Michael Jäckel Medienwirkungen
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Michael Jäckel Medienwirkungen
Studienbücher zur Kommunikations- und Medienwissenschaft Herausgegeben von Günter Bentele, Hans-Bernd Brosius, Otfried Jarren
Herausgeber und Verlag streben mit der Reihe „Studienbücher zur Kommunikationsund Medienwissenschaft“ an, das Fachgebiet Kommunikationswissenschaft als Ganzes wie die relevanten Teil- und Forschungsgebiete darzustellen. Die vielfältigen Forschungsergebnisse der noch jungen Disziplin Kommunikationswissenschaft werden systematisch präsentiert, in Lehrbüchern von kompetenten Autorinnen und Autoren vorgestellt sowie kritisch reflektiert. Das vorhandene Basiswissen der Disziplin soll damit einer größeren fachinteressierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Herausgeber und Verlag wollen mit der Reihe dreierlei erreichen: • Zum ersten soll zur weiteren Entwicklung, Etablierung und Profilierung des Faches Kommunikationswissenschaft beigetragen werden. Kommunikationswissenschaft wird als sozialwissenschaftliche Disziplin verstanden, die sich – mit interdisziplinären Bezügen – vor allem mit Phänomenen der öffentlichen Kommunikation in der Gesellschaft befasst. • Zum zweiten soll den Studierenden und allen am Fach Interessierten ein solider, zuverlässiger, kompakter und aktueller Überblick über die Teilgebiete des Faches geboten werden. Dies beinhaltet die Darstellung der zentralen Theorien, Ansätze, Methoden sowie der Kernbefunde aus der Forschung. Die Bände konzentrieren sich also auf das notwendige Kernwissen. Die Studienbücher sollen sowohl dem studienbegleitenden Lernen an Universitäten, Fachhochschulen und einschlägigen Akademien wie auch dem Selbststudium dienlich sein. Auf die didaktische Aufbereitung des Stoffes wird deshalb großer Wert gelegt. • Zum dritten soll die Reihe zur nötigen Fachverständigung und zur Kanonisierung des Wissens innerhalb der Disziplin einen Beitrag leisten. Die vergleichsweise junge Disziplin Kommunikationswissenschaft soll mit der Reihe ein Forum zur innerfachlichen Debatte erhalten. Entsprechend offen für Themen und Autorinnen bzw. Autoren ist die Reihe konzipiert. Die Herausgeber erhoffen sich davon einen nachhaltigen Einfluss sowohl auf die Entwicklung der Kommunikationswissenschaft im deutschen Sprachraum als auch einen Beitrag zur Aussendarstellung des Faches im deutschen Sprachraum. Die Reihe „Studienbücher zur Kommunikationswissenschaft“ wird ergänzt um ein „Handbuch der Öffentlichen Kommunikation“ sowie ein „Lexikon der Kommunikationswissenschaft“, das von den gleichen Herausgebern betreut wird. Das Handbuch bietet einen kompakten, systematischen Überblick über das Fach, die Fachgeschichte, Theorien und Ansätze sowie über die kommunikationswissenschaftlichen Teildisziplinen und deren wesentliche Erkenntnisse. Das Lexikon der Kommunikationswissenschaft ist als Nachschlagewerk für das gesamte Lehr- und Forschungsgebiet der Kommunikationswissenschaft konzipiert.
Michael Jäckel
Medienwirkungen Ein Studienbuch zur Einführung 4., überarbeitete und erweiterte Auflage
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage November 1999 (erschienen im Westdeutschen Verlag, Wiesbaden) 2., vollst. überarb. und erw. Auflage Oktober 2002 (erschienen im Westdeutschen Verlag, Wiesbaden) 3., überarb. und erw. Auflage Januar 2005 4., überarb. und erw. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Barbara Emig-Roller Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15391-9
Inhalt
Verzeichnis der A b b i l d u n g e n .................................................................................. Verzeichnis der Tabellen ........................................................................................
9 12
V o r w o r t ................................................................................................................... 13 Einleitung ................................................................................................................
17
1 Die E n t w i c k l u n g der ( M a s s e n - ) M e d i e n ............................................................ 27
1.1
Modelle der Medienentwicklung ................................................................ 27
1.2
Medienentwicklung und gesellschaftliche Ver~inderungen ........................ 3 5
1.3
Massenkommunikation in historischer Perspektive ................................... 39
1.4
Beginn und Aufstieg der Massenkommunikationsforschung ..................... 47
2 K o m m u n i k a t i o n , M a s s e n k o m m u n i k a t i o n , Wirkung. Ein erster U b e r b l i c k ...........................................................................................
53
2.1
Interaktion, Kommunikation, Massenkommunikation ............................... 53
2.2
Massenkommunikation. Definitionsmerkmale und Herleitung des Begriffs ................................................................................................. 61
2.3
Die ,Pionierphase' des Wirkungsbegriffs ................................................... 67
3 W i r k u n g s m o d e l l e und Forschungstraditionen ................................................ 73 3.1
Das widerspenstige Publikum: ,Mediating Factors' im 121berblick ............. 73
3.2
Nutzungswirkungen. Rezipientenzentrierte Wirkungsvorstellungen ......... 78
3.3
Der dynamisch-transaktionale Ansatz und der Konstruktivismus .............. 83
3.4
Kritische Theorie der Massenmedien ......................................................... 88
4 Spektakul~ire M e d i e n w i r k u n g e n ....................................................................... 95 4.1
,,War of the Worlds". Die Inszenierung eines H6rspiels ............................ 95
4.2
,,The Invasion from Mars". Dokumentation und Einordnung der Reaktionen ............................................................................................ 99
6
Inhalt 4.3
Beurteilung und Einordnung spektakul~irer Medienwirkungen ................ 104
5 Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation" die Meinungsfiihrerforschung ................................................................................ 111 5.1
Die Pionierphase der Meinungsfahrerforschung ...................................... 111
5.2
Erweiterungen und Modifikationen der 'Zwei- Smfen-Fluss'-Hypothese ............................................................... 125
5.3
Mehrdimensionale Konzepte und Netzwerkanalysen ............................... 133
6 Die Glaubwiirdigkeit der Medien ................................................................... 143 6.1
Der Urspmng der Persuasionsforschung .................................................. 143
6.2
,,Communication and Persuasion". Das Forschungsprogramm der Hovland-Schule .................................................................................. 147
6.3
Massenmedien und Glaubwt~rdigkeit: Die Weiterentwicklung der Forschung ................................................................................................. 155
7 Die Agenda-Setting-Forschung. Hauptaussagen und Weiterentwicklungen ........................................................................................ 169 7.1
Vor und nach Chapel Hill: Der Beginn der Agenda-Setting-Forschung .. 169
7.2
Die Agenda-Setting-Forschung im lJberblick: Methoden, Fragestellungen, Ergebnisse ..................................................................... 177
7.3
Der Priming-Effekt ................................................................................... 185
7.4
Agenda-Setting und Anschlusskommunikation ........................................ 191
8 Die Wirklichkeit der Medien ........................................................................... 199 8.1
Massenmedien und Realit~itsvorstellungen ............................................... 199
8.2
Der ,Cultivation of Beliefs'-Ansatz. Darstellung und Kritik .................... 215
8.3
Die Mediatisierung der Wirklichkeit ........................................................ 228
9 0 f f e n t l i c h k e i t , ~ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien .......... 235 9.1
Offentlichkeit und 6ffentliche Meinung. Begriffliche Vorbemerkungen .................................................................. 235
Inhalt
7
9.2
Strukturwandel der Offentlichkeit. Die Analyse von Habermas ...................................................................... 236
9.3
Offentlichkeit und 6ffentliche Meinung. Die Theorie von L u h m a n n ........................................................................ 242
9.4
Offentliche M e i n u n g und soziale Kontrolle. Die Theorie der Schweigespirale .............................................................. 247
9.5
Die F r a g m e n t i e r u n g der Offentlichkeit. K o n s e q u e n z e n der M e d i e n e n t w i c k l u n g .................................................... 262
10 D a s M e d i u m u n d die B o t s c h a f t : die B e d e u t u n g des V e r b r e i t u n g s m e d i u m s ...................................................................................... 267
10.1
Das M e d i u m ist die Botschaft. A n m e r k u n g e n zu M c L u h a n ..................... 267
10.2
Die ,,Fernseh-Gesellschaft". Die Theorie von M e y r o w i t z ........................ 274
10.3
M e d i e n 6 k o l o g i e : die Thesen von Postman ............................................... 279
11 Die W i s s e n s k l u f t f o r s c h u n g .............................................................................. 287
11.1
Die H y p o t h e s e yon der w a c h s e n d e n Wissenskluft ................................... 287
11.2
Aspekte der Entstehung yon Wissenskltiften ............................................ 291
11.3
Interessen und Notwendigkeiten: Defizittheorie versus Differenztheorie ........................................................................................
298
12 Die Z u k u n f t der K o m m u n i k a t i o n ................................................................... 307
12.1
M e d i e n p r o g n o s e n und M e d i e n w a n d e l ...................................................... 307
12.2
Medienvielfalt und neue K n a p p h e i t e n ...................................................... 312
12.3
Alte und neue M e d i e n u m w e l t e n ............................................................... 318
L i t e r a t u r v e r z e i e h n i s ............................................................................................. 323 S a e h r e g i s t e r ........................................................................................................... 351
Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 1.1
Die Uhr von Wilbur J. Schramm .................................................. 28
Abbildung 1.2
Evolution der Medien von 1450,bis heute .................................... 29
Abbildung 1.3
Merrill und Lowensteins Modell der Medienspezialisiemng ....... 30
Abbildung 1.4
Amerikanische Massenmedien: Entwicklung und Konkurrenz .... 32
Abbildung 1.5
Medienkonkurrenz: Ein Analysemodell ....................................... 33
Abbildung 1.6
Die sechs Informationsrevolutionen nach Irving Fang ................. 37
Abbildung 1.7
Das soziale Ged~ichtnis in den Etappen der Medienevolution ...... 39
Abbildung 1.8
Lautes Vorlesen in der frtthen Neuzeit ......................................... 43
Abbildung 1.9
Rundfunkempfang am Ende des 19. Jahrhunderts ....................... 45
Abbildung 2.1
Die Pyramide der Kommunikation ............................................... 54
Abbildung 2.2
Ein lineares und ein Zirkulationsmodell der Kommunikation ...... 58
Abbildung 2.3
Das Modell der Massenkommunikation nach Wilbur J. Schramm ....................................................................... 59
Abbildung 2.4
Prim~ire, sekund~ire und terti~ire Medien ....................................... 60
Abbildung 2.5
Radioh6ren als Gemeinschaftserlebnis in der Familie ................. 62
Abbildung 2.6
Merkmale der Massenkommunikation im l)berblick ................... 66
Abbildung 2.7
Die Grundstruktur des Stimulus-Response-Modells .................... 68
Abbildung 2.8
Die Lasswell-Formel .................................................................... 70
Abbildung 3.1
Eine Erweitemng des Stimulus-Response-Modells ...................... 76
Abbildung 3.2
Die Grundstruktur des dynamisch-transaktionalen Modells ........ 85
Abbildung 3.3
Das dynamisch-transaktionale Modell in zeitlicher Perspektive .. 86
Abbildung 4.1
Spektakul~ire Medienwirkungen: Relevante Einflussfaktoren .... 103
Abbildung 5.1
Der Zwei-Stufen-Fluss der Kommunikation .............................. 115
10
Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung 5.2
Identifikation von Ratgebern und Ratsuchem in der Decamr-Studie ............................................................................ 119
Abbildung 5.3
Merkmale der frahen 121bemehmer einer medizinischen Innovation .............. ..................................................................... 123
Abbildung 5.4
Modifiziertes Modell des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation .......................................................................... 129
Abbildung 5.5
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation: .... 133
Abbildung 5.6
Visualisierung des Informationsflusses in einem sozialen Netzwerk ....................................................................................
138
Abbildung 6.1
Die Glaubwfirdigkeit des Kommunikators. Forschungsbeispiele ................................................................... 150
Abbildung 6.2
Der Sleeper-Effekt ...................................................................... 151
Abbildung 6.3
Magic Keys ................................................................................
Abbildung 6.4
Dimensionen von Glaubwfirdigkeit ............................................ 157
Abbildung 6.5
Routes to Persuasion'. Eine Erweiterung des Modells von Petty und Cacioppo .................................................................... 158
Abbildung 7.1
Media Agenda, Public Agenda und Policy Agenda ................... 177
Abbildung 7.2
Medienagenda und Publikumsagenda. Das Verfahren der Cross-Lagged-Korrelation .......................................................... 181
Abbildung 7.3
Der Einfluss der Golf-Berichterstattung auf die Wahrnehmung von Problemen ............................................................................ 189
Abbildung 7.4
Agenda Setting: die Rolle von Massen- und interpersonaler Kommunikation .......................................................................... 195
AbbiIdung 7.5
Der Entstehungsprozess von Agenden im 121berblick ................. 196
Abbildung 8.1
Nachrichtenfaktoren nach Galtung und Ruge ............................. 202
Abbildung 8.2
Ereignisse, Berichterstattung und Publikationsfolgen. Das Modell von Kepplinger ....................................................... 209
Abbildung 8.3
Drei Realit~iten- Das ,,Double Cone"-Modell von Weimann .... 214
155
Verzeichnis der Abbildungen
11
Abbildung 8.4
Verschiedene Modelle von Kultivierungseffekten ..................... 225
Abbildung 9.1
Vereinfachter Grundriss der bfirgerlichen Offentlichkeit im 18. Jahrhundert ...................................................................... 238
Abbildung 9.2
(3ffentlichkeit als gesellschaftsinterne Umwelt der gesellschaftlichen Teilsysteme ................................................... 244
Abbildung 9.3
Offentliche Meinung als Resultat von Redebereitschaft ............ 261
AbbiIdung 10.1 Die Entstehung von Kommunikationsnetzen ............................. 282 Abbildung 11.1 Nahe liegende' und ,entfernte' Themen ..................................... 294 Abbildung 11.2
Wahrnehmung einer Informationskampagne zum Thema ,radioaktive Strahlung' in verschiedenen Bildungsgruppen (Niederlande) .............................................................................. 295
Abbildung 11.3
Methodische Erfordernisse im Rahmen der Wissenskluftforschung ............................................................... 298
Abbildung 11.4 Knowledge Gap-Modelle im Oberblick ..................................... 300 Abbildung 11.5
Einfluss der Zeitungsnutzung auf die Wissenskluft ................... 302
Abbildung 12.1 Medieneffekte unter Berficksichtigung der Dimensionen ,Intentionalit~it' und ,Zeit' .......................................................... 310
Verzeichnis der Tabellen Tabelle 4.1
Einschaltzeitpunkt und Interpretation des H6rspiels .................. 101
Tabelle 4.2
Bildungsabschluss& und Interpretation des H6rspiels als ,News Report'. ...................................................................... 103
Tabelle 5.1
Informationsfluss in einem sozialen Netzwerk ........................... 137
Tabelle 6.1
Relative Glaubw~rdigkeit und medienspezifische Glaubwfirdigkeit ......................................................................... 162
Tabelle 6.2
Glaubwgrdigkeit und Objektivit~it der Medien, 1964-1995 (Ergebnis for alte Bundesl~inder) ................................................ 164
Tabelle 6.3
Images der Medien im Direktvergleich der Jahre 2000 und 2005 ..................................................................................... 165
Tabelle 7.1
Rangkorrelation von Medienagenda und Publikumsagenda, differenziert nach Bedeutung der Themen und Thernenbezug... 174
Tabelle 7.2
Priming-Effekte im Falle der Bewermng des amerikanischen Pr~isidenten ................................................................................. 187
Tabelle 8.1
Gewalt als Bestandteil des amerikanischen Fernsehprogramms 218
Tabelle 8.2
T~iter-Opfer-Relationen im amerikanischen Femsehprogramm (Zeitraum 1967-1975) ................................................................ 219
Tabelle 8.3
Kultivierungseffekte der Fernsehnutzung .................................. 223
Tabelle 8.4
Lebensauffassungen von Vielsehern .......................................... 231
Tabelle 10.1
Fernsehdebatten und Wahlausgang. Das Beispiel USA ............. 273
Tabelle 11.1
Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland 1997 bis 2006 ...................................................................................... 304
Vorwort
Etwa acht Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen des Buchs ,,Medienwirkungen" erscheint nunmehr bereits die vierte Auflage in einer wiederum aktualisierten und erweiterten Form. Sie bleibt der Zielsetzung einer einfohrenden Darstellung treu, versucht aber aktuellen Entwicklungen auch weiterhin gerecht zu werden. Fiir die Aufnahme dieser Einfohrung in die Reihe ,,Studienbt~cher zur Kommunikationsund Medienwissenschaft" m6chte ich auch an dieser Stelle den Herausgebern Gt~nter Bentele, Hans-Bernd Brosius und Otfried Jarren erneut danken. Ebenso sei an dieser Stelle die sehr gute Zusammenarbeit mit der Lektorin des Verlags, Frau Barbara Emig-Roller, hervorgehoben. Das Rahmenthema hat nichts an Relevanz eingebt~13t. Alles deutet darauf hin, dass Medienanbieter, Medienpublika und Medienkontrollinstanzen in wechselnden Allianzen fOr Kontroversen sorgen. Die Qualit~itsdebatte wird zwar eher diskontinuierlich gefOhrt, aber gelegentlich durch die Bedrohung von Medieninstitutionen mit besonderer Aufmerksamkeit versehen. Wenn eine Zeitung wie die New York Times die zunehmende Konkurrenz neuer Internet-Vertriebswege fOrchten muss und das Wall Street Journal nur noch online publiziert werden soll, wenn die ,,klassischen" TV-Sender ihr Publikum trotz minuti6ser Beobachtung als immer r~itselhafter empfinden und jttngere Generationen den Begriff des Publikums als antiquiert einstufen, wenn Private Equity-Unternehmen die Leitlinien von Programmen bestimmen, dann wird deutlich, dass ein eher schleichender Medienwandel auf einmal signifikante Spuren hinterl~isst. Parallel zu diesem Strukturwandel sind Entscheidungsnotwendigkeiten, insbesondere t~ber die Grenze zwischen Erlaubtem und Nicht-Erlaubtem, fast schon allt~iglich geworden. Eine Gesellschaft wird ungewollt immer toleranter, weil der wirksame Zugriff auf die Gesamtzust~inde nicht m6glich ist. Der Eindruck verst~irkt s i c h - sei es im Kontext von ,,Big Brother", der ,,Dschungel"-Dramaturgie mit aufgesetztem Starkult, von Survival-Shows, der Ausweitung dokumentarisch genannter Soaps, der Inflation von Casting-Shows, der inszenierten Performanz in allen erdenklichen Feldern der Freizeitgestaltung und Hobbies oder der Live12rbertragung einer Brustoperation-, dass hier eine nicht auf vertraglicher Grundlage operierende Allianz zwischen Anbietern und Nutzern operiert: Hier wird der Publikumsgeschmack als Legitimation genannt, dort reagiert man empfindlich auf Bevormundungen im Sinne von ,,Darf man so etwas sehen?" Der Nimbus des Rebellischen auf Seiten des Publikums entpuppt sich dabei zuweilen als B~irendienst an der Gesellschaft. Hier liegt eine neue Herausforderung fOr die Medienwirkungsforschung. Einige Sender zelebrieren eine neue Chancengleichheit, in dem jedem, der in dieser Gesellschaft noch seinen Platz sucht, eine Plattform fOr seine Talente offe-
14
Vorwort
riert wird. Das Publikum entscheidet dabei gleichzeitig t~ber die Qualit~iten einzelner Akteure und das Schicksal von Formaten. Das vermittelt zus~itzlich ein Gefahl von Einfluss. Aber es sind nicht nur diese Beispiele, die dafar sorgen, dass ein weiterhin expandierendes Lehr- und Forschungsfeld zu beobachten ist. Das grol3e Interesse an dem Faszinosum ,Medien' ist ungebrochen vorhanden, wenngleich doch so vieles an diesen Medien alltfiglich geworden ist. Dieses Allt~igliche stumpft gleichwohl nicht nur ab, sondern sensibilisiert auch ffir die Wahrnehmung guter Angebote, die es nach wie vor gibt. Diese EinscMtzung mag bereits als paradoxe Beobachtung eingestuft werden. Aber die Ereignisse wiederholen sich und mit ihnen das Unbehagen t~ber einen permanenten Begleiter, der doch letztlich mehr ist als ein ungebetener Gast. Man regt sich fiber die Nachrichten auf, aber schaltet sie am n~ichsten Tag wieder ein. Die Lokalzeitung wird nicht nur aus Interesse, sondern auch mangels konkurrierender Angebote gelesen, aber ein Zeitungsstreik wird als Angriff auf die Gewohnheiten wahrgenommen. Diejenigen, die unmittelbare Erfahrungen mit Medienschaffenden kennen, ~irgern sich nicht selten t~ber Verkt~rzungen ihrer Aussagen, und wieder andere empfehlen, doch nur noch dann etwas zu sagen, wenn man auch etwas zu sagen hat. Der verstorbene franz6sische Soziologe Pierre Bourdieu (19302002) hat jene, ,,die stets disponibel und bereit sind, ihre schriftliche Stellungnahme abzusondern oder ihre Interviews zu geben" (Bourdieu 1998, S. 40), einmal als ,,Medienhirsche" (ebenda) bezeichnet. Diese Medienkritik ist an sich nicht neu. Die Unzufriedenheit mit bestimmten Protagonisten, den Arbeitsweisen und Selektionskriterien sind Ausdruck einer Summe von Differenzen, die letztlich aus unterschiedlichen Zweck-MittelVorstellungen von Anbietern und Nachfragern resultieren. Da zudem auf beiden Seiten selten Einigkeit fiber Leitlinien, Praxisregeln und gute Programme vorliegt (trotz der bereits angesprochenen Allianz), bleibt diese Kritik ein best~indiger Begleiter der Medienentwicklung. Wer diese Realit~it ins Visier nimmt, muss auch die Wirklichkeit der beteiligten Akteure und Institutionen einkalkulieren. Daraus ergibt sich in der Summe eine Mischung aus Vereinnahmung und Distanzierung. So vielz~ihlig sind die Ereignisse, Meldungen, Geschichten und Inszenierungen, die tagt~iglich wahrgenommen werden (m~issen), dass sich auch immer mehr Menschen mit verhaltenem Engagement auf diese Art von Beschreibungen einlassen. Kurt Tucholsky (1890-1935) schrieb einmal: ,,Ist es nicht schOn, dab immer gerade so viel passiert, damit die Zeitung voll wird?" Diese Frage hat auch etwas mit den sich wandelnden Vorstellungen von Aktualit~it zu tun. Mittlerweile kOnnte bereits von einer Aktualit~itsfalle gesprochen werden, weil einem gelegentlich nichts langweiliger erscheint als eine Meldung, die man gerade gelesen oder geh6rt hat. In historischer Perspektive kann daher ohne Zweifel von einer Steigerungslogik gesprochen werden, die sich in einem raschen ,Verbrauch' von Themen niederschl~igt, aber auch die Wiederholungen zunehmen l~isst. Zugleich mt~ndet dieser
Vorwort
15
Prozess in einer quNenden Neugier: Warum soll es/muss es noch schneller gehen? Wieviel Authentizit~it- ein in den letzten Jahren h~iufig verwandter Begriff- muss vor laufender Kamera sein und wieviel davon vertr~igt eine Gesellschaft? Aber unter dem Eindruck des ,Verbrauchs' steht auch die subjektive Kultur, die mit der objektiven Kultur nicht mehr Schritt halten kann. Georg Simmel (1858-1918) hat diese Unterscheidung eingefahrt und damit illustrieren wollen, dass das Individuum in der Moderne Vielfalt auch als ein Problem erlebt, l)ber die technische Errungenschaft der Fotografie, die als eine Verdoppelung der Wirklichkeit wahrgenommen wurde, konnte man noch staunen, ebenso t~ber den Film und die Anf'~inge des Fernsehens. Die Verkt~rzung der Innovationszyklen l~isst dagegen heute gelegentlich kaum noch Raum far die Entfaltung von Interessen. Es verst~irkt sich der Eindruck, dass das Zeitempfinden und das Zeitbewusstsein durch den Rahmen, den die Medientechniken und Medienangebote setzen, eine (zus~itzliche) Beschleunigung erf'~ihrt. Viele audiovisuelle Ermngenschaften werden durch ihre Pr~isenz an vielen 6ffentlichen Orten trotz ihrer technischen Perfektion nicht mehr als Besonderheit registriert. Diese Medienerfahrungen gehen aber auch mit Medienerfahrenheit einher. Dies bedeutet eben auch, dass far die Anbieter die starke Bindung an ihre Programme immer schwerer zu erreichen ist. Die Erwarmngen der Rezipienten steigen, weil es viele Alternativen gibt. Des Weiteren bestfirkt die Kennmis dessen, was sich hinter den Kulissen abspielt, eine Rahmung der Ereignisse als Medienspiel. Man ist sich sicher, dass es eine Wirklichkeit jenseits der Kamera gibt. 121ber Peter Sellers' Rolle als G~irtner in ,,Willkommen, Mr. Chance", der die Welt nur fiber Femsehsendungen kennt, ist man heute ebenso amt~siert wie fiber die ,,Truman-Show", in der der zun~ichst gutgl~iubige Hauptdarsteller allm~ihlich entdeckt, dass sein Leben seit der Geburt Bestandteil einer Non-Stop-Femseht~bertragung ist. Zugleich ist die Neigung verbreitet, fiber solche Manipulationsversuche erhaben zu sein und die Probleme nicht bei sich selbst zu suchen. Ebenso k6nnten diese Varianten hyperrealistischer Darstellungen eine Einladung sein, die Dinge einmal so zu sehen, wie sie sein k6nnten. Im t~bertragenen Sinne wird auch hier eine Lebenswelt vorgeflihrt, ,,in der sich jemand befinden warde, der allen Menschen seiner Umgebung fremd w~ire." (Goffman 1981, S. 92) Als Lehrs~ck t~ber Medienwirkungen haben diese filmischen Beispiele allemal ihren Wert. Aber sie konnten ihr Potential erst entfalten, nachdem sich die besondere Qualit~it der Kombination von Bild und Ton, die Faszination des bewegten Bildes und die N~ihe zu den Ereignissen bei Wahrung der Distanz zu einem wichtigen Element unserer Erfahrung entwickelten. Der Journalist Harald Martenstein hat das gerade Gesagte im Jahr 2001 wie folgt beschrieben: ,,Seit es die Fotografie, den Film und das Femsehen gibt, hat die Menschheit sich daran gew6hnt, Augenzeuge zu sein. In den letzten Jahren aber haben wir gelernt, dass auf unsere Augen kein Verlass ist. Bilder k6nnen perfekter denn je manipuliert und gefNscht werden, ein Bild ist kein Beweis mehr, wom6glich war es nie einer. Nicht nur Theoretiker, auch
16
Vorwort
normale Fernsehzuschauer begannen sich zu fragen: Gibt es t~berhaupt authentische Bilder, gab es sie je? Ist nicht alles Fiktion? Subjektiv? Ist ein Fernsehbild wirklich wahrer als ein GemNde oder ein Roman? Dann kam der 11. September. in den ersten ein, zwei Stunden sah man, wenn nicht die brennenden Tt~rme gezeigt wurden, ratlose Reporter und stammelnde Augenzeugen. Was geschah da? Was war t~berhaupt passiert? Das einzige, was man wusste: Es geschieht wirklich: Es ist Realit~it." (2001, S. 160) Lang anhaltend war dieser Wirklichkeitsschock nicht. Mit dem zeitlichen Abstand zu diesem Ereignis kehrten die vertrauten Diskussionen t~ber Medien und Wirklichkeit zurt~ck. Neue Ereignisse dr/~ngten sich in den Vordergrund und die Berichterstattung t~ber die nachfolgenden politischen und milit~irischen Entscheidungen rfickte die selektive Wahmehmung des Weltgeschehens wieder in sehr deutlicher Weise vor Augen. Der Verweis auf die ,,Mediengesellschaft" ist mittlerweile wohl auch Ausdruck dieses Unbehagens in und an der modernen Kultur. Dennoch /~ugert sich dieses Unbehagen nicht in einer deutlich spt~rbaren Abkehr von den Angeboten. Deshalb wiederholt sich auch immer wieder die Frage, was mit den Rezipienten im Zuge der Nutzung dieser Angebote geschieht. Wege und M6glichkeiten zur Beantwormng dieser Fragestellung fasst die vorliegende Einffihrung zusammen. 121ber die Zielsetzung informiert die Einleitung zu den Kapiteln 1 bis 12. Ft~r diese vierte Auflage sind alle Kapitel t~berarbeitet und aktualisiert worden. Beispieltexte bzw. zus~itzlich aufgeft~hrte Definitionen werden mit dem Symbol N gekennzeichnet. Die zur weiteren Lektare empfohlene Literatur wurde mit dem Symbol ~ . markiert. Mein besonderer Dank gilt dieses Mal meiner smdentischen Mitarbeiterin Marissa Maurer, die alle lJberarbeitungen und Aktualisierungen sorgf~iltig umgesetzt hat. Ffir inhaltliche Anregungen danke ich insbesondere meiner Mitarbeiterin Dr. Nicole Zillien sowie meinem ehemaligen Mitarbeiter Thomas Lenz, ebenso Thomas Grund, der vor allem an der dritten Auflage mitgewirkt hat. Selbstverst~indlich sind hier auch nochmals alle Personen zu erw~ihnen, die an der jetzigen und fraheren Versionen dieses EinNhmngsbuchs mitgearbeitet haben: Heike Hechler, Dr. Christoph Kochhan, Dr. Jan D. Reinhardt, Dr. Sabine Wollscheid, Birgit Amzehnhoff, Natalie Rick, J6rg Holdenried, Henrike Krohn, Amelie Duckwitz, Tobias Schl6mer und Christian Gerhards. Trier, im September 2007
Michael J/~ckel
Einleitung
Die Sozialwissenschaften sind voller Effekte. Oder sollte man besser sagen: effektvoll? Jedenfalls lenkt sie die Aufmerksamkeit in besonderer Weise auf sich, wenn sie von Sleeper-, Bumerang- oder Bandwagon-Effekten spricht ~. Diese Effekte entstehen in Situationen, die mal3geblich durch den Einsatz von Verbreittmgsmedien gekennzeicl-met sind und werden von den Medien als berichtenswerte Ergebnisse der Forschung eingestuft. Im Folgenden seien eine Reihe aktueller Beispiele angegeben. Als die amerikanische Talkmasterin Oprah Winfrey beispielsweise im Fr(ihjahr 2004 den Roman "Anna Karenina" dem amerikanischen Fernsehpublikum als Sommerlektttre empfahl, stieg die Nachfrage nach dem 862 Seiten umfassenden Buch binnen weniger Tage sprunghaft an. Der Verlag Penguin Classics erh6hte die Auflage auf 900.000, bis zu diesem Zeitpunkt waren vonder Neut~bersetzung des Tolstoi-Romans gerade einmal 15.000 bis 20.000 Exemplare verkauft worden. Ein Jahr zuvor hatte die Empfehlung der Talkmasterin bereits zu einer ghnlichen Nachfrage des Romans "Jenseits von Eden" gefiihrt. Oprah's Pick (Oprah's erste Wahl) hatte wieder einmal gewirkt (siehe hierzu auch die Ausfiihmngen von Wilke/K6nig 1997 und Wilke 2001b). Spektakul~ire Erfolge konnte auch die "St~ddeutsche Zeitung" als erster deutscher Zeitungsverlag mit ihrem Verkaufskonzept der gebundenen Klassiker des 20. Jahrhunderts verbuchen. Nach dem Vorbild italienischer Zeitungsverlage wagte die "Siiddeutsche Zeitung" im M~irz 2004 mit Milan Kunderas "Die unertr~igliche Leichtigkeit des Seins" den Schritt in den Buchmarkt und legte damit den Grundstein Nr eine Erfolgsgeschichte (vgl. Fuhrmann 2005, S. 13). Insgesamt wurden bis zum 30. Juni 2005 50 gebundene Titel zum Preis von je 4,95 Euro ver6ffentlicht (vgl. Roesler-Graichen 2005, S. 8). Zu Beginn des Jahres 2005 waren bereits mehr als zehn Millionen Bircher der "SZ-Bibliothek" erschienen (vgl. Beckmann 2005, S. 44). Der "Kylie-Effekt" wiedemm beschreibt die sprunghafte Zunahme von Brustkrebs-Vorsorgeuntersuchungen in Australien, nachdem die Pops~ingerin Kylie Minogue im Mai 2005 ihre Brustkrebserkrankung publik gemachte hatte. Schon kurze Zeit nach der Diagnose erh6hte sich die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen um 40%. Australische .X~rzte erhoffen sich durch den 'Kylie-Effekt' eine Senkung der TodesNlle durch Bmstkrebs. "Kylies Diagnose hat der Krebsstatistik ein Gesicht gegeben Auf diese Effekte wird in sp~iteren Kapiteln n~iher eingegangen. Zur schnellen Orientierung dient das Sachregister. Generell wird in diesem einleitenden Kapitel weitgehend auf definitorische Erl~iuterungen verzichtet.
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und wird hoffentlich helfen, ein neues Bewusstsein zu schaffen", so Dr. Helen Zorbas, Direktorin des "National Breast Cancer Center" (Siemens 2006). Auch weit zurtickliegende Ereignisse werden geme herangezogen, um bestimmten empirischen Zusammenh~ingen einen Namen zu geben. Als historisches Beispiel fOr diese Art von Effekten soll hier das so genannte "Wertherfieber" erw~ihnt werden, dem zur Zeit der Ver6ffentlichung von Goethes umstrittenen Erstlingswerk "Die Leiden des jungen Werther" vor allem junge Intellektuelle verfielen. Nicht nur die im Briefroman beschriebene Kleidung des Werther wurde kopiert. Auch der fiktionale Selbstmord des Protagonisten fand eine ganze Reihe realer Nachahmungst~iter, woraus im Jahr 1775 ein Verbot der Schrift durch den Leipziger Stadtrat resultierte. Zwei Jahrhunderte sp~iter pr~igte schliel31ich Phillips den Begriff des Werther effect, der besagt, dass eine intensive Mediendarstellung von Suiziden mit einem Anstieg der Selbstmordrate einhergeht. Die Schlussfolgerung stfitzt sich auf die Analyse der Nachwirkungen von Presseberichterstattungen in britischen und US-amerikanischen Zeitungen zwischen 1947 und 1968 (vgl. Phillips 1974). Eine ebenso erstaunliche und zugleich beunruhigende Entwicklung l~isst sich am Beispiel des "CSI-Effekts" erl~iutem. Der Name ist auf die erfolgreiche Krimiserie "CSI - Den T~item auf der Spur" zuriickzufohren, in der mittels forensicher Methoden Verbrechen aufgekl~irt werden. Der CSI-Effekt bezieht sich zum einen auf die gestiegene Zahl der Einschreibungen im Studiengang Forensik und zum anderen auf die tiberh6hten Erwarmngen, die die Bev61kerung an diese Methode der Verbrechensaufkl~irung stellt. Dies fOhrte in den USA mitunter schon zu Problemen bei Gerichtsverhandlungen, in denen Geschworene, die selbst grol3e Fans der Serie waren, ihr Urteil lediglich an den forensischen Ergebnissen orientierten, obwohl diese in manchen FNlen auch fehlerbehafiet oder fOr den zu entscheidenden Fall keine Relevanz besal3en. Angehende Geschworene dtirfen daher in einigen USBundesstaaten bereits nach ihren Femsehgewohnheiten befragt werden. So berichtete zumindest USA Today am 08. Mai 2004. Die genannten Beispiele stehen am Beginn dieser Einfohrung, weil sie exemplarisch auf einen wesentlichen Aspekt aufmerksam machen: Im Falle bestimmter Medienangebote treten offensichtlich gleiche oder ~ihnliche Reaktionen in Teilen des Publikums auf. Daher ist die Neigung vorhanden, eine direkte Beziehung zwischen dem Stimulus und der Reaktion zu konstatieren. Eine pragmatische Einschfitzung k6nnte auch wie folgt lauten: M6gen zwischen dem Stimulus und dem evozierten Verhalten noch so viele zwischengeschaltete Variablen gewirkt haben (Z6gem, Nachdenken, Konsultation von Freunden etc.), letztlich z~ihlt ,,overt behavior", das tats~ichliche Verhalten. Zur Rechtfertigung seiner z6gerlichen Einsch~itzung k6nnte der Medienwirkungsforscher sagen: Es werden tagaus, tagein Empfehlungen ausgesprochen: in Talkshows, in Daily Soaps, in Kultursendungen, in Leitartikeln. Aber sie besch~iftigen die Offentlichkeit offensichtlich nur, wenn eine nicht n~iher deft-
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nierte kritische Gr613e t~berschritten wird, die gleichsam dazu verleitet, von massenhaften Reaktionen zu sprechen. Massenkommunikation bedeutet ja zun~ichst nichts anderes als die Erreichbarkeit einer a priori unbekannten Zahl von Empf~ingern, deren Existenz und deren Verstehen von bestimmten Informationen in einer wie auch immer weit gesponnenen Zukunft von gewissen mitteilenden Instanzen der Massenkommunikation zwar vorausgesetzt wird, t~ber deren konkrete Verstehensprozesse aber prinzipiell nichts weiter bekannt sein muss. Wegen ihrer Heterogenit~it, der Unbekanntheit der Zeitpunkte und Orte ihrer Teilhabe an Massenkommunikation kann dies auch nicht der Fall sein. Jedenfalls ist die zunehmende Verwendung des Etiketts ,,Mediengesellschaft" mal3geblich darauf zurfickzufahren, dass die Verfasstheit moderner Gesellschaften untrennbar mit der Existenz von Massenmedien und -kommunikation verflochten ist. Massenmedien sind wichtige Instanzen der Gesellschaftsbeschreibung und der Realit~itsbeschreibung geworden. In dieser Hinsicht sind sie bedeutsame Konkurrenten der (Sozial-)Wissenschaften und anderer gesellschaftlicher Bereiche und geben h~iufig ambivalente Impulse und Kommunikationsangebote an ihr Publikum weiter. Jeder verkt~rzten Form von Gesellschaftsbeschreibung liegt die Beobachtung und Erwartung regelmN3ig wiederkehrender Ereignisse bzw. Verhaltensweisen zugrunde. Es geht um den Nachweis dauerhafter Elemente (bei Varianz der inhaltlichen Einzelheiten). Wenn die Soziologie von ,,Strukturen" spricht, meint sie ja berechenbare, konstante Ph~inomene benennen zu k6nnen. Die Pionierphase der Wirkungsforschung Iiefert hierzu ein gutes Beispiel: In ,,What ,Missing the Newspaper' means?", einer Analyse des New Yorker Zeitungsstreiks aus dem Jahr 1945, konnte Berelson die Beobachtung machen, dass ein Medium nicht nur der Befriedigung bestimmter informationsbedfirfnisse dient, sondern auch ein fester Bestandteil des Alltagshandelns geworden war (vgl. Berelson 1949). Als Bestandteil wiederkehrender Routinen wurde ein auferlegter Verzicht als Eingriff in die Gewohnheiten wahrgenommen. Eine mit diesem Befund korrespondierende Feststellung findet sich auch in Lippmanns Analyse der 6ffentlichen Meinung. Im Kapitel ,Der treue Leser' heiBt es: ,,Obwohl sich alles um die Best~indigkeit des Lesers dreht, existiert nicht einmal eine vage Tradition, um dem Leser diese Tatsache ins Ged~ichtnis zu rufen. Seine Treue h~ingt von seinen Gewohnheiten oder davon ab, wie er sich gerade aufgelegt ffihlt. Und seine Gewohnheiten sind nicht einfach v o n d e r Gt~te der Nachrichten abh~ingig, sondern 6fter von einer Anzahl undeutlicher Elemente, die bewul3t zu machen wir uns in unserer zuf~illigen Beziehung zur Presse kaum bemfihen." (Lippmann 1922/1990, S. 224) Der Hinweis auf die ,undeutlichen Elemente' wird sogleich durch Analysen der Pr~iferenzen des Lesers pr~izisiert (z.B. hoher Stellenwert von Ereignissen aus dem eigenen Erfahrungsbereich, aber auch best~indige Versorgung mit Nachrichten aus ,den gl~inzenden HOhen der Gesellschaft'). Zugleich liegt dieser Pr~izision nicht die Erwartung zugrunde, dass der Leser iJber
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eindeutige und unumkehrbare Pr~iferenzstmkmren verfagt. Die st~indige Bereitstellung von Informationen kann also paradoxerweise dazu fahren, dass nicht nur spezifische Bedt~rfnisse nach konkreten, verwertbaren Inhalten entstehen, sondern die Tatsache des periodisch wiederkehrenden Berichtens den Konsum von Nachrichten zu einer Selbstverst~indlichkeit macht. Alleine dieser Mechanismus von Publizit~it und Periodizit~it setzt das System als Ganzes unter Druck, gibt ihm gleichsam einen Eigenantrieb, der wiederum selbst in der Lage ist, sich durch ,,Notaggregate" zu helfen. Es geht darum, m6glichst viel zu beobachten, um Anschlussm6glichkeiten zu steigem und sich dadurch selbst zu erhalten. Es muss immer wieder etwas Neues berichtet werden, um den Differenzverlust beim Senden der Nachrichten auszugleichen. So entsteht jenes eigentfimliche VerhNmis zwischen Redundanz und Variabilit~it, das far Presse und Funk charakteristisch ist. Ein wirksamer und dauerhafter Kontrast zum Alltagsleben soll hergestellt werden. Aus dieser Unterscheidung von Realit~iten leitet sich die temporale Struktur der 6ffentlichen Meinung ab. Der Hinweis auf die Zeit lenkt den Blick auf ein weiteres Merkmal, das Mediengesellschaften auszeichnet: der Umgang mit Zeitbudgets. Angesichts der zunehmenden Mediennutzung - insbesondere innerhalb der Freizeit - steht die Erfassung von Medienzeitbudgets verst~irkt im Zentrum der (Frei-)Zeitbudgetforschung (vgl. J~ickel/Wollscheid 2004a). Auf die Dominanz der Mediennutzung gegent~ber alternativen Aktivit~iten in der Freizeit ist verschiedentlich hingewiesen worden, unter anderem von Schulz: ,,Mediennutzung ist in der heutigen Gesellschaft die h~iufigste und far viele auch wichtigste Besch~iftigung. Die Menschen widmen der technisch vermittelten Kommunikation- neben Schlafen und Arbeiten - die bei weitem meiste Zeit in ihrem Leben" (1994, S. 127). Innerhalb der modernen Gesellschaft kommt der Zeit als ,,Ressource und Orientierungsmedium" ein wachsender Einfluss zu (vgl. Lfidtke 2001, S. 5, umfassend auch Rosa 2005)). Mit neuen Tendenzen der ,,Verzeitlichung" (Rinderspacher 1988, S. 24) findet sozusagen eine ,,zweite temporale Modernisierung" statt. Damit verbunden sind zunehmende Anforderungen an die einzelnen Akteure einer Gesellschaft hinsichtlich eines rationalen, organisierten und 6konomischen Umgangs mit der Ressource ,,Zeit". Diese Entwicklung betrifft die Erwerbszeit, die Regenerationszeit und die Freizeit, wobei letztere dem Einzelnen den gr6gten Handlungsspielraum erlaubt. Lfidtke (2001) charakterisiert Verhalten in der Freizeit als ,,diffus" und ,,expressiv", d.h. Menschen orientieren sich sowohl an eigenen Interessen und Pr~iferenzen als auch an gesellschaftlichen Normen und Zielen, wobei der Zeitaufwand far eine T~itigkeit relativ variabel ist (vgl. Lt~dtke 2001, S. 16). Auf der Makroebene lassen sich die Handlungen einzelner Akteure dann als Lebensstile zusammenfassen. Unbestritten ist, dass Massenmedien innerhalb der Freizeit eine dominierende Rolle einnehmen. Aus der Studie ,,Massenkommunikation 2005" geht beispielsweise hervor, dass im Jahre 2005 die deutsche Bev61kerung ab 14 Jahren t~iglich rund 10 Stunden Zeit
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mit Medien verbrachte (vgl. Ridder/Engel 2005, S. 447 sowie kritisch zur Messung allgemein J~ickel/Wollscheid 2004b). Bis Anfang der 1990er Jahre war Freizeit- zumindest far einen GroBteil der Bev01kerung - ein wachsendes Gut, was eine ansteigende Mediennutzung plausibel erscheinen lieB. Eine weitere Ausdehnung des Medienzeitbudgets ist gegenw~irtig jedoch nur noch eingeschr~inkt zu erwarten, da seit Beginn des 21. Jahrhunderts eher von einer zunehmenden Verknappung der Freizeit auszugehen ist. Dies gilt zumindest in Relation zum steigenden Angebot an Freizeitm6glichkeiten. Ein ,,Mehr" an Mediennutzung l~isst sich einerseits durch ein ,,Weniger" an alternativen FreizeitbescMftigungen erkaufen, andererseits k6nnen Medien gleichzeitig bzw. parallel genutzt werden. Zumindest gew~ihrleistet das Freizeitbudget Erreichbarkeit unterschiedlicher Publika und damit ein weites Feld von Wirkungs- und Mitwirkungsformen (vgl. hierzu ausfahrlicher J~ickel 2005). Die Mediengesellschaft tritt also in zahlreichen Facetten zutage: 9
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Medien setzen auf Dauerpr~isenz. Sie sind ein signifikanter Bestandteil der modernen Kultur und binden die Zeit 0ffentlicher Akteure ebenso wie die Freizeit verschiedenster Publika (zeitliche Dimension). Medien sind omnipr~isent, weil neue Technologien mittlerweile eine ortsungebundene Nutzung erm6glichen (r~iumliche Dimension). Medien sind zwar kein Spiegelbild der sozialen Wirklichkeit, sie integrieren aber sukzessive neue Themenfelder. Neben das ,,Alltagsgesch~ift" von Information und Unterhaltung treten kalkulierte Tabubrfiche, die in der Summe ein wachsendes Medienmisstrauen bef6rdern (sachliche Dimension). Medien richten ihre Angebote an unterschiedliche Publika. Neben unspezifische treten zunehmend zielgruppenspezifische Formen. Eine Beriicksichtigung unterschiedlichster sozialer Gruppierungen und Mentalit~iten findet statt (soziale Dimension).
Als Joseph T. Klapper im Jahr 1960 seine Zusammenfassung zu den Befunden der Medienwirkungsforschung vorlegte, war diese ,,Mediengesellschaft" ohne Zweifel noch iiberschaubarer. Dennoch wies er in seinen einleitenden Ausfahrungen auf den folgenden Aspekt hin: Noch in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts hielten es viele Kommunikationsforscher far notwendig, den Begriff und das Ph~inomen, mit dem sie sich besch~iftigen, exakt zu definieren (vgl. Klapper 1960, S. 1). Dieser Hinweis bezog sich auf ,mass communication', ein Kommunikationstypus, der sowohl zu faszinierenden als auch beunruhigenden Interpretationen Anlass gab. Nur zwei Jahrzehnte sp~iter wurde der Versuch eines Oberblicks mit dem Hinweis auf die disparate Entwicklung dieser Forschungsrichtung versehen: ,,The literature has reached that stage of profusion and disarray, characteristic of all proliferating disciplines, at
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which researchers and research administrators speak wistfully of establishing centers where the accumulating data might be sifted and stored. The field has grown to the point at which its practitioners are periodically asked by otl~er researchers to attempt to assess the cascade, to determine whither we are tumbling to attempt to assess, in short, what we know about the effects of mass communication." (Klapper 1960, S. 1) Diese Feststellung hat nicht an Akmalit~it verloren. Die Medienwirkungsforschung ist in den letzten Jahrzehnten zu einem umfassenden Forschungsgebiet geworden, das von den Fragestellungen und Interessen einer Vielzahl unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen profitiert. Die Zahl der Publikationen, oflmals zu Einzelaspekten, hat ein Ausmal3 erreicht, das jeden Versuch einer einftihrenden Darstellung vor Auswahlprobleme stellt. Ein L6sungsweg ist die Konzentration auf Forschungstraditionen, die eine Kontinuit~it erkennen lassen. In Anlehnung an Lowery/DeFleur kann auch von den ,Milestones' einer Wissenschaft gesprochen werden, die als Orientierungsraster dienen (Lowery/DeFleur 1995). Diese Meilensteine markieren den Weg in und durch das 20. Jahrhundert, wenngleich einige der behandelten Traditionen ihr theoretisches Fundament dem Rt~ckgriff auf bereits vorhandene sozialwissenschaftliche Erkenntnisse verdanken. Aus heutiger Sicht werden diese Traditionen gelegentlich als einengend empfunden. Insbesondere in den letzten Jahren ist die Notwendigkeit einer Vernetzung dieser Forschungsrichtungen thematisiert worden (vgl. Halff 1998, S. 12ff.). Aber jeder Versuch einer Vemetzung von Befunden erfordert die Existenz verkniipfbarer Elemente. Die bisherige Medienwirkungsforschung hat die relevanten Eckpfeiler gesetzt, die den Ausgangspunkt ftir Versuche einer Gesamtschau repr~isentieren. Im Falle der Medienwirkungsforschung wird das Bemtihen um f.)berschaubarkeit durch ein Forschungsfeld erschwert, das sich nicht ,ruhig' verh~ilt und st~indig neue Aspekte hervorbringt, die nach Antworten verlangen. Den Pionieren der Kommunikationsforschung ist bewusst gewesen, dass die Themen, die im Zentrum des Interesses stehen, auch von historischen ZufNlen beeinflusst werden. Paul Felix Lazarsfeld und Robert King Merton leiteten eine der frtihen Er6rterungen der Wirkungsaspekte von Massenmedien mit der folgenden Feststellung ein: ,,Fragestellungen, die die Aufmerksamkeit der Menschen erregen, wandeln sich, und das nicht zuf'~illig, sondem zum grogen Teil im Einklang mit den sich wandelnden Erfordernissen von Gesellschaft und Wirtschaft. Wenn ein Team wie das, das diesen Aufsatz geschrieben hat, vor ungef~ihr einer Generation zusammengearbeitet h~itte, w~ire der Inhalt der Er6rterungen aller Wahrscheinlichkeit nach ein v611ig anderer gewesen. Kinderarbeit, Wahlrecht fiir Frauen oder die Altersversorgung h~itten die Aufmerksamkeit eines solchen Teams bewegt, sicherlich aber nicht Probleme der Massenkommunikationsmittel." (Lazarsfeld/Merton 1973 [zuerst 1948], S. 447) Der beschriebene Aufmerksamkeitsfaktor hat heute einen weitaus h6heren Stellenwert erreicht als im Jahr der Publikation dieses Beitrags.
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Ungeachtet dessen mfissen die Fragestellungen und Themen jeweils pr~tzisiert werden. Die verbindende Klammer lag und liegt in dem Interesse an der gesellschaftlichen Bedeutung der Massenmedien. Lazarsfeld und Merton sprechen hinsichtlich dieses verbindenden Elements jedoch von einer ,,schlecht definierte[n] Fragestellung." (Lazarsfeld/Merton 1973 [zuerst 1948], S. 450) Die allgemeine Frage nach der Bedeumng von Medien far die Gesellschaft und dort beobachtbarer Entwicklungen bedarf der Eingrenzung. In Anlehnung an den Soziologen Arnold Gehlen k6nnte man auch provozierend formulieren (siehe hierzu Schelsky 1963, S. 225): Ober den Kosmos ,Gesellschaft' schlechthin kann man nur dilettantisch reden. Die Vergangenheit und die Gegenwart verbindet gleichwohl das Bedt~rfnis nach schnellen Antworten auf h~iufig diffuse Fragestellungen. Es besteht ein hoher Bedarf an kurzfristigen Erkl~irungen, obwohl bekannt ist, dass die Reaktionen der Publika auf die jeweiligen Angebote langfristig beobachtet werden mt~ssen. Nur auf diese Art und Weise kann das Problem reduziert werden, den Zuf'~illen des Augenblicks eine Bedeutung zuzuschreiben, die der Logik des Beobachtungsfelds entspringt. Wer sich heute mit der Bedeumng der Medien besch~iftigt, ist unausweichlich permanent am Puls der Zeit. Die Dauerpr~isenz der Medien und der st~indige Wechsel von Themen und Programmen erschwert den B lick auf ~berdauemde Wirkungen. Die in ihrer Grundstmktur einfache Fragestellung nach den Wirkungen der Massenmedien auf die Gesellschaft lehnt sich an eine mechanistische Vorstellung von Ursache und Wirkung an. Implizit erwartet man die eindeutige Zurechenbarkeit von Effekten auf vorausgegangene Ereignisse. Dieses enge Wirkungsverst~indnis, das sich konkret in einem Reiz-Reaktions-Modell manifestiert hat, trug mit dazu bei, dass die durchaus differenzierte Vorgehensweise im Rahmen der frfihen Phase der Medienwirkungsforschung seltener ins Blickfeld geriet (siehe hierzu Brosius/Esser 1998). Bereits die Anf'~inge der Kommunikationsforschung waren auf der Suche nach einem erfahrungswissenschaftlichen Fundament (vgl. Reimann 1989, S. 30). Gegen die Vorherrschaft der Spekulation sollte das empirisch fundierte Urteil stehen. In den USA verlief diese Einbettung der Kommunikationsforschung weitgehend unproblematisch und wurde von dem dort dominierenden Pragmatismus getragen. Hingegen war die Situation in Europa, und insbesondere in Deutschland, eher durch eine Kontroverse vorbestimmt, die den Stellenwert der Erfahrungstatsachen far die Erkl~irung sozialer Ph~inomene betraf. Diese methodologische Diskussion begleitete die Vorstellungen t~ber wissenschaftliches Arbeiten und die Angemessenheit theoretischer Konzepte bis in die Gegenwart. Ein in namrwissenschafilichem Denken verankerter Wirkungsbegriff konkurrierte sowohl mit einer kulturkritischen Perspektive als auch mit Erkl~irungsmodellen, die an die Stelle der Eindeutigkeit der Wirkung bestimmter Stimuli eine Unbestimmtheitsrelation setzten und diese unter Bezugnahme auf hermeneutische und/oder (wissens-)soziologische Theorien rechtfertigten. Die Wirkungsdebatte kann somit als eine spezifische Variante einer grundlegenden geistes- und sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung begriffen wer-
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den. Zugleich wird damit noch einmal die Einbindung der Wirkungsforschung in unterschiedliche Disziplinen deutlich. Jede ErOrterung von (Medien-)Wirkungen ist darfiber hinaus mit der Frage konfrontiert, wie Effekte, die zumeist auf der Individualebene beobachtet werden, auf der gesellschaftlichen Ebene zur Geltung kommen k6nnen. Dieser 0bergang vonder Mikro- zur Makroebene lenkt den Blick auf Ebenendifferenzen (vgl. J~ickel/ Reinhardt 2001), die ftir zahlreiche Analysefelder von Bedeutung sind: individuelle Meinungsbildung und 6ffentliche Meinung, individuelle Mediennutzung und Informationsstand der Bev61kerung, interpersonale Kommunikation und MeinungsNhrerschaft. Es geht somit in vielen Bereichen darum, das Zusammenwirken der Interessen unterschiedlicher Akteure zu erkl~iren, die zum Zwecke der Realisierung bestimmter Ziele Kommunikationsangebote bereitstellen und nutzen. Wenngleich methodische und theoretische Fragen nicht im Vordergrund dieser Einf~Jhrung stehen, werden diese - soweit erforderlich- in die Gesamtdarstellung integriert. Das erste Kapitel besch~iftigt sich mit der Entwicklung der (Massen-) Medien und beschreibt wichtige Einschnitte und Erweiterungen auf dem Weg in eine Gesellschaft, deren Alltag zunehmend von Medienereignissen und Mediennutzung gepr~igt ist. Kapitel 2 und 3 dienen einer notwendigen Begriffskl~irung sowie der tiberblicksartigen Darstellung bedeutsamer allgemeiner Theorietraditionen, die sich in unterschiedlicher Weise in spezifischen Forschungsfeldem widerspiegeln. Eine engere thematische Orientierung an Hypothesen und Theorien erfolgt in den sich anschlieBenden Kapiteln: Behandelt werden die Kontroverse um spektakul~ire Medienwirkungen, das Zusammenwirken von interpersonaler Kommunikation und Massenkommunikation (Meinungsfahrerforschung), die Glaubwtirdigkeit der Medien und ihr Einfluss auf die Wahmehmung der sozialen Wirklichkeit, die Konstimtion von Offentlicher Meinung und Offentlichkeit unter modemen Kommunikationsbedingungen sowie der Einfluss der Medien auf die Angleichung oder Ausweitung von Wissensdifferenzen in der Bev61kerung. Diese Einfahrung wird in der vorliegenden Auflage durch ein neues Kapitel erg~inzt, das der wieder zunehmenden Diskussion um die Zukunft der Massenkommunikation Rechnung tragen soll. Burkart und H6mberg (1997, S. 82) kommen zu dem Ergebnis, dass die Art und Weise, wie das Feld der Massenkommunikation modellhaft skizziert wurde, auch zuktinftig relevant sein wird, aber nicht mehr die einzige und zugleich prototypische Auspr~igung von Sender-Empf'~inger-Beziehungen beschreibt. In kommunikationstheoretischer Hinsicht pl~idieren sie f~r die Berficksichtigung einer tibertragungsorientierten und interaktionistischen Sichtweise, damit unterschiedliche Formen der Beteiligung und Einbindung in Medienumwelten differenziert beschrieben werden kOnnen. Trotz einer Zunahme technischer Konvergenzen, die sich unter anderem in einer ,,integrativen Verwendung verschiedener Medientypen" (ebenda S. 78) niederschlagen, n~imlich statischer (Text, Graphik) und dynamischer Elemente (Video- und Tonsequenzen), wird eine grundlegende Abkehr von den herk/Smmlichen Distributionswe-
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gen nicht erwartet. Mittelfristig werden sich neue Muster der Mediennutzung herausbilden, ,,in denen verschiedenen medialen Angeboten ein unterschiedlicher Stellenwert im Informationshaushalt der Rezipienten zukommt." (ebenda S. 79) Dies gelte insbesondere fiir den ,,individualisierten" Zugriff auf Medienangebote. Die Kontroverse um aktive User und passive Zuschauer ist nicht neu, erfordert aber angesichts der Weiterentwicklungen auf technologischer Ebene und dadurch erm6glichte neue (Selbst-)Darstellungsm6glichkeiten und Nutzungsformen in elektronischen Umgebungen eine Diskussion, die diesen ver/inderten Rahmenbedingungen Rechnung tr/igt. Fest steht, dass sich die Chancen der gegenseitigen Wahrnehmbarkeit von Kommunikatoren und Rezipienten und die M6glichkeit des Rollentauschs insbesondere durch den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien ver~indert haben, und damit die Notwendigkeit, Wirkung auch im Sinne von Mitwirkung zu thematisieren. Das Ziel dieser Einfahrung liegt in der Vermittlung von Grundlagenwissen, das in der Diskussion um die Bedeutung der Medien in modernen Gesellschaften hilfreich sein kann.
1 Die Entwicklung der (Massen-)Medien
1.1 Modelle der MedienentwicMung Die in der Einleitung angedeutete Ebenendifferenzierung kann unter Rfickgriff auf die Geschichte der Medien illustriert werden. Gerade historische Einordnungen von Medienentwicklungen veranschaulichen unterschiedliche Bezugsebenen der Argumentation. Im Folgenden werden deshalb zun~ichst verschiedene, insbesondere deskriptive Modelle der Medienentwicklung dargestellt, um diesen Sachverhalt zu erl~iutern. Innerhalb der Kommunikationswissenschafl wird h~iufig vonder Evolution der Kommunikation gesprochen. Die damit verbundene Vorstellung impliziert vor allem, dass jede Erweiterung eines Mediums auch eine Erweiterung des Empf'~ingerkreises der Kommunikation bedeuten kann. L ~ m a n n hat diesen Sachverhalt mit dem Begriff ,Verbreitungsmedien' beschrieben. Je mehr sich diese Verbreitungsmedien yon Orten und Personen 16sen, desto unabh~ingiger wird die jeweilige Kommunikation ,,vonder Anwesenheit dessen, der sie mitteilt." (Luhmann 1997, S. 314) Zugleich reduziert eine systematische Erweiterung der rgumlichen Dimension von Kommunikation die Wahrscheinlichkeit von Zuf~illen. Die Nutzung mittelalterlicher Manuskripte illustriert dies: ,,Noch im Mittelalter war [...] die semantische Evolution entscheidend davon abh~ingig, in welchen Bibliotheken welche Manuskripte aufbewahrt wurden und welche Zuf~ille Leser, die dadurch zu Ideen angeregt wurden, an die seltenen Manuskripte heranfiihrten. Hier spielt [...] der K6rper von Individuen und damit ihr Aufenthalt an bestimmten Orten eine wichtige Rolle. Das gndert sich nach und nach mit der Verbreitung gedruckter Schriften." (Luhmann 1997, S. 314) Letztere beschleunigen gesellschaflliche Vergnderungen und die Diffusion yon Informationen 2. Damit einher geht die Entstehung yon Offentlichkeit, die von diesen Offnungen profitiert. Sobald die Kontrolle fiber den Zugang zu Informationen entf~illt, ist der Empf~ingerkreis nicht eindeutig bestimmbar. Diese allgemeine Feststellung veranschaulicht auch ein Modell des kanadischen Kommunikationswissenschafllers Wilbur J. Schramm (vgl. Abbildung 1.1). In seinem Beitrag ,,What is a long time?" setzt er den Tag mit seinen 24 Stunden ins Verh~iltnis zur Menschheitsgeschichte, die er auf etwa eine Million Jahre festlegt. Erst gegen 21.33 Uhr treten die Anf'~inge der Sprache auf (language 21:33). Zu diesem Zeitpunkt befindet man sich etwa im Jahre 100.000 v. Chr. Bis zur Erfindung 2 In diesem Zusammenhang ist auf die Bedeutung der Schrifi for die Ausbildung eines gesellschaftlichen Ged~ichtnisses hinzuweisen. Siehe hierzu Schramm 1981, S. 204; Bfiggs/Burke 2002, S. 19; Bohn 1999.
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Die Entwicklung der (Massen-)Medien
der Schrift vergehen weitere 96.500 Jahre (writing 23:52). Audiovisuelle Medien und der Computer tauchen erst kurz vor Mitternacht auf. Abbildung 1.1
Die Uhr von Wilbur J. Schramm erstes Buch-23:58:52\ / Gutenberg-23:59:14 Stempeldruck-23:57:25x~ . ~ j audiovisuelleMedien-23:59:47 Schrift-23:52:06.-_____~____~ 2__.______---Computer-23:59:57
Sprache-21:33\,,
18:00 I
---I 06:00
12:00
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Schramm 1981, S. 203 Dieses, in Anlehnung an den kosmischen Kalender von Carl Sagan 3 entworfene Modell der Kommunikationsgeschichte vermittelt auf einfache Weise, mit welchem kurzen Abschnitt der Kommunikationsentwicklung sich die Medienwirkungsforschung auseinandersetzt. Einer Stunde auf dieser Uhr entsprechen ca. 41.667 Jahre, einer Minute entsprechen ungef'~ihr 694 Jahre, einer Sekunde etwa 12 Jahre. Die Ereignisse bzw. Innovationen, die sich in der letzten Minute dieses Tages konzentrieren, verdeutlichen zugleich die rasante Geschwindigkeit, mit der sich insbesondere die technisch vermittelte Kommunikation entwickelt hat: Zwischen den ersten Anf~ingen der Sprache und der Schrift liegen fast 100.000 Jahre. 3 Carl Sagan hatte die Geschichte des Universums in ))The Dragons of Eden~ auf die zw61f Monate eines Jahres (ibertragem
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Von der Erfindung der Schrift bis zu ersten Techniken des Druckens vergehen etwa 4.000 Jahre, weitere 1.200 Jahre bis zur Drucktechnik mit beweglichen Lettern. Weitere 400 Jahre braucht es bis zur Erfindung der Fotografie. Telegraf, Telefon, Film und H6rfunk folgen in imrner kt~rzeren Abstfinden. Etwa 20 Jahre liegen zwischen den ersten Femsehfibertragungen und der Erfindung des Computers.
Nimmt man die Modemisierung des Buchdrucks als Ausgangspunkt, dann verschafft Abbildung 1.2 einen weiteren Einblick in die immer raschere Aufeinanderfolge von Innovationen. Abbildung 1.2
Evolution der Medien von 1450 bis heute 2004 UMTS .... 2003 DVB-T 1997 DVD-Player 1992 Intemet-Browser 9 1991 HDTV 1990 digitaler Mobilfunk
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1987 DAT 1983 CD Player
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1982 Bildplattenspieler 1981 PC 1980 BTX ~ 1 1978 Video/Kabel T V ~ " 1971 Satteliten T 1954 Femsehen ~ . 1950 Tonbandger~it
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~ 1829~
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1920 Rundfunk 1 8 9 7drahtloser Telegraph
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1877 Phonograph
1875 Telefon 1840 Elekt. Telegraph
1682 Zeitschrift 1609 Zeitung _ . ~ 1450 Buchdruck 1400
1500
160 0
1700
1800
1900
2000
Jahre
Quelle" Eigene ErsteIlung in Anlehnung an Schrape 1995, S.77 Abbildung 1.2, die die Zunahme der Medien einerseits sowie die Verringerung der Zeitabstgnde andererseits verdeutlicht, fibersetzt somit das von Schramm gew~ihlte Modell in eine andere Form. Die Kurve wird von Schrape wie folgt kommentiert: ,,Die Richtung dieser Medienevolution l~il3t sich mit zunehmender Differenzierung
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und Spezialisierung beschreiben: In immer kt~rzeren Zeitabst~inden entstehen immer mehr Formen der Medien-Kommunikation mit steigender Leistungsf~ihigkeit (Zeit, Menge, Selektivit~it). Das Volumen des publizistischen Angebots w~ichst hyperexponentiell." (Schrape 1995, S. 78) Daraber hinaus sind Modelle vorgelegt worden, die Prozesse der Mediendifferenzierung in den Vordergrund stellen. Beispielhaft kann hier das Modell von Merrill und Lowenstein genannt werden. Die Autoren unterscheiden drei Phasen: ,Elite Stage', ,Mass Stage' und ,Specialized Stage' (vgl. Abbildung 1.3). Demzufolge ist die Akzeptanz jedes neuen Mediums durch einen idealtypischen Verlauf beschreibbar: Personen mit t~berdurchschnittlicher Bildung und entsprechenden finanziellen M6glichkeiten repr~isentieren die frahen lLrbemehmer. Abbildung 1.3
Merrill und Lowensteins Modell der Medienspezialisierung
[ Elite
Masse
Spezialisierung
STADIUM
Quelle: Entnommen aus Neuman 1991, S. 118 Wenn die Anschaffungskosten bzw. Preise fallen, steigt die Zahl der Nutzer; ein Massenmedium entsteht. Sobald aber ein weiteres konkurrierendes Medium auf den Markt dr~ingt, tendieren die bereits vorhandenen Medien zur Spezialisierung ihres Angebots. Die Hauptaussage des Modells lautet wie folgt: Die Reichweite bzwo Verbreitung von Medien steigt zun~ichst an und nimmt erst infolge des Aufkommens
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neuer Medien bzw. Medienangebote ab. Ob der Rt~ckgang der Reichweite bereits ein hinreichendes Indiz far Spezialisierung sein kann, ist ohne Kenntnis der inhaltlichen Ebene jedoch nicht beantwortbar. Wenn diese inhaltliche Differenzierung Beachtung findet, kann aus dem Rt~ckgang der jeweiligen PublikumsgrOl3e m6glicherweise auf einen Vorgang der Abhebung von konkurrierenden Angeboten geschlossen werden. Die als EPS-Kurve bezeichnete Entwicklung beschreibt einen idealtypischen Verlauf: ,,[...] media in any nation grow from elitist to popular to specialized. In the elitist stage, the media appeal to and are consumed by opinion leaders, primarily. In the popular stage, media appeal to and are consumed by the masses of a nation's population, primarily. In the specialized stage, the media appeal to and are consumed by fragmented, specialized segments of the total population." (Merrill/ Lowenstein 1979, S. 29) 4 Der Hinweis ,primarily' ist wohl im Sinne einer Einschr~inkung des Geltungsbereichs dieser Skizzierung zu lesen. Das allgemeine Modell von Merrill und Lowenstein ist in Bezug auf die Entwicklung der amerikanischen Massenmedien aberpraft worden. Neuman pr~isentiert hierzu eine Darstellung (vgl. Abbildung 1.4 auf der folgenden Seite), die sich an dem Kurvenverlauf in Abbildung 1.3 orientiert. Der Wert von 100 Prozent auf der vertikalen Achse repr~isentiert den jeweils maximalen Verbreitungsgrad eines bestimmten Mediums. Im Falle der Zeitungen (,Newspapers') dient als Indikator far den Verbreitungsgrad ,Zeitungen pro Haushalt'. Danach wurde der H6chstwert etwa zwischen den Jahren 1910 und 1920 erreicht. Im Falle des Kinos (,Motion Pictures') liegt der H6chstwert bei 2,5 Besuchen pro Woche, der zwischen 1930 und 1940 beobachtet wurde. Bezt~glich des Radios liegt der h6chste Wert, ngmlich 4 1/3 Stunden pro Tag, zwischen 1950 und 1960, hinsichtlich des Fernsehens (,Network TV') wird die Reichweite mit Hilfe der Sehzeit pro Haushalt operationalisiert: Zwischen 1970 und 1980 liegt der H6chstwert bei etwa sieben Stunden pro Haushalt. Die Konkurrenz durch das Kabelfernsehen und den Videorekorder fahrt dazu, dass die Sehzeit, die sich auf die landesweit empfangbaren Fernsehprogramme verteilt, zurfickgeht. Aufgrund dieser empirischen Befunde liegt die Vermutung nahe, dass insbesondere das Kino den h6chsten Spezialisierungsdruck verspt~rt hat und sich gegent~ber der Konkurrenz des Fernsehens durch eine Ausdifferenzierung seines Angebots behaupten musste. Die tats~ichliche Entwicklung dt~rfte dieser Interpretation kaum entsprechen. Offensichtlich vermitteln diese Kurven zun~ichst einmal eine Konkurrenz um zeitliche Ressourcen der jeweiligen Publika, ohne dass damit bereits eine deutlich erkennbare inhaltliche Differenzierung einhergehen muss.
4
Die Bezeichnungen in Abbildung 1.3 sind in Anlehnung an dieses Zitat gew~ihltworden.
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Die Entwicklung der (Massen-)Medien
Abbildung 1.4
Amerikanische Massenmedien: Entwicklung und Konkurrenz
100
8o 706050407eitung 3020 -
Videoreco rde r
101 1860
I
I
1880
I
I
1900
~
1
1920
I
I
1940
I
I
1960
I
I
I
1980
ZEIT
Quelle: Entnommen aus Neuman 1991, S. 119 In Bezug auf die Konkurrenz der audiovisuellen Medien bemerkt Neuman darfiber hinaus: ,,It is not at all clear, however, that the elite-mass-specialized pattern will repeat itself as television begins to face competition from even newer media. Although cable television and especially ,pay television' have cut into the network share of prime-time viewing, network television, perhaps in a modified format, is likely to remain the dominant, low-cost, mass-audience medium." (Neuman 1991, S. 119) Auch wenn im Hinblick auf die berficksichtigten Medien die Frage nach der Vollst~indigkeit gestellt werden darf (das Buch ist beispielsweise nicht berficksichtigt), l~isst diese Darstellung doch die Schlussfolgerung zu, dass eine v611ige Verdr~ingung eines bereits vorhandenen Mediums durch ein neues eher unwahrscheinlich ist. Wolfgang Riepl vertrat diese Auffassung bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als er sich mit der historischen Entwicklung des Nachrichtenwesens auseinandersetzte. ,,[Es] ergibt sich [...] als ein Grundgesetz der Entwicklung des Nachrichtenwesens, dab die einfachsten MitteI, Formen und Methoden [die] eingebfirgert und brauchbar befunden worden sind, auch von den vollkommensten [Mitteln, Formen und Methoden] [...] niemals wieder g~inzlich und dauernd verdr~ingt
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[...] werden k6nnen, sondern sich neben diesen erhalten, nur dab sie gen6tigt werden, andere Aufgaben und Verwertungsgebiete aufzusuchen. Denn nicht nur die Nachrichtenmittel, ihre Leistungen und Verwendungsm6glichkeiten vermehren und steigern sich unausgesetzt, auch das Gebiet ihrer Verwendung [...] ist in fortw~ihrender Erweiterung und Vertiefung begriffen.' Sie machen einander die einzelnen Felder dieses Gebietes streitig, finden aber in dem fortschreitenden Proze6 der Arbeitsteilung alle nebeneinander genagend Raum und Aufgaben zu ihrer Entfaltung, bem~ichtigen sich verlorener Gebiete wieder und erobern Neuland dazu." (Riepl 1913, S. 5ff.) Historisch betrachtet gibt es far eine Substitution auch keine auffiilligen Beispiele. Die mfindliche Nachricht, welche am Anfang der Entwicklungsreihe steht, wurde zwar durch die schriftliche und sp~iter durch die telegraphische stark zurfick-, aber keineswegs verdr~ingt. In Form des Telefons hat die mfindliche Nachricht wieder immens an Bedeutung gewonnen, ohne jedoch ihrerseits die schriftliche oder telegraphische Nachricht zu verdr~ingen (vgl. Riepl 1913, S 5ff.). Kiefer kritisiert an diesem ,,Grundgesetz der Entwicklung" zu Recht, dass es auf die Binnendifferenzierung der Medien und Mediengattungen und auf das WettbewerbsverhNmis der Medien keine befriedigenden Antworten geben kann. Obwohl hinsichtlich der Verdr~ingungsthesen nach wie vor eher ,vers6hnliche' T6ne dominieren, ist nach ihrer Auffassung eine detailliertere Analyse von Angebots- und Nachfragestrategien sowie der durch technologischen Wandel erm6glichten Verbreitungsformen von Medienangeboten erforderlich (vgl. Kiefer 1989, S. 338). Auf die Perspektive der Mediennutzung l~isst sich beispielsweise folgendes Analysemodell anwenden, das die technologische Dimension mit der zeitlichen Dimension verknt~pft. Daraus ergeben sich idealtypisch vier Konstellationen: Abbildung 1.5
Medienkonkurrenz: Ein Analysemodell
Technische Verdr~ingung Ja Nein Umverteilung des MeSubstitution dienzeitbudgets (z.B. Lesezeit wird vollJa (z.B. seltener Kinobesuch st&ndig durch Fernsehund h&ufigere Fernsehnutzeit ersetzt) Zeitliche zung) Verdr~ingung Neue Technik, ~ihnliKomplementarit~it che Inhalte (z.B. ,,The more the moreNein (z.B. DVD- anstelle von Regel") Videokonsum) ,
Quelle: Eigene Erstellung
,
34 9
9
9
9
Die Entwicklung der (Massen-)Medien Wenn die Zeit, die bislang dem Lesen von Bt~chern gewidmet wurde, nach dem Aufkommen des Fernsehens vollst~indig der Nutzung des Bildmediums zukommt, findet eine zeitliche Verdr~ingung statt, die signifikant zu Lasten des gedruckten Mediums geht. Himmelweit u.a. verwandten bspw. den Begriff ,,functional similarity". Das Fernsehen, so ein Ergebnis der Studie ,,Television and the Child" aus dem Jahr 1958, verdr~ingt funktional ~ihnliche Aktivit~iten. Das Bed~irfnis nach Unterhaltung wird nicht mehr durch das Lesen von Comics, sondern durch das Sehen befriedigt (vgl. Himmelweit et al. 1958, S. 329). Wenn sich dagegen die Nutzungsschwerpunkte verschieben und eine Umverteilung des vorhandenen Zeitbudgets stattfindet, wird ein bereits vorhandenes Medium nicht substituiert, sondern in seiner Gesamtbedeutung geschmNert. Das kann z.B. eine Spezialisierung auf der Angebotsebene zur Folge haben. Kracauer hat dies am Beispiel der Konkurrenz von Kino und Fernsehen veranschaulicht: ,,Der Triumpf des Fernsehens, so scheint es, fahrt zu einer Teilung der Aufgaben zwischen den beiden Medien, die auch far den H6rfunk von Vorteil sind." (1964, S. 227) Findet keine zeitliche Verdr~ingung statt, so verbreitet das neue Medium z.B. ~ihnliche Inhalte. Die Konkurrenz zwischen Videokassette und DVD w~ire hierfar ein gutes Beispiel, wenn die damit verbrachte Zeit weitgehend unver~indert bleibt. Der klassische Fall von Komplementaritgt wird durch die ,,The more the more"-Regel verdeutlicht. Unter Rt~ckgriff auf Ergebnisse aus der Erie CountyStudie (vgl. Lazarsfeld u.a. 1969, S. 161) 5 wird von additiven Nutzungsformen ausgegangen, Das Zeitbudget far Mediennutzung erweitert sich mit dem Hinzukommen neuer Medien.
Je intensiver die Wechselwirkung zwischen den jeweils vorhandenen Verbreitungsmedien, den zur Verfagung gestellten Medienangeboten und dem vorhandenen Zeitbudget der Bev61kerung betrachtet wird, desto deutlicher wird die Notwendigkeit von Mikro-Makro-Analysen. Die Gefahr 6kologischer Fehlschlt~sse steigt, wenn aus der geringen Verschiebung von Medienzeitbudgets auf relativ konstantes Medienverhalten geschlossen wird. Von 6kologischen Fehlschlt~ssen wird gesprochen, wenn Strukturmerkmale als Ursache von Individualmerkmalen betrachtet werden. Auf dieses Problem hat insbesondere Kaase hingewiesen, als er von dem ,,MikroMakro-Puzzle der empirischen Sozialforschung" (Kaase 1986, S. 209) sprach. Blickt man auf die aktuelle Diskussion um neue Medien, ist eine radikalere Vorstellung von der Art und Weise, wie Menschen in Zukunft Informationen aufnehmen und verarbeiten, keineswegs untypisch. Diese Erwartung s~tzt sich insbesondere auf die folgende Annahme: Die Medien der Vergangenheit pr~isentieren in 5 Siehe hierzu auch die Ausfiihrungen in Kapitel 5.
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der Regel ,fertige' Produkte, z.B. ein Buch, einen Film oder ein H6rspiel. Die darin vermittelten Informationen sind mehrheitlich als Einheit konzipiert und werden im allgemeinen auch sequentiell aufgenommen. Man kann zwar auch in einer Tageszeitung hin- und herbl~ittern, ein Buch auszugsweise lesen, aber das Medium selbst gibt keine technische Hilfestellung, die die nicht-sequentielle Informationsaufnahme gestattet. Neue Medien ersetzen nach Bolz diesen linearen Gedanken der Buchkultur durch ein Denken in Konfigurationen (vgl. Bolz 1993, S. 422). W~ihrend heute noch die Vorstellung dominiert, etwas verstehen und gleichsam endgtiltig repr~isentieren zu k6nnen, werde die Zukunft durch Simulationen beherrscht, die nicht wirklich wirklich sind. Diese sehr grunds~itzlichen Einsch~itzungen beinhalten Hinweise auf eine andere Erfahrung der Welt. Der Aufbruch in die neue Welt der neuen Medien, die man auch als Hypermedien bezeichnet, ver~indert den Prozess der Wissensaufnahme durch neue Wege des Erschliel3ens: ,,Die Etappen der Medienevolution sind deutlich: Abschied vom Buch als Archiv- Abschied vom Papier als Schauplatz der Schrift- Abschied vom Alphabetisch-Literarischen als Medium des Wissens. Hypermedien erreichen heute durch die digitale Datenverarbeitung von multimedialem Material eine v611ig neue Darstellungsebene." (Bolz 1993, S. 226) Und weiter heil3t es zur Besonderheit der Hypermedien: ,,Sie implementieren ein Wissensdesign, das Daten gleichsam frei begehbar macht; d.h. sie dekontextualisieren Informationselemente und bieten zugleich Verkntipfungs-Schemata der Rekombination an." (Bolz 1993, S. 207) Die dargestellten Modelle und Erwartungen beziehen sich entweder auf eine Interpretation der historischen Entwicklung oder auf die damit einhergehende Konkurrenz der jeweiligen Medienangebote. Aber die eingangs angedeutete Erweiterung der Erfahrung und der Verzicht auf die r~iumliche Integration der Kommunikation verweisen bereits auf Wirkungsdimensionen, die tiber den engen Bereich einer ver~inderten Informations- und Wissensaufnahme hinausgehen. Es ist zu fragen, welche gesellschafilichen Ver~inderungen sich im Zuge dieser Medienentwicklung vollzogen haben.
1.2 Medienentwicklung und gesellschaftliche Ver~inderungen Irving Fang spricht in seiner historischen Analyse von sechs Informationsrevolutionen (vgl. Abbildung 1.6 auf S. 37). Gemeint sind damit nicht pl6tzliche und durch Gewaltanwendung erzeugte Ver~inderungen, sondern ,,profound changes involving new means of communication that permanently affect entire societies, changes that have shaken political structures and influenced economic development, communal activity, and personal behaviour." (Fang 1997, S. XVI) In diesem Sinne sind die in Abbildung 1.6 genannten Ereignisse jeweils Anfangspunkte signifikanter Entwicklungsprozesse.
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Die Entwicklung der (Massen-)Medien
Die sogenannte ,Writing Revolution' beschreibt die Konvergenz von Schrift und Papier. Sie erm6glichte es, das Wissen der jeweiligen Zeit von dem Ged~ichtnis einzelner Personen unabh~ingiger zu machen. Den Beginn dieses ersten bedeutenden Entwicklungsschritts datiert Fang in das 8. Jahrhundert v. Chr. Die zweite Revolution, die von ihm als ,Printing Revolution' bezeichnet wird, resultiert aus einer Konvergenz von Papier, Schrift und Drucktechniken. Die Drucktechnik er6ffnet neue M6glichkeiten der Vervielf~iltigung von Informationen und markiert den Beginn sozialer Ver~inderungen, die durch die Reformation, die Renaissance und den Aufbruch in die Moderne (Ende des Feudalismus) fortgeft~hrt werden. Die dritte Informationsrevolution, die Fang mit dem Aufkommen von Massenmedien zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Verbindung bringt (,Mass Media Revolution'), erg~inzt die bereits vorhandenen und verfeinerten M6glichkeiten der Verbreimng von Informationen durch die M6glichkeit der RaumOberwindung in kurzer Zeit. Die Erfindung des Telegrafs erweitert den Radius der erfahrbaren Nachrichten und bringt Ereignisse aus fernen Regionen in die Nahwelt der Menschen. Die Fotografie h~ilt Einzug in die Informationsvermittlung. Ende des 19. Jahrhunderts beginnt die ,Entertainment Revolution' und setzt erste Marksteine. Anf~inglich bewegen sich die neuen Medien Film und H6rfunk noch in einem technischen Experimentierstadium, k6nnen aber im Laufe der ersten H~ilfte des 20. Jahrhunderts ein Massenpublikum begeistern. Insbesondere die Verbindung von Film und Ton er6ffnet eine neue Dimension im Bereich der Unterhaltung. Zugleich nehmen die M6glichkeiten der schnellen Produktion und Reproduktion von Unterhaltungsangeboten zu. Noch in den 30er Jahren r~itselte man darfiber, ob die Menschen Zeit fiir die Nutzung dieser Angebote haben werden. Ein Reporter der ,,New York Times" sah das Problem des Fernsehens darin, ,,[...] that the people must sit and keep their eyes glued on a screen; the average American family hasn't time for it." (zit. nach Latzer 1997, S. 113) Die Fortsetzung dieser Entwicklung wird durch die fOnfte Informationsrevolution eingeleitet, die die rasche Diffusion der Medien in die Privathaushalte beschreibt. Mit der Bezeichnung ,Communication Toolshed Home' illustriert Fang die zentrale Bedeutung des h~iuslichen Umfelds for die Aufnahme und Verarbeitung von informierenden und unterhaltenden Angeboten. Die sechste Informationsrevolution beschreibt schliel31ich die Konvergenz von Computertechnologien und bereits vorhandenen Medien. Damit verbunden ist eine Erweiterung des Einsatzes von Medien in allen Lebensbereichen (Bildung, Beruf, Freizeit). Im Sinne der von Fang vorgeschlagenen Klassifikation befindet sich diese Entwicklung erst am Anfang. Schon jetzt aber ist erkennbar, dass mit diesen Vergndemngen ,,permanent marks on the society" (Fang 1997, S, XVI) verbunden sein werden.
Die Entwicklung der (Massen-)Medien Abbildung 1.6
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Die sechs Informationsrevolutionen nach Irving Fang
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WritingRevolution
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PrintingRevolution
I
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2. H~tlftedes 15. Jahrhunderts,| Europa / (z.B.JohannesGutenberg) /
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Unterhaltung
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~:i:i:i:ii:i:i;ii!i:iiii:i:iii:!:i:i:~iilt!ti!|i!ilti!:!;i!i:iiii | Mite des 20. Jahrhunderts,l I EndeEuropadeS 19.undJahrhundertS,usA | 1.Welt | I (Schallplatten,Fotokameras, [(Telefon, Fernsehen,Radio,] | Film) ~, Aufzeichnungsm6glichkeiten),/ k,, I
Home
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Fang 1997, S. XVf. In Erginzung zu den Kurzbeschreibungen der ,Revolutionen' sind daNber hinaus folgende Aspekte hervorzuheben (vgl. Fang 1997, S. XVIIIf.): 9 9 9
9 9
9
Neue Kommunikationsmedien resultieren aus der Konvergenz bereits vorhandener Erfindungen. Neue Kommunikationsmedien beschleunigen den sozialen Wandel. Sie verwandeln statische in dynamische Gesellschaften. Informationsmonopole werden aufgebrochen und Wissensunterschiede in der BevSlkemng gleichen sich an. Gleichzeitig nehmen Informationsmengen zu und die Gefahr der Desinformation steigt. Das Themenspektrum, das eine Gesellschaft wahmimmt, erweitert sich. Das Phinomen des Pluralismus nimmt zu. Neue Kommunikationsmedien verwenden neue Codes. Far jede neue ,Sprache' (z.B. Alphabet, drahtlose Obertragungstechniken, Software) entwickeln sich neue Expertengruppen. Wihrend sich die ,Hardware' der Kommunikationsibertragung wandelt, bleiben die Interessen und Vorlieben der Menschen eher stabil.
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Die Entwicklung der (Massen-)Medien In Bezug auf die Gegenwart hat die Nutzung der Medienangebote nur in extremen F~illen zu einem deutlichen Rt~ckgang sozialer Aktivit~iten gefahrt. Soziale Dysfunktionen sind die Ausnahme und resultieren aus einer t~berm~il3igen Mediennutzung im privaten Umfeld.
Auch die von Fang vorgelegte Analyse unterstfitzt die Feststellung, dass der ,,Radius der Wahrnehmbarkeit" (Merten 1994a, S. 144) far die Bedeutung eines Mediums von grol3er Relevanz ist. Auf diesen Sachverhalt wird im Rahmen der Erl~iuterung des Begriffs ,Massenkommunikation' noch detaillierter eingegangen 6. Wenn die Wahrnehmbarkeit von Informationen ortsgebunden bleibt, ergeben sich diesbezt~glich naheliegende Grenzen: die Lautst~irke eines Redners, Ablenkungen unterschiedlichster Art usw. Wichtig ist aber, dass jede Form von Anschlusskommunikation im Falle der Dominanz von Mfindlichkeit (m(indliche Kulturen) an das menschliche Ged~ichtnis gekoppelt bleibt. Was kommuniziert wird, lebt nur von unmittelbarer Erfahrung. Assmann und Assmann haben hierfar den Begriff des sozialen Ged~ichtnisses vorgeschlagen. Dieses soziale Ged~ichtnis erf~ihrt durch die Entwicklung neuer Medien entscheidende Erweiterungen, die sich in einer r~iumlichen und zeitlichen fJberschreitung der ,,Grenzen der Mt~ndlichkeit" (Assmann/Assmann 1994, S. 134) niederschlagen. Der 121bergang v o n d e r Handschriftlichkeit zur Druckschriftlichkeit bedeutet zun~ichst noch keine Ver~indemng des in den verwandten Symbolen enthaltenen Wissens, wohl aber eine Steigerung, die sich anf~inglich quantitativ am deutlichsten niedergeschlagen hat. Assmann und Assmann weisen darauf hin, dass in dem ersten halben Jahrhundert des Buchdrucks eine Zahl von ca. acht Millionen Bt~cherproduktionen zu verzeichnen war, die zuvor in s~imtlichen Skriptorien Europas zusammen auch nicht ann~ihemd erreicht wurde (vgl. Assmann/Assmann 1994, S. 135). Die qualitative Komponente dieser Ver~inderung schl~igt sich in der allm~ihlichen AuflOsung von Wissensmonopolen, in der Entstehung yon M~trkten far die Buchproduktion und schliel31ich in der Entwicklung der wissenschaftlichen Disziplinen nieder. Verbunden damit beginnt ein langer Weg der Alphabetisierung und des Anstiegs der Literalit~it (Lesef~ihigkeit). W~ihrend das Wissen der mt~ndlichen Kulturen vorwiegend an bestimmten Orten zirkulierte, zum Beispiel im Rahmen von Festen oder 6ffentlichen Veranstaltungen, tritt das Buch in der Phase der schriftlichen Kulturen zus~itzlich als Zirkulationsmedium hinzu, das zugleich eine gr613ere Effektivit~it far sich reklamieren kann. An die Stelle des menschlichen Ged~ichtnisses treten Texte als eine MOglichkeit der Artikulation von Wissen. Das elektronische Zeitalter fahrt nun zu einer Erweiterung der Dokumentations- und Speicherm6glichkeiten und er6ffnet ganz neue MOglichkeiten der Aufbewahrung und des Transports. Aleida Assmann spricht von ,,elektronisch hochge6 Siehe hierzu die Ausf'tihrungen in Kapitel 2.
Die Entwicklung der (Massen-)Medien
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rfisteten externen Wissensspeichern" (Assmann 1999, S.11). Sie stellt fest, dass der zunehmenden Kapazit~it der elektronischen Speichermedien ein Rtickgang des Auswendiglernens korrespondiert. Die Erweiterung der Speicherkapazit~iten fahrt ihrer Ansicht nach zu einer drastischen Versch~irfung der ,,Diskrepanz zwischen bewohnten und unbewohnten, verkOrperten und ausgelagerten Erinnerungsr~iumen" (Assmann 1999, S. 409). Abbildung 1.7
Das soziale Ged~ichtnis in den Etappen der Medienevolution MQndlichkeit
Kodierung Speicherung
Zirkulation
Schriftlichkeit
Elektronik
symbolische Kodes
Alphabet, verbale Kodes
nonverbale Kodes, kQnstliche Sprachen
begrenzt durch menschliches Ged~chtnis
gefiltert durch Sprache in Texten
ungefiltert, unbegrenzte Dokumentationsm~Sglichkeit
Feste
BQcher
audiovisuelle Medien
Quelle: Assmann/Assmann 1994, S. 139 An die Stelle von traditionellen Archiven treten High-Tech-InformationsMaschinen, die unendlich viele M6glichkeiten der Vergangenheitskonstruktion gestatten 7. Zugleich beginnt neben den bereits vorhandenen MOglichkeiten der Zirkulation die Dominanz der audiovisuellen Medien. Gedgchtnis und Sprache verlieren nicht ihre Bedeutung far Kommunikationsprozesse, aber im elektronischen Zeitalter ,,ihre kulturpr~igende Dominanz." (Assmann/Assmann 1994, S. 139) Assmann und Assmann fassen diese Etappen der Medienevolution in der Abbildung 1.7 zusammen.
1.3 Massenkommunikation in historischer Perspektive
Mit der Modernisierung des Buchdrucks sind die Grundlagen far die Entstehung eines Massenpublikums geschaffen worden. Allerdings musste sich das Publikum selbst noch konstituieren. McQuail bemerkt hierzu: ,,The emergence of the mass media audience began mainly with the introduction of the printed book." (McQuail
7 Der Auftrag an die Deutsche Nationalbibliothek, alle deutschen Internetseiten zu speichern, verleitete zu dem Kommentar, dass nun Augenblicke archiviert werden. Die Entscheidung fiber Speichern oder Nicht-Speichern ist eine schwierige Entscheidung, weil man nicht wei6, was ffir zuktinftige Generationen relevant sein wird (vgl. L6bbert 2006, S. 33).
40
Die Entwicklung der (Massen-)Medien
1997, S. 4) Aber erst Ende des 16. Jahrhunderts ist es gerechtfertigt, von einem ,lesenden Publikum' zu sprechen, das Bircher erwirbt, liest und far private Zwecke sammelt. Periodisch erscheinende Presseerzeugnisse nehmen mit Beginn des 17. Jahrhunderts an Bedeutung zu, werden aber infolge einer Kontrolle durch Staat und Kirche in ihren Entfaltungsm0glichkeiten begrenzt. Insbesondere England kann im Zuge einer Offnung des politischen Raums bereits in der zweiten HNfte des 17. Jahrhunderts einen deutlichen Anstieg von politischem Schrifttum verzeichnen, das sich an ein lesendes Publikum richtet. Hinzu kommt ein sich allm~ihlich ausdifferenzierendes Angebot an periodischen Magazinen, die auch Unterhaltungsinteressen bedienen. Der Begriff ,mass audience' erhNt jedoch erst im Verlaufe des 19. Jahrhunderts seine eigentliche Bedeutung. Wenngleich Gr613enangaben hinsichtlich des Publikums bis heute unpr~izise geblieben sind, ist es doch die Ausweitung der Angebote einerseits und dessen kontinuierliche Verfagbarkeit andererseits, die das Publikum zu einem stabilen Faktor werden lassen. Die bisherigen Ausfahrungen zur Entwicklung der Medien sind das Ergebnis einer Betrachtung grol3er Zeitr~iume. Notwendigerweise mt~ssen solche Betrachtungen einen hohen Allgemeinheitsgrad annehmen. Jahrhunderte in einen geschichtlichen Oberblick zu bringen, kann nicht die N~ihe der Beschreibung vermitteln, die eine Detailgeschichte einzelner Medien leisten kann. Wenn im Folgenden erneut auf historische Ereignisse Bezug genommen wird, soll dies auch unter Berficksichtigung der Frage geschehen, welche sozialen Grol3gruppen in welcher Form an den jeweiligen Erweiterungen der Kommunikationsm0glichkeiten partizipiert haben. Das Zeitalter des Buchdrucks nimmt seinen Anfang am Ende des 15. Jahrhunderts. ,Literacy', also die F~ihigkeit, lesen und schreiben zu k6nnen, wird durch dieses neue Medium nicht zu einem vormals unbekannten BeOJrfnis, aber zu einem far immer mehr Menschen erstrebenswerten Ziel. Noch 100 Jahre vor der Modernisierung der Drucktechnik durch Gutenberg konnten selbst manche K6nige nicht lesen. Auch die Gr0Be der damaligen Privatbibliotheken, sofern solche ~berhaupt vorhanden sind, entspricht einem bescheidenen Umfang dessen, was heute nahezu jeder moderne Mensch sein eigen nennen darf. Ein franz6sischer Bischof soll im 14. Jahrhundert eine groBe Bibliothek besessen haben - sie umfasste 76 Bircher (vgl. Fang 1997, S. 25). Eine rgckblickende Betrachtung muss zu dem Ergebnis kommen, dass viele Entwicklungen parallel verlaufen und sich gegenseitig begt~nstigen. Burke bemerkt hierzu: ,,As the paper mills spread, so too did the spirit of religious reform." (Burke 1995, S. 87) Und weiter heil3t es: ,,As the price of paper continued to fall, the development of eye-glasses intensified the pressure for literacy. Glasses had first appeared in the early fourteenth century, and a hundred years later they were generally available. Their use lengthened the working life of copyist and reader alike. Demand for texts increased." (Burke 1995, S. 88)
Die Entwicklung der (Massen-)Medien
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Starke Premiere in Stral~burg Johann Carolus - Der Mann, der die erste Zeitung der Welt gr0ndete "[Johann Carolus] [...] tr~gt eine scheinbar simple Idee mit sich herum, voile 150 Jahre nach Gutenbergs Mainzer Durchbruch: Nachrichten gedruckt und regelm~l~ig zu verbreiten. Wie w~r es mit dem Rhythmus einer Woche?, fragt sich der Mann, der aus Th0ringen stammt und als Buchbinder in Stral~burg lebt, einer freien deutschen Reichsstadt. [...] Um diese Gesch&ftsidee genehmigt zu bekommen, wendet er sich im Oktober 1605 an den Stral~burger Rat. Von dem will er zweierlei: das Ja f0r "wochentliche ordinarj avisen" und die Garantie, dass er als einziger daf0r die Lizenz bekommt. Carolus begr0ndet seine Eingabe geschickt. Dennoch sagt der Rat am 21. Dezember 1605 Nein. "Sein begeren ist Ime rundt abgeschlagen worden", bekunden die Akten. Ein Monopol - damit hat er zuviel gefordert. Seine Zeitung, die "Relation", darf er jedoch drucken. Sie erscheint mit vier Seiten in der Qblichen FlugschriftengrS6e. AIs Schrift wird meist die Fraktur verwendet. 0berschriften wie heute gibt es nicht. Vorangestellt wird nur der Ort, von dem die Nachricht stammt. Die folgende Meldung war spannend genug. Die Stral~burger Kundschaft war begierig auf Nutzwertiges aus Handel und Krieg, Kirchenstreit und Prozessen, sie wollte Neues aus Prag und KSIn, aus Venedig, Wien und Rom erfahren. Das waren die begehrtesten Nachrichtenpl,~tze, von denen Carolus einmal pro Woche genug Stoff bekam [...]." (Roloff 2005, S. 1)
Eine vorwiegend auf Mt~ndlichkeit beruhende Kultur wird durch das allm~thliche Aufkommen von Flugbl~ittem, Pamphleten, Zeitungen und Bt~chem nicht aus dem Alltag verdr~ingt. Noch zur Reformationszeit will man h6ren, nicht lesen (vgl. Scribner 1981, S. 66). Trotz dieser Parallelit~it von H6ren und Lesen wird die Grundlage far eine neue Kulturtechnik geschaffen, die der Entwicklung zur modernen Gesellschaft entscheidende Impulse verleiht. Die Erschliel3ung vormals unbekannter Wissensbereiche - v o n der l)bersetzung der Bibel bis hin zu philosophischer und sch6ngeistiger Literatur- 6ffnet die insbesondere im kirchlichen und weltlichen Herrschaftsraum verankerte Informationshierarchie. Zwar bleibt das Mittel der Zensur ein wichtiges Kontrollinstrument, aber diese Beschr~inkungen k6nnen die Entwicklungen in Okonomie, Wissenschaft und Gesellschaft allenfalls verlangsamen. Dies gilt insbesondere far die Entwicklung des Zeitungswesens. Orientiert man sich an den Kriterien Aktualit~it (=Gegenwartsbezogenheit), Universalit~it (=Themenoffenheit), Publizit~it (-allgemeine Zug~inglichkeit) und Periodizit~it (=regelmN3iges Erscheinen), kann Deutschland als Urspmngsland der Zeimng bezeichnet werden.
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Die Entwicklung der (Massen-)Medien
Im Jahr 1609 erscheinen zwei periodische Wochenzeitungen: Aviso aus Wolfenbt~ttel und Relation aus Stral3burg (vgl. Bucher 1998, S. 730; Wilke 2003a, S. 463). Eine besondere Grfindungswelle von Zeimngen wurde im 17. Jahrhundert durch lang andauemde kriegerische Ereignisse ausgel6st (vgl. SchultheiB-Heinz 2004, S. 33ff.), die teilweise bereits mehrmals w6chentlich erschienen, fJberhaupt waren es die grol3en Konflikte, die auf Seiten der Bev61kemng die Neugier verst~irkten (vgl. auch Wilke 2001a, S. 48). Im 18. Jahrhundert erschienen die Zeitungen zwei- bis dreimal in der Woche, in besonderen Situationen ,,hielten sie aber mit Sondemummern das Lesepublikum auch schon t~iglich auf dem Laufenden." (Gestrich 2006, S. 23). Das Aufkommen von Lesemedien erh6ht die Wahrscheinlichkeit, dass eine Vielzahl von Menschen in einem t~berschaubaren Zeitraum Kommunikationsangebote identischen Inhalts an verschiedenen Orten wahrnehmen kann. McQuail spricht von einer ,,dispersed reading public" (1997, S. 4). In erster Linie aber sind es Adel, Klerus und B~irgertum, die sich als dominante Tr~igerschichten identifizieren lassen. Daneben entwickelt sich die Institution des Vorlesens zu einer bedeutenden Form 6ffentlicher Lek~re (vgl. Winter/Eckert 1990, S. 33 f.). Zeitgen6ssische Abbildungen illustrieren diese Lesesituation (vgl. Abbildung 1.8). W~ihrend das laute Vorlesen insbesondere eine Mitteilungsform far die unteren sozialen Schichten darstellt, entfaltet sich in den oberen Schichten der Gesellschaft zunehmend auch die Praxis des stillen und intimen Lesens in Privatbibliotheken oder Salons. Bis die von Fang beschriebene ,Printing Revolution' weite Teile der Bev61kerung erreicht, vergehen dennoch ann~ihernd vier Jahrhunderte. In der Regel sind es Plausibilit~itst~berlegungen, die Angaben zur Verbreitung des Schrifttums zugrunde liegen. Bezt~glich Luthers Traktaten ist beispielsweise zu lesen, ,,[...] dab sie in einer GrOl3enordnung von mehreren Zehntausenden verbreitet waren. Wer kaufte und las sie? Konnten sie t~berhaupt von einer gr613eren BevOlkerungszahl gelesen werden? Genaue Zahlen sind nicht t~berliefert. Die F~ihigkeit zu lesen, also nicht nur das mt~hsame und umst~indliche Buchstabieren, war nicht einmal in Staidten oder wirtschaftlich gut gestellten Regionen stark verbreitet. Die Forschung rechnet far Mitteleuropa mit einem Durchschnittswert von h6chstens 2 bis 3 Prozent; in grol3en St~idten dt~rfte die Zahl gelegentlich auch einmal 25 Prozent leicht t~berschritten haben." (S6semann 1995, S. 73f.) Noch um das Jahr 1800 "amrde die Lesef~ihigkeit der Bev61kerung in Deutschland im optimistischen Falle auf 40%, im pessimistischen Falle auf 25% gesch~itzt, im Jahr 1840 konnte etwa jeder zweite erwachsene Deutsche lesen und schreiben (vgl. Schulze 1996, S. 101). Zun~ichst konzentriert sich die Expansion des Lesens somit auf das Bt~rgermm. Diesen Prozess hat Engelsing als Leserevolution bezeichnet. Parallel dazu nimmt auch das Leseangebot zu, so dass sich ein l)bergang von einer intensiven Wiederholungslektfire zu einer extensiven Novit~itenlek~re abzeichnet (vgl. Engelsing 1974, insb. S. 187ff.).
Die En~icklung der (Massen-)Medien Abbildung 1.8
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Lautes Vorlesen in der frfihen Neuzeit i
Quelle: Manguel 1998, S. 132 Die Zunahme von Lesegesellschaften, die die private Aneignung unterschiedlicher Lektfire zumindest in einem halb6ffentlichen Raum stattfinden 1/~sst, wirkt sich im Zeitalter der Aufkl~imng positiv auf die Entstehung einer politischen 13ffentlichkeit aus, die Diskussionen und Er6rterungen aus dem privaten Innenraum heraustr/~gt (vgl. Koselleck 1973, insb. S. 141ff.) ~. Ebenso nimmt die Zahl der Buchhandlungen zu, eine Entwicklung, die sich zun/ichst in gr613eren St/~dten vollzieht: In Berlin z/~hlte man im Jahr 1831 80 Buchhandlungen, 24 Jahre sp/~ter 195. Als Folge der noch strengen Zensurverordnungen konzentriert sich das Buchangebot zwar vorwiegend auf unpolitische Sachliteramr und Belletristik, das WechselverhNmis von Lesef'~ihigkeit und Lesebereitschaft schafft gleichwohl die Voraussetzungen far einen expandierenden Markt (vgl. Schulze 1996, S. 100). Insgesamt 1/isst sich das Zeitalter des Buchdrucks als ein eher langsames Zeitalter bezeichnen. Das ,Tempo des Lebens', von dem Georg Simmel (1858-1918) in einem anderen Zusammenhang gesprochen hat (vgl. Simmel 1897), wird noch nicht durch das Tempo der Kommunikation beeinflusst. Bereits vor der Industrialisierung hat es zahlreiche Versuche gegeben, die im weitesten Sinne der Fern- bzw. Telekommunikation zugeordnet werden k6nnen. Aber erst im 19. Jahrhundert gelingen die entscheidenden Entwicklungen, die letztlich zum Aufkommen eines Mediums fahren, das Bild und Ton vereinen und fiber weite DisSiehe hierzu insbesondere die Ausf'tihmngen in Kapitel 9.
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tanzen transportieren kann. Es sind zun~.chst kleine Demonstrationen, die Aufsehen erregen und die Menschen in Erstaunen versetzen. Offentliche Vorffihrungen des Cooke-Telegrafen vermittelten beispielsweise einen Eindruck v o n d e r Faszination, die die Vorausschau eines weltumspannenden Systems hervorrief (vgl. Flichy 1994,
S. 7O). Der Telegraf erm6glicht nicht nur eine Punkt-zu-Punkt-Kommunikation, sondern erweist sich t~ber den gesch~ftlichen Bereich hinaus als ein fr~hes Medium politischer Kommunikation, das beispielsweise in Londoner Clubs eingesetzt wird. 9 Die M6glichkeit der Informationsfbermittlung fiber gr6Bere Distanzen wird durch die Erfindung des Telefons erleichtert und erschlieBt allm~hlich Verwendungsm6glichkeiten, die ebenfalls fiber den politischen und beruflichen Kontext hinausgehen. Die Skepsis gegenfber einem Medium, das sich unaufgefordert zwischen andere Alltagsgesch~fte dr~ngte und auch die Grenzen zwischen (~ffentlichkeit und Privatheit missachtete (invasives Medium), wich allm~hlich pragmatischen Oberlegungen, aus einem ,,scientific toy" (Casson 1910, S. 42) wurde ein Gesch~fts- und Massenmedium.
Die ,,New York (Daily) Times" ,,[...] Die Zeitungsjungen rufen neben ihren mehr als einem Dutzend Gazetten (von denen nur zwei als halbwegs seribs gelten) noch ein weiteres Bl&ttchen aus, vier Seiten f0r einen Cent. Vorne darauf Nachrichten aus Europa, auch aus Deutschland - Kriegsger0chte in Bayern und SkandalSses in Bremen, wo ein Ratsherr und Direktor der Handelsschule 120 000 Taler unterschlagen habe. Des Weiteren Lokales: Die Notiz, dass zwar am Vorabend die Glocke im Sechsten Distrikt gei~.utet habe, der Zeitung aber kein Hinweis auf ein Feuer vorh~gen, und in der Spring Street ein junger Mann von einem Eiswagen 0berrollt und schwer verletzt worden sei. 0ber all diesen internationalen und Iokalen Novit~ten flatted der Name des neuen Blattes: NewYork Daily Times. Der Bindestrich und der Hinweis aufs t~gliche Erscheinen sollten noch im Laufes des 19. Jahrhunderts verschwinden, das Blatt jedoch blieb. Der 18. September 1851 ist der Geburtstag einer Institution, die heute zu den USA gehbrt wie das Weil~e Haus selbst: der New York Times, einer der besten Zeitungen der Welt." (Gerste 2001, S. 96)
9Bereits 1857 hat sich Karl Knies in seinem Werk ,,Der Telegraph als Verkehsmittel" intensiv mit dem neuen Medium besch~ftigt und einige wichtige Erkenntnisse des 20. Jahrhunderts vorweggenommen. Knies sieht vom Telegrafen einen Zwang zur friedlichen Zusammenarbeit der V61ker ausgehen. Selbst die Idee des ,,globalen Dorfes" ist in Knies' Arbeit bereits angelegt (vgl. Knies 1996 [zuerst 1857]).
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Die Raumtiberwindung mit Hilfe der neuen Obertragungstechnik ver/indert auch das ,Gesicht' der Zeimng. Die Nachrichtenbeschaffung wird professionalisiert und findet in Nachrichtenagenturen und Korrespondentenbaros ihren Niederschlag (vgl. Bucher 1998, S. 733). Abbildung 1.9
Rundfunkempfang am Ende des 19. Jahrhunderts
Quelle: Flichy 1994, S. 252 Ebenso ebnet die drahtlose Telegrafie den Weg zum heutigen Rundfunk. Menschen versammeln sich an 6ffentlichen O~en (Gastst/itten, Theater) und verfolgen unter Zuhilfenahme einer technischen Apparamr Sendungen, die an einem anderen Ort ihren Ursprung haben (vgl. Abbildung 1.9). Die zun/ichst noch radio/ihnliche Nutzung des Telefons wird schliel31ich zum Vorl/iufer der sp/iteren ,Broadcasting'Systeme l~ Bereits im Jahr I912 stellt der Schriftsteller Francis Collins in seinem Roman ,,Wireless Man" fest: ,,Eine tiber ganz Amerika verstreute HOrerschaft von Hunderttausend Jungs kann allabendlich mit der drahtlosen Telegrafie erreicht werden. Das ist ohne Zweifel die gr6gte HOrerschaft der Welt. Kein Football- oder :o Das Wort ,broadcasting' umschreibt urspranglich das Auswerfen von Saatgut.
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Baseballpublikum, kein KongreB, keine Konferenz kann sich mit ihr vergleichen." (zit. nach Flichy 1994, S. 183) Einen weiteren Meilenstein der Medienentwicklung repr/isentieren die Erfindung von Fotografie und Film. Insbesondere der Kinematograf zieht aufgrund seiner Popularisierung im Rahmen von Jahrmarktvorstellungen die 6ffentliche Kritik auf sich und muss eine Kontrastierung mit den Theaters/ilen des Bargertums erdulden. W/ihrend doll Schweigen oberstes Gebot sein sollte, gilt far diese Art von Vorstellungen in den Anf'~ngen gerade das Gegenteil. Man sucht nach M6glichkeiten, den fehlenden Ton zu ersetzen: ,,In den R/iumen, in denen Filmisches zur Vorfahrung kam, war es nie still, auch nicht hinsichtlich des inszenatorischen Angebots. Die Herstellung wie die technische Reproduktion von Ger/iuschen, von Musik und Sprache ist essentieller Bestandteil des filmischen Diskurses fiber seine gesamte historische Ausdehnung, weshalb auch die Bezeichnung audiovisueller Diskurs treffender ist. Von Daguerres Mont Blanc-Diorama aus dem Jahr 1831, bei dem w/ihrend der Vorfiihrung eine Ieibhaftige Ziege meckelle, Alph6mer erklangen und ein Chor Schweizer Volkslieder sang, fiber die reichhaltigen akustischen Inszenierungen der Latema Magica-Shows, fiir die sich erste spezialisielle Ger/iuscheerzeuger herausbildeten, bis hin zu den Rezitatoren und Erz/ihlem vor wie hinter der Leinwand und dem synchronen Einsatz von Sprech- und Musikmaschinen gab sich die Pr/isentation von Bewegungsillusionen laut und t6nend, auch lange vor der Implementierung des Synchrontons im Sprechfilm Ende der zwanziger Jahre." (Zielinski 1989, S. 29f.) Aber auch das Publikum unterh/ilt sich, man lacht, es ist eine Vergn~gungsst/itte, die Ztige eines Jahrmarkts tr/igt; das Kino findet dort zun/ichst seine vorwiegende Heimstatt und bleibt zun/ichst eine ,,Dom/ine der kleinen Leute" (Flichy 1994, S. 253). Die Ein~hrung des Tonfilms 1/isst dagegen konkurrierende Seherinteressen aufeinander treffen. Diejenigen, die die Verbindung von Wort und Bild genieBen wollen, empfinden die )kuBerungen des bisherigen Publikums als st6rend. Eine Konsequenz dieser Entwicklung wurde sehr anschaulich wie folgt beschrieben: ,,Das t6nende Publikum der Stummfilme wurde zum stummen Publikum des Tonfilms." (zit. nach Flichy 1994, S. 255) Obwohl auch das Zeitalter des Buchdrucks nicht frei von Bef~rchtungen fiber die negative Konsequenz des Lesens war (z.B. der Vorwurf einer Irritation des Geistes), ist es doch insbesondere der Film und die Art und Weise seiner 6ffentlichen Pr/isentation, die immer h/iufiger Anlass zu diffusen und weitreichenden Wirkungsvorstellungen gibt. Die dunklen Vor~hrungsr/iume, das enge Beieinandersein einer Vielzahl fremder Menschen und die Oberfl/ichlichkeit der Inhalte sind Hauptanlass der Kritik. Von einer systematischen Erforschung dieser Wirkungsvorstellungen kann aber nicht gesprochen werden. Es dominiert eher das moralische Urteil. Das wissenschaftliche Interesse an den Folgen dieser unterschiedlichen Medienpr/isentationen erwacht zunehmend und versucht, die zun/ichst noch disparaten
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Befunde und Befarchtungen aus verschiedenen Disziplinen zusammenzutragen. Ft~r die Vereinigten Staaten sind hier exemplarisch die sogenannten ,Payne Fund Studies' (vgl. hierzu Lowery/DeFleur 1995, S. 2 l ff.) zu nennen. Bereits diese frahen Studien verwenden das damals in Ans~itzen zur Verfagung stehende methodische Instrumentarium: Experimente, Inhaltsanalysen, Umfragen, Feldexperimente und Einzelfallstudien. Nach Auffassung von Lowery und DeFleur gelingt mit der Durchfahrung der ,Payne Fund Studies' die Etablierung der Medienforschung als ein seri6ses und ernstzunehmendes wissenschaftliches Gebiet. Im Mittelpunkt der Untersuchungen stand die Frage, welchen Einfluss das Kino auf die Einstellungen und Verhaltensweisen junger Menschen hat. Die Tageszeitung ist in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts noch ein Erwachsenenmedium, der H6rfunk befindet sich noch in seiner Pionierphase, aber das Kino konstituiert erstmals ein Publikum, das zur gleichen Zeit am gleichen Ort bestimmte Inhalte mal mit Faszination, mal mit Schrecken oder Erstaunen wahrnimmt. Eine Imitation der Kinohelden wird ebenso festgestellt wie die nachhaltige Wirkung bestimmter Bilder oder Szenen, die emotionale 10berreaktionen hervorrufen. In Erg~inzung zur Dokumentation dieser kurzfristigen Effekte wird auch t~ber langfristige Wirkungen solcher Medienangebote nachgedacht. Man erwartet, dass die Filmangebote einen Einfluss auf die Vorstellungen, die sich Menschen von der sozialen Wirklichkeit machen, haben werden, die zugleich einen ver~inderten Blick auf bisherige Formen der Lebensfahrung mit sich bringen k6nnen (vgl. die Zusammenfassung bei Lowery/DeFleur 1995, S. 39ff).
1.4 Beginn und Aufstieg der Massenkommunikationsforschung Sp~itestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwacht das wissenschaftliche Interesse an der Bedeutung der Medien. Erste Versuche, die eher disparaten Befunde aus verschiedenen Disziplinen zusammenzutragen, beginnen. Ft~r die amerikanische Soziologie hatten dies Small und Vincent bereits 1894 in einem ersten Einfahrungsbuch getan, das auch ein Kapitel zum ,,communicating apparatus" enthielt und die Bedeutung von neuen Kommunikationsstr6men far die gesellschaftliche Entwicklung behandelte (vgl. Small/Vincent 1894). Ende der 1920er Jahre widmete sich insbesondere die so genannte Chicago School dem Zusammenhang von Medien und Gesellschaft (vgl. den 121berblick bei J~ickel/Grund 2005), Ende der 1940er Jahre konnte beispielsweise Wirth feststellen: ,,Mass communication is rapidly becoming, if it is not already, the main framework of the web of social life." (1948, S. 10) L~ingst hatte sich das Spektrum der Themen fiber den Bereich der gedruckten Medien ausgedehnt. Dennoch erfuhr auch das Zeitungswesen fiber lange Zeit eine vorwiegend moralisch-kritische Kommentierung, weniger eine profunde wissenschaftliche Beobachtung. Lowery und DeFleur sprechen far die Vereinigten Staaten von
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,,widely held beliefs about the horrors of newspaper influence current during the late nineteenth century." (Lowery/DeFleur 1995, S. 41) Vertraut man den Beobachtungen des amerikanischen Publizisten Walter Lippmann (1889-1974), so war ffir Sozialwissenschaftler die Arbeitsweise der Presse noch nach dem Ersten Weltkrieg (die Analyse erschien im Jahr 1922) kein Thema (siehe den nachfolgenden Beispieltext). In seiner ,,Natural History of the Newspaper" schrieb Park im Jahr 1923: ,,Offensichtlich ist die Zeitung eine Institution, die noch nicht ganz verstanden worden ist." (2001 [zuerst 1923], S. 283)
Das wissenschaftliche Interesse am Zeitungswesen in den USA
,,So tief wurzelt die Tradition, dal~ noch bis vor kurzem Politische Wissenschaft in unseren Seminaren gelehrt wurde, als existierten Zeitungen 0berhaupt nicht. Ich denke dabei nicht an Journalistenschulen, denn das sind Berufsschulen mit dem Ziel, M~nner und Frauen auf ihre Laufbahn vorzubereiten. Ich denke vielmehr an die Politische Wissenschaft, wie sie zuk0nftigen Gesch&ftsleuten, Rechtsanw<en, Beamten und B0rgern im allgemeinen dargestellt wird. In dieser Wissenschaft haben das Studium der Presse und der Quellen 5ffentlicher Informationen keinen Platz gefunden. Das ist allerdings ein merkw0rdiger Tatbestand. F0r jemanden, der nicht in die Routineinteressen der Politischen Wissenschaft verstrickt ist, erscheint es beinahe unerkl~rlich, dal~ kein amerikanischer Soziologe jemals ein Buch 0ber das Einholen von Nachrichten geschrieben hat. Gelegentlich liest man Hinweise auf die Presse und die Feststellung, sie sei nicht >>frei{~ und >>wahrhaftig{{ oder sie solle das sein. Aber ich kann sonst fast nichts dar0ber finden. Diese Geringsch&tzung der Fachleute findet ihr Gegenst0ck in den 5ffentlichen Meinungen. Es wird allgemein zugegeben, dal~ die Presse das Hauptkontaktmittel zur ungesehenen Umwelt ist. Und praktisch 0berall wird die Meinung vertreten, dal3 die Presse spontan for uns das tun sollte, was die primitive Demokratie von jedem von uns erwartete, n,~mlich dal~ wires spontan for uns selbst tun kSnnten: Sie soil uns t,~glich und sogar zweimal am Tag ein getreues Bild der ganzen &ul~eren Welt entwerfen, fQr die wir uns interessieren." (Lippmann 1990 [zuerst 1922], S. 219)
Nur fanf Jahre sp~iter erscheint eine deutschsprachige Analyse des amerikanischen Joumalismus von Emil Dovifat. Die im Jahr 1927 erschienene Abhandlung ,,Der amerikanische Journalismus" ist nach Auffassung von Rul3-Mohl und S6semann ein noch heute lesenswertes historisches Dokument, in dem sich viele Aspekte des modemen Joumalismus widerspiegeln. Die von Dovifat verarbeitete Literatur zeigt im ~brigen, dass auch schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Vielzahl von Ver6f-
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fentlichungen t~ber Joumalismus und Zeimngswesen in den Vereinigten Staaten vorlag (vgl. Dovifat 1990 [zuerst 1927]; Rul3-Mohl/S6semann 1990, S. IXff.) Nachrichtenwert-Kriterien spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Wenige Jahre sp~iter erscheint eine Arbeit von Warren, die sich mit Fonnen des ,modem news reporting' in den Vereinigten Staaten auseinandersetzt (vgl. Warren 1934). Aber auch in Deutschland erwacht das wissenschafiliche Interesse an der Bedeutung der Medien bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Exemplarisch kann hier auf den deutschen Soziologen Max Weber (1864-1920) verwiesen werden, der bereits ein Jahr nach Grtindung der Deutschen Gesellschaft far Soziologie (1909) l/lberlegungen zu einer Soziologie des Zeimngswesens pr~isentiert. Darin heil3t es unter anderem: ,,Das erste Thema, welches die Gesellschaft als geeignet zu einer rein wissenschaftlichen Behandlung befunden hat, ist eine Soziologie des Zeimngswesens." (Weber 1911, S. 42) Die von Weber vorgelegte Forschungsskizze enthNt eine Vielzahl von Fragestellungen (Kriterien der Nachrichtenauswahl, MachtverhNtnisse, finanzielle Lage von Presseuntemehmen, soziale Herkunft und Selbstverst~indnis der Journalisten usw.), die noch heute akmell sind. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf eine Passage, die bereits Gew6hnungseffekte der Informationsaufnahme problematisiert: ,,Man hat ja bekanntlich direkt versucht, die Wirkung des Zeimngswesens auf das Gehirn zu untersuchen, die Frage, was die Konsequenzen des Umstandes sind, dab der moderne Mensch sich daran gew6hnt hat, ehe er an seine Tagesarbeit geht, ein Ragout zu sich zu nehmen, welches ihm eine Art von Chassieren durch alle Gebiete des Kulturlebens, v o n d e r Politik angefangen bis zum Theater, und allen m6glichen anderen Dingen, aufzwingt. DaB das nicht gleichg~iltig ist, das liegt auf der Hand. Es l~igt sich auch sehr wohl und leicht einiges Allgemeine dartiber sagen, inwieweit sich das mit gewissen anderen Einflt~ssen zusammenfagt, denen der modeme Mensch ausgesetzt ist. Aber so ganz einfach ist das Problem doch nicht t~ber die allereinfachsten Stadien hinauszubringen." (Weber 1911, S.50f.) Obwohl dieser Projektentwurf nicht realisiert werden konnte, ist er ein weiteres Indiz far das wachsende Interesse an Fragestellungen, die heute unter dem Oberbegriff Medienwirkungsforschung behandelt werden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhNt diese Disziplin allm~ihlich erste Konturen. Erst die zunehmende Pr~isenz der Massenmedien im Alltag fahrt somit zu einer wachsenden Problemsicht auf diesen Teil der sozialen Wirklichkeit. Das Kino schafft erstmals ein Massenpublikum in dem Sinne, dass identische Inhalte von einer Vielzahl von Menschen unter vergleichbaren Bedingungen wahrgenommen werden. Presse, Buch, H6rfiank und Kino bleiben bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts die dominierenden Medien, und die frfihe Wirkungsforschung ist dementsprechend an diesen Medien orientiert. Der Hinweis auf die Bedeutung der Medien far die Wahmehmung der sozialen Wirklichkeit muss gleichwohl far die Frahphase der Medienwirkungsforschung um
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einen zentralen Aspekt erg~inzt werden: Das Interesse an diesen Fragestellungen bleibt keine ausschliel31iche Angelegenheit der Wissenschaft. Kenntnisse tiber die Wirkung von Kommunikationsangeboten erwecken die Neugier von Politik und Wirtschaft. Getragen von der Erwartung gezielter BeeinflussungsmOglichkeiten wird Zeit und Geld in ,Reiz-Reaktions'-Experimente investiert. Die Konsumgtiterindustrie sucht beispielsweise nach M6glichkeiten, wie ein Publikum mit Hilfe der Medien vom Wert eines Produkts tiberzeugt oder far bestimmte Interessen gewonnen werden kann. Diese Entwicklung l~isst sich zun~ichst am deutlichsten in den Vereinigten Staaten beobachten, da sich dort sehr rasch eine Verschmelzung von Medien- und Konsumgtiterindustrie abzeichnet (vgl. hierzu Prokop 1995, S. 75ff.). Das zun~ichst im HOrfunk beheimatete Genre ,Daily Soap Opera' verdeutlicht diese Verschmelzung bereits in der Namensgebung. Das amerikanische Untemehmen Procter&Gamble z~ihlt zu den ersten Firmen, die in den 30er Jahren den H6rfunk als Werbemedium nutzen. Der Waschmittel- und Speise61hersteller sponserte im Jahr 1939 ca. 22 Serien (vgl. Buchman 1984). W~ihrend sich der H6rfunk auf diesem Weg zu einem Unterhalmngs- und Ratgebermedium entwickelt, erobert das Kino mit seinen Angeboten insbesondere die amerikanische Mittelschicht und wird zu einern wichtigen Spiegelbild der amerikanischen Gesellschaft. Aus der frfihen Dominanz dieser kommerziellen Interessen resultiert zwar eine Vorliebe far die Persuasionsforschung. Aber im Sog und im Schatten dieser Entwicklung kann sich auch Forschung etablieren, die sich um eine wissenschaftliche Grundlegung des Ph~inomens ,Massenkommunikation' bemtiht. Gleichwohl bedurftees dazu auch in den USA eines langen Prozesses der Emanzipation, der sich tiber den Weg der theoretischen Originalit~it und der Verfeinerung methodischer Entwicklungen vollzog. Diese Feststellung l~isst sich an einer Vielzahl von Forschungstraditionen nachvollziehen, die in den nachfolgenden Kapiteln dargestellt werden. Dabei sind es in der Pionierphase der Medienwirkungsforschung einzelne Studien, die aufgrund ihrer Besonderheit Anlass dazu geben, deren Fragestellungen weiterzuverfolgen und zu systematisieren: Einzelstudien geben die Initialztindung far langfristige Forschungsprogramme. An die Stelle einer nicht immer wertfreien Forschung, in der die ,,critical claims" (Lowery/DeFleur 1995, S. 14) dominieren, treten also allmghlich systematischere Untersuchungen der Wirkung von Massenmedien. l)berhaupt ist der Aufstieg der Medienwirkungsforschung ein Teil der allgemeinen Entwicklung der Sozial- und Verhaltenswissenschaften. Insbesondere in den Vereinigten Staaten hat sich der Siegeszug der Empirie als vorteilhaft far diesen Bereich der Forschung erwiesen. W~ihrend sich die Faszination far empirisches Arbeiten in Europa etwas z6gerlicher entwickelt, wird sie in den Vereinigten Staaten auch unter pragmatischen Gesichtspunkten ein wesentlicher ,Motor' der akademischen und aul3erakademischen Forschung. Im Zuge dessen registriert diese Forschung auch eine
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Verschiebung des VerhNtnisses Offentlicher und privater Mediennutzung. Das folgende Beispiel starrant zwar aus der zweiten HNfte des 20. Jahrhunderts, ist aber nichtsdestotrotz eine gute Veranschaulichung dieses Wandels. Als Elihu Katz und Hadassah Haas eine Wiederholung der berfihmten Israel-Studie ~l durchfahrten, erhielten sie far die interpretation ihrer Daten die folgende Hilfestellung: ,,Der Sohn von Hadassah Haas, ein 18j~ihriger Mann, [...] schaute seiner Mutter fiber die Schulter, betrachtete den Berg von Daten, die wir gesammelt hatten, und sagte sehr schnell: >>Ich sage dir, welche Ver~inderungen du zwischen 1970 und 1990 festgestellt hast. 1970 al3en die Leute zu Hause und gingen aus, um sich einen Film im Kino anzusehen. Heute schauen sie sich den Film zu Hause an und gehen essen.~d' (Katz/Haas 1995, S. 199f.) Auch hier gilt selbstverst~indlich, dass es - erinnert sei an das unter Punkt 1.1 dargestellte Modell von Merrill und Lowenstein- von Land zu Land mehr oder weniger zutreffen kann.
Qualm im Film
,,In Hollywood-Filmen wird gequalmt wie seit 50 Jahren nicht, so Professor Stanton A. Glantz vonder University of California. Demnach sind ,,RauchvorfNle" in Kinofilmen dramatisch gestiegen. FOr 2003 z~hlte er pro Filmstunde zw~51f Zigarettenz0ge, Nahaufnahmen von Aschenbechern oder andere Hinweise auf Tabakkonsum. 1950 waren es noch 10,7, Im Jahr 1980 sogar nur 4,9 ,,Vorf~lle". Obwohl der Zigarettenkonsum der Amerikaner laut Glantz seit den 50er Jahren um die HNfte gesunken sei, zeigt er sich besorgt: ,,Dieses Comeback hat ernsthafte gesundheitliche Auswirkungen, weil es Jugendliche zum Rauchen anregt". GestQtzt wird er von Untersuchungen des US-Gesundheitsministeriums. Jugendliche haben danach eine deutlich positivere Einstellung zum Rauchen, wenn ihre Stars qualmen." (N.N. 19.5.2004, S. 24)
Dennoch: Die Mediennutzung verlagert sich im Zuge einer verbesserten Ausstattung der Privathaushalte zunehmend in den privaten Bereich. Zugleich werden in der Offentlichkeit Erscheinungsformen beobachtet, die aufgrund ihrer UngewOhnlichkeit einer Institution zugeschrieben werden, die ebenfalls als neu empfunden wird. Unkonventionelle Verhaltensweisen nehmen zu (z.B. das Rauchen von Frauen in der Offentlichkeit), die Nahwelt der Menschen wird mit vormals kaum bekannten Lebensstilen konfrontiert usw. Die Vermutung, dass diese Vedinderungen auch mit den Angeboten der Massenmedien in Verbindung zu bringen sind, wird vermehrt artikuliert und analysiert. ~ Siehe hierzu auch die Ausft~hrungen in Kapitel 3.
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Die Entwicklung der (Massen-)Medien
D Fang, Irving (1997): A History of Mass Communication: Six Information Revolutions. Boston usw.
Flichy, Patrice (1994): Tele. Geschichte der modemen Kommunikation. [Aus d. Franz.]. Frankfurt am Main, New York.
Prokop, Dieter (2001): Der Kampf um die Medien. Das Geschichtsbuch der neuen kritischen Medienforschung. Hamburg.
St6ber, Rudolf (2003): Mediengeschichte, Band 1: Presse - Telekommunikation. Wiesbaden (Studienb~icher zur Kommunikations- und Medienwissenschaft).
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster Uberblick oo
2.1 Interaktion, Kommunikation, Massenkommunikation Eine Verst~indigung fiber Begriffe und deren Bedeutung ist eine der Grundaufgaben jeder wissenschaftlichen Disziplin. Ob es wirklich Nachl~issigkeit war, die dem Begriff ,Massenkommunikation' zum Erfolg verhalf, ist spekulativ. Hgufig sind es eben auch die Grenzen der Sprache, die zu Folgefragen Anlass geben und unglt~ckliche Wortsch6pfungen t~ber Jahrzehnte begleiten. Bevor der Begriff und die mit ihm einhergehenden Konnotationen n~iher erl~iutert werden, soll die Pyramide der Kommunikation von McQuail die zentrale Bedeutung dieses Kommunikationsph~nomens veranschaulichen (vgl. Abbildung 2.1). Am Ful3 der Pyramide ist die intrapersonale Kommunikation angesiedelt. Hier geht es ausschliel31ich um Informationsverarbeitungsvorg~inge, die im menschlichen Bevmsstsein verankert sind. Es handelt sich sowohl um Vorg~inge, die im Vorfeld von Kommunikation stattfinden (Denken, Handlungsplanung), als auch um Aktivit~iten, die sich im Zuge der interpersonalen Kommunikation als parallel laufende Prozesse der Wahrnehmung und Bewertung ergeben. Dieses Kommunikationsphgnomen ist individuell und beschreibt die Basis, auf der alle Formen gegenseitiger Orientierung von Menschen aufbauen. Die darfiber liegende Stufe wird von der interpersonalen Kommunikation repr~isentiert. Dieses Phgnomen wird von McQuail an dyadische Beziehungen gekoppelt. Es geht somit um Gespr~iche zwischen zwei Personen, die in der Regel auch physisch anwesend sind: Freunde, Paare etc. Die Notwendigkeit eines Gegentibers erkl~irt, warum dieses Kommunikationsph~inomen in quantitativer Hinsicht wahrscheinlich seltener zu beobachten ist. Auf dem Weg zur Spitze der Pyramide folgt die Intragruppenkommunikation, eine Kategorie, die im Gesamtkontext dieses Modells am wenigsten trennscharf erscheint. McQuail bestimmt diese Form der Kommunikation fiber Gruppengrenzen und nennt beispielhaft die Familie. Da jede Intragruppenkommunikation letztlich auf einer Vielzahl interpersonaler Kommunikationen beruht, ist diese Abstufung nur vor dem Hintergrund des zugrundegelegten formalen Merkmals nachvollziehbar. Dennoch d(irfte zutreffend sein, dass interpersonale Kommunikation, die nicht an bestimmte Gruppenzugeh6rigkeiten gebunden ist, das h~iufigere Ph~inomen darstellt. Vor diesem Hintergrund wird auch die n~ichste Stufe in der Pyramide der Kommunikation von McQuail verst~indlich. Hier wird als Abgrenzungskriterium entweder ein geografischer oder ein Mitgliedschaftsaspekt benannt: Zugeh6rigkeit zu einer Gemeinde oder Zugeh6rigkeit zu einer Sekund~irgruppe (z.B. Verein, Verband). Es folgen
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Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster 121berblick
Institutionen und Organisationen, deren Kommunikationst/itigkeiten in ihrer Zielgruppenausrichmng und Zweckgebundenheit variieren. McQuail fasst auf dieser Ebene sehr disparate PMnomene zusammen, wenn er sowohl das politische System als auch das Erziehungssystem bzw. das Rechtssystem benennt, gleichzeitig aber auch die Kommunikation von Firmen mit ihren Kunden als eine vergleichbare Variante dieses Typs benennt. Abbildung 2.1
Die Pyramide der Kommunikation WENIGE F,~LLE
/ Gesellschaft "\ (z.B. Massenkommunikation)
Ebene des Kommunikationsprozesses
Institutionen bzw. Organisationer~)~\ (z.B. politisches System oder Untemehme
Zwischen Gruppen bzw. Vereinigungen (z.B. Vereine in einer Gemeinde)
Innerhalb yon Gruppen
\\
(z.B. innerhalb eines Vereins)
Interpersonal
\VIELE
E
(z.B. Zweierbeziehung)
Intrapersonal (z.B. Informationsverarbeitung)
Quelle: In Anlehnung an McQuail 2005, S. 18 Welche Kommunikationsform aber ist in der Lage, Kommunikation zu gew~ihrleisten, die potentiell alle Mitglieder einer Gesellschaft erreichen kann? Die Einl6sung dieser Bedingung erfordert nach McQuail ein grol3es 6ffentliches Kommunikationsnetzwerk, fiber das heute alle modernen Gesellschaflen verfagen. Gemessen an der dazu erforderlichen technischen Infrastruktur wird nachvollziehbar, warum McQuail dieses Kommunikationsph~inomen als selten bezeichnet und nur wenige F~ille (,few cases') erwartet. Bei McQuail heigt es diesbeztiglich: ,,In an integrated modem society there will often be one large public communication network, usually depending on the mass media, which can reach and involve all citizens to varying degrees, although the media system is also usually fragmented according to regional and other social or demographic factors. [...] Alternative (non-mass-media) tech-
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster f.)berblick
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nologies for supporting society-wide networks do exist (especially the network of physical transportation, the telecommunication infrastructure and the postal system), but these usually lack the society-wide social elements and public roles which mass communication has. In the past (and in some places still today) society-wide public networks were provided by the church or by political organizations, based on shared beliefs and usually based on a hierarchical chain of contact." (McQuail 2005, S. 16f.) Vor dem Hintergrund neuerer technischer Entwicklungen ist diese Einsch/itzung zwar in Frage gestellt worden 12. Fiir die Aufmerksamkeit, die dem Ph/inomen Massenkommunikation entgegengebracht wird, bleibt aber das Kriterium entscheidend, dass jede Informationsverbreitung, die diesen Weg beschreiten kann, mit einer hohen Reichweite und Wahmehmung rechnen kann. Dies ist ein wesentlicher Grund fiir die Besch/iftigung mit Massenkommunikation, der zugleich mal3geblich die Theoriebildung mitbestimmt hat. Massenkommunikation und Massenmedien sind eng miteinander verbunden. Das eine benennt einen Kommunikationsprozess, das andere entsprechende Organisationen, Tr~iger und Medien des Transports. Massenmedien nutzen technische Mittel zur Verbreitung von Kommunikation und erreichen damit einen in der Regel nicht pr~izise bestimmbaren Adressatenkreis. Ein entscheidendes Merkmal aber liegt in der Struktur dieses Kommunikationsprozesses begrfindet und wird mal3geblich durch die Differenz zu Face-to-Face-Beziehungen charakterisiert. Entscheidend ist, ,,[...] daft keine Interaktion unter Anwesenden zwischen Sender und Empfiingern stattfinden kann. Interaktion wird durch Zwischenschaltung von Technik ausgeschlossen, und das hat weitreichende Konsequenzen, die uns den Begriff der Massenmedien definieren. Ausnahmen sind m6glich (doch nie: mit allen Teilnehmem), wirken aber als inszeniert und werden in den Sender/~umen auch so gehandhabt." (Luhmann 1996, S. 11) W~ihrend bislang der Begriff ,Kommunikation' im Vordergrund stand, wird nunmehr der Begriff ,Interaktion' eingeft~hrt. Insofern ist der Hinweis, dass Interaktion durch die Zwischenschalmng von Technik ausgeschlossen wird, n~iher zu prgzisieren. Interaktion und Kommunikation sind soziologische Grundbegriffe, die einen unterschiedlichen Sachverhalt beschreiben. Interaktion meint im soziologischen Sinne die Wechselbeziehung zwischen Handelnden. Nimmt man eine dyadische Interaktion als Bezugsrahmen, so beschreibt der Begriff den Prozess aufeinander bezogenen Handelns zweier Akteure. Kommunikation hingegen beschreibt die Mittel, derer man sich im Rahmen von interaktionen bedient. Diese kann im Sinne von Verbindung bzw. Mitteilung nonverbal und/oder verbal geschehen. Gestik, Mimik, Sprache und Schrift dienen der Informationsiibermittlung. 12Siehehierzu insbesonderedie Ausfahrungen in Kapitel 9.
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Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster Uberblick
Wenn von Interaktion gesprochen wird, bedeutet dies somit immer auch Kommunikation. Wenn dagegen von Kommunikation gesprochen wird, muss nicht Interaktion vorliegen. Wenn Person A Person B einen Brief schreibt, findet zeitversetzte Kommunikation ohne Anwesenheit statt. Wenn Moderator A Rezipient B eine Nachricht vorliest, werden Informationen vermittelt, ohne dass Interaktion stattfindet. Dass im letzteren Fall dennoch der Begriff Kommunikation Verwendung findet, ist ein Grund ftir den eingangs erw~ihnten Vorwurf der unglticklichen Wortsch6pfung. Wenn man zun~ichst aber das Kriterium der Anwesenheit der Interaktionspartner als Grundvoraussetzung definiert, dann gilt der folgende Sachverhalt: ,,Interaktion und Kommunikation fallen dann zusammen, wenn die Interaktionspartner anwesend sind, also zugleich auch Kommunikationspartner ftireinander sein k6nnen." (Merten 1977, S. 65) Auch Watzlawick u.a. stellen fest: ,,Ein wechselseitiger Ablauf von Mitteilungen zwischen zwei oder mehreren Personen wird als Interaktion bezeichnet." (1969, S. 50f.) Folgt man diesen Feststellungen, dann wird der Begriff Interaktion an das Vorliegen von Face-to-Face-Beziehungen geknfipft. Um den Begriff auch fiir Kommunikationsph~inomene anwenden zu k6nnen, die sich durch Zwischenschaltung von Technik auszeichnen, wurde bereits in den 1950er Jahren der Begriff der parasozialen Interaktion gepr~igt. Horton und Wohl (1956) haben mit diesem Terminus ursprfinglich die Identifikation des Zuschauers mit einer auf dem Bildschirm sichtbaren Figur beschreiben wollen. Bekannt geworden ist hierffir die Bezeichnung ,Intimit~it auf Distanz'. Diese letztlich intrapersonalen Vorg~inge suggerieren eine Begegnung von Angesicht zu Angesicht. Im Zuge der Ausweitung audiovisueller Medienangebote ist dieses Konzept aber zu einem konstimtiven Moment von Medienkommunikation deklariert worden (vgl. Mikos 2001, S. 125). Obwohl der ,EinbahnstraBencharakter' der Kommunikation aufrechterhalten bleibt, haben sich sowohl auf Seiten der Medienakteure als auch auf Seiten der Empf~inger Formen der Bezugnahme herausgebildet, die der Kompensation einer de facto nicht bestehenden sozialen Beziehung dienen. Obwohl sich Sender und Empf~inger in der Regel nicht kennen, werden beispielsweise Formulierungen gewghlt, die Anonymit~it fiberbrficken sollen: Nachrichtensprecher beginnen mit ,Guten Abend, meine Damen und Herren', andere w~ihlen ein lockeres ,Hallo' und w~ihlen somit eine scheinbar individuelle Ansprache eines Massenpublikums. Wenn der Moderator einer LiveSendung das Saalpublikum anspricht, liegt wiederum ein Sonderfall vor: Anwesende kommunizieren miteinander und werden zugleich von Abwesenden beobachtet. Da der Moderator weiB, dass er in dieser Situation von vielen gesehen wird, spricht er in diesem Zusammenhang immer wieder auch das Publikum zu Hause an. Auf Seiten des Publikums tritt an die Stelle einer fehlenden Interaktion ein wechselnder Grad von Eingebundenheit in die pr~isentierten Medienangebote. Wenn jemand der Aussage ,Characters have become like close friends to me' zustimmt, liegt wahrscheinlich ein hoher Grad an Identifikation mit den Medienpersonen vor. Auch wenn in
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster l)berblick
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der Praxis die Unterscheidung zwischen Interaktion und Kommunikation selten eingehalten wird, macht diese nur Sinn, wenn die Begrenzungen und Unterschiede bedacht werden, die aus Anwesenheit und Abwesenheit der jeweiligen Akteure resultieren. Bereits die kurze Diskussion des Begriffs ,parasoziale Interaktion' hat verdeutlicht, dass die Aufgabe des Adressaten von Kommunikationsangeboten nicht auf den passiven Vorgang des Rezipierens begrenzt werden kann. Gleichwohl hat die Massenkommunikation strukturelle Nachteile gegent~ber der interpersonalen Kommunikation, wenn Verst~indigung hergestellt werden soll. Burkart konstatiert in seiner Analyse beispielsweise: ,,Erst der wechselseitig(!) stattfindende Prozefl der Bedeutungsvermittlung soll als Kommunikation begriffen werden." (Burkart 2002, S. 32f.) Diesem Kriterium kann die Massenkommunikation nicht gerecht werden. Aber selbst Kommunikation, die sich in einem t~berschaubaren Rahmen vollzieht, kann nicht immer garantieren, dass das Ziel ,Verst~indigung' erreicht wird. Burkart, der diese Erweiterung vorschl~igt, erh6ht damit die Relevanz von Kommunikation. Selbstverst~indlich will man verstanden werden und selten sind Interaktionen, in denen aneinander vorbeigeredet wird, von groBer Dauer. Dennoch kann Verst~indigung keine hinreichende Begrfindung far das Vorliegen von Kommunikation sein. Wenn beispielsweise Geheimdienste Informationen verbreiten, geschieht dies gelegentlich mit der Absicht der T~iuschung. Wenn die T~iuschung gelingt, ist man im intendierten Sinne verstanden worden, aber verst~indigt hat man sich eigentlich nicht. Watzlawick u.a. haben dieses implizite Problem mit Hilfe des Hinweises auf den Inhalts- und Beziehungsaspekt von Kommunikation veranschaulicht. Der Inhalt von Kommunikationen definiert auch Situationen: ,,Der Inhaltsaspekt vermittelt die ~>, der Beziehungsaspekt weist an, wie diese Daten aufzufassen sind." (1969, S. 55) Der am Modell der Face-to-Face-Beziehung orientierte Interaktionsbegriff impliziert die wechselseitige Bezugnahme der Interaktionspartner. Die in diesem Kontext m6glichen Reaktionen und Antizipationen kann ein ausschlieBlich auf r~iumliche oder raumzeitliche Distanz Bezug nehmendes Kommunikationsmodell nicht angemessen integrieren. Die Reduktion des Kommunikationsverst~indnisses auf den Vorgang der Ubermittlung von informationen ist daher immer wieder als ein zu anspruchsloses Konzept empfunden worden. Das in der Informationstheorie verankerte Modell von Shannon und Weaver ist in diesem Falle Orientierung und Zielpunkt der Kritik. Die mathematisch-technische Ausrichtung dieses Modells betrachtet Kommunikation als einen linearen und einseitigen Vorgang der m6glichst st6rungsfreien Informationst~bermittlung. Das Verfehlen des Verst~indigungsziels wird hier vorwiegend auf St6rquellen technischer Art zurfickgefahrt, nicht auf inhaltlich begrgndete Missverst~indnisse. Eine Informationsquelle formuliert eine Nachricht und t~bertr~igt diese mit Hilfe eines l)bertragungsmediums (Sender, im engl. ,trans-
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster 121berblick
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mitter') an einen technischen Empf~inger, der diese wiederum an den Adressaten weiterleitet (vgl. Abbildung 2.2). Abbildung 2.2
Ein lineares und ein Zirkulationsmodell der Kommunikation
Das "mathematische' Kommunikationsmodell Nachricht
I Inf~176
I
gesendetes Signal
~
Sender ]-
v o n S h a n n o n und W e a v e r
empfangenes Signal
St6rquelle
Nachricht
~lTechn.Empf~nge~
~' _]
~
Adressat
I
D a s 7 i r k u l a t i o n s m o d e l l von O s g o o d und S c h r a m m
Quelle: Weaver 1949, S. 7 und Schramm 1954, S. 8 Abbildung 2.2. enth~ilt daraber hinaus das Zirkulationsmodell von Osgood und Schramm. Dieses Modell orientiert sich an der interpersonalen Kommunikation und kann nur in sehr eingeschr~inkter Form auf Kommunikationsprozesse t~bertragen werden, die sich durch ein geringes Mal3 an Riickkopplung zwischen den beteiligten Akteuren auszeichnen. Deutlich wird hier jedoch auf die inhaltliche Ebene Bezug genommen, indem die Frage der Verst~indigung auf die Ebene der Entschltisselung (,Decoding') bezogen wird. Die zus~itzliche Betonung einer Interpretation erscheint in diesem Zusammenhang eher redundant, da jeder Vorgang des Entschlt~sselns und Verschltisselns solche Leismngen impliziert. Im Falle von Massenkommunikation aber bleibt jegliche Reaktion der Empf~inger zun~ichst folgenlos fiir die Struktur einer vermittelten Aussage, weil diese schon im Zuge der Rezeption der Vergangenheit angeh6rt. Die Sender im Bereich der Massenkommunikation reagieren - wenn iiberhaupt- eher langsam. Urn das Modell der zirkul~iren Kommunikation wenigstens ansatzweise noch ftir den Typus ,Mas-
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster Oberblick
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senkommunikation' aufrechterhalten zu k6nnen, hat Schramm ein erweitertes Modell entwickelt, welches den Vorgang der Entschl~sselung und Verschl~isselung von Aussagen auf der Sender- und Empf~ingerebene weiter differenziert. Abbildung 2.3
Das Modell der Massenkommunikation nach Wilbur J. Schramm
ORGANISATION
Massenpublikum Interpreter Viele Empf~inger, jeder entschKisselt, interpretiert, verschKisselt
Decoder ~
Viele identische Nachrichten
Jeder ist Teil einer Gruppe in der Nachrichten (re-) interpretiert und handlungsrelevant werden
Feedback I
verschiedene Nachrichtenquellen
Quelle: Schramm 1954, S. 21 Das Modell (vgl. Abbildung 2.3) enthNt Hinweise auf den mehrstufigen Entstehungsprozess von Aussagen 13 (,Input von ...', Verarbeimng von Meldungen in Medienorganisationen) sowie die Illustration des (zeitverz6gerten) Effekts einer m6glichen Rt~ckkopplung. Die Vorstellung, dass die t~bertragenen Inhalte zwar von Individuen empfangen, aber in Gruppenzusammenh/~ngen weiter diskutiert und interpretiert werden, verdeutlicht bereits m6gliche Effekte von Massenkommunikation. Die Vermittlung mit Hilfe von Medien wird erg/~nzt durch eine Weitervermittlung in sozialen Kontexten. Medien t~bemehmen somit zun/ichst die zentrale Funktion der Vermittlung von Inhalten zwischen einem Sender und einem Empf~inger. Pross hat diesbezt~glich die Unterscheidung zwischen prim~iren, sekund/~ren und terti/~ren Medien vorgeschlagen (vgl. Abbildung 2.4). ~3 Siehe hierzu auch die Aust'tihrungen in Kapitel 8.
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Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster Uberblick
Abbildung 2.4
Prim~ire,sekund~ire und terti~ire Medien
SENDER /
~
MEDIUM /
~
EMPFANGER
terti~ir Sprache Mimik Gestik
Rauchzeichen
Telefon
Flugbl~tter
Fernschreiber
Zeitungen
Fernsehen
Mikrofon
Neue Medien
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Pross 1972, S. 128ff. Medien dienen dem Transport von Symbolen. Um prim~ire Medien wahrnehmen zu k6nnen, ist Anwesenheit Voraussetzung. Sekundtire Medien gehen fiber k6rpergebundene Medien hinaus und setzen auf der Seite des Senders eine bestimmte Technik oder Apparamr voraus, die der Empf~inger nicht besitzen muss. F(ir terti~ire Medien gilt, ,,dab sowohl die Herstellung und Obertragung der Zeichen als auch ihr Empfang einer technischen Einrichtung bedarf." (Hunziker 1996, S. 16) Das Erreichen einer Vielzahl von Menschen ist demzufolge sowohl mit sekundtiren als auch mit terti~iren Medien m6glich. Es sind zugleich die Medien, die der Massenkommunikation ihre Form geben. Kubicek hat in Anlehnung an eine Unterscheidung von Joerges und Braun Medien erster und zweiter Ordnung unterschieden. Der Grundgedanke ist hier, die technische Ebene einerseits und die organisatorisch-inhaltliche Ebene andererseits analytisch zu trennen. Die Typologie von Pross ist in diesem Sinne auf der technischen Ebene anzusiedeln. Nach Kubicek sind ,,Medien erster Ordnung [...] technische Systeme mit bestimmten Funktionen und Potentialen far die Verbreitung von Informationen. Medien zweiter Ordnung sind sozio-kulturelle Institutionen zur Produktion und Versttindigung bei der Verbreitung von Information mit Hilfe von Medien erster Ordnung." (Kubicek 1997, S. 220)
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster Uberblick
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2.2 Massenkommunikation. Definitionsmerkmale und Herleitung des Begriffs Obwohl seit dem Aufkommen einer Massenpresse (Tageszeitungen) die M6glichkeit fasziniert, eine Vielzahl von Menschen innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums mit Informationen zu erreichen, begann die systematische Auseinandersetzung mit dem Begriff ,Massenkommunikation' erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Diese versp~itete Diskussion begiinstigte eine aus heutiger Sicht unrealistische Interpretation des Begriffs. Dass das Aufkommen der sogenannten Massengesellschaft und das Aufkommen von Medien der Massenkommunikation parallel verliefen, bef6rderte eine sehr negative Auslegung dieses Ph/Jnomens. Eine Zerlegung des Begriffs ,Massenkommunikation' in seine Bestandteile, n/imlich Masse und Kommunikation, kann verdeutlichen, welche inhaltlichen Probleme aus der Verkniipfung resultierten. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch haben Begriffe zuntichst eine ordnende Funktion. Ein Begriff soll einen Sachverhalt kennzeichnen, der in der auBersprachlichen Wirklichkeit vorhanden ist. Htiufig bleibt es aber nicht bei dieser neutralen Funktion, weil der Begriff zustitzliche Assoziationen hervorruft. Diese Doppelfunktion von Begriffen wird mit der Unterscheidung Denotation und Konnotation angesprochen. Im Falle des Begriffs ,Masse' sind insbesondere die negativen Konnotationen dominierend. Masse erscheint als ein Aggregat, in dem jegliche Individualit~it verloren geht. Diese Interpretation resultierte aus einer tiberwiegend pessimistischen Einschtitzung der Folgen von Urbanisierung und Industrialisierung. Das Aufkommen der Massengesellschaft wird als Folge der Aufl6sung traditioneller Sozialformen beschrieben. An die Stelle von Oberschaubarkeit tritt Untiberschaubarkeit, an die Stelle von Gemeinschaft die Zunahme von Isolation, die vormalige Verschmelzung von Wohn- und Arbeitsplatz wird durch eine Zunahme der Arbeitsteilung seltener. Die damit einhergehenden Bindungsverluste der Menschen miinden in eine wachsende Entwurzelung und Entfremdung. Diese neuen Anforderungen an die Lebensfahrung werden als 121berforderung erlebt und bedingen eine Zunahme von Desorientierung. Neuman hat diese insbesondere zu Beginn des 19. Jahrhunderts auftretenden Entwicklungen in sechs Punkten zusammengefasst (vgl. Neuman 1991, S. 25): 9 9 9 9 9 9
Riickgang der Bedeumng des Familienlebens, Zunahme von Arbeitsbedingungen, die als entfremdend empfunden werden, Abnahme lokaler Verbundenheiten im Zuge einer wachsenden Urbanisierung, Lockerung religi6ser Bindungen, nachlassende Bedeutung ethnischer Zugeh6rigkeiten und Rt~ckgang der Beteiligung an freiwilligen Vereinigungen.
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Komanunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster Uberblick
Abbildung 2.5
Radioh6ren als Gemeinschaftserlebnis in der Familie
Quelle: Entnommen aus Flichy 1994, S. 259 Diese Entwicklungen beschreiben zusammenfassend ein Krisenph~inomen der aufkommenden Moderne. Vor diesem Hintergrund wurde den Massenmedien eine besondere Funktion zugeschrieben: ,,[...] the evolving mass media technologies, including radio and television, become available to provide a new nationally centered identity for the isolated and rootless individual who seeks a sense of belonging." (Neuman 1991, S. 25) Ein Programmgestalter des BBC-H6rfunks meinte im Jahr 1942: ,,Der Rundfunk bedeutet eine Wiederentdeckung des ,Home'. In einer Zeit, da Heim und Herd wegen vielf~iltiger augerh~iuslicher Interessen und Aktivit~iten vernachl~issigt werden und die famili~iren Bande und Gefahlsbindungen folglich zerfallen, k6nnte das gemeinsame Dach der Familie durch dieses neue 121berzeugungsmittel in gewissem Mage seine herkOmmliche Bedeutung wiedererlangen [...]." (zit. nach Flichy 1994, 258f.) Abbildung 2.5 veranschaulicht diesen Gedanken (siehe vorangegangene Seite). Der Begriff ,Masse' impliziert somit zweierlei: Zum einen beschreibt er eine Gesellschaft der Individuen, denen es an Orientierung mangelt, zum anderen eine damit einher gehende Anf~illigkeit far Beeinflussungen unterschiedlichster Art. Insbesondere an diesem Punkt setzen viele Abhandlungen zur Massengesellschaft an,
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster Oberblick
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beispielsweise die viel zitierte Arbeit des franz6sischen Arztes Gustave Le Bon (1841-1931). In seinem 1895 erschienenen Buch ,,Psychologie der Massen" charakterisiert er das Ph~inomen aus einer psychologischen Perspektive: ,,Im gew6hnlichen Wortsinn bedeutet Masse eine Vereinigung irgendwelcher einzelner von beliebiger Nationalit~it, beliebigem Beruf und Geschlecht und beliebigem Anlass der Vereinigung. Vom psychologischen Gesichtspunkt aus bedeutet der Ausdruck ,Masse' etwas ganz anderes. Unter bestimmten Umst~inden, und nur unter diesen Umst/~nden, besitzt eine Versammlung von Menschen neue, von den Eigenschaften der einzelnen, die diese Gesellschaft bilden, ganz verschiedene Eigentfimlichkeiten. Die bevmBte Pers6nlichkeit schwindet, die Geftihle und Gedanken aller einzelnen sind nach derselben Richtung orientiert. Es bildet sich eine Gemeinschaflsseele, die wohl ver~inderlich, aber von ganz bestimmter Art ist. Die Gesamtheit ist nun das geworden, was ich mangels eines besseren Ausdrucks als organisierte Masse oder, wenn man lieber will, als psychologische Masse bezeichnen werde. Sie bildet ein einziges Wesen und unterliegt dem, Gesetz der seelischen Einheit der Massen' [...]." (Le Bon 1895, S. 10) Le Bon beschreibt ein emergentes Ph~inomen, das aus dem (voriibergehenden) Verlust der Kontrolle fiber die eigenen Verhaltensdispositionen resultiert: ,,Das Ungleichartige versinkt im Gleichartigen, und die unbewuBten Eigenschaften tiberwiegen." (Le Bon 1895, S. 14) Zugleich ist er der Auffassung, dass diese Vermassung dem Einzelnen Verhaltensweisen gestatte, ,,die er ftir sich allein notwendig geziigelt h~itte." (Le Bon 1895, S. 15) Dennoch beharrt Le Bon auf der Vorstellung, dass der Einzelne in der Masse vom Unbewussten beherrscht wird. Insbesondere Theodor Geiger (1891-1952), der in seiner 1926 vorgelegten Analyse ,,Die Masse und ihre Aktion" den Zusammenhang von Industrialisierung und Massengesellschaft analysiert hat, wirft Le Bon in dieser Hinsicht Oberflgchlichkeit vor. Letztlich behaupte er, dass sich in der Masse die Dummheit akkumuliere. Ffir Geiger ist eine Masse dadurch gekennzeichnet, dass ihr kollektiver Willensgehalt ohne die Mitwirkung ,,individualer Intelligenz bestimmt wird." (Geiger 1967 [zuerst 1926], S. 131) Innerhalb einer Masse ist es nicht m6glich, eine Debatte zu fahren; Beramngen, Abstimmungen und Beschlfisse lassen sich nicht realisieren. Die Masse, so Geiger, ,,[...] debattiert nicht, sie stimmt nicht ab; es macht nicht einer dem anderen Gedankenmitteilungen; in der Masse dominiert die Kundgebung [...]." (Geiger 1967 [zuerst 1926], S. 131) Als G~nde Nhrt er vier Aspekte an: 1. Die Emotionalit~it ist innerhalb einer Masse aufgrund der hohen Fremdheit der sie bildenden Glieder stark ausgepr~igt. 2. Die Masse verffigt nicht fiber einen organisatorischen Apparat. 3. Die aktuelle Willensbildung erfolgt in einem Zustand kollektivemotionaler ,Aufgewtihltheit'. Und schlieBlich: ,,Die Masse selbst, ihr letzter Sinn, sind irrational [...]." (Geiger 1967, [zuerst 1926], S. 132) Diese Ausftihrungen miissen vor dem Hintergrund der jeweiligen historischen Situation betrachtet werden. Dennoch kann die Schlussfolgerung gezogen werden,
64
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster 121berblick
dass sich Kommunikation in oder mit der Masse auf Schlagworte und emotionale Appelle reduziert. Die Versuche, den Begriff ,Massenkommunikation' etwas genauer zu fassen, entlasten den Terminus von diesen sehr negativen Konnotationen. Einer der Ersten, der in dieser Hinsicht einen Systematisierungsversuch unternommen hat, ist Herbert Blumer (1946, S. 178ff.). Er unterscheidet zwischen der Masse, der Menge, der Gruppe und der Offentlichkeit (,mass', ,crowd', ,small group' und ,public'). Blumer definiert ,Masse' als eine neue soziale Erscheinung (,social formation') in modernen Gesellschaften. Seine Definitionsvorschl~ige lassen sich wie folgt zusammenfassen: 9
9
9
9
Gruppe: Die Mitglieder kennen sich untereinander, Face-to-Face-Beziehungen liegen vor, ein Wir-GeNhl ist vorhanden sowie gemeinsame Interessen und Ziele, die Beziehungen sind stabil und dauerhaft, es kommt zur Ausbildung von Strukturen (Ft~hrer, Gefolgschaft). Menge" Die Menge versammelt sich an einem bestimmten Ort und ~iberschreitet die Gr613e einer Gruppe deutlich. Sie kennt keine Mitgliedschaft und konstituiert sich sporadisch. Das Handeln in der Menge wird h~iufig von Affekten und Emotionen geleitet und weist irrationale Zt~ge auf. Damit werden der Menge jene Charakteristika zugeschrieben, die man nach dem bislang Gesagten eher der Masse attestieren wfirde. Offentlichkeit: Offentlichkeit bezeichnet ein politisches Ph~inomen. Diese formiert sich um ein gemeinsames Ziel, zum Beispiel die Arbeit an politischen Reformen. Offentlichkeit ist nicht ortsgebunden, aber von einer gewissen Dauerhaftigkeit, die sich aus der Fixiemng auf Themen ergibt 14. Masse" Der Begriff ,Masse' wird hier im Sinne von ,mass audience' verwandt. Es wird ein Publikum beschrieben, dessen Konstituierung ebenfalls nicht an Anwesenheitskriterien gebunden wird. Dieses Publikum ist im geografischen S inne weit verstreut, es finden keine Interaktionen statt, die Mitglieder kennen sich nicht. Daraus resultiert ffir diese Masse eine heterogene Struktur, die als Ergebnis einer Offenheit des Kommunikationsph~inomens bezeichnet werden kann.
Der Begriff ,mass audience' bzw. ,Masse' soll somit veranschaulichen, dass sich eine Vielzahl von Menschen in einem tiberschaubaren Zeitraum durch ~ihnliche Verhaltensweisen auszeichnet. Diese eher technische Definition l~isst zungchst Wirkungsaspekte unberficksichtigt. Damit wird zugleich ein deutlicher Kontrast zu dem ursprtinglichen Verst~indnis des Begriffs ,Masse' gesetzt. Die kulturkritisch emotionale Belasmng entfiillt, ohne eine gesellschaftliche Verharmlosung dieses Sachverhalts an dessen Stelle zu setzen. Diese Interpretation kann auch ft~r den Definitions14 Siehe hierzu auch die Ausft~hrungen in Kapitel 9.
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster 12rberblick
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versuch von Gerhard Maletzke Geltung beanspruchen, der im Jahr 1963 eine umfassende Studie zum Begriff ,Massenkommunikation' vorgelegt hat. Um eine unpr~izise Vermengung von Massenkommunikation mit Massenph~inomenen zu vermeiden, schl~igt Maletzke den Begriff ,disperses Publikum' vor. Zu den Medien der Massenkommunikation z~ihlen bei Maletzke: Film, Funk, Fernsehen, Presse, Schallplatte. Das disperse Publikum konstituiert sich nach Maletzke von Fall zu Fall. Je nach Angebot wendet sich eine unterschiedliche Anzahl von Menschen den jeweiligen Medienangeboten zu. Je nach Situation und thematischer Spezialisierung k6nnen die Aussagen der Massenkommunikation unterschiedliche Publika erreichen. Entscheidend bleibt, dass zwischen den Mitgliedem dieser Publika keine direkte Kommunikation erfolgt, zumindest nicht w~ihrend der Mediennutzung. Der Kommunikationsprozess zwischen dem Sender und den Empf'~ingem ist rtickkopplungsarm. Daraus resultiert ffir Maletzke die folgende Definition: ,,Unter Massenkommunikation verstehen wir jene Form der Kommunikation, bei der Aussagen 6ffentlich (also ohne begrenzte und personell definierte Empf~ingerschaft) durch technische Verbreitungsmittel (Medien) indirekt (also bei r~iumlicher oder zeitlicher oder raumzeitlicher Distanz zwischen den Kommunikationspartnern) und einseitig (also ohne Rollenwechsel zwischen Aussagendem und Aufnehmendem) an ein disperses Publikum [...] vermittelt werden." (Maletzke 1963, S. 32) ,Indirekt' bedeutet dabei ,nicht unmittelbar', also nicht von Angesicht zu Angesicht. Eine indirekte Vermittlung in Verbindung mit 9
9
9
einer zeitlichen Distanz zwischen den Kommunikationspartnern liegt beispielsweise vor, wenn Signale ortsgebunden bleiben und zu einem sp/iteren Zeitpunkt vom Empf~inger wahrgenommen werden. Hinweisschilder (z.B. im Stragenverkehr), aber insbesondere Aush~inge der unterschiedlichsten Art, z.B. Plakate, Notizzettel, z~ihlen hierzu; einer r~iumlichen Distanz zwischen den Kommunikationspartnern ist gegeben, wenn das Senden und Empfangen der Signale zeitgleich erfolgt. Das Telefonat und die Live-Sendung repr~isentieren beispielsweise diesen Fall; einer raumzeitlichen Distanz zwischen den Kommunikationspartnem deckt einen grogen Bereich der Massenkommunikation ab: etwa der Abstand zwischen der Fertigstellung eines Romans und dem Zeitpunkt des Lesens, zwischen Filmproduktion und Filmausstrahlung, gmnds/itzlich also die Distanz zwischen Entstehung und Rezeption an unterschiedlichen Orten (vgl. Maletzke 1963, S. 23).
In diesem Sinne erfordert Massenkommunikation keine Gleichzeitigkeit des Empfangs der verbreiteten Aussagen. L~isst man einmal zeitversetzte MOglichkeiten des Empfangs von Medienangeboten auger Acht, dann ist im Falle des Fernsehens und des H6rfunks die Gleichzeitigkeit des Empfangs gew/ihrleistet. Aber auch die Ta-
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster Oberblick
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geszeitung gilt als ein Massenmedium, obwohl die Ober diesen Weg vermittelten Aussagen zu unterschiedlichen Zeitpunkten wahrgenommen werden k6nnen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das Sprichwort: Nichts ist so langweilig wie die Zeimng von gestem. Eine Sonderform dtirfte das Kino darstellen: Man kann im Falle von Kinotibertragungen sowohl von Pr/~senzpublika als auch von einem dispersen Publikum sprechen. Die Vorfiihrung eines aktuellen Films findet zu/ihnlichen Zeiten in einer Vielzahl von St~idten statt. Popul/~re Filme werden innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums von einer Vielzahl von Menschen gesehen. Hinsichtlich der Nicht-Gleichzeitigkeit des Empfangs dOrften die Verbreitung von Musikangeboten (siehe Maletzkes Hinweis auf die Schallplatte) und das Lesen von Bt~chem die markantesten Beispiele darstellen. Dadurch reduziert sich auch die Wahrscheinlichkeit einer unmittelbaren und kurzfristig beobachtbaren Wirkung 15. Abbildung 2.6
/
Merkmale der Massenkommunikation im Oberblick
KOMMUNIKATOR
MEDIUM
hoher Grad an Arbeitsteilung, komplexe Organisation - mehrstufiger Entstehungs- -" prozess einer Aussage
REZIPIENT
- disperses Publikum - technische Verbreitungsmittel ii
~ 1 >e- Rl_(a~lealv~i~tdleGieWi ~ i l k e i t
- mehrstufiger, technischer Vermittlungsprozess
- allgemeine Zug~inglichkeit ("Sffentlich")
L,~d es Empfangs
.~J
J i f - RI~ICKKOPPLUNG - keine Face-to-Face-Beziehung - raum-zeitliche Distanz - parasoziale Interaktion - anonymer Kommunikationsprozess
J
Quelle: Eigene Erstellung
15 Maletzkes ModeI1 der Massenkommunikation ist zwischenzeitlich auch auf neue Medien, z.B. das Intemet, Obertragen worden. Siehe hierzu die Ausf'dhrungen in Kapitel 12.
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster Oberblick
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Das weitgehende Fehlen von Rt~ckkopplungsm6glichkeiten zwischen den Empf~ingern der Massenkommunikation und dem jeweiligen Sender hat darfiber hinaus zu h~iufigen Hinweisen auf die Unangemessenheit des Kommunikationsbegriffs gefahrt (vgl. insb. Merten 1977). Die Kommunikation in face-to-face-Situationen wird hier mit den Desiderata der Massenkommunikation kontrastiert. Obwohl Kommunikation nicht an die sofortige Reaktionsm6glichkeit der daran Beteiligten gekoppelt sein muss (siehe Abschnitt 2.1), wird die fehlende Wahrnehmbarkeit als Kriterium benannt, das die Verwendung des Kommunikationsbegriffs in diesem Zusammenhang nicht gestattet. Um den Begriff Nr die Situation der Massenkommunikation dennoch zu retten, schl~igt Merten vor, an die Stelle der reflexiven Wahrnehmung die ,,Reflexivit~it des Wissens" (Merten 1977, S. 147) zu setzen. Diese Reflexivit~it resultiert aus der Erwartung an gleiches oder ~ihnliches Kommunikationsverhalten der Rezipienten. Zugleich wird das Aufeinanderbezogensein von Massenkommunikation und interpersonaler Kommunikation integriert. Ebenso wird daraus ersichtlich, dass m6gliche Wirkungen zun~ichst Erreichbarkeit voraussetzen. Angesichts der Erweiterung und Ausdifferenzierung des Medienangebots hat Schmidt vorgeschlagen, zwischen unspezifischer und spezifischer Massenkommunikation zu unterscheiden. Damit soll dem unterschiedlichen Zielgruppencharakter von Medienangeboten Rechnung getragen werden (vgl. Schmidt 1994a, S. 88). Abbildung 2.6 gibt noch einmal wichtige Merkmale der Massenkommunikation im f.)berblick wieder.
2.3
Die , P i o n i e r p h a s e ' des W i r k u n g s b e g r i f f s
Die ,Wiege' des Wirkungsbegriffs steht in den Naturwissenschaften. Er stellt das Pendant zum Begriff der Ursache dar. Die Verwendung des Begriffs legt Kausalit~itsannahmen nahe und wird im alltfiglichen Sprachgebrauch auch mit solchen Implikationen verknt~pft. Wirkung wird in der Regel mit Ver~inderung gleichgesetzt. Und Ver~inderung bedeutet, dass sich auf der Einstellungs- oder Verhaltensebene Beobachtungen machen lassen, die auf das Vorliegen eines bestimmten Stimulus zu~ckgeffihrt werden k6nnen. Die Stimuli bestehen im vorliegenden Falle aus Medienangeboten, deren Wirkungen sich in beobachtbaren bzw. messbaren Reaktionen von Rezipienten manifestieren. Dieser Beschreibung entspricht auch die Grundstruktur des Modells, das in der Literatur verschiedene Namensgebungen erfahren hat. Die gel~iufigsten Bezeichnungen lauten: 9 9
9 9
Stimulus-Response-Modell Reiz-Reaktions-Modell Hypodermic Needle-Modell Transmission Belt-Theorie
68 9
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster Uberblick Magic Bullet-Theorie
Am htiufigsten wird die Stimulus-Response-Terminologie (Reiz-Reaktion) verwandt. Orientiert man sich an diesen Begriffen, so resultiert daraus das folgende Grundmodell des Wirkungsvorgangs (vgl. Abbildung 2.7). Das Modell ist wie folgt zu interpretieren: Die von den Massenmedien prtisentierten Stimuli erreichen die Rezipienten unmittelbar, R(ickkopplungen finden nicht statt und damit weder Interaktionen zwischen dem Sender und dem Empf~inger noch unter den Empf~ingem selbst. Das Modell hat endgt~ltigen Charakter und enthNt keinerlei Hinweise auf Lemprozesse; es erscheint statisch. Reaktionen werden lediglich als Folge einer bestimmten Aussage definiert: Kommunikation ist gleich Wirkung. Es dominiert ein fast ,technisches' Verst~indnis von ,Wirkung'. Dass Menschen selbst Medien sein k6nnen, also Vermittler oder Interpreten von t~ber Medien vermittelten Aussagen, ist in diesem Ausgangsmodell der Medienwirkungsforschung nicht beracksichtigt. Abbildung 2.7
MEDIUM
Die Grundstruktur des Stimulus-Response-Modells
STIMULI
I ~,~j~l '=REZIPIENT
Alternativ:
STIMULUS
' ORGANISMUS
~ RESPONSE
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Merten 1994b, S. 295 und McQuail 2005, S. 470f.
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster 12rberblick
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Daraus erkl~irt sich auch die Verwendung des Begriffs ,Organismus' (vgl. Abbildung 2.7). Reflexivit/it bleibt ausgeschlossen und an die Stelle eines deutenden Verstehens tritt ausschlieBlich ein urs/~chliches Erkl~iren. Diese Grundannahmen ergeben ein weitreichendes Modell, das sich aus einfachen Bausteinen zusammensetzt. Diese k6nnen wie folgt benannt werden: [] [] [] [] []
Die Stimuli der Massenkommunikation erreichen die Rezipienten unmittelbar. Die Stimuli sind eindeutig und werden infolgedessen weitgehend gleich wahrgenommen. Infolge dieser Homogenit~itsannahme kommt es zu/~hnlichen oder identischen Reaktionen der Rezipienten. Der Inhalt und die Richtung des Effekts eines Stimulus werden gleichgesetzt. Das Publikum der Massenkommunikation erscheint als eine undifferenzierte Masse.
Ffir die anf~ingliche Popularit/it dieses Modells k6nnen mehrere Grfinde angeffihrt werden: Es korrespondierte mit dominierenden Annahmen fiber die menschliche Natur. Es korrespondierte mit den Vorstellungen fiber die Verfassung moderner Gesellschaften (siehe Abschnitt 2.2). Die Popularit/it wurde von einer politischen und sozialen Konfliktlage getragen, in der der Einsatz von Kommunikation ffir Propagandazwecke im Zentrum des Interesses stand. Begfinstigend wirkten zudem gelegentliche spektakul~ire Erfolge von Kampagnen, die auf den ersten Blick die Modellannahmen s~tzten 16. Die Vorstellungen fiber die menschliche Natur sind ein Spiegelbild der Vorstellungen, die mit dem Begriff ,Massengesellschaft' assoziiert werden. Gerade hier 1/~sst sich verdeutlichen, dass mr die Analyse von Massenkommunikationsprozessen das jeweilige ,concept of man' von zentraler und forschungsleitender Bedeutung ist. Pointiert formuliert wird die atomisierte Masse zum Spielball von Kommunikationsstrategien, die ihren Erfolg behavioristisch oder instinkttheoretisch begrfinden (siehe zur Instinkttheorie auch Heckhausen 1980, S. 51ff.). Und dies bedeutet: Wenn ein Reiz eine bestimmte Reaktion ausl6st, dann 1/~sst sich diese Reiz-Reaktions-Kette bei einer Vielzahl von Menschen beobachten. Dieser psychologische Mechanismus ist nicht individuell. Am deutlichsten wird dieses Wirkungsverst/~ndnis durch den schon erw/~hnten Begriff ,hypodermic needle' vermittelt. )khnlich einer Injektionsspritze wirken die Medienangebote sofort und unmittelbar. Obwohl diese Wirkungsmodelle schon zur damaligen Zeit umstritten waren, konnten sie fiber einen relativ 16 Siehe hierzu die Ausft~hrungen in Kapitel 4.
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langen Zeitraum einen bestimmenden Einfluss aus~ben (siehe hierzu insb. Brosius/ Esser 1998) 17. Ein wesentliches Missverst~indnis dieser Theorie kann darauf zurOckgefOhrt werden, dass aus dem Vorliegen anthropologischer Konstanten ein identisches Reaktionspotential in anderen Bereichen abgeleitet wurde. Auch in der Frfihphase der Wirkungsforschung blieben Zweifel an diesen Vorstellungen nicht aus. Beispielhaft l~isst sich dies mit einem Zitat verdeutlichen, das von einem der ,V~iter' der Kommunikationsforschung, Harold D. Lasswell, stammt. In einem frahen Beitrag zur Theorie der politischen Propaganda ist die folgende Feststellung zu finden: ,,The strategy of propaganda [...] can readily be described in the language of stimulusresponse. [...] the propagandist may be said to be concerned with the multiplication of those stimuli which are best calculated to evoke the desired responses, and with the nullification of those stimuli which are likely to instigate the undesired responses." (Lasswell 1927, S. 630) Abbildung 2.8
Die Lasswell-Formel
Komponenten des Kommunikationsprozesses
w.
Kommunikator
sa,t w,.
Nachricht
we'c"em
zu W . M
KANAL Medium
Empf~nger
~__.~mit w e l c h e m EFFEKT
I I
Wirkung
Bereiche der Kommunikationsforschung
w.,
Kommunikatorforschung
...,
w,s
InhalIsanalyse
we'~
KANAL Medienanalyse
zu W . M
Publikumsforschung
~
mit welchem EFFEKT
Wirkungsforschung
, , ,
Quelle: Lasswell 1948, entnommen aus McQuail/Windahl 1981, S. 10 Lasswell spricht in diesem Zitat von erwCmschten Reaktionen und gibt zu erkennen, dass die Wahrscheinlichkeit anderer Reaktionen nicht auszuschlieBen ist. Aber das Interesse der Forschung lag weniger in dem Nachweis der unterschiedlichen Wirkung identischer Stimuli, sondern in der Erarbeitung von Regeln gezielter Beeinflussung. Auch die 21 Jahre sp~iter vorgelegte ,Lasswell-Formel' konzipiert Kom17 Siehe hierzu auch die Ausffihrungen in Kapitel 3 und Kapitel 4.
Kommunikation, Massenkommunikation, Wirkung. Ein erster Oberblick
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munikationsprozesse noch als einen einseitigen Vorgang vom Sender zum Empf~inger. Ein mehrstufiger Vorgang wird zwar angedeutet, aber zun~ichst noch nicht im Sinne eines mehrsmfigen Wirkungsprozesses interpretiert. Vielmehr werden diesen Stufen Forschungsgebiete der Kommunikationswissenschaft zugeordnet, die Abbildung 2.8 zu enmehmen sind. Die Belegnachweise ft~r die Gfiltigkeit des Stimulus-Response-Modells werden in Kapitel 4 noch einmal ausNhrlicher dargestellt. Schon an dieser Stelle darf aber festgehalten werden, dass der umfassende Anspruch dieses Modells und die damit einhergehende medienzentrierte Sichtweise den Ausgangspunkt differenzierterer Perspektiven darstellt. Die Geschichte der Medienwirkungsforschung l~isst sich als Auseinandersetzung mit diesem Modell beschreiben. Das folgende Kapitel verfolgt diese Zielsetzung und zeichnet die wesentlichen Etappen dieser Kontroverse nach.
D Bryson, Lyman (ed.) (1948): The Communication of Ideas. A Series of Addresses. New York. Maletzke, Gerhard (I963): Psychologie der Massenkommunikation. Theorie und Systematik. Hamburg. McQuail, Denis; Windahl, Sven (1981): Communication Models for the Study of Mass Communications. London, New York.
3 Wirkungsmodelle und Forschungstraditionen
3.1 Das widerspenstige Publikum" ,Mediating Factors' im Uberblick Die 1930er und 1940er Jahre sind in den Vereinigten Staaten die Pionierphase der Medienwirkungsforschung. In den Forschungsberichten ist gleichwohl immer seltener von einfachen Kausalketten und eindeutigen Einflt~ssen der Medienangebote auf das Einstellungs- und Verhaltensrepertoire der Menschen die Rede. Die in der Einleitung bereits zitierte Arbeit von Joseph T. Klapper ist hier~ir ein gutes Beispiel. Bereits im Jahr 1949 hatte dieser Autor einen Forschungsbericht vorgelegt, der unter dem Titel ,,The Effects of Mass Media" publiziert wurde. Im Jahr 1960 erschien diese Studie in aktualisierter Form unter dem Titel ,,The Effects of Mass Communication". Das Stimulus-Response-Modell kann danach allenfalls noch als eine adgquate Beschreibung der Richtung des Kommunikationsprozesses verstanden werden. Die Kernaussage l~isst sich wie folgt formulieren: Was sich als Wirkung einer Kommunikation zeigt, ist nicht allein das Resultat eines sorgsam gestalteten Stimulus, sondern steht unter dem Einfluss eines ,,host of other variables." (Klapper 1960, S. 3) ~8 Hierzu z~ihlen unter anderem: die Pr~idispositionen des Publikums, das Image des jeweiligen Senders, die Einbindung des Rezipienten in soziale Gruppen und die Bedeutung von Gruppenmitgliedschaften, die Spezifika der jeweiligen Rezeptionssituation, die Schichtzugeh6rigkeit und die allgemeinen Lebensbedingungen. Die Benennung einer Vielzahl von Einflussfaktoren hat im Umkehrschluss die Vorstellung best~irkt, dass Wirkung ein Ph~inomen repr~isentiert, das sich der exakten wissenschaftlichen Analyse entzieht. In diesem Zusammenhang wird oftmals eine Auffassung von Bernard Berelson zitiert, die wie folgt lautet: ,,Some kinds of communication on some kinds of issues, brought to the attention to some kinds of people under some kinds of conditions, have some kinds of effects." (Berelson 1960 [zuerst 1948], S. 531) Der polemische Unterton dieser Feststellung sollte nicht t~berbewertet werden. Es ist kein Pl~idoyer ffir eine Individualisierung von Wirkung. Auch diese Aussage legt eine Be~cksichtigung von Sender- und Empf~ingermerkmalen nahe. Hinsichtlich der Empf~ingerseite sind insbesondere intrapersonale und interpersonale Ein~8 Brosius und Esser (1998) weisen in ihrem Beitrag ,Mythen in der Wirkungsforschung' darauf hin, dass Klappers Literaturauswahl keinen Anspruch auf Vollst~indigkeit erhebt (S. 350) und Klapper aufgrund seiner Anstellung beim amerikanischen Fernsehsender CBS einem Medienkonzern verpflichtet war, der an einem ,,Nachweis starker Medienwirkungen nicht interessiert sein konnte [...]." (S. 353) Klappers Buch vermittelt dennoch nicht den Eindruck der Antizipation eines Organisationswillens.
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Wirkungsmodelle und Forschungstraditionen
flussvariablen zu berficksichtigen. Exemplarisch soll hier auf einige ,mediating factors' hingewiesen werden: 9
9
9
9
Vermeidung von unsympathischer Kommunikation: Klapper verwendet diesbezt~glich den Begriff ,selective exposure'. Gemeint sind Versuche der Rezipienten, sich von unbeliebtem oder unerwt~nschtem Informationsmaterial fernzuhalten; es geht um Formen der Begrenzung des Einflusses. Klapper referiert eine Studie von Cannell und MacDonald, die feststellten, dass Nichtraucher zu einem wesentlich h6heren Anteil Artikel t~ber den Zusammenhang von Rauchen und Krebs lesen als Raucher (vgl. Klapper 1960, S. 21). Umdeutung von Kommunikation: Klapper bezieht sich beispielsweise auf eine Untersuchung, die Allport und Postman 1945 durchffihrten. Im Zuge der Diffusion von Informationen stellten sie deutliche VerfNschungen des Inhalts fest. Das zu kommentierende Bild zeigt einen Weil3en, der einen Schwarzen mit einem Rasiermesser bedroht. Nach einer Reihe von Nacherz~ihlungen landet das Rasiermesser in der Hand des Schwarzen. An diesem Experiment, das ein extremes Beispiel von selektiver Wahrnehmung repr~isentiert, nahmen nur Weil3e teil. Im Englischen wird dieses Ph~inomen mit dem Begriff ,selective perception' beschrieben. Selektive Wahrnehmung ist in einem weiteren Sinne das Resultat des Zusammenspiels von Interesse, Relevanz und Betroffenheit. Speicherung und Erinnerung an Kommunikation: Der mit dem Begriff ,selective retention' beschriebene Vorgang erg~inzt die bereits genannten Selektionsformen. Man kOnnte auch von ,selektivem Behalten' sprechen. Folgendes Beispiel soll zur Illustration dienen: In einem Experiment mit amerikanischen Studenten bildeten Levin und Murphy zwei Gruppen, die sich nach einer Vorbefragung hinsichtlich ihrer politischen Einstellungen als pro-sowjetisch bzw. anti-sowjetisch einstufen liel3en. Den beiden Versuchsgruppen wurden sowohl ein pro-sowjetischer als auch ein anti-sowjetischer Text pr~isentiert mit der Bitte, diese nach einem kurzen Zeitraum m6glichst exakt nachzuerz~ihlen. Dieser Vorgang wurde mehrfach wiederholt, zun~ichst unter erneuter Vorlage der Texte, sp~iter dann ohne Pr~isentation des Stimulus-Materials. Als Ergebnis dieser Versuchsreihe zeigte sich, dass sympathische Aussagen in der Regel besser erinnert werden als unsympathische Aussagen. Vermutlich stehen hier ,selective retention' und ,selective perception' in einer Wechselbeziehung. Gruppenzugeh6rigkeit und Gruppennormen: Die Zugeh6rigkeit zu einer Gruppe und das Ausmal3 der Identifikation mit den dort geltenden Gruppennormen ist ein wichtiger interpersonaler Faktor. Der Hinweis auf die Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen ist in doppelter Hinsicht relevant: Zum einen verdeutlicht er, dass die Berticksichtigung der jeweiligen Rezeptionssituation und Verarbeitung von Inhalten bedeutsam ist, zum anderen hebt sich die Beobachtung kleiner Gruppen von dem bis in die 1940er Jahre dominierenden Mas-
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sen-Konzept ab. Die soziale Gruppe wird wiederentdeckt, Schutzschildfunktionen werden illustriert und Prozesse der sozialen Kontrolle beschrieben. Zugleich ergibt sich aus dem B lick auf die Strukturen sozialer Gruppen das PMnomen von Meinungsfahmng und Gefolgschaft. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Form der Kommunikation eine bestimmte Wirkung erzielt, ist danach auch das Resultat der Obereinstimmung des kommunizierten Inhalts mit dem Wertesystem der jeweiligen Gruppe. Wenn die Intentionen des Kommunikators den Gruppennormen zuwiderlaufen, steigt die Wahrscheinlichkeit eines Bumerang-Effekts: Eine beabsichtigte Einstellungs- und Verhaltens~inderung resultiert in einer Verst~irkung des Wir-Geffihls der Gruppe und in einem Imageverlust des Urhebers der Aussage. Obwohl Klapper immer wieder von Massenkommunikation spricht, statzt er sich wie bereits angedeutet- zur Beweisflihrung fast ausschlieBlich auf Experimente mit kleinen Gruppen. Generell wurde davon ausgegangen, dass die unter kontrollierten Bedingungen durchgeffihrten Analysen auch auBerhalb der experimentellen Situation Gt~ltigkeit beanspruchen k0nnen. Die sp~iteren Aus~hmngen werden zeigen, dass die hier eingefahrten Begriffe auch im Rahmen quasi-experimenteller Versuchsanordnungen zur Anwendung gelangten. Die experimentelle und quasiexperimentelle Forschung erg~inzen sich. Die hier exemplarisch zugrundegelegte Arbeit von Klapper erlaubt eine Erweiterung des Stimulus-Response-Modells, die in der folgenden Abbildung zusammengefasst wird (vgl. Abbildung 3.1). Mit dem Begriff ,St6rfaktoren' soll verdeutlicht werden, dass es verschiedene Formen einer ,defensiven Selektivit~it' gibt (vgl. Winterhoff-Spurk 1999, S. 33), die einen ungehinderten und unmittelbaren Effekt von Kommunikationsangeboten auf die jeweiligen Empf'~inger unwahrscheinlich machen. Das ursprfingliche Stimulus-ResponseModell wird durch die mit der Zahl 1 gekennzeichnete Linie dargestellt. Die modifizierte Variante ergibt sich aus dem Ablauf, den Linie 2 verdeutlicht. Das Publikum der Massenkommunikation gewinnt dadurch einen h6heren Stellenwert. Wenngleich noch nicht explizit von einer Publikumsaktivit~it gesprochen wird, deuten sich viele Vorstellungen an, die mit diesem Begriff in Verbindung stehen. Wenige Jahre nach dem Erscheinen von Klappers Analyse schrieb beispielsweise Maletzke in seiner Analyse ,,Psychologie der Massenkommunikation": ,,Allzu eng betrachtete man die Massenkommunikation zun~ichst als einen einseitigen linearen ProzeB, der geradlinig vom Kommunikator tiber Aussage und Medium zum Rezipienten verl~iuft und bei dem die Aussage als Agens und der Rezipient lediglich als BeeinfluBter, als passiv Registrierender verstanden wurde. [...] Diese Ansicht wird den tats~ichlichen VerhNtnissen im Beziehungsfeld der Massenkommunikation nicht gerecht. Sie fibersieht, dab der Rezipient von sich aus selektiv, akzentuierend und projizierend den ProzeB der Massenkommunikation mitbestimmt und daB dieses aktive Eingreifen zu einem wesentlichen Teil durch die Funktionen
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gesteuert wird, welche die Aussagen far die Rezipienten haben." (Maletzke 1963, S. 132f.) Damit nimmt Maletzke eine Einteilung in ,,lineare" und ,,reflexive Paradigmata" (vgl. Merton u.a. 1992) der Wirkungsforschung vorweg. Merten u.a. verstehen unter ,,linear" solche Ans~itze, die in der Tradition des Stimulus-ResponseModells stehenl9. Demgegent~ber bezeichnen sie mit ,,reflexiv" die Paradigmata, die nachweislich akausale Strukturen aufweisen 2~ Abbildung 3.1
Eine Erweiterung des Stimulus-Response-Modells
MEDIUM
- STIMULUS 1 2
,,I,
STORFAKTOREN ] intrapersonal I< "selective exposure" "selective retention" "selective perception" Aufmerksamkeit Interessen Involvement
I
~l interpersonal Prim~rgruppennormen MeinungsfQhrer
"I
9 RESPONSE
1
Quelle: Eigene Erstellung Von einer Oberbetonung des Individuums kann insofern nicht gesprochen werden, als es in der Rolle des Empf'~ingers verharrt. Streng genommen sind die beschriebenen Reaktionen (Selektionen) bereits das Resultat von Wirkungen. Wenn bestimmte Inhalte als unangenehm empfunden werden, liegt bereits ein Effekt vor, der Ausgangspunkt far Antworten unterschiedlicher Art sein kann. Entsprechendes gilt, wenn die Kommunikationsangebote vorhandene Einstellungen verst~irken. Wer die Konfrontation mit dem Unangenehmen nicht vermeiden kann, versucht die empfundene Dissonanz zu reduzieren und Konsonanz herzustellen. Diese Begriffe verwei19 Siehe hierzu die Ausftihrungen in Abschnitt 3.2, 8.2 und Kapitel 7. 2o Siehe hierzu die AusfOhrungen in Abschnitt 5.2, 9.4 und Kapitel 11.
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sen auf die sozialpsychologischen Arbeiten von Leon Festinger, in denen Anschlusshandlungen von Menschen beschrieben werden, die ein inneres Ungleichgewicht verspiiren (vgl. Festinger 1978). Die Theorie der kognitiven Dissonanz und andere sozialpsychologische Modelle, die sich mit diesen Ausgleichsph~inomen besch~iftigen, gehen vonder Grundannahme aus, dass Konflikte als unangenehm empfunden werden und ein als harmonisch empfundener Zustand angestrebt wird. Diese Vorstellungen verdeutlichen zugleich die noch starke Verankerung der Medienwirkungsforschung in der Tradition von Persuasion bzw. 121berredungskommunikation. Wie werden Wirkungen begrenzt, wie kann Beeinflussung verhindert werden usw.? Wt~rde man die Frage nach den Medienwirkungen auf diese Aspekte reduzieren, w~iren viele Formen des Medieneinflusses nicht thematisierbar. In vielen Bereichen realisiert sich Medienwirkung bereits dadurch, dass eine Vielzahl von Menschen Gemeinsamkeiten (Einstellungen, Meinungen, Pr~iferenzen, Wissen) aufweisen. Der Ablauf von Medienwirkungsprozessen erschliel3t sich am ehesten dann, wenn bereichsbezogene Analysen systematisiert werden und im Zuge der Schlussfolgerungen eine Ebenendifferenzierung Beachtung findet. Berghaus (1999) hat ein Hierarchiemodell vorgeschlagen, das in diesem Zusammenhang erl/~utert werden soll: 9
9
9
Auf einer ersten Stufe werden die Rahmenbedingungen far Wirkungspotentiale der Massenmedien angesiedelt. Die Wahrscheinlichkeit einer spezifischen Medienwirkung ist danach nicht ausschliel31ich individuell bestimmbar: ,,Sozialisation, Familie, Gruppenbindungen und pers6nliche Kommunikation liefern die Selektionskriterien far die Medienbeurteilung. Das soziale Umfeld steuert Medienwirkungen. Es gibt gleichsam die Lesart far Massenmedien vor." (Berghaus 1999, S. 183) Auf einer zweiten Wirkungsebene werden Medien und Medieninhalte voneinander abgegrenzt. Im Vergleich zur Stufe 1 scheint in diesem Fall eine noch grunds~itzlichere Rahmung gemeint zu sein. Es geht um die Bestimmung von Wirkungschancen, die der Beschaffenheit des Mediums selbst zuzuschreiben sind: ,,Das Medium selbst ist mehr als die Summe seiner Inhalte, seine ,,message" ist gesellschafts- und kulturpr~igend: Man denke an die Unterschiede zwischen Gesellschaften ohne oder mit Druckmedien, ohne oder mit Fernsehen." (Berghaus 1999, S. 183)21 Insofern mtisste diese Stufe der ersten mindestens gleichgestellt sein. Die dritte Stufe differenziert die Wissens- und Einstellungsebene. Das Eintreten kognitiver Medienwirkungen (z.B. Kenntnis von Themen und Kontroversen) 22 wird hOher eingesch~itzt als die Realisierung einer Meinungs- oder Einstel-
21 Siehe hierzu die Ausftihrungen in Kapitel 10. 22 Siehe hierzu die Ausftihrungen in Kapitel 7.
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Wirkungsmodelle und Forschungstraditionen lungs~inderung. Hier werden die Einflfisse des sozialen Umfelds wieder relevant.
Dennoch kann weder dem sozialen Umfeld noch den organisatorischen Rahmenbedingungen des Mediensystems eine unmittelbare Handlungsrelevanz zugeschrieben werden. Eine Vielzahl sogenannter Makrophgnomene ist nur erkl~irbar, wenn der Umweg t~ber die Dispositionen und Motivationen der Akteure (=Rezipienten) gegangen wird. In diesem Sinne ist die Individualebene Teil eines Prozesses, der Makroph~inomene hervorbringt (vgl. J~ickel~einhardt 2001, S. 35ff.): 6ffentliche Meinung, Realit~itsvorstellungen, Zuschreibungen yon Glaubwt~rdigkeit, Entstehung von Wissensdifferenzen in einer Gesellschaft usw. Eine Vernachl~issigung dieser Verknfipfung yon Mikro- und Makroebene ist insbesondere einer Forschungstradition vorgeworfen worden, die dem individuellen Umgang mit Medienangeboten besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat.
3.2 Nutzungswirkungen. Rezipientenzentrierte Wirkungsvorstellungen Der bereits verwandte Begriff ,defensive Selektivit~tt' setzt an die Stelle einer passiven Akzeptanz die Vorstellung eines aktiven Eingreifens des Rezipienten. Damit wird bereits die Annahme einer unmittelbaren Wirkung zu~ckgewiesen. Diese Gegenflberstellung legt die Anschlussfrage nahe, was unter einer passiven Akzeptanz verstanden werden soll. Warum und unter welchen Bedingungen sollte dieses ,Opfer'-Modell zutreffen? Diese bis heute beobachtbare Kontrastierung von gegens~itzlichen Auffassungen zum Verlauf von Kommunikationsprozessen dient eher der bewussten Polarisierung von Perspektiven als der Vermittlung eines ad~iquaten Blicks auf das Verh~iltnis von Medienangeboten einerseits und Publikumsreaktionen andererseits. Hasebrink und Krotz sprechen diesbezt~glich von einem ,,Grundmuster kommunikationswissenschaftlichen Denkens" (1991, S. 117). Beispielhaft kann dieses Grundmuster an einer Auffassung illustriert werden, die die Erkl~irung des Zuschauerverhaltens zum Gegenstand hat: ,,Two quite different assumptions have been made about television viewers. Most critics of the medium as well als researchers working in the ,effects' tradition generally assume that viewers are passive, simply ,watching what is on'. In marked contrast, researchers working in the ,uses and gratifications' tradition conceive of viewers as actively choosing what to see and what to attend to while the set is on." (Peterson et al. 1986, S. 81) Die Forschungstradition, die sich in besonderer Weise um den Nachweis von Publikumsaktivit~iten bemfiht hat, wird in diesem Zitat bereits genannt: ,Uses and Gratifications'. Die durch diese Forschungstradition eingeleitete Sichtweise auf das Publikum wurde euphorisch als ein Paradigmenwechsel gefeiert. Bedeutende Vertreter dieses Ansatzes haben selbst eingestanden, dass eine solche Bezeichnung ,,is
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perhaps too grandiose as a description of what occurred." (Palmgreen et al. 1985, S. 11) Wfihrend die medienzentrierte Sichtweise den Fokus auf die Intentionen des Kommunikators legt, setzt sich die publikumszentrierte Sichtweise far eine st~irkere Berficksichtigung der Funktionen und des Nutzens der Medien far die Rezipienten ein. Aus der Fragestellung ,,Was machen die Medien mit den Menschen?" wird nun ,,Was machen die Menschen mit den Medien?" Diese programmatische Formulierung verwandten Katz und Foulkes 1962 in ihrem Beitrag ,,On the Use of the Mass Media as ,Escape': Clarification of a Concept". Der Terminus ,Uses and Gratifications' war in der Forschung bereits vor der Formulierung dieser Kemfragen gel~iufig. Folgt man der Einschgtzung yon Lowery und DeFleur, dann ist dieser Begriff im Umfeld von Forschungen entstanden, die vor allem im ,,Office of Radio Research" angesiedelt waren. Das im Jahr 1937 gegrfindete Forschungsinstitut war zun~ichst an der University of Newark angesiedelt und wurde 1939 an die Columbia University verlegt. Geleitet wurde es von Paul Felix Lazarsfeld. Dank einer grol3ztigigen F6rderung durch die ,,Rockefeller Foundation" konnten umfassende Analysen zur Bedeutung des Radios far die H6rerschaft durchgefahrt werden (siehe hierzu auch Allerbeck 2003, S. 8). Herta Herzog analysierte an diesem Institut die H6rgewohnheiten und Funktionen, die die jeweiligen Angebote far das Publikum erfallen. Das Hauptinteresse gait sogenannten ,daytime serials'. Mit Hilfe standardisierter Befragungen und erg~inzender Einzelgespr~iche wollte man in Erfahrung bringen, welcher Gewinn aus t~tglich wiederkehrenden Angeboten gezogen wird. Es sollte erklgrt werden, warum diese Angebote genutzt werden. Die Gratifikationsleistungen amerikanischer H6rfunkserien wurden von Herzog in drei Bereiche klassifiziert: emotionale Entspannung, Realisation von Wunschvorstellungen und Vermittlung yon Ratschl~igen. Da insbesondere Frauen die Sendungen h6rten, dienten diese auch haupts~ichlich als Informanten. Herzog war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass die in den HOrfunkserien pr~isentierten Wertvorstellungen und Ratschl~ige den Charakter yon Scheinl6sungen haben k6nnen. Die Wirkung solcher Angebote besteht also vorwiegend in einer kurzfristigen psychischen Entlastung. Eine Identifikation mit Serienfiguren und Serienrealit~iten veranlasste Herzog nicht nur zu der Schlussfolgerung, dass diese nutzenstiflende Funktion der Medienangebote ein bedeutender Erkl~irungsfaktor far die Inanspruchnahme ist, sondern auch zu der Aufforderung an die Verfasser yon H6rfunkserien, sich dieser besonderen Verantwortung immer bewusst zu sein (vgl. zusammenfassend Lowery/DeFleur 1985, S. 93ff.; Drabczynski 1982, S. 96ff.). Damit verdeutlicht bereits diese Untersuchung, dass Nutzungswirkungen nicht nur in das Belieben der jeweiligen Rezipienten gestellt werden k6nnen. Der Rezipient bleibt in der Erfallung yon Bed~rfnissen an Vorgaben gebunden, auf die er in der Regel nur einen sehr begrenzten Einfluss hat. Als Raymond A. Bauer Anfang der 1960er Jahre die Initiative des Publikums aus seiner Sicht zusammenfasste, sprach er - auch unter Bezugnahme auf die Ergebnisse von Herzog - von einem
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,,functional approach." (Bauer 1963, S. 3) Auch Bauer sind die unterschiedlichen M6glichkeiten der Einflussnahme auf den Kommunikationsprozess durch Sender und Empf~inger bewusst. Er sieht jedoch sowohl in der bewussten Auswahl als auch in dem Verzicht auf bestimmte Angebote eine wesentliche Chance des Publikums. Von ihm stammt die in der Kapiteltiberschrift verwandte Formulierung ,widerspenstiges Publikum': ,,[...] the obstinacy of the audience; it is not passively to be pushed around." (Bauer 1963, S. 7) Das widerspenstige Publikum weil3 sich somit vor Medienangeboten und entsprechenden Einflussnahmen zu schtitzen. Katz und Foulkes vertraten dartiber hinaus die Auffassung, dass es ein berechtigtes Interesse an der Erforschung von Gratifikationen gibt, die Menschen den Medienangeboten entnehmen. Obwohl in dem bereits genannten Beitrag das Ph~inomen des Eskapimus in den Vordergrund der Analyse gestellt wurde, geriet nunmehr der Aspekt der Publikumsaktivit~it verst~irkt ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Der Begriff ,publikumszentriert' wird ernst genommen und die Vorstellung einer ,active audience' erh~ilt Gestalt. W~ihrend man Katz' und Foulkes' Ausffihrungen noch so interpretieren darf, dass aus Wirkungen Funktionen gemacht werden (siehe den Beispieltext auf der nachfolgenden Seite), werden nun vermehrt Interessen, Motive und Pr~iferenzen des Publikums zum Ausgangspunkt der Erkl~irung medienbezogenen Handelns.
Eine Begr~indung der Gratifikationsforschung ,,It is often argued that the mass media, give the people what they want and that the viewers, listeners, and readers ultimately determine the content of the media by their choices of what they will read, view, or hear. Whether or not this is a valid characterization of the role of the mass in relation to the media, it is only an arc of circular reasoning unless there is independent evidence of what the people do want. More particularly, there is great need to know what people do with the media, what uses they make of what the media now give them, what satisfactions they enjoy, and, indeed, what part the media play in their personal lives." (Katz/Foulkes 1962, S. 377)
Mit dem im Jahr 1974 vorgelegten Sammelband ,,The Uses of Mass Communications" (Blumler/Katz 1974) und dem elf Jahre sp~iter erschienenen Band ,,Media Gratifications Research" (Rosengren et al. 1985) hatte diese Forschungstradition wichtige Befunde, Modelle und analytische Vorgehensweisen prgsentiert, die den besonderen Stellenwert dieser Fragestellungen veranschaulichen. Ebenso hat Ruggiero auf die anhaltende Bedeutung dieser Perspektive hingewiesen. In seinem
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Beitrag ,,Uses and Gratifications Theory in the 21st Century stellt er einleitend fest: ,,Some mass communications scholars have contended that uses and gratifications is not a rigorous social science theory. [...] I argue just the opposite, and any attempt to speculate on the future of mass communication theory must seriously include the uses and gratifications approach." (2000, S. 3) Folgt man dem Phasenmodell von Palmgreen et al., dann l~isst sich die Entwicklung der Gratifikationsforschung wie folgt beschreiben (vgl. Palmgreen et al. 1985, S. 13f.): 1.
2.
3.
Die Operationalisierungsphase: Diese Phase ist durch eine Vielzahl von Typologien gekennzeichnet, die aus den Funktionen, die Medien far die Menschen haben, abgeleitet werden. Es dominieren Beschreibungen, Erkl~irungen sind selten. Gleichwohl hat diese relativ lange Phase (Anfang der 1940er Jahre bis Ende der 1960er Jahre) bereits einen sehr detaillierten Blick auf m6gliche Gratifikationen der Medien er6ffnet. In zahlreichen Varianten werden Orientierungs-, Entlastungs- und Unterhaltungsfunktionen der Medien beschrieben. Mit einer gewissen Berechtigung kann gesagt werden, dass eine gelegentliche 121berbetonung des Eskapismus-Ph~inomens vorlag, also einer gesellschaftlich legitimierten Art, sich auf begrenzte Zeit von gesellschaftlichen Rollenverpflichtungen durch die Nutzung von Medien zu befreien. In diese Zeit werden aber auch zahlreiche Studien vorgelegt, die das KonkurrenzverhNtnis der Medien untereinander thematisieren. Die Abkehr von einer engen funktionalistischen Terminologie und Perspektive: Diese Phase kann als fJbergangsphase bezeichnet werden. Der ubiquit~iren Verwendung des Funktionsbegriffs far alle erdenklichen Zusammenh~inge zwischen Medienangeboten und Gratifikationsleistungen wird eine st~irker theoriegeleitete Systematisierung entgegengestellt. Kritisiert wird eine unzureichende Ebenendifferenzierung, die die jeweils erbrachten Funktionen mal auf der gesellschaftlichen, mal auf der individuellen Ebene verankert (siehe hierzu kritisch Rosengren 1996, insb. S. 21f.). Dieser Zuordnungsproblematik wird im Rahmen der Gratifikationsforschung handlungstheoretisch begegnet. In Verbindung damit rackt das Individuum noch st~irker in den Mittelpunkt des Massenkommunikationsprozesses. Zugleich nimmt die Betonung des intentionalen Charakters von Mediennutzung zu. Diese Phase kann auch als eine Phase der Modellbildung bezeichnet werden, in der eine genauere Bestimmung der Elemente, die am Gratifikationsprozess beteiligt sind, angestrebt wird. Die Phase der Etablierung und Ausweitung: Ft~r diese Phase, die bis in die Gegenwart reicht, gilt die konsequente Umsetzung einer motivationalen Perspektive. Verbunden damit ist nach Auffassung von Palmgreen et al. eine Ausweitung der Fragestellung t~ber den Kommunikationsprozess im engeren Sinne hinaus. Man bemfiht sich um eine Einbindung der Mediennutzung in einen allgemeineren Handlungsrahmen. Diese Versuche k6nnen auch als Antwort auf
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Wirkungsmodelle und Forschungstraditionen die Oberbetonung des Individuums gelesen werden, da insbesondere diesbezt~glich die deutlichste Kritik artikuliert wurde (vgl. hierzu auch J~ickel 1996a, S. 93ff.).
Wenn Mediennutzung als absichtsgeleitetes Handeln interpretiert wird, erhalten Medienangebote einen instrumentellen Charakter. Konsequenterweise wt~rde daraus folgende Schlussfolgerung resultieren: Medienwirkung ist ein durch das Individuum gesteuerter Vorgang. Die Grundannahmen des Nutzen- und Belohnungsansatzes lassen diese Interpretation zu. Sie lauten: Das aktive Publikum verwendet Medienangebote zur Erreichung bestimmter Ziele. Es liegt ein Zweck-Mittel-Denken vor. Mediennutzung ist intentional und absichtsvoll. Welches Medienangebot far welche Art von Bedtkfnisbefriedigung besonders geeignet ist, entscheidet der Rezipient. Dieser Vorgang der Selektion impliziert, dass auch andere Quellen der Bedtkfnisbefriedigung, die aul3erhalb der Medien anzusiedeln sind, in Frage kommen. Damit wird Mediennutzung als Teil eines umfassenderen Entscheidungshandelns beschrieben. Diese Annahmen beinhalten eine Vielzahl von Voraussetzungen. Sie implizieren sowohl eine Unabh~ingigkeit als auch eine hohe Transparenz der Entscheidungsfindung. S ie betonen die Autonomie des Individuums und setzen einen hohen Grad an Bewusstheit voraus, insbesondere hinsichtlich der Bedeutung und Rangordnung von Interessen und Bedtkfnissen (vgl. auch die Kritik bei Schweiger 2007, S. 65ff.). Der Vorwurf der Naivit~it blieb in diesem Zusammenhang nicht aus. Er ist aber auch auf eine selektive Wahrnehmung des Forschungsansatzes zu~ckzufahren. Immerhin sah man sich zu korrigierenden Augerungen veranlasst, etwa bezaglich der Frage, ob man ein in sozialer Hinsicht ungebundenes Individuum als Grundlage der Erkl~irung von Mediennutzung empfehlen wollte. Blumler et al. ~iul3erten sich zu diesem Einwand wie folgt: ,,We never meant to talk about abstracted individuals, but about people in social situations that give rise to their needs. The individual is part of a social structure, and his or her choices are less free and random than a vulgar gratificationism would presume." (Blumler et al. 1985, S. 260) Dieses Zitat verdeutlicht noch einmal, in welche Richtung sich die Missverst~ndnisse bewegten. Bereits im Jahr 1949 stellte der amerikanische Soziologe Robert King Merton fest: ,,Gratifications derived from mass communications [...] are not merely psychological in nature; they are also a product of the distinctive social roles of those who make use of the communications." (Merton 1968 [zuerst 1949], S. 461f.)
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3.3 Der dynamisch-transaktionale Ansatz und der Konstruktivismus
Gegent~ber dem Nutzen- und Belohnungsansatz ist vor allem der Vorwurf des Finalismus erhoben worden. Damit wird auf die Dominanz der zweckorientierten Perspektive hingewiesen. Zu Recht kann man einwenden, dass ein Grol3teil des Alltaghandelns h~iufig durch nachtr~igliche Legitimationen seine Berechtigung erf~ihrt. Medienwirkung aus der Perspektive des subjektiven Nutzens zu betrachten, ist zwar legitim, halbiert aber gleichsam den zu analysierenden Kommunikationsvorgang. Die im folgenden dargestellte Forschungsperspektive greift auf eine Empfehlung von Bauer zurfick, die wie folgt lautet: ,,My proposal that we look at communications as a transactional relationship may have a moralistic overtone, but that is not my intention. In the proper place I would be delighted to be a moralist. Here I am concerned with the research potential of this point of view. It encourages us to look at the initiative of the audience as it goes about its own business of getting the information it wants and avoiding what it does not want, at how the audience affects what will be said, and at the changes which take place in the communicator in the process of communicating." (Bauer 1963, S. 7) Die Bezeichnung ,transactional relationship' wird in dieser Einsch~itzung der Sender-Empf~inger-Beziehung verwandt und verleiht dem sogenannten dynamisch-transaktionalen Ansatz einen Teil seines Namens. An die Stelle einer finalistischen Nutzentheorie und einer kausalistischen Wirkungstheorie (Stimulus-Response-Modell) tritt hier als Vermittlungsvorschlag ein Pl~idoyer ffir die Aufhebung der klassischen Vorstellung von Ursache und Wirkung. Dieser Ansatz kann in der Bundesrepublik Deutschland insbesondere mit den Namen Wemer Frfih und Klaus Sch6nbach in Verbindung gebracht werden (vgl. Frfih/Sch6nbach 1982). Die Bedeutung massenmedialer Stimuli wird relativiert, indem man von einer feststehenden Interpretation abkehrt. Der gemeinte Sinn kann nicht auf die Intentionen des Kommunikators reduziert werden. Medienangebote kOnnen unterschiedliche Interpretationen und- infolgedessen - unterschiedliche Wirkungen zur Folge haben. Das eigentliche Wirkungspotential der Medienangebote resultiert aus den Interpretationen der Rezipienten. Die Medien liefern somit lediglich den Rohstoff ffir die Entstehung von Wirkungen. Der Begriff ,transaktional' soll bewusst einen Unterschied zur Interaktion im Rahmen von Face-to-Face-Beziehungen illustrieren. Obwohl der Begriff eine wechselseitige Beziehung andeutet, beruhen die Transaktionen zwischen einem Sender und einem Empf~inger nur selten auf unmittelbaren Feedback-Prozessen. Gleichwohl lassen sich viele Formen von Rt~ckmeldungen vorstellen. Ft~r Kommunikatoren sind dies beispielsweise: Einschaltquoten, Verkaufszahlen, Rezipientenreaktionen in Form von Leserbriefen, ein Lob des Programmdirektors, Kritik der Kollegen usw. Auf der Grundlage dieser Indikatoren und Reaktionen entwickelt sich auf Seiten des Senders eine Vorstellung fiber die Erwartungen des Publikums, zugleich aber auch
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Annahmen fiber Qualit~itsstandards. Ebenso bilden sich auch bei den Rezipienten im Zuge der Erfahrung mit Medienangeboten Vorstellungen und Erwartungen, die als Grundlage der Bewertung von Medienangeboten dienen. Die theoretischen 121berlegungen des Nutzen- und Belohnungsansatzes werden hier berficksichtigt. Stabile Muster von Mediennutzung k6nnen den Kommunikatoren signalisieren, dass eine Zufriedenheit mit den pr~isentierten Medienangeboten vorhanden ist. Man schliegt aus diesen Reaktionen auf Erwartungen der Zuschauer und bem~ht sich, diesen m6glichst optimal gerecht zu werden. Frtih und Sch6nbach sprechen in diesem Zusammenhang von einem ParaFeedback, weil diese R~ickkopplungsprozesse einen anderen Interaktions-Typus darstellen. Der Begriff ,Transaktion' soll nicht im Sinne eines Aushandelns zwischen Sender und Empf'~inger verstanden werden. Wer in diesem Zusammenhang den Begriff ,bargaining' verwendet, verkennt die Tr~igheit des zugrundeliegenden Prozesses. In Bezug auf Massenkommunikation schreiben die Autoren: ,,Transaktionen im Sinne unseres Modells finden dort viel 6fter habituell, unbewul3t und im affektiven Bereich statt." (Sch6nbach/F~h 1991, S. 41) Aus dieser Feststellung darf die Schlussfolgerung gezogen werden, dass sich alle Beteiligten h~iufig auf vertrauten Pfaden bewegen. Die nachfolgende Abbildung umfasst eine Vielzahl von Transaktionen, die demzufolge ihre Relevanz insbesondere in Situationen entfalten, in denen weder der Kommunikator noch der Rezipient ein ad~iquates Bild von den Vorstellungen der jeweiligen Gegenseite hat. Vertrautheit hingegen schafft Raum far Alltagsroutinen. Das folgende Modell benennt zugleich die wesentlichen Komponenten des dynamisch-transaktionalen Ansatzes (vgl. Abbildung 3.2) Die jeweiligen Vorstellungen der Kommunikationspartner voneinander werden in diesem Modell durch einen gestrichelten Verbindungspfeil angedeutet. IntraTransaktionen resultieren aus dem Zusammenspiel von bereits vorhandenem Wissen und neu hinzukommenden Informationen. Dieser Prozess wird durch den Begriff ,Aktivation' beschrieben und gilt gleichermagen far Sender und Empf'~inger. InterTransaktionen finden dagegen zwischen Rezipient und Kommunikator statt. Ft~r diesen Typus gilt: ,,Basis und Produkt von Inter-Transaktionen sind das ,Bild vom Rezipienten beim Kommunikator' bzw. das ,Bild vom Kommunikator beim Rezipienten'." (Sch6nbach/Frah 1991, S. 42) Dass dieser Prozess nicht als statisch begriffen werden darf, erkl~irt die Hervorhebung des dynamischen Elements. Es geht mithin um den Versuch, Prozesse der Informationsentstehung und-~ibertragung transparent zu machen. Dabei kommt dem Wechselspiel von Informationsverarbeitung, -aktiviemng und-speicherung eine zentrale Bedeumng zu. Diese Schwerpunktsetzung verdeutlicht, warum der dynamisch-transaktionale Ansatz h~tufig mit Anleihen aus der Kognitionspsychologie arbeitet.
Wirkungsmodelle und Forschungstraditionen Abbildung 3.2
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Die Grundstmktur des dynamisch-transaktionalen Modells
Kommunikator
Rezipient
Aktivation
Aktivation Inter-Transaktionen r(1)
c" r
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Medienbotschaft
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Para-Feedback mm 9 mmmm
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Vorstellungen der Kommunikationspartner voneinander usw.
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Wissen
Quelle: Modifizierte Darstellung in Anlehnung an Sch6nbach/Fr0h 1991, S. 53 Anhand einfacher Beispiele soil das Modell erl~iutert und illustriert werden. Der Rezipient entscheidet sich zum Beispiel for das Sehen eines bestimmten Programms. Wenn der Rezipient diese Sendungen einem tibergeordneten Genre zuordnet, dokumentiert er damit bereits ein medienbezogenes Erfahrungswissen. Im Verlaufe der Rezeption dieser Sendung kommt es nicht nur zu unterschiedlichen Aktivationenallgemeine Aufmerksamkeit, Aufregung, Betroffenheit, Interesse usw.23 -, sondern zugleich zu einer Auffrischung, Best~itigung oder Modifikation des bestehenden Wissensvorrats. Im Falle einer Nachrichtensendung kann sich dieser Vergleich sowohl auf den Moderator als auch auf die Qualit~it der Beitrgge oder auf unterschiedliche Darstellungsformen beziehen. Ft~r die Beurteilung von Medienwirkungen folgt daraus allgemein, dass die meisten Kommunikationsangebote den Rezipienten nicht als ein ,leeres Gerbil3' vorfinden werden. Medieneffekte sind somit das Resultat der Wechselwirkung von Intra-Transaktionen und Inter-Transaktionen. Die Gemeinsamkeiten mit dem Stimulus-Response-Modell scheinen sich hier auf ein Minimum zu reduzieren. Ein monokausaler Ansatz wird durch einen multi23 In der Literatur wird als Oberbegriff for diese unterschiedlichen Formen der Aktivation h~iufiger der Begriff ,Involvement' verwandt (vgl. hierzu Donnerstag 1996).
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kausalen Ansatz ersetzt. Frith spricht daher auch von einem integrativen Paradigma far Medienrezeption und Medienwirkungen (vgl. Frith 2001, S. 11). Dem Modell zufolge ,,[...] sind sowohl Kommunikationsaussagen als auch bereits im Rezipienten vorhandene Kognitionen und Affekte (zum Beispiel auch solche, die das Bild vom Kommunikator betreffen) Ursachen." (Sch6nbach/F~h 1991, S. 43) Man k6nnte also sagen: Wirkungen resultieren aus dem Wechselspiel der Ursachen. Wenn man davon ausgeht, dass die Medienangebote die Rezipienten w~ihrend eines relativ kurzen Zeitraums erreichen, kann die Struktur des dynamischtransaktionalen Modells auch wie folgt dargestellt werden: Abbildung 3.3
Das dynamisch-transaktionale Modell in zeitlicher Perspektive
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l
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t3
i,,=~
Zeitachse ,,~~~ . . . . . . . . . . . . . . . .
inter- transaktional intra-transaktional
Quelle" Eigene Erstellung Der dynamisch-transaktionale Ansatz zerlegt den Wirkungsprozess in eine Vielzahl von Teilereignissen, die zeitlich aufeinander aufbauen und miteinander verbunden sind. Diese detaillierte Vorgehensweise w~rde im Falle einer konsequenten Umsetzung in einer unt~bersichtlichen Vielzahl von Wechselwirkungen enden. Entsprechend zeigen die dieser Tradition verpflichteten Untersuchungen, dass man - insbesondere mit experimentellen Verfahren - in der Regel nur Ausschnitte des Modells analysiert. Zugleich geraten damit die Analysen in die N~ihe der Grundstruktur des
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Stimulus-Response-Modells. Beispielhaft sei hier auf experimentelle Untersuchungen zur Bedeumng der Textstruktur far die Informationsverarbeimng hingewiesen (vgl. hierzu die detaillierte Darstellung bei Fr~Jh 1991, S. 246ff.). Ziel der Analysen ist der Nachweis einer konstruktiven Informationsverarbeirang. Der Begriff soll verdeutlichen, dass der Rezipient sich auf der Grundlage bestimmter Medienangebote S innzusammenh~inge erschliel3t. Medienwirkungen sind ohne die aktive Beteiligung des Rezipienten nicht vorstellbar. Dieser Sachverhalt wird insbesondere von den Vertretern des Konstruktivismus betont. Der Konstruktivismus umfasst eine Vielzahl von Schulen, die hier nicht dargestellt werden k6nnen (vgl. zusammenfassend Rusch/Schmidt 1994). Die bisherigen Ausfahrungen haben gezeigt, dass im Falle von Kommunikation verschiedene Selektionen zu beachten sind, die far die Entstehung und Wahmehmung von Aussagen bedeutsam sind. Der Konstruktivismus fragt nun sehr entschieden, wie wahrscheinlich eine Kopplung (strukturell und inhaltlich) dieser unter Umst~inden sehr disparaten Vorg~inge ist. Der Auffassung von Merten zufolge kommen Wirkungen ,,nur durch die operative Struktur selektiver Instanzen zustande." (Merten 1991, S. 47) Hinsichtlich dieser Operationen erf~ihrt man beispielsweise, dass Menschen die Wirklichkeit nicht wahmehmen, wie sie ist, sondern Modelle von dieser Wirklichkeit entwerfen. Nicht nur der Stimulus ist ein Modell der Wirklichkeit, sondern auch die Wahrnehmung dieses Entwurfs. Ft~r die EntschHisselung dieses Vorgangs ist Kommunikation zentral. Da der Prozess der Wahmehmung nicht unmittelbar beobachtet werden kann, ist man immer auf Beschreibungen angewiesen. Diese Beschreibungen repr~isentieren aber nicht das Ph~inomen selbst. Wenn in Massenmedien bestimmte Ereignisse dargestellt werden, greift dieses Grundmodell der Erfahrung selbstverst~indlich auch. Der Rezipient beobachtet die Beobachtungen anderer. Alle Beobachter haben in diesem Zusammenhang eine ihnen eigene ,,autonome Kreativit~it" (Hennen 1994, S. 133). Der Begriff ,Objektivit~it' ist dieser Erkennmistheorie fremd. Wenn die Wirklichkeit durch unsere kognitiven und sozialen Aktivit~iten bestimmt wird, dann ist es nicht sinnvoll, von den Objekten und v o n d e r Natur zu sprechen (vgl. Schmidt 1994b, S. 5). Infolgedessen ist es auch nicht ratsam, von dem Stimulus und de!" Wirkung auszugehen. Der Konstruktivismus radikalisiert damit eine Auffassung, die aus soziologischer Sicht nicht neu ist: ,,Vor der Erfindung des Konstruktivismus hat die Soziologie bereits erkannt, dab die Menschen ihre Wirklichkeiten nicht vorfinden, sondern selbst zur Gelmng bringen. [...] Der Zugang zu dem, was als Realit~it bezeichnet wird, ist das Werk von Beschreibungen." (Hennen 1994, S. 133) Diese Beschreibungen beruhen auf Unterscheidungen bzw. Selektionen und haben nur in diesem S i n n e - n~imlich als von Nicht-Gew~ihltem Unterschiedenes - Sinn. Sinn meint in diesem Zusammenhang nichts anderes als Auswahl aus verfagbaren Optionen bei Aufrechterhaltung eines Horizontes jenes M6glichen, aber nicht Gew~ihlteno Hierzu schrieb Luhmann in einer frahen Arbeit: ,,Das Woraus der Selektion, die
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reduzierte Komplexit~it, bleibt im Sinn erhalten." (Luhmann 1970, S. 116). Dieser Selektionsprozess ist es, der den Konstruktivismus zungchst an einer weitgehend identischen Wirkung bestimmter Stimuli zweifeln l~isst. Letztendlich sei der Einzelne bzw. das Bewusstsein des Einzelnen als Sinn prozessierende Instanz dafar verantwortlich, welche Bilder der Welt und welche Entschl~sselung von Informationen erzeugt werden. Die Wahrnehmung von Stimuli bleibt an die Erkenntnism6glichkeiten eines kognitiven Systems gebunden. Jede Diskussion darfiber, ob es eine Wirklichkeit gibt, ist aus dieser Perspektive schnell beantwortet. Entscheidend bleibt, dass der Versuch, diese Wirklichkeit zu beschreiben, auf eigene und andere Wahrnehmungen angewiesen bleibt. Die M6glichkeit unterschiedlicher Perspektiven ist dieser Vielfalt der Beobachter immanent. Ft~r die Wirkungsforschung resultiert daraus unter anderem die Frage, ,,wie trotz v611ig individueller Freiheit der Konstruktion yon Wirkungen bestimmte Medienangebote in bestimmten Situationen vergleichsweise ~ihnliche Wirkungen hervomafen - oder auch nicht hervorrufen." (Merten 1991, S. 48) Wenn bereits das Phfinomen, das beschrieben wird, viele Lesarten bzw. Sichtweisen zul~isst, wie kann man dann noch annehmen, dass diesen Lesarten identische Wirkungen folgen werden. Der Konstruktivismus macht in besonderer Weise deutlich, dass von einer Wirklichkeit des Beobachters ausgegangen werden muss und nicht von einer beobachtungsunabh~ingigen Realit~it. Medienangebote liefern somit nicht ein Spiegelbild, sondern ein mOgliches Bild der Wirklichkeit. Massenmedien gew~ihrleisten immerhin, dass eine Vielzahl von Menschen diese Wirklichkeitsvorstellungen wahrnehmen und als eine m6gliche Orientierungshilfe in Betracht ziehen. Diese Beobachtung z~ihlt zu den frfihen Gewissheiten der Medienwirkungsforschung 24.
3.4
Kritische Theorie der Massenmedien
Die Geschichte der Medienwirkungsforschung kann als eine allm~ihliche Zu141ckweisung starker Medieneffekte gelesen werden. Dennoch konkurrieren verschiedene Varianten einer medienzentrierten und publikumszentrierten Sichtweise nach wie vor um eine zutreffende Bestimmung der Bedeutung der Medien in modernen Gesellschaften. Diese unterschiedlichen Herangehensweisen an einen Forschungsgegenstand finden in einer empirisch-analytischen Vorgehensweise oftmals eine gemeinsame Klammer. Obwohl sich die frfihe Wirkungsforschung vorwiegend mit Ph~inomenen der Manipulation und Beeinflussung besch~iftigt hat, wurde ihr eine Kritikferne gegen~ber gesellschaftlichen Machtverh~iltnissen und eine Ausblendung 6konomischer Zusammenh~inge vorgeworfen. Man k6nnte auch sagen: Die Konzentration auf die Analyse des Kommunikationsprozesses liel3 den Blick auf die 24 Siehe hierzu insbesondere die Ausffihrungen in Kapitel 7 und Kapitel 8.
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Rahmenbedingungen in den Hintergrund treten. Die Terminologie I~isst bereits erkennen, dass diese Kritik aus einer im Marxismus verwurzelten Auffassung hervorging. Demzufolge werden alle Lebens~iugemngen der Gesellschaft als Widerspiegelung des Wirtschaftslebens interpretiert (vgl. Kausch 1988, S. 19). W~ihrend die bislang dargestellten Forschungstraditionen vorwiegend amerikanischer Provenienz sind, begegnet man hier einer Schule, die ihre Wurzeln in Deutschland hat: die Frankfurter Schule (umfassend hierzu Albrecht u.a. 1999). Das Zentrum dieser Schule war in den 1920er und 1930er Jahren das Institut far Sozialforschung an der Universit~it in Frankfurt am Main. Die Mitglieder dieses Instimts interessierte vor allem die Frage, welche Ursachen far das Ausbleiben eines entwickelten Klassenbewusstseins benannt werden mt~ssen. Welche Faktoren verhindern eine Ver~inderung der gesellschaftlichen VerhNtnisse im Sinne des Marxismus? Medien und Kommunikation spielten in diesem Zusammenhang zun~ichst nur eine nachrangige Rolle. Manipulation war ein beliebter Begriff und galt als Sammelbezeichnung far alle Versuche, die bestehenden ProduktionsverhNtnisse zu stabilisieren. Das immer deutlichere Hervortreten einer sogenannten Massenkulmr fahrte jedoch zu einer umfassenderen Besch~iftigung mit der Frage, was diese Kultur kennzeichnet und welchen Zwecken sie dient. In diesem Zusammenhang werden die Angebote der Massenmedien als Stimuli interpretiert, die in der Lage sind, die Menschen von ihren wirklichen Bedfirfnissen abzulenken. W~ihrend schon die Arbeitswelt den Menschen einen nur geringen gestalterischen Spielraum l~isst, wird die Phase der sogenannten Reproduktion durch die Dominanz popul~irkultureller Inhalte quasi entpolitisiert. Die st~indige Wiederkehr dieses Kreislaufs fahre dazu, dass diese kulturellen Produkte bereits auf Bedtirfnisstrukturen treffen, die gleichsam auf sie zugeschnitten sind. W~rden sich die Medienangebote nur auf die Darstellung des wirklichen Lebens beschr~inken, w~rde ihnen wahrscheinlich eine nur geringe Aufmerksamkeit entgegengebracht werden. Diese Art von Realismus wird nicht erwartet, obwohl Leo L6wenthal feststellte: ,,Das Radio, das Kino, die Zeitungen und die Bestseller sind zugleich Vorbilder far den Lebensstil der Massen und Ausdruck ihres tats~ichlichen Lebens." (L6wenthal 1980 [zuerst 1959], S. 23) Je weiter sich aber die in der Freizeit erzeugten Bedtirfnisse von der Wirklichkeit des Arbeitslebens entfernen, desto mehr ger~it das gesamte Sozialsystem in eine Legitimationskrise.
Insbesondere Theodor W. Adorno stellte diese Massen- bzw. Trivialkulmr einer Hochkultur gegent~ber, die nicht diesem 6konomischen Imperialismus unterliegt. Das Kennzeichnende far die Industrialisierung der kulmrellen Produktion sah Adorno darin, dass die Merkmale der industriellen Produktion, z.B. Standardisierung und Vervielf'~iltigung, sich auch in der Produktion des Kulturellen niederschlagen. Der industriellen Produktion entspreche die kulmrelle Komposition, dem Tausch auf dem Markt die Arbeitsweise der Kulmrindustrie und dem Konsum die Rezeption. Die Merkmale der kulturindustriellen Produkte sind gekennzeichnet durch ,,[...]
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soziale Indifferenz, Wiederholung des Immergleichen, rasche Verg~inglichkeit, Verdoppelung der Realit~it und Verst~irkung vorgegebenen Bewul3tseins." (Kausch 1988, S. 86) Als Adomo in den 1950er Jahren die Gelegenheit erhielt, die Anfgnge des amerikanischen Fernsehens zu smdieren, fand er sich in dieser Auffassung best~itigt. Das Femsehen gait ihm als Feind des Individualismus und als Medium, das Oberfl~ichlichkeit institutionalisiert. Nachfolgend (siehe die Beispieltexte auf der n~ichsten Seite) sind einige Zitate aus Adomos ,,Prolog zum Fernsehen" und aus seinem Beitrag ,,Femsehen als Ideologie" zusammengestellt. Sie sollen verdeutlichen, wie sich Kultur entwickelt, wenn sie den Gesetzen des Marktes unterliegt. Auch heute werden solche Einsch~itzungen noch auf Zustimmung stol3en. Die Medienkritik bedient sich gerne dieser Tradition, wenn sie modeme Formen der ,Augenwischerei' kritisieren m6chte. Gleichwohl ist diese Kritik h~iufig ohne explizite Offenlegung dieses ideologischen Kerns artikuliert worden. In einer Rekonstruktion dieser medienkritischen Tradition hebt Wehner unter anderem hervor: ,,Ft~r Adomo und seine Schiller stand fest, dass die gesellschaftliche Funktion von Funk, Film und Fernsehen eine ideologische ist, n~imlich mit ihren symbolischen Erzeugnissen ihr Publikum zu motivieren, sich mit den bestehenden VerhMtnissen zu arrangieren, statt diese in Frage zu stellen." (2006, S. 33) Noch in den 1960er Jahren schrieb Herbert Marcuse in seinem Buch ,,Der eindimensionale Mensch"" ,,Es ist der kennzeichnende Zug der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, dab sie diejenigen Bedilrfnisse wirksam drunten hMt, die nach Befreiung verlangen - eine Befreiung auch von dem, was ertr~iglich, lohnend und bequem ist- w~ihrend sie die zerst6rerische Macht und unterdrfickende Funktion der Gesellschaft ))im Oberflul3~ unterstfitzt und freispricht. Hierbei erzwingen die sozialen Kontrollen das iberw~iltigende Bedilrfnis nach Produktion und Konsumtion von unnitzen Dingen; das Bedilrfnis nach abstumpfender Arbeit, wo sie nicht mehr wirklich notwendig ist; das Bedilrfnis nach Arten der Entspannung, die diese Abstumpfung mildem und verl~ingem; das Bedilrfnis, solche trfigerischen Freiheiten wie freien Wettbewerb bei verordneten Preisen zu erhalten, eine freie Presse, die sich selbst zensiert, freie Auswahl zwischen gleichwertigen Marken und nichtigem Zubeh6r bei gmnds~itzlichem Konsumzwang." (Marcuse 1967, S. 27) Dadurch erf~ihrt Entfremdung einen neuen Charakter: Der Konsum wird das oberste Ziel, gesellschaftliche Ver~inderung wird durch die Unterstfitzung dieser Pr~iferenzen unwahrscheinlich (vgl. hierzu auch Lenk 1986, S. 210). Die angefahrten Beispiele verdeutlichen, dass die Bedeutung der Medien und ihrer Angebote in einen 6konomischen und gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang gestellt werden. In diesem Kontext hat diese kritische Theorie der Massenmedien ihr Augenmerk selten auf Fragen des methodischen Zugangs gelenkt. Sowohl die Medienangebote als auch weite Teile des Publikums wurden von einer umfassenden Homogenit~itsannahme erfasst, die wenig Raum mr Differenzierung liel3.
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Prolog zum Fernsehen:
,,Das Medium selbst jedoch f~llt ins umfassende Schema der Kulturindustrie und treibt deren Tendenz, das Bewul~tsein des Publikums von allen Seiten zu umstellen und einzufangen, als Verbindung von Film und Radio weiter." (S. 69) ,,Wie man aul~erhalb der Arbeitszeit kaum mehr einen Schritt tun kann, ohne 0ber eine Kundgebung der Kulturindustrie zu stolpern, so sind deren Medien derart ineinander gepa&t, dal~ keine Besinnung mehr zwischen ihnen Atem schSpfen und dessen innewerden kann, dal~ ihre Welt nicht die Welt ist." (S. 69) ,,Der Verdacht, dal~ die Realit&t, die man serviert, nicht die sei, for die sie sich ausgibt, wird wachsen. Nur f0hrt das zun~chst nicht zum Widerstand, sondern man liebt, mit verbissenen Z,~hnen, das Unausweichliche und zuinnerst Verha6te um so fanatischer." (S. 72) ,,Was I&ngst der Symphonie geschah, die der mode Angestellte in Hemds~rmeln seine Suppe schl0rfend, mit halbem Ohr toleriert, geschieht nun auch den Bildern." (S. 73) ,,Der Sprache aber werden die Menschen durchs Fernsehen noch mehr entwShnt, als sie auf der ganzen Erde heute schon sind." (S. 75) Fernsehen als Ideologie:
,,Bei unz~hligen Gelegenheiten biedert sich das Schema des Fernsehens dem internationalen Klima des Anti-lntellektualismus an." (S. 89) ,,Mit allerhand Charakterz0gen wird herumgew0rfelt, ohne dal~ das Entscheidende, der unbewul~te Ursprung jener Charakterz0ge, 0berhaupt aufk&me ." (S. 91 ) ,,Wenn die Ideologie, die sich ja einer recht bescheidenen Anzahl immer wiederholter Ideen und Tricks bedient, niedriger geh&ngt w0rde, kSnnte ein 5ffentlicher Widerwille dagegen sich bilden, an der Nase herumgef0hrt zu werden, wie sehr auch die gesamtgesellschaftlich erzeugten Dispositionen ungez~hlter HSrer der Ideologie entgegenkommen mSgen. Es liel~e sich eine Art von Impfung des Publikums gegen die vom Fernsehen verbreitete Ideologie und die ihr verwandten denken." (S. 96f.) (Adorno 1963)
Damit einher gingen unzureichende Differenzierungen des verwandten Vokabulars: Massenkultur und Kulturindustrie wurden als Oberbegriffe far Kommunikationsforschung, Werbeforschung und Propaganda verwandt. Der Unterscheidung zwischen Hochkultur und Massenkultur fiel zugleich auch die Kommunikationsforschung zum Opfer. Letztere erscheint als jene, die sich far die Besch~iftigung mit
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diesen Ph~inomen quasi entschuldigen muss: ,,DAB es bei dieser Aufgabentrennung immer die >>Massen<<-Kommunikationsforschung ist, die sich fiir ihren Gegenstand zu entschuldigen hat und die Minderwertigkeitskomplexe heucheln mug, liegt an diesem Vorbehalt gegen das Vergn~gen. Die kritische Theorie als fr6hliche Wissenschaft und lustvolle Kunst steht dem entgegen." (Kausch 1988, S. 82) Diese Dichotomisierung erkl~irt das distanzierte VerhNtnis der Kritischen Theorie zu den Methoden der empirischen Sozialforschung. Wissenschaft sollte nicht auf ,measurement' reduziert werden. Diese unterschiedlichen Grundhaltungen wurden besonders deutlich, als Mitglieder des Instituts mr Sozialforschung nach ihrer Emigration in die Vereinigten Staaten mit dem pragmatischen Wissenschaftsverst~indnis amerikanischer Kollegen konfrontiert wurden. Als Adorno und L6wenthal erste Entwiirfe ~Jr ein Forschungsprogramm vorlegten, erhielten sie den Ratschlag: ,,Do not be too theoretical [...] Do not form the project in hypotheses but in terms of problems [...] Leave out critical view on concepts." (zit. nach Kausch 1988, S. 32) Zu einem offenen Konflikt kam es schlieBlich, als der Direktor des ,,Office of Radio Research", Paul Felix Lazarsfeld, Adorno eine Halbtagsstelle anbot und letzterer die Weigerung aussprach, sich zum Zwecke des Messens von Kultur bestimmter verdinglichter Methoden zu bedienen (vgl. zu dieser Kontroverse die Darstellung bei Kern 1982, S. 158ff.). Ein Fortwirken der Tradition der Kritischen Theorie ist auch heute noch zu beobachten. Wenn der Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und Kultur analysiert wird und Fragen der Mediennutzung Berticksichtigung finden, lassen sich Mufig Argumente bzw. Elemente aus dieser Theorie identifizieren. McQuail unterscheidet in seinem Lehrbuch ,,Mass Communication Theory" ein dominantes und ein alternatives Paradigma (vgl. McQuail 2005, S. 62ff.). Ftir das dominante Paradigma ist nach seiner Auffassung kennzeichnend: das Ideal einer liberalen, pluralistischen Gesellschaft, eine funktionalistische Perspektive, eine Orientierung an linearen Wirkungsvorstellungen und eine an den Gtitekriterien der empirischen Sozialforschung orientierte Forschungspraxis. Ftir das alternative Paradigma hingegen gilt: ein kritisches Gesellschaftsverstgndnis, eine Ablehnung von Wertfreiheit als Maxime der Sozialwissenschaft, eine Ablehnung linearer Wirkungsvorstellungen, eine Betrachtung von Massenmedien als stabilisierendes Element moderner Industriegesellschaften, eine Grundskepsis gegeniaber Medien (Ideologieverdacht) sowie eine Bevorzugung nicht-standardisierter Verfahren, die auch als qualitative Methoden bezeichnet werden. Besonders hervorzuheben ist aus diesem Kanon der sogenannte ,Cultural Studies Approach'. Dieser gegenw~irtig noch sehr vielschichtige und heterogene Ansatz erfreut sich zunehmender Popularit~it und legt einen umfassenden Kulturbegriff zugrunde. Kultur wird als die Summe der symbolischen Ausdrucksformen einer Gesellschaft definiel~. Diese umfassen auch die Medienangebote, die Vorstellungen von Realit~it widerspiegeln. Die Rezipienten werden durch die Aneignung und Verarbeitung dieser Symbole nicht nur mit diesen Realit~iten konfrontiert, son-
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dem auch in die jeweilige Gesellschaft eingebunden. An die Stelle einer homogenen Masse tritt hier der Versuch, die Rezeption von Medienangeboten unter Bezugnahme auf die lebensweltlichen Hintergrfinde zu rekonstruieren. Neben diesem Bemt~hen um eine sozialstrukturelle Einbettung von Medienwirkung st613t der Versuch, Gemeinsamkeiten zu benennen, sehr rasch an Grenzen: Mal steht im Vordergrund, dass der Zugang und die Kontrolle von Medien einen wesentlichen Einfluss auf das Erleben von Kultur hat (Hegemonie-Konzept), mal dominiert die Beschreibung unterschiedlichster Formen der Aneignung von Medienangeboten, die wiederum den Eindruck einer Individualisierung von Wirkung bekr~iftigen (vgl. zusammenfassend Jgckel/Peter 1997 sowie die Beitr~ige in Bromley u.a. 1999). Am Ende dieses Kapitels mag somit der Eindruck entstehen, dass sich der Gegenstand der Medienwirkungsforschung gegen einfache Erkl~imngen sperrt. Die 6ffentliche Er6rtemng von Medienwirkungen steht dazu in einem gelegentlich merkw~rdigen Kontrast. Dort wird seltener das differenzierte Urteil eingefordert; stattdessen haben einfache und deutliche Antworten Konjunktur. In Anlehnung an Adorno mt~sste man fragen: Welche Bed~rfnisse sind es, die nach solchen Antworten verlangen? Spektakul~ire Befunde bzw. Behauptungen geniegen namrgem~ig eine hohe Aufmerksamkeit. Einwgnde und Bedenken haben einen eher defensiven Charakter. Wer aus der Besch~iftigung mit Medien einen Gewinn erzielen will, muss aber den steinigen Weg vonder Theorie zur Praxis gehen. Selbst spektakul~ire Medienwirkungen der Vergangenheit werden dann in ein neues Licht gerfickt. Kapitel 4 bescMftigt sich mit diesem Thema.
Q Friih, Werner (1994): Realitfitsvermittlung durch Massenmedien. Die permanente Transfor-
mation der Wirklichkeit. Opladen. Klapper, Joseph T. (1960): The Effects of Mass Communication. New York. Power, Paul et al. (2002): Audience Activity and Passivity, In: Gudykunst, William B. (ed.): Communication Yearbook 26. Mahwah, S. 116-159. Rosengren, Karl Erik et al. (eds.) (1985): Media Gratifications Research, Current Perspectives. Beverly Hills usw.
4 Spektakul ire Medienwirkungen
4.1 ,,War of the Worlds". Die Inszenierung eines H~rspiels Am 13. Dezember 2006 unterbricht der belgische Fernsehsender RTBF sein laufendes Abendprogramm, um eine Sonderausgabe seiner Nachrichtensendung auszustrahlen. Um 20.21 Uhr verk~ndet der RTBF-Anchorman, dass die Region Flandem noch im Laufe des Abends ihre Unabh~ingigkeit erkl~iren wfirde, und dass Belgien demnach de facto als Staat nicht mehr existieren w~rde. Mehrere RTBF-Reporter sind live vor Ort, um t~ber die aktuellen Ereignisse im k6niglichen Palast oder fl~imischen Parlament zu berichten. Politiker, Wissenschaftler, Kt~nstler oder Wirtschaftsbosse kommen zu Wort, in Berichten werden Ursachen und Folgen der flgmischen Unabh~ingigkeit beleuchtet. So flieht der belgische K6nig Albert II. nach Kinshasa, an der fl~imisch-wallonischen Grenze werden sprichw6rtlich t~ber Nacht Passkontrollen eingeNhrt, oder eine fl~imische Werbeagentur entwirft auf die Schnelle neue fl~imische Geldnoten und Briefmarken. Nach 94 Minuten endet die Sendtmg so pl6tzlich wie sie begonnen hat. Die Sendeanlagen der RTBF werden von der Luftwaffe unter Beschuss genommen. Bei dieser Sendung handelte es sich jedoch um eine reine Fiktion. Die RTBFJoumalisten wollten mit dieser ,,richtigen falschen Ausgabe einer Nachrichtensendung" ihre Landsleute wach~tteln und die m6glichen Konsequenzen einer immer wieder in Belgien diskutierten Spalttmg des Landes auf eine sehr realistische Art und Weise darstellen. Diese realistische Darstellung ist den Machem durchaus geglt~ckt. Von den gesch~itzten 534.000 Zuschauern h a b e n - einer nicht repr~isentativen RTBF-eigenen Umfrage zufolge- 89% zumindest eine gewisse Zeit an die Echtheit der Berichterstattung geglaubt. Noch w~ihrend der Sendung hat die RTBF auf einer speziell geschalteten Nummer t~ber 31.000 Anrufe gez~ihlt, und die belgischen Telefongesellschaften konnten w~hrend der Ausstrahlung eine gesteigerte Aktivitgt in ihren Netzen feststellen (bis zu 50% mehr Anrufe als an vergleichbaren Abenden). In den Tagen und Wochen danach gab es eine breite 6ffentliche Diskussion fiber diese Sendung- aber nicht t~ber die gezeigten Inhalte, sondern t~ber die Form. Vor allem die Tatsache, dass die RTBF auf ihre bekannten Gesichter und das OriginalNachrichtensmdio zurfickgegriffen hat, wurde von vielen Politikern und Journalistenverbfinden scharf kritisiert. Die ,,Skandalsendung" habe der Glaubw~rdigkeit der gesamten Medien geschadet, so der Tenor dieser Beanstandungen (vgl. Lits 2007; Dutilleul 2006). Als das ,,Zweite Deutsche Fernsehen" (ZDF) am 1. Dezember 1998 das Planspiel ,,Der Dritte Weltkrieg" ausstrahlte, wurde diese Sendung von 4,41 Millionen
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Spektakul~ire Medienwirkungen
Zuschauern gesehen. Bezogen auf alle Personen, die an diesem Tag in der Zeit von 20.15 bis 21.00 Uhr fernsahen, entsprach dies einem Marktanteil von 13,7%. W~ihrend und im Anschluss an die Ausstrahlung dieser Sendung, die das Szenario eines weiteren Weltkriegs behandelte, gingen beim ZDF insgesamt 260 Anrufe ein. Von diesen 260 Anrufern waren nach Angaben des Senders weniger als 10% besorgt oder ver~ingstigt. Die insgesamt sehr lebhaften Reaktionen im Umfeld der Sendung waren vorwiegend inhaltlicher Art (z.B. Kritik an der Darstellung einzelner L~inder, Kommentierung spezifischer Ausschnitte). Die Zuschauer fragten nach Videokassetten, ~iuBerten Wiederholungswiinsche oder artikulierten die Sorge, dass Jugendliche und Personen mit einem geringen politischen Interesse die Produktion missverstehen k6nnten. Soweit die Zuschauerreaktionen aus dem Jahr 1998 dokumentiert sind (auch in der Woche nach der Ausstrahlung des Beitrags wurden ca. 200 weitere Anrufe registriert), handelte es sich in der Mehrzahl der FNle eher um Interessensbekundungen und inhaltliche Kommentare, weniger um AuBerungen von Angst und Schrecken 25. Im November 2000 berichtete ein luxemburgischer Radiosender fiber eine l]bung des Rettungswesens im Atomkraftwerk Cattenom (Nordfrankreich). Obwohl immer wieder auf den l)bungscharakter und die Simulation eines St6rfalls hingewiesen wurde, kontaktierten mehrere Dutzend H6rer die RTL-Redaktion, um sich zu erkundigen, was nun zu tun sei. Eine H6rerin war so verzweifelt, dass sie sagte: ,,Ich habe ja immer gesagt, dass Cattenom uns den Tod bringen wird. ''26 Ereignisse dieser Art werden mit groBer Aufmerksamkeit registriert, weil sie sich von der Alltagsroutine des Nachrichtenwesens abheben. Fast automatisch wird in diesem Zusammenhang an ein Medienereignis erinnert, das sich Ende der 1930er Jahre ereignete. Gemeint ist das HOrspiel ,,The invasion from Mars", das unter der Regie von Orson Welles am 30. Oktober 1938 im amerikanischen H6rfunk ausgestrahlt wurde. Eine Vielzahl von Menschen soll irritiert und zu panikartigen Reaktionen veranlasst worden sein. Bevor eine genauere Analyse der Wirkungen dieses H6rspiels erfolgt, soll die Dramaturgie dieses Medienangebots detailliert beschrieben werden. Der Roman ,,War of the Worlds" von H. G. Wells bildete die inhaltliche Grundlage far die dramatische Inszenierung durch das ,Mercury Theatre'. Im Zuge der Vorbereitungen dieses H6rspiels erwies sich die Umsetzung der in England angesiedelten Geschichte auf amerikanische VerhNtnisse als sehr schwierig. Der Autor Howard Koch konnte letztlich nur die Idee einer Invasion von Marsmenschen fibernehmen und den t~brigen Teil des Skriptes in Situationen transformieren, die der amerikanischen H6rerschaft vertrauter waren. Letztlich entschied man sich dazu, dem H6rspiel den Charakter einer Nachrichtensendung zu geben. Gesponsert wur25 Informationen des Zweiten Deutschen Fernsehens. 26 Informationen von R T L Radio LEtzebuerg (Luxemburg).
Spektakul~ire Medienwirkungen
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den die Sendungen des ,Mercury Theatre' von CBS. Jeden Sonntag zwischen 20 und 21 Uhr wurden Sendungen aus diesem Theater t~bertragen, auch am 30. Oktober 1938; die Amerikaner feierten Hallowe'en. P~inktlich um 20 Uhr begann die Ubertragung mit Auszt~gen aus einem Klavierkonzert Tschaikowskys. Wenig sp~iter meldete sich ein Sprecher mit dem Hinweis, dass eine Bearbeimng des Romans von H.G. Wells folgen wird. Kurz danach beginnt Orson Welles seine Erz~ihlung. Er berichtet von fremden Intelligenzen, die mit neidischen Augen auf die Erde herabsehen und ihre Pl~ine gegen diese schmieden. Er beendet seine einleitenden Sgtze mit den Worten: ,,In the thirty-ninth year of the twentieth century came the great disillusionment." (Cantril 1966 [zuerst 1940], S. 5) Nach diesen allgemeinen Hinweisen auf bevorstehende Gef~ihrdungen wird der H6rer in die Echtzeit zurfickgefiihrt, etwa durch die Information, dass an dem Abend des 30. Oktober nach Sch~itzungen eines Instituts etwa 32 Millionen Menschen Radio h6rten. Ohne eine deutlich bemerkbare Unterbrechung verliest im unmittelbaren Anschluss an diese Einleitung ein Sprecher einen Wetterbericht und kiindigt eine weitere Musikdarbietung an. Die amerikanischen H6rer vernehmen in ihren Wohnungen kurz danach Tangomusik. Von Dramatik ist zu diesem Zeitpunkt nichts zu spt~ren. Erst nach einigen Minuten wird die Musikdarbietung far eine kurze Meldung unterbrochen, die von ungew6hnlichen Beobachtungen eines Observatoriums berichtet. Die darauf folgenden Minuten sind gekennzeichnet durch einen st~indigen Wechsel zwischen Musik und Unterbrechung far aktuelle Meldungen, die dem weiteren Verlauf des H6rspiels eine hohe Spannung verleihen. Als ein seismografisches Institut eine erdbeben-~ihnliche Erscht~ttemng meldet, die in der N~ihe von Princeton registriert wurde, nimmt die Unruhe im H6rspiel selbst zu. Eine Vielzahl von Experten werden um kurzfristige Einsch~itzungen gebeten, Beobachter werden ausgesandt, um die aktuelle Lage zu erkunden, bis schlieBlich der Kommentator Carl Phillips den H6rem die folgende Schilderung ~ibermittelt, die sich im Drehbuch wie folgt liest:
,,PHILLIPS[:]
Ladies and gentlemen, this is the most terrifying thing I have ever witnessed ... Wait a minute! Someone's crawling out of the hollow top. Some one or ... something. I can see peering out of that black hole two luminous disks .. are they eyes? It might be a face. It might be ... (Shout of awe from the crowd) Good heavens, something's wriggling out of the shadow like a grey snake. Now it's another one, and another. They look like tentacles to me. There, I can see the thing's body. It's large as a bear and it glistens like wet leather. But that face. It ... it's indescribable. I can hardly force myself to keep looking at it. The eyes are black and gleam like a serpent. The mouth is V-shaped with saliva dripping from its rimless lips that seem to quiver and pulsate. The monster or whatever it is can hardly move. It seems weighed down by ... possible gravity or something. The thing's raising up. The crowd falls
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back. They've seen enough. This is the most extraordinary experience. I can't find words ... I'm pulling this microphone with me as I talk. I'll have to stop the description until I've taken a new position. Hold on, will you please, I'll be back in a minute. (Fade into Piano) Announcer Two[:] We are bringing you an eyewitness account of what's happening on the Wilmuth farm, Grovers Mill, New Jersey. (More piano) We now return you to Carl Phillips at Grovers Mill. [...]." (Cantril 1966 [zuerst 1940], S. 16f., Erg&nzungen durch Verf.)
Die Ereignisse spitzen sich zu, bis schliel3lich der Ausnahmezustand t~ber verschiedene Regionen Amerikas verMngt wird. Innerhalb von 45 Minuten erlebt Amerika auf diese Weise eine Invasion von Marsmenschen, die sich in unglaublicher Geschwindigkeit vollzieht und zun~ichst nur von wenigen als unrealistisch empfunden werden. Ein erneuter Hinweis auf den H6rspielcharakter der Darbietung scheint seine Wirkung verfehlt zu haben. Denn bereits w~ihrend des H6rspiels wird der Sender CBS von einer Vielzahl von Anrufen bedr~ingt. Es breiten sich Gelqichte t~ber panikartige Reaktionen aus, so dass der Sender sich zu einem weiteren kl~irenden Hinweis veranlasst sieht. Zu diesem Zeitpunkt zeigten die HOrer bereits Reaktionen, die nicht den Intentionen der Kommunikatoren entsprachen. Das Drehbuch endet mit den Absichten und Hoffnungen der beteiligten Akteure und gibt einen Ausblick auf das weitere Programm. Diese Passage lautet im Original wie folgt:
,,WELLES[:] This is Orson Welles, ladies and gentlemen, out of character to assure you that the War of the Worlds has no further significance than as the holiday offering it was intended to be. The Mercury Theatre's own radio version of dressing up in a sheet and jumping out of a bush and saying Boo! Starting now, we couldn't soap all your windows and steal all your garden gates, by tomorrow night ... so we did the next best thing. We annihilated the world before your very ears, and utterly destroyed the Columbia Broadcasting System. You will be relieved, I hope, to learn that we didn't mean it, and that both institutions are still open for business. So good-bye everybody, and remember, please, for the next day or so, the terrible lesson you learned tonight. That grinning, glowing, globular invader of your living-room is an inhabitant of the pumpkin patch, and if your doorbell rings and nobody's there, that was no Martian ... it's Hallowe'en. (Music) ANNOUNCER: Tonight the Columbia Broadcasting System, and its affiliated stations coast-to-coast, has brought you War of the Worlds by H. G. Wells ... the seventeenth in its weekly series of dramatic broadcasts featuring Orson Welles and the Mercury Theatre on the Air." (Cantril 1966 [zuerst 1940], S. 42f., Erg~nzungen durch Verf.)
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Obwohl im Verlaufe der Sendung viermal auf den fiktiven Charakter des Angebots hingewiesen wurde, musste auch im Anschluss an die Sendung mehrfach darauf hingewiesen werden, dass alles nur als Spiel gedacht war. Wenngleich dieses H6rspiel immer wieder als best~itigender Hinweis ffir die Gt~ltigkeit des StimulusResponse-Modells herangezogen wird, ist es im Grunde genommen ein Beleg ffir die Existenz nicht-intendierter Effekte. Die 10berraschung tiber den Fortgang der Ereignisse ist auf allen Seiten zu beobachten gewesen. Es soll im Folgenden darum gehen, die Reaktionen des Publikums zu beschreiben und darauf basierend den Stellenwert dieses Medienereignisses zu bestimmen.
4.2 ,,The Invasion from Mars". Dokumentation und Einordnung der Reaktionen
Auch in diesem Fall war es das ,,Office of Radio Research ''27, das sehr rasch einen Forschungsplan entwickelte, um die durch ein Medienereignis ausgel6ste Panik zu analysieren. Die Ergebnisse dieser nachtr~iglich durchgefahrten Untersuchung sind in dem Buch ,,The Invasion from Mars" zusammengefasst, das unter der Federft~hmng von Hadley Cantril entstanden ist. Schon die Ausfahrungen zu dem Begriff ,Masse '28 haben gezeigt, dass Sozialwissenschaftler ein besonderes Interesse an dem Studium von Massenverhalten hatten. Hier lag nun ein seltenes Ereignis vor, das der raschen Erkl~irung bedurfte. Innerhalb eines kurzen Zeitraums konnten Interviews mit 135 Personen durchgeffihrt werden. Die Mehrzahl der Befragten (n=107) wurden durch die Radiosendung beunruhigt und verunsichert, weitere 28 Personen liegen sich offensichtlich nicht durch die Sendung irritieren und dienten als Vergleichsgruppe. Darfiber hinaus standen Cantril die Ergebnisse aus zwei Befragungen zur VerNgung: eine spezielle Untersuchung im Auftrag des Senders CBS, die eine Woche nach der Ausstrahlung des H6rspiels landesweit durchgefahrt wurde (n=920) sowie eine Umfrage des American Institute of Public Opinion (AIPO), die sechs Wochen nach dem Ereignis stattfand. Ebenfalls beracksichtigt wurden die H6rerreaktionen w~ihrend und nach der Sendung sowie die Berichterstattung in den Tageszeitungen (siehe die nachfolgenden Textauszt~ge). Auf der Basis dieser Informationen sch~itzte Cantril, dass ca. sechs Millionen Amerikaner die Sendung geh6rt hatten und etwa ein Sechstel der H6rerschaft ~ingstliche oder panikartige Reaktionen zeigte. Die weitere Untersuchung diente insbesondere der Beantwortung der folgenden Fragen:
27 Siehe hierzu die Ausfahrungen in Kapitel 3. 2s Siehe hierzu die Ausftihrungen in Kapitel 2.
100 1.
2.
Spektakul~ire Medienwirkungen Warum hat gerade das H6rspiel ,,The Invasion from Mars" einige Leute in Angst und Schrecken versetzt, w~ihrend andere H6rspiele als fiktive Beitr~ige erlebt wurden? Wie lassen sich die unterschiedlichen H6rerreaktionen erkl~iren?
Zu Frage 1: Dass einige Leute durch das H6rspiel ,,The Invasion from Mars" erschreckt wurden, lag sowohl an seiner hohen dramatischen Qualit~it als auch an dem Realismus der Darstellung.
Reaktionen auf das H6rspiel ,,The Invasion from Mars" ,,No Action Due in Canada" "Toronto, Oct. 31.-Gordon Conant, Attorney General of Ontario said tonight his department did not plan action over the broadcast of a realistic radio drama, which, emanating from the United States and rebroadcast here, caused widespread alarm. The Attorney General would not comment on possible methods of program censorship, but declared: >>It is certainly not in the public interest that such broadcasts should be allowed. {{" (Quelle: The New York Times, Tuesday, November 1, 1938) "Message from Mars" Radio Learns That Melodrama Dressed Up As A Current Event is Dangerous Ever since Professor Percival Lowell in the Nineties discovered the "canals" on Mars, and other celestial observers caught signs of atmosphere and clouds, the world has been looking for messages from the ruddyfaced neighbor, which, incidentally, is now 236,000,000 miles away. [...] Now, the broadcasters, if no one else, have "received" a message from from Mars. It reads: "Fiction, fables and fantasy cannot, in the public interest, be dramatized to simulate news." The fantastic, but realistically sounding "gas raid from Mars" adapted for broadcasting from H,.G. Wells's story, "War of the Worlds," written in 1897, just when Lowell was seeing the "canals" and Marconi was stirring up the ether, sent an unprecedented wave of public hysteria across the country last Sunday night. It has been a topic of conversation in and out of radio circles ever since. The broadcasters have learnded, as never before in the history of their art, that the voice, especially one as dramatic as that of actor Orson Welles, is a powerful instrument; that it must handle "news" without the slightest color or melodrama. Having dipped their microphonic ladles into Europe's boiling caldron of current history during the recent crisis, the radio showmen tasted real drama as it grips the populace. [...]." (Quelle: The New York Times, November 6, 1938)
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Hinzu kommt, dass das Radio zum damaligen Zeitpunkt in den Vereinigten Staaten einen hohen Stellenwert als Informations- und Unterhalmngsmedium besaB. Verbunden damit wurde ihm eine hohe Glaubwiirdigkeit 29 zugeschrieben. Die Glaubwt~rdigkeit des H0rspiels wurde vor allem auch durch eine Vielzahl von (fiktiven) Experten, die zu Wort kamen, untermauert, zum Beispiel durch Prof. Indellkoffer von der Kalifornischen Astronomischen Gesellschaft oder durch einen Professor namens Richard Pierson, der von Orson Welles gesprochen wurde. Eine interviewte Person sagte zum Beispiel: ,,I believed the broadcast as soon as I h e a r d the professor f r o m Princeton and the officials in Washington." (Cantril 1966 [zuerst 1940], S. 71) Die hohe Authentizit~it des H6rspiels wurde auch durch die Detailkenntnis von Stragenzt~gen sowie durch die Nennung vertrauter und bekannter Orte verst~irkt. Ein weiterer Aspekt, der die Reaktionen der Zuh6rer erkl~irlich macht, wurde in der 0konomischen Instabilit~it des Landes und der latenten Gefahr eines weiteren Krieges gesehen. Entscheidend far die Fehlbeurteilung der Sendung ist nach den vorliegenden Umfragen aber das versp~itete Einschalten des Radiogertites. Obwohl im Rahmen der CBS-Umfrage insgesamt 920 Personen befragt wurden, wurde das Zutreffen dieser Behauptung mit Hilfe der Split-Half-Methode veranschaulicht. Fiir dieses Vorgehen waren ausschlieBlich forschungs0konomische Grande mal3gebend. Zur damaligen Zeit standen den Sozialforschern noch nicht die M6glichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung zur Verfagung. Aus diesem Grund reduziert sich die Zahl der Befragten in der nachfolgenden Tabelle auf insgesamt 460 Personen (vgl. Tabelle 4.1). Tabelle 4.1
Einschaltzeitpunkt und Interpretation des HOrspiels Es haben die Sendung ...
Interpretation als
von Beginn an geh6rt (%)
sp~iter eingeschaltet (%)
Zahl der F~ille
Nachrichtensendung
20
63
175
HSrspiel
80
37
285
Insgesamt
100
100
Zahl der F~lle
269
191
460
)uelle: Cantril 1966 [zuerst 1940], S. 78 Diejenigen, die die Sendung von Beginn an verfolgten, stuften diese zu 80% als ein H6rspiel ein und zu 20% als Nachrichten. Im Falle derjenigen, die sich erst im Laufe 29 Siehe hierzu die AusfiJhrungen in Kapitel 6.
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der Sendung einschalteten, zeigt sich eine andere Prozentverteilung: Hier stuften 63% die Sendung als Nachrichten ein (und damit als etwas Reelles) und nur 37% als ein HOrspiel. Gleichwohl darf darin kein Beleg daffir gesehen werden, dass es nicht vielleicht doch bei einem Grol3teil der H6rer zumindest kurzfristig zu Unsicherheiten gekommen ist. Das Ph~inomen der kognitiven Dissonanz 3~ dt~rfte im Rahmen der Befragung nicht unwirksam gewesen sein. Die unterschiedlichen Reaktionen der H6rerschaft stehen in engem Zusammenhang mit den jeweils zugrunde gelegten Bewertungsmagst~iben. Sehr religi6se Menschen assoziierten mit den Ereignissen eine schicksalhafte und unausweichliche Entwicklung. W~ihrend einige Menschen yon einer erkennbaren Unruhe in ihrem unmittelbaren Umfeld erfasst wurden und M6glichkeiten der Flucht er6rterten bzw. praktizierten, reagierten andere Personen besonnener und suchten zun~ichst nach weiteren MOglichkeiten der Prfifung. Ein Ehemann versuchte seine Frau mit dem Hinweis zu beruhigen, dass ein solches Ereignis doch auf allen Sendern zu h6ren sein mfisse. Als man auf anderen Sendern Musik h6rte, antwortete sie: ,,Nero fiddled while Rome burned." (Cantril 1966 [zuerst 1940], S. 94) Die von Cantril durchgefahrten Intensivinterviews dienten ihm als Grundlage zur Klassifikation unterschiedlicher H6rerreaktionen. Dazu geh6rten sowohl interne Kontrollen mit Hilfe des H6rfunkger~ites als auch externe Kontrollen durch Beobachtung der Ereignisse in der jeweiligen Gemeinde. Nicht immer fahrten diese Kontrollen zum gewfinschten Ergebnis oder liel3en keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu, wie das gerade erw~ihnte Beispiel verdeutlicht hat. Immerhin gab es auch eine grol3e Zahl von Menschen, die von den Ereignissen paralysiert wurden oder eher un~berlegte Reaktionen zeigten (vgl. Cantril 1966 [zuerst 1940], S. 89ff.). Verschiedene Quellen belegen somit, dass sich nicht alle HOrerinnen und H6rer von der Authentizit~it und Realit~itsn~ihe des H6rspiels beeindrucken liegen. Personen mit h6herer Schulbildung bezweifelten beispielsweise die Realit~it der Sendung, weil ihnen die Geschwindigkeit, mit der die Ereignisse abliefen, als unrealistisch erschien. Die folgende Tabelle zeigt: Je h6her der Bildungsabschluss war, desto seltener wurde das HOrspiel als eine Nachrichtensendung klassifiziert. Fast jeder zweite Befragte mit einem niedrigen allgemeinen Bildungsabschluss glaubte Nachrichten zu hOren, w~ihrend nur etwa drei von zehn Befragten mit einem CollegeAbschluss diese Einsch~itzung ~iugerten (vgl. Tabelle 4.2). Der Versuch, die von Cantril zusammengefassten Faktoren zu systematisieren, resultiert in Abbildung 4.1 auf der folgenden Seite. Darin werden sowohl Merkmale berficksichtigt, die sich auf die Beeinflussbarkeit auswirken, als auch Spezifika der jeweiligen H6rsimation. Hinzu kommt die formale Bildung, die im Zusammenwirken mit diesen Faktoren die F~ihigkeit zur Distanz und Kritik des jeweiligen Rezipienten mitbestimmt. Daraus ergeben sich schliel31ich unterschiedliche Reaktionen. 30 Siehe hierzu die Ausffihmngen in Kapitel 3.
Spektakul~ire Medienwirkungen Tabelle 4.2
103
Bildungsabschluss& und Interpretation des H6rspiels als ,News Report'
Bildungsabschluss
Klassifikation als Nachrichtensendung (in %)
Zahl der F~ille
College
28
69
High School
36
257
Grammar School
46
132
Quelle: Cantril 1966 [zuerst 1940], S. 112
4
_
Spektakul~ire Medienwirkungen" Relevante Einflussfaktoren
1
eit te
Sorgen
% %
[ Se,bs,ve.rauen
[ Fatahsmus ~ 9
s
s S
s s"
[ Kirchenbesuch~'
.•
ver~ngstigt] Reaktionen ] [ beunruhigtI "~ ruhig ], Angstanderer ] eersonen [, Unmi ttelbarkeil~s~ t ; ", ~~_~e derGefahr Trennungvom
i~
ptionssituat
Familienkreis
Quelle" Eigene Erstellung in Anlehnung an Cantril 1966 [zuerst 1940], S. 127ff. Die Wahrscheinlichkeit far eine deutliche Beeinflussung steigt nach Cantril insbesondere dann, wenn ,,[...] einem Individuum nicht nur Bewertungsmagst~ibe, mit deren Hilfe es sich orientieren kann, fehlen, sondern auch die Erkenntnis, dass jede andere Deutung m6glich ist, auger der ursprfinglich vorgelegten. Es glaubt alles, was es h6rt oder liest, ohne jemals auf den Gedanken zu kommen, es mit anderen Infor-
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Spektakul~ire Medienwirkungen
mationen zu vergleichen." (Cantril 1985 [zuerst 1940], S. 27) Zugleich wird hiermit eine Situation beschrieben, far die das Stimulus-Response-Modell am ehesten Gt~ltigkeit beanspruchen kann.
4.3 Beurteilung und Einordnung spektakuliirer Medienwirkungen Trotz der Dramatik, die in der Regel mit der Darstellung dieses Falls von Medienwirkung einherging, verlieren die Menschen offensichtlich nicht den Sinn far Humor. Nachdem sich die Unruhe t~ber die Folgen des H/Srspiels gelegt hatte, schrieb ein Mann aus Massachusetts an den Sender CBS den folgenden Brief: ,,I thought the best thing to do was to go away. So I took three dollars twenty-five cents out of my savings and bought a ticket. After I had gone ~ixty miles I knew it was a play. Now I don't have money left for the shoes I was saving up for. Will you please have someone send me a pair of black shoes size 9B?" (zit. nach Lowery/DeFleur 1995, S. 52) Entgegen dem Rat der Anw~ilte kam der Sender CBS fibrigens dem Anliegen des H6rers nach. Jede nachtr~igliche Relativierung der Ereignisse des 30. Oktober 1938 sollte in Betracht ziehen, dass die Mehrzahl der Zeitzeugen von den beobachtbaren Folgen t~berrascht wurde. Cantril selbst weist in seinen Vorbemerkungen auf die Einmaligkeit des Ereignisses hin. Beispielsweise sei es nicht mit den VOlqibergehenden Beunruhigungen der englischen H6rerschaft im Jahr 1926 vergleichbar. Am 16. Januar 1926 hatte Father Ronald Knox im Stil einer gew6hnlichen Nachrichtensendung von Arbeiterunruhen berichtet, die unter anderem in den Versuch mt~ndeten, die Houses of Parliament und weitere 6ffentliche Geb~iude zu zerst6ren. Vorfibergehend waren die Telefonleitungen der Zeitungen, der Polizei und der Radiostationen aberlastet. W~ihrend sich der Unmut t~ber den Missbrauch des 6ffentlichen Vertrauens in ein Massenmedium in den Vereinigten Staaten in Grenzen hielt, erging es einer peruanischen Radiostation, die ebenfalls ,,The Invasion from Mars" simulierte, anders. Die geringere Verbreitung des Radios in diesem lateinamerikanischen Land fahrte zwar zu einem geringeren Ausmal3 der Panik. Als die peruanische Bev6lkerung jedoch realisierte, dass sie bewusst hinters Licht gefahrt wurde, entschloss sie sich kurzfristig, der Radiostation ein Ende zu bereiten: Sie wurde niedergebrannt. Dramatischer wiederum sollen die Vorf'~ille in Chile gewesen sein. Hier war es im Jahr 1944 zu einer ~ihnlichen Ausstrahlung eines H6rspiels gekommen, und auch hier wurden Marsmenschen als Ausgangspunkt der Bedrohung des Landes gew~ihlt. Es soll zu einem Todesfall gekommen sein; eine offizielle Reaktion auf die geforderte Suspendierung des Drehbuchautors blieb jedoch ohne Folgen (vgl. Lowery/DeFleur 1995, S. 66). Ob das H6rspiel ,,The Invasion from Mars" tats~ichlich die Panik ausgel6st hat, v o n d e r immer wieder berichtet wird, ist bis heute umstritten. Re-Analysen und
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nachtr~igliche Bewertungen kOnnen aber kaum die Wirkung des Augenblicks einfangen. Ob die vermeintliche Massenpanik auf falschen subjektiven Situationsdefinitionen oder tiberzeichnenden Berichterstattungen der Massenmedien selbst beruht hat, wird man aus heutiger Sicht kaum noch angemessen beurteilen k6nnen. Selbst wenn nachtr~igliche Gewichtungen der Daten von Cantril zu dem Ergebnis kommen, dass maximal 2% der erwachsenen Bev61kerung der Vereinigten Staaten durch das H6rspiel beunruhigt und zu panikartigen Reaktionen veranlasst wurde, bleibt fiir die ~brigen 98% die Frage zu stellen, ob sie sich der Uberraschung des Augenblicks wirklich entziehen konnten. Will man eine allgemeinere Einordnung vornehmen, so kann man feststellen: Wenn den Rezipienten M6glichkeiten der Gegenkontrolle von Informationen fehlen, dann steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Reaktion, die vorwiegend durch den Stimulus verursacht wird. Eine tiberraschende und unerwartete Medienwirkung muss aber keineswegs mit dramatischen Reaktionen des Publikums einhergehen. Dies illustriert beispielsweise der Fall ,Kate Smith'. Am 21. September 1943 veranstaltete die Radioreporterin Kate Smith einen Ansagemarathon im H6rfunk. Die popul~ire amerikanische Reporterin und S~tngerin 31 wollte die Bev61kerung zum Kauf von Kriegsanleihen ermuntern. Binnen eines Tages gelang ihr durch auBergew6hnliches Engagement die Akquirierung von drei Millionen Dollar. Unter der Mitarbeit von Marjorie Fiske und Alberta Curtis analysierte der amerikanische Soziologe Robert King Merton die Frage, warum es zu diesem aul3ergew6hnlichen Erfolg gekommen ist (vgl. Merton et al. 1946). Auch diese Detailanalyse belegt, dass es unrealistisch ist, uneingeschr~inkt von starken Medienwirkungen zu sprechen. Eine Vielzahl yon Faktoren kommen zusammen und ergeben in der Summe ein nachvollziehbares Resultat. Merton untersuchte die Art und Weise, wie Kate Smith ihre H6rer ansprach, die Bedeutung des Redemarathons wurde diskutiert, das Klima der jeweiligen Entscheidungsfindung nachvollzogen und die Bedeutung des sozialen und kulturellen Kontexts berficksichtigt. Mit anderen Worten: Der erstaunliche Effekt wird in seine Wirkungskomponenten zerlegt. In methodischer Hinsicht ~ihnelte das Verfahren der von Cantril praktizierten Vorgehensweise: Im Mittelpunkt standen 100 ,,focused interviews" (Merton et al. 1946, S. 13) sowie eine Befragung von 978 repr~isentativ ausgew~ihlten Personen im Raum New York. Obwohl sogenannte ,War Bond Days' von verschiedenen Radiostationen angeboten wurden, sch~itzte man den Auftritt von Kate Smith als eine ,Propaganda der Tat' ein. Die Ausdauer und der ungebrochene Enthusiasmus bestgrkten eine Vielzahl der H6rer in der Aufrichtigkeit dieses Unterfangens. Ehrgeiz und Patriotismus wurden bemt~ht, um diesen Werbefeldzug zum Erfolg zu ffihren. Der nachfolgende 31Edward Kienholz (1927-1994) hat in seinem Kunstwerk ,,The Portable War Memorial" Kate Smith als Teil der US-amerikanischenPropagandamaschineriew~ihrenddes 2. Weltkriegsdargestellt.
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Spektakul/~re Medienwirloangen
Beispieltext enth~ilt einige Auszt~ge aus den von Kate Smith verwandten Ansprachen des Publikums. Da Kate Smith insgesamt 18 Stunden auf Sendung war, wurde sie im Laufe des Tages nicht nur von einer Vielzahl von H6rern wahrgenommen, sondem auch mehrfach von denselben H6rem registriert. Im Laufe des Tages entwickelte sich ein regelrechter Dialog zwischen dem Sender CBS und den HOrern. Dieses ,,reciprocal interplay" (Merton et al. 1946, S. 39) verlieh dem gesamten Programm die Art eines Dialogs der Nation t~ber die Notwendigkeit der Unters~tzung der Armee. Im Zuge dessen konstituierte sich eine 6ffentliche Meinung, die sich zu Gunsten der Kriegsanleihen entfaltete und eine durch die Fortsetzung des Marathons verst/~rkte Dynamik erfuhr. Rationale und emotionale Uberlegungen gingen somit mit unterschiedlichen Gewichtungen in die jeweiligen Entscheidungsfindungen ein (vgl. Merton et al. 1946, S. 109ff.). Die Oberzeugungskraft der Reporterin wurde insbesondere dann deutlich, wenn ihr vom Publikum Attribute zugeschrieben wurden, die sie im wirklichen Leben gar nicht besa6. Viele H6rer sahen in den emotionalen Appellen eine Verk6rperung der Mutterfigur, die durch die Aufopferung flir die eigene Familie zugleich einen patriotischen Dienst erbringt. Obwohl offensichtlich viele H6rer wussten, dass Kate Smith nicht verheiratet war, konnte sich dieser Vorbildcharakter im Laufe des Tages entfalten und positiv auf die Bereitschaft zum Kauf von Kriegsanleihen auswirken. Unter Bezugnahme auf dieses Ph/~nomen schrieben Merton et al.: ,,The organization of American radio permits the building of a public figure who can be utilized for purposes of mass persuasion. Whether this influence is to be exercised for good or for ill continues to be largely a decision vested in the directors of radio networks and stations." (1946, S. 172)
Der Ansagemarathon der Reporterin Kate Smith ,,I'm going to appear on CBS programs throughout the day from now until one o'clock tomorrow morning." ,,I've been in radio quite some time, folks, but in all those years I don't think anything even remotely like this has ever been done before." ,,This is Kate Smith again, working on what I hope and believe is going to be the most wonderful ... the proudest ... day of my whole life." Quelle: Merton et al. 1946, S. 22f.
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Unter spezifischen Bedingungen steigt somit die Chance, bestimmte Intentionen zu realisieren. Trotz allem konnte man den Erfolg dieser Kampagne am Morgen des 21. September 1943 noch nicht voraussagen. Zugleich kann in diesem Fall der Berichterstatmng der Massenmedien keine Relevanz ffir die beobachtbaren Reaktionen zugeschrieben werden. Das Radio ffir 6ffentliche Appelle einzusetzen wurde bereits vom damaligen amerikanischen Pr~isidenten Franklin D. Roosevelt erfolgreich praktiziert. W~ihrend sein Vorg~inger, Herbert Hoover, von Radioansprachen nicht fiberzeugt war (,,difficult to deal with anything over the radio except generalities, without embarrassing actual accomplishments that are going forward", zit. nach Ryfe 2000, S. 89), sah Roosevelt durchaus Chancen ffir Oberzeugungskommunikation, die zugleich identit~itsstiftend wirken sollte. Die h~iufige Verwendung von I, You, und We schuf ein Klima der Gemeinschaft und verlieh seinen Kamingespr~ichen (,fireside chats') eine famili~ire Atmosph~ire (vgl. Ryfe 2000, insb. S. 89ff.). Zu erw~thnen ist schlieBlich ein Vorfall, der Parallelen zu den einleitend genannten Beispielen aufweist: die sogenannte Barseb~ick-Panik vom November 1973, die sich als Folge einer sehr authentischen Darstellung eines simulierten Kernkraftwerkunfalls ergeben haben soll. Die elfmin~itige H6rfunksendung irritierte die BevOlkerung, so dass noch am selben Tag von panikartigen Reaktionen in Sfidschweden berichtet wurde. Auch die am darauf folgenden Tag erschienenen Zeitungen nahmen dieses Thema auf. Die von Rosengren durchgeffihrte Analyse kam zu folgendem Ergebnis: 20% der schwedischen Bev61kerung hatten die Sendung geh6rt, etwa die HNfte aller ZuhOrer waren der Auffassung, dass es sich um eine Nachrichtensendung handelte, 70% aus dieser Gruppe zeigten sich ver~ingstigt oder beunruhigt und 14% zeigten verhaltensm~iBige Reaktionen (vgl. Rosengren et al. 1975, S. 307). Rosengren kommt zu dem Ergebnis, dass die Schlussfolgerung auf eine Panik bzw. Unruhe in der Bev61kerung vorwiegend durch eine sehr selektive Informationsaufnahme seitens der Massenmedien erfolgte. Die Rundfunkjoumalisten schlossen aus einer kurzfristigen Oberlastung von zwei Telefonzentralen auf eine groBe und andauernde Aufregung in der Bev61kemng. Eine groBe Anzahl intensiver Reaktionen wurde mit einer ebensolchen Reaktion einer groBen Population gleichgesetzt. Von einer Individualpanik wurde auf eine Massenpanik geschlossen (vgl. auch KunczikJZipfel 2005, S. 288f.). Dass es immer w i e d e r - oft auch unbeabsichtigt- zu Reaktionen des Publikums bei spektakul~iren Medienereignissen kommt, zeigt Rogers an mehreren Beispielen, z.B.: die Reaktionen auf die Bekanntgabe des amerikanischen Basketballspielers Magic Johnson, dass er HIV-positiv sei; die Nachwirkungen des Challenger-Unglt~cks im Januar 1986 (vgl. Rogers 2002). Rogers geht in diesem Zusammenhang der Frage nach, ob in diesen FNlen von starken oder nachhaltigen Medieneffekten gesprochen werden darf. Er zeigt an diesen Beispielen, dass eine massive Medienberichterstattung, die durch interpersonale Kommunikation erg~inzt wird,
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Verhaltensweisen evozieren kann, die ein allt~igliches Medienangebot nicht initiieren kOnnte. Wirkung heiBt hier beispielsweise eine vermehrte Konsultation von Beramngsdiensten o d e r - wie im Falle eines ungew6hnlichen (Nachrichten-) Ereignisses in Neu Delhi (Indien)- ,,overt behavior", in diesem Falle Milchgaben in den Tempeln zu opfern (,,Feeding Milk to Hindu Dieties"). Anlass hierfar war die zun~ichst massenmedial verbreitete Nachricht, dass die G6tter dieses Getr~ink zu sich nehmen (vgl. Rogers 2002, S. 209). Aber in einem weiteren Sinne sollen diese Ausfahrungen von Rogers wohl auch verdeutlichen, dass wir bereits dann von starken Medienwirkungen sprechen, wenn es sich um eine ungewOhnliche Erscheinung handelt. Ph~inomene wie ,,The Invasion from Mars" t~berschreiten offensichtlich einen Schwellenwert, der die Assoziation eines starken Medieneffekts affiziert. Es besteht jedoch keine Einigkeit daraber, wo dieser Schwellenwert anzusiedeln ist. Re-Analysen von als klassisch bezeichneten Studien der Medienwirkungsforschung belegen dies, beispielsweise die Arbeit von Chaffee und Hochheimer aus dem Jahr 1982, die eine erneute Betrachtung der Wahlsmdie ,,The People's Choice" von Lazarsfeld, Berelson und Gaudet zusammenfasst (J~ickel 2005, S. 80) 32. Brosius und Esser stellen in diesem Zusammenhang fest: ,,Bei Cantril wurde die Besorgnis bzw. die Aufregung von 16 Prozent als Beleg far starke Wirkungen genommen, bei Lazarsfeld war eine Anderung der Wahlentscheidung- eine viel weitreichendere und lgngerfristige W i r k u n g - bei acht Prozent der Befragten ein Beleg far schwache Wirkungen." (Brosius/Esser 1998, S. 350) Diese Problematik taucht im abrigen auch im Kontext der Werbewirkungsforschung auf. Niemand wird, auch unter Zugrundelegung eines naiven StimulusResponse-Modells, annehmen, dass das Vorliegen eines starken Effekts die gleichgerichteten Aktivit~iten aller Mitglieder einer Gesellschaft oder Zielgruppe zur Folge haben muss. Selbst, wenn nur weniger als 10 Prozent der Bev61kerung einer bestimmten Werbekampagne ,,folgen", wird ein solcher Effekt von der 6ffentlichen Meinung wahrscheinlich dennoch bereits als stark eingestuft. Raymond Bauer hat in seinem berfihmten Aufsatz ,,The Obstinate Audience" an verschiedenen Beispielen gezeigt, dass selbst nur ein geringer prozenmaler Anteil an Personen, die ihr Verhalten tatsgchlich ~indem, schon als Werbeerfolg interpretiert werden kann. Ein bekanntes Beispiel betrifft die Zigarettenindustrie" ,,Yet, consistently successful commercial promotions convert only a very small percentage of people to action. No one cigarette now commands more than 14% of the cigarette market, but an increase of 1% is worth $60,000,000 in sales. This means influencing possibly .5% of all adults, and 1% of cigarette smokers. This also means that a successful commercial campaign can alienate many more than it wins, and still be highly profitable." (Bauer 1964, S. 322) Hinzu kommt, dass solche Effekte das Resultat von unterschiedlich 32 Auf die Studie von Lazarsfeld u.a. (gemeint ist ,,The People's Choice") wird in Kapitel 5 ausf't~hrlich eingegangen.
Spektakul~ire Medienwirkungen
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komplexen Wirkungsketten sein k6nnen. Werbung geh6rt ohne Zweifel nicht in den Bereich der verst~indigungsorientierten Kommunikation, zumindest ist das nicht ihr prim~ires Ziel. Werbung m6chte informieren, sie w~ihlt dazu unterschiedliche Strategien und hofft, dass mehr als Kaufabsichten das Resultat sind. Zumindest zeigt auch die Geschichte der Werbewirkungsforschung, dass angesichts einer Zunahme des Kommunikationswettbewerbs um Produkte und Dienstleistungen unmittelbare Nachweise von Werbeerfolgen sehr schwierig geworden sind. Auch im Falle der vermeintlich spektakul~iren Medienwirkungen, die bereits er~Srtert wurden, sei es nun ,,The Invasion from Mars" oder der Redemarathon for den Kauf von Kriegsanleihen, den Kate Smith im Jahr 1943 praktizierte- es geht in der Regel um die vorfibergehende Gleichgerichtetheit von Verhaltensweisen, die eine solche Schlussfolgerung sehr wahrscheinlich machen. Die hier vorgestellten Beispiele legen es nahe, zwischen tiberzeugend irritierenden und auf Einstellungen- bzw. Verhaltens~inderungen ausgerichteten Medienangeboten zu unterscheiden. Trotz der Hinweise auf die mit solchen Ereignissen einher gehenden 10bel~reibungen darf davon ausgegangen werden, dass es ein Potential fOr quasi-natOrliche Reaktionen des Publikums gibt. Einzelne Angebote werden aber unter den heutigen Medienbedingungen kaum noch diese Wirkung entfalten k~nnen. Kurzfristige Verunsicherungen sind gleichwohl weiterhin nicht auszuschliel3en, wie das einleitende Beispiel aus Belgien zeigt.
Cantril, Hadley (1966): The Invasion from Mars. A Study in the Psychology of Panic. [Zuerst
1940]. Princeton, New Jersey. Lowery, Shearon A.; DeFleur, Melvin L. (1995): Milestones in Mass Communication Re-
search. Media Effects. Third Edition. New .York, Kapitel 3. Merton, Robert King et al. (1946): Mass Persuasion. The Social Psychology of a War Bond Drive. New York, London. Rogers, Everett M. (2002): Intermedia Processes and Powerful Media Effects. In: Bryant, Jennings; Zillmann. Dolf (eds.): Media Effects. Advances in Theory and Research. 2nd Edition. Mahwah, S. 199-214.
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation: die Meinungsfiihrerforschung
5.1 Die Pionierphase der Meinungsfiihrerforschung Wer sich mit der Pionierphase der Medienwirkungsforschung beschgftigt, begegnet immer wieder einem bestimmten Kreis von Forscherpers6nlichkeiten. Dies gilt insbesondere ffir einen Bereich, dem die Wiederentdeckung der sozialen Gruppe und der Bedeutung interpersonaler Kommunikation flir die Beurteilung von Medienwirkungen zukommt. Die Ergebnisse, die im Folgenden dargestellt werden, entstammen den sogenannten ,Columbia'-Studien. Wenn eine einzelne Person besonders hervorgehoben werden soll, dann ist Paul Felix Lazarsfeld zu nennen. Weitere bedeutende Vertreter sind in den vorangegangenen Kapiteln ebenfalls zum Teil schon genannt worden: Elihu Katz, Robert King Merton, James S. Coleman und Bernard Berelson. Lazarsfeld war nach einem Stipendium der Rockefeller-Stiftung im Jahr 1933/34 nicht mehr aus den Vereinigten Staaten in seine Heimat Osterreich zu~ckgekehrt, wo er in den 1920er Jahren zusammen mit Hans Zeisel und Marie Jahoda die ,Osterreichische Wirtschaftspsychologische Forschungsstelle' gegrfindet hatte. Im Jahr 1936 konnte er an der Universitgt N e w a r k - wie bereits erw~ihnt - ein Forschungszentrum t~bernehmen und die in Osterreich begonnene Tradition der empirischen Sozialforschung fortsetzen. Das praxisnahe Verstgndnis von soziologischer Forschung fand unter den amerikanischen Kollegen hohe Anerkennung. Im Jahr 1939 wurde die Forschungsstelle an die Columbia University verlagert. Hier wurde Lazarsfeld 1940 auch Professor an der Fakult~it f~r Soziologie 33. 1944 erhielt das Institut den Namen ,Bureau of Applied Social Research' (vgl. hierzu auch Kern 1982, S. 174f.). Eine besondere Anerkennung erf~ihrt bis heute die empirische Untersuchung ,The People's Choice'. C h o i c e : Gegenstand der Studie war der amerikanische Pr~sidentschaftswahlkampf des Jahres 1940, in dem auf der Seite der Republikaner Wendell L. Willkie und auf Seiten der Demokraten Franklin D. Roosevelt kandidierten. Insoweit ist die Studie dem Bereich der politischen Kommunikationsforschung zuzuordnen. Es wird untersucht, welche Faktoren insbesondere das politische Verhalten bestimmen. In der Einleitung des Buches findet man den folgenden Satz: ,,Dies ist ein Buch t~ber politisches Verhalten in den Vereinigten Staaten - insbesondere t~ber die Bildung von Meinungen wghrend einer Pr~isidentschaftswahl. Alle vier - The People's
33 Siehe hierzu auch die Ausffihrungen in Kapitel 3.
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Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
Jahre inszeniert das Land ein grol3angelegtes Reiz-Reaktions-Experiment in politischer Propaganda und 6ffentlicher Meinung. Die Reize bestehen aus all dem, was die beiden Parteien bei der Wahl ihres Kandidaten unternehmen. Die Reaktionen, die wir hier betrachten und analysieren, bestehen aus dem, was die Menschen im Laufe dieses Wahlkampfes tun." (Lazarsfeld u.a. 1969, S. 35) Die Studie folgte somit in theoretischer Hinsicht der dominierenden Tradition, zeichnete sich aber auf methodischer Ebene durch eine Besonderheit aus, die in der L~ingsschnittkonzeption begrfindet ist. Die Untersuchung begleitete die letzten Monate des amerikanischen Wahlkampfs und befragte dieselben Personen zu mehreren aufeinanderfolgenden Zeitpunkten, wie sie sich bei der bevorstehenden Wahl verhalten werden. Im Zentrum stand ein sogenanntes ,Main Panel', das 600 registrierte W~ihler umfasste. Zus~itzlich wurden im Verlauf der Untersuchung drei unabh~ingige Stichproben als Kontrollgruppen mit den Befunden der Panel-Stichprobe kontrastiert (vgl. zum Forschungsdesign die 121bersicht bei Lowery/DeFleur 1995, S. 75). Der Wahlkampf wird verglichen mit einem Schauspiel, das mit unterschiedlichen Graden der Aufmerksamkeit der Beobachter rechnen muss. Der politische Wahlkampf findet sein Publikum auf unterschiedlichen Bt~hnen: die Leser einer Tageszeitung, die H6rer einer Rundfunksendung, die Besucher einer Wahlkampfveranstaltung. Diese Arenen des Wahlkampfs zeichnen sich dadurch aus, dass die Aussagen der Kommunikatoren die Rezipienten unmittelbar erreichen. Ursprfinglich wollte man sich auf die Analyse dieser Einflussfaktoren konzentrieren. Allerdings berichteten die Interviewer nach den ersten Befragungswellen h~iufig davon, dass die Befragten auch andere Personen als wichtige Informanten und Ratgeber benannten. Infolge dessen entschloss man sich, weitere Fragen in die Untersuchung aufzunehmen (siehe unten). Der Einbezug einer Vielzahl von Indikatoren erm6glichte eine detailreiche Beschreibung des Interesses am Wahlkampf und der damit einhergehenden Partizipation. Daraus resultierten sehr anschauliche Beschreibungen unterschiedlicher Formen politischer Beteiligung. Eine Kernpassage der Studie lautet: ,,Die Nicht-W~ihler par~izipierten am Wahlkampf am wenigsten. Am intensivsten nehmen dagegen die MeinungsNhrer am Wahlkampf Anteil. Allt~igliche Beobachtungen, aber auch viele Gemeindestudien zeigen, dab es auf jedem Gebiet und ffir jede 6ffentliche Frage ganz bestimmte Personen gibt, die sich um diese Probleme besonders intensiv kfimmem, sich darfiber auch am meisten ~iugem. Wir nennen sie die ))Meinungsffihrer~." (Lazarsfeld u.a. 1969, S. 84f.) Die Hauptgrundlage der Analyse stellen Selbsteinsch~itzungen der Befragten dar. Dies gilt insbesondere auch ffir die Bestimmung der Gruppe der Meinungsfahrer. Die im Verlauf der Untersuchung integrierten Fragen lauteten: ,,Haben Sie neulich versucht, irgend jemanden von Ihren politischen Ideen zu t~berzeugen? Hat neulich irgend jemand Sie um Rat fiber ein politisches Problem gebeten?" (Lazarsfeld u.a. 1969, S. 85) Wer mindestens eine dieser beiden Fragen mit ,Ja' beantwortete, wurde als Meinungsffihrer bezeichnet. Dies traf auf insgesamt 21% der gesamten
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Stichprobe zu. Diese Gruppe wurde auch als ,kampflustiger' Teil der Gemeinde bezeichnet. Als zentrale Merkmale wurden hervorgehoben: hohe politische Wachsamkeit, groBes Interesse an der Wahl, h~iufige Teilnahme an politischen Diskussionen, iiberdurchschnittliche Nutzung der Massenmedien. Im Oktober-Interview ergab sich beispielsweise, dass sich 90% der Meinungsfiihrer mit ihren Kollegen t~ber den Wahlkampf unterhalten hatten, w~ihrend dies nur auf 58% der tibrigen Befragten zutraf. Meinungsfahrer wiesen eine h6here Entschlossenheit bezaglich der bevorstehenden Wahlentscheidung als Nicht-MeinungsfiJhrer auf. Generell galt: Je st~irker das Interesse ftir die Wahl war, desto fraher war auch die Entscheidung gefallen, welcher Partei man die Stimme geben wird. Eine weitere wichtige Beobachtung wurde wie folgt beschrieben: ,,Die meisten wollen - und brauchen es -, dab ihnen gesagt wird, dab sie Recht haben; sie wollen wissen, daB andere Menschen mit ihnen iibereinstimmen. Folglich k6nnten die Parteien nur mit betr~ichtlichen Risiken auf ihre Propaganda verzichten, jedenfalls nicht einseitig. Die Funktion der Wahlpropaganda ist, was die Zahl der Stimmen betrifft, nicht so sehr, neue W~ihler zu gewinnen, als die Abwanderung von W~ihlem zu verhindern, die der Partei bereits zuneigen." (Lazarsfeld u.a. 1969, S. 124) FiJr die Gruppe der eher noch unentschlossenen W~ihler wird auf die hohe Bedeumng der Umweltwahrnehmung hingewiesen. Dies konnte durch eine Korrelation der EinscMtzung von Siegeschancen in der Frahphase des Wahlkampfs mit sp~iteren Wahlabsichten nachgewiesen werden. Ftir dieses Ph~inomen wurde auch der Begriff ,Bandwagon'-Effekt gepr~igt. Die Einsch~itzung der Siegeschancen bestimmter Kandidaten nimmt Einfluss auf die individuelle Wahlentscheidung. Vor allem unentschlossene W~ihler zeigen nur eine geringe Bereitschaft, einem wahrscheinlichen Verlierer ihre Stimme zu geben. Dies spiegelt sich etwa in der folgenden AuBerung wider: ,,Kurz vor der Wahl sah es so aus, als ob Roosevelt gewinnen wiirde, und deshalb ging ich mit der Masse. Mir machte es nichts aus, wer gewann, aber ich wollte far den Sieger stimmen." (Lazarsfeld u.a. 1969, S. 146) W~ihrend hier der Hinweis auf die Masse eine Quelle der Umweltwahrnehmung benennt, wird in der folgenden Aussage auf die Bedeutung von Gleichgesinnten bzw. bekannten Personen hingewiesen: ,,Ich bin immer ein Demokrat gewesen, aber neulich habe ich von so vielen Demokraten geh6rt, dab sie republikanisch w/ihlen werden, dab ich dasselbe tun k0nnte. Vier von fanf mir bekannten Demokraten machen das." (Lazarsfeld u.a. 1969, S. 146) Auch der heute h~iufig ge~iuBerte Vorwurf einer ,Mediendemokratie' wird bereits durch den Hinweis illustriert, dass das Urteil von Prominenten und die Ergebnisse von Meinungsumfragen einen Einfluss auf die Wahrnehmung von Siegeschancen nehmen k6nnen. Ihren besonderen Stellenwert erhielt die Studie durch die Formulierung der Hypothese des ,Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation'. Diese Hypothese will den besonderen Stellenwert der interpersonalen Kommunikation hervorheben. Ne-
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Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
ben die unmittelbare Wahmehmung von Massenmedien (HOrfunk, Zeitung) und Wahlveranstaltungen treten persOnliche Kontakte. Die Bedeumng des zuletzt genannten Faktors wird wie folgt beschrieben: ,,Wenn immer die Befragten aufgefordert wurden, alle mOglichen Informationsquellen fiber den Wahlkampf zu nennen, denen sie in letzter Zeit ausgesetzt waren, wurden politische Diskussionen hfiufiger genannt als Rundfunk oder Presse." (Lazarsfeld u.a. 1969, S. 190) Insbesondere unentschlossene W~ihler und jene, die ihre Wahlabsicht w~ihrend des Wahlkampfes gnderten, wiesen auf die Bedeutung der Gespr~iche mit anderen Personen hin. Von den sogenannten Meinungsffihrem war wiedemm bekannt, dass sie sich nicht nur t~berdurchschnittlich hgufig mit den Angeboten der Massenmedien beschfiftigen, sondem auch eine ~iberdurchschnittliche Kommunikationshfiufigkeit und Bereitschaft, mit anderen in den Dialog zu treten, zeigen. Aus der Kombination dieser Befunde resultierte die Erwartung, dass Meinungsfahrer im Netzwerk der persOnlichen Beziehungen eine besondere Position einnehmen. Das Fazit lautete: ,,[...] dab Ideen oft von Rundfunk und Presse zu den Meinungsfiihrem hin und erst von diesen zu den weniger aktiven Teilen der BevOlkerung flief3en." (Lazarsfeld u.a. 1969, S. 191) Gerade in der Endphase von Wahlk/~mpfen sehen Lazarsfeld u.a. eine groge Wirkungschance von Meinungs~hrem bzw. pers6nlichen Kontakten. Auch der politisch Uninteressierte oder Indifferente wird gerade in den letzten Tagen vor dem Wahltermin unweigerlich und gelegentlich auch zuf'~llig direkt oder indirekt an Gespr/~chen ~ber Politik teilnehmen bzw. als Unbeteiligter den Gespr/~chsverlauf registrieren. Dass auch zufNlige Kommunikation Wirkungen entfalten kann, belegt die Augerung einer Kellnerin: ,,>>Ich hatte ein bil3chen in der Zeitung gelesen, doch die wirkliche Ursache mr meine Meinungs/~nderung war das, was ich so h6rte. Willkie geffillt so vielen Menschen nicht. Viele Kunden im Restaurant sagten, dab Willkie zu nichts taugen wfirde.<<" (Lazarsfeld u.a. 1969, S. 193) Die Partei Roosevelts gewann nicht nur die Wahl in Erie County -jene Region, in der die Wahl-Studie durchgef~hrt wurde -, sondem Roosevelt wurde auch f~r eine dritte Amtszeit gew/~hlt. Bez~glich des grogen Reiz-Reaktions-Experiments ,Wahlkampf' lautet das Fazit: ,,Wir wissen nicht, auf welche Weise die Gelder der politischen Parteien auf die verschiedenen PropagandakanWe verteilt werden, aber wir vermuten, dab der grOgte Tell der Propagandagelder far Flugbl/~tter, Rundfunk u.a.m, ausgegeben wird. Nach unseren Ergebnissen scheint es sich jedoch eher zu empfehlen, die Gelder gleich stark auf die Massenmedien und auf die Organisation der persOnlichen Einfl~sse, also der 6rtlichen >Molekularkr/~fte< zu verteilen." (Lazarsfeld u.a. 1969, S. 199) Chaffee und Hochheimer haben in einer Re-Analyse der Daten von Lazarsfeld u.a. gezeigt, dass mehr als zwei Drittel der Befragten, die nach der Wahl ~ber die Bedeutung verschiedener Informationsquellen befragt wurden, die Zeitungen oder das Radio als hilfreiche Quelle nannten. Ober die H/~lfte sah darin die wichtigste Quelle, nur etwa ein Viertel nannten Personen (Verwandte, Freunde,
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Nachbam, Berufskollegen). Aber die Vorstellung von ,,limited effects" wurde in der politischen Kommunikationsforschung frfihestens Ende der 1960er Jahre in Frage gestellt (vgl. Chaffee/Hochheimer 1985, S. 267 und 272f.). Die Vorstellung vom Zwei-Stufen-Fluss der Kommunikation ist in unterschiedlichen Varianten visualisiert worden. Die nachfolgende Abbildung orientiert sich auch terminologisch an der Ausgangshypothese (vgl. Abbildung 5.1). Abbildung 5.1
Der Zwei-Stufen-Fluss der Kommunikation
MASSENMEDIEN
I
I
Ideen
Ideen
Meinungsf~ihrer
Weniger Interessierte ~
/
Ideen 0
OO
(2
Ideen
O O
Ideen
OOO
Quelle: Schenk 2002, S. 322 Die weitere Entwicklung der Forschung ist sowohl durch eine Spezifizierung des Ph~inomens der Meinungsfahrerschaft als auch durch eine detailliertere Analyse der Beziehungen von Meinungsft~hrem und beeinflussten Personen gekennzeichnet. Zunehmend kristallisierte sich heraus, dass Meinungsfahrerschaft ein mehr oder weniger fester Bestandteil ,,im Prozel3 des Gebens und Nehmens t~iglicher pers6nlicher Beziehungen" (Katz/Lazarsfeld 1962, S. 41) ist. Hinsichtlich der Wiederentdeckung der sozialen Gruppe stellten Katz und Lazarsfeld fest: ,,[...] alle zwischenmenschlichen Beziehungen k6nnen als Nachrichtennetz dienen und einen Meinungs~hrer kann man sich am besten als ein Gruppenmitglied vorstellen, das eine Schlt~sselstellung im Nachrichtenwesen einnimmt. Mit dieser Bestimmung, d.h. der Ver-
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kntipfung des Meinungsffihrers mit bestimmten anderen, mit denen er Kontakt h a t ist die ,Wiederentdeckung' abgeschlossen." (Katz/Lazarsfeld 1962, S. 41) Der Hinweis ,Schltisselstellung im Nachrichtenwesen' legt es nahe, Meinungsffihrer mit ,Schleusenw~irtem' gleichzusetzen. ,Gatekeeper' ist der gel~iufigere Fachterminus, den Kurt Lewin eingeftihrt hat. Nicht zuf'~illig ist aber gerade dieser Begrift im Kontext der Beschreibung von Prozessen der Nachrichtenselektion adaptiert worden. Reimann weist darauf hin, dass die 10berwachung ein- und ausgehender Informationen zwar Einfluss im Sinne von Zugangskontrolle meint, aber nicht notwendigerweise Gruppeneinfluss (vgl. Reimann 1974, S. 142f.). Die bereits erwiihnte Allt~iglichkeit von Meinungsftihrerschaft ffihrt zu der Anschlussfrage, ob sich Meinungsftihrer und ihre Gefolgschaft hinsichtlich des sozialen Status deutlich oder nur gering unterscheiden. Die ,People's Choice'-Studie lokalisierte Meinungsffihrer in allen Berufsgruppen und leitete daraus eine eher horizontale Einflussrichtung ab. Dieser Befund erwies sich als nicht generalisierungsf'~ihig. Auch hinsichtlich des eingesetzten Messverfahrens wurde Kritik laut, weil der unterstellte Fluss von Informationen auf der Grundlage eines Selbsteinschgtzungsverfahrens gar nicht gemessen werden konnte. Gemessen wurde, so Bostian, die Abwesenheit eines ,One-Step-Flow' (vgl. Bostian 1970, S. 109ff.). Trotz dieser berechtigten Kritik konnten Lazarsfeld u.a. auf Indizien verweisen (insbesondere auf Aussagen von Befragten), die eine solche Modellannahme nicht als unrealistisch erscheinen liegen.
Rovere Study: Wiihrend die ,People's Choice'-Studie eher unbeabsichtigt auf das Meinungsftihrerphgnomen gelenkt wurde, ist die yon Robert King Merton durchgeftihrte Rovere-Studie als explorative Expedition in dieses wiederentdeckte Feld zu lesen. Ausgangspunkt der Analyse war das Interesse eines tiberregionalen Nachrichtenmagazins an unterschiedlichen Sph~iren des persfnlichen Einflusses in Gemeinden. Die damit m6glicherweise einhergehenden Absichten sollen hier nicht thematisiert werden, sondern die Frage, wie Merton versuchte, die einflussreichen Personen in einer Gemeinde zu identifizieren. Dartiber hinaus ist als Resultat dieser Untersuchung eine erste Klassifikation yon Meinungsffihrem zu erwiihnen, die auszugsweise beschrieben werden soll. Das methodische Vorgehen verdeutlicht in besonderer Weise den Fallsmdien-Charakter dieser Analyse. In einem ersten Schritt wurden insgesamt 86 Personen darum gebeten, Ratgeber in ihrer Gemeinde zu benennen, die sie aus unterschiedlichen Anl~issen konsultieren. Diese erste Identifikationsphase ffihrte zur Benennung yon insgesamt 379 Informanten, die in verschiedenen Situationen Einfluss ausgetibt haben sollen. Unter diesen Personen waren wiederum einige, die mehrfach genannt wurden. Insgesamt lagen 1.043 Nennungen yon 379 verschiedenen Personen vor. Jenen Gemeindemitgliedern, die mindestens vier Nennungen erhielten, wurde ein besonderer Einfluss zugesprochen. Dies traf auf insgesamt 57 Personen zu. Mit etwa der H~ilfle dieser Gruppe (n=30) wurden Interviews durchge-
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fahrt. Die relativ einfache Frage ,Who influenced you?' fahrte Merton von den Informanten zu den einflussreichen Personen. Nicht die Selbsteinsch~itzung der Meinungsfahrer war mal3gebend, sondern die Fremdeinsch~itzung durch mehrere Personen. Diese Kemgruppe stand Rede und Antwort zu unterschiedlichsten Fragen, die sowohl die eigene Einschgtzung des Einflusses als auch Anlass und Situation der Einflussnahme betrafen. Die daraus hervorgegangene Typologie kann allenfalls als Versuch einer Systematisierung bezeichnet werden, die in umfassenderen Studien Beracksichtigung finden kann. Dazu z~ihlt insbesondere die Unterscheidung zwischen aktuellen Meinungsfahrern und potentiellen Meinungsfahrern. Diese Differenziemng macht darauf aufmerksam, dass Meinungsfahrerschaft ein vorabergehendes Ph~inomen sein kann. Ftir die Analyse der Kommunikationsbeziehungen in Rovere blieb diese Unterscheidung jedoch folgenlos. Die Benennung von Einflussbereichen ist der eigentliche theoretische Gewinn dieser Untersuchung. Dazu z~ihlt zun~ichst die Differenzierung zwischen monomorphen und polymorphen Meinungsfahrern. Wenn sich der Einfluss des Meinungsfahrers auf einen spezifischen Bereich konzentriert (z.B. Politik, Mode), handelt es sich um einen Experten far spezifische Entscheidungen. Erstreckt sich der Einfluss hingegen auf scheinbar unzusammenh~ingende Einflussbereiche, liegen Anzeichen far eine generelle Meinungsfahrerschaft vor. Diese polymorphen Meinungsfahrer k6nnen in einer Vielzahl von Entscheidungsfeldern als Einflusspersonen wirken. Eine Variante dieser Differenziemng ergibt sich, wenn eine geografische Dimension beriicksichtigt wird. Diese Vorgehensweise fahrte zur Beschreibung lokaler und kosmopolitischer Meinungsfahrer. Beziiglich dieser Typologie werden relativ ausfahrliche Erl~iutemngen gegeben. Danach handelt es sich im Falle der sogenannten ,Locals' um Personen, die ihre Interessen auf den engeren Bereich der Gemeinde konzentrieren, l]berregionale Ereignisse im Bereich der Politik und der Kultur werden auch vorwiegend aus dieser Perspektive wahrgenommen und beurteilt. Sie pflegen sehr viele Beziehungen zu Gemeindemitgliedern und bewerten ihre eigene Stellung insbesondere an der Quantitbit der Kontakte. Fiir einen lokalen Meinungsfahrer ist es nicht so wichtig, was er weil3, sondern wen er kennt. ,Locals' sind st~irker mit ihrer Region bzw. Heimat verbunden, h~iufig sind sie in der Gemeinde auch geboren und aufgewachsen. Sie arbeiten in den freiwilligen Organisationen der Stadt, informieren sich vorwiegend fiber lokale bzw. regionale Medien und zeichnen sich durch einen eher polymol~hen Einfluss aus. Eine typische Aussage dieser Personengruppe lautet: ,,I wouldn't think of leaving Rovere." (Merton 1968, S. 450) Obwohl aufgrund der Charakterisierung der ,Locals' die Schlussfolgerung naheliegt, dass einflussreiche Kommunalpolitiker ,portrtitiert' werden, relativiert Merton diesen Eindruck. Auch er geht von einer eher horizontalen Meinungsfahrerschaft aus und sieht nicht zwangslgufig eine Identit~it von Meinungsfahrern und formellen F(ihrem der Gemeinde gegeben.
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Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
Der sogenannte ,Cosmopolitan' interessiert sich hingegen mehr far Ereignisse, die sich aul3erhalb der Gemeinde auf nationaler und internationaler Ebene ereignen. Gleichwohl verliert er die Gemeinde nicht v611ig aus dem Blickfeld, da er, um seinen Einfluss geltend machen zu k6nnen, auch hier fiber soziale Beziehungen verfagen muss. Entscheidend ist far ihn jedoch die Qualitfit der sozialen Beziehungen. Personen, zu denen er Kontakte unterhNt, weisen einen ~ihnlichen sozialen Status und ~ihnliche Interessenlagen auf. Der Einfluss des ,Cosmopolitan' beruht in st~irkerem Mal3e auf Leistungen und F~ihigkeiten. Pers6nliche Beziehungen sind somit Konsequenz und nicht Instrument seines Einflusses. ,Cosmopolitans' nehmen in der Regel eine h6here soziale Position ein als ,Locals'. Ffir diese Gruppe gilt: ,,He resides in Rovere but lives in the Great Society." (Merton 1968, S. 447) Der Einfluss konzentriert sich auf bestimmte Sachgebiete (monomorph). Eine typische Frage an diese Gruppe k6nnte lauten: ,,[W]hat should we do about a National Science Foundation?" (Merton 1968, S. 468) Aus dieser Gegenfiberstellung lassen sich vier Abgrenzungsmerkmale ableiten: die die die die
Struktur der sozialen Beziehungen, Grundlage des Einflusses, Ausfibung des Einflusses in konkreten Entscheidungssituationen und Bedeutung und Inanspruchnahme von Massenmedien.
Insbesondere das zuletzt genannte Kriterium stellt die Verbindung zum ZweiStufen-Fluss der Kommunikation her. Auch die Rovere-Studie best~itigt die fiberdurchschnittliche Inanspruchnahme von Massenmedien durch Meinungsfahrer. Die Gegenfiberstellung lokal-kosmopolitisch korrespondiert mit entsprechenden Pr~iferenzen far lokale bzw. regionale Medien einerseits und fiberregionale bzw. (inter-) nationale Medienangebote andererseits (vgl. auch Weimann 1994, S. 16).
Decatur Study: Eine der meistzitierten Arbeiten ausder Columbia-Schule ist neben der Wahlkampf-Studie aus dem Jahr 1940 die nach einer Stadt im Bundesstaat Illinois benannte Decatur-Studie, die in den Jahren 1945/46 durchgefahrt wurde. In doppelter Hinsicht ist diese Studie yon Bedeutung: Katz und Lazarsfeld erg~inzen im Rahmen dieser Analyse die Methode der Selbsteinsch~itzung durch das Schneeballverfahren. Aul3erdem wurden vier verschiedene Entscheidungsfelder betrachtet: Kaufverhalten (Marketing), Mode, Politik und Kinobesuch. Ein weiteres Spezifikum, das sich insbesondere aus den untersuchten Bereichen ableiten l~isst, ist eine Konzentration der Befragung auf Frauen im Alter ab 16 Jahren. Insgesamt wurden 800 Frauen zun~ichst mit Hilfe eines Zufallverfahrens ausgew~ihlt und zu zwei verschiedenen Zeitpunkten, n~imlich im Juli und August, interviewt. W~ihrend die Wahlkampf-Studie des Jahres 1940 eine fiberraschende Entdeckung machte und die Studie yon Merton einen fiberwiegend theoretischen Beitrag leistete, sollte es im -
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Rahmen der Decatur-Studie um die Frage gehen, wie sich pers6nlicher Einfluss im Alltag vollzieht, d.h. welche Bedeutung informelle Beziehungen f-fir Entscheidungsfindungen haben. Abbildung 5.2
Identifikation von Ratgebern und Ratsuchern in der Decatur-Studie Ausgangsstichprobe = Informantensample "THE DESIGNATORS" genannte Personen =
"DESIGNATEES" bestehend aus
"INFLUENCEES" Personen, die die
"INFLUENTIALS" Personen, die den
Informanten um Rat
Informanten einen Rat
gebeten haben
gegeben haben und deren Meinungen
beeinflussten
Beispielfragen: ,,Have you recently been asked your advice about what ...?" ,,Compared with other women belonging to your circle of friends - are you more or less likely than any of them to be asked for your advice on ...?"
Quelle: Katz/Lazarsfeld 1955, S. 150 und 346f. Der Pioniercharakter der Studie kann beispielsweise daran abgelesen werden, dass zum Zwecke der Identifikation von Meinungsffihrern und ihrer Gefolgschaft ein differenziertes Vorgehen praktiziert wurde: Verschiedene Quellen sollten Einflussnahme und Einflussst~irke best~itigen. Der folgende Beispieltext verdeutlicht das grunds~itzliche Anliegen sehr anschaulich. Ausgehend von einem InformantenSample werden sowohl die Selbsteinsch~itzung als auch die Fremdeinsch~itzung als Meinungsffihrer aberprfift (vgl. Abbildung 5.2).
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Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
Die Identifikation von MeinungsKihrern im Rahmen der Decatur-Studie
,,With reference to the formation of judgments and opinions about public affairs and political life, we asked our respondents about three kinds of other people. We asked them to name (1) the people whom they believe to be trustworthy and knowledgeable about matters of public concern; (2) the people who actually influenced them in some specific change of opinion in a matter of current concern; and (3) the people with whom they most often talk over what they hear on the radio or read in the papers. In addition, from each woman in the sample we obtained extensive information about herself, including a self-rating of her own influentiality together with reports of recent specific occasions on which she claimed to have influenced others. [...] we shall take up each of these detecting devices in turn and briefly describe the relations between the people located by each of them and the women in our sample who named them. We want to investigate, in other words, the extent to which each of these three types of designated influentials are influential in fact, and the extent to which they are actually in close contact with our sample of women. We shall see that these three ways of going about the study of informal influence form a rough scale, although the dimensions of this scale remain somewhat unclear. From these designated influentials, we shall turn of the self-rated influential; that is, we shall analyze the adequacy of self-estimates of opinion leadership. And finally, we shall consider the meaning, and the usefulness, of each of the four criteria as bases for different approaches of the study of opinion leadership." (Katz/Lazarsfeld 1955, S. 139)
Auf diese Art und Weise konnten insgesamt 1.549 F~ille ermittelt werden, in denen es zu unterschiedlichen Formen der Einflussnahme gekommen sein sollte. Katz und Lazarsfeld beliel3en es nicht bei dieser Feststellung, sondern tiberprtiften, ob diese Selbst- und Fremdeinsch~itzungen tats~ichlich zutrafen. Zu diesem Zweck bemtihten sie sich um erg~inzende Befragungen der als Ratgeber oder Ratsuchende bezeichneten Personen. Aus diesem Grund wird auch von Schneeball-Interviews gesprochen. Die Richtung des Einflusses und das besprochene Thema sowie das Zutreffen der Selbsteinsch~itzungen sollten genauer tiberpl~ft werden. Allerdings konnten lediglich 634 Kontrollinterviews durchgeftihrt werden. Das Ergebnis dieser 121berprfifungen war: 69% der Ratgeber (Influentials) und 64% der Empf'~inger von Ratschlggen (Influencees) best~itigten die Angaben Dritter. Wenngleich die geringe Zahl der Kontroll-Interviews kritisiert wurde, ist das Bemtihen um eine pr~izise Beschreibung des Phgnomens der Meinungsfiihrerschafl erkennbar. Katz und Lazarsfeld zogen aus den vorgenommenen Kontrollen die
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Schlussfolgerung, dass die selbstemannten Meinungsfahrer als Grundlage far weitere Analysen dienen k6nnen. Aufgrund der Vielzahl der berficksichtigten Einflussbereiche wurden insgesamt 693 ,self-detected' Meinungsfahrer berficksichtigt. Diese lassen sich unter Zugrundelegung von drei Dimensionen genauer differenzieren: 9 9 9
nach dem sozio6konomischen Stares, nach der Position im LebenszykIus und nach dem Ausmal3 der sozialen Kontakte.
Aus der Vielzahl an Detailbefunden sollen hier nur wenige hervorgehoben werden: Lediglich im Bereich der Politik ist eine Konzentration von Meinungsfahrem in der oberen sozialen Schicht zu beobachten. In den t~brigen Bereichen (Mode, Kaufverhalten, Kinobesuch) zeigte sich eine relative Gleichverteilung der Meinungsfahrer t~ber alle sozialen Schichten. Nach Katz und Lazarsfeld verl~iuft die asymmetrische Beziehung zwischen Meinungsfahrem und ihrer Gefolgschaft im Allgemeinen horizontal, lediglich im Bereich der Politik lassen sich geringe vertikale Elemente identifizieren. Der Position im Lebenszyklus kommt bezt~glich der Bereiche Kaufverhalten, Mode und Kinobesuch eine gr613ere Bedeutung zu. Bezfiglich Mode und Kino konzentrieren sich die Meinungsfahrer insbesondere in der Gruppe der jt~ngeren unverheirateten Frauen. Hinsichtlich der Geselligkeit (Ausmal3 der sozialen Kontakte) ergab sich eine hohe Korrelation mit Meinungsfahrerschaft. Nichtgesellige Personen sind in der Regel auch nicht Meinungsfahrer. Ffir das Ph~inomen einer generellen Meinungsfahrerschaft sprachen nur wenige Hinweise. Meinungsfahrerschaft konzentriert sich in der Regel auf bestimmte Themenbereiche (monomorph). Hiermit korrespondiert eine selektive Inanspruchnahme der Inhalte der Massenmedien. Mit dem Hinweis auf die Bedeutung der Massenmedien wird verdeutlicht, dass die Kenntnisse in spezifischen Bereichen in den pers6nlichen Kontakten des Alltags praktisch werden. Angesichts der Allt~iglichkeit des Ph~inomens mag die Bezugnahme auf die Aussage eines englischen Sozialtheoretikers in diesem Zusammenhang t~berraschen. Der umfassenden Bedeutung von Meinungsfahrerschaft ist wohl zuzuschreiben, dass Katz und Lazarsfeld ihrer Analyse ein Zitat von John Smart Mill (1806-1873) voranstellten: ,,And what is a still greater novelty, the mass do not now take their opinions from dignitaries in Church or State, from ostensible leaders, or from books. Their thinking is done for them by men much like themselves, addressing them or speaking in their name, on the spur of the moment. [...]." (Katz/Lazarfeld 1955) - D r u g S t u d y : Obwohl sich die Meinungsfahrerforschung um eine m6glichst exakte
Beschreibung des Einflusses in sozialen Gruppen bemt~hte, gelangte man im Rahmen der Analysen selten t~ber die Betrachtung sogenannter Dyaden (= PaarverhNtnis) hinaus. In dieser Hinsicht stellt die ,Drug Study' eine methodische Erweiterung
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Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
dar. Analysiert wird die Verbreitung eines neuen Medikaments unter den Arzten verschiedener St~idte. Soziometrische Verfahren dienen der Identifikation von Meinungsffihrern in den Netzwerken der *rzteschaft. Im Gegensatz zu Repr~isentativbefragungen strebte diese Untersuchungskonzeption eine Vollerhebung an, indem alle Arzte einer Gemeinde bez~glich der Inanspruchnahme der medizinischen Innovation befragt wurden. Das Forschungsprojekt begann mit einer Pilotstudie im Jahr 1954.
Fragestellungen im Rahmen der ,Drug Study' ,,Could you name the three or four physicians you meet most frequently on social occasions?" ,,Who are the three or four physicians in your conversations with whom the subject of drug therapy most often comes up?" ,,When you need added information or advice about questions of drug therapy, where do you usually turn?" Quelle: Menzel/Katz 1955, S. 340
In einer kleinen Gemeinde Neu-Englands ergab sich die MSglichkeit, die Verschreibepraxis eines neuen Medikaments zu analysieren; 33 der 40 praktizierenden Arzte nahmen an dieser Untersuchung teil. Die Fragestellungen generierten Informationen, die sich in ein Soziogramm t~berffihren liegen. Soziogramme beschreiben die Position einer Person innerhalb eines sozialen Netzwerks und lassen erkennen, welche Beziehungen innerhalb einer Gemeinschaft existieren. Zugleich ist eine inhaltliche Pr~zisierung dieser Relationen m6glich. Erkennbar wird dies bereits an den verwandten Fragestellungen. Einige Beispiele aus der Pilotstudie sind in dem vorangegangenen Textblock zusammengestellt. Schliel3iich wurde auch das Informationsverhalten der ,~rzte analysiert, insbesondere die Inanspruchnahme von Fachzeitschriften und anderen medizinischen Informationsmaterialien. Sowohl die Pilot- als auch die Hauptstudie konnten die Befunde der Meinungsffihrerforschung weitgehend best~tigen. Eine wichtige Erweiterung ergab sich jedoch hinsichtlich der Zahl der ,Steps', die eine Information durchl~uft, bis sie ihr vorl~ufiges Ziel erreicht hat. Aus der Beobachtung, dass nicht nur die Meinungsffihrer von Kollegen konsultiert wurden, sondern selbst Kollegen nannten, die sie um Rat baten, resultierte der Vorschlag, yon ,,multistep flow of communications" (Menzel/Katz 1955, S. 343) auszugehen. Um wie viele Stufen es
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
123
sich tats~ichlich handelte, konnte lediglich angedeutet werden. Insgesamt aber lag die Schlussfolgerung nahe, dass viele Informationen die jeweilige Zielgruppe nicht auf direktem Weg erreichen. Sowohl die tiberdurchschnittliche Inanspruchnahme von Zeitschriften als auch die h~iufige Nennung als Ratgeber in medizinischen Angelegenheiten korrespondierte mit einer frtihen Obemahme eines neuen Medikaments. Die ,Drug Study' lieferte somit auch einen Beitrag zur Diffusionsforschung. Diese Forschungsrichtung untersucht, welche Faktoren die Ausbreitung einer Innovation begtinstigen oder hemmen und tiberfahrt diesen Ablauf in allgemeine Gesetzm~13igkeiten. Die genannten Befunde sind von Coleman et al. wie in Abbildung 5.3 veranschaulicht worden. Abbildung 5.3
Merkmale Innovation
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Monate nach der Freigabe von Gammanym .... Erhielt keine Wahl (N=61) .....
Erhielt 1 bis 3 Wahlen (N=43) Erhielt 4 oder mehr Wahlen (N=21)
+ .
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Monate nach der Freigabe von Gammanym ....
Erh~ilt 2 oder 3 (Fach-) Zeitschriften (N=27)
.....
Erh~ilt 4 oder 5 (Fach-) Zeitschriften (N=52)
Anmerkung: Gammanyn ist der Name des Medikaments.
Quelle" Coleman et al. 1966, S. 46 und 84
+
Erh~ilt 6 oder mehr (Fach-) Zeitschriften (N=46)
124
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
Ft~r die sp~iteren l~emehmer sind die Erfahrungen der innovationsbereiteren Arzte von groger Bedeumng. Die frfihe Verschreibepraxis, die den Forschern aufgrund einer erlaubten Einsichtnahme in die Rezepmnterlagen der lokalen Apotheken bekannt war, ist offenbar auch Ausdruck eines Erfahrungsreichtums. Diese Kompetenz korreliert zugleich mit dem Ausmag der Integration eines Arztes in die lokale Gemeinschaft. Wenn beide Faktoren zusammenkommen, ist die Wahrscheinlichkeit einer frfihen 10bemahme und die Vorbildfunktion far andere Arzte grog. Insofern darf in diesem Zusammenhang auf einen Kernsatz der Diffusionsforschung verwiesen werden: ,,Diffusion is a very social process." (Rogers 2003, S. 19) Die Darstellung ausgew~ihlter Pionierstudien der Meinungsfahrerforschung verdeutlicht die Wiederentdeckung informeller Beziehungen und die Bedeutung des pers6nlichen Ratschlags von Personen, denen aus unterschiedlichen Grfinden Anerkennung und Vertrauen entgegengebracht wird. Das Hauptaugenmerk wurde nicht den Medienangeboten selbst gewidmet. Zugleich illustriert die Breite der untersuchten Themen, dass ein allt~igliches Ph~inomen vorliegt, das in vielen Situationen seinen Einfluss entfaltet. Die Pioniersmdien erfallen somit zun~ichst die wichtige Funktion der Erschliegung eines vemachlgssigten Forschungsfeldes. Die zur Beschreibung von Meinungsfahrern herangezogenen Merkmale sind nicht in allen Entscheidungsfeldem gleichermagen relevant, deuten aber darauf hin, dass bestimmte Eigenschaften und Kenntnisse pr~idisponierend wirken und sich in sozialen Beziehungen verwirklichen. Diese Eigenschaften und F~ihigkeiten lassen sich wie folgt klassifizieren: 9 9 9
Kompetenz, Erfahrung und Bildung Engagement und Interesse Soziale Integration und soziale Anerkennung.
Die Korrelation mit spezifischen Verhaltensweisen kommt hinzu: eine eher selektive Mediennutzung, Aktivit~iten in Vereinen und Organisationen sowie ein generelles Interesse an politischen und sozialen Entwicklungen. Die Meinungsfahrerforschung ist heute ein fester Bestandteil der Kommunikationswissenschaft und baut auf den beschriebenen Pionierarbeiten auf. Am deutlichsten zeigt sich dies in der Kontinuit~it der Fragestellungen. Sowohl eine Beschreibung der beteiligten Personen als auch die Bestimmung ihrer Position und Relevanz im Rahmen eines mehrsmfigen Kommunikationsprozesses steht im Vordergrund. Konkret geht es um die Frage, welche Bedeutung den Medienangeboten und welche Bedeutung den Meinungsfahrem far bestimmte Einstellungs- bzw. Verhaltens~inderungen zukommt. In Verbindung damit ist vermehrt die Frage aufgeworfen worden, in welchen F~illen die Information und in welchen die Beeinflussung dominiert. Auf diese Unterscheidung wird Bezug genommen, wenn von der Relais-
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
125
funktion bzw. der Beeinflussungs- und Verst~irkerfunktion der Meinungsffihrer gesprochen wird. 5.2 Erweiterungen und Modifikationen der 'Zwei-Stufen-Fluss'-Hypothese der M e i n u n g s f i i h r e r . Hinsichtlich der Informationstibertragungsfunktion der Meinungsftihrer l~isst sich die Frage formulieren, ob die Aussagen der Massenkommunikation in den tiberwiegenden F/~llen- quasi ereignis- und themenunabh~ingig - fiber das beschriebene zwei- oder mehrstufige Modell die Rezipienten erreichen. Um diese Frage zu beantworten, wird h~iufig auf Ergebnisse aus sogenannten ,News Diffusion'-Studien zuriJckgegriffen. Diese tiberprtifen, aus welcher Quelle die Bev6lkerung zun~ichst von einem bestimmten Ereignis erf'~ihrt. Ein typisches Merkmal dieser Analysen ist die Konzentration auf Ereignisse mit einem hohen Nachrichtenwert (Als historisches Beispiel dient die nachfolgend wiedergegebene Darstellung eines fatalen Ereignisses der europ~iischen Geschichte.). - Zur Relaisfunktion
Attentat auf Thronfolger Joseph Roth beschreibt in seinem Roman "Radetzkymarsch", wie die Nachricht von einem angeblichen Attentat auf den 5sterreichisch-ungarischen Thronfolger eine Region, die 12 Meilen von der russischen Grenze entfernt lag, erreicht hat. ,,(...), dal~ man den Thronfolger der 5sterreichisch-ungarischen Monarchie wahrscheinlich in Sarajevo erschossen habe. Reisende, die vor drei Stunden angekommen seien, h~tten zuerst die Nachricht verbreitet. Dann sei ein verst0mmeltes, chiffriertes Telegramm vonder Statthalterei angelangt. Offenbar infolge des Gewitters sei der telegraphische Verkehr gestSrt, eine RQckfrage also bis jetzt unbeantwortet geblieben. Uberdies sei heute Sonntag und nur wenig Personal in den ,~,mtern vorhanden. Die Aufregung in der Stadt und selbst in den DSrfern wachse aber st&ndig, und trotz des Gewitters st&nden die Leute in den Gassen. W&hrend der Kommiss~r hastig und flQsternd erz,~hlte, hSrte man aus den R~umen die schleifenden Schritte der Tanzenden, das helle Klirren der Gl&ser und von Zeit zu Zeit ein tiefes GeI~chter der M&nner. Chojnicki beschlol~, zuerst ein paar seiner G~ste, die er fQr mal~gebend, vorsichtig und noch nQchtern hielt, in einem abgesonderten Zimmer zu versammeln. Indem er allerhand Ausreden gebrauchte, brachte er den und jenen in den vorgesehenen Raum, stellte ihnen den Bezirkskommiss&r vor und berichtete. Zu den Eingeweihten gehSrten der Oberst des Dragonerregiments, der Major des J&gerbataillons mit ihren Adjutanten, mehre von den Tr~gern berQhmter Namen, und unter den Offizieren des J&gerbataillons Leutnant Trotta. Das Zimmer, in dem sie sich befanden,
126
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation enthielt wenig Sitzgelegenheiten, so dal~ mehrere sich ringsum an die W~nde lehnen mul3ten, einige sich ahnungslos und 0berm0tig, bevor sie noch wul3ten, worum es sich handle, auf den Teppich setzten, mit gekreuzten Beinen."
[...] >>Die Nachricht ist nicht wahre, sagte er, >>sie ist halt nicht wahr. Es soil mir einer nachweisen, dal3 es wahr ist, bl~Sde L0ge, daf0r spricht schon allein das Wort >ger0chtweise< oder >wahrscheinlich< oder wie das politische Zeug heil~t!e >>Auch ein Ger0cht gen0gt!e sagte Zoglauer. Hier mischte sich Herr von Babenhausen, Rittmeister der Reserve, in den Zwist. Er war angeheitert, f~chelte sich mit dem Taschentuch, das er bald in den ,~rmel steckte, bald wieder hervorzog. Er 1~Sstesich vonder Wand, trat an den Tisch und kniff die Augen zusammen: >>Meine Herren{{, sagte er, >>Bosnien ist weit von uns entfernt. Auf Ger0chte geben wir nix! Was mich betrifft, ich pfeif' auf Ger0chte! Wann's wahr is, werden wir's eh fr0h genug erfahren!e" (S. 360) Quelle: Roth [zuerst 1932] 1981, S. 357ff.
Eine erste Zusammenfassung diesbezOglicher Ergebnisse legten Deutschmann und Danielson im Jahr 1960 vor. Ober alle betrachteten Ereignisse (die Erkrankung Eisenhowers, die Explorer I-Expedition, Alaska wird US-Bundesstaat usw.) erwiesen sich die Medien als die erste Quelle der Information. Der mittlere Prozentwert Ober alle betrachteten Ereignisse lag bei 88%, wohingegen die interpersonale Kommunikation nur einen durchschnittlichen Wert von 12% erreichte. W~ihrend das Fernsehen in der Pionierphase der Meinungsfahrerforschung als relevantes Medium fehlte, wird bereits in dieser ersten Obersicht erkennbar, welche Bedeutung dieses audiovisuelle Medium besitzt. Wenn es um die Frage ging, aus welchem Medium man zuerst von einem Ereignis erfuhr, lag das Fernsehen im Vergleich zu Radio und Tageszeitung in nahezu allen F~illen an erster Stelle. Schon zu Beginn der 1960er Jahre wurden daher folgende Schlussfolgerungen formuliert (vgl. Deutschmann/ Danielson 1960, S. 355): 1. 2. 3.
Informationen der Massenmedien erreichen die Rezipienten Oberwiegend direkt. Die Rezipienten nutzen die Informationen der Massenmedien als Gespr~ichsstoff. Meinungsffihrer k6nnen auf der Stufe des Gespr~ichs eine Relaisfunktion iJbernehmen. Hier kann der Informationsvorsprung von Meinungsffihrern wirksam werden.
FOr diese Interpretation spricht, dass zwei Drittel der Befragten angaben, sich an entsprechenden Gespr~ichen beteiligt zu haben. Wenige Jahre sp~iter legten Hill und
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
127
Bonjean weitere Untersuchungsergebnisse vor, unter anderem Befunde, die das Bekanntwerden des Attentats auf den amerikanischen Pr~isidenten John F. Kennedy im Jahr 1963 verdeutlichten. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass 57,1% der Bev61kerung durch andere Personen von der Ermordung Kennedys erfuhren, 43% h6rten es t~ber die Medien. Im Falle dieses Ereignisses darf das Ergebnis nicht verwundem. Sehr schnell wird sich die durch Medien ausgel6ste mit der durch Gespr~iche und Gerachte 34 initiierten Diffusionskurve t~berlagert haben. Im Vergleich mit frfiheren Vorkommnissen aber wird der Stellenwert der Massenkommunikation deutlich: Den Tod von Franklin D. Roosevelt nahmen im Jahr 1945 nur 12,6% der Bev61kemng fiber die Medien wahr, dagegen 87,4% aus Gespr~ichen. In beiden F~illen (Roosevelt und Kennedy) lag der Anteil der interpersonalen Kommunikation relativ hoch, wobei dies auch auf den Tageszeitpunkt des Ereignisses zurfickgeffihrt werden kann. Hill und Bonjean gingen von folgenden Annahmen aus: 1. 2. 3.
Das Verh~iltnis von Massenkommunikation und interpersonaler Kommunikation wird durch das Auftreten des Ereignisses im Tagesablaufbeeinflusst. Die Bedeutung intel~ersonaler Kommunikation w~ichst mit dem Nachrichtenwert des Ereignisses. Die Verbreitungsgeschwindigkeit einer Nachricht nimmt mit ihrer Bedeutung ZU.
4.
Sozio6konomische Unterschiede in der Nutzung der Medien verlieren im Falle von ,major events' an Bedeutung (vgl. Hill/Bonjean 1964, S. 342).
Ft~r das Zutreffen der Nachrichtenwert-Hypothese spricht, dass 97,8% der Amerikaner von der Enzyklika Papst Pauls VI. aus dem Jahr 1967 t~ber die Medien erfuhren, lediglich 2,2% nannten das Gespr~ich als erste Informationsquelle (vgl. Renckstorf 1970, S. 324). Renckstorf gelangt daher zu der folgenden Schlussfolgerung: ,,FOr den Diffusionsprozel3 (von wichtigen) Botschaften der Medien kann die TSF-Hypothese [TSF = Two Step Flow, Anm. d. Verf.)] (heute) keine praktische Relevanz mehr beanspruchen. Die Bedeutung interpersoneller Kommunikation kann - heute - nicht mehr im >Relaying< von Information gesehen werden." (Renckstorf 1970, S. 325) Zugleich muss die Anschlussfrage gestellt werden, ob die angefahrten Smdien generell dazu geeignet sind, die Hypothese vom Zwei-Stufen-Fluss der Kommunikation zu falsifizieren. Es sind insbesondere zwei Einw~inde, die hier genannt werden mt~ssen: Die Zwei-Stufen-Fluss-Hypothese l~isst sich nur im Falle einer strengen Orientierung am ursprfinglichen Wortlaut als widerlegt betrachten, wenn Rezipienten Informationen direkt von den Massenmedien erhalten haben. Es geht aber um mehr 34 Zur Diffusion von Gerfichten siehe insbesondere die frahe Arbeit von Allport/Postman 1947 sowie Buckner 1965 und die empirische Analyse von Lauf 1990.
128
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
als die Frage, wann verschiedene BevOlkerungsgmppen ein Ereignis erstmals zur Kenntnis nehmen. Die Konzentration der ,News Diffusion'-Studien auf bedeutende Geschehnisse marginalisiert zudem den Einfluss von Merkmalen, die gerade far das Ph~inomen der Meinungsfahrerschaft konstimtiv sind, beispielsweise das politische Interesse. Untersuchungen zur Verbreitung von Nachrichten sind seit den 1980er Jahren seltener geworden (siehe die lJbersicht bei Rogers 2000, insb. S. 566). Die Annahmen von Hill und Bonjean (siehe oben) erfuhren insofern eine Erg~inzung, als der Anteil der interpersonalen Kommunikation auch im Falle von Ereignissen mit geringer Bedeutung als hoch eingesch~itzt wurde. H~iufig handelte es sich um ad hocStudien, die infolge der lJberraschung durch das jeweilige Ereignis im unmittelbaren Anschluss durchgefahrt wurden und in der Regel auf sehr kleinen Stichproben beruhten. Da~ber hinaus ist der Anlass in vielen FNlen mit pers6nlichen Schicksalen und dramatischen Ereignissen verbunden (zum Beispiel die Attentate auf den ehemaligen amerikanischen Pr~isidenten Ronald Reagan am 30. M~irz 1981 und auf Papst Johannes Paul II. am 13. Mai 1981 (vgl. den 121berblick bei DeFleur 1987), die Challenger-Katastrophe (vgl. Kubey/Peluso 1990) oder die Terroranschl~ige am 11. September 2001 (vgl. Emmer u.a. 2002). Es ist dieser Ereignischarakter, der Rogers von einer ,,firehouse nature of news event diffusion research" (Rogers 2000, S. 569) sprechen l~isst. Ein relativ umfassendes Forschungsprogramm ist dagegen im Anschluss an die Ermordung des schwedischen Ministerpr~isidenten Olof Palme initiiert worden. In zw61f L~indem fanden Befragungen statt, die die Verbreitung dieser Nachricht zu rekonstruieren versuchten. Die Untersuchung konnte weitgehend best~itigen, dass aufgrund der Bedeutung des Ereignisses die Diffusionsrate relativ hoch war. Der interpersonalen Kommunikation kam insbesondere in den skandinavischen L~indem eine gr613ere Bedeutung zu, in den USA betrug der Wert 0%. Der Tageszeitpunkt des Ereignisses (sp~iter Freitagabend) begt~nstigte in einigen L~indem einen Vorsprung des Radios gegent~ber anderen Quellen. In Deutschland beispielsweise nannten 46% der Befragten das Radio, 21% das Fernsehen und 9% die Tageszeitung. Auch die geografische Distanz des jeweiligen Landes zu dem Ereignisland Schweden war far die Diffusion der Nachricht bedeutsam. In den USA hatten innerhalb eines Zeitraums von 2 89 Tagen nur 60% der Bev61kerung die Nachricht t~ber unterschiedliche Quellen wahrgenommen, in Japan lag der Wert zwischen 80% und 90%. Somit macht sich hier auch ein unterschiedliches Interesse an internationalen Nachrichten bemerkbar (vgl. zusammenfassend zu diesen Ergebnissen Rosengren 1987). Die Kennmisnahme des Attentats markiert allenfalls eine Momentaufnahme der tats~ichlichen Kommunikation. Rosengren spricht von ,,post-learned activities" (Rosengren 1987, S. 237) und zitiert zur Illustration aus einem Forschungsbericht, den Kepplinger u.a. auf der Basis der Analyse far Deutschland vorgelegt hatten: ,,Respondents did not only learn the facts. They reacted emotionally. They specu-
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
129
lated about motives, looked for further information and engaged in conversation about the murder of Palme. Thus, the news had learning effects, emotional effects, intellectual effects and behavioural effects. Taken together these effects indicate that the rate of diffusion, described by a curve of diffusion, falls far behind an adequate picture of what really happened with the respondents who learned about the assassination." (zit. nach Rosengren 1987, S. 237) Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Diffusionsstudien, dass die interpersonale Kommunikation ffir die Vermittlung massenmedial verbreiteter Nachrichten nur eine geringe Bedeutung besitzt. Lediglich in den Ausnahmef'~illen herausragender Ereignisse kann die interpersonale Kommunikation ann~ihemd den Anteil der Massenmedien am Diffusionsprozess erreichen (vgl. auch die Untersuchung von van der Voort et al. 1992). Mit Rogers l~isst sich zusammenfassend feststellen: ,,What have we learned over the past five decades from news event diffusion research? The general picture that emerges is one of the mass media playing a key role in diffusing a news story. The media, especially the broadcast media, rather immediately reach certain members of the audience, who then, to a degree depending on the perceived salience of the news event, diffuse this news via interpersonal channels to their members of the public. The news event diffusion process varies, research shows, depending (1) on the perceived salience of the news event, and (2) its time-of-day and day-of-the-week, which determine the proportion of individuals at home or at work, and hence the proportion of interpersonal diffusion, and the speed of this process." (Rogers 200Q, s. 572) Abbildung 5.4
Modifiziertes Modell des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation
stuf
// ;s,.,e //
Quelle: Renckstorf1970, S. 325
130
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
Zur Beeinflussungs- und Verstiirkungsfunktion der Meinungsfiihrer: Zun~ichst sei daran erinnert, dass Modelle in der Wissenschaft der Systematisierung und Orientierung dienen. Sie stellen in vereinfachter Form Sachverhalte oder Prozessabl~iufe dar. Zugleich dienen diese Vorgaben als Grundlage far Beobachtungen in der Wirklichkeit. Das Modell des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation verdichtet Vorg~inge, yon denen die Pioniere dieser Forschungstradition wussten, dass sie dutch ein Geben und Nehmen gekennzeichnet sind und h~iufig sehr allt~igliche Aspekte behandeln. Eine sehr lineare bzw. chronologische Interpretation dieses Modells schr~inkt dessen Bedeutung ein. Dies gilt auch far die Beantwortung der Frage, wie sich unterschiedliche Formen der Beeinflussung realisieren. In diesem Zusammenhang wird insbesondere der Aspekt er6rtert, wem die Initiative zur Entstehung dyadischer Einflussketten zugeschrieben werden muss. Gesttitzt auf die Ergebnisse zur Relaisfunktion der Meinungsfahrer prasentierte Troldahl ein ,Two-Cycle-Flow'-Modell, das zwei Zyklen der Beeinflussung und einen einstufigen Informationsfluss unterscheidet: Die Aussagen der Massenkommunikation erreichen in der Regel ohne Zwischenschaltung einer weiteren Vermittlungsinstanz die Rezipienten. Meinungsfahrung wird dann relevant, wenn diese Aussagen nach erg~inzenden Erl~iuterungen verlangen bzw. beim jeweiligen Rezipienten ein Gefahl der Unsicherheit hinterlassen. Troldahl sttitzt sich in seinen lSlberlegungen insbesondere auf die Balance-Theorien. Diese Theorien unterstellen Personen ein Bedtirfnis nach einem inneren Gleichgewicht. Wenn ein solches Ungleichgewicht empfunden wird, dient die Aufnahme weiterer Informationen der Wiederherstellung bzw. Reduzierung dieser Inkonsistenz 35. Troldahl schrieb hierzu: ,,However, the two-step-flow ist expected to operate only when a person is exposed to mass media content that is inconsistent with his present predispositions. In such cases, that person seeks his opinion leader. Opinion leaders are expected to seek out professional intermediaries for advice more often than followers will." (Troldahl 1966, S. 613) Das Zitat verdeutlicht zugleich die Integration des ,multi-step-flow of communication' in das vorgeschlagene Modell. Nicht nur die ,follower', sondern auch die Meinungsfahrer selbst wenden sich in bestimmten Situationen an Experten, die ihr Interesse nach pr~iziseren Informationen befriedigen kOnnen. Da sich die ,follower' in der Regel aber nicht direkt an Experten wenden, kommt der Informiertheit des Meinungsfahrers eine besondere Bedeutung zu: Seine Position im Netzwerk sozialer Beziehungen baut auf seinem Informationsvorsprung auf und diejenigen, die ihn konsultieren, messen seinen Status an dieser Erwartung. Die ,follower' sind somit im Hinblick auf ihr Informationsverhalten eher inaktiv und setzen auf die Kompetenzen Dritter. Das Modell beschreibt eine Art Arbeitsteilung, die auf verschiedenen Ebenen anzusiedeln ist. Ftir den Meinungsfahrer ist das Urteil des Experten wichtig, far die ,Gefolgschaft' das Urteil des Meinungsfahrers. -
35Siehehierzu auch die Ausffihrungen in Kapitel 3.
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
131
Dieses anspruchsvolle Modell wurde im Rahmen einer kleineren empirischen Untersuchung analysiert. Die strenge Orientierung an den Modellannahmen ffihrte dazu, dass die von Troldahl ausgew~ihlte Ausgangsstichprobe im Zuge einer Beachtung der erforderlichen Bedingungen immer kleiner wurde. Die von ihm als Feldexperiment bezeichnete Untersuchung fand in der N~ihe von Boston statt. Troldahl konnte auf zwei zus~itzlichen Seiten einer landwirtschaftlichen Fachzeitschrift sechs Artikel mit Themen zur Pfllanzenpflege platzieren. Darfiber hinaus konnte er manipulieren, welche Abonnenten die Zeitung mit den zus~itzlichen Artikeln und welche Abonnenten die normale Ausgabe der Zeimng erhielten. Damit standen ihm eine Experimental- und eine Kontrollgruppe zur Verfiigung. Meinungsffihrer wurden mit Hilfe eines Selbsteinsch~itzungsverfahrens bestimmt und das Interesse am Thema vorab ermittelt. Die Konzentration auf die Abonnenten dieser Fachzeitschrift diente als hinreichende Gewissheit dafter, dass alle Untersuchungsteilnehmer von den Aussagen dieses Mediums erreicht wurden (einstufiger Informationsfluss). Eine geringe Aussch6pfungsquote im Rahmen der Nachhermessung (lediglich 55% beteiligten sich an der Vorher- und Nachhermessung) reduzierte den Stichprobenumfang deutlich. Hinzu kam, dass eine Uberprfifung des Modells nur in solchen FNlen gew~hrleistet sein konnte, wo eine Dyade zwischen dem Meinungsffihrer und einem Mitglied seiner Gefolgschaft vorlag. Beide mussten die entsprechenden Artikel gelesen haben, damit es fiberhaupt zu einer potentiellen Nachfrage bzw. zur Beseitigung einer m6glicherweise entstandenen Inkonsistenz kommen konnte. Letztlich stfitzte sich die Analyse von Troldahl auf 44 ,opinion leader' und 44 ,follower'. Generell konnte festgestellt werden, dass fiberall dort, wo Gespr~iche fiber das jeweilige Thema stattgefunden hatten oder Ratschl~ige eingeholt wurden, h~iufiger eine positive Meinungs~indemng auftrat. Aufgrund der geringen Fallzahl aber waren Aussagen bezfiglich einer statistischen Signifikanz nicht m6glich, so dass Troldahl zu der Schlussfolgerung gelangte: ,,This suggests that there was a trace of personal influence, but not enough to be detected reliably by the size and design of this study." (Troldahl 1966, S. 621) Insgesamt ist daher in erster Linie der theoretische Beitrag zu beachten, der mit einer Ausweitung des Grundmodells einher ging (vgl. die Zusammenfassung in Abbildung 5.5 aufS. 133). In Zusammenarbeit mit van Dam ffihrte Troldahl darfiber hinaus eine kleinere Untersuchung zu Kommunikationsprozessen fiber ,,major topics in the news" (Troldahl/ van Dam 1965, S. 626) durch. Auf die methodischen Besonderheiten dieser Studie soll hier nicht n~iher eingegangen werden. Bezfiglich der Bestimmung von Meinungsftihrem leistete die Analyse keinen innovativen Beitrag. Sie stfitzte sich auf vorliegende Operationalisierungen, best~irkte aber insbesondere die von Katz und Lazarsfeld beschriebene Vorstellung eines Gebens und Nehmens (siehe Abschnitt 5.1 in diesem Kapitel). Die Annahme, dass Meinungsffihrer eine Relaisfunktion zu den weniger aktiven Teilen der Bev61kerung fibernehmen, wird insofern modifiziert und erweitert, als neben die ,opinion givers' und ,opinion askers' die
132
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
Gruppe der ,inactives' gestellt wird. Hinsichtlich Letzterer ergab sich ein niedriger sozio6konomischer Status, der einherging mit einem unterdurchschnittlichen Informationsniveau und einer geringen sozialen Integration. Sie repr~isentierten 63% der Stichprobe, 20% wurden als ,opinion givers' und 17% als ,opinion askers' bezeichnet. Troldahl und van Dam schlussfolgerten, dass der weniger aktive Teil der Bev61kerung sich weitgehend dem Kommunikationsprozess entzieht, der mit dem ZweiStufen-Fluss-Konzept beschrieben wird. Realistischer sei die Unterscheidung von zwei Gruppen, die sich hinsichtlich bestimmter Themen durch ein gleichgerichtetes Interesse auszeichnen und ihre diesbezfiglichen Meinungen austauschen. Hier t~bernehmen die Massenmedien die Initialfunktion ftir weitere Gespr~iche, w~ihrend fiir den sozial eher isolierten Teil der Bev61kerung die Massenmedien die einzige Informationsquelle darstellen. Sie werden auch von den Meinungsffihrern nicht erreicht. Ft~r den Meinungsaustausch zwischen den aktiveren Teilen der Bev61kerung wurde der Begriff ,opinion sharing' vorgeschlagen. In ihrem Fazit stellten die Autoren fest: ,,At the level of influence studied, opinion giving on public-affairs topics seemed to be reciprocal to a great extent. It seemed to be opinion sharing rather than opinion giving." (Troldahl/van Dam 1965, S. 633) Wenngleich zwischen den ,opinion givers', den ,opinion askers' und den ,inactives' eine Hierarchie bestehen bleibt, korrespondieren diese Befunde mit der Vorstellung einer horizontalen Meinungsffihrerschaft. Zugleich lassen sich diese Ergebnisse mit Beobachtungen der politischen Kommunikationsforschung verkntipfen, die unterschiedliche Formen des politischen Involvements beschrieben hat. Beispielhafi sei auf die Analysen von Milbrath und Goel verwiesen, die Gladiatoren mit hoher politischer Partizipation, Zuschauer, die unterschiedliche Formen der politischen Unterstfitzung einbringen und Apathische unterscheiden. F~r letztere stellten die Autoren fest: ,,The apathetics don't even watch the show." (Milbrath/Goel 1977, S. 11)36 Die Erweiterungen und Modifikationen k6nnen somit wie folgt zusammengefasst werden (vgl. Abbildung 5.5 auf der nachfolgenden Seite): 9 9
9
Das Zwei-Stufen-Fluss-Konzept wird kaum noch chronologisch interpretiert. Die Ausdifferenzierung des Modells vollzieht sich durch eine Erweiterung der zu berficksichtigenden Stufen von Information und Beeinflussung sowie durch eine Spezifizierung der Ratgeber- und Ratsucherseite. Diese Ausdifferenzierungen sind empirisch nicht gut untermauert. Meinungsfiihrerschaft bleibt an die Erwartung eines tiberdurchschnittlichen Informationsverhaltens und Kenntnisstands gebunden.
36 Auf das unterschiedliche Interesse an 6ffentlichen Angelegenheiten wird in Kapitel 9 noch detaillierter eingegangen.
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation Abbildung 5.5
133
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation: Modellannahmen im Uberblick
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Meinungsftihrer der Meinungsftihrer
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Stimulus
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Gefolgschaft
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Quelle" Eigene Erstellung Ungeachtet dieser Ausdifferenzierung der Meinungsfahrerforschung spiegelt sich in der Literatur nach wie vor eine Pr/~ferenz far Einfachversionen der Zwei-StufenFluss-Hypothese wider. Dies gilt insbesondere far den Bereich des Marketing und der Werbung, aber auch far viele Untersuchungen auf dem Gebiet der sozialwissenschaftlichen Diffusionsforschung. Hier manifestiert sich sowohl der Einfluss eines 6konomischen Forschungsverst/~ndnisses als auch der Pragmatismus einer anwendungsbezogenen Forschung, die nur gelegentlich auf methodische Verfeinemngen zur~ckgreift. Die nachfolgenden Ausfahmngen stellen diese methodischen Aspekte in den Vordergrund.
5.3
M e h r d i m e n s i o n a l e K o n z e p t e und N e t z w e r k a n a l y s e n
Ft~r die Bestimmung von Meinungsfahrern sind im Wesentlichen drei Verfahren von Bedeutung, die auch miteinander kombiniert werden kOnnen: 1) Selbsteinsch~itzungsverfahren 2) Inklusion von Fremdeinsch/~tzungen durch Befragung von Infor-
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Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
manten-Samples und 3) soziometrische Verfahren und Netzwerkanalysen. Das gelegentlich genannte Verfahren der Beobachtung wird nur sehr selten praktiziert. Die Liste relativ einfacher Verfahren zur Ermittlung von Meinungsfahrern ist lang und die immer wiederkehrende Kritik bekannt: Ein Kommunikationsfluss wird unerstellt, aber nicht wirklich gemessen. Auch die Anzahl der Kriterien, die erfallt sein mt~ssen, um als Meinungsfahrer zu gelten, variiert von Untersuchung zu Untersuchung. W~ihrend in einigen FNlen zustimmende Aussagen zu einer oder zwei Fragen ausreichend sind, sind verschiedene Skalierungsverfahren entwickelt worden, zum Beispiel die ,Self-Designating-Opinion-Leadership-Scale' von Rogers und Cartano, die sich aus sechs Einzelfragen zusammensetzt (Rogers/Cartano 1962, S. 439f.). In dieser Tradition der mehrdimensional konzipierten Selbsteinsch~itzungsverfahren steht auch ein Messinstrument, das vom Instimt far Demoskopie Aliensbach entwickelt wurde. Dieses Messinstrument wird n~iher erl~iutert, da es den Kemgedanken von Meinungsfahrung gut vermittelt. Die Messskala repr~isentiert eine Neukombination von Aussagen, die in gleicher oder leicht modifizierter Form bereits in den 1950er Jahren in psychologischen und sozialpsychologischen Messinstrumenten Verwendung fanden (vgl. hierzu ausfahrlicher J~ickel 1990, S. 67ff.). Im Einzelnen werden folgende Merkmale miteinander kombiniert." 9 9 9 9 9 9 9
Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein Soziabilit~it, Gespr~ichsbereitschaft, Offenheit Soziale Anerkennung Die Bereitschaft, andere von der eigenen Meinung zu t~berzeugen Entscheidungsfreudigkeit Das subjektiv empfundene Gefahl, far andere als Vorbild zu dienen F~hrungsbereitschaft Aktivit~it
Umfangreiche methodische 0berprfifungen resultierten in einer Skala, die das Merkmal ,Pers6nlichkeitsst~irke' messen sollte. Die mit Hilfe dieser Skala gewonnenen Informationen informieren sowohl t~ber die Pers6nlichkeit an sich (Eigenschaften) als auch t~ber ihre Wirkung nach auBen. Warum der Begriff ,Pers6nlichkeitsst~irke' dem Begriff ,Meinungsfahrer' vorgezogen wurde, begrandete Noelle-Neumann wie folgt: ,,DAB es Menschen mit mehr oder weniger EinfluB gibt, nicht wegen ihres Status, sondern einfach aufgrund ihrer Wesensart, das wissen wir aus der Alltagsbeobachtung. Aber was das eigentlich ist und wie man das bezeichnen soll, damit tun wir uns schwer. Von ,Meinungsfahrem' m6chten wir einstweilen nicht sprechen, weil sich dieser Begriff allzu rasch wieder verbindet mit der Vorstellung vom hohen sozioOkonomischen Status. So sind wir bei dem Begriff ,Pers/Snlichkeitsst~irke' geblieben." (Noelle-Neumann 1983, S. 8) Die Querverbindungen zur Meinungsfahrerforschung sind gleichwohl offensichtlich. Entsprechend wird die
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
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Skala auch interpretiert. Pers6nlichkeitsst~irke gilt als eine generelle Anlage, die Meinungsffihrung wahrscheinlich macht. Meinungsffihrer kombinieren diese generelle Anlage mit einer Spezialisierung auf bestimmte Gebiete. Es geht nicht nur um pers6nlichen Einfluss, sondern auch um Ffihrungskraft und Ausstrahlung. Man k6nnte auch sagen: Der Kerngedanke des Meinungsffihrer-Konzepts wird durch damit korrelierende Merkmale erg~tnzt. Der Grundgedanke l~isst sich anhand des folgenden Ablaufs veranschaulichen: aktive Menschen ~ grol3er Bekanntenkreis Selbstbewusstsein ~ Ausstrahlung ~ Vorbild (siehe zum ursp~nglichen Aufbau der Skala die Ausffihrungen bei Noelle-Neumann 1983). Weimann hat eine Ieicht modifizierte Version dieser Skala in einer israelischen Untersuchung getestet. Er stellte fest: ,,Die Menschen, die eine zentrale Position im Kommunikationsnetz einnehmen, sind eindeutig auch diejenigen, die ein hohes Mal3 an Pers6nlichkeitsst~irke aufweisen [...]." (Weimann 1992, S. 95) Nach seiner Auffassung misst die Skala nicht nur Pers6nlichkeitseigenschaften, sondern auch die gesellschaftliche Position der jeweiligen Person. Auch er betont die Verbindung zur Meinungsffihrerforschung, indem er auf einen Kriterienkatalog von Elihu Katz Bezug nimmt und der Skala ,Pers6nlichkeitsst~irke' diese Multidimensionalit~it bescheinigt: ,,Laut Katz mtissen einflul3reiche Personen drei Bedingungen erfallen: (a) ,wer man ist', oder die Personifizierung bestimmter Werte; (b) ,was man weil3', oder die Kompetenz in bestimmten Bereichen; und (c) ,wen man kennt', oder strategische soziale Plazierung. Die PS-Skala steht in Verbindung mit allen drei Bedingungen: die nach dieser Skala als einflul3reich eingestuften Personen zeigten eine Kombination von pers6nlichen Merkmalen, Kompetenz und Positionierung im sozialen Netz." (Weimann 1992, S. 102) Schenk und R6ssler haben diese Skala ebenfalls eingesetzt und nennen ihren Beitrag ,,The Rediscovery of Opinion Leaders. An Application of the Personality Strength Scale" (Schenk~6ssler 1997). Zugleich verbinden sie die Skala mit den M6glichkeiten der modernen Netzwerkanalyse. Die Studie best~itigt das tiberdurchschnittliche Informationsverhalten der Meinungsffihrer sowie ihr damit einhergehendes Wissen t~ber eine Vielzahl 6ffentlicher Angelegenheiten. Pers6nlichkeitsst~irke steht insbesondere im positiven Zusammenhang mit der Gr613e des eigenen Netzwerks und der H~iufigkeit interpersonaler Kommunikation fiber bestimmte Themen (vgl. Schenk/R6ssler 1997, S. 17). Pers6nlichkeitsstarke Menschen sind resistenter gegent~ber Umwelteinfltissen, wissen zugleich aber die 6ffentliche Meinung gut einzusch~itzen (vgl. Schenk/R6ssler 1997, S. 20ff.). Die Netzwerkanalyse hat jedoch nicht nur dazu beigetragen, bereits bekannte Befunde zu best~itigen, sondern auch den Blick auf neue und weniger vertraute Ph~inomene gelenkt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf eine weitere Analyse von Weimann zu verweisen, die eine sehr detaillierte Beschreibung der interpersonalen Kommunikation in einem israelischen Kibbuz vermittelt. Die Besonderheit dieser Studie besteht nicht nur darin, soziale Beziehungen eines bestimmten Typs zu identifizieren, sondern den Aspekt der interpersonalen Kommunikation t~ber die
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Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
Gruppengrenzen hinaus zu erweitern. Weimann adaptiert zu diesem Zweck die von Granovetter eingeffihrte Unterscheidung von ,strong ties' und ,weak ties' (vgl. Granovetter 1973, S. 1360). Diese Differenzierung illustriert, dass die Beziehungen zu Freunden, Bekannten und Kollegen auch nach der St~irke bzw. Intensit~it und Regelm~il3igkeit beurteilt werden k6nnen. Starke und intensive Verbindungen gehen in der Regel einher mit der Entwicklung eines homogenen Kommunikationsmilieus, in dem ein Grogteil der Kommunikation auf Gemeinsamkeiten beruht. Die Wahrscheinlichkeit, dass aus dieser Gruppe heraus neue Impulse und Ideen entstehen, ist gering. Schwache Beziehungen hingegen ftihren dazu, dass man mit Erfahrungen, Einstellungen und Meinungen konfrontiert wird, die innerhalb eines homogenen Kommunikationsmilieus seltener oder nie thematisiert werden. Zugleich er6ffnet sich damit eine M6glichkeit, Meinungsftihrerschaft tiber Gruppengrenzen hinweg analysieren zu k6nnen. Schwache Beziehungen werden insbesondere von Personen unterhalten, die in der Gruppe, der sie zugerechnet werden, eher eine randst~indige Position einnehmen. Sie erweitem den Wirkungsradius von Kommunikation. Weimann konnte nachweisen, dass die sogenannten Marginalen die Vorteile schwacher Beziehungen intensiver nutzen, ihre Beziehungen innerhalb der Gruppe sind dartiber hinaus eher durch Intransivit~it gekennzeichnet. Intransivit~it bedeutet: Wenn Person A mit Person B in Beziehung steht, und Person B mit Person C, dann muss Person A nicht mit Person C in Beziehung stehen. Weimann betrachtete den Kommunikationsfluss in verschiedenen sozialen Netzen und gab dazu mehrere Themen vor: Es ging um Gertichte, um allgemeine Nachrichten und um Produktinformationen (vgl. hierzu ausftihrlich Weimann 1982, S. 766ff.). Alle Mitglieder des Kibbuz wurden befragt und darauf aufbauend ein umfassendes Soziogramm erstellt, anhand dessen man sogenannte ,Centrals' (Personen mit einer bedeutenden Position in einem sozialen Netzwerk) und ,Marginals' (randst~indige Personen) ermitteln konnte. Aus den sehr detaillierten Darstellungen wird hier eine Ergebnisdarstellung herausgegriffen und n~iher kommentiert (vgl. Tabelle 5.1). Die Tabelle ist wie folgt aufgebaut: Im oberen Teil werden ausschlieglich Intragruppenbeziehungen abgebildet, im unteren Teil die Intergruppenbeziehungen. Der linke Teil der Tabelle fasst Beziehungen zusammen, die von den ,Centrals' ausgehen, der rechte Teil der Tabelle Kommunikation, die durch ,Marginals' initiiert wird. Es handelt sich jeweils um Prozentzahlen, die wie folgt zu lesen sind: Der Wert 11,72 in der ersten Spalte bedeutet, dass 11,72% der Gespr~iche tiber ein Gerticht zwischen Personen stattgefunden haben, die als Meinungsffihrer bezeichnet werden k6nnen. Die unterste Zahl in der ffinften Spalte bedeutet, dass 46,23% aller Gespr~iche zwischen randst~indigen Personen (,marginals') tiber eine Verbraucherinformation geffihrt wurden. Wichtig ist hierbei, dass die Gespr~ichsteilnehmer unterschiedlichen Gruppen angeh6rten.
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation Tabelle 5.1
Informationsfluss in einem sozialen Netzwerk von "Centrals"
Kommunikation
...
Ger(~cht innerhalb der
Nachrichten
Gruppen
Produktinformation Gerecht
zwischen den
137
Nachrichten
Gruppen Produktinformation
Item
von "Marginals"
CzuC
CzuO
CzuM
Insg. vonC
11.72
24.63
15.76
52.11
2
9.83
22.76
16.72
1
4.81
39.73
24.57
2
5.01
26.24
26.11
1
MzuO
MzuC
Insg. von M
2.17
5.72
4.41
12.30
49.31
3.59
6.76
3.82
14.17
69.11
2.28
5.23
3.18
10.69
57.36
2.86
3.61
1.72
8.19 7.81
MzuM
1
8.12
41.31
28.88
78.31
2.16
3.52
2.13
2
12.78
46.82
17.87
77.47
2.67
2.54
3.01
8.22
1
2.32
5.67
3.74
11.73
36.16
8.22
3.93
48.31
2
2.19
6.85
4.12
13.16
35.53
10.63
5.76
51.92
1
4.31
5.62
4.89
14.82
49.03
9.83
3.50
62.36
2
3.62
6.84
5.65
16.11
52.37
7.23
7.11
66.71
1
5.62
6.39
3.61
15.62
48.31
12.86
4.28
65.45
2.37
12.38
46.23
18.80
6.79
71.82
2 4.13 5.88 Anmerkung: C=Centrals, O=Others, M=Marginals.
Quelle: Weimann 1982, S. 768 Hier soll insbesondere auf folgende Ergebnisse hingewiesen werden: 9
9
9
,Centrals' ~ben Einfluss auf den Informationsfluss innerhalb der Gruppe aus. ,Marginals' sind hingegen insbesondere t~r den Informationsfluss zwischen Gruppen zust~indig. Wt~rde es diese schwachen Relationen nicht geben, k~ime ein Austausch von Meinungen t~ber Gruppengrenzen hinweg kaum zustande. Zugleich wt~rden sich die potentiellen Einflussbereiche der Meinungsfahrer nur auf die engere Gefolgschaft reduzieren. Innerhalb der Gruppen findet zwischen den ,marginals' kaum ein Informationsaustausch statt. Aber: ,,[T]he ,marginals' serve as the importers of new information, [...]." (Weimann 1982, S. 769) Die Kommunikation innerhalb der Gruppen wird nicht durch einen Informationsaustausch von Meinungsfahrem zu Meinungsflihrem dominiert. Die Ergebnisse zeigen, dass innerhalb der Gruppen die Informationen von den Meinungsfahrem zu den t~brigen Gpappenmitgliedem fliel3en, wobei der Austausch mit der engeren Gefolgschaft (,others') h~iufiger stattfindet als mit den ,marginals', l)ber Gruppengrenzen hinweg findet zwischen ,marginals' und ,centrals' ebenso ein geringer Informationsaustausch statt, der in einigen F~illen dennoch ~iber dem entsprechenden Informationsaustausch innerhalb der Gruppen liegt (vgl. die vorletzte Spalte von Tabelle 5.1).
138 Abbildung 5.6
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation Visualisiemng Netzwerk
des
Informationsflusses
Gruppe 1
Gruppe 2
I Meinungsf0hrer
I Meinungsfehrer 1
I T
I
Marginale
einem
1 T~
MASSENMEDIEN~ebrigeMitglieder
Intragruppenbe ziehungen
in
ObrigeMitglieder1
sozialen
SSENMEDIEN
IT
vlarginale BrOckenfunktion
Quelle: Eigene Erstellung (in Anlehnung an Granovetter 1973 und Weimann 1982) Nach Weimann sollte daher das ursprfingliche Konzept des Zwei-Smfen-Flusses der Kommunikation auch andere Informationsressourcen beracksichtigen: ,,[...] thus adding a new horizontal step: ,marginal-to-marginal' intergroup bridges." (Weimann 1982, S. 769; vgl. Abbildung 5.6) Diese Ausdifferenzierung des Modells basiert auf einem umfangreichen und infolgedessen nicht leicht handhabbaren Instrument. Weimann verarbeitete 2.511 Nennungen von 270 Kibbuz-Mitgliedern, die 16 verschiedenen Gruppen zugeordnet wurden. Netzwerkanalysen dieser Art lassen sich in der Regel nur auf t~berschaubare Gruppen anwenden. Die Abbildung sozialer Beziehungen st6gt an Grenzen, wenn r~iumliche oder thematische Eingrenzungen der Fragestellung auf einen bestimmten Personenkreis nicht m6glich sind. Im Rahmen von Repr~isentativbefragungen werden daher sogenannte ,ego-zentrierte' Netzwerkverfahren eingesetzt. Der Befragte dient in diesem Falle als Informant t~ber sein pers6nliches soziales Netzwerk. Er wird zum Beispiel gebeten, die St~irke der Beziehung zu anderen Personen zu benennen sowie weitere Merkmale (Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Beruf etc.) anzugeben. Mit Hilfe dieser ,Netzwerk-Generatoren' sollen ,individuelle Umwelten' beschrieben werden. Insbesondere Schenk hat diese Methode aufgegriffen und in mehreren Untersuchungen eingesetzt. Er ermittelte Informationen zur Gr6ge von Netzwerken, zur Intensit~it der Beziehungen sowie zur Homogenit~it bzw. Heteroge-
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
139
nit~it der jeweiligen sozialen Kontakte. Eine im Jahr 1990 durchgefahrte Analyse behandelte beispielsweise die l)bersiedlerproblematik im Zuge der deutschdeutschen Wiedervereinigung. Es stand die Frage im Vordergrund, inwiefern die Meinungen innerhalb der sozialen Netze t~bereinstimmten oder divergierten. Schenk stellte fest, dass aberwiegend homogene Netze vorliegen. Dabei scheint der allgemeinen Bildung eine zentrale Bedeutung far das Zustandekommen von Netzen zuzukommen: ,,Personen tendieren dazu, am ehesten mit Personen zu kommunizieren, die ihnen hinsichtlich sozialer oder politischer Merkmale ~ihnlich sind." (Schenk 1994, S. 151) Die Erstinformationen fiber das Thema ,Wiedervereinigung' erhielt man fast ausschliel31ich t~ber die Medien und diskutierte sie anschlieBend innerhalb verschiedener Gespr~ichskreise. Gemessen an den Aussagen der Befragten lag in sechs von zehn FNlen eine vollkommene Obereinstimmung der Meinungen vor. Eine teilweise Nachbefragung der genannten Personen fahrte jedoch lediglich zu einer mittleren 121bereinstimmung mit den von ,Ego' genannten Informationen. Auch hier werden noch einmal die Grenzen des methodischen Verfahrens sichtbar 37. Ft~r ein hierarchisches VerhNtnis von Meinungsft~hrem und ihrer Gefolgschaft findet Schenk in dieser Untersuchung nur wenige Belege. Nach seiner Auffassung l~isst sich die Kommunikation t~ber die untersuchten Ereignisse am besten wie folgt beschreiben: ,,Das wechselseitige Austauschen von Meinungen zu akmellen politischen Themen, wie denen der deutsch-deutschen Wiedervereinigung, kennzeichnet am besten die interpersonale Kommunikation in den Netzwerken des Alltags. Einseitige, asymmetrische Meinungsf't:hrung ist deutlich seltener." (Schenk 1994, S. 154) Die relativ hohe Homogenit~it der Netze weist nach Schenk darfiber hinaus auf eine noch intakte Schutzschildfunktion der prim~iren Milieus hin, die einen deutlichen Medieneinfluss begrenzen k6nnen (vgl. Schenk 1994, S. 156). In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Vorschlag aus dem Feld der Netzwerkanalyse von Bedeumng. Nach Burt sollte man Meinungsfahrer treffender als Meinungsvermittler (,,opinion broker") bezeichnen. Sie transportieren Informationen t~ber die sozialen Grenzen von Gruppen hinweg. Burt s~tzt sich in seinen theoretischen Oberlegungen ebenfalls auf die Brackenfunktion, die Granovetter identifiziert hatte und Weimann zu entsprechenden Analysen inspirierte (siehe oben, erg~inzend auch die Analyse von Roch 2005). Ihre Position kann eine randst~indige sein und wirkt st~irker zwischen als innerhalb von Gruppen. Dies fahrt Burt auf Aquivalenzrelationen innerhalb der Gruppen zurack. Es existieren somit zwei Mechanismen, die einen Informationsfluss gew~ihrleisten: Der Kontakt zwischen Meinungsvermittlern verschafft Zugang zu neuen Informationen, die dann innerhalb von Gruppen diffundieren (vgl. Burt 1999, insb. S. 46ff.). Auch hier k6nnte eine Schutzschildfunktion relevant werden. R6ssler und Scharfenberg konnten am Beispiel der Kommunikation t~ber zeitgen6ssische Musik zeigen, dass solche Bracken auch innerhalb yon 37 Siehe auch die Ausfahrungen zur Decatur Study in Abschnitt 5.1 dieses Kapitels.
140
Massenkommunikation und interpersonale Kommunikation
Schulklassen, z.B. innerhalb der Gruppe der M~idchen, beobachtet werden k6nnen (vgl. 2004, S. 508). Trotz zahlreicher Erweiterungen und Modifikationen werden somit auch im Bereich der Meinungsfiihrerforschung immer wieder Hinweise auf die Pionierphase der Forschung erkennbar. Die Hauptaufgabe der wissenschaftlichen Beobachtung besteht nach wie vor darin, eine angemessene Rekonstruktion des Kommunikationsalltags zu vermitteln. Diese Zielsetzung wird die Meinungsfiihrerforschung weiterhin bestimmen: ,,The opinion leaders concept, changed, modified, and remodified, is still a living, developing, and promising idea [...] The concept of the opinion leaders, born a half century ago, had its golden days, its challenges, and decline. It survived, mainly through growing sophistication and constant modifications." (Weimann 1994, S. 286; siehe auch J~ickel 2001) Angesichts einer Zunahme der Medienpr~isenz im Alltag bleibt die unter anderem von Troldahl und van Dam aufgeworfene Frage virulent, wie hoch der Anteil der Bev61kerung ist, der in diese Kommunikationsnetze eingebunden ist. FOr die zunehmende Durchdringung des Alltags durch Medienangebote ist mittlerweile der Begriff ,Mediatisierung' gepr~igt worden 38. Infolge dieser Dominanz der Medien ist zu fragen, ob Personen, die diese Gruppenintegration nicht aufweisen, in starkem Mal3e ihre Meinungen und Auffassungen von ,,virtuellen Meinungsfahrern" (Merten 1994b, S. 317) tibernehmen. Die Theorie der Meinungsfiihrerschaft w~ire dann nicht nur ein Beitrag zum Nachweis begrenzter Medieneffekte, sondern auch eine Theorie mit begrenzter Reichweite. Da diese virtuellen Meinungsft~hrer aus den Medien selbst stammen, wird der Entdeckungszusammenhang der Two-Step-Flow-Hypothese - t~berspitzt formuliert - auf den Kopf gestellt. Wenn die einflussreichen Personen in den Medien das Wort fahren, seien es Politiker oder Journalisten, dann ist von publizistischen Meinungsft~hrern zu sprechen, die gegent~ber allen nachfolgenden Einflussinstanzen zun~ichst einmal vorgeben, was es gegebenenfalls zu kommentieren, kritisieren, diskutieren gilt. Pfetsch konnte im Rahmen einer Analyse von Kommentaren in t~berregionalen Presserzeugnissen zeigen, dass es Meinungsffihrermedien gibt, die sich gegenseitig sehr intensiv wahrnehmen (vgl. Pfetsch u.a. 2004, S. 71). Dan-lit best~itigt sich, dass der Journalismus sein eigenes und bestes Publikum ist (siehe hierzu auch die Arbeit von Reinemann 2003). Dort aber ist der Ursprung der Meinungsfiihrerforschung nicht anzusiedeln. Gedacht wurde prim~ir an den Informationsfluss in nichtprofessionalisierten Kontexten.
3sSiehe hierzu insbesonderedie Ausf'tihrungenin Kapitel 8.
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Katz, Elihu; Lazarsfeld, Paul Felix (1962): Pers6nlicher Einflul3 und Meinungsbildung. [Aus d. Amerik.]. Wien. Rogers, Everett M. (2000): Reflections on News Event Diffusion Research. In: Journalism & Mass Communication Quarterly 77, No. 3, S. 561-576. Schenk Michael (1984): Soziale Netzwerke und Kommunikation. Ttibingen. (Heidelberger Sociologica, Bd. 20). Weimann, Gabriel (1994): The Influentials. People who Influence People. Albany.
6
Die Glaubwiirdigkeit der Medien
6.1 Der Ursprung der Persuasionsforschung Vertrauen auf die Probe zu stellen ist eine bekannte soziale Erscheinung. In Verbindung mit Medienberichterstattung haben Experimente mit der Wahrheit eine lange Tradition. Versteckte Aprilscherze im Nachrichtenfluss des Alltags sind nur ein Beispiel far das Spiel mit symbolischen Ausdrucksformen, die t~berzeugend wirken wollen. Nach ihrer Entlarvung werden Rezipienten zumindest vo~bergehend daran erinnert, dass ,news and truth' auseinandergehalten werden mt~ssen. Da~ber hinaus ist aus Alltagserfahrungen bekannt, dass die Art und Weise, wie bestimmte Personen ihre Ansichten vertreten, nicht ohne Wirkung auf die Beurteilung ihrer Glaubw(irdigkeit bleibt. Eine Person mag noch so kompetent sein - ohne diese Glaubw(irdigkeit bleibt ihr Wirkungsradius begrenzt. Damit eine bestimmte Auffassung die Zustimmung und Anerkennung einer Vielzahl von Personen erf'~rt, ist die pers6nliche Artikulation dieser Meinungen nicht unbedingt erforderlich. Gelegentlich gen%en auch Hinweise auf formale Kriterien (berufliche oder akademische Qualifikation) und/oder die konsequente Umsetzung einer Pr~isentationstechnik, die Sachverstand anzeigt. Diese allgemeinen Hinweise sind geeignet, um auf einen Aspekt hinzuweisen, der auch far die Glaubw~rdigkeit der Medien bedeutsam ist. Zu den amt~santen und beunruhigenden Begleiterscheinungen der Medienberichterstattung z~ihlt, dass im Alltagsgesch~ift der Nachrichtenproduktion und -rezeption immer wieder Experimente mit der Wahrheit stattfinden, die das Vertrauen in die jeweilige Nachricht auf die Probe stellen. Nachfolgend werden zwei Artikel wiedergegeben: Der erste beschreibt ein Ereignis, der zweite korrigiert die Meldung (siehe zu weiteren Beispielen auch Sauter 1998).
,,Fliegende" Kuh versenkt japanisches Fischerboot ,,[...] Im Ochotskischen Meer bei der Insel Sachalin ist eine Kuh vom Himmel gefallen und hat beim Aufprall ein japanisches Fischerboot versenkt. Das geht aus einer vertraulichen Meldung der deutschen Botschaft in Moskau ans Ausw~rtige Amt hervor, von der die ,Hamburger Morgenpost' (Montagausgabe) berichtete. Die Begebenheit wurde vom Moskauer Verkehrsreferenten der Vertretung als Beispiel for den desolaten Zustand der Flugsicherheit in Rul~land geschildert.
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Die Glaubw~rdigkeit der Medien Dem Bericht zufolge hatten russische Soldaten eine Herde K0he gestohlen und woliten sie mit einem Transportflugzeug wegschaffen- eine Art des Diebstahls, die in Sibirien offenbar nicht un(~blich ist. Die Soldaten vers~umten es jedoch, die Tiere im Flugzeug anzubinden. AIs die K0he begannen, im Bauch der Maschine unruhig zu werden, wurde auch das Flugzeug instabil, so dal~ die Besatzung keine andere MSglichkeit sah, als sie durch die grol~e Heckklappe hinauszutreiben. Wie es der Zufall wollte, fiel eines der Tiere auf ein japanisches Fischerboot, das dem Aufprall nicht standhielt. Die Fischer wurden zwar unverletzt aus ihrer Not gerettet - anschliel~end aber festgenommen, weil man ihren Aussagen nicht glaubte. Daraufhin 0berpr0ften die russischen BehSrden die Angaben und fanden heraus, dal~ sie stimmten." (N.N., 29.4.1997, S. 13)
Die Kuh, die eine Ente war
,,[...] Ein, zwei Tage lang hatten fliegende K0he den Himmel im Fernen Osten bevSIkert. Die Tiere seien von russischen Soldaten erst gestohlen, dann in einem Flugzeug verstaut und schliel~lich wieder abgeworfen worden, nachdem sie das Flugzeug mit ihrem ungeb~rdigen Benehmen ins Trudeln gebracht h~tten. Eine von ihnen, so hiel~ es weiter, habe im Fallen gar ein japanisches Fischerboot getroffen und zum Kentern gebracht. Die Zeitungen ergStzten ihre Leser mit diesem ungewShnlichen Himmelssturz, und auch das Fernsehen brachte die Nachricht unter die Zuschauer. Die Welt, an allerlei 0berraschungen gewShnt, staunt kurz auf. Aber wieder einmal war eine Meldung zu schSn, um wahr zu sein. Schon bald war zu lesen und zu hSren, dal3 die M~r von den fliegenden K0hen aus dem Reich der Erfindung kam und auf verschlungenen Wegen in die Medien geraten war. Die Grundidee stammte offenbar aus einem beliebten russischen Film, eine russische Zeitung hatte das Ph~nomen in der Rubrik ,erfundene Begebenheiten' geschildert, und schlie~lich hatte sich das Ganze ins Internet verlaufen - und von da aus in die Deutsche Botschaft, die sie als ,internes Kuriosum' verbreitete. Die fliegenden K0he waren also in Wirklichkeit Zeitungsenten. Neue Nachforschungen haben eine andere Deutung wahrscheinlich gemacht: Es ist bekannt, dal~ Thomas von Aquin einmal von einem Freund mit dem Ausruf 0berrascht worden war: ,Sieh' mal, da fliegen Ochsen.' Thomas, so wird berichtet, schaute sich daraufhin so lange 0berall am Himmel um, bis sich der Freund vor Lachen nicht mehr zu halten wul~te. Und wie verhielt sich der heilige Thomas? Er sagte mit ernster Miene: ,Bruded Man mul~ leichter glauben, dal~ Ochsen fliegen, als dal~ ein christlicher Mund 10ge.' So also wird es wohl gewesen sein. Da hat sich jemand einen Witz geleistet. Und alle, die reinen Herzens waren, haben daran geglaubt. Falls die Tiere in
Die Glaubwfirdigkeit der Medien
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der sch~Snen Geschichte um den heiligen Thomas wirklich Ochsen waren und nicht ebenfalls Zeitungsenten, Ifige hier auch eine Erkl~rung for das, was man inzwischen Medienrealit~t nennt: Eher glaubt man wohl, dal~ K0he fliegen, als dal~ ein Journalistenmund 10gt. Oder etwa nicht?" (N.N., 7.5.1997, S. 12)
Nicht immer waren es aufkl~irerische Impulse, die den Anlass zur Verbreimng entsprechender Nachrichten gaben. Der 6sterreichische Ingenieur Arthur Schfitz verband seine Experimente mit der Wahrheit jedoch mit diesem Anspruch. Ausgangspunkt seiner Aktivit~iten war die Ver~irgerung fiber die Berichterstattung einer 6sterreichischen Tageszeitung, die Naturereignisse, die sich in der N~ihe von Wien ereignet haben sollen, beschrieb. In einer Diskussion mit Kollegen und Freunden wurde der sogenannte ,Grubenhund' geboren, eine lose Folge von Artikeln, die mehr als eine schlichte Falschmeldung beinhalteten; sie sollten zugleich eine medienp~idagogische Mission erffillen. Explizit ging es um den Nachweis, dass die Wahrscheinlichkeit der Publikation eines Artikels steigt, wenn bestimmte Kriterien erfiillt sind. Schfitz meinte: ,,Auf den Ton k~ime es an! Sobald ein Bericht im Gewande der Wissenschaft schillere und von einem gut klingenden Namen gezeichnet sei, so wie er den ausgefahrenen Gedankenbahnen des Publikums und der Mentalit~it des Blattes entspreche, werde er aufgenommen [...]." (Schfitz 1996 [zuerst 1931], S. 39) Die mit dieser Aul3emng verbundene Wette wurde von Schfitz gewonnen. In der Folgezeit gelang es ihm zu einer Vielzahl vorwiegend technischer Themen Artikel zu platzieren, die mit der Wirklichkeit wenig gemeinsam hatten, aber in ihrer Machart fiberzeugend klangen und infolgedessen auch publiziert wurden (siehe zur Einordnung dieser Experimente auch H6mberg 1996 und Wagner 1996). Obwohl das Beispiel aus Osterreich bereits einige Glaubwfirdigkeitsfaktoren benennt, war es nicht diese Wette aus dem Jahr 1911, die heute in der Literamr als die Geburtsstunde der Glaubwfirdigkeitsforschung genannt wird. Der Darstellung von Lowery und DeFleur zufolge erhielt die Persuasionsforschung ihre ersten Impulse durch ein dramatisches kriegerisches Ereignis. Es ereignete sich am 7. Dezember 1941. Die japanischen Luftstreitkr~ifte bombardierten an diesem Tag einen S~tzpunkt der amerikanischen Marine im Pazifik: Pearl Harbor. Ffir die amerikanische Bev61kemng bedeutete dieser l)berfall nicht nur eine Erschfitterung ihres Sicherheitsgefi~hls, sondern auch die direkte Konfrontation mit den Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs. ,,Turning citizens into soldiers" (Lowery/DeFleur 1995, S. 136) wurde zu einer zentralen Aufgabe der amerikanischen Politik. Um die Motivation und Moral der Bev61kerung zu st~irken, bediente sich die amerikanische Armee von Beginn an der Hilfe von Psychologen und Soziologen. Ein wichtiger Bestandteil in den Trainingsprogrammen der Armee spielten dabei Filme fiber den Ursprung und den bisherigen Verlauf des Zweiten Weltkriegs. Diese Filme wurden als die ,Why
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Die Glaubwfirdigkeit der Medien
We Fight'-Filme bezeichnet. Die Zielsetzung dieses Programms umschrieb der amerikanische General George C. Marshall im Jahr 1942 gegent~ber dem Filmproduzenten Frank Capra wie folgt: ,,Now Capra, I want to nail down with you a plan to make a series of documentary factual information films - the first in our history that will explain to our boys why we are fighting and the principals for which we are fighting." (zit. nach Lowery/DeFleur 1995, S. 138) Vier der daraufhin entstandenen sieben 50-minfitigen Dokumentarfilme wurden in kommunikationswissenschaftlichen Experimenten eingesetzt. Sie waren Teil eines umfangreichen Forschungsprogramms, das unter dem Namen ,American Soldier Series' bekannt wurde. Auf systematischem Wege sollte in Erfahrung gebracht werden, ob und wie Menschen in ihren Einstellungen und Bewertungen bestimmter Sachverhalte beeinflusst werden k6nnen und inwieweit diese Ver~inderungen verhaltensrelevant sind. Fixiert auf die Kategorien ,Stimulus' und ,Response' konnte in einer Vielzahl von Studien auch nachgewiesen werden, dass die kontrollierte Beeinflussung eines Informationsflusses zu unter-schiedlichen Informationsniveaus ffihrt. Dieses (erwartbare) Ergebnis belegten beispielsweise Versuchsreihen, die den Film ,The Battle of Britain' einsetzten. Die Befragungen und Experimente fanden in Milit~ircamps und unter Ausschluss der Offiziere statt. Die zweimalige Befragung der Soldatengruppen wurde mit dem Hinweis auf eine 121berarbeitung des Fragebogens gerechtfertigt. Zwischen dieser Vorher- und Nachherbefragung wurde einem Teil der Soldaten ein Film gezeigt, der sich mit einem Ereignis des Zweiten Weltkriegs auseinander setzte. Es ging um den Angriff der deutschen Wehrmacht auf England. Die konsequente Umsetzung des experimentellen Verfahrens erbrachte den Nachweis, dass innerhalb der Filmgruppe der Kenntnisstand tiber den Erfolg bzw. Misserfolg dieser versuchten Invasion h6her war als in der Kontrollgruppe, die den Film nicht pr~isentiert bekam. Die Kenntnis des Films fiihrte da~ber hinaus zu einem Einstellungswandel gegenfiber bestimmten Ereignissen des Zweiten Weltkriegs. Je weiter sich aber die vermuteten Wirkungen von dem engeren Kontext des Films entfernten, desto geringer wurden die beobachteten Differenzen zwischen den Experimental- und Kontrollgruppen. Eine allgemeine Erh6hung der Motivation war ebenso wenig zu erkennen wie eine signifikante Einstellungs~inderung gegenfiber den britischen Alliierten. Nicht nur in dieser Hinsicht wurden Grenzen der Beeinflussung erkennbar. Je nach vorhandener Bildungsqualifikation variierte der beobachtbare Lernerfolg erheblich. Zugleich resultierten Meinungs~inderungen aus sehr unterschiedlichem Informationsverhalten. Von ,,informed opinion" (Hovland et al. 1949, S. 166) wurde dann gesprochen, wenn Personen mit hoher Bildungsqualifikation ihre Meinung aufgrund der Kenntnis sehr vieler Informationen ~inderten. Lag hingegen ,uninformed bzw. misinformed opinion' vor (vgl. Hovland et al. 1949, S. 166ff. und S. 190ff.), genfigten schon wenige Fakten, um eine Meinungs~inderung zu bewirken. Dies galt insbesondere ffir Personen mit einem niedrigen Bildungsniveau. Im Rahmen der Suche nach den ,Magic Keys of Persuasion' wies der Bildungsgrad
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aufUnterschiede in der Beeinflussbarkeit hin. Die Ermittlung dieser Faktoren wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in ausffihrlichen Forschungen fortgesetzt, insbesondere an der Yale University. Es sollte in Erfahrung gebracht werden, welchen Einfluss die jeweilige Struktur von Aussagen auf kognitive und emotionale Prozesse der Rezipienten hat.
6.2 ,,Communication and Persuasion". Das Forschungsprogramm der Hovland-Schule
Zwischen den Jahren 1946 und 1961 gingen aus dem sogenannten ,Yale Program of Research on Communication and Attitude Change' ca. 50 Experimente hervor. Im Zentrum des Interesses stand die Erforschung von Einstellungswandel. Der Psychologe Carl Hovland versammelte um sich ein Forschungsteam, das nach den Gesetzen der Beeinflussung suchte. Hovland selbst bezeichnete sein Arbeitsgebiet auch als ,Wissenschaftliche Rhetorik' und knfipfte damit an eine antike Tradition an, die sich im Sinne Platons darum bemt~hte, den menschlichen Geist durch Worte zu gewinnen. Die Verbindung zur Massenkommunikationsforschung ergibt sich vor allem aus der Annahme, dass Kommunikation allgemein als Stimulus aufgefasst werden muss, der in der Lage ist, bestimmte Reaktionen bzw. Antworten auf Seiten der Menschen hervorzurufen. Trotz der Breite des Forschungsprogramms lassen sich einige Merkmale aufzeigen, die den experimentellen Charakter der durchgeffihrten Analysen unterstreichen: 9
9 9
[]
9
Die den jeweiligen Versuchsteilnehmern pr~isentierten Aussagen wurden unter Berficksichtigung der Zielsetzung des Projekts konstruiert. Dabei handelte es sich entweder um Texte, m~ndliche Vortr~ige oder Filmdarbietungen. Experimentelle Manipulationen dienten einer eindeutigen Zurechenbarkeit von Wirkungen. Vorher- und Nachhermessungen rahmten den Versuchsablauf ein. Die Situation der Versuchsteilnehmer entsprach h~iufig einer ,,'captive audience'" (Lowery/DeFleur 1995, S. 167)" Wer an einem Versuch teilnahm, sollte diesen w~ihrend der Durchfahrung nicht unterbrechen. Falls der Stimulus von einer Person pr~isentiert wurde, blieb es bei einer EinWeg-Kommunikation. Verst~indnisfragen waren nicht m6glich, Diskussionen fanden nicht statt. Diese methodische Strenge implizierte einen Verzicht auf die Er6rterung semantischer Probleme. Eine weitere Gemeinsamkeit resultierte aus der Erwartung einer Verhaltensrelevanz von Einstellungen und Meinungen. Meinungen (Opinions) wurden dabei als allgemeinere Stellungnahmen aufgefasst, Einstellungen (Attitudes) im engeren Sinne als AuBerungen, die sich auf Objekte, Personen, Gruppen oder Symbole beziehen.
148
Die Glaubwt~rdigkeit der Medien
Diese analytische Trennung liel3 sich in der tats~ichlichen Forschung selten realisieren. Hovland et al. waren sich der Tatsache bewusst, dass ,,it is impossible to draw a sharp distinction between the two." (Hovland et al. 1953, S. 7) Der nachfolgende Beispieltext gibt die Arbeitsdefinitionen wieder.
Die Begriffe ,Opinion' und ,Attitude' der Hovland-Schule Definition ,Opinion': ,,,Opinion' will be used in a very general sense to describe interpretations, expectations, and evaluations - such as beliefs about the intentions of other people, anticipations concerning future events, and appraisals of the rewarding or punishing consequences of alternative courses of action. Operationally speaking, opinions are viewed as verbal ,answers' that an individual gives in response to stimulus situations in which some general ,question' is raised." (Hovland et al. 1953, S. 6) Definition ,Attitude': ,,[...] while the term ,opinion' will be used to designate a broad class of anticipations and expectations, the term ,attitude' will be used exclusively for those implicit responses which are oriented toward approaching or avoiding a given object, person, group, or symbol. This may be interpreted as meaning that attitudes possess ,drive value' [...]." (Hovland et al. 1953, S. 7)
Damit es zur lJbemahme oder Anderung von Meinungen bzw. Einstellungen kommt, mfissen nach Auffassung Hovlands und seiner Mitarbeiter drei Bedingungen erfallt sein: 1. 2. 3.
Wahrnehmung: Wird die Aussage vollst~indig oder nur in Teilen wahrgenommen? Erfolgt die Wahrnehmung konzentriert oder eher beil~iufig? Verstgndnis" Ist die Aussage nachvollziehbar oder zu kompliziert? Akzeptanz: Schliegt man sich der Aussage an oder lehnt man sie ab?
Ob sich eine Ver~inderung im Sinne des pr~isentierten Stimulus ergibt, h~inge davon ab, ob die Anreize zur Einstellungs~inderung (,incentives for change') gr613er seien als die Anreize f-fir Einstellungskonstanz (,incentives for stability'): ,,We assume that acceptance is contingent upon incentives, and that in order to change an opinion it is necessary to create a greater incentive for making the new implicit response than for making the old one." (Hovland et al. 1953, S. 11)
Die Glaubwt~rdigkeit der Medien
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W~ihrend diese allgemeinen Annahmen Rahmenbedingungen far eine erfolgreiche Kommunikation (Akzeptanz) beschreiben, konzentrierte sich die Forschung auf den Stellenwert der den Kommunikationsprozess bestimmenden Elemente. Diesbezfiglich wurden drei wichtige Bereiche unterschieden: 1. 2. 3.
Die Bedeutung des Kommunikators Die Bedeutung des Inhalts und der Pr~sentationsform Die Bedeutung von Pers6nlichkeits- und Situationsmerkmalen
Die genannten Bereiche sollen anhand einiger Beispiele illustriert werden. Bereits die Forschungen zu dem Film ,The Battle of Britain' zeigten, dass die Einsch~tzung der Quelle (in diesem Falle des Films) einen mal3geblichen Einfluss auf die Meinungs~nderung hatte. Jene, die den Film als Propaganda einstuften, zeigten nur geringe Meinungs~nderungen in die vom Film intendierte Richtung. Jene, die den Film als einen Informationsbeitrag einstuften, lieBen sich h~ufiger von den pr~sentierten Fakten t~berzeugen. Diesen Sachverhalt kann man auch systematisch beeinflussen. Hovland et. al. untersuchten daher den Effekt der Kombination identischer Informationen mit unterschiedlichen Quellen. In diesem Zusammenhang ging es insbesondere um die Oberprtifung der Wirkung von zwei Faktoren: ,expertness' und ,trustworthiness'. ,Expertness' bezieht sich auf den Sachverstand bzw. auf die Erwartung, dass der Kommunikator berechtigte Behauptungen aufstellt; ,trustworthiness' auf das Vertrauen in die Aufrichtigkeit des Kommunikators, also seine Intention, zu einem begrOndeten Urteil zu gelangen. Ft~r die Beurteilung der Glaubwtirdigkeit sind diese Faktoren von zentraler Bedeutung (vgl. Hovland et al. 1953, S. 21). Die nachfolgende Abbildung fasst Beispiele aus diesem Forschungsbereich zusammen (vgl. Abbildung 6.1 auf der n~chsten Seite). Die Beispiele verdeutlichen die Vorgehensweise: Artikel mit identischem Inhalt werden sowohl Quellen mit hoher Glaubwtirdigkeit als auch Quellen mit niedriger Glaubwtirdigkeit zugeschrieben. Diese Zuordnung wurde nicht willktirlich vorgenommen. In einer Vorabbefragung sollten die Versuchssteilnehmer (Studenten) Zeitungen und andere Informationsquellen benennen, die sie als glaubwt~rdig einstufen. Forscher und Probanden wiesen diesbeztiglich eine hohe Obereinstimmung auf. Das eigentliche Experiment verlangte von den Studenten das Lesen yon vier Artikeln, die in einer Mappe zusammengestellt waren. Eine Gruppe erhielt Texte, die Quellen mit hoher Glaubwtirdigkeit zugeschrieben wurden, eine zweite Gruppe die gleichen Texte mit Quellen, die auf eine niedrige Glaubwtirdigkeit schlieBen lassen. Dartiber hinaus gab es keine weiteren Unterschiede in dem pr~sentierten StimulusMaterial. Im unmittelbaren Anschluss an die Lekttire erfolgte erneut eine Befragung, die einer kriterienbezogenen Beurteilung der gelesenen Informationen diente. Diese - D i e B e d e u t u n g des K o m m u n i k a t o r s :
150
Die Glaubwfirdigkeit der Medien
Befragung wurde nach vier Wochen wiederholt, wobei jedoch auf eine erneute Pr/isentation der Artikelserie verzichtet wurde. Abbildung 6.1
Die Glaubwt~rdigkeit des Kommunikators. Forschungsbeispiele ,,High Credibility" Source
A. Antihistamine Drugs: Should the antihistamine drugs continue to be sold without a doctor's prescription?
,,Low Credibility" Source Magazine A
New England Journal of Biology and Medicine
(A mass circulation monthly pictorial magazine)
B. Atomic Submarines: Can a practicable atomic-powered sub-marine be built at the present time?
Robert J. Oppen-heimer
C. The Steel Shortage:
Writer A
Bulletin of National Is the steel industry to blame for the current Resources Plan-ning Board shortage of steel? D. The Future of Movie Theaters: As a result of TV, will there be a decrease in the number of movie theaters in operation by 1955?
Pravda
(An antilabor, anti-New Deal, "rightist" newspapercolumnist) Writer B
Fortune magazine (A woman movie-gossip columnist
Quelle" Hovland et al. 1953, S. 28 In allen F~illen wurden die Texte, die mit Quellen hoher Glaubwt~rdigkeit versehen waren, besser beurteilt. Dies galt sowohl far die Fairness als auch far die Konsistenz der Argumentation. Eine Meinungs~inderung im Sinne des im Artikel dominierenden Tenors wurde h~iufiger durch ,high credibility sources' als durch ,low credibility sources' ausgel6st (siehe zu den empirischen Befunden Hovland et al. 1953, S. 29f.). Diese rasche Meinungs~inderung, die im unmittelbaren Anschluss an die Experimente festgestellt wurde, konnte jedoch im Rahmen der erneuten Befragung nicht mehr beobachtet werden. Vier Wochen nach dem Experiment verschwand die Differenz zwischen den Quellen mit unterschiedlicher Glaubwardigkeit. Dieses Ph~inomen erhielt den Namen ,Sleeper-Effekt'. Dieser Effekt war bereits im Zusammenhang mit Forschungen zu dem Film ,The Battle of Britain' aufgetreten und verlangte nach einer Erkl~irung. Die Ergebnisse legten die Schlussfolgerung nahe, dass die ,low credibility'-Quelle nachtr~iglich an Uberzeugungskraft gewinnt. Wenn die Versuchsteilnehmer erneut nach ihrer Meinung zu einem bestimmten Thema gefragt werden, denken sie zun~ichst an die Aussage und nicht an die Quelle der Information. Hovland und Weiss lokalisieren die Ursache dieses Ph~inomens in der Befragungssituation selbst. Die Versuchsteilnehmer konnten sich auch Wochen nach dem Experiment noch an die Quelle erinnern, wenn sie ausdracklich danach gefragt
Die Glaubwt~rdigkeit der Medien
151
wurden. Aber sie werden zun~ichst nicht an die Quelle gedacht haben, wenn sie lediglich ihre Meinung bezt~glich des Themas ~iul3ern sollten (vgl. insbesondere Hovland et al. 1953, S. 256). Capon und Hulbert haben den ,Sleeper-Effekt' eingehend analysiert und zahlreiche methodische Defizite identifiziert. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass in der Regel eine positive Meinungs~inderung vorliegen muss, die sich zugunsten der ,low credibility'-Quelle auswirkt. Der Versuch einer Definition Iautet wie folgt: ,,A sleeper effect may be observed if an individual's agreement with a persuasive communication is greater a long time after exposure to it than immediately there-after. Further, the final measure of agreement, when compared to the pre-measure, must show a shift in the advocated direction." (Capon/Hulbert 1973, S. 335) Der ,SleeperEffekt' kann somit grafisch wie folgt (siehe n~ichste Seite) veranschaulicht werden. Abbildung 6.2 A
I-Z iii N
0 Iz
D,.
Z
==,.,
(3 Z
:3 IZ iii a
Z
=<: u') (3
Z :3
Z
Der Sleeper-Effekt
24-22-20-18-16-14-12-10-8-6-
0" ~
"Low Credibility"
4-
.,=,.
Iii
2-o I Messung der Meinungs~nderung in Unmittelbarem Anschlu6 an das Experiment
f Erneute Messung nach vier Wochen
ZEITINTERVALL
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Hovland et al. 1953, S. 255 und Capon/Hulbert 1973, S. 335ff. Der ,Sleeper-Effekt' kann infolgedessen wohl nicht als ,Uberschlafens-Effekt' (vgl. Noelle-Neumann 1994, S. 526) interpretiert werden, da die Quelle de facto nicht wirklich in Vergessenheit ger~it und die inhaltlichen Argumente dominieren. Auch
152
Die Glaubwt~rdigkeit der Medien
Merten bezweifelt die Existenz einer ,,Nachhall-Wirkung" (Merten 1994b, S. 305). Beztiglich der Unterstellung einer Langzeitwirkung kritisiert er die mangelnde Berticksichtigung der zwischenzeitlich wahrgenommenen Informationen zu den einstellungsrelevanten Themen. Kritik kann dartiber hinaus an der grafischen Darstellung getibt werden. Denn diese zeigt an, dass die ,low credibility'-Quelle im Falle einer erneuten Messung eine gr6Bere Meinungs~inderung hervorruft als die ,high credibility'-Quelle. Die Glaubwtirdigkeit einer Kommunikationsquelle macht inhaltliche Argumente keinesfalls bedeutungslos. Quelle und Inhalt (Wer und Was) wirken wechselseitig aufeinander. Dartiber hinaus kann festgestellt werden: 9
9
9 9
Wenn eine Kommunikationsquelle als wenig glaubwtirdig eingesch~itzt wird, dann wird auch die Pr~isentation unfairer und verzerrter wahrgenommen bzw. eingesch~itzt als im Falle einer Quelle mit hoher Glaubwtirdigkeit. Quellen mit hoher Glaubwtirdigkeit haben einen starken unmittelbaren Effekt auf Meinungs~inderungen. Ob es sich nur um einen kurzfristigen Effekt handelt, ist umstritten (Kontroverse um ,Sleeper-Effekt'). Die Einsch~itzung der Glaubwtirdigkeit einer Quelle erh6ht die Bereitschaft, sich den darin pr~isentierten Schlussfolgerungen anzuschlieBen. Ob die Position eines Kommunikators als fair und unvoreingenommen wahrgenommen wird, ist vonder Distanz zwischen Sender und Empf'~inger abh~ingig. N~ihe ffihrt eher zu v611iger Obereinstimmung, geringe Distanz mtindet in Assimilationseffekte (die Position des Kommunikators wird der eigenen ~ihnlich bezeichnet), gr6Bere Distanzen resultieren in der Wahrnehmung extremer Differenzen (Kontrasteffekt) (ausftihrlicher hierzu Hovland 1959).
- Inhalt
und
Priisentationsform: Der Hinweis auf die Faktoren ,expertness' und
,trustworthiness', aber auch die gerade beschriebenen Assimilations- und Kontrasteffekte weisen bereits auf die Bedeutung des Inhalts einer Aussage hin. Weitere Experimente sollten Aufschluss dartiber geben, wie eine Aussage aufgebaut sein muss, damit Glaubwtirdigkeit attestiert wird. Hovland et al. bemerkten hierzu: ,,Answering questions of this sort at present is much more of an art than a science [...]." (1953, S. 99) Generalisierungen sind insofern schwierig, als in der Regel zwei Faktoren berticksichtigt werden mtissen: ,,motivational factors" und ,,learning factors" (Hovland et al. 1953, S. 99). ,Motivational factors' verweisen auf die Bereitschaft des Publikums, den Intentionen des Kommunikators zu folgen. Position und Kenntnisstand des Publikums zu dem jeweils behandelten Thema sind in diesem Zusammenhang von groBer Bedeutung. Wenn ein neues Thema behandelt wird, hat der Kommunikator die Chance, einen ,leeren Platz' zu besetzen. Handelt es sich dagegen um ein Thema, das schon lange diskutiert wird und die Bev61kerung polarisiert, nimmt die Chance einer Meinungs~inderung durch die gezielte Strukturierung der
Die Glaubwtirdigkeit der Medien
153
Aussagen ab. ,Learning factors' resultieren aus der Logik und Stringenz der Argumentation, die ebenfalls nicht ohne Bezugnahme auf Merkmale des Publikums bestimmbar ist. Ob vorwiegend positiv, negativ oder ausgewogen argumentiert werden soll, ist von der Heterogenit~it des Publikums und dem Ausmal3 der l)bereinstimmung zwischen Sender und Empf~ingern abMngig. Wenn beispielsweise der Bildungsgrad des Publikums hoch ist, dtirfte eine ausgewogene Argumentation im Sinne einer systematischen Gegentiberstellung von Positionen eher dem Erwartungshorizont der Adressaten entsprechen. Insbesondere dieser Forschungszweig verdeutlicht die Orientierung der Hovland-Schule an den Regeln und Vorstellungen der Rhetorik. Gleichwohl lassen sich daraus auch Hinweise far Situationen ableiten, in denen Massenkommunikation typisch ist. Wenn in diesem Zusammenhang beispielsweise ,Primacy'- und ,Recency'-Effekte (vgl. Hovland et al. 1953, S. 121ff.) diskutiert werden, erf'~ihrt die Rangfolge von Argumenten besondere Aufmerksamkeit. In einem weiteren Sinne findet diese Fragestellung ihre Fortsetzung in Traditionen der Agenda Setting-Forschung 39. Dort wird unter anderem die Frage analysiert, ob die Platzierung und der Umfang von Nachrichtenthemen einen Einfluss auf das Themenbewusstsein in der Bev61kerung nehmen. Zudem weig jeder Redner, wie hilfreich zuverl~issige Informationen tiber das Publikum, zu dem er sprechen soll, sind. Im Falle der Massenkommunikation ist nicht auszuschliegen, dass sich das Publikum aus Personen zusammensetzt, die man nicht als Rezipienten erwartet h~itte. Der amerikanische Kommunikationswissenschaftler Joshua Meyrowitz hat sich ausfahrlich mit den Konsequenzen, die aus dieser Unbestimmtheit resultieren, besch~iftigt4~ u n d Situationsmerkmale: Im Einleitungsabschnitt dieses Kapitels ist bereits die Unterscheidung ,informed/uninformed opinion' erw~ihnt worden. Intellektuelle F~ihigkeiten werden diesbeztiglich als wichtiger Faktor far Beeinflussbarkeit herausgestellt. Weitergehend wird vermutet, dass Personen mit hoher Bildung einer logischen Argumentationsftihrung eine zentrale Bedeutung zuschreiben, sich von einer unlogischen, irrelevanten oder gar falschen Argumentation dagegen kaum beeinflussen lassen. Diese Kritikf'~ihigkeit wirkt als ein Schutz gegen Manipulationen. Insbesondere Janis konnte dartiber hinaus nachweisen, dass Beeinflussbarkeit zunimmt, wenn bestimmte PersOnlichkeitsmerkmale festzustellen sind: geringes Selbstwertgefahl, Schtichternheit, geringes Vertrauen in eigene F~ihigkeiten (vgl. Lowery/DeFleur 1995, S. 181); kurzum: jene Merkmale, die Jahre sp~iter Eingang in das Konzept ,Pers6nlichkeitsst~irke' gefunden haben 41. - PersOnlichkeits-
39 Siehe hierzu die Ausftihrungen in Kapitel 7. 40 Siehe hierzu die Ausfiihrungen in Kapitel 10. 4~ Siehe hierzu die Ausffihrungen in Kapitel 5.
154
Die Glaubwt~rdigkeit der Medien
Diese Querverbindung l~isst sich durch einige Hinweise zur Bedeutung von Situationsmerkmalen erg~inzen. Hierzu z~ihlen l~erlegungen, die die Bereitschaft zur Meinungs~inderung mit der jeweiligen Position in einer sozialen Gruppe verknt~pfen. Personen, die eine Gruppenmitgliedschaft besonders hoch bewerten, zeigen Widerstand gegen Versuche, zentrale Gruppennormen und Werte in Frage zu stellen. Mehrere Gruppen von Pfadfindern wurden beispielsweise mit Auffassungen konfrontiert, die sich gegen die bislang praktizierten Unternehmungen richteten und die Vorzt~ge der modernen Stadt gegent~ber Aktivit~iten in der Natur hervorhoben. Diese sogenannte ,,counternorm communication" (Hovland et al. 1953, S. 141) ~hrte zu einem ,Bumerang-Effekt' unter den ,,high valuation Scouts" (Hovland et al. 1953, S. 141). Daraus folgt: Je st~irker die Gruppennormen internalisiert sind, desto geringer sind die Chancen einer Meinungs~inderung. Nicht immer aber erfolgt die Konfrontation mit solchen Auffassungen, wenn man sich innerhalb einer Gruppe befindet. Deren Schutzschildfunktion und die damit einhergehende Verpflichtung auf Normen kann je nach Situation unterschiedlich ausgepr~igt sein. Veranschaulicht wurde dieser Aspekt unter anderem im Rahmen einer Untersuchung mit katholischen Studenten. Zum Einsatz kam ein Fragebogen, der verschiedene kritische AuBerungen zum Katholizismus enthielt. In diesem Experiment wurde die Gruppe in unterschiedlichem Ausmal3 auf ihre Gemeinsamkeit des katholischen Glaubens hingewiesen. Dort, wo dies mehrfach und ausdracklich geschah, fielen die kritischen Aussagen h~iufiger im Sinne der katholischen Glaubenslehre aus (vgl. Hovland et al. 1953, S. 156). Indirekt nehmen somit Gruppennormen auch Einfluss auf die Glaubwt~rdigkeit eines Kommunikators einerseits und die Bereitschaft zur Nonkonformit~it andererseits.
,,Communication and Persuasion: The Magic Keys" ,,Propositions about communication stimuli- characteristics of the communicator, the content, and the structure of the communication - provide a basis for predicting the effects for the majority of cases within a specified audience. But, as is generally recognized, the same social pressures may be experienced in different ways by different people, and consequently the effects of a communication are partly dependent upon the characteristics of individual members of the audience. By taking account of personality predispositions as well as group affiliations, it should be possible to improve predictions concerning the way a given type of audience (or a given individual within the audience) will respond." (Hovland et al. 1953, S. 174)
Wenngleich hier nur auszugsweise auf die zahlreichen Detailanalysen dieses Forschungsprogramms eingegangen werden konnte (siehe zur Zielsetzung auch den
Die GlaubwOrdigkeit der Medien
155
vorangegangenen Beispieltext), musste immer wieder auf die begrenzte und in der Regel kurzfristige Meinungs~indemng, die durch bestimmte Formen der Kommunikation ausgel6st wurden, hingewiesen werden. Dort, wo langfristige Effekte behauptet wurden, relativierten methodische Probleme die Aussagekraft. Ob sich die in Experimenten gewonnenen Befimde auch auf natfirliche Kommunikationssituationen t~bertragen lassen, bleibt ein weiterer Kritikpunkt. Dieser Aspekt ist auch im Zusammenhang mit der Kontroverse um die Verhaltensrelevanz von Meinungen und Einstellungen (sogenannte Attitude-Behavior-Debatte) zu sehen. Nimmt man die Verhaltensrelevanz als Mal3stab, so muss der weiteren Entwicklung der GlaubwOrdigkeitsforschung einerseits und Untersuchungen zum Einstellungs- und Meinungswandel andererseits eine eher geringe Aufmerksamkeit bezOglich dieser Wirkungen von Kommunikation attestiert werden. Dies gilt insbesondere for die Ausdehnung und Erweiterung der durch Hovland eingeleiteten Forschungsfragen auf das Feld der Massenkommunikation. Abbildung 6.3
Magic Keys
Kommunikator Kommunikator
f/
Magic
Keys
~. Pers~nlichkeitsmerkmale
I
Einbindungin soziale Gruppen Pr~isentationsform
Quelle: Eigene Erstellung
6.3 Massenmedien und Glaubwiirdigkeit: Die Weiterentwicklung der Forschung Einem Vorschlag Benteles folgend, lassen sich in der Glaubwt~rdigkeitsforschung zwei Forschungstraditionen unterscheiden: Die eine geht auf die Experimente Hovlands zurfick und wird in der amerikanischen Literatur auch mit dem Begriff ,Source credibility' umschrieben. Die zweite Tradition baut explizit auf der Glaubwfirdigkeit von Massenmedien auf und resultiert aus der kontinuierlichen Beobachtung von Medienbewermngen. Ersteres stellt insbesondere die Prestigewirkung einzelner Kommunikatoren in den Vordergrund, w~ihrend Letzteres die Glaubwt~rdigkeit von Medienangeboten auf unterschiedlichen Ebenen (generelle Vergleiche tagesaktueller
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Die Glaubw~irdigkeit der Medien
Medien, Berficksichtigung geografischer und/oder thematischer Bezt~ge) analysiert (vgl. Bentele 1988, S. 408f.). Obwohl sich die Experimente der Yale-Gruppe um Hovland t~ber viele Jahre erstreckten und eine Kontinuit~it der Fragestellung erkennen liel3en, wurde diese Konstanz der Vorgehensweise in mehrfacher Hinsicht kritisiert: Zum einen wurde die geringe Be~cksichtigung von Erfahrungen der Versuchsteilnehmer mit den ihnen pr~isentierten Informationsquellen bem~ingelt. In Anlehnung an die Unterscheidung von Media Perspektiven, Nr. 12, S. 762-775. ,Opinion' und ,Attitude' ging es insbesondere um die Frage, ob sich relativ stabile Halmngen und Bewertungen bezt~glich der Glaubwt~rdigkeit bestimmter Medien herausarbeiten lassen, die auch far die Beurteilung spezifischer Sachverhalte von hoher Relevanz sind. Zum anderen ist in der unzureichenden Berficksichtigung soziodemografischer Unterschiede der jeweiligen Publika ein Defizit gesehen worden (vgl. hierzu auch Bentele 1988, S. 410). Ein weiterer Kritikpunkt ergab sich aus dem weitgehenden Verzicht auf Definitionen, insbesondere des Begriffs ,Glaubwt~rdigkeit'. Die Orientierung an der Tradition der Rhetorik hatte durchaus dazu gefahrt, dass Glaubwt~rdigkeit als ein mehrdimensionales Konzept aufgefasst wurde: Wichtig ist sowohl der Charakter des Kommunikators als auch ein erkennbarer guter Wille sowie Kompetenz (vgl. hierzu auch Meyer 1974, S. 48). Diese Dimensionen standen als Behauptungen im Raum, die nicht einer eigenst~indigen Oberprfifung unterzogen wurden. In methodischer Hinsicht wurde somit das Fehlen einer Reliabilit~itsprfifung dieser Faktoren beklagt. Hierauf aufbauend versuchten Berlo et al. allgemeine Dimensionen zu ermitteln, die far die Beurteilung der Glaubwt~rdigkeit von Kommunikationsquellen bedeutsam sind. Die in den 1960er Jahren durchgefahrte Untersuchung verfolgte zwei Ziele: die Ermittlung relevanter Dimensionen, die Glaubwt~rdigkeit konstimieren und die Konstruktion eines Messinstruments, das als BewertungsmaBstab far unterschiedlichste Informationsquellen zur Verfagung stehen kann (vgl. z.B. Berlo et al. 1970, S. 573). Auf der Basis umfangreicher Literamrrecherchen stellten die Autoren 128 Adjektivpaare in Form eines semantischen Differentials zusammen (z.B. ,kind-cruel', ,trained-untrained', ,fast-slow'). Sprachwissenschaftler t~berprfiften die verwandten Adjektivpaare im Hinblick auf ihre Trennsch~irfe. Falls synonyme Adjektive identifiziert wurden, wurde das jeweils leichter verst~indliche Begriffspaar beibehalten. Auch diese detaillierte Vorgehensweise konnte nicht den Befund erscht~ttem, dass Ausgewogenheit und Kompetenz wichtige Faktoren far die Attribution von Glaubwfirdigkeit sind. Berlo et al. nannten ihre Dimensionen ,Qualification' und ,Safety'. Darfiber hinaus wurde eine weitere Dimension ermittelt, die mit dem Begriff ,Dynamism' bezeichnet wurde. Hiermit wird die Art und Weise, wie sich ein Kommunikator darstellt, beschrieben: Ist er eher aggressiv oder zurfickhaltend, eher aktiv oder passiv, wirkt er energisch usw.? Die dieser B~ndelung zugrunde liegenden Eigenschaften fanden Eingang in eine Studie von McCroskey und Jensen, die dieses Instrument auf die Ermittlung der
Die Glaubw~rdigkeit der Medien
157
Glaubwt~rdigkeit verschiedener Nachrichtenquellen in den Massenmedien t~bertmgen. Die von Berlo et aI. vorgeschlagene Begrifflichkeit wurde jedoch nicht beibehalten. Die ermittelten Faktoren wurden wie folgt (siehe n~ichste Seite) bezeichnet (vgl. McCroskey/Jensen 1975, S. 174ff.): 1.
Kompetenz: Die verwandten Gegensatzpaare lauteten hier beispielsweise: qualifiziert-unqualifiziert, zuverl~issig-unzuverl~issig, uninformiert-informiert. Charakter bzw. Pers6nlichkeit (Wesensart): Zu Grunde lagen Begriffspaare wie sympathisch-unsympathisch, eigennfitzig-uneigenntRzig. Freundlichkeit, Geselligkeit (Soziabilit~it): freundlich-unfreundlich, heitertraurig, sozial-unsozial sind die Eigenschaften, die dieser Begriff umfasst. Selbstbeherrschung (,composure'): Hier geht es um Merkmale wie Gefasstheit, Ruhe oder Anspannung. Nach-Aul3en-Gerichtetsein, Extravertiertheit (,extroversion'): Mut, Aggressivit~it und forsches Auftreten werden hiermit beschrieben.
2. 3. 4. 5.
Auf den ersten Blick vermitteln diese Befunde einen heterogenen Eindruck. Stellt man aber die Dimensionen, die Hovland et al., Berlo et al. und McCroskey/Jensen herausgearbeitet haben, nebeneinander, werden die Parallelen sichtbar. Sachverstand und Vertrauensw~irdigkeit bleiben die zentralen Merkmale, die durch darstellerische F~ihigkeiten und Pers6nlichkeitsmerkmale erg~inzt werden (vgl. Abbildung 6.4). Abbildung 6.4
Dimensionen von Glaubwfirdigkeit Autoren
== =o ==
Hovland et al.
Berlo et al.
McCroskey/Jensen
Sachverstand
Qualifikation
Kompetenz
VertrauenswOrdigkeit
Sicherheit
Charakter, Wesensart Geselligkeit
Selbstbeherrschung Dynamik
Extrovertiertheit
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Hovland et al. 1953, Berlo et al. 1970, McCroskey/Jensen 1975
158
Die Glaubwt~rdigkeit der Medien
Wie erkennbar, konzentriert sich diese Forschungstradition auf die Ermittlung von ,Source credibility'-Faktoren. Im Hinblick auf die deutliche Ausweitung der Medienangebote wird zukt~nftig verst~irkt zu fragen sein, ob diese spezifischen Beurteilungen von einer diffusen Skepsis fiberlagert werden, die der Vielzahl an Angeboten zuzuschreiben ist. Auf der Grundlage einer Literaturanalyse formulierte Bentele Anfang der 1990er Jahre folgende Erwartung: ,,Ft~r das n~ichste Jahrzehnt ist eine deutliche Zunahme der Relevanz der Problematik ,Medienglaubwt~rdigkeit' zu prognostizieren. Ursache wird die versch~irfte Konkurrenz innerhalb des Medienmarktes sein, wobei nicht nur die Konkurrenz innerhalb des elektronischen Sektors, sondem verst~irkt auch die Konkurrenz zwischen den Medien eine Rolle spielen wird." (Bentele 1996, S. 381) Bentele selbst ist dieser Prognose nicht nachgegangen, Kontroversen fiber die Qualit~it und die Intentionen von Medienangeboten best~itigen aber diese Erwartung. Berichte zur Lage des Femsehens (vgl. Groebel u.a. 1995), Oberlegungen zu einer ,Stiftung Medientest' (vgl. Krotz 1996) sowie die Zunahme medienethischer Debatten (siehe die Beitr~ige in Funiok u.a. 1999 sowie die Beitr~ige in Karmasin 2002) sind Reaktionen auf eine verst~irkte Kommerzialisierung des Mediensektors. Abbildung 6.5
S
Routes to Persuasion'. Eine Erweiterung des Modells von Petty und Cacioppo.
Central ~ Route
Sachverstand ~ Logik Rationafit~t
I
IMedienberichterstattung 1
Beurteilungdurchden Rezipienten
(abh~ingig von VorEinstellun~, Vor-Wissen) ,,
Peripheral Route
"......
iI
Emotionale ,~fekte "<'"~oormebene
Quelle: Eigene Erstellung mit Erg~inzungen (in Anlehnung an Petty/Cacioppo 1986, S. lff.)
Die Glaubwt~rdigkeit der Medien
159
Orientiert man sich an einem Beeinflussungsmodell, das Petty und Cacioppo vorgelegt haben, dann wird infolge der gerade angesprochenen Konkurrenz eine Zunahme von Angeboten eintreten, die periphere Routen der Informationsverarbeitung ausl6sen. Die sogenannte ,,central route" (Petty/Cacioppo 1986, S. 3) ist gekennzeichnet durch Logik, Rationalit~it und Sachverstand, die ,,peripheral route" (Petty/Cacioppo 1986, S. 3) wird durch einzelne Elemente aktiviert, die vom eigentlichen Informationsgehalt ablenken und Ver~inderungen bewirken, die nicht notwendigerweise den Inhalten selbst zuzuschreiben sind 42. Abbildung 6.4 (siehe oben) integriert diese ,Routes to Persuasion' in das Sender-Empf~inger-Modell der Massenkommunikation.
Die angedeutete Konkurrenz ist in einem allgemeineren Sinne Anlass ffir die Entstehung der zweiten Forschungstradition gewesen. Mit dem Jahr 1959 beginnt die Untersuchung der relativen Glaubwt~rdigkeit der Medien. Ausgangspunkt dieser Forschungsrichtung war die ,,Roper Polling Organization", die ffir das ,,Television Information Office" Umfragen in den Vereinigten Staaten durchfahrte. Der Begriff ,relative Glaubwfirdigkeit' leitet sich aus dem Versuch ab, die Glaubwt~rdigkeit der Medien im Hinblick auf dasselbe Ereignis/Thema zu ermitteln. Die Originalfrage lautete wie folgt: ,,If you got conflicting or different reports of the same news story from radio, television, the magazines and the newspapers, which of the four versions would you be most inclined to believe - the one on radio or television or magazines or newspapers?" (zit. nach Meyer 1974, S. 49) Nach wiederholter Anwendung dieser Fragestellung verdichtete sich der Eindruck, dass das 6ffentliche Vertrauen in das Fernsehen wuchs, w~ihrend die Tageszeitung und andere Medien Glaubwt~rdigkeitsverluste hinnehmen mussten. So sagten im Jahr 1959 noch 32% der amerikanischen Befragten, dass sie im Falle widersprachlicher Meldungen t~ber ein und dasselbe Ereignis der Tageszeitung glauben w~rden, dagegen nur 29% dem Fernsehen. Zwei Jahre sp~iter nannten nur noch 24% die Tageszeitung und 39% das Fernsehen. 23 Jahre sp~iter, n~imlich im Jahr 1984, erhielt die Tageszeitung im Vergleich zu anderen Medien immer noch 24 von 100 Nennungen, das Fernsehen wurde aber mittlerweile von mehr als der H~ilfte der amerikanischen BevOlkerung als das glaubwfirdigste Medium eingesch~itzt (vgl. Gaziano / McGrath 1986, S. 254). Sehr schnell wurde erkennbar, dass der daraus abgeleitete Vertrauensverlust der Tageszeitung insbesondere von den elektronischen Medien gewinnbringend eingesetzt wurde. Dass eine einzige Frage diesen nachhaltigen Einfluss entfalten konnte, blieb nicht ohne Kritik.
42 Siehe hierzu auch die Ausft~hrungen in Kapitel 8.
160
Die Glaubwfirdigkeit der Medien
Meyer hat bereits in den 1970er Jahren die folgenden Einw~inde formuliert: 9
9
9
[]
Die Frage simuliert eine Situation, ohne zu fiberprfifen, ob sie eingetroffen ist. Wenn die Frage w6rtlich genommen wird, mfissen mindestens drei Kriterien erffillt sein: 1) Eine Situation, in der sich die Berichterstattung der Medien fiber ein und dasselbe Ereignis widerspricht, muss gelegentlich auflauchen. 2) Die betreffende Meldung muss in allen Medien wahrgenommen worden sein. 3) Die Erfahrungen mit unterschiedlichen Berichterstattungen zu einem Thema mfissen in einem fiberschaubaren Zeitraum erfolgt sein. Da es neben den tagesaktuellen Medien auch Medienangebote mit anderen Publikationsrhythmen gibt (z.B. w6chentliche Nachrichtenmagazine), sei auch diese Bedingung unwahrscheinlich. Bereits aufgrund dieser Einw~inde wurde konstatiert: ,,Simply stated, the wording of the question alone renders the measurement of media credibility via Roper a hopeless task." (Meyer 1974, S. 49) Kritisiert wird des Weiteren die inhaltliche Indifferenz der Frage. Es wird nicht einmal gefragt, welches Thema Gegenstand der Kontroverse war. Hinzu kommt, dass die N~ihe bzw. Distanz zu dem Ereignis (auch im geografischen Sinne) nicht berficksichtigt wird. Die Allgemeinheit der mit der Roper-Frage ermittelten Befunde muss erg~inzt werden durch Informationen fiber die Medienpr~iferenzen der Bev61kerung. Wer bevorzugt das Fernsehen? Wer bevorzugt die Tageszeitung? Wer nutzt das gesamte Medienspektrum? Amerikanische Untersuchungen konnten bereits in den 1960er Jahren nachweisen, dass jene Personen, die der Tageszeitung eine hohe Glaubwfirdigkeit attestierten, h~iufiger m~innlich und besser gebildet waren, einen h6heren sozialen Status aufwiesen und in st~idtischen Regionen lebten. Zugleich konnte ein h6herer Organisationsgrad festgestellt werden. Im Gegensatz dazu wurde der ,,television-most-credible type" (Meyer 1974, S. 49) vorwiegend in der ,working class' beobachtet. 43 Unklar bleibt, welche Nachrichtenquelle der Rezipient mit dem Fernsehen, der Zeitung oder dem Radio konkret meint. Welches Medienangebot ist mal3gebend ffir das Urteil, das in die Beantwortung der Roper-Frage einfliel3t? Ist es der allgemeine Eindruck eines Mediums? Ist es ein spezifischer Sender oder eine Sendung? Oder spielt ein bestimmter Moderator bzw. Journalist eine ausschlaggebende Rolle? Letzteres deutet auf m6gliche Interaktionseffekte zwischen dem Kommunikator und dem Inhalt hin. Nach einem Bericht yon David Halberstamm soll der amerikanische Pr~isident John F. Kennedy der ,News
43In jtingeren Analysen zur Mediennutzung und Medienbewertung findet man die allgemeine RoperFrage nicht mehr. Statt dessen werden Unterschiede zwischen Medienangeboten in st~irkerem Mage gattungsbezogen ermittelt.
Die Glaubwfirdigkeit der Medien
161
Show' von Walter Cronkite 44 grol3e Aufmerksamkeit entgegen gebracht haben: ,,>>Kennedy hielt das, was er da sah, far schrecklich wichtig. Vielleicht war das nicht die Realit~it. M6glicherweise war es noch nicht einmal guter Journalismus. Aber es war das, was das ganze Land far die Wirklichkeit hielt<<." (zit. nach Weischenberg 1997, S. 19) So begrfindet diese Einw~inde auch sind: Sie untersch~itzen die M6glichkeiten der Simulation von Grenzsituationen. Die Roper-Frage liefert durchaus Hinweise auf den Stellenwert der Medien als Informationsquellen. Die Tatsache, dass das Medium Fernsehen Ereignisse visualisieren kann, verleiht ihm ein h6heres Mal3 an Authentizit~it. Die Roper-Frage gibt aufgrund ihrer Konzeption Einblicke in den Stellenwert der Medien in modernen Gesellschaften. In dieser Hinsicht bleibt sie ein relevanter Indikator, der nicht notwendigerweise Artefakte produziert. Im Folgenden sollen zwei Studien beschrieben werden, die der Kritik an der Roper-Frage Rechnung trugen und unterschiedliche Operationalisierungen des Konzepts ,relative Glaubwt~rdigkeit' vornahmen. Gantz wollte beispielsweise fiberp~fen, ob die jeweils verwandte Fragestellung einen Einfluss auf die den Medien zugeschriebene Glaubwfirdigkeit hat. Er verglich das Fernsehen und die Tageszeitung hinsichtlich lokaler bzw. regionaler und nationaler Nachrichten. Die Antworten der Befragten variierten je nach Pr~izisierung der Fragestellung: Wurde nur davon gesprochen, dass unterschiedliche Nachrichten zu ein und demselben Ereignis pr~isentiert wurden, nannten 39,4% das Fernsehen und 35,9% die lokale Tageszeitung als das Medium, dem sie am ehesten glauben wfirden. Wenn dagegen ausdrficklich von einem nationalen Nachrichtenereignis gesprochen wurde, stieg der Wert far eine Iandesweite Nachrichtensendung auf 50,6%, der Wert far die lokale Tageszeitung sank auf 25,4%. Diese Differenz von 25 Prozentpunkten reduzierte sich, wenn die Glaubwt~rdigkeit einer Nachricht mit nationalem Bezug einer lokalen Nachrichtensendung oder der lokalen Tageszeitung zugeschrieben werden sollte. Hier erh6hte sich der Wert far die lokale Tageszeitung auf 32,3%, der Wert far die Fernsehsendung reduzierte sich auf 44,8%. Im Falle eines lokalen Nachrichtenereignisses verteilten sich die Prozentanteile ~ihnlich. Diese Untersuchung zeigte somit, dass insbesondere die Bezugnahme auf nationale Nachrichtenereignisse die relative Glaubwt~rdigkeit des Fernsehens deutlich werden l~isst. Trotz unterschiedlicher geografischer Bezfige bleibt das Fernsehen gleichwohl der Tageszeitung immer tiberlegen (vgl. Gantz 1981, insb. S. 163). Der besondere Stellenwert des Fernsehens in den USA ist hierfar sicherlich mit ausschlaggebend. In einer amerikanischen Untersuchung von Gaziano und McGrath wurde ein mehrdimensionales Glaubwtirdigkeitskonzept, das beztiglich seiner Zielsetzung der 44 Ehemaliger,Anchorman' der CBS-Sendung ,,Evening News". Siehe auch die Ausftihrungen in Kapitel 8 und Kapitel 1 1.
162
Die Glaubw~rdigkeit der Medien
Hovland-Tradition zuzuordnen ist, mit einem Intermedia-Vergleich verkntipft. Im Auftrag der ,,American Society of Newspaper Editors" (ASNE) wurde die Konkurrenz zwischen dem Fernsehen und der Tageszeitung erneut thematisiert. Es ging sowohl um die Frage, welche Einzelaspekte den Faktor ,Glaubwiirdigkeit' konstituieren als auch darum, wie stark die Bev61kerung zwischen Nachrichten in Tageszeitungen und Nachrichten in anderen Medien zu differenzieren weil3. In einem ersten Schritt wurden daher unabh~ingig voneinander die Glaubwt~rdigkeit des Fernsehens und der Tageszeitung bestimmt. Als Grundlage dienten Gegensatzpaare, die sich den in Abbildung 6.3 bereits genannten Faktoren zuordnen lassen. Beriicksichtigt wurden zum Beispiel Kriterien wie Sachlichkeit, Verzerrung, Zuverl~issigkeit, Respekt vor dem Privatleben, Rt~cksichtnahme auf die Interessen der Leserschaft bzw. Zuschauer, Berficksichtigung des Gemeinschaftsgedankens, Trennung von Nachricht und Meinung, Qualit~it der Reporter usw. Aus den erhaltenen Ablehnungen und Zustimmungen wurde ein Glaubwt~rdigkeitswert pro Person und Medium ermittelt. Unterschieden wurden schliel31ich drei Gruppen mit niedriger, mittlerer und hoher Glaubwt~rdigkeit in Bezug auf das jeweilige Medium. Eine Vergleichbarkeit dieser Beurteilungen sollte dadurch gew~ihrleistet werden, dass die Befragten im Falle der Tageszeitung und des Fernsehens an Nachrichtenanbieter denken sollten, die ihnen sehr vertraut sind. Die Verknt~pfung dieser Skalierung mit der klassischen RoperFrage ergab das in Tabelle 6.1 dargestellte Ergebnis. Tabelle 6.1
Relative Glaubw(irdigkeit und medienspezifische Glaubwt~rdigkeit
Believability (Glaubwiirdigkeit): If you got conflicting or different reports of the same news story from radio, television, magazines, and newspapers, which of the four versions would you be the most inclined to believe the one on radio or television or magazines or newspapers? (Roper-Frage)
Medienvergleiche GlaubwQrdigkeitsindex (%) ,
GlaubwQrdigkeitsindex (%)
,
Tageszeitung niedrig
Femsehen
hoch
niedrig
hoch
Fernsehen
49
51
46
61
Tageszeitungen
15
34
23
23
Zeitschrifte n
22
10
19
11
Radio
14
5
12
6
Quelle: Gaziano/McGrath 1986, S. 457 Das Fernsehen wird erwartungsgem~ig dort am Mufigsten genannt, wo diesem Medium auch eine hohe Glaubwiirdigkeit attestiert wird (61%). Hervorzuheben ist
Die Glaubwt~rdigkeit der Medien
163
darfiber hinaus ein weiterer Befund: Unabh~ingig von der Einsch~itzung der Glaubwt~rdigkeit der Tageszeimng wird auch dort das Femsehen von jedem Zweiten als das im Zweifelsfalle glaubwt~rdigere Medium eingestuft. Der allgemeine Stellenwert des Femsehens wird durch diese Ergebnisse nochmals unterstrichen. Eine h~iufige Begrfindung ft~r diese Einsch~itzungen lautete: ,,))Seeing is believing~." (Gaziano/McGrath 1986, S. 456) Ein Befragter ~iul3erte sich wie folgt: ,,))You can see their eyes, you can tell if they're lying~." (Gaziano/McGrath 1986, S. 456) Ft~rjene Personen, die der Tageszeitung eine hohe Glaubwardigkeit bescheinigten, war insbesondere mal3gebend, dass dort mehr Raum f-fir das Detail und mehr Zeit mr die Vorbereimng einer Nachricht vorhanden sei. Die Ermittlung der relativen Glaubwt~rdigkeit reduzierte sich in dieser Untersuchung nicht auf die Verwendung der Standardfrage. Es wurden zahlreiche weitere Situationen simuliert, in denen wiederum der geografische Bezug variiert wurde. Nur in einem Fall konnte die Tageszeitung das Fernsehen vom ersten Rangplatz verdr~ingen. Es ging um die relative Glaubwfirdigkeit der Medien im Falle einer lokalen Kontroverse. Dieses Ergebnis darf nicht t~berraschen, da ein national orientiertes Medium in der Regel keine grol3en Anstrengungen auf die Darstellung solcher Ereignisse legen wird. Allgemein konnte auch hier festgestellt werden, dass die relative Glaubwt~rdigkeit des Femsehens mit der geografischen Distanz der Ereignisse ansteigt. Wenn nationale und internationale Nachrichten angesprochen werden, ist der Vorsprung des Fernsehens deutlich erkennbar (vgl. Gaziano/MacGrath 1986, S. 457f.). Dieses Instrument und eine Modifikation durch Meyer sind von West einer kritischen Methodenprafung unterzogen worden (zu den Ergebnissen siehe West 1994). Auf ein wichtiges Argument wurde von Newhagen und Nass hingewiesen: W~ihrend im Falle der Bewertung der Glaubwt~rdigkeit einer Zeitung eher die Institution im Vordergrund steht, wird im Falle des Fernsehens eher der Eindruck von ,,on-camera personalities" beurteilt (siehe die empirischen Ergebnisse in Newhagen/Nass 1989, insb. S. 281). Nach Auffassung von Bentele ist das Thema ,Medienglaubwt~rdigkeit' ,,nur innerhalb der amerikanischen Kommunikationswissenschaft ein eigener Forschungsschwerpunkt geworden, im deutschen Bereich steht diese Forschung - trotz einiger neuerer Aktivit~iten - noch am Anfang." (Bentele 1996, S. 381) Obwohl die Erforschung der Glaubwt~rdigkeit der Medien sehr rasch nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs begann, sind die diesbezt~glichen Befunde in der Regel t~ber eine Vielzahl von Untersuchungen verstreut und eher Nebenprodukt einer Analyse anderer Themenfelder gewesen. Langfristige Aussagen t~ber die Entwicklung der Glaubwfirdigkeit der tagesaktuellen Medien sind auf der Grundlage der Langzeitstudie ,Massenkommunikation', die seit 1964 in regelm~il3igen Abst~inden durchge~hrt wurde, m6glich. Von Beginn an sind in diesem Kontext Fragen gestellt worden, die einen allgemeinen Eindruck von Medienbewertungen vermitteln k6nnen. Drei Langzeitbeobachtungen liegen diesbezt~glich vor (vgl. Tabelle 6.2).
164
Die Glaubwfirdigkeit der Medien
Die tagesaktuellen Medien Fernsehen, H6rfunk und Tageszeitung sollten beispielsweise dahingehend bewertet werden, ob sie ,wahrheitsgetreu berichten und die Dinge immer so wiedergeben, wie sie wirklich sind'. Die Ergebnisse zeigen, dass in dieser Hinsicht alle Medien Vertrauenseinbul3en registrieren mussten - am deutlichsten das Fernsehen, am wenigsten die Tageszeitung. Die Ergebnisse, die mit Hilfe einer Objektivit~itsskala ermittelt wurden, decken sich mit dieser Entwicklung. Der Vorsprung des Fernsehens gegent~ber der Tageszeitung ist geringer geworden; zum Teil war dieser auch der Neuheit des Mediums zuzuschreiben. Der insgesamt zu beobachtende Rt~ckgang der Zustimmungen spiegelt die bereits angedeuteten Folgen der wachsenden Medienkonkurrenz wider. Tabelle 6.2
Glaubwfirdigkeit und Objektivit~it der Medien, 1964-1995 (Ergebnis far alte Bundesl~inder) 4s Dimension ,,Objektivit~it" Statement ,,berichtet wahrheitsgetreu"
,,Relative GlaubwiJrdigkeit"
Skalenpunkte 9 u. 10 der ,,Objektivit~itsskala"
Alternativentscheidung zwischen den Medien
Tageszeitung
Fernsehen
HSrfunk
Fernsehen
HSrfunk
Tageszeitung
Fernsehen
H5rfunk
1964
47
45
32
51
41
31
1970
56
47
23
59
38
20
75
13
12
1974
43
38
22
49
31
20
70
13
14
1980
41
32
21
41
28
19
68
14
15
1985
27
25
18
33
24
17
62
17
21
1990
28
24
19
33
23
18
63
15
22
1995
20
19
20
20
15
15
56
15
31
Tageszeitung
Basis: jeweils weitestes Publikum der Medien, also Personen, die nach eigenen Angaben das jeweilige Medium zumindest selten nutzen. Quelle: Berg/Kiefer 1996, S. 252 (Langzeitstudie ,Massenkommunikation') Seit 1970 wird neben der Wahrheitstreue und der Objektivit~it auch die relative Glaubwt~rdigkeit ermittelt. Im Jahr 1970, als die Frage erstmals gestellt wurde, entschieden sich drei von vier Befragten far das Fernsehen. Dieser Wert wurde seitdem nicht mehr erreicht. Gleichwohl waren auch im Jahr 1995 noch 56% der Befragten der Auffassung, dass im Falle widersprfichlicher Meldungen zu ein und demselben Ereignis am ehesten dem Fernsehen zu glauben w~ire. Die Beurteilung des H6rfunks 45 In der Langzeitstudie ,Massenkommunikation' wurden diese Zahlen nur bis 1995 in dieser Form erhoben.
Die Glaubwtirdigkeit der Medien
165
bleibt t~ber die Jahre hinweg nahezu konstant; die Tageszeitung hingegen konnte in den 1990er Jahren ihre relative Position verbessem (1985:21%, 1995:31%). Diese Indikatoren blieben auch in der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne Kritik. Schon Anfang der 1990er Jahre war diesbeztiglich folgendes zu lesen: ,,Insgesamt bleibt wohl festzuhalten, dab global das Medium betreffende Abfragen von Meinungen und Einstellungen heute weniger denn je aussagef~ihig sind, weil sie letztendlich eine Saldogr613e sehr unterschiedlicher Befunde darstellen. Man wird darauf, zumal in einer Trendstudie [...], sicher auch in Zukunft nicht verzichten k6nnen, aber ebenso wenig auf weiter differenzierende Instrumente." (Berg/Kiefer 1992, S. 256) Eine st~irkere Einbindung der Vielfalt des Medienspektrums wird regelm~iBig eingefordert. Dazu z~ihlt auch eine Berticksichtigung des Nachrichtenspektrums, dem Ereignischarakter zugeschrieben w i r d 46. Die nunmehr dokumentierte neunte Welle der ,Massenkommunikations'-Studie (vgl. Reitze/Ridder 2 0 0 6 ) 47 h a t die in Tabelle 6.2 zusammengestellten Indikatoren nicht mehr in dieser Form beracksichtigt. An deren Stelle ist ein neues Messinstrument getreten: der Imagevergleich tagesaktueller Medien. Erstmals wurde im Jahr 2000 auch das Intemet beracksichtigt (fOr die USA siehe hierzu auch Flanagin/Metzger 2000). Die nachfolgenden Ergebnisse beziehen sich auf Gesamtdeutschland. Die Attribute ,sachlich', ,glaubwtirdig' und ,kompetent' verteilen sich danach wie folgt (vgl. Tabelle 6.3): Tabelle 6.3
Images der Medien im Direktvergleich der Jahre 2000 und
200548
BRD gesamt, Pers. ab 14.J., trifft am ehesten/an zweiter Stelle zu auf..., in Prozent
sachlich glaubwiirdig kompetent
Femsehen 2000 2005 68 66 70 66 74 71
Zeitung 2000 2005 69 64 62 62 59 55
Radio 2000 45 53 44
2005 44 49 43
Internet 2000 2005 18 26 14 22 22 31
Basis: Alle Befragten, 2005: n=4500; 2000: n=5017; jeweils gewichtet.
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Reitze/Ridder 2006, S. 76
46Siehe hierzu auch die Ausfiihrungen in Kapitel 8 und Kapitel 11. 47 Die Befragung fand erstmals nicht Face-to-Face, sondern telefonisch statt. 48 Im Rahmen der ARD/ZDF-Online Studie 2003 wurden so genannte ,,Offiiner", also Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung keine Online-Angebote nutzten, nach Imageaspekten tagesaktueller Medien befragt. Diese Ergebnisse lassen sich mit den in Tabelle 6.3 zusammengefassten Befunden sowohl aufgrund der besonderen Zielgruppe als auch auf Grund einer anderen Skalierungstechnik nicht vergleithen (vgl. Gerhards/Mende 2003, S. 360). Im Rahmen der ARD/ZDF-Offline-Studie 2006 wurden die Imageaspekte der tagesaktuellen Medien jedoch nicht mehr erhoben (vgI. Gerhards/Mende 2006).
166
Die Glaubwt~rdigkeit der Medien
Bezfiglich aller hier betrachteten Vergleiche lautet die Rangordnung: Femsehen, Tageszeitung, H6rfunk, Internet. Trotz einer Zunahme medienkritischer Debatten und der regelm~il3igen Entlarvung von Fehlberichterstattungen bzw. Manipulationen ist diese hohe Zustimmung erstaunlich. Gleichzeitig wird deutlich, dass parallel zu einer Verallt~iglichung der Intemetnutzung die Zuschreibung von Sachlichkeit, Glaubwt~rdigkeit und Kompetenz angestiegen ist. Die Anschlussfrage aber muss lauten, auf welchen (konkreten) Erfahrungen diese Urteile basieren. Gmnds~itzlich gilt ffir alle Evaluationen dieser Art, dass aus mehr oder weniger heterogenen Beobachtungen eine generalisierende Schlussfolgerung gezogen wird. Eine zurfickhaltende Einstufung solcher Befunde ist geboten, weil Rezeptions- und Wahrnehmungseffekte nicht untersch~itzt werden sollten, zumindest im Falle der Bewertung bestimmter Medienprodukte. So sank die Glaubwt~rdigkeit einer Zeitung, wenn das Format vom herk6mmlichen in ein Tabloid-Format ge~indert wurde (vgl. Grabe et al. 2003). R6ssler und Ognianova t~berprfiften Transfereffekte, indem sie einen identischen Nachrichtenbeitrag in unterschiedliche Web-Umgebungen platzierten. Dort, wo eine ,doumalistische Identit~it" simuliert wurde (z.B. Angebot einer Tageszeitung oder eines Fernsehsenders), wurde auch mehr Glaubwt~rdigkeit vermutet (vgl. R6ssler/Ognianova 1999, S. 115ff.). Diese Hinweise belegen die neuen Herausforderungen einer wachsenden Medienkonkurrenz und -differenzierung. Unter der 121berschrift ,,Credibility for the 21st Century" pl~idieren Metzger u.a. daher ffir eine integrierte Vorgehensweise, also ffir eine Berficksichtigung von Kommunikator (Source), Botschaft (Message) und Medienglaubw~irdigkeit (Media Credibility) (vgl. Metzger et al. 2003). Einen Sonderfall stellen Geschehnisse dar, die die Routine von Nachrichtenproduktion und-rezeption durchbrechen. Die Berichterstattung t~ber dramatische Unf~ille und damit einhergehende Risiken stellt ein gutes Beispiel dar. In solchen Situationen wird eine andere Form von Orientierung dominant, die sich von den Gewohnheiten des Alltags deutlich unterscheidet. Am Beispiel der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl haben Peters und Hennen illustriert, dass die Widersprachlichkeit der Meldungen st~irker wahrgenommen wird und eine h6here Sensibilit~it gegent~ber unterschiedlichen Kommunikationsquellen zur Folge hat (vgl. Peters/ Hennen 1990, S. 311). Zugleich tendierten jene, die sich durch eine eindeutige Position gegent~ber der Kernenergie (positiv oder negativ) auszeichneten, dazu, eine starke Beeinflussung oder Manipulation anderer Personen zu vermuten. Dieses auch als ,Third Person'-Effekt bezeichnete Ph~inomen beschreibt die Tendenz, die Wirkung der Medienberichterstattung auf andere h6her einzusch~itzen als auf sich selbst (vgl. Peters/Hennen 1990, S. 309). Interessant ist auch in diesem Falle der Entdeckungszusammenhang, der wieder in die Anf~inge der Persuasionsforschung zurackfahrt. Folgt man der Darstellung Davisons, dem die Formulierung dieser Hypothese zugeschrieben wird, dann war es ein befreundeter Historiker, der ihn auf ein Ereig-
Die Glaubwfirdigkeit der Medien
167
nis des Zweiten Weltkriegs aufmerksam machte. Die japanische Armee hatte ~iber einer pazifischen Inselgruppe Propagandamaterial abgeworfen, um insbesondere die afro-amerikanischen Soldaten gegen die weiBen Offiziere der US-Armee aufzuwiegeln. Auf den Flugzetteln wurde behauptet, dass die Japaner keinen Krieg gegen den schwarzen Mann fahren wollten und es daher kHiger w~ire, sich mit den Japanern zu verbt~nden. Die milit~trische Ffihrung der US-Armee reagierte auf diese Propagandaaktion mit einem Abzug der Einheit yon einem strategisch wichtigen Stfitzpunkt, obwohl sich nachtr~iglich herausstellte, dass auch die schwarzen Soldaten die Absichten der Japaner durchschaut hatten. Die milit~irische Ffihrung t~bersch~itzte somit offensichtlich die Beeinflussbarkeit der Untergebenen. Davison konnte far dieses Ph~inomen zun~ichst keine Erkl~irung vorweisen, versuchte sich dem im historischen Fallbeispiel beschriebenen Prozess aber systematisch zu n~ihern. Seine eigenen Experimente fahrten schlieBlich zu der folgenden allgemeinen Annahme: ,,In its broadest formulation, this hypothesis predicts that people will tend to overestimate the influence that mass communications have on the attitudes and behavior of others." (Davison 1983, S. 3) Mittlerweile sind die dieser Hypothese zugrunde liegenden Vergleichsprozesse vielfach, insbesondere auch in methodischer Hinsicht, analysiert worden (siehe hierzu Davison 1996, Perloff 1993). Offensichtlich neigen Menschen dazu, Beeinflussbarkeit von sich zu weisen. Diese Selbsteinsch~itzung bewahrt aber nicht notwendigerweise vor Fehlbeurteilungen. Ob ,fliegende Kt~he', ,Grubenhunde' oder wirkliche Desinformation - die Dauerpr~isenz der Medien hat den Eindruck verst~irkt, dass der Zweifel an der Wahrheit zum Alltag der Kommunikation geh6rt. Luhmann hat die Folgen dieses Unsicherheitsfaktors wie folgt beschrieben: ,,Wir wehren uns mit einem Manipulationsverdacht, der aber nicht zu nennenswerten Konsequenzen fahrt, da das den Massenmedien entnommene Wissen sich wie von selbst zu einem selbstverst~irkenden Gefage zusammenschlieBt. Man wird alles Wissen mit dem Vorzeichen des Bezweifelbaren versehen - und trotzdem darauf aufbauen, daran anschlieBen mt~ssen." (Luhmann 1996, S. 9f.) Glaubw~irdigkeit bleibt letztlich eine Frage des Vertrauens- far Kontrollen fehlt h~iufig die Zeit.
168
Die Glaubwardigkeit der Medien
Hovland, Carl I. et al. (1953): Communication and Persuasion. Psychological Studies of
Opinion Change. New Haven, London. Lowery, Shearon A.; DeFleur, Melvin L. (1995): Milestones in Mass Communication Re-
search. Media Effects. Third Edition. New York. Kapitel 7 und Kapitel 8. Wirth, Werner (1999): Methodologische und konzeptionelle Aspekte der Glaubw~rdigkeitsforschung, in: R6ssler, Patrick; Wirth, Wemer (Hrsg.): GlaubwOrdigkeit im Intemet. Fragestellungen, Modelle, empirische Befunde. Mt~nchen, S. 47-66.
Die Agenda-Setting-Forschung. Hauptaussagen und Weiterentwicklungen
7.1 Vor und nach Chapel Hill: Der Beginn der Agenda-Setting-Forschung Die vorangegangenen Ausffihmngen haben verdeutlicht, dass die Vorstellung von begrenzten Medieneffekten vielfach Unterstfitzung fand und zu Revisionen bzw. Erg~inzungen des Stimulus-Response-Modells fiihrte. ,Limited Effects' ist hierffir eine geeignete Charakterisierung. Eine wichtige Einschr~inkung aber ergibt sich, wenn die zeitliche Dimension von Wirkungen berficksichtigt wird. Alle bislang behandelten Forschungstraditionen enthalten Hinweise auf die M6glichkeiten der Medien, kurzfristige Einstellungs- und Verhaltens~inderungen hervorzumfen. Von Bedeutung ist beispielsweise, wem bestimmte Informationen zugeschrieben werden (Glaubwfirdigkeit des Kommunikators bzw. der Informationsquelle), ob diese Informationen durch wichtige Personen aus der unmittelbaren Umgebung best~itigt werden (Bedeutung von Meinungsfiihrern) und ob die jeweiligen Empf'~inger einer Information eine hohe bzw. niedrige Entscheidungssouvergnit~it aufweisen. Welm man sich entlang dieser Argumentationsebene bewegt, wird die Wirkung der vermittelten Inhalte vorwiegend an dem AusmaB ihrer Best~itigung oder Zunickweisung gemessen. Da der Prozess der Massenkommunikation aber in der Regel durch Medienangebote eingeleitet wird, liegt ein im Vergleich zur interpersonalen Kommunikation wesentlich gr6Berer Einfluss auf das als relevant erachtete Themenspektrum vor. In vielen Fgllen kommt den Medienangeboten die Funktion zu, das vorhandene Spektrum an Meinungen und Einstellungen zu einer Vielzahl von Themen vorzugeben. Diesen Sachverhalt greift die Agenda-Setting-Forschung auf. Ft~r diese Forschungsrichtung ist anfangs die Fokussierung auf diesen Aspekt der Medienwirkung kennzeichnend. Die Frage, welche Themen in das Wahmehmungsfeld des Publikums Eingang finden, lenkte die AufmefKsamkeit auf die Thematisierungsfunktion der Medien. Mit dieser Thematisierungsfunktion geht eine Stmkturierungsleistung einher, die die soziale Wirklichkeit in einer bestimmten Art und Weise erfahrbar macht. Diese Funktion und damit einhergehende Probleme hat insbesondere der amerikanische Publizist Walter Lippmann (1889-1974) analysiert, der immer wieder zitiert wird, wenn es um Hinweise auf den Ursprung dieser Fragestellung geht. Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs hatte er im Jahr 1922 sein Buch ,,Public Opinion" ver6ffentlicht. Das erste Kapitel des Einleitungsteils wurde in der deutschen Obersetzung mit ,,AuBere Welt und innere Vorstellungen" (Lippmann 1990 [zuerst 1922], S. 9) t~berschrieben. Das amerikanische Original ist in seiner Aussagekraft diesbezfiglich we-
170
Die Agenda-Setting-Forschung
sentlich pointierter: ,,The World Outside and the Pictures in Our Heads." (zit. nach McCombs/Reynolds 2002, S. 2) Lippmann beschrieb in sehr anschaulicher Form, dass Wirklichkeitsvorstellungen vom Zugang bzw. Nicht-Zugang zu bestimmten Informationen abh~ingig sein k6nnen. Zugleich vermittelte er unbequeme Einsichten in Routinen der Informationsverarbeimng. Medien erweitern den Blick auf die Welt, sie k6nnen aber nicht die N~ihe der unmittelbaren Erfahrung ersetzen. Lippmann schrieb: ,,Die einzige Empfindung, die jemand anl~isslich eines Ereignisses haben kann, das er nicht selbst miterlebt, ist die Empfindung, die yon seiner geistigen Vorstellung dieses Ereignisses ausgeht." (Lippmann 1990 [zuerst 1922], S. 16) In allen F~illen, in denen Erfahrungen durch Medien vermittelt werden, erfolgt eine Konfrontation mit Pseudoumwelten (vgl. Lippmann 1990 [zuerst 1922], S. 17). Darin enthalten ist sowohl ein Hinweis auf Manipulationsgefahren als auch die Einsicht in die Grenzen unmittelbarer Wahrnehmung. Die Presse war for Lippmann das Medium, anhand dessen er das fiktive Element der 6ffentlichen Meinung 49 zu bestimmen versuchte. Obwohl es somit um mehr als Thematisierungsfunktionen geht (siehe auch die nachfolgenden Beispieltexte), sah man in dieser Analyse eine Perspektive angelegt, die die Wirkung der Medien auch auf dieser Ebene ansiedelte.
Unmittelbare und mittelbare Erfahrungen. Walter Lippmann ,,Denn die reale Umgebung ist insgesamt zu groin, zu komplex und auch zu fliel~end, um direkt erfal~t zu werden. Wir sind nicht so ausger0stet, dal~ wir es mit so viel Subtilit&t, mit so grol~er Vielfalt, mit so vielen Verwandlungen und Kombinationen aufnehmen kSnnten. Obgleich wir in dieser Umwelt handeln messen, messen wir sie erst in einfacherem Modell rekonstruieren, ehe wir damit umgehen kSnnen. Um die Welt zu durchwandern, m0ssen die Menschen Karten von dieser Welt haben." (1990 [zuerst 1922], S. 18) ,,[...] wohin die Analyse der Natur der Nachrichten und die wirtschaftliche Basis des Journalismus eher zu zeigen scheinen, dal~ die Zeitungen notwendig und unvermeidlich den mangelhaften Aufbau der 0ffentlichen Meinung widerspiegeln und daher mehr oder weniger noch verst~rken. Meine Schlul~folgerung besteht darin, dal~ die 0ffentlichen Meinungen f0r die Presse aufgebaut werden mQssen, wenn sie gesund sein sollen, und nicht von der Presse, wie es heute vielfach der Fall ist." (1990 (zuerst 1922], S. 29) ,,[...] die Sprache ist keineswegs ein vollkommenes Transportmittel fQr Sinngehalte. W0rter werden wie M0nzen hin und her gewendet, um heute diese
49Siehe hierzu auch die AusfOhrungenin Kapitel 9.
Die Agenda-Setting-Forschung
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Bilderfolge, morgen jene hervorzurufen. Es gibt keinerlei Gewil~heit dareber, ob dasselbe Wort im Kopf des Lesers genau denselben Gedanken beschwSren wird wie im Kopf des Reporters. Wenn jede Tatsache und jede Beziehung eine einmalige Bezeichnung tr0ge und wenn jedermann dasselbe darunter verst0nde, w~re es theoretisch mSglich, sich ohne Mil~verst&ndnisse miteinander zu verst~ndigen." (1990 [zuerst 1922], S. 51 )
Bleibt man bei einer engen Auslegung der Agenda-Setting-Hypothese, dann illustriert der h~iufig zitierte Satz von Bernard Cohen die Hauptannahme dieser Forschungstradition. Im Jahr 1963 stellte er bezfiglich der Presse fest: ,,[...] the press is significantly more than a purveyor of information. It may not be successful much of the time in telling people what to think, but it is stunningly successful in telling its readers what to think about." (Cohen 1963, S. 13) Medien nehmen danach einen Einfluss auf die Inhalte, mit denen die Rezipienten sich auseinander setzen. Deshalb wird im Zusammenhang mit Agenda-Setting auch von den kognitiven Effekten der Massenkommunikation gesprochen (vgl. Schenk 2002, S. 399). Ob sich die darin ge~iul3erte Begrenzung des Medieneinflusses in der weiteren Forschung best~itigen liel3, wird am Ende dieses Kapitels noch einmal zu fragen sein. Nur selten konnte diese selbst auferlegte Begrenzung eingehalten werden. Dass die Medien mit ihren Angeboten den Rahmen bestimmen, innerhalb dessen sich zahlreiche Anschlusskommunikationen vollziehen, blieb unbestritten und die Fixierung auf politische Kommunikation in diesem Kontext dominierend. Das Interesse an diesen Medienangeboten umschrieben Lang und Lang im Jahr 1959 wie folgt: ,,All news that bears on political activity and beliefs - and not only campaign speeches and campaign propaganda- is somehow relevant to the vote. Not only during the campaign, but also in the periods between, the mass media provide perspectives, shape images of candidates and parties, help highlight issues around which a campaign will develop, and define the unique atmosphere and areas of sensitivity which mark any particular campaign." (Lang/Lang 1959, S. 226) Obwohl der Begriff ,Agenda-Setting' erst Ende der 1960er Jahre eingeffihrt wurde, war diese theoretische Idee somit bereits mehrfach skizziert worden. Die empirische Umsetzung dieses Gedankens wurde insbesondere von Forschern mit einem journalistischen Hintergrund als Herausforderung angesehen (vgl. hierzu auch Eichhorn 1995, S. 12). Die sogenannte ,Chapel Hill'-Studie repr~isentiert in diesem Zusammenhang eine kleine Pionierarbeit mit grof3er Wirkung. Auf welche Weise der Nachweis zu erbringen versucht wurde, dass die Rangordnung der Themen in den Medien einen Einfluss auf die Bedeutung der Themen in den K6pfen der Menschen hat, soll im Folgenden beschrieben werden. Unter ,Agenda' kann dabei allgemein eine Liste von Themen, Streitfragen und Ereignissen verstanden werden, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in eine ,,hierarchy of importance" (Rogers/Dearing 1988, S. 565) gebracht werden k6nnen.
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Es kam also darauf an, die Agenda der Medien und die Agenda des Publikums miteinander zu vergleichen. In beiden FNlen ging es zun~ichst um die Ermittlung von Rangordnungen, deren l~ereinstimmung im Anschluss t~berprfift werden musste. Wenn diese Rangordnungen kongruent sind, liegen Indizien dafar vor, dass die Massenmedien einen Beitrag zur Strukturierung der Realit~it far das Publikum leisten. Die Agenda-Setting-Hypothese behauptet nach der Pionierstudie von McCombs und Shaw: ,,While the mass media may have little influence on the direction or intensity of attitudes, it is hypothesized that the mass media set the agenda for each political campaign, influencing the salience of attitudes towards the political issues." (McCombs/Shaw 1972, S. 177) Um diesen Nachweis zu erbringen, wurden die Themenpriorit~iten einer Bev61kerungsgruppe untersucht, von der angenommen werden darf, dass sie sich besonders empf~inglich far Medieneinflt~sse zeigen wird: eine Gruppe noch unentschiedener bzw. unentschlossener W~ihler in der Endphase des amerikanischen Pr~isidentschaftswahlkampfs des Jahres 1968. Dieser enge Zuschnitt auf eine kleine Gruppe von W~ihlern (die Stichprobengr613e betmg n=100) bedarf einer erg~inzenden Erl~iuterung: Die ,Chapel Hill'-Studie kann zwar keine Repr~isentativit~it far sich in Anspruch nehmen. Die Konzentration auf unentschlossene W~ihler und deren Agenda vermag jedoch Hinweise zu geben, ob far die Bev61kepang insgesamt ein Agenda-Setting-Effekt zu erwarten ist. Wenn selbst die noch unentschlossenen W~ihler nicht auf die Rangordnung der Themen reagieren, dann werden jene, die in ihrer Wahlentscheidung ohnehin schon festgelegt sind, dieser Rangordnung noch weniger folgen. Die selektive Wahrnehmung und die Resistenz gegent~ber verschiedenen Formen der Beeinflussung mt~sste in den Gruppen mit einer festen Parteipr~iferenz niedriger sein. Die ,People's Choice'-Studie konnte diese Annahme beispielsweise unters~tzen 5~ Der Nachweis far die Hypothese wird dort gesucht, wo die Wahrscheinlichkeit eines Medieneinflusses am gr613ten ist. Die Untersuchung fand in dem Ort Chapel Hill in North Carolina statt. Die noch unentschlossenen W~ihler hatte man tiber entsprechende Filterfragen identifiziert. Zur Ermittlung der Themenagenda des Publikums diente die folgende Frage" ,,What are you most concerned about these days? That is, regardless of what politicians say, what are the two or three main things which you think the government s h o u l d concentrate on doing something about?" (McCombs/Shaw 1972, S. 178) Die Inhaltsanalyse der politischen Informationsquellen konzentrierte sich auf die haupts~ichlich in Anspruch genommenen Medienangebote. Die Aufmachung und Pr~isentation der Themen (,major items' und ,minor items') wurde berficksichtigt und mit der Themenagenda des Publikums verglichen. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
50 Siehe hierzu die Ausfahrungen in Kapitel 5.
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Der statistische Zusammenhang zwischen der Medienagenda und der Publikumsagenda erwies sich in den meisten FNlen als sehr hoch. Da die Untersuchung in der Endphase eines Wahlkampfs stattfand, dfirfte dieser Zusammenhang nicht weiter t~berraschend sein. Kognitive Effekte sind von gr613erer Bedeutung als die selektive Wahrnehmung. Obwohl die untersuchte Bev61kerungsgruppe noch unentschlossen hinsichtlich der Wahlentscheidung war, kannte man zumindest die Parteineigung. Wenn die Theorie der selektiven Wahrnehmung zutrifft, dann muss die Korrelation zwischen der Medienagenda und der Publikumsagenda im Falle der Nachrichten, die die bevorzugte Partei betreffen (,news own party'), gr6Ber sein als im Falle der Berficksichtigung aller Nachrichten (,all news'). Ft~r eine fehlende Evidenz der Schutzschildfunktion der selektiven Wahrnehmung pr~isentieren McCombs und Shaw unter anderem die in der nachfolgenden Tabelle zusammengefassten Befunde (vgl. Tabelle 7.1). Neben den Nachrichtensendungen der amerikanischen Fernsehanstalten CBS und NBC werden die t~berregionale Tageszeitung ,,New York Times" und eine Lokalzeitung beracksichtigt. In 18 von 24 FNlen ist die Korrelation zwischen der Themenrangordnung in den Medien und der Themenrangordnung des W~ihlers in der Kategorie ,all news' h6her als im Falle der Kategorie ,news own party'. Wt~rden vor allem Artikel und Meldungen wahrgenommen, die die eigene Partei betreffen (selektive Wahrnehmung), h~itten die Befunde in eine andere Richtung weisen mt~ssen. McCombs und Shaw bleiben in ihren Schlussfolgerungen zurfickhaltend, sehen aber in den Resultaten einen Hinweis, der sich im Sinne der Agenda-Setting-Hypothese interpretieren l~isst: ,,Yet the evidence in this study that voters tend to share the media's composite definition of what is important strongly suggests the agenda-setting function of the mass media." (McCombs/Shaw 1972, S. 184) Die Interpretation der Befunde k6nnte noch zurfickhaltender formuliert werden. Daffir spricht nicht so sehr die kleine Stichprobengr613e, da es offensichtlich zun~ichst einmal um den Nachweis von Evidenzen, also nahe liegenden Zusammenh~ingen, ging. Auch die fiberdurchschnittliche Aufmerksamkeit der Bev61kerung in der Endphase von Wahlk~impfen ist nicht das entscheidende Argument. Wichtiger ist Folgendes: Gerade die Korrelationskoeffizienten in den Spalten ,news own party' sind h~iufig sehr hoch, so dass Zweifel an der Notwendigkeit der Konzentration auf eine Gruppe noch unentschlossener W~ihler artikuliert werden massen. Ft~r den Fall, dass Unentschlossenheit mit einem sehr rationalen Informationsverhalten einhergeht, h~itte in dieser Gruppe ein noch deutlicherer Agenda-Setting-Effekt erwartet werden mt~ssen. Insgesamt aber wurde durch diese Untersuchung die Fragestellung definiert und ein Grundgerfist f~Jr die methodische Vorgehensweise pr~isentiert.
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Tabelle 7.1
Genutztes Medium
Rangkorrelation von Medienagenda und Publikumsagenda, differenziert nach Bedeutung der Themen und Themenbezug. 7.1.1.2 Wenigerwichtige 7.1.1.1 WichtigeThemen Themen (Major Items) (Minor Items) Alle Nachrichten
Nachrichten zur eigenen Partei
Alle Nachrichten
Nachrichten zur eigenen Partei
(All News)
(News Own Party)
(All News)
(News Own Party)
.89 .80 .89
.79 .40 .25
.97 .88 .78
.85 .98 -.53
W~ihler (D) W~ihler (R) W~ihler (W)
.84 .59 .82
.74 .88 .76
.95 .84 .79
.83 .69 .00
W~ihler (D) W~ihler (R) W~hler (W)
.83 .50 .78
.83 .00 .80
.81 .57 .86
.71 .40 .76
W~ihler (D) W~ihler (R) W~ihler (W)
.57 .27 .84
.76 .13 .21
.64 .66 .48
.73 .63 -.33
New York Times
W~ihler (D) W~ihler (R) W~ihler (W) Durham Morning Herald
CBS ......
NBC
(D) = D e m o k r a t e n ; (R) = Republikaner; (W) = Kandidat Wallace
Quelle: McCombs/Shaw 1972, S. 181 Neun Jahre nach der Durchftihrung der ,Chapel Hill'-Studie konnten McCombs und Shaw bereits auf eine Vielzahl weiterer Studien zurfickblicken und den Stellenwert der Agenda-Setting-Hypothese im Rahmen der Massenkommunikationsforschung genauer bestimmen. Es geht ihnen nicht um die Zurfickweisung anderer Theorien, sondern um die Platzierung von Medieneffekten in einem mehrstufigen Wirkungsprozess, der insbesondere auch das Verh/~ltnis von Medienaufmerksamkeit und 6ffentlicher Aufmerksamkeit (Politik, Bev61kerung) beachtet. Ein Systematisierungsvorschlag differenziert diesbeziiglich ein Awareness-Modell, das die Medienwirkung auf der Ebene der Wahmehmung lokalisiert und an unterschiedlichen Graden der Aufmerksamkeit festmacht. Diese Aufmerksamkeitsdifferenzen sind nicht nur
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abh~ingig von Interesse und/oder Betroffenheit sondern auch von dem Ausmal3 der Hervorhebung des jeweiligen Themas. In jedem Falle wird angenommen, dass die Medienberichterstattung Einfluss auf die Beurteilung der Wichtigkeit von Themen nimmt (so genanntes Salience-Modell). Damit zusammenMngend ist schliel31ich eine Hierarchisierung der relevanten Themen zu erwarten. Dieses Priorit~iten-Modell geht von der Erwartung aus, dass Medienagenda und Publikumsagenda in einer engen inhaltlichen und somit auch statistischen Beziehung stehen. Agenda-Setting bedeutet demzufolge zun~ichst Thematisierung, aber zugleich auch Strukturierung von Themen (vgl. hierzu auch die Hinweise bei Schenk 2002, S. 412f.). W~ihrend sich ein Teil der bisherigen Forschung in der Regel direkt mit Fragen der Meinungs- oder Einstellungs~inderung auseinander setzte, wird mit dem Blick auf die Themenagenden die Ausgangsbasis potentieller Ver~inderungen beschrieben. Medienwirkung wird im Sinne einer Aufeinanderfolge mehrerer Schritte verstanden. Lowery und DeFleur haben dies wie folgt beschrieben: ,,First, the media provoked among its audiences an awareness of the issues. Second, it provided a body of information to the members of that audience. Third, this information provided the basis for attitude formation or change on the part of those who acquired it. And fourth, the attitudes shaped behavior among those involved in the sequence." (Lowery/DeFleur 1995, S. 275) Auf der Basis von Sekund~iranalysen hatte Funkhouser im Jahr 1973 einen Beitrag zu ,,The Issues of the Sixties" vorgelegt. Diese L~ingsschnittbetrachtung fahrte drei Quellen zusammen und versuchte Faktoren zu benennen, die die 6ffentliche Meinung beeinflussen. Drei Indikatorenbt~ndel werden kombiniert: 1) Ergebnisse zur so genannten Gallup-Frage, die in regelmN3igen Abst~inden nach ,the most important problem facing the nation' fragte und damit einen Einblick in die 6ffentliche Meinung vermittelt; 2) Ergebnisse von Inhaltsanalysen der Nachrichtenmagazine ,,Times", ,,Newsweek" und ,,U.S News and World Report"; 3) Statistische Indikatoren zur Entwicklung gesellschaftlicher Ph~inomene. Ffir die USA konnte auf dieser Basis eine hohe Korrelation zwischen der Medienagenda und der Publikumsagenda nachgewiesen werden (vgl. Funkhouser 1973, S. 62ff.). Ffir McCombs ist insbesondere die geringe Korrelation mit den Indikatoren auffallend, die die Realit~it abzubilden versuchen, wie sie ist (z.B. Ausmag der Kriminalit~it, Scheidungsraten usw.). Diese Realit~it scheint einen geringeren Einfluss auf die Publikumsagenda zu nehmen als die Medienagenda, die mit dieser Realittit nicht immer t~bereinstimmt (vgl. McCombs/Reynolds 2002, S. 5f.). Wenngleich Funkhousers Analyse ebenfalls als explorative Studie bezeichnet wird, erf~ihrt Lippmanns Auffassung t~ber die Funktion der Medien durch diesen Befund ebenfalls Unterstt~tzung. Die Frage, wie es zu der Entstehung bestimmter Medienagenden kommt, ist damit jedoch noch nicht hinreichend beantwortet. Auf theoretischer Ebene lassen sich viele Zusammenh~inge vorstellen (vgl. Eichhorn 1995, S. 27). In den meisten FNlen aber wird die Wahrscheinlichkeit, dass etwa die Publikumsagenda einen wirksamen Einfluss auf die
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Die Agenda-Setting-Forschung
Medienagenda nimmt, nicht besttitigt werden. Ist dies der Fall, so ist es Teilen des Publikums gelungen, ihre Interessen so zu artikulieren, dass ihnen ein Nachrichtenwert zugeschrieben wird. Dearing und Rogers unterscheiden drei Hauptagenden, die im Rahmen des Agenda-Setting-Prozesses wirksam werden kOnnen: ,Media Agenda', ,Public Agenda' und ,Policy Agenda'. Auf der Ebene der Messung gilt es dabei zu beachten, dass ftir jede Agenda Indikatoren vorhanden sind, die gleichwohl von unterschiedlicher Gt~te sind bzw. sein k6nnen: 9
9
9
9
Media Agenda: Grundlage der Messung sind inhaltsanalytische Verfahren, die insbesondere quantitative Aspekte der Berichterstattung erfassen. Anzahl und Umfang der Berichterstattung in Presse, Fernsehen oder H6rfunk sowie eine damit verbundene Strukturierung des Inhalts werden vorgenommen. Public Agenda: Welche Themen die Bev61kemng als wichtig betrachtet, wird in der Regel im Rahmen von Umfragen ermittelt. Die Gallup-Frage ermittelt beispielsweise die wichtigsten Probleme eines Landes und schliegt daraus auf die relative Bedeumng der Thematik. Policy Agenda: Die Analyse von Parlamentsdabetten hinsichtlich Inhalt und Dauer, verabschiedete Gesetze und Budgetverteilungen sind nur einige Beispiele aus dem Indikatorenspektrum, das Schlussfolgerungen auf die politische Agenda gestattet. Zugleich ist die Messung dieser Agenda weniger standardisiert. Real-World-Indikatoren: Hier handelt es sich um Versuche der exakten Abbildung der Wirklichkeit. Das weite Feld der amtlichen Statistik sowie zahlreiche darfiber hinaus gehende Berichtssysteme informieren fiber den Zustand der Umwelt, das Gesundheitsverhalten der BevOlkemng, das Ausmag der Kriminalit~it, die wirtschaftliche Entwicklung usw.
Abbildung 7.1 fasst zusammen, wie diese Agenden beeinflusst werden und zusammenwirken k6nnen. Die Agenden beschreiben verschiedene Relevanzhierarchien. Mit anderen Worten: Welche Themen werden in den Medien, der Offentlichkeit und in der Politik zu bestimmten Zeitpunkten als bedeutsam und wichtig erachtet? Decken sich diese Rangordnungen mit der Wichtigkeit, die diesen Ph~inomenen in der ,real world' zukommt? Existiert eine Ungleichheit des Einflusses, die auf unterschiedliche Formen der politischen Partizipation und Artikulation zurfickzuffihren ist? Dies sind nur einige Fragen, die sich aus Abbildung 7.1 ableiten lassen. Die Querverbindungen zu anderen Forschungstraditionen und Disziplinen sind erkennbar. Das Thema, das die Agenda-Setting-Forschung selbst gesetzt hat, bietet insofern viele Anschlussm6glichkeiten. Im Folgenden soll daher die Agenda-SettingForschung im engeren Sinne im Vordergrund stehen. Es sollen Ergebnisse und Probleme dieser Tradition zusammengefasst werden, die sich in erster Linie mit dem Zusammenhang von Medienagenda und Publikumsagenda auseinandergesetzt haben,
Die Agenda-Setting-Forschung Abbildung 7.1
e-
tD
Media Agenda, Public Agenda und Policy Agenda
Pers6nliche Erfahrungen und interpersonale Kommunikation unter Eliten und anderen Personen
Medienagenda (Media Agenda)
I
........................... t .....................................~
r m lii
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I~
l
~ Agenda " (Public Agenda) iill
Po''t'sche
Agenda (Policy Agenda)
I?"...............................................................
"Real World" 1 Indikatoren zur Bedeutung des Agenda-Themas bzw. [ Ereignisses /
Quelle: Dearing/Rogers 1996, S. 5
7.2 Die Agenda-Setting-Forschung im Uberblick: Methoden, Fragestellungen, Ergebnisse Seit der Pionierarbeit von McCombs und Shaw sind mehr als 200 empirische Studien erschienen, die sich der Agenda-Setting-Forschung verpflichtet f~hlen. Jenseits der Orientierung an der Grundfragestellung sind diese Studien h~iufig unterschiedlich konzipiert, insbesondere im Hinblick auf die methodische Vorgehensweise. Im Folgenden soll dieser Aspekt im Vordergrund stehen.
Querschnitt- oder Liingsschnittanalyse: Selbst der kurzffistige Nachweis yon Agenda-Setting-Effekten muss in Betracht ziehen, dass zwischen dem Ereignis, der Berichterstattung und der Wahmehmung in der Bev01kerung eine zeitliche Differenz liegt. Die ,Chapel Hill'-Studie entsprach einer Querschnittsbeffagung und konzentrierte sich auf die Ermittlung der Themenagenda zu einem bestimmten Zeitpunkt. Nut Plausibilit~itstiberlegungen konnten rechtfertigen, dass der Einfluss der Medienagenda auf die Publikumsagenda gr0ger ist als im umgekehrten Falle. Von einer Lgngsschnittanalyse wird gesprochen, wenn zu mehreren aufeinanderfolgenden
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Die Agenda-Setting-Forschung
Zeitpunkten eine Analyse mit gleichem oder ~ihnlichem thematischen Zuschnitt durchgeNhrt wird. Konzentriert sich die Inhaltsanalyse auf ein unver~indertes Medienset (z.B. berticksichtigte Tageszeimngen) und die Befragung auf dieselben Personen, liegt der Sonderfall einer Panelanalyse vor. Da die Medienberichterstattung kontinuierlich erfolgt, k6nnen aber auch L~ingsschnittanalysen nur unter bestimmten Voraussetzungen einen Nullpunkt der Berichterstattung annehmen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein v611ig neues Thema aufl~commt, das weder die Politik, die Offentlichkeit noch die Medien besch~iftigt hat. Insbesondere unter solchen Bedingungen kann die L~tngsschnittbetrachtung Angaben zur Zeitspanne erm6glichen, die zwischen der Berichterstattung in den Medien und dem Eingang des Themas in die Publikumsagenda liegt. Gleichwohl bleiben diese zeitlichen Angaben sehr stark von dem methodischen Design abh~ingig. Die Heterogenit~it der Befunde ist in diesem Bereich auf die unterschiedlich grogen Untersuchungsintervalle zurtickzuffihren.
Einfluss der Untersuchungsintervalle: Monatsweise durchge~hrte Analysen sch/~tzten das Intervall zwischen Berichterstattung (Medienagenda) und Resonanz in der Bev61kerung (Publikumsagenda) auf ein bis vier Monate; Studien, die tiber eine dichtere Datenreihe verftigten, auf ein bis zwei Wochen; experimentelle Untersuchungen (z.B. die Studien yon Iyengar/Kinder 1987, siehe unten) glaubten AgendaSetting-Effekte bereits innerhalb weniger Tage nachweisen zu k6nnen. Eichhorn (1995, S. 29) unterscheidet beztiglich des Faktors ,Zeit' drei Varianten, die hier durch Hinweise auf Beispiele erg~nzt werden: 1) Kurzfristige Effekte liegen vor, wenn dem Thema im unmittelbaren Anschluss an die Berichterstattung eine hohe Bedeutung zugesprochen wird. Wenn beispielsweise eine wichtige politische Pers6nlichkeit zurticktritt, wird das Thema einige Tage hohe Aufmerksamkeit erfahren, aber bald auch eine Phase der S~ttigung erreichen, in der die Themenstrukturierung ersch6pft ist. 2) Langfristige Effekte liegen vor, wenn sich die Bedeutung des Themas erst nach einem gewissen Zeitraum erschlieBt und h/~ufig erst nach Abschluss der Berichterstattung als wichtig eingesch/~tzt wird. Langwierige Verhandlungen tiber die Reform von Gesetzen k6nnen bier als Beispiel genannt werden. Nach der Verabschiedung wird die Relevanz erst erkannt. 3) Kumulative Effekte entstehen vor allem dann, wenn ein Thema tiber l~ngere Zeit die Medienagenda bestimmt und yon der Bev61kerung immer wieder wahrgenommen wird. Dies kann beispielsweise im Falle yon Themen eintreten, die wiederholt auf die Tagesordnung gelangen, weil /~hnliche oder vergleichbare Ereignisse registriert werden (z.B. Umweltkatastrophen, milit~irische Konflikte). Der Grund fiir eine seltene Durchfahrung von L~ingsschnittanalysen liegt in dem erheblichen Arbeitsaufwand, der aus der kontinuierlichen Betrachtung der Medienangebote einerseits und der Bev61kerungsagenda andererseits resultiert. H~iufig sind es auch Kostengrfinde, die solche Untersuchungen nicht realisierbar machen. Brosius und Kepplinger verglichen im Rahmen ihrer Studie die -
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Nachrichtenangebote der grogen westdeutschen Fernsehveranstalter und erg~tnzten diese Inhaltsanalyse durch Ergebnisse w6chentlich erfolgter Meinungsumfragen, die auch die Themenagenda des Publikums erfragten. Ftir Kernbereiche der Politik (Verteidigung, Umwelt, Arbeitsmarkt) konnten starke Agenda-Setting-Effekte nachgewiesen werden. Auch hier wird auf die Problematik der Erhebungszeitpunkte hingewiesen, zugleich konnte aber eine Variante des kumulativen Modells beobachtet werden. Nach den ermittelten Befunden gibt es Themen, zum Beispiel Arbeitslosigkeit, die eine hohe Reaktualisierungschance haben und auch dann eine hohe Priorit~it in der Publikumsagenda geniel3en, wenn die diesbeztigliche Berichterstattung nachl~isst. Im Falle des Themas ,Umweltschutz' schwankte die Themenpriorit~it auf der Seite des Publikums in Abh~ingigkeit vonder Behandlung des Themas in den Medien (vgl. zusammenfassend hierzu Brosius/Kepplinger 1990, insb. S. 193ff.). Die in Abbildung 7.1 angesprochenen spektakul~iren Ereignisse sind in besonderer Weise geeignet, ein 0ffentlich bislang kaum wahrgenommenes Thema sehr rasch zu einem zentralen Problem werden zu lassen. Dearing und Rogers zeigen auf, dass die Drogenproblematik zu einem Zeitpunkt die amerikanische Bev61kerung besch~iftigte, als die ZahI der Drogentoten zurOckging. Grund war ein prominentes Opfer, das auch auf politischer Ebene zur Einleitung von Kampagnen gegen den Drogenmissbrauch Anlass gab (zu weiteren Details siehe Dearing/Rogers 1996, S. 19ff.). Ahnlich verhielt es sich im Falle von AIDS. Diese Krankheit erreichte in den USA eine hohe Aufmerksamkeit, nachdem Personen des 6ffentlichen Lebens davon betroffen waren. Es sind somit h/aufig ausl6sende Ereignisse (trigger events) erforderlich, um zun~ichst die Aufmerksamkeit der Medien und sodann der nicht unmittelbar betroffenen Bev61kerung zu gewinnen. Personen, die das Problem aus ihrem n~iheren Umfeld kennen, bedtirfen dieser ,Hilfestellung' nicht. H~iufig ist beobachtbar, dass durch ,trigger events' ausgel6ste Berichterstattungen von vergleichsweise kurzer Dauer sind, aber Nachhalleffekte in der Medienberichterstattung selbst her,~orrufen. Berichte fiber UnfNle der unterschiedlichsten Art (Ztige, Busse, Schiffe, Flugzeuge) bleiben selten ,einmalig'. Ein sp~iteres, unter Umst~inden weniger dramatisches Ereignis verdankt seine Offentlichkeit einem vorausgegangenen Fall. - Einfluss von Trigger Events:
Makroebene: Die meisten Agenda-Setting-Studien arbeiten mit aggregierten Daten, d.h. die auf der Grundlage von Inhaltsanalysen ermittelten Durchschnittswerte bzw. Rangordnungen einerseits und die Rangordnung der Publikumsagenda andererseits gehen bereits in zusammengefasster Form in die Berechnung von Korrelationskoeffizienten ein. Diese Aggregatdaten beruhen zwar auf Individualdaten, der Vergleich der Rangordnungsprofile erfolgt jedoch nur selten auf dieser Mikroebene. Dies kann zu dem paradoxen Effekt ftihren, dass sich Agenda-SettingPh~inomene auf der gesellschaftlichen Ebene beobachten lassen, aber auf der indivi-
- Mikro- und
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Die Agenda-Setting-Forschung
duellen Ebene kaum in Erscheinung treten (vgl. hierzu auch R6ssler 1997a, S. 119ff. und 132ff.). Diese Konstellation ist insbesondere zu erwarten, wenn die (statistische) Mischung aus in den Gesamt-Stichproben h~iufiger und seltener vorkommenden Themen in ,Durchschnitts-Agenden' mtindet und damit eine zentrale Tendenz erwartet wird, die far einzelne Rezipienten nicht notwendigerweise analog anzutreffen ist. Die hier skizzierte Problematik spiegelt sich auch in der so genannten ,,Acapulco-Typology" wider. Der Name erkl~irt sich aus der urspriinglichen Pr~isentation dieser Typologie im Rahmen eines Kongresses der International Communication Association (ICA) in Acapulco, Mexiko. Diese unterscheidet zwei Dimensionen: Ermittlung der gesamten Agenda (oder mehrerer Themen) versus Fokussierung eines spezifischen Themas und die Messung der Reaktionen auf Aggregat- oder Individualebene (vgl. McCombs/Reynolds 2002, S. 6).
Cross-Lagged-Korrelationen" Mit der Untersuchungsanlage variieren die M6glichkeiten des Einsatzes statistischer Analyseverfahren. Im Falle der Querschnittsanalyse, die sich vorwiegend auf Aggregatdaten st~tzt, wird das Rangkorrelationsverfahren verwandt. Im Falle einer Panel-Analyse besteht sowohl die M~Sglichkeit der Berechnung von Korrelationskoeffizienten far einen Beobachtungszeitpunkt als auch die Ermittlung zeitversetzter Korrelationen. Hierfar steht der Begriff ,CrossLagged'-Korrelation. Anhand der nachfolgenden Darstellung sollen die M/Sglichkeiten dieses Verfahrens erl~iutert werden (vgl. Abbildung 7.2). Liegen Ergebnisse aus einem Medien- und einem Publikums-Panel vor, lassen sich im Falle von zwei Beobachtungszeitpunkten sechs verschiedene Korrelationskoeffizienten berechnen. Die Koeffizienten sind in Abbildung 7.2 mit den Buchstaben A bis F gekennzeichnet. A und B messen die Stabilit~it von Medien- und Publikumsagenden, C und D zeitpunktbezogene Agenda-Setting-Effekte, E und F zeitversetzte Effekte. Ist der Koeffizient F gr613er als der Koeffizient E, dann ist der Effekt der Medienagenda auf die Publikumsagenda gr/Sger als im umgekehrten Fall. Wie sich die Korrelationskoeffizienten C und D zueinander verhalten, ist von der Kontinuit~it der Berichterstattung und der interpersonalen Kommunikation abh~ingig. Variiert das Themenspektrum und dominieren kurzfristige Effekte, k6nnen beide Koeffizienten hoch sein. Wenn die Korrelation zwischen der Medienagenda zum Zeitpunkt 1 und der Medienagenda zum Zeitpunkt 2 hoch ist, ist allerdings zu erwarten, dass der Koeffizient D gr613er sein wird als der Koeffizient C. Dies wiirde einem kumulativen Effekt entsprechen, der aus einer regelm~igigen Berichterstattung tiber ein und dasselbe Thema resultiert. Diese Hinweise belegen, dass mit Hilfe dieses Verfahrens zus~itzliche Kontrollm6glichkeiten hinsichtlich der beobachteten Wirkungsketten gegeben sind. Das Problem eines fehlenden Nullpunkts der Messung bleibt gleichwohl bestehen. Grunds~itzlich l~isst diese Vorgehensweise auch den Nachweis eines Effekts zu, der im Sinne lang anhaltender Wirkungen der Medienagenda interpretiert werden kann. Der Berichterstattung tiber den Reaktorunfall in Tschernobyl im Jahr 1986 -
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folgte ein monatelanger Agenda-Setting-Effekt zu Gunsten des Themas ,Energieversorgung', der auch nach einem Rtickgang der Medienaufmerksamkeit fortbestand (vgl. Brosius/Kepplinger 1990, S. 206f.). Abbildung 7.2
Medienagenda und Publikumsagenda. Das Verfahren der CrossLagged-Korrelation
ZEITPUNKT 1
ZEITPUNKT 2
[...]
A Medienagenda 1
Medienagetlda 2
F C
D E
Publikums -agenda 1
B
Publikumsagenda 2
Quelle: Eigene Erstellung Die Einheit der Analyse und die Art der Priisentation: Medienagenda und Publikumsagenda werden in unterschiedlicher Detailliertheit ermittelt. Insofem unterscheiden sich die Studien hinsichtlich der Art und Weise, wie die Inhalte der Medien auf ein vertretbares Niveau reduziert und zusammengefasst werden (Inhaltsanalyse). Dartiber hinaus sind Pr~isentationseffekte h~iufig schablonenhaft diskutiert worden. Die Pionierphase der Agenda-Setting-Forschung war insbesondere von der Idee inspiriert, dass die Presse in der Lage ist, die Agenda des Publikums zu bestimmen. Dem Fernsehen wurde noch in den 1970er Jahren eine nachrangige Funktion zugeschrieben, indem von einer ,Spotlighting'-Funktion gesprochen wurde (vgl. zusam-
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menfassend Brosius 1994, S. 272ff.) 51. Brosius weist zurecht darauf hin, dass neuere Studien zum einen starke Agenda-Setting-Effekte des Fernsehens nachgewiesen haben, zum anderen das ver/J,nderte Informationsverhalten der Bev61kerung eine Vorrangstellung der Presse nicht 1/~ngerrechtfertigt.
Relevanz des Themas und Bezugsebene: Nicht nur die Regelm~il3igkeit der Berichterstattung nimmt Einfluss auf die subjektiv empfundene Relevanz von Themen, sondern auch die Inhalte selbst, die in doppelter Hinsicht als nah oder fern erlebt werden k6nnen: pers6nliches Interesse bzw. Betroffenheit und geografische Distanz. An dieser Differenzierung orientiert sich auch die Unterscheidung unauffiilliger bzw. allt~iglicher und auffiilliger bzw. ungew6hnlicher Ereignisse (,unobtrusive' versus ,obtrusive'). Wird die geografische Dimension berticksichtigt, so dtirfte im Falle einer Kombination herausragend/nah ein Agenda-Setting-Effekt der Medien von bereits vorliegenden direkten Beobachtungen bzw. Erfahrungen tiberlagert werden. Eichhorn bemerkt hierzu: ,,Je ,n~iher' ein Thema einer Person durch direkte Beobachtung und direkte Betroffenheit wird, desto geringer der Einfluss der Medien [...]. Dagegen ersetzen die Medien bei einem ,entfernteren' Thema die direkte Wahrnehmung und gewinnen auf diese Art und Weise gr6geren Einflug." (Eichhorn 1995, S. 24) Mittelbarkeit geht dagegen h~iufig mit geografischer Distanz einher und stellt das pr/idestinierte Feld fiar Agenda-Setting-Effekte dar. -
Ermittlung der Publikumsagenda: Aus den Ergebnissen zur Meinungsffihrerforschung kann die Schlussfolgerung abgeleitet werden, dass der Informationsstand in der Bev61kerung unterschiedlich ist. Insofern wird im Rahmen der AgendaSetting-Forschung zwischen der Wahrnehmung (,Awareness') und der Vertrautheit mit einem Thema (,Salience') unterschieden. Die bereits erw~ihnte Gallup-Frage ermittelt die Thementransparenz zun~ichst auf einer allgemeinen Ebene (,What are the most important problems facing our country today?'). Ob und in welchem Ausmal3 kognitive Effekte der Massenkommunikation vorliegen, wird unter anderem mittels Vorgabe unterschiedlicher Beurteilungsebenen ermittelt: 1) die individuelle Ebene: Messung der Themenkenntnis einzelner Personen. 2) die Kommunikationsebene: Uberprtift wird, ob die individuelle Einsch~ttzung sich mit den Mufigsten Gespr~ichsthemen, die den Alltag dominieren, deckt. 3) die Erwartungsebene: Es soil antizipiert werden, welche Themen von anderen Personen bzw. Gruppen als wichtig eingestuft werden (vgl. hierzu auch Schenk 2002, S. 426f.). Somit er6ffnen sich verschiedene M6glichkeiten, das Themenbewusstsein in der Bev61kerung abzufragen. Die jeweils ermittelte Thementransparenz korreliert mit weiteren Merkmalen der Rezipienten, zum Beispiel: Orientierungsbedtirfnis (,need for orientation'), poli-
-
5~ Siehe hierzu auch die Ausffihrungen in Kapitel 11.
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tisches Interesse, Kommunikationsbereitschaft im Allgemeinen. Auch hier werden Parallelen zur Meinungsffihrertheorie erkennbar. Die Agenda-Setting-Forschung l~isst sich mithin dadurch kennzeichnen, dass das ,What to think about' eine differenzierte Betrachtung erfahren hat. Die Wirkung von Medienangeboten l~isst sich mit dem Hinweis auf Wahmehmung und Aufmerksamkeit nicht ersch6pfend beschreiben. Brosius hat vorgeschlagen, Agenda-Setting als eine erste Stufe in mehrstufigen Medienwirkungsketten zu betrachten. Diese Empfehlung deckt sich mit den Vorstellungen der Pioniere dieser Forschungsrichtung. Die Wirkungskette beginnt mit Wahmehmungen und Gewichtungen von Themen und endet unter Umst~inden mit Einstellungs- und Verhaltens~indemngen (vgl. Brosius 1994, S. 280). Auch Brettschneider kommt im Rahmen eines Forschungst~berblicks zu dem Ergebnis: ,,Massenmedien k6nnen [...], indem sie beeinflussen, worfiber wir nachdenken, zumindest in bestimmten Situationen auch beeinflussen, was wir denken." (Brettschneider 1994, S. 226) Insofem nehmen Appelle zu, die an die Stelle der Konkurrenz verschiedener Perspektiven eine sinnvolle Kombination von Forschungstraditionen setzen wollen. Bevor auf eine Weiterentwicklung der Agenda-Setting-Hypothese eingegangen wird, soll zun~ichst eine empirische Studie pr~isentiert werden, die zwar das wichtige Kriterium der L~ingsschnittanalyse nicht erfallt, ansonsten jedoch eine sehr differenzierte methodische Vorgehensweise praktiziert hat. Erbring, Goldenberg und Miller besch~iftigten sich in ihrer Untersuchung ,,Front-Page News and Real-World Cues: A New Look at Agenda-Setting by the Media" mit der Frage, welchen Einfluss die Massenmedien auf die Wahrnehmung und Beurteilung bestimmter Probleme haben. Die Berichterstattung zu einem Thema wird zun~ichst als ein ausl6sender Stimulus betrachtet, aber durch weitere Indikatoren erg~inzt, um die Wirkung angemessen absch~tzen zu k6nnen. In der Studie standen drei Datenquellen zur Ver~gung, die individuenbezogen zusammengeNhrt werden konnten: 9
9
9
Ergebnisse einer Umfrage aus dem Jahr 1974 (,National Election Study'): In dieser Umfrage wurde mit der klassischen Agenda-Setting-Frage (GallupFrage) gearbeitet. Analyse von Tageszeitungen in den Erhebungsgebieten der Umfrage (Titelseiten von 94 Tageszeitungen): Die Auswahl der Tageszeitungen erfolgte unter Berficksichtigung des Informationsverhaltens der Befragten. Um einen AgendaSetting-Effekt ermitteln zu k6nnen, betrachtete man auch die Berichterstattung im Vorfeld der Befragung. Etwa 8.900 Artikel (,Stories') wurden erfasst. Statistische Indikatoren (Kontextdaten) zu den Gebieten, in denen die Umfrage stattfand (z.B. Arbeitslosenquote, Kriminalit~itsrate).
Die Autoren verfligten somit t~ber ~ihnliche Indikatoren wie Funkhouser zu Beginn der 1970er Jahre. Dieses umfangreiche Forschungsprojekt vermittelte insofern einen
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Die Agenda-Setting-Forschung
,new look', als es auf Interaktionseffekte zwischen der Berichterstattung in den Medien und einer diesbezfiglichen Empf'~inglichkeit der Bev61kerung hinwies. Wenn das Medienthema auch unmittelbar erfahrbar war, verst~irkten die Medien eine bereits vorhandene Aufmerksamkeit gegenOber dem Problem; Arbeitslosigkeit ist als Beispiel zu nennen. Daneben konnten Themen von allgemeinerem Interesse identifiziert werden, die solche Effekte nicht ausl6sten. Nach Erbring et al. ist zum Beispiel das Thema ,Vertrauen in die Regierung' ein genuines Medienthema. M6glichkeiten der direkten Beobachmng und Wahrnehmbarkeit fehlen weitgehend. Man ist auf die Berichterstatmng in den Medien angewiesen (vgl. Erbring et al. 1980, insb. S. 31 ff.). Dieser Befund best~itigt die schon angedeutete Wechselwirkung zwischen der N~ihe bzw. Distanz und Mittelbarkeit bzw. Unmittelbarkeit des Themas. Nur dann, wenn eine fiberdurchschnittliche Mediennutzung vorliegt, kann eine fehlende Betroffenheit durch die Medienberichterstattung kompensiert werden. Schenk spricht in diesem Zusammenhang yon Nutzungswirkungen (vgl. Schenk 2002, S. 470). Eine L~ingsschnittanalyse, die sowohl inhaltlich interessante Ergebnisse als auch zentrale methodische Probleme verdeutlicht, legte McCombs gemeinsam mit Zhu vor. Betrachtet wird der Zeitraum von 1954 bis 1994 for die USA. Ausgangspunkt dieser Longitudinalstudie sind mehrere l~erlegungen, die in drei Hypothesen zusammengefasst werden. Diese sollen an dieser Stelle in einer etwas allgemeineren Form Erw~ihnung finden: 1) Aufgrund eines allgemeinen Anstiegs des Bildungsniveaus wird auch ein Anstieg der ,,Public Agenda" erwartet. Gemeint ist damit eine Zunahme der als relevant eingestufien Themen zu einem bestimmten Zeitpunkt (,,issues" im quantitativen Sinne, also: Wie viele Themen werden genannt?). 2) Es wird des Weiteren vermutet, dass sich das Themenspektrum insgesamt ausdifferenziert hat und die Wahrscheinlichkeit der Identifizierung weniger ,,major issues" zurfickgeht. 3) Die Zeit, die ein bestimmtes Thema auf der ,,Public Agenda" verweilt, verkOrzt sich im betrachteten Zeitraum. Die lJberp~fung dieser Hypothesen erfordert methodische Sorgfalt einerseits und theoretische Festlegungen andererseits: Die Gallup-Frage ,,What do you think is the most important problem facing this country today?" wurde seit 1939 kontinuierlich eingesetzt, allerdings basierte die Stichprobenziehung anfiinglich auf einem Quotenverfahren, das zu Verzerrungen ffihrte (weitere Einzelheiten bei McCombs/Zhu 1995, S. 499). Daher beginnt die betrachtete Zeitreihe in den 1950er Jahren. Alle Hypothesen erfordern eine Antwort auf die Frage: ,,What is an issue?" Je differenzierter die Themenliste, desto wahrscheinlicher wird insbesondere eine Best~itigung yon Hypothese 2 und Hypothese 3. Die Themenliste umfasste 179 Kategorien, die 18 Hauptkategorien zugeordnet wurden. Diese waren dann Basis der L~ingsschnittbetrachtung. Die Oberkategorie ,,Money" umfasste bspw. Einzelthemen wie ,,Food prices", ,,Savings and Loans" oder ,,Gasoline Price" (vgl. ebenda, S. 518). Schliel31ich musste ein Schwellenwert festgelegt werden, der fiberschritten sein musste, um ein Thema als Teil der ,,Public Agenda" zu betrachten. In Anlehnung an eine Untersuchung von Neuman (1990, dort
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S. 169, Table 1) wurden alle Themen beachtet, die in den Umfragen mehr als 10 Prozent der Nennungen erhielten. Das zentrale Ergebnis dieser Untersuchung lautete: W~ihrend sich kein signifikanter Anstieg der Summe als relevant erachteter Themen zeigt, nimmt die Varianz der Themen zu, insbesondere aber steigt der Themenwechsel im Zeitablauf an. Der Zeitraum, in dem ein Thema die 6ffentliche Agenda dominiert, verkt~rzt sich. McCombs und Zhu reflektieren ihre Ergebnisse kritisch und gelangen zu der Schlussfolgerung: ,,The public agenda has been transformed from an era where one or two overriding issues dominated to the current stage where many voices compete for attention. This issue competition, in the absence of significant expansion of carrying capacity, leads to a faster rate of issue turnover on the public agenda." (1995, S. 517)
7.3 Der Priming-Effekt McCombs und Zhu beenden ihren Beitrag mit dem Hinweis, dass Fragen der ,,issue volatility" angesichts einer zu erwartenden TV-Kanalkapazit~it von t~ber 500 die Agenda Setting-Forschung vor neue methodische Probleme stellen werde (vgl. ebenda, S. 518). Jedenfalls dt~rfte es schwierig werden, den Agenda-Setting-Effekt nur auf der kognitiven Ebene zu verankern. Neben der Vielfaltsproblematik bleibt die ebenfalls von McCombs angedeutete Mehrstufigkeit und die von Brosius bezeichnete Kettenwirkung erkl~irungsbedt~rftig. Weaver hat Letzteres am Beispiel der politischen Kommunikation wie folgt erl~iutert: ,,For voters with a high need for orientation about politics, mass media do more than merely reinforce. In fact, mass media may teach these voters the issues and topics to use in evaluating certain candidates and parties." (Weaver 1977, S. 117) Der Begriff ,Priming' nimmt auf diese Feststellung Bezug und will illustrieren, dass etwas an die erste Stelle ge~ckt wird und dadurch eine besondere Wichtigkeit erf'~ihrt. Wird bestimmten Ereignissen bzw. Themen eine hohe Medienpriorit~it zuteil, resultiert daraus in der Summe far die BevOlkerung ein Bewertungsraster mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Iyengar und Kinder haben diesen Effekt experimentell t~berprfift. Der Grundgedanke nimmt Bezug auf kognitionspsychologische Erkenntnisse, wonach zur Beurteilung von Sachverhalten oder Personen nicht alle verffigbaren Informationen herangezogen werden, sondern vor allem solche, die gerade verft~gbar sind. Diese Verffigbarkeit kann durch die Berichterstattung der Medien beeinflusst werden. Dominieren dort beispielsweise wirtschaftspolitische Themen, werden Bewertungen von Politikern in st~irkerem Mage unter Berficksichtigung dieser Informationsangebote erfolgen. Diese Annahme impliziert, dass die Medien zugleich die Bewertungsmal3st~ibe bzw. die Grundlagen von Bewertungen ver~indern k6nnen, indem sie von sich aus die Themenschwerpunkte variieren. Diese theoretischen Voraussetzungen bilden die Grundlage Nr empirische Untersuchun-
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Die Agenda-Setting-Forschung
gen, in denen systematische Manipulationen der Bewertungsgrundlagen vorgenommen werden. Stichwortartig 1/~sst sich die Vorgehensweise wie folgt skizzieren: Nach dem Zufallsverfahren werden Experimental- und Kontrollgruppen gebildet, denen Nachrichtensendungen pr~isentiert werden. Die Inhalte selbst werden von den Versuchsleitern nicht manipuliert, sondem nur die L/~nge bzw. die Anzahl der Beitrgge zu bestimmten Themen. Eine Gmppe sieht zum Beispiel nur Nachrichtensendungen mit Schwerpunkten auf dem Gebiet ,Inflationsbek/impfung'; eine andere Gruppe sieht Nachrichtenbeitr/~ge mit einem Fokus auf sicherheitspolitischen Aspekten. Die Versuchsteilnehmer werden im Anschluss an die Rezeption der Nachrichtensendungen darum gebeten, sowohl die spezifische Kompetenz von bestimmten Politikem beztiglich einzelner Politikbereiche als auch die generelle Kompetenz von Politikern einzusch/~tzen. In der Regel wurden den Versuchsteilnehmern mehrere Filme gezeigt, so dass sich der gesamte Versuch h~iufig tiber eine Woche erstreckte. 24 Stunden nach dem Sehen des letzten Nachrichtenfilms fanden die Nachhermessungen statt. Je h6her die Korrelation zwischen einer spezifischen Beurteilung (,problem performance') und einer allgemeinen Beurteilung (,overall performance') ist, desto st/irker geht das spezifische Urteil in die Gesamtbewertung von Personen oder Sachverhalten ein. Vergleiche dieses Zusammenhangs zwischen Experimental- und Kontrollgruppe werden im Falle einer positiven Differenz als ,Priming-Effekt' bezeichnet (vgl. Iyengar/Kinder 1987, S. 65ff.). Diese Vorgehensweise soll an einem Beispiel erl/~utert werden, das Ergebnisse mehrerer Experimentalreihen zusammenfasst. Zu bewerten war jeweils die Kompetenz des amerikanischen Pr/~sidenten (vgl. Tabelle 7.2). Der Inhalt von Tabelle 7.2 soll in Erg/inzung zu dem angeftigten Originalkommentar kurz erl/iutert werden: Im Rahmen von Experiment 1 wurden der Experimentalgruppe Nachrichtensendungen pr/isentiert, in denen insbesondere verteidigungspolitische Themen behandelt wurden. Die Effekte einer systematischen Manipulation lassen sich in der Spalte ,TV Coverage' ablesen. Der Koeffizient .62 ist wie folgt zu lesen" Wenn die spezifische Bewertung des amerikanischen Pr/~sidenten auf einer vorgegebenen Skala um einen Skalenpunkt ansteigt, dann nimmt die Gesamtbewertung (,overall performance') um den Wert 0,62 zu. Ein Wert von 1 wtirde bedeuten, dass eine perfekte positive Korrelation zwischen der spezifischen Bewertung und der allgemeinen Bewertung vorliegt. Die Differenz zwischen der Experimentalgruppe (.62) und der Kontrollgruppe (.27) ist signifikant und wird im Sinne des ,Priming-Effekts' interpretiert. In einer weiteren Versuchsreihe wurde sowohl mit einem verteidigungspolitischen Thema als auch mit dem Thema ,Inflation' operiert. Auch hier wurden ,Priming-Effekte' beobachtet. Beztiglich des Themas ,unemployment' ist darauf hinzuweisen, dass innerhalb der Kontrollgruppe kein nennenswerter Zusammenhang zwischen den gesehenen Inhalten und den sich daran anschliegenden Bewertungen
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zu erkennen war. SchlieBlich zeigt Experiment 9, dass im Falle des Themas ,Arbeitslosigkeit' kein ,Priming-Effekt' erzeugt werden konnte. Iyengar und Kinder begrfinden diese Ausnahme damit, dass zum Zeitpunkt der Durchffihrung dieses Experiments in Amerika eine tiefe Rezession herrschte und eine experimentelle Manipulation nicht zu einer Neuordnung von Bewertungsmagst~iben Nhrte. Offensichtlich waren die Erfahrungen in der ,real world' bereits so offensichtlich, dass experimentell keine weitere Verst~irkung erzielt werden konnte. Tabelle 7.2
Experiment
Priming-Effekte im Falle der Bewertung des amerikanischen Pr~isidenten Problem
Keine TV. Hervorhebung (Baseline)
TV" Hervorhebung (Primed)
Differenz: Primed - Baseline
Verteidigung
.27
.62
.35***
Verteidigung
.26
.72
.46***
Inflation
-.01
.37
.38**
Arbeitslosigkeit
.69
.73
.04*
* p < . 2 5 ; ** p < . 0 5 ; *** p < . 0 1 Erl~iuterungen im Original zu Experiment 1: ,,Consider for example the findings from experiment 1. Among participants in experiment 1 whose newscasts contained no stories about defense a one point improvement in ratings of Carter's handling of defense (between fair and good, for example) was associated with about a one-quarter point (.27: the baseline condition) improvement in evaluations of his general job performance. Among viewers exposed to defense stories, in contrast, the impact of ratings of the president's performance on defense was more than twice as great. For viewers who were primed with defense, a one point improvement in their assessment of Carter's performance on defense produced nearly a two-thirds of a point improvement in their evaluations of his general job performance (.62: the primed condition)." (Iyengar/Kinder 1987, S. 66)
Quelle" Iyengar/Kinder 1987, S. 67 Ffir Iyengar und Kinder unterstfitzen diese Experimentalbefunde die Annahme, dass Fernsehnachrichten in der Lage sind, die Bewertungsstandards von Zuschauern zu ver~indern. Die formale Bildung und das politische Involvement konnten ,PrimingEffekte' kaum verhindern, die Parteiidentifikation erwies sich hingegen als eine intervenierende Variable. Versuchsteilnehmer, die sich mit der Demokratischen Partei identifizierten, zeigten Reaktionen im Sinne des ,Priming-Effekts' insbesondere in den Bereichen Umwelt und Bt~rgerrechte, Anh~inger der Republikanischen Partei in den Bereichen Inflation, Rt~stungskontrolle und Verteidigung. Pr~idispositionen wirken in diesem Sinne verst~irkend. Warum aber werden im Falle des ,Priming' die ansonsten h~iufig trennscharfen Variablen ,Bildung' und ,politisches
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Die Agenda-Setting-Forschung
Interesse' zu Faktoren, die letztlich nicht differenzierend wirken? Die Antwort von Iyengar und Kinder ist zweismfig angelegt. W/ihrend Agenda-Setting die Frage betrifft, ob und inwieweit Medienangebote in der Lage sind, die Aufmerksamkeit der Leser, H6rer oder Zuschauer auf bestimmte Nachrichten zu lenken (,awareness'), thematisiert ,Priming' einen weiteren Schritt. Bezogen auf den Bereich der Fernsehnachrichten werden sich die politisch involvierten Zuschauer weniger von den Schwerpunktsetzungen der jeweiligen Fernsehnachrichtensendung beeinflussen lassen. Misst man nur diesen Effekt, werden eine hohe formale Bildung und ein t~berdurchschnittliches politisches Interesse mit einer geringen Beeinflussbarkeit einhergehen. Werden aber politisch involvierte Personen darum gebeten, die gesehenen Inhalte als Grundlage der Beurteilung von Personen oder Sachverhalten heranzuziehen, dominiert deren Neigung, Kompetenzbelange besonders herauszustellen. Daraus folgern Iyengar und Kinder: ,,In short, the involved tend to be less susceptible to priming because they are less likely to be swayed by the day-to-day focus of television news, and more susceptible to priming by virtue of their greater inclination toward performance-based evaluation. Because involvement cuts both ways, the attentive and the disengaged end up equally - and acutely - vulnerable to priming." (Iyengar/Kinder 1987, S. 96) Der von Iyengar und Kinder analysierte Grundgedanke 1/isst sich auch auf den Alltag der Nachrichtenpr/isentation und-rezeption t~bertragen. Die kontinuierliche Beobachtung der Medienberichterstattung und der Bev61kemngsmeinung kann im S inne eines permanent stattfindenden natfirlichen Experiments interpretiert werden. Seit 1987 stellt der sogenannte ,Media Monitor '52 in den Vereinigten Staaten Zeitreihen zu verschiedenen Fragestellungen bereit. So kann man beispielsweise den Anteil positiver Aussagen t~ber den amerikanischen Pr~isidenten in den Abendnachrichten von CBS, NBC und ABC mit Ergebnissen aus Meinungsumfragen zusammenffihren, die die Zufriedenheit mit der Amtsfahrung des amerikanischen Pr~isidenten ermitteln. Auf diesem Weg erhNt man erste Hinweise zu der Frage, wie sehr die Popularit~it des amerikanischen Pr~isidenten von diesen Bewertungen in den Medien abh~ingen kann (siehe hierzu das Beispiel bei Noelle-Neumann 2003, S.634ff.). Gleichwohl handelt es sich hierbei nur um bivariate Korrelationen, die eine zurackhaltende Interpretation erfordem. Von einem ,,'powerful' natural experiment" sprechen Iyengar und Simon (1997, S. 249) in Bezug auf die Ereignisse im Umfeld des zweiten Golfkrieges. Ft~r den Zeitraum von April 1990 bis M~irz 1991 wird gezeigt, wie sich die Wahrnehmung bestimmter Themen im Zuge des Aufkommens einer Krise ver~indert. Im April 1990 ergab die Frage nach den ,most important problems' folgende Reihenfolge: An erster Stelle rangierte ffir die amerika52 Mittlerweile ist eine solche Form der Dauerbeobachtung der Medienberichterstattung auch in Deutschland eingerichtet worden. Ft~r entsprechende Medienanalysen des Medien Tenor-Instituts siehe die Informationen unter www.medien-tenor.de.
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nische Bev61kerung die Drogenproblematik und die Kriminalit~it, an zweiter Stelle die 6konomische Situation und an dritter Stelle das Haushaltsdefizit. Mehr als 50% der Amerikaner nannten diese Themen. Ab August 1990 widmeten sich die Fernsehnachrichten verst~irkt der Krise zwischen dem Irak und Kuwait. Parallel dazu verschob sich allm~ihlich die ,issue salience' der Bev61kerung. Im November 1990 hatte der Golf-Konflikt bereits den ersten Rangplatz eingenommen und die Okonomie auf den zweiten Platz verdr~ingt, das Thema ,Drogen und Kriminalit~it' rangierte auf Platz vier. Iyengar und Simon sprechen in diesem Zusammenhang von einem hydraulischen Muster, das die Auf- und Abw~irtsbewegungen im Rahmen der Themenagenda illustriert (vgl. Iyengar/Simon 1997, S. 252). Abbildung 7.3
Der Einfluss der Golf-Berichterstatmng auf die Wahrnehmung von Problemen
50
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1990 ......
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Jan
Feb
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1991 Wirtschaft Haushaltsdefizit Drogen/Kriminalit~it Bezug zum Golf/Kriegsfurcht TV-Nachrichten (in Min.)
Quelle" Iyengar/Simon 1997, S. 253 und eigene Erg~inzungen Abbildung 7.3 illustriert diesen Sachverhalt. Kaum, dass die milit~irische Auseinandersetzung beendet war, verschwand der Golfkrieg vonder Themenagenda und die Okonomie rfickte an die erste Stelle. Diese Fluktuationen in der Berichterstattung blieben nicht ohne Einfluss auf die Bewertung des amerikanischen Pr~isidenten. Auch in diesem Falle konnte die ,Priming'-Hypothese best~itigt werden. Die Dominanz der aul3enpolitischen Berichterstattung ftthrte da~, dass diese im Vergleich zu
190
Die Agenda-Setting-Forschung
6konomischen Aspekten einen gr6Beren Stellenwert far die Bewermng des Pr~isidenten erhielt. Die Popularit~it des amerikanischen Pr~isidenten profitierte von der positiven Bewertung der Aul3enpolitik. Erg~inzend wird diese Wirkung auch Pr~isentationsformen in den Nachrichten zugeschrieben. Unter dem Stichwort ,Framing' wird schlieBlich illustriert, dass eine an Episoden orientierte Berichterstattung die 6ffentliche Unterstatzung far eine milit~irische L6sung dieses Konfliktes erh6hte. Die Berichterstattung war gekennzeichnet durch die Erl~iuterung der Vorbereitung, Durchfahrung und Umsetzung milit~irischer Operationen in dieser Y~isenregion. 53 Nach Iyengar und Simon wurden den Zuschauern wenige Informationen tiber den Hintergrund des Konfliktes und M6glichkeiten einer diplomatischen L6sung pr~isentiert. Ft~r sie steht aul3er Frage, dass das Fernsehen einen wesentlichen Einfluss auf die 6ffentliche Meinung nimmt: ,,As Walter Lippmann noted nearly seventy years ago, we tend to know little about ,what is happening, why it happened and what ought to happen'. But in modern times we do have ,pictures in our heads', courtesy of ABC, CBS, CNN, and NBC." (Iyengar/Simon 1997, S. 256) Iyengar unterscheidet episodisches und thematisches Framing. W~ihrend die episodische Variante auf das Fallbeispiel, den Einzelfall, das Ereignis setzt, dominiert im Falle der zweiten Variante die Einordnung eines oder mehrerer Ereignisse in gr6Bere, daher in der Regel auch abstraktere Zusammenh~inge. Daraus resultieren unterschiedliche Verantwortungszuschreibungen far ein Problem und dessen L6sung: hier der einzelne Akteur oder eine bestimmte Institution, dort die Gesellschaft (vgl. ausfahrlich zu der Beurteilung von Framing-Effekten den Beitrag von Scheufele 2004, zur Genese des Paradigmas Wicks 2005 sowie das Schwel~unktheft des Journal of Communication 2007). Die gerade zitierte Schlussfolgerung von Iyengar und Simon will offensichtlich noch einmal auf eine Medienlogik hinweisen, der sich auch die (3ffentlichkeit nicht entziehen kann. Das Ziel ,Aktualit~it' fahrt zu einer Institutionalisierung dieses Wandels. Nachrichten geraten in den Vordergrund und verschwinden wieder, sie werden ausgeblendet oder an Positionen platziert, die eine Wahrnehmung unwahrscheinlicher machen. Teile der Offentlichkeit haben selbst Wege gefunden, um auf diese ungleichgewichtige Behandlung von Themen hinzuweisen. In den USA existiert seit den 1970er Jahren das ,Project Censored', das in regelm~iBigen Aufrufen um die Benennung von Themen bittet, die nach Auffassung der Vorschlagenden eine ungent~gende Aufmerksamkeit in der Offentlichkeit erfahren haben. Diese Idee ist auch in der Bundesrepublik Deutschland aufgegriffen worden und firmiert unter dem Namen ,,Initiative Nachrichtenaufkl~irung" (vgl. Ludes u.a. 1997, insb. S.
53 Bewusstes ,,Framing" l~isst sich auch am Beispiel des dritten Golfkrieges im Frfihjahr 2003 aufzeigen. So wurden z.B. die Interventionsarmeen vonder US-Administration durchgehend als ,,coalition forces" und die irakischen Fejadhin-K~impfer als ,,death squads" bezeichnet. Diese Begriffe wurden dann in der Medienberichterstattung h~iufig t~bernommen (siehe hierzu Szukala 2003).
Die Agenda-Setting-Forschung
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154) 54. Gelegentlich bemt~hen sich die Medien selbst um den Aufbau einer ,Erinnerungskulmr' (siehe die Beitr~ige in Wilke 1999, S. 227ff.). Die Reihe ,Vergessene Konflikte' des Nachrichtenmagazins ,Tagesthemen' der ARD (1. Deutsches Femsehen) ist ein weiteres Beispiel. Diese exemplarisch genannten FNle verdeutlichen zugleich, dass es unterschiedliche M6glichkeiten des ,Agenda-Building '55 gibt. Der Alltagskommunikation wird diesbeziJglich in der Regel nur ein geringer Einfluss zugeschrieben.
7.4 Agenda-Setting und Anschlusskommunikation
In einem anderen Zusammenhang ist der folgende Satz formuliert worden: ,,Interaktive Kommunikation und >>Massenkommunikation<< beziehen sich aufeinander und partizipieren aneinander: Man spricht tiber das Femsehen, und das Femsehen spricht, worfiber man spricht." (Schmidt 1994a, S. 65) Diese Feststellung impliziert keine Gleichgewichtigkeit der beteiligten Kommunikationspartner. Gleichwohl werden die Medien nicht dauerhaft in der Lage sein, die Alltagskommunikation der Menschen durch Themen zu dominieren, die mit der Realit~it des Lebens kaum oder wenig zu tun haben. In diesem Kommunikationszyklus bleibt die Wahrscheinlichkeit grol3, dass Medienthemen auch Eingang in die Alltagskommunikation finden. Wenngleich der amerikanische Soziologe Richard Sennett in Bezug auf das Fernsehen von einem elektronisch befestigten Schweigen gesprochen hat (vgl. Sennett 1983, S. 319), weil3 eine darauf bezogene Forschung mittlerweile von zahlreichen Formen der ,inneren Rede' zu berichten (siehe zu diesem Begriff Charlton/Klemm 1998, S. 713ff.). Obwohl viele Medieninformationen in einer kommunikationsarmen Situation wahrgenommen werden, ergeben sich vielfNtige M6glichkeiten der Bezugnahme in anderen Zusammenh~ingen. Die Agenda-Setting-Funktion der Massenmedien kann sich hier im Erkennen von Gemeinsamkeiten, aber auch in der Wahrnehmung von Differenzen widerspiegeln. Hierzu sollen einige Beispiele genannt werden: Kepplinger und Martin (1986) untersuchten mit Hilfe des Verfahrens der verdeckten, teilnehmenden Beobachtung, welche Bedeumng der Hinweis auf Themen, die in den Massenmedien behandelt wurden, far die Alltagskommunikation hat. Man beobachtete Gespr~iche auf 6ffentlichen Pl~itzen, in der Universit,it, in Gastst~itten und auch im privaten Bereich. Ein wichtiger Befund dieser Untersuchung lautet: Medienthemen wirken integrierend. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Medienthema Anschlussm6glichkeiten far viele Teilnehmer er54 Siehe auch die Website http://www.nachrichtenaufklaerung.de. 55 Siehe hierzu auch die Ausf'tihrungen in Kapitel 8 und Kapitel 9.
192
Die Agenda-Setting-Forschung 6ffnet, ist grog. Je geringer die Gespr~ichsintensit~it war, desto st~irker war zu beobachten, dass Themen der Massenmedien herangezogen wurden, um die Diskussion zu beleben. Diese Funktion mag auch darin beg~ndet sein, dass in der Offentlichkeit seltener fiber pers6nliche und unmittelbar relevante Aspekte gesprochen wird und der Vorteil der Massenmedien aus der allgemeinen Bedeutung des Themas resultiert (vgl. Kepplinger/Martin 1986). Alltagsgespr~iche fiber Medienereignisse hat Angela Keppler einer detaillierten Analyse unterzogen. Sie konzentrierte sich im Rahmen ihrer Studie auf die Rezeptionssituation in Familien und versuchte, die Gespr~iche der Familienmitglieder in einer relativ unverf~ilschten Situation zu beobachten. Medienangebote erweisen sich auch hier als ,,Katalysator famili~irer Interaktionen" (Keppler 1994a, S. 220). Aus der systematischen Analyse von ca. 100 Stunden Tonbandaufnahmen ergaben sich unter anderem zwei Grundformen der Einbettung von Medienthemen: Entweder finden Medienthemen Eingang in ein Gespr~ich, dessen Entstehung nicht den Medien selbst zuzuschreiben ist, oder die Diskussionen zeichnen sich durch einen unmittelbaren Medienbezug aus, indem t~ber Nachrichten, Filme, Schauspieler usw. gesprochen wird. Medienbeitrgge tragen dazu bei, dass Sichtweisen von etwas ausgebildet werden, ,,[...] wovon die Familie m6glicherweise noch keine, sei es fiberhaupt kompatible, sei es fiberhaupt gemeinsame Sichtweise hat. In der Mannigfaltigkeit ihrer Erzeugnisse tragen die Medien einen prinzipiell unfiberschaubaren Gespr~ichs- und Erfahrungsstoff in den Gesichtskreis der Familie hinein. Ausgehend vom Temperament und den Kenntnissen ihrer AngehOrigen w~ihlt die Familie hieraus vielfNtige Themen einer auf vielfache Weise rekonstruktiven Unterhaltung aus, mit denen sie ihr eigenes Selbstverst~indnis so bereichert und umbildet, wie es ihr als zeitgem~iges Weltverst~indnis passend erscheint [...] Das Weltverst~indnis heutiger Familien (und generell: vergesellschafteter Individuen) ist dort, w o e s t~ber einen recht begrenzten Nahbereich hinausgeht, im Herzen medial, d.h. fiber die wiederholte und wiederholende Aneignung massenmedialer Darbietungen von Welt vermittelt." (Keppler 1994a, S. 252) Alltagsferne Erfahrungen schaffen somit eine Gmndlage far ,,Fernerfahrungen im Nahbereich" (Keppler 1994a, S. 264). Im Rahmen der internationalen PISA-Studie 2000 wurde ebenfalls das Thema ,,Alltagsgespr~iche" von 15-j~ihrigen Scht~lern im Familienkreis auf breiter Basis erfasst. Heranwachsende wurden danach gefragt, wie h~iufig sich ihre Eltern in der Regel wOchentlich Zeit nehmen, um mit ihnen einfach nur zu reden oder zu diskutieren. Der Inhalt wurde zwar nicht explizit erfasst, aber die H~iufigkeit ist vor dem Hintergrund der Beobachtungen von Keppler durchaus von Bedeutung. Als M6glichkeiten der Antwort wurden auf einer Ffinfer-Skala die Kategorien ,,nie oder fast nie", ,,ein paar Mal im Jahr", ,,etwa einmal im Monat", ,,mehrmals im Monat" und ,,mehrmals in der Woche" vorgegeben (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2002, 249). Erstaunlicherweise gaben nur
Die Agenda-Setting-Forschung
193
rund 41 Prozent der 15-J/~hrigen an, dass ihre Eltem mehrmals in der Woche ,einfach nur mit ihnen reden"; demgegent~ber antworteten etwa 15 Prozent auf diese Frage, dass ihre Eltern h6chstens ein paar Mal pro Jahr mit ihnen reden wt~rden. Im internationalen Vergleich, etwa zu st~deurop/~ischen L~indem, haben Alltagsgesprgche im Familienkontext in Deutschland einen vergleichsweise geringen Stellenwert. Italienische Sch~ler gaben zu 86 Prozent an, dass ihre Eltern mehrmals in der Woche ,einfach nur mit ihnen reden'; mit 3,5 Prozent ist der Anteil derjenigen, deren Eltern dies sehr selten tun (wenige Male im Jahr bzw. nie oder kaum), sehr gering (eigene Auswermngen der PISA-Daten 2000)56. 121berdies stellte die PISA-Studie aber auch konkret darauf ab, die H/iufigkeit von gemeinsamen Mahlzeiten (,,Tischgespr/~chen") im Familienumfeld der betrachteten Schiller zu erfassen. Die Frage lautete: ,,Wie oft kommt es im Allgemeinen vor, dass deine Eltem gemeinsam mit dir am Tisch sitzen und zu Mittag oder Abend essen?" (Deutsches PISA-Konsortium 2002, 249). Gemeinsame Mahlzeiten scheinen demnach nach wie vor einen festen Platz im Alltagsleben deutscher Familienhaushalte einzunehmen. Auf die oben genannte Frage antworteten rund 80 Prozent aller befragten 15-J/ihrigen, dass sich ihre Eltem mehrmals in der Woche Zeit nehmen, um gemeinsam mit ihnen zu essen. In st~deurop~iischen L/~ndern, wo das gemeinsame Einnehmen einer Mahlzeit traditionell noch st/~rker sozial verankert sein d~irfle als in Deutschland, lagen die jeweiligen Anteilswerte noch deutlich h6her, in Italien etwa bei 93, in Frankreich bei 89 Prozent (eigene Auswertungen der PISA-Daten 2000). Eine untersttitzende und verst/~rkende Funktion von Medienangeboten wird insbesondere dort beobachtet, wo es um soziale Krisenph/~nomene geht. Die Darstellung der Studie von Erbring et al. hat bereits gezeigt, dass im Falle von pers6nlicher Betroffenheit das Thema ,Arbeitslosigkeit' auf zwei Ebenen wahrgenommen wird: mediatisiert und pers6nlich bzw. im sozialen Umfeld. Weaver et al. konnten in einer Untersuchung zum Thema ,Drogenmissbrauch' feststellen: Je h/~ufiger pers6nliche Gespr/iche tiber dieses Thema gefiihrt wurden, desto h6her wurde die Bedeutsamkeit dieses Themas im pers6nlichen Umfeld und in der Gesellschaft insgesamt eingesmft. Die Medienberichterstattung wirkte nicht nur ausl6send, sondern auch unterstfitzend. Darfiber hinaus ergaben sich Hinweise auf eine Brfickenfunktion der informellen Kommunikation. Diese ist in der Lage, eine thematische Auseinandersetzung auch dort auszul6sen, wo keine unmittelbare Betroffenheit vorliegt. Ein durch gegens/itzliche Meinungen gekennzeichnetes Thema fiihrt zu kontroversen Diskussionen und involviert auch nicht unmittelbar Betroffene. Unter bestimmten Bedingungen
56 Die Berechnungen wurden mit Hilfe von "interactive database selection" auf der Homepage der OECD durchge~hrt (vgl. http://pisaweb.acer.edu.au/oecd/oecd_pisa_data_s2.php, Stand 31.07.2007).
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Die Agenda-Setting-Forschung kann interpersonale Kommunikation demzufolge dem Ph~inomen der selektiven Wahrnehmung entgegenwirken (vgl. Weaver et al. 1992, insb. S. 862ff.). Eine Studie von Wanta und Wu untersuchte darfiber hinaus, inwieweit interpersonale Komlrmnikation in der Lage ist, eine vonder Intensit~it der Medienberichterstattung dominierte Agenda mit Informationen t~ber ,,non-media issues" (Wanta/Wu 1992, S. 848) zu beeinflussen. Insbesondere Personen, die h~iufig an Diskussionen teilnehmen, sind sich der Ungleichgewichtigkeit der Medienberichterstattung bewusst. In solchen F~illen gilt: ,,Interpersonal communication here enhances the salience of issues other than those covered by the media." (Wanta/Wu 1992, S. 854)
Unter bestimmten Bedingungen kann es somit auch der interpersonalen Kommunikation gelingen, einen Einfluss auf Thematisierungsprozesse zu nehmen. Die Einfahrung eines weiteren Begriffs mag als Tribut an diese Einflussm~glichkeit interpretiert werden. Mit ,,Agenda Melding" wollten Shaw u.a. (1999) verdeutlichen, dass Medien- und interpersonale Kommunikation an der Wahrnehmung 6ffentlich relevanter Themen mitwirken. Yang und Stone untersuchten daher im Rahmen einer Telefonbefragung, ob diejenigen, die in ihrem Informationsverhalten vorwiegend an den Massenmedien orientiert sind, eine andere Agenda aufweisen als jene, die ihre Informationen zu ~ffentlich relevanten Themen eher aus Gespr~ichen mit anderen erhalten. Die wichtigsten Fragestellungen in diesem Zusammenhang lauteten" ,,Some people rely on the mass media such as television, radio, magazines and newspapers for their news and public affairs information. Others rely more on friends and family members. Which do you rely on most for news and public affairs information: mass media or friends or family?" sowie: "About what percentage of your news and public affairs information do you get from: friends and family; the mass media?" (Yang/Stone 2003, S. 62) Im Hinblick auf die Public Agenda wurden zwischen der "interpersonal group" und der "media-reliant group" keine signifikanten Unterschiede festgestellt. Die Schlussfolgerung der Autoren l~isst sich mit den mehrstufigen Wirkungsmodellen, die McCombs, Brosius und Weaver (siehe oben) bereits vorgeschlagen haben, in Einklang bringen. ,,This study suggests that two-step flow about news and public affairs is a powerful influence in setting public agendas: [...]." (Yang/Stone 2003, S. 71) 121berraschend ist im vorliegenden Fall, dass die Agenden sich kaum unterscheiden. Angesichts einer Stichprobengr6Be von n=408 sollte man aber vorerst von einer m6glichen Wirkungskonstellation ausgehen. Idealtypisch lassen sich nach diesen Ausffihmngen das Zusammenwirken von Massen- und interpersonaler Kommunikation im Kontext der Agenda SettingTradition wie folgt veranschaulichen:
Die Agenda-Setting-Forschung Abbildung 7.4
195
Agenda Setting: die Rolle von Massen- und interpersonaler Kommunikation Agenda Setting vorwiegend dutch ... Interpersonale Kommunikation Ja Ja
Massenkommunikation Nein
,,Doppelte Dosis" vs. ,,competing message"
Nein
Medienagenda beeinflusst Public Agenda
Interpersonale Kommuni- Keine Wahrnehmung kation beeinflusst Public 6ffentlicher KommunikaAgenda tion
Quelle: Eigene Erstellung Die vorangegangenen Ausffihmngen haben darfiber hinaus gezeigt, dass die Thematisierungsleistungen der Medien auf verschiedenen Ebenen praktisch werden k6nnen. Dass in diesem Zusammenhang h~iufig von den Medien gesprochen wird, ist jedoch eine Generalisierung, die mit der Differenzierung des Medienangebots konfrontiert werden muss. In Zukunft wird verst~irkt die Differenzierung innerhalb eines Mediums als auch die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Medien berficksichtigt werden m~ssen. Der Begriff ,Intermedia-Agenda-Setting' beschreibt diese Notwendigkeit treffend. Es geht um die Identifikation von Medienangeboten, die innerhalb des Mediensystems orientierende oder auch tonangebende Funktionen (Stichwort: Meinungsffihrermedien) t~bemehmen. Die Thematisierung kann gegebenenfalls auf der Ebene der Medienagenda selbst im Sinne von Wirkungskaskaden beschrieben werden. Im Zuge einer raschen Ausbreimng des Internets und einer Permanenz der Nachrichtenproduktion mehren sich darfiber hinaus ohnehin die Querverweise innerhalb der Medienberichterstattung. Eine Obersicht und Verknt~pfung der relevanten Faktoren kann Abbildung 7.5 entnommen werden. Trotz einer nach wie vor vorhandenen Fixierung auf die politische Kommunikation, die auch aus Abbildung 7.5 ersichtlich ist, er6ffnen sich viele Fragestellungen und Hinweise auf m6gliche Kettenreaktionen. Der Bereich der nichtpolitischen Information hat im Zuge einer Deregulierung von Mediensystemen zwar an Bedeumng gewonnen. Ebenso haben mediale Aufwertungstechniken dazu geffihrt, Themen eine Relevanz zuzuschreiben, die sie aus sich heraus nicht besitzen. Die Reaktionen des Publikums k6nnen- in Anlehnung an Albert O. Hirschmandann als nicht ver~inderbare Tatsache (als eine Minimalform von ,loyalty'), als Artikulation von Widerspruch (,voice') oder als Abwanderung (,exit') auftreten (vgl. J~icke12004).
196
Die Agenda-Setting-Forschung
Abbildung 7.5
Der Entstehungsprozess von Agenden im Oberblick
Investigafiver Journalism
Verhandlungen im ~ii:i!~ii;;~i~;~%!ili!ipolitischen ~: System ii!i Politische % % POLITISCHE % % Partizipafion INSTANZEN % % % % i Agenda % % 11...
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.....Agenda Interpersonale 1 2 ... Kommunikation 3.,. 4.,.
Quelle: R6ssler 1997b, S. 82 und eigene Erg~inzungen Dennoch werden Agenda-Setting-Studien auch in Zukunft einen Kernbereich von Themen identifizieren k6nnen, der v o n d e r Mehrzahl der Bev61kemng als ,most important' eingestuft wird. Eine Sensibilit~it gegen~ber der Wirklichkeit der Medien bleibt in jedem Falle ein wirksames Schutzschild.
Die Agenda-Setting-Forschung
197
Brosius, Hans-Bernd (1994): Agenda-Setting nach einem Vierteljahrhundert Forschung: Methodischer und theoretischer Stillstand? In: Publizistik 33, S. 269-288. Dearing, James W.; Rogers, Everett M. (1996): Agenda-Setting. Thousand Oaks usw. (Communication Concepts, 6). McCombs,.Maxwell E., Reynolds, Amy (2002): News Influences on our Pictures of the World, in: Bryant, Jennings; Zillmann, Dolf (eds.): Media Effects: Advances in Theory and Research, 2nd edition. Hillsdale, New Jersey, S. 1-18. McCombs, Maxwell E.; Shaw, Donald L. (1972): The Agenda-Setting Function of Mass Media, in: The Public Opinion Quarterly 36, S. 176-187.
8
Die Wirklichkeit der Medien
8.1 Massenmedien und Realit~itsvorstellungen Die Diskussion t~ber das Wirkungspotential von Massenmedien wird sowohl unter Bezug auf Nutzungsh/~ufigkeiten gef~hrt (quantitative Dimension) als auch mit Blick auf die jeweils pr/~sentierten Inhalte (qualitative Dimension), die in die Einsch~itzung der Nutzungsfolgen einflieBen. Im Vorwort zu der in den 1950er Jahren entstandenen Studie ,,Television and the Child" wird als Grund for die Durch~hrung dieser Untersuchung unter anderem genannt: ,,Some [...] thought that viewing could help young children, make their homes more attractive, expand their horizons, stimulate new interests, and provide a new basis of contact between the generations." (Hetherington 1958, V) Der Hinweis auf eine neue Basis des Kontakts zwischen den Generationen erlaubt verschiedene Interpretationen: Medienangebote lassen sich in diesem Sinne als Vermittler von Interessen beschreiben. Sie k6nnen als Angebote begriffen werden, die Einblicke in andere Lebenswelten gestatten, oder als Wirklichkeitsbeschreibungen, die aus sich heraus eine eigene Qualitgt entfalten und die Wahrnehmung und Beurteilung der so beschriebenen Realitgt beeinflussen. Letzteres impliziert Vorw~rfe wie Manipulation, Verzerrung oder Bef6rdemng von Stereotypen. Hierauf nimmt auch das n~ichste Beispiel Bezug, das aus einem anderen Beobachtungsfeld stammt. Inwieweit solche Verzerrungen etwa als zutreffende Beschreibungen der Wirklichkeit wahrgenommen werden, wird unter Ber~cksichtigung medienspezifischer Darstellungsformen und Selektionskompetenzen der Rezipienten diskutiert. Auf die Frage, wie er sich informiere, antwortete der ehemalige ,Anchorman' des amerikanischen Femsehsenders CBS, Walter Cronkite, wie folgt: ,,TV-News sind for mich allenfalls eine Zugabe. Ich lese sehr aufmerksam die ,New York Times' und das ,Wall Street Journal' plus einige andere Blgtter. Das Fernsehen kann eine gute Zeitung nicht ersetzen, es ist zu oberfl~ichlich. Was bieten die schon an? Komprimierte Kurzmeldungen, Schlagzeilen, die sogenannten ,soundbites'. Kaum Subtilit~it, keine Nuancen. Ich beneide die Kollegen nicht, die in diesem Umfeld arbeiten mt~ssen." (Cronkite 1999, S. 40) Auch wenn dieser amerikanische Eindruck nicht generalisiert werden d a r f - er lenkt den Blick auf verschiedene Selektionsebenen, die for die Beurteilung der Wahrnehmung einer medienvermittelten Darstellung von Bedeutung sind. Wird die Ebene dieser einleitenden Beispiele verlassen und die theoretische Behandlung dieses Phgnomens betrachtet, k6nnen zwei Arten von Theorien identifiziert werden: Theorien, die einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Medienangeboten einerseits und den Wirklichkeitsvorstellungen der Menschen andererseits behaupten, und solche, die 0berein-
200
Die Wirklichkeit der Medien
stimmungen in der Wahrnehmung von Medienangeboten problematisieren bzw. ffir unwahrscheinlich halten. Was ft~r wirklich gehalten wird, beruhe auf beobachterabh~ingigen Interpretationen und erfordere daher einen behutsamen Umgang mit objektiven Realit~itsvorstellungen. Als ein Journalist gebeten wurde, seine Auffassung zum Thema ,,Stimmt unsere Politikberichterstattung noch?" zu erl~iutern, begann er sogleich mit dem Hinweis auf implizite Unterstellungen, die der Titel in sich berge. Alleine das kleine W6rtchen ,,stimmen" vermittele eine zu eindeutige Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem (vgl. L6ffelholz 1990, S. 11). Wenngleich im Alltag durchaus noch ein unbefangener Umgang mit dem Begriff ,Wirklichkeit' zu beobachten ist, ger~it man dennoch immer wieder rasch an die Grenzen dieser vermeintlichen Gewissheit. Zum Stand der Debatte bemerkte Schmidt: ,,Kaum einer spricht heute noch unbefangen von ,,der Wirklichkeit", die objektiv erkannt und dargestellt wird, und eine Ft~lle Vorsicht signalisierender Vokabeln von ,,Selektion" und ,,Konstitution" bis ,,Interpretation" ist im Gebrauch, wobei diese Debatte wesentlich inspiriert wird vom kommunikationswissenschaftlichen Disput t~ber so genannte Medienrealit~it(en)." (2002, S. 17) Dass die Medien auf ihre Art und Weise eine Ordnung in die t~iglich wiederkehrende Vielfalt von Ereignissen und Handlungen bringen, ist ein Befund, der unter Bezugnahme auf die bereits dargestellte Agenda-Setting-Theorie 57 untermauert werden kann. Voraussetzung dafar bleibt in diesem Fall eine hohe l)bereinstimmung der Medienagenda und der Publikumsagenda. Wenn diese Themenrangordnungen in einem engen Zusammenhang stehen und die Medienberichterstattung als Ursache der Ubereinstimmung identifiziert werden kann, ist - unabh~ingig von mSglichen Verzerrungen und Manipulationen- eine Dominanz der medienvermittelten Wahrnehmung zu konstatieren. Zugleich suggeriert eine solche Ursache-Wirkungs-Kette eine hohe Kongruenz der Wahrnehmung dieser Medienangebote. Das ffihrt zu der von Winfried Schulz als ptolem~iische Antwort (Ptolem~ius [Geburts- und Todesdatum nicht bekannt, vermutlich 100-178 n.Chr.]) bezeichneten Perspektive der Kommunikationsforschung. Theorien, die sich an dieser Auffassung orientieren, sind nach Schulz durch die folgende Gemeinsamkeit gekennzeichnet: ,,Da die Medien ein hochgradig strukturiertes und oft verzerrtes Bild der Wirklichkeit pr~isentieren und da die Menschen ihr Verhalten - wenigstens teilweise - an diesem Bild der Wirklichkeit ausrichten, haben die Massenmedien einen starken Einflul3 auf das Individuum und auf die Gesellschaft insgesamt." (Schulz 1989, S. 140) Die ,Spiegel'Metapher (= Bild der Wirklichkeit) impliziert in diesem Zusammenhang nicht die Behauptung einer unverzerrten Wiedergabe der Wirklichkeit. Sie unterstellt eine hohe Bedeutung der Massenmedien ffir die Wahrnehmung der Nah- und Fernwelt, attestiert diesen Beobachtungsinstrumenten aber keine Repr~isentativit~it. In Bezug auf Informationsangebote bemerkte Hofst~itter bereits 1966: ,,In Wirklichkeit bevor57 Siehe hierzu die Ausft~hrungen in Kapitel 7.
Die Wirklichkeit der Medien
201
zugen Presse und Rundfunk bei der von ihnen getroffenen Auswahl selbstverst~indlich die seltenen Ereignisse; sie verhalten sich dabei anti-repr~isentativ." (zit. nach Merten 1977, S. 210). Die hier vermittelte Gewissheit tiber die Logik der Medienauswahl beschreibt ein Selektionsprogramm, das die amerikanische Historikerin Barbara Tuchman als das ,Tuchmansche Gesetz' beschrieben hat. Im Vorwort zu ihrem historischen Roman ,,Der ferne Spiegel" heil3t es: ,,Nach der t~iglichen Zeimngslektfire erwartet man, sich in einer Welt von Streiks, Verbrechen, MachtmiBbrauch, Stromausf~illen, Wasserrohrbrfichen, entgleisten ZOgen, geschlossenen Schulen, StraBenr~iubem, DrogenabMngigen, Neonazis und Sexualverbrechern wiederzufinden. Tats~ichlich aber ist es so, dab man an glOcklichen Tagen immer noch abends nach Hause kommen kann, ohne mehr als einem oder zweien solcher Dinge ausgesetzt gewesen zu sein. Das hat mich dazu gebracht, das ))Tuchmansche Gesetz~ zu formulieren: Allein die Tatsache der BeriChterstatmng vervielf'~iltigt die ~iuBerliche Bedeutung irgendeines bedauerlichen Ereignisses um das Fanf- bis Zehnfache (oder um irgendeine Zahl, die der Leser einsetzen mag)." (Tuchman 1982, S. 15) Auch wenn dieses Gesetz nicht sehr exakt formuliert ist, lenkt es den Blick auf den geringen Nachrichtenwert allt~iglicher Ereignisse. Mit dem Begriff ,Nachrichtenwert' ist eine theoretische Tradition benannt, die sich mit der Frage besch~iftigt: ,,Warum berichten die Massenmedien fiber dieses und nicht tiber jenes Ereignis?" (Kepplinger 1989, S. 3) Nach Kepplinger zeichnen sich diesbezOgliche Forschungen dadurch aus, dass sie von einer Wechselbeziehung zwischen den objektiven Eigenschaften von Ereignissen und joumalistischen Berufsnormen ausgehen. Amerikanische LehrbOcher for Journalisten enthielten schon sehr frfih eine Art KochbuchListe, die im Prozess der Nachrichtenentstehung Ober Relevanz bzw. NichtRelevanz mitentscheiden sollten. Unter Bezugnahme auf eine Analyse von Warren aus dem Jahr 193458 nennt Schulz die folgenden Kriterien: ,,Neuigkeit, N~ihe, Tragweite, Prominenz, Dramatik, Kuriosit~it, Konflikt, Sex, Geffihle, Fortschritt." (Schulz 2003, S. 355)
58 Siehe hierzu auch die Ausftihrungen in Kapitel 1.
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Die Wirklichkeit der Medien
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Die Wirklichkeit der Medien
203
Basierend auf einer Inhaltsanalyse der Berichterstattung fiber aul3enpolitische Ereignisse haben Galtung und Ruge eine Liste von Nachrichtenfaktoren zusammengestellt, die der vorangegangenen Abbildung zu entnehmen sind (vgl. Abbildung 8.1). W~ihrend die Faktoren 9 (Bezug auf Elite-Nation) und 10 (Bezug auf Elite-Personen) der Spezifik der Analyse zuzuschreiben sind, k6nnen die t~brigen Kriterien als allgemeine Selektionsprogramme bezeichnet werden, die Einfluss auf die Arbeit von Joumalisten und Redakteuren nehmen, z.B.: Personalisierung, Kontinuit~it des Ereignisses, Bedeutsamkeit, Eindeutigkeit, Negativismus. Weitergehend lassen sich endogene Faktoren von exogenen Faktoren unterscheiden. W~ihrend im ersten Fall das Ereignis selbst die Auswahlchance bestimmt und gegebenenfalls nachrichtengerecht aufbereitet wird, beschreibt der zweite Fall Umfeldeinflfisse, die beispielsweise durch eine Redaktionslinie oder 6konomische Notwendigkeiten (Orientierung an bestimmten Zielgruppen) verursacht werden (vgl. hierzu auch Schulz 1997, S. 78ff.). Da sich Ph~inomene der Wirklichkeit demzufolge in unterschiedlichem Ausmal3 als relevant erweisen, gelingt es Ausschnitten der Wirklichkeit durch eine ,Schleuse' zu gelangen. Bevor Journalisten eine vermittelnde Funktion zwischen Ereignissen und dem Publikum tibemehmen, steuem sie demzufolge den Informationsfluss, indem sie Priorit~iten setzen. Der Begriff ,Gatekeeper' soil diesen Sachverhalt beschreiben 59. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang, ob diese Auswahlvorg~inge ausschliel31ich pers6nlicher Art sind. Beispielsweise hat eine Studie von White aus dem Jahr 1950 die individuellen Vorlieben eines Nachrichtenredakteurs in das Zentrum des Entscheidungsmodells gestellt. Die Studie vermittelte zun~ichst den Eindruck, dass insbesondere subjektive Urteile und Vorurteile einen mal3geblichen Einfluss auf die Nachrichtengebung haben (vgl. hierzu Kepplinger 1989, S. 9). Neben der Betonung des subjektiven Urteils wies der Nachrichtenredakteur einer kleinen amerikanischen Zeitung aber auch auf die redaktionelle Linie hin, um seine Auswahlkriterien zu begrfinden. Insofem fliel3en personenbezogene Faktoren und journalistische Berufsnormen in den Selektionsprozess ein. Hinzu kommen Faktoren, die der Auswahl selbst Grenzen setzen bzw. Rahmenbedingungen vorgeben beginnend mit dem ffir einen bestimmten Themenbereich vorgesehenen Raum (L~inge eines Artikels, Dauer eines Beitrags) bis hin zu unvorhersehbaren Ereigniskonstellationen, die ein Nachdenken fiber m6gliche Altemativen erfibrigen. SchlieBlich bemt~ht man sich, die Interessen der Rezipienten zu antizipieren und der Erwarmngshaltung der Kollegenschaft zu entsprechen. Weniger offensichtlich, aber von wachsender Bedeutung, scheinen direkte und subtile Einflussnahmen auf die Entstehung von Presse- und Rundfunkerzeugnissen zu sein, die in Verbindung mit einer fortschreitenden Medienkonzentration gesehen werden. Nachfolgend werden zwei Artikelauszt~ge wiedergegeben, die beschreiben, wie sich in dem von Rupert Mur59 Siehe hierzu auch die Ausffihrungen in Kapitel 5.
204
Die Wirklichkeit der Medien
doch aufgebauten Medienkonzern solche Eingriffe und Korrekturen vollzogen haben sollen.
,,Raffz~ige eines Medienmoguls" ,,[...] Nach Rupert Murdochs Geheimnis wird noch gefahndet. Biographen haben ihn als Medienkr~mer ohne Seele beschrieben; Pressekritiker weisen ihn als machts0chtigen Konzernchef mit Weltbeherrschungsphantasien aus. Die Kritiker jedoch werden leiser, wof0r Murdoch mit einem einfachen Rezept sorgt: Er kauft sie, respektive ihre Zeitung oder ihren Sender, und entI~l&t die Unbotm~13igen, seien sie nun Chefredakteur in London, Kolumnist in New York oder Korrespondent in Sydney. Wann immer er eine halbe Stunde Zeit hat, so wird kolportiert, I~l~t sich Murdoch drei seiner Zeitungen geben. Wenig sp&ter verlassen drei Faxe das Haus, und drei Chefredakteure an diesem oder einem anderen Ende der Welt werden etwas blal~ um die Nase. [...]." (Hanfeld 1998, S. 47)
Qualit~itszeitungen und Nachrichtenwerte im Wandel ,,Changing Times" ,,[...] Im vergangenen Jahrzehnt haben sich Englands Qualit~tszeitungen, auch broadsheets genannt, enorm gewandelt. [...] Festzumachen ist der Trend jedenfalls am leichtesten an der Person von Rupert Murdoch. Noch in den zwanziger Jahren war es 0blich, da& die Times manche Artikel auf altgriechisch druckte, in der Gewil~heit, dal~ ein Grol~teil der Leserschaft das zu sch&tzen wisse. Heute beginnt die politische Berichterstattung oft erst auf Seite vier. Die Schwesterzeitung Sunday Times wiederum verSffentlicht gerade ungeniert die wiederaufgelegte DianaBiographie von Andrew Morton und hat zwei Gesellschaftskolumnen, eine im politischen Teil, eine in der bunten Lifestyle-Beilage. Das war einmal ganz anders. AIs der Times-Reporter Michael Leapman 1977 beim Tod Elvis Presleys der Zentralredaktion vorschlug, nach Memphis zu fahren, wurde er beschieden: ,Sorry, not a Times story.' Die Kriterien sollten sich, for Leapman und seine Zeitung, ein paar Jahre sp&ter gr0ndlich ~ndern. Nur ,zwei Monate nachdem Murdoch die Times 0bernommen hatte - es war das Jahr 1981, in dem Bob Marley starb- wurde ich nach Jamaika beordert und fand dort noch zwei weitere Times-Kollegen vor'." (SchSnburg 1997, S. 63)
Die Wirklichkeit der Medien
205
In Bezug auf ,Gatekeeping' sind infolgedessen verschiedene Ebenen der Entscheidung zu beachten. Nach Shoemaker lassen sich mindestens fanf solcher Ebenen identifizieren (die Bezeichnungen werden unver~indert t~bernommen): 1. 2.
3.
4.
5.
individual" Die Auswahl der Nachrichten ist von den Vorlieben und Abneigungen der Journalisten abh~ingig. routines of work: Der Nachrichtenwert wird anhand praktischer Kriterien, wie der richtigen L~inge des Beitrags, guter Bilder, der Neuigkeit, der Dramatik usw. bestimmt. organizational: Die Anzahl an Auslandsbt~ros, Budget-Beschr~inkungen, Leitlinien des Herausgebers usw. haben einen Einfluss auf die Entscheidungen der Journalisten. social and institutional (extra-media): Die Leserschaft, Werbepartner, wirtschaftliche Kr~ifte, Interessengruppen oder Regierungen k6nnen die Nachrichtenauswahl indirekt mitbestimmen. social system: Der weiter gefasste kulturelle Hintergrund ft~hrt dazu, dass bestimmte Teile der Welt in den ausgew~ihlten Nachrichten unter- und andere t~berrepr~isentiert sind. (vgl. Shoemaker 1991, S. 32ff.)
Die klassischen Gatekeeper-Studien charakterisiert Kepplinger daraufhin auch wie folgt: Die Nachrichtenauswahl ist als Wirkungsprozess verstehbar, ,,in dem die Ereignisse als Ursachen, die Selektionsentscheidungen als intervenierende Variablen und die Beitr~ige als Wirkungen betrachtet werden." (Kepplinger 1989, S. 9) Die intervenierenden Variablen sind mit dem alleinigen Hinweis auf individuelle Vorlieben von Redakteuren also nur unvollst~indig beschrieben. Der Wandel des Journalismus wird nicht hinreichend transparent, wenn nur diese Entscheidungsebene fokussiert wird. Weischenberg stellt beispielsweise fest, dass das System ,Journalismus' an den R~indem immer mehr ausfranst (vgl. Weischenberg 1999, S. 43). Diese Entwicklung erscheint als die Konsequenz neuer Gesch~iftsbedingungen, die in Anlehnung an B16baum wie folgt stichwortartig benannt werden k6nnen (vgl. ausffihrlich hierz~a B16baum 2000): 9
9
Das joumalistische Denken konkurriert zunehmend mit einem marketingorientierten Denken in Redaktionen, die sich in Profitcenter umwandeln. Damit nimmt auch die Marktorientierung zu Lasten einer Staatsb~rgerorientierung zu. In Verbindung damit werden Inhalte nicht mehr ausschliel31ich selbst erstellt, sondem von ,Providem' zugeliefert. Zugleich nimmt die Differenzierung der Redaktionsstruktur zu, aber auch die parallele l)bemahme von (Produkt-) Managementaufgaben durch Journalisten. Die unmittelbare Recherche reduziert sich zugunsten der bereits vermittelten Recherche durch Agenturen bzw. andere Medienanbieter. Die damit verbunde-
206
Die Wirklichkeit der Medien ne Standardisierung verringert nach B16baum ,,die publizistische Vielfalt. Die Nutzung vorhandener Information verst~irkt sich zu Lasten neu gewonnener Informationen." (2000, S. 136) Im langfristigen Vergleich ist der Zeitaufwand far Recherche zurfickgegangen. W~ihrend 1993 (n-1498) noch ein Durchschnittswert von 140 Minuten ermittelt wurde, sank dieser im Jahr 2005 (n-1536) auf 117 Minuten. Ebenso, so die Ergebnisse der ,,Joumalismus in Deutschland II"Studie, blieb im Jahr 2005 weniger Zeit far die Auswahl eingehenden Informationsmaterials (1993:49 Minuten, 2005:33 Minuten) (vgl. Weischenberg u.a. 2006, S. 80). Strategischer Joumalismus, der aul3erhalb des Zeitungs-, HOrfunk- und Femsehjoumalismus angesiedelt ist und direkt oder indirekt die Agenda der Medien zu beeinflussen versucht, nimmt zu. Hier ist insbesondere das expandierende Feld der {)ffentlichkeitsarbeit zu nennen. Bezt~glich der Vereinigten Staaten stellte Rul3-Mohl 1999 lest: ,,In den USA gab es zu Beginn der 90er Jahre scMtzungsweise 162.000 PR-Praktiker, a b e r - einer allerdings konservativen Sch~itzung zufolge- nur 122.000 Journalisten. Die PR-Leute vermehren sich weiterhin; im Jahr 2000 sollen es bereits 197.000 sein." (1999, S. 164) Es wird aberlegt, ob dies eine parasit~ire Beziehung sei und wer in diesem Kontext das Futtertier abgebe (vgl. ebenda, S. 163).
Die daran anschliel3ende Frage nach der ,doumalistischen Qualit~it" begleitet die gesamte Geschichte der Massenmedien (vgl. Wilke 2003b, S. 35ff.), wurde jedoch oft auf Reichweitenzahlen, Einschaltquoten und Auflagenzahlen reduziert. In j~ngster Zeit wird verst~irkt versucht, vorhandene Ans~itze zu b~indeln und die ,,Qualit~it" als Kategorie in eine Theorie des Journalismus einzufahren (vgl. Bucher/Altmeppen 2003). Bucher stellt diesbezt~glich fest: ,,Qualit~iten sind keine Eigenschaften der Gegenst~inde, denen sie zugesprochen werden, sondem Beobachterkonstrukte. [...] Jeder Beobachter fNlt zun~ichst sein eigenes Qualit~itsurteil auf der Basis seiner Position, seiner Perspektive, seiner Interessen und seiner Standards." (Bucher 2003, S. 12) Dementsprechend masse dann auch zwischen der Perspektive der Medienmacher und der Perspektive der Rezipienten unterschieden werden. Mit diesen Hinweisen wird die Relevanz von Ereignissen far den Alltag der Nachrichtenproduktion gleichwohl nicht auger Kraft gesetzt. Diesbezfiglich kann auf eine weitere Diskussion verwiesen werden, die das Vorhandensein na~rlicher Auswahlkriterien thematisiert. Die Behauptung, dass ein Ereignis so wichtig gewesen ist, dass daraber zu berichten war, geh6rt nach Kepplinger in diesen Begrfindungskontext. Er sieht darin eine Scheinerkl~imng, weil nach seiner Auffassung immer eine soziale Rechtfertigung von Nachrichtenauswahlen vorliegt (vgl. Kepplinger 1989, S. 10). Konventionen in der Nachrichtenselektion werden h~iufig mit dem Argument begrfindet, ,,dab die Ereignisse, t~ber die Joumalisten berichten, unabh~ingig von der Berichterstattung vorgegeben sind." (Kepplinger 1989, S. 10)
Die Wirklichkeit der Medien
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Mit dem Hinweis auf sogenannte Pseudo-Ereignisse wird dieser Argumentation entgegengehalten, dass Ereignisse inszeniert werden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Wahlparteitage, Kongresse, Pressekonferenzen und andere Grol3veranstaltungen werden in diesem Zusammenhang als Beispiele angefahrt. Man k6nnte auch sagen: Die Akteure des politischen und gesellschaftlichen Lebens suchen nach M6glichkeiten der Aufmerksamkeitsbindung und orientieren sich im Zuge dessen vermehrt an Kriterien, die den Selektionsregeln des Journalismus nahe kommen. Dieses Ph~inomen bedjhrt wiederum das Verh~iltnis von Offentlichkeitsarbeit und Journalismus. Was Beachtung findet, ist bekannt. Dementsprechend werden die Plattformen ausgestaltet, auf denen Pr~isentationen stattfinden. Nach Auffassung von Bentele hat der Urheber des Begriffs ,Pseudo-Ereignisse' (n~imlich Daniel Boorstin) 6~ einen wichtigen Aspekt nicht betont. Boorstin habe zwar auf den Aspekt des Arrangements, der Dramatisierung und der damit verbundenen hohen Kosten hingewiesen (vgl. Boorstin 1964, insb. S. 69ff.). Gleichwohl habe er nicht auf das entscheidende Kriterium aufmerksam gemacht: ,,die Tatsache n~imlich, dab diese Ereignisse einzig und allein aus dem Grund produziert werden, um Medienberichterstattung zu evozieren." (Bentele 1993, S. 123)
War frOher alles besser?
Ausz0ge aus einem Streitgespr&ch zwischen J0rgen Leinemann (,,Der Spiegel"), Maximilian Popp (Henri-Nannen-SchQler) und Sebastian Turner (Scholz&Friends) POPP: Fr0her war alles besser? LEINEMANN: Fr0her war nicht alles besser, vieles war nur anders mies. Aber das hat uns wenigstens noch aufgeregt. Was ich zunehmend vermisse, ist Leidenschaft. Journalisten, die sich einlassen auf das, was passiert, die sich davon ber0hren lassen. FOr mich enth~lt eine Gedichtzeile von Peter R0hmkopf eine Wegweisung: ,,Bleib ersch0tterbar und widersteh." Ein Reporter muss N~he schaffen, zugleich aber Distanz wahren. Und er muss den Mut haben, zu sagen: Diesen Hype mache ich nicht mit. SEBASTIAN TURNER: Die Zahl der Medien ist in den letzten Jahren enorm gewachsen und mit ihr der Konkurrenzdruck. Die Angst, ein Thema zu ver-
60 Siehe zusgtzlich auch die Ausftihrungen zu Walter Lippmann in Kapitel 7.
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Die Wirklichkeit der Medien passen, einen Trend zu verschlafen, ist allgegenw&rtig. Da f&llt es den Journalisten schwer, zu sagen: Da mache ich nicht mit. LEINEMANN: 60 bis 70 Prozent der Politik-Berichterstattung beruhen auf Pseudoereignissen. Der eine Politiker macht eine Reise, der andere redet dummes Zeug - d a r a u s ergibt sich doch noch lange keine Nachricht. Das Wettrennen um Exklusivit~t nimmt groteske Formen an: Jeder Referentenentwurf wird zu einem Scoop aufgebauscht. In der ,,Bild" steht freilich nichts von einem Referentenentwurf, stattdessen kreischt Diekmann: Die Regierung plant! POPP: Die Hysterie ffihrt zu einer besonderen Art von journalistischer Kreativit&t: Wenn etwa fiber die Gesundheitsreform diskutiert wird, weil~ man schon vor dem Gespr~.ch mit den Protagonisten, dass die Schlagzeile ,,Streit in der Koalition spitzt sich zu" berechtigt sein wird. Am n~chsten Tag folgen neue Stellungnahmen, Forderungen der Fraktionen, Machtworte - also das, was Heribert Prantl treffend als ,,Kikeriki-Journalismus" beschreibt. TURNER: Dabei ist Streit zwischen den Parteien kaum wirksam. Wenn sich S0der mit Struck zankt, haken die B0rger das als allt,~gliches Gepl,~nkel ab. Aufsehen erregt allenfalls Streit innerhalb der Parteien. ,,Friendly fire", Schfisse auf die eigene Jagdgesellschaft. LEINEMANN: Der absurdeste Trend ist die Vorausberichterstattung. Auch er resultiert aus der Wahnvorstellung, um jeden Preis vor den anderen auf dem Markt sein zu mfissen. Am besten platziere ich also in der Woche vor Ostern die erste Weihnachtsgeschichte. Ich sehe das auch beim ,,Spiegel". Wir berichten heute vorausdenkend weniger eber das, was ist, als fiber das, was kommen wird. Wir schreiben lange Geschichten fiber den kommenden CDUParteitag, aber was dann dort wirklich passiert, interessiert offenbar niemanden mehr. Die Vorausberichterstattung schluckt die Ereignisse." (Medium Magazin, Dezember 2006, S. 24-25)
Handelt es sich um konflikthaltige Simationen, unterstellt Kepplinger eine Strategie, die er mit dem Begriff ,instrumentelle Aktualisierung' bezeichnet. Insbesondere kontroverse Simationen f0hren dazu, dass die politischen Pr~iferenzen der Journalisten Einfluss auf die Wahmehmung und Bewertung entsprechender Ereignisse und Themen nehmen. Diese Form der selektiven Wahrnehmung flihre dazu, dass bestimmten Aspekten besondere Aufmerksamkeit zukommt. Deren Auswahl werde sehr stark v o n d e r eigenen Konfliktsicht geleitet (vgl. Kepplinger 1989, S. 12 sowie Kepplinger 1998, S. 114ff.) 61. 61An anderer Stelle hat Kepplinger bezfiglich der Berichterstattung in Krisensituationen oder parallel zu Skandalen folgende Auffassung vertreten: ,,Die Wahrheit [...] geht w~hrenddes Skandals in finer Wel-
Die Wirklichkeit der Medien
209
Weitergehend wird durch solche Publikationsstrategien die Wirkung einer Berichterstatmng wiederum zum Gegenstand von Publikationen. Insofern wird deutlich, dass eine Fixierung auf das klassische Paradigma der Medienwirkungsforschung, wonach die Wirkungen einem Stimulus folgen, erg~inzt werden muss. Kepplinger pl~idiert ftir ein zirkul~ires Modell, in welches zugleich verschiedene Ereignisformen integriert werden. Die folgende Abbildung gibt dieses Modell wieder und ermSglicht einen differenzierten B lick auf das VerhNtnis von Realit~it und daran orientierter Medienberichterstattung (vgl. Abbildung 8.2). Abbildung 8.2
Ereignisse, Berichterstatmng und Publikationsfolgen. Das Modell von Kepplinger
I t-,~ I / / I ~r-1 r / 11 ....i / GEi !
I
PE: K: P: PF"
Pseudo-Ereignis Komrnunikation Publikation Publikationsfolgen
Quelle: Kepplinger 1989, S. 14 Dieses integrierte Modell enthNt mit seiner Betonung der Publikationsfolgen nur einen allgemeinen Hinweis auf die Wahrnehmung der Medienwirklichkeit durch das Publikum. Von gr6gerer Bedeutung ist die in dem Modell enthaltene Ereignistypologie, die durch eine zeitliche Komponente erweitert wird. Es wird angenommen, dass auch genuine Ereignisse und Pseudo-Ereignisse zu mediatisierten Ereignissen
le krass abertriebener oder g~inzlich falscher Darstellungen unter. Die Oberhand gewinnt sie erst, wenn der Skandal zu Ende und die Flut der anklagenden Berichte verebbt ist." (Kepplinger 2001, S. 14) Diese Einsch~itzung korrespondiert mit den Befunden, die Hecker am Beispiel der 131plattform Brent Spar vorgelegt hat (vgl. Hecker 1997, S. 119ff.).
210
Die Wirklichkeit der Medien
werden k6nnen. Bevor hierzu einige Beispiele genannt werden, sollen die Begriffe kurz erl~iutert werden (vgl. Kepplinger 1989, S. 13): 9
9
9
Unter genuinen Ereignissen werden solche Ereignisse verstanden, die sich unabh~ingig von der Berichterstattung der Massenmedien ereignet haben. Hierzu zghlen insbesondere natarliche Ereignisse wie Unf~ille, Erdbeben, Flutkatastrophen, Todesf~ille usw. Pseudo-Ereignisse sind inszenierte Ereignisse. Sie werden herbeigeflihrt, um eine Berichterstattung daraber wahrscheinlich zu machen. Pressekonferenzen haben zwar eine wichtige Informationsfunktion, sie k6nnen aber auch instrumentalisiert werden im Sinne einer gezielten 0ffentlichkeitsarbeit. Demonstrationen dienen der Artikulation eines begdindeten politischen Interesses, sie kOnnen aber dart~ber hinaus oder ausschliel31ich ein Mittel zur Aufmerksamkeitserzeugung sein. Mediatisierte Ereignisse nehmen aufgrund einer zu erwartenden Berichterstattung eine bestimmte Form an, die sie als mediengerecht erscheinen lassen. Ihr ursprfinglicher Anlass ist nicht das zu erwartende Medieninteresse, aber die Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit von Beobachtem (Joumalisten) ver~indert die Rahmenbedingungen.
Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf eine Typologie von Bentele, die natarliche Ereignisse (Wetter, Erdbeben, Vulkanausbrache), soziale Ereignisse (Gipfeltreffen, Parteitage, Sportveranstaltungen) und inszenierte Medienereignisse (Pressekonferenzen, Einweihungen, Kulmrveranstalmngen) unterscheidet (vgl. Bentele 1993, S. 124f.). Besonderes Interesse erfahren jene Ereignisse, die entweder zum Zwecke des ,Issue-Managements' eingesetzt werden oder zun~ichst genuinen Charakter hatten, dann aber zunehmend mediatisiert wurden. Wahlk~impfe werden Mufig als Beispiel far mediatisierte Ereignisse angeflihrt, da sie - gelegentlich auch gegen den Willen der Hauptprotagonisten - zu einem grof3en Teil fiber Medien gefahrt werden. Parallel zu dieser Mediatisiemng der Politik vedindert sich die Wahrnehmung politischen Handelns durch Journalisten und Rezipienten. In Bezug auf die USA hat Patterson von einer Dominanz des ,Game'-Schemas gegent~ber dem ,Policy'-Schema gesprochen. Eine Analyse der Titelseiten der ,,New York Times" far den Zeitraum yon 1960 bis 1992 zeigt, dass die Berichterstattung t~ber den Wahlkampf vermehrt die strategischen Elemente betont hat und die politischen Inhalte (,Issues') in den Hintergrund traten (vgl. Patterson 1993, S. 74). Da~ber hinaus gibt es zahlreiche genuine Ereignisse, die aufgrund einer eingetretenen Medienresonanz zu mediatisierten Ereignissen werden. Spektakul~ire Beispiele haben in der jangeren Vergangenheit zugenommen, wie etwa der Prozess gegen den ehemaligen amerikanischen Football-Star O. J. Simpson. W~ihrend der Strafprozess in den Jahren 1994 und 1995 eine hohe Medienaufmerksamkeit erfuhr und nach Auffassung verschie-
Die Wirklichkeit der Medien
211
dener Beobachter amerikanische Femsehgeschichte geschrieben hat (vgl. beispielhaft Hesse 1995, S. 13), wurde dem im Anschluss an den Freispruch im Oktober 1995 angestrengten Zivilprozess gegen Simpson eine wesentlich geringere Aufmerksamkeit entgegengebracht. Dies veranlasste die ,,Frankfurter Allgemeine Zeitung", von einer ,,Vendetta ohne Fernsehen" (Rademacher 1996, S. 10) zu sprechen. Solche Aufmerksamkeitszyklen sind typisch, weil die wiederholte Kommentierung desselben Sachverhalts nur in solchen FNlen einen Nachrichtenwert behNt, in denen neue und unbekannte Fakten auftreten. Das gilt beispielsweise auch ffir die ClintonLewinsky-Affiire, die in den Jahren 1998 und 1999 eine neue Variante des Enthtillungsjoumalismus offenbarte (siehe hierzu ausffihrlich auch Meyrowitz 2002, insb. S. 154ff.). Obwohl somit der Eindruck entstehen muss, dass sich die Wirklichkeit der Medien schon auf der Ebene der Entstehung von Berichterstattungen einer eindeutigen Nachvollziehbarkeit entzieht, sind die beschriebenen Theorien und Modelle dieser Zielsetzung verpflichtet. Kepplinger vertritt beispielsweise folgende Auffassung: Aus dem ,Inzweifelziehen' der Realit/~t mtisse resultieren, dass auch eine darauf bezogene Berichterstattung nicht miteinander verglichen werden kann (vgl. Kepplinger 1989, S. 14). Der gerade angedeutete Zweifel an der Realit~it ffihrt zu einer mit der ptolem~iischen Antwort konkurrierenden Auffassung: die kopemikanische Antwort. Mit Kopemikus (1473-1543) verbindet man den Durchbruch zu einem offeneren, dynamischeren Weltbild. In Bezug auf die Bedeumng der Massenmedien soll dieser Hinweis verdeutlichen, dass ein noch differenzierteres Bild der Wirklichkeit gezeichnet wird. Die kopernikanische Antwort sieht Medien als aktive Elemente in einem Prozess, der zur Entstehung von Wirklichkeitsvorstellungen ftihrt. ,,Ihre Aufgabe besteht darin, die Stimuli und Ereignisse in der sozialen Umwelt zu selektieren, zu verarbeiten, zu interpretieren. Auf diese Weise nehmen sie teil am kollektiven Bem~hen, eine Realit/~t zu konstruieren und diese - durch Ver6ffentlichung - allgemein zug/~nglich zu machen, so dab eine gemeinsame Basis ffir soziales Handein entsteht [...]." (Schulz 1989, S. 142) Die bereits beschriebenen Theorien lassen sich wohl weitgehend auch dieser Auffassung zuordnen. Insoweit entstehen Zuordnungsprobleme, die Schulz auch selbst thematisiert (vgl. Schulz 1989, S. 146). Noch am deutlichsten werden die Unterschiede erkennbar, wenn man die bisherigen Auffassungen mit den Annahmen des Konstmktivismus 62 kontrastiert (siehe umfassend hierzu Schmidt 2000). So hat beispielsweise Luhmann darauf hingewiesen, dass bereits die Formulierung ,Verzen'ung durch die Massenmedien' eine ,,[...] objektiv zug/~ngliche, konstruktionsfrei erkennbare Realit/~t" (Luhmann 1996, S. 20) unterstellt.
62 Siehe hierzu auch die Ausfiihrungen in Kapitel 3.
212
Die Wirklichkeit der Medien
Das Schicksal yon Hilfsorganisationen
,,Es gibt eine zynische Formel im Nachrichtengesch~ft: Je mehr Tote, desto wichtiger ist eine Katastrophe. Relevanz ist gleich Opferzahl geteilt durch Entfernung. F0r die Spendenbereitschaft der Deutschen gilt das gleiche. Die groBen Wohlfahrtsverb~nde und Hilfsorganisationen erwarten daher f0r ihre Spendenbilanz ein dickes Minus im Vergleich zum Vorjahr- es gab 2006 keine groBen Naturkatastrophen, jedenfalls nicht in den Schlagzeilen und in den Fernsehnachrichten, keinen Tsunami und keine Elbeflut." (Trenkamp 2006, S. 18) Macht der Medien" Medienberichterstattung vs. Spendenaufkommen
Tsunami
Pakis~n
Ea~hquake
C~ntHb o n s
Quelle: www.mediatenor.de; Basis: 666 Berichte zu Tsunami und 66 Berichte zum Erdbeben in Pakistan in sieben deutschen Nachrichtensendungen. Daraus kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass man sich permanent in einer t~gerischen Gewissheit fiber das, was die Realit~it ausmacht, befindet. So formuliert Schmidt beispielsweise: ,,Medienangebote lassen sich aus vielen Grfinden nicht als Abbilder von Wirklichkeit bestimmen, sondern als Angebote an kognitive
Die Wirklichkeit der Medien
213
und kommunikative Systeme, unter ihren jeweiligen Systembedingungen Wirklichkeitskonstruktionen in Gang zu setzen. Werden diese Angebote nicht genutzt, ,transportieren' Medienangebote gar nichts. Werden sie genutzt, geschieht dies je systemspezifisch." (Schmidt 1994b, S. 16) Der Grund hierfar ist jedoch nicht t~berraschend: Wahrnehmung l~isst sich nicht delegieren, weil damit immer ein individueller Vorgang verbunden ist. Entscheidender ist die Frage, ob sich trotz dieser Vielzahl individueller Vorg~inge Gemeinsamkeiten hinsichtlich des daraus resultierenden Verst~indnisses von Wirklichkeit ergeben k6nnen. McQuail hat darauf hingewiesen, dass ,,[...] many media genres are understood by most of their receivers most of the time in predictable ways and much meaning is denotational and unambigious." (McQuail 2000, S. 485) Trotz einer erwartbaren Vielfalt von Wahrnehmungsm6glichkeiten ergeben sich offensichtlich Kernbereiche, die sich durch ein gemeinsames Verst~indnis auszeichnen. Indem Massenmedien zu einer Selbstbeobachtung moderner Gesellschaften beitragen (vgl. hierzu insbesondere die systemtheoretischen Ansgtze der Journalismusforschung und die Darstellung bei Scholl/Weischenberg 1998, S. 76), beteiligen sie sich in st~irkerem Mal3e, als es Einzelpersonen tun k6nnen, an einer Bereitstellung von Wissen ~iber unterschiedliche Bereiche der Wirklichkeit. Schmidt betont in diesem Zusammenhang wiederum: ,,Fernsehen macht die Komplexit~it sozialer Erfahrungen ~berschaubar und suggeriert, auch funktional differenzierte Gesellschaften seien noch ,einheitlich beobachtbar'." (Schmidt 1994b, S. 17) Diese Einheitlichkeit der Beobachtung kann jedoch nur dann entstehen, wenn man sich bereitwillig dieser Form von Beobachtung anschliel3t und diese als zutreffend einstuft. Wt~rden solche Anschlt~sse dominieren, ginge die F~ihigkeit zur Unterscheidung zwischen einer sozialen und einer Medienwirklichkeit verloren. Im Rahmen einer so genannten postmodernen Medientheorie (vgl. hierzu auch die Darstellung bei Keppler 1994b, S. 1 lff.) wird in diesem Zusammenhang gelegentlich auf das H6hlengleichnis von Platon (427-347 v.Chr.) Bezug genommen. In diesem Gleichnis werden die Menschen als Wesen beschrieben, die nicht in der Lage sind (,,von Kindheit an gefesselt an Leib und Schenkeln"), die wirkliche Welt zu sehen. Statt dessen nehmen sie die durch einen Feuerschein vermittelten Schatten (Umrisse) von Gegenst~inden als die Wirklichkeit wahr. Die Ubertragung dieses Gleichnisses auf die Moderne h~itte zur Konsequenz, dass sich die ,,alte Verfassung einer Wirklichkeit auf[1Ose], die dem Menschen Widerstand leiste und von ihm verlange, in produktiver Erfahrung angeeignet zu werden." (Keppler 1994b, S. 13) W~ire dies eine ad~iquate Beschreibung der Verh~iltnisse, mt~sste in der Tat von einer kollektiven Programmierung von Denk- und Verhaltensweisen ausgegangen werden. In Erweiterung eines Modells von Whetmore (1991) schl~igt Weimann (2000, S. 11) eine Unterscheidung von drei Ebenen vor: die Realit~it, die konstruierte mediatisierte Realit~it und die wahrgenommene mediatisierte Realit~it. Die Art und Weise, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, ergibt sich somit aus einem Mixtum mehrerer
214
Die Wirklichkeit der Medien
Selektionsschritte, wobei Weimann mit Mills von einer Zunahme yon ,,second hand"-Welten ausgeht: ,,The first ru*le for understanding the human condition is that men live in second-hand worlds. They are aware of much more than they have personally experienced, and their own experience is always indirect. [...] Their images of the world, and of themselves, are given to them by crowds of witnesses they have never met and never shall meet." (Mills 1967, S. 405f.) Das Modell l~isst sich wie folgt darstellen: Abbildung 8.3
Drei Realit~tten - Das ,,Double Cone"-Modell von Weimann
Realit~it
9\ . \ \
Nachrichten, Fiktionen, Bilder oder Musikformen
-\.\
\. Direkter Fluss yon Fakten und
Ereignissen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
-"
Konstruierte mediatisierte Realit~it
(dramatischer, bunter, intensiver, aktiver...)
'
Bedeutuna mediatisierter""
Realit&t f~r die
Wahrnehmung ~\\. des AIItags
/' / / ,///
~//
.,
Ubertragung zum Publikum
"~~".
\\
q
I
Wahrgenommene mediatisierte Realit~it (selective exposure, selective perception, selective retention)
Quelle: Eigene Erstellung nach Weimann 2000, S. 11. Letztlich geht es in allen dargestellten ,,Realit~its"-Theorien um die Beurteilung eines Kr~ifteverh~iltnisses, und letztlich immer auch um eine Einsch~itzung der Publikumsaktivit~it 63. Auch fttr diesen Bereich der Medienwirkungsforschung gilt, dass jede Generalisierung eine de facto vorhandene soziale Differenzierung vernachl~issigt, die mit unterschiedlichen Kompetenzen einhergeht. Sehr eindeutig vorgetragene Auffassungen erfreuen sich gleichwohl einer gr613eren Popularitgt. Diese mtissen deshalb nicht ohne Berechtigung sein, aber eine n~ihere Betrachtung ihrer Annahmen und vorgelegten empirischen Belege fahrt zu Entt~iuschungen fiber die zungchst vermittelte Klarheit einer Ursache-Wirkungs-Beziehung. Im Folgenden soll eine 63 Siehe hierzu die Ausfiihrungen in Kapitel 3.
Die Wirklichkeit der Medien
215
Theorietradition beschrieben werden, auf die der gerade beschriebene Eindruck zutrifft. Sie besch~iftigt sich mit dem Verh~iltnis von Medienwirklichkeit und sozialer Wirklichkeit und stellt das Medium Fernsehen in den Mittelpunkt der Darstellung. In Verbindung damit kann zugleich illustriert werden, welche Probleme entstehen, wenn eine Verknt~pfung von Medienangeboten und Beschreibungen der Wirklichkeit, wie sie von Rezipienten wiedergegeben werden, vorgenommen werden soil.
8.2 Der ,Cultivation of Beliefs'-Ansatz. Darstellung und Kritik
Legt man die Unterscheidung ptolem~iisch/kopemikanisch zu Grunde, ist die im Folgenden zu skizzierende Forschungstradition eher der ersten Perspektive zuzuordnen. Die Initialzt~ndung far dieses Forschungsprogramm wurde durch eine 6ffentliche Debatte t~ber die sozialen Folgen von Gewaltdarstellungen im amerikanischen Fernsehen ausgelOst. Im Jahr 1967 erhielt der amerikanische Kommunikationswissenschaftler George Gerbner und sein Forschungsteam den Auftrag, die Gewaltdarstellungen im amerikanischen Fernsehen zu untersuchen. Wghrend man sich zun~ichst vorwiegend mit diesem Teil der Medienwirklichkeit besch~iftigte, erfuhr die Analyse eine allm~ihliche Ausweitung, indem sowohl das beobachtete Themenspektrum erweitert als auch die Reaktionen des Publikums systematisch integriert wurden. Die nachfolgende Darstellung orientiert sich an diesen Etappen und beginnt zun~ichst mit einer zusammenfassenden Ubersicht der sogenannten ,Message System Analysis'. Daran anschlieBend werden die Gmndzt~ge der Kultivierungsthese skizziert sowie die Erweiterung dieses Konzepts, die in erster Linie aus dem Versuch einer systematischen Integration vorgetragener Einwgnde und Kritikpunkte resultierte.
-Message System Analysis: Bis zum Jahr 1980 wurde in regelm~iBigen Abst~inden ein Gewaltprofil (,Violence Profile') des amerikanischen Femsehprogramms erstellt. Ursplqinglich begann dieses auch als ,Cultural Indicators Project' bezeichnete Unternehmen mit einem Auftrag der ,,National Commission on the Causes and Prevention of Violence". Es sollte analysiert werden, welche Bilder der Wirklichkeit das amerikanische Fernsehen seinen Zuschauern pr~tsentiert. Die weitere Forschung wurde durch zahlreiche amerikanische Institutionen unterstatzt (vgl. Gerbner et al. 1994, S. 22) und resultierte in einem umfangreichen Datenbestand, der Informationen t~ber Programme und darin pr~isentierte Charaktere bereith~ilt. Hinsichtlich der Auswahlmethode ist beispielsweise zu lesen: ,,The Violence Index is based on the analysis of week-long samples of prime-time and weekend-daytime network dramatic programming broadcast from 1967 through 1979." (Gerbner et al. 1980, S. 11) Das praktizierte Auswahlverfahren ist nach Auffassung yon Burdach als ,,mehr oder
216
Die Wirklichkeit der Medien
weniger willkt~rlich" (Burdach 1987, S. 349) zu bezeichnen. Diesen methodischen Einw~inden wird in der Regel mit Hinweisen auf die allgemeine Zielsetzung dieser Forschung begegnet. Ft~r Gerbner ist das Fernsehen das zentrale Medium der modernen Kultur und entfaltet aufgrund seiner Omnipr~isenz einen kumulativen Effekt auf die Wahrnehmung der Welt. Wenn es, so seine These, einen gemeinsamen Faktor gibt, der die Sozialisation der Menschen begleitet, dann ist es das Fernsehen. Diese entschiedene Auffassung wird gegen Einw~inde vorgetragen, die einen detaillierten Nachweis yon Ursache und Wirkung verlangen. Die auf der n~ichsten Seite wiedergegebenen Zitate verdeutlichen die Sichtweise Gerbners eindrucksvoll.
Die Bedeutung des Fernsehens. George Gerbner ,,Television is the central and most pervasive mass medium in American culture and it plays a distinctive and historically unprecedented role. Other media are accessible to the individual (usually at the point of literacy and mobility) only after the socializing functions of home and family life have begun. In the case of television, however, the individual is introduced virtually at birth into its powerful flow of messages and images. The television set has become a key member of the family, the one who tells most of the stories most of the time. Its massive flow of stories showing what things are, how things work, and what to do about them has become the common socializer of our times. These stories form a coherent if mythical ,world' in every home. Television dominates the symbolic environment of modern life." (Gerbner et al. 1980, S. 14) ,,Television is a centralized system of storytelling. Its drama, commercials, news, and other programs bring a relatively coherent system of images and messages into every home. That system cultivates from infancy the predispositions and preferences that used to be acquired from other ,primary' sources and that are so important in research on other media. Transcending historic barriers of literacy and mobility, television has become the primary common source of socialization and everyday information (mostly in the form of entertainment) of otherwise heterogeneous populations. Many of those who now live with television have never before been part of a shared national culture. Television provides, perhaps for the first time since preindustrial religion, a daily ritual that elites share with many other publics. The heart of the analogy of television and religion, and the similarity of their social functions, lies in the continual repetition of patterns (myths, ideologies, ,facts', relationships, etc.) that serve to define the world and legitimize the social order." (Gerbner et al. 1994, S. 18)
Die Wirklichkeit der Medien
217
Wenn dem Fernsehen der Stellenwert eines ,centralized system of storytelling' zugeschrieben wird, kann es eine bestimmte S icht der Wirklichkeit in den Vordergrund dr~ingen und durch kontinuierliche Wiederholung bestimmte Eindrficke dauerhafl beeinflussen. Die Herausarbeitung dieser ,Messages' erfordert eine systematische Verarbeitung des pr~isentierten Bildmaterials. Im Falle der Gewaltanalysen wurde zwar der Anspruch erhoben, die Fernsehwelt umfassend abzubilden, de facto operierte man in der Regel mit sehr weit gefassten Kategorien, die ebenfalls nicht ohne Kritik blieben (vgl. Burdach 1987, S. 348ff.). Zusammengefasst werden darunter unterschiedliche Formen physischer Gewalt, wobei beispielsweise Beschimpfungen oder androhende Gesten nicht hinzugerechnet wurden. Wichtig ist vor allem, dass sich die Ermittlung von Gewalt nicht auf bestimmte Programmgattungen konzentrierte, sondern beispielsweise auch Angebote, die in einem humoristischen Rahmen standen, in die Analysen mit einbezogen wurden. Um Missverst~indnisse auszuschlieBen, wird hier die Definition aus einer Originalquelle wiedergegeben: ,,[...] we define violence as the overt expression of physical force (with or without a weapon, against self or others) compelling action against one's will on pain of being hurt and/or killed or threatened to be so victimized as part of the plot. Idle threats, verbal abuse, or gestures without credible violent consequences are not coded as violence. However, ,accidental' and ,natural' violence (always purposeful dramatic actions that do victimize certain characters) are, of course, included. A violent act that fits the definition is recorded, whatever the context. This definition includes violence that occurs in a fantasy or ,humorous' context as well as violence presented in a realistic or ,serious' context. There is substantial evidence that fantasy and comedy are effective forms in which to convey serious lessons [...]. Thus eliminating fantasy or comic violence, as well as violence of an ,accidental' nature, would be a major analytical error." (Gerbner et al. 1980, S. llf.) Die regelm~iBig publizierten Indikatoren reichten von ,programs with violence' fiber die Zahl der Gewalthandlungen (,number of violent acts') bis hin zur Ermittlung eines ,Violence Index'. Um als Programm klassifiziert zu werden, das Gewalt enth~ilt, gent~gte eine einzige Szene, die den Kriterien der oben genannten Definition entsprach. Die Tabelle auf der nachfolgenden Seite gibt die Ergebnisse fiir den Beobachtungszeitraum von 1967 bis 1985 wieder. Grundlage ist das Prime TimeProgramm des amerikanischen Fernsehens. Tabelle 8.1 kann enmommen werden, dass die Zahl der analysierten Programme bis Ende der 1970er Jahre etwa doppelt so hoch war als in der Phase danach. Der Anteil der Programme, die Gewaltszenen enthielten, schwankt erheblich. Im Jahr 1982 wurde der niedrigste Anteilswert (63,6%) ermittelt, der h6chste Wert wird im Jahr 1981 erreicht (80,0%). Ebenso schwankt die Zahl der Handlungen, die als gewaltsam klassifiziert wurden: 1983 waren es beispielsweise 280, 1984 415o Von besonderer Bedeutung ist die Analyse der Hauptdarsteller (,leading charac-
218
Die Wirklichkeit der Medien
ters'). Ober den gesamten Beobachtungszeitraum zeigte sich, dass in etwas mehr als 50% aller F~ille die Hauptdarsteller in Gewalthandlungen involviert waren. In Bezug auf Handlungen mit Todesfolge lag der Durchschnittswert bei 11,5%. Auch in diesem Fall ist die zu beobachtende Streuung erheblich. Vehemente Kritik hat der ,Violence Index' erfahren, der nach Burdach ,,eine v(511ig unzul~issige Zusammenfassung von heterogenen Kennwerten [darstellt], die dem sprichw6rtlichen Zusammenz~ihlen von Apfeln und Birnen gleichkommt." (Burdach 1987, S. 350) Tabelle 8.1
Gewalt als Bestandteil des amerikanischen Fernseh )rogramms
Prime Time Programs Samples (100%) Programs analyzed Leading characters analyzed Prevalence Programs with violence (% P) Rate Number of violent acts Rate per program (R/P) Rate per hour (R/H) Roles (% Leading characters) Involved in violence (% V) Involved in killing (% K) Violence Index (VI):
67-68
69-70
71-72
73-74*
75-76*
77-78
1979
N 121 340 % 75.2 N 549 4.5 5.2 % 64.4 17.4
N 125 350 %
N 122 386 %
N 177 609 %
N 195 603 %
N 131 401 %
N 64 218 %
66.4 N 434 3.5
73.8 N 533 4.4 4.8 %
67.8 N 919 5.2 5.3 %
72.3 N 1058 5.4 5.9 %
70.2 N 656 5.0 5.2 %
70.3 N 344 5.4 5.7 %
53.9 13.5
53.7 16.9
58.5 13.3
53.4 8.5
53.7 6.9
3.9 % 49.4 9.4
140.0 159.4 159.3 166.7 152.5 VI = (%P)+2(R/H)+ 2(R/P)+% V+%K 176.4 * The figures for 1973-74 include a spring 1975 sample and those for 1975-76 include a 1976 sample
153.0
1980
1981
1982
1983
1984
1985
N
N
N
N
N
N
N
64
65
77
63
65
67
1336
Leading characters analyzed Prevalence
229 %
216 %
247 %
195 %
221 %
217 %
4232 %
Programs with violence (%P) Rate Number of violent acts
73.4 N 336
80.0 N 343
63.6 N 278
73.0 N 280
78.5 N 415
79.1 N 421
71.9 N 6566
Rate per program (R/P) Rate per hour (R/H) Roles (% Leading characters)
5.2 5.7 %
5.3 5.9 %
3.6 4.6 %
4.4 4.8 %
6.4 6.9 %
6.3 6.8 %
4.9 5.4 %
50.7 4.8
50.0 5.6
48.2 6.5
53.3 9.7
63.3 12.7
58.5 11.1
54.9 11.5
150.7
158.0
134.7
154.4
181.1
174.9
158.9
Prime Time Programs Samples (100%)
Programs analyzed
Involved in violence (% V) Involved in killing (% K) Violence Index: Vl = (%P)+2(R/H)+2(R/P)+%V+%K
Quelle: Signorielli 1990, s. 93
Total
Die Wirklichkeit der Medien
219
Der Index resultiert aus der Addition verschiedener Kennwerte. Dabei tiberrascht, dass gerade die Auftretensh~iufigkeit von Gewalthandlungen gleich zweifach doppelt gewichtet wird, dagegen die Handlungen der Hauptdarsteller, und insbesondere Handlungen mit dramatischem Ende (,involved in killing'), ungewichtet in den Index eingehen. In Bezug auf Letzteres k6nnte auch gefragt werden: Ftir welche Bev61kemngsgruppen- folgt man der ,Welt' des Fernsehens - besteht ein besonderes Risiko, Opfer einer Gewalthandlung oder eines Verbrechens zu werden? Diese Analyse von T~iter-Opfer-Relationen soll ebenfalls an einem empirischen Beispiel erl~iutert werden. Tabelle 8.2
M~innliche Charaktere ViolentKillerN victim killed ratio ratio
Groups All characters Social age Children-adolescents .
T~iter-Opfer-Relationen im amerikanischen Fernsehprogramm (Zeitraum 1967-1975)
2010
- 1.19
weibliche
+ 1.97
605
Charaktere Violent. Killervictim killed ratio ratio - 1.32
1.00
188
- 1.83
+0.00
77
- 1.39
0.00"
Young adults
431
-1.21
+ 3.07
209
- 1.67
+ 1.29
Settled adults
1068
- 1.15
+ 1.98
267
1.00
1.00
81
+ 1.03
- 2.00
22
- 2.25
- 0.00"
196
- 1.28
+ 1.15
70
- 1.64
+ 1.33
1744
- 1.19
+ 2.36
517
- 1.26
1.00
70
- 1.11
- 1.33
18
- 2.67
- 0.00"
,Good" (heroes)
928
- 1.26
+ 3.47
314
- 1.56
- 6.00
Mixed type
432
- 1.31
+ 1.09
156
- 1.37
1.00
"Bad" (villains)
291
- 1.03
+ 1.80
41
+ 1.14
+ 2.00
.
.
.
.
Old
Class Clearly upper class Mixed: indeterminate Clearly lower
Character
* p <
type
.05
Quelle: Zusammengestellt nach Gerbner/Gross 1976, S. 199 Tabelle 8.2 berticksichtigt eine Differenzierung nach m~innlichen und weiblichen Darstellem sowie das Alter, die Klassenzugeh6rigkeit und den Charakter des jeweiligen Protagonisten. Die angegebenen Zahlen lassen sich nicht als Wahrscheinlichkeiten intel~retieren, sondern resultieren aus der Ermittlung von Relationen. Zum besseren Verst~indnis sei zun~ichst ein fiktives Beispiel vorangestellt: Angenommen, die Ergebnisse der Inhaltsanalyse ermitteln 32 T~iter im Alter von 20 bis 30 Jahren, zugleich aber auch 18 Opfer von Gewalthandlungen, die ebenfalls dieser Alters-
220
Die Wirklichkeit der Medien
gruppe angeh6ren. Setzt man die Zahl der T/iter und die Zahl der Opfer aus dieser Altersgruppe ins Verh/ilmis, resultiert daraus ein Wert von 1.77. Der positive Wert drtickt aus, dass in der betreffenden Gruppe die Zahl derjenigen, die anderen Gewalt zuftigen, die Zahl derjenigen, die Gewalt erleiden mtissen, tibersteigt. Da aus der Bestimmung des Verh/iltnisses absoluter Zahlen kein negativer Wel~ resultieren kann, bedarf die Verwendung der Vorzeichen einer zus~ttzlichen Erkl~imng. Ein positives Vorzeichen bedeutet grunds~itzlich, dass die Zahl der T~iter h6her ist als die Zahl der Opfer. Ein negatives Vorzeichen zeigt, dass in der betreffenden Gruppe mehr Opfer als T~iter zu beobachten sind. Ftir die Ermittlung der VerhNmiszahlen resultiert daraus, dass jeweils die gr6Bere Zahl in den Z~ihler des Bruches gesetzt wird, die kleinere Zahl in den Nenner. Das Vorzeichen gibt immer nur den erg~inzenden Hinweis auf eine Oberzahl von Opfern (-) oder T~item (+). SchlieBlich musste noch eine Regelung ftir Sonderf~ille gefunden werden: Taucht beispielsweise der Wert 0.00 auf, sind in der betreffenden Gruppe weder T~iter noch Opfer identifiziert worden; -0.00 weist darauf hin, dass keiner der T~iter das jeweilige Merkmal erftillte, aber unter den Opfem Darsteller zu finden waren, auf die dies zutraf; +0.00 bedeutet schlieBlich, dass der oder die T~iter das Merkmalsprofil aufwiesen, aber keines der Opfer aus der entsprechenden Gruppe kam. Tabelle 8.2 kann somit beispielsweise Folgendes entnommen werden: Junge Erwachsene werden im amerikanischen Femsehprogramm h~iufiger als T~iter dargestellt (+3.07). Unter den Nteren Frauen ist die Gefahr, Opfer einer Gewalthandlung zu werden, gr6Ber (siehe den Wert -2.25 in der Spalte ,Violent-victim ratio'). Weibliche Mitglieder der ,lower class' sind ebenfalls h~iufiger Opfer von Gewalthandlungen (-2.67). Unter den positiv dargestellten Charakteren (,Good') finden sich h~iufiger weibliche Opfer (-6.00). Diese, fiber die Medien vermittelte Wirklichkeit, galt es zu beschreiben, um Anhaltspunkte ftir den Einfluss des Fernsehens auf die Wahrnehmung der Wirklichkeit zu erhalten. Ftir den Zeitraum 1993 bis 2001 hat Signorielli emeut das Prime TimeProgramm analysiert und festgestellt: ,,The percentage of programs with violence remained stable between the spring of 1993 and the fall of 2001 [..]." (2003, S. 47) Die 6ffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema ,Gewalt in den Medien' sieht die Wirkungskette mit einer detaillierten Beschreibung unterschiedlich verzemer Realit~itswahmehmungen aber nicht abgeschlossen 64. Es ist vielmehr die damit einher gehende Vorstellung, dass sich modeme Gesellschaften viel zumuten und parallel dazu Verantwortung zunehmend individualisiert wird. Wenn die Zunahme entsprechender Angebote ein typisches Bild (bzw. Relationen) von Opfern und T~item vermittelt, dann mag in bestimmten F~illen auch tiber diese kognitive Ebene hinaus 64 Zu dem umfassenden Forschungsgebiet, das sich mit der Thematik ,Wirkungen von Gewaltdarstellungen in den Medien' besch~iftigt, siehe die knappe Zusammenfassung bei Winterhoff-Spurk 2004, S. 123ff. und Kunczik/Zipfe12006 sowie die AusNhrungen unter Punkt 4 von Kapitel 8.
Die Wirklichkeit der Medien
221
ein Verhalten kultiviert werden, das in seinen Wirkungen eben nicht individuell bleibt. Ein dramatischer Einzelfall gent~gt, um den Verdacht zu erh~irten, dass diese Angebote nicht wirkungsneutral sein k6nnen. Angesichts der Ungewissheit tiber die Vielzahl der zusammenwirkenden Faktoren wird dann ffir eine Einschr~inkung der Selbstbestimmung entsprechender Rezeptionspr~tferenzen von Gewalt verherrlichenden Angeboten der unterschiedlichsten Art pl~idiert. Diese Forderungen erkl~iren sich aus der Notwendigkeit abstrakter Regelungen, die sich an ung~nstigen ~ers6nlichen) Konstellationen orientieren mt~ssen und die Chancen auf kontinuierliches Lernen entsprechend medial t~bersteigerter Handlungsweisen dadurch zu reduzieren hoffen. Auch das Forschungsprogramm der Annenberg School of Communication istwie bereits angedeutet- aus einer 6ffentlichen Debatte hervorgegangen und hat eine spezifische Perspektive auf die Wirkung eines Mediums, des Fernsehens, etabliert. Obwohl die Message System Analysis sehr unterschiedliche Darstellungen von Gewalt zusammenfasste, gaben diese medienvermittelten Beobachtungen Anlass zu weitergehenden Fragestellungen, die zur eigentlichen Kultivierungsanalyse t~berleiteten: Wenn sich bestimmte Bev61kerungsgruppen nur in der Rolle des Opfers wahrnehmen (z.B. ~iltere Frauen oder Frauen aus der Unterschicht, vgl. Tabelle 8.2), kann deren Wahrnehmung der Welt dann von grol3er Zuversicht gekennzeichnet sein bzw. lassen sich Hinweise finden, dass sie ihre Umwelt als bedrohlich wahrnehmen? Diese Oberlegung fahrt zum zweiten Baustein dieses Forschungsprogramms.
Kultivierungsanalyse: Da das Fernsehen als eine die amerikanische Kultur dominierende Instanz bezeichnet wurde, lag es nahe, das Themenspektrum nicht auf den Bereich der Gewaltdarstellungen zu begrenzen. Seit Mitte der 1970er Jahre wurden vermehrt auch bestimmte Altersstereotype, Darstellungen bestimmter Berufsgruppen, des Familienlebens usw. analysiert. Kultivierung, so wurde immer wieder behauptet, sei mehr als blol3e Verst~irkung bestimmter Pr~idispositionen (vgl. Gerbner et al. 1994, S. 24). Es sei die Folge einer Entwicklung, die am ehesten als ein ,,gravitational process" (Gerbner et al. 1994, S. 24) verstanden werden mt~sse. Alle Mitglieder einer Gesellschaft werden von dieser Entwicklung erfasst, gleichwohl in unterschiedlichem Ausmal3. Hier endlich wird Differenzierung erkennbar, die jedoch durch eine einfache Umsetzung realisiert wird. Das Ausmal3 der Fernsehnutzung wurde zu einer zentralen Variable, die eine Kultivierung yon Meinungen und Einstellungen der Bev(Slkerung best~itigen sollte. Wenn Menschen die Fernsehangebote regelm~il3ig und t~berdurchschnittlich lang nutzen, dann ist nach allem bislang Gesagten eine Internalisierung dieser Wirklichkeitsvorstellungen sehr wahrscheinlich. Aus diesem Grund hat die Gruppe der Vielseher eine besondere Aufmerksamkeit erfahren. Gerade dort muss sich das Fernsehen als ,,the central and most pervasive mass medium in American culture" (Gerbner et al. 1980, S. 14) erweisen. Dieser Zielsetzung folgend, wurde eine Reihe von Kultivierungs-Indikatoren entwickelt, -
222
Die Wirklichkeit der Medien
die in Bev61kerungsumfragen eingesetzt wurden. Die jeweils erhaltenen Antworten wurden nach dem AusmaB der Fernsehnutzung differenziert, wobei sich die Interpretation letztlich auf eine Prozentpunktdifferenz konzentrierte, die die Bezeichnung ,Kultivierungsdifferential' erhielt. Diese Differenz resultierte aus der Subtraktion der Anteilswerte von Viel- und Wenigsehern. Die insbesondere von Hirsch vorgetragene Kritik (vgl. Hirsch 1980, 1981), nach der ein exakter Nachweis eines Kultivierungseffekts die Berficksichtigung der Nichtseher erforderlich mache, wurde mit dem Hinweis zurfickgewiesen, dass es nur sehr wenige Nichtseher gibt und diese in demografischer Hinsicht auch eine sehr uneinheitliche Gruppe darstellen (vgl. Gerbner et al. 1994, S. 22; far Deutschland die Arbeit von Sicking 1998). Grunds~itzlich l~isst sich eine Vielzahl von Indikatoren heranziehen, um einen Kultivierungseffekt nachzuweisen. Im Folgenden sollen einige h~iufig verwandte Fragestellungen sinngem~iB wiedergegeben werden: 9 9 9 9
Sind Sie der Auffassung, dass man den Menschen vertrauen kann? Wie hoch ist der Anteil der Menschen, die in Amerika far die Einhaltung von Recht und Ordnung sorgen? Wie hoch sch~itzen Sie die Gefahr ein, selbst Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden? Haben Sie zum Schutz gegen Verbrechen neue Schl6sser an Fenster und Tt~ren anbringen lassen?
Einstellungen zu politischen und sozialen Themen kamen hinzu, wobei diese inhaltliche Ausdehnung der Perspektive nur noch gelegentlich durch entsprechende Inhaltsanalysen begleitet wurde. Insofern arbeitete man hinsichtlich der ,Fernsehantwort' mit einer Unterstellung bzw. Gleichsetzung: Die AuBerungen der Vielseher entsprechen einer Reaktion auf die ,,potential lessons of the television world" (Gerbner et al. 1994, S. 22). Nach Gerbner ist eine Wirkung von Medienbotschaften auf das Offentliche Bewusstsein dann nachgewiesen, wenn sich die Antworten der Viel- und Wenigseher signifikant unterscheiden. Im Ergebnis wird den Vielsehern nachgesagt, dass sie ihre Umwelt ~ingstlicher wahrnehmen und misstrauischer sind. Hierfar wurde der Begriff ,scary world' gepr~,gt. Mit anderen Worten: Menschen, die sich regelm~iBig und dauerhaft dem amerikanischen Femsehangebot aussetzen, entwickeln ein Bild der Wirklichkeit, das sich in weiten Teilen mit den Schwerpunktsetzungen der Fernsehberichterstattung (und sei sie noch so fiktiv) deckt. In der nachfolgenden Tabelle 8.3 werden ausschnitthaft einige Ergebnisse aus dieser Kultivierungsanalyse pr~sentiert. Die linke Spalte der Tabelle enth~ilt fanf verschiedene Indikatoren, far die jeweils das AusmaB der Zustimmung durch Wenigseher (%L), das Kultivierungsdifferential (CD) und der Koeffizient Gamma (g) angegeben werden. Das Kultivierungsdifferential resultiert aus der Differenz der Angaben von Viel- und Wenigsehern.
Die Wirklichkeit der Medien
223
Das Kriterium ,Vielsehen' ist in der Regel dann erft~llt, wenn jemand t~iglich mehr als vier Stunden fernsieht. Eine durchschnittliche Sehdauer entsprach einem Zeitraum von zwei bis vier Stunden und Wenigseher sahen weniger als zwei Stunden fern. Diese Einteilung wurde nicht durchg~ingig praktiziert, sondern gelegentlich von der Verteilung der BevOlkerung t~ber die vorgegebene Sehdauer-Skala abh~ngig gemacht. Neben den Insgesamt-Ergebnissen werden Differenzierungen hinsichtlich des Alters und der formalen Bildung vorgenommen. Tabelle 8.3
Kultivierungseffekte der Fernsehnutzung Controlling for Age Overall
Percent overesti-mating chances of involvement in violence Percent agreeing that women are more likely to be victims of crime Percent saying their neighborhoods are only somewhat safe or not safe at all
18-29
30-54
Education over 55
no college
some college
%L
71
76
68
71
76
63
CD
+10
+14
+9
+4
+7
+9
g
.14"**
.28***
.11"*
.07*
.13"**
.10"
%L
72
73
70
77
70
76
CD
+10
+6
+10
+10
+12
+7
g
.18***
.11 ***
.18***
.22***
.20***
.06
%L
55
49
53
65
58
49
CD
+11
+11
+12
+9
+10
+9
g
.10"**
.09"*
.06*
.07***
.07*
.09"** Percent saying that fear of crime is a very serious problem
%k
20
16
17
31
24
13
+11
+1
+8
+5
-.01
.11"**
.09*
CD
+9
+11
g
.12***
.21 *** 91 2 * * *
%L
94
93
96
94
96
91
CD
+4
+4
+ 3
+4
+3
+5
g .30*** .27*** .27** Anmerkung: Datenbasis = 1979 Opinion Research Corporation Survey
.38***
.28***
.22**
Percent agreeing that crime is rising
Quelle" Gerbner et al. 1980, S. 21 Die in Tabelle 8.3 pr~isentierten Ergebnisse best~itigen die von Gerbner et al. getroffenen Annahmen. Nur in wenigen F~illen ft~hrt eine zus~itzliche soziodemografische Differenzierung der Antworten zu einer deutlichen Verringerung des Kultivierungsdifferentials. Der Korrelationskoeffizient Gamma tendiert allerdings dazu, statisti-
224
Die Wirklichkeit der Medien
sche Beziehungen zu fibersch~itzen. Die Tabelle ist dartiber hinaus unvollstgndig, da sie die Anteilswerte far die Durchschnittsseher nicht beinhaltet. In der Zusammenfassung des neunten Gewaltprofils aus dem Jahr 1978 wird beispielsweise eine Tabelle wiedergegeben, die sowohl die Wenig- als auch die Durchschnitts- und Vielseher ausweist. Hier kann festgestellt werden, dass die Durchschnittsseher in einigen soziodemografischen Untergruppen h6here Anteilswerte aufweisen als die Wenig- und die Vielseher (vgl. Gerbner et al. 1978, S. 200). Als Indikator diente die Frage nach pers6nlichen Schutzmal3nahmen an Fenstern und Ttiren des Hauses/der Wohnung. Insofern zeigt sich nicht durchggngig, dass mit dem Anstieg der Sehdauer auch der Kultivierungseffekt zunimmt. SchlieBlich durfte der Einwand nicht ausbleiben, dass eine in ihrer Grundstruktur einfache Ursache-Wirkungs-Kette einer Scheinkorrelation entspricht. Der Kritik, dass es neben dem Femsehen auch andere M6glichkeiten der Umweltwahmehmung gibt, wurde mit statistischen Kontrollrechnungen begegnet (Partialkorrelationen), wie tiberhaupt Infragestellungen dadurch entkr~iftet werden sollten, dass man das jeweils beschriebene Defizit in die theoretische Konzeption zu integrieren versuchte. Das soll im Folgenden gezeigt werden. -
Erweiterung der Kultivierungsperspektive: Wenn es eine direkte und positive
Beziehung zwischen dem Ausmal3 der Fernsehnutzung einerseits und dem Auftreten bestimmter Kultivierungseffekte andererseits gibt und sich diese Beziehung in allen betrachteten Gruppen best~itigt, liegt ein Plausibilit~itsnachweis far den hohen Stellenwert der Fernsehwirklichkeit vor. Diesen Fall illustriert in der nachfolgenden Abbildung 8.4 Variante A. Dort werden verschiedene Modelle von Kultivierung zusammengefasst (vgl. Abbildung 8.3). Variante B, C und D illustrieren dagegen F~ille, in denen diese eindeutige Beziehung aufgrund ver~inderter Konstellationen nicht beobachtet werden kann. Der Begriff ,Mainstreaming' soil verdeutlichen, dass im Zuge eines Anstiegs der Fernsehnutzung eine Konvergenz von Auffassungen zu beobachten ist. Den deutlichsten Niederschlag findet diese Variante in Modell D: W~ihrend sich die Wenigseher sehr deutlich unterscheiden, sind die Vielseher einer Meinung. Hierzu kann ein fiktives Beispiel konstruiert werden: Katholiken und Protestanten, die wenig fernsehen, unterscheiden sich deutlich in ihrer Beurteilung des Z61ibats; die Vielseher aus den jeweiligen Konfessionen ~iul3ern sich dagegen ~ihnlich. Diese Mainstreaming'-Hypothese impliziert, dass das Fernsehen beztiglich der jeweiligen Frage/Thematik eine Meinung transportiert, die zu einer Einebnung vormals bestehender Einstellungsunterschiede beitr~igt. Diese Aussage erfordert den inhaltsanalytischen Nachweis, dass die von Fernsehangeboten bevorzugt vermittelte Auffassung tats~ichlich zwischen zwei Extremen anzusiedeln ist. Im Falle der ,Scary World'-Perspektive scheint dies noch am ehesten m6glich zu sein.
Die Wirklichkeit der Medien Abbildung 8.4
225
Verschiedene Modelle von Kultivierungseffekten
% % S s
S
S
S S
%
S S
s 4"
%
S
s
S S
s
Viewing ACROSS-THE-BOARD CULTIVATION
Viewing
Viewing
MAINSTREAMING
MAINSTREAMING
S S S S
S s
s
s
S
s d S
S
1"7-
)~
Viewing MAINSTREAMING
TV-
Viewing RESONANCE
~
TV-
)
Viewing NO RELATIONSHIP
Quelle: Gerbner et al. 1994, S. 29 So konnte man unter Berficksichtigung des sogenannten ,Mean World Index' zeigen, dass trotz unterschiedlicher formaler Bildungsvoraussetzungen die Vielseher in den jeweiligen Gruppen ~ihnlichere Auffassungen ~iul3erten als die jeweiligen Wenigseher (vgl. Gerbner et al. 1994, S. 30). Der Begriff ,Mean' ist im Sinne von gemein bzw. hinterlistig zu verstehen. Dies legen zumindest die zugrunde liegenden Indikatoren nahe, die auf der n~ichsten Seite zusammengefasst sind. Die Modelle B und C beschreiben dagegen Situationen, in denen eine der beiden Vergleichsgruppen unabh~ingig vom Ausmal3 der Fernsehnutzung eine stets konstante Einstellung ~iul3ert und sich die andere Gruppe im Zuge des Anstiegs der Femsehnutzung dieser Auffassung ann~ihert. In beiden FNlen masste verdeutlicht werden, dass die Programmangebote des Fernsehens eine Sichtweise vermitteln, die sehr nahe an den Einstellungen der Gruppe ist, die sich unver~indert zeigt. Umgekehrt k6nnte man auch sagen: Diese Gruppen zeigen sich resistent gegent~ber jeglicher Form der Fernsehbeeinflussung. Die Modelle lassen also einen erheblichen Interpretationsspielraum zu. Dies gilt auch ffir Modell E, das einen Sonderfall darstellt. ,Resonance' soll zum Ausdruck bringen, dass dort, wo sich die Umweltbedingungen und die Fernsehwelt erg~inzen, eine ,doppelte Dosis' verarbeitet werden
226
Die Wirklichkeit der Medien
muss. Die Fernsehwelt best~itigt sozusagen unmittelbare Umwelterfahrungen und tr~igt letztlich doch zu einer Verst~irkung bereits vorhandener Dispositionen bei. Gerbner et al. pr~isentieren beispielsweise Befunde, wonach die Bewohner von Stadtzentren, insbesondere von ,high crime centers', in st~irkerem Mage Angst vor Kriminalit~it ~iuBern als die Bewohner von Vororten (vgl. Gerbner et al. 1980, insb. S. 16 und 20). 65
Mean World Index
,,1. Would you say that most of the time people try to be helpful, or that they are mostly just looking out for themselves? 2. Do you think that most people would try to take advantage of you if they got a chance, or would they try to be fair? 3. Generally speaking, would you say that most people can be trusted or that you can't be too careful in dealing with people?" Quelle: Signorielli / Morgan 1996, S. 121
Wenngleich sich die von Gerbner und seinem Forschungsteam an der ,,Annenberg School of Communication" vertretene Sichtweise des Fernsehens groBer Popularit~it erfreut, ist doch ein deutliches MissverhNtnis zwischen den dem Medium zugeschriebenen Einflt~ssen und den pr~isentierten empirischen Ergebnissen zu konstatieren. Die skizzierte Fragestellung bleibt dennoch interessant und aktuell (vgl. insbesondere das Schwerpunktheft des European Journal of Communication Research, Heft 3/2004 sowie Signorielli 2005), weil ein Prozess, der mittlerweile h~iufig mit dem Begriff ,Mediatisierung' beschrieben wird, zunimmt (vgl. Krotz 2001) - die Verschmelzung von Medienwirklichkeiten und sozialen Wirklichkeiten. Die Aktualit~it l~isst sich beispielhaft an zwei weiteren Studien verdeutlichen: Im Rahmen des Ern~ihrungsberichts 2004 wurde der Darstellung und Rezeption von ern~ihrungsrelevanten Themen/Sendungen im Fernsehen ein umfassendes Kapitel gewidmet, das sich auf entsprechende Analysen eines Forscherteams an der Universit~it Erfurt s~tzt. Dabei wird unter anderem ein SollErn~ihrungskreis, wie er sich aus den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft ffir Ern~ihrung ergibt, mit einem ,,Fernseh-Ern~ihrungskreis" kontrastiert, der 65 Weitere empirische Befunde zur Kultivierungsthese finden sich in Gerbner et al. 2002, S.55. Dort wird auf der Basis amerikanischer Umfragedaten der Jahre 1994,1996 und 1998 der Zusammenhang zwischen Femsehnutzung und politischer Selbsteinsch~itzung analysiert.
Die Wirklichkeit der Medien
227
aus einer Inhaltsanalyse eines Programmtags des deutschen Femsehens resultiert. Einem Soll von 17% Obst entspricht bspw. ein ,,Femseh"-Anteil von 8%, einem Soll von 26% Gem~'Jse ein ,,Fernseh"-Ist von 11% (vgl. zur methodischen Vorgehensweise und zu weiteren Resultaten R6ssler u.a. 2004, insb. S. 359ff.). Ebenso konnte gezeigt werden, dass eine Zunahme der Fernsehdauer mit einer geringen Wertsch~itzung gesunderhaltender Ern~ihrung korreliert (vgl. ebenda, S. 380). In einer US-amerikanischen Untersuchung konnten ~ihnliche Zusammenh~inge beobachtet werden. Eltern, die ihre Kinder zu einer gesunden Em~ihrung anhalten, k~impfen danach ,,an uphill battle against television producers and advertisers." (Harrison 2005, S. 130) Auch hier steht die Kultivierungstheorie Pate. Die Analyse endet mit dem Satz: ,,In a world where children are constantly exposed to media misinformation, a media-literate child is a healthier child." (ebenda, S. 130) Das Em~ihrungsbeispiel ist in den Bereich der genrespezifischen Kultivierung einzuordnen. Der einleitend erw~ihnte ,,CSI"-Effekt 66 ist dafar ein weiteres Indiz. Die Vorliebe far bestimmte Berufe kann durch die Pr~iferenz bestimmter Programminhalte verst~irkt oder sogar durch spezifische Angebote hervorgerufen werden. Die mediale Darstellung von Berufen ist daher ein weiteres Feld far Mediatisierungen. Osterland konnte bereits 1970 feststellen, dass in 12,6% aller Kinofilme (n-2281) der Jahre 1949 bis 1964 der Beruf zum Hauptthema, in 9,5% zum Nebenthema gemacht wurde (vgl. Osterland 1970, S. 78). In einer im Jahr 2005 vorgelegten Analyse stellte Krfiger fest: ,,Ahnlich wie far andere Lebensbereiche tr~igt das Fernsehen durch Auswahl und Gestalmng der gezeigten Berufe im Rahmen von Informations- und Unterhalmngsangeboten dazu bei, dass bestimmte Vorstellungsbilder von der Berufswelt entstehen und sich verbreiten k0nnen." (2005, S. 21) So taucht das Berufsfeld ,,Ordnung und Sicherheit" im Femsehen mit einem Anteil von 17,3% auf, nach den Ergebnissen des Mikrozensus 2001 arbeiten in diesem Berufsfeld 3,7% der Besch~iftigten; im Berufsfeld ,,Technik und Naturwissenschaften" arbeiten 7,9% der Besch~iftigten, in der Fernsehwelt sind es 0,8% (vgl. Krfiger 2005, S. 133). Dennoch darf aus solchen empirischen Konstellationen kein Automatismus abgeleitet werden. Ein Nachfragemangel in bestimmten Berufen l~isst sich nicht allein durch gezielte Imagepflege in einem unterhaltenden Rahmen beseitigen. Zwischen Gefallen an und Entscheidung far einen Beruf operieren weitere Instimtionen und Auswahlinstanzen. Letztlich lassen sich mit Hilfe von Inhaltsanalysen nur erste Hinweise auf Wirklichkeitskonstruktionen finden, die sich nur selten im Sinne einer l:l-Abbildung im Denken und Handeln der Menschen niederschlagen. Darfiber hinaus ist ein Kultivie66Siehe hierzu die Ausftihrungen im Einleitungs-Kapitel.
228
Die Wirklichkeit der Medien
rungsdifferential ein nur oberfl/~chlicher Indikator far Ver~indemngen, die sich im Zuge einer regelm~il3igen Fernsehnutzung ergeben k6nnen. Der Begriff lebt mehr von seinem umfassenden Anspruch als von inhaltlichen Erl/~utemngen. Er unterstellt einen Zusammenhang zwischen der Nutzungsintensit/it und der Beeinflussungswahrscheinlichkeit. Bereits Burdach hielt dieser Auffassung entgegen, dass im Falle einer permanenten Nutzung des Femsehens auch eine geringe programmspezifische Aufmerksamkeit gegeben sein k6nne (vgl. Burdach 1987, S. 362). Wahrscheinlich ist unter den heutigen Bedingungen das Ausmal3 der Fernsehdauer nicht die entscheidende Variable, sondern die Tatsache, dass sich ein Grol3teil der Menschen mit den Bildem des Femsehens konfrontiert sieht. Die Anwendung der von Gerbner pr/~sentierten Forschungsperspektive k6nnte dann an Plausibilit/~t und Oberzeugungskraft gewinnen, wenn sie auf konkretere Fragestellungen angewandt wird (z.B. die Vermittlung der Berufsbilder von Wissenschaftlem oder Politikem). Unter Bezugnahme auf die Clinton/Lewinsky-Affiire vermutet Rug-Mohl daraber hinaus, dass ,,die eigentliche Aufkl/imngsarbeit beim breiten Publikum nicht vom seri6sen Joumalismus geleistet wird, sondern von den Seifenopem des Femsehens." (1999, S. 173) Er erweitert das Angebotsspektrum des Weiteren auf die Kassenschlager des Hollywood-Kinos. Wenn die hier pr~isentierte Theorie in ihrer allgemeinen Form belassen wird, bietet sie zahlreiche Einfallstore ffir Kritik.
8.3 Die Mediatisierung der Wirklichkeit
Die Diskrepanz zwischen Theorie und Empirie, die der Kultivierungsanalyse als Kritik mitgegeben werden muss, hat die Bekanntheit dieser Forschungsperspektive nicht gemindert. Das Gesamtangebot der Medien hinterl~isst heute - wie bereits angedeutet 67 - zunehmend einen diffusen und in der Tendenz unbefriedigenden Gesamteindruck, der aus den Schattenseiten der VervielfNtigung audiovisueller Medienangebote resultiert. Nach Kury und Obergfell-Fuchs hat bspw. die sehr emotionale Berichterstattung fiber F~ille sexuellen Kindesmissbrauchs mit Todesfolge zu Beginn der 1990er Jahre zu einer VerscMrfung der Gesetzesbestimmungen gefahrt. Dass es sich um ein Delikt mit steigender Tendenz handele, wird aber durch die Polizeiliche Kriminalit~itsstatistik der letzten Jahrzehnte nicht best~itigt. Das Gegenteil ist der Fall (vgl. Kury/Obergfell-Fuchs 2003, S. 12). Eine Vielzahl von Befunden spricht zudem dafar, dass im Hinblick auf Ph~inomene wie Unsicherheit und Angst Personen mit einem t~berdurchschnittlichen und regelm~il3igen Femsehkonsum in der Einsch~itzung der sozialen Wirklichkeit nicht von statistischen Wahrscheinlichkeiten geleitet werden, sondern gem~il3 einer Spiegelbild-Theorie der Medien reagieren. Im Rahmen einer kriminologischen Untersu67 Siehe hierzu die Ausf'tihrungen in Kapitel 6.
Die Wirklichkeit der Medien
229
chung wurde diese Differenz zwischen direkter Betroffenheit und pers6nlicher Einsch~itzung als irrational und paradox bezeichnet. So wurde unter anderem festgestellt: ,,[...] alte Frauen [haben] am meisten Angst vor Verbrechen, werden aber vergleichsweise selten Opfer einer Gewalttat; junge M~inner, die statistisch gesehen am Mufigsten einer Straftat zum Opfer fallen, forchten sich dagegen am wenigsten." (N.N. 1995, S. 10) Neuere Ergebnisse best~itigen aber nur noch eingeschr~inkt dieses ,Kriminalit~its-Furcht-Paradox": W~ihrend mit zunehmendem Alter die Furcht eher ansteigt, zeigen sich im Falle jt~ngerer Frauen ebenfalls h~iufig Antizipationen von Gefahren (vgl. Kury/Obergfell-Fuchs 2003, S. 15f.). Ein Grund fOr diese Diskrepanz k6nnte sicherlich darin liegen, dass junge M~inner ihre F~ihigkeiten und MOglichkeiten zum Widerstand weitaus h6her einsch~itzen als Ntere Menschen. Aber neben diesem durchaus naheliegenden Hinweis wird der Wirkungsfaktor ,Angebote der Massenmedien' im Sinne einer Verst~irkungstheorie mitverantwortlich gemacht. Warr stellt bezfiglich der USA fest, dass das UnsicherheitsgefOhl der amerikanischen Bev61kerung tiber Jahrzehnte hinweg von einer relativen Stabilit~it gekennzeichnet war und insofern ,,[...] in sharp contrast to recurring media accounts of ,skyrocketing' or ,epidemic' fear in the United States" (Warr 1995, S. 297) stehe. Auf die Frage, ob man in der eigenen Wohngegend vor einem allein unternommenen n~ichtlichen Spaziergang Angst h~itte, antwortete in den 1960er Jahren etwa ein Drittel der amerikanischen Bev61kerung mit ,Ja', seit Beginn der 1970er Jahre schwankt der Anteilswert mehr oder weniger stark um die 45%-Marke (GallupUlnfrage: niedrigster Wert 40% im Jahr 1990, h/Schster Wert 48% im Jahr 1982) (vgl. Warr 1995, S. 304). Der hypothetische Charakter der Fragestellungen blieb nicht ohne Kritik (z.B. nachts, alleine, Spaziergang). Entsprechend stellte Warr auch fest: ,,What Americans believe about crime in their country is not necessarily what they believe about crime in their own neighborhoods [...]." (1995, S. 302) Nicht nur aus diesem Grund sollte man mit Bagatellisierungen vorsichtig sein, sondern auch wegen der immer wieder beobachtbaren Beeinflussbarkeit der Offentlichen Meinung durch spektakul~ire Ereignisse. Langzeitbeobachtungen des Instituts fOr Demoskopie Allensbach verdeutlichen einen Befund, der ein Auseinanderklaffen von Selbstwahrnehmung und Fremdeinsch~itzung illustriert. W~ihrend kriminelle Straftaten nach Auffassung der Bev61kerung in der Bundesrepublik Deutschland deutlich zugenommen haben, wirkt sich diese Gesamteinsch~itzung in der Summe nicht negativ auf das pers6nliche SicherheitsgefOhl aus. Auf die Frage ,,Uns interessiert einmal, wie sicher sich die Menschen fOhlen, wie sehr sie glauben, von irgendwelchen Verbrechen gef~ihrdet zu sein. Wie ist das bei Ihnen, wie sicher fOhlen Sie sich vor Verbrechen?" antworteten 1992 32% der Befragten mit ,,Ich fOhle mich weitgehend sicher", 1996 waren es sogar 37% (vgl. K6cher 1996, S. 5). Die fOr diese Zunahme des subjektiven SicherheitsgefOhls gegebene Erkl~irung siedelt die Wirkung der Medien (nicht nur des Fernsehens) auf einer anderen Ebene an, die der Schlussfolgerung von Warr (siehe oben) ~ihnlich ist: ,,Untersuchungen aus den Ver-
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Die Wirklichkeit der Medien
einigten Staaten belegen, dass Personen mit intensivem Medienkonsum, insbesondere mit hoher Fernsehnutzung, die H~iufigkeit vieler Delikte massiv tibersch~itzen, und zwar der Delikte, die weit tiberproportional Themen von Medienberichten und Filmen sind. Die Berichterstattung eines Teils der Medien tiber Verbrechen ist exzessiv und steht oft in keiner Relation zur H~iufigkeit der Verbrechen; dasselbe gilt for die H~iufigkeit von Verbrechen in Spielfilmen und Serien. Die Bev61kerung ist in wachsendem Mal3e mit Berichten tiber Verbrechen konfrontiert, die in ihrem pers6nlichen Umfeld nicht oder aul3erordentlich selten vorkommen." (K6cher 1996, S. 5) 68 Diese Erkl~irung kntipft offensichtlich an das ,Tuchmansche Gesetz' an, das zu Beginn dieses Kapitels bereits erw~ihnt wurde. Erg~inzend kann darauf hingewiesen werden, dass in diesem Falle die Kultivierungsthese nicht vollst~indig in Anspruch genommen wird. Die Medienwirklichkeit steht im Widerspruch zu unmittelbaren Umwelterfahrungen in der Nahwelt, erf~ihrt aber als Vermittlung der Fernwelt Zustimmung. Die kriminologische Forschung konnte zeigen, dass ein hoher Fernsehkonsum, ebenso ein niedriges Bildungsniveau, mit einer erwarteten H~tufung bestimmter Kriminaldelikte einhergeht. Wenigseher nahmen an, dass der Tatbestand der K/Srperverletzung zwischen 1993 und 2003 um 46,9% zugenommen habe, Vielseher um 54,7% (vgl. ausfohrlicher hierzu Pfeiffer u.a. 2004, S. 420f.). Das Angstsyndrom wird h~iufig dort verortet, wo sich eine einseitige Konzentration auf audiovisuelle Angebote vorfinden l~isst. Schulz hat bereits im Jahr 1986 von einem VielseherSyndrom gesprochen und damit auf Eigenschaften und Einstellungen verwiesen, die insbesondere von dieser Gruppe vertreten werden (vgl. Schulz 1986, insb. S. 769). Danach best~itigten Vielseher h~iufiger als die tibrigen Befragten, dass sie unglticklich sind, ihr Leben als sinnlos empfinden, sich einsam fohlen, zu Pessimismus neigen und das Leben insgesamt viel st~irker von Zuf~illen abh~ingig sehen. Hinzu kommt eine Fortschrittsangst. Nach den Ergebnissen der 1986 vorgelegten St~adie stimmten 56% der Aussage zu: ,,Heutzutage ver~indert sich alles so schnell, dass man kaum folgen kann." (Schulz 1986, S. 769) Der Vergleichswert for Wenigseher betrug 34%, Personen mit einer durchschnittlichen Femsehnutzung stimmten dieser Aussage zu 46% zu (vgl. Schulz 1986, S. 769). Auch in einer 1997 vorgelegten Studie best~itigten sich diese Charakterisierungen. Die nachfolgende Tabelle 8.4 fasst die Ergebnisse, differenziert nach Wenig- und Vielsehern, zusammen. Die ge~iul3erten Lebensauffassungen gehen einher mit einer hohen Wertsch~itzung des Fernsehens, die Schulz unter Bezugnahme auf publizistische Funktionen dieses Mediums verdeutlicht. Dass das Fernsehen eine Orientierungshilfe leistet, den Erfahrungsreichtum erweitert, anregende Angebote bereith~ilt und auch ftir Entspan68
Das Ph~inomen ,Angst' wird regelm~il3ig mit Hilfe demoskopischer Instrumente beobachtet, aber nicht regelm~il3ig mit dem Ausmal3 der Fernsehnutzung in Verbindung gebracht. Es ist nicht zu erwarten, dass sich an der hier beschriebenen Korrelation eine wesentliche Ver~inderung ergeben hat.
Die Wirklichkeit der Medien
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nung und Ablenkung sorgt, ~iugem Vielseher durchg~ingig Mufiger als Wenigseher (vgl. Schulz 1997a, S. 97). Vermutlich bt~ndeln sich in solchen Beobachtungen ebenfalls die Resultate zirkul~irer Wirkungsketten. Spezifische Lebenssituationen (z.B. Einsamkeit, geringes Freizeitangebot) und/oder pers6nliche Merkmale (z.B. unterdurchschnittliches Bildungsniveau, geringe bemfliche Qualifikation) erh6hen die Wahrscheinlichkeit Tabelle 8.4 8.3.1
Lebensauffassungen von Vielsehem 69 FataHstisch-pessimistische Lebensauffassungen der Vielseher
Frage: Ich lese Ihnen jetzt verschiedene Aussagen vor. Bitte sagen Sie mirjeweils, ob Sie dieser Aussage zustimmen oder nicht zustimmen.
8.3.1.1
,,Stimme zu" in %
8.3.1.2 W enigseher
8.3.1.3 Vi elseher
Im Leben h/ingt das meiste vom Zufall ab
15
23
Eigentlich hat man wenig Einflul~ auf sein eigenes Schicksal
22
32
Heutzutage ver~ndert sich alles so schnell, dal~ man kaum folgen kann
39
51
Es gibt mehr Schlechtes und Trauriges als SchOnes und Erfreuliches in der Welt
27
34
Um im Leben voranzukommen, braucht man vor allem GlOck und gute Beziehungen
53
64
8.3.1.4
Quelle: Schulz 1997a, S. 97 dieser Femsehaffinit~it (vgl. zu den Merkmalen von Vielsehern auch die Analyse von Bug/Simon 1998). Vielsehen schafft somit gt~nstige Voraussetzungen ffir ein Zurfickdr~ingen unmittelbarer Erfahrungen, an deren Stelle sich eine unterschiedlich stark mediatisierte Erfahrung setzt. Die bereits angedeutete Erweiterung der Erfahrungswelt geht zunehmend mit Einblicken in Lebensbereiche einher, die im privaten Umfeld des Nahbereichs beheimatet zu sein scheinen. Keppler spricht davon, dass sich das Fernsehen zu einem Medium entwickelt, in dem eine ,,artifizielle[.] Fortffihpang der Normalit~it" stattfindet und allt~igliche Existenzen nach einer ,,augerallt~igliche[n] Best~itigung" suchen (vgl. Keppler 1994b, S. 8). Sehr persOnliche Angelegenheiten werden unpers6nlich und durch entsprechende Rahmungen in ein Kollektivspektakel transformiert. Was den einen als konsequenter Zugriff auf die Vielfalt des Lebens erscheint, empfinden andere (mehrheitlich) als peinliche l)berschreimng 69 Neuere Analysen auf der Basis dieser Indikatoren liegen nicht in publizierter Form vor.
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Die Wirklichkeit der Medien
von Umgangsformen und Pers6nlichkeitsrechten. Diese Angebotsformen des Fernsehens, die von sich selbst behaupten, die Realit~it widerzuspiegeln (,Reality-TV'), sind Bestandteil einer Programmentwicklung, die den Namen ,Affektfemsehen' zur Folge hatte. Als konstitutive Elemente lassen sich mit Bente und Fromm ,Personalisierung', ,Authentizit~it', ,Intimisierung' und ,Emotionalisierung' nennen: 9
9
9
9
, , P e r s o n a l i s i e r u n g : Die Darstellung ist auf das Einzelschicksal, auf die unmittelbar betroffene Einzelperson zentriert. Allgemeines tritt hinter dem Individuellen zurfick. Der Moderator bietet als konstantes soziales Element M6glichkeiten zur emotionalen Bindung. A u t h e n t i z i t i i t : Die wahren Geschichten der unprominenten Personen werden je nach Sendekonzept entweder von diesen selbst erz~ihlt oder mit diesen als Darstellem vor der Kamera inszeniert. I n t i m i s i e r u n g : Vormals eindeutig im privaten Bereich liegende pers6nliche Belange und Aspekte zwischenmenschlicher Beziehungen werden zum 6ffentlichen Thema. Emotionalisierung: Die Sendungen betonen den emotionalen Aspekt der Geschichten, das pers6nliche Erleben und Empfinden, weniger die Sachaspekte. Die Gespr~ichsffihrung der Moderatoren und formale Angebotsweisen unterstt~tzen diese Tendenz." (Bente/Fromm 1998, S. 614)
,Authentizit~it' scheint indes allgemein zu einem unverzichtbaren Attribut von Selbstdarstellungen einerseits und zu einer popul~iren Legitimationsformel andererseits zu werden. Zumindest beobachtet man in Folge einer Expansion diesbezfiglicher Angebote auch einen inflation~iren Gebrauch des Begriffs in unterschiedlichsten Zusammenh~ingen. Der nachfolgende Textauszug aus der S~ddeutschen Zeitung kommentiert diesen Bedeutungswandel unter der lJberschrift ,,Sei du, du, du!".
Authentizit~it: Zur Popularit~it eines Begriffs ,,[...] Authentizit&t. Das Wort, ohne das offenbar keine Talkshow, keine Wettervorhersage und keine Sportsendung moderiert werden kann. Manche W6rter sind datierbar: Vor drei~ig Jahren kam kaum einer ohne "gesellschaftliche Relevanz" durchs Leben, vor zwanzig Jahren musste man ,,emanzipiert" sein und vor zehn Jahren betroffen". Authentizit~t ist eine Art Reste-Essen aus all diesen 6ffentlich zur Schau gestellten Befindlichkeiten, mit einem Unterschied: Sie I&sst sich nicht in den Medien darstellen. Genauso gut k6nnte man sich ganz fest vornehmen, nicht an braune B&ren zu denken. Das Wort ist ein Konstrukt, ein verlogenes und grol~kotziges dazu. Authentisches Fernsehen ist wie Bildungsfernsehen mit Verona Feldbusch
Die Wirklichkeit der Medien
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oder wie Max Schautzer bei Viva, es geht nicht, funktioniert nicht, verbietet sich von selbst. [...] Authentisch heil~t ,,echt", ,,mal~geblich", das griechische Wort ,,auth6ntes" bedeutet ,,Urheber", aber auch ,,M6rder". Positiv war dieser Begriff nicht. Die antiken Redner forderten zwar das sogenannte ,,vir-bonus-ldeal" (vir bonus": der moralisch ehrenhafte Mann), aber sonst versp0rte keiner den Drang, vom GegenQber zu erfahren, ,,wie du wirklich bist, nun sag doch mal". Diese grenzenlose Gef0hlsinkontinenz entwickelte sich erst langsam im 19.Jahrhundert und wird seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts massiv pervertiert. Jetzt hat das unaussprechliche Wort auch das Medien-Massenpublikum erreicht- und seitdem ist die Frage ,,Hat der Mensch einen verborgenen IchKern?", ~hnlich wie Steinobst oder Kuckucksuhren, zu einer wichtigen Sozial- und Medienfrage geworden. Deutlichster Indikator: Das Springer-Archiv, sonst eher ein Quell sprachlicher Hausmannskost, spuckt rund 1000 Artikel aus, wenn man es mit ,,Authentizit~t" f0ttert. FOr Medienpromis heil~t das: den Satz ,,Nur wenn ich authentisch bin, bin ich gut" auswendig lernen und fehlerfrei in die Kamera strahlen. Wer diese Regel beherrscht, hat ausgesorgt. [...]." (Wilkens 2000, S. 19)
Inszenierungen des Alltags nehmen somit zu, die sich episoden-, aber dauerhaft den H6hen und Tiefen des Lebens widmen. Das Fernsehen ist Teil der modemen Lebenswelt und spiegelt diese wider, erg~inzt durch medienspezifische Pointierungen und Verzerrungen. Es vermittelt damit auch Vorstellungen davon, wie auf oder in bestimmten Simationen reagiert werden sollte oder k6nnte. Hochschild (1990) spricht yon ,,Gefahlsnormen" (S. 73), Winterhoff-Spurk befarchtet angesichts der Zunahme solcher Angebote eine Verflachung der Gefahle (vgl. 2004, S. 82ff.). Die regelm~iBige Pr~isenz dieser Angebote (z.B. in Form yon Daily Soaps) gew~ihrleistet Verl~isslichkeit auf vielen Ebenen: far Programmanbieter, far die Werbewirtschafi und far die Zuschauer. Zugleich entstehen M~irkte far Themen und Moden, die aufgrund dieser Verbfindung mit dem Alltag zu einem Teil des 6ffentlichen Lebens werden. Diese gegenseitige Durchdringung von Angeboten und Wirklichkeiten ist ein wesentlicher Grund far die Karriere des Begriffs ,Mediengesellschaft'. Parallel dazu ver~indert sich die Wahrnehmung und die Vorstellung yon ,Offentlichkeit'. Der Bedeutung und dem Wandel dieses Begriffs widmet sich das folgende Kapitel.
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Die Wirklichkeit der Medien
D Keppler, Angela (1994): Wirklicher als die Wirklichkeit? Das neue Realit~itsprinzip der Fernsehunterhaltung. Frankfurt am Main. Morgan, Michael; Shanahan, James (1997): Two Decades of Cultivation Research: An Appraisal and Meta-Analysis, in: Burleson, Brant R. (ed.): Communication Yearbook 20. Thousand Oaks usw., S. 1-45. Schulz, Winfried (1997): Politische Kommunikation. Theoretische Ans~tze und Ergebnisse empirischer Forschung. Wiesbaden, S. 47-86.
eo
Offentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
9.10ffentlichkeit und 6ffentliche Meinung. Begriffliche Vorbemerkungen Obgleich der Begriff ,Offentlichkeit' eine lange theoriegeschichtliche Tradition aufweisen kann, wurde tiber das damit bezeichnete Ph~inomen in der jt~ngeren Vergangenheit eine intensive publizistische und wissenschaftliche Auseinandersetzung gef~hrt (vgl. die Beitrgge in Neidhardt 1994). Ein konstitutives Merkmal von Offentlichkeit ist, dass das dortige Sprechen und Handeln wahrgenommen bzw. beobachtet werden kann. In der Regel geht man von einem Publikum aus, das sich aber nicht notwendigerweise als solches konstituieren muss. Bereits ein ,Sich-in-dieOffentlichkeit-begeben' wird mit einer Uberschreimng der Grenzen des privaten Bereichs assoziiert. Offentlichkeit ist nicht an die Ortsgebundenheit von Akteuren und Zuschauem gekoppelt, sondem wird durch die Zwischenschaltung von Massenmedien einem dispersen Publikum zug~inglich gemacht. Darauf ist in den Kapiteln 1 und 2 dieser Einffihrung schon hingewiesen worden. Die Aussagen der Massenkommunikation sind - entsprechend der Definition von Maletzke - immer 6ffentlich. Bevor audiovisuelle Medien diesen Bereich dominierten, war es die Erfindung der Druckerpresse, die langfristig zu einem Strukturwandel der Offentlichkeit beitrug und diese mit Meinungen konfrontierte, die mr sich ebenfalls das Attribut ,6ffentlich' reklamierten. Zaret hat dies an einer ausNhrlichen Analyse der Entwicklung der 6ffentlichen Meinung im England des 17. Jahrhunderts veranschaulicht. Wer das Privileg der freien Rede im englischen Parlament in Anspruch nahm, sprach nicht zum englischen Volk, sondern zu Parlamentariern, die sich hinter verschlossenen Tt~ren versammelten. Auch die M6glichkeit, das eigene Anliegen in das Zentrum der Politik zu stellen, konnte nur in Form einer Petition geschehen, die nicht ver6ffentlicht werden durfte. Im Vorfeld des englischen Bt~rgerkriegs wurden immer hgufiger Verst6Be gegen diese Petitionsregel beobachtet. Sie schlugen sich unter anderem darin nieder, dass das eigene Anliegen auch im Namen einer Vielzahl anderer Menschen vorgetragen wurde, ohne diese explizit zu benennen. Zugleich zirkulierten die Petitionen in der Offentlichkeit und verletzten das Gebot der Schweigepflicht. Petitionen wurden gedruckt, um damit Druck auszut~ben (vgl. hierzu ausftihrlich Zaret 1996). Man berief sich auf ein Publikum, das gar nicht anwesend war und erweiterte damit den Bereich der politischen Offentlichkeit (vgl. auch Kaube 1996, S. N5). Bereits durch diese Entwicklung dttrfte das Ideal des politischen R~isonnements mit dem Problem der Integration divergierender Interessen, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fO_hlen, konfrontiert worden sein. Wenn-
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Offentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
gleich das nachfolgende Zitat in einem anderen Kontext verwandt wurde, l~isst es sich auch auf diesen Sachverhalt t~bertragen: ,,Was vor vielen berichtet und besprochen wird, ist in empirischem Sinne gewil3 6ffentlich. Aber nicht alles, was 6ffentlich wird, ist res publica." (Rucht 1994, S. 162) Ungeachtet der Tatsache, dass die politischen Tr~igerschichten nicht die Gesellschaft, sondem die bestehende Herrschaftsordnung repr~isentierten, musste die Zunahme publizistischer Augerungen als ein weiteres Feld der Politik erkannt werden, dass sich durch Begrenzungen der Informationsfreiheit (Zensur) nicht neutralisieren lieg. Obgleich der Begriff ,6ffentlich' im Zuge der Entwicklung eines modernen Staatsrechts allm~ihlich auch die Bedeutung von ,staatlich' erhielt, konkurrierte diese Auffassung mit aufkl~irerischen und vernunftorientierten Interpretationen. Die damit einher gehende Betonung der politischen Vernunft und die gleichzeitig beobachtbare Idealisierung des Ringens um politische Entscheidungen sah in den M6glichkeiten einer mediengestfitzten Vervielf~iltigung von Informationen eine allm~ihliche 0ffnung der politischen Arena. Diese Vorstellung, die im Folgenden am Beispiel der Analyse von Habermas erl~iutert werden soll, musste sehr bald zur Kenntnis nehmen, dass eine mehr und mehr von Massenmedien dominierte Offentlichkeit das Kriterium der Publizit~it in den Vordergrund stellt. In Bezug auf grol3r~iumige modeme Gesellschaften kOnne man, so Schelsky, nicht mehr bezweifeln, dass die M6glichkeiten der Kommunikation den Organisationen und Institutionen vorwiegend zur Aufrechterhaltung der gegenseitigen Kontakte dienen: ,,Dabei geht es gar nicht mehr nur um >>6ffentliche Meinung<<, sondem die Organisationen leben, ja sichern sich selbst erst durch publizistische Augemng; [...] Soziologisch ausgedrfickt: >>Kommunikation<< in der modernen Gesellschaftsverfassung ist vor allem Publizit~it. Alle gesellschaftlichen Bed~irfnisse und Funktionen der modernen Grol3organisationen leben prim~ir im Medium der Publizit~it und Publizistik. Man kann daher die Illusion der ~6ffentlichen Meinung(( im bildungsbt~rgerlichen Sinne ruhig aufgeben, die sachliche Aufgabe der Publizistik ist sozial viel wichtiger: Publizit~it ist das Blut, das durch alle Adem der modernen Sozialorganisation pulst und in ihrem Kreislauf diese am Leben erhNt." (Schelsky 1975, S. 171) 13ffentlichkeit und Medien erfahren hier eine Gleichsetzung, die von einer regulativen idee der 6ffentlichen Meinung wenig hinterl~isst. Die Entstehung und der Wandel dieser Idee sollen daher zun~ichst skizziert werden.
oe
9.2
Strukturwandel der Offentlichkeit. Die Analyse von Habermas
Im Vorwort zu der erstmals im Jahr 1962 erschienenen Studie ,,Strukmrwandel der Offentlichkeit" betont Habermas bereits zu Beginn, dass die Aufgabe seiner Untersuchung die Analyse des Typus ,,bt~rgerliche Offentlichkeit" (Habermas 1990, S. 51) ist. Diese Festlegung soll die Existenz anderer Tr~igerschichten nicht leugnen, son-
Offentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
237
dem die Verbindung zwischen der Emanzipation des Bt~rgertums und dem Aufkommen des Begriffs ,6ffentlich' hervorheben. C)ffentlichkeit ist ein Wirkungskreis der btirgerlichen Gesellschaft (vgl. Habermas 1990, S. 56). Die Mehrfachverwendung des Begriffs ,6ffentlich' verdeutlicht Habermas an verschiedenen Beispielen: ,,>>Offentlich<< nennen wir Veranstaltungen, wenn sie, im Gegensatz zu geschlossenen Gesellschaften, allen zug/inglich sind - so wie wir von 6ffentlichen P1/itzen sprechen oder von 6ffentlichen H/~usem. Aber schon die Rede von >>6ffentlichen Geb~iuden<< meint nicht nur deren allgemeine Zug~inglichkeit; sie mt~ssen nicht einmal fiir den 6ffentlichen Verkehr freigegeben sein; sie beherbergen einfach Einrichtungen des Staates und sind als solche 6ffentlich. Der Staat ist die >>6ffentliche Gewalt<<." (Habermas 1990, S. 54f.) Eine Formulierung wie ,6ffentlicher Empfang' weist auf den Repr~isentationscharakter hin, der mit Veranstalmngen dieser Art assoziiert wird. Dessen Ausweitung ftihrt allm~thlich zu einer Ver~indemng des im Mittelalter und in der Frtihphase des Absolutismus dominierenden Typus der repr~isentativen 13ffentlichkeit, in der nur diejenigen, die herrschen, in der (3ffentlichkeit auch etwas repr~isentieren k6nnen. Wenn in diesem Zusammenhang von einem Gegensatz 6ffentlich/privat gesprochen wird, ist der ,,Ausschlul3 vonder Sph~ire des Staatsapparats" (Habermas 1990, S. 66) gemeint. Eine Frtihform der btirgerlichen C)ffentlichkeit entsteht, in dem sich Privatleute zu einem Publikum versammeln. Dieser Austausch von Erfahrungen und Meinungen, der sich zun~ichst vorwiegend an literarischen Werken orientiert, nimmt allm~ihlich Einfluss auf das Verhalten im 6ffentlichen Bereich. Diese Anl~isse illustrieren die Anf'~inge einer Institutionalisierung der publikumsbezogenen Privatheit. Dass das Kriterium der Offentlichkeit noch nicht hinreichend erfOllt ist, l~isst sich an architektonischen Ver~inderungen der H~iuser des englischen Landadels und des aufstrebenden Btirgermms verdeutlichen. Neben R~iumlichkeiten, die alleine den Privatleuten zur Verffigung standen, zum Beispiel das Familienzimmer oder Wohnzimmer, wurden Empfangszimmer oder Salons geschaffen, ,,in denen sich die Privatleute zum Publikum versammeln." (Habermas 1990, S. 109) Somit ging ,,die Linie zwischen Privatsph~ire und t3ffentlichkeit [...] mitten durchs Haus. Die Privatleute treten aus der Intimit~it ihres Wohnzimmers in die t3ffentlichkeit des Salons hinaus [...]." (Habermas 1990, S. 109). Diese kleineren Versammlungen tiberschreiten im Verlaufe des 18. Jahrhunderts immer h~iufiger die Grenzen des Privaten und konstituieren eine Arena, die sich zun~ichst im Umfeld von Theater, Museum und Konzert Begegnungsm6glichkeiten schafft. Die soziale Herkunft dieser Publika ist btirgerlich. Die zun~ichst noch literarisch vermittelte Intimit~tt eines Empfangszimmers verwandelt sich allm~ihlich in ein 6ffentliches R~isonnement. Was im Privaten gelesen wird, findet in 6ffentlichen Diskussionen seine Fortsetzung. Begleitet wird diese Ver~inderung durch eine erkennbare Ausweitung des Angebots an Tageszeimngen und Wochenzeitschriften. Ihr Umsatz verdoppelte sich beispielsweise in England innerhalb eines Vierteljahrhunderts (ausgehend von 1750). Insbesondere tiber diese Medien
238
0ffentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
ging der ,,Erfahrungszusammenhang der publikumsbezogenen Privatheit auch in die politische Offentlichkeit ein." (Habermas 1990, S. 116) Dem Staat als Sph~ire der 6ffentlichen Gewalt tritt allm~ihlich eine vom B~rgertum dominierte Gesellschaft gegent~ber, die unterschiedlichste Anliegen artikuliert. Tr~iger dieser Offentlichkeit ist somit ein Publikum, das sich in Salons, Clubs und in der bt~rgerlichen Presse Foren schafft und zu politischer Geltung gelangt. Das hier beschriebene Ideal l~isst die politische aus einer literarischen Offentlichkeit entstehen. Das Ergebnis dieses sozialen Wandels gibt die nachfolgende Abbildung wieder (vgl. Abbildung 9.1). Abbildung 9.1
Vereinfachter Grundriss der bt~rgerlichen Offentlichkeit im 18. Jahrhundert
/
~176176176/ Herrschaft
\
II
I
\
Streben nach politischer Geltung I Politische (3ffentlichkeit == Forum der b~rgedichen Gesellschaft
t literarische C)ffentlichkeit
t Warenverkehr, Produktion, Reproduktion und Fam ilie
\
Privatr~iume als Versammlungsorte (publikumsbezogene Privatheit)
/
B~rgerliche Gesellschaft
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Habermas 1990, S. 89 Das einleitend erw~ihnte Beispiel England wird auch von Habermas als Modellfall analysiert. Hier zeichnet sich insbesondere gegen Ende des 18. Jahrhunderts ab, dass die Presse das r~isonierende Publikum als Appellationsinstanz instrumentalisiert. Die 6ffentliche Meinung wird far die eigenen Ideen in Anspruch genommen. Aber auch Staatsm~inner wissen die neue Situation far ihre eigenen Zwecke zu nutzen. So wird der Geist bestimmter Parteien t~ber Pamphlete und Joumale zu einem ,,>>public spirit<<" (Habermas 1990, S. 125).
Offentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
239
Der Zugang zu den Parlamentsdebatten, der sich den Journalisten in England seit dem Jahr 1772 mehr und mehr 6ffnete (vgl. Esser 1999, S. 206), beendete das Zeitalter der Politik als geschlossene Veranstaltung. Die Tagespresse - etwa die Londoner ,,Times"- eroberte den politischen Raum. Die Zahl der politischen Vereine nahm zu und immer h~iufiger wurden so genannte ,Public meetings' abgehalten. Nach Habermas hat sich diese Form des politischen R~isonnements gegen Ende des 19. Jahrhunderts soweit organisiert, ,,dab es in der Rolle eines permanenten kritischen Kommentators die Exklusivit~it des Parlaments definitiv aufgebrochen und sich zum offiziell bestellten Diskussionspartner der Abgeordneten entwickelt hat." (Habermas 1990, S. 132) In dieser Skizze der regulativen Idee von ()ffentlichkeit vermischen sich empirische und normative Elemente. Diese Kritik hat immer wieder zu der Frage geffihrt, ob die Idee oder eine sich dieser Idee vel~flichtende Praxis (iberwiege (vgl. hierzu auch Gerhards/Neidhardt 1991, S. 33 sowie Gerhards 1997). Hieraus resultiert auch die Anschlussfrage, ob die von Habermas herausgestellte Emanzipation des Bt~rgerrams einen geeigneten Ausgangspunkt ffir die Diagnose eines sozialen Wandels darstellen kann. Emanzipation realisiert sich danach als das bewusste Heraustreten aus dem Kreislauf von Produktion, Konsum und Reproduktion (vgl. hierzu auch Koselleck 1973, S. 41). Aus der Verknt~pfung des Erfahrungszusammenhangs der publikumsbezogenen Privatheit mit der politischen Offentlichkeit (vgl. Habermas 1990, S. 116) ist zu erkl~iren, warum das (Ideal-)Ergebnis des von Habermas beschriebenen Emanzipationsprozesses nunmehr mit einer Entwicklung kontrastiert wird, die in der pr~ignanten Aussage ,,Vom kulturr~isonierenden zum kulmrkonsumierenden Publikum" (Habermas 1990, S. 248) zusammengefasst wird. Damit soll zun~ichst Folgendes veranschaulicht werden: Im Zuge einer Ausdehnung des Pressewesens gewinnt diese nicht nur den Status eines Forums der politischen Offentlichkeit, sondern verst~irkt zugleich eine Tendenz, die das Heraustreten aus der Privatsph~ire wieder verringert und den Rt~ckzug in die h~iusliche Privatsph~ire begt~nstigt. Infolgedessen ist eine Tendenz zur konsumptiven Haltung erkennbar, die den gerade entstandenen 6ffentlichen Kommunikationsraum in Einzelteile zerfallen lgsst und die politische Offentlichkeit in eine Vielzahl vereinzelter Rezeptionsakte verwandelt. Allein die Zuordnung dieser T~itigkeit in den allm~ihlich entstehenden Bereich der Freizeit, der sich vonder dominierenden Arbeitswelt zu emanzipieren beginnt, sei bereits ein Ausdruck des apolitischen Charakters dieses Vorgangs: ,,Die Freizeitbesch~iftigungen des kulturell konsumierenden Publikums finden [...] selbst in einem sozialen Klima statt, ohne dag sie irgend in Diskussionen eine Fortsetzung zu finden brauchten: mit der privaten Form der Aneignung entfNlt auch die 6ffentliche Kommunikation t~ber das Angeeignete." (Habermas 1990, S. 252) Dieser Wandel vollzieht sich nicht abrupt, erf'~ihrt aber in einer erkennbaren Kommerzialisierung der Massenpresse ein mit dieser Mentalit~it korrespondierendes Format. Die Ausbreitung
240
C)ffentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
der Massenmedien und der Beginn des Fernsehzeitalters haben im Weiteren dazu gefahrt, dass das 6ffentliche Rgsonnement, das vormals auch aul3erhalb der Medien stattfand, nun innerhalb der Medien einen festen Platz erhNt. Selbst Kommunikation werde nun verwaltet, organisiert und produziert: ,,[...] professionelle Dialoge vom Katheder, Podiumsdiskussionen, round table shows - das R~isonnement der Privatleute wird zur Programmnummer der Stars in Funk und Fernsehen, wird kassenreif zur Ausgabe von Eintrittskarten, gewinnt Warenform auch noch da, wo auf Tagungen sich jedermann ~beteiligen~ kann." (Habermas 1990, S. 253) Zugleich wird von Habermas eine Entwicklung beschrieben, die das Aufkommen der Massenmedien - seien es zun~ichst Zeitschriften, sp~iter der H6rfunk und das Fernsehen - mit einer Aufwertung des Privaten in Verbindung bringt. Ein ,,))Don't talk back~" (Habermas 1990, S. 261) wird charakteristisch far die Rezeption und die Offentlichkeit verliert ihre wichtige Funktion der Artikulation eines politischen Willens. Es kommt allenfalls noch zu einem Austausch von Geschm~ickem und Neigungen (vgl. Habermas 1990, S. 261). Der Strukturwandel der C)ffentlichkeit zeigt sich vor allem in einer Umkehrung des VerhNtnisses von 6ffentlich und privat: ,,Offentlichkeit wird zur Sph~ire der Ver6ffentlichung privater Lebensgeschichten, sei es, dab die zuf~illigen Schicksale des sogenannten kleinen Mannes oder die planm~il3ig aufgebauter Stars Publizit~it erlangen, sei es, dag die 6ffentlich relevanten Entwicklungen und Entscheidungen ins private Kostfim gekleidet und durch Personalisierung bis zur Unkenntlichkeit entstellt werden." (Habermas 1990, S. 262) Unter diesen Bedingungen kehrt das Private in doppelter Hinsicht zurfck: als bevorzugte Rahmung far Themen und als Ort der Auseinandersetzung mit den pr~isentierten Inhalten. Insofem erscheint Habermas die Vorstellung einer 6ffentlichen Meinung als Fiktion. Man k6nnte fberspitzt formulieren: Das Publikum verl~igt die Arena der politischen Offentlichkeit und fbemimmt die passive Rolle des Zuschauers oder Zuh6rers. Es verzichtet auf die ,Eingabe' von Auffassungen in jenen Bereich, der maggeblich an der Entstehung 6ffentlicher Meinungen beteiligt ist und ein weites Publikum erreichen kann. Die formelle, institutionell autorisierte Meinung erf~ihrt ihre Legitimation nicht aus dem R~isonnement einer (bfrgerlichen) Offentlichkeit. Stattdessen entfaltet sich eine Form von Publizit~it, die auch Schelsky mit seinem Hinweis auf die ,Illusion der 6ffentlichen Meinung' (siehe oben) beschrieben hat. Habermas drackt diese Entwicklung wie folgt aus: ,,Diese formellen Meinungen lassen sich auf angebbare Institutionen zu~ckfahren; sie sind offiziell oder offizi6s als Verlautbarungen, Bekanntmachungen, Erkl~irungen, Reden usw. autorisiert. Dabei handelt es sich in erster Linie um Meinungen, die in einem verhNtnism~il3ig engen Kreislauf fiber die Masse der Bev61kerung hinweg zwischen der grogen politischen Presse, der r~isonierenden Publizistik fberhaupt, und den beratenden, beeinflussenden, beschliel3enden Organen mit politischen oder politisch relevanten Kompetenzen (Kabinett, Regierungskommissionen, Verwaltungsgremien, Parlamentsausschfssen, Parteivorst~inden, Verbandskomitees, Konzernverwal-
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tungen, Gewerkschaftssekretariaten usw.) zirkulieren. Obwohl diese quasi6ffentlichen Meinungen an ein breites Publikum adressiert sein k6nnen, erfallen sie nicht die Bedingungen eines 6ffentlichen R~isonnements nach liberalem Modell. Sie sind als instimtionell autorisierte Meinungen stets privilegiert und erreichen keine wechselseitige Korrespondenz mit der nichtorganisierten Masse des >>Publikums<<." (Habermas 1990, S. 356) Revisionen dieses Modells der bfirgerlichen Offentlichkeit sind zwischenzeitlich vorgenommen worden. In der Neuauflage des Buches ,,Strukturwandel der Offentlichkeit" wird beispielsweise der Vorwurf einer ,,Uberstilisiemng der btirgerlichen Offentlichkeit" (Habermas 1990, S. 15) und die damit einhergehende Vernachl~issigung anderer Arenen und Tr~igerschichten einer politischen Offentlichkeit einleitend diskutiert. Habermas' Studie orientiert sich an idealtypischen Unterscheidungen, zu denen neben Offentlichkeit versus Privatheit die Trennung von Staat und Gesellschaft z~ihlt. Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts war erkennbar, dass sich eine stfirkere Verschr~inkung von Staat und Okonomie abzeichnete. Darfiber hinaus entwickelten sich sozialstaatliche Massendemokratien, in denen Interessen zunehmend auf Verbandsebene geb~ndelt wurden. Insofem kann von einer Vergesellschaftung des Staates gesprochen werden. Ftir den vorliegenden Zusammenhang ist die Revision der Publikumsauffassung wichtiger, die sich ursp~nglich noch an Adornos Theorie der Massenkulmr 7~ orientiert hatte. Habermas gesteht ein: ,,Kurzum, meine Diagnose einer geradlinigen Entwicklung vom politisch aktiven zum privatistischen, )>vom kulturr~isonierenden zum kulturkonsumierenden Publikum<< greift zu kurz. Die Resistenzf~ihigkeit und vor allem das kritische Potential eines in seinen kulturellen Gewohnheiten aus Klassenschranken hervortretenden, pluralistischen, nach innen weit differenzierten Massenpublikums habe ich seinerzeit zu pessimistisch beurteilt. Mit dem ambivalenten Durchl~issigwerden der Grenzen zwischen Trivial- und Hochkultur und einer >>neuen Intimit~it zwischen Kulmr und Politik<<, die ebenso zweideutig ist und Information an Unterhaltung nicht NoB assimiliert, haben sich auch die MaBst~ibe der Beurteilung selber ver~indert." (Habermas 1990, S. 30) Diese Revision impliziert einen differenzierteren Blick auf die politische Kultur und verschiedene Formen der politischen Partizipation (siehe auch die Ausfahrungen von Schultz 2003, S. 131ff.). An der ursprfinglichen Forderung, dass der liberale Rechtsstaat sich an dem Gebot einer politisch fungierenden Offentlichkeit orientieren muss, hNt Habermas fest und setzt auf die Produktivkraft des Diskurses (vgl. Habermas 1990, S. 33). In einer Demokratie mt~sse jeder normative Geltungsanspruch einer Begrfindungspflicht unterzogen werden. Zugleich wird damit die Notwendigkeit einer politisch funktionierenden Offentlichkeit unterstrichen, die sich als Gegenpol zu einer von Massenmedien beherrschten Offentlichkeit bew~ihren muss. Eine Demokratie sei nur dann ideal, wenn sie die Einrichmng ihres 7o Siehe hierzu auch die Ausft~hrungen in Kapitel 3.
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gesellschaftlichen Lebens selbst in die Hand nimmt. Die 6ffentliche Meinung werde verzerrt, wenn sich verschiedene Formen der politischen Entfremdung der B~irger vom politischen Prozess verst~irken (vgl. Habermas 1990, S. 43) und 0ffentlichkeit sich auf eine vermachtete Arena reduziert. Worauf sich eine solche Begrfindungspflicht stfitzt, scheint jedoch neuerdings wieder fraglich, besonders dann, wenn die politische Kultur mit Prominenz aus Film, Musik oder Sport im Abendprogramm zusammenfindet. Bolz formuliert dies besonders drastisch: ,,Berfihmtheiten d~rfen Schwachsinn ~ul3em, ohne damit st6rend aufzufallen." (Bolz 2004, S. 17) In Yalkrooms scheine alles erlaubt und jeder, der sich in das ,,Celebrity-Design" einffigt, willkommen. Die moderne Streitkultur hat sich nach Bolz l~ingst in Talk aufgel6st. An die Stelle des Diskurses trete der Klatsch und die Kritik werde kurzerhand durch Moralisierung ersetzt (vgl. Bolz 2004, S.16ff. und die Analyse von Schultz 2003).
,,Die Talkshow einer Unpolitischen". Eine harsche Kritik. ,,Was bleibt, wenn Sabine Christiansen vom Bildschirm verschwindet? Ein leerer Salon, ein leerer Stuhl, eine leere Stelle. [ ..... ] Der Satz von Friedrich Merz: ,,Diese Sendung bestimmt die politische Agenda in Deutschland mittlerweile mehr als der Bundestag." Die Partys, die Umarmungen, das BussiBussi, die Gesten engen persSnlichen Umgangs mit ihren Dauerg~.sten nach der Show, von dem die Zuschauer nichts wissen, den aber jeder erahnen konnte, je I~nger er dem sonnt~glichen Ritual beiwohnte. Ein Prominentenfriseur. Und der Abend, an dem Ulla Schmidt und Horst Seehofer im Sommer 2003 in der Show den Gesundheitskompromiss verk0nden sollten, aber die goldene Regel brachen und von den Verhandlungen nicht direkt ins Studio her0berkamen. Nur an diesem Abend war Sabine Christiansen einmal aul3er sich und fragte den entsandten Stellvertretern ein Loch in den Bauch. [ ..... ] Ein handwerklicher Fehler, kein Zeichen, dass in Christiansens Universum etwas auger Kontrolle geraten war. Am Sonntag darauf waren wieder alle brav zur Stelle und palaverten." (Hanfeld 2007, S. 3)
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9 . 3 0 f f e n t l i c h k e i t und 6ffentliche Meinung. Die Theorie von Luhmann
Mit der Bezugnahme auf Luhmanns Theorie der 6ffentlichen Meinung kehrt in der vorliegenden Darstellung eine Perspektive zurfick, die unter dem Stichwort ,Kon-
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struktivismus' bereits kurz skizziert wurde 7~. Dieser Perspektivenwechsel schl~igt sich in einer v611ig anderen Auseinandersetzung mit dem Ph~inomen ,Offentlichkeit' nieder. Luhmann geht zun~ichst vonder Beobachtung aus, dass in modernen Massendemokratien tagt~iglich eine Vielzahl an Informationen bereitgestellt wird, die ein unmittelbares Beobachten der Umwelt ersetzen. Berichte t~ber Ereignisse, Meldungen etc. sind allesamt Ver6ffentlichungen von Themen, die in einer bestimmten Form Beobachmngen von Beobachtern bereitstellen. Dieser Beobachtungsmechanismus kann sich t~ber viele Ebenen erstrecken. Der Journalist beobachtet beispielsweise die Politik, die Politik beobachtet die Politik oder blickt auf ein anderes System, zum Beispiel die Wirtschaft. Nur selten sind solche Beobachtungen von Unmittelbarkeit gekennzeichnet. Insofern ist die Ver6ffentlichung von Meinungen ein wichtiger Bestandteil der 0ffentlichkeit als solcher. Schon das angedeutete Beispiel mag den Eindruck vermitteln, dasses hier nicht um Ideale geht, die mit dem Begriff ,Offentlichkeit' assoziiert werden. Es mag sein, dass dort auch r~isoniert wird, aber diese Funktionszuschreibung ist ffir Luhmann bereits Teil einer Forderung an die 0ffentlichkeit, sich selbst als Mittel der Durchsetzung von Vernunft zu verstehen (vgl. Luhmann 1996, S. 186). Er gesteht ein, dass sich durch die Erweiterung des Zugangs zu insbesondere politischen Informationen die Vorstellung von einer 6ffentlichen Meinung entwickeln konnte, die zur ,,Letztinstanz der Beurteilung politischer Angelegenheiten" (Luhmann 1996, S. 187) wird. FOr seine Fragestellung aber ist entscheidend, wie bestimmt werden kann, was zur 0ffentlichkeit geh6rt und was nicht. Welche Ph~inomene werden dort zugelassen und was ist ein Ausschlusskriterium? Bereits diese Fragen lassen erkennen, dass es um das Problem der Offenheit geht. 0ffentlichkeit konstituiert sich t~ber ein unbestimmtes Themenspektrum. Hier ist der Kern des Ph~inomens zu finden: ,,Offentlichkeit ist mithin ein allgemeines gesellschaftliches Reflexionsmedium, das die Unt~berschreitbarkeit von Grenzen und, dadurch inspiriert, das Beobachten von Beobachmngen registriert." (Luhmann 1996, S. 187) W~ihrend in der Habermas'schen Konzeption die Herstellung von Offentlichkeit und die politische Funktion derselben im Vordergrund steht, betont Luhmann insbesondere die Thematisierungsfunktion. 0ffentlichkeit kann aufgrund der angedeuteten Offenheit nicht als System gedacht werden, das klare Grenzen hat, sondem im Gegenteil als ,,gesellschaftsinterne Umwelt der gesellschaftlichen Teilsysteme" (Luhmann 1996, S. 184). Diesen Gedanken soll Abbildung 9.2 veranschaulichen. Von einem heimlichen Souver~in oder einer Urteilsinstanz ist diese theoretische Sichtweise weit entfernt. Offentlichkeit wird zudem nicht auf ein Spiegelbild der Wirklichkeit in verschiedenen Teilsystemen der Gesellschaft reduziert 72. 71 Siehe hierzu auch die Ausfiihmngen in Kapitel 3 und Kapitel 8. 72 Baecker sieht die 0ffentlichkeit ebenfalls nicht als System. Sie ist seiner Ansicht nach ,,eine Beobachtungsformel der Selbstbeschreibung der modernen Gesellschaft" (Baecker 1996, S. 99). Dabei oszilliert
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Offentliche Meinung ist nicht die Meinung einer Vielzahl von Individuen und entspricht auch nicht dem, was im Bewusstsein der Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt faktisch vor sich geht. Jeder Versuch, Einstellungen und Meinungen als entscheidende Referenz zu betrachten, mt~sse zu dem Ergebnis kommen, dass man es stets mit einem latenten Ph~inomen zu mn habe (siehe auch den Beispieltext auf der ~bem~ichsten Seite). Diese Ereignisse im weiteren Sinne sind von verschwindender Dauer (vgl. Stichweh 2003, S. 215). Abbildung 9.2
Offentlichkeit als gesellschaftsinterne Umwelt der gesellschaftlichen Teilsysteme
Beobachtung Massenmedien
==
Offentlichkeit
Politik
Recht
I
Ir
r
Okonomie
Kunst
Beobachtung USW.
Quelle: Eigene Erstellung in Anlehnung an Luhmann 1996, S. 184ff. Stattdessen schl~igt er vor, 6ffentliche Meinung als auf das ,,Sozialsystem der Gesellschaft" (Luhmann 1990, S. 172) bezogen zu betrachten, weil hier Auffassungen und Meinungen, mithin Sinn, in Form von Kommunikation transparent gemacht wird. Jede Bezugnahme auf das, was sich gerade in dem Bewusstsein einzelner oder vieler Menschen vollzieht, Nhre zu einem ,,unbeschreiblichen Chaos gleichzeitiger Verschiedenheit." (Luhmann 1990, S. 172) Das Besondere der 6ffentlichen Meinung Offentlichkeit immer wieder zwischen Selbst- und Fremdreferenz hin und her. (siehe hierzu ausffihrlich Baecker 1996, S. 100)
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bestehe gerade darin, dass sie ein ,,Kommunikationsnetz ohne Anschlul3zwang" (Luhmann 1990, S. 172) repr~isentiere, das durch konkrete Handlungen der Menschen nicht unmittelbar betroffen werde: ,,Ob man liest, fernsieht, Radio h6rt oder nicht und was man ausw~ihlt, bleibt dem Einzelnen freigestellt, ohne dab dies die Vorstellungen tiber 6ffentliche Meinung beeintr~ichtigte. Es braucht daher auch nicht zu erstaunen, dab Effekte der 6ffentlichen Kommunikation [...] als Orientierungsverluste der Individuen beobachtet werden k6nnen." (Luhmann 1990, S. 173)
Latente Offentlichkeit als paradoxes Konstrukt ,,Viel mehr als freher verstehen wir Menschen als Individuen. Viel mehr als fr0her ist uns klar, wie intransparent das Einzelbewul~tsein for sich selber ist und wie wenig von einer Meinung aus festgelegt ist, wie der Einzelne in den jeweils auf ihn zukommenden Situationen reagieren wird. [...] Man kann sich zwar vorstellen, dal& es eine geringere Bandbreite von Einstellungen zu bestimmten Themen gibt. Aber auch hier ist deren Invarianz 0ber Zeit hinweg und deren Kontextunabh&ngigkeit eine fragwerdige Unterstellung, und auch hier stiel~en wir auf das Problem, wann es denn vorkommt und wovon es abh&ngt, dal3 bestimmte Einstellungen zu einem bestimmten Zeitpunkt von einer grol~en Zahl von Personen aktualisiert werden. Offenbar setzt dies Kommunikation voraus, kann also nur 0ber eine strukturelle Kopplung sozialer und psychischer Systeme realisiert werden. Werde man auf Einstellungen bzw. Meinungen im Sinne einer psychischen Disposition abstellen, k&me man nach all dem auf das merkw0rdige, wenn nicht paradoxe Konstrukt einer stets latenten (~ffentlichkeit. Und man mQl~te zugeben, dal3 es keine Operationen gibt, mit denen dieses Paradox aufgel0st und Offentlichkeit psychisch zu Tage gefSrdert werden k0nnte. [...] Die Kommunikation w~re viel zu langsam, um die Meinungen vieler zu einem bestimmten Zeitpunkt sichtbar zu machen." (Luhmann 1992, S. 77f.)
Dass es dennoch zu Anschltissen an diese Formen der 6ffentlichen Kommunikation kommt, veranschaulicht nach Luhmann die eigentliche Bedeutung der Offentlichen Meinung. Sie ist nicht nur das Resultat 6ffentlicher Kommunikation, sondern ist zugleich eine Voraussetzung far weitere Kommunikationen, die sich darauf beziehen. Die 0ffentliche Meinung wird selbst zu einem Medium, ,,in dem durch laufende Kommunikation Formen abgebildet und wieder aufgel0st werden." (Luhmann 1990, S. 174) Die Begriffe Medium und Form bedtirfen daher einer kurzen Erlguterung. Betrachtet man beispielsweise die Sprache als ein Medium, dann ist ein Satz die sinnvolle Verkntipfung von Worten. Diese Verkntipfung entspricht einer ,,Selek-
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tion im Bereich eines Mediums" (Luhmann 1997, S. 196), die in einer Form resultiert. Die W6rter sind Elemente der Sprache, die miteinander verbunden werden (vgl. Luhmann 1997, S. 198). Wenn man 6ffentliche Meinung als ein Medium betrachtet, muss auch hier die Unterscheidung zwischen Element und Verknt~pfung (Luhmann spricht von loser und strikter Kopplung der Elemente) identifiziert werden. Diese Bestimmung aber stellt das Kernproblem dar. Individuelle Meinungen entsprechen den losen Elementen, die far sich nicht ad~iquat abgebildet werden k6nnen, weil die Bewusstseinszust~inde einer Vielzahl von Menschen nicht transparent genug sind. Damit 6ffentliche Meinung eine Form erh~ilt, ist der Weg t~ber die Aggregation der individuellen Elemente somit nicht realistisch und durchfahrbar. Stattdessen wird nach einem verbindenden Faktor gesucht, welcher den Fortbestand des Mediums ,6ffentliche Meinung' sicherstellt: die Aufmerksamkeit der Individuen. Die faktische 121bereinstimmung von vielen individuellen Meinungen ist damit aber ebenfalls nicht gew~ihrleistet. Dennoch wird von einer ,6ffentlichen Meinung' gesprochen und es gibt daraber hinaus eine ,,6ffentliche Kommunikation, die auf dieser Fiktion beruht und durch sie in Gang gehalten wird." (Luhmann 1990, S. 175) Das macht die Unbestimmtheit des Mediums ,6ffentliche Meinung' aus. Verbreitungsmedien (Massenmedien) k6nnen in dieser Situation Orientierung verschaffen: ,,Presse und Funk sind die Formgeber dieses Mediums." (Luhmann 1990, S. 176) Diese Formgeber binden die Aufmerksamkeit des Publikums und arbeiten nach bestimmten Regeln. Luhmann nennt diesbez~glich zum Beispiel die folgenden Aspekte: Es muss immer wieder etwas Neues berichtet werden. Presse und Funk erzeugen Diskontinuit~it. Ein wirksamer und dauerhafter Kontrast zum Alltagsleben soll hergestellt werden. Diese organisierte Differenz illustriert Luhmann mit der Unterscheidung von Lebensrhythmik und Nachrichtenrhythmik. Aus dieser Differenz leitet sich die temporale Struktur der 6ffentlichen Meinung ab. Nicht nur, dass Themen eine Karriere haben und von unterschiedlichen Aufmerksamkeitszyklen leben. Die Offenheit des Mediums garantiert ein unbegrenztes Nachrichtenspektrum. Sehr anschaulich wird dies mit dem folgenden Zitat verdeutlicht: ,,Wenn am Sonntag nichts passiert, hat man statt dessen Sport. Die Autounf~ille des Tages werden registriert, um sie eventuell bringen zu k6nnen. Zentralereignisse der Politik wie Wahlen oder Gipfelkonferenzen werden vorher und nachher behandelt. Zeit wird damit reflexiv, indem die Neuigkeit darin besteht, dab man melden kann, dab man noch nicht weil3, worin sie besteht." (Luhmann 1990, S. 177) Alles kann somit 6ffentlich werden, aber gerade diese unspezifische Beschreibung ist dem Medium und den Formgebern immanent. Die 6ffentliche Meinung ist somit Medium und Form zugleich, weil hier jede Endgfiltigkeit im Sinne einer klaren Fixierbarkeit fehlt.
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Wer geh6rt werden will, muss gleichwohl dem Medium der 6ffentlichen Meinung Themen anbieten und sich auf die dominierenden Formgebungen einstellen. Entscheidend ist jedoch, dass immer dann, wenn von 6ffentlicher Meinung gesprochen wird, gleichzeitig die Mittelbarkeit der Beobachtungen bedacht werden muss: Was 6ffentlich kommuniziert wird, dient als Orientierung. Luhmann spricht sogar von dem Spiegel der 6ffentlichen Meinung, der eine Orientiemngsfunktion ~ibemimmt. In Bezug auf das Verhalten von Politikern heil3t es zum Beispiel: ,,Die Politiker sehen gerade nicht durch diesen Spiegel hindurch auf das, was wirkliche Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt wirklich denken. Sie sehen nur sich selbst und andere Politiker sich vor dem Spiegel ffir den Spiegel bewegen." (Luhmann 1992, S. 84) Die 6ffentliche Meinung wird damit zur systeminternen Umwelt der politischen Organisationen und Akteure. Ft~r den Zuschauer dagegen wird eine Illusion der Direktwahmehmung erzeugt, obwohl es sich um eine Realit~it zweiter Ordnung handelt. Da der Wechsel zum Programm geh6rt, wird zugleich der Eindruck von Aktualit~it verst~irkt. Die Formgeber (die Massenmedien), aber auch die Nutzer sind offen mr Dinge, die da kommen werden: ,,Jede Sendung verspricht eine weitere Sendung. Nie geht es dabei um die Repr~isentation der Welt, wie sie im Augenblick ist." (Luhmann 1996, S. 26) Diese nfichteme und desillusionierende Beschreibung kennt keine Ideale. Eher bleibt ein ambivalenter Eindruck zurfick, der einerseits durch einen umfassenden Manipulationsverdacht gekennzeichnet werden kann und andererseits durch die Latenz und Fluktuation des Faktors ,Offentlichkeit'. W~ihrend Luhmann der Aufmerksamkeit von Individuen wenig Erkl~irungskraft zuschreibt, kommt dieser in der Theorie von Noelle-Neumann eine zentrale Bedeutung zu.
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9 . 4 0 f f e n t l i c h e Meinung und soziale Kontrolle. Die Theorie der Schweigespirale Noelle-Neumann erforscht seit vielen Jahrzehnten das Ph~inomen ,6ffentliche Meinung' und hat im Zuge dieser ,Spurensuche' eine Vielzahl von Befunden ermitteln k6nnen. Diese beginnt in der Antike und reicht bis in die unmittelbare Gegenwart (vgl. Noelle-Neumann 2003, S. 392ff.). Ein Suchkriterium ist dabei die Ausschau nach Urteilsinstanzen, die das Denken und Handeln der Menschen insbesondere in 6ffentlichen Situationen bestimmen oder beeinflussen k6nnen. Wenn beispielsweise der griechische Philosoph Sokrates (470-399 v.Chr.) von einer Macht ungeschriebener Gesetze spricht, wird auf die Existenz psychologischer Wirkungspotentiale hingewiesen, die sich nicht ohne weiteres personifizieren lassen, aber dennoch als Faktoren der 6ffentlichen Meinung von Relevanz sind. In Erg~inzung zu geschriebenen Gesetzen existiert offensichtlich eine anonyme Urteilsinstanz, die nicht weniger gefarchtet wird als das auf dokumentierten Vorschriften beruhende Recht. Die Vermeidung von Sanktionen, das Erringen von Sympathie und sozialer Anerkennung
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erscheint vielmehr als eine anthropologische Konstante, die das Handeln der Menschen in unterschiedlichsten Situationen auszeichnet. Wenn 6ffentliche Meinung von dem franz6sischen Sozialtheoretiker Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) als etwas bezeichnet wird, vor dem man sich in Acht nehmen muss, wird die regulierende Kraft dieser Urteilsinstanz durch die Vorwegnahme m6glicher Reaktionen anderer Personen praktisch. In diesem Sinne sorgt 6ffentliche Meinung far soziale Kontrolle und gew~ihrleistet die Verpflichtung der Gesellschaftsmitglieder auf gemeinsame l)berzeugungen. Indem das unbequeme Urteil zurfickgehalten wird, erweist sich diese Schutzfunktion letztlich als ein Feind des Individuums. Orientiert man sich an Immanuel Kants (1724-1804)Definition von ,Aufkl~irang', dann konkurriert der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmfindigkeit mit der soeben skizzierten Verpflichtung. Das Zeitalter der Aufkl~irung steht far die Emanzipation von Fremdbestimmungen, far die Betonung des selbstbewussten Individuums und des verantwortungsvollen (politischen) Urteils. Der bereits dargestellte Aufstieg des Bt~rgertums und die l'_)berschreimng der privaten Grenzen sind dieser Perspektive verwandt. Wenngleich sich hier eine Betonung der Freiheit des Individuums erkennen l~isst, bleibt die Urteilsf~ihigkeit doch an Wissen und Verantwortungsbewusstsein gekoppelt. Insofem spricht Noelle-Neumann beztiglich dieser Tradition von einem Elitekonzept (vgl. Noelle-Neumann 2003, S. 396). Diesem wird das Integrationskonzept gegent~ber gestellt, das seine Relevanz aus der sozialen Namr des Menschen ableiten kann. Das demokratische Ideal einer ungehinderten politischen Beteiligung wird in dieser Gegenaberstellung mit den Realit~iten konfrontiert. Auch dort, wo man die Gleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen ausdrficklich anstrebt, mtissen die Konsequenzen far die Entstehung individueller Urteile bedacht werden. Als sich der franz6sische Aristokrat Alexis de Tocqueville (1805-1859) mit der Entwicklung der Demokratie in Amerika besch~iftigte, stellte er fest: ,,Die Unabhfingigkeit des einzelnen kann gr6ger oder geringer sein; sie kann nicht unbegrenzt sein." (Tocqueville 1976 [zuerst 1835/1840], S. 493) Ftir Tocqueville ergab sich daraus unter anderem die Frage, wie in einer Gesellschafi, die durch die Gleichheit gesellschaftlicher Bedingungen gepr~igt ist, geistige Autorit~iten Geh6r und Anerkennung erfahren k6nnen. Indem Tocqueville das aristokratische und demokratische Zeitalter miteinander vergleicht, schildert er das dieser Frage zugrunde liegende Legitimationsproblem: ,,Herrscht gesellschaftliche Ungleichheit und Verschiedenheit der Menschen, so gibt es einige sehr gebildete, hochgelehrte und durch ihren Verstand sehr einflugreiche einzelne und eine sehr unwissende und t~beraus beschr~inkte Menge. Die Menschen aristokratischer Zeiten sind also von Namr geneigt, sich in ihren Ansichten durch die ~berlegene Vemunft eines Menschen oder einer Klasse leiten zu lassen, w~ihrend sie geringe Bereitschaft zeigen, die Unfehlbarkeit der Masse anzuerkennen. Im Zeitalter der Gleichheit geschieht das Gegenteil. Je mehr sich die Unterschiede zwischen den Bt~rgem ausgleichen und je ~ihnlicher sie einander werden, umso weniger ist jeder geneigt, einem
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bestimmten Manne oder einer bestimmten Klasse blind zu glauben. Die Bereitschaft, an die Masse zu glauben, nimmt zu, und mehr und mehr lenkt die 6ffentliche Meinung die Welt." (Tocqueville 1976, [zuerst 1835/1840], S. 493f.) Infolge dessen wird die Gleichheit zum Konkurrenten des individuellen Urteils. Eine neue moralische Autorit~it, die sich durch den Hinweis auf eine Z~ihlmehrheit oder die Auffassungen der gr613ten Zahl legitimiert, gewinnt an Bedeutung. Diese paradoxe Folge eines Demokratisierungsprozesses verdeutlicht, dass der Mensch im Zuge des Erlangens seiner geistigen Freiheit Gefahr laufen kann, sich anonymen Massen anzuschliel3en, die in Gestalt einer Tyrannei der Mehrheit die gerade erlangte Freiheit durch eine neue Form von Gleichheit begrenzen k6nnen. Letztlich bleibt die Freiheit des Individuums ein wichtiges Korrektiv dieses Beeinflussungsvorgangs. Eine Orientierung an dem Ideal des mt~ndigen und vemt~nftigen Individuums fahrt aber nicht in das Zentrum der Funktionsweise von 6ffentlicher Meinung. Nach Noelle-Neumann muss man die Aufmerksamkeit einer ,,unbefangenen Besch~iftigung mit der sozialen Natur des Menschen" (Noelle-Neumann 2003, S. 399) widmen. Entscheidender sei die Frage, wie standfest sich das individuelle Urteil in unterschiedlichen Simationen erweist. Wer ist in der Lage, sein Urteil auch gegen Widerstreben anderer aufrecht zu erhalten und wer gibt dieser Form des sozialen Drucks nach? Die Erforschung konformer Verhaltensweisen ist far die Formulierung der Theorie der Schweigespirale daher ein zentraler Baustein. Insbesondere die Konformit~itsexperimente von Solomon Asch (Asch 1955) und Stanley Milgram (Milgram 1974) haben Noelle-Neumann in ihrer Auffassung best~irkt, dass sich Menschen unter Bedingungen sozialen Drucks von ihren individuellen Auffassungen 16sen und einer Mehrheitsmeinung anschliel3en. Obwohl eine objektive Differenz zwischen einer physikalischen und einer sozialen Realit~it offensichtlich ist, verhalten sich Menschen opportunistisch. Auf den nachfolgenden Seiten werden AusziJge aus den Experimenten von Asch und Milgram kurz erl~iutert. Dieser Opportunismus kann Ausdruck eines strategischen Verhaltens sein. Ft~r NoelleNeumann spiegelt sich darin aber eine ,,Vorbedingung far die Existenzf'~ihigkeit von Gemeinwesen" (Noelle-Neumann 2003, S. 400) wider. In diesem Ph~inomen manifestiert sich eine Isolationsfurcht als Resultat der sozialen Natur des Menschen, die zugleich einen wesentlichen Kern des Integrationskonzepts transparent macht. Im Weiteren sollen dann wichtige Bausteine dieser Theorie beschrieben werden. Daran anschliel3end werden diesbezt~gliche Weiterentwicklungen und kritische Einw~inde zusammengefasst.
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Das Linienexperiment von Solomon Asch
X
A
B
C
Anmerkung: Die Aufgabe der Versuchspersonen bestand darin, aus den Vergleichslinien A, B und C jene zu nennen, die genauso lang ist wie die Standardlinie X. Erl&uterung: ,,In diesem Experiment fehrte Asch einen Konflikt herbei zwischen dem Wissen seiner Versuchspersonen um die physikalische Realit&t und der >>sozialen Realit&te, wie sie durch die Gruppe repr~sentiert wird. Diese Konfliktsituation erreichte er durch eine kontrollierte Manipulation der experimentellen Bedingung [...].": [Neben der echten Versuchsperson sind alle weiteren im Untersuchungsraum anwesenden Personen Verb0ndete des Versuchsleiters (Anm. d. Verf.)]. ,,Diese wissen zwar, dal~ die von Ihnen abgegebenen Urteile manchmal falsch sind, sie richten sich aber ausschliel~lich nach den Vorgaben des Versuchsleiters, der damit erreichen mSchte, dar~ die Gruppe einen sanften Druck auf die einzelne >>echtee Versuchsperson aus0bt. Und das gelingt auch. Insgesamt richteten sich 35 Prozent der echten Versuchspersonen nach den falschen Beurteilungen der Gruppe - das ist zwar nicht die Mehrheit, doch eine betr&chtliche Minderheit. Wie in fr0heren Experimenten verhielten sich Versuchspersonen konform, obwohl keinerlei Zwang auf sie ausgeQbt wurde und keine Belohnungen f0r konformes Verhalten zu erwarten waren." (Schwartz 1988, S. 177) Quelle: Schwartz 1988, S. 176ff.
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Das Autorit~its-Experiment von Stanley Milgram I
I
I
~',h,')ler i
Erl~uterung: Das Experiment sollte, so Milgram gegen(Jber seinen Versuchspersonen, die Auswirkung von Bestrafung auf das Lernverhalten untersuchen. Die Versuchsperson 0bernimmt immer die Rolle des ,Lehrers', die im Falle eines Fehlers des ,Sch01ers' einen Elektroschock versetzen soil. Die ,Sch01er' sind keine wirklichen Versuchspersonen, sondern Mitarbeiter Milgrams. Mit der Zunahme von Fehlern soil auch das Strafausmal~ gesteigert werden. ,,Milgram brachte seine Versuchspersonen in eine Situation, in der sie zwischen zwei einander widersprechenden Anforderungen entscheiden mu&ten: der Aufforderung durch den Sch01er, das Experiment zu beenden, und der Aufforderung des Versuchsleiters, das Experiment fortzusetzen. Beiden Aufforderungen konnten die Versuchspersonen nicht gleichzeitig gehorchen, also mu&ten sie sich entscheiden zwischen dem moralischen Anspruch, einen anderen Menschen nicht zu verletzen und der Tendenz, jenen Menschen zu gehorchen, die sie als Autorit~t anerkannten. Es schien keine Rolle zu spielen, dal~ die Autorit&tsfigur in dieser Situation keinerlei MSglichkeit hatte, wirklichen Druck hinter ihre Aufforderung zu setzen, noch spielte es eine Rolle, dal~ die Versuchspersonen Qber das, was sie da taten, offenbar entsetzt waren - sie machen dennoch weiter." (Schwartz 1988, S. 188) Quelle: Schwartz 1988, S. 183ff.
Die Theorie der Schweigespirale: Opportunismus muss nicht notwendigerweise mit Schweigen einhergehen. Dass Noelle-Neumann dennoch von einer ,Schweigespirale' spricht, erkEirt sich aus der Bedeutung, die dem Reden und Schweigen in
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6ffentlichen Simationen zukommt. Es handelt sich um einen Prozess, dessen Verlauf durch die Artikulationsbereitschafl der Menschen bestimmt wird. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, yon welchen Umweltbedingungen der Einzelne ausgeht, d.h. welches Meinungsklima er zu registrieren glaubt. Der Kerngedanke, der mit dem Begriff ,Schweigespirale' beschrieben werden soll, ist von Noelle-Neumann wie folgt charakterisiert worden: ,,Menschen wollen sich nicht isolieren, beobachten pausenlos ihre Umwelt, k6nnen aufs Feinste registrieren, was zu-, was abnimmt. Wer sieht, dab seine Meinung zunimmt, ist gest~irkt, redet 6ffentlich, l~il3t die Vorsicht fallen. Wer sieht, dab seine Meinung an Boden verliert, verf'~illt in Schweigen. Indem die einen laut reden, 6ffentlich zu sehen sind, wirken sie st~irker als sie wirklich sind, die anderen schw~icher, als sie wirklich sind. Es ergibt sich eine optische oder akustische T~iuschung ffir die wirklichen Mehrheits-, die wirklichen St~irkeverh~iltnisse, und so stecken die einen andere zum Reden an, die anderen zum Schweigen, bis schlieBlich die eine Auffassung ganz untergehen kann. Im Begriff Schweigespirale liegt die Bewegung, das sich Ausbreitende, gegen das man nicht ankommen kann." (Noelle-Neumann 1980, S. XIII) Diese Kurzbeschreibung enth~ilt bereits wesentliche Bestandteile der Theorie: 9
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Verhalten in 6ffentlichen Simationen: Man will die Offentlichkeit nicht als Bedrohung empfinden. Minderheiten vermeiden den Konflikt und unterstfitzen durch den Verzicht auf Artikulation der eigenen Meinung das Auseinanderklaffen der tats~ichlichen Kr~ifteverh~iltnisse von Meinungsfeldern. Die Mehrheit dominiert das 6ffentliche Meinungsklima und erf~ihrt aufgrund dessen wachsenden Zuspruch. F~ihigkeit zur Umweltwahrnehmung: Nach Noelle-Neumann sind die Menschen mit einem ,quasi-statistischen Wahrnehmungsorgan' ausgestattet und k6nnen die Meinungsverteilung zu verschiedenen Themen sehr gut registrieren. Diese F~ihigkeit zur Umweltwahrnehmung ist nicht nur auf die Wahmehmung des unmittelbaren Umfelds beschr~inkt, sondern erstreckt sich auf Grund des Vorhandenseins der Massenmedien auch auf eine nicht direkt wahrnehmbare Offentlichkeit. Dynamischer Prozess: Aufgrund einer positiven Korrelation yon wahrgenommener Mehrheitsmeinung und Redebereitschaft ist 6ffentliche Meinung Ursache und Folge bestimmter Umweltwahmehmungen. Wer auf Kommunikation verzichtet, kann auch nicht auf 6ffentliche Resonanz hoffen. Isolationsfurcht beg(instigt und verst~irkt die Redebereitschaft yon Mehrheiten.
Um ein MeinungskIima angemessen beurteilen zu k6nnen, stehen den Menschen zwei Quellen der Umweltwahrnehmung zur Verfagung. Neben die direkte Umweltwahmehmung tritt die medienvermittelte Wahrnehmung, die in erster Linie Informationen zu der Frage bereitstellt, wie die Mehrheit der Bev61kemng bestimmte Ph~i-
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nomene beurteilt. Obwohl sich die 6ffentliche Meinung somit aus direkten und indirekten Beobachtungen ableiten l~isst, sind die fiber Massenmedien vermittelten Meinungen von gr6f3erer Bedeumng, weil sie ein disperses Publikum erreichen. Die Wirkungsm6glichkeiten der Massenmedien steigen insbesondere an, wenn sich die Medieninhalte durch eine gleichgerichtete Tendenz auszeichnen. In diesem Falle wird auch von einer Konsonanz der Medienberichterstattung gesprochen. Aufgrund dieser Ungleichgewichtigkeit der direkten und indirekten Beobachtungen bzw. Erfahrungen folgt: Jede Form einer selektiven Aufmerksamkeit oder nicht-repr~isentativen Abbildung von Meinungsverteilungen erh6ht die Wahrscheinlichkeit von Fehleinsch~itzungen, die auch ein ,quasi-statistisches Wahrnehmungsorgan' nicht korrigieren kann. Wer in diesem Fall den Standpunkt vertritt, der auch in den Massenmedien dominiert, erhNt zus~itzliche Argumentationshilfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Prozesse beobachten lassen, wie sie vonder Theorie der Schweigespirale beschrieben werden, steigt, wenn bestimmte Randbedingungen gegeben sind: 9 9 9
Die Meinungen und Einstellungen der Bev61kemng mt~ssen sich im Fluss befinden. Dies ist in der Regel etwa im Rahmen von Wahlk~impfen der Fall. Die Meinungen und Einstellungen der Bev61kerung mt~ssen sich auf einen Bereich beziehen, der kontrovers diskutiert wird. Die Massenmedien mt~ssen als indirekte Quelle der Umweltwahmehmung eine identifizierbare Position einnehmen.
Aus den genannten Grfinden ist die Beobachtung von Wahlk~impfen ein begehrtes Untersuchungsfeld. Insbesondere Mitl~iufereffekte in Richtung des erwarteten Wahlsiegers wurden im Sinne der Schweigespirale interpretiert. Das Ph~inomen des ,LastMinute-Swing', das Lazarsfeld u.a. bereits in der Pioniersmdie ,The People's Choice' untersucht hatten und mit dem sogenannten Bandwagon-Effekt 73 erkl~irten, wird von Noelle-Neumann im Sinne einer Angst vor Isolation interpretiert. W~ihrend im Wahljahr 1965 die CDU/CSU von einem solchen Effekt profitierte, war es im Jahr 1972 die SPD. Ft~r Noelle-Neumann ist es jedoch weniger entscheidend, dass man im sprichw6rtlichen Sinne der Kapelle des Siegers hinterherl~iuft (Bandwagon), sondern aus Angst vor Isolation eher dem Sieger und nicht dem vermeintlichen Verlierer die Stimme gibt. Noelle-Neumann schreibt hierzu: ,,Die Schweigespirale ist nicht identisch mit dem bekannten Bandwagon Effect, der besagt, die Menschen wt~rden >>dem Wagen mit der Musikkapelle nachlaufen<<, weil jeder, so wird dieser >>Mitl~iufereffekt<< erkl~irt, auf der Seite des Siegers stehen wolle. Richtig ist, dab beides - Bandwagon Effect und Schweigespirale - Reaktionen auf die Umweltbeobachtung sind, welches Lager st~irker wird und welches schw~icher. Der Unterschied ist: Beim Bandwagon Effect winkt eine Belohnung, n~imlich die, auf der Seite des 73Siehe hierzu auch die Ausfahrungen in Kapitel 5.
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Offentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
Siegers zu sein. Die Schweigespirale wird dagegen von Furcht vor Bestrafung in Gang gesetzt, von der Furcht, isoliert, ausgestol3en zu werden." (Noelle-Neumann 2003, S. 404) Diese Einsch~itzung kann aber auch als eine deutliche Obersch~itzung der Isolationsfurcht interpretiert werden. Es wird eine Oberbetonung der sozialen Natur des Menschen erkennbar. Ungeachtet dessen ist far die Einsch~itzung von Sieg und Niederlage die 6ffentliche Bekenntnisbereitschaft der beteiligten Akteure entscheidend. Wer 6ffentlich gesehen und geh6rt wird, nimmt Einfluss auf das Kr~ifteverhNtnis, das sich letztlich in der Umweltwahrnehmung der Bev61kerung niederschl~igt. Das Tragen von Abzeichen, Plakate, Aufkleber usw. z~ihlen ebenfalls zu den 6ffentlichen Ausdrucksformen. Gleichwohl behauptet Noelle-Neumann, dass es bestimmte Situationen geben kann, in denen selbst diese 6ffentliche Bekenntnisbereitschaft von einem entgegengesetzten Medientenor in ihren Wirkungen begrenzt werden kann. FOr diese Konstellation ist der Begriff ,doppeltes Meinungsklima' gepr~igt worden. Im Wahljahr 1976 fand keine Entwicklung statt, die im Sinne der Schweigespirale interpretiert werden kann. Orientiert man sich an den Wahlabsichten der Bev61kerung, so lieferten sich CDU/CSU und SPD bzw. FDP ein Kopf-an-KopfRennen. Die Parteien waren in der 0ffentlichkeit pr~isent, es wurde far die eigenen Oberzeugungen geworben, ein besonderes Engagement einer bestimmten Partei war nicht zu erkennen. In dieser ausgeglichenen Situation konnte sich eine im S inne der Schweigespirale beschreibbare Dynamik nicht entwickeln. Den knappen Sieg von SPD und FDP fahrte Noelle-Neumann auf das Medienklima zurfick, das sich nach ihrer Auffassung zu ungunsten der CDU/CSU entwickelt hatte. Ihre Erkl~irung lautete: ,,Doppeltes Meinungsklima: dieses faszinierende Ph~inomen [...] kann nur entstehen unter ganz besonderen Umst~inden, nur dann, wenn das Meinungsklima der Bev61kerung und die vorherrschende Meinung unter Journalisten auseinander fallen." (Noelle-Neumann 1996, S. 243) Um nachzuweisen, dass die Fehleinsch~itzung des Kr~ifteverhNtnisses der Parteien den Massenmedien angelastet werden muss, wurden beide Quellen der Umweltbeobachtung miteinander verglichen: die Beobachtungen in der Nahwelt (eigene Umwelt) und die Beobachtungen, die das Fernsehen von den Parteien angeboten hat. So zeigte sich zum Beispiel, dass h~iufige Zuschauer politischer Fernsehsendungen im M~irz 1976 noch zu 47% einen Wahlsieg der CDU/CSU erwarteten, vier Monate sp~iter, im Juli 1976, nur noch 34%. Umgekehrt verhielt es sich far die SPD~DP: M~irz 1976 32%, Juli 1976 42%. Ein ~ihnlicher Verlauf konnte bei Personen, die in diesem Zeitraum selten oder nie politische Fernsehsendungen sahen, nicht beobachtet werden. Daraus zog NoelleNeumann unter anderem die Schlussfolgerung: ,,Nur diejenigen, die die Umwelt mit den Augen des Fernsehens h~iufiger beobachtet hatten, hatten den Klimawechsel wahrgenommen, diejenigen, die ohne die Fernsehaugen ihre Umwelt beobachtet hatten, hatten nichts vom Klimawechsel bemerkt [...]." (Noelle-Neumann 1996, So 232) Zur Untermauerung dieser Argumentation wurde nachzuweisen versucht, dass
0ffentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
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die ,Femsehaugen' den Wahlkampf so vermittelten, als sei eine bestimmte Partei der wahrscheinliche Wahlsieger. Eine Umfrage unter Joumalisten ergab, dass diese sich in ihren Siegeserwarmngen deutlich vonder Mehrheit der Bev61kemng unterschieden. 76% der befragten Journalisten erwarteten im Juli 1976 einen Sieg von SPD und FDP, dagegen nur 33% der erwachsenen Bev6lkerung. Auch die Wahlabsichten zwischen Journalisten und Bev6lkemng unterschieden sich deutlich: 79% der Journalisten wollten SPD oder FDP ihre Stimme geben, dagegen nur 50% der erwachsenen Bev61kemng. Das zum Zwecke dieses Nachweises nur 100 Journalisten befragt wurden, war gleichwohl Gegenstand der Kritik. Die These vom doppelten Meinungsklima hat in jedem Falle zu weiteren Analysen geftihrt, die sich angesichts der medienpolitischen Brisanz des Befunds zu einer l~ingeren Kontroverse verdichtet haben (vgl. zusammenfassend hierzu Kepplinger 1980 und Merten 1982).
Eine Interpretation des ,doppelten Meinungsklimas' ,,Wenn wir also davon ausgehen - und ich habe zu Beginn gesagt, dal~ ich davon ausgehe-, da& das Handeln von Rundfunk- und Fernsehjournalisten kausal ist f0r das politische Meinungsklima, dann schliel~t sich daran die von uns ernsthaft zu diskutierende Frage [...], was die Konsequenzen sind. Wenn wie im Herbst 1976 durch wenige Hunderttausend Stimmen der Wahlausgang in die eine oder andere Richtung entschieden wird, wenn weiter ein erheblicher Teil der W~hler [...] bis kurz vor dem Wahltag unentschieden ist, wenn schliel~lich [...] ein nicht unwesentlicher Teil dieser bis kurz vor dem Wahltag unentschiedenen W~hler aufgrund des ~ul~eren Meinungsklimas ihre Entscheidung treffen, dann ist es f0r den Wahlausgang zumindest von mitkausaler Bedeutung, ob und in welchem Umfang die Fernsehanstalten das Meinungsklima in der einen oder anderen Richtung beeinflussen. Dann mul~ die Frage gestellt werden, ob wir diesen Einflul~ als eine unvermeidbare Konsequenz der Kommunikationsgesellschaft zu akzeptieren haben. [...] Niemand kann die politischen Parteien daran hindern, diese Frage zu stellen. [...] Ihnen sind zweifellos die Arbeiten von Karl Deutsch gel~ufig. [...] Und er hat die, nach meiner Auffassung zutreffende [...] These aufgestellt, dal3 wesentliche Machtzentren dort liegen, wo die Kommunikationsprozesse zusammenlaufen, die Nervenknoten, von denen die Gesamtgesellschaft erhalten wird. [...] Es ist deshalb 0berhaupt keine Frage, dal~ diejenigen, die den Kommunikationsprozel~ und die Kommunikationsinhalte wesentlich beeinflussen, deshalb de facto Machttr~ger sind - ob sie das nun wollen oder nicht; sie kSnnen daran gar nicht vorbei." (Kurt Biedenkopf, Generalsekret~r der CDU, 1977, zit. nach Kaase 1989, S. 98)
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Offentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
Die Theorie Noelle-Neumanns hatte zugleich medienpolitische Folgen. Die in dem nachfolgenden Beispiel wiedergegebene Forderung des damaligen Generalsekret~irs der CDU, Kurt Biedenkopf, spiegelt sehr deutlich wider, dass Aussagen tiber die Bedeutung eines bestimmten Medientenors nicht nur als ein wissenschaftliches Ergebnis wahrgenommen werden. Die ,Indienstnahme' empirischer Befunde ffir politische Einsch~itzungen soll hier nicht weiter kommentiert werden. Insgesamt erscheint die theoretische Konstruktion der Schweigespirale t~berzeugender als die vorgelegten empirischen Befunde, die immer wieder Anlass zu Kritik gaben. Ungeachtet dieses Sachverhalts kann man bezt~glich der Erforschung der 6ffentlichen Meinung einen Kriterienkatalog bereitstellen, der als Orientierungsrahmen verwandt werden kann: 1. 1.
2.
3.
4.
5.
Im Rahmen einer Repr~isentativbefragung ist die individuelle Meinung der Bev61kerung zu dem jeweiligen Thema zu ermitteln. In Erg~inzung zu der Ermittlung des individuellen Meinungsklimas ist eine Einsch~itzung des Meinungsklimas in der Gesellschaft zu erheben. Die Befragten sollen also eine Einsch~itzung der Mehrheitsmeinung abgeben. Die Entwicklung einer Kontroverse muss beobachtet werden. Nach NoelleNeumann kommt es darauf an, dass man stets erkennt, welche Gruppierung bzw. welche Partei in einer 6ffentlichen und kontroversen, zudem moralische Aspekte bertihrenden Diskussion st~irker oder schw~icher wird. Zur Ermittlung von Redebereitschaft einerseits und Isolationsfurcht beziehungsweise Schweigetendenz andererseits ist die Simulation 6ffentlicher Situationen erforderlich. Dies macht den Einsatz entsprechender demoskopischer Instrumente (siehe n~ichste Seite) notwendig. Es muss t~berprtift werden, ob von dem untersuchten Thema tatsgchlich eine moralisierende bzw. emotionalisierende Wirkung ausgeht. Wenn dies nicht der Fall ist, greifen auch die von Noelle-Neumann als wichtig erachteten Gesetze der menschlichen Natur nicht. Wenn bestimmte Themen keinen Druck entfalten k6nnen, sind sie auch nicht in der Lage, Konformit~it zu forcieren. Der Medientenor ist zu ermitteln. Noelle-Neumann stellt die Frage: ,,Welche Seite unterstfitzen die einflul3reichen Medien?" (Noelle-Neumann 1996, S. 297) Eigentlich mfisste es heigen: Welche Medien bzw. welche Medieninhalte entfalten einen gr613eren Einfluss auf die Redebereitschaft derjenigen, die sich in ihren Argumenten positiv unters~tzt sehen und damit eher zum Reden und nicht zum Schweigen angehalten werden?
Dieser Kriterienkatalog erforderte die Entwicklung von Messinstrumenten, die in der Lage sind, das Verhalten in 6ffentlichen Situationen abzubilden. Daneben mussten Indikatoren gefunden werden, die in ad~iquater Weise die Wahrnehmung von Meinungsentwicklungen widerspiegeln k6nnen. Gerade hinsichtlich der El~robung
Offentlichkeit, Offentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
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demoskopischer Messinstrumente haben Noelle-Neumann und das von ihr geleitete Institut fOr Demoskopie Allensbach seit Ende der 1940er Jahre stets Experimentierfreude gezeigt. Zur Wahrnehmung des Meinungsklimas wurde beispielsweise ein dreistufiges Konzept entwickelt: 1. Erfragung der eigenen Meinung des Befragten, 2. Ermittlung des gegenw~irtigen Meinungsklimas (Wie denken die meisten Leute tiber das Thema ... ?), 3. Ermittlung der zuktinftigen Mehrheitsmeinung (Wie wird die Mehrheit wohl in einem Jahr tiber das Thema ... denken?). Dieses Instrumentarium diente der Feststellung der Feldst~irke von Meinungen (vgl. Noelle-Neumann 1980, S. 27 sowie Noelle-Neumann 1996, S. 23ff.). Angesichts des Stellenwerts von Redebereitschaft bzw. Isolationsfurcht kommt der Entwicklung von Instrumenten, die 6ffentliche Kommunikationsbereitschaft anzeigen k6nnen, eine besondere Bedeutung zu. Hervorzuheben ist der sogenannte Eisenbahn-Test, der das Redeverhalten in kleinen Offentlichkeiten, die sich tiber einen begrenzten Zeitraum zusammenfinden, messen soll. Als Befragter im Rahmen eines demoskopischen Interviews wird man in die Situation einer Eisenbahnfahrt versetzt, in der ein Mitreisender seine Meinung zu einem bestimmten Thema ~iul3ert. An dieser Stelle wird ein kontroverses Thema platziert, von dem angenommen werden kann, dass es zu unterschiedlichen Auffassungen in der BevNkerung gefOhrt hat. Ftir das Ausmaf3 der Redebereitschaft ist nun entscheidend, ob der Befragte sich in dieser Situation gerne mit seinem Gegentiber unterhalten m6chte oder darauf keinen grogen Wert legt. Die Antworten auf diese Frage lassen sich dann mit der pers6nlichen Meinung des Befragten in Verbindung bringen und gestatten m6glicherweise Rtickschltisse auf das Ph~inomen der Isolationsfurcht einerseits oder der verst~trkten Redebereitschaft andererseits. Dass l~ingere Eisenbahnfahrten (im Fragetext wurde h~iufig von einer fOnfsttindigen Eisenbahnfahrt gesprochen) eine eher seltene und ungew6hnliche Begebenheit sind, hat Noelle-Neumann in sp~iteren Arbeiten als eine h~iufiger ge~iul3erte Klage bezeichnet (vgl. Noelle-Neumann 1996, S. 317). Als Alternative wurde beispielsweise eine fOnfsttindige Busreise vorgeschlagen, die auf einem Rastplatz unterbrochen wird und Anlass zu Gespr~ichen gibt. Eine weitere Simulation von Redebereitschaft erprobten beispielsweise Donsbach und Stevenson. Sie simulierten im Interview eine Situation, in der ein Fernsehreporter Fragen zu heiklen Themen stellte. Der Befragte hatte dann anzugeben, ob er bereit ist, sich zu diesen Themen zu ~iul3em oder nicht (vgl. Donsbach/Stevenson 1986). Eine weitere Variante pr~isentierte Neuwirth, der die Redebereitschaft wie folgt ermittelte: ,,Now I would like you to imagine that you were at a party where the people begin to say things against [...]. How likely is it that you would enter the conversation [...]." (2000, S. 159) Basis ist eine empirische Untersuchung, die bereits 1982 in Mexiko durchgefohrt wurde. Petri~ und Pinter testeten die Schweigespirale in einer slowenischen Untersuchung und w~ihlten als Vorgabe unter anderem: ,,Imagine a company of unknown people (e.g. in a waiting room ...)" (2002, S. 51) Gmnds~itzlich versucht diese Kontroverse eine Antwort auf die Frage zu finden, ob
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die kurzfristige Konfrontation mit einem bestimmten Meinungsklima eine valide Messung von Artikulationsbereitschaft sein kann (vgl. auch die Meta-Analyse von Glynn/Park 1997). Ftir Noelle-Neumanns Theorie ist wichtig, dass auf ein enges Verst~indnis von Reden und Schweigen verzichtet wird. Wenn man sich lediglich an der Bereitschaft zur verbalen Artikulation von Meinungen orientiert, reduziert man das mannigfaltige Beobachtungsfeld der sozialen Wirklichkeit. Jede Form der Offentlichen Pr~isentation kann Einfluss auf die Wahrnehmung der Feldst~irken bestimmter Meinungen und Einstellungen nehmen. Reden heiBt somit im weiteren Sinne: Sichtbarmachen der eigenen Auffassung, Schweigen bedeutet hingegen R~ckzug aus dem 6ffentlichen Raum. Eigentlich wollte Noelle-Neumann nach Abschluss ihrer Dissertation im Jahr 1939 nichts mehr mit ,,6ffentlicher Meinung" zu tun haben (vgl. Noelle-Neumann 2006, S. 245). Dieser Rtickzug war, wie die Ausflihmngen verdeutlicht haben, nur vortibergehend. Als sie am 9. Dezember 1965 ihre 6ffentliche Antrittsvorlesung an der Universit~it Mainz hielt, hatte sie das Thema wieder eingeholt. Der Titel lautete: ,,Offentliche Meinung und soziale Kontrolle" (vgl. Noelle 1966). - R e d e n und Schweigen. K o n t r o v e r s e n u m die Theorie der S c h w e i g e s p i r a l e :
Als Donsbach im Jahr 1987 einen Oberblicksbeitrag zur Theorie der Schweigespirale vorlegte, wies er in seinem abschlieBenden Kapitel auf zwei Bereiche hin, die zukiinftig besondere Aufmerksamkeit erfahren sollten: ,,1. die KRimng der jeweiligen ,,Wirkungsanteile" von Massenmedien, anonymer 0ffentlichkeit und Bezugsgruppen ffir Umweltwahmehmung und Isolationsfurcht des Individuums und 2. die Kliirung der soziologischen und psychologischen Komponenten des Meinungsklimas." (Donsbach 1987, S. 340) Der erste Hinweis bezieht sich auf die Bestimmung des Medientenors und die Reaktionen der Offentlichkeit. Die Unterscheidung psychologischer und soziologischer Komponenten des Meinungsklimas ist auf das Spannungsverh~iltnis von Individuum und Gesellschaft gerichtet und auf den Stellenwert unterschiedlicher Meinungsfraktionen ftir die Urteilsbildung. Da sich weder die Struktur moderner Gesellschaften noch die Struktur modemer Mediensysteme als homogen darstellen, 6ffnet sich jede Theorie, die in diesen Bereichen eine einheitliche Beobachtbarkeit unterstellt, der Kritik. Welche Konstellationen sich hinsichtlich des Zusammenhangs von Medientenor und Bev/51kerungsmeinung ergeben k6nnen, soll kurz erRiutert werden. Dabei wird jeweils nach konsonant/dissonant differenziert:
Medientenor konsonant/Bev6lkerungsmeinung konsonant = Medientenor und Bev~lkerungsmeinung stehen im Einklang. Aufgrund eines einheitlichen Meinungsklimas kann es beztiglich des relevanten Themas keine Kontroverse geben, ftir die Entwicklung einer Schweigespirale werden keine Impulse gegeben.
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Medientenor konsonant/Bev6lkerungsmeinung dissonant = Wenn sich der Me-
dientenor hinsichtlich eines Themas als homogen erweist, die BevNkemng aber kontrovers fiber dieses Thema diskutiert, kann das Wirkungspotential der Massenmedien gering und die direkte Umweltwahrnehmung entscheidend sein. Wenn sich aus dieser Konstellation hingegen eine ,Schweigespirale' entwickelt, hat die Redebereitschaft derjenigen zugenommen, die mit dem in den Medien dominierenden Tenor fibereinstimmen. Medientenor dissonant/BevOlkerungsmeinung konsonant = Wenn durch die Angebote der Massenmedien unterschiedliche ,Meinungsfelder' bedient werden, die Bev61kerungsmeinung sich aber dennoch homogen darstellt, gleicht sich der Einfluss des Medientenors auf die Redebereitschaft aus. Es ist aber durchaus m6glich, dass sich ,einflussreiche Medien' durchsetzen. Medientenor dissonant/Bevdlkerungsmeinung dissonant = Eine unterschiedliche Medienberichterstatmng und eine kontroverse Bev61kerungsmeinung k6nnen zwar ebenfalls Ausgangspunkt far die Entstehung einer ,Schweigespirale' sein. Zun~ichst wfirde man aber Pluralismus konstatieren.
Jede der hier zum Zwecke der Veranschaulichung konstruierten Kombinationen liege sich weiter differenzieren und unterstreicht die Notwendigkeit, die vonder Theorie vorgegebene Abstraktion durch empirische Detailanalysen zu untermauem. Dies gilt sowohl far Aussagen hinsichtlich des Medientenors als auch bezfiglich der Bedeutung individueller und perzipierter Meinungen far die Redebereitschafi. Hinsichtlich des zuletzt genannten Aspekts sollen im Folgenden zwei Untersuchungen exemplarisch kommentiert werden. Scherer fiberprfifte in einer umfangreichen Untersuchung des Faktors ,Redebereitschaft', wie homogen dieses Merkmal in der Bev61kemng verteilt ist. Bereits Noelle-Neumann hatte darauf hingewiesen, dass die Redebereiten keine homogene Gruppe darstellen. Redebereitschaft kann insofern als eine kontinuierliche Variable aufgefasst werden. Im Hinblick auf die bereits dargestellte Theorie der Meinungsfahrerschaft w~ire es auch nicht fiberzeugend davon auszugehen, dass die jeweils perzipierte Mehrheitsmeinung bei allen Personen identische Reaktionen ausl6st. Gerade Meinungsfahrer mfissen in diesem Prozess eine bedeutende Funktion einnehmen. Daneben hatte Noelle-Neumann bereits auf das Ph~inomen der ,Avantgarde' und des ,harten Kerns' hingewiesen. Ffir beide Gruppen ist wichtig, dass sie sich nicht von der 6ffentlichen Meinung beeinflussen lassen. W~ihrend die Avantgarde Pionierfunktionen fibemehmen kann und zukunftsorientiert ist, gilt der harte Kern als rigide und an vergangenen Auffassungen orientiert oder einer ,,~iugerst fernen Zukunfi zugewandt" (Noelle-Neumann 1996, S. 248). Um diesen unterschiedlichen Reaktionen gerecht zu werden, fahrte Scherer den Begriff ,Involvement' ein und versuchte die subjektive Relevanz des jeweiligen Themas fiber dieses Konstrukt zu bfindeln (vgl. Scherer 1992, S. 107f.). Involvement repr~isentiert die Identifikation
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Offentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
mit einem Thema. Je st~irker das erkennbare Engagement, desto geringer ist die Tendenz bzw. Bereitschaft, sich anderen Meinungen anzuschliegen. Zur Illustration dieser Annahme wurde ein moralisches und emotionalisiertes Thema herangezogen: die Volksz~ihlung 1987. Die Redebereitschaft wurde mit Hilfe des Eisenbahn-Tests ermittelt. Bereits dieser Test verdeutlichte, dass die Redebereitschaft derjenigen, die sich einer Minderheit zugeh6rig fahlten, gr613er war als die Redebereitschaft jener, die sich mit der Mehrheit in Einklang sahen. Jene Gruppe, die sich weder der Mehrheit noch der Minderheit zuordnen und somit ihre eigene Position in dem relevanten Kommunikationsraum nicht bestimmen konnte, war die am wenigsten redebereite Gruppe. Man k6nnte auch sagen: Aufgrund innerer Widersprache ist diese Gruppe in ihrer Kommunikationsbereitschaft blockiert. Grunds~itzlich nimmt die Redebereitschaft zu, wenn man sich in 121bereinstimmung mit Freunden und Bekannten (Bezugsgruppe) befindet. Den entscheidenden Einfluss aber schreibt Scherer dem Ausmal3 des Involvements mit dem Thema Volksz~ihlung zu. Gerade Minderheiten, die sich durch ein hohes Involvement auszeichnen, zeichnen sich durch die gr613te Redebereitschaft aus. Daher wird von einem Missionarseffekt gesprochen, der dem Schweigespiraleffekt entgegenwirkt (vgl. Scherer 1992, S. 120f.) Schweigen ist vor allem dann beobachtbar, wenn sich Menschen von dem Thema nicht betroffen fahlen. Dies fahrt zu einer Situation, in der schweigende Mehrheiten einer lauten Minderheit gegen(iberstehen. Insofern legt die Studie von Scherer nahe, zukfinftig das Ph~inomen der Schweigespirale auch im Gesamtkontext der politischen Partizipation zu verankern. Mit der Bedeutung der Bezugsgruppenmeinung far die 6ffentliche Redebereitschaft hat sich insbesondere eine Untersuchung von Fuchs u.a. besch~iftigt. Es sollte ~iberprfift werden, ob eine Vernachl~issigung der Bezugsgruppen im Hinblick auf die 6ffentliche Kommunikationsbereitschaft gerechtfertigt ist. Gerade eine Besch~iftigung mit der Bezugsgruppentheorie kann zu dem Ergebnis fahren, dass die unmittelbare Umgebung, also jene Menschen, mit denen man t~iglich Kontakt hat, einen gr613eren Einfluss auf das Verhalten in 6ffentlichen Situationen nimmt als ein anonymes Ph~inomen, das als 6ffentliche Meinung bezeichnet wird. Mit anderen Worten: Warum sollte eine unbestimmte Offentlichkeit so bestimmend sein? Die Studie orientierte sich an den v o n d e r Theorie der Schweigespirale vorgegebenen Kriterien und wandte diese auf das Thema ,Asylantenproblematik' an. In einem ersten Schritt wurde der Nachweis erbracht, dass der Einfluss anonymer Offentlichkeiten auf die Redebereitschaft zu vernachl~issigen ist. Weder die 121bereinstimmung noch die Abweichung von einer perzipierten ver6ffentlichten Meinung nahmen einen signifikanten Einfluss auf diesen Faktor. W~ihrend Noelle-Neumann die Bezugsgruppenmeinung als eine nicht-ad~iquate Operationalisierung von 6ffentlicher Meinung betrachtet, versuchten Fuchs u.a. die Bedeutung dieser perzipierten Bezugsgruppenmeinung far die Kommunikationsbereitschaft zu t~berprfifen. Ihre Begrfindung dafar lautete wie folgt: ,,Im Einklang mit sozialpsychologischen Theorien
0ffentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
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[...] kann man vermuten, dag die Isolationsangst besonders bei konkreten Bezugsgruppen eine relevante Gr6ge darstellt, weniger bei abstrakten Kollektiven, wie dies die Massenmedien oder die Bev61kemng insgesamt darstellen." (Fuchs u.a. 1992, S. 291) Diese Annahme wurde durch die empirischen Befunde best~itigt. Die Redebereitschaft der Konsonanten, also jener, die sich durch eine Obereinstimmung ihrer Meinung mit der perzipierten Bezugsgruppenmeinung auszeichnen, ist deutlich gr6ger als diejenige der Dissonanten. in der Diskussion der Befunde wurde Kritik an der Validit~it demoskopischer Instrumente getibt, insbesondere am Eisenbahn-Test. Um die Relevanz konkreter Bezugsgruppen zu unterstreichen, bemerkten Fuchs u.a.: ,,Konsens oder Dissens erscheinen im Rahmen dieser fltichtigen Begegnung als folgenlos: Man steigt sowieso bald wieder aus und sieht sich nicht wieder." (Fuchs u.a. 1992, S. 294) Diese Hervorhebung fagt sich ein in den Nachweis von ,mediating f a c t o r s '74, die den direkten Einfluss der Massenmedien begrenzen k6nnen. Abbildung 9.3
Offentliche Meinung als Resultat von Redebereitschaft Konkrete I Bezugsgruppen als I Offentlichkeiten
J \
kontroverses " ~ I': Zhema / / ~ ~ ~ ~ 1
2 I,. v~
Pers6nliche Re~hanzdes
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e':n'se:n i raalSI/o', Medientenor als
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Zeitachse
1 = Die Pfeile sollen veranschaulichen, dass die Medienberichterstattung einen gr5Eeren Einfluss auf die Diskussion in Bezugsgruppen nehmen wird als umgekehrt. 2 = Der Doppelpfeil soil verdeutlichen, dass die Redebereitschaftdes Individuums immer in konkreten Offentlichkeiten praktisch wird. 3 = Konsonanz erh6ht, Dissonanz mindert die Redebereitschaft.
Quelle: Eigene Erstellung 74 Siehe hierzu auch die Ausftihrungen in Kapitel 3.
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0ffentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
Insgesamt ergeben diese Einw~inde keine v611ig neue Theorie. Der Kern der Theorie der Schweigespirale ist ein sozialpsychologisches Verhaltensmodell, das nicht eine Gesellschaft der Individuen unterstellt, sondern Individuen, die sich der Tatsache der Gesellschaft bewusst sind. Abbildung 9.3 fasst die vorangegangenen Ausfahrungen zusammen.
9.5 Die Fragmentierung der Offentlichkeit. Konsequenzen der Medienentwicklung Die Darstellung der Theorien von Habermas, Luhmann und Noelle-Neumann sollte verdeutlichen, dass Offentlichkeit in unterschiedlichem MaBe zu einer relevanten Bezugsgr6Be gesellschaftlichen Handelns werden kann. Allen Theorien ist gemeinsam, dass sie sich der Unsch~irfe des zu analysierenden Ph~inomens bewusst sind, die Pr~isenz in diesem 6ffentlichen Raum aber far unverzichtbar halten. Zugleich wird auf eine im engeren Sinne inhaltliche Bestimmung von Offentlichkeit und 6ffentlicher Meinung verzichtet, weil sich die Konstitutionsregeln einerseits und die Wirkungsmechanismen andererseits nicht an den Spezifika eines bestimmten Themas orientieren. Wohl auch deshalb bevorzugen Gerhards und Neidhardt ein systemtheoretisches Modell, in dem Offentlichkeit als ein wichtiger Teil funktional differenzierter Gesellschaften angesehen wird. Diese zugeschriebene Relevanz l~isst sich an einem Drei-Ebenen-Modell erl~iutern (vgl. Gerhards/ Neidhardt 1991, S. 49ff.): Ebene 1: Einfacher Typ von Kommunikationsprozessen, der durch das mehr oder weniger zuf'Nlige Zusammentreffen von zwei oder mehr Akteuren zustande kommt und episodenhaft bleibt, weil es sich (h~iufig) um flfichtige Begegnungen handelt. Luhmann spricht diesbezt~glich auch von einer Kommunikation au trottoir. Es kommt nicht zu einer Ausbildung dauerhafter Strukturen. Ebene 2: Veranstaltungen, die thematische Vorgaben machen und organisatorisch-inhaltliche Differenzierungen aufweisen: Programme, Redner, Leiter, Auditorium usw. Ein unterstellbares Themeninteresse reduziert die Zuf~illigkeit der Teilnahme, freie Zug~inglichkeit variiert in Abh~ingigkeit vom Organisationstypus (offene/geschlossene Veranstaltungen, Eintrittsgeld usw.). Ebene 3: Die Konstitution yon Offentlichkeit ist nicht an die Anwesenheit der Beteiligten gebunden, sondern an die prinzipielle Offenheit des Ubertragungsbzw. Vermittlungsmediums. Die Massenmedien erm6glichen die Erreichbarkeit eines dispersen Publikums. Die h6chste Leistungsf'~ihigkeit im Hinblick auf Informationssammlung, -verarbeitung und-anwendung ist in diesem Modell der dritten Ebene zuzuordnen. Dar-
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aus ergibt sich auch ein besonderer Stellenwert der damit potenziell m6glichen Offentlichkeit: Diese stellt ein ,,intermedi~ires System [dar], dessen politische Funktion in der Aufnahme (Input) und Verarbeitung (Throughput) bestimmter Themen und Meinungen sowie in der Vermittlung der aus dieser Verarbeitung entstehenden 6ffentlichen Meinungen (Output) einerseits an die Bt~rger, andererseits an das politische System besteht." (Gerhards/Neidhardt 1991, S. 34f.) Die Offentlichkeit ist somit Empf~inger, Verarbeiter und Vermittler von Meinungen. Entscheidend ist, dass die angebotenen Themen Anschlusskommunikationen ausl6sen (siehe hierzu auch den Beispieltext auf der n~ichsten Seite). Immer dann, wenn dies geschieht, breiten sich diese Aussagen ,,in eine unt~bersehbare Umwelt" (Gerhards/Neidhardt 1991, S. 45) aus. Letzteres erfordert die Zwischenschaltung von Massenmedien, da diese aus einer Kommunikation unter Anwesenden auch eine Kommunikation mit Abwesenden macht. Sobald sich dieser Austausch auf sehr spezifische Informationen beziehungsweise Fachwissen konzentriert, ergeben sich Konsequenzen far die jeweils ad~iquate Ansprache des Zielpublikums. Wenn Politiker zueinander sprechen (z.B. in Ausschfissen, Gremien) oder Experten bestimmte Sachprobleme in Kommissionen analysieren, geschieht dies in der Regel nicht-6ffentlich. Wenn die dort erarbeiteten Ergebnisse der Offentlichkeit pr~isentiert werden, ergibt sich die Notwendigkeit einer Transformationsleistung sehr komplexer Sachverhalte auf nachvollziehbare Ergebnisse. Je nach Wissensstand der Bev61kerung kann dies als Unterforderung oder Uberforderung erlebt werden. In jedem Falle meinen Gerhards und Neidhardt, dass diese Notwendigkeit der Laienkommunikation zu einem Kernbestandteil jeder Form 6ffentlicher Kommunikation geh6ren muss: ,,Journalisten, Pressesprecher, Public-Relation-Profis sind in den Expertenrollen des Offentlichkeitssystems auf diese Art Kommunikation spezialisiert. Wer die Laienorientierung des Offentlichkeitssystems nicht beachtet, kommt nicht an." (Gerhards/Neidhardt 1991, S. 46f.) Die Konsequenz aus Offenheit und Laienorientierang bleibt nicht ohne Folgen far die Art und Weise der Informationspr~isentation. Dieser Aspekt ist unter verschiedenen Vorzeichen diskutiert worden. Mt~nch hat beispielsweise mit seiner Unterscheidung yon 6ffentlicher Makrokommunikation und nicht6ffentlicher auf die Konsequenzen von Darstellungszw~ingen hingewiesen. Wenn ausschliel31ich im 6ffentlichen Raum agiert wird, ist die Dominanz von Darstellerrollen unausweichlich. Offentliche Kommunikation, so Mfinch, ,,ben6tigt daraber hinaus einen breit gef'~icherten und tief gestaffelten Unterbau der nicht6ffentlichen Kommunikation, in der die Kontrahenten der 6ffentlichen Kommunikation unmittelbar in das Gespr~ich miteinander kommen kOnnen." (Mfinch 1995, S. 104f.) Wenn jedes Wort kalkuliert und jede AuBerung die Reaktion eines anonymen Publikums antizipiert, wird Verst~indigung erschwert. Mit anderen Worten: Wenn nur Laienkommunikation betrieben wird, kOnnen auch nur laienhafte Ergebnisse das Resultat sein. In diese Argumentation fagt sich eine weitere Kritik, die auf einen nicht-intendierten Effekt der gerade beschriebenen Transformationsleistung hinweist: Entpolitisierung.
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Offentlichkeit, 6ffentliche Meintmg und die Bedeutung der Medien
F e r n s e h e n - eine S c h u l e s o z i a l e r I n t e l l i g e n z ?
,,Im Medium von Tratsch und Klatsch beobachten wir die soziale Komplexit&t unserer Welt und trainieren so unsere soziale Geschicklichkeit. Wer hat was mit wem? Statt also, wie es die Vertreter der Gutenberg-Galaxis ganz selbstverst~ndlich unterstellen, die Massen zu verblSden, funktioniert Fernsehen als Schule der sozialen Intelligenz. Was soil ich glauben? Was kann ich hoffen? Was darf ich begehren? Die Antworten darauf gibt die gute Unterhaltung in den Massenmedien, die uns mit einem Set von 0berzeugungen und WQnschen versorgen. Das ist der praktische Humanismus des Fernsehens. Es leistet konkrete Lebenshilfe bei der Flucht aus der Komplexit~t. Vorm Fernseher und im Kino haben wir gelernt, was uns keine Schule und kein Elternhaus beibringen konnte: So also geht man mit Frauen um; so funktioniert die Welt; das ist GIQcM Das war und ist die Welt der Stars, die Geburt der gro&en GefQhle von Ruhm und E h r e - und naterlich der demokratische Mythos des Erfolgs. Was man von Film und Fernsehen derart lernen kann, nennen Anthropologen ,,behavioral literacy .... (Bolz 2004, S. 18f.)
Der darin enthaltene Vorwurf zielt auch auf eine mangelnde Vermittlungsleistung der Massenmedien, insbesondere des Femsehens (siehe hierzu insbesondere Saxer 2007, S. 51ff.). Dahrendorf hatte den Massenmedien die wichtige Funktion einer Gelenkstelle zwischen aktiver und passiver Offentlichkeit zugeschrieben (vgl. Dahrendorf 1986, S. 59 und 64), da sich niemals groge Teile der Gesellschaft politisch aktiv an der L6sung von Problemen beteiligt haben. Wenn dies die Zielgruppe von Laienkommunikation ist, dann hat sich nach Oberreuter Folgendes ereignet: ,,Die Ausbreitung des Fernsehens hat die Menschen nur ,anpolitisiert'; sie hat sie nicht ad~quat informiert und interessiert. Diese Tendenz auf Seiten der Rezipienten l~iuft kontr~ir zur politischen Wirklichkeit, in der zur BewNtigung der Probleme immer mehr Rationalit~it und Kompetenz verlangt wird." (Oberreuter 1987, S. 83) Die Reduktion auf typische Medienformate (Pressekonferenzen, h~indeschtittelnde Politiker usw.) und zeitliche Restriktionen (Dauer des Beitrags, L~inge der Sendung) spiegeln ein verkt~rztes Bild von Politik wider, welches der Komplexit~it dieses Handlungsfeldes nicht gerecht wird. Insbesondere Personen, die ihre politischen Informationen vorwiegend aus dem Fernsehen erhalten, entwickeln infolge dessen ein negativeres Bild von der Politik als jene, die sich (auch) auf andere Informationsquellen, zum Beispiel die Tageszeitung, stfitzen. Dieser Sachverhalt, der auch mit dem einpr~igsamen Begriff ,Videomalaise' (Holtz-Bacha 1989) beschrieben wurde, mag eine nur
0ffentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeutung der Medien
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unzureichende Beschreibung der Ursachen wiedergeben - als 6ffentlichkeitswirksam hat er sich allemal erwiesen. Im Zuge einer Offnung des Massenkommunikationssystems in der Bundesrepublik Deutschland und einer damit einher gehenden Vermehrung der Unterhalmngsoptionen wurde zum Beispiel auch die Oberlegung eingebracht, ob nicht der Begriff ,Unterhaltungsmalaise' eine ad~iquatere Erkl~imng beinhalte. Holtz-Bacha hat diesbezfiglich die folgende Erl~iuterung gegeben: ,,[D]ie Vorliebe far unterhaltende Medienangebote steht im Zusammenhang mit bestimmten soziodemographischen Faktoren (Bildung, politisches Interesse) und verbindet sich mit einer Abkehr vonder Politik. Oder noch einfacher: Je mehr Unterhaltung genutzt wird, je unterhaltsamer die Politik pr~isentiert wird, desto gr6Ber ist die Chance zu einer Abkehr vonder Politik." (Holtz-Bacha 1994, S. 190) Umgekehrt dfirfte es nicht unwahrscheinlich sein, dass gerade eine unterhaltsamere Pr~isentation von Politik diese far Publikumsschichten ge6ffnet hat, die sich diesen Themenbereichen vormals nur mangels Alternativen zugewendet haben. Diese Entwicklung kann einer Transformationsleismng zugeschrieben werden, die sich nicht an einer strengen Trennung von Information und Unterhalmng orientiert hat. Folgt man den Analysen von Ludes, dann kann entlang der Dimensionen Information und Unterhalmng eine zentrale Trennungslinie durch moderne Offentlichkeiten gezogen werden. Die damit einher gehende Spaltung sei bereits in den 1980er Jahren eingeleitet worden und habe sich in einem neuen Typus von ,,InfotainmentOffentlichkeit" (Ludes 1993, S. 80) manifestiert. Noch weiter gehen Oberlegungen, die eine Fragmentierung des Publikums und die zunehmende Entstehung von TeilOffentlichkeiten prognostizieren. Parallel zu einer weiteren Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften vollziehe sich eine Ausdifferenzierung der Medienangebote, mit der Konsequenz, dass die Offenheit der Kommunikationsangebote infolge einer gezielten Inanspruchnahme einen nur noch begrenzten Wirkungsradius erfahre. Schulz spricht zum Beispiel von ,,einer Aufspaltung in eine Vielzahl gegeneinander abgeschotteter Teil- und Unterforen." (Schulz 1993, S. 24) Der empirische Nachweis dieser ,Spaltungstheorie(n)' ist noch zu leisten vs. Jenseits der dort artikulierten und ausgetauschten spezifischen interessen bleibt den Massenmedien nach wie vor die Aufgabe vorbehalten, Offentlichkeit far Themen herzustellen, die mal diese, mal jene soziale GroBgruppen betreffen. Letztlich entscheidet eine darauf bezogene Anschlusskommunikation darfiber, ob Massenmedien ihren Integrationsauftrag erfallen k6nnen oder nicht. Angesichts der Unbestimmtheit der Entwicklung in vielen Bereichen des 6ffentlichen Lebens kommt diesem Auftrag und der damit verbundenen Notwendigkeit von Selektionen eine wachsende Bedeutung zu. Trotz einer Zunahme der Anbieter und einer gelegentlich beunruhigenden Ausweimng des Themenspektrums haben moderne Gesellschaften 75 Siehe hierzu auch die Ausftihrungen in Kapitel 12.
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Offentlichkeit, 6ffentliche Meinung und die Bedeumng der Medien
noch nicht den Sinn Nr Aspekte verloren, die von allgemeiner Bedeumng sind. Dort, wo sich das Spezifische als Allgemeines ausgibt, ist die Reaktion der 6ffentlichen Meinung gewiss.
Bentele, Giinter; Haller, Michael (Hrsg) (1997): Aktuelle Entstehung von (3ffentlichkeit. Akteure-Strukturen-Ver~inderungen. Konstanz. (Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft far Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Bd. 24). Neidhardt, Friedhelm (Hrsg) (1994): ()ffentlichkeit, 0ffentliche Meinung, soziale Bewegungen. Opladen. (Sonderheft 34 der KNner Zeitschrift ~ r Soziologie und Sozialpsychologie). Price, Vincent (1992): Public Opinion. Newbury Park usw. Saxer, Ulrich (2007): Politik als Unterhaltung. Zum Wandel politischer 13ffentlichkeit in der Mediengesellschaft. Konstanz.
10 Das Medium und die Botschaft: die Bedeutung des Verbreitungsmediums
10.1 Das M e d i u m ist die Botschaft. A n m e r k u n g e n zu M c L u h a n
Wer die allt/~gliche Kommunikation t~ber Medien sorgf~iltig verfolgt, stellt fest, dass dort h~iufig undifferenzierte Urteile dominieren. Trotz einer Vielzahl gedruckter und audiovisueller Angebote neigt man dazu, den Medien eine Verantwortung far bestimmte Entwicklungen zuzuschreiben. Kaum jemand wird dabei an das Medium an sich denken, sondern einen diffusen Gesamteindruck artikulieren, der aus der Kenntnis bestimmter Angebote resultiert. Die viel zitierte Aussage des kanadischen Kommunikationswissenschaftlers Marshall McLuhan (1911-1980) verdankt ihre Formulierung einer anderen Sichtweise: ,,The Medium is the Message" meint, dass dem jeweils verwandten Kommunikationsmittel eine zentrale Bedeutung beziiglich der Wirkung der jeweiligen Aussagen zukommt. Da solche Feststellungen sehr rasch den Charakter eines Slogans annehmen, bleibt die Einordnung als merkwt~rdige Behauptung nicht aus. Zugleich lenkt diese Beurteilung vom Kern des Problems ab. Im Folgenden sollen Theorien im Vordergrund stehen, die die Bedeutung des Mediums fiber die Bedeutung des Inhalts stellen und damit eine andere Antwort auf die Frage ,,Was machen die Medien mit den Menschen?" geben. Obwohl auch in diesen F/illen eine medienzentrierte Sichtweise erkennbar ist, orientieren sich die Antworten weniger an der Wirkung spezifischer Stimuli. Bevor diese Differenz am Beispiel der Theorien von Meyrowitz und Postman verdeutlicht wird, sollen McLuhans Vorstellungen kurz erl~iutert werden. Als sich Umberto Eco mit McLuhans Theorie auseinander setzte, bem/ingelte er insbesondere deren Vieldeutigkeit, die eine eindeutig identifizierbare Kommunikationstheorie vermissen lasse und in einer undifferenzierten Verwendung des Begriffs ,Medium' ihre entscheidende Schw/~che zeige. Dieses Unbehagen wird unter anderem wie folgt illustriert: ,,In Wirklichkeit leidet die ganze Theorie McLuhans an einer Reihe von Unklarheiten, die far einen Kommunikationstheoretiker sehr gravierend sind, da sie die Unterschiede zwischen Kanal und Code und Botschafi verwischen. Zu sagen, sowohl die Strage wie die gesprochene Sprache seien Medien, heil3t einen Kanal mit einem Code vermengen. Zu sagen, sowohl die euklidische Geometrie wie die Kleidung seien Medien, heigt einen Code (Art und Weise, die Erfahrung zu formalisieren) auf die gleiche Stufe zu stellen wie eine Botschaft (eine Art und Weise, mit Hilfe von Kleiderkonventionen etwas auszud~cken, einen Inhalt zu (ibermitteln)." (Eco 1985, S. 260) Die Kritik beschreibt den Preis einer Theorie, die umfassend sein und die Ver~inderung der Welt mit dem Aufkommen neuer Me-
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Das Medium und die Botschaft: die Bedeutung des Verbreitungsmediums
dien in Verbindung bringen m6chte. McLuhan denkt dabei nicht nur an Medien, die der Informationst~bertagung dienen. Die Erl~iuterung der Aussage ,Das Medium ist die Botschaft' beginnt mit einem Hinweis auf die Folgen der Automation im technischen Bereich. Ob eine Maschine nun ,,Cornflakes oder Cadillacs produziert" (McLuhan 1968a, S. 13) sei far die daraus resultierenden Ver~inderungen der menschlichen Arbeit ,,vollkommen gleichg~ltig" (McLuhan 1968a, S. 13). Diese Entschiedenheit provoziert selbstverst~indlich Kritik. L~isst man aber diese provokatorischen Absichten beiseite, dann soll mit dem Satz ,Das Medium ist die Botschaft' insbesondere Folgendes ausgedrfickt werden: ,,[...] dab die pers6nlichen und sozialen Auswirkungen jedes Mediums - das heil3t jeder ,Ausweitung unserer eigenen Person' - sich aus dem neuen Mal3stab ergeben, der durch jede Ausweitung unserer eigenen Person oder durch jede neue Technik eingefahrt wird." (McLuhan 1968a, S. 13).
Mit oder ohne Ton?
,,I liked them [the movies] in the way that everyone else did - as diversions, as animated wallpaper, as fluff. No matter how beautiful or hypnotic the images sometimes were, they never satisfied me as powerfully as words did. Too much was given, I felt, not enough was left to the viewer's imagination, and the paradox was that the closer movies came to simulating reality, the worse they failed at representing the world - which is in us as much as it is around us. That was why I had always instinctively preferred black-and-white pictures to color pictures, silent films to talkies. Cinema was a visual language, a way of telling stories by projecting images onto a two-dimensional screen. The addition of sound and color had created the illusion of a third dimension, but at the same time it had robbed the images of their purity. They no longer had to do all the work, and instead of turning film into the perfect hybrid medium, the best of all possible worlds, sound and color had weakened the language they were supposed to enhance." (Auster 2002, S. 14)
Aber was bedeutet in diesem Zusammenhang die Formulierung ,,Ausweitung unserer eigenen Person"? Es kann nur bedeuten, dass neue Technologien K6rper und Sinne erweitern. Die Kamera l~isst sich beispielsweise als eine Erweiterung des Auges und das Radio als eine Erweiterung des Ohrs interpretieren (vgl. Macrone 1996, S. 242). Wahrnehmung ist somit das Resultat des Zusammenspiels der Sinne und jede neue (Medien-)Technik erzeugt neue Wahrnehmungsmuster. Wenn diese Medien zu Bestandteilen des Alltags werden, ver~indern sie nicht nur das Wahrnehmungsspektrum, sondern auch die Art und Weise, wie wir uns in unterschiedlichsten
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Situationen verhalten. Eine sehr anschauliche Beschreibung dieses Grundanliegens der Medium-Theorien findet sich im Roman ,,The Book of Illusions" von Paul Auster (siehe vorangegangenen Beispieltext). Je perfekter das Kino die Realit~it zu simulieren versuchte, desto entt~iuschender wird bei Auster das Resultat beurteilt. Ein weiteres Beispiel k6nnte die Differenz zwischen einem Roman und seiner Verfilmung sein. W~ihrend des Lesens, so Iser, sei es gerade die Undeutlichkeit des Vorstellungsbildes, die uns zu Kompositionsaktivit~iten veranlasse. Optische Genauigkeit fahre zu einer Verarmung auf dieser Empfindungsebene (vgl. Iser 1990, S. 225). Dieser E f f e k t - das sei hier erg~inztsetzt wohl voraus, dass beide Varianten bekannt sind. Ebenso werden aber schauspielerische Darstellungen selten einheitlich wahrgenommen, unabh~ingig davon, ob der Roman(-held) nun bekannt ist oder nicht. Diese Einw~inde berfihren bereits die Stringenz der Argumentation im Kontext der Medium-Theorien, die noch zu er6rtern sein wird (siehe unten). Die angedeutete Wechselwirkung von Medium und Wahrnehmung l~isst sich anhand einer Periodisierung der Menschheitsgeschichte illustrieren, wie sie von McLuhan vorgelegt wurde. In seinem Modell unterscheidet er drei wichtige Perioden, die durch verschiedene Zust~inde des Bewusstseins und verschiedene Formen der sozialen Organisation gekennzeichnet werden k6nnen: 9
9
9
Die Phase der mt~ndlichen 121berlieferung: In dieser Gesellschaft, die auch als orale Gesellschaft bezeichnet wird, dominiert eine geschlossene Wahrnehmung der Umwelt. Informationsaufnahme ist in der Regel das Resultat unmittelbarer Wahrnehmung, die sich aufgrund der eingeschr~inkten geografischen Mobilit~it durch eine hohe Homogenit~it auszeichnet. Die Mitglieder dieser Gesellschaften sind in starkem Mage voneinander abh~ingig; Individualit~it kann sich kaum entfalten, Auge und Ohr sind die wichtigsten Sinnesorgane. Erinnerung ist (fast) ausschlieglich auf das Ged~ichtnis angewiesen, Speichermedien fehlen weitgehend. Die Phase des Schreibens und Druckens: Mit der Erfindung der Schrift und der Entwicklung von Drucktechniken entstehen nicht nur neue Formen der raumt~bergreifenden Mitteilung, sondern auch neue Formen des Denkens: das systematische Nachdenken, die Introspektion, die Abstraktion. Mit der Erfindung der Drucktechnik werden neue M6glichkeiten der Speicherung von Informationen bereitgestellt, zugleich erf~ihrt das k6rpergebundene Ged~ichtnis eine zus~itzliche Unterstfitzung und Entlastung. Indem Erfahrungen dokumentiert werden, werden zudem die Voraussetzungen far einen rationaleren Umgang mit der Welt geschaffen und die Grundlagen far die Entfaltung des Individualismus gelegt. Die Phase der Elektronik: Die Elektronik fahrt zur konsequentesten Erweiterung unserer Sinnesorgane. F~r das elektronische Zeitalter gilt, dass sich eine
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Das Medium und die Botschaft: die Bedeutung des Verbreitungsmediums neue Unmittelbarkeit in einem globalen Kontext ergibt. Medien ~bernehmen die Funktion elektronischer Sensoren und verst~irken das Geffihl der Gleichzeitigkeit. Die Metapher des ,globalen Dorfes' beschreibt eine Verdichtung von Raum und Zeit, mit der Konsequenz, dass sich alles ft~r alle zur gleichen Zeit ereignet (vgl. McLuhan 1968b, insbesondere S. 40f. und 51 ff.).
Diese Einteilung der Geschichte beschreibt die Auswirkung von Kommunikationstechnologien (Medien) auf die Formen der menschlichen Kommunikation, ohne auf die spezifischen Inhalte der Kommunikation einzugehen. Das ist die allgemeine Zielsetzung, die Medium-Theorien miteinander verbindet. Meyrowitz hat diese einmal wie folgt veranschaulicht: ,,[...] wenn wir uns in der 6ffentlichen wie der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit vor allem auf den Inhalt von Kommunikationen konzentrieren, gleicht das dem hypothetischen Versuch, die Bedeutung des Automobils zu verstehen, indem man ignoriert, dal3 es ein neues Transportmittel gibt, und sich statt dessen auf eine detaillierte Untersuchung der Namen und Gesichter von Passagieren konzentriert." (Meyrowitz 1990a, S. 56) W~ihrend die Phase des Schreibens und Druckens das lineare Denken und eine lineare Welt hervorgebracht haben, die sich entlang der Kategorien Ursache und Wirkung strukturiert hat, fahrt das im elektronischen Zeitalter dominierende Medium Fernsehen zu einem Verlust dieser Weltsicht. Diese Feststellung hat etwas mit McLuhans Unterscheidung von ,heil3en' und ,laihlen' Medien zu tun. Das Grundprinzip, das diese Unterscheidung m6glich macht, wird wie folgt beschrieben: ,,Ein ))heil3es~ Medium ist eines, dab nur einen der Sinne allein erweitert, und zwar bis etwas ))detailreich~ ist. Detailreichtum ist der Zustand, viele Daten oder Einzelheiten aufzuweisen. Eine Fotografie ist optisch ))detailreich~. Eine Karikatur ist ))detailarm~, und zwar einfach, weil wenig optisches Informationsmaterial zur VerNgung steht. Das Telefon ist ein ktihles Medium oder ein detailarmes, weil das Ohr nur eine dfirftige Summe von Informationen bekommt. Und die Sprache ist ein kt~hles, in geringem Mage definiertes Medium, weil so wenig geboten wird und so viel vom Zuh6rer erg~inzt werden mug." (McLuhan 1968a, S. 29) ,Kt~hle' Medien pr~isentieren somit keine fertigen Produkte, sondern verlangen vom jeweiligen Rezipienten eine Erg~inzung der detailarmen Informationen. ,Heil3e' Medien pr~isentieren detailreiche Informationen und erfordern infolgedessen nur einen geringen Grad an pers6nlicher Beteiligung: ,,Jedes heil3e Medium l~il3tweniger pers6nliche Beteiligung zu als ein kt~hles, wie ja eine Vorlesung weniger zum Mitmachen anregt als ein Seminar und ein Buch weniger als ein Zwiegespr~ich." (McLuhan 1968a, S. 30) Die Informationsstruktur ist so dicht, dass der Benutzer vereinnahmt wird. Ein ,kt~hles' Medium ist dagegen durch Lt~cken in seiner Informationsstruktur gekennzeichnet, die Pr~izision ist geringer. Gerade deshalb verlangt es nach der Vervollst~indigung durch das Publikum und begtinstigt eine andere Form der Rezeption. Das Medium ist detailarm, erscheint aber dennoch als untrennbare Einheit. Im Falle des Fernse-
Das Medium und die Botschaft: die Bedeutung des Verbreitungsmediums
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hens sind alle Informationen in einem Augenblick pr~isent und nicht - wie beispielsweise im Falle des Buches - linear angeordnet. Eco spricht in diesem Zusammenhang yon einer ,,Art Totalitgt und Gleichzeitigkeit aller vorhandenen Daten." (Eco 1985, S. 255)
Film und Fernsehen. Ein Vergleich von McLuhan
,,Die Aussageweise des Fernsehbildes hat mit dem Film oder Foto nichts gemeinsam, es sei denn, dal~ es wie diese eine nicht-verbale Gestalt oder Konfiguration der Formen zeigt. Beim Fernsehen ist der Zuschauer Bildschirm. Er wird mit Lichtimpulsen beschossen, die James Joyce die >>Attacke der leichten (Light = leicht und Licht) Kavalleriee nannte, die seine >>Seelenhaut mit >unterbewul3ten< Ahnungene erf011te. Das Fernsehbild ist visuell gesehen datenarm. Das Fernsehbild ist keine Einzelaufnahme. Es ist nicht Fotografie in irgendeinem Sinne, sondern es tastet pausenlos Konturen von Dingen mit einem Abtastsystem ab. Das so entstandene plastische Profil erscheint bei Durchlicht, nicht bei Auflicht, und ein solches Bild hat viel eher die Eigenschaften der Plastik oder des Bildsymbols als die der Abbildung. Das Fernsehbild bietet dem Beschauer etwa 3 000 000 Punkte pro Sekunde. Davon nimmt er nur ein paar Dutzend in jedem Augenblick auf, um sich daraus ein Bild zu machen. Das Filmbild bietet einige weitere Millionen Daten pro Sekunde, und der Beschauer mul~ die Einzelheiten nicht so drastisch einschr&nken, um sich einen Eindruck zu machen. Er ist im Gegenteil eher geneigt, das ganze Bild in einem Paket entgegenzunehmen. Der Beschauer des Fernsehmosaiks hingegen gestaltet mit der technischen Bildkontrolle unbewul3t die Punkte zu einem abstrakten Kunstwerk nach dem Muster von Seurat oder Rouault um. Wenn jemand fragen sollte, ob sich das alles ~ndern w0rde, wenn die Technik die Charakteristik des Fernsehbildes auf die Stufe des Filmbildes bringen w0rde, kSnnte man ihm nur mit der Gegenfrage kommen: >>KSnnen wir eine Karikatur durch Licht- und Schatteneffekte oder perspektivische Darstellung ~ndern?e Die Antwort lautet >>jae, nur w~re das keine Karikatur mehr. >>Verbessertese Fernsehen w~re kein Fernsehen mehr. Das Fernsehbild ist jetzt ein mosaikartiges Maschennetz von hellen und dunklen Punkten, was ein Filmbild nie ist, auch wenn die Qualit&t des Filmbildes sehr schlecht sein sollte." (McLuhan 1968a, S. 341f.)
Da McLuhan den Film als ein ,heiBes' und das Fernsehen als ein ,kahles' Medium bezeichnet, verliert das Argument einer andersartigen Rezeption gleichwohl an Uberzeugungskraft. Die Begrfindungen, die McLuhan diesbezt~glich vorgelegt hat, waren immer wieder Anlass far ironische Kommentare (vgl. hierzu beispielsweise
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Das Medium und die Botschaft: die Bedeutung des Verbreitungsmediums
Macrone 1996, S. 244), weil die Differenz in einem sehr technischen Sinne begrtindet wird. Seine Erl~iuterungen sollen hier ohne weitere Kommentierung wiedergegeben werden (siehe den vorangegangenen Beispieltext). L~isst man diese Fragen der Zuordnung einmal auger Acht, ist die Unterscheidung heig/ktihl als solche nicht leicht nachvollziehbar. Sie soll wohl verdeutlichen, dass jedes Medium unabh~ingig vom Inhalt bestimmte Wahrnehmungsmechanismen in Gang setzt. Die folgenden Beispiele illustrieren diesen Aspekt: Nach Auffassung McLuhans hat sich der Augenabstand der Kinder vonder gedruckten Seite seit der Einftihrung des Fernsehens ver~indert. Die bebilderten Comic-Strips h~itten diese Ver~inderung der Wahrnehmung bereits eingeleitet. Seit das Fernsehen existiere, werde dieser Prozess beschleunigt und t'tihre dazu, dass man vergebens auch Gedrucktes mit gesamtpers6nlicher Beteiligung lesen m6chte: ,,Sie bringen dem Druck alle ihre Sinne entgegen, und der Buchdruck weist sie ab. Der Buchdruck verlangt das losgel6ste, nackte Sehverm6gen, nicht alle Sinnesorgane gemeinsam." (McLuhan 1968a, S. 336) In bewusster Absetzung von einer Medienforschung, die die Bedeutung des Fernsehens for das politische Leben an der Dauer der Fernsehnutzung und den Inhalten der Debatten ablesen m6chte, zitiert McLuhan die Analyse eines britischen Journalisten, der die Auftritte von Nixon und Kennedy im amerikanischen Fernsehen im Sinne seiner Theorie interpretierte. Nixon habe danach in einem detailarmen Medium detailreich zu wirken versucht. W~ihrend Kennedys zurfickhaltendes Auftreten die Wahrnehmung seiner ganzen Pers6nlichkeit begfinstigt habe, glich Nixon ,,mit seiner raffinierten Weitschweifigkeit mehr dem Eisenbahn-Juristen [...], der Pachtvertr~ige abschliegt, die nicht im Interesse der Kleinstadtbtirger sind." (McLuhan 1968a, S. 359) In einem ,heigen Medium', zum Beispiel dem H6rfunk, ist eine solche Form der Pr~isentation nicht m6glich. Dort w~rden Schweigen und Zurtickhaltung als negative Eigenschaflen interpretiert. Das ,ktihle' Medium Fernsehen dagegen gewinne an Oberzeugungskraft, wenn man die Lticken in der Informationsstruktur nicht durch ein tibertriebenes Agieren zu ftillen versuche. Insofern sei das Fernsehen auch ein ,,schtichterne[r] Riese" (McLuhan 1968a, S. 336), in dem sich ,heige Eisen' nicht in geeigneter Weise behandeln lassen. Ob es letztlich an diesen ,,Lticken in der Informationsstruktur" gelegen hat, l~isst sich empirisch wohl kaum belegen. Den knappen Wahlausgang des Jahres 1960 kommentierte Harvey Wheeler im Magazin ,,Newsweek" wie folgt: ,,The Presidential election of 1960 was so close that many commentators, including Robert Kennedy, stated that Senator Kennedy's victory was ,,determined" by the television debates. But an election as close as that one was can be said to have been ,,determined" by almost everything that happened. Almost any c h a n g e - a change in weather, a
Das Medium und die Botschaft: die Bedeutung des Verbreitungsmediums
273
change in economic conditions, a change in American prestige abroad, a change in Khrushchev's tactics, a change in the reactions of minority g r o u p s - any change even though small might have brought different electoral results." (Wheeler 1962, S. 14) Zu den ,,Presidential Debates" siehe auch die Obersicht in Tabelle 10.1 Tabelle 10.1 Wahljahr
1960 1976 1980 1992 2000 2004
Fernsehdebatten und Wahlausgang. Das Beispiel
Zahl der Debatten
Kandidaten
Richard Nixon John Kennedy Jimmy Carter Gerald Ford Jimmy Carter Ronald Reagan Bill Clinton George H.W. Bush AI Gore George W. Bush Gerorge W. Bush John Kerry
U S A 76
Stimmenanteil vor der ersten Debatte
Stimmenanteil nach der letzten Debatte
47% 46% 51% 36% 45% 42% 51% 33% 46%
48%
49% 49% 44% 43% 46% 44%
35% 40% 51% 48% 49%
44%
52% 44%
Wahlergebnis
49,5% 49,7% 50,0% 48,0% 41,0% 50,5% 42,9% 37,1% 48,3% 47,8% 50,6% 48,1%
Quelle: USA T o d a y - Friday, October 15, 2004 und www.cnn.com Die durch Bilder vermittelten Eindrt~cke erhalten in der Theorie McLuhans eine enorme Wirkungskraft. Den Erfolg seiner Substitutionsthese, wonach altes Denken durch neue Formen der Wahrnehmung ersetzt werde, konnte McLuhan zu seinen Lebzeiten (1911-1980) nicht mehr beobachten. Eco h~ilt eine Integrationsthese far wahrscheinlicher. Das lineare Denken, so Eco, finde auch noch innerhalb des Fernsehens statt, ,,das ja an der Quelle noch in Gutenbergischen Dimensionen konzipiert, organisiert und programmiert wird [...]." (Eco 1985, S. 257) Erg~inzend mt~sste man hinzufagen, dass die These einer v611igen Vereinnahmung durch das Medium mit unterschiedlichen Formen der Inanspruchnahme desselben konkurriert. Und wenn das Publikum gefragt wird, wie es ihm ergangen ist, muss es eine Form der Erkl~irung praktizieren, die ohne eine ordnende Gedankenfahrung kaum mOglich sein wird. Man wechselt sozusagen in ein anderes Medium, um dem vermeintlich Detailarmen Detailreichtum zu verleihen. Das Hauptproblem der Medium-Theorien ist der Enthusiasmus, der dieser Flexibilit~it des Publikums wenig Beachtung schenkt. Das
76
Weitere
Informationen
auf
der
Seite
des
U.S.
http ://www.census.gov/compendia/statab/elections/presidential/
Census
Bureau
unter:
274
Das Medium und die Botschaft: die Bedeutung des Verbreitungsmediums
gilt auch far die ,Femseh-Gesellschaft' von Meyrowitz, noch mehr aber far die medien6kologischen Ausfahrungen, die Postman vorgelegt hat.
10.2
Die ,,Fernseh-Gesellschaft". Die Theorie von Meyrowitz
Meyrowitz' theoretischer Entwurf wird als situativer Ansatz bezeichnet, weil er eine soziologische Theorie tiber situationsabh~ingiges Verhalten mit der Medium-Theorie McLuhans verkntipft. Die folgende Aussage illustriert die Zielsetzung seiner Analyse: ,,Die elektronischen Medien haben die Bedeumng von Ort und Zeit ftir die zwischenmenschliche Interaktion total ver~indert." (Meyrowitz 1990a, S. 10f.) Es soll verdeutlicht werden, wie sich das Vorhandensein elektronischer Medien auf die Antizipation von Verhaltenserwarmngen und tats~ichliches Verhalten auswirkt. Im Sinne McLuhans werden elektronische Medien als Erweiterungen unserer Sinnesorgane bezeichnet. Eine entscheidende Folge dieser Erweiterung besteht in der Vermischung vormals getrennter Erfahrungs- und Informationswelten. Vor dem Aufkommen elektronischer Medien sei eine klare Identifikation verschiedener Lebensbereiche mOglich gewesen, die sich insbesondere durch eine Ortsgebundenheit der Erfahrung auszeichneten und zur Herausbildung unterschiedlicher sozialer Identit~iten und sozialer Rollen beigetragen haben. In historischer Perspektive haben Lese- und Schreibf'~ihigkeit sowie Schulbildung einen mal3geblichen Anteil an der Strukturierung der sozialen Welt gehabt. Elektronische Medien aber sind nunmehr in der Lage, ,,viele verschiedene Klassen von Menschen am selben ,Ort'" (Meyrowitz 1990a, S. 31) zu versammeln und schaffen damit eine neue ,,Situations-Geographie" (Meyrowitz 1990a, S. 31)77. Die neue Situations-Geografie l~isst sich an zahlreichen Beispielen veranschaulichen: Meyrowitz illustriert diesen Gedanken an dem Modell eines grogen Hauses, in welchem pl6tzlich alle W~inde verschwinden und ehemals getrennte Situationen und Lebensbereiche far alle Anwesenden zug~inglich werden. Das heil3t: Jede Form der Abschottung oder des Ausschlusses von Beobachtern impliziert M6glichkeiten der Informationskontrolle. Unter Bezugnahme auf die Arbeiten von Harold Adams Innis (1894-1952) beschreibt Meyrowitz, wie sich die M6glichkeiten der Informationskontrolle in Abh~ingigkeit von den jeweils vorhandenen Medien gestalten. Dabei spielt die Mobilit~it bzw. Flexibilit~it eine zentrale Rolle: Stein als Informationstr~iger (z.B. steineme Hieroglyphen) war ein eher station~ires Kommunikationsmittel mit geringer r~iumlicher Beweglichkeit und in kleinen, stabilen Gesellschaften vorzufinden. Die Erfindung der Druckerpresse fahrte dagegen langfristig zu einem Aufbrechen des Monopols der Kirche fiber religi6se Informationen (vgl. Meyrowitz 1990a, S. 47f.). Je gr613er der Wahrnehmungsradius von informati77 Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit diesem Ansatz siehe auch den Beitrag von Kirby 1988.
Das Medium und die Botschaft: die Bedeutung des Verbreitungsmediums
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onen wird (durch VervielfNtigung, durch F6rdemng von Lese- und Schreibf~ihigkeit usw.), desto schwieriger wird es, Kommunikation in Grenzen zu halten. Insofem deuten Ver~indemngen des Kommunikationsrahmens immer auch sozialen Wandel an. Die Situations-Geografie l~isst sich aber auch anhand sehr alltfiglicher Ereignisse beschreiben. Wenn ein und derselbe Sachverhalt, der normalerweise verschiedenen Gruppen an verschiedenen Orten erkl~irt wird, nunmehr den verschiedenen Publika an einem Ort erklgrt werden soll, tritt das Problem auf, dass die typischen Ausdrucksformen und Erkl~imngen, die far eine Kommunikation mit Zielgruppe A geeignet sind, Zielgruppe B in Erstaunen versetzen k6nnen. Wenn man Freunden gegent~ber die Eindracke eines gerade gesehenen Films schildert, werden andere Schwerpunkte gesetzt als im Falle einer Diskussion mit Scht~lem. Wenn diese M6glichkeiten der Trennung von Simationen nicht mehr gegeben sind, stehen die jeweiligen Kommunikatoren vor neuen Herausforderungen. Das zuletzt genannte Beispiel enthNt bereits Hinweise auf simationsspezifisches Verhalten, dessen Relevanz far die angedeuteten neuen Herausforderungen kurz skizziert werden soll. Meyrowitz veranschaulicht diesen Aspekt, indem er auf eine Variante der soziologischen Rollentheorie Bezug nimmt, die er Situationismus nennt. Er orientiert sich dabei vorwiegend an der Theorie des amerikanischen Soziologen Erving Goffman (1922-1982). Von ihm wird die Behauptung t~bemommen, dass eine Konstante unseres Verhaltens eine situationsspezifische Ausrichtung der jeweiligen Darstellung ist. Wie wir uns in bestimmten Situationen verhalten, h~inge mal3geblich davon ab, wer Zugang zu den dort pr~isentierten Informationen hat. Es gibt Vorstellungen von einem situationsad~iquaten Verhalten, die in einer Vielzahl von sozialen Rollen eine grobe Struktur erfahren und auf unterschiedlichen Bt~hnen praktisch werden. Goffman pr~isentiert eine Spielart der Rollentheorie, die dramaturgische und strategische F~ihigkeiten der jeweiligen Darsteller in den Vordergrund stellt (vgl. Goffman 1983). Situationen werden durch Erwartungen strukturiert und sind von dem Bemfihen der Akteure getragen, diese Erwartungen zu erfallen. Viele Situationen des Alltags k6nnen ihre Stabilit~it darauf zurfickfahren. Zugleich wt~rde aber eine permanente Aufrechterhalmng dieser Erwartungsstabilit~it das allt~igliche Handeln erheblich belasten. Es muss Simationen geben, in denen man von diesen Erwartungen entlastet ist. Wenn an der schon angedeuteten dramaturgischen Terminologie festgehalten wird, dann muss es neben der Vorderbtihne, auf der die Pr~isentation stattfindet, auch eine Hinterb~hne geben, die der Probe, aber auch verschiedenen Formen der Entspannung dienen muss. Auf der Vorderbtihne sind die Menschen der Beobachmng ausgesetzt, sie bemt~hen sich um eine idealisierte Selbstdarstellung und versuchen keine Unsicherheiten und Schw~ichen zu zeigen. Die Hinterb~hne repr~isentiert den nicht-6ffentlichen Bereich. Immer dort, wo 6ffentliche und nicht-6ffentliche Bereiche eng beieinander liegen, l~isst sich dieser beschriebene Wechsel gut beobachten: das Verhalten von Verk~iufem in Einkaufsst~itten, das Verhalten des Personals in 6f-
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Das Medium und die Botschaft: die Bedeutung des Verbreitungsmediums
fentlichen Einrichtungen, die freundliche Bedienung in einem Restaurant. In allen Bereichen besteht die M6glichkeit des RiJckzugs aus dem Wahmehmungsfeld des Publikums. Ein Beispiel: ,,Wenn die Kellner [...] aus dem Gastraum in die Ktiche gehen, tiberqueren sie eine unsichtbare Linie. In der Ktiche sind die Kellner auf einem Territorium, das vor dem Publikum verborgen ist und das sie mit anderen teilen, die dieselben oder ~ihnliche Rollen gegentiber dem Publikum einnehmen." (Meyrowitz 1990a, S. 74) Eine klare Trennung der Publika vermittelt den Darstellem die Sicherheit, ,,dab diejenigen, vor denen er eine seiner Rollen spielt, nicht die gleichen sind, vor denen er in anderer Umgebung eine andere Rolle spielt." (Goffman 1983, S. 46) Meyrowitz konzentriert sich auf die Frage, welche Konsequenzen aus einem Verlust dieser Sicherheit resultieren k6nnen. Warum die Medium-Theorie und der Situationismus in dieser Hinsicht hilfreiche Theorien sind, begrtindet er wie folgt: ,,Die Situationisten sagen etwas dartiber aus, wie unsere spezifischen Handlungen und Worte gepr~igt werden durch unser Wissen dartiber, wer Zugang zu ihnen hat, und die Medium-Theoretiker sind der Ansicht, dab neue Medien solche Zugangsmuster ver~indem." (Meyrowitz 1990a, S. 82) Im Einzelnen lassen sich die folgenden Ver~inderungen beobachten: 9
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Durch elektronische Medien ver~indem sich - wie bereits angedeutet- die Zugangsmuster zu Informationen und zu dem Verhalten anderer Menschen. Neue Erfahrungen mischen sich mit alten Erfahrungen. Die Existenz neuer Medien ftihrt zu einer ver~inderten Situations-Geografie, gleichzeitig lassen sich aber weiterhin Elemente beobachten, die sich mit der zwischenmenschlichen Interaktion vergleichen lassen. Insofern werden alte Verhaltensweisen nicht durchg~ingig durch v611ig neue Verhaltensweisen ersetzt. Wenn in einer allt~iglichen Situation ein Vertreter einen Hausbesuch macht, waft er zum Beispiel vorher, ob seine Krawatte richtig sitzt. Wenn wir eine ftir uns wichtige Person anrufen, r~iuspem wir sehr h~iufig vor dem eigentlich beginnenden Telefonat. Ebenso prtift der Nachrichtensprecher oder Moderator einer Sendung noch kurz vor dem Beginn der Ubertragung, ob beispielsweise an Hemd und Krawatte alles in Ordnung ist. Beobachtungen dieses Rituals sind teilweise schon Bestandteil der Nachrichtensendung geworden. Wenn sich das Verhalten danach richtet, wer mich sehen und h6ren kann, ftihrt gerade Medienbeobachtung zu spezifischen Verhaltens~tndemngen, die aus der Besonderheit der Situation resultieren. Meyrowitz stellt fest: ,,Fernsehen ist etwa vergleichbar damit, Menschen durch einen Einwegspiegel in einer Situation zu beobachten, in der alle Beteiligten wissen, dab sie von Millionen von Menschen in isolierten Quadem beobachtet werden; Radio zu h6ren ist, wie Menschen durch eine Ttir oder Wand zu lauschen, die sich bewuBt sind, dab sie ,abgeh6rt' werden." (Meyrowitz 1990a, S. 91)
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Die Vermischung ehemals getrennter Situationen erschwert nicht nur eine angemessene Ansprache des Publikums (Zielgruppenkonflikte), es begfnstigt auch die Entstehung eines Verhaltens im ,mittleren Bereich'. Dies ist zun~ichst darauf zurfickzuffihren, dass die Trennungslinie zwischen dem Bereich der Bfhne und dem Hintergrund unsch~irfer wird und infolge dessen ,,Proberaum verloren geht" (Meyrowitz 1990a, S. 108). Je mehr sich die Akteure an die Beobachtung durch die Augen der elektronischen Medien gew6hnen, desto h~iufiger treten Situationen ein, in denen die Trennung zwischen dem 6ffentlichen und nicht-6ffentlichen Bereich verschwindet. Man bemfht sich weiterhin um das Verbergen von Informationen, die nicht ffir das Publikum bestimmt sind. Die Dauerbeobachtung kann jedoch dazu ffihren, dass sich das Verhalten in diesem ,mittleren Bereich' gelegentlich mit dem Verhalten auf der Hinterbfhne vermischt. Dies tritt insbesondere ein, wenn lange Live-121bertragungen stattfinden. Hierzu nennt Meyrowitz ein anschauliches Beispiel: ,,[...] bekamen die Zuschauer bei einer Fernseh-Sondersendung fber Pr~isident Carter und das Weige Haus mit, wie Jimmy Carter dem ~igyptischen Pr~isidenten Anwar el Sadat mitteilte, es werde sich um eine lange Konferenz handeln und Sadat m6ge doch vielleicht zuerst die Toilette aufsuchen." (Meyrowitz 1990a, S. 111) Daraus folgt: ,,Je l~inger und genauer Menschen beobachtet werden, entweder pers6nlich oder per Kamera und Mikrofon, desto mehr wird ihr Verhalten von seinen Symbolen und ,zur Schau getragenen' Einstellungen ,freigelegt'." (Meyrowitz 1990a, S. 111) Zugleich wird diese Bfhne zum Ort der Inszenierung privater LebensverhNtnisse ffr die Offentlichkeit. Dazu z~ihlt beispielsweise, dass Politiker fiber ihr Familienleben Auskunft geben. Die Wirkungen dieser neuen Situations-Geografie ersch6pfen sich nicht in einer amfsanten Zurkenntnisnahme der neuen Notwendigkeiten 6ffentlichen Verhaltens. Elektronische Medien nehmen Anteil an einer Ver~inderung der Vorstellung von sozialen Rollen, indem sie bisherige Muster der Lebensffihrung mit ungewohnten Lebensstilen konfrontieren. Zugleich informieren die Medien fiber das ganze Leben und leisten einen Beitrag zur Vermischung ehemals getrennter Sozialisationsphasen (siehe auch Abschnitt 10.3 in diesem Kapitel). Diese Konvergenz von Lebenswelten wird begleitet von einer nachlassenden Exklusivit~it bestimmter Wissensbereiche. Die neuen Einblicke sind von einer Oberfl~ichlichkeit gekennzeichnet, die eine Homogenisierung von Informationsniveaus begfnstigen k6nnen. Der Beitrag des Fernsehens zeigt sich nach Meyrowitz beispielsweise darin, dass im Falle der Nutzung dieses Mediums viel h~iufiger in Interessensgebieten gewildert wird, die ansonsten kaum interessieren (vgl. Meyrowitz 1990a, S. 169). Dass jemand ein Buch liest, das ihn nicht interessiert, ist unwahrscheinlicher. Meyrowitz widerspricht insofern auch Vorstellungen, die dem Fernsehen eine Fragmentierung des Publikums anlas-
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Das Medium und die Botschaft: die Bedeutung des Verbreitungsmediums ten. Er r~iumt zwar ein, dass durch Kabelfernsehen und Videorekorder das Spektrum der Wahlm6glichkeiten erweitert wurde. Aber er hNt es ffir unwahrscheinlich, ,,dab wir als Ergebnis all dessen zu demselben getrennten System des Diskurses zurfickkehren werden, das es in der von Printmedien dominierten Kultur gab." (Meyrowitz 1990a, S. 179f.) Die Fernseh-Gesellschaft sei in weitaus st~irkerem Mage mit der Vermischung von Offentlichem und privatem Raum konfrontiert, was sich in besonderer Weise in der Nachrichtenauswahl unter den Bedingungen einer wachsenden Informationskonkurrenz abzeichne: ,,Was frfiher zum Hintergrund-Bereich des Lebens z~ihlte, wird heute als ,Nachricht' pr~isentiert." (Meyrowitz 1990a, S. 228) Anschlusskommunikationen ~iber diese Themen lassen sich nicht verhindern und bestimmen den Alltag von Medien-Gesellschaften mit. Die Visualisierung von Informationen verlangt von den Akteuren neue Kompetenzen, die heute mit Begriffen wie ,fernsehgerecht' oder ,telegen' umschrieben werden k6nnen. Welche Eigenschaften und F~ihigkeiten mt~ssen vorliegen, damit auf der Femsehbfihne erfolgreich agiert werden kann? Meyrowitz beantwortet diese Frage anhand der Geschichte des amerikanischen Pr~isidentenamts. 121ber die grogen Pr~isidenten der Vereinigten Staaten wird zum Beispiel Folgendes berichtet: ,,Die GrOl3e und St~irke frfiherer Pr~isidenten machten sie zu imposanten Figuren - aber nur auf Entfernung. Auf grogen weigen Pferden mfissen sie wie G6tter ausgesehen haben; bei n~iherer Betrachtung gab es zahlreiche Beweise ffir ihre Sterblichkeit. Washington hatte tiefe Pockennarben und ein schlecht sitzendes Gebil3. Der von Sommersprossen t~bers~ite Jefferson war im William und Mary College zum ,reizlosesten' Studenten gew~ihlt worden. Lincoln ging ,gebeugt und watschelnd' und war so h~il31ich, dab er selbst t~ber seine ~iul3ere Erscheinung Witze rig. Theodore Roosevelt ,schielte, war kurzsichtig' und hatte ein ,Pferdegebig'. Von ihrer ~iul3eren Erscheinung her w~iren viele unserer frfiher ,grol3en' Pr~isidenten nicht geeignet ffir die FernsehPolitik." (Meyrowitz 1990b, S. 168) In einem weiteren Sinne will diese ohne Besch6nigungen vorgetragene Skizze die Folgen einer permanenten Sichtbarkeit vor Augen ffihren. Sie mt~ndet in eine Desillusionierung t~ber die Qualit~iten von Ft~hrungspersonen und in eine Demontage 6ffentlicher Rollen. Die Dauerbeobachtung erschwert die Wahrung von Distanz und zieht Politiker auf das ,,Niveau des Durchschnittsmenschen" (Meyrowitz 1990b, S. 147) herab. Unter den Bedingungen einer v611igen Offenheit kann das Ideal einer starken Pers6nlichkeit kaum noch aufrecht erhalten werden.
Meyrowitz beschreibt mit Hilfe einer Vielzahl von Beispielen die Konsequenzen einer ver~inderten Umweltwahrnehmung. Die t~ber weite Teile sehr informative und interessante Darstellung neigt gelegentlich zu weit reichenden Schlussfolgerungen, die sich in ,,verblt~ffenden Parallelen" (Meyrowitz 1990b, S. 230) niederschlagen.
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Dazu geh6rt beispielsweise, dass die Medienberichterstattung mit zum Entstehen einer Emanzipationsbewegung beigetragen hat, die ,,Rollen-Vermischungen" (Meyrowitz 1990b, S. 44) zur Folge hatte. Insgesamt versucht die Theorie auf ihre Weise zu illustrieren, dass die ,elektronischen Sinnesorgane' in Verbindung mit neuen Obertragungstechniken zu einer Vielzahl von Ver~inderungen in modernen Gesellschaften gefahrt haben. Die Theorie beschreibt nicht kurzfristige Wirkungen, sondern langfristige und kumulative Effekte. Sie l~isst sich nicht als eine reine Medium-Theorie klassifizieren, weil das Medium mehr als die Botschaft ist. Es stellt Kommunikatoren und Rezipienten vor neue Herausforderungen. Ft~r die einen ver~indert sich die Struktur der Bt~hne, far die anderen der Zugang zu Informationsgebieten. In einer jt~ngeren Publikation spricht Meyrowitz - in Anspielung an Meads Vorstellung eines generalisierten Anderen- von einem ,,generalisierten Anderswo" (Meyrowitz 1998, S. 177) und verortet damit die Rolle der Medien in einem weltgesellschaftlichen Kontext (siehe hierzu auch Stichweh 2000). Die Kommunikationsumwelt erweitert sich, zugleich steigt aber auch das Bedt~rfnis nach Orientierung. Dieser Aspekt wird nunmehr behandelt.
10.3
MedienSkologie: die Thesen von Postman
Obwohl die Auffassungen von Meyrowitz und Postman in Teilen t~bereinstimmen, ist letztere 6ffentlichkeitswirksamer gewesen. Auch in den Arbeiten Postmans steht das WechselverhNtnis zwischen den Menschen und ihrer Kommunikationsumwelt im Zentrum. Seine Arbeiten wurden in Deutschland zu einer Zeit popul~ir, als vermehrt die Folgen einer Zunahme von Medienangeboten diskutiert wurden. Konturen einer ,Kommunikations6kologie' wurden erkennbar, die die zunehmende Mediatisierung des Alltags zum Anlass nahm, die Gleichgewichtsidee der Okologie auf das Gesamtspektrum des Kommunikationsverhaltens zu t~bertragen (vgl. zusammenfassend Langenbucher/Fritz 1988, S. 256ff.). Diese Diskussion vermittelte h~iufig den Eindruck, dass es bereits eindeutige L6sungen far die als dr~ingend empfundenen Probleme gab. Gefragt wurde beispielsweise: ,,Wie viele Programme ertr~igt ein Mensch"? Oder: ,,Befindet sich unsere gegenw~irtige Kommunikationskultur in einem medien6kologischen Gleichgewicht mit der F~ihigkeit der Selbstregulation?" (Langenbucher/Fritz 1988, S. 256f.) Der Begriff ,Selbstregulation' deutet bereits daraufhin, dasses letztlich Aufgabe des Einzelnen bleibt, die far ihn optimale Kommunikationsumwelt zu bestimmen. Die Diskussion um die Etablierung der Medienp~idagogik in Schulen ebenso wie zahlreiche auBerschulische Initiativen zur Medienerziehung zeigen, dass sich diesbez~glich eine nicht nachlassende Nachfrage entwickelt hat, die gleichwohl bevormundende Programme zurackweist. Um so erstaunlicher ist es, dass gerade die Arbeiten von Postman eine so hohe Popularit~it erfahren haben.
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Dieser Erfolg ist wohl auch auf die Art der Pr~isentation zuriickzufahren, die h~iufig essayistischen Charakter annimmt und die Kernaussagen unter Verwendung von einpr~igsamen Episoden (Postman bezeichnet sich auch als Geschichtenerz~ihler) vermittelt. Hierin sieht der amerikanische Kommunikationswissenschaftler ein probates Medium der Informationsvermittlung. In bewusster Orientierung an den Arbeiten Postmans stellten die Herausgeber eines Buches zum Stand der Medien6kologie fest: ,,Die heutige Massenkommunikation mit ihrem fJberangebot an eilfertiger Information suggeriert Einblick in die Wirklichkeit, behauptet, uns die Welt t~berschaubarer, die Wirklichkeit durchschaubarer zu machen. Ihre Angebotsweisen sind aber die der Verstellung, der ~Als-ob~-Einsichten." (Fr6hlich u.a. 1988, S. 8) Bevor sich Postman ausfahrlicher mit diesen ,Als-ob'-Einsichten auseinander setzte, hatte bereits seine These vom Verschwinden der Kindheit far Aufsehen gesorgt. Bereits in dieser Analyse zeigte sich, dass er die Entwicklung der Menschheitsgeschichte und die Unterscheidung verschiedener Lebensphasen unter fast ausschliel31icher Fixierung auf die jeweils dominierende Medienkultur zu erkl~iren versuchte. Die Behauptung, ,,dab sich das Verhalten, die Sprache, die Einstellungen und die Wt~nsche - und selbst die ~iul3ere Erscheinung- von Erwachsenen und Kindem immer weniger von einander unterscheiden" (Postman 1983, S. 14), ist far ihn die Konsequenz aus dem Verschwinden vormals vorhandener Informationshierarchien. Kindheit wird von Postman an die Existenz von Geheimnissen gekntipft. Sobald Einblicke in alle Lebensbereiche gegeben werden, sei diese Differenz zur Erwachsenenwelt kaum noch vorhanden. Im Mittelalter konnte sich keine Vorstellung von Kindheit entfalten, weil Erfahrungswissen in der Regel auf Mt~ndlichkeit bemhte. Der Lebensalltag unterstfitzte die Entstehung und Wahrnehmung der Differenz Kinder/Erwachsene nicht. Sobald die Sprache beherrscht wurde, war man in der Lage, die meisten Geschehnisse des Alltags nachzuvollziehen, zugleich hatten Kinder im Mittelalter ,,Zugang zu fast allen kulturell gebr~iuchlichen Verhaltensformen." (Postman 1983, S. 26) Folgt man seiner Medientheorie (vgl. hierzu auch J~ickel 1999, S. 118ff.), dann entstand im Zuge der M6glichkeiten, Wissen zu konservieren und zu dokumentieren, eine vo~bergehende Barriere zwischen Kindheit und Erwachsenenwelt. Indem das Wissen einer Zeit in Bt~chem und anderen gedruckten Erzeugnissen zusammengefasst wurde, konnten langfristig Leminhalte bereitgestellt werden, die es zun~ichst zu erwerben galt. War vormals kaum eine Informationshierarchie vorhanden, wurde im Zeitalter der Buchdruck-Kultur nunmehr eine Informationshierarchie aufgebaut. Diese Ver~inderung beg~instigte nach Auffassung von Postman die Entstehung einer Kindheitsphase. Denn in dieser Kultur wurde es wichtig, Lesen und Schreiben zu lernen. Die Einsicht in diese Notwendigkeit entfaltete sich nicht unmittelbar und gleichm~igig in allen sozialen Grol3gruppen. Aber dort, wo die Notwendigkeit einer Lese- und Schreibf'~ihigkeit besonders hoch eingesch~itzt wurde, entwickelte sich auch sehr rasch Kindheit zu einer Institution (vgl. Postman 1983, insbesondere S. 49ff.). Schule und Erziehung konstituieren somit ein Wis-
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sensmonopol, das Kindheit und Erwachsenenwelt voneinander trennt. Die Hochphase der Kindheit sieht Postman daher insbesondere in der Zeit zwischen 1850 und 1950 erreicht. Zugleich entfalten sich in dieser Phase neue Technologien, die das Wissensmonopol unterlaufen. Meyrowitz und Postman lenken den Blick auf das Verschwinden von Informationsgrenzen und weisen den elektronischen Medien - in erster Linie dem Fernsehen - einen wesentlichen Anteil an dieser Ver~inderung zu. Die mittelalterlichen VerhNtnisse kehren unter den Bedingungen einer modernen Kommunikationsumwelt zurack. Das moderne Medium Fernsehen repr~isentiert far Postman eine ,,Technologie des freien Eintritts" (Postman 1983, S. 100). Es lassen sich nach seiner Auffassung keine Schranken benennen, die den Zutritt entscheidend behindern: ,,In diesem Sinne ist Fernsehen das egalit~ire Kommunikationsmedium schlechthin und fibertrifft darin sogar noch die gesprochene Sprache." (Postman 1983, S. 100) Die Parallele zu Meyrowitz wird deutlich, wenn man dessen Beurteilung des Mediums Fernsehen hinzufagt: ,,Der neue, durch die Medien vermittelte verallgemeinerte Andere umgeht die pers6nlichen, sozialen und Familienbeziehungen und wird als neue Perspektive von Millionen anderer Menschen geteilt." (Meyrowitz 1990a, S. 254) Dass die jeweils dominierenden Medien auch in dieser Theorie als eine Erweiterung unserer Sinnesorgane interpretiert werden, l~isst sich an der Qualit~it der Einsichten erl~iutern, die nach Postman im elektronischen Zeitalter dominieren. McLuhans Modell wird hier adaptiert. Jedes Medium f6rdere eine bestimmte Form des Diskurses, also bestimmte Anwendungsformen unserer intellektuellen F~ihigkeiten. In mt~ndlichen Kulturen dominiere das Erinnerungsverm6gen, das dort aufgrund fehlender Speichermedien in besonderer Weise trainiert werde. Im Zeitalter der Buchdruck-Kultur dominiere die Er6rterung" ,,In einer vom Buchdruck bestimmten Kultur zeichnet sich der 6ffentliche Diskurs in der Regel durch eine koh~irente, geregelte Anordnung yon Tatsachen und Gedanken aus. Das Publikum, an das er sich wendet, ist im allgemeinen in der Lage, einen solchen Diskurs zu verarbeiten." (Postman 1985, S. 68f.) Die Buchdruck-Kultur ist demnach eine wortbestimmte Kultur. Dass diesem Zeitalter der Er6rterung das ,,Zeitalter des Showbusiness" (Postman 1985, S. 82) folgt, l~isst diese Einteilung der Kommunikationsgeschichte jedoch als ungew6hnlich erscheinen. Auch die Bezeichnung ,,Guckguck-Welt" (Postman 1985, S. 83) unterstreicht den popul~irwissenschafilichen Charakter der Ausfahrungen. Ffir dieses Zeitalter ist nach Postman das Aufkommen einer anderen Form yon Wahrnehmung charakteristisch, die nicht linear, sondern durch Gleichzeitigkeit gekennzeichnet ist. Auch diese Auffassung deckt sich mit den Beobachtungen McLuhans. Die Schriftkultur ger~it unter Druck, weil sich die Gew6hnung an Bildkommunikation auch auf die Form der Wahrnehmung nicht-audiovisueller Medien fibertr~igt. Flt~chtiges Lesen nehme zu, ebenso die Tendenz, gedruckte Seiten als etwas Ganzes wahrzunehmen. Diese Sichtweise spiegelt sich auch in kultursoziologischen Betrachtungen des modernen Leseverhaltens wider. Der Soziologe Friedrich
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H. Tenbruck (1919-1994) schrieb beispielsweise: ,,Man braucht NoB an die Reisenden im Zug oder im Flugzeug zu denken, die mit einem Stol3 [...] Joumale anracken, um sie binnen einiger Minuten - mit etwa vier Sekunden pro Seite - durchzublgttem und das nach einer Pause der Langeweile zu wiederholen. Die Sucht nach der Folge beliebiger Bilder, die Unruhe der Augen, die an nichts zu haften verm6gen, wenn es nicht gleich weitergeht - das ist die Lesegewohnheit des Femsehens, der sich sogar die respektablen Zeitungen mit ihren Magazinen ffigen mfissen." (Tenbruck 1990, S. 63s Abbildung I0.1
Die Entstehung von Kommunikationsnetzen
Der Telegraf 0berquert den Missouri (1851 ).
Quelle" Flichy 1994, S. 72 Informationen werden registriert, aber nicht wirklich verarbeitet. Diese oberflgchliche Wahrnehmung hat sich nach Postman bereits im 19. Jahrhundert abgezeichnet, als Kommunikation ,transportiert' und eine schnelle Raumtiberwindung m6glich wurde. Die Reduzierung der zeitlichen Differenz zwischen einem Ereignis und einer darauf bezogenen Berichterstattung ft~hrte beispielsweise zum Aufkommen von ,,>>Bescheidwissen~d' (Postman 1985, S. 91). Die folgende Einschgtzung ist hier~r symptomatisch: ,,FOr den Telegraphen bedeutete Intelligenz, von vielem >>geh6rt zu
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haben<<, und nicht, es zu >>verstehen<<." (Postman 1985, S. 91) Das Nachrichtenangebot wurde durch die Erfindungen des 19. Jahrhunderts nachhaltig ver~indert: ,,Noch zur Goethe-Zeit und weit t~ber die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus war die l~ermittlung jeder Nachricht, jedes Textes an Verkehrswege gebunden. Ausnahmen von dieser Regel, die es gab, bleiben marginal." (Lt~bbe 1996, S. 134f.) Was mit der Oberwindung natfirlicher Hindemisse daran anschliel3end gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann (siehe hierzu anschaulich Abbildung 10.1), resultierte langfristig in einem immer dichter werdenden Nachrichtennetz, das der Verbreitung von Wort, Bild und Ton diente. Die dadurch erm6glichte Erweiterung des Wissens hat nach Postman die Wahrnehmung von InformationszusammenMngen nicht begt~nstigt, sondern die Besch~iftigung mit immer neuen, eher unzusammenh~ingenden Informationsbestandteilen gef6rdert. Der Erfolg des Kreuzwortr~itsels sei Teil dieser Entwicklung. Ebenso leitete die Fotografie einen Prozess ein, der zu einer h6heren Bedeutung des Bildes gegent~ber dem Wort ffihrte. Das Fernsehen wird schlieglich als jenes Medium dargestellt, welches das Wechselspiel zwischen Bild und Augenblicklichkeit perfektioniert: ,,Denken kommt auf dem Bildschirm nicht gut an, das haben die Programmdirektoren schon vor langer Zeit herausgefunden. Es gibt dabei nicht viel zu sehen." (Postman 1985, S. 114)
,,Substanz ist Mangelware". Ausz~ige aus einem Interview mit dem ehemaligen CBS-Anchorman Walter Cronkite ,,[...] Cronkite: [...], dal~ eine Nation, die sich weitgehend 0ber das Fernsehen informiert, nicht wirklich verstehen kann, was sich in dieser Welt entwickelt. Und es ist noch schlimmer geworden: noch mehr Werbung, noch mehr Banalit~t, weniger News. Folglich sind die Berger au&erstande, der politischen Debatte mit all ihren Facetten zu folgen. [...] Special: Eigentlich diskutierten nur noch Presse und Politiker ernsthaft eber Politik, hat das ,,New York"-Magazin kerzlich notiert. Cronkite: Es ist so, wie ich es in meinem Buch geschrieben habe: Die Debatten von Pr,~sidentschaftskandidaten sind zum Politik-Theater verkommen, eben weil zuvor alles abgesprochen wird, oft genug auch die Fragen. Wie viele Sekunden I&l~t das Fernsehen in den Nachrichten den Pr&sidentschaftskandidaten ununterbrochen reden? 1988 waren es 9,8 Sekunden, 1992 durchschnittlich 8,2 Sekunden. Substanz ist Mangelware. Tiefe? Vergessen wir's. [...] Special: Oberfl&chlichkeit liegt eberall im Trend - Ringk~mpfe etwa verzeichnen hSchste Einschaltquoten auf den Kabelkan~len.
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Das Medium und die Botschaft: die Bedeutung des Verbreitungsmediums Cronkite: 0bersehen wir nicht, dal~ Kabel auch mit seriSsen Dokumentationen beachtliche Einschaltquoten erreicht, 2.3 Millionen Zuschauer. Das reicht den Grol~en nat0rlich nicht, die an 18, 19 Millionen Zuschauer denken. Aber es w~re ein Weg, ein denkbarer zumindest, den derzeit erkennbaren Zuschauerschwund zu stoppen. Sie trauen sich einfach nicht, ernste Produkte anzubieten, weil sie nicht Qualit&t, sondern die Einschaltquoten vor Augen haben. Also wird jede Menge M01! gesendet. Special: H~tten Sie da einen Vorschlag for die M011abfuhr? Cronkite: Ich w~re bereit zu wetten, dal3 die Sender keine Verluste erlitten h&tten, selbst bei den Einschaltquoten, wenn sie den journalistischen Anspr0chen treu geblieben w~ren. Ich bin sogar sicher, dal~ sie Zuwachsraten erzielen kSnnten. Nur: Keiner traut sich. Nachrichten aus dem Ausland, so heil~t es immer wieder, interessieren niemanden. Verdammt noch mal, die Leute kSnnen sich doch nur daf0r interessieren, wenn man ihnen interessanten Stoff anbietet, ihn also auch so aufbereitet, dal& sie hinsehen. Aber das kostet Geld. [...]." (Cronkite 1999, S. 40ft.)
Darfiber hinaus t~bernimmt das Fernsehen die Funktion eines kollektiven Ged~ichtnisses. Postman w~ihlt zwar nicht diese Formulierung, aber die Gegenwartszentriertheit dieses Mediums l~isst sich auch in diesem Sinne interpretieren. Dieses Ged~ichtnis ist nicht an der Vergangenheit orientiert, sondem lebt von der kontinuierlichen Erzeugung von Diskontinuit~it TM. Der inflation~ire Zuwachs an Informationsangeboten ft~hrt zu einer Entwertung der Inhalte und des Vorgangs als solchem.
Erinnerung an Neil Postman aus Anlass der Frankfurter Buchmesse
,,Kann eine ganze Nation verdummen? Nicht ohne Fassungslosigkeit vernimmt man, dass der deutsche Buchhandel auch zu dieser Frankfurter Messe wieder alle wirtschaftliche Hoffnung auf ein Klatsch-und-Tratsch-Buch von Dieter Bohlen setzt. Die deutschen Verleger und H&ndler selbst scheinen leicht schockiert, dass es keine klassischen Trivialromane oder Ratgeber mehr sind, von denen der erlSsende Umsatzschub ausgeht, sondern ein Gegenstand noch unterhalb der Schundgrenze. Die Gest&ndnisse, Bosheiten, Bettgeschichten eines alternden Schlagerstars, einschlieNich der begleitenden Rechtsh~ndel und Enthellungen gekr&nkter Sternchen am Rande, sind offenbar das einzig noch geeignete Material, mit dem Menschen, die sonst wenig lesen, zum Besuch einer Buchhandlung gebracht werden kSnnen. Die Stiftung Lesen, anstatt weiterhin zur
78Siehe hierzu auch die Ausffihrungenin Kapitel 9.
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Nutzung altertemlicher Literatur aufzurufen, sollte Dieter Bohlen zu ihrem Herold erkl~ren. Das heil~t nichts anderes, als dass Fernsehen und Boulevardbl&tter die FQhrung der Offentlichkeit ebernommen haben und das Buch vergleichbare Breitenwirkung nur mehr erwarten kann; wenn es sich in die Verwertungskette des inszenierten Prominentenklatsches einf0gt. Denn nat0rlich ist das Interesse an den Bohlens oder Naddels dieser Welt alles andere als naturw0chsig, es wird vielmehr in enger Verzahnung von Regenbogenpresse und Unterhaltungsfernsehen, mit viel Geld und wahrscheinlich unter Schweil~ und Tr&nen mehsam hergestellt. Es ist eine 0beraus t0chtig-zynische Industrie, an deren Erfolg nun auch die B0chermacher teilhaben - wahrscheinlich, weil sie sich daran erinnerten, dass Papier mindestens so geduldig wie ein Fernsehkanal sein kann." (Jessen 2003,S.1)
Das Ergebnis sind technologische Zerstreuungen, die einen Orientierungsverlust mit sich bringen, da Beurteilungsmagst~ibe verloren gehen. Informationen werden in einem weiteren Sinne unbegreiflich. Dieser Kommunikationsumwelt wird angelastet, dass sie uns ,,an der Konstruktion von das Leben bereichernden Erz~ihlungen hindert, indem sie unsere Aufmerksamkeit ablenkt und die Krgfte verzehrt, die wir dieser wichtigen Aufgabe widmen k6nnten." (Postman 1992, S. 62) Vor dem Hintergrund der hier zusammengefassten Argumente ist verst~indlich, dass eine solche Theorie nicht ohne Wirkung bleibt. Sie spiegelt amerikanische Erfahrungen wider, hat aber gerade auch in Deutschland vielfiiltige Resonanz erfahren. Dass die Argumente nach wie vor aktuell sind, kann man *ul3erungen des bereits zitierten ehemaligen amerikanischen CBS-Anchorman Walter Cronkite, aber auch einem kritischen Artikel anl~isslich der Frankfurter Buchmesse 2003 entnehmen (siehe die Beispieltexte auf den vorangegangenen Seiten) 79. Obwohl in allen Medium-Theorien wenig von Inhalten die Rede ist, werden diesen sehr weit reichende Folgen zugeschrieben. Nimmt man die Zielsetzung einer Medien6kologie ernst, dann fehlt eine angemessene Einbindung der Akzeptanzebene. Der in einem anderen Zusammenhang bereits angedeutete ,third person-effect '8~ scheint auch hier nicht ohne Wirkung zu bleiben. Wenn man sich mit der Frage besch~iftigt, was die Medien mit den Menschen machen, wird h~iufig zu wenig beachtet, was die Menschen mit den Medien machen. Die undifferenzierte Perspektive auf das Publikum und die Betonung der Oberfl~ichlichkeit von Medienangeboten fOhren in der Summe zu einem beunruhigenden Gesamtbild. Trotz allem Anregenden und Nachdenklichen, das diese Theorien vermitteln, wird die F~ihigkeit der Menschen, mit knappen Gt~tem effektiv umzugehen, untersch~itzt (siehe auch die Aussagen von Walter Cronkite). 79 Siehe hierzu auch die Hinweise und Ausf'tihrungen in Kapitel 6 und Kapitel 8. 80 Siehe hierzu die AusfOhrungen in Kapitel 6.
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Das Medium und die Botschaft: die Bedeutung des Verbreitungsmediums
Die Fixierung auf das Medium Fernsehen ffihrt des Weiteren dazu, dass die Kommunikationsumwelt nur partiell wahrgenommen wird. Die Dominanz dieses Mediums ist unbestritten, aber seine Beurteilung resultiert gerade aus dem Vergleich mit anderen Medien, die t~berdies nicht funktionslos geworden sind. Moderne Gesellschaften Iassen sich auch aus dieser Perspektive sehr differenziert wahrnehmen und entlang unterschiedlicher Formen der Mediennutzung beschreiben. Man muss diesbezt~glich neben erkennbaren Homogenisierungen immer auch Differenzierungen beachten. Dieser Aspekt wird im nachfolgenden Kapitel 11 noch einmal aufgegriffen.
D Hoikkala, Tommi et al. (1987): Wait a Minute, Mr. Postman! - Some Critical Remarks on
Neil Postman's Childhood Theory, in: Acta Sociologica 30, S. 87-99. McLuhan, Marshall (1968): Die Magischen KanNe. ))Understanding Media~. [Aus d. Amerik.]. Dt~sseldorf, Wien. Meyrowitz, Joshua (1990): l)berall und nirgends dabei. Die Fernseh-Gesellschaft I. [Aus d. Amerik.]. Weinheim, Basel.
11 Die WissensMuftforschung
11.1
Die Hypothese von der wachsenden WissensMuft
Wenn Diskussionen fiber die Funktionen von Massenmedien in modernen Gesellschaften geffihrt werden, ist der Hinweis auf die politische Notwendigkeit der Informationsvermittlung ein zentrales Argument. Massenmedien gew~ihrleisten durch ihre Arbeitsweise die Bereitstellung von Informationen und leisten einen Beitrag zur politischen Willensbildung. Das idealtypische Bild eines mtindigen Bt~rgers erg~inzt diese Sichtweise. Dieser informiert sich zum Zwecke begrfindeter Urteilsbildung umfassend und leistet dadurch seinen Beitrag zum Fortbestand einer informierten Offentlichkeit. Dieser allgemeine Anspruch verpflichtet Geber und Nehmer auf ein gemeinsames Ziel. Es wird nicht die Frage gestellt, ob die Notwendigkeit dieser gleichgerichteten Handlungen von allen geteilt wird und die Bindung von Motivationen an dieses Programm (,sich informieren') in der Bev61kemng gleichverteilt ist. Die so genannte Wissenskluftforschung verdankt ihre Popularit~it der Infragestellung dieses Ideals (vgl. Horstmann 1991, S. 10). Gemessen an dem Erscheinungsdatum des f0~r die Wissenskluftforschung zentralen Beitrags von Tichenor et al. liel3 man die gerade formulierten Annahmen lange unangetastet. Zu diesem Ergebnis kann man aber nur dann gelangen, wenn eine systematische Ausblendung anderer Forschungstraditionen erfolgt. Sowohl die Meinungsfiihrerforschung als auch die politische Partizipationsforschung hatten zum Zeitpunkt des Erscheinens des Beitrags ,,Mass Media Flow and Differential Growth in Knowledge" im Jahr 1970 bereits zahlreiche Befunde zusammengetragen, die unterschiedliche Informationsniveaus und Informationsbereitschaften einerseits und Abstufungen des politischen Involvements andererseits dokumentierten (vgl. zusammenfassend Weimann 1994, S. 159ff. und Milbrath/Goel 1977). Gegent~ber diesen bereits bekannten Ungleichheiten erweitert die Wissensklufthypothese den Zusammenhang von Informationsangebot und Informationsnutzung insbesondere durch eine zeitliche Komponente. Darfiber hinaus setzt sie einen Markstein ~ r eine Forschungstradition, die die Erkl~irung unterschiedlicher Informationsniveaus in der Bev61kemng zum Ziel hat. In ihrer ursprtinglichen Fassung lautet die Wissensklufthypothese wie folgt: ,,As the infusion of mass media information into a social system increases, segments of the population with higher socioeconomic status tend to acquire this information at a faster rate than the lower status segments, so that the gap in knowledge between these segments tends to increase rather than decrease." (Tichenor et al. 1970, S. 159f.)
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Die Wis senskluftforschung
Der Anlass zur Formulierung dieser allgemeinen Hypothese resultierte aus der systematischen Zusammenfahrung verschiedener Einzelbefunde, deren Darstellung den Kern des Beitrags bilden. Als zentrale erkl~irende Variable erweist sich in allen EinzelfNlen das formale Bildungsniveau der Bev6lkerung. Bevor eine erste Systematisierung dieser Forschungstradition erfolgt, sollen die relevanten ,,four types of research" (Tichenor et al. 1970, S. 159) kurz vorgestellt werden: 9
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Die Wirkung von Informationskampagnen 81 und die Diffusion von Nachrichten: Versuche, die Bev61kerung tiber die Bedeutung bestimmter Institutionen oder Programme zu informieren, fahrten immer wieder dazu, dass eher jene Personen erreicht wurden, die sich ohnehin far Themen dieser und anderer Art interessierten. Personen mit geringerer Bildung und Ntere Menschen nahmen seltener Kenntnis von diesen Informationskampagnen. Intel~retiert wird diese unterschiedliche Diffusion als Resultat eines Lerneffekts, der Einfluss auf das generelle Informationsbedtirfnis nimmt. Tichenor et al. zitieren Hyman and Sheatsley mit den Worten: ,,As people learn more, their interest increases, and as their interest increases, they are impelled to learn more." (zit. nach Tichenor et al. 1970, S. 161) Umgekehrt kommt eine Kommunikation mit jenen, die in Bezug auf die vermittelten Informationen noch als ein ,leeres Gerbil3' bezeichnet werden k6nnen, nicht zustande. Insofern illustrieren bereits diese Studien einen Zusammenhang zwischen drei Faktoren: allgemeines Bildungsniveau, Ausmal3 der Mediennutzung und Spektrum der Interessen. Zeitreihenanalysen zur Nachrichtendiffusion: Sowohl die Betrachtung kurzer als auch langer Diffusionszeitr~iume 82 belegt, dass Personen mit tiberdurchschnittlicher formaler Bildung zu einem h6heren Anteil die entsprechenden Informationen zur Kenntnis nehmen. Handelt es sich um Ereignisse von zentraler Bedeutung, spielt der Faktor Bildung kaum eine Rolle. Wenn aber Langzeitanalysen zu spezifischen Themen betrachtet werden, ist ein Effekt zwischen der kontinuierlichen Berichterstattung und dem formalen Bildungsniveau deutlich erkennbar. Obwohl es in dem betrachteten Zeitraum (1949-1965) zu einer Angleichung des allgemeinen Bildungsniveaus in der Bev61kerung der Vereinigten Staaten gekommen ist, steigt die Korrelation zwischen der Kenntnis bestimmter Themen und dem Bildungsniveau an. Wenngleich far den betrachteten Zeitraum keine Inhaltsanalysen des Medienangebots durchgefahrt wurden, lagen indirekte Hinweise auf eine zunehmende Berichterstattung zu den analysierten Themen (Rauchen und Krebsrisiko, M6glichkeit einer Mondlandung, Positionierung von Satelliten im All) vor.
81 Zur Wirkung von ,,Communication Campaigns" siehe ausfiahrlich Rogers/Storey 1987. 82 Eine Verknapfung mit der Diffusionsforschung (Ausbreitung von Innovationen) hat insbesondere Rogers praktiziert und in Bezug auf die Innovationsforschung in unterschiedlichen sozialen Systemen von einem ,,Communication Effects Gap" (Rogers 2003, S. 457) gesprochen.
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[]
289
Unterbrechung des Informationsflusses: Wenn die Wissensklufthypothese konsequent interpretiert wird, dann muss ein R~ickgang der Informationsmenge vorfibergehend zu einer Angleichung der Informationsniveaus in der Bev61kerung ffihren. D i e systematische l~Jberprfifung dieser Fragestellung ist mit vielen Problemen behaftet, auf die Tichenor et al. auch ausdrficklich hinweisen. Man kann allenfalls kurzfristige Effekte eines fehlenden Informationszuflusses registrieren, da sich Personen mit einem hohen Informationsbedt~rfnis sehr rasch nach alternativen M6glichkeiten der Informationsbeschaffung umsehen werden. Dennoch konnte ein yon Samuelson vorgenommener Vergleich einer bestreikten mit einer nicht bestreikten Gemeinde entsprechende Tendenzen aufzeigen. Das vorfibergehende Fehlen einer Tageszeitung reduzierte die Informationsdifferenz zwischen verschiedenen Bildungsgruppen in der bestreikten Gemeinde st~irker als in der nicht bestreikten Gemeinde. Da keine Vorher-NachherMessungen stattfanden und zudem keine systematische Kontrolle relevanter soziodemografischer Merkmale erfolgte, konnte das Ergebnis lediglich als Hinweis interpretiert werden, das der Wissensklufihypothese nicht widersprach. Die Bedeutung der Publizit~it yon Themen: Wenn sich Informationsniveaus dynamisch entwickeln und sich in zeitlicher Hinsicht die Differenz zwischen geringer und h6her Gebildeten ausweitet, mfisste im Falle neuer Themen mit einer noch geringen Publizit~t (=Ausmal3 der bisherigen Berichterstattung) die Informationsdifferenz zwischen verschiedenen Bildungsgruppen geringer ausfallen. Uberprfifl wurde diese Fragestellung mit Hilfe eines Lesetests. Den Befragten wurden Artikel zu Themen pr~isentiert, die in der Vergangenheit eine unterschiedliche Aufmerksamkeit in der Berichterstattung erfahren hatten. Im Anschluss an die Lektfire der Artikel wurde das Verst~indnis des Inhaltes gemessen und mit dem Bildungsniveau korreliert (zu weiteren Details siehe Tichenor et al. 1970, S. 168f.). Im GroBen und Ganzen best~itigte das Experiment, dass im Falle h~iufig publizierter Themen die Wissenskluft zwischen verschiedenen Bildungsgruppen ansteigt. Zwar fehlte auch in diesem Falle die systematische Be~cksichtigung der zeitlichen Komponente, das Resultat gab jedoch keinen Anlass zur Korrektur der allgemeinen Hypothese.
Diese Ergebnisse kontrastierten das Ideal des mfindigen Btirgers mit eher desillusionierenden Fakten. Tichenor et al. stellten fest: ,,At least for the subjects investigated here, the mass media seem to have a function similar to that of other social institutions: that of reinforcing or increasing existing inequities." (Tichenor et al. 1970, S. 170) Diese weit reichende Schlussfolgerung konnte h~iufig nicht mit eindeutigen empirischen Ergebnissen untermauert werden. So wahrscheinlich und nahe liegend der formulierte Zusammenhang auch ist - dem in der Hypothese pr~isentierten Faktorenbfindel wird immer nur partiell Rechnung getragen. Die Verkn~pfung von Medienangebot und Mediennutzung beruht h~iufig auf Plausibilit~itsfiberlegun-
290
Die Wis senskluftforschung
gen, die sich im Sinne von Kontaktwahrscheinlichkeiten interpretieren lassen. Ob sich diese Kontaktwahrscheinlichkeiten durch die Inanspruchnahme des Mediums Femsehen angleichen, wird im Jahr 1970 als eine wichtige Frage der zukt~nftigen Forschung angesehen. Die Formulierung der Wissenskluflhypothese orientierte sich zun/ichst vorwiegend an der Nutzung von Tageszeitungen und anderen gedruckten Medien. Die Berticksichtigung dieses Aspekts schl/igt sich auch in den fanf Faktoren nieder, die Tichenor et al. als relevante Erkl/~rungsgr6Ben von Wissenskltiften benennen: 9
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9 9
Kommunikationsfertigkeiten (communication skills): Diese Fertigkeiten repr~isentieren das Ergebnis von erfahrener und praktizierter Bildung. Betont wird insbesondere das Vorhandensein von Lese- und Verstehensfertigkeiten, die sich positiv auf die Nutzung von Informationen aus Politik und Wissenschafl auswirken. Das vorhandene Wissensniveau: Wissensklfifte sind das Resultat von Lemeffekten, die sich kumulativ auswirken. Die Mediennutzung spiegelt somit auch die Vorleistungen anderer Institutionen wider, insbesondere des Bildungswesens. Soziale Beziehungen: Mit der formalen Bildung gehen in der Regel auch unterschiedliche Interessenspektren einher, die interpersonale Kommunikation tiber unterschiedlichste Themen wahrscheinlich machen. Je hOher die formale Bildung, desto h~iufiger kann die Einbindung in solche Diskussionsgruppen beobachtet werden. Insofern erfolgt erg~inzend zur Mediennutzung ein zus~itzlicher Informationszufluss. Selektive Mediennutzung: Je h6her das allgemeine Bildungsniveau, desto wahrscheinlicher ist die gezielte Inanspruchnahme von Medienangeboten. Das Tr~igermedium der Information: Obwohl in der Erl~iuterung dieses Faktors kein Bezug auf die Differenz zwischen Fernsehen und Zeitung bzw. gedruckten Medien genommen wird, l~isst sich daraus ableiten, dass gedruckte Medien eine Form der Berichterstattung praktizieren, die eher den Interessen und Neigungen von Personen mit einem h6heren sozialen Status entgegenkommt. Insofern wird auch auf formaler Ebene ein Lerneffekt untersttitzt, der zu den bereits genannten kumulativen Effekten beitr~igt.
Da diese Pionierarbeit der Wissenskluflforschung an der University of Minnesota entstand, wurde auch von den Arbeiten der Minnesota-Gruppe gesprochen. Folgt man der Darstellung von Bonfadelli, dann werden far die Untersuchung entsprechender Ungleichheitsph/~nomene drei Dimensionen zugrunde gelegt: die sachliche Dimension bezieht sich auf das berficksichtigte Thema und repr/~sentiert die inhaltliche Komponente, die zeitliche Dimension weist auf die Notwendigkeit einer L/~ngsschnittbetrachtung hin und die soziale Dimension lenkt den B lick auf
Die Wissenskluftforschung
291
unterschiedliche Formen der Inanspruchnahme von Medieninhalten, die Vor- oder Nachteile in anderen Feldem des sozialen Handelns mit sich bringen k6nnen (vgl. Bonfadelli 1987, S. 306) 83. Entscheidender als diese Klassifikation aber ist eine pr~izisere Bestimmung der zugrunde gelegten Differenzierungsebenen. Horstmann hat in einer umfangreichen Untersuchung der Wissenskluftforschung drei Bereiche vorgeschlagen, in denen eine exaktere Terminologie bzw. Abgrenzung erfolgen mtisse. Konkret geht es um eine Differenzierung des Wissensbegriffs, der behandelten Themen und der in Anspruch genommenen Medien (vgl. Horstmann 1991, S. 29).
11.2
Aspekte der Entstehung von Wissenskliiften
Die von Horstmann vorgeschlagenen Differenzierungsebenen sollen im Folgenden aufgegriffen werden, um ein besseres Verst~indnis der Prozesse zu erhalten, die zur Entstehung von Wissenskltiften beitragen. Differenzierung des Wissensbegriffs: Die Formulierung der Wissensklufthypothese resultierte aus der Beobachtung unterschiedlicher Kenntnisse in verschiedenen Themenbereichen. Die Beispiele, die Tichenor et al. zur Illustration ihrer Aussage heranzogen, entstammten sowohl dem Bereich unvorhersehbarer politischer Ereignisse (Stichwort: ,News Diffusion') als auch wissenschaftlichtechnischer Entwicklungen. Schon diese Differenzierung l~isst erwarten, dass das Ausmal3 der jeweiligen Kenntnisse von der Breite und Vielfalt des Themas mitbestimmt wird. Singul~ire politische Entscheidungen erfahren beispielsweise in der Regel keine lange andauernde Publizit~it und stellen nur eine begrenzte Informationsmenge bereit, die man sich aneignen kann. Letztlich aber werden viele Ereignisse und Entscheidungen auf eine Geschichte verweisen k6nnen. Diese enthNt zus~itzliche Hinweise, die far das Verst~indnis und die Einbindung eines Ph~inomens bzw. Sachverhalts relevant sind. Gerade auf dieser Ebene erweist sich die Unterscheidung von Fakten- und Strukturwissen als bedeutsam. Faktenwissen ist ergebnisorientiert, Strukmrwissen hingegen prozessorientiert. Ein einfaches Beispiel far Faktenwissen aus dem Bereich der Politik k6nnte wie folgt lauten: ,,Welche politischen Parteien sind im Jahr 2002 in Deutschland zur Bundestagswahl angetreten?" Weitergehende Faktenfragen k6nnten sich auf das Procedere des Wahlverfahrens beziehen (z.B. auf die Bedeutung von Erst- und Zweitstimme). Je mehr aber der Bereich des Faktenwissens erweitert wird, desto st~irker beziehen sich die Fragen auf ,,Entwicklungen, Ursa83 In einer aktualisierten Version spricht Bonfadelli von zeitlicher, sachlicher und sozialer Dynamik (vgl. Bonfadelli 2002, S.583f.)
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Die Wissensklufiforschung chen und Konsequenzen, die mit Objekten bzw. Tatbest~inden verbunden sind." (Horstmann 1991, S. 30) W~ihrend sich das Faktenwissen im Rahmen von Repfiisentativbefragungen relativ leicht ermitteln l~isst, erfordert die Erfassung des Strukturwissens differenziertere Indikatoren und gelegentlich den Einsatz offener Fragen. Grunds~itzlich lassen sich zu den jeweiligen Themengebieten verschiedene Wissenstests konzipieren; die Situation der Befragung aber wird von den Beteiligten in diesen F~illen als eine P~fungssituation wahrgenommen und hohe Verweigerungsquoten sind wahrscheinlich. Von daher sind der Ermittlung von Wissensdifferenzen auf der Ebene der Operationalisierung Grenzen gesetzt. Insgesamt l~isst sich schlussfolgern, dass im Falle der Konzentration auf einfache Faktenfragen die Wahrscheinlichkeit von Wissensklfiften eher gering ist. Je detaillierter die Abfrage erfolgt, desto wahrscheinlicher ist, dass sich die Vertrautheit mit dem jeweiligen Ph~inomen in Wissensdifferenzen niederschl~igt. Diese Unterschiede k6nnen sich in zeitlicher Hinsicht angleichen, wenn ein bestimmtes Thema eine hohe Publizit~it erf'~ihrt und der Anteil zus~itzlicher neuer Informationen abnimmt (vgl. hierzu auch Viswanath/Finnegan 1996, S. 197f.). Die formale Bildung und der sozio6konomische Status fahren auf der Ebene des Strukturwissens h~iufiger zu deutlicheren Differenzen in Bezug auf den Wissensstand in der Bev61kerung. Eine solche Feststellung entspricht den Erwartungen, wird aber gelegentlich auch als ein nicht sonderlich fiberraschender Befund bezeichnet. So liest man beispielsweise bei Hamm und Koller: ,,DAB Personen mit Abitur oder gar Universit~itsdiplom im Laufe ihrer langen Ausbildung gelemt haben, sich Informationen schneller, leichter und tiefer anzueignen als andere, erscheint nicht mehr als recht und billig [...]" (Hamm/Koller 1992, S. 223) Diese unmissverst~indliche Einsch~itzung kann auch als Hinweis auf die Notwendigkeit der Berficksichtigung weiterer Erkl~irungsfaktoren gelesen werden. Hierzu z~ihlt die empfundene Relevanz des jeweiligen Themas. Die Relevanz der Themen: Die Minnesota-Gruppe w~ihlte far ihre Untersuchungen h~iufig den Bezugsrahmen der Gemeinde (community) 84. Je heterogener eine Gemeinde ist, desto wahrscheinlicher ist das Auftreten von Konflikten. Diese wiederum sind Anlass far eine intensivere Auseinandersetzung mit bestimmten Themen. Immer dann, wenn es sich um far die Gemeinde wichtige Aspekte handelt, verringert sich die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Wissenskltfften. Die Gleichverteilung des Wissens wird durch soziale Konflikte eher erh6ht (vgl. hierzu Donohue et al. 1985, 1987). Zugleich wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass eine wirkliche Partizipation
84 Siehe hierzu auch die Analyse von Cho/McLeod (2007), die auf der Basis des ,,Social Capital Bench mark Survey 2000" Wissensklufteffekte auf der Individual- und Gemeindeebene (,,community level") differenzieren.
Die Wis senskluftforschung
293
an Themen von 6ffentlicher Relevanz den Zugang zu sehr spezifischen Informationsquellen erfordert. Da nicht alles 6ffentlich ist, k6nnen auch hierdurch Informationsungleichheiten entstehen (vgl. Viswanath~innegan 1996, S. 207). Obwohl diese Tradition der Wissenskluftforschung somit eine Verankerung der Untersuchungen im lokalen Bereich nahelegt, wird die Diskussion insgesamt doch auf einer allgemeineren und damit in geografischer Hinsicht auch grol3r~iumigeren Ebene gefahrt. Ungeachtet dessen zeigt der Hinweis auf das Konfliktpotential von Themen, dass sich hier eine nivellierende Wirkung auf Wissensdifferenzen entfalten kann. Relevanz kann die Dominanz des formalen Bildungsniveaus als Erkl~imngsfaktor reduzieren. Sofern sich diese Relevanz nur durch ~iugere Einflt~sse ergibt, wird diese Nivellierang von Wissensunterschieden jedoch nicht dauerhaft sein. Die bereits angesprochene geografische Dimension Ienkt die Aufmerksamkeit zugleich auf eine Unterscheidung, die von nahe liegenden und entfemten Themen spricht. ,Nahe liegend' und ,entfernt' kann sowohl im geografischen Sinne als auch im Sinne von Betroffenheit interpretiert werden. Beide Dimensionen (Relevanz und Distanz) lassen sich miteinander verknt~pfen (vgl. Abbildung 11.1 auf der n~ichsten Seite). Die in Abbildung 11.1 genannten Beispiele sind jeweils aus der Sicht des Rezipienten zu interpretieren und mt~ssen als durchschnittliche Perspektiven gelesen werden. Immer dann, wenn die Relevanz durch unterschiedliche Interessen iJberlagert wird, lassen sich die genannten Beispiele nicht generalisieren. Wer Mitglied eines Vereins ist, hNt die Berichterstattung far wichtig, wer ein fremdes Land aus eigener Anschauung kennt, interessiert sich far die dortigen Entwicklungen. Dennoch wird das 6ffentliche Interesse an diesen Themen in erster Linie durch die empfundene Relevanz bestimmt. Das Problem der Generalisierbarkeit resultiert aus unterschiedlichen Bezugsebenen und Relevanzzonen. Diese Feststellung kann sich auf die wissenssoziologische Forschung berufen, der nahe liegende Erkl~imngen far unterschiedliches Informationsverhalten entnommen werden k0nnen. Der Soziologe Alfred Scht~tz (1899-1959) hat mit Hilfe einer idealtypischen Unterscheidung illustriert, dass das Bedt~rfnis nach einer differenzierten Meinungsbildung ungleich verteilt ist. W~ihrend beispielsweise der Typus ,Mann auf der StraBe' Informationen, die aul3erhalb seiner Kontrolle liegen, als irrelevant einstuft, geht es dem ,gut informierten' Bt~rger' auch um Kenntnisse in Wissensbereichen, die ihn nicht unmittelbar betreffen, weil er ,Informiert-sein' als Pflicht empfindet. SchlieBlich geht es dem Typus des ,Experten' um Detailwissen in spezifischen Gebieten (vgl. Sch~tz 1972a, S. 85ff.).
294
Die Wissenskluflforschung
Abbildung 11.1 Nahe liegende' und ,entfernte' Themen
DISTANZ nah
entfernt
niedrig
Vereinsjubil~ium
Neuer Gouverneur in Kalifornien
hoch
Schliel~ung 6ffentlicher Freizeiteinrichtungen
Internationale W~ihrungskrise
RELEVANZ
Quelle: Eigene Erstellung Somit illustriert diese Unterscheidung unterschiedliche Vorstellungen von Notwendigkeiten: ,,Dem Mann auf der Stral3e genfgt es zu wissen, dab es Experten gibt, der informierte Bfrger hingegen traut sich durchaus ein UrteiI zu, ob jemand als kompetenter Experte zu gelten hat oder nicht." (J~ickel 1994, S. 21) Diese Orientierungen werden im Alltagshandeln praktisch und sind das Resultat von Sozialisationsprozessen, die eine N~ihe bzw. Distanz zu verschiedenen Themenbereichen mit sich bringen. Darauf hat Schftz mit der Unterscheidung von Bekanntheitswissen und Vertrautheitswissen hingewiesen (vgl. Schftz 1972b, S. 55f.). Dennoch k6nnen diese Sozialisationseinflfsse durch die Omnipr~isenz der Medienangebote in ihrer Bedeutung gemindert werden. Ansonsten w~ire nicht erkl~irbar, wie es unter bestimmten Bedingungen zu einer Angleichung von zun~ichst deutlich erkennbaren Wissensdifferenzen gekommen ist. Wenn hinsichtlich eines bestimmten Themas kein Informationszuwachs zu verzeichnen ist, steigt die Wahrscheinlichkeit der gerade beschriebenen Angleichung. Die zun~ichst weniger Informierten, die im Sinne von Tichenor et al. Informationen weniger rasch aufnehmen, schliel3en gegenfiber den frfihen 121bemehmem auf und tragen zu einer Einebnung der Wissenskluft bei. In diesem Zusammenhang wird auch von einem Deckeneffekt bzw. ,Ceiling'Effekt gesprochen. Dieser Effekt muss sich nicht notwendigerweise in einer Angleichung der Wissensdifferenzen niederschlagen. Es kann auch der Fall eintreten, dass
Die Wissenskluftforschung
295
der Kern der relevanten Informationen von einem Teil der Bev61kemng in einem relativ kurzen Zeitraum erfasst wird und weitergehende Informationen zu diesem Thema keinen Anstieg des Wissens mehr zur Folge haben. Abbildung 11.2 Wahrnehmung einer Informationskampagne zum Thema ,radioaktive Strahlung' in verschiedenen Bildungsgruppen (Niederlande)
12 11 10 9 8 7 6 5 4
Bildung
3
hoch mittel
1
---O--- niedrig
0 15
17
19
21
23
25
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START DER KAMPAGNE
29
31
33
35
37
39
41
43
45
Kalenderwoche
Quelle: Weenig/Midden 1997, S. 951 Im Rahmen einer niederl~indischen Untersuchung wurden beispielsweise mehrere Informationskampagnen in den Massenmedien analysiert und die Kenntnisnahme nach verschiedenen Bildungsgruppen differenziert. Abbildung 11.2 verdeutlicht die Nachrichten- bzw. Informationsdiffusion, die sich bezaglich einer Kampagne zum Thema ,radioaktive Strahlung' zeigte. Die Bev61kemng mit einem niedrigen Bildungsniveau hat auch nach einer tiber 20-w6chigen Dauer der Kampagne gegent~ber den t~brigen Bildungsgruppen nicht ,aufgeholt', der Abstand zu den mittleren und h6heren Bildungsgruppen vergrOl3erte sich eher noch. Hingegen zeigte sich far die Bev61kerung mit hohem Bildungsniveau, dass dort sehr rasch ca. 9% der Zielpopulation erreicht wurde und sich dieser Wert 16 Wochen sp~iter nur auf ca. 10% erh6ht hatte. Lediglich die Bev61kemng mit einem mittleren Bildungsniveau konnte den
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Die Wissenskluftforschung
Abstand zur gerade beschriebenen Gruppe im beobachteten Zeitraum verringern. Aus der Gesamtschau ihrer Ergebnisse leiten die Autoren eine Best~itigung der Wissensklufthypothese ab und stellen fest, ,,that gaps between education groups more likely develop as a result of a lower degree of attention among the lower educated than as a result of motivational or cognitive differences between the higher and lower educated." (Weenig/Midden 1997, S. 958) Von dieser Feststellung kann zum dritten Differenzierungskriterium t~bergeleitet werden. 9
9
9 9
9
Inanspruchnahme von Medienangeboten: Es war in erster Linie die unterschiedliche Nutzung gedruckter Medien, die den Anlass zur Formulierung der Wissensklufthypothese gegeben hatte. Mit dem Aufkommen des Fernsehens h~iuften sich Augerungen, die diesem Medium die F~ihigkeit einer Anpassung von Wissensniveaus (,knowledge leveler') zuschrieben. Neuman nannte im Jahr 1976 mehrere Grt~nde, die far eine solche Nivellierung mal3gebend sein k6nnen (vgl. Neuman 1976, S. 115f.): Das Fernsehen ist ein Medium, das von allen Bildungsgruppen in Anspruch genommen wird. Im Vergleich zu anderen Medien erweist sich die Bildung im Falle des Fernsehens als ein weniger trennscharfer Faktor. Mitglieder aus den unteren sozialen Schichten neigen dazu, ihr Informationsverhalten auf das Fernsehen zu konzentrieren. Im Falle der Fernsehnutzung dominieren Unterhaltungsmotive, im Falle der Nutzung anderer Medien h~iufiger Informationsmotive. Hinzu kommt der Faktor ,Rezeptionssituation': ,,One thinks of the evening television audience as tired after a hard day's work, staring blankly at their sets as news and entertainment come at them in a steady stream of words and images. It may be that the special attentiveness to political issues usually associated with higher levels of education simply does not come into play under such circumstances." (Neuman 1976, S. 116) Fernsehnutzung erfolgt eher nicht-selektiv und fahrt zu einer weniger bewussten Auswahl von Nachrichten. Im Falle der Zeitungslektare kann der Leser die Informationsaufnahme steuern. Dies trifft far das Medium Fernsehen nicht zu, da die Reihenfolge der Nachrichtenbeitr~tge vorgegeben ist. Hierzu bemerkte Neuman: ,,Thus, the less politically oriented individual who would perhaps skip most of the more abstract national and international news stories in a newspaper, cannot skip over them in the same sense when they are presented in a newscast. Perhaps the less interested segment of the television audience mentally ,tunes out' when a complex and abstract news story is being presented. Nonetheless, there would certainly seem to be less opportunity for such selectivity in the case of television." (Neuman 1976, S. 116)
Die Wis senskluftforschung
297
Der hier angedeutete Medienvergleich konzentriert sich in erster Linie auf eine Gegent~berstellung von Fernsehen und Tageszeitung. Dem Fernsehen wird eher eine ,Spotlight'-Funktion zugeschrieben, die keine tiefergehende Informationsvermittlung erm6glicht. W~ihrend der Rezipient im Falle der Tageszeitung die Geschwindigkeit der Informationsaufnahme selbst bestimmen kann, ist im Falle des Femsehens eine Unterbrechung der Informationsaufnahme mit der Nicht-Wahmehmung von Informationen verbunden. Insgesamt wird das Fernsehen deshalb als ein flt~chtigeres Medium bezeichnet. Entscheidend dt~rfte sein, ob insgesamt eher homogene oder differenzierte Formen der Mediennutzung praktiziert werden. Wenn sich jemand ausschlieglich auf die Informationen des Fernsehens konzentriert, gehen damit wahrscheinlich auch Pr~iferenzen einher, die eine Unterhaltungsorientierung begt~nstigen. Denn die Erwartung, dass gerade in niedrigeren sozialen Schichten das Fernsehen das Wissen zu bestimmten Themen erh6hen konnte, wurde in amerikanischen Untersuchungen eher nicht best~itigt (vgl. die Hinweise bei Viswanath/Finnegan 1996, S. 201) 85. Die bereits erw~ihnte Studie von Neuman konnte nachweisen, dass immer dann, wenn das Fernsehen Teil der Mediennutzung ist, Wissensdifferenzen seltener auf Bildungsdifferenzen zurt~ckgefahrt werden konnten (vgl. Neuman 1976, S. 122). Insgesamt mangelt es in diesem Bereich der Forschung aber an einer konsequenten Verkntipfung von Medieninhalten einerseits und Wissensniveaus andererseits, im Vergleich zur Presse und den dort verwandten Informationsformaten wird die Wahmehmung der M6glichkeiten audiovisueller Medien durch eine Uberbetonung des Unterhaltungselements nicht angemessen thematisiert. Insofern kann Viswanath und Finnegan zugestimmt werden, wenn sie zu der Schlussfolgerung gelangen: ,,In summary, findings on channel influence and the knowledge gap are inconclusive and suggest needed areas of study." (1996, S. 202) Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Einbindung von Medieninhalten macht bereits deutlich, dass es innerhalb der Wissenskluftforschung nach wie vor methodische Probleme zu bewNtigen gibt. Schon in den 1980er Jahren hat Bonfadelli auf die insgesamt disparate Forschungslage hingewiesen und daffir vorwiegend methodische Defizite verantwortlich gemacht. L~tngsschnittanalysen sind selten, die Berichterstattung zu mehreren Themen in verschiedenen Medien wird in der Regel nur unzureichend oder gar nicht berficksichtigt, die Gr~13e der Stichproben variiert erheblich usw. (vgl. Bonfadelli 1987, S. 313). Jeder Versuch einer ganzheitlichen Betrachtung des Ph~tnomens muss aber in Betracht ziehen, dass sich die Sozialwissenschaften in einem dynamischen Beobachtungsfeld bewegen und die Berficksichtigung aller relevanten Faktoren enorme finanzielle und zeitliche Kapazit~tten erfordert. Abbildung 11.3 soil einen Eindruck davon vermitteln, welche Notwendigkeiten aus einer Berficksichtigung aller relevanten Faktoren resultieren k6nnen. Die Domi85 Zum Erfolg von Bildungsfemsehen bei Kindem in bestimmten Zusammenh~ingen siehe Fisch 2002.
298
Die Wis senskluftforschung
nanz kleinerer Untersuchungen wird angesichts dieses umfassenden Programms auch in Zukunft die Regel sein. Abbildung 11.3 Methodische Erfordernisse im Rahmen der Wissenskluftforschung
I Ermitluvon ngQuant-~ it~it und Qualit~t der Berichterstattung in den jeweils relevanten Medien zu den ieweils relevanten Themen
I I
Inhaltsanalyse Bestimmung der Komplexit~it des Themas
Soziodemografie Ermittlung der relevanten sozialstrukturellen Merkmale
,
Ermittlung des Informationsverhaltens der Bev~lkerung/Zielgruppen
gleichheiUnt
Abbildung sozialer
1
)Wissens (VorErmittlung des zu den relevanten Themen
...........................................................................................
Repr~isentativbefragungunter BerQcksichtigungquantitativer (Nutzungsdauer, Medienrepertoire) und qualitativer Aspekte (selektive/nichtselektive Nutzung) Indikatoren for Faktenwissen Indikatoren f0r Strukturwissen
Wie entwickelt sich der Wissensverlauf zu bestimmten Themen in der
to
tl
Bev61kerunc/? tn
...
Quelle: Eigene Erstellung
11.3
lnteressen und Notwendigkeiten: Defizittheorie versus Differenztheorie
Die Popularit~it der Wissensklufthypothese mag darauf zurfickzufahren sein, dass sie den Massenmedien eine bestimmte Funktion in modemen Gesellschaften zuschreibt und regelmW3ig den Nachweis erbringt, dass diese Funktion nicht optimal erffillt wird. Ob es den Informationsangeboten der Massenmedien tats~ichlich nicht gelingt, zu einer allgemeinen Erh6hung des Wissensstandes in der Bev61kemng beizutragen, darf mit einem Fragezeichen versehen werden. Letztlich aber muss die Problematik der Wissenskluftforschung auf die Relationen zwischen verschiedenen Bev6lkerungsgruppen bzw. sozialen Schichten bezogen werden. Das schliegt nicht aus, dass im Zuge einer kontinuierlichen Nutzung von Medienangeboten auch jene einen Informationszuwachs verzeichnen k6nnen, die nicht von einem spezifischen Informationsinteresse geleitet werden. Folgt man der Einsch~itzung von Bonfadelli, dann hat sich die Wissenskluftforschung im Laufe ihrer Entwicklung von ihrer normativen Fundierung etwas entfemt. Bereits 1987 stellte er fest: ,,In der anf~inglichen
Die Wis senskluftforschung
299
Wissensklufthypothese orientierte man sich haupts~ichlich an bestimmten Wissensbest~inden und begriff die bestehenden Wissensunterschiede meist normativ als Defizite der Unterprivilegierten. Demgegenfiber betont eine differenztheoretische Interpretation unterschiedliche Wissensverteilungen aufgrund je situativ verteilter unterschiedlicher Motivationen, entsprechende Informationsangebote zu nutzen und aufzunehmen. Nach ihr sind bestehende Wissensklfifte vor allem Resultat unterschiedlicher Motivation, Information aufzunehmen, und nicht fehlender oder mangelnder Nutzungskompetenzen." (Bonfadelli 1987, S. 312) W~ihrend die Defizittheorie somit vor~iegend auf ,education-based gaps' aufbaut, ftihrt die Differenztheorie die Bedeutung von ,,interest-based gaps" (Viswanath/Finnegan 1996, S. 198) ein. Unter Bezugnahme auf die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Faktoren mfisste man schlussfolgern: Es sind situationsspezifische Faktoren, die in Kombination mit der empfundenen Relevanz und dem pers6nlichen Interesse in der Lage sein kOnnen, die Bedeutung der sozialen Schichtzugeh6rigkeit bzw. der formalen Bildung zu fiberlagern und dem erwarteten Effekt einer wachsenden Wissenskluft entgegenwirken. 86 Nach Kwak lassen sich die bisherigen Studien zum Zusammenhang von Bildung und Motivation im Kontext der Wissenskluftdebatte drei konkurrierenden Modellen zuordnen (vgl. Kwak 1999, S. 386ff.): Causal Association-Modell: Im Rahmen dieses Ansatzes wird der sozio6konomische Status in der Regel fiber den Indikator ,formales Bildungsniveau' operationalisiert und als Faktor betrachtet, der ffir die Erkl~irung von unterschiedlichen Motivationen von zentraler Bedeutung ist. Dabei wird gleichwohl nicht deterministisch argumentiert. Bereits Tichenor u.a. haben die Wechselwirkung von Bildung einerseits und Motivation andererseits betont 87. Rival Explanation-Modell: Rivalit~it bedeutet in diesem Zusammenhang, dass motivationale und bildungsbezogene Variablen ,,as competing sources of effects on knowledge acquisition" (Kwak 1999, S. 387) interpretiert werden. Hier wird ausdriicklich betont, dass beispielsweise ein starkes themenbezogenes Involvement (auch im Sinne von Betroffenheit) einen unabh~ingigen und somit In Bezug auf Informationskampagnen hat Mendelsohn 25 Jahre nach der Ver6ffentlichung des Aufsatzes ,,Some reasons why information campaigns fail" von Hyman und Sheatsley (1947) die Frage gestellt, unter welchen Umst~inden diese trotzdem erfolgreich sein k6nnen. Seiner Ansicht nach ist der Misserfolg vieler Kampagnen weniger dem Publikum als den Kampagnenplanern selbst anzulasten. Mit sorgf~iltiger Problemanalyse, Formulierung von expliziten Zielen, Segmentierung nach Zielgruppen, Mitbe~cksichtigung von interpersonalen Kanfilen und integrierter empirischer Evaluation k6nne die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs von Informationskampagnen deutlich erhOht werden (vgl. Mendelsohn 1973, S. 52ff.). Darfiber hinaus verdeutlicht der verst/irkte Einsatz von Entertainment-EducationKonzepten, dass gerade auch unterhaltsamen Formaten Lerneffekte zugeschrieben werden kOnnen (vgl. den Oberblick bei Singhal/Rogers 1999). 87 Siehe hierzu auch die Ausfiihrungen in Kapitel 11.1. Grabe et al. (2000) haben die Knowledge GapHypothese experimentell tiberprfift.
86
300
Die Wissenskluftforschung eigenst~indigen Erkl~imngswert ffir beobachtbare Wissendifferenzen in der Bev61kemng bzw. der analysierten Zielgmppe hat. Motivation-Contingency-Modell: Dieses Modell unterstellt, dass es einen ,,main effect of education on knowledge acquisition" (Kwak 1999, S. 388) gibt. Im Falle einer hohen Motivation aber wird erwartet, ,,that the effect of education on knowledge acquisition will be canceled out to a significant degree [...]." (Kwak 1999, S. 388) Mit anderen Worten: Die normalerweise beobachtbare Differenz zwischen Gruppen mit unterschiedlichem sozio-6konomischen Status (Bildung, Einkommen) verringert sich signifikant, wenn ein hohes Involvement gegeben ist. Offensichtlich impliziert diese Annahme aber auch, dass dort, wo der Bildungseffekt sich im Sinne eines Wissensvorsprungs niederschl~igt, die Motivation keinen signifikanten weiteren Vorsprung entstehen l~isst.
Die Trennsch~irfe dieser Modelle ist eher als niedrig zu bezeichnen. Abbildung 11.4 versucht die Differenzen grafisch zu veranschaulichen. Abbildung 11.4 Knowledge Gap-Modelle im Oberblick Wissensindex
............ hohe Bildung niedrige Bildung
X hohe Bildung Wissensindex
X niedrige Bildung =.,=
I geringe
I hohe
Motivation
Motivation
"-
Wissensindex
CausaI-Association-Modell
I
geringe Motivation
I
" -
hohe Motivation
RivaI-Explanation-Modell
I
geringe Motivation
I
"-
hohe Motivation
Motivation-Contingency-Modell
Quelle" Eigene Erstellung (in Anlehnung an Kwak 1999)
Die Wissenskluftforschung
301
In bewusster Orientierung an der ursprfinglich von Tichenor et al. formulierten Hypothese lautete die 1977 eingeffihrte Differenzhypothese im Original zun~ichst wie folgt: ,,As the infusion of mass information into a social system increases, segments of the population motivated to acquire that information and/or for which that information is functional tend to acquire the information at a faster rate than those not motivated or for which it is not functional, so that the gap in knowledge between these segments tends to increase rather than decrease." (Ettema/Kline 1977, S. 188) Diese ,Konkurrenz-Hypothese' hat in der Forschung eine gewisse Polarisierung begiinstigt und die Neigung verst~irkt, sich entweder auf die ursprfingliche oder die modifizierte Variante zu beziehen, obwohl sich die Favorisierung des MotivationContingency-Modells nicht auf einen fiberzeugenden statistischen Nachweis stfitzen konnte (vgl. Kwak 1999, S. 388). In diesem Zusammenhang blieb darfiber hinaus die Frage nachrangig, ob Motivation bzw. Interesse als gegebene Gr6gen betrachten werden k6nnen oder nicht doch ein nahe liegender Zusammenhang zwischen der formalen Bildung und diesem Kriterium besteht. In diesem Sinne ~iul3ert sich auch Wirth, wenn er anstelle einer Entweder-oder-Konzeption ffir die Annahme sich gegenseitig verst~irkender Faktoren (Motivation und Schulbildung) pl~idiert (vgl. Wirth 1997, S. 40). Anh~inger der Differenzhypothese sehen ihre Auffassung insbesondere dann best~itigt, wenn sich die zu einem bestimmten Zeitpunkt gemessenen Wissensunterschiede im Zeitablauf nicht ver~indern und das Interesse an dem jeweiligen Thema nicht hinter die Erkl~irungskrafi der formalen Bildung zurficktritt bzw. diese tibertrumpft. Horstmann untersuchte beispielsweise den Wissenszuwachs zum Thema ,Europawahl' mit Hilfe einer Panelanalyse und schrieb dem politischen Interesse eine zentrale Bedeutung ffir die zu beobachtenden Wissenszuw~ichse zu (vgl. Horstmann 1991, S. 146). Zu be~cksichtigen ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass das Thema ,Europa' (analysiert wurde die Europawahl 1984) insgesamt auf ein geringeres Interesse in der Bev61kerung stiel3 und der Kenntnisstand fiber das EuropNsche Parlament und andere Institutionen gering war. Daher ist zu fragen, inwiefern hier spezifische Interessen und Motivationen eine pers6nliche Relevanz des Themas begtinstigen konnten mit dem Effekt einer verst~irkten themenbezogenen Mediennutzung. Hierzu kann noch einmal auf die bereits zitierte Studie von Kwak Bezug genommen werden. Er pr~isentiert Befunde aus einer Studie zur USPr~isidentschaftskampagne des Jahres 1992, in der unter anderem die Wechselwirkung zwischen Bildung, Kampagneninteresse und Mediennutzung untersucht wurde. Ein Ergebnis wird in Abbildung 11.5 wiedergegeben. Die oberste Linie verdeutlicht, dass der ,Knowledge Score', ein Konstrukt zur Messung von vorhandenem Wissen bezfiglich der Kampagne (zu Details siehe Kwak 1999, S. 407), im Falle hoher Bildung und hohem Interesse unbeeinflusst von dem Ausmal3 der Zeitungsnutzung bleibt. Offensichtlich war hier von Anfang an ein hoher Kenntnisstand vorhanden, der durch ein Mehr an Lektfire nicht ver~indert wurde. Wenn geringe Bildung mit hohem Interesse einher geht, wirkt sich eine hohe
302
Die Wissenskluftforschung
Zeitungsnutzung positiv auf den Wissensstand aus (zweite Linie von oben). Damit verringert sich auch der Abstand zwischen diesen beiden Gruppen geringfiagig. Abbildung 11.5 Einfluss der Zeitungsnutzung 88 auf die Wissenskluft zwischen verschiedenen Bildungsgruppen hohe Bildung I hohes Kampagneninteresse
.........
6 __
niedrige Bildung I hohes Kam pagneninteresse
5--
4 m -
-
~
3m t/i
-
.,..
_ ;~..t ..-~
........
9 ---
-
hohe Bildung / niedriges Kam pag ne ninte resse niedrige Bildung / niedriges Kam pagneninteresse
1 __
I niedrige A u f m e r k s a m k e i t
I
I hohe A u f m e r k s a m k e i t
Quelle: Kwak 1999, S. 402 Den deutlichsten Effekt aber zeigt der Vergleich der Bildungsgruppen mit niedrigem Kampagneninteresse. Hier fiahrt eine hohe Zeitungsnutzung zu einer deutlichen Ausweitung der Wissenskluft, wenngleich auch ein auf Zeitungsnutzung zuriackftihrbarer geringfiagiger Wissenszuwachs in der Gruppe mit geringer Bildung und geringem Kampagneninteresse zu beobachten ist. Kwak interpretiert diese Befunde wie folgt: ,,[...] that one's campaign interest modifies how newspaper reading influences the knowledge gap between high and low education groups. When one's campaign interest is high, closer reading of newspaper news narrows the educationbased knowledge gap. On the other hand, when one's campaign interest is low, 88 Obwohl Kwak von ,,Newspaper News Attention" spricht, darf Nutzung wohl unterstellt werden. Dem Index liegt die folgende Fragestellung zugrunde: ,,When you come across the following kinds of stories in the newspaper, how much attention do you pay to them? Here, 1 means little attention and 10 means very close attention. How much attention do you pay to: 1. International affairs? 2. National government and politics? 3. Local government and politics?" (Kwak 1999, S. 408)
Die Wissenskluftforschung
303
newspaper reading further widens the knowledge gap between education groups." (Kwak 1999, S. 403) Der Bildungseffekt ist somit nicht unumkehrbar, aber ein ,rule out' ist wenig wahrscheinlich. Wirth weist in seiner Kritik der Differenzhypothese darauf hin, dass sowohl in der Studie von Horstmann als auch in frtiheren Arbeiten zur Differenzhypothese eine Konfundierung unterschiedlicher Konstrukte zu beobachten ist: Interesse wird nicht nur tiber Eigeninteresse ermittelt, sondern insbesondere auch an dem Ausmal3 des kommunikativen Verhaltens gemessen. In der Differenzhypothese vermischen sich somit die Anteile der Massenkommunikation und der interpersonalen Kommunikation, wenn es um die Erkl~irung von beobachteten Wissenskltiften geht (vgl. Wirth 1997, insb. S. 37). Obwohl insgesamt wenig far eine Gegentiberstellung dieser Hypothesen spricht und die Trennsch~irfe der diskutierten Modelle eher gering ist, ist die in den zurfickliegenden Jahren wieder h~iufiger beobachtbare Bezugnahme auf die Wissenskluftforschung eher nicht von einer Kompromissabsicht getragen worden. Die Vorliebe ftir bin~ir konzipierte Modelle steht in einem merkwtirdigen Kontrast zu der Vielzahl und Vielfalt des Angebots. Unterscheidungen wie Modernisierungsgewinner und -verlierer oder ,Haves' und ,Have nots' illustrieren dies (vgl. zusammenfassend hierzu auch J~ickel 1996b). Als Beispiel kann folgendes Zitat angeftihrt werden, das sich auf die Folgen einer ungleichen Nutzung eines erweiterten Medienangebots bezieht. Es wurde von Schulz im Jahr 1990 formuliert und lautet wie folgt: ,,Die ,Informationsreichen' werden gleichsam immer reicher, die ,Inforrnationsarmen' immer ~irmer, zumindest w~ichst die Kluft zwischen diesen beiden Teilen der Gesellschaft. Es entsteht so etwas wie eine neue Klassengesellschaft mit einer ,Informationselite' auf der einen Seite, die sich gut auskennt und zurechtfindet, und den ,Informationsparias' auf der anderen Seite, die wenig wissen, aber von den Medien gut unterhalten werden." (Schulz 1990, S. 149) Diese Einsch~itzung bezieht sich zun~ichst auf den Bereich der klassischen Massenmedien, kann aber ohne weiteres auf neue Vermittlungswege von Informationen tibertragen werden. So liest man bei Hindman: ,,Whereas the >>knowledge gap<< refers to a mass media effect, the >>digital divide<< hypothesis [...] suggests that information technologies would also be expected to have a ,,function similar to that of other social institutions: that of reinforcing or increasing existing inequities.'"' (2000, S. 552) 89 Das Schlagwort ,Digital Divide' beschreibt den Ursprung einer neuen Kluft, die auf den unterschiedlichen Zugang zu neuen Informations- und Kommunikationstechnologien zurtickgefahrt wird. Norris unterscheidet drei Bereiche, in denen diese Kluft festgestellt werden kann (vgl. Norris 2001, S. 4):
89 Das Zitat im Zitat verweist auf die Pionierarbeit von Tichenor u.a., die in Kapitel 1 1.1 dargestellt wurde.
304 9
9 9
Die Wissenskluftforschung Global Divide: Gemeint sind Makrovergleiche auf der Ebene von Kontinenten bzw. Staaten. Verglichen wird beispielsweise der Internetzugang pro 1000 Einwohner in Afrika und Amerika. Social Divide: Bezugsebene des Vergleichs sind einzelne Staaten und die Kluft zwischen ,,information rich and poor" (Norris 2001, S. 4). Democratic Divide: Hier geht es um den Nachweis von Partizipationsunterschieden im politischen Sinne. Wer nutzt neue Informations- und Kommunikationstechnologien far die Artikulation politischer Interessen und far aktives politisches Engagement?
Tabelle 11.1 In % In Mio
Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland 1997 bis 2006 19991
20001
10,4
17,7
6,6
11,2
28,6 18,3
20041
20042
20051
19971 6,5 4,1
19981
20032
20011 38,8
20021
20031
24,8
44,1 28,3
53,5 34,4
20052
20061
20062
ii
In % 51,5 55,3 52,6 57,9 56,7 59,5 57,6 In Mio 33,1 35,7 37,5 36,7 33,9 37,4 38,6 1)Gelegentliche Onlinenutzung. 2)Onlinenutzung innerhalb der letzten vier Wochen. Basis: Onlinenutzer ab 14 Jahre in Deutschland (2006:n=1084, 2005:n=1075, 2004:n=1002, 2003:n=1046, 2002:n=1011, 2001:n=1001, 2000:n=1005, 1999:n=1002, 1998:n=1006, 1997:n=1003).
Quelle: van Eimeren u.a. 2006, S. 404 Die gr613te N~ihe zur hier behandelten Thematik ist im Falle von Social Divide gegeben. Angesichts der raschen Diffusion neuer Technologien wird es aber wohl nicht mehr in erster Linie um defizit~ire Erkl~irungen gehen, sondem um Differenzierungender Aneignungsformen neuer Angebote. Compaine hat far die USA bereits von einer historischen Debatte gesprochen und betont: ,,[...] the digital divide is less a crisis than a temporary and normal process." (2001, S. 326) Im Gesamtkontext der Diskussion um die so genannte Informationsgesellschaft wird in Zukunft daher der Eigenverantwormng eine hohe Bedeumng zugeschrieben, die tiberall dort praktisch wird, wo es um den individuellen Zugriff auf Text- und Bildangebote der unterschiedlichsten Art geht (vgl. zur Entwicklung des Zugangs zu Online-Angeboten in Deutschland die Ergebnisse in Tabelle 11.1). Diese neuen Konstellationen von Angebot und Nutzung werden vermehrt als Individualisierungsprozesse interpretiert, die zu einer Pluralisierung der Medienrepertoires fahren. Schreibt man diese Entwicklung fort, dann wird sich im Sinne der Differenzhypothese ein Defizit ergeben und aus der Sicht der Defizithypothese eine Differenz. Wenn das Interesse an diesen Angeboten zu einer Notwendigkeit wird, nehmen Selbstverpflichtungen zu, die zugleich den Kern der Bindung an die Informationsgesellschaft beschreiben. Wirth
Die Wissensklufiforschung
305
stellte seiner Analyse einen Werbespruch der ,,Frankfurter Allgemeinen Zeitung" voraus. Dieser l~isst sich auch fiir den vorliegenden Zusammenhang adaptieren: ,,Unwissenheit ist freiwilliges Unglt~ck." (zit. nach Wirth 1997, S. 11) Dass auch dieser Werbeslogan vermutlich nicht einheitlich wahrgenommen wird, verdeutlicht noch einmal die Existenz unterschiedlicher Bezugsebenen, die letztlich auch eine N/~he bzw. Distanz zu den Inhalten veranschaulichen. Wenn die Erwartungen an Publika bzw. Nutzergruppen ohne Rt~cksprache mit der jeweiligen Tr~gerschicht formuliert werden, muss mit Entt/iuschungen gerechnet werden. Die Zukunft der Kommunikation wird daher nicht nur durch Notwendigkeiten bestimmt, sondern auch von pragmatischen Entscheidungen der Rezipienten getragen werden. In diesem Zusammenhang stellt Marr auch fest, dass ,,zwischen dem Potential einer Technologie und seiner tats/~chlichen Entfalmng eine betr/ichtliche Lt~cke klaffen kann." (Marr 2004, S. 90) Seiner Ansicht nach ist die Forschung zur digitalen Spalmng herausgefordert, tats~ichliche Benachteilungen, die aus den Zugangsungleichheiten resultieren, in st/irkerem Mal3e zu verdeutlichen (siehe hierzu ausftihrlich Marr 2004). Eine umfassende Sekund/iranalyse der Allensbacher Computer- und Technikanalyse des Jahres 2004 konnte nachweisen, dass in der Gruppe der Internetnutz e r - t~ber Differenzen hinsichtlich der technologischen Ausstattung, der Kompetenzen im Umgang mit dem Internet und der schichtspezifischen Interessen hinaus - ein Statuseffekt existiert, der sich in unterschiedlichen Renditen der Internetverwendung widerspiegelt (vgl. Zillien 2006). Dieses Ergebnis steht im Einklang mit mehrstufigen Modellen, die Zugangsaspekte (Verfiigbarkeit, Qualit/it des Zugriffs [z.B. Geschwindigkeit der Datent~bertragung]), Medienkompetenzen (Umgang mit Hardund Software) sowie Verwermngsfragen thematisieren (z.B. Verwendung von Informationen) (vgl. Wirth 1999, Kim/Kim 2001 sowie Selwyn 2004 und van Dijk 2005). Ebenso wird vermehrt die Auffassung artikuliert, dass Fertigkeiten im Bereich der Informationsbeschaffung (Wissen zweiter Ordnung) gegent~ber Dingen, die man weig und kennt (Wissen erster Ordnung) an Bedeutung gewinnen (vgl. zu dieser Unterscheidung Degele 2000). Diese Erwartung lenkt den Blick auf die Zukunft. Das abschliel3ende Kapitel geht auf diese und andere Prognosen zum Wandel von Medienangebot und Mediennutzung ein.
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Die Wis senskluftforschung
Bonfadelli, Heinz: Die Wissenskluft-Perspektive. Massenmedien und gesellschaffiiche Information. Konstanz 1994. (Forschungsfeld Kommunikation, Bd. 5). Horstmann, ReinhoM: Medieneinflt~sse auf politisches Wissen. Zur Tragf~ihigkeit der Wissenskluft-Hypothese. Wiesbaden 1991. Viswanath, K.; Finnegan, John R. Jr.: The Knowledge Gap Hypothesis: Twenty-Five Years Later, in: Burleson, Brant R. (ed.): Communication Year-book 19. Thousand Oaks usw. 1996, S. 187-227.
12 Die Zukunft der K o m m u n i k a t i o n
12.1 Medienprognosen und Medienwandel Das Jahr 2015 scheint ein beliebtes Jahr far Medienprognosen zu sein. Die Art und Weise, wie solche Prognosen erarbeitet werden, ist sehr unterschiedlich. Beliebt sind beispielsweise Fragen an Experten, die ihren Erfahmngshintergrund und die ihnen vorliegenden Informationen als Grundlage eines Szenarios verwenden. Mal werden solche Vorgehensweisen als Delphi-Methoden klassifiziert, mal geschieht es im Rahmen eines konventionellen Interviews. So fragte die Wochenzeimng Die Zeit die Intendantin des Westdeutschen Rundfunks Ende des Jahres 2006: ,,Frau Piel, wie sieht ein ganz normaler Fernsehtag im Jahre 2015 aus?" Die Antwort lautete: ,,Ich gehe davon aus, dass die meisten Leute morgens immer noch Radio h6ren werden. Aber der Fernsehfreak geht morgens zuerst an seinen Computer, ruft die Nachrichten der letzten Nacht ab und wird, ohne hinzuschauen, eine Morgensendung laufen lassen. Beim Warten an der Haltestelle guckt er auf seinem Handy eine Soap, nicht l~inger als ein, zwei Minuten. Im Bt~ro arbeitet er ausschliel31ich am Computer. Wahrscheinlich ist er Mitglied einer Web-Community, mit der er erst einmal Kontakt aufnimmt. Fernsehen und Internet werden eins sein, t~bers Fernsehen der Zukunft zu reden heil3t, t~bers Intemet zu reden." (N.N. 2006, S. 39) Das Muster dieser Prognose ist nicht unbekannt. Ahnliche Aussagen, formuliert vor dem Hintergrund einer bestimmten technologischen Entwicklungsstufe, haben das Aufkommen des Videorekorders oder das interaktive Fernsehen begleitet. Es scheint so etwas wie ein ehemes Gesetz der Medienentwicklung zu geben, das nicht nach Riepl 9~ benannt werden sollte, sondern nach dem im Jahr 2004 verstorbenen Everett M. Rogers, der sich umfassend mit Diffusionsprozessen unterschiedlichster Art besch~iftigt hat. Aus allm~ihlich zunehmenden Ereignissen (Kaufentscheidungen, Ratschl~igen, Nutzungen, unmittelbaren und mittelbaren Erfahmngen) entstehen neue (Makro)Ph~inomene (z.B. Bezahlfemsehen, Online-Tauschb6rsen oder Internet-TV). Symptomatisch far solche Entwicklungen ist wiederum die Feststellung: ,,Diffusion is a very social process." (Rogers 2003, S. 19) Hier soll behauptet werden, dass dieser ,,very social process" nicht nur den typischen Verlauf der f)bemahme von Neuerungen meint, den Pionieren also die frfihen lJbemehmer, sodann die frahe Mehrheit, die sprite Mehrheit und die Nachzt~gler folgen (vgl. ausfahrlich hierzu Rogers 2003, S. 281), sondern auch die Kommunikation fiber Ver~inderungen einem Tr~igheitsgesetz unterliegt. Es wird nicht t~iglich fiber diese Ver~indemngen gesprochen, die Aufmerksamkeit wird punktuell darauf gelenkt. Zwischen diesen Beobachtungszeit90Siehe hierzu die Ausf~ihrungenin Kapitel 1.
308
Die Zukunfi der Kommunikation
punkten liegt eine Vielzahl kleiner Ereignisse, die man von Tag zu Tag nicht als signifikante Ver/~nderungen wahrnimmt. Daher erweisen sich viele Prognosen im nachhinein als Best~itigungen von etwas, das gerade vergangen ist. Es wird beobachtet, dass die jtingere Generation sich vermehrt Videos im Internet ansieht oder herunterl/~dt und prognostiziert- wiederum far das Jahr 2015 - , dass die Zahl der Internet-TV-Nutzer auf 7,2 Millionen ansteigen wird (vgl. zu diesen Zahlen Nienhaus 2007, S. 27 sowie Projektgruppe ARD/ZDF-Multimedia 2007, S. 20f.). Dazu passt beispielsweise die Einsch~itzung des TV-Produzenten und ehemaligen TalkshowModerators Meyer-Burckhardt: ,,Reden wir von jtingeren Leuten, glaube ich an die Programmschiene nicht mehr. Da hat sich tiber den Generationssprung etwas strukturell ver/~ndert, nicht blog konjunkturell. Es ist die erste Generation, far die nicht nur ein Produkt cool sein muss, sondern auch der Vertriebsweg. Musik runterladen ist ja nicht cool nur wegen der Musik, sondern der Weg selbst, auf dem sie zu meinem Sohn kommt, ist cool. Also wird Bezahlfernsehen eine Rolle spielen: Pay TV ist Community und damit cool." (N.N. 2006, S. 39) Letzteres wird in der Community wahrscheinlich sehr ambivalent eingestuft. Der gerade beschriebene Vorgang trifft a u c h - zumindest teilweise- auf Fortschreibungen von Entwicklungen zu, die seit Ende der 1980er Jahre durch internetbasierte Technologien und Medienangebote vorangetrieben werden. So wird in einem Video-Szenario des Museum of Media History das Jahr 1989 zum Ausgangspunkt einer Entwicklung genommen, die mit der Erfindung des WorldWideWeb beginnt und mit dem Ende von Nachrichtenagenturen schliegt, wesentlich gesttitzt auf Innovationen, die gegenw/~rtig mit Web 2.0, dem Internet der zweiten Generation, assoziiert werden. Eine Vielzahl von Nutzern gestaltet Informationen mit, tauscht sich darfiber aus, kritisiert und kommentiert. Das Szenario endet im Jahr 2015 mit einer Mediensituation, in der Personalisierung das Bedtirfnis aller ,,User" zu sein scheint 9~. Dieser grol3e Bedarf an Prognosen tiber die Zukunft der Kommunikation ist ein zuverl/~ssiger Indikator far Umbruchphasen in modernen Gesellschaften. Darauf ist in den vorangegangenen Ausfahrungen mehrfach hingewiesen worden, wenngleich die Nutzung von Medienangeboten nicht im Vordergrund dieser Einfahrung stand. Die Vervielf~iltigung des Angebots, die Ausweitung der Distributionswege, die zunehmende Pr~isenz von Medien im Alltag (z.B. Bildschirme und Multimediapr/~sentationen auf Bahnh6fen und Flugpl/~tzen, in Einkaufsstragen und U-Bahn-Stationen), die Zunahme von Mitwirkungs- und Mitgestaltungsoptionen stellt die Bestimmung
91 Der Film ist abrufbar unter htttp//:media.aperto.de/google_epic2015_de~tml.
Die Zukunft der Kommunikation
309
von Medienwirkungen vor neue Herausforderungen, weil sich der Stimulus weder zeitlich noch r~iumlich eindeutig fixieren l~isst, gelegentlich auch die Bestimmung der Quelle (des Senders) Probleme bereitet. Die Omnipr~isenz yon Medienangeboten wird durch diese parallel verlaufenden Entwicklungen verst~irkt. Bereits in der Einleimng wurde auf vier Dimensionen Bezug genommen, die hier zur Verdeutlichung noch einmal Pate stehen sollen: r~iumlich: Hierzu z~ihlt die gerade angedeutete Verffigbarkeit und Pr~isenz von Medienangeboten an einer Vielzahl 6ffentlicher Pl~itze. Zugleich wird durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien ein weites Feld an Gelegenheitsstrukturen aufgebaut und die Anwesenheit an bestimmten Orten entbehrlich gemacht. Dies impliziert zudem eine gr613ere zeitliche Flexibilit~it. zeitlich: Die zeitliche Flexibilitgt ist somit insbesondere ein Ergebnis von Angebotsausweitungen und damit verbundenen Abruf- und SpeicherungsmOglichkeiten. sachlich/inhaltlich: Wenn sich die Wege und Plattformen zur Verbreitung von Medienangeboten vergr6gem, wird auch das Themenspektrum umfassender. Diskussionen t~ber die Zul~issigkeit von Berichterstattungen nehmen zu. Immer h~iufiger wird der Bfirger in der modemen Gesellschaft mit Fragen konfrontiert, die er sich eigentlich gar nicht stellen wollte. sozial: Medien kOnnen als ,,gefrW3ig" bezeichnet werden, weil sie - der Abwechslung bzw. Diskontinuit~it verpflichtet- gesellschaftliche Trends und Modeerscheinungen gerne aufgreifen, damit Vielfalt dokumentieren und gleichsam den Eindruck einer wachsenden Diversifizierung der Gesellschaft nachhaltig verst~irken. In der Summe ergibt sich ein ambivalentes Beurteilungsraster, weil sich trotz der Vervielf~iltigung von Informations- und UnterhalmngsmOglichkeiten, die gerne auch als Reaktion auf das Bedt~rfnis nach Konsumentensouver~init~it dargestellt werden, der Eindruck verfestigt, dass die Wahmehmung dieser Angebote zunehmend unkonzentriert und flfichtig erfolgt, darfiber hinaus aber trotz vieler Selektionshilfen von Zuf'~illen lebt und insgesamt ein hohes Mal3 an kognitiver Energie bindet. Man kann diesen Angeboten ausweichen, aber bereits das Bemt~hen um Verzicht ist eine Reaktion auf Bilder und Informationen, die sich unaufgefordert in den Vordergrund dr~ingen. Es ist ein deutliches Zeichen ffir die Eroberung des 6ffentlichen Raums durch Medienangebote, welches durch inszenierte Ereignisse (Events) des expandierenden Mediensektors noch deutlichere Best~itigungen erf~ihrt. Bereits Boorstin konnte
310
Die Zukunfi der Kommunikation
Anfang der 1960er Jahre beztiglich der Kategorie ,Pseudo-Ereignisse '92 feststellen: ,,[...] erzeugen Pseudo-Ereignisse nach geometrischen Regeln andere Pseudo-Ereignisse. S ie beherrschen unser Bewul3tsein ganz einfach deshalb, weil sie mehr und mehr zunehmen." (1964, S. 70f.) McQuail hat einmal den Versuch unternommen, Medienwirkungen durch eine Kombination der Dimensionen ,intentionalit/it' und ,Zeit' zu systematisieren. Es geht dabei um die Identifikation von geplanten/nicht geplanten bzw. kurzfristigen/langfristigen Effekten. Einen Ausschnitt aus dieser Typologie gibt Abbildung 12.1 wieder. Abbildung 12.1 Medieneffekte unter Be~cksichtigung der Dimensionen ,Intentionalit/it' und ,Zeit'
INTENTIONALITAT gel mt
X
Medienkampagnen
X Verbreitung von Nachrichten
Agenda-Setting X
ZEIT
Wissensverteilung in der X Bev61kerung
kurzfristig-"
~'. langfristig individuelle X Reaktionen (Nachahmung X Sozialisation kollektive X Reaktionen (Angst, Panik)
X Wertewandel
nicht geplant
Quelle: In Anlehnung an McQuail 2005, S. 468 Die beracksichtigten Dimensionen scheinen auf den ersten Blick eine eindeutige Zuordnung von Wirkungsph/inomenen zu gew/ihrleisten: Individuelle Reaktionen, z.B. die Imitation eines bestimmten Lebensstils, waren zun/~chst nicht beabsichtigt und verlieren mit der Zeit an Reiz, kollektive Reaktionen erfolgen h/~ufig unkoordi92 Siehe zu diesem Begriff auch die Ausf'tihmngen in Kapitel 8.
Die Zukunfi der Kommunikation
311
niert, spontan und verlieren rasch an Impulsivit~it; Wertewandel dagegen kann wohl kaum ausschlieBlich als ein nicht-intendierter Effekt bezeichnet werden. Ebenso kann man die unterschiedliche Wissensverteilung in der Bev61kerung nicht nur als eine Absicht der Medienberichterstattung einordnen und Agenda-Setting als Medienanbietern zuzuweisende Intention klassifizieren. Auch wenn Boorstin von geometrischen Regeln spricht, ist die Entscheidung, ob Pseudo-Ereignisse geplant oder nicht geplant sind, ohne Kenntnis des jeweiligen Kontexts schwer zu entscheiden. Wenn es beispielsweise mit Hilfe einer inszenierten Veranstaltung gelingt, Medienberichterstattung hervorzurufen, k6nnen rasch zirkul~ire Effekte entstehen, die sich nicht im Sinne des Urhebers entwickeln. Etwas ursprt~nglich Geplantes entwickelt sich zu etwas Unkalkulierbarem. Angesichts der skizzierten Medienentwicklung ist wohl eher zu erwarten, dass sich diese Zuordnungsproblematik nicht verringern wird, in einer Phase des Umbruchs der gesamten Medienarchitektur aber zun~ichst mit einer Zunahme ungeplanter Effekte zu rechnen ist. So best~itigt sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts in noch deutlicherer Weise die Notwendigkeit mehrstufiger Wirkungsmodelle. Im Jahr 1960 schrieb Klapper: ,,Mass communication ordinarily does not serve as a necessary and sufficient cause of audience effects, but rather functions among and through a nexus of mediating factors and influences, [but] there are certain residual situations in which mass communication seems to produce direct effects [...]." (S. 8) In diesem erweiterten Umfeld der Mediennutzung wird es also auch in Zukunft lJberraschungen geben. F~r die Kommunikatoren und Anbieter wird die Bindung von Aufmerksamkeit das Erfolgskriterium bleiben. Unterbrochen wird dieser Kampf um Anerkennung durch Ereignisse, die Dayan und Katz als ,media events' bezeichnet haben. Diese lokalisieren sie insbesondere im Medium Fernsehen und meinen damit ein ,,[...] new narrative genre that employs the unique potential of the electronic media to command attention universally and simultaneously in order to tell a primordial stop,, about current affairs. These are events that hang a halo over the television set and transform the viewing experience." (Dayan/Katz 1996, S. 1) Der Alltag wird unterbrochen, weil der Anlass der Berichterstattung gewissermagen als Einladung zur vorfibergehenden Abkehr von Gewohnheiten dient. Dieses Ph~inomen tritt ein, wenn bedeutende, im Vorfeld oder im nachhinein als historisch deklarierte Ereignisse stattfinden (z.B. Mondlandung, Kr6nungen, groBe Sportereignisse, dramatische Konflikte). Sie synchronisieren far einen t~berschaubaren Zeitraum die Aufmerksamkeit einer Vielzahl von Menschen und die Aufmerksamkeit einer Vielzahl von Medienberichterstattern. Vielfalt wird durch Gemeinsamkeit ersetzt, die Live-Berichterstattung erzeugt das Gefahl einer Teilhabe an der Weltgemeinschaft
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Die Zukunft der Kommunikation
(im positiven und negativen Sinne). Wenngleich auch diese ,media events' zu einem Bestandteil der Medienkonkurrenz geworden sind (Stichworte: exklusive Bilder, Sonderreportagen), sind sie ein Kontrastpunkt zur Normalit~it und den Routinen des Medienalltags. Diesen Effekt hat Katz wie folgt beschrieben: ,,With the rapid multiplication of channels, television has all but ceased to function as a shared public space. Except for occasional media events, the nation no longer gathers together." (1996, S. 22)
12.2 Medienvielfalt und neue Knappheiten
In diesen FNlen stellt sich in der Regel auch nicht die Frage nach der Zweckdienlichkeit dieser Informationen. Die Diskussion darfiber findet eher dort statt, wo Nutzer mit unterschiedlichen Bedtirfnissen eine Vielzahl an Offerten zur Befriedigung ihrer Anliegen erhalten. In einer Analyse des Begriffs ,Informationsgesellschaft' hiel3 es bereits 1982: ,,[...] Voices have multiplied but not ears." (Klapp 1982, S. 64) Ffir die Nutzer wird die Zweckbindung von Informationen zu einer Herausforderung. Angesichts der Dominanz einer Argumentation, die mit der Vervielfachung von Angeboten deren Entwertung steigen sieht, wird gerade der Glaubwfirdigkeit und dem Vertrauen eine groge Bedeutung zukommen. Diese Feststellung ist auch Bestandteil einer provozierenden These, die der Philosoph Mittelstral3 den euphorischen Begleithymen ftir die Informationsgesellschaft entgegen hNt: ,,Die Chancen fiir eine neue Dummheit stehen nicht schlecht." (Mittelstrag 1996, S. 535) Die Vorstellung, dass die neuen Informationswelten ein ,,paradiesisches Reich des Wissens ohne mt~hsame Lernprozesse" (Mittelstrag 1996, S. 536) darstellen werden, sei trfigerisch. In Informationsgesellschaften treten ,,an die Stelle eigener Wissensbildungskompetenzen Verarbeitungskompetenzen und das Vertrauen darauf, dag die Information ,stimmt'. Es macht wenig Sinn, vor dem Bildschirm den Skeptiker zu spielen. Informationen mug man vertrauen, wenn man das t~ber die Information transportierte Wissen nicht prfifen kann." (Mittelstrag 1996, S. 536) Umgekehrt muss darauf hingewiesen werden, dass die angesprochene Euphorie von den Nutzern nicht durchweg geteilt wird und eine realistische Erwartungshaltung dominierend ist. Angesichts der schon jetzt vorhandenen M6glichkeiten einer gezielten Informationssuche bleibt ein Gegensatz zwischen der Partikularisierung des Wissens einerseits und der technologischen Integration andererseits (vgl. Mittelstrag 1996, S.
Die Zukunft der Kommunikation
313
537). Letzteres meint die leichte Verffigbarkeit t~ber eine Medienplattform, die dem Nutzer Suchfunktionen bereitstellt, mit deren Hilfe er ein mehr oder weniger umfassendes Wissensgebiet erschliegen kann. An modernen Helfern (,intelligent agents') wird vielerorts gearbeitet. Ihre Effektivit~it aber kann nur derjenige beurteilen, der sich t~ber den Zweck und die Mittel im Klaren ist. Die Diskussion t~ber den aktiven Konsumenten im Feld der Medienrezeption, die im Kontext des Nutzen- und Belohnungsansatzes anzusiedeln ist, wird vermehl~ durch eine Diskussion t~ber neue ,,Produktions6ffentlichkeiten" t~berlagert. Dieser Begriff, der auf Kluge und Negt (1972, S. 35ff.)zurfickgeht, wird von Baecker fiber den Bereich von Politik und Herrschaft ,,auf alles, was kommentierbar ist, auf die Gesellschaft insgesamt" (Baecker 2004, S. 7) ausgedehnt. Das Web 2.0, im besonderen sogenannte Weblogs (vgl. als allgemeinen (0berblick Franzmann 2006), stellen zu einer Vielzahl von Themen eine Art Online-Tagebuch bereit, das durch weitergehende Hinweise zu anderen Informationsquellen erg~inzt werden kann.
"Was ist ein Weblog?"
,,Ein Weblog ist eine h~ufig aktualisierte Webseite, auf der Inhalte jeglicher Art in chronologisch absteigender Form angezeigt werden. Ein Weblog kann typischerweise die Form eines Tagebuches, eine Journals, einer What'sNew-Page oder einer Linksammlung zu anderen Webseiten annehmen. Der Autor ist dabei entweder eine einzelne Person oder auch eine Gruppe. Alle Inhalte sind in der Regel durch Links mit anderen Webseiten verlinkt und kSnnen unmittelbar durch den Leser kommentiert werden." (Quelle: Przepiorka 2006, S. 14)
Nicht jedes Weblog-Angebot kann f-fir sich in Anspruch nehmen, ein kritisches Korrektiv zur ver6ffentlichten Meinung zu sein. Die Motivationen, sich an solchen Formen des Austauschs von Informationen zu beteiligen, sind ohne Zweifel vielfNtig. Zumindest aber gewinnt man auch den Eindruck, dass hier Medienangebote nicht mehr im Sinne fertiger Produkte wahrgenommen werden, sondem als ausl6sende Impulsgeber, dem ,,Ausschl~ige" in unterschiedlicher Intensit~it folgen. Eigner hat Weblogs daher als ein ,,Oszillationsmedium" (2003, S. 122) bezeichnet. Gleichzeitig verbindet man mit einer solchen ,,Unverbindlichkeit" den Kampf um Vertrauen, also
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den Versuch, dem Diktum der Glaubwt~rdigkeit auf sehr kritische Weise n~iher zu kommen. Letztlich aber sind es auch hier Individualkompetenzen, die sich einer relativ unspezifischen Fremdkontrolle stellen. Eine Individualisierung auf der Senderebene fahrt eben h~iufig nicht dazu, dass Glaubw~rdigkeit gesteigert werden kann, eher beobachtet man eine generelle Erh6hung des Mistrust-Faktors. Die Annahme, Weblogs k6nnten die Rolle von kritischen Meinungsfahrern t~bernehmen, sollte eher so interpretiert werden, dass sich eine Zunahme der gegenseitigen Beobachtung in einem neuen technischen Umfeld etabliert. Bezt~glich der Massenmedien hat Dirk Baecker einmal festgestellt: Massenmedien ,,bewegen sich in [einem] turbulenten Feld des Themen-, Tonfall- und Meinungswechsels. Sie tun es nach eigenen Kriterien, sie tun es unter scharfer Beobachtung ihrer eigenen Marktseite, d. h. ihrer Konkurrenten im selbem Medium und in Nachbarmedien (jede Redaktion fragt sich laufend, mit welchen Angeboten andere Redaktionen, welche Erfolge und Mil3erfolge beim Publikum haben), und sie tun es mit einer st~indig hochgradig irritierbaren Aufmerksamkeit far das, was die schweigenden Mehrheiten far interessant halten und was nicht." (Baecker 2004, S. 9) Man mt~sste erg~inzen, dass neben diese mehr oder weniger schweigenden Mehrheiten nunmehr also ein weiteres Beobachtungsfeld hinzu kommt. Jetzt mt~ssen die professionell organisierten Medien eben noch mehr beobachten und noch mehr die Frage diskutieren, ob man ein Thema aufgreift oder nicht. Die gegenseitige Beobachtung vollzieht sich also auf der Sender- und der Empf'~ingerebene. Aber noch entscheidender ist, dass Medienanbieter selbst Weblogs einsetzen, weil sie den Nutzen far die Informationsgenese erkennen und gleichsam damit auch ein innovatives Element verbinden. Dalqiber hinaus k6nnen sie die Pflege und Dauer, also den Fortbestand solcher Angebote, wesentlich besser garantieren als Einzelpersonen oder kleinere Gruppen. Ein Problem, das aus dem Feld der klassischen Verbreitungsmedien bekannt ist, wird auch im Falle von Weblogs evident: die Notwendigkeit von Meta-Medien. Die ,,Suchmaschine" des Fernsehzuschauers ist eine Programmzeitschrift oder ein elektronischer Programmguide, der Intemetnutzer im allgemeinen verl~isst sich auf ,,Google" oder ,,Yahoo", der Weblog-Nutzer im speziellen ben6tigt RSS Feeds (RSS - Radio Syndication Feeds, Nutzer werden automatisch auf interessante neue Inhalte hingewiesen) oder spezielle Blog-Suchmaschinen, die ihm die Nutzung und Orientierung erleichtern. Nicht nur die Diskussion um Inhalte kann sich daher endlos gestalten, auch die Suche nach neuen Meta-Medien scheint eine Daueraufgabe der Informationsgesellschaft zu sein. Jedenfalls dt~rfte die Zeit, die auf Informationsrecherche verwandt wird zu ungunsten der Zeit, die mit der Lek~re von Informationen verbracht wird, ansteigen. W~ihrend das Wissen zweiter Ordnung perfektioniert wird, leidet das
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Wissen erster Ordnung 93. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts prognostizierte tibrigens Renan, dass die Menschen in Zukunft nicht mehr lesen, sondem nur noch nachschlagen werden (vgl. Renan 1890). Jedenfalls beschreibt das folgende Zitat von Hampatd Bas genau das Gegenteil der Informationsgesellschaft, die sich immer mehr unseres Alltags bem/~chtigt: ,,[W]enn in Afrika ein alter Mann stirbt, dann ist dies so, als wtirde eine >>Bibliothek niederbrennen<< [...]." (zit. nach Augd 1994, S. 15) Als Daniel Bell im Jahr 1973 die Konturen der nachindustriellen Gesellschaft beschrieb, sprach er von den neuen Formen der Knappheit (vgl. Bell 1976, S. 352ff.). Die gfiterproduzierende Gesellschaft betrieb ein Spiel gegen die Namr, ohne durch die Beseitigung bestimmter Knappheiten (z.B. Rohstoffe) das Ph/inomen der Knappheit an sich zu beseitigen. Wie Hahn zeigen konnte, gehen ,,Produktivit/itssteigerungen [...] offenbar Hand in Hand mit sozial erzeugten Erh6hungen von Ansprfichen, so dab die aufkl~irerische Hoffnung von der Vermehrbarkeit des GliJcks durch die Verbesserung der Gt~terversorgung sich als illusion/~r erweist." (Hahn 1987, S. 122) Knappheitsbewusstsein geht somit Hand in Hand mit Alternativenreichtum. Auch die Informationsgesellschaft wird daher durch die zunehmende ,,Produktion" von Informationen Knappheiten nicht beseitigen k6nnen. Er sah diese insbesondere in drei Bereichen (vgl. Bell 1976, S. 353ff.): Informationskosten: Ein Mehr an Information erfordert ein Mehr an Selektionsleismngen, will der Nutzer nicht zu einem Opfer von Inflationen werden. In diesem Zusammenhang sah Bell nicht eine schwindende, sondern eine wachsende Bedeumng des Journalismus bzw. der Journalisten, die in unterschiedlichsten Spezialgebieten ,,mehr und mehr als Vermittler und Ubersetzer fungieren" (Bell 1976, S. 354). Koordinationskosten: Die Informationsgesellschaft ist gekennzeichnet durch ein Spiel zwischen Personen, weil ein wachsendes Bedt~rfnis nach Partizipation einen Anstieg von Interaktionen mit sich bringt. Diese wiederum mtissen aufeinander abgestimmt werden. Was Bell far den Bereich der Politik konstatierte, dtirfte auch far andere Entscheidungsfelder zutreffend sein. Je mehr sich der Kreis der Beteiligten ausweitet, desto schwieriger werden die Aushandlungsprozesse: ,,So 16st das erh6hte Mitspracherecht paradoxerweise meist nur das Gefahl einer gr6geren Frustration aus." (Bell 1976, S. 355) Ffir die Zahl der Interaktionen stellte er ebenso deutlich fest: ,,Entweder man begnt~gt sich mit o93Siehe zu dieser Unterscheidung auch die Ausftihrungen am Ende von Kapitel 11.
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Die Zukunfl der Kommunikation berfl~ichlichen Beziehungen oder man st6Bt an eine ,,obere Grenze" des zu bew~iltigenden AusmaBes von Interaktionen." (ebenda, S. 355) Trotz der prinzipiellen Erreichbarkeit und der unendlichen M6glichkeiten, die vemetzte Technologien er6ffnen, scheint hier die ,,Small Worlds"-These von Milgram (small worlds = alle Menschen kennen jeden Menschen ,,um sechs Ecken herum", vgl. Milgram 1967) ebenso Untersttitzung zu erfahren. Zeitkosten: In der Informationsgesellschaft steigt das Bedtirfnis nach produktiver Zeitverwendung. Nicht nur die Anh~iufung von Konsumgtitem aus dem Dienstleistungsbereich (z.B. Fernseher, Computer) bindet Zeit, auch die Instandhaltung bindet zeitliche und/oder finanzielle Ressourcen. Die Vielfalt der Angebote fahrt zu einer verst~irkten Suche nach zeitsparenden Strategien. Diese Behauptung wurde bereits vor Bell durch Staffan Linder ausfahrlich er0rtert (vgl. Linder 1970). Ftir beide wird ,,Zeit zu einem wichtigen Faktor bei der Verteilung der einzelnen T~itigkeiten und der Mensch durch den Grenznutzen zum Sklaven der Zeitmessung." (Bell 1976, S. 360)
Von diesen Kosten wird insbesondere eine durch elektronische Medien vemetzte Gesellschaft nicht verschont bleiben. Das Prinzip, nach dem sich diese Gesellschaft organisiert, ist aber beispielsweise far David Weinberger viel entscheidender: Er sieht in einer digitalen Unordnung eine neue Macht entstehen, die sich in einer Abkehr von klassischen Ordnungsprinzipien manifestiert: Bibliotheken, Zeitungen, Nachschlagewerke. Seine These lautet: ,,As we invent new principles of organization that make sense in a world of knowledge freed from physical constraints, information doesn't just want to be free. It wants to be miscellaneous." (2007, S. 7) Ob es sich nur um ein Obergangsph~inomen handelt oder um eine Ver~inderung, die von Dauer ist, entscheiden wohl vor allem die dadurch entstehenden Kosten auf Akteurs- und Organisationsebene. Es gibt nicht wenige empirische Indizien, die diesen Dauerkonflikt um Optionen, Zeit und Geld als weniger dramatisch erscheinen lassen. Es geht damit auch um die Frage, ob Homo Oeconomicus-Eigenschaften im Feld der Mediennutzung beobachtbar sind. Trotz der vielfach erwarteten Abkehr von herk6mmlichen Instimtionen im Medienbereich und des h~iufig erwarteten Bedeumngsverlusts der klassischen Sender-Empf'~inger-Beziehung bleibt die Massenkommunikation durchaus von zentraler Bedeutung, weil dieser Kommunikationstypus auch in Zukunft far die allt~igliche Informationsaufnahme und die Befriedigung unterschiedlichster Unterhaltungsbedtirfnisse vorrangig sein wird. So passt die magische Zahl 7, die Bell als Grenzwert far die Informationsbits, die ein einzelner auf einmal verarbeiten kann, nennt
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(vgl. Bell 1976, S. 354), zwar nicht exakt auf Grenzwerte in anderen Bereichen, eine Instimtionalisierung von Dauerselektionen findet aber offenbar nicht statt: Die empirische Beobachtung best~itigt, dass Vielfalt gewt~nscht, aber Dauerselektion aus allen vorhandenen Optionen nicht stattfindet. Der ,,relevant set" bleibt fiberschaubar. Dies gilt sowohl far den H6rfunk, dessen Nutzungsabfrage sich im Rahmen der Media-Analyse im Jahr 2006 auf 341 Sender erstreckte und far die Gesamtbev61kemng einen Wert von 1,6 ermittelte (Nutzung gestern), far die letzten 14 Tage einen Wert von 4,2 (vgl. Media Perspektiven 2006, S. 81), aber auch far die Zeimng. In den meisten FNlen begnt~gen sich die Leser mit der lokalen oder regionalen Abonnementzeimng. Ende der 1990er Jahre betrug der Anteil der Deutschen, die an einem Durchschnittstag in zwei oder mehr Tageszeimngen lasen, 15% (vgl. Meyen 2004, S. 194). Angesichts einer weiterhin rfickl~iufigen Entwicklung der Reichweite von Tageszeimngen d~rfte dieser Wert in den letzten Jahren kaum angestiegen sein. Ft~r das Fernsehen ist unter anderem die sogenannte ,,Zehn-Sender-Regel" aufgestellt worden. Gemeint ist die Anzahl der allt~iglich relevanten TV-Sender (vgl. Gerhards/Klingler 2007, S. 300, gestatzt auf Auswertungen von IP Deutschland). Bestimmte Programme haben also von vomeherein eine h6here Auswahlchance. Beisch und Engel konnten zeigen, dass 63% der Zuschauer ihre TV-Nutzung mit nicht mehr als drei Sendem bestreiten, 82% mit sechs Sendem (vgl. Beisch/Engel 2006, S. 375). Die Kennmis der Situation und der Rahmenbedingungen ist somit offensichtlich ein Aspekt, der 6konomische 121berlegungen in Gang setzt und spezifische Formen der Nutzenmaximierung nahe legt. Daher ist dem folgenden Vorschlag von Zintl zuzustimmen: ,,Die Figur des homo oeconomicus sollte nicht als Behauptung t~ber die Eigenschaften von Menschen im Allgemeinen wahrgenommen werden, sondern als Behauptung t~ber ihre Handlungsweisen in bestimmten Situationen. Die Frage ist dann nicht, ob der Mensch so ist, sondem vielmehr, in welchen Simationen er sich verhNt, als sei er so." (1989, S. 60f.) Der Aufwand, der in eine Entscheidungsfindung investiert wird, orientiert sich an den Folgekosten einer nichtoptimalen Entscheidung. Diese Folgekosten dt~rften in der Praxis der Mediennutzung kurzfristig hoch, aber ebenso kurzfristig wirksam sein, da die Folgen einer nicht-optimalen Entscheidung unter Umst~inden schon im Zuge der Nutzung korrigiert werden kOnnen. Ft~r diese Niedrigkostensimationen (low cost) gilt, dass auch mit idiosynkratischen Verhaltensweisen gerechnet werden muss.
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Die Zukunft der Kommunikation Im Grol3en und Ganzen dtirfle die Strategie des Zuschauers auf for ihn hinreichendem Wissen beruhen. Ob 30, 70 oder 100 Programme - der Grenznutzen schl~igt sich zun~ichst einmal in einer ,rationality of avoiding choice' nieder. Man will nicht st~indig tiberlegen und ausw~ihlen, sondern l~isst sich - nicht ausschliel31ich, aber gerne - auf l)berraschungen ein. Bereits in seiner 1979 erschienenen Dissertation hat Werner Mtiller eine medienOkonomische Feststellung getroffen, die dieses l)berraschungsmoment gut begrtindet: ,,Eine zu eingehende Information tiber eine TV-Produktion z.B. bezfiglich des Handlungsablaufs, der Darbietungsform usw. k6nnte manchen Sendungen beim sp~iteren Anschauen einen Teil ihres Reizes nehmen und damit zu einer NutzeneinbuBe fohren." (Mtiller 1979, S. 162) Fernsehnutzung ist nicht immer selektiv und zielgerichtet, sondern h~iufig auch ein etwas l~ingerer Abschied von Programmen, die einen mal mehr, mal weniger interessieren. Das intentionale Element steht in einem reziproken Verh~iltnis zur mit dieser Aktivit~it verbrachten Zeit. Ein ~ihnlicher Konzentrationsprozess ist ftir Online-Angebote festzustellen. Im Feld der Intemetrecherche ist die steuernde Funktion von Gatekeepern (z.B. Suchmaschinen) sehr ausgepr~igt (vgl. Machill/Welp 2003). Bucher stellte beispielsweise im Jahr 2005 fest: ,,Die 50 popul~irsten Webangebote ziehen 25 Prozent des gesamten Datenverkehrs auf sich." (2005, S. 83) Die ARD/ZDFOnlinestudie stellte fOr das Jahr 2006 fest, dass 63% der Nutzer ,,das Angebot ihres Providers vollkommen gentigt und weitere Angebote uninteressant sind" (van Eimeren~rees 2006, S. 407); 2002 waren es 59% (vgl. ebenda, S. 407).
12.3 Alte u n d neue M e d i e n u m w e l t e n
Auch die Thematisierungsfunktion der Medien, wie sie v o n d e r Agenda-SettingForschung 94 analysiert wird, ist daher durch eine Vervielfachung der Kan~ile nicht in einem umgekehrt proportionalen Verh~iltnis gesunken. Die hohe Vermittlungsleistung der Medien l~isst sich in einem tibertragenen Sinne auch mit der folgenden Frage illustrieren, die einem Musical - das gleichwohl in einem vOllig anderen Kontext spielt - entnommen ist: ))Denn wenn die Politik nicht w~ir', wo k~im' dann der Gespr~ichsstoff her?~ 95 Burkart und H6mberg (1997, S. 82) kommen zu dem Ergebnis, dass die Art und Weise, wie das Feld der Massenkommunikation modellhaft 94 Siehe hierzu die Ausfiihrungen in Kapitel 7. 95 Entnommen aus dem Dorfpolitikerlied des Kindermusicals ,,David und Jonathan" von Gerd-Peter Mtinden (Text von Brigitte Antes), erschienen im B~irenreiter Verlag, Kassel 1998.
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skizziert wurde, auch zuktinflig relevant sein wird, aber nicht mehr die einzige und zugleich protoypische Auspdigung yon Sender-Empf'~inger-Beziehungen exemplifiziert. Sie sttitzen sich dabei insbesondere auf die Oberlegungen Maletzkes, die auch in der vorliegenden Einftihrung ausfiihrlich behandelt worden sind 96. In kommunikationstheoretischer Hinsicht pl~idieren sie ftir die Berficksichtigung einer tibertra' gungsorientierten und interaktionistischen Sichtweise, damit unterschiedliche Formen der Beteiligung und Einbindung in Medienumwelten differenziert beschrieben werden k6nnen (vgl. ebenda, S. 78f.). Trotz einer Zunahme yon Konvergenzen auf technischer Ebene, die sich unter anderem in einer ,,integrative[n] Verwendung verschiedener Medientypen" (Burkart/ H6mberg 1997, S. 78) niederschlagen, n~imlich statischer (Text, Graphik) und dynamischer Elemente (Video- und Tonsequenzen), wird eine grundlegende Abkehr von den herk6mmlichen Distributionswegen nicht erwartet. Mittelfristig werden sich neue Muster der Mediennutzung herausbilden, ,,in denen verschiedenen medialen Angeboten ein unterschiedlicher Stellenwert im Informationshaushalt der Rezipienten zukommt." (ebenda, S. 79) Die Zunahme der Medienangebote 16st somit keinen Automatismus der Umverteilung yon zeitlichen Ressourcen und inhaltlichen Prgferenzen aus. Auch McQuail stellt beztiglich audiovisueller Medien fest: ,,[...] most audience attention in most countries remains fixed on a small number of general interest channels, and there is a good deal of overlap of audiences, with much sharing of popular content items." (McQuail 1997, S. 138) Die Fernsehnutzung, wie sie Semp6 skizzierte, und die (vers6hnlich wirkende) Darstellung eines Publikums, das trotz unterschiedlicher Programmnutzungen noch vereint ist (siehe die nachfolgenden Karikaturen), beschreiben unterschiedliche Formen von Individualisierung und Integration, die modeme Gesellschaften auf Grund ihrer Lebenslagen und Lebensstile hervorbringen. Die rechts platzierte Karikamr l~isst eine an Individualbedtirfnissen orientierte Angebotsstrategie erkennen, also eine Art ,,customized mass media"-Strategie (Coy 2003, S. 288). Sie wurde bereits 1993 publiziert und verdeutlicht damit noch einmal die Tr~igheit von Medienentwicklungen, wie sie zu Beginn dieses Kapitels beschrieben wurde.
96 Siehe hierzu die Ausfahrungen in Kapitel 2.
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Quelle: Karikatur links aus Semp6 1972, S. 70f., Karikatur rechts entnommen aus einem Beitrag yon Krieg 1993, S. B4 Diese Gleichzeitigkeit von Massen- und Nicht-so-Massenkommunikation hat Meyrowitz wohI auch zu folgender Auffassung gef/jhrt: ,,Es trifft zwar zu, dab das Interesse Nr einige nationale oder globale Themen Millionen von Menschen t~ber verschiedene Orte hinweg vereint, aber zugleich ist auch ein Rt~ckzug des einzelnen auf seine egoistischen und idiosynkratischen Interessen zu beobachten [...]." (1998, S. 187f.) Dass dieser R~ckzug viele Formen annehmen kann, zeigt die Prgsenz der Mediennutzung in der Offentlichkeit in besonderer Weise. Loriots Figur sucht wohl die Ruhe im privaten Umfeld und wirkt ohne Zweifel t~berzeugender und sympathischer als der Flaneur des 2I. Jahrhunderts, der seine unmittelbare Umwelt durchl/~uft, w~hrend er nicht anwesenden Anderen Aufmerksamkeit schenkt. Die nachfolgende Karikatur ist zugleich nicht nur eine Illustration des unstillbaren Bedfirfnisses nach
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Information, sondern ebenso ein nachdrficklicher Hinweis auf den seltenen Fall der Substitution eines Mediums durch ein konkurrierendes Medium bzw. Ausdruck eines Nutzungsmusters, das Differenzierung mit Integration verknt~pft.
Quelle: Loriot 1992, S. 106 Auch wenn nicht hinter jedem Buch oder jeder Zeitung ein Leser stecken wird Christian Morgenstem (1871-1914) soil das vorletzte Wort haben: ~Unendlich viel geschah j u s t da ich Mensch gewesen. (( Und was geschah von dir? ~ Von mir? Das, was geschah, z u - lesen. ~
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Bleibt die Frage, wer das letzte Wort haben soll. Die Wahl fiel auf den amerikanischen Sozialtheoretiker Charles Horton Cooley (1864-1929): ,, [...] without expression thought cannot live. " (1922, S. 94)
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Sachregister 97
Acapulco-Typologie 180 Affektfernsehen 232 Agenda-Building 191 Agenda Melding 194 Agenda-Setting 6, 169ff., 191 ff., 200, 311,318 Alltagskommunikation 191 American Soldier Series 146 Anschlusskommunikation 6, 38, 171, 191,263,265,278 Attitude 147f., 155f. Aufkl~irung 43,248 Authentizit~it 15, 101 f., 161,232f. Autorit~its-Experiment (Stanley Milgram) 251 Avantgarde 259
Bandwagon-Effekt 17,253 Barseb~ick-Panik 107 Beeinflussbarkeit 102, 147, 153, 167, 188,229 Bezahlfernsehen 307 Bezugsgruppe 258, 260f. Bezugsgruppenmeinung 260f. Bildkommunikation 281 Buchdruck 29, 38ff., 43, 46, 272, 280f. Buchdruck-Kultur 280f. Bumerang-Effekt 75, 154 97
Das Sachregister erg~inzt das Inhalts-, Abbildungs-und Tabellenverzeichnis. Es konzentriert sich auf den Nachweis zentraler Begriffe. Da Begriffe wie ,Wirkung', ,Massenkommunikation' und ,Kommunikation' sehr h~iufig auftauchen, werden nur die wichtigsten Passagen aufgeftihrt.
B~irgerliche Offentlichkeit 236ff. Captive audience 147 Ceiling-Effekt 294 Chapel Hill-Studie 171 ff. Communication Effects Gap 288 Cosmopolitans 118 Cross-Lagged-Korrelationen 180 Cultivation of Beliefs (siehe Kultivierungsanalyse) 215, 221 ff., 326 CSI-Effekt 18 Cultural Studies 92, 325 Customized Mass Media 319
Decatur Study 118, 139 Defensive Selektivit~it 78 Defizittheorie 7, 298f. Digital Divide 303f. Differenztheorie(-hypothese) 298f. Doppeltes Meinungsklima. 254 Double Cone-Modell 214 Drug Study 121 ff. Dynamisch-transaktionaler Ansatz 83ff.
Eisenbahntest 257ff. Entpolitisierung 263 Ereignis(-typologien) 209 Erinnerungsr~iume 39 Expertness 149 Externer Wissensspeicher 39
Faktenwissen 291 Fernsehb~hne 278 Fernsehen 15, 34, 65, 77, 90f., 95, 126, 128, 144, 159, 160ff. 176, 181,190f., 199,211,213,215, 217, 221,224, 226f., 230ff., 240, 254, 264, 270ff., 276f., 281,283f., 290, 296f., 307, 311, 317
352 Fernseh-Gesellschaft 7,274, 278, 286 Film 66, 146, 149, 275 Fireside chats 107 Framing 190 Freizeit 20f., 36, 89, 239 Gallup-Frage 175f., 182ff. Gatekeeper 116, 203,205 Geffihlsnormen 233 Generalisiertes Anderswo 279 Gerficht 98, 126f., 136f., 336 Gewalt in den Medien 217ff. Glaubw~rdigkeit 6, 10, 12, 24, 78, 95, 101,143, 149, 150, 152, 154ff., 312, 314 Glaubwt~rdigkeit der Medien 6, 24, 143, 159, 163 Globales Dorf 270 Gruppe (soziale) 73ff., 155 Gruppenzugeh6rigkeit 74 Harter Kem 259 Heige Medien 270ff. H6hlengleichnis 213 Homo Oeconomicus 316 H6rfunk 29, 34, 36, 47, 49f., 62, 65, 96, 105, 114, 163ff., 176, 206, 240, 272, 317 Hovland-Schule 6, 147f., 153 Hypermedien 35 Images der Medien 12, 165 Inactives 132 Informationsgesellschaft 304, 312, 314ff. Informationshierarchien 41,280
Sachregister Informationskampagnen 11,288, 295, 299 Informationskontrolle 274 Informationsrevolutionen 9, 35ff. Informed opinion 146, 153 Infotainment-Offentlichkeit 265 Instrumentelle Aktualisierung 208 Interaktion 5, 53, 55ff., 64, 68, 83, 192, 274, 276, 315 Intermedia-Agenda-Setting 195 Intemet 13, 66, 144, 165, 167, 195, 305, 307f. Intemet-TV 307 Interpersonale Kommunikation 24, 53, 57f., 67, 107, 111,113, 126ff., 133, 135, 139, 180, 194f., 290, 303 Inter-Transaktionen 84f. Intra-Transaktionen 84f. Invasion from Mars 109, 326 Involvement 85, 132, 187, 259, 287, 299f. Isolationsfurcht 249, 252, 254, 256ff. Joumalismus. 48, 140, 161,170, 205ff., 228, 315 Journalistische Qualit~it 325 Kindheit 213,280 Kino 31, 34, 46f., 49, 50f., 66, 89, 121,228, 264, 269 Klatsch 242, 264, 284 Knappheit(en) 7, 312, 315 Knappheitsbewusstsein 315 Knowledge leveler 296 Kognitive Dissonanz 77, 102 Kommunikation 5ff., 20, 24, 27ff., 35, 43f., 52ff., 61, 64ff., 73ff., 87, 89, 107, 109, 111, 113f., 126ff., 133, 135ff., 147, 149, 155, 167,
Sachregister 169, 171,180, 185, 191,193ff., 239, 244ff., 252, 262f., 267, 270, 275, 282, 288, 290, 303,305ff. Kommunikationsfertigkeiten (communication skills) 290 Kommunikations6kologie 279 Kommunikator 10, 75, 79, 83ff., 149f., 152, 154, 156, 160, 166, 169 Komplementaritfit 33f. Konformitgt 256 Konstruktivismus 5, 83, 87, 211 Konvergenz von Lebenswelten 277 Kriminalit~its-Furcht-Paradox 229 Kritische Theorie 5, 88 Kiihle Medien 271 ff. Kultivierungsanalyse 221 f., 228 Kultivierungsdifferential 222 Kulturindustrie 89, 91 Kulturkonsumierendes Publikum 239,241 Kulturr~isonierendes Publikum 239 Kylie-Effekt 17 Laienkommunikation 263f. Lasswell-Formel 9, 70 Last-Minute-Swing 253 Learning factors 153 Lesen 34, 41f., 46, 65f., 149, 269, 280f., 284 Lesepublikum 42 Limided effects 115,169 Linienexperiment (Solomon Asch) 250 Locals l17f. Mainstreaming 224 Masse 69, 113 Massengesellschafi 61 f., 69
353 Massenkommunikation 5f., 9f., 19f., 24, 38f., 50, 53, 55, 57ff., 64ff., 71, 75, 84, 111,125, 127, 130, 133, 153, 155, 159, 163f., 169, 171, 182, 191, 235,280, 303, 316, 318, 320 Massenkommunikations forschung 5, 47, 147, 174 Massenkultur 89, 91,241 Massenmedien 5f., 9, 19f., 22f., 30ff., 36, 44, 49, 50f., 55, 62, 66, 68, 77, 87ff., 92f., 104f., 107, l13f., 118, 121,126f., 129, 132, 155, 157, 167, 172, 183, 191,194, 199ff., 206, 21 Of., 213,229, 235 f., 240f., 246f., 252ff., 258f., 261ff., 287, 295,298, 303,306, 314 Mathematisches Kommunikationsmodell 57 Mean World Index 225f. Media Agenda (auch Medienagenda) 10, 12, 173ff., 180f., 195,200 Media Events 327 Media Monitor 188 Mediating factors 73 f., 261, 311 Mediatisierung 6, 140, 210, 226, 228, 279 Medien -erster Ordnung 60 -zweiter Ordnung 60 -Prim~ire 59f. -Sekundgre 59f. -Terti~ire 59f. Mediendifferenzierung 30, 166, 195 Medieneffekte -schwache 73 -starke 73, 88, 107 Medienentwicklung(-evolution) 14, 27, 35, 46, 262, 307, 311, 319 Mediengesellschaft 16, 19, 21,233, 266
354 Medienkonkurrenz -Substitution 33,273,321 -Komplementarit~it 33 f. Mediennutzung 20f., 24, 33f., 38, 51, 65, 81f., 84, 92, 124, 160, 184, 286, 288ff., 297, 301,305, 311, 316f., 319f. Medien6kologie 7, 279f., 285 Medientenor 254, 256, 258f. Medienvielfalt 7, 312 Medienwandel 7, 13,307 Medienwirkungsforschung 13, 21, 22f., 28, 49f., 68, 71, 73, 77, 88, 93, 108, 111,209, 214 Medium-Theorien 269f., 273f., 276, 279, 285 Meinungsffihrermedien 140, 195 Meinungsfiihrer(schaft) 24, 115, 117, 120f., 128, 132, 136, 140, 259 -Beeinflussungs- und Verst~irkungsfunktion der 130 - Messung von 113, 116f., 119ff., 133ff. -Monomorphe 117 -Polymorphe 117 -Relaisfunktion der 124ff. -Virtuelle 140 Meinungsklima 252, 254ff. Menge 30, 64, 248,284 Message System Analysis 215, 221 Meta-Medien 314 Mikro-Makro-Puzzle 34 Missionarseffekt 260 Motivational factors 152 Multistep flow of communication 122, 130
Nachrichtenwert(-faktoren) 49, 125, 127, 176, 201,204f., 211 Nachindustrielle Gesellschaft 322
Sachregister Netzwerkanalyse 135, 139 News Diffusion 125, 127, 291 Nicht6ffentliche Mikrokommunikation 263 Niedrigkostensituation 317 Nutzungswirkungen 78f., 184 Objektivit~it der Medien 12, 164 ()ffentliche Makrokommunikation 263 ()ffentliche Meinung 7, 11,244, 247, 258, 261,337, 340, 344 Offentlichkeit 6f., 11, 18, 24, 27, 43, 44, 51, 64, 176, 178f., 190, 192, 233,235ff., 247, 252, 254, 258, 260, 262ff., 277, 285,287, 320 -Drei-Ebenen-Modell 262 -oszillierende 243 -paradoxes Konstrukt 245 Onlinenutzung 12, 304 Opinion 99, 130, 134f., 148, 156, 167, 169, 197, 223,266 Opinion Broker 139 Opinion sharing 132 Opinion givers 131 f. Opinion askers 131 f. Oprah's Pick 17 Oszillationsmedium 313 Parasoziale Interaktion 56f. Pers6nlichkeitsst~irke 134f., 153 Persuasionsforschung 6, 50, 143, 145, 166 Policy Agenda 10, 176f. Politische Kommunikation 234 Primacy-Effekt 153 Priming-Effekt 6, 12, 185ff. Privatheit 44, 237, 239, 241 Produktions6ffentlichkeiten 313
Sachregister Project Censored 190 Pseudo-Ereignisse 207, 209f., 310f. Pseudoumwelten 170 Public Agenda (auch Publikumsagenda) 173 ff., 184f., 194, 200 Publikumsaktivit~it 75, 80, 214, 331 Publizit~it 20, 41,236, 240, 289, 291
R~isonierendes Publikum 238 Recency-Effekte 153 Redebereitschaft 11,252, 256f., 259ff. Relevant Set 317 Reiz-Reaktions-Modell (siehe auch Stimulus-Response-Modell) 23, 50, 67f. Rieplsches Gesetz 32f. Relative Glaubwfirdigkeit 12, 162, 164
Repr~isentation 247 Resonance 225 Rezipient 15f., 25, 56, 67ff., 73ff., 78f., 82ff., 92, 103, 105, 112, 125f., 130, 143, 147, 153, 160, 171,180, 182, 199, 203,206, 210, 215,264, 270, 279, 293,297, 305, 319 Rollentheorie 275 Roper-Frage 160ff. Rovere Study 116 Rfickkopplung 58f., 68 Rundfunk 45, 62, 114, 201,255, 307
Scary world 222, 224 Schriftkultur 281 Schweigespirale 7, 247, 249, 251, 253f., 256ff., 262 Schwellenwert 108, 184 Second hand-Welten 213 fo
355 Selective exposure 74 Selective perception 74 Selective retention 74 Situationismus 275f. Simations-Geografie 274, 276f. Sleeper-Effekt 10, 150ff. Small Worlds 316 Soziale Kontrolle 75, 90 Soziale Natur des Menschen 248f., 254,256 Sozialisationsphasen 277 Soziometrie 122, 134 Spektakul~ire Medienwirkungen 5, 9, 95, 103 Spotlighting-Funktion 181,297 Stimulus-Response-Modell 9, 67f., 70f., 73, 75f., 83, 85, 87, 99, 104, 108, 146, 169 Strong ties 136 Strukturwissen 291 Substitution 33
Teil-Offentlichkeiten 265 Telekommunikation (auch Telegraf, Telefon) 29, 36, 43ff., 65,270, 282 Thematisierungsfunktion der Medien 169,318 Themenrelevanz 13, 182, 195,201, 259, 292f., 301 The-more-the-more-Regel 33 f. Third person-Effekt 166 Transaktion 84 Trigger Events 179 Trustworthiness 149, 152 Tuchmansche Gesetz 201,230 Two-Cycle-Flow-Modell 130 Tyrannei der Mehrheit 249
356 Umweltwahmehmung. 113,224, 252fs 258f., 278 Uninformed opinion 146, 153 Unterhalmngsfernsehen 285 Uses and Gratifications 78, 81
Verbreimngsmedien 17, 27, 34, 246, 314 Verhalten im mittleren Bereich 277 Videomalaise 265 Vielsehen, Vielseher 221 fs 230s Violence Index 215, 217s Wahlen und W~ihler ('The People's Choice') 108, 111 ff., 116 Wahmehmungsmuster 268 War Bond Days 105 Weak ties 136 War of the Worlds 5, 95f., 98, 100 Web-Community 307 Weblogs 313s Web 2.0 308, 313 Werther effect 18 Widerspenstiges Publikum 73, 80 Wirklichkeit der Medien -Kopernikanische Antwort 211 -Ptolom~iische Antwort 200, 211, 215 -Sicherheitsgefiihl 145, 229 Wirkungen 23s 47, 67, 76s 80, 83, 86ff., 96, 108, 114, 146s 155,
Sachregister 169, 180, 205,209, 220s 254, 277,279 Wissen erster Ordnung 305, 315 Wissen zweiter Ordnung 305, 314 Wissenskluftforschung -Casual Association-Modell 299 -Rival Explanation-Modell 299 -Motivation-Contingency-Modell 300f. Wissenschaftliche Rhetorik 147 Wissensklufthypothese 287, 289ff., 296, 298 Wissenssoziologie 327 WorldWideWeb 308
Zehn-Sender-Regel 317 Zeitbudget 34 Zeimngswesen (auch Presse) 13f., 17ff.,31,41s163163 89s 160,163,166,170s 199,201,203s 240,246,282s 316s Zirkulationsmodell der Kommunikation 9, 58 Zwei-Stufen-Fluss der Kommunikation 9, 115, 118, 127