erschien pünktlich auf dem Rasen, doch der Anwalt war weit und breit nicht zu sehen. Ein Caddy erschien plötzlich vor Parker und überreichte einen Zettel. Parker entfaltete ihn und nahm die Notiz zur Kenntnis, die Pimlay hinterlassen hatte. »Mr. Pimlay, Mylady, hält sich am neunten Loch auf«, meldete Parker dann seiner Herrin. »Dies muß, wenn ich den
Platz richtig übersehe, dort hinter der Baumgruppe sein.« »Diesem Lümmel wird man bei Gelegenheit Höflichkeit beibringen müssen«, entrüstete sich die ältere Dame. »Bis dorthin ist es ja ein Gewaltmarsch.« »Ich könnte Mylady diesen Gewaltmarsch abnehmen und allein zu Mr. Pimlay gehen. Sicherer wäre das auf jeden Fall.« »Papperlapapp, Mr. Parker! Ich komme selbstverständlich mit. Gehen wir. Wenn ich mir doch nur nicht diese schreckliche Panzerweste umgehängt hätte.« »Sie dient Myladys Sicherheit. Mit einem Schuß aus dem Hinterhalt muß man stets rechnen, Mylady.« Die erwähnte Panzerweste war allerdings nicht zu sehen. Agatha Simpson trug wieder eines ihrer weit fallenden Kostüme und sah ungemein heroisch und majestätisch aus. Sie glich einer nordischen Göttin, die aus Walhall herabgestiegen war. Ihr fehlten nur noch Brünne, Schild und Speer. Butler Parker hingegen hatte auf jeden sportlichen Look verzichtet. Er trug wie gewöhnlich seine schwarze Hose, den schwarzen Zweireiher, das weiße Hemd mit dem altmodischen Eckkragen und dazu eine schwarze Krawatte. Auf seinem Kopf saß die unvermeidliche Melone. Er schob den zweirädrigen Caddywagen, auf dem die Golftasche mit den verschiedenen Golfschlägern stand. Sein Universal-Regenschirm hing korrekt am linken Unterarm. Perfekter hätte kein Butler aussehen und sich bewegen können. Auch Parker wirkte ein wenig massiger als sonst. Auch er trug nämlich eine
kugelsichere Panzerweste unter seinem Zweireiher. Er traute dieser Einladung nicht so recht. War sie von den Gangstern nur arrangiert worden, um Mylady und ihn zu erledigen? Wollte Healers jetzt endgültig reinen Tisch machen? Agatha Simpson marschierte auf ihren stämmigen Beinen hinüber zum neunten Loch, wo Pimlay angeblich auf sie wartete. Das Wäldchen war mit dichtem Unterholz besetzt, was dem Butler zusätzlich nicht gefiel. Wie leicht konnte sich dort ein Mordschütze verborgen halten. Doch es passierte nichts. Arthur Pimlay stand tatsächlich hinter dem Wäldchen und probte Schläge. Er trug eine Flanellhose, einen modischen Sweater und eine Golfkappe. Er nahm sie artig ab, als Lady Simpson auf ihn zukam. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie herausbemühte«, sagte er. »Aber ich möchte verständlicherweise nicht zusammen mit Ihnen gesehen werden.« »Mir geht es ebenso«, erwiderte die Detektivin grimmig. »Kommen Sie zur Sache, Mr. Pimlay! Ich habe nicht viel Zeit.« »Ich möchte Sie warnen«, antwortete der Anwalt und sah sich scheu und verstohlen nach allen Seiten um. »Healers scheint etwas gegen Sie zu planen.« »Ist das nur eine Vermutung, Sir?« schaltete der Butler sich ein. »Belegbar ist das nicht«, schränkte Pimlay ein. »Aber Healers macht sich Sorgen. Wie er es erfahren hat, weiß ich nicht, aber ihm ist bekannt, daß Sie, Mylady, sich noch mit dem sterbenden Augenzeugen Tainers unterhalten konnten. Healers befürchtet nun, daß Nichols reden wird, falls Sie gegen ihn aussa-
gen. Eine Art Kettenreaktion, wenn Sie verstehen, was ich meine.« »Miß Porter ist verschwunden«, sagte Agatha Simpson grimmig. »Miß Porter ist meine Gesellschafterin und Sekretärin. Sie scheint von den HealersGangstern gekidnappt worden zu sein.« »Sie wurde gekidnappt«, wiederholte Parker mit Nachdruck. »Mylady wurden bereits anonym angerufen.« »Das ist ja schrecklich«, entrüstete sich Pimlay. »Was werden Sie tun? Sollte man da nicht die Polizei einschalten?« »Damit wir Kathy Porter nie wiedersehen?« Agatha Simpson schüttelte den Kopf. »Sie ahnungsloser Engel, Sie! Man merkt, daß Sie überhaupt nicht wissen, mit welchen Mitteln diese Gangster arbeiten. Ich habe Sie wohl doch falsch eingeschätzt.« »Sie mögen mich nicht, wie?« »Nach wie vor nicht.« Lady Simpson nickte. »Aber ich hielt Sie darüber hinaus noch für einen engen Vertrauten dieses Mörders Healers. Davon rücke ich nun doch ab.« »Konnten Sie in Erfahrung bringen, wie man Mylady und meine bescheidene Person umzubringen gedenkt?« stellte Parker die entscheidende Frage. »Das leider nicht. Healers ist mir gegenüber sehr mißtrauisch. Aber ich sollte in seinem Auftrag einen gewissen Archie Coxton aufsuchen. Der Mann wohnt in Soho über einem chinesischen Restaurant. Wissen Sie, was ich vermute?« » Sie werden es sicher nicht verschweigen«, konterte die resolute Dame grimmig-ironisch.
»Dieser Archie Coxton scheint jetzt die Healers-Organisation stellvertretend zu leiten.« »Weshalb sollten Sie Mr. Archie Coxton aufsuchen?« erkundigte sich Josuah Parker. »Er soll angeblich bezeugen können, daß Healers zur Tatzeit zusammen mit ihm unterwegs war. Also, einen besseren Entlastungszeugen könnte Healers sich gar nicht wünschen. Falls Coxton nicht lügt.« »Sie beurteilen Healers' Chancen als günstig?« fragte Parker. »Sie sind sogar äußerst günstig«, meinte Pimlay. »Wenn Coxton bei seiner Aussage bleibt, wird man Healers freilassen müssen. Es existiert ja jetzt kein Augenzeuge mehr.« »Da Tainers umgebracht wurde. Und zwar von Nichols.« Agatha Simpson nickte. »Das heißt, es waren diese Subjekte Stornay und Wavers. Ob sie umfallen werden, wenn man Mordanklage gegen sie erheben wird? Ob sie dann die Schuld nicht auf Healers schieben werden? Was meinen Sie, junger Mann?« »Darum sollen Sie ja auch umgebracht werden.« Pimlays Stimme nahm einen traurigen Ausdruck an. »Wenn ich raten darf, Mylady, so sollten Sie die Stadt schleunigst verlassen. Warten Sie doch ab, bis dieser Prozeß über die Bühne gegangen ist.« »Was haben Sie, Mr. Parker?« fragte die Detektivin in diesem Augenblick mit scharfer Stimme. »Eine nicht gerade erfreuliche Überraschung«, erwiderte der Butler und deutete auf die Eierhandgranate, die zwischen Pimlay und Mylady lag. »Sie scheint aus dem Unterholz gekommen
zu sein, falls ich die Dinge richtig deute.« * Sie existierte tatsächlich. Es handelte sich um eine Armee-Eierhandgranate, die tückisch und explosiv aussah. Eine Attrappe war es sicher nicht. Ein feines Zischen deutete daraufhin, daß sie innerhalb der nächsten Sekunden zu detonieren gedachte. Anwalt Pimlay stieß ein Geräusch aus, das an ein schrilles Quieken erinnerte. Er sprang etwa fünf Zentimeter hoch, mit beiden Beinen zugleich. Als er wieder stand, sprintete er ohne jeden Übergang los und jagte zur nahen Sandgrube. Er hatte sie noch nicht ganz erreicht, als er sich vom Rasen abdrückte, waagerecht in die Luft legte und dann in den weichen Sand hechtete. Anschließend war er nicht mehr zu sehen. Er war in volle Deckung gegangen. Agatha Simpson schaute auf die Eierhandgranate und dann auf ihren Butler. Sie war ein wenig bleich geworden. »Wenn Mylady erlauben.« Parker ließ sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen. »Mylady sollten vielleicht einige Distanz zwischen diesem Sprengkörper und sich legen, falls ich mir diesen Rat erlauben darf.« Diesmal widersprach sie nicht. Die resolute Dame marschierte hastig los und beeilte sich, um zur rettenden Sandgrube zu kommen. Parker hingegen behielt die Nerven und auch die Übersicht. Es war sicher zu spät, um nach einem der regulären Golfschläger zu greifen. Der Caddywagen stand zu weit weg von ihm. Josuah Parker drehte seinen Uni-
versal-Regenschirm um und benutzte ihn als improvisierten Schläger. Mit dem bleigefütterten Griff seines Schirms holte er weit aus, wobei er nicht vergaß, die klassische Haltung eines Golfspielers einzunehmen. Weit holte er aus und ... traf haargenau. Die Eierhandgranate stieg steil aus dem Gras empor, beschrieb eine geradezu klassische Flugbahn und zischte dann in das dichte Unterholz. Es dauerte etwa anderthalb Sekunden, bis die Detonation erfolgte. Aus dem Unterholz schoß eine schmale, scharf gebündelte Rauchwolke hoch, die vom Wind erfaßt und dann verteilt wurde. Parker wandte sich ab und suchte die Sandgrube auf, aus der zuerst Anwalt Pimlay kroch. Er war kreidebleich im Gesicht und zitterte am ganzen Körper. »Was .. .Was war das?« fragte er unnötigerweise. »Auf keinen Fall ein Windei, junger Mann«, grollte die ältere Dame und erschien nun auch oben am Rand der Sandgrube. »Ihre Warnung kam eigentlich etwas zu spät, würde ich sagen.« »Darf ich fragen, ob Mylady sich wohl fühlen?« erkundigte sich der Butler, der den zitternden Anwalt übersah. »Es geht«, erwiderte sie gereizt. »Aber ich bin sehr wütend.« »Sagenhaft, wie Sie reagiert haben«, staunte Anwalt Pimlay. Er musterte den Butler mit einem scheuen Bück der Bewunderung. »Meine Fußhaltung war vielleicht nicht ganz nach der Regel«, meinte Josuah Parker. »Die Parallelhaltung müßte ich in Zukunft noch ein wenig verbessern.«
»Ihre Sorgen möchte ich haben.« Arthur Pimlay wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Das verdammte Ding hätte uns alle umgebracht.« »Uns alle!« Agatha Simpson nickte. »Sie und uns, junger Mann! Sie scheinen demnach auch auf der Mordliste Ihres Mandanten Healers zu stehen.« Anwalt Pimlay antwortete nicht. Er hatte genug mit den Schweißperlen zu tun, die auf seiner Stirn standen. Der Mann hatte sich noch immer nicht gefangen. Seine Hände zitterten, und seine Bewegungen waren nicht koordiniert. Er starrte auf das Unterholz und dann auf die grauschwarze Rauchwolke, die sich immer mehr auflöste. »Die Eierhandgranate muß aus dem Unterholz gekommen sein, Mylady«, sagte Parker inzwischen zu seiner Herrin. »Wenn es erlaubt ist, möchte ich mich vergewissern, ob der Werfer des Sprengkörpers vielleicht noch anwesend ist und der dringenden Ersten Hilfe bedarf.« »Aber passen Sie auf sich auf«, warnte ihn die ältere Dame. »Vielleicht wartet da noch eine zweite Handgranate auf Sie.« »Möchten Sie sich ebenfalls vergewissern?« Parker wandte sich an Anwalt Pimlay. »Ich bin doch nicht wahnsinnig«, schrie Pimlay entsetzt, »oder gar lebensmüde. Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe!« Er wandte sich ab und betätigte sich noch mal als Sportler. Pimlay verwandelte sich in einen Kurzstreckenläufer und brauste zurück ins Clubhaus, wo sich eine Menge neugieriger Golfspieler versammelt hatte.
Pimlays Energie war schon beachtlich. Trotz der an sich recht langen Strecke wurde er immer schneller. Er sah übrigens nicht, wie Mylady und ihr Butler sich zuzwinkerten. * Gut hatte Kathy Porter nicht geschlafen. Sols Anwesenheit hatte sie immer wieder hochschrecken lassen. Sie traute diesem Mann jede Schlechtigkeit zu, obwohl er sie nach wie vor ignoriert hatte. Während der Nacht hatte sie ihn einige Male beobachtet. Er saß steif und regungslos in seinem Sessel und schien zu schlafen. Doch Kathy fühlte es genau, er machte kein Auge zu. Wahrscheinlich kostete er sein Überlegenheitsgefühl aus. Er mußte längst spüren, daß sie sich vor ihm fürchtete. Inzwischen schien es Tag geworden zu sein, obwohl hier unten nach wie vor das elektrische Licht brannte. Kathys Zeitgefühl funktionierte noch. Ihrer Schätzung nach mußte es sieben oder acht Uhr sein. Sie stand auf und schaute wieder zu Sol hinüber. Er war natürlich längst wach und sah gleichgültig herüber. Er übersah ihre nackten Schultern und deutete nur auf die Tür, hinter der sich der Toilettenraum befand. Dann zündete er sich eine Zigarette an und ging zur Bar. Sein Frühstück bestand aus einem Wasserglas voll Brandy, den er sich einverleibte. Kathy wechselte in den Waschraum hinüber, räkelte sich, duschte ausgiebig
und wickelte sich dann wieder in das bademantelähnliche Gebilde. Als sie wieder in der Schwimmhalle war und nach ihrem Lederoverall suchte, war er verschwunden. »Haben Sie den Anzug weggenommen?« fragte sie Sol. »Den brauchst du hier unten nicht, Süße«, gab er wegwerfend zurück. »Ich hol' dir jetzt dein Frühstück.« Sie war nach wenigen Augenblicken allein und wußte nicht, was sie mit sich anfangen sollte. Im Gegensatz zu ihrem scheuen und zurückhaltenden Aussehen war sie eine sehr dynamische Frau. Sie hatte einfach keine Lust mehr, noch länger untätig herumzusitzen. Sie wollte heraus aus diesem komfortablen Gefängnis. Es mußte doch irgendeinen Weg geben, um diesen Sol hereinzulegen. Ob sie wohl wieder beobachtet wurde? Wo war dann dieses Beobachtungsfenster in der Wand? Gab es vielleicht eine versteckt angebrachte Fernsehkamera? Würde man sie ausgerechnet so früh am Morgen unter Sichtkontrolle halten? Gerade jetzt gab es doch so gut wie gar nichts zu sehen. Kathy wanderte auf die Tür an der hinteren Stirnseite der Schwimmhalle zu, durch die Sol gegangen war. Sie schaute sich die Wand links und rechts von dieser Tür genauer an und wußte plötzlich, wie man sie beobachten konnte. Rechts von der Tür befand sich ein verglaster Kasten, in dem allerlei Anzeige- und Kontrollgeräte untergebracht waren. Hier konnte man die Luftfeuchtigkeit, die Temperatur des Wassers und der Luft ablesen. Neben dem Feuchtigkeitsschreiber entdeckte sie eine Art
Optik, die sich wie ein Fischauge leicht vorwölbte. Diese Optik gehörte sicher zu dem Beobachtungssystem. Kathy ließ sich nichts anmerken. Sie wandte sich gleichgültig ab und schlenderte zurück zum Rand des Schwimmbeckens. Wann Sol zurückkehrte, wußte sie nicht, aber viel Zeit stand ihr sicher nicht zur Verfügung. Sie mußte schnell handeln. Bis Sol wieder ging, um so etwas wie ein Mittagessen zu holen, konnten quälend lange Stunden vergehen. Falls sie beobachtet wurde, so tat sie etwas für neugierige Augen. Sie besorgte das auf eine raffinierte Art und Weise. Kathy öffnete den bademantelähnlichen Umhang und bereitete sich darauf vor, ins Wasser zu springen. Als sie fast nackt war, warf sie den Mantel einfach weit von sich, sorgte aber dafür, daß er am Glaskasten hängen blieb. Es klappte auf Anhieb. Im ersten Moment glaubte sie zwar, er würde abrutschen, doch dann verfing die weite Kapuze sich an einer Ecke des Kastens und verdeckte das, was sie für die Optik hielt. Nun mußte alles sehr schnell gehen. Sie rannte zurück in den Toilettenraum und riß die Plastikflasche mit der Schaumbadflüssigkeit an sich. Dann ging es zurück zur Tür, durch die Sol verschwunden war. Sie öffnete den Verschluß der großen Flasche und schüttete den Inhalt verschwenderisch auf den gekachelten Boden. Kathy schlüpfte aus ihrem Höschen und benutzte es dazu, die wohlriechende Flüssigkeit auf den Fliesen zu verteilen. Dabei merkte sie schon, daß sie das richtige Mittel verwendete. Die Fliesen wurden glatt und rutschig wie Eis. Sie selbst vermochte
sich kaum noch auf den Beinen zu halten. Sie lief hinüber zur Eisentür, durch die Sol sie in diesem unterirdischen Schwimmraum getragen hatte. Hier wiederholte sie diese Arbeit und verteilte den Rest aus der Flasche. Dann warf sie sich auf die »Liegewiese« aus Nylon und sorgte für eine äußerst dekorative Haltung. Wenn Sol kam, würde er seinen Blick sofort auf sie richten. Er durfte überhaupt nicht auf den Gedanken kommen, die Fliesen zu kontrollieren. Ahnungslos mußte er das improvisierte und künstliche Glatteis betreten ... Und da öffnete sich auch schon die Tür. Der Mann erschien auf der gegenüberliegenden Stirnseite, gleich neben dem Glaskasten. Sol war mißtrauisch. Natürlich hatte er wohl längst mitbekommen, daß die Optik zugedeckt worden war. Er blieb in der geöffneten Tür stehen. Auf seiner ausgestreckten linken Hand balancierte er ein Tablett, auf dem sich das Frühstück befand. Hoffentlich nahm er nicht den betörenden Geruch des Schaumbadmittels wahr, dachte Kathy nervös. Sie richtete sich auf, um ihn noch weiter abzulenken. Sol fiel auf diese Bewegung herein. Er grinste und glaubte, sie wolle ihn animieren. »Streng dich nicht unnötig an, Süße«, sagte er. »Gegen solche Mätzchen bin ich immun.« Dann tat er den entscheidenden Schritt. Schwungvoll wollte er sich Kathy nähern und geriet in den Bereich des Glatteises. Er schrie wütend auf, als es
ihm die Beine unter dem fetten Körper wegzog. Sie wurden wie von unsichtbaren Schnüren hoch gegen die Kellerdecke gerissen, dann landete er dumpf klatschend auf dem Rücken und blieb für einen Moment wie betäubt liegen. Kathy sprang auf und nahm hinter dem Bartresen Deckung. Wie sie Sol einschätzte, würde er versuchen, auf sie zu schießen. Der kleine Fette versuchte zurück auf seine kurzen Beine zu kommen, doch das erwies sich als sehr kompliziert. Immer wieder rutschte er aus und verlor das Gleichgewicht. Er landete einmal auf dem Bauch, dann wieder auf dem Rücken. Er fiel auf die Seite und dann zur Abwechslung aufs Gesicht. Es gelang ihm nicht, festen Boden unter seinen Körper zu bekommen. Die Szene erinnerte Kathy an eine Sequenz aus einer Stummfilmgroteske, aber sie lachte nicht. Sie wußte schließlich, daß es um Leben und Tod ging. Sol schien es doch noch zu schaffen. Breitbeinig stand er am Rand des Schwimmbeckens und schaute an sich hinunter. Er schäumte und duftete nach Fichtennadeln, aber er blutete auch aus vielen kleinen Schnittwunden. Er hatte sich ausgiebig im zersprungenen Glas und Porzellan gewälzt. Langsam und unsicher griff er nach seiner Waffe. Sie schien sich verhakt zu haben. Wütend zerrte er sie aus seiner Schulterhalfter und bewegte sich dabei zu abrupt. Prompt verlor er wieder das Gleichgewicht, warf die Arme hoch in die Luft und ... schoß kopfüber ins Wasser. Und er tauchte nicht mehr auf! Er schien mit dem Kopf gegen die Kacheln des Schwimmbeckens gestoßen zu
sein, war bewußtlos und trieb unter der Wasseroberfläche wie ein grotesk aussehender, großer Fisch. * »Wer ist Archie Coxton?« wollte Lady Simpson wissen. Sie befand sich in Parkers hochbeinigem Monstrum und ließ sich zurück in die Innenstadt bringen. »Falls mein Erinnerungsvermögen mich nicht trügt, Mylady, ist Mr. Archie Coxton ein äußerst tückischer Gangster, der eine eigene Organisation in London leitet.« »Steht er mit Healers in Verbindung, Mr. Parker?« »Keineswegs, Mylady. Es geht das Gerücht, die Herren Healers und Coxton seien Todfeinde.« »Dann sollen wir von Healers wohl auf Coxton gehetzt werden, damit er sich mit uns beschäftigt, wie?« »Falls Mylady erlauben, möchte ich dem voll und ganz beipflichten«, sagte Parker. »Mr. Healers scheint ein Ablenkungsmanöver durchführen zu wollen.« »Werden wir uns nebenbei mit diesem Coxton befassen? An sich eine recht angenehme Vorstellung, Mr. Parker.« »Ungemein reizvoll, Mylady«, pflichtete der Butler seiner Herrin erst mal bei, um nicht sofort ihren Widerspruch auszulösen. »Aber vielleicht sollten Mylady diesen Mr. Coxton zu einem späteren Zeitpunkt ins Visier nehmen, wenn ich mir diesen bescheidenen Hinweis gestatten darf. Einen Mr. Coxton sollte man tunlichst nicht nebenbei abhandeln.«
»Wo ist Ihr Schneid geblieben, Mr. Parker?« wunderte sich Agatha Simpson und schüttelte den Kopf. »Darf ich höflichst an Miß Porter erinnern, Mylady?« Das war das Stichwort, das die Dinge wieder ins rechte Lot brachte. Agatha Simpson vergaß augenblicklich Archie Coxton, das heißt, sie ordnete an, auf ihn später noch mal zurückzukommen. »Mylady können sich da voll und ganz auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, gab Parker zurück. »Mr. Coxton wird auf der privaten Liste Myladys obenauf stehen.« »Zurück zu Healers und Kathy«, meinte die ältere Dame und wechselte endgültig das Thema. »Wie gehen wir weiter vor? Sie bleiben dabei, daß Pimlay mehr weiß, als er gesagt hat?« »In der Tat, Mylady. Ich schließe mich da Myladys Auffassung an. Mr. Pimlay dürfte sogar wissen, wo Miß Kathy sich befindet.« »Dann verstehe ich nicht, warum wir ihn nicht gleich mitgenommen haben? Er hätte bestimmt keinen Widerstand geleistet.« »Die Eierhandgranate beeindruckte ihn ungemein.« Parker nickte. »Warum eigentlich dieses Theater?« »Mr. Pimlay wurde dadurch offensichtlich verunsichert. Sie kam für ihn völlig überraschend, wenn ich es so umschreiben darf, Mylady. Mr. Pimlay wird sich mit einiger Sicherheit Gedanken machen und möglicherweise annehmen, Mr. Healers habe versucht, ihn ebenfalls umzubringen.« »Er wird ihn danach fragen, glauben Sie?«
»Ich möchte davon ausgehen, daß er Healers so bald wie möglich im Untersuchungsgefängnis aufsuchen wird.« »Und was haben wir davon?« »Mylady werden verzeihen, wenn ich mir einen gewissen taktischen Plan zurechtgelegt habe.« »Unverzeihlich, daß ich davon noch nichts weiß.« Sie grollte schon wieder. »Was haben Sie sich da wieder ausgedacht?« »Eine kleine und harmlose Maskerade, Mylady. Wenn Sie erlauben, werde ich jetzt die Einzelheiten erläutern und um Myladys Zustimmung dafür bitten.« Sie gab ihre Zustimmung, und Josuah Parker setzte der Detektivin seinen Plan auseinander. Als er mit seinen Ausführungen fertig war, nickte sie beifällig und gluckste vor Lachen. »Das hätte von mir sein können«, bemerkte sie dann wie selbstverständlich. »Sie passen sich meinen Vorstellungen immer besser an, Mr. Parker. Nur weiter so!« »Mylady akzeptieren Myladys Plan?« »Aber natürlich, Mr. Parker. Da ist aber noch etwas, was ich wissen möchte. Wie war das mit dieser Eierhandgranate? War sie wirklich echt?« »Gewiß, Mylady, vollkommen echt!« »Du lieber Himmel, und wenn sie vorher detoniert wäre?« »Die Zündschnur wurde von meiner Wenigkeit allerdings manipuliert und erheblich verlängert«, gestand Josuah Parker. »Ein gewisses Risiko konnte allerdings nicht ausgeschlossen werden, wie ich einräumen muß.« »Sie sind ein Spieler, Mr. Parker, wissen Sie das eigentlich?« »Ich lasse mich gern tadeln, Mylady. Ungewöhnliche Gegner verlangen in
speziellen Momenten ungewöhnliche Aktionen.« * Kathy war durcheinander und wußte nicht, was sie tun sollte. Sol trieb noch immer im Wasser, mit dem Gesicht nach unten. Er ertrank, wenn sie ihm nicht half. Dieser kleine, fette Mann mochte ein brutaler und gefährlicher Gangster sein, aber er war und blieb ein Mensch, den man nicht so einfach umkommen lassen durfte. Er schwamm hart am Rand des Schwimmbeckens. Sie brauchte nur ihren Arm auszustrecken und ihn nach oben zu ziehen. Und wenn sie es tun wollte, mußte sie es bald tun. Viel Zeit blieb nicht mehr. Und sie tat es! Genau in diesem Moment wurde der scheinbar ohnmächtige Sol sehr agil und zeigte sich zupackend. Seine Hand schoß blitzartig nach oben, umfaßte ihr Handgelenk und ... zerrte sie ins Wasser. Kathy wollte sich losreißen, doch gegen diese geradezu wilde Kraft hatte sie nichts einzusetzen. Im hohen Bogen flog sie über Sol hinweg in das hoch aufspritzende Wasser. »Dafür laß ich dich Wasser saufen«, grölte Sol und schwamm auf sie zu. »Dafür ersäufe ich dich wie 'ne Katze.« Er schwamm schnell und gut, doch Kathy war schneller und geschmeidiger. Bevor er wieder zuschnappen konnte, warf sie sich auf die Seite und kraulte weg. Sol lachte auf und verfolgte sie. Ihm schien diese Hetzjagd im Wasser zu gefallen. Kathy hatte nur ein Ziel vor Augen. Sie wollte so schnell wie möglich die Stirnseite des Schwimmbeckens errei-
chen, auf die Fliesen hechten und dann durch die immer noch halb geöffnete Tür nach draußen wischen. Diese Tür war ihre einzige Chance. Sie konnte davon ausgehen, daß sie von außen zu verschließen war. Sie fuhr zusammen, als Sols Hand ihren rechten Fuß streifte, verdoppelte ihre Anstrengungen und konnte gerade noch einen kleinen Vorsprung herausschinden. Aber sie ahnte bereits, daß er nicht ausreichte, um sich auf das Trockene zu schwingen. Sie entschloß sich zu einem Trick. Kathy tauchte plötzlich weg, schlug einen scharfen Haken nach links und unterschwamm Sol. Er folgte dieser Wendung sofort und tauchte ebenfalls weg. Hier im Wasser konnte er seine Körperkräfte voll ausspielen und näherte sich ihr bedrohlich. Kathy kam wieder an die Oberfläche und legte sich fast flach aufs Wasser. Nun ging es um den Vorsprung, den sie brauchte. Auf jeden Meter kam es an. Und sie schaffte es! Kathy Porter hechtete auf die Fliesen und zog blitzschnell die Beine an, bevor Sol nach ihnen greifen konnte, richtete sich auf und balancierte vorsichtig über den glitschigen Schaumteppich zur rettenden Tür. Sie riß sie auf und .. . prallte gegen Anwalt Pimlay. Kathy fuhr zurück und wollte einen Karateschlag anbringen, doch dann ließ sie ihren linken Arm resigniert sinken. Sie blickte in die Mündung einer Pistole. »Hier herrscht ja ein munteres Treiben«, sagte Arthur Pimlay ironisch. »Ich scheine da im genau richtigen Moment gekommen zu sein.«
Sol kletterte aus dem Wasser und trat vorsichtig Kathy und Pimlay gegenüber. Sein Gesicht war haßverzerrt, in seinen Augen stand nackter Mord. »Schenk sie mir, Chef«, sagte er. »Überlaß sie mir!« »Damit sie dich noch mal 'reinlegt, Sol?« Pimlay lachte leise. »Was bist du doch für ein ausgemachter Trottel!« »Sie haben gewonnen«, bekannte Kathy Porter in Richtung Pimlay. »Ich gewinne immer«, gab er zurück. »Das werden bald auch noch andere Leute merken.« »Lady Simpson und Butler Parker?« »Lady Simpson und Butler Parker.« Er nickte und lehnte sich gegen den Türrahmen. Er musterte Kathy von oben bis unten, und sie merkte erst jetzt, daß sie nackt vor ihm stand. Sie deutete auf den bademantelähnlichen Umhang. »Darf ich ihn überziehen?« »Auf einmal prüde?« Pimlay lächelte überlegen. »Schön, von mir aus können Sie sich das Ding überziehen.« Kathy hüllte sich in das Laken und schielte dabei nach Sol, der mit hängenden Armen am Beckenrand stand und sie nicht aus den Augen ließ. »Sie haben Lady Simpson und Butler Parker ausgeschaltet?« wollte sie dann wissen. Sie fühlte, daß Pimlay aus irgendeinem Grund reden wollte. »Ich habe sie auf Coxton gehetzt«, sagte Pimlay und nickte. »Eine bessere Fahrkarte ins Jenseits können sie sich gar nicht kaufen. Coxton ziert sich nicht lange, wenn man ihm auf die Zehen tritt.« »Und was wird dann aus mir?« »Darüber denke ich gerade nach, Miß Porter. Lassen Sie mir noch etwas Zeit. Jetzt wird Sol Sie erst mal wegschaffen.
Es könnte sein, daß hier plötzlich die Polizei auftaucht.« »Wohin soll ich sie schaffen, Chef?« fragte Sol. »Zu Healers«, ordnete Pimlay an. »In sein Privathaus, Sol. Dort wird man bestimmt nicht nach der Kleinen suchen.« Kathy blieb stehen, als Sol nach ihr faßte. Gegen Pimlays Schußwaffe konnte sie nichts ausrichten. Sie war diesem fetten Kerl gnadenlos ausgeliefert. * Anwalt Pimlay stieg nach oben in seine große, komfortable Wohnung und zog eine Zwischenbilanz. Vor dieser Kathy Porter hatte er sich nur aufgespielt und Überlegenheit gemimt. Doch allein war von dieser Überlegenheit nichts mehr zu spüren. Pimlay mußte immer wieder an die Eierhandgranate denken, die ihn um ein Haar zusammen mit Lady Simpson und Butler Parker in die Luft gejagt hätte. Seiner Ansicht nach konnte das nur Healers veranlaßt haben. Obwohl dieser Mann in einer sicheren Zelle saß, hatte er Mittel und Wege, um sich mit der Außenwelt in Verbindung zu setzen. Healers' Einfluß war groß. Jeder riß sich – entweder aus Angst oder Berechnung -darum, ihm einen Gefallen zu erweisen. Mit einem Healers wollte es sich eben niemand verderben. Warum, so fragte sich Pimlay, wollte dieser Healers ihn aus dem Weg räumen? Hatte er ihm bisher nicht treu und ergeben gedient? War er für ihn nicht immer dagewesen? Arbeitete er nicht fast ausschließlich für ihn? Pimlay goß sich einen Drink ein und durchwanderte mit dem Glas in der
Hand seinen Wohnraum. Sollte Healers gemerkt haben, daß er, Arthur Pimlay, plötzlich gewisse Ambitionen hatte? Witterte Healers, daß man ihn geschickt ausbooten wollte? Fürchtete er um seinen Einfluß? Pimlay spielte tatsächlich mit dem Gedanken, die Healers-Organisation an sich zu reißen. Warum, so hatte er sich gerade in den vergangenen Tagen gefragt, sollte er nicht zum Großverdiener aufsteigen? Es hatte da zwar einige böse Pannen gegeben, doch auf die Dauer hatten diese Lady und ihr Butler keine Chancen gegen eine eingespielte Gang. Sie mußten früher oder später unterliegen. Agatha Simpson und ihr Butler würden sich jetzt mit Vehemenz auf Archie Coxton stürzen und dabei verspielen. Coxton konnte dieses Problem für ihn lösen. Für Healers Organisation aber wollte Pimlay nur als eine Art Mittelsmann fungieren. Diesen hirnlosen Schlägern und Mördern brauchte er nur weiterhin vorzumachen, es handle sich um einen Stellvertreter, der – von Healers eingesetzt – sich aber nicht zu erkennen gab. Dieser Stellvertreter war er, Arthur Pimlay, aber das war sein Geheimnis. Solange er die Leute gut bezahlte, würden sie ohne weiteres mitspielen und keine Fragen stellen. Jetzt ging es nur darum, Healers im Untersuchungsgefängnis festzuhalten. Es mußte zu einer Verurteilung kommen. Setzte man ihn jedoch auf freien Fuß, so war Sol an der Reihe. Sol war ihm treu ergeben und reagierte auf jedes Zeichen. Sol war der richtige Mann, Healers ins Jenseits zu befördern.
Arthur Pimlay trank sein Glas leer und überlegte sich die andere Möglichkeit. Er hatte durch Healers bisher gut verdient und ein kleines Vermögen gemacht. War nun der richtige Zeitpunkt gekommen, sich von diesem Gangster zu lösen? Sollte er alle Spuren verwischen? Sollte er sich vielleicht sogar absetzen? Nein, da war und blieb dieser Mordversuch an ihm. Healers hatte keine Skrupel gehabt, ihn mit einer Eierhandgranate in die Luft zu jagen. Dafür wollte Pimlay sich rächen. Er hörte hinter sich das öffnen der Tür und wandte sich um. Sol war überraschend schnell zurückgekehrt. Doch es war nicht Sol, der in der Tür stand. Es war Arthur Pimlay. Er war es selbst. Er, Arthur Pimlay, stand in der Tür und nickte ihm mokant zu! * Kathy lag wieder in einem Kofferraum, doch diesmal unfreiwillig. Sol hatte sie dort hineingepackt und dann abgeschlossen. Er steuerte den Wagen durch eine Unmenge kleiner Straßen und Gassen, wie Kathy mitbekam. Er hielt oft an, kurvte munter herum und schaffte sie in ihr neues Versteck. Kathy trug wieder ihren knapp sitzenden Lederanzug und war mit diesem Ausflug überhaupt nicht einverstanden. Sie fürchtete sich vor Sol. Pimlay hatte ihm immerhin erlaubt, sich mit ihr ein wenig befassen zu dürfen, was immer man darunter auch verstand. Sol würde sich diese Gelegenheit sicher nicht entgehen lassen. Sie traute diesem kleinen fetten Burschen jede Gemeinheit zu.
Wie sicher er sich fühlte, war daran zu erkennen, daß er Kathy Porter nicht gefesselt hatte. Sol setzte ganz auf seine Körperkraft. Vielleicht wollte er sie sogar zum Widerstand aufreizen, um sie dann so richtig demütigen zu können. Kathy hatte große Schwierigkeiten, sich auf den Rücken zu drehen. Der Kofferraum war eng. Ohne akrobatische Verrenkungen hätte sie es nicht geschafft. Aber sie brauchte die angestrebte Rückenlage, um sich gegen Sol durchsetzen zu können. Nach ihrer Schätzung dauerte die Fahrt etwa eine halbe Stunde. Dann wurde der Wagen jäh abgebremst. Eine Tür klappte, Schritte näherten sich. Kathy spannte sich wie eine Stahlfeder. Jetzt mußte sie genau den richtigen Zeitpunkt erwischen, wenn sie ihre Chance nutzen wollte. Sie hielt den Atem an, damit sie jedes Geräusch hörte. Sie registrierte, wie er das Schloß des Kofferraums aufsperrte und vernahm das Klicken, als er den Sperrknopf eindrückte. Genau in diesem Augenblick rammte sie ihre flachen Schuhe kraftvoll gegen den Deckel des Kofferraums. Sie legte alle Kraft hinein, über die sie verfügte. Sie explodierte förmlich. Der Deckel jagte hoch und traf das Kinn des sich leicht vorbeugenden Sol. Der kleine Fette stöhnte überrascht auf, flog zurück und landete auf dem Rücken. Doch er war nur leicht benommen. Er konnte viel vertragen. Er raffte sich auf und wollte seinerseits angreifen, aber Kathy ließ ihm keine Zeit dazu. Sie hechtete auf Sol und brachte konzentriert und hart einen Karateschlag an. Sol stierte sie an, schnappte nach Luft
und sackte dann zurück. Kathy setzte nach, verabreichte ihm einen zweiten Schlag und blieb dann schwer atmend vor Sol stehen. Der Gangster war nun endgültig ohnmächtig. Kathy langte sehr vorsichtig nach seiner Schulterhalfter und zog ihm die Automatik heraus. Sie entsicherte sie und schaute sich erst jetzt um. Sie war überrascht. Sie stand vor der Rückseite eines kleinen Landhauses, das sehr gepflegt war. Das Grundstück war von hohen Taxushecken umgeben. Es gab eine Doppelgarage und ein kleines Kakteenhaus. Ihrer Schätzung nach stand dieses kleine Landhaus im Nordwesten von London. Sol bewegte sich bereits wieder. Er öffnete die Augen und sah sie fast gelassen und prüfend an. Schmerzen schien er nicht zu empfinden, obwohl sein Kinn ziemlich aufgeschlagen und lädiert war. »Hätt' ich wissen müssen«, sagte er leise. »War'n guter Trick, Süße.« Er stand mühsam auf und schien die Waffe in ihrer Hand nicht zu sehen. »Rühren Sie sich nicht von der Stelle «, warnte Kathy ihn leise und eindringlich. »Ich werde schießen.« »Nichts wirst du tun, Süße«, gab er zurück und kam langsam auf sie zu. »Versuch' es doch!« »Ich werde schießen.« »Los, Süße, tu's!« Nein, sie konnte nicht auf ihn schießen. Da war eine Sperre in ihr, die sie nicht überwinden konnte. Sie wich zurück und näherte sich dem Kakteenhaus. Sol folgte ihr und grinste. Und plötzlich begriff Kathy, daß die Waffe gar nicht geladen war. Er hätte sich sonst vor einem Warnschuß fürchten müssen, der die Nachbarschaft alarmiert hätte.
»Aha, begriffen, wie?« Sol grinste und wischte sich beiläufig über das blutende Kinn. »Von mir aus kannst du auch schreien. Um diese Zeit ist hier draußen kaum ein Mensch. Schrei doch!« Er fiel blitzschnell nach ihr aus und wollte nach ihrer Hand fassen, doch Kathy konnte gerade noch mal zurückweichen. Sie wandte sich um und rannte los. Schneller als Sol würde sie auf jeden Fall sein. Aber auch darin hatte sie ihn unterschätzt. Der fette Sol war behend wie ein Menschenaffe. Er schnitt ihr den Weg ab und hätte es beinahe geschafft, sie doch noch zu ergreifen. Kathy warf sich herum, riß instinktiv die Tür zum kleinen Kakteenhaus auf und wußte, daß sie damit in der Falle saß. Er schloß die Tür fast behutsam hinter sich. »Geh runter in den Heizungskeller«, sagte er und deutete auf eine schmale Betontreppe, die in einen Keller führte. »Da solltest du ohnehin runter, Süße.« Kathy Porter zuckte ergeben die Achseln. Sie wollte damit zum Ausdruck bringen, daß gegen ihn doch kein Kraut gewachsen sei. Sie schien sich in ihr Schicksal fügen zu wollen. * »Was ist los?« fragte Edward Healers, als er das Sprechzimmer des Untersuchungsgefängnisses betrat. Er nahm am Tisch Platz und wartete, bis der Gefängnisbeamte gegangen war. Edward Healers war ein schlanker, drahtiger Mann, gut aussehend, aber mit Augen, die ununterbrochen in nervöser Bewegung waren. Sein Mund war
schmallippig und verriet Durchsetzungskraft bis zur Brutalität. »Ich bringe keine guten Nachrichten«, antwortete Arthur Pimlay und nieste. »Die Transaktion hat nicht geklappt.« »Wieso hat sie nicht geklappt?« Healers sah seinen Anwalt wütend an. »Die Angestellten Ihrer Firma waren zu nachlässig und zu ungeschickt«, erwiderte Arthur Pimlay achselzuckend. »Einige von ihnen haben die Firma inzwischen verlassen. Wahrscheinlich für länger.« »Verdammt, damit habe ich nicht gerechnet«, ärgerte sich der Gangsterboß. »Und jetzt? Ich will endlich 'raus hier. Ich habe die Nase gestrichen voll.« »Sie wissen, daß Lady Simpson sich als Augenzeuge zur Verfügung gestellt hat, ja?« »Ja doch, gegen Nichols, aber nicht in meiner Sache.« »Wird Nichols den Mund halten, wenn er unter Mordanklage gestellt wird, Healers? Wird er dann nicht alles auf Sie schieben?« »Jetzt hören Sie mir mal genau zu, Pimlay.« Healers beugte sich vor und dämpfte seine Stimme. »Nichols verschwindet von der Bildfläche. Ist das klar? Der Typ wird nicht mehr gebraucht.« »Wie ich?« »Was soll das heißen?« Healers verstand nicht. »Heute morgen rollte mir eine Eierhandgranate vor die Füße«, antwortete Anwalt Arthur Pimlay kühl. »Sie sollte Lady Simpson, Butler Parker und mich in die Luft jagen. Ich fand das überhaupt nicht witzig.«
»Eine Eierhandgranate?« Healers schüttelte den Kopf. »Wer soll die denn veranlaßt haben?« »Das frage ich mich allerdings auch, Healers. Ich bin sehr allergisch.« »Sie glauben doch nicht etwa, daß ich...?« »Ich weiß nicht, was ich glauben soll, Healers. Ich bin nur total sauer.« »Mensch, Pimlay, reden Sie sich bloß nichts ein! Warum sollte ich Sie umbringen lassen? Sie sind doch mein Verbindungsmann nach draußen. Sie sind doch praktisch mein Stellvertreter. Ohne Sie sitze ich in der Tinte.« »Vielleicht interessieren Sie sich bereits für einen anderen Anwalt? Vielleicht bin ich Ihnen schon zu mächtig geworden. Ich kann nicht in Ihren Kopf schauen.« »Sie und zu mächtig? Lächerlich, Pimlay! Eine Gang ist nichts für Sie. Aber Moment mal, sollte da Nichols seine eigene Suppe kochen wollen?« »Es muß nicht gerade Nichols sein«, meinte Anwalt Pimlay. »Oder sollte Bill Fenton größenwahnsinnig geworden sein? Oder vielleicht Jerry Notham?« »Möglich ist alles«, lautete Pimlays Antwort. »Nee, Notham hat kein Format«, sinnierte Healers halblaut und schüttelte den Kopf. »Dann schon eher Ray Botkins! Für den scheine ich überhaupt nicht zu existieren.« »Was soll ich veranlassen?« wollte Anwalt Pimlay wissen. »Ich muß hier raus«, wiederholte Healers noch mal. »Nachdem Tainers nicht mehr gegen mich aussagen kann, hat die Anklage nichts mehr gegen mich in der Hand. Pimlay, machen Sie Dampf auf!
Mein ganzer Laden kommt sonst ins Trudeln!« »Sie können sich auf mich verlassen«, erwiderte Anwalt Pimlay und erhob sich. »Ich möchte übrigens nicht versäumen, mich für Ihre Offenheit zu bedanken, Mr. Healers. Ihre Informationen waren das, was ich als äußerst wertvoll bezeichnen möchte.« »Was ... Was ist denn mit Ihnen los?« Healers stand auf und starrte seinen Anwalt an, der bereits gegen die Tür des Sprechzimmers klopfte. Draußen wurde der Riegel geöffnet, die Tür öffnete sich spaltbreit. »Ich muß gestehen, daß ich von der Existenz der Herren Fenton, Notham und Botkins bisher nichts wußte«, redete Pimlay weiter. »Und Mr. Nichols werde ich umgehend darüber verständigen, daß Sie ihn nicht mehr zu sehen wünschen. Das wird seine Kooperationsbereitschaft ungemein steigern, wie ich vermute.« »Sie sind nicht Pimlay!« Healers brüllte diese Feststellung förmlich heraus. Er wollte sich auf den Mann stürzen, den er nun nicht mehr für seinen Anwalt hielt. »Fröhliche Stunden«, sagte der Mann, der wie Pimlay aussah. »Und tun Sie bei Gelegenheit etwas für Ihre Nerven, Mr. Healers! In der Gefängnisapotheke wird sicher ein wenig Baldrian vorhanden sein.« Selbst als die Tür sich hinter dem angeblichen Anwalt Pimlay geschlossen hatte, war noch das Toben des Gangsterchefs zu hören. *
Der Kaktus war oval, recht groß und mit bösartig aussehenden Stacheln bedeckt. Er ragte aus einem kleinen Blumentopf hervor und bot sich Kathy als Wurfgeschoß förmlich an. Sie zögerte nicht einen Moment. Blitzschnell langte sie nach dem exotischen Gewächs, riß es hoch und schleuderte es in Richtung Sol, der mit dieser Art Gegenwehr nicht gerechnet hatte. Der Kaktus landete als Volltreffer, genau auf der linken Wange des Fetten, der beeindruckt aufschrie. Die Stacheln und ihre Widerhaken bohrten sich in die Gesichtshaut des Angreifers und verursachten große Pein. Sol wich zurück und fetzte sich den Kaktus von der Wange. Dabei brachen die Stacheln ab und ließen sich in der Haut fast häuslich und zäh nieder. Kathy Porter probierte es mit einem zweiten Gewächs, das vielleicht noch vielversprechender aussah. Diesmal schickte sie eine Art Greisenhaupt auf die Luftreise. Die Stacheln dieser Pflanze bohrten sich in Sols Stirn und reizten dort die Nerven. Ein dritter Kaktus schloß den brüllenden Mund des Fetten, der unflätige Schimpfworte ausstieß und Zeugnis über seine schlechte Erziehung ablegte. Es handelte sich um eine kleinere Kaktee. Sie paßte genau in Sols Mundhöhle und wirkte verheerend. Sol schloß nämlich instinktiv die Lippen und biß auf das sperrige Gewächs. Von dieser Sekunde an interessierte er sich nicht mehr für Kathy. Sol hüpfte herum, verlor das Gleichgewicht und landete zwischen den Kakteen, die er mit seinen langen Armen von den Regalen riß. Sie protestierten auf ihre artspezifische Weise gegen diese unwürdige
Behandlung und stachen zu. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Sol selbst zu einem Kaktus wurde. Er war über und über mit kleinen, mittleren -und sehr langen Stacheln bedeckt. Er heulte, schlug weiter um sich und handelte sich immer mehr Stacheln ein. Kathy Porter griff nach dem Brett, das von einem der Regale heruntergefallen war und stieß damit gegen Sols Brust. Er rollte auf die Seite, schnellte hoch, als weitere Stacheln seinen fetten Körper lädierten, und geriet ungewollt auf die erste Stufe der steilen Betontreppe. Bevor Kathy noch mal zustoßen konnte, rollte Sol bereits nach unten, hüpfend von Stufe zu Stufe, wobei die bösartigen Stacheln sich immer noch tiefer in seine Haut bohrten. Er landete im Heizungskeller und blieb keuchend auf dem Boden liegen. Kathy handelte nun gezielt und blitzschnell. Vorsichtig hastete sie nach unten, den Stachelgewächsen ausweichend, riß die Tür in den Rahmen und schob einen der beiden Riegel vor. Dann erst nahm sie sich die Zeit, auch den Schlüssel umzudrehen. Aufatmend lehnte sie sich gegen die Eisentür und holte tief Luft. Das war gerade noch mal gutgegangen. Sie war Sol entwischt. Doch saß er wirklich fest? Unruhe trieb sie wieder hinauf in das Kakteenhaus, das nur noch einem Chaos glich. Sie überstieg die zerstörten Pflanzen und schaute sich das kleine Gewächshaus von außen an. War hier ein Ausstieg, den Sol eventuell benutzen konnte? Nun, es gab einen schmalen Lichtschacht, der wohl auch als Belüftung diente, doch der Durchmesser war er-
freulich klein. Der fette Sol würde es nie schaffen, seine Massen durch diesen Schacht zu zwängen. Nein, er saß jetzt fest und konnte ihr nicht mehr gefährlich werden. Kathy Porter ging zurück zum Wagen und nahm diesmal am Steuer Platz. Sie hatte nur den einen Wunsch, diese Gegend so schnell wie möglich zu verlassen und sich bei Lady Simpson und dem Butler zurückzumelden. Sie sehnte sich nach Geborgenheit. * Kathy zuckte zurück, als die Tür zu Agatha Simpsons Haus geöffnet wurde. Sie stand Anwalt Pimlay gegenüber. Mit dieser Begegnung hatte sie nicht gerechnet. Sie wußte im ersten Moment nicht, wie sie sich verhalten sollte. Doch alles in ihr spannte sich. Sie war bereit, sofort zum Angriff überzugehen. Pimlays Anwesenheit hier im Haus deutete daraufhin, daß Lady Simpson und Butler Parker sich in der Gewalt der Gangster befanden. »Ich möchte mir erlauben Sie zu bitten, von jeder Gewalttätigkeit abzusehen«, hörte sie dann aber eine wohl vertraute Stimme. »Ich fand noch keine Zeit, diese Maske abzulegen, Miß Porter.« »Mr. Parker?« »In der Tat, Miß Porter.« Der angebliche Anwalt deutete eine knappe Verbeugung an. »Das ist ja kaum zu glauben.« Kathy schüttelte den Kopf und sah den Butler immer wieder an. »Diese Ähnlichkeit, Mr. Parker. Das ist ja unheimlich.« »Ich erlaube mir, Ihre Bemerkung als ein Kompliment aufzufassen«, antwor-
tete Josuah Parker und schloß hinter Kathy die Haustür. »Auch Mr. Healers ließ sich täuschen, wie ich mit einigem Vergnügen feststellen konnte.« »Sie waren bei Healers im Untersuchungsgefängnis?« Kathy lächelte und schüttelte den Kopf. »Es ist nicht zu glauben!« »Der schnellste Weg, um an weitere Informationen heranzukommen, Miß Porter. Sie entschuldigen mich jetzt bitte für einen Augenblick. Ich habe noch einige Telefonanrufe zu tätigen.« »Kindchen!« Agatha Simpson hatte Kathys Stimme gehört. Sie marschierte aus dem großen Wohnraum direkt auf ihre Gesellschafterin zu und schloß sie in die Arme. »Kindchen, wie konnten Sie meine Nerven nur derart strapazieren! Ich bin froh.« Es zeigte sich, daß die resolute Dame über sehr viel Herz verfügte. Sie hätte Kathy fast um ein Haar erdrückt. Sie war derart gerührt, daß sie umgehend einer Kreislauf Stärkung bedurfte. »Wie ist es Ihnen ergangen, Kindchen?« wollte sie dann wissen. »Warten Sie, bis Parker zurück ist! Haben Sie Hunger? Möchten Sie etwas trinken?« »Ich fühle mich in Ordnung«, antwortete Kathy lächelnd. »Ich hatte wieder mal Glück, Mylady. Und ich weiß jetzt, welche Geheimnisse das Haus dieses Pimlay birgt.« Parker erschien und brachte auf einem Tablett einige Erfrischungen. Anschließend mußte Kathy von ihrem Zwangsaufenthalt in Pimlays Haus erzählen. Zwischendurch schaute sie immer wieder zu Parker hinüber, der sich nur die Perücke abgestreift hatte, sonst aber immer noch wie Pimlay aussah.
»Ein interessanter Hinweis«, fand Parker, als Kathy ihren Bericht beendet hatte. »Diese kleine Schwimmhalle im Keller des Hauses ließe sich unter Umständen für ein Meeting nutzen.« »Für ein Meeting?« Agatha Simpson sah ihren Butler erwartungsvoll an. »Für ein Meeting der Gangster«, präzisierte Parker höflich und gemessen. »Myladys Einverständnis vorausgesetzt, sollte man alle Mitglieder der HealersOrganisation zusammenziehen und in Verwahrung nehmen.« »Genau das wollte ich gerade sagen«, behauptete die Hausherrin wieder mal prompt. »Sie haben mir das Wort von den Lippen genommen, Mr. Parker.« »Dank der Mitteilungsfreude Mr. Healers wissen wir, daß es um den Kern und um die Nichols-Bande herum noch zusätzliche und andere Filialbetriebe gibt, als da sind: die Fenton-, die Notham« und die Botkins-Teilgang.« »Ist dieser Bissen nun doch nicht zu groß für uns?« fragte Agatha Simpson, was an sich ungewöhnlich war. Sie hatte plötzlich echte Bedenken. »Mr. Pimlay ist unbestritten der verlängerte Arm der HealersOrganisation«, antwortete Josuah Parker. »Seinem Ruf dürfte man ohne jedes Mißtrauen folgen. Mylady mögen in diesem Zusammenhang an Superintendent McWarden denken. Es wäre für ihn doch ein fast schön zu nennendes Geschenk, wenn Mylady ihm sämtliche Gangster überreichen könnte.« »Das klingt natürlich gut«, räumte die Detektivin sofort ein. »Sie wollen also allein in Pimlays Haus und von dort aus die Fäden ziehen?« »Ich denke, Mr. Parker kann das riskieren«, schaltete sich Kathy Porter ein.
»Dieser schreckliche Sol sitzt in der Falle und kann nicht stören.« »In dieser Falle werden wir ihn auch sicherheitshalber lassen«, schlug die ältere Dame vor. »Soll er dort seine Wunden lecken, Kindchen. Wir werden uns später um ihn kümmern. Also gut, Mr. Parker, laden Sie zu diesem Meeting ein! Fragt sich nur, wie Sie diese Einladungen an den Mann bringen wollen.« »Ich werde mir erlauben, mit Mr. Pimlay Rücksprache zu nehmen«, antwortete der Butler gemessen. »Ich gehe davon aus, daß er inzwischen in der Stimmung ist, meiner bescheidenen Wenigkeit mit einigen Auskünften zu dienen.« * »Für diese Entführung bringe ich Sie vor Gericht«, sagte Pimlay aufgebracht, als Parker vor ihm stand. »Dafür werden Sie sich verantworten müssen!« »Ich möchte mir erlauben, Ihnen ein Tonband vorzuspielen«, gab der Butler zurück. »Bei dieser Gelegenheit aber möchte ich betonen, daß Sie nur zu Ihrem eigenen Schutz Gast des Hauses sind.« »Zu meinem eigenen Schutz?« Pimlay, der sich im Souterrain des Stadthauses der Agatha Simpson befand, runzelte die Stirn. »Sie sollten an die Eierhandgranate denken«, erinnerte der Butler. »Mr. Healers scheint mit doppelter Zunge zu sprechen. Aber jetzt das Tonband, das zu erwähnen ich mir erlaubte!« Pimlay wurde natürlich im Haus der älteren Dame festgehalten, daran bestand kein Zweifel. Freiwillig hätte er diesen Raum nicht verlassen können. Dieses kleine Apartment befand sich so-
gar noch unter dem eigentlichen Souterrain des Hauses und wurde speziellen Gästen vorbehalten. Pimlay stand neben dem kleinen Recorder und hörte Healers Unterhaltung mit Parkers Pimlay-Version. Der Butler war so frei gewesen, dieses Gespräch im Untersuchungsgefängnis mitzuschneiden. Er wußte genau, warum er sich dieser Mühe unterzogen hatte. »Tonbandaufzeichnungen haben vor Gericht keinen Beweiswert«, sagte der echte Pimlay schließlich, um seine Bestürzung zu überspielen. »Diese Aufzeichnung besagt gar nichts.« »Sie macht deutlich, daß Sie, Mr. Pimlay, der Nachrichtenübermittler eines Gangsters sind«, gab der Butler gemessen zurück. »Sie macht darüber hinaus klar, daß Sie selbst Mordaufträge weiterleiten! Sie läßt keinen Zweifel darüber, daß Sie die rechte Hand eines Gangsterbosses sind.« »Was Sie getan haben, war ungesetzlich! « »Dem werde ich nicht widersprechen«, entgegnete der Butler höflich. »Ich war so vermessen, mir Ihre Persönlichkeitsrechte anzumaßen. Aber diese Täuschung hat sich gelohnt, wie zu hören ist. Ihre Rolle in diesem Spiel wäre sonst wohl nie ans Tageslicht gekommen. « »Was . .. Was wollen Sie jetzt tun?« »Sie selbst sollten wählen, Mr. Pimlay.« »Ich soll selbst was wählen?« Pimlay sah den Butler erstaunt und mißtrauisch an. »Ich könnte Mr. Healers natürlich gegenüber freimütig bekennen, daß ich ihn getäuscht habe. Mir scheint allerdings, daß er das inzwischen weiß. Falls ich
mich recht erinnere, tobte Mr. Healers beträchtlich, als ich ihn verließ. Er war, wenn ich es recht bedenke, außer sich. Er muß im letzten Moment meine Maskerade durchschaut haben.« »Dann weiß er ja, daß ich ihn nicht verraten habe.« »Dann weiß Mr. Healers, daß Sie die Schuld daran tragen, daß seine Organisation auffliegt, um es mal salopp auszudrücken. Ist er der Mensch, der so etwas verzeiht? « »Und die andere Möglichkeit, die ich habe?« »Kooperation mit der Polizei«, sagte Parker. »Das heißt auf den Moment bezogen, Zusammenarbeit mit Lady Simpson, Miß Porter und meiner bescheidenen Wenigkeit.« »Miß Porter wird mich doch bestimmt anzeigen. Sie wissen doch, ich hielt sie in meinem Haus fest.« »Vielleicht ist Miß Porter geneigt, diesen Zwischenfall zu vergessen.« »Sie haben mich in eine verdammte Zwickmühle bugsiert.« »Auch ein gewisses Tonband ließe sich löschen«, lockte Parker gemessen. »Dann käme ich ja mit einem blauen Auge davon, oder? « »Was Lady Simpson, Miß Porter und meine bescheidene Person anbetrifft durchaus.« Parker nickte. »Wie Sie sich später mit Healers arrangieren, entzieht sich natürlich meiner Beurteilung.« »Schön, ich lasse es darauf ankommen. Was soll ich tun?« »Zu einem Meeting einladen«, gab der Butler zurück. »Anschließend werde ich Sie in Ihr Haus begleiten, um von dort aus die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten.«
»Ich verlasse mich auf Ihre Zusage, Mr. Parker.« »Und ich gehe davon aus, daß Sie kein doppeltes Spiel treiben«, lautete Parkers Antwort. Er wußte allerdings, daß Pimlay genau das plante. * Alle, die er gerufen hatte, kamen. Da war zuerst Brett Nichols, dem Melvin Scinner, Bruce und Rob folgten. Anschließend drängte sich die Menge. Die Herren Bill Fenton, Jerry Notham und Ray Botkins erschienen auf der Bildfläche, gefolgt von ihrem Anhang. Nach oberflächlicher Schätzung befanden sich im Schwimmraum zwei Dutzend Personen, alles Gangster, die zur HealersOrganisation gehörten. Sie fanden nichts dabei, daß man sie eingeladen hatte. Das Haus des Anwalts galt als bombensicher, was die Polizei anbetraf. Hier unten hatte man sich ja schon einige Male getroffen und gemeinsame Pläne geschmiedet. Die Gangster waren natürlich nicht auf dem offiziellen Weg ins Haus gekommen. Sie hatten den »Hintereingang« benutzt, jenen versteckten Zugang über das benachbarte Haus. Sie standen vor der Hausbar herum und warteten auf Pimlay. Es schien um sehr wichtige Dinge zu gehen, wie der Anwalt ihnen am Telefon gesagt hatte. Da war keiner weggeblieben. Wenn Healers rief, wenn auch auf dem Umweg über Pimlay, dann hatte man eben zu erscheinen. Darüber gab es keine Diskussion. Die Gangster sprachen den Getränken zu, die sie in der Bar reichlich fanden, redeten miteinander und warteten auf
Pimlays Erscheinen. Keiner von ihnen bekam mit, daß die Eisentür inzwischen hinter ihnen fest verschlossen worden war. Eine gewisse Kathy Porter, die diese Tür aus eigener Erfahrung kannte, hatte sie bereits abgesichert. Den heimlichen Fluchtweg in die Garage des Nachbarhauses konnten die versammelten Gangster nicht mehr benutzen. »Das sind sie, Mr. Parker«, sagte Pimlay, der durch die Optik in die kleine Schwimmhalle schaute. »Keiner ist weggeblieben. Hätte mich auch gewundert.« »Das ist also die gesamte Gang des Mr. Healers?« vergewisserte sich Parker noch mal. »Das ist sie, Mr. Parker, natürlich bis auf die Leute, die bereits sitzen.« »Sie planen noch immer, meine bescheidene Wenigkeit zu überlisten, Mr. Pimlay? « »Wie... Wie kommen Sie denn darauf?« Pimlay fuhr herum und sah den Butler gespielt erstaunt an. »Das war und ist doch Ihre erklärte Absicht, Mr. Pimlay.« »Niemals. Ich .. .« »Warum sprechen Sie nicht weiter?« Parker merkte plötzlich, daß irgend etwas nicht stimmte. Hinter seinem Rücken schienen sich Dinge abzuspielen, die nicht regulär waren. Er schaltete augenblicklich, ohne sich umzuwenden. »Ihre Maskerade ist nur auf den ersten Blick hin gut, Mr. Parker«, sagte er geistesgegenwärtig und laut. »Aber einen Fachmann können Sie nicht täuschen, Mr. Parker. Sie nicht!« »Sind ... Sind sie verrückt? Ich bin Pimlay!« »In einer schlechten Maske, Mr. Parker!« Parker zuckte unmerklich zusam-
men, als ein harter Gegenstand sich gegen sein Rückgrat legte. Er hatte sich also nicht getäuscht. Pimlay war es doch gelungen, Verrat zu üben ... »Was soll denn das?« fragte er, ohne sich seine Überraschung anmerken zu lassen. Dann wandte er sich vorsichtig um und sah sich einem kleinen, sehr fetten Mann gegenüber. Das konnte nur Sol sein, von dem Kathy Porter gesprochen hatte. Ihm war es gelungen, den Heizungskeller im Kakteenhaus zu verlassen. Sol hielt eine Schußwaffe in der rechten Hand und machte einen verwirrten Eindruck. Er sah sich immerhin zwei Mr. Pimlays gegenüber. »Worauf warten Sie noch, Sol?« sagte Parker zu Sol. »Nehmen Sie sich diesen Parker vor!« »Ich bin Pimlay!« Der Anwalt schrie es förmlich hinaus. »Sol, erkennst du mich nicht?« »Ich bin Pimlay«, sagte Parker gelassen und ruhig. Er hatte mitbekommen, daß ihm ein Fehler unterlaufen war. Er hatte Sol »gesiezt«. Hoffentlich hatte der kleine Fette das nicht bemerkt. »Ich bin Pimlay, Sol.« Der Anwalt fuchtelte mit seinen Armen aufgeregt in der Luft herum. »Ich bin Pimlay!« Parker fuchtelte ebenfalls mit seinen Armen in der Luft herum und kopierte jede Bewegung des Anwalts. »Wo, zum Teufel, hast du gesteckt? Wie siehst du überhaupt aus?« Sol wußte tatsächlich nicht, wie er sich verhalten sollte. Er sah sich zwei bis aufs Haar gleichenden Anwälten gegenüber. Sein Geist war nicht in der Lage, Unterschiede in Sprache und Gestik festzustellen. Sol war völlig überfordert.
»Reiß' ihm die Perücke vom Kopf«, forderte Parker Sol auf, bevor der echte Pimlay auf diesen Gedanken kam. Das war das Stichwort ... Sol grinste tückisch und langte nach Pimlays Haar. Pimlay wich instinktiv zurück, weil er wußte, wie brutal Sol war. Er fürchtete nur den Schmerz des Haarzerrens. Sol mißdeutete dieses Zurückweichen, schlug mit dem Lauf des Revolvers brutal zu und schickte den echten Pimlay zu Boden. Parker nahm seine Geheimwaffe in die Hand und stach zu. Sie glich einer Zierblume, die in seinem Revers gewesen war. Sie war ebenfalls identisch mit der Zierblume, die auch Pimlay trug. Parkers Blumenversion enthielt allerdings eine lange Nadel, deren Spitze natürlich chemisch präpariert war. Sol brummte, drehte sich blitzschnell um und hätte sicher auch geschossen, wenn Parker ihm Zeit dazu gelassen hätte. Doch der Butler, an seiner Gesundheit interessiert, reagierte schneller. Er stach mit dem Stengel der Blume noch mal zu, um die verdeckte Nadel dann in Sols Handrücken stecken zu lassen. Sol merkte gar nicht, daß Parker ihm die Schußwaffe aus der Hand nahm, blieb unbeweglich stehen und war nicht fähig, eine weitere Bewegung zu machen. Er stand nur da und starrte den Butler an. Pimlay aber sah die Waffe auf dem Boden und griff nach ihr. Das war seine letzte Chance. Er heulte auf, als Parker sein Gewicht auf den linken Fuß verlagerte. Da der Fuß auf Pimlays Hand zu stehen kam, fühlte der falsch spielende Anwalt sich
im wahrsten Sinn des Wortes unter Druck gesetzt und nahm von seiner Absicht Abstand. »Wir wollen die Dinge doch nicht auf die Spitze treiben«, sagte der Butler dann gemessen. »Nehmen Sie Sol mit, Mr. Pimlay! Vielleicht nehmen Sie ein erfrischendes Bad, bis die Polizei eintrifft.« Parker öffnete die Tür neben der Beobachtungsoptik und versetzte Sol einen leichten Stoß. Er fiel zu Boden und rollte dann in die kleine Schwimmhalle. Pimlay folgte seinem Faktotum zögernd und geriet, was er vergessen hatte, auf das immer noch vorhandene »Glatteis«, für das Kathy verantwortlich zeichnete. Pimlay schlitterte auf seine Freunde zu, verlor das Gleichgewicht, schrie gellend auf und landete kopfüber im Wasser. Parker schloß die Tür und begab sich außer Sichtweite. Für ihn war dieser Fall erledigt. * »Natürlich kommen Sie wieder mal zufällig vorbei«, sagte Agatha Simpson spöttisch. »Nehmen Sie Platz, junger Mann, äh, ich wollte sagen, Mr. McWarden.« »Ich komme nicht zufällig vorbei«, erwiderte der Superintendent gereizt wie immer. »Ich möchte einige Fragen stellen.« »Eine Erfrischung, Sir?« erkundigte sich Parker. »Nein. Das heißt, gegen einen Sherry hätte ich nichts einzuwenden. Ja, danke! Ich möchte Ihnen mitteilen, daß Healers mich vor anderthalb Stunden ins Untersuchungsgefängnis rufen ließ.«
»Er hat ein Geständnis abgelegt?« Agatha Simpson beugte sich neugierig vor. »Er beschuldigt Sie, Mr. Parker, des hinterlistigen Betruges.« »Sie sehen mich bestürzt und erstaunt, Sir.« »Sie sollen sich in der Maske Pimlays bei ihm ins Vertrauen geschlichen haben. Aber Healers hat das sofort durchschaut und Ihnen allerhand Märchen aufgebunden. Behauptet er wenigstens. « »Der Sherry, Sir.« »Was haben Sie zu dieser Anschuldigung zu sagen, Mr. Parker?« wollte McWarden wissen. »Auch etwas Gebäck, Sir?« fragte Parker gemessen. »Ich will kein Gebäck, ich will die Wahrheit wissen!« »Glauben Sie wirklich, Sir, daß das Gefängnispersonal sich derart täuschen ließ?« erkundigte sich Parker höflich. »Das hieße doch, den zuständigen Beamten ein schlechtes Zeugnis auszustellen.« »Das stimmt allerdings.« McWarden grinste. Er hatte verstanden. »Sie können mir doch von dem Gebäck geben. Da wäre noch etwas. Nach meinen Informationen scheint seit einigen Stunden so etwas wie ein Ausverkauf in Gangstern stattgefunden zu haben.« »Was soll ich mir denn darunter vorstellen?« wunderte sich die Hausherrin sichtlich amüsiert. »Man munkelt in Kreisen der Unterwelt, alle Mitglieder der Healers-Gang seien wie vom Erdboden verschwunden. Klingt recht eigenartig, nicht wahr? « »Vielleicht unternehmen die betreffenden Herren einen Betriebsausflug,
Sir, falls mir diese volkstümliche Umschreibung gestattet ist.« »Aha. Und wohin könnte dieser gemeinsame Ausflug geführt haben?« »Noch etwas Sherry, Sir?« »Wo könnten diese Typen sich aufhalten?« fragte McWarden noch mal und ließ den Butler nicht aus den Augen. »Sie feiern sicher so etwas wie eine Badeparty«, schaltete sich die ältere Dame ein. »Möglicherweise im Haus des Mr. Pimlay«, fügte der Butler hinzu. »Aber das sind nur Vermutungen, Sir.« »Vielen Dank für diese Vermutungen!« McWarden stand auf und wollte gehen. »Darf ich mir einen Hinweis erlauben, Sir? « ließ der Butler sich vernehmen. »Was kommt denn jetzt noch?« McWarden blieb stehen. »Man sollte diese Party vielleicht nicht vorzeitig stören, Sir. Sie ist erst vor einigen Stunden begonnen worden. Könnte ich mir wenigstens vorstellen.« »Und warum sollte man noch nicht stören?« »Vielleicht verbessert sich das allgemeine Klima«, sagte der Butler, »geistig wie materiell, wenn ich es so umschreiben darf.« »Was habe ich mir denn darunter vorzustellen?« McWarden setzte sich wieder und griff nach dem Gebäck. »Saunatemperaturen, Sir, regen das allgemeine Mitteilungsbedürfnis an«, entgegnete der Butler, der im Gegensatz zu McWarden genau wußte, wovon er redete. Vor dem Verlassen des Hauses hatte er den Temperaturregler für das Wasser im Schwimmbecken auf die höchste Stufe gestellt, ebenfalls die Klimaanlage. Seiner Berechnung nach
vernehmen. »Es gibt saftige Steaks, wie ich von Mr. Parker hörte.« »Diese Einladung nehme ich dankend an«, antwortete der Superintendent. »Aber vorher möchte ich doch kurz meine Dienststelle anrufen. Mein Appetit wird besser sein, wenn meine Leute Coxtons Bande überwachen.« »Ein durchaus akzeptabler Vorschlag«, sagte Josuah Parker gemessen. »Noch einen Sherry, Sir?« »Gern, Mr. Parker.« McWarden prostete der Detektivin zu. »Ich fühle mich wohl wie seit langem nicht, Mylady.« »Nun übertreiben Sie nicht gleich wieder«, raunzte die resolute Dame. »Beherrschung, junger Mann, lassen Sie sich nicht gehen! Was ist schon dabei, solch eine Bande auffliegen zu lassen? Wissen Sie, wonach ich mich sehne?« »Mylady? « »Nach einem richtigen Kriminalfall«, schloß Agatha Simpson. »Ich möchte endlich mal was erleben.«
mußten in der Schwimmhalle inzwischen tropische Hitzegrade herrschen. »Und die Partygäste können nicht etwa Hals über Kopf verschwinden?« sorgte sich McWarden nun doch ein wenig. Die verheißene Beute sollte ihm nicht durch die Lappen gehen. »Auf keinen Fall, Sir! Ein gewisser Mr. Archie Coxton macht sich ein Vergnügen daraus, die Party abzuschirmen.« »Coxton? Das ist doch die Höhe!« McWarden stand wieder auf. »Sie lassen Gangster von Gangstern bewachen?« »Da man sich gegenseitig nicht grün ist, Sir, dürfte dieses Verfahren erfolgreich sein.« McWarden lachte und schüttelte dann den Kopf. »Ich höre das alles sehr wohl«, sagte er später, »aber ich glaube es einfach nicht.« »Sie sind herzlichst zum Abendessen eingeladen«, ließ die Gastgeberin sich
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Günter Dönges schrieb für Sie den nächsten Nr. 159
Mylady düpiert die Gangster Lady Agatha Simpson reagierte sehr allergisch, als der schwere Lastwagen sie behinderte. Als begeisterte Autofahrerin, deren Kurventechnik schon sprichwörtlich geworden war, wollte sie sich nicht die Vorfahrt nehmen lassen. Der Lastwagen rammte einen anderen Wagen und brachte einen bekannten Jockey ums Leben. Bevor dieser Mann aber endgültig starb, konnte er Mylady gerade noch einen vagen Tip geben. Aus ihm ging hervor, daß dieser Unfall kalt geplant war. Der Jockey schien sich nicht an gewisse Abmachungen gehalten zu haben. Die resolute Dame aktivierte Butler Parker, der wieder mal Verwicklungen fürchtete und dann auch nicht enttäuscht wurde. Zusammen mit Lady Agatha und Kathy Porter geriet er an eine Art Turf-Mafia, die interessant manipulierte und Jockeys und Rennstallbesitzer unter Druck setzte. Wer nicht mitspielte oder aussteigen wollte, lebte nicht mehr lange. Einen passenden Lastwagen fand man immer schnell. Butler Parker nahm sich dieses Falles an und mußte einiges investieren, bis er den Boß vom Pferd holen konnte. Dabei durfte er Lady Agatha nie aus den Augen lassen, denn seine Herrin zeichnete sich wieder mal durch Ungewöhnlichkeit und Skurrilität aus. Daß sie sogar plötzlich Rennstallbesitzerin wurde, sei nur am Rande vermerkt. Sie fand immer Mittel und Wege, sich für diese Turf-Mafia interessant zu machen. Der ZauberkreisVerlag veröffentlicht einen weiteren Parker-Krimi mit Komik, Witz und Hochspannung! Als Neuauflage erscheint ®Butler Parker Nr. 127
PARKER klopft dem »Paten« auf die Finger ebenfalls von Günter Dönges.