ROLF ULRICI
Neue GESPENSTER
Geschichten
Inhalt
Drei lustige Schloßgespenster
9
Im Geistertal, da ist was los
23...
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ROLF ULRICI
Neue GESPENSTER
Geschichten
Inhalt
Drei lustige Schloßgespenster
9
Im Geistertal, da ist was los
23
Fünf kleine Teufelchen
35
Eine geisterhafte Geschichte
49
Beim Herrn Minister spukt es
64
Besuch beim ,Großen Zauberer'
74
Der boshafte Knopfabbeißer
81
Die Abenteuer des ,Sorgenvollen Mülleimers'
90
Geistertanz
100
Drei lustige Schloßgespenster Überall entstehen Hochhäuser, Garagen, Flughäfen und Autostraßen. Die alten Gebäude sinken in Trümmer und begraben die Vergangenheit unter sich. Da wird ein stillgelegter Bahnhof gesprengt, hier eine Reihe von schiefen, dunklen Häusern und dort — zum Beispiel - ein verfallenes, altes Schloß. Und doch wurde einst in diesem Schloß dem Kaiser Napoleon auf der Durchreise ein Zahn gezogen. Viele Jahre zuvor gehörte es einem freundlichen, dicken Herzog, dessen
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Ehrgeiz es war, immer dicker und dicker und dicker zu werden. Später verbrachte eine kleine Prinzessin ihre Kindheit in dem Schloß. Wer kümmerte sich um Napoleons Zahn, um den dicken Herzog und um die kleine Prinzessin? Das Amt für Denkmalspflege gewiß nicht. Die Herren Denkmalspfleger sagten sogar, und sie sagten es sehr ernst: „Dieses Gebäude ist nicht schutzwürdig ... !" Also kamen die Arbeiter - und bumm ... peng ... prasselmassel ... sprengten sie das Schloß in die Luft. Aber Kaiser Napoleons Zahn ... ? Aber die Gürtelschnalle des dicken Herzogs ... ? Aber die Locke der kleinen Prinzessin ... ? Was wurde aus ihnen? Sie hatten doch all die Jahre in dem Schloß gespukt! Klar ist, daß man den Zahn eines Kaisers nicht mit einem gewöhnlichen Zahn vergleichen kann. Auch die Gürtelschnalle des dicken Herzogs war von gespenstischer Bedeutung. Der Herzog hatte nämlich nur den einzigen Ehrgeiz gehabt, dicker, dicker und immer noch dicker zu werden. Zuletzt waren sechs Ritter nötig gewesen, diese Gürtelschnalle zu schließen. Und das ist die ungewöhnliche Geschichte einer Locke: Die Haarlocke der kleinen Prinzessin schimmerte golden. Eines Tages, als die Prinzessin aus einem der unteren Fenster schaute, kam ein Bäckerjunge vorbei. Er sah die Prinzessin, sah das goldene Haar und fragte staunend: „Mensch, ist das echt?" Er sagte ,Mensch' zu der kleinen Prinzessin, und er hatte schließlich auch ganz recht. Sie war keine Fee, sie war ein Mensch. „Mein Haar ist echt, genau wie deins", sagte die kleine Prinzessin.
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Da lachte der Bäckerjunge. Er wußte sich vor Freude kaum zu fassen. Und da es gerade geregnet hatte sprang er von einer Pfütze in die andere. Schließlich war er ganz naß vor Lachen, wegen der Lachtränen und wegen der Pfützen. „Mein Haar ist aber nicht golden, wie du siehst", höhnte er. „Es ist braun, außerdem schmutzig. Meine Freunde und ich, wir haben nämlich gerade mit Dreck geschmissen." Die Prinzessin wußte nicht, was „Dreck" bedeutete. Auch kannte sie den Ausdruck „geschmissen" nicht. Ihre Erzieherin hätte gesagt: „Die garstigen Straßenbuben haben sich gegenseitig mit feuchtem Erdreich beworfen." Und sie hätte natürlich hinzugefügt: „Pfui, pfui, pfui!" „Kannst du mich nicht auch mal mit Dreck beschmeißen?" fragte die kleine Prinzessin ahnungslos. „Aber klar!" rief der Bäckerjunge begeistert. Und er warf der Prinzessin ein paar Hände voll Matsch ins Gesicht, bis sie wie eine Schokoladenpuppe aussah; und ihr Haar war jetzt nicht mehr golden. Da wußte sie, was Dreckschmeißen bedeutet. Und weil es wehgetan hatte, fing sie an zu weinen. Sie heulte - und nicht zu knapp. Da wurde dem Bäckerjungen angst und bange. Er reichte der Prinzessin sein furchtbar schmutziges Taschentuch hinauf und holte in einem Eimer frisches Wasser vom Brunnen, damit sie sich waschen konnte. Als die Prinzessin wieder einigermaßen sauber war, fragte er: „Sind wir jetzt Freunde?" „Ja", sagte die Prinzessin. „Denn du hast mich mit Dreck beschmissen, wie du es auch mit deinen anderen Freunden getan hast. Das gehört doch zur Freundschaft, oder nicht?" „Bei uns schon, wir nehmen so was nicht übel." „Ich auch nicht", erklärte die Prinzessin. „Schade, daß kein Dreck im Schloß ist, sonst könnte ich dir auch welchen ins Gesicht schmeißen."
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Aber da erschien hinter der Prinzessin die strenge Erzieherin. „Hoheit, du bist unartig!" rief sie erbost. „Fort mit dir, du schmutziger Gassenbube!" Und sie schloß das Fenster, so daß die Scheiben klirrten. Dem Bäckerjungen aber ging das Mädchen mit den goldenen Haaren nicht mehr aus dem Sinn. Furchtbar nettes Mädchen, dachte er. An der ist eine gute Dreckschmeißerin verlorengegangen. Schade auch, daß sie kein Junge ist! Und er strich zwei Monate lang täglich unter ihrem Fenster entlang, in der Hoffnung, die Prinzessin zu sehen. Eines Tages schaute die Kleine wieder heraus: „Pst, pst - huhu!" rief sie. „Meine Erzieherin ist verreist, jetzt können wir wieder schmeißen! Kannst du mir nicht ein paar Eimer voll Dreck aufs Fensterbrett stellen?" Der Bäckerjunge wurde sehr verlegen. „Hoheit - oder wie das heißt", sagte er, „du hast doch Augen im Kopf, oder?" „Ja, natürlich, das siehst du doch!" „Dann wirst du auch sehen, daß die Straße heute staubtrocken ist. Die Sonne brennt vom Himmel, alles ist ausgedörrt, nirgends gibt es Matsch, den man schmeißen könnte." „Schade!" rief die Prinzessin. „Ich hatte mir nämlich fest vorgenommen, nicht zu heulen." „Was machen wir denn da?" fragte der Bäckerjunge. Doch während er überlegte, fiel ihm wieder der herrliche Goldglanz ihres Haares auf. „Weißt du was", rief er. „Du schneidest dir eine Locke ab, und ich geb' dir dafür ein paar von meinen Borstenhaaren." „Au, fein", rief die Kleine. Bald erschien sie mit einer Schere am Fenster, machte - schnipp - und warf dem Jungen die goldschimmernde Locke zu. Der Bäckerjunge riß sich ein
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Büschel Haare aus, wickelte es in einen rasch abgerissenen Hemdfetzen und reichte ihr das Bündel über das niedrige Fensterbrett hinauf. „Wunderbar!" jubelte die Prinzessin. Sie meinte, einen guten Tausch gemacht zu haben. Es dauerte nicht lange, da versammelten sich sämtliche Freunde des Bäckerjungen vor dem Schloßfenster - und alle wollten eine goldene Locke haben. Die kleine Prinzessin schnipselte eifrig mit der Schere auf ihrem Kopf herum, warf ihr schönes Haar in kleinen, seidigen Kringeln hinunter und war glücklich, daß sie den Jungen eine Freude machen konnte. Schließlich sah sie aus wie eine Maus, kahlgeschoren wie ein Sträfling. Nun ist es aber wirklich nicht schön, wenn ein hübsches Mädchen einen Mauskopf hat. Ein Mädchen, und gar eine Prinzessin, ist ohne Haare undenkbar. So ertönte denn auch ein gellender Schrei hinter der glatzköpfigen, kleinen Hoheit. Die Erzieherin war überraschend von der Reise zurückgekommen, und sie riß das Mädchen vom Fenster weg. Die kleine Prinzessin war eben im Begriff gewesen, ihre el tzte Locke einem Jungen zuzuwerfen. Die Locke fiel hinunter auf den Fußboden, und dort blieb sie unbeachtet liegen, während die Erzieherin einen Schreikrampf bekam. Die Locke war, wie gesagt, die letzte gewesen, und an letzten Dingen haftet immer etwas Ge spenstisches. Sie rutschte beim nächsten Ausfegen unter die Wandleiste. Dort klaffte ein breiter Spalt, in dem sogar die Gürtelschnalle des dicken Herzogs einst unbemerkt verschwunden war, und - wie hätte es anders sein können, auch Kaiser Napoleons Zahn. Als nach einigen Jahren die Prinzessin groß geworden war und ihren buckligen, bösartigen, schielenden, kurzhal-
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Ihr goldschimmerndes Haar schenkt die kleine Prinzessin den Jungen. Aber die letzte Locke..
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sigen, langarmigen, hämischen, dummen, liederlichen, prunk- und trunksüchtigen Vetter heiraten mußte, wurde das Schloß geräumt und von zwanzigtausend Spinnen, dreiunddreißig Fledermäusen und einem Eulenpaar zum Altersheim erkoren. Da aber erwachten die Gürtelschnalle, des Kaisers Zahn und die goldene Locke zu gespenstischem Leben. Es begann damit, daß die Locke weinte. „Wenn ich so an die kleine Prinzessin denke...", schluchzte sie. „Und ich ...", grunzte die Gürtelschnalle. „Wenn ich an meinen Herzog denke..." „Und ich an meinen Kaiser!" rief Napoleons Zahn. „Wir haben lange genug geschlafen", erklärte die Gürtelschnalle in tiefstem Baß. „Zeit, daß wir spuken." „Spuken?" fragte der Zahn. „Wie willst du das tun? Wie soll ich das machen? Und du meinst etwa, die kleine goldene Locke jagt irgend jemandem einen Schreck ein?" „Das laß nur meine Sorge sein", erwiderte die Gürtelschnalle, während sie sich ächzend durch den Spalt schob. Und sie rief — wie ihr dicker Herzog immer gerufen hatte, wenn er zum Essen gegangen war: „Mir nach!" Zahn und Locke folgten. Und nun lagen sie alle drei nebeneinander auf dem Fußboden des schauerlich-kahlen Schloßsaales. Der Zahn schimmerte gelb vor Alter. Die Locke leuchtete wie ein Glühfädchen, und die Schnalle, an der ein Gürtel aus Kettengliedern befestigt war, blinkte ab und zu so rot wie ein Warnlicht. „Gespenster", erklärte die Gürtelschnalle wichtig, „müssen natürlich wie Gespenster aussehen. Ich weiß das aus früheren Tagen, als hier noch eine Ritterfrau spukte. Die kam immer in einem langen, wallenden, weißen Kleid,
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einem Nachthemd, glaube ich. Manchmal trug sie auch was Weißes über dem Kopf." „Wie kann ich was Weißes über dem Kopf tragen, wenn ich nur ein Zahn bin?" fragte Napoleons Zahn. „Und ich, wo ich nur eine Locke bin?" fragte die Locke. „Und du, wo du doch nur eine Gürtelschnalle bist?" „Ihr versteht nichts von Gespenstern", sagte die Gürtelschnalle. „Gespenster brauchen keinen Kopf. Noch vor der Rittersfrau spukte hier ein kopfloser Koch. Den hatte der erste Schloßherr enthaupten lassen, weil er aus dem Schweinebraten die Fischgräten nicht rausgenommen — und weil er am Fisch das Geweih drangelassen hatte." „So was gibt's nicht!" rief Napoleons Zahn. „Ich als Zahn verstehe etwas vom Essen. Schweinebraten mit Fischgräten ..." „Na, ja", unterbrach die Gürtelschnalle. „Ist ja auch nicht so wichtig. Jedenfalls gespensterte mal ein Koch ohne Kopf herum. Mein Herzog, dem ich als Gürtelschnalle diente, hat sich oft mit ihm unterhalten. Es kommt bei Gespenstern nicht auf den Kopf an, es kommt darauf an, daß sie möglichst gespensterhaft aussehen." „Aber ich sehe bestimmt nicht gespensterhaft aus!" rief die Locke und fing wieder an zu weinen. Sie ringelte sich trostsuchend um die Gürtelschnalle. Die wiegte sie, wie man ein Baby wiegt, und sang dabei beschwichtigend im Brummbaß: „O Löckchen, daß du's weißt, Du wirst ein schöner Geist -" Da verstummte die Locke. „Nur keine leeren Versprechungen!" mahnte Napoleons Zahn. „Mein Kaiser hat oft welche gemacht und wußte später nicht mehr, wie er sie erfüllen sollte!"
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„Als Gürtelschnalle des dicksten Herzogs, der wohl jemals gelebt hat", sagte die Gürtelschnalle, „bin ich klüger als du. Die halbe Tierwelt ist gekocht, gesotten, haschiert oder als Suppe an mir vorbeigeglitten. Und der weise Bauch des Dicken hat mir manches zugebrummt. Und wenn ich gar an den Rotwein denke, der mich Tag für Tag beim Essen angegluckert hat..." „Was hat er denn gegluckert?" fragte die Locke neugierig. „Sonderbare Dinge", sagte die Gürtelschnalle ernst. „Zum Beispiel, daß es Wäsche-Autos geben wird. Im Wein ist Wahrheit, hat er gegluckert. Und wenn das so ist, brauchen wir nur aufs Fensterbrett zu schweben und zu warten, bis ein Auto mit Bettlaken vorbeikommt." Die Gürtelschnalle, der Zahn und die Locke schwebten also auf das Fensterbrett. Es geschah, wie die Gürtelschnalle gesagt hatte: Bald kam ein Wäscheauto die Straße entlang. Im Fahren öffnete sich die hintere Tür - und schwupp -flatterten drei Bettlaken heraus und durch die schmutzigen Fenster des Schlosses. Es waren drei Bettlaken aus dem Kombiwagen der Firma „Weiß & Bunt", und der Fahrer des Autos hatte natürlich nichts gemerkt. Es war auch ganz normal, daß die Tücher schnurstracks aus dem Wagen ins Schloß geflogen kamen, denn Gespenster - oder solche, die es werden wollen - üben eine furchtbare Anziehungskraft auf Bettlaken aus. „Ja, aber was nun?" fragte die Locke. „Wie sollen wir die Laken als Gespenstertücher tragen? Das geht doch nicht! In so ein Tuch passen die Locken von tausend Prinzessinnen hinein." „Und die Zähne von fünftausend und mehr Kaisern", sagte Napoleons Zahn. „Ihr versteht noch nichts von Gespensterei!" rief die Gürtelschnalle verzweifelt. „Paßt auf. Mit meinem scharfen
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Dorn schneide ich in ein jedes Tuch ein Paar Augenlöcher, dann sind die Hüllen fertig." Kaum hatte die Schnalle in jedes Laken zwei Augenlöcher geschnitten, da richteten sich die Tücher auf, als wären sie mit Gas gefüllte Luftballons. „Gespensterei ist schrecklich einfach", bemerkte die Gürtelschnalle. „Jetzt schneid' ich den Hüllen noch ein paar breite Mundöffnungen. So. In eine springt der Zahn. Siehst du! Nun bist du ein richtiges Gespenst! Auf den Kopf der zweiten Bettlakenhülle schwebt die Locke! Prima! Primis -sima! Ein herrlicher Anblick. Und um den Bauch der dritten Hülle lege ich mich mit meinen Kettengliedern!" Es war wirklich sehr einfach. In der Gespensterei ist alles möglich. Arme, Füße, Augenflimmern - das ergibt sich ganz von alleine; ein Gespenst braucht nicht zur Schule gehen, es braucht keinen Freischwimmerschein, keine Pilotenprüfung, keinen Führerschein und keine Gesellenprüfung. Napoleons Zahn schimmerte gelb in der Mundöffnung der Bettlakenfigur, die Locke leuchtete munter auf dem Kopf des grinsenden zweiten Ungetüms, und die Schnalle nahm sich elegant auf dem Bauch des dritten aus. Jetzt schwebten, tappten und wirbelten die drei vollendeten Gespenster eine ganze Nacht hindurch vom Keller bis zu den Dachkammern des Schlosses, über sämtliche Treppen, durch alle Zimmer und alle Geheimgänge - und sie hatten einen Riesenspaß daran. Dann aber - in der nächsten Nacht - fiel ihnen ein, daß es keine Seele im ganzen Schloß gab, die sie erschrecken konnten. Sie setzten sich in die Halle und hielten Kriegsrat. „Wenn Gespenster niemanden erschrecken können, sind sie überflüssig", meinte das Gürtelschnallen-Gespenst düster. „Wir haben uns nicht extra zu Gespenstern gemacht, um überflüssig zu sein."
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Schnürtet, Nappi und das kleine Buhuhu gespenstern lustig im alten Schloß herum „Ich weiß etwas", rief das Zahngespenst. „Wir erschrecken uns gegenseitig. Jeder von uns setzt sich in einen Saal oder einen Keller oder auf das Dach und läßt sich von den anderen erschrecken." „Fabelhafte Idee!" begeisterte sich das Schnallengespenst. „Los Lockengeist, aufs Dach mit dir!"
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„Ich habe Angst", zitterte das Lockengespenst. „Auf dem Dach weht der Wind, da könnte meine Locke davonfliegen." „Dann geh' in den Keller!" befahl das Zahngespenst. „Und die Schnalle schwebt aufs Dach." So spielten die drei Gespenster „Gespenster" - wie Kinder „Gespenster" oder „Blinde Kuh" spielen. Sie erschreckten sich gegenseitig. Die Gürtelschnalle lauerte auf dem Dach, nahm ihre Gürtelschnalle ab und trug sie in den Bettlakenarmen, um das Zahngespenst zu fangen, falls es käme. Aber das Zahngespenst war schlauer. Es kam auf das Dach gehuscht und hielt dem Schnallengeist die Augenlöcher zu. „Wer bin ich?" flötete es. „Das Lockengespenst", meinte der Schnallengeist, denn der Zahn hatte seine Stimme verstellt. „Hihihi - huhuhuuuuu", lachte der Zahngeist. Als das Schnallengespenst erkannte, daß es sich geirrt hatte, wurde es furchtbar zornig. Es klirrte mit der Gürtelkette, holte aus und schlug der Lakengestalt den Zahn aus dem Mundspalt. „Mich, eines Kaisers Zahn, wagst du zu schlagen?" rappelte der Zahn auf den Steinen des Dachgartens. „Kaisers Zahn", höhnte der Schnallengeist. „Ein Beißerchen bist du, ein Beißerchen." „Du jammervolle Gürtelschnalle", rief der Zahn, er knirschte sogar, indem er auf dem Steinboden hin und her wetzte. „Du Schnürtel..." Vor Aufregung hätte er beinahe statt Gürtelschnalle „Schnürtelgalle" gesagt. „Ha, ha, ha", lachte die Schnalle. „Schnürtel ist gut! Und da ein Gespenst einen Namen braucht, will ich ihn gleich behalten. Ich heiße von jetzt an Schnürtel!" Der Zahn sprang wieder in den Mund seiner Geisterhülle. „Und wie heiße ich?" fragte er. „Hm. Nach dem Kaiser Napoleon. Wir kürzen das Wort Napoleon ab und nennen dich Nappi."
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„Nappi? Fein! Schnürtel und Nappi - ich glaube, das sind richtige Gespensternamen. So heißt kein Mensch. Aber wie nennen wir den Lockengeist?" „Locki", meinte Schnürtel. Oder Locus. Das ist lateinisch und heißt ,der Ort'." Sie schwebten in den Keller und wollten zunächst einmal das Lockengespenst erschrecken. Doch das saß in einer Ecke und bibberte vor Angst. „Eine Fledermaus ist hier gewesen und hat sich auf meine Locke gesetzt", piepste das Lockengespenst. „Wenn sie noch einmal kommt, falle ich in Ohnmacht." „Erstens fällt ein Gespenst nicht in Ohnmacht", erklärte die Gürtelschnalle, „zweitens sind Fledermäuse die besten Geisterfreunde. Ich denke, sie hat dir einen Höflichkeitsbesuch abgestattet. Wie war's, wenn wir dich Locki oder Locus nennen würden. Locus ist lateinisch und bedeutet..." „Nein!" schrie das Lockengespenst. „Ich bin von edelster Abstammung. Nichts mit lateinischen Orten! Ich will wie meine Prinzessin heißen: Sie hieß Schwana-Juliana-Ping-pangporia-Regina." „Quatsch", brummte Schnürtel. „Und wenn man sie zehnmal so genannt hat, das ist kein Gespenstername." Das Lockengespenst begann zu weinen. „Buhuhu", weinte es. „Buhuhu ..." „,Buhuhu", rief Nappi. „Da haben wir's. ,Buhuhu' paßt! .Schnürtel', ,Nappi', ,Buhuhu' Damit erschrecken wir die ganze Welt." Jetzt lachte das Lockengespenst. „Abgemacht!" rief es. „Ich bin das kleine Buhuhu!" Doch bevor die drei dazu kamen, die Menschen zu erschrecken, flog das Schloß mit Donnergetöse auseinander. An der Stelle des alten Gemäuers sollte eine moderne Wohnsiedlung entstehen, und so hatte man es einfach ge-
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sprengt. Natürlich waren vorher Leute von einer Baufirma dagewesen, auch der Sprengtrupp hatte seine Ladungen erst nach genauester Besichtigung angebracht. Doch von allem hatten die Gespenster - da es bei Tage geschah - nichts gemerkt. Im Dachgebälk eines Türmchens lagen sie unsichtbar und „abgeschaltet" verborgen, als wären sie gar nicht da, als eines Morgens gegen fünf Uhr dreißig ein dicker, braver Mann namens Hans-Eduard Prassel in die Warn tute blies: Tuuut - Tuuut - Tuuut -
Herrje, das Schloß fliegt in die Luft! Und was ist mit den Gespenstern, die darin wohnen?
Beim dritten Male machte es „ Wumm"! Und das Dach und die vielen Teildächer und Dachteile und die Türme und Seitentürme in ihren Neben- und Aufsatztürmchen und Schornsteine flogen in die Luft. Die Vorder-, Hinter-, Längs- und Quermauern samt ihren Außen-, Vorder-, Hinter-, Seiten- und Kellertüren barsten, die Treppen und Kamine sausten herab - und die Glasscherben pfiffen wie Geschosse und Hagelkörner durch die Gegend. Zunächst versperrte eine gewaltige Staubwolke die Sicht. Dann sah man dort, wo das Schloß gestanden hatte, nur Trümmer und aufgeschreckt umherflatternde Fledermäuse. Die drei Gespenster sausten mattflimmernd über den Mann mit der Warntute hinweg. Sie streiften ihn dabei, daß er vor Schreck noch einmal „Tuuuut..." machte, dann landeten sie erschöpft auf einer einsamen Landstraße. Seufzend richteten sie sich auf. „Buhuhu", jammerte Buhuhu, „buhuhu, was nun, was nun ..."
Im Geistertal, da ist was los Ratlos, nur schwach sichtbar wie hauchdünne Nebelwölkchen, schwebten die drei Gespenster auf der einsamen Landstraße dahin. „Buhuhu, was sollen wir tun?" heulte das Buhuhu-Gespenst. „Krrr", machte Schnürtel wütend und ratlos. Und das Zahngespenst Nappi biß sich vor Zorn dorthin, wo bei einem Menschen die Unterlippe gewesen wäre. Plötzlich stand ein Mann mit einem schwarzen Bart und einem hohen Zylinderhut vor ihnen. Er hob einen Stab, der wie eine Schlange aussah und auch tatsächlich lebendig zu
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sein schien, denn er bewegte das Kopfende hin und her und zuckte. „Halt!" sagte der Mann mit schauerlicher Stimme. Und er fügte in einem noch gräßlicheren Ton hinzu: „Ihr seid drei Gespenster ohne Schloß und Fenster!" „Wie können Sie uns sehen, wo wir bei Tag kaum die Geisterkraft haben, uns sichtbar zu machen?" fragte Schnürtel.
„Weil ich ein Zauberer bin", rief der unheimliche Mann mit Donnerstimme. „Daß ihr glaubt, was ich euch flöte, wandelt euch in eine Kröte!" Und schwupp saßen die drei Gespenster als eine einzige Kröte mit drei Köpfen vor dem finster blickenden Mann. Der eine der Krötenköpfe erinnerte an die Gürtelschnalle, der zweite trug die Locke Buhuhus, und der dritte Kopf hatte den gelben Zahn im Maul. „Was soll das?" krächzten die drei verwandelten Gespenster mit Krötenstimme. „Bist du ein Gespensterfeind, du alter, unverschämter Spitzbart du, mit deinem scheußlichen Schlangenstock?" „Ich sagte ja, ich bin ein Zauberer", lachte der Mann -und sein Lachen klang schaurig. Doch auf einmal kicherte er versöhnlich. Aufs neue schwenkte er seinen Zauberstab. Dabei rief er der dreiköpfigen Kröte zu: „Brauchst nicht länger mehr zu quaken hüll dich wieder in drei Laken!"
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Schwupp - standen Schnürtel, Buhuhu und Nappi wieder als schwach erkennbare Bettlakengespenster da. „Ich wollte nur mal sehen, ob mein Zauberstab noch funktioniert", sagte der Zauberer. „Er hat nämlich seit vielen Jahren nicht mehr richtig gezaubert, jedenfalls nichts Großes mehr. Und seit ich keinen Wohnsitz mehr habe ..." „Bist du auch obdachlos?" riefen die drei Gespenster im Chor. „Ja. Ich komme aus einem Land, in dem früher ein dichter
Mit seinem Schlangenstab verwandelt der Zauberer die drei Gespenster in eine dreiköpfige Kröte
Wald stand. Da konnte ich aus Hunden Königssöhne zaubern und aus Bären nette, junge Prinzen - und umgekehrt. Ich war kein großer Zauberer, nur ein Hin- und Rückzauberer, versteht ihr? Aber jetzt haben sie den Wald verwüstet und eine Mondraketen-Abschußrampe aufgestellt. Gegen diesen Riesenzauber komme ich mit meinem müden, kleinen Zauberstab nicht an!" „Ja, und nun?" fragte Schnürtel. „Ich muß mir einen anderen Wald suchen, wo ich hin und wieder aus einem Jäger einen Wilderer und aus einem Wilderer einen Jäger machen kann, das ist nicht so schwer, denn diese Leute sehen sich manchmal recht ähnlich. Ich würde auch arme, alte Pilzsammlerinnen etwas jünger zaubern, damit sie von den Menschen freundlicher behandelt werden. Mehr will ich nicht. Nur einen anderen Wald." „Und wir wollen ein anderes Schloß!" rief Nappi. „Ja", bestätigte das Buhuhu. „Nimm uns mit! Vielleicht ist in dem Wald, den du suchst, auch ein Spukschloß!" Der Zauberer schüttelte den Kopf. „Aus Wäldern machen die Menschen Anbaumöbel und Tierparks, da ist kein Zauber mehr drin. Aber eine Fledermaus hat mir erzählt, daß es ein Geistertal gibt, in dem sich alle obdachlosen Geister versammeln, um Rat zu halten. Dorthin will ich, und ihr könnt mich begleiten." „Au ja, prima!" riefen die drei Gespenster. Und Schnürtel fragte: „Kannst du uns mit deinem Zauberstab nicht schnell dorthin zaubern?" Der Zauberer seufzte. „Ich bin ein fauler Zauberer, mein Zauber wirkt nicht lange. Wir werden mit dem Bus fahren müssen." „Mit dem Bus?" staunten die Gespenster. „Ganz recht. Wie die Menschen, wenn sie billig reisen. Wir halten einfach einen Reisebus an!"
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Der faule Zauberer verwandelte sich in einen Polizisten, aus Schnürtel machte er einen Funkwagen ohne Motor, Nappi war das Blaulicht - und Buhuhu die Sirene. Und so hielten sie den Reisebus der Firma „Schiddewiddewind und Co. - billige Reisen ins Blaue" an, kurz: den „Schiddewiddewind-Expreß." „Was ist los?" fragte der Fahrer. „Unfall?" „Sonderfall!" sagte der Zauberer-Polizist. Er hob die Signalkelle, die sein verzauberter Zauberstab war, und sprach zu dem Fahrer:
„Reisebus, Geisebus, Geisterbus Geisterbus, der mir gehorchen muß!" „In Ordnung, steigt ein!" sagte der Fahrer. Die Bettlakengespenster hatten sich inzwischen wieder zurückverwandelt, denn der faule Zauber hielt ja bei diesem Zauberer nie sehr lange an. Sie sprangen allesamt in den Bus. „Huh!" kreischte eine Frau. „Gespenster! Gespenster" Und sie wollte unter den Sitz kriechen. Ein Herr, der laut rief: „Ich bin Amtsrichter!" wollte Schnürtel am Lakenzipfel packen, aber da bekam er die Eisenschnalle auf die Finger. „Aua!" schrie der Amtsrichter. „Aua! Ist dies eine Vergnügungsreise? Ist dies eine Fahrt ins Blaue?" „Buh!!" machte Buhuhu. Und Nappi ließ seinen Zahn blitzen. Da wurden die Reisenden still. „Abfahrt!" befahl der Zauberer, nun wieder im schwarzen Rock und Zylinder. Der Fahrer gehorchte. Auf ihn wirkte der Zauber noch. „Wenn ich doch kein so fauler Zauberer geworden wäre",
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seufzte der Zauberer. „Mein Zauberstab ist wieder ganz müde, und ich glaube, die Sache wird nicht lange funktionieren." „Laß mich mal mit dem Zauberstab reden", schlug das kleine Buhuhu vor. „Siehst du die goldene Locke auf meinem Kopf? Streich mit dem Zauberstab über die Locke, Gold wirkt immer, es müßte dem Zauberstab Kraft geben." Der Zauberer befolgte den Vorschlag, und das kleine Buhuhu redete mit zärtlicher Stimme auf den Zauberstab ein. Alsbald merkte der Zauberer, wie neue Kraft in den müden Stab schoß. Das geschah gerade zur rechten Zeit. Die Reisenden warfen bereits mit ihren Schuhen nach den Gespenstern, und der Fahrer hielt an und schrie: „Raus mit euch, Gesindel!" Da hob der Zauberer seinen gekräftigten Zauberstab. Mit schrecklicher Stimme befahl er den Reisenden: „Ihr sollt euch nicht erheben bleibt an den Sitzen kleben!" Und die Leute klebten mit ihren Kehrseiten wahrhaftig so fest an den Sitzen, als hätte jemand Tischlerleim darauf geschmiert. „Weiterfahren!" befahl der Zauberer dem Fahrer. „Endstation Geistertal!" „Jawohl, Geistertal", murmelte der Fahrer so selbstverständlich, als ginge es nach „Bad Erkältungsheim" oder zum „Luftkurort Auspuff". Und die nette, junge Beifahrerin, die wie eine Flug-Stewardeß gekleidet war, flötete durch den Lautsprecher: „Meine Damen und Herren, wir machen jetzt einen Ausflug in das herrliche Geistertal. Bitte bleiben Sie auf Ihren
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Plätzen kleben! Wir hoffen, Sie haben eine angenehme Fahrt!" Na, von „angenehm" konnte keine Rede sein. Es wurde auf einmal furchtbar dunkel draußen, und an den Fenstern zeigten sich Fische in allen möglichen Formen und Farben. Der Bus schwamm durchs Meer! Aber nicht lange, und er bewegte sich wieder über eine Straße. Der Reihe nach brachte er Hamburg, München, Bremen, Nürnberg, Lübeck, Augsburg, Flensburg, Garmisch, Hannover, Regensburg, Düsseldorf, Wien, Mainz und Bernau am Chiemsee hinter sich. Es versteht sich, daß die Wege in ein Geistertal nicht geradlinig sind. Finstere Nacht umgab sie, als sie das Ziel erreichten. Der Zauberer und die Gespenster stiegen aus. Zum Fahrer sagte der Zauberer: „Schiddewiddewind und Co. marsch, zurück zum Reisebüro!" Sofort brauste der Bus davon. Man hörte nur noch den übermü tigen Gesang der Reisenden, die wohl glauben mochten, sie hätten irgendwo zuviel Wein getrunken und nur deshalb „Gespenster gesehen". Der Zauberer und die Gespenster aber blieben in tiefer Finsternis und Einsamkeit zurück. Die Finsternis war so tief und die Einsamkeit so groß, daß sich selbst Gespenster fürchten konnten. „Buhuhu", bibberte Buhuhu. Nappi klapperte mit seinem einzigen Zahn, und Schnürtel rasselte besorgt mit seiner Gürtelkette. „Wenn ich nur nicht so ein fauler Zauberer wäre!" seufzte der Zauberer. „Ich weiß wieder nicht weiter. Wo mögen die Geister nur sein?"
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Da hallte eine Stimme wie ein Kanonenschuß durch die Nacht: „Hier...!!!!!!" Zugleich wurde das Tal durch Flutlicht erhellt wie ein Sportstadion. Der Anblick, den das Geistertal in diesem Licht bot, war furchtbar. Auf Ehre - kein Mensch hätte ihn überlebt! Da sah man alles, was ins Reich der Geister, Gespenster, Schauergestalten, Fabel- und Traumtiere, Kobolde, Giftzwerge, Rätseldinge und Zaubergegenstände gehörte. Das Flutlicht kam aus den Augen eines Drachen, der so groß wie ein Berg war. Und er war es auch, der „Hier!" geschrien hatte. Die drei Gespenster und der faule Zauberer sind im Geistertal angekommen. Aus den Augen eines riesigen Drachen schössen grelle Lichtblitze
„Was wollt ihr?" kreischte ein Kobold. „Wir sind obdachlos und wollen Rat mit euch halten." „Wir haben auch kein Zuhause mehr!" schrie der Kobold. „Du da, der mit dem schwarzen Hut, bist du ein Zauberer?" »Ja!« Nun wurden die Geister so unruhig, daß die Erde bebte. „Ein Zauberer! Willkommen!" brüllte der Riesendrache. „Du kannst uns helfen!!! Zaubere uns die Orte, an denen wir ungestört bleiben!" „Ich bin ein kleiner, fauler Zauberer", erwiderte der Zauberer. „Die Kraft, euch allen zugleich eine neue Heimat zu beschaffen, habe ich nicht. Aber ich werde mein Möglichstes tun. Erst muß ich euch allerdings kennenlernen." Der Drache sagte: „Früher war ich einmal wild - so vor Millionen Jahren. Dann bin ich eingeschlafen, und es hat mir nichts ausgemacht, daß man mich als Berg in den Landkarten verzeichnet hat. Auf meinem Rücken hängt ein Skilift, auf meiner linken Vorderpfote hat man ein Hallenbad errichtet, na, und Hotels trage ich wie die Kletten an mir herum. Aber nun wollten sie einen Autotunnel durch meinen Magen bohren, und das war mir doch zu viel. Mit aller Kraft, die ich noch aufbringen konnte, sprang ich hierher!" „Hm", überlegte der Zauberer. Er sah sich die übrigen Fabeltiere an. Dazu rechneten verjagte, schon ziemlich eingetrocknete Seeschlangen, lahme Riesenvögel, Pferde mit Adlerflügeln - kurz, Ungeheuer aller Art. Die Wundertiere dagegen sahen ganz normal aus, sie konnten sich im Gegensatz zu den Fabeltieren verwandeln, wie zum Beispiel der Pudel - oder sie trugen ein Geheimnis mit sich herum, wie der Goldesel. Der Goldesel spie Goldstücke, aber auch nur für den, der seinen Namen erriet. Doch wer errät schon einen Namen wie: Eselbeselceseldesel" und so weiter, bis „ ... zesel"?
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Zu den Zauberwesen, Spuk- und Schauergestalten rechnen die Hexen, Feen, Giftzwerge, Riesen oder anderes menschenähnliches Gelichter. Es folgen die Kobolde: Das sind ganz verrückte Tröpfe, mal groß, mal klein, teils lustig, teils grimmig, man muß sie sich wie Figuren aus dem Kasperl-Theater vorstellen - oder wie Heinzelmännchen. Sie wohnten früher auf Dachböden, auf alten Schiffen und in dunklen Lagerräumen. Wunderdinge sind Sachen: Zauberteppiche, Tanzende Schuhe, Besen, die jemand ganz allein und ohne Menschenkraft verhauen können, Siebenmeilenstiefel, Zauberkoffer und dergleichen. Zu den Kobolden zählten auch die fünf kleinen Teufelchen, die des Teufels Großmutter aus der Hölle verjagt hatte, weil sie - zu brav gewesen waren! Ja - und der kleine Knopfabbeißer! Er sah aus wie ein Knopf. Seine Augen bestanden aus winzigen Knopflöchern, sein Mund war ein Spalt. Der kleine Knopfabbeißer hatte schon vielen berühmten Leuten, sogar Kaisern und Königen, die Knöpfe abgebissen. Nun hatte er sich auf seinem Knopfhaufen für immer zur Ruhe setzen wollen - leider ausgerechnet an einem Fluß, der für die Schiffahrt ausgebaggert werden sollte! Dagegen gehörte der „Sorgenvolle Mülleimer" zu den Wunderdingen. Er hatte viele Falten vor Gram, und seine Klappe ging nur mühselig auf und zu. Nie hatte ein Mensch gemerkt, daß er weggeworfenes Blech in Silber, leere Flaschen in gefüllte und kaputte Schuhe in neue verwandeln konnte! Na, und dann das „Tischlein-deck-dich"! Das hätte ein Tölpel beinahe zerhackt, nur, weil es nach einem kleinen, alten Armeleutetisch aussah! Dabei konnte es Gänsebraten, Rotwein und alles mögliche andere herbeizaubern.
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„Er muß uns Geisterschiffe, Drachenhöhlen und Spukschlösser schenken!" schreit ein schauerlicher Pirat
„Tja", sagte der Zauberer. „Ihr alle braucht einen schönen Ruheplatz! Da die Menschen nun auch im Rabenberg einen Tunnel für ihre Straße bauen, ist guter Rat teuer!" „Beschwert euch beim König!" rief eine Piraten-Schauergestalt. „Er muß uns Geisterschiffe, Drachenhöhlen, Spukschlösser und andere Orte schenken!" Der Zauberer schüttelte den Kopf: „Könige sind selten geworden, und hierzulande gibt es nur einen Präsidenten. Aber halt! Es gibt auch einen Innenminister!" „Innenminister?" fragte der Drache. „Wofür ist der da?" „Für alles, was innerhalb des Landes geschieht - im Gegensatz zum Außenminister", erwiderte der Zauberer.
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„Dann geh zum Innenminister!" heulten die Fabeltiere, Wundertiere, Spukgestalten, Schreckenswesen, Zauberdinge und der Chor der Bettlakengespenster beschwörend. „Geh zum Innenminister, damit er für uns sorgt!" „Gut", sagte der Zauberer. „Ihr bleibt schön hier und macht keine Dummheiten. Ich gehe jetzt zum Innenminister!" Doch nicht alle hören auf den Zauberer. Sie waren zu ungeduldig, und sie brannten geradezu darauf, Dummheiten zu machen und den Menschen böse Streiche zu spielen...
Fünf kleine Teufelchen Die fünf kleinen Teufelchen - zum Beispiel - warteten nicht, bis der Innenminister etwas für sie tat. Sie waren vor fünftausend Jahren von ihrer Teufelsgroßmutter aus der Hölle gejagt worden, weil die alte Teufelsdame meinte: „Die sind mir zu brav. Brave Teufelchen sind keine richtigen Teufelchen. Also - fffffft, weg mit ihnen!" Die fünf Teufelchen hatten im tiefen, tiefen Wald fünftausend Jahre lang auf insgesamt fünftausend Bäumen fünf mal fünf mal fünftausendmal Wettklettern gespielt und sich dadurch recht gut die Zeit vertrieben. Eines Tages aber wurde der Wald abgeholzt, weil an seiner Stelle ein Flugplatz angelegt werden sollte. So saßen sie unversehens auf einer riesigen, kahlen Fläche. Zum Wettklettern war nichts mehr da, und als das erste Flugzeug landete, bekamen sie einen Mordsschreck. Sie glaubten, das brausende, schnaubende, feuerspeiende Ding sei ihre Teufelsgroßmutter, die sie wiederum verjagen wollte, weil sie fünftausend Jahre lang zu brav gewesen waren.
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So faßten sie sich an der Hand und rannten davon. Aber sie kamen in eine Stadt, in der „der Teufel los war", denn es herrschte gerade der sogenannte „Berufsverkehr", und die Autos mit ihren grellen Lichtern sahen ganz teuflisch aus. Sie versteckten sich auf einem Bauplatz und kamen erst in der späten Nacht, als alles ganz still war, wieder zum Vorschein. Das erste Teufelchen war das klügste. Es entschied: „Wir klettern auf ein rotes Dach und tun so, als seien wir fünf rote, kleine Schornsteine." Die fünf Teufelchen kletterten also auf das Dach eines fünfstöckigen Hauses, und als die Morgensonne schien, sahen sie wahrhaftig wie Schornsteine aus. „Da laufen lauter winzige Menschenkinder", stellte das erste Teufelchen fest. „Ja", sagte das zweite Teufelchen. „Und diese Menschenkinder sehen genauso brav aus wie wir fünf kleinen Teufelchen. Man könnte sie direkt liebgewinnen." „Nur haben sie keine Hörnchen auf dem Kopf", meinte das dritte Teufelchen. „Und sie sind weiß und haben keine Schwänzchen und keine Teufelsfüßchen", erklärte das vierte Teufelchen. „Aber wohin gehen sie?" fragte das fünfte Teufelchen. „Ha", lachte das erste Teufelchen. „Das ist nicht schwer zu erraten. Sie gehen in ein Teufelshaus, das ,Schule' heißt. Und darin sind sicher Teufelsmenschen, die aufpassen, daß die Kleinen unartig sind." „Umgekehrt", überlegte das zweite Teufelchen. „Bei den Menschen ist manches umgekehrt. Die Menschenkinder müssen brav sein, sehr brav, allzu brav, und sie müssen lernen, viel lernen, und das macht ihnen bestimmt keinen Spaß. Jetzt schärft mal alle eure Blicke und guckt durch die Glaswände, Fenster und Mauern. Was seht ihr da?"
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Wie Kamine stehen die fünf kleinen Teufelchen hoch oben auf dem Hausdach und sehen in das Klassenzimmer hinein
„Die Kinder hopsen herum", sagte das dritte Teufelchen. „Sie zupfen einander an den Haaren und balgen sich. Ähnlich wie wir das auch immer getan haben. Nur haben wir uns noch an den Hörnern und den Schwänzen gezupft." „Jetzt kommt ein großer Mann mit Brille in die Klasse, und das ist der Lehrer", meinte das vierte Teufelchen. Das fünfte Teufelchen erriet sogar den Namen des Lehrers. „Er heißt Herr Lehrer Paukestreng, mit Vornamen Lachenicht." „Die Kinder sehen aber gar nicht mehr lustig aus", bemerkte das vierte Teufelchen. „Mir scheint, der Lehrer Lachenicht Paukestreng hat ihnen das Lachen verboten." Das gab den fünf Teufelchen zu denken. Sie saßen fünf Tage lang auf dem Dach des fünfstöckigen Hauses und überlegten, wie sie den Kindern, die sie sofort in ihre kleinen Teufelsherzen geschlossen hatten, helfen könnten. „Wir begehen eine kleine Teufelei", sagte das erste Teufelchen am sechsten Tage fröhlich. „Wir verkleiden uns als Schulkinder und setzen uns zu den anderen in die Klasse." „Au ja!" schrien die kleinen Teufelchen. In der Nacht zum siebenten Tage hopsten sie auf die Straße und stießen mit ihren Hörnern die Schaufensterscheibe eines Kaufhauses ein. Schnell schlüpften sie durch die Auslage ins Innere. „In diesem Kaufhaus", erklärte das erste Teufelchen, „kleiden wir uns in der Kinderabteilung ein." Alsbald fanden sie die Gestelle mit Hosen, Jacken, Kleidern, Mänteln. Sie fanden die Fächer mit Pullis, Hemden, die Tische mit Schals, Kinderhandschuhen, Socken - ach, sie fanden selbstverständlich alles. Von den Kleiderpuppen nahmen sie die Haarperücken und stülpten sie über ihre Hörnchen. Zwischendurch betrachteten sie sich in einem der vielen Spiegel. Aus dem ersten Teufelchen war ein Junge
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mit Lederjacke, kariertem Hemd und blauen Hosen geworden, aus dem zweiten ein Mädchen mit schönen langen Goldhaaren. Aus dem dritten wurde ein Mädchen mit putzig abstehenden Zöpfen, aus dem vierten und fünften Teufelchen wurden ganz besonders frech aussehende Teufelsbuben mit Rollkragenpullis und Cordhosen. In der Lebensmittelabteilung und in der Waschmittelabteilung schmierten sie ihre Gesichter mit einer Mischung aus Honig und Seifenpulver ein, so daß sie eine menschenähnliche Gesichtsfarbe bekamen. Auch Hände und Beine färbten sie auf diese Weise. Ihre Pferdefüßchen paßten ganz gut in die Kinderschuhe hinein. Man mußte nur statt Halbschuhen hohe Stiefelchen suchen. - Na, und Schulmappe, Hefte, Kugelschreiber, Zeichenblocks, Buntstifte, Radiergummi, Lineal und dergleichen unnützes Zeug gab es in dem Kaufhaus auch. Am anderen Morgen schlüpften sie durch die Lagerhalle zu einer Hintertür hinaus und schlugen den Weg zur Schule ein. Als sie in die Klasse kamen, rief das erste Teufelchen frisch und fröhlich: „Morgen, Kinder, wir sind die Neuen. Schule ist was ganz Dummes, Zirkus ist besser, also machen wir Zirkus." Die Kinder lachten. Merkwürdige Kinder, dachten sie nur, und sie hatten eine gewisse Scheu vor den Neuen, aber keine Angst, weil die fünf so sehr viel netter waren als mancher Klassenkamerad. Übrigens rochen die Teufelchen nicht nach Schwefel, denn sie hatten sich im Kaufhaus mit Kölnischwasser übergössen und sich den Inhalt ganzer Zahnpastatuben in den Mund gedrückt. Der Herr Lehrer Lachenicht Paukestreng kam herein. Da er heute schon Ärger mit seinem Auto gehabt hatte, war er besonders schlecht gelaunt.
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„Wer lacht da?" „Ich!" rief das erste Teufelchen fröhlich. „Ach, so! Du bist neu?" „Ja, aber Sie nicht", sagte das Teufelchen. Die Kinder lachten. Nein, der Herr Lehrer war gewiß nicht neu. Trotzdem ärgerte sich Herr Lachenicht Paukestreng. „Setzt euch!" befahl er. Und das klang nun wirklich nach Gericht. „Wer neu ist steht wieder auf. Eure Namen will ich wissen!" „Ich heiße Teufele", sagte das erste Teufelchen. „Und ich Teufela", sagte das mädchenhaft gekleidete zweite Teufelchen. „Ich ...", erklärte das dritte - auch als Mädchen verkleidete - „heiße Teufeli." Die anderen zwei Teufelsbuben nannten sich Teufelo und Teufelu. „Teufele, Teufela, Teufeli, Teufelo, Teufelu?" Der Herr Lehrer wurde ganz verwirrt. „Seid ihr aus einer Familie? Ausländer vielleicht? In manchen Ländern wird der Nachname abgewandelt, je nachdem, ob's ein Mädchen oder ein Junge ist." „Ja, ja, ja, ja, ja!" riefen die verkleideten Teufelchen schnell. „Aha. Und mit Vornamen?" „Ich heiße Hörnchen ... ich Hornina, ich Hornani, ich heiße Hornemann ... und ich heiße Tut." „Tut?" wunderte sich der Lehrer. „Ja, ja! Tut - wie Signalhorn!" „Da ist mir zuviel Hörn dabei", sagte Herr Lachenicht. „Nachnamen alle mit Teufel, Vornamen alle mit Hörn, sonderbar, sonderbar, das gibt's nicht - so viel auf einmal ..."
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„Aber es gibt bestimmt mehr Lehrer als Teufelis und Kinder, die Hornina heißen", sagte Hörndien. „Und wenn ich meine Gedanken anstrenge, errate ich, daß es auch mehr Meiers gibt." Herr Lehrer Lachenicht Paukestreng biß sich auf die Lippen. Natürlich gab es mehr Lehrer als Kinder mit Teufelsnamen, die Hörnchen und Hornina gerufen wurden. Und noch mehr Meiers.
Herr Lehrer Lachenicht Paukestreng will natürlich die Namen der verkleideten Teufelchen wissen
„Also gut. Wir fangen mit dem Unterricht an. Wieviel ist dreißigtausend mal eins weniger Null und zweieinhalb weniger drei? Du da!" Und er rief ein Mädchen auf. Das kleine Mädchen wußte die Lösung nicht. „Eine Sechs" knurrte der Lehrer, „setz dich!" „Falsch!" rief Teufelo. „Wie kann dreißigtausend mal eins weniger Null und zweieinhalb weniger drei gleich sechs sein? Sie können nicht rechnen, Herr Lehrer!" „Es ist eine Sechs", rief Herr Lachenicht und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Das Mädchen hat eine Sechs von mir bekommen, weil es die Lösung nicht gewußt hat." „Aha", sagte Teufeli. „Sehr nett. Was kann sich das Mädchen denn für die Sechs kaufen? Eine Eistüte, Bonbons oder ein Kettchen?" „Blödsinn! Gar nichts!" rief der Lehrer Paukestreng. „Blödsinn, gar nichts?" fragte Teufelo verwundert. „Wozu dann die Sechs?" Das nette Mädchen weinte, und Teufela erkannte rasch: „Aha, die Sechs bedeutet Tränen. Ist es richtig, daß nette, kleine Mädchen in der Schule das Weinen lernen?" „Das Leben ist ernst!" rief Herr Paukestreng. „Und das kleine Mädchen ist nett", sagte Teufela. „Was kümmert mich das?" rief Herr Paukestreng. „Hier kommt es auf Leistung an, jetzt haltet euren Mund, sonst fliegt ihr raus. Der Unterricht geht weiter. Da soll mich doch der Teufel holen, wenn ich euch nicht beibringe, wie man sich benimmt." Die verkleideten Teufelchen zwinkerten einander zu. Herr Paukestreng hatte das richtige Wort gesprochen. Die zweite Stunde hatten sie bei Fräulein Lieblich, einer netten, jungen Lehrerin, die den fünf kleinen Teufelchen sehr gefiel. Sie konnte herzlich lachen, und wenn sie in der Klasse umherblickte, glänzten die Augen der Kinder. Sie
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ließ jeden Schüler und jede Schülerin ein Lied mit ausgedachtem Text nach irgendeiner Melodie singen, und was dabei herauskam war oft sehr komisch. Die fünf Teufelchen sangen im Chor: Fünf Teufelchen im Wald, die kletterten von Baum zu Baum, Ja, ja, das war kein Traum, Ja, ja, das war kein Traum! Doch eines Tages - peng! Da fielen alle Bäume um, O je, mit Krach und Bum, O je, mit Krach und Bum! Die Teufelchen, die fünf, Die hatten keine Heimat mehr, So kamen sie hierher, So kamen sie hier - heeeeer! Das sangen die Teufelchen, und die ganze Klasse schrie vor Lachen. Fünf Teufelchen in der Schule? Hier, bei Herrn Lehrer Lachenicht Paukestreng? Und bei Fräulein Lehrerin Lieblich? Nicht auszudenken. Doch Fräulein Lieblich, die nicht nur nett, sondern auch klug war, sagte lächelnd: „Tut nur nicht so, Kinder. Das ist gar nicht so unsinnig, denn schließlich steckt in jedem von euch ein kleines Teufelchen." Die fünf kleinen Teufelchen aber staunten über die Klugheit von Fräulein Lieblich. Und das erste Teufelchen rief unbedacht: „Sie sind das ganze Gegenteil von unserer Großmutter!" Und schon fragte Fräulein Lieblich: „Wieso?"
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„Weil - weil Sie ein Engel sind", stammelte Teufele und begann vor Verlegenheit nach abgebrannten Streichhölzern zu riechen. Nun wurde es ganz schlimm. „Ein Engel soll ich sein?", fragte Fräulein Lieblich. „Was ist denn dann Eure Großmutter?" Die fünf Teufelchen konnten nicht sagen: „Teufelsgroßmutter", denn dann hätten sie allesamt nach Schwefelhölzchen gerochen und ihre Hörnchen wären ihnen wahrscheinlich durch die falschen Haare gewachsen. Zum Glück läutete es, die Schulstunde war zu Ende. Und nach der Pause hatten sie Turnen. Der Sportlehrer, Herr Professor Springinsfeld, sperrte Augen, Mund und Nasenlöcher auf, als er die fünf Teufelchen turnen sah. „Stangenklettern, eins, zwei — los!" rief Herr Springinsfeld. Aber bei „eins" saßen die fünf Teufelchen schon oben. „Bodenrolle, vorwärts!" befahl Herr Springinsfeld. Die Teufelchen machten ein paar Luftrollen über seinen Kopf hinweg und hüpften wie die Bälle. Die Kinder schrien vor Begeisterung und klatschten. „Seid ihr vom Zirkus?" schrie Herr Springinsfeld. „Das ist kein Turnen! Das ist Unfug! Jetzt werde ich euch einmal zeigen, wie man eine anständige Bodenrolle macht." Der Turnlehrer machte zwar eine anständige Bodenrolle, aber er kam nicht mehr hoch. Richtiger gesagt, es blieb nicht bei der einen Rolle, denn die fünf Teufelchen rollten ihn weiter und immer weiter, so daß er bis zum Pausenzeichen zweitausend Bodenrollen machen mußte. Als er aufstand, war er so durcheinander, daß er glaubte, alles nur geträumt zu haben. „Geht!" rief er verwirrt. „Geht!" Und er schickte die Kinder nach Hause, obwohl die Schule noch gar nicht aus war.
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Am nächsten Tag aber hatten sie wieder Unterricht bei Lehrer Lachenicht Paukestreng. Und er brachte das kleine Mädchen - es hieß Doris - wieder zum Weinen. Weil Doris so aufgeregt war, verrechnete sie sich dauernd und konnte keine Zahlen mehr lesen. Aber Herr Paukestreng tröstete Doris nicht. Er brüllte sie furchtbar an, er trompetete dabei wie ein Elefant, wenn er Hunger hat. „Hefte raus!" rief der Lehrer, „wir schreiben eine Arbeit, paßt auf, ich stell' euch eine schwierige Rechenaufgabe." Die Teufelchen, die ja nicht zu rechnen brauchten, weil sie immer alles errieten, lösten die Aufgabe natürlich schnell. Dann ließen sie ihre Gedanken durch die Hörnchen in alle übrigen Köpfe blitzen - und jeder Schüler, ob er nun gut oder schlecht im Rechnen war, schrieb die richtige Lösung hin. Der Lehrer Lachenicht Paukestreng traute seinen Augen nicht, als er von Platz zu Platz ging und bei keinem Schüler einen Fehler entdeckte. „Schummel!" rief er. „Schummel! Ha, ich zeig's euch! Jetzt schreib ich euch eine ganz besonders schwere Aufgabe an die Tafel, und die müßt ihr im Kopf ausrechnen." Und er schrieb eine sogenannte „Dreisatzaufgabe", wie ihr sie sicher alle kennen werdet: In einem Hotel arbeiten 10 Kellner mit einem Stundenlohn von 5,- DM. Wieviel verdienen sie in 50 Stunden? Die Lösung wäre gewesen: l Kellner verdient in einer Stunde 10 Kellner verdienen in einer Stunde In 50 Stunden verdienen 10 Kellner: 5 DM X 10 X 50 = 2500 DM
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5,- DM 50,- DM
Als der Lehrer die Aufgabe an die Tafel geschrieben hatte, ließ das erste Teufelchen seine teuflischen Gedanken durch die Hörnchen und durch die falschen Haare hindurch nach vorne blitzen. Flugs stand an der Tafel nicht mehr: In einem Hotel arbeiten 10 Kellner, sondern in 10 Hotels arbeitet l Kellner, oder in l Kellner arbeiten 10 Hotels. Der Lehrer wischte wie verrückt an der Tafel herum und schrieb den Satz auch immer wieder richtig hin. Aber es half nichts. Schließlich stand gar an der Tafel: l Kellner arbeitet nicht in 10 Hotels mit einem Stundenlohn von 50 DM. Wieviel verdienen 50 Kellner in keiner Stunde? „Bei allen Teufeln", schrie der Lehrer. „Ich werde doch noch rechnen können, l und l macht 6, 6 und 6 macht 1." In seiner Verzweiflung wollte er bis 10 zählen, aber es wurde nur: „eene, meene ming-mang, ping-pang, eia, weia weg" daraus. Die Kinder jubelten, und selbst die kleine Doris lächelte wenn auch ganz schwach. Herr Lehrer Lachenicht Paukestreng aber fing an zu weinen. In diesem Augenblick wurde an die Tür geklopft, eine Dame blickte durch den Spalt und sagte: „Es ist zwar keine Elternsprechstunde, Herr Lehrer, aber ich muß unbedingt mit Ihnen reden." Und da ging der Lehrer zu der Dame auf den Flur hinaus. „Was kann ich für Sie tun, meine Dame?" fragte er ganz höflich und mild. „Sie sind die Mutter eines Schülers?"
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Die Flamme der „Großmutter" versengt dem Lehrer Haare und Augenbrauen „Ich bin die Großmutter von fünf Teufelchen", erwiderte die alte Dame und spie eine Flamme aus dem Mund heraus, die dem Lehrer Haare und Augenbrauen versengte. „Des Teufels Großmutter bin ich, in Wahrheit natürlich seine Urgroßmutter, aber bei uns Teufeln sind die Familienverhältnisse sowieso verzwickt." „Des Teufels Großmu —" Herr Lehrer Paukestreng holte ein paarmal tief Luft, dann schlug er sich mit der flachen Hand auf die Stirn und sammelte seine Lehrergedanken. Auf einmal war er wieder der alte. „Sie wagen es... !" schrie er. Und: „Wie kommen Sie überhaupt hierher ... ?" Und: „Verlassen Sie sofort die Schule ... !" Er wollte noch alles Mögliche sagen, aber nun fielen ihm die neuen seltsamen Schüler in der Klasse ein, doch die Teufelsoma schnitt ihm das Wort ab.
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„Still, Herr Lehrer!" herrschte sie ihn an. „Still, sonst mache ich einen Teufelsbraten aus Ihnen!" Und sie übergoß ihn mit kalter Himbeersoße aus ihrem linken Kopfhorn. „Ich kann auch noch schlimmere Dinge!" warnte sie. „Gnädige Frau, werte Dame", hauchte Herr Lehrer Paukestreng. „Ich stehe zu Diensten! Was haben Sie auf dem Herzen, meine Verehrteste?" „Kurz", brummte die Teufelsgroßmutter. „Ich will meine fünf Teufelchen wiederhaben. Sie sind so hübsch unartig hier gewesen, deshalb nehme ich sie wieder zu mir in die Hölle. Wehe, Sie hindern mich daran!" Und nun übergoß sie den Lehrer mit Schokoladensoße. Da mußte Herr Lehrer Paukestreng zum ersten Mal in seinem Leben lachen, obwohl er doch mit Vornamen ,Lachenicht' hieß. „Nein, gnädige Frau Oma", rief er, „ich hindere Sie nicht! Sie können Ihre fünf Teufelskinder wieder mitnehmen, gleich auf der Stelle. Welch ein Witz, zu glauben, ich wollte fünf Teufelchen in der Schule behalten, ha, ha, ha, ha, ha." Er leckte an seinem Ärmel, der von Himbeer- und Schokoladensoße triefte. „Oh, das schmeckt ja köstlich! Köstlich, gnädige Frau. Könnten Sie mir nicht gelegentlich ein Eimerchen von der Schokoladensoße schicken?" „Fünf Eimer, für jedes Teufelchen einen", entschied die Großmutter. „Und nun holen Sie die Bürschchen aus der Klasse!" Der Lehrer tat es sofort, und die Teufelsoma schloß die kleinen Teufelchen gerührt in die Arme. „Daß ihr endlich mal unartig gewesen seid!" rief sie begeistert. „Endlich, endlich! Ihr habt euch wie richtige Teufelchen benommen, und deshalb dürft ihr wieder - nach fünftausend Jahren - eure warmen Kinderzimmer tief in der Erde beziehen. Kommt mit mir!"
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Und sie verschwand mit den Kleinen im Fußboden. Der Lehrer hörte ein Geräusch, als sause ein Lift in die Tiefe. „Ha, ha, ha", lachte er. „Nein, so was Komisches. Wenn ich es nicht selber erlebt hätte, würde ich es nicht glauben." „Bums!" standen die fünf Eimer voll Schokoladensoße an der Stelle vor ihm, an der die Oma mit ihren fünf Teufelchen verschwunden war. So schnell hielt die gute, böse Frau ihr Versprechen. „Kinder!" rief der Lehrer in die Klasse hinein. „Kommt alle heraus. Ich habe hier Schokoladensoße für euch." Und als er die Kinder begeistert schlecken sah, da rührte sich etwas in seinem Herzen. „Herhören!" rief er. „Ab heute heiße ich nicht mehr Lachenicht Paukestreng, sondern Lacheviel Paukenicht. Da fiel ihm die kleine Doris um den Hals, an dem noch Himbeersoße klebte. „Unser Lehrer lebe hoch!" rief sie. „Hoch, hoch, hoch!" riefen die anderen Kinder. Sie riefen es so laut, daß die Teufelsoma die fünf Teufelchen tief unter der Erde mißtrauisch fragte: „Na, ihr Früchtchen, habt ihr da am Ende vielleicht doch was Gutes getan ?"
Eine geisterhafte Geschichte Auch drei Geister, schreckliche Ungeheuer, wollten nicht warten, bis der Zauberer vom Minister zurückkam. Diese drei Scheusale wollten nämlich ihr Spukschloß auf keinen Fall verlassen. Sie sahen wie knorrige Baumstämme aus, ihre Arme wirkten wie entlaubte Äste, ihre Beine wie Wurzeln. Augen, die Astlöchern glichen, hatten sie viele.
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In ihrem ungeheueren Zorn 'vertreiben die Baumungeheuer den Schloßherrn Einst waren sie herrliche Eichen gewesen, und sie hatten davon geträumt, auch als alte Bäume im Park bleiben zu dürfen. Doch der letzte Schloßherr hatte sie absägen und in einen Winkel werfen lassen, weil er eine große Wiese haben wollte. Da war der „große Zorn" in die Bäume gefahren. Sie hatten sich erhoben und waren auf ihren Wurzeln laufend nachts in das Schloß eingedrungen, um sich auf den
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Besitzer zu werfen. Doch zum Glück kam es dazu nicht. Als der Schloßherr das Rauschen der Bäume hörte, stürzte er aus dem Bett und rannte davon. Seine zwölf Diener, die Köche und Küchenmädchen, seine Stiefelputzer, Oberförster und Pferdeburschen - alle rannten ihm schreiend nach. Die Baumungeheuer standen in der Schloßhalle und hatten gesiegt. Aber es war ein langweiliger Sieg, denn sie hatten weder den Schloßherrn noch sonst jemand erwischt. Sogar die Pferde und die Hunde waren davongelaufen. Da fuhr von neuem der „große Zorn" in die Ungeheuer. Der „große Zorn" ist eine furchtbare Macht, wie man das ja überall im täglichen Leben - sogar bei den Menschen -beobachten kann. Nun aber erst der „große Zorn" in Ungeheuern! Der erste Baum zerschlug mit seinen Zweigen die Ställe und Schuppen mitsamt den Kutschen, Lastfuhrwerken und Futterkrippen. Der zweite Baum hatte einen breiten Spalt im Stamm. Das war sein Ungeheuer-Maul, und damit fraß er nun die Gewächshäuser im Park, alle Bänke, den Landungssteg am See und fünf Ruderboote mitsamt den Rudern. Der dritte Baum aber, der besondere Fähigkeiten besaß, weil er einst einer Hexe Schatten gespendet hatte, beschützte die beiden anderen Baum-Ungeheuer. Denn als ein Regiment Soldaten mit Gewehren, Säbeln und ein paar altmodischen Kanonen anrückte, blies er eine himmelhohe Glaswand zwischen den Schloßpark und die Angreifer. Die Glaswand war so dick, daß sie jeder Kanonenkugel standhielt. Gewehrschüsse und Säbelhiebe verursachten nicht einmal Kratzer. Fortan galt das Schloß als unbetretbar, kein Mensch wagte sich in seine Nähe. Erst im letzten Frühjahr kümmerten sich wieder Leute um die unheimliche Stätte. Die Leute kamen vom Landes-
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Kein Mensch wagte sich mehr in die Nähe des alten Schlosses amt für Denkmalspflege, von vielen kleinen, unwichtigen Behörden, vor allem aber vom Schulamt. Längst war nämlich die Glaswand wieder verschwunden, denn die Baum-Ungeheuer fühlten sich sicher. Der bewohnbare Teil des Schlosses wurde zu einem Schullandheim umgebaut. Im Sommer zogen dann dreißig Schüler und zehn Schülerinnen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern für vier Wochen dort ein. Die drei fürchterlichen Baum-Ungeheuer lagen im verfallenen Seitenteil des Schlosses tief unten im Keller und schliefen. Die Vergangenheit steckte ihnen nur noch dunkel in den Zweigen. Wie lange sie geschlafen hatten, zehn oder hundert Jahre, wußten sie nicht. Sie waren knorrig und steif
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geworden und wollten ihre Ruhe haben. Als das Kindergeschrei draußen im Park erscholl, richteten sie sich ächzend auf und lauschten. „Hon!" ächzte der Zerschmetter-Baum, „da sind Menschen." „Was die wohl hier wollen?" brummte der Baum, der alles fressen konnte. „Sie wollen uns doch nicht zersägen?" rief der Baum, der einst die himmelhohe Glaswand geblasen hatte. Der Allesfresser sprang auf die Wurzeln. „Ha!" rief er knarrend. „Das werden wir verhindern. Ich gehe erst einmal hinaus und schau nach, was los ist!" Er schob sich durch die zerbrochene Rückwand des Kellers ins Freie und tappte auf leisen Wurzeln um die Ecke. Mit drei hurtigen Sprüngen war er am Rand des Rasenplatzes: Schnell schlug er seine Wurzeln in den Boden und blieb reglos stehen, als hätte er schon immer dagestanden. Der Rasen war schön gemäht, er sah wie ein grüner Teppich aus; der Allesfresser-Baum hatte ihn zuletzt von Unkraut überwuchert gesehen, und nun staunte er sehr. Auf der weiten Fläche spielten Kinder. Die Jungen stießen einen Ball mit den Füßen hin und her, und ab und zu warfen sie die Arme in die Luft und brüllten: „Toooor!" Dann pfiff ein Mann auf einer kleinen Pfeife. Der Allesfresser-Baum begriff natürlich nicht, daß dies ein Fußballspiel war, und der Pfeifenmann Oberstudienrat Dr. Huckepack Schmidt war Schiedsrichter. Die Mädchen spielten am Ufer des kleinen Sees mit den Lehrerinnen Fräulein Dr. Freundlich und Fräulein Dr. Ziege Prellball. Aber natürlich wußte der Gespenster-Baum nicht,
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was das alles zu bedeuten hatte. Er hielt die Lehrer für Holzfäller und die Kinder für Holzsammler. Das brachte ihn sofort in furchtbare Wut, und so verschluckte er den Fußball, der zufällig in seine Richtung geflogen kam und gegen seinen Stamm prallte. Die Jungen standen ratlos da. „Wer hat den Ball geschossen?" fragte Lehrer Huckepack Schmidt. „Ich!" meldete sich ein Junge mit erhitztem Gesicht. Seine Augen blickten treuherzig und munter. Er hieß Herbert. „Dann such den Ball!" rief Herr Huckepack, als spräche er zu einem Hund. Auch die übrigen Schüler beteiligten sich an der Suche, aber keiner von ihnen kam auf den Gedanken, daß der schreckliche Baum den Ball gefressen haben könnte. Lange suchten sie, sogar am Ufer des Sees, aber vergeblich. Schließlich kehrte Herbert nachdenklich auf die Wiese zurück. Er stellte sich vor den Baum und betrachtete ihn genau. „Der hat heute morgen noch nicht hier gestanden!" sagte er zum Lehrer Huckepack. „Wer?" „Na, der Baum", sagte Herbert ruhig. Die übrigen Schüler, auch die Mädchen mit Fräulein Freundlich und Fräulein Ziege, scharten sich neugierig um den sonderbaren Baum. „Du willst behaupten, der Baum stand heute früh noch nicht hier?" rief Herr Huckepack. „Ich weiß nur, daß der Fußball weg ist! Daran bist du schuld, und mir scheint, das hat dich ein bißchen verrückt gemacht!" „Kein bißchen", sagte Herbert unbeirrt. „Ich habe doch Augen im Kopf! Der Baum stand vorher nicht hier." „Willst du mich verhöhnen, Lümmel", schrie der Lehrer. „Den Fußball findest du nicht, statt dessen entdeckst du
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„Der Baum stand vorher nicht da", sagte Herbert unbeirrt einen Baum, der angeblich wie ein Pilz aus der Erde geschossen sein soll!" Aber Fräulein Freundlich sagte: „Überlegen Sie doch, was der Schüler meinen könnte! Fällt Ihnen nichts auf?" „Nein!" rief Herr Huckepack. „Mir auch nicht", sagte Fräulein Ziege schnippisch. „So?" lächelte Fräulein Freundlich. „Aber mir! Es ist Sommer, alle Bäume tragen saftige, grüne Blätter und bilden ein schattiges Dach. Dieser Baum aber ist kahl wie eine
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Straßenlaterne oder wie ein dicker, runzliger Mast mit Auswüchsen. Er ist ja als Baum kaum zu erkennen - und das ist es wohl, was der Junge gemeint hat!" „Kann schon sein, vielen Dank Fräulein Freundlich", sagte Herbert höflich. „Sicher ist das die Lösung des Rätsels!" „Aber wie willst du das Rätsel lösen, wo der Fußball geblieben ist?" rief Herr Huckepack. „Glaubst du, er hat sich in den paar Zweigen dieses kahlen Baumes verfangen?" „Ja", meinte Herbert. Die übrigen Schüler und Schülerinnen schauten zweifelnd in die Baumkrone hinauf. Da die Zweige ganz kahl waren, mußte wirklich jeder sehen,- daß dort oben kein Fußball hing. „Mal sehen, ob mein Ball auch verschwindet!" rief Fräulein Ziege. Sie warf den Prellball mit Schwung gegen den Baum. Das hölzerne Ungeheuer öffnete seine Maulspalte schneller, als ein Auge es wahrnehmen konnte. Knurps - auch der Prellball war weg, von dem Baum einfach verschluckt...!!! Stille herrschte. Dann fragte Fräulein Ziege verwirrt: „Hab' ich den Ball vielleicht in die Büsche geworfen?" Und wieder suchten die Kinder. Sie suchten vergeblich. „Aufhören mit dem Unsinn!" befahl der Lehrer. „Wir essen jetzt zu Mittag, dann halten wir Ruhe, und später gehen wir baden. Das mit den Bällen wird sich schon aufklären!" Doch der Baum hatte den Fußball und den Prellball bereits verdaut. Die Bälle waren in seinem Inneren zu Holz geworden. Der Baum beschloß, bis zum Einbruch der Dunkelheit stehen zu bleiben, um den anderen Baum-Ungeheuern noch ausführlicher berichten zu können.
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Am Nachmittag kamen die Schüler, alle im Badezeug, aus dem Schloß. Sie liefen mit den Lehrern und Lehrerinnen zum See. Nur einer näherte sich dem Schreckensbaum: Herbert. „Es läßt mir keine Ruhe", murmelte er vor sich hin. „Ich habe gesehen, wie beide Bälle an den Baum flogen. Sie müssen irgendwo zwischen den Ästen stecken!" Und Herbert begann den Baum zu erklettern. Das Holzgespenst erbebte in seinem Inneren. „Ha", dachte es, „ha, den fresse ich! Sobald er meiner Maulspalte zu nahe kommt... ha ..." Herbert spürte wohl das leise Zittern im Stamm, doch er wußte ja nicht, was es bedeutete. Zugegeben - der Baum war unheimlich, und er wurde Herbert immer unheimlicher, je höher er an dem knorrigen Stamm emporkletterte. Dieser verhexte Baum war völlig kahl, während man bei den anderen vor Blättern die Zweige kaum sah. Auch hätte Herbert noch immer darauf schwören können, daß der Baum in der Frühe noch nicht an diesem Platz gewesen war. Herbert hatte das Gefühl, als beobachte ihn der hölzerne Riese. „Ach, was! Es ist ja nur ein abgestorbener, alter Baum", murmelte Herbert; „Abgestorbene Bäume sind immer ein bißchen unheimlich, aber sie tun einem nichts!" Und er kletterte weiter. Ich fresse dich! dachte das Ungeheuer. Warte nur! Dann bist du genauso verschwunden wie die beiden Bälle! Schwupp, riß der Baum den Holzspalt auf, und Herbert blickte plötzlich in einen furchterregenden Rachen. „Nanu!?" wunderte er sich laut. „Eine Höhle, so hoch oben? Ha, nun weiß ich, wo die Bälle geblieben sind! Sie sind in das riesige Astloch geflogen - ich ahnte ja so was - na, die Lehrer werden staunen!" „ Du wirst staunen!" ächzte das Ungeheuer.
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Doch als Herbert auf seiner hölzernen Unterlippe saß und es den Jungen bequem hätte verschlingen können, regte sich der Baum nicht. Im Gegenteil, er hielt auf einmal ganz, ganz still. Denn er erinnerte sich seiner grünen, wurzelfesten Zeiten auf der Wiese, an Kinder, die fröhlich unter seinem schattigen Dach gespielt hatten - und nun rannen sogar Tränen aus seinen vielen, vielen Astloch-Augen. Wie schön war die Zeit gewesen, und wie hatten ihn die Kinder geliebt! Wie hatten die Singvögel in seinen Zweigen gepfiffen und geträllert! Und Herberts warme Hände erinnerten ihn plötzlich an das Leben, das auf ihm gesessen, ja, es schien ihm fast, als seien die Arme und die Beine des Jungen frische eigene Zweige. Der Baum verschlang Herbert nicht. Er ließ ihn ruhig auf den unteren Rand seines Rachens steigen. Da aber erscholl die Donnerstimme des Lehrers Huckepack von unten: „Herbert! Was machst du da oben? Warum bist du nicht beim Baden?" Vor Schreck schloß der Baum die Maulklappe, doch so unvorsichtig, daß einer von Herberts Turnschuhen hängen blieb und in seinen Schlund rutschte. Herbert sprang auf den Rasen zurück. „Ich habe die Bälle gesucht", sagte er. „Und einen Turnschuh dabei verloren?!" nörgelte Lehrer Huckepack mit hochgezogenen Brauen. „Der ist auch auf dem Baum geblieben", verteidigte sich Herbert. „Willst du mich weiterhin mit diesem dummen, kahlen Baum zum Narren halten, der kaum noch Wert als Brennholz hat?" rief der Lehrer. „Ich werde dafür sorgen, daß er umgesägt wird! Und du kleiner Spinner gehst sofort ins Haus."
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Herbert ließ den Kopf hängen und trottete ins Schloß zurück. Der Lehrer ging zum See. Zurück blieb ein alter Geisterbaum, der sich vor Wut schüttelte. „Kleiner Spinner!" knirschte er. „Ein kleiner Spinner soll der Junge sein, nur weil er mehr ahnt als der dumme Mann. Ha, der glaubt nicht, daß die Bälle und der Turnschuh in meinem Baumhöhlen-Maul verschwunden sind! Dem werd ich's zeigen!" Und er riß sich vom Boden los, rannte zum See und fraß alle Turnschuhe der badenden Kinder und Lehrer. Dann stellte er sich wieder an den alten Platz. Nach einer Weile ertönte die Stimme des Lehrers Huckepack: „Herbert, Herbert! Komm heraus!" Der Junge kam aus dem Schloß, und Herr Huckepack und Fräulein Ziege verdächtigten ihn, die Schuhe der Kinder versteckt zu haben. „Zur Strafe setzt du dich jetzt auf die Schloßtreppe und reinigst alle unsere Straßenschuhe, alle - die der Lehrer und die von sämtlichen Schülern und Schülerinnen! Das sind, nimmt man die Zweit - und Drittpaare hinzu - über hundert Paar Schuhe!" rief der Lehrer Huckepack. „Ich nehme an, es wird dir bald einfallen, wo die verschwundenen Sachen geblieben sind." Barfuß oder auf Strümpfen nahmen Lehrer und Lehrerinnen, Schüler und Schülerinnen das Abendessen im Schloß ein. Herbert aber saß auf der Steintreppe, umgeben von über zweihundert einzelnen Schuhen. Er war so verzweifelt, daß er nicht wußte, mit welchem Schuh er beginnen sollte. Da kam der Baum gehuscht und fraß alle Schuhe auf. Mit Lappen und Bürste in der Hand blickte Herbert verblüfft um sich. Was war das für ein Schatten gewesen? Was war da so flink wie ein Hund um ihn herumgestrichen? Und was hatte schneller als das Ticken einer Uhr „schluck, schluck, schluck, schluck" gemacht?
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Schluck, Schluck frißt das Baumungeheuer die Schuhe der Kinder und Lehrer auf Und vor allem - wo waren die Schuhe ...??? Vergnügt entfernte sich der Baum. Jetzt geh ich zurück in den alten Teil des Schlosses, dachte er. Dort, im Keller, erzähl ich meinen Brüdern die ganze Geschichte! Und wenn der Mann - er meinte den Lehrer Huckepack - sieht, daß ich nicht mehr da bin, begreift er vielleicht, daß er's mit einem Gespenster-Baum zu tun hat. Doch der Baum sollte sich täuschen. Lehrer Huckpack kam zwar zu Herbert heraus, aber er dachte gar nicht daran, dorthin zu blicken, wo der Baum gestanden hatte. Er sah nur, daß die Schuhe fehlten. „Bengel!" schrie er ganz erbost. „Willst du eingesperrt werden? Was meinst du, was die Schuhe gekostet haben? Schaff sie sofort wieder her!"
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Und Fräulein Ziege meinte: „Herbert hat die Schuhe bestimmt in den See geworfen! Da könnten wir ewig suchen! Außerdem wird es jetzt dunkel, da sehen wir zuwenig. Ich schlage vor, wir sperren Herbert ein, damit er sich besinnt und uns die Wahrheit sagt! Wir aber wollen uns die Freude nicht verderben lassen und ein großes Feuer am Ufer anzünden, denn heute ist Johannistag!" Die Lehrerin Freundlich war nicht mit dem Plan einverstanden, soweit er Herbert betraf. „Herbert ist ein anständiger Junge, der uns niemals solche Streiche spielen würde", erklärte sie. „Hier geschehen rätselhafte Dinge, und wir müssen herausfinden, was dahintersteckt." Doch niemand hörte auf sie. So blieb sie allein mit Herberts Freund Karlchen im Schloß zurück, um Herbert zu trösten, während die Schüler für das Johannisfeuer am See Holz zusammentrugen. Inzwischen erzählte der Baum, der alles fressen konnte, seinen Ungeheuer-Brüdern, was er am Tage auf der Wiese und am See gesehen und erlebt hatte. „Holzfäller sind die Leute nicht", erklärte er. „Die meisten sind Kinder. Ich glaube, wir können sie mit ein paar kleinen Spaßen vertreiben." Während er das alles erzählte, schnupperte der Baum, der alles zertrümmern und mit der Gewalt seiner Äste erdrücken konnte: „Was ist das?" krächzte er. „Was ist das... Es riecht nach Feuer! Nach Rauch von einem Holzfeuer ... !" Und er schaute mit den beiden anderen hinaus auf die Wiese. „Da, seht! Am Ufer brennt ein großes Feuer! Die Männer werfen Äste hinein! Sie werden auch uns nicht schonen, wenn sie uns im Schlaf überraschen!" Daß es ein Johannisfeuer aus Holzkloben und morschen zusammengesuchten Ästen war, wußten die Gespenster-
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Bäume natürlich nicht. Woher sollten sie es auch wissen? Bevor die beiden anderen Geisterbäume es aufhalten konnten, fuhr das BaumUngeheuer, das alles zertrümmern konnte, krachend in das Badehaus. Brüllend verwüstete es die Badestege; dann stürzte es sich auf die Lehrer und Schüler am Feuer. Aber in seiner Wut verfehlte es die Stelle und landete mit furchtbarem Schwung im See - dort blieb es mit den kahlen Wipfelästen tief im Grund stecken, und nur seine Wurzelfüße ragten noch aus dem Wasser. Die Lehrer und die Kinder schrien. Am ängstlichsten schrien Herr Huckepack und Fräulein Ziege. In die beiden anderen Bäume aber fuhr wieder der „große Zorn". „Unser Bruder, der alles zertrümmern kann, liegt machtlos im See!" knarrte der Allesfresser. „Los, Bruder, blas eine himmelhohe Glaswand zwischen uns und die Störenfriede, denen wir das Unglück zu verdanken haben!" „Wuhuhuhuhuhuhuuuuuuu!" blies der dritte Gespenster-Baum; und auf einmal, ohne daß jemand sie sah, stand eine unsichtbare Wand zwischen dem Lehrer Huckepack samt den Kindern und dem Schloß. Die Wand, obgleich unsichtbar, war doch zu fühlen. Die halbe Nacht lang liefen Lehrer und Schüler gegen sie an. Schließlich sahen sie ein, daß sie das Hindernis nicht beseitigen konnten. Erschöpft sanken sie zu Boden und schliefen am Strand. In aller Frühe aber kam Fräulein Freundlich mit Herbert und dessen Freund Karlchen heraus. Der Hausmeister rannte an der himmelhohen Glaswand entlang. „Wir haben Sturm!" rief er. „Oder was ist das? Was ist das? Sehen Sie! Herr Lehrer Huckepack öffnet dauernd den Mund, aber man hört ihn nicht! Auch Fräulein Ziege schreit offensichtlich, aber kein Ton dringt an unsere Ohren ... !!!" „Na, wenn man die Ziege nicht hört, ist es besonders
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schlimm", meinte Fräulein Freundlich stirnrunzelnd. Und -bums stieß sie auch gegen die Glaswand auf der Wiese! „Ich hol den Schulbus vom Küchenhof und versuche das unsichtbare Hindernis zu durchstoßen!" rief der Hausmeister. Er lief davon und kam mit dem Schulbus über die Wiese geholpert. Aber schon krachte es: bums, batsch, klirr ... !!! Der große Bus war ein Haufen Schrott. „Wären wir nur nie hierhergekommen!" rief Fräulein Freundlich. „Erst macht man mir den armen Herbert verrückt, und jetzt ist überhaupt alles verrückt. Am liebsten würde ich auf die Bäume klettern." Diese Worte schmeichelten den beiden Gespenster-Bäumen sehr, denn Fräulein Freundlich war eine nette, gescheite Person. „Laß ab, Bruder", flüsterte der Allesfresser-Baum dem GlasbläserBaum zu. „Es ist genug. Ich denke, sie werden nicht mehr lange bleiben!" Und er behielt recht. Kaum hatte der Glasbläser-Baum die Glaswand mit ein paar kräftigen Luftschnappern wieder in sich eingesogen, da befahl Herr Lehrer Huckepack den Kindern, ihre Sachen zu packen. Am selben Tag noch, barfuß oder auf Strümpfen, verließen sie das Schloß. Nur einer von den Schülern hatte seine Schuhe an: Herbert; das war ein kleiner Ausgleich für die erlittene Ungerechtigkeit! Auch der Hausmeister, seine Frau, die Köchin und die Putzfrau suchten schleunigst das Weite. Doch zur Ehre von Lehrer Huckepack sei gesagt: Er machte sich Vorwürfe wegen Herbert. „Wir haben Herbert bitter unrecht getan", sagte er zu Fräulein Ziege. „Es waren Sturmwirbel und ... äh ... wetterbedingte äh ... optische Täuschungen. Die Schuhe sind natürlich fortgewirbelt worden." Nach diesem Ereignis kam niemand mehr auf den Ge -
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danken, das alte Schloß noch einmal als Schullandheim zu benutzen, denn es wäre nur ein Landschielheim geworden. Das heißt: Die nächsten Kinder hätten bestimmt vor Schreck das Schielen gelernt! Die beiden Bäume hatten nämlich ihren Bruder, den Alleszertrümmerer, aus dem Wasser geborgen, und fortan stand immer einer von ihnen auf dem Rasenplatz Wache...
Beim Herrn Minister spukt es Die fünf kleinen Teufelchen waren in ihre höllische Heimat zurückgekehrt. Die Baum-Gespenster hatten ihr altes Schloß behalten. Was aber sollte aus den Geistern werden, die noch immer im Geistertal saßen? Der Zauberer wollte ja deshalb mit dem Innenminister sprechen. Dem Zauberer, auch wenn's nur ein fauler Zauberer war, fiel es nicht schwer, in das Ministerium zu gelangen. In diesem Ministerium, einem großen Haus, arbeitete der Minister während des Tages. Von dort aus bestimmte er zum Beispiel, welche Straßen gebaut werden, wie lange die Kinder in die Schule gehen müssen und wann die großen Ferien sind. Der faule Zauberer zauberte sich eine wunderbare goldstrotzende Uniform mit blitzenden Orden an den Leib. Aus den Gespenstern Schnürtel, Nappi und Buhuhu, die ihn begleiteten, machte er drei Sekretäre, die ihn bei seiner Arbeit helfen mußten. „Ich bin der Präsident von Banana", sagte er zum Pförtner. „Der Herr Minister erwartet mich!" Der Pförtner sah nur die prächtige Uniform, und schon verwirrten sich seine Gedanken; er konnte eine ganze Weile
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nichts anderes als „Jawohl, jawohl" hervorbringen. Dabei kramte er verzweifelt nach der Anmeldeliste. Der Zauberer hob seinen Zauberstab, und - hui - fand der Pförtner die Anmeldeliste mit dem Namen des Präsidenten von Banana! „Seine Exzellenz, der Präsident der Republik Banana, Generalfeldmarschall Toto Califonte Bimbusch Knalltüte?" „Jawohl!" bestätigte der Zauberer. „Und dies sind meine drei Begleiter!" Der Zauberer hat sich eine goldstrotzende Uniform angezaubert - und schon läßt der Pförtner die Geister herein
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Der Pförtner telefonierte mit dem Oberpförtner, dieser mit Abteilungsleitern, Regierungsräten und Oberregierungsräten. Dann hatte er schließlich den Herrn Innenminister am Apparat. Der Minister wußte zwar nichts von einem Präsidenten von Banana. Doch er dachte: Banana? Sicher ein neues Land - ein Staat mit neuer Regierung. Wahrscheinlich hat ihn mir der Außenminister geschickt, damit ich ihn ein bißchen unterhalte ... „Ich lasse bitten!" ertönte es im Hörer. Mit dem Fahrstuhl fuhren der Zauberer und die verwandelten Gespenster in den ersten Stock hinauf. Auf dem Flur stand bereits der Herr Minister. Er war ein großer, wichtig blickender Mann mit Namen Krause. „Herr Staatspräsident Toto Califonte Bimbusch Knalltüte, Exzellenz!" rief der Minister Krause. „Ich bin sehr erfreut, Sie in meinen Räumen begrüßen zu dürfen! Bitte, treten Sie näher! Was kann ich für Sie tun?" Der Zauberer und die drei Gespenster wurden in ein großes Zimmer geführt. „Bitte, Exzellenz, nehmen Sie Platz, - darf ich auch die Herren Ihrer Begleitung bitten — so ... Ich nehme an, Sie trinken ein Täßchen Kaffee - oder ein Glas Wein?" „Ich besorge alles, ich besorge alles", dienerte ein Sekretär. Leise fiel die Tür ins Schloß, und der Zauberer winkte mit dem verzauberten Zauberstab und beschwor die Tür, nicht wieder aufzugehen. Denn jetzt waren sie mit dem Minister allein, und das hatte der Zauberer gewollt. „Erzählen Sie mir von Banana, Exzellenz", bat der Minister. „Ich habe zwar schon viel von diesem Land gehört" das stimmte nicht, aber Minister sind zur Höflichkeit verpflichtet - „doch es würde mich freuen, einmal von Ihnen etwas über dieses weltbekannte Land zu erfahren.
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Und Minister Krause beugte sich vor und blickte den vermeintlichen Präsidenten Toto Califonte Bimbusch Knalltüte erwartungsvoll an. Doch seine Miene änderte sich jäh. Das Lächeln erstarrte zu Eis, und seine Augen blickten wie die eines gekochten Fisches. „ Wa - wa - wa - was ist das???" stammelte er. Ei, weh. Das Anzaubern der kostbaren Uniform mit den vielen Orden, die Verwandlung von Schnürtel, Nappi und Buhuhu in Sekretäre, die Beschwörung der Tür, all das hatte den Zauberer zu viel Kraft gekostet. Plötzlich verschwand der Zauber, und vor dem entsetzten Minister saßen ein bärtiger Mann mit Schlangenstab und drei schimmernde Bettlakengespenster. Der Minister fuhr hoch. „Ich dachte ...", stammelte er. „Ich träume wohl! Aber eben war doch noch der Präsident von Banana ..." Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und rief: „Hilfe, Hilfe!" Er lief zur Tür. Aber die war verschlossen, soweit wirkte der Zauber noch, und als der Minister an der Klinke rüttelte, brach sie ab. „Nanu?" keuchte der Minister. „Was ist denn das für ein Tag? Was ist denn mit mir los? Ist heute Fasching? Ich muß telefonieren." Er eilte zum Schreibtisch, wobei er es vermied, die sonderbaren Besucher anzusehen. „Telefon!" keuchte er. „Telefon!" Und schon griff er nach dem Hörer. Doch jetzt bekamen Zauberer und Zauberstab wieder Kraft, und der Telefonhörer in der Hand des Ministers verwandelte sich in den aufgesperrten Doppelkopf einer Zwillingsschlange. „Ja, hallo, Zentrale", rief der Minister in den einen Schlangenkopf hinein, während er den zweiten ans Ohr
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Jetzt erst merkt der Minister, wer seine Besucher wirklich sind hielt. „Kann mir irgend jemand sagen, ob heute Fasching ist? Da waren eben ,Banana' - Leute, aber jetzt -" Schaudernd hielt er inne. Aber als er gar merkte, daß er einen Schlangenrachen am Ohr hatte und in einen zweiten Schlangenrachen hineinblickte, stieß er einen gellenden Schrei aus. Er ließ das ekelhafte „Telefon" auf den Fußboden fallen
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„Huhuhu", kicherte Buhuhu. „Krrr, krrr", schepperte Schnürtel. „Knack, knick", knackste höhnisch das Nappi-Gespenst. Der Zauberer aber saß unbeweglich da. Seine schwarzen Augen blickten starr. Von seinem schwarzen Bart kräuselte sich kein Haar, denn er sammelte neue Kraft, die seine bleiche Hand auf den Zauberstab übertragen sollte. „Wer hat euch komisches Volk hier hereingelassen?" rief der Minister. „In mein Ministerium kommen sonst nur Staatsmänner, Präsidenten aus Banana und - und ..." Er faßte sich an die Stirn: „Banana? Banana? Unsinn, das ist doch ein Lied? Ein Schlager ..." Und der Minister tanzte um den Schreibtisch herum und sang: „ Juanita Banana, Banana Ba-ba-ba-ba na-na-na“! Er glaubte, der Spuk sei nur eingebildet, und er könnte ihn durch munteres Singen vertreiben. Doch als er aufsah, hockten der bleiche, schwarze Mann und die drei grausig schimmernden Bettlakengespenster immer noch da. Der Minister fiel ächzend in seinen Schreibtischsessel. „Natürlich empfange ich auch Abordnungen", sagte er. „Hausfrauen, Kindergärtnerinnen, Fische - äh, ich meine Fischerei-Verbände ... Ich nehme an, Sie sind eine Zirkus-Abordnung." „Wir sind eine Geister-Abordnung", sagte der Zauberer mit schauerlich tiefer Stimme. „Eine Geister-Abordnung", flötete Buhuhu. „Jawohl, eine Geister-Abordnung", schepperte Schnürtel. „Ganz gewiß", krächzte Nappi und ließ seinen Zahn leuchten.
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„Geister???" Der Minister atmete tief. „Das ist nicht möglich. Das ist..." Er sprang auf. „Quatsch! Unsinn! Polizei! Ihr werdet verhaftet." Er drückte auf den Alarmknopf, aber kein schrilles Läuten zerriß die Stille des Hauses. Statt dessen kam die Lampe herabgesaust und zerschellte klirrend auf dem Fußboden. „Schluß mit dem Zirkus!" rief der Innenminister, der sich darauf besann, daß er nicht nur ein Herr Krause, sondern der „Herr Minister für Innere Angelegenheiten", also der Innenminister Krause war. Als er einen kleinen Schnaps getrunken und sich eine Zigarre angezündet hatte, fühlte er sich wieder stark. „Sie mögen vom Zirkus sein und sich auf Zaubertricks verstehen, das kennt man ja, das kennt man ja. Ich bin gewiß kein Spaßverderber, aber ich bin schließlich jetzt im Dienst. Im Dienst meines Landes. Sie müssen jetzt begreifen ..." Da setzte sich die Lampe von selber wieder zusammen und flog heil an die Decke zurück. Dort hängte sie sich brav an ihren Platz. Der Minister starrte hoch. „Sie müssen be - be - begreifen!" wiederholte er mechanisch. „Sie müssen begreifen!" erklang die düstere Stimme des Zauberers. „Nämlich, daß wir wirklich Gespenster sind! Eine GespensterAbordnung, jawohl! Und wir verlangen von Ihnen Hilfe!" „Hilfe!" rief der Minister, und das klang fast wie ein Hilfeschrei. „Hilfe? Eine Gespenster-Abordnung verlangt von mir Hilfe?" „Wir gehen sonst auf die Straße und erzählen allen Leuten, wie es um uns Geister bestellt ist", sagte Nappi. „Wir gehen demonstrieren!" drohte Buhuhu. Bei dem Wort ,demonstrieren' erschrak der Minister mächtig. Gespenster fielen nicht in sein Fach, wohl aber
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Straßenkrawalle und Verkehrsbehinderungen; denn schließlich untersteht dem Innenminister auch die Polizei. Und plötzlich glaubte er an Gespenster. Er sah Gespenster. Er stellte sich das alles bildlich vor: Schimmernde, flimmernde, wimmernde, wummernde, bummernde, schummernde Gestalten in den Straßen, schreiende Menschen, die auf der Flucht ihre Hüte, Schirme, Stöcke und Einkaufstaschen verloren - und die machtlose Polizei, die den Gespenstern selbst mit Wasserwerfern nichts anhaben konnte. „Was für eine Hilfe wollt ihr?" fragte er heiser. „Im Geistertal haben sich Gruselgestalten und Wunderdinge versammelt, denen die neue Zeit keinen Platz mehr läßt", erklärte der Zauberer. „Der Bau von Staudämmen, Autobahnen, Sportplätzen, Tunnels, Ölleitungen, Flughäfen, Städten, Kraftwerken - der Abriß alter Burgen und Schlösser, das alles hat die meisten Geister verscheucht. Verschaffen Sie uns neue Spuk- oder Ruheplätze, und wir lassen uns hier nie wieder blicken!" „Verflixt nochmal!" rief der Minister. „Selbst wenn ihr Geister seid und alles stimmt, was ihr erzählt - wie soll ich euch helfen?" Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein, das kann nicht stimmen. Ich habe Fieber, ich träume." Er schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. „Aua!" schrie er. „Aua!" Denn die Schreibtischplatte hatte der Zauberer schnell in eine heiße Herdplatte verwandelt. „Sehen Sie nun ein, daß Sie nicht träumen, Herr Minister?" fragte der Zauberer höflich. „Ja", ächzte der Innenminister, indem er die Brandblasen an seiner Hand betrachtete. „Aber ich brauche noch ein paar Beweise, damit mir der Herr Ministerpräsident glaubt. Vor allem die Abgeordneten im Parlament. Am Ende jagen die mich weg, und dann kann ich Minister in der Klapsmühle spielen."
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„Ich werde euch ein paar Aufgaben stellen", erklärte er. „Ich gehe jetzt an das grüne Telefon, das ist der Apparat zum Ministerpräsidenten. Wenn ihr es fertig bringt, daß der Herr Ministerpräsident zu mir etwas besonders Lustiges sagt, glaube ich euch." „Gu t", nickte der Zauberer. „Rufen Sie den Herrn Ministerpräsidenten an." Der Innenminister ließ sich verbinden, er schaltete einen kleinen Lautsprecher ein, so daß der Zauberer und die Gespenster mithören konnten. Er räusperte sich und begann. „Guten Morgen, hier Krause, sind Sie am Telefon, Herr Ministerpräsident?" „Gewiß!" kam eine vornehme Stimme zurück. „Hier ist der Ministerpräsident. Was willst du denn, du Schaf? Mach schnell mal, Bäh!" „Bäh!" machte der Innenminister. Dann warf er entsetzt den Hörer hin. „Tatsächlich! Das ist der Ministerpräsident gewesen. Um Himmels willen..." „Wollen Sie noch mehr Beweise?" fragte der Zauberer. „Nein, nein, nein!" rief der Minister. „Ich glaube euch! Aber was soll ich tun? Wo soll ich so viele Gespenster unterbringen? Warum zaubert ihr euch nicht einfach Spuk- und Ruheplätze? Sie da, Herr, Sie sind doch ein Zauberer!" „Ja, aber nur ein kleiner, gewissermaßen ein fauler Zauberer", seufzte der Angeredete. „Mein Zauber hält nie lange an - und etwas ganz, ganz Großes habe ich nie gekonnt!" O je. Das hätte der Zauberer nicht sagen sollen. Der Minister schwieg einen Moment, dann richtete er sich auf, sein Lächeln war höhnisch, und seine Augen blickten kalt: „So, so, ein fauler Zauberer, ein kleiner - und etwas Großes haben Sie nie gekonnt? Interessant, interessant! Und Ihr Zauber hält nie lange an? Köstlich, köstlich. Das erleichtert
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die Sache natürlich sehr. Also, es tut mir leid, mein Herr, ich kann nichts machen. Gehen Sie zurück in ihr sogenanntes -haha - Geistertal und sagen Sie dem ganzen müden Gerumpel, es soll da bleiben, bis es schwarz wird. Auf Wiedersehen, meine Herren, ich habe zu arbeiten ..."
Der verzauberte Minister will Würstchen statt Akten schicken
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Der Zauberer und auch Schnürtel, Nappi und Buhuhu erhoben sich. „Ist das Ihr letztes Wort, Herr Minister?" fragte der Zauberer. „Mein letztes! Und nun zaubern Sie die Türklinke wieder an die Tür und verlassen mein Ministerium auf dem schnellsten Wege!" Die vier Besucher schritten zur Tür, doch sie öffneten sie nicht, sondern schwebten einfach durch sie hindurch. „Ha, ha", lachte der Herr Minister. „Entweder habe ich wirklich geträumt, oder ich habe meine Sache sehr gut gemacht. Der Spuk ist verflogen." Doch als seine Mitarbeiter und die Sekretärinnen hereinkamen, blieben sie wie angewurzelt stehen. Der Minister stand wohl mitten im Raum, aber nicht an seinem Schreibtisch, sondern in einer Würstchenbude. Er hatte eine weiße Mütze auf dem Kopf und einen weißen Kittel am Leib. Und eben wickelte er ein Paar heiße Würstchen in ein Aktenpapier ein. „Tragen Sie das gleich einmal zum Herrn Ministerpräsidenten hinüber", sagte er. „Es eilt! Den Senf schicke ich nach!"
Besuch beim .Großen Zauberer' Nun, auch beim Herrn Minister hielt der Zauber nicht lange an. Bald saß er nicht mehr in seinem Amtszimmer in einer Würstchenbude, sondern, wie er es gewohnt war, wieder am Schreibtisch. Seine Mitarbeiter meinten - was sollten sie anderes tun - sie hätten sich alles nur eingebildet. Doch der Minister konnte leider nicht mehr an Einbildung glauben. Vor ihm nämlich lagen zwar keine heißen
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Würstchen mehr, aber eine Wursts cheibe wollte nicht weichen. Sie war dünn und so groß wie ein Fünfzigpfennigstück. Sie lag auf einem Zettel, und auf dem Zettel stand in geisterhaft schimmernder Schrift:
Herr Minister! Jetzt kommen böse Zeiten. Das Land wird von einem Geistertanz erschüttert werden. Wenn Sie mich sprechen wollen, werfen Sie diese Wurstscheibe als Münze in den Schlitz eines Fernsprechers in einer Telefonzelle. Dann erreichen Sie mein Ohr sofort. Ihr ergebener F. Z. „F. Z." hieß natürlich „Fauler Zauberer". Der Minister wollte den Zettel und die Wurstscheibe in den Papierkorb werfen, doch dann besann er sich und steckte sie in die Tasche. Düstere Vorahnungen plagten ihn. Vielleicht würde er von dem geisterhaften Angebot doch Gebrauch machen müssen ... „Der Minister soll sich wundern", sagte der faule Zauberer. „Jetzt geht/s zum Großen Zauberer, der weiß sicher, was wir jetzt tun sollen!" Zusammen mit den Gespenstern Schnürtel, Nappi und Buhuhu fuhr er mit der Untergrundbahn zum Großen Zauberer, der tief unter der Erde eine eigene U-Bahnstation besaß. „Station Zauberschloß, niemand aussteigen!" rief der Stationsgeist. Das galt den menschlichen Fahrgästen. Die Geister durften natürlich heraus. Der Zug mit den traum-
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versunkenen Leuten fuhr zurück und begab sich schleunigst wieder auf die fahrplanmäßig vorgeschriebene Strecke. Der faule Zauberer fragte den Bahnhofsgeist: „Über welche Rolltreppe, bitte schön, gelangen wir zum Großen Zauberer?" „Über keine mehr", sagte der Bahnhofsgeist traurig. „Das Schloß ist abgerissen worden, die Aufgänge sind zugeschüttet. Ich selbst bin seit fünf Jahren im Ruhestand und spiele hier mit alten Lokomotiven. Es kommt schon noch gelegentlich eine U-Bahn mit einem alten Geist, der den Großen Zauberer besuchen will, aber die meisten müssen unverrichteter Dinge wieder abschweben oder auf den nächsten Zug warten. Der Große Zauberer läßt sich kaum noch sprechen. Wollt ihr mit mir Eisenbahn spielen?" Der Eisenbahngeist zog eine Spielzeugbahn aus der Tasche, blies mehrmals darauf und stellte sie neben die Bahnsteigkante. Plötzlich wurde sie größer und immer größer, bis sie richtiggehend erwachsen war. Aus Höflichkeit stiegen die vier Besucher ein, denn sie mochten dem Eisenbahngeist seinen Wunsch nicht abschlagen. „Setzen wir uns in den Speisewagen?" fragte der Eisenbahngeist hoffnungsvoll. „Der ist besonders schön, und darin bekommen selbst solche Geister Hunger, die gewöhnlich nie etwas essen!" Der Speisewagen war wirklich von einzigartiger Pracht: geisterhaft grün schimmernde Wände, Tische und Stühle. An jedem Platz befand sich ein rotleuchtender Knopf, auf den man nur zu drücken brauchte, und das Gewünschte kam sofort. „Kuchen! Kuchen!" rief das kleine Buhuhu und drückte den Knopf gleich zwanzigmal. Zwar hatte das Buhuhu noch niemals Kuchen gegessen, aber hier, im Geisterspeisewagen, verspürte es eine richtige
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Gier darauf. Plötzlich fielen ihm auch die Bezeichnungen der menschlichen Zuckerbackwerke wieder ein: Kirschtorte, Mohrenkopf, Königskuchen, Mandelkranz, Schillerlocke, Liebesknochen, Sachertorte, Rumkugel, Käsekuchen, Apfelstrudel, Negerkuß ... und was es sonst noch alles gibt. Das Buhuhu aß alles hintereinander, ohne zu kauen oder zu schlucken. Die Stücke flogen nur so in seinen Bettlakenmund. Nappi, der ja einst Kaiser Napoleons Zahn gewesen war, wählte natürlich „Napoleonschnitten", und bei jeder, die er verschlang, rief er laut: „Es lebe der Kaiser!" Der faule Zauberer aß vorzugsweise Essiggurken, denn er war sauer wegen des Mißerfolgs beim Minister. Sauerbraten ließ er sich auch gefallen - mit saurer Sahne - und als Getränk wählte er Sauermilch. Der Eisenbahngeist trank Sekt. Schnürtel hatte sich eine gebratene Weihnachtsgans bestellt, dazu trank es abwechseln Kakao und Bier. „Hier können wir bleiben!" meinte Buhuhu. „Das ist ein Ort, an dem es mir gefällt! Ewig im Speisewagen, ewig den köstlichen Kuchen essen, das ist besser als Spuken!" Der Eisenbahngeist seufzte. „Schön war's. Aber das ganze ist eben nur ein Spiel. Es dauert nur kurze Zeit, dann stehe ich wieder auf dem leeren Bahnhof. Ich kann auch nicht jedesmal einen Schnellzug mit Speisewagen hinstellen. Schließlich muß ja auch mal ein Kesselwagenzug mit - sagen wir - Öl zu seinem Recht kommen." Kaum hatte er das ausgesprochen, da schwammen alle im dunklen Bauch eines Tankwagens in stinkendem Heizöl. „Brr!" gurgelte Buhuhu. Schnürtel planschte wie verrückt umher, und Nappis Zahn beschlug vor Ekel. Plötzlich aber standen sie allesamt, zwar öltriefend, aber wohlbehalten, wieder an der Bahnsteigkante. „Nun ist's genug mit dem Eisenbahnspiel", sagte der
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faule Zauberer zu dem Eisenbahngeist, der in Zauberdingen offenbar noch unbeholfener war als er selber. „Wenn schon das Schloß nicht mehr da ist, wo ist dann der Große Zauberer geblieben?" „Er schläft irgendwo in der Nähe der zugeschütteten Rolltreppe", erwiderte der Eisenbahngeist. „Auch ihm macht die ganze Zauberei keinen Spaß mehr. Als die Menschen anfingen, Mondraketen zu bauen, hat ihn die Wut gepackt. ,Die machen das alles ohne Zauberer', hat er gesagt, ,schön, dann bin ich eben überflüssig!' Er hat seelenruhig zugeschaut, wie sie sein Schloß abgerissen haben, und dann hat er sich in eine Fuchsfalle verwandelt. Ich glaube, er rostet so vor sich hin." „Rostet? Fuchsfalle?" fragte der faule Zauberer schnell.
Brrr . . . dieses Ölbad ist wirklich ein schlechter Zauber
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„Ja, oder in eine kaputte Flasche, was weiß ich!?" sagte der Eisenbahngeist mürrisch. „Nie berichtet mir jemand was Genaues. Schwebt durch den verschütteten Eingang und seht selbst, ob ihr ihn findet!" Die vier Besucher beeilten sich, dem Vorschlag zu folgen. Oben aber erwartete sie kein Urwald, ke in Felsgebirge mit den Trümmern eines Zauberschlosses, sondern - die Landesgartenbauschule. Da übten viele Junggärtner und Junggärtnerinnen das Graben, Säen, Pflanzen, Jäten, Ernten, Gießen und noch viel, viel schwierigere Dinge. Buhuhu, Schnürtel und Nappi machten sich schnell unsichtbar, denn schon rief der stellvertretende Landesgartenbauschulleiter, Professor Doktor Pflaume, den Zauberer an: „Treten Sie gefälligst nicht auf den Rasen! Was suchen Sie überhaupt hier?" „Eine rostige Fuchsfalle oder eine alte Flasche", erwiderte der faule Zauberer. „Wollen Sie mich verhöhnen?" rief Doktor Pflaume. „Hier ist eine Gartenbauschule! Gartenbau ist eine Wissenschaft und kein Vergnügen." Der faule Zauberer tippte dem Wütenden mit seinem Stab auf die Schulter. Doktor Pflaume verwandelte sich sogleich in ein Verbotsschild, auf dem stand: Nicht auf den Rasen treten! Ich bin eine Pflaume! Plötzlich hüpfte der Zauberstab in der Hand des faulen Zauberers. Er wies direkt auf eine kleine Tanne. „Das ist der Große Zauberer", murmelte der faule Zauberer. „Keine Fuchsfalle und keine Flasche, sondern diese Tanne hier ist der Große Zauberer." Aber schon kam Professor Doktor Pflaume gelaufen, der aus seiner Starre wieder befreit war, und rief:
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„Runter vom Rasen! Was soll denn die Tanne da? Wer hat sie gepflanzt? Sie stört hier nur! Wo ist eine Säge?" Da wuchs die Tanne geschwind in die Höhe, spießte einen ihrer Zweige unter die Jacke des Professors und zog ihn hoch. „Halt!" schrie Professor Doktor Pflaume. „Es ist den Bäumen verboten, von selber so schnell zu wachsen! Es ist verboten ...!!" „... verboten, verboten, verboten ...!" hörte man es immer schwächer, denn die Tanne wuchs und wuchs und wuchs. Sie wurde immer dichter und immer größer. Schließlich verlor sich die Spitze mit dem Zweig, auf dem Doktor Pflaume saß, in den Wolken. „Ja, ich bin der Große Zauberer!" knisterten die Tannennadeln in der Geistersprache. „Und ich weiß, weshalb ihr hier seid! Im Geistertal warten die Fabeltiere, die Wundertiere, Wunderdinge, Kobolde, Giftzwerge, Schauergestalten, Bettlakengespenster und Ungeheuer aller Art darauf, daß du, fauler Zauberer, ihnen neue Plätze verschaffst, wo sie nach Herzenslust spuken können. Du weißt nicht, wie du das machen sollst. Mein Rat: Eilt euch, den Geistern andere Plätze zu suchen, denn ihre Zeit ist bald zu Ende. Die Menschen haben nämlich auch ein Gespenst, und das wird immer mächtiger." „Welches Gespenst meinst du?" „Die Technik!" wisperte der Große Zauberer. „Alles also, was mit Maschinen und Apparaten zusammenhängt! Es wird die ganze Erde beherrschen! Vorher müßt ihr in Sicherheit sein!" „Aber wie?" rief der faule Zauberer. „Wie sollen wir das machen?" „Iß ein paar Nadeln von meinen Zweigen", raunte der Große Zauberer, wirf deinen Zauberstab fort und nimm an
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seiner Stelle einen Zweig von mir mit. Dann hast du drei Tage lang die Kraft, die Geister aus dem Geistertal auf die Menschen zu hetzen. Ich glaube, danach werden euch die Menschen jeden Wunsch erfüllen! Mich aber laßt jetzt in Ruhe." Und die Tanne schrumpfte wieder ein, setzte den Professor Doktor Pflaume ab und verschwand sogleich unter dem Rasen. Der faule Zauberer, mit den Nadeln im Mund und dem Zweig in der Hand, wurde augenblicklich sehr fleißig. „Schnürtel, Nappi, Buhuhu schwebt dem Geistertale zu!" befahl er. Natürlich schwebte er mit, und in weniger als zehn Zehntel Sekunden standen alle vier wieder zwischen den Ungeheuern im Geistertal.
Der boshafte Knopfabbeißer Inzwischen aber hatte sich einer der Kobolde selbständig gemacht. Das war der Kleine Knopfabbeißer, ein schrecklich jähzorniges, unnützes Ding. Zu ungeduldig, um die Rückkehr des faulen Zauberers abzuwarten, hatte er sich aus dem Geistertal davongemacht. Er hopste davon, um alle Knöpfe abzubeißen, die er sah. Dabei geriet er - ebenso wie die fünf Teufelchen - in eine Schule. Ausgerechnet der freundliche Lehrer Hagedorn war das Opfer seines ersten Zornes. Der Lehrer Hagedorn stand gerade vor den Schülern seiner Klasse, um ein lustiges Lied mit ihnen einzuüben, als ihn der Kleine Knopfabbeißer an-
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sprang. Der Kle ine Knopfabbeißer war so bleich vor Wut, daß man ihn nicht sah. Doch dafür sah man die Knöpfe am Anzug des Lehrers abplatzen. Das heißt, es machte nur ritsch - knurps - ritsch - knurps und man hörte etwas klicken, fast als fielen die Knöpfe in eine Spardose. In Wirklichkeit landeten sie in der Maultasche des Kleinen Knopfabbeißers. „He!" rief der Lehrer Hagedorn. „He!" Er drehte sich im Kreise. „Wer zupft mich da ... wer ... zum Teufel ... meine Knöpfe!" Drei Jackenknöpfe fehlten schon. Jetzt rupfte der Kleine Knopfabbeißer die Ärmelknöpfe nacheinander ab, er ließ sogar die silbernen Manschettenknöpfe nicht aus. Ebenso schnappte er nach dem Aufziehknopf der Armbanduhr. „Aua!" schrie Lehrer Hagedorn. „Aua!" Der Kleine Knopfabbeißer hatte ihn nämlich vor lauter Eifer in den Finger gebissen. Und zum Vergnügen der Schüler tanzte Herr Hagedorn vor der Klasse herum, als sei er in einen unsichtbaren Wespenschwarm geraten. Doch dann sprang der Kleine Knopfabbeißer zwischen den Schülern und Schülerinnen umher, daß ihnen das Lachen verging. Weil nämlich viele Jungen nur knopflose Pullis und Hosen mit Reißverschlüssen trugen, also keine Knöpfe an ihren Kleidern hatten, zwickte sie der Kobold aus Zorn darüber in die Ohrläppchen, und nun schrien sie „Aua ... aua ... aua!" und tanzten wie wild im Klassenraum herum. Ein Mädchen hatte herrliche, blanke Zierknöpfe am Kleid. „Ha!" knirschte der Kleine Knopfabbeißer, und „ritsch -knurps ritsch - knurps -" verschwanden sie in seiner Maultasche. „Hilfe!" rief das Mädchen, „Hilfe, wo sind meine Knöpfe ... ?"
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Der Kleine Knopfabbeißer biß sogar den Klingelknopf und den Lichtschalter von der Wand ab, aber das war ja jetzt bei Tage nicht so schlimm. Ohne sich um Lehrer und Schüler zu kümmern, schlüpfte er unter der Tür hindurch, rollte hinaus auf die Straße und hopste in das Kaufhaus der nächstgrößeren Stadt. Da gab es eine eigene Knopfabteilung, na, und da hatte er fürs erste natürlich viel zu tun ... Trotzdem ärgerte sich der Knopfabbeißer fürchterlich, als er sah, daß die schönen, bunten Knöpfe immer weniger wurden. Er versuchte sich auf Reißverschlüsse umzustellen. Aber sie brachten ihn fast an den Rand der Verzweiflung. „Ich werde jetzt der Kleine Reiß Verschluß-Abbeißer", schwor er sich. Und sogleich machte er sich an die Arbeit. In der Straßenbahn hüpfte er einer Frau auf den Rücken und versuchte am Reißverschluß ihres Pullovers zu ziehen. Er biß zu und zerrte daran. Im gleichen Moment kam der Schaffner. „Die Fahrkarten, bitte, bitte die Fahrkarten!" „Au!" schrie die Dame. „Aua!" „Die Fahrkarte!" rief der Schaffner. Aber die Dame schrie immer lauter. „Eine Maus!" kreischte sie. „An meinem Reißverschluß zerrt eine Maus!" „Das ist nicht möglich", meinte der Schaffner. „Die Städtischen Straßenbahnen befördern keine Mäuse. Sie müssen sich irren, meine Dame!" „Ich irre mich nicht!" schrie die Frau. „Sie haben eine Maus im Wagen! Und da erlauben Sie sich, mich um die Fahrkarte zu bitten? Aua ... aua ... !" Und nun heulte sie wie die Sirene einer Funkstreife. „Sie behindern den Transport, meine Dame", sagte der Schaffner streng. „Das ist verboten. Außerdem beleidigen Sie meine Straßenbahn. In diesem Mäusewagen ... äh ...
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in diesem Bahnwagen befindet sich keine Maus. Wir sind ja keine rollende Scheune!" Die Fahrgäste lachten, aber da der Knopfabbeißer mit dem Reißverschluß der Dame nicht zurande kam, schrie die Dame immer weiter. „Schluß jetzt!" brüllte der Schaffner. Im gleichen Moment kam der Knopfabbeißer, der es aufgegeben hatte, ein Reißverschlußabbeißer zu werden, hinter dem Rücken der Frau hervor. Er hörte die Befehlsstimme des Schaffners, und er glaubte, einen Hauptmann vor sich zu haben. „Ha", dachte er. „Endlich bessere Knöpfe!" Und er biß dem Straßenbahnschaffner sämtliche, aber auch sämtliche Knöpfe ab. Da konnte der arme Mann keine Fahrkarten mehr kontrollieren. Doch als der Knopfabbeißer ausgestiegen war und seine Maultasche leerte, bemerkte er, daß es keine wertvollen Knöpfe waren. Nun versuchte er es beim Kölner Karneval. An den Kleidern der Leute glitzerte alles, und an Knöpfen schien kein Mangel zu herrschen. „Ha!" triumphierte der Knopfabbeißer. „Hier wird ein König gekrönt! Da bin ich dabei!" Aber das billige Flitterknopfzeug schmeckte ihm nicht, denn er wollte endlich schönere, teurere Knöpfe abbeißen. Da tat er in seiner mörderischen Wut einen Luftsprung, hopste über Land und Wasser und saß auf einmal mitten in der Stadt London. Er kam gerade zurecht, als eine Dame aus einem funkelnden Rolls Royce-Wagen ausstieg und zu ihrem Fahrer sagte: „John, ich will zum Juwelier Mottencrock und mir ein paar Edelsteinknöpfe besorgen. Ich brauche sie für mein
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Staatskleid. Nächste Woche bin ich bei der Königin eingeladen." Ei, das klang gut! Der Knopfabbeißer hopste lautlos und geschickt in dem kostbaren Auto umher. Dabei bemerkte er, daß die Knöpfe und Hebel am Schaltbrett aus Silber waren. Zack-zack-zack-
Der Knopfabbeißer verschont auch die Hosenknöpfe der Polizisten nicht
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zack-zack..., biß er sie alle ab, und sie schmeckten ihm vorzüglich. „Was ist denn, John?" fragte die Dame ihren Fahrer. „Ach, ich wollte Licht machen, wegen des Nebels", murmelte John verstört. „Aber ich finde den Knopf nicht. Und auch nicht den von der Scheibenwaschanlage ..." Und bumms - fuhren sie gegen eine Laterne. Der Knopfabbeißer biß der Dame noch ein paar wunderschöne Mantelknöpfe ab und ließ sich mit der Ohnmächtigen auf einer Bahre auf die Straße tragen. Zum Glück war ihr weiter nichts passiert. Aber die Bobbys, die Londoner Polizisten, die den Unfall aufnahmen, mußten samt und sonders ihre Knöpfe lassen. Dann lief er in ein großes Haus, dessen Außenfassade so verführerisch gefunkelt hatte, und das trotz des Nebels! Er wußte nicht, daß er sich in einer Bank befand. Hier zahlten Leute Geld ein oder ließen sich we lches auszahlen. Sie unterschrieben Papierscheine und machten ernste Gesichter... überhaupt war alles sehr feierlich. Der Knopfabbeißer schlich von Schalter zu Schalter, aber an Knöpfen sah er nun wirklich nichts Besonderes. Plötzlich zuckte er zusammen. Nun muß man wissen, daß der Knopfabbeißer schon viel erlebt hatte. Er war ja vor langer, langer Zeit schon mit Columbus nach Amerika gefahren und nur deshalb zurückgekommen, weil die Indianer damals noch keine Knöpfe hatten. Aber auch auf Piratenschiffen, im Pulverdampf, hatte sich der Knopfabbeißer herumgetrieben und so manche Kugel pfeifen hören. Jetzt hatte ihn ein Geschoß aus irgend so einem neumodischen Schießeisen getroffen. Der Knopfabbeißer hopste, als wenn ihn eine Biene gestochen hätte. Aber trotz Wut und Schmerz erkannte er, was
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hier geschah. Es fuhr in ihn wie ein Blitz. Er sah Gestalten, die seltsame Masken über ihren Gesichtern, ja, über den ganzen Köpfen trugen. Gespenster? Nein! Wenigstens keine echten! Es waren vermummte Menschen! Und sie raubten etwas, wollten etwas rauben ... Und der eine Bursche hatte geschossen und den Knopfabbeißer getroffen. „Banküberfall...!!!" schrien die Leute. Der „Spuk ohne Gespenster" verflog zwar sehr rasch, aber der Knopfabbeißer, der hinter einem Spucknapf hockte, hörte, daß die menschlichen Gespenster Goldbarren gestohlen hatten. Goldbarren im Werte von zwanzigtausend Pfund! Das unbeschreibliche Durcheinander in der Bankhalle wich alsbald einer spannungsgeladenen Stille. Da lief ein schnauzbärtiger Mann herum, den alle mit „Herr Inspektor" anredeten, da wurden Fotos gemacht, Entfernungen gemessen, Leute verhört. Und der „Herr Inspektor" räusperte sich fortwährend und sagte: „Keine Spur! Keine Spur ... Und draußen herrscht dicker Londoner Nebel!" Da gab sich der Kleine Knopfabbeißer einen Ruck. Er sprang hinter dem Spucknapf hervor, hopste dem Inspektor auf die Schulter und raunte ihm ins Ohr: „Herr Inspektor, Sie suchen die vermummten Männer, die das Gold gestohlen haben, nicht wahr?" Der Inspektor verzog keine Miene, denn er war Engländer und obendrein Kriminalpolizist. „Mit wem spreche ich?" quetschte er zwischen den Zähnen hervor, so, daß es niemand hörte. „Sie sprechen mit mir, nämlich mit dem berühmten Knopfabbeißer, den allerdings niemand kennt. Ich habe schon auf der Schulter Ihrer Königin Viktoria gesessen, und
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zwar im vorigen Jahrhundert, als sie sich Ohrringe mit Brillantknöpfen anpassen ließ." „Aha", erwiderte der Inspektor unbewegt. „Ich kombiniere, du willst mir helfen?" „Genau", sagte der Knopfabbeißer. „Denn sehen Sie, midi hat's erwischt. Ich habe einen Knacks, und übrigens wollte ich seit langem keinen Knöpfen mehr nachjagen. Nur die Not zwang mich dazu." „Nun, und?" fragte der Inspektor. „Ich schlage Ihnen ein Abkommen vor", wisperte der Knopfabbeißer. „Sehen Sie, ich habe den Dieben vorhin in meiner rasenden Wut die Knöpfe abgebissen ..." Der Inspektor war so überrascht, daß sein linkes Schnauzbartende zitterte. „Her damit!" zischte er. „Die Knöpfe der Gauner bringen uns vielleicht auf eine Spur!" „Langsam, langsam", kicherte der Knopfabbeißer. „Erst Ihr Versprechen, Herr Inspektor! Ich geb Ihnen die Knöpfe, aber ich verlange eine Rente dafür... eine Beamtenpension. Nicht in Geld, verstehen Sie? Nur ein stilles Ruheplätzchen - und ab und zu mal ein hübsches Knöpfchen zum Beißen!" „Abgemacht!" nickte der Inspektor. So bekam der Inspektor die Knöpfe der Räuber, und sie führten ihn auch wirklich auf die richtige Spur. Die Täter wurden erwischt und eingesperrt, die Bank erhielt das Gold zurück - und der Inspektor wurde zum Oberinspektor befördert. Der Kleine Knopfabbeißer aber bekam ein wunderschönes Plätzchen im Polizeimuseum. Dort lag er - wie eine Königskrone - auf einem Samtkissen unter Glas, und alle Besucher konnten auf dem Schild darunter lesen: ,Gegenstand, der zur Aufklärung des großen Banküberfalls geführt hat.' Die Leute schüttelten den Kopf, dachten sich aber nichts weiter. ,Gegenstände, die zur Aufklärung von
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Als Dank bekommt der Knopfabbeißer jeden Tag einen blankpolierten Polizistenknopf
Straftaten führen', sind oft sehr wunderlich. Ab und zu zwinkerte der Kleine Knopfabbeißer behaglich auf seinem Samtkissen - und auch das bemerkte niemand. Und wenn die Besuchszeit beendet war, kam jedesmal ein Wärter auf leisen Sohlen, hob den Glasdeckel und schob dem Knopfabbeißer einen blankpolierten Polizistenknopf ins Maul. Das machte den kleinen Kobold natürlich immer ganz stolz ...
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Die Abenteuer des .Sorgenvollen Mülleimers' Doch zurück ins Geistertal: Als der Zauberer und seine Begleiter ankamen, öffnete der Drache seine Augen und tauchte die ganze Landschaft und die wartenden Geister wieder in unheimliches Flutlicht.
„Was habt ihr zu berichten?" fauchte er. „Was hat der Minister gesagt? Will er uns helfen? Es macht keinen Spaß, mit all dem Gesindel hier auf engem Raum zu hausen." „Der Minister hilft uns nicht", erklärte der Zauberer. „Er glaubt weder an unsere Macht, noch daß wir so zahlreich sind." Da entstand unter den enttäuschten Geistern ein unerhörter Lärm. Die Giftzwerge zogen sich vor Wut an den eigenen Haaren, Nasen und Ohren, die schlafenden Riesen, einäugige Gestalten in der Größe von Fernsehtürmen, wachten auf, brüllten sich gegenseitig an und schlugen einander bewußtlos. Schöne Feen sahen vor Zorn plötzlich so häßlich aus, daß man sie nicht von den Hexen unterscheiden konnte. Der „Sorgenvolle Mülleimer" klappte wie verrückt mit dem Deckel. „Halt, halt, ich habe auch eine gute Nachricht!", rief der Zauberer, doch der Sorgenvolle Mülleimer war schon auf und davon. Immer lagen Gold, Silber und Edelsteine für die Menschen in seinem Bauch bereit. Aber niemand hatte es bisher für möglich gehalten, unter der häßlichen Klappe etwas Wertvolles zu finden. Niemand wollte den Mülleimer sehen, immer stellte man ihn in die hinterste Ecke. Nun wollte er's den Menschen einmal zeigen! Auf Bahnschienen lief er so lange und so geschwind, daß er die Stadt mit dem
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schönsten Opernhaus noch vor der Festvorstellung erreichte. Und plötzlich wandelte er zwischen Herren im Frack und schönen Damen in noch schöneren Abendkleidern durch den Eingang des Theaters. Der ,Sorgenvolle Mülleimer' war in der Oper! Die Karten-Abreißer versuchten ihn natürlich sofort wieder hinauszudrängen, doch er gab ihnen ein paar kräftige Kinnhaken mit dem Deckel und rannte hinter die Bühne. Dort brachte er gleich die Sänger durcheinander. Man spielte gerade die „Zauberflöte" von Mozart, und da wird ja schön musiziert und gesungen. In diesem Stück hat ein häßlicher Mülleimer wahrhaftig nichts zu suchen. Den Dirigenten, Herrn Generalmusikdirektor Professor Eitel-Emsig Pulthampel, traf fast der Schlag, als der Vorhang aufging. Da stand der Mülleimer an der Rampe und machte mit dem Deckel fortwährend klapp-klapp. „Schluß!" rief der Generalmusikdirektor. Er warf den Taktstock nach dem Mülleimer, und er hatte gut gezielt... Der Taktstock verschwand im Bauch des Mülleimers, und der Deckel schloß sich über ihm. Es versteht sich, daß alle Sängerinnen in Ohnmacht fielen und daß das Orchester zu spielen aufhörte. Das Publikum tobte vor Empörung. Die Kritiker schrien „Skandal...!"- „Skandal... !" und der Generalmusikdirektor stürzte sich vor Verzweiflung mit einem Kopfsprung vom Podium. Da aber aller Wunderdinge drei sind, müssen wir noch die „Tanzenden Schuhe" erwähnen, die - allerdings unfreiwillig - hier auftraten. Nach einem unruhigen Dasein hatten auch sie sich nach einem Ruheplatz umgeschaut, ohne jedoch einen zu finden. Aus der Truhe auf dem Dachboden hatte man sie wieder herausgekramt, im dunklen Kellerwinkel hatte man sie auf-
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Der Dirigentenstock fliegt direkt in das Maul des Sorgenvollen Mülleimers' gestöbert, aus der Gosse waren sie aufgelesen und aus dem Teich herausgefischt worden. So hatten sie sich am Ende dem Sorgenvollen Mülleimer anvertraut, der sie in seinem Bauch zum Geistertal mitgenommen hatte. Natürlich hatte er dabei nicht versäumt, sie so zu verwandeln, daß sie der Schuhabteilung des größten Kaufhauses Ehre gemacht hätten.
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Doch, wie gesagt: Sie wollten nichts anderes als ihre Ruhe haben; im Bauch des Mülleimers dösten sie nun friedlich vor sich hin. Das Klapp-klapp des Mülleimerdeckels riß die beiden Schuhe aus den schönsten Träumen. Erschrocken starrten sie sich an. Als nun gar der Taktstock zu ihnen hereingeflo-
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gen kam, rief der linke der Tanzenden Schuhe, der ganz besonders empfindlich war, dem rechten zu: „Komm! wir springen hinaus!" Und bei dem letzten Klapp des Mülleimers hüpfte er mitten in den Lärm hinein, der sich im Opernhaus erhoben hatte. Leider gelang es dem rechten der Tanzenden Schuhe nicht mehr, ihm nachzusetzen, denn nun hielt der Mülleimer seinen Deckel fest verschlossen, um den Taktstock am Herausspringen zu hindern. Den linken der Tanzenden Schuhe verwirrte das Geschrei und das Toben des Publikums so sehr, daß er sich schleunigst unter einer Sitzbank der vordersten Reihe verkroch. Hier hatte eine Dame ihre zu engen Abendschuhe abgestreift, nach denen sie gerade mit den Füßen angelte. Dabei erwischte sie aus Versehen den Tanzenden Schuh, der sogleich mit ihr durch die Menschenmenge wirbelte. „Hilfe ... ! Hilfe ... !" schrie die Dame. Aber niemand kümmerte sich um sie. Zum Glück gelang es ihr, mit dem Tanzenden Schuh in ihre Wohnung zu hüpfen, wo sie ihn mit einem Aufschrei vom Fuß riß. „Das ist ja gar nicht meiner!" rief sie entsetzt. „O Schreck! Wer weiß, wer den schon getragen hat!" Hastig öffnete sie das Fenster und warf ihn hinaus auf die Straße. Es war eine schöne, stille Straße - aber was nützte das dem armen Tanzenden Schuh? Die ganze Nacht irrte er umher, um den Sorgenvollen Mülleimer und damit seinen über alles geliebten rechten Schuh wiederzufinden. Am Morgen, als er schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, befand er sich plötzlich vor einem Schuhgeschäft, das gerade geöffnet wurde. Hier war er wenigstens erst mal unter seinesgleichen! Kurz entschlossen schlüpfte er in den Laden hinein und legte sich einer jungen Verkäuferin zu Füßen.
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„Nanu, wo kommt der denn her?" fragte sie kopfschüttelnd, hob ihn auf und betrachtete ihn. Dann reihte sie ihn achselzuckend in ein Regal ein, über dem die Zahl 38 stand. Das war natürlich eine schwere Kränkung für den Tanzenden Schuh. Er hatte nämlich die Nummer 37! Er wartete ab, bis sich die junge Verkäuferin entfernte. Dann sprang er mit einem kühnen Satz in ein anderes Regal, und zwar in das Regal mit der Schuhgröße 37. Zu seiner Erleichterung fiel er hier überhaupt nicht weiter auf. Das ganze Regal war nämlich mit linken Schuhen aller Art vollgestopft, die alle auf eine Käuferin warteten. „Unsere rechten Schuhe liegen so lange in dem dazugehörigen Karton auf ,Lager', wo man sie im Bedarfsfalle wegholt", erklärte ein brauner Sportschuh. „Das ist wegen der Diebe. Mit einem einzelnen Schuh kann niemand was anfangen, wie du weißt." „Ja, ein einzelner Schuh ist das Nutzloseste auf der ganzen Welt", stimmte ein goldener Abendschuh ihm bei. „Genauso wie ein einzelner Strumpf." „Oder ein einzelner Handschuh", ergänzte eine weiße Sandalette, die gleich neben dem Tanzenden Schuh lag. Das Leder des Tanzenden Schuhs war vor lauter Schreck ganz blind geworden. So nutzlos war er also, wenn er den Sorgenvollen Mülleimer nicht mehr wiederfand! Seine Gedanken wurden durch ein junges Mädchen unterbrochen, das nach ihm griff und ihn über ihren linken Fuß streifte. Im nächsten Augenblick tanzte sie auch schon auf den Ladentisch zu, hinter dem eine ältere Verkäuferin mit einer funkelnden Brille stand. „Haben Sie etwas Passendes gefunden?" fragte die Verkäuferin. „Ja, hier!" erwiderte das junge Mädchen und streifte den
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Tanzenden Schuh von ihrem Fuß. „Bitte suchen Sie mir den anderen dazu heraus." „Einen Augenblick, bitte", sagte die Verkäuferin. Das junge Mädchen mußte ziemlich lange warten. Dann kam die Verkäuferin mit leeren Händen zurück. Den zweiten Schuh hatte sie trotz eifrigen Suchens natürlich nicht finden können. „Aber ich möchte gerade dieses Paar haben - und kein anderes!" beharrte das junge Mädchen. Und die Verkäuferin verschwand noch einmal im Lagerraum. Diesmal blieb sie sogar über eine halbe Stunde weg. Doch die Schachtel mit dem dazugehörigen Schuh fand sie auch diesmal nicht. Kein Wunder, daß das Mädchen ärgerlich davonging, ohne sich nach einem anderen Paar Schuhe umzusehen! Das wiederholte sich den lieben, langen Tag. Obwohl die ältere Verkäuferin angeordnet hatte, den Schuh nicht wieder in das Regal einzureihen, wurde er ihr noch zwölfmal von herantanzenden Kundinnen in die Hand gedrückt. Und jedesmal verließen die Damen voller Zorn das Schuhgeschäft. „Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen!" stöhnten die zwei Verkäuferinnen. Nun hatte der Tanzende Schuh zwar eine Menge Verwirrung gestiftet, aber das Suchen nach seinem rechten Schuh war vergeblich geblieben. Trotzdem konnte er sich nicht entschließen, den schützenden Laden zu verlassen und plan- und ziellos durch die Stadt zu irren. Mitten in der Nacht wurde die weiße Sandalette durch sein Schluchzen aus dem Schlaf gerissen. „Was hast du denn?" flüsterte sie. „Ich hab' Sehnsucht nach meinem rechten Schuh", schluchzte der Tanzende Schuh. Und nun erfuhr die weiße Sandalette von seinem Mißgeschick.
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„Da gibt es nur noch eine Möglichkeit für dich", sagte sie. „Wenn er nicht bei uns im Lager liegt, dann mußt du auf das Standesamt gehen. Dort finden sich, wie ich gehört habe, alle Paare zusammen." „Wirklich?" rief der Tanzende Schuh, von neuer Hoffnung durchdrungen. „Woher weißt du das denn?" „Weil ich am Fuß einer jungen Braut saß, als sie sich dort mit einem jungen Mann zusammengefunden hatte", erwiderte die weiße Sandalette. „Zusammen ergaben sie, wie gesagt, ein Paar!" „Aber wie bist du denn wieder hergekommen?" erkundigte sich der Tanzende Schuh. „Ich war zu eng für die junge Braut. Gleich nach dem Standesamt hat sie mich umgetauscht", erwiderte die weiße Sandalette. „Wenn du dich morgen früh rechtzeitig aufmachst, erreichst du bestimmt dein Ziel!" Kaum hatte das Schuhgeschäft am nächsten Morgen geöffnet, als sich der Tanzende Schuh von dem goldenen Abendschuh, dem braunen Sportschuh und der weißen Sandalette verabschiedete. Der Weg zum Standesamt war nicht nur sehr weit, sondern auch schrecklich umständlich, aber die weiße Sandalette hatte ihn so genau beschrieben, daß er trotzdem hinfand. Als der Tanzende Schuh das Gebäude endlich erreichte, kamen ihm zwei glückstrahlende junge Frauen entgegen, denen der Standesbeamte gerade die dazugehörigen Partner herausgegeben hatte. So jedenfalls stellte es sich der Tanzende Schuh in seiner Einfalt vor. Das gab ihm den Mut, auf einen der bereitstehenden Stühle zu hopsen und dem Standesbeamten sein Anliegen vorzutragen. „Zu einem Paar gehören aber immer zwei", sagte der Standesbeamte höflich.
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„Zu einem Paar gehören aber immer zwei", sagt der Mann hinter dem Schreibtisch „Ja, ja ... Aber den zweiten - in diesem Falle den rechten brauchen Sie doch nur aus einer Ihrer Schachteln hervorzuholen!" stammelte der Tanzende Schuh. „Schachteln? Von welchen Schachteln reden Sie, bitte?" fragte der Standesbeamte, dem die Sache plötzlich nicht mehr geheuer vorkam. Er konnte die Antwort nicht mehr abwarten, weil sich schon wieder ein junger Mann und ein junges Mädchen eingefunden hatten, die er zu einem Paar zusammenschließen sollte. Von diesem Augenblick an ging auf dem sonst so feierlichen Standesamt alles drunter und drüber. Bei jeder neu
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angesetzten Trauung beschwerte sich der Tanzende Schuh über die Ungerechtigkeit der Behörde, die zwar den Menschen, nicht aber den Wunderdingen zur Verfügung stünde. Und da er grundsätzlich dazwischensprach, während er auf dem Tisch herumtanzte, konnte es bei keinem der Paare zu einer gesetzlichen Eheschließung kommen. Solchen Schimpf hatte der Standesbeamte noch nie erlebt. „Sieben Trauungen hast du verhindert, du ... du einzelner Schuh!" rief er, am ganzen Leibe zitternd. „Hinaus mit dir, Elender!" Nachdem er den Tanzenden Schuh auf die Straße geworfen hatte, hängte er vor den Eingang des Standesamtes ein Schild mit der Aufschrift: 8 Tage geschlossen!
So lange brauchte er nämlich, um sich von diesem Schock zu erholen. Der Tanzende Schuh überlegte gerade, ob er die ganzen acht Tage vor dem Standesamt ausharren und dann wieder alle Eheschließungen verhindern sollte. Da sah er plötzlich den Sorgenvollen Mülleimer um die Ecke biegen. Beim Anblick des linken Tanzenden Schuhs öffnete der Mülleimer seine Klappe, wie man eine Mütze zur Begrüßung lüftet. Dazu sprach er mit einem erleichterten Aufatmen: „Na, endlich!" Eine halbe Sekunde später waren der rechte und der linke Tanzende Schuh wieder ein Paar. Nach diesen aufregenden Abenteuern hatte der Sorgenvolle Mülleimer von der Menschen-Welt wieder genug. Eilig strebte er zurück zum Geistertal. Dort hielt der faule Zauberer gerade eine Rede: „Mit dem Tannenzweig, den ich vom Großen Zauberer erhalten habe", sagte der faule Zauberer, „gebe ich euch
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allen Kraft und Mut. Lauft in alle Winde und denkt euch etwas aus, die Menschen zu ärgern! Treibt es toll, aber seid nicht grausam, damit wir noch mit ihnen verhandeln können. Drei Tage habt ihr Zeit - dann versammelt euch wieder hier!" Da erhoben sich alle Luftgeister und Drachen, Hexen und Feen und brausten durch die Luft davon. Die Kobolde, Giftzwerge, Bettlakengespenster, Wundertiere und Wunderdinge hopsten und schwebten nach allen Richtungen. Auch die Riesen quetschten sich aus dem Tal hinaus, reckten sich und schritten zum Meer, wobei sie die Seeschlangen mit sich nahmen.
Geistertanz Der Zauberer und die Bettlakengespenster Schnürtel, Nappi und Buhuhu aber eilten wieder in die Stadt, wo der Innenminister regierte. Am folgenden Tag lagen dem Minister so viele Zeitungsmeldungen und Berichte vor, daß er nur mit Mühe über die Papierberge zu seinem Schreibtisch gelangen konnte. Der angekündigte „Geistertanz" hatte im ganzen Lande begonnen! Furchtbare Nachricht kam von der Küste: Dort lagen die Riesen im Nord-Ostsee-Kanal und tranken die Deutsche Bucht und die Kieler Förde aus. Die Seeschlangen schnappten nach den Schiffen und knabberten an Schleusen, Kais und Hafenanlagen. Irgendwelche Kobolde brachten anscheinend die ganze Bundesbahn durcheinander. Leute, die von Hamburg nach Lübeck wollten, landeten in München. Die Zeitungen berichteten sogar von elektrischen Zügen, die auf keiner Station
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Unbekümmert steigen die Fluggäste in den Rachen eines Ungeheuers, das wie ein Flugzeug aussieht anhielten ... Aber von Zusammenstößen schrieben sie nichts. Geisterhaft! geisterhaft! Auf allen Flugplätzen landeten Riesenvögel, die wie Flugzeuge aussahen. Und tatsächlich stiegen die Fluggäste in die
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aufgeklappten Rachen der Ungeheuer, weil sie glaubten, es seien ihre Maschinen nach Berlin oder Paris. Seit Mittag war der Geistertanz im Gange, und die Schreckensnachrichten häuften sich immer mehr. Die AutobahnPolizei meldete starke Verkehrsbehinderungen durch Bettlakengespenster. Endlich nahm der Minister die Würstchenscheibe, die ihm der Zauberer gegeben hatte und warf sie in den Zahlschlitz des Apparats in der nächsten öffentlichen Telefonzelle. Dann griff er nach dem Hörer und schrie: „Hilfe!" Sofort meldete sich der Zauberer, der übrigens mit Schnürtel, Buhuhu und Nappi unsichtbar hinter dem Minister in der Telefonzelle stand. „Hier ist der Zauberer", sagte er. „Was ist los, Herr Minister?« „Das fragen Sie noch?" rief der Minister außer sich. „Ihre Geister toben seit gestern im ganzen Land herum, die Bettlakengespenster verstopfen die Straßen und die Waschmaschinen!" „Es hört sofort auf, wenn ihr Menschen uns einen Platz zum Ausruhen gebt", erklärte der Zauberer höflich. „Wir wollen in Zukunft unsere Ruhe haben, weiter nichts!" „Ich werde unsere Forscher zusammenrufen", versprach der Minister. „Die Forscher sind am ehesten in der Lage, etwas für euch zu tun. Sieben der berühmtesten befinden sich hier in der Stadt. Wir treffen uns in zwei Stunden im Gasthaus am Zoo, einverstanden?" „Einverstanden", sagte der Zauberer. In diesem Gasthaus, nicht weit von Affen und Nashörnern entfernt, versammelten sich die berühmten Forscher, der Innenminister und der Zauberer. Schnürtel, Nappi und Buhuhu waren vom Zauberer mit Hilfe des machtvollen Tannenzweiges in die Gestalt von Schäferhunden verwan-
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delt worden. Sie lagen jetzt unter den Tischen und hörten zu. „Die Sitzung ist eröffnet", sagte der Minister, wobei er sich den Schweiß von der Stirn wischte. „Meine Herren Forscher, helfen Sie den Geistern, die unser Land erschüttern, eine neue Heimat zu finden ..." Und er berichtete von dem Anliegen der Geister und ließ auch den Zauberer zu Wort kommen. Nun sind Gelehrte sehr mißtrauische Leute. Forscher müssen natürlich alles erst von allen Seiten erforschen, bevor sie zu einem Urteil gelangen. Aber manchmal können sie auch sehr voreilige Behauptungen aufstellen, nur, weil sie etwas noch nicht erforscht haben. So sagte denn auch gleich einer: „Gespenster und Zauberer gibt es nicht!" Und er sprach sogar noch überzeugter weiter, als der Zauberer seinen Kopf in einen Kürbis verwandelt hatte. Der zweite Forscher wollte Beweise haben, obwohl sein Kollege schon einen Kürbis als Kopf trug. Der Zauberer ließ ihm von Schnürtel, Nappi und Buhuhu, die jetzt ja Schäferhunde waren, in beide Beine und den linken Arm beißen. Als dies nichts nützte, machte er aus allen Forschern winzige Figuren, setzte sie auf den Tisch und spielte mit ihnen „Mensch ärgere dich nicht." Aber dann durften sie in ihrer ursprünglichen Gestalt weiter verhandeln. „Gespenster hin, Geister her - Zauberer drunter oder drüber..." meinte der dritte Forscher ärgerlich. „Man müßte dieses Volk auf den Mond schießen!" „Keine schlechte Idee!" rief der vierte Forscher. „Auf den Mond? Warum nicht gleich auf den Mars?" meldete sich der fünfte Forscher. Der sechste sagte ernst: „Aber das Geld! Es kostet wahnsinnig viel Geld, Raumschiffe mit Abschußrampen und Ra-
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keten für Geister-Weltraumflüge in solchem Umfang zu bauen." „Ja, ja", nickte der siebte Forscher. „Ja, ja", nickte auch der Minister. Und er fragte den Zauberer: „Könnt ihr nicht Geld zaubern?" „Das hat noch keiner gekonnt, solange die Erde besteht", sagte der Zauberer. Doch dann rief er: „Ich weiß etwas! Unter den Wundertieren im Geistertal gab es einen Dukatenesel, der Gold spucken konnte - den werde ich herbeizaubern ..." Und so geschah es. Der Esel erschien, und er spuckte soviel Geld, daß man alle Straßenlöcher im ganzen Land damit hätte füllen können. Auf Lastwagen wurde das Gold zur Bank gefahren, und eine Fabrik erhielt sofort den Auftrag, ein ganz großes Weltraumschiff zu bauen. Der Zauberer sandte Strahlen aus und funkte die Geister alle wieder ins Geistertal zurück: Dort warteten sie auf die Fertigstellung ihres Weltraumschiffes. Natürlich wurde die Abschußrampe im Geistertal errichtet. Das Raumschiff war tatsächlich so groß, daß es die Fabeltiere, die Riesen, ja selbst Wasser für die Seeschlangen und Fertigbauteile für Spukschlösser aufnehmen konnte. „Das Geister-Raumfahrtprogramm ist eröffnet - und hoffentlich hiermit auch abgeschlossen", sagte der Minister, als der Start mit Donnergetöse erfolgte. „Mögen die Gespenster und all das übrige Ungeheuer-Zeug sich auf dem Mars neue Wohnplätze schaffen!" Doch vor lauter Arbeit und Aufregung waren vier „Geister" nicht mitgeflogen: der Zauberer, Schnürtel, Nappi und Buhuhu. Da standen sie nun. Kraftlos hing der Zauberzweig in der Hand des Zauberers, der nun wieder nur ein kleiner, fauler Zauberer war, dessen Zauber nie lange vorhalten würde
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und Schnürtel, Nappi und Buhuhu schimmerten so schwach vor Gram und Kummer, daß der Minister sie glatt übersah. Der Bart des Zauberers war in den letzten Tagen vor lauter Aufregung grau geworden. Als er nun mit den drei weinenden Gespenstern ziellos über die Landstraßen wanderte, wurde sein Bart richtig weiß vor Ärger. Aber dann fiel ihm doch etwas ein. „Wißt ihr was?" rief er. „Wir gehen zum Fernsehen!" „Au, ja", schepperte Schnürtel begeistert. „Au, ja", hauchte Buhuhu. „Au, ja", klapperte Nappi. Also gingen sie zum Fernsehen, und dort sind sie heute noch. Sie haben da sehr wichtige Aufgaben übernommen. Schnürtel sorgt für „Bildstörung", Nappi für „Ton-Ausfall", Buhuhu für das „Bildflimmern", und der faule Zauberer sagt nach der Tagesschau das Wetter immer falsch voraus. So haben sie - und wir - weiterhin viel Spaß.