Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim
29
Herausgegeben von Thomas Hillenkamp, Lothar Kuhlen, Adolf Laufs, Eibe Riedel, Jochen Taupitz (Geschäftsführender Direktor)
Franziska Sprecher
Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen nach schweizerischem, deutschem, europäischem und internationalem Recht
123
Reihenherausgeber Professor Dr. Dr. h.c. Thomas Hillenkamp Professor Dr. Lothar Kuhlen Professor Dr. Dr. h.c. Adolf Laufs Professor Dr. Eibe Riedel Professor Dr. Jochen Taupitz (Geschäftsführender Direktor)
Autor Franziska Sprecher Chamerstrasse 70g CH-6300 Zug
[email protected]
Abdruck der Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Rechte der Universität St. Gallen Vorgelegt von Franziska Sprecher Genehmigt auf Antrag der Herren Prof. Dr. Rainer J. Schweizer und Prof. Dr. Olivier Guillod Dissertation Nr. 3361
ISSN 1617-1497 ISBN 978-3-540-73757-5 Springer Berlin Heidelberg New York
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ¨ uber http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich gesch¨ utzt. Die dadurch begr¨ undeten Rechte, insbesondere die der ¨ bersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der FunkU sendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielf¨ altigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielf¨ altigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zul¨ assig. Sie ist grunds¨ atzlich verg¨ utungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2007 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten w¨ aren und daher von jedermann benutzt werden d¨ urften. Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & V¨ ockler GbR, Leipzig Umschlaggestaltung: WMX Design GmbH, Heidelberg SPIN 12096251
64/3180YL - 5 4 3 2 1 0
Gedruckt auf s¨ aurefreiem Papier
Für Andreas
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist im Sommersemester 2007 von der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschaft-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG) als Dissertation angenommen worden. Literatur und Materialien wurden bis Januar 2007 eingearbeitet; seither erschienene Literatur konnte nur noch teilweise berücksichtigt werden. Mein herzlichster Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Rainer J. Schweizer. Er hat diese Arbeit angeregt, betreut und ihre Entstehung auf vielfältige Weise gefördert und unterstützt. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Olivier Guillod für die Erstellung des Zweitgutachtens. Mit seinen Anregungen und seinem engagierten Interesse hat er die Arbeit entscheidend mitgeprägt. Einen ganz speziellen Dank möchte ich Herrn Prof. Dr. Jochen Taupitz, dem geschäftsführenden Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim (IMGB), aussprechen. Ihm verdanke ich meinen überaus wertvollen Forschungsaufenthalt am IMGB sowie das Erscheinen meiner Arbeit in der Schriftenreihe des IMGB. Prof. Dr. Jochen Taupitz und den Kolleginnen und Kollegen vom IMGB danke ich ganz herzlich für Ihr Interesse an meiner Arbeit und für ihre Gastfreundschaft. Mein Dank gilt auch dem Schweizerischen Nationalfonds für die finanzielle Unterstützung, die meinen Forschungsaufenthalt am IMGB erst ermöglichte. Danken möchte ich auch den zahlreichen Fachleuten (Ärzten, Mitglieder von Ethikkommissionen, Behörden) im In- und Ausland, die mir für Gespräche zur Verfügung standen und meine Arbeit mit Interesse verfolgten. Ganz besonders herzlich danke ich Frau Rechtsanwältin lic. iur. Anne Zoller für ihre unermüdliche Unterstützung sowie für die Mühe der kritischen Durchsicht und des Lektorats. Ein großer Dank gebührt auch den vielen „guten Geistern“, die das Entstehen meiner Arbeit in vielfacher Weise unterstützten. Besonders erwähnen möchte die Familie Gast, Anita Samyn, Anette Wedler, Nicole Stucki und Ruth Rybi. Danken möchte ich nicht zuletzt auch meiner Familie und meinen Freunden für ihr anhaltendes Interesse, ihre stets aufmunternde Unterstützung und für ihre Geduld. Mein innigster Dank gilt Andreas für seine vorbehaltlose Unterstützung und den beständigen Rückhalt. Ihm sei das Buch in Liebe gewidmet. Zug, Juni 2007
Franziska Sprecher
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1: Einführung in die Thematik der Forschung mit Kindern............... 1
I. Einleitung....................................................................................................... 1
II. Gegenstand der Untersuchung...................................................................... 1
III. Einführung in die medizinische Forschung mit Kindern............................. 2
1. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen................................................. 2
2. Ungenügende Arzneimittelsicherheit in der Pädiatrie ............................ 4
a) Zahlen und Fakten zur Arzneimittelsicherheit in der Pädiatrie ....... 4
b) Off-label und unlicensed Verwendung von Arzneimitteln in der
Pädiatrie .......................................................................................... 7
c) Therapeutische Waisen.................................................................... 8
IV. Gründe für die mangelnde Forschung mit Minderjährigen....................... 11
V. Notwendigkeit und Bedeutung der pädiatrischen Forschung ..................... 15
VI. Besonderheiten von Kinder in der medizinischen Forschung ................... 17
1. Besonders schutzbedürftige Versuchspersonen.................................... 17
2. Sonderstellung minderjähriger Versuchspersonen ............................... 18
a) Organismus und Persönlichkeit in Entwicklung............................ 18
b) Kindesverhältnis............................................................................ 19
c) Vertretung des Kindes ................................................................... 20
d) Wertesystem und mutmaßlicher Wille .......................................... 21
e) Zunehmende Einsichts-, Zustimmungs- und
Einwilligungsfähigkeit ................................................................... 21
f) Zusammenfassung.......................................................................... 22
3. Konsequenz: eigenständige Betrachtung und differenzierte Regelung
der Forschung mit Minderjährigen ....................................................... 22
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen .......................................................... 25
I. Einleitung und Übersicht ............................................................................. 25
II. Begriff der Forschung................................................................................. 25
1. Forschung ............................................................................................. 25
2. Biomedizinische Forschung oder medizinische Forschung? ................ 26
III. Medizinische Forschung mit Versuchspersonen ....................................... 29
1. Vielfältigkeit der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen..... 30
2. Gemeinsamkeiten in der medizinischen Forschung mit
Versuchspersonen................................................................................. 31
a) Vielzahl von Interessen.................................................................. 31
b) Risiken und Nutzen ....................................................................... 31
3. Perspektiven der Humanforschung....................................................... 32
a) Medizinisch-praktische Perspektive .............................................. 33
X
Inhaltsverzeichnis
b) Juristische Perspektive................................................................... 33 c) Ethische Perspektive...................................................................... 34 d) Ökonomische Perspektive ............................................................. 34 e) Zusammenfassung ......................................................................... 36 4. Finanzielle Anreize in der medizinischen Forschung........................... 36 IV. Standard und Versuch ............................................................................... 41 1. Heilbehandlung .................................................................................... 42 2. Typen von medizinischem Erprobungshandeln.................................... 43 a) Einleitung ...................................................................................... 43 b) Heilversuch.................................................................................... 45 aa) Begriffsbestimmung.............................................................. 45 bb) Individuelle und systematische Heilversuche....................... 46 3. Humanexperiment ................................................................................ 47 4. Unterscheidung zwischen therapeutischen und nicht therapeutischen Versuchen............................................................................................. 48 a) Kriterium des Nutzen..................................................................... 48 b) Therapeutische Forschung............................................................. 49 c) Nicht therapeutische Forschung..................................................... 49 aa) Forschung mit zukünftigem potenziellem individuellem Nutzen .................................................................................. 49 bb) Forschung mit einem potentiellen Gruppennutzen ............... 50 cc) Forschung ohne einen individuellen Nutzen ......................... 50 d) Kritische Anmerkungen zur Einteilung in therapeutische und nicht therapeutische Forschung ..................................................... 51 V. Klinische Studien ....................................................................................... 54 1. Ausgestaltung von klinischen Studien.................................................. 54 2. Klinische Studien mit Arzneimitteln .................................................... 57 a) Begriffe.......................................................................................... 57 aa) Arzneimittel .......................................................................... 57 bb) Klinische Studie mit Arzneimitteln ...................................... 58 b) Zweck klinischer Arzneimittelstudien........................................... 59 c) Phasen der klinischen Arzneimittelprüfung................................... 59 aa) Phase I................................................................................... 61 bb) Phasen II und III ................................................................... 61 cc) Phase IV ................................................................................ 62 d) Abgrenzungsfragen ....................................................................... 63 aa) Nicht interventionelle Studien............................................... 63 bb) Rechtliche Regelungen ......................................................... 64 cc) Individuelle Heilversuche ..................................................... 65 VI. Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen .......................... 66 1. Vielfalt der medizinischen Forschung mit Kindern.............................. 66 a) Therapieoptimierungsstudien ........................................................ 66 b) Messungen..................................................................................... 67 c) Studien mit medizinischen Hilfsmitteln......................................... 67 d) Weitere Studien ............................................................................. 67 e) Schlussfolgerung ........................................................................... 68 2. Besonderheiten des Heilversuchs in der Pädiatrie ................................ 68
Inhaltsverzeichnis
XI
a) Häufigkeit pädiatrischer Heilversuche........................................... 68 b) Finanzielle Folgen ......................................................................... 69 c) Schwierige Entscheidungssituationen............................................ 70 3. Die Unterscheidung in therapeutische und nicht therapeutische Forschung und ihre Bedeutung in der Pädiatrie ................................... 71 a) Legitimationskriterium .................................................................. 71 b) Entwicklungsbedingt mehr nicht therapeutische Forschung mit Kindern? ....................................................................................... 72 c) Undifferenziertes Verbot gruppennütziger Forschung .................. 72 d) Problematik einer einseitigen Fokussierung auf den Nutzen......... 73 4. Kinderspezifische Ausgestaltung von Studien ..................................... 74 a) Besonderheiten bei der Forschung mit Kindern und Jugendlichen 74 aa) Definition der Ausschlusskriterien........................................ 74 bb) Einbezug von Bezugspersonen ............................................. 75 cc) Rücksicht auf schulische Verpflichtungen ............................ 75 dd) Nutzen-Risiko-Abwägung .................................................... 75 ee) Belastung............................................................................... 75 ff) Kindgerechte Testverfahren ................................................... 76 b) Zeitpunkt des Einbezugs von Kindern in Arzneimittelstudien ...... 76 aa) Phase-I-Studien ..................................................................... 76 bb) Phase II und III ..................................................................... 76 cc) Phase IV ................................................................................ 77 5. Komplexe Entscheidungssituationen in der pädiatrischen Forschung.. 77 a) Bedeutung der ersten Kontaktaufnahme........................................ 77 b) Einflussfaktoren............................................................................. 78 aa) Ausgestaltung des Forschungsvorhabens.............................. 78 bb) Rahmenbedingungen der Informationsvermittlung .............. 78 cc) Die informierende Person ..................................................... 79 dd) Die Vertreter des Kindes ...................................................... 79 ee) Das betroffene Kind .............................................................. 79 c) Komplexe Entscheidungssituationen............................................. 80 Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen................. 83 I. Einleitung..................................................................................................... 83 1. Gesundheitsrecht – das moderne Labyrinth der geregelten Welt ........ 83 2. Übersicht .............................................................................................. 85 II. Internationales Recht .................................................................................. 86 1. Völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz ............................................. 87 a) Bill of Human Rights..................................................................... 87 aa) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte .......................... 88 bb) UN-Pakt I.............................................................................. 88 cc) UN-Pakt II............................................................................. 89 b) Europäische Menschenrechtskonvention....................................... 91 aa) Grundlagen............................................................................ 91 bb) Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR ......................... 92 cc) Für die Forschung mit Minderjährigen maßgebende EMRK-Bestimmungen.......................................................... 92
XII
Inhaltsverzeichnis
c) UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes ...................... 93 aa) Grundlagen............................................................................ 93 bb) Bedeutung und Geltung der KRK für die medizinische Forschung mit Kindern......................................................... 95 cc) Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit nach Art. 24 KRK ............................................. 95 dd) Recht des Kindes auf Anhörung und Mitsprache nach Art. 12 KRK ......................................................................... 97 ee) Grundsatz der evolving capacities......................................... 98 ff) Direkte Anwendbarkeit der KRK-Bestimmungen ................. 99 2. Internationale Regelungen zur Humanforschung ................................. 99 a) Helsinki Deklaration.................................................................... 100 aa) Grundlagen.......................................................................... 100 bb) Prinzipien für die medizinische Forschung mit Versuchspersonen .............................................................. 101 cc) Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen .............. 101 dd) Bedeutung und Bindungswirkung ...................................... 102 b) Biomedizinkonvention des Europarates ...................................... 103 aa) Grundlagen.......................................................................... 103 bb) Regelung der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen .............................................................. 104 cc) Regelung der medizinischen Forschung mit Minderjährigen................................................................... 105 dd) Ratifikation der Biomedizinkonvention.............................. 106 ee) Geltung und direkte Anwendbarkeit der Biomedizinkonvention nach schweizerischem Recht ........ 106 c) CIOMS-Guidelines...................................................................... 107 aa) Grundlagen.......................................................................... 107 bb) Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen.............. 108 cc) Bedeutung und Bindungswirkung....................................... 109 d) Universal Declaration on Bioethics and Human Rights .............. 110 e) ICH-Guidelines............................................................................ 111 aa) Grundlagen.......................................................................... 111 bb) ICH-Guidelines................................................................... 111 cc) ICH-Guideline for Good Clinical Practice (GCP)............... 112 dd) Forschung mit Minderjährigen: ICH-Guideline E11 .......... 113 ee) ICH-Guidelines im schweizerischen Recht......................... 113 3. Recht der Europäischen Gemeinschaft............................................... 115 a) Arzneimittelrichtlinie 2001/20/EG .............................................. 116 aa) Arzneimittelzulassung......................................................... 116 bb) Richtlinie 2001/20/EG ........................................................ 117 cc) Forschung mit Minderjährigen............................................ 117 b) Kinderarzneimittelverordnung..................................................... 119 aa) Grundlagen.......................................................................... 119 bb) Pflicht zur Vorlage pädiatrischer Daten.............................. 119 cc) Freistellung und Zurückstellung.......................................... 120 dd) Bereits zugelassene Arzneimittel........................................ 120
Inhaltsverzeichnis
XIII
ee) Anreize................................................................................ 120 ff) Beurteilung........................................................................... 121 c) Orphan-drugs-Verordnung .......................................................... 122 4. Zusammenfassung .............................................................................. 123 III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung........................ 124 1. Einleitung ........................................................................................... 124 2. Übersicht über die geltenden Regelungen zur Humanforschung in der Schweiz........................................................................................ 125 a) Bundesverfassung........................................................................ 126 aa) Fehlende Regelung der Humanforschung in der Verfassung ......................................................................... 126 bb) Auf die Humanforschung anwendbare Verfassungsbestimmungen................................................. 126 cc) Direkte und indirekte Wirkung von Grundrechten in der Humanforschung ................................................................ 128 dd) Materielle Vorgaben der Verfassung .................................. 128 b) Gesetzgebung des Bundes ........................................................... 129 c) Heilmittelgesetz ........................................................................... 130 aa) Grundlagen.......................................................................... 130 bb) Zielsetzung, Geltungsbereich und Durchsetzung................ 132 cc) Bezüge zum internationalen Recht...................................... 133 dd) Forschung mit Versuchspersonen....................................... 135 d) Kantonale Regelungen zur Humanforschung.............................. 138 aa) Kantone ohne Regelungen zur Humanforschung................ 139 bb) Kantonale Regelungen zur Humanforschung ..................... 140 cc) Exkurs: Ethikkommissionen ............................................... 153 e) Richtlinien und Empfehlungen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften ............................................. 155 aa) Rechtsform und Zweck ....................................................... 155 bb) Richtlinien und Empfehlungen ........................................... 155 cc) Kritische Anmerkungen ...................................................... 158 3. Regelungen des schweizerischen Rechts für die Forschung mit Minderjährigen................................................................................... 159 a) Bundesverfassung (Art. 11 BV)................................................... 159 aa) Einleitung ............................................................................ 159 bb) Art. 11 Abs. 1 BV............................................................... 160 cc) Art. 11 Abs. 2 BV ............................................................... 161 dd) Bedeutung von Art. 11 BV für die medizinische Forschung mit Kindern....................................................... 161 b) Heilmittelgesetz........................................................................... 162 aa) Die Gruppe der besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen .............................................................. 162 bb) Voraussetzungen der Forschung mit besonders Schutzbedürftigen nach HMG............................................ 163 cc) Nicht therapeutische Forschung mit Minderjährigen .......... 164
XIV
Inhaltsverzeichnis
c) Instrumente zur Förderung der pädiatrischen Forschung und zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit und -versorgung in der Pädiatrie nach schweizerischem Heilmittelrecht......................... 165 aa) Instrumente zur Förderung der pädiatrischen Forschung in der Schweiz ..................................................................... 165 bb) Instrumente zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit und -versorgung in der Pädiatrie ........................................ 166 d) Kantonale Regelungen zur Forschung mit Minderjährigen......... 167 e) Medizinisch-ethische Richtlinien für die Forschungsuntersuchungen am Menschen der SAMW............... 172 4. Entwürfe für einen Verfassungsartikel und ein Bundesgesetz zur Humanforschung................................................................................ 174 a) Überblick ..................................................................................... 174 b) Regelung der medizinischen Forschung mit Minderjährigen...... 174 aa) Vorentwurf Art. 118a BV ................................................... 174 bb) Vorentwurf Bundesgesetz über die Forschung am Menschen ..................................................................... 175 c) Beurteilung der Entwürfe ............................................................ 176 aa) Regelung auf Bundesebene ................................................. 176 bb) Beschränkung auf die Forschung im Gesundheitsbereich .. 176 cc) Titel ..................................................................................... 177 dd) Geltungsbereich HFG ......................................................... 177 ee) Zwangsforschung? .............................................................. 178 ff) Terminologie........................................................................ 179 gg) Fehlende Regelung für medizinische Forschung mit Minderjährigen................................................................... 180 5. Zusammenfassung .............................................................................. 180 IV. Deutsche Rechtsgrundlagen der Humanforschung ................................. 181 1. Übersicht über die geltenden Regelungen zur Forschung am Menschen in Deutschland .................................................................. 181 a) Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Länder ...................... 181 b) Regelungen ausserhalb der Spezialgesetze.................................. 182 c) Vorgaben für die Humanforschung im Grundgesetz ................... 183 2. Regelungen des deutschen Rechts für die Forschung mit Kindern und Jugendlichen ............................................................................... 184 a) Arzneimittelgesetz ....................................................................... 184 aa) Grundlagen.......................................................................... 184 bb) Neuerungen der 12. AMG-Novelle .................................... 185 cc) Mitsprachemöglichkeiten minderjähriger Versuchspersonen................................................................ 186 dd) Annäherung an die Biomedizinkonvention des Europarates......................................................................... 188 ee) Zusammenfassung............................................................... 188 b) Medizinproduktegesetz................................................................ 189 c) Strahlenschutzverordnung und Röntgenverordnung.................... 190 3. Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission................................. 190 4. Vergleich mit dem schweizerischen Heilmittelrecht .......................... 192
Inhaltsverzeichnis
XV
5. Zusammenfassung .............................................................................. 194 V. Grundsätze für die medizinische Forschung mit Minderjährigen............. 194 a) Subsidiarität................................................................................. 195 b) Einwilligung nach Aufklärung .................................................... 195 c) Einwilligung der gesetzlichen Vertreter ...................................... 196 d) Widerrufbarkeit der Einwilligung ............................................... 196 e) Nutzen-Risiko-Abwägung ........................................................... 196 f) Minimales Risiko und minimale Belastung ................................. 196 g) Votum einer Ethikkommission.................................................... 197 2. Zusammenspiel verschiedener Schutzkriterien .................................. 197 Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen in der medizinischen Forschung ................................................................................. 199 I. Einleitung................................................................................................... 199 II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen ........................................................................................ 199 1. Die Rechtsnatur medizinischer Eingriffe............................................ 200 2. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen .............. 202 a) Begriffsbestimmung .................................................................... 203 b) Rechtsnatur der Persönlichkeitsrechte......................................... 203 c) Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen ....... 205 d) Rechtsgrundlagen ........................................................................ 205 3. Exkurs: Revision des Vormundschaftsrechts ..................................... 207 4. Aufklärung.......................................................................................... 210 a) Grundlagen .................................................................................. 211 b) Aufklärungsarten ......................................................................... 211 aa) Eingriffsaufklärung ............................................................. 212 bb) Sicherungsaufklärung ......................................................... 213 c) Aufklärungspflicht über wirtschaftliche Aspekte ........................ 213 d) Zeitpunkt der Aufklärung ............................................................ 214 e) Form der Aufklärung ................................................................... 215 f) Parteien der Aufklärung ............................................................... 217 5. Einwilligung ....................................................................................... 223 a) Grundlagen .................................................................................. 223 b) Person des Einwilligenden .......................................................... 224 c) Zeitpunkt der Einwilligung.......................................................... 224 d) Form der Einwilligung ................................................................ 225 6. Besonderheiten der Aufklärung und Einwilligung bei Eingriffen zu Forschungszwecken ........................................................................... 226 a) Umfang und Inhalt....................................................................... 226 b) Formvorschriften ......................................................................... 230 7. Kritische Anmerkungen...................................................................... 232 a) Kritische Überlegungen zum informed consent Grundsatzes...... 232 b) Bedingte Anwendbarkeit des informed consent Grundsatzes in der Pädiatrie ............................................................................ 235 c) Zusammenfassung ....................................................................... 236 8. Überleitung......................................................................................... 236
XVI
Inhaltsverzeichnis
III. Die allgemeine Rechtsstellung Minderjähriger ....................................... 236 1. Minderjährigkeit................................................................................. 237 2. Die Sorgeberechtigten ........................................................................ 237 a) Wer sind die „Eltern“?................................................................. 237 b) Elterliche Sorge ........................................................................... 240 c) Schlüsselrolle der Eltern .............................................................. 243 3. Die Handlungsunfähigkeit Minderjähriger......................................... 244 a) Urteilsfähigkeit ............................................................................ 245 b) Vollständig handlungsunfähige Minderjährige ........................... 246 c) Beschränkt handlungsunfähige Minderjährige ............................ 247 aa) Neufassung von Art. 19 ZGB im Zuge der Totalrevision des Vormundschaftsrechts.................................................. 247 bb) Vertretungsbefugnis gesetzlicher Vertreter im Bereich der relativ höchstpersönlichen Rechte...................................... 249 IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung............................................................................................. 249 1. Rechtliche Regelung der medizinischen Behandlung Minderjähriger 250 a) Urteilsunfähige Minderjährige..................................................... 251 aa) Einwilligung der gesetzlichen Vertreter.............................. 252 bb) Medizinische Alltagsgeschäfte ........................................... 252 cc) Besondere medizinische Eingriffe ...................................... 253 dd) Notfälle ............................................................................... 254 b) Urteilsfähige Minderjährige ........................................................ 255 2. Urteilsfähigkeit von Kindern im medizinischen Kontext ................... 256 a) Relativierung der Einwilligungsfähigkeit entsprechend der Intensität des Eingriffs?............................................................... 257 b) Unterschiedliche Anforderungen an die Urteilsfähigkeit bei der Zustimmung und der Verweigerung eines Eingriffs?.................. 258 c) Fixe Altersgrenzen? ..................................................................... 259 d) Beurteilung der Urteilsfähigkeit eines Kindes............................. 261 aa) Zwischen Autonomie und Fürsorge .................................... 261 bb) Individueller Maßstab......................................................... 262 cc) Beurteilung der Urteilsfähigkeit eines Kindes im Forschungskontext ............................................................. 263 3. Das Kindeswohl als Richtmaß für die Ausübung der elterlichen Sorge im medizinischen Kontext ....................................................... 264 a) Konzept des mutmaßlichen Willens und seine Anwendbarkeit bei Kindern.................................................................................. 265 b) Kindeswohl: eine objektive Grösse? ........................................... 266 c) Pflicht der Eltern zur Berücksichtigung der Wünsche des einwilligungsunfähigen Kindes................................................... 266 d) Wahl- und Mitbestimmungsrechte einwilligungsunfähiger Kinder als Ausfluss des Kindeswohls ......................................... 267 e) Aufklärung und Anhörung des Kindes als Gültigkeitsvoraussetzungen für die stellvertretende Entscheidung der Eltern ........ 268 4. Mitwirkungsrechte und Entscheidungsbefugnisse der Eltern einwilligungsfähiger Minderjähriger ................................................. 269
Inhaltsverzeichnis
XVII
a) Einwilligungsfähigkeit als individueller Entwicklungsprozess ... 269 b) Urteilsfähigkeit des Kindes als maßgebende Grösse................... 270 c) Sonderfälle................................................................................... 273 d) Ärztliches Ermessen .................................................................... 274 5. Konfliktsituationen ............................................................................. 275 a) Konflikte zwischen dem Arzt und den gesetzlichen Vertretern... 275 b) Konflikte zwischen dem Kind und seinen gesetzlichen Vertretern .................................................................................... 276 6. Vermögensrechtliche Aspekte der medizinischen Behandlung Minderjähriger ................................................................................... 277 7. Zusammenfassung .............................................................................. 278 V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung ... 279 1. Übertragbarkeit der Grundsätze der medizinischen Behandlung Minderjähriger auf Behandlungen zu Forschungszwecken ............... 279 2. Regelung der Forschung mit Minderjährigen ausserhalb der Spezialgesetze .................................................................................... 280 a) Unterscheidung zwischen therapeutischer und nicht therapeutischer Forschung........................................................... 280 b) Unzulässigkeit der nicht therapeutischen Forschung mit Minderjährigen............................................................................ 280 c) Stimmen für die Zulässigkeit der nicht therapeutischen Forschung mit Minderjährigen.................................................... 281 d) Rechtsprechung des Bundesgerichts ........................................... 282 e) Eigene Ansicht zur Zulässigkeit der nicht therapeutischen Forschung mit Minderjährigen.................................................... 284 3. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung nach dem Heilmittelgesetz – im Vergleich mit dem Arzneimittelgesetz und internationalen Normen zur Humanforschung................................................................................ 285 a) Medizinische Forschung mit Minderjährigen nach Art. 55 HMG285 b) Gruppennützige Forschung mit gesunden Kindern? ................... 286 aa) Einleitung ............................................................................ 286 bb) Art. 55 Abs. 2 HMG im Vergleich zum deutschen Recht .. 287 cc) Internationale Normen zur Humanforschung...................... 288 dd) Argumente für die Zulässigkeit der gruppennützigen Forschung mit nicht einschlägig kranken Minderjährigen . 289 c) Ablehnende Willensäusserungen Minderjähriger bei therapeutischen Forschungsmaßnahmen................................... 290 aa) Einleitung und Fragestellung .............................................. 290 bb) SAMW-Richtlinien............................................................. 291 cc) Arzneimittelgesetz .............................................................. 292 dd) Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission ................. 294 ee) Arzneimittelrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft ...... 295 ff) Biomedizinkonvention des Europarates............................... 295 gg) CIOMS-Guidelines............................................................. 297 hh) ICH-Guideline E11............................................................. 297 ii) Konsequenz für die Auslegung von Art. 55 HMG ............... 298
XVIII
Inhaltsverzeichnis
jj) Schlussfolgerung .................................................................. 299 d) Ablehnende Willensäusserungen Minderjähriger bei nicht therapeutischen Forschungsmaßnahmen ..................................... 300 aa) Einleitung ............................................................................ 300 bb) Grundsatz der Regelung der nicht therapeutischen Forschung........................................................................... 300 cc) Art. 55 Abs. 2 HMG............................................................ 301 dd) Arzneimittelgesetz und internationale Normen zur Humanforschung ................................................................ 302 ee) Schlussfolgerung................................................................. 303 e) Zusammenfassung ....................................................................... 304 4. Konsequenzen für den Umgang mit Kindern in der Forschung ......... 306 a) Eigenständiger Anspruch des Kindes auf Aufklärung und Anhörung .................................................................................... 306 b) Informations-, Anhörungs- und Mitspracherechte des Kindes als Ausfluss seiner Persönlichkeit ............................................... 307 c) An den Grenzen des Rechts......................................................... 308 Kapitel 5: Schlussfolgerungen ......................................................................... 309 I. Zusammenfassung ..................................................................................... 309 1. Rechtliche Rahmenbedingungen der medizinischen Forschung mit Minderjährigen................................................................................... 309 2. Ausgestaltung der medizinischen Forschung mit Minderjährigen ..... 310 II. Forderungen.............................................................................................. 311 1. Rechtliche Rahmenbedingungen der medizinischen Forschung mit Minderjährigen................................................................................... 311 2. Ausgestaltung der medizinischen Forschung mit Minderjährigen ..... 311 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 317 Sachverzeichnis ................................................................................................. 335
Abkürzungsverzeichnis
ABGB Abs. AG AI AR ARSP Art. AS Aufl.
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Absatz Aargau Appenzell Innerrhoden Appenzell Außerrhoden Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Amtliche Sammlung des Schweizerischen Bundesrechts Auflage
BBl BDLF
BGS BGS BL BR BS BSG BSK HMG BSK ZGB Bsp. BVerfGE bzw.
Schweizerisches Bundesblatt Datenbank der freiburgischen Gesetzgebung (elektronisches Gegenstück zur Systematischen Gesetzgebung des Kantons Freiburg, SGF) Bern deutsches Bundesgesetzblatt Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgericht der Schweizerischen Eidgenossenschaft Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bereinigte systematische Gesetzessammlung des Kantons Appenzell Ausserrhoden Bereinigte Gesetzessammlung des Kantons Solothurn Bereinigte Gesetzessammlung des Kantons Zug Basel-Landschaft Bündner Rechtsbuch Basel-Stadt Bernische Systematische Gesetzessammlung Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz Basler Kommentar zum Zivilgesetzbuch Beispiel Entscheidungen des deutschen Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise
CIOMS
Council for International Organization of Medical Sciences
d.h. Diss. DNA
das heißt Dissertation Desoxyribonukleinsäure
BE BGBl. BGE BGer BGHZ bGS
XX
Abkürzungsverzeichnis
E HMG
E ZGB
E. éd. EG EGV Erw. etc. ETS EU EWG f. / ff. FDA FMH Fn. FR GDB
Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz) vom 15. Dezember 2000 mit den Änderungen nach dem Entwurf für eine Totalrevision des Vormundschaftsrechts, BBl 2006 7191. Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 mit den Änderungen nach dem Entwurf für eine Totalrevision des Vormundschaftsrechts, BBl 2006 7139 ff. Erwägung éditeur Europäische Gemeinschaften Vertrag über die Europäische Gemeinschaft Erwägung et cetera European Treaty Series Europäische Union Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgende / fortfolgende Food and Drug Administration (Arzneimittelzulassungsbehörde der Vereinigten Staaten von Amerika) Verbindung der Schweizerischen Ärztinnen und Ärzte (Foederatio Medicorum Helveticorum) Fussnote Fribourg / Freiburg
GE GL GR GS GS
Gesetzesdatenbank des Kantons Obwalden (elektronische Version zur Systematischen Gesetzgebung des Kantons Obwalden) Genève / Genf Glarus Graubünden Gesetzessammlung des Kantons Glarus Gesetzessammlung des Kantons Appenzell Innerrhoden
Hrsg. / hrsg.
Herausgeber/Herausgeberin / herausgegeben
i.d.F. i.V.m. IKS insb. IRB / IEC
in der Fassung von in Verbindung mit Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel insbesondere Institutional Review Board / Independent Ethics Committee (Ethikkommission)
JU
Jura
lat. lit. LS LU
lateinisch Litera Loseblattsammlung des Kantons Zürich Luzern
m.E. m.H. m.w.H.
meines Erachtens mit Hinweis mit weiteren Hinweisen
Abkürzungsverzeichnis
XXI
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
NE NGO NGS NW NZZ
Neuchâtel / Neuenburg non-governmental organization / Nichtregierungsorganisation Nidwaldner Gesetzessammlung Nidwalden Neue Zürcher Zeitung
OW
Obwalden
Pra
Die Praxis: Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
RB resp. RL
Thurgauer Rechtsbuch / Rechtsbuch des Kantons Uri respektive Raccolta delle leggi vigenti del Cantone Ticino / Systematische Gesetzessammlung des Kantons Tessin Randnummer Recueil systématique de la législation genevoise / Systematische Gesetzessammlung des Kantons Genf Recueil systématique de la législation République et Canton du Jura / Systematische Gesetzessammlung des Kantons Jura Recueil systématique de la législation neuchâteloise / Systematische Gesetzessammlung des Kantons Neuenburg Recueil systématique de la législation vaudoise / Systematische Gesetzessammlung des Kantons Waadt Randziffer
Rn. RSG RSJU RSN RSV Rz. S. SAMW SAR SG SG SGS sGS SGS SH SHR SO sog. SR SRL SRSZ Swissmedic SZ
Seite Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften Systematische Sammlung des Aargauischen Rechts Systematische Gesetzessammlung des Kantons Basel-Stadt St. Gallen Systematische Gesetzessammlung des Kantons Basel-Landschaft Systematische Gesetzessammlung des Kantons St. Gallen Systematische Gesetzessammlung des Kantons Wallis Schaffhausen Schaffhauser Rechtsbuch Solothurn sogenannt Systematische Sammlung des Bundesrechts (Systematische Sammlung) der Schweiz Systematische Rechtssammlung des Kantons Luzern Systematische Gesetzessammlung des Kantons Schwyz Schweizerisches Heilmittelinstitut, SHI Schwyz
TG TI
Thurgau Ticino / Tessin
u.a. UN
und andere / und anderes / unter anderem United Nations / Vereinte Nationen
XXII
Abkürzungsverzeichnis
UNESCO
UR
United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization / Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation Uri
VD VS
Vaud / Waadt Vallais / Wallis
WHO
World Health Organization / Weltgesundheitsorganisation
z.B. ZBl ZEKO
zum Beispiel Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht Zentrale Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten bei der Bundesärztekammer (Zentrale Ethikkommission) Zug Zürich Ziffer zitiert / Zitat
ZG ZH Ziff. zit. / Zit.
Rechtsgrundlagenverzeichnis1 Internationales Recht2 AMER
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 (Resolution der Generalversammlung der UN Nr. 217A [III])
Biomedizinkonvention
Übereinkommen vom 4. April 1997 zum Schutze der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin (Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin), ETS No. 164. (Deutsche, nicht amtliche Übersetzung abgedruckt bei MÜLLER-TERPITZ, 63 ff.)
CIOMS-Guidelines
International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects, prepared by the Council for International Organizations of Medical Sciences (CIOMS) in collaboration with the World Health Organization (WHO), Genf 2002
EMRK
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, SR 0.100
1
2
Dieses Rechtsgrundlagenverzeichnis enthält die wichtigsten der in der vorliegenden Untersuchung vorkommenden Normen. Es handelt sich dabei lediglich um eine Auswahl. Für einzelne spezifische Regelungen wird auf die Quellenangaben in den Fussnoten verwiesen. Unter den Begriff „Internationales Recht“ werden in diesem Verzeichnis Normen des Völkerrechts, Recht internationaler Organisationen, internationales Standesrecht sowie soft law subsumiert.
Abkürzungsverzeichnis
Forschungsprotokoll
XXIII
Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin über biomedizinische Forschung vom 25. Januar 2005, ETS No. 195 (Deutsche, nicht amtliche Übersetzung abgedruckt bei MÜLLERTERPITZ, 161 ff.)
Helsinki Deklaration
Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki, Ethische Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen, in der Version der 52. Generalversammlung, Edinburgh/Schottland, Oktober 2000, mit Klarstellungen der Generalversammlung, Washington 2002 zu § 29 und Generalversammlung Tokyo 2004 zu § 30. (Deutsche Übersetzung abgedruckt bei MÜLLER-TERPITZ, 251 ff.)
ICH-GCP
ICH Harmonised Tripartite Guidelines for Good Clinical Pracitce 6(R1), Current Step 4 version, 10 June 1996 (including the Post Step 4 corrections)
ICH-Guideline E11
ICH Harmonised Tripartite Guidelines for Clinical Investigation of Medical Products in the Pediatric Population E11, Current Step 4 version, 20 July 2000
KRK
Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention), SR 0.107
TRIPS
Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum), SR 0.632.20, Anhang 1C zum Abkommen vom 15. April 1994 zur Errichtung der Welthandelsorganisation
UN-Pakt I
Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, SR 0.103.1
UN-Pakt II
Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte, SR 0.103.2 Universal Declaration on Bioethics and Human Rights, 19. Oktober 2005, Internetquelle:
, besucht im Juni 2007
Schweizerisches Recht BV
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999, SR 101
FG
Bundesgesetz über die Forschung (Forschungsgesetz) vom 7. Oktober 1983, SR 420.1
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
FmedG
Bundesgesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflanzungsgesetz) vom 18. Dezember 1998, SR 810.11
HMG
Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz) vom 15. Dezember 2000, SR 812.21
OR
Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 30. März 1911 (Fünfter Teil: Obligationenrecht), SR 220
SAMW Grundsätze zur Selbstbestimmung
Medizinisch-ethische Grundsätze zum Recht der Patientinnen und Patienten auf Selbstbestimmung der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften vom 24. November 2005
SAMWForschungsrichtlinie
Medizinisch-ethische Richtlinien für Forschungsuntersuchungen am Menschen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften vom 7. Juni 1997
StFG
Bundesgesetz über die Forschung an embryonalen Stammzellen (Stammzellenforschungsgesetz) vom 19. Dezember 2003, SR 810.31
StGB
Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, SR 311.0
VAM
Verordnung über die Arzneimittel (Arzneimittelverordnung) vom 17. Oktober 2001, SR 812.212.21
VAZV
Verordnung des Schweizerischen Heilmittelinstituts über die vereinfachte Zulassung von Arzneimitteln und die Zulassung von Arzneimitteln im Meldeverfahren vom 22. Juni 2006, SR 812.212.23
VKlin
Verordnung über klinische Versuche mit Heilmitteln vom 17. Oktober 2001, SR 812.214.2
VNEK
Verordnung über die nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin vom 4. Dezember 2000, SR 810.113
ZGB
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907, SR 210
Deutsches Recht AMG
Arzneimittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005, BGBl. I (2005) 3394, geändert durch Artikel 12 des Gesetzes vom 14. August 2006, BGBl. I (2006) 1869
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002, BGBl. I 42, 2909; 2003 I 738, zuletzt geändert durch Artikel 8 Abs. 5 des Gesetzes vom 2. Dezember 2006, BGBl. I 2742
Abkürzungsverzeichnis
XXV
GCP-V
Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen, GCP-Verordnung vom 9. August 2004, BGBl. I (2004) 2081, zuletzt geändert durch Artikel 4 der Verordnung vom 3. November 2006, BGBl. I (2006) 2523
GG
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100–1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 28. August 2006, BGBl. I (2006) 2034
MPG
Medizinproduktegesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. August 2002, BGBl. I (2002) 3146, geändert durch Artikel 145 der Verordnung vom 31. Oktober 2006, BGBl. I (2006) 2407
RöV
Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen, Röntgenverordnung (RöV) vom 30. April 2003, BGBl I (2003) 604
StrlSchV
Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen, Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) vom 20. Juli 2001, BGBl I (2001) 1714 [(2002) 1459], i.d.F. vom 1. September 2005, BGBl I (2005) 2618
TFG
Transfusionsgesetz vom 1. Juli 1998, BGBl. I (1998) 1752, zuletzt geändert durch Artikel 36 der Verordnung vom 31. Oktober 2006, BGBl. I (2006) 2407
Europarecht EGV
Konsolidierte Fassung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, C 325 vom 24. Dezember 2002, 5–181
Kinderarzneimittelverordnung
Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, zur Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 378 vom 12. Dezember 2006, 1–19
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
RL 2001/20/EG
Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 121 vom 1. Mai 2001, 34–44
VE 141/2000/EG
Verordnung 141/2000/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 018 vom 22. Januar 2000, 1–5
VE 1902/2006/EG
Verordnung (EG) Nr. 1902/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 zur Änderung der Verordnung 1901/2006 über Kinderarzneimittel Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 378 vom 12. Dezember 2006, 20–21
Materialien International Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin. (Deutsche Übersetzung aus dem Französischen abgedruckt bei MÜLLER-TERPITZ, 75 ff.) zit.: Erläuternder Bericht Biomedizinkonvention Explanatory Memorandum on the Elaboration of the Preliminary Draft Declaration on Universal Norms on Bioethics, 21. Februar 2005 Internetquelle: , besucht im Juni 2007 zit.: Explanatory Memorandum Explanatory Report – Additional Protocol to the Convention on Human Rights and Biomedicine, concerning Biomedical Research (Englische Fassung abgedruckt bei MÜLLER-TERPITZ, 175 ff.) zit.: Explanatory Report Forschungsprotokoll
Abkürzungsverzeichnis
XXVII
Schweiz Botschaft vom 1. März 1999 zu einem Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG), BBl 1999 3453 ff. zit.: Botschaft HMG Botschaft vom 29. Juni 1994 betreffend den Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen von 1989 über die Rechte des Kindes, BBl 1994 1 ff. zit.: Botschaft Kinderrechtskonvention Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht), BBl 2006 7001 ff. zit.: Botschaft Vormundschaftsrecht
Humanforschungsgesetz Erläuternder Bericht zum Vorentwurf einer neuen Verfassungsbestimmung über die Forschung am Menschen vom Februar 2006 Internetquelle: , besucht im Juni 2007 zit.: Erläuternder Bericht VE Verfassungsbestimmung Erläuternder Bericht zum Vorentwurf eines Bundesgesetzes über die Forschung am Menschen (Humanforschungsgesetz, HFG) vom Februar 2006 Internetquelle: , besucht im Juni 2007 zit.: Erläuternder Bericht VE HFG Stellungnahme der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) zu den Entwürfen für einen Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen und für ein Humanforschungsgesetz vom 22. Mai 2006 (Brief und Detailbesprechung) Internetquelle Brief: , besucht im Juni 2007 zit.: SAMW-Stellungnahme Brief HFG Internetquelle Detailbesprechung: , besucht im Juni 2007 zit.: SAMW-Stellungnahme Detailbesprechung HFG Vorentwurf für ein Bundesgesetz über die Forschung am Menschen (Humanforschungsgesetz) vom 1. Februar 2006 Internetquelle: , besucht im Juni 2007 zit. VE HFG Vorentwurf für einen neuen Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen (Art. 118a BV) vom 1. Februar 2006 Internetquelle: , besucht im Juni 2007
XXVIII
Abkürzungsverzeichnis
Biomedizinkonvention Botschaft vom 12. September 2001 betreffend das Europäische Übereinkommen vom 4. April 1997 zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin (Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin) und das Zusatzprotokoll vom 12. Januar 1998 über das Verbot des Klonens menschlicher Lebewesen, BBl 2002 271 ff. zit.: Botschaft Biomedizinkonvention Vernehmlassungsbericht des Bundesamtes für Justiz zum Europäischen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin (Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin) sowie zum Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens menschlicher Lebewesen. Entstehungsgeschichte und Inhalt, Vereinbarkeit des schweizerischen Rechts mit dem Übereinkommen und dem Zusatzprotokoll, September 1998 zit.: Vernehmlassungsbericht Biomedizinkonvention
Deutschland Stellungnahme der Zentralen Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission, ZEKO) bei der Bundesärztekammer zur Forschung mit Minderjährigen vom 28. April 2004 (abgedruckt in Deutsches Ärzteblatt 101 (2004), A1613–A1617) zit.: Stellungnahme ZEKO
Kapitel 1: Einführung in die Thematik der Forschung mit Kindern
I. Einleitung Inhalt der vorliegenden Arbeit sind die mit der medizinischen Forschung mit Kindern und Jugendlichen verbundenen rechtlichen Fragestellungen. Zu Beginn wird aufgezeigt, dass eine sichere medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen heute in vielen Bereichen nicht gewährleistet ist und demzufolge ein großer Forschungsbedarf besteht. Ausgehend von der Prämisse, dass medizinische Forschung mit und für Kinder eine Notwendigkeit ist, setzt sich die Untersuchung in der Folge mit den faktischen und rechtlichen Rahmenbedingungen der medizinischen Forschung mit Minderjährigen auseinander. Der Schwerpunkt liegt dabei in der Untersuchung und Darstellung der Persönlichkeitsrechte Minderjähriger im medizinischen Kontext im Allgemeinen und in der medizinischen Forschung im Besonderen. Für die Wahrung der Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der Medizin ist zentral, wie die Entscheidungsrechte urteilsfähiger Kinder ausgestaltet sind, welche Prämissen bei der stellvertretenden Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter zu beachten sind, und wie Wünsche und Willensäusserungen des urteilsunfähigen Kindes bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind. Die Untersuchung bezieht sich in erster Linie auf Schweizer Recht. Da sich die Humanforschung in einem internationalen Umfeld bewegt, werden die maßgebenden europäischen und internationalen Rechtsgrundlagen mitberücksichtigt sowie rechtsvergleichende Überlegungen zum deutschen Recht vorgenommen.
II. Gegenstand der Untersuchung Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist die medizinische Forschung mit Kindern nach Abschluss der Geburt. Auf Forschung im vorgeburtlichen Stadium – sei es am Fötus in vitro oder am Fötus in vivo – sowie auf Spezialgebiete wie die Stammzellenforschung oder Genetik wird nicht näher eingegangen. Auch die Forschung an verstorbenen Kindern sowie die Transplantationsmedizin sind nicht Gegenstand dieser Arbeit.
2
Kapitel 1: Einführung in die Thematik der Forschung mit Kindern
Die vorliegende Untersuchung verwendet die Begriffe Kinder, Jugendliche und Minderjährige. Damit werden Menschen bis zur Beendigung ihres 18. Lebensjahres und dem Erreichen der Volljährigkeit bezeichnet.1 Mit der Differenzierung nach Kindern und Jugendlichen wird der fortlaufenden Entwicklung junger Menschen Rechnung getragen sowie die Tatsache betont, dass Kinder ab einer gewissen Entwicklungsstufe hinsichtlich medizinischer Eingriffe urteilsfähig sein können. Mit dem Ausdruck Minderjährige wird die Betonung auf die von Gesetzes wegen festgelegte Zeitspanne zwischen der vollendeten Geburt eines Menschen und der Vollendung seines 18. Lebensjahres gelegt.2 Während dieses Lebensabschnittes ist ein Mensch nicht voll handlungsfähig und steht in der Regel3 unter elterlicher Sorge.4
III. Einführung in die medizinische Forschung mit Kindern 1. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen Kinder und Jugendliche sind in ihrer physiologischen und psychologischen Entwicklung nicht mit Erwachsenen vergleichbar. Dabei gilt, je jünger die Kinder sind, desto größer sind die alters- und entwicklungsbedingten Unterschiede zwischen ihnen und den Erwachsenen. Auch bilden Kinder unter sich keine einheitliche Gruppe. Vielmehr unterscheiden sich die verschiedenen Altersstufen vom Früh- und Neugeborenen über das Kleinkind und Kinder im Schulalter bis hin zum Jugendlichen in Bezug auf ihren physiologischen und psychologischen Entwicklungsstand erheblich. Aus klinisch-pharmakologischer Sicht werden Kinder und Jugendliche gemäß ihren physiologischen Besonderheiten und Unterschiede in fünf Altersgruppen unterteilt: 1. Frühgeborene in der Phase des reinen Überlebens aufgrund ihrer extremen Unreife, 2. Neugeborene bis zum 27. Tag in der Anpassungsphase nach der Geburt, 3. Kleinkinder bis zum Alter von 23 Monaten in der Wachstumsphase, 4. Kinder im Alter von zwei bis elf Jahren in der Phase des Differenzierens und Trainierens, 5. Jugendliche mit dem Gewinn der Reproduktionsfähigkeit und der endgültigen Körpergröße.5 Die Unterschiede zwischen 1
2 3
4 5
Siehe auch Art. 1 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention), SR 0.107. Siehe auch die Kommentierung von Art. §1 KRK von DETRICK, 51 ff. Art. 14 ZGB. Die behördlich angeordnete Vormundschaft tritt nur ein, wenn die elterliche Sorge fehlt. HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.04, 25.16a ff. Art. 296 Abs. 1 ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.25. BOOS zit. Pädiatrie, 56; KLOESEL/CYRAN, § 41, Rn. 12; SEYBERTH, 37 ff.; SCHWARZ, 293. Diese Einteilung wird auch in den Richtlinien der International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH) festgeschrieben. Die für die Forschung mit Kindern bedeutsamen
III. Einführung in die medizinische Forschung mit Kindern
3
den verschiedenen Altersstufen führen dazu, dass medizinische Maßnahmen bei Früh- und Neugeborenen, Kleinkindern, Kindern sowie Jugendlichen jeweils anders wirken.6 Dementsprechend benötigt beispielsweise ein Säugling eine andere Dosierung eines Arzneimittels als ein Jugendlicher, und dies in einer altersgerechten Darreichungsform. Hingegen metabolisieren Kleinkinder und Kinder bis etwa zum achten Lebensjahr Arzneimittel in der Regel schneller als Erwachsene. Für eine optimale Behandlung müssen Medikamente in dieser Altersstufe daher relativ hoch dosiert werden.7 Auch gibt es Krankheiten und gesundheitliche Störungen, die nur im Kindesalter auftreten8 oder im Hinblick auf ihre Erscheinung, ihre Schwere und ihren Verlauf bei Kindern anders sind als bei Erwachsenen.9 Zudem tritt ein erheblicher Teil der etwa 5000 seltenen und schweren Erkrankungen nur bei Säuglingen und Kindern auf. Für viele dieser sogenannten orphan diseases10 ist heute keine wirksame Therapie verfügbar.11 Diese Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen wie auch die altersund entwicklungsbedingten Unterschiede zwischen den Kindern haben zur Folge, dass in der pädiatrischen Medizin nur sehr beschränkt mit Analogien zur Erwachsenenmedizin gearbeitet werden kann.12 Vielmehr benötigen Kinder und Jugendliche jeder Altersstufe ihrem Entwicklungsstand angemessene Diagnose- und Präventionsmethoden und Therapie und Dosierungsempfehlungen sowie kinderge-
6
7 8
9 10 11
12
Guidelines for Clinical Investigation of Medical Products in the Pediatric Population (ICH-Guideline E11) enthalten in Ziff. 2.5 detaillierte Ausführungen zu jeder Altersgruppe. Ausführlich zu den ICH-Guidelines hinten Kapitel 3 II.2.e. Zu den pharmakotherapeutisch bedeutsamen Entwicklungsphasen bei Kindern und Jugendlichen siehe SEYBERTH, 37 ff. So auch SCHWARZ, 293 ff., der altersabhängige Charakteristika sowie pharmakokinetische und pharmakodynamische Besonderheiten der einzelnen Altersgruppen auflistet, die spezielle klinische Untersuchungen erfordern und rechtfertigen. RADENBACH, 12 m.w.H. SCHWARZ, 295 f. Beispiele sind bestimmte Leukämieerkrankungen oder Sauerstoffmangel bei Frühgeborenen. KURZ, 1276. Dazu SCHWARZ, 305 f. KLEIST, 2221. Der Begriff therapeutic orphans wurde 1968 vom Pädiater Harry Shirkey geprägt. Shirkey brachte mit dem Begriff zum Ausdruck, dass Kinder regelmäßig nicht in Studien aufgenommen und damit zunehmend von der wissenschaftlich fundierten Arzneimittelversorgung ausgeschlossen werden. Auch nach über 30 Jahren hat dieser Begriff nichts von seiner Aktualität eingebüßt. KLEIST, 2222; SEYBERTH/BROCHHAUSEN/KURZ, 219: „In jedem dieser Entwicklungsstadien unterscheiden sich die Kinder aufgrund ihrer anatomischen, physiologischen, psychologischen, pathologischen und den sich daraus entwickelnden pharmakologischen Besonderheiten, die es nicht erlauben, dass pharmakotherapeutische Behandlungen ohne entsprechende Überprüfung und Modifikation aus der Erwachsenenmedizin in die Kinder- und Jugendmedizin übertragen werden können.“
4
Kapitel 1: Einführung in die Thematik der Forschung mit Kindern
rechte Darreichungsformen.13 Eine solche kindergerechte Medizin erfordert entsprechende Forschung mit Kindern. Nachfolgend wird am Beispiel der Arzneimittel aufgezeigt, dass die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen heute in vielen Bereichen ungenügend ist und demzufolge ein großer Forschungsbedarf besteht.
2. Ungenügende Arzneimittelsicherheit in der Pädiatrie Bei der arzneimittelrechtlichen Zulassung eines Medikamentes werden die Verordnungsinformationen wie beispielsweise die Indikation, die Kontraindikationen, Vorsichtsmaßnahmen, Warnungen, Nebenwirkungen und Dosierungsempfehlungen festgelegt. Sofern ein Zulassungsantrag für ein Arzneimittel keine Ergebnisse aus Studien mit Kindern und Jugendlichen enthält, wird das betreffende Arzneimittel von einer Anwendung bei Kindern ausgeschlossen (Kontraindikation).14 Heute liegen für an die 80 Prozent aller verfügbaren Arzneimittel nur unzureichende oder keine Daten zur Verwendung bei Kindern vor.15 Demzufolge besteht ein Mangel an Medikamenten, die zur Anwendung bei Kindern zugelassen sind. Im folgenden Abschnitt werden die ungenügende Arzneimittelsicherheit in der Pädiatrie16, ihre Ausmaße und Ursachen erläutert. a) Zahlen und Fakten zur Arzneimittelsicherheit in der Pädiatrie Trotz der erheblichen physiologischen Unterschieden zwischen Kindern und Erwachsenen werden die meisten medikamentösen Behandlungsformen bis heute nur an Erwachsenen erprobt. Dies hat zur Konsequenz, dass – je nach Altersgruppe und Krankheitsbild – zwischen 40 bis 90 Prozent der in der Pädiatrie regelmäßig verwendeten Substanzen nicht für die Verwendung bei Kindern zuge-
13 14 15
16
KLEIST, 2222. BOOS zit. Ethik, 47; SCHWARZ, 289. KLEIST, 2221, m.w.H.; SEYBERTH/BROCHHAUSEN/KURZ, 220 verweisen auf eine Literaturrecherche der FDA aus dem Jahre 1994, die bei 77 Prozent von 430 pädiatrisch bedeutsamen Arzneimitteln keine relevanten und brauchbaren Daten für die pädiatrische Zulassung ermitteln konnte. Die Pädiatrie (Kinderheilkunde) ist die Lehre von den Erkrankungen des kindlichen Organismus, seinen Entwicklungsstörungen, den Fehlbildungen und ihrer Behandlung. Die Pädiatrie erstreckt sich in ihren Schwerpunkten über alle Fachgebiete der klinischen Medizin, da das Wissen von den Erkrankungen des Erwachsenen nicht ohne Weiteres auf Kinder übertragbar ist. Wichtige Subdisziplinen sind die Neonatologie, welche die Versorgung von Frühgeborenen, mangelversorgten oder anderweitig kranken oder gefährdeten Neugeborenen umfasst, die Kinderkardiologie, die sich hauptsächlich mit den angeborenen Herzfehlern befasst, und die Jugendmedizin, deren Schwerpunkt die Diagnose und Behandlung von Störungen der Pubertät ist. Eine eigenständige Bedeutung hat auch die Sozialpädiatrie, die sich mit der umfassenden Betreuung entwicklungsgestörter Kinder befasst. Siehe dazu auch PSCHYREMBEL, 1240.
III. Einführung in die medizinische Forschung mit Kindern
5
lassen sind.17 Sind es in der durchschnittlichen pädiatrischen Praxis etwa 30–50 Prozent aller Medikamente, steigt dieser Anteil in der Neonatologie und der pädiatrischen Intensivmedizin auf bis zu 90 Prozent.18 Der Anteil der nicht zugelassenen Arzneimittel ist bei stationären Behandlungen19 größer als bei ambulanten Behandlungen.20 Ein besonders großer Mangel besteht bei kinderspezifischen
17 18
19
20
CONROY/CHOONARA/IMPICCIATORE/MOHN/ARNELL ET AL., 80. Eine englische Studie aus dem Jahre 1999 ergab, dass auf einer Intensivstation der Neonatologie während 13 Wochen 90 Prozent aller Arzneimittelabgaben entweder off-label (= Abgabe eines Arzneimittels außerhalb der behördlichen Zulassung) oder unlicensed (= Verwendung von im betreffenden Land behördlich [noch] nicht zugelassen Arzneimittel) waren, CONROY/MCINTYRE/CHOONARA, F142 ff. Eine vergleichbare australische Studie aus dem Jahre 2002, in der während zehn Wochen die Medikamentenabgabe in der Intensivstation der Neonatologie an Neu- und Frühgeborenen untersucht wurde, erbrachte ähnliche Resultate: 80 Prozent aller behandelten Kinder erhielten off-label und/oder unlicensed Verschreibungen. Bei Säuglingen mit sehr geringem Geburtsgewicht lag der Anteil bei 93 Prozent, O'DONNELL/STONE/MORLEY, 52 ff. Eine Studie zu off-label und unlicensed Verordnungen in einer deutschen Kinderklinik aus dem Jahre 1998 weist für die Intensivstation im Vergleich dazu einen niedrigen Anteil von 79 Prozent aus, KNÖPPEL/KLINGER/SOERGEL/SEYBERTH/LEONHARDT, 904 ff. In einer Studie aus dem Jahre 1998 wurden während vier Wochen die Medikamentenverordnungen in einer deutschen Kinderklinik hinsichtlich der Anteile der off-label und unlicensed Verschreibungen untersucht. 69 Prozent der Medikamente wurden off-label (60 Prozent) oder unlicensed (9 Prozent) verabreicht, wovon 88 Prozent der in dieser Zeit in diesem Spital behandelten Kinder betroffen waren, KNÖPPEL/KLINGER/SOERGEL/ SEYBERTH/LEONHARDT, 904 ff. Bei einer vergleichbaren Studie in einem dänischen Krankenhaus aus dem Jahre 2001 über eine Dauer von fünf Wochen waren 90 Prozent aller behandelten Kinder von einer off-label oder unlicensed Anwendung betroffen. Der Anteil an off-label verwendeten Substanzen lag dabei bei 18 Prozent, jener der unlicensed Verschreibungen bei 48 Prozent. JONG/VULTO/DE HOOG/SCHIMMEL/TIBBOEL ET AL., 1089. Eine Untersuchung der Arzneimittelverschreibungen von Kinderärzten im Großraum von Paris während eines Tages im Jahre 1999 erbrachte folgende Resultate: 33 Prozent aller verschriebenen Arzneimittel waren entweder off-label (29 Prozent) oder unlicensed (4 Prozent). 56 Prozent der an diesem Tag behandelten Kinder waren von einer solchen Anwendung betroffen, CHALUMEAU/TRÉLUYER/SALANAVE/ASSATHIANY/CHÉRON ET AL., 502 ff. Eine ähnliche Studie aus Dänemark zur ambulanten Verschreibung von Medikamenten durch Allgemeinpraktiker und Spezialisten aus dem Jahre 2000, bei der zusätzlich die Unterschiede zwischen den verschiedenen Alterskategorien untersucht wurden, erbrachte folgende Resultate: Insgesamt waren 20,6 Prozent aller Verschreibungen off-label und 16,6 Prozent unlicensed. Die höchste Rate an unlicensed Verschreibungen fand sich bei Säuglingen bis zum ersten Lebensjahr. Die höchste Rate der off-label Verwendungen wiesen Jugendliche zwischen zwölf und 16 Jahren auf, SCHIRM/TOBI/DE JONGVAN DEN BERG, 291 ff.
6
Kapitel 1: Einführung in die Thematik der Forschung mit Kindern
Medikamenten für die Behandlung von Infektionskrankheiten (Meningitis, AIDS, Tuberkulose), von Herzerkrankungen, Diabetes, Asthma und gastroenterologischen Krankheiten (Refluxkrankheiten und entzündliche Darmerkrankungen), zur Therapie neurologischer Krankheiten (Epilepsie, Migräne, mentale Retardierung), für psychiatrische Erkrankungen (Autismus, Psychosen, Depressionen) sowie in der Anästhesie von Kindern. Als gut wird die Versorgung mit kindergerechten Arzneimitteln bei gängigen Kinderkrankheiten und Impfstoffen sowie mit homöopathischen Mitteln bezeichnet.21 Diese Situation führt zu einer mangelhaften Arzneimittelsicherheit in vielen Bereichen der Pädiatrie und in der Folge zu einer vermehrten off-label und unlicensed Anwendung von Arzneimitteln. Von off-label use22 wird gesprochen, wenn verwendungsfertige und zugelassene Medikamente nicht gemäß der behördlich genehmigten Fachinformation23 verwendet werden (z.B. Anwendung in einer nicht registrierten Altersgruppe oder Verabreichung in einer nicht zugelassenen Dosierung24). In der Pädiatrie ist dies jedoch oft die einzige Möglichkeit für eine wirksame Therapie, da es an Arzneimitteln fehlt, die für die betreffende pädiatrische Altersgruppe zugelassen sind.25 Ein unlicensed use liegt vor, wenn ein Arzneimittel importiert und eingesetzt wird, für das noch keine behördliche Zulassung des entsprechenden Landes vorliegt.26 Die Hauptursache dieses Missstandes rührt daher, dass Ergebnisse klinischer Prüfungen und Untersuchungen an Erwachsenen nicht auf Kinder übertragbar sind.27 Bis heute bestehen weder allgemeingültige noch spezifisch für die einzelnen Wirkstoffgruppen anwendbare Regeln für die Extrapolation von bei Erwachsenen gewonnenen Daten auf Kinder. Dies gilt in erster Linie für die minimal wirksame und die maximal verträgliche Dosierung sowie das Ausmaß und die Dauer der Wirksamkeit von Arzneimitteln. Auch können Informationen zum Auftreten, der Häufigkeit, dem Schweregrad, der Dauer und zu den möglichen Folge-
21
22
23
24 25 26 27
Eine mit Daten aus dem Jahre 1999 durchgeführte Studie aus Deutschland zum offlabel Gebrauch von Arzneimitteln in der ambulanten Versorgung von Kindern ermittelte folgende Ergebnisse: Von über 1,5 Mio. Verordnungen erfolgten 13,2 Prozent offlabel. Bei 75 Prozent dieser off-label Anwendungen fehlten alterspezifische Angaben zur Anwendung, BÜCHELER/MEISNER/KALCHTHALER/MOHR/SCHRÖDER ET AL., 2551 ff. Quelle: Regulations on medicines for children: frequently asked questions, 6. Dokument abrufbar unter , besucht im Juni 2007. PETERMANN, Rz. 9 ff. Siehe auch SCHWEIZERISCHE KANTONSAPOTHEKERVEREINIGUNG UND SWISSMEDIC, 5. Die behördlich genehmigten Fachinformationen („Etikette“) beinhalten insb. die zugelassenen Indikation/en, Dosierung/en, Patientenpopulation/en (Alter, Geschlecht) sowie technisch-pharmazeutische Vorgaben (Haltbarkeit, Lagerungsvorschriften etc.). Siehe dazu PETERMANN, Rz. 9. KLEIST, 2221. KLEIST, 2221; SEYBERTH, 48 f. PETERMANN, Rz. 13. KLEIST, 2222.
III. Einführung in die medizinische Forschung mit Kindern
7
zuständen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen nicht von Erwachsenen auf Kinder übertragen werden.28 Um ein Arzneimittel in der Pädiatrie sicher einsetzen zu können, braucht es demzufolge spezifische klinische Prüfungen mit Kindern. Hierbei müssen gesondert für jede der oben beschriebenen Alters- und Entwicklungsstufen Testdaten gewonnen werden.29 Wie bereits ausgeführt, sind Kinder, die an selten auftretenden, schweren Erkrankungen (orphan diseases30) leiden, von dieser Arzneimittelunsicherheit besonders stark betroffen. Aber auch für häufig auftretende Krankheiten und gesundheitliche Störungen, an denen sowohl Kinder wie Erwachsene leiden, besteht ein Mangel an Arzneimitteln, die für eine Anwendung in der Pädiatrie ausreichend geprüft und zugelassen sind.31 b) Off-label und unlicensed Verwendung von Arzneimitteln in der Pädiatrie Nach der Markteinführung eines Arzneimittels werden dessen lizenzierte Anwendungen systematisch überwacht. Meldungen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen werden gesammelt und registriert. Bei einer off-label und unlicensed Verwendung von Arzneimitteln bestehen hingegen keine vergleichbare Überwachung und systematische Erfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen.32 Bis heute wurden nur wenige Studien zur Problematik und dem Ausmaß, den Risiken und Folgen der off-label und unlicensed Verwendung von Arzneimitteln bei Kindern durchgeführt.33 Bei diesen off-label und unlicensed Anwendungen von Arzneimitteln liegt die Verantwortung in den Händen der behandelnden Ärzte, die von Fall zu Fall entscheiden müssen, ob sie Kindern Medikamente verabreichen, zu denen keine Daten für den pädiatrischen Gebrauch vorliegen.34 Dabei begeben sich Ärzte auf eine medizinisch-juristische Gratwanderung.35 Unbestritten ist, dass Ärzte auch Kinder behandeln müssen, für deren Leiden keine zugelassenen Arzneimittel erhältlich sind.36 Die off-label Verwendung von Arzneimitteln im Rahmen einer Therapie37 ist durch die Therapiefreiheit des Arztes gedeckt.38 Infolge 28 29
30 31 32 33
34 35 36 37
SCHWARZ, 289. KLEIST, 2222 mit zahlreichen Beispielen zu den Unterschieden zwischen den verschiedenen Altersstufen. SCHWARZ, 305 f. KLEIST, 2221. IMPICCIATORE/CHOONARA/CLARKSON/PROVASI/PANDOLFINI ET AL., 81. Eine Metastudie über Untersuchungen unerwünschter Arzneimittelwirkungen bei Kindern aus dem Jahre 2001 kommt zum Schluss, dass diese bei Kindern ein ernst zu nehmendes Problem sind. Die Autoren fordern die systematische Protokollierung aller Verschreibungen sowie deren Auswertung. Zudem fordern sie methodische und systematische Überwachungsstudien nach der Markteinführung neuer Arzneimittel in der Pädiatrie IMPICCIATORE/CHOONARA/CLARKSON/PROVASI/PANDOLFINI ET AL., 77 ff. SCHWARZ, 289. RADENBACH, 15. TURNER/LONGWORTH/NUNN/CHOONARA zit. drug use, 968. Zum Heilversuch siehe hinten Kapitel 2 IV.2.b.
8
Kapitel 1: Einführung in die Thematik der Forschung mit Kindern
des oben beschriebenen Mangels an geprüften und zugelassenen Arzneimitteln für Kinder ist in der Pädiatrie die medizinische Versorgung heute ohne eine off-label und unlicensed Verwendung von Arzneimitteln nicht denkbar.39 Das Fehlen einer pädiatrischen Zulassung für ein Arzneimittel bedeutet denn auch nicht, dass seine Anwendung bei Kindern von Grund auf ineffektiv, gefährlich oder gar kontraindiziert wäre. Gerade in der Kinderheilkunde gibt es Disziplinen, die eine langjährige Erfahrung mit off-label und unlicensed Anwendung von Arzneimitteln haben und in denen demzufolge eine professionelle Akzeptanz solcher Arzneimitteltherapien besteht.40 WÖLK weist darauf hin, dass hinter dem Stichwort off-label unterschiedlichste Entscheidungssituationen stehen. Eine off-label oder unlicensed Behandlung kann durchaus eine standardmäßige Arzneimitteltherapie sein, für die umfangreiche Erkenntnisse aus Studien vorliegen, aber noch keine offizielle Zulassung erfolgt ist. Folglich liegen bei solchen Arzneimitteln ähnliche Erfahrungswerte wie bei neu zugelassenen Medikamenten vor. In der Pädiatrie kann daher eine off-label oder unlicensed Anwendung eines Arzneimittels als Standardtherapie anerkannt sein und sich auf eine in der Profession akzeptierte Erfahrung stützen.41 Sie kann jedoch auch eine Versuchsbehandlung ohne ausreichende Wissensgrundlagen und mit entsprechend gesteigerter Unsicherheit sein.42 Unabhängig davon, welches Stadium des off-label und unlicensed Gebrauchs vorliegt, ist das Fehlen einer pädiatrischen Zulassung für ein Arzneimittel immer ein klares Indiz dafür, dass keine oder zu wenige Studien mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt wurden.43 In anderen Worten: Unabhängig davon, wie standardgemäß oder experimentell die off-label oder unlicensed Anwendung von Arzneimitteln ist, sind sämtliche Anwendungen außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung infolge unzureichenden Wissens über die damit verbundenen Risiken und Nutzen mit Unsicherheiten verbunden.44 c) Therapeutische Waisen Die pädiatrische Pharmakotherapie basiert demzufolge vielfach auf den persönlichen Erfahrungen der behandelnden Ärzte45 und nicht auf in systematischen Studien gewonnenen, entsprechend wissenschaftlich gesicherten Daten.46 Folglich sind zahlreiche Arzneimitteltherapien bei Kindern in einem erhöhten Maß „mit 38 39 40 41 42 43
44 45
46
Zur Therapiefreiheit des Arztes OTT, 238 f. Siehe auch PETERMANN, Rz. 26. KNÖPPEL/KLINGER/SOERGEL/SEYBERTH/LEONHARDT, 907; WÖLK zit. off-label-use, 4. WÖLK zit. off-label-use, 4. JUNOD, 59. WÖLK zit. off-label-use, 4. SEYBERTH, 36; SCHWARZ, 289. Zu den Gründen für die fehlende Forschung mit Kindern und Jugendlichen siehe unten III. WÖLK zit. off-label-use, 4. BROCHHAUSEN, 24; SEYBERTH/BROCHHAUSEN/KURZ, 219 sprechen von einer Art „Kochrezeptsammlung“, auf die Ärzte in der Pädiatrie aufgrund der eingeschränkten Zulassung vieler Arzneimittel zurückgreifen. LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 12.
III. Einführung in die medizinische Forschung mit Kindern
9
nicht kalkulierbaren Risiken verbunden“.47 Denn nicht immer werden bei der offlabel oder unlicensed Anwendung von Arzneimitteln die pharmakotherapeutischen Entwicklungsphasen der Kinder48 berücksichtigt. Wird beispielsweise die pädiatrische Dosis eines nur für Anwendung bei Erwachsenen geprüften Arzneimittels nur über das Körpergewicht oder die Körperoberfläche des zu behandelnden Kindes linear von der Dosis für Erwachsene heruntergerechnet, kann es gemäß SEYBERTH „zu einer Reihe von unerwünschten Arzneimittelwirkungen“ kommen.49 Die Entwicklung des kindlichen Organismus erfordert im Umgang mit Arzneistoffen eine besondere Sorgfalt, denn Kinder und Jugendliche sind „anatomisch reifende Organsysteme“,50 bei denen sich Forschungsrisiken schwerer und langfristiger auswirken können als bei Erwachsenen.51 Wie oben ausgeführt, zeigen Ergebnisse verschiedener Untersuchungen, dass die Problematik der unerwünschten Arzneimittelwirkungen in der Pädiatrie von besonderer Brisanz ist. Die off-label und unlicensed Verwendung von Arzneimitteln stellt ein zusätzliches Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen und daraus resultierende irreversible Schädigungen dar.52 Es besteht heute die paradoxe Situation, dass einerseits die umfangreichen, nach Arzneimittelskandalen in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts – bei denen in erster Linie Kinder (vor und nach der Geburt) betroffen waren53 – 47
48
49
50 51 52
53
LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 12; KLEIST, 2221. Wie wichtig Forschung mit Kindern und für Kinder sein kann, um unerwünschte Wirkungen von nicht genügend evaluierten Behandlungsmethoden zu erkennen und zu vermeiden, zeigt das folgende – schon etwas weiter zurückliegende – Beispiel der Behandlung von Kindern mit Wachstumshormonen von Leichen in den USA: Fast 2000 Kinder wurden in den Jahren 1959 bis 1985 mit dieser Methode behandelt, um Zwergwuchs zu verhindern. 16 der Kinder sind an der Creutzfeld-Jakob-Krankheit gestorben und weitere leiden an dieser Krankheit. Bereits im Jahre 1977 waren genügend Hinweise vorhanden, dass Hormone von Leichen krankheitserregend sein könnten. Dennoch wurde mit dem Beginn einer entsprechenden klinischen Studie über zwei Jahre gewartet. Der Fall ist nachzulesen bei DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 707. Zu den pharmakotherapeutisch bedeutsamen Entwicklungsphasen bei Kindern und Jugendlichen siehe SEYBERTH, 37 ff. KLEIST, 2222; SEYBERTH, 43. Die beiden Autoren ergänzen ihre Aussagen mit einer Reihe von Beispielen die veranschaulichen, welche Folgen die Verabreichung von Arzneimitteln, die nicht für die verschiedenen Entwicklungsstufen von Kindern geprüft wurden, zeitigen können. Siehe zu dieser Problematik auch die Untersuchung von IMPICCIATORE/CHOONARA/CLARKSON/PROVASI/PANDOLFINI ET AL., 77 ff. KLEIST, 2222. BOOS zit. Pädiatrie, 55; DAHL/WIESEMANN zit. Forschung, 88; KURZ, 1276 f. CHOONARA zit. Arzneimitteltoxizität, 52 m.H. auf die Studien von IMPICCIATORE/ CHOONARA/CLARKSON/PROVASI/PANDOLFINI ET AL., 77 ff. und TURNER/LONGWORTH/ NUNN/CHOONARA zit. drug use, 343 ff.; TURNER/LONGWORTH/NUNN/CHOONARA zit. reaction, 965 ff. Dazu auch KURZ, 1276 und SEYBERTH, 36. So z.B. die 1959 nach der Anwendung des Antibiotikums Chloramphenicol bei Neugeborenen auftretenden Todesfälle (Grey Baby Syndrom) oder der ConterganSkandal von 1960, bei dem die Einnahme von Thalidomid durch Schwangere zu Miss-
10
Kapitel 1: Einführung in die Thematik der Forschung mit Kindern
geschaffenen arzneimittelrechtlichen Vorschriften zu hohen Sicherheitsstandards und strengen Zulassungsanforderungen für Arzneimittel geführt haben. Andererseits existiert gerade aufgrund dieser Entwicklung ein großer Mangel an zugelassenen Arzneimitteln für die pädiatrischen Altersgruppen.54 Trotz (und teilweise auch wegen) der stark gestiegener Sicherheits- und Zulassungsanforderungen sind Kinder nach wie vor einem erhöhten Risiko unerwünschter Arzneimittelwirkungen ausgesetzt.55 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die mangelhaften Wissensgrundlagen und die damit einhergehenden fehlenden pädiatrischen Zulassungen in der Pharmakotherapie dazu führen, dass potenziell wirksame Arzneimittel in der Kinderheilkunde erst viel später als bei Erwachsenen oder gar nicht zur Anwendung gelangen. Dadurch werden Kindern und Jugendlichen neue, verbesserte Medikamente vorenthalten, wodurch sie zunehmend zu therapeutischen Waisen56 werden.57 So führt die mangelnde Forschung mit Kindern – nicht nur im Bereich der Pharmakotherapie, sondern in sämtlichen Behandlungsfeldern der Pädiatrie – und die damit einhergehende schlechte Versorgung mit kindergerechten Diagnose-, Präventions- und Therapiemöglichkeiten letztlich dazu, dass in der Kinderheilkunde weder eine ausreichende Nutzen-Risiko-Abwägung gewährleistet noch ein Qualitätsstandard gesichert ist, wie sie für Erwachsene eine Selbstverständlichkeit darstellen.58 Diese Ungleichheit in der medizinischen Versorgung der Kinder im Vergleich zu Erwachsenen ist höchst problematisch, zumal Kinder das gleiche Recht auf die bestmögliche Gesundheitsversorgung haben wie Erwachsene.59
54 55
56
57 58 59
bildungen der Wirbelsäule und der Gliedmaßen ihrer ungeborenen Kinder führte. Dazu CHOONARA zit. Arzneimitteltoxizität, 51 m.w.H.; DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 819 ff.; MAIO zit. Ethik, 293. Neuere Fälle unethischer und widerrechtlicher Arzneimittelstudien sind nachzulesen bei JUNOD, 25, 31 m.w.H. in Fn. 233. Sie erinnert u.a. an die VanTx-Affäre von 1999 in der Schweiz sowie an die durch Henry Beecher aufgedeckten Studienskandale in den 1990er-Jahren. Siehe auch die Ausführungen bei BOOS zit. Ethik, 47 und MANAÏ, 494 f. SEYBERTH/BROCHHAUSEN/KURZ, 220. BOOS zit. Pädiatrie, 55 f. spricht davon, dass „[…] Kinder zunehmend aus dem System der sicheren Arzneimittelversorgung ausgegrenzt wurden und lediglich als Kontraindikation oder Warnhinweis in die Gebrauchsinformationen aufgenommen wurden.“, BROCHHAUSEN, 26; SEYBERTH, 49. SHIRKEY, 119 f.; Zur Entstehung des Begriffs und zur gesamten therapeutic orphan Problematik siehe zudem WILSON, 585 ff. BROCHHAUSEN, 24; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 12; SEYBERTH, 36. BROCHHAUSEN, 24. TURNER/LONGWORTH/NUNN/CHOONARA zit. drug use, 968. Siehe dazu auch hinten die Ausführungen zu Art. 12 UN Pakt I (Kapitel 3 II.1.a.bb) und Art. 24 KRK (Kapitel 3 II.1.c.cc).
IV. Gründe für die mangelnde Forschung mit Minderjährigen
11
IV. Gründe für die mangelnde Forschung mit Minderjährigen Es sind in erster Linie die entwicklungsbedingten Besonderheiten im Laufe der Kindheit,60 die eine eigenständige medizinische Forschung mit Kindern und für Kinder und Jugendliche erfordern. Wie oben dargelegt, wird diese heute in einem zu geringen Ausmaß betrieben, sodass Kinder im Vergleich zu anderen Patientengruppen in der medizinischen Versorgung benachteiligt sind. Nachfolgend wird den Gründen der geringen Zahl an klinischen Studien mit Kindern und der daraus resultierenden mangelnden Behandlungssicherheit in der Pädiatrie nachgegangen.61 Neben den physiologischen und pathophysiologischen Besonderheiten der Kinder und Jugendlichen62 sind es folgende multifaktoriellen63 Bedingungen, die zu dieser Benachteiligung der Kinder und Jugendlichen in der medizinischen Versorgung beitragen: Ein erster Grund für die mangelnde Forschung mit Kindern ist die geringe Grösse der pädiatrischen Population, wobei jede Altersgruppe für sich zu betrachten ist.64 Dies erfordert häufig die Durchführung multizentrischer Studien,65 da in einzelnen Kliniken zu wenig betroffene Kinder behandelt werden. Das Problem der geringen Zahl an potenziellen Versuchspersonen für pädiatrische Studien wird durch strenge Ein- und Ausschlusskriterien – wie sie von den Studien selbst vorgesehen werden und dem Schutz der Versuchspersonen dienen – noch zusätzlich verstärkt.66 Von dieser Problematik besonders schwer betroffen sind die seltenen Erkrankungen im Kindesalter. Studien zu Therapiemöglichkeiten für diese orphan diseases mit pädiatrischen Patientengruppen sind mit einem hohen Aufwand verbunden, zumal geeignete Versuchspersonen nur schwer zu finden sind.67 Gleichzeitig fehlen bei diesen kleinen Patientengruppen die nötigen ökonomischen Anreize zur Erforschung und Herstellung geeigneter Arzneimittel. Man spricht von sogenannten orphan drugs.68 Zur geringen Zahl der Versuchspersonen im Kindes- und Jugendalter kommen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung pädiatrischer Versuchspersonen hinzu.69 KLEIST schätzt, dass im Durchschnitt über 90 Prozent der angefragten Erzie60 61 62 63 64 65
66 67 68 69
BROCHHAUSEN, 25. Siehe dazu auch CALDWELL/MURPHY/BUTOW/CRAIG, 806 ff. SEYBERTH, 37 ff. BROCHHAUSEN, 29. CALDWELL/MURPHY/BUTOW/CRAIG, 806; JUNOD, 381. Multizentrische Studien sind klinische Studien, die zugleich an mehreren Studienzentren durchgeführt werden. Dabei können sich die beteiligten Forschungszentren auch in verschiedenen Ländern befinden, sodass eine Studie multizentrisch und multinational durchgeführt wird. Zu den multizentrischen Studien siehe auch hinten Kapitel 2 V.1. BOOS zit. Pädiatrie, 56; KLEIST, 2225. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 851. SCHWARZ, 305 f. Siehe hierzu auch Kapitel 3 II.3.c. CALDWELL/MURPHY/BUTOW/CRAIG, 806.
12
Kapitel 1: Einführung in die Thematik der Forschung mit Kindern
hungsberechtigten eine Studienteilnahme des ihnen anvertrauten Minderjährigen ablehnen.70 Er geht davon aus, dass primär die Angst, „das eigene Kind als 'Versuchskaninchen für die Forschung' zur Verfügung zu stellen“, den Entscheid der Sorgeberechtigten beeinflusst. Auch sein die mit der Studienteilnahme eines Kindes verbundene Belastung für das betroffene Kind und der (organisatorische) Aufwand für die Familie (z.B. Betreuung von Geschwistern während den Klinikaufenthalten, Fahrten ins Studienzentrum, Schulbesuch der Kinder) nicht zu unterschätzen.71 Studien mit Kindern und Jugendlichen sind im Vergleich zu Studien mit erwachsenen Versuchspersonen mit zusätzlichem Aufwand verbunden. Beispielsweise muss das Aufklärungs- und Informationsmaterial sowohl für die gesetzlichen Vertreter der Minderjährigen wie auch für die Kinder selbst bereitgestellt werden. Dabei müssen die Informationen den Fähigkeiten der verschiedenen Altersstufen angepasst werden. Auch erfordern Studien mit Kindern und Jugendlichen eine besonders sorgfältige, den besonderen Bedürfnissen dieser Versuchspersonen angepasste Planung, Ausgestaltung und Durchführung: „Die Betreuung der Kinder während der Visiten am Studienzentrum erfordert eine entspannte Atmosphäre, Kreativität, Geduld und viel Zeit.“72 Bei Arzneimittelstudien mit Kindern und Jugendlichen ist zu beachten, dass spezielle pädiatrische Darreichungsformen bereitgestellt werden müssen. Das Fehlen kindgerechter Formulierungen ist eines der Hauptprobleme in der Pädiatrie und bereitet den Arzneimittelherstellern große Schwierigkeiten. Bewährt haben sich flüssige Darreichungsformen (z.B. Tropfen, Sirupe) oder auch äußerliche Anwendungsformen wie Sprays oder Pflaster. Auch die Farbe und die Form sowie insbesondere der Geschmack sind ausschlaggebend, ob ein Medikament von Kindern und Jugendlichen akzeptiert wird und ihnen verabreicht werden kann. Doch lassen sich längst nicht für alle Substanzen geeignete stabile Formulierungen entwickeln.73 Die Prüfung von pädiatrischen Arzneimitteln in Studien erfordert zudem die Entwicklung von entsprechend kindgerechten Nachweisverfahren und Evaluationssystemen.74 Eine zentrale Ursache für die geringe Zahl an Studien mit Kindern sind im Weiteren die finanziellen Aspekte der medizinischen Forschung.75 Die Arzneimittelforschung wird hauptsächlich von den Pharmaunternehmen finanziert. Dabei sind diese Unternehmungen nicht an einen Versorgungsauftrag gebunden, sondern folgen dem Prinzip der freien Marktwirtschaft.76 Die Entwicklung eines neuen Arzneimittels ist bis zu seiner Marktzulassung mit durchschnitt-
70 71 72 73 74 75 76
KLEIST, 2225. KLEIST, 2225. KLEIST, 2226. BROCHHAUSEN, 26; KLEIST, 2226. BROCHHAUSEN, 28; KLEIST, 2226 m.w.H. Zu den finanziellen und zeitlichen Dimensionen klinischer Studien JUNOD, 99 ff. BROCHHAUSEN, 27.
IV. Gründe für die mangelnde Forschung mit Minderjährigen
13
lichen Kosten von 800 Millionen US-Dollar verbunden.77 Aufgrund der geringen Größe der pädiatrischen Patientengruppe ist das Marktpoteztial pädiatrischer Arzneimittel und Medizinalprodukte, verglichen mit dem Markt für Erwachsene, limitiert. Entsprechend lohnen sich Investitionen in die Entwicklung pädiatrischer Arzneimittel für die privatwirtschaftlichen Unternehmungen nur beschränkt, da sich die mit der Entwicklung und Zulassung solcher Heilmittel verbundenen hohen Kosten nach der erfolgreichen Zulassung und Markteinführung kaum refinanzieren lassen.78 Pädiatrische Studien werden jedoch nicht nur von Pharmaunternehmen oder anderen privatwirtschaftlichen Institutionen durchgeführt und finanziert. Auch Kliniken führen pädiatrische Studien auf eigene Initiative durch. Im Vergleich zu den industriellen Sponsoren verfügen Kliniken jedoch oft nicht über die nötigen finanziellen und personellen Mittel, um den hohen Standards zu entsprechen, die von den Zulassungsbehörden gefordert werden.79 Zudem sind klinische Studien arbeitsintensiv, dauern oft lange und offerieren – im Vergleich mit der Grundlagenforschung – weniger Publikationsmöglichkeiten, was der Attraktivität dieser Forschung für den wissenschaftlichen Nachwuchs zusätzlich abträglich ist.80 Im Weiteren konzentriert sich die staatliche Forschungsförderung primär auf die Grundlagenforschung, was das Finanzierungsproblem der angewandten klinischen Forschung in der Pädiatrie weiter verstärkt.81 Ein weiterer gewichtiger Grund für die mangelnden Forschungsanstrengungen ist nicht zuletzt das besondere rechtliche und ethische Umfeld dieser Forschung.82 Das ethische Umfeld der medizinischen Forschung mit Kindern und Jugendlichen zeichnet sich durch eine hohe Sensibilität der Gesellschaft aus. Nach den in der Geschichte beispielslosen Verbrechen im Namen der Forschung unter der nationalsozialistischen Herrschaft im Zweiten Weltkrieg83, den zahlreichen, durch ehrgeizige und verantwortungslose Wissenschaftler verursachten Forschungs77
78
79
80 81 82 83
Angaben von Dr. Dr. Andreas Barner, Vorsitzender des Vorstands des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller e.V. anlässlich eines Vortrags zum Thema „Zukunft der Arzneimittelforschung in Deutschland“ am 17. Mai 2006 an der Universität Mannheim. Siehe auch die damit übereinstimmenden Angaben in der Publikation „Pharma-Markt Schweiz, Ausgabe 2005“ des Verbandes der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz (Interpharma), 52 f. BOOS zit. Pädiatrie, 56; BROCHHAUSEN, 27; GRABER, A-320; WIESEMANN zit. Ethische Probleme, 130; WÖLK zit. off-label-use, 1 ff. BOOS zit. Pädiatrie, 56 f. weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die medizinische Forschungsförderung in erster Linie der Grundlagenforschung zugute kommt. WÖLK zit. off-label-use, 3 f. BOOS zit. Pädiatrie, 57. BOOS zit. Pädiatrie, 56; SEYBERTH/BROCHHAUSEN/KURZ, 225. Stellungnahme ZEKO, 3. Hierzu als eindrückliches Beispiel die Dokumentation über die gezielte Tötung unzähliger Kinder und ihr Missbrauch für die Forschung in der Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“ in Wien (ab Juli 1942 „Wiener städtische Nervenklinik für Kinder“) von HÄUPL. Siehe auch die kurze Übersicht bei MAGNUS, 87 ff.
14
Kapitel 1: Einführung in die Thematik der Forschung mit Kindern
skandalen84 sowie den bereits genannten Arzneimittelskandalen85 steht die Forschung mit Versuchspersonen heute unter der ständigen Beobachtung einer kritischen Öffentlichkeit. Das enge Nebeneinander von Hoffnungen86 und Misstrauen, stellt höchste ethische Anforderungen an die Forschung mit Versuchspersonen. Die gesellschaftliche Wahrnehmung und Beurteilung der medizinischen Forschung sind für die Gruppen der besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen – zu denen auch Kinder und Jugendliche gehören – besonders kritisch. Dies wird einerseits am Beispiel der in Deutschland geführten Debatte87 um das Übereinkommen des Europarats zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin88 und andererseits in der nicht minder emotional geführten, aktuellen Diskussion in der Schweiz um das Forschungsprojekt Sesam deutlich.89 Dieser gesellschaftliche Diskurs über die Forschung mit Kindern und für Kinder zeigt auf, wie wichtig der Einbezug ethischer Überlegungen bei der Forschung mit Kindern und Jugendlichen ist. Das rechtliche Umfeld der medizinischen Forschung wird auf nationaler wie internationaler Ebene seit einigen Jahrzehnten durch eine zunehmende Normierung und Regulierung geprägt.90 Dieser Verrechtlichungsprozess91 und die weltweite Harmonisierung setzten sich bis heute fort. Die fortschreitende Regulierung führte zu einheitlichen Qualitäts-, Sicherheits- und Zulassungsstandards. Dieser Prozess ist allerdings nicht in allen Bereichen der Forschung gleich weit fortgeschritten. Heute bestehen nur wenige spezifische Regelungen, die den Besonder84
85 86
87
88 89
90
91
Ein Beispiel unter vielen ist die in der Literatur oft genannte Willowbrook-Studie zu Hepatitis-Infektionen, die zwischen 1956 und 1970 in einem New Yorker Kinderheim durchgeführt wurde. Dazu DAHL/WIESEMANN zit. Forschung, 92 m.w.H.; SPRUMONT, 7 ff. Siehe Fn. 53. Beispielsweise sind in der Neonatologie durch die Errungenschaften der modernen Spitzenmedizin heute wahre Wunder möglich geworden. Mit den zunehmenden intensivmedizinischen Möglichkeiten stellen sich (gerade in der Neonatalogie) jedoch äußerst schwierige ethische Fragen. Dazu HENTSCHEL, 246 ff. Siehe auch ANDERWEIT/ LICHT/KRIBS/WOOPEN/BERGDOLT ET AL., 37 ff. und MANAÏ, 196 ff. Siehe zu dieser Diskussion neben vielen anderen beispielsweise JÜRGENS, 34 ff.; WOLFSLAST, 74 ff. Zur Biomedizinkonvention des Europarates siehe hinten Kapitel 3 II.2.b. Sesam steht für Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health, übersetzt Schweizerische ätiologische Studie zur psychischen Gesundheit. Das Sesam-Projekt beabsichtigt, die komplexen Ursachen aufzudecken, die zu einer gesunden psychischen Entwicklung über die gesamte Lebensspanne führen. Dazu möchten die Sesam-Forschenden 3000 Kinder zusammen mit ihren Eltern und Großeltern von der Schwangerschaft bis ins junge Erwachsenenalter begleiten. Internetseite des Sesam-Projekts: , besucht im Juni 2007. KLEIST/ALTHAUS/JAEGER/FENNER/GRAUER, 2347. Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der medizinischen Humanforschung siehe hinten Kapitel 3. SCHWANDER zit. Forschung, 58.
V. Notwendigkeit und Bedeutung der pädiatrischen Forschung
15
heiten der pädiatrischen Versuchspersonen Rechnung tragen und damit für die medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen die nötige rechtliche Klarheit schaffen. Die gestiegenen rechtlichen und ethischen Anforderungen an die Forschung mit Versuchspersonen auf der einen Seite und die bestehenden Rechtsunsicherheiten in der Forschung mit Kindern und Jugendlichen auf der anderen Seite hemmen die dringend notwendigen Forschungsaktivitäten in der Pädiatrie.92
V. Notwendigkeit und Bedeutung der pädiatrischen Forschung Die obigen Ausführungen machen deutlich, dass eine angemessene medizinische Versorgung von Kindern nur möglich ist, wenn die Besonderheiten von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werden. Ein gewichtiges Argument für Forschung mit Kindern und Jugendlichen ist die Tatsache, dass zahlreiche Krankheiten nur bei Kindern auftreten oder bei Kindern einen anderen Verlauf nehmen als bei erwachsenen Patienten. In vielen Fällen kann mit einer rechtzeitigen und gezielten Behandlung bleibende Schädigung vermieden oder eine Heilung erreicht werden. Hierzu sind jedoch entsprechende Forschungsanstrengungen mit Kindern und für Kinder eine unumgängliche Notwendigkeit. Ein herausragendes Beispiel für die Verbesserung von Heilungschancen durch gezielte Forschungsanstrengungen ist die pädiatrische Onkologie. Durch die seit den 1970er-Jahren systematisch durchgeführten klinischen Studien (insb. Therapieoptimierungsstudien93) konnten die Heilungsaussichten der betroffenen Kinder teilweise stark gesteigert werden.94 Die Erfahrungen mit systematischen Studien in der Onkologie zeigen, dass von vermehrten Studien in der Pädiatrie insbesondere Kinder mit seltenen und schweren Krankheiten profitieren.95 Aus den Erkenntnissen der pädiatrischen Onkologie und Hämatologie geht zudem hervor, dass klinische Studien für die Einführung neuer Arzneimittel für eine Verbesserung der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen alleine nicht ausreichen. Es bedarf zusätzlicher Studien, in denen die optimale Dosis eines Arzneimittels eruiert wird (Dosisfindungsstudien96). Nur mit den Erkenntnissen solcher Studien lassen sich die negativen Folgen intensiver Be-
92
93 94 95 96
Gerade im Bereich der Arzneimittel wurden und werden Kinder teilweise auch noch heute lediglich in Form von Kontraindikationen und Warnhinweisen in die Gebrauchsinformationen von Medikamenten aufgenommen, was zu einer zunehmenden Ausgrenzung der Kinder aus dem System der sicheren Arzneimittelversorgung führt. Dazu BOOS zit. Pädiatrie, 55. Siehe dazu hinten Kapitel 2 V. BOOS zit. Pädiatrie, 58. BOOS zit. Pädiatrie, 58; BOOS zit. Ethik, 48 f. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 685.
16
Kapitel 1: Einführung in die Thematik der Forschung mit Kindern
handlungen mit Arzneimitteln lindern und vermeiden.97 Neben der Forschung zur Neuentwicklung von Arzneimitteln, der Forschung zur Dosierung und Therapieoptimierung, besteht in der Pädiatrie auch ein großer Forschungsbedarf im Hinblick auf die entwicklungsbedingten Besonderheiten von Kindern und den daraus resultierenden Folgen für die Behandlung, Pflege und Therapie. Dazu BOOS: „Die kindliche Entwicklung ist von unüberschaubarer Komplexität, die erforderlichen Wachstums- und Reifeprozesse, die während der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren ablaufen, werden auch heute höchstens in allerersten Ansätzen verstanden. Sie stellen aber völlig unstrittig eine höchst vulnerable Phase dar, besonders sensibel für psychische und physische Schädigung.“98 Ein Beispiel hierzu sind Studien zur Pflege und Betreuung von kranken Früh- und Neugeborenen auf Intensivpflegestationen der Neonatologie. Heute ist bekannt, dass Frühgeborene versuchen, sich zu orientieren und mit ihrer Umwelt in Kontakt zu treten. Studien haben gezeigt, dass die Entwicklung dieser kleinen Intensiv-Patienten erheblich verbessert werden kann, wenn störende Einflüsse wie zu grelles Licht, Lärm und Hektik so weit wie möglich reduziert werden. Auch ein intensiver Eltern-Kind-Kontakt (Körperkontakt, die Stimmen der Eltern, das Streicheln des Kindes) fördert die Entwicklung dieser Kinder. Um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden, bedarf es nicht nur einer architektonischen und gestalterischen Anpassung der Intensivpflegestationen für Neugeborene (Schaffung von Einzelzimmern, entsprechende Positionierung der Geräusche verursachenden Apparate und Monitore, Liegeplatz für die Eltern, Lichtverhältnisse, Akustik etc.), sondern auch Veränderungen in der Betreuung und Behandlung dieser Kinder sowie ein gezielter Einbezug der Eltern in deren Pflege.99 Evaluationsstudien zu solchen Einzelzimmern in der neonatologischen Intensivpflege und die Beteiligung der Eltern an der Pflege kranker Früh- und Neugeborener weisen Verbesserungen beim Wohlbefinden, dem Heilungsverlauf und der Entwicklung der Säuglinge nach. Ebenso wurden ein Rückgang der Sterblichkeitsrate sowie ein gesunkenes Infektionsrisiko festgestellt.100 Dieses Beispiel aus der neonatologischen Intensivpflege verdeutlicht, dass auch Veränderungen in der Pflege und Behandlungsumgebung stets eine sorgfältige Erprobung und Evaluation erfordern. Ein anderes Beispiel ist die Entwicklung und Erprobung medizinischer Hilfsmittel (Rollstühle, Hörgeräte, Prothesen etc.) die dem Entwicklungsstand der Kinder (Wachstum, Kräfteverhältnisse, Geschicklichkeit etc.) angepasst werden müssen. Diese Beispiele verdeutlichen, dass auch außerhalb der Pharmakotherapie große Forschungsanstrengungen erforderlich sind, um eine den vielfältigen Bedürfnissen von Kindern gerecht werdende medizinische Versorgung sicherstellen zu können. Eine weitere Chance systematischer Forschung mit Kindern und für Kinder liegt in der Verbesserung der Sicherheit und Qualität ihrer medizinischen Versor97 98 99 100
BOOS zit. Pädiatrie, 59. BOOS zit. Ethik, 46. SIEBER, 12 ff. SIEBER, 13.
VI. Besonderheiten von Kinder in der medizinischen Forschung
17
gung.101 Werden Behandlungsmodalitäten systematisch geplant, überwacht und ausgewertet, lässt sich deren Qualität umfassend beurteilen und gezielt verbessern.102 Vermehrte Forschungsanstrengungen sind nicht zuletzt auch mit ökonomischen Vorteilen verbunden. So werden die Kosten von Arzneimitteln und Medizinprodukten in der Regel nur dann von den Krankenkassen übernommen, wenn sie im Rahmen ihrer heilmittelrechtlichen Zulassung verabreicht werden.103 Zudem lassen sich auch durch effektive Diagnostik, sichere Prävention und dem richtigen Maß an Therapie Kosten sparen: Die durch Forschung erlangte höhere Qualität und Sicherheit medizinischer Behandlungen verhindert unerwünschte Folgen und die damit einhergehenden Kosten.104
VI. Besonderheiten von Kinder in der medizinischen Forschung Medizinische Forschung mit Kindern unterscheidet sich in vielen Belangen von der Forschung mit erwachsenen Personen. Kinder sind auch nur begrenzt mit anderen Gruppen der einwilligungsunfähigen Personen zu vergleichen. Die altersspezifischen Besonderheiten von Kindern, insbesondere ihre Entwicklungsfähigkeit, verlangen eine eigenständige Betrachtung der medizinischen Forschung mit Kindern.105
1. Besonders schutzbedürftige Versuchspersonen Kinder sind weit über ihre ersten Lebensjahre hinaus auf Fürsorge und Betreuung angewiesen. Damit gehören sie zur Gruppe der besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen.106 Darunter fallen sowohl minderjährige wie erwachsene Personen. Zu den erwachsenen, in der medizinischen Forschung besonders schutzbedürftigen Personen gehören beispielsweise an Demenz leidende Personen oder Patienten in einem komatösen Zustand sowie bewusstlose Unfallopfer. Den erwachsenen 101 102 103
104 105 106
RIEGER, § 2880, Rn. 2. BOOS zit. Pädiatrie, 59. Primäre Voraussetzung für die Rückerstattung der Behandlungskosten ist die Zulassung der entsprechenden Arzneimittel und Medizinprodukte für den pädiatrischen Gebrauch durch die jeweilige Zulassungsstelle. Dazu BGE 130 V 532;131 V 349; KIESER, Rz. 4. Siehe auch Kapitel 2 Vi.2.b. BOOS zit. Pädiatrie, 60; KRAMER/HEINEMANN, 28. So auch DAHL/WIESEMANN zit. Forschung, 88. Siehe dazu Art. 55 und 56 des Bundesgesetzes über Arzneimittel und Medizinprodukte (HMG) zu klinischen Versuchen mit unmündigen, entmündigten und urteilsunfähigen Personen und in medizinischen Notfallsituationen. Alle diese Personen gelten als besonders schutzbedürftige Versuchspersonen. Zur Regelung der Humanforschung im HMG siehe Kapitel 3 III.2.c, 3.b.; Kapitel 4 V.
18
Kapitel 1: Einführung in die Thematik der Forschung mit Kindern
und den minderjährigen, besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen ist gemeinsam, dass sie nur beschränkt oder gar nicht in der Lage sind, ihre eigenen Interessen zu vertreten und zu schützen. Eine zweite Gruppe besonders schutzbedürftiger Versuchspersonen bilden Personen, die aufgrund ihres rechtlichen Status oder ihrer gesellschaftlichen und sozialen Stellung in ihrer Selbstbestimmung beschränkt sind. Dies können u.a. Inhaftierte, Militärdienstleistende, Personen in Heimen sowie Personen sein, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Studienverantwortlichen stehen.
2. Sonderstellung minderjähriger Versuchspersonen Wie ausgeführt, gehören auch Kinder und Jugendliche zur Gruppe der besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen. Doch unterscheiden sie sich in vielerlei Hinsicht von erwachsenen, besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen. Einerseits sind Kinder bis zu einem bestimmten Alter und dem Erlangen einer bestimmten individuellen Reife hinsichtlich medizinischer Entscheidungen nicht urteilsfähig. Zudem stehen sie während der Dauer ihrer Unmündigkeit unter elterlicher Sorge107 oder unter Vormundschaft.108 Andererseits weisen Kinder und Jugendliche – wie weiter oben unter II ausgeführt – altersspezifische Besonderheiten auf. Diese kindlichen Entwicklungspotenziale und die damit verbundene Entwicklungsfähigkeit sind von herausragender Bedeutung. Nachfolgend wird auf die wichtigsten Unterschiede zwischen minderjährigen Versuchspersonen und erwachsenen, nicht oder nur beschränkt einwilligungsfähigen Versuchspersonen sowie Besonderheiten von Kindern und Jugendlichen in der medizinischen Forschung näher eingegangen. a) Organismus und Persönlichkeit in Entwicklung Kinder und Jugendliche sind heranwachsende Menschen. Das körperliche Wachstum und die mentale Entwicklung eines Kindes können durch Arzneimittel und ärztliche Eingriffe nachteilig beeinflusst werden.109 So werden heute beispielsweise die Wachstums- und Reifungsprozesse während der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren erst in den Ansätzen verstanden. Gleichzeitig ist unbestritten, dass dies eine höchst bedeutsame Phase für die Entwicklung des Menschen ist. Entsprechend vulnerabel sind Kinder in dieser Altersphase für psychische und physische Schädigungen, die sich in der Folge besonders schwer und langfristig auswirken können.110 Zudem haben Kinder zumeist den größten Teil ihres Lebens noch vor sich, sodass schwerwiegende medizinische Eingriffe
107 108 109 110
Siehe dazu HEGNAUER zit. Grundriss, § 25. HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.16a ff. KURZ, 1276 ff. BOOS zit. Ethik, 46; DAHL/WIESEMANN zit. Forschung, 88; WIESEMANN zit. Bewertung, 72.
VI. Besonderheiten von Kinder in der medizinischen Forschung
19
ihre möglichen Lebenschancen kurz- oder langfristig einschränken oder gar irreversibel zerstören können.111 b) Kindesverhältnis Aufgrund der von Natur aus bestehenden körperlichen und seelischen Unreife eines Kindes steht es von Geburt an in einem umfassenden Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Eltern.112 Diese faktische Abhängigkeit ist vorgegeben und unvermeidbar. Aus diesem Grund lässt sie sich mit keinem anderen Abhängigkeitsverhältnis in unserer Gesellschaft vergleichen. Dieses Verhältnis zwischen einem Kind und seinen Eltern – das Kindesverhältnis113 – ist somit auch in der medizinischen Forschung mit Minderjährigen zentral. Als einziges Rechtsverhältnis ist das Kindesverhältnis grundsätzlich unauflöslich und dauert lebenslang.114 Es gibt dem Kind eine unentziehbare Stellung in der Gesellschaft,115 denn es ist verbunden mit klaren sozialen Strukturen und rechtlichen Normen. Diese regeln u.a. auch die Vertretung der Kinder durch ihre Sorgeberechtigten,116 indem sie diesen Schutzpflichten auferlegen und Entscheidungskompetenzen erteilen.117 Für keine andere Gruppe der nicht und beschränkt einwilligungsfähigen Personen bestehen derart klare Strukturen und Regeln, wie dies bei der Vertretung der Kinder durch ihre Eltern der Fall ist.118 So ist unbestritten, dass die Eltern – zumindest in den ersten Lebensjahren – in medizinischen Belangen für das Kind entscheiden.119 Im Vergleich dazu besteht bei nicht oder beschränkt einwilligungsfähigen erwachsenen Personen die Vertretung nicht von Gesetzes wegen. Vielmehr muss sie durch einen Rechtsakt errichtet werden. Vorrangig ist der Entscheid der zuständigen Vormundschaftsbehörde.120 111 112
113
114 115
116 117 118 119
120
DIEHL, 169. WEISSTUB/VERDUN-JONES/WALKER, 383 f. Zur Person, der Rolle, den Rechten und Pflichten der Eltern siehe hinten Kapitel 4 III.2. HEGNAUER zit. Grundriss, N 2.06. Das Kindesverhältnis entsteht von Gesetzes wegen mit der Geburt zur Mutter (Art. 252 Abs. 1 ZGB), wenn sie verheiratet ist, auch zum Vater (Art. 255 Abs. 1 ZGB). In den übrigen Fällen entsteht das Kindesverhältnis durch einen Rechtsakt: Zum mit der Kindesmutter nicht verheirateten Vater durch Anerkennung (Art. 260 ZGB) oder durch Urteil (Art. 261 ZGB) und zu Vater und Mutter durch Adoptionsverfügung (Art. 264 ff. ZGB). HEGNAUER zit. Kindesrecht, 29, 38. HEGNAUER zit. Kindesrecht, 27 ff.: „Das Kind erhält durch Zuordnung von Eltern, eines Namens und eines Bürgerrechts seinen 'geometrischen Ort' in der Gesellschaft.“ Zur elterlichen Sorge siehe hinten Kapitel 4 III.2.b. MAIO zit. Ethik, 171. MAIO zit. Forschung, 171. WEISSTUB/VERDUN-JONES/WALKER, 383. Zur (selbstständigen) Entscheidungsbefugnis Minderjähriger bei Heilbehandlungen siehe hinten Kapitel 4 IV und V. GUILLOD zit. consentement, 249 f.; TAUPITZ zit. Biomedizinische Forschung, 97; WIESEMANN zit. Bewertung, 72. Siehe hierzu auch die Medizinisch-ethischen Grundsätze zum Recht der Patientinnen und Patienten auf Selbstbestimmung der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften vom 24. November 2005.
20
Kapitel 1: Einführung in die Thematik der Forschung mit Kindern
Im Zusammenhang mit der rechtlichen Vertretung des Kindes durch seine Sorgeberechtigten ist allerdings zu beachten, dass das Kind einen fortlaufenden Entwicklungsprozess vom vollständig auf die Hilfe und Fürsorge angewiesenen Kleinkind hin zum selbstverantwortlichen Erwachsenen durchläuft. Auch setzt das Unmündigenrecht der elterlichen Verantwortung121 Grenzen und beendet diese mit Vollendung des 18. Altersjahres des Kindes.122 Doch umspannen gerade diese 18 Jahre „die entscheidende Entwicklung des Kindes von der Abhängigkeit zur Selbstständigkeit“.123 Es ist „ein unaufhaltsamer, bald schneller, bald langsamer verlaufender Prozess des körperlichen und geistigen Wachstums“.124 Die schrittweise Verselbstständigung des Kindes ist verbunden mit der Rückbildung der elterlichen Fürsorgepflicht und Entscheidungskompetenz.125 c) Vertretung des Kindes Obwohl scheinbar klare rechtliche Grundlagen für die Vertretung des Kindes126 durch seine Eltern bestehen, kann diese im Einzelfall mit Schwierigkeiten verbunden sein. Im vom Recht vorgesehenen Normalfall bilden die Eltern und ihre Kinder eine Gemeinschaft und die Eltern teilen sich die elterliche Sorge, die jedem Elternteil als eigenständiges Recht zusteht.127 Diese ist die gesetzliche Befugnis der Eltern, die für das unmündige Kind notwendigen Entscheidungen zu treffen.128 Bei der Ausübung ihrer elterlichen Sorge haben die Eltern einen großen Ermessensspielraum. Richtmaß und Grenze sind das Wohl des Kindes.129 Insbesondere im Zusammenhang mit der Einwilligung in die Teilnahme des Kindes an einem Forschungsvorhaben kann diese doppelte Vertretung zu Problemen führen.130 Es ist an Fälle zu denken, in denen die gesetzlichen Vertreter eines Kindes nicht gleicher Meinung sind und als Folge davon unterschiedliche Anweisungen und Entscheidungen kommunizieren.131 Zudem ist heute die gemeinsame Pflege und Erziehung eines Kindes durch beide Eltern an einem Lebensmittelpunkt nicht mehr die Regel. Vielmehr kennt die heutige Gesellschaft eine Vielfalt 121
122 123 124 125 126 127
128
129 130 131
Mit Ausnahme des Ausbildungsunterhalts gemäß Art. 277 Abs. 2 ZGB. HEGNAUER zit. Kindesrecht, 38. Art. 14 ZGB. HEGNAUER zit. Kindesrecht, 38. HEGNAUER zit. Kindesrecht, 38. WEISSTUB/VERDUN-JONES/WALKER, 393 ff. Zur Vertretung des Kindes siehe hinten Kapitel 4 III. Art. 296 ZGB von Gesetzes wegen vorgesehene gemeinsame Sorge verheirateter Eltern, HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.17 ff.; Art. 298a ZGB vereinbarte und von der Vormundschaftsbehörde bewilligte und übertragene gemeinsame elterliche Sorge unverheirateter Eltern, HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.21a ff. Siehe zur elterlichen Sorge ausführlich hinten Kapitel 4 III.2.b. HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.02. Zur elterlichen Sorge und ihrer Ausübung im medizinischen Kontext siehe hinten Kapitel 4 III ff. Dazu hinten Kapitel 4 IV.3. DAHL/WIESEMANN zit. Forschung, 88; WIESEMANN zit. Bewertung, 72. Siehe dazu auch hinten Kapitel 4 III.2., IV.4 f.
VI. Besonderheiten von Kinder in der medizinischen Forschung
21
von Familienformen mit entsprechenden Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge.132 Überdies kann sich die familiäre Situation eines Kindes während der Dauer seiner Unmündigkeit verändern. Zu denken ist beispielsweise an eine Scheidung der Eltern, den Tod eines Elternteils, eine Adoption des Kindes oder neue Partnerschaften der Eltern.133 Im Gegensatz dazu gelten für die Begründung, Änderung und Aufhebung einer Vormundschaft klare gesetzliche Vorgaben und Verfahren. Auch ist der Entscheidungsspielraum eines behördlich eingesetzten Vormunds durch gesetzliche Vorgaben begrenzt.134 d) Wertesystem und mutmaßlicher Wille Kinder verfügen in ihren ersten Lebensjahren über keine eigene Wertehierarchie. Erst im Verlaufe ihrer Entwicklung eignen sich Kinder durch Erfahrung, Erziehung und Ausbildung sowie weitere Einflüsse eigene Wertvorstellungen an. Aus diesem Grund sind Kinder bis zu einem bestimmten individuellen Entwicklungsstand – also insbesondere Kleinkinder – als „wertneutrale Individuen“135 zu betrachten. Im Gegensatz dazu verfügen erwachsene Nichteinwilligungsfähige (z.B. bewusstlose Unfallopfer, Demenzkranke und erwachsene Koma-Patienten) vor dem Verlust ihrer Einwilligungsfähigkeit in der Regel über ein eigenes Wertesystem. Dieses ist ihrem persönlichen Umfeld (Partner oder Partnerinnen, Familie, enge Freunde) in der Regel in den Grundzügen bekannt. Entsprechend können der mutmaßliche Wille136 einer erwachsenen, nicht einwilligungsfähigen Person eruiert und die notwendigen medizinischen Entscheidungen danach ausgerichtet werden. Ein solcher Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen ist bei Säuglingen und jüngeren Kindern nicht möglich.137 Selbst bei Kindern im jugendlichen Alter kann, je nach individueller Erfahrung und Entwicklung des betroffenen Kindes, ein mutmaßlicher Wille – insbesondere in gesundheitlichen Angelegenheiten – oftmals nur bedingt bzw. gar nicht festgestellt werden.138 e) Zunehmende Einsichts-, Zustimmungs- und Einwilligungsfähigkeit Minderjährige sind zumeist nicht vollständig urteilsunfähig. Das Verständnis eines Kindes für die Vorgänge in seiner Umwelt entwickelt sich nach oben, d.h. mit 132 133 134 135 136 137
138
Siehe hierzu HEGNAUER zit. Kindesrecht, 35. Siehe dazu auch hinten Kapitel 4 III.2. GUILLOD zit. consentement, 250 ff. MAIO zit. Ethik, 171. Siehe dazu hinten Kapitel 4 IV.3.a. GUILLOD zit. consentement, 250. Siehe hierzu auch die Medizinisch-ethischen Grundsätze zum Recht der Patientinnen und Patienten auf Selbstbestimmung der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften vom 24. November 2005, Ziff. 2.1 sowie Kommentar ad Ziff. 2.1. MERKEL zit. Studien, 183 f.; WEISSTUB/VERDUN-JONES/WALKER, 393 ff. Zur Problematik medizinischer Entscheidungen für Kinder und Jugendliche und mit Kindern und Jugendlichen siehe hinten Kapitel 4 IV und V.
22
Kapitel 1: Einführung in die Thematik der Forschung mit Kindern
zunehmendem Alter nehmen die Einsichts-, Zustimmungs- und Einwilligungsfähigkeit eines Kindes zu.139 Maßgebend ist der Eintritt der erforderlichen Urteilsfähigkeit für die zur Entscheidung stehenden Frage.140 Im Unterschied dazu nimmt dieses Verständnis bei manchen erwachsenen, nicht einwilligungsfähigen Personen (z.B. Demenz-Patienten) mit fortschreitendem Krankheitsverlauf ab oder bleibt über längere Zeit gleich (z.B. Koma-Patienten). f) Zusammenfassung Die obigen Ausführungen zeigen auf, dass sich die medizinische Forschung mit Kindern in vielen Belangen von der Forschung mit erwachsenen Versuchspersonen unterscheidet. Einerseits bestehen große Unterschiede aufgund der entwicklungsbedingten Besonderheiten minderjähriger Versuchspersonen. Andererseits lässt sich die Situation von Kindern unter elterlicher Sorge und jene erwachsener Urteilsunfähiger unter Vormundschaft oder ohne eine geregelte Vertretung auch aus rechtlicher Sicht nur bedingt vergleichen.141 Dementsprechend wird den beschriebenen Besonderheiten von Kindern und Jugendlichen mit einer undifferenzierten Subsumierung unter die Gruppe der nicht einwilligungsfähigen Personen nicht genügend Rechnung getragen. Nur eine eigenständige rechtliche Betrachtung der medizinischen Behandlung von und der Forschung mit Minderjährigen vermag den Bedürfnissen minderjähriger Patienten und Versuchspersonen gerecht zu werden.142
3. Konsequenz: eigenständige Betrachtung und differenzierte Regelung der Forschung mit Minderjährigen Die Konsequenz aus den vorangegangenen Ausführungen ist, dass die medizinische Forschung mit Minderjährigen einer eigenständigen Betrachtung sowie einer differenzierten Regelung bedarf.143 Eine eigenständige Betrachtung der Thematik der Forschung mit Minderjährigen steht den Kindern kraft ihrer Persönlichkeit sowie ihres Anspruches auf eine bestmögliche medizinische Versorgung zu.144 Unabhängig davon schaffen eine am Kind orientierte Betrachtungsweise und entsprechende rechtliche Grundlagen mehr Klarheit und Rechtssicherheit für alle an der Forschung mit Minderjährigen Beteiligten. Somit dient eine die Besonderheiten minderjähriger Versuchspersonen 139
140 141 142 143
144
ALDERSON, 28 ff.; LOHAUS/ALBRECHT/SEYBERTH, 1502 ff.; MAIO zit. Ethik, 170 f.; SPANGLER, 144 ff. HEGNAUER zit. Kindesrecht, 38; WIESEMANN zit. Bewertung, 72. Dazu GUILLOD zit. consentement, 249 f. WIESEMANN zit. Bewertung, 72. Dies fordern u.a. auch MAIO zit. fremdnützige Forschung, 173 ff.; WIESEMANN zit. Bewertung, 71 ff. KURZ, 1276; MAIO zit. fremdnützige Forschung, 183.
VI. Besonderheiten von Kinder in der medizinischen Forschung
23
respektierende, differenzierte Betrachtung und Regelung dieser Thematik der Wahrung der Persönlichkeitsrechte der minderjährigen Versuchspersonen und einer rechtssicheren, kindergerechten Forschungspraxis.145 Neben einer klaren Unterscheidung zwischen Kindern und erwachsenen Versuchspersonen bedarf es zudem einer weiteren Differenzierung innerhalb der Gruppe der minderjährigen Versuchspersonen. Wie bereits ausgeführt, sind Kinder und insbesondere Jugendliche meist nicht vollständig urteilsunfähig. Bei der Betrachtung der Forschung mit Minderjährigen gilt es daher, die Unterschiede zwischen den verschiedenen pädiatrischen Altersgruppen und die individuellen Voraussetzungen eines jeden Kindes zu berücksichtigen. Für die Forschung mit Kindern ist insbesondere die Urteilsfähigkeit von Bedeutung. Sie wird durch vielerlei Faktoren beeinflusst und lässt sich nur beschränkt an fixen Alterskategorien festmachen. Für das Wohl minderjähriger Versuchspersonen von zentraler Bedeutung sind zudem ihre Eltern. Nicht nur sind sie die Inhaber der elterlichen Sorge und für das gesundheitliche Wohl des Kindes verantwortlich. Sie sind auch in den allermeisten Fällen die engsten Bezugspersonen eines Kindes und Experten im Hinblick auf ihr Kind. In diesem Sinne sind sie für den Arzt neben dem Kind selbst die wichtigsten Partner bei der medizinischen Behandlung von und in der medizinischen Forschung mit Kindern.
145
Eine gesonderte Betrachtung der Forschung mit Minderjährigen fordern u.a. auch MAIO zit. fremdnützige Forschung, 173 ff. sowie WIESEMANN zit. Bewertung, 71 ff.
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
I. Einleitung und Übersicht Das zweite Kapitel zu den Grundlagen und Definitionen der Forschung mit Versuchspersonen dient der Vertiefung der Thematik und als Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen und den Persönlichkeitsrechten Minderjähriger in der medizinischen Forschung. Einleitend werden die Begriffe Forschung und biomedizinische Forschung näher untersucht. Es folgen unter III Ausführungen zur Vielfältigkeit der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen und es werden kurz die verschiedenen Perspektiven der Humanforschung aus der Sicht des Rechts, der Medizin, der Ethik und der Ökonomie vorgestellt. Unter IV werden die Unterschiede zwischen Heilbehandlung, Heilversuch und Experiment erarbeitet. Dabei wird insbesondere auf den Nutzen der Versuchspersonen als Unterscheidungs- und Abstufungskriterium für Vorhaben der Humanforschung näher eingegangen. Vertieft werden unter V die klinischen Studien, insbesondere Arzneimittelstudien, erörtert. Aufbauend auf diese Grundlagen, befasst sich Abschnitt VI ausführlich mit den Besonderheiten der medizinischen Forschung mit Minderjährigen.
II. Begriff der Forschung 1. Forschung Die moderne Medizin ist eine auf Forschung basierende Wissenschaft. Für den Begriff der Forschung gibt es keine allgemein anerkannte Definition. Forschung kann als eine systematische1, methodische und überprüfbare Suche nach neuen Erkenntnissen bezeichnet werden.2 Gleichzeitig ist der Forschung auch ein 1
2
Zum Begriff der systematischen Vorgehensweise bei klinischen Versuchen JUNOD, 54 ff. QUAAS/ZUCK, § 2, Rn. 62 m.w.H.; SPRUMONT, 29. Zum Begriff des Experiments MAIO zit. Ethik, 37 ff. Siehe hierzu auch die Definition von Forschungsuntersuchungen in den Medizinisch-ethischen Richtlinien für Forschungsuntersuchungen am Menschen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, Präambel, Ziff. A 1, Fn. 2: „[…] Als Forschungsuntersuchungen am Menschen gelten alle systematischen Untersuchungen zur Gewinnung oder Erweiterung von generalisierbaren Erkenntnissen. […]“
26
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
schöpferisch-geistiges Element eigen.3 Dabei kann ein wissenschaftliches Vorgehen über den Einzelfall hinaus zu gesicherten Erkenntnissen führen.4 Neben der systematischen Forschung sind in den medizinischen Wissenschaften auch Zufallsfunde von Bedeutung.
2. Biomedizinische Forschung oder medizinische Forschung? Die Begriffe biomedizinische Forschung und medizinische Forschung werden in der Literatur uneinheitlich verwendet. Ein übereinstimmendes Verständnis des Begriffs Biomedizin scheint zu fehlen.5 Entsprechend findet sich keine Definition von Biomedizin.6 Auch sind Erläuterungen zur Verwendung von Biomedizin oder Medizin spärlich.7 Lediglich einige wenige Autoren setzten sich mit der Herkunft und der Bedeutung des Begriffs der Biomedizin näher auseinander.8 QUAAS/ZUCK verstehen unter Biomedizin (im engeren Sinne) „jene neuen Forschungsergebnisse und Technologien, Behandlungs- und Untersuchungsmethoden, die die moderne Medizin kennzeichnen“.9 Darunter fallen Forschungsergebnisse der Biologie, der Medizin sowie der damit verbundenen (Bio-)Technologien. Damit sei Biomedizin eine Kurzformel „für die Zusammenfassung von Neuentwicklungen in der Medizin. Neuentwicklung nicht nur gegenständlich, sondern auch vom Denken her bestimmt, das in besonderem Maß mit Fragen der Medizin verknüpft ist“. QUAAS/ZUCK gelangen zum Schluss, dass „das Kürzel 'Biomedizin' […] auf einen offenen Katalog [verweist]. Seine Offenheit resultiert nicht nur aus den möglichen Veränderungen der Fragestellungen, sondern auch daraus, dass es vom allgemeinen (Selbst-)Verständnis der an der Medizin Beteiligten abhängt, was unter Biomedizin verstanden werden soll.“10 Wird die Verwendung der Begriffe Biomedizin und biomedizinische Forschung in den internationalen und nationalen Regelungen zur Forschung am Menschen untersucht, zeigt sich folgendes Bild: Die beiden Begriffe Biomedizin und biomedizinische Forschung finden sich in erster Linie in Regelwerken des inter3 4 5 6
7
8
9 10
MEYER/HAFNER, St. Galler Kommentar zu Art. 20 BV, Rz. 4 m.H. TAUPITZ zit. Biomedizinische Forschung, 40. MÜLLER-TERPITZ, 4. Wobei QUAAS/ZUCK betonen, dass dem Begriff Biomedizin nicht der Rang einer Definition zukommt. QUAAS/ZUCK, § 73 Rn. 1 ff. So lautet beispielsweise bei DEUTSCH/SPICKHOFF der Titel von Kapitel XX: „Biomedizinische Forschung: Versuche an Menschen; Tierversuche“, doch wird im nachfolgenden Text zumeist der Ausdruck medizinische Forschung verwendet, ohne dass eine Begriffsdefinition vorgenommen wird. DEUTSCH/SPICKHOFF, 451 ff. MANAÏ verwendet den Ausdruck im Titel ihres Buches: „Les droits du patient face à la biomédecine“. In Kapitel XVII über die Humanforschung mit dem Titel: „La recherche biomédicale impliquant des êtres humains“ verwendet sie jedoch stets den Begriff „la recherche médicale“. TAUPITZ befasst sich im Zusammenhang mit der Biomedizinkonvention des Europarates näher mit dem Begriff der Biomedizin. TAUPITZ zit. Biomedizinische Forschung, 39. QUAAS/ZUCK, § 74, 1. So auch MÜLLER-TERPITZ, 4 f. QUAAS/ZUCK, § 74, Rn. 3.
II. Begriff der Forschung
27
nationalen soft law. Die International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects (CIOMS-Guidelines) des Council for International Organizations of Medical Sciences und der World Health Organization von 200211 verwenden den Begriff biomedizinische Forschung sowohl im Titel wie auch im Text. In der Präambel der CIOMS-Guidelines wird zur Verwendung des Begriffs biomedical ausgeführt: „Usually 'research' is modified by the adjective 'biomedical' to indicate its relation to health.“12 Weitere Beispiele sind das völkerrechtliche Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin (Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin, Biomedizinkonvention) sowie dessen Zusatzprotokoll über biomedizinische Forschung des Europarates,13 die den Ausdruck Biomedizin in ihren Titeln, nicht aber im Konventionstext verwenden. Der erläuternde Bericht zur Biomedizinkonvention14 enthält in Ziff. 10 folgenden Kommentar zur Phrase „Anwendung von Biologie und Medizin“ im Titel der Konvention: „Die Formulierung 'Anwendung von Biologie und Medizin' wurde insbesondere dem Begriff 'Biowissenschaften' vorgezogen, der als zu allgemein gefasst angesehen wurde. Diese Formulierung wird in Artikel 1 verwendet und beschränkt den Anwendungsbereich des Übereinkommens auf Humanmedizin- und Biologie, wobei die Biologie im Bereich der Fauna und Flora insoweit ausgeschlossen ist, als diese die Humanmedizin- und Biologie nicht berührt. Das Übereinkommen umfasst somit jede Anwendung von Medizin und Biologie auf menschliche Lebewesen, einschließlich der Anwendung für präventive, diagnostische, therapeutische und Forschungs-Zwecke.”15 Hingegen findet sich in der Helsinki Deklaration des Weltärztebundes16 seit ihrer Überarbeitung im Jahre 200017 anstelle des in frühe11 12 13
14 15
16 17
Zu den CIOMS-Guidelines siehe hinten in Kapitel 3 II.2.d. CIOMS, 19. Zur Biomedizinkonvention und zum Forschungsprotokoll des Europarates siehe hinten Kapitel 3 II.2.b. Abgedruckt bei MÜLLER-TERPITZ, 75 ff. MÜLLER-TERPITZ, 78. Siehe auch Ziff. 15 und 16 des erläuternden Berichts zu Art. 2 des Zusatzprotokolls über biomedizinische Forschung, der den Anwendungsbereich des Protokolls beschreibt: Ziff. 15: „In paragraph 1, it states that the Protocol covers the full range of research activities in the health field involving interventions on human beings. This includes all aspects of the research project from start to finish, including selection and recruitment of the participants. It lays out the principles for all types of biomedical research involving interventions on human beings. It is difficult to exactly delimit the health field. The Protocol covers research into molecular, cellular and other mechanisms in health, disorders and disease; and diagnostic, therapeutic, preventive and epidemiological studies involving interventions. This list is not meant to be exhaustive. Insofar as a human being is involved in research, this Protocol applies, notwithstanding the fact that provisions of other protocols could apply to research in specific spheres.“ Ziff. 16: „The scope of the Protocol does not extend to studies whose purpose is not to gain new scientific knowledge but to collect or to process information for purely statistical purposes such as for audits or monitoring of the healthcare system.“ Abgedruckt bei MÜLLER-TERPITZ, 175 ff. Siehe dazu Kapitel 3 II.2.a. Die aktuellste Fassung stammt von 2004.
28
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
ren Fassungen verwendeten Ausdrucks der biomedizinischen Forschung neu der Begriff medizinische Forschung.18 Welche Bedeutung dem Wegfall des bio zukommt, ist nicht geklärt.19 Gemäß QUAAS/ZUCK erfasst die Deklaration jegliche Form von medizinischer Forschung.20 Auf nationaler Ebene wird der Begriff biomedizinischer Forschung von der (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte der Bundesärztekammer (MBO)21 und entsprechend in zahlreichen Berufsordnungen der Ärztekammern der Bundesländer22 verwendet. Gemäß Kommentar zur MBO von RATZEL/LIPPERT umfasst der Begriff Biomedizinische Forschung sowohl Heilversuche, medizinische Experimente, epidemiologische Forschung sowie die Forschung an und mit Körpermaterialien, „sofern ein bedingter oder evidenter Personenbezug gegeben ist“.23 In der Schweiz findet sich der Begriff der biomedizinischen Forschung in der kantonalen Gesetzgebung. Das Gesundheitsgesetz des Kantons Genf (Loi sur la santé24) enthält in Art. 61 ff. Regelungen betreffend die „Recherche biomédicale avec des personnes“. Das Gesetzt wird ergänzt durch das Règlement sur la recherche biomédicale avec des personnes25. Eine Definition des Begriffs (recherches biomédicale) findet sich in Art. 3 des Règlement sur la recherche biomédicale26 des Kantons Waadt: „Définitions a) recherches biomédicale (ou essais cliniques) sont appelés recherches biomédicales (ou essais cliniques) les essais ou expérimentations impliquant l'être humain en vue du développement de connaissances biologiques ou médicales.“ Der beispielhafte Überblick über die Verwendung der Begriffe biomedizinische Forschung und Biomedizin auf internationaler und nationaler Ebene verdeutlicht, dass die genannten Regelungen damit in erster Linie einen möglichst weiten Anwendungsbereich anstreben.27 Ihr Ziel ist es, auf möglichst alle Forschungsaktivitäten mit Menschen im Gesundheitsbereich zur Anwendung zu gelangen.28 Im Gegensatz dazu wird auf nationaler und europäischer Ebene – sofern die Forschung mit Versuchspersonen überhaupt geregelt wird – primär der Ausdruck Forschung verwendet. Die Begründung ist wohl in erster Linie darin zu sehen, dass diese nationalen Normen zumeist nur bestimmte Forschungsbereiche (bei-
18 19
20 21 22
23 24 25
26 27
28
QUAAS/ZUCK, § 73, Rn. 1; TAUPITZ zit. Deklaration, A2413. TAUPITZ zit. Neufassung, 278. TAUPITZ weist auf die Unklarheit des Begriffs „biomedizinische Forschung“ im anglo-amerikanischen Sprachraum hin. QUAAS/ZUCK, § 74, Rn. 12. Abgedruckt bei RATZEL/LIPPERT, 3 ff. Hierzu auch die bei RATZEL/LIPPERT, 190 f. abgedruckten Bestimmungen zur Forschung der Länder-Berufsordnungen mit von der MBO abweichendem Wortlaut. RATZEL/LIPPERT, 194 m.w.H. Loi sur la santé vom 7. April 2006, RSG K 1 03. Règlement sur la recherche biomédicale avec des personnes vom 22. August 2006, RSG K 4 05.20. Règlement sur la recherche biomédicale vom 19. März 2003, RSV 800.21.1. Zu den verschiedenen Arten von Normen im Bereich der Forschung mit Versuchspersonen siehe hinten Kapitel 3. In diesem Sinne für das Zusatzprotokoll zur biomedizinischen Forschung TAUPITZ zit. Biomedizinische Forschung, 38.
III. Medizinische Forschung mit Versuchspersonen
29
spielsweise die Forschung mit Arzneimitteln29) abdecken. Eine umfassende Gesetzgebung zur gesamten Humanforschung (Forschungsgesetze) kennen heute nur wenige nationale Rechtsordnungen, wie beispielsweise Frankreich und Belgien.30 In der Schweiz ist ein Bundesgesetz zur Forschung am Menschen in Vorbereitung.31 In der vorliegenden Arbeit wird in einem weit verstandenen Sinne der Ausdruck medizinische Forschung verwendet. Dabei wird bewusst die Phrase Forschung mit Menschen und nicht Forschung am Menschen verwendet. Auch wenn die Bezeichnung Forschung am Menschen von einigen Regelwerken der Humanforschung32 verwendet wird und in der Fachwelt gebräuchlich ist, sollte von Forschung mit Menschen gesprochen werden. Mit dieser Wortwahl wird zum Ausdruck gebracht, dass der Mensch in der Forschung nicht ein reines Forschungsobjekt, sondern ein Individuum ist, dessen Integrität und Persönlichkeitsrechte respektiert und geschützt werden müssen.
III. Medizinische Forschung mit Versuchspersonen Die medizinische Forschung weist eine große Vielfalt an Versuchstypen, Erprobungsverfahren und Behandlungsmethoden sowie möglichen Kombinationsvarianten auf. Bevor weiter unten vertieft auf die einzelnen Arten von Forschungsvorhaben und ihre Unterschiede eingegangen wird, befasst sich der vorliegende Abschnitt einerseits mit der Vielfalt und den Gemeinsamkeiten, und andererseits mit den Unterschieden in der medizinischen und der juristischen Betrachtungsweise der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen. In der vorliegenden Untersuchung werden die Teilnehmenden an medizinischen Forschungsvorhaben – unabhängig von ihrem Gesundheitszustand – als Versuchspersonen bezeichnet. Sowohl kranke wie gesunde Personen können als Versuchspersonen in medizinischen Forschungsprojekten mitwirken. Relevant ist, ob eine Versuchsperson einschlägig krank ist, d.h. ob sie an einer Krankheit oder gesundheitlichen Störung leidet, für deren Diagnose, Prophylaxe und Therapie das betreffende Forschungsprojekt dient.33
29
30 31 32 33
Siehe hierzu das schweizerische HMG, das deutsche AMG sowie die Richtlinie 2001/20/EG. Hierzu unter Kapitel 3 III.2.c., 3.b. (HMG); Kapitel 3 IV.2.a. (AMG); Kapitel 3 II.3.a. (RL 2001/20/EG) sowie Kapitel 4 V.3. ff. Hierzu die Ausführungen unter Ziff. 1.6 im erläuternden Bericht VE HFG. Dazu hinten Kapitel 3 III.4. Zum Beispiel von der RL 2001/20/EG. Zur Frage der Zulässigkeit der medizinischen Forschung mit nicht einschlägig kranken Kindern siehe Kapitel 4 V.3.
30
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
1. Vielfältigkeit der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen Forschung mit Menschen wird in allen Gebieten der Humanmedizin betrieben. In Bezug auf die Art der angestrebten Erkenntnisse ist in der Medizin zwischen der Grundlagenforschung und der angewandten klinischen Forschung zu unterscheiden. Die angewandte Forschung befasst sich mit Störungen der menschlichen Gesundheit bzw. des menschlichen Wohlbefindens. Sie nutzt die Erkenntnisse der Grundlagenforschung zur Erforschung von Krankheitsursachen und zur Entwicklung von Prophylaxe-, Diagnose- und Therapiemethoden. Dabei bedienen sich die Forschenden zunächst der Hilfe von Computer- und Tiermodellen. Doch beruhen gerade in der Medizin die wissenschaftlichen Fortschritte nicht einzig auf Beobachtungen und Forschungsuntersuchungen im Labor. Vielmehr bedarf es in späteren Phasen der Überprüfung und Erprobung der gewonnenen Erkenntnisse in Forschungsuntersuchungen unter der Beteiligung von Versuchspersonen. Im medizinischen Bereich wird eine Vielzahl von unterschiedlichen Forschungsvorhaben interventioneller und nicht interventioneller Art mit Versuchspersonen durchgeführt. Zur Illustration sind u.a. folgende Beispiele34 zu nennen: Studien zu Präventionsmaßnahmen; Krankheitsursachenforschung; Studien mit Hilfsmitteln (orthopädische Hilfen, Sehhilfen, Applikationshilfen für Arzneimittel etc.); Studien mit veränderten Lebensmitteln (Functional Food, diätische Lebensmittel, Nahrungsmittelergänzungen) sowie die Entwicklung neuer diagnostischer Methoden, intensivmedizinischer oder chirurgischer Techniken und Verfahren. Ein bedeutender Bereich der Forschung mit Menschen ist die Arzneimittelforschung. Im Zusammenhang mit Arzneimitteln ist zudem das Erheben von Normalund Referenzwerten des menschlichen Körpers und seiner Funktionen von Bedeutung. Diese Standardwerte sind für die Diagnostik von Normabweichungen und Krankheiten unverzichtbar und können nur an gesunden Menschen erhoben werden.35 Daneben ist auch die epidemiologische Forschung36 zu erwähnen, die sich mit der Verteilung von übertragbaren und nicht übertragbaren Krankheiten, deren physikalischen, chemischen und psychischen sowie sozialen Determinanten und Folgen in der Bevölkerung befasst.37 Diese nicht abschließende Aufzählung zeigt die Vielfalt von medizinischem Erprobungshandeln38 mit Versuchspersonen. Allen Arten der Forschung mit Versuchspersonen ist gemeinsam, dass sie in irgendeiner Form auf die physische und/oder psychische Integrität der Versuchspersonen einwirken. Während interventionelle Forschungsmethoden mit direkten Einwirkungen, sowie Eingriffen und Behandlungsweisen am Körper des Menschen verbunden sind, wirken nicht interventionelle Forschungsarten (wie beispielsweise Befragungen oder Beobachtungsstudien) indirekt auf das körperliche und seelische Wohlbefinden der beteiligten Versuchspersonen ein. Dabei besagt die Zuordnung einer Forschungs34 35 36 37 38
Eine Auswahl aus der ausführlichen Aufzählung bei SCHWARZ, 532 f. RADENBACH, 11. Siehe dazu auch DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 688. PSCHYREMBEL, 460 f.; SCHWARZ, 535 ff. HART zit. Arzneimittelprüfung, § 2880, Rn. 3.
III. Medizinische Forschung mit Versuchspersonen
31
maßnahme zu den interventionellen oder zu den nicht interventionellen Forschungsarten noch nichts über die mit ihr einhergehenden Belästigungen, Belastungen und Risiken für die betroffenen Versuchspersonen aus. Beispielsweise kann die als interventionell einzustufende Gewinnung einer Speichelprobe von den betroffenen Versuchsteilnehmern als wenig belastend eingestuft werden und nahezu risikolos sein, während eine als nicht interventionell zu bewertende Befragung zu Angstzuständen von den Versuchsteilnehmern als belastend empfunden wird. Unabhängig davon, wie die verschiedenen Forschungsvorhaben mit Versuchspersonen kategorisiert werden, ist ihnen allen gemeinsam, dass ihre Auswirkungen und Folgen auf und für die betroffenen Versuchspersonen aufgrund der bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen nicht vollumfänglich absehbar sind.
2. Gemeinsamkeiten in der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen Sämtliche Arten und Formen von Forschungsvorhaben im Bereich der Medizin unter Beteiligung von Versuchspersonen zeichnen sich durch nachfolgend beschriebene Gemeinsamkeiten aus: a) Vielzahl von Interessen Den zahlreichen Behandlungs- und Forschungsmethoden ist gemeinsam, dass sie zu einem Zusammentreffen unterschiedlicher Interessen verschiedener Personen, Personengruppen und Institutionen führen. Beispielsweise ist ein medizinisches Forschungsvorhaben u.a. mit Interessen von gegenwärtigen und zukünftigen Patienten und Versuchspersonen, Ärzten, Forschenden, (pharmazeutischen) Unternehmen, dem Staat sowie der Gesellschaft als Ganzes verbunden.39 Diese mit der medizinischen Forschung verbundenen Interessen sind teils gleich gerichteter, teils auch gegensätzlicher Natur. In der Forschung mit Minderjährigen treten neben die Interessen und Bedürfnisse der minderjährigen Patienten und Versuchsteilnehmer zudem diejenigen ihrer gesetzlichen Vertreter, die für das Kind die Verantwortung tragen. Dabei können das betroffene Kind und seine Eltern im Hinblick auf ein medizinisches Forschungsvorhaben sowohl gleich gerichtete wie auch entgegengesetzte Interessen hegen.40 b) Risiken und Nutzen Eine weitere Gemeinsamkeit medizinischer Behandlungs- und Forschungstypen besteht darin, dass sie alle mit einem bestimmten Risikopotenzial sowie einem
39 40
HART zit. Heilversuch, 94. Zur Vertretung des Kindes durch die Eltern und die damit verbundenen Interessenabwägungen siehe hinten Kapitel 4 IV.5.
32
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
potenziellen Nutzen verbunden sind.41 Dabei sind die Risiken- und Nutzenpotentiale bei einem Forschungsvorhaben ungleich verteilt. Während die Risiken von Forschungsuntersuchungen in erster Linie das körperliche und seelische Wohl der Versuchspersonen treffen, sind die mit einem Forschungsvorhaben verbundenen Nutzen vielfältiger Art und können bei verschiedenen an der Forschung beteiligten und interessierten Personen und Institutionen eintreten. Ein Forschungsvorhaben kann einerseits mit einem (gesundheitlichen) Nutzen für die beteiligten Versuchspersonen42 und andererseits einem Nutzen im Sinne von Wissenszuwachs für die Forschenden und damit die gesamte Gesellschaft verbunden sein. Die mit einem Forschungsvorhaben verbundenen Risiken und Nutzen sind nie in vollem Umfang vorhersehbar, kalkulierbar und kontrollierbar und treten nur bei der betroffenen Versuchsperson auf. Demzufolge stellen die ungleiche Verteilung der mit einem Forschungsvorhaben verbundenen Risiken und Nutzen sowie ihre beschränkte Vorhersehbarkeit besondere Anforderungen an die Rahmenbedingungen der Humanforschung.43
3. Perspektiven der Humanforschung Die Definition und Abgrenzung der Beziehung zwischen Arzt/Forscher und Patient/Versuchsperson sowie der verschiedenen medizinischen Behandlungs- und Forschungsarten und ihre Bewertung erfolgen aus medizinischer, rechtlicher und ethischer44 sowie aus ökonomischer Sicht unterschiedlich.45 Zur Vermeidung von Missverständnissen ist bei der Erörterung von Fragestellungen der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen vorab zu klären, aus welcher Perspektive sie vorgenommen wird. In seinem Aufsatz „Recht, Ethik und Medizin: Harmonie oder Dissonanzen?!“ stellt GUILLOD diese drei verschiedenen Perspektiven vor und zueinander in Bezug.46 Er zeigt auf, dass sich historisch gesehen zuerst das ärztliche Standesethos entwickelte. Während Jahrhunderten gaben sich die Ärzte Verhaltensregeln moralischer und wissenschaftlicher Natur. Diese beschlugen sämtliche Aspekte der ärztlichen Berufsausübung: Ausbildung, Praktiken, Beziehung zum Patienten, die Verantwortung des Arztes und seine Rolle in der Gesellschaft.47 Die kulturelle und sozioökonomische Entwicklung48 und Veränderung und Weiterentwicklung der 41 42 43
44 45 46 47 48
HART zit. Heilversuch, 94. Dazu SPRUMONT zit. protection, 250. Weite Ausführungen zum Nutzen-Risiko-Verhältnis von Forschungsuntersuchungen siehe unten IV.3.d und im Zusammenhang mit Forschungsvorhaben mit Minderjährigen insb. VI.3. GUILLOD zit. consentement, 25 ff.; ROGGO, 8 ff., 25. Zur Beziehung zwischen Medizin, Recht und Ethik GUILLOD zit. Recht, 63 ff. GUILLOD zit. Recht, 63 ff. GUILLOD zit. Recht, 75 f. GUILLOD zit. Recht nennt u.a. die zunehmende Betonung der individuellen Freiheit und Gleichheit, die Hinterfragung von Berufsprivilegien aller Art sowie den wachsenden Konsumentenschutz, 76.
III. Medizinische Forschung mit Versuchspersonen
33
ärztlichen Praktiken bewirkten eine Transformation des traditionellen Arzt-Patienten-Verhältnisses. Mit zunehmendem Maße wurde die ärztliche Tätigkeit juristischen Grundsätzen unterworfen. Das Recht vermag allerdings im medizinischen Kontext längst nicht alle offenen Fragen zu beantworten und verwendet viele unbestimmte Begriffe (z.B. „Risiko“, „Nutzen“, „Wohl“, „gute Sitten“). Auch führten die Entwicklungen in den biomedizinischen Wissenschaften zu Möglichkeiten (z.B. Gentechnologie, Transplantationsmedizin, Stammzellenforschung etc.), die Lösungen außerhalb des Rechts erfordern. In dieses Spannungsfeld zwischen Recht und Medizin trat die Ethik. a) Medizinisch-praktische Perspektive gemäß HART werden in der Medizin empirisch folgende Stadien des Behandlungsund Forschungsprozesses unterschieden, die nicht alle notwendigerweise auftreten und in der genannten Reihenfolge49 ablaufen müssen: „Einzelbeobachtung über Wirkung, Hypothesenbildung, individueller Heilversuch, Humanexperiment, Therapiestudie zur Überprüfung der Hypothese (erste evaluierende klinische Studie), weitere Evaluationsstudien, Monitoringstudien, Entwicklung zum ärztlichen Standard.“50 Aus Sicht der medizinischen Praxis lassen sich die verschiedenen Versuchstypen nach dem Zweck des Erprobungshandelns (wissenschaftlicher oder therapeutischer Zweck), nach der Zahl der involvierten Versuchspersonen, der Methodik des Vorgehens, dem Prüfgegenstand (Arzneimittel, Medizinprodukt, andere diagnostische und therapeutische Methoden) und ihrem Verhältnis zum ärztlichen Standard definieren und differenzieren.51 b) Juristische Perspektive Wohl liegen der rechtlichen Einordnung der verschiedenen Arten von medizinischen Behandlungs- und Forschungsmethoden in erster Linie die oben genannten medizinisch-praktischen Definitionen zugrunde. Zugleich ist allerdings auch das allgemeine wie das individuelle Risikopotenzial der einzelnen Versuchstypen für die rechtliche Beurteilung ihrer Zulässigkeit und Grenzen von vorrangiger Bedeutung.52 Demnach gründet die rechtliche Differenzierung zwischen den verschiedenen Arten von medizinischem Erprobungshandeln einerseits auf den medizinisch-praktischen Definitionen und andererseits auf der Abwägung der mit ihnen verbundenen Nutzen und Risiken für die Versuchspersonen. Entsprechend basieren auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen (Einwilligungsanforderungen, ethische Beratungspflichten), Anforderungen an die Durchführung (Prüfplan, Versicherungspflichten) sowie die den Versuchen nachlaufenden Pflichten (Veröffentlichung, Nachuntersuchungen der Versuchsteilnehmer) auf dem Nutzen-Risiko-Verhältnis der einzelnen Versuchstypen.53 Dabei gilt der Grundsatz, dass „je 49
50 51 52 53
In der Arzneimittelforschung folgt die Forschung zu Beginn einem anderen Schema. Siehe dazu unten Kapitel 2 V.2.c. HART zit. Heilversuch, 97. HART zit. Heilversuch, 94 f. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 659; HART zit. Heilversuch, 94. HART zit. Heilversuch, 94 f.
34
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
näher die Behandlung der Forschung steht und je neuartiger die Behandlung ist, desto restriktiver und strenger die rechtlichen Anforderungen an die Durchführung des ärztlichen Handelns sind“.54 c) Ethische Perspektive Die juristische und medizinische Perspektive werden ergänzt durch diejenige der Ethik.55 Im Zusammenhang mit Medizin und Humanforschung ist oft auch die Rede von Bioethik. Es handelt sich gemäß GUILLOD dabei um jenen Teil der Ethik, der sich mit Fragen der Anwendung der biomedizinischen Wissenschaften auf den Menschen befasst. Dabei befasse sich die Bioethik einerseits mit alten Fragen (z.B. Schwangerschaftsabbruch, der Sterbehilfe oder der Sterilisation) und andererseits mit Fragen, die im Zusammenhang mit jüngeren Entwicklungen der biomedizinischen Wissenschaften entstanden sind (Stammzellenforschung, Gentherapie oder Transplantationsmedizin).56 In der Ethik ist die medizinische Forschung mit Minderjährigen ein viel diskutiertes Thema.57 Besonders umstritten ist die sogenannte fremdnützige oder nicht therapeutische Forschung58 mit Kindern und Jugendlichen.59 Der nicht therapeutischen Forschung mit Minderjährigen liegt das klassische ethische Grunddilemma zugrunde: das Verbot der Instrumentalisierung von Menschen und die Pflicht zur Hilfeleistung für zukünftige kranke Kinder.60 Die Ethik versucht dieses Dilemma zu lösen und Wege zu finden, wie mit Kindern und Jugendlichen geforscht werden kann, ohne ihre Menschenwürde zu verletzen. d) Ökonomische Perspektive Eine weitere, bis anhin in dieser Untersuchung nur am Rande gestreifte61 Perspektive der Humanforschung ist die ökonomische. Die Gesundheit ist heute zu einem
54 55
56 57
58 59 60 61
HART zit. Heilversuch, 95 m.w.H. Zur Ethik in der pädiatrischen Forschung siehe auch DIEHL, 151 ff.; KURZ, 1276 ff.; LANDZETTEL/LANDZETTEL, MAIO zit. Forschung, 40 ff.; 1282 ff.; WIESEMANN zit. Bewertung, 71 ff. GUILLOD zit. Recht, 73. Zur Ethik der Forschung am Menschen siehe SPRUMONT, 53 ff. Ausführlich zur Ethik der Humanforschung im Allgemeinen und der Ethik der Forschung mit Minderjährigen im Besonderen siehe MAIO zit. Ethik. Zur Ethik in der Pädiatrie: DAHL/WIESEMANN zit. Ethische Aspekte, 75 ff.; LANDZETTEL/LANDZETTEL, 1282; MIETH, 67 ff.; WIESEMANN zit. Ethische Probleme, 129 ff. Siehe hierzu unten IV.3.c. MAIO zit. fremdnützige Forschung, 173 ff. Siehe hierzu MAIO zit. fremdnützige Forschung, 173. Siehe dazu in Kapitel 1.III die Gründe für die mangelnde Forschung mit Kindern und für Kinder. Ebenso gehören die Ausführungen zu den finanziellen Anreizen der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen zu den ökonomischen Aspekten der Humanforschung, dazu nachfolgend unter V.III.
III. Medizinische Forschung mit Versuchspersonen
35
bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden.62 Zahlreiche Unternehmungen und Organisationen (Pharmaindustrie, Hersteller von Medizinprodukten, Versicherungsanbieter, Krankenhäuser und Anbieter von Pflegediensten etc.) sind in diesem Bereich tätig. Die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen der Humanforschung üben – je nach Tätigkeitsfeld und geografischer Ausdehnung einer Unternehmung oder Organisation – einen direkten oder indirekten Einfluss auf ihre (Geschäfts)Tätigkeit aus. Demzufolge haben diese Unternehmen und Organisationen ein vitales Interesse daran, dass bei der Ausgestaltung und Weiterentwicklung der rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen der Humanforschung auch die ökonomische Perspektive Berücksichtigung findet. So dienen klinische Studien aus ökonomischer Perspektive anderen Zwecken als aus juristischer oder medizinischer Sicht: Eines der Ziele klinischer Studien ist es, die für die Marktzulassung erforderlichen Daten und Informationen zu erlangen.63 Ein weiterer Zweck klinischer Studien besteht darin, neues Wissen zu gewinnen, das sich allenfalls in der Entwicklung neuer Produkte oder der Weiterentwicklung bestehender Produkte verwenden lässt.64 Auch sollen klinische Studien die Ärzte mit den nötigen Informationen zur Anwendung der betreffenden Produkte versehen.65 In diesem Zusammenhang dienen klinische Studien außerdem dazu, die nötigen Daten und Informationen für die Vermarktung und den Verkauf eines Produktes zu generieren. Denn erst wenn ein Produkt nachweislich wirkt, kann und darf es entsprechend beworben werden.66 Außerdem dienem die Suche nach unerwünschten Nebenwirkungen eines Produktes im Rahmen von klinischen Studien und die entsprechende Information der Ärzte und Patienten der Minimierung der Haftungsrisiken.67 Im Weiteren werden Daten aus klinischen Studien in der Patentanmeldung benötigt.68 Ein anderer gewichtiger ökonomischer Zweck klinischer Studien ist es, für ein Produkt die Vergütungspflicht der Krankenkassen zu erlangen.69 Auch werden Informationen aus klinischen Studien dazu verwendet, das Interesse potenzieller Investoren zu wecken und sie von der Produkte-Pipeline eines Unternehmens zu überzeugen.70 Wie in Kapitel 1 in Abschnitt III aufgezeigt, sind ökonomische Faktoren in der pädiatrischen Forschung von großer Bedeutung. In erster Linie besteht ein erheblicher Finanzierungsengpass, da von Seiten der Pharmaindustrie kein Interesse besteht, für die sehr kleinen Patientengruppen der Pädiatrie und ihre besonderen
62
63 64 65 66 67 68 69 70
Siehe dazu VATERLAUS/TELSER/SUTER. Zur Bedeutung der Pharmaindustrie für die Schweizer Wirtschaft siehe insb. auch BSK HMG-JAISLI, Vorbemerkungen zum 2. Kapitel N 11 ff., 16 ff. sowie JUNOD. JUNOD, 76 ff. Dazu gehören u.a. Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit eines Produkts. BSK HMG-JAISLI, Vorbemerkungen zum 2. Kapitel N 114 f.; JUNOD, 86 f. JUNOD, 87. JUNOD, 88 f. JUNOD, 89. JUNOD, 90 ff. JUNOD, 93 ff. JUNOD, 95 f.
36
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
Bedürfnisse aufwendige Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu leisten.71 In diesem Zusammenhang schafft die im Januar 2007 in Kraft getretene europäische Kinderarzneimittelverordnung neue Impulse.72 Das in der Verordnung vorgesehene System von Pflichten und Anreizen soll auf die pharmazeutische Industrie einwirken und die Entwicklung und Herstellung von kindergerechten Medikamenten fördern und damit zu einer vermehrten Zulassung pädiatrischer Arzneimittel führen. e) Zusammenfassung In seinem Aufsatz erschließt GUILLOD einerseits die Zusammenhänge zwischen der Medizin, dem Recht und der Ethik. Andererseits weist er darauf hin, dass die verschiedenen Vorstellungen über die Rolle, Natur und Inhalte jeder Disziplin eine der Hauptschwierigkeiten des Dialogs zwischen Ärzten, Juristen und Ethikern sind. Zu Recht hält er fest, dass die Regulierung der medizinischen Praktiken an die Grenzen von Recht, Deontologie und Ethik führen. Dies erfordere eine interdisziplinäre Denkweise und das gegenseitige Verständnis der einzelnen Disziplinen.73 Unter dem Blickwinkel der großen ökonomischen Komponente der Gesundheitsversorgung sowie der medizinischen Forschung, muss auch die ökonomische Perspektive in dieser Weise miteinbezogen werden. Ärzte wie Juristen und Ethiker müssen sich heute auch mit den ökonomischen Aspekten der Medizin und insbesondere des medizinischen Fortschritts auseinandersetzen. Ebenso muss sich die ökonomische Seite mit den Sichtweisen und Argumenten der Mediziner, der Juristen und der Ethiker auseinandersetzen.
4. Finanzielle Anreize in der medizinischen Forschung Die vorangegangenen Ausführungen zur ökonomischen Perspektive der Humanforschung machen deutlich, dass die medizinische Forschung mit großen finanziellen Interessen verbunden ist. Ein ethisch heikler Aspekt ist dabei die Entlöhnung und Entschädigung von Personen, die sich als Versuchspersonen der Forschung zur Verfügung stellen. Mit einer kurzen Analyse entsprechender nationaler und internationaler Normen wird nachfolgen der Frage nach der Zulässigkeit der Entlöhnung und Entschädigung von Versuchspersonen nachgegangen. Dabei wird insbesondere untersucht, ob, und wenn ja, welche Entschädigungen für minderjährige Versuchspersonen zulässig sind. Nicht diskutiert wird in diesem Zusammenhang die Thematik der finanziellen Anreize für forschende Ärzte und ihre Honorierung.74 71
72 73 74
Zu den finanziellen Interessenskonflikten in der klinischen Forschung im Allgemeinen und der pädiatrischen Forschung im Besonderen siehe BROCHHAUSEN/BROCHHAUSEN/ SEYBERTH, 251 ff. Siehe dazu Kapitel 3 II.3.b. GUILLOD zit. Recht, 81. Siehe hierzu die Empfehlungen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften für die Zusammenarbeit Ärzteschaft-Industrie (abgedruckt in der Schweizerische Ärztezeitung 2001, 2165 ff.); BROCHHAUSEN/BROSCHHAUSEN/
III. Medizinische Forschung mit Versuchspersonen
37
Nicht wenige Autoren lehnen die Bezahlung von Versuchspersonen mit dem Verweis auf das Verbot der Kommerzialisierung des menschlichen Körpers ab.75 Sie stützen sich dabei u.a. auf die Biomedizinkonvention des Europarates, die in Art. 21 ein allgemeines Verbot der Kommerzialisierung des menschlichen Körpers enthält: „Der menschliche Körper und Teile davon dürfen als solche nicht zur Erzielung eines finanziellen Gewinns verwendet werden.“ Die schweizerische Bundesverfassung verbietet in Art. 11976 zur Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich den Handel mit menschlichem Keimgut und Erzeugnissen aus Embryonen77 und legt in Art. 119a78 fest, dass die Spende von menschlichen Organen, Geweben und Zellen unentgeltlich und der Handel mit menschlichen Organen verboten ist. Zudem setzen die Grundrechte der Verfassung (insb. Art. 7 Menschenwürde und Art. 10 Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit) sowie der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz (Art. 27 ff. ZGB) der Kommerzialisierung des menschlichen Körpers Grenzen. Gemäß dem schweizerischem Bundesrecht (Art. 10 Abs. 2 lit. m VKlin79), dem deutschen Arzneimittelgesetz (Umkehrschluss aus § 40 Abs. 4 Nr. 5 AMG)80 und
75
76
77 78
79
SEYBERTH, 251 ff.; KLEIST/ALTHAUS/JAEGER/FENNER/GRAUER, 2346 ff; LÜSCHER, 2137 ff.; STREBEL, 1781 ff. So z.B. MANAÏ, 513: „Le principe de la gratuité de la participation à un projet de recherche écarte toute conception utilitariste de l’homme face à la science. Il interdit d’octroyer ou de percevoir un avantage, que celui-ci soit de nature pécuniaire ou d’une autre nature. La participation doit être motivée par un esprit de solidarité avec autrui et non par l’attrait financier.“ Art. 119 BV Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich: „1 Der Mensch ist vor Missbräuchen der Fortpflanzungsmedizin und der Gentechnologie geschützt. 2 Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit menschlichem Keim- und Erbgut. Er sorgt dabei für den Schutz der Menschenwürde, der Persönlichkeit und der Familie und beachtet insbesondere folgende Grundsätze: […] e. Mit menschlichem Keimgut und mit Erzeugnissen aus Embryonen darf kein Handel getrieben werden […].“ Siehe dazu das Gutachten von SCHWEIZER zit. Gutachten. Art. 119a 3 Transplantationsmedizin: „1 Der Bund erlässt Vorschriften auf dem Gebiet der Transplantation von Organen, Geweben und Zellen. Er sorgt dabei für den Schutz der Menschenwürde, der Persönlichkeit und der Gesundheit. 2 Er legt insbesondere Kriterien für eine gerechte Zuteilung von Organen fest. 3 Die Spende von menschlichen Organen, Geweben und Zellen ist unentgeltlich. Der Handel mit menschlichen Organen ist verboten.“ Verordnung über klinische Versuche mit Heilmitteln vom 17. Oktober 2001, SR 812.214.2.: Art. 10 Überprüfung durch die Ethikkommission „1 Die Ethikkommission überprüft, ob die ethischen Grundsätze bei einem klinischen Versuch eingehalten werden, sowie die wissenschaftliche und die medizinische Qualität des klinischen Versuchs. Sie vergewissert sich, ob der Schutz der Versuchspersonen, insbesondere der schutzbedürftigen Personen, gewährleistet ist. 2 Insbesondere prüft sie: […] m. wie Prüferinnen und Prüfer und Versuchspersonen entschädigt werden sollen“.
38
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
der Arzneimittelrichtlinie der Europäischen Gemeinschaften (Art. 6 Abs. 3 lit. j RL 2001/20/EG81) ist die Entlöhnung und Entschädigung von Versuchspersonen in der Arzneimittelforschung zulässig. Die Entschädigungen sind durch die Ethikkommission zu prüfen. Im kantonalen Recht ist die Frage der Entschädigung und Entlöhnung von Versuchspersonen nur teilweise geregelt. Der Kanton Luzern verbietet in § 31 Abs. 7 der Patientenverordnung82 eine über die Entschädigung von Kosten und Erwerbsausfall hinausgehende Entlöhnung von Versuchspersonen: „An Patientinnen und Patienten, die sich für ein Forschungsprojekt zur Verfügung stellen, darf kein Entgelt ausgerichtet werden. Erlaubt sind Entschädigungen für entstandene Kosten und Erwerbsausfall.“ Eine Bestimmung gleichen Inhalts kennt auch der Kanton Aargau in § 22 Abs. 6 des Patientendekrets83: „Personen, die sich für Forschungsuntersuchungen zur Verfügung stellen, darf kein Entgelt ausgerichtet werden. Erlaubt sind Entschädigungen für entstandene Kosten und Erwerbsausfall.“ Dieser Grundsatz findet sich auch in Ziff. D 11 der medizinisch-ethischen Richtlinien für Forschungsuntersuchungen am Menschen der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) vom 5. Juni 199784: „Im Prinzip erfolgt die Teilnahme an Forschungsuntersuchungen ohne Remuneration. Angemessene Entschädigungen für Spesen, Zeitaufwand oder Verdienstausfall sind in entsprechend gelagerten Fällen zulässig.“ Tatsache ist, dass die Entlöhnung und Entschädigung (Fahrtkosten, Verdienstausfall etc.) von Versuchspersonen für ihre Teilnahme an medizinischen Forschungsvorhaben eine lange Tradition hat.85 Die höchste Entlöhnung erhalten Versuchspersonen (zumeist gesunde Freiwillige) in Phase-I-Studien. Da diese Forschungsvorhaben in der Regel rein fremdnütziger Natur sind und den Betroffe80
81
82
84 85
§ 40 Abs. 4 Nr. 5 AMG verbietet ein Probandenhonorar für minderjährige Versuchsteilnehmer. Im Umkehrschluss gilt die Zulässigkeit eines Probandenhonorars für volljährige Versuchspersonen. Siehe dazu KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 56. Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln. Art. 6 Ethik-Kommission „(1) Die Mitgliedstaaten ergreifen mit Blick auf die Durchführung klinischer Prüfungen die erforderlichen Maßnahmen, um Ethik-Kommissionen einzurichten und diesen ihre Arbeit zu ermöglichen. (2) Die Ethik-Kommission muss ihre Stellungnahme vor Beginn der klinischen Prüfung, zu der sie befasst wurde, abgeben. (3) Die Ethik-Kommission berücksichtigt bei der Ausarbeitung ihrer Stellungnahme insbesondere: […] j) die Beträge und die Modalitäten für die etwaige Vergütung oder Entschädigung für Prüfer und Prüfungsteilnehmer und die einschlägigen Elemente jedes zwischen dem Sponsor und der Prüfstelle vorgesehenen Vertrags […].“ Verordnung über die Rechte und Pflichten von Patienten und Patientinnen der kantonalen Spitälern vom 16. November 1993, SRL 823. Dekret über die Rechte und Pflichten der Krankenhauspatienten vom 21. August 1990 (Patientendekret, PD), SAR 333.110. Zu den Richtlinien der SAMW siehe Kapitel 3 III.2.e. JUNOD, 441.
III. Medizinische Forschung mit Versuchspersonen
39
nen keinerlei Nutzen bringen und risikoreich sind,86 wären für solche Studien ohne eine entsprechende Entlöhnung wohl kaum Versuchspersonen zu gewinnen. Die Vergütungen bei Phase-I-Studien sind auch entsprechend höher als bei Studien späterer Entwicklungsphasen, die für die teilnehmenden Versuchspersonen mit einem direkten potenziellen individuellen Nutzen verbunden sein können.87 Werden Patienten im Rahmen einer ärztlichen Behandlung angefragt, ob sie zugleich an einem Forschungsvorhaben mitwirken wollen, werden sie für ihre Studienteilnahme normalerweise nicht entschädigt.88 Die Bezahlung der Versuchspersonen sollte grundsätzlich ausgestaltet sein, dass sie nie der einzige Ansporn für eine Teilnahme an einem Forschungsvorhaben ist.89 Doch dürfte insbesondere bei Studien mit gesunden Freiwilligen die finanzielle Entschädigung der primäre Ansporn der Teilnehmenden sein. Die Entschädigung von Versuchspersonen ist abhängig von der Ausgestaltung der Studien (Dauer, stationärer Aufenthalt, Anzahl und Art der Vor- und Nachuntersuchungen, Risiken). Beispielsweise bezahlen private Forschungsinstitute in der Schweiz, die im Auftrag pharmazeutischer Unternehmen Tests mit neuen Wirkstoffen durchführen, den teilnehmenden Versuchspersonen 1000 bis 3000 Franken pro Studie.90 Die Vergütung der Versuchspersonen wie auch diejenige der Prüfer muss durch die zuständige Ethikkommission geprüft und gutgeheißen werden.91 Um Missbräuche zu verhindern, werden sogenannte Probandenregister geführt. Allerdings befinden sich diese vielerorts erst im Aufbau.92 In diesen Registern werden die Daten von Studienteilnehmern zentral (beispielsweise bei einer kantonalen Ethikkommission) gespeichert und überwacht. Durch diese Kontrolle soll verhindert werden, dass Versuchspersonen gleichzeitig an verschiedenen Studien teilnehmen oder die vorgeschriebenen Karenzfristen zwischen einzelnen Studien nicht einhalten. Mit der gleichzeitigen Teilnahme an mehreren Studien und dem 86 87 88 89 90
91 92
JUNOD, 443. JUNOD, 443. JUNOD, 443. CIOMS-Guideline 7; JUNOD, 442, m.w.N. Beitrag in der NZZ vom 4./5. November 2006, 17 über das private Forschungsinstitut Swiss Pharma Contract, , besucht im Juni 2007. JUNOD, 442 f., m.w.H. Das Genfer Gesundheitsgesetzt (Loi sur la santé (RSG K 1 03) sieht in Art. 63 die Schaffung eines Probandenregisters vor. Das Règlement sur la recherche biomédicale avec des personnes (RSG K 4 05.20) enthält in Art. 6 entsprechende Ausführungsbestimmungen. Die Region Basel kennt seit geraumer Zeit ein grenzüberschreitendes Probandenregister. Siehe dazu den Beitrag über das private Forschungsinstitut Swiss Pharma Contract in der NZZ vom 4./5. November 2006, 17. Weitere Register befinden sich in der Planungsphase. Die SAMW veröffentlichte im Jahr 2005 zusammen mit dem FMH-Präsidenten, dem Präsidenten des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) sowie mit den Dekanen der Medizinischen Fakultäten der Schweiz einen Aufruf zur Erfassung klinischer Studien in einem öffentlich zugänglichen Register in der Schweizerische Ärztezeitung, Nr. 7, 396. Der Vorentwurf für ein Bundesgesetz über die Forschung am Menschen (dazu hinten Kapitel 3 III.4.) sieht in Art. 72 die Schaffung eines Studienregisters auf Bundesebene vor.
40
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
Nichteinhalten von Karrenzfristen gefährden Versuchspersonen unter Umständen ihre Gesundheit. Auch können die Studienergebnisse verfälscht werden, da die verschiedenen Wirkstoffe sich gegenseitig beeinflussen und bei Nebenwirkungen nicht nachvollziehbar ist, welcher Stoff diese verursacht. Einer besonders sorgfältigen Prüfung sind die Vergütungen für einwilligungsunfähige Versuchspersonen zu unterziehen, da die Gefahr besteht, dass ihre Vulnerabilität ausgenutzt wird. Besonders schutzbedürftige Versuchspersonen bzw. ihre allfälligen Vertreter sollen nicht einzig aufgrund finanzieller oder anderweitiger Zuwendungen einer Teilnahme an einem Forschungsvorhaben zustimmen. Daher sehen verschiedene rechtliche und ethische Normen vor, dass besonders schutzbedürftige Versuchspersonen für ihre Teilnahme an Forschungsvorhaben nicht entlöhnt werden dürfen.93 Demzufolge wird bei pädiatrischen Studien in der Regel nur eine Entschädigung für entstandene Unkosten, wie Kosten für Fahrten, Kinderbetreuung etc. zugestanden. Sämtliche Entschädigungen und Vergütungen bei pädiatrischen Studien müssen durch die zuständige Ethikkommission geprüft werden. Dies verlangt beispielsweise CIOMS-Guideline 7.94 In Ziff. 2.6.2 der ICH-Guideline E1195 wird zur Entschädigung bei pädiatrischen Studien ausgeführt: „Reimbursement and subsistence costs may be covered in the context of a pediatric clinical study. Any compensation should be reviewed by the IRB/IEC.“ Auch das deutsche Arzneimittelgesetz sieht für pädiatrische Forschungsvorhaben in § 40 Abs. 4 Nr. 5 eine entsprechende Regelung vor: „Vorteile mit Ausnahme einer angemessenen Entschädigung dürfen nicht gewährt werden.“ Mit dieser Bestimmung soll verhindert werden, dass Eltern ihre Einwilligung zur Teilnahme ihres Kindes aus finanziellen Überlegungen erteilen und damit die Krankheit ihres Kindes kommerzialisieren.96 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die finanzielle Entschädigung von Versuchspersonen, insbesondere bei Studien der Phase I, eine Notwendigkeit ist. Ohne sie könnte eine Vielzahl von Studien nicht durchgeführt werden, da sich 93 94
95
96
JUNOD, 443. Guideline 7: Inducement to participate „Subjects may be reimbursed for lost earnings, travel costs and other expenses incurred in taking part in a study; they may also receive free medical services. Subjects, particularly those who receive no direct benefit from research, may also be paid or otherwise compensated for inconvenience and time spent. The payments should not be so large, however, or the medical services so extensive as to induce prospective subjects to consent to participate in the research against their better judgment (undue inducement). All payments, reimbursements and medical services provided to research subjects must have been approved by an ethical review committee.“ In den Erläuterungen zur CIOMS-Guideline 7 wird besonders darauf hingewiesen, dass bei nicht einwilligungsfähigen Versuchspersonen die Gefahr besteht, dass ihre Vertreter des Geldes wegen einer Teilnahme zustimmen könnten. Um eine derartige Ausbeutung nicht einwilligungsfähiger Personen zu verhindern, sollten diese Personen für ihre Studienteilnahme nur einen Beitrag zur Deckung ihrer Unkosten erhalten und nicht zusätzlich entlöhnt werden, CIOMS, 46. ICH Harmonised Tripartite Guidelines for Clinical Investigation of Medical Products in the Pediatric Population ICH-Guideline E11. Siehe dazu Kapitel 3 II.e.dd. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 115; KRÜGER, 22; LAUFS zit. Richtlinie, 591.
IV. Standard und Versuch
41
keine Versuchspersonen finden ließen. Während bei voll einwilligungsfähigen Versuchspersonen eine Entlöhnung ein legitimer Anreiz für die Studienteilnahme darstellt, ist bei nicht einwilligungsfähigen Versuchspersonen nur eine Aufwandsentschädigung zulässig. Grundsätzlich müssen sämtliche Entschädigungen, unabhängig von ihrer Art und ihrem Umfang, durch die zuständige Ethikkommission geprüft werden.
IV. Standard und Versuch In der juristischen Literatur wird das vielfältige medizinische Erprobungshandeln primär auf die beiden Grundtypen Heilversuch und Humanexperiment reduziert,97 wobei keine einheitliche Terminologie verwendet wird.98 Als Standard und Vergleichsmaßstab dient die Heilbehandlung. Die Unterscheidung in die drei Kategorien Standardbehandlung, Heilversuch (therapeutische Forschung99) und Humanexperiment (nicht therapeutische Forschung100) lässt sich gemäß TAUPITZ auf ein Kontinuum zurückführen, an dessen einem Pol das individuelle Wohl des Betroffenen und an dessen anderem Pol das (All)Gemeinwohl steht.101 Je nach Nähe eines medizinischen Forschungsvorhabens zum einen oder anderen Pol verändert sich die Strenge der zur Anwendung gelangenden Schutzkriterien.102 Gemäß HART wird auch in der Medizin „gängig zwischen individueller Behandlung ('Standard'), dem Heilversuch ('innovative' Variante einer 'Standard'-Behandlung oder der erstmaligen Anwendung einer neuen Behandlung bis zur systematischwissenschaftlichen Überprüfung ihrer Wirksamkeit, also einer Verbindung von Behandlung und Forschung) und dem Humanexperiment ohne individuellen Behandlungsbezug (rein forschendes Wissenwollen)“ unterschieden.103 Allerdings sind in der Praxis die Übergänge zwischen einer Heilbehandlung und den verschiedenen Formen des medizinischen Erprobungshandelns oftmals fließend.104 Da die ärztliche Heilbehandlung und die verschiedenen Formen des medizinischen Erprobungshandelns mit unterschiedlichen Pflichten des (forschenden) Arztes und rechtlichen Auflagen verbunden sind, ist die Zuordnung einer 97
98
99 100 101 102 103 104
KOCH/SCHAUPP, 238; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 5; QUAAS/ZUCK, § 75, Rn. 24 ff. So auch QUAAS/ZUCK, § 75, Rn. 32, Fn. 62. Während in der Literatur der Begriff Heilversuch mehr oder weniger einheitlich verwendet wird, werden für die Forschung mit Versuchspersonen zu rein wissenschaftlichen Zwecken verschiedene Begriffe verwendet: LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130 spricht vom „klinischen Experiment“; DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 652 f. unterscheiden zwischen „therapeutischen“ und „rein wissenschaftlichen“ Versuchen. Siehe dazu unten IV.2.b. Siehe dazu unten IV.2.c. TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 412 mit Grafik. TAUPITZ zit. Schutzmechanismen, 15, 31. HART zit. Heilversuch, 95 m.w.H. in Fn. 12. TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 414; VOLLMANN zit. Forschung, 68. Siehe dazu auch unten IV.3.
42
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
ärztlichen Handlung zur einen oder anderen Kategorie jedoch von großer Bedeutung.105 Die Divergenz zwischen dem juristischen Bedürfnis nach klarer Typisierung einerseits und der Vielgestaltigkeit der Forschungswirklichkeit andererseits kann die rechtliche Einordnung und Beurteilung – wie weiter unten erläutert wird106 – von medizinischem Erprobungshandeln mit Versuchspersonen erschweren.107
1. Heilbehandlung Die Heilbehandlung umfasst „alle Eingriffe und Behandlungen, die durch einen Arzt am Körper eines Menschen vorgenommen werden, um Krankheiten (physische und psychische Störungen pathologischer Art), Leiden (länger andauernde Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens), Körperschäden (nicht krankhafte Entstellungen, Schielen etc.), körperliche Beschwerden (nicht unbedingt krankhafte vorübergehende Beeinträchtigungen des Wohlbefindens wie z.B. Menstruations- oder Schwangerschaftsbeschwerden) oder seelische Störungen nicht krankhafter Natur (Triebstörungen, Neurosen, schwere Affekte etc.) zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern.“108 Während ältere Definitionen die objektive und subjektive Heiltendenz109 als notwendige Voraussetzungen jeder Heilbehandlung betrachten, weisen UHLENBRUCK/LAUFS darauf hin, dass sich der rechtliche Begriff der Heilbehandlung angesichts der modernen Entwicklungen in der Medizin gewandelt hat. Im Gegensatz zur hergebrachten Begriffsdefinition110 fehle heute bei vielen ärztlichen Eingriffen (beispielsweise bei kosmetischen Operationen und künstlichen Befruchtungen) die medizinische Indikation ebenso wie eine Heiltendenz.111 Der Begriff der Heilbehandlung umfasst sowohl therapeutische Eingriffe (z.B. Operationen oder medikamentöse Behandlungen) wie auch diagnostische und prophylaktische Maßnahmen.112 Eine standardgemäße Heilbehandlung bedient sich Behandlungsmethoden, die den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst entsprechen. Dabei wird in der Medizin unter Standard der jeweilige „Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrungen, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat“113 verstanden.114 105 106 107
108
109 110 111 112 113 114
JUNOD, 53 f. Siehe IV.3.d. Zu den Differenzierungsmöglichkeiten der Forschung mit Versuchspersonen siehe MAIO zit. Ethik, 48 ff. UHLENBRUCK/LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 52, Rn. 1. Siehe auch § 39, Rn. 16, Fn. 58. UHLENBRUCK/LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 52, Rn. 2. Siehe dazu RIEGER, Rn. 802 m.w.H. UHLENBRUCK/LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 52, Rn. 2. RIEGER, Rn. 802. HART zit. Heilversuch, 95 m.w.H. Siehe dazu auch DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 651; QUAAS/ZUCK, § 13, Rn. 128; § 75, Rn. 24, m.w.H. in Fn. 53.
IV. Standard und Versuch
43
Aufgrund der komplexen Zusammenhänge bei medizinischen Behandlungen von Menschen können Erwartungen an den Erfolg einer Heilbehandlung niemals absolut sein.115 Erfolg ist im Zusammenhang mit der Heilung von physischen und psychischen Störungen und Leiden immer relativ und lässt sich unter Berücksichtigung individueller Aspekte nicht einheitlich festlegen. Im Gegensatz zum medizinischen Erprobungshandeln beruht die standardgemäße Heilbehandlung auf erprobten und standardisierten Methoden. Im Vergleich mit medizinischem Erprobungshandeln zeichnet sich die Heilbehandlung demnach nicht durch die Verwirklichung des Erfolgs, sondern durch die Standardisierung aus.116
2. Typen von medizinischem Erprobungshandeln Nachfolgen werden die verschiedenen Typen von medizinischem Erprobungshandeln in einer grafischen Übersicht dargestellt und anschließend beschrieben. Dabei wird zuerst der Heilversuch mit seinen beiden Ausprägungen (individueller und systematischer Heilversuch) besprochen. anschließend wird das Humanexperiment beschrieben. Den Abschluss bilden Ausführungen über den Nutzen der Versuchspersonen als Unterscheidungs- und Abstufungskriterium für Vorhaben der Humanforschung. a) Einleitung In der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen werden grob die beiden Grundtypen Heilversuch und Humanexperiment unterschieden. Der Heilversuch wird je nach seiner Ausgestaltung zum Bereich der ärztlichen Behandlung (individueller Heilversuch) oder zur medizinischen Forschung (systematischer Heilversuch) gezählt. Hingegen wird das Humanexperiment ausschließlich als medizinische Forschung qualifiziert. Dabei bildet der Zweck, der mit dem infrage stehenden medizinischen Erprobungshandeln verfolgt wird, das wichtigste Unterscheidungsmerkmal. Während dem Heilversuch eine therapeutische Absicht zugrunde liegt und er dem individuellen Wohl des betroffenen Patienten dient, verfolgt das Humanexperiment wissenschaftliche Zwecke, die auf das Gemeinwohl, und nicht auf die Interessen der beteiligten Versuchspersonen ausgerichtet sind.117 Jedoch sind die Übergänge zwischen den einzelnen Formen des medizinischen Erprobungshandelns fließend. Neben den verschiedenen Typen der medizinischen Forschung und der ärztlichen Praxis bildet die untenstehende Übersicht zudem die mit der medizinischen Forschung verbundenen Interessen ab. Medizinische Forschungshandlungen und Maßnahmen der ärztlichen Praxis können zugleich den individuellen Interessen eines bestimmten Patienten und wissenschaftlichen Zwecken dienen. Mit der medizinischen Forschung und der ärztlichen Praxis sind zudem ökonomische 115 116 117
DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 651; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 4. WACHENHAUSEN, 30 m.w.H. LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 6 f. Der bei LAUFS geschilderte Fall von versuchsweisen Thorotrastinjektionen verdeutlicht diesen Unterschied anschaulich. QUAAS/ZUCK, § 75, Rn. 25 f.
44
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
Interessen der Initiatoren der Forschung verknüpft, die insb. die privatwirtschaftlich finanzierte Forschung stark prägen.
Individueller Heilversuch118
-
Forschung)
(therapeutische
Heilversuche
Systematische
Systematische Humanexperimente (nicht therapeutische Forschung)
Klinische Studien119
präventive Verfahren
-
diagnostische Verfahren
-
nachsorgende Verfahren
-
Therapieoptimierung
-
klinische Arzneimittelprüfung (Phase II-IV)
↔
Medizinische Forschung
Prüfung von Verfahren:
Therapieprüfung:
Klinische Studien mit Arzneimitteln (Phase I)
Medizinische Humanexperimente (ohne Therapiebezug)
Gemeinwohl
Ärztliche Praxis
Heilbehandlung
ökonomische Interessen der Initiatoren der Forschung
Individuelles Wohl
Übersicht
Inhalte der Grafik120
118
119
120
Der individuelle Heilversuch wird von TAUPITZ zusammen mit der Standardbehandlung der klinischen Praxis zugeordnet: TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 143. Zum Begriff der klinischen Studie siehe weiter unten Abschnitt V. sowie bei TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 144 f. HART zit. Arzneimittelprüfung und TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 412.
IV. Standard und Versuch
45
b) Heilversuch aa) Begriffsbestimmung Der Heilversuch ist eine Behandlungsweise, die in einem konkreten Krankheitsfall mit Blick auf die Heilung des betroffenen Patienten, d.h. in therapeutischer Absicht, erfolgt.121 Die experimentelle Natur des Heilversuchs besteht darin, dass für die individuelle Therapie eines Patienten (noch) ungesicherte Behandlungsmethoden angewendet werden. Der wesentliche Unterschied zur Heilbehandlung liegt somit in der Überschreitung des anerkannten medizinischen Standards.122 Die Abweichung vom ärztlichen Standard alleine definiert einen Heilversuch jedoch nicht hinreichend.123 Erst wenn die Abweichung vom Standard mit dem Ziel erfolgt, etwas „zu verändern, eine neuartige Behandlung zu begründen (Hypothesengenerierung) oder zu evaluieren (Hypothesenüberprüfung), und geschieht dieses forschende Handeln des Arztes im Rahmen individueller Behandlungen, die auf die Linderung, Heilung von oder Prävention vor Krankheiten gerichtet sind, handelt es sich um einen Heilversuch“.124 Ein Heilversuch muss demnach durch eine wissenschaftlich plausible Hypothese medizinisch wie rechtlich legitimiert sein.125 Diese Plausibilität kann sich entweder aus Zufallsbeobachtungen, aus wissenschaftlichen Analogieschlüssen oder aus praktischen ärztlichen Erfahrungen ergeben.126 Die Grenzen zwischen einer etablierten Heilbehandlung und einem Heilversuch sind demnach fließend, da das anfänglich Neue allmählich zum Standard wird.127 Dies wird insbesondere bei der Entwicklung neuer therapeutischer Strategien128 deutlich. Darunter wird die Kombination verschiedener Behandlungen zu einem neuen Gesamtkonzept verstanden. Wohl kann es für solche Gesamtkonzepte einen medizinischen Standard geben (beispielsweise in der Krebsbehandlung). Die Grenzen zwischen der ärztlichen Standardbehandlung und dem Heilversuch ist bei therapeutischen Gesamtkonzepten jedoch dort fließend, wo für einzelne Elemente des Konzeptes noch kein Standard existiert und wo große Bandbreiten für die Kombination von Behandlungsmethoden bestehen. Wie bereits ausgeführt, ist insbesondere dann von einem Heilversuch auszugehen, wenn eine neuartige (indizierte!) Behandlung mit dem Ziel vorgenommen wird, den bestehenden ärztlichen
121
122
123 124 125
126 127
128
KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 25; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 7; MAIO zit. Ethik, 42 ff.; QUAAS/ZUCK, § 75, Rn. 25. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 652; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 4; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 176, Fn. 255. HART zit. Heilversuch, 101; VOLLMANN zit. Forschung, 68. HART zit. Heilversuch, 101. HART zit. Heilversuch, 101 „indiziert und lege artis begründet“. Zustimmend QUAAS/ZUCK, § 75, Rn. 63. HART zit. Heilversuch, 101. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rz. 652, 663 f. Siehe dazu auch TAUPITZ zit. Biomedizinische Forschung, 40 f. HART zit. Heilversuch, 96, 98.
46
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
Standard zu verändern.129 Ist dies der Fall, sind die rechtlichen Zulässigkeitserfordernisse für einen Heilversuch zu erfüllen. bb) Individuelle und systematische Heilversuche Bei der rechtlichen Beurteilung von Heilversuchen sind der individuelle Heilversuch und der systematische Heilversuch zu unterscheiden.130 Der individuelle Heilversuch befasst sich mit einem bestimmten einzelnen Behandlungsfall. Bei einem systematischen Heilversuch werden Patienten planmäßig und forschungsorientiert abweichend vom herkömmlichen Standard behandelt.131 Der Unterschied zum individuellen Heilversuch besteht in der planmäßigen, strukturierten Vorgehensweise systematischer Heilversuche. Diese werden oftmals in der Form klinischer Studien132 durchgeführt, in die eine Mehrzahl von Patienten einbezogen werden. Damit bildet der systematische Heilversuch das Bindeglied zwischen dem ganz auf das Wohl des einzelnen Patienten ausgerichteten individuellen Heilversuch und dem rein wissenschaftliche Ziele verfolgenden Humanexperiment. Die mit dem systematischen Heilversuch verbundenen Interessen der Forschung und seine systematischen Planung, Ausführung und Dokumentation führen dazu, dass für den individuellen Heilversuch und den systematischen Heilversuch unterschiedliche rechtliche Vorgaben gelten. Dementsprechend gelangen auf einzelne, vom herkömmlichen Standard abweichende Behandlungen (individuelle Heilversuche) die allgemeinen Grundsätze des ärztlichen Heileingriffs zur Anwendung.133 Allerdings trägt der im Rahmen eines individuellen Heilversuchs behandelnde Arzt erhöhte Sorgfaltspflichten. Dies gilt in zunehmendem Maße, je neuer und unerprobter die vom anerkannten medizinischen Standard abweichende Behandlungsmethode ist.134 Während für den individuellen Heilversuch demnach keine speziellen rechtlichen Vorgaben bestehen, ist dies beim systematischen Heilversuch anders.135 Dieser untersteht den spezialgesetzlichen Auflagen und Kontrollen, wie sie für klinische Studien mit Versuchspersonen (insb. im Bereich der Arzneimittel) vorgeschrieben sind. Dazu gehört u.a. die Pflicht, die Studie vor deren Durchführung durch eine Ethikkommission prüfen und durch die zuständige Behörde genehmigen zu lassen. Überdies ist eine ausreichende Versicherung136 für allfällige Schäden der beteiligten Versuchspersonen abzuschließen. Da die Übergänge in der klinischen Praxis häufig fließend sind, muss bei jeder medizinischen Erprobungshandlung geprüft werden, ob sie die rechtlichen Krite-
129 130
131 132 133 134 135 136
HART zit. Heilversuch, 98. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 663; HART zit. Arzneimittelprüfung, Rn. 3. TAUPITZ/BREWE/ SCHELLING, 412 ff. unterscheiden zwischen dem „individuellen Heilversuch“ und dem „klinischen Versuch“. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 663; TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 413. Siehe dazu weiter unten V. LAUFS zit. Heilversuch, Rn. 2. LAUFS zit. Heilversuch, Rn. 6. Siehe dazu die Ausführungen zum Heilversuch bei SANDER, § 40, Erl. 4a). Siehe dazu KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 73 ff..
IV. Standard und Versuch
47
rien für eine klinische Studie erfüllt und damit den spezialgesetzlichen Auflagen untersteht, oder ob ein individueller Behandlungsfall vorliegt.137 Jedoch ist unabhängig davon, ob es sich um einen individuellen oder einen systematischen Heilversuch handelt, in jedem Fall eine allgemeine wie eine individuell-konkrete Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen. Auch wenn die Intention des Heilversuchs primär auf die Behandlung des individuellen Patienten gerichtet ist, ist es dennoch eine experimentelle Methode. Deren Zulässigkeit setzt ein angemessenes Verhältnis von Risiko und Nutzen voraus.138 Bei dieser Beurteilung ist primär auf die Heilungschancen des betroffenen Patienten abzustellen: Hat ein Patient nur noch geringe Aussichten auf Heilung oder schwebt er gar in Lebensgefahr ohne die Möglichkeit, durch eine anerkannte Standardmethode gerettet zu werden, dürfen bei einem Heilversuch auch größere Risiken eingegangen werden, immer vorausgesetzt, dass der Patient eingewilligt hat. Hat ein Patient jedoch gute Heilungsaussichten und sind seine Beschwerden geringer Natur, dürfen bei einem Heilversuch nur geringe Risiken eingegangen werden.139
3. Humanexperiment In der Literatur werden die Bezeichnungen wie wissenschaftliches Experiment, klinisches Experiment oder wissenschaftlicher Versuch verwendet. Die Terminologie ist uneinheitlich.140 Das Humanexperiment ist ein standardisiertes, planmäßiges Vorgehen, dessen Ziel der Erkenntnisgewinn ist.141 Die Intention der Forschenden ist dabei auf eine Wissenserweiterung gerichtet, die schlussendlich dem allgemeinen Wohl dienen soll. Der wesentliche Unterschied zum Heilversuch besteht folglich darin, dass das Humanexperiment nicht auf die Verbesserung der Gesundheit der einzelnen Versuchspersonen ausgerichtet ist, sondern das wissenschaftliche oder allgemeine medizinische Interesse am Erkenntnisfortschritt im Vordergrund steht.142 Humanexperimente werden in der Regel in systematischer Weise, d.h. planmäßig durchgeführt und gehören damit zur klinischen Forschung.143 Doch fallen unter den Begriff der klinischen Forschung sowohl die bereits beschriebenen systematischen Heilversuche wie auch die Humanexperimente.144 Dies verdeut-
137 138 139 140 141
142
143 144
KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 25. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 664 m.w.H. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 664; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 23. QUAAS/ZUCK, § 75, Rn. 32, Fn. 62. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 683 zählt folgende Beispiele auf: Grundlagenversuche, Verträglichkeitstests (Phase I der Arzneimittelprüfung), die Erprobung neuer Diagnostika, Placebo-Versuch an einer Kontrollgruppe. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rz. 651 ff., insb. 683; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 7; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 176, Fn. 256. HART zit. Arzneimittelprüfung, Rn. 3. HART zit. Arzneimittelprüfung, Rn. 3.
48
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
licht, dass die Übergänge zwischen Heilversuchen und medizinischen Eingriffen zu reinen Forschungszwecken oftmals fließend sind.145
4. Unterscheidung zwischen therapeutischen und nicht therapeutischen Versuchen Nachfolgend wird der Nutzen der Versuchspersonen als Unterscheidungs- und Abstufungskriterium für Vorhaben der Humanforschung näher untersucht. Als Erstes wird der Begriff des therapeutischen Nutzens erläutert. anschließend wird die daraus abgeleitete Unterscheidung in therapeutische und nicht therapeutische Forschungsvorhaben dargestellt und kritisch hinterfragt. a) Kriterium des Nutzen Ein wesentliches Legitimationskriterium für Forschungsvorhaben mit Menschen ist ihr Nutzen für die beteiligten Versuchspersonen. Entsprechend ist der Nutzen für die rechtliche Einordnung und Beurteilung der verschiedenen Formen des medizinischen Erprobungshandelns maßgebend. Im Rahmen eines medizinischen Forschungsvorhabens ist mit Nutzen ein sogenannter therapeutischer Nutzen gemeint, welcher der Gesundheit der beteiligten Versuchspersonen zugute kommt.146 In ihrer Stellungnahme zur Forschung mit Minderjährigen von 2004 definiert die Zentrale Ethikkommission der Bundesrepublik Deutschland den Nutzen von Forschungsvorhaben wie folgt: „Ein Nutzen kann in der Heilung, jedenfalls Besserung eines krankhaften Zustandes bestehen oder in der Verhinderung seines Eintretens bzw. seiner Verschlimmerung. Von einem direkten Nutzen ist zu sprechen, wenn er kausal mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die geprüfte Maßnahme (z.B. ein Arzneimittel, einen diagnostischen oder prognostischen Test) zurückgeführt werden kann.“147 Diese Definition deckt sich mit entsprechenden Bestimmungen der verschiedenen nationalen und internationalen Normen, obwohl die wenigsten den Nutzen der Versuchspersonen näher definieren. Oft wird erst durch die Lektüre der Erläuterungen zu den jeweiligen Normen deutlich, dass ein therapeutischer Nutzen für die Gesundheit der beteiligten Versuchspersonen gemeint ist.148 145
146
147 148
HART zit. Arzneimittelprüfung, Rn. 3; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 7; TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 414. HART zit. Arzneimittelprüfung, Rn. 12 spricht von einem Heilkundenutzen. Dieser „ist die positive Prognose über eine wahrscheinliche Verbesserung der Präventions-, Diagnose- oder Behandlungsbedingungen hinsichtlich der fraglichen Krankheit im Verhältnis zur bisherigen bestehenden Behandlungssituation“. Stellungnahme ZEKO, 7, Ziff. 2.3. Beispielsweise wird in Art. 54 Abs. 5 und 55 Abs. 2 HMG der Begriff des unmittelbaren Nutzens verwendet. In der Botschaft wird zu Art. 55 Abs. 2 ausgeführt: „Grundsätzlich müssen die erwarteten Forschungsergebnisse für die Gesundheit der betroffenen Person von tatsächlichem und unmittelbarem Nutzen sein […].“, Botschaft HMG, 3538. Siehe auch Art. 6 Forschungsprotokoll sowie die Erläuterungen im Explanatory Report Forschungsprotokoll, Ziff. 25 (abgedruckt bei MÜLLER-TERPITZ, 181) sowie CIOMS-Guideline 8 und die Erläuterungen, CIOMS, 47 f.
IV. Standard und Versuch
49
Es ist zu beachten, dass der Nutzen eines Forschungsprojekts immer nur ein potenzieller Nutzen sein kann, da Forschung per Definition ergebnisoffen ist und ein unmittelbarer Nutzen für die betroffenen Versuchspersonen nicht garantiert werden kann.149 Nach dem Kriterium des Nutzens im Sinne eines potenziellen, direkten gesundheitlichen Eigennutzens der Versuchspersonen lassen sich die oben dargestellten Formen von medizinischem Erprobungshandeln in therapeutische Forschung und nicht therapeutische Forschung unterteilen: b) Therapeutische Forschung Zu den therapeutischen Forschungsvorhaben gehören medizinische Erprobungshandlungen mit einem aktuellen potenziellen individuellen Nutzen für die betroffenen Versuchspersonen. In diese Kategorie gehören die Heilversuche. Ein Beispiel für therapeutische Forschung ist die klinische Erprobung eines neuen Wirkstoffes an einschlägig kranken Versuchspersonen, von dem erwartet wird, dass er wirksamer bzw. nebenwirkungsärmer als bisher verfügbare Arzneimittel ist. Wenn es sich bei den Versuchspersonen der Studie um Patienten handelt, die durch die versuchsweise Behandlung mit dem neuen potenziell besseren Arzneimittel eine zusätzliche Behandlungschance erhalten, dann liegt ein therapeutischer Heilversuch mit einem aktuellen potenziellen individuellen Nutzen vor.150 c) Nicht therapeutische Forschung Die nicht therapeutische Forschung wird dadurch gekennzeichnet, dass den beteiligten Versuchspersonen aus ihrer Teilnahme an einem medizinischen Forschungsvorhaben kein direkter potenzieller Individualnutzen zugute kommt. Der fehlende aktuelle und direkte Individualnutzen bedeutet jedoch nicht, dass diese Forschungsvorhaben ganz ohne Nutzen für die beteiligten Versuchspersonen sind. Vielmehr besteht die Möglichkeit, dass der potenzielle Nutzen eines Forschungsvorhabens den daran beteiligten Versuchspersonen zu einem späteren Zeitpunkt zugute kommt oder dass der Nutzen des Forschungsvorhabens anderen Patienten mit dem gleichen Leiden zugute kommt. Entsprechend sind bei der nicht therapeutischen Forschung folgende Differenzierungen vorzunehmen: aa) Forschung mit zukünftigem potenziellem individuellem Nutzen Nicht therapeutische Forschungsvorhaben können sich mit der Erkrankung der involvierten Versuchspersonen befassen, ohne dass sie einen aktuellen potenziellen individuellen Nutzen erwarten lassen. Es ist jedoch denkbar, dass die betroffenen Versuchspersonen zu einem späteren Zeitpunkt von ihrer Teilnahme profitieren. Dies ist beispielsweise bei Forschungsvorhaben zu Impfstoffen möglich. Die Versuchspersonen können zu einem späteren Zeitpunkt vom Impfschutz profitieren, den sie sich durch ihre Teilnahme an der Impfstudie erworben ha149
150
MAIO zit. Überlegungen, A-3242; TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 427; Stellungnahme ZEKO, 8. VOLLMANN zit. Einwilligungsfähigkeit, 70.
50
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
ben.151 Solche Forschungsvorhaben sind mit einem zukünftigen potenziellen individuellen Nutzen verbunden. bb) Forschung mit einem potenziellen Gruppennutzen Davon zu unterscheiden sind Forschungsvorhaben, bei denen weder ein aktueller noch ein zukünftiger potenzieller individueller Nutzen für die involvierten Versuchspersonen zu erwarten ist. Als potenziell gruppennützig ist ein Forschungsvorhaben dann zu bezeichnen, wenn sein potenzieller Nutzen Personen zugute kommt, die derselben Altersgruppe wie die beteiligten Versuchspersonen angehören und/oder an derselben Krankheit oder unter denselben Störungen leiden oder sich in demselben Zustand befinden.152 Ein Beispiel für nicht therapeutische potenziell gruppennützige Forschung mit Kindern ist die Einführung neuer diagnostischer Apparate. Diese erfordert in der Regel die Bestimmung von Normalwerten bei gesunden Kindern.153 Dabei handelt es sich um nicht therapeutische Forschung, die mit einem zukünftigen potenziellen Nutzen für die involvierten Kinder verbunden sein kann. Je nachdem für welche Alters- und Entwicklungsstufe die Versuche durchgeführt werden, sind die Studien für die involvierten Kinder jedoch ohne einen potenziellen individuellen Nutzen. In diesem Fall kommt der potenzielle Nutzen der Studie jedoch Kindern zugute, die in Zukunft mit der neuen Diagnosemethode behandelt werden können. Es ist zudem möglich, dass ein Forschungsvorhaben sowohl mit einem aktuellen oder zukünftigen potenziellen individuellen und zugleich mit einem potenziellen Gruppennutzen verbunden ist. Die Erprobung einer neuen Behandlungsmethode mit an Leukämie erkrankten Kindern kann beispielsweise mit einem aktuellen potenziellen individuellen Nutzen für die am Versuch beteiligten leukämiekranken Kinder verbunden sein, wenn sich ihr Gesundheitszustand durch die neuartige Behandlung tatsächlich verbessert. Zugleich ist dieses Forschungsvorhaben auch mit einem Gruppennutzen verbunden, da sowohl Kinder, die bereits an Leukämie erkrankt sind, als auch Kinder, die erst in Zukunft an Leukämie erkranken werden, von den Resultaten dieser Forschung profitieren können. cc) Forschung ohne einen individuellen Nutzen Von den zuvor genannten Forschungsvorhaben mit einem aktuellen oder zukünftigen potenziellen Individualnutzen und jenen mit einem potenziellen Gruppennutzen sind die rein fremdnützigen Forschungsvorhaben (Humanexperimente) zu unterscheiden. Solche Forschungsvorhaben sind für die involvierten Versuchspersonen ohne einen potenziellen therapeutischen Nutzen, also rein fremdnütziger Natur. Humanexperimente ohne individuellen Nutzen dienen einzig der wissenschaftlichen Forschung und damit dem Erkenntnisgewinn. Eine Verbesserung der Gesundheit der involvierten Versuchspersonen wird nicht angestrebt und ist auch
151 152 153
TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 413. TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 413. KLOESEL/CYRAN, § 41, Amtliche DAHL, 268.
Begründung
zu
Absatz
2;
WIESEMANN/
IV. Standard und Versuch
51
nicht zu erwarten.154 Zu beachten ist, dass diese Forschung deswegen nicht gänzlich ohne Nutzen ist. Auch mit fremdnütziger nicht therapeutischer Forschung wird ein potenzieller Nutzen angestrebt, der Patienten in naher oder ferner Zukunft zugute kommen soll. Ein Beispiel für rein wissenschaftliche Forschung mit Menschen sind die Phase I Studien mit Arzneimitteln, in denen die Verträglichkeit eines neuen Wirkstoffes getestet wird.155 Obwohl die direkt involvierten Versuchspersonen (bei Phase-IStudien sind dies zumeist gesunde Freiwillige) keinen potenziellen therapeutischen Nutzen aus ihrer Teilnahme ziehen, besteht die Möglichkeit, dass die Resultate solcher Studien zukünftigen Patienten zugute kommen. Bei dieser Einteilung der nicht therapeutischen Forschung in drei verschiedene Nutzen-Kategorien ist nochmals darauf hinzuweisen, dass der mit einem medizinischen Forschungsvorhaben verbundene Nutzen nie garantiert und nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann. So ist insbesondere die Unterscheidung zwischen gruppennütziger und rein fremdnütziger Forschung bei Forschungsvorhaben, deren Nutzen erst in Zukunft zu erwarten ist, äußerst schwierig. Forschung ist stets mit Unsicherheit verbunden. Wie kann im Vorfeld eines Forschungsvorhaben bestimmt werden, ob der Versuch den erhofften Nutzen bringen wird und ob er bei der dafür vorgesehenen Patientengruppe eintritt? Obwohl diese Unterscheidung in der Praxis oftmals kaum möglich ist und letztlich einer subjektiven Bewertung unterliegt, ist diese Zuordnung von Bedeutung, da sie letztendlich über die Zulässigkeit eines Forschungsprojektes entscheidet. d) Kritische Anmerkungen zur Einteilung in therapeutische und nicht therapeutische Forschung Die Einteilung der Humanforschung nach dem potenziellen individuellen Nutzen für die Versuchspersonen ist nicht unumstritten.156 Einige Autoren weisen zu Recht darauf hin, dass die Unterscheidung in therapeutische und nicht therapeutische Forschung in der Praxis kaum aufrechtzuerhalten sei, da viele potenziell für den Versuchsteilnehmer nützliche klinische Versuche auch „sinnvolle nicht therapeutische bzw. fremdnützige Elemente“ enthalten.157 Der Übergang zwischen Forschungsvorhaben mit einem aktuellen potenziellen Individualnutzen (therapeutische Forschung) und Forschungsvorhaben mit einem zukünftigen potenziellen Individualnutzen oder Gruppennutzen (nicht therapeutische Forschung) ist daher häufig fließend. Auch VOLLMANN betont, dass „eine eindeutige Abgrenzung der medizinischen Forschung am Menschen in zwei bzw. drei Typen […] aus medizinischen Gründen nicht möglich [ist]. Vielmehr bestehen schwer abgrenz-
154
155 156
157
DEUTSCH/SPICKHOFF, Rz. 683; HART zit. Arzneimittelprüfung, Rn. 3; TAUPITZ/BREWE/ SCHELLING, 413 f. Siehe zu den einzelnen Phasen klinischer Prüfungen unten V.2.c. Siehe die Kritik bei SPRUMONT, 33 ff.; Zur Problematik der Entscheidung über die vorwiegenden Forschungsziele und damit zur Qualifizierung der Forschungsprojekte als therapeutisch oder nicht therapeutisch siehe SCHROEDER-KURTH, 291. WIESEMANN/DAHL, 268.
52
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
bare Übergänge zwischen den einzelnen Typen von Forschung, die sich auf einem Gesamtspektrum zwischen 'Behandlung' und 'Forschung' bewegen“.158 MAIO bezeichnet den Begriff der therapeutischen Forschung als widersprüchlich. Seiner Auffassung zur Folge ist ein Experiment auf den Erkenntnisgewinn ausgerichtet. Dabei sei der Zufall ein bestimmendes Element experimenteller Methoden. Ein Forschungsvorhaben daher von Beginn weg als therapeutisch zu bezeichnen impliziere, dass der Effekt bereits bekannt sei, was ein solches Experiment sinnlos mache. Aus diesem Grund sei der Begriff des therapeutischen Experimentes „in sich widersprüchlich, weil der eigentliche Sinn des Experimentes nicht die Therapie der einzelnen Versuchspersonen sein kann“.159 Auch vermögen die Bezeichnungen therapeutische und nicht therapeutische Forschung unter Umständen bei Patienten und ihren Angehörigen im ersten Fall falsche Erwartungen und im zweiten Fall unbegründete Vorbehalte zu wecken.160 Bereits das Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich ein Patient und seine Angehörigen gegenüber dem Arzt befinden, könne die freie Entscheidung über die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben einschränken.161 Die sprachliche Zuordnung eines Forschungsvorhabens zum Bereich der Therapie könne Patienten in ihrer Entscheidungsfindung zusätzlich manipulieren.162 Gemäß MAIO sind Begriffe wie Forschung oder Therapie geeignet, eine Symbolkraft zu entwickeln, „die sich vom 'sachlichen' Bedeutungsinhalt durchaus weit entfernen kann“.163 „Mit 'therapeutisch' sind unweigerlich Konnotationen verbunden wie Sicherheit, Nutzen, Ausgewogenheit, Erfolgsaussicht, Vertrauen. […] Mit 'nicht therapeutisch' sind Assoziationen verbunden wie Unsicherheit, Manipulation, Zweifelhaftigkeit, Misstrauen. Allein mit der Verwendung des Begriffs ist somit eine Vorentscheidung über Gut und Böse gefallen.“164 Der Begriff der therapeutischen Forschung habe einen forschungslegitimierenden Charakter. Dies ist insoweit ein Trugschluss, als dass die Bezeichnung als therapeutisch oder nicht therapeutisch keinen Hinweis auf die mit einem Forschungsvorhaben verbundenen Risiken enthält. Vielmehr wird mit einer einseitigen Einteilung der Forschung nach dem potenziellen Nutzen die Risikoseite nicht ausreichend berücksichtigt.165 Denn die einseitige Ausrichtung auf den Nutzen könne zu einer irreführenden Gleichsetzung von therapeutisch mit ungefährlich und nicht therapeutisch mit gefährlich führen.166 Um solche Fehleinschätzungen durch die Versuchsteilnehmer und ihre Angehörigen zu vermeiden, 158
159 160 161 162 163 164 165
166
VOLLMANN zit. Einwilligungsfähigkeit, 70 f. sowie das illustrative Beispiel zu den Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen (therapeutischen) Heilversuchen und (nicht therapeutischen) Humanexperimenten, 69 f. MAIO zit. Überlegungen, A3242. In diesem Sinne auch SPRUMONT zit. protection, 449 f. TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 413. MAIO zit. Überlegungen, A3245. VOLLMANN zit. Forschung, 71. MAIO zit. Überlegungen, A3244. MAIO zit. Überlegungen, A3244. VOLLMANN zit. Forschung, 71 f. Er weist darauf hin, dass sich der Faktor Risiko bei klinischen Studien oftmals sicherer einschätzen lasse als der mögliche Nutzen für die Versuchspersonen. MAIO zit. Überlegungen, A3244.
IV. Standard und Versuch
53
ist die Beurteilung des potenziellen Nutzens von Forschungsvorhaben und die Information der betroffenen Patienten hierzu immer mit der nötigen Objektivität und Sachkenntnis vorzunehmen. VOLLMANN betont, dass „jeder Patient […] einen Anspruch auf eine individuelle Aufklärung durch den Arzt über Nutzen und Risiken eines medizinischen Eingriffs [hat], unabhängig davon, ob dieser als Therapie oder als Forschung bezeichnet wird“.167 Allerdings erfolgt die Beurteilung des mit einem Forschungsvorhaben verbundenen potenziellen Nutzens aus der Sicht des zuständigen Forschers möglicherweise anders als aus der Sicht eines unbeteiligten Mediziners oder der beteiligten Versuchsperson.168 Auch können selbst bei einem zu Recht als therapeutisch eingestuften Forschungsvorhaben die therapeutischen Absichten der beteiligten Forscher mehr oder wenig ausgeprägt sein.169 MAIO betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Sichtweise der Patienten.170 SPRUMONT schlägt vor, anstelle von therapeutischer Forschung von Forschung mit einem therapeutischen Zweck (recherche à but thérapeutique) zu sprechen.171 Diese Überlegungen zur Unterteilung in therapeutische und nicht therapeutische Forschung – die in den Regelungen zur Humanforschung weit verbreitet ist – verdeutlichen, dass bei der rechtlichen wie ethischen Diskussion der Humanforschung stets eine differenzierte, die individuellen Voraussetzungen einer jeden Versuchsperson und eines jeden Forschungsvorhabens berücksichtigende Sichtweise eingenommen werden muss. Nur mit einer individuellen Aufklärung einer jeden Versuchsperson, unabhängig von einer möglicherweise manipulierenden Kategorisierung der Forschung in therapeutisch und nicht therapeutisch, kann die erforderliche individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen werden.172
167 168
169 170
171 172
VOLLMANN zit. Forschung, 71. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die Beurteilung von mit bestimmten medizinischen Mapotentiellnahmen verbundenen Risiken und Nutzen durch Ärzte oder durch Ethikkommissionsmitglieder unterschiedlich ausfallen kann. Siehe dazu die bei WIESEMANN zit. Bewertung, 77 genannte empirische Untersuchung zur Auffassung amerikanischer Kinderärzte zum Risiko verschiedener pädiatrischer Untersuchungsverfahren sowie die Untersuchung von RADENBACH zur Beurteilung von Risiken und Belastungen gruppennütziger Forschung mit Kindern durch Vorsitzende deutscher Ethikkommissionen. Dazu auch MAIO zit. Ethik, 84 ff. und LENK/RADENBACH/DAHL/ WIESEMANN, 85 ff. TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 414. MAIO zit. Überlegungen, A3244. Am Beispiel eines an Alzheimer-Demenz erkrankten Patienten zeigt MAIO auf, dass die Definition des „therapeutischen Nutzens“ nicht alleine dem Arzt überlassen werden darf. Beispielsweise stuft der Versuchsleiter eine Studie mit Alzheimer-Demenz-Patienten als nicht therapeutisch ein, da sie für die betroffenen Patienten keinen therapeutischen Nutzen bringen könne. Ein betroffener Patient könnte die gleiche Studie subjektiv aber als therapeutisch empfinden, da ihm seine Teilnahme an der Studie möglicherweise besondere Aufmerksamkeit bringt und sein Selbstbewusstsein stärkt. Dies könne sich positiv auf seine seelische und geistige Verfassung auswirken. SPRUMONT zit. protection, 450. VOLLMANN zit. Forschung, 71.
54
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
Einzig diese kann die ethisch vertretbare Grundlage für den Entscheid über eine allfällige Teilnahme an einem Forschungsvorhaben bilden. In der Folge ist die Unterscheidung in therapeutische und nicht therapeutische Forschung beizubehalten, da sie bei der Beurteilung von Forschungsvorhaben durchaus hilfreich ist. Doch müssen dabei die möglichen argumentativen Stricke, die diese Kategorisierung mit sich bringt, beachtet werden. Siehe dazu auch die Ausführungen unter VI.3 zur Unterscheidung zwischen therapeutischer und nicht therapeutischer Forschung in der Pädiatrie.
V. Klinische Studien In der Medizin wird mit Versuchspersonen oft in der Form von klinischen Studien geforscht. Klinische Studien bezwecken die Überprüfung der Unbedenklichkeit und Wirksamkeit einer Anwendung. Nachfolgende Ausführungen befassen sich mit dem Begriff der klinischen Studie sowie ihrer Ausgestaltung. Daran anschließend wird auf die Besonderheiten klinischer Studien mit Arzneimitteln eingegangen. Der Abschnitt schließt mit Ausführungen zur Problematik der finanziellen Anreize in der medizinischen Forschung.
1. Ausgestaltung von klinischen Studien In klinischen Studien werden die Eigenschaften und Wirkungsweisen, die Qualität, die Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit von Therapie- und Behandlungsmethoden in systematischer Weise geprüft. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass es neben der Pharmakologie zahlreiche andere Forschungsgebiete gibt, bei denen mit hilfe von klinischen Studien geforscht wird. Zu nennen sind u.a. Studien zu neuen Operationsmethoden oder in der klinischen Psychiatrie. Entsprechend der weiter oben beschriebenen Vielfalt der medizinischen Forschung können klinische Studien unterschiedlich ausgestaltet sein.173 Klinische Studien mit Versuchspersonen werden sowohl stationär wie auch ambulant durchgeführt.174 Nachfolgende Aufzählung dient der Illustration und ist nicht abschließend zu verstehen175: − Kontrollierte klinische Studien: Eine „bewusste diagnostische oder therapeutische Maßnahme, die im Hinblick auf ein bestimmtes Resultat unternommen und auf dieses Ergebnis hin überwacht wird“.176 Es werden verschiedene Gruppen von Versuchspersonen gebildet. Während die Prüfgruppe nach der neuen Methode behandelt wird, erhält die Kontrollgruppe177 entweder die bestehende 173 174 175 176
177
RIEGER, § 2880, Rn. 4; SCHWARZ, 317 ff. LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 36. Detaillierte Darstellungen der Materie finden sich bei JUNOD und SCHWARZ. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 653. Siehe auch KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 19; SANDER, § 40, Erl. 6c). SCHWARZ, 306 ff.
V. Klinische Studien
55
Standardbehandlung, oder – sofern keine solche verfügbar ist – ein Placebo, d.h. sie wird gar nicht behandelt.178 Kontrollierte klinische Studien gehören heute zum Standard der medizinischen Forschung.179 − Unkontrollierte klinische Studien: Es bestehen keine Vergleichsgruppen. − Gegen Placebo oder gegen Standardtherapie: In einem kontrollierten klinischen Versuch wird eine Kontrolltherapie verwendet. Bei dieser kann es sich entweder um eine Placebo-180 oder um ein Standardtherapie mit bereits nachgewiesener Wirksamkeit für die entsprechende Zielgruppe handeln. Placebos sollen die Ergebnisse von psychologischen und psychischen Wirkungen sowie von Voreingenommenheiten von Versuchsteilnehmern und Prüfärzten ausschließen.181 Existiert für eine Zielgruppe bereits eine wirksame Behandlungsmethode, ist die Placebogabe ethisch nicht vertretbar, bzw. nur dann, wenn das Placebo einer wirksamen Therapie hinzugefügt wird (add-on).182 Ist jedoch keine Referenztherapie verfügbar, sind auch bei Kindern innerhalb strenger Rahmenbedingungen placebo-kontrollierte Studien nötig und zulässig.183 − Randomisierte klinische Studien184: Die Randomisierung185 ist eine zufällige Zuteilung der Versuchspersonen auf die Prüf- oder die Kontrollgruppen. Die Randomisierung soll eine gute Durchmischung der einzelnen Studiengruppen sicherstellen. Die Zusammensetzung der Studiengruppen ist wichtig, um statistisch aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten.186 178 179
180
181
182
183
184 185 186
DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 653. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 653, 665. Sie werden insbesondere in Form von vergleichenden Therapiestudien durchgeführt. LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 30. Siehe dazu nachfolgend die Definition von Goldstandard. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 653, Fn. 15 „Placebo (lat. ich werde gefallen) ist eine scheinbare Medizin, die, als Tablette oder Infusion geboten, in Wirklichkeit einen körperverträglichen Stoff, etwa Zucker, enthält.“ JUNOD, 211 ff.; SCHWARZ, 308 ff.; ULSENHEIMER, in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 148, Rn. 10 ff. SCHWARZ, 308. Die ZEKO bezeichnet die Anwendung von Placebo als „eine der wichtigsten Methoden, um subjektive, verfälschende Einflüsse auf das Untersuchungsergebnis zu kontrollieren und dieses damit zu sichern“, Stellungnahme ZEKO, 9. Eine Prüfung gegen Placebo kann auch dann zulässig sein, wenn es sich um ein geringfügiges Leiden (Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit) handelt. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 665, 679; MANAÏ, 516; MEIER-ABT zit. Arzneimittel, 369. Zu den Voraussetzungen für eine Placebo-Anwendung in klinischen Prüfungen siehe SCHWARZ, 311 f. Zur ethischen Problematik von placebokontrollierten Studien siehe MAIO zit. ethische Problematik. Siehe zum Einsatz von Placebopräparaten in der medizinischen Forschung auch die Ausführungen zur CIOMS-Guideline 11, CIOMS, 54 ff. sowie die Stellungnahme der ZEKO, 9. KLEIST/ALTHAUS/JAEGER/FENNER/GRAUER, 2224. Gemäß KLEIST sind placebo-kontrollierte Studien bei Kindern auch dann notwendig, wenn die Wirksamkeit der möglichen Referenztherapie fraglich ist oder wenn „Daten zum absoluten Effekt einer Therapie erforderlich werden (z.B. bei einer Vakzine gegen Keuchhusten“, 2224 m.H. Siehe zur Anwendung von Placebo bei Kindern auch die Stellungnahme der ZEKO, 9 sowie KLOESEL/CYRAN, § 41, Rn. 16. JUNOD, 224 f. SCHWARZ, 314 ff. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 654; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 30.
56
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
− Offener Versuch: alle Beteiligten (Versuchspersonen, Prüfer, behandelnder Arzt) sind über alle Einzelheiten des Versuchsablaufs, der Zuteilung zur Prüfoder Kontrollgruppe und der Therapie informiert.187 − Einfacher Blindversuch188: Bei einem einfachen Blindversuch wissen die Versuchspersonen nicht, ob sie der Prüf- oder der Kontrollgruppe angehören.189 Dies soll verhindern, dass die Forschungsergebnisse durch subjektive Empfindungen und Autosuggestion der Studienteilnehmer beeinflusst werden.190 − Doppelblinde Studien191: Weder der Prüfarzt noch die Versuchspersonen wissen, ob ein Studienteilnehmer der Prüf- oder der Kontrollgruppe zugeteilt wird.192 Damit soll die mögliche Beeinflussung des Studienergebnisses durch aus der Arzt-Patienten-Beziehung resultierenden wechselseitigen Suggestivkräfte und subjektiven Empfindungen ausgeschaltet werden.193 Von einer dreifach blinden Studie wird gesprochen, wenn neben den Studienteilnehmern und dem Arzt auch der Forschungsleiter bis zum Ende des Versuchs oder bis zu einem bestimmten Abschnitt des Versuchs keine Kenntnisse über die Zuteilung der einzelnen Versuchspersonen zu den verschiedenen Gruppen hat.194 − Bei sogenannten Cross-over-Verfahren wechseln die Versuchspersonen nach bestimmten zeitlichen Abständen ihre Zugehörigkeit zur Prüf- oder Kontrollgruppe. Sowohl Blind- wie auch Doppelblindversuche können als Cross-overVerfahren ausgestaltet werden. Bei Studien mit Arzneimitteln wird oftmals eine Ausschwemm-Periode (wash-out) dazwischen geschaltet.195 − Multizentrische Studie: Studien, an denen mehrere Prüfzentren gleichzeitig beteiligt sind. Um eine ausreichende Zahl von teilnehmenden Versuchspersonen zu gewinnen, werden Studien oftmals multizentrisch an verschiedenen Studienzentren durchgeführt. Die gewonnen Befunde der einzelnen Zentren werden als ein Datensatz behandelt.196 Die Vorteile dieser Studien bestehen in der großen Zahl der beteiligten Versuchspersonen und bei multinational geführten Studien im Einbezug verschiedener Bevölkerungen.197 Gerade in der Pädiatrie werden oft multizentrische Studien durchgeführt, da nur auf diese Weise eine ausreichende Zahl an Versuchspersonen für aussagekräftige Studien gewonnen werden kann. Die Schwierigkeiten von Multizenterstudien bestehen in der aufwendigen Organisation und Logistik sowie in der Zusammen187
188 189 190 191 192 193 194 195 196 197
ULSENHEIMER, in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 148, Rn. 12. SCHWARZ, 317 nennt u.a. als Beispiel für eine klinische Prüfung, bei der eine Verblindung nicht möglich ist, den Vergleich eines Arzneimittels mit einer chirurgischen Intervention oder mit einem Medizinprodukt. Zu den verschiedenen Formen von offenen Studien, 318. JUNOD, 218 f. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 653. SCHWARZ, 317; ULSENHEIMER, in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 148, Rn. 13. JUNOD, 219 f.; SANDER, § 40, Erl. 6c). DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 653. ULSENHEIMER, in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 148, Rn. 14. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 653. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 653; JUNOD, 217 f.; SCHWARZ, 319 f. LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 40. LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 40.
V. Klinische Studien
57
arbeit unterschiedlicher Medizin- und Rechtskulturen bei multinational durchgeführten Studien.198 − Goldstandard: In der modernen Medizin bilden kontrollierte, randomisierte – vorzugsweise doppelblinde – klinische Studien der goldene Standard. Bis heute wurde keine bessere Methode zur zuverlässigen Gewinnung von Daten zur Verwendung einer Substanz beim Menschen gefunden.199 Demzufolge bildet dieser Standard in der Regel die Zulassungsvoraussetzung für neue Therapien.200
2. Klinische Studien mit Arzneimitteln Studien mit Arzneimitteln nehmen in der medizinischen Humanforschung eine besondere Stellung ein. Im Bereich der Arzneimittelforschung besteht die wohl höchste Regulierungsdichte in der Humanforschung. Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich mit der Definition von klinischen Arzneimittelstudien, ihrem Zweck und den verschiedenen Phasen von Arzneimittelprüfungen. Den Abschluss bilden Überlegungen zur Abgrenzung zwischen klinischen Arzneimittelstudien und nicht interventionellen Arzneimittelstudien. a) Begriffe aa) Arzneimittel Arzneimittel sind gemäß Art. 4 Abs. 1 lit. a. HMG: „Produkte chemischen oder biologischen Ursprungs, die zur medizinischen Einwirkung auf den menschlichen oder tierischen Organismus bestimmt sind oder angepriesen werden, insbesondere zur Erkennung, Verhütung oder Behandlung von Krankheiten, Verletzungen und Behinderungen; zu den Arzneimitteln gehören auch Blut und Blutprodukte“.201 Im Vergleich dazu enthält das deutsche Arzneimittelgesetz mit § 2 eine ausführlichere Definition des Arzneimittelbegriffs.202 198 199 200
201
202
LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 40. JUNOD, 203 ff. JUNOD, 205. Nicht alle klinische Arzneimittelstudien genügen dem Goldstandard. Manche Studien kombinieren verschiedene Studien-Designs. Auch ist bei bestimmten Studien die Anwendung des Goldstandards nicht möglich (beispielsweise ist die Abgabe von Placebos bei schweren Krankheiten unethisch). Zur Problematik der kontrollierten und randomisierten klinischen Studien siehe JUNOD, 225 ff.; KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn f. Wobei sich der schweizerische Gesetzgeber an den im europäischen Heilmittelrecht verwendeten Begriffen orientiert, Botschaft HMG, 3488 ff. Siehe dazu auch RUCH, 626, 636. RUCH zeigt auf, dass sowohl die schweizerische wie auch die europäische Rechtsordnung einen funktionellen Arzneimittelbegriff verwenden. Es komme darauf an, zu welchem Zweck ein Stoff mit bestimmten Eigenschaften verwendet werde. Zum Begriff des Arzneimittels siehe auch DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 841. § 2 Abs. 1 AMG: „Arzneimittel sind Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper: 1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen,
58
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
bb) Klinische Studie mit Arzneimitteln Der therapeutische Wert eines Arzneimittels und die mit seiner Anwendung verbundenen Risiken können erst nach Verabreichung an Menschen richtig eingeschätzt werden. Entsprechend folgen der Entwicklung eines neuen Arzneimittels und den Tests im Labor und am Tier klinische Prüfungen mit Versuchspersonen. Der Begriff des klinischen Versuchs mit Arzneimitteln wird weder im HMG noch in seinen Ausführungsbestimmungen definiert. Auf Verordnungsstufe findet sich einzig in Art. 5 lit. a VKlin nachfolgende Definition des klinischen Versuchs. Dieser wird als eine „am Menschen durchgeführte Untersuchung, mit der die Sicherheit, die Wirksamkeit oder weitere Eigenschaften eines Heilmittels oder die Bioverfügbarkeit systematisch überprüft werden“, bezeichnet.203 Im Gegensatz dazu findet sich im deutschen Recht eine ausführliche Definition der klinischen Arzneimittelstudie in § 4 Abs. 23 Satz 1 AMG: „Klinische Prüfung bei Menschen ist jede am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimittel zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen.“204 RUCH zeigt in seiner Untersuchung auf, dass der Begriff des klinischen Versuchs im schweizerischen Recht nicht klar gefasst ist.205 Er vertritt zudem die Ansicht, dass sich der Begriff des klinischen Versuchs mit Arzneimitteln nicht mit demjenigen der systematischen Forschung am Menschen deckt.206 Während der
203
204
205
206
2. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen, 3. vom menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen, 4. Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen oder 5. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen.“ RUCH, 622, 628. RUCH weist darauf hin, dass gemäß dem Entscheid 2A.522/2004 des BGer vom 18. August 2005 (abgedruckt in: ZBl 107 [2006], 651 ff.) die ICH-Guidelines bei der Begriffsbestimmung des klinischen Versuchs mit Arzneimitteln berücksichtigt werden müssen (E. 3.1). Das Bundesgericht hält in diesem Entscheid fest, dass bei der Auslegung des Begriffs des klinischen Versuchs trotz allen Angleichungsbestrebungen der schweizerischen Heilmittelgesetzgebung an das europäische und internationale Recht primär auf die ICH-GCP-Guidelines abzustellen sei. Einzig diese seien weltweit unverändert maßgebend, E. 4.2.2. Zu den ICH-Guidelines und ihrer Bedeutung im schweizerischen Recht siehe hinten Kapitel 3 II.2.e. Diese Definition wurde durch die 12. AMG-Novelle ins Arzneimittelgesetz aufgenommen. Dazu KRÜGER, 15 f. Zum deutschen Arzneimittelgesetz siehe nachfolgend im Kapitel 3 IV.2.a. Siehe hierzu das Urteil des BGer 2A.522/2004 vom 18. August 2005, abgedruckt in: ZBl 107 (2006), 651 ff., E. 3.1: „Der Wortlaut der einschlägigen Gesetzesbestimmungen gibt keinen klaren Aufschluss darüber, was im Einzelnen als klinischer Versuch zu betrachten ist.“ RUCH, 631 ff.
V. Klinische Studien
59
Begriff des klinischen Versuchs mit Menschen weit gefasst werde und jede systematische medizinische Forschung am Menschen einschließt,207 müsse zur Definition der klinischen Arzneimittelstudien eine Eingrenzung auf den Zweck solcher Studien vorgenommen werden.208 b) Zweck klinischer Arzneimittelstudien Zur Beurteilung der erwünschten und unerwünschten Wirkungen eines Medikaments ist die kontrollierte klinische Prüfung mit Versuchspersonen der etablierte Standard. Der allgemeine Zweck von Arzneimittelstudien besteht im Schutz der Gesundheit.209 Insbesondere dienen Arzneimittelstudien der Feststellung der Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Arzneimitteln sowie der Entwicklung und Erforschung neuer Produkte.210 Das Endziel klinischer Prüfungen mit Arzneimitteln ist ihre erstmalige Zulassung bzw. die Erneuerung der bestehenden Zulassung.211 Nur eine positive Sicherheitsbewertung führt zur Verkehrsfähigkeit eines Medikaments.212 Demzufolge sind klinische Studien eine unerlässliche Voraussetzung für das Inverkehrbringen und die Anwendung von Arzneimitteln.213 c) Phasen der klinischen Arzneimittelprüfung Bevor neue pharmakologische Wirkstoffe am Menschen geprüft werden, müssen ihre Wirksamkeit und Toxizität im Labor und in Tierversuchen getestet werden.214 Erst nach erfolgreichem Abschluss dieser präklinischen Tests sind klinische Prü-
207
208 209
210
211 212 213 214
Urteil des BGer 2A.522/2004 vom 18. August 2005, abgedruckt in: ZBl 107 (2006), 651 ff. In E. 3.1. stützt sich das Bundesgericht bei der Definition klinischer Versuche auf den Wortlaut der im Anhang II des Reglements der Interkantonalen Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) vom 18. November 1993 verwendeten Umschreibung. Das IKS Reglement galt bis zum Inkrafttreten des Heilmittelgesetzes. Gemäß dem Wortlaut im Anhang II des IKSßReglements galt als klinischer Versuch: „jede Forschung am Menschen auf dem Gebiet der Medizin“. Als klinischer Versuch mit Heilmitteln wurde jeder Versuch bezeichnet, „der darauf gerichtet ist, Wirkungen eines Heilmittels zu zeigen oder zu bestätigen und/oder Nebenwirkungen zu identifizieren und/oder Absorption, Verteilung, Metabolismus und Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Heilmittels sicherzustellen“. Das Bundesgericht vertritt in seinem Entscheid vom August 2006 die Ansicht, dass sich diese „extensive Umschreibung“ mit der Definition des klinischen Versuchs gemäß Ziff. 1.12. der ICHGCP-Guidelines deckt. RUCH, 625 f. Urteil des BGer 2A.522/2004 vom 18. August 2005, abgedruckt in: ZBl 107 (2006), 651 ff., E. 3.3. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 905 ff.; BSK HMG-JAISLI, Vorbemerkungen zum 2. Kapitel N 1 ff.; POLEDNA/BERGER, Rn. 347; RUCH, 625 f. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 909; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 36. HART zit. Arzneimittelprüfung, Rn. 2. RUCH, 617 m.V. auf Botschaft HMG, 3533. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 65; MEIER-ABT zit. Arzneimittel, 364; SCHWARZ, 35 ff.; ULSENHEIMER in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 148, Rn. 2.
60
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
fungen mit Versuchspersonen zulässig.215 Vor Beginn von Phase-I-Studien werden zudem häufig Pilotstudien mit einigen wenigen Versuchspersonen durchgeführt.216 Klinische Studien mit Arzneimitteln durchlaufen verschiedene Phasen (Phasen I-IV).217 Dabei kann eine Phase mehrere Studien mit verschiedenen Patientengruppen umfassen.218 Jede einzelne Phase ist ein notwendiger Baustein der Gesamtprüfung und baut auf die vorhergehende auf. In jeder Prüfungsphase werden spezifische, gegenüber der vorhergehenden Phase neue Informationen über das geprüfte Arzneimittel gewonnen.219 Nicht immer lassen sich die einzelnen Phasen klar voneinander abgrenzen.220 Nach jeder Phase muss auf der Grundlage der gewonnenen Daten entschieden werden, ob es aus medizinischer, ethischer und ökonomischer Sicht gerechtfertigt ist, die Studie weiterzuführen.221 Jeder klinischen Prüfung mit Versuchspersonen muss eine Begutachtung durch die zuständigen Behörden und Ethikkommissionen vorausgehen.222 Hierzu sind ein detaillierter Prüfplan sowie eine umfassende Dokumentation zum geplanten klinischen Versuch einzureichen.223 Mit einer Studie darf erst nach erteilter Genehmigung der Behörde224 und der Zustimmung der Ethikkommission begonnen werden.225 215
216 217
218
219 220 221 222
223
224
BSK HMG-FERRARO, Art. 53 N 9; MEIER-ABT zit. Arzneimittel, 366; SANDER, § 40, Erl. 6. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 684. MEIER-ABT zit. Arzneimittel, 364 ff. Siehe auch bei DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 914 ff.; KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 11; SANDER, § 40, Erl. 6; ULSENHEIMER in: LAUFS/ UHLENBRUCK, § 148 Rn. 4 ff. und § 130, Rn. 35 ff. sowie ausführlich SCHWARZ, 48 ff. Beispiele für klinische Prüfungen in den einzelnen Phasen und deren Fragestellungen, 50. JUNOD, 193 ff. In der Regel müssen, um für ein Arzneimittel die Zulassung zu erhalten, in jeder Phase verschiedene Studien durchgeführt werden. Dies gilt insbesondere für die frühen Phasen. RUCH, 629 m.w.H. JUNOD, 194. JUNOD, 174. Zur Rolle und den Aufgaben von Ethikkommissionen sowie ihren rechtlichen Grundlagen siehe hinten Kapitel 3 III.2.c.bb. Siehe zu den behördlichen Anforderungen an eine klinische Studie beispielsweise die auf der Internetseite der Swissmedic (im Menü für die Heilmittelindustrie unter der Rubrik klinische Versuche) bereitgestellten Informationen, Merkblätter und Formulare betreffend klinische Prüfungen, , besucht im Juni 2007. Die Formulare des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für Arzneimittel (nationale Verfahren,Verlängerung/Renewals, Änderung/Variations), Pharmakovigilanz, Betäubungsmittel, Grundstoffe und Medizinprodukte sind auf der Internetseite des BfArM abrufbar: , besucht im Juni 2007. In der Schweiz ist hierfür das Schweizerische Heilmittelinstitut, Swissmedic () zuständig. Dazu ausführlich JUNOD, 309 ff. In Deutschland sind es das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM () sowie das Paul-Ehrlich-Institut (). In der Europäischen Union ist die European Medicines Agency, EMEA () zuständig. Auf dem internationalen Arzneimittelmarkt von großer Bedeutung ist zudem die dem Gesundheitsministerium unterstelle Arzneimittelzulassungsbehörde
V. Klinische Studien
61
aa) Phase I Die erste Prüfung einer neuen, aktiven Substanz am Menschen dient einer vorläufigen Bewertung der Unbedenklichkeit und Verträglichkeit sowie der Gewinnung von Daten zur Pharmakokinetik226 und – soweit möglich – zur Pharmakodynamik.227 In Prüfungen der Phase I228 wird eine Substanz an einer geringen Zahl gesunder – meistens nur männlicher229 – Freiwilliger getestet.230 Phase I Prüfungen können auch mit kranken Versuchspersonen durchgeführt werden, wenn eine Prüfung mit gesunden Versuchspersonen unethisch und rechtlich unzulässig wäre.231 bb) Phasen II und III In kontrollierten klinischen Versuchen werden die klinische Wirksamkeit und der therapeutische Nutzen eines neuen Arzneimittels statistisch geprüft und nachgewiesen. Dieser Nachweis kann nur bei Versuchspersonen geführt werden, die an der Zielkrankheit, für die der zu testende Wirkstoff entwickelt wurde, leiden.232 In einem ersten Schritt werden bei einer relativ begrenzten Zahl von Patienten (50– 400233) die Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit der Substanz erprobt. Erst
225
226
227
228
229
230 231
232 233
der Vereinigten Staaten, Food and Drug Administration, FDA (). Internetquellen besucht im Juni 2007. Zum Genehmigungsprozess klinischer Studien in der Schweiz wird auf die umfassenden Ausführungen von JUNOD verwiesen: JUNOD, 257 ff. Zu Deutschland siehe SANDER, § 40, Erl. 7; SCHWARZ, 391 ff. Die Pharmakokinetik untersucht den Einfluss des Organismus auf Arzneistoffe und befasst sich u.a. mit der Verteilung, Metabolisierung und der Ausscheidung von (Arznei-)Substanzen. Ziel ist es, Beziehungen zur Pharmakodynamik (siehe nachfolgende Fn.) herzustellen und ein optimales Dosierungsschema zu entwickeln, PSCHYREMBEL, 1293. Die Pharmakodynamik untersucht den Einfluss von Arzneistoffen auf den Organismus, einschließlich der Dosis-Wirkungsbeziehung, des Wirkungsmechanismus, der Nebenwirkungen und Toxikologie, PSCHYREMBEL, 1293. Geprüft wird a) Verträglichkeit eines Stoffes, b) Absorption, Verteilung, Metabolisierung, Ausscheidung des Stoffes und c) tolerierbares Dosierspektrum. Während die Pharmakokinetik den Einfluss des Organismus auf Arzneistoffe untersucht und sich u.a. mit der Verteilung, Metabolisierung und der Ausscheidung von (Arznei-)Substanzen befasst, untersucht die Pharmakodynamik den Einfluss von Arzneistoffen auf den Organismus, einschließlich der DosisWirkungsbeziehung, des Wirkungsmechanismus, der Nebenwirkungen und Toxikologie. PSCHYREMBEL, 1293. JUNOD, 175 ff. Für Beispiele zu Phase-I-Studien in der Humanpharmakologie siehe SCHWARZ, 51 ff. JUNOD, 179. Traditionell werden männliche Versuchspersonen in Phase-I-Studien bevorzugt, da zu diesem Zeitpunkt oftmals noch keine ausreichenden Daten aus präklinischen Tierversuchen vorhanden sind, um das nötige Sicherheitsprofil für Frauen und ihre Feten garantieren zu können. JUNOD, 179. Beispielsweise die Erprobung von Zytostatika in der Onkologie, die das Zellwachstum bzw. die Zellteilung hemmen, RIEGER, § 2880, Rn. 12. JUNOD, 180. RIEGER, § 2880, Rn. 13. JUNOD, 181 m.w.N.
62
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
nachfolgend werden vergleichende Prüfungen zur Dosisfindung und zur Erfassung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen sowie zur Verträglichkeit mit einer größeren Zahl von Patienten begonnen.234 Die für den Nachweis eines positiven Verhältnisses von Nutzen und Risiken erforderliche Anzahl Versuchspersonen hängt von der therapeutischen Breite eines neuen Wirkstoffes, der Natur der Zielkrankheit sowie der Wirksamkeit bereits vorhandener Behandlungsmethoden ab. Je wirksamer das Prüfpräparat ist, desto weniger Versuchspersonen müssen bis zur Erreichung eines statistisch aussagekräftigen Ergebnisses in eine Studie aufgenommen werden. Existiert bereits eine wirksame Behandlungsmethode, ist die Abgabe von Placebos an die Kontrollgruppe ethisch nicht vertretbar. Vielmehr muss nachgewiesen werden, dass das neue Medikament eine gleich gute oder aber eine wesentlich bessere therapeutische Wirksamkeit aufweist als das bereits etablierte Präparat. Je kleiner der Wirksamkeitsunterschied zwischen dem neuen und dem etablierten Medikament ist, desto mehr Versuchspersonen müssen in eine Studie mit einbezogen werden.235 Die Phase III236 ist die wichtigste Prüfungsphase.237 Mit kontrollierten, randomisierten, vorzugsweise doppelblinden Studien mit unterschiedlichen Patientengruppen sollen die klinische Wirksamkeit und der therapeutische Nutzen einer neuen Substanz statistisch und damit allgemein gültig bewiesen werden (Goldstandard). In Phase II und III wird zudem nach unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen gesucht. Bei einer Teilnehmerzahl von 500–3000 Versuchspersonen treten die schweren unerwünschten Nebenwirkungen jedoch zumeist nicht auf, da diese eine Häufigkeitsrate von weniger als 1:3000 aufweisen. Studien mit bereits zugelassenen Arzneimitteln zu einer noch nicht zugelassenen Indikation oder Prüfungen neuer Darreichungsformen bekannter Wirkstoffe sind ebenfalls Prüfungen der Phase III.238 Zu diesen gehören beispielsweise Therapieoptimierungsstudien, wie sie u.a. in der Onkologie durchgeführt werden.239 Ziel der Phase-III-Studien ist die Erlangung der Zulassung. cc) Phase IV Die Studien der Phase IV240 werden nach der behördlichen Zulassung und dem Inverkehrbringen von Arzneimitteln durchgeführt. Sie dienen einerseits der Gewährleistung der Sicherheit des Arzneimittels in der ärztlichen Alltagsanwendung. Gesucht wird nach seltenen Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Indikationen und Kontraindikationen.241 Andererseits wird auch das Gefährdungspotenzial des 234 235 236 237 238 239 240 241
SCHWARZ, 48 f. MEIER-ABT zit. Arzneimittel, 368 f. JUNOD, 180 ff. JUNOD, 182 f. SCHWARZ, 49. SCHWARZ, 49. JUNOD, 184 ff. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 905, 909. Zu den Definitionen und Klassifikationen von unerwünschten Ereignissen und unerwünschten Arzneimittelwirkungen vor und nach der Zulassung von Arzneimitteln siehe SCHWARZ, 542 ff.
V. Klinische Studien
63
Arzneimittels bei speziellen Patientengruppen (Kinder, Schwangere, multimorbide Patienten etc.) bewertet.242 Hierzu werden groß angelegte Studien (z.B. Anwendungsbeobachtungen oder Behandlungskohorten) durchgeführt.243 Heute bestehen in verschiedenen Ländern organisierte Meldesysteme, wo von Kliniken, Ärzten etc. unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen gemeldet, gesammelt und in Datenbanken zugänglich gemacht werden.244 So sammelt beispielsweise das Schweizerische Heilmittelinstitut im Rahmen der Marktüberwachungen Meldungen zu unerwünschten Arzneimittelnebenwirkungen und veröffentlicht diese Informationen auf seiner Internetseite.245 Die Initiative zu diesen Phase-IV-Studien kommt überwiegend von den Herstellerfirmen selbst, denn diese Studien dienen neben der zuvor beschriebenen Überwachung der zugelassenen Arzneimittel in erster Linie auch MarketingZwecken.246 d) Abgrenzungsfragen aa) Nicht interventionelle Studien Wird ein medizinisches Erprobungshandeln als klinischer Versuch qualifiziert, untersteht der betreffende Versuch der Heilmittelgesetzgebung und hat deren Anforderungen zu erfüllen. Da die Zulassungskriterien für Arzneimittel umfangreiche Nachweise der Sicherheit, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit verlangen, ist es für die Gesuchssteller von großer Bedeutung, ob ihre Studien den strengen Anforderungen für klinische Arzneimittelstudien unterliegen oder nicht. Besondere Bedeutung hat diese Zuordnung für nicht interventionelle Studien.247 Nicht interventionelle Studien werden mit bereits zugelassenen, d.h. verkehrsfähigen Arzneimittel durchgeführt. Klinische Studien sind dann nicht interventioneller Natur, „wenn der Arzt ohne Vorgaben für sein Vorgehen über die Behandlung allein entscheidet“.248 Solche Studien werden unter gängigen Praxisbedingungen durchgeführt, was heißt, dass die zu untersuchenden Arzneimittel entsprechend ihrer Zulassungsvorgaben verabreicht werden.249 Nicht interventionelle Studien werden auch als Beobachtungsstudien oder Anwendungsbeobachtungen bezeich242 243 244
245
246 247 248
249
PETERMANN, Rz. 23. PETERMANN, Rz. 23; SCHWARZ, 49 f., 66 ff., 517 ff. Siehe dazu Art. 31 ff. der Arzneimittelverordnung zur Marktüberwachung und insb. Art. 35 ff. zu den Meldepflichten nach erfolgter Zulassung eines Arzneimittels. , Website-Bereich für Fachpersonen, Marktüberwachung. Besucht im Juni 2007. PETERMANN, Rz. 23. Siehe dazu auch KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 24. RUCH, 630 m.w.V. Siehe auch die Definition von nicht interventionellen Arzneimittelstudien bei HART zit. Arzneimittelprüfung, Rn. 1: „Nicht interventionelle Prüfung ist eine Untersuchung, in deren Rahmen Erkenntnisse aus der Behandlung von Personen mit Arzneimittel gemäß den in der Zulassung festgelegten Angaben für seine Anwendung anhand epidemiologischer Methoden analysiert werden; dabei folgt die Behandlung einschließlich der Diagnose und Überwachung nicht einem vorab festgelegten Prüfplan, sondern ausschließlich der ärztlichen Praxis.“ RUCH, 630; SANDER, § 40, Erl. 4b).
64
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
net.250 Ebenfalls zu den nicht interventionellen Arzneimittelstudien werden systematische Vergleiche zwischen bereits zugelassenen Substanzen gezählt.251 bb) Rechtliche Regelungen Die Abgrenzung von klinischen Versuchen, die den strengen Anforderungen der Arzneimittelgesetzgebung unterliegen und solchen, die nicht darunter fallen, ist nicht immer einfach.252 Eine klare Regelung enthält die Arzneimittelrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft. Gemäß Art. 1 fallen nicht interventionelle Prüfungen nicht unter die Richtlinie.253 Das deutsche Arzneimittelrecht definiert in § 4 Abs. 23 AMG die nicht-interventionelle Arzneimittelstudie wie folgt: „Nicht interventionelle Prüfung ist eine Untersuchung, in deren Rahmen Erkenntnisse aus der Behandlung von Personen mit Arzneimitteln gemäß den in der Zulassung festgelegten Angaben für seine Anwendung anhand epidemiologischer Methoden analysiert werden; dabei folgt die Behandlung einschließlich der Diagnose und Überwachung nicht einem vorab festgelegten Prüfplan, sondern ausschließlich der ärztlichen Praxis.“ gemäß § 4 Nr. 23 AMG unterliegen nicht interventionelle Studien nicht den Regelungen der Arzneimittelstudien.254 In der Schweiz war längere Zeit unklar, ob die sogenannten „nicht interventionellen Studien“ mit Arzneimitteln unter die Regelungen des Heilmittelgesetzes fallen.255 Das schweizerische Bundesgericht befasste sich mit der Zuordnung von nicht-interventionellen Arzneimittelstudien in einem Entscheid vom 18. August 2006.256 Es kommt darin zum Schluss, dass sowohl nach der historischen wie auch nach der teleologischen und der grammatischen Auslegung grundsätzlich jede systematische medizinische Forschung am Menschen als klinischer Versuch zu betrachten sei. Diese sind dem Schweizerischen Heilmittelinstitut (Swissmedic) zu melden.257 Solange eine nicht interventionelle Arzneimittelstudie bezweckt, Sicherheit und Wirksamkeit eines Arzneimittels zu untersuchen, handelt es sich um einen klinischen Versuch, auf den die Regelungen der Heilmittelgesetzgebung zur Anwendung gelangen. RUCH befürwortet die Schlussfolgerung des BGer mit dem Hinweis, dass der Begriff des nicht interventionellen Versuchs für eine Zuordnung einer Studie zu den klinischen Versuchen nicht taugt, da er die Methode einer Prüfung, nicht aber ihren Zweck erfasse.258 Kritisch zum Urteil des Bundesge250 251 252
253 254
255
256
257 258
RUCH, 630 m.w.V. LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 39. In der Schweiz sind dies die Bestimmungen des Heilmittelgesetzes und seiner Ausführungsbestimmungen. In Deutschland das Arzneimittelgesetz und dessen ergänzende Normen. Dazu ausführlich in Kapitel 3 unter III und IV. Zur Arzneimittelrichtlinie siehe nachfolgend in Kapitel 3 II.3.a. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 918; KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 24; KRÜGER, 16; SANDER, § 40, Erl. 4b). Zum deutschen Arzneimittelgesetz siehe nachfolgend in Kapitel 3 IV.2.a. JUNOD, 61 bezeichnet diese Frage im Zusammenhang mit dem schweizerischen Heilmittelgesetz (vor Veröffentlichung des Urteils des BGer 2A.522/2004 vom 18. August 2005) noch als ungeklärt. Urteil des BGer 2A.522/2004 vom 18. August 2005, abgedruckt in: ZBl 107 (2006), 651 ff. Urteil des BGer 2A.522/2004 vom 18. August 2005, E. 3.5.; RUCH, 628. RUCH, 635.
V. Klinische Studien
65
richts äußert sich EGGENBERGER-STÖCKLI.259 Obwohl das Urteil streng genommen nur für den zu beurteilenden Fall gelte, seien Auswirkungen auf die Praxis der schweizerischen Zulassungsbehörde (Swissmedic) zu erwarten. EGGENBERGERSTÖCKLI geht davon aus, dass solange keine mit dem deutschen oder dem europäischen Recht vergleichbare Ausnahmeregelung für die nicht interventionellen Studien geschaffen werde, nicht interventionelle Studien den Regelungen des Heilmittelgesetzes unterstehen. Das hat zur Folge, dass nicht interventionelle Studien in der Schweiz wie klinische Arzneimittelstudien durch eine Ethikkommission befürwortet und bei der Swissmedic notifiziert werden müssen. Zudem sind sie nach den Regeln der Guten Praxis der klinischen Versuche durchzuführen.260 Gemäß EGGENBERGER-STÖCKLI kann diese Rechtsprechung in der Praxis insbesondere für nicht interventionelle Studien, die in der Form internationaler Multizenterstudien durchgeführt werden, zu Schwierigkeiten führen, da solche Studien in den europäischen Ländern weniger strengen Anforderungen unterliegen.261 Sie regt eine Angleichung des schweizerischen Rechts an das europäische Recht mittels einer Ergänzung des Heilmittelgesetzes an. Damit könne verhindert werden, dass die zusätzlichen Auflagen die Durchführung nicht interventioneller Studien in der Schweiz im Vergleich zum europäischen Ausland erschweren und verteuern.262 cc) Individuelle Heilversuche Nicht um eine klinische Prüfung mit Arzneimitteln handelt es sich, wenn ein Arzneimittel in einem Einzelfall und ausschließlich im Interesse des betroffenen Patienten außerhalb seiner Zulassung oder noch vor seiner Zulassung verabreicht wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn keine anderweitigen Therapiemöglichkeiten verfügbar sind. In diesen Fällen handelt es sich um individuelle Heilversuche,263 die nicht den strengen Voraussetzungen einer klinischen Arzneimittelprüfung unterliegen.264 Bei individuellen Heilversuchen fehlen, im Vergleich zu klinischen Studien mit Arzneimitteln, einerseits die systematische Vorgehensweise und andererseits die Zweckausrichtung auf die Sammlung von Daten über die Sicherheit, Wirksamkeit und weitere Eigenschaften eines Arzneimittels zum Zwecke Zulassung. Aus rechtlicher Sicht ist es nicht unproblematisch, dass die oftmals risikoreichen individuellen Heilversuche keiner besonderen Prüfung unterliegen. Auf diese Problematik wird nachfolgend Unter VI.2. im Kontext der medizinischen Forschung mit Kindern und Jugendlichen sowie in Teil 3 im Zusammenhang mit dem Geltungsbereich des geplanten Bundesgesetzes zur Forschung am Menschen265 näher eingegangen.
259 260 261 262 263 264 265
EGGENBERGER STÖCKLI zit. Rechtsprechung, V f. EGGENBERGER STÖCKLI zit. Rechtsprechung, V. EGGENBERGER STÖCKLI zit. Rechtsprechung, V f. EGGENBERGER STÖCKLI zit. Rechtsprechung, VI. Zur Definition des individuellen Heilsversuchs siehe oben IV.2.a.bb. LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 35. Kapitel 3 III.4.c.dd.
66
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
VI. Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen Die obigen Ausführungen zur medizinischen Forschung mit Versuchspersonen gelten – soweit nicht speziell darauf hingewiesen wurde – für die Forschung mit erwachsenen wie auch mit minderjährigen Versuchspersonen. Sie werden nachfolgend mit spezifischen Betrachtungen zur Forschung mit Kindern und Jugendlichen ergänzt. Zunächst wird kurz auf die Vielfalt der medizinischen Forschung mit Kindern und für Kinder eingegangen. anschließend folgen Betrachtungen zu den Besonderheiten von Heilversuchen in der Pädiatrie, zur Bedeutung der Unterscheidung von therapeutischer und nicht therapeutischer Forschung in der Pädiatrie sowie Ausführungen zur kindergerechten Ausgestaltung von Studien. Den Abschluss bilden Überlegungen zur Problematik der Aufklärung und Einwilligung in der Forschung mit Kindern und Jugendlichen.
1. Vielfalt der medizinischen Forschung mit Kindern Bei allen Forschungsuntersuchungen mit minderjährigen Versuchspersonen gilt der Grundsatz der Subsidiarität. Dieser besagt, dass Kinder und Jugendlich nur dann in Forschungsvorhaben einbezogen werden dürfen, wenn vergleichbare Erkenntnisse nicht durch Versuche mit urteilsfähigen mündigen Personen erzielt werden können. Da die Daten von Erwachsenen nicht ohne Weiteres auf Kinder übertragen werden können, ist medizinische Forschung mit Kindern vielfach notwendig.266 Auch erfordern die alters- und entwicklungsbedingten Unterschiede zwischen den Kindern differenzierte pädiatrische Studien.267 So verschiedenartig gesundheitliche Leiden und Gebrechen von Kindern sind, so vielgestaltig ist auch die medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen und für Kinder und Jugendliche. a) Therapieoptimierungsstudien In der Kinderheilkunde werden häufig sogenannte Therapieoptimierungsstudien durchgeführt. Mithilfe solcher Studien werden bereits bestehende Therapien auf ihren Nutzen hin überprüft und wenn möglich verbessert. Therapieoptimierungsstudien werden im Rahmen der normalen Behandlung durchgeführt. Im Zusammenspiel zwischen klinischer Praxis und wissenschaftlicher Überprüfung werden Behandlungsstrategien optimiert. Zu den Therapieoptimierungsstudien zählen beispielsweise Studien, bei denen bekannte Wirkstoffkombinationen variiert oder mit neuen Arzneimitteln kombiniert werden. Dabei werden in der Regel bereits erprobte, unter Umständen aber auch neue Arzneimittel eingesetzt.268 Während der Behandlung werden Therapieprotokolle geführt, womit die Erfahrungen und Re266 267 268
WOLFSLAST, 83. KLEIST, 2222; SEYBERTH/BROCHHAUSEN/KURZ, 219. MAGNUS, 18.
VI. Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen
67
sultate der erprobten Behandlung für zukünftige Therapien verwertbar gemacht werden. Diese Therapieoptimierungsstudien werden zu den klinischen Heilversuchen gezählt.269 b) Messungen Bei anderen Forschungsvorhaben mit Kindern werden in erster Linie Messungen aller Art durchgeführt. Beispielsweise werden Kinder gewogen, Seh- und Hörtests durchgeführt, ihre Hirnströme gemessen, wird ihre Körpergröße ermittelt und werden Proben von Körpersubstanzen (Speichel, Blut, Urin etc.) gesammelt. Gesunden Säuglingen wird z.B. im Rahmen medizinisch notwendiger Untersuchungen Blut abgenommen. Dabei wird u.a. der Sauerstoffgehalt des Blutes gemessen. Mithilfe der gewonnen Erkenntnisse kann bestimmt werden, wie viel Sauerstoff Frühgeborenen verabreicht werden muss, damit sie ohne Schäden überleben. Solche Blutuntersuchungen bei gesunden Säuglingen können zudem wichtige Aufschlüsse im Hinblick auf die Entwicklung hypoallergener Säuglingsnahrung geben, die helfen soll, das Auftreten von Allergien bei Risikokindern zu vermeiden.270 Ein weiteres Beispiel ist Forschung zugunsten von Frühgeborenen, die häufig an Rachitis mit der Folge von Knochendeformierungen und Wachstumsstörungen leiden. Um in Erfahrung zu bringen, ob überhaupt und wenn ja mit welchen Mengen an Kalzium und Phosphor die Störungen behoben werden können, müssen Kinder bestimmter Altersstufen und Gewichtsklassen systematisch beobachtet werden. Dabei ist von Interesse, wie Kalzium und Phosphor vom Darm aufgenommen, vom Organismus verwertet und von der Niere ausgeschieden werden.271 c) Studien mit medizinischen Hilfsmitteln Nötig sind auch pädiatrische Studien mit medizinischen Hilfsmitteln: Studien zu Hilfsmitteln wie Rollstühlen, Bandagen und Stützen sowie Applikationshilfen für Arzneimittel. Es wird beispielsweise getestet, wie ein Hörgerät geformt sein muss, damit es bei Kindern eingesetzt werden kann. Oder es muss eine Prothese für die Größen- und Kräfteverhältnisse einer bestimmten Altersstufe entwickelt und erprobt werden. Zudem werden Substanzen wie auch Medizinprodukte (z.B. Pflaster) auf ihre Verträglichkeit bei Kindern getestet. d) Weitere Studien Andere Beispiele für Forschungsvorhaben mit Kindern und Jugendlichen sind Ernährungs-, Bewegungs- oder Schlafstudien sowie genetische Untersuchungen. Versuche ohne eine besondere oder zusätzliche Mitwirkung der untersuchten Kinder sind die wissenschaftlichen Begleitstudien. Diese werden parallel zur nor-
269
270 271
Zu den Heilversuchen im Allgemeinen siehe oben IV.2.b. Zu den Heilversuchen in der Pädiatrie gleich anschliessend VI.2. WOLFSLAST, 83, m.w.H. WOLFSLAST, 83, m.w.H.
68
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
malen Heilbehandlung durchgeführt, indem Daten oder auch Substanzen, die bei der Behandlung anfallen, gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden.272 e) Schlussfolgerung Die aufgeführten Beispiele veranschaulichen, dass medizinische Forschung mit Kindern äußerst vielfältig ist. Zudem gehen gerade in der Kinderheilkunde Behandlung und Forschung aufgrund fehlender geeigneter pädiatrischer Verfahren und Therapien sowie mangelnder Arzneimittelsicherheit häufig ineinander über.273 Die Vielfalt der Forschung und ihre häufige Nähe zur Behandlung muss bei der rechtlichen Beurteilung von Forschungsvorhaben mit Kindern berücksichtigt werden. Zur Veranschaulichung dieser Aussage werden nachfolgend die Besonderheiten von Heilversuchen in der Pädiatrie dargestellt. Daran anschließend wird untersucht, welche Bedeutung der Unterscheidung zwischen therapeutischer und nicht therapeutischer Forschung in der Kinderheilkunde zukommt.
2. Besonderheiten des Heilversuchs in der Pädiatrie Wie in IV.3. ausgeführt, sind die Übergänge zwischen einer Heilbehandlung und einem individuellen Heilversuch häufig fließend. Die nachfolgenden Ausführungen zeigen auf, dass dies in der Kinderheilkunde in besonderem Maße zutrifft. a) Häufigkeit pädiatrischer Heilversuche Zunächst ist nochmals darauf hinzuweisen, dass nicht jede vom anerkannten Standard abweichende Maßnahme der Forschung dient. Vielmehr muss daran erinnert werden, dass für zahlreiche Leiden und gesundheitliche Störungen im Kindesalter keine bzw. keine zugelassene pädiatrische Therapie zur Verfügung steht.274 Eine Anwendung bei Kindern ist nur dann zugelassen und anerkannt, wenn klinische Studien in diesen Altersgruppen durchgeführt wurden. Gelangt eine Therapie in der Kinderheilkunde ohne ausreichende pädiatrische Erprobung und somit ohne behördliche Zulassung zur Anwendung, ist es ein Heilversuch und hat „zwangsläufig experimentellen Charakter“.275 Dennoch dienen solche Behandlungen nicht in jedem Fall gleichzeitig auch der Forschung. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Daten und Ergebnisse solcher Behandlungen systematisch erfasst und wissenschaftlich ausgewertet werden. Häufig sind solche, vom Standard abweichende Behandlungen individuelle Heilversuche.276 Dies ist bei Kindern und Jugendlichen immer dann der Fall, wenn für den Gebrauch in der Pädiatrie zugelassene Arz-
272 273 274 275
276
MAGNUS, 19. Siehe hierzu Kapitel 1 II.2. SCHWARZ, 289. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 655 und 653 mit Hinweis auf den Entscheid des Deutschen Bundesgerichtshof vom 1. Dezember 1981 betreffend eines unter Multipler Sklerose leidenden Klägers, Monatsschrift für Deutsches Recht 1982, 468. SEYBERTH, 49. Siehe dazu oben IV.2.b.bb.
VI. Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen
69
neimittel fehlen und demzufolge Arzneimittel off-label oder unlicensed277 eingesetzt werden müssen. Diese Art von Verschreibung ist gesetzlich zulässig, sofern die anerkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften beachtet werden. Der Mangel an kindgerechten Präventions-, Diagnose- und Therapiemethoden hat somit zur Folge, dass Kinder und Jugendliche häufiger als erwachsene Patienten im Rahmen eines individuellen Heilversuchs behandelt werden müssen.278 b) Finanzielle Folgen Die vermehrte off-label Behandlung von Kindern ist nicht nur mit einer großen medizinischen Unsicherheit verbunden, sondern hat auch große finanzielle Nachteile zur Folge.279 Denn gemäß der gesetzlichen Ordnung werden von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nur Kosten für Arzneimittel übernommen, die auf der Spezialitätenliste aufgeführt sind. Für die Aufnahme in die Spezialitätenliste und die damit verbundene Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung ist die Zulassung durch Swissmedic eine primäre Voraussetzung.280 Durch das Zulassungsverfahren der Swissmedic wird der Prüfungsrahmen der krankenversicherungsrechtlichen Organe (BAG, Eidgenössische Arzneimittelkommission) hinsichtlich der Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels abgesteckt.281 In der Folge wird eine von der in der Spezilitätenliste vermerkten Indikation oder Dossierung abweichenden Therapie mit einem zugelassenen Medikament als off-label Anwendung eingestuft, deren Kosten von der gesetzlichen Krankenkasse nicht übernommen werden. Dieser Grundsatz der Nichterstattung der Kosten eines Medikamentes, das zwar auf der Spezialitätenliste aufgeführt, jedoch off-label verwendet wird, wurde vom Bundesgericht in jüngeren Entscheiden bestätigt.282 In zwei Ausnahmefällen kann von diesem Grundsatz jedoch abgewichen werden und die gesetzliche Krankenversicherung hat die Kosten der off-label Anwendung zu tragen.283 Die erste Ausnahme setzt voraus, dass ein sogenannter Behandlungskomplex vorliegt. Ein solcher wird angenommen, wenn eine Therapie, für die normalerweise keine Vergütungspflicht besteht, eine unumgängliche Vorbereitungsmaßnahme für die Durchführung einer Leistung darstellt, die von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen wird.284 Die zweite Ausnahme setzt voraus, dass mit dem off-label angewandten Medikament eine Krankheit behandelt wird, die für den Patienten lebensbedrohend ist oder zu einer schweren und chronischen Bedrohung seiner Gesundheit führt. Zudem darf sie aufgrund fehlender therapeutischer Alternativen nicht anders behandelbar sein. In solchen 277 278 279
280 281 282 283 284
Zur Begriffsbestimmung von off-label und unlicensed siehe vorne Kapitel 1 II.2.b. SCHWARZ, 289 f. Zu den sozialversicherungsrechtlichen Folgen des off-label use siehe PETERMANN, Rz. 26 ff. PETERMANN, Rz. 28. BGE 131 V 349 E.2.2., 3.1. BGE 130 V 532; 131 V 349. PETERMANN, Rz. 29. BGE 130 V 532 E.6.1.
70
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
Fällen kann die off-label Anwendung eines auf der Spezialitätenliste aufgeführten Medikamentes von der gesetzlichen Krankenversicherung dann übernommen werden, „wenn ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, das Produkt sei (kurativ oder palliativ) von gewichtigem therapeutischem Nutzen“.285 Das Bundesgericht verweist dabei auf die Bedingungen, unter denen Swissmedic den Vertrieb oder die Abgabe von nicht zugelassenen Arzneimitteln gegen lebensbedrohliche Krankheiten befristet bewilligen kann.286 Nach Art. 9 HMG kann eine solche befristete Bewilligung erteilt werden, wenn dies mit dem Schutz der Gesundheit vereinbar ist, von der Anwendung ein großer therapeutischer Nutzen erwartet werden kann und kein vergleichbares Arzneimittel zur Verfügung steht.287 c) Schwierige Entscheidungssituationen Die von einem individuellen Heilversuch betroffenen Kinder und ihre Eltern müssen die Entscheidung fällen, ob sie einer Behandlung ohne hinreichende empirische Absicherung bei sich bzw. ihrem Kind zustimmen oder nicht. Solchen Entscheidungssituationen sind sonst nur Versuchspersonen klinischer Studien ausgesetzt. Allerdings fehlen bei individuellen Heilversuchen die für Versuchspersonen von klinischen Studien nicht ohne Grund erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen.288 BROCHHAUSEN benennt die daraus resultierende Situation für die minderjährigen Patienten, ihre Eltern sowie für den behandelnden Arzt mit deutlichen Worten: „Weite Teile der Arzneimitteltherapie in der Pädiatrie kommen einem groß angelegten Feldversuch gleich, allerdings ohne jede Möglichkeit, Ergebnisse zu sammeln, auszuwerten und Konsequenzen für den Patienten zu ziehen.“289 Ähnlich äußern sich auch DAHL/WIESEMANN: „Es stellt schon an sich ein ethisches Problem dar, dass die ärztliche Behandlung von Kindern und Jugendlichen in weiten Bereichen als Experimentierfeld angesehen werden muss.“290 Dazu kommt die unter Umständen mit einem individuellen Heilversuch verbundene große finanzielle Belastung, wenn die damit verbundenen Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung nicht übernommen werden. Diese als unbefriedigend zu bezeichnende Situation kann nur durch vermehrte Forschungsanstrengungen und eine daraus resultierende Zunahme der pädiatrischen Zulassungen verbessert werden. Unabhängig davon sind die im Rahmen eines Heilversuchs zu behandelnden Kinder (soweit möglich) und ihre Eltern wie bei der Teilnahme an einer klinischen Studie vollumfänglich aufzuklären. Dazu gehört insbesondere auch die Aufklärung über die (fehlende) Kostenübernahme 285
286 287 288
289 290
BGE 130 V 532 E.6.1. In casu wurden diese Voraussetzungen erfüllt und die Kosten für die off-label Behandlung von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen. Siehe hierzu auch Kapitel 3 BGE 130 V 532 E.6.1. Beispielsweise Prüfung durch eine Ethikkommission, Art. 9 ff. VKlin; Versicherungsschutz durch Probandenversicherung, Art. 7 VKlin. BROCHHAUSEN, 26. DAHL/WIESEMANN zit. Ethische Aspekte, 74. Siehe auch KLOESEL/CYRAN, § 41, Rn. 17.
VI. Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen
71
der vorgeschlagenen Behandlung durch die Krankenversicherung.291 Zudem müssen sie der Therapie außerhalb des Zulassungsrahmens ausdrücklich zustimmen,292 wobei ihnen oftmals aufgrund fehlender Alternativen gar keine andere Möglichkeit bleibt.293
3. Die Unterscheidung in therapeutische und nicht therapeutische Forschung und ihre Bedeutung in der Pädiatrie Die Unterscheidung von Forschungsuntersuchungen nach ihrem potenziellen Nutzen ist in der Kinderheilkunde von besonderer Bedeutung. Nachfolgend werden die oben dargelegten294 kritischen Anmerkungen zur Einteilung in therapeutische und nicht therapeutische Forschung im Hinblick auf die Forschung mit Kindern und Jugendlichen ergänzt. a) Legitimationskriterium Kinder befinden sich in einem fortlaufenden physischen und psychischen Reifungs- und Entwicklungsprozess. Dies hat zur Folge, dass sich Forschungsrisiken bei Kindern schwerer und langfristiger auswirken können als bei erwachsenen Versuchspersonen.295 Auch sind Kinder erst ab einem gewissen Alter und Entwicklungsstand in der Lage, die Umstände eines medizinischen Forschungsvorhabens zu erfassen sowie ihre Abneigung oder Zustimmung zu einer Teilnahme kundzutun. Entsprechend liegt die Einwilligungskompetenz bei den Eltern bzw. kann das Kind ab einer bestimmten Reife alleine in eine Teilnahme an einer Studie einwilligen. Zahlreiche Rechtsgrundlagen verlangen sowohl die Einwilligung der Sorgeberechtigten wie auch diejenige des betroffenen Kindes.296 Diese besonderen Umstände der Forschung mit Kindern erfordern eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung. Deshalb ist die Art des von einem Forschungsvorhaben zu erwartenden potenziellen Nutzens in vielen Rechtsvorschriften zur Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen ein wichtiges Legitimationskriterium. Die Unterscheidung zwischen therapeutischer und nicht therapeutischer Forschung markiert häufig die Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Forschung mit Kindern.297 Aufgrund des gänzlich fehlenden Individual- oder Gruppennutzens ist die rein fremdnützige medizinische Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen unzulässig. Einige Normen lassen unter Auflagen jedoch die nicht therapeutische, potenziell gruppennützige Forschung mit minderjährigen
291
292 293 294 295 296 297
Siehe zu dieser sogenannten wirtschaftlichen Aufklärungspflicht des Arztes BGE 119 II 456 insb. E.2 sowie PETERMANN, Rz. 38 f. SCHWARZ, 290. BOOS zit. Pädiatrie, 57. Siehe dazu oben IV.3.d. DAHL/WIESEMANN zit. Forschung, 88; WIESEMANN zit. Bewertung, 72. Siehe dazu hinten Kapitel 4 III. ff., insb. V. DAHL/WIESEMANN zit. Forschung, 88.
72
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
Versuchspersonen zu.298 Zumeist wird bei der Forschung mit Kindern und Jugendlichen aber ein aktueller oder zukünftiger potenzieller Individualnutzen verlangt.299 b) Entwicklungsbedingt mehr nicht therapeutische Forschung mit Kindern? Aufgrund ihrer fortschreitenden Entwicklung haben Kinder nicht die gleichen Chancen, aus ihrer Teilnahme an einem Forschungsvorhaben einen zukünftigen individuellen Nutzen zu ziehen, wie erwachsene Versuchspersonen. Wie weiter vorne aufgezeigt, führen die Besonderheiten der einzelnen Entwicklungsstufen dazu, dass bei minderjährigen Versuchspersonen eine Unterteilung in fünf Altersund Entwicklungsgruppen vorgenommen werden muss.300 Gerade in den für die kindliche Entwicklung elementaren ersten zwei Lebensjahren durchläuft ein Kind aus Sicht der medizinischen Forschung drei Altersgruppen.301 Entsprechend dieser Einteilung kommen die Resultate von pädiatrischen Forschungsvorhaben einer bestimmten Altersgruppe zugute. Die rasche Entwicklung von Kindern führt bei Forschungsvorhaben ohne einen aktuellen potenziellen Individualnutzen dazu, dass die Kinder nicht direkt von den Resultaten ihrer Studie profitieren können. Bis ein Wirkstoff, der an Kindern einer bestimmten Alters- und Entwicklungsstufe getestet wurde, die Zulassung erhält, haben sich die betreffenden Studien-Kinder bereits weiterentwickelt und benötigen eine andere, ihrem aktuellen Alters- und Entwicklungsstand angepasste Behandlung. Wie die oben angeführten Beispiele zur Forschung mit Kindern aufzeigen, ist dies bei Forschungsvorhaben in der Neonatologie besonders häufig der Fall.302 In dieser Altersstufe vollziehen die kleinen Patienten innerhalb kürzester Zeit wichtige Entwicklungsschritte. Es ist daher unwahrscheinlich, dass ein Kind, das an einem neonatologischen Forschungsvorhaben ohne einen aktuellen potenziellen Individualnutzen beteiligt ist, von dessen Resultaten zu einem späteren Zeitpunkt profitieren kann.303 Dies führt dazu, dass in der Pädiatrie tendenziell mehr Forschungsvorhaben mit einem potenziellen Gruppennutzen verbunden sind. c) Undifferenziertes Verbot gruppennütziger Forschung Im Zusammenhang mit nicht therapeutischer Forschung mit Kindern werden eine Instrumentalisierung der Betroffenen und die Verletzung ihrer Menschenwürde gefürchtet. Muss daher die nicht therapeutische Forschung mit minderjährigen 298
299 300 301
302 303
So beispielsweise § 41 Abs. 2 AMG, Art. 55 Abs. 2 HMG, Art. 17 Abs. 2 Biomedizinkonvention. Siehe zu den verschiedenen Normen zur medizinischen Forschung mit Kindern weiter hinten Kapitel 3. § 40 Abs. 4 AMG, § 20 Abs. 4 MPG. Siehe dazu vorne Kapitel 1 II.1. SCHWARZ, 293: Frühgeborene bis zur 36. Schwangerschaftswoche; Neugeborene/Säuglinge bis zum 27. Lebenstag; Kleinkinder bis zum 23. Lebensmonat. Siehe oben VI.1. Siehe auch das Beispiel für gruppennützige Forschung mit gesunden Kindern zur Bestimmung von Normalwerten bei diagnostischen Apparaten oben IV.3.c.bb.
VI. Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen
73
Versuchspersonen verboten werden, da diese Personen nicht selber über ihre Teilnahme entscheiden können? Der höhere Anteil an gruppennütziger Forschung in der Pädiatrie ist durch die fortschreitende Entwicklung der Kinder bedingt. Diesem Umstand muss bei der Ausgestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen Rechnung getragen werden. Ein undifferenziertes Verbot gruppennütziger Forschung mit Kindern würde dazu führen, dass bestimmte Forschungsvorhaben mit Kindern nicht durchgeführt werden dürften. Wie weiter oben dargelegt, treten bei Kindern jedoch zahlreiche Krankheiten und andere gesundheitliche Störungen auf, die ausschließlich bei Kindern vorkommen und entsprechend nur unter Einbezug von Kindern erforscht werden können. Bei einem absoluten Verbot nicht therapeutischer, gruppennütziger Forschung mit Minderjährigen stellt sich bei solchen Leiden daher die Frage, ob es mit der Menschenwürde der betroffenen Kinder zu vereinbaren ist, wenn auf Forschung mit diesen minderjährigen Patienten und damit auf den wissenschaftlichen Fortschritt verzichtet wird. Befürworter der therapeutischen Forschung mit Minderjährigen mit einem möglichen, zukünftigen potenziellen Eigennutzen oder zumindest einem potenziellen Gruppennutzen argumentieren, dass einem totalen Verbot der fremdnützigen Forschung mit Kindern das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit jener Kinder entgegensteht, die in Zukunft von der fraglichen Krankheit betroffen sein könnten.304 Diese Auffassung vertritt auch die Zentrale Ethikkommission in ihrer Stellungnahme zur Forschung mit Minderjährigen.305 Sie kommt deshalb zum Schluss, dass gruppennützige Forschung mit Kindern und Jugendlichen mit den verfassungsmäßigen Rechten der minderjährigen Versuchspersonen vereinbar sei.306 In Anbetracht der Notwendigkeit der Forschung mit Kindern sowie unter Berücksichtigung ihrer Vielfältigkeit ist ein absolutes Verbot der Forschung ohne einen direkten Nutzen abzulehnen. Vielmehr ist die gruppennützige Forschung mit Kindern unter bestimmten Bedingungen zuzulassen. Wo Forschung nötig und wichtig ist, ist der Schutz der betroffenen Versuchspersonen durch ein sinnvolles Zusammenspiel verschiedener Schutzkriterien sicherzustellen. Auf diese wird im dritten Teil zu den rechtlichen Grundlagen der Forschung mit Kindern307 sowie im vierten Teil zu den Persönlichkeitsrechten Minderjähriger in der medizinischen Forschung308 noch näher eingegangen. d) Problematik einer einseitigen Fokussierung auf den Nutzen In Bezug auf die Forderung nach einer Beschränkung der Forschung mit Nichteinwilligungsfähigen auf Forschungsvorhaben mit einem unmittelbaren Nutzen für die betroffenen Versuchspersonen muss zudem Folgendes bedacht werden: Wird die Zulässigkeit von Forschungsmaßnahmen von einem persönlichen Nutzen der 304 305
306
307 308
TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 426. Auf die Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission zur Forschung mit Minderjährigen wird im 3. Kapitel IV.3. ausführlicher eingegangen. Stellungnahme ZEKO, 11 ff., 17, Ziff. 4.3. So auch MAIO zit. fremdnützige Forschung, 173 ff., insb. 183. Siehe Kapitel 3 V.3. Siehe Kapitel 4 V.
74
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
beteiligten Versuchspersonen abhängig gemacht, sind Forschungsvorhaben für Leiden, die mit akuten und lebensbedrohlichen Folgen für die Betroffenen verbunden sind (beispielsweise Forschung mit Unfallopfern mit massiv veränderten Blut-, Herz-, Kreislauf- und Stoffwechselparametern oder mit Krebspatienten im Endstadium ihrer Krankheit ohne Aussicht auf Heilung), unzulässig, da der potenzielle Nutzen solcher Forschungsvorhaben den beteiligten Versuchspersonen häufig nicht mehr zugute kommt.309 Ein absolutes Verbot der nicht therapeutischen Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Versuchspersonen hätte gemäß TAUPITZ zur Folge, „dass Erkrankungen und Unfallfolgen um so weitergehend von jeglicher Verbesserung in der Erkennung und Behandlung ausgeschlossen wären, je lebensbedrohlicher die Erkrankungen oder Unfallfolgen für die von ihnen Betroffenen sind“.310 Aus diesem Grund darf bei der rechtlichen Beurteilung der medizinischen Forschung mit Kindern und Jugendlichen (sowie anderen nicht einwilligungsfähigen Personen) der direkte potenzielle Individualnutzen nicht als alleiniges bzw. vorrangiges Legitimationskriterium herangezogen werden. Vielmehr erfordern die weiter oben beschriebenen Besonderheiten minderjähriger Versuchspersonen311 einen differenzierten Umgang mit dem Begriff des potenziellen Nutzens. Für eine ausgewogene ethische und rechtliche Beurteilung der Forschung mit Kindern bedarf es insbesondere einer detaillierten Bewertung von Forschungsrisiken sowie die Einhaltung weiterer Schutzkriterien.312 Eine einseitige Fokussierung auf den potenziellen Nutzen von Forschungsvorhaben ist nicht sinnvoll.
4. Kinderspezifische Ausgestaltung von Studien Bei der Planung, Ausgestaltung und Durchführung von Studien mit Kindern und Jugendlichen sind zahlreiche Besonderheiten zu berücksichtigen. Die folgenden Ausführungen sollen einen Eindruck dieser Problematik vermitteln und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ziel ist es, aufzuzeigen, wie schwierig es für Forschende sein kann, neben den rechtlichen, ethischen, wissenschaftlichen und ökonomischen Anforderungen an klinische Studien auch den Bedürfnissen der minderjährigen Versuchspersonen und deren Eltern gerecht zu werden. Zunächst werden exemplarisch einige bei der Forschung mit Minderjährigen zu beachtende Besonderheiten dargestellt und anschließend wird auf den Zeitpunkt des Einbezugs von Kindern in Arzneimittelstudien näher eingegangen. a) Besonderheiten bei der Forschung mit Kindern und Jugendlichen aa) Definition der Ausschlusskriterien Ganz grundsätzlich ist beim Design von Studien mit Kindern und Jugendlichen darauf zu achten, dass die im Prüfplan definierten Ausschlusskriterien die Stu309 310 311 312
TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 427. TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 427. Siehe oben Kapitel 1. WIESEMANN zit. Bewertung, 80.
VI. Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen
75
dienpopulation so wenig wie möglich eingrenzt.313 Dadurch wird die spätere Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Gesamtpopulation ermöglicht. Dies führt wiederum zu einer Steigerung der Effektivität solcher Studien und ermöglicht es, die Zahl der nötigen Studien tief zu halten. Ein Ausschlussgrund liegt beispielsweise dann vor, wenn die Studienbehandlung oder auch die Vergleichsbehandlung bei einem Kind kontraindiziert ist oder wenn es an einer Begleitkrankheit leidet.314 bb) Einbezug von Bezugspersonen Bei Studien mit Kindern und Jugendlichen ist ein dem Alter der minderjährigen Versuchspersonen entsprechender Einbezug ihrer Bezugspersonen in den Studienablauf zentral. Während bei Kleinkindern und Kindern im Schulalter die Anwesenheit von Bezugspersonen für die Mitwirkung der Kinder meistens unabdingbar ist, sollten bei älteren Kindern und Jugendlichen die Anamnese bezüglich persönlicher Fragestellungen sowie die Untersuchungen in Abwesenheit der Eltern erfolgen bzw. sowie den entsprechenden Wünschen der jugendlichen Versuchspersonen Folge geleistet werden.315 cc) Rücksicht auf schulische Verpflichtungen Bei der Organisation und Durchführung von Arzneimittelprüfungen mit Kindern und Jugendlichen ist Wert darauf zu legen, dass die Untersuchungen in der schulfreien Zeit stattfinden. Die Forschungsuntersuchungen sollten auch nicht in jenen Räumen durchgeführt werden, in denen sich die Kinder zwischen den Untersuchungen aufhalten. Die Räumlichkeiten sind kindgerecht zu gestalten und die Kinder und Jugendlichen sollten altersgerecht verpflegt und beschäftigt werden.316 dd) Nutzen-Risiko-Abwägung Studien mit Kindern und Jugendlichen erfordern eine der jeweiligen Altersgruppe angepasste Nutzen-Risiko-Abwägung. Beispielsweise muss bei der Planung von Studien mit jugendlichen Versuchspersonen ein möglicher Nikotin- und Alkoholkonsum sowie die Einnahme von Kontrazeptiva bedacht werden.317 ee) Belastung Medizinische Forschungsvorhaben in der Pädiatrie sind so auszugestalten, dass die erforderlichen Eingriffe die betroffenen Kinder und Jugendlichen sowohl aus psychologischer wie aus physischer Sicht möglichst wenig belasten. Auch sollten Kinder, die an einer seltenen Krankheit (orphan disease) leiden, nicht wiederholt und fortdauernd in Forschungsvorhaben einbezogen werden.318 Klinische Prüfungen zu seltenen pädiatrischen Erkrankungen sind daher vorzugsweise in multizentrischen und multinational koordinierten Studien durchzuführen.319 313 314 315 316 317 318 319
SCHWARZ, 298. SCHWARZ, 348. SCHWARZ, 292. SCHWARZ, 298. SCHWARZ, 296. SCHWARZ, 292. SCHWARZ, 297.
76
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
ff) Kindgerechte Testverfahren Ein weiteres Beispiel für Besonderheiten bei klinischen Studien mit Kindern ist die Notwendigkeit kindergerechter Testverfahren. Zur Vermeidung von Blutabnahmen bei Kindern sollte z.B. vor Beginn einer Studie bei erwachsenen Versuchspersonen geprüft werden, ob nicht auch aus anderen biologischen Proben wie Speichel oder Urin die benötigten Werte gewonnen werden können. Sind Blutabnahmen bei Kindern unumgänglich, sollte mit Mikrotests gearbeitet werden, damit die erforderliche Blutmenge klein gehalten werden kann.320 b) Zeitpunkt des Einbezugs von Kindern in Arzneimittelstudien Bevor eine neue, aktive Substanz bei Kindern und Jugendlichen geprüft wird, muss sie zuerst bei Erwachsenen ausreichend bezüglich Dosierung, Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit untersucht worden sein. Die Prüfung bei Kindern erfolgt – sofern eine Substanz in allen Altersstufen zur Anwendung gelangen soll – zunächst bei Jugendlichen, dann bei Kindern, Kleinkindern und zuletzt bei Säuglingen.321 Der Einbezug von Kindern in die oben beschriebenen verschiedenen Phasen von Arzneimittelprüfungen ist abhängig von der Art des zu prüfenden Medikaments. Wann immer möglich sollten Prüfungen mit Kindern und Jugendlichen erst dann beginnen, wenn bei Erwachsenen der eindeutige Wirksamkeitsnachweis erbracht (Phase II) oder bereits die Zulassung erteilt worden ist.322 aa) Phase-I-Studien Obwohl Phase-I-Studien vorrangig nur mit Freiwilligen und möglichst nie mit Kindern durchgeführt werden sollten,323 kann die Teilnahme von Kindern in der Praxis nicht immer ausgeschlossen werden: Dient ein neues Arzneimittel der Therapie einer lebensbedrohlichen Erkrankung, für die bisher keine wirksame Therapie bestand, können Kinder bereits in Phase I parallel oder kurz nach der Prüfung bei erwachsenen Versuchspersonen im Rahmen eines Heilversuchs behandelt werden, wenn die Möglichkeit besteht, dass die betroffenen Kinder einen potenziellen individuellen direkten Nutzen daraus ziehen. Auch dann, wenn ein zu prüfendes Medikament ausschließlich oder vorwiegend für eine Verwendung bei Kindern vorgesehen ist, kann ein Einbezug von Kindern ebenfalls in Phase I nötig werden. Der Einbezug minderjähriger Versuchspersonen in Phase-I-Studien ist grundsätzlich äußerst selten. bb) Phase II und III Ein Einbezug von Kindern in Phase-II-Prüfungen ist dann erforderlich, wenn das Arzneimittel sowohl bei Erwachsenen wie auch bei Kindern zur Anwendung gelangen soll und keine alternative wirksame Therapie vorhanden ist. Demgegenüber kann mit der Prüfung bei Kindern bis zum Abschluss der Studien mit er320 321 322 323
SCHWARZ, 298. SCHWARZ, 296. So auch CIOMS-Guideline 14, CIOMS, 67. SCHWARZ, 297. KLEIST, 2226.
VI. Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen
77
wachsenen Versuchspersonen zugewartet werden, wenn das betreffende Medikament sowohl bei Erwachsenen wie bei Kindern zum Einsatz kommt und alternative wirksame Therapien bereits vorhanden sind.324 cc) Phase IV Gerade bei Kindern sind Studien der Phase IV, d.h. Studien nach der Markteinführung eines neuen Arzneimittels, besonders wichtig, da vor der Zulassung eines Heilmittels dessen Sicherheitsprofil zumeist kaum ausreichend durch klinische Prüfungen mit Minderjährigen erfasst werden kann.325 Eine aussagekräftige Nutzenbewertung eines Arzneimittels unter Alltagsbedingungen kann gemäß dem aktuellen medizinischen Wissensstand frühestens drei Jahre nach der Zulassung erfolgen.326 Aufgrund der geringen Zahl327 von Studien mit Kindern und der kleinen Studienpopulation ist das Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen nach der Zulassung eines Präparates in der Pädiatrie ein bekanntes Problem.328 Prospektive, nicht intervenierende Langzeitstudien nach der Zulassung von Arzneimitteln dienen dazu, diese unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu erkennen und die Kenntnisse über die Pharmakokinetik und -dynamik der Substanz bei den verschiedenen Altersgruppen und Krankheitsbildern zu verbessern.329
5. Komplexe Entscheidungssituationen in der pädiatrischen Forschung Die vorangegangenen Ausführungen machen deutlich, dass bei Forschungsvorhaben mit Kindern und Jugendlichen vielerlei Besonderheiten zu beachten sind. Zudem ist die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben für die betroffenen Kinder und ihre Familien zumeist nicht etwas Alltägliches. Deshalb wird abschließend die pädiatrische Forschung aus der Sicht der betroffenen Kinder und ihrer Eltern betrachtet und untersucht, welche Faktoren den Entscheid über eine allfällige Teilnahme eines Kindes an einem Forschungsvorhaben beeinflussen. a) Bedeutung der ersten Kontaktaufnahme Vor und während der Teilnahme eines Kindes an einem Forschungsvorhaben erhalten die Eltern und das Kind mündliche und schriftliche Informationen. Es ist 324 325 326 327
328
329
SCHWARZ, 297. SCHWARZ, 299. SCHWARZ, 517. Es müssten 3000 Patienten mit einem Arzneimittel behandelt und exakt untersucht worden sein, um diejenigen unerwünschten Arzneimittelwirkungen einmal beobachten zu können, die mit einer Häufigkeit von 0,1 Prozent auftreten können. Eine solche Zahl von Patienten wird vor der Zulassung eines Arzneimittels selten überprüft, erst recht nicht im Bereich der Pädiatrie. Siehe hierzu SCHWARZ, 47 f. SCHWARZ, 299 nennt Zahlen von 5,6–16,8 Prozent aller zu einer Behandlung in eine Kinderklinik aufgenommenen Kinder und 4,7–7,8 Prozent der ambulant behandelten Kinder. SCHWARZ, 299.
78
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
für die spätere Entscheidung pro oder contra eine Teilnahme an einer Studie von großer Bedeutung, in welchem Kontext, durch wen und in welcher Weise ein Kind und seine Familie auf eine Teilnahme an eine klinische Studie angesprochen bzw. über ein Forschungsvorhaben informiert werden.330 Dieser erste Kontakt entscheidet oftmals bereits darüber, ob ein Kind daran teilnimmt oder nicht. b) Einflussfaktoren Die Aufnahme und das Verständnis von Informationen zu einem Forschungsvorhaben durch das betroffene Kind und seine Eltern, sowie ihr Entscheid über die Teilnahme werden von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Nachfolgend werden die wichtigsten davon vorgestellt. aa) Ausgestaltung des Forschungsvorhabens Die Art und das Ziel eines Forschungsvorhabens, d.h. seine Ausgestaltung und der mögliche direkte Nutzen für ein Kind sowie die mit der Studie verbundenen Risiken und Belastungen sind zentrale Kriterien für die Entscheidung über eine Teilnahme. Ausschlaggebend kann auch sein, ob ein Forschungsvorhaben im Rahmen einer Behandlung durchgeführt wird oder ob es sich um ein reines Forschungsprojekt handelt.331 bb) Rahmenbedingungen der Informationsvermittlung Für die Entscheidungsfindung sind auch die Rahmenbedingungen der Informationsvermittlung von Bedeutung. Besonders wichtig ist dabei die Verständlichkeit der Informationen. Ebenso spielt die Wahl der Sprache und der Sprachebene eine wichtige Rolle.332 Ohne Zweifel ist eine dem Verständnisniveau des betroffenen Kindes und der Eltern angepasste Informationsvermittlung in ihrer Muttersprache am geeignetsten. Dies bestätigt eine in England durchgeführte Befragung von Eltern, die in die Teilnahme ihres Kindes an einer Arzneimittelstudie eingewilligt haben. Die Studie ergab, dass die Herkunft der Eltern (aus dem westlichen Kulturkreis oder aus nicht westlichen Kulturkreisen) und ihre Sprachkenntnisse maßgebende Faktoren für ihr Verständnis der Informationen zur Studie waren.333 Neben der Sprache kann auch die äußere Präsentation der Informationen deren Verständlichkeit fördern. Unter der äußeren Präsentation sind die visuelle Ausgestaltung, die Kombination von Schrift und Bildern und der Umfang zu verstehen. Für die Aufnahme und Verarbeitung der Informationen ist zudem wesentlich, in welchen zeitlichen Abständen sie den Familien vermittelt werden. Möglich sind eine einmalige, eine mehrmalige oder eine stufenweise aufgebaute Informationsvermittlung. Das Einräumen einer Bedenkzeit und die Schaffung einer Anlauf330 331 332
333
SPRUMONT/BÉGUIN, 897. CALDWELL/MURPHY/BUTOW/CRAIG, 807. JUNOD, 360 verweist auf Untersuchungen, welche die Qualität und die Verständlichkeit von schriftlichen Informationen und Einwilligungsformularen zu klinischen Studien prüften. Die Resultate zeigen große Unterschiede. Manche der geprüften Formulare seien kaum lesbar und nur schwer verständlich. VAN STUIJVENBERG/SUUR/DE VOS/TJIANG/STEYERBERG ET AL., 120 ff.
VI. Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen
79
stelle für weitere Fragen können hilfreich sein. Ebenso von Bedeutung ist, unter welchen äußeren und räumlichen Bedingungen ein Kind und seine Eltern mit Informationen zu einem Forschungsvorhaben konfrontiert werden (Notaufnahme, Praxis des vertrauten Arztes, Krankenzimmer des Kindes). cc) Die informierende Person Neben den aufgezählten äußeren Bedingungen und der Form der Aufklärung sowie der Art und Weise ihrer Vermittlung ist auch die informierende Person von zentraler Bedeutung. Kein noch so sorgfältig ausgestaltetes Aufklärungsformular vermag einen direkten zwischenmenschlichen Kontakt zu ersetzen. Demzufolge kommt der ersten Person, die ein Kind und seine Familie auf eine Teilnahme an einer Studie anspricht, eine wichtige Aufgabe zu. Auch für den weiteren Verlauf des Entscheidungsprozesses und für die Betreuung während und nach einem Forschungsvorhaben ist wesentlich, auf welche Gesprächspartner eine Familie stößt.334 dd) Die Vertreter des Kindes Zusätzlich sind die Voraussetzungen maßgebend, welche die Vertreter des betroffenen Kindes mitbringen.335 Zu diesen Voraussetzungen zählen beispielsweise das soziale Umfeld der Familie und der Bildungsgrad der Eltern. JUNOD verweist in diesem Zusammenhang auf Studien, die aufzeigen, dass zumeist nur gut ausgebildete Personen in der Lage sind, die schriftlichen Informationen zu Studien so weit zu verstehen, dass sie daraus einen Nutzen ziehen. Auch wurde festgestellt, dass viele Versuchspersonen die Einwilligungsformulare vor Unterzeichnung nicht vollständig lesen.336 Es ist aber denkbar, dass Eltern über eigene Erfahrungen als Studienteilnehmer verfügen oder aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit oder ihrer eigenen Krankheitsgeschichte vertiefte medizinische Kenntnisse haben. Sodann kann die ideologische und religiöse Einstellung der Eltern ihre Entscheidungen beeinflussen. Zudem sind für die Willensbildung der Eltern die Art und die Qualität des Verhältnisses zu den behandelnden Ärzten von Bedeutung. Und nicht zuletzt ist – je nach Ausgestaltung eines Forschungsvorhabens – auch die zeitliche Verfügbarkeit der Eltern entscheidend. ee) Das betroffene Kind Auch das betroffene Kind bestimmt den Entscheidungsprozess mit.337 Die Einflussnahme des Kindes wird je nach Art und Schwere seines Leidens und entsprechend seinem Alter und individuellen Entwicklungsstand unterschiedlich ausfallen. Auch sein Charakter, seine persönlichen Krankheitserfahrungen und seine Beziehung zu den behandelnden Ärzten sind für die Entscheidungsfindung von
334 335 336 337
CALDWELL/MURPHY/BUTOW/CRAIG, 806 f. CALDWELL/MURPHY/BUTOW/CRAIG, 807. JUNOD, 359 f. CALDWELL/MURPHY/BUTOW/CRAIG, 807.
80
Kapitel 2: Grundlagen und Definitionen
Bedeutung. Ganz besonders wichtig ist das Verhältnis zwischen einem Kind und seinen Eltern.338 c) Komplexe Entscheidungssituationen Die obigen Beispiele möglicher Einflussfaktoren verdeutlichen, wie komplex Entscheidungssituationen im medizinischen Kontext sein können, insbesondere wenn sie Kinder betreffen.339 Für viele medizinische Eingriffe bei Kindern sind die Entscheide einfach. Zu denken ist beispielsweise an die ärztliche Versorgung einer Schnittwunde. Daneben bestehen aber auch viele Fälle, in denen Familien im Bezug auf die medizinische Behandlung ihres Kindes mit anspruchsvollen Entscheidungssituationen konfrontiert werden. Dies trifft besonders auf Entscheidungen über die Teilnahme eines Kindes an einem Forschungsvorhaben zu. Denn hinter der Zustimmung oder Ablehnung des Kindes und seiner Familie steht kaum je allein die durch Aufklärung gewonnene Einsicht in die Notwendigkeit des Forschungsvorhabens. Vielmehr entscheiden sich Eltern aus vielerlei Gründen für oder gegen die Teilnahme ihres Kindes an einem Forschungsvorhaben. Beispielsweise können sich Eltern zu einer Beteiligung verpflichtet fühlen.340 Oder die Zustimmung der Eltern gründet in Erwartungen und Hoffnungen, dass ihr Kind durch eine Studienteilnahme eine bessere Pflege und Betreuung erhält.341 Dabei ist zu beachten, dass die betroffenen Familien häufig medizinische Laien sind und unter Umständen über medizinische Eingriffe entscheiden müssen, deren Tragweite sie auch bei umfassender und sorgfältiger Aufklärung nicht vollumfänglich verstehen können. Regelmäßig wird sich eine Familie schon durch die Krankheit oder einen Unfall ihres Kindes in einer Ausnahmesituation befinden. Werden die Eltern und das betroffene Kind in solchen Situationen noch mit der Möglichkeit einer Teilnahme an einer Studie konfrontiert, können sie überfordert sein. Klar ist, dass das richtige Maß und die richtige Form der Informationsvermittlung zu Forschungsvorhaben für ein Kind und sein Umfeld nicht im Vornherein festgelegt werden können. Auf jeden Fall muss verhindert werden, dass auf das Kind und seine Vertreter in irgendeiner Weise Druck ausgeübt wird.342 Untersuchungen zum informed consent Prozedere und den Gründen für die Zustimmung von Vertretern eines Kindes ergaben, dass das Verständnis der Eltern durch einfach und klar formulierte Informationen gesteigert werden kann.343 Die Problematik lässt sich mit rechtlichen Mitteln nur beschränkt lösen. Wohl können minimale Anforderungen an die Form, den Inhalt und die zeitlichen und personellen Umstände der Aufklärung zu einem Forschungsvorhaben rechtlich 338 339 340
341 342 343
Siehe dazu Kapitel 4 III.2. Siehe dazu DAHL/HOFFMANN/STYLLOS/WIESEMANN, A2554; DAWSON/SPENCER, 233 ff. Bei einer in England durchgeführten Befragung von Eltern, die in die Teilnahme ihres Kindes an einer Studie eingewilligt haben, fühlten sich von total 181 befragten Eltern 45 (25 Prozent der Befragten) zur Zustimmung verpflichtet. VAN STUIJVENBERG/SUUR/ DE VOS/TJIANG/STEYERBERG ET AL., 122. DAHL/HOFFMANN/STYLLOS/WIESEMANN, A2554. SPRUMONT/BÉGUIN, 897. VAN STUIJVENBERG/SUUR/DE VOS/TJIANG/STEYERBERG ET AL., 120 ff.
VI. Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen
81
festgelegt werden.344 Das Recht ist jedoch nicht in der Lage, das für eine bestmögliche Information und Betreuung der minderjährigen Versuchspersonen und ihrer Familien nötige Einfühlungsvermögen und Verantwortungsbewusstsein bei den verantwortlichen Ärzten und dem Studienpersonal normativ festzuhalten.
344
Zahlreiche Normen zur Humanforschung enthalten entsprechende Vorschriften für die Aufklärung von Versuchspersonen sowie ihrer Vertreter. Siehe dazu hinten Kapitel 4 II.3., 5.
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
I. Einleitung 1. Gesundheitsrecht – das moderne Labyrinth der geregelten Welt Das dritte Kapitel der vorliegenden Abhandlung ist den Rechtsgrundlagen der Humanforschung im Allgemeinen und der medizinischen Forschung mit Minderjährigen im Besonderen gewidmet. Das Gesundheitsrecht – im Sinne eines Oberbegriffs – umfasst ein weites Feld und gehört mit seinem komplexen Neben- und Miteinander zahlreicher Normen verschiedenster Stufen und mit unterschiedlicher Bindfungskraft „zum modernen Labyrinth der geregelten Welt“.1 Zum Begriff des Gesundheitsrechts sei hier auf die Definition von POLEDNA verwiesen: „Das Gesundheitsrecht umfasst alle Rechtsnormen sei es auf internationaler, Bundes-, kantonaler oder kommunaler Ebene, welche Fragen der Gesundheit und des Gesundheitswesens betreffen. Dazu gehören sowohl Bestimmungen aus dem Bereich des Staats- und Verwaltungsrechts sowie des Sozialversicherungsrechts als auch aus dem Gebiet des Privatrechts sowie strafrechtliche Tatbestände. Das Gesundheitsrecht besteht aus spezifischen Verfassungsbestimmungen, Gesetzen, Staatsverträgen und Konkordaten sowie aus Verordnungen. Es wird ergänzt durch die von öffentlichen Betrieben erlassenen Weisungen und Richtlinien und maßgeblich weiter entwickelt und konkretisiert durch Entscheidungen von Verwaltungsbehörden und Gerichten. Im weitesten Sinne können auch private Normen, wie beispielsweise die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften, zum Gesundheitsrecht gerechnet werden. Das Gesundheitsrecht umschreibt die Rahmenbedingungen für das Gesundheitswesen insgesamt und bestimmt dessen Strukturen; es regelt den Betrieb von Organisationen, und nicht zuletzt ordnet es die Verhältnisse zwischen individuellen Personen.“ 2
Die Definition zeigt auf, wie vielfältig die Grundlagen des Gesundheitsrechts sind. Neben Erlassen des Landes- und Völkerrechts bestehen berufsständische Normen, internationale Harmonisierungsregeln sowie Regelungen privaten Ursprungs aus den Fachbereichen der Medizin und Ethik. Den Normen außerhalb des staatlichen 1 2
HONSELL, 3. POLEDNA/BERGER, Zusammenfassung vor Rn. 14. Zum Begriff Gesundheitsbereich siehe auch SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 10.
84
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Rechts kommt nur eine beschränkte oder gar keine rechtliche Bindungswirkung zu. Sie wirken jedoch meinungsbildend auf die nationale und internationale Rechtsetzung ein und schaffen Leitplanken, wo gesetzliche Normen gänzlich fehlen.3 Erste Regelungen zur medizinischen Forschung mit Versuchspersonen entstanden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts.4 Sie wurden meistens unter dem Eindruck von bekannt gewordenen und in der Öffentlichkeit umstrittenen Forschungsuntersuchungen geschaffen. Beispielsweise erließ der Preußische Kultusminister im Jahre 1900, nachdem die Syphilis-Versuche von Albert Neißer bekannt wurden, „Anweisung an die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten“.5 Mit der zunehmenden Entwicklung der medizinischen Wissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm auch die Kritik an Forschungsuntersuchungen mit Menschen zu. Dies führte in der Weimarer Republik zum Erlass der „Richtlinien für neuartige Heilbehandlungen und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen“ des Reichsministers des Innern vom 28. Februar 1931.6 Nach den in der Geschichte beispielslosen Verbrechen im Namen der Forschung unter der nationalsozialistischen Herrschaft im Zweiten Weltkrieg7 wurde 1947 mit dem Nürnberger Kodex das erste internationale Dokument mit fundamentalen Grundsätzen zur medizinischen Forschung mit Versuchspersonen geschaffen.8 Der Nürnberger Kodex geht auf die Nürnberger Prozesse gegen Nazi-Ärzte zurück.9 Als zentraler Grundsatz der Forschung mit Versuchspersonen nennt der Kodex die freiwillige Zustimmung der Versuchspersonen. Als weitere Voraussetzungen verlangt der Kodex die Aufklärung der Versuchspersonen sowie ein Überwiegen des Nutzens über die Risiken. Der Nürnberger Kodex verbietet medizinische Forschung mit Einwilligungsunfähigen, die keine selbstbestimmten Entscheidungen fällen können. Der Kodex unterscheidet nicht zwischen therapeutischer und nicht therapeutischer Forschung.10 Seit den 60erJahren des 20. Jahrhunderts entstand auf nationaler wie auf internationaler Ebene eine Vielzahl normativer Vorgaben für die medizinische Forschung mit Menschen. Diese zunehmende Normierung fand auf internationaler wie auf nationaler Ebene statt. Einerseits wurden Normen des staatlichen Rechts geschaffen und andererseits Normen der Selbstregulierung von Verbänden, der
3 4
5 6 7
8 9 10
Siehe dazu LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 2. Zu den Regelungen zur medizinischen Forschung vor 1945 siehe MAGNUS, 86 f. m.w.N.; STAMER, 11 f.; KLOESEL/CYRAN, § 40, Rz. 2. STAMER, 11 f. Siehe dazu MAIO zit. Ethik, 291 ff. Siehe hierzu die bereits in Kapitel 1 genannte Dokumentation über die gezielte Tötung unzähliger Kinder und ihr Missbrauch für die Forschung in der Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“ in Wien (ab Juli 1942 „Wiener städtische Nervenklinik für Kinder“) von HÄUPL. Siehe auch die kurze Übersicht bei MAGNUS, 87 ff. SPRUMONT, 247. MAGNUS, 91 m.w.N. MAGNUS, 91; SPRUMONT, 245.
I. Einleitung
85
Industrie und Forschungseinrichtungen in der Form von Standesregeln, ethischen Richtlinien und einheitlichen Technologie-, Qualitäts- und Sicherheitsstandards. In der Folge bestehen heute für die medizinische Forschung mit Versuchspersonen neben den internationalen und nationalen Spezialerlassen Vorgaben im Verfassungs- und Völkerrecht sowie Normen von Wissenschafts- und Berufsorganisationen.11 Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie die Rahmenbedingungen der Humanforschung gestalten Sie unterscheiden sich allerdings sowohl inhaltlich wie auch in ihrer rechtlichen Bindungswirkung und ihrer Durchsetzbarkeit erheblich. Nicht immer werden diese rechtlichen, medizinischen und ethischen Normen zur Humanforschung klar voneinander unterschieden.12 Sie beeinflussen sich aber auch gegenseitig und nehmen aufeinander Bezug. Diese Verweise sind nicht unproblematisch. Insbesondere dann, wenn staatliche Normen auf nicht staatliche Regelungen verweisen oder die Normtexte sich widersprechen.
2. Übersicht Die auf Forschungsuntersuchungen mit Versuchspersonen anwendbaren Normen lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe bilden Bestimmungen zum Persönlichkeitsschutz der Patienten und Versuchspersonen, die zweite Gruppe umfasst spezifische Regelungen zur Humanforschung. Zur ersten Gruppe gehören u.a. Normen des völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grund- und Menschenrechtsschutzes sowie des Zivil- und Strafrechts. Diese Normen wurden nicht mit Blick auf die medizinische Forschung geschaffen. Sie enthalten jedoch die Grundlagen des in allen Bereichen des menschlichen Lebens geltenden Persönlichkeitsschutzes, der in der Humanforschung von zentraler Bedeutung ist. Im Gegensatz zu dieser ersten Gruppe wurden die Normen der zweiten Gruppe spezifisch im Hinblick auf die rechtlichen, ethischen und technischen Fragestellungen der Forschung mit Versuchspersonen geschaffen. Aufgrund dieser Spezialisierung finden sie außerhalb der Humanforschung keine oder nur eine sehr beschränkte Anwendung. Diese Spezialnormen können ihrerseits in zwei Gruppen eingeteilt werden. Eine erste Gruppe befasst sich primär mit dem Schutz von Versuchspersonen. Die zweite Gruppe der Spezialnormen zur Humanforschung regelt technische und ökonomische Aspekte der Forschung. Diese Normen enthalten u.a. Zulassungsanforderungen, setzen einheitliche Qualitäts- und Sicherheitsstandards, stellen die Austauschbarkeit der Forschungsresultate und ihre grenzüberschreitende Anerkennung sicher. Die beiden Gruppen Spezialnormen zur Humanforschung lassen sich allerdings nicht streng voneinander trennen. Einige Regelwerke enthalten sowohl Bestimmungen zum Schutz der Versuchspersonen wie auch technische Vorgaben. Die nachfolgenden Darstellung der Rechtsgrundlagen der medizinischen Forschung mit Minderjährigen ist wie folgt gegliedert: Zuerst werden die auf die 11 12
Siehe dazu GUILLOD zit. Recht, 63 ff. Dazu kritisch auch GUILLOD zit. Recht, 63 ff., 70. Er diskutiert diese Problematik am Beispiel der Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Siehe dazu auch unten AIII.2.e) und AIII.3.e).
86
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Humanforschung anwendbaren Normen des internationalen Rechts dargestellt (II). Anschließend folgen Ausführungen zu den nationalen Regelungen der Schweiz (III) und Deutschland (IV). Zum Abschluss des dritten Teils wird auf die rechtlichen Grundsätze der medizinischen Forschung mit Minderjährigen eingegangen (V).
II. Internationales Recht Auf internationaler Ebene sind für die medizinische Forschung mit Versuchspersonen zunächst einmal die allgemeinen völkerrechtlichen Menschenrechtsgarantien von Bedeutung. Auch wenn sie nicht speziell im Hinblick auf die Forschung mit Versuchspersonen geschaffen wurden, gelangen sie auf entsprechende Sachverhalte und Fragestellungen zur Anwendung. Sie schützen einerseits die Rechte der Versuchspersonen und andererseits die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung. Diese völkerrechtlichen Normen richten sich primär an die Staaten. Die Schweiz folgt dem monistischen Prinzip, wonach von der Schweiz ratifizierte völkerrechtliche Verträge unmittelbare Geltung erlangen und nicht zuerst in innerstaatliches Recht umgesetzt werden müssen.13 Als Folge davon ist das gesamte schweizerische Verfassungs-, Gesetzes- und Verordnungsrecht im Einklang mit den völkerrechtlichen Normen auszulegen und anzuwenden (Art. 5 Abs. 4 BV).14 Nach schweizerischer Praxis gelten völkerrechtliche Bestimmungen dann als direkt anwendbar (self-executing), wenn sie inhaltlich hinreichend bestimmt und klar sind, sodass sie im Einzelfall die Grundlage eines Entscheides bilden können.15 Ist eine völkerrechtliche Norm direkt anwendbar, hat sie im Konfliktfall Vorrang vor dem Landesrecht.16 Neben den Normen des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes finden sich auf internationaler Ebene Spezialnormen, die spezifisch für die Humanforschung geschaffen wurden. Hervorzuheben ist dabei die Biomedizinkonvention des Europarates und ihre Zusatzprotokolle. Sie ist der einzige völkerrechtlich bindende Vertrag im Bereich der Humanforschung und damit von besonderer Bedeutung. Die Konvention und ihr Zusatzprotokoll zur Humanforschung werden nachfolgend unter III.2.b) besprochen. Die übrigen internationalen Spezialnormen zur Humanforschung sind in ethische Kodizes, in Standesregeln und Erklärungen internationaler Organisationen gefasst. Diese Regelungen sind Ausdruck einer bestimmten ethischen und rechtlichen Haltung und binden in erster Linie nur die Mitglieder der entsprechenden Organisationen. Darüber hinaus kommt ihnen nur eine beschränkte oder keine Rechtswirkung zu. Diese unterschiedlichen Cha-
13 14 15
16
MÜLLER/WILDHABER, 153 ff.; STEIN/VON BUTTLAR, Rn. 176 ff. WYTTENBACH, 110 m.w.V. BGE 120 Ia 1 E.5.b; MÜLLER/WILDHABER, 182 ff.; MÜLLER GEORG, Rz. 424; STEIN/ VON BUTTLAR, Rn. 187 f. WYTTENBACH, 110 m.w.V.
II. Internationales Recht
87
raktere der internationalen Normen zur Humanforschung, sind bei ihrer nachfolgenden Darstellung stets in Erinnerung zu halten. Von den genannten völkerrechtlichen Normen und internationalen Regelungen zur Humanforschung ist das Recht der Europäischen Gemeinschaften zu unterscheiden. Zahlreiche Bestimmungen der Gemeinschaftsverträge und des Sekundärrechts sind in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar und gehen bei einem Konflikt dem nationalen Recht vor. Auch beeinflussen die gemeinschaftliche Rechtssetzung und -entwicklung sowie die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) das nationale Recht der Mitgliedstaaten. Nachfolgend werden in einem ersten Abschnitt ausgesuchte Normen des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes im Hinblick auf Regelungen untersucht, die auf Fragestellungen der Humanforschung – insbesondere der medizinischen Forschung mit Kindern und Jugendlichen – anwendbar sind. Der zweite Abschnitt befasst sich mit den spezifisch für die Humanforschung geschaffenen Normen auf internationaler Ebene. Das Recht der Europäischen Gemeinschaften zur medizinischen Forschung mit Kindern und Jugendlichen wird sodann gesondert dargestellt.
1. Völkerrechtlicher Menschenrechtsschutz a) Bill of Human Rights Die drei grundlegenden Menschenrechtsdokumente der Vereinten Nationen, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 (AEMR), der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UN-Pakt I) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Pakt II) von 1966 bilden gemeinsam die Bill of Human Rights. Sie begründen damit die Basis eines mittlerweile weit verzweigten völkerrechtlichen Menschenrechtssystems, das durch weitere Konventionen und Deklarationen konkretisiert und ausgebaut wurde und wird.17 In der Menschenrechtserklärung, wie auch in den beiden Pakten, finden sich Garantien, die im Zusammenhang mit der Humanforschung und insbesondere der Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen von Bedeutung sind. Dazu gehört in erster Linie der allen Normen des internationalen und nationalen Gesundheitsrechts zugrunde liegende Schutz der Menschenwürde. Die Menschenwürde wird in den Präambeln der AEMR und der beiden UN-Pakte genannt.18 Die Achtung der Würde des Menschen hat in der Forschung immer Vorrang vor den Interessen der Wissenschaft und der Gesellschaft.19 Letztlich leiten sich alle Menschenrechte aus dem Grundsatz der Menschenwürde ab.20 Im Kontext der Medizin 17 18
19 20
HAMM, 26. SCHWEIZER/SPRECHER, 129 f., 134 ff. Auf die zentrale Bedeutung der Menschenwürde im medizinisch-ethischen Kontext weisen zahlreiche internationale Dokumente und Erklärungen hin. Siehe dazu die Aufzählung bei BODENDIEK/NOWROT, 181. BODENDIEK/NOWROT, 181 f. BODENDIEK/NOWROT, 181 m.w.H. in Fn. 19. Zur Bedeutung der Menschenwürde als Grundnorm des Völkerrechts siehe auch SCHWEIZER/SPRECHER, 127 ff.
88
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
und der Forschung konkretisiert sich der Schutz der Menschenwürde der Patienten und Versuchspersonen im Prinzip des informed consent. Dieses verlangt die vorgängige Aufklärung und Einwilligung der Betroffenen bei allen medizinischen Eingriffen. Personen die nicht in der Lage sind, selbstständig ihre Einwilligung zu erteilen, gelten als besonders schutzbedürftig. Dieser Grundsatz der Humanforschung ist in Art. 7 UN-Pakt II festgeschrieben.21 Auch andere Menschenrechtsnormen schützen den Grundsatz der freien und informierten Einwilligung, ohne explizit auf die medizinische Forschung Bezug zu nehmen: Folterverbot (Art. 5 AEMR), Recht auf Leben (Art. 6 UN-Pakt II, Art. 3 AEMR) und Schutz der Privatsphäre (Art. 17 UN-Pakt II, Art. 12 AEMR). aa) Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Bis heute hat die AEMR22 nichts von ihrer Universalität und Bedeutung eingebüßt.23 Seit ihrer Annahme 1948 diente die Erklärung als Grundlage für unzählige internationale und regionale Menschenrechtsdokumente24 und wurde bei der Ausarbeitung vieler Verfassungen und nationaler Gesetze herangezogen. Auch nehmen Erklärungen zahlreicher Staaten sowie internationale Gerichtsentscheidungen auf sie Bezug.25 Nicht zuletzt bildet sie auch die Basis für die verschiedenen Individualbeschwerdeverfahren im Bereich der Menschenrechte, die seit 1948 entwickelt wurden.26 Obwohl die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) keine spezifischen ethischen und medizinrechtlichen Bestimmungen und Rechte des Kindes enthält, lassen sich aus einigen ihrer Bestimmungen Vorgaben für die Forschung mit Minderjährigen gewinnen: Grundsatz des Respekts der Menschenwürde (Präambel), Diskriminierungsverbot (Art. 2), Folterverbot (Art. 5), Schutz der Privatsphäre (Art. 8), Anspruch der Familie als natürliche und grundlegende Einheit der Gesellschaft auf Schutz durch Gesellschaft und Staat, (Art. 16 Abs. 3), Anspruch auf ärztliche Betreuung (Art. 25 Abs. 1), Anspruch von Mutter und Kind auf Hilfe und Unterstützung (Art. 25 Abs. 2). bb) UN-Pakt I Die direkte Anwendbarkeit der Bestimmungen des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ist umstritten.27 Das Bundesgericht erachtet die Garantien des UN-Paktes I grundsätzlich für nicht direkt anwendbar.28 Entsprechend besteht keine Klagemöglichkeit aufgrundlage des UN-Paktes I, sondern einzig eine Berichtspflicht der Staaten an den Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen. Die Bestimmungen des UN-Paktes I haben damit primär einen programmatischen Charakter und dienen den Staaten als Leitplanken bei der 21 22 23 24 25 26 27 28
Siehe dazu unten II.1.a.cc. Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen Nr. 217A (III) (1948). DOEHRING, Rz. 972. Siehe beispielsweise die Aufzählung bei STERN, 6 ff., 258 f. HENKIN/CRAWFORD PUGH/SCHACHTER/SMIT, 608; STERN, 257 ff. MÅRTENSON, 23. STEFFEN/GUILLOD, 353 f.; WYTTENBACH, 128 m.w.V. WYTTENBACH, 128 mit Verweis auf BGE 120 Ia 1 E.5.
II. Internationales Recht
89
Ausarbeitung nationaler Gesetze. Insoweit sind folgende Bestimmungen des UNPaktes I für den Schutz und die bestmögliche Entwicklung der Kinder sowie für die nationale Gesetzgebung zur Forschung am Menschen maßgebend: Gemäß Art. 10 Abs. 1 genießt die Familie als natürliche Keimzelle der Gesellschaft größtmöglichen Schutz und Beistand.29 Art. 10 Abs. 2 garantiert den Anspruch der Mütter auf Schutz nach der Niederkunft. Art. 10 Abs. 3 statuiert die Notwendigkeit von Sondermaßnahmen zum Schutz und Beistand für alle Kinder und Jugendlichen und ihren Schutz vor wirtschaftlicher und sozialer Ausbeutung.30 Art. 11 gibt allen Menschen das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard. Art. 12 garantiert das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit. Besonders hervorzuheben ist die Verpflichtung der Staaten aus Art. 12 Abs. 2 Lit. a zur Senkung der Kindersterblichkeit und Förderung der gesunden Entwicklung der Kinder. Minderjährigen steht zudem aus Art. 13 Abs. 1 das Recht auf Bildung zu.31 Das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit in Art. 12 UN-Pakt I lag der Schaffung von Art. 24 der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen32 zugrunde.33 Im Vergleich mit Art. 12 UN-Pakt I ist Art. 24 KRK detaillierter und orientiert sich entsprechend dem Sinn und Zweck der Konvention an den besonderen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen. cc) UN-Pakt II Von den Bestimmungen des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ist für die Forschung am Menschen – neben anderen fundamentalen Rechten wie beispielsweise dem Recht auf Leben (Art. 6) und dem Recht auf Privatleben (Art. 17)34 – insbesondere Art. 7 Satz 2 von Bedeutung: „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Insbesondere darf niemand ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen wer-
29 30 31
32 33
34
WYTTENBACH, 125 f. WYTTENBACH, 127 f. WYTTENBACH, 127. Zur fundamentalen Bedeutung der Bildung für die Ausübung der Persönlichkeitsrechte im medizinischen Kontext siehe EIDE/EIDE, 6. Dazu unten II.2.c.cc. DETRICK, 399, 401 ff. Entsprechend sind die General Comments des UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights zur Erläuterung von Art. 24 KRK beizuziehen. Art. 17 UN Pakt II verbietet willkürliche oder rechtswidrige Eingriffe in das Privatleben oder die Familie und schützt damit die persönliche Integrität des Einzelnen. Diese umfasst auch die freie Verfügung über den eigenen Körper, wodurch eine medizinische Behandlung gegen den Willen eines Patienten gemäß Art. 17 UN Pakt II einen unzulässigen Eingriff in das Privatleben darstellt. Bei der Ausarbeitung von Art. 17 wurde die Horizontalwirkung der Bestimmung und damit positive Gewährleistungspflichten der Vertragsstaaten ausdrücklich anerkannt. NOWAK zit: UNO-Pakt II, Art. 17, Rz. 6 f., 18. Zu den Rechten der Kinder und der Eltern unter dem UN Pakt II siehe WYTTENBACH, 114 ff.
90
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
den.“35 Die unter dem Eindruck der grausamen Menschenversuche der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg geschaffene Bestimmung36 verankert das Selbstbestimmungsrecht der Versuchspersonen und damit den Grundsatz der freiwilligen Zustimmung zum ersten Mal in der Geschichte als ein weltweit geltendes, die Staatengemeinschaft bindendes Individualrecht im Bereich der Humanforschung.37 Indem der Wortlaut von Art. 7 Satz 2 nur die freiwillige Zustimmung nennt, scheint jegliche Forschung mit Nichteinwilligungsfähigen unzulässig. Aus den Materialien38 zu Art. 7 UN-Pakt II ist jedoch ersichtlich, dass unter Berücksichtigung ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit auch mit Nichteinwilligungsfähigen geforscht werden kann, sofern dabei die Integrität der Versuchspersonen gewahrt bleibt und Forschungsvorhaben keine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe darstellen.39 Zu Art. 6 und 7 ist weiter anzumerken, dass sie gemäß Art. 4 unter keinen Umständen außer Kraft gesetzt werden dürfen, selbst nicht im Falle eines öffentlichen Notstandes.40 Ohne Zweifel stehen auch Minderjährige unter dem Schutz der Garantien aus Art. 6 und 7, so wie sie durch alle anderen Garantien des Paktes geschützt sind.41 Im Zusammenhang mit medizinischer Forschung mit Minderjährigen ist auch Art. 24 UN Pakt II zu berücksichtigen. Art. 24 Abs. 1 sichert jedem Kind ohne Diskriminierung „[…] das Recht auf diejenigen Schutzmaßnahmen durch seine Familie, die Gesellschaft und den Staat [zu], die seine Rechtsstellung als Minderjähriger erfordert“. Damit berücksichtigt und regelt Art. 24 den besonderen Status von Minderjährigen und enthält gemäß WYTTENBACH vier Kernaussagen: „Das Kind ist grundsätzlich schutzbedürftig, es kommt ihm eine besondere Rechtsstellung zu, es hat einen Anspruch auf Schutz durch Familie, Gesellschaft und Staat und darf beim Genuss dieser Schutzleistungen nicht diskriminiert werden.“42 NOWAK hält fest, dass gemäß Art. 24 primär die Familie43 für den Schutz und die Erziehung des Kindes verantwortlich ist.44 Erst subsidiär, wenn die Eltern und weitere mit der Erziehung eines Kindes betraute Personen ihren Pflichten nicht nachkommen, hat der Staat einzugreifen.45 Zudem statuiere Art. 24 umfassende Gewährleistungspflichten des Staates gegenüber allen seiner Jurisdiktionsgewalt unterstehenden Kindern: „Der Schutz ist insofern umfassend, als er 35
36
37 38
39
40 41 42 43
44 45
Zur Entstehungsgeschichte und zur Bedeutung von Art. 7 UN-Pakt II siehe CARLSON/GISVOLD, 73 ff. CARLSON/GISVOLD, 75; NOWAK zit: UNO-Pakt II, Art. 7 Rz. 24 m.w.H.; ROSENAU, 109. LIPP, 189; ROSENAU, 109; SPRUMONT, 245 f. General Comments zu Art. 7 UN-Pakt II, abgedruckt bei NOWAK zit: UNO-Pakt II, 880 f. NOWAK zit: UNO-Pakt II, Art. 7 Rz. 24–32 m.w.H.; ROSENAU, 109 f. Dazu auch TAUPITZ zit. Biomedizinische Forschung, 117. BAIR, 24; CARLSON/GISVOLD, 73. WYTTENBACH, 124. WYTTENBACH, 117. Familie in einem weit verstandenen Sinn. Dazu NOWAK zit: UNO-Pakt II, Art. 24 Rz. 4 mit Verweis auf Art. 23 Rz. 8. WYTTENBACH, 118. WYTTENBACH, 118.
II. Internationales Recht
91
sich einerseits gegen Eingriffe staatlicher Behörden wie Privater einschließlich der eigenen Eltern (z.B. im Fall von Missbrauch oder Verwahrlosung) richtet, aber auch positive gesetzliche, administrative und sonstige Maßnahmen in allen verschuldeten oder unverschuldeten Situationen der besonderen Schutzbedürftigkeit eines Kindes (z.B. Tod der Eltern, Armut und Hunger, physische oder geistige Behinderung etc.) erfordert.“46 Die Vertragsstaaten sind somit gehalten, auch im Bereich der medizinischen Forschung mit Minderjährigen wirksame gesetzliche, administrative oder sonstige Maßnahmen zu ergreifen, die der besonderen Schutzwürdigkeit Minderjähriger als Versuchspersonen Rechnung tragen. Auch wenn den Vertragsstaaten bei der Ausgestaltung ihrer aus Art. 24 entspringenden Gewährleistungspflichten ein großer Gestaltungsspielraum zukommt,47 müssen diese in jedem Fall den effektiven Schutz Minderjähriger gewährleisten. Dabei bildet das Kindeswohl den Entscheidungsmaßstab für sämtliche staatlichen Aktivitäten und Interventionen.48 Dies hielt der Menschenrechtsausschuss, der über die Einhaltung der Garantien des Paktes wacht und individuelle Fälle von Verletzungen der Garantien beurteilt (dazu gleich anschließend), in einem Entscheid über die Internierung von Kindern in Lagern für illegale Einwanderer fest. In Übereinstimmung mit dem Wortlaut von Art. 3 der Kinderrechtskonvention49 führte der Ausschuss aus, dass der Staat in allen Angelegenheiten, die ein Kind betreffen, das Kindeswohl zu beachten habe.50 Im Gegensatz zum UN-Pakt I sind einzelne Bestimmungen von UN-Pakt II direkt anwendbar. Der UN-Pakt II sieht darüber hinaus ein – fakultatives (von der Schweiz und Deutschland anerkanntes) – Staatenbeschwerdeverfahren vor. Zudem regelt das (Erste) Fakultativprotokoll zum UN-Pakt II ein Individualbeschwerdeverfahren, in dem sich der Einzelne vor dem Menschenrechtsausschuss über Verletzungen seiner Rechte beschweren kann. Während Deutschland auch das Erste Fakultativprotokoll zum Individualbeschwerdeverfahren ratifiziert hat, steht die Ratifikation desselben in der Schweiz noch aus. b) Europäische Menschenrechtskonvention aa) Grundlagen Im europäischen Kontext ist im Zusammenhang mit dem menschenrechtlichen Schutz minderjähriger Versuchspersonen die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarates von 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK) von Bedeutung. Wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen51 enthält allerdings auch die Europäische Menschenrechtskonvention weder Bestimmungen zu medizinisch-ethischen Fragestellungen noch spezifische Kinderrechte.52 Doch dürfen bei der Frage nach 46 47 48 49 50 51 52
NOWAK zit: UNO-Pakt II, Art. 24 Rz. 5. NOWAK zit: UNO-Pakt II, Art. 24 Rz. 6. Zum Kindeswohl siehe hinten Kapitel 4 IV.3. Zur Kinderrechtskonvention unten II.2.c. WYTTENBACH, 124 f. m.w.V. Siehe oben II.1.a.aa. Zur Stellung des Kindes in der EMRK: SPRECHER zit. EMRK, 289 ff. und WYTTENBACH, 159 f., insb. 163 ff.
92
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
solchen Bestimmungen die Hintergründe der EMRK nicht außer Acht gelassen werden. Die Europäische Menschenrechtskonvention entstand, wie die AEMR, in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und war und ist in erster Linie ein europäischer Mindeststandard für Menschenrechte.53 bb) Bedeutung der Rechtsprechung des EGMR Der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes (EGMR) kommt große Bedeutung zu. Es ist der EGMR, der durch seine Rechtsprechung die EMRK weiterentwickelt, sie neuen gesellschaftlichen Entwicklungen anpasst und auf Veränderungen der Werte reagiert.54 Dadurch gibt die Rechtsprechung des EGMR dem europäischen Grundrechtsschutz Leben und Gestalt.55 Es ist denn auch zu erwarten, dass sich die im Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin des Europarates (Biomedizinkonvention) sowie dessen Zusatzprotokoll über biomedizinische Forschung56 enthaltenen Menschenrechte im Bereich der Biomedizin57 in der Auslegung der EMRK durch den EGMR niederschlagen.58 cc) Für die Forschung mit Minderjährigen maßgebende EMRK-Bestimmungen Insbesondere folgende EMRK-Bestimmungen sind in Verbindung mit den Inhalten der Biomedizinkonvention und deren Zusatzprotokollen59 im Kontext der Forschung mit Minderjährigen von Bedeutung: das Recht auf Leben (Art. 2)60 und das Verbot der Folter oder unmenschlicher Behandlung (Art. 3).61 Für die Verwirklichung der Rechte der Kinder – insbesondere auch im Kontext der Gesundheitsversorgung – ist zudem das Recht auf Bildung gemäß Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK maßgebend.62 Eine besondere Bedeutung kommt außerdem dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8) zu.63 53 54 55 56 57 58
59
60 61 62
63
Zur Entstehungsgeschichte und Entwicklung der EMRK siehe GRABENWARTER, § 1. WYTTENBACH, 159. FROWEIN/PEUKERT, Rn. 7 ff.; HAEFLIGER/SCHÜRMANN, 49 f.; VILLIGER, 470. Dazu unten II.2.b. Zum Begriff der Biomedizin siehe vorne Kapitel 2 II.2. Ein Beispiel dafür ist das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs vom 9. März 2004 i.S. Glass c. Grossbritannien betreffend die medizinische Zwangsbehandlung eines unmündigen Kindes. Auf die Biomedizinkonvention und ihr Zusatzprotokoll zur Forschung wird in II.2.b. ausführlich eingegangen. GRABENWARTER, § 2, Rn. 1 ff. GRABENWARTER, § 2, Rn. 20 ff. GRABENWARTER, § 22, Rn. 68 ff., insb. 74 ff. Hierzu auch WYTTENBACH, 176 ff. Bereits im Zusammenhang mit Art. 13 Abs. 1 UN-Pakt I und mit Verweis auf Art. 28 KRK wurde auf die Bedeutung der Bildung für die Wahrung der Persönlichkeitsrechte in Gesundheitsangelegenheiten hingewiesen. Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls räumt zudem den Eltern einen Anspruch auf Achtung ihrer Erziehungsrechte ein. BTREITENMOSER, 132 ff. insb. 169 ff. Zur Bedeutung von Art. 8 EMRK für den Schutz des Familienlebens und zur Rechtsprechung des EGMR zu Eingriffen des Staates in das Eltern-Kind-Verhältnis siehe GRABENWARTER, § 22, Rn. 16 ff.; WYTTENBACH, 159 ff.
II. Internationales Recht
93
Art. 8 Abs. 1 EMRK schützt das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper. Schutzgut von Art. 8 Abs. 1 ist die physische und psychische Integrität des Einzelnen.64 Aus dieser Bestimmung leitet sich folglich das Recht auf Selbstbestimmung im medizinischen Kontext ab.65 Im Zusammenhang mit medizinischen Eingriffen bei Minderjährigen schützt Art. 8 EMRK insbesondere das Recht der Eltern, stellvertretend für ihr Kind in medizinische Maßnahmen einzuwilligen, sofern der Eingriff dem Wohl des Kindes dient.66 Seine Begrenzung findet dieses Recht der Eltern im Kindeswohl sowie in öffentlichen Gesundheitsinteressen. Im Fall Glass v. UK hat der EGMR festgehalten, dass bei urteilsunfähigen Kindern – außer in Notfallsituationen – medizinische Maßnahmen ausschließlich mit dem Einverständnis der erziehungsberechtigten Personen vorgenommen werden dürfen. Wird die Einwilligung verweigert, muss eine richterliche Ermächtigung eingeholt werden. „Dadurch wird ermöglicht, dass das mutmaßliche Interesse des Kindes umfassend abgeklärt werden kann und die Rechte der Eltern geachtet werden.“67 Aus Art. 8 EMRK leitet sich auch ein Selbstbestimmungsrecht des Kindes sowie sein Recht auf Berücksichtigung seiner Meinung ab. WYTTENBACH kommt in ihrer Untersuchung zum Schluss, dass die wenigen Entscheidungen des EGMR zu diesen Fragen noch keine Praxis zu etablieren vermochten. Der Gerichtshof und früher auch die Kommission hätten wiederholt dargelegt, dass es im Ermessen des Staates liege, die Anliegen von Jugendlichen zu berücksichtigen. Bei der Ausübung dieses Ermessens hätten die Staaten sich am Schutz der Jugendlichen auszurichten.68 c) UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes aa) Grundlagen Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 (Kinderrechtskonvention, KRK) ist das erste weltweit geltende69 völkerrechtliche Vertragswerk, das sich ausschließlich mit dem Schutz und den Rechten des Kindes befasst.70 Unter den auf Kinder bezogenen Völkerrechtsinstrumenten nimmt die Kinderrechtskonvention denn auch eine Leitfunktion ein.71 Sie hat dafür gesorgt, dass die individuellen Rechte von Kindern und Ju-
64 65 66 67 68 69
70
71
GRABENWARTER, § 22, Rn. 7. MANAÏ, 33 mit Verweis auf Urteil des EGMR Pretty vs. UK vom 29. April 2002, § 63. WYTTENBACH, 180 m.w.H. WYTTENBACH, 180 f. Zu diesem EGMR-Entscheid siehe auch MANAÏ, 190 f. WYTTENBACH, 190 f. Bis heute haben 192 Staaten die Kinderrechtskonvention ratifiziert. Somalia und die USA bilden die einzigen Ausnahmen. Siehe hierzu die Angaben in der Treaty Body Database des Hochkommissariats für Flüchtlinge der Vereinten Nationen (UNHCR): , besucht im Juni 2007. Die KRK ist damit der Menschenrechtsvertrag mit der höchsten Ratifikationsrate. REVAZ, 12; SCHWENZER zit. Kinderrechtskonvention, 817. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte DETRICK 13 ff. WYTTENBACH, 129.
94
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
gendlichen einen besonderen Platz im internationalen Menschenrechtsschutz erhalten haben.72 Die Kinderrechtskonvention „enthält dem Kind individuell zustehende Freiheitsrechte, Schutz- und Leistungspflichten des Staates, Sozialrechte und programmatische Bestimmungen, die den speziellen Bedürfnissen und der Lebenssituation von Minderjährigen angepasst sind“.73 Die Konvention verfolgt damit zwei Zielsetzungen74: Sie bestätigt und wiederholt zum einen ausdrücklich die Geltung der bereits in anderen internationalen Texten verankerten Menschenrechte für Kinder. Zum andern trägt sie der besonderen Schutzbedürftigkeit und Verletzlichkeit der Kinder Rechnung und statuiert die Fürsorgepflicht und Verantwortung von Familie und Staat für das Wohl und die Entwicklung der Kinder.75 Gleichzeitig steht die Kinderrechtskonvention auch für einen Perspektivenwechsel: Das Kind soll als eigenständige Persönlichkeit mit individuellen Rechten wahrgenommen und respektiert werden und nicht länger nur Schutzobjekt des Rechts und hilfloser Bittsteller sein.76 Folgende Leitprinzipien charakterisieren die Konvention: der vorrangig zu berücksichtigende Grundsatz des Kindeswohls (Art. 3 Abs. 1 KRK),77 der Schutz der Menschenwürde78 des Kindes, ein umfassendes Diskriminierungsverbot (Art. 2 KRK), das Recht des Kindes auf Leben, Überleben und Entwicklung (Art. 6 KRK),79 das Anhörungsrecht des Kindes (Art. 12 KRK) und der Vorrang der Eltern bei der Erziehung des Kindes (Art. 3 Abs. 2, Art. 5 KRK).80 Diese Bestimmungen bilden den allgemeinen Teil der KRK und sind als Leitprinzipien bei Auslegung und Anwendung der restlichen Bestimmungen der Konvention zu berücksichtigen. VAN BUEREN veranschaulicht den Inhalt der Konvention mithilfe von vier „P”: „The participation of children in decisions affecting their own destiny; the protection of children against discrimination and all forms of neglect 72 73 74 75 76
77
78
79 80
WYTTENBACH, 222. WYTTENBACH, 129. Dazu Botschaft Kinderrechtskonvention, 11 f. WOODHOUSE, 46 ff. Dazu auch WYTTENBACH, 132: „Im Zentrum der Konvention steht das Kind als individueller Rechtsträger bzw. individuelle Rechtsträgerin. Die Funktion von Familie und Erziehung durch die Eltern wird in diesem Sinne fremdnützig verstanden, gerichtet auf die Verwirklichung der Rechte des Kindes.“ Gemäß VAN BUEREN zit. International Law, 46 ist Art. 3 Abs. 1 KRK weit mehr als nur eine Bestimmung der KRK unter vielen. Das Wohl des Kindes sei ein Auslegungsprinzip, das weit über die KRK hinaus Wirkung entfalte. Gemäß HEGNAUER zit. Grundriss, N 26.04a richtet sich die Maxime des Kindeswohls „an alle, die mit dem unmündigen Kind zu tun haben, an Eltern und Pflegeeltern, Beistand, Vormund, Lehrer sowie die Verwaltungs- und Gerichtsbehörden, die für es Entscheidungen treffen. Sie sollen in der jeweiligen Situation das tun, was die gedeihliche Entwicklung des Kindes am ehesten zu fördern verspricht […]“. Zu Art. 3 KRK siehe auch MASON, 121 ff. Zum Kindeswohl im medizinischen Kontext siehe die Ausführungen in Kapitel 4 IV.3. Die Menschenwürde wird in der Präambel, Art. 23, 28 Abs. 2, 37 lit. c, 39 und 40 der KRK genannt. MEIER-SCHATZ, 1043. Siehe dazu die Kommentierung von Art. 6 KRK durch NOWAK zit: Child. REVAZ, 9.
II. Internationales Recht
95
and exploitation; the prevention of harm to children; and the provision of assistance for their basic needs.”81 WYTTENBACH weist zudem auf eine Besonderheit der KRK hin, die sie von den herkömmlichen Menschenrechtsabkommen unterscheidet: Die Bestimmungen der KRK beziehen sich nicht nur auf das Verhältnis zwischen Staat und Kind, sondern auch auf das Verhältnis von Erwachsenen und Kinder im Privatbereich: „Die Kinderrechtskonvention enthält Regulierungsvorschriften für den privaten Raum, was für ein Menschenrechtsabkommen zwar ungewöhnlich, aufgrund der Abhängigkeit des Kindes von seinen Eltern oder anderen Erziehungsberechtigten aber notwendig ist.“82 bb) Bedeutung und Geltung der KRK für die medizinische Forschung mit Kindern Aufgrund ihrer weltweiten völkerrechtlichen Bindungswirkung sind die Garantien und Leitprinzipien der Kinderrechtskonvention ein wichtiger Maßstab für den Schutz und die Sicherstellung der Rechte minderjähriger Patienten und Versuchspersonen. Allerdings enthält die KRK, wie die zuvor besprochenen Menschenrechtsinstrumente, keine Bestimmung, die sich konkret auf die medizinische Forschung mit Kindern und für Kinder bezieht. In den Vorarbeiten sind Bemühungen gescheitert, in die Kinderrechtskonvention eine Bestimmung zu medizinischen und anderen wissenschaftlichen Versuchen mit Kindern aufzunehmen. Zur Diskussion stand die Schaffung eines entsprechenden Absatzes im Rahmen von Art. 24 (Recht auf Gesundheit). Aus den travaux préparatoires geht jedoch nicht hervor, warum die Diskussion um einen entsprechenden Absatz von Art. 24 vom Vorsitzenden abgebrochen wurde und die Thematik der medizinischen Forschung mit Minderjährigen in der Endfassung der Kinderrechtskonvention unberücksichtigt blieb.83 In der geltenden Fassung von Art. 24 KRK anerkennen die Vertragsstaaten das Recht des Kindes auf ein Höchstmaß an Gesundheit und verpflichten sich, geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung dieses Rechts zu ergreifen.84 Damit konkretisiert Art. 24 KRK das bereits in Art. 12 UN-Pakt I festgeschriebene Recht auf Gesundheit im Hinblick auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern.85 cc) Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit nach Art. 24 KRK Das in Art. 24 KRK statuierte Recht eines jeden Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit umfasst verschiedenste Pflichten der Vertragsstaaten. 81 82 83
84 85
VAN BUEREN zit. International Law, 15. WYTTENBACH, 129. Der Verlauf der Diskussion sowie die verschiedenen Formulierungsvorschläge sind nachzulesen bei DETRICK, 420 ff. Die neuste Kommentierung von Art. 24 KRK von EIDE/EIDE enthält keine Hinweise auf die wissenschaftliche Forschung mit Kindern. EIDE/EIDE; TODRES, 221 ff. Botschaft Kinderrechtskonvention, 11 f.; DETRICK, 399, 401 ff.; EIDE/EIDE 4. Entsprechend sind die General Comments des UN Committee on Economic, Social and Cultural Rights zur Erläuterung von Art. 24 KRK beizuziehen. Siehe dazu oben II.1.a.bb.
96
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Dazu zählen u.a. die Bereitstellung geeigneter Einrichtungen für die Behandlung und Rehabilitation kranker Kinder,86 Maßnahmen gegen die Säuglings- und Kindersterblichkeit,87 Maßnahmen gegen Krankheiten, Seuchen, Mangel- und Unterernährung,88 die Gesundheitsversorgung für Schwangere vor und nach der Geburt,89 Gesundheitserziehung und Präventionsarbeit90 sowie der Kampf gegen gesundheitsschädigende Traditionen.91 Zudem verpflichtet Art. 24 KRK die Vertragsstaaten, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um der bestehenden Diskriminierung der Kinder in der Gesundheitsversorgung entgegenzutreten und den Zugang aller Kinder zu Einrichtungen und Leistungen der Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.92 Art. 24 KRK ist allerdings programmatischer Natur und verlangt von den Vertragsstaaten, sich nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten und in internationaler Kooperation um die Verwirklichung seiner Inhalte zu bemühen.93 Zu einem Höchstmaß an Gesundheit gehört auch eine wissenschaftlich abgesicherte, den internationalen Standards entsprechende medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Dies erfordert medizinische Forschung für Kinder und mit Kindern. Wohl äußert sich die Kinderrechtskonvention nicht konkret zur Forschung mit Kindern. Jedoch gibt sie den Vertragsstaaten für die Ausgestaltung der erforderlichen legislatorischen, administrativen und praktischen Rahmenbedingungen klare Vorgaben. Dementsprechend sind die Vertragsstaaten verpflichtet, den Umgang (Zulassung, Handel, Herstellung, Verabreichung etc.) mit Heilmitteln, insbesondere für Anwendungen in der Pädiatrie zu regeln, zu kontrollieren und die nötigen Standards einzuhalten.94 Auch außerhalb des Heilmittelbereichs haben die Vertragsstaaten eine kindgerechte Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Das Recht auf Gesundheit ist wie fast kein anderes Recht mit anderen Garantien der Kinderrechtskonvention verbunden und seine Sicherstellung ist unmittelbar von der Gewährleistung und Verwirklichung anderer Rechte abhängig. Dabei sind soziale und ökonomische Rechte (z.B. das Recht auf Nahrung und Unterkunft, das Recht auf Arbeit sowie das Recht auf Bildung95) von gleicher Bedeu-
86 87 88 89 90 91
92 93
94 95
DETRICK, 404. Art. 24 Abs. 2 lit. a KRK; DETRICK, 405; EIDE/EIDE, 17 ff.; NOWAK zit: Child, 40 ff. Art. 24 Abs. 2 lit. c KRK; DETRICK, 409 ff.; EIDE/EIDE, 25 ff. Art. 24 Abs. 2 lit. d KRK; DETRICK, 411 f.; EIDE/EIDE, 33 ff. Art. 24 Abs. 2 lit. e KRK; DETRICK, 412 ff.; EIDE/EIDE, 36 ff. Art. 24 Abs. 3 KRK; DETRICK, 414 ff., z.B. die Beschneidung von Mädchen. EIDE/EIDE, 46 ff. Art. 24 Abs. 2 lit. b KRK; DETRICK, 403 f.; EIDE/EIDE, 20. Art. 24 Abs. 4 KRK; Botschaft Kinderrechtskonvention, 50 f.; DETRICK, 401 ff.; EIDE/ EIDE, 48 ff.; TODRES, 226 f. EIDE/EIDE, 7, 15. EIDE/EIDE, 6. Das Recht des Kindes auf Bildung ist von fundamentaler Bedeutung für die Gesundheit des Kindes. Erst ein gewisser Bildungsgrad stattet ein Kind mit dem nötigen Grundwissen zur Gesundheit aus und gibt ihm eine entsprechende Entscheidungskompetenz. Siehe dazu auch NOWAK zit: Child, 45 f.
II. Internationales Recht
97
tung wie zivile und politische Rechte (z.B. das Recht auf Leben,96 das Recht auf freie Meinungsäußerung und Information, das Diskriminierungsverbot und das Gebot der Menschenwürde).97 Entsprechend muss Art. 24 KRK im Lichte der übrigen Bestimmungen der Kinderrechtskonvention sowie der in ihrer Präambel genannten internationalen Menschenrechtsinstrumente interpretiert werden.98 Dabei wird deutlich, dass die Verantwortung für gesunde Lebensverhältnisse des Kindes in erster Linie bei den Eltern oder anderen für die Betreuung und Erziehung des Kindes direkt verantwortlichen Personen liegt. Sie haben dem Kind im Rahmen ihrer Fähigkeiten und finanziellen Mittel diejenigen Lebensbedingungen zur Verfügung zu stellen, die ihm eine angemessene Entwicklung ermöglichen (Art. 5 i.V.m. 27 KRK).99 Der Staat hat dabei die Rechte und Pflichten der Eltern zu respektieren und ihnen bei deren Verwirklichung zu helfen.100 Der Staat hat u.a. für ein geeignetes System der sozialen Sicherheit zu sorgen (Art. 26 KRK). Im Weiteren hat der Staat alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Kinder von jeder Form von Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung und Vernachlässigung, Ausbeutung und schlechter Behandlung zu schützen, auch wenn es sich in Obhut der Eltern befindet (Art. 19 KRK). dd) Recht des Kindes auf Anhörung und Mitsprache nach Art. 12 KRK Von überaus zentraler Bedeutung, sowohl für die Rechtsposition des Kindes im Allgemeinen wie in der Gesundheitsversorgung im Besonderen – und damit auch in der medizinischen Forschung –, ist das Recht des Kindes auf Anhörung und Mitsprache (Art. 12 KRK).101 Die Bestimmung sichert dem Kind, „das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äussern“. Die Meinung des Kindes ist dabei „angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife“ zu berücksichtigen. Aus den travaux préparatoires geht hervor, dass der Terminus „das Kind berührende Angelegenheiten“ auch medizinische Behandlungen mit einschließt.102 Das Recht gehört zu werden, schützt das Kind in seiner Persönlichkeit.103 Es verpflichtet in erster Linie den Staat und seine Institutionen. Die Vertragsstaaten haben zudem sicherzustellen, dass Art. 12 KRK in der gesamten Rechtsordnung 96
97 98
99 100 101 102 103
Gemäß NOWAK zit: Child, 43 ist das auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit nach Art. 24 KRK am engsten verbunden mit dem Recht auf Leben nach Art. 6 KRK. Siehe dazu auch TODRES, 225. EIDE/EIDE, 4. EIDE/EIDE, 4. DETRICK, 398 nennt zudem folgende Bestimmungen der KRK, die besonders mit Art. 24 verbunden sind: Art. 6 Abs. 2 (Recht auf Leben, Überleben und Entwicklung), Art. 23 (Schutz und Förderung des behinderten Kindes), Art. 25 (Anspruch auf eine regelmäßige Überprüfung der Behandlung eines untergebrachten, kranken Kindes), Art. 27 (Recht auf angemessenen Lebensstandard) und Art. 33 (Schutz vor Suchtstoffen). Art. 12 KRK; DETRICK, 115 ff. EIDE/EIDE, 5 f. MANAÏ, 193. DETRICK, 221. Botschaft Kinderrechtskonvention, 37.
98
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
zur Geltung kommt und folglich alle Personen und Institutionen, die mit Kindern in Kontakt treten, das Recht der Kinder auf Anhörung und Mitsprache respektieren und umsetzen.104 Zu denken ist dabei an Lehrer, Erzieher, an Richter sowie sämtliche Personen, die sich um das physische und psychische Wohlergehen von Kindern kümmern. Art. 12 KRK richtet sich folglich auch an Ärzte und andere Medizinalpersonen, in deren Behandlung sich ein Kind befindet. Auch wenn sie aus Art. 12 KRK nicht direkt verpflichtet werden, haben auch die Eltern und die für die Erziehung und Betreuung eines Kindes primär verantwortlichen Personen bei ihren Entscheidungen die Wünsche des Kindes entsprechend seiner Reife zu berücksichtigen.105 Art. 12 KRK entfaltet denn auch im schweizerischen Familienrecht seine Wirkung (Art. 301 ZGB). Gemäß Art. 301 Abs. 1 ZGB leiten die Eltern „im Blick auf das Wohl des Kindes seine Pflege und Erziehung und treffen unter Vorbehalt seiner eigenen Handlungsfähigkeit die nötigen Entscheidungen“. Sie gewähren dem Kind dabei „die seiner Reife entsprechende Freiheit der Lebensgestaltung und nehmen in wichtigen Angelegenheiten, soweit tunlich, auf seine Meinung Rücksicht“.106 ee) Grundsatz der evolving capacities Die Kinderrechtskonvention verlangt die Beachtung der zunehmenden Reife und Fähigkeiten eines Kindes. Die zunehmende Reife, Verständnisfähigkeit und Entscheidungskompetenz eines Kindes sind bei der Anwendung der Garantien der Konvention zu berücksichtigen.107 Dieser Grundsatz der Berücksichtigung der so genannten evolving capacities der Kinder ergibt sich aus verschiedenen Bestimmungen der Konvention (z.B. Art. 3, 5 und 18 KRK).108 Als Folge davon sind die Meinung und die Wünsche von Kindern und Jugendlichen entsprechend ihrer Reife bei sie betreffenden Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen.109 Dabei bildet die Urteilsfähigkeit der Kinder die maßgebende Schwelle. WYTTENBACH kommt zum Schluss, dass der Grundsatz nicht direkt anwendbar ist, jedoch als Auslegehilfe bei der Interpretation der anderen Garantien beigezogen werden muss.110 Wie im vierten Kapitel der vorliegenden Untersuchung aufzuzeigen sein wird, ist dieser Grundsatz für die Ausübung und Wahrung der Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen im medizinischen Kontext von zentraler Bedeutung. 104
105
106 107
108 109 110
DETRICK, 223; SZAJ, 127 ff. Im Hinblick auf die Bedeutung von Art. 12 KRK im schweizerischen Recht siehe Botschaft Kinderrechtskonvention, 38 mit dem Hinweis auf die Übereinstimmung von Art. 12 KRK mit dem im schweizerischen Familienrecht in Art. 301 Abs. 2 ZGB verankerten Grundsatz: „[…] die Eltern gewähren dem Kind die seiner Reife entsprechende Freiheit der Lebensgestaltung und nehmen in wichtigen Angelegenheiten soweit tunlich auf seine Meinung Rücksicht“. DETRICK, 120. Siehe zum Verhältnis von Art. 12 KRK zu den Rechten und Pflichten der Eltern sowie zu Art. 3 KRK (Kindeswohl) SZAJ, 131 ff. Art. 301 Abs. 2 ZGB. Für weitere Ausführungen zum Prinzip der evolving capacities siehe bei WYTTENBACH, 233 f. WYTTENBACH, 131. WYTTENBACH, 223. WYTTENBACH, 132.
II. Internationales Recht
99
ff) Direkte Anwendbarkeit der KRK-Bestimmungen Im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung stellt sich die Frage nach der direkten Anwendbarkeit der Garantien der Kinderrechtskonvention.111 Von der Schweiz ratifizierte völkerrechtliche Verträge sind nach schweizerischem Recht verbindlich. Demzufolge ist das gesamte schweizerische Verfassungs-, Gesetzesund Verordnungsrecht im Einklang mit den völkerrechtlichen Normen auszulegen und anzuwenden (Art. 5 Abs. 4 BV).112 Nach schweizerischer Praxis gelten völkerrechtliche Bestimmungen dann als direkt anwendbar, wenn sie inhaltlich hinreichend bestimmt und klar sind, sodass sie im Einzelfall die Grundlage eines Entscheides bilden können.113 Solche Bestimmungen haben einen self-executing Charakter, da es für ihre Anwendbarkeit keine weitere Umsetzung ins Landesrecht braucht. Ist eine völkerrechtliche Norm direkt anwendbar, hat sie im Konfliktfall Vorrang vor dem Landesrecht.114 Das Bundesgericht bejaht den self-executing Charakter von Art. 12 KRK.115 Die Anhörung eines Kindes kann daher in der Schweiz in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten direkt gestützt auf Art. 12 KRK verlangt werden. Art. 12 KRK ist aber auch ein Maßstab für den Gesetzgeber. Dieser wird verpflichtet, die entsprechenden rechtlichen Grundlagen und Verfahren zu schaffen, damit dem Anhörungsrecht des Kindes in der gesamten Rechtsordnung Geltung verschafft wird. Neben dem Recht auf Anhörung hat das Bundesgericht auch das Recht eines jeden Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung (Art. 7 Abs. 1 KRK) explizit als direkt anwendbar erklärt.116 Unabhängig von ihrer direkten Anwendbarkeit hat das nationale Recht dem gesamten Inhalt der Kinderrechtskonvention Geltung zu verschaffen. Dies gilt in einem besonderen Maße für jene Lebensbereiche, die eng mit dem fundamentalen Recht des Kindes auf Leben und körperliche und geistige Unversehrtheit verbunden sind, also auch für die medizinische Behandlung von und für die Forschung mit Kindern.
2. Internationale Regelungen zur Humanforschung Die nachfolgend darzustellenden internationalen Normen wurden speziell mit Blick auf die Humanforschung geschaffen. Aufgrund dieser Spezialisierung finden sie außerhalb der Humanforschung kaum Anwendung. Wie einleitend ausgeführt, lassen sich diese Spezialnormen in zwei Gruppen einteilen. Während sich 111 112 113 114 115 116
Siehe dazu auch die Ausführungen bei DETRICK, 27 ff.; MÜLLER/WILDHABER, 189. WYTTENBACH, 110 m.w.V. BGE 120 Ia 1 E.5.b. WYTTENBACH, 110 m.w.V. WYTTENBACH, 152. BGE 126 II 377 E.5.d; 125 I 257 E.3.c; 124 III 90 E. 3a. WYTTENBACH, 152 f. m.V. auf BGE 128 I 63 und 125 I 257. Eine implizite Bejahung der direkten Anwendbarkeit durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung nimmt WYTTENBACH zudem bei Art. 8 und 9 KRK (Recht auf Schutz der Familienbeziehungen und Verbot der Trennung von den Eltern) sowie beim Kindeswohlgrundsatz (Art. 3 KRK) an WYTTENBACH, 153.
100
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
die erste Gruppe primär mit dem Schutz der Versuchspersonen befasst, schafft die zweite Gruppe einheitliche Technologie-, Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Zur ersten Gruppe gehören die nachfolgend in der Reihenfolge ihrer zeitlichen Entstehung dargestellte Helsinki Deklaration,117 die Biomedizinkonvention des Europarates mit dem Zusatzprotokoll zur Humanforschung,118 die CIOMS-Guidelines119 sowie die Universal Declarations on Bioethics and Human Rights der UNESCO120. Als Vertreter der zweiten Gruppe, die sich mit der Vereinheitlichung von Technologie-, Qualitäts- und Sicherheitsstandards befasst, werden die für die Humanforschung relevanten Richtlinien der International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH) vorgestellt.121 a) Helsinki Deklaration aa) Grundlagen Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs wurde 1947 zur Förderung der Zusammenarbeit der ärztlichen Organisationen der Welt die World Medical Association (WMA), der Weltärztebund, gegründet. Derzeit zählt die internationale Nichtregierungsorganisation ca. 80 nationale Berufsorganisationen zu ihren Mitgliedern.122 Die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH wie auch die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern e.V. (Bundesärztekammer) sind Mitglieder der WMA. 1964 wurde von den Mitgliedern der WMA die Deklaration von Helsinki – Ethische Grundsätze für die medizinische Forschung an dem Menschen – verabschiedet. Bis heute wurde sie mehrfach überarbeitet. Eine grundlegende Neufassung123 wurde im Jahre 2000 von der 52. Generalversammlung der WMA in Edinburgh verabschiedet.124 Diese dritte Version der Helsinki Deklaration enthält neben einleitenden Bestimmungen (Nr. 1–9) grundlegende Prinzipien der medizinischen Forschung (Nr. 10–27) sowie ergänzende Prinzipien für die medizinische Forschung in Verbindung mit der medizinischen Versorgung (Nr. 28–31).125
117 118 119 120 121 122 123
124
125
Siehe unten II.2.a. Siehe unten II.2.b. Siehe unten II.2.c. Siehe unten II.2.d. Siehe unten II.2.e. , besucht im Juni 2007. Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki, Ethische Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen, in der Version der 52. Generalversammlung, Edinburgh/Schottland, Oktober 2000, mit Klarstellungen der Generalversammlung, Washington 2002 zu § 29 und Tokio 2004 zu § 30. Deutsche Übersetzung abgedruckt bei MÜLLER-TERPITZ, 251 ff. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 660; LIPPERT zit. Deklaration, 681 ff.; TAUPITZ zit. Deklaration, A2413 ff.; TAUPITZ zit. Neufassung, 277 ff. TAUPITZ zit. Neufassung, 278.
II. Internationales Recht
101
bb) Prinzipien für die medizinische Forschung mit Versuchspersonen Die wichtigsten Prinzipien der Deklaration sind das Erfordernis der informierten Einwilligung der Versuchspersonen, der besondere Schutz Nichteinwilligungsfähiger sowie die Verpflichtung der Forscher, medizinische Forschungsvorhaben vor der Durchführung von einer unabhängigen, interdisziplinär zusammengesetzten Ethikkommission prüfen zu lassen.126 Wurde in früheren Versionen der Helsinki Deklaration deutlich zwischen therapeutischer und nicht therapeutischer Forschung unterschieden, werden in der neusten Fassung nur Versuche in Verbindung mit ärztlicher Versorgung (Heilversuche) explizit genannt. Die nicht therapeutische Forschung (Humanexperiment) wird in der Fassung von Edinburgh – im Vergleich mit früheren Fassungen – nicht mehr besonders erwähnt und ist in den allgemeinen Grundsätzen der Forschung (Nr. 10–27) aufgegangen.127 cc) Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen Im Hinblick auf die Forschung mit Kindern sorgt die revidierte Helsinki Deklaration für Verwirrung. In ihrer neusten Fassung lässt die Deklaration die nicht therapeutische, gruppennützige Forschung mit Nichteinwilligungsfähigen zu. Dies ohne eine besonders strenge Risiko-Nutzen-Abwägung zu fordern oder eine absolute Grenze für die zulässigen Risiken und Belastungen zu setzen.128 Im Gegensatz dazu ist nicht klar, ob die neu gefasste Deklaration individuelle Heilversuche und klinisch-therapeutische Versuche bei Einwilligungsunfähigen noch zulässt oder nicht.129 Der Grund für diese Unsicherheit besteht darin, dass sich im gesamten Abschnitt über die medizinische Forschung in Verbindung mit ärztlicher Versorgung keine Ausnahmevorschrift mehr findet, wonach auf die Einwilligung des Betroffenen verzichtet und diese durch die Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters ersetzt werden kann.130 Für die Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen sieht die revidierte Deklaration in § 24 vor, dass die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters entsprechend dem anwendbaren nationalen Recht erforderlich ist. Immerhin trägt § 25 dem Selbstbestimmungsrecht von minderjährigen Versuchspersonen (und anderen Gruppen von einwilligungsunfähigen Personen) Rechnung. Die Bestimmung besagt: „Wenn eine Versuchsperson, die – wie ein minderjähriges Kind – als einwilligungsunfähig anzusehen ist, eine billigende Äußerung zu Entscheidungen bezüglich ihrer Teilnahme an Forschung abgeben kann, muss der Forscher diese Billigung zusätzlich zur Einwilligung des gesetzlich ermächtigten Vertreters einholen.“131 Die Deklaration unterscheidet somit zwischen der rechtfertigenden Einwilligung (consent), die im Falle einer minderjährigen Versuchsperson nur durch den gesetzlichen Vertreter abgeben werden kann, und einer nicht zur Rechtfertigung ausreichenden Billigung (assent) der nicht vollständig 126 127 128 129 130 131
TAUPITZ zit. Neufassung, 277. MÜLLER-TERPITZ, 34. Siehe insb. TAUPITZ zit. Neufassung, 278 ff. Nr. 24 i.V.m. Nr. 26, dazu TAUPITZ zit. Deklaration, A2417 f. TAUPITZ zit. Neufassung, 284. TAUPITZ zit. Deklaration, A2419 f. Deutsche Übersetzung abgedruckt bei TAUPITZ zit. Deklaration, A2418.
102
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
einwilligungsfähigen Versuchsperson.132 Damit darf mit Versuchspersonen, die nicht vollständig einwilligungsfähig, jedoch zur Äußerung eines assent in der Lage sind, nur dann geforscht werden, wenn auch sie zustimmen. Entsprechend genügt bei assent-fähigen Minderjährigen die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter alleine nicht. Damit geht die Helsinki Deklaration in diesem Punkt über das Schutzniveau der Biomedizinkonvention des Europarates hinaus, die nur eine ablehnende Willensäußerung nicht vollkommen einwilligungsunfähiger Versuchspersonen für beachtlich erklärt.133 dd) Bedeutung und Bindungswirkung Die Deklaration von Helsinki hat seit ihrer Entstehung – auch wenn die neueste Fassung nicht einhellig begrüßt wird und inhaltliche Unklarheiten bestehen134 – einen international breit abgestützten und viel beachteten Maßstab für die medizinische Forschung mit Versuchspersonen gesetzt und die nationalen Regelungen vieler Länder beeinflusst.135 Damit ist die Deklaration ein zentrales Dokument ärztlicher Standesauffassung zur Forschung am Menschen und der ärztlichen Ethik.136 Dennoch kommt der Helsinki Deklaration als Dokument einer internationalen Nichtregierungsorganisation keine völkerrechtliche Bindungswirkung zu.137 Sodann ist sie auch nur für einen kleinen Teil der Ärzte dieser Welt direkt bindend.138 Denn als soft law139 verpflichtet die Deklaration grundsätzlich nur die Angehörigen der dem Weltärztebund angeschlossenen nationalen Berufsverbände, sofern deren Berufsrecht die Deklaration als für ihre Mitglieder bindend erklärt oder die Inhalte der Deklaration in das nationale Berufsrecht übernommen hat.140 Die schweizerische FMH verweist in Art. 18 ihrer Standesordnung hinsichtlich der Forschung mit Versuchspersonen auf die Regeln der Helsinki Deklaration in der von der 52. Generalversammlung des Weltärztebundes verabschiedeten Fassung von Edinburgh vom Oktober 2000. Auch die Musterberufsordnung (MBO) 132 133 134
135 136
137 138
139 140
TAUPITZ zit. Deklaration, A2418. TAUPITZ zit. Neufassung, 283. DOPPELFELD, A 2920 ff.; LIPPERT zit. Deklaration, 681 ff.; TAUPITZ zit. Deklaration, A2431 ff.; TAUPITZ zit. Neufassung, 277 ff. TAUPITZ zit. Neufassung, 277. DEUTSCH/TAUPITZ zit. Einführung, 3; LIPP, 187 nennt die Deklaration „[…] das wichtigste internationale Dokument ärztlicher Standesauffassung zur medizinischen Forschung am Menschen“.; TAUPITZ zit. Patienten, 131 bezeichnet sie als „Ausdruck des ärztlichen Selbstverständnisses“ und als mögliches „Standesgewohnheitsrecht“. DEUTSCH/TAUPITZ zit. Einführung, 3; MÜLLER-TERPITZ, 34. Die WMA zählt bei über 190 Ländern (wobei es nicht in allen Ländern eine nationale Ärzteorganisation gibt) nur 80 nationale Ärzteorganisationen zu ihren Mitgliedern. Zudem sind längst nicht alle Ärzte Mitglied einer Berufsorganisation und nicht alle Berufsorganisationen verpflichten ihre Mitglieder in bindender Weise zur Beachtung der Helsinki Deklaration. QUAAS/ZUCK, § 74, Rn. 13; § 75, Rn. 39. LIPPERT zit. Deklaration, 682; SANDER, § 40, EG-Vorbemerkungen; QUAAS/ZUCK, § 74, Rn. 13 f. QUAAS/ZUCK lehnen die Einordnung der Deklaration als internationales Standesrecht ab. Vielmehr seien die Inhalte der Deklaration „standes- und berufspolitische Überzeugungen“.
II. Internationales Recht
103
der deutschen Bundesärztekammer, die den Satzungen der Landesärztekammern zugrunde liegt, verweist im Zusammenhang mit der Forschung am Menschen in § 15 Abs. 4 auf die Helsinki Deklaration.141 Dabei nennt die MBO aber keine bestimmte Fassung der Deklaration, sondern verweist nur allgemein auf die „in der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes niedergelegten ethischen Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen“. Auch die europäische Arzneimittelrichtlinie 2001/20/EG142 verweist in ihren einleitenden Erwägungen (Nr. 2) auf die Helsinki Deklaration. Sie bezieht sich dabei explizit auf die Fassung von 1996. Doch ist dies höchst wahrscheinlich durch die Entstehungsgeschichte der Richtlinie bzw. den längeren Entscheidungsprozess der EU bedingt. Auch wenn ihr Einfluss und ihre Bedeutung angesichts neuerer, unmittelbar bindender Regelwerke schwinden, beeinflusste die Helsinki Deklaration die nationale und internationale Rechtssetzung zur medizinischen Forschung am Menschen über längere Zeit maßgebend.143 Aufgrund der unklaren Bestimmungen der revidierten Fassung zur Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen wird im weiteren Verlauf der vorliegenden Untersuchung nur begrenzt auf die Helsinki Deklaration eingegangen. b) Biomedizinkonvention des Europarates aa) Grundlagen Für die im Europarat zusammengeschlossenen 47 Länder144 ist das Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin von 1997 (Biomedizinkonvention) sowie dessen Zusatzprotokoll über biomedizinische Forschung von 2003 (Forschungsprotokoll)145 von großer Bedeutung.146 Mit dem Übereinkommen wird der Menschenrechtsschutz in den Bereichen der Biomedizin zum ersten Mal auf internationaler Ebene in einem bindenden völkerrechtlichen Vertrag festgeschrieben147 und die biomedizinische Forschung mit Versuchspersonen geregelt.148 Die Biomedizinkonvention ist am 1. Dezember 1999 in Kraft getreten.149 Das Zusatzprotokoll zur Biomedizinkonvention zur Forschung am Menschen wurde im Juli 2004 vom Ministerkomitee des Europarates verabschiedet und am 25. Januar 2005 zur Zeichnung aufgelegt.150 Es ist bis heute noch nicht in Kraft getreten.
141 142 143 144
145 146 147 148 149
150
SANDER, § 40, EG-Vorbemerkungen. Dazu weiter unten II.3.a. TAUPITZ zit. Neufassung, 285 f. Fünf Staaten haben einen Beobachterstatus: Heiliger Stuhl, Vereinigte Staaten, Kanada, Japan und Mexiko. Siehe MÜLLER-TERPITZ, 26 f. Siehe dazu MÜLLER-TERPITZ, 7 ff.; sowie anstelle vieler TAUPITZ zit. Vorbild. MÜLLER-TERPITZ, 7. QUAAS/ZUCK, § 74, Rn. 16. Zur Entstehungsgeschichte der Biomedizinkonvention siehe auch Botschaft Biomedizinkonvention, 274 f., Ziff. 1.2. MÜLLER-TERPITZ, 7 ff.
104
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Die Biomedizinkonvention ist ein völkerrechtlich bindender Vertrag,151 der die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, seine Inhalte in ihrem nationalen Recht umzusetzen.152 Wie bei völkerrechtlichen Verträgen üblich, ist es den Staaten möglich, Vorbehalte anzubringen.153 Hierzu ist allerdings anzumerken, dass die Biomedizinkonvention nur minimale Schutzstandards festschreibt. Dies ermöglicht es den Mitgliedstaaten, auf nationaler Ebene weitergehende Schutzvorschriften beizubehalten und einzuführen.154 Zudem sind die Inhalte der Konvention und ihrer Zusatzprotokolle nicht unabänderbar. Vielmehr sieht die Konvention in Art. 32 Abs. 4 eine regelmäßige Überprüfung des Vertragswerkes vor, sodass den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Veränderungen Rechnung getragen werden kann. Auch ermöglicht ihre Konzeption – ein Grund-Übereinkommen mit Zusatzprotokollen – die fortlaufende Anpassung an neue Entwicklungen und eine Präzisierung ihrer Inhalte durch die Schaffung neuer und die Anpassung bestehender Zusatzprotokolle.155 In der Biomedizinkonvention und ihren Zusatzprotokollen nicht vorgesehen ist jedoch eine Klagemöglichkeit für Einzelpersonen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), wie dies die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)156 kennt. Die Rolle des Gerichtshofes ist im Rahmen der Biomedizinkonvention gemäß Art. 29 auf die Erstellung von Gutachten über die Auslegung einzelner Bestimmungen der Konvention beschränkt. Ein solches Gutachten können die Regierungen der Vertragsstaaten oder die Komitees des Europarates anfordern, nicht aber Einzelpersonen.157 Trotz der fehlenden Klagemöglichkeit für Einzelpersonen beim EGMR machen die völkerrechtliche Bindungskraft sowie ihre ausbaufähige Konzeption die Biomedizinkonvention auf internationaler Ebene zu einem der wichtigsten – wenn nicht sogar zum wichtigsten – Dokument im Bereich der Biomedizin.158 bb) Regelung der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen Die Konvention und das Zusatzprotokoll beruhen, was die biomedizinische Forschung am Menschen betrifft, auf dem Grundprinzip der freien, informierten, explizit geäußerten und dokumentierten Einwilligung der an einem Forschungsvorhaben beteiligten Personen. Das Zusatzprotokoll über die biomedizinische Forschung konkretisiert Kapitel V der Konvention (insb. Art. 15–17), das sich mit wissenschaftlicher Forschung mit Menschen befasst. Das Protokoll umfasst alle Arten der Forschung mit Versuchspersonen und beschränkt sich nicht allein auf 151 152
153 154 155
156 157 158
MÜLLER-TERPITZ, 7. Gemäß Art. 30 Biomedizinkonventionen haben die Vertragsstaaten über die Umsetzung der Konvention Bericht zu erstatten. Art. 36 Biomedizinkonvention. Art. 27 Biomedizinkonvention, MÜLLER-TERPITZ, 23. Dazu Botschaft Biomedizinkonvention, 280 f. Gemäß Art. 33 des Forschungsprotokolls sind die Bestimmungen des Protokolls als Ergänzungen zur Konvention im Bereich der biomedizinischen Forschung am Menschen zu sehen. Zur EMRK oben II.1.b. REUSSER zit. Konzept, 61. MÜLLER-TERPITZ, 7 f.; TAUPITZ zit. Patienten, 131 bezeichnet die Konvention als „[…] wichtigstes Dokument auf internationaler Ebene […]“.
II. Internationales Recht
105
die Arzneimittelforschung. Vom Protokoll über die Forschung am Menschen ist auch die medizinische Forschung mit schwangeren Frauen, Kindern, Embryos und Föten in vivo gedeckt. Im Weiteren befasst sich das Protokoll u.a. mit den Risiken und Nutzen der Forschung, dem Schutz und der Einwilligung von Nichteinwilligungsfähigen, den Rechten der an einem Forschungsvorhaben beteiligten Personen, der Qualität der Forschung und der Rolle und Aufgaben der Ethikkommissionen. Die unabhängige und interdisziplinäre Kontrolle von Forschungsvorhaben und die damit einhergehende ethische Akzeptanz der Humanforschung nehmen im Forschungsprotokoll einen besonders wichtigen Platz ein. So umfasst das Zusatzprotokoll in einem Anhang eine detaillierte Liste jener Informationen, die die Forschungsleitung der zuständigen Ethikkommission einreichen muss. Ziel ist eine europaweite Harmonisierung der Aufgaben und Vorgehensweisen von Ethikkommissionen in der Humanforschung. cc) Regelung der medizinischen Forschung mit Minderjährigen Hinsichtlich der medizinischen Forschung mit Kindern enthalten weder die Biomedizinkonvention noch das Forschungsprotokoll spezifische Regelungen. Die Biomedizinkonvention und das Forschungsprotokoll knüpfen nicht an die Minderjährigkeit, sondern an die Einwilligungsfähigkeit bzw. Einwilligungsunfähigkeit der Versuchspersonen an.159 Entsprechend wird die medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen durch die Bestimmungen zur Forschung an nicht einwilligungsfähigen Personen erfasst. Gemäß Art. 17 der Biomedizinkonvention und dem Forschungsprotokoll (Art 15 ff.) ist therapeutische Forschung mit Nichteinwilligungsfähigen zulässig, wenn Forschung von vergleichbarer Wirksamkeit mit einwilligungsfähigen Personen nicht möglich ist. Dies unter der Voraussetzung, dass die schriftliche und nach Aufklärung erteilte Einwilligung des gesetzlichen Vertreters oder einer dafür zuständigen Stelle oder Behörde vorliegt. Forschung ohne direkten Nutzen für nicht einwilligungsfähige Versuchspersonen ist nur in Ausnahmefällen und aufgrund speziell zu erlassender nationaler Schutzbestimmungen zulässig.160 Dabei gelten folgende Mindestanforderungen: Die nicht therapeutische, gruppennützige Forschung mit Nichteinwilligungsfähigen ist nur dann zulässig, wenn durch sie eine wesentliche Erweiterung des wissenschaftlichen Verständnisses angestrebt wird. Sie muss sich mit dem Zustand, der Krankheit oder der Störung befassen, unter der die betroffene nicht einwilligungsfähige Person oder andere Personen der gleichen Altersgruppe leiden. Auch sind nur minimale Risiken und minimale Belastungen zulässig.161 Explizit erwähnt werden Minderjährige einzig in Art. 6 zur Einwilligung. Gemäß Art. 6 Abs. 2 kommt der Meinung minderjähriger Versuchspersonen mit zunehmendem Alter ein entscheidendes Gewicht zu. Ist die minderjährige Versuchsperson urteilsfähig, entscheidet sie selbst über ihre Teilnahme an einem Forschungsvorhaben. Dabei hat das nationale Recht zu bestimmen, wann ein Min159 160 161
TAUPITZ zit. Biomedizinische Forschung, 102. Art. 17 Abs. 2 Biomedizinkonvention, Art. 15 Abs. 2 Forschungsprotokoll. Art. 17 Biomedizinkonvention, Art. 15 ff. Forschungsprotokoll.
106
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
derjähriger urteilsfähig und damit einwilligungsfähig ist.162 Die Einwilligung kann im Interesse der betroffenen Person jederzeit widerrufen werden.163 Unter Einhaltung dieser Vorgaben dürfen nicht einwilligungsfähige Personen in nicht therapeutische Forschungsvorhaben mit einbezogen werden. Auf die Mitspracherechte und Einwilligungsbefugnisse minderjähriger Versuchspersonen nach den Regelungen der Biomedizinkonvention und dem Forschungsprotokoll wird im vierten Kapitel unter V.4.b.ff) vertieft eingegangen. dd) Ratifikation der Biomedizinkonvention Von derzeit 47 Mitgliedstaaten des Europarates haben bis heute 34 die Biomedizinkonvention ratifiziert.164 Das Zusatzprotokoll zur biomedizinischen Forschung wurde bis heute von 21 Europaratstaaten unterzeichnet, wovon fünf Länder165 das Protokoll bereits ratifiziert haben. Das Zusatzprotokoll wird am 1. September 2007 in Kraft treten. Die Schweiz gehört zu den Unterzeichnerstaaten der Biomedizinkonvention, hat diese aber bis heute nicht ratifiziert. Deutschland hat die Biomedizinkonvention aufgrund erheblicher Vorbehalte gegenüber den Bestimmungen zur Forschung mit Nichteinwilligungsfähigen bis heute nicht unterzeichnet.166 Das Zusatzprotokoll zur Forschung am Menschen haben bis heute weder Deutschland noch die Schweiz unterzeichnet.167 In der Schweiz soll vor einer Unterzeichnung und Ratifikation der Biomedizinkonvention und allfälliger Zusatzprotokolle die nationale Gesetzgebung in diesen Bereichen angepasst werden.168 Deshalb werden insbesondere das neue Bundesgesetz zur Humanforschung und das neue Vormundschaftsrecht abgewartet.169 ee) Geltung und direkte Anwendbarkeit der Biomedizinkonvention nach schweizerischem Recht Gemäß dem Bericht von GUILLOD/STEFFEN170 entspricht die schweizerische Gesetzgebung in weiten Bereichen den Anforderungen der Biomedizinkonvention 162 163 164
165 166
167
168
169
170
TAUPITZ zit. Biomedizinische Forschung, 103. Art. 5 Biomedizinkonvention, Art. 14 Forschungsprotokoll. Stand Mai 2007. Angaben gemäß der Internetseite des Vertragsbüros des Europarates: , besucht im Juni 2007. Bulgarien, Slowakei, Slowenien, Ungarn, Bosnien und Herzegowina. Eine kurze Zusammenfassung der Diskussion in Deutschland findet sich bei TAUPITZ zit. Einführung, 1 ff., m.w.H. Für einen Vergleich der schweizerischen Gesetzgebung mit der Biomedizinkonvention siehe den Landesbericht von STEFFEN/GUILLOD sowie die Botschaft zur Biomedizinkonvention. Zur schweizerischen Praxis zur Ratifikation internationaler Verträge siehe MÜLLER/WILDHABER, 181. Dies obwohl noch in der bundesrätlichen Botschaft eine rasche Ratifikation der Konvention gerade im Hinblick auf die Forschung mit nicht oder beschränkt einwilligungsfähigen Personen befürwortet wurde: „Für eine einigermassen zügige Ratifikation spricht, dass im besonders heiklen Bereich der Forschung in der Schweiz teilweise noch beachtliche Regelungsdefizite bestehen“., 280, Ziff. 1.4.4. STEFFEN/GUILLOD, 351 ff.
II. Internationales Recht
107
und ihren Zusatzprotokollen.171 Da die Schweiz in Bezug auf das internationale Recht dem monistischen System folgt, werden die Konvention und ihre Zusatzprotokolle durch die Ratifikation und Inkraftsetzung zu Bestandteilen der schweizerischen Rechtsordnung.172 Soweit einzelne Bestimmungen direkt anwendbar sind, können sich Individuen vor schweizerischen Behörden direkt auf diese berufen. Gemäß bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind Bestimmungen des internationalen Rechts dann direkt anwendbar, wenn sie inhaltlich hinreichend bestimmt und klar sind, um im Einzelfall die Grundlage für einen Entscheid zu sein.173 Dabei ist es Sache der rechtsanwendenden Behörden, über die direkte Anwendbarkeit einzelner Bestimmungen zu befinden.174 Gemäß dem Bericht von GUILLOD/STEFFEN175 ist davon auszugehen, dass nach einer Ratifizierung der Biomedizinkonvention durch die Schweiz folgende Bestimmungen der Biomedizinkonvention zu Forschung mit Minderjährigen direkt anwendbar sind: Art. 6 Schutz einwilligungsunfähiger Personen, Art. 16 Schutz von Personen bei Forschungsvorhaben, Art. 17 Schutz einwilligungsunfähiger Personen bei Forschungsvorhaben.176 c) CIOMS-Guidelines aa) Grundlagen Die International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects (CIOMS-Guidelines)177 sind ethische Grundsätze für die medizinische Forschung mit Versuchspersonen. Sie wurden vom Council for International Organization of Medical Sciences (CIOMS) in Zusammenarbeit mit der World Health Organization (WHO) erarbeitet und in ihrer dritten und aktuellen Fassung 2002 in Genf verabschiedet. CIOMS wurde unter der Federführung der WHO und der UNESCO im Jahr 1949 gegründet. Sie ist eine internationale Nichtregierungsorganisation und eng mit der WHO verbunden.178 Die Arbeiten an den ethischen Grundsätzen für die Humanforschung wurden von CIOMS Ende der 1970er-Jahre in Zusammenarbeit mit der WHO aufgenommen. Das Ziel der CIOMS-Guidelines ist es, die ethischen Prinzipien der Helsinki Deklaration des Weltärztebundes effektiv anwendbar und umsetzbar zu machen. Dabei legen die CIOMS-Guidelines ein besonderes Augenmerk auf die Forschung in Ländern mit beschränkten Ressourcen (Entwicklungsländer). Die CIOMS-Guidelines verlangen, dass die Forschung die sozioökonomischen Umstände eines Forschungsstandortes sowie die rechtlichen, kulturellen, politischen und administrativen Vor171
172 173 174 175 176 177
178
Botschaft Biomedizinkonvention, 285 ff., Ziff. 3; Vernehmlassungsbericht Biomedizinkonvention, 9 ff.; STEFFEN/GUILLOD, 354 ff. STEFFEN/GUILLOD, 353. BGE 124 III 90 m.w.H. Vernehmlassungsbericht Biomedizinkonvention, 8. STEFFEN/GUILLOD, 351 ff. STEFFEN/GUILLOD, 354; Vernehmlassungsbericht Biomedizinkonvention, 8 f. Englische Originalfassung: , besucht im Juni 2007. CIOMS, 7 ff. Ihre Mitglieder sind internationale und nationale Organisationen aus verschiedenen Bereichen der Biomedizin und der Forschung.
108
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
aussetzungen eines Landes berücksichtigt.179 Bei der Auswahl eines Forschungsstandortes ist darauf zu achten, dass die Forschung den Bedürfnissen des Landes, in dem die Forschung durchgeführt wird, entspricht. Damit wenden sich die CIOMS-Guidelines gegen den Export von Forschungsvorhaben aus den Ländern der Ersten Welt in Entwicklungsländer.180 bb) Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen Die CIOMS-Guidelines beziehen sich mehrfach auf nicht einwilligungsfähige Versuchspersonen und kennen mit Guideline 14 (Research involving children) eine eigene Bestimmung für die Forschung mit Minderjährigen. Die CIOMS-Guideline 14 (i.V.m. Guidelines 9 und 13) statuiert die Subsidiarität der Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen. Nur wenn ein Forschungsvorhaben nicht mit einwilligungsfähigen Erwachsenen durchgeführt werden kann, darf – unter Einhaltung der in Guideline 14 genannten Voraussetzungen – mit Minderjährigen geforscht werden. Im Weiteren verlangt CIOMS-Guideline 14 die Zustimmung der Eltern oder der rechtlichen Vertreter sowie das Einverständnis (assent) des Kindes, entsprechend seiner Reife. Lehnt das Kind die Teilnahme oder die Fortsetzung seiner Teilnahme an einem Forschungsvorhaben ab, ist dieser Wille in den Grenzen des Kindeswohls zu respektieren. Gemäß Kommentar zu CIOMS-Guideline 14 ist der Einbezug eines Kindes in ein Forschungsvorhaben entgegen dessen erklärten Willen zulässig, wenn das Kind eine Behandlung braucht, die nur im Kontext einer Forschungsmaßnahme erhältlich ist. Zusätzlich ist erforderlich, dass die experimentelle Intervention therapeutische Vorteile erwarten lässt und keine akzeptierten Alternativtherapien vorhanden sind. Sofern alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, dürfen die gesetzlichen Vertreter eines Kindes und der betreuende Arzt die Ablehnung des Kindes übergehen. Handelt es sich dabei um ein älteres Kind,181 das nahezu in der Lage ist, eine eigenständige Entscheidung zu fällen, empfiehlt der Kommentar zu CIOMS-Guideline 14 dem Arzt, den Fall einer unabhängigen Ethikkommission vorzulegen. Im Kommentar zu CIOMS-Guideline 14 ist auch der Fall geregelt, dass ein Jugendlicher während der Dauer eines Forschungsvorhabens die Fähigkeit und Reife, eine unabhängige, informierte Zustimmung (independent informed consent) abzugeben, erlangt. Trifft dies zu, muss die Zustimmung des Minderjährigen zur Weiterführung seiner Teilnahme eingeholt werden. Neben der Subsidiarität der Forschung mit Minderjährigen verlangen die CIOMS-Guidelines eine Begrenzung der Risiken der Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Personen auf eine minimale Belastung und ein minimales Risiko (CIOMS-Guideline 9 i.V.m. CIOMS-Guideline 8). CIOMS-Guideline 9 konkretisiert diese unbestimmten Begriffe und verlangt, dass die mit nicht therapeutischer Forschung mit Urteilsunfähigen verbundenen Risiken und Belastungen nicht größer sein dürfen als die mit normalen medizinischen und psychologischen (Rou179 180 181
CIOMS, 7 ff., 10. Zu den CIOMS-Guidelines siehe auch MANAÏ, 497 f. Zur Frage des Alters wird im Kommentar zu CIOMS-Guideline 14 ausgeführt: „It may be assumed that children over the age of 12 or 13 years are usually capable of understanding what is necessary to give adequately informed consent […].“
II. Internationales Recht
109
tine-)Untersuchungen verbundenen Risiken und Belastungen. Ausnahmen sind zulässig, wenn ein vorrangiger wissenschaftlicher oder medizinischer Grund vorliegt. Dann darf bei nicht therapeutischer Forschung mit Urteilsunfähigen über ein minimales Risiko und eine minimale Belastung leicht oder geringfügig (slight or minor increase) hinausgegangen werden. Doch wird im Kommentar zu CIOMSGuideline 9 betont, dass keine international anerkannte, präzise Definition von slight or minor increase besteht. Vielmehr sei dieses Maß von der durch die einzelnen Ethikkommissionen entwickelten Praxis und der Interpretation der verwendeten Standards abhängig. Gemäß CIOMS-Guideline 9 darf bei fremdnützigen Forschungsvorhaben mit Urteilsunfähigen nur dann ein geringfügig höheres Risiko eingegangen werden, wenn dies durch die zuständige Ethikkommission182 geprüft und als zulässig erklärt worden ist. Im Kommentar zu CIOMS-Guideline 14 wird für Forschungsvorhaben mit Minderjährigen zudem empfohlen, den minderjährigen Versuchspersonen und ihren Familien eine Möglichkeit zur medizinischen und psychologischen Betreuung und Beratung zu offerieren. Um den Schutz der minderjährigen Versuchsteilnehmer weiter zu verbessern, schlägt der Kommentar zu CIOMSGuideline 14 den Forschenden vor, dass sie – bei Möglichkeit – sich mit jener Arztperson austauschen, die das Kind unter normalen Umständen betreut (Hausarzt oder Facharzt). cc) Bedeutung und Bindungswirkung Als Empfehlungen einer Nichtregierungsorganisation sind die CIOMS-Guidelines rechtlich nicht bindend. Sie vermögen demnach keine Rechtskraft zu entfalten und sind in erster Linie Ausdruck einer bestimmten Auffassung. Im Vergleich mit Regelwerken des Völkerrechts zur medizinischen Forschung mit Menschen, z.B. mit der Biomedizinkonvention des Europarates, sind die CIOMS-Guidelines demnach von beschränkter Bedeutung.183 Allerdings dienen sie der Meinungsbildung und beeinflussen insbesondere durch ihre Detailliertheit die internationale wie nationale Rechtssetzung im Bereich der Humanforschung.
182
183
Die Ethikkommission hat gemäß Kommentar zu CIOMS-Guideline 9 dabei folgende Punkte zu prüfen: „When the risks are in excess of those, the ethical review committee must find: 1) that the research is designed to be responsive to the disease affecting the prospective subjects or to conditions to which they are particularly susceptible; 2) that the risks of the research interventions are only slightly greater than those associated with routine medical or psychological examination of such persons for the condition or set of clinical circumstances under investigation; 3) that the objective of the research is sufficiently important to justify exposure of the subjects to the increased risk; and 4) that the interventions are reasonably commensurate with the clinical interventions that the subjects have experienced or may be expected to experience in relation to the condition under investigation.“ So findet sich beispielsweise in keiner der bedeutenden nationalen und internationalen Regelungen zur Biomedizin und zur Humanforschung (z.B. Biomedizinkonvention des Europarates, ICH-GCP-Guidelines, europäische Richtlinie 2001/20/EG, HMG, AMG) ein Verweis auf die CIOMS-Guidelines.
110
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
d) Universal Declaration on Bioethics and Human Rights Am 19. Oktober 2005 wurde die Universal Declaration on Bioethics and Human Rights von der 33. Generalkonferenz der UNESCO per Akklamation angenommen.184 Mit dieser Deklaration wollen die Mitgliedstaaten der UNESCO – unter Berücksichtigung der verschiedenen kulturellen Hintergründe – einen weltweit anerkannten Rahmen für die Forschung und die medizinische Praxis schaffen und damit den Herausforderungen der neusten Entwicklungen im Bereich der Medizin und Technik Rechnung tragen.185 In der Präambel der Deklaration wird neben zahlreichen Menschenrechtsinstrumenten der Vereinten Nationen (u.a. UN-Pakt I, UN-Pakt II, Kinderrechtskonvention) auch auf die Helsinki Deklaration, die Biomedizinkonvention des Europarates und ihre Zusatzprotokolle sowie auf die CIOMS-Guidelines verwiesen. Diese Bezugnahme auf rechtliche und ethische Normen außerhalb des UNSystems ist in der rechtlichen Tradition der UNESCO neu und verdeutlicht die Bedeutung dieser Instrumente für die internationale Rechtsfortbildung im Bereich der Bioethik.186 Als völkerrechtliche Rechtsquelle wendet sich die Deklaration in erster Linie an die Staaten. Es werden jedoch in Art. 1 Abs. b) auch explizit weitere Akteure privater und öffentlicher Natur angesprochen.187 Für die Forschung mit Minderjährigen sind insbesondere folgende Prinzipien der Deklaration maßgebend: Die Achtung der Menschenwürde und der Menschenrechte (Art. 3), das Prinzip des informed consent (Art. 6), der Grundsatz von maximalem Nutzen bei minimalen Risiken (Art. 4) und das Nichtdiskriminierungsgebot (Art. 11). Aber auch der Grundsatz von Solidarität und Kooperation (Art. 13), die Respektierung der kulturellen Unterschiede (Art. 12) sowie der Schutz der Umwelt, der Biosphäre und der Biodiversität (Art. 17) und der Schutz der zukünftigen Generationen (Art. 16) bilden die Grundwerte der UNESCODeklaration. Diese Aufzählung verdeutlicht den Charakter der Deklaration als internationales Grundsatzdokument der Bioethik. Allerdings kommt der Deklaration aufgrund ihrer programmatischen Natur keine rechtsverbindliche Wirkung zu. 184
185
186
187
Der Text der Deklaration ist abrufbar unter , besucht im Juni 2007. Siehe dazu die in Art. 2 formulierten Zielsetzungen der Deklaration; Explanatory Memorandum, Ziff. 24 ff. Explanatory Memorandum, Ziff. 15, „[…] In the area of bioethics these three instruments are especially relevant since they identify acknowledged principles and standards commonly adopted at the international level.“ Article 1: Scope „a) This Declaration addresses ethical issues related to medicine, life sciences and associated technologies as applied to human beings, taking into account their social, legal and environmental dimensions. b) This Declaration is addressed to States. As appropriate and relevant, it also provides guidance to decisions or practices of individuals, groups, communities, institutions and corporations, public and private.“
II. Internationales Recht
111
e) ICH-Guidelines aa) Grundlagen Im Rahmen der 1989 in Paris gegründeten International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH) werden von Vertretern der Zulassungsbehörden und der pharmazeutischen Unternehmen aus der Europäischen Union, Japan und den Vereinigten Staaten wissenschaftliche und technische Anforderungen der Arzneimittelzulassung erarbeitet.188 In der ICH sind die staatlichen Vertreter und jene der Industrie gleichgestellte Mitglieder.189 Mit der Schaffung der Guidelines strebt die ICH eine weltweite Harmonisierung der Zulassungsanforderungen von Humanarzneimitteln und der Marktüberwachung an.190 Diese Harmonisierung soll den internationalen Handel mit Arzneimitteln erleichtern.191 Wie oben ausgeführt192, gehören die Richtlinien der ICH folglich zur zweiten Gruppe der internationalen Regelungen zur Humanforschung, die zur Schaffung einheitlicher Technologie-, Qualitäts- und Sicherheitsstandards dienen. Die ICH hat den Status einer internationalen Nichtregierungsorganisation (NGO).193 Demzufolge sind ihre Richtlinien keine verbindliche Akte des internationalen Rechts. Die Bindungswirkung der ICH-Guidelines wird durch das nationale Recht bestimmt.194 Als Beobachter bei der ICH sind Vertreter von Kanada, der EFTA und der WHO vertreten.195 Die Schweiz verfügt (in Vertretung der EFTA-Länder) seit 1995 über einen Beobachterstatus im Steering Committee der ICH.196 Sie stellt regelmäßig Experten in den einzelnen Arbeitsgruppen und ist damit in den Prozess der Ausarbeitung von ICH-Guidelines eingebunden. bb) ICH-Guidelines Die Guidelines sind unterteilt nach den Themen Qualität (Q-Guidelines), Sicherheit (vorklinische Prüfung, S-Guidelines) und Wirksamkeit (klinische Prüfung, EGuidelines). Über diese Bereiche hinaus werden auch übergreifende Themen wie z.B. eine einheitliche medizinische Nomenklatur behandelt (Multidisciplinary MGuidelines). Die ICH-Guidelines werden im Konsens verabschiedet (Step 4).197 188
189 190
191 192
193 194 195
196 197
MÉROZ, 642; SANDER, § 40, EG-Vorbemerkungen; SCHWARZ, 17 f. Vertreter von Kanada, der EFTA und der WHO haben einen Beobachterstatus inne. MÉROZ, 642. Siehe dazu auch JUNOD, 107; MÉROZ, 640. Eine Liste von ICH-Guidelines findet sich bei KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 8. MÉROZ, 640. Siehe oben die Einleitung zu den internationalen Regelungen der Humanforschung unter II.2. MÉROZ, 642. MÉROZ SCHWARZ, 24. 17 Länder bilden die ICH und insgesamt 190 Länder verfügen über einen Beobachterstatus. Siehe dazu den Beitrag „ICH-Guidelines“ im Swissmedic Journal 05/2006, 504. SCHWARZ, 18.
112
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Mit der Verabschiedung gelten die Inhalte der Leitlinien als in den drei genannten Regionen harmonisiert. Damit repräsentieren die ICH-Guidelines den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik.198 Nach ihrer Verabschiedung werden die Guidelines entsprechend dem Recht der Mitgliedsstaaten in das jeweilige Landesrecht übernommen.199 cc) ICH-Guideline for Good Clinical Practice (GCP) Für die medizinische Forschung mit Versuchspersonen ist insbesondere die Guideline for Good Clinical Practice (ICH-GCP) von Bedeutung. Sie wurde 1996 von der ICH verabschiedet und begründet einen international anerkannten Standard für Planung, Durchführung, Monitoring, Auditing, Dokumentation, Auswertung und Berichterstattung von klinischen Prüfungen.200 Die Guidelines sind präzise und umfassend.201 Durch ihre Detailliertheit soll eine divergierende Interpretation durch die Mitglieder verhindert und ihre einheitliche Anwendung ermöglicht werden.202 Die ICH-GCP-Guidelines sollen sicherstellen, dass die Daten und die berichteten Ergebnisse von Studien glaubwürdig und korrekt sind und dass die Rechte und die Identität der an Forschungsvorhaben beteiligten Probanden und Patienten geschützt werden.203 Die ICH-GCP-Guidelines beziehen sich auf die ethischen Prinzipien der Helsinki Deklaration.204 Die ICH-GCP-Guidelines sind heute der wichtigste Standard für Qualität, Sicherheit und ethische Vertretbarkeit medizinischer Forschungsvorhaben mit Versuchspersonen. Sie liegen sämtlichen nationalen wie internationalen Regelungen für die Good Clinical Practice zugrunde. Durch den Verweis in Art. 53 Abs. 1 HMG i.V.m. Art. 4 VKlin auf die „Leitlinien der Guten Klinischen Praxis der Internationalen Harmonisierungskonferenz (ICH-Leitlinien) in der Fassung vom 1. Mai 1996“ verpflichtet beispielsweise das schweizerische Heilmittelrecht zur Einhaltung der ICH-GCP-Guideline.205 Die EU setzte die ICH-GCP-Guideline im Bereich der Arzneimittelforschung mit der Richtlinie 2001/20/EG206 um. Diese
198 199 200
201 202 203
204
205 206
Beitrag „ICH-Guidelines“ im Swissmedic Journal 05/2006, 504. SCHWARZ, 23. BSK HMG-FERRARO, Art. 53 N 15 ff.; SCHWARZ, 17: „Die Einhaltung der GCP-Leitlinien soll als aktueller wissenschaftlicher Kenntnisstand die ethische, wissenschaftliche, biometrische und technische Qualität klinischer Prüfungen sowie die Glaubwürdigkeit der erhobenen und verarbeiteten Daten sicherstellen.“ In der verbindlichen englischen Originalfassung umfassen die Guidelines 60 Seiten. BUCHBERGER/METZNER, 139. JUNOD, 108. Im Gegensatz zu anderen Rechtsgrundlagen der Humanforschung – beispielsweise zur Biomedizinkonvention des Europarates – dienen die ICH-GCP-Guidelines nicht nur dem Schutz der Versuchspersonen, sondern auch der Harmonisierung regulatorischer Voraussetzungen klinischer Studien. ICH-GCP-Guideline Ziff. 2.1: „Clinical trials should be conducted in accordance with the ethical principles that have their origin in the Declaration of Helsinki, and that are consistent with GCP and the applicable regulatory re-quirement(s).” HAUSHEER zit. Landesbericht, 207. Dazu gleich anschließend unter II.3.a.
II. Internationales Recht
113
wiederum wurde durch die 12. AMG-Novelle 2004 ins deutsche Arzneimittelgesetz (AMG) aufgenommen.207 dd) Forschung mit Minderjährigen: ICH-Guideline E11 Besonders für die medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen ist folgende ICH-Guideline von Bedeutung: Clinical Investigation of Medical Products in the Pediatric Population (ICH-Guideline E11).208 Diese Richtlinie legt fest, wann für einen Wirkstoff pädiatrische Daten benötigt werden209 und in welcher Phase der Entwicklung einer neuen Substanz pädiatrische Studien210 durchgeführt werden sollten. Sie definiert die für die Forschung mit Kindern und Jugendlichen relevanten Alterskategorien211 und befasst sich mit Fragen der Ethik212 pädiatrischer Studien. Zusammen mit weiteren ICH-Guidelines213 schafft diese ICHGuideline eine international breit abgestützte Grundlage für die Arzneimittelforschung mit minderjährigen Versuchspersonen.214 ee) ICH-Guidelines im schweizerischen Recht Die ICH-Guidelines werden seit einiger Zeit von der schweizerischen Zulassungsbehörde (Swissmedic)215 bei der Begutachtung von Dokumentationen zur Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von Humanarzneimitteln sinngemäß angewendet.216 Sofern die Guidelines von der ICH-Organisation in Stufe 4 verabschiedet wurden, sind sie verbindliche Referenzkriterien.217 Mit Bezug auf den Status der ICH-
207 208
209 210 211 212
213
214
215 216 217
Zum deutschen Recht der Arzneimittelprüfung weiter unten IV. ICH Harmonised Tripartite Guidelines for Clinical Investigation of Medical Products in the Pediatric Population E11, Current Step 4 version, 20 July 2000; , besucht im Juni 2007. Siehe zu dieser ICHGuideline: JUNOD, 380 f. Ziff. 2.1 ICH-Guideline E11. Ziff. 2.3 ICH-Guideline E11. Ziff. 2.5 ICH-Guideline E11. Ziff. 2.6 ICH-Guideline E11. Dazu gehören u.a. die Rekrutierung minderjähriger Versuchspersonen (Ziff 2.6.2.), die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter sowie die Zustimmung des Minderjährigen (Ziff. 2.6.3). In Ziff. 1.2. werden folgende, für pädiatrische Studien relevante ICH-Dokumente genannt: E2: Clinical Safety Data Management; E3: Structure and Content of Clinical Study Reports; E4: Dose-Response Information to Support Drug Registration; E5: Ethnic Factors in the Acceptability of Foreign Clinical Data; E6: Good Clinical Practice: Consolidated Guideline; E8: General Considerations for Clinical Trials; E9: Statistical Principles for Clinical Trials; E10: Choice of Control Group in Clinical Trials; M3: Nonclinical Safety Studies for the Conduct of Human Clinical Trials for Pharmaceuticals; Q1: Stability Testing; Q2: Validation of Analytical Procedures; Q3: Impurity Testing. Siehe zum Schutz pädiatrischer Versuchspersonen im Rahmen der ICH insbesondere RYAN, 848 ff. Zur Swissmedic weiter unten III.2.c. MÉROZ, 646. Beitrag „ICH-Guidelines“ im Swissmedic Journal 05/2006, 504. Der Beitrag listet auf Seite 505 f. die aktuell in der Schweiz geltenden ICH-Guidelines auf. In Zukunft wird
114
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Guidelines als den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik und mit Verweis auf Art. 11 Abs. 3 HMG fordert Swissmedic die Antragsteller auf, bei der Ausarbeitung der Zulassungsunterlagen die Vorgaben der ICH-Guidelines zu berücksichtigen. Die Guidelines sind als ergänzende Auslegungshilfen der Bestimmungen im Heilmittelgesetz und den dazugehörigen Verordnungen zu betrachten. Demzufolge müssen Abweichungen von den ICH-Leitlinien durch die Gesuchsteller wissenschaftlich begründet werden und mit den Anforderungen der geltenden Heilmittelgesetzgebung im Einklang stehen.218 Einen besonderen Status kommt den ICH-GCP-Guidelines zur Guten klinischen Praxis zu. Mit dem konkreten Verweis in Art. 4 Klin219 auf die ICH-GCPGuidelines in der Fassung vom 1. Mai 1996, werden die Inhalte dieser Guideline rechtlich bindend.220 Im Weiteren besteht zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft seit 1999 ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen.221 Darin erklären die Schweiz und die Europäische Gemeinschaft ausdrücklich, dass sie die Leitlinien zur Guten klinischen Praxis (ICH-GCP-Guidelines) einhalten werden.222 Diese Deklaration ist kein bindender Rechtsakt des internationalen Rechts. Sie verpflichtet die Parteien einzig durch den Grundsatz des guten Glaubens. Doch werden die schweizerischen Behörden mit der Publikation des Abkommens in der Amtlichen Sammlung des Bundesrechts223 zur Einhaltung verpflichtet.224 Nach der Darstellung der für die Humanforschung relevanten Normen des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes und diverser internationalen Regelungen zur medizinischen Forschung mit Menschen werden als Abschluss der Ausführungen zum internationalen Recht nachfolgend ausgewählte Normen zur Humanforschung aus dem Recht der Europäischen Gemeinschaft vorgestellt.
218
219
220 221
222 223 224
bei neuen ICH-Guidelines, die Step 4 erreicht haben, das Inkrafttreten für die Schweiz durch Swissmedic bekannt gegeben. Beitrag „ICH-Guidelines“ im Swissmedic Journal 05/2006, 504. Siehe dazu auch MÉROZ, 645 ff. MÉROZ stuft die von der Swissmedic als Referenzkriterien bezeichneten ICH-Guidelines als Verwaltungsverordnungen ein. Diese hätten keine Rechtswirkung (Verweis auf BGE 117 Ib 225 E.4). Die Gesuchsteller könnten somit nicht zur Einhaltung dieser Bestimmungen gezwungen werden. Doch würden Abweichungen von den Guidelines dem Prinzip des guten Glaubens unterliegen und die Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit müssten gewahrt werden. Demzufolge müssten Abweichungen, um zulässig zu sein, den Anforderungen der Heilmittelgesetzgebung und den Ausführungsbestimmungen entsprechen. Das Institut hat diese besonders sorgfältig zu prüfen, MÉROZ, 647 f. Art. 4 Internationale Richtlinien „Klinische Versuche mit Arzneimitteln müssen nach der Leitlinie der Guten Klinischen Praxis der Internationalen Harmonisierungskonferenz (ICH-Leitlinie) in der Fassung vom 1. Mai 1996 durchgeführt werden.“ MÉROZ, 644 f. Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen, SR 0.946.526.81, in Kraft getreten am 1. Juni 2002. MÉROZ, 645. AS 2002 1803. MÉROZ, 645.
II. Internationales Recht
115
3. Recht der Europäischen Gemeinschaft Bei der Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Humanforschung spielt das europäische Gemeinschaftsrecht zunehmend eine bedeutende Rolle.225 Die Gemeinschaft hat in den 1970er-Jahren damit begonnen, Maßnahmen mit gesundheitspolitischem Bezug zu erlassen.226 Art. 152 EGV bildet das Herzstück der europäischen Gesundheitspolitik und verpflichtet die Gemeinschaft, ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen. Sie umfasst neben Aktivitäten im Bereich der öffentlichen Gesundheit Maßnahmen im Rahmen des Binnenmarktes, des Verbraucherschutzes, der Umwelt und der Forschung.227 Der Gesundheitsbegriff nach Art. 152 EGV ist umfassend.228 Die Bestimmung beruht auf dem Maastrichter Vertrag und wurde durch den Amsterdamer Vertrag geändert.229 Mit Art. 152 wurde erstmalig eine Gemeinschaftskompetenz im Gesundheitsbereich geschaffen. Damit erhielt die Gemeinschaft eine ausdrückliche Kompetenzgrundlage für den Erlass gesundheitspolitischer Maßnahmen.230 Dennoch ist die Kompetenz der Gemeinschaft im Gesundheitsbereich eine subsidiäre. Denn trotz der Einwirkungsmöglichkeiten der Gemeinschaft auf der Grundlage von Art. 152 EGV, hält die Bestimmung in Abs. 5 fest, dass „die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang“ in der Verantwortung der Mitgliedstaaten verbleibt.231 Heute kommen für den Erlass gesundheitspolitischer Maßnahmen neben Art. 152 EGV folgende weitere Rechtsgrundlagen in Betracht: Maßnahmen mit einem gesundheitspolitischen Charakter stützen sich neben Art. 152 entweder auf spezifische Ermächtigungen der Gemeinschaft (z.B. Art. 137 EGV Arbeitsschutz, Art. 175 Umweltpolitik), oder sie fußen auf der allgemeinen Ermächtigung nach Art. 95 EGV oder Art. 308 EGV, wenn die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind.232 Art. 95 EGV gibt der Gemeinschaft eine Handlungsermächtigung für Angleichungsmaßnahmen zum Abbau von Unterschieden der Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten. Die Maßnahmen beziehen sich auf den Binnenmarkt im Sinne von Art. 4 EGV.233 Das Recht der Mitgliedstaaten soll an
225
226
227 228 229
230
231
232 233
Siehe dazu die Ausführungen bei SPRUMONT, 158 ff. Zu den Europäischen Gemeinschaften im Allgemeinen MÜLLER/WILDHABER, 282 ff. BIEBER/EPINEY/HAAG, § 31 Rn. 42. Siehe zum gemeinschaftsrechtlichen Gesundheitsschutz vor dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages BERG, 93. SCHMIDT AM BUSCH in: GRABITZ/HILF, Art. 152 EGV, Rn. 5. SCHMIDT AM BUSCH in: GRABITZ/HILF, Art. 152 EGV, Rn. 6. BARDENHEWER-RATING/NIGGEMEIER in: VON DER GROEBEN/SCHWARZE, Art. 152 EGV, Rn. 1. BARDENHEWER-RATING/NIGGEMEIER in: VON DER GROEBEN/SCHWARZE, Art. 152 EGV, Rn. 1; BIEBER/EPINEY/HAAG, § 31 Rn. 32; SCHMIDT AM BUSCH in: GRABITZ/HILF, Art. 152 EGV, Rn. 4. BARDENHEWER-RATING/NIGGEMEIER in: VON DER GROEBEN/SCHWARZE, Art. 152 EGV, Rn. 35; SCHMIDT AM BUSCH in: GRABITZ/HILF, Art. 152 EGV, Rn. 17, 25 ff. BIEBER/EPINEY/HAAG, § 31 Rn. 33 ff.; TIETJE in: GRABITZ/HILF, Art. 95 EGV, Rn. 26 . PIPKORN/BARDENHEWER-RATING/TASCHNER in: VON DER GROEBEN/SCHWARZE, Art. 95, Rn. 7 ff.
116
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
einen gemeinschaftlich definierten Standard angepasst werden.234 Dies führte zu einer schrittweisen Angleichung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Im Gesundheitsbereich liegt der Akzent der rechtsverbindlichen gemeinschaftsrechtlichen Akte auf produktbezogenen Regelungen. Ein Schwergewicht dieser gemeinschaftlichen Tätigkeit ist das Arzneimittelrecht.235 Die Schaffung einer einheitlichen europäischen Regelung für klinische Prüfungen ist notwendig, da für die Entwicklung neuer Arzneimittel erhebliche Investitionen erforderlich sind. Ein großer Teil dieser Investitionen wird für die klinischen Prüfungen benötigt. Dabei ist die Zahl der Versuchspersonen und Institutionen, die für Studien zur Verfügung stehen, begrenzt. Dies erfordert klinische Prüfungen, die dezentral und grenzüberschreitend gleichzeitig in verschiedenen Mitgliedstaaten in der Form multizentrischer Studien durchgeführt werden. Für die einheitliche Durchführung klinischer Studien und die Sicherstellung der gegenseitigen Anerkennung der Ergebnisse ist eine einheitliche Regelung klinischer Studien innerhalb der Mitgliedstaaten eine zentrale Voraussetzung.236 Obwohl die Schweiz nicht zu den Mitgliedsländern der EU gehört, wird das schweizerische Gesundheitsrecht durch das einschlägige Recht der Europäischen Gemeinschaft dennoch stark beeinflusst. Das schweizerische Recht orientiert sich insbesondere im Bereich der Heilmittel und der Forschung stark am Recht der Europäischen Gemeinschaft.237 Nachfolgend werden die für die medizinische Forschung mit Minderjährigen maßgebenden Normen des Europarechts vorgestellt. a) Arzneimittelrichtlinie 2001/20/EG aa) Arzneimittelzulassung Die arzneimittelrechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die Regelung für die Zulassung von Arzneimitteln, sind sowohl für die betroffenen Patienten wie für die forschenden Arzneimittelhersteller von entscheidender Bedeutung. Sie stützt sich auf Art. 95 EGV.238 Heute bestehen in den Mitgliedsländern der EU drei verschiedene Möglichkeiten der Arzneimittelzulassung: a) die nationale Zulassung, b) das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung der nationalen Zulassungen, c) das zentralisierte Zulassungsverfahren bei der europäischen Arzneimittelagentur. Mit einer Zulassung nach dem zentralisierten Verfahren darf ein Arzneimittel in allen Mitgliedsländer der EU, Norwegen, Island und Liechtenstein vertrieben werden. Für bestimmte Arzneimittel (z.B. biotechnologische Arznei234 235
236 237 238
ARNDT, 192 f. BIEBER/EPINEY/HAAG, § 31 Rn. 44; SANDER, § 40, EG-Vorbemerkungen. Eine Liste europäischer Richtlinien, Grundsätze und Leitlinien für die Durchführung klinischer Prüfungen findet sich bei KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 7. Ebenfalls bei KLOESEL/CYRAN, § 40 Rn. 9 findet sich eine Aufzählung von Empfehlungen der Fachausschüsse der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMEA) für die Planung und Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 4, 39. POLEDNA/BERGER, Rn. 14. BARDENHEWER-RATING/NIGGEMEIER in: VON DER GROEBEN/SCHWARZE, Art. 152 EGV, Rn. 31.
II. Internationales Recht
117
mittel, Arzneimittel für seltene Krankheiten, Präparate gegen Krebst, Diabetes und neurodegenerative Erkrankungen) ist das zentralisierte Zulassungsverfahren verpflichtend. bb) Richtlinie 2001/20/EG Die Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln (RL 2001/20/EG, Arzneimittelrichtlinie) regelt klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln.239 Sie enthält einen Katalog international anerkannter ethischer, rechtlicher und wissenschaftlicher Qualitätsanforderungen für die Durchführung klinischer Prüfungen mit Humanarzneimitteln.240 Die Richtlinie bezweckt die Harmonisierung der nationalen Regelungen der Mitgliedsländer zur Guten klinischen Praxis und ermöglicht damit einheitliche sowie multinationale klinische Arzneimittelprüfungen. Die Richtlinie selbst ist in den Mitgliedstaaten nicht direkt anwendbar. Vielmehr bedarf sie der Umsetzung in nationales Recht.241 Die Mitgliedstaaten sind zu entsprechenden Anpassungen ihrer Rechtsordnung verpflichtet.242 Diese Verpflichtung besteht gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie insoweit, als die nationalen Schutzvorkehrungen nicht über die in der Richtlinie vorgesehenen hinausgehen und mit den Verfahren und Fristen der Richtlinie im Einklang stehen. Oberste Leitmaxime der Arzneimittelrichtlinie ist der Schutz der an Forschungsvorhaben beteiligten Versuchspersonen. Geschützt werden in erster Linie das Leben, die Gesundheit und die körperliche Unversehrtheit der Versuchspersonen sowie ihr Recht auf Selbstbestimmung.243 cc) Forschung mit Minderjährigen244 Bereits in den Erwägungen der Richtlinie wird die Notwendigkeit klinischer Studien mit Kindern hervorgehoben und die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern betont.245 Die Richtlinie unterscheidet klar zwischen Minderjährigen und „sonstigen nicht einwilligungsfähigen Personen, z.B. Demenzkranken, psychiatrischen Patienten usw.“.246 Art. 4 der Richtlinie enthält Sonderregelungen für Min-
239 240
241 242 243 244
245 246
Siehe die Ausführungen zur RL 2001/20/EG bei DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 959 ff. Von der Richtlinie nicht erfasst werden nicht interventionelle Arzneimittelprüfungen (Art. 4 lit. c RL 2001/20/EG), Medizinprodukte sowie Tierarzneimittel. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 960. Siehe auch MÜLLER-TERPITZ, 42. Zum Begriff der nicht interventionellen Studien siehe JUNOD, 61 f. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 831; SCHWARZ, 18. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 997 ff. FISCHER zit. Richtlinie, 29 f. Siehe zur Forschung mit Minderjährigen nach der RL 2001/20/EG und zur Umsetzung der Richtlinie ins deutsche Recht LAUFS zit. Richtlinie, 588 ff.; PESTALOZZA, 3376 f. LIESE, 194. Erwägung 4.
118
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
derjährige als Prüfungsteilnehmer.247 Sie verlangt die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter der minderjährigen Prüfungsteilnehmer (Art. 4 lit. a RL 2001/20/EG). Dabei haben sich die gesetzlichen Vertreter am mutmaßlichen Willen des Kindes zu orientieren.248 Der betroffene Minderjährige soll seinen Fähigkeiten entsprechend durch erfahrenes Personal über die Prüfung, die Nutzen und Risiken aufgeklärt werden.249 Widersetzt sich ein Kind der Teilnahme, ist diese Ablehnung nur dann zu berücksichtigen, wenn der betroffene Minderjährige in der Lage ist, sich eine eigene Meinung zu bilden.250 Im Gegensatz zu den übrigen nationalen und internationalen Regelungen zur medizinischen Forschung mit Minderjährigen kennt die Richtlinie das Erfordernis der doppelten Zustimmung des urteilsfähigen Kindes und seiner gesetzlichen Vertreter nicht. Bei urteilsfähigen Minderjährigen ist gemäß Art. 4 lit. c bloß die Ablehnung zu berücksichtigen. Die Richtlinie verlangt die Zustimmung des urteilsfähigen Minderjährigen nicht. Diese ist von den Eltern im Sinne des mutmaßlichen Willens des Kindes bei ihrer stellvertretenden Entscheidung zu beachten.251 Im Weiteren verlangt die Richtlinie keinen individuellen Nutzen für den betroffenen Minderjährigen, sondern fordert lediglich den Nutzen für die Patientengruppe.252 Entsprechend ist gemäß der Richtlinie sowohl therapeutische wie nicht therapeutische Arzneimittelforschung mit Minderjährigen zulässig, wenn ein Gruppennutzen zu erwarten ist. Mit dieser Regelung erlaubt die Richtlinie selbst Forschung mit gesunden Minderjährigen, sofern die Arzneimittelprüfung „ihrem Wesen nach nur an Minderjährigen durchgeführt werden kann“.253 Hinsichtlich der zulässigen Risiken und Belastungen beinhaltet die Richtlinie eine relative Belastungsgrenze.254 Diese berücksichtigt bei der Festlegung der zulässigen Belastungsgrenze das Entwicklungsstadium und die Erkrankung des betroffenen Minderjährigen. Die Richtlinie verlangt, dass klinische Prüfungen so geplant werden, dass sie für den betroffenen Minderjährigen mit möglichst wenig Schmerzen, Beschwerden, Angst und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden sind.255 247
248
249 250 251 252
253 254
255
Die Richtlinie definiert den Minderjährigen allerdings nicht bzw. überlässt diese Definition den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten, DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 968. Art. 4 lit. a RL 2001/20/EG. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 968 f. kritisiert, dass Kinder kaum einen mutmaßlichen Willen haben können. Siehe dazu auch hinten Kapitel 4 IV.3.a. Art. 4 lit. b RL 2001/20/EG. Art. 4 lit. c RL 2001/20/EG. MAGNUS, 38. Art. 4 lit. e RL 2001/20/EG; DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 971. Kritisch auch SPRUMONT/ BÉGUIN, 898. Art. 4 lit. e RL 2001/20/EG; TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 152 f. Art. 4 lit. g RL 2001/20/EG: „[…] die klinischen Prüfungen so geplant sind, dass sie unter Berücksichtigung der Erkrankung und des Entwicklungsstadiums mit möglichst wenig Schmerzen, Beschwerden, Angst und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden sind; sowohl die Risikoschwelle als auch der Belastungsgrad müssen eigens definiert und ständig überprüft werden“. Dazu kritisch FISCHER zit. Richtlinie, 34; LAUFS zit. Richtlinie, 590 m.w.H.; SPRECHER zit. Forschung, 159.
II. Internationales Recht
119
b) Kinderarzneimittelverordnung aa) Grundlagen Am 27. Dezember 2006 wurde die Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, zur Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (Kinderarzneimittelverordnung)256 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.257 Sie ist am 27. Januar 2006 in Kraft getreten. Die Verordnung über Kinderarzneimittel wird damit in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes nationales Recht. Allerdings kann die praktische Arbeit erst beginnen, wenn der in der Verordnung vorgesehene Ausschuss für Kinderarzneimittel bei der europäischen Zulassungsagentur EMEA258 eingerichtet ist, was binnen sechs Monaten nach dem Inkrafttreten der Verordnung geschehen soll. bb) Pflicht zur Vorlage pädiatrischer Daten In Anlehnung an bestehende Regelungen in den USA – wo seit Längerem eine aktive Förderung pädiatrischer Studien zum Zweck vermehrter Zulassungen von pädiatrischen Arzneimitteln betrieben wird259 – soll die Kinderarzneimittelverordnung Anreize für die Erforschung und Entwicklung von Arzneimitteln für Kinder schaffen.260 Das in der Verordnung vorgesehene System von Pflichten und Anreizen soll auf die pharmazeutische Industrie einwirken und die Entwicklung und Herstellung von kindergerechten Medikamenten fördern und damit zu einer vermehrten Zulassung pädiatrischer Arzneimittel führen. Gleichzeitig soll eine breite Datenbasis geschaffen werden, womit unnötige Wiederholungen von Studien vermieden und der Austausch von Daten gefördert werden sollen. Die Verordnung sieht vor, dass Zulassungsanträge für alle neuen Medikamente und für neue Indikationen bestehender Arzneimittel Daten über pädiatrische Tests enthalten müssen. Entsprechend muss grundsätzlich jeder Zulassungsantrag neu einen pädiatrischen Prüfplan enthalten. Dieser Prüfplan muss durch den bei der EMEA noch zu schaffenden Pädiatrieausschuss genehmigt werden.261 Diese Prüfung durch den Ausschuss hat zum Zweck, dass nur Studien mit Kindern durchgeführt werden, die für diese Patientengruppe einen therapeutischen Nutzen haben. Zudem soll dieses zentralisierte Zulassungsverfahren für pädiatrische Arzneimittel
256
257
258 259 260 261
Die Kinderarzneimittelverordnung wird ergänzt bzw. abgeändert durch die ebenfalls am 27. Januar 2006 in Kraft tretende Verordnung (EG) Nr. 1902/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 zur Änderung der Verordnung 1901/2006 über Kinderarzneimittel. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, L 378 vom 12. Dezember 2006, Kinderarzneimittelverordnung S. 1–19; Änderungsverordnung 1902/2006, S. 20–21. European Agency for the Evaluation of Medicinal Products (EMEA). BLÖCHLIGER, 9, 62; JUNOD, 379 f. KRAMER/HEINEMANN, 22. Art. 2 Abs. 2 Pädiatrisches Prüfkonzept: „ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm, durch das sichergestellt werden soll, dass die Daten erarbeitet werden, die zur Festlegung der Voraussetzungen erforderlich sind, unter denen ein Arzneimittel zur Behandlung der pädiatrischen Bevölkerungsgruppe zugelassen werden kann“.
120
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
sicherstellen, dass möglichst alle Kinder in der Europäischen Gemeinschaft in den Genuss der durch die Verordnung geförderten Kinderarzneimittel gelangen.262 cc) Freistellung und Zurückstellung Damit durch diese zusätzlichen Anforderungen nicht Arzneimittelzulassungen für andere Bevölkerungsgruppen verzögert werden, sieht die Verordnung die Möglichkeit von Freistellungen und Zurückstellungen von den erforderlichen pädiatrischen Studien vor. Eine Freistellung vom Erfordernis der Durchführung pädiatrischer Studien ist bei Arzneimitteln möglich, die gegen Krankheiten eingesetzt werden sollen, die ausschließlich bei Erwachsenen auftreten, die bei Kindern wahrscheinlich unwirksam oder bedenklich sind oder die keinen signifikanten therapeutischen Nutzen im Vergleich zu bereits bestehenden Behandlungen erwarten lassen. Bei einer Zurückstellung müssen pädiatrische Studien erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden. Dies ist dann möglich und sinnvoll, wenn Studien mit Erwachsenen vor Einleitung von pädiatrischen Studien angezeigt sind und wenn Studien mit Kindern länger dauern als Studien mit erwachsenen Versuchspersonen.263 Über die Freistellung und Zurückstellungen entscheidet der Pädiatrieausschuss der EMEA. Zu den Aufgaben des Ausschusses gehört auch die Erstellung eines Inventars zum Therapiebedarf bei Kindern. dd) Bereits zugelassene Arzneimittel Für Arzneimittel, die bereits auf dem Markt sind, gilt die Pflicht zur Vorlage von Studienergebnissen aus pädiatrischen Prüfungen nur in beschränktem Ausmaß.264 Unternehmen können nicht verpflichtet werden, für bereits zugelassene Arzneimittel nachträgliche pädiatrische Studien durchzuführen. Wurden jedoch vor dem Inkrafttreten der Kinderarzneimittelverordnung zu einem in der Gemeinschaft zugelassenen Arzneimittel pädiatrische Studien durchgeführt, sind die betreffenden Unternehmen verpflichtet, die Daten dieser Studien innerhalb eines Jahres nach dem Inkrafttreten der Verordnung den zuständigen Behörden zur Bewertung vorzulegen.265 ee) Anreize Die durch die Kinderarzneimittelverordnung erforderlichen Studien verursachen zusätzliche Kosten.266 Die zusätzlichen finanziellen Aufwendungen der forschenden Unternehmen sollen durch die Ausweitung der Schutzrechte für Arzneimittel 262 263 264 265 266
KRAMER/HEINEMANN, 26. KRAMER/HEINEMANN, 25. KRAMER/HEINEMANN, 25. KRAMER/HEINEMANN, 25. Die EU geht von insgesamt 160–360 Millionen Euro Mehrkosten und einem Anstieg der Entwicklungskosten für Arzneimittel nach dem ersten Jahr um 1–2,5 Prozent aus. Dadurch wird bei den betroffenen Arzneimitteln eine Preissteigerung von bis zu 0,5 Prozent erwartet. Dazu KRAMER/HEINEMANN, 25 f. mit Verweis auf den entsprechenden Bericht der EU: „Regulations on medicines for children: frequently asked questions“. Das Dokument ist abrufbar unter , besucht im Juni 2007.
II. Internationales Recht
121
ausgeglichen werden. Die Verordnung sieht bei patentgeschützten Produkten die Verlängerung der ergänzenden Schutzzertifikate und bei nicht patentgeschützten Produkte die Schaffung eines neuen Zulassungstyps267 für pädiatrische Indikationen vor.268 Der Bonus wird für die Durchführung von pädiatrischen Studien gewährt und ist somit auch dann wirksam, wenn das Arzneimittel letztlich doch nicht für den pädiatrischen Gebrauch zugelassen wird.269 Die Verordnung sieht weitere Maßnahmen vor, um die Sicherheit, die Qualität sowie die Information der im Gesundheitswesen tätigen Fachkräfte und der Patienten über die Arzneimittel zu verbessern. Neben der Schaffung eines europäischen Kompetenz-Netzwerkes ist im Bereich der pädiatrischen Arzneimittelforschung auch der Aufbau einer umfassenden Informationsquelle im Sinne einer europäischen Datenbank geplant. Auch sollen in Zukunft in den Produkteinformationen der Arzneimittel Informationen über Ergebnisse pädiatrischer Studien sowie über den Status der pädiatrischen Prüfkonzepte und möglicher Freistellungen und Zurückstellungen enthalten sein. Arzneimittel mit einer Zulassung für die pädiatrische Verwendung sollen durch ein zusätzliches Logo gekennzeichnet werden. Die Unternehmen können so die bereits durch die Anwendung bei erwachsenen gewonnene Bekanntheit eines Arzneimittels für die pädiatrische Indikation nutzen.270 ff) Beurteilung Erst nach dem Inkrafttreten wird sich zeigen, ob die Kinderarzneimittelverordnung tatsächlich zu einer vermehrten Zulassung von pädiatrischen Arzneimitteln führen wird. Gerade bei den bereits zugelassenen Arzneimitteln ist fraglich, ob die Anreize der Verordnung genügen, damit die erforderlichen pädiatrischen Studien durchgeführt werden. Es besteht jedoch die Hoffnung, dass die unabhängig von der Kinderarzneimittelverordnung lancierte Förderung der Erforschung pädiatrischer Anwendungen von Arzneimitteln durch das Europäische Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung diese Lücke zu schließen vermag.271 Das Förderprogramm ermöglicht die direkte finanzielle Unterstützung einzelner Studien. Diese Unterstützung soll pädiatrischen Forschungsvorhaben zugute kommen, die trotz den Anreizen der Kinderarzneimittelverordnung ohne eine zusätzliche Förderung nicht durchgeführt werden würden.272 Neben den gesetzlichen Rahmenbedingungen und den zusätzlichen Förderprogrammen sind für eine tatsächliche Verbesserung der Arzneimittelsicherheit für
267
268 269 270 271 272
Paediatric Use Marketing Authorisation, PUMA. Dieser ist mit einem zehnjährigen Unterlagenschutz verknüpft. Hierzu KRAMER/HEINEMANN, 26. Hierzu ausführlich KRAMER/HEINEMANN, 26 f. KRAMER/HEINEMANN, 26. KRAMER/HEINEMANN, 26 f. Medicines Investigation for the Children of Europe (MICE). KRAMER/HEINEMANN, 27 f. Diese Förderung eröffnet insbesondere kleineren und mittleren Unternehmen im Pharmabereich, die eine Nischenstrategie verfolgen, interessante Möglichkeiten.
122
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Kinder schlussendlich jedoch gesamtwirtschaftliche Kriterien sowie die konkreten Entscheidungen der einzelnen pharmazeutischen Unternehmungen maßgebend.273 c) Orphan-drugs-Verordnung Ein weiteres Instrument der Europäischen Union zur Förderung pädiatrischer Arzneimittel – insbesondere für Arzneimittel für seltene und schwere Erkrankungen bei Säuglingen und Kindern – ist die Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-drugs-Verordnung). Diese Verordnung schafft Anreize für die Erforschung, Entwicklung und Vermarktung von Arzneimitteln für seltene Leiden, die unter normalen Marktbedingungen nicht entwickelt werden würden. Sie ermöglicht mit einem zentralisierten Verfahren die europaweit gültige einheitliche Zulassung dieser Arzneimittel. Arzneimittel, die als orphan drugs ausgewiesen sind, erhalten gemäß dieser Verordnung eine zehnjährige Marktexklusivität.274 Zwei Hauptkriterien sind für die Einstufung als orphan drug maßgebend: Entweder sind nicht mehr als fünf von 10000 Menschen in den Ländern der Europäischen Union von einem Leiden betroffen (Prävalenzkriterium) oder das Inverkehrbringen des Arzneimittels würde vermutlich nicht genügend Gewinn bringen, um die Investitionen zu rechtfertigen (Rentabilitätskriterium).275 Bei orphan drugs für den pädiatrischen Gebrauch sieht die Kinderarzneimittelverordnung276 vor, dass die zehnjährige Marktexklusivität auf zwölf Jahre erhöht werden kann, wenn den Anforderungen an die Daten zur Verwendung bei Kindern voll entsprochen wird. Eine Kumulation der Anreize aus der orphan drugs Verordnung und der Kinderarzneimittelverordnung ist jedoch nicht möglich. Die zusätzliche Gewährung der sechsmonatigen Verlängerung des Schutzzertifikates oder der Unterlagenschutz gemäß der speziellen pädiatrischen Zulassung ist in diesen Fällen neben den zwölf Jahren Marktexklusivität nicht 273 274
275
276
KRAMER/HEINEMANN, 28. Die Beurteilung und Anerkennung erfolgt durch einen Ausschuss der EMEA: Committee for Orphan Medicinal Products (COMP). Art. 3 Kriterien für die Ausweisung als Arzneimittel für seltene Leiden „(1) Ein Arzneimittel wird als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen, wenn der Investor nachweisen kann, dass a) das Arzneimittel für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung eines Leidens bestimmt ist, das lebensbedrohend ist oder eine chronische Invalidität nach sich zieht und von dem zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinschaft nicht mehr als fünf von zehntausend Personen betroffen sind, oder das Arzneimittel für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung eines lebensbedrohenden Leidens, eines zu schwerer Invalidität führenden oder eines schweren und chronischen Leidens in der Gemeinschaft bestimmt ist und dass das Inverkehrbringen des Arzneimittels in der Gemeinschaft ohne Anreize vermutlich nicht genügend Gewinn bringen würde, um die notwendigen Investitionen zu rechtfertigen, und b) in der Gemeinschaft noch keine zufriedenstellende Methode für die Diagnose, Verhütung oder Behandlung des betreffenden Leidens zugelassen wurde oder dass das betreffende Arzneimittel – sofern eine solche Methode besteht – für diejenigen, die von diesem Leiden betroffen sind, von erheblichem Nutzen sein wird.“ Dazu oben II.3.b.
II. Internationales Recht
123
möglich. Das Instrument der Verlängerung der Marktexklusivität pädiatrischer orphan drugs um zwei auf zwölf Jahre ist in erster Linie für pädiatrische Arzneimittel gedacht, die nicht bereits für Erwachsene entwickelt wurden und bei denen nicht nur zusätzliche pädiatrische Studien nötig sind.277 Demnach haben sich die Hersteller pädiatrischer Arzneimittel nach dem Inkrafttreten der Kinderarzneimittelverordnung für eine Zulassung nach der Orphan-drugs-Verordnung oder der Kinderarzneimittelverordnung zu entscheiden.
4. Zusammenfassung Die vorangegangenen Ausführungen veranschaulichen die unterschiedlichen Charaktere der internationalen Normen, die auf die Humanforschung zur Anwendung gelangen. Trotz der großen Unterschiede in ihrer Ausgestaltung, ihrem Zweck, ihrer Bindungskraft, ihrem Adressatenkreis und ihrer Durchsetzbarkeit können sie nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Vielmehr beeinflussen sie sich gegenseitig und nehmen vielfach aufeinander Bezug. So verweisen beispielsweise Erklärungen internationaler Nichtregierungsorganisationen auf völkerrechtliches Vertragsrecht und die nationalen Gesetzgeber orientieren sich bei der Schaffung neuer Normen zur Humanforschung an den bestehenden internationalen Regelungen, Standesregeln und ethischen Prinzipien. Dadurch wird eine zunehmende Vereinheitlichung und Übereinstimmung der weltweiten Regelung erreicht. Doch sind solche Verweise nicht nur unproblematisch und hilfreich. Dies insbesondere dann, wenn staatliche Normen auf Regelungen nicht staatlicher Akteure verweisen.278 Denn dadurch überlässt der Staat Rechtsetzungsaufgaben Privaten, denen die erforderliche demokratische Legitimation fehlt.279 Schwierigkeiten bei solchen Verweisen entstehen auch dann, wenn sich einzelne Bestimmungen der jeweiligen Normen widersprechen. Konflikte können insbesondere dann entstehen, wenn Rechtssubjekte gleichzeitig verschiedenen, sich widersprechenden Normen unterstehen. Zu denken ist beispielsweise an Ärzte, auf die einerseits staatliches Recht und andererseits standesrechtliche Vorschriften zur Anwendung gelangen. In diesem Sinne bringen die Vielzahl und die Verschiedenheit der Normen im Bereich der Humanforschung nicht nur Vorteile. Nachfolgend werden zuerst die schweizerischen (III) und daran anschließend die deutschen (IV) Rechtsgrundlagen der medizinischen Forschung am Menschen im Allgemeinen und der medizinischen Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen im Besonderen dargestellt.
277
278
279
KRAMER/HEINEMANN, 27. Damit wurden Anreize für Unternehmen geschaffen, die eine Nischenstrategie verfolgen. Siehe dazu auch die Ausführungen zu den Verweisen in der Heilmittelgesetzgebung auf die ICH-Guideleines (AIII.2.c)cc) und die Verweise in kantonalen Normen auf die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (AIII.2.e)cc). Siehe dazu MÜLLER GEORG, Rz. 37 ff.
124
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung 1. Einleitung Trotz zahlreicher internationaler Normen sind für die Humanforschung nach wie vor die nationalen Regelungen am bedeutsamsten.280 Die internationalen Regelungen üben jedoch zweifelsohne einen maßgebenden Einfluss auf die nationale Rechtsentwicklung im Bereich der Humanforschung aus. Die Forschung mit Versuchspersonen ist in der Schweiz nicht abschließend geregelt281 und in manchen Bereichen bestehen „beachtliche Regelungsdefizite“.282 Auf Sachverhalte der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen gelangen Normen unterschiedlicher Rechtsgebiete (öffentliches Recht und Zivilrecht) und unterschiedlicher Stufen (Bundesrecht und kantonales Recht) zur Anwendung.283 Diese Regelungsstruktur ist geprägt durch die Merkmale des politischen Systems der Schweiz: Föderalismus und Subsidiaritätsprinzip.284 In der Folge verfügt der Bund im Gesundheitsbereich nur über beschränkte Kompetenzen. Die Hauptverantwortung für die gesundheitsrechtliche Gesetzgebung liegt bei den Kantonen. Deren Regelungen zur medizinischen Humanforschung weisen jedoch große Unterschiede auf.285 Zukünftig wird die medizinische Forschung mit Versuchspersonen jedoch vermehrt durch Regelungen des Bundesrechts erfasst. Einerseits soll mit einer neuen Verfassungsbestimmung über die Humanforschung eine verfassungsrechtliche Kompetenzgrundlage geschaffen werden, damit der Bund im Bereich der Humanforschung legiferieren kann. Der Bund soll zukünftig eine umfassende Zuständigkeit für die Humanforschung im Gesundheitsbereich erhalten und die Forschung mit Versuchspersonen gesamtschweizerisch einheitlich und umfassend regeln. Auf dieser Grundlage befindet sich ein Bundesgesetzes über die Forschung am Menschen in Vorbereitung.286 Seit Februar 2006 liegen Vorentwürfe für die Verfassungsbestimmung und das Bundesgesetz vor. Die Verfassungsbestimmung wie das Gesetz müssen aber noch das Vernehmlassungsverfahren, die Beratung in den eidgenössischen Räten sowie eine allfällige Volksabstimmung287 durchlaufen. Mit 280
281
282 283 284 285
286 287
MÜLLER-TERPITZ, 45. Dies gilt sowohl für die schweizerische wie auch für die deutsche Rechtsordnung. Dazu die Ausführung zur geltenden Rechtslage in der Schweiz im erläuternden Bericht VE HFG, 41–51. Siehe auch POLEDNA/BERGER, Rn. 166. Botschaft Biomedizinkonvention, 280, Ziff. 1.4.4. MANAÏ, 501 f.; SPRUMONT, 221 ff. POLEDNA/BERGER, Rn. 5. Siehe auch SPRUMONT zit. protection, 451 f. SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 23. Zu den kantonalen Regelungen der Humanforschung siehe nachfolgend unter III.2.d. Zu diesen Rechtsetzungsprojekten nachfolgend unter III.4. Die neue Verfassungsbestimmung zur Forschung am Menschen unterliegt dem obligatorischen Referendum und muss nach Art. 140 Abs. 1 lit. a BV in jedem Fall dem Volk und den Ständen zur Abstimmung unterbreitet werden. Ein Bundesgesetz unterliegt dem fakultativen Referendum. Dies hat zur Folge, dass nach Art. 141 Abs. 1 lit. a BV
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
125
einem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Forschung am Menschen ist folglich nicht vor 2010 zu rechnen.288 Andererseits bringt eine Totalrevision des Vormundschaftsrechts bedeutende Neuerungen und Änderungen im Bereich der Selbstbestimmung. Die damit verbundenen Änderungen des Zivilgesetzbuches betreffen insb. den Erwachsenenschutz, das Personen- und das Kindesrecht. Das revidierte Recht ermöglicht es handlungsfähigen Personen mit einem Vorsorgeauftrag, ihre Betreuung und rechtliche Vertretung im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit privat zu regeln. Auch verankert die Revision die Patientenverfügung im Zivilgesetzbuch. Die nachfolgenden Ausführungen zum schweizerischen Recht der Humanforschung beginnen mit einem Überblick über die Struktur und die Inhalte der auf die Humanforschung anwendbaren Regelungen auf Ebene des Bundes und der Kantone. Daran schließt sich die Darstellung der für die Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen relevanten Normen sowie ein kurzer Ausblick an. Zum Schluss werden die Entwürfe für eine neue Verfassungsbestimmung und für ein Bundesgesetz über die Forschung am Menschen kurz dargestellt und besprochen. Mit den Regelungen zu den Persönlichkeitsrechten von Versuchspersonen befasst sich das vierte Kapitel dieser Arbeit ausführlich. Entsprechend werden auch die mit der Totalrevision des Vormundschaftsrechts verbundenen Änderungen und Neuerungen im vierten Kapitel vorgestellt und besprochen.
2. Übersicht über die geltenden Regelungen zur Humanforschung in der Schweiz Der Bund verfügt im Gesundheitsbereich nur über sektorielle Kompetenzen, da es sich bei dieser Materie um einen traditionellen Kompetenzbereich der Kantone handelt.289 Entsprechend besteht heute – außer wenigen spezifischen Ausnahmen, wie zum Beispiel im Heilmittelbereich – keine Bundesgesetzgebung zur medizinischen Forschung mit Menschen.290 Demzufolge wird die medizinische Forschung mit Versuchspersonen in der Schweiz vorrangig durch das kantonale Recht geregelt.291 Dieses wird durch Spezialgesetze des Bundes ergänzt. Die kantonalen Regelungen zur Forschung am Menschen unterscheiden sich untereinander jedoch hinsichtlich ihres Geltungsbereichs und Inhalts sowie ihrer Regelungsstufe, Dichte und Vollständigkeit erheblich.292 Zumeist sind wesentliche Grundsätze zur Humanforschung in Gesundheits- und Spitalgesetzen sowie in
288 289 290 291 292
ein Bundesgesetz dem Volk dann zur Abstimmung unterbreitet werden muss, wenn dies von 50 000 Stimmberechtigten oder von acht Kantonen innerhalb von 100 Tagen seit der amtlichen Veröffentlichung des Erlasses verlangt wird. Siehe zu diesem Gesetzgebungsprojekt unten III.4. POLEDNA/BERGER, Überblick vor Rn. 27. SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 22 ff. SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 28. SCHWANDER zit. Forschung, 59. Zur kantonalen Gesetzgebung zur Forschung am Menschen die Übersicht im erläuternden Bericht VE HFG, 49 f. und eine kurze Übersicht bei SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 28 f. Siehe dazu auch nachfolgend III.2.c.
126
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Dekreten über die Rechtstellung der Patienten enthalten,293 wobei im besonders wichtigen Heilmittelbereich seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG) im Jahre 2002 nur noch eingeschränkte kantonale Kompetenzen bestehen.294 Diese bundes- und kantonalrechtlichen Normen zur Humanforschung werden durch die Grundsätze des verfassungsmäßigen und zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes295 sowie das Strafrecht ergänzt.296 Die Regelungen des Bundes und der Kantone werden durch die Standesregeln der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) sowie durch die ethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW)297 ergänzt.298 a) Bundesverfassung aa) Fehlende Regelung der Humanforschung in der Verfassung Die geltende Bundesverfassung der Schweiz (BV) enthält keine allgemeine Bestimmung, die den Bund ermächtigt, Vorschriften über die Forschung am Menschen zu erlassen.299 Gleichwohl gelangen allgemeine Regelungen wie auch einzelne bereichspezifische bundesgesetzliche Normen auf die Humanforschung zur Anwendung, deren verfassungsrechtliche Grundlagen unbestritten sind.300 bb) Auf die Humanforschung anwendbare Verfassungsbestimmungen Insbesondere aus dem verfassungsrechtlichen und menschenrechtlichen Grundrechtsschutz ergeben sich bestimmte allgemeine Regeln, die auf die medizinische Forschung mit Versuchspersonen zur Anwendung gelangen. Sie dienen in erster Linie dem Schutz der beteiligten Versuchspersonen.301 Die wichtigsten Verfassungsnormen für den Schutz der Versuchspersonen werden nachfolgend kurz dargestellt. Die Menschenwürde (Art. 7 BV) bildet die Grundlage aller Rechte von Versuchspersonen und ihren unverletzbaren Kern.302 Die Würdenorm garantiert die Autonomie und Selbstbestimmung des Menschen und verbietet jegliche un-
293 294 295 296 297
298 299 300 301 302
SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 28. POLEDNA/BERGER, Einleitung vor Rn. 42. Zum HMG gleich anschließend III.2.c., 3.b. Dazu die Ausführungen in Kapitel 4. SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 25. Siehe auch JUNOD, 21 f. m.w.H. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) wurde 1943 als unabhängige Stiftung durch die medizinischen und die veterinärmedizinischen Fakultäten der Schweizer Universitäten sowie die Verbindung der Schweizer Ärzte FMH gegründet (vgl. , besucht im Juni 2007). Zu den Richtlinien der SAMW siehe unten III.3.e. POLEDNA/BERGER, Rn. 27 ff.; SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 22. SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 22. SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 30. Siehe dazu MASTRONARDI, St. Galler Kommentar zu Art. 7 BV, Rz. 14 ff.; MÜLLER, 1 ff.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
127
menschliche und erniedrigende Behandlung.303 Demzufolge ist die Menschenwürde – im Gegensatz zu anderen Grundrechten – nicht beschränkbar, da ihr Geltungsbereich mit ihrem Kerngehalt zusammenfällt.304 Dies hat zur Konsequenz, dass „aufgrund der Menschenwürde die Forschungsfreiheit im Gesundheitsbereich vor allem zugunsten des verfassungsmäßigen Persönlichkeitsschutzes eingeschränkt werden“ muss.305 Art. 10 BV garantiert jedem Menschen das Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit.306 Daraus leiten sich im Zusammenhang mit medizinischen Eingriffen und Forschungsmaßnahmen der Anspruch der Patienten und Versuchspersonen auf eine umfassende Aufklärung sowie ihr Recht, frei über die Vornahme eines Eingriffs entscheiden zu können, ab.307 Demzufolge verletzt ein Eingriff, der gegen den Willen eines Menschen vorgenommen wird, seine physische und psychische Integrität. Ebenso zum verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutz von Versuchspersonen gehört das mit Art. 10 Abs. 2 BV verknüpfte Recht auf Schutz der Privatsphäre nach Art. 13 Abs. 1 BV.308 Auch kommt dem Schutz der persönlichen Daten von Versuchspersonen und Patienten nach Art. 13 Abs. 2 BV in der Humanforschung große Bedeutung zu.309 In dieser Hinsicht hat der Bundesgesetzgeber mit Art. 321bis StGB eine strafrechtliche Regelung zum Schutz des Arztgeheimnisses in der medizinischen Forschung geschaffen.310 Speziell bei der Forschung mit Minderjährigen ist zudem Art. 11 BV zum Schutz der Kinder und Jugendlichen maßgebend.311 Dazu ausführlich unten III.3.a. Die Verfassung schützt schließlich in Art. 20 BV die Forschungsfreiheit.312 Sie ist ein zentraler Aspekt der Wissenschaftsfreiheit313 und umfasst „die Wahl von Fragestellungen und Methoden, die Planung und Durchführung von Materialsammlungen, die Ermittlung des Forschungsstandes, die Erstellung wissenschaftlicher Berichte und Gutachten sowie die kritische Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen“.314 Geschützt werden somit sämtliche Handlungen, die zur Umsetzung des Forschungsvorhabens notwendig sind.315 Die Wissenschaftsfreiheit resp. die Forschungsfreiheit kann, wie andere Grundrechte, unter Beachtung
303 304 305 306 307 308 309
310
311 312 313 314 315
MASTRONARDI, St. Galler Kommentar zu Art. 7 BV, Rz. 44 m.w.H. MASTRONARDI, St. Galler Kommentar zu Art. 7 BV, Rz. 52. SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 17. SCHWEIZER zit. Art. 10 BV, St. Galler Kommentar zu Art. 10 BV, Rz. 19 f. MANAÏ, 34; SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 30 m.w.H. BREITENMOSER/SCHWEIZER, St. Galler Kommentar zu Art. 13. BV, insb. Rz. 16 ff. BREITENMOSER/SCHWEIZER, St. Galler Kommentar zu Art. 13. BV, insb. 37 ff.; SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 18. BREITENMOSER/SCHWEIZER, St. Galler Kommentar zu Art. 13 BV, Rz. 51; SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 38. Siehe dazu REUSSER/LÜSCHER, St. Galler Kommentar zu Art. 11 BV. MEYER/HAFNER, St. Galler Kommentar zu Art. 20 BV. Zur Wissenschaftsfreiheit siehe SCHWANDER zit. Wissenschaftsfreiheit. SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 11. SCHWANDER zit. Wissenschaftsfreiheit, 113 ff.
128
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
der Vorgaben von Art. 36 BV eingeschränkt werden.316 Einschränkungen der Forschungsfreiheit sind insbesondere zum Schutz des menschlichen Lebens und der Gesundheit der betroffenen Versuchspersonen notwendig.317 cc) Direkte und indirekte Wirkung von Grundrechten in der Humanforschung Die genannten Grundrechte entfalten in der Humanforschung in erster Linie dann eine direkte Wirkung, wenn die Forschung in Institutionen durchgeführt oder von Personen vorgenommen wird, die dem öffentlichen Recht unterstehen. Soweit im privatrechtlichen Rahmen geforscht wird, sind die Grundrechte nicht direkt anwendbar, da Grundrechte in erster Linie zwischen Staat und Bürger gelten.318 Allerdings entfalten die verfassungsmäßigen Rechte in der gesamten Rechtsordnung eine mittelbare Wirkung, da alle Rechtserlasse verfassungskonform auszugestalten, anzuwenden und auszulegen sind. Mit Art. 35 Abs. 3 BV wurde zudem die Beachtlichkeit von Grundrechten zwischen Privaten in der Verfassung verankert.319 In diesem Zusammenhang wird auch von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte gesprochen.320 Gerade im – für die medizinische Forschung maßgebenden – Bereich des Persönlichkeitsschutzes strahlen die verfassungsmäßigen Rechte auf das Privatrecht aus und umgekehrt.321 dd) Materielle Vorgaben der Verfassung Materielle Vorgaben im Gesundheitsbereich enthält die Verfassung in Art. 118 BV, der den Bund zum Erlass von Vorschriften a) zum Umgang mit Lebensmitteln und Heilmitteln, b) zur Bekämpfung verbreiteter oder bösartiger Krankheiten und c) zum Schutz vor ionisierenden Strahlen ermächtigt.322 Weitere materielle Vorgaben sind in Art. 119 BV für die Fortpflanzungsmedizin und die Gentechnologie im Humanbereich323 sowie in Art. 119a BV für die Transplantationsmedizin324 enthalten.325 Art. 119 BV statuiert für die Forschung im Bereich der Fortpflanzungsmedizin und die Gentechnologie im Humanbereich punktuelle Beschränkungen und Verbote326.327 316
317
318 319 320
321
322 323 324 325 326 327
MANAÏ, 503; SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 14. SCHWEIZER verweist zudem auf die völkerrechtlichen Vorgaben für Beschränkungen der Forschungsfreiheit von Art. 10 Abs. 2 EMRK und Art. 19 Abs. 3 UN-Pakt II. MANAÏ, 503 unter Bezugnahme auf Art. 2 Biomedizinkonvention; SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 16. EGLI, 135 ff.; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 10.51 Dazu EGLI, 151 ff. EGLI, 145; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 10.51; für das deutsche Recht TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 141. Siehe dazu HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 10.51. Zu den Persönlichkeitsrechten der Versuchspersonen siehe hinten Kapitel 4. Dazu KIESER, Rz. 27; MADER, St. Galler Kommentar zu Art. 118 BV. Siehe dazu REUSSER/SCHWEIZER, St. Galler Kommentar zu Art. 119 BV. Dazu SCHWEIZER/SCHOTT, St. Galler Kommentar zu Art. 119a BV. KIESER, Rz. 28 f.; SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 23. MEYER/HAFNER, St. Galler Kommentar zu Art. 20 BV, Rz. 11. SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 15, 19, 37.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
129
b) Gesetzgebung des Bundes Trotz der derzeit noch fehlenden allgemeinen Ermächtigung des Bundes zur umfassenden Regelung der Humanforschung, bestehen bereits heute – gestützt auf die genannten Verfassungsbestimmungen – bundesrechtliche Normen, die bereichsspezifische Vorschriften für die medizinische Forschung enthalten.328 Diese werden nachfolgend kurz dargestellt. Anschließend daran wird das für die Forschung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten zentrale Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz) ausführlich besprochen. Das Fortpflanzungsmedizingesetz329 unterstellt die Forschung zur Fortpflanzungsmedizin in den Dienst der assistierten Fortpflanzung. Das Stammzellenforschungsgesetz330 regelt neben der Gewinnung embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen zu Forschungszwecken auch die Forschung an embryonalen Stammzellen sowie an überzähligen Embryonen. Das im Juli 2007 in Kraft tretende Transplantationsgesetz331 und die dazugehörende Transplantationsverordnung332 unterstellen klinische Versuche der Transplantation einer Bewilligungspflicht und verweisen auf das HMG und die VKlin. Für private Forschungsvorhaben und für die Forschung im Auftrag des Bundes sind zudem die Vorgaben des Datenschutzgesetzes333 maßgebend. Die kantonalen Spitäler und Universitäten unterstehen den kantonalen Datenschutzbestimmungen. Auch enthält Art. 321bis des Strafgesetzbuches334 eine besondere Regelung zum Arztgeheimnis in der medizinischen Forschung.335 Zu beachten ist auch die Verordnung über die Offenbarung des Berufsgeheimnisses im Bereich der medizinischen Forschung.336 Im Bereich der Humangenetik enthält das Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG)337 in Art. 4 ff. Grundsätze für genetische Untersuchungen.338 Auch wenn insbesondere die Bestimmungen des GUMG ge328
329
330
331
332
333 334 335 336
337
338
Siehe hierzu die ausführliche Darstellung bereichsspezifischer Vorschriften des Bundesrechts bei SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 35 ff. Bundesgesetz vom 18. Dezember 1998 über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG), SR 810.11. Bundesgesetz vom 19. Dezember 2003 über die Forschung an embryonalen Stammzellen (Stammzellenforschungsgesetz, StFG), SR 810.31. Bundesgesetz vom 8. Oktober 2004 über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz). Der Entwurf des Gesetzes ist abgedruckt in BBl 2002 247 ff. Verordnung vom 16. März 2007 über die Transplantation von menschlichen Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsverordnung). Der Text der Verordnung ist abrufbar auf der Internetseite des Bundesamtes für Gesundheit unter , besucht im Juni 2007. Bundesgesetz vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG), SR 235.1. Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (StGB), SR 311.0. Siehe dazu RUCKSTUHL. Verordnung über die Offenbarung des Berufsgeheimnisses im Bereich der medizinischen Forschung (VOBG) vom 14. Juni 1993, SR 235.154. Bundesgesetz vom 8. Oktober 2004 über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), SR 810.12. Zur Problematik genetischer Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht RIEDER.
130
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
mäß Art. 1 Abs. 3 (mit Ausnahme von Art. 20 Abs. 3 GUMG) nicht auf Untersuchungen zu Forschungszwecken anwendbar sind, lassen sich aus den Grundsätzen des GUMG Anhaltspunkte für die genetische Forschung am Menschen ableiten. Im Weiteren enthält das Forschungsgesetz339 in Art. 28–29 Vorgaben an die wissenschaftliche Qualität von Forschungsuntersuchungen. Die Forschungsorgane werden u.a. verpflichtet, die Veröffentlichung und Auswertung der Ergebnisse, der von ihnen geförderten Forschungen sicherzustellen. Weitere bereichsspezifische Vorgaben für die Forschung (Forschung in einem weit verstandenen Sinne und nicht beschränkt auf medizinische Humanforschung) sind auf Bundesebene beispielsweise im Strahlenschutzgesetz340 oder im Gentechnikgesetz341 enthalten. Auf die Forschung in Bundesinstitutionen wie der eidgenössischen technischen Hochschule (ETH) gelangt in Schadensfällen das eidgenössische Verantwortlichkeitsgesetz342 zur Anwendung. Die genannten Bundesgesetze werden durch Normen des Zivilrechts und des Strafrechts ergänzt. Wichtige Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes findet sich insbesondere in Art. 28 Abs. 2 Schweizerisches Zivilgesetzbuch343 sowie in den Art. 122 ff. Strafgesetzbuch. Siehe dazu die Ausführungen in Kapitel 4 dieser Untersuchung. c) Heilmittelgesetz aa) Grundlagen Heilmittel sind in der Gesundheitsversorgung von großer Bedeutung. Auch ist die pharmazeutische und medizinaltechnische Industrie ein bedeutender Faktor der schweizerischen Volkswirtschaft. Entsprechend wichtig sind die rechtlichen Rahmenbedingungen dieser Forschung und der Marktzulassung für Heilmittel.344 Der Umgang345 mit Heilmitteln wird in der Schweiz durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte
339
340 341
342
343
344
345
Bundesgesetz vom 7. Oktober 1983 über die Forschung (Forschungsgesetz, FG), SR 420.1. Strahlenschutzgesetz vom 22. März 1991, SR 814.50. Bundesgesetz vom 21. März 2003 über die Gentechnik im Ausserhumanbereich (Gentechnikgesetz, GTG), SR 814.91. Siehe dazu ERRASS. Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz), SR 170.32. Auf die für die Forschung mit Versuchspersonen relevanten Regelungen des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes wird in Kapitel 4 vertieft eingegangen. Siehe dazu AMSTAD/DIETSCHY/STAUFFACHER, 2448 ff.; VATERLAUS/TELSER/SUTER. Zur Bedeutung der Pharmaindustrie für die Schweizer Wirtschaft siehe auch BSK HMG-JAISLI, Vorbemerkungen zum 2. Kapitel N 11 ff.; JUNOD, 116 ff. Der Begriff Umgang ist weit zu verstehen. Er umfasst das Herstellen (BSK HMGEGGENBERGER STÖCKLI, Art. 4 N 65 ff.), das Inverkehrbringen (BSK HMG-EGGENBERGER STÖCKLI, Art. 4 N 73 ff.), d.h. das Vertreiben (BSK HMG-EGGENBERGER STÖCKLI, Art. 4 N 79 ff.) und das Abgeben (BSK HMG-EGGENBERGER STÖCKLI, Art. 4 N 83 ff.) von Heilmitteln. Auch die Verwendung der in Verkehr gebrachten Heilmittel gehört dazu.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
131
(Heilmittelgesetz, HMG) geregelt.346 Der Begriff Heilmittel umfasst sowohl Arzneimittel347 wie auch Medizinprodukte348.349 Im Bereich der Forschung wird das HMG durch die ebenfalls am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Verordnung über klinische Versuche mit Heilmitteln (VKlin) ergänzt.350 Vor dem Inkrafttreten des HMG beruhte die Heilmittelkontrolle und Zulassung auf kantonalen, interkantonalen und bundesrechtlichen Bestimmungen.351 Dies führte zu Kompetenzvermischungen sowie Zuständigkeits- und Regelungslücken. Dies erschwerte sowohl die nationale wie die internationale Zusammenarbeit.352 Das HMG stützt sich einerseits auf die Kompetenz des Bundes zur Regelung privatwirtschaftlicher Tätigkeit (Art. 95 Abs. 1 BV) und andererseits auf die Bundesaufgabe, Maßnahmen zum Schutze der Gesundheit zu erlassen (Art. 118 Abs. 2 BV).353 Mit dem Inkrafttreten des HMG gaben die Kantone ihre bis anhin umfassenden Kompetenzen im Bereich der Heilmittel weitgehend an den Bund ab.354 346
347
348
349
350
351 352 353 354
Zum schweizerischen Heilmittelrecht im Allgemeinen und zu den klinischen Versuchen mit Arzneimitteln im Besonderen siehe POLEDNA/BERGER, Rn. 299 ff., insb. 347 ff. und den Aufsatz von RICHLI zit. Instrumente, 240 ff. Neuste Publikationen sind die Dissertation von JUNOD sowie der neue Kommentar zum Heilmittelgesetz von EICHENBERGER/JAISLI/RICHLI. Art. 4 Abs. 1 lit. a. HMG: „Arzneimittel: Produkte chemischen oder biologischen Ursprungs, die zur medizinischen Einwirkung auf den menschlichen oder tierischen Organismus bestimmt sind oder angepriesen werden, insbesondere zur Erkennung, Verhütung oder Behandlung von Krankheiten, Verletzungen und Behinderungen; zu den Arzneimitteln gehören auch Blut und Blutprodukte.“ Zum Begriff des Arzneimittels siehe BSK HMG-EGGENBERGER STÖCKLI, Art. 4 N 2 ff. Art. 4 Abs. 1 lit. b. HMG: „Medizinprodukte: Produkte, einschliesslich Instrumente, Apparate, In-vitro-Diagnostika, Software und andere Gegenstände oder Stoffe, die für die medizinische Verwendung bestimmt sind oder angepriesen werden und deren Hauptwirkung nicht durch ein Arzneimittel erreicht wird.“ Zum Begriff des Medizinproduktes siehe BSK HMG-EGGENBERGER STÖCKLI, Art. 4 N 31 ff. Zur Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten BSK HMGEGGENBERGER STÖCKLI, Art. 4 N 50 ff.: Während Arzneimittel für die medizinische Einwirkung auf den Organismus bestimmt sind, dienen Medizinprodukte der medizinischen Verwendung. „Die Einwirkung des Arzneimittels erfolgt auf pharmakologische, immunologische oder metabolische Art und führt zu einer direkten Wechselwirkung mit dem Organismus. Die Verwendung eines Medizinproduktes hingegen resultiert in einer physikalischen Wirkung, bei der das Medizinprodukt beispielsweise eine mechanische Funktion übernimmt, eine physikalische Barriere bildet oder dem Einsatz oder der Unterstützung von Organen oder Körperfunktionen dient.“ (Art. 4 N 51). Mit der Unterscheidung von Medizinprodukten und Arzneimitteln befasste sich auch die Eidgenössische Rekurskommission für Heilmittel in ihrem Entscheid vom 1. September 2005, abgedruckt in ZBl 107 (2006), 658 ff. Zur VKlin siehe die Ausführungen bei JUNOD, 38 ff., 72 ff. sowie bei SPRUMONT/ BÉGUIN, 896. POLEDNA/BERGER, Rz. 302, 303; RUCH, 623; SPRUMONT/BÉGUIN, 894 f. POLEDNA/BERGER, Rz. 300. BSK HMG-EICHENBERGER, Art. 2 N 1; KIESER, Rz. 11 f.; POLEDNA/BERGER, Rz. 305. Siehe dazu Botschaft HMG, 3479 f. Zum alten Heilmittelrecht siehe GRAUER, 1324; POLEDNA/BERGER, Rn. 300 ff. und RUCH, 623. Zu den mit dem Inkrafttreten des HMG verbundenen Aufhebungen und
132
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Mit dem HMG wurde in der Schweiz eine einheitliche Heilmittelkontrolle und Zulassung geschaffen und das bisherige Recht vereinfacht und gebündelt.355 Während für die Medizinprodukte mit dem HMG ein auf Eigenverantwortung gründendes und durch Marktüberwachung ergänztes Selbstkontrollsystem eingeführt wurde, schuf das Gesetz für die Arzneimittel ein vergleichsweise aufwendiges Zulassungsverfahren.356 bb) Zielsetzung, Geltungsbereich und Durchsetzung Die Zielsetzung des Heilmittelgesetzes ist eine dreifache: Primär ist die Gewährleistung der Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochstehenden, sicheren und wirksamen Heilmitteln.357 Zudem soll die Heilmittelgesetzgebung den Wirtschafts- und Forschungsstandort Schweiz stärken und eine kostengünstige und wirkungsvolle Heilmittelkontrolle sicherstellen.358 Dabei steht der Schutz der Gesundheit von Menschen und Tieren im Vordergrund.359 Der Geltungsbereich360 des HMG umfasst Arzneimittel und immunbiologische Erzeugnisse für Menschen und Tiere, Betäubungsmittel für die medizinische Anwendung, Radiopharmazeutika, Blut und Blutprodukte361 sowie Medizinprodukte einschließlich In-vitro-Diagnostika362.363 Das Gesetz gilt für den Umgang364 mit Heilmitteln, insbesondere für deren Herstellung und Inverkehrsetzung (Art. 2 Abs. 1 lit. a HMG).365 Wie in Kapitel 2 unter V.2.d. näher ausgeführt, fallen gemäß aktueller Rechtsprechung des Bundesgerichts366 sowohl klinische wie auch nicht interventionelle Studien mit Arzneimitteln unter die Regelungen des Heilmittelgesetzes.367
355 356 357
358
359 360
361 362 363 364
365 366
367
Änderungen des bisherigen Rechts POLEDNA/BERGER, Rz. 384. Zu den verbleibenden Kompetenzen der Kantone nach dem Inkrafttreten des HMG und der VKlin: JUNOD, 74 f. BSK HMG-RICHLI, Entstehungsgeschichte N 38. BSK HMG-RICHLI, Entstehungsgeschichte N 34 m.w.H.; BSK HMG-MEIER, Art. 45 ff. RUCH, 624. RUCH führt aus, dass in der Formulierung der Zweckbestimmung in Art. 1 Abs. 1 HMG eine doppelte Zwecksetzung liege: „Allgemeiner, man könnte sagen: verfassungsgebundener, Zweck des Gesetzes ist der Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier, während die Pflicht zur Gewährleistung qualitativ hoch stehender, sicherer und wirksamer Heilmittel spezifischer Zweck des Heilmittelrechts ist.“ Botschaft HMG, 3469, Ziff. 131; BSK HMG-RICHLI, Art. 1 N 12 ff.; BSK HMGJAISLI, Vorbemerkungen zum 2. Kapitel N 31 ff.; POLEDNA/BERGER, Rz. 308. BSK HMG-RICHLI, Art. 1 N 12; KIESER, Rz. 15 m.w.H.; POLEDNA/BERGER, Rn. 308. Gemäß RUCH, 624 regelt der Geltungsbereich, auf welche Gegenstände und Tätigkeiten ein Gesetz angewendet wird. BSK HMG-EGGENBERGER STÖCKLI, Art. 4 N 23 f.; KIESER, Rz. 50. BSK HMG-EGGENBERGER STÖCKLI, Art. 4 N 34. BSK HMG-EICHENBERGER, Art. 2; KIESER, Rz. 16 ff.; POLEDNA/BERGER, Rn. 305 f. Siehe zum „Umgang mit Heilmitteln“ die vorstehenden Ausführungen in Fn. 345 sowie die Botschaft zum Heilmittelgesetz, 3485. RUCH, 624. Urteil des BGer 2A.522/2004 vom 18. August 2005, abgedruckt in: ZBl 107 (2006), 651 ff. Siehe dazu die kritische Urteilsbesprechung von EGGENBERGER STÖCKLI zit. Rechtsprechung, IV ff. und der Beitrag von RUCH, 617 ff.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
133
Für die einheitliche Durchsetzung ist das mit dem HMG neu geschaffene Schweizerische Heilmittelinstitut, SHI (Swissmedic368), als Bundesbehörde zuständig.369 Damit wurden die bisher verstreuten Zulassungs- und Kontrollaufgaben unter einem Dach zusammengefasst.370 Zur Um- und Durchsetzung der Heilmittelgesetzgebung stehen der Swissmedic strafrechtliche wie verwaltungsrechtliche Sanktionen zur Verfügung, wobei die Strafverfahren durch kantonale Organe geführt werden.371 Das HMG wird durch zahlreiche Ausführungsbestimmungen ergänzt. Diese werden teilweise vom Bundesrat und teilweise vom Schweizerischen Heilmittelinstitut erlassen.372 cc) Bezüge zum internationalen Recht Das schweizerische Heilmittelrecht orientiert sich an internationalen Standards. Beispielsweise verweist Art. 4 Abs. 1 VKlin373 i.V.m. Art. 53 HMG hinsichtlich klinischer Versuche mit Humanarzneimitteln auf die Leitlinie zur Guten Klinischen Praxis der Internationalen Harmonisierungskonferenz (ICH-GCP-Guideline).374 Mit diesem direkten Verweis auf eine bestimmte Fassung375 der ICH-GCP Guidelines werden deren Inhalte in der Schweiz verbindlich.376 In besonderem Maße wurde auf die Kompatibilität des schweizerischen Heilmittelsrechts mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaft geachtet.377 Für klinische Versuche mit Medizinprodukten bezieht sich Art. 4 Abs. 2 VKlin denn auch
368 369 370 371
372 373
374
375
376
377
KIESER, Rz. 56 ff.; POLEDNA/BERGER, Rn. 362 ff. MANAÏ, 501 f.; POLEDNA/BERGER, Rn. 315. Siehe dazu BSK-HMG Art. 68 ff. GRAUER, 1325; KIESER, Rz. 66 ff., 76 ff., 83 ff. GRAUER, 1326; SPRUMONT/BÉGUIN, 901. Zum Vollzug des HMG, zu den Verwaltungsverfahren, dem Rechtsschutz und den Strafbestimmungen siehe die Ausführungen im BSK-HMG. GRAUER, 1328 und Grafik, 1326; KIESER, Rz. 14. Art. 4 Abs. 1 VKlin: „Klinische Versuche mit Arzneimitteln müssen nach der Leitlinie der Guten Klinischen Praxis der Internationalen Harmonisierungskonferenz (ICHLeitlinie) in der Fassung vom 1. Mai 1996 durchgeführt werden.“ Zu den ICH-Leitlinien siehe oben II.2.e. BSK HMG-FERRARO, Art. 53 N 14 ff.; HAUSHEER zit. Landesbericht, 206 f.; JUNOD, 24; RUCH, 622. Art. 4 Abs. 1: „Klinische Versuche mit Arzneimitteln müssen nach der Leitlinie der Guten Klinischen Praxis der Internationalen Harmonisierungskonferenz (ICH-Leitlinie) in der Fassung vom 1. Mai 1996 durchgeführt werden.“ MÉROZ, 644 ff. In seinem Urteil 2A.522/2004 vom 18. August 2005 (abgedruckt in: ZBl 107 [2006], 651 ff) hat das Bundesgericht die ICH-GCP Guidelines insbesondere für Definition des klinischen Versuchs herangezogen, E. 3.1. HAUSHEER zit. Landesbericht, 204; KIESER, Rz. 6 ff.; BSK HMG-RICHLI, Entstehungsgeschichte N 38; RUCH, 622. Die Schweiz hat im Bereich des Heilmittelrechts mit einer Reihe von Staaten Abkommen geschlossen. Dazu auch KIESER, Rz. 9. Siehe zudem das Verzeichnis der im Entwurf des HMG berücksichtigten Erlasse der Europäischen Gemeinschaft, Botschaft HMG, 3596 ff.
134
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
auf europäische Richtlinien.378 Wie bereits erwähnt, wurde in diesem Bereich mit der Europäischen Gemeinschaft ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von (technischen) Konformitätsbewertungen geschlossen.379 Als Folge davon kennen das Recht der Europäischen Gemeinschaft und das schweizerische Recht übereinstimmende Anforderungen an die Leistungsfähigkeit und Sicherheit von Medizinprodukten sowie für deren Vertrieb.380 Für Arzneimittel besteht kein vergleichbares Abkommen.381 Die Europäische Gemeinschaft und die Schweiz haben sich jedoch darauf verpflichtet, die Leitlinien der ICH zur Guten Klinischen Praxis (ICH-GCP-Guidelines) einzuhalten.382 Eine automatische gegenseitige Anerkennung der Zulassungsentscheide für Arzneimittel besteht jedoch nicht. Dabei wären für die Schweiz die gegenseitige Anerkennung der Arzneimittelzulassungen und eine Teilnahme an den Zulassungsverfahren der Europäischen Gemeinschaft von großem Interesse.383 Denn einerseits wird der überwiegende Teil der in der Schweiz produzierten Heilmittel in die Länder der Europäischen Union exportiert384 und andererseits ist die Schweiz (7,4 Mio. Einwohner), verglichen mit der Europäischen Union (über 450 Mio. Einwohner), ein sehr kleiner Markt. Dieser Wunsch dürfte sich jedoch so rasch nicht realisieren lassen.385 Entsprechend muss heute ein Antrag für die Zulassung eines Arzneimittels sowohl für die Ländern der Europäischen Union sowie ein zweiter für die Zulassung in der Schweiz gestellt werden. Das Gleiche gilt für Zulassungen in Ländern außerhalb Europas. Demzufolge besteht auch künftig ein vitales Interesse an einer Harmonisierung des Heilmittelrechts mit Ländern außerhalb der Europäischen Gemeinschaft.386
378
379
380 381
382 383 384
385 386
BSK HMG-FERRARO, Art. 53 N 14, 20; Art. 4 Abs. 2 VKlin: „Klinische Versuche mit Medizinprodukten müssen nach den Anhängen VIII und X der Richtlinie 93/42/EWG sowie den Anhängen 6 und 7 der Richtlinie 90/385/ EWG durchgeführt werden. Die Gute Praxis für klinische Versuche mit Medizinprodukten wird durch die Norm EN 540: 1993 konkretisiert. Abweichungen von der Guten Praxis bedürfen der ausdrücklichen Zustimmung der zuständigen Ethikkommission.“ Abkommen vom 21. Juli 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen, SR 0.946.526.81. Hierzu MÉROZ, 645. Botschaft HMG, 3463, Ziff. 111.41; HAUSHEER zit. Landesbericht, 204. Dazu Botschaft HMG, 3588: „Allerdings ist es ohne ein entsprechendes bilaterales Abkommen mit der EU nicht möglich, die EG-Regelungen zum zentralen und dezentralen Gemeinschaftsverfahren über die Arzneimittelzulassungen in den Gesetzesentwurf zu übernehmen.“ Siehe dazu die Ausführungen oben II.2.e. sowie bei MÉROZ, 645. Botschaft HMG, 3463, Ziff. 111.41; HAUSHEER zit. Landesbericht, 204. Der Export pharmazeutischer Produkte belief sich im Jahre 2004 auf 35 Milliarden Franken und umfasste 24 Prozent des gesamten Exportvolumens der Schweiz. Dazu die Publikation „Pharma-Markt Schweiz, Ausgabe 2005“ des Verbandes der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz (Interpharma), 36 f. HAUSHEER zit. Landesbericht, 204. Dazu JUNOD, 112 ff.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
135
dd) Forschung mit Versuchspersonen Klinische Versuche sind die unerlässliche Voraussetzung für das Inverkehrbringen und die Anwendung von Arzneimitteln und Medizinprodukten.387 Die klinischen Versuche werden in Art. 53-57 HMG geregelt und durch die Verordnung über klinische Versuche mit Heilmitteln (VKlin) ergänzt.388 Die Bestimmungen zu den klinischen Versuchen weisen die größte Regelungsdichte des Heilmittelgesetzes auf, was sich angesichts der mit Heilmittelversuchen berührten Rechtsgüter der Versuchspersonen rechtfertigt.389 Diese Bestimmungen dienen in erster Linie dem Schutz der Versuchspersonen.390 Die Forschung im Bereich der Heilmittel ist einerseits zur Entwicklung und Erforschung neuer Produkte notwendig, andererseits aber auch für die Sicherstellung der Wirksamkeit, die Sicherheit und Verträglichkeit von Produkten unerlässlich, die bereits im Verkehr sind.391 Wie vorne in Kapitel 2 ausgeführt,392 wird der Begriff des klinischen Versuchs im schweizerischen Recht nicht hinreichend klar bestimmt.393 Einzig in Art. 5 lit. a VKlin findet sich eine Definition des klinischen Versuchs als eine „am Menschen durchgeführte Untersuchung, mit der die Sicherheit, die Wirksamkeit oder weitere Eigenschaften eines Heilmittels oder die Bioverfügbarkeit systematisch überprüft werden“.394 Gemäß Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Begriff des klini-
387 388
389 390
391 392
393
394
RUCH, 617. Obwohl im HMG und der VKlin nicht ausdrücklich erwähnt, gelangen ihre Bestimmungen nur auf Forschungsvorhaben mit lebenden Personen zur Anwendung. Forschung mit Verstorbenen wird nicht erfasst. Dazu JUNOD, 52. KIESE, Rz. 21; RICHLI zit. Instrumente, 352. BSK HMG-FERRARO, Art. 53 N 2 f.; HAUSHEER zit. Landesbericht, 205; POLEDNA/BERGER, Rz. 347; SPRUMONT/BÉGUIN, 897. POLEDNA/BERGER, Rz. 347. Zur mangelnden Definition des klinischen Versuchs im schweizerischen Recht siehe vorne Kapitel 2 V.2. Urteil des BGer 2A.522/2004 vom 18. August 2005, abgedruckt in: ZBl 107 (2006), 651 ff., E. 3.1: „Der Wortlaut der einschlägigen Gesetzesbestimmungen gibt keinen klaren Aufschluss darüber, was im Einzelnen als klinischer Versuch zu betrachten ist.“ Gemäß Urteil des BGer 2A.522/2004 vom 18. August 2005 (abgedruckt in: ZBl 107 (2006), 651 ff.) umfasst die gesetzliche Umschreibung grundsätzlich jede systematische Forschung am Menschen mit Heilmitteln. Siehe zu diesem Entscheid die Besprechungen von EGGENBERGER STÖCKLI zit. Rechtsprechung, IV ff. sowie BSK HMGFERRARO, Art. 53 N 6 und RUCH, 627 ff. EGGENBERGER STÖCKLI gibt zu bedenken, dass diese Auslegung zur Folge hat, dass sowohl interventionelle wie auch nicht interventionelle Studien von den Regelungen des HMG erfasst werden. Während das europäische Recht für nicht interventionelle Prüfungen eine Ausnahmeregelung kennt, sind gemäß dieser Auslegung nach schweizerischem Recht nicht interventionelle Studien entsprechend den Anforderungen an klinischen Studien (insb. gemäß den Vorschriften zur Good Clinical Practice) durchzuführen. Diese gegenüber den europäischen Vorschriften erhöhten Anforderungen hätten zusätzliche Umtriebe und damit eine Verteuerung nicht interventioneller Studien in der Schweiz zur Folge. EGGENBERGER STÖCKLI weist darauf hin, dass eine Angleichung an das europäische Recht mit einer Ergänzung des HMG oder einer zusätzlichen Verordnung möglich wäre.
136
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
schen Versuchs weit zu fassen. Es sei darunter jegliche medizinische Forschung am Menschen zu verstehen.395 Wie bereits ausgeführt,396 vertritt RUCH die Ansicht, dass sich der Begriff des klinischen Versuchs mit Arzneimitteln nicht mit demjenigen der systematischen Forschung am Menschen deckt.397 Während der Begriff des klinischen Versuchs gemäß der bundesgerichtlichen Rechtsprechung weit gefasst werden müsse,398 sei zur Definition der klinischen Arzneimittelstudien eine Eingrenzung auf ihren Zweck vorzunehmen.399 Mit klinischen Arzneimittelprüfungen werden Arzneimittel auf ihre Sicherheit, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit hin überprüft. Das finale Ziel von Arzneimittelstudien ist die Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen.400 Das HMG knüpft medizinische Forschungsvorhaben mit Versuchspersonen im Bereich der Heilmittel an kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen. Besonderes Gewicht wird dabei auf die umfassende Information der Versuchsteilnehmer über mögliche Risiken und die Freiwilligkeit der Teilnahme sowie die jederzeitigen Rücktritts- bzw. Widerrufsmöglichkeiten gelegt. Zentral ist die Einwilligung der Versuchspersonen in die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben. Eine weitere Voraussetzung ist die Beurteilung von Forschungsvorhaben durch die Zuständige Ethikkommission und ihre Zustimmung zentral. Forschungsvorhaben mit Versuchspersonen dürfen gemäß Art. 54 HMG nur durchgeführt werden wenn: − die Versuchspersonen, oder ihr gesetzlicher Vertreter, nach hinreichender Aufklärung in die Teilnahme eingewilligt haben;401 − bei allfälligen Schäden eine vollumfängliche Entschädigung402 und medizinische Hilfeleistung für die Versuchspersonen gewährleistet sind;403
395
396 397 398
399 400 401
402
403
RUCH kommt in seiner Untersuchung zum Begriff der klinischen Versuche zum Schluss, dass der Begriff des nicht interventionellen Versuchs für eine Abgrenzung zwischen klinischen und nicht klinischen Versuchen nicht taugt, da er die Methode einer Studie, nicht aber ihren Zweck bzw. die ihr zugrunde liegende Absicht erfasse. Er stimmt der Ansicht des BGer zu, dass wenn nicht interventionelle Studien – die als klinische Versuche im Sinne der Heilmittelgesetzgebung zu qualifizieren sind – von der Geltung des HMG ausgenommen werden sollten, eine ausdrückliche Ausnahmeregelung erforderlich sei, RUCH, 635. BSK HMG-FERRARO, Art. 53 N 4 m.V. auf Entscheid des Bundesgerichts 2A.522/2004 vom 18. August 2005, E.3.1. Siehe Kapitel 2 V.2.a. RUCH, 631 ff. Urteil des BGer 2A.522/2004 vom 18. August 2005, abgedruckt in: ZBl 107 (2006), 651 ff, E. 3.1. RUCH, 625 f. RUCH, 625 ff. Die Einwilligung muss in schriftlicher Form, ausdrücklich und nach hinreichender Aufklärung (Art. 54 Abs. 1 lit. a) erfolgen. Art. 6 Abs. 2 VKlin verweist für die Aufklärung und Einwilligung der Versuchspersonen zudem auf Ziff. 4.8 der ICH-GCP-Guidelines. BSK HMG-FERRARO, Art. 54 N 8 ff., 11; SPRUMONT/BÉGUIN, 897. Zur Regelung der Haftung und Entschädigung für Schäden aus klinischen Versuchen in der Schweiz siehe JUNOD, 448 ff. Art. 54 Abs. 1 lit. b HMG; Art. 8 VKlin; BSK HMG-FERRARO, Art. 54 N 16 ff.; EGGENBERGER STÖCKLI zit. Schäden, II ff.; SPRUMONT/BÉGUIN, 899 f.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
137
− die Zustimmung der zuständigen Ethikkommission vorliegt;404 − die vorgeschriebenen Meldepflichten405 an die Swissmedic406 erfüllt werden.407 Hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs dieser Bestimmungen spricht das Gesetz generell von Versuchspersonen. Versuchspersonen sind gemäß Art. 5 lit. d VKlin „Personen, die an einem klinischen Versuch teilnehmen und bei denen entweder das zu prüfende Heilmittel angewendet wird oder die einer Kontrollgruppe zugeteilt sind“.408 Die schweizerische Heilmittelgesetzgebung kennt keine weitere Unterscheidung von Versuchspersonen nach Patienten, die in eigenem Nutzen an einem Versuch teilnehmen, und gesunden Probanden, die ohne eigenen Nutzen an einem Versuch teilnehmen.409 In der Botschaft wird hierzu ausgeführt: „Die Tatsache, dass ein Heilmittel Gegenstand eines klinischen Versuchs bildet, indiziert das Vorhandensein einer Ungewissheit hinsichtlich der erwarteten Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Ziel und Zweck der Durchführung von klinischen Versuchen ist gerade die Ausräumung dieser Ungewissheit. Ein therapeutischer Nutzen eines sich im Versuchsstadium befindenden Heilmittels kann nicht garantiert werden. Zentrales Element, das bei der Gewährleistung des Schutzes der Versuchspersonen in Betracht gezogen werden muss, ist nicht etwa der Umstand, dass es sich um gesunde oder kranke Personen handelt, sondern ausschliesslich die Tatsache, ob ein klinischer Versuch einen therapeutischen Zweck verfolgt oder nicht.“410 Ausnahmen sieht das Gesetz jedoch bei der Forschung mit unmündigen, entmündigten und urteilsunfähigen Personen (Art. 55 HMG) und für die Forschung in medizinischen Notfallsituationen (Art. 56 HMG) vor. Forschung mit diesen Gruppen von besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen, die nicht auf deren unmittelbaren Nutzen ausgerichtet ist, wird nur unter Einhaltung zusätzlicher Anforderungen zugelassen.411 Zu den Regelungen des HMG zur Forschung mit Kindern und Jugendlichen siehe unten III.3.b. und insbesondere hinten in Kapitel 4 V.
404
405
406 407
408 409 410 411
Art. 54 Abs. 1 lit. c, Art. 56 lit. a, Art. 57 HMG i.V.m. Art. 9 ff. VKlin. Für die Erkennung der Ethikkommissionen und die Überwachung deren Tätigkeit sind die Kantone zuständig, Art. 57 Abs. 4 HMG. Zur Prüfung durch eine Ethikkommission siehe auch BSK HMG-FERRARO, Art. 54 N 24 ff. Art. 54 Abs. 3 HMG; Art. 13 ff. VKlin; BSK HMG-FERRARO, Art. 54 N 26 ff. Während die Ethikkommissionen für die Gewährleistung des Schutzes der Versuchspersonen zuständig sind, überprüft die Swissmedic die produktespezifischen Aspekte. Zu den Ethikkommissionen siehe gleich anschließend III.2.c.bb. JUNOD, 309 ff. Zu den Voraussetzungen für klinische Versuche siehe BSK HMG-FERRARO, Art. 54; HAUSHEER zit. Landesbericht, 208 ff.; POLEDNA/BERGER, Rz. 350. BSK HMG-FERRARO, Art. 53 N 27 f. KIESER, Rz. 21. Botschaft HMG, 3535. Siehe dazu auch BSK HMG-FERRARO, Art. 53 N 28. HAUSHEER zit. Landesbericht, 206.
138
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
d) Kantonale Regelungen zur Humanforschung Wie bereits ausgeführt, hat der Bund im Bereich der Humanforschung nur beschränkte Regelungskompetenzen.412 Folglich untersteht ein großer Teil der medizinischen Forschungsvorhaben in der Schweiz vorrangig dem kantonalen Recht.413 Die Regelungsdichte und der Geltungsbereich der kantonalen Normen zur Forschung mit Versuchspersonen sind jedoch sehr unterschiedlich.414 Zudem stimmen viele der kantonalen Regelungen nicht mit dem aktuellen Stand der Bundesgesetzgebung überein und enthalten Verweise auf Normen, die nicht mehr in Kraft sind.415 In der Folge besteht auf kantonaler Ebene eine schwer durchschaubare Regelungsvielfalt. Diese stellt insbesondere für multizentrische Forschungsvorhaben, die gleichzeitig in mehreren Kantonen oder sogar in mehreren Ländern durchgeführt werden, zu einer erheblichen Mehrbelastung. Denn es müssen die unterschiedlichen Vorgaben aller involvierten Kantone (und Länder) erfüllt und unter Umständen die Einwilligung mehrerer Ethikkommissionen und Behörden eingeholt werden. Eine schweizweite Vereinheitlichung der Humanforschung wäre daher sehr wünschenswert. Da jedoch mit dem Inkrafttreten des geplanten Bundesgesetz über die Forschung am Menschen416, mit dem eine entsprechende Vereinheitlichung angestrebt wird, nicht vor 2010 zu rechnen ist, kommt den kantonalen Regelungen zur Forschung mit Versuchspersonen auch weiterhin eine große Bedeutung zu. Regelungen zur Forschung mit Versuchspersonen finden sich in kantonalen Gesundheits- und Spitalgesetzen sowie in Dekreten über die Rechtsstellung von Patientinnen und Patienten in Spitälern. Einzelne Kantone haben für die Forschung mit Versuchspersonen eigene Rechtsgrundlagen geschaffen.417 In zahlreichen Kantonen bestehen zudem Regelungen zu den Ethikkommissionen, zur Verantwortlichkeit und zum Datenschutz, die bei Forschungsvorhaben mit Versuchspersonen ebenfalls zu beachten sind.418 Einige Kantone erklären entweder aus412
413 414 415
416 417
418
Es fehlt eine entsprechende Verfassungsgrundlage, SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 22. SCHWANDER zit. Forschung, 59; SPRUMONT/BÉGUIN, 895. SCHWANDER zit. Forschung, 59 m.w.H. So verweisen zahlreiche kantonale Regelungen nach wie vor auf das Reglement über die Heilmittel im klinischen Versuch der Interkantonalen Vereinigung für die Kontrolle der Heilmittel (IKS) vom 18. November 1993. Das Reglement gilt seit dem Inkrafttreten des Heilmittelgesetzes im Jahr 2002 nicht mehr (zur GPKV der IKS siehe MEIERABT zit. Arzneimittel, 370 ff. und zur Regelung der klinischen Versuche unter dem IKS-Reglement siehe SPRUMONT zit. protection, 453 ff.). Derartige Verweise finden sich beispielsweise in Art. 62c der Verordnung über den Verkehr mit Heilmitteln des Kantons Zürich (LS 812.1) oder in Art. 38 Abs. 1 des Gesundheitsgesetzes des Kantons Wallis (SGS 800.1). Siehe dazu die Ausführungen unten unter III.4. Zum Beispiel die Verordnung über Forschungsuntersuchungen am Menschen vom 17. Juni 1998 des Kantons Bern (BAG 811.05), der Beschluss betreffend die Forschung am Menschen vom 5. Juli 1995 des Staatsrates des Kantons Wallis (SGS 800.200) oder das Réglement sur la recherche biomédicale vom 19. März 2003 des Kantons Waadt (RSV 800.21.1). SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 28.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
139
schließlich oder ergänzend die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW)419 als anwendbar. Die kantonalen Regelungen enthalten auch Verweise auf die Regelungen der Gute Praxis der klinischen Versuche.420 Besonderes Gewicht wird in den kantonalen Regelungen auf das Erfordernis der Aufklärung und freien Einwilligung der Versuchspersonen gelegt. Viele der kantonalen Regelungen betonen, dass Forschungsvorhaben mit Versuchspersonen einer Ethikkommission unterbreitet werden müssen. aa) Kantone ohne Regelungen zur Humanforschung In fünf Kantonen (Appenzell Innerrhoden, Nidwalden, Schwyz, Uri und Zug) findet sich keine gesetzliche Regelung zur Forschung mit Versuchspersonen. Bei Forschungsvorhaben in diesen Kantonen sind daher hilfsweise – sofern vorhanden – die Regelungen über Rechte und Pflichten der Patientinnen und Patienten beizuziehen. In diesen sind zumeist das Selbstbestimmungsrecht sowie Regelungen zum Datenschutz und zu den Einsichts- und Informationsrechten enthalten.421 (1) Appenzell Innerrhoden Im kantonalen Recht von Appenzell Innerrhoden enthält einzig das Datenschutzgesetz422 in Art. 7 eine Bestimmung zur Forschung. Diese regelt die Bearbeitung von persönlichen Daten zu Forschungszwecken. (2) Nidwalden Der Kanton Nidwalden hat die Forschung mit Versuchspersonen nicht spezifisch geregelt. Nachfolgende Bestimmungen können auch für die medizinische Forschung mit Versuchspersonen herangezogen werden. In der Spitalverordnung423 wird in § 58 festgelegt, dass der Patient einen Anspruch auf „Untersuchung, Behandlung und Pflege nach den anerkannten Grundsätzen der ärztlichen Wissenschaft und der Humanität sowie der Wirtschaftlichkeit hat“. Grundsätzlich sind Auskünfte an Dritte über Patienten nur mit deren Einverständnis zulässig. § 72 Abs. 2 statuiert einen Vorbehalt für Forschungszwecke oder aufgrund besonderer Meldepflichten oder Befugnissen.
419 420
421
422 423
Siehe dazu gleich anschließend III.2.d. Zahlreiche kantonale Regelungen verweisen hierzu jedoch noch auf das Reglement über die Heilmittel im klinischen Versuch der Interkantonalen Vereinigung für die Kontrolle der Heilmittel (IKS) vom 18. November 1993, das seit dem Inkrafttreten des Heilmittelgesetzes im Jahr 2002 nicht mehr gilt. Siehe beispielsweise §§ 39 ff. der Gesundheitsverordnung des Kantons Schwyz vom 16. Oktober 2002 (SRSZ 571.110); § 36 des Gesetzes über das Gesundheitswesen im Kanton Zug vom 21. Mai 1970 (BGS 821.a1); Art. 59a und 59b des Gesetzes über das Gesundheitswesen des Kantons Uri vom 27. September 1970 (Rechtsbuch 30.2111). Datenschutzgesetz (DSchG) vom 30. April 2000, GS 258. Vollziehungsverordnung zum Gesetz über das Kantonsspital (Spitalverordnung) vom 27. März 1981, NGS 714.11.
140
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
(3) Schwyz Der Kanton Schwyz hat die medizinische Forschung mit Versuchspersonen nicht geregelt. In der Gesundheitsverordnung424 sind in § 38 ff. die Rechte und Pflichten von Patienten festgelegt. (4) Uri Ebenso findet sich im Kanton Uri keine Regelung zur medizinischen Forschung mit Versuchspersonen. Im Gesetz über das Gesundheitswesen425 sind in Art. 59a und 59b die Rechte und Pflichten von Patienten festgelegt. (5) Zug Der Kanton Zug hat die medizinische Forschung mit Versuchspersonen nicht gesondert geregelt. Einzig in § 4 des Datenschutzgesetzes426 sind Regelungen für Verwendung von personenbezogenen Daten zu Forschungszwecken enthalten. In § 36 des Gesetzes über das Gesundheitswesen im Kanton Zug427 wird zudem das Selbstbestimmungsrecht des Patienten garantiert. bb) Kantonale Regelungen zur Humanforschung (1) Aargau § 14 der Verfassung428 des Kantons Aargau hält fest, dass Lehre und Forschung die Würde der Kreatur zu achten haben. Bestimmungen zur medizinischen Forschung mit Versuchspersonen sind sowohl im Gesundheitsgesetz (§ 53)429 wie im Dekret über die Rechte und Pflichten der Krankenhauspatienten enthalten (§ 22)430. Das Dekret hält fest, dass Forschungsuntersuchungen auf das wissenschaftlich und therapeutisch Notwendige zu beschränken sind. Vorausgesetzt wird eine umfassende und dokumentierte Aufklärung über den Sinn und die Gefahren der Untersuchung sowie die freiwillige Einwilligung der Versuchspersonen. Forschungsuntersuchungen am Menschen dürfen zudem nur von wissenschaftlich qualifiziertem Personal in ausreichend ausgerüsteten Institutionen unter Leitung und Verantwortung eines Arztes ausgeführt werden. § 22 Abs. 6 des Dekrets untersagt die Ausrichtung eines Entgelts an Personen, die sich für Forschungsuntersuchungen zur Verfügung stellen. Erlaubt sind nur Entschädigungen für entstandene Kosten und Erwerbsausfall. In der Verordnung über die Kantonale Ethikkommission431 werden die Wahl, Zusammensetzung, Arbeitsweise und das Verfahren der kantonalen Ethikkommission geregelt.
424 425 426 427 428 429 430
431
Gesundheitsverordnung (GesV) vom 16. Oktober 2002, SRSZ 571.110. Gesetz über das Gesundheitswesen vom 27. September 1970, RB 30. 2111. Datenschutzgesetz vom 28. September 2000, BGS 157.1. Gesetz über das Gesundheitswesen im Kanton Zug vom 21. Mai 1970, BGS 821.1. Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980, SAR 110.000. Gesundheitsgesetz (GesG) vom 10. November 1987, SAR 301.100. Dekret über die Rechte und Pflichten der Krankenhauspatienten vom 21. August 1990 (Patientendekret, PD), SAR 333.110. Verordnung über die Kantonale Ethikkommission (VKEK) vom 4. August 2004, SAR 301.171.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
141
(2) Appenzell Außerrhoden Art. 25 der Patientenverordnung432 hält fest, dass Patienten nur mit ihrer Zustimmung zu Unterricht und Forschung herangezogen werden dürfen. Bei Urteilsunfähigen müssen die gesetzlichen Vertreter einer Teilnahme ausdrücklich zustimmen. Forschungsvorhaben am Menschen bedürfen einer vorgängigen Bewilligung durch die zuständige Ethikkommission. Im Übrigen verweist die Bestimmung auf die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Auch das Krankenpflegegesetz433 verweist in Art. 12 zu den Rechten und Pflichten von Patienten auf die medizinisch-ethischen Richtlinien der SAMW, sofern keine besonderen Vorschriften bestehen. Zum Anwendungsbereich der kantonalen Normen zur Humanforschung bestimmt das Gesundheitsgesetz434 in Art. 14bis Abs. 3, dass die Einhaltung der an den kantonalen Spitälern geltenden ethischen Grundsätze, namentlich der medizinischen Forschung und der Fortpflanzungsmedizin, eine Voraussetzung für den Betrieb eines privaten Spitals ist. Der Schutz der persönlichen Daten bei Forschungsprojekten wird durch Art. 14 des Datenschutzgesetzes435 erfasst. (3) Basel-Landschaft Die Vereinbarung über die Einsetzung einer gemeinsamen Ethikkommission der Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft436 bestimmt, dass ein klinischer Versuch erst durchgeführt werden darf, wenn die Ethikkommission beider Basel die Forschungsunterlagen beurteilt und ihre Zustimmung erteilt hat (§ 3). Gemäß § 4 der Vereinbarung orientiert sich die Ethikkommission bei ihrer Tätigkeit an den Grundsätzen der Guten Praxis der klinischen Versuche. Diese Richtlinien werden sinngemäß auch auf Forschungsversuche außerhalb des Heilmittelbereichs zur Anwendung gebracht. Die Patientenverordnung437 verlangt die ausdrückliche Zustimmung des Patienten bzw. seines Vertreters für jede Form des Einbezuges in den klinischen Unterricht. Gemäß § 9 Abs. 4 haben medizinischen Maßnahmen im Interesse der Forschung nach den Richtlinien für Forschungsuntersuchungen am Menschen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) von 1997 zu erfolgen. (4) Basel-Stadt Die zuvor dargestellten Regelungsinhalte der Vereinbarung über die Einsetzung einer gemeinsamen Ethikkommission der Kantone Basel-Stadt und Basel-Land432
433
434
435 436 437
Verordnung über die Rechtsstellung der Patienten und Patientinnen der kantonalen Spitäler vom 6. Dezember 1993, bGS 812.112. Gesetz über die öffentliche Krankenpflege (Krankenpflegegesetz) vom 12. März 2000, bGS 812.11. Gesetz über das Gesundheitswesen (Gesundheitsgesetz) vom 25. April 1965, bGS 811.1. Gesetz über den Datenschutz (Datenschutzgesetz) vom 18. Juni 2001, bGS 146.1. Vereinbarung Ethikkommission beider Basel vom 25. Januar 2000, SGS 901.31. Verordnung über die Rechte und Pflichten der Patienten in den kantonalen Krankenanstalten vom 1. November 1988, SGS 930.15.
142
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
schaft gelten auch für den Kanton Basel-Stadt. § 11 des Spitalgesetzes438 hält fest, dass der Patient Anspruch auf Rücksichtnahme und Schutz seiner Persönlichkeit hat. Die Patientenbehandlung hat Vorrang vor der medizinischen Ausbildung und Forschung. Dem Einbezug eines Patienten in den medizinischen Unterricht und zur Forschung muss stets eine Information und die Einwilligung des Patienten vorausgehen. Der Schutz von persönlichen Daten im Rahmen von Forschungsvorhaben wird durch Art. 15 Datenschutzgesetz439 erfasst. (5) Bern Art. 21 der Verfassung des Kantons Bern440 gewährleistet die Freiheit der Forschung und verpflichtet die in Wissenschaft, Forschung und Lehre tätigen Personen dazu, ihre Verantwortung gegenüber der Integrität des Lebens von Menschen, Tieren, Pflanzen und deren Lebensgrundlagen wahrzunehmen. Diese Pflicht der Forschenden findet sich ebenso im Statut der Universität441 in Art. 2. Gemäß Art. 34 des Gesundheitsgesetzes442 sind medizinische Forschungsuntersuchungen am Menschen nur mit Bewilligung der kantonalen Ethikkommission zulässig. Ebenso schreibt das Gesetz über die Universität443 in Art. 10 Abs. 3 vor, dass Forschungsuntersuchungen mit Versuchspersonen zu deren Schutz einer Ethikkommission unterbreitet werden müssen. Weiter verlangt Art. 34 des Gesundheitsgesetzes, dass medizinische Forschungsuntersuchungen nur von wissenschaftlich qualifizierten Personen und unter Einhaltung der einschlägigen fachlichen Grundsätze erfolgen dürfen. Urteilsfähige Personen dürfen nur in eine medizinische Forschungsuntersuchung einbezogen werden, wenn sie nach vorgängiger vollständiger und verständlicher Aufklärung schriftlich eingewilligt haben. Art. 4 der Verordnung über Forschungsuntersuchungen am Menschen444 verweist auf das aktuelle Bundesrecht (VKlin) und die dort genannten internationalen Normen (u.a. die ICH-GCP-Guideline). In Art. 5 ff. der Verordnung werden die Aufgaben, die Zusammensetzung sowie die Verfahren der kantonalen Ethikkommission detailliert geregelt. (6) Freiburg Das Gesundheitsgesetz445 des Kantons Freiburg enthält in Art. 66 ff. ausführliche Regelungen für die Zulässigkeit medizinischer Forschungsuntersuchungen. Art. 66 enthält Grundsätze zur Forschung mit Versuchspersonen und verweist hierzu auf die Regeln der Guten Praxis der klinischen Versuche. Mit deren Einhaltung soll der Schutz der Versuchspersonen gewährleistet und die Qualität der 438 439
440 441
442 443 444 445
Spitalgesetz vom 26. März 1981, SG 330.100. Gesetz über den Schutz von Personendaten (Datenschutzgesetz) vom 18. März 1992, SG 153.260. Verfassung des Kantons Bern vom 6. Juni 1993, BSG 101.1. Statut der Universität Bern (Universitätsstatut, UniSt) vom 17. Dezember 1997, BSG 436.111.2. Gesundheitsgesetz (GesG) vom 2. Dezember 1984, BSG 811.01. Gesetz über die Universität (UniG) vom 5 September 1996, BSG 436.11. Forschungsverordnung, (FoV) vom 17. Juni 1998, BSG 811.05. Gesundheitsgesetz vom 16. November 1999, BDLF 821.0.1.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
143
Ergebnisse sichergestellt werden. Nach Art. 66 Abs. 2 müssen Forschungsuntersuchungen mit Versuchspersonen insbesondere die folgenden Voraussetzungen erfüllen: „a) Die verantwortliche Prüferin oder der verantwortliche Prüfer hat ein eidgenössisches Arzt- oder Zahnarztdiplom oder ein gleichwertiges Diplom und ist zur Ausübung der Medizin oder Zahnmedizin berechtigt. b) Die voraussehbaren Risiken für die Versuchspersonen stehen nicht im Missverhältnis zum möglichen Nutzen der Forschung. c) Der Datenschutz für die Versuchspersonen ist gewährleistet. d) Das Forschungsvorhaben wurde von der zuständigen Ethikkommission oder den zuständigen Ethikkommissionen gebilligt. e) Die Versuchspersonen haben ihre freie, ausdrückliche und aufgeklärte Einwilligung schriftlich erklärt oder bestätigt, nachdem sie namentlich über die folgenden Punkte informiert wurden: Art und Zweck der Forschung, alle damit verbundenen Belastungen, Maßnahmen und Analysen, das allfällige Vorhandensein anderer als der im Forschungsprojekt vorgesehenen Behandlungen, die voraussehbaren Risiken und Unannehmlichkeiten und den möglichen Nutzen. Die Information erstreckt sich auch auf den Anspruch der Versuchspersonen auf Entschädigung, sollten sie in Folge der Versuche einen Schaden erleiden, und auf das Recht, ihre Einwilligung jederzeit widerrufen zu können, ohne dass sich dies nachteilig auf ihre weitere Pflege auswirkt.“
Abs. 3 bestimmt im Weiteren, dass jedes biomedizinische Forschungsvorhaben, das nicht zwingend einer gesamtschweizerischen Behörde gemeldet werden muss, der zuständigen kantonalen Behörde nach einem vom Staatsrat festgesetzten Verfahren zu melden ist. Art. 67 regelt die Forschung mit Minderjährigen, entmündigten und urteilsunfähigen Personen (dazu nachfolgend unter III.3.d). Nach Art. 68 ist Forschung in medizinischen Notsituationen ausnahmsweise zulässig, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: „a) Die verantwortliche Prüferin oder der verantwortliche Prüfer hat ein von der Ethikkommission für Forschung gebilligtes Verfahren vorgesehen, um wenn immer möglich die Zustimmung der gesetzlichen Vertreterin oder des gesetzlichen Vertreters von unmündigen oder entmündigten Versuchspersonen einzuholen oder um den Willen der Versuchspersonen, namentlich unter Einbezug allfälliger Patientenverfügungen und der Ansicht der Angehörigen, abzuklären. b) Es sind keine Anzeichen vorhanden, die erkennen lassen, dass sich die Versuchsperson der Beteiligung an der Forschung widersetzen würde. c) Das Forschungsvorhaben lässt wichtige Erkenntnisse über den Zustand, die Krankheit oder das Leiden der Versuchspersonen erwarten, um inskünftig für sie oder für andere Personen in vergleichbaren Notsituationen einen unmittelbaren Nutzen zu erlangen. d) Eine Ärztin oder ein Arzt, die oder der nicht an der Forschung beteiligt ist, wahrt die Interessen jeder Versuchsperson, indem sie oder er die ärztliche Begleitung sicherstellt.“
144
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Art. 69 regelt die Rolle und die Aufgaben der kantonalen Ethikkommission. Die Bestimmung hält fest, dass die Ethikkommission für die ethische Beurteilung sowie für die Überprüfung der wissenschaftlichen Qualität der Forschungsvorhaben zuständig ist. Sie hat dabei die Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen der Versuchspersonen nach den anerkannten Regeln der Guten Praxis der klinischen Versuche zu schützen. Ihre besondere Aufmerksamkeit hat sie dabei der Forschung an gefährdeten Bevölkerungsgruppen und in medizinischen Notsituationen zu widmen. Die Kontrolle der im Kanton Freiburg durchgeführten Forschungsuntersuchungen mit Versuchspersonen wird zudem durch den Beschluss über klinische Versuche am Menschen446 näher geregelt. Der Beschluss bestimmt die zuständigen Behörden und regelt in Art. 4 ff. die Ethikkommission für klinische Versuche. Zudem wird im Reglement über die Heilmittel447 in Art. 9 Abs. 4 und 5 die Verwendung von nicht oder noch nicht zugelassenen Heilmitteln im Rahmen von klinischen Versuchen in Spitälern und Arztpraxen geregelt. (7) Genf Die aktuellen Regelungen des Kantons Genf zur medizinischen Forschung mit Versuchspersonen sind erst 2006 in Kraft getreten und zeichnen sich im Vergleich zu den älteren Regelungen vieler anderer Kantone durch ihre Detailliertheit und ihre Übereinstimmung mit der geltenden Bundesgesetzgebung aus. Vergleichbare Regelungen zur Humanforschung kennen aktuell nur die Kantone Waadt und Freiburg. Insbesondere die neue Genfer Gesetzgebung zur Humanforschung setzt Maßstäbe, an der sich andere Kantone orientieren sollten. Nachfolgend werden die interessantesten Bestimmungen der Genfer Gesetzgebung dargestellt. Die allgemeinen Grundsätze zur Forschung mit Versuchspersonen werden in Art. 61 („Recherche biomédicale avec des personnes“) des Loi sur la santé448 aufgelistet: „1 Toute recherche biomédicale impliquant des personnes doit être menée conformément aux règles des bonnes pratiques des essais cliniques et épidémiologiques, reconnues au niveau national, dont le but est de garantir la protection des sujets de recherche et d'assurer la qualité des résultats. 2 Une recherche biomédicale impliquant des personnes doit en particulier respecter les conditions suivantes : a) l'investigateur responsable est titulaire d'un diplôme fédéral de médecin ou de médecin dentiste ou d'un diplôme équivalent et a l'autorisation de pratiquer la médecine ou la médecine dentaire; b) les risques prévisibles pour les sujets de recherche ne sont pas disproportionnés par rapport aux bénéfices potentiels de la recherche;
446
447 448
Beschluss über klinische Versuche am Menschen vom 12. September 1995, BDLF 821.20.22. Reglement über die Heilmittel vom 28. November 2000, BDLF 821.20.21. Loi sur la santé vom 7. April 2006, RSG K 1 03.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
145
c) toutes les mesures nécessaires ont été prises pour protéger la santé, le bien-être et les droits des sujets de recherche, le promoteur, l'investigateur et, le cas échéant, l'organisme de recherche ayant convenu dans l'intérêt des sujets des modalités visant à prévenir tout dommage dans le cadre de la recherche et veillé en particulier à garantir le suivi médical des sujets; d) la protection des données relatives aux sujets de recherche est garantie; e) les sujets de recherche ont donné leur consentement libre, exprès et éclairé, par écrit ou attesté par écrit, après avoir été informés notamment sur la nature et le but de la recherche, l'ensemble des contraintes, des actes et des analyses impliqués, l'existence éventuelle d'autres traitements que ceux qui sont prévus dans la recherche, les risques et les inconforts prévisibles, les bénéfices potentiels, leur droit à une compensation en cas de dommages imputables à la recherche, leur droit de retirer leur consentement à tout moment sans préjudice pour la poursuite des soins; f) la recherche a obtenu l'avis favorable de la ou des commissions d'éthique de la recherche compétentes. 3 Toute recherche biomédicale qui n'est pas obligatoirement notifiée à une autorité nationale doit l'être à l'autorité cantonale compétente, selon la procédure fixée par le Conseil d'Etat. 4 Pour le surplus, les dispositions de la loi fédérale sur les produits thérapeutiques, du 15 décembre 2000, sont applicables à toute recherche biomédicale.“
Besonders interessant und in dieser Form für die Gesetzgebung in der Schweiz neu sind die Regelungen von Art. 62 zum Umgang mit Interessenkonflikten im Bereich der Humanforschung: „1 Le promoteur, l'investigateur et, le cas échéant, l'organisme de recherche doivent informer la commission d'éthique de la recherche compétente des conflits d'intérêts, de nature financière ou autre, qui peuvent influencer le déroulement de la recherche, l'analyse et la publication des résultats, ainsi que les mesures adoptées afin d'en prévenir les effets. 2 Une recherche ne peut être entreprise que si l'investigateur a un droit d'accès à toutes les données brutes et si sa liberté de publier les résultats obtenus, positifs ou négatifs, est garantie. 3 L'investigateur rend public par tout moyen approprié les résultats de la recherche dans un délai raisonnable.“
Art. 63 sieht die Schaffung eines Probandenregisters vor. Zur Eintragung verpflichtet sind insb. Versuchspersonen, die an nicht therapeutischen Forschungsvorhaben teilnehmen. Mit der durch das Register ausgeübten Kontrolle soll verhindert werden, dass Versuchspersonen gleichzeitig an mehreren Studien teilnehmen oder die vorgeschriebenen Wartefristen (wash-out-Phasen) zwischen einzelnen Studien nicht einhalten. In Art. 64 werden die Aufgaben der kantonalen Ethikkommission geregelt. Das Règlement sur la recherche biomédicale avec des personnes449 ergänzt gemäß Art. 1 die Bundesgesetzgebung zur Forschung mit Heilmitteln sowie die zuvor genannten Bestimmungen zur Humanforschung im Loi sur la santé. U.a. 449
Règlement sur la recherche biomédicale avec des personnes vom 22. August 2006, RSG K 4 05.20.
146
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
enthält das Règlement Bestimmungen zur Notifikation von Studien bei den kantonalen und eidgenössischen Behörden (Art. 4), Ausführungsbestimmungen zum in Art. 62 des Loi sur la santé vorgesehenen Probandenregister (Art. 6) sowie Regelungen über die Zusammensetzung, die Aufgaben und Kompetenzen, zur Finanzierung und zur Überwachung der kantonalen Ethikkommission (Art. 7 ff.). Das Règlement sieht zudem Sanktionsbestimmungen bei Verstößen vor und enthält Regelungen zum Rechtsweg gegen Entscheide der zuständigen Behörden (Art. 13 ff.). (8) Glarus In Art. 32 der Verordnung über die Organisation des Kantonsspitals450 wird festgehalten, dass Patienten zu Unterrichts- und Forschungszwecken nur herangezogen werden dürfen, wenn sie oder ihr gesetzlicher Vertreter zugestimmt haben. Beim klinischen Unterricht und bei Forschungsarbeiten muss auf die Privatsphäre des Patienten Rücksicht genommen werden. Für Forschungsvorhaben sind im Übrigen die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaft maßgebend. Die Verwendung von personenbezogenen Daten für die Forschung wird durch Art. 11 des Datenschutzgesetzes451 geregelt. (9) Graubünden Als einzige kantonale Rechtsnorm enthält die Heilmittelverordnung452 Bestimmungen zur Humanforschung. Art. 32 Abs. 1 bestimmt, dass klinische Versuche mit Heilmitteln am Menschen nur durchgeführt werden dürfen, wenn sie von der kantonalen Ethikkommission oder einer ihr nachgeordneten Ethikkommission (Unterkommission) für zulässig erklärt worden sind. Das Gesundheitsgesetz453 garantiert in Art. 20 Abs. 1 den Schutz der Persönlichkeit der Patienten. (10) Jura Das Loi sanitaire454 (Art. 26 ff.) des Kantons Jura enthält differenzierte Regelungen zur Einwilligung, zum Recht auf Information und zur Patientenverfügung. Die Einwilligung für Eingriffe bei nicht einwilligungsfähigen Personen wird in Art. 26d gesondert geregelt. Nach Art. 28c wacht die Commission de surveillance des droits des patients über die Einhaltung der Rechte der Patienten. Art. 30 hält fest, dass klinische Versuche nicht ohne die Einwilligung der Betroffenen durchgeführt werden dürfen. Detaillierte Regelungen zu klinischen Versuchen sind in der Ordonnance concernant les recherches sur l'être humain455 festgehalten. Ge450
451
452 453
454 455
Verordnung über die Organisation des Kantonsspitals vom 25. September 1996, GS VIII A/211/1. Gesetz über den Schutz von Personendaten (Datenschutzgesetz) vom 5. Mai 2002, GS I F/1. Heilmittelverordnung vom 7. Juli 1998, BR 504.100. Gesetz über das Gesundheitswesen des Kantons Graubünden (Gesundheitsgesetz) vom 2 Dezember 1984, BR 500.000. Loi sanitaire vom 14. Dezember 1990, RSJU 810.01. Ordonnance concernant les recherches sur l'être humain vom 17 Januar 1996, RSJU 810.05.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
147
mäß Art. 1 bezweckt die Verordnung die Kontrolle der Forschung mit Versuchspersonen mit dem Ziel, den Schutz der Versuchspersonen und die Qualität der Forschungsergebnisse sicherzustellen. Die Bestimmungen der Verordnung sind sowohl auf klinische Versuche mit Arzneimitteln wie auch auf alle anderen Forschungsvorhaben mit Versuchspersonen anwendbar. Art. 3 enthält Grundsätze, die bei allen Forschungsvorhaben mit Versuchspersonen im Kanton Jura zwingend zu beachten sind: „1 Les recherches sur l'être humain menées dans le Canton sont soumises aux exigences suivantes: a) tout projet de recherche sur l'être humain est mené conformément aux principes des bonnes pratiques des essais cliniques; b) tout projet de recherche sur l'être humain est approuvé par un comité d'éthique reconnu avant le début des travaux; c) tout projet de recherche sur l'être humain est notifié à l'autorité de surveillance (art. 4) avant sa mise en oeuvre; d) toute participation à des recherches sur l'être humain repose sur le consentement libre, exprès et éclairé du sujet de recherche; e) tout sujet de recherche peut accéder aux données personnelles le concernant même après la fin des travaux de recherche. 2 Il est interdit d'entreprendre ou de poursuivre une activité de recherche sur l'être humain qui n'est pas conforme à ces exigences.“
(11) Luzern Die luzernische Patientenverordnung456 enthält Regelungen zu den Rechten und Pflichten von Patienten. In § 31 werden Grundsätze für den ärztlich Unterricht und die Forschung geregelt. Zwingend erforderlich ist die frühzeitige und umfassende Aufklärung über das Vorhaben sowie die damit verbundenen Risiken sowie die schriftliche Einwilligung des Betroffenen oder im Falle seiner Urteilsunfähigkeit die seiner gesetzlichen Vertreter. Die Einwilligung ist jederzeit widerrufbar. Die Beanspruchung von Patienten zu Unterricht und Forschung ist auf das wissenschaftlich notwendige Maß zu beschränken. Über Aufklärung, Einwilligung, Heranziehung von Patienten und Patientinnen im Verlauf des Forschungsprojekts muss ein schriftliches Protokoll geführt werden. Zudem darf an Versuchspersonen kein Entgelt ausgerichtet werden. Erlaubt sind einzig Entschädigungen für entstandene Kosten und Erwerbsausfall. § 31 Abs. 8 verweist im Übrigen auf die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften. Der Schutz von Personendaten in der Forschung wird durch Art. 4 Abs. 5 des Datenschutzgesetzes457 geregelt.
456
457
Verordnung über die Rechte und Pflichten von Patienten und Patientinnen der kantonalen Spitälern vom 16. November 1993, SRL 823. Gesetz über den Schutz von Personendaten (Datenschutzgesetz) vom 2. Juli 1990, SRL 038.
148
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
(12) Neuenburg Art. 28 des Loi de santé458 regelt die medizinische Forschung mit Versuchspersonen. Die Bestimmung gelangt sowohl auf klinische Studien in Spitälern wie auf Forschungsvorhaben in privaten Arztpraxen zur Anwendung. Die Bestimmung verlangt die vorgängige Prüfung eines jeden Forschungsvorhabens durch die in Art. 17 vorgesehene Ethikkommission. Jede Versuchsperson ist über das Forschungsvorhaben umfassend aufzuklären und hat ihre Einwilligung schriftlich zu erteilen. Diese kann jederzeit und ohne Nachteile für den Patienten zurückgezogen werden. Der Schutz der personenbezogenen Daten in der Forschung wird durch Art. 14 des Loi cantonale sur la protection de la personnalité459 geregelt. (13) Obwalden Das Gesundheitsgesetz460 des Kantons Obwalden enthält in Art. 45 Abs. 1 für Forschungsuntersuchungen, Sterbehilfe, Feststellung des Todes, Invitro-Fertilisation sowie Embryotransfer Hinweise auf die medizinisch-ethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Das Gesetz überträg in Art. 44 dem Kantonsrat die Aufgabe, die Rechtsstellung der Patienten „insbesondere in Bezug auf die Information über die Behandlung und ihre Durchführung sowie in Bezug auf die Heilmittel und wissenschaftlichen Versuche“ in einer Verordnung zu regeln. Die Patientenverordnung461 enthält jedoch keine Bestimmung zu wissenschaftlichen Versuchen. (14) Schaffhausen Gemäß Art. 30k des Gesundheitsgesetzes462 des Kantons Schaffhausen erlässt der Regierungsrat Ausführungsbestimmungen zu den allgemeinen Rechten und Pflichten von Patienten, ihrem Recht auf Selbstbestimmung und dessen Beschränkungen sowie zu Heilversuchen und wissenschaftlichen Versuchen. Zu Heilversuchen und wissenschaftlichen Versuchen sind in § 34 der Patientenverordnung463 folgende Bestimmung enthalten: „1 Heilversuch ist die Behandlung mit neuartigen, wissenschaftlich noch nicht abgesicherten Methoden und Mitteln, um eine Heilung oder Besserung des Gesundheitszustandes von Patientinnen oder Patienten zu erreichen. 2 Wissenschaftlicher Versuch ist die Behandlung von Personen mit neuartigen, wissenschaftlich noch nicht abgesicherten Methoden und Mitteln zu ausschliesslich oder vorwiegend wissenschaftlichen Zwecken. 3 Versuche dieser Art dürfen nur durchgeführt werden, wenn sie nach den Bestimmungen der Verordnung über Heilversuche und wissenschaftliche Versuche am Menschen zugelassen bzw. bewilligt sind“. 458 459
460 461 462 463
Loi de santé vom 6. Februar 1995, RSN 800.1. Loi cantonale sur la protection de la personnalité vom 14. Dezember 1982, RSN 150.30. Gesundheitsgesetz vom 20. Oktober 1991, GDB 810.1. Verordnung über Patientenrechte vom 24. Oktober 1991, GDB 830.31. Gesundheitsgesetz vom 19. Oktober 1970, SHR 810.100. Verordnung über die Rechte und Pflichten von Patientinnen und Patienten vom 8. Mai 2001, SHR 810.102.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
149
Detaillierte Vorschriften zu Forschungsuntersuchungen mit Versuchspersonen finden sich sodann in der Verordnung über Heilversuche und wissenschaftliche Versuche am Menschen464. Forschungsuntersuchungen sind nur zulässig, wenn sie zuvor durch die kantonale Ethikkommission begutachtet wurden (§ 2 f.). Nach § 2 Abs. 2 prüft die Ethikkommission die Einhaltung der ethischen Grundsätze sowie die wissenschaftliche und medizinische Qualität der Forschungsvorhaben. Sie hat sich zu vergewissern, ob der Schutz der Versuchspersonen gewährleistet ist. Bei jedem Versuch sind die Grundsätze nach § 5 einzuhalten: „a) Es muss die schriftliche Zustimmung der betroffenen Personen eingeholt werden; b) Das Behandlungsrisiko muss in einem angemessenen Verhältnis zum Behandlungsziel stehen; c) Es ist ein Protokoll über die Information der betroffenen Person, die Ziele und die Durchführung des Versuchs zu führen. 2 Die Versuchsperson oder ihre gesetzliche Vertretung kann den Versuch jederzeit abbrechen. […]“.
(15) Solothurn § 39 des Gesundheitsgesetztes465 hält fest, dass Patienten nur mit ihrer Einwilligung in Unterricht und Forschung einbezogen werden dürfen. Dabei sind die Persönlichkeit und Intimsphäre der Patienten zu wahren. Nach § 51bis des Gesundheitsgesetzes wählt der Regierungsrat kantonale Ethikkommissionen. Er kann auch die Ethikkommission eines anderen Kantons für zuständig erklären. Nach § 76 der Vollzugsverordnung zum Gesundheitsgesetz466 können die Ethikkommissionen auch für nicht staatlichen Spitäler tätig werden. § 77 befasst sich mit den Aufgaben der kantonalen Ethikkommissionen. Gemäß dieser Bestimmung haben die Kommissionen zu grundsätzlichen Fragen der Diagnostik, Behandlung und Pflege Stellung zu nehmen. Sie genehmigen Forschungsuntersuchungen am Menschen und nehmen zu Fragen der Abgeltung von Forschungsaufwendungen Stellung. (16) St. Gallen Art. 20 des Gesundheitsgesetzes467 erteilt dem Kanton die Befugnis, „selbständig oder zusammen mit öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten sowie mit Privaten Forschung im Dienst der Gesundheit [zu] betreiben oder [zu] unterstützen“. In Art. 65 der Spitalorganisationsverordnung468 zu Unterricht und Forschung wird festgehalten, dass die Menschenwürde des Patienten nicht verletzt werden darf.
464
465 466 467 468
Verordnung über Heilversuche und wissenschaftliche Versuche am Menschen vom 25. Juni 2002, SHR 812.112. Gesundheitsgesetz vom 27. Januar 1999, BGS 811.11. Vollzugsverordnung zum Gesundheitsgesetz vom 28. Juni 1999, BGS 811.12. Gesundheitsgesetz vom 28. Juni 1979, sGS 311.1. Verordnung über die medizinische und betriebliche Organisation der kantonalen Spitäler, psychiatrischen Kliniken und Laboratorien vom 17. Juni 1980, sGS 321.11.
150
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Zudem soll gegen den bestimmt ausgesprochenen Willen eines Patienten an ihm keine Operation, Behandlung oder Demonstration vorgenommen werden. Für Forschungsuntersuchungen verweist Art. 65 Abs. 3 auf die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Der Schutz von personenbezogenen Daten in der Forschung ist in Art. 15 und 16 der Datenschutzverordnung469 geregelt. (17) Tessin Im Kanton Tessin finden sich in Art. 10 f. Legge sanitaria470 Normen zu Forschungsvorhaben mit Versuchspersonen. Art. 10 Abs. 2 verweist dabei auf die Gute Praxis der klinischen Versuche. Unbedingt erforderlich sind vorgängige Prüfung aller Forschungsvorhaben durch eine Ethikkommission sowie die Aufklärung und freie Einwilligung der Betroffenen. Nähere Bestimmungen zur Ethikkommission finden sich im Regolamento del Comitato etico471. Die Forschung im Rahmen des fürsorgerischen Freiheitsentzugs wird in Art. 6, 34, 35 Legge sull’ assistenza sociopsichiatrica472 und in Art. 32 Regolamento d’applicazione della legge sull’ assistenza sociopsichiatrica473 geregelt. Der Schutz personenbezogener Daten in der Forschung wird durch Art. 15 Legge sulla protezione dei dati personali474 erfasst. (18) Thurgau Gemäß § 13 der Verordnung des Regierungsrates über Berufe des Gesundheitswesens475 i.V.m. § 5 der Heilmittelverordnung476 bedürfen klinische oder wissenschaftliche Versuche die Zustimmung der kantonalen Ethikkommission und werden durch diese begutachtet und überwacht. Grundsätze zu den Rechten und Pflichten der Patienten sind in der Verordnung des Regierungsrates über die Rechtsstellung der Patienten und Patientinnen477 geregelt. Diese bezieht sich aber nicht speziell auf Forschungsuntersuchungen und den medizinischen Unterricht.
469 470
471 472 473
474 475
476
477
Datenschutzverordnung vom 24. Oktober 1995, sGS 142.11. Legge sulla promozione della salute e il coordinamento sanitario (Legge sanitaria) vom 18. April 1989, RL 6.1.1.1. Regolamento del Comitato etico vom 2 Juli 2002, RL 6.1.1.1.5. Legge sull’ assistenza sociopsichiatrica vom 2. Februar 1999, RL 6.3.2.1. Regolamento d’applicazione della legge sull’ assistenza sociopsichiatrica vom 2. Februrar 1999, RL 6.3.2.1.1. Legge sulla protezione dei dati personali vom 9. März 1987, RL 1.6.1.1. Verordnung des Regierungsrates über Berufe des Gesundheitswesens vom 17. August 2004, RB 811.121. Verordnung des Regierungsrates betreffend Heilmittel vom 11. Dezember 2001, RB 812.2. Verordnung des Regierungsrates über die Rechtsstellung der Patienten und Patientinnen vom 3. Dezember 1996, RB 811.314
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
151
(19) Waadt Art. 25 ff. des Loi sur la santé publique478 enthalten detaillierte Regelungen zur medizinischen Forschung mit Versuchspersonen. Während Art. 25 die Grundsätze der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen auflistet, enthält Art. 25a zusätzliche Voraussetzungen für Versuche mit Unmündigen, Entmündigten und Urteilsunfähigen und Art. 25b für die Forschung in Notfallsituationen. Art. 25 verlangt, dass alle Forschungsvorhaben mit Versuchspersonen in Übereinstimmung mit den Regeln der Guten Praxis der klinischen Versuche durchgeführt werden. Im Weiteren müssen Forschungsvorhaben folgende Voraussetzungen erfüllen: „a. l'investigateur responsable est titulaire d'un diplôme fédéral de médecin ou de médecin dentiste ou d'un diplôme équivalent et a l'autorisation de pratiquer la médecine ou la médecine dentaire; b. les risques prévisibles pour les sujets de recherche ne sont pas disproportionnés par rapport aux bénéfices potentiels de la recherche; c. la protection des données relatives aux sujets de recherche est garantie; d. la recherche a obtenu l'avis favorable de la ou des commissions d'éthique de la recherche compétentes; e. les sujets de recherche ont donné leur consentement libre, exprès et éclairé, par écrit ou attesté par écrit, après avoir été informés notamment sur la nature et le but de la recherche, l'ensemble des contraintes, des actes et des analyses impliqués, l'existence éventuelle d'autres traitements que ceux qui sont prévus dans la recherche, les risques et les inconforts prévisibles, les bénéfices potentiels, leur droit à une compensation en cas de dommages imputables à la recherche, leur droit de retirer leur consentement à tout moment sans préjudice pour la poursuite des soins.“
Gemäß Art. 25c werden Forschungsvorhaben mit Versuchspersonen durch Ethikkommissionen überwacht. Diese prüfen die Einhaltung der Regeln der Guten Praxis der klinischen Versuche und stellen die wissenschaftliche Qualität der Forschungsvorhaben sicher. Sie überwachen den Schutz und das Wohlergehen der Versuchspersonen. Dabei haben sie dem Schutz der besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Diese Regelungen des Gesundheitsgesetzes werden durch das Règlement sur la recherche biomédicale479 ergänzt. Dieses enthält detaillierte Regelungen über die Organisation und die Kompetenzen der kantonalen Ethikkommissionen (Art. 6 ff.). Geregelt werden zudem die mit medizinischen Forschungsvorhaben verbundenen Meldepflichten (Art. 14) sowie die Pflichten von privaten Forschungsinstituten, die im Auftragsverhältnis für Dritte Studien durchführen (Art. 15 ff.). (20) Wallis Regelungen zur medizinischen Forschung mit Versuchspersonen finden sich im Gesundheitsgesetz480 sowie im Beschluss betreffend die Forschung am Men-
478 479 480
Loi sur la santé publique vom 29 Mai 1985, RSV 800.01. Règlement sur la recherche biomédicale vom 19. März 2003, RSV 800.21.1. Gesundheitsgesetz vom 9. Februar 1996, SGS 800.1.
152
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
schen481 des Staatsrates des Kantons Wallis.482 Gemäß Art. 14 des Gesundheitsgesetzes wird eine Ethikkommission für die Forschung eingesetzt. Der Beschluss betreffend die Forschung am Menschen (Art. 2 ff.) und das Gesundheitsgesetzt (Art. 38 ff.) verlangen, dass jeder klinische Versuch mit Arzneimitteln in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Guten Praxis der klinischen Versuche durchgeführt werden muss. Diese Bestimmungen finden in analoger Weise auf jede Forschungsuntersuchung am Menschen Anwendung. Jede Forschungsuntersuchung am Menschen muss vorgängig durch eine zuständige Ethikkommission für klinische Versuche bewilligt und den zuständigen eidgenössischen und/oder kantonalen Behörden gemeldet werden. Nach Art. 39 des Gesundheitsgesetze und Art. 3 des Beschlusses übt das zuständige Departement u.a. die Kontrolle über die Ethikkommissionen aus, kann ein Verzeichnis der angemeldeten Forschungsvorhaben erstellen, die Forschungsstandorte und die verwendeten Mittel inspizieren. (21) Zürich Das Patientinnen- und Patientengesetz483 enthält in § 29 den Grundsatz, dass es für „Forschungsuntersuchungen an menschlichen Lebewesen“ immer einer Bewilligung der kantonalen Ethikkommission bedarf. Verlangt wird zudem die schriftliche Einwilligung der entsprechend aufgeklärten urteilsfähigen Patienten. „Die Einwilligung kann jederzeit ohne Begründung und ohne Nachteile widerrufen werden. Bei urteilsfähigen entmündigten oder unmündigen Patientinnen und Patienten ist zusätzlich die schriftliche Einwilligung der gesetzlichen Vertretung notwendig. Bei nicht urteilsfähigen Patientinnen und Patienten ist die schriftliche Einwilligung der gesetzlichen Vertretung notwendig. Fehlt eine gesetzliche Vertretung, kann die Kantonale Ethikkommission in begründeten Fällen die schriftliche Einwilligung erteilen. Für die Forschung an Toten gelten die Bestimmungen über die Obduktion.“ Gemäß § 62a der Verordnung über den Verkehr mit Heilmitteln484 dürfen klinische Versuche am Menschen mit Heilmitteln erst durchgeführt werden, nachdem sie von der kantonalen Ethikkommission oder einer ihr nachgeordneten Ethikkommission (Unterkommission) für zulässig erklärt worden sind. Nach § 62c beurteilen die Ethikkommission sowie die Unterkommissionen die klinischen Versuche mit Heilmitteln „insbesondere im Hinblick auf Übereinstimmung mit dem Reglement über die Heilmittel im klinischen Versuch der Interkantonalen Vereinigung für die Kontrolle der Heilmittel485, den Richtlinien für die Organisation und Tätigkeit medizinisch-ethischer Kommissionen zur Beurteilung von Forschungsuntersuchungen am Menschen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften sowie den anerkannten Grundsätzen von Wissenschaft, Ethik und Humanität. Sie nehmen Stellung zu praktischen Fragen von ethischer 481 482 483 484 485
Beschluss betreffend die Forschung am Menschen vom 5. Juli 1995, SGS 800.200. Eine Revision der Regelungen ist zur Zeit in Vorbereitung. Patientinnen- und Patientengesetz vom 5. April 2004, LS 813.13. Verordnung über den Verkehr mit Heilmitteln vom 28. Dezember 1978, LS 812.1. Das Reglement der IKS ist seit dem Inkrafttreten des Heilmittelgesetzes 2002 nicht mehr in Kraft.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
153
Bedeutung in Zusammenhang mit Heilmitteln im klinischen Versuch, insbesondere zur fachgerechten Durchführung, zum Schutz der Versuchspersonen, zur Wahrung der Patientenrechte und zur Information der Patienten und Patientinnen.“ Dabei berücksichtigen sie auch das Verhältnis zwischen Aufwand einerseits und möglichen Risiken für die Patienten und Patientinnen bzw. Versuchspersonen andererseits und dem aus dem Projekt zu erwartenden Nutzen. cc) Exkurs: Ethikkommissionen Ethikkommissionen wachen über den Schutz der Versuchspersonen486 und die wissenschaftliche Qualität der Forschungsvorhaben.487 Ihnen obliegt die Aufgabe, die ihnen vorgelegten Forschungsprojekte auf die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen zu überprüfen und gegebenenfalls Abänderungen zu verlangen.488 Gemäß Art. 57 Abs. 3 HMG i.V.m. Art. 29 ff. VKlin sind die Kantone für die Ernennung489 und die Überwachung490 der Ethikkommissionen zuständig.491 In Anlehnung an die Vorgaben des internationalen Rechts492 legt Art. 57 Abs. 2 HMG fest, dass Ethikkommissionen unabhängig sein müssen493 sowie über die Erfahrung und die Fachkenntnis494 verfügen müssen, um die ihnen vorgelegten Versuche beurteilen zu können.495 Folglich sind die Ethikkommissionen in der Schweiz – im Rahmen der bundesrechtlichen Vorgaben – kantonal organisiert.496 Einige Kantone haben die Bildung 486
487
488 489 490 491 492 493
494
495 496
Beispielsweise prüfen Ethikkommissionen die für die Aufklärung der Versuchspersonen vorgesehenen schriftlichen Informationen auf ihre Korrektheit, Verständlichkeit und Vollständigkeit und beurteilen das Verhältnis des für die Versuchspersonen zu erwartenden Nutzens und den voraussehbaren Risiken und Unannehmlichkeiten. Siehe Art. 10 VKlin im Zusammenhang mit der Prüfung klinischer Versuche mit Heilmitteln durch die zuständigen Ethikkommissionen. Gemäß SAMW-Forschungsrichtlinie Ziff. C ist jede Forschungsuntersuchung am Menschen einer Ethikkommission zur Prüfung vorzulegen: „In der Schweiz müssen alle Forschungsprojekte, welche Untersuchungen am Menschen einschliessen (s. Ziffer D 2), von einer Ethikkommission für Forschungsuntersuchungen (EKF)4 beurteilt werden. Der ärztliche Projektleiter darf die Untersuchung erst beginnen, nachdem die zuständige Ethikkommission schriftlich bestätigt hat, dass keine medizinischethischen Einwände dagegen bestehen. Ethikkommissionen sind beratend tätig; ihre Beurteilungen nehmen dem ärztlichen Projektleiter die Verantwortung für den Schutz und das Wohlergehen der Versuchspersonen und Patienten nicht ab.“ Siehe auch SAMW-Forschungsrichtlinie Ziff. D 4. BSK HMG-MARTI, Art. 57 N 8 ff.; SPRUMONT/BÉGUIN, 902. JUNOD, 259 ff. JUNOD, 305 ff. BSK HMG-MARTI, Art. 57 N 16 ff. Dazu MANAÏ, 508. Zur Unabhängigkeit von Ethikkommissionen: JUNOD, 270 ff.; MANAÏ, 508 mit Verweis auf Art. 10 Forschungsprotokoll. Zur Zusammensetzung und Fachkenntnis von Ethikkommissionen: JUNOD, 263 ff.; MANAÏ, 509. BSK HMG-MARTI, Art. 57 N 14 f.; SPRUMONT/BÉGUIN, 902. HAUSHEER zit. Landesbericht, 210. Auf Bundesebene können Spezialgesetze die Schaffung von Ethikkommissionen vorsehen. So wurde beispielsweise auf der Grundlage von Art. 28 des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FmedG) die Nationale Ethikkom-
154
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
gemeinsamer Ethikkommissionen vereinbart oder erklären auf der Grundlage eines interkantonalen Vertrages eine außerkantonale Ethikkommission für zuständig.497 Wie oben ausgeführt, schreiben die meisten kantonalen Regelungen zur Humanforschung für medizinische Forschungsprojekte mit Versuchspersonen die Prüfung durch eine Ethikkommission vor. Die Mehrheit der Kantone verlangt nicht nur, wie durch Bundesrecht vorgeschrieben, die Prüfung von Forschungsvorhaben mit Heilmitteln sowie von Forschungsprojekten in der Transplantationsmedizin, sondern explizit die Prüfung aller medizinischer Forschungsvorhaben unter Beteiligung von Versuchspersonen. Die Verschiedenartigkeit der kantonalen Gesetzgebung im Bereich der Humanforschung führt jedoch auch bei den Ethikkommissionen zu großen Unterschieden. Insbesondere die sachliche Zuständigkeit der einzelnen kantonalen Ethikkommissionen und die materiellen Vorgaben sind teilweise recht unterschiedlich. Das heutige System der kantonalen Ethikkommissionen ist daher nicht unbestritten.498 Durch die Kleinräumigkeit der Schweiz und die große Zahl an Ethikkommissionen sind die Tätigkeitsgebiete der einzelnen Kommissionen in der Regel eher klein. Dies führt dazu, dass manche Kommissionen nur wenige Gesuche pro Jahr beurteilen, wodurch deren Mitglieder kaum Praxiserfahrung gewinnen können. Zudem entwickeln die Kommissionen zwangsläufig unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe und setzen andere Schwerpunkte, wodurch eine uneinheitliche Praxis entsteht. Dies kann in Extremfällen zur Folge haben, dass bestimmte Forschungsprojekte gezielt in Kantonen eingereicht werden, deren Ethikkommission solchen Vorhaben erfahrungsgemäß wohlgesinnt ist.499 De lege ferenda sollen die Ethikkommissionen durch ein neues Bundesgesetz über die Forschung am Menschen (HMG) geregelt werden.500
497
498 499
500
mission im Bereich Humanmedizin (NEK) geschaffen. Dazu BSK HMG-MARTI, Art. 57 N 6; SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 32. Zur Organisation der schweizerischen Ethikkommissionen siehe auch JUNOD, 258 ff. Erläuternder Bericht VE HFG, 49, Ziff. 1.5.3. So kennen die Kantone BS und BL eine gemeinsame Ethikkommission und die Ethikkommission des Kantons Luzern ist zuständig für die Beurteilung von Forschungsprojekten in den Kantonen OW, NW, SZ, UR und ZG. JUNOD, 262 f. BSK HMG-MARTI, Art. 57 N 20 f. MARTI weist insbesondere auf die Problematik der mulizentrisch durchgeführten Studien hin, die parallel in mehreren Forschungseinrichtungen durchgeführt werden, die sich oftmals in verschiedenen Kantonen, ja häufig auch im Ausland befinden. Dies hat zur Folge, dass eine solche Studie durch verschiedene Kommissionen geprüft werden muss und diese u.U. widersprüchliche Entscheide fällen. Multizentrische Studien kommen in der Pädiatrie aufgrund der geringen Zahl von geeigneten Versuchspersonen häufig vor. BSK HMG-MARTI, Art. 57 N 21. Vorschläge für die Verbesserung der bestehenden Ethikkommissionen bei JUNOD, 300 ff. Der VE HFG stellt zwei Vollzugsmodelle zur Vernehmlassung: Modell a) Kantonale Ethikkommissionen und Modell b) Ethikkommissionen auf Bundesebene. Dazu Erläuternder Bericht VE HFG, 21 f., 114 ff.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
155
e) Richtlinien und Empfehlungen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften aa) Rechtsform und Zweck Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) ist eine 1943 von den medizinischen und veterinärmedizinischen Fakultäten der Schweiz sowie der Verbindung der Schweizer Ärzte FMH gegründete privatrechtliche Stiftung.501 Die SAMW widmet sich primär der Förderung und Koordinierung der medizinischen Forschung in der Schweiz. Die SAMW setzt bei ihrer Tätigkeit die folgenden Schwerpunkte:502 − die Klärung ethischer Fragen im Zusammenhang mit medizinischen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft; − eine umfassende Reflexion über die Zukunft der Medizin; − Engagement in der Hochschul-, Wissenschafts- und Bildungspolitik, verbunden mit einer Experten- bzw. Beratungstätigkeit zuhanden von Politik und Behörden; − die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, insbesondere in der klinischen Forschung; − die Unterstützung der hohen Forschungsqualität in der biomedizinischen und klinischen Forschung; − die Verbindung der wissenschaftlichen Medizin mit der Praxis. bb) Richtlinien und Empfehlungen Ein bedeutender Kernpunkt der Aktivitäten der SAMW bilden das Erkennen neuer ethischer Fragestellungen, die sich aus der biomedizinischen Forschung und der Entwicklung neuer Technologien ergeben sowie das Erarbeiten von medizinischethischen Richtlinien.503 Die Aktivitäten der SAMW beziehen sich primär auf das schweizerische Umfeld, orientieren sich aber stark an den internationalen Vorgaben. Als Empfehlung einer privaten Organisation an ihre Mitglieder sind die SAMW-Richtlinien rechtlich nicht verbindlich.504 Eine eingeschränkte Verbindlichkeit kommt den Richtlinien dort zu, wo ärztliche Standesregeln auf sie verweisen (Bsp. Art. 17 der Standesordnung der FMH).505 Durch diesen Verweis werden die SAMW-Richtlinien Bestandteil des ärztlichen Standesrechts und eine Verletzung hat zumindest standesrechtliche Sanktionen zur Folge.506 Eine weitergehende Verbindlichkeit kommt den Richtlinien dort zu, wo kantonale Erlasse direkt auf
501 502
503
504 505 506
RÜETSCHI, 2; SPRUMONT, 183. Information gemäß dem (Selbst-)Porträt auf der Internetseite der SAMW: , besucht im Juni 2007. Sämtliche Richtlinien und Empfehlungen sind auf der Internetseite der SAMW (besucht im Juni 2007) unter der Rubrik Ethik, Richtlinien abrufbar. RÜETSCHI, 2. OTT, 243 m.w.H.; RÜETSCHI, 2. RÜETSCHI, 2.
156
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
sie verweisen.507 Solche Verweise sind beispielsweise in Art. 45508 des Gesundheitsgesetzes des Kantons Obwalden und § 9509 der Patientenverordnung des Kantons Basel-Landschaft enthalten. In der Folge sind die Richtlinien heute zweifelsohne sowohl in der Praxis als in der Rechtsprechung und der Gesetzgebung als wichtiges Orientierungsinstrument. Die SAMW zieht in der Regel die entsprechende Richtlinie zurück, wenn zu einem Bereichc eine gesetzliche Regelung geschaffen wird. Als aktuelle Beispiele sind der Rückzug der Richtlinien zur Organtransplantationen von 1995 und zur Xenotransplantation aus dem Jahre 2000 mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über genetische Untersuchungen am Menschen am 1. April 2007 bzw. des Transplantationsgesetzes am 1. Juli 2007 zu nennen. Im Zusammenhang mit der Humanforschung sind insbesondere folgende, in chronologischer Reihenfolge aufgelisteten SAMW-Richtlinien relevant510: − Medizinisch-ethischen Richtlinien für Forschungsuntersuchungen am Menschen (1997 Die Richtlinie von 1997 ist eine revidierte Fassung von Richtlinien aus den Jahren 1970 und 1981.511 Die SAMW war somit eine der ersten Organisationen in der Schweiz, die sich vertieft mit den ethischen und rechtlichen Fragestellungen und Rahmenbedingungen der Humanforschung befasst hat. Dazu halten die Richtlinien von 1997 in der Präambel fest: „Die heutige Gesetzgebung für den Bereich Forschungsuntersuchungen am Menschen ist lückenhaft, unsystematisch und oft schwer aufzufinden.“ Entsprechend sollen die Richtlinien forschenden Ärzten und medizinischen Ethikkommissionen als Entscheidungshilfen dienen.
507 508
509
510 511
RÜETSCHI, 2. Gesundheitsgesetz vom 20. Oktober 1991, GDB 810.1, Art. 45 Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften: „1 Für Forschungsuntersuchungen, Sterbehilfe, Feststellung des Todes, InvitroFertilisation sowie Embryotransfer gelten die medizinisch-ethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissen-schaften. 2 Der Kantonsrat kann abweichende Vorschriften erlassen.“ Verordnung über die Rechte und Pflichten der Patienten in den kantonalen Krankenanstalten vom 1. November 1988, SGS 930.15, § 9 Klinischer Unterricht und Forschung: „1 Es bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Patienten bzw. seines Vertreters für jede Form des Einbezuges in den klinischen Unterricht. 2 Die Zustimmung zum ordentlichen klinischen Unterricht am Krankenbett wird vermutet. 3 Bei Gruppentherapien kann die Zustimmung der übrigen Teilnehmer zu Bild und Tonaufnahmen stillschweigend erfolgen. 4 Die medizinischen Maßnahmen im Interesse der Forschung haben nach den Richtlinien für Forschungsuntersuchungen am Menschen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) in der Fassung vom 5. Juni 1997 zu erfolgen.“ Siehe dazu auch die Ausführungen im erläuternden Bericht VE HFG, 50 ff., Ziff. 1.5.4. Sie ersetzen die bisher gültigen Richtlinien vom 1. Dezember 1970/17. November 1981 über Forschungsuntersuchungen am Menschen und vom 11. Mai 1989 über die Organisation und Tätigkeit medizinisch-ethischer Kommissionen zur Beurteilung von Forschungsuntersuchungen am Menschen.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
157
Die Richtlinien fordern für die Forschung mit Versuchspersonen u.a. die Prüfung aller Forschungsprojekte durch eine Ethikkommission sowie die freiwillige und aufgeklärte Zustimmung der Versuchsperson resp. ihres gesetzlichen Vertreters und das jederzeitige Recht der Versuchspersonen, ohne Angaben von Gründen ihre Einwilligung zu widerrufen.512 − Richtlinien für wissenschaftliche Integrität in der medizinischen und biomedizinischen Forschung und für das Verfahren bei Fällen von Unlauterkeit (2002) Diese Richtlinien statuieren Verhaltensregeln für Forschende, Gutachter und für Autoren wissenschaftlicher Publikationen. Sie bilden zudem die Grundlage für ein nicht staatliches Ermittlungs- und Feststellungsverfahren bei Fehlverhalten. − Empfehlungen zur Zusammenarbeit Ärzteschaft–Industrie (2005) Diese Empfehlungen wurden in Zusammenarbeit mit der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH veröffentlicht.513 Hinsichtlich der medizinischen Forschung verlangen sie u.a. die Einhaltung der Grundsätze der Good Clinical Practice, eine regelmäßige Evaluierung der Qualität der Forschung, die zentrale Erfassung aller Versuche in einem Register, Offenlegung und Trennung finanzieller Interessen sowie die von den Interessen des Sponsors unabhängige Interpretation der Forschungsergebnisse. − Medizinisch-ethische Grundsätze zum Recht der Patientinnen und Patienten auf Selbstbestimmung (2005) Die 2005 vom SAMW-Senat genehmigten Grundsätze statuieren das Recht eines jeden Patienten auf Selbstbestimmung: „Die frühzeitige, umfassende, nach der Schwere des Eingriffs abgestufte und verständliche Aufklärung des Patienten oder seiner Vertreter über die medizinische Situation ist Voraussetzung für die Willensbildung und Entscheidungsfindung (informed consent).“514 Das SAMWDokument enthält Grundsätze zur Einwilligung in medizinischen Behandlungen. Ziff. 1 statuiert den freien Willen des urteilsfähigen Patienten. Begrenzt wird das Recht auf Selbstbestimmung durch das Selbstbestimmungsrecht Dritter. Dem Willen eines Patienten oder seiner Vertreter auf eine bestimmte Behandlung ist gemäß den SAMW-Grundsätzen nur dann zu entsprechen, wenn diese Behandlung den allgemeinen anerkannten Regeln entspricht. Ziff. 2 befasst sich mit urteilsunfähigen Personen. Bei Personen, die nie urteilsfähig waren, kann nicht auf den mutmaßlichen Willen zurückgegriffen werden.515 Gemäß Ziff. 2.1 haben ihre Vertreter im „wohlverstandenen Interesse“ (Ziff. 2.3.) der vertretenen Person zu handeln. Nach Ziff. 2.2. sollen die Vertreter516 urteilsunfähiger Personen, die zu 512
513
514 515 516
Zu den spezifischen Bestimmungen der Richtlinien zu Forschungsuntersuchungen unter der Beteiligung von Minderjährigen siehe unten III.3.e. Dabei handelt es sich um eine revidierte Fassung der 2002 zum ersten Mal veröffentlichten Empfehlungen. Präambel SAMW-Grundsätze zur Selbstbestimmung. Siehe dazu auch Kapitel 4 IV.3.a. Bei Patienten, die noch nie urteilsfähigen waren, bestehen i.d.R. gesetzliche Vertreter (Eltern, Vormund). Bei Patienten, die zu einem früheren Zeitpunkt einwilligungsfähig
158
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
einem früheren Zeitpunkt urteilsfähig waren, stets im mutmaßlichen Willen des Vertretenen handeln. Im Vordergrund stehen dabei eine allfällig vorhandene Patientenverfügung sowie die Aussagen einer vom Patienten eingesetzten bevollmächtigen Vertretungsperson in medizinischen Angelegenheiten. Dabei stellen eine Patientenverfügung und der Wille eines vom Patienten eingesetzten Vertreters gewichtige Indizien bei der Ermittlung des Patientenwillens dar. Ihnen kommt jedoch keine ausschließliche Verbindlichkeit zu. Grundsätzlich soll im Konsens zwischen den verantwortlichen Medizinalpersonen sowie allfälligen Vertretern und Angehörigen entschieden werden. In Konfliktsituationen, in denen ein gesetzlicher Vertreter oder eine Vertrauensperson eine lebensnotwendige Behandlung verweigert, sollen alle Möglichkeiten der Vermittlung ausgeschöpft werden. Bei fehlender Einigung ist die Vormundschaftsbehörde einzuschalten. Ist dies aus zwingenden zeitlichen Gründen nicht möglich, ist eine Behandlung des urteilsunfähigen Patienten auch gegen den Willen des Vertreters durchzuführen. cc) Kritische Anmerkungen Durch die Verweise im kantonalen Recht werden die Richtlinien zu verbindlichem Verordnungsrecht. In diesem Zusammenhang weist RÜETSCHI darauf hin, dass solche Verweise nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zulässig sind, da prinzipiell alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form eines formellen Gesetzes zu erlassen sind.517 Themen wie die passive Sterbehilfe, Biobanken oder die Feststellung des Todes betreffen ohne Zweifel wichtige Lebensbereiche. Eine Delegation der Gesetzgebungskompetenz in solchen Fragen an eine private Organisation erscheint problematisch.518 Der Staat kann jedoch von Privaten erarbeitete Regelungen als verbindlich erklären.519 An dieser Stelle ist zu betonen, dass die SAMW mit der Publikation der Richtlinien nie eine Konkurrenz zum staatlichen Recht schaffen wollte. Die Richtlinien sollen vielmehr als Ersatz und als Orientie-
517
518
519
waren, werden von ihnen im Voraus bestimmte Vertrauenspersonen und/oder Angehörige bei der Entscheidungsfindung beigezogen. Die SAMW-Grundsätze definieren Angehörige wie folgt: „Angehörige sind die Lebenspartner und die nächsten Verwandten eines Patienten sowie ihm nahestehende Personen (significant others).“ Im Weiteren verweisen die Grundsätze auf das kantonale Recht. Nach der Umsetzung der Totalrevision des Vormundschaftsrechts, wird – entsprechend dem Gesetzesentwurf in der Botschaft vom 28. Juni 2006 – das Zivilgesetzbuch (Art. 377 ff. E ZGB) regeln, welche Personen in welcher Reihenfolge eine urteilsunfähige Person bei medizinischen Maßnahmen vertreten dürfen und wie vorzugehen ist. Siehe hierzu die Ausführungen zur Totalrevision in Kapitel 4. RÜETSCHI, 2 mit Verweis auf BGE 104 Ia 305 E.3. Zur Problematik der Rechtsetzung durch Private siehe auch MÜLLER GEORG, Rz. 37 ff. RÜETSCHI, 2. Siehe zur rechtlichen Tragweite der SAMW-Richtlinien auch die Ausführungen bei SPRUMONT, 185 ff. MÜLLER GEORG, Rz. 44. Der Autor weist darauf hin, dass statische Verweise auf von Privaten erlassene Normen in der Fassung, wie sie zum Zeitpunkt des Verweises bestehen, zulässig sind. Hingegen sind dynamische Verweise auf die im Zeitpunkt der Anwendung der Norm jeweils geltenden Fassung nicht zulässig, da dies eine Delegation von Rechtsetzungskompetenzen an Private bedeuten würde.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
159
rungshilfe in der Praxis dienen, wo gesetzliche Vorgaben gänzlich fehlen. RÜETSCHI zeigt allerdings auf, dass das Bundesgericht die Verbindlichkeit der Richtlinien zwar ablehnt, diese in seiner Rechtsprechung aber mit großem Respekt behandelt und als Entscheidungshilfe beizieht.520 Neben der Rechtsprechung beeinflussen die Richtlinien auch den Gesetzgeber. RÜETSCHI nennt Beispiele (Embryonenforschung, aktive Sterbehilfe), in denen ein Tätigwerden des Gesetzgebers mit Verweis auf die Richtlinien über längere Zeit abgelehnt wurde. Erst nach und nach wurden und werden die durch die Richtlinien erfassten Materien in ordnungsgemäße Gesetze gefasst (Bsp. Fortpflanzungsmedizin, Transplantation, Humanforschung). Dabei erweisen sich die Richtlinien als wertvolle Basis mit jahrelanger Erprobung in der Praxis.521
3. Regelungen des schweizerischen Rechts für die Forschung mit Minderjährigen Das schweizerische Bundesrecht sowie viele kantonale Regelungen zur medizinischen Forschung mit Versuchspersonen kennen keine spezifischen Bestimmungen für die medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen. Zumeist werden Minderjährige – sofern diese Gruppe von Versuchspersonen in den betreffenden Regelungen überhaupt erwähnt wird – unter die Bestimmungen für Urteilsunfähige subsumiert. Nur wenige kantonale Regelungen zur Humanforschung beinhalten Regelungen für die medizinische Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen.522 Auch die Medizinisch-ethischen Richtlinien für Forschungsuntersuchungen am Menschen der SAMW enthalten Empfehlungen für Kinder.523 Nachfolgend werden jene Normen des schweizerischen Rechts dargestellt, die auf Forschungsvorhaben mit Minderjährigen anwendbar sind. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Regelungen des Personen- sowie des Familien- und Kindesrechts im vierten Kapitel der vorliegenden Untersuchung ausführlich besprochen werden. a) Bundesverfassung (Art. 11 BV) aa) Einleitung Wie zuvor erwähnt, kennt die Bundesverfassung keine Bestimmung zur Forschung mit Versuchspersonen. Doch enthält die im Jahre 2000 in Kraft getretene neue Bundesverfassung mit Art. 11 BV ein spezifisches Grundrecht524 für Kinder
520
521 522 523 524
RÜETSCHI, 2 mit Verweis auf BGE 98 Ia 508; 115 Ia 234; 119 Ia 460; 121 V 289; 121 V 302; 123 I 112. RÜETSCHI, 2 f. Vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen unter d. So in Ziff. A 1, B und D 5. Siehe dazu unten III.3.d. Zur Qualifikation von Art. 11 BV als Grundrecht und der diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesgerichtes siehe WYTTENBACH, 297 f.
160
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
und Jugendliche.525 Mit Art. 11 BV wird der Grundsatz des 1998 revidierten Zivilgesetzbuchs, wonach Kinder als eigenständige Persönlichkeiten wahr- und ernst zu nehmen sind, auf Verfassungsstufe bekräftigt.526 Art. 11 BV trägt somit der Tatsache Rechnung, dass Kinder und Jugendliche527 aufgrund ihrer Abhängigkeit und Betreuungsbedürftigkeit eines angepassten Schutzes ihrer Grundrechte bedürfen.528 Mit der Aufnahme dieser Bestimmungen in den Grundrechtskatalog der Bundesverfassung wurde der Schutzauftrag des Staates, wie er sich aus der Kinderrechtskonvention529 ergibt, verfassungsrechtlich verankert.530 WYTTENBACH bezeichnet Art. 11 BV in Anlehnung an das Konzept der Kinderrechtskonvention und Art. 24 UN-Pakt I als „notwendige Ergänzung der Bundesverfassung“ zu verstehen, die „die potentiellen Unzulänglichkeiten der traditionellen Garantien im Hinblick auf die besondere Situation von Minderjährigen auffangen kann“.531 In diesem Sinne soll Art. 11 BV i.V.m. den Inhalten der Kinderrechtskonvention sämtlichen Personen und Institutionen der Gesellschaft als Maßstab und Bezugspunkt für die Respektierung der Rechte der Kinder dienen.532 bb) Art. 11 Abs. 1 BV Entsprechend seiner Entstehungsgeschichte steht Art. 11 Abs. 1 BV in engem Bezug mit Art. 10 Abs. 2 BV (Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit).533 Mit Art. 11 Abs. 1 BV wurde der Anspruch von Kindern und Jugendlichen auf einen ihrer Situation angepassten besonderen Schutz zu einem eigenständigen Grundrecht erhoben.534 Als Folge davon sind Bund, Kantone und Gemeinden in ihren Zuständigkeitsbereichen verpflichtet, durch rechtsetzende Maßnahmen für den erforderlichen Schutz und die geeignete Förderung von Kindern und Jugendlichen zu sorgen.535 Ebenso haben 525
526
527
528 529 530 531 532
533 534 535
Die Aufnahme der Bestimmung in den Katalog der Grundrechte war stark umstritten. Zur Entstehungsgeschichte und Justiziabilität von Art. 11 BV siehe REUSSER/LÜSCHER, St. Galler Kommentar zu Art. 11 BV, Rz. 1 ff., 16. Zu Art. 11 BV siehe auch die umfassende Untersuchung von WYTTENBACH, 272 ff. WYTTENBACH, 306 zur Rechtsprechung des Bundesgerichts betreffend die staatlichen Pflichten, die sich aus Art. 11 BV ableiten: „Art. 11 BV überträgt damit den zivilrechtlichen Grundsatz des Kindeswohls auf Sachverhalte ausserhalb des Kindesrechts.“ Unter Kinder und Jugendliche nach Art. 11 BV werden Minderjährige im Sinne von Art. 14 ZGB verstanden. Somit fallen alle Personen unter diese Bestimmung, die das 18. Altersjahr noch nicht vollendet haben. REUSSER/LÜSCHER, St. Galler Kommentar zu Art. 11 BV, Rz. 7; WYTTENBACH, 299 ff. SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 20. Zur Kinderrechtskonvention siehe oben II.1.c. REUSSER/LÜSCHER, St. Galler Kommentar zu Art. 11 BV, Rz. 2. WYTTENBACH, 346. HEGNAUER zit. Grundriss, N 26.04a: „Die Maxime des Kindeswohls richtet sich an alle, die mit dem unmündigen Kind zu tun haben, an Eltern und Pflegeeltern, Beistand, Vormund, Lehrer sowie die Verwaltungs- und Gerichtsbehören, die für es Entscheidungen treffen.“ REUSSER/LÜSCHER, St. Galler Kommentar zu Art. 11 BV, Rz. 8. EGLI, 163; WYTTENBACH, 347. REUSSER/LÜSCHER, St. Galler Kommentar zu Art. 11 BV, Rz. 13.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
161
Behörden im Umgang mit Kindern und Jugendlichen der besonderen Situation Rechnung zu tragen.536 Das bedeutet, dass sämtliche Maßnahmen und Entscheide, die Kinder betreffen, den Bedürfnissen der verschiedenen Alters- und Entwicklungsstufen anzupassen sind.537 Im Weiteren überträgt Art. 11 Abs. 1 BV den zivilrechtlichen Grundsatz des Kindeswohls auf Sachverhalte außerhalb des Kindesrechts. In diesem Zusammenhang erhob das BGer mit seinem Urteil vom Dezember 2002 das Prinzip des Kindeswohls in den Verfassungsrang: Durch den „spezifischen Schutzauftrag aus Art. 11 der Bundesverfassung erhält das Kindeswohl selbst Verfassungsrang“. In diesem Entscheid lehnte sich das BGer stark an Art. 3 KRK zum Kindeswohl an.538 Demzufolge sind staatliche Entscheidungsträger von Amtes wegen verpflichtet, allfällige Interessen eines Kindes umfassend abzuklären und diese Interessen entsprechend zu gewichten.539 Da für einen umfassenden Schutz und eine bestmögliche Förderung eines Kindes vorrangig sein Umfeld und speziell die für seine Betreuung zuständigen Personen (in der Regel die Eltern) von größter Bedeutung sind, kommt dem Grundrechtsanspruch von Art. 11 BV i.V.m. Art. 35 Abs. 3 BV auch eine mittelbare Drittwirkung zu.540 Dies hat zur Konsequenz, dass der Staat mit geeigneten Maßnahmen (Rechtsetzung, Bildungs- und soziale Maßnahmen) auch dafür Sorge zu tragen hat, dass die für die Betreuung und Erziehung eines Kindes verantwortlichen Personen dem Anspruch der Kinder und Jugendlich auf Schutz und Förderung gerecht werden.541 cc) Art. 11 Abs. 2 BV Gemäß Art. 11 Abs. 2 BV üben urteilsfähige Minderjährige ihre persönlichkeitsnahen Grundrechte selbstständig aus. Art. 11 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 19 Abs. 2 ZGB verleihen urteilsfähigen Kindern in besonders persönlichkeitsnahen Lebensbereichen – z.B. bei Entscheidungen über Eingriffe in die körperliche Integrität – ein partielles Selbstbestimmungsrecht. Sie üben ihre höchstpersönlichen Rechte selbstständig aus.542 Art. 11 Abs. 2 BV schließt auch die Prozessfähigkeit mit ein. Urteilsfähige Minderjährige haben ihre Grundrechte verhältnismäßig, d.h. mit Rücksicht auf die Pflichten und Rechte der Inhaber der elterlichen Sorge, auszuüben.543 dd) Bedeutung von Art. 11 BV für die medizinische Forschung mit Kindern Art. 11 BV erteilt dem Staat einen umfassenden Auftrag, die Rechte und Interessen der Kinder bei der Gesetzgebung und der Rechtsanwendung entsprechend 536 537 538
539 540 541 542 543
REUSSER/LÜSCHER, St. Galler Kommentar zu Art. 11 BV, Rz. 13. REUSSER/LÜSCHER, St. Galler Kommentar zu Art. 11 BV, Rz. 8. WYTTENBACH, 306 mit Bezugnahme auf das Urteil des BGer vom 12. Dezember 2002, 5C.158/2002, E. 3.4.2: WYTTENBACH, 307. REUSSER/LÜSCHER, St. Galler Kommentar zu Art. 11 BV, Rz. 14. EGLI, 151 ff., 163 f.; REUSSER/LÜSCHER, St. Galler Kommentar zu Art. 11 BV, Rz. 14. Siehe hierzu auch die Ausführungen im Kapitel 4 III ff. REUSSER/LÜSCHER, St. Galler Kommentar zu Art. 11 BV, Rz. 26.
162
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
ihren besonderen Bedürfnissen zu achten und zu schützen. Die gesetzlichen Bestimmungen sowie die für die Schweiz geltenden völkerrechtlichen Normen sind im Lichte von Art. 11 BV auszulegen. Dabei steht der Schutz der körperlichen und geistigen Unversehrtheit der Kinder im Vordergrund. Folglich leitet sich aus Art. 11 BV die Pflicht des Staates ab, den besonderen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen auch im Kontext der medizinischen Forschung eine besondere Beachtung zu schenken. Der Staat hat mit den ihm zur Verfügung stehenden Instrumenten dafür Sorge zu tragen, dass die Rechte der Kinder auch im Kontext der medizinischen Forschung geachtet werden. Er hat die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Art. 11 BV macht deutlich, dass es für die Wahrung der Rechte der Kinder nicht genügt, für sie den gleichen Schutz wie bei Erwachsenen vorzusehen.544 Vielmehr bedarf es eigener spezifischer rechtlicher Grundlagen für die Forschung mit Minderjährigen. Nur eine solche trägt den Ansprüchen der Kinder auf einen ihrer Situation angepassten Schutz, eine geeignete Förderung sowie auf Achtung ihrer individuellen Urteilsfähigkeit bei der Ausübung höchstpersönlicher Rechte Rechnung. Demzufolge ist mit Art. 11 BV im Zusammenhang mit der Forschung mit Minderjährigen in erster Linie ein Auftrag an den Gesetzgeber verbunden. Dieser hat mit der Schaffung geeigneter Rechtsnormen dafür Sorge zu tragen, dass die verfassungsmäßigen Rechte von Kindern und Jugendlichen auch in der medizinischen Forschung gewahrt werden. Dazu gehört insbesondere auch das Recht urteilsfähiger Minderjähriger, selbstständig über einen medizinischen Eingriff bzw. die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben zu entscheiden.545 Wie die nachfolgende Übersicht über die auf die Forschung mit Minderjährigen anwendbaren Normen des schweizerischen Rechts zeigt, ist der Gesetzgeber dieser Aufgabe bis heute nur beschränkt nachgekommen. Gemäß dem aktuellen Stand der Gesetzgebungsarbeiten scheint sich daran auch mit der geplanten (Neu-)Regelung der Humanforschung auf Bundesebene bedauerlicherweise nichts zu ändern.546 b) Heilmittelgesetz aa) Die Gruppe der besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen Die Heilmittelforschung mit Kindern wird durch Art. 55 HMG zu den klinischen Versuchen mit unmündigen, entmündigten und urteilsunfähigen Personen erfasst.547 Alle diese Personen werden durch das Heilmittelgesetz – unabhängig davon, ob sie urteilsfähig sind oder nicht – den urteilsunfähigen und daher besonders schutzbedürftigen Personen gleichgestellt.548 Sie alle gehören zur Gruppe der besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen, mit denen nur unter restriktiven Bedingungen geforscht werden darf.549 Art. 55 HMG enthält Voraussetzungen, die 544 545 546 547 548
549
REUSSER/LÜSCHER, St. Galler Kommentar zu Art. 11 BV, Rz. 8. Dazu ausführlich in Kapitel 4 III ff. Siehe dazu unten III.4. Zu Art. 55 HMG JUNOD, 372 ff. Der Gesetzgeber orientierte sich bei der Schaffung von Art. 55 an Art. 17 der Biomedizinkonvention des Europarates: Botschaft HMG, 3538; BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 5. JUNOD, 383.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
163
– neben den Voraussetzungen von Art. 54 HMG550 – bei Forschungsvorhaben mit besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen erfüllt sein müssen.551 Dabei unterscheidet Art. 55 HMG zwei Arten von klinischen Versuchen mit unmündigen, entmündigten oder urteilsunfähigen Personen. Während Abs. 1 klinische Versuche regelt, die mit einem unmittelbaren Nutzen für die involvierten Versuchspersonen verbunden sind (therapeutische Forschung), gilt Abs. 2 für Versuche, die den betroffenen Versuchspersonen keinen unmittelbaren Nutzen stiften (nicht therapeutische Forschung).552 Ein unmittelbarer Nutzen liegt vor, „wenn die Teilnahme am Versuch einen positiven Einfluss auf den körperlichen und/oder psychischen Gesundheitszustand der Versuchsperson haben kann, mithin also als Teil der medizinischen Behandlung anzusehen ist“.553 bb) Voraussetzungen der Forschung mit besonders Schutzbedürftigen nach HMG Art. 55 Abs. 1 HMG nennt vier Voraussetzungen für die rechtmäßige Durchführung klinischer Versuche mit besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen, die mit einem unmittelbaren Nutzen verbunden sind. Diese müssen kumulativ und zusätzlich zu den allgemeinen Voraussetzungen in Art. 54 erfüllt werden.554 Als Grundvoraussetzung für klinische Versuche mit besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen gilt das Prinzip der Subsidiarität. Demnach sind Versuche mit Angehörigen dieser Personengruppe nur dann rechtsmäßig möglich, wenn vergleichbare Ergebnisse nicht mittels Versuchen mit mündigen bzw. urteilsfähigen Versuchspersonen erzielt werden können.555 Als zweite Voraussetzung verlangt die Bestimmung die Aufklärung der gesetzlichen Vertreter der Versuchsperson und deren Einwilligung. Da Art. 55 HMG alle unmündigen Personen als urteilsunfähig und daher besonders schutzbedürftig einstuft, ist die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter auch bei Minderjährigen erforderlich, die urteilsfähig sind. Ist eine besonders schutzbedürftige Versuchsperson urteilsfähig, so verlangt die Norm ihre Einwilligung zusätzlich zur Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter.556 Gegen den Willen einer urteilsfähigen unmündigen oder entmündigten Versuchsperson – auch bei vorliegender Einwilligung der gesetzlichen Vertreter – darf ein klinischer Versuch nicht durchgeführt werden.557 Art. 55 Abs. 1 lit. d HMG sieht vor, dass wenn bei einer urteilsunfähigen Versuchsperson Anzeichen vorhanden sind, dass sich die Person der Teil-
550 551 552
553 554 555 556
557
Siehe dazu oben III.2.c. BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 3. BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 4; JUNOD, 397. JUNOD unterscheidet zwischen direktem und indirektem Nutzen. BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 4. BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 7 ff. Art. 55 Abs. 1 lit. a HMG; BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 8. Art. 55 Abs. 1 lit. c HMG. Obwohl sich die Bestimmung nicht dazu äußert, ist davon auszugehen, dass auch der urteilsfähige Unmündige aufzuklären ist. BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 10. BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 10.
164
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
nahme an einem Versuch widersetzt, dieser Widerstand zu beachten ist.558 Hinsichtlich der Berücksichtigung ablehnender Äusserungen und Verhaltensweisen urteilsunfähiger Minderjähriger sowie für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Erfordernis der doppelten Zustimmung bei urteilsfähigen Minderjährigen wird an dieser Stelle auf die Ausführungen unter V. im vierten Kapitel verwiesen. cc) Nicht therapeutische Forschung mit Minderjährigen Für nicht therapeutische klinische Versuche mit minderjährigen Versuchspersonen müssen kumulativ die Voraussetzungen von Art. 54, Art. 55 Abs. 1 und Abs. 2 HMG erfüllt sein.559 Gemäß Art. 55 Abs. 2 HMG sind nicht therapeutische Forschungsvorhaben mit besonders Schutzbedürftigen nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn sie wichtige Erkenntnisse erwarten lassen, die den betroffenen Versuchspersonen, anderen Personen derselben Altersklasse oder Personen, die an der gleichen Krankheit leiden oder dieselben Merkmale aufweisen, langfristig einen Nutzen bringen (Kriterium Gruppennützigkeit).560 Zudem dürfen bei Forschungsvorhaben ohne einen unmittelbaren Nutzen die Risiken und Unannehmlichkeiten nur geringfügig sein.561 In der Botschaft zum HMG wird diese Geringfügigkeit wie folgt erläutert: Klinische Versuche mit urteilsunfähigen Versuchspersonen „[…] dürfen nur geringfügige Risiken und Unannehmlichkeiten mit sich bringen, die das Risiko nicht überschreiten, das eine vernünftige Person im täglichen Leben und im Rahmen von üblichen klinischen und Laboruntersuchungen für sich oder für diejenigen Personen, für welche sie verantwortlich ist, einzugehen bereit ist“.562 Als Beispiel für ein geringfügiges Risiko wird eine einmalige Blutentnahme bei einem Kind genannt.563 Diese bundesgesetzliche Regelung der klinischen Versuche mit Heilmitteln ist nicht unbestritten.564 Im vierten Kapitel der vorliegenden Untersuchung wird unter V ausführlich auf die Regelung der medizinischen Forschung mit Kindern und Jugendlichen durch das HMG eingegangen.565
558 559
560
561 562
563
564 565
Art. 55 Abs. 1 lit. d HMG; BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 11; JUNOD, 393 ff. BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 4, 12. Gemäß MARTI hat die Auslegung von Abs. 2 restriktiv zu erfolgen, da die Zulässigkeit von klinischen Versuchen mit Schutzbedürftigen ohne unmittelbaren Nutzen für die Betroffenen grundsätzliche ethische Bedenken aufwirft und deshalb nur ausnahmsweise zu bejahen ist. Art. 55 Abs. 2 lit. a HMG; Botschaft HMG, 3538; BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 13; SPRUMONT/BÉGUIN, 898. Art. 55 Abs. 2 lit. b HMG; BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 13; JUNOD, 397 ff. Botschaft HMG, 3538 f. mit Zitat aus dem Anhang II zum Reglement IKS über die Heilmittel im klinischen Versuch vom 18. November 1993. Zur Regelung der klinischen Versuche unter dem IKS-Reglement siehe SPRUMONT zit. protection, 453 ff. Botschaft HMG, 3539 m.V. auf den Vernehmlassungsbericht Biomedizinkonvention, 29 f. SCHWANDER zit. Forschung, 75; SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 34. Siehe dazu auch hinten Kapitel 4 V.3. ff.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
165
c) Instrumente zur Förderung der pädiatrischen Forschung und zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit und -versorgung in der Pädiatrie nach schweizerischem Heilmittelrecht Nachfolgend werden die im schweizerischen Heilmittelrecht bestehenden Möglichkeiten zur Förderung der pädiatrischen Forschung sowie zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit und -versorgung bei Kindern und Jugendlichen dargestellt. aa) Instrumente zur Förderung der pädiatrischen Forschung in der Schweiz Die Kinderarzneimittelverordnung ist für das Nicht-EU-Miglied Schweiz rein rechtlich gesehen ohne Bedeutung. Da jedoch – wie bereits ausgeführt – die Arzneimittelindustrie international agiert und auch die Forschung in einem globalen Rahmen stattfindet, sind die amerikanischen und europäischen Maßnahmen zur Förderung der pädiatrischen Forschung auch für die Schweiz von Interesse. Es ist zu erwarten, dass die Kinder in der Schweiz indirekt von der neuen europäischen Kinderarzneimittelverordnung profitieren. werden Dies dadurch, dass die für eine Zulassung in der Europäischen Union gestellten Anträge mit den erforderlichen Daten aus pädiatrischen Studien auch in der Schweiz eingereicht werden.566 In diesem Zusammenhang hat Swissmedic die Pharmaunternehmen aufgerufen, pädiatrische Studien, die in den USA oder der EU zu einer Erweiterung der Anwendung bei Kindern durchgeführt wurden, mit einem entsprechenden Gesuch bei Swissmedic einzureichen. Ist ein Arzneimittel in den Ländern der EU, aber noch nicht in der Schweiz zugelassen, besteht zudem die Möglichkeit, dieses in die Schweiz einzuführen.567 Noch kennt die Schweiz keine mit den amerikanischen und europäischen Maßnahmen zur Förderung pädiatrischer Studien vergleichbaren Regelungen. Zurzeit überprüft die Swissmedic die hierzu notwendigen Grundlagen. Doch kennt das schweizerische Heilmittelrecht schon heute verschiedene Möglichkeiten, um die pädiatrische Forschung zu fördern und die Arzneimittelversorgung und -sicherheit in der Pädiatrie zu verbessern.568 Seit 2002 werden die Fachinformationen zu den einzelnen Arzneimitteln mit Daten zur Anwendung in der Pädiatrie laufend aktualisiert. Auch überprüft die Swissmedic systematisch sowohl bei Neuzulassungen als auch bei Arzneimitteln, die sich bereits auf dem Markt befinden, ob die Angaben über die vorhandenen Daten zur Anwendung und Dosierung bei Kindern in der Arzneimittelinformation aufgeführt und präzise genug formuliert sind. Außerdem muss das Fehlen pädiatrischer Studien ausdrücklich in der Fachinformation erwähnt werden. Im Weiteren werden Zu566
567 568
Gemäß Art. 13 HMG werden bei Arzneimitteln und Verfahren, die bereits in einem andern Land mit vergleichbarer Arzneimittelkontrolle zugelassen wurden, die Ergebnisse der dafür durchgeführten Prüfungen im schweizerischen Zulassungsverfahren berücksichtigt. Art. 18 ff. HMG. Siehe zu den nachfolgenden Ausführungen das auf der Internetseite von Swissmedic im September 2006 veröffentlichte Faktenblatt „Kinder und Arzneimittel: Situation heute“, abrufbar unter , besucht im Juni 2007.
166
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
lassungsgesuche dahingehend geprüft, ob die ICH-Guideline E11 zur Durchführung klinischer Studien in pädiatrischen Populationen569 berücksichtigt wurde.570 Um die Durchführung klinischer Studien bei Kindern zu fördern, kann die Swissmedic außerdem nach Art. 17 Abs. 3 der Verordnung über die Arzneimittel (VAM)571 die Schutzdauer eines Medikaments auf Antrag hin auf fünf Jahre verlängern, sofern eine bedeutende therapeutische Verbesserung im Zusammenhang mit der Anwendung bei Kindern vorliegt. Die Regelung von Art. 17 Abs. 3 VAM ist nicht auf pädiatrische Anwendungen beschränkt. Sie ist aber zur Förderung der pädiatrischen Forschung und der Arzneimittelversorgung von Kindern und Jugendlichen von besonderer Bedeutung. Auch gelangt die Regelung nicht nur auf neue Substanzen zur Anwendung, sondern gilt ebenso für neue Indikation, neue Verabreichungswege, neue Darreichungsformen sowie neue Dosierungen oder Anwendungen für bereits zugelassene Arzneimittel. Die verlängerte Schutzdauer soll Anreize für Innovationen schaffen, die den betroffenen Patienten eine bedeutende therapeutische Verbesserung bringen. Diese Verlängerung der Schutzdauer in der VAM gründet im TRIPS-Abkommen.572 Dieses enthält die Möglichkeit einer Verlängerung der Schutzdauer um fünf Jahre für innovative Präparate.573 bb) Instrumente zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit und Versorgung in der Pädiatrie Wie im ersten Kapitel der vorliegenden Untersuchung ausgeführt, tritt ein erheblicher Teil der etwa 5000 seltenen und schweren Erkrankungen nur bei Säuglingen und Kindern auf. Für viele dieser orphan diseases ist heute keine wirksame Therapie verfügbar.574 Nachfolgend werden zwei Instrumente zur Förderung der Arzneimittelversorgung und -sicherheit in diesem Bereich vorgestellt, die nicht nur auf pädiatrische Anwendungen beschränkt sind. Da jedoch Kinder besonders stark von der Problematik der orphan diseases und orphan drugs betroffen sind, sind diese Instrumente für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen von besonderer Bedeutung. 569 570 571
572
573
574
Siehe Fn. 208. BLÖCHLIGER, 9 Art. 17 Abs. 3 VAM: „Auf Gesuch hin verlängert das Institut die Schutzdauer nach Absatz 2 Buchstabe b auf fünf Jahre, sofern durch die neue Indikation, den neuen Verabreichungsweg, die neue Darreichungsform, die neue Dosierung oder die Anwendung auf eine neue Zieltierart eine bedeutende therapeutische Verbesserung erzielt wird.“ TRIPS-Abkommen; Anhang 1.C des Abkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation, SR 0.632.2. Art. 39 Abs. 3 Anhang 1.C des Abkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation, SR 0.632.2: „Schreiben die Mitglieder als Voraussetzung für die Marktzulassung von pharmazeutischen oder agrochemischen Erzeugnissen, in denen neue chemische Stoffe verwendet werden, die Vorlage vertraulicher Testergebnisse oder sonstiger Angaben vor, deren Erstellung erhebliche Anstrengungen erfordert, so schützen sie diese Angaben vor unlauterer gewerblicher Verwendung. Darüber hinaus schützen die Mitglieder diese Angaben vor Preisgabe, sofern diese nicht zum Schutz der Öffentlichkeit notwendig ist oder sofern nicht Maßnahmen zum Schutz der Angaben vor unlauterer gewerblicher Verwendung getroffen werden.“ KLEIST, 2221.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
167
Mit der vereinfachten Zulassung für wichtige Arzneimittel für seltene Krankheiten kennt die schweizerische Heilmittelgesetzgebung ein weiteres Instrument zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung in der Pädiatrie. Gemäß Art. 14 Abs. 1 Bst. f HMG können wichtige Arzneimittel für seltene Krankheiten vereinfacht zugelassen werden.575 Die am 1. Oktober 2006 in Kraft getretene Verordnung des Schweizerischen Heilmittelinstituts über die vereinfachte Zulassung von Arzneimitteln und die Zulassung von Arzneimitteln im Meldeverfahren (VAZV) enthält die detaillierten Vorschriften dieses vereinfachten Zulassungsverfahrens. Wurde einem Arzneimittel den Status als orphan drug (wichtiges Arzneimittel für seltene Krankheiten, Art. 4–7 VAZV) zuerkannt, besteht die Möglichkeit einer vereinfachten Zulassung.576 Neben der vereinfachten Zulassung besteht nach Art. 5 VAM ein beschleunigtes Zulassungsverfahren. Diese Bestimmung besagt, dass ein Humanarzneimittel oder dessen Änderung in einem beschleunigten Zulassungsverfahren begutachtet werden kann, wenn folgende Bedingungen kumulativ erfüllt sind: Erstens muss es sich um eine Erfolg versprechende Therapie gegen eine schwere, invalidisierende oder lebensbedrohliche Krankheit handeln. Zweitens müssen keine Behandlungsmöglichkeiten bestehen oder die bestehenden Therapien sind entweder nicht vorhanden oder unbefriedigend. Drittens muss vom Einsatz des neuen Arzneimittels bzw. der neuen Anwendung ein hoher therapeutischer Nutzen zu erwarten sein. Zusammenfassend lässt sich zur Heilmittelgesetzgebung der Schweiz im Bezug auf die medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen festhalten, dass sie keine eigene Regelung für Forschungsvorhaben mit Minderjährigen kennt. Auch beinhaltet das schweizerische Heilmittelrecht keine mit der Kinderarzneimittelverordnung der Europäischen Gemeinschaft oder den Förderungsprogrammen der USA vergleichbaren Instrumenten. Die bestehenden Förderinstrumente, insbesondere im Bereich der orphan drugs, sind aber auch für die Verbesserung und Förderung pädiatrischer Heilmittel geeignet. d) Kantonale Regelungen zur Forschung mit Minderjährigen Außerhalb des Heilmittelbereichs sind die Kantone für eine Regelung der Forschung mit Versuchspersonen zuständig. Wie oben unter III.1, 2 ausgeführt, ist die entsprechende kantonale Gesetzgebung unterschiedlich ausgestaltet.577 Bei den Bestimmungen zur Forschung mit Minderjährigen und anderen besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen wird dies besonders deutlich. Acht Kantone (Appenzell Innerrhoden, Basel-Stadt, Graubünden, Nidwalden, Solothurn, Schwyz, Uri, Zug) kennen keine Bestimmungen zur Forschung mit besonders schutzbedürftigen Personen. Das Gesundheitsgesetz des Kantons Bern erklärt in Art. 34 Abs. 2 den Regierungsrat zur Regelung der Frage, unter welchen Bedingungen ausnahmsweise medizinische Forschungsuntersuchungen an urteilsunfähigen, unmündigen oder entmündigten Personen zulässig sind, für zuständig. 575 576
577
PETERMANN, Rz. 14 f. Siehe dazu den Beitrag „Erläuterungen zu Orphan Drugs (Art. 4–7 VAZV, Art. 24–26 VAZV)“ im Swissmedic Journal 09/2006, 898 ff. SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 29.
168
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Sieben Kantone verweisen auf die SAMW-Richtlinien (Aargau, Basel-Landschaft, Glarus, Luzern, Obwalden, St. Gallen, Thurgau). Da die SAMW-Richtlinien Bestimmungen zur Forschung mit besonders schutzbedürftigen Personen enthalten, gelangen diese entsprechend – teilweise in Ergänzung kantonaler Bestimmungen – zur Anwendung. Einige kantonale Erlasse enthalten Bestimmungen zur medizinischen Forschung mit besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen. Diese werden nachfolgend dargestellt: Einzelne Kantone verlangen in ihren Regelungen für die Teilnahme Urteilsunfähiger an Forschungsvorhaben lediglich die ausdrückliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters und nennen keine weiteren spezifischen Voraussetzungen: so beispielsweise die Kantone Appenzell Außerrhoden (Patientenverordnung, Art. 25 Abs. 2), Glarus (Verordnung über die Organisation des Kantonsspitals, Art. 32 Abs. 1) und St. Gallen (Spitalorganisationsverordnung, Art. 65 Abs. 2). Im Gegensatz dazu halten das Aargauer Gesundheitsgesetz (§ 53 Abs. 1 lit. b und c)578 und die Luzerner Patientenverordnung (§ 31 Abs. 1 lit. b und c)579 fest, dass urteilsfähige Unmündige nur an Forschungsvorhaben teilnehmen dürfen, wenn sie und ihre gesetzlichen Vertreter der Teilnahme schriftlich zustimmen. Bei Urteilsunfähigen muss der gesetzliche Vertreter schriftlich zustimmen. Zudem wird in § 22 des Aargauer Dekrets über die Rechte und Pflichten der Krankenhauspatienten580 festgehalten, dass Forschungsuntersuchungen an nicht handlungsfähigen Personen nur dann erlaubt sind, wenn sie aus medizinischen Gründen nicht mit handlungsfähigen Personen durchgeführt werden können. Besonders hervorzuheben sind die Gesundheitsgesetze der Kantone Waadt und Freiburg. Diese enthalten eigene Bestimmungen zur medizinischen Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen. Bemerkenswert an diesen Normen ist, dass sie – nach dem Vorbild der Biomedizinkonvention und des Forschungsprotokolls des Europarates – zwischen der Forschung mit einem direkten Nutzen und der Forschung ohne einen direkten Nutzen für die betroffenen minderjährigen, ent-
578 579
580
Gesundheitsgesetz (GesG) vom 10. November 1987, SAR 301.100. Verordnung über die Rechte und Pflichten von Patienten und Patientinnen der kantonalen Spitälern vom 16. November 1993, SRL 823. Dekret über die Rechte und Pflichten der Krankenhauspatienten vom 21. August 1990 (Patientendekret, PD), SAR 333.110 § 22 „[…] Forschungsuntersuchungen an nicht handlungsfähigen Personen sind nur dann erlaubt, wenn sie aus medizinischen Gründen nicht an handlungsfähigen Personen ausgeführt werden können. Voraussetzung ist die schriftliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters sowie der zu untersuchenden Person, soweit diese urteilsfähig ist. Die Zustimmung ist jederzeit widerrufbar. 4 Die Personen, deren Zustimmung erforderlich ist, müssen zuvor umfassend über Art und Sinn der Untersuchung sowie die damit verbundenen Gefahren aufgeklärt werden. 5 Über Aufklärung, Zustimmung und Verlauf der Untersuchung ist ein schriftliches Protokoll zu führen. 6 Personen, die sich für Forschungsuntersuchungen zur Verfügung stellen, darf kein Entgelt ausgerichtet werden. Erlaubt sind Entschädigungen für entstandene Kosten und Erwerbsausfall.“
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
169
mündigten oder urteilsunfähigen Personen unterscheiden und entsprechend differenzierte Regelungen enthalten. Im Gesundheitsgesetz des Kantons Freiburg581 wird die Forschung mit minderjährigen, entmündigten oder urteilsunfähigen Personen in Art. 67 wie folgt geregelt: Art. 67 Minderjährige, entmündigte oder urteilsunfähige Personen „1 Biomedizinische Forschung an minderjährigen, entmündigten oder urteilsunfähigen Personen ist nur zulässig, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: a) Die erwarteten Forschungsergebnisse sind für die Gesundheit der betroffenen Personen von unmittelbarem Nutzen. b) An mündigen und urteilsfähigen Versuchspersonen kann die Forschung nicht mit vergleichbarer Wirksamkeit durchgeführt werden. c) Die Voraussetzungen nach Artikel 66 Abs. 2 Bst. a–d sind erfüllt. d) Die gesetzlichen Vertreter der Versuchspersonen haben ihre freie und aufgeklärte Einwilligung nach Artikel 66 Abs. 2 Bst. e erteilt. e) Unmündige oder entmündigte, jedoch urteilsfähige Versuchspersonen haben ihre freie und aufgeklärte Einwilligung nach Artikel 66 Abs. 2 Bst. e erteilt. Bei urteilsunfähigen Personen gilt die Voraussetzung, dass sie keine Ablehnung ihrer Beteiligung am Versuch geäussert haben. 2 In Ausnahmefällen darf biomedizinische Forschung, deren erwarteten Ergebnisse nicht von unmittelbarem Nutzen für die Gesundheit der Versuchspersonen sind, an unmündigen, entmündigten oder urteilsunfähigen Personen durchgeführt werden, wenn ausser den Voraussetzungen nach Abs. 1 Bst. b–e die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: a) Das Forschungsvorhaben lässt wichtige Erkenntnisse über den Zustand, die Krankheit oder das Leiden der Versuchspersonen erwarten, um längerfristig einen unmittelbaren Nutzen für sie oder für andere Personen derselben Altersklasse oder für Personen, die an der gleichen Krankheit leiden oder dieselben Merkmale aufweisen, zu erlangen. b) Das Forschungsvorhaben birgt für die Versuchspersonen ein nur geringfügiges Risiko und belastet sie kaum.“
Art. 69 hält die zuständige Ethikkommission dazu an, bei der ethischen Beurteilung eines Forschungsprojekts ihre besondere Aufmerksamkeit den besonders schutzbedürftigen Personen zu widmen. Im Gesundheitsgesetz des Kantons Freiburg fallen, neben den soeben genannten Bestimmungen zur Forschung, insb. Art. 29 und 30 auf. Unter dem Titel „Hauptgebiete und Aufgaben des Staates“ verpflichtet sich der Kanton in Art. 29 (Begleitung von Eltern und Kind)582, Maßnahmen zu ergreifen, „damit jedes Kind unter den bestmöglichen gesundheitlichen Voraussetzungen geboren wird und sich entwickeln kann“ (Art. 29 Abs. 1). In 581 582
Gesundheitsgesetz vom 16. November 1999, BDLF 821.0.1. Art. 29 Begleitung von Eltern und Kind „1 Der Staat fördert die Massnahmen zur Begleitung von Eltern und Kind, damit jedes Kind unter den bestmöglichen gesundheitlichen Voraussetzungen geboren wird und sich entwickeln kann. 2 Er unterstützt insbesondere die an werdende Eltern und an Familien gerichtete Hilfe und Beratung“.
170
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Art. 30583 wird die Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Schulgesundheitspflege geregelt. Der Kanton Waadt regelt die Grundprinzipien der Forschung mit Versuchspersonen in Art. 25 des Gesundheitsgesetzes584 und stellt in Art. 25a zusätzliche Voraussetzungen für Forschungsvorhaben mit Unmündigen, Entmündigten und nicht einwilligungsfähigen Versuchspersonen auf: Art. 25 Recherche biomédicale avec des personnes, a) Principes „1 Toute recherche biomédicale impliquant des personnes doit être menée conformément aux règles des bonnes pratiques des essais cliniques, reconnues au niveau national, dont le but est de garantir la protection des sujets de recherche et d'assurer la qualité des résultats. 2 Une recherche biomédicale impliquant des personnes doit en particulier respecter les conditions suivantes: a. l'investigateur responsable est titulaire d'un diplôme fédéral de médecin ou de médecin dentiste ou d'un diplôme équivalent et a l'autorisation de pratiquer la médecine ou la médecine dentaire; b. les risques prévisibles pour les sujets de recherche ne sont pas disproportionnés par rapport aux bénéfices potentiels de la recherche; c. la protection des données relatives aux sujets de recherche est garantie; d. la recherche a obtenu l'avis favorable de la ou des commissions d'éthique de la recherche compétentes; e. les sujets de recherche ont donné leur consentement libre, exprès et éclairé, par écrit ou attesté par écrit, après avoir été informés notamment sur la nature et le but de la recherche, l'ensemble des contraintes, des actes et des analyses impliqués, l'existence éventuelle d'autres traitements que ceux qui sont prévus dans la recherche, les risques et les inconforts prévisibles, les bénéfices potentiels, leur droit à une compensation en cas de dommages imputables à la recherche, leur droit de retirer leur consentement à tout moment sans préjudice pour la poursuite des soins.“
Art. 25a b) Personnes mineures ou interdites et personnes incapables de discernement
583
584
Art. 30 Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen „1 Der Staat bestimmt die Organisation der Gesundheitsförderung und Prävention in den Einrichtungen zur Betreuung von Kindern im Vorschulalter, in den Kindergärten, den Primarschulen, den Schulen der Orientierungsstufe und der Sekundarstufe II sowie in den Berufsschulen. Dabei arbeitet er mit den Gemeinden und den Institutionen des Gesundheitswesens zusammen. 2 Ebenso bestimmt er die Organisation der schulärztlichen Betreuung und Gesundheitsüberwachung in den Einrichtungen zur Betreuung von Kindern im Vorschulalter, in den Kindergärten, den Primarschulen, den Schulen der Orientierungsstufe und der Sekundarstufe II sowie in den Berufsschulen. 3 Er setzt insbesondere die Aufgaben, die Kompetenzen und die Organisation der Schulärztinnen und Schulärzte und der übrigen für die Schulgesundheitspflege verantwortlichen Gesundheitsfachpersonen und Institutionen des Gesundheitswesens fest sowie die Aufgaben und Kompetenzen der Gemeinden auf diesem Gebiet.“ Loi sur la santé publique vom 29 Mai 1985, RSV 800.01.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
171
„1 Une recherche biomédicale ne peut impliquer des personnes mineures ou interdites ou des personnes incapables de discernement que si les conditions suivantes sont remplies : a. les résultats attendus de la recherche comportent un bénéfice direct pour leur santé; b. la recherche ne peut s'effectuer avec une efficacité comparable avec des sujets de recherche majeurs, non interdits et capables de discernement; c. les conditions énoncées à l'article 25, alinéa 2, lettres a à d sont remplies; d. les représentants légaux des sujets de recherche ont donné leur consentement libre et éclairé dans les conditions énoncées à l'article 25, alinéa 2, lettre e; e. les sujets de recherche mineurs ou interdits capables de discernement ont donné leur consentement libre et éclairé dans les conditions énoncées à l'article 25, alinéa 2, lettre e ou, pour les sujets de recherche incapables de discernement, n'ont pas exprimé leur refus de participer à la recherche. 2 A titre exceptionnel, une recherche biomédicale dont les résultats attendus ne comportent pas de bénéfice direct pour la santé des sujets de recherche peut impliquer des personnes mineures ou interdites ou des personnes incapables de discernement uniquement si les conditions énoncées aux lettres b à e de l'alinéa 1 ainsi que les conditions supplémentaires suivantes sont remplies : a. la recherche doit permettre d'acquérir d'importantes connaissances sur l'état des sujets de recherche, leur maladie ou leur trouble en vue d'obtenir, à terme, un bénéfice direct pour les sujets de recherche concernés ou pour d'autres personnes dans la même catégorie d'âge ou souffrant de la même maladie ou trouble ou présentant les mêmes caractéristiques; b. les risques et les inconforts qui peuvent être encourus par les sujets de recherche ainsi que les contraintes doivent être minimes.“
Im Gegensatz zu den Regelungen der Kantone Waadt und Freiburg sind in anderen Kantonen Forschungsvorhaben mit minderjährigen, entmündigten oder urteilsunfähigen Personen ausdrücklich untersagt, wenn diese für die Betroffenen nicht mit einem direkten Nutzen verbunden sind.585 So lässt das Gesundheitsgesetz des Kantons Jura die Forschung mit Urteilsunfähigen nur dann zu, wenn damit ein direkter Nutzen für die Gesundheit der Betroffenen angestrebt wird (Art. 30 Abs. 2586). Gleiche Bestimmungen enthalten die Gesundheitsgesetze der Kantone Neuenburg (Art. 28 Abs. 4587) und Tessin (Art. 11 Abs. 3588).
585 586
587
588
SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 29. Loi sanitaire vom 14. Dezember 1990, RSJU 810.01, Art. 30 Abs. 2: „Si la personne concernée est incapable de discernement, un essai clinique ne peut être entrepris que s’il vise à produire un effet bénéfique sur son état de santé.“ Loi de santé vom 6. Februar 1995, RSN 800.1, Art. 28 Abs. 4: „Les patients incapables de consentir personnellement ne doivent être sollicités qu'en dernier ressort, et pour autant que l'expérimentation envisagée soit susceptible d'améliorer leur état de santé. Le consentement écrit de leur représentant est en outre requis.“ Legge sulla promozione della salute e il coordinamento sanitario (Legge sanitaria) vom 18. April 1989, RL 6.1.1.1, Art. 11 Abs. 3: „Il paziente incapace di discernimento può essere oggetto unicamente di sperimentazioni suscettibili di migliorare il suo stato di salute. Il consenso previsto dai capoversi 1 e 2 è dato in forma scritta dal rappresentante legale, o, in difetto, dai parenti. In caso di imminente pericolo di morte o di grave
172
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Als einziger Kanton kennt Schaffhausen ein explizites Verbot von wissenschaftlichen Versuchen mit urteilsunfähigen Personen. § 5 Abs. 3 der Verordnung über Heilversuche und wissenschaftliche Versuche am Menschen589 lautet: „Bei nicht urteilsfähigen Patientinnen und Patienten sind wissenschaftliche Versuche verboten. Für Heilversuche ist die schriftliche Zustimmung der gesetzlichen Vertretung oder der nächsten Angehörigen erforderlich. In Notfällen handeln die Ärztinnen und Ärzte nach pflichtgemässem Ermessen.“ Gemäß § 2 Abs. 2 der Verordnung hat die Ethikkommission denn auch besonders auf den Schutz der besonders schutzbedürftigen Personen zu achten. Die obigen Ausführungen veranschaulichen, wie unterschiedlich die einzelnen Kantone die medizinische Forschung mit Minderjährigen regeln. Während fünf Kantone (Appenzell Innerrhoden, Nidwalden, Schwyz, Uri und Zug) gar keine Regelungen zur medizinischen Forschung mit Versuchspersonen kennen, haben andere Kantone wie Genf, Waadt und Freiburg die Materie detailliert geregelt. Eine Mehrheit der Kantone hat die medizinische Forschung mit Versuchspersonen in den Grundzügen geregelt, kennt aber keine spezifischen Bestimmungen für die Forschung mit unmündigen, entmündigen oder urteilsunfähigen Versuchspersonen. Diese Situation ist sowohl für Versuchspersonen wie für Forschende höchst unbefriedigend, gelten doch außerhalb der bundesrechtlich geregelten Forschungsbereiche in jedem Kanton andere Regelungen. Da bis zum Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes über die Forschung am Menschen (Humanforschungsgesetz) wohl noch einige Jahre vergehen werden, wäre es sehr wünschenswert, wenn die kantonale Gesetzgebung entsprechend angepasst werden würde. Als Vorbilder können die Regelungen zur medizinischen Forschung mit Versuchspersonen der Kantone Genf und Waadt dienen. e) Medizinisch-ethische Richtlinien für die Forschungsuntersuchungen am Menschen der SAMW Neben den wenigen zuvor genannten kantonalen Regelungen enthalten auch die medizinisch-ethischen Richtlinien für Forschungsuntersuchungen am Menschen vom 5. Juni 1997 der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW)590 spezifische Bestimmungen für die medizinische Forschung mit Kindern. Bereits in der Präambel der SAMW-Forschungsrichtlinie werden Kinder explizit genannt: „Zur Verbesserung der ärztlichen Praxis in Vorbeugung, Diagnostik, Therapie und Pflege sind Forschungsuntersuchungen an gesunden und kranken Menschen beiderlei Geschlechts und aller Altersgruppen, auch an Kindern und älteren Menschen, unentbehrlich.“ Damit wird die Notwendigkeit der Forschung mit Kindern und für Kinder und Jugendliche betont und festgehalten, dass diese Forschung in ethisch vertretbarer Form durchgeführt werden soll
589
590
menomazione e di contemporanea incapacità momentanea o durevole di discernimento, il consenso è presunto.“ Verordnung über Heilversuche und wissenschaftliche Versuche am Menschen vom 25. Juni 2002, SHR 812.112. Siehe dazu oben III.2.d.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
173
und kann. Dazu hält die Präambel fest, dass wissenschaftlicher Fortschritt nur dann ethisch vertretbar ist, wenn die Menschenwürde aller Personen gewährleistet bleibt. In Ziff. A 1 wird festgehalten, dass Forschungsuntersuchungen am Menschen in das Recht der Persönlichkeit eingreifen. Bei Kindern besteht die Rechtfertigung in der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter oder, wo solche fehlen, der nächsten Angehörigen.591 Gesetzliche Vertreter können durch ihre Zustimmung zulasten urteilsunfähiger Personen nur geringfügige Belastungen gültig in Kauf nehmen. Die Richtlinie hält weiter fest, dass wenn Urteilsunfähige eine Forschungsuntersuchung an ihrer Person in erkennbarer Weise ablehnen, von der Untersuchung Abstand zu nehmen ist. Wie diese Bestimmung zu ablehnenden Willensäußerungen urteilsunfähiger Minderjähriger zu verstehen ist, wird im Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit unter V.4. ausgeführt. Ziff. D 5 hält fest, dass niemand von der Teilnahme an Forschungsuntersuchungen ausgeschlossen bleiben soll. Soweit wie möglich sollen jedoch urteilsfähige Erwachsene angefragt werden. Zudem sollen für Gesunde wie für Kranke die gleichen Kriterien gelten. Für Forschungsuntersuchungen mit Kindern wird der Grundsatz der Subsidiarität statuiert. Zulässig sind somit nur Forschungsvorhaben, die nicht ebenso gut mit erwachsenen Versuchspersonen durchgeführt werden können. Die Richtlinie hält zudem fest, dass Forschungsuntersuchungen mit Kindern besonders sorgfältig geplant werden müssen. Das Gleiche gilt für die Forschung mit Frauen während der Schwangerschaft und der Stillzeit. Sie sollten nur in solche Forschungsuntersuchungen einbezogen werden, die auch für das werdende Kind nur minimale Risiken mit sich bringen und deren Ergebnisse einen Nutzen für Frauen und Kinder in diesem Lebensabschnitt erwarten lassen. Im Weiteren verlangt die Richtlinie, dass Kinder und deren Eltern während der ganzen Dauer der wissenschaftlichen Untersuchungen begleitet und über den Stand der Forschung informiert werden. Im Kommentar zu Ziff. D 6 zur Aufklärung und Zustimmung wird ausgeführt, dass sich die Orientierung in gleicher Weise sowohl auf den Patienten, der wegen seines Alters hinsichtlich der Zustimmung zur Teilnahme nicht urteils- oder handlungsfähig ist, wie auch auf die gesetzlichen Vertreter erstreckt. Schließlich wird festgehalten, dass Kinder eine Ablehnung nicht begründen müssen und ihre Entscheidung auch nicht durch eine Zustimmung des gesetzlichen Vertreters umgestoßen werden kann.
591
Zum Begriff der der nächsten Angehörigen sei auf die SAMW-Grundsätze zum Recht der Patientinnen und Patienten auf Selbstbestimmung hingewiesen. In Ziff. IV der Erläuterungen wird ausgeführt: „Angehörige sind die Lebenspartner und die nächsten Verwandten eines Patienten sowie ihm nahestehende Personen (significant others).“ Im Weiteren verweisen die Grundsätze auf das kantonale Recht. Nach der Umsetzung der Totalrevision des Vormundschaftsrechts, wird – entsprechend dem Gesetzesentwurf in der Botschaft vom 28. Juni 2006 – das Zivilgesetzbuch (Art. 377 ff. E ZGB) regeln, welche Personen in welcher Reihenfolge eine urteilsunfähige Person bei medizinischen Maßnahmen vertreten dürfen und wie vorzugehen ist. Siehe hierzu die Ausführungen zur Totalrevision in Kapitel 4.
174
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
4. Entwürfe für einen Verfassungsartikel und ein Bundesgesetz zur Humanforschung a) Überblick Mit einer Motion592 wurde vom Bundesrat Ende 1998 die Ausarbeitung eines Bundesgesetzes zur medizinischen Forschung am Menschen gefordert. Im Jahre 2000 wurde mit der Ausarbeitung eines Bundesgesetzes zur Humanforschung begonnen. Die Arbeiten wurden im Herbst 2001 unterbrochen, da zuerst die Forschung an überzähligen menschlichen Embryonen und menschlichen embryonalen Stammzellen in einem separaten Bundesgesetz geregelt werden sollte. Nachdem das Parlament das Stammzellenforschungsgesetz (StFG) im Dezember 2003 verabschiedete, wurden die Arbeiten am Humanforschungsgesetz wieder aufgenommen.593 Am 1. Februar 2006 wurde die Vernehmlassung zum Vorentwurf eines neuen Verfassungsartikels (Art. 118a Forschung am Menschen) sowie zu einem neuen Bundesgesetz über die Forschung am Menschen (Humanforschungsgesetz, HFG) eröffnet.594 Mit der neuen Verfassungsbestimmung erhält der Bund eine umfassende Zuständigkeit zur Regelung der Forschung am Menschen im Gesundheitsbereich.595 Zudem werden wesentliche materielle Grundsätze für die Forschung am Menschen auf Verfassungsstufe verankert. Das neue Bundesgesetz wird die Humanforschung gesamtschweizerisch einheitlich und umfassend regeln. Der Gesetzesentwurf umfasst neben der Forschung mit Versuchspersonen auch die Forschung an biologischem Material, an Personendaten sowie die Forschung mit Föten, Embryonen, Keimbahnzellen und die Forschung mit Verstorbenen.596 Inhaltlich orientiert sich der Gesetzesentwurf an den wesentlichen internationalen Regelwerken im Bereich der Humanforschung; allerdings ohne explizit auf diese zu verweisen. Im Weiteren lehnt sich der Entwurf an die bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen (insbesondere das Heilmittelgesetz und das Transplantationsgesetz) an. b) Regelung der medizinischen Forschung mit Minderjährigen aa) Vorentwurf Art. 118a BV Im Vorentwurf des neuen Verfassungsartikels 118a wird in Abs. 2 lit. b die Forschung mit urteilsunfähigen Personen besonders erwähnt.597 Die Verfassungs-
592
593 594
595 596
597
Motion Plattner vom 1. Dezember 1998 (98.3543: „Schaffung eines Bundesgesetzes betreffend medizinische Forschung am Menschen“). Dazu Erläuternder Bericht VE HFG, 11. Siehe Erläuternder Bericht VE HFG, 11 ff. Siehe dazu den erläuternden Bericht VE Verfassungsbestimmung und den erläuternden Bericht VE HFG. Dazu der erläuternde Bericht VE Verfassungsbestimmung, 9, Ziff. 2.1. Hierzu die Ausführungen zum Geltungsbereich im erläuternden Bericht VE HFG, 14 ff., 75 ff. „Er [der Bund] beachtet [bei der Regelung zur Forschung am Menschen im Gesundheitsbereich] folgende Grundsätze: […]
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
175
bestimmung betont die Notwendigkeit der Forschung mit dieser Personengruppe und hebt ihre besondere Schutzbedürftigkeit hervor. Entsprechend darf mit besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen nur geforscht werden, wenn „erhöhte Anforderungen an ihren Schutz erfüllt sind“. Der Vorentwurf zu Art. z BV lässt auch medizinische Forschung mit urteilsunfähigen Personen ohne einen potenziellen individuellen und direkten Nutzen für die betroffenen Versuchspersonen zu. In Übereinstimmung mit der Biomedizinkonvention des Europarats598 gilt dabei die absolute Schranke von minimalen Risiken und Belastungen. bb) Vorentwurf Bundesgesetz über die Forschung am Menschen Wie das Heilmittelgesetz kennt der Vorentwurf keine eigene Regelung für die Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen. Vielmehr fallen Minderjährige auch nach dem Vorentwurf für ein Forschungsgesetz unter die Regelung für die Gruppe der besonders schutzbedürftigen Personen. Art. 17–34 enthalten zusätzliche Anforderungen an die Forschung mit besonders verletzbaren Personen.599 Auf minderjährige Versuchspersonen gelangen dabei die Regelungen für die Forschung mit urteilsunfähigen Personen (Art. 17–19) und jene für die Forschung mit urteilsfähigen unmündigen oder entmündigten Personen (Art. 20–22) zur Anwendung. Mit Urteilsunfähigen darf zu ihrem direkten Nutzen geforscht werden, wenn die gesetzlichen Vertreter nach hinreichender Aufklärung schriftlich eingewilligt haben (Art. 18). Forschung ohne einen direkten Nutzen ist mit Urteilsunfähigen unter folgenden zusätzlichen Voraussetzungen möglich (Art. 19): „Die Forschung verfolgt einen Gruppennutzen und muss eine wesentliche Erweiterung des wissenschaftlichen Verständnisses zum Ziel haben. Das betroffene Kind darf keine Anzeichen von Ablehnung erkennen lassen. Auch darf die Forschung nur mit minimalen Risiken und minimalen Belastungen verbunden sein.“600 Den urteilsfähigen Minderjährigen räumt der Gesetzesentwurf Mitspracherechte ein (Art. 21). Ein urteilsfähiger Minderjähriger entscheidet selbstständig über seine Teilnahme an einem Forschungsprojekt mit einem direkten Nutzen, wenn der damit verbundene Eingriff nur mit minimalen Risiken und minimalen Belastungen verbunden ist. Die zusätzliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters ist dann erforderlich, wenn das Forschungsprojekt mehr als nur minimale Risiken und Belastungen mit sich bringt. Forschungsprojekte ohne einen direkten Nutzen dürfen mit urteilsfähigen Minderjährigen durchgeführt werden, wenn die Risiken und Belastungen minimal sind und sowohl die Einwilligung des urteils-
598 599
600
b. Forschung mit urteilsunfähigen Personen darf nur durchgeführt werden, wenn erhöhte Anforderungen an ihren Schutz erfüllt sind. Insbesondere dürfen die Risiken und Belastungen für eine urteilsunfähige Person höchstens minimal sein, wenn die Forschung keine Verbesserung ihrer Gesundheit erwarten lässt. […]“. Art. 17 Abs. 2 Ziff. ii Biomedizinkonvention und Art. 15 ff. Forschungsprotokoll. Urteilsunfähige Personen (Art. 17–19); urteilsunfähige, unmündige oder entmündigte Personen (Art. 20–22); Forschung in Notfallsituationen (Art. 23–25); schwangere Frauen, Forschung an Embryonen und Föten in vivo (Art. 27–31); Personen in Unfreiheit (Art. 32–34). Art. 19 lit. b. VE HFG.
176
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
fähigen Kindes wie die des gesetzlichen Vertreters vorliegen (Art. 22). Für die fremdnützige Forschung mit urteilsfähigen Minderjährigen verlangt der Gesetzesentwurf damit weder einen Gruppennutzen noch eine Beschränkung der Forschung auf einschlägig kranke Kinder. c) Beurteilung der Entwürfe Bei den Vorlagen handelt es sich, wie ausgeführt, erst um Vorentwürfe. Folglich ist zu erwarten, dass sich die Vorlagen bis zu ihrer endgültigen Fassung nochmals erheblich verändern werden. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle auf eine detaillierte Beurteilung verzichtet.601 Kommentiert werden einzelne Aspekte der Entwürfe, die für die Forschung mit Minderjährigen von Bedeutung sind. Dabei werden einzelne Stellungnahmen aus dem Vernehmlassungsverfahren berücksichtigt. Dieses wurde im Frühjahr 2006 abgeschlossen. Ergebnisse werden voraussichtlich im Frühjahr 2007 durch das Bundesamt für Gesundheit veröffentlicht.602 aa) Regelung auf Bundesebene Bei der geplanten Regelung ist zu begrüßen, dass der Bund mit Art. 118a BV die Kompetenz zur Regelung der Humanforschung erhält. Eine umfassende Regelung der Humanforschung in einem Bundesgesetz schafft einheitliche Rahmenbedingungen in einem bis anhin lückenhaft und unsystematisch geregelten Bereich. bb) Beschränkung auf die Forschung im Gesundheitsbereich Die Beschränkung des Humanforschungsgesetzes auf „Forschung im Gesundheitsbereich“ (Art. 2 Abs. 1 VE HFG) erscheint sinnvoll. Auch stimmt der Anwendungsbereich des Humanforschungsgesetzes mit demjenigen der Biomedizinkonvention des Europarates603 überein. In ihrer Stellungnahme604 zu den Vorentwürfen kritisiert die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) jedoch die Beschränkung des Verfassungsartikels auf die Forschung am Menschen im Gesundheitsbereich. Eine solche Eingrenzung solle erst auf Gesetzesstufe erfolgen, sodass die Verfassung einen Rahmen schaffe, in dem auch Forschung außerhalb des Gesundheitsbereiches geregelt werden könne. Dieser Ansicht der SAMW ist zuzustimmen. Bei der Ausgestaltung der neuen Verfassungsbestimmung ist zu berücksichtigen, dass neben der Medizin zahlreiche andere Wissenschaften (z.B. Pädagogik, Wirtschaftswissenschaften, Psychologie) bestehen, die ebenfalls Forschungsuntersuchungen mit Menschen durchführen. Es ist daher sinnvoll, durch eine offene Formulierung des Geltungsbereiches von Art. 118a BV dem Bund die Möglichkeit zu geben, auch für die Forschung mit Ver601
602
603
604
Für eine detailliertere Beurteilung siehe beispielsweise den Beitrag von GATTIKER zit. HFG, 1535 ff. Auf der Internetseite des Bundesamtes für Gesundheit ist das Dossier „Forschung am Menschen“, das Informationen zu den geplanten Regelungen und zum Vernehmlassungsverfahren enthält, unter der Rubrik „Themen“, in der Unterrubrik „Krankheiten und Medizin“ abrufbar, , besucht im Juni 2007. Präambel, Art. 1 Biomedizinkonvention, siehe dazu die Ausführungen im erläuternden Bericht zur Biomedizinkonvention, Ziff. 10, abgedruckt bei MÜLLER-TERPITZ, 78. SAMW-Stellungnahme HFG Brief, 2.
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
177
suchspersonen in anderen Disziplinen als der Medizin auf Gesetzesstufe Regelungen zu erlassen. cc) Titel Nicht zugestimmt werden kann den Titeln der beiden Vorentwürfe. Mit der Phrase „Forschung am Menschen“ werden die an einem Forschungsvorhaben beteiligten Menschen zu Objekten. Auch wenn die Bezeichnung „Forschung am Menschen“ von anderen Regelwerken der Humanforschung605 verwendet wird und in der Fachwelt gebräuchlich ist, sollte für den Verfassungsartikel und das Bundesgesetz die Bezeichnung „Forschung mit Menschen“ verwendet werden.606 dd) Geltungsbereich HFG Bei einer Überarbeitung der Vorentwürfe ist zudem der Geltungsbereich (Art. 2 VE HFG) des Humanforschungsgesetzes kritisch zu überprüfen. Dies verlangt auch GATTIKER.607 In ihrem Beitrag kritisiert sie die Beschränkung des Anwendungsbereiches des HFG auf die klinische Forschung608. Gemäß dem erläuternden Bericht zum VE HFG wird unter dem Begriff der „Forschung“ in Art. 2 VE HFG die „systematische, methodische und überprüfbare Suche nach wissenschaftlichen Erkenntnissen“609 verstanden. Im erläuternden Bericht wird dazu ausgeführt, dass insbesondere Heilbehandlungen und experimentelle Einzelfallbeobachtung oder intervention nicht unter den Forschungsbegriff nach Art. 2 VE HFG fallen. Bei Heilbehandlungen und individuellen Heilversuchen stehe die Gesundheit der kranken Personen im Zentrum, während bei der „Forschung mit und ohne erwarteten direkten Nutzen für die betroffene Person immer ein Interessenkonflikt zwischen Persönlichkeitsschutz auf der einen und Erkenntnisgewinn auf der anderen Seite“610 bestehe. Das gelte ebenso für „bestimmte Fälle der Surveillance und des Praxiserfahrungsberichts“.611 GATTIKER erachtet diesen Forschungsbegriff als unzureichend.612 Sie weist zu Recht darauf hin, dass sich individuelle Heilversuche, Surveillance-Maßnahmen und Praxiserfahrungsberichte in vielen Fällen nicht eindeutig der Forschung oder der medizinischen Behandlung zuordnen lassen.613 Es besteht bei jeder Behandlung, die sich außerhalb des medizinischen Standards bewegt, latent die Gefahr von Interessenkonflikten zwischen dem Per605 606
607 608 609 610 611 612
613
Zum Beispiel von der RL 2001/20/EG. Dies fordert auch die Krebsliga Schweiz in ihrer Stellungnahme zu den Vorentwürfen. Der Brief mit der Stellungnahme der Krebsliga vom 30. Mai 2006 an das Bundesamt für Gesundheit ist auf der Internetseite der Krebsliga abrufbar: , besucht im Juni 2007. GATTIKER zit. HFG, 1535 ff. Zum Begriff der klinischen Forschung siehe oben unter Kapitel 2 II. Erläuternder Bericht VE HFG, Ziff. 1.2.6.1., 14; GATTIKER zit. HFG, 1535 ff. Erläuternder Bericht VE HFG, Ziff. 1.2.6.1., 15. Erläuternder Bericht VE HFG, Ziff. 1.2.6.1., 15. Auch die Schweizerische Patienten- und Versicherten-Organisation, SPO kritisiert die Ausklammerung von „Humanexperimenten und Heilversuchen“ aus dem VE HFG. Die Stellungnahme der SPO ist auf der Internetseite der Organisation abrufbar: , besucht im Juni 2007. GATTIKER zit. HFG, 1536.
178
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
sönlichkeitsschutz des Betroffenen und dem Forschungsinteresse.614 GATTIKER hält fest, dass bei der Durchführung einer genügenden Zahl von Einzelexperimenten und individuellen Heilversuchen stets die Möglichkeit der Durchführung retrospektiver Studien bestehe, womit die strengeren Vorgaben für klinische Studien umgangen werden könnten.615 Weiter führt sie aus, dass Heilversuche in vielen Fällen für die betroffenen Patienten sehr nützlich seien. Gleichzeitig würden sich in der Praxis jedoch auch seltene Fälle von höchst fragwürdigen Heilversuchen finden.616 Das neue Humanforschungsgesetz müsse genügend Spielraum für die große Mehrzahl nützlicher Heilversuche lassen und aber auch Möglichkeiten zum Schutz der Patienten vor fragwürdigen und gefährlichen Heilversuchen vorsehen.617 Es ist jedoch nicht sinnvoll, individuelle Heilversuche und Einzelexperimente den umfassenden Vorschriften für klinische Studien Vorschriften zu unterstellen. Zu begrüßen ist daher der Vorschlag von GATTIKER, der vorsieht, dass die Bestimmungen des Kapitels 2 des VE HFG („Forschung mit Personen im Allgemeinen“) auf Heilversuche im Gesundheitsbereich zur Anwendung gelangen sollen.618 ee) Zwangsforschung? In der Vernehmlassung einhellig auf Ablehnung gestoßen ist die in Abs. 2 lit. c Satz 2 des Vorentwurfes zu einem neuen Verfassungsartikel vorgesehene Möglichkeit zur Anwendung von Zwang: „Niemand darf zur Teilnahme an einem Forschungsprojekt gezwungen werden. Vorbehalten bleiben Forschungsprojekte mit urteilsunfähigen Personen, die eine Verbesserung ihrer Gesundheit erwarten lassen.“619 Die SAMW äußert sich in ihrer Stellungnahme dazu wie folgt: „Allerdings ist festzuhalten, dass Abs. 2 lit c in der vorliegenden Fassung unhaltbar ist: Weder urteilsfähige noch urteilsunfähige Personen dürfen je zur Teilnahme an Forschungsprojekten gezwungen werden.“620 Folglich lehnt die SAMW auch die im Vorentwurf zum Humanforschungsgesetz in Art. 18621vorgesehene Regelung als unzulässig ab. Diese sieht vor, dass Forschung mit einem direkten Nutzen mit Urteilsunfähigen auch dann durchgeführt werden darf, wenn diese Personen Ab614 615 616 617 618
619
620 621
GATTIKER zit. HFG, 1536, 1538. GATTIKER zit. HFG, 1536. GATTIKER zit. HFG, 1538 f. mit Beispielen zu fragwürdigen Krebsbehandlungen. GATTIKER zit. HFG, 1538 f. GATTIKER zit. HFG, 1539. GATTIKER schlägt folgende Änderung des Wortlauts von Art. 2 Abs. 2 VE HFG vor: „Für Heilversuche im Gesundheitsbereich, insbesondere in Medizin und Biologie, gelten nur die in Kapitel 2 enthaltenen speziellen Bestimmungen (Art. 7a ff.)“ Siehe dazu insb. den Aufsatz von REUSSER zit. Zwangsversuche. Die Schweizerische Patienten- und Versicherten-Organisation (SPO) fordert in ihrer Stellungnahme die ersatzlose Streichung von lit. c. Die Stellungnahme der SPO ist auf der Internetseite der Organisation abrufbar unter: , besucht im Juni 2007. SAMW-Stellungnahme HFG Brief, 2. Art. 18 VE HFG Forschung mit direktem Nutzen „Ein Forschungsprojekt mit direktem Nutzen darf mit urteilsunfähigen Personen nur durchgeführt werden, wenn der gesetzliche Vertreter oder die nächsten Angehörigen nach hinreichender Aufklärung schriftlich eingewilligt haben.“
III. Schweizerische Rechtsgrundlagen der Humanforschung
179
lehnung erkennen lassen. Einzig bei der Forschung mit Kleinkindern sei eine Ausnahmeregelung denkbar.622 In diesem Sinne äußert sich auch die Krebsliga zu Art. 118a Abs. 2 lit. c BV: „Wenn in diesem Abschnitt eine Einschränkung des Prinzips festgelegt wird, wonach niemand zur Teilnahme an einem Forschungsprojekt gezwungen werden darf, so sind damit offensichtlich Kinder gemeint, an denen die Wirkung neuer Therapien und insbesondere Medikamente erforscht wird. Dies ist unserer Meinung nach zu präzisieren. Ebenso muss dieser Vorbehalt noch mit ‚unter strengen Voraussetzungen’ ergänzt werden.“623 ff) Terminologie Verschiedentlich wird die verwendete Terminologie kritisiert: Die SAMW weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass die verwendeten Definitionen teilweise nicht mit den international gebräuchlichen Begriffen übereinstimmten oder von einem heiklen Ansatz ausgingen (z.B. „Forschungsprojekt mit direktem Nutzen“624). Andere Begriffe seien unklar, was zu Problemen bei der praktischen Umsetzung führen könne.625 Eine Präzisierung bestimmter Begriffe verlangt auch die Krebsliga in ihrer Stellungnahme. Sie weist insbesondere auf den in Art. 18 VE HFG verwendeten Ausdruck des „nächsten Angehörigen“ hin.626 Begrüßenswert sind hingegen das im VE HFG vorgesehene vereinfachte Verfahren für Multizenterstudien (Art. 64) sowie die Schaffung eines Studienregisters (Art. 72). Die SAMW fordert zusätzlich die Einrichtung eines nicht öffentlichen Probandenregisters.627 Die Schweizerische Patienten- und Versicherten-Organisation (SPO) regt zudem die Einrichtung einer unabhängigen und neutralen Ombudsstelle für Versuchspersonen an.628 622
623
624
625 626
627
628
SAMW-Stellungnahme HFG Brief, 3. In der detaillierten Stellungnahme zu den einzelnen Bestimmungen des VE HFG führt die SAMW im Kommentar zu Art. 18 aus: „Auch bei Forschung mit direktem Nutzen sollen urteilsunfähige Personen bei Zeichen der Ablehnung nicht an einem Forschungsprojekt teilnehmen müssen. Bei Kleinkindern lässt sich nicht differenzieren, wogegen sich eine allfällige Ablehnung richtet; ein mutmasslicher Wille ist nicht anzunehmen. Zudem ist bei einem Kleinkind immer ein gesetzlicher Vertreter vorhanden, der seine Interessen wahrnehmen kann.“, SAMWStellungnahme Detailbesprechung HFG, 12. Zur Berücksichtigung von ablehnenden Willensäußerungen Minderjähriger bei medizinischen Forschungsvorhaben siehe hinten Kapitel 4 V.4. Stellungnahme der Krebsliga vom 30. Mai 2006 an das Bundesamt für Gesundheit. Siehe Internetseite der Krebsliga: , besucht im Juni 2007. Siehe hierzu auch die kritische Anmerkungen zur Einteilung in therapeutische und nicht therapeutische Forschung in Kapitel 2 IV.3.d. SAMW-Stellungnahme HFG Brief, 3. Siehe Stellungnahme der Krebsliga vom 30. Mai 2006 an das Bundesamt für Gesundheit. Abrufbar auf der Internetseite der Krebsliga: , besucht im Juni 2007. Dazu auch SAMW-Stellungnahme Detailbesprechung HFG, Kommentar zu Art. 18. SAMW-Stellungnahme HFG Brief, 4. Siehe dazu auch die Ausführungen zu den Probandenregistern im Zusammenhang mit den finanziellen Anreizen der Humanforschung vorne in Kapitel 2 III.4. Siehe Stellungnahme der Schweizerische Patienten- und Versicherten-Organisation (SPO).
180
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
gg) Fehlende Regelung für medizinische Forschung mit Minderjährigen Es ist sehr bedauerlich, dass der Vorentwurf keine eigene Regelung für die medizinische Forschung mit Kindern vorsieht. Wie bereits im ersten Kapitel der vorliegenden Untersuchung dargelegt wurde, erfordern die Besonderheiten minderjähriger Versuchspersonen eine eigenständige Regelung der medizinischen Forschung mit Kindern und Jugendlichen. Auch wenn der Vorentwurf für ein Humanforschungsgesetz – im Gegensatz zum HMG629 – zwischen der Forschung mit Urteilsunfähigen und der Forschung mit urteilsfähigen Unmündigen und Entmündigten differenziert, wird der Gesetzesentwurf den besonderen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen nicht gerecht. Bei der Überarbeitung des Vorentwurfes ist daher für die Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen eine eigenständige Bestimmung zu schaffen.630
5. Zusammenfassung Die obigen Ausführungen zu den Grundlagen der Humanforschung im schweizerischen Recht zeigen auf, dass die Forschung mit Versuchspersonen im schweizerischen Rech nur beschränkt geregelt ist. Auf Bundesebene finden sich keine spezifischen Regelungen für die medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen. Folglich gelangen auf die medizinische Forschung mit Minderjährigen in der Regel die Normen für die Forschung mit unmündigen, entmündigten und urteilsunfähigen Personen zur Anwendung. Auch die Entwürfe für ein neues Bundesgesetz für die Forschung am Menschen, das die medizinische Humanforschung gesamtschweizerisch einheitlich regeln soll, differenziert bedauerlicherweise nicht zwischen erwachsenen und minderjährigen Versuchspersonen. Während fünf Kantone gar keine Regelungen zur medizinischen Forschung mit Versuchspersonen kennen, haben insbesondere die Kantone der Westschweiz die Materie in den vergangenen Jahren detailliert geregelt. In der Mehrheit der Kantone wird die medizinische Forschung mit Versuchspersonen jedoch nur in den Grundzügen geregelt und es finden sich kaum spezifische Bestimmungen für die Forschung mit unmündigen, entmündigten oder urteilsunfähigen Versuchspersonen. Außerhalb der Spezialgesetze des Bundes und der Kantone gelangen Bestimmungen des Verfassungs-, Zivil- und Strafrechts sowie standesrechtliche Normen zur Anwendung. Zudem sind die von der Schweiz ratifizierten völkerrechtlichen Verträge zu beachten. Während sich die obigen Ausführungen primär mit den Regelungen des öffentlichen Rechts des Bundes und der Kantone sowie den 629
630
Art. 55 HMG behandelt unmündige, entmündigte und urteilsunfähige Versuchspersonen gleich. Dies unabhängig davon, ob entmündigte und unmündige Versuchspersonen urteilsfähig sind. Eine separate Regelung der Forschung mit Kindern fordert auch die Krebsliga in ihrer Stellungnahme (Abrufbar auf der Internetseite der Krebsliga: , besucht im Juni 2007).
IV. Deutsche Rechtsgrundlagen der Humanforschung
181
Richtlinien der SAMW befassten, werden die maßgebenden Bestimmungen des Zivilrechts im nachfolgenden vierten Kapitel der vorliegenden Abhandlung besprochen.
IV. Deutsche Rechtsgrundlagen der Humanforschung 1. Übersicht über die geltenden Regelungen zur Forschung am Menschen in Deutschland a) Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Länder Wie in der Schweiz besteht auch in Deutschland keine umfassende Regelung der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen.631 Die Gesetzgebungskompetenz im Gesundheitsbereich ist zwischen dem Bund und den Bundesländern geteilt. Während auf Bundesebene insbesondere gefahrenspezifische Regelungen zur medizinischen Forschung bestehen, fällt die Gesetzgebungskompetenz für das Berufsausübungsrecht der Heilberufe ausschließlich den Bundesländern zu. Die einzelnen Bundesländer kennen zum Teil getrennte Ärzte-, Zahnärzte- und Apothekergesetze oder fassen mehrere Gesundheitsberufe in einem Heilberufe- oder Kammergesetz zusammen.632 Daneben bestehen die Berufsordnungen der öffentlich-rechtlichen (Berufs-)Kammern.633 Diese sind befugt, ihre Berufsordnungen in der Natur öffentlich-rechtlicher Satzungen zu erlassen.634 In diesen Satzungen finden sich teilweise auch Regelungen zur Forschung mit Versuchspersonen.635 Im Weiteren sind die öffentlich-rechtlichen Normen der Universitäten zu beachten,
631
632 633
634
635
DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 661; FISCHER zit: Minderjährige, 70; MAGNUS, 22 f.; TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 139. TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 140. TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 140. Die Berufsangehörigen sind Zwangsmitglieder in den jeweiligen Kammern. In der Schweiz sind die Standesorganisationen – mit Ausnahme der öffentlich-rechtlichen Zwangskörperschaft der Tessiner Ärzte im Ordine dei Medici del Cantone Ticino – durchwegs privatrechtlich in der Form von Vereinen gemäß Art. 60 ff. ZGB organisiert und kennen demnach keine Zwangsmitgliedschaften. Dadurch aber, dass die Weiter- und Fortbildung und damit die Verleihung der Facharzttitel in den Händen der FHM liegen, hat diese faktisch die Stellung einer Schweizer Bundes-Ärztekammer, wodurch ein hoher Beitritts-Druck besteht. Zum ärztlichen Berufsrecht der Schweiz siehe OTT, 215 ff., zur ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung insb. 247 ff. TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 140. Dabei dient die Musterberufsordnung der Bundesärztekammer für die Satzungen der Landesärztekammern als Vorbild. § 15 (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte (Stand 2004), abgedruckt bei RATZEL/LIPPERT, 3 ff. Die Ärztinnen und Ärzte sind gemäß § 15 Abs. 1 verpflichtet „sich vor der Durchführung biomedizinischer Forschung am Menschen […] durch eine bei der Ärztekammer oder bei einer medizinischen Fakultät gebildeten Ethik-Kommission über die mit seinem Vorhaben verbundenen berufsethischen und berufsrechtlichen Fragen beraten zu lassen“. Siehe dazu auch LAUFS zit. Richtlinie, 584.
182
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
die den Universitätsangehörigen in der Humanforschung mehr oder weniger weit reichende Pflichten auferlegen.636 Auf der Ebene des Bundes sind folgende Spezialgesetze für die medizinische Forschung mit Versuchspersonen637 von Bedeutung: − − − − −
Arzneimittelgesetz638 Medizinproduktegesetz639 Transfusionsgesetz640 Strahlenschutzverordnung641 Röntgenverordnung642
b) Regelungen außerhalb der Spezialgesetze Wie das schweizerische Recht kennt auch das deutsche Recht außerhalb der spezialgesetzlichen Regelungen keine spezifischen Normen für die medizinische Forschung mit Versuchspersonen. In der Folge sind die Zulässigkeit und Grenzen der Regelung der Humanforschung außerhalb der Spezialnormen unsicher und umstritten.643 Hinsichtlich der auf die medizinische Forschung außerhalb der Spezialgesetze anzuwendenden Normen vertritt ein Teil der Lehre die Ansicht, dass die Spezialnormen analog auf die nicht gesetzlich geregelten Forschungsbereiche zu übertragen seien.644 Diese Autoren argumentieren, die Spezialnormen seien Ausdruck einer allgemeinen rechtlichen Werthaltung und daher auf andere Forschungsbereiche übertragbar. Gegner dieser Ansicht weisen darauf hin, dass die Spezialgesetze auf wenige Forschungsbereiche (Arzneimittel, Medizinprodukte und Strahlenschutz) beschränkt sind. Auch ließen sich aufgrund der Verschiedenheit der Spezialregelungen aus diesen keine einheitlichen Grundsätze zur Forschung mit Versuchspersonen ableiten. Demnach könne nicht von der Absicht des Gesetzgebers ausgegangen werden, dass in allen Forschungsbereichen die gleichen Vorschriften gelten sollen. Ansonsten hätte er allgemeine, oder zumindest 636 637
638
639
640 641
642
643 644
TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 141. Daneben sind für die medizinische Forschung auch das Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellgesetz, StZG) vom 28. Juni 2002 (BGBl I [2002] 2277, i.d.F. vom 25. November 2003 (BGBl I [2003] 2304) und das Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz) vom 13. Dezember 1990 (BGBl I [1990] 2746, zuletzt geändert am 23. Oktober 2001, BGBl I [2001] 2702) maßgebend. §§ 40 ff. für die klinische Prüfung von Arzneimitteln. Zum Arzneimittelgesetz siehe unten IV.2.a. §§ 20 ff. für die klinische Prüfung von Medizinprodukten. Zum Medizinproduktegesetz siehe unten IV.2.b. § 8 für die Hyperimmunisierung von Versuchspersonen. §§ 23 ff. für die Forschung mit radioaktiven Stoffen und ionisierenden Strahlen. Zur Strahlenschutzverordnung siehe unten IV.2.c. §§ 28a ff. für die Anwendung von Röntgenstrahlen zum Zweck der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen. Zur Röntgenverordnung siehe unten IV.2.c. TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 141. LAUFS zit. Richtlinie, 593. Siehe auch die zahlreichen Quellenangaben bei ECK, 139, Fn. 417.
IV. Deutsche Rechtsgrundlagen der Humanforschung
183
übereinstimmende gesetzliche Vorschriften zur Humanforschung geschaffen. Eine analoge Anwendung der Spezialgesetze sei demnach nicht im Sinne des Gesetzgebers. Vielmehr müsse nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen gesucht werden, die auf die nicht geregelten Forschungsbereiche zur Anwendung gebracht werden können.645 In den nicht durch spezialgesetzliche Normen geregelten Bereichen der Humanforschung muss demzufolge auf Vorgaben des Grundgesetzes646 sowie Bestimmungen des allgemeinen Vertrags- und Deliktrechts, des allgemeinen Straf- und Verwaltungsrechts sowie des Persönlichkeits- und Familienrechts zurückgegriffen werden.647 c) Vorgaben für die Humanforschung im Grundgesetz Vorgaben für die medizinische Forschung sowie Rechte und Pflichten der Versuchspersonen und der Forschenden ergeben sich insbesondere aus dem Grundgesetz.648 Dabei gilt für die unmittelbare Anwendbarkeit der durch das Grundgesetz garantierten Grundrechte das Gleiche wie für das unter III.2.a. zur Wirkung der Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung Ausgeführte. Während die Grundrechte des Grundgesetzes im Bereich der öffentlich-rechtlichen Forschung direkt anwendbar sind, entfalten sie unter Privaten nur eine mittelbare Wirkung.649 Hinsichtlich der Grundrechte der Versuchspersonen sind insbesondere der Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und das aus diesen Rechten abgeleitete Selbstbestimmungsrecht zu nennen.650 Bei den Grundrechten der Forschenden sind in erster Linie die Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) sowie die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) maßgebend. Hierzu gibt TAUPITZ zu bedenken, dass die Rechte der Versuchspersonen den Rechten der Forschenden keineswegs nur einschränkend gegenüberstehen. Vielmehr hätten die Versuchspersonen aus ihrem Selbstbestimmungsrecht und ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit heraus durchaus auch ein Recht auf Teilnahme an medizinischer Forschung. In dieses Recht dürfe der Staat ohne hinreichenden Grund nicht eingreifen.651
645 646
647 648
649 650 651
ECK, 139 ff.; TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 141. Siehe zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Forschung mit Einwilligungsunfähigen kritisch ECK, 175 ff. Deutlich forschungsfreundlicher ist hingegen die Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission, Ziff. 3.1., IV.3. MAGNUS, 24 f.; TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 141 f. LAUFS zit. Richtlinie, 584. Siehe zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Forschung mit Einwilligungsunfähigen nach dem deutschen Grundgesetz auch ECK, 175 ff.; Stellungnahme ZEKO, 11. TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 141. TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 141 f. TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 142.
184
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
2. Regelungen des deutschen Rechts für die Forschung mit Kindern und Jugendlichen a) Arzneimittelgesetz aa) Grundlagen Die Durchführung klinischer Studien mit Arzneimitteln mit Versuchspersonen wird in Deutschland durch das Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) geregelt.652 Zweck des Arzneimittelgesetzes ist die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier. Hierzu sorgt das Gesetz für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel (§ 1 AMG). Die Vorschriften des AMG über die klinische Prüfung von Arzneimitteln beim Menschen (§§ 40 bis 42a) gelten sowohl für die Entwicklung von Arzneimitteln durch die pharmazeutische Industrie wie auch für die Forschung an den Hochschulen oder in anderen Forschungseinrichtungen.653 Seit August 2004 sind die durch das 12. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes654 geänderten §§ 40 ff. AMG sowie die Bestimmungen der neu eingeführten Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-Verordnung) für die Arzneimittelforschung mit Versuchspersonen maßgebend.655 Mit der 12. AMG-Novelle wurde die europäische ArzneimittelRichtlinie 2001/20/EG in nationales Recht umgesetzt.656 Das novellierte AMG hat die äußere Konzeption der Vorschriften zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln der alten AMG-Fassung mehr oder weniger beibehalten.657 Inhaltlich erfuhren die Bestimmungen zur Forschung mit Minderjährigen jedoch erhebliche Änderungen. Ebenso wurde § 42 zum Verfahren vor Ethikkommissionen und dem Genehmigungsverfahren bei der zuständigen Bundesbehörde erneuert.658 Im Zuge der 12. Novellierung wurden die Einzelheiten für eine ordnungsgemäße Durchführung klinischer Arzneimittelprüfungen in der Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung beim Menschen (GCP-Verordnung) festgelegt.659 Die GCP-Verordnung bezweckt die Sicherheit und das Wohlergehen der Versuchspersonen. Sie verlangt die Einhaltung der Guten Klinischen Praxis 652 653 654
655
656
657
658 659
Zur Entstehungsgeschichte siehe KLOESEL/CYRAN, § 40, Rz. 3. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rz. 6. 12. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 30. Juli 2004, BGBl I (2004) 2031. Zum novellierten AMG MAGNUS, 26 ff. Zu Neuerungen in Verbindung mit der 12. AMG-Novelle und der GCP-Verordnung siehe ECKHARD/CREMER-SCHAEFFER/KÖNIG/ PAESCHKE, 173 ff. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rz. 3/§ 41, Rn. 1; KRÜGER, 15. Zur Richtlinie 2001/20/EG siehe oben II.3.a. § 40 AMG enthält die allgemeinen Voraussetzungen und § 41 die besonderen Voraussetzungen der klinischen Prüfung. ECK, 323 ff. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rz. 3; SANDER, § 40, Erl. 1.
IV. Deutsche Rechtsgrundlagen der Humanforschung
185
bei der Planung, Durchführung und Dokumentation klinischer Prüfungen am Menschen. Zudem stellt sie die Berichterstattung über klinische Prüfungen mit Arzneimitteln sicher und sorgt damit für die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse dieser Prüfungen.660 Bei klinischen Prüfungen im Anwendungsbereich des AMG sind neben der GCP-Verordnung zudem die Leitlinien der Kommission bzw. der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMEA)661 und Bekanntmachungen der deutschen Behörden zu berücksichtigen.662 bb) Neuerungen der 12. AMG-Novelle Im Bereich der Arzneimittelforschung mit Minderjährigen hat das am 6. August 2004 in Kraft getretene 12. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes bedeutende Neuerungen gebracht.663 Vor der Novellierung des AMG war Arzneimittelforschung mit Minderjährigen, die den betroffenen Kindern und Jugendlichen keinen unmittelbaren individuellen Nutzen bringt, nicht zulässig.664 Respektive war unklar bzw. Gegenstand unterschiedlicher Auslegung, welches Maß der Indiziertheit665 erforderlich ist.666 Mit der 12. Novelle des AMG wurden die Restriktionen für die Erprobung von Arzneimitteln in Forschungsvorhaben mit Kindern und Jugendlichen etwas gelockert.667 Neu ist gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AMG die Forschung mit einschlägig kranken Kindern möglich, ohne dass die Forschungsmaßnahme dem betroffenen Minderjährigen einen direkten individuellen Nutzen stiften muss.668 Es genügt, wenn die klinische Prüfung für die 660
661
662 663 664
665
666
667
668
§ 1 Abs. 1 GCP-Verordnung. In Abs. 2 wird zudem ausgeführt: „Bei klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln, die aus einem gentechnisch veränderten Organismus oder einer Kombination von gentechnisch veränderten Organismen bestehen oder solche enthalten, bezweckt diese Verordnung darüber hinaus den Schutz der Gesundheit nicht betroffener Personen und der Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge.“ Siehe dazu auch VOLKERS/POLEY-OCHMANN/NÜBLING, 408 ff. Eine Aufzählung von Empfehlungen der Fachausschüsse der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMEA) für die Planung und Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln findet sich bei KLOESEL/CYRAN, § 40 Rn. 9. SANDER, § 40, Erl. 1. LAUFS zit. Richtlinie, 591 ff.; PESTALOZZA, 3376 m.w.H. in Endnote 19. Zur gesetzlichen Regelung der medizinischen Versuche an Kindern und Jugendlichen in Deutschland vor der 12. AMG-Novelle siehe u.a. ECK; FISCHER zit: Minderjährige, 69 ff.; FRÖHLICH, §§ 4–6; PESTALOZZA,3375; WACHENHAUSEN, 117 ff. Siehe dazu auch unten die Ausführungen zur Forschung mit Minderjährigen nach dem Medizinproduktegesetz IV.2.b. Angezeigtheit der Anwendung eines Arzneimittels i.S.v. § 40 Abs. 4 Nr. 2 alt AMG: „[…] nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein, um bei dem Minderjährigen Krankheiten zu erkennen oder ihn vor Krankheiten zu schützen“. Siehe dazu ECK, 84 ff.; FRÖHLICH, 81 ff.; WIESEMANN zit. Bewertung, 73 f. Zur Regelung unter dem revidierten AMG: MAGNUS, 55 ff. Zur klinischen Arzneimittelforschung mit Minderjährigen unter der 12. AMG-Novelle: BOOS zit. Klinische Prüfungen, 530; LAUFS zit. Richtlinie, 2004b, 591 ff.; MÜHLBAUER, 321 sowie kritisch zur Unterscheidung zwischen einschlägig kranken minderjährigen Versuchspersonen und gesunden Probanden: PESTALOZZA, 3374–3379. KLOESEL/CYRAN, § 41, Rn. 17; LAUFS zit. Richtlinie, 591; SANDER, § 41, Erl. 10.
186
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Gruppe der Patienten, die an der gleichen Krankheit leiden wie der betroffene Minderjährige, mit einem direkten Nutzen verbunden ist (§ 41 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 lit. a AMG).669 Diese gruppennützige Forschung mit einschlägig kranken Kindern ist jedoch nur zulässig, wenn die mit ihr verbundenen Belastungen und Risiken minimal sind (§ 41 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 lit. d AMG).670 Dies immer unter der Voraussetzung, dass die Forschung zusätzlich für die Bestätigung von Daten, die bei klinischen Prüfungen an anderen Personen oder mittels anderer Forschungsmethoden gewonnen wurden, unbedingt erforderlich ist und sich auf einen klinischen Zustand bezieht, unter dem der betroffene Minderjährige leidet (§ 41 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 lit. b und c AMG).671 Gemäß der novellierten Bestimmung müssen klinische Prüfungen mit Erwachsenen oder andere Forschungsmethoden keine ausreichenden Prüfungsergebnisse erwarten lassen (§ 40 Abs. 4 Ziff. 2 AMG).672 Die klinischen Prüfungen mit Minderjährigen nach § 40 Abs. 4 AMG dürfen nur durchgeführt werden, wenn sie für den betroffenen Minderjährigen mit möglichst wenig Belastung und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden sind.673 Der Prüfplan muss sowohl den Belastungsgrad wie auch die Risikoschwelle definieren. Diese sind vom Prüfer ständig zu überwachen. Weiterhin unzulässig bleibt gruppennützige Forschung mit gesunden, bzw. nicht einschlägig kranken Kindern. An Minderjährigen ohne eine spezifische Krankheit dürfen gemäß § 40 Abs. 4 AMG Arzneimittel auch nach der neuen Regelung nur dann geprüft werden, wenn ihre Anwendung nach den Erkenntnissen der Wissenschaft indiziert ist, um bei dem betroffenen Minderjährigen Krankheiten zu erkennen (Diagnostika) oder ihn vor Krankheiten zu schützen (Prophylaktika).674 Die 12. AMG-Novelle beendete damit die seit vielen Jahren geführte Diskussion über die Auslegung des Begriffs der Angezeigtheit einer Arzneimittelanwendung, indem in § 40 Abs. 4 Nr. 1 AMG festgehalten wird: „Angezeigt ist das Arzneimittel, wenn seine Anwendung bei dem Minderjährigen medizinisch indiziert ist.“675 Die Frage nach der Zulässigkeit gruppennütziger Forschung mit nicht einschlägig kranken Kindern wird in Kapitel 4 V.3. nochmals aufgenommen. cc) Mitsprachemöglichkeiten minderjähriger Versuchspersonen Nach dem alten wie dem neuen AMG ist bei minderjährigen Versuchspersonen Einwilligung der gesetzlichen Vertreter erforderlich.676 Die Einwilligung der Vertreter eines Kindes ist nur wirksam, wenn diese über das Wesen, die Bedeutung 669
670 671 672 673 674
675 676
KLOESEL/CYRAN, § 41, Rn. 19; KRÜGER, 20 f.; LAUFS zit. Richtlinie, 591; PESTALOZZA, 3377 f. KLOESEL/CYRAN, § 41, Rn. 22; SANDER, § 41, Erl. 10. KLOESEL/CYRAN, § 41, Rn. 20; KRÜGER, 20 f.; MAGNUS, 61 ff.; SANDER, § 41, Erl. 10. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 106/ § 41, Rn. 11; KRÜGER, 21; SANDER, § 40, Erl. 42. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 114. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 105; KRÜGER, 20; SANDER, § 40, Erl. 40 f.; Dazu kritisch PESTALOZZA, 3378. ECK, 325; KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 105. § 40 Abs. 4 Nr. 3; KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 107; KRÜGER, 21; SANDER, § 40, Erl. 43/§ 41, Erl. 8.
IV. Deutsche Rechtsgrundlagen der Humanforschung
187
und Tragweite der klinischen Prüfung aufgeklärt wurden.677 Bei ihrer Entscheidung haben sie sich am mutmaßlichen Willen des Kindes zu orientieren: „[…] Die Einwilligung wird durch den gesetzlichen Vertreter abgegeben, nachdem er entsprechend […] aufgeklärt worden ist. Sie muss dem mutmaßlichen Willen des Minderjährigen entsprechen, soweit ein solcher feststellbar ist […].“ Diese Bindung der gesetzlichen Vertreter an den mutmaßlichen Willen des Kindes wurde von der Richtlinie 2001/20/EG durch die 12. AMG-Novelle neu ins AMG übernommen.678 Die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter hat schriftlich zu erfolgen.679 Gilt ein Kind als im Hinblick auf das medizinische Forschungsvorhaben als urteilsfähig, so ist auch unter dem novellierten AMG neben der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter diejenige des einwilligungsfähigen Kindes einzuholen: „[…] Ist der Minderjährige in der Lage, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und seinen Willen hiernach auszurichten, so ist auch seine Einwilligung erforderlich […].“680 Das Gesetz sieht weiter vor, dass alle an einem Forschungsvorhaben beteiligten Kinder, unabhängig von ihrer Einwilligungsfähigkeit, von Fachpersonen aufgeklärt werden müssen: „[…] Der Minderjährige ist vor Beginn der klinischen Prüfung von einem im Umgang mit Minderjährigen erfahrenen Prüfer über die Prüfung, die Risiken und den Nutzen aufzuklären, soweit dies im Hinblick auf sein Alter und seine geistige Reife möglich ist […]“.681 Den Eltern wie dem Kind ist zudem die Möglichkeit eines Beratungsgesprächs „[…] mit einem Prüfer über die sonstigen Bedingungen der Durchführung der klinischen Prüfung zu geben“. Eine ablehnende Willensäußerung eines Kindes war nach der alten Gesetzesfassung dann zu berücksichtigen, wenn sich das Kind im Hinblick auf den zur Entscheidung stehenden Eingriff zu Forschungszwecken eine eigene Meinung bilden kann, also urteilsfähig ist. Unter dem novellierten AMG in § 40 Abs. 4 Nr. 3 ist der entgegenstehende Wille aller Kinder zu beachten: „[…] erklärt der Minderjährige, nicht an der klinischen Prüfung teilnehmen zu wollen, oder bringt er dies in sonstiger Weise zum Ausdruck, so ist dies zu beachten […]“.682 Dieses Widerspruchsrecht steht gemäß dem novellierten AMG dem Kind unabhängig davon zu, ob es einwilligungsfähig ist oder nicht.683 Der Frage, inwieweit ablehnende Willensäußerungen minderjähriger Versuchspersonen bei medizinischen Forschungsvorhaben beachtlich sind, wird im vierten Kapitel der vorliegenden Untersuchung vertieft nachgegangen.684
677 678
679 680
681 682 683 684
KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 107. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 109. Zur Diskussion um die Aufnahme dieser Formulierung in die novellierte Fassung des AMG siehe MAGNUS, 41. § 40 Abs. 1 Nr. 3 lit. b AMG; KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 107; MAGNUS, 40. Siehe hierzu die Ausführungen von ECK, 325 ff.; KLOESEL/CYRAN, § 40,Rn. 112; KRÜGER, 22. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 110; KRÜGER, 21; SANDER, § 40, Erl. 43. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 111; MAGNUS, 43 ff.; SANDER, § 40, Erl. 43. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 111; MAGNUS, 44 ff.; SANDER, § 40, Erl. 43. Kapitel 4 V.4. f.
188
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
dd) Annäherung an die Biomedizinkonvention des Europarates Es ist bemerkenswert, dass über die Umsetzung der europäischen Richtlinie RL 2001/20/EG in nationales Recht die gruppennützige Arzneimittelforschung mit Minderjährigen ohne einen unmittelbaren, individuellen Nutzen für die betroffenen Kinder in Deutschland zulässig geworden ist. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass Deutschland die Biomedizinkonvention des Europarates gerade wegen der Zulässigkeit der fremdnützigen Forschung mit Nichteinwilligungsfähigen bis heute nicht unterzeichnet hat.685 In diesem Zusammenhang ist interessant, dass mit der Umsetzung der Arzneimittelrichtlinie ins deutsche Recht zugleich Elemente der Biomedizinkonvention Eingang ins Arzneimittelgesetz gefunden haben. Beispielsweise hat sich der deutsche Gesetzgeber im Hinblick auf das Maß der zulässigen Risiken und Belastungen bei der gruppennützigen Forschung mit Minderjährigen an der Biomedizinkonvention und dem Forschungsprotokoll des Europarates, und nicht an der europäischen Arzneimittelrichtlinie orientiert. Im Zusammenhang mit den zulässigen Risiken und Belastungen statuiert die Arzneimittelrichtlinie in Art. 4 lit. g für die Forschung mit Minderjährigen eine relative Grenze. Diese besagt, dass eine klinische Prüfung im Verhältnis zur Erkrankung und zum Entwicklungsstadium des betroffenen Minderjährigen „mit möglichst wenig Schmerzen, Beschwerden, Angst und anderen vorhersehbaren Risiken“ verbunden sein soll. Bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht hat der deutsche Gesetzgeber in Bezug auf diese Regelung von seiner Möglichkeit Gebrauch gemacht, im nationalen Recht ein höheres Schutzniveau vorzusehen. Bei der Festlegung der Belastungsgrenze für gruppennützige Forschung mit Kindern hat sich der deutsche Gesetzgeber an der entsprechenden Regelung der Biomedizinkonvention und des Forschungsprotokolls orientiert, die mit dem Terminus „ein minimales Risiko und eine minimale Belastung“ eine absolute Schranke setzen.686 Entsprechend findet sich in § 41 Abs. 2 Nr. 2 lit. d des novellierten AMG die Formulierung: „die Forschung darf für die betroffene Person nur mit einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung verbunden sein […]“. ee) Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass nach geltendem deutschem Recht die Arzneimittelforschung mit Kindern nur im Rahmen klinischer Studien möglich ist, in denen auch das Anwendungsgebiet für die zu prüfende Substanz liegt und der mögliche direkte Nutzen für die minderjährigen Versuchspersonen bzw. für die Gruppe minderjähriger Patienten, die an der gleichen Krankheit leiden, zum Tragen kommt.687 Nicht möglich ist der Einbezug Minderjähriger in klinische Arzneimittelstudien zur Grundlagenforschung, da von dieser rein wissenschaftlichen Forschung kein potenzieller direkter Nutzen für die betroffenen Minderjährigen
685 686
687
Dazu u.a. BERNAT zit. Forschung, 99 ff.; FEGERT/KÖLCH/LIPPERT, 449 f. Art. 17 Abs. 2 Ziff. ii Biomedizinkonvention; Art. 15 Abs. 2 Ziff. ii i.V.m. Art. 17 Forschungsprotokoll. Siehe dazu auch SPRECHER zit. Forschung, 156 ff. BOOS zit. Klinische Prüfungen, 532.
IV. Deutsche Rechtsgrundlagen der Humanforschung
189
oder für andere einschlägig kranke Minderjährige der gleichen Gruppe zu erwarten ist.688 Die mit der 12. AMG-Novelle eingeführten Änderungen und Neuerungen in der Arzneimittelforschung mit Minderjährigen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese gelockerten Restriktionen nur für die Forschung mit Arzneimitteln gelten. Für die medizinische Forschung mit Minderjährigen in allen anderen Bereichen gelten im deutschen Recht weiterhin – sofern Regelungen bestehen – restriktivere Vorgaben. Dies zeigen die nachfolgenden Ausführungen zum Medizinproduktegesetz, zur Strahlenschutzverordnung sowie zur Röntgenverordnung. b) Medizinproduktegesetz Wie das Arzneimittelgesetz kennt auch das Medizinproduktegesetz689 eine Sonderregel für die Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen. Das Medizinproduktegesetz regelt die klinische Prüfung von Medizinprodukten bei Minderjährigen in § 20 Abs. 4. Die Regelungen des MPG zur Forschung mit Minderjährigen entsprechen den (restriktiven) Vorgaben zur Forschung am Minderjährigen in § 40 der Fassung des Arzneimittelgesetzes von 1994. Diese Vorgaben erlauben Forschung mit nicht einschlägig kranken Kindern und Jugendlichen nur dann, wenn das betreffende Medizinprodukt der Erkennung (Diagnose) oder Verhütung (Prophylaxe) von Krankheiten der minderjährigen Versuchspersonen dient. Zudem darf eine Prüfung mit erwachsenen Versuchspersonen nach Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft keine auf Minderjährige übertragbare Prüfungsergebnisse erwarten lassen. Verlangt werden bei nicht einschlägig kranken Kindern demnach sowohl ein Gruppennutzen wie ein potenzieller direkter Nutzen für das betroffene Kind.690 Mit einschlägig kranken Kindern ist Forschung mit Medizinprodukten dann zulässig, wenn die Anwendung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt ist, um das Leben des kranken Kindes zu retten, seine Gesundheit wiederherzustellen oder sein Leiden zu erleichtern. Damit ist gemäß MPG therapeutische Forschung mit einem potenziellen direkten Nutzen für die betroffenen Kinder zulässig. Nicht erlaubt ist hingegen Forschung mit Medizinprodukten, die lediglich mit einem gruppenspezifischen Nutzen für die minderjährigen Versuchspersonen verbunden ist.691 Hinsichtlich der Einwilligung verlangt das MPG bei Versuchen mit minderjährigen Versuchspersonen die schriftliche Einwilligung der „gesetzlichen Vertreter oder Betreuer“ nach hinreichender Aufklärung.692 Ist ein Kind in der Lage, „Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung einzusehen und seinen Willen hiernach zu bestimmen, so ist auch seine schriftliche Einwilligung erforderlich“.693 Mitsprache- und Vetorechte urteilsunfähiger Minderjähriger sieht das MPG nicht vor. Insgesamt gelten für die 688
689 690 691 692 693
KRÜGER, 20. Auf die Zulässigkeit der gruppennützigen Forschung mit nicht einschlägig kranken Kindern wird in Kapitel 4 unter V.3. vertieft eingegangen. Zum MPG im Allgemeinen auch FRÖHLICH, 88 ff. TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 152. TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 152. § 20 Abs. 4 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 MPG. § 20 Abs. 4 Nr. 4 MPG.
190
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Medizinprodukteforschung mit minderjährigen Versuchspersonen restriktivere Regelungen als für die Arzneimittelforschung mit Kindern und Jugendlichen nach dem novellierten Arzneimittelgesetz. c) Strahlenschutzverordnung und Röntgenverordnung Die Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung, StrlSchV) und die Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung, RöV) knüpfen an die Geschäftsfähigkeit der Versuchspersonen an. Im Gegensatz zum Medizinproduktegesetz und dem Arzneimittelgesetz enthalten die StrlSchV und die RöV keine Sonderregeln für Minderjährige. Wissenschaftliche Versuche mit radioaktiven Stoffen und Strahlen sowie mit Röntgenstrahlen an geschäftsunfähigen und beschränkt geschäftsfähigen Versuchspersonen sind nicht zulässig.694 Heilversuche mit radioaktiven Stoffen und Strahlen sowie Röntgenstrahlen an Minderjährigen sind zulässig, da sie zur Ausübung des ärztlichen Berufes gehören.695 Wie das AMG und das MPG verlangen auch die StrlSchV und die RöV die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter oder Betreuer nach Aufklärung. Sofern die beschränkt geschäftsfähige oder geschäftsunfähige Person in der Lage ist, Bedeutung und Tragweite der Anwendung einzusehen und ihren Willen hiernach zu richten, ist zusätzlich deren persönliche Einwilligung erforderlich.696
3. Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission Die Zentrale Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission, ZEKO) bei der Bundesärztekammer697 hat im Jahre 2004 eine Stellungnahme zur Forschung mit Minderjährigen abgegeben. Das Dokument analysiert die rechtliche Situation in Deutschland und enthält Empfehlungen der Kommission zum ethischen und rechtlichen Rahmen der medizinischen Forschung mit Minderjährigen.
694 695
696 697
§ 88 Abs. 4 StrlSchV; § 28d Abs. 4 RöV. Siehe dazu FRÖHLICH, 61 ff., zur Strahlenschutzverordnung insb. 92 ff.; TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 145. § 88 Abs. 4 Nr. 3 StrlSchV; § 28d Abs. 4 Nr. 3 RöV. Die ZEKO ist ein 1994 vom Vorstand der Bundesärztekammer gegründetes Organ zur Beratung ethischer Grundsatzfragen. Heute repräsentieren 16 Mitglieder die wissenschaftlichen Fachgebiete Medizin, Natur-, Sozial- und Rechtswissenschaften, Philosophie und Theologie. Sie werden für eine Amtsperiode von drei Jahren vom Vorstand der Bundesärztekammer berufen. Die Aufgabe der ZEKO besteht in der Beurteilung grundsätzlicher ethischer Fragen, die durch den medizinischen Fortschritt und technologische Entwicklungen in der Medizin und ihren Grenzgebieten aufgeworfen werden, die Beurteilung ethischer Fragen, die für die Pflichten bei der Ausübung des ärztlichen Berufes von großer Bedeutung sind, und die Erarbeitung ergänzender Beurteilungen zu ethischen Grundsatzfragen.
IV. Deutsche Rechtsgrundlagen der Humanforschung
191
Die ZEKO kommt darin zum Schluss, dass Forschung mit Minderjährigen eine Notwendigkeit ist.698 Sie weist jedoch darauf hin, dass in Deutschland die Grenzen medizinischer Forschung mit Minderjährigen in vielen Bereichen unklar sind und nur einige Spezialgesetze explizite Regelungen enthalten. Da Forschung mit Minderjährigen im hohen Maße deren Grundrechtspositionen betrifft, seien die bestehenden Rechtsgrundlagen nicht ausreichend.699 Zudem stellt die ZEKO fest, dass die unvollständige einfachgesetzliche Rechtslage stellenweise strenger ist, als dies verfassungsrechtlich erforderlich wäre. Die ZEKO fordert daher vom Gesetzgeber die Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Lage und die Regelung der Voraussetzungen, Verfahren und der wesentlichen Maßstäbe der Entscheidung über die Forschung mit Minderjährigen.700 Für die Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen nennt die ZEKO folgende leitende ethische Grundsätze701: − Minderjährige sind in jeder Phase ihrer Entwicklung Personen, deren genuine Interessen als Altersgruppe und als Individuen akzeptiert und im besonderen Maße geschützt werden müssen. − Der wissenschaftliche Fortschritt darf Minderjährigen nicht vorenthalten werden. − Dazu ist Forschung mit Minderjährigen notwendig, die im Rahmen ethischer Normen und unter bestimmten Voraussetzungen gefördert, geprüft und durchgeführt wird. − Forschungsvorhaben mit Minderjährigen dürfen nur dann durchgeführt werden, wenn ihre Fragestellung durch vergleichbare Studien bei Erwachsenen nicht oder nur unzureichend beantwortet werden kann. − Forschungsvorhaben, die nicht dem Nutzen des minderjährigen Patienten oder Probanden dienen, sind nicht grundsätzlich unethisch. Dafür gelten jedoch besonders strenge Schutzkriterien (Nutzen-Risiko-Abwägung innerhalb bestimmter Grenzen). Große Bedeutung misst die ZEKO der Beteiligung minderjähriger Versuchspersonen an Entscheidungen über ihre Versuchsteilnahme bei. Die Berücksichtigung der persönlichen Eigenschaften eines Minderjährigen sowie seiner individuellen Belastbarkeit erachtet sie dabei als entscheidend.702 Die ZEKO bezeichnet die Einwilligung der Eltern als unverzichtbar, der Minderjährige solle aber „seinem Verständnis gemäß so weit wie möglich in die Entscheidungsfindung“ einbezogen werden. Willensäußerungen wie Irritationen, Abwehr, Angst im situativen Kontext der Durchführung eines Forschungsvorhabens „sollten als Abbruchkriterien definiert werden“.703 Die ZEKO kommt in ihrer Stellungnahme zu folgendem Schluss: „Es ist ethisch geboten, für Minderjährige sichere und wirksame Arzneimittel und Thera698 699 700 701 702 703
Stellungnahme ZEKO, 6, Ziff. 2.2. Stellungnahme ZEKO, 14. Stellungnahme ZEKO, 16, Ziff. 4.1. Stellungnahme ZEKO, 5 f., Ziff. 2. Stellungnahme ZEKO, 6. Stellungnahme ZEKO, 17 f., Ziff. 4.4 und 4.8.
192
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
pien zu entwickeln. Dabei muss der Minderjährige vor körperlichen und psychischen Schäden geschützt werden. Das schließt aber nicht aus, dass Minderjährige an Forschungen beteiligt werden, die mit niedrigen Risiken und Belastungen verbunden sind. Dabei ist neben der Einwilligung der Eltern der Wille und das Wohl des Minderjährigen altersgemäß zu berücksichtigen.“704
4. Vergleich mit dem schweizerischen Heilmittelrecht Während sich im schweizerischen Recht keine spezifischen Gesetzesbestimmungen zur Forschung mit Kindern und Jugendlichen finden, kennt das deutsche Recht die Unterscheidung zwischen erwachsenen urteilsunfähigen Versuchspersonen und minderjährigen Versuchspersonen. Im schweizerischen Heilmittelrecht ist grundsätzlich die Urteilsfähigkeit der Versuchspersonen das maßgebende Kriterium. Wobei Minderjährige – unabhängig davon, ob sie urteilsfähig sind oder nicht – den Regelungen zur medizinischen Forschung mit besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen unterstellt werden. Spezifische Normen für die medizinische Forschung mit Minderjährigen finden sich im deutschen Recht im Arzneimittelgesetz und im Medizinproduktegesetz. Im Gegensatz zur Schweiz, die den Umgang705 mit Arzneimitteln und Medizinprodukten in einem Rechtserlass regelt, sieht das deutsche Recht für Arzneimittel und Medizinprodukte je ein eigenes Gesetz mit unterschiedlichen Vorschriften zur Forschung mit Minderjährigen vor. Das deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukterecht unterscheidet nicht nur zwischen minderjährigen und erwachsenen Versuchspersonen, sondern sieht zudem unterschiedliche Regelungen für die Forschung mit gesunden und (einschlägig) kranken Versuchspersonen vor.706 Auf eine solche Einteilung der Versuchspersonen wurde im schweizerischen Heilmittelgesetz bewusst verzichtet.707 Auf
704
705
706
707
Stellungnahme ZEKO, 16, Ziff. 4. Diese Schlussfolgerung wird in Ziff. 4.1. bis 4.10 mit Empfehlungen konkretisiert. „Umgang“ bezeichnet insbesondere die Herstellung und das Inverkehrbringen von Heilmitteln, Art. 2 Abs. 1 lit. a. i.V.m. Art. 4 Abs. 1 lit. c. und d. HMG. SANDER, § 40, Erl. 40; Gruppennützige Forschung mit Minderjährigen ist unter dem AMG nur mit einschlägig kranken Kindern zulässig. MAGNUS, 63 f. Botschaft HMG, 3535: „Eine begriffliche Unterscheidung zwischen Versuchspersonen als gesunde Freiwillige (Probandinnen und Probanden), die an einem Versuch ‚ohne eigenen Nutzen’ teilnehmen und Patientinnen und Patienten, die ‚in eigenem Nutzen’ in die Prüfungen einbezogen werden, wird in den Bestimmungen über die klinischen Versuche aus folgenden Gründen nicht vorgenommen: Die Tatsache, dass ein Heilmittel Gegenstand eines klinischen Versuchs bildet, indiziert das Vorhandensein einer Ungewissheit hinsichtlich der erwarteten Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Ziel und Zweck der Durchführung von klinischen Versuchen ist gerade die Ausräumung dieser Ungewissheit. Ein therapeutischer Nutzen eines sich im Versuchsstadium befindenden Heilmittels kann nicht garantiert werden. Zentrales Element, das bei der Gewährleistung des Schutzes der Versuchspersonen in Betracht gezogen werden muss, ist nicht etwa der Umstand, dass es sich um gesunde oder kranke Personen handelt, sondern aus-
IV. Deutsche Rechtsgrundlagen der Humanforschung
193
diese Besonderheit des schweizerischen HMG wird im vierten Kapitel unter V.3. näher eingegangen. Im Hinblick auf das Zustimmungserfordernis der gesetzlichen Vertreter verlangen sowohl die deutschen wie die schweizerischen Regelungen bei der Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen in jedem Fall die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter. Sowohl das schweizerische HMG wie auch das deutsche AMG verlangen bei urteilsfähigen Minderjährigen ihre Einwilligung zusätzlich zu derjenigen ihrer gesetzlichen Vertreter. Bei der Berücksichtigung allfälliger ablehnenden Verhaltensweisen und Äußerungen von minderjährigen Versuchsteilnehmern – unabhängig von ihrer Urteilsfähigkeit – sehen sowohl das HMG wie das AMG vor, dass diese zu beachten sind.708 Das MPG kennt keine vergleichbare Regelung zur Beachtlichkeit von zustimmenden und ablehnenden Willensäußerungen minderjähriger Versuchspersonen. Wie sich die Regelungen des HMG und des AMG hinsichtlich der Berücksichtigung von Willensäußerungen minderjähriger Versuchspersonen im Detail unterscheiden, wird im nachfolgenden vierten Kapitel unter V.4. und V.5. näher untersucht. Das AMG schreibt vor, dass minderjährige Versuchsteilnehmer vor Beginn einer klinischen Prüfung „von einem im Umgang mit Minderjährigen erfahrenen Prüfer“ über die Prüfung, die Risiken und den Nutzen aufzuklären sind, soweit dies im Hinblick auf das Alter und die Reife des betreffenden Kindes möglich ist.709 Auch soll jedem minderjährigen Versuchsteilnehmer (wie auch seinen gesetzlichen Vertretern) die Möglichkeit zu einem Beratungsgespräch mit dem Prüfer (§ 40 Abs. 2 Satz 2 AMG) offenstehen.710 Zudem muss gemäß § 40 Abs. 5 AMG von der jeweils zuständigen Bundesbehörde eine Kontaktstelle eingerichtet werden, bei der sich die Versuchspersonen und ihre Vertreter über alle „Umstände, denen eine Bedeutung für die Durchführung einer klinischen Prüfung beizumessen ist“, informieren können.711 Diese Regelungen dienen nicht nur der Wahrung der Persönlichkeitsrechte minderjähriger Versuchspersonen, sondern auch der Transparenz und Qualität der medizinischen Forschung. Die schweizerische Gesetzgebung zur klinischen Forschung kennt keine vergleichbaren Vorschriften. Umso bedauerlicher ist es, dass auch der Vorentwurf für ein Bundesgesetz über die Forschung am Menschen keine mit den Regelungen des deutschen AMG vergleichbaren Aufklärungs- und Informationsrechte und -pflichten vorsieht.
708
709 710 711
schließlich die Tatsache, ob ein klinischer Versuch einen therapeutischen Zweck verfolgt oder nicht.“ Zur Beachtlichkeit ablehnender Verhaltensweisen und Willensäußerungen siehe auch hinten Kapitel 4 V.4. f. So auch Art. 4 lit. b RL 2001/20/EG. Siehe dazu KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 110, 113. § 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG. KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 116; SANDER, § 40, Erl. 46.
194
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
5. Zusammenfassung Wie das schweizerische Recht kennt auch das deutsche Recht keine umfassende Regelung der Humanforschung. In den nicht durch spezialgesetzliche Normen geregelten Bereichen der Humanforschung muss demzufolge auf Vorgaben des Grundgesetzes sowie Bestimmungen des allgemeinen Vertrags- und Deliktrechts, des allgemeinen Straf- und Verwaltungsrechts sowie des Persönlichkeits- und Familienrechts zurückgegriffen werden. Im Hinblick auf die Spezialgesetze, insbesondere das Arzneimittelgesetz, ist jedoch im Vergleich mit der schweizerischen Rechtsordnung hervorzuheben, dass das deutsche Recht für die Forschung mit Minderjährigen eigene Regelungen aufstellt. Ein eingehender Vergleich der Regelungen des schweizerischen Heilmittelgesetzes und deutschen Arzneimittelgesetzes erfolgt im vierten Kapitel der vorliegenden Abhandlung unter V.
V. Grundsätze für die medizinische Forschung mit Minderjährigen Die obigen Ausführungen zu den internationalen und nationalen Regelungen und Empfehlungen zur Forschung mit Versuchspersonen im Allgemeinen und zur Forschung mit Kindern und Jugendlichen im Besonderen zeigen auf, dass die Materie nicht abschließend geregelt ist. Vielmehr werden sowohl die beteiligten Kinder, ihre gesetzlichen Vertreter wie auch die behandelnden und forschenden Ärzte mit Rechtsunsicherheiten konfrontiert. Soweit auf nationaler und internationaler Ebene spezifische Normen zur Forschung mit Minderjährigen bestehen, lassen sich neben Unterschieden auch Gemeinsamkeiten feststellen. Allerdings sind bei einem Vergleich der verschiedenen Normen und Empfehlungen ihre unterschiedliche Zwecksetzung und ihre verschiedenartige Rechtsnatur zu berücksichtigen. Insbesondere ist zu beachten, dass die einzelnen Normen den Schutz von minderjährigen Versuchsteilnehmern unterschiedlich regeln. Während beispielsweise das deutsche Arzneimittelgesetz und die Helsinki Deklaration Sonderregelungen an die Minderjährigkeit der Versuchspersonen anknüpfen, stellen die Biomedizinkonvention sowie das Schweizer Heilmittelgesetz primär auf deren Einwilligungsfähigkeit ab. Dennoch lassen sich aus der Gesamtheit der nationalen und internationalen Normen und Empfehlungen – unter Berücksichtigung ihrer beschränkten Vergleichbarkeit – übereinstimmende Grundsätze feststellen, die einen minimalen internationalen Konsens über die Zulässigkeitsvoraussetzungen und Grenzen der medizinischen Forschung mit Kindern und Jugendlichen bilden. MANAÏ betont die Einzigartigkeit dieser Internationalisierung der rechtlichen und ethischen Grundprinzipien der Humanforschung.712 Nachfolgend werden die wichtigsten Grundsätze kurz zusammengefasst:
712
MANAÏ, 499 m.w.H.
V. Grundsätze für die medizinische Forschung mit Minderjährigen
195
a) Subsidiarität Vorrangig ist der Grundsatz der Subsidiarität der Forschung mit einwilligungsunfähigen Personen im Allgemeinen und mit Minderjährigen im Besonderen.713 Da Kinder weit über ihre ersten Lebensjahre hinaus auf Fürsorge und Betreuung angewiesen sind, sind sie besonders schutzbedürftig. Diese Schutzbedürftigkeit widerspiegelt sich in der medizinischen Forschung im Subsidiaritätsprinzip.714 Diesem zufolge ist die medizinische Forschung mit Kindern nur dann zulässig, wenn die angestrebten Erkenntnisse nicht durch Forschung mit erwachsenen, voll einwilligungsfähigen Versuchspersonen gewonnen werden können.715 Experimente mit Kindern sind auf kindertypische Beschwerden zu beschränken.716 Zudem verlangt das Subsidiaritätsprinzip, dass Neugeborene, Babys und jüngere Kinder erst dann in Forschungsvorhaben einbezogen werden sollen, wenn die gewünschten Daten und Ergebnisse nicht durch Forschungsuntersuchungen mit älteren Kindern erlangt werden können.717 Das Subsidiaritätsprinzip verlangt weiter, dass das Maß an Forschung mit Kindern und Jugendlichen auf das unbedingt erforderliche beschränkt wird. Unnütze Versuche (wissenschaftlich nicht begründete oder sich wiederholende Forschungsvorhaben) mit Minderjährigen sind unzulässig und müssen durch geeigneten Koordinations- und Kontrollmaßnahmen verhindert werden.718 b) Einwilligung nach Aufklärung Der Grundsatz der freien Einwilligung der Betroffenen nach ausreichender Aufklärung und das Recht, diese jederzeit zu widerrufen, ist in sämtlichen nationalen und internationalen Normen enthalten.719 Die freie und aufgeklärte Einwilligung bildet das zentrale Kriterium zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Versuchspersonen.720
713
714
715 716 717 718 719 720
MANAÏ, 520. Siehe auch JUNOD, 383 ff. JUNOD verweist darauf, dass dem Subsidiaritätsprinzip in der Forschung mit Kindern in den USA nicht die gleiche Bedeutung zukommt wie in Europa. Vielmehr gelte in den USA der Grundsatz, dass je mehr Kinder systematisch in Studien eingeschlossen werden, desto mehr Daten können gewonnen werden, die sodann zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung aller Kindern eingesetzt werden können. Zum Subsidiaritätsprinzip und dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit in der Humanforschung siehe auch MANAÏ, 503 ff. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 698. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 698. Siehe dazu MONTGOMERY, 174. LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 130, Rn. 12. MANAÏ, 33 ff.; SPRUMONT, 68 ff. m.w.H. Zur Einwilligung der Versuchspersonen als forschungslegitimierende Instanz: MAIO zit. Ethik, 59 ff.; MANAÏ, 509 ff. Zur Aufklärung und Einwilligung im Allgemeinen und im Kontext der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen im Besonderen siehe die Ausführungen in Kapitel 4 II.
196
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
c) Einwilligung der gesetzlichen Vertreter Eine weitere international anerkannte Voraussetzung für die Zulässigkeit medizinischer Forschungsvorhaben mit Minderjährigen ist die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter. Diese müssen vor der Erteilung ihrer Einwilligung umfassend aufgeklärt werden.721 d) Widerrufbarkeit der Einwilligung In Verbindung mit dem Erfordernis der aufgeklärten Einwilligung steht das Recht der Versuchspersonen, ihre Einwilligung jederzeit und ohne negative Folgen sowie ohne Angabe von Gründen widerrufen zu können.722 Trotz Einigkeit über den Grundsatz der Widerrufbarkeit besteht bei den nationalen und internationalen Normen und Empfehlungen keine Übereinstimmung darin, ob die Versuchspersonen über ihre Rechte aufgeklärt werden müssen.723 e) Nutzen-Risiko-Abwägung Ein zentrales Legitimationskriterium der Forschung mit Versuchspersonen ist ein vertretbares Verhältnis von Risiko und Nutzen.724 Stehen die Risiken eines medizinischen Erprobungshandelns in einem Missverhältnis zu einem möglichen Nutzen, so sind diese Risiken ärztlich nicht vertretbar und das Forschungsvorhaben darf nicht durchgeführt werden.725 Ist ein Eingriff mit einem hohen individuellen Nutzen des Betroffenen verbunden, kann unter Umständen ein hohes Risiko in Kauf genommen werden. Bei Eingriffen, die vorrangig dem Gemeinwohl dienen (nicht therapeutische Forschungsvorhaben), dürfen die Risiken für den Betroffenen nur minimal und der Nutzen für das Gemeinwohl muss besonders groß sein.726 f) Minimales Risiko und minimale Belastung Sofern die Forschung ohne einen potenziellen direkten Eigennutzen mit Minderjährigen überhaupt zulässig ist, beschränkt der überwiegende Teil der Regelungen die zulässigen Risiken und Belastungen auf ein minimales Niveau.727 Damit wird
721
722 723 724
725 726 727
TAUPITZ zit. Regeln, 63. Mit der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter in eine medizinische Behandlung Minderjähriger sowie in eine Teilnahme an einem medizinischen Forschungsvorhaben sowie mit der Einwilligungsbefugnis urteilsfähiger Minderjähriger befasst sich insbesondere das vierte Kapitel der vorliegenden Arbeit. JUNOD, 366 ff. TAUPITZ zit. Regeln, 56. Zum therapeutischen Nutzen als forschungsleitende Instanz: MAIO zit. Ethik, 74 ff. Zur Verhältnismäßigkeit von Nutzen und Risiken in der Forschung: MANAÏ, 504 ff.; SPRUMONT, 78 ff. TAUPITZ zit. Schutzmechanismen, 18. TAUPITZ zit. Patienten, 127. So beispielsweise § 41 Abs. 2 Nr. 2 lit. d AMG; CIOMS-Guideline 9; Art. 17 Abs. 2 Ziff. i, ii Biomedizinkonvention; Stellungnahme ZEKO, 17, Ziff. 4.6. Zur schwierigen Definition von Risiken in der medizinischen Forschung: MAIO zit. Ethik, 88 ff.
V. Grundsätze für die medizinische Forschung mit Minderjährigen
197
für die zulässigen Risiken der nicht therapeutischen Forschung mit Minderjährigen eine absolute Grenze gesetzt. Einzig die europäische Arzneimittelrichtlinie statuiert bei der fremdnützigen Forschung mit Minderjährigen eine relative Belastungsgrenze.728 Diese legt die zulässigen Risiken und Belastungen unter Berücksichtigung des Entwicklungsstadiums und der Erkrankung der betroffenen Minderjährigen fest. Die Richtlinie verlangt dabei, dass klinische Prüfungen so geplant werden, dass sie für den betroffenen Minderjährigen mit möglichst wenig Schmerzen, Beschwerden, Angst und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden sind. g) Votum einer Ethikkommission Sämtliche untersuchten nationalen und internationalen Regelungen kennen das Erfordernis der vorgängigen Prüfung von Forschungsvorhaben durch ein unabhängiges, wenn möglich interdisziplinär zusammengesetztes Gremium (Ethikkommission).729 Nicht einheitlich geregelt ist hingegen, ob ein zustimmender Entscheid einer Ethikkommission erforderlich ist oder ob ein Votum an sich, also auch ein ablehnendes Votum, ausreicht.730
2. Zusammenspiel verschiedener Schutzkriterien In der medizinischen Humanforschung im Allgemeinen und in der medizinischen Forschung mit Minderjährigen im Besonderen genügt die Erfüllung nur eines einzelnen Schutzkriteriums nicht, um ein Forschungsvorhaben rechtsgültig durchführen zu können. Beispielsweise reicht die freie und aufgeklärte Einwilligung einer Versuchsperson in ihre Teilnahme an einem Forschungsvorhaben – trotz der zentralen Bedeutung des Informed consent-Grundsatzes – alleine nie aus.731 In besonderem Maße gilt dies für die Forschung mit Minderjährigen: Der Schutz minderjähriger Versuchspersonen wird stets durch ein Zusammenspiel verschiedener Schutzkriterien sichergestellt. Gemäß TAUPITZ lassen sich drei Gruppen von Schutzkriterien unterscheiden. Zur ersten Gruppe gehören Schutzkriterien objektiver Natur, zur zweiten solche, die auf das individuelle Selbstbestimmungsrecht der Versuchspersonen ausgerichtet sind. Die dritte Gruppe umfasst verfahrensförmige Sicherungen.732 Zu den objektiven Schutzkriterien gehören beispielsweise die Festlegung des zulässigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses einer Forschungsmaßnahme oder das Verbot der rein wissenschaftlichen Forschung mit nicht einwilligungsfähigen 728
729 730 731 732
Art. 4 lit. g RL 2001/20/EG: „[…] die klinischen Prüfungen so geplant sind, dass sie unter Berücksichtigung der Erkrankung und des Entwicklungsstadiums mit möglichst wenig Schmerzen, Beschwerden, Angst und anderen vorhersehbaren Risiken verbunden sind; sowohl die Risikoschwelle als auch der Belastungsgrad müssen eigens definiert und ständig überprüft werden“. MANAÏ, 508 f. TAUPITZ zit. Regeln, 57. MANAÏ, 519. TAUPITZ zit. Schutzmechanismen, 21 ff.
198
Kapitel 3: Rechtsgrundlagen der Forschung mit Minderjährigen
Versuchspersonen. Ein Schutzkriterium zugunsten des individuellen Selbstbestimmungsrechts der Versuchspersonen ist bei der Forschung mit Minderjährigen das Erfordernis der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter und die Informations-, Mitsprache- und Zustimmungsrechte des Kindes. Zu den verfahrensförmigen Sicherheiten wird u.a. das Erfordernis der Zustimmung einer Ethikkommission gezählt.733 Die drei verschiedenen Gruppen von Schutzkriterien wirken kumulativ zusammen. Es trägt demnach kein Kriterium alleine die gesamte Schutz- und Rechtfertigungslast. Vielmehr betont TAUPITZ die Wichtigkeit des Zusammenwirkens der verschiedenen Kriterien und nennt folgende sieben Funktionen des Zusammenwirkens: Die Kriterien ergänzen sich, sie dienen der gegenseitigen Realisierung, Verstärkung und Sicherung, sie kontrollieren sich gegenseitig, verfügen über eine Erinnerungs- und Bewusstmachungsfunktion und helfen bei der Beweissicherung.734 Für die Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Personen gelten zusätzliche Schutzkriterien.735 So reicht beispielsweise die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters alleine nicht aus, um die Teilnahme eines Kindes an einem Forschungsvorhaben rechtsgültig zu ermöglichen.736 Vielmehr bedarf es zusätzlich der Prüfung des Vorhabens und der Zustimmung einer Ethikkommission. Auch sind die Informations-, Mitsprache- und Zustimmungsrechte des betroffenen Kindes zu wahren und zu beachten. Im Weiteren beinhalten die objektiven Schutzkriterien absolute Schranken, die auch mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, der Ethikkommission und des betroffenen Minderjährigen nicht überschritten werden können. So sind gesundheitsschädigende oder gar lebensgefährliche Humanexperimente per se unzulässig und können durch keine Form der Einwilligung gerechtfertigt werden. Selbst die Patientenautonomie erfährt durch die absoluten Grenzen der objektiven Schutzkriterien eine Begrenzung, da die Menschenwürde „überwiegend auch als objektivrechtliches Gut angesehen wird, das nur in beschränktem Ausmaß zur individuellen Disposition steht“.737
733 734 735 736 737
TAUPITZ zit. Schutzmechanismen, 22. TAUPITZ zit. Schutzmechanismen, 22 ff. TAUPITZ zit. Schutzmechanismen, 26 f. TAUPITZ zit. Schutzmechanismen, 25. TAUPITZ zit. Schutzmechanismen, 25.
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen in der medizinischen Forschung
I. Einleitung Das vierte Kapitel der vorliegenden Abhandlung ist den Persönlichkeitsrechten von Kindern und Jugendlichen im medizinischen Kontext gewidmet. Ausgangspunkt bilden Ausführungen zu den Persönlichkeitsrechten von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen. Daran schließt sich eine Darstellung der besonderen Rechtsstellung von Kindern und Jugendlichen an. Auf diesen Grundlagen aufbauend werden anschließend die Persönlichkeitsrechte Minderjähriger im Rahmen medizinischer Behandlungen untersucht. Der letzte Abschnitt des vierten Kapitels befasst sich mit den Persönlichkeitsrechten von Kindern und Jugendlichen in der medizinischen Forschung. Eine Zusammenfassung sowie ein Katalog von Forderungen beschließen die vorliegende Untersuchung.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen Weder das geltende schweizerische noch das deutsche Recht kennen spezifische Normen für ärztliche Eingriffe.1 Vielmehr sind die vielfältigen Pflichten von behandelnden und forschenden Ärzten sowie die Rechte der Patienten und Versuchspersonen sowie deren Vertretern fragmentarisch in einzelnen Normen des öffentlichen wie des privaten Rechts enthalten. Teilweise wurden sie auch erst durch die Rechtsprechung entwickelt. Daneben beeinflussen Normen des Völkerrechts, das Recht der Europäischen Union sowie ethische und standesrechtliche Normen die nationale Rechtssetzung und -auslegung im Bereich des Medizinrechts.
1
Beispielsweise enthält das OR im Teil der einzelnen Vertragsverhältnisse keine Bestimmungen zu einem „Arztvertrag“. Auch im ZGB finden sich keine Bestimmungen, welche die Einwilligung in medizinische Behandlungen regeln. Im Entwurf für eine Totalrevision des Vormundschaftsrechts sind neue Regelungen zur Vertretung urteilsunfähiger Personen bei medizinischen Maßnahmen sowie Bestimmungen zur Patientenverfügung vorgesehen. Siehe dazu die Ausführungen unter II.3. Zum deutschen Recht siehe WÖLK zit. minderjähriger Patient, 80.
200
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Der nachfolgende erste Teil des vierten Kapitels befasst sich mit den Persönlichkeitsrechten von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen. In einem ersten Schritt wird die Rechtsnatur medizinischer Eingriffe untersucht sowie dem Begriff der Persönlichkeitsrechte und ihrer Bedeutung im medizinischen Kontext nachgegangen. Im Anschluss daran wird die bereits im dritten Kapitel erwähnte Totalrevision des schweizerischen Vormundschaftsrechts vor- und dargestellt. Es folgt die Darstellung der ärztlichen Aufklärung und Einwilligung der Patienten bei medizinischen Eingriffen sowie der Besonderheiten von Aufklärung und Einwilligung bei Eingriffen zu Forschungszwecken. Den Abschluss bilden kritische Anmerkungen zum Grundsatz der informierten Einwilligung.
1. Die Rechtsnatur medizinischer Eingriffe Wie bereits in Kapitel 2 ausgeführt,2 umfasst die ärztliche Behandlung „alle Eingriffe und Behandlungen, die durch einen Arzt am Körper eines Menschen vorgenommen werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen nicht krankhafter Natur zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern.“3 Gemäß Rechtsprechung des Bundesgerichts4 und der herrschenden Lehre5 erfüllt jeder ärztliche Eingriff, selbst wenn er lege artis ausgeführt wird, einerseits den strafrechtlichen Tatbestand einer Körperverletzung6 und andererseits ist er eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Patienten bzw. der Versuchsperson und ist damit rechtswidrig.7 Rechtswidrig ist folglich auch ein zu Heilzwecken vorgenommener Eingriff, durch den der Rechtsträger einen Nutzen erfährt.8 Ein Eingriff in die körperliche Integrität und die Persönlichkeitsrechte eines Patienten bzw. einer Versuchsperson erfolgt erst dann rechtmäßig, wenn er auf einem die
2 3
4
5
6
7
8
Siehe vorne Kapitel 2 IV.1. UHLENBRUCK/LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 52, Rn. 1. Siehe auch § 39, Rn. 16, Fn. 58. Siehe zum gewandelten Inhalt des Begriffs der Heilbehandlung vorne, Kapitel 2, IV.1. BGE 99 IV 208; 108 II 59 E.1; 117 Ib 197. Siehe hierzu die umfassende Darstellung der Rechtsprechung des Bundesgerichts bei SCHWANDER zit. Forschung, 66 ff. Die deutsche Rechtsprechung ist wiedergegeben bei ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 33 ff. Ausführlich WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 122 ff. (insb. 168 und 180 m.w.N.). Siehe auch BRÜCKNER, 455 ff.; GEISER zit. Einwilligung; POLEDNA/BERGER, Rz. 140; ROGGO, 37 ff. mit Ausführungen zum deutschen Recht. Zum deutschen Recht siehe DEUTSCH/SPICKHOFF, Rn. 187 ff.; LAUFS in: LAUFS/ UHLENBRUCK, §§ 61 f. BGE 99 IV 208; REHBERG, 303 ff.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 122, 168. Zum deutschen Recht ULSENHEIMER in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 138. MANAÏ, 31 ff., 76 ff.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 120 ff. Zum Persönlichkeitsschutz bei medizinischen Eingriffen siehe auch HOHERMUTH, 48 ff. POLEDNA/BERGER, Rz. 140.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
201
Widerrechtlichkeit ausschließenden Rechtfertigungsgrund beruht.9 Wichtigster Rechtfertigungsgrund ist die Einwilligung des Betroffenen nach vorheriger Aufklärung.10 Die Aufklärung und Einwilligung dienen der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Patienten und Versuchspersonen.11 Dazu das Bundesgericht: „Der Zweck eines Eingriffs in die körperliche Integrität ändert deshalb nichts an dessen Widerrechtlichkeit, solange er nicht vom Rechtsträger selbst, sondern von einem Dritten, zum Beispiel dem operierenden Chirurgen, bestimmt wird. Allein der Inhaber des Rechtsgutes ist grundsätzlich befugt, über den Zweck des Eingriffs zu entscheiden.“12 Die Einwilligung vermag jedoch nur solche Eingriffe zu rechtfertigen, die nicht sitten- oder rechtswidrig13 sind.14 Weitere Rechtfertigungsgründe sind ein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse sowie eine Rechtfertigung durch das Gesetz.15 Der Zweck des Eingriffs (Heilbehandlung oder Forschung) ist für die Qualifikation desselben nicht maßgebend.16 UHLENBRUCK/LAUFS geben in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass die herkömmliche Verknüpfung des Begriffs der Heilbehandlung mit einer medizinischen Indikation sowie einer Heiltendenz überholt sei, da die moderne Medizin zunehmend Eingriffe ermögliche, die medi9
10
11
12 13 14
15
16
Siehe auch SAMW-Forschungsrichtlinie Ziff. A 1: „Forschungsuntersuchungen am Menschen greifen in das Recht der Persönlichkeit ein. Solche Eingriffe bedürfen der Rechtfertigung (Art. 28 Abs. 2 ZGB).“ BGE 117 Ib 197 E.2, mit Verweis auf die etablierte Rechtsprechung; BGE 115 Ib 175 E.2.; 114 Ia 350 E.6; 108 II 59 E.2 f. BUCHER ANDREAS, Rn. 519 ff.; GUILLOD zit. consentement, 39. Zum deutschen Recht: BVerfGE 52, 131, 168; BGHZ 29, 46, 49, siehe dazu MAGNUS, 39 f. TAUPITZ zit. Schutzmechanismen, 19; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 119 f. Siehe hierzu auch die Medizinisch-ethischen Grundsätze zum Recht der Patientinnen und Patienten auf Selbstbestimmung der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften vom 24. November 2005. BGE 117 Ib 197 E.2.c. Siehe auch MANAÏ, 61 ff. BGE 114Ia 350 E.7. BUCHER weist darauf hin, dass die Inhalte des Verbots eines Verstosses gegen die guten Sitten oft unklar ist und sich in einer ständigen Entwicklung befinden, BUCHER ANDREAS, Rn. 525 f.; BRÜCKNER, 456; GEISER zit. Einwilligung, 5 f.; HOHERMUTH, 49 ff. Zu den Grenzen der Einwilligung siehe auch GUILLOD zit. consentement, 44 ff. Zur Sittenwidrigkeit des ärztlichen Eingriffs ausführlich BUCHER EUGEN, 204 ff. Siehe dazu auch SAMW-Forschungsrichtlinie Ziff. A 1: „Urteilsfähige Personen können durch ihre Zustimmung vorübergehende seelische und körperliche Belastungen durch Ermüdung und Schmerz gültig in Kauf nehmen, auch wenn die Belastungen erheblich sind, nicht aber voraussehbare gesundheitliche Risiken und bleibende Nachteile. Forschungsuntersuchungen, die mit voraussehbaren gesundheitlichen Risiken oder bleibenden Nachteilen verbunden sein könnten, sind auch dann unzulässig, wenn die Zustimmung der untersuchten Person vorliegt.“ Siehe dazu BUCHER ANDREAS, Rn. 536 ff. und 540 ff.; POLEDNA/BERGER, Rz. 113; REHBERG, 304 f.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 167, insb. Fn. 200. In diesem Sinne auch MANAÏ, 31: „En droit biomédical c’est principalement le consentement de la personne qui légitime les actes de nature thérapeutique et non thérapeutique selon l’adage volenti non fit iniuria.“
202
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
zinisch nicht indiziert sind. Die beiden Autoren regen zu Recht an, dass solange jeder ärztliche (Heil-)Eingriff von der Rechtsprechung als Körperverletzung qualifiziert werde, auf die bisherige Definition des ärztlichen Heileingriffs zu verzichten sei. Die ärztliche Behandlung sei vielmehr an objektiven Kriterien zu messen. Die Forderung von UHLENBRUCK/LAUFS erscheint insbesondere in Anbetracht der fließenden Übergänge zwischen Heilbehandlung und medizinischen Eingriffen zu Forschungszwecken sinnvoll.17 In der Folge ist für ärztliche Eingriffe zu Forschungszwecken daher im Grundsatz von derselben Rechtslage auszugehen, wie sie auf Eingriffe zu Heilzwecken anwendbar ist, sofern nicht spezialgesetzliche Regelungen zur Anwendung gelangen.18 Folglich bedürfen sowohl Heileingriffe wie Eingriffe zu Forschungszwecken immer der Einwilligung des betroffenen Patienten bzw. der betroffenen Versuchsperson. Ohne diese rechtfertigende Einwilligung ist die Durchführung von Heileingriffen wie auch Eingriffen zu Forschungszwecken widerrechtlich.19 Die rechtliche Gleichbehandlung aller ärztlichen Eingriffe, unabhängig von ihrem Zweck, erscheint sinnvoll. Denn – wie aufgezeigt20 – sind die Übergänge zwischen Heilbehandlungen, Behandlungen ohne eine medizinische Indikation und Behandlungen mit Forschungscharakter oftmals fließend. Dabei gilt für alle ärztlichen Behandlungen folgender Grundsatz: Je invasiver, risikoreicher und unerprobter ein Eingriff ist, desto höhere Anforderungen müssen an die Aufklärung und Einwilligung gestellt werden.21 Überschreitet ein Arzt den anerkannten Standard22 oder sucht er nach neuen medizinischen Erkenntnissen, steht er in einer gesteigerten rechtlichen und ethischen Verantwortlichkeit.23 Im medizinrechtlichen Schrifttum hat sich in Anlehnung an die US-amerikanische Doktrin für das soeben dargestellte Einwilligungserfordernis und die damit verbundene Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit medizinischen Heil- und Forschungsmaßnahmen die Bezeichnung informed consent im Sinne einer informierten Einwilligung etabliert.24
2. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen Nachfolgend werden der Begriff, die Rechtsnatur und die rechtlichen Grundlagen der Persönlichkeitsrechte sowie ihre Ausprägung im medizinischen Kontext dargestellt.
17
18 19 20 21 22 23 24
UHLENBRUCK/LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 52, Rn. 2. Siehe dazu vorne Kapitel 2 IV.2. MANAÏ, 31 f.; SCHWANDER zit. Forschung, 72 m.w.N. MANAÏ, 31 f. Dazu vorne Kapitel 2 IV.2. GEISER zit. Einwilligung, 8. Zur Definition des ärztlichen Standards siehe vorne Kapitel 2 IV.1. ROGGO, 143. Ein kurzer historischer Überblick zur Entstehung des Prinzips der informierten Einwilligung findet sich bei GUILLOD zit. consentement, 31
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
203
a) Begriffsbestimmung Die Persönlichkeit umfasst die „Gesamtheit der wesentlichen Werte einer Person“25. Diese Werte sind der Person kraft ihrer Existenz eigen. Sie können Gegenstand einer Verletzung sein.26 Dabei sind die Werte der Persönlichkeit unterschiedlicher Natur. Aus diesem Grund wird nicht von einem umfassenden Recht der Persönlichkeit gesprochen, sondern es wird jedem Persönlichkeitswert ein dessen Schutz beinhaltendes Persönlichkeitsrecht beigefügt.27 Der Begriff der Persönlichkeit und der Persönlichkeitsrechte wird im Gesetz nicht definiert.28 Es ist somit Aufgabe der Rechtsprechung, den Begriff der Persönlichkeit und der Persönlichkeitsrechte auszulegen. BUCHER zufolge hat dies den Vorteil, dass sich der Persönlichkeitsschutz der Entwicklung „der von der Gemeinschaft getragenen Vorstellungen und insbesondere den Fortschritten der Wissenschaft und Technik“ anpassen kann.29 b) Rechtsnatur der Persönlichkeitsrechte Persönlichkeitsrechte30 zeichnen sich durch einen hohen persönlichkeitsbezogenen Gehalt aus.31 Sie sind – soweit sie nicht vorwiegend vermögensrechtlicher Natur sind32 – höchstpersönliche Rechte im Sinne von Art. 19 Abs. 2 ZGB. Höchstpersönliche Rechte sind Rechte, die einem Menschen um seiner Persönlichkeit willen zustehen33 und so eng mit der Person des Berechtigten verknüpft sind, dass sie nur für diesen ihre Bestimmung und ihren Sinn haben.34 Ihre Ausübung setzt Urteilsfähigkeit voraus, nicht jedoch die volle Handlungsfähigkeit.35 Demzufolge können urteilsfähige Unmündige oder Entmündigte diese Rechte ohne die Mitwirkung ihres gesetzlichen Vertreters ausüben.36 Im Gegensatz dazu sind urteilsunfähige Personen nicht in der Lage, höchstpersönliche Rechte selbstständig auszuüben oder geltend zu machen.37 Prinzipiell ist eine Vertretung bei der Ausübung höchstpersönlicher Rechte ausgeschlossen.38 Eine absolute Geltung dieses Grundsatzes würde jedoch dazu führen dass Urteilsunfähige ihre höchstpersönlichen Rechte nicht wahrnehmen können, was stoßend wäre. Die Rechtsprechung unterscheidet daher in Übereinstimmung mit der Lehre zwischen absolut höchstpersön25 26 27 28
29 30 31 32 33 34 35 36 37
38
BUCHER ANDREAS, Rn. 457. BUCHER ANDREAS, Rn. 457. BUCHER ANDREAS, Rn. 458. BUCHER ANDREAS, Rn. 462. BUCHER weist darauf hin, dass Art. 28 ZGB einen allgemeinen Grundsatz enthält und den Begriff der Persönlichkeit nicht definiert. BUCHER ANDREAS, Rn. 463. Siehe dazu BUCHER ANDREAS, Rn. 505 ff. BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 19 N 33. BUCHER ANDREAS, Rn. 512. BUCHER ANDREAS, 153. BUCHER EUGEN, 76. BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 19 N 33. BUCHER ANDREAS, Rn. 512. BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 19 N 33, 35; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.30. Dazu auch die Ausführungen unter III und IV.1. BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 19 N 33; BUCHER ANDREAS, Rn. 153.
204
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
lichen Rechten39 und relativ höchstpersönlichen Rechten40.41 Die absolut höchstpersönlichen Rechte schließen eine Vertretung in jedem Fall aus, womit Urteilsunfähige diese Rechte nicht wahrnehmen können.42 Im Gegensatz dazu lassen relativ höchstpersönliche Rechte bei Urteilsunfähigkeit des Trägers eine Vertretung zu.43 Im Interesse des Urteilsunfähigen, dem die entsprechenden Schutzrechte gewährt werden, ist die Vertretungsfeindlichkeit bei relativ höchstpersönlichen Rechten somit eine beschränkte.44 Daraus folgt, dass urteilsfähige Unmündige oder Entmündigte ihre absoluten wie auch ihre relativen höchstpersönlichen Rechte selber wahrnehmen.45 Die vertretungsfeindlichen absolut höchstpersönlichen Rechte sind für Urteilsunfähige nicht zugänglich und für die Ausübung ihrer relativ höchstpersönlichen Rechte benötigen sie die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter bzw. können diese verlangen.46 Die Einwilligung in eine Heilbehandlung wird von der Rechtsprechung als eine Verfügung über ein relativ höchstpersönliches Recht qualifiziert.47 Demzufolge kann ein urteilsfähiger Unmündiger oder Entmündigter selber über die Vornahme eines ärztlichen Eingriffs entscheiden.48 Bei einer urteilsunfähigen Person kommt die Entscheidungsbefugnis über einen ärztlichen Eingriff dem gesetzlichen Vertreter zu.49 In diesem Zusammenhang sind auch die mit der Totalrevision des Vormundschaftsrechts verbundenen Änderungen, Klarstellungen und terminologischen Präzisierungen zu beachten. Dazu nachfolgend unter II.3.
39
40 41
42 43 44 45
46 47
48 49
Eine umfangreiche Kasuistik findet sich bei BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 19 N 40. BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 19 N 41. BSK ZGB I I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 19 N 36 m.w.N.; GEISER zit. Einwilligung, 10; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.21 ff. BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 19 N 37. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.25 ff. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.24. Im Gesetz finden sich jedoch auch Fälle von absolut höchstpersönlichen Rechten urteilsfähiger Unmündiger oder Entmündigter, in denen die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter verlangt wird. Dies ist beispielsweise beim Verlöbnis (Art. 90 Abs. 2 ZGB) oder bei der Kindesanerkennung (Art. 260 Abs. 2 ZGB) der Fall. Da es sich dabei um absolut höchstpersönliche Rechte handelt, hat der gesetzliche Vertreter keine Vertretungsbefugnis. Er verfügt nur über die Befugnis zur Zustimmung (Art. 19 Abs. 1 ZGB). Die Initiative zum Handeln muss für diese Rechtsgeschäfte somit stets vom urteilsfähigen Unmündigen oder Entmündigten ausgehen. Siehe dazu BSK ZGB IBIGLER-EGGENBERGER, Art. 19 N 38; BUCHER ANDREAS, Rn. 162; HAUSHEER/AEBIMÜLLER, Rz. 07.72. BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 19 N 37. BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 19 N 41 m.H. auf 114 Ia 350; BGE 110 II 375; 105 II 284. Dazu auch MANAÏ, 36 ff. BGE 114 Ia 350 E.7.a. GEISER zit. Einwilligung, 10.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
205
c) Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen Wie zuvor dargelegt, stellt jeder ärztliche Eingriff, unabhängig von seinem Zweck, eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Rechtsinhabers dar. Die durch einen ärztlichen Eingriff betroffenen Persönlichkeitsrechte setzen sich aus einer Summe von Teilrechten zusammen50: dem Selbstbestimmungsrecht sowie dem Recht auf physische und psychische Integrität.51 Der ärztliche Eingriff wird demzufolge als doppelter Verletzungstatbestand qualifiziert.52 Für den Schutz der Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen ist das Selbstbestimmungsrecht zentral. Es ist das Recht des Trägers, über einen allfälligen Eingriff in seine Integrität nach seinem freien Willen zu entscheiden.53 d) Rechtsgrundlagen Bei der rechtlichen Beurteilung eines ärztlichen Eingriffs ist stets die öffentlichrechtliche54 oder die privatrechtliche Natur des ihm zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses zu prüfen.55 Die Bestimmung der rechtlichen Natur des ärztlichen Verhältnisses ist im Hinblick auf das anwendbare materielle Recht sowie den im Streitfall zu beschreitenden Rechtsweg unabdingbar.56 Besteht ein zivilrechtlich beherrschtes Behandlungsverhältnis, muss der verantwortliche Arzt oder das Privatspital57 mit den Mitteln des Zivilrechts zur Verantwortung gezogen werden.58 Beruht ein ärztliches Verhältnis auf dem öffentlichen Recht, so hat sich der Verletzte an das zuständige Gemeinwesen (Kanton oder Gemeinde) zu wenden, das gemäß dem kantonalen Verantwortlichkeitsrecht zuständig ist.59 Verletzt ein Arzt seine Sorgfaltspflicht, wird er bei einem dem Zivilrecht unterstehenden Rechts-
50
51
52
53
54
55 56 57 58 59
WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 123, m.w.H. in Fn. 17 auf die Rechtsprechung des BGer und weitere Lehrmeinungen. Siehe dazu BUCHER ANDREAS, Rn. 521 m.H. auf die Rechtsprechung des BGer; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 120 ff. m.w.H. Die traditionelle strafrechtliche Doktrin, an der auch das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung festhält, qualifiziert einen Eingriff in die körperliche Integrität als Körperverletzung. Hierzu ROGGO, 37 ff. m.w.N.; PAYLLIER, 6 ff. m.w.N.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 122. Die Qualifikation des de lege artis ausgeführten ärztlichen Eingriffs als Körperverletzung wird sowohl in der Schweiz wie in Deutschland von einem Teil der Lehre kritisiert. HONSELL, 15 ff.; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 63, Rn. 2 und ULSENHEIMER, § 138, Rn. 9a; ROGGO, 37 ff. Dazu WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 119 ff.; BRÜCKNER spricht von der physischen Integrität und der geistigen Selbstbestimmung des Menschen im Umgang mit seinem Körper, 456. Bei dieser Zweiteilung schließt das öffentliche Recht das Strafrecht ein. ROGGO, 27. Beispiele öffentlich-rechtlicher ärztlicher Tätigkeit finden sich bei BUCHER EUGEN, 42 ff. Hierzu HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 10.36 ff. ROGGO, 26. PAYLLIER, 154 ff. FELLMANN, 47 ff.; GATTIKER zit. Ärztlicher Eingriff, 26 ff. GATTIKER zit. Ärztlicher Eingriff, 177 ff.; GROSS, 35 ff.; PAYLLIER, 165 ff.
206
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
verhältnis persönlich haftpflichtig,60 während bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis in erster Linie der Staat nach kantonalem Verantwortlichkeitsrecht haftet.61 Die Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen werden sowohl durch das öffentliche Recht62 – namentlich die Bundesverfassung und strafrechtliche Regelungen63 – wie auch das Zivilrecht64 geschützt.65 Während die in der Verfassung verankerten Freiheitsrechte den Einzelnen vor Eingriffen des Staates schützen, dienen die im Privatrecht festgeschriebenen Persönlichkeitsrechte dem Schutz vor Eingriffen Privater.66 In einem dem öffentlichen Recht unterstehenden Behandlungsverhältnis oder Forschungsprojekt ergibt sich der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Patienten und Versuchspersonen in erster Linie aus der in Art. 10 BV verankerten persönlichen Freiheit67 sowie aus Spezialerlassen des Bundes68 und entsprechenden kantonalen Normen.69 Wie in Kapitel 3 ausgeführt, werden die Persönlichkeitsrechte der Patienten und Versuchspersonen auch durch Normen des Völkerrechts geschützt, beispielsweise durch Art. 8 EMRK70 oder Art. 6 und 7 UN-Pakt II sowie durch die Spezialnormen zur Humanforschung.71 In privatrechtlichen Behandlungsverhältnissen schützen in erster Linie Art. 28 ff. ZGB die Persönlichkeitsrechte der Patienten und Versuchspersonen.72 In Zukunft wird das Selbstbestimmungsrecht von Patienten durch weitere Maßnahmen geschützt und gestärkt, die mit der Totalrevision des Vormundschaftsrechts neu im Zivilgesetzbuch verankert werden. Auf die mit der Revision verbundenen Neuerungen und Änderungen im Erwachsenenschutz sowie im Personen- und Kindesrecht wird gleich anschließend näher eingegangen. Daran anschließend werden die einzelnen Aspekte der Aufklärung und der Einwilligung näher erläutert. Zum Abschluss der Ausführungen zu den Persönlichkeitsrechen von Patienten und 60 61
62 63
64
65
66 67 68 69
70 71 72
POLEDNA/BERGER, Rn. 193 ff. Zur Staatshaftung für spitalärztliche Tätigkeit siehe BGE 113 Ib 420. Zur Rechtsstellung des Arztes am öffentlichen Spital im Allgemeinen und zu den damit verbundenen Haftungsfragen siehe auch EICHENBERGER, 255 ff.; POLEDNA/BERGER, Rn. 189 ff. BUCHER ANDREAS, Rn. 415; POLEDNA/BERGER, Rz. 113 ff. Zum strafrechtlichen Persönlichkeitsschutz im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung siehe insb. REHBERG, 303 ff.; SPRUMONT, 227 ff. Zum zivilrechtlichen Schutz der Persönlichkeitsrechte des Patienten siehe BUCHER EUGEN sowie BUCHER ANDREAS, Kapitel 7; PAYLLIER, 252 ff.; SPRUMONT, 221 ff. BGE 117 Ib 197 E.2.c; 113 Ia 309 E.3; BUCHER ANDREAS, Rn. 414 ff.; HAUSHEER/ AEBI-MÜLLER, 119 ff.; MANAÏ, 501 ff.; PAYLLIER, 29 ff.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 121. BUCHER EUGEN, 62. Siehe dazu vorne Kapitel 3 III.2.a. Siehe dazu Kapitel 3 III.2.b. POLEDNA/BERGER, Rz. 113 ff. Zum verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutz siehe auch HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 10.43 ff. und SCHWEIZER zit. Art. 10 BV, St. Galler Kommentar zu Art. 10 BV. Dazu PAYLLIER, 265 ff. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 10.35; KOPETZKI zit. Einwilligung, 7. POLEDNA/BERGER, Rz. 113.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
207
Versuchspersonen im Allgemeinen wird untersucht, inwieweit sich die Aufklärung und Einwilligung bei Eingriffen zu Forschungszwecken von derjenigen zu einem ärztlichen Heileingriff unterscheidet.
3. Exkurs: Revision des Vormundschaftsrechts Das geltende Vormundschaftsrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches73 ist seit dem Inkrafttreten im Jahr 1912 nahezu unverändert geblieben.74 Seither haben sich die Verhältnisse stark verändert, sodass der Revisionsbedarf unbestritten ist. Ein primäres Ziel der Revision75 ist insbesondere die Förderung des Selbstbestimmungsrechts.76 Zudem soll für die gesamte Schweiz eine einheitliche, transparente Regelung geschaffen werden.77 Dies soll primär mit zwei neuen Rechtsinstituten erreicht werden: Eine handlungsfähige Person kann mit einem sogenannten Vorsorgeauftrag eine natürliche oder juristische Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit die Personensorge oder die Vermögenssorge übernehmen oder sie im Rechtsverkehr vertreten soll.78 Für den Bereich der medizinischen Maßnahmen sieht die Revision eine Patientenverfügung vor.79 Mit einer solchen kann eine urteilsfähige Person einerseits festlegen, welchen medizinischen Maßnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt. Andererseits kann sie auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit Entscheidungen treffen darf. Mit der Revision soll aber auch dem Bedürfnis Rechnung getragen werden, dass – im Fall dass weder ein Vorsorgeauftrag noch eine Patientenverfügung vorliegt – die Angehörigen urteilsunfähiger Personen ohne große Umstände gewisse Entscheide treffen dürfen. Damit soll die Solidarität in der Familie gestärkt und zugleich vermieden werden, dass die Behörden systematisch Beistandschaften anordnen müssen. Der Entwurf sieht – nach dem Vorbild gewisser kantonaler Gesetzte80 – vor, dass bestimmte Kreise von Angehörigen das Recht erhalten sollen, für die urteilsunfähige Person die Zustimmung zu einer medizinischen Behandlung zu erteilen oder zu verweigern.81 Vorbehalten bleiben spezialgesetzliche Sonderregelungen, beispielsweise für die Sterilisation, die Transplantationsmedizin oder die Forschung. Zudem räumt der Entwurf dem Ehegatten sowie dem eingetragenen Partner einer urteilsunfähigen Person das Recht ein, deren Post zu öffnen, für die ordentliche Verwaltung des
73 74
75 76 77 78 79 80
81
Art. 360–455 ZGB. Einzig die Bestimmungen über die fürsorgerischen Freiheitsentziehung (Art. 397a–f ZGB) wurden hinzugefügt. Siehe Botschaft Vormundschaftsrecht, 7001 ff. Botschaft Vormundschaftsrecht, 7013. Botschaft Vormundschaftsrecht, 7012. Art. 360 ff. E ZGB; Botschaft Vormundschaftsrecht, 7025 ff. Art. 370 ff. E ZGB; Botschaft Vormundschaftsrecht, 7030 ff. Kanton Jura: Art. 26b ff. Loi sanitaire (RSJU 810.01); Kanton Neuenburg: Art. 25 Loi de santé (RSN 800.1); Kanton Tessin: Art. 6 Legge sanitaria (RL 6.1.1.1). Art. 377 ff. E ZGB; Botschaft Vormundschaftsrecht, 7036 ff.
208
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Einkommens und des Vermögens zu sorgen und alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind.82 Kann eine Person wegen einer geistigen Behinderung, einer psychischen Störung oder eines ähnlichen Schwächezustands ihre Angelegenheiten nicht mehr selber besorgen und reicht die Unterstützung durch Angehörige oder private oder öffentliche Dienste nicht aus, stehen im geltenden Recht vier standardisierte behördliche Maßnahmen zur Verfügung (Vormundschaft, Beiratschaft, Beistandschaft). Neu tritt an ihre Stelle die Beistandschaft als ein einziges, einheitliches Rechtsinstitut.83 Die neuen Regelungen sollen es den zuständigen Behörden ermöglichen, einzelfallgerechte Maßnahmen zu ergreifen und nur so viel staatliche Betreuung anzuordnen, wie wirklich nötig ist. Der Entwurf unterscheidet vier Arten von Beistandschaften, nämlich die Begleit-, die Vertretungs-, die Mitwirkungs- und die umfassende Beistandschaft. Letztere entspricht der Entmündigung im geltenden Recht. Wird sie angeordnet, entfällt die Handlungsfähigkeit von Gesetzes wegen. Neu wird im Bereich des Erwachsenenschutzrechts von umfassender Beistandschaft gesprochen. Unter dem revidierten Recht wird nur noch im Bereich des Kindesschutzes der Begriff Vormundschaft verwendet, da der Begriff im Zusammenhang mit der Betreuung Minderjähriger nicht belastend ist und zudem mit der Terminologie der Kinderrechtskonvention (Art. 2 KRK) übereinstimmt.84 Die Revision soll u.a. auch den Rechtsschutz im Bereich der fürsorgerischen Unterbringung in einer Einrichtung verbessern, indem die ärztliche Einweisungskompetenz beschränkt und wichtige Verfahrensvorschriften gesetzlich verankert werden.85 Neu wird eine abschließende bundesrechtliche Regelung für die stationäre Behandlung einer psychischen Störung ohne Zustimmung der betroffenen Person vorgeschlagen. Heute regeln die Kantone das Verfahren des Vormundschaftswesens. Die bestehenden Regelungen sind uneinheitlich und unübersichtlich. Während in den Kantonen der welschen Schweiz zumeist Gerichte als vormundschaftliche Behörden amten, besetzen in vielen Orten der deutschen Schweiz politisch gewählte Laien die vormundschaftlichen Ämter. Durch die Revision werden sich in Zukunft Fachbehörden um den Kindes- und Erwachsenenschutz kümmern. Für die innere Organisation der Behörde sind die Kantone zuständig.86 Zwischen dem Handlungsfähigkeitsrecht des Personenrechts und dem Kindesund Erwachsenenschutzrecht besteht ein enger Bezug. Dieser ist im geltenden Recht unklar ausgestaltet. Daher wurden in die Revision auch das Personen- und Kindesrecht einbezogen.87 Nach dem revidierten Recht werden die Bestimmungen des Vormundschaftsrechts über das eigene Handeln bevormundeter Personen (Art. 410 und 411 ZGB) verallgemeinert, erweitert und in das Personenrecht integriert (Art. 19–19b E ZGB). Zudem sieht der Entwurf vor, dass die Ausübung höchst82 83 84 85 86 87
Art. 374 ff. E ZGB; Botschaft Vormundschaftsrecht, 7034 ff. Art. 388–425 E ZGB; Botschaft Vormundschaftsrecht, 7015 ff., 7042 ff. Botschaft Vormundschaftsrecht, 7023. Art. 426 ff. E ZGB; Botschaft Vormundschaftsrecht, 7019, 7062 ff. Art. 440 ff. E ZGB; Botschaft Vormundschaftsrecht, 7020 ff., 7073 ff. Botschaft Vormundschaftsrecht, 7022 ff., 7094 ff.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
209
persönlicher Rechte neu in einer eigenen Bestimmung (Art. 19c E ZGB88) geregelt wird. Dabei bringt die neue Bestimmung die bisher nur in der Lehre und Rechtsprechung, nicht aber im Gesetz vorgenommene Unterscheidung zwischen absolut und relativ höchstpersönlichen Rechten zum Ausdruck.89 Gemäß dem Revisionsentwurf wird die Vormundschaft über Unmündige neu im Kindesrecht geregelt.90 Mit der Revision ist zudem eine terminologische Anpassung des deutschen Gesetzestextes bei den Voraussetzungen der Handlungsfähigkeit im Personenrecht (Art. 13 ff. ZGB) verbunden. Dazu die Ausführungen in der Botschaft: „Nach geltendem Recht besitzt die Handlungsfähigkeit, wer mündig und urteilsfähig ist (Art. 13 ZGB). Eine Person ist trotz Volljährigkeit nicht mündig, wenn sie entmündigt und unter Vormundschaft oder elterliche Sorge gestellt worden ist. Der Begriff ‚mündig’ enthält somit zwei Elemente, nämlich ‚mündig’ im Sinn von volljährig und ‚nicht entmündigt’. Weil das revidierte Erwachsenenschutzrecht die Entmündigung nicht mehr kennt, hätte der Begriff ‚mündig’ nur noch den Sinn von ‚volljährig’ und wäre damit irreführend.“91 Der Entwurf für Art. 13 E ZGB lautet daher: „Die Handlungsfähigkeit besitzt, wer volljährig und urteilsfähig ist.“ Die Totalrevision des Vormundschaftsrechts und die damit verbundenen Anpassungen und Änderungen im Personen- und Kindesrecht wirken sich auf zahlreiche andere Bundesgesetze aus.92 Auch die Bestimmungen des Heilmittelgesetzes zum Schutz von Personen in klinischen Versuchen (Art. 55 HMG93) und zu klinischen Versuchen in medizinischen Notfallsituationen (Art. 56 HMG94) erfah-
88
89 90 91 92 93
94
Art. 19c E ZGB (Höchstpersönliche Rechte): „1 Urteilsfähige handlungsunfähige Personen üben die Rechte, die ihnen um ihrer Persönlichkeit willen zustehen, selbstständig aus; vorbehalten bleiben Fälle, in welchen das Gesetz die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters vorsieht. 2 Für urteilsunfähige Personen handelt der gesetzliche Vertreter, sofern nicht ein Recht so eng mit der Persönlichkeit verbunden ist, dass jede Vertretung ausgeschlossen ist.“ Botschaft Vormundschaftsrecht, 7095 f. Botschaft Vormundschaftsrecht, 7022 f. Botschaft Vormundschaftsrecht, 7094. Botschaft Vormundschaftsrecht, 7108 ff. Botschaft Vormundschaftsrecht, 7191; Art. 55 Sachüberschrift, Abs. 1 Einleitungssatz, Bst. a und c, Abs. 2 Einleitungssatz E HMG (Klinische Versuche an minderjährigen, unter umfassender Beistandschaft stehenden oder urteilsunfähigen Personen): „1 Klinische Versuche mit Heilmitteln an minderjährigen Personen und an volljährigen Personen, die unter umfassender Beistandschaft stehen oder urteilsunfähig sind, dürfen nur durchgeführt werden, wenn: a. mit dem Versuch an volljährigen und urteilsfähigen Personen keine vergleichbaren Erkenntnisse erzielt werden können; c. die urteilsfähigen, aber minderjährigen oder unter umfassender Beistandschaft stehenden Personen eingewilligt haben; 2 Klinische Versuche, die den Versuchspersonen keinen unmittelbaren Nutzen bringen, dürfen ausnahmsweise an minderjährigen Personen und an volljährigen Personen, die unter umfassender Beistandschaft stehen oder urteilsunfähig sind, durchgeführt werden, wenn zudem…“. Botschaft Vormundschaftsrecht, 7191; Art. 56 Bst. a Ziff. 1 E HMG:
210
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
ren Anpassungen. Die Umschreibung des geschützten Personenkreises der beiden Bestimmungen wird der Terminologie des revidierten ZGB angepasst. Im deutschen Text wird unmündig bzw. mündig durch minderjährig95 bzw. volljährig96 ersetzt. Der Ausdruck Entmündigt wird zu Personen unter umfassender Beistandschaft.97 Der Bundesrat verabschiedete die Totalrevision des Vormundschaftsrechts am 28. Juni 2006. Die Vorlage kommt nun zur Beratung in die eidgenössischen Räte. In den nachfolgenden Ausführungen wird an passender Stelle auf mit der Revision verbundene Änderungen und Neuregelungen hingewiesen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich aktuell um einen Entwurf handelt, der u.U. in der Beratung durch die eidgenössischen Räte Änderungen erfahren kann.
4. Aufklärung Wie zuvor ausgeführt, ist die Aufklärung für die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Patienten und Versuchspersonen und damit zum Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte zentral.98 Wird das Recht der Patienten und Versuchspersonen auf Selbstbestimmung respektiert, wird ihre körperliche und seelische Integrität und damit ihre Menschenwürde gewahrt. Einer rechtsgültigen, einen ärztlichen Eingriff rechtfertigenden Einwilligung hat daher stets eine ausreichende Aufklärung vorauszugehen.99 So verstanden dient die Aufklärung dazu, das Informationsdefizit der Patienten und Versuchspersonen zu beseitigen und befähigt sie, ihr Selbstbestimmungsrecht mittels sachgerechter Entscheidungsgrundlagen auszuüben.100
95
96 97
98 99
100
„In medizinischen Notfallsituationen dürfen ausnahmsweise klinische Versuche durchgeführt werden, wenn: a. ein Verfahren vorgesehen ist, das von der zuständigen Ethikkommission genehmigt worden ist und innert nützlicher Frist erlaubt: 1. die Zustimmung der gesetzlichen Vertreterin oder des gesetzlichen Vertreters minderjähriger, unter umfassender Beistandschaft stehender oder urteilsunfähiger Personen einzuholen…“. Art. 55 Sachüberschrift, Abs. 1 Einleitungssatz, Abs. 1 Bst. c, Abs. 2 Einleitungssatz, 56 Bst. a Ziff. 1 E HMG. Art. 55 Abs. 1 Bst. a E HMG. Art. 55 Sachüberschrift, Abs. 1 Einleitungssatz, Abs. 1 Bst. c, Abs. 2 Einleitungssatz, 56 Bst. a Ziff. 1 E HMG. Zu den Informationsrechten von Patienten siehe auch MANAÏ, 75 ff. BGE 117 Ib 197 E.2: „[…] das Erfordernis der Einwilligung des Patienten und der damit verbundene Aufklärungsanspruch [gründet] in dessen allgemeinen Persönlichkeitsrechten […] und [dient] dem Schutz sowohl der Willensfreiheit, dem Selbstbestimmungsrecht, wie auch der körperlichen Integrität des Patienten […]“. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 119 ff. POLEDNA/BERGER, Rz. 123; SCHWEIZER zit. Art. 10 BV, St. Galler Kommentar zu Art. 10 BV, Rz. 19 f.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 136.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
211
a) Grundlagen Wie bereits dargelegt, besteht die Pflicht eines Arztes zur Aufklärung und Einholung der Einwilligung eines Patienten/einer Versuchsperson unabhängig davon, ob er im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Verhältnisses tätig wird.101 Die Rechtsprechung des Bundesgerichts besagt, dass „die Aufklärungspflicht […] zu den allgemeinen Berufspflichten des Arztes [gehört], und zwar unabhängig davon, ob er im Rahmen eines privatrechtlichen Vertragsverhältnisses oder als Beamter oder Angestellter des Staates handelt“.102 Die Pflicht des Arztes zur Aufklärung besteht gestützt auf das Strafrecht,103 das öffentliche Recht sowie das Privatrecht104.105 Im öffentlichen Recht basiert der Aufklärungsanspruch der Patienten und Versuchspersonen auf den durch Art. 10 BV garantierten Persönlichkeitsrechte.106 Diese werden in Spezialgesetzen107 des Bundes sowie Vorschriften des kantonalen öffentlichen Rechts, insbesondere in Gesundheits- und Spitalgesetzen und in Patientendekreten konkretisiert108. Das Recht auf Aufklärung besteht in öffentlichen Spitälern und anderen dem öffentlichen Recht unterstellten Einrichtungen demzufolge auch dann, wenn die Rechtsgrundlagen eines Kantons diese nicht explizit vorsehen.109 Der Anspruch von Versuchspersonen auf Aufklärung und die Pflicht der forschenden Ärzte zur Aufklärung finden sich zudem in kantonalen Erlassen, spezialgesetzlichen Regelungen des Bundes (z.B. Heilmittelgesetz) sowie in nationalen und internationalen Standesregeln und in Normen des Völkerrechts. b) Aufklärungsarten Grundsätzlich hat jeder ärztlichen Maßnahme – sei es zu Heilungs- oder zu Forschungszwecken – eine Aufklärung der Patienten und Versuchspersonen vorauszugehen (Eingriffs- oder Selbstbestimmungsaufklärung). Zudem sind die Patienten 101
SCHWEIZER zit. Art. 10 BV, St. Galler Kommentar zu Art. 10 BV, Rz. 1. BGE 117 Ib 197. 103 Siehe dazu REHBERG, 303 ff. 104 Vertragsrecht: Art. 394 ff. OR (dazu BGE 116 II 519; PAYLLIER, 130 ff.); Persönlichkeitsrecht: Art. 27 ff. ZGB; Deliktsrecht: Art. 41 Abs. 1 OR i.V.m. Art. 28 ZGB; KUHN, 24 f. 105 Zu den verschiedenen Rechtsgrundlagen der Aufklärungspflicht siehe GUILLOD zit. consentement, 37 ff.; MANAÏ, 75 ff.; ROGGO, 25 ff.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 123 ff. 106 MANAÏ, 75 f.; POLEDNA/BERGER, Rz. 123 ff.; SCHWEIZER zit. Art. 10 BV, St. Galler Kommentar zu Art. 10 BV, Rz. 19. 107 Siehe z.B. Art. 6 f. Fortpflanzungsmedizingesetz (SR 810.11); Art. 5 Stammzellenforschungsgesetz (SR 810.31); Art. 12 Transplantationsgesetz (ist am 1. Juli 2007 in Kraft getreten). 108 Siehe z.B. Art. 47 f. Gesundheitsgesetz des Kantons Freiburg (BDLF 821.0.1); Art. 26 ff. Loi sanitaire des Kantons Jura (RSJU 810.01); Art. 23 ff. Loi de santé des Kantons Neuenburg (RSN 800.1); Art. 3 Patientenverordnung des Kantons Obwalden (GDB 830.31), § 13 ff. Patientengesetz des Kantons Zürich (LS 813.13). Zu den kantonalen Regelungen der Aufklärung und Einwilligung siehe auch WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 124 f. 109 POLEDNA/BERGER, Rz. 124. 102
212
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
und Versuchspersonen während der gesamten Dauer der Behandlung über das laufende Geschehen zu informieren (Sicherungsaufklärung oder therapeutische Aufklärung).110 Die Übergänge zwischen diesen beiden Aufklärungsarten sind fließend, auch wenn sie eine unterschiedliche dogmatische Struktur aufweisen.111 Der Zweck der Aufklärung bestimmt demzufolge ihren Inhalt und zugleich den Umfang. Was eine hinreichende Aufklärung ist, muss im Einzelfall untersucht werden: „Der Umfang der Aufklärung kann aber nicht abstrakt umschrieben werden, weil es keinen ‚durchschnittlichen Patienten' mit ‚durchschnittlichen Bedürfnissen' gibt. Das Maß der geforderten Aufklärung wird immer durch die Besonderheit des Einzelfalles und durch die Natur des Vertrages bestimmt.“112 Ziel einer jeden Aufklärung sollte die freie, selbstverantwortliche Entscheidung des Patienten bzw. seines gesetzlichen Vertreters sein.113 aa) Eingriffsaufklärung Die Eingriffsaufklärung (oder auch Selbstbestimmungsaufklärung genannt) dient der Vorbereitung einer ärztlichen Behandlung. Sie hat vor dem Eingriff zu erfolgen.114 Sie schafft im Hinblick auf den geplanten Heil- oder Forschungseingriff die Basis für die rechtfertigende Einwilligung und dient damit dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts und der physischen und psychischen Integrität der Patienten und Versuchspersonen.115 Die Eingriffsaufklärung umfasst Informationen über den Istzustand (Diagnoseaufklärung116), den Verlauf und die Auswirkungen des geplanten Eingriffs (Verlaufsaufklärung117) sowie über alternative Behandlungsmethoden118.119 Zwingend vor dem Eingriff hat auch die Aufklärung über mögliche Risiken und Nebenwirkungen der Behandlung (Risikoaufklärung120) zu erfolgen.121 Demzufolge ist die Eingriffsaufklärung die juristisch gebotene Aufklärungspflicht, da sie den Patienten und Versuchspersonen die Grundlagen für eine rechtswirksame Einwilligung in den Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte vermittelt. Im konkreten Behandlungsfall sind dabei die Umstände des individuellen Patienten bzw. der einzelnen Versuchsperson maßgebend.122 110
111 112 113 114 115 116 117 118 119 120
121 122
Ausführliche Darstellungen der Thematik finden sich bei ROGGO, 89 ff. und WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 127 ff. Zur deutschen Doktrin der Aufklärungsarten siehe ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 37 ff. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 128. CONTI, 620; GUILLOD zit. consentement, 127 ff.; MANAÏ, 80 f.; ROGGO, 184 ff. MANAÏ, 80; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 130. Zum Zeitpunkt der Aufklärung siehe unten II.3.d. ROGGO, 89 ff.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 127 f. ROGGO, 89 ff., PAYLLIER, 50 ff.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 100. ROGGO, 110 ff.; PAYLLIER, 52 ff.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht. PAYLLIER, 55 ff. MANAÏ, 82 ff. MANAÏ, 83 ff.; ROGGO, 100 ff.; PAYLLIER, 60 ff.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 134 ff. Zur ärztlichen Basisaufklärung siehe CONTI, 621 ff. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 136 ff.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
213
bb) Sicherungsaufklärung Bei medizinischen Maßnahmen sind das Verhalten und die Mitwirkung des Patienten bzw. der Versuchsperson von entscheidender Bedeutung. In diesem Sinne tritt die Sicherungsaufklärung ergänzend neben die Eingriffsaufklärung. Mit der Sicherungsaufklärung wird der Patient bzw. die Versuchsperson während der Dauer der Behandlung über ein therapiegerechtes Verhalten aufgeklärt.123 Beispielsweise werden die Patienten und Versuchspersonen über die Wirkungsweisen von Medikamenten, den Ablauf der Behandlung, den Verlauf des Heilungsprozesses sowie über ihre Prognose informiert, sofern sie diese Informationen nicht schon durch die Eingriffsaufklärung erhalten haben.124 Diese Informationen dienen dem guten Verlauf der Behandlung und der Sicherung des Heilerfolgs bzw. dem planmäßigen Verlauf einer Forschungsuntersuchung. Entsprechend wird diese Aufklärung auch als therapeutische Aufklärung bezeichnet.125 Der Arzt hat dem Patienten so viele Informationen zu geben, wie nötig sind, damit sich dieser so verhalten kann, dass es dem Heilzweck am besten dient und Gefahren abgewehrt werden können.126 Dabei geht der Umfang der Sicherungsaufklärung erheblich weiter als bei der Eingriffsaufklärung. Darüber, was einem vernünftigen Menschen nach der alltäglichen Lebenserfahrung offensichtlich geläufig ist, braucht der Arzt einen Patienten jedoch nicht aufzuklären. Es sei denn, ein Patient benötigt in einem konkreten Fall für den Arzt erkennbar auch Informationen dieser Art.127 Ihrer Natur zurfolge ist die Sicherungsaufklärung ein Teil der ärztlichen Behandlung.128 c) Aufklärungspflicht über wirtschaftliche Aspekte Neben den zuvor genannten Inhalten muss die ärztliche Aufklärung auch die wirtschaftlichen Konsequenzen eines Eingriffs umfassen.129 Diese sogenannte wirtschaftliche Aufklärung ist eine aus dem Auftragsverhältnis fließende Rechenschaftspflicht des Arztes.130 In einigen kantonalen Erlassen wird die wirtschaftliche Aufklärungspflicht des Arztes explizit genannt. Beispielsweise verlangt Art. 47 des Gesundheitsgesetzes des Kantons Freiburg131 die Information der Patienten über „die voraussichtlichen Kosten der in Frage kommenden diagnostischen, prophylaktischen oder therapeutischen Massnahmen sowie über die Übernahme der Kosten durch die Versicherung […], damit sie den Massnahmen frei und aufgeklärt zustimmen und vernünftig von der angebotenen Pflege Gebrauch machen können. Sie können eine schriftliche Zusammenfassung dieser Information
123
124 125 126 127 128 129 130 131
Zur Sicherungsaufklärung BGE 116 II 519; PAYLLIER, 38 ff.; WIEGAND zit. Standortbestimmung, 157 f. MANAÏ, 83; ROGGO, 114 ff. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 128. WIEGAND zit. Standortbestimmung, 158. WIEGAND zit. Standortbestimmung, 158. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 190. BGE 116 II 519 E.3.b. PETERMANN, Rz. 39; WIEGAND zit. Standortbestimmung, 153. Gesundheitsgesetz (BDLF 821.0.1).
214
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
verlangen“. In ähnlicher Weise schreiben auch Art. 26132 des Gesundheitsgesetzes des Kantons Jura und Art. 23133 des Gesundheitsgesetzes des Kantons Neuenburg Information der Patienten über die wirtschaftlichen Aspekte der Behandlung vor. In seiner Rechtsprechung zu dieser Frage hat das Bundesgericht festgehalten, dass der Arzt den Patienten insbesondere über die Kosten einer Behandlung und die Kostendeckung durch die Krankenversicherung134 aufklären muss. Der Arzt hat den Patienten darüber zu informieren, „dass eine Behandlung, ein Eingriff oder seine Honorare von der Krankenkasse nicht gedeckt sind oder wenn er darüber im Zweifel ist oder sein muss. Die Respektierung dieser Pflicht ist umso strenger zu beurteilen, wenn die betreffende Summe hoch ist“.135 Nur so ist der Patient in der Lage, frei darüber zu entscheiden, ob er die Behandlung auch dann durchführen lassen will, wenn er eine über den üblichen Selbstbehalt hinausgehende finanzielle Verantwortung tragen muss.136 Verletzt der Arzt seine wirtschaftliche Aufklärungspflicht, hat er für die Kosten einer nicht übernommenen Behandlung aufzukommen. Bei einer kostspieligen Behandlung kann dies zu erheblichen Schadenersatzforderungen führen. Die wirtschaftliche Aufklärung ist insbesondere im Bereich des off-label use (siehe dazu Kapitel 1 II.2 und insb. Kapitel 2 VI.2) von besonderer Bedeutung und muss vom behandelnden Arzt speziell beachtet werden.137 d) Zeitpunkt der Aufklärung Der Zeitpunkt der Aufklärung lässt sich nicht allgemeingültig festlegen.138 Unstreitig ist, dass die Eingriffsaufklärung vor dem Eingriff zu erfolgen hat, da sie die Gültigkeitsvoraussetzung für eine rechtswirksame Einwilligung ist.139 Die schweizerische Rechtsprechung hat sich zum richtigen Zeitpunkt der Aufklärung lange nicht geäußert. In einem nicht publizierten Urteil vom 28. April 2003140 stellte das Bundesgericht jedoch fest, dass bei schweren und risikobehafteten Eingriffen dem Patienten nach erfolgter Aufklärung mindestens drei Tage Bedenkzeit einzuräumen seien. Bei weniger schweren Eingriffen genüge ein Tag Bedenkzeit. Eine direkt vor der Operation unter Einfluss des Narkosemittels abgegebene Ein132
133
134 135 136 137 138 139 140
Loi sanitaire (RSJU 810.01), Art. 26 Abs. 1 Bst. d: „Afin de pouvoir donner son consentement aux soins de manière libre et éclairée et d'en faire un bon usage, chaque patient a le droit d'être informé de façon simple et compréhensible sur : […] d) les conséquences économiques du traitement.“ Loi de santé (RSN 800.1), Art. 23 Abs. 1 (Droit d'être informé): “Chaque patient a le droit d'être informé de manière claire et appropriée sur son état de santé, sur les mesures prophylactiques envisageables, sur la nature, les modalités, le but, les risques et l'aspect financier et la couverture d'assurance de base des différentes mesures diagnostiques et thérapeutiques proposées ou possibles.“ BGE 119 II 456 E.2. Pra 1995 Nr. 72 E.2.d (= BGE 119 II 456). PETERMANN, Rz. 38. PETERMANN, Rz. 38 sowie die Beispiele unter Rz. 43 ff. und 49 ff. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 156. Siehe auch PAYLLIER, 113 ff.; ROGGO, 200. LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 66, Rn. 6; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 156. Entscheid des Bundesgerichts vom 28. April 2003, 4P.265/2002.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
215
willigung verletzte das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und sei ungültig. Gemäß dem Urteil des Bundesgerichts ist der Zeitpunkt der Aufklärung so zu wählen, dass der Patient seine Entscheidung ohne Zeitdruck treffen kann. Es solle dem Patienten möglich sein, sich mit seinen Angehörigen und Freunden über den Eingriff zu beraten. Das Bundesgericht ist der Ansicht, dass sich der Patient in dieser Phase grundsätzlich nicht bereits im Krankenhaus befinden sollte, da ein solches Umfeld unter Umständen nicht geeignet sei, eine objektive Entscheidung über einen Eingriff zu fällen.141 Allgemein gilt, dass die Aufklärung so früh wie möglich erfolgen sollte, um den Patienten und Versuchspersonen vor ihrem Entscheid eine angemessene Bedenkzeit zu ermöglichen. Im Weiteren ist nach dem Risiko, der Dringlichkeit sowie der Komplexität eines Eingriffes zu differenzieren. Während bei risikoarmen, ambulant durchführbaren Eingriffen die Aufklärung vor der Behandlung erfolgen kann, muss die Aufklärung bei schwierigeren ambulanten sowie bei stationären Eingriffen und erst recht bei komplexen, risikoreichen Eingriffen – wenn möglich – zu einem frühen Zeitpunkt vorgenommen werden.142 Ungeachtet dessen, ob ein Eingriff ambulant oder stationär durchgeführt wird und ob er der Heilbehandlung oder der Forschung dient, gilt: „Je größer aufklärungsbedürftige Risiken eines geplanten Eingriffs sind und je erheblicher sich diese Risiken für den jeweiligen Patienten auswirken können, desto umfassender ist diesem Bedenkzeit für seine Einwilligung zur eigenständigen Entscheidung unter ausreichender Abwägung von Nutzen und Risiken einzuräumen.“143 e) Form der Aufklärung In den Spezialgesetzen des Bundes sowie in zahlreichen kantonalen Erlassen finden sich Vorschriften über den Umfang und die Form der Aufklärung und die Einwilligung. Beispielsweise schreiben Art. 7 des Fortpflanzungsmedizingesetzes144 sowie Art. 5 des Stammzellenforschungsgesetzes145 die schriftliche Einwilligung des betroffenen Paares vor. Auch das Transplantationsgesetz146 verlangt in Art. 12 für die Entnahme von Organen bei lebenden Personen eine umfassende Information und die schriftliche Einwilligung der Spender. Auf kantonaler Ebene finden sich Vorschriften zum Inhalt und der Form der Aufklärung und Einwilligung von Patienten u.a. in Art. 47 f. des Gesundheitsgesetzes des Kantons Freiburg147, in Art. 26 ff. des Gesundheitsgesetzes des Kantons Jura148, in Art. 23 ff.
141 142 143 144
145
146
147 148
4P.265/2002, E.5.2. MANAÏ, 66 ff.; ROGGO, 200 ff., insb. 204. ROGGO, 205. Bundesgesetz vom 18. Dezember 1998 über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG), SR 810.11. Bundesgesetz vom 19. Dezember 2003 über die Forschung an embryonalen Stammzellen (Stammzellenforschungsgesetz, StFG), SR 810.31. Bundesgesetz vom 8. Oktober 2004 über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz). Gesundheitsgesetz (BDLF 821.0.1). Loi sanitaire (RSJU 810.01).
216
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
des Gesundheitsgesetzes des Kantons Neuenburg149, in Art. 3 der Patientenverordnung des Kantons Obwalden150 und in § 13 ff. des Patientinnen- und Patientengesetzes des Kantons Zürich151. Außerhalb des Geltungsbereichs dieser Normen gelangen die Grundsätze des privatrechtlichen Arztvertrages zur Anwendung. Gemäß diesen bedürfen Aufklärung und Einwilligung keiner bestimmten Form.152 Ist nichts anderes vorgeschrieben, kann die Aufklärung mündlich wie schriftlich erfolgen. Die Wahl der Form ist dem pflichtgemäßen Ermessen des Arztes überlassen. Entscheidend ist, dass sie ausreichend ist, zum richtigen Zeitpunkt erfolgt und vom Betroffenen verstanden wird.153 Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte die Form der Aufklärung zugleich deren Dokumentation ermöglichen. Bei Eingriffen zu Forschungszwecken gelten strengere Formvorschriften. Siehe dazu unten II.5. In der Praxis gelangen verschiedene Aufklärungsformen zur Anwendung. Sie ergänzen sich und können sich in ihren Inhalten überschneiden. Es sind dies zum einen das mündliche Aufklärungsgespräch154 zwischen dem Patienten bzw. der Versuchsperson und dem Arzt und zum anderen der Einsatz von schriftlichen oder bildlichen Aufklärungsformularen155. Diese Formulare dienen einerseits der Vorbereitung des Aufklärungsgesprächs und andererseits der Beweisvorsorge.156 Beide Formen der Aufklärung werden in der sogenannten Stufenaufklärung kombiniert.157 Dabei werden dem Patient bzw. der Versuchsperson zunächst Basisinformationen in schriftlicher und/oder bildlicher Form abgegeben. Daran schließt ein Aufklärungsgespräch zwischen dem Arzt und dem Patienten bzw. der Versuchsperson an. Dieses ermöglicht die Berücksichtigung der individuellen Besonderheiten des Einzelfalls und gibt dem Patienten bzw. der Versuchsperson die Möglichkeit, Fragen zu stellen sowie weiterführende Informationen einzuholen.158 Aufgrund der besonderen Natur der Arzt-Patient-Beziehung sollte die Aufklärung vorrangig mündlich erfolgen. Denn ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Gespräch ist durch Formulare nicht ersetzbar. Die Inhalte und Ergebnisse des Gesprächs sind schriftlich zu dokumentieren.159 Die Aufklärung nur mit Formularen wird den Umständen des konkreten Einzelfalls nicht gerecht werden und ist daher abzulehnen. Die Abgabe von Aufklärungsformularen sollte daher stets durch ein Aufklärungsgespräch ergänzt werden.160 149 150 151 152
153 154
155
156 157 158 159 160
Loi de santé (RSN 800.1). Verordnung über Patientenrechte (GDB 830.31). Patientinnen- und Patientengesetz (LS 813.13). KUHN, 21 ff. (zum privatrechtlichen Arztvertrag); WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 148 m.w.N. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 161 ff.; ROGGO, 189. Siehe dazu die Ausführungen bei ROGGO, 190 ff.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 148 f. Siehe dazu die Ausführungen bei MANAÏ, 88; ROGGO, 192 ff.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 153 f. ROGGO, 193; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 153. PAYLLIER, 199 ff. Zur Stufenaufklärung ROGGO, 195 f.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 154 f. PAYLLIER, 117; ROGGO, 189. MANAÏ, 88; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 153 f.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
217
Hinsichtlich der erforderlichen Dokumentation der Aufklärung gelten je nach Rechtsnatur des Behandlungsverhältnisses die Normen des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts. Es gelangen insbesondere die Bestimmungen des kantonalen öffentlichen Rechts161 oder des Vertragsrechts des OR162 zur Anwendung.163 Bei ärztlichen Eingriffen zu Heilzwecken gilt der Grundsatz, dass der verantwortliche Arzt für die erfolgte Aufklärung und die entsprechende Einwilligung beweispflichtig ist. Eine ausführliche Dokumentation der Aufklärung sowie der Vermerk der Einwilligung des Patienten in der Krankengeschichte sind dabei ein geeignetes Beweismittel.164 f) Parteien der Aufklärung Das geltende Bundesrecht kennt keine spezifischen Regelungen zur Aufklärung und Einwilligung in medizinische Eingriffe. Die Totalrevision des Vormundschaftsrechts wird für diesen Bereich erhebliche Änderungen und Neuerungen bringen. In einzelnen Kantonen bestehen schon heute entsprechende Regelungen.165 Neben den staatlichen Regelungen bestehen zudem die in Kapitel 3 erwähnten medizinisch-ethischen Grundsätze der Schweizerischen Akademie für Medizinische Wissenschaften zum Recht der Patientinnen und Patienten auf Selbstbestimmung.166 Grundsätzlich hat die Aufklärung gegenüber dem Einwilligenden zu erfolgen.167 Aufzuklären ist demzufolge diejenige Person, der von Rechts wegen die Einwilligungsbefugnis zukommt.168 Wie zuvor ausgeführt, ist für die Abgabe einer rechtsgültigen Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff Urteilsfähigkeit erforderlich.169 Diese muss im Zeitpunkt der Aufklärung und Einwilligung uneinge-
161 162 163 164
165
166 167 168 169
WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 196. Art. 400 Abs. 1 OR; KUHN, 25 f.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 197 f. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 196. MANAÏ, 89; SCHWENZER zit. Vertretungsmacht, 211; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 152, 194. Zum Beispiel Art. 48 ff. Loi sanitaire (RSJU 810.01); Art. 26 der Verordnung über die Organisation des Kantonsspitals des Kantons Glarus (GS VIII A/211/1); Art. 26a ff. Loi sanitaire des Kantons Jura (RSJU 810.01); Art. 25 Loi de santé des Kantons Neuenburg ( RSN 800.1); Kapitel 3, III.2.e.bb. GEISER zit. Einwilligung, 8; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 66, Rn. 7. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 157. Art. 18 ZGB; BUCHER EUGEN, 131; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.38 ff.; HOHERMUTH, 74 f.; MANAÏ, 36 ff., 511; REHBERG, 306; ROGGO, 171 m.w.N.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 159. Der Grundsatz der freien Einwilligung des Urteilsfähigen in medizinische Eingriffe ist auch in zahlreichen kantonalen Verordnungen enthalten. So beispielsweise in Art. 48 des Gesundheitsgesetzes des Kantons Freiburg (BDLF 821.0.1): „Keine Pflege kann ohne die freie und aufgeklärte Einwilligung der urteilsfähigen Patientin oder des urteilsfähigen Patienten erteilt werden, ob sie oder er mündig ist oder nicht.“ und in Art. 46 Abs. 1 des Loi sur la santé (RSG K 1 03) des Kantons Genf und dem nahezu identischen Art. 23 Abs. 1 des Loi sur la santé publique (RSV 800.01) des Kantons
218
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
schränkt vorhanden sein.170 Der behandelnde Arzt hat zu beurteilen, ob ein Patient hinsichtlich des zur Entscheidung anstehenden medizinischen Eingriffs urteilsfähig ist oder nicht.171 Im Zweifelsfalle sollte er eine Begutachtung durch eine Fachperson vornehmen lassen.172 Aus Gründen der Rechtssicherheit empfiehlt es sich zudem, dass der zuständige Arzt die Resultate seiner Untersuchungen zur Urteilsfähigkeit eines Patienten ausreichend dokumentiert.173 Bei Urteilsfähigkeit des Rechtsinhabers bilden der Patient bzw. die Versuchsperson sowie der Arzt die Parteien der Aufklärung.174 Demzufolge entscheiden urteilsfähige Unmündige oder Entmündigte, die in casu et concreto urteilsfähig sind, selbst über Eingriffe in ihre Persönlichkeitsrechte.175 Im Gegensatz dazu sind urteilsunfähige Patienten und Versuchspersonen nicht in der Lage, selber in eine medizinische Maßnahme einzuwilligen. Die Einwilligung einer urteilsunfähigen Person in einen ärztlichen Eingriff ist nichtig.176 An ihrer Stelle entscheidet eine für ihre Vertretung zuständige Drittperson über die Vornahme eines Eingriffs.177 Im Hinblick auf diesen Entscheidungsträger ist bei voll handlungsunfähigen Patienten und Versuchspersonen zwischen habituell Urteilsunfähigen und kasuell Urteilsunfähigen zu differenzieren. Während der Zustand der Entscheidungsunfähigkeit beim kasuell Urteilsunfähigen vorübergehender Natur ist (beispielsweise bei bewusstlosen Unfallopfern), befindet sich der habituell Urteilsunfähige dauernd oder zumindest längerfristig in einem Zustand der Urteilsunfähigkeit (beispielsweise Kleinkinder oder Patienten mit fortgeschrittener Demenz). Der habituell Urteilsunfähige hat keinen rechtserheblichen Willen.178 An seiner Stelle entscheidet sein gesetzlicher Vertreter über einen ärztlichen Eingriff.179 Beim Unmündigen sind dies die Inhaber der elterlichen Sorge.180 Ein Entmündigter wird durch einen Vormund oder gegebenenfalls durch einen Beistand vertreten. Ist (noch) kein gesetzlicher Vertreter bestellt, muss die Vormundschaftsbehörde entscheiden.181 Demzufolge ist bei habituell Urteilsunfähigen deren gesetzlicher Vertreter aufzuklären.182
170 171 172 173 174 175
176 177 178 179 180 181
182
Neuenbrug: „Aucun soin ne peut être fourni sans le consentement libre et éclairé du patient capable de discernement, qu'il soit majeur ou mineur.“ ROGGO, 174. MANAÏ, 39, 187. MANAÏ, 39, 188. MANAÏ, 188. ROGGO, 149. HAUSHEER zit. Entwicklungen, 157. So auch Art. 19c E UGB. Zu beschränkt handlungsunfähigen Minderjährigen siehe weiter unten III.3.c. ROGGO, 171 m.H. auf BGE 114 Ia 350 E.7.bb. MANAÏ, 188. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 161. PAYLLIER, 107 ff. MANAÏ, 189. Siehe dazu auch unten IV. GEISER zit. Einwilligung, 11; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 161 m.w.H. Zu den Unterschieden zwischen der Vertretung Unmündiger unter elterlicher Sorge und erwachsenen Personen unter Vormundschaft siehe GUILLOD zit. consentement, 249 ff. ROGGO, 172 f.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
219
Einige kantonale Regelungen183 sowie der Entwurf für eine Totalrevision des Vormundschaftsrechts184 und die SAMW-Grundsätze zur Selbstbestimmung von Patienten185 kennen für diese Fälle das Instrument der Patientenverfügung. Mit dieser kann eine urteilsfähige Person festlegen, welchen medizinischen Maßnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht. Zudem kann mit einer Patientenverfügung ein Vertreter bezeichnet werden, der bei Urteilsunfähigkeit des Verfassers Entscheidungen über medizinische Maßnahmen treffen darf. Für den Fall, dass keine Patientenverfügung vorliegt und eine urteilsunfähige Person keinen gesetzlichen Vertreter hat, beinhaltet der Entwurf für eine Totalrevision des Vormundschaftsrechts eine Regelung, die es Angehörigen urteilsunfähiger Personen ermöglicht, ohne große Umstände Entscheide über medizinische Maßnahmen zu treffen.186 Auch einige wenige kantonale Gesetzte kennen Regelungen, die bei urteilsunfähigen Patienten den Angehörigen eine Entscheidungsbefugnis einräumen.187 Gemäß der Botschaft zum Entwurf soll mit dieser Regelung die Solidarität in der Familie gestärkt und zugleich vermieden werden, dass die Behörden systematisch Beistandschaften anordnen müssen. Der Entwurf sieht vor 183
184 185 186
187
Zum Beispiel Art. 49 Gesundheitsgesetz des Kantons Freiburg (BDLF 821.0.1); Art. 47 Loi sur la santé des Kantons Genf (RSG K 1 03); Art. 26b Loi sanitaire des Kantons Jura (RSJU 810.01); Art. 25a Loi de santé des Kantons Neuenburg (RSN 800.1). Art. 370 ff. E ZGB; Botschaft Vormundschaftsrecht, 7030 ff. SAMW Grundsätze Selbstbestimmung, Ziff. 2.2., Kommentar Ad. Ziff. 2.2. Art. 377 ff. E ZGB; Botschaft Vormundschaftsrecht, 7036 ff. Art. 378 E ZGB (Vertretungsberechtigte Person): „Die folgenden Personen sind der Reihe nach berechtigt, die urteilsunfähige Person zu vertreten und den vorgesehenen ambulanten oder stationären Massnahmen die Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern: 1. die in einer Patientenverfügung oder in einem Vorsorgeauftrag bezeichnete Person; 2. der Beistand oder die Beiständin mit einem Vertretungsrecht bei medizinischen Massnahmen; 3. wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner einen gemeinsamen Haushalt mit der urteilsunfähigen Person führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet; 4. die Person, die mit der urteilsunfähigen Person einen gemeinsamen Haushalt führt und ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet; 5. die Nachkommen, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten; 6. die Eltern, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten; 7. die Geschwister, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten. 2 Sind mehrere Personen vertretungsberechtigt, so dürfen die gutgläubige Ärztin oder der gutgläubige Arzt voraussetzen, dass jede im Einverständnis mit den anderen handelt. 3 Fehlen in einer Patientenverfügung Weisungen, so entscheidet die vertretungsberechtigte Person nach dem mutmasslichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person.“ Art. 26b ff. Loi sanitaire des Kanton Jura (RSJU 810.01); Art. 25 Loi de santé des Kantons Neuenbrug (RSN 800.1); Art. 6 Legge sanitaria des Kantons Tessin (RL 6.1.1.1).
220
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
(Art. 377 E ZGB188), dass der zuständige Arzt für die angemessene Behandlung die Verantwortung trägt und unter Beizug der zur Vertretung bei medizinischen Maßnahmen berechtigten Person einen Behandlungsplan erstellt.189 Für den Fall, dass weder eine Patientenverfügung vorliegt noch eine vertretungsberechtigte Person vorhanden ist oder niemand die Vertretung ausüben will, sieht der Entwurf (Art. 379 E ZGB190) vor, dass die Erwachsenenschutzbehörde aktiv wird. In solchen Fällen hat die Behörde einen großen Ermessensspielraum. Sie ist nicht an die Reihenfolge nach Artikel 378 Absatz 1 gebunden und kann das Vertretungsrecht der geeignetsten Person unter den Vertretungsberechtigten übertragen. Sie kann aber auch eine Vertretungsbeistandschaft errichten. Damit entfällt das Vertretungsrecht der Angehörigen von Gesetzes wegen.191 Bei ihrer Entscheidung haben sich der Vertreter sowie die zuständige Behörde einzig an den Interessen und am Wohl des Vertretenen zu orientieren.192 War der Vertretene vor Eintritt der dauerhaften Urteilsunfähigkeit urteilsfähig gewesen (beispielsweise ein Demenz-Patient), sind allenfalls geäußerte Wünsche des Betroffenen zu berücksichtigen (mutmaßlicher Wille, Patientenverfügung).193 Ist die Einholung der Einwilligung des Vertreters eines habituell Urteilsunfähigen nicht möglich, entfällt die Pflicht zur Aufklärung.194 Zu denken ist an eine medizinische 188
189 190
191 192 193
194
Art. 377 E ZGB (Behandlungsplan): „1 Muss eine urteilsunfähige Person behandelt werden, die sich zur Behandlung nicht in einer Patientenverfügung geäussert hat, so erstellt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt unter Beizug der zur Vertretung bei medizinischen Massnahmen berechtigten Person einen Behandlungsplan. 2 Die vertretungsberechtigte Person wird über alle Umstände informiert, die im Hinblick auf die vorgesehenen medizinischen Massnahmen wesentlich sind, insbesondere über deren Gründe, Zweck, Art, Modalitäten, Risiken, Nebenwirkungen und Kosten, über Folgen eines Unterlassens der Behandlung sowie über allfällige alternative Behandlungsmöglichkeiten. 3 Soweit möglich wird auch die urteilsunfähige Person in die Entscheidfindung einbezogen. 4 Der Behandlungsplan wird der laufenden Entwicklung angepasst.“ Art. 377 E ZGB. Botschaft Vormundschaftsrecht, 7036 f. Art. 379 E ZGB (Einschreiten der Erwachsenenschutzbehörde): „1 Die Erwachsenenschutzbehörde errichtet eine Vertretungsbeistandschaft, wenn keine vertretungsberechtigte Person vorhanden ist oder das Vertretungsrecht ausüben will. 2 Sie bestimmt die vertretungsberechtigte Person oder errichtet eine Vertretungsbeistandschaft, wenn: 1. unklar ist, wer vertretungsberechtigt ist; 2. die vertretungsberechtigten Personen unterschiedliche Auffassungen haben; oder 3. die Interessen der urteilsunfähigen Person gefährdet oder nicht mehr gewahrt sind. 3 Sie handelt auf Antrag der Ärztin oder des Arztes oder einer anderen nahe stehenden Person oder von Amtes wegen.“ Botschaft Vormundschaftsrecht, 7038. MANAÏ, 189; SAMW Grundsätze zur Selbstbestimmung, Ziff. 2. GEISER zit. Einwilligung, 12; GUILLOD zit. consentement, 250. Zur Vertretung von Kindern und Jugendlichen durch ihre gesetzlichen Vertreter siehe weiter unten III.2. ff. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 162.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
221
Notfallsituation, in der ohne sofortiges Handeln mit schweren Folgen für den Patienten zu rechnen ist und dessen gesetzliche Vertreter nicht umgehend erreicht werden können. In diesen Fällen hat der behandelnde Arzt sein Handeln nach dem hypothetischen Willen des gesetzlichen Vertreters der habituell urteilsunfähigen Person zu richten.195 Durch die Totalrevision des Vormundschaftsrecht wird dieser Grundsatz neu explizit im Zivilgesetzbuch festgeschrieben: (Art. 379 E ZGB): „In dringlichen Fällen ergreift die Ärztin oder der Arzt medizinische Massnahmen nach dem mutmasslichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person.“196 Die Entscheidungsunfähigkeit kasuell urteilsunfähiger Patienten ist vorübergehender Natur. Die Betroffenen verfügen daher, im Gegensatz zu habituell Urteilsunfähigen, über einen (hypothetischen) rechtserheblichen Willen.197 Da der Zustand der Urteilsunfähigkeit nur ein vorübergehender ist, findet keine Substitution durch den Willen eines gesetzlichen Vertreters statt.198 Vielmehr wird auf den mutmaßlichen Willen199 des vorübergehend urteilsunfähigen Patienten bzw. der Versuchsperson abgestellt.200 Der Vertreter eines kasuell Urteilsunfähigen hat somit den Entscheid über die Einwilligung entsprechend dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu fällen, auch wenn dieser objektiv unvernünftig erscheint. Lassen die Umstände (beispielsweise das Vorliegen einer Patientenverfügung, Aussagen von Angehörigen) darauf schließen, dass der kasuell Urteilsunfähige
195
196
197 198 199
200
BUCHER EUGEN, 168; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 162. BUCHER ANDREAS, Rn. 529 A. BUCHER vertritt hingegen die Ansicht, dass der objektive Wille dem hypothetischen bzw. der vermuteten Zustimmung des Betroffenen vorzuziehen ist. Art. 379 E ZGB, Botschaft Vormundschaftsrecht, 7037; SAMW Grundsätze zur Selbstbestimmung, Ziff. 3. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 163. BUCHER EUGEN, 167 ff.; ROGGO, 175; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 163. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 162, Fn. 171. WIEGAND verwendet den Begriff des hypothetischen Willens und definiert ihn – mit Verweis auf EUGEN BUCHER – wie folgt: „Der hypothetische Wille ist derjenige Wille, den der konkrete Patient bzw. bei dessen Urteilsunfähigkeit der gesetzliche Vertreter bei Kenntnis aller wesentlichen Entscheidungsgrundlagen nach Abwägung der Vor- und Nachteile einer Behandlung im konkreten Fall geäussert hätte, wenn er einen Willen hätte bilden bzw. mitteilen können.“ Es gilt somit bei der Suche nach dem hypothetischen Willen eines Patienten die Frage zu beantworten: Würde der Patient in die Behandlung einwilligen, wenn er dazu in der Lage wäre? Der mutmaßliche Wille eines kasuell Urteilsunfähigen lässt sich beispielsweise durch die Befragung seiner Angehörigen ergründen, oder er ergibt sich aus einer rechtswirksamen Patientenverfügung des Betroffenen. Bei der Befragung von Angehörigen muss der Arzt beachten, dass die Angehörigen nicht die Entscheidungsträger der Einwilligung, sondern nur „Auskunftspersonen zur Erhellung des mutmasslichen Willens“ des Betroffenen sind. Siehe dazu BUCHER EUGEN, 169; GEISER zit. Einwilligung, 8 ff.; MANAÏ, 191; PAYLLIER, 110 ff.; ROGGO, 177 und WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 163 m.w.N. MANAÏ, 192 verweist in diesem Zusammenhang auf die Entwürfe für ein neues Vormundschaftsrechts, nach dem der Partner für einen urteilsunfähigen Patienten Entscheidungen fällen kann.
222
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
einen konkreten Eingriff ablehnt, seine hypothetische Einwilligung somit nicht vorliegt, darf der betreffende Eingriff nicht vorgenommen werden.201 Ist es dem Arzt bei kasuell urteilsunfähigen Personen nicht möglich, deren mutmaßlichen Willen zu ermitteln, und sind auch sonst keine Indizien (beispielsweise eine Patientenverfügung202) vorhanden, darf der Arzt darauf abstellen, was eine vernünftige Person unter den konkreten Umständen gewollt hätte.203 Grundsätzlich ist die Aufklärung durch den behandelnden Arzt persönlich vorzunehmen.204 Dies trifft in erster Linie auf allein praktizierende Ärzte (Hausärzte, Spezialärzte) zu.205 Arbeiten mehrere Ärzte zusammen – was in einem modernen Klinikbetrieb die Regel ist –, kann die Aufklärungspflicht vom hauptverantwortlichen Arzt206 an seine hierarchisch nachgestellten Kollegen delegiert werden (vertikale Arbeitsteilung).207 Arbeiten mehrere Spezialärzte zusammen (horizontale Arbeitsteilung), muss grundsätzlich jeder an der Behandlung eines Patienten bzw. einer Versuchsperson beteiligte Arzt den Betroffenen selbstständig und fachspezifisch aufklären.208 Als unzulässig erachtet wird in der Regel die Übertragung der Aufklärungspflicht an eine nicht ärztliche Hilfsperson.209 Für die Aufklärung besteht kein allgemeingültiger Maßstab. Die Art und Weise der Aufklärung ist prinzipiell dem pflichtgemäßen Ermessen des Arztes überlassen.210 Sie ist den individuellen Bedürfnissen des einzelnen Patienten bzw. der einzelnen Versuchsperson anzupassen.211 Demgemäß hat sich der die Aufklärung vornehmende Arzt an den Voraussetzungen des Eingriffs sowie am Verständnisniveau und dem Informationsbedürfnis des Betroffenen bzw. seiner gesetzlichen Vertreter zu orientieren.212 Ziel jeder Aufklärung sollte sein, dass die Patienten und Versuchspersonen bzw. deren Vertreter den Inhalt der Darlegungen aufnehmen und soweit verstehen, dass sie die Ausmaße und Folgen des Eingriffs ermessen und ihre Entscheidung danach richten können.213
201 202
203 204
205 206
207 208 209 210 211 212 213
BUCHER EUGEN, 168; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 163, 172. Liegt eine Patientenverfügung eines kasuell Urteilsunfähigen vor oder ist den Ärzten der Wille des Betroffenen aufgrund anderer Umstände bekannt, so ist dieser in jedem Fall zu respektieren. Dazu WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 164. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 164. GUILLOD zit. consentement, 119; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 66, Rn. 1; PAYLLIER, 99 ff.; ROGGO, 150 f. m.w.H. in Fn. 681. ROGGO weist darauf hin, dass sich das Bundesgericht bis anhin nicht zur entscheidenden Frage „nach der jeweils konkret spezifischen Person des Aufklärungspflichtigen geäussert“ hat. ROGGO, 152. POLEDNA/BERGER, Rz. 125. Die Verantwortung für die Aufklärung sollte jene Fachperson tragen, die den Verlauf und die Risiken eines Eingriffs am besten kennt. ROGGO, 153 ff. ROGGO, 155 m.w.N.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 150. ROGGO, 152 m.w.N. in Fn. 687; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 150. LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 66, Rn. 4. PAYLLIER, 75 ff.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 151. BGE 114 Ia 350 E.7.a; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 156 f. POLEDNA/BERGER, Rz. 125.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
223
5. Einwilligung a) Grundlagen Wie bei allen absoluten Rechten gilt auch bei Persönlichkeitsrechten von Patienten und Versuchspersonen von Rechts wegen die Vermutung, dass der Berechtigte einen Eingriff nicht will (Art. 28 ZGB).214 Fehlt eine entsprechende Einwilligung, gilt demnach jeder Eingriff aufgrund dieser gesetzlichen Vermutung als rechtswidrig und stellt eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen dar.215 Zugleich wird – nach traditioneller Lehre und bundesgerichtlicher Praxis216 – der Tatbestand der Körperverletzung nach Art. 123 StGB217 erfüllt.218 Erst mit seiner Einwilligung nach erfolgter Aufklärung erteilt der Rechtsträger die Erlaubnis zum Eingriff. Die Einwilligung219 ist eine nicht bindende Ausübung der Persönlichkeitsrechte.220 Das bedeutet, dass der Berechtigte seine einmal erteilte Einwilligung zu einem medizinischen Eingriff jederzeit zurückziehen kann.221 Dementsprechend bezeichnet BUCHER die Einwilligung als „ein Zustand der Übereinstimmung des Willens des Patienten mit den Absichten des Arztes“.222 Die Einwilligung muss während der gesamten Dauer des Eingriffs oder der Behandlung aktuell sein. Zudem bezieht sie sich nur auf einzelne Handlungen. Dies hat zur Folge, dass keine generelle Einwilligung zu einer ärztlichen Behandlung erteilt werden kann.223 Jeder ärztliche Eingriff erfordert eine eigene Aufklärung und Einwilligung. Weitere Rechtfertigungsgründe für einen ärztlichen Eingriff neben der Einwilligung des Berechtigten sind – wie weiter oben ausgeführt – ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse sowie das Vorliegen einer gesetzlichen Eingriffsbefugnis.224 Die Einwilligung des Patienten und der Versuchsperson ist sowohl in öffentlich-rechtlichen wie in privatrechtlichen Verhältnissen der bedeutendste, die Rechtswidrigkeit eines ärztlichen Eingriffs ausschließende Rechtfertigungsgrund.225 Die Achtung der Selbstbestimmung und die Wahrung der psychischen und physischen Integrität der Patienten und Versuchspersonen in Form der informier214 215 216 217 218 219
220 221 222 223 224 225
BUCHER EUGEN, 101 f.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 167. Dazu ausführlich BUCHER EUGEN, 99 ff. Dazu die obigen Ausführungen zur Rechtsnatur des ärztlichen Eingriffes II.1. BGE 99 IV 208. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 167 f. Die Rechtsnatur der Einwilligung ist umstritten. Siehe dazu die Ausführungen bei BUCHER EUGEN, 108 f.; GEISER zit. Einwilligung, 4; GUILLOD zit. consentement, 29 f.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 167, insb. in Fn. 201, der die Einwilligung als eine „rechtsgeschäftsähnliche Handlung“ bezeichnet. BUCHER EUGEN, 108. ROGGO, 157 m.w.H. BUCHER EUGEN, 108, 129. BUCHER EUGEN, 129. Dazu BUCHER ANDREAS, Rn. 536 ff., 540 ff. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 167, insb. Fn. 200.
224
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
ten Einwilligung (Informed consent-Prinzip226) steht denn auch im Zentrum der geltenden Regelungen zur Humanforschung227. Zu den besonderen Umständen der Aufklärung und Einwilligung zu Eingriffen zu Forschungszwecken siehe nachfolgend unter II.5. b) Person des Einwilligenden Einwilligungsberechtigt ist der Entscheidungsträger der Einwilligung.228 Es sei an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen zu den Parteien der Aufklärung verwiesen. Die Einwilligung ist dann wirksam, wenn der Betroffene sie in „vollem Bewusstsein der Diagnose, der vorgesehenen Behandlung einschließlich Hinweis auf bestehende oder nicht bestehende Alternativen und deren damit verbundenen Gefahren“ abgibt.229 Eine rechtswirksame Einwilligung erfordert die Urteilsfähigkeit des Einwilligenden. Das Recht kennt keine Abstufungen oder die Möglichkeit einer Teil-Urteilsfähigkeit.230 Die Urteilsfähigkeit einer bestimmten Person ist für ein bestimmtes Rechtsgeschäft entweder gegeben oder sie fehlt.231 Für eine rechtsgültige Einwilligung nicht notwendig ist jedoch die volle Handlungsfähigkeit des Betroffenen.232 In Zweifelsfällen bleibt es dem Arzt überlassen, die Urteilsfähigkeit eines Patienten bzw. einer Versuchsperson im Hinblick auf einen bestimmen ärztlichen Eingriff einzuschätzen.233 Da die Einwilligung Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen ist, ist sie nur dann rechtsgültig, wenn sie aus freiem Willen erteilt wird. Eine unter Zwang oder anderen Formen unzulässiger Beeinflussung zustande gekommene Einwilligung ist nichtig.234 c) Zeitpunkt der Einwilligung Die Einwilligung hat in der Regel zwingend vor dem Eingriff zu erfolgen. Damit eine Einwilligung rechtsgültig erteilt werden kann, hat ihr eine angemessene Aufklärung vorauszugehen.235 Die Einwilligung kann, muss aber nicht, zeitlich an die Aufklärung anschließen. Bei der Wahl des Aufklärungszeitpunktes ist darauf zu 226 227
228 229 230 231
232
233 234 235
Art. 5 Abs. 1 Biomedizinkonvention. BERNAT zit. Forschung, 99 m.w.H. spricht von einer der wichtigsten, auf nationaler und völkerrechtlicher Ebene anerkannten „handlungsleitenden Maximen“ zum Schutz der Persönlichkeitsrechte des Patienten: „seine Menschenwürde, sein Selbstbestimmungsrecht sowie seine körperliche Integrität und Gesundheit“. MANAÏ, 31 ff., 61 ff., 509 ff; SCHWANDER zit. Forschung, 71. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 157. ROGGO, 157. MANAÏ, 187. BUCHER ANDREAS, Rz. 89; GEISER zit. Zwangsbehandlung, 94; MANAÏ, 38 f.; TAUPITZ zit. Regelungen, A58. Zur Relativität der Urteilsfähigkeit HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 06.50 ff. Zu den Voraussetzungen der rechtsgültigen Einwilligung im Einzelnen, GEISER zit. Einwilligung, 5 f. MANAÏ, 39, 187; REHBERG, 306. REHBERG, 308; SCHWANDER zit. Forschung, 71 m.w.N. Siehe hierzu statt vieler WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 199 ff.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
225
achten, dass dem Patienten bzw. der Versuchsperson eine dem Eingriff angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird.236 Siehe zum Zeitpunkt der Einwilligung auch die obigen Ausführungen zum Zeitpunkt der Aufklärung, II.3.d. d) Form der Einwilligung Hinsichtlich der Form der Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff wird auf die obigen Ausführungen zur Form der Aufklärung verwiesen.237 Sofern keine anders lautenden Bestimmungen vorgehen, ist die Einwilligung an keine bestimmte Form gebunden.238 Sie kann ausdrücklich (mündlich oder schriftlich) wie auch konkludent erfolgen.239 Eine konkludente Willensäußerung ergibt sich aus einem schlüssigen Verhalten des Betroffenen.240 Selbst bei invasiven Eingriffen würde eine konkludente Einwilligung nach hinreichender Aufklärung ausreichen.241 Doch empfiehlt sich bei größeren Eingriffen und risikoreicheren Behandlungen die Einholung der unmissverständlichen, schriftlich dokumentierten Zustimmung bzw. Ablehnung des Betroffenen.242 Dasselbe gilt, wenn hinsichtlich des konkreten Willens des Patienten Zweifel bestehen.243 Ebenso kann die Verweigerung einer Einwilligung sowohl explizit wie auch konkludent erfolgen. Aufgrund der gesetzlichen Vermutung, wonach Eingriffe in die absolut geschützten Rechtsgüter einer Person rechtswidrig sind, ist das Schweigen eines Patienten bzw. einer Versuchsperson, der/die mit einem Eingriff nicht einverstanden ist, gleichbedeutend mit einer Ablehnung.244 In zunehmendem Maße hält die Schriftlichkeit jedoch auch in der Medizin Einzug. Einerseits sind mit den neuen Informationstechnologien (insb. Internet) Informationen zu medizinischen Sachverhalten und zu einzelnen Ärzten weltweit zugänglich und andererseits gewinnt auch in der Medizin die Beweissicherung (paper trail) zunehmend an Bedeutung.245 Der Arzt hat die hinreichende Aufklärung sowie die Einwilligung des Patienten nachzuweisen. Demzufolge werden den Patienten heute viele Informationen zusätzlich in schriftlicher Form abgegeben und die Einwilligung, insb. bei größeren und risikoreichen Eingriffen, in schriftlicher Form verlangt.
236 237 238 239 240 241 242 243 244 245
WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 170; MANAÏ, 66 ff. II.4.e. GUILLOD zit. consentement, 53 ff.; ROGGO, 157 f. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 169. Dazu BUCHER EUGEN, 147 ff. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 170. MANAÏ, 35; REHBERG, 308; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 170. ROGGO, 158. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 171. MANAÏ, 87 f.
226
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
6. Besonderheiten der Aufklärung und Einwilligung bei Eingriffen zu Forschungszwecken Wie oben dargelegt, sind die für den ärztlichen Heileingriff entwickelten Grundsätze auf ärztliche Eingriffe zu Forschungszwecken übertragbar.246 Sie gelangen jedoch nur dann zur Anwendung, wenn keine spezialgesetzlichen Regelungen des Bundes oder der Kantone vorrangig zu berücksichtigen sind. Der freien Einwilligung der Versuchspersonen nach hinreichender Aufklärung kommt in der medizinischen Forschung eine zentrale Bedeutung zu.247 Sie ist eine unabdingbare, aber nicht die einzige Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Eingriff zu Forschungszwecken. Zum Schutz der Versuchspersonen treten weitere Bedingungen, beispielsweise die Zustimmung einer Ethikkommission, zum Erfordernis einer rechtsgültig erteilten Einwilligung der Versuchsperson hinzu.248 a) Umfang und Inhalt Bei Eingriffen zu Forschungszwecken – unabhängig ob mit oder ohne einen therapeutischen Nutzen für die betroffenen Versuchspersonen249 – gilt, dass in jedem Fall mindestens die gleichen, grundsätzlich jedoch strengeren Anforderungen an die Aufklärung und Einwilligung gestellt werden wie bei Heileingriffen.250 Insbesondere die Risikoaufklärung hat detaillierter zu erfolgen.251 Je unerprobter und neuer die zur Anwendung gelangende Methode ist, desto genauer und intensiver hat der verantwortliche Arzt die betroffene Versuchsperson aufzuklären.252 Die Aufklärung der Versuchspersonen im Rahmen eines Forschungsvorhabens umfasst u.a. die Ausgestaltung und die Ziele des Forschungsvorhabens, die geplanten Befragungen, Eingriffe, Untersuchungen und Messungen, damit verbundene mögliche Belastungen und Risiken253 sowie den mit dem Forschungsvorhaben verbundenen Nutzen für die teilnehmenden Personen.254 Die Versuchsperso246 247
248
249
250
251 252 253 254
Siehe dazu II.2. MANAÏ, 509, 514 betont sowohl die Bedeutung der Freiwilligkeit der Aufklärung wie auch der Informiertheit der einwilligenden Versuchsperson. So auch SCHWANDER zit. Forschung, 72 mit Verweis auf WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 177. SCHWANDER zit. Forschung, 71 nennt die freie, schriftliche und nach vollständiger Aufklärung erteilte Einwilligung die conditio sine qua non für die Zulässigkeit der Forschung mit Menschen. SCHWANDER zit. Forschung, 71. Siehe zur Unterscheidung von Forschungsvorhaben nach ihrem Nutzen vorne Kapitel 2 IV.3. LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 65, Rn. 12; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 176. Gemäß WIEGAND muss die Aufklärung vor einem Heilversuch oder einem Humanexperiment „besonders ausführlich“ sein. ROGGO, 144 m.w.N. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 176. JUNOD, 344 ff. Siehe zu den Inhalten der Aufklärung von Versuchspersonen Art. 54 Abs. 1 HMG (dazu BSK HMG-MARTI, Art. 54 N 13); § 40 Abs. 2 und 2a AMG; Art. 3 Abs. 2 lit. b und d RL 2001/20/EG; SAMW-Forschungsrichtlinie Ziff. D 6; Art. 8 Abs. 2 VE HFG; Art. 5 Biomedizinkonvention i.V.m. Art. 13 Abs. 2 Forschungsprotokoll; CIOMS-Guideline 5. JUNOD, 338 ff. Siehe auch LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 65, Rn. 13.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
227
nen sind aber auch über die zur Verfügung stehenden Alternativen255 sowie über mögliche Interessenkonflikte256 der an der Studie beteiligten Personen, Organisationen und Unternehmen in Kenntnis zu setzen. Von vorrangiger Bedeutung ist die Aufklärung der Versuchspersonen über ihre Rechte und die zu ihrem Schutz vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen. Die Versuchspersonen sind insbesondere darüber aufzuklären, dass sie das Recht haben, sich jederzeit und ohne Angaben von Gründen und ohne Nachteile befürchten zu müssen, aus dem Forschungsvorhaben zurückzuziehen.257 Zudem sind sie über ihren Versicherungsschutz sowie über die Verwendung und den Schutz ihrer persönlichen Daten zu informieren.258 Im Weiteren haben Versuchspersonen das Recht, sich während der gesamten Dauer der Studie mit Fragen an die Verantwortlichen zu wenden259. Die umfassende Information der Versuchspersonen im Rahmen der Aufklärung ist Gültigkeitsvoraussetzung für eine rechtsgültige Einwilligung.260 Wie zuvor aufgezeigt, ist die Aufklärung kein einmaliges Ereignis, sondern ein während der gesamten Dauer der Behandlung laufender Kommunikationsprozess zwischen der Versuchsperson und dem verantwortlichen Arzt und Studienpersonal. Das schweizerische Heilmittelgesetz kennt keine abschließende Aufzählung jener Punkte, über die Versuchspersonen zwingend aufzuklären sind.261 In Art. 54 und 55 HMG sowie in der KlinV werden einige Punkte explizit erwähnt, über die Versuchspersonen aufzuklären sind. Auf der Internetseite der Swissmedic ist eine Wegleitung für die Erstellung einer Information und Einverständniserklärung für Versuchspersonen abrufbar.262 Im Vergleich mit dem HMG sind die Ausführungen in einigen kantonalen Erlassen ausführlicher (z.B. Art. 66 Abs. 1 Bst. e Gesundheitsgesetz des Kantons Freiburg263, Art. 61 Abs. 1 Bst. e Gesundheitsgesetz des Kantons Genf264, Art. 28 255 256 257
258
259 260 261 262
263
JUNOD, 348 f. JUNOD, 349 ff. Art. 54 Abs. 1 lit. a Ziff. 6 HMG; § 40 Abs. 2 AMG (dazu KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 86, 89); SAMW-Forschungsrichtlinie Ziff. D 8; Art. 6 und Art. 12 VE HFG; Art. 5 Satz 3 Biomedizinkonvention i.V.m. Art. 13 Abs. 3 Forschungsprotokoll. Ausführlich zur Information der Versuchspersonen über ihre Rechte: JUNOD, 353 ff.; SPRUMONT/BÉGUIN, 897. Zum Recht der Versuchspersonen, ihre Versuchsteilnahme ohne Angaben von Gründen und ohne Nachteile zu erleiden abzubrechen: MANAÏ, 36, 512. ROGGO, 143 m.w.N. Siehe dazu beispielsweise Art. 54 Abs. 1 lit. a Ziff. 5 HMG; § 40 Abs. 2a AMG; Art. 13 Abs. 2 Forschungsprotokoll. JUNOD, 363 f. MANAÏ, 514 f. JUNOD, 339. , besucht im Juni 2007. Gesundheitsgesetz (BDLF 821.0.1), Art. 66 Abs. 1 Bst. e: „Die Versuchspersonen haben ihre freie, ausdrückliche und aufgeklärte Einwilligung schriftlich erklärt oder bestätigt, nachdem sie namentlich über die folgenden Punkte informiert wurden: Art und Zweck der Forschung, alle damit verbundenen Belastungen, Massnahmen und Analysen, das allfällige Vorhandensein anderer als der im Forschungsprojekt vorgesehenen Behandlungen, die voraussehbaren Risiken und Unannehmlichkeiten und den
228
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Abs. 2 Gesundheitsgesetz Kanton Neuenburg265). Wie in Kapitel 3 ausgeführt, wird die medizinische Forschung mit Versuchspersonen längst nicht in allen Kantonen besonders geregelt.266 Die bestehenden kantonalen Regelungen zur Humanforschung unterscheiden sich in ihrer Ausgestaltung und in ihrem Geltungsbereich teilweise erheblich.267 Die hier genannten Beispiele (Freiburg, Genf und Neuenburg) zeichnen sich durch eine detaillierte und aktuelle Regelung der Forschung mit Versuchspersonen aus. Zahlreiche Kantone verweisen bei Fragen der Forschung mit Versuchspersonen auf die SAMW-Forschungsrichtlinie.268 Diese enthält in Ziff. D 6 Anforderungen an die Aufklärung und Einwilligung von Versuchspersonen.269 Das deutsche Arzneimittelgesetz regelt den Inhalt und die Aus-
264
265
266 267
268
269
möglichen Nutzen. Die Information erstreckt sich auch auf den Anspruch der Versuchspersonen auf Entschädigung, sollten sie in Folge der Versuche einen Schaden erleiden, und auf das Recht, ihre Einwilligung jederzeit widerrufen zu können, ohne dass sich dies nachteilig auf ihre weitere Pflege auswirkt.“ Loi sur la santé (RSG K 1 03), Art. 61 Abs. 1 Bst. e): „e) les sujets de recherche ont donné leur consentement libre, exprès et éclairé, par écrit ou attesté par écrit, après avoir été informés notamment sur la nature et le but de la recherche, l'ensemble des contraintes, des actes et des analyses impliqués, l'existence éventuelle d'autres traitements que ceux qui sont prévus dans la recherche, les risques et les inconforts prévisibles, les bénéfices potentiels, leur droit à une compensation en cas de dommages imputables à la recherche, leur droit de retirer leur consentement à tout moment sans préjudice pour la poursuite des soins“. Loi de santé (RSN 800.1), Art. 28 Abs. 2: „[…] 2 Le soignant informe le patient sur le caractère expérimental des actes et mesures qu'il lui propose, et lui en explique en détail les modalités, le but, les avantages et les risques. […].“ Kapitel 3 III.2.d. Siehe auch die Ausführungen zu den kantonalen Regelungen zur Humanforschung in Kapitel 3 III.2.d. Beispielsweise Art. 65 Abs. 3 Verordnung über die medizinische und betriebliche Organisation der kantonalen Spitäler, psychiatrischen Kliniken und Laboratorien des Kantons St. Gallen (sGS 321.11); § 31 Abs. 6 Verordnung über die Rechte und Pflichten von Patienten und Patientinnen der kantonalen Spitälern des Kantons Luzern (SRL 823); § 9 Abs. 4 Verordnung über die Rechte und Pflichten der Patienten in den kantonalen Krankenanstalten des Kantons Basel-Landschaft (SGS 930.15). SAMW-Forschungsrichtlinie Ziff D 6: „Teilnehmer an Forschungsuntersuchungen und das an der Durchführung beteiligte Medizinalpersonal müssen in einer für sie verständlichen Form mündlich und schriftlich über die Studie informiert werden. Umfang und Form der Aufklärung hängen vom Forschungsprojekt ab, beinhalten aber in jedem Fall deren Ziel, voraussichtlichen Nutzen, Risiken und Belastungen, Ablauf und Dauer sowie gegebenenfalls Informationen über alternative Vorgehensweisen. Auf die Freiwilligkeit und das Recht der Nichtteilnahme und des jederzeit folgenlosen Widerrufs der Zusage ist hinzuweisen. Den Teilnehmern soll es auf jeden Fall möglich sein, Fragen zu stellen. Bevor sie sich entscheiden, muss ihnen eine angemessene Bedenkfrist gewährt werden. Sie sollen ferner die Möglichkeit haben, den Rat von Angehörigen, von nicht an der Forschung beteiligten Ärzten oder von anderen Vertrauenspersonen ihrer Wahl einzuholen. Das Einverständnis zur Teilnahme an Forschungsuntersuchungen ist in der Regel schriftlich einzuholen. Die Einwilligung muss datiert und in
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
229
gestaltung der Aufklärung von Versuchspersonen in § 40 Abs. 2 AMG und kennt mit § 40 Abs. 2a AMG eine eigene Bestimmung zur Aufklärung von Versuchspersonen über die Erhebung von personenbezogenen Daten, deren Zweck, Umfang und Verwendung.270 Auch das Medizinproduktegesetz regelt in § 20 Abs. 1 den Inhalt und die Durchführung der Aufklärung von Versuchspersonen, wenn auch weniger ausführlich als das AMG. In der CIOMS-Guideline 5271 findet sich ein ausführlicher Katalog von 26 Punkten, über die Versuchspersonen in Kenntnis zu setzen sind. Auch in Art. 13 Abs. 2 des Forschungsprotokolls zur Biomedizinkonvention des Europarates272 und insbesondere in Ziff. 4.8.10 der ICH-GCP-Guidelines273 findet sich eine umfassende Aufzählung, worüber die Versuchsteilnehmer schriftlich wie mündlich informiert werden müssen. Die zuständige Ethikkommission hat Informations- und Einwilligungsformulare für die Versuchspersonen auf ihre Vollständigkeit und Verständlichkeit zu prüfen.274 Für die rechtsgültige Abgabe einer Einwilligung zur Teilnahme an einem Forschungsvorhaben muss eine Versuchsperson in der Lage sein, Wesen, Bedeutung und Tragweite der Forschungsuntersuchung zu verstehen und gestützt auf die gewonnenen Erkenntnisse einen Willen zu bilden.275 Demzufolge sind die Vollständigkeit und Objektivität der Aufklärung und ihre Verständlichkeit für die Versuchspersonen zentrale Voraussetzungen für eine rechtsgültig erteilte Einwilligung.276 Der Wissensstand der Versuchsperson ist vor dem Eingriff zu Forschungszwecken durch den verantwortlichen Arzt zu überprüfen.277 Nur eine freie und aus eigenem Willen erteilte Einwilligung in die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben ist gültig. Folglich ist jegliche Form der Einflussnahme auf die Versuchsperson wie Täuschung, Anwendung von Zwang oder Drohung unzulässig.278 Eine unter Zwang, Täuschung oder Drohung erteilte Einwilligung zur Teilnahme an einem Forschungsvorhaben ist ungültig, da sie nicht dem freien Willen des Betroffenen entspricht.279 Bei Eingriffen zu Forschungszwecken kommen Einschränkungen bei der Aufklärung und Einwilligung unter keinerlei Umständen in Betracht. Vielmehr ist die potenzielle Versuchsperson ungefragt umfassend über mögliche Belastungen und Risiken und deren Folgen aufzuklären.280
270 271 272
273
274 275 276 277 278 279 280
der Regel mit der Unterschrift eines die Zustimmung bestätigenden Zeugen versehen sein.“ Zu Absatz 2 siehe KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 82 ff., 91 ff. Zu den CIOMS-Guidelines siehe Kapitel 3 II.2.d. Zur Biomedizinkonvention und dem Forschungsprotokoll des Europarates siehe Kapitel 3 II.2.b. Zu den ICH-Guidelines siehe Kapitel 3 II.2.e. Art. 6 Abs. 2 VKlin verweist explizit auf Ziff. 4.8 ICH-GCP-Guidelines. Siehe dazu SPRUMONT/BÉGUIN, 897. MANAÏ, 516. BERNAT zit. Forschung, 100. MANAÏ, 515; SCHWANDER zit. Forschung, 71. MANAÏ, 515; ROGGO, 144. MANAÏ, 509. MANAÏ, 510. ROGGO, 144 m.w.N.
230
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
b) Formvorschriften Auch in Bezug auf die Formvorschriften gilt der Grundsatz, dass sie für Eingriffe zu Forschungszwecken strenger sind als für ärztliche Eingriffe zu Heilzwecken. Während bei Eingriffen zu Heilzwecken die Aufklärung der Patienten in mündlicher Form zulässig und üblich ist,281 wird für die Aufklärung bei Forschungsvorhaben neben der mündlichen Information der Versuchspersonen die Abgabe der Informationen in schriftlicher Form verlangt.282 Das Erfordernis der Schriftlichkeit für die gültige Einwilligung bei Forschungsuntersuchungen findet sich sowohl in den Spezialgesetzen des Bundes (z.B. Art. 54 Abs. 1 lit. a HMG; Art. 6 Abs. 2 VKlin) wie auch in zahlreichen kantonalen Erlassen (z.B. § 22 Abs. 2 Patientendekret des Kantons Aargau283, Art. 34 Abs. 2 Gesundheitsgesetz des Kantons Bern; Art. 66 Abs. 1 Bst. e Gesundheitsgesetz des Kantons Freiburg284; Art. 61 Abs. 1 Bst. e Gesundheitsgesetz des Kantons Genf285, § 31 Abs. 2 Patientenverordnung des Kantons Luzern286, Art. 28 Abs. 3 Gesundheitsgesetz Kanton Neuenburg287).288 Im deutschen Arzneimittelrecht verlangt § 40 Abs. 1 Nr. 3 lit. b AMG die schriftliche Zustimmung. Dieses Erfordernis findet sich zudem in Ziff. 4.81
281 282 283
284
285
286
287
288
In diesem Zusammenhang weist SCHWANDER zu Recht darauf hin, dass „in der Forschung eine Berufung auf das in der medizinischen Praxis grundsätzlich anerkannte therapeutische Privileg keinesfalls zulässig“ ist. SCHWANDER zit. Forschung, 71. Diese Ansicht vertritt auch MANAÏ, 516. Als therapeutisches Privileg wird das (zulässige) Vorgehen des aufklärenden Arztes bezeichnet, der dem betroffenen Patienten gewisse Informationen (beispielsweise die vollständige Diagnose oder die mit einer Behandlung verbundenen Risiken) aus therapeutischen Gründen verschweigt. Die beschränkte Aufklärung dient dem Schutz des Behandlungserfolgs, da in bestimmten Fällen eine schonungslose Aufklärung den Patienten in Angstzustände oder Resignation versetzen könnte. Ausführlich zum therapeutischen Privileg MANAÏ, 92 ff.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 142 ff. Siehe auch GUILLOD zit. consentement, 186 ff.; PAYLLIER, 81 ff.; ROGGO, 220 ff. ROGGO, 157. Dazu BSK HMG-FERRARO, Art. 54 N 11; MANAÏ, 35, 511. Dekret über die Rechte und Pflichten der Krankenhauspatienten (SAR 333.110), § 22 Abs. 2: „Eine Person darf zu Forschungszwecken beansprucht werden, wenn sie handlungsfähig ist und ihre schriftliche Zustimmung erteilt hat.[…]“. Gesundheitsgesetz (BDLF 821.0.1), Art. 66 Abs. 1 Bst. e: „Die Versuchspersonen haben ihre freie, ausdrückliche und aufgeklärte Einwilligung schriftlich erklärt oder bestätigt, […].“ Loi sur la santé (RSG K 1 03), Art. 61 Abs. 1 Bst. e): „e) les sujets de recherche ont donné leur consentement libre, exprès et éclairé, par écrit ou attesté par écrit […]“. Verordnung über die Rechte und Pflichten von Patienten und Patientinnen der kantonalen Spitälern (SRL 823). Loi de santé (RSN 800.1), Art. 28 Abs. 3: „[…] 3 L'expérimentation ne peut être menée qu'avec le consentement écrit du patient. Celui-ci reste libre de retirer son consentement en tout temps sans préjudice pour la suite de sa prise en charge. […].“ Siehe auch die Ausführungen zu den kantonalen Regelungen zur Humanforschung in Kapitel 3 III.2.d
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
231
und 4.8.8 ICH-GCP-Guidelines; Art. 16 Biomedizinkonvention; Art. 3 Abs. 2 lit. d RL 2001/20/EG. Während die Einwilligung bei einem Eingriff zu Heilzwecken konkludent erfolgen kann, hat bei Eingriffen zu Forschungszwecken die Einwilligung grundsätzlich explizit zu erfolgen.289 Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Transparenz sind nicht nur die Aufklärung und Einwilligung der Versuchspersonen,290 sondern sämtliche relevanten Informationen zu einem Forschungsvorhaben vollständig zu dokumentieren.291 Die meisten Normen zur Humanforschung verlangen für die Einwilligung der Versuchspersonen bzw. ihres gesetzlichen Vertreters die schriftliche Form.292 Oftmals werden dafür spezielle Einwilligungsformulare (consent forms) verwendet.293 An die Dokumentation der Aufklärung von Versuchspersonen werden somit hohe Anforderungen gestellt. Diese dienen einerseits dem Schutz der Versuchspersonen und andererseits der Sicherung und Nachvollziehbarkeit der Forschungsergebnisse. Hinsichtlich der Person des Einwilligenden und des Zeitpunkts der Aufklärung bei Forschungsvorhaben kann grundsätzlich auf die obigen Ausführungen (II.3.d.) zur Aufklärung bei Heileingriffen verwiesen werden. Diese gelten sowohl für ärztliche Heileingriffe wie auch für Eingriffe zu Forschungszwecken. Wie in Kapitel 2 der vorliegenden Untersuchung aufgezeigt294 sind die Formen und Arten von medizinischen Forschungsvorhaben mit Versuchspersonen ebenso unterschiedlich und vielgestaltig wie ärztliche Behandlungen zu Heilzwecken. Während bei zahlreichen Forschungsvorhaben die Aufklärung der beteiligten Versuchspersonen frühzeitig erfolgen kann, lässt in anderen Fällen der Zweck oder 289
290
291 292
293
294
WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 176. WIEGAND weist darauf hin, dass aus rechtlicher Sicht auch eine konkludente Einwilligung zu einer Teilnahme an einem Forschungsvorhaben genügen würde. Doch seien kaum Umstände denkbar, unter denen eine solche Einwilligung durch schlüssiges Verhalten erfolgen könnte. Siehe dazu beispielsweise SAMW-Forschungsrichtlinie Ziff. D 9; Art. 13 Abs. 1 Forschungsprotokoll. SPRUMONT/BÉGUIN, 900 f. Dazu MANAÏ, 511. Siehe u.a. Art. 54 Abs. 1 lit. a HMG; § 40 Abs. 1 Nr. 3 lit. b AMG; § 20 Abs. 2 Nr. 2 MPG; SAMW-Forschungsrichtlinie Ziff. D 6; Art. 17 Abs. 1 Ziff. iv Biomedizinkonvention i.V.m. Art. 14 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 Ziff. iv Forschungsprotokoll. Auch der VE HFG verlangt die Schriftlichkeit der Einwilligung sowohl für die Forschung mit Personen im Allgemeinen (Art. 8 Abs. 2) wie auch explizit für die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter von urteilsunfähigen Personen (Art. 18) und für die Einwilligung urteilsfähiger unmündiger oder entmündigter Personen und deren gesetzlichen Vertreter (Art. 21). Hierzu JUNOD, 356 ff.; SPRUMONT/BÉGUIN, 897. Zur Verwendung von Aufklärungsformularen, Videos und weiteren Hilfsmittel in der Aufklärung bei Forschungsvorhaben siehe MANAÏ, 515. Zum Umfang und zur Ausgestaltung der Aufklärung von Versuchspersonen siehe auch die Erläuterungen zu CIOMS-Guideline 4, CIOMS, 17. Zu den verschiedenen Arten und Formen von medizinischem Erprobungshandeln mit Versuchspersonen siehe vorne Kapitel 2 IV.2.
232
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
der Versuchsaufbau eine frühzeitige und umfassende Aufklärung der Versuchspersonen nicht zu (dies trifft beispielsweise für die Forschung in der Notfallmedizin zu). Aufgrund der strengeren Maßstäbe an Form und Umfang der Aufklärung und Einwilligung bei Eingriffen zu Forschungszwecken sind Versuchspersonen prinzipiell zu einem möglichst frühen Zeitpunkt aufzuklären. Eine frühzeitige Aufklärung ermöglicht den Versuchspersonen eine ausreichende Bedenkzeit sowie die Möglichkeit für weitere Gespräche.295 Der informed consent der Versuchspersonen muss – um seine Gültigkeit zu bewahren – stets aktuell sein.296 Die Einwilligung der Versuchspersonen beruht jedoch primär auf dem Informationsstand zum Zeitpunkt der Aufklärung. Da sich die Umstände eines Forschungsvorhabens während seines Verlaufs auf eine für die Versuchspersonen relevante Weise verändern können (beispielsweise stehen neue Informationen zur Dosierung oder der Verträglichkeit der Prüfsubstanz zur Verfügung), ist in solchen Fällen erneut die Einwilligung der Versuchspersonen einzuholen.297
7. Kritische Anmerkungen Das Erfordernis der Einwilligung der Patienten und Versuchspersonen nach umfassender Aufklärung (Informed consent-Prinzip) als rechtfertigende Voraussetzung eines jeden medizinischen Eingriffs dient dem Schutz der Persönlichkeitsrechte: Die Selbstbestimmung sowie die autonome Verfügungsmacht des Einzelnen über seine physische und psychische Integrität werden damit respektiert und gewahrt. Mit dem Informed consent-Prinzip scheint eine klare rechtliche Grundlage für sämtliche ärztlichen Eingriffe unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen gefunden zu sein. Die Umsetzung dieses Grundsatzes in der medizinischen Praxis ist allerdings nicht immer leicht, wie nachfolgende Ausführungen aufzeigen. a) Kritische Überlegungen zum Informed consent-Grundsatzes Wie bereits ausgeführt,298 besteht eine große Vielfalt ärztlicher Eingriffs- und Behandlungsformen. Neben einfachen und eindeutigen Fällen werden Ärzte, Patienten und Versuchspersonen auch mit komplexen und neuartigen medizinischen Sachverhalten konfrontiert. In manchen Fällen sind das Ergebnis und die Folgen eines Eingriffs oder einer Behandlungsmethode nur beschränkt vorhersehbar. Besonders bei Behandlungen außerhalb des medizinischen Standards und bei Eingriffen zu Forschungszwecken können selbst Spezialisten allfällige Risiken und mögliche Nutzen nur bedingt einschätzen. Ansonsten wären die betreffenden Heilversuche und Forschungsvorhaben auch nicht gerechtfertigt. Diese Vielfalt 295 296 297
298
MANAÏ, 514, 517; SPRUMONT/BÉGUIN, 897. MANAÏ, 517. JUNOD, 369 f. JUNOD weist allerdings darauf hin, dass in der Praxis das Gewicht primär auf dem informed consent vor Beginn eines Forschungsvorhabens liegt. MANAÏ, 511. Siehe dazu Kapitel 2 III f.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
233
und die unter Umständen beschränkte Vorhersehbarkeit von Risiken und Nutzen stellen hohe Anforderungen an die ärztliche Aufklärung sowie an das Verständnis der Patienten und Versuchspersonen für medizinische Zusammenhänge. Die ärztliche Aufklärung soll den Patienten und Versuchspersonen eine freie, selbstverantwortliche Entscheidung ermöglichen. Diese soll in Kenntnis aller wichtigen Faktoren und in Abwägung aller relevanten Umstände erfolgen.299 Im Zusammenhang mit der Komplexität der heutigen Medizin ist die Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der Versuchspersonen und Patienten medizinische Laien sind und damit nicht über ein vertieftes medizinisches Fachwissen verfügen, eine große Herausforderung für die ärztliche Aufklärung der Patienten und Versuchspersonen. Der Arzt hat gegenüber den Patienten und Versuchspersonen in der Regel einen mehr oder weniger großen Wissensvorsprung. Zudem wird es für viele Patienten und Versuchspersonen trotz Aufklärung nur bedingt möglich sein, sich die für eine selbstbestimmte Entscheidung erforderlichen Kenntnisse anzueignen und diese in all ihren Konsequenzen zu verstehen. Vielmehr müssen sie auf die Fachkenntnisse und Erfahrungen ihrer Ärzte vertrauen und sind auf deren Empfehlungen angewiesen. Das Prinzip der selbstverantwortlichen Entscheidung des informierten und aufgeklärten Patienten erfährt somit in der Praxis eine starke Relativierung. Es ist davon auszugehen, dass die Ärzte mit ihrer Aufklärung und Beratung die Entscheidung der Patienten und Versuchspersonen maßgeblich beeinflussen. Insbesondere in Fällen, wo den Betroffenen für ihre Entscheidung wenig oder kein Spielraum bleibt, ist das Konzept des informed consent theoretischer Natur.300 Die Autonomie von Patienten und Versuchspersonen kann zudem durch weitere Faktoren beeinträchtigt werden.301 Patienten und Versuchspersonen befinden sich – je nach Krankheit und Verletzung in unterschiedlichem Ausmaß – in einem physischen und psychischen Ausnahmezustand. Sie leiden beispielsweise unter Schmerzen und Ängsten oder sind in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Sodann können sie durch die ärztliche Aufklärung mit Informationen konfrontiert werden, die für sie neu sind und sie möglicherweise verstören oder erschüttern. Unter solchen Umständen kann die Selbstbestimmungsfähigkeit von Patienten und Versuchspersonen beeinträchtigt sein.302 Infolgedessen ist davon auszugehen, dass die Einwilligung von Patienten und Versuchspersonen in einen ärztlichen Eingriff vielfach in erster Linie von ihrer Hoffnung auf Linderung und Heilung ihres Leidens getragen wird und nicht auf einer objektiven Abwägung sämtlicher Umstände beruht.303 Ferner gilt es zu beachten, dass die gegebenenfalls eingeschränkte Autonomie der Patienten und Versuchspersonen, die Komplexität medizinischer Sachverhalte und die damit verbundene Unsicherheit, das Angewiesensein der Patienten und Versuchspersonen auf das Können anderer sowie der Wissensvorsprung der Ärzte zu einem mehr oder weniger ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnis zwischen 299 300 301 302 303
WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 130. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 131. Hierzu ALDERSON, 29. So auch MANAÏ, 40 im Hinblick auf die Urteilsfähigkeit von (kranken) Minderjährigen. JUNOD, 346 ff.
234
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
einem Patienten bzw. einer Versuchsperson und dem behandelnden Arzt führen können. Dies gilt in gesteigertem Maße, je größer die gesundheitliche Notlage und das Leid des Betroffenen sind. Besonders heikel ist ein solches Abhängigkeitsverhältnis im Kontext der Forschung. Aus diesem Grund und zum Schutz der Versuchspersonen werden – wie oben dargelegt304 – bei Eingriffen zu Forschungszwecken an die Aufklärung und Einwilligung höhere Anforderungen gestellt als bei Eingriffen zu Heilzwecken. Die strengen Anforderungen für die Aufklärung und Einwilligung dienen dem Schutz der Versuchspersonen vor übereilten und in irgendeiner Form beeinflussten Entscheidungen. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass die erhöhten Anforderungen an die Aufklärung und Einwilligung von Versuchspersonen bei Forschungsvorhaben (beispielsweise das Erfordernis der Schriftform für die Einwilligungserklärung der Versuchspersonen305) zu rationaleren Entscheidungen der Betroffenen führen. Vielmehr ist auch in diesem Zusammenhang davon auszugehen, dass die Einwilligung von Versuchspersonen zur Teilnahme an einem Forschungsvorhaben – insbesondere im Fall von kranken Versuchspersonen – primär von der Hoffnung auf eine bessere und aufmerksamere Behandlung getragen wird und nur bedingt auf einer objektiven Abwägung der Vor- und Nachteile beruht. Die Entscheidung der Versuchspersonen kann auch durch übersteigerte Erwartungen an die Erfolgschancen der vorgeschlagenen experimentellen Behandlung 306 oder durch die Aussicht auf eine finanzielle Entschädigung beeinflusst sein.307 Des Weiteren können sich Patienten und Versuchspersonen gegenüber ihrem Arzt zur Teilnahme an einem von ihm vorgeschlagenen Forschungsvorhaben verpflichtet fühlen. An einer solchen Beeinflussung der Selbstbestimmung der Versuchspersonen ändern auch Merkblätter und Aufklärungsformulare, wie sie zur Information der Versuchspersonen vorgesehen sind,308 kaum etwas.309 Diese schriftlichen Informationen mögen der Vorbereitung und Ergänzung des Aufklärungsgesprächs dienen,310 sie vermögen jedoch die soeben beschriebenen Schwachpunkte des Informed consent-Prinzips in der Praxis nicht zu beseitigen.
304 305
306 307
308
309
310
Siehe II.5. Das Erfordernis der schriftlichen Form der Einwilligung von Versuchspersonen ist beispielsweise enthalten in Art. 54 Abs. 1 lit. a HMG; § 40 Abs. 1 Nr. 3 lit. b AMG; Art. 8 Abs. 1 VE HFG. Zur problematischen Nähe von Behandlung und Forschung siehe JUNOD, 342 f. Zu den finanziellen Anreizen in der medizinischen Forschung mit Versuchspersonen vorne Kapitel 2 III.4. Siehe z.B. § 40 Abs. 2 AMG. Die schriftlichen Informationen für die Versuchspersonen sind vorab der zuständigen Ethikkommission zur Prüfung vorzulegen. Siehe dazu Art. 54 Abs. 2 HMG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 lit. b und Art. 10 Abs. 2 lit. h VKlin. GUILLOD zit. consentement, 162 ff.; SPRUMONT/BÉGUIN, 897. Sie alle weisen darauf hin, dass Aufklärungsformulare für die Versuchspersonen häufig schwer verständlich sind, da sie entweder nicht dem Wissensstand und der Sprache medizinischer Laien angepasst sind oder es sich um schlechte Übersetzungen aus anderen Sprachen handelt. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 154.
II. Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen
235
b) Bedingte Anwendbarkeit des Informed consent-Grundsatzes in der Pädiatrie Trotz seiner weltweiten Anerkennung und unbestrittenen Bedeutung für die Selbstbestimmung von Patienten und Versuchspersonen wird am Prinzip der informierten Einwilligung (informed consent) im Zusammenhang mit der Forschung an nicht oder beschränkt einwilligungsfähigen Personen, Kritik geübt. So weist ROTHÄRMEL darauf hin, dass das Arztrecht „ausschließlich auf den erwachsenen ‚Normalpatienten’ und das heisst den Einwilligungsfähigen“ zugeschnitten ist. Entsprechend bilde der Informed consent-Grundsatz und somit die Einwilligungsfähigkeit den Schlüssel zu sämtlichen Patientenrechten.311 Dies könne für den erwachsenen Patienten und Probanden ein sinnvolles Konzept sein. Doch sei die Idee einer Person, „die erhaltene Informationen begreift, Tatsachen und Kausalverläufe erkennt und rational bewertet, um einsichtsgemäß selbstbestimmt zu handeln“, selbst bei Erwachsenen ein idealistisches Konzept.312 Ein weiterer Kritikpunkt am Informed consent-Prinzip in Hinblick auf seine Anwendung im Bereich der Forschung mit Minderjährigen ist das Erfordernis der schriftlichen Form der Einwilligung.313 Grundsätzlich ist die Schriftlichkeit der Einwilligung in der Humanforschung zu begrüßen. Dies einerseits aus Beweisgründen314, und andererseits vermag das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift der Versuchsperson die Bedeutung ihrer Zustimmung zu verdeutlichen.315 Jedoch muss auch bei dieser Anforderung zwischen der medizinischen Forschung mit erwachsenen, einwilligungsfähigen Versuchspersonen und der Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen unterschieden werden. In der Forschung mit Minderjährigen macht der Zwang zur Schriftlichkeit der Einwilligung angesichts der fehlenden Verpflichtungskraft von Signaturen Unmündiger wenig Sinn.
311 312 313
314 315
ROTHÄRMEL zit. Einwilligungsfähigkeit 33, 37. ROTHÄRMEL zit. Einwilligungsfähigkeit, 33 m.w.H. Siehe u.a. Art. 54 Abs. 1 lit. a HMG; § 40 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 lit. b) AMG; § 20 Abs. 2 Nr. 2 MPG; SAMW-Forschungsrichtlinie Ziff. D 5; Art. 17 Abs. 1 Ziff. iv Biomedizinkonvention und Art. 14 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 Ziff. iv Forschungsprotokoll. Wobei anzumerken ist, dass Art. 14 Abs. 1 des Forschungsprotokolls von „documented consent“ spricht. Dies lässt Raum für andere Formen der Einwilligung durch die Versuchsperson außer der Schriftlichkeit. Dies wäre bei der Forschung mit Kindern zu begrüßen. Hingegen wird für die stellvertretende Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter in Art. 15 Abs. 1 Ziff. iv die schriftliche Form verlangt. Auch der VE HFG vom Februar 2006 verlangt die Schriftlichkeit der Einwilligung sowohl für die Forschung mit Personen im Allgemeinen (Art. 8 Abs. 2) wie auch explizit für die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter von urteilsunfähigen Personen (Art. 18) und für die Einwilligung urteilsfähiger unmündiger oder entmündigter Personen und deren gesetzlichen Vertreter (Art. 21). TAUPITZ zit. Landesbericht 2005, 146. Es besteht jedoch auch die Gefahr, dass sich die Versuchspersonen durch ihre Unterschrift (vertraglich) gebunden und in ihrem jederzeitigen Rücktrittsrecht beeinträchtigt fühlen. JUNOD, 358.
236
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
c) Zusammenfassung Aus den obigen Ausführungen ist die Schlussfolgerung zu ziehen, dass es sich beim Grundsatz der informierten Einwilligung um ein theoretisches Konzept handelt. Es schafft eine klare rechtliche Grundlage für die Beziehung zwischen Arzt und Patient bzw. Arzt und Versuchsperson und ist damit grundsätzlich zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Patienten und Versuchspersonen geeignet. Allerdings unterliegt es in der Praxis erheblichen Relativierungen.316 Das Informed consent-Prinzip ist auf den sogenannten Normalpatienten im Sinne eines urteilsfähigen, einer objektiven Aufklärung zugänglichen und zu einer rationalen Entscheidung fähigen Patienten zugeschnitten. Wie aufgezeigt, wird die Fähigkeit der Patienten und Versuchspersonen, eine selbstverantwortliche Entscheidung zu treffen, in der Praxis durch verschiedenste Faktoren beeinflusst. Als Folge davon sind Fälle denkbar, in denen die Einwilligung eines Patienten bzw. einer Versuchsperson wohl der objektiven Rechtfertigung des ärztlichen Eingriffs dient, dabei dem individuellen Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen jedoch nicht gerecht wird.
8. Überleitung Wie zuvor angesprochen, kommen bei Kindern und Jugendlichen weitere Faktoren hinzu. Zu denken ist beispielsweise an die fehlende Einwilligungskompetenz urteilsunfähiger Kinder oder an die Vertretung Minderjähriger durch die Inhaber der elterlichen Sorge. Diese Besonderheiten stellen zusätzliche Anforderungen an den Schutz und die Wahrung der Persönlichkeitsrechte minderjähriger Patienten und Versuchspersonen. Die nachfolgenden Ausführungen widmen sich den Persönlichkeitsrechten von Kindern und Jugendlichen im medizinischen Kontext. Hierzu werden zunächst die Besonderheiten der Rechtsstellung Minderjähriger, insbesondere ihr Verhältnis zu den gesetzlichen Vertretern, dargestellt. anschließend werden die Persönlichkeitsrechte Minderjähriger im Rahmen medizinischer Behandlungen untersucht. Der letzte Abschnitt befasst sich mit den Persönlichkeitsrechten von Kindern und Jugendlichen in der medizinischen Forschung. Eine Zusammenfassung sowie ein Katalog von Forderungen beschließen die vorliegende Untersuchung.
III. Die allgemeine Rechtsstellung Minderjähriger Dieses vierte Kapitel der vorliegenden Abhandlung befasst sich mit den Persönlichkeitsrechten von Kindern und Jugendlichen im medizinischen Kontext. Die obigen Ausführungen zu den Persönlichkeitsrechten von Patienten und Versuchspersonen im Allgemeinen bilden hierzu den Ausgangspunkt. Die nachfolgende Darstellung der besonderen Rechtsstellung von Kindern und Jugendlichen ist die 316
GUILLOD zit. consentement, 165 ff. zeigt Wege auf, wie die Aufklärung von Patienten verbessert werden könnte.
III. Die allgemeine Rechtsstellung Minderjähriger
237
Grundlage für die daran anschließende Untersuchung der Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung. Die Rechtsstellung von Kindern und Jugendlichen wird in erster Linie durch ihre Minderjährigkeit sowie ihre besondere (Rechts-)Beziehung zu ihren Sorgeberechtigten – in der Regel die Eltern – geprägt. Nachfolgende Ausführungen gehen u.a. der Frage nach, wer Eltern sind und worin die elterliche Sorge besteht. Des Weiteren wird auf die Handlungsunfähigkeit von Minderjährigen sowie auf die Verwirklichung und Durchsetzung ihrer Rechte näher eingegangen.
1. Minderjährigkeit Das Wort Kind steht einerseits für das Verhältnis eines jeden Menschen zu seinen Eltern und andererseits bezeichnet es den Menschen in seinem ersten Lebensalter.317 Während das Verhältnis eines Menschen zu seinen Eltern – das Kindesverhältnis318 – unabhängig vom Alter ein ganzes Leben lang besteht, ist die Phase der Minderjährigkeit eine begrenzte. Während dieser ist die Beziehung zwischen dem minderjährigen Kind und seinen Eltern jedoch von besonderer (rechtlicher) Bedeutung. Von Gesetzes wegen umfasst die Minderjährigkeit eines Menschen die Zeitspanne zwischen seiner Geburt und der Vollendung seines 18. Lebensjahres.319 Während diesen ersten 18 Lebensjahren ist ein Mensch unmündig und steht in der Regel320 unter elterlicher Sorge.321 Mit Erreichen der Volljährigkeit und unter der Voraussetzung der vollen Urteilsfähigkeit entfällt die elterliche Sorge und die volle rechtliche Selbstverantwortlichkeit im Sinne der Geschäfts- und Deliktsfähigkeit (Handlungsfähigkeit) tritt ein.322
2. Die Sorgeberechtigten a) Wer sind die „Eltern“? Die elterliche Sorge steht in der Regel den Eltern eines Kindes zu.323 Mutter und Vater sind mit dem Kind durch das Kindesverhältnis verbunden. Zur Mutter entsteht das Kindesverhältnis von Gesetzes wegen mit der Geburt324 Zum Vater wird
317 318 319 320
321 322
323
324
HEGNAUER zit. Grundriss, N 1.01a. Siehe zum Kindesverhältnis vorne Kapitel 1 V.2.b. und unten Kapitel 4 III.1 f. Art. 14 ZGB. Die behördlich angeordnete Vormundschaft tritt nur ein, wenn die elterliche Sorge fehlt. HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.04, 25.16a ff. Art. 296 Abs. 1 ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.25. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 06.06; BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 14 N 6. Zur Handlungsunfähigkeit Minderjähriger siehe unten III.3. Zum Inhalt der elterlichen Sorge und den möglichen Inhaber der elterlichen Sorge gleich anschließend III.2. Art. 252 Abs. 1 ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 3.02.
238
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
das Kindesverhältnis kraft der Ehe zur Mutter325, durch Anerkennung326 oder durch ein Vaterschaftsurteil327 begründet. Daneben kann ein Kindesverhältnis zur Mutter und zum Vater durch Adoption entstehen.328 Neben dem rechtlich begründeten Kindesverhältnis wird ein Eltern-Kind-Verhältnis zudem durch ein psychosoziales Element gekennzeichnet. Für HEGNAUER verkörpern Pflege und Erziehung des Kindes durch die Eltern dieses „sozialpsychische Element“.329 Die Pflege und Erziehung eines Kindes durch beide Eltern mache den „existentiellen Kern der Eltern-Kind-Beziehung“ aus.330 Sie „sind sinnstiftend, lebensbestimmend, schicksalhaft“ und damit „die Uraufgabe aller Elternschaft“.331 Neben der auf die biologische Abstammung gründenden rechtlichen Elternschaft besteht somit eine psychosoziale Elternschaft, die im Zusammenleben des Kindes mit den Eltern besteht und die für das Leben und die Entwicklung des Kindes besonders wichtig ist.332 Kinder brauchen ein soziales Umfeld und sind auf ein Gegenüber, das heißt ein intaktes Beziehungsumfeld, angewiesen.333 Während die rechtliche Elternschaft von Gesetzes wegen durch das Kindesverhältnis besteht, beinhaltet die psychosoziale Elternschaft Faktoren wie Vertrauen, persönliche Nähe, Sicherheit und Beständigkeit. In der heutigen Gesellschaft werden die Pflege und Erziehung nicht in jedem Fall durch die leiblichen Eltern eines Kindes übernommen. Vielmehr besteht eine Fülle von Formen des Zusammenlebens von Kindern und Erwachsenen.334 Dies hat zur Folge, dass die rechtliche Elternschaft nicht in jedem Fall mit der psychosozialen Elternschaft übereinstimmt. Vielmehr sind Fälle denkbar, wo die Pflege und Erziehung eines Kindes und die eigentliche elterliche Sorge auseinander fallen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Kind vorrangig bei einer Tagesmutter, seinen Großeltern, anderen Verwandten oder Drittpersonen aufwächst, ohne dass diese Personen das Sorgerecht innehaben. Häufig trägt auch nur ein Elternteil die elterliche Sorge und ist zugleich für die Pflege und die Erziehung eines Kindes verantwortlich. Diese Konstellation tritt beispielsweise nach einer Ehescheidung auf. Möglich ist auch eine gemeinsame elterliche Sorge und Ver325 326 327 328
329 330 331 332
333 334
Art. 255 ff. ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 5.01 ff. Art. 260 ff. ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 7.01 ff. Art. 261 ff. ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 9.01 ff. Art. 264 i.V.m. Art. 267 Abs. 1 ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 10.01 ff. Dabei erlischt das bisherige Kindesverhältnis (Art. 267 Abs. 2 ZGB). HEGNAUER bezeichnet das Adoptionsverhältnis daher als „künstliches Kindesverhältnis“. HEGNAUER zit. Kindesrecht, 30. HEGNAUER zit. Kindesrecht, 32. HEGNAUER zit. Kindesrecht, 34. HEGNAUER zit. Kindesrecht, 34. Dazu auch HEGNAUER zit. Grundriss, N 26.04b mit Bezug auf die Maxime des Kindeswohls: „Im sozialpsychologischen Bereich verlangt die Maxime vorab, dass das Kind bei Eltern oder Ersatzeltern in stabilen, durch Zuwendung und Verantwortung geprägten Beziehungen aufzuwachsen vermag und diese in Krisen soweit möglich geschützt werden.“ MAIO zit. Forschungsobjekt, 67. Siehe dazu die Auflistungen möglicher Konstellationen bei HEGNAUER zit. Grundriss, N 1.07 f.
III. Die allgemeine Rechtsstellung Minderjähriger
239
antwortung für die Pflege und Erziehung, ohne dass beide Elternteile mit dem Kind an einem gemeinsamen Lebensmittelpunkt leben.335 Zugleich bestehen Eltern-Kind-Verhältnisse, bei denen Kinder zwar mit ihren leiblichen Eltern einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt haben und die Eltern sowohl das Sorgerecht ausüben wie für die Pflege und Erziehung des Kindes verantwortlich sind, das Kind jedoch eine Bezugsperson außerhalb des Elternhauses hat, die die psychosoziale Elternschaft ausübt. In diesen Fällen verbindet das Kind mit seinen leiblichen Eltern nur die rechtliche Elternschaft, nicht aber die psychosoziale Elternschaft.336 Zu erwähnen sind zudem jene Kinder, die nicht unter elterlicher Sorge stehen und denen ein Vormund bestellt wurde.337 Sie wachsen nach Möglichkeit bei einer Pflegefamilie auf, wobei den Pflegeeltern keine elterliche Sorge zukommt.338 Kinder und Jugendliche können außerdem unter bestimmten Umständen zeitweise oder dauerhaft in Institutionen untergebracht sein. Zu denken ist einerseits an eine behördlich veranlasste Unterbringung Minderjähriger in Kinder- und Jugendheimen, Erziehungs- oder Jugendstrafanstalten. Andererseits halten sich Kinder auch aus gesundheitlichen Gründen für eine begrenzte Zeit oder dauerhaft in einer Institution auf (beispielsweise Krankenhäuser und Rehabilitationszentren, Heime für behinderte Kinder). Möglich ist auch der freiwillig gewählte Aufenthalt eines Kindes in einer Institution, beispielsweise aus Gründen der Ausbildung (Besuch eines Internats). Während des Aufenthalts in einer Institution sind die Kinder in der Regel von ihren Eltern und ihren Bezugspersonen getrennt und stehen nur zeitweise oder gar nicht mit ihnen in Kontakt. Die Sorgeberechtigten werden während der Dauer des Aufenthalts in ihren elterlichen Aufgaben durch die zuständigen Personen der jeweiligen Institution vertreten.339 Je nach Zweck des Aufenthalts und Art der Institution sind Kinder und Jugendliche in der Lage, sich dort ein Beziehungsumfeld zu schaffen. Es sind jedoch auch Situationen 335
336
337
338
339
So in Fällen, wo nach Art. 298a ZGB nach einer Scheidung das Sorgerecht beiden Eltern zur gemeinsamen Ausübung übertragen wird. Dabei handelt es sich meist um sogenannte zerrüttete Familienverhältnisse. In diesen Fällen suchen und finden Kinder oftmals außerhalb der Kernfamilie Bezugspersonen (Verwandte, Lehrer, Sozialarbeiter etc.), zu denen sie ein enges Vertrauensverhältnis aufbauen. Dadurch kommt diesen Bezugspersonen eine wichtige Rolle im Leben der Kinder zu. Sie haben Teil an der Entwicklung des Kindes, ohne dabei die mit der rechtlichen Elternschaft verbundenen Pflichten und Rechte innezuhaben. Siehe dazu HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.16a ff. Kinder stehen nicht unter elterlicher Sorge, wenn ihre Eltern unbekannt, unmündig oder entmündigt sind oder wenn den Eltern die elterliche Sorge entzogen wurde oder sie ihnen (aus Gründen des Kindeswohls) nicht übertragen werden kann. Art. 300 ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.12 ff. Zur elterlichen Sorge siehe gleich anschließend III.2. Siehe dazu die Ausführungen HEGNAUERS zu Pflegeltern: HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.12 ff. Der Rahmen der Vertretung ist unterschiedlich weit. Bei einer kurzfristigen Unterbringung eines Kindes wird er klein, bei einer dauerhaften Unterbringung zu Pflegezwecken kann er ausgedehnter sein. Sofern das Gesetz den Entscheid der Eltern verlangt oder die Eltern sich eine Entscheidung ausdrücklich vorbehalten, ist die Vertretung der Eltern durch Pflegeeltern oder andere Vertreter nicht möglich.
240
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
denkbar, wo ein Kind oder ein Jugendlicher zeitweise ohne Bezugspersonen auskommen muss und niemand die wichtige Aufgabe der psychosozialen Elternschaft für die betroffenen Kinder ausübt. Die Ausführungen machen deutlich, dass sich das Eltern-Kind-Verhältnis nicht auf die biologische Abstammung bzw. das rechtliche Eltern-Kind-Verhältnis reduzieren lässt. Für die kindliche Entwicklung überaus bedeutsam ist die zuvor dargestellte psychosoziale Elternschaft im Sinne eines intakten Beziehungsumfeldes. Dieses wird nicht in jedem Fall durch die Inhaber der elterlichen Sorge gebildet. Wie wichtig das persönliche Beziehungsumfeld eines Kindes bei der ärztlichen Behandlung und im Kontext der medizinischen Forschung mit Minderjährigen ist, gilt es nachfolgend zu erörtern. b) Elterliche Sorge Ein unmündiges Kind steht im Regelfall340 unter elterlicher Sorge.341 Diese umfasst die gesetzliche Befugnis, für das unmündige – und in Ausnahmefällen auch für das entmündigte342 – Kind die nötigen Entscheidungen zu treffen und Rechtshandlungen vorzunehmen.343 Die elterliche Sorge bildet demnach die Grundlage für die Vertretung eines Kindes.344 Sie besteht von Gesetzes wegen und ist Ausdruck des Kindesverhältnisses345 zwischen dem Kind und seinen Eltern.346 Da die elterliche Sorge auf dem Kindesverhältnis beruht, steht sie nur den Eltern zu.347 Anderen Verwandten, Stiefeltern348 oder Pflegeltern349 kommt keine elterliche Sorge zu. Diese Personen können die Eltern lediglich in der Ausübung der elterlichen Sorge vertreten.350 Die elterliche Sorge steht bei verheirateten Eltern beiden Eltern als eigenes selbstständiges Recht zu.351 Während der Ehe üben sie die elterliche Sorge gemeinsam aus.352 Dabei ist jeder Elternteil mit ausdrücklicher oder stillschweigen-
340 341 342 343
344
345 346 347 348 349 350 351
352
Zur Vormundschaft Unmündiger die Ausführungen und Quellenhinweise in Fn. 320. Art. 296 ff. ZGB. Siehe dazu HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.25 sowie N 25.16a ff. Art. 304 und 305 ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.02. Erfordern es die Verhältnisse, kann für das Kind durch die Vormundschaftsbehörde ein Beistand ernannt werden, der den Eltern bei der Erziehung und Vertretung des Kindes zur Seite steht, Art. 308 ZGB. Zur elterlichen Sorge im medizinischen Kontext siehe MANAÏ, 189 f. HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.02; BSK ZGB I-SCHWENZER, Art. 305 N 4. Die Vertretungsmacht der Eltern besteht nur im Umfang ihrer elterlichen Sorge (Art. 304 Abs. 1 ZGB). HEGNAUER zit. Grundriss, N 2.06, 25.07. Art. 297 ff. ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 2.01 ff. HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.07. Art. 299 ZGB. Art. 300 ZGB. HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.07, 25.09, 25.12. HEGNAUER zit. Grundriss, N 2.08. Während der Ehe ist das Kindesverhältnis gemeinschaftlich. Es entsteht aufgrund der Geburt des Kindes in der Ehe, Art. 255 Abs. 1 ZGB. Art. 297 Abs. 1 ZGB.
III. Die allgemeine Rechtsstellung Minderjähriger
241
der Zustimmung des andern befugt, selbstständig tätig zu werden.353 Ist es zum Schutz der Interessen und der Persönlichkeit des Kindes erforderlich, darf ein Elternteil einseitig und ohne Zustimmung und Wissen des anderen handeln. Dabei dürfen die Interessen des nicht um seine Zustimmung gefragten Elternteils nicht verletzt werden. Einseitiges Handeln gegen die Interessen des anderen Elternteils ist nur zulässig, wenn es die Interessen des Kindes unbedingt erfordern und Gefahr im Verzug ist.354 Stirbt ein Elternteil, so steht die elterliche Sorge von Gesetz wegen dem hinterbliebenen Elternteil alleine zu.355 Im Falle der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts,356 der Trennung357 oder Scheidung358 kann es zu einer Zuteilung der elterlichen Sorge auf nur einen Elternteil kommen. Mit der Zuteilung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil wird dem andern die Entscheidungsbefugnis über das Kind entzogen.359 Ist es mit dem Kindeswohl vereinbar, kann das Gericht auf gemeinsamen Antrag der Eltern bei einer Scheidung die elterliche Sorge gleichwohl bei beiden Eltern belassen.360 Sind die Eltern nicht verheiratet, steht die elterliche Sorge der Mutter zu361 bzw. entsteht das Kindesverhältnis zum Vater durch Anerkennung362 oder durch Vaterschaftsurteil363. Wobei mit der Anerkennung der Vaterschaft oder einem Vaterschaftsurteil nicht in jedem Fall auch eine Übertragung der elterlichen Sorge einhergeht. Wird ein Kind adoptiert, steht die elterliche Sorge, im Falle verheirateter Adoptiveltern, beiden zur gemeinsamen Ausübung zu.364 Bei einer Adoption durch eine unverheiratete Person übt diese Frau oder dieser Mann die elterliche Sorge alleine aus.365 Wo die elterliche Sorge fehlt, tritt die behördlich angeordnete Vormundschaft in ihre Lücke.366 Dabei ist die Rechtsstellung des Vormundes jener der Eltern ähnlich.367 353 354 355 356 357
358 359
360 361
362 363 364 365 366 367
Art. 304 Abs. 2 i.V.m Art. 159 Abs. 2 ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.17. HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.18. Art. 297 Abs. 3 ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.19. Im Eheschutzverfahren nach Art. 176 Abs. 3 ZGB. Als vorsorgliche Maßnahme im Trennungsprozess, Art. 137 Abs. 2 i.V.m Art. 176 Abs. 3 ZGB. Im Scheidungsverfahren, Art. 133 ZGB. HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.21. Der nicht sorgeberechtigte Elternteil ist auch nach der Scheidung an der Sorge beteiligt und bleibt durch verschiedene Rechte und Pflichten mit seinem Kind verbunden: Unterhaltspflicht (Art. 276, 285 ZGB), Recht auf persönlichen Verkehr (Art. 273 ZGB), Recht auf Information, Anhörung und Auskunft (Art. 275a ZGB) und die Beistandpflicht (Art. 272 ZGB). Art. 133 Abs. 3 ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.21a ff. Art. 298 Abs. 1 ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 2.06, 3.01 ff, 25.22. Das Kindesverhältnis zur Mutter entsteht von Gesetzes wegen mit der Geburt, Art. 252 ZGB. Art. 260 ff. ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 7.01 ff. Art. 261 ff. ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 9.01 ff. Art. 264 i.V.m. 264a ZGB. Art. 264 i.V.m. Art. 264b ZGB. Art. 368 Abs. 1, Art. 379 ff. ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.04, 25.16a ff. Dazu HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.16c. Der Vormund untersteht bei der Ausübung seines Amtes der Aufsicht der Vormundschaftsbehörde, Art. 420 ff. ZGB.
242
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Die primäre Leitlinie und Schranke der elterlichen Sorge und damit der Vertretungsmacht der Eltern ist die Maxime des Kindeswohls.368 Dies gilt in gesteigertem Maße für Entscheidungen, welche die Gesundheit des Kindes betreffen. Hinsichtlich der Bedeutung und der Grenzen der elterlichen Sorge fasst HEGNAUER zusammen: „Wesentlich ist: zum einen die Zuständigkeit der Eltern, über und für das Kind zu entscheiden, ein Stück materiellen Verfassungsrechts. Zum andern die vierfache Beschränkung der einst absoluten väterlichen Gewalt: die Ausrichtung auf das Kindeswohl, die begrenzte eigene Handlungsfähigkeit des Kindes, die seiner Reife entsprechende Freiheit der Lebensgestaltung und die Rücksicht auf seine Meinung, was seine Anhörung einschließt.“ Die elterliche Entscheidungskompetenz steht unter dem Vorbehalt der eigenen Handlungsfähigkeit des Kindes.369 Gemäß Art. 301 Abs. 2 ZGB haben die Eltern dem Kind „die seiner Reife entsprechende Freiheit der Lebensgestaltung“ zu geben und haben in wichtigen Angelegenheiten auf seine Meinung Rücksicht zu nehmen.370 Der Schutz und die Förderung der Persönlichkeit des Kindes bildet damit die Leitidee für die Ausübung der elterlichen Sorge371 und die höchstpersönlichen Rechte des Kindes begrenzen die Vertretungsmacht der Eltern.372 Dabei sind die absolut höchstpersönlichen Rechte vertretungsfeindlich und können in den meisten Fällen nur durch den Träger selber ausgeübt werden.373 Bei den relativ höchstpersönlichen Rechten – wozu die Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff zählt374 – ist hingegen eine Vertretung des Kindes durch die Inhaber der elterlichen Sorge möglich.375 Letztendlich verfolgt die elterliche Sorge jedoch das Ziel, sich überflüssig zu machen.376 Und so besteht das Kindesverhältnis ein Leben lang, wäh-
368
369 370
371 372 373
374 375 376
Im Zuge der Totalrevision des Vormundschaftsrechts wird die Vormundschaft über Minderjährige neu im Kindesrecht in einem fünften Abschnitt geregelt, der an den Kindesschutz anschließt (Botschaft Vormundschaftsrecht, 7020 f.). Der Begriff ‚Vormundschaft’ wird im Zuge der Revision nur noch im Bereich des Kindesschutzes verwendet, nicht aber im Erwachsenenschutz (dazu Botschaft Vormundschaftsrecht, 7023). Volljährige Personen stehen unter einer umfassenden Beistandschaft (Art. 398 E ZGB). Art. 301 Abs. 1 ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 26.04, 26.04a ff.; MANAÏ, 189; BSK ZGB I-SCHWENZER, Art. 305 N 2, 10. Zum Kindeswohl als Richtlinie für Entscheide der Sorgeberechtigten im medizinischen Kontext siehe unten IV.3. BSK ZGB I-SCHWENZER, Art. 301 N 3. Siehe zum deutschen Recht: § 1626 Elterliche Sorge, Grundsätze, Abs. 2: „Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.“ BSK ZGB I-SCHWENZER, Art. 301 N 7. Siehe dazu oben II.2. sowie nachfolgend III.3. und IV.1. BSK ZGB I-SCHWENZER, Art. 305 N 5. Das Gesetz sieht Ausnahmen vor, in denen für die rechtsgültige Ausübung absolut höchstpersönlicher Rechte durch urteilsfähige Minderjährige die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter notwendig ist. SCHWENZER zit. Vertretungsmacht, 687 f. So beispielsweise bei der Verlobung urteilsfähiger Unmündiger, Art. 90 Abs. 2 ZGB. Weitere Beispiele Siehe Fn. 45. SCHWENZER zit. Vertretungsmacht, 689. Siehe auch Fn. 47. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.25 ff. Siehe dazu weiter unten III.3. BSK ZGB I-SCHWENZER, Art. 301 N 3; WÖLK zit. minderjähriger Patient, 83.
III. Die allgemeine Rechtsstellung Minderjähriger
243
rend die elterliche Sorge mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs ein Ende findet.377 c) Schlüsselrolle der Eltern Wie eben dargelegt, sind die Eltern bis zur Volljährigkeit des Kindes seine gesetzlichen Vertreter.378 Sie „leiten im Blick auf das Wohl des Kindes seine Pflege und Erziehung und treffen unter Vorbehalt seiner eigenen Handlungsfähigkeit die nötigen Entscheidungen“.379 „Die Eltern haben das Kind ihren Verhältnissen entsprechend zu erziehen und seine körperliche, geistige und sittliche Entfaltung zu fördern und zu schützen.“380 In erster Linie sind demnach die Eltern für das körperliche und seelische Wohlergehen ihres Kindes verantwortlich und haben bei Bedarf die nötigen medizinischen Maßnahmen in die Wege zu leiten.381 Bei der Ausübung ihres Sorgerechts haben Eltern ein erhebliches Ermessen. Die Grenze und das Richtmaß bildet dabei gemäß Art. 301 ZGB das Kindeswohl.382 Im Bereich der medizinischen Versorgung und Betreuung kann eine Vernachlässigung der elterlichen Sorgepflicht für das betroffene Kind schwere gesundheitliche Folgen zeitigen. Ein trauriges Beispiel für ein solches Verhalten der Eltern ist der Fall des an Knochenkrebs leidenden neunjährigen D. Seine Eltern sprachen sich gegen die Fortsetzung der Chemotherapie sowie weitere nötige Operationen aus und vertrauten ihren Sohn der zweifelhaften Pflege eines Arztes an, der den Eltern versprach, ihren Sohn mit von ihm entwickelten, hochdosierten Vitaminpräparaten vollständig zu heilen. D. befand sich bald darauf in einem unheilbaren Zustand. Den Eltern wurde das Sorgerecht kurzzeitig entzogen. Ein erneutes Verfahren scheiterte, da sich D. ohnehin in einem unheilbaren Zustand befand. In der Zwischenzeit ist D. seinem Krebsleiden erlegen.383 Daneben gibt es weniger spektakuläre Fälle, in denen das Leben eines Kindes nicht bedroht ist, dessen Gesundheit jedoch geschädigt und seine physische und psychische Entwicklung nachhaltig beeinflusst wird (beispielsweise Fehl- oder Mangelernährung, eine unbehandelte Sehschwäche, fehlende Fördermaßnahmen bei korrigierbaren Sprechstörungen, die Vorenthaltung von Medikamenten oder die Verweigerung von empfohlenen Röntgenuntersuchungen und Operationen etc.). Die obigen Ausführungen und ihre Illustration durch den Fall von D. verdeutlichen, dass den Eltern eine Schlüsselrolle in der gesundheitlichen Versorgung ihres Kindes zukommt. Ihre Fürsorge, Pflege und Begleitung ist für gesunde wie für 377
378 379 380 381
382 383
HEGNAUER zit. Kindesrecht, 38: „Die 18 Jahre umspannen die entscheidende Entwicklung des Kindes von der Abhängigkeit zur Selbstständigkeit, ein unaufhaltsamer, bald schneller, bald langsamer verlaufender Prozess des körperlichen und geistigen Wachstums.“ Art. 296 Abs. 1 ZGB. Art. 301 Abs. 1 ZGB. Art. 302 Abs. 1 ZGB. Siehe zum deutschen Recht WÖLK zit. minderjähriger Patient, 81. Das elterliche Personensorgerecht nach § 1626 Abs. 2 umfasst auch Entscheidungen über eine ärztliche Behandlung eines Minderjährigen. Siehe zur zentralen Bedeutung des Kindeswohls in der Pädiatrie STUHLINGER, 153 ff. Der Fall wurde geschildert in der NZZ am Sonntag vom 26. September 2004, 81.
244
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
kranke Kinder physisch wie psychisch überlebensnotwendig. Es versteht sich daher von selbst, dass den Eltern auch in der medizinischen Forschung mit Kindern eine zentrale Rolle zukommt. Nicht nur sind die Eltern oftmals die engsten Vertrauten des Kindes, von denen es Schutz, Geborgenheit und Fürsorge erhält, sie willigen letztendlich auch rechtsgültig in die Vornahme eines ärztlichen Eingriffs bei ihrem Kind ein. Demzufolge sind auch die Ärzte, neben der Zustimmung der Eltern, auf deren Unterstützung und Mithilfe bei der medizinischen Behandlung eines Kindes angewiesen. Damit ist es für das Wohl der in die medizinische Forschung involvierten Kinder unerlässlich, dass ihre Eltern bestmöglich mit einbezogen werden. Insbesondere bei Früh- und Neugeborenen sowie bei Kindern im Säuglingsund Kleinkinderalter sind die Eltern oftmals die einzigen Ansprechpersonen für die Ärzte. Diese Altersstufen sind nicht in der Lage, hinsichtlich einer Behandlung oder Forschungsmaßnahme einen eigenen Willen zu bilden. Früh- und Neugeborene sowie Säuglinge sind nur sehr eingeschränkt in der Lage, ihre Bedürfnisse gezielt kundzutun. So ist es ihnen beispielsweise nicht möglich, Schmerzen zu beschreiben oder zu lokalisieren. Mit Zunahme der Sprachkompetenz können die engsten Bezugspersonen eines Kindes seine individuellen Vorlieben und Empfindlichkeiten immer besser ergründen. Entsprechend kommt den Eltern im Rahmen der medizinischen Versorgung ihrer Kinder in den ersten Lebensjahren eine zentrale Rolle zu. Sie sind im Hinblick auf ihr Kind sozusagen Experten. Auch bei älteren Kindern ist die medizinische Behandlung als ein Teamwork zwischen dem Kind, dem Arzt, den Eltern sowie dem Klinikpersonal zu verstehen. Dies gilt sowohl für ärztliche Eingriffe zu Heilzwecken wie auch für Eingriffe, die der Forschung dienen. Nur eine enge Zusammenarbeit aller in eine Behandlung von Kindern bzw. ein Forschungsvorhaben mit Kindern involvierten Personen führt zu den bestmöglichen Resultaten.
3. Die Handlungsunfähigkeit Minderjähriger Wie zuvor ausgeführt, steht die elterliche Vertretungskompetenz unter dem Vorbehalt der Handlungsfähigkeit des Kindes. Wer handlungsfähig ist, kann durch sein eigenes Verhalten Rechte und Pflichten begründen, ändern, aufheben und vermag sonstige rechtliche Wirkungen auszulösen.384 Zur vollen Handlungsfähigkeit ist neben der Mündigkeit Urteilsfähigkeit erforderlich.385 Kinder und Jugendliche sind nie voll handlungsfähig. Ihnen fehlt – unabhängig von ihrer Urteilsfähigkeit – immer das Erfordernis der Mündigkeit.386 An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass mit der Totalrevision des Vormundschaftsrechts terminologische Änderungen im deutschen Gesetzestext des Personenrechts verbunden sind. Anstelle von mündig wird das revidierte Zivilge384 385
386
Art. 12 ZGB; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 06.01 ff. Art. 13 und 14 i.V.m. Art. 16 ZGB; BUCHER ANDREAS, Rn. 72; HAUSHEER/AEBIMÜLLER, Rz. 06.09. Zum Alter als objektives Kriterium der Einwilligungsfähigkeit siehe GUILLOD zit. consentement, 205 ff.
III. Die allgemeine Rechtsstellung Minderjähriger
245
setzbuch den Ausdruck volljährig verwenden.387 Dementsprechend wird der revidierte Art. 13 E ZGB die Handlungsfähigkeit wie folgt lauten: „Die Handlungsfähigkeit besitzt, wer volljährig und urteilsfähig ist.“ a) Urteilsfähigkeit Unter Urteilsfähigkeit wird die Fähigkeit verstanden, „den Sinn und Nutzen sowie die Wirkungen eines bestimmten Verhaltens einsehen und abwägen zu können“ sowie gemäß dieser Einsicht, vernünftig und aus freiem Willen zu handeln.388 Das vernunftmäßige Handeln setzt zwei Fähigkeiten voraus: Zum einen ist dies die intellektuelle Fähigkeit, eine Situation zu verstehen, sie vernünftig einzuschätzen sowie die Bildung eines entsprechenden Willens.389 Zum andern ist es die Fähigkeit zu willensgemäßem Handeln.390 Dabei kommt es auf die tatsächlichen Fähigkeiten des Betroffenen an.391 Die Urteilsfähigkeit ist keine absolute, sondern eine relative Größe.392 Demnach ist sie immer mit Rücksicht auf eine bestimmte Person und im Zusammenhang mit einer konkreten Handlung dieser Person zu beurteilen.393 Im medizinischen Kontext sind zudem weitere Faktoren (Beeinträchtigung, Schmerzen, Heilungschancen, Krankheitserfahrungen etc.) bei der individuellen Beurteilung der Urteilsfähigkeit maßgebend.394 Die Relativität der Urteilsfähigkeit besteht in zeitlicher sowie in sachlicher Hinsicht.395 Im Hinblick auf die zeitliche Dimension der Urteilsfähigkeit muss die Person (nur) im Zeitpunkt der Vornahme der infrage stehenden Handlung urteilsfähig sein.396 Obwohl das Gesetz das Kindesalter als ein Indiz für die Annahme der Urteilsunfähigkeit nennt,397 muss in jedem Einzelfall geprüft werden, „ob im Blick auf die konkrete Handlung die Entwicklung des Kindes und seine geistig-psychische Reife der vom Gesetz geforderten Vernunft und Selbstverantwortlichkeit entspricht“.398 Demzufolge lassen sich für die Urteilsfähigkeit keine fixen Altersgrenzen festlegen.399 In sachlicher Hinsicht gilt bei 387 388
389 390 391 392
393 394 395 396 397
398 399
Botschaft Vormundschaftsrecht, 7094 Art. 16 ZGB; BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 16 N 3 und 6; MANAÏ, 37; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 159. Zur Einwilligungsfähigkeit nach deutschem Recht und Lehre siehe AMELUNG, 24 ff.; TAUPITZ zit. Regelungen, A 54 ff. BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 16 N 6. BUCHER ANDREAS, Rn. 75; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 06.24 ff.; MANAÏ, 37. TAUPITZ zit. Regelungen, A 58. BUCHER ANDREAS, Rz. 83 ff. Zur Relativität der Urteilsfähigkeit im Kontext medizinischer Eingriffe BUCHER EUGEN, 135, HOHERMUTH, 75 f. und im Zusammenhang mit medizinischer Forschung mit urteilsfähigen Unmündigen MANAÏ, 520. BUCHER ANDREAS, Rz. 86; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 06.50 f.; MANAÏ, 38. MANAÏ, 40. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 06.51. ROGGO, 166. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 160. Die Urteilsfähigkeit wird prinzipiell vermutet. Dieser Grundsatz verliert seine Geltung, wenn die Lebenserfahrung im Einzelfall (wie beispielsweise bei Kleinkindern) zur umgekehrten Vermutung führt. BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 16 N 15. Art. 16 ZGB; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 06.42; HEGNAUER zit. Grundriss, N 26.24.
246
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
der Prüfung der Urteilsfähigkeit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.400 Dieser besagt, dass an die Urteilsfähigkeit höhere Anforderungen zu stellen sind, je bedeutender die Auswirkungen einer Handlung sind.401 Das schwierige an dieser relativen Formel für die Einwilligungsfähigkeit ist, dass die Menschen in sehr unterschiedlichem Ausmaß über die erforderliche Einsicht und Reife verfügen.402 Wie ausgeführt, kennt das Recht keine Abstufungen oder die Möglichkeit einer Teil-Urteilsfähigkeit. Die Urteilsfähigkeit einer bestimmten Person ist für ein bestimmtes Rechtsgeschäft entweder gegeben oder sie fehlt vollständig.403 Zu Recht hält TAUPITZ fest, dass der Schwelle zwischen gerade noch bestehender und gerade schon zu verneinender Einwilligungsfähigkeit eine entscheidende Bedeutung zukommt.404 Die Urteilsfähigkeit ist demzufolge die subjektive Voraussetzung der Handlungsfähigkeit im Vergleich zur objektiven Voraussetzung der Mündigkeit.405 Die Urteilsfähigkeit bildet zugleich die Voraussetzung, damit handlungsunfähige Personen in gewissen Grenzen rechtswirksame Handlungen vornehmen können.406 Demzufolge ist bei Kindern und Jugendlichen zwischen der vollständigen Handlungsunfähigkeit (bei fehlender Urteilsfähigkeit) und der beschränkten Handlungsunfähigkeit (bei Urteilsfähigkeit) zu unterscheiden. b) Vollständig handlungsunfähige Minderjährige407 Wer weder urteilsfähig noch volljährig ist, ist vollständig handlungsunfähig und kann durch sein Handeln keine selbstständigen Rechtswirkungen herbeiführen (Art. 17 und 18 ZGB).408 Urteilsunfähige Minderjährige sind auf gesetzliche Vertreter angewiesen, die an ihrer Stelle die erforderlichen Rechtshandlungen vornehmen.409 Bei Minderjährigen sind dies in der Regel die Inhaber der elterlichen Sorge.410 Die Rechtswirkungen der Handlungen des gesetzlichen Vertreters treten unmittelbar beim Vertretenen ein.411 Die Vertretung umfasst mit Ausnahme der absolut höchstpersönlichen Rechte sämtliche Rechtsbereiche.412
400 401 402 403 404 405 406 407 408
409 410
411 412
HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 06.52. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 06.52. TAUPITZ zit. Regelungen, A 58. BUCHER ANDREAS, Rz. 89. TAUPITZ zit. Regelungen, A 59. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 06.19 ff., 06.11 ff. BUCHER ANDREAS, Rn. 72. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.35 ff. BUCHER ANDREAS, Rz. 98; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.50; BSK ZGB ISCHWENZER, Art. 305 N 2. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.50 ff. Dazu die obigen Ausführungen zur elterlichen Sorge bzw. vormundschaftlichen Vertretung Minderjähriger III.2. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.51. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.52, 07.29 f. Bei bestimmten absolut höchstpersönlichen Rechten verlangt das Gesetz dennoch die Zustimmung der Eltern (z.B. Verlobung, Art. 90 Abs. 2 ZGB; Kindesanerkennung, Art. 260 Abs. 1 ZGB).
III. Die allgemeine Rechtsstellung Minderjähriger
247
c) Beschränkt handlungsunfähige Minderjährige413 Eine urteilsfähige unmündige Person ist grundsätzlich nicht voll handlungsfähig, da dies sowohl Urteilsfähigkeit wie auch Mündigkeit voraussetzt.414 Die Handlungsunfähigkeit urteilsfähiger unmündiger Personen ist eine beschränkte, zumal Art. 19 ZGB diesen Personen in bestimmten Bereichen Handlungsfähigkeit zugesteht (beschränkte Handlungsunfähigkeit).415 Demzufolge ist die Vertretungsmacht der Eltern dort ausgeschlossen, wo das Gesetz die Teilmündigkeit urteilsfähiger Unmündiger vorsieht.416 Dies trifft – wie bereits ausgeführt – insbesondere im Bereich der höchstpersönlichen Rechte zu.417 Art. 19 ZGB unterscheidet dabei folgende zwei Handlungstypen: Zum ersten Handlungstyp werden Fälle gezählt, in denen beschränkt Handlungsunfähige eine Rechtshandlung nur mit der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters vornehmen können (bedingte Geschäftsfähigkeit, Art. 19 Abs. 1 ZGB).418 Dem zweiten Handlungstyp gehören Fälle an, in denen Rechtshandlungen beschränkt Handlungsunfähiger volle Rechtswirkung erlangen, ohne dass eine Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich ist (Art. 19 Abs. 2 ZGB).419 aa) Neufassung von Art. 19 ZGB im Zuge der Totalrevision des Vormundschaftsrechts Im Zuge der Totalrevision des Vormundschaftsrechts erfährt Art. 19 ZGB eine umfassende Präzisierung und Ausweitung: 3. Urteilsfähige handlungsunfähige Personen Art. 19 (a. Grundsatz) „1 Urteilsfähige handlungsunfähige Personen können sich nur mit Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters durch ihre Handlungen verpflichten. 2 Ohne diese Zustimmung vermögen sie Vorteile zu erlangen, die unentgeltlich sind, sowie geringfügige Angelegenheiten des täglichen Lebens zu besorgen.“
In Art. 19 Abs. 1 E ZGB wird entsprechend dem geltenden Art. 19 ZGB die Rechtsstellung beschränkt Handlungsunfähiger beschrieben. Art. 19a E ZGB erfasst sowohl minderjährige Urteilsfähige sowie urteilsfähige Volljährige unter umfassender Beistandschaft. Zu Absatz 2 führt die Botschaft aus: „Der Bereich von Geschäften, innerhalb dessen der beschränkt handlungsunfähigen Person volle Geschäftsfähigkeit zukommt, wird im Vergleich zu Artikel 19 Absatz 2 ZGB 413
414 415 416
417 418 419
BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 19 N 3; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 06.10, 07.55 ff. Im Gegensatz dazu erachtet es BUCHER als angemessen, von „beschränkter Handlungsfähigkeit“ zu sprechen, BUCHER ANDREAS, Rz. 118. Art. 13 i.V.m. Art. 17 ZGB; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.55. BUCHER ANDREAS, Rz. 118; HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.55. BSK ZGB I-SCHWENZER, Art. 305 N 6. Darüber hinaus können die Eltern sowie die Vormundschaftsbehörde einem Kind selbstständige Handlungsbereiche einräumen. BSK ZGB I-SCHWENZER, Art. 305 N 6. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.58, 07.83 ff.; HEGNAUER zit. Grundriss, N 26.26. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.59, 07.71 ff. Zur Ausübung höchstpersönlicher Rechte siehe oben II.2., III.3.
248
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
um die Besorgung ‚geringfügiger Angelegenheiten des täglichen Lebens’ erweitert (Abs. 2). Diese Lösung ist vom deutschen Recht (§ 1903 Abs. 3 zweiter Satz BGB) inspiriert und trägt den Bedürfnissen der Praxis Rechnung.“420 Die Ausübung höchstpersönlicher Rechte (Art. 19 Abs. 2 ZGB) wird künftig durch Artikel 19c geregelt. Art. 19a (b. Zustimmung des gesetzlichen Vertreters) „1 Sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt, kann der gesetzliche Vertreter die Zustimmung ausdrücklich oder stillschweigend im Voraus geben oder das Geschäft nachträglich genehmigen. 2 Der andere Teil wird frei, wenn die Genehmigung nicht innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt, die er selber ansetzt oder durch das Gericht ansetzen lässt.“ Art. 19b (c. Fehlen der Zustimmung) „1 Erfolgt die Genehmigung des gesetzlichen Vertreters nicht, so kann jeder Teil die vollzogenen Leistungen zurückfordern. Die handlungsunfähige Person haftet jedoch nur insoweit, als die Leistung in ihrem Nutzen verwendet worden ist oder als sie zur Zeit der Rückforderung noch bereichert ist oder sich böswillig der Bereicherung entäussert hat. 2 Hat die handlungsunfähige Person den andern Teil zur irrtümlichen Annahme ihrer Handlungsfähigkeit verleitet, so ist sie ihm für den verursachten Schaden verantwortlich.“
Art. 19a E ZGB enthält die Modalitäten der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters und ist nach Art. 410 ZGB formuliert, da auch Volljährige unter umfassender Beistandschaft unter die Bestimmungen für beschränkt Handlungsunfähige fallen. Aus dem gleichen Grund entspricht Art. 19b E ZGB der Regelung von Art. 411 ZGB.421 Art. 19c (Höchstpersönliche Rechte) „1 Urteilsfähige handlungsunfähige Personen üben die Rechte, die ihnen um ihrer Persönlichkeit willen zustehen, selbstständig aus; vorbehalten bleiben Fälle, in welchen das Gesetz die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters vorsieht. 2 Für urteilsunfähige Personen handelt der gesetzliche Vertreter, sofern nicht ein Recht so eng mit der Persönlichkeit verbunden ist, dass jede Vertretung ausgeschlossen ist.“
Mit Art. 19c E ZGB wird nichts an der bestehenden Rechtslage geändert. Vielmehr kleidet die Revision mit dieser Bestimmung die von der Lehre und Rechtsprechung entwickelte Unterscheidung zwischen relativ höchstpersönlichen und absolut höchstpersönlichen Rechten in geschriebenes Recht.422
420 421 422
Botschaft Vormundschaftsrecht, 7095. Botschaft Vormundschaftsrecht, 7095. Botschaft Vormundschaftsrecht, 7095 f.
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
249
bb) Vertretungsbefugnis gesetzlicher Vertreter im Bereich der relativ höchstpersönlichen Rechte Umstritten ist, inwieweit die Urteilsfähigkeit eines Kindes die Vertretungsbefugnis seines gesetzlichen Vertreters im Bereich der relativ höchstpersönlichen Rechte ausschließt. Bei einem vollständigen Ausschluss der Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters muss der urteilsfähige Unmündige ausschließlich selber handeln.423 Sinnvoll erscheint die Differenzierung, wie sie HAUSHEER/AEBIMÜLLER vornehmen: Die beiden Autoren schlagen vor, dass bei einer ausdrücklichen Ablehnung der infrage stehenden Handlung durch den beschränkt Handlungsunfähigen, die Vertretungskompetenz der gesetzlichen Vertreter in der Regel ausgeschlossen ist.424 Fehlt aber ein eindeutiger Wille des urteilsfähigen Unmündigen, sind die gesetzlichen Vertreter grundsätzlich zum vertretungsweisen Handeln ermächtigt.425 Auf die Urteilsfähigkeit Minderjähriger im medizinischen Kontext sowie auf die Mitwirkung der gesetzlichen Vertreter von urteilsfähigen Minderjährigen bei Entscheidungen über ärztliche Eingriffe wird weiter unten IV vertieft eingegangen.
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung Wie oben ausgeführt, kennt das geltende schweizerische Zivilgesetzbuch für die Einwilligung zu medizinischen Eingriffen keine eigene Regelung.426 Hingegen finden sich in einzelnen kantonalen Erlassen Bestimmungen zur Aufklärung und Einwilligung bei medizinischen Eingriffen. Doch unterscheiden sich die kantonalen Regelungen hinsichtlich ihres Geltungsbereichs und Inhalts sowie ihrer Regelungsstufe, Dichte und Vollständigkeit erheblich. In der Folge ergeben sich die vielfältigen Pflichten von behandelnden und forschenden Ärzten sowie die Rechte und Pflichten der Patienten und Versuchspersonen aus den Regelungen des öffentlichen wie des privaten Rechts und werden in einzelnen Bereichen durch Spezialbestimmungen sowie durch die Rechtsprechung und Normen des Völkerrechts ergänzt. Soweit keine speziellen Regelungen des Bundes oder der Kantone zur Anwendung gelangen, sind auf die medizinische Behandlung von Kindern und Jugendlichen die zuvor dargestellten Grundsätze zur Rechtstellung Minderjähriger übertragbar.
423
424
425 426
HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.76. Siehe dazu auch BSK ZGB I-BIGLEREGGENBERGER, Art. 19 N 33 ff. Ausnahmen muss es wohl aber auch in diesem Fall geben, wenn die Fürsorgepflicht ein Handeln gebietet. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.76. Auch die deutsche Rechtsordnung regelt die Einwilligung in eine medizinische Behandlung nicht gesondert. Dazu DETTMEYER, Kapitel 10; WÖLK zit. minderjähriger Patient, 80.
250
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Nachfolgend werden die auf die medizinische Behandlung Minderjährigen anwendbaren Regelungen dargestellt. Es folgen Ausführungen zur Urteilsfähigkeit Minderjähriger und zur Bedeutung des Kindeswohls im medizinischen Kontext. Auf diesen Grundlagen aufbauend werden die Mitwirkungsrechte und Entscheidungsbefugnisse gesetzlicher Vertreter einwilligungsfähiger Minderjähriger untersucht. Angesprochen werden zudem mögliche Konfliktsituationen bei der medizinischen Behandlung Minderjähriger sowie vermögensrechtliche Aspekte ärztlicher Eingriffe bei Minderjährigen. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich primär auf schweizerisches Recht. Dabei stehen die im Zivilgesetzbuch geregelten Grundsätze im Zentrum der Darstellung. Auf spezialgesetzliche Regelungen des Bundes und der Kantone wird hingewiesen. Einzelne Hinweise auf die deutsche Rechtslage ergänzen die Darstellung.
1. Rechtliche Regelung der medizinischen Behandlung Minderjähriger Während z.B. die österreichische Rechtsordnung427 die Einwilligung in eine medizinische Behandlung für Minderjährige besonders regeln oder gar fixe Altersgrenzen kennt, ab denen Minderjährige in einen medizinischen Eingriff selbstständig einwilligen können bzw. ihre Einwilligungsfähigkeit vermutet wird,428 knüpfen das schweizerische Zivilgesetzbuch und das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch die alleinige Einwilligungsbefugnis eines Kindes in eine medizinische Maßnahme an die relative Größe der Urteilsfähigkeit.429 Im deutschen Recht ist gemäß herrschender Lehre die Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, für die nach § 107 BGB die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter nötig ist. Wie im schweizerischen Recht kommt es auf die Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen an. Die Nichtanwendung von §§ 107 ff. BGB auf die Einwilligung zum ärztlichen Eingriff wird mit Hinweis auf das aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten
427
428 429
Das österreichische Recht kennt mit § 146c ABGB eine spezielle Regelung für die Einwilligung von Kindern in medizinische Behandlungen. Die Bestimmung sieht vor, dass urteilsfähige Minderjährige selbst zur Erteilung der Einwilligung in eine medizinische Behandlung befugt sind. Bei Behandlungen, die mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit des Kindes verbunden sind, bedarf es nach § 146c Abs. 2 ABGB auch bei einsichts- und urteilsfähigen Minderjährigen der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Weder die schweizerische noch die deutsche Rechtsordnung kennen eine vergleichbare Norm. Siehe dazu BERNAT zit. Behandlung, 1467 ff. sowie RESCH, 38 ff. Es ist davon auszugehen, dass die Regelung von § 146c auch für Entscheidungen urteilsfähiger Minderjähriger im Bereich der medizinischen Forschung gilt. So BERNAT zit. Arzneimittelprüfung, 70, insb. Fn. 72 mit Hinweis auf KOPETZKI zit. Einwilligung. GUILLOD zit. consentement, 205 ff. AMELUNG, 24 ff.; DETTMEYER, Kapitel 10; GUILLOD zit. consentement, 209 ff.; TAUPITZ zit. Regelungen, A 54 ff.; WÖLK zit. minderjähriger Patient, 80 ff. m.w.H.
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
251
Recht Minderjähriger auf Selbstbestimmung in Gesundheitsangelegenheiten anerkannt.430 a) Urteilsunfähige Minderjährige Wie zuvor ausgeführt, sind urteilsunfähige Minderjährige vollständig handlungsunfähig. Demzufolge ist die Einwilligung eines urteilsunfähigen Kindes in einen ärztlichen Eingriff nichtig.431 Die Vertretung eines urteilsunfähigen Kindes obliegt seinen gesetzlichen Vertretern.432 Bei Kindern sind dies in der Regel die Eltern bzw. die Inhaber der elterlichen Sorge.433 Diese haben die Einwilligung zu einem ärztlichen Eingriff bei einem urteilsunfähigen Minderjährigen zu erteilen.434 Der Grundsatz, dass urteilsunfähige Minderjährige bei Entscheidungen über medizinischen Maßnahmen durch ihre gesetzlichen Vertreter vertreten werden, findet sich auch in zahlreichen kantonalen Erlassen (z.B. § 7 Abs. 1 Patientenverordnung Kanton Basel-Landschaft435, Art. 19 Patientenverordnung Kanton Appenzell-Außerrhoden436, § 22 Abs. 1 Patientenverordnung des Kantons Luzern437, Art. 7 Abs. 2 Patientenverordnung Kanton Obwalden438, § 11 Abs. 1 Patienten430
431 432
433
434
435
436
437
438
Siehe dazu AMELUNG, 24 ff.; DETTMEYER, Kapitel 10; WÖLK zit. minderjähriger Patient, 81 f. Siehe die Ausführungen zu Aufklärung und Einwilligung oben II.3., 4, Zur Person des für die Ausübung der Persönlichkeitsrechte zuständigen Vertreters BUCHER EUGEN, 159 ff.; HEGNAUER zit. Grundriss, N 26.21. Art. 296 i.V.m. Art. 304 Abs. 1 ZGB; BUCHER EUGEN, 159 ff.; HAUSHEER/AEBIMÜLLER, Rz. 07.50. Nur in Ausnahmefällen stehen Kinder unter Vormundschaft: HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.16a ff. BSK ZGB I-SCHWENZER, Art. 302 N 4. Die Gesundheitspflege ist Teil der Erziehung, zu der auch Entscheidungen über ärztliche Eingriffe gehören. MANAÏ, 523; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 160 f. m.w.N. Zur Vertretung des Kindes durch die Eltern und zur elterlichen Sorge siehe auch oben III.2. Zum deutschen Recht siehe die Ausführungen bei TAUPITZ zit. Biomedizinische Forschung, 94 ff., insb. 99 f. Verordnung über die Rechte und Pflichten der Patienten in den kantonalen Krankenanstalten (SGS 930.15), § 7 Abs. 1 (Zustimmung beim dauernd urteilsunfähigen Patienten): „1 Ist der Patient wegen seines Kindesalters oder infolge von Geisteskrankheit, Geistesschwäche oder dgl. urteilsunfähig, bedarf es der Zustimmung des Vertreters für die medizinische Massnahme. Die Zustimmung kann stillschweigend erfolgen. Der Patient ist vor der medizinischen Massnahme nach Möglichkeit anzuhören. […]“ Verordnung über die Rechtsstellung der Patienten und Patientinnen der kantonalen Spitäler (bGS 812.112), Art. 19 (Urteilsunfähige mit gesetzlicher Vertretung): „1 Die Behandlung urteilsunfähiger Personen setzt die Zustimmung der Person voraus, welche sie gesetzlich vertritt. 2 Kann diese Person nicht erreicht werden, entscheidet das zuständige Spitalpersonal nach pflichtgemässem Ermessen. Art. 20 Abs. 2 bis 4 gelten sinngemäss.“ Verordnung über die Rechte und Pflichten von Patienten und Patientinnen der kantonalen Spitälern (SRL 823), § 22 Abs. 1 „Sind Patient oder Patientin nicht urteilsfähig, ist für Untersuchungen, Behandlungen und Pflege die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters oder der gesetzlichen Vertreterin erforderlich.[…]“ Verordnung über Patientenrechte (GDB 830.31), Art. 7 Abs. 1 (Nicht urteilsfähige Patienten): „Ist der Patient nicht urteilsfähig, so ist für körperliche Eingriffe, Unter-
252
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
verordnung des Kantons Thurgau439, Art. 30c Abs. 1 Gesundheitsgesetz des Kantons Schaffhausen440). Bei ihrem Entscheid haben sich die Eltern ausschließlich am Wohl des Kindes zu orientieren.441 Sie haben eine Entscheidung zu treffen, die dem Gedeih des Kindes am ehesten förderlich zu sein verspricht. Demzufolge sind die Eltern nicht befugt, unvernünftige Entschlüsse zulasten ihres Kindes zu treffen. Ihr Ermessensspielraum ist somit erheblich enger als derjenige eines Patienten, der für sich selber entscheidet.442 aa) Einwilligung der gesetzlichen Vertreter Im Zusammenhang mit den Entscheidungsbefugnissen der Sorgeberechtigten in medizinischen Angelegenheiten ihrer urteilsunfähigen Kinder stellt sich die Frage, ob – vorausgesetzt, eine minderjährige Versuchsperson untersteht der elterlichen Sorge beider Elternteile – die Einwilligung zu einem medizinischen Eingriff durch nur einen gesetzlichen Vertreter genügt, oder ob stets die Einwilligung beider Elternteile vorliegen muss. Ist nur eine Person Trägerin der elterlichen Sorge, steht die Entscheidungsbefugnis ihr alleine zu.443 Steht die elterliche Sorge beiden Elternteilen zu, so entscheiden sie grundsätzlich gemeinsam über die Vornahme eines ärztlichen Eingriffs bei ihrem Kind.444 bb) Medizinische Alltagsgeschäfte Wie oben ausgeführt,445 ist ein Elternteil mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung des andern befugt, das Kind selbstständig zu vertreten.446 Die
439
440
441
442
443
444 445 446
suchungen und Behandlungen die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich.“ Verordnung des Regierungsrates über die Rechtsstellung der Patienten und Patientinnen (RB 811.314), § 11 (Nicht urteilsfähige Patienten und Patientinnen): „1 Sind die Patienten und Patientinnen nicht urteilsfähig, haben deren nächste Angehörige oder deren gesetzliche Vertretung die Zustimmung zur Vornahme der nötigen medizinischen Vorkehren zu erteilen, soweit eine Vertretung zulässig ist. […]“ Gesundheitsgesetz (SHR 810.100), Art. 30c Abs. 1 (Zustimmung): „Behandlungen an urteilsfähigen Patienten dürfen nur mit deren Zustimmung vorgenommen werden.“ BUCHER ANDREAS, Rn. 528; GEISER zit. Einwilligung, 12; MANAÏ, 189 f., 523; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 172. Siehe zum Kindeswohl in medizinischen Belangen nachfolgen IV.3. GUILLOD zit. consentement, 238 f.; MANAÏ, 189, 523; ROGGO, 167 m.w.N. Zur besonderen Natur der Einwilligung des Vertreters siehe BUCHER EUGEN, 158 f.: „Denn die Vertretung eines Urteilsunfähigen in der Ausübung der Persönlichkeitsrechte ist selbst nicht wieder ein subjektives Recht, das nach freier, subjektiver und unverantwortlicher Willkür ausgeübt werden könnte, sondern ist weitgehend die Ausübung einer von der Rechtsordnung verliehenen Kompetenz und gleicht der Erfüllung einer öffentlichrechtlichen Organfunktion.“ GUILLOD zit. consentement, 202. Zu den verschiedenen Formen elterlicher Sorge siehe oben III.2. GUILLOD zit. consentement, 201; ROGGO, 173 m.w.N. Siehe die Ausführungen zur elterlichen Sorge unter III.2. Art. 304 Abs. 2 i.V.m Art. 159 Abs. 2 ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 25.17. So auch die Regelung in § 7 Abs. 1 der Verordnung über die Rechte und Pflichten der Pa-
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
253
Anwendung dieser Regelung auf allgemeine bzw. alltägliche Aspekte der medizinischen Pflege eines Kindes erscheint sinnvoll.447 Ein Elternteil sollte beispielsweise ohne die explizite Zustimmung des anderen die Einwilligung zu einer ärztlichen Behandlung des an einer Grippe leidenden Kindes erteilen können. Auch die im Rahmen der Routinekontrolle beim Zahnarzt nötigen Eingriffe sollten nicht von der expliziten Zustimmung des anderen Elternteils abhängig sein.448 Da bei solchen medizinischen Alltagsgeschäften zumeist nur ein Elternteil das Kind begleitet, darf der behandelnde Arzt davon ausgehen, dass der vorsprechende Elternteil ermächtigt ist, die zur Behandlung des Kindes erforderliche Einwilligung selbstständig abzugeben.449 Dies gilt auch für Drittpersonen, bei denen sich ein Kind in vorübergehender Obhut befindet (beispielsweise Tagesmutter, Leiter einer Ferienkolonie, Verwandte). Sind die gesetzlichen Vertreter eines Kindes nicht erreichbar und ist eine Behandlung des Kindes erforderlich, dürfen diese Drittpersonen bei alltäglichen medizinischen Eingriffen die Sorgeberechtigten vertreten und an deren Stelle die Einwilligung erteilen.450 cc) Besondere medizinische Eingriffe Bei Eingriffen schwerer Art oder mit erhöhtem Risiko451 sollte der Arzt – im Interesse des Kindes und zu seiner eigenen Absicherung – jedoch stets auf die ausdrückliche Einwilligung beider Elternteile bestehen.452 Hierzu hat sich der Arzt bei dem das Kind begleitenden Elternteil zu versichern, dass dieser mit der ausdrücklichen Ermächtigung des anderen tätig wird. Dabei muss der Arzt auf die wahrheitsgetreue Auskunft des vorsprechenden Elternteils vertrauen.453 Liegt diese vor,
447
448 449 450 451
452
453
tienten in den kantonalen Krankenanstalten des Kantons Basel-Landschaft (SGS 930.15): „Ist der Patient wegen seines Kindesalters oder infolge von Geisteskrankheit, Geistesschwäche oder dgl. urteilsunfähig, bedarf es der Zustimmung des Vertreters für die medizinische Massnahme. Die Zustimmung kann stillschweigend erfolgen. Der Patient ist vor der medizinischen Massnahme nach Möglichkeit anzuhören.“ Für das deutsche Recht siehe DETTMEYER, 200 ff. Als Beispiele für medizinische Alltagsgeschäfte nennt DETTMEYER Routineimpfungen, alltägliche Gesundheitsvorsorge (Zahnarztbesuche, Kariesbehandlung), Erkältungs- und Durchfallerkrankungen und kleinere Operationen (z.B. das Nähen einer kleinen Hautplatzwunde). So auch ROGGO, 173. GUILLOD zit. consentement, 201; ROGGO, 173. GUILLOD zit. consentement, 202. DETTMEYER, 200 nennt als Beispiele Operationen (außer in Notfällen), medizinische Maßnahmen mit einem erheblichen Risiko und grundlegende Entscheidungen der Gesundheitsvorsorge. GUILLOD zit. consentement, 201 f.; HEGNAUER zit. Grundriss, N 26.29. Dies gilt ebenso nach deutschem Recht: DETTMEYER, 200. Siehe auch § 7 Abs. 2 der Verordnung über die Rechte und Pflichten der Patienten in den kantonalen Krankenanstalten des Kantons Basel-Landschaft (SGS 930.15) zur Zustimmung beim dauernd urteilsunfähigen Patienten: „Die Zustimmung des Vertreters muss eine ausdrückliche sein für jede medizinische Massnahme, die mit erhöhtem Risiko verbunden ist, oder die den Patienten erheblich physisch oder psychisch belasten kann. Der Vertreter kann erst nach der Aufklärung zustimmen.“ ROGGO, 174.
254
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
obliegen dem Arzt grundsätzlich keine weiteren Abklärungspflichten.454 Im Zweifelsfalle sollte er allerdings die ausdrückliche mündliche oder schriftliche Erklärung des anderen Elternteils einholen. Ebenfalls der Einwilligung beider Elternteile untersteht die Verordnung nicht zugelassener Medikamente (off-label use) oder die Anwendung (noch) nicht zugelassener Methoden, wie dies in der Pädiatrie öfters vorkommt. Die Abgabe eines nicht zugelassenen Medikamentes ist kein medizinisches Alltagsgeschäft, bei dem die Einwilligung eines Elternteils ausreichen würde.455 dd) Notfälle Liegt indessen ein Notfall vor, der die sofortige ärztliche Behandlung des Kindes bedingt, genügt – unabhängig von der Schwere des Eingriffs und des damit verbundenen Risikos – die Einwilligung des vorsprechenden Elternteils.456 Der zweite Elternteil ist so rasch es die Umstände erlauben über die Sachlage zu informieren und bei allfälligen weiteren Entscheidungen mit einzubeziehen. Erfordert das Wohl des Kindes in besonders dringenden Fällen ein sofortiges Handeln und ist kein Elternteil verfügbar und auch das Kind nicht in der Lage, eine Einwilligung abzugeben, soll und darf ein Arzt den erforderlichen Eingriff vornehmen.457 Dieser Grundsatz des ärztlichen Notfallhandelns findet sich auch in einigen kantonalen Bestimmungen. (z.B. Art. 51 Abs. 3 des Gesundheitsgesetzes des Kantons Freiburg458, § 7 Abs. 3 Patientenverordnung Kanton Basel-Landschaft459, Art. 26c Abs. 3 Gesundheitsgesetz des Kantons Jura460, Art. 7 Abs. 2 Patientenverordnung Kanton Obwalden461). 454 455 456 457
458
459
460
461
ROGGO, 174 m.w.N. Dazu DETTMEYER, 200, 209 f. ROGGO, 173. So auch im deutschen Recht DETTMEYER, 202. BGE 114 Ia 350 E.7.a; BUCHER EUGEN, 172; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 173. Zum deutschen Recht DETTMEYER, 204 mit Verweis auf die Geschäftsführung ohne Auftrag, § 683 BGB. Gesundheitsgesetz des Kantons Freiburg (BDLF 821.0.1), Art. 51 Abs. 3 zur Einwilligung bei urteilsunfähigen Personen: „Im Notfall oder bis zur Bezeichnung einer gesetzlichen Vertreterin oder eines gesetzlichen Vertreters muss die Gesundheitsfachperson nach den objektiven Interessen der Patientin oder des Patienten handeln und dabei ihren oder seinen mutmasslichen Willen berücksichtigen.“ Verordnung über die Rechte und Pflichten der Patienten in den kantonalen Krankenanstalten (SGS 930.15), § 7 Abs. 3 (Zustimmung beim dauernd urteilsunfähigen Patienten): „[…] Fehlt ein Vertreter, so ist das Interesse des Patienten massgebend. Die Meinung des nächsten Angehörigen ist zu berücksichtigen.[…].“ Loi sanitaire (RSJU 810.01), Art. 26c Abs. 3 (Personne incapable de discernement): „[…] En cas d’urgence ou en l’absence d’un représentant légal, le dispensateur de soins doit agir conformément aux intérêts objectifs du patient, en tenant compte de la volonté présumée de celui-ci.“ Verordnung über Patientenrechte (GDB 830.31), Art. 7 Abs. 2: „[…] 2 In Notfällen darf die Zustimmung vermutet werden. 3 Ist kein gesetzlicher Vertreter vorhanden, so hat die behandelnde Person nach pflichtgemässem Ermessen zu handeln. Sie berücksichtigt die objektiven Interessen und den mutmasslichen Willen der behandelten Person. Grössere oder mit erheblichen Ri-
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
255
b) Urteilsfähige Minderjährige Wie oben ausgeführt, üben gemäß Art. 19 ZGB unmündige Personen, unter der Voraussetzung, dass sie hinsichtlich der infrage stehenden Handlung urteilsfähig sind, ihre Persönlichkeitsrechte selber aus.462 Demzufolge können Minderjährige – sofern sie „nach ihrer geistigen und sittlichen Reife Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und ihrer Einwilligung abzuwägen vermögen“463 – trotz ihrer Unmündigkeit selbstständig in medizinische Maßnahmen einwilligen bzw. diese ablehnen.464 Die erforderliche Urteilsfähigkeit ist dabei von Fall zu Fall zu prüfen.465 Ein urteilsfähiger Minderjähriger entscheidet aufgrund des höchstpersönlichen Charakters des medizinischen Eingriffs alleine über die Vornahme eines ärztlichen Eingriffs.466 Als Folge davon steht dem urteilsfähigen Minderjährigen vor Entscheidungen über Gesundheitsangelegenheiten ein eigenständiges Aufklärungsrecht zu.467 Um den Minderjährigen tatsächlich zu befähigen, eine rechtsgültige Einwilligung zu erteilen, muss die ärztliche Aufklärung entsprechend dem Verständnis des Kindes ausgestaltet werden.468 Die Einwilligung urteilsfähiger Minderjähriger in medizinische Maßnahmen ist auch in einzelnen kantonalen Erlassen explizit geregelt (z.B. § 12 Patientenverordnung des Kantons Thurgau469, § 18 Patientendekret Kanton Aargau470, Art. 21
462
463 464
465 466 467 468 469
470
siken verbundene Eingriffe sollen nur vorgenommen werden, wenn eine schwere, nicht anders abwendbare Gefahr für Leben und Gesundheit vorliegt.“ Art. 19 Abs. 2 ZGB; AMELUNG, 24 ff.; BUCHER ANDREAS, Rn. 528 m.H. auf die Rechtsprechung des BGer; HEGNAUER zit. Grundriss, N 26.24; HOHERMUTH, 77; MANAÏ, 520; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 157 ff. m.w.H. WYTTENBACH, 321: „Dass Kindern und Jugendlichen, die im Sinne von Art. 16 ZGB urteilsfähig sind, im Umfang der höchstpersönlichen Rechte Selbstständigkeit eingeräumt wird, hat zwangsläufig die Aufhebung des Erziehungs- und Vertretungsrecht der Eltern in diesem Bereich zur Folge.“ WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 159. BRÜCKNER, 458; BUCHER ANDREAS, Rn. 156; BUCHER EUGEN, 144 ff.; HEGNAUER zit. Grundriss, N 26.24; MANAÏ, 39, 520; ROGGO, 164; RUTISHAUSER, 28; BSK ZGB ISCHWENZER, Art. 302 N 4. Zum deutschen Recht siehe die Ausführungen bei (zur Einwilligungsfähigkeit nach deutschem Recht) AMELUNG, 24 ff.; DETTMEYER, Kapitel 10; TAUPITZ zit. Biomedizinische Forschung, 94 ff., insb. 98 f.; WÖLK zit. minderjähriger Patient, 80 ff. HOHERMUTH, 79; RUTISHAUSER, 28; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 159. BUCHER EUGEN, 177; GEISER zit. Einwilligung, 7; MANAÏ, 39, 520. ROGGO, 164 m.w.N.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 158. ROGGO, 163; TAUPITZ zit. Regelungen, A 59; WÖLK zit. minderjähriger Patient, 86. Verordnung des Regierungsrates über die Rechtsstellung der Patienten und Patientinnen (RB 811.314), § 12 (Urteilsfähige nicht handlungsfähige Patienten und Patientinnen): „1 Sind die Patienten oder Patientinnen urteilsfähig, aber unmündig oder entmündigt, ist vor grösseren oder mit erheblichen Risiken verbundenen Eingriffen auch deren gesetzliche Vertretung zu informieren. 2 Diese Information hat zu unterbleiben, wenn der Patient oder die Patientin widerspricht oder der Entmündigungsgrund in keinem Zusammenhang mit dem medizinischen Eingriff steht.“ Dekret über die Rechte und Pflichten der Krankenhauspatienten (SAR 333.110) „1 Bei urteilsfähigen unmündigen oder entmündigten Patienten ist vor grösseren oder mit er-
256
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Patientenverordnung Kanton Appenzell Außerrhoden471, Art. 30c Abs. 2 Gesundheitsgesetz des Kantons Schaffhausen472).
2. Urteilsfähigkeit von Kindern im medizinischen Kontext Wie oben ausgeführt, handelt es sich bei der Urteilsfähigkeit um eine relative Größe, die für jedes Kind und jeden Eingriff individuell geprüft werden muss.473 Da die Urteilsfähigkeit keine stabile Größe ist,474 muss in jedem Einzelfall untersucht werden, ob mit Blick auf den konkreten medizinischen Eingriff, die Entwicklung des Kindes und seine geistig-psychische Reife der vom Gesetz geforderten Vernunft und Selbstverantwortlichkeit entspricht.475 Bei medizinischen Eingriffen bedeutet dies, dass ein Minderjähriger eine „genügende kognitive und emotionale Reife erreicht hat, um den Zweck, die Wirkung sowie die Nebenwirkungen einer medizinischen oder medikamentösen Massnahme, alternative Behandlungsmöglichkeiten wie auch einer ausbleibenden Behandlung zu verstehen“.476 Bereits zuvor wurde unter Anlehnung an TAUPITZ festgestellt, dass der Schwelle zwischen gerade noch bestehender und gerade schon zu verneinender Einwilligungsfähigkeit eine entscheidende Bedeutung zukommt.477 Da es sich bei der Einwilligung zu einem medizinischen Eingriff um ein höchstpersönliches Recht handelt, dürfen die Anforderungen an die hierzu erforderliche Urteilsfähigkeit nicht zu hoch sein.478 Dem Recht steht kein Instrument zur Verfügung, womit sich diese Schwelle hinreichend konkret festlegen ließe. Wie vielseitig die Entscheidungsfähigkeit ist und wie schwierig ihre zweifelsfreie Feststellung, ver-
471
472
473
474 475 476 477 478
heblichen Risiken verbundenen Eingriffen auch deren gesetzlicher Vertreter zu informieren. 2 Diese Information hat zu unterbleiben, wenn der urteilsfähige Patient dem widerspricht.“ Verordnung über die Rechtsstellung der Patienten und Patientinnen der kantonalen Spitäler (bGS 812.112), Art. 21: „1 Urteilsfähige Unmündige und Entmündigte entscheiden selbst über die Durchführung medizinischer und pflegerischer Massnahmen. 2 Vor grösseren oder mit erheblichen Risiken verbundenen Eingriffen sind die gesetzlichen Vertreter oder Vertreterinnen durch den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin zu informieren. 3 Die Information kann unterbleiben, wenn der Patient oder die Patientin widerspricht oder der Entmündigungsgrund mit dem Eingriff nicht zusammenhängt.“ Gesundheitsgesetz (SHR 810.100), Art. 30c Abs. 2 (Zustimmung): „Behandlungen an nicht urteilsfähigen Unmündigen oder Entmündigten dürfen nur mit Zustimmung der gesetzlichen Vertretung vorgenommen werden. Verweigert diese die Zustimmung, können sich die behandelnden Personen an die Vormundschaftsbehörde wenden.“ RUTISHAUSER, 28. DETTMEYER, 199 nennt Kriterien für die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit minderjähriger Patienten. MANAÏ, 521. BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 16 N 14 ff. RUTISHAUSER, 28. Dazu auch WÖLK zit. minderjähriger Patient, 86 ff. TAUPITZ zit. Regelungen, A 59. BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 16 N 21 ff.; MANAÏ, 520 f.
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
257
deutlicht auch die Definition von STUHLINGER: „Entscheidungskompetenz bezeichnet die für eine bestimmte Situation und Entscheidung nötigen kognitiven und affektiven Fähigkeiten und Fertigkeiten. Hierzu gehören das Aufnehmen, Verstehen und die Kommunikation von Information, die denkerische und emotionale Verarbeitung von Information und die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Weitere notwendige Fähigkeiten beinhalten Gedächtnisleistung, Abstraktions- und Hierarchisierungsfähigkeit sowie die Fertigkeit, Gefühle zu integrieren. Entscheidungskompetenz betrifft darüber hinaus die Ausbildung und Kontinuität von Wertvorstellungen und Lebenskonzepten. Der Massstab für die Zuschreibung von Kompetenz muss bei Kindern und Jugendlichen die vermutlichen Folgen der getroffenen Entscheidung für das Wohl und die intersubjektive Vermittelbarkeit der Entscheidung abwägend berücksichtigen.“479 Nachfolgend wird der Frage nachgegangen, welche Maßstäbe sich zur Festlegung der Urteilsfähigkeit von Kindern im medizinischen Kontext eignen. Untersucht wird die Meinung einiger Autoren, die urteilsfähigen Kindern die Befugnis zur alleinigen Einwilligung nur bei leichten Eingriffen erteilen möchten. Kurz eingegangen wird zudem auf den Ansatz, bei einer Zustimmung zu einem Eingriff höhere Anforderungen an die Urteilsfähigkeit zu stellen als bei einer Ablehnung. Zahlreich sind auch die Stimmen, die aus Gründen der Rechtssicherheit und Praktikabilität die Festlegung fixer Altersstufen für die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger fordern. Dazu nachfolgend unter c.480 a) Relativierung der Einwilligungsfähigkeit entsprechend der Intensität des Eingriffs? Ein Teil der Lehre möchte die alleinige Einwilligungsbefugnis urteilsfähiger Minderjähriger auf einfache medizinische Eingriffe beschränken und verlangt für schwere und risikoreiche Eingriffe auch bei urteilsfähigen Minderjährigen die Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter bzw. setzt die Einwilligungsfähigkeit in Relation zur inhaltlichen Bedeutung, Schwere und Dringlichkeit einer medizinischen Maßnahme.481 GUILLOD lehnt diese Sichtweise als zu paternalistisch ab. Er spricht sich dafür aus, dass einem Minderjährigen, dem im Hinblick auf einen bestimmten medizinischen Eingriff Urteilsfähigkeit attestiert wird, die alleinige, uneingeschränkte Entscheidungsbefugnis zusteht.482 Auch ROTHÄRMEL sowie weitere Autoren lehnen eine Relativierung der Einwilligungsfähigkeit je nach Intensität des zur Entscheidung stehenden Eingriffs ab.483 Dieser Ansicht ist auf479 480 481
482
483
STUHLINGER, 162. Siehe IV.2.c. Ablehnend auch TAUPITZ zit. Regelungen, A59, A63 ff. Siehe hierzu auch die Nachweise bei GUILLOD zit. consentement, 215 f. und ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 146 f. GUILLOD zit. consentement, 216. So auch GEISER zit. Einwilligung, 7 m.w.N. Zu dieser Diskussion im deutschen Recht siehe TAUPITZ zit. Biomedizinische Forschung, 98 f. ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 147 m.w.N. ROTHÄRMEL verweist auf Studien der empirischen Entwicklungspsychologie, die aufzeigen, dass risikoarme Entscheidungen von geringer Eingriffsintensität häufig größere Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten stellen als riskante Eingriffe bei eindeutiger Indikation.
258
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
grund folgender Überlegungen zuzustimmen. Wird in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft, „ob im Blick auf die konkrete Handlung die Entwicklung des Kindes und seine geistig-psychische Reife der vom Gesetz geforderten Vernunft und Selbstverantwortlichkeit entspricht“,484 erübrigen sich unterschiedliche Maßstäbe für leichte und schwere Eingriffe. b) Unterschiedliche Anforderungen an die Urteilsfähigkeit bei der Zustimmung und der Verweigerung eines Eingriffs? Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Urteilsfähigkeit besagt, dass an die Urteilsfähigkeit höhere Anforderungen zu stellen sind, je bedeutender die Auswirkungen einer Handlung sind.485 Hieraus leiten einige Autoren die Folgerung ab, dass bei einer Einwilligung eines urteilsfähigen Minderjährigen höhere Anforderungen an seine Urteilsfähigkeit zu stellen sind als bei einer Verweigerung eines Eingriffs.486 Dies ist jedoch zu schematisch. Es entspricht nicht immer dem Wohl eines Kindes, wenn ein Eingriff nicht vorgenommen wird. Die Ablehnung eines Eingriffs kann ebenso wie die Zustimmung zu einem Eingriff mit folgenschweren Auswirkungen verbunden sein. Ein augenscheinliches Beispiel ist die Ablehnung einer vital indizierten Bluttransfusion. Demzufolge muss ein Minderjähriger, damit ihm im Hinblick auf einen bestimmten medizinischen Eingriff Urteilsfähigkeit attestiert werden kann, sowohl die Konsequenzen einer Einwilligung in den zur Entscheidung stehenden Eingriff wie auch die Folgen einer Ablehnung für seine eigene Person erkennen können.487 Folglich muss bei allen medizinischen Eingriffen die Urteilsfähigkeit minderjähriger Patienten sorgfältig geprüft und im Zweifelsfalle verneint werden.488 Als Umkehrschluss ergibt sich, dass in Fällen, in denen ein Kind aufgrund seiner individuellen Lebensgeschichte über die erforderliche Einsichtsfähigkeit verfügt,489 seine Entscheidung auch dann akzeptiert werden muss, wenn sie nicht seinem objektiven Wohl entspricht.490 Bei Kindern und Jugendlichen darf nicht einzig aufgrund ihrer Minderjährigkeit bei der Beurteilung ihrer Urteilsfähigkeit ein strengerer Maßstab angesetzt werden als bei Erwachsenen. Eine erhöhte Sorgfalt bei der Beurteilung der Urteilsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen ist im Hinblick auf die geringere Lebenserfahrung junger Men-
484 485 486 487 488
489
490
BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 16 N 15. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 06.52. BUCHER ANDREAS, Rz. 88; BUCHER EUGEN, 146; GEISER zit. Einwilligung, 6 m.w.H. RUTISHAUSER, 28. So auch GUILLOD zit. consentement, 235, 237; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 66, Rn. 9; TAUPITZ zit. Patienten, 124. Insbesondere chronisch kranke und behinderte Minderjährige verfügen häufig über viel Erfahrungen mit ihren Leiden, deren Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten, Nebenwirkungen und Beschwerden. Ihre diesbezügliche Urteilsfähigkeit übersteigt zumeist diejenige von Erwachsenen, die nicht über diese Erfahrungen verfügen. GUILLOD zit. consentement, 235. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise an krebskranke Kinder und Jugendliche zu denken, die in einem Endstadium ihrer Krankheit eine Weiterbehandlung ablehnen. Siehe dazu NIETHAMMER zit. Tod, 115 ff.
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
259
schen berechtigt,491 doch dürfen minderjährige Patienten in der Ausübung ihrer Persönlichkeitsrechte nicht in ungerechtfertigter Weise diskriminiert werden. Sie sind wie erwachsene Patienten Träger des Grundrechts auf Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte und Respekt ihrer Autonomie.492 Gerade bei Entscheidungen im medizinischen Kontext ist es nicht immer leicht, die Balance zwischen den Fürsorgepflichten der Eltern sowie des Staates und den Persönlichkeitsrechten der Kinder zu finden. Wie weiter unten (IV.3.) ausgeführt wird, hat dabei stets das Kindeswohl Maßstab und Richtschnur zu sein. c) Fixe Altersgrenzen? Mit Verweis auf die Rechtssicherheit werden fixe Altersgrenzen für die Vermutung der Einwilligungsfähigkeit bei medizinischen Entscheidungen gefordert.493 Beispielsweise empfiehlt LAUFS, bei Minderjährigen unter 14 Jahren immer auch die Einwilligung der Sorgeberechtigten einzuholen. Zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr sei es Sache des Arztes, die Persönlichkeit eines Jugendlichen im Hinblick auf den geplanten, konkreten Eingriff zu beurteilen.494 RUTISHAUSER geht bei medizinischen Eingriffen bei Minderjährigen von der Faustregel aus, dass bei unter 12-Jährigen in der Regel die Urteilsfähigkeit nicht gegeben ist, während bei 12- bis 16-Jährigen die Urteilsfähigkeit individuell bestimmt werden müsse. Bei über 16-Jährigen dürfe in der Regel die Urteilsfähigkeit für nicht schwerwiegende Entscheide angenommen werden.495 REUSSER empfiehlt im Zusammenhang mit Forschungsprojekten eine Prüfung der Urteilsfähigkeit ab dem 10. Altersjahr.496 MANAÏ geht davon aus, dass Kinder unter 12 Jahren nur in seltenen Ausnahmefällen urteilsfähig sind, während bei Jugendlichen ab dem 16. Lebensjahr eine für die Einwilligung zu medizinischen Maßnahmen ausreichende Urteilsfähigkeit erwartet werden könne. Zwischen dem 12. und den 16. Lebensjahr müsse die Urteilsfähigkeit unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände sorgfältig geprüft werden.497 GUILLOD vertritt, unter Bezugnahme auf empirische Studien, die Ansicht, dass bis zum 10. Altersjahr eine authentische Einwilligung nicht denkbar sei. Demzufolge ist bei Kindern unter 10 Jahren davon auszugehen, dass sie in medizinischen Belangen urteilsunfähig seien. Lässt sich diese Vermutung widerlegen, könne auch einem Kind unter 10 Jahren im Hinblick auf eine bestimmte medizinische Maßnahme Urteilsfähigkeit attestiert werden. Zwischen dem 11. und 15. Lebensjahr könne die Fähigkeit zur Einwilligung in zunehmen491
492 493
494 495
496 497
Beispielsweise verfügt ein 17-Jähriger in der Regel nicht über die nötige Lebenserfahrung, um rechtsgültig in seine Sterilisation einwilligen zu können. ROTHÄRMEL zit. Einwilligungsfähigkeit, 36. Andere Rechtsordnungen kennen derartige Regelungen. Siehe hierzu die Ausführungen bei GUILLOD zit. consentement, 211 ff. sowie bei ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 104 ff. LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 66, Rn. 9. RUTISHAUSER, 28. Er betont, dass die individuelle Beurteilung der Urteilsfähigkeit im klinischen Alltag für den behandelnden Arzt manchmal einer Gratwanderung gleiche. Er empfiehlt im Zweifelsfall die anonyme Besprechung der Situation mit einem ärztlichen Kollegen. REUSSER zit. Zwangsversuche, 43. MANAÏ, 521.
260
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
dem Maß angenommen werden. Dabei sei die individuelle Entwicklung des Kindes, die Natur der Behandlung sowie ihre Umstände zu berücksichtigen. Ab dem 15. Altersjahr sei bei einem Jugendlichen von demselben Verständnis wie bei einem Erwachsenen auszugehen und in der Regel Urteilsfähigkeit anzunehmen.498 STUHLINGER erachtet die Entscheidungskompetenz aus entwicklungspsychologischer Sicht ab einem Alter von 14 Jahren als gegeben. Seiner Ansicht nach soll bei jüngeren Kindern die Entscheidungskompetenz stufenweise gefördert und berücksichtigt werden.499 Der Entwicklungspsychologe SPANGLER lehnt mit dem Hinweis auf die unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeit von Kindern die Einteilung in fixe Alterskategorien für die Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit ab.500 Er gibt auch zu bedenken, dass die Einwilligungsfähigkeit sich nicht alleine aus kognitiven Voraussetzungen ableiten ließe. Weitere psychologische Faktoren müssten berücksichtigt werden. „Hier handelt es sich zum einen um weitere wesentliche Faktoren der Persönlichkeitsentwicklung und zum anderen um emotionale, motivationale und soziale Kontext- und Einfluss-Prozesse.“501 Auch spiele der sozial-emotionale Kontext einer Befragungssituation eine große Rolle. „Eine möglichst entspannte, angstfreie Situation vermindert Beeinträchtigungen der kognitiven Informationsverarbeitungskapazität des Kindes.“502 FEGERT/WIETHOFF/DIEPPOLD/ ROTHÄRMEL/WOLFSLAST weisen im Zusammenhang mit Entscheidungen im Rahmen der Kinder- und Jugendpsychiatrie darauf hin, dass entwicklungspsychopathologische Voraussetzungen dazu führen, „dass gerade Kinder, die am stärksten eine Berücksichtigung ihrer Interessen benötigen, meistens am wenigsten kompetent sind, diese Interessen zu vertreten“. Die Autoren führen aus, dass gut geförderte, weit entwickelte Kinder, wenn sie beispielsweise an einer chronischen Krankheit leiden, sehr schnell zu Experten im medizinischen Umgang mit ihrem Leiden werden. Sie können deshalb schon früh in Behandlungs- und Forschungsentscheidungen miteinbezogen werden können. Demgegenüber bringen andere Kinder infolge von Vernachlässigung, Misshandlung oder aufgrund anderer Entwicklungsstörungen schlechte individuelle Voraussetzungen für eine Mitwirkung an der Entscheidungsfindung mit.503 Wohl zeigen neueste entwicklungspsychologische Studien für die durchschnittliche Entscheidungsfähigkeit eine Altersgrenze von 14 bis 16 Jahren, doch werden solche Durchschnittswerte der unterschiedlichen Entwicklung Jugendlicher und der Verschiedenartigkeit möglicher medizinischer Entscheidungssituationen nicht gerecht. Neuere Studien 498 499 500
501 502 503
GUILLOD zit. consentement, 214 f. STUHLINGER, 162. SPANGLER, 157, 160. „Individuelle Unterschiede in der Entwicklung und die Vielzahl der beteiligten Prozesse lassen es als unangemessen erscheinen, die Einwilligungskompetenz an bestimmten Altersstufen festzumachen. Daraus folgt, dass die Einwilligungskompetenz jeweils im Einzelfall (im Prinzip auch bei Erwachsenen) geprüft werden muss und die Feststellung der kindlichen Einwilligung unter Bedingungen erfolgen muss, die dem Entwicklungsstand und den individuellen Fähigkeiten des Kindes angemessen sein müssen.“ SPANGLER, 153. SPANGLER, 158. FEGERT/WIETHOFF/ROTHÄRMEL/WOLFSLAST, 137.
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
261
bestätigen als Durchschnittswert für die Urteilsfähigkeit in medizinischen Belangen das Alter von 14 Jahren. Sie zeigen aber hinsichtlich des Krankheitsverständnisses und der Fähigkeit der Kinder zum verantwortungsvollen Handeln große Unterschiede innerhalb der verschiedenen Altersgruppen.504 Auch TAUPITZ bezieht sich auf diese Erkenntnisse der Kinder- und Jugendpsychiatrie.505 Diesen zufolge schlägt er für die rechtliche Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit einen Rückgriff auf den Altersstandard eines 14-Jährigen vor. Die Orientierung an einem Altersstandard hat gegenüber einer fixen Altersgrenze den Vorteil, dass die individuellen Fähigkeiten des Betroffenen im Vordergrund stehen, während die Altersgrenze das Ausmaß der jeweils geforderten Fähigkeiten kennzeichnet.506 Er weist außerdem zu Recht darauf hin, dass auch bei erwachsenen Patienten und Versuchspersonen die Urteilsfähigkeit infolge Krankheit, geistiger Störungen oder Bewusstlosigkeit fehlen kann.507 In jedem Fall seien die individuellen Voraussetzungen sowie die Rahmenbedingungen eines medizinischen Eingriffs bei der Beurteilung der Urteilsfähigkeit des Betroffenen zu berücksichtigen. Obwohl fixe Altersstufen für die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger im medizinischen Kontext leichter handhabbar und mit einer gewissen Rechtssicherheit verbunden wären, würden unter einer solchen Regelung viele Minderjährige ihrer Selbstbestimmungsfähigkeit beraubt. Demzufolge ist im Sinne einer bestmöglichen Wahrung und Achtung der Persönlichkeitsrechte minderjähriger Patienten und Versuchspersonen an einer individuellen Beurteilung der Urteilsfähigkeit festzuhalten. Die Orientierung an einem bestimmten Alterststandard, wie von TAUPITZ vorgeschlagen, kann den betroffenen Ärzten als Orientierungshilfe dienen. Für eine verbreitete Anwendung eines solchen Standards müssten die erforderlichen Fähigkeiten allerdings präzisiert werden. d) Beurteilung der Urteilsfähigkeit eines Kindes aa) Zwischen Autonomie und Fürsorge Im Zusammenhang mit Entscheidungen im medizinischen Kontext obliegt die Beurteilung und Feststellung, ob das betroffene Kind urteilsfähig ist, dem behandelnden Arzt.508 Die Beurteilung, ob ein Kind in der Lage ist, die Informationen über einen bevorstehenden medizinischen Eingriff zu verstehen und eine Entscheidung zu treffen, hängt nicht zuletzt auch von der Einstellung und den Überzeugungen der mit dem betroffenen Kind befassten Personen (Eltern, Ärzte, Pflegepersonal, Studienleiter) ab. Was trauen die Eltern, Ärzte und Forschenden den Kindern zu? Sind die an der Behandlung eines Kindes beteiligten Erwachsenen bereit, sich auf das Kind, seine Vorstellungen, Fragen, Bedürfnisse, Ängste und Wünsche einzulassen? Gerade bei kranken Kindern besteht die Gefahr, dass sie – mit guten Absichten – übermäßig behütet und geschützt werden. Hierzu 504 505 506 507
508
DIEPOLD, 43; ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 142 f. TAUPITZ zit. Regelungen, A60. TAUPITZ zit. Regelungen, A61. TAUPITZ zit. Patienten, 124. Siehe auch die Hinweise auf TAUPITZ bei ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 109 f. ROGGO, 166 m.w.N.; ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 152 ff.
262
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
ALDERSON: „Echte Fürsorge besteht […] darin, dass man weder die Kompetenz eines Kindes überschätzt (und es zu einer Entscheidung zwingt, obwohl es unfähig und unwillig ist und sich lieber auf andere stützt), noch das Kind unterschätzt (und seine Fähigkeiten und seinen Willen zur Zustimmung ignoriert). Autonomie und Fürsorge können einander ergänzen.“509 Sie schlägt folgende vier Stufen der Beteiligung von Kindern an der Entscheidungsfindung vor: 1. aufgeklärt werden, 2. seine Meinung äußern, 3. eine Entscheidung beeinflussen, 4. der wichtigste Entscheidende über eine vorgeschlagene pflegerische oder medizinische Maßnahme sein.510 Verschiedene Studien zeigen, dass selbst jüngere Kinder, insbesondere wenn sie bereits eigene Erfahrungen mit Krankheiten haben, in der Lage sind, Entscheidungen, die ihre Gesundheit betreffen, eigenverantwortlich zu fällen.511 Die Beurteilung der Urteilsfähigkeit eines Kindes hat demnach immer individuell zu erfolgen. Alterskategorien sowie Ergebnisse empirischer Untersuchungen zur Einwilligungsfähigkeit von Kindern hinsichtlich medizinischer Belange können dabei als Hilfsmittel herangezogen werden. Da die Fähigkeit eines Kindes zur Selbstbestimmung mit seiner wachsenden körperlichen und geistigen Entwicklung sowie seiner Erfahrung stetig zunimmt, ist den Wünschen und dem Wille des Kindes mit zunehmendem Alter ein größeres Gewicht beizumessen. bb) Individueller Maßstab Die Urteilsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen im medizinischen Kontext ist an ihren individuellen Fähigkeiten zu messen. Es ist zu prüfen, ob ein Kind in der Lage ist, die Konsequenzen seiner Entscheidung abzuschätzen und eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Für die Beurteilung der Urteilsfähigkeit von Kindern gilt demnach der Grundsatz der Relativität512: Die Einschätzung der Urteilsfähigkeit eines Kindes muss mit Blick auf die konkret zu fällende Entscheidung und unter Berücksichtigung der individuellen Entwicklung und Reife des betroffenen Kindes sowie in Kenntnis des Settings des Forschungsprojekts513 erfolgen.514 Insbesondere chronisch kranke und behinderte Kinder, die viele Erfahrungen mit ihren Leiden, deren Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten und Beschwerden haben, sind im Verlaufe ihrer Krankheitsgeschichte in einem gewissen Sinne zu Experten geworden. Entsprechend verfügen sie oftmals früher als andere Kinder ihrer Altersstufe über ein umfassendes Verständnis ihrer Situation 509 510 511
512 513
514
ALDERSON, 46. ALDERSON, 36. DAHL/WIESEMANN zit. Forschung, 87 ff. verweisen u.a. auf Untersuchungen der britischen Sozialwissenschaftlerin ALDERSON. LOHAUS/ALBRECHT/SEYBERTH entwickelten in einer Pilotstudie ein Verfahren, mit dem sich der Entwicklungsstand eines Kindes resp. seine Einwilligungsfähigkeit testen lassen. Die Autoren weisen aber darauf hin, dass Ergebnisse solcher Tests durch weitere individuelle Beobachtungsdaten der getesteten Kinder ergänzt werden müssen, LOHAUS/ALBRECHT/SEYBERTH, 1502 ff. BSK ZGB I-BIGLER-EGGENBERGER, Art. 16 N 15. Darunter fallen Zweck, Aufbau, geplante medizinische Maßnahmen, Ablauf sowie sämtliche Rahmenbedingungen (involvierte Personen, Räumlichkeiten etc.) eines Forschungsvorhabens. Gemäß SPANGLER, 155 kann das medizinische Setting die Entscheidungsfähigkeit von Kindern beeinflussen. WÖLK zit. minderjähriger Patient, 86 ff.
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
263
und die damit verbundene Mitsprache- und Entscheidungsfähigkeit.515 Dies wird auch durch die empirischen Forschungsergebnisse von ALDERSON516 bestätigt: „Das wichtigste Ergebnis unserer Forschungen war, dass sich Kompetenz und Autonomie bei Kindern in der Hauptsache nicht abhängig vom Alter oder den intellektuellen Fähigkeiten entwickeln, sondern durch direkte persönliche Erfahrung. Einige der kleinsten Kinder, die wir befragten, waren mit am besten aufgeklärt und am entschlossensten, sich einer komplizierten Maßnahme zu unterziehen. […] Kompetenz und Autonomie schwanken bei Kindern ebenso wie bei Erwachsenen, und ihre Ausprägung hängt weit mehr vom Kontext und den jeweiligen Vorerfahrungen ab als von Eigenschaften wie Alter oder Intelligenz.“517 Diese Ausführungen machen deutlich, dass – wie bereits weiter oben festgehalten – bei der Feststellung der erforderlichen Urteilsfähigkeit bei Kindern das Alter nicht primär maßgebend sein kann.518 Vielmehr bedarf es einer sorgfältigen individuellen Abklärung der einzelnen Kinder, bei der mit dem nötigen Einfühlungsvermögen und mit Kenntnis der gesamten Umstände des jeweiligen Falls die Einwilligungsfähigkeit des betroffenen Kindes beurteilt wird.519 cc) Beurteilung der Urteilsfähigkeit eines Kindes im Forschungskontext ROTHÄRMEL weist zu Recht darauf hin, dass die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit im Falle der Teilnahme eines Kindes an einem medizinischen Forschungsvorhaben durch den Arzt/Studienleiter problematisch sein kann, da mit einer Studie auch Eigeninteressen des Arztes verbunden sein können.520 In solchen Fällen sollte die Einwilligungsfähigkeit der minderjährigen Versuchspersonen durch eine von der Studie unabhängige Fachperson oder Stelle geprüft werden. BROCHHAUSEN wirft zu Recht die Frage auf, welche Disziplin die Einwilligungsfähigkeit von Kindern bei Forschungsuntersuchungen beurteilen soll: „Die Pädiatrie aus ihrer lebendigen Erfahrung mit Entscheidungen innerhalb der Triade Arzt-Patient-Eltern oder die Psychologie im Rahmen ihrer unterschiedlichen Konzepte zur Entwicklungspsychologie oder vielleicht die Rechtswissenschaft im Rahmen der Abwägung unterschiedlicher Rechtsgüter sowie der Frage nach der Autonomie und Stellvertreterschaft?“521 Er kommt zum Schluss, dass keine der 515
516
517 518
519 520 521
SPANGLER, 157. Dazu auch die eindrücklichen Porträts schwer kranker Kinder im Buch von EICHENBERGER URSULA. Die Forschungsinteressen der britischen Sozial- und Erziehungswissenschaftlerin PRISCILLA ALDERSON gelten seit Jahren den Rechten der Kinder, ihrer Selbstbestimmungsfähigkeit und Entscheidungskompetenz. Hierbei befasst sie sich vertieft mit Entscheidungssituationen im Gesundheitsbereich sowie der besonderen Situation von chronisch kranken und behinderten Kindern. ALDERSON, 45 f. Vielmehr sind gemäß SPANGLER, 153 zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit von Kindern neben den kognitiven Voraussetzungen weitere Faktoren der Persönlichkeitsentwicklung, wie „emotionale, motivationale und soziale Kontext- und Einflussprozesse“ maßgebend. SPANGLER, 160. ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 158 f. BROCHHAUSEN, 29.
264
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Einzeldisziplinen die komplexe Frage der Bewertung der Einwilligungsfähigkeit für sich allein genommen beantworten kann.522 Fest steht, dass hinsichtlich der Einwilligungsfähigkeit von Kindern bei Behandlungsentscheiden ein großer Forschungsbedarf besteht. Dies gilt insbesondere für die Einwilligungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen bei medizinischen Forschungsvorhaben. Während die Fähigkeit von Kindern, Behandlungsentscheidungen zu treffen, im angloamerikanischen Raum seit den 1970er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts systematisch erforscht wird,523 wird diesen Fragen im kontinentaleuropäischen Raum erst seit einiger Zeit vertieft Beachtung geschenkt.524
3. Das Kindeswohl als Richtmaß für die Ausübung der elterlichen Sorge im medizinischen Kontext Der Grundsatz des Kindeswohls bildet den Kern aller Kinderrechte. Wie in Kapitel 3 ausgeführt, ist das Kindeswohl ein Leitprinzip der Kinderrechtskonvention. Gemäß WYTTENBACH geht der in Art. 3 der Konvention verankerte Grundsatz des Kindeswohls weit über den Schutz der anderen Konventionsgarantien hinaus. „Das Kindeswohl zu beachten heisst nicht nur, Verletzungen von Konventionsgarantien zu verhindern, sondern die rechtlichen und tatsächlichen Interessen des Kindes in einer konkreten Situation so weit als möglich zu wahren.“525 Das Kindeswohl hat für alle Kinder betreffende Entscheidungen der gesetzlichen Vertreter eines Kindes wie auch der staatlichen Akteure526 das Leitkriterium zu sein.527 Im schweizerischen Familienrecht findet sich der Grundsatz des Kindeswohls in Art. 301 Abs. 1 ZGB. Gemäß dieser Bestimmung leiten die Eltern „im Blick auf das Wohl des Kindes seine Pflege und Erziehung und treffen unter Vorbehalt seiner eigenen Handlungsfähigkeit die nötigen Entscheidungen“. Sie gewähren dem Kind dabei „die seiner Reife entsprechende Freiheit der Lebensgestaltung und nehmen in wichtigen Angelegenheiten, soweit tunlich, auf seine Meinung Rücksicht“.528 Den gesetzlichen Vertretern eines Kindes kommt auch in allen gesundheitlichen Fragen die primäre Entscheidungszuständigkeit zu. Allerdings ist das Sorgerecht der Eltern kein Freipass im Hinblick auf die gesundheitlichen Angelegenheiten ihres Kindes. Vielmehr bildet das Kindeswohl in allen Gesundheits-
522 523 524 525 526 527
528
BROCHHAUSEN, 29. ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 123 f. Siehe hierfür beispielsweise die Arbeit von LOHAUS/ALBRECHT/SEYBERTH, 1502 ff. WYTTENBACH, 136 f. WYTTENBACH, 306 f. Zum Kindeswohl (im Sinne des „Best-Interest Standard“) in der Pädiatrie siehe insbesondere DÖRRIES, 116 ff. Siehe auch RIXEN, 351 f.: „Im medizinischen Kontext wird das Kindeswohl zum kindesspezifischen Patientenwohl.“ Art. 301 Abs. 2 ZGB.
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
265
angelegenheiten das zentrale Richtmaß sowie die Schranke der elterlichen Vertretungsbefugnis.529 Bevor der Frage nachgegangen wird, wie sich das Kindeswohl im Hinblick auf medizinische Belange bestimmen lässt, wird untersucht, ob das Konzept des mutmaßlichen Willens aus der Vertretung erwachsener urteilsunfähiger Patienten530 auf die Vertretung von Kindern übertragen werden kann. a) Konzept des mutmaßlichen Willens und seine Anwendbarkeit bei Kindern Bei urteilsunfähigen erwachsenen Patienten besteht, sofern sie zu einem früheren Zeitpunkt urteilsfähig waren, die Möglichkeit, sich an ihren früheren Willensäußerungen und Wünschen zu orientieren. Auch lässt sich bei diesen Personen oftmals mit der Hilfe von Angehörigen531 oder allenfalls bestehenden Patientenverfügungen ein sogenannter mutmaßlicher Wille des Betroffenen ergründen.532 Menschen kommen urteilsunfähig zur Welt. Folglich ist die Urteilsunfähigkeit von Kindern eine ursprüngliche und eine Fremdbestimmung – zumindest in den ersten Lebensjahren – unumgänglich.533 Erst im Verlaufe ihrer Entwicklung eignen sich Kinder durch Erfahrung, Erziehung, Ausbildung und weiterer Einflüsse eigene Wertvorstellungen an.534 Kinder sind demzufolge zunächst „wertneutrale Individuen“.535 Dies verunmöglicht einen Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen eines Kindes, da ein solcher (noch) nicht besteht.536 Selbst bei älteren Kindern kann es – je nach ihrer Reife, Entwicklung und Erfahrung – schwierig sein, ihren mutmaßlichen Willen in gesundheitlichen Angelegenheiten zu ergründen.537 Folg-
529
530 531
532
533
534 535 536 537
MANAÏ, 189 f.; BSK ZGB I-SCHWENZER, Art. 301 N 4; Art. 305 N 2, 10. Das Kindeswohl dient somit als Ausschlusskriterium, indem es Verhaltensweisen verbietet, die gegen das Kindeswohl verstoßen. Hierzu STUHLINGER, 157. Siehe dazu die Ausführungen oben II.2. Dabei gilt es zu beachten, dass die Angehörigen und Freunde eines Patienten nur Indizien für dessen mutmaßlichen Willen liefern können, ihnen jedoch keinerlei Entscheidungsbefugnisse zustehen. BUCHER EUGEN, 169; MANAÏ, 191 f.; ROGGO, 177; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 163. Siehe dazu Ziff. 2.2 „Handeln im mutmasslichen Willen des Patienten, der zu einem früheren Zeitpunkt urteilsfähig war“ in den SAMW-Grundsätzen zur Selbstbestimmung. Siehe ebenfalls die Definition des Begriffs in Fn. 199. GEISER zit. Einwilligung, 3. Siehe dazu auch Stellungnahme ZEKO, 4: „Das ethische Dilemma besteht also darin, dass die gebotene Hilfeleistung für kranke Kinder erfordert, einige Minderjährige ohne ihre persönliche Einwilligung und ohne Nutzen für sie selbst gewissen Belastungen und Risiken auszusetzen. Zudem gibt es hier – anders als bei erwachsenen Nichteinwilligungsfähigen – auch nicht die Möglichkeit, aus früheren Willensäusserungen oder Einstellungen auf eine mutmassliche Bereitschaft des Minderjährigen zu schliessen.“ Siehe dazu auch vorne Kapitel 1 V.2.d. MAIO zit. Ethik, 171. GEISER zit. Einwilligung, 9; MAGNUS, 42. MERKEL zit. Studien, 183 f.; WEISSTUB/VERDUN-JONES/WALKER, 393 ff.
266
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
lich haben sich die gesetzlichen Vertreter am „wohlverstandenen Interesse“ und nicht am mutmaßlichen Willen des Kindes zu orientieren.538 b) Kindeswohl: eine objektive Größe? Das Wohl eines Menschen in gesundheitlichen Belangen bestimmt sich nicht allein durch den objektiven medizinischen Sachverhalt. Es beinhaltet immer auch subjektive Elemente: Vorlieben der Person, Wünsche, Wertvorstellungen etc. Letztendlich muss eine kompetente, d.h. urteilsfähige und vollumfänglich aufgeklärte Person selber entscheiden, worin ihr Wohl im medizinischen Kontext besteht. Wie ist jedoch das Wohl einer Person zu bestimmen, die hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Belange nicht hinreichend kompetent ist? Wie zuvor ausgeführt, lässt sich das Konzept des mutmaßlichen Willens auf Kinder nicht anwenden. Die Eltern und Ärzte haben sich deshalb am wohlverstandenen Interesse des betroffenen Kindes zu orientieren. Folglich ist das Wohl eines Kindes im medizinischen Kontext in einer möglichst wohlverstandenen, d.h. in einer objektiven Weise zu ermitteln.539 Dabei sind insbesondere das Entwicklungspotenzial sowie die Zukunftsperspektiven des betroffenen Kindes zu berücksichtigen.540 Ebenso ist bei der Beurteilung des Kindeswohls zu beachten, dass Kinder auf ein intaktes Beziehungsumfeld angewiesen sind und besonderen Schutz und Fürsorge benötigen.541 c) Pflicht der Eltern zur Berücksichtigung der Wünsche des einwilligungsunfähigen Kindes Neben der objektiven Größe des Kindeswohls haben die Eltern aber auch die individuellen Wünsche des Kindes bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen.542 Denn nicht nur das physische, sondern auch das psychische Wohl ist Teil des Kindeswohls.543 Die Eltern werden durch den Grundsatz des Kindeswohls verpflichtet, in wichtigen Angelegenheiten auf die Meinung des Kindes Rücksicht
538
539 540 541 542
543
Siehe dazu Ziff. 2.1. „Entscheidung des gesetzlichen Vertreters bei einem Patienten, der nie urteilsfähig war“ und Ziff. 2.3. „Handeln im wohlverstandenen Interesse des Patienten“ der SAMW-Grundsätze zur Selbstbestimmung. MAGNUS versteht im Zusammenhang mit der in § 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG und Art. 4 lit. a RL 2001/20/EG genannten Pflicht der Eltern zur Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des Kindes unter dem mutmaßlichen Willen des Kindes: „der vernünftige, eigentliche, kindeswohlgerechte Wille […] soweit keine Anhaltspunkte für eine abweichende Interessenpräferenz vorliegen“, MAGNUS, 43. RIXEN, 353; STUHLINGER, 156. MAIO zit. Forschungsobjekt, 67; TAUPITZ zit. Regelungen, A74. MAIO zit. Forschungsobjekt, 67. Eine entsprechende Bestimmung ist beispielsweise in Art. 13 Abs. 2 der Verordnung über die Rechtsstellung der Patienten und Patientinnen der kantonalen Spitäler des Kantons Appenzell Außerrhoden (bGS 812.112): „Den Wünschen Urteilsunfähiger wird im Rahmen des ärztlichen und pflegerischen Ermessens Rechnung getragen.“ ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 180.
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
267
zu nehmen.544 Dieses Mitspracherecht des Kindes gilt in sämtlichen Lebensbereichen und hängt nicht von einem Mindestalter ab.545 Die Eltern haben daher die Aufgabe, den Inhalt der ärztlichen Empfehlung gegenüber dem objektiven Wohl sowie den Wünschen des Kindes abzuwägen. Bei der Gewichtung der Wünsche des Kindes kommt den Eltern ein großer Ermessensspielraum zu. Nicht in das Ermessen der Eltern fällt hingegen die Frage, ob sie die Wünsche des Kindes überhaupt anhören und diese in ihre Entscheidungsfindung mit einbeziehen. Das Recht des Kindes auf Anhörung ist Teil des Kindeswohls.546 Dennoch kann gerade bei Fragen der körperlichen und seelischen Gesundheit eines Kindes die Bestimmung des objektiven Kindeswohls unter Berücksichtigung des kindlichen Willens mitunter schwierig sein. Zu denken ist beispielsweise an die schwierige Situation, in der sich Familien schwer kranker Kinder befinden, wenn diese weitere Behandlungen ablehnen. So schildert NIETHAMMER Erfahrungen mit krebskranken Kindern, die sich mit dem sicheren Wissen um ihren baldigen Tod und die damit verbundene Sinnlosigkeit der Therapie einer Weiterbehandlung widersetzten: „Wenn ein Kind oder Jugendlicher die Fortsetzung jeder Therapie verweigert, müssen wir das sehr ernst nehmen. Zu oft haben wir erlebt, dass Kinder nach langer Behandlungszeit plötzlich strikt jeden weiteren Therapieversuch ablehnen und den Eltern erklären, dass sie nicht mehr in die Klinik gehen wollen. Sie sind dann oft weiter in der Erkenntnis um ihre Situation als wir oder ihre Eltern. Der weitere Verlauf hat nur zu oft gezeigt, dass sie mit ihrer Verweigerung Recht hatten.“547 Soll, muss, darf in solchen Situationen der Wille des Kindes Beachtung finden und die Entscheidung der Eltern prägen, oder müssen die Eltern und Ärzte nicht zum Wohl des Kindes über diesen hinweggehen? d) Wahl- und Mitbestimmungsrechte einwilligungsunfähiger Kinder als Ausfluss des Kindeswohls Die Autonomie ist Bestandteil des Kindeswohls. Folglich sind Kinder, wo immer möglich, in die Entscheidfindung mit einzubeziehen.548 Auch jüngere, noch urteilsunfähige Kinder sind ernst zu nehmen und an medizinischen Entscheidungsprozessen so weit möglich zu beteiligen.549 Wie zuvor ausgeführt, sind die Eltern durch das Kindeswohl verpflichtet, das Kind im Vorfeld einer Entscheidung in medizinischen Belangen anzuhören. Als Folge davon lassen sich aus dem Grundsatz des Kindeswohls Wahl- und Mitspracherechte einwilligungsunfähiger Kinder im medizinischen Kontext ableiten. Diese Wahl- und Mitspracherechte einwilligungsunfähiger Kinder bestehen in erster Linie gegenüber den Inhabern der elterlichen Sorge. Demnach haben Eltern – wenn der Wunsch des Kindes mit dem objektiven (körperlichen) Kindeswohl, d.h. den wohlverstandenen Interessen des Kindes harmoniert – diesen so weit wie möglich zu berücksichtigen. Bestehen 544
545 546 547 548 549
Art. 301 Abs. 2 ZGB; § 1626 BGB Abs. 2 BGB. Für das deutsche Recht siehe WÖLK zit. minderjähriger Patient, 83. BSK ZGB I-SCHWENZER, Art. 301 N 7. STUHLINGER, 159. NIETHAMMER zit. Tod, 115 ff., 126. STUHLINGER, 159. UDE-KOELLER/WIESEMANN, 306 m.w.H.
268
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
beispielsweise gleichwertige Behandlungsalternativen, kann die Wahl dem Kind überlassen werden, sofern es den Wunsch nach Mitbestimmung äußert und die Entscheidung nicht von Grund auf seinen Eltern überlassen möchte. Dies gilt insbesondere auch für die Teilnahme an Forschungsvorhaben: Solange eine Studie nicht abgeschlossen ist, gilt die herkömmliche Behandlungsmethode als gleichwertige Alternative zu einem Heilversuch. In diesem Fall ist dem einwilligungsunfähigen Kind die Möglichkeit zu geben, zwischen der Teilnahme an der Studie oder einer Behandlung mit der herkömmlichen Methode zu wählen, da diese echte Behandlungsalternativen darstellen. Diese auf dem Grundsatz des Kindeswohls beruhenden Wahl- und Mitentscheidungsrechte berechtigen das urteilsunfähige Kind jedoch nicht, eine indizierte Behandlung abzulehnen.550 Eine Therapieverweigerung ist nur bei voller Urteilsfähigkeit möglich. Nur wenn strikt am Erfordernis der Urteilsfähigkeit für alleinige Behandlungsentscheidungen Minderjähriger festgehalten wird, kann im Kontext medizinischer Entscheidungen dem objektiven Maßstab des Kindeswohls Rechnung getragen werden. e) Aufklärung und Anhörung des Kindes als Gültigkeitsvoraussetzungen für die stellvertretende Entscheidung der Eltern Zur Sicherung des Kindeswohls und zum Schutz der Persönlichkeitsrechte minderjähriger Patienten sollte der Arzt sowohl das urteilsfähige und daher einwilligungsbefugte Kind wie auch das nicht einwilligungsfähige Kind – entsprechend seiner Verständnisfähigkeit – über medizinische Eingriffe aufklären.551 Die Information minderjähriger Patienten ist grundsätzlich unabdingbar, da der Arzt für eine erfolgreiche Durchführung eines Eingriffs auf die Mitarbeit der Kinder angewiesen ist.552 ROTHÄRMEL stellt zu Recht fest, dass die Anhörung des Kindes durch die Eltern eine Wirksamkeitsvoraussetzung der stellvertretenden Einwilligung ist.553 Damit ist das Recht des Kindes auf Anhörung im Hinblick auf medizinische Entscheidungen justitiabel.554 Grundsätzlich darf der Arzt darauf vertrauen, dass die Eltern bei ihrer Entscheidung die Wünsche des einwilligungsunfähigen Kindes berücksichtigt haben. Weiß jedoch ein Arzt um die fehlende Anhörung des Kindes durch die Eltern, kann er nicht von einer rechtswirksamen stellvertretenden Einwilligung durch die Eltern ausgehen.555 In solchen Fällen hat der Arzt die Eltern an ihre Pflicht zu erinnern und sie zur Anhörung des einwilligungsunfähigen Kindes aufzufordern. In Fällen, in denen eine Befolgung der ohne Anhörung des Kindes getroffenen elterlichen Entscheidung das Kindeswohl verletzten würde, hat der Arzt die Vormundschaftsbehörde anzurufen.556 550 551 552 553
554 555 556
ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 180, 196. GUILLOD zit. consentement, 202. SPANGLER, 144 m.w.H. Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus dem Grundsatz der rechtfertigenden Funktion der Einwilligung im Zusammenhang mit Art. 301 ZGB. ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 195. ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 195. Eine entsprechende Bestimmung enthalten beispielseise Art. 26d Abs. 2 des Loi Sanitaire des Kantons Jura: „Lorsque la décision du représentant thérapeutique ou du
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
269
Das Kindeswohl ist demnach ein unentbehrliches Richtmaß für alle an der medizinischen Versorgung eines Kindes beteiligten Personen und Institutionen. In erster Linie ist es ein objektiver Maßstab für die Entscheidungsfindung. Aus dem Grundsatz des Kindeswohls leiten sich aber auch individuelle Informations- und Anhörungsrechte sowie Mitspracherechte des einwilligungsunfähigen Kindes ab. Diese entfalten ihre Wirkung in erster Linie im Verhältnis des urteilsunfähigen Kindes zu seinen gesetzlichen Vertretern.
4. Mitwirkungsrechte und Entscheidungsbefugnisse der Eltern einwilligungsfähiger Minderjähriger Die vorherigen Ausführungen zeigen auf, dass dem zur alleinigen Entscheidung unfähigen Kind aus dem Grundsatz des Kindeswohls im Innenverhältnis gegenüber seinen Eltern Anhörungs- und Mitspracherechte zustehen. Im nachfolgenden Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob den Eltern einwilligungsfähiger Minderjähriger Mitwirkungsrechte und Entscheidungsbefugnisse zustehen und wenn ja, wie diese ausgestaltet sind. a) Einwilligungsfähigkeit als individueller Entwicklungsprozess Bei der Ausübung ihrer elterlichen Sorge haben die gesetzlichen Vertreter eines Kindes zu berücksichtigen, dass Kinder einen fortlaufenden Entwicklungsprozess vom vollständig auf Hilfe und Fürsorge angewiesenen Kleinkind hin zum selbstverantwortlichen Erwachsenen durchlaufen.557 Mit der schrittweisen Verselbstständigung des Kindes geht daher eine Rückbildung der elterlichen Entscheidungskompetenz einher.558 Dies gilt in gesteigertem Maße für Entscheidungen in Gesundheitsangelegenheiten, da diese höchstpersönliche Rechte betreffen. Gleichzeitig sind Kinder und Jugendliche – wie oben ausgeführt559 – auf ein soziales Umfeld angewiesen. Ein Kind ist in jedem Alter in vielerlei Hinsicht von der Zuneigung, Fürsorge und Anleitung anderer abhängig und benötigt für seine Entwicklung ein intaktes Beziehungsumfeld. Der Weg eines Kindes zur Selbstständigkeit ist zudem selten kontinuierlich und verläuft nicht in allen Lebensbereichen gleich. Der eine Jugendliche zeigt beispielsweise im schulischen Umfeld oder beim Sport große Selbstständigkeit sowie ein ausgereiftes Verantwortungsbewusstsein, überlässt sich aber bei Verletzungen und im Krankheitsfall vollständig der Fürsorge seiner Eltern. Währenddessen verfügen andere Kinder – insbe-
557
558
559
représentant légal met en danger la santé du patient, le dispensateur de soins doit saisir l’autorité tutélaire.“ Und § 23 der Patientenverordnung des Kantons Luzern. ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 196. Siehe zu Konfliktsituationen zwischen Kind-ArztEltern auch unten IV.5. HEGNAUER zit. Kindesrecht, 38. Die Jahre, in denen ein Kind unter elterlicher Sorge steht, umspannen „die entscheidende Entwicklung des Kindes von der Abhängigkeit zur Selbstständigkeit“. RUTISHAUSER, 30; WEISSTUB/VERDUN-JONES/WALKER, 393 ff.; WÖLK zit. minderjähriger Patient, 83. Siehe oben III.2.
270
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
sondere Kinder, die an chronischen Krankheiten leiden oder die aus anderen Gründen früh Erfahrung im Umgang mit ihrem Körper und ihrer Gesundheit gesammelt haben – schon im jungen Alter über ein ausgeprägtes Bewusstsein für ihren Körper und nehmen aktiv an ihrer ärztlichen Behandlung teil. Doch auch diese grundsätzlich zur alleinigen Entscheidung fähigen Kinder wünschen bei der Entscheidungsfindung oftmals die Mitwirkung ihrer Eltern. Demzufolge lässt sich die Frage, ob ein Minderjähriger im Hinblick auf einen bestimmten medizinischen Eingriff entscheidungsfähig ist, und inwieweit er diese Entscheidungskompetenz auch selber ausüben will, nicht allgemeingültig beantworten. b) Urteilsfähigkeit des Kindes als maßgebende Größe Das Recht knüpft den Umfang der Entscheidungsbefugnisse der Eltern in medizinischen Fragen an die Urteilsfähigkeit des betroffenen Kindes. Ist ein Minderjähriger im Hinblick auf einen bestimmten medizinischen Eingriff urteilsfähig, steht ihm die alleinige, uneingeschränkte Entscheidungsbefugnis zu.560 Ein Arzt verletzt das Patientengeheimnis und macht sich folglich strafbar, wenn er die Eltern ohne das Einverständnis der urteilsfähigen unmündigen Person über die Behandlung dieser Person aufklärt.561 Dennoch stellt sich die Frage, ob neben dem urteilsfähigen Minderjährigen auch dessen gesetzliche Vertreter informiert und aufgeklärt werden dürfen und in den Entscheidungsprozess einbezogen werden sollten. Der Arzt und Jurist ROGGO gibt hierauf zur Antwort, dass die Eltern bei Minderjährigen „traditionellerweise“ die „Einwilligung zu einer Behandlung (mit)abzugeben“ haben, „insofern keine Notfallsituation vorliegt oder sich sofortiges Handeln aus anderen Gründen aufdrängt. Von dieser allgemeinen Regelung soll erfahrungsgemäss immer dann abgewichen werden dürfen, wenn der Minderjährige ein vernünftiges Maß an Urteilsfähigkeit und Selbstverantwortung erreicht hat, das ihm erlaubt, seine höchstpersönlichen Rechte adäquat geltend zu machen.“562 Gibt der urteilsfähige Minderjährige sein Einverständnis dazu, dass seine gesetzlichen Vertreter ebenfalls in die Diskussion einer anstehenden Behandlung mit einbezogen werden, so sei dies jedoch für alle Beteiligten von Vorteil.563 Ebenfalls in diese Richtung geht die von HAUSHEER/AEBI-MÜLLER vorgeschlagene differenzierte Berücksichtigung des kindlichen Willens.564 Dabei soll die Vertretungsmacht der gesetzlichen Vertreter bei einer ausdrücklichen Ablehnung der infrage stehenden Handlung durch den urteilsfähigen Minderjährigen in der Regel ausge560
561 562
563
564
GUILLOD zit. consentement, 216. So auch GEISER zit. Einwilligung, 7 m.w.N.; RUTISHAUSER, 28 f. RUTISHAUSER, 28. ROGGO, 164. Zur Illustration seiner Aussagen führt der Autor das Beispiel eines 16jährigen Mechanikerlehrlings an, der sich im Rahmen seiner Tätigkeit eine Schnittwunde an der Hand zugezogen hat und der zur notwendigen Wundversorgung selber einwilligen darf. ROGGO, 171. Mit dem Einbezug der Eltern könne einem späteren Vorwurf sowohl von Seiten der Eltern wie des jugendlichen Patienten vorgebeugt werden, dass der beschränkt Handlungsunfähige zum gegebenen Zeitpunkt nicht einwilligungsfähig gewesen sei. HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.76. Siehe dazu auch oben III.3.c.
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
271
schlossen sein. Ist hingegen kein eindeutiger Wille des betroffenen Kindes feststellbar, sind die gesetzlichen Vertreter grundsätzlich zur Vertretung ermächtigt.565 WIEGAND vertritt die Ansicht, dass urteilsfähige Unmündige zu einem alleinigen Entscheid befugt seien, dies selbst gegen den explizit erklärten Willen der Eltern.566 Aufgrund ihrer Fürsorgepflicht und mit Blick auf das Wohl des Kindes müssen die gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen jedoch stets dann mit einbezogen werden, wenn Zweifel bestehen, ob der betreffende Minderjährige tatsächlich in der Lage ist, Art und Ziel eines Eingriffs objektiv zu würdigen.567 Diese Ansicht vertritt auch RUTISHAUSER, der empfiehlt, dass der Arzt einem minderjährigen Patienten die Wahrung eines „eingeschränkten“ Patientengeheimnisses zusichern soll. Dies bedeutet, dass der Arzt seine ärztliche Schweigepflicht unter der Voraussetzung wahrt, dass keine ernsthafte Selbst- und/oder Fremdgefährdung des Minderjährigen vorliegt.568 Voraussetzung ist, dass mit den minderjährigen Patienten gleich zu Beginn der ersten Konsultation die Frage des Einverständnisses zur Aufklärung der Eltern besprochen wird.569 Ein Beispiel für eine Situation der Selbstgefährdung sind die Fälle junger, noch minderjähriger Frauen, die an Anorexia Nervosa leiden und die sich einerseits gegen eine Aufklärung der Eltern und andererseits gegen eine wirksame Therapie (im Extremfall die Hospitalisierung und eine allenfalls damit verbundene Zwangsernährung) zur Wehr setzen. Wird dem Willen der jungen Patientinnen gefolgt, kann dies unter Umständen ihren Tod zur Folge haben. Werden die jungen Frauen jedoch unter Bezugnahme auf ihr objektives körperliches Wohl in dieser Angelegenheit als urteilsunfähig erachtet, kann nach Aufklärung der gesetzlichen Vertreter und mit ihrer Einwilligung die nötige Behandlung durchgeführt werden. In diesem Fall können die jungen Frauen sehr wahrscheinlich vor größeren gesundheitlichen Schäden oder gar dem Tod bewahrt werden. Eine solche Vorgehensweise stellt jedoch zugleich einen maßiven Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht sowie die physische wie psychische Integrität der jungen Patientinnen dar. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie schwierig die oben gestellte Frage zu beantworten ist. Eine allgemeingültige Regelung der Entscheidungskompetenzen Minderjähriger und der Mitwirkungsrechte der Sorgeberechtigten kann aufgrund der 565 566
567
568
569
HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Rz. 07.76. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 158, insb. Fn. 145. Als Beispiel führt WIEGAND die Verschreibung von Schwangerschaftsverhütungsmitteln an eine urteilsfähige Minderjährige an. In diesem Fall sei die Einwilligung der Eltern nicht erforderlich und sie dürften auch nicht informiert werden. MANAÏ, 40 mit Verweis auf BGE 114 Ia 350 E.7: „[…] les détenteurs de l’autorité parentale devraient être appelés à intervenir chaque fois qu’il y a doute sur la capacité d’une personne mineure d’apprécier objectivement les tenants et aboutissants de l’intervention proposée, l’intérêt thérapeutique du patient étant prépondérant dans tous les cas.“ Siehe auch ROGGO, 165 m.w.N. RUTISHAUSER, 28 m.w.H. Er verweist auf eine Umfrage unter Jugendlichen in der Schweiz, deren Resultate eine hohe Akzeptanz des eingeschränkten Patientengeheimnisses bei den befragten Jugendlichen zeigten. Zur ärztlichen Schweigepflicht bei Kindern und Jugendlichen nach deutschem Recht siehe WENDEHORST, 72 ff. RUTISHAUSER, 28.
272
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Verschiedenartigkeit der Behandlungssituationen und der unterschiedlichen Entwicklung der betroffenen Kinder und Jugendlichen nicht getroffen werden.570 Vielmehr hat der verantwortliche Arzt stets im Einzelfall zu prüfen, ob der jugendliche Patient alleine die Einwilligung zu einem Eingriff erteilen kann, oder ob – da dem jungen Patienten die erforderliche Urteilskraft fehlt und es das objektive Wohl des Kindes gebietet – die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter eingeholt werden muss.571 Ein Blick in den ärztlichen Alltag führt zum Schluss, dass trotz der unbestrittenen Geltung des Grundsatzes der alleinigen Einwilligungsbefugnis urteilsfähiger Minderjähriger die doppelte Zustimmung572 zu medizinischen Maßnahmen auch bei urteilsfähigen Minderjährigen häufig sinnvoll ist.573 Ein solches Vorgehen entspricht in der Praxis in den meisten Fällen den Bedürfnissen der betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie ihrer gesetzlichen Vertreter. Es ist davon auszugehen, dass in den allermeisten Fällen die Eltern eine Entscheidung über eine medizinische Behandlung ihres Kindes mit dessen Zustimmung treffen oder aber die Entscheidung von den Eltern und dem Kind gemeinsam getroffen wird.574 Demzufolge kann ein Arzt einem als urteilsfähig eingestuften Minderjährigen den Einbezug der gesetzlichen Vertreter vorschlagen. Der beschränkt Handlungsfähige muss einer Beteiligung seiner gesetzlichen Vertreter explizit zustimmen.575 Zusätzlich kann er den Arzt anweisen, welche Informationen dieser an die Eltern weitergeben darf und welche nicht. Einige wenige Kantone kennen eigene Regelungen für die Einwilligung urteilsfähiger Minderjähriger zu medizinischen Maßnahmen. So bestimmt beispielsweise § 12 der Patientenverordnung576 des Kantons Thurgau, dass bei urteilsfähigen aber unmündigen oder entmündigt Patienten vor größeren oder mit erheblichen Risiken verbundenen Eingriffen auch deren gesetzliche Vertretung informiert werden muss. Gemäß Abs. 2 hat diese Information zu unterbleiben, wenn der Patient widerspricht oder der Entmündigungsgrund in keinem Zusammenhang mit dem medizinischen Eingriff steht. § 18577 des Dekrets über die Rechte und Pflichten der Krankenhauspatienten578 des Kantons Aargau und Art. 21 der Patientenver-
570 571 572
573 574 575 576
577
578
Siehe dazu BOOS zit. Ethik, 52 ff. ROGGO, 166 m.w.N. Der Grundsatz der doppelten Einwilligung besagt, dass die Einwilligung des urteilsfähigen unmündigen Patienten zum Eingriff unbedingt erforderlich ist und gleichzeitig auch seine gesetzlichen Vertreter der Behandlung zustimmen müssen oder zumindest darüber informiert werden müssen. DETTMEYER, 199. So auch GUILLOD zit. consentement, 234. RUTISHAUSER, 28 f. Verordnung des Regierungsrates über die Rechtsstellung der Patienten und Patientinnen (RB 811.314). „1 Bei urteilsfähigen unmündigen oder entmündigten Patienten ist vor grösseren oder mit erheblichen Risiken verbundenen Eingriffen auch deren gesetzlicher Vertreter zu informieren. 2 Diese Information hat zu unterbleiben, wenn der urteilsfähige Patient dem widerspricht.“ Dekret über die Rechte und Pflichten der Krankenhauspatienten ( SAR 333.110).
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
273
ordnung579 des Kantons Appenzell Außerrhoden enthalten nahezu identische Regelungen. Hingegen wird nach Art. 33 Abs. 1 des Gesundheitsgesetzes des Kantons Wallis580 die Entscheidungsbefugnis des urteilsfähigen Minderjährigen nicht vollumfänglich respektiert. Die Bestimmung gestattet es Gesundheitsfachpersonen, „bei urteilsfähigen, minderjährigen oder bevormundeten Patienten […] deren gesetzlichen Vertreter“ zu informieren. Eine vorgängige Absprache mit dem betroffenen Patienten wird in der Norm nicht vorgesehen. c) Sonderfälle Die Information der gesetzlichen Vertreter und die Einholung ihrer Zustimmung zur Behandlung sind unabhängig von der Urteilsfähigkeit eines Kindes immer dann erforderlich, wenn die Behandlung eines Kindes mit Kosten verbunden ist, die der betreffende Minderjährige nicht selber begleichen kann. Denn beschränkt Handlungsfähige benötigen für den rechtsgültigen Abschluss eines Arztvertrages die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter.581 Doch ist es auch in diesen Fällen nicht erforderlich, dass die gesetzlichen Vertreter über die höchstpersönlichen Inhalte der Behandlung informiert werden. Die Information und Zustimmung der gesetzlichen Vertreter ist auch in Fällen erforderlich, in denen die Behandlung eines Minderjährigen zusätzliche Aufwendungen und Verpflichtungen zulasten der Sorgeberechtigten und/oder Dritter mit sich bringt, die über ein normales Maß hinausgehen. Neben finanziellen Verpflichtungen kann eine medizinische Behandlung eines Kindes auch mit faktischen Pflichten verbunden sein. Denkbar ist, dass die indizierte Therapie es erfordert, dass die Eltern eine spezielle Pflege des Kindes erlernen müssen, oder ein Minderjähriger zu Hause durch Fachleute betreut werden muss. In extremen Fällen kann das körperliche Wohl eines Kindes sogar den Umzug der gesamten Familie bedingen oder bauliche Maßnahmen in den bestehenden Wohnräumen erfordern. Allenfalls ist auch der Eintritt des Kindes in eine Pflegeeinrichtung nötig. In solchen Fällen sollten die gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen – auch wenn dieser in Bezug auf die infrage stehende medizinische Behandlung als voll urteilsfähig gilt – immer über die Behandlung informiert und um ihre Zustimmung gebeten werden. Zudem ist ihr Einbezug für die erfolgreiche Durchführung derartiger Behandlungen zumeist unabdingbar. Gleichwohl wird nicht immer leicht festzulegen sein, ob die mit einer Behandlung verbundenen Belastungen und Pflichten Dritter über ein normales Maß hinausgehen oder nicht. 579
580 581
Verordnung über die Rechtsstellung der Patienten und Patientinnen der kantonalen Spitäler des Kantons Appenzell Außerrhoden (bGS 812.112): „1 Urteilsfähige Unmündige und Entmündigte entscheiden selbst über die Durchführung medizinischer und pflegerischer Massnahmen. 2 Vor grösseren oder mit erheblichen Risiken verbundenen Eingriffen sind die gesetzlichen Vertreter oder Vertreterinnen durch den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin zu informieren. 3 Die Information kann unterbleiben, wenn der Patient oder die Patientin widerspricht oder der Entmündigungsgrund mit dem Eingriff nicht zusammenhängt.“ Gesundheitsgesetz (SGS 800.1). RUTISHAUSER, 29. Dazu auch unten IV.6.
274
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
d) Ärztliches Ermessen Dessen ungeachtet müssen Fälle Berücksichtigung finden, in denen eine Mitwirkung der gesetzlichen Vertreter nicht dem Wohl eines Kindes oder Jugendlichen entspricht. Möglich ist, dass ein urteilsfähiger Minderjähriger den Einbezug seiner Eltern ausdrücklich ablehnt. Die Weigerung kann u.a. in der Art des Eingriffs (Schwangerschaftsabbruch, Behandlung einer Suchtkrankheit) begründet sein oder es besteht ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen dem betroffenen Kind und seinen Eltern. Möglich sind zudem Fälle, in denen zu befürchten ist, dass der gesetzliche Vertreter seine Einwilligungsbefugnis nicht zum Wohl des Kindes ausübt.582 Der behandelnde Arzt hat den Willen des urteilsfähigen minderjährigen Patienten grundsätzlich zu respektieren. Einzig im Falle einer Selbst- und/oder Fremdgefährdung des Minderjährigen hat der Arzt den Einbezug der gesetzlichen Vertreter in Erwägung zu ziehen. Stellt jedoch schon die Einholung des Einverständnisses der Eltern eine ernsthafte Gefährdung für das Wohl des minderjährigen Patienten dar, so empfiehlt RUTISHAUSER dem betroffenen Arzt die Absprache mit anderen Fachpersonen (z.B. Kinderschutzgruppe, Vormundschaftsbehörde).583 Schlussendlich ist es die nicht immer leichte Aufgabe des behandelnden Arztes, die Persönlichkeitsrechte und die Interessen der jungen Patienten einerseits und die Fürsorgepflichten und Vertretungsbefugnisse der Eltern andererseits, zu beachten und zu wahren. Demzufolge sollte der Arzt bei der Vorbereitung und Ausführung eines ärztlichen Eingriffs bei einem Minderjährigen stets dessen individuelle Fähigkeiten sowie seine persönliche Lebenssituation berücksichtigen.584 Letztendlich hat der behandelnde Arzt nach seinem Ermessen zu entscheiden, inwieweit ein minderjähriger Patient über die erforderliche Urteilsfähigkeit verfügt585 und ob und in welchem Umfang seine gesetzlichen Vertreter in die Behandlung miteinbezogen werden.586 Im Zweifelsfalle wird der Arzt die Einwilligung der Eltern einholen.587 Dies ist keine leichte Aufgabe und erfordert von den betroffenen Ärzten und dem involvierten Team viel Empathie für die minderjährigen Patienten sowie für deren Vertreter.588 Das Recht kann ihnen dabei Wegweiser sein,589 indem es vor582 583 584 585
586
587 588 589
Siehe dazu gleich anschließend unter IV.5. RUTISHAUSER, 29. MANAÏ, 40; WÖLK zit. minderjähriger Patient 84 ff. MANAÏ, 39. Zur Beurteilung der Urteilsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen im medizinischen Kontext siehe oben IV.2. So auch ROGGO, 171: „Die Beziehung des Arztes zum beschränkt Handlungsunfähigen ist rechtlich nicht abschliessend geregelt. Vom Arzt wird in dieser speziellen Beziehung nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein ‚rechtliches’ Fingerspitzengefühl erwartet. Entsprechend ist wiederum ein Ermessensentscheid aus juristischer Sicht zu würdigen und soweit vertretbar zu respektieren.“ MANAÏ, 40; LAUFS in: LAUFS/UHLENBRUCK, § 66, Rn. 9. BOOS zit. Ethik, 53. RUTISHAUSER, 30: „Rechtliche Aspekte dienen lediglich als orientierende Leitplanken für das ärztliche Handeln. Im Zentrum soll auch weiterhin das somatische und psychische Wohl des Patienten stehen. Der jugendmedizinisch tätige Arzt steht mitten im Spannungsfeld zwischen der Transition des jugendlichen Patienten von der Kindheit
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
275
gibt, wann welche Person welche Rechte und Pflichten innehat und wie diese auszuüben und durchzusetzen sind. In den allermeisten Fällen wird sich ein Arzt bei der Behandlung Minderjähriger nicht explizit auf das Recht berufen müssen. Es sind jedoch Situationen denkbar, in denen er zum Wohl eines Kindes rechtliche Mittel ergreifen muss. Mit solchen Konstellationen befasst sich der nächste Abschnitt.
5. Konfliktsituationen Wie ausgeführt, ist das Sorgerecht der Eltern nicht grenzenlos. Vielmehr bildet das Kindeswohl Richtmaß und Schranke der elterlichen Vertretungsbefugnis.590 Im Rahmen einer medizinischen Behandlung eines Kindes können jedoch Konfliktsituationen auftreten, in denen widersprüchliche Interessen und Meinungen das Wohl des Kindes beeinträchtigen. a) Konflikte zwischen dem Arzt und den gesetzlichen Vertretern Vorstellbar ist, dass sich die gesetzlichen Vertreter eines Kindes hinsichtlich der Behandlung des Kindes uneins sind oder entgegen dem Wohl des Kindes einen medizinischen Eingriff verweigern. Als Folge davon können die Ansichten des behandelnden Arztes und die der gesetzlichen Vertreter eines minderjährigen Patienten divergieren. In diesen Situationen darf der behandelnde Arzt den Eingriff bzw. die Behandlung nicht gegen den Willen eines Elternteils oder entgegen den Willen beider Eltern vornehmen. Sind sich die Parteien (Eltern/Eltern oder aber Eltern/Arzt) uneinig und ist die Behandlung des Minderjährigen objektiv nötig, liegt aber kein Notfall vor, hat der verantwortliche Arzt sich an die zuständige Vormundschaftsbehörde591 zu wenden.592 Diese hat über die Anordnung von entsprechenden Kindesschutzmaßnahmen zu entscheiden.593 Dabei steht in der
590 591
592
593
zum Erwachsenenalter und damit einem juristischen Graubereich in der Betreuung jugendlicher Patienten.“ ROGGO, 167. In der Praxis wird sich ein in einem Spital tätiger, angestellter Arzt – sofern es die zeitlichen Umstände zulassen – zunächst an den leitenden Arzt und/oder an die Spitalleitung wenden, wohingegen sich ein selbstständig tätiger Arzt direkt an die zuständige Behörde wenden muss. BUCHER EUGEN, 170 ff.; GUILLOD zit. consentement, 202, 238 ff. mit Hinweisen auf andere Rechtsordnungen; MANAÏ, 190; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 172 f. Zur sachlichen und örtlichen Zuständigkeit der Vormundschaftsbehörde sowie zum Verfahren siehe HEGNAUER zit. Grundriss, N 27.52 ff., 27.59 ff., 27.62 ff. Art. 307 ZGB. Dazu BSK ZGB I-SCHWENZER, Art. 307. Siehe auch entsprechende Bestimmungen in kantonalen Normen. So z.B. § 7 Abs. 4 der Verordnung über die Rechte und Pflichten der Patienten in den kantonalen Krankenanstalten des Kantons Basel-Landschaft (SGS 930.15):„Verweigert der Vertreter die Zustimmung zu einer medizinischen Massnahme, kann der Arzt an die Vormundschaftsbehörde gelangen, die über die Zustimmung entscheidet. In dringenden Fällen entscheidet der Arzt, ob die Verweigerung der Zustimmung missbräuchlich ist und daher missachtet werden darf. Die Verweigerung der Zustimmung zu einer lebensrettenden medizinischen Massnahme
276
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Regel die Anordnung der Vornahme der medizinisch indizierten Maßnahme durch die Behörde im Vordergrund.594 Dabei weist die Behörde zunächst die Eltern an, die erforderliche Einwilligung zu erteilen.595 Erst wenn sich die Inhaber der elterlichen Sorge weiterhin weigern, eine dem objektiven Wohl des Kindes dienende Entscheidung zu treffen und die Situation des betroffenen Kindes ein Handeln erfordert, wird die Vormundschaftsbehörde die Zustimmung zum ärztlichen Eingriff erteilen.596 Erfordert das Wohl des Kindes in besonders dringenden Fällen ein sofortiges Handeln und bleibt keine Zeit zur Anrufung der Vormundschaftsbehörde, soll und darf ein Arzt entgegen dem ausdrücklich erklärten Willen der gesetzlichen Vertreter eines Kindes den erforderlichen Eingriff vornehmen.597 Dabei hat sich der Arzt ausschließlich am Kindeswohl zu orientieren.598 In diesen Fällen kommt dem entgegen dem Wohl des Kindes geäußerten Willen der gesetzlichen Vertreter keine rechtliche Bedeutung zu, da diese ihre Vertretungsmacht überschreiten bzw. entgegen dem Kindeswohl ausüben.599 b) Konflikte zwischen dem Kind und seinen gesetzlichen Vertretern Möglich ist auch ein Konflikt zwischen dem Kind und seinen gesetzlichen Vertretern. Beispielsweise drängen die Eltern ein Kind zu einer Behandlung, die das Kind ablehnt. Oder im umgekehrten Fall will das Kind einen Eingriff vornehmen lassen, wogegen sich seine Eltern zur Wehr setzen. Zur Lösung solcher Konfliktfälle haben sich die Beteiligten stets am Kindeswohl als oberste Leitmaxime zu orientieren.600 WYTTENBACH weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Kinderrechtskonvention den Eltern das Definitionsprimat hinsichtlich des Kindeswohls zuspricht. Doch ändere dies nichts daran, „dass von der Interpretation der Eltern im Konfliktfall abgewichen werden muss, wenn eine Kindeswohlgefährdung im Sinne einer Beeinträchtigung wesentlicher Rechte des Kindes droht“.601 Um die Beweggründe eines Kindes zu verstehen und um eine Kindeswohlverletzung durch die Eltern zu verhindern, sollte der Arzt das betroffene Kind und
594 595 596
597 598 599 600 601
ist immer missbräuchlich.“ oder Art. 49 Abs. 2 des Loi sur la santé des Kantons Genf (RSG K 1 03): „Lorsque la décision du représentant choisi par le patient ou du représentant légal met en danger la santé du patient, le professionnel de la santé peut saisir l'autorité tutélaire.“ WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 173. Art. 307 Abs. 3 ZGB; HEGNAUER zit. Grundriss, N 27.16. Art. 307 Abs. 1 ZGB; GUILLOD zit. consentement, 242 f. GUILLOD befürwortet eine gewisse Zurückhaltung der Vormundschaftsbehörden, da die im Familienrahmen getroffene Entscheidung für ein Kind in den meisten Fällen eine gute Lösung sei. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 173. BUCHER EUGEN, 172; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 173. MANAÏ, 190. Dazu kritisch BUCHER EUGEN, 172; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 173 m.w.H. Art. 301 ZGB i.V.m. Art. 3 KRK. WYTTENBACH, 138.
IV. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung
277
seine gesetzlichen Vertreter in solchen Fällen getrennt voneinander anhören.602 RUTISHAUSER weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bei einer fehlenden Einigung zwischen einem urteilsfähigen minderjährigen Patienten und seinen Eltern neben den rechtlichen Aspekten auch die Beziehungsaspekte berücksichtigt werden müssen. Die Ausführung eines medizinischen Eingriffes bei einem urteilsfähigen Minderjährigen entgegen den expliziten Willen der gesetzlichen Vertreter könne beträchtliche negative Auswirkungen auf die Beziehung zwischen dem betroffenen Kind und seinen Eltern haben. Um dies zu verhindern, solle sich ein Arzt, sofern medizinisch vertretbar, die nötige Zeit für vermittelnde Gespräche nehmen. Deren Ziel sollte eine gemeinsam getragene Entscheidung über das weitere Vorgehen sein.603 GUILLOD empfiehlt, dass sich der Arzt in solchen Konfliktfällen am therapeutischen Interesse des behandlungsbedürftigen Minderjährigen orientieren soll. Demzufolge hat er jener Meinung den Vorzug zu geben, die mit dem objektiven Wohl des Kindes (la volonté légale) übereinstimmt. Zu Recht weist GUILLOD aber darauf hin, dass sich das therapeutische Interesse des Kindes nicht immer leicht feststellen lässt. Während die Sachlage bei einer lebensnotwendigen Bluttransfusion zweifelsfrei ist, ist es weitaus schwieriger festzustellen, ob eine risikoreiche Operation zur Korrektur einer körperlichen Entstellung mit guten Chancen, aber ohne Erfolgsgarantie, dem objektiven Kindeswohl entspricht. Bei nicht lebensnotwendigen Eingriffen, die problemlos auch zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen werden können, schlägt GUILLOD vor, so lange zu warten, bis das Kind die Entscheidung selber treffen kann.604 Kann ein Eingriff nicht länger aufgeschoben werden und lässt sich der Konflikt zwischen den Eltern und dem Kind nicht anders beilegen, so hat sich der behandelnde Arzt an andere Fachpersonen sowie an die Vormundschaftsbehörde zu wenden.605
6. Vermögensrechtliche Aspekte der medizinischen Behandlung Minderjähriger Wie oben unter III.3.c. ausgeführt, ist ein urteilsfähiges Kind infolge seiner Minderjährigkeit begrenzt handlungsunfähig. Seine Einwilligungsbefugnis ist auf den ärztlichen Eingriff in seine (relativ) höchstpersönlichen Rechte beschränkt.606 Die vermögensrechtlichen Aspekte der ärztlichen Behandlung fallen dagegen nicht in die Einwilligungsbefugnisse des urteilsfähigen Minderjährigen, da beschränkt Handlungsunfähige nicht zum Abschluss eines Behandlungsvertrages mit dem
602 603 604 605 606
GUILLOD zit. consentement, 237. RUTISHAUSER, 29 mit Beispielen von möglichen Konfliktsituationen. GUILLOD zit. consentement, 237 f. MANAÏ, 190, RUTISHAUSER, 29. Art. 19 Abs. 2 ZGB; GUILLOD zit. consentement, 230. Das Gleiche gilt auch für das deutsche Recht. Wer das 18. Lebensjahr, d.h. die volle Geschäftsfähigkeit noch nicht erreicht hat, kann keinen rechtsgültigen Behandlungsvertrag abschließen. § 106 ff. BGB Siehe hierzu ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 55 ff.; WENDEHORST, 81 f.; WÖLK zit. minderjähriger Patient, 85.
278
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Arzt berechtigt sind.607 Für dessen rechtsgültigen Abschluss ist die volle Handlungsfähigkeit erforderlich. Demzufolge bedarf es für die vermögensrechtlichen Aspekte des Behandlungsvertrages sowohl bei urteilsunfähigen wie bei urteilsfähigen Minderjährigen der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter des Unmündigen.608 Schließt ein Arzt mit einem Minderjährigen (ausdrücklich) einen Behandlungsvertrag ab bzw. behandelt er ihn, ohne zusätzlich die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter zu verlangen, kommt dennoch ein gültiger Behandlungsvertrag zustande. Der Arzt trägt dabei das finanzielle Risiko.
7. Zusammenfassung Das schweizerische Recht kennt keine spezifischen Regelungen für die medizinische Behandlung Minderjähriger. Die vielfältigen Rechte und Pflichten der minderjährigen Patienten, ihrer Sorgeberechtigten und der Ärzte leiten sich aus den allgemeinen Regelungen des privaten und des öffentlichen Rechts ab und wurden von der Rechtsprechung entwickelt. Demzufolge gelangen die dargestellten Regelungen auch auf die medizinische Behandlung Minderjähriger zur Anwendung. Diesen zu Folge ist ein medizinischer Eingriff immer eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen. Aufgrund der relativen Höchstpersönlichkeit der Einwilligung in einen medizinischen Eingriff, entscheiden urteilsfähige Minderjährige alleine über einen Eingriff während anstelle urteilsunfähiger Minderjähriger ihre gesetzlichen Vertreter die Einwilligung erteilen. Bei der Ausübung ihrer Stellvertretung sind die Inhaber der elterlichen Sorge an das Kindeswohl gebunden. Aus dem Grundsatz des Kindeswohls leiten sich Anhörungs- und Mitspracherechte einwilligungsunfähiger Kinder ab. Das einwilligungsunfähige Kind ist jedoch nicht berechtigt, einen Eingriff abzulehnen. Nur urteilsfähigen Minderjährigen steht die alleinige Entscheidungskompetenz über medizinische Eingriffe zu. Im nachfolgenden Abschnitt wird untersucht, inwieweit die zuvor dargelegten Grundsätze der medizinischen Behandlung Minderjähriger auf die medizinische Forschung übertragbar sind.
607 608
RUTISHAUSER, 29; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 158. GUILLOD zit. consentement, 231 bezeichnet diese Situation als unbefriedigend und zeigt – mit Verweis auf andere Rechtsordnungen – verschiedene Lösungsmöglichkeiten auf. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 158. Bei einer Weigerung der gesetzlichen Vertreter, den Arztvertrag zugunsten des Kindes abzuschließen, muss allenfalls geprüft werden, ob die Weigerung das Kindeswohl verletzt und daher im Interesse des Minderjährigen ein Vorstoß bei der Vormundschaftsbehörde erforderlich ist. Dazu IV.5.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
279
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung 1. Übertragbarkeit der Grundsätze der medizinischen Behandlung Minderjähriger auf Behandlungen zu Forschungszwecken Wie im dritten Kapitel ausgeführt,609 ist die medizinische Forschung mit Menschen in der Schweiz nur teilweise geregelt und in manchen Bereichen bestehen beachtliche Regelungsdefizite.610 Außerhalb der Spezialregelungen des Bundes und den vereinzelten Regelungen der Kantone gelten für die Forschung mit Versuchspersonen die allgemeinen Grundsätze des verfassungs-611 und zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes sowie des Strafrechts.612 Folglich sind die zuvor dargestellten allgemeinen Regelungen der medizinischen Behandlung Minderjähriger grundsätzlich auf ärztliche Eingriffe zu Forschungszwecken bei Kindern und Jugendlichen übertragbar, sofern keine spezialgesetzlichen Regelungen vorrangig zu berücksichtigen sind.613 Gemäß den allgemeinen Grundsätzen des zivil- und öffentlichrechtlichen Persönlichkeitsrechts müssen bei urteilsunfähigen Minderjährigen demnach die gesetzlichen Vertreter der Teilnahme eines Kindes an einem Forschungsvorhaben zustimmen. Urteilsfähige Minderjährige entscheiden grundsätzlich selber über ihre Teilnahme. Wie nachfolgend aufzuzeigen sein wird, sehen die meisten Regelungen zur Humanforschung bei urteilsfähigen Minderjährigen jedoch das Erfordernis der doppelten Zustimmung des Kindes sowie seiner gesetzlichen Vertreter vor. Nachfolgende Ausführungen geben eine Übersicht zu den unterschiedlichen Ansichten in der Lehre. Daran anschließend werden die Regelungen des Heilmittelgesetzes zur Forschung mit Minderjährigen besprochen, wobei vertieft auf die Mitsprache- und Entscheidungsrechte minderjähriger Versuchspersonen eingegangen wird. Dabei werden das deutsche Arzneimittelgesetz sowie die in Kapitel 3 dargestellten Normen des internationalen Rechts zur Humanforschung mit einbezogen.
609 610 611 612 613
Siehe Kapitel 3 III.1. f. Botschaft Biomedizinkonvention, 280, Ziff. 1.4.4. Dazu ausführlich hinten Kapitel 3 III.2.a, 3.a. SCHWEIZER zit. Recht und Forschung, Rz. 25. Siehe auch JUNOD, 21 f. m.w.H. SCHWANDER zit. Forschung, 72; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 176 f.
280
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
2. Regelung der Forschung mit Minderjährigen außerhalb der Spezialgesetze a) Unterscheidung zwischen therapeutischer und nicht therapeutischer Forschung Unbestritten ist die Zulässigkeit der Heilbehandlung sowie individueller Heilversuche mit Minderjährigen. Diese Maßnahmen dienen ausschliesslich dem individuellen Wohl der betroffenen Kinder.614 Ebenfalls einig ist sich die Lehre und Rechtsprechung darüber, dass rein wissenschaftliche Forschung ohne jeglichen Nutzen für die Versuchspersonen mit Minderjährigen unzulässig ist.615 Umstritten sind demnach die medizinischen Forschungsvorhaben mit einem möglichen Eigennutzen oder zumindest einem gruppenspezifischen Nutzen.616 Bei der Übertragung der oben dargestellten Grundsätze zur Aufklärung und Einwilligung bei ärztlichen Heileingriffen bei Minderjährigen auf Maßnahmen zu Forschungszwecken wird eine Differenzierung zwischen therapeutischer und nicht therapeutischer Forschung vorgenommen. b) Unzulässigkeit der nicht therapeutischen Forschung mit Minderjährigen Die therapeutische Forschung mit Kindern und Jugendlichen wird als zulässig erachtet, da sie mit einem aktuellen potenziellen individuellen Nutzen für die betroffenen minderjährigen Versuchspersonen verbunden ist. Somit dürfen die gesetzlichen Vertreter in die Teilnahme urteilsunfähiger Minderjähriger an einem Heilversuch617 einwilligen. Demzufolge gelangen bei Heilversuchen grundsätzlich – unter Berücksichtigung einiger Besonderheiten618 – die gleichen Rechtsnormen zur Anwendung, wie sie bei Heilbehandlungen gelten. Hingegen wird die nicht therapeutische Forschung619 mit Minderjährigen von einigen Autorinnen und Autoren als unzulässig abgelehnt, weil sie rein wissenschaftlichen Zwecken und damit nicht dem Wohl der Betroffenen diene.620 Argu614 615
616 617
618
619
620
TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 424. So auch nach deutschem Recht. Siehe dazu FISCHER zit: Minderjährige, 71 f.; „Rein wissenschaftliche Versuche bringen dem Kind per definitionem keinen Vorteil und sind deshalb nicht nur im Regelungsbereich des Arzneimittelgesetzes, des Medizinproduktegesetzes und der Strahlenschutzverordnung unzulässig, sondern grundsätzlich auch nach den allgemeinen Regeln des deutschen Zivil- und Strafrechts.“ TAUPITZ/BREWE/SCHELLING, 424. Ein Heilversuch ist ein medizinisches Erprobungshandeln, das mit einem aktuellen potenziellen individuellen Nutzen für die betroffene Versuchsperson verbunden ist. Siehe dazu vorne Kapitel 2 IV.2.b. Siehe dazu die obigen Ausführungen zu Forschungseingriffen im Allgemeinen unter AII.6. Nicht therapeutische (oder auch fremdnützige Forschung) wird dadurch gekennzeichnet, dass den beteiligten Versuchspersonen aus ihrer Teilnahme an einem medizinischen Forschungsvorhaben kein direkter potenzieller Individualnutzen zugute kommt. Siehe dazu vorne Kapitel 2 IV.3.c. BUCHER ANDREAS, Rn. 528; ROGGO, 144 f.; WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 177.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
281
mentiert wird, dass die Inhaber der elterlichen Sorge ihre Vertretungsbefugnisse nur und ausschließlich zum Wohl des Vertretenen ausüben könnten. Da die Teilnahme an einem nicht therapeutischen Versuch mit keinem Nutzen für die betroffenen Versuchspersonen verbunden sei, diene eine Teilnahme nie dem Wohl des Kindes. Eine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zur Teilnahme des seiner Sorge anvertrauten Minderjährigen an einem nicht therapeutischen Forschungsvorhaben sei demzufolge sittenwidrig621 und von Grund auf nichtig. Die Vertreter dieser Ansicht kommen somit zum Schluss, dass Eltern keine rechtsgültige Einwilligung für eine Teilnahme ihres Kindes an einem nicht therapeutischen Forschungsvorhaben abgeben können.622 c) Stimmen für die Zulässigkeit der nicht therapeutischen Forschung mit Minderjährigen Andere Autorinnen und Autoren vertreten differenziertere Ansichten zur Zulässigkeit der nicht therapeutischen Forschung mit Minderjährigen. Ihre Meinungen werden nachfolgend kurz dargestellt. BRÜCKNER erachtet Eingriffe zum Zweck medizinischer Forschung, bei denen kein unmittelbares Eigeninteresse des Patienten vorhanden ist, auch bei urteilsunfähigen Personen als zulässig. Er sieht ihre Rechtfertigung im „überwiegenden öffentlichen Interesse an der medizinischen Forschung und am medizinischen Fortschritt“.623 Dem urteilsunfähigen Patienten dürfen allerdings keine schweren Belastungen zugemutet werden.624 GUILLOD bezeichnet eine allzu dogmatische Haltung in der Frage der Zulässigkeit der nicht therapeutischen Forschung mit Urteilsunfähigen als nicht wünschenswert.625 Zentral sei, dass die Entscheidung der Eltern dem Kind keinen Schaden zufüge. Doch könne man nicht in jedem Fall fordern, dass elterliche Entscheidungen stets im Interesse des Kindes getroffen werden: „L’essentiel est finalement que la décision des parents ne porte pas préjudice à l’enfant, mais on ne devrait pas exiger à chaque fois qu’elle serve son intérêt.“626 Demzufolge vertritt GUILLOD die Ansicht, dass Eltern ihre Einwilligung zu einer Teilnahme ihrer Kinder an nicht therapeutischen Forschungsvorhaben geben dürfen, wenn die Forschung mit einem großen gesellschaftlichen Nutzen verbunden ist und sie nur minimale Schmerzen, Risiken und Unannehmlichkeiten mit sich bringt.627 Auch WILDHABER erachtet Forschungsversuche mit Einwilligungsunfähigen ohne einen direkten Nutzen für ihre Gesundheit als zulässig, wenn den Studien eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung vorausgeht und der Schutz der Versuchsteilnehmer 621
622 623 624
625
626 627
BUCHER EUGEN, 170. Siehe dazu oben die Ausführungen zur Rechtsnatur der medizinischen Eingriffe II.1. WIEGAND zit. Aufklärungspflicht, 177. BRÜCKNER, 477. BRÜCKNER, 477, Fn. 43. BRÜCKNER verweist an dieser Stelle auf die SAMWForschungsrichtlinie. GUILLOD zit. consentement, 245. So auch REUSSER zit. Zwangsversuche, 40, Fn. 6. Sie bezeichnet die Haltung von WIEGAND (siehe oben Fn. 622) als zu undifferenziert. GUILLOD zit. consentement, 245. GUILLOD zit. consentement, 245.
282
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
gewährleistet wird.628 Ebenso bezeichnet MANAÏ die nicht therapeutische Forschung mit Minderjährigen als zulässig, sofern die Schwelle der minimalen Risken und Belastungen nicht überschritten wird.629 Dabei betont MANAÏ, dass nicht therapeutische Forschung bei nicht urteilsfähigen Minderjährigen nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig sei.630 Auch EUGEN BUCHER verneint die Widerrechtlichkeit der medizinischen Forschung mit Urteilsunfähigen unter der Bedingung, dass die Verhältnismäßigkeit zwischen Nutzen und Risiken gewahrt bleibe: „Erkenntnisse von äusserster Wichtigkeit, die nicht anders gewonnen werden können, sind zulässig, wenn keine Lebensgefährdung und auch keine Gefährdung wichtiger Gesundheitsgüter damit verbunden ist.“631 Ebenso erachtet MAIO die nicht therapeutische Forschung mit Minderjährigen unter bestimmten Prämissen für zulässig. Er nennt insbesondere drei Rechtfertigungsgründe, die fremdnützige Forschung mit Kindern legitimieren können. Es ist dies erstens die Zustimmung bzw. die Erlaubnis des betroffenen Kindes. Da ein effektiver Schutz des Kindes letztlich jedoch nur durch Erwachsene gewährleistet werden kann und viele Kinder (noch) nicht in der Lage sind, ihren Willen kundzutun, bedarf es weiterer Rechtfertigungsgründe. Der zweite von MAIO genannte Rechtfertigungsgrund ist die sogenannte hypothetische Einwilligung des betroffenen Kindes. Dabei wird danach gefragt, ob vernünftigerweise damit gerechnet werden kann, dass das betroffene Kind sich später als Erwachsener mit den Zielen der Forschung und mit der Entscheidung der Eltern zur Teilnahme identifizieren kann. Als dritter Rechtfertigungsgrund verlangt MAIO minimale Risiken bei fremdnützigen Forschungsvorhaben mit Kindern.632 TAUPITZ weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass Eltern in anderen Lebensbereichen für ihre Kinder Entscheidungen treffen, die nicht immer nur zu deren Nutzen sind: „Dabei ist letztlich auch zu berücksichtigen, welche weit reichenden Entscheidungen die Eltern außerhalb des medizinischen Bereichs unbestrittenermaßen mit Wirkung für ihre Kinder treffen dürfen, und dass viele dieser Entscheidungen ganz zweifellos weit über eine minimale Belastung des Kindes hinausreichen, nämlich ganz erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit oder die Lebensführung des Kindes haben können.“ Er kommt sodann zum Schluss: „Angesichts dessen scheint mir eine Zustimmung der Eltern zu einer minimal belastenden Forschungsmaßnahme im Interesse anderer Kinder kein Verstoß gegen die Menschenwürde des eigenen Kindes zu sein.“633 d) Rechtsprechung des Bundesgerichts Das Bundesgericht hat sich bis heute kaum mit der Zulässigkeit der nicht therapeutischen, gruppennützigen medizinischen Forschung mit Minderjährigen bzw. Urteilsunfähigen befasst. Einzig in seinem Entscheid 114 Ia 350634 aus dem Jahre 628 629 630 631 632 633 634
WILDHABER, 193 ff., insb. 207. MANAÏ, 521, 524. MANAÏ, 524. BUCHER EUGEN, 242. MAIO zit. Ethik, 172 ff. TAUPITZ zit. Patienten, 135. BGE 114 Ia 350 = Pra 78 (1989) Nr. 266.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
283
1988 äußerte sich das Bundesgericht zur Zulässigkeit der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters eines Urteilsunfähigen zu einem medizinischen Eingriff. Das Bundesgericht hatte zu beurteilen, ob Art. 5 (Einwilligung) und 6 (Forschung, Versuche und Unterricht) des Genfer Gesetzes über das Arzt-Patienten-Verhältnis sowie Art. 7 (Beschränkung psychochirurgischer Eingriffe) des Gesetzes über psychisch kranke Patienten gegen die in der Bundesverfassung garantierte persönliche Freiheit verstoßen. Das Gericht kam in seinem Urteil zum Schluss, dass die Genfer Bestimmungen, die u.a. vorsehen, dass der gesetzliche Vertreter die Zustimmung zu einem medizinischen Eingriff – auch zu Forschungszwecken – an einem zu diesen Äußerungen unfähigen Patienten erteilen kann, nicht gegen die Bundesverfassung verstoßen. Das Bundesgericht vertritt die Ansicht, dass die Einwilligung eines aufgeklärten gesetzlichen Vertreters eines urteilsunfähigen Patienten geeignet sei, ein Gleichgewicht in der Beziehung zwischen Patient und Arzt herzustellen und damit Missbräuche zu verhindern. Die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters für einen urteilsfähigen Patienten verletzte dessen persönliche Freiheit nicht, sondern schütze ihn (E.7.a). Bei seiner Entscheidung habe sich der gesetzliche Vertreter objektiv an den Interessen des urteilsunfähigen Patienten zu orientieren. Auch müsse er die Wünsche des Patienten berücksichtigen, die dieser allenfalls geäußert hatte, bevor er urteilsunfähig (E.7.b.bb) wurde. Eine Verweigerung der Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter werde durch die Vormundschaftsbehörde kontrolliert und gegebenenfalls korrigiert (E.7.b.cc). Ob das Bundesgericht nicht therapeutische Forschung mit Urteilsunfähigen als unzulässig erachtet, geht meiner Ansicht nach nicht aus dem Urteil hervor. Der Satz: „Il ne saurait de toute façon consentir à livrer son protégé à une expérimentation scientifique, voire à une intervention mutilante ou de nature à porter une atteinte grave à son intégrité physique“ ist in seinem Kontext zu lesen: „Contrairement à l'opinion du recourant, la doctrine admet qu'on se trouve en présence d'un droit strictement personnel relatif et que, si le patient est incapable de discernement, le consentement libre et éclairé doit être recueilli auprès de son représentant légal s'il en existe un. Celui-ci doit se déterminer exclusivement en fonction des intérêts du patient, ce qui est une notion essentiellement objective. Il doit, dans sa décision, tenir compte des voeux qui peuvent avoir été émis par ce dernier avant qu'il ne soit privé de son discernement. Il ne saurait de toute façon consentir à livrer son protégé à une expérimentation scientifique, voire à une intervention mutilante ou de nature à porter une atteinte grave à son intégrité physique.“635 In diesem Zusammenhang ist unter dem vom Bundesgericht verwendeten Ausdruck „une expérimentation scientifique“ rein wissenschaftliche Forschung ohne jeglichen therapeutischen Nutzen oder Gruppennutzen zu verstehen. Gemäß diesem Urteil ist Forschung zu ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken mit besonders schützenswerten Personen unzulässig.
635
BGE 114 Ia 350 E.7.b.bb m.w.H.
284
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
e) Eigene Ansicht zur Zulässigkeit der nicht therapeutischen Forschung mit Minderjährigen In Wiederholung der in Kapitel 2 geäußerten Ansicht636 und in Übereinstimmung mit den zuvor wiedergegebenen Autorenmeinungen ist ein grundsätzliches Verbot der nicht therapeutischen, gruppennützigen Forschung mit Kindern und Jugendlichen abzulehnen. Die Einteilung in therapeutische und nicht therapeutische Forschung greift zu kurz. Vielmehr muss die nicht therapeutische Forschung weiter differenziert werden (siehe Kapitel 2 IV.3.c.) und es ist von Fall zu Fall eine individuelle Güterabwägung für die betroffenen Versuchspersonen vorzunehmen. Folglich sollte Forschung mit Minderjährigen auch dann zulässig sein, wenn sie nur mit einem möglichen Eigennutzen für das betroffene Kind verbunden ist oder nur einen gruppenspezifischen Nutzen aufweist. Dies ist insbesondere mit Blick auf die Notwendigkeit der Forschung mit Kindern geboten.637 Wo Forschung nötig und wichtig ist, ist sie in engen Schranken zuzulassen. Der Schutz der betroffenen Versuchspersonen ist durch ein sinnvolles Zusammenspiel verschiedener Schutzkriterien zu gewährleisten. Dieses ist mit den Worten von TAUPITZ wie folgt zu präzisieren: „Allerdings muss diese Forschung durch geeignete Schutzkriterien auf jenen Bereich beschränkt werden, der wegen Alternativlosigkeit notwendig ist (Subsidiarität gegenüber Forschung mit Einwilligungsfähigen). Zudem dürfen dem Betroffenen keine substanziellen Nachteile zugefügt werden, muss (abgesehen von eher seltenen Fällen, in denen auf den mutmaßlichen Willen abgestellt werden kann) die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vorliegen und darf der ‚natürliche’ Wille des Betroffenen nicht übergangen werden.“638 Für die Wahrung der Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung ist zentral, wie die Entscheidungsrechte urteilsfähiger Kinder ausgestaltet sind, welche Prämissen bei der stellvertretenden Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter zu beachten sind und wie Wünsche und Willensäußerungen des urteilsunfähigen Kindes bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind. Kinder und Jugendliche sind wie Erwachsene Träger des Grundrechts auf Schutz ihrer Persönlichkeit und Respekt ihrer Selbstbestimmung.639 Demzufolge steht Minderjährigen unabhängig von ihrer Urteilsfähigkeit ein eigenständiger Informations- und Aufklärungsanspruch zu. Als Folge davon ist die Anhörung des urteilsunfähigen, noch nicht zur alleinigen Einwilligung befugten Kindes durch seine Vertreter eine Wirksamkeitsvoraussetzung der rechtsgültigen stellvertretenden Einwilligung. Für urteilsunfähige Kinder dürfen die gesetzlichen Vertreter demnach erst nach Anhörung des betroffenen Kindes über die Vornahme medizinischer Eingriffe entscheiden. Dem urteilsfähigen Minderjährigen steht aufgrund seiner Persönlichkeitsrechte die alleinige Einwilligungsbefugnis bei medizinischen Eingriffen zu. Dieser Grundsatz gilt sowohl für Eingriffe zu Heilzwecken wie für Eingriffe zu Forschungszwecken.
636 637 638 639
Siehe Kapitel 2 VI.3.c. Dazu vorne Kapitel 1 IV. TAUPITZ zit. Kinder, 118. ROTHÄRMEL zit. Einwilligungsfähigkeit, 36.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
285
Die nachfolgenden Ausführungen zur Regelung der Forschung mit Minderjährigen im schweizerischen Heilmittelgesetz mit Vergleichen zum deutschen Arzneimittelgesetz sowie internationalen Regelwerken zur Humanforschung zeigen auf, dass die nationalen und internationalen Spezialregelungen zur Forschung jedoch auch bei urteilsfähigen Minderjährigen die doppelte Zustimmung des Kindes sowie seiner gesetzlichen Vertreter verlangen.
3. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung nach dem Heilmittelgesetz – im Vergleich mit dem Arzneimittelgesetz und internationalen Normen zur Humanforschung Wie in Kapitel 3 ausgeführt, finden sich im schweizerischen Recht nur in einzelnen kantonalen Erlassen spezifische Regelungen zur medizinischen Forschung mit Minderjährigen. Auf Bundesebene enthält einzig Art. 55 des Heilmittelgesetzes (HMG) Vorschriften für die Forschung mit unmündigen, entmündigten und urteilsunfähigen Personen für den Bereich der Arzneimittel und Medizinprodukte. Nachfolgend wird diese Bestimmung des HMG näher analysiert. Vertieft wird sodann der Frage nachgegangen, wie ablehnende Willensäußerungen von urteilsunfähigen und von urteilsfähigen Minderjährigen im Rahmen von Forschungsvorhaben Berücksichtigung finden. Hierzu wird Art. 55 HMG mit dem deutschen Arzneimittelgesetz sowie mit internationalen Normen zur Humanforschung verglichen. In einem ersten Schritt (a) wird die Konzeption von Art. 55 HMG dargestellt. In einem zweiten Schritt (b) wird untersucht, wie ablehnende Willensäußerungen von urteilsunfähigen und urteilsfähigen Minderjährigen bei therapeutischen Forschungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Anschließend (c) wird analysiert, welche Bedeutung ablehnenden Willensäußerungen urteilsunfähiger und urteilsfähiger Minderjähriger bei sogenannten nicht therapeutischen Forschungsvorhaben zukommt. a) Medizinische Forschung mit Minderjährigen nach Art. 55 HMG Wie bereits in Kapitel 3 aufgezeigt,640 geht die Regelung des Heilmittelgesetzes in Art. 55 zu klinischen Versuchen an unmündigen, entmündigten oder urteilsunfähigen Personen von einem anderen Ansatz aus als die zuvor dargestellte bundesgerichtliche Rechtsprechung, und erlaubt im Ausnahmefall und unter Einhaltung strenger Schutzvorkehrungen auch Forschung ohne einen direkten potenziellen Nutzen mit minderjährigen Versuchspersonen. Dasselbe gilt für das deutsche Arzneimittelgesetz.641 Das Heilmittelgesetz behandelt unmündige, entmündigte und urteilsunfähige Versuchspersonen gleich. Dies unabhängig davon, ob entmündigte und unmündige Versuchspersonen urteilsfähig sind. Sie alle bilden gemäß HMG die Gruppe 640 641
Siehe vorne III.2.b., 3.b. Zum AMG siehe gleich nachfolgend sowie in Kapitel 3 IV.2.a.
286
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
der besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen,642 mit denen nur unter restriktiven Bedingungen geforscht werden darf (Grundsatz der Subsidiarität).643 Forschungsuntersuchungen mit minderjährigen Versuchspersonen sind somit erst dann zulässig, wenn vergleichbare Ergebnisse nicht mittels Forschung mit mündigen bzw. urteilsfähigen Versuchspersonen erzielt werden können.644 Bei unmündigen Versuchspersonen verlangt Art. 55 HMG die Aufklärung und Einwilligung der gesetzlichen Vertreter. Sind die betroffenen Minderjährigen urteilsfähig, fordert die Norm auch deren Einwilligung.645 Obwohl sich die Bestimmung nicht dazu äußert, ist davon auszugehen, dass auch der urteilsfähige Unmündige aufzuklären ist. Dadurch, dass Art. 55 HMG alle Unmündigen – unabhängig von ihrer Urteilsfähigkeit – gleich behandelt, ist die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter auch bei urteilsfähigen Minderjährigen erforderlich. Gemäß HMG ist somit bei urteilsfähigen Minderjährigen in jedem Fall die doppelte Zustimmung durch das urteilsfähige Kind und seine gesetzlichen Vertreter erforderlich.646 Folglich ist die spezialgesetzliche Regelung strenger als die oben dargestellte zivilrechtliche Regelung, nach der urteilsfähigen Minderjährigen bei medizinischen Eingriffen die alleinige Einwilligungsbefugnis zukommt.647 SCHWANDER wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob mit dem Erfordernis der doppelten Zustimmung das Selbstbestimmungsrecht unmündiger und entmündigter urteilsfähiger Versuchspersonen nicht zu stark beschnitten werde. Sie regt an, dass auch bei klinischen Versuchen mit Heilmitteln bei urteilsfähigen unmündigen und entmündigten Versuchspersonen deren alleinige Einwilligung in die Teilnahme an einer klinischen Studie genügen soll.648 Im Zusammenhang mit den Rechten minderjähriger Versuchspersonen auf Anhörung und Mitsprache wird nachfolgend die Frage untersucht, wie ablehnende Willensäußerungen von urteilsunfähigen und urteilfähigen Minderjährigen bei therapeutischen Forschungsmaßnahmen berücksichtigt werden. b) Gruppennützige Forschung mit gesunden Kindern? aa) Einleitung In diesem letzten Abschnitt wird die Frage nach der Zulässigkeit gruppennütziger Forschung mit Kindern und Jugendlichen gestellt, die nicht an der zu erforschenden gesundheitlichen Störung leiden (nicht einschlägig krank sind). Wie zuvor
642
643 644 645 646
647 648
Der Gesetzgeber orientierte sich bei der Schaffung von Art. 55 an Art. 17 der Biomedizinkonvention des Europarates. Botschaft HMG, 3538. JUNOD, 383. Art. 55 Abs. 1 lit. a HMG. Art. 55 Abs. 1 lit. c HMG. Siehe dazu auch MANAÏ, 41, insb. Fn. 17. Das Erfordernis der doppelten Zustimmung wird auch in kantonalen Regelungen zur Humanforschung verlangt. So beispielsweise in Art. 29 des Patientinnen- und Patientengesetzes des Kantons Zürich (LS 813.13): […] „Bei urteilsfähigen entmündigten oder unmündigen Patientinnen und Patienten ist zusätzlich die schriftliche Einwilligung der gesetzlichen Vertretung notwendig.“ Dazu oben II.3., IV.1. SCHWANDER zit. Forschung, 75.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
287
ausgeführt,649 gehören Forschungsvorhaben mit einem Gruppennutzen zur nicht therapeutischen Forschung. Von den Ergebnissen gruppennütziger Forschungsvorhaben profitieren potenziell die Angehörigen derselben Altersgruppe und/oder Personen mit der gleichen gesundheitlichen Störung wie die Versuchspersonen. Die direkt beteiligten Versuchspersonen können von ihrer Teilnahme an einem gruppennützigen Forschungsvorhaben jedoch keinen individuellen potenziellen Nutzen erwarten. bb) Art. 55 Abs. 2 HMG im Vergleich zum deutschen Recht Aus dem Wortlaut von Art. 55 Abs. 2 HMG geht nicht klar hervor, ob Forschung ohne einen unmittelbaren individuellen potenziellen Nutzen mit gesunden Minderjährigen bzw. mit nicht einschlägig kranken Minderjährigen durchgeführt werden darf.650 Auch der Botschaft zum HMG ist nicht zu entnehmen, ob die rein gruppennützige Forschung mit Minderjährigen ohne eine individuelle Indikation nur auf einschlägig kranke Kinder beschränkt ist. Während – wie bereits in Kapitel 3 ausgeführt651 – das deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukterecht explizit zwischen gesunden und einschlägig kranken Versuchspersonen unterscheidet, wurde im schweizerischen Heilmittelrecht eine solche Differenzierung bewusst unterlassen.652 Dieser ausdrückliche Verzicht des Gesetzgebers auf eine Unterscheidung zwischen gesunden Probanden und kranken Versuchspersonen653 lässt den Schluss zu, dass auch bei den besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen (Art. 55 und 56 HMG) eine solche Unterscheidung nicht vorgenommen wird. Demzufolge ist davon auszugehen, dass die schweizerische Heilmittelgesetzgebung die rein gruppennützige Forschung mit Minderjährigen ohne eine individuelle Indikation zulässt.
649 650 651 652
653
Siehe dazu Kapitel 2 IV.3.c.bb. JUNOD, 399. Siehe dazu Kapitel 3 IV.2. Botschaft HMG, 3535: „Eine begriffliche Unterscheidung zwischen Versuchspersonen als gesunde Freiwillige (Probandinnen und Probanden), die an einem Versuch ‚ohne eigenen Nutzen’ teilnehmen und Patientinnen und Patienten, die ‚in eigenem Nutzen’ in die Prüfungen einbezogen werden, wird in den Bestimmungen über die klinischen Versuche aus folgenden Gründen nicht vorgenommen: Die Tatsache, dass ein Heilmittel Gegenstand eines klinischen Versuchs bildet, indiziert das Vorhandensein einer Ungewissheit hinsichtlich der erwarteten Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Ziel und Zweck der Durchführung von klinischen Versuchen ist gerade die Ausräumung dieser Ungewissheit. Ein therapeutischer Nutzen eines sich im Versuchsstadium befindenden Heilmittels kann nicht garantiert werden. Zentrales Element, das bei der Gewährleistung des Schutzes der Versuchspersonen in Betracht gezogen werden muss, ist nicht etwa der Umstand, dass es sich um gesunde oder kranke Personen handelt, sondern ausschliesslich die Tatsache, ob ein klinischer Versuch einen therapeutischen Zweck verfolgt oder nicht.“ Botschaft HMG, 3535.
288
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Das im Juli 2007 in Kraft tretende Transplantationsgesetz654 und die dazugehörende Transplantationsverordnung655 verweisen hinsichtlich klinischer Versuche auf das HMG und die VKlin. Gemäß der Botschaft sind die Bestimmungen der Heilmittelgesetzgebung zur klinischen Forschung sinngemäß auf die Forschung im Bereich der Transplantationsmedizin übertragbar.656 In der Folge sind auch in der Transplantationsmedizin gruppennützige Forschungsvorhaben zulässig. Die SAMW-Forschungsrichtlinie enthält in ihrer Präambel sowie in Ziff. D 5 ausdrücklich fest, dass sowohl kranke wie gesunde Versuchspersonen in die medizinische Forschung einbezogen werden sollen.657 In ihrer Stellungnahme zur Forschung mit Minderjährigen führt die Zentrale Ethikkommission aus, dass Forschungsvorhaben, die nicht dem Nutzen der minderjährigen Versuchspersonen dienen, nicht grundsätzlich unethisch seien.658 Versuche mit gesunden Minderjährigen seien jedoch besonders problematisch und nur dann zulässig, „wenn der Betreffende voraussichtlich nicht wesentlich und nicht dauerhaft in seiner Gesundheit beeinträchtigt wird und der Nutzen für die zu vergleichende Gruppe erkrankter Minderjähriger erheblich und auf andere Weise nicht zu sichern ist.“659 cc) Internationale Normen zur Humanforschung Ein Blick in die internationalen Regelungen zur Forschung mit Minderjährigen zeigt ein ähnliches Bild wie im HMG: Weder die ICH-Guideline E 11, die europäische Arzneimittelrichtlinie RL 2001/20/EG noch die Biomedizinkonvention und das Forschungsprotokoll660 nehmen eine Differenzierung zwischen der medizinischen Forschung mit gesunden und mit einschlägig kranken Minderjährigen 654
655
656
657
658 659 660
Art. 36 ff. Bundesgesetz vom 8. Oktober 2004 über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz). Der Entwurf des Gesetzes ist abgedruckt in BBl 2002 247 ff. Art. 26 ff. Verordnung vom 16. März 2007 über die Transplantation von menschlichen Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsverordnung). Der Text der Verordnung ist abrufbar auf der Internetseite des Bundesamtes für Gesundheit unter , besucht im Juni 2007. Botschaft vom 12. September 2001zum Bundesgesetz über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz), BBl 2002 160 f. SAMW-Forschungsrichtlinie Präambel: „[…] Zur Verbesserung der ärztlichen Praxis in Vorbeugung, Diagnostik, Therapie und Pflege sind Forschungsuntersuchungen an gesunden und kranken Menschen beiderlei Geschlechts und aller Altersgruppen, auch an Kindern und älteren Menschen, unentbehrlich. […]“; Ziff. D 5: „Versuchspersonen: Eine Teilnahme an Forschungsuntersuchungen ist immer freiwillig und erfolgt ohne jeglichen Druck. Grundsätzlich soll niemand von der Teilnahme an Forschungsuntersuchungen ausgeschlossen bleiben. Soweit wie möglich sollen urteilsfähige Erwachsene angefragt werden. Für Gesunde wie für Kranke gelten die gleichen Kriterien. […]. Forschungsuntersuchungen an Kindern kommen nur in Frage, wenn sie nicht ebenso gut an Erwachsenen vorgenommen werden können. Sie müssen besonders sorgfältig geplant werden. […]“ Stellungnahme ZEKO, 6. Stellungnahme ZEKO, 14. Insbesondere Art. 17 Biomedizinkonvention und Art. 15 Forschungsprotokoll.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
289
vor. Vielmehr ist dem erläuternden Bericht der Biomedizinkonvention in Ziff. 109 zu Art. 17 Abs. 2 zu entnehmen, dass die Bestimmungen der Konvention auch auf die medizinische Forschung mit gesunden Minderjährigen zur Anwendung gelangen.661 Explizit wird im Erläuternden Bericht in Ziff. 110 und 112 zudem die Bedeutung der Erhebung von Standardwerten bei Kindern erwähnt.662 Dies lässt den Schluss zu, dass gemäß den untersuchten internationalen Normen Forschung ohne einen direkten potenziellen Individualnutzen, die aber mit einem potenziellen Gruppennutzen verbunden ist, sowohl mit kranken Kindern wie mit nicht einschlägig kranken und gesunden Kindern zulässig ist. dd) Argumente für die Zulässigkeit der gruppennützigen Forschung mit nicht einschlägig kranken Minderjährigen Die Zulässigkeit von gruppennütziger Forschung mit nicht einschlägig kranken und gesunden Minderjährigen ist zu befürworten. Sie ermöglicht die Gewinnung von notwendigen Daten, die nur durch Forschung mit nicht einschlägig kranken und insb. durch Forschung mit gesunden Kindern erlangt werden können. Ein typisches Beispiel für diese Art von nicht therapeutischer gruppennütziger Forschung mit gesunden Kindern sind die für die Einführung neuer diagnostischer Apparate erforderlichen Messungen. Damit solche Geräte zur Diagnose bei kranken Kindern erfolgreich eingesetzt werden können, müssen zuerst Normal- und Referenzwerte bei gesunden Kindern erhoben werden.663 Diese Standardwerte sind für die Diagnostik von Normabweichungen und Krankheiten unverzichtbar und können nur an gesunden Menschen erhoben werden.664 Für gesunde Kinder, bei denen die Normalwerte erhoben werden, sind diese Forschungsvorhaben mit keinem direkten individuellen Nutzen verbunden. Nur wenn die betroffenen Kinder zu einem späteren Zeitpunkt erkranken sollten und diese Diagnosemethoden bei ihrer Behandlung zum Einsatz kommen, profitieren sie von ihrer Forschungsteilnahme. 661
662
663 664
Erläuternder Bericht Biomedizinkonvention, Ziff. 109, letzter Satz: „In Fällen, in denen gesunde Minderjährige an einem Forschungsvorhaben teilnehmen, werden selbstverständlich Ergebnisse erwartet, die für andere Kinder von Nutzen sind; dies schließt jedoch nicht aus, dass ein solches Forschungsvorhaben später für gesunde Kinder, die an dieser Forschung teilnehmen, von Nutzen sein kann.“ Abgedruckt bei MÜLLER-TERPITZ, 100. Erläuternder Bericht Biomedizinkonvention, Ziff. 110: „Diese Forschung zum ‚Zustand der Person’ können bei Forschungen an Kindern nicht nur kinderspezifische Krankheiten oder Anomalien oder kinderspezifische Aspekte allgemeiner Krankheiten betreffen, sondern ebenfalls die normale Entwicklung des Kindes, deren Kenntnis für das Verhältnis dieser Krankheiten und Anomalien erforderlich ist.“; Ziff. 112: „Die diagnostischen und therapeutischen Fortschritte zum Nutzen kranker Kinder hängen in hohem Masse von neuen Erkenntissen und Einsichten über den normalen biologischen Zustand des menschlichen Körpers ab und erfordern Forschung über die jedem Altersabschnitt eigenen Funktionen sowie zur Entwicklung normaler Kinder, bevor sie auf die Behandlung von kranken Kindern Anwendung finden können. […].“ Abgedruckt bei MÜLLERTERPITZ, 100 f. WIESEMANN/DAHL, 268. RADENBACH, 11.
290
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Dieses Beispiel soll jedoch nicht den unzutreffenden Eindruck erwecken, dass die gruppennützige Forschung mit Minderjährigen primär mit gesunden bzw. nicht einschlägig kranken Kindern durchgeführt wird. Gruppennützige Forschungsvorhaben werden sowohl mit einschlägig kranken wie auch mit gesunden Kindern und Jugendlichen vorgenommen. Einzig die Fragestellung und der Aufbau eines Forschungsvorhabens entscheiden darüber, welche Voraussetzungen und Eigenschaften die teilnehmenden Versuchspersonen aufweisen müssen. Demzufolge ist im Anwendungsbereich des HMG trotz der Zulässigkeit gruppennütziger Forschung mit gesunden und nicht einschlägig kranken Kindern nicht zu befürchten, dass es zu einer übermäßigen Beanspruchung von gesunden und nicht einschlägig kranken Kindern in der Forschung kommt. Häufig können die erforderlichen Ergebnisse – insbesondere zur therapeutischen Wirksamkeit eines Arzneimittels oder einer bestimmten Behandlungsmethode – mit gesunden oder nicht einschlägig kranken Versuchspersonen nicht ermittelt werden. Als Folge davon werden beispielsweise Arzneimittelstudien in der Regel ab Phase II nur mit einschlägig kranken Versuchspersonen durchgeführt. In bestimmten Fällen von hoch potenten Arzneimitteln, wie beispielsweise Zytostatika, ist bereits in Phase I eine Erprobung an gesunden oder nicht einschlägig kranken Versuchspersonen ethisch nicht vertretbar.665 Außerdem gilt gemäß Art. 55 HMG für die Forschung mit besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen der Grundsatz der Subsidiarität. Auch dürfen die Risiken und Unannehmlichkeiten nur geringfügig sein. Im Weiteren muss die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter vorliegen und das Forschungsvorhaben muss von einer Ethikkommission geprüft und gutgeheißen worden sein. Nicht zuletzt bedarf es auch der Zustimmung des urteilsfähigen Minderjährigen. Erst wenn alle diese Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, darf eine Forschungsmaßnahme durchgeführt werden. Ein solches Zusammenspiel verschiedener Schutzkriterien verhindert – neben den zuvor genannten medizinischen Vorgaben – eine übermäßige Beanspruchung gesunder wie kranker Kinder durch die medizinische Forschung.666 c) Ablehnende Willensäußerungen Minderjähriger bei therapeutischen Forschungsmaßnahmen aa) Einleitung und Fragestellung Art. 55 Abs. 1 lit. d HMG667 schreibt vor, dass der Widerstand einer Versuchsperson zu beachten ist.668 Diese Verpflichtung zur Berücksichtigung ablehnender Äußerungen und Verhaltensweisen urteilsunfähiger Versuchspersonen gilt es nachfolgend kritisch zu untersuchen.
665
666 667
668
JUNOD, 180. Zu den verschiedenen Phasen der klinischen Prüfungen siehe vorne Kapitel 2 V.2.c. Zu den verschiedenen Schutzkriterien siehe auch TAUPITZ zit. Patienten, 134 f. Art. 55 Abs. 1 lit. d HMG: „Klinische Versuche mit Heilmitteln an unmündigen, entmündigten oder urteilsunfähigen Personen dürfen nur durchgeführt werden, wenn: […] d. keine Anzeichen vorhanden sind, die erkennen lassen, dass sich urteilsunfähige Personen einer Teilnahme an einem Versuch widersetzen würden.“ Art. 55 Abs. 1 lit. d HMG; JUNOD, 393 ff.; BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 11.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
291
Art. 55 Abs. 1 lit. d HMG wirft verschiedene Fragen auf. Was meint der Gesetzgeber mit Anzeichen? Sind damit sämtliche Abwehrreaktionen eines Kindes, vom Strampeln und Weinen eines Säuglings über die Trotzreaktionen eines Kleinkindes bis hin zur Angst vor Spritzen eines Kindes im Schulalter, gemeint? Wie muss beispielsweise die Weigerung eines Kleinkindes eingestuft werden, das aufgrund eines Augenleidens ein Pflaster über einem Auge tragen muss, das im Rahmen einer systematischen Studie auf seine Hautverträglichkeit geprüft wird, und sich das Kind gegen das Tragen des Pflaster zur Wehr setzt? Ist der Widerstand des Kleinkindes gleich zu gewichten wie jener eines Jugendlichen, der sich weigert, sich zu Forschungszwecken Blut abnehmen zu lassen? Wie ist vorzugehen, wenn bei einem schwer kranken Kind die einzige Hoffnung in der Anwendung einer Methode beruht, die sich noch im Stadium der klinischen Prüfung befindet, und sich das Kind im Rahmen der Studienteilnahme aber gegen die mit dieser neuartigen Therapie verbundenen schmerzhaften Injektionen zur Wehr setzt?669 Sind die Ärzte wie die Eltern in einem solchen Fall gezwungen, den viel versprechenden Heilversuch abzubrechen, ohne dass eine alternative Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht? Dürfen die Eltern und Ärzte in solchen Fällen dem Kind gut zureden oder gar Ablenkungsmittel oder Belohnungen einsetzen, um eine abwehrende Reaktion des Kindes zu verhindern? Oder ist die Weigerung des Kindes unbeachtlich? bb) SAMW-Richtlinien Eine ähnlich lautende Bestimmung wie Art. 55 Abs. 1 lit. d HMG ist auch in der SAMW-Forschungsrichtlinie von 1997 in Ziff. A 1 enthalten: […] „Lehnen Urteilsunfähige eine Forschungsuntersuchung an ihrer Person in erkennbarer Weise ab, so ist von der Untersuchung Abstand zu nehmen.“ […].670 Obwohl die SAMW-Forschungsrichtlinie spezifisch auf Kinder bezogene Bestimmungen enthält, bleibt bei dieser Passage von Ziff. A 1 unklar, inwieweit auch urteilsunfähige Kinder darunter fallen. Der Kommentar zur Richtlinie enthält keine Erläuterungen zu Ziff. A 1. In Ziff. A 1 wird hinsichtlich der Einwilligung von Kindern weiter auf die Regelung des Zivilgesetzbuches, d.h. auf die stellvertretende Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter, verwiesen.671 Im Kommentar zu Ziff. D 6 wird bezüglich der Forschung mit Kindern ausgeführt, dass Kinder eine Ablehnung nicht zu begründen haben und ihre Entscheidung auch durch die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nicht umgestoßen werden kann.672 Gemäß den Regelungen des Zivilgesetzbuches können nur urteilsfähige Kinder einem medizinischen Eingriff zustimmen oder ihn ablehnen. Da die SAMWForschungsrichtlinie sich direkt auf die Regelungen des ZGB beruft, kann sie 669 670
671
672
JUNOD, 394. Siehe zu den SAMW-Richtlinien im Allgemeinen Kapitel 3 III.2.e und zur SAMWForschungsrichtlinie im Besonderen Kapitel 3 III.3.e. SAMW-Forschungsrichtlinie Ziff. A 1: „Die Rechtfertigung besteht bei urteilsfähigen Personen in deren Zustimmung, bei Kindern, Bevormundeten und anderen urteilsunfähigen Personen in der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter oder, wo solche fehlen, der nächsten Angehörigen.“ SAMW-Forschungsrichtlinie Kommentar ad D.6.
292
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
dahingehend interpretiert werden, dass ablehnende Willensäußerungen bei medizinischen Forschungsvorhaben nur bei urteilsfähigen Kindern zu beachten sind. Diese Auslegung der SAMW-Forschungsrichtlinie wird durch die Stellungnahme der SAMW zu den Vorentwürfen zu einem neuen Verfassungsartikel und einem neuen Bundesgesetz über die Forschung am Menschen bestätigt. In dieser äußert sich die SAMW zur Problematik ablehnender Willensäußerungen minderjähriger Versuchspersonen. Art. 18673 des Vorentwurfes für ein Humanforschungsgesetz sieht vor, dass Forschung mit einem direkten Nutzen mit Urteilsunfähigen auch dann durchgeführt werden darf, wenn diese Personen Ablehnung erkennen lassen. Die SAMW lehnt Art. 18 in dieser Formulierung ab. Gemäß der Stellungnahme der SAMW sei einzig bei der Forschung mit Kleinkindern eine Ausnahmeregelung denkbar.674 In der detaillierten Kommentierung der einzelnen Bestimmungen des Vorentwurfes führt die SAMW zu Art. 18 aus: „Auch bei Forschung mit direktem Nutzen sollen urteilsunfähige Personen bei Zeichen der Ablehnung nicht an einem Forschungsprojekt teilnehmen müssen. Bei Kleinkindern lässt sich nicht differenzieren, wogegen sich eine allfällige Ablehnung richtet; ein mutmaßlicher Wille ist nicht anzunehmen. Zudem ist bei einem Kleinkind immer ein gesetzlicher Vertreter vorhanden, der seine Interessen wahrnehmen kann.“675 Im Weiteren entspricht eine solche Auslegung der SAMW-Forschungsrichtlinie auch den im Jahre 2005 von der SAMW verabschiedeten medizinisch-ethischen Grundsätzen zum Recht der Patientinnen und Patienten auf Selbstbestimmung. Folglich ist davon auszugehen, dass im Sinne der SAMW-Forschungsrichtlinie ablehnende Willensäußerungen von Kindern dann zu beachten sind, wenn diese urteilsfähig sind. Die Meinung urteilsunfähiger Kinder ist in den Grenzen des Kindeswohls zu berücksichtigen. cc) Arzneimittelgesetz Ein Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt, dass neben dem HMG auch das deutsche Arzneimittelgesetz (§ 40 Abs. 4 Nr. 3 Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln676) die Pflicht zur Berücksichtigung ablehnender Willensäußerungen
673
674 675 676
Art. 18 VE HFG Forschung mit direktem Nutzen „Ein Forschungsprojekt mit direktem Nutzen darf mit urteilsunfähigen Personen nur durchgeführt werden, wenn der gesetzliche Vertreter oder die nächsten Angehörigen nach hinreichender Aufklärung schriftlich eingewilligt haben.“ SAMW-Stellungnahme HFG Brief. SAMW-Stellungnahme Detailbesprechung HFG, 12. § 40 Abs. 4 Nr. 3: „Die Einwilligung wird durch den gesetzlichen Vertreter abgegeben, nachdem er entsprechend Absatz 2 aufgeklärt worden ist. Sie muss dem mutmaßlichen Willen des Minderjährigen entsprechen, soweit ein solcher feststellbar ist. Der Minderjährige ist vor Beginn der klinischen Prüfung von einem im Umgang mit Minderjährigen erfahrenen Prüfer über die Prüfung, die Risiken und den Nutzen aufzuklären, soweit dies im Hinblick auf sein Alter und seine geistige Reife möglich ist; erklärt der Minderjährige, nicht an der klinischen Prüfung teilnehmen zu wollen, oder bringt er dies in sonstiger Weise zum Ausdruck, so ist dies zu beachten. Ist der Minderjährige in der Lage, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und seinen Willen hiernach auszurichten, so ist auch seine Einwilligung erforderlich. Eine
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
293
von minderjährigen Versuchspersonen kennt.677 Diese Bestimmung wurde im Zug der 12. AMG Novelle eingeführt. Unter der alten AMG-Fassung war eine ablehnende Willensäußerung eines Kindes dann zu berücksichtigen, wenn sich das Kind im Hinblick auf den zur Entscheidung stehenden Eingriff zu Forschungszwecken eine eigene Meinung bilden kann, also urteilsfähig ist. Im Unterschied zum HMG bezieht sich die betreffende Bestimmung des novellierten AMG speziell auf Minderjährige und nicht generell auf urteilsunfähige Versuchspersonen. MAGNUS vertritt die Ansicht, dass diese Bestimmung nach einem „interessengerechten Ergebnis“ hin verstanden werden müsse.678 Dabei kommt sie zum Schluss, dass „zwischen der Weigerung des Kindes, an einem nicht therapeutischen Versuch teilzunehmen, der keinen gesundheitlichen Vorteil für das Kind erwarten lässt, und der Weigerung, an einem therapeutischen Versuch teilzunehmen, der mit einem gesundheitlichen Nutzen für das Kind verbunden ist“ differenziert werden müsse. Nur im letzten Fall sei es angebracht, dem Kind ein Veto zuzubilligen. Bei Versuchen, die einen gesundheitlichen Vorteil für das Kind erwarten lassen, gebiete es der Schutz des Kindeswohls, dass eine allfällige Weigerung des Kindes übergangen werde.679 Im Gegensatz zum HMG verlangt das AMG, dass ein Kind „vor Beginn der klinischen Prüfung von einem im Umgang mit Minderjährigen erfahrenen Prüfer über die Prüfung, die Risiken und den Nutzen aufzuklären [ist], soweit dies im Hinblick auf sein Alter und seine geistige Reife möglich ist“.680 Es ist davon auszugehen, dass mit einer kindgerechten, von einer Fachperson durchgeführten Aufklärung viele Unsicherheiten und Ängste der Kinder beseitigt oder zumindest zur Sprache gebracht werden können. Eine der individuellen Entwicklung eines Kindes angepasste Beratung und Aufklärung sollte das Verständnis eines Kindes für eine Behandlung zu Forschungszwecken verbessern und seine Zustimmung fördern. Allerdings ist damit das Problem der Säuglinge und Kleinkinder noch nicht gelöst. Bei diesen Altersstufen wird eine fachgerechte Aufklärung kaum den natürlichen Widerstand der Kinder gegen unangenehme oder schmerzhafte Maßnahmen beseitigen. Eine wortgetreue Auslegung des HMG wie des AMG, die minderjährigen Versuchspersonen unabhängig von ihrer Urteilsfähigkeit bei jedem Eingriff zu For-
677
678 679
680
Gelegenheit zu einem Beratungsgespräch nach Absatz 2 Satz 2 ist neben dem gesetzlichen Vertreter auch dem Minderjährigen zu eröffnen.“ KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 111; KRÜGER, 21 f.; MAGNUS, 43. Zum AMG siehe vorne Kapitel 3 IV.2.a. MAGNUS, 45 f. MAGNUS, 45. In diesem Sinne äußert sich auch der Kommentar von KLOESEL/CYRAN, § 40, Rn. 111: „Die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters wird durch den entgegenstehenden Willen des Minderjährigen nicht durch gesetzliche Regelung unwirksam, vielmehr lässt die Formulierung ‚so ist dies zu beachten’ einen Abwägungsvorgang zu, der mit dem Ergebnis schließen kann, dass der Minderjährige in die klinische Prüfung einbezogen wird, etwa, weil für ihn selbst ein besonderer Nutzen zu erwarten ist oder weil aus anderen Gründen (z.B. Vorhandensein nur weniger geeigneter Probanden und bei gleichzeitig sehr geringem Risiko der Prüfung) gegen die Einbeziehung bei verständiger Würdigung aller Umstände keine Bedenken bestehen.“ KRÜGER, 21.
294
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
schungszwecken ein Vetorecht einräumt, würde demzufolge nahezu jede Behandlung Minderjähriger verbieten, welche die Pfade der zugelassenen Therapien verlassen. Dabei ist in Erinnerung zu rufen, dass gerade bei den jüngsten Patienten (Neonatologie) ein besonders großer Forschungsbedarf besteht und eine Behandlung oftmals nur off-label möglich ist.681 dd) Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission In ihrer Stellungnahme682 zur Forschung mit Minderjährigen kommt die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer (ZEKO) zum Schluss, dass das Grundrecht auf Selbstbestimmung nicht erst mit der Volljährigkeit einsetzt. Folglich sind Minderjährige in dem Maße an Entscheidungen zu beteiligen, wie sie einsichtsfähig sind. Angst und Verweigerung seien als Ausdruck der individuellen Selbstbestimmung zu beachten.683 Hinsichtlich einer zwingenden Pflicht zur Berücksichtigung solcher Anzeichen führt die Stellungnahme in Ziff. 4.7 der Schlussfolgerungen und Empfehlungen aus: „Zur Minimierung der psychischen Risiken und Belastungen müssen alle verfügbaren und dem einzelnen Minderjährigen angemessenen Angst- und Schmerzvermeidungsstrategien ausgeschöpft werden. Dies geht bis hin zur Beendigung der Teilnahme an dem Forschungsvorhaben, die im Konsens mit den Eltern/Erziehungsberechtigten und je nach Einsichtsfähigkeit auch mit dem Minderjährigen erfolgt.“684 Im Kontext der gesamten Stellungnahme ist davon auszugehen, dass die ZEKO nicht von einem stets zu beachtenden Vetorecht urteilsunfähiger Minderjähriger ausgeht. Vielmehr sei „neben der Einwilligung der Eltern der Wille und das Wohl des Minderjährigen altersgemäß zu berücksichtigen.“685 Dieser Ansatz verpflichtet die Forschenden, die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Kinder ernst zu nehmen und ihre Wünsche so weit möglich zu berücksichtigen. Dabei wird es jedoch Fachleuten überlassen, zu entscheiden, wie „Willensäußerungen wie Irritationen, Abwehr, Angst im situativen Kontext der Durchführung eines Forschungsvorhabens“686 einzuordnen sind und wann sie als Abbruchkriterium zu gelten haben.
681 682 683 684 685
686
Siehe vorne Kapitel 1 II.2. Zur Stellungnahme der ZEKO siehe auch die Ausführungen in Kapitel 3 IV.3. Stellungnahme ZEKO, 14. Stellungnahme ZEKO, 18. Stellungnahme ZEKO, 16, insb. Ziff. 4.8: „Der Minderjährige ist seinem Verständnis gemäß so weit wie möglich in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Um die Fähigkeit eines Minderjährigen zur Zustimmung festzustellen, sind Strategien notwendig, die alle Aspekte des Alters, der kognitiven Entwicklung und der emotionalen Situation professionell zu erfassen und zu bewerten vermögen. Die verbleibenden Unsicherheiten können nur dadurch hingenommen werden, dass die altersgemäße Entscheidungskompetenz des Kindes geachtet und (z. B. durch Visualisierung) gefördert wird. Dazu müssen altersspezifisch die spontanen Willensäußerungen berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für Willensäußerungen wie Irritationen, Abwehr, Angst im situativen Kontext der Durchführung eines Forschungsvorhabens. Sie sollten als Abbruchkriterien definiert werden.“ Stellungnahme ZEKO, 19.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
295
ee) Arzneimittelrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft Eine klare Regelung zur Beachtlichkeit ablehnender Willensäußerungen minderjähriger Versuchspersonen enthält die Arzneimittelrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft.687 Gemäß Art. 4 lit. c der Richtlinie sind ablehnende Willensäußerungen minderjähriger Versuchspersonen erst dann zu berücksichtigen, wenn der betroffene Minderjährige in der Lage ist, sich eine eigene Meinung zu bilden,688 also urteilsfähig im Sinne von Art. 16 ZGB ist.689 Der Wille des urteilsunfähigen Kindes ist im Rahmen der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter zu berücksichtigen, die an den mutmaßlichen Willen des Kindes gebunden sind.690 ff) Biomedizinkonvention des Europarates Die Biomedizinkonvention des Europarates691 sieht für die Behandlung Minderjähriger in Art. 6 die stellvertretende Einwilligung der Eltern entsprechend den Regelungen des nationalen Rechts vor. Dabei kommt gemäß Art. 6 Abs. 2 der Meinung minderjähriger Versuchspersonen mit zunehmendem Alter ein entscheidendes Gewicht zu.692 Art. 17 Abs. 1 lit. v Biomedizinkonvention und Art. 15 Abs. 1 lit. v Forschungsprotokoll regeln den Schutz nicht einwilligungsfähiger Personen bei Forschungsvorhaben.693 Gemäß diesen Regelungen darf mit solchen Personen nur dann geforscht werden, wenn sie nicht ablehnen.694 Der Wortlaut von Art. 15 Abs. 1 lit. v Forschungsprotokoll ist mit Art. 17 Abs. 1 lit. v Biomedizinkonvention identisch. Durch die Lektüre des Erläuternden Berichts zur Biomedizinkonvention695 wird deutlich, – so auch die Auslegung von REUSSER – dass 687 688
689 690 691
692
693
694 695
Zur RL 2001/20/EG siehe auch vorne Kapitel 3 II.3.a. Art. 4 lit. c RL 2001/20/EG: „[…] der von einem Minderjährigen, der sich eine eigene Meinung bilden kann und die erhaltenen Informationen zu beurteilen weiß, ausdrücklich geäußerte Wunsch, nicht an der klinischen Prüfung teilzunehmen oder sie zu irgendeinem Zeitpunkt zu beenden, vom Prüfer und gegebenenfalls vom Hauptprüfer berücksichtigt wird“. Zur Arzneimittelrichtlinie siehe oben Kapitel 3 II.3.a. Zur Urteilsfähigkeit nach Art. 16 ZGB siehe oben IV.1. f. MAGNUS, 38. Zur Biomedizinkonvention des Europarates und zum Zusatzprotokoll zur Humanforschung siehe auch vorne Kapitel 3 II.2.b. ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 189 stellt zu Recht fest, dass die Biomedizinkonvention in dieser Bestimmung die Vorgaben des Familienrechts (§ 1626 Abs. 2 BGB sowie Art. 301 Abs. 2 ZGB) explizit auf ärztliche Eingriffe zur Anwendung bringt. Art. 17 Abs. 1 lit. v Biomedizinkonvention: „Forschung an einer Person, die nicht fähig ist, die Einwilligung nach Artikel 5 zu erteilen, ist nur zulässig, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: […] v) die betroffene Person lehnt nicht ab.“ Der Wortlaut von Art. 15 Abs. 1 lit. v Forschungsprotokoll ist identisch. Dazu auch REUSSER zit. Zwangsversuche, 45. Erläuternder Bericht Biomedizinkonvention Ziff. 106: „Die Bestimmung, mit der die Vornahme einer Forschung gegen den Willen der Person unterbunden wird, zeugt auf dem Gebiet von Forschungsvorhaben von dem Bestreben, die Autonomie und Würde der Person unter allen Umständen zu achten, selbst wenn die betroffene Person juristisch nicht einwilligungsfähig ist. Diese Bestimmung ermöglicht es ebenfalls, sich Gewissheit darüber zu verschaffen, dass die Belastung durch die Forschung jederzeit von der Person akzeptiert werden kann.“ Abgedruckt bei MÜLLER-TERPITZ, 99.
296
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
der Sinn dieser Regelung darin besteht, „dass diejenigen Personen die verstehen, um was es geht, selber entscheiden dürfen, ob sie an einem Forschungsprojekt teilnehmen wollen oder nicht, auch wenn sie aus der Sicht der nationalen Rechtsordnungen einwilligungsunfähig sind“.696 Demnach ist gemäß der Regelung der Biomedizinkonvention und des Forschungsprotokolls eine ablehnende Willensäußerung einer minderjährigen Versuchsperson dann zu berücksichtigen, wenn sie nach den Regelungen des nationalen Rechts urteilsfähig ist. Zudem verlangt Art. 6 Abs. 2 Biomedizinkonvention, dass der Meinung minderjähriger Versuchspersonen mit zunehmendem Alter ein entscheidendes Gewicht zukommt. Im Erläuternden Bericht zur Biomedizinkonvention wird auch auf den Zusammenhang zwischen Art. 6 Abs. 2 Biomedizinkonvention mit Art. 12 der Kinderrechtskonvention hingewiesen. Wie in Kapitel 3 ausgeführt, sichert Art. 12 KRK jedem Kind, „das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern“.697 Art. 12 KRK ist sowohl eine direkt anwendbare Norm des Völkerrechts wie eine programmatische Norm.698 Staatliche Behörden haben die Meinung eines Kindes entsprechend seinem Alter und seiner Reife angemessen zu berücksichtigen.699 Ist ein Kind fähig, sich in einer bestimmten Sache – beispielsweise im Hinblick auf einen medizinischen Eingriff – eine eigene Meinung zu bilden, ist es diesbezüglich urteilsfähig. Das Recht gemäß Art. 12 KRK auf Anhörung und Mitsprache steht aufgrund dieser unmittelbar anwendbaren völkerrechtlichen Norm einem urteilsfähigen Kind unabhängig davon zu, wie die Einwilligungsfähigkeit im nationalen Recht geregelt wird. Der Sinn dieser Regelung (Art. 17 Abs. 1 lit. v i.V.m. Art. 5 und Art. 6 Abs. 2 und Art. 15 Abs. 1 lit v Forschungsprotokoll) besteht folglich darin, dass Minderjährige und Entmündigte selber über die Vornahme eines Eingriffs entscheiden können, sobald sie verstehen, um was es bei einem Forschungsvorhaben geht, und wenn sie die Konsequenzen ihrer Entscheidung einschätzen können. Damit sichert die Biomedizinkonvention das Recht urteilsfähiger Unmündiger und Entmündigter auf Selbstbestimmung, auch wenn sie aus der Sicht der nationalen Rechtsordnungen (noch) nicht einwilligungsfähig sind.700 Mit dieser Regelung fördert die Biomedizinkonvention konsequent den Schutz und die Achtung der Persönlichkeitsrechte Unmündiger und Entmündigter im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit. Diese Auslegung von Art. 17 Abs. 1 lit. v Biomedizinkonvention und Art. 15 Abs. 1 lit. v Forschungsprotokoll ist nicht unumbestritten. Manche Autoren leiten aus diesen Bestimmungen ein Vetorecht einwilligungsunfähiger Versuchspersonen mit Außenwirkung ab.701 Gemäß einer solchen Auslegung müsste die Ablehnung eines medizinischen Eingriffs zu Forschungszwecken durch urteilsunfähige Versuchspersonen zwingend beachtet werden. Dies hätte zur Folge, dass mit ur696 697 698 699 700 701
REUSSER zit. Zwangsversuche, 47. WYTTENBACH, 323 ff. Zu Art. 12 KRK siehe Kapitel 3 II.1.c.dd. WYTTENBACH, 324. WYTTENBACH, 324. REUSSER zit. Zwangsversuche, 47. Siehe u.a. AMELUNG, 34 ff.; KOPETZKI zit. Arzneimittelprüfung, 39; MANAÏ, 192 ff., 524; ROTHÄRMEL zit. Einwilligung, 189 f.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
297
teilsunfähigen Versuchspersonen nicht geforscht werden darf, sobald diese sich einer Teilnahme widersetzen. Dies auch dann, wenn die Forschungsmaßnahme mit einem potenziellen direkten individuellen Nutzen für die ablehnende Person verbunden ist. Da Art. 17 Abs. 1 lit. v Biomedizinkonvention und Art. 15 Abs. 1 lit. v Forschungsprotokoll sowohl für Forschung mit und ohne einen direkten potenziellen individuellen Nutzen gelten, würde ein solches Vetorecht für die gesamte Forschung mit Urteilsunfähigen gelten. Für die medizinische Behandlung von und die Forschung mit Kindern und Jugendlichen hätte ein solches Vetorecht mit bindender Außenwirkung zur Folge, dass auch Heilversuche mit einem potenziellen direkten individuellen Nutzen nicht durchgeführt werden dürfen. Da gerade bei Kindern – wie in Kapitel 2 ausgeführt702 – viele Behandlungen mangels zugelassener Arzneimittel in der Form von Heilversuchen durchgeführt werden müssen, ist es äußerst fraglich, ob diese Auslegung den Sinn der Biomedizinkonvention und des Forschungsprotokolls richtig erfasst. gg) CIOMS-Guidelines Die CIOMS-Guideline 14 zur medizinischen Forschung mit Kindern sieht vor, dass wenn ein Kind die Teilnahme oder die Fortsetzung seiner Teilnahme an einem Forschungsvorhaben ablehnt, dieser Wille in den Grenzen des Kindeswohls respektiert werden muss.703 In den Erläuterungen zu CIOMS-Guideline 14 wird ausgeführt, dass Kinder ihrer Reife und ihrer Intelligenz entsprechend aufzuklären sind. Zudem ist stets die zustimmende Kooperation („willing cooperation of the child“) der betroffenen Kinder zu suchen. Es müsse dabei zwischen der von älteren Kindern geäußerten Ablehnung und einem ablehnenden Verhalten von Kleinkindern differenziert werden. Die Ablehnung älterer Kinder sei stets zu beachten, sofern nicht das Wohl des Kindes einen Eingriff erfordere und keine alternative Therapie verfügbar sei. In solchen Fällen dürfen die gesetzlichen Vertreter eines Kindes und der betreuende Arzt die Ablehnung des Kindes übergehen. Handelt es sich dabei um ein älteres Kind,704 das nahezu in der Lage ist, eine eigenständige Entscheidung zu fällen, empfiehlt der Kommentar zu CIOMS-Guideline 14 dem verantwortlichen Arzt, den Fall einer unabhängigen Ethikkommission vorzulegen.705 hh) ICH-Guideline E11 Gemäß ICH-Guideline E11 sind ablehnende Willensäußerungen urteilsunfähiger Minderjähriger bei therapeutischen Studien in Ziff. 2.6.3. wie folgt zu beachten: „Although a participant's wish to withdraw from a study must be respected, there may be circumstances in therapeutic studies for serious or life-threatening diseases in which, in the opinion of the investigator and parent(s)/legal guardian, the 702 703
704
705
Siehe Kapitel 2 VI.2. „Before undertaking research involving children, the investigator must ensure that: […] a child's refusal to participate or continue in the research will be respected.“ Zur Frage des Alters wird im Kommentar zu CIOMS-Guideline 14 ausgeführt: “It may be assumed that children over the age of 12 or 13 years are usually capable of understanding what is necessary to give adequately informed consent […]”. Siehe zu CIOMS-Guideline 14 auch Kapitel 3 II.2.d.bb.
298
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
welfare of a pediatric patient would be jeopardized by his or her failing to participate in the study. In this situation, continued parental (legal guardian) consent should be sufficient to allow participation in the study. Emancipated or mature minors (defined by local laws) may be capable of giving autonomous consent.“706 Dieser von der ICH-Guideline E11 vorgesehene Umgang mit einer ablehnenden Willensäußerung urteilsunfähiger Kinder bei therapeutischen Forschungsvorhaben ist mit Blick auf das objektive Wohl des betroffenen Kindes eine sinnvolle Lösung. Die gesetzlichen Vertreter sind verpflichtet, das Kind anzuhören und haben die Wünsche des Kindes so weit möglich und mit dem Kindeswohl vereinbar zu berücksichtigen. Ist ein Kind urteilsfähig, so sind seine ablehnenden Willensäußerungen zwingend zu beachten.707 ii) Konsequenz für die Auslegung von Art. 55 HMG Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der überwiegende Teil der internationalen Normen zur Humanforschung urteilsunfähigen Kindern zwar ein Recht auf Anhörung einräumt und deren gesetzliche Vertreter zur Berücksichtung der Wünsche urteilsunfähiger Kinder verpflichtet, ihnen jedoch kein Vetorecht mit Außenwirkung zugesteht. Diese Schlussfolgerung ist nicht ohne Auswirkungen auf die Auslegung von Art. 55 HMG. Nach den Ausführungen zu den verschiedenen internationalen Normen ist immer noch die Frage offen, wie Art. 55 Abs. 1 lit. d HMG auszulegen ist. Die Antwort auf diese Frage ist mithilfe der Botschaft zum Heilmittelgesetz zu suchen, die besagt, dass die Inhalte von Art. 55 HMG „im Wesentlichen den Ansprüchen des“ Art. 17 Biomedizinkonvention entsprechen.708 Demzufolge kann Art. 55 Abs. 1 lit. d HMG nur dahingehend interpretiert werden, dass bei Forschungsvorhaben ablehnende Anzeichen nur bei urteilsfähigen Minderjährigen zwingend zu beachten sind.709 Zu diesem Schluss kommt auch MARTI im Kommentar zu Art. 55 HMG: „Sobald Anzeichen bestehen, wonach eine urteilsfähige Person mit der Teilnahme an einem klinischen Versuch nicht einverstanden ist, sind diese als Ausdruck des mutmaßlichen Willens zu würdigen. Entsprechend hat ein Einbezug der Person in den klinischen Versuch zu unterbleiben.“710 Eine rechtswirksame Ablehnung der Teilnahme an einem medizinischen Forschungsvorhaben ist somit nur dem voll urteilsfähigen Minderjährigen möglich. Ausgangspunkt ist demnach auch im Kontext der medizinischen Forschung immer die Urteilsfähigkeit minderjähriger Versuchspersonen. Wie ausgeführt,711 ist diese nicht abstrakt, sondern immer bezogen auf den konkreten Einzelfall und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände einer Entscheidungssituation zu 706 707 708 709
710 711
Dazu JUNOD, 394. Siehe zu ICH-Guideline E11 auch Kapitel 3 II.2.e.dd. Botschaft HMG, 3538. Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Ratifikation der Biomedizinkonvention und ihrer Zusatzprotokolle durch die Schweiz ist darauf hinzuweisen, dass sowohl die Spezialgesetze des Bundes wie auch die kantonalen Regelungen in Verbindung mit dem Völkerrecht auszulegen sind. BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 11. Siehe oben IV.2.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
299
beurteilen. Bei einem Forschungsprojekt, von dem ein potenzieller, unmittelbarer Nutzen für den betroffenen Minderjährigen zu erwarten ist, sind folglich gleich hohe Anforderungen an die Urteilsfähigkeit des Kindes für die Zustimmung wie für die Ablehnung zu stellen.712 jj) Schlussfolgerung Abwehrenden Anzeichen urteilsunfähiger Kinder kommt nach der hier vertretenen Ansicht grundsätzlich keine Rechtswirksamkeit zu. Dennoch sollten solche Anzeichen für die an einem Forschungsvorhaben mit Minderjährigen beteiligten Personen ein Ansporn sein, alles zu unternehmen, um den beteiligten Kindern die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben so angenehm wie möglich zu gestalten. Dies erfordert der Grundsatz des Kindeswohls.713 In jedem Fall ist, wie von der europäischen Arzneimittelrichtlinie, dem deutschen AMG, der Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission714, den CIOMS-Guidelines, der ICH-Guidelines E 11 sowie auch von der SAMW-Forschungsrichtlinie715 vorgesehen, jedes Kind entsprechend seinem Alter und seiner Reife vor Beginn eines Eingriffs zu Forschungszwecken über das Forschungsvorhaben in einer kindgerechten Form von Fachpersonen aufzuklären. Die Pflicht zur Berücksichtigung der sogenannten evolving capacities der Kinder ist auch in der Kinderrechtskonvention enthalten. Sie verlangt, dass die zunehmende Reife, Verständnisfähigkeit und Entscheidungskompetenz eines Kindes bei der Anwendung der Garantien der Kinderrechtskonvention berücksichtigt werden.716 Auch wenn die medizinische Forschung in der Kinderrechtskonvention nicht explizit genannt wird, so sind – wie in Kapitel 3 ausgeführt717 – die Garantien der KRK auf die medizinische Behandlung von und die medizinische Forschung mit Kindern übertragbar. Das Ziel aller Anstrenungen soll stets die bestmögliche medizinische Versorgung der Kinder sein. Diese hat im Rahmen eines die Persönlichkeit und Individualität der Kinder achtenden Umgangs zu erfolgen.718 Dabei kann das Kindeswohl nicht in jedem Fall mit dem subjektiven Willen eines Kindes gleichgesetzt werden.719 Bei indizierten Behandlungen muss – auch wenn sie im Rahmen eines 712
713 714 715
716
717 718
719
So auch REUSSER zit. Zwangsversuche, 43: „Hier müssen die Folgen einer Ablehnung für die eigene Person erkannt werden, damit Urteilsfähigkeit angenommen werden darf.“ Zum Kindeswohl siehe oben IV.3. Siehe dazu Stellungnahme ZEKO, Ziff. 4.7 und 4.8. SAMW-Forschungsrichtlinie Ziff. D 5: „[…] Kinder und deren Eltern sowie volljährige Urteilsunfähige und deren gesetzliche Vertreter sollen während der ganzen Dauer der wissenschaftlichen Untersuchungen begleitet und über den Stand der Forschung informiert werden.“ Für weitere Ausführungen zum Prinzip der evolving capacities siehe bei WYTTENBACH, 233 f. Siehe Kapitel 3 II.1.c. In diesem Sinne folgende Aussage von MANAÏ, 196: „Ainsi malgré son incapacité de discernement, la décision dans le domaine médical doit placer le patient au centre, cela afin de respecter autant que possible ses préférences même quand il ne peut pas les exprimer lui-même. C’est l’intention présumable qui légitime l’acte médical.“ BSK ZGB I-SCHWENZER, Art. 301 N 6.
300
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Forschungsvorhabens durchgeführt werden – dem objektiven körperlichen Wohl des Kindes ein stärkeres Gewicht zukommen als einer Ablehnung der Teilnahme durch das Kind, die diesem objektiven Kindeswohl widerspricht. d) Ablehnende Willensäußerungen Minderjähriger bei nicht therapeutischen Forschungsmaßnahmen aa) Einleitung In diesem Abschnitt wird untersucht, welche Bedeutung ablehnenden Willensäußerungen urteilsunfähiger minderjähriger Versuchspersonen im Rahmen von Forschungsvorhaben ohne einen aktuellen potenziellen direkten Nutzen zukommt (Art. 55 Abs. 2 HMG). Im Anschluss an die obige Kritik am undifferenzierten Verbot der nicht therapeutischen Forschung mit Minderjährigen durch einen Teil der Lehre720 werden vor weiteren Ausführungen die drei Nutzen-Abstufungen der nicht therapeutischen Forschung erneut kurz dargestellt721: Nichttherapeutische Forschung wird dadurch gekennzeichnet, dass den beteiligten Versuchspersonen aus ihrer Teilnahme an einem medizinischen Forschungsvorhaben kein potenzieller direkter Individualnutzen erwächst. Bei der ersten Nutzen-Abstufung besteht jedoch die Möglichkeit, dass die Versuchspersonen allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt von der Forschung profitieren (Forschung mit einem zukünftigen potenziellen individuellen Nutzen). In der zweiten Nutzen-Abstufung kommen die Erkenntnisse der Forschung Angehörigen derselben Altersgruppe oder Personen mit der gleichen Krankheit oder dem gleichen Defekt zugute, nicht aber der teilnehmenden Versuchsperson (Forschung mit einem potenziellen Gruppennutzen). Von den Forschungsvorhaben mit einem aktuellen oder zukünftigen potenziellen Individualnutzen und jenen mit einem potenziellen Gruppennutzen sind in der dritten Nutzen-Abstufung die rein fremdnützigen Forschungsvorhaben zu unterscheiden.722 Solche Forschungsvorhaben sind für die involvierten Versuchspersonen wie auch für die Angehörigen der gleichen Gruppe ohne einen potenziellen therapeutischen Nutzen, also rein fremdnütziger Natur.723 Sie sind mit allen Gruppen urteilsunfähiger Versuchspersonen unzulässig. bb) Grundsatz der Regelung der nicht therapeutischen Forschung Die Regelung der nicht therapeutischen Forschung baut im Grundsatz auf denjenigen der therapeutischen Forschung auf. Sowohl die nationalen Gesetze wie die internationalen Normen und ethischen Richtlinien sind dementsprechend aufge-
720 721 722 723
Siehe dazu oben V.2.a.bb. Siehe dazu vorne Kapitel 2 IV.3.c. Siehe dazu auch TAUPITZ zit. Patienten, 126. DEUTSCH/SPICKHOFF, Rz. 683; HART zit. Arzneimittelprüfung, Rn. 3; TAUPITZ/ BREWE/SCHELLING, 413 f. An dieser Stelle sei auf die Ausführungen zu den verschiedenen Arten von medizinischer Humanforschung und auf die kritische Beurteilung der Unterscheidung zwischen therapeutischer und nicht therapeutischer Forschung in Kapitel 2 IV.3.d. verwiesen.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
301
baut. Beispielsweise enthalten Art. 55 Abs. 2 HMG, § 41 Abs. 2 AMG724, Art. 17 Abs. 2 Biomedizinkonvention und Art. 15 Abs. 2 Forschungsprotokoll Verweise auf die diesen Regelungen vorangestellten Normen zur therapeutischen Forschung. Einzig die europäische Arzneimittelrichtlinie trifft keine Unterscheidung zwischen therapeutischer Forschung mit einem direkten potenziellen Individualnutzen und gruppennütziger Forschung ohne einen direkten potenziellen Nutzen für die beteiligten Minderjährigen.725 Weder die untersuchten nationalen noch die internationalen Regelungen sehen für nicht therapeutische Forschungsvorhaben Regelungen der Einwilligung und Ablehnung vor, die von denjenigen der zuvor besprochenen therapeutischen Forschung abweichen. Daher kann das oben zur Beachtlichkeit von ablehnenden Willensäußerungen von urteilsunfähigen Minderjährigen Ausgeführte grundsätzlich auf nicht therapeutische Forschungsvorhaben übertragen werden. Demzufolge ist auch bei Forschungsvorhaben ohne einen potenziellen direkten Nutzen für die beteiligten Minderjährigen die Urteilsfähigkeit dafür maßgebend, ob ablehnende Willensäußerungen beachtlich sind oder nicht. Allerdings sind gemäß REUSSER bei fremdnützigen Forschungsvorhaben geringere Anforderungen an die Urteilsfähigkeit minderjähriger Versuchspersonen zu stellen, als dies bei Forschungsvorhaben mit einem direkten potenziellen Individualnutzen der Fall ist: „Mit anderen Worten sind für die Vetofähigkeit bei Grundlagenforschung weniger geistige und voluntative Fähigkeiten vorausgesetzt als bei Forschung, bei der ein therapeutischer Nutzen in Aussicht steht.“726 cc) Art. 55 Abs. 2 HMG Nach dem schweizerischen Heilmittelgesetz ist rein fremdnützige medizinische Forschung mit besonders schutzbedürftigen Personen ausgeschlossen. Zulässig ist jedoch medizinische Forschung, die mit einem zukünftigen potenziellen individuellen Nutzen oder mit einem potenziellen Gruppennutzen verbunden ist (Art. 55 Abs. 2 lit. a HMG). Für diese beiden Arten nicht therapeutischer Forschung gelten gemäß Art. 55 HMG neben den Normen zur therapeutischen Forschung zusätzliche Voraussetzungen.727 Hinsichtlich der Beachtlichkeit ablehnender Willensäußerungen enthält Art. 55 Abs. 2 HMG zur gruppennützigen Forschung keine eigene Regelung. Demzufolge gelangt auch bei Forschungsvorhaben ohne einen therapeutischen Nutzen für die beteiligten Versuchspersonen die Regelung von Art. 55 Abs. 1 HMG zur Anwendung, wonach ein ablehnender Wille nur dann zwingend zu berücksichtigen ist, wenn die betreffende Versuchsperson im Hinblick auf die zur Entscheidung stehende Forschungsmaßnahme urteilsfähig ist.
724
725
726 727
Die gruppennnützige (d.h. nicht therapeutische) Forschung mit Minderjährigen wird in § 41 Abs. 2 Ziff. 2 lit. a AMG angesprochen. Zur Regelung der medizinischen Forschung mit Minderjährigen nach der europäischen Arzneimittelrichtlinie siehe Kapitel 3 II.3.a. REUSSER zit. Zwangsversuche, 43. Art. 55 Abs. 2 HMG. Dazu JUNOD, 397 ff. Zur schwierigen Definition von Risiken in der medizinischen Forschung und der ethischen Problematik des „minimalen Risikos“ siehe MAIO zit. minimales Risiko, 1 ff.
302
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Folglich kommt abwehrenden Willensäußerungen urteilsunfähiger Kinder auch bei fremdnützigen Forschungsvorhaben keine rechtsverbindliche Wirkung zu. Wie für die nicht therapeutische Forschung mit urteilsunfähigen Minderjährigen gilt auch für die nicht therapeutische Forschung mit urteilsfähigen Minderjährigen, dass ihr die Regelungen der therapeutischen Forschung zu Grunde liegen. Demzufolge gelangt Art. 55 Abs. 1 lit. b und c HMG auch auf die nicht therapeutische Forschung zur Anwendung. Diese Bestimmung verlangt bei sämtlichen Forschungsvorhaben mit besonders schutzbedürftigen Versuchspersonen die Zustimmung sowohl des betroffenen urteilsfähigen Minderjährigen wie auch seiner gesetzlichen Vertreter. Als Folge davon können die gesetzlichen Vertreter nicht entgegen dem Willen eines urteilsfähigen Kindes seiner Teilnahme an einem fremdnützigen Forschungsvorhaben zustimmen. Ebenso kann ein urteilsfähiger Minderjähriger nicht entgegen dem Willen seiner Eltern an einem fremdnützigen Forschungsvorhaben teilnehmen. Widerspricht ein urteilsfähiger Minderjähriger einer Teilnahme an einem nicht therapeutischen Forschungsvorhaben, so ist diese Ablehnung sowohl von seinen Eltern wie auch von Dritten (z.B. vom Studienarzt) zwingend zu beachten. dd) Arzneimittelgesetz und internationale Normen zur Humanforschung Wie zuvor ausgeführt, sehen weder das Arzneimittelgesetz noch die internationalen Normen zur Humanforschung für nicht therapeutische Forschungsvorhaben andere Regelungen für die Zustimmung und Ablehnung der Teilnahme durch minderjährige Versuchspersonen vor, wie sie für therapeutische Forschungsvorhaben gelten. Folglich wird an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen zur Beachtlichkeit ablehnender Willensäußerungen von urteilsunfähigen Minderjährigen bei therapeutischen Forschungsvorhaben verwiesen. Nicht nur das HMG, sondern auch die bestehenden Regelungen in Deutschland verlangen sowohl bei therapeutischen wie bei nicht therapeutischen Forschungsvorhaben mit Minderjährigen – sofern Letztere überhaupt zulässig sind728 – in jedem Fall und unabhängig von der Urteilsfähigkeit des betroffenen Kindes die Zustimmung seiner Erziehungsberechtigten.729 Auch Ziff. 2.6.3. der ICH-Guideline E11 verlangt für sämtliche Forschungsvorhaben mit Minderjährigen die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter.730 CIOMS-Guideline 14 empfiehlt die Einholung der elterlichen Zustimmung auch dann, wenn Minderjährigen nach nationalem Recht die alleinige Einwilligungsbefugnis zusteht.731 Die Biomedizinkonvention und das Forschungsprotokoll überlassen es dem innerstaatlichen Recht der 728 729 730
731
Siehe dazu vorne Kapitel 3 III und IV. § 40 Abs. 4 Ziff. 3 AMG; § 20 Abs. 4 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 MPG. 2.6.3 Consent and Assent „As a rule, a pediatric subject is legally unable to provide informed consent. Therefore pediatric study participants are dependent on their parent(s)/legal guardian to assume responsibility for their participation in clinical studies. Fully informed consent should be obtained from the legal guardian in accordance with regional laws or regulations […]“. CIOMS, 68 f.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
303
Mitgliedsstaaten festzulegen, wann eine Person im Hinblick auf einen Eingriff die Einwilligung selber erteilen kann und ob die zusätzliche Einwilligung der gesetzlichen Vertreter erforderlich ist.732 ee) Schlussfolgerung Die obigen Ausführungen zeigen auf, dass der Einschätzung der Urteilsfähigkeit von Kindern bei sämtlichen Forschungsvorhaben eine überaus zentrale Bedeutung zukommt. Dabei ist bei der Beurteilung der Urteilsfähigkeit entsprechend dem mit einem Forschungsvorhaben verbundenen Nutzen-Risiko-Verhältnis ein relativer Maßstab anzuwenden. Dies bedeutet, dass an die Urteilsfähigkeit von Kindern höhere Anforderungen zu stellen sind, wenn es um die Teilnahme an Studien geht, die einen therapeutischen Vorteil erwarten lassen. In diesen Fällen hat der subjektive Wille eines Kindes hinter sein objektives physisches und psychisches Wohl zurückzutreten.733 Hingegen ist bei Eingriffen zu Forschungszwecken, die mit keinem direkten potenziellen individuellen Nutzen für die betroffenen Versuchspersonen verbunden sind, die Schwelle, ab der ein Kind als urteilsfähig gilt, tief anzulegen. Abzulehnen ist eine unterschiedliche Regelung der Einwilligung und der Beachtlichkeit von ablehnenden Willensäußerungen urteilsunfähiger Minderjähriger abhängig vom Nutzen, der mit einem Forschungsvorhaben verbunden ist.734 Dies einerseits, weil – wie in Kapitel 2 ausgeführt735 – das Kriterium des Nutzens unscharf ist und sich für eine eindeutige Unterscheidung und Einteilung medizinischer Forschungsvorhaben nicht eignet. Andererseits würde die Beachtlichkeit jeglicher Form abwehrender Willensäußerungen urteilsunfähiger Minderjähriger bei Forschungsvorhaben ohne einen potenziellen direkten Individualnutzen zur Folge haben, dass auf einen Teil der notwendigen Forschung mit und für diese Kinder736 verzichtet werden müsste. In Anbetracht der Notwendigkeit der Forschung mit Kindern737 und dem Recht Minderjähriger, am wissenschaftlichen Fortschritt beteiligt zu werden, ist ein Vetorecht urteilsunfähiger Minderjähriger bei medizinischen Eingriffen zu Forschungszwecken abzulehnen. Wie zuvor ausgeführt, soll bei allen Forschungsvorhaben mit Minderjährigen – unabhängig von 732
733 734
735 736
737
Erläuternder Bericht Biomedizinkonvention, Ziff. 42. Abgedruckt bei MÜLLERTERPITZ, 85. MAGNUS, 45. Siehe auch oben IV.3.b. Eine solche schlägt MAGNUS vor, die damit im Sinne eines „interessengerechten Ergebnisses“ erreichen möchte, dass trotz der Formulierung in § 40 Abs. 4 Nr. 3 AMG therapeutische Forschung mit Minderjährigen zulässig ist, auch wenn sich das betroffene urteilsunfähige Kind zur Wehr setzt. MAGNUS, 45 f. Kapitel 2 IV.3, insb. IV.3.d. Wie bereits in Kapitel 1 II ff. und Kapitel 2 VI. ausgeführt, gibt es zahlreiche gesundheitliche Störungen, die nur bei Kindern auftreten oder bei Kindern eine andere Behandlung erfordern als bei Erwachsenen. Insbesondere in der Neonatologie, d.h. mit Früh- und Neugeborenen, besteht ein besonders großer Forschungsbedarf. Um in diesen Bereichen Fortschritte und Ergebnisse zu erzielen, sind neben sogenannten therapeutischen Eingriffen zu Forschungszwecken auch Forschungsmaßnahmen ohne einen potenziellen direkten Individualnutzen für die betroffenen Kinder nötig. Dazu die Ausführungen in Kapitel 1 IV.
304
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
ihrem potenziellen Nutzen für die betroffenen Versuchspersonen – die Urteilsfähigkeit der Maßstab für die Beachtlichkeit ablehnender wie zustimmender Willensäußerungen von Kindern und Jugendlichen sein. Es ist an dieser Stelle daran zu erinnern, dass nicht die Einwilligung alleine über die Zulässigkeit eines Forschungsvorhabens entscheidet.738 Da wo medizinische Forschung nötig und wichtig ist, ist der Schutz der betroffenen Versuchspersonen durch ein sinnvolles Zusammenspiel verschiedener Schutzkriterien sicherzustellen.739 Die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter sowie jene des urteilsfähigen Minderjährigen sind dabei zentral, aber nicht das einzige Zulässigkeitskriterium für medizinische Forschungsvorhaben. Art. 55 Abs. 2 lit. b HMG lässt bei Forschungsvorhaben ohne einen therapeutischen Nutzen nur geringfügige Risiken und Unannehmlichkeiten zu. Unter Unannehmlichkeiten im Sinne von Art. 55 Abs. 2 lit. b HMG ist nicht nur die mit einem medizinischen Eingriff verbundene physische Belastung (z.B. Schmerzen durch einen Nadeleinstich) zu verstehen, sondern das gesamte physische und psychische Wohlbefinden.740 Demzufolge darf ein Kind niemals unter Anwendung von körperlichen, psychischen oder emotionalen Zwangsmitteln zur Teilnahme an einer Studie gezwungen werden.741 Ein solches Vorgehen würde gegen das Gebot der minimalen Belastung verstoßen. Es wird auch kein Forschender daran interessiert sein, mit Kindern entgegen deren Willen und allenfalls unter Anwendung von Zwang zu forschen. Vielmehr sind Forschende auf die Kooperation der an einem Forschungsvorhaben beteiligten Kinder angewiesen, denn die emotionale und körperliche Erregung verängstigter oder wütender Kinder, die gegen ihren Willen zu einer Teilnahme an einer Studie gezwungen wurden, können die Studienergebnisse verfälschen. Der forschende Arzt wird demzufolge stets die Zustimmung und Kooperation des betroffenen Kindes wie dessen Eltern suchen. Die Persönlichkeitsrechte der Kinder in der medizinischen Forschung werden folglich nicht nur durch ihre Mitspracherechte geschützt, sondern auch durch das Gebot der minimalen Risiken und Belastungen sowie durch die Bindung der gesetzlichen Vertreter und allen an der Forschung beteiligten Personen an den Grundsatz des Kindeswohls. e) Zusammenfassung Bei minderjährigen Versuchspersonen verlangt Art. 55 HMG in jedem Fall und unabhängig von der Urteilsfähigkeit des betroffenen Kindes die Aufklärung und Einwilligung der gesetzlichen Vertreter. Bei urteilsunfähigen Kindern willigen die gesetzlichen Vertreter in die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben ein. Ist ein Kind urteilsfähig, so bedarf es nach der Regelung des HMG für eine rechtsgültige
738 739 740
741
MANAÏ, 519. Siehe dazu die Ausführungen in Kapitel 3 V.3. Siehe zu den Belastungen und Risiken von Forschungsvorhaben auch die Ausführungen in der Stellungnahme der ZEKO, 10 f. Dazu Kapitel 3 IV.3. Besonders bei Kindern spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle, ob sie eine Behandlung oder ein bestimmtes Vorgehen als belastend empfinden oder nicht. Dazu SPANGLER, 155.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
305
Einwilligung in eine Teilnahme der Zustimmung sowohl des Kindes als auch der Eltern.742 Damit entsprechen die spezialgesetzlichen Regelungen des Heilmittelgesetzes zur Einwilligung – mit Ausnahme der in jedem Fall zwingend erforderlichen Einwilligung der Eltern – den oben dargestellten Grundsätzen der medizinischen Behandlung Minderjähriger. Gemäß dieser bildet die Urteilsfähigkeit sowohl bei Eingriffen zu Heilzwecken wie auch bei ärztlichen Eingriffen zu Forschungszwecken die Schwelle der Einwilligungs- und Ablehnungskompetenz Minderjähriger. Die Auslegung von Art. 55 HMG im Lichte verschiedener nationaler und internationaler Normen ergibt, dass ablehnende Willensäußerungen nur bei urteilsfähigen Minderjährigen zwingend zu beachten sind.743 Die Ablehnung eines Eingriffs durch ein urteilsfähiges Kind bindet sowohl die Eltern wie auch die Ärzte. Bei urteilsunfähigen Kindern können einzig die gesetzlichen Vertreter rechtsgültig in die Teilnahme des Kindes an einem Forschungsvorhaben einwilligen, diese verweigern oder eine einmal erteilte Einwilligung widerrufen. Die Eltern sind jedoch bei ihren Entscheidungen an das Kindeswohl gebunden. Demzufolge haben sie das urteilsunfähige Kind zwingend anzuhören und seinen Wünschen in den Grenzen des objektiven Kindeswohls Beachtung zu schenken. Der maßgebende Unterschied besteht folglich darin, dass das urteilsunfähige Kind grundsätzlich nicht berechtigt ist, einen medizinischen Eingriff abzulehnen. Die rechtsgültige Verweigerung eines Eingriffs, erfolge er zu therapeutischen Zwecken oder zur Forschung, ist nur dem voll urteilsfähigen Minderjährigen möglich. Das gilt sowohl für Heilbehandlungen wie auch für therapeutische und nicht therapeutische Forschungseingriffe. Die Beurteilung der Urteilsfähigkeit von minderjährigen Versuchspersonen ist daher bei sämtlichen medizinischen Eingriffen von zentraler Bedeutung. Dabei bildet das objektive physische und psychische Wohl des Kindes das oberste Richtmaß. Gleichzeitig sind die Persönlichkeitsrechte der Kinder, insbesondere ihr Recht auf Selbstbestimmung, zu respektieren. Als Folge davon ist bei der Beurteilung der Urteilsfähigkeit Minderjähriger entsprechend dem Nutzen-RisikoVerhältnis eines Eingriffs ein relativer Maßstab anzuwenden. Dies bedeutet, dass an die Urteilsfähigkeit von Kindern höhere Anforderungen zu stellen sind, wenn es um Eingriffe geht, die einen therapeutischen Vorteil für das Kind erwarten lassen. Denn in diesen Fällen tritt die Beachtung der Selbstbestimmung des Kindes hinter sein objektives physisches und psychisches Wohl zurück. Umgekehrt gilt, dass je uneigennütziger ein Eingriff ist, desto geringere Anforderungen an die Urteilsfähigkeit eines Kindes zu stellen sind. Diese Abwägung muss in jedem Einzelfall mit größter Sorgfalt und unter objektiver Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen des betroffenen Kindes vorgenommen werden.
742
743
Art. 55 Abs. 1 lit. c HMG. Obwohl sich die Bestimmung nicht dazu äußert, ist davon auszugehen, dass auch der urteilsfähige Unmündige aufzuklären ist. So auch BSK HMG-MARTI, Art. 55 N 11: „Sobald Anzeichen bestehen, wonach eine urteilsfähige Person mit der Teilnahme an einem klinischen Versuch nicht einverstanden ist, sind diese als Ausdruck des mutmasslichen Willens zu würdigen. Entsprechend hat ein Einbezug der Person in den klinischen Versuch zu unterbleiben.“
306
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
Zum Abschluss bleibt noch die abschließende Beantwortung der Frage, ob das generelle Erfordernis der doppelten Zustimmung bei allen Forschungsvorhaben mit urteilsfähigen Minderjährigen – wie es die Spezialregelungen zur Humanforschung vorsehen – mit den Persönlichkeitsrechten der betroffenen Minderjährigen, insb. ihrem Selbstbestimmungsrecht, vereinbar ist. Meiner Ansicht nach ist es dies nicht. Vielmehr verlangen die Persönlichkeitsrechte Minderjähriger eine in jedem Einzelfall mit aller Sorgfalt vorgenommene Beurteilung der Urteilsfähigkeit des betroffenen Minderjährigen entsprechend der Tragweite und Bedeutung des medizinischen Eingriffs. Ist ein Minderjähriger im Hinblick auf einen bestimmten medizinischen Eingriff urteilsfähig, so steht ihm – unabhängig davon, ob der Eingriff zu Heil- oder zu Forschungszwecken vorgenommen wird – die alleinige Entscheidungsbefugnis zu. Der Schutz Minderjähriger vor missbräuchlicher Forschung ist ein berechtigtes Anliegen. Doch rechtfertigt er nicht eine derartige Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts urteilsfähiger Minderjähriger. Der Schutz minderjähriger Versuchspersonen in der medizinischen Forschung wird denn auch durch ein Zusammenspiel verschiedener Schutzkriterien sichergestellt.744 Die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter sowie jene des urteilsfähigen Minderjährigen sind dabei zentral, aber nicht das alleinige Zulässigkeitskriterium für medizinische Forschungsvorhaben.
4. Konsequenzen für den Umgang mit Kindern in der Forschung a) Eigenständiger Anspruch des Kindes auf Aufklärung und Anhörung Grundlegend ist, dass jedes Kind als eigenständige Person wahr- und ernst genommen wird, denn Kinder und Jugendliche sind gleichermaßen Träger des Grundrechts auf Schutz ihrer Persönlichkeit und Respekt ihrer Autonomie wie Erwachsene.745 Die Persönlichkeitsrechte des Kindes umfassen das Recht mit Fragen, Ängsten und mit der eigenen Meinung angehört zu werden. Dazu zählt auch das Recht des Kindes auf eine seiner Reife angemessene Information über einen medizinischen Eingriff und die damit verbundenen Ziele, Nutzen, Belastungen und Risiken. Dieses Recht auf Aufklärung und Information ist Ausfluss der Persönlichkeitsrechte Minderjähriger und unabhängig von ihrer Einwilligungsfähigkeit. Dies gilt sowohl für medizinische Eingriffe zu Heilzwecken wie auch für Eingriffe zu Forschungszwecken. Auch Kinder, die noch nicht über die volle Entscheidungskompetenz verfügen, haben ein Recht, aufgeklärt zu werden, ihre Wünsche einzubringen und Entscheidungen mitzugestalten, die sie betreffen. ROTHÄRMEL fordert, dass neben die Entscheidungskompetenz der Eltern Informations- und Partizipationsrechte des Kindes treten müssen und „die Verantwortlichkeit für die Entscheidung und Teilhabe an der Entscheidung getrennt wer-
744 745
Siehe dazu die Ausführungen in Kapitel 3 V.3. ROTHÄRMEL zit. Einwilligungsfähigkeit, 36.
V. Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung
307
den.“746 Es werde bei Minderjährigen lange bevor sie in der Lage sind, die Verantwortung für eine Entscheidung zu übernehmen, ein großes Interesse an Informationen beobachtet.747 Gerade bei Kindern muss zwischen der Fähigkeit zu kommunizieren, der Fähigkeit, wichtige Informationen zu verstehen, und der Fähigkeit, die Bedeutung und Tragweite der Entscheidungssituation zu bewerten und dementsprechend zu handeln, differenziert werden.748 Dementsprechend darf das Recht auf Aufklärung nicht ausschließlich im Zusammenhang mit der Kompetenz zur alleinigen Einwilligung gesehen werden. Vielmehr steht auch Kindern und Jugendlichen, die noch nicht in vollem Umfang über die erforderliche Entscheidungskompetenz verfügen, ein eigenständiger Informations- und Aufklärungsanspruch zu. b) Informations-, Anhörungs- und Mitspracherechte des Kindes als Ausfluss seiner Persönlichkeit Wie oben dargelegt, ist jede medizinische Maßnahme – sei es eine Heilbehandlung oder ein Eingriff zu Forschungszwecken – eine Persönlichkeitsverletzung, die nur durch eine rechtsgültig erteilte Einwilligung gerechtfertigt werden kann. Bei medizinischen Eingriffen sind Partizipationsmöglichkeiten von Kindern zum Schutz ihrer Persönlichkeit daher von zentraler Bedeutung. Das Kind als Patient und Versuchsperson ist, seinem Alter und Entwicklungsstand entsprechend, angemessen in Entscheidungsprozesse, die seine Person und seine Lebensgestaltung betreffen, einzubeziehen. Ebenso ist zu beachten, dass den Sorgeberechtigten (in der Regel den Eltern) eine wichtige Rolle bei der Verwirklichung und Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Kinder und Jugendlichen zukommt.749 Demzufolge sind die Aufklärungsmodalitäten, die Mitsprachemöglichkeiten und die Entscheidungsverfahren sowohl dem individuellen Entwicklungsstand der Kinder wie auch den Bedürfnissen der Sorgeberechtigten anzupassen. Besonders hervorzuheben ist, dass den Persönlichkeitsrechten der Kinder und Jugendlichen mit einer alleinigen Aufklärung der Eltern nicht Genüge getan ist. Vielmehr steht jedem Kind ein seinem Alter, seiner physischen und psychischen Verfassung entsprechender selbstständiger Anspruch auf Aufklärung und Anhörung zu. Dieser tritt neben denjenigen seiner gesetzlichen Vertreter.750 Die Information, Aufklärung und Anhörung des urteilsunfähigen Kindes durch seine gesetzlichen Vertreter ist Geltungsvoraussetzung für deren stellvertretende Entscheidung.
746
747 748 749 750
ROTHÄRMEL zit. Einwilligungsfähigkeit, 42 f. Eine Trennung der Aufklärungs- und Informationsrechte von der Einwilligungsdogmatik fordert auch WÖLK zit. minderjähriger Patient, 88 f. ROTHÄRMEL zit. Einwilligungsfähigkeit, 40 mit zahlreichen Hinweisen in Fn. 15. ROTHÄRMEL zit. Einwilligungsfähigkeit, 40 mit weiteren Hinweisen in Fn. 16. Siehe dazu oben III.2. ROGGO, 164 m.w.N.
308
Kapitel 4: Persönlichkeitsrechte von Kindern und Jugendlichen
c) An den Grenzen des Rechts Unabhängig davon, wie die medizinische Forschung mit Kindern geregelt wird, bleibt stets der spannungsreiche Rahmen bestehen, in dem sich die medizinische Forschung mit Kindern bewegt: • das Recht der betroffenen Kinder auf Leben, körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Schutz und Verwirklichung ihrer Persönlichkeitsrechte; • das gesellschaftliche Interesse an einer bestmöglichen medizinischen Versorgung von Kindern und das Streben nach medizinischem Fortschritt; • die Pflicht jedes Einzelnen und des Staates zum Schutz der Kinder vor Instrumentalisierung und Missbrauch. Dieses Spannungsfeld zwischen individuellen Persönlichkeitsrechten, gesellschaftlichen Interessen und individuellen wie staatlichen Schutzpflichten lässt sich nur beschränkt auflösen. Bei der medizinischen Forschung mit Kindern und Jugendlichen handelt es sich um eine Thematik im Schnittpunkt verschiedener Disziplinen. Das Recht allein vermag das Dilemma der Forschung mit Kindern nicht zu lösen, sondern stößt bei dieser Thematik an seine Grenzen. Notwendig ist eine sinnvolle, von gegenseitigem Verständnis und Respekt geprägte Zusammenarbeit aller involvierten Disziplinen. Wohl kann für die Forschung mit Kindern ein bestmöglicher rechtlicher Rahmen geschaffen werden, dessen oberste Maxime das Kindeswohl ist. In erster Linie sind es jedoch die in die medizinische Behandlung und Forschung von und mit Kindern direkt involvierten Personen – Eltern, Ärzte, Pflegepersonal, Forscher –, die in einer persönlichen Verantwortung stehen. Ihnen kommt die Aufgabe zu, im Rahmen ihres täglichen Umgangs mit Kindern den Persönlichkeitsrechten der jungen Patienten und Versuchspersonen zur Durchsetzung zu verhelfen. Abschließend hierzu ein Zitat von BOOS: „An der Schnittstelle zwischen Kind, Eltern, Ärzten, Pflegenden und Studienverantwortlichen im Bemühen um einen qualifizierten Erkenntnisgewinn einerseits und maximale Patientenorientierung andererseits wird es immer auch auf Zuwendung, Verständnis und situationsbedingte Einzelfalllösungen ankommen, die durch starre Konzepte nicht eingeschränkt werden dürfen.“751
751
BOOS zit. Pädiatrie, 58.
Kapitel 5: Schlussfolgerungen
I. Zusammenfassung 1. Rechtliche Rahmenbedingungen der medizinischen Forschung mit Minderjährigen − Die medizinische Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen bedarf einer eigenständigen Betrachtung und Regelung, da sie sich in vielen Belangen von der Forschung mit erwachsenen Versuchspersonen unterscheidet. Eine Subsumierung minderjähriger Versuchspersonen unter die Gruppe der unmündigen, entmündigten und urteilsunfähigen Personen, wie sie das schweizerische Heilmittelgesetz vornimmt (Art. 55 HMG), ist abzulehnen. Eine derartige Regelung wird einerseits den großen entwicklungsbedingten Unterschieden zwischen Kindern und erwachsenen Unmündigen und Entmündigten nicht gerecht. Andererseits lassen sich auch die Situation von Minderjährigen unter elterlicher Sorge und von urteilsunfähigen Erwachsen unter Vormundschaft oder ohne eine geregelte Vertretung aus rechtlicher Sicht nur beschränkt vergleichen. − Eine erhöhte Sorgfalt bei der Beurteilung von medizinischen Forschungsvorhaben mit Kindern und Jugendlichen ist im Hinblick auf die Schutzbedürftigkeit und die geringere Lebenserfahrung junger Menschen berechtigt. Doch dürfen Minderjährige weder in der Ausübung ihrer Persönlichkeitsrechte noch in der Gesundheitsversorgung in ungerechtfertigter Weise diskriminiert werden. Sie sind wie Erwachsene Träger von Persönlichkeitsrechten und haben Anspruch auf eine Beteiligung am medizinischen Fortschritt. − Im geltenden schweizerischen wie im deutschen Recht ist die medizinische Forschung mit Minderjährigen unzureichend geregelt. Außerhalb des Regelungsbereiches der wenigen spezialgesetzlichen und kantonalen Normen sind die Zulässigkeit und die Grenzen der medizinischen Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen größtenteils unklar. − Ebenso wenig kennen das schweizerische (mit Ausnahme einiger weniger kantonaler Regelungen) und das deutsche Recht eine besondere Regelung für medizinische Eingriffe (Heilbehandlungen). Folglich gelangen in beiden Rechtsordnungen die allgemeinen völker-, verfassungs-, privat- und strafrechtlichen Normen auf medizinische Eingriffe zur Anwendung. Mit der Totalrevision des Vormundschaftsrechts werden im schweizerischen Zivilgesetzbuch jedoch wichtige Neuerungen im Bezug auf die Vertretung urteilsunfähiger Personen bei medizinischen Entscheidungen eingeführt.
310
Kapitel 5: Schlussfolgerungen
− Die aus dem Völker-, Verfassungs-, Privat- und Strafrecht abgeleiteten Regelungen zur medizinischen Behandlung von Minderjährigen sind auf medizinische Eingriffe zu Forschungszwecken übertragbar. Sie gelangen zur Anwendung, sofern keine spezialgesetzlichen Regelungen des Bundes oder der Kantone Vorrang haben. Sie sind im Kontext des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes sowie der nationalen und internationalen Normen und zur Humanforschung auszulegen.
2. Ausgestaltung der medizinischen Forschung mit Minderjährigen − Das Kindeswohl bildet für alle an der medizinischen Versorgung von und der medizinischen Forschung mit Minderjährigen beteiligten Personen und Institutionen das Richtmaß für den Umgang mit Kindern. − Die Urteilsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen ist im medizinischen Kontext von zentraler Bedeutung. Nur urteilsfähige Minderjährige können ihre Persönlichkeitsrechte selbstständig wahrnehmen. − Bei urteilsfähigen Minderjährigen gilt der Grundsatz, dass sie selbstständig über die Vornahme eines medizinischen Eingriffs sowie die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben entscheiden. Im Hinblick auf die zentrale Rolle der Eltern für die Entwicklung des Kindes ist nach Rücksprache und mit Einwilligung des urteilsfähigen Minderjährigen auch ihre Zustimmung einzuholen. Verweigert ein urteilsfähiger Minderjähriger die Information und Mitentscheidung der Eltern, so ist dieser Wunsch in den Grenzen des Kindeswohls zu beachten. − Für urteilsunfähige Minderjährige entscheiden die gesetzlichen Vertreter über die Vornahme eines Eingriffs sowie die Teilnahme an einem Forschungsvorhaben. Dabei sind die gesetzlichen Vertreter an das Kindeswohl gebunden und verpflichtet, die Wünsche des Kindes anzuhören sowie das Kind entsprechend seiner Reife in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. − Das Recht auf Aufklärung und Information ist Teil der Persönlichkeitsrechte Minderjähriger und unabhängig von ihrer Einwilligungsfähigkeit. Dies gilt sowohl für medizinische Eingriffe zu Heilzwecken wie auch für Eingriffe zu Forschungszwecken. Folglich sind auch Kinder, die noch nicht über die volle Entscheidungskompetenz verfügen, entsprechend ihrer individuellen Reife über den Eingriff zu orientieren. − Ein undifferenziertes Vetorecht urteilsunfähiger Minderjähriger gegen die Teilnahme an medizinischen Forschungsvorhaben mit rechtsverbindlicher Außenwirkung ist nicht sinnvoll. − Ein intaktes Beziehungsumfeld – in der Regel in der Form eines Eltern-KindVerhältnisses – ist für die Entwicklung eines Kindes überaus bedeutsam. Die Eltern sind einerseits die gesetzlichen Vertreter eines Kindes und andererseits oft seine wichtigsten Bezugspersonen. Demzufolge ist der Einbezug der Bezugspersonen eines Kindes bei medizinischen Eingriffen – seien sie zu Behandlungs- oder zu Forschungszwecken – von fundamentaler Bedeutung.
II. Forderungen
311
Folglich ist die medizinische Behandlung von und die Forschung mit Kindern als ein Teamwork des betroffenen Kindes, seiner Eltern/Bezugspersonen, der Ärzte sowie aller in die medizinische Versorgung und Betreuung des Kindes involvierten Personen zu verstehen und rechtlich entsprechend auszugestalten.
II. Forderungen 1. Rechtliche Rahmenbedingungen der medizinischen Forschung mit Minderjährigen − Die medizinische Humanforschung ist auf Bundesebene umfassend zu regeln. − Die medizinische Forschung mit Minderjährigen bedarf einer separaten Regelung. Bei der Überarbeitung der Entwürfe für einen neuen Verfassungsartikel und ein neues Bundesgesetz über die Forschung am Menschen ist folglich die Forschung mit minderjährigen Versuchspersonen eigenständig zu regeln. − Diese neu zu schaffenden Bestimmungen zur medizinischen Forschung mit Minderjährigen im Humanforschungsgesetz sollen nach dem Vorbild von § 44 Abs. 4 Nr. 3 AMG vorsehen, dass ein Kind vor Beginn eines Forschungsvorhabens von einer im Umgang mit Kindern erfahrenen Fachperson entsprechend seinem Alter und seiner Reife aufgeklärt wird. Diese Fachperson soll dem Kind und dessen Eltern während der Dauer und auch nach Beendigung des Forschungsvorhabens als Ansprechperson zur Verfügung stehen.
2. Ausgestaltung der medizinischen Forschung mit Minderjährigen − Um den Persönlichkeitsrechten Minderjähriger in der ärztlichen Praxis Achtung zu verschaffen, sind Forschungsvorhaben mit Kindern kindergerecht auszugestalten. Dies erfordert abgestufte, der individuellen Entwicklung der Kinder angepasste Formen der Information, Mitsprache und Entscheidungsfindung. Die mit Forschungsvorhaben mit Kindern befassten Personen müssen im Umgang mit Kindern geschult oder erfahren sein. Forschungsvorhaben mit Kindern sind durch entsprechende Fachleute vorab zu überprüfen. − Zur Vermeidung unnötiger Studien mit Kindern und zur besseren Nutzung bestehender Forschungsergebnisse sind Studiendaten in einem allgemein zugänglichen Register zu dokumentieren. Neben Daten von klinischen Studien sind auch Informationen zu individuellen Heilversuchen mit Kindern, insbesondere Erfahrungswerte aus der Off-label- und Unlicensed-Anwendung von Arzneimitteln bei Kindern in systematischer Weise zu erfassen und auszuwerten. − Den in der Pädiatrie tätigen Ärzten und Medizinalpersonen sind in der Ausund Weiterbildung Kenntnisse zu den entwicklungsabhängigen Partizipationskompetenzen und den Partizipationsrechten von Kindern zu vermitteln. Ebenso
312
Kapitel 5: Schlussfolgerungen
sollten die Rolle der Eltern und deren Rechte bei der medizinischen Behandlung von und der Forschung mit Kindern thematisiert werden.
Zusammenfassung
Die entwicklungsbedingten Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen haben zur Folge, dass in der pädiatrischen Medizin nicht mit Analogien zur Erwachsenenmedizin gearbeitet werden kann. Kinder und Jugendliche jeder Altersstufe benötigen eine ihrem Entwicklungsstand angemessene medizinische Versorgung. Minderjährige werden jedoch aus ethischen und rechtlichen Bedenken sowie aus ökonomischen Überlegungen vielfach von der medizinischen Forschung ausgeschlossen. Dies hat zur Folge, dass die medizinische Versorgung von Kindern heute in vielen Bereichen ungenügend ist. Es besteht daher ein großer Forschungsbedarf. Die medizinische Forschung mit Minderjährigen unterscheidet sich in vielen Belangen von der Forschung mit Erwachsenen. Als Konsequenz davon bedarf die Forschung mit Minderjährigen einer eigenständigen Betrachtung und Regelung. Die Subsumierung minderjähriger Versuchspersonen unter die Gruppe der unmündigen, entmündigten und urteilsunfähigen Personen, wie sie das schweizerische Heilmittelgesetz vornimmt (Art. 55 HMG), wird den Besonderheiten minderjähriger Versuchspersonen nicht gerecht. Medizinische Eingriffe (Heilbehandlungen) werden im schweizerischen und deutschen Recht nicht eigenständig geregelt. Folglich sind medizinische Eingriffe nach den allgemeinen Normen des Völker-, Verfassungs-, Privat- und Strafrechts zu beurteilen. Diese Situation ist unbefriedigend und wird der Bedeutung der Materie nicht gerecht. Ebenso unzureichend sind die bestehenden Regelungen im schweizerischen wie im deutschen Recht für die medizinische Forschung mit Minderjährigen. Die wenigen spezialgesetzlichen Normen zur Humanforschung decken nur einzelne Bereiche der medizinischen Forschung ab. Zur Anwendung gelangen die aus dem Völker-, Verfassungs-, Privat- und Strafrecht abgeleiteten Regelungen zur medizinischen Behandlung. Sie sind im Kontext des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes sowie den spezialgesetzlichen Normen und zur Humanforschung auszulegen. Die Urteilsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen ist im medizinischen Kontext von zentraler Bedeutung. Bei urteilsfähigen Minderjährigen gilt der Grundsatz, dass sie selbstständig über die Vornahme eines medizinischen Eingriffs sowie eine Teilnahme an einem Forschungsvorhaben entscheiden. Bei urteilsunfähigen Minderjährige haben die gesetzlichen Vertreter die Entscheidungskompetenz inne. Dabei sind sie an das Kindeswohl gebunden und verpflichtet, das Kind anzuhören sowie dieses entsprechend seiner Reife in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen.
Résumé
En pédiatrie, on ne peut pas appliquer par analogie les principes thérapeutiques utilisés dans la médecine des adultes car les différences de développement entre enfants et adultes sont trop grandes. Les enfants et les adolescents de chaque groupe d'âge ont besoin de soins médicaux correspondant à leur niveau de développement. Toutefois, des doutes éthiques et juridiques ainsi qu’un manque d’incitation économique conduisent très souvent à exclure les mineurs de la recherche médicale. Cette situation a pour résultat un approvisionnement insuffisant en soins médicaux pour les enfants à l’égard de nombreuses maladies. Il existe dès lors un grand besoin de conduire des recherches médicales avec des enfants. La recherche médicale avec des enfants se différencie à bien des égards de la recherche avec des adultes. Dans la réglementation juridique de la recherche, il faut donc prévoir des règles autonomes pour les enfants, fondées sur les particularités de leur situation. Inclure simplement les enfants dans une catégorie générale réunissant les mineurs, les interdits et les personnes incapables de discernement, comme le prévoit l’article 55 de la loi fédérale sur les produits thérapeutiques, ne tient pas suffisamment compte des spécificités de la situation des enfants. Les interventions médicales ne font pas l’objet d’une réglementation autonome en droit suisse ni en droit allemand. Par conséquence, ces interventions se jugent conformément aux normes générales tant du droit international et du droit constitutionnel que du droit privé et du droit pénal. Cette situation est insatisfaisante et méconnaît l’importance du problème. De même, la réglementation juridique de la recherche médicale avec des enfants est insuffisante aussi bien en droit suisse qu’en droit allemand. Les normes des quelques lois spéciales touchant à la recherche avec l’être humain ne couvrent que des secteurs limités de la recherche médicale. Les normes du droit international, du droit constitutionnel, du droit privé et du droit pénal ont été déduites des règles sur le traitement médical en général. Ces règles doivent être interprétées dans le contexte de la protection internationale des droits de l’homme ainsi que des normes des lois spéciales et relatives à la recherche. La capacité de discernement des enfants et des adolescents est d’une importance centrale dans le contexte médical. En droit positif suisse, un mineur capable de discernement peut décider seul de suivre un traitement médical ou de participer à un projet de recherche. Pour les mineurs incapables de discernement, le pouvoir de décision appartient aux représentants légaux. Ils sont cependant tenus d’agir dans l’intérêt de l’enfant, de l’écouter et de le faire participer au processus de décision, en fonction de sa maturité.
Literaturverzeichnis
ALDERSON, PRISCILLA, Die Autonomie des Kindes – Über die Selbstbestimmungsfähigkeit von Kindern in der Medizin, in: Wiesemann, C./Dörries, A./Wolfslast, G./Simon, A. (Hrsg.), Das Kind als Patient, Ethische Konflikte zwischen Kindeswohl und Kindeswille, Kultur der Medizin: Geschichte – Theorie – Ethik 7, Frankfurt am Main et al. 2003, 28–47. AMELUNG, KNUT, Die Einwilligungsfähigkeit in Deutschland, in: Kopetzki, C. (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, Schriftenreihe Recht der Medizin 16, Wien 2002, 24–37. AMSTAD, H./DIETSCHY, P./STAUFFACHER, W., Klinische Versuche in der Schweiz: Eine Standortbestimmung, Schweizerische Ärztezeitung 83 (2002), 2448–2454. ANDERWEIT, SABINE/LICHT, CHRISTOPH/KRIBS, ANGELA/WOOPEN, CHRISTIANE/BERGDOLT, KLAUS/ROTH, BERNHARD, Das Problem der verantworteten Therapieentscheidung in der Neonatalogie – Kölner Arbeitsbogen zur ethischen Entscheidungsfindung in der Neonatalogie, Ethik in der Medizin 16 (2004), 37–47. ARNDT, HANS-WOLFGANG, Europarecht, 7. Auflage, Heidelberg 2004. BAIR, JOHANN, The International Covenant on Civil and Political Rights and ist (First) Optional Protocol, Frankfurt a. M. et al. 2005. BERG, WERNER, Gesundheitsschutz als Aufgabe der EU – Entwickung, Kompetenzen, Perspektiven, Schriftenreihe Europäisches Recht, Politik und Wirtschaft 192, BadenBaden 1997. BERNAT, ERWIN, Das österreichische Recht der klinischen Arzneimittelprüfung: europakonform oder anpassungsbedürftig? in: Bernat, E./Kröll, W. (Hrsg.), Recht und Ethik der Arzneimittelforschung, Schriftenreihe Recht der Medizin 19, Wien 2003, 60–82, zit.: Arzneimittelprüfung. BERNAT, ERWIN, Die Forschung an Einwilligungsunfähigen, Recht der Medizin 8 (2001), 99–105, zit.: Forschung. BERNAT, ERWIN, Die medizinische Behandlung Minderjähriger im österreichischen Recht – Selbst- und Fremdbestimmung nach dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001, Versicherungsrecht 53 (2002), 1467–1478, zit.: Behandlung. BIEBER, ROLAND/EPINEY, ASTRID/HAAG, MARCEL, Die Europäische Union – Europarecht und Politik, 6. Auflage, Baden-Baden 2005. BLÖCHLIGER, MARLENE, Arzneimittelsicherheit in der Pädiatrie, Diplomarbeit Pharmazentrum der Universität Basel, 2005.
318
Literaturverzeichnis
BODENDIEK, FRANK/NOWROT, KARSTEN, Bioethik und Völkerrecht – Aktuelle Regelungen und zukünftiger Regelungsbedarf, Archiv des Völkerrechts 37 (1999), 177–213. BOOS, JOACHIM, Klinische Prüfungen mit Kindern aus der Sicht eines Zentrums, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 48 (2005), 530–535, zit.: Klinische Prüfungen. BOOS, JOACHIM, Klinische Studien mit Kindern: Gedanken zur Ethik und zur Rolle der Ethikkommissionen, in: Hucklenbroich, P./Schober, O./Siep, L. (Hrsg.), Freiheit und Bindung der medizinischen Forschung, Münsteraner Bioethik-Studien, Berlin 2006, 45-55, zit.: Ethik. BOOS, JOACHIM, Probleme und Chancen klinischer Studien in der Pädiatrie, in: Brochhausen, C./Seyberth, H. W. (Hrsg.), Kinder in klinischen Studien – Grenzen medizinischer Machbarkeit? Ethik in der Praxis/Practical Ethics – Kontroversen/Controversies 14, Münster 2005, 55–64, zit.: Pädiatrie. BREITENMOSER, STEPHAN/SCHWEIZER, RAINER J., Kommentar zu Art. 13 BV, in: Ehrenzeller, B./Mastronardi, Ph./Schweizer, Rainer J./Vallender, K. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung – St. Galler Kommentar, Lachen/Zürich 2002, 187–210. BROCHHAUSEN, CHRISTOPH/BROCHHAUSEN, MATHIAS/SEYBERTH, HANNSJÖRG W., In wessen bestem Interesse? Mögliche finanzielle Interessenkonflikte in der klinischen Forschung und ihre Relevanz für die Pädiatrie, in: Wiesemann, C./Dörries, A./Wolfslast, G./Simon, A. (Hrsg.), Das Kind als Patient – Ethische Konflikte zwischen Kindeswohl und Kindeswille, Kultur der Medizin: Geschichte-Therorie-Ethik 7, Frankfurt am Main et al. 2003, 251–263. BROCHHAUSEN, CHRISTOPH, Kinder in klinischen Studien? Eine interdisziplinäre Herausforderung zwischen Patientenschutz und Therapiesicherheit, in: Brochhausen, C./Seyberth, H. W. (Hrsg.), Kinder in klinischen Studien – Grenzen medizinischer Machbarkeit? Ethik in der Praxis/Practical Ethics – Kontroversen/Controversies 14, Münster 2005, 17-35. BRÜCKNER, CHRISTIAN, Die Rechtfertigung des ärztlichen Eingriffs in die körperliche Integrität gemäss Art. 28 Abs. 2 ZGB, Zeitschrift für Schweizerisches Recht 118 (1999), 451-479. BTREITENMOSER, STEPHAN, Der Schutz der Privatsphäre gemäss Art. 8 EMRK – Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs, Schriftenreihe des Instituts für Internationales Recht und Internationale Beziehungen 39, Basel/Frankfurt a.M. 1986. BUCHBERGER, DIETMAR/METZNER, JÜRGEN, ''Versuchstier'' Mensch? Medizinische Versuche am Menschen in Vergangenheit und Gegenwart, Frankfurt am Main 2005. BUCHER ANDREAS, Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, 3. Auflage, Basel et al. 1999. BUCHER EUGEN, Die Ausübung der Persönlichkeitsrechte – Die Persönlichkeitsrechte des Patienten als Schranken der ärztlichen Tätigkeit, Zürich 1956. BÜCHELER, R./MEISNER, C./KALCHTHALER, B./MOHR, H./SCHRÖDER, H./MORIKE, K./ SCHWOERER, P./SCHWAB, M./GLEITER, C.H., Off-label-Verschreibung von Arzneimitteln in der ambulanten Versorgung von Kindern und Jugendlichen, Deutsche medizinische Wochenschrift 127 (2002), 255–2557.
Literaturverzeichnis
319
CARLSON, SCOTT N./GISVOLD, GREGORY, Practical Guide to the international covenant on civil and political rights, Ardsley 2003. CIOMS, Council for International Organizations of Medical Sciences in collaboration with the World Health Organization (WHO), International Ethical Guidelines for Biomedical Research Involving Human Subjects, Genf 2002. CALDWELL, PATRINA H. Y./MURPHY, SHARON B./BUTOW, PHYLLIS N./CRAIG, JONATHAN C., Clinical trials in children, The Lancet 364 (2004), 803–811. CHALUMEAU, M./TRÉLUYER, J. M./SALANAVE, B./ASSATHIANY, R./CHÉRON, G./CROCHETON, N./ROUGERON, M./MARES, M./BRÉART, G./PONS, G., Off-label and unlicensed drug use among French office based paediatricians, Archives of Disease in Childhood 83 (2000), 502–505. CHOONARA, IMTI, Arzneimitteltoxizität bei Kindern, in: Brochhausen, C./Seyberth, H. W. (Hrsg.), Kinder in klinischen Studien – Grenzen medizinischer Machbarkeit? Ethik in der Praxis/Practical Ethics – Kontroversen/Controversies 14, Münster 2005, 51–54, zit.: Arzneimitteltoxizität. CONROY, SHARON/CHOONARA, IMTI/IMPICCIATORE, PIERO/MOHN, ANGELIKA/ARNELL, HENRIK/RANE, ANDERS/KNOEPPEL, CARMEN/SEYBERTH, HANNSJÖRG/PANDOLFINI, CHIARA/RAFFAELLI, MARIA PIA/ROCCHI, FRANCESCA/BONATI, MAURIZIO/JONG, GEERT/DE HOOG, MATTHIJS, Survey of unlicensed and off-label drug use in paediatric wards in European countries, British Medical Journal 320 (2000), 79-82. CONROY, SHARON/MCINTYRE, JOHN/CHOONARA, IMTI, Unlicensed and off-label drug use in neonates, Archives of Disease in Childhood 80 (1999), F142–F145. CONTI, CHRISTIAN, Die Malaise der ärztlichen Aufklärung – Zu den Grenzen ärztlicher Aufklärungspflichten und zu den Informationspflichten des Patienten, Aktuelle Juristische Praxis (2000), 615–629. DAHL, MATTHIAS/HOFFMANN, JOHANNES/STYLLOS, MARIANTHI/WIESEMANN, CLAUDIA, Ethische Aspekte neonatologischer Forschung – Die Sicht von Eltern, Pflegenden und Ärzten, Deutsches Ärzteblatt 99 (2002), A2554. DAHL, MATTHIAS/WIESEMANN, CLAUDIA, Ethische Aspekte der Forschung mit Kindern und Jugendlichen, in: Brochhausen, C./Seyberth, H. W. (Hrsg.), Kinder in klinischen Studien – Grenzen medizinischer Machbarkeit? Ethik in der Praxis/Practical Ethics – Kontroversen/Controversies 14, Münster 2005, 75–97, zit.: Ethische Aspekte. DAHL, MATTHIAS/WIESEMANN, CLAUDIA, Forschung an Minderjährigen im internationalen Vergleich: Bilanz und Zukunftsperspektiven, Ethik in der Medizin 13 (2001), 87–110, zit.: Forschung. DAWSON, A./SPENCER, A., Informing children and parents about research, Archives of Disease in Childhood 90 (2005), 233–235. DETRICK, SHARON, A commentary on the United Nations Convention on the Rights of the Child, Dordrecht et al. 1999. DETTMEYER, REINHARD, Medizin & Recht, Rechtliche Sicherheit für den Arzt, 2. Auflage, Berlin et al. 2006.
320
Literaturverzeichnis
DEUTSCH, ERWIN/SPICKHOFF, ANDREAS, Medizinrecht – Arztrecht, Arzneimittelrecht, Medizinprodukterecht und Transfusionsrecht, 5. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Berlin et al. 2003. DEUTSCH, ERWIN/TAUPITZ, JOCHEN, Einführung: Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle in der Medizin – zur geplanten Revision der Deklaration von Helsinki, in: Deutsch, E./Taupitz, J. (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle in der Medizin zur geplanten Revision der Deklaration von Helsinki, Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim 2, Berlin et al. 2000, 1–6, zit.: Einführung. DIEHL, ULRICH, Über die Würde der Kinder als Patienten – das Prinzip der Menschenwürde in der Medizinethik am Beispiel der Pädiatrie, in: Wiesemann, C./Dörries, A./Wolfslast, G./Simon, A. (Hrsg.), Das Kind als Patient – Ethische Konflikte zwischen Kindeswohl und Kindeswille, Kultur der Medizin: Geschichte – Theorie – Ethik 7, Frankfurt am Main et al. 2003, 151–173. DIEPOLD, BARBARA, Einsicht und Urteilsfähigkeit von Kindern, in: Dierks, C./Graf-Baumann, T./Lenard, H.-G. (Hrsg.), Therapieverweigerung bei Kindern und Jugendlichen – Medizinrechtliche Aspekte, Schriftenreihe Medizinrecht, Berlin et al. 1995, 39–48. DOEHRING, KARL, Völkerrecht: ein Lehrbuch, 2. Auflage, Heidelberg 2004. DOPPELFELD, ELMAR, 52. Generalversammlung der WMA: Ein Kompromiss „aus politischen Gründen“, Deutsches Ärzteblatt 97 (2000), A2920–A2922. DÖRRIES, ANDREA, Der Best-Interest-Standard in der Pädiatrie – theoretische Konzeption und klinische Anwendung, in: Wiesemann, C./Dörries, A./Wolfslast, G./Simon, A. (Hrsg.), Das Kind als Patient – Ethische Konflikte zwischen Kindeswohl und Kindeswille, Kultur der Medizin: Geschichte – Theorie – Ethik 7, Frankfurt am Main et al. 2003, 116–130. ECK, BARBARA, Die Zulässigkeit medizinischer Forschung mit einwilligungsunfähigen Personen und ihre verfassungsrechtlichen Grenzen – Eine Untersuchung der Rechtslage in Deutschland mit rechtsvergleichenden Elementen, Recht & Medizin 75, Frankfurt am Main et al. 2005. ECKHARD, K/CREMER-SCHAEFFER, P./KÖNIG, J./PAESCHKE, N., Erfassung und Anzeige von Nebenwirkungen in klinischen Prüfungen – neue gesetzliche Bestimmungen in der 12. AMG-Novelle und der GCP-Verordnung, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheits-forschung – Gesundheitsschutz 48 (2005), 173–180. EGGENBERGER STÖCKLI, URSULA, Deckung von Schäden im Rahmen eines klinischen Versuchs mit Heilmitteln – Gesetzliche Grundlagen und Vereinbarungen über die Mindestanforderungen an eine Versicherung, Pharma Recht (2006), II–IV, zit.: Schäden. EGGENBERGER STÖCKLI, URSULA, Rechtsprechung – Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 18. August 2005 zur Auslegung des Begriffs „klinischer Versuch“, Pharma Recht (2006), IV–VI, zit.: Rechtsprechung. EGLI, PATRICIA, Drittwirkung von Grundrechten – zugleich ein Beitrag zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten im Schweizer Recht, Zürcher Studien zum öffentlichen Recht 147, Zürich 2002. EICHENBERGER URSULA, Tag für Tag. Was unheilbar kranke Kinder bewegt, Zürich 2005.
Literaturverzeichnis
321
EICHENBERGER, THOMAS/JAISLI, URS/RICHLI, PAUL (HRSG.), Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz, Basel et al. 2006. EICHENBERGER, THOMAS, Die Rechtstellung des Arztes am öffentlichen Spital – unter besonderer Berücksichtigung der spezifischen Probleme des Dienst- und Haftungsrechts, Bern/Stuttgart/Wien 1995. EIDE, ASBØRN/EIDE, WENCHE BARTH, A Commentary on the United Nations Convention on the Rights of the Child. Article 24 The Right to Health, Leiden/Boston 2006. ERRASS, CHRISTOPH, Öffentliches Recht der Gentechnologie im Ausserhumanbereich, Bern 2006. FEGERT, JÖRG M./KÖLCH, MICHAEL/LIPPERT, HANS-DIETER, Sichere und wirksame Arzneimittel auch für Kinder – Eine Herausforderung für die 12. Novelle zum Arzneimittelgesetz, Zeitschrift für Rechtspolitik (2003), 446–450. FEGERT, JÖRG MICHAEL/WIETHOFF, KARIN/ROTHÄRMEL, SONJA/WOLFSLAST, GABRIELE, Information und Partizipation von Kindern und Jugendlichen bei Behandlungsentscheidungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, in: Brochhausen, C./Seyberth, H. W. (Hrsg.), Kinder in klinischen Studien – Grenzen medizinischer Machbarkeit? Ethik in der Praxis/Practical Ethics – Kontroversen/Controversies 14, Münster 2005, 118–143. FELLMANN, WALTER, Die Haftung des Privatarztes und des Privatspitals, in: Fellmann, W./Poledna, T. (Hrsg.), Forum Gesundheitsrecht: Die Haftung des Arztes und des Spitals – Fragen und Entwicklungen im Recht der Arzt- und Spitalhaftung 7, Zürich 2003, 47–72. FISCHER, GERFRIED, Die Prinzipien der Europäischen Richtlinie zur Prüfung von Arzneimitteln, in: Deutsch, E./Schreiber, H.-L./Spickhoff, A./Taupitz, J. (Hrsg.), Die klinische Prüfung in der Medizin – Europäische Regelungswerke auf dem Prüfstand, Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim 17, Berlin et al. 2005, zit.: Richtlinie. FISCHER, GERFRIED, Medizinische Forschung an Minderjährigen – Nationale Regeln und zivilrechtliche Sanktionen, in: Fegert, J. M./Hässler, F./Rothärmel, S. (Hrsg.), Atypische Neuroleptika in der Jugendpsychiatrie, Stuttgart et al. 1999, 69–80, zit: Minderjährige. FROWEIN, JOCHEN A./PEUKERT, WOLFGANG, Die Europäische Menschenrechtskonvention: EMRK-Kommentar, 2. Auflage, Kehl am Rhein et al. 1996. FRÖHLICH, UWE, Forschung wider Willen? Rechtsprobleme biomedizinischer Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Personen, Schriftenreihe Medizinrecht, Berlin et al. 1999. GRABER, EDDA, Arzneimittelforschung: Kinder sind ein „schlechtes Geschäft“, Deutsches Ärzteblatt 101 (2004), A-320. GATTIKER, MONIKA, Das Humanforschungsgesetz (HFG): ein Gesetzesentwurf mit Lücken, Aktuelle Juristische Praxis (2006), 1535–1545, zit.: HFG. GATTIKER, MONIKA, Die Widerrechtlichkeit des ärztlichen Eingriffs nach schweizerischem Zivilrecht, Zürcher Studien zum Privatrecht 150, Zürich 1999, zit.: Ärztlicher Eingriff. GEISER, THOMAS, Einwilligung in die Behandlung insbesondere bei urteilsunfähigen Patienten, St. Gallen 2003, zit.: Einwilligung.
322
Literaturverzeichnis
GEISER, THOMAS, Medizinische Zwangsbehandlung bei psychisch Kranken aus rechtlicher Sicht, recht (2006), 91–101, zit.: Zwangsbehandlung. GRABENWARTER, CHRISTOPH, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Auflage, Mainz 2005. GRABITZ, EBERHARD/HILF, MEINHARD, Das Recht der Europäischen Union, München, Stand Juni 2006. GRAUER, DIETER, Übergang von der (inter-)kantonalen zur eidgenössischen Heilmittelkontrolle, Schweizerische Ärztezeitung 82 (2001), 1324–1328. GROSS, JOST, Haftung des Spitalarztes und des Spitals nach öffentlichem Recht, in: Fellmann, W./Poledna, T. (Hrsg.), Forum Gesundheitsrecht: Die Haftung des Arztes und des Spitals – Fragen und Entwicklungen im Recht der Arzt- und Spitalhaftung 7, Zürich 2003, 35–46. GUILLOD, OLIVIER, Le consentement éclairé du patient – Autodétermination ou paternalisme? Série Juridique 22, Neuchâtel 1986, zit.: consentement. GUILLOD, OLIVIER, Recht, Ethik und Medizin: Harmonie oder Dissonanz? in: Bondolfi, A./Müller, H. (Hrsg.), Medizinische Ethik im ärztlichen Alltag, Basel/Bern 1999, 63–81, zit.: Recht. HAEFLIGER, ARTHUR/SCHÜRMANN, FRANK, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz: Die Bedeutung der Konvention für die schweizerische Rechtspraxis, 2. Auflage, Bern 1999. HAMM, BRIGITTE, Menschenrechte – ein Grundlagenbuch, Opladen 2003. HART, DIETER, Heilversuch, Entwicklung therapeutischer Strategien, klinische Prüfungen und Humanexperiment – Grundsätze ihrer arzneimittel-, arzthaftungs- und berufsrechtlichen Beurteilung, Medizinrecht (1994), 94–105, zit.: Heilversuch. HART, DIETER, Klinische Arzneimittelprüfung, in: Rieger, H.-J. (Hrsg.), Lexikon des Arztrechts 1, Heidelberg 2005, zit.: Arzneimittelprüfung. HAUSHEER, HEINZ/AEBI-MÜLLER, REGINA E., Das Personenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, Bern 2005. HAUSHEER, HEINZ, Landesbericht Schweiz, in: Deutsch, E./Schreiber, H.-L./Spickhoff, A./Taupitz, J. (Hrsg.), Die klinische Prüfung in der Medizin – Europäische Regelwerke auf dem Prüfstand, Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim 17, Berlin et al. 2005, 201–215, zit.: Landesbericht. HAUSHEER, HEINZ, Neuere Entwicklungen zum Persönlichkeitsrecht, in: Bucher, E./Canaris, C.-W./Honsell, H./Koller, T. (Hrsg.), Norm und Wirkung – Beiträge zum Privat- und Wirtschaftsrecht aus heutiger und historischer Perspektive, Festschrift für Wolfgang Wiegand zum 65. Geburtstag, München/Bern 2005, 319–348, zit.: Entwicklungen. HEGNAUER, CYRIL, Grundriss des Kindesrechts und des übrigen Verwandtschaftsrechts, Bern 1999, zit.: Grundriss. HEGNAUER, CYRIL, Kindesrecht – ein weites Feld, Zeitschrift für Vormundschaftswesen 61 (2006), 25–41, zit.: Kindesrecht.
Literaturverzeichnis
323
HENKIN, LOUIS/CRAWFORD PUGH, RICHARD/SCHACHTER, OSCAR/SMIT, HANS, International law: cases and materials, 3. Auflage, St. Paul/Minn 1993. HENTSCHEL, ROLAND, Besonderheiten ethischer Fragestellungen in der Neonatalogie, Ethik in der Medizin 11 (1999), 246–248. HOHERMUTH, MATTHIAS, Zur Frage der Aufklärungspflicht des Arztes bei biomedizinischen Versuchen am Menschen mit Hinweisen auf das amerikanische und deutsche Recht, Zürich, 1979. HONSELL, HEINRICH, Handbuch des Arztrechts, Zürich 1994. HÄNNI, PETER/BELSER, EVA MARIA, Die Rechte der Kinder – zu den Grundrechten Minderjähriger und der Schwierigkeit ihrer rechtlichen Durchsetzung, Aktuelle Juristische Praxis (1998), 139–157. HÄUPL, WALTRAUD, Die ermordeten Kinder vom Spiegelgrund: Gedenkdokumentation für die Opfer der NS-Kindereuthanasie in Wien, Wien/Köln 2006. IMPICCIATORE, PIERO/CHOONARA, IMTI/CLARKSON, AMANDA/PROVASI, DAVIDE/PANDOLFINI, CHIARA/BONATI, MAURIZIO, Incidence of adverse drug reactions in paediaric in/out-patients: a systematic review and meta-analysis of prospective studies, British Journal of Clinical Pharmacology 52 (2001), 77–83. JONG, GEERT W./VULTO, ARNOLD G./DE HOOG, MATTHIJS/SCHIMMEL, KIRSTEN J. M./TIBBOEL, DICK/VAN DEN ANKER, JOHN N., A Survey of the Use of Off-Label and Unlicensed Drugs in a Dutch Children's Hospital, Pediatrics 108 (2001), 1089–1093. JUNOD, VALÉRIE, Clinical drug trials – Studying the safety and efficacy of new pharmaceuticals, Collection Genevoise, Genève/Bruxelles 2005. JÜRGENS, ANDREAS, Fremdnützige Forschung an einwilligungsunfähigen Personen nach deutschem Recht und nach dem Menschenrechtsübereinkommen für Biomedizin, Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (KritV) 81 (1998), 34–51. KIESER, UELI, Heilmittel, in: Poledna, T./Kieser, U. (Hrsg.), Gesundheitsrecht, Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht VII, Basel et al. 2005, 135–190. KLEIST, P./ALTHAUS, B./JAEGER, A./FENNER, M./GRAUER, D., Die (Un-)Abhängigkeit der klinischen Forschung – Was hat sich geändert? Oder: Hat sich etwas geändert? Schweizerische Ärztezeitung 82 (2001), 2346–2350. KLEIST, PETER, Immer noch Waisenkinder in der Medizin, Schweizerische Ärztezeitung 82 (2001), 2221–2229. KLOESEL, ARNO/CYRAN WALTER, Kommentar Arzneimittelrecht, 3. Auflage, Stuttgart, Stand 2006. KNÖPPEL, C./KLINGER, O./SOERGEL, M./SEYBERTH, H.W./LEONHARDT, A., Anwendung von Medikamenten ausserhalb der Zulassung oder ohne Zulassung bei Kindern, Monatsschrift Kinderheilkunde 148 (2000), 904–908. KOCH, HANS-GEORG/SCHAUPP, WATER, Humanexperiment/Heilversuch/Heilbehandlung, in: von Korff, W., Beck, L./Mikat, P. (Hrsg.), Lexikon der Bioethik 2, Gütersloh 1998, 238-246.
324
Literaturverzeichnis
KOPETZKI, CHRISTIAN, Die klinische Arzneimittelprüfung vor dem Hintergrund des Europarechts und des Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin, in: Bernat, E./Kröll, W. (Hrsg.), Recht und Ethik der Arzneimittelforschung, Recht der Medizin 19, Wien 2003, 26–50, zit.: Arzneimittelprüfung. KOPETZKI, CHRISTIAN, Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, in: Kopetzki, C. (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, Schriftenreihe Recht der Medizin 16, Wien 2002, 1–23, zit.: Einwilligung. KRAMER, BIRGIT/HEINEMANN, ANTJE-KATRIN, Arzneimittelforschung für Kinder in Europa – ein Ausblick, Pharma Recht 2006, 22–28. KRÜGER, CARSTEN, Rechtliche Grundlagen der klinischen Prüfung von Arzneimitteln am Menschen, Zeitschrift für klinische Forschung und Recht 1 (2006), 15–30. KUHN, MORITZ, Die rechtliche Beziehung zwischen Arzt und Patient, in: Honsell, H. (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, Zürich 1994, 21–65. KURZ, RONALD, Ethik in der pädiatrischen Forschung, Monatsschrift Kinderheilkunde 151 (2003), 1276–1281. LANDZETTEL, H., J./LANDZETTEL, M., Ethik im pädiatrischen Alltag, Monatsschrift Kinderheilkunde 151 (2003), 1282–1290. LAUFS, ADOLF/UHLENBRUCK, WILHELM, Handbuch des Arztrechts, 3. Auflage, München 2002. LAUFS, ADOLF, Die neue europäische Richtlinie zur Arzneimittelprüfung und das deutsche Recht, Medizinrecht 22 (2004), 583–593, zit.: Richtlinie. LAUFS, ADOLF, Heilversuch, in: Rieger, H.-J. (Hrsg.), Lexikon des Arztrechts 1, Heidelberg 2001, zit.: Heilversuch. LENK, CHRISTIAN/RADENBACH, K./DAHL, MATTHIAS/WIESEMANN, CLAUDIA, Non-therapeutic research with minors: how do chairpersons of German research ethics committees decide? Journal of medical ethics 30 (2004), 85–87. LIESE, PETER, Bessere Arzneimittel für Kinder – Initiative der Europäischen Union, in: Brochhausen, C./Seyberth, H. W. (Hrsg.), Kinder in klinischen Studien – Grenzen medizinischer Machbarkeit? Ethik in der Praxis/Practical Ethics – Kontroversen/Controversies 14, München 2005, 193–197. LIPP, VOLKER, Selbstbestimmung und Humanforschung, in: Brudermüller, G./Hauck, M. E./Lücker, P. W./Seelmann, K./Westhofen, M. (Hrsg.), Forschung am Menschen – Ethische Grenzen, medizinische Machbarkeit, Schriften des Instituts für angewandte Ethik e. V. 5, Würzburg 2005, 187–197. LIPPERT, HANS-DIETER, Die Deklaration von Helsinki ist tot – es lebe die Deklaration von Helsinki, Medizinrecht (2003), 681–683, zit.: Deklaration. LOHAUS, ARNOLD/ALBRECHT, REGINE/SEYBERTH, HANNSJÖRG W., Einwilligungsfähigkeit bei Kindern – Ergebnisse einer empirischen Studie und zukünftige Forschungsperspektiven, Monatsschrift Kinderheilkunde 150 (2002), 1502–1507. LÜSCHER, THOMAS F., „Conflict of interest“ oder Interesse am Konflikt? – Vom Umgang mit Erkenntis und Interesse in der Medizin, Schweizerische Ärztezeitung 82 (2001), 2137–2144.
Literaturverzeichnis
325
MADER, LUZIUS, Kommentar zu Art. 118 BV, in: Ehrenzeller, B./Mastronardi, Ph./Schweizer, Rainer J./Vallender, K. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung – St. Galler Kommentar, Lachen/Zürich 2002, 1206–1210. MAGNUS, DOROTHEA, Medizinische Forschung an Kindern – rechtliche, ethische und rechtsvergleichende Aspekte der Arzneimittelforschung an Kindern, Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 170, Tübingen 2006. MAIO, GIOVANNI, Das Kind als Forschungsobjekt? Ethische Überlegungen zur fremdnützigen Forschung mit Kindern, Neue Zürcher Zeitung 12./13. August 2006, 67, zit.: Forschungsobjekt. MAIO, GIOVANNI, Die ethische Problematik der placebokontrollierten Studie, Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 6 (2001), 259–267, zit.: ethische Problematik. MAIO, GIOVANNI, Ethik der Forschung am Menschen – zur Begründung der Moral in ihrer historischen Bedingtheit, Medizin und Philosophie 6, Oxford et al. 2002, zit.: Ethik. MAIO, GIOVANNI, Ethik und Theorie des „minimalen Risikos“ in der medizinischen Forschung, Zentrum für Medizinische Ethik – medizinische Materialien 127, Bochum 2000, zit.: minimales Risiko. MAIO, GIOVANNI, Philosophische Überlegungen zur Forschung am Menschen mit besonderer Berücksichtigung der Forschung an nicht einwilligungsfähigen Personen, in: Wiesing, U./Simon, A./von Engelhardt, D. (Hrsg.), Medizinethik – Jahrbuch des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland 13, Stuttgart et al. 2000, 40–70, zit.: Forschung. MAIO, GIOVANNI, Zum Nutzen des Patienten – ethische Überlegungen zur Differenzierung von therapeutischen und nicht therapeutischen Studien, Deutsches Ärzteblatt 97 (2000), A-3242, zit.: Überlegungen. MAIO, GIOVANNI, Zur Ethik der fremdnützigen Forschung an Kindern, Zeitschrift für medizinische Ethik 47 (2001), 173–187, zit.: fremdnützige Forschung. MANAÏ, DOMINIQUE, Les droits du patient face à la biomédecine, Collection Genevoise, Bern 2006. MASON, ELISABETH A., The Best Interests of the Child, Ardsley 2006. MASTRONARDI, PHILIPPE, Kommentar zu Art. 7 BV, in: Ehrenzeller, B./Mastronardi, Ph./Schweizer, Rainer J./Vallender, K. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung – St. Galler Kommentar, Lachen/Zürich 2002, 77–90. MEIER-ABT, PETER J., Klinische Prüfung von Arzneimitteln, in: Honsell, H. (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, Zürich 1994, 363–373, zit.: Arzneimittel. MEIER-SCHATZ, CHRISTIAN, Über Entwicklung, Inhalt und Strukturelemente des Kindesrechts – eine Gegenüberstellung von Schweizer Recht und UNO-Konvention, Aktuelle Juristische Praxis (1993), 1035–1051. MERKEL, REINHARD, Nicht therapeutische klinische Studien an Einwilligungsunfähigen: Rechtsethisch legitim oder verboten? in: Bernat, E./Kröll, W. (Hrsg.), Recht und Ethik der Arzneimittelforschung, Schriftenreihe Recht der Medizin 19, Wien 2003, 171–205, zit.: Studien.
326
Literaturverzeichnis
MEYER, CHRISTOPH/HAFNER, FELIX, Kommentar zu Art. 20 BV, in: Ehrenzeller, B./Mastronardi, Ph./Schweizer, Rainer J./Vallender, K. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung – St. Galler Kommentar, Lachen/Zürich 2002, 282–287. MIETH, DIETMAR, Klinische Versuche an Kindern – ethische Aspekte, in: Brochhausen, C./Seyberth, H. W. (Hrsg.), Kinder in klinischen Studien – Grenzen medizinischer Machbarkeit? Ethik in der Praxis/Practical Ethics Kontroversen/Controversies 14, Münster 2005, 67–73. MONTGOMERY, JONATHAN, Informed consent and clinical research with children, in: Doyal, L./Tobias, J. S. (Hrsg.), Informed Consent in Medical Research, London 2001, 173–181. MÅRTENSON, JAN, The Preamble of the Universal Declaration of Human Rights and the UN Human Rights Programme, in: Eide A. (Hrsg.), The Universal Declaration of Human Rights: A Commentary, Oslo 1992, 17–29. MÉROZ, JEAN-CHRISTOPHE, Directives ICH et recommandations PIC: quelle force obligatoire pour la Suisse? Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht 107 (2006), 639–650. MÜHLBAUER, B., Unabhängige klinische Forschung im Kindesalter und die 12. AMG-Novelle – grundsätzlich möglich, aber faktisch nicht mehr durchführbar, Monatsschrift Kinderheilkunde 152 (2004), 321–325. MÜLLER, JÖRG PAUL, Grundrechte in der Schweiz, 3. Auflage, Bern 1999. MÜLLER-TERPITZ, RALF, Das Recht der Biomedizin – Textsammlung mit Einführung, Berlin et al. 2006. MÜLLER, JÖRG PAUL/WILDHABER, LUZIUS, Praxis des Völkerrechts, 3. Auflage, Bern 2001. NIETHAMMER, DIETRICH, Soll man mit schwerkranken Kindern über den Tod reden? Zeitschrift für medizinische Ethik 51 (2005), 115–128, zit.: Tod. NOWAK, MANFRED, Commentary on the United Nations Convention on the Rights of the Child, Article 6 The Right to Life, Survival and Development, Dordrecht et al. 2006, zit: Child. NOWAK, MANFRED, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll: CCPR-Kommentar, Kehl am Rhein et al. 1989, zit: UNO-Pakt II. O'DONNELL, COLM P. F./STONE, ROBYN J./MORLEY, COLIN J., Unlicensed and off-label drug use in an Australian neonatal intensive care unit, Pediatrics 110 (2005), 52–56. OTT, HANS, Ärztliches Berufsrecht, in: Honsell, H. (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, Zürich 1994, 215–277. PAYLLIER, PASCAL, Rechtsprobleme der ärztlichen Aufklärung – unter besonderer Berücksichtigung der spitalärztlichen Aufklärung, Zürcher Studien zum Privatrecht 145, Zürich 1999. PESTALOZZA, CHRISTIAN, Risiken und Nebenwirkungen: Die Klinische Prüfung von Arzneimitteln am Menschen nach der 12. AMG-Novelle, Neue Juristische Wochenschrift 57 (2004), 3374–3379. PETERMANN, FRANK, Rechtliche Betrachtungen zum Off-Label Use von Pharmazeutika, Health Insurance Liability Law (HILL) (2007). POLEDNA, TOMAS/BERGER, BRIGITTE, Öffentliches Gesundheitsrecht, Bern 2002.
Literaturverzeichnis
327
PSCHYREMBEL, Klinisches Wörterbuch, 259. Auflage, Berlin/New York 2002. QUAAS, MICHAEL/ZUCK, RÜDIGER, Medizinrecht, Schriftenreihe der Neuen Juristischen Wochenschrift 72, München 2005. RADENBACH, KATHRIN ELISABETH, Gruppennützige Forschung an Kindern und Jugendlichen – ihre ethische und rechtliche Zulässigkeit unter besonderer Berücksichtigung der Bewertung von Vorsitzenden deutscher Ethikkommissionen, elektronische Diss. Göttingen 2006. RATZEL, RUDOLF/LIPPERT, HANS-DIETER, Kommentar zur Musterberufsordnung der deutschen Ärzte (MBO), 4. Auflage, Berlin et al. 2006. REHBERG, JÖRG, Arzt und Strafrecht, in: Honsell, H. (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, Zürich 1994, 303–361. RESCH, REINHARD, Die Fähigkeit zur Einwilligung – zivilrechtliche Fragen, in: Kopetzki, C. (Hrsg.), Einwilligung und Einwilligungsfähigkeit, Schriftenreihe Recht der Medizin 16, Athen 2002, 38–53. REUSSER, RUTH/LÜSCHER, KURT, Kommentar zu Art. 11 BV, in: Ehrenzeller, B./Mastronardi, Ph./Schweizer, Rainer J./Vallender, K. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung – St. Galler Kommentar, Lachen/Zürich 2002, 164–178. REUSSER, RUTH/SCHWEIZER, RAINER J., Kommentar zu Art. 119 BV, in: Ehrenzeller, B./Mastronardi, Ph./Schweizer, Rainer J./Vallender, K. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung – St. Galler Kommentar, Lachen/Zürich 2002, 1211–1229. REUSSER, RUTH, Das Konzept des Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin, in: Taupitz, J. (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates – taugliches Vorbild für eine weltweit geltende Regelung? Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim 7, Berlin et al. 2002, 49–62, zit.: Konzept. REUSSER, RUTH, Soll die Bundesverfassung „Zwangsversuche“ mit Urteilsunfähigen regeln? in: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamtes für Justiz, Schriftenleiter: B. Schindler (Hrsg.), Aus der Werkstatt des Rechts: Festschrift zum 65. Geburtstag von Heinrich Koller, Basel et al. 2006, 37–49, zit.: Zwangsversuche. REVAZ, CHRIS. R., An Introduction to the U.N. Convention on the Rights of the Child, in: Todres, J./Wojcik, M. E./Revaz, C. R. (Hrsg.), The U.N. Convention on the Rights of the Child – An Analysis of Treaty Provisions and Implications of U.S. Ratification, Ardsley 2006, 9–18. RICHLI, PAUL, Instrumente des Gesundheits- und Lebensschutzes im neuen Heilmittelgesetz vor dem Hintergrund der Grundrechte, Aktuelle Juristische Praxis (2002), 340–355, zit.: Instrumente. RIEDER, HEIKE, Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht eine Auseinandersetzung mit dem Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen im medizinischen Bereich, Gesundheitsrecht und Bioethik, Basel/Genf/München 2006. RIEGER, HANS-JÜRGEN, Lexikon des Arztrechts, Berlin/New York 1984.
328
Literaturverzeichnis
RIXEN, STEPHAN, Das todkranke Kind zwischen Eltern und Arzt – ein Überblick über die rechtliche Problematik der Therapie lebensbedrohlicher Erkrankungen nichteinwilligungsfähiger Minderjähriger, Medizinrecht 15 (1997), 351–355. ROGGO, ANTOINE, Aufklärung des Patienten – eine ärztliche Informationspflicht, Abhandlungen zum schweizerischen Recht 663, Bern 2002. ROSENAU, HENNING, Legal Prerequisites for Clinical Trials under the Revised Declaration of Helsinki and the European Convention on Human Rights and Biomedicine, European Journal of Health Law 7 (2000), 105–121. ROTHÄRMEL, SONJA, Die Einwilligungsfähigkeit – ein janusköpfiges Institut, in: Fegert, J. M./Hässler, F./Rothärmel, S. (Hrsg.), Atypische Neuroleptika in der Jugendpsychiatrie, Stuttgart et al. 1999, 31–46, zit.: Einwilligungsfähigkeit. ROTHÄRMEL, SONJA, Einwilligung, Veto, Mitbestimmung – die Geltung der Patientenrechte für Minderjährige, Giessener Schriften zum Strafrecht und zur Kriminologie 9, BadenBaden 2004, zit.: Einwilligung. RUCH, ALEXANDER, Klinische Versuche mit Arzneimitteln: Begriffe und Abgrenzungen, Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht 107 (2006), 617–638. RUCKSTUHL, NIKLAUS, Art. 321bis StGB: Das Berufsgeheimnis in der medizinischen Forschung, Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Reiche C: Strafrecht 11, Basel/Genf/München 1999. RUTISHAUSER, CHRISTOPH, Altersangemessener Umgang mit jugendlichen Patienten im Widerspruch zu rechtlichen Aspekten? Paediatrica 17 (2006), 28–30. RYAN, ANN E., Protecting the rights of pediatric research subjects in the International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use, Fordham international law journal 23 (2000), 848–934. RÜETSCHI, DAVID, Die medizinisch-ethischen Richtlinien der SAMW aus juristischer Sicht, HILL (2004), Fachartikel Nr. 8. SANDER, Arzneimittelrecht – Kommentar für die juristische und pharmazeutische Praxis zum Arzneimittelgesetz mit Hinweisen zum Medizinprodukte- und zum Betäubungsmittelgesetz, Stand August 2006. SCHIRM, ERIC/TOBI, HILDE/DE JONG-VAN DEN BERG, T.W., Risk Factors for Unlicensed and Off-Label Drug Use in Children Outside the Hospital, Pediatrics 111 (2003), 291–295. SCHROEDER-KURTH, TRAUTE M., Die Krankheitsursachenforschung bei der Fanconi-Anämie – ein Beispiel für nicht therapeutische Forschung mit Kindern, in: Wiesemann, C./Dörries, A./Wolfslast, G./Simon, A. (Hrsg.), Das Kind als Patient – ethische Konflikte zwischen Kindeswohl und Kindeswille, Kultur der Medizin: Geschichte – Theorie – Ethik 7, Frankfurt am Main et al. 2003, 281–301. SCHWANDER, VERENA, Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit – im Spannungsfeld rechtlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen, Bern/Stuttgart/Wien 2002, zit.: Wissenschaftsfreiheit. SCHWANDER, VERENA, Medizinische Forschung am Menschen zwischen Wissenschaftsfreiheit und Persönlichkeitsschutz. Zur Rechtslage in der Schweiz, in: Brudermüller, G./Hauck, M. E./Lücker, P. W./Seelmann, K./Westhofen, M. (Hrsg.), Forschung am Menschen: Ethische Grenzen medizinischer Machbarkeit, Schriften des Instituts für an-
Literaturverzeichnis
329
gewandte Ethik e.V. 5, Würzburg 2005, 57–76, zit.: Forschung. SCHWARZ, JOACHIM A., Leitfaden Klinische Prüfungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten, 3. Auflage, Aulendorf 2005. SCHWEIZER, RAINER J./SCHOTT, MARKUS, Kommentar zu Art. 119a BV, in: Ehrenzeller, B./Mastronardi, Ph./Schweizer, Rainer J./Vallender, K. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung – St. Galler Kommentar, Lachen/Zürich 2002, 1230–1239. SCHWEIZER, RAINER J./SPRECHER, FRANZISKA, Menschenwürde im Völkerrecht, in: Seelmann, K. (Hrsg.), Menschenwürde als Rechtsbegriff, ARSP-Beiheft 10, Stuttgart 2004, 127–161. SCHWEIZER, RAINER J., Kommentar zu Art. 10 BV, in: Ehrenzeller, B./Mastronardi, Ph./Schweizer, Rainer J./Vallender, K. (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung – St. Galler Kommentar, Lachen/Zürich 2002, 148–163, zit.: Art. 10 BV. SCHWEIZER, RAINER J., Recht der Forschungen im Gesundheitsbereich, in: Poledna, T./Kieser, U. (Hrsg.), Gesundheitsrecht, Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht VIII, Basel et al. 2005, 375–417, zit.: Recht und Forschung. SCHWEIZER, RAINER J., Verfassungs- und völkerrechtliche Vorgaben für den Umgang mit Embryonen, Föten sowie Zellen und Geweben – Gutachten zu Handen des Bundesamtes für Gesundheit, Zürich 2002. SCHWEIZERISCHE KANTONSAPOTHEKERVEREINIGUNG UND SWISSMEDIC, Ausführungen betreffend den Einsatz von Arzneimitteln im Sinne des off-label use, Basel, 24. Juli 2006. SCHWENZER, INGEBORG, Die UN-Kinderrechtskonvention und das schweizerische Kindesrecht, Aktuelle Juristische Praxis (1994), 817–824, zit.: Kinderrechtskonvention. SCHWENZER, INGEBORG, Gesetzliche Vertretungsmacht der Eltern für unmündige Kinder – Notwendigkeit oder Relikt patriarchalischer Familienstruktur? in: Gauch, P./Schmid, J./Steinauer, P.-H./Tercier, P./Werro, F. (Hrsg.), Familie und Recht – Festgabe der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg für Bernhard Schnyder zum 65. Geburtstag, Fribourg 1995, 679–696, zit.: Vertretungsmacht. SEYBERTH, HANNSJÖRG W./BROCHHAUSEN, CHRISTOPH/KURZ, RONALD, Probleme der pädiatrischen Pharmakotherapie und deren internationale Lösungsansätze, Monatsschrift Kinderheilkunde (2002), 218–225. SEYBERTH, HANNSJÖRG W., Pharmakologische Besonderheiten im Kindes- und Jugendalter, in: Brochhausen, C./Seyberth, H. W. (Hrsg.), Kinder in klinischen Studien – Grenzen medizinischer Machbarkeit? Ethik in der Praxis/Practical Ethics – Kontroversen/Controversies 14, Münster 2005, 37–50. SHIRKEY, HARRY, Therapeutic orphans, The Journal of Pediatrics 72 (1968), 119–120. SIEBER, HANNE, Unmöglich? Einzelzimmer auf der Neonatologischen Intensivmedizin, Kind & Spital (2006), 12–14. SPANGLER, GOTTFRIED, Einwilligung bei Kindern aus Sicht der kognitiven Entwicklung, in: Brochhausen, C./Seyberth, H. W. (Hrsg.), Kinder in klinischen Studien – Grenzen medizinischer Machbarkeit? Ethik in der Praxis/Practical Ethics – Kontroversen/Controversies 14, Münster 2005, 145–163.
330
Literaturverzeichnis
SPRECHER, FRANZISKA, Die Stellung des Kindes in der EMRK, in: Sutter, P./Zelger, U. (Hrsg.), 30 Jahre EMRK-Beitritt der Schweiz: Erfahrungen und Perspektiven, St. Galler Schriften zur Rechtswissenschaft 9, Bern 2005, 289–308, zit.: EMRK. SPRECHER, FRANZISKA, Medizinische Forschung mi Kindern – eine vergleichende Darstellung der Rechtslage in der Schweiz, Deutschland und Österreich unter Berücksichtigung der Biomedizinkonvention des Europarates und der Arzneimittelrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft, in: Dumjovits, E./Eberhard, H./Eisenberger, I./Ennöckl, D./Lachmayer, K./Stöger, K. (Hrsg.), Recht und Medizin – Tagungsband der 46. Assistententagung Öffentliches Recht, Baden-Baden 2006, 147–169, zit.: Forschung. SPRUMONT, D./BÉGUIN, M.-L., La nouvelle réglementation des essais cliniques de médicaments, Schweizerische Ärztezeitung 83 (2002), 894–906. SPRUMONT, DOMINIQUE, La protection de la personne dans le domaine de la recherche médicale, Rapports suisses présentés au XVème Congrès international de droit comparé, Zürich 1998, 443–478, zit.: protection. SPRUMONT, DOMINIQUE, La protection des sujets de recherche notamment dans le domaine biomédical, Bern 1993. STAMER, KATRIN, Die Ethik-Kommissionen in Baden-Württemberg: Verfassung und Verfahren, Europäische Hochschulschriften, Reihe II Rechtswissenschaft 2529, Frankfurt a.M. et al. 1998. STEFFEN, GABRIELLE/GUILLOD, OLIVIER, CH – Landesbericht Schweiz, in: Taupitz, J. (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates – taugliches Vorbild für eine weltweit geltende Regelung? Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim 7, Berlin et al. 2002, 351–394. STEIN, TORSTEN/VON BUTTLAR CHRISTIAN, Völkerrecht, 11. Auflage, Köln et al. 2005. STERN, KLAUS, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/1, Allgemeine Lehren der Grundrechte, München 1988. STREBEL, URS, Interessenkonflikte in der klinischen Forschung, Schweizerische Ärztezeitung 83 (2001), 1781–1785. STUHLINGER, MONIKA, Das Kindeswohl als zentrale ethische Norm in der Pädiatrie, Zeitschrift für medizinische Ethik 51 (2005), 153–164. SZAJ, CHRISTINE M., The Right of the Child to be heard, in: Todres, J./Wojcik, M. E./Revaz, C. R. (Hrsg.), The U.N. Convention on the Rights of the Child – An Analysis of Treaty Provisions and Implications of U.S. Ratification, Ardsley 2006, 127–141. TAUPITZ, JOCHEN/BREWE, MANUELA/SCHELLING, HOLGER, Landesbericht Deutschland, in: Taupitz, J. (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates – taugliches Vorbild für eine weltweit geltende Regelung? Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim 7, Berlin et al. 2002, 409–485.
Literaturverzeichnis
331
TAUPITZ, JOCHEN, Biomedizinische Forschung zwischen Freiheit und Verantwortung – der Entwurf eines Zusatzprotokolls über biomedizinische Forschung zum Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universität Heidelberg und Mannheim 8, Berlin et al. 2002, zit.: Biomedizinische Forschung. TAUPITZ, JOCHEN, Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates – taugliches Vorbild für eine weltweit geltende Regelung? Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim 7, Berlin et al. 2002, zit.: Vorbild. TAUPITZ, JOCHEN, Die Neufassung der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes vom Oktober 2000, Medizinrecht (2001), 277–286, zit.: Neufassung. TAUPITZ, JOCHEN, Die neue Deklaration von Helsinki – Vergleich mit der bisherigen Fassung, Deutsches Ärzteblatt 98 (2001), A2413–A2420, zit.: Deklaration. TAUPITZ, JOCHEN, Einführung in die Thematik: Die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin zwischen Kritik und Zustimmung, in: Taupitz, J. (Hrsg.), Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates – taugliches Vorbild für eine weltweit geltende Regelung? Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim 7, Berlin et al. 2002, 1–12, zit.: Einführung. TAUPITZ, JOCHEN, Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens? Gutachten A für den 63. Deutschen Juristentag, München 2000, zit.: Regelungen. TAUPITZ, JOCHEN, Forschung an nicht einwilligungsfähigen Patienten, in: Brudermüller, G./Hauck, M. E./Lücker, P. W./Seelmann, K./Westhofen, M. (Hrsg.), Forschung am Menschen – Ethische Grenzen, medizinische Machbarkeit, Schriften des Instituts für angewandte Ethik e. V. 5, Würzburg 2005, 123–136, zit.: Patienten. TAUPITZ, JOCHEN, Forschung mit Kindern, Juristen Zeitung 58 (2003), 109–160, zit.: Kinder. TAUPITZ, JOCHEN, Internationale Regeln zur medizinischen Forschung an Minderjährigen, in: Fegert, J. M./Hässler, F./Rothärmel, S. (Hrsg.), Atypische Neuroleptika in der Jugendpsychiatrie, Stuttgart et al. 1999, 47–68, zit.: Regeln. TAUPITZ, JOCHEN, Landesbericht Deutschland, in: Deutsch, E./Schreiber, H.-L-/Spickhoff, A./Taupitz, J. (Hrsg.), Die klinische Prüfung in der Medizin – europäische Regelungswerke auf dem Prüfstand, Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim 17, Berlin et al. 2005, 139–173, zit.: Landesbericht 2005. TAUPITZ, JOCHEN, Schutzmechanismen zugunsten des Probanden und Patienten in der klinischen Forschung, in: Lippert, H.-D./Eisenmenger, W. (Hrsg.), Forschung am Menschen. Der Schutz des Menschen – die Freiheit des Forschers, Schriftenreihe Medizinrecht, Berlin et al. 1999, 13–32, zit.: Schutzmechanismen.
332
Literaturverzeichnis
TODRES, JONATHAN, The Right to Health under the U.N. Convention on the Rights of the Child, in: Todres, J./Wojcik, M. E./Revaz, C. R. (Hrsg.), The U.N. Convention on the Rights of the Child – An Analysis of Treaty Provisions and Implications of U.S. Ratification, Ardsley 2006, 221–235. TURNER, SEAN/LONGWORTH, ALEXANDRA/NUNN, ANTHONY J./CHOONARA, IMTI, Adverse drug reactions to unlicensed and off-label drug on paediatric wards: a prospective study, Acta Paediatrica 88 (1999), 965–968, zit.: reaction. TURNER, SEAN/LONGWORTH, ALEXANDRA/NUNN, ANTHONY J./CHOONARA, IMTI, Unlicensed and off-label drug use in paediatric wards: prospective study, British Medical Journal 316 (1998), 343–345, zit.: drug use. UDE-KOELLER, SUSANNE/WIESEMANN, CLAUDIA, Ethik und Informed Consent – Empfehlungen für die Behandlung intersexueller Kinder und Jugendlicher, Kinderärztliche Praxis 67 (2005), 305–310. VAN BUEREN, GERALDINE, The international law on the rights of the child, International Studies in Human Rights 35, Dordrecht et al. 1995, zit.: International Law. VAN STUIJVENBERG, MARGRIET/SUUR, MARJA H./DE VOS, SANDRA/TJIANG, GILBERT C. H./STEYERBERG, EWOUT W./DERKSEN-LUBSEN, GERARDA/MOLL, HENRIËTTE A., Infor-
med consent, parental awareness, and reasons for participating in a randomised controlled study, Archives of Disease in Childhood 79 (1998), 120–125. VATERLAUS, STEPHAN/TELSER, HARRY/SUTER, STEPHAN, Die Bedetung der Pharmaindustrie für die Schweiz, Studie von Plaut Economics unter Mitarbeit von BAK Basel Economics im Auftrag von Interpharma, Regensorf/Basel 2005. VILLIGER, MARK E., Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK): unter besonderer Berücksichtigung der schweizerischen Rechtslage, 2. Auflage, Zürich 1999. VOLKERS, P./POLEY-OCHMANN, S./NÜBLING, M., Regulatorische Aspekte klinischer Prüfung unter besonderer Berücksichtigung biologischer Arzneimittel, Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 48 (2005), 408–414. VOLLMANN, JOCHEN, „Therapeutische“ versus „nicht therapeutische“ Forschung – eine medizinethische plausible Differenzierung? Ethik in der Medizin 12 (2000), 65–74, zit.: Forschung. VOLLMANN, JOCHEN, Konzeptionelle und methodische Fragen bei der Feststellung der Einwilligungsfähigkeit bei Kindern, Das Kind als Patient, Ethische Konflikte zwischen Kindeswohl und Kindeswille, Kultur der Medizin: Geschichte – Theorie – Ethik 7, Frankfurt am Main et al. 2003, 48–57, zit.: Einwilligungsfähigkeit. VON DER GROEBEN, HANS/SCHWARZE, JÜRGEN, Kommentar
zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Auflage, BadenBaden 2003.
WACHENHAUSEN, HEIKE, Medizinische Versuche und klinische Prüfung an Einwilligungsunfähigen, Recht & Medizin 49, Frankfurt am Main et al. 2001. WEISSTUB, DAVID, N./VERDUN-JONES, SIMON, N./WALKER, JANET, Biomedical Experimentation with Children: Balancing the need for protective measures with the need to respect children's developing ability to make significant life decisions for themselves, in: Weisstub, D. N. (Hrsg.), Research on Human Subjects, Oxford 1998, 380–404.
Literaturverzeichnis
333
WENDEHORST, CHRISTIANE C., Ärztliche Schweigepflicht bei Kindern und Jugendlichen, in: Wiesemann, C./Dörries, A./Wolfslast, G./Simon, A. (Hrsg.), Das Kind als Patient, ethische Konflikte zwischen Kindeswohl und Kindeswille, Kultur der Medizin: Geschichte – Theorie – Ethik 7, Frankfurt am Main et al. 2003, 72–91. WIEGAND, WOLFGANG, Die Aufklärung bei medizinischer Behandlung – eine Standortbestimmung anlässlich der neuesten bundesgerichtlichen Rechtsprechung, recht (1993), 149–159, zit.: Standortbestimmung. WIEGAND, WOLFGANG, Die Aufklärungspflicht und die Folgen ihrer Verletzung, in: Honsell, H. (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, Zürich 1994, 119–210, zit.: Aufklärungspflicht. WIESEMANN, CLAUDIA/DAHL, MATTHIAS, Forschung mit Kindern und Jugendlichen: Ist eine neue rechtliche Regelung notwendig?, in: Wiesemann, C./Dörries, A./Wolfslast, G./Simon, A. (Hrsg.), Das Kind als Patient – ethische Konflikte zwischen Kindeswohl und Kindeswille, Kultur der Medizin: Geschichte – Theorie – Ethik 7, Frankfurt am Main et al. 2003, 264–280. WIESEMANN, CLAUDIA, Die ethische Bewertung fremdnütziger Forschung in der Kinderund Jugendmedizin, in: Wiesing, U./Simon, A./von Engelhardt, D. (Hrsg.), Ethik in der medizinischen Forschung, Medizinethik – Jahrbuch des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland 13, Stuttgart et al. 2000, 71-81, zit.: Bewertung. WIESEMANN, CLAUDIA, Ethische Probleme und rechtliche Regelung der Forschung an Kindern und Jugendlichen, Zeitschrift für medizinische Ethik 51 (2005), 129–138, zit.: Ethische Probleme. WILDHABER, ISABELLE, Landesbericht Schweiz, in: Deutsch, E./Taupitz, J. (Hrsg.), Forschungsfreiheit und Forschungskontrolle in der Medizin – zur geplanten Revision der Deklaration von Helsinki, Veröffentlichungen des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim 2, Berlin et al. 2002, 185–207. WILSON, JOHN T., An Update on the Therapeutic Orphan, Pediatrics 104 (1999), 585–590. WOLFSLAST, GABRIELE, Einwilligungsfähigkeit im Lichte der Bioethik-Konvention, Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (KritV) 81 (1998), 74–87. WOODHOUSE, BARBARA B., The Familiy-Support Nature of the U.N. Convention on the Rights of the Child, in: Todres, J./Wojcik, M. E./Revaz, C. R. (Hrsg.), The U.N. Convention on the Rights of the Child – An Analysis of Treaty Provisions and Implications of U.S. Ratification, Ardsley 2006, 37–49. WYTTENBACH, JUDITH, Grund- und Menschenrechtskonflikte zwischen Eltern, Kind und Staat – Schutzpflichten des Staates gegenüber Kindern und Jugendlichen aus dem internationalen Menschenrechtsschutz und der Bundesverfassung (Art. 11 BV), Neue Literatur zum Recht, Basel et al. 2006. WÖLK, FLORIAN, „Off-label-use“ in der ambulanten Versorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung – Öffnung der GKV für individuelle Heilversuche?! Zeitschrift für das gesamte Medizin- und Gesundheitsrecht 2006, 3–11, zit.: off-label use.
334
Literaturverzeichnis
WÖLK, FLORIAN, Der minderjährige Patient in der ärztlichen Behandlung – Bedinungen für die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts von Minderjährigen bei medizinischen Eingriffen, Medizinrecht 19 (2001), 80–89, zit.: minderjähriger Patient.
Sachverzeichnis
A Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 88 Aufklärung 210 – Eingriffe zu Forschungszwecken 226 – Eingriffsaufklärung 212 – Form der Aufklärung 215 – Parteien der Aufklärung 217 – Sicherungsaufklärung 213 – wirtschaftliche Aufklärung 213 – Zeitpunkt der Aufklärung 214 B Biomedizinkonvention 27, 37, 86, 103, 188, 229, 231, 288, 289, 295, 301 – Forschungsprotokoll 103, 229, 288, 295 Bundesverfassung 126 – Art. 10 BV 127 – Art. 11 BV 159 – Art. 7 BV 126 C CIOMS-Guidelines 27, 40, 107, 229, 297 D Deutschland 181 – 12. AMG-Novelle 113, 184, 185, 186, 293 – Arzneimittelgesetz 182, 229, 230, 287, 292, 293, 299, 302 – Grundgesetz 183 – Medizinproduktegesetz 182, 189, 192 – Röntgenverordnung 182, 190 – Strahlenschutzverordnung 182, 190 – Transfusionsgesetz 182
E Einwilligung 223 – Eingriffe zu Forschungszwecken 226 – Form der Einwilligung 225 – Zeitpunkt der Einwilligung 224 Ethikkommission 39, 60, 105, 137, 153, 197, 226, 290 Europäische Gemeinschaft – Arzneimittelrichtlinie 38, 64, 116, 184, 187, 188, 288, 295 – Kinderarzneimittelverordnung 119 – Orphan-drugs-Verordnung 122 Europäische Menschenrechtskonvention 91 Europäischen Gemeinschaft 115 F Forschung – Forschung, Begriff 25 – Kriterium des Nutzens 48, 51, 73 – nicht therapeutische Forschung 48, 49, 71, 280 – therapeutische Forschung 48, 49, 71, 280 G Gruppennutzen 50, 189, 286, 289 H Heilbehandlung, Begriff 42 Heilmittelgesetz 126, 130, 192, 230, 285 – Forschung mit Minderjährigen 162, 285, 290, 298, 301 – Forschung mit Versuchspersonen 135, 209, 227 – Verordnung über klinische Versuche mit Heilmitteln 131, 135 Heilversuch, Begriff 45 Helsinki Deklaration 100
336
Sachverzeichnis
Humanexperiment, Begriff 47 I ICH-Guidelines 111 – Clinical Investigation of Medical Products in the Pediatric Population (ICH-Guideline E11) 113 – Guideline for Good Clinical Practice (ICH-GCP) 112, 114, 133, 229, 231 – ICH-Guideline E11 40, 297 informed consent 202, 224, 232, 235, 236 K Kantonale Regelungen 138 – Aargau 140 – Appenzell Außerrhoden 141, 256, 273 – Appenzell Innerrhoden 139 – Appenzell-Außerrhoden 251 – Basel-Landschaft 141 – Basel-Stadt 141 – Bern 142 – Freiburg 142, 168, 213, 215, 227, 230, 254 – Genf 144, 227, 230, 283 – Glarus 146 – Graubünden 146 – Jura 146, 214, 215, 254 – Luzern 147, 230, 251 – Neuenburg 148, 171, 228, 230 – Nidwalden 139 – Obwalden 148 – Schaffhausen 148, 172 – Schwyz 140 – Solothurn 149 – St. Gallen 149 – Tessin 150, 171 – Thurgau 150 – Uri 140 – Waadt 151, 168, 170 – Wallis 151, 273 – Zug 140 – Zürich 152 Kantonale Regelungen zur Forschung mit Minderjährigen 167 Kinderrechtskonvention 93 – Art. 12 KRK 97, 296 – Art. 24 KRK 95 Kindesrecht – elterliche Sorge 18, 237, 240
–
Handlungsunfähigkeit Minderjähriger 20, 244 – Minderjährigkeit 1, 237 – Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung 249 – Rechtsstellung Minderjähriger 18, 19, 236 – Sorgeberechtigte 20, 237 Kindeswohl 91, 93, 94, 108, 161, 264, 266, 267 Klinische Studien – Arzneimittelstudien 57, 58 – Cross-over-Verfahren 56 – Goldstandard 57 – kontrollierte Studie 54 – Multizenterstudien 56 – nicht interventionelle Studien 63 – Placebo 55 – Prüfungsphasen 59 – randomisierte klinische Studie 55 – Therapieoptimierungsstudien 66 – Verblindung 56 M Medizinische Forschung mit Kindern und Jugendlichen 66, 68, 71, 74, 77, 279 Medizinische Forschung mit Versuchspersonen – Aufklärung und Einwilligung 226 – Finanzielle Anreize in der medizinischen Forschung 36 – Heilversuch 45 – Humanexperiment 47 – nicht therapeutische Forschung 49 – Perspektiven der Humanforschung 32 – therapeutische Forschung 49 N Nürnberger Kodex 84 O off-label use 4, 7, 8, 68, 214, 253 orphan diseases 3, 7, 11, 75, 122, 166 orphan drug 11, 122, 166 P Patientenverfügung 207, 219, 220, 221, 222
Literaturverzeichnis Persönlichkeitsrecht – Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Behandlung 249 – Persönlichkeitsrechte von Patienten 199 Persönlichkeitsrechte Minderjähriger in der medizinischen Forschung 279 R Recht der Europäischen Gemeinschaft – Arzneimittelrichtlinie 117 – Kinderarzneimittelverordnung 119 Revision des schweizerischen Vormundschaftsrechts 247 S SAMW 155 – Forschungsrichtlinie 156, 172, 228, 288, 291 Schweiz – Entwurf Art. 118a BV 174 – Entwurf Bundesgesetz zur Humanforschung 174 – Gesetzgebung des Bundes 129
337
–
Rechtsgrundlagen der Humanforschung 124 – Regelungen zur Forschung mit Minderjährigen 159 – Revision des Vormundschaftsrechts 207 Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission zur Forschung mit Minderjährigen 48, 190, 294 Swissmedic 64, 69, 113, 133, 137, 165 T therapeutische Waisen 8 U Universal Declaration on Bioethics and Human Rights 110 unlicensed use 4, 7, 8, 68 UN-Pakt I 88 UN-Pakt II 90 Urteilsfähigkeit 256, 261, 263, 270 – Urteilsfähigkeit im medizinischen Kontext 256, 257, 258, 259 V Versuchspersonen, Begriff 29