Liebe mit Hindernissen
Annette Broadrick
© 1986 by Annette Broadrick Unter dem Originaltitel: „Unheavenly Angel“ ersc...
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Liebe mit Hindernissen
Annette Broadrick
© 1986 by Annette Broadrick Unter dem Originaltitel: „Unheavenly Angel“ erschienen bei Silhouette Books, division of Harlequin Enterprises Limited, in der Reihe ROMANCE Übersetzung: Lieselotte Oetcke © Deutsche Erstausgabe in der Reihe NATALIE Band 266 (112), 1937 by CORA VERLAG GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten einschließlich des Rechtes der ganzen oder teilweisen Reproduktion in jeder Art und Form. Diese Ausgabe wird in Vereinbarung mit Harlequin Enterprises Limited, Toronto, Canada, veröffentlicht. NATALIERomane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Satz: Axel Springer Verlag AG, Kettwig Druck: Eisnerdruck, Berlin Printed in Western Germany
1. KAPITEL Das erste, was einem Besucher auffiel, sobald er die Bibliothek in der Villa Bennington betrat, war der imposante Schreibtisch aus mattschimmerndem Mahagoni. Vielleicht hatte Scott Bennington ihn ausgesucht, um durch ihn seine Besucher einzuschüchtern? Harrison Tyler fühlte sich jedenfalls unbehaglich, obwohl er nicht einmal vor, sondern hinter dem Tisch saß. Es war Scotts Platz, und er, Harry, wie ihn seine Freunde nannten, gehörte absolut nicht hinter diesen Schreibtisch. Hier zu sitzen, machte ihn befangen. Das lag auch an dem Raum mit seiner dunklen Wandvertäfelung und den zahlreichen, mit Büchern vollgestopften Regalen. Die Umgebung erdrückte ihn, machte ihn unsicher. Erschöpft strich er sich über die Augen. Ich fühle mich mit meinen fünfundfünfzig Jahren zum erstenmal richtig müde, überlegte er. Wieso bin ich so unbeschreiblich müde? Nachdenklich schaute er die beiden jungen Leute an, die auf der anderen Seite' des Schreibtisches saßen und ihn erwartungsvoll ansahen. Ihr Anblick rief Wehmut in ihm wach. Wo waren die Jahre geblieben? Er konnte sich noch genau an den Tag erinnern, an dem Clyde Carlyle geboren worden war. Das war jetzt beinahe zweiunddreißig Jahre her. Wie würde er das jemals vergessen können? Todd Carlyle, der stolze Vater, Scott Bennington und er hatten Clydes Geburt so ausgiebig gefeiert, daß sich zum Schluß keiner von ihnen mehr auf den Beinen halten konnte. Aber das gehörte lange der Vergangenheit an, und das Rad des Lebens ließ sich nicht zurückdrehen. Dabei hatten sie zu dritt noch so viel tun wollen, und sie hatten Pläne gemacht, als ob sie ewig jung bleiben, ewig leben würden. Und nun saß er, Harry, unentschlossen den Kindern seiner Freunde gegenüber und mußte diesen erklären, welche Pläne die Väter für ihre Sprößlinge ausgeheckt hatten. Das war alles andere als leicht. Sabrina Bennington beobachtete Harry aufmerksam. Sie war die Tochter von Scott Bennington. Schon als Kind hatte sie diese seltsame Ausstrahlung besessen, die jeden faszinierte, der mit ihr zu tun bekam. Jetzt, mit dreiundzwanzig Jahren, hatte sich Sabrina zu einer attraktiven Frau entwickelt, deren Liebreiz und Charme mit ihrer Schönheit wetteiferten. Sie war ein zierliches Geschöpf, und Harry Tyler fand, daß sie zwischen den schweren, barocken Möbeln und den Wänden voller Bücher genauso verloren wirkte wie damals ihre Mutter. Scott hatte Yvette in Paris kennengelernt und sie nach der Hochzeit mit nach San Francisco gebracht. Als Sabrina fünf Jahre alt war, hatte Yvette eines Tages erklärt, es hielte sie nicht länger in San Francisco. Die Stadt deprimiere sie, sie fühle sich eingeengt und unglücklich. Was immer ihr Scott auch versprechen würde, sie wäre entschlossen, ihr Zelt in einem Land aufzuschlagen, das ihr mehr Kultur, mehr Zivilisation böte. Und wer Yvette kannte, wußte, daß sie damit nur Frankreich meinen konnte. Und natürlich würde sie Sabrina mitnehmen. Scott hatte gebettelt und gefleht. Er hatte Wutausbrüche bekommen und gedroht, aber Yvette ließ sich nicht umstimmen. Schließlich hatte er resigniert und Frau und Kind ziehen lassen. Die Trennung von beiden traf ihn schwer, aber irgendwie ging das Leben weiter. Als Sabrina dann älter wurde, hatte er mit Yvette vereinbart, daß sie sie ihm jeden Sommer nach San Francisco schickte. Scott selbst flog mehrmals im Jahr nach Frankreich, um sich dort mit seiner Tochter zu treffen.
Und nun saß sie dort vor dem Schreibtisch wie ein Häufchen Elend. Sie hatte den Schock, ihren Vater so plötzlich verloren zu haben, genauso wenig verarbeitet, wie Harry den Verlust seiner beiden besten Freunde. Wie Clyde über die Angelegenheit dachte, hätte Harry nicht sagen können. Der junge Mann verstand es meisterhaft, seine Empfindungen, hinter einer undurchdringlichen Maske zu verbergen. Als Scott und Todd vor einer Reihe von Jahren den Entschluß faßten, ins Elektronikgeschäft einzusteigen, hatte die Welt kaum etwas von den sogenannten Mikrochips gehört, geschweige denn eine konkrete Vorstellung davon gehabt, wie diese Dinger funktionierten. Harry, als Syndikus seiner Freunde, war von Anfang an dabeigewesen und Zeuge, wie sich aus den bescheidenen Anfängen in unglaublich kurzer Zeit die Firma zu einem bedeutenden Konzern entwickelte, der ausschließlich in Privatbesitz war. Scott und Todd besaßen sämtliche Anteile des Unternehmens. Am Anfang hatten sie Harry aufgefordert, mitzumachen, aber er hatte das Risiko gescheut. Scott und Todd waren deshalb die alleinigen Inhaber des Unternehmens geblieben. Sobald Clyde sein Studium an der HavardUniversität beendet hatte, holte ihn Todd, sein Vater, in die Firma. Irgendwann einmal sollte er ja der Chef dieses riesigen Konzerns sein. Eines Tages in weiter Zukunft… Keiner von ihnen allen hatte jemals daran gedacht, daß Scott und Todd schon mit fünfundfünfzig Jahren würden sterben müssen. Es geschah bei einem Flugzeugabsturz im Orient, bei dem sämtliche Insassen den Tod fanden. Unter ihnen Todd Carlyle und Scott Bennington. Selbstverständlich gab es ein Testament für den Fall, daß den beiden etwas Unvorhergesehenes zustieße. Aber gerade darin lag das Problem. Dieses Testament war nämlich aus der Laune eines Augenblicks heraus entstanden. Es war das Ergebnis einer feuchtfröhlichen durchzechten Nacht. Harry konnte sich nicht mehr daran erinnern, wer von den beiden zuerst auf den Gedanken gekommen war. Scott oder Todd, aber er hörte noch heute ihr schallendes Gelächter. Er hatte gehofft, sie würden den Plan fallenlassen, sobald sie wieder nüchtern waren. Doch da irrte er sich gründlich. Wochenlang versuchte er, ihnen ihre Absicht auszureden, und erst als sie drohten, sie würden einen anderen Notar mit der Abfassung der Schriftstücke beauftragen, hatte er klein beigegeben und die Papiere aufgesetzt. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn Clydes Mutter noch gelebt hätte. Aber sie starb, als der Junge gerade zehn Jahre alt war. Lydia Carlyle war eine kühle, reservierte Frau gewesen, und Harry hatte nie begreifen können, wie der warmherzige, lebenslustige Todd ausgerechnet an sie geraten konnte. Sie war ihm jedenfalls immer als unnahbar und gefühlskalt erschienen. Eins war jedoch sicher: Zu ihren Lebzeiten wäre dieser verrückte Einfall im Keim erstickt worden. Sie hätte nur die Augenbrauen mißbilligend hochgezogen und die beiden Übeltäter strafend angesehen, und sie hätten ihr Vorhaben vergessen. Nachdenklich sah er Clyde an und fragte sich, ob der junge Mann wohl das Wesen seiner Mutter geerbt hatte. Man konnte ihn nicht unbedingt als gefühllos bezeichnen. Zurückhaltend – ja, das traf schon eher zu. Von der Figur her ähnelte Clyde seinem Vater. Er war groß wie Todd und ebenso breitschultrig. Aber das schwarze Haar und die dunklen, fast schwarzen Augen erinnerten an Lydia. Doch wenn Clyde lächelte, was leider viel zu selten geschah, bekam sein Gesicht den gleichen spitzbübischen Ausdruck, wie man ihn von seinem Vater her kannte. Dann fand Harry, daß er Todd doch sehr ähnlich war.
Allerdings hatte Clyde in den vergangenen Tagen recht wenig Grund zum Lächeln gehabt. Er mußte alles für das Doppelbegräbnis in die Wege leiten und hatte Sabrina in Frankreich aufspüren und sich um einen Flug bemühen müssen, damit sie noch zur Beerdigung in San Francisco eintraf. Und dann mußte er jetzt schon die Leitung des Konzerns übernehmen, wodurch ihm eine große Verantwortung aufgebürdet wurde. Der Konzern! Harry räusperte sich. „Ihr werdet mir sicher nachfühlen können, wie schwer es mir fällt…“ Er vermied es, Clyde und Sabrina anzusehen, sondern blickte starr auf die Hände, die er auf der Tischplatte gefaltet hatte. „Wie ihr wißt, war ich beinahe fünfzig Jahre der beste Freund eurer Väter. Und da ich nie geheiratet habe, seid ihr beide fast so etwas wie meine eigenen Kinder. Ich kenne euch, seit ihr geboren wurdet. Ich habe euch aufwachsen sehen…“ So geht es nicht, dachte er. Wenn ich so weiter mache, brechen wir alle drei gleich in Tränen aus. „Ich glaube nicht, daß Scott oder Todd je daran gedacht haben, dieses Testament, was vor mir liegt, würde tatsächlich eines Tages in Kraft treten. Ich schäme mich einzugestehen, daß dieses Schriftstück ein eindeutiger Beweis für ihren ziemlich ausgefallenen Humor ist. Hätte einer von euch vor dem Tod der beiden geheiratet, wäre es ja auch sofort geändert worden.“ Clyde hob den Kopf und rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Was spielte es für eine Rolle, ob er verheiratet war oder nicht? Nach seiner Ansicht war die Situation denkbar einfach. Es gab außer ihm und Sabrina keine weiteren Erben. Clyde konnte sich noch gut an Sabrinas Mutter erinnern. Sie war eine ungewöhnlich lebhafte Frau, dabei leichtsinnig und verschwenderisch. Und sie hatte phantastisch ausgesehen mit den grünen, schrägstehenden Augen in dem blassen Gesicht. Clydes Mutter hatte Yvette Bennington nie gemocht. Sie hatte ihr auch unverhohlen zu verstehen gegeben, daß sie sie verachtete. Lydia Carlyle hatte stets behauptet, Scotts Ehe mit dieser Frau wäre nicht von langer Dauer, und sie sollte recht behalten. Clyde konnte sich nicht entsinnen, daß seine Mutter sich jemals geirrt hätte. Ihre Meinung aber über Scotts Frau, die das junge Mädchen dort neben ihm in die Welt gesetzt und großgezogen hatte, schien auf Clyde abgefärbt zu haben. Er hatte nur einen kurzen Blick auf Sabrina geworfen und schon hatte sein Urteil festgestanden: wie die Mutter, so die Tochter. Nun wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Harry Tyler zu. Nie zuvor hatte er den Freund seines Vaters so nervös und fahrig erlebt, obwohl das eigentlich nicht verwunderlich war. Schließlich stand auch Harry unter dem Schock, seine beiden besten Freunde mit einem Schlag verloren zu haben. Er, Clyde, konnte es auch nicht fassen. Immer dachte er, sein Vater und Scott müßten doch glücklich lachend ins Zimmer treten und sie verspotten, daß sie tatsächlich auf diesen makabren Scherz hereingefallen waren. Er bemühte sich, seine innere Bewegtheit zu verbergen, und wußte dabei, daß sich sein Leben mit dem Tod des Vaters und seines Freundes von Stund an völlig geändert hatte. Sabrina zerknüllte ihr Taschentuch und bemühte sich, gegen die Tränen anzukämpfen, die ihr in die Augen stiegen. Clyde sollte sie nicht weinen sehen. Das Weinen hätte ihr jedoch nichts ausgemacht, wenn sie und Harry Tyler allein gewesen wären. Er hatte sie ja früher auf seinen Knien gewiegt, als sie ein kleines Mädchen war. Deshalb war er für sie der gute Onkel, der eben zur Familie gehörte. Sabrina wußte, Harry würde sie verstehen. Er war der einzige, der ihren Schmerz
wegen des Verlustes des geliebten Vaters nachempfinden konnte. Ihre Mutter hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt, daß ihr einziges Kind den Vater beinahe abgöttisch liebte. Sie hatte amüsiert und ein wenig gelangweilt den Personenkult mitangesehen, den ihre Tochter mit dem Vater trieb, und war froh gewesen, daß man sie nicht einbezog und sie ihre Freiheit ungehindert genießen konnte. Nun, wo der Vater tot war, saß Sabrina hier und schämte sich zu weinen. Und das nur wegen Clyde Carlyle. Wer war dieser Mann überhaupt? Sie kannten sich kaum. Trotz ihrer häufigen Besuche in Amerika hatte Sabrina ihn nur selten zu Gesicht bekommen. Er mochte etwa acht oder neun Jahre älter sein als sie, aber sie hatte immer den Eindruck gehabt, er wäre nie richtig jung gewesen. Der Gedanke, daß auch er einmal ein fröhliches unbeschwertes Kind gewesen sein mochte, erschien ihr geradezu absurd. Vielleicht lag das daran, daß er stets ernst und reserviert wirkte und absolut keine Gefühlsregungen zeigte. Sie war ihm deshalb, so gut sie konnte, aus dem Weg gegangen. Über was hätten sie sich auch unterhalten sollen? Er hatte so gar nichts von seinem Vater, der ein warmherziger zugänglicher Mensch gewesen war, immer zu Spaßen aufgelegt. Ihm haftete etwas von einem Abenteurer an, was die kleine Sabrina anzog und wofür sie ihn heimlich bewunderte. Bei seinem Sohn konnte man von all diesen Eigenschaften nichts entdecken. Er war nun ein typischer Geschäftsmann, der sich in einer Welt von Börsenmaklern und Aktionären wohl zu fühlen schien, einer Welt, die Sabrina so fremd war, als läge sie auf einem anderen Stern. Scott Bennington hatte stets behauptet, Clyde besäße einen untrüglichen Instinkt, Probleme vorauszuahnen, und Weitblick und Fingerspitzengefühl, um mit Lösungen aufzuwarten, die für alle Seiten vernünftig und akzeptabel waren. Wie anderen Menschen die Begabung zum Künstler angeboren war, so steckte in Clyde ein natürliches Talent zum Manager. Sabrinas Vater hatte den jungen Mann geschätzt und respektiert, und Sabrina wußte, man konnte sich auf das Urteil ihres Vaters verlassen. Zwischen Clyde und ihr jedoch bestand ein gewaltiger Unterschied. Ihr Leben bewegte sich in völlig anderen Bahnen. Sabrinas Welt war die Welt der Kunst. Ihr ganzes Sinnen und Trachten galt der Malerei. Schon sehr früh hatte sie entdeckt, daß es ihr half, die vielen einsamen Stunden, in denen sie sich verlassen und überflüssig vorgekommen war, mit der Malerei auszufüllen. Die Freude an leuchtenden Farben und die Möglichkeit, ihre Empfindungen in Bildern auszudrücken, brachten ihr Trost und verhinderten, das Leben als allzu enttäuschend anzusehen. Mit Feuereifer hatte sie Unterricht genommen und schließlich in Paris die Kunstakademie besucht. Inzwischen hatten schon einige ihrer Gemälde Käufer gefunden. Sabrinas Mutter war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als die Tochter gerade neunzehn war. Mit einundzwanzig zog sie endgültig nach Paris und wohnte von da an mit anderen jungen Leuten, die allesamt Maler, Bildhauer oder Kunststudenten waren, in einem Apartmenthaus. Geldsorgen kannte sie nicht. Sie lebte von dem Erbe ihrer Mutter und einer monatlichen Zuwendung, die sie von ihrem Vater erhielt. Mit den Jahren hatten sich ihre Maltechnik und ihr Stil so weit verbessert, daß die Kunstwelt auf sie aufmerksam zu werden begann. Von ihren künstlerischen Neigungen her war es Sabrina daher völlig gleichgültig, welche Abmachungen Scott Bennington und Todd Carlyle hinsichtlich ihres
Unternehmens getroffen hatten. Mit dem Tod ihres Vaters hatte sie einen unermeßlichen Verlust erlitten. Nicht einmal Harry Tyler ahnte, was es für sie bedeutete, den Vater nun entbehren zu müssen. Er hatte ihr nämlich die Ruhe und Geborgenheit geben können, die sie im Zusammenleben mit der Mutter vermißte. Immer hatte er Geduld und Verständnis gezeigt, wenn sie ihm von all ihren kleinen und großen Kümmernissen berichtete. Aus seiner Erfahrung heraus hatte er ihr manch guten Rat geben können, und sie hatte oft über die gleichen Dinge gelacht, was ja nicht selbstverständlich war. Und jetzt war er von ihr gegangen, und nichts und niemand konnte ihn zurückbringen. Nur um diesen Punkt kreisten ihre Gedanken unaufhörlich. Was kümmerte es sie da, was mit der Firma geschah? Verstohlen wischte sie zwei Tränen von den Wangen, Harry bemerkte es und beeilte sich, endlich zum Thema zu kommen. „Ihr habt beide von mir Kopien der Testamente bekommen, doch habt ihr sie wohl noch nicht gelesen? Na ja! die Dokumente sind auch ziemlich umfangreich und schwer verständlich wegen der vielen Klauseln, die darin enthalten sind. Wenn ihr einverstanden seid, fasse ich die Punkte, auf die es hauptsächlich ankommt, zusammen. Das erspart uns viel Zeit.“ Er räusperte sich, holte umständlich seine Brille aus der Tasche und griff nach einem einzelnen Bogen Papier, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. „Also – das Testament lautet, daß im Falle des Todes von Scott oder Todd der überlebende Partner die Anteile des Verstorbenen aufkauft und die Abfindungssumme in das Unternehmen fließt.“ Clyde hatte sich interessiert vorgebeugt. „Das ist nicht mehr als recht und billig. Ich bin jederzeit bereit, Sabrina auszuzahlen, wenn sie mir die Anteile ihres Vaters überläßt.“ Sein Blick streifte die schweigsame junge Frau an seiner Seite. Harry Tyler fuhr sich verlegen durch das schüttere Haar und rutschte unbehaglich auf dem Sessel hin und her. Im Augenblick wünschte er sich weit fort. Wie oft hatte er sich schon überlegt, was Scott wohl gesagt haben würde, in dieser Situation! Wie hätte er den beiden jungen Leuten erklärt, was er und Todd mit dieser Idee bezweckten, die sie „Ihren Letzten Willen“ nannten. Scott und Todd waren aber leider nicht mehr in der Lage, etwas an der Formulierung ihres Testamentes zu ändern. Es blieb ihm, Harry, überlassen, den ahnungslosen Kindern der beiden Narren verständlich zu machen, was er selber im höchsten Maße mißbilligte. Seufzend wandte er sich an Clyde. „So einfach wie du denkst, ist es leider nicht, mein Junge. Diese Klausel hatte nur Gültigkeit, falls der eine den anderen überlebt hätte. Aber das ist nun mal nicht der Fall, und die Klausel im Falle eines gleichzeitigen Todes der beiden Firmeninhaber ist weitaus problematischer.“ Er sah, wie sie ihn argwöhnisch musterten, und es war ihm unbehaglich zumute. „Für den Fall eines gleichzeitigen Todes, trafen sie besondere Anordnungen. Sozusagen eine Schutzmaßnahme, damit das Vermögen der Familie erhalten bleibt.“ „Welche Familie?“ fragte Sabrina erstaunt. „Ja. Könntest du dich etwas präziser ausdrücken?“ meinte Clyde. „Sicher. Eure Familie. Die von dir und Sabrina. Das ist doch nicht schwer zu verstehen. Sie wollten sichergehen, daß das Kapitalvermögen ihren Nachkommen allein zugute kommt. Deswegen haben sie bestimmt, daß das Vermögen treuhänderisch verwaltet wird für die Kinder, die eurer Ehe entspringen werden.“ „Wie bitte?“ riefen Clyde und Sabrina wie aus einem Munde.
„Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ Clyde starrte Harry entgeistert an. „Das finde ich geradezu lächerlich!“ protestierte auch Sabrina. Doch während sie sich hilfesuchend zu Clyde umdrehte, erinnerte sie sich plötzlich an eine Unterhaltung, die sie vor etwa einem Jahr mit ihrem Vater geführt hatte. Scott war damals unverhofft in dem geräumigen Studio aufgetaucht, das Sabrina mit zwei Kunststudentinnen teilte. Der Raum war voll lachender, diskutierender Menschen gewesen, die ein solches Spektakel machten, daß man sein eigenes Wort nicht verstand. Sabrina war mit ihrem Vater deshalb in das kleine Bistro an der Ecke geflüchtet. „Wie kannst du dich nur unter so vielen Menschen wohl fühlen?“ hatte Scott gefragt. „Ich finde es herrlich, Papa! Jetzt bin ich nie mehr allein. Dieses Künstlervölkchen ist meine Familie. Diese Party da oben gilt zum Beispiel JeanPierre. Er hat heute eine seiner Skulpturen verkauft. Es ist wundervoll, wenn man Freunde hat, die wissen, was das für einen Künstler bedeutet.“ „Und wie denkst du über eine eigene Familie? Möchtest du nicht heiraten und Kinder haben?“ „Irgendwann einmal… Eines Tages hätte ich sicher gern ein Kind. Auf einen Ehemann kann ich jedoch verzichten.“ „Was hast du denn gegen Ehemänner?“ „Mir fällt nichts ein, was für sie spräche. Ich brauche keinen Mann, der mir sagt, was ich tun soll. Mir geht meine Unabhängigkeit über alles. Abgesehen davon weißt du genau, daß ich kein sehr häuslicher Typ bin. Wenn ich male, vergesse ich alles um mich herum. Ich möchte den Mann sehen, der das mitmachen würde. Nein, ich bin zufrieden mit meinem Leben, so wie es ist.“ „Du redest, als wolltest du niemals heiraten.“ „Warum sollte ich auch, Papa? Mit der Erbschaft von Mama, deinem monatlichen Scheck und dem Erlös aus dem Verkauf meiner Bilder habe ich mehr Geld, als ich zum Leben brauche.“ Scott hatte nachdenklich den Kopf geschüttelt. „Mein geliebtes Kind, mag sein, daß dir deine Mutter in den vergangenen Jahren diesen Floh ins Ohr gesetzt hat. Aber laß dir gesagt sein, es gibt auch noch andere Gründe, weshalb man heiratet. Nicht nur wegen des Geldes.“ „Kannst du mir einen nennen?“ Scott hatte gelacht und Sabrina an sich gedrückt. „Es paßt gar nicht zu dir, so zynisch zu sein. Ich weiß genau, du bist in Wirklichkeit hoffnungslos romantisch, liebste Tochter.“ „Wenn du das annimmst, weil ich bei sentimentalen Filmen heule oder gern im Mondschein spazierengehe, Restaurants mit Kerzenlicht bevorzuge und rote Rosen, dann hast du allerdings recht. Nur hat das nicht das geringste mit dem Heiraten zu tun.“ „Und eine Partnerschaft ohne Trauschein würdest du auch nicht eingehen?“ „Ich wohne mit Suzanne und Michelle zusammen. Sie sind wie zwei Schwestern zu mir. Und JeanPierre ist der Bruder, den ich mir immer gewünscht habe. Das deckt meinen Bedarf an Partnern.“ „Und was passiert, wenn du dich in jemand verliebst?“ „Ich würde rennen! Hörst du? Rennen! So rasch ich nur könnte. Ich habe nicht die Absicht, mich zu verlieben. Gegen eine Freundschaft habe ich nichts einzuwenden. Aber einen Liebhaber? Nein, danke. Die sind mir zu besitzergreifend.“ „Das klingt ziemlich bitter, Liebes, und ich fürchte, deine Mutter und ich sind nicht ganz schuldlos an deiner Einstellung. Aber vergiß nicht, eine Ehe muß nicht
unbedingt so enden wie bei Yvette und mir.“ „Du hast Mama doch sehr geliebt. Warum hast du zugelassen, daß sie dich verließ?“ „Sie war hier nicht glücklich, und ich liebte sie so sehr, daß ich alles getan hätte, damit sie nur wieder froh und unbeschwert sein konnte. Wenn ihr Glück davon abhing, sich von mir zu trennen, was hätte ich da machen sollen?“ „Du hast darunter sehr gelitten, nicht?“ „Ja. Es war ein schwerer Schlag für mich. Keine Frau ist jemals imstande gewesen, deine Mutter aus meinem Herzen zu verdrängen. Und jetzt mache ich mir Sorgen um dich. Ich werde nicht ewig leben, und wenn ich eines Tages nicht mehr da bin, möchte ich gern, daß es jemanden gibt, der dich umsorgt, der zärtlich zu dir ist und dich liebt.“ Guter treusorgender Vater! Jetzt erst bekamen seine Worte Sinn für Sabrina. Sie sah Harry an. „Du meinst das wirklich ernst, ja? Clyde und ich müssen heiraten, so verlangen es diese Dokumente?“ Harry Tyler nickte beklommen. „Und du hast nicht zufällig die Hand im Spiel?“ wandte sich Sabrina vorwurfsvoll an Clyde. „Wohl kaum“, entgegnete dieser leise, aber mit Nachdruck. „Letzten Endes möchte ich selbst bestimmen, wann und ob ich überhaupt heirate. Außerdem suche ich mir meine Frau selber aus.“ Und so wie du wird sie nicht aussehen, fügte er in Gedanken hinzu. Er sah Marcia vor sich, mit der er seit über zwei Jahren eng befreundet war. Groß und schlank, das schwarze Haar modisch kurz frisiert, stets elegant, doch unauffällig angezogen, wirkte sie sehr damenhaft. Marcia war ruhig und beherrscht. Ihr Leben verlief in geordneten Bahnen, und sie würde ihm einmal eine zuverlässige, treue Ehefrau und ihren Kindern eine gute Mutter sein, falls es ihm je einfallen sollte, eine Familie zu gründen. Sabrina dagegen war genau das Gegenteil. Sie sah keineswegs schlecht aus, war zwar zierlich, hatte aber eine tadellose Figur. Aber wie kleidete sie sich! Ständig trug sie Kleider in leuchtenden Farben und weite, schwingende Röcke. Ihr hellblondes Haar fiel ihr in weichen, immer ein wenig zerzausten Locken ins Gesicht und bis auf den Rücken. Man drehte sich nach ihr um, sobald sie einen Raum betrat, und es dauerte nie lange, da stand sie im Mittelpunkt. Was Clyde jedoch am meisten an Sabrina irritierte, war der unschuldige Ausdruck ihrer Augen. Mehr als einmal war er versucht, ihr zu sagen, sie könne sich diesen unschuldsvollen Blick aus großen Kinderaugen sparen. Er würde nicht darauf hereinfallen. Wenn man wie sie bei einer freiheitsdurstigen Mutter aufgewachsen war, wenn man in Paris Kunst studierte und darüber hinaus mit einer Horde von HippieTypen zusammenhauste, dann war man wahrscheinlich alles andere als unschuldig. Clyde hatte nicht die geringste Ahnung, was die beiden Väter sich bei ihrem Plan gedacht hatten, aber er würde sich in keinem Fall mit einer Ehefrau belasten, die aus einem fragwürdigen Milieu stammte. „Also Harry… Welche Alternativen gibt es, wenn wir nicht auf diese Bedingung eingehen?“ „Dann wird das Unternehmen aufgelöst, die Aktien an der Börse verkauft und…“ „Wie bitte…?“ Clyde blieb vor Schreck der Mund offenstehen. „Das ist doch unmöglich, Harry! Das kannst du doch nicht machen!“ „Ich bestimmt nicht, Clyde. Es ist der Letzte Wille eurer Väter. Nicht meiner.“ Clyde fuhr sich nervös durch das Haar. „Wieso hast du mir das nicht früher gesagt?“
„Das durfte ich nicht, mein Junge. Damit hätte ich gegen die Vereinbarung verstoßen. Scott und Todd haben mich, als ihren Testamentsvollstrecker, ausdrücklich zu Stillschweigen verpflichtet. Außerdem hat wohl keiner von uns damit gerechnet, daß diese Abmachung jemals rechtskräftig würde. Fünfundfünfzig Jahre sind schließlich kein Alter, um zu sterben. Ich habe mir gedacht, sie würden sich eine Zeitlang ihren Spaß gönnen und dann wieder zur Vernunft kommen und das Testament ändern lassen. Ihr hättet beide nie davon erfahren.“ „Würde mir vielleicht einer von euch mal erklären, was denn so verkehrt daran ist, wenn die Aktien verkauft würden? Das brächte doch bestimmt eine Menge Geld“, mischte sich jetzt Sabrina ein. Langsam drehte sich Clyde zu Sabrina herum. „Allerdings!“ Er sah sie verächtlich an. „Unvorstellbar viel Geld sogar. Aber Geld, meine Liebe, ist nicht alles. Wenn die Aktien öffentlich gehandelt werden, geben wir die Kontrolle über das Unternehmen aus unseren Händen. Man hat es plötzlich mit Menschen zu tun, die man nicht kennt. Sie hätten das Recht, ihre eigene Geschäftsleitung zu wählen, ihren Vorsitzenden, ihre Vorstandsmitglieder und die Ausschüsse. Unsere beiden Väter haben aber den Konzern gegründet. Sie hatten es nicht leicht, bis sie das erreichten, was wir heute sehen. Aber welche Hindernisse sich ihnen auch in den Weg stellten, sie haben sich nie auf Kompromisse eingelassen. Und mich haben sie dazu erzogen, dort weiterzumachen, wo sie eines Tages aufhören würden. Wenn ich daher…“ Clydes Stimme versagte. Er rang sichtlich nach Fassung. „Angenommen, ich würde dich nicht heiraten, dann wird mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Dann verliere ich alles, wofür ich bislang gelebt habe und noch lebe. Aber das scheint dich nicht im geringsten zu interessieren“, schloß er verächtlich. Sabrina hatte mit wachsendem Erstaunen zugehört. Ihre eigene Aversion gegen eine solche Heirat verblaßte neben dem, was sie für Clyde bedeutete. Er hatte sehr beherrscht und ruhig gesprochen. Vielleicht sogar noch ein bißchen leiser als gewöhnlich. Aber die Bitterkeit in seiner Stimme war ihr nicht entgangen, und am Ausdruck seiner Augen erkannte sie, wie sehr er erregt war. Also war er doch nicht der Eisblock, für den sie ihn eigentlich hielt! �Doc h w i eso nah men i hr e Vät er an, Cl yde und si e wür den ei ne mso abs ur den Ei nf all z usti mmen Sabrina seufzte. Da hatte sie den Schock über den Verlust ihres Vaters noch nicht überwunden, und schon tauchte ein neues Problem auf. Sie schüttelte verärgert den Kopf. „Ich tu's nicht! Versteht ihr? Ich will nicht. Was kümmert mich die Firma. Was gehen mich eure Aktionäre an? Ich will nicht heiraten. Clyde nicht und auch niemand sonst. Wenn ich wirklich einen Ehemann haben wollte, dann nähme ich einen Franzosen. Die verstehen wenigstens etwas von der Liebe, vom Fröhlichsein und vom Lachen. Auf keinen Fall heirate ich irgendeinen verknöcherten amerikanischen Geschäftsmann, der erst wach wird, wenn er sich in einen Börsenbericht vertiefen kann.“ Sabrina konnte sich nicht länger beherrschen. Die Tränen strömten ihr über die Wangen. Verstört und beschämt sprang sie deshalb auf und stürzte aus dem Zimmer. Die Tür fiel krachend hinter ihr ins Schloß. Clyde kniff die Augen zu und verzog den Mund. Dann streckte er seine langen Beine aus, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. „So, Harry! Jetzt wissen wir wenigstens, woran wir sind. Was schlägst du nun vor? Wie bringen wir das in Ordnung?“
2. KAPITEL Dichter Nebel lag über der Stadt. Sabrina stand am Erkerfenster in der Bibliothek ihres Vaters. Gedämpft drang das klagende Heulen eines Nebelhorns zu ihr herüber. Zum erstenmal war sie allein in San Francisco. Von Clyde hatte sie nichts mehr gehört und gesehen. Seit der Eröffnung des denkwürdigen Testamentes ihrer Väter waren drei Wochen vergangen. Harry Tyler kam allerdings jeden Tag, und sie gingen zusammen essen. Er bemühte sich, Sabrina aufzuheitern, und erzählte ihr spaßige Episoden aus der Zeit, als Scott, Todd und er noch junge Burschen gewesen waren. So tröstete er sie, und das half ihr, ihren Kummer über den Tod des Vaters wenigstens zeitweise zu vergessen. Immer wieder hatte Sabrina es hinausgeschoben, die Papiere des Vaters zu ordnen. Denn sie kam sich dabei vor wie jemand, der den Schleier von etwas lüftet, das besser im verborgenen blieb. Doch es blieb ihr nichts anderes übrig. Sie mußte diese Anhäufung von Briefen und Schriftstücken sichten und entscheiden, was damit geschehen sollte. Im Kamin brannte ein Feuer. Es verbreitete wohltuende Wärme im Raum, so spürte man es nicht so sehr, daß die Welt draußen trübe und verhangen aussah. Sabrina hatte plötzlich Sehnsucht nach Paris, wo ihrer Ansicht nach sogar der Nebel noch einen romantischen Reiz besaß. Nie – zu keiner Jahreszeit – war ihr Paris so grau erschienen, hatte das Wetter dort sich so beklemmend auf ihre Stimmung ausgewirkt wie hier in San Francisco. Ihre Gedanken eilten zu den Freunden. Wie mochte es Michelle und Suzanne gehen? Ob JeanPierre schon eine neue Skulptur begonnen hatte? Sabrina war wieder einmal den Tränen nahe und zwang sich, an etwas anderes zu denken. Was hatte Scott ihr eigentlich über Clyde Carlyle erzählt? Viel war es nicht, an das sie sich erinnerte. Einmal hatte er gesagt, Todd sei irritiert, weil für seinen Sohn nichts anderes zu existieren scheine als der CarlyleBennington Konzern. Wie oft hatten er und Sabrinas Vater Clyde zugeredet, er möge sich ein wenig Vergnügen gönnen, und das Leben genießen. Aber das hatte nichts genützt. Wieso hatten Todd und ihr Vater geglaubt, eine Ehe zwischen ihr und Clyde könne funktionieren? Sabrina wußte, daß ihr Vater emanzipierte Frauen verabscheute und sie für kalt und gefühllos hielt. Wollte er verhindern, daß seine einzige Tochter sich so entwickelte? Oder hatte Todd angenommen, eine Ehe mit Sabrina würde Clyde die Augen öffnen und ihn lehren, daß es noch andere Dinge im Leben gab, wichtigere und schönere, als nur die Arbeit, mochte sie auch noch so interessant sein? Seit drei Wochen zerbrach sie sich den Kopf über diese Fragen. Aber sie war bisher zu keiner Antwort gekommen. Das schrille Läuten des Telefons riß sie aus ihren Grübeleien. „Hallo? Bist du das, Sabrina? Hier ist Clyde. Clyde Carlyle.“ Unwillkürlich faßte Sabrina den Hörer fester. Beim Klang von Clydes Stimme war ihre Kehle plötzlich wie zugeschnürt. Das war zu komisch: jetzt nahm er endlich Kontakt zu ihr auf, und es war ihr unheimlich zumute. „Ja Clyde?“ Einen Moment herrschte Schweigen. Sabrina hörte ihn leise seufzen. „Entschuldige bitte, ich konnte leider nicht eher anrufen. Wie ist es dir inzwischen ergangen?“ „Den Umständen entsprechend. Harry kam jeden Tag, um nach mir zu sehen.“
„Hast du heute schon etwas vor?“ „Nein. Warum?“ „Darf ich dich zum Essen einladen?“ Bei dem Gedanken, Clyde wiederzusehen, begann Sabrinas Herz schneller zu schlagen. Was war los mit ihr? Hatte sie etwa Angst vor ihm? Das wäre ja noch schöner! Sie fürchtete doch keinen Mann! Eines mußte sie allerdings zugeben: die Zukunft bereitete ihr Sorgen. Sie lag ebenso verschleiert vor ihr wie die Stadt dort draußen vor den Fenstern. Vielleicht ließ sie das verzagt und ängstlich reagieren. Plötzlich veränderte sich ihr Leben so sehr, und das hatte etwas mit Clyde zu tun. Kein Wunder also, wenn sie Herzklopfen bekam, wenn sie seine Stimme hörte. „Gern, Clyde. Um wieviel Uhr?“ „Ich könnte dich kurz nach sieben abholen, wenn es dir recht ist. Gut? Schön. Bis dann also.“ Ein Knacken in der Leitung zeigte an, daß Clyde das Gespräch beendet hatte. Nachdenklich legte auch Sabrina den Hörer auf die Gabel. Sie war es nicht gewöhnt, daß jemand so entschieden mit ihr sprach. Es hatte so selbstverständlich geklungen. So, als ließe er keinen Einwand gelten. Ja, es hatte sich angehört, wie… wie ein Befehl. Dieser Mann war für sie ein Rätsel. Ohne es eigentlich zu wollen, begann Sabrina sich für Clyde zu interessieren. Sabrina entschied sich für ein Kleid aus schilfgrüner, fließender Seide mit halbweitem Rock, der bei jedem Schritt um ihre schlanken Beine schwang. Einen Augenblick zögerte sie, weil ihr der tiefe VAusschnitt des Kleides ein wenig gewagt vorkam. Doch dann hob sie gleichgültig die Schultern. Was soll's, dachte sie, der Eisblock wird sowieso keine Notiz davon nehmen. Aber da hatte sie sich geirrt! Clyde wartete am Fuß der Treppe, als Sabrina herunterkam. Sabrinas Haar leuchtete im Lampenlicht wie Gold. Ob sie sich absichtlich so aufreizend zurechtgemacht hat, oder ist ihr so etwas schon zur Selbstverständlichkeit geworden? überlegte er erstaunt. Auch Sabrina stutzte. War dieser gutaussehende Mann im Smoking tatsächlich Clyde Carlyle? Er wirkte sehr attraktiv auf sie. Sein schwarzes Haar hatte einen matten, bläulichen Schimmer. Die dunklen Augen glänzten geheimnisvoll. Einzig der verbissene Gesichtsausdruck paßte nicht so recht zu seiner stattlichen Erscheinung. Es sah nicht danach aus, als habe er sich auf diesen Abend mit ihr besonders gefreut. Sabrina verspürte plötzlich einen Druck im Magen. Das war ein untrügliches Zeichen dafür, daß sie nervös war. Unbewußt legte sie die Hand auf die schmerzende Stelle und zwang sich zu einem Lächeln. Und gerade das brachte Clyde aus der Fassung. Es war ein schüchternes unsicheres Lächeln und wollte überhaupt nicht zu ihrer verführerischen Aufmachung passen. Clyde wußte keine Erklärung dafür, und das verwirrte ihn. „Ich möchte dir ganz herzlich für die Einladung danken, Clyde. Nach dem peinlichen Auftritt von neulich weiß ich es zu schätzen, daß du nicht nachtragend bist. Ich hätte mich auch längst bei dir entschuldigt, aber am Telefon wollte ich es nicht tun, und auch nicht in einem Brief…“ Sie stand jetzt dicht vor ihm und reichte ihm gerade bis an die Schulter. Clyde sah sie an, seine Kehle war plötzlich trocken, und er räusperte sich. „Ich hoffe, du verzeihst mir“, fuhr Sabrina fort. „Ich habe ein paar häßliche Dinge gesagt, und es tut mir sehr leid.“ Ihre Ehrlichkeit war schon entwaffnend. Clyde verzog den Mund zu einem
schiefen Lächeln und nahm die Hand, die sie ihm entgegenstreckte. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Sabrina. Wir standen beide unter dem Schock, unsere Väter so unerwartet verloren zu haben. Es war für uns alle ein schlimmer Tag. Harry hätte wissen müssen, daß wir so kurz nach ihrem Tod keine solche Schreckensbotschaft verkraften konnten.“ Sabrina legte den Kopf zurück und sah ihn an. „Weißt du, ich wäre auch zu anderen Zeiten nicht dazu in der Lage gewesen. Ich denke nicht im Traum daran, überhaupt jemanden zu heiraten. Ganz bestimmt lasse ich mir aber keine Vorschriften machen.“ Fasziniert sah Clyde Sabrina in die Augen. Jetzt erst merkte er, daß er immer noch ihre Hand festhielt. „Du solltest auf alle Fälle eine Stola mitnehmen“, meinte er verlegen. „Es könnte in der Nacht recht kühl werden.“ Sabrina nickte und nahm sich ihr Jackett aus perlgrauem Satin zur Hand, dessen eher sportliche Note stand in einem interessanten Kontrast zu ihrem Kleid. Während Clyde ihr in die Jacke half, hielt sie sich mit einer Hand das lange Haar hoch. Dann warf sie mit Schwung den Kopf zurück, und die Locken fielen ihr nun wieder auf die Schultern. Clyde Carlyle hielt den Atem an. Was hatte sie vor? Versuchte sie etwa, ihn zu verführen? Dann hatte sie sich aber gründlich verrechnet. Er durchschaute ihre Tricks. Sie war genau wie ihre Mutter: kokett, oberflächlich und leichtsinnig. Der Reichtum, den ihr Vater mühsam erworben hatte, würde es dieser Frau ermöglichen, in Saus und Braus zu leben. Ihr kleines Hobby, die Malerei, würde sie wahrscheinlich bald aufgeben und statt dessen das Geld mit Freunden aus dem Jetset in Cannes, Nizza oder Monte Carlo verjubeln. Aber das würde er nicht zulassen! „Bist du fertig?“ erkundigte er sich höflich. „Können wir gehen?“ „Ja. Natürlich.“ Sabrina war enttäuscht. Einen Moment lang hatte sie geglaubt, einen weichen Zug an ihm entdeckt zu haben. Doch schon versteckte er sich wieder hinter einer Fassade von Unnahbarkeit. Schade, dachte Sabrina enttäuscht. Was nützt da die attraktive Erscheinung? Er ist doch nichts anderes als ein gutaussehender Roboter. Beklommen sah sie dem weiteren Verlauf des Abends entgegen. Das konnte ja heiter werden! Sabrina und Clyde fuhren zum Fisherman's Wharf. Unwillkürlich wurde Sabrina an die südländischheitere Atmosphäre eines sizilianischen Hafenstädtchens erinnert. Fisherman's Wharf war einst das Stadtviertel der Fischer gewesen, ehe es sich zum Mekka der Touristen entwickelte. Hauptattraktionen waren die zahlreichen Lokale. Alte Schoner hatte man zu schwimmenden Restaurants umgebaut, in denen fangfrische Fische serviert wurden. Der Geruch nach Fisch, von Tang und Teer, heißem Öl und Bier hing hier deshalb überall in der Luft. Man führte sie an einen Tisch im Erker, von wo aus sie den Hafen, die Oakland Bridge und die Bucht überblicken konnten. Von fern glitzerten Lichter herüber. Sie kamen von der winzigen, schroffen Felseninsel Alcatraz inmitten der reißenden Strömung. Ehemals beherbergte sie die Strafanstalt, das „sicherste Zuchthaus des Landes“. Inzwischen war aber auch dies zur touristischen Attraktion umfunktioniert worden. Der Kellner kam und brachte ihnen „Hangtowns' Fry“, ein köstliches Gericht aus Eiern, Schinken und Austern, so genannt nach der alten Goldgräberstadt, in der ein zum Tode Verurteilter es sich als Henkersmahlzeit gewünscht hatte. Trotz der verlockenden Düfte stocherte Clyde lustlos in seinem Essen herum. Er schien mit seinen Gedanken weit fort zu sein. Sabrina beschloß herauszufinden, wofür er sich wohl interessierte. Sie stützte die
Ellbogen auf den Tisch, verschränkte die Hände, legte ihr Kinn darauf und
schaute ihn versonnen an. Die brennenden Kerzen zwischen ihnen flackerten und
warfen geheimnisvolle Schatten auf sein Gesicht.
„Hast du eigentlich eine Freundin, Clyde?“
Wenn diese Frage ihn überraschte, verstand er es vortrefflich, es zu verbergen.
Über den Rand seines Weinglases hinweg blickte er sie forschend an. „Warum
fragst du?“
„Ach, nur so. Ich überlegte gerade, warum du noch nicht verheiratet bist. Dann
wäre unser Problem keins.“
„Das gleiche könnte ich dich fragen. Warum bist du noch nicht verheiratet?“
Sie lächelte. „Ich bin nicht gern gebunden.“
Beinahe hätte er geantwortet, das habe er von ihr erwartet. Im letzten
Augenblick beherrschte er sich aber.
„In den letzten zwei Jahren war ich ausschließlich mit Marcia Sinclair befreundet.“
„Und? Wie sieht sie aus?“
Wieder trank er erst einen Schluck Wein, bevor er antwortete. „So groß wie ich
ist sie, schlank und dunkelhaarig.“
Aha! dachte Sabrina. Genau das Gegenteil von mir also.
„Warum heiratest du sie nicht?“
„Weshalb diese Eile? Wir haben doch Zeit…“ Verblüfft hob er den Kopf.
„Zumindest dachte ich, wir hätten Zeit“, fügte er sarkastisch hinzu.
Sie lächelte unbefangen. „Was mich betrifft, kannst du dir so viel Zeit lassen, wie
du willst.“
Unwillig verzog Clyde die Stirn. „Ich war nicht untätig in den vergangenen drei
Wochen und habe mich mit einigen Rechtsanwälten beraten. Unsere Situation ist
so, daß wir zwar das Testament anfechten könnten. Aber wir hätten keine
Garantie, daß etwas dabei herauskommt.“
„Ich verstehe.“
„Tatsächlich? Denkst du wirklich manchmal über die Geschichte nach? Ich habe
bislang immer geglaubt, dein Vater brächte mir Sympathie entgegen, und ich
begreife einfach nicht, wieso er mir da zugemutet hat, dich zu heiraten. Ob er
das für die einzige Möglichkeit hielt, dich unter die Haube zu bringen?“
Sabrina saß da wie erstarrt. Sie traute ihren Ohren nicht, und nur mühsam
gelang es ihr, sich zu beherrschen.
„Ich nehme an, daß es eher genau umgekehrt gewesen ist. Ihr hattet
wahrscheinlich Sorge, daß du keine Frau finden würdest, die dich nimmt.“
Clyde wurde rot vor Zorn. „Glaubst du wirklich, was du da sagst?“ Er schien also
doch nicht völlig gefühllos zu sein. Aus einem ihr unerklärlichen Grund stimmte
diese Feststellung Sabrina sehr heiter.
„Du überraschst mich, Clyde.“ Sie konnte ziemlich ironisch sein, wenn sie wollte.
„Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß dich interessiert, was ich denke oder
fühle.“
„Ja denkst du denn, ich hätte auch nur das geringste von diesem hirnverbrannten
Testament gewußt?“
„Warum nicht? Du nimmst das von mir ja auch an. Obwohl dein gesunder
Verstand dir sagen müßte, daß das geradezu lächerlich ist.“
„Lächerlich? Wieso?“
„Etwa nicht? Oder kannst du mir einen Grund nennen, warum ich einen mir völlig
fremden Mann heiraten sollte? Es sei denn“, sie lächelte hintergründig, „es sei
denn, mir wäre bisher etwas Wesentliches entgangen. Vielleicht bist du ein As im
Bett?“
Clyde staunte. War es möglich, daß es so etwas gab? Da fragte sie ihn
unverblümt, ob er ein As in der Liebe sei. Das verschlug ihm die Sprache, und es
dauerte eine Weile, bis er ihr eine Antwort geben konnte.
„Ich denke, meine Potenz steht hier kaum zur Debatte.“
„Das würde ich nicht sagen.“ Sabrina sah ihn schräg von der Seite her an. Sie
schien seine Worte ernsthaft zu erwägen. „An deiner Stelle würde ich diese Dinge
nicht so rasch beiseite schieben. Es ist immerhin ein wichtiger Faktor für den Fall,
daß du einmal all deine positiven Eigenschaften aufzählen müßtest. Denn Charme
und Witz sucht man bei dir leider vergebens. Du siehst zwar ganz passabel aus.
Manche Frau mag dich eventuell sogar für anziehend halten. Ich persönlich war
aber schon immer mehr für blonde Männer zu haben.“
Clyde zwang sich, ruhig zu bleiben. Sabrina war schließlich in Frankreich erzogen
worden. Vielleicht kannte sie keinen anderen Ton? Es mochte bei den Franzosen
üblich sein, über derartige Dinge frei und offen zu reden.
Väterlich griff er nach ihrer Hand, die vor ihm auf dem Tisch lag. „Hör zu,
Sabrina, dieses Gespräch hat eine Wendung genommen, die nicht von mir
beabsichtigt war. Das tut mir leid. Entschuldige bitte. Die ganze verfahrene
Angelegenheit hat mich arg mitgenommen. Die Zukunft der Firma…“
„Das kann ich verstehen.“
„Danke. Ich sehe ein, es war ein Irrtum anzunehmen, du könntest irgend etwas
damit zu tun haben.“
„Ein großer Irrtum!“
„Du bist also, wenn ich dich recht verstanden habe, ebensowenig an einer Ehe
mit mir interessiert wie ich, was dich betrifft.“
„Stimmt auffallend.“
„Fein. Das wäre also geklärt.“ Er ließ ihre Hand los, lehnte sich zurück und
atmete erleichtert auf.
Sabrina sah ihn verdutzt an. Wenn Clyde nichts bedrückte, wirkte er jung,
entspannt, vor allem aber ungemein attraktiv.
„Clyde?“ Sabrina flüsterte fast.
„Hm?“
„Sag doch… wie ist das mit dir? Bist du nun gut im Bett oder nicht?“
„Also weißt du! Sabrina!“
„Nun, ich hätte es eben gern gewußt.“
„Hast du mir überhaupt zugehört?“
„Doch, schon.“ Sie lächelte entwaffnend.
Das brachte Clyde vollends aus der Fassung. Woran war er nur mit ihr? Als
nüchterner Geschäftsmann bevorzugte er eine klare, überschaubare Haltung bei
seinen Partnern, ein Lächeln ohne versteckte Ironie.
Bei Sabrina wurde er das Gefühl nicht los, daß sie mit ihm Katz und Maus spielte.
Und wer mochte das schon?
„Wie ich schon sagte… ich will unter allen Umständen vermeiden, daß unser
Unternehmen unter irgendwelchen »Gesellschaftern' aufgeteilt wird. Ich wäre
dafür zu jedem Opfer bereit.“
Sabrina schaute ihn verständnislos an. „Ich verstehe nicht ganz… sagtest du
nicht eben…?“
„Ich sagte, ich sei ebensowenig an einer Heirat interessiert wie du. Das heißt
jedoch nicht, daß ich dich nicht heiraten will.“
Sabrina starrte Clyde ungläubig an. „Das ist doch wohl ein Scherz, oder?“
„Mir ist nicht nach Scherzen zumute.“
„Aber Clyde… wir kennen uns doch kaum.“
„Darüber bin ich mir auch im klaren. Ich betone nochmals, Sabrina, ich werde es
nicht zulassen, daß das Unternehmen aufgelöst wird. Ich will und werde im Besitz
der Firma bleiben.
Koste es, was es wolle. Selbst wenn ich dich deswegen heiraten muß.“
Sabrina wandte sich ab, denn Clyde sollte nicht sehen, wie sehr er sie kränkte.
Einen Heiratsantrag hatte sie sich wirklich etwas romantischer vorgestellt, auch
wenn sie keinen Wert darauflegte.
„Was wird dann aber aus Marcia?“
„Marcia? Was hat sie damit zu tun?“
„Ich dachte, du liebst sie?“
„Hör zu, Sabrina! Bei meinen Entscheidungen habe ich mich noch nie von
Gefühlen leiten lassen, und ich werde das auch in Zukunft nicht tun. Darauf
kannst du dich verlassen.“
Sie blickte ihn prüfend an und bemerkte den energischen Zug um seinen Mund.
Ganz bestimmt war er ein Verhandlungspartner, der seinen Willen meistens
durchsetzte.
„Nach meinen Gefühlen fragt wohl niemand?“
„Ich werde, soweit es möglich ist, darauf Rücksicht nehmen.“
„Und dafür soll ich dann wohl auch noch dankbar sein.“
Er überging ihre letzte Bemerkung. „Damit wir Gelegenheit haben, uns ein
bißchen besser kennenzulernen, schlage ich vor, du verschiebst zunächst einmal
deine Rückkehr nach Frankreich, bis wir heiraten.“
„Bis wir heiraten? Clyde! Es gibt keine Hochzeit.“
„Natürlich besteht nicht der geringste Grund, etwas zu überstürzen. Harry sagte
mir, das Testament sieht für unsere Heirat keinen festen Zeitpunkt vor.
Außerdem sagtest du ja, du würdest sowieso niemand heiraten wollen. Deine
Zukunftspläne werden also durch das, was wir vorhaben, in keiner Weise
beeinträchtigt.“
„Angenommen, ich wäre bereit, auf deinen Vorschlag einzugehen. Könnte ich
nach der Hochzeit wieder nach Frankreich zurück und dort leben?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, nicht sofort. Wie du weißt, ist es nicht damit getan,
daß wir heiraten. Unserer Ehe muß wenigstens ein Kind entstammen. Also… eine
Weile werden wir es schon miteinander aushalten müssen.“
Sabrina griff sich an die Stirn. „Es ist nicht zu fassen! Verstehst du denn nicht?
Ich will nicht heiraten.“
„Natürlich begreife ich das. Aber es ändert nichts an der Tatsache, daß wir die
Klausel erfüllen müssen, wollen wir die Firma für uns und unser Kind retten. Ich
werde dich jedoch nicht drängen. Wir haben ja genug Zeit. Du wirst dich erst
einmal an das Leben in San Francisco gewöhnen. Du wirst meine Bekannten
kennenlernen und dich vielleicht mit einigen von ihnen anfreunden. Wer weiß,
vielleicht fällt es dir eines Tages nicht einmal schwer, mich sogar ein bißchen zu
mögen. Das könnte in unserer augenblicklichen Lage nicht verkehrt sein.“
„Clyde, mein Schatz, du bist nicht mein Typ, und ich bin nicht deiner. Machen wir
uns doch nichts vor.“
Auf der Heimfahrt sprachen Sabrina und Clyde nicht miteinander. Jeder hing
seinen Gedanken nach, dabei hätte jeder gern gewußt, was der andere dachte.
Bei Sabrina zu Hause angelangt, begleitete Clyde sie ins Haus und half ihr aus
der Jacke. Sie sah ihn unschlüssig an. „Möchtest du noch einen Mokka mit mir
trinken?“
„Vielen Dank, nein. Ich muß jetzt gehen. Morgen rufe ich dich an. Ich bin am
Wochenende zu einer Party eingeladen. Warum kommst du nicht mit? Ich könnte
dich mit ein paar Freunden bekannt machen.“
„Und Marcia?“
„Würdest du bitte aufhören, dir dauernd über Marcia den Kopf zu zerbrechen? Du
hast nichts mit ihr zu schaffen. Das mit Marcia werde ich schon regeln.“ „Na gut. Wie du meinst.“ Spontan legte Clyde Sabrina die Hände auf die Schultern und beugte sich vor, um ihr einen Gutenachtkuß zu geben, etwa wie ein Bruder seine Schwester zum Abschied flüchtig geküßt. Aber dann wurde es doch kein flüchtiger Gutenachtkuß. Wie unter einem magischen Zwang legte Sabrina die Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuß voller Leidenschaft. Clyde hielt Sabrina an sich gepreßt, legte die Arme noch fester um sie und zog sie enger an sich. Ihm wurde es siedendheiß. Diese zarte Erwiderung seines Kusses wirkte so erotisch auf ihn, daß sein Verlangen geweckt war wie nie. So küßten sie sich selbstvergessen. Sabrina wußte nicht, wie ihr geschah. Nie zuvor hatte sie den Kuß eines Mannes mit solcher Glut erwidert. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt, sie merkte, daß sie zitterte. Männer waren für Sabrina bislang eigentlich eher uninteressant gewesen. Sie hatte ja sowieso nicht die Absicht zu heiraten. Ihre wenigen Erfahrungen beschränkten sich daher auf ein paar flüchtige Küsse, die nicht viel besagten, weil die Partner nur zu schnell merkten, daß sich kein tieferes Verlangen dahinter verbarg. Jetzt war sie jedoch an einen echten Lehrmeister geraten, wie es schien. Clydes Hand lag inzwischen im Ausschnitt ihres Kleides. Er berührte zärtlich ihre Brust und kam erst zu sich, als Sabrina seufzte. Hatte er den Verstand verloren? Er mußte von Sinnen sein. Wie konnte er sich so vergessen? Behutsam wollte er sich von ihr lösen, doch sie kam ihm zuvor. Verlegen trat sie einen Schritt zurück. „Gute Nacht, Clyde.“ Sabrina wagte nicht, ihn anzusehen. „Gute Nacht, Sabrina“, meinte er verunsichert. Dann ging er langsam zu seinem Wagen zurück, setzte sich hinter das Steuer und versuchte, sich über das, was eben geschehen war, klarzuwerden. Er war doch kein unbeschriebenes Blatt, was Frauen betraf! Aber noch keiner war es je gelungen, sein Blut so zum Sieden zu bringen. Dabei war das völlig absurd. Sie mochten sich ja nicht einmal. Er wollte an Marcia denken, doch immer wieder sah er nur Sabrinas Gesicht vor sich. Deshalb schüttelte er unwillig den Kopf. Der Streß der vergangenen Wochen schien seinen Tribut zu fordern. Anders ließ es sich nicht erklären, daß er, der sonst so sachlich und nüchtern war, mit einemmal so emotional reagierte. Was er jetzt brauchte, war Ruhe, ausreichend Schlaf. Dann käme er wohl wieder zur Vernunft.
3. KAPITEL Harry Tyler blickte überrascht von seinem mit Papieren übersäten Schreibtisch auf. Es geschah so gut wie nie, daß Clyde es sich anmerken ließ, wenn er wütend war. Die Fähigkeit, seine Gefühle vor anderen zu verbergen, war eine seiner bemerkenswertesten Eigenschaften. Aber heute konnte davon keine Rede sein. Er hatte sein Jackett ausgezogen, es achtlos auf einen Stuhl geworfen, und seine sonst sorgfältig geknotete Krawatte hing ihm lose um den Hals. „Zum Kuckuck noch mal, Harry! Tu doch was! Hilf mir aus dieser peinlichen Situation heraus.“ Harry antwortete nicht. Was sollte er auch dazu sagen? „Eine Ehe mit Sabrina wäre eine Katastrophe. Ich habe geglaubt, ich könnte sie heiraten, aber ich kann es nicht. Ich kann es einfach nicht.“ Clyde fuhr herum und blickte Harry an. Er hatte Mühe, seine Stimme zu dämpfen. „Weißt du, was neulich auf der Party bei den Montgomerys passiert ist?“ Harry lächelte in Erinnerung an diesen Abend. „Ich hatte den Eindruck, daß alle Gäste von Sabrina begeistert waren.“ „Begeistert! Natürlich waren sie begeistert. Besonders die Herren. Es gab ja auch eine Menge an Sabrina Bennington zu besichtigen. Sie verursachte doch geradezu einen Aufstand in ihrem Kleid.“ „Es war nichts Anstößiges daran, Clyde. So etwas trägt man eben in Paris. Und die Farbe des Kleides gab dem ganzen Abend eine besondere Note.“ „Das ist doch gerade der springende Punkt, Harry. Keiner der anderen Damen würde es auch nur im Traum einfallen, eine solche Garderobe zu tragen.“ „Na, Marcia bestimmt nicht.“ „Genau! Marcia ist das beste Beispiel. Sie ist stets unauffällig und dezent gekleidet. Aber Sabrina will um jeden Preis auffallen.“ Wieder lächelte Harry. „Sabrina ist eine junge Frau voller Temperament. Und das drückt sich in ihrer Kleidung aus. Sie war eine Augenweide. Scott wäre stolz auf sie gewesen. Ich habe an dem Abend oft an ihn denken müssen. Es hätte ihn überglücklich gemacht, wenn er sie all seinen Freunden so hätte präsentieren dürfen.“ „Hast du gehört, was sie zu Richter Lewis gesagt hat?“ „Nein.“ „Sie sagte, die nächste Beerdigung, zu der sie eingeladen würde, wäre wohl seine, wenn er nicht sofort damit aufhöre, Whisky in sich hineinzugießen.“ Harry Tyler lachte schallend. „Ich hätte gern das Gesicht von dem alten Lewis gesehen. Wie hat er es aufgefaßt?“ „Er hat sich genauso darüber amüsiert wie du, und er meinte, seine Frau würde ihm seit Jahren das gleiche sagen. Nur nicht mit soviel Charme.“ „Er war also nicht gekränkt?“ „Zum Glück nicht. Aber kannst du dir vorstellen, daß Marcia soviel Unverfrorenheit besäße, jemandem so etwas ins Gesicht zu sagen? Noch dazu, wenn man diesen Menschen gerade erst kennengelernt hat?“ „Marcia? Niemals!“ „Siehst du! Und ich finde das beruhigend. Ich habe mit Sabrina fortwährend vor Angst gezittert, welche Ungeheuerlichkeit sie als nächstes äußern würde. Es scheint ihr diebische Freude zu machen, den Leuten die Wahrheit zu sagen.“ „Ich finde das sehr aufregend. Mit ihr wird ein frischer Wind in all unsere steifen gesellschaftlichen Veranstaltungen kommen. Clyde, versuch doch, Sabrina zu verstehen. Ihre Jugend war recht ungewöhnlich. Einen gesellschaftlichen
Rahmen, so wie du ihn gewöhnt bist, hat sie doch nie kennengelernt. Und gerade dieses ungekünstelte, offene Wesen hat Scott besonders an ihr geliebt.“ „Na, hervorragend! Und warum hat er dann ausgerechnet mich ausgesucht als Ehemann?“ „Vielleicht dachte er, einer könnte auf den anderen etwas abfärben?“ Clyde setzte sich und hielt sich den Kopf. „Es muß doch irgendeinen Ausweg aus dieser albernen Situation geben?“ „Ich verstehe dich nicht, Clyde. Als wir uns vorige Woche trafen, schienst du fest entschlossen, Sabrina zu heiraten. Du hast darüber gesprochen wie über eine deiner geschäftlichen Transaktionen. Ich habe dich bisher immer nur als kühl taktierenden Geschäftspartner erlebt. Wo bleibt denn diesmal deine nüchterne Gelassenheit?“ Clyde sah Harry Tyler verblüfft an. War die Veränderung denn schon für andere spürbar? Warum machte er sich eigentlich Sorgen? Selbst wenn Sabrina anders war als alle anderen Frauen aus seinem Bekanntenkreis, was machte das schon? Es ging ihm doch nur darum, die Testamentsklausel zu erfüllen, dafür mußte er aber in Kauf nehmen, Sabrina zu heiraten. Was war denn schon dabei? Leicht würde sie es ihm allerdings nicht machen. Sabrina hatte ihm schon unmißverständlich erklärt, sie allein würde entscheiden, wann, wo und wie die Hochzeit stattfände, wenn sie tatsächlich seine Frau werden würde. Und sie hatte nicht den geringsten Zweifel daran gelassen, daß sie nicht brav und genügsam im Schatten ihres Mannes leben würde, zufrieden und glücklich, wenn ein kleiner Abglanz seines Ruhmes auch für sie abfiel. Sie habe auch nicht die Absicht, eine Party nach der anderen zu besuchen, wie es in seinem Bekanntenkreis als schick galt. Dazu sei ihr ihre Zeit viel zu schade. Die könne sie weitaus nutzbringender mit der Malerei ausfüllen, und sie dachte nicht daran, diese aufzugeben. Sie wolle kommen und gehen, wie es ihr passe, und tun und lassen, was immer ihr in den Sinn käme. Was ihn jedoch am meisten ärgerte, war das Gefühl, sein Geschick nicht mehr selbst lenken zu können. Es gefiel ihm nicht, von anderen Menschen abhängig zu sein. Schon gar nicht, wenn es sich um eine unberechenbare launische Frau wie diese Sabrina Bennington handelte. Clyde sah, daß Harry ungeduldig auf die Uhr schaute, und sprang auf. „Tut mir leid, Harry. Ich habe dich schon viel zu lange mit meinen Problemen aufgehalten.“ Harry blickte ihm kopfschüttelnd nach, als er davonging. Welch ein Jammer, dachte er. Wie schön, wenn Clyde etwas mehr Herz hätte! Clyde wollte auf seiner Fahrt ins Büro kurz bei Sabrina hereinschauen. Sie hatten sich seit jener Party, die ihm so unangenehm in Erinnerung geblieben war, nicht mehr getroffen. Vorsichtshalber war er ihr aus dem Weg gegangen. Wenn man in Betracht zog, wo sie aufgewachsen war und offensichtlich ihre erotischen Erfahrungen gesammelt hatte, war es kein Wunder, daß sie so genau wußte, wie man Männern den Kopf verdrehte. Mit ihrem Charme war es ihr allerdings auch gelungen, seine weiblichen Bekannten zu erobern. Aber mochten sich andere von ihrem unschuldigen Gesichtsausdruck täuschen lassen, er hatte sie längst durchschaut. Er kannte diese Frauen, die so aussahen, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Seine Mutter hatte ihn oft genug gewarnt. Wehe dem Mann, der nicht acht gab! Dann konnten aus solchen Frauen kleine Raubkatzen werden, die nicht eher ruhten, bis sie den Mann mit Haut und Haar vereinnahmt hatten. Ihn wunderte nur, daß es ihr gelungen war, sowohl seinen Vater als auch ihren
eigenen irrezuführen. Es wollte ihm nicht einleuchten, daß selbst diese beiden erfahrenen Männer sie nicht durchschaut hatten. Wahrscheinlich hatte Sabrina ihnen weisgemacht, sie wäre völlig hilflos, und da hatten sie ihn auserkoren, über das arme, schutzbedürftige Kind zu wachen. Daß ich nicht lache! dachte Clyde bitter, während er den Wagen vor der Villa Bennington zum Stehen brachte. Und wer denkt an mich? Wie schütze ich mich vor ihr? Gladys, die Hausdame, öffnete ihm. „Miss Bennington ist oben in ihrem Atelier“, sagte sie und Clyde eilte in das obere Stockwerk. Scott Bennington hatte damals, als Sabrina zu malen begann, ein helles, geräumiges Studio in seinem Haus einrichten lassen. Als Clyde es betrat, stand Sabrina vor der Staffelei, damit beschäftigt, Farbtupfer auf die Leinwand zu setzen. Nun trat sie ein paar Schritte zurück, um die Wirkung kritisch zu betrachten. Ihr Kittel wies unzählige Farbflecke auf, und die Jeans, die Sabrina dazu trug, mußte etliche Jahre alt sein, denn sie war ziemlich abgetragen und knalleng. Das lange Haar hatte sie mit Kämmchen hochgesteckt. Ein paar Strähnen hatten sich allerdings selbständig gemacht und fielen ihr wirr auf die Schultern und die Stirn. Sie mußte gespürt haben, daß sie nicht mehr allein war. Auf einmal hob sie nämlich den Kopf und bemerkte Clyde, der an der Tür stehengeblieben war. „O Clyde… ich habe dich nicht kommen hören. Wartest du schon lange?“ „Ich wollte dich nicht stören.“ „Du störst mich nicht. Ich bin ohnehin fertig. Ich habe heute früh angefangen, weil ich das Morgenlicht ausnutzen wollte. Dann konnte ich mich einfach nicht losreißen.“ „Hast du etwas gegessen?“ Sie schüttelte den Kopf und begann, die Pinsel auszuwaschen. „Sabrina! Du mußt mehr essen. So geht das nicht weiter. Schau dich an. Du bist sowieso nur eine halbe Portion, und seit du hier bist, scheinst du auch noch abgenommen zu haben.“ „Ich weiß“, entgegnete sie leise. „Ich konnte in letzter Zeit nicht viel essen. Mein Magen war wie zugeschnürt.“ Er trat zu ihr, legte seine Hände auf ihre Schultern und massierte ihr sanft den Nacken. „Warum kommst du nicht mit? Wir könnten irgendwo etwas essen.“ Wieder schüttelte sie den Kopf. „Vielen Dank, Clyde, aber das ist nicht nötig. Gladys hat mir einen Teller mit Schnittchen hingestellt. Du darfst gern bleiben und mir helfen, sie aufzuessen.“ Sie wagte nicht, den Kopf zu heben. Es ist reine Zeitverschwendung, was er da meint, dachte sie. Immer wenn er in meine Nähe kommt, verkrampfe ich mich sowieso. Wie würde ich wohl auf ihn reagiert haben, wenn wir uns unvoreingenommen kennengelernt hätten? Sie erinnerte sich, daß ihr Vater in letzter Zeit häufiger vorgeschlagen hatte, sie solle doch nach San Francisco kommen, um Clyde mal kennenzulernen. Inzwischen verstand sie, warum ihr Vater soviel Wert auf ein solches Treffen gelegt hatte. Alle seine Bemühungen hatten nur darauf abgezielt, sie mit dem Sohn seines besten Freundes zusammenzubringen. Was ehemals vielleicht nur ein verrückter Einfall gewesen war, hielten er und Todd anscheinend für eine ausgezeichnete Idee. Aber Sabrina wollte nicht heiraten. Und schon gar nicht verheiratet werden. Sie wäre nämlich durchaus imstande, sich selbst nach einem geeigneten Partner umzusehen. Und dann auch noch Clyde Carlyle heiraten? Ausgerechnet diesen nüchternen,
langweiligen Mann? Nun ja, sie wollte nicht ungerecht sein. Seine leidenschaftliche Umarmung hatte ja eher das Gegenteil bewiesen, denn seine Sinnlichkeit war geradezu ansteckend gewesen. Sabrina erinnerte sich nicht, je zuvor so geküßt worden zu sein. Clyde steckte voller Gegensätze. Er war und blieb für Sabrina ein Rätsel. Sie fühlte seinen Blick auf sich gerichtet und wandte den Kopf zur Seite. „Wann wirst du mich endlich heiraten, Sabrina?“ „So rasch geht das nicht“, stammelte sie und sah ihn verwirrt an. „Es ist zu kurz… zu kurz nach… nach dem Begräbnis, Clyde. Ich versuche noch, über diese Leere hinwegzukommen, die Vaters Tod bei mir hinterlassen hat. Ich weiß, ich muß mich damit abfinden, daß ich nicht mehr einfach ans Telefon gehen kann, um Papa am anderen Ende der Leitung…“ Er merkte, daß sie mit den Tränen kämpfte, und unterbrach sie. „Ich verstehe durchaus, wie dir zumute ist. Glaub mir, Sabrina, ich will dich nicht drängen. Es ist nur so… ich muß das Unternehmen weiterführen, und es gibt Dinge, die unaufschiebbar sind. Da sind Termine, die wahrgenommen werden müssen, wenn alles seinen gewohnten Gang gehen soll. Ich habe mir daher gedacht, wir könnten uns vielleicht schnell auf einen Termin einigen?“ Nicht zu fassen! dachte Sabrina. Wenn ich das erzähle, glaubt man mir nicht. Dieser Mann legt seinen Hochzeitstermin fest, als handele es sich um einen Besuch beim Zahnarzt. „Könnten wir nicht erst einmal unsere Verlobung bekanntgeben und dann einige Monate warten, damit sich jeder mit dem Gedanken vertraut machen kann?“ Fasziniert beobachtete sie, wie Clyde ein Notizbuch aus der Anzugtasche hervorholte und eifrig darin zu lesen begann. Für ihn unterschied sich diese Unterhaltung offensichtlich in nichts von irgendeiner anderen Geschäftsbesprechung. „Ich habe Paris ziemlich überstürzt verlassen und müßte vorher noch einmal zurück, um einige Dinge zu ordnen.“ Clyde nickte. „Du brauchst ohnehin nicht für immer und ewig hier zu bleiben. Sobald wir verheiratet sind, kannst du so oft und so lange nach Frankreich fahren, wie du Lust hast.“ Merkwürdig, dachte Sabrina, warum kränkt es mich, daß er unsere gemeinsame Zukunft so geschäftsmäßig ansieht? „Du hast anscheinend etwas Wichtiges vergessen, mein Lieber. Wir müssen zumindest ein Kind bekommen.“ „Daran habe ich gedacht.“ Wie hätte er das vergessen können? Seit er die Bedingungen des Testaments kannte, fand er keine ruhige Minute mehr. Nacht für Nacht wälzte er sich schlaflos in seinem Bett und stellte sich vor, daß Sabrina in seinen Armen lag und er sie hebte. „Und was wird aus dem Kind, wenn ich mich entschließe, nach Frankreich zurückzukehren?“ „Das Kind bleibt natürlich bei dir. Warum sollte ich nicht eine ebenso enge Verbindung zu unserem Sohn oder unserer Tochter aufrechterhalten können, wie sie dein Vater mit dir hatte? Schließlich gibt es Flugzeuge. Und Paris oder San Francisco liegen nicht auf dem Mond.“ Er hatte alles durchdacht. Kühl, logisch und ohne eine Spur von Gefühl. Wie schaffte er das bloß? Er wollte sie heiraten, mit ihr eine Weile zusammenleben und, sobald das Kind da war, sie kaltherzig abschieben. Sie hätte ihre Schuldigkeit getan, sie könnte gehen. Würde sie das aushalten? Könnte sie mit einem solchen Menschen Zusammensein?
Andererseits durfte sie ihm nicht seine feste Absicht verübeln, den Konzern zu
behalten. Wie wäre ihr wohl zumute, wenn man ihr das Malen verbot? Zweifellos
fühlte er sich genauso mit der Firma verwachsen wie sie mit der Kunst.
Nun, wenn sie erst eine Zeitlang mit diesem herzlosen Egoisten gelebt hätte,
wäre sie wahrscheinlich heilfroh, von ihm fortzukönnen.
Im Geiste sah sie plötzlich einen kleinen Jungen vor sich mit schwarzem Haar,
der mit ernstem Gesichtchen zu ihr aufblickte und darauf wartete, daß sie ihn in
die Arme nahm, ihn an sich drückte und streichelte. Vielleicht war es das, was
Clyde gefehlt hatte, als er ein Kind war? Die warmherzige Zuneigung seiner
Mutter?
„Was ist nun? Wann sollen wir die Hochzeit festsetzen?“
Sabrina überlegte einen Augenblick. „Was hältst du von April oder Mai?“
„Ja, das paßt ausgezeichnet. Und wie möchtest du gern heiraten? Soll es ein
großes Fest werden oder…?“
„Nein, bitte nicht. Ich würde viel lieber in aller Stille getraut werden.“
Clyde sah von seinen Notizen hoch. „Du wirst aber doch hoffentlich all deine
Männerbekanntschaften wissen lassen, daß du heiratest? Ich möchte nämlich
sichergehen, daß ich wirklich der Vater deines Kindes bin.“
Clyde erschrak. Er hatte das gar nicht sagen wollen, es war ihm so
herausgerutscht. Sabrina war blaß geworden. „Bitte, entschuldige, ich habe das
nicht so gemeint.“
„O doch, Clyde, du hast ausgesprochen, was du gedacht hast. Aber keine Sorge,
um ganz sicher zu sein, werde ich auf mein ausschweifendes Liebeslieben für die
nächsten Monate verzichten, damit du nicht den geringsten Zweifel an deiner
Vaterschaft zu haben brauchst. Bis jetzt habe ich immer gewußt, wer die Väter
meiner verschiedenen Kinder sind.“
Sabrinas Ton war ernst. Sie hatte sich völlig auf Clydes nüchterne Art eingestellt.
Auch ihre letzte Bemerkung klang durchaus seriös und ließ keinen Zweifel an
ihrer Glaubwürdigkeit aufkommen.
Fassungslos blickte Clyde sie an. „Du… du hast… schon Kinder?“ stammelte er.
„Aber ja“, entgegnete sie, als wäre das die natürlichste Sache der Welt. „Und ich
kümmere mich um jedes einzelne. Auf alle Fälle vergesse ich nie, den
Pflegeeltern einen monatlichen Scheck zu senden.“
Clyde starrte sie ungläubig an. Mit solchen Dingen scherzte man doch nicht! Tat
sie das denn? Sie wirkte sehr beherrscht und fast ein bißchen gelangweilt. Nur
auf ihren Wangen brannten hektische, rote Flecken.
„Wieviel Kinder hast du denn, Sabrina?“
„Warte. Laß mich mal nachdenken… fünf, sechs, glaube ich. Vielleicht auch mehr.
Man verliert allmählich die Übersicht, weißt du.“
„Sabrina!“
„Ja…?“
„Ich glaube dir kein Wort. Warum sagst du so etwas? Ich weiß, daß du keine
Kinder hast.“
„Woher willst du das so genau wissen?“
„Erstens hätte dein Vater es uns erzählt…“
„Väter müssen nicht alles erfahren.“
„… und zweitens bist du viel zu jung, um fünf, sechs Kinder zu haben.“
„Ich kann ja sehr früh angefangen haben.“
„Also, Sabrina…“
Clyde verstummte. Welchen Sinn hatte es, weiter darüber zu streiten? Es war ihr
wieder einmal gelungen, ihn mit einer albernen Bemerkung aus der Fassung zu
bringen. Sie machte sich über ihn lustig. Wahrscheinlich hielt sie ihn für einen
unverbesserlichen Spießer.
Sabrina beobachtete Clyde verstohlen und hätte gern gewußt, was in ihm
vorging. Irgendwie konnte er Empfindungen in ihr wecken, von deren Existenz
sie bisher keine Ahnung gehabt hatte.
Wie war es nur möglich, daß sie seine Küsse so leidenschaftlich erwidert hatte?
Und warum hatte sie stundenlang wach gelegen und sich gewünscht, er möge bei
ihr sein?
Clyde beugte sich erneut über seine Notizen. Sie hörte, daß er leise seufzte.
„Möchtest du kirchlich getraut werden? Oder nur standesamtlich?“
„Nein, auf die kirchliche Trauung möchte ich nicht verzichten.“
Überrascht hob er den Kopf. Mit einer solchen Antwort hatte er nicht gerechnet.
Er wäre froh, könnte er die ganze Angelegenheit so schnell wie möglich hinter
sich bringen. Nun sollte er auch noch kirchlich heiraten?
„Gibt es irgend jemand, den du gern einladen möchtest?“
Mit unschuldsvollem Blick sah sie ihn an. „Ich glaube kaum, daß du Wert darauf
legst, mit meinen zahlreichen Liebhabern zusammenzutreffen, obwohl sie dir
vielleicht ein paar nützliche Tips für unsere künftigen intimen Begegnungen
geben könnten.“
Am liebsten hätte er sie übers Knie gelegt und ihr eine Tracht Prügel verabreicht.
Sie benahm sich wie eine ungezogene Göre, „Ich finde das durchaus nicht
lächerlich, Sabrina. Außerdem glaube ich nicht, daß du soviel Liebhaber hattest.“
Merkwürdig, dachte Clyde, ich zweifle auf einmal tatsächlich daran. Wenn sie
wirklich über so viel Erfahrung auf sexuellem Gebiet verfügt, wie sie mich
glauben machen will, und dabei dennoch so unberührt wirkt, dann ist eine
Schauspielerin an ihr verlorengegangen.
„Wenn wir in aller Stille heiraten wollen, müssen wir unsere Verlobung ganz groß
ankündigen. Alle sollen denken, daß wir uns nach vielen Jahren wiedertrafen,
Hals über Kopf ineinander verliebten und deshalb sofort heiraten.“
Sabrina blickte ihn skeptisch an. „Und du glaubst, das kauft uns jemand ab?“
„Warum nicht?“
„Marcia auch?“
„Hör zu! Marcia ist nicht dein Problem, also zerbrich dir nicht den Kopf darüber.
Die Verlobungsfeier könnte von mir aus Samstag in einer Woche stattfinden. Ist
dir das recht? Dann hättest du reichlich Zeit.“
„Zeit? Wofür?“
„Nun, du wirst doch sicher etwas Passendes zum Anziehen kaufen wollen?“
„Es kommt darauf an, was du unter ,Passendes' verstehst, aber ich werde schon
etwas finden, das dir zusagt, denke ich.“
Clyde mußte an Marcia denken. Sie würde nicht gerade begeistert sein, wenn sie
von dem Anlaß für diesen Einkauf erfuhr.
Es würde nicht einfach sein, ihr begreiflich zu machen, daß sie ihre Beziehung
nicht fortsetzen konnten. Aber da er ihr nicht den wahren Grund für diese Heirat
nennen wollte, mußte er sich gehörig verstellen und so tun, als habe er sich
unsterblich in Sabrina verliebt. Er durfte Marcias Gefühle dabei aber nicht
verletzen. Dieses Gespräch würde seine ganzen diplomatischen Künste erfordern.
Er stand auf, um sich zu verabschieden. „Ich weiß dein Einverständnis sehr zu
schätzen, Sabrina. Das möchte ich dir noch sagen.“
„Ich tue es nicht deinetwegen, Clyde, ich tue es für meinen Vater. Er hätte
niemals etwas geplant, das mir schaden könnte. Offensichtlich war er der
Ansicht, wir könnten beide aus dieser Ehe Nutzen ziehen. Papa war ein kluger
Mensch, und er kannte uns beide sehr gut. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann,
weshalb er unsere Heirat für sinnvoll hielt, vertraue ich ihm daher.“
Clyde fiel zum erstenmal auf, wie offen ihr Blick war. Wie hatte er vergessen können, daß Sabrina auch Scotts Tochter war? Vielleicht lag es daran, daß sie ihrer Mutter so ähnlich sah? Er schämte sich plötzlich wegen seiner Vorurteile. Er hatte sie nach dem Charakter ihrer Mutter eingestuft, ohne zu bedenken, daß auch Sabrinas Vater ihr Leben beeinflußt hatte. Deshalb legte er seine Hand besänftigend auf ihre Schulter und streichelte sanft ihren Nacken. „Es wird schon alles gut werden, Sabrina.“ Seine Stimme klang sehr zärtlich, und fast glaubte sie ihm. Als er sich nun vorbeugte, um sie zu küssen, überkam sie ein Gefühl der Geborgenheit.
4. KAPITEL Clyde fand, daß sich die Aussprache mit Marcia nicht länger hinauszögern ließ. Sie war die Tochter eines bekannten Unternehmers und lebte allein mit ihrem Vater. Wenn dieser Freunde oder Geschäftspartner mit nach Hause brachte, spielte sie die charmante Gastgeberin. Clyde und sie hatten sich in letzter Zeit selten gesehen, was Marcia nicht weiter verwunderte. Schließlich hatte er die Verantwortung für den Konzern übernehmen müssen, und Marcia hatte volles Verständnis für die Situation, in die ihn der unerwartete Tod seines Vaters und Scott Benningtons gebracht hatte. Im Laufe der Woche hatte Clyde Karten für die Oper besorgen lassen. Während sie jetzt unterwegs waren, fragte er sich, warum er Marcia niemals gebeten hatte, seine Frau zu werden? Sie paßten gut zusammen, und sie wäre die richtige Frau für einen Geschäftsmann wie ihn gewesen. Alles in allem entsprach sie genau seinem Idealbild einer Frau: sie war attraktiv, intelligent und verständnisvoll. Vermutlich hatte er eine Heirat für selbstverständlich angesehen. Irgendwann einmal wäre es passiert. Doch nun war alles anders. Er konnte Marcia keinen Heiratsantrag mehr machen. Wie sollte er ihr nur begreiflich machen, daß er im Begriff stand, ihr den Laufpaß zu geben, daß er eine andere heiraten würde? Von der Oper sah und hörte er kaum etwas. Seine Gedanken gingen eigene Wege. Nach der Vorstellung fuhren er und Marcia in seine Stadtwohnung, einem Penthouse hoch über den Dächern von San Francisco mit Blick auf die Bucht. Wenn er mit Sabrina verheiratet war, würden sie wahrscheinlich in der großen Villa der Carlyles wohnen. Aber die günstige Lage des Penthouses, es war nicht weit bis zu seinem Büro in der City, bestärkte ihn in dem Vorsatz, es zu behalten. Marcia hielt in ihrer Schilderung des neuesten Gesellschaftsklatsches inne. „Was ist los mit dir, Clyde? Du hörst mir überhaupt nicht zu.“ Er ging zur Hausbar hinüber und füllte zwei Kristallgläser mit Wein. „Entschuldige, Marcia, es kommt nicht wieder vor. Bitte, erzähl doch weiter.“ „Ach, so wichtig war es nun auch nicht. Aber dich beunruhigt irgend etwas. Ich spüre das schon den ganzen Abend.“ Sie strich ihm zärtlich über das Gesicht. „Du hast zuviel gearbeitet, Clyde. Spann doch mal aus. Nimm ein paar Tage Urlaub, und fahr irgendwohin. Genieß dein Leben!“ Ausspannen? Wie oft hatte er das von seinem Vater und sogar von Scott Bennington gehört. Wie konnten sie erwarten, daß er sich entspannte und das Leben genoß, wenn sie durch eine alberne Klausel sein Leben aus den geregelten Bahnen warfen und die gewohnte Ordnung zerstörten? „Es tut mir sehr leid, aber ich fürchte, ich bin heute abend kein guter Gesellschafter.“ Marcia setzte ihr Glas ab und schmiegte sich an ihn. „Du darfst dir gern etwas einfallen lassen, um es wieder gutzumachen, Liebling“, flüsterte sie. Wenn sie hohe Absätze trug, war Marcia ebenso groß wie Clyde. Sabrina dagegen mußte sich auf die Zehenspitzen stellen, wenn sie ihm etwas ins Ohr flüstern wollte. Clyde schüttelte unwillig den Kopf. War er gänzlich von Sinnen? Da umarmte ihn eine bildschöne, liebenswerte Frau, und er dachte nur an diese kleine Hexe Sabrina. Das machte ihn wütend. Marcia spürte es und ließ ihn los. Besorgt wollte sie wissen: „Clyde, was ist denn nur?“ Er nahm sein Glas, ging zum Panoramafenster hinüber und blickte auf die beleuchtete Stadt. Auch über der Bucht lag ein Glanz, denn die Lichter der Stadt spiegelten sich im Wasser.
„Ich muß etwas mit dir besprechen, Marcia.“ Sie trat neben ihn ans Fenster. „Du bist so ernst, Clyde. Du weißt, mir kannst du alles sagen.“ „Ja. Aber es fällt mir sehr schwer.“ „Warte! Laß mich raten!“ Sie unterdrückte ein Lachen. „Dein Vater hat dir einen riesigen Berg Schulden hinterlassen, und nun willst du mich wegen meines Geldes heiraten, stimmt's? Das kommt ein bißchen überraschend, Schatz.“ Komisch, dachte Clyde, ausgerechnet heute muß sie die Sprache aufs Heiraten bringen. „Hör zu, Marcia. Erinnerst du dich, daß ich den Namen Sabrina Bennington einmal erwähnt habe?“ Sie dachte einen Augenblick nach. „Ach, ja. Eure Väter waren Partner, stimmt's?“ „Genau.“ Marcia spürte plötzlich einen merkwürdigen Druck in der Magengegend. „Und? Was weiter? Ist sie jetzt dein Geschäftspartner?“ „Nicht direkt, nein. Die Firma erbe ich allein. Allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. Sabrinas… Miss Benningtons Erbteil ist sozusagen geschützt. Sie bekommt gewissermaßen eine Art Entschädigung…“ „Aha! Ich verstehe.“ „Gar nichts verstehst du!“ Clyde fuhr sich durchs Haar und lief erregt im Zimmer auf und ab. „Wie soll ich dir das nur erklären?“ Marcia hatte sich auf die Couch gesetzt, weil sie ein Schwächegefühl in den Beinen bekam. Sie nippte an ihrem Wein und beobachtete Clyde über den Rand des Glases hinweg. „Die Sache ist die, Marcia. Sabrina und ich… wir waren in den letzten Wochen ziemlich oft zusammen und dabei… kurz und gut, ich habe Sabrina gebeten, mich zu heiraten.“ „Heiraten! Dich?“ Marcia war aufgesprungen. Fassungslos sah sie ihn an. Sie glaubte, nicht richtig gehört zu haben. „Ja doch. Warum nicht?“ Es wurde sehr still im Zimmer. Nur das Ticken der Standuhr drang an Clydes Ohr. „Ich… ich begreife nicht… alle unsere Bekannten sind der Meinung, du würdest nie heiraten?“ Marcia sah ihn fassungslos an. „So? Das ist mir neu.“ „Doch. Es stimmt. Warum, glaubst du wohl, hätte ich mich sonst damit zufriedengegeben, daß unsere Beziehung nicht gediehen ist? Es hat mehr als drei Jahre gedauert, bis du überhaupt von mir Notiz genommen hast. Drei lange Jahre, Clyde. Drei Jahre, in denen ich immer zur Stelle war, wenn du mich brauchtest.“ Marcia unterdrückte mit Mühe ein Schluchzen. Verblüfft war Clyde einen Schritt zurückgetreten. „Marcia! Glaub mir, es liegt mir fern, dir weh zu tun. Soll das vielleicht bedeuten, daß du mehr für mich empfindest als reine Freundschaft? Aber… davon habe ich nichts geahnt, Marcia.“ „Wie solltest du auch? Schließlich werfe ich mich einem Mann nicht gleich an den Hals.“ Sie wandte sich wieder zum Fenster und schwieg. Nach einer Weile hörte er sie leise sagen: „Ich habe mich bemüht, all das zu sein, was du von einer Frau erwartest, Clyde. Du magst es nicht, wenn man als Frau unbedingt den Ton angeben möchte. Nun, mir liegt es ohnehin nicht, tonangebend zu sein. Du haßt es, wenn jemand eifersüchtig ist. Ich habe jede Spur von Eifersucht in mir unterdrückt. Und jetzt kommst du und eröffnest mir so ganz nebenbei, daß du die Absicht hast, eine andere zu heiraten. Ja, was
erwartest du denn von mir? Soll ich etwa in Jubel ausbrechen? Soll ich dir vielleicht auch noch gratulieren?“ Sie fuhr herum und sah ihn wütend an. „Sag mir eins, Clyde Carlyle, ist dir je der Gedanke gekommen, mich zu fragen, ob ich deine Frau werden möchte?“ Clyde sah ihre Enttäuschung, und er kam sich gemein und niederträchtig vor. Als er Marcia kennenlernte, hatte er sie als angenehme Abwechslung betrachtet, und mit der Zeit hatte er sich so an sie gewöhnt, daß das Zusammensein fast schon zur Routine wurde. Er brauchte nur die Hand auszustrecken und sie anzurufen, und Marcia kam. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, über ihre Beweggründe nachzudenken. Sie war zurückhaltend gewesen. Beherrscht und niemals aufdringlich. Voll Anteilnahme hatte sie zugehört, wann immer er das Bedürfnis hatte, sich einmal auszusprechen. Und er? Nicht einmal, nicht ein einziges Mal hatte er sich gefragt, warum sie das tat, warum sie stets zur Stelle war, wenn er sie brauchte. Geduldig hatte sie all die Zeit darauf gewartet, daß er sich ihr zuwandte. Statt dessen hatte er nun nichts Besseres zu tun, als sie zu kränken und zu beleidigen. Was für ein blinder, hirnverbrannter Narr war er doch! Am liebsten hätte er sich selbst geohrfeigt. Aber was half es, wenn er Marcia die Gründe für seine Heirat nannte? Es würde die Dinge auch nicht ändern. „Wann soll die Hochzeit sein?“ Wie brüchig ihre Stimme klang. „Im Mai.“ Sie drehte sich um, stellte ihr Weinglas auf den Tisch und nahm ihren Mantel, der über einem Sessel hing. „Dann wüßte ich nicht, was es noch zwischen uns zu besprechen gäbe.“ Auf der Fahrt zu Marcias Haus sprach keiner von ihnen. Erst als er sich verabschiedete, bat Clyde ein letztes Mal darum, daß sie ihm verzeihen möge. „Wenn dich das tröstet, Marcia… Ich bin mir völlig bewußt, daß ich in deinen Augen ein gemeiner Hund bin.“ Sie blickte ihn abweisend an. „Nein, das ist absolut kein Trost für mich. Außerdem fühle ich mich nicht ganz schuldlos. Ich habe um deine Liebe gepokert. Das war ein Fehler. Ich habe alles auf eine Karte gesetzt und verloren.“ Sie wandte Clyde den Rücken zu und öffnete die Tür. „Ich hoffe, du wirst glücklich mit ihr“, murmelte sie. Dann fiel die Tür hinter ihr ins Schloß. Clyde fand lange keinen Schlaf in dieser Nacht. Stunde um Stunde wälzte er sich in seinem Bett und dachte über seine Beziehung zu Marcia nach. War er ein Egoist? Dachte er nur an sich selbst? Wie hatte es geschehen können, daß er ihre Bereitschaft, jederzeit für ihn da zu sein, als Selbstverständlichkeit angesehen hatte? Am Donnerstag vor der Verlobungsfeier erhielt Sabrina das Schreiben einer Kunstgalerie in San Francisco. Der Brief war an ihre Agentur in Paris gerichtet, und man hatte ihr die Post nachgesandt. Es hieß darin, daß beabsichtigt sei, anläßlich einer Kunstausstellung auch Gemälde von ihr zu zeigen. Da sie nun einmal in San Francisco war, schlug Sabrinas Agent vor, mit dem Inhaber der Galerie persönlich zu verhandeln. Unmöglich, dachte Sabrina im ersten Moment. Mir stehen nicht genügend Bilder zur Verfügung, um eine Ausstellung damit zu bestücken. Es sei denn, ich würde mich während der kommenden Monate mit nichts anderem beschäftigen als mit Malen. Sie setzte sich vor das flackernde Kaminfeuer und überlegte. Dabei stellte sie fest, daß sie sich in letzter Zeit fast ausschließlich mit der bevorstehenden Hochzeit befaßt und keinen Gedanken mehr an ihre Karriere als Malerin verschwendet hatte.
„Kommt nicht in Frage!“ rief sie laut und sprang auf. Wie sie es anstellen wollte, wußte sie noch nicht. Aber auf alle Fälle würde sie sich diese Ausstellung nicht entgehen lassen. Sie las den Brief noch einmal. Die Ausstellung war für Juni vorgesehen. Bis dahin wären es noch fünf Monate. Ein paar Bilder, die nahezu fertig waren, standen oben in ihrem Atelier. In Paris mußten auch noch einige sein. Wenn sie nächste Woche nach Frankreich zurückkehrte und achtzehn Stunden am Tag arbeiten würde, müßte sie es schaffen können. Wenn nicht, müßte man versuchen, ein paar von den Gemälden, die bereits einen Käufer gefunden hatten, vorübergehend auszuleihen. Die Uhr auf dem Kaminsims erinnerte Sabrina daran, daß sie eigentlich in die Stadt hatte gehen wollen, um sich nach einem Kleid umzusehen. Schade, daß Michelle und Suzanne nicht hier waren, um sie zu beraten. Einige Stunden später lief Sabrina immer noch durch die Geschäfte. Sie war nahe daran, ihre verzweifelte Suche nach einem geeigneten Kleid für die Verlobung aufzugeben. Aber als ihr Blick auf das schimmernde weiße Seidenkleid in der Auslage einer kleinen Boutique fiel, wußte sie, daß sie das Richtige gefunden hatte. Das mattglänzende Material paßte zu der einfachen, klassisch geschnittenen Linie des Modells, und als Sabrina es anprobierte, lächelte sie zufrieden. Das Kleid umschloß ihre Figur wie eine zweite Haut. Sie bezweifelte, daß sie unter diesem Kleid noch irgend etwas anderes anziehen könnte. Was soll's? dachte sie. Clyde ist wohl der einzige, der etwas dagegen einzuwenden hat. Aber da sich seine Gedanken sowieso nur um geschäftliche Dinge drehen, wird er es gar nicht bemerken. Doch hier irrte sie sich gründlich. Es verschlug ihm fast den Atem, als sie in das Hotel, wo ihre Verlobungsfeier stattfand, erreichten, und er ihr aus dem langen Samtcape half. Nur eine dünne Schnur aus Straßsteinen schien zu verhindern, daß das Oberteil herabrutschte. Die weiche Seide schmiegte sich eng an und schillerte bei jedem Atemzug der Trägerin. Harry kam ihnen entgegen, er strahlte. „Sabrina! Kind! Du siehst umwerfend gut aus! Sag selbst, Clyde, ist es nicht so?“ „Umwerfend? Das kann man wohl sagen! Stammt dieses Kleid etwa aus Paris?“ Sie sah ihn erstaunt an. „Nein. Wieso? Du sagtest doch, daß ich auch hier etwas Passendes fände.“ „Du bist schön wie ein Engel“, schwärmte Harry, und seine Augen leuchteten. „So rein, so unschuldig. Genau wie eine junge Braut aussehen sollte.“ Wenn sie Harry in diesem Kleid an einen Unschuldsengel erinnert, dachte Clyde verdrießlich, dann wundert es mich nicht, daß er nie geheiratet hat. Er ist völlig ahnungslos, was Frauen betrifft. Sabrina hatte sich bei Harry eingehakt. Ihr Gesicht glühte. „Ich bin so aufgeregt, Harry. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf diese Party gefreut habe. Alle Freunde von Papa werden kommen, sagtest du?“ „Ja, Kind. Dein Vater hatte viele Freunde. Alle mochten ihn gern, und sie sind sehr gespannt darauf, dich kennenzulernen. Sie werden froh darüber sein, daß du jetzt in San Francisco leben wirst.“ Sabrina warf Clyde einen verstohlenen Blick zu. Er sah ziemlich grimmig drein. Langweilte er sich bereits? Harry drückte Sabrinas Hand. „Ich bin heute abend sehr glücklich. Todd und Scott wären stolz, wenn sie euch beide jetzt sehen könnten.“ Clyde hatte das Gefühl, daß sich der Abend sehr in die Länge ziehen würde. Er blickte Sabrina nach, die an Harrys Seite zur Saaltür schritt, um die Gäste zu
empfangen. Die fließende Seide brachte ihre Figur vorteilhaft zur Geltung, und er merkte plötzlich, daß ihn ihr wiegender Gang und der Schwung ihrer Hüften seltsam erregte. Eine Stunde später war der große Saal gefüllt mit lachenden, redenden Menschen, die neugierig darauf warteten, Clydes Auserwählte in Augenschein zu nehmen. Gerade als Clyde dachte, nun würde niemand mehr kommen, traf sein bester Freund, Jeremy Jordan, ein. „Das wurde aber auch Zeit, Jeremy. Ich dachte schon, du legst keinen Wert auf unsere Gesellschaft.“ Der junge Mann lachte vergnügt. „So siehst du aus! Solch ein Ereignis lasse ich mir doch nicht entgehen.“ Er musterte Sabrina ungeniert von Kopf bis Fuß, ging um sie herum und betrachtete sie wie ein Ausstellungsstück von allen Seiten. Dabei nickte er anerkennend und pfiff leise durch die Zähne; Clyde legte spontan den Arm um Sabrinas Taille. „Ich möchte dir meinen Freund Jeremy vorstellen, Sabrina. Solange ich denken kann, mußte ich diesem Burschen immer aus der Patsche helfen. Das ist Jeremy Jordan der Vierte.“ Sabrina streckte dem jungen Mann die Hand entgegen. „Der Vierte?“ Jeremy zog eine Grimasse. „Schrecklich, nicht? Wie kann man einem Kind das nur antun? Aber ich habe meiner Familie bereits eröffnet, daß ich diese Tradition nicht fortsetzen werde.“ Sabrina atmete auf. Hier war ein Mensch, mit dem man auch einmal lachen und Spaß machen konnte. „Das ist aber schade, finde ich. Sie wären sicher ein erstklassiger Ehemann und Vater.“ Sie merkte, daß Clyde erstarrte. „Oh, das soll nicht heißen, daß ich nicht heiraten möchte. Eines schönen Tages werde ich wohl auch Vater sein. Jeremy werde ich sie allerdings nicht nennen. Darauf können Sie sich verlassen. Es ist kein besonders schöner Name.“ „Sagen Sie das nicht. Mir gefällt er.“ „Sind Sie ganz sicher, Sabrina, daß sie den da“, er wies mit einer lässigen Kopfbewegung auf Clyde, der ärgerlich aussah, „heiraten wollen? Wäre Ihnen ein weniger sauertöpfischer Ehemann nicht lieber? Ich bin jederzeit für alles bereit, wenn ich eine Chance bei Ihnen habe.“ Sabrina lachte herzlich. Jeremys humorvolle Art erinnerte sie an ihre Freunde in Paris. Sie merkte plötzlich, wie sehr ihr deren Heiterkeit und fröhliche Ungezwungenheit in den vergangenen Wochen gefehlt hatte. Jeremy sah sie übermütig an. Er wußte ebensogut wie sie, daß Clyde ihr kleines Wortgeplänkel absolut nicht spaßig fand. Sabrina schlug in komischem Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammen. „Wo denken Sie hin, Jeremy! Diese Ehe mit Clyde war bereits beschlossene Sache, als wir beide noch in der Wiege lagen. Wir können diesen Plan doch nicht einfach ignorieren.“ Clyde starrte sie mit offenem Mund an. Was hatte Sabrina vor? Worauf wollte sie hinaus? Er hatte sich solche Mühe gegeben, den wahren Grund für ihre Heirat zu verbergen, und nun war sie nahe daran, das Geheimnis preiszugeben. Jeremy verbeugte sich vor Sabrina. „Wenn Sie mir schon nicht die Hand fürs Leben reichen, wie wär's dann mit einem Tänzchen?“ Sabrina schaute sich um. Die meisten der Gäste scharten sich um das kalte Büffet, aber einige von den jüngeren tanzten zu den Klängen eines langsamen Walzers.
„Gern, Jeremy. Du entschuldigst uns wohl?“ Das letztere galt Clyde, der jetzt mit verdrießlichem Gesicht mit ansah, wie seine Braut in den Armen von Jeremy über die Tanzfläche schwebte. Und diesen Kerl hatte er für seinen besten Freund gehalten! Clyde drehte sich um und schritt entschlossen dorthin, wo sich die Bar befand. Es war ein gelungener Abend, und Sabrinas Eindruck auf die Gäste war nachhaltig. Niemand hätte Clyde ein so kapriziöses, charmantes und heiteres Mädchen als Braut zugetraut. Er galt als ruhiger, seriöser und etwas verschlossener junger Mann. Seine Bekannten und Freunde hatten allgemein angenommen, daß er und die beherrschte Marcia ein gutes Paar abgäben. Aber es war durchaus verständlich, daß nun Sabrina sein Herz gestohlen hatte. Wenn ihr fröhliches Lachen erschallte, wandten die Leute verwundert die Köpfe, und manch einer, der ihre schlagfertigen Antworten hörte, schmunzelte vergnügt. Alle genossen die äußerst entspannte und herzliche Atmosphäre, die sie um sich verbreitete. Alle außer Clyde. Er stand immer noch an der Bar und beobachtete die Schar der Verehrer, die Sabrina umringte. Sie hatte für jeden ein freundliches Wort, einen Scherz bereit, während sie überlegte, wem sie den nächsten Tanz versprochen hatte. Jeremy bemerkte den verdrossenen Ausdruck auf dem Gesicht seines Freundes und amüsierte sich köstlich. Er kannte Clyde und wußte genau, daß Sabrina Gefühle in Clyde weckte, die für diesen völlig ungewohnt waren Jeremy war gespannt, was Clyde gegen diese neuartigen Empfindungen zu tun gedachte. „Mit deiner Braut hast du wahrhaftig einen Volltreffer gelandet, alter Junge.“ Clyde fuhr zusammen. Er hatte Jeremy nicht kommen gehört, weil er sich zu sehr auf Sabrina konzentriert hatte. Nun setzte er das Glas an die Lippen und kippte den Inhalt auf einen Zug in sich hinein. „Sieht ganz danach aus.“ „Warum tanzt du nicht mit ihr?“ „Ich wollte mich nicht vordrängen.“ Jeremy lachte. „Sag mal, Clyde, bist du etwa eifersüchtig, weil man sich so um sie bemüht?“ „Nein, das nicht, aber es wäre mir lieber, sie würde nicht so… so… aufreizend wirken.“ „Aufreizend? Sabrina? Das meinst du doch wohl nicht im Ernst? Was sie da trägt, zeugt nur von gutem Geschmack. Es paßt ausgezeichnet zu ihrer Haarfarbe und dem zarten Teint.“ Clyde antwortete nicht. Sabrina tanzte soeben mit einem Mann, den er bislang zu seinen Freunden gerechnet hatte. Nun verspürte er den unwiderstehlichen Drang, diesem Kerl die Meinung zu sagen und Sabrina von der Tanzfläche wegzuziehen. Es war ihm vorher nie aufgefallen, wie eng Randy seine Tanzpartnerinnen an sich zog, und wenn dessen Hand noch tiefer auf Sabrinas Rücken herabglitt, würde er hingehen und ihm etwas antun. Jeremy fuhr Clyde mit der Hand vor dem Gesicht herum. „He! Freundchen, was ist los mit dir? Hat es dich so schwer erwischt?“ Clyde sah ihn verständnislos an. „Was? Was hast du gesagt? Wovon sprichst du eigentlich?“ Einen Moment sah Jeremy ihm prüfend ins Gesicht. „Ja. Ich glaube es dir. Du hast nicht die leiseste Ahnung, wovon ich rede. Die Sache fängt von Minute zu Minute mehr an, mich zu interessieren. Hier!“ Er füllte Clydes Sektglas bis zum Rand. „Trink noch einen, alter Junge.“ Clyde starrte unschlüssig auf das Glas in seiner Hand und stellte es energisch zurück auf die Theke. „Nein“, sagte er, „nein danke.“ Dann begab er sich steifbeinig auf die Tanzfläche. Dabei machte er ein so
verbissenes Gesicht, daß Jeremy sich vor Lachen krümmte.
Seit ihrem ersten Tanz mit Jeremy war Sabrina nicht mehr zur Ruhe gekommen.
Viele der männlichen Gäste forderten sie auf. Clyde ließ sich jedoch nicht blicken.
Er schien damit zufrieden zu sein, an der Bar zu lehnen und Champagner zu
trinken. Wahrscheinlich machte er sich nichts aus Tanzen. Da war es bei ihr ganz
anders. Auf einmal stand Clyde jedoch vor ihr.
„Ich denke, jetzt bin ich auch mal dran.“ Seine Stimme klang merkwürdig rauh.
Sabrina wurde es heiß und gleich darauf wieder kalt. Als er den Arm um sie
legte, zitterte sie.
„Ich dachte, du machst dir nichts aus Tanzen?“ sagte sie leise.
„Wie kommst du denn darauf?“
„Nun – die Kapelle spielt bereits seit zwei Stunden, und erst jetzt bittest du mich
um einen Tanz.“
„Ah! Das ist dir also doch aufgefallen.“
„Natürlich. Glaubst du, ich wüßte nicht, mit wem ich tanze?“
„Ich dachte, ich gönne zuerst den anderen das Vergnügen. Jetzt werden sie lange
warten müssen, bis ich dich wieder loslasse.“
Er zog sie noch näher an sich, und Sabrina schloß die Augen. Sie schmiegte sich
dicht an ihn. Clydes Nähe und die zärtliche Musik nahm all ihre Sinne gefangen.
Im Kamin flackerte ein Feuer. Die Bibliothek wirkte warm und gemütlich, als
Sabrina sie betrat. Gerade schlug die Uhr auf dem Kaminsims zweimal.
Aufseufzend ließ sie sich auf der Couch nieder und schlüpfte aus ihren Pumps.
„Magst du noch einen Kaffee mit mir trinken, bevor du nach Hause fährst?“
Clyde setzte sich neben sie, nahm ihre Füße in die Hände und fing an, sie sanft
zu massieren. „Für mich nicht, danke.“
„Hm… tut das gut. Es ist lange her, daß ich soviel getanzt habe.“
„Ach? Und ich dachte, du bist jeden Abend tanzen gewesen in Paris?“
„Keine Spur! Wir sitzen oft nächtelang zusammen und diskutieren. Aber tanzen
gehen wir nur höchst selten.“
Er strich langsam hinauf zu ihrer Wade und begann, vorsichtig die Muskeln zu
kneten. „Die Malerei bedeutet dir sehr viel, hab' ich recht?“
Sabrina merkte, wie sie sich entspannte. „Ja. Sie bedeutet mir mehr, als ich dir
sagen kann.“
„Ich würde nie von dir verlangen, daß du sie aufgibst, wenn du hier in Amerika
lebst.“
„Das könnte ich auch nicht, Clyde. Ich brauche das Malen so nötig zum Leben wie
Essen und Trinken.“
Er hob sie hoch und zog sie auf seinen Schoß. „Würdest du mir irgendwann
einmal deine Bilder zeigen?“ flüsterte er und küßte sie sanft aufs Ohr.
Sabrina spürte seinen Atem an ihrem Hals, und ein Schauer überlief sie. Die
Stimme wollte ihr nicht gehorchen.
„J… ja, n… natürlich.“
Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht hoch, um sie zu küssen.
Als seine Lippen ihren Mund berührten, kam es ihm vor, als habe er einen
elektrischen Schlag erhalten. Durch die dünne Seide des Kleides spürte er, wie
rasch Sabrinas Herz schlug. Er umarmte sie fester und zog sie noch enger an
sich. Nie zuvor hatte ihn die Nähe einer Frau so erregt. Dann konnte er der
Versuchung nicht widerstehen. Seine Hand glitt in ihren Ausschnitt.
Er fühlte die zarte, glatte Haut unter seinen Fingern. Was er bereits den ganzen
Abend vermutet hatte, stimmte: Sie trug tatsächlich nichts unter diesem Kleid.
Sabrinas Atem ging schneller. Sinnliche Gefühle stiegen in ihr hoch, und sie bog
den Oberkörper zurück, um ihm näher zu sein.
Clyde hörte sie stöhnen. Sein Kuß wurde intensiver, und Sabrina küßte ihn mit
der gleichen Inbrunst wieder.
Er fuhr entlang der Innenseite ihrer Schenkel mit der Hand höher hinauf. Unter
der Berührung erzitterte Sabrina.
Clyde konnte sich nicht erinnern, jemals eine Frau so sehr begehrt zu haben.
Trotzdem rief er sich zur Ordnung. Schließlich war er kein liebestoller
Gymnasiast. Außerdem wollte er sie aus Vernunftgründen heiraten.
Vorsichtig löste er die Umarmung und rückte ein Stück von ihr ab. Unsicher, fast
ein wenig argwöhnisch schaute er sie an. Ging das noch mit rechten Dingen zu?
Sabrina lehnte den Kopf gegen seine Schulter. Er spürte ihren raschen Atem an
seinem Hals. So saßen sie eine Weile und versuchten, wieder zur Ruhe zu
kommen. Clyde hatte jedes Zeitgefühl verloren. Es war schön, einfach dazusitzen
und den Arm um sie zu legen. Er hätte ewig so sitzen bleiben können.
„Steht es fest, daß du am Dienstag nach Frankreich fliegst?“ fragte er leise.
„Ja.“
„Soll ich dich zum Flughafen bringen?“
„Nein.“
„Gehen wir wenigstens Montag abend noch zusammen essen?“
Sie nickte stumm.
Clyde erhob sich und zog Sabrina wieder auf die Füße. Die Situation machte sie
verlegen. Einen so engen Kontakt zu einem Mann hatte sie noch nie gehabt.
JeanPierre, ihr Freund in Paris, behandelte sie nur wie seine kleine Schwester.
Clyde hingegen tat, als sei sie eine reife, erfahrene Frau. Irgendwie machte die
neue Rolle sie unsicher.
„Dann hole ich dich Montag abend gegen sieben Uhr ab, einverstanden?“
Wieder nickte Sabrina nur.
„Gute Nacht, Kleines“, sagte er zärtlich und hauchte noch einen Kuß auf ihr Haar.
„Bis Montag abend.“
„Gute Nacht“, flüsterte sie kaum hörbar.
Mit den Fingerspitzen berührte sie zärtlich seine Wange.
5. KAPITEL Clyde und Sabrina sahen sich am Montag wieder, aber die Begegnung war anders, als Clyde es erwartet hatte. Zum Lunch war er mit Jeremy verabredet. Sie trafen sich in einem bekannten DachgartenRestaurant mit herrlicher Aussicht auf die Golden Gate Brücke. Clyde bemühte sich, dem Freund zu erklären, welche umwälzenden Ereignisse seinem Leben plötzlich eine andere Richtung gegeben hatten. Da bemerkte er, daß Jeremy ihm überhaupt nicht zuhörte. Er blickte über Clydes Schulter hinweg auf etwas, das ihn im höchsten Maße zu interessieren schien. „He! Was ist los? Was gibt es da anzuschauen. Warum hörst du mir nicht mehr zu?“ Jeremy erschrak. Er schien verwirrt. „Oh, es ist nichts“, meinte er. „Ich dachte einen Moment, ich hätte einen alten Bekannten gesehen. Aber der Gast hat lediglich eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihm.“ Jeremys Versuch, seine Entdeckung Clyde zu verheimlichen, scheiterte. Der Kellner führte nämlich gleich darauf Sabrina und ihren unbekannten Begleiter an einen Tisch in ihrer Nähe. Die beiden waren es, die seine Aufmerksamkeit erweckt hatten. Clyde erstarrte, als er Sabrina erkannte. Sie sah völlig anders aus, als er es bei ihr gewohnt war. Sie trug ein streng geschnittetes, dunkelblaues Gabardinekostüm und darunter eine weiße Hemdbluse mit offenem Kragen. Das Haar war glatt zurückgebürstet, seitlich mit Kämmchen hochgesteckt und die Locken hinten auf dem Kopf zusammengefaßt. Sie wirkte kühl, gelassen, selbstsicher und elegant. Nichts an ihr erinnerte an die burschikose, nachlässige Künstlerin, die er bisher immer in ihr gesehen hatte. Er machte ein überraschtes Gesicht, und sein Blick fiel nun auf Sabrinas Begleiter. Dessen ungeteilte Aufmerksamkeit galt ihr. Clyde ballte die Fäuste, so daß die Knöchel weiß hervortraten. „Wer ist das?“ fragte Jeremy leise. „Ich habe keine Ahnung.“ „Ich dachte, sie kennt niemand in San Francisco außer euren gemeinsamen Bekannten oder Geschäftsfreunden?“ „Das dachte ich bis jetzt auch.“ „Wahrscheinlich gibt es eine ganz einfache Erklärung dafür, Clyde. Kein Grund, nervös zu werden. Du brauchst nicht auszusehen, als müßtest du ihn gleich zur Rede stellen.“ Unwillig blickte Clyde den Freund an. „Ich bin absolut nicht wütend auf ihn. Warum sollte ich? Ich kenne den armen Kerl ja nicht einmal. Ich bin nur wütend darüber, daß ich ihr tatsächlich auf den Leim gegangen bin. Sabrina hat die Rolle des unschuldigen jungen Mädchens so vollendet gespielt, daß jeder darauf hereinfallen mußte.“ Er trank mit einem Zug sein Glas leer. „Bist du fertig? Dann laß uns gehen.“ Jeremy sah zu dem anderen Tisch hinüber. „Sollten wir uns nicht bemerkbar machen? Komm, wir sagen nur eben ,Hallo’. Ich glaube, sie haben uns noch nicht gesehen.“ „Ich habe nicht die Absicht, hinzugehen. Das sähe ja so aus, als ob ich unbedingt vorgestellt werden wollte. Was Sabrina mit ihrer Zeit anfängt, ist ganz allein ihre Sache.“ Stolz verließ er den Speisesaal, gefolgt von Jeremy, der verständnislos den Kopf schüttelte. Mir machst du nichts vor, alter Junge, dachte Jeremy. Dich hat es erwischt. Du
gibst dich zwar kühl und überlegen, benimmst dich dabei aber wie ein verliebter, eifersüchtiger Gockel. Du bist auch nicht anders als wir alle: empfindlich und verwundbar. Willkommen in unserer Mitte! Zufällig hob Sabrina jetzt den Kopf und sah Clyde und Jeremy gerade den Raum verlassen. Das darf doch nicht wahr sein! Sie traute ihren Augen nicht. Ausgerechnet hier müssen die beiden auftauchen. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich wieder auf das zu konzentrieren, was Mr. Huntington, der Besitzer der Kunstgalerie, ihr zu sagen hatte. „Ich möchte noch einmal betonen, Miss Bennington, wie sehr ich mich freue, Sie persönlich kennenzulernen. Sie wissen wahrscheinlich selbst, daß niemand hinter SB, ihrer Signatur, eine Künstlerin vermutet. Ihre Bilder sind nämlich äußerst kraftvoll im Ausdruck, und die Pinselführung könnte man schon fast als kühn bezeichnen. In der Malerei schreibt man aber diese Sachlichkeit dem männlichen Geschlecht zu. Die Frauen bevorzugen meist die romantische Stilrichtung.“ „Eben aus diesem Grund wollte ich anonym bleiben. Wenn es sich einrichten läßt, würde ich es begrüßen, wenn wir auch in Zukunft so verfahren könnten. Ich will verhindern, daß mein Geschlecht bei der Beurteilung meiner Arbeiten irgendeine Rolle spielt.“ „Ich verstehe Sie absolut, Miss Bennington, und ich fühle mich besonders geehrt, daß Sie mir gegenüber ihre Anonymität aufgegeben haben. Ich werde dieses Vertrauen nicht mißbrauchen, das versichere ich Ihnen.“ Sabrina war beruhigt. „Mein Agent in Paris sagte mir, daß ich Ihnen trauen dürfe, und ich verlasse mich auf seine Menschenkenntnis. Deshalb wollte ich selbst mit Ihnen reden, zumal ich die Absicht habe, über kurz oder lang Frankreich zu verlassen und nach San Francisco überzusiedeln.“ Mr. Huntington sah Sabrina überrascht an. „Europas Kunsthimmel wird um einen Stern blasser werden. Dafür wird er in San Francisco um so heller strahlen!“ meinte er emphatisch. Mr. Huntingtons Begeisterung kannte keine Grenzen und es war beinahe drei Uhr, als sie sich trennten. Wie ein Kind auf Weihnachten, so freue er sich auf diese Ausstellung, bemerkte er beim Abschied, und Sabrina hoffte insgeheim, er möge nicht allzu enttäuscht sein über die geringe Anzahl an Bildern, die sie ihm zur Verfügung stellen konnte. Während sie speisten und die Einzelheiten für die Ausstellung besprachen, hatte sie nur wenig an Clyde gedacht. Ob er sie wohl bemerkt hatte? Und wenn ja, warum war er nicht an ihren Tisch gekommen? Falls sie jedoch unentdeckt geblieben war, sollte sie dann ihre Verabredung mit Mr. Huntington überhaupt erwähnen? Eigentlich wäre das weiter kein Problem gewesen. Doch Sabrina wollte vermeiden, daß Clyde etwas von ihrer Rolle auf dieser Kunstausstellung erfuhr. Sie war noch nicht bereit, ihm zu erzählen, welchen Platz sie sich mittlerweile in der Kunstszene erobert hatte. Außerdem, wäre das in seinen Kreisen überhaupt von Bedeutung? Als Clyde Sabrina am Abend abholte, hatte sie noch immer keinen Entschluß gefaßt. Er benahm sich jedoch nicht anders als gewöhnlich. Demnach hatte er sie in dem Restaurant wohl nicht gesehen. Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß, dachte Sabrina. Irgendwann einmal würde sie mit ihm über ihre künstlerischen Ambitionen sprechen. Auch das Treffen mit Mr. Huntington würde sie ihm dann erklären. Aber nicht jetzt. Nicht sofort. Er hatte für den Abend ein schickes Restaurant ausgesucht, das Sabrina noch nicht kannte. In dem aufrichtigen Bemühen, ihn besser kennenzulernen, fragte
sie ihn sehr gezielt nach seinem Beruf. Er schien angenehm überrascht und berichtete bereitwillig. Im Verlauf der Unterhaltung gewann Sabrina einen umfassenden Einblick in Clydes Tätigkeit und konnte sich ein Bild von der ungeheuren Verantwortung machen, die auf seinen Schultern lastete, seit ihre beiden Väter tot waren. Als die Kapelle eine Pause einlegte, sah Sabrina einen stattlichen Herrn im reiferen Alter auf ihren Tisch zusteuern. Ihm folgte zögernd, fast widerstrebend eine große, schlanke Frau mit blauschwarzen Haaren. Viele bewundernde Blicke galten der attraktiven Erscheinung. Clydes Lächeln erstarrte. Sein Gesicht wirkte wie eine undurchdringliche Maske und er erhob sich langsam. „Clyde, mein lieber Junge, du bist es tatsächlich. Ich war nicht ganz sicher. Warum, in aller Welt, sitzt du hier verborgen in dieser Nische? Du warst schon eine Ewigkeit nicht mehr bei uns. Erst kürzlich fragte ich Marcia, ob du dich wohl überhaupt nicht mehr blicken läßt?“ Marcia! Das also war sie! Sabrina kam sich auf einmal klein und schäbig vor. Marcia war vom Scheitel bis zur Sohle eine vollendete Dame und noch dazu eine Schönheit. Die Haut unter dem mattglänzenden Haar war zart und hell, und sie bewegte sich mit jener natürlichen Ungezwungenheit, die auf eine erstklassige Erziehung schließen ließ. Man merkte sofort, diese Frau würde nie in Panik geraten. Sie würde Haltung bewahren, welch schwierige Situation sie auch meistern mußte. Marcia streifte Sabrina nur mit einem flüchtigen Blick, dann schenkte sie ihr weiter keine Beachtung. Doch auch von Clyde nahm sie nicht sonderlich Notiz. Der ergriff jetzt die ausgestreckte Hand des Mannes. „Schön, dich wiederzusehen, Richard. Sabrina, darf ich dich mit Marcia und Richard Sinclair bekannt machen? Sabrina Bennington – meine Verlobte.“ „Verlobte!“ Einen Moment sah er aus, als träfe ihn der Schlag. Doch Richard Sinclair faßte sich rasch. Nur sein leicht gerötetes Gesicht ließ darauf schließen, daß er nicht so gelassen war, wie er sich gab. „Es freute mich sehr, Sie kennenzulernen, Miss Bennington. Sind Sie etwa Scott Benningtons Tochter?“ „Bin ich, Mr. Sinclair.“ Sabrina strahlte. Sie fand ihn äußerst sympathisch. „Möchtet ihr euch nicht einen Augenblick zu uns setzen?“ Clyde wollte nicht unhöflich erscheinen. Marcia schüttelte abwehrend den Kopf, doch ihr Vater dachte nicht daran, das Feld zu räumen. „Gern, wenn wir nicht stören? Ich hätte dich nämlich geschäftlich etwas zu fragen. Es dreht sich um eine Marktlücke, die ich entdeckt habe.“ „Ich stehe dir selbstverständlich zur Verfügung.“ Clyde winkte dem Kellner und ließ noch zwei Stühle bringen. Da die Nische sehr klein war, mußte Sabrina dicht an Clyde heranrücken. Sofort legte er den Arm um ihre Schultern und zog sie näher an sich. Richard Sinclair senkte daraufhin verlegen den Blick. Offensichtlich war ihm die Situation nun peinlich. Warum mußte er sich auch unbedingt an diesen Tisch setzen? Sabrina wandte sich lächelnd an Marcia. „Clyde hat sehr oft von Ihnen gesprochen, Marcia. Ich konnte es kaum erwarten, Sie kennenzulernen.“ Marcia machte ein erstauntes Gesicht. Sie sah Clyde an, aber ihr Blick schien durch ihn hindurchzugehen. „Ach! Wirklich? Ist das nicht recht ungewöhnlich unter den gegebenen Umständen?“ „Ungewöhnlich? Nein, das finde ich nicht. Clyde möchte mich allen seinen Freunden und Bekannten vorstellen. Haben Sie auch irgendeine Funktion in dem
Unternehmen Ihres Vaters?“ Richard Sinclair mußte lachen. „Die einzige Funktion, die meine Tochter einnimmt, Miss Bennington, ist, das Geld mit vollen Händen auszugeben.“ „Vater!“ rügte Marcia ihren Vater leise. Entwaffnend lächelte Sabrina Vater und Tochter an. „Typisch, diese Väter, Marcia. Meiner war nicht anders. Sie wollen uns einfach nicht verstehen. Ich sage immer, was nützt einem das ganze Geld, wenn man es dann doch nicht ausgeben darf?“ „Das höre ich zum erstenmal, Liebling“, flüsterte Clyde Sabrina ins Ohr. Marcia beobachtete verstohlen die beiden. Sie kannte Clyde nur als einen kühlen, beherrschten Menschen und hätte nie vermutet, daß er sich in der Öffentlichkeit zu Zärtlichkeiten würde hinreißen lassen. Ein bißchen mehr Zurückhaltung hätten die beiden anstandshalber doch aufbringen können. Statt dessen saßen sie engumschlungen da. Wie hatte diese Person es nur fertiggebracht, daß Clyde so gar keine Hemmungen mehr zu kennen schien? „Ich habe gehört, Sie malen“, fragte Marcia, bemüht, die Unterhaltung in andere Bahnen zu lenken. „Stimmt das?“ „Ja, das stimmt.“ „Ein wunderbares Hobby, nicht? Man sagt, es beruhigt die Nerven. Sicher war Ihr Vater sehr stolz auf Sie?“ „Ich glaube schon. Ja, ich glaube, das war er.“ „Und jetzt kann Clyde den Faden aufgreifen und da weitermachen, wo Ihr Vater aufhören mußte. Er kann Ihnen Mut zusprechen und Ihnen Selbstvertrauen einflößen, und er kann auf Sie achtgeben, so wie Ihr Vater es immer gemacht hat…“ Clyde verschluckte sich und hustete heftig. Sabrina wandte den Kopf und streifte mit der Wange leicht sein Gesicht. „Ist alles in Ordnung, Lieber?“ „Es geht schon wieder…“, keuchte er. „Magst du noch etwas trinken?“ „Vielen Dank, nein.“ „Steht der Tag für die Hochzeit schon fest?“ wollte Richard nun wissen. „Höchstwahrscheinlich wird sie im Mai sein. Sabrina fahrt morgen zunächst nach Paris zurück. Sie hat noch einige Dinge zu regeln.“ Richard Sinclairs Lachen dröhnte Sabrina in den Ohren. „Das kann ich mir lebhaft denken. Ich glaube, daß du selber auch noch einige Dinge zu regeln hast, mein lieber Clyde, oder sollte ich mich irren?“ Sein Blick wanderte vielsagend zwischen seiner Tochter und Clyde hin und her. „Ich meine, bevor man dir Brief und Siegel darauf gibt, daß du von nun an ein respektabler Ehemann zu sein hast.“ Wieder lachte er anzüglich. Wenn es um die Gefühle seiner Tochter ging, besaß Mr. Sinclair kein bißchen Takt. Sabrina sah, wie Marcia blaß wurde. Was immer er mit Clyde hatte besprechen wollen, es würde warten müssen. Bestimmt gab es dafür auch noch eine andere Gelegenheit. Heimlich trat sie Clyde auf den Fuß. „Ich bin ein wenig erschöpft, Clyde. Der Tag heute war ziemlich hektisch. Würde es dir etwas ausmachen, mich nach Hause zu bringen?“ Er stand augenblicklich auf, schob ihren Stuhl zurück und entschuldigte sich bei den Sinclairs. Unterwegs war Clyde sehr schweigsam, und Sabrina überlegte, ob der Grund dafür das unverhoffte Wiedersehen mit Marcia war. Aber sie würde sich hüten, ihn zu fragen. Er hatte ihr deutlich genug zu verstehen gegeben, daß seine
Beziehung zu Marcia sie absolut nichts anging.
„Es tut mir leid, daß der Abend so enden mußte“, sagte er schließlich leise.
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Clyde. Es war ja nicht deine Schuld.“
„Anscheinend hat Marcia ihrem Vater nichts von unserer Verlobung erzählt.“
„Dann wußte sie Bescheid?“
Erstaunt sah er sie an. „Natürlich wußte sie es. Glaubst du vielleicht, ich hätte
zugelassen, daß sie so etwas von jemand anders erfährt?“
Sabrina hatte das Gefühl, man schnüre ihr die Luft ab. Der bedauernde Unterton
in seiner Stimme war ihr nicht entgangen.
Nach einer Weile fuhr er fort: „Du hast uns sehr geschickt dieser peinlichen
Situation enthoben. Ich verstehe gar nicht, warum alle Welt meint, man müsse
dich beschützen? Du scheinst doch jeder Lage gewachsen zu sein.“
Sabrina dachte an die Nacht nach ihrer Verlobungsfeier.
„Nicht jeder“, murmelte sie und wurde rot.
„Darf ich dich hin und wieder anrufen, wenn du in Paris bist?“ Offenbar lag Clyde
daran, das Thema zu wechseln.
„Aber ja! Ich würde mich freuen.“ Sie waren vor ihrem Haus angelangt.
Er half ihr aus dem Wagen. „Ich komme nicht mit hinein, Sabrina. Du brauchst
Ruhe. Wir sehen uns dann, wenn du wiederkommst, in vier Monaten, bleibt es
dabei?“
Sie nickte nur. Plötzlich erschien ihr die Zeit ohne ihn unendlich lang. Sie mochte
nicht daran denken, daß er jetzt vier Monate lang nicht mehr an ihrer Seite sein
würde.
„Und du wirst es dir nicht anders überlegen?“
„Ich habe dir mein Wort gegeben, Clyde.“
Gerührt trat er auf sie zu und nahm sie in die Arme. „Vergiß mich nicht ganz,
Sabrina“, flüsterte er und küßte sie.
Sabrina fühlte seinen Mund auf ihren Lippen. Sein Kuß war verlangend, aber
nicht stürmisch, und er schmeckte ein wenig nach Cognac.
Sie schmiegte sich zärtlich an ihn und wußte auf einmal genau, hier in seinen
Armen war der Platz, wo sie hingehörte.
Paris hatte seinen Reiz verloren. Sabrina verbrachte jede Minute vor ihrer
Staffelei und malte unermüdlich. Dabei fand sie Zeit genug, sich über ihre
Gefühle für Clyde klarzuwerden. So merkwürdig es auch sein mochte, aber sie
vermißte ihn.
Noch merkwürdiger aber fanden es ihre Freundinnen, daß Sabrina einen
Amerikaner heiraten wollte.
„Du und heiraten? Daß ich nicht lache!“
„Da gibt es nichts zu lachen, Suzanne. Es ist mein Ernst.“
„Das ist doch nichts anderes als eine Kurzschlußhandlung. Du hast deinen Vater
verloren, und jetzt suchst du nach einem Ersatz. Aber kein Ehemann kann einen
Vater ersetzen, Sabrina. Das mußt du doch einsehen.“
„Du meinst es gut, Michelle, aber glaub mir, Clyde ist das genaue Gegenteil von
meinem Vater.“
„Cherie, hast du dir das auch gut überlegt? Du kennst den Mann doch kaum“,
gab Suzanne zu bedenken.
„Ich weiß…“
„… und wie oft hast du uns immer wieder erzählt, du dachtest nicht daran, jemals
zu heiraten“, fügte Michelle hinzu.
„Ich weiß“, wiederholte Sabrina lächelnd.
Die beiden Freundinnen sahen sich vielsagend an. „Ist das alles, was du dazu zu
sagen hast?“
Sabrina lächelte immer noch. „Ich glaube“, entgegnete sie leise, „ich habe mich verliebt.“ „Du glaubst?“ Michele blieb die Luft weg. „Versprich mir, dich nicht ins Unglück zu stürzen, bevor du nicht sicher bist, daß du diesen Mann liebst.“ Suzanne seufzte erleichtert. „Ich bin nur froh, daß du wenigstens soviel Verstand besessen hast, erst einmal wieder nach Paris zurückzukehren, bevor du dich endgültig entscheidest. Hier kannst du in aller Ruhe noch einmal überlegen.“ Sabrina schüttelte den Kopf. „Deswegen bin ich nicht zurückgekommen. Der Hochzeitstag steht fest. Die Heirat zwischen Clyde und mir ist beschlossene Sache. Daran ist nicht mehr zu rütteln. Nein, ich bin hier, weil in San Francisco im Juni außerdem eine Ausstellung meiner Bilder stattfindet. Und dafür muß ich noch so viele Bilder wie möglich herbeizaubern.“ „Es hat also keinen Zweck, es dir ausreden zu wollen?“ Wieder schüttelte Sabrina den Kopf. „Nein. Aber trotzdem vielen Dank, daß ihr euch so um mich sorgt. Wenn ihr ihn kennen würdet, könntet ihr mich verstehen.“ Aber sie zweifelte, ob Michelle und Suzanne sie wirklich verstehen würden. Clyde war so völlig anders als die Männer, die bisher ihren Weg gekreuzt hatten. Die Freundinnen würden nicht begreifen, was sie an ihm so faszinierte. Und wie sollten sie auch? Sie verstand es ja selber nicht. Clyde war eine Stunde zu früh am Flugplatz. Er hatte es im Büro nicht länger ausgehalten. In den vergangenen Monaten hatte er regelmäßig mit Sabrina telefoniert. Er hatte ihr von seinem Tagesablauf berichtet und sie ihm von dem ihren. Manchmal war die Verständigung recht schwierig gewesen wegen des Lärms im Hintergrund. Sie sagte ihm dann, daß ihre Freundinnen Besuch hätten, und er glaubte ihr, daß sie eifrig malte. Wie ihre Freunde es wohl aufgenommen hatten, daß sie nach Amerika ziehen würde, um zu heiraten? Danach zu fragen, wagte er nicht. Clyde hatte sich entschlossen, keinen Gedanken mehr an Sabrinas Liebhaber zu verschwenden. Er wollte die Vergangenheit ruhen lassen. Es spielte doch keine Rolle, wer da vor ihm zu ihr gehört hatte. Nachdem sie eingewilligt hatte, seine Frau zu werden, würde sie ihm sicher auch treu sein. Das war seine feste Überzeugung. Schließlich war Sabrina Scott Benningtons Tochter. Kurz nach Sabrinas Rückkehr nach Frankreich war Clyde in sein Elternhaus gezogen. Er fand, daß die dunklen Samtvorhänge dem ganzen Haus etwas Düsteres gaben, und die schweren Mahagonimöbel wirkten irgendwie erdrückend. Wenn er mit Sabrina hier wohnen wollte, mußte etwas geschehen. Er mußte das ändern. Und er hatte es geändert! Das Haus war nicht wiederzuerkennen. Es machte jetzt einen hellen, freundlichen Eindruck. In den Zimmern standen moderne und bequeme Möbel, und an den Fenstern hingen duftige Gardinen und weichfallende Stores, beigefarbene Töne überwogen dabei. Nun hoffte er, daß er ihren Geschmack getroffen hatte. Über die Lautsprecher wurde die Ankunft von Sabrinas Maschine bekanntgegeben, und Clyde erhob sich erwartungsvoll. Er hatte tatsächlich seit einer Stunde an nichts anderes als an Sabrina gedacht. Sein Herz schlug schneller. Nur noch wenige Minuten, dann war sie wieder bei ihm. Und in weniger als zwei Wochen wären sie verheiratet. Die Fluggäste drängten sich durch die Paß und Zollkontrolle. Clyde stand etwas abseits, um die Menge besser überblicken zu können. Dann entdeckte er sie. Aus der Flut der Menschen leuchtete ihm ihr blondes Haar schon von weitem entgegen. Clyde ging auf sie zu und mit jedem Schritt klopfte
sein Herz heftiger. Endlich trennten sie nur noch wenige Meter voneinander… Da sah er den Mann an ihrer Seite. Er war eine sportlichelegante Erscheinung mit breiten Schultern und braunem, lockigem Haar, hatte sich bei Sabrina eingehakt und redete intensiv auf sie ein. Sabrina lachte über das, was er sagte, und ließ keinen Blick von ihm. Zwei Schritte bevor sie ihn erreichte, wandte sie den Kopf und entdeckte Clyde unter den Wartenden. „Hallo! Clyde! Du kommst mich abholen? Wie schön! Ich freue mich riesig. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet“, rief sie begeistert und fiel ihm vor allen Leuten um den Hals und küßte ihn stürmisch. Dann zog sie ihn zu dem braungelockten Mann, der stehengeblieben war und sie amüsiert beobachtete. „JeanPierre – das ist er. Das ist Clyde Carlyle, mein zukünftiger Mann. Clyde, ich möchte dir JeanPierre Armand vorstellen. Er hat darauf bestanden, mich nach San Francisco zu begleiten, weil er sich unbedingt den Mann ansehen wollte, den ich heirate.“ „Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Monsieur Carlyle. Sabrina hat uns viel von Ihnen erzählt.“ Mit gemischten Gefühlen drückte Clyde JeanPierre die Hand. „Ich glaube“, lachte Sabrina, „Suzanne und Michelle sind froh, daß sie mich loswurden. Ich muß ihnen ziemlich auf die Nerven gegangen sein.“ Der Franzose sah sie liebevoll an. In seinem Blick lag viel Zuneigung. „Das darfst du nicht sagen, Cherie, denn das wäre einfach ungerecht.“ „Das sagst du doch nur, weil du sonst keinen Platz zum Wohnen hättest.“ Verständnislos schaute Clyde von einem zum andern. Sabrina beeilte sich, es ihm zu erklären. „JeanPierre hat seine gesamten Ersparnisse in diesen Flug gesteckt, Clyde. Deshalb habe ich ihm angeboten, bei mir zu wohnen. Ich kenne hier ein paar Leute, die ihm für seine Karriere von Nutzen sein könnten. Weil er sich solche Sorgen um mich machte, habe ich ihm vorgeschlagen, mit mir nach San Francisco zu fliegen. So kann er zum einen dich kennenlernen, zum anderen hier Kontakte knüpfen.“ „Er soll bei dir wohnen?“ Clyde glaubte, sich verhört zu haben. „Warum denn nicht? In meinem Haus stehen fünf Schlafzimmer leer, und es gibt einige Badezimmer. Ich glaube kaum, daß wir uns in die Quere kommen.“ „Hm.“ Clyde schwirrte der Kopf. Damit hatte er nicht gerechnet. Andererseits hatte Sabrina auch nicht erwartet, daß er sie abholen würde. Er fragte sich, ob sie JeanPierre überhaupt erwähnt hätte, falls er ihn nicht hier am Flughafen kennengelernt hätte. „Du hast also die Absicht, mit JeanPierre zusammenzuwohnen, bis wir verheiratet sind?“ Sabrina staunte. War das die Möglichkeit! Machte Clyde ihr etwa Vorwürfe? Wie oft hatte sie sich in den vergangenen Monaten vorgestellt, wie er die Nächte in Marcias Armen verbrachte. Wenn er eifersüchtig war, so schadete ihm das kein bißchen. Im Gegenteil! Es tat ihm nur gut zu erfahren, wie das war, wenn man nicht ganz sicher wußte, ob der andere auch treu sein würde. „Hast du etwas dagegen?“ fragte sie scharf und warf streitlustig den Kopf in den Nacken. „Sabrina! Cherie, verstehst du nicht?“ JeanPierre mußte lachen. „Dein Verlobter denkt, wir schlafen miteinander. Hab' ich recht? So ist es doch?“ „Ich gebe zu, daß ich flüchtig daran gedacht habe, ja.“ Clyde konnte recht zynisch werden, wenn er wollte. Ach ja, Clyde nahm ja an, sie hätte eine Schar von Liebhabern. Das hatte Sabrina ganz vergessen. Offenbar kannte er sie immer noch nicht.
„Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Wir waren uns doch einig? Als ich nach Paris kam, habe ich JeanPierre sofort von deinen Befürchtungen berichtet, und er war damit einverstanden, mich solange nicht anzurühren, bis dein Kind geboren ist, damit du ganz sicher sein kannst, wirklich der Vater zu sein.“ JeanPierre schüttelte den Kopf. „Du bist ein kleines Biest, Sabrina. Warum redest du solchen Unsinn? Was soll der arme Kerl denn denken?“ „Das ist genau das, was er hören will, JeanPierre.“ „Wohl kaum.“ Der Franzose wandte sich an Clyde. „Ich kannte Sabrina schon, da war sie noch ein kleines Mädchen, und in mancher Hinsicht ist sie das sogar heute noch, wie ich feststelle. Seit ihrer Schulzeit war ich für sie immer so etwas wie ein großer Bruder, und ich fürchte, ich habe mich noch nicht an den Gedanken gewöhnt, daß sie inzwischen auf eigenen Füßen stehen kann. Doch jetzt kenne ich Sie, Monsieur Carlyle, und da fällt es mir nicht schwer, Ihnen diese Rolle zu überlassen. Sie sind mir sehr sympathisch. Außerdem bewundere ich Ihren Mut. Sie übernehmen eine nicht ganz leichte Aufgabe, wenn sie auf Sabrina aufpassen wollen.“ „Jetzt redest du Unsinn“, protestierte Sabrina wütend. „Ich brauche keinen Aufpasser.“ In schweigendem Einverständnis blickten die Männer sich an. Dann streckte Clyde spontan die Hand aus. „Wie wär's, JeanPierre, wenn wir ,du' zueinander sagten?“ Er nickte zustimmend. „Gern, Clyde, danke.“ Die Vorstellung, daß JeanPierre und Sabrina unter einem Dach wohnen würden, war Clyde zwar immer noch unangenehm, aber welchen Zweck hatte es zu protestieren? Gerade ihre Ungezwungenheit war der Charakterzug, der Sabrina so liebenswert machte. Nicht immer waren ihre Einfälle angenehm, aber damit umzugehen, würde er lernen müssen.
6. KAPITEL Der Tag der Hochzeit war gekommen. Nebelschwaden lagen über der Bucht von San Francisco, erst gegen Mittag begannen sie sich aufzulösen. Am frühen Nachmittag kam auch die Sonne zum Vorschein und glitzerte auf dem Wasser. Harry Tyler holte Sabrina ab und fuhr mit ihr zu der kleinen Kirche, wo Jeremy bereits mit Clyde wartete. JeanPierre hatte es abgelehnt, mitzukommen. Bei einer Hochzeit im engsten Kreis habe er nichts zu suchen, sagte er und blieb zu Hause, um an einer Skulptur zu arbeiten. Gedankenverloren starrte Sabrina aus dem Wagenfenster. Sie war nervös und unsicher. Was wußte sie schon von der Ehe? Die Verbindung ihrer Eltern diente nicht gerade als gutes Beispiel. Während der vergangenen Wochen hatte sie versucht, möglichst wenig daran zu denken, daß sie nun eine feste Bindung einging. Jetzt ließ sie der Gedanke daran nicht mehr los. Sie kannte sich gut genug, um zu wissen, daß sie Clydes Frau wurde, weil sie sich in ihn verliebt hatte. Aus keinem anderen Grund. Aber die Vorstellung, ihn zu lieben und, was ihn betraf, verwundbar zu sein, ängstigte sie. In den Monaten in Frankreich hatte sie sich darüber klarwerden wollen, wie sie sich zukünftig verhalten sollte. Aber wenn ihr Vater diese Heirat für richtig hielt, was gab es da eigentlich zu überlegen? Harry beugte sich vor. Er tätschelte beruhigend ihre Hände. „Paß mal auf, Kleines. Es wird bestimmt klappen.“ „Hoffentlich, Harry. Hoffentlich…“ „Clyde wird ein guter Ehemann sein, glaub mir. Er ist ein ehrlicher, anständiger Bursche und wird…“ „Um Clyde mache ich mir keine Sorgen, Harry. Ich weiß nur nicht, ob ich eine gute Ehefrau abgebe.“ „Wie soll ich das verstehen?“ Sabrina sah Harry an. Seit dem Tode seiner beiden Freunde war er stark gealtert. Mit einemmal kam er ihr sehr müde und erschöpft vor und er tat ihr leid. Nein, sie wollte nicht, daß er sich Sorgen machte. „Ich bin es gewöhnt, unabhängig zu sein, Harry. Zeit meines Lebens habe ich tun und lassen können, was mir gefiel, ohne irgend jemand erst um Erlaubnis bitten zu müssen. Die Malerei war bisher mein Lebensinhalt. Ich bin ganz darin aufgegangen. Jetzt soll ich auf einmal einen Haushalt führen. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was ich tun muß. Ich weiß nicht einmal, wie man einen Mann glücklich macht.“ „Bleib so, wie du bist, Sabrina. Alles andere kommt von allein“, meinte Harry zuversichtlich. „Es wäre alles viel leichter, wenn Clyde mich lieben würde. Dann wäre er toleranter und hätte Geduld mit mir.“ „Wie kommst du darauf, daß er dich nicht liebt?“ Sabrina sah ihn überrascht an. „Harry! Du weißt doch am besten, warum Clyde mich heiratet. Von Liebe kann doch da wirklich keine Rede sein.“ Harry Tyler schüttelte mit Nachdruck den Kopf. „Natürlich weiß ich, warum Clyde glaubt, dich zu heiraten. Ich bezweifle auch sehr, daß ihm klargeworden ist, was er wirklich für dich empfindet. Schau, Sabrina, schon als Kind ist Clyde von seiner Mutter beigebracht worden, daß man seine Gefühle niemals offen zeigen sollte. Er hat von früh an gelernt, seine Empfindungen zu verbergen. Und mit der Zeit hat er sich so daran gewöhnt, den eigenen Gefühlen keine Beachtung zu schenken, daß sich auch nach dem Tod seiner Mutter bis auf den heutigen Tag
nichts daran geändert hat. Aber du fesselst ihn, Sabrina. Clyde ist nie im Leben eine Frau begegnet, die so ist wie du. Wenn er von dir spricht – und das geschieht übrigens recht häufig – klingt es immer ein wenig, als wundere er sich. So als zögen ihn zwar dein Charme, deine Schönheit und dein Temperament unwiderstehlich an, doch wisse er nichts damit anzufangen. Versuch, ihn zu verstehen, Kind. Clyde braucht einen Menschen, der ihm Verständnis entgegenbringt. Vielleicht wird er dann eines Tages zu sich selbst finden.“ Der Wagen hielt soeben vor der Kirche, und Sabrina wurde einer Antwort enthoben. Sie sah Jeremy mit Clyde vor dem Portal warten. Clyde eilte herbei, um die Wagentür aufzureißen und ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Sabrina hatte sich für ein bodenlanges Brautkleid aus cremefarbener Spitze über weißer Atlasseide entschieden. Dies war höchstwahrscheinlich ihre einzige Hochzeit. Warum sollte sie da nicht Weiß tragen? Anstelle eines Schleiers saß allerdings eine winzige runde Kappe aus Satin auf dem blonden Haar, das ihr lose auf die Schultern herabfiel. Hingerissen blickte Clyde sie an. In den Händen hielt er ein herrliches Bukett aus weißen und zartrosa Rosen, das übergab er ihr. Sie verbarg ihr Gesicht in den Blüten, die einen intensiven Duft verströmten, und wußte nicht, was sie sagen sollte. Jeremy trat hinzu und begrüßte sie herzlich. „Sabrina, wie schön du bist! Wie ich Clyde beneide. Dieser Mann ist ein Glückspilz. Hoffentlich weiß er es zu schätzen, eine solche Schönheit zur Frau zu bekommen.“ „Jeremy, du Schmeichler. Aber ich danke dir.“ Clyde legte besitzergreifend den Arm um Sabrinas Taille. „Der Pfarrer wartet schon. Bist du bereit?“ „Natürlich, Clyde.“ Er sah ihr in die Augen und hätte in diesem Moment bereitwillig alles für sie getan. Der Gedanke verwirrte ihn einigermaßen. Dies war schließlich keine Liebesheirat, hatte er das vergessen? Gut, Sabrina hatte eingewilligt, seine Frau zu werden. Aber da zeigte sich eben ihre Vernunft. Etwas anderes anzunehmen wäre geradezu absurd. Was sie beide Jeremy und allen anderen Freunden und Bekannten vortäuschten, entsprach nicht der Wahrheit. Oder war da doch mehr? Hatte er sich etwa in Sabrina verliebt? Unsinn! Selbstverständlich nicht. Sie faszinierte ihn. Na schön. Aber lieben? Nein, er liebte sie nicht… Harry und Jeremy waren die Trauzeugen. Sonst war niemand dabei, als Clyde und Sabrina die Ringe wechselten. Sabrina kämpfte mit den Tränen. Sie dachte an ihren Vater, der unbedingt diese Heirat gewollt hatte, damit jemand da wäre, der sich ihrer annahm. Ach, Papa, dachte sie, wenn du doch bei mir sein könntest. Wenn du mir doch sagen würdest, was ich tun soll, um Clyde glücklich zu machen. Ich möchte ihm eine gute Frau sein, Papa. Ich wünsche mir so sehr, daß diese Ehe kein Reinfall wird. Nachdem sie beide ihr Jawort gesprochen und sich Treue bis zum Tod gelobt hatten, erklärte der Pfarrer sie für Mann und Frau. Jetzt besiegelten sie ihren Schwur mit einem Kuß vor dem Altar, Sabrina hob deshalb den Kopf und sah Clyde schüchtern an. Durch die bunten Glasfenster fiel dabei ein Sonnenstrahl auf ihr Haar. Es schimmerte wie mattes Gold. Zärtlich nahm Clyde sie in die Arme. Sein Mund war warm, und er küßte sie sanft. Sabrinas Herz klopfte so stark, daß sie fürchtete, jeder könne es hören. Jetzt war sie also Mrs. Carlyle. In guten wie in schlechten Tagen, hatte der Pfarrer gesagt. Sie klammerte sich an Clyde, weil sich die Aufregung bemerkbar machte und sie
ein Schwächegefühl überkam, schloß die Augen und lehnte den Kopf an seine
Brust. Ich liebe ihn, dachte sie träumerisch. Ich liebe ihn sehr.
Clyde bedankte sich bei dem Pfarrer für die Trauung, aber der winkte ab.
„Leider heiraten heutzutage nicht mehr sehr viele Paare kirchlich. Um so mehr
freut es mich, wenn ich einmal dieser Aufgabe nachkommen kann. Meine guten
Wünsche begleiten Sie in die Zukunft.“ Er drückte beiden herzlich die Hand.
Harry versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie ergriffen er war. „Ist das nun
alles? Oder kommt noch was?“ sagte er ungewöhnlich schroff und räusperte sich.
„Sonst würde ich gern wieder ins Büro zurück. Auf mich wartet noch eine Menge
Arbeit.“
Diese nüchterne Feststellung löste die Spannung, und alle lachten.
„Laß dich durch unsere Hochzeit nicht von wichtigeren Dingen abhalten, Harry.“
„So war das nicht gemeint. Ich dachte nur…“
„Wir wollen unser Hochzeitspaar die Flitterwochen ungestört genießen lassen“,
fiel ihm Jeremy ins Wort. „Aber wenn ihr beide zurück seid, gibt es eine
Bombenparty.“
„Also, Jeremy…“
„Nichts da! Keine Widerrede, Clyde. Es ist alles schon so gut wie perfekt. Ihr
braucht nur noch zu erscheinen. Und nun macht, daß ihr wegkommt. Ich bin
sicher, ihr habt heute noch einiges vor.“ Er zwinkerte Clyde unmißverständlich
zu.
Das ist genau der Grund, weshalb ich keine Hochzeitsfeier wollte, dachte Clyde.
Er hatte Sabrina nicht den voraussehbaren mehr oder weniger versteckten
Anspielungen seiner Freunde aussetzen wollen.
Winkend sahen Harry und Jeremy dem Wagen nach, bis er ihren Blicken
entschwand.
„Möchtest du irgendwo etwas essen, Sabrina?“
„Nein, danke, Clyde. Ich bin absolut nicht hungrig.“
„Heiraten geht einem ganz schön an die Nerven, findest du nicht?“
Diesmal nickte sie nur.
„Ich habe mir gedacht, wir fahren mal an der Küste entlang, wenn du magst.
Warst du schon einmal dort?“
„In den Sommerferien hat mich mein Vater ein paarmal mitgenommen. Aber da
war ich noch ein Schulkind.“
„Ich kenne einen hübschen kleinen Badeort etwa vier Stunden südlich von hier
direkt am Meer. Bis dahin kämen wir heute noch und könnten dann die Nacht
dort bleiben.“
„Das hört sich gut an.“
Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wickelte sie sich um den
Finger. Es fühlte sich an wie Seide. „Hast du schon etwas gepackt?“
Sabrina nickte wieder.
„Dann holen wir jetzt deinen Koffer, und du ziehst dich um.“
Sabrina bewunderte seine Unbefangenheit. Das Erwähnen der Hochzeitsnacht
hatte sie verlegen gemacht. Jetzt gab sie sich einen Ruck. „Ich möchte dir noch
danken, Clyde. Es war eine wunderbare Trauung. Du hast an alles gedacht, und
ich fand es sehr feierlich und eindrucksvoll.“
Einen Augenblick wandte er den Kopf und sah sie an. „Ich danke dir, Sabrina,
daß du meine Frau geworden bist. Jeremy hat recht. Du siehst traumhaft schön
aus in deinem Brautkleid.“
Dies war das erste Kompliment, daß er ihr machte, und er schien darüber ebenso
verlegen zu sein wie sie.
Seit einer Stunde lag nun die Stadt schon hinter ihnen. Clyde und Sabrina fuhren
in südlicher Richtung durch eine malerische Landschaft. Doch Sabrina war viel zu nervös, um sich daran erfreuen zu können. Suzanne und Michelle hatten ihr ein verführerisches Neglige für die Hochzeitsnacht geschenkt. Es war rot, aus duftigem Material, beinahe durchsichtig und wurde durch Satinschleifen in der Taille zugebunden. Ob sie den Mut dazu aufbrächte, es zu tragen? Das vermochte Sabrina noch nicht zu sagen. Sie versuchte, sich auf die Landschaft ringsum zu konzentrieren und die Zukunft vorerst aus ihren Gedanken zu verbannen. Bald erreichten sie ihre erste Station, ein Hotel am Strand. Vor dem großen Erkerfenster dehnte sich der Pazifische Ozean in seiner endlosen Weite. In monotoner Gleichmäßigkeit rollten die Wellen auf den Strand, ließen ihre perlenden Schaumkronen im Sand zurück und brachen sich an den Felsen entlang der Küste. Keiner von ihnen hatte Appetit. Sabrina hob den Sektkelch und nippte von dem prickelnden Champagner. Sie hoffte, der Alkohol würde ihr helfen, sich zu entspannen. „Bist du müde?“ „Ein bißchen.“ „Möchtest du hinaufgehen?“ Sie nickte nur. Was mochte er von ihr erwarten? Plötzlich wünschte sie sich, die Erfahrungen zu besitzen, die er ihr zuzutrauen schien. Nur zu bald würde er feststellen müssen, daß sie in sexueller Hinsicht weniger Ahnung hatte als mancher Teenager. Ob er dann enttäuscht war? Clyde umschloß Sabrinas Finger mit festem Griff. Es wunderte ihn, wie kalt sich ihre Hand anfühlte. Seite an Seite gingen sie zum Fahrstuhl. Oben im Zimmer angelangt, widmete Clyde sich dem Kamin und entzündete darin ein Feuer. Sabrina vermied es geflissentlich, zu dem breiten französischen Bett hinzusehen. Statt dessen tat sie so, als schaue sie ihm interessiert zu. „Wenn du magst, kannst du schon ins Bad gehen, Sabrina.“ Das war keine schlechte Idee. Vielleicht würde ein heißes Bad sie entspannen. Tatsächlich bewirkte das heiße Wasser, daß sie allmählich ruhiger wurde. Sie trocknete sich endlich mit einem flauschigen Badetuch ab und schlüpfte mutig in das Neglige. Clyde hatte sein Jackett ausgezogen und saß vor dem Kamin. Er sah sie an und lächelte, denn sie sah aus wie ein kleines Mädchen, wie sie dort in der Badezimmertür stand. „Fühlst du dich jetzt wohler?“ „Ja. Aber ich kann meine Augen kaum noch offenhalten.“ Er erhob sich. „Komm, setz dich hier ans Feuer. Ich werde inzwischen duschen.“ Er nahm sie bei der Hand und führte sie zu einem der Sessel, den er nahe an den Kamin gerückt hatte. Dann beugte er sich nieder und küßte sie sanft auf die Wange. „Ich bin gleich zurück.“ Sabrina blickte in die zuckenden Flammen. Sie war angenehm müde, und ihr war wohlig warm… Als die Tür zum Badezimmer zuschlug, riß sie erschrocken die Augen auf. Hatte sie geschlafen? Verwirrt drehte sie sich um. Dort stand Clyde. Sein Anblick nahm ihr fast den Atem, denn er trug nichts weiter als einen winzigen Slip, der mehr betonte, als er verdeckte. Seine Haut war so braungebrannt, als käme er geradewegs aus einem Urlaub in der Karibik. Er kam zu ihr herüber und setzte sich neben sie, als sei dies die natürlichste Sache der Welt. „Sitzt du gern am Kamin und schaust in die Flammen?“
„Ja, sehr gern.“
„Da fällt mir aber ein Stein vom Herzen. Ich hatte schon Angst, du könntest dich
langweilen und wärest eingeschlafen.“
„Die Sorge hättest du nicht zu haben brauchen.“
Clyde stand auf und zog sie mit sich hoch. „Mußt du wirklich dieses Dingsda
anhaben?“ flüsterte er und begann, die Schleifen des Negliges aufzubinden.
Stumm schüttelte Sabrina den Kopf.
Seine Hände glitten zu ihren Schultern, und er streifte den seidigen Mantel ab,
der auf den Teppich fiel. Dann trat er einen Schritt zurück, um sie zu betrachten.
Der Raum lag im Halbdunkel. Das Feuer im Kamin tauchte Sabrina in ein
warmes, rosiges Licht. Fast sah es aus, als wäre sie soeben der Glut entstiegen.
Clyde zwang sich, nicht daran zu denken, wie viele Männer sie so schon gesehen
haben mochten.
Ohne ein Wort hob er sie hoch und trug sie hinüber zu dem Bett. Dort bettete er
sie sanft, dann löste er das Band, das ihr Haar zurückhielt.
In dem schmalen Gesicht wirkten Sabrinas Augen ungewöhnlich groß. Ihr Blick
war erwartungsvoll und auch ein wenig ängstlich.
Er streckte sich neben ihr aus und drehte sie behutsam zu sich herum. Dann
stützte er sich auf einen Ellbogen und strich ihr zärtlich über Hüfte und Rücken.
Seine Hand glitt zu ihren Schenkeln und wieder hinauf zur Taille. Vorsichtig zog
er sie dann näher an sich und küßte sie auf die Nase, die Wangen und die Stirn.
Allmählich löste sich ihre innere Anspannung.
Endlich küßten sie sich wieder und wieder, und Sabrina war wie betäubt. Das
waren Empfindungen, die sie nie zuvor erfahren hatte. Zitternd lag sie an seiner
Brust.
„Frierst du?“ flüsterte er ihr ins Ohr.
„Nein, eher brenne ich.“
Sie hörte ihn leise lachen. „Ich werde dich zudecken, damit du dich nicht
erkältest.“
Es gab keinen Zweifel daran, daß er sie begehrte. Aber wie sollte sie ihm
begreiflich machen, daß es auch sie nach ihm verlangte. Zaghaft berührte sie
seine Brust, zögernd näherte sie sich seinen Lenden…
Seit Monaten hatte Clyde von diesem Augenblick geträumt. Jetzt wollte er nicht
länger warten. Er nahm sie fest in die Arme, und seine Küsse wurden ungestüm
und heftig.
Sabrina legte Clyde die Arme um den Hals. Eins wußte sie nun genau, es war der
Mann, auf den sie Zeit ihres Lebens gewartet hatte, um sich von ihm in die
Geheimnisse der Liebe einweihen zu lassen.
Unerwartet hob er den Kopf und schaute sie verblüfft an. „Sabrina, du hast ja
noch nie mit einem Mann geschlafen!“
Sie blinzelte ihn durch die langen dunklen Wimpern an und lächelte
vertrauensvoll und ein wenig träumerisch.
Er war total verwirrt. All seine Mutmaßungen über Sabrina verflüchtigten sich und
ließen ihn beschämt zurück.
Er war gerührt und schwor sich im stillen, Sabrina immer ein liebevoller Gatte zu
sein.
Sie schmiegte sich fester an ihn. Da neigte er sich über sie, und während sie sich
küßten, fanden sie sanft zueinander.
Bereitwillig ließ sich Sabrina von Clyde in die Welt der Leidenschaft entfuhren.
Ihre erwachende Sinnlichkeit ließ sie alles um sich herum vergessen. Es gab nur
noch ihn für sie.
Langsam bewegten sie sich gemeinsam, und Clyde küßte sie wieder und wieder.
Er liebkoste ihre Lippen, die Wangen, den Hals und die Brüste, und diese Küsse waren eine Herausforderung an ihre Sinne. So glühend waren sie, daß Sabrina am liebsten laut aufgeschrien hätte, weil sie diese erregenden Zärtlichkeiten kaum noch zu ertragen vermochte. Eine unbeschreibliche Spannung entstand in ihr, trug sie höher und höher, bis sie glaubte zu schweben. Dann erreichte diese Spannung ihren Höhepunkt, und sie meinte zu zerfließen. „O Clyde…“ Schluchzend flüsterte sie seinen Namen, und er nahm sie so fest in die Arme, als wolle er sie nie wieder loslassen. Wenige Stunden später erwachte Sabrina, weil ihr kalt war. Sie tastete nach Clyde, aber der Platz neben ihr war leer. Erschrocken richtete sie sich auf. Im fahlen Mondlicht sah sie Clyde am Fenster stehen. „Frierst du nicht?“ fragte sie leise. Er drehte sich um, kam herüber zu ihr und setzte sich neben sie auf die Bettkante. „Nein, ich friere nicht. Du etwa?“ Als sie nickte, schlüpfte er unter die Bettdecke und nahm sie in den Arm. „Das heißt mit anderen Worten, du willst wieder gewärmt werden?“ „Was hast du da am Fenster gemacht?“ „Ich konnte nicht mehr schlafen.“ „Warum nicht?“ „Ach, es war nichts Besonderes…“ Er strich ihr sanft das Haar aus dem Gesicht. Ihre Lippen trafen sich, und sie liebten sich erneut. Nach einer Weile schlummerte Sabrina ermattet, aber glücklich an Clydes Schulter ein. Der lag noch lange wach und grübelte. Seit ihrer Kindheit kannte er Sabrina, und dennoch waren sie Fremde geblieben. Zum erstenmal in seinem Leben verspürte Clyde den Wunsch, einen anderen Menschen so intensiv wie möglich kennenzulernen, seine Freude, seinen Schmerz zu teilen. Aber gab man sich damit nicht eine Blöße? Vielleicht würde Sabrina ihn verspotten, wenn er ihr davon erzählte? Was war, wenn sie seinen Stolz verletzte? Er mußte auch damit rechnen, daß sie in ein, zwei Jahren nach Paris zurückkehrte. Diese Möglichkeit hatte er ihr schließlich selbst vorgeschlagen. Was sollte dann werden? Er war kein zweiter Scott Bennington. Mit einer Trennung, wie sie Scott gemeistert hatte, würde er sich wohl nie abfinden können. Durch das weit geöffnete Fenster schien die Morgensonne und malte Kringel auf den Teppich. Sabrina wurde vom Rauschen der Dusche geweckt und dehnte sich mit einem Gefühl des Wohlbehagens. Niemals hätte sie Clyde soviel Zartgefühl zugetraut. Wie zärtlich er gewesen war und wie liebevoll und behutsam! Sabrina fand, das war ein guter Auftakt für ihre Ehe. Sie lauschte gespannt. Das Rauschen nebenan war verstummt. Barfuß und mit nacktem Oberkörper kam Clyde aus dem Badezimmer. Er trug nur ein Paar alte Jeans, und sein vom Duschen noch feuchtes Haar hing ihm wirr in die Stirn. Sabrina strahlte ihn an. Für sie war er der schönste Mann der Welt, selbst in Jeans und mit zerzausten Haaren. „Guten Morgen!“ sagten beide wie aus einem Mund. „Wie wär's mit Frühstück?“ „Gib mir zehn Minuten, dann bin ich fertig.“ Sabrina wollte mit einem Satz aus dem Bett springen, aber dann zögerte sie. „Bist du so nett und reichst mir meinen Morgenmantel?“ Clyde bemerkte ihre Verlegenheit und verkniff sich den Scherz, der ihm auf der
Zunge lag. Er brachte ihr den Morgenrock, beugte sich hinunter und küßte sie auf
den Mund.
„Wären Sie danach bereit, auf große Fahrt zu gehen, Mrs. Carlyle? Immer an der
Küste entlang?“
Sabrina sah ihn an und lächelte. Er war ihr noch nie so gelöst vorgekommen. Die
Falten um den Mund und auf der Stirn waren verschwunden. Er sah zufrieden
und glücklich aus und um etliche Jahre jünger.
„Ihr Wunsch ist mir Befehl, Mr. Carlyle.“
„Dann brechen wir gleich nach dem Frühstück auf.“
7. KAPITEL Die Fahrt entlang der Südküste von Kalifornien war märchenhaft schön. Nie war das Wetter besser gewesen. Überall trafen sie frohgelaunte Menschen. Jeder, der ihnen begegnete, schien heiter und sorglos zu sein. Oder lag das nur daran, daß sie selbst soviel Heiterkeit und Zufriedenheit ausstrahlten? Sabrina und Clyde unternahmen ausgedehnte Spaziergänge am Strand, bummelten durch malerische Fischerdörfer oder gepflegte kleine Badeorte, kauften Souvenirs oder lagen nur einfach faul in der Sonne. Eines Nachmittags saßen sie in einem Straßencafe und beobachteten die Vorübergehenden. „Hast du die süße Kleine bemerkt?“ Sabrina deutete mit dem Kopf auf ein Paar mit einer kleinen Tochter. Die drei standen vor den verlockenden Auslagen einer Konditorei. „Sieht sie nicht aus wie eine Puppe? Sie ist sicher nicht älter als zwei, was meinst du?“ „Ich habe keine blasse Ahnung.“ „Ich auch nicht.“ „Wenn du dein halbes Dutzend Kinder nicht in andere Hände gegeben hättest, dann wüßtest du jetzt so etwas.“ Er schüttelte den Kopf. „Ein halbes Dutzend! Ich traute meinen Ohren nicht.“ Sabrina errötete, vermied es, ihn anzusehen. „Ich war wütend auf dich“, meinte sie verlegen. „Das habe ich gemerkt. Vielleicht hätte ich dir sogar geglaubt, wenn du mir von ein oder zwei Kindern erzählt hättest – aber so? Das war entschieden übertrieben.“ So unbeschwert und fröhlich hatte Sabrina Clyde noch nicht kennengelernt. Er kam ihr vor wie ein großer Junge, und sie fand ihn unwiderstehlich, wenn er lachte. Seit wann liebe ich ihn eigentlich? überlegte sie. Ihre Zuneigung zu Clyde war ganz allmählich während der vergangenen Monate gewachsen. Hin und wieder nahm Sabrina ihren Skizzenblock mit auf ihre Spaziergänge, und während Clyde faul in der Sonne döste und ihr zusah, hielt sie ihre Eindrücke mit dem Zeichenstift fest. Einmal faszinierten sie ein paar junge Pferde, die ausgelassen über die Weide galoppierten. Mit wenigen Strichen hatte sie die Szene in ihrer Bewegung festgehalten. Am Abend im Hotel führte sie dann die Zeichnung etwas weiter aus. Clyde blickte ihr über die Schulter. Er war sichtlich erstaunt. „Du kannst ja tatsächlich etwas, Sabrina! Ich hatte keine Ahnung, daß du soviel Talent hast. Wie lebendig dieses Bild ist! Wie du die Fohlen getroffen hast… ihre ganze überschäumende Kraft kommt darin zum Ausdruck. Aber auch der Übermut der Jugend, die Anmut, ihre Grazie…“ Sabrina hob verwundert den Kopf. „Meinst du das im Ernst?“ „Ja. Bestimmt. Ich bin überrascht, und es tut mir leid, wenn ich dein Können jemals belächelt haben sollte. Hast du schon Bilder verkauft?“ „Ein paar.“ Sie zögerte. Sollte sie ihm etwas über die Ausstellung im kommenden Monat verraten? Oder war es besser, damit zu warten? Ja, es wäre eine noch hübschere Überraschung für ihn, wenn er plötzlich ihre Arbeiten in einer bekannten Bildergalerie der Stadt wiederfand. Sabrina entschloß sich, ihm noch nichts zu sagen. Sie lehnte den Kopf an seine Brust und schloß die Augen. Bevor sie wußte, wie ihr geschah, hatte er sie auf die Couch gezogen und küßte sie ausgiebig. Gerade seine Spontaneität gefiel ihr. Nur äußerlich war er ein kühler sachlicher
Mensch. In Wirklichkeit, das hatte sie herausgefunden, war er warmherzig und
leidenschaftlich. Sie fand das wundervoll.
Immer gab es für ihn eine Gelegenheit, sie liebevoll zu necken, er war stets zu
einem Scherz aufgelegt. Häufig lachte er laut und herzlich, und sie stellte fest,
daß sich beim Lachen Grübchen in seinen Wangen bildeten. Früher war ihr das
nicht aufgefallen.
Sabrina rückte ein wenig von ihm ab. „Ich dachte, wir wollten uns umziehen und
zum Essen gehen?“
Er biß ihr ins Ohrläppchen. „Hm. Tun wir auch.“
„Ich meine sofort.“
„Wie bitte? Jetzt sofort? Soll das heißen, du läßt mich darben und denkst ans
Essen?“
„Aber du bist andauernd liebeshungrig.“ Es klang beinahe vorwurfsvoll, und er
mußte lachen.
„Scheint so als hättest du recht. Jedenfalls wenn du in meiner Nähe bist.“ Er
schob sie sanft herunter vom Schoß und erhob sich seufzend.
„Also schön. Niemand soll sagen können, ich wäre herzlos. Wenn du hungrig bist,
werden wir essen gehen.“
Sabrina wiegte nachdenklich den Kopf und blickte ihn vergnügt an. „Wenn ich es
mir recht überlege… so hungrig bin ich nun auch wieder nicht, und die Küche hat
außerdem noch eine Stunde geöffnet.“
Clyde griff nach ihr, riß sie ungestüm an sich und überschüttete sie mit Küssen.
Sein Mund schien überall zugleich zu sein.
So kam es, daß Sabrina und er die letzten Gäste waren, denen man das Essen
servierte, bevor die Küche schloß.
Am darauffolgenden Sonntag kehrten Sabrina und Clyde spät nachts nach San
Francisco zurück. Die Woche war ihnen wie im Fluge vergangen, und Sabrina war
es etwas wehmütig zumute.
Als sie jetzt das strahlend erleuchtete Foyer betrat, glaubte sie zu träumen.
Seit Jahren war sie nicht mehr in der Villa der Carlyles gewesen. Sie erinnerte
sich nur, daß ihr das Haus immer düster und ein wenig unheimlich vorgekommen
war. Um so erstaunter blickte sie sich daher um.
„Clyde, wie hübsch es hier ist. Wann habt ihr denn die Villa renovieren lassen?“
„Die Handwerker sind erst in dieser Woche fertig geworden. Ich dachte, du
würdest lieber in hellen, freundlichen Räumen wohnen. Komm, sehen wir uns
gleich einmal um.“
„Heißt das, du hast das Haus meinetwegen modernisieren lassen?“
„Hm.“ Er nahm ihre Hand und stieg mit ihr gemeinsam in den ersten Stock
hinauf. Hier mündete eine Anzahl Türen in einen langen, breiten Korridor, und
am Ende des Ganges führte eine zweite Treppe weiter nach oben. Dort befand
sich eine Tür, die nur angelehnt war. Clyde stieß sie auf und suchte den Schalter.
Das Licht flammte auf.
Sabrina stockte der Atem. Sie brachte keinen Ton hervor. Die Zwischenwände
hatte man entfernt, und aus vielen kleinen Zimmern, die den Dienstboten einst
als Quartier dienten, war ein geräumiges Atelier mit einem riesigen Oberlicht
entstanden. Clyde hatte also sein Zuhause völlig umgebaut und ein Atelier für sie
herrichten lassen, obwohl er ihre Malerei bisher lediglich für einen angenehmen
Zeitvertreib gehalten hatte!
„Ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll, Clyde“, brachte sie schließlich
heraus, weil sie sah, daß er gespannt auf ihre Reaktion wartete. „Ich hätte doch
ebensogut mein Studio benutzen können.“
„Aber ist es so nicht weitaus bequemer für dich?“
Spontan umarmte sie ihn und küßte ihn herzhaft auf den Mund. „Danke, Clyde,
vielen, vielen Dank. Natürlich ist es viel bequemer, und außerdem finde ich es
phantastisch hier.“
„Na also! Dann ist uns ja beiden geholfen. Ehrlich gesagt hat mich der Gedanke,
daß dieser JeanPierre mit dir unter einem Dach wohnt, doch ziemlich gestört.“
„Clyde! Das ist doch absurd. Das hört sich an, als wärest du eifersüchtig!“
„Ja, stimmt auffallend, nicht?“ Sein Lachen klang ein wenig verlegen. „Wer weiß,
vielleicht bin ich es?“
Er hob sie auf die Arme und trug sie wieder auf den Korridor zurück. „Meinst du
nicht, daß es Zeit ist, schlafen zu gehen?“
„O ja“, flüsterte sie. „Ich bin schrecklich müde.“
Er versuchte vergeblich, seine Enttäuschung zu verbergen. „Ja dann…“
Sabrina lächelte stillvergnügt. „… aber nicht zu müde, Clyde.“
Engumschlungen sanken sie auf das große Bett im Schlafzimmer. Dort bewies
Clyde Sabrina, wie willkommen sie in ihrem neuen Heim war.
„Telefon für Sie, gnädige Frau. Miss Marcia Sinclair.“ Verblüfft sah Sabrina den
Hausangestellten an. „Sind Sie sicher, Mr. Foster, daß Miss Sinclair mich
sprechen wollte?“ Mr. Foster verzog keine Miene. „Sie hat ausdrücklich Mrs.
Carlyle verlangt, gnädige Frau.“ Immer noch verwundert ging Sabrina an den
Apparat. „Hallo?“
„Sabrina? Ich hoffe, ich störe nicht?“ Marcias Stimme klang ein wenig atemlos.
„Keineswegs, Marcia. Was gibt's denn?“
„Ich wollte nur wissen, ob du und Clyde heute abend zu Hause seid?“
„Soviel ich weiß, ja…“
„Ich möchte gern vorbeikommen und euch euer Hochzeitsgeschenk bringen. Ich
habe etwas Phantastisches entdeckt und kann es kaum erwarten zu hören, was
Ihr dazu sagen werdet.“
Marcia war ein Mensch, den man einfach gernhaben mußte. Wäre sie nicht so
sympathisch, dachte Sabrina, würde vieles für mich leichter sein.
„Komm nur, Marcia. Paßt es dir um acht Uhr? Um diese Zeit müßte Clyde
eigentlich hier sein. Ich bin sicher, er wird sich freuen, dich wiederzusehen.“
„Ausgezeichnet. Bis dahin also, meine Liebe.“
Clyde sah Sabrina an, als sei sie von allen guten Geistern verlassen. „Was soll
das heißen, ,Marcia wird gleich hier sein'?“
Sie hatten zu Abend gegessen und tranken nun ihren Kaffee im Salon.
„Es tut mir leid, Clyde, aber ich habe versäumt, es dir früher zu sagen.“
„Ich verstehe das nicht, Sabrina, warum hast du sie eingeladen?“ Ärgerlich
verzog er die Stirn.
„Das habe ich gar nicht. Sie sagte etwas von einem Hochzeitsgeschenk für uns,
das sie unbedingt persönlich vorbeibringen will. Richtig aufgeregt war sie. Macht
es dir etwas aus, daß sie kommt?“
Ob es ihm etwas ausmachte? Nun – nicht unbedingt. Clyde fühlte sich trotzdem
unbehaglich. Er wurde sich wieder bewußt, daß er sich Marcia gegenüber nicht
unbedingt fair verhalten hatte, und das verunsicherte ihn.
Sabrina wartete vergeblich auf eine Antwort, aber sein Gesichtsausdruck verriet
ihr mehr als tausend Worte, daß der Gedanke, Marcia so unvermutet
wiederzusehen, ihn schmerzlich zu berühren schien. Sie hatte deshalb mit
einemmal das Gefühl, daß etwas Kaltes nach ihr griff.
Da ging die Türglocke. Der Angestellte öffnete und führte den späten Gast in den
Salon.
So war Marcia – sie blieb im Türrahmen stehen – ein Bild atemberaubender
Schönheit. Sabrinas Lächeln dagegen wirkte starr und unecht.
Marcia trug einen engen Rock aus kirschroter Wollt; und darüber einen passenden Pullover, der durch einen Gürtel zusammengehalten wurde. Auf dem dunklen Haar saß ein schwarzer Hut, ihre Wangen waren leicht gerötet, und die Augen strahlten. Unter dem Arm hielt sie einen großen, flachen Gegenstand, den sie vorsichtig auf den Boden setzte, bevor sie sich umwandte, um Clyde zu begrüßen. „Hallo, Clyde“, sagte sie ein wenig zaghaft. Er nickte ihr kurz zu. „Schön, dich wiederzusehen, Marcia. Ich sehe, es geht dir gut. Was macht dein Vater?“ „Du kennst ja Papa, Clyde. Er ist unverwüstlich.“ Sabrina holte ein paarmal tief Luft. Marcias Anblick hatte ihr die Sprache verschlagen. Obwohl ihre Worte völlig nichtssagend waren, sprach der Blick, den sie Clyde zuwarf, Bände. Selbst ein Blinder hätte erkannt, daß sie Clyde liebte und sich vor Sehnsucht nach ihm verzehrte. Und Clyde war nicht blind! Sabrina wußte, daß er für solche Dinge sehr empfänglich war. Marcia begann voller Eifer die Schnur an ihrem Paket zu lösen. Dabei sprudelte es aus ihr heraus: „Ich kann es immer noch nicht fassen. In einem winzigen Laden habe ich es entdeckt. Der Inhaber hatte nicht die geringste Ahnung, welchen Schatz er da besitzt. Zum Glück! Sonst wäre es wahrscheinlich sehr viel teurer gewesen.“ Sabrina streifte Clyde mit einem Blick. Man sah ihm nicht an, was er dachte. Dieser Mann besaß die unglaubliche Fähigkeit, seine Gefühle hinter einer undurchdringlichen Maske zu verbergen. Im Augenblick erinnerte nichts an den feurigen Liebhaber, der er auch war. Jetzt ähnelte er wieder jenem kühl distanzierten Geschäftsmann, als den ihn Sabrina kennengelernt hatte. Marcia riß gerade mit einem Ruck die Verpackung von ihrem Geschenk. Zum Vorschein kam ein großes Ölgemälde. „Ich dachte, dieses Bild müßte gut über dem Kamin aussehen. Jetzt, wo du alles hast modernisieren lassen.“ Sabrina stand wie vom Donner gerührt da. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Was sollte sie machen? Wie sich verhalten? Was sagte man zu jemand, der einem ein Gemälde zum Geschenk machte, das man selbst gemalt hatte? „Nun? Was haltet ihr davon?“ fuhr Marcia aufgeregt fort. „Ist das eine Überraschung? Es ist ein echter SB! Also, ich sage euch, dies er Mann ist einfach genial.“ Sie zupfte Clyde am Ärmel. „Und das ist noch nicht alles. Das Beste kommt noch. Im kommenden Monat findet hier in San Francesco eine Ausstellung mit Werken von ihm statt. Ich hatte Glück und bekam zwei Einladungen für die Vernissage. Das soll mein Willkommensgruß für euch beide sein.“ Sie lächelte Sabrina und Clyde strahlend an. Ich muß hier raus, dachte Sabrina. Ich brauche Zeit, um nachzudenken. Sie raffte die Verpackung vom Fußboden, sah erst Clyde und dann Marcia an, murmelte eine Entschuldigung und stürmte aus dem Zimmer. Marcia sah ihr nach, bis sich die Tür hinter Sabrina schloß. Dann wandte sie sich an Clyde. „Bist du mir böse, weil ich gekommen bin?“ „Böse? Ich wüßte nicht, warum, Marcia. Im Gegenteil. Ich freue mich ganz besonders über dieses wunderbare Bild. Du warst schon immer sehr aufmerksam und großzügig.“ „Clyde! Laß das! Du weißt, ich mag dieses kühl distanzierte Benehmen nicht. Und hör bitte auf, mir etwas vorzumachen. Ich weiß inzwischen über alles Bescheid.“ „Du weißt Bescheid? Worüber?“
„Ich kenne jetzt den Grund deiner überstürzten Heirat.“ „Was redest du da?“ „Ach, Clyde, du kennst doch Papa. Er hat nicht eher geruht, bis er herausgefunden hatte, weshalb du so plötzlich und noch dazu so kurz nach dem Tode deines Vaters geheiratet hast. Er erfuhr alles über die Klausel in dem Testament. Daher weiß ich, warum du und Sabrina geheiratet habt, und glaub mir, ich kann dich gut verstehen.“ Dann kann Marcia mehr als ich, dachte Clyde. Ich verstehe mich selber nicht. Wieso kreisen zum Beispiel meine Gedanken fortwährend um Sabrina, wenn ich nicht bei ihr sein kann? „Ich werde jedenfalls auf dich warten, Clyde“, bekräftigte Marcia. „Und es ist mir egal, wie lange das dauert. Ich würde immer und ewig warten, wenn du nur zu mir zurückkommst.“ Erschrocken blickte er sie an. „Aber Marcia… du verstehst nicht…“ „Natürlich verstehe ich. Ich verstehe, daß du sie nicht liebst und sie dich wahrscheinlich auch nicht. Ich hatte inzwischen viel Zeit zum Nachdenken, mein Lieber. Glaubst du etwa, du könntest Sabrina auf Dauer hier in San Francisco halten?“ Damit hatte Marcia den wunden Punkt bei Clyde berührt. Eben dieser Gedanke, daß Sabrina ihn eines Tages verlassen und wieder nach Frankreich zurückkehren könnte, versetzte ihn in Angst und Schrecken. „Ich weiß es nicht, Marcia“, entgegnete er tonlos. Sie legte ihm mitfühlend die Hand auf den Arm. „Was auch geschieht, Clyde, ich bin immer für dich da. Vergiß das nicht.“ Sabrina betrat in diesem Moment das Zimmer, hörte Marcias Worte und sah Clydes besorgten Gesichtsausdruck. Worüber mochten die beiden wohl gesprochen haben? Aber vielleicht war es auch besser, das nicht zu wissen. „Ich habe Mr. Foster gebeten, uns Kaffee zu servieren.“ Sabrina bemühte sich, einen leichten Ton anzuschlagen. Sie war entschlossen, Clyde und Marcia einzuweihen und ihr Inkognito zu lüften, denn es gab keinen Grund, sich länger hinter den Initialen SB zu verstecken. Mr. Huntington hatte ohnehin die Erlaubnis, sie am Eröffnungsabend der Ausstellung vorzustellen. Warum sollten Marcia und Clyde es da nicht schon heute erfahren. Aber sie sollte keine Gelegenheit dazu erhalten. „Das ist sehr lieb von dir, Sabrina“, antwortete Marcia hastig. „Aber ich muß schnell nach Hause. Papa erwartet heute abend Gäste, und ich wollte auch nur eben das Bild vorbeibringen.“ „Dafür danken wir dir ganz herzlich, Marcia.“ Was hätte Clyde auch anderes sagen sollen? Wie sollte er Marcia begreiflich machen, daß er es für ausgeschlossen hielt, ihre Beziehung dort wieder aufzunehmen, wo sie geendet hatte. Selbst dann nicht, wenn Sabrina ihn eines Tages verlassen würde. Sabrina fiel auf, wie weich auf einmal seine Stimme klang, und sie kämpfte mit den Tränen. Ein Irrtum war nicht möglich. Marcia und sie – beide liebten sie Clyde, und sie hatte das unbestimmte Gefühl, daß er in seiner Zuneigung zu Marcia und ihr hin und hergerissen wurde. Clyde begleitete Marcia zur Tür und küßte sie beim Abschied auf die Wange. „Du bist eine wundervolle Frau, Marcia. Warte nicht auf mich. Ich verdiene es nicht. Aber es gibt Männer, die ein solches Opfer wert sind.“ Er sah ihr nach, wie sie in ihren Wagen stieg und davonfuhr. Er mochte sie sehr, doch er liebte sie nicht. Und daran würde auch die Zeit nichts ändern. Sabrina wartete in der Bibliothek auf Clyde. Sie war nervös, und ihre Stimme hatte einen unnatürlich hohen Klang.
„Ich sehe ein, daß ich mein Geheimnis nicht länger bewahren kann. Darum sollst
du auch der erste sein, der es erfährt.“
Clyde sah sie argwöhnisch an. „Was heißt das? Was willst du damit andeuten?“
„Ich spreche von dem Bild da.“ Sie wies mit einem kurzen Nicken auf Marcias
Geschenk. „Der Künstler, der das gemalt hat, ist kein Mann. Hinter den Initialen
SB versteckt sich eine Frau. Ich bin SB, Clyde. Ich war vorhin so verblüfft, daß
ich nicht wußte, was ich sagen sollte. Ich mußte mich erst einmal fangen. Meinst
du, ich hätte es Marcia sagen müssen?“
Clyde sah sie sprachlos an. Dann ging er hinüber zu dem Gemälde und
betrachtete es lange. „Unglaublich“, murmelte er.
„… aber wahr.“
„Ist es auch wahr, daß du deine Bilder bald hier in San Francisco vorstellst?“
„Ja. In der Zeit, die ich noch in Paris verbrachte, habe ich mir Tag und Nacht
keine Ruhe gegönnt und gemalt und gemalt, um den Ansprüchen des Besitzers
der Galerie gerecht zu werden. Nächste Woche treffen wir uns und besprechen
die letzten Einzelheiten.“
„Ist er groß und schlank, schon etwas älter, aber noch sehr gut aussehend?“
„Dann hast du uns damals in dem Restaurant zusammen gesehen?“
„Allerdings.“
„Warum hast du denn nichts gesagt? Weshalb bist du nicht zu uns an den Tisch
gekommen?“
„Ich mische mich nie in die Angelegenheiten anderer Leute.“
Sabrina erschrak. Wie kalt, wie abweisend er sein konnte! Seine Worte kränkten
sie, und eins wurde ihr klar: mochte er auch noch so liebenswürdig und herzlich
in den vergangenen Tagen zu ihr gewesen sein, Geschäft blieb Geschäft für ihn,
und Liebe oder Zuneigung war etwas völlig anderes. Wenn er zu wählen hätte,
würde das Geschäft für ihn immer an erster Stelle stehen.
Bei ihr sah das anders aus: für sie existierte zur Zeit nur er. Sie hatte sich in
Gefühle verstrickt, die immer nur ihn zum Mittelpunkt hatten. Aber nie und
nimmer wäre Clyde gewillt oder auch fähig, ein solches Ausmaß an
Empfindungen für sie zu entwickeln, geschweige denn, sich davon beherrschen
zu lassen.
Fast tat Marcia ihr leid. Auch sie war in Clyde verliebt. Das sah man deutlich. Ob
er wohl zu Marcia genau so war wie zu ihr? So unpersönlich und abweisend,
wenn ihm der Sinn nicht nach Zärtlichkeiten stand?
Sie mußte damit rechnen, daß er sie fortschickte, sobald sie ihm einen Erben
geboren hätte. Dann war das Geschäft vielleicht abgewickelt, der Kontrakt erfüllt.
„Was ich einfach nicht begreife, Michelle, ist, daß unsere Ehe innerhalb kürzester Zeit zur Routine geworden ist.“ Die Zeilen verschwammen vor Sabrinas Augen. Dann zerriß sie den angefangenen Brief an die Freundin in kleine Stücke. Nein, es war nicht fair, Michelle und Suzanne mit ihren ehelichen Problemen zu belasten. Aber was sie ihnen hatte mitteilen wollen, entsprach leider der Wahrheit. Bereits nach wenigen Wochen legte sich das leidenschaftliche Verlangen nach einander. Clyde arbeitete jetzt oft bis spät abends in seinem Büro, und wenn er nach Hause kam, war er meist abgespannt und wortkarg. Und auch Sabrina sprach nur das Nötigste. Sie fürchtete, ihn mit Berichten über Ereignisse des Tages zu langweilen. Um so eifriger war sie mit den Vorbereitungen für ihre Ausstellung beschäftigt. Sowohl Clyde als auch Sabrina wußten einander offenbar nichts mehr zu sagen.
Beide wollten nämlich vermeiden, den anderen durch ein unbedachtes Wort zu verletzen, wenn nicht sogar zu verlieren. Was Clyde am meisten irritierte, waren ihm völlig unbekannte Empfindungen, die er bei allem, was Sabrina betraf, auf einmal entwickelte. Und da er nicht wußte, wie er sich verhalten sollte, beschloß er, sich in seine Arbeit zu vergraben. Doch irgendwie schien seine Fähigkeit, sich zu konzentrieren, gelitten zu haben. Es konnte nämlich geschehen, daß ihn mitten in einer Dienstbesprechung mit seinen Mitarbeitern plötzlich nur Sabrina beschäftigte. Sabrina erzählte ihm nie, was sie tagsüber unternahm. Sicher hielt die kommende Ausstellung sie in Atem. Aber fragen mochte er nicht, aus Angst, sie könne glauben, daß er hinter ihr herspionieren wolle. Er hatte versprochen, ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit zu respektieren, und er hatte ihr versichert, sie könne nach ihrer Heirat tun und lassen, was ihr beliebe. Daran hielt er sich. Damals, als sie diese Abmachung trafen, hatte er allerdings nicht ahnen können, daß ihm das einmal schwerfallen würde. Sabrina hingegen war inzwischen zu der Überzeugung gelangt, daß Clyde ihrer überdrüssig war. Ihre ohnehin spärlichen Unterhaltungen drehten sich um Banalitäten, und es gab nur noch vereinzelt Momente, in denen er Verlangen zeigte. In solchen Augenblicken hatte Sabrina allerdings das Gefühl, daß es ihm doch nicht leid tat, sie geheiratet zu haben. Auf der anderen Seite lag der Verdacht nahe, daß er lediglich mit ihr schlief, damit sie sobald wie möglich schwanger wurde. Wenn Clyde sich etwas vorgenommen hatte, ruhte er ja nicht eher, bis das Ziel erreicht war. So gut kannte sie ihn bereits. Hoffnung und Verzagtheit zerrten an Sabrinas Nerven. Wie gut, daß es da noch JeanPierre gab. Er half ihr, die richtigen Rahmen für ihre Bilder auszusuchen, tröstete sie, wenn sie niedergeschlagen war, und sprach ihr Mut zu, wenn sie verzweifeln wollte. Außerdem bestand er darauf, daß sie regelmäßig aß, und begleitete sie zu ihren Verabredungen mit Mr. Huntington und zu Verhandlungen mit anderen Galeristen. Langsam aber sicher nahm die Ausstellung nämlich Formen an. Jeremy war der erste, der Clyde darauf ansprach. „Hängt bei euch der Haussegen schief, mein Lieber? Du erwähnst Sabrina mit keinem Wort mehr?“ Clyde schob den Teller zurück. Seit einigen Minuten hatte er lustlos in seinem Essen herumgestochert. „Was soll ich groß erzählen? Wir haben beide viel zu tun und sehen uns kaum.“ „Weißt du, was du bist? Ein Einfaltspinsel!“ Clyde schnellte hoch, aber Jeremy drückte ihn auf den Stuhl zurück. „Einer muß es dir mal sagen, lieber Freund. Du behandelst deine Frau wie ein Aktienpaket. Wenn ich dich nicht so gut kennen würde, käme ich glatt in Versuchung, den Gerüchten zu glauben, die mir so zu Ohren kommen.“ „Welche Gerüchte? Wovon sprichst du?“ „Ich spreche davon, daß man sich zuflüstert, du hättest Sabrina nur geheiratet, um an ihr Aktienkapital zu kommen.“ „Das hätte ich mir denken können. Ich habe es sogar mehr oder weniger erwartet. Schließlich wissen alle, daß wir uns kaum kannten, bevor wir geheiratet haben.“ „Schön. Aber warum unternimmt keiner von euch beiden etwas, damit dieses Gerede aufhört? Du vergräbst dich bis spät in die Nacht in deinem Büro, und Sabrina sieht man überall in der Stadt mit diesen recht attraktiven Franzosen herumlaufen.“ Clyde starrte den Freund mit offenem Mund an. „Jetzt sag bloß nicht, du wüßtest nichts davon. Man trifft sie, wo man geht und
steht, und er weicht keinen Schritt von ihrer Seite. Sie besuchen zusammen die
Museen und Kunstgalerien. Sie bummeln durch die Geschäfte und reden und
reden… natürlich in Französisch. Sabrina versucht nicht einmal zu vertuschen,
daß sie einen Liebhaber hat.“
„JeanPierre! Wie konnte ich nur einen Moment vergessen, daß er noch da ist.“
Clyde war blaß geworden.
„Soll das heißen, du kennst den Burschen?“
„Es ist ein Freund aus Paris, der sie hier besucht.“
„Und das läßt dich kalt? Also Clyde, ich muß schon sagen, du hast ein Gemüt wie
ein Fleischerhund. Dann stimmt vielleicht das ganze Geschwätz? Sabrina kann
tun und lassen, was sie will, Hauptsache, du besitzt die Aktienmehrheit. Ist es
so?“
Jeremy hatte seine Serviette zusammengeknüllt und warf sie aufgebracht auf den
Tisch. „Bis heute habe ich immer gedacht, deine Gelassenheit, diese fast ans
Überhebliche grenzende Beherrschung, sei nur Fassade. Ich habe mich geirrt.
Das sehe ich jetzt. Wo andere ein Herz haben, hast du eine Rechenmaschine
sitzen. Wo andere Hirn haben, hast du einen Computer. Du bist wie ein Roboter –
ohne Gefühl. Du brauchst ja gar keinen Menschen – weder einen Freund, noch
eine Frau.“ Er stieß erregt seinen Stuhl zurück. „Entschuldige, daß ich dir deine
kostbare Zeit gestohlen habe.“
Clyde war ebenfalls aufgesprungen. „Hallo! Nun mal langsam. Warte doch! So
hör doch. Jeremy! Mag sein, daß ich emotional nicht so reagiere, wie ein
normaler Mensch das tut. Aber deshalb brauchst du doch nicht gleich zu
explodieren. Laß uns doch bitte darüber reden, okay?“
Jeremy sah ihn argwöhnisch an, setzte sich dann aber doch.
„Es ist absolut nicht so, daß es mich kaltläßt, was Sabrina treibt und mit wem sie
sich amüsiert. Im Gegenteil! Es stört mich mehr, als mir lieb ist. Aber vor unserer
Hochzeit hatten wir ausgemacht, daß ich ihr keine Vorschriften machen würde,
was ihre Freizeit betrifft. Sabrina braucht diese Unabhängigkeit. Sie weiß auch,
daß sie jederzeit nach Frankreich zurückkehren kann, wenn sie hier unglücklich
sein sollte. Ich wäre zwar froh, wenn sie bliebe, aber in erster Linie möchte ich,
daß sie glücklich ist. Und darum spiele ich den toleranten Ehemann der großzügig
genug ist, um sie gewähren zu lassen.“
„Geht deine Toleranz nicht ein bißchen zu weit, wenn du ihr sogar gestattest, ihre
Beziehung mit ihrem Liebhaber vor deiner Nase fortzusetzen?“
„JeanPierre ist nicht ihr Liebhaber.“
„Woher, zum Kuckuck, willst du das wissen?“
„Ich kenne Sabrina, Jeremy. Sie ist viel zu anständig und würde so etwas nie
tun.“
„Das ist doch nicht zu fassen! Ich glaube, ich höre nicht richtig.“
„Nur weil ich hier sitze und mich sachlich über Sabrinas Beziehung zu JeanPierre
unterhalte? Lieber Freund! Das bedeutet doch nicht, daß ich alle meine Gefühle
immer unter Kontrolle habe. Ach, Jeremy, ich bin entsetzlich eifersüchtig. Es
vergeht kein Tag, an dem ich nicht an Sabrina denke. Was macht sie? Wen trifft
sie? Ich bin mir durchaus bewußt, daß JeanPierre noch in San Francisco ist. Aber
sie spricht niemals von ihm. Darum habe ich auch nicht mehr nach ihm gefragt.“
„Dann verstehe ich nicht, wieso du so ruhig dasitzen und deinen Kaffee trinken
kannst, Menschenskind! Glaubst du, du vergibst dir etwas, wenn man feststellt,
daß du auch nur ein Mensch bist? Hast du deiner Frau gesagt, wie dir zumute
ist?“
„Nein. Selbstverständlich nicht!“
„Natürlich! Das verbietet dir dein dummer Stolz, richtig?“
„Es ist weniger mein Stolz, Jeremy. Ich habe einfach Angst. Wenn ich ihr sage, was ich für sie empfinde und wieviel sie mir bedeutet, fühlt sie sich am Ende verpflichtet, bei mir zu bleiben. Ich will aber nicht, daß sie sich zu etwas zwingt, wozu sie nicht freiwillig bereit ist, verstehst du?“ „Aber das ergibt keinen Sinn, Clyde. Sabrina muß dich lieben. Wäre sie sonst deine Frau geworden? Dann hätte sie doch JeanPierre heiraten können.“ „Im ersten Moment klingt das recht einleuchtend, Jeremy. Aber es gibt leider etwas, was du nicht weißt. Sabrina hat mich nur geheiratet, weil es der Wunsch unserer Väter war.“ „So ein Schwachsinn! Was haben denn die Toten davon, wenn zwar ihr Wunsch in Erfüllung geht, ihr beide aber kreuzunglücklich seid? Ich glaube kaum, daß das in ihrem Sinne gewesen wäre. Ich kann mir nicht helfen“, fügte Jeremy nach einer Weile hinzu, „doch ich halte das alles für unsinnig. Wollt ihr den Gehorsam übers Grab hinaus so weit treiben, daß ihr euer Leben ruiniert? Liebe Leute! Wo kämen wir denn hin, wenn das alle täten? Dann gäbe es ja nur noch verpfuschte Ehen und Hochkonjunktur für Psychiater.“ „Spotte nur, Jeremy, aber mir ist absolut nicht zum Lachen zumute. Du übersiehst nämlich eins: Ich liebe Sabrina.“ „Dachtest du, das wüßte ich nicht? Klar liebst du sie! Das merkt doch ein Blinder. Aber ich wette zehn gegen eins, du hast es ihr noch nie gesagt, stimmt's?“ Jeremy lehnte sich vor, um nicht so laut sprechen zu müssen. „Jetzt hör mal zu, mein Lieber. Ich rate dir, geh nach Hause. Sag deiner Frau, daß du sie liebst und daß du verrückt wirst vor Eifersucht. Bekenne dich zu deiner Schwäche. Zeige ihr, daß du längst nicht so erhaben bist, wie du immer tust. Daß du nicht mehr ruhig schläfst, daß du nicht mehr arbeiten kannst, weil du immerzu an sie denken mußt. Daß du Angst hast, JeanPierre würde sie dir wegnehmen. Du mußt ihr einfach klarmachen, Mann, was sie dir antut!“ Clyde holte tief Luft. Ihm war, als fiele plötzlich eine Last von ihm ab. „Meinst du wirklich, Jeremy? Ja, vielleicht hast du recht.“ „Natürlich habe ich recht, du Schlaumeier. Du mußt dich schon ein bißchen anstrengen. Du hast sie zwar bekommen, nun sieh aber auch zu, daß du sie nicht verlierst.“
8. KAPITEL Während Clyde und Jeremy zu Mittag aßen, schlenderte Sabrina an der Seite von JeanPierre durch die Anlagen des japanischen Teegartens im Golden Gate Park. Aber sie hatte heute kein Auge für die Schönheiten der Umgebung. „Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll, JeanPierre. Es kümmert Clyde überhaupt nicht, was ich so treibe. Er kommt selten vor neun Uhr abends nach Hause. Und wenn ich ihn frage, was ihm der Tag gebracht hat, speist er mich mit irgendeiner nichtssagenden Antwort ab.“ „Nimmst du das alles nicht ein wenig zu tragisch, Sabrina? Schau, dein Mann leitet ein riesiges Unternehmen. Er hat wahrscheinlich viel zu tun und ist müde, wenn er heimkommt. Dann möchte er nichts weiter als abschalten und hat vermutlich keine Lust, lang und breit über die Firma zu reden.“ „Ich wünschte, ich wüßte, was in ihm vorgeht. Aber ich werde nicht schlau aus ihm. Manchmal möchte ich laut schreien oder toben, nur um festzustellen, wie er darauf reagiert.“ „Du mußt doch gewußt haben, was für ein Mensch er ist, als du ihn geheiratet hast.“ „Sicher, das stimmt schon. Aber während unserer Flitterwochen war er ganz anders. Da war er aufgeschlossen, herzlich, wir konnten lange miteinander reden und entdeckten so viele gemeinsame Interessen. Er gab sich heiter und gelöst. Manchmal kam er mir vor wie ein großer Junge. Aber jetzt wirkt er nur noch mürrisch und verschlossen, beinah geistesabwesend.“ JeanPierre mußte lachen. „Sabrina! Du Kindskopf. Du darfst doch einen Mann nicht nach seinem Benehmen während der Flitterwochen beurteilen. Das ist aber naiv.“ „Hallo! Sabrina! Hallo!“ Verwundert drehte sich Sabrina um. Aus einem Seitenweg kam Marcia auf sie zugeeilt. Sie trug einen grünen Rock und eine Bluse in dem gleichen Farbton und sah entzückend aus. „Du bist es also wirklich!“ „Hallo, Marcia. Ich habe dich gar nicht bemerkt.“ Marcia lachte fröhlich. „Ich weiß. Du warst so ins Gespräch vertieft, daß ich fast nicht wagte, mich bemerkbar zu machen.“ Neugierig musterte sie Sabrinas Begleiter. Sabrina zögerte. Am liebsten hätte sie die beiden nicht miteinander bekannt gemacht, aber das wäre denn doch zu kindisch. „Darf ich dir JeanPierre Armand vorstellen, Marcia? Er ist ein alter Freund aus Paris, der zu Besuch hier ist. Ich zeige ihm ein wenig von San Francisco. Jean Pierre, das ist Marcia Sinclair.“ „Ich freue mich sehr, Sie einmal kennenzulernen, Monsieur Armand. Man hört sehr viel von Ihnen und Sabrina.“ Erstaunt zog JeanPierre die Brauen hoch und blickte Marcia prüfend ins Gesicht. Dann nahm er zögernd ihre ausgestreckte Hand. „Wie komme ich zu der Ehre? Was ist denn so interessant an mir?“ Marcia winkte ab. „Ach, es ist nicht der Rede wert. Clyde Carlyles Bekannte zerbrechen sich nur den Kopf, warum man Sie und Sabrina ständig zusammen sieht. Aber sie wissen eben nichts über die besonderen Umstände.“ Eine innere Stimme warnte Sabrina, auf der Hut zu sein. Sie fühlte, wie ihr Herz rascher zu schlagen begann. Hatte sie etwas falsch gemacht? War sie zu oft mit JeanPierre zusammen gewesen? Clyde hatte zwar nie ein Wort darüber geäußert. Er hatte sie nicht gefragt, und sie hatte es nicht für so wichtig gehalten, JeanPierre zu erwähnen. „Welche besonderen Umstände?“ erkundigte
sie sich beklommen. „Na, das Motiv für eure Heirat. Ich weiß inzwischen Bescheid über die Klausel in dem Testament“, flüsterte Marcia vertraulich. „Ihr habt beide getan, was getan werden mußte. Die Entscheidung war unumgänglich. Niemand hat dafür mehr Verständnis als ich. Und ich verstehe auch, daß ihr beide, Clyde und du, nicht gewillt seid, euer Leben dadurch zu ruinieren.“ Sie wandte sich an Sabrinas Begleiter. „Werden Sie hier in San Francisco bleiben, bis Sabrina mit Ihnen nach Paris zurückkehren kann?“ JeanPierre starrte Marcia verständnislos an. Sabrina dagegen verstand das alles um so besser. Clyde hatte Marcia eingeweiht! Er hatte ihr die Gründe für die Eheschließung verraten. Kein Wunder, daß sie so freundlich war, und kein Wunder, daß Clyde ihr, Sabrina, versichert hatte, sie könne jederzeit zurück nach Frankreich, wenn sie wollte. Es war von Anfang an seine Absicht gewesen, sie wieder nach Paris abzuschieben. Er hatte nie an eine dauerhafte Bindung gedacht. Jetzt wurde ihr auch klar, warum Marcia so froh und glücklich war. Wortfetzen aus ihren Gesprächen mit Clyde schwirrten ihr durch den Kopf. Jetzt begriff sie es: Sie hatte immer nur aus allem herausgehört, was sie hatte hören wollen. Seine Liebesbezeugungen hatte sie als Beweis dafür angesehen, daß er sie gern bei sich behalten hätte. Oh, wie töricht war sie doch! Wie naiv! Wie gutgläubig! Alles, alles hatte nur dazu gedient, so rasch wie möglich ein Kind zu bekommen, um sie dann schnell wieder loszuwerden. Sabrina zwang sich, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. „Du mußt entschuldigen, Marcia, aber wir sind verabredet und müssen uns beeilen.“ „Laßt euch nicht aufhalten.“ Marcia strahlte JeanPierre an. „Es war reizend, Sie kennenzulernen. Ich hoffe, wir sehen uns wieder.“ So rasch, wie sie aufgetaucht war, so schnell war sie wieder verschwunden. Sabrina blickte ihr nach und hörte kaum, daß JeanPierre sie ansprach. „Sabrina? Fühlst du dich nicht wohl? Was ist denn, Kleines?“ Wann hatte sie sich das letzte Mal wohl gefühlt? Der Boden schwankte unter Sabrinas Füßen. JeanPierre fing sie auf und brachte sie auf dem schnellsten Wege nach Hause. Sie zitterte, als hätte sie Schüttelfrost. Der Hausangestellte, Mr. Foster, schlug deshalb vor, sie in die Bibliothek zu bringen, weil dort im Kamin ein Feuer brannte. Er wollte für heißen Tee sorgen und ihn dort servieren. „Nicht so nah ans Feuer“, bat Sabrina, als JeanPierre ihr einen Sessel an den Kamin rückte. „Mir ist nicht kalt.“ „Aber du zitterst wie Espenlaub. Warum regst du dich nur so auf? Laß doch dieses dumme Frauenzimmer reden. Die kann dir doch nicht das Wasser reichen. Wenn Clyde sie dir vorzieht, ist er dümmer, als ich dachte.“ „Aber er tut es, JeanPierre, und zwar schon seit langem. Ich könnte mich ohrfeigen, wenn ich daran denke, daß er mir leid getan hat wegen seiner Arbeit. Jetzt wird mir klar, warum er stets erschöpft ist, wenn er nach Hause kommt. Wahrscheinlich ist er die ganze Zeit mit Marcia zusammen, und dann wartet auch noch seine Frau auf ihn, und der muß er auch noch Gutes tun!“ „Sabrina! Das paßt nicht zu dir. Gib acht, was du sagst!“ „Keine Sorge! Ich weiß genau, wovon ich rede. Clyde hat mich doch niemals heiraten wollen, JeanPierre. Es war nur der einzige Ausweg, wenn er den Konzern nicht verlieren wollte. Nur unsere gemeinsamen Kinder erben einmal das Unternehmen. Er mußte mich also nicht nur heiraten, sondern auch Kinder mit mir haben. Doch das ist nicht alles. Das schlimmste ist, daß es Marcia weiß. Dabei hatte er mir versprochen, es niemandem zu erzählen.“ Unaufhaltsam kamen ihr jetzt die Worte über die Lippen. JeanPierre war blaß
geworden. Fassungslos hörte er zu. „Und ich hatte nichts Eiligeres zu tun, als mich in ihn zu verlieben. Ich liebte ihn bereits, als ich nach Paris kam, und es gab sogar Momente während der ersten Wochen unserer Ehe, da glaubte ich, auch er brächte mir ein tieferes Gefühl entgegen. Na schön, von Liebe steht nichts in dem Testament. Warum sollte er mich also lieben? Ich nehme sogar an, er wäre schockiert, wenn er erführe, wieviel er mir bedeutet.“ JeanPierre strich ihr besorgt über den Kopf. „Meine arme Sabrina. Weine bitte nicht. Ich kann das nämlich nicht sehen. Kein Mann ist es wert, daß man seinetwegen so verzweifelt ist.“ Er füllte ein Glas halb mit Cognac und hielt es ihr an die Lippen. „Hier! Trink das jetzt! Und dann legst du dich hin und schläfst. Das war alles etwas zuviel für dich.“ Widerwillig trank Sabrina. Dabei dachte sie: ein Glas Cognac und ein paar Stunden Schlaf bringen auch keine Lösung für mein Problem. Wenn mein Vater wüßte, wieviel Kummer er mir mit seiner gutgemeinten Idee bereitet hat! JeanPierre überlegte nicht lange. Er nahm Sabrina auf die Arme und trat mit ihr in die Halle. Dort begegnete ihnen Mr. Foster, der soeben eine Tasse mit dampfendem Tee brachte. „Mrs. Carlyle geht es nicht gut, Mr. Foster. Ich möchte sie in ihr Zimmer bringen. Zeigen Sie mir bitte, wo das ist?“ Schweigend ging Mr. Foster ihnen voran die Treppe hinauf in das obere Stockwerk. Er öffnete die Tür zum Schlafzimmer, setzte das Tablett ab und ließ die Jalousien herunter. Währenddessen legte JeanPierre Sabrina behutsam auf das Bett und deckte sie zu. Dann wandte er sich an den Hausangestellten. „Wissen Sie, ob Mr. Carlyle Schlaftabletten im Haus hat?“ „Soviel ich weiß, hat der Arzt Mr. Carlyle Schlaftabletten verschrieben, als der Flugzeugabsturz damals bekanntwurde.“ Mr. Foster verschwand in dem angrenzenden Badezimmer und kam nach wenigen Minuten mit einer kleinen Flasche zurück, die er JeanPierre gab. „Ausgezeichnet, Mr. Foster, danke.“ Der warf einen besorgten Blick auf Sabrina. „Sollten wir nicht besser Mr. Carlyle verständigen, Sir?“ JeanPierre schüttelte energisch den Kopf. „Auf keinen Fall, Mr. Foster. Gerade Mr. Carlyle wäre wohl der letzte, den Mrs. Carlyle jetzt um sich haben möchte.“ Nach einer Weile trank Sabrina ihren Tee und nahm auch zwei von den Schlaftabletten. JeanPierre setzte sich zu ihr und hielt ihre Hand. Allmählich begann das Mittel zu wirken. Er blieb bei ihr sitzen, bis sie eingeschlafen war. JeanPierre kannte Sabrina schon lange. Er hatte sie sozusagen aufwachsen sehen. Sie hatte auf ihrem Weg als Künstlerin viele Hindernisse überwinden müssen, an denen andere vielleicht zerbrochen wären oder sich zumindest resignierend zurückgezogen hätten. Sabrina hingegen hatte sie nicht nur überwunden, sondern war gleichzeitig immer für ihre Freunde dagewesen. Sie hatte sie ermutigt, sich um sie gekümmert, ihnen oft sogar finanziell unter die Arme gegriffen. Durch Sabrinas Großzügigkeit, die es ihm beispielsweise im Augenblick gestattete, gratis in ihrem Hause zu wohnen und Kontakte zu knüpfen, die ihm als Bildhauer weiterhalfen, konnte er schon bald nach Frankreich zurückkehren und Michelle bitten, seine Frau zu werden. Nein, Sabrina hatte mehr als einmal bewiesen, wie großzügig sie sein konnte. Allerdings mit einer Ausnahme: ihr Herz hatte sie nicht verschenkt. Hier hatte
ihre Großmut haltgemacht – bis sie Clyde kennenlernte. Unvorstellbar, daß sie ihm offenbar gar nichts bedeutete. Das Essen mit Jeremy zog sich länger hin, als Clyde erwartet hatte. Danach verspürte er keine Lust mehr, sich wieder hinter seinen Schreibtisch zu setzen. Mit einem Blick auf die Uhr beschloß er daher, nach Hause zu gehen und sich mit Sabrina auszusprechen. Er wollte sie bitten, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Er wollte sich nach Einzelheiten der Ausstellung erkundigen. Vielleicht konnte er ihr in irgendeiner Weise behilflich sein? Kurzum, sie sollte erfahren, daß ihm sehr viel daran lag, ein Teil ihres Lebens zu sein. Er konnte nur hoffen, daß sie dies auch zuließ und daß es dazu nicht bereits zu spät war. Soeben kam Mr. Foster die Treppe herunter. „Mr. Carlyle! Sie? Sie sind schon da? Ist etwas geschehen?“ Das verblüffte Gesicht des Angestellten irritierte Clyde. Anscheinend war man schon daran gewöhnt, ihn erst später zu sehen. „Muß gleich etwas passiert sein, Mr. Foster, wenn ich mal zu einer halbwegs normalen Zeit heimkomme?“ „Natürlich nicht, Sir. Bitte, entschuldigen Sie.“ Der Angestellte warf einen unschlüssigen Blick hinauf in den ersten Stock. Dann ging er in Richtung Küche. Er hatte beschlossen, sich da herauszuhalten. Mochten seine Arbeitgeber doch selbst sehen, wie sie mit ihren Problemen zurechtkamen. Kopfschüttelnd sah Clyde ihm nach. Ich hätte ihn fragen sollen, dachte er, ob Sabrina zu Hause ist. Nun öffnete er die Tür zur Bibliothek, um zu sehen, ob sie eventuell dort war, aber der Raum war leer. Vielleicht ist sie oben in ihrem Studio und malt? Clyde zog im Gehen das Jackett aus und lockerte seine Krawatte. Er lief die Treppe hinauf, wobei er zwei Stufen auf einmal nahm. Als er gerade den oberen Treppenabsatz erreicht hatte, hörte er das Klappen einer Tür. Er bog um die Ecke des Korridors in der Erwartung, Sabrina zu sehen. Das Bild, das sich ihm bot, ließ ihn aber wie angewurzelt stehenbleiben. Ungläubig starrte Clyde den Mann an, der soeben die Tür des Schlafzimmers hinter sich zuzog. Clyde hatte JeanPierre seit dessen Ankunft in San Francisco höchstens zweimal gesehen, und bei diesen Gelegenheiten war der Franzose stets korrekt gekleidet gewesen. Daher überraschte sein Aussehen ihn jetzt nicht wenig, als er ihm gegenüberstand. JeanPierre trug verwaschene Jeans und ein kariertes Sporthemd, das bis zur Taille offenstand und einen breiten, muskulösen Oberkörper sehen ließ. Die Hemdsärmel hatte er hochgekrempelt, und man konnte erkennen, daß auch seine Armmuskeln sehr ausgeprägt waren. Eigentlich nicht verwunderlich, ging es Clyde flüchtig durch den Kopf, wenn man daran denkt, welche Kraft nötig ist, um riesige Skulpturen aus hartem Marmor herauszumeißeln. Dann kam ihm plötzlich das Ungeheuerliche der Situation zu Bewußtsein. Er hatte soeben einen fremden Mann aus seinem eigenen Schlafzimmer herauskommen sehen. „Was suchst du hier?“ Clyde erkannte seine eigene Stimme nicht. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Zuviel war auf ihn eingestürmt. Nach dem Schock, den ihm Sabrinas Geständnis versetzt hatte, hatte sich Jean Pierre mühsam wieder gefaßt. Er war zu der Überzeugung gelangt, daß es nicht seine Aufgabe war, diesem Carlyle zu sagen, wie er seine Frau behandeln müsse. Je weniger er sich da einmischte, desto besser war es wahrscheinlich. „Ich habe mich um deine Frau gekümmert, denn du hast anscheinend Wichtigeres zu tun“, entgegnete er daher nur kurz und ging, ohne
stehenzubleiben, an Clyde vorbei die Treppe hinunter. „Wo ist Sabrina?“ schrie Clyde ihm nach. „In ihrem Bett. Sie schläft jetzt. Ich rate dir gut, laß sie in Ruhe. Für heute hat sie genug verkraften müssen.“ Während er sprach, war er weitergegangen, ohne sich umzudrehen oder überhaupt Clyde eines Blickes zu würdigen. Jetzt hatte er die Halle erreicht, war bald an der Haustür, riß sie auf und warf sie krachend hinter sich zu. Überrascht lehnte Clyde an der Wand. Kein Mensch hatte es je gewagt, ihn so geringschätzig zu behandeln. Noch dazu in seinem eigenen Haus. Daß es JeanPierre nicht einmal etwas ausmachte, den betrogenen Ehemann unerwartet auftauchen zu sehen! Er hatte erwartet, er würde schamrot werden. Statt dessen mußte er sich von ihm noch verhöhnen lassen! Der Mensch hatte vielleicht Nerven! Und Sabrina erst! Wo war sie überhaupt? Clyde näherte sich vorsichtig der Schlafzimmertür und öffnete sie. Die Jalousien waren herabgelassen; der Raum lag im Halbdunkel. Leise schlich er an das Bett. Tatsächlich! Sabrina schlief fest. Obwohl ihr Gesicht im Schatten lag, bemerkte Clyde die tiefen Ringe unter den Augen, und ihr Anblick tat ihm weh. Sie mußten den ganzen Nachmittag zusammen verbracht und sich geliebt haben. Welch ein Narr war er gewesen! Wie konnte er glauben, Sabrina sei anders als ihre Mutter? Wie oft hatte sie wohl inzwischen die Gelegenheit genutzt, ihn mit anderen Männern zu vergleichen? Wie Clyde in die Bibliothek gekommen war, hätte er später nicht sagen können. „Mordgedanken“ beschäftigten ihn. Sollte er JeanPierre töten? Wie? Mit den bloßen Händen natürlich. Doch halt! Damit käme er nicht weit. Der war ihm ja kräftemäßig überlegen. Womit sonst? Mit einer Schußwaffe? Einem Messer? Oder sollte er ihn nur der Polizei übergeben? Weswegen Glenn? Weil JeanPierre der Liebhaber seiner Frau war? Ich verliere noch den Verstand. Clyde setzte sich auf die Couch und nahm stöhnend den Kopf zwischen die Hände. Was sollte er jetzt anfangen? Sollte er Sabrina zur Rede stellen? Ihr sagen, daß er genug von ihr hatte? Daß ihn ihre Unmoral vor den Kopf stieß? Er ging zum Barschrank, nahm sich ein Glas und die Flasche mit Whisky heraus und kehrte damit zur Couch zurück. Dann goß er das Glas voll bis zum Rand und trank es in einem Zug leer. Das starke Getränk brannte in seiner Kehle. Es trieb ihm Tränen in die Augen, und er mußte husten. Trotzdem hockte er auf der Couch vor dem Kaminfeuer, füllte sein Glas wieder und wieder und haderte mit seinem Schicksal. Es muß doch ein Naturgesetz geben, das unser Geschick lenkt? philosophierte er. Wenn wir uns an die Spielregeln halten, dann sollten wir auch eine faire Chance bekommen, unser Dasein zu unserem Wohl und unserer Zufriedenheit zu gestalten. Bis heute war er immer fair gewesen, hatte sich an die Regeln gehalten. Zumindest glaubte er das. Und was war nun der Lohn dafür? Sabrina war für ihn verloren. Hatte sie ihm denn jemals gehört? Vielleicht hatte er in ihr auch nur die treue, hingebungsvolle Gattin sehen wollen. Also hatte er sie in seiner Vorstellung mit diesen Attributen geschmückt. Gut, er hatte ihr nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet in letzter Zeit, das konnte er nicht leugnen. Aber er war ihr immer treu gewesen. Allerdings lag es ihm nicht, viele Worte zu machen. Da hatte dieser JeanPierre ihm ganz sicher einiges voraus. Spät er fand Mr. Foster Clyde in der Bibliothek. Er war auf der Couch
eingeschlafen. Die leere Whiskyflasche neben ihm sagte ihm mehr als tausend Worte. Die Morgendämmerung schickte schwaches Licht durch die Vorhange der Bibliothek. Clyde erwachte und rieb sich die Schläfen. Er fühlte sich wie gerädert, und sein Kopf schmerzte. Verwundert schaute er sich um. Wie kam er überhaupt hierher? Allmählich, Stück für Stück, kehrte die Erinnerung an den gestrigen Abend dann wieder. Was wolltest du dir letzte Nacht beweisen? fragte er sich. Jeder Einfaltspinsel kann seine Sorgen in Alkohol ertränken. Aber nützt das etwas? Die Probleme existieren nach wie vor, das merkt man, sobald man wieder nüchtern ist. Und außerdem hat man dann noch einen Kater. Ächzend stand er auf, rieb sich den Nacken und begab sich nach oben in sein Schlafzimmer. Sabrina schlief immer noch fest. Clyde ging entschlossen ins Bad. Er mußte erst einmal etwas gegen die Kopfschmerzen tun. Er fand das Röhrchen mit Aspirin und schluckte gleich drei Stück auf einmal. Dann zog er sich aus und stieg unter die Dusche. Das Rauschen des Wassers weckte Sabrina. Sie fühlte sich wie zerschlagen und war deprimiert. Ihre Kehle war ausgetrocknet, und sie hatte großen Durst. Langsam wandte sie den Kopf. Clydes Bett war unbenutzt. Also war er vergangene Nacht nicht nach Hause gekommen. Mit einemmal fielen Sabrina wieder alle Einzelheiten vom Vortage ein. Vermutlich hatte Clyde erfahren, daß Marcia und sie sich begegnet waren. Nun hielt er es wohl nicht mehr für erforderlich, heimzukommen. Das Geräusch kam aus dem Badezimmer. Wieso lief das Wasser? Sabrina setzte sich im Bett auf und mußte sich festhalten. Das Zimmer drehte sich. Ihr war schwindelig. Aha! Jetzt hatte das Rauschen aufgehört. Also war Clyde nach Hause gekommen, um sich fürs Büro umzuziehen. Sollte sie abwarten, bis er herauskam? Nein. Dazu war ihr Durst zu groß. Sie mußte unbedingt sofort etwas trinken. Ihr Hals war so trocken, daß das Schlucken weh tat. Vorsichtig schlug sie die Bettdecke zurück und mußte feststellen, daß sie in Büstenhalter und Slip geschlafen hatte. Sie zog ihren Bademantel über, warf den Kopf in den Nacken und betrat das Bad. Clyde trocknete sich gerade ab, als sie hereinkam. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Bei seinem Anblick verkrampfte sich Sabrina. Sie liebte jeden Zentimeter an ihm, aber das hatte für ihn ja keine Bedeutung. Sie ging ans Waschbecken und füllte ein Glas mit kaltem Wasser. Clyde drehte sich um und sah sie an. Jeder wartete, daß der andere zuerst das Wort ergreifen würde. Sabrina fand, daß Clyde übernächtigt aussah. Clyde hingegen dachte, daß Sabrina unberührt wirkte wie ein kleines Mädchen. Wie schaffte sie das nur, wo doch das Gegenteil der Fall war? Ihr Blick war fragend auf ihn gerichtet. Bläuliche Schatten lagen unter ihren Augen. Sie war ungewöhnlich blaß. „Fühlst du dich nicht wohl, Sabrina?“ Sabrina war überrascht. Warum fragte er das? Wollte er sein Gewissen beschwichtigen? „Ich bin noch immer todmüde, obwohl ich lange geschlafen habe. Ich kann mir das überhaupt nicht erklären.“ Clyde hatte plötzlich ein Bild vor Augen: Sabrina mit JeanPierre in seinem Bett in leidenschaftlicher Umarmung. „Ich kann mir schon denken, warum“, murmelte
er, warf das nasse Frottiertuch auf den Boden und ging hinüber ins Schlafzimmer, um sich anzukleiden. Sabrina kam hinter ihm her. „Wann bist du nach Hause gekommen? Ich habe dich gar nicht gehört“, erkundigte sie sich gleichmütig und hoffte, daß er nicht merkte, wie empört sie in Wirklichkeit war. „So um halb fünf etwa. Du hast fest geschlafen.“ Sabrina hätte ihm am liebsten ins Gesicht geschrien, daß sie in der frühen Morgenstunde fest schlafe. Aber Clyde kam ihr zuvor. „Du brauchst dich nicht zu sorgen. Es wird nicht wieder vorkommen.“ Was sollte sie darauf antworten? Danke, daß du überhaupt heimgefunden hast? Danke, daß du nicht ganz zu deiner Geliebten ziehst? Danke, daß du versuchst, den Schein zu wahren? Sie bemühte sich, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, weil sie zur Zeit keine Kraft hatte, mit ihm zu streiten. „Du ziehst dich schon an? Ist es dazu nicht ein bißchen zu früh?“ Clyde sah auf die Uhr. Es war kurz vor sechs. Gewöhnlich stand er eine Stunde später auf. „Ich muß ins Büro. Es gibt eine Menge aufzuarbeiten.“ Sie hätte sich gewundert, wenn ihm etwas anderes eingefallen wäre. „Davon bin ich überzeugt“, entgegnete sie mehr für sich, und sie war auch nicht sicher, ob er es gehört hatte. Wie viele Abende hatte er wohl bei Marcia verbracht, wenn es hieß, er müsse noch arbeiten? Logisch, daß nun einiges liegengeblieben war. „Aber du kannst dich gern wieder hinlegen. Du sagst doch, du wärst noch müde.“ „Das ist eine ausgezeichnete Idee. Das werde ich auch tun. Daß ich nicht selbst daraufgekommen bin!“ Sabrina schlüpfte unter die Bettdecke und zog sie hoch bis an die Nasenspitze. „Ich wünsche dir noch einen schönen Tag“, sagte sie und schloß die Augen. Es tat ihr weh zu sehen, wie phantastisch Clyde aussah in seinem dunkelgrauen Anzug. Das war nicht fair! Kein Mann dürfte so attraktiv aussehen und dabei so gemein sein. Aber vielleicht war das die Voraussetzung? Die gutaussehenden Männer konnten es sich eben leisten, ein häßliches Benehmen an den Tag zu legen. Die Frauen verziehen ihnen ja doch alles über kurz oder lang, eben weil diese Männer so attraktiv waren.
9. KAPITEL Clyde kam in den nächsten Tagen wie immer spät nach Hause, und jedesmal war Sabrina bereits ins Bett gegangen und schlief. Noch bevor sie morgens erwachte, war Clyde schon wieder fort. So gingen sie beide einer Auseinandersetzung aus dem Weg. Was hätte man sich auch sagen sollen? Aber noch aus einem anderen Grund war es Sabrina ganz recht, daß sie allein war, wenn sie morgens wach wurde. In letzter Zeit ging es ihr gerade dann nicht besonders gut. Ihr war schwindelig, vor allem aber immerzu unwohl. Zweimal wäre sie fast in Ohnmacht gefallen. Alle Anzeichen deuteten also auf eine Schwangerschaft hin. Einen Tag vor der Eröffnung ihrer Ausstellung bestätigte der Arzt ihre Vermutung. Sie würde ein Baby bekommen. Clyde würde Vater werden. Das war sicher eine willkommene Nachricht für ihn. Schließlich war damit die Testamentsklausel erfüllt. Sabrina saß in der Bibliothek und wartete auf Clyde. Wie üblich war die Zeit schon vorgeschritten, und sie hatte bereits gegessen und sich umgezogen. Als er jetzt das Zimmer betrat, erschrak sie. Sie hatten sich seit Tagen immer nur flüchtig gesehen. Er sah bemitleidenswert aus. Tiefe Falten zogen sich von der Nase zu den Mundwinkeln. Die Wangen waren eingefallen. Er hatte sichtlich an Gewicht verloren, und seine Haut war aschfahl. Sie fühlte einen Augenblick Mitleid mit ihm, aber das verging gleich wieder. Nein, er brauchte nicht bedauert zu werden. Offenbar konnte seine Konstitution nicht mit seinem aufreibenden Lebenswandel mithalten. Sabrina beschloß, ihm die Neuigkeit mit dem Baby erst nach der Eröffnung ihrer Ausstellung mitzuteilen. Bestimmt war er erleichtert, denn dann würde er wieder frei sein und brauchte sich nicht mehr heimlich zu Marcia zu schleichen. Sie stand auf und ging auf ihn zu. Clyde hatte den ganzen Tag überlegt, wie er es anstellen sollte, nicht mit zu der Vernissage gehen zu müssen. Die Voraussetzung dafür, noch mit Sabrina zusammenleben zu können, war für ihn, ihr aus dem Weg zu gehen. Und nun sollte er einen ganzen Abend lang an ihrer Seite den Gästen den strahlenden, stolzen Ehemann vorspielen! Clyde hatte Sabrina nie gefragt, ob sie sich anläßlich dieser Eröffnungsfeier als die Malerin SB vorstellen wollte. Eigentlich war es gar nicht verwunderlich, daß sie nie ein Interesse an dem Aktienkapital bekundet hatte. Sie konnte allein mit dem Erlös, den ihre Bilder erzielten, in Freuden leben. Bei ihrem Anblick spürte Clyde einen Druck im Magen. Sabrina trug ein langes Abendkleid aus schwarzem Seidenjersey, das sich glatt und eng an sie schmiegte. Der Rock war seitlich bis zum Knie geschlitzt und zeigte beim Gehen ihre schlanken Beine. Der rechte Ärmel war aus dem gleichen seidigen Material wie das Kleid, jedoch weiß. Am Handgelenk schloß er mit einem silbernen Streifen ab. Der raffinierte Schnitt ließ dagegen die linke Schulter und den Arm unbedeckt. Sabrina trug das Haar hochgekämmt und in kunstvollen Locken auf dem Kopf festgesteckt. Sie sah atemberaubend schön aus. In ihren Augen lag ein eigentümlicher Ausdruck. Nichts erinnerte mehr an das kindliche Geschöpf, das sie bei ihrer Ankunft gewesen war. Seit jenem Tag, an dem er JeanPierre in seinem Hause angetroffen hatte, hatte Clyde Sabrina nicht mehr angerührt. Immer wieder sah er sie mit ihm zusammen, stellte sich vor, wie die beiden sich im Rhythmus der Liebe bewegten, und jedes Verlangen verging ihm dann gründlich. Trotzdem fühlte er
sich zu ihr hingezogen. Er suchte ihre Nähe. Und zwischen diesen beiden Gefühlen wurde er hin und hergerissen. Ob er jemals darüber hinwegkam, daß sie nicht die Frau war, die er in ihr gesehen hatte? Das war fraglich. „Du siehst phantastisch aus, Sabrina“, sagte er leise. „Alle werden mich um meine schöne Frau beneiden, wenn wir beide heute abend dort Arm in Arm erscheinen.“ Mit einem Kompliment hatte Sabrina nicht gerechnet. Sie fühlte, wie ihr Röte in die Wangen stieg, denn es hatte so aufrichtig geklungen. Sie hatte plötzlich den Wunsch, noch einmal ganz von vorn anzufangen. Es hatte doch anfangs so gut geklappt mit ihnen. Bei wem lag der Fehler? Warum war zuletzt alles schiefgegangen mit ihnen? „Danke, Clyde. Das brauchte ich jetzt. Ich bin schon den ganzen Tag sehr nervös.“ „Möchtest du gern weiterhin unerkannt im Hintergrund bleiben? Der geheimnisvolle Künstler sein, von dem niemand weiß, wer er ist?“ „Der Grund, weshalb ich meine Bilder nur mit SB kennzeichnete, ist eigentlich inzwischen hinfällig geworden. Als ich meine ersten Bilder verkaufte, fürchtete ich, meine Jugend und die Tatsache, eine Frau zu sein, könnten sich nachteilig auswirken.“ Sie sah ihn fragend an. „Meinst du, es würde Marcia sehr in Verlegenheit bringen, wenn ich heute abend öffentlich erkläre, daß ich diejenige bin, die die Bilder malt?“ „Überlaß Marcia mir. Ich werde es ihr schonend beibringen, bevor es die Öffentlichkeit erfährt. Schließlich bewundert sie das Können des Malers, was spielt es da für eine Rolle, ob dieser männlich oder weiblich ist? Ich gehe rasch nach oben und ziehe mich um. In einer Viertelstunde bin ich fertig.“ Während Sabrina auf Clyde wartete, ging ihr seine letzte Bemerkung noch einmal durch den Kopf. Merkwürdig – das klang nicht gerade, als ob ihm Marcias Gefühle besonders am Herzen lagen. Vielleicht besserte sich ihre Beziehung wieder, wenn er erfuhr, daß er bald Vater wurde? In ihren Flitterwochen hatte sie den Eindruck gewonnen, daß er Kinder gern hatte und sich darauf freute, selbst einmal einen Sohn, eine Tochter oder sogar beides zu haben. Vielleicht hatte JeanPierre gar nicht so unrecht, und sie nahm das alles viel zu tragisch. Vielleicht hatte sie Marcias Bemerkung einfach überbewertet. Sie hätte nicht so schnell aufgeben sollen. Schließlich kannte Marcia Clyde schon zwei Jahre, sie ihn aber nur knapp zwei Monate. Wahrscheinlich mußte sie länger um ihn kämpfen. Denn, war er das nicht vielleicht wert? Sabrina war mit einemmal seltsam ruhig. Sie wußte, sie hatte die richtige Entscheidung getroffen. Sie liebte Clyde, und sie würde alles tun, damit ihre Ehe glücklicher wurde. An eine Niederlage wollte sie nur dann glauben, wenn Clyde ihr rundheraus erklärte, es sei aus und vorbei. Als Clyde die Treppe herunterkam, lächelte sie ihn an. „Du kannst dich aber auch sehen lassen, Liebster, weißt du das? Alle Frauen werden dich heute abend bewundern.“ Clyde hob erstaunt die Augenbrauen. Was mochte diesen Stimmungswechsel verursacht haben? Er hatte Sabrina schon lange nicht so aufgeschlossen gesehen. Sie hatte sich bei ihm eingehakt und führte ihn in den kleinen Erker. Dort saßen sie einander nun gegenüber, tranken ein Glas Wein, und Sabrina berichtete von ihren Erlebnissen während der letzten Tage vor der Ausstellung. Es hatte endlose Debatten über die Verteilung der Bilder an den Wänden, das richtige Licht und die richtigen Rahmen gegeben, um nur einige der vielen Einzelheiten zu nennen, die es zu beachten galt.
Ihre humorvolle Art, die Dinge lebhaft und anschaulich zu schildern, verfehlte nicht ihre Wirkung auf Clyde. Er war nicht mehr so verkrampft, und sein Mißtrauen schwand allmählich. Warum sollte er sich nicht eine kurze Zeit lang einbilden, sie wären Flitterwöchner, unbeschwert und verliebt? Als er bei einer ihrer scherzhaften Bemerkungen laut lachte, begriff Sabrina, daß dies die ganze Zeit ihre Absicht gewesen war: ihn wieder zum Lachen zu bringen. Er sah um Jahre jünger aus, wenn er lachte, und es schien eine Ewigkeit her zu sein, seit er zuletzt so vergnügt gewesen war. Seine Augen strahlten, und bei den bewundernden Blicken, mit denen er sie maß, spürte Sabrina, wie ihr Blut rascher durch die Adern zu kreisen begann. Eine fröhliche Menschenmenge war bereits versammelt, als Clyde und Sabrina in der Galerie eintrafen. Mr. Huntington eilte erleichtert auf sie zu. „Ich dachte schon, Sie kämen nicht.“ „Im Grunde brauchen Sie mich doch auch gar nicht mehr.“ Sabrina hielt Clydes Hand fest umklammert. „Das ist mein Mann, Henry, Clyde Carlyle. Das ist der Besitzer dieser Galerie, Henry Huntington.“ „Freut mich. Freut mich wirklich, Mr. Carlyle.“ Henry Huntington war sichtlich nervös. „Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, Mr. Carlyle, aber dürfte ich Ihnen Sabrina kurz entführen? Ich will sie mit einigen wichtigen Gästen bekannt machen.“ „Ich habe nichts dagegen, Mr. Huntington.“ Clyde führte Sabrinas Fingerspitzen an die Lippen. „Der Abend gehört dir, Liebling. Nur zu, wenn man dich feiern möchte. Du hast es verdient.“ Forschend schaute sie ihn an, aber da war keine Spur von Zynismus zu entdecken. Seine anerkennenden Worte waren ehrlich gemeint. Irgend etwas Wunderbares war heute abend geschehen. Es herrschten wieder Eintracht und Harmonie. Ihre Empfindungen waren im Einklang miteinander wie damals auf der Hochzeitsreise, und Sabrina war entschlossen, diesmal alles daran zu setzen, damit es so blieb. Clyde sah ihr nach, da berührte ihn jemand an der Schulter. Es war Marcia. Sie trug ein Abendkleid aus goldfarbenem Lurex mit Applikationen aus schimmernden Pailletten. Das Kleid verlieh ihrem Typ Anmut und Glanz. Sie wirkte sehr feminin und strahlte eine natürliche Würde aus. Clyde mußte ihre Erscheinung bewundern, aber er stellte plötzlich fest, daß er Marcia gegenüber nicht mehr unter Schuldgefühlen litt. Er liebte seine Frau, und er hoffte, Marcia würde ebenfalls einen Mann finden, der sie glücklich machte. Er, Clyde, würde das jedenfalls nicht sein. „Hallo, Clyde. Ich war mir nicht sicher, ob ich dich hier antreffen würde. Bist du allein?“ Sie schaute sich suchend um. „Nein, Sabrina ist auch hier. Aber ich bin froh, daß ich dich allein sprechen kann. Da ist etwas, das ich dir unbedingt sagen muß.“ Er sah Marcias Augen aufleuchten. Erwartungsvoll blickte sie ihn an. „Ich hatte keine Gelegenheit, es dir zu sagen, als du neulich bei uns warst, um das Bild vorbeizubringen. Was immer dein Vater dir gesagt haben mag, Marcia, es stimmt nicht. Ich habe Sabrina geheiratet, weil ich sie liebe. Ich wollte dich nicht verletzen, und es tut mir unsagbar leid, daß ich dir weh getan habe. Aber du mußt dich damit abfinden. Meine Gefühle für Sabrina sind echt. Ich liebe sie wirklich.“ Marcia war zurückgewichen und starrte ihn kreidebleich an. „O Clyde! Du Armer! Dann muß dich Sabrinas Affäre mit JeanPierre ja um so schmerzlicher treffen.“ Clyde biß die Zähne zusammen. Aber jahrelanges Training bei heiklen geschäftlichen Verhandlungen hatte ihn gelehrt, sich zu beherrschen. So zuckte
er nicht einmal mit der Wimper, als Marcia den Namen aussprach. „Meine Gefühle sind ausschließlich meine Angelegenheit, und ich wünsche nicht, darüber zu diskutieren. Weder mit dir noch mit sonst irgend jemand.“ „Entschuldige bitte. Es war nicht so gemeint. Ich hatte gehofft, ihr würdet euch so rasch wie möglich wieder trennen. Da habe ich mich wohl gründlich geirrt.“ „Es gibt noch etwas anderes, was du wissen solltest. Sabrina bat mich, es dir zu sagen. Sie wollte es selbst bereits an dem bewußten Abend tun, aber du warst auf einmal so schnell wieder fort. Kurzum – Sabrina ist S B. Sie ist diejenige, die diese Initialen als Zeichen unter ihre Gemälde setzt. Du erinnerst dich, daß sie kurz hinausging. Sie hat überlegt, wie sie es dir sagen soll, ohne dich zu kränken. Sie war sehr besorgt, wie du es wohl aufnehmen würdest, wenn es heute abend öffentlich bekanntgegeben wird.“ Marcia wäre am liebsten in den Erdboden versunken. „Und ich schenke euch ausgerechnet ein Bild, das sie selbst gemalt hat! Darüber hat sie sich wahrscheinlich köstlich amüsiert.“ „Du tust ihr unrecht, Marcia. Sie hat sich den Kopf zerbrochen, wie sie es anstellen soll, dich nicht in Verlegenheit zu bringen.“ „Jedenfalls danke ich dir, daß du es mir gesagt hast. Aber ich gehe jetzt lieber. Im Augenblick möchte ich niemanden mehr sehen. Es gibt für alles eine Grenze.“ Sie nickte ihm kurz zu und war bald gegangen. Clydes Aufmerksamkeit galt nun Mr. Huntington, der ein Mikrofon in der Hand hielt. Seine Stimme klang ein wenig heiser, als er jetzt mit einer Ansprache begann: „Sehr verehrte Gäste, meine Damen und Herren, liebe Freunde! Ich darf Sie am heutigen Abend alle sehr herzlich in meiner Galerie willkommen heißen, und ich verspreche Ihnen in dieser Vernissage eine ganz besondere Überraschung. Ich freue mich nicht nur, Ihnen eine Sammlung hervorragender Gemälde zeigen zu können, von denen einige heute zum erstenmal der Öffentlichkeit vorgestellt werden, sondern ich freue mich ganz besonders darüber, daß der Künstler selbst unter uns ist. In wenigen Augenblicken, meine Damen und Herren, wird also das Geheimnis der rätselhaften Initialen offenkundig werden.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause. Es war jetzt mäuschenstill im Saal. Alle Blicke hingen gebannt an seinen Lippen, und er kostete diesen Moment genießerisch aus. Dann rief er triumphierend in die Menge: „Der Maler mit den Zeichen S B, meine lieben Freunde, ist in Wirklichkeit – eine Frau! Eine Malerin! Es ist – Sabrina Bennington. San Francisco kann sich glücklich preisen, weil diese begabte Künstlerin einen Sohn unserer Stadt geheiratet hat und nun mitten unter uns lebt. Meine Damen und Herren Applaus für Sabrina BenningtonCarlyle.“ Wie oft hatte Sabrina schon bedauert, daß sie so zierlich war! Auch wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte, gelang es ihr nicht, Clyde irgendwo in der Menge zu entdecken. Vielleicht hatte er sich in einen der Nebenräume geflüchtet? „Ob ich wohl irgendwo ein Glas Wasser bekommen könnte?“ flüsterte sie Henry zu. „Mir ist so heiß.“ „Aber selbstverständlich, Sabrina. Kein Wunder, bei all den Menschen, die dich bedrängen.“ Henry nahm ihren Arm und kämpfte sich mit Sabrina bis zur Bar durch. „Wie du siehst, hattest du nicht den geringsten Grund, ängstlich zu sein“, sagte da eine vertraute Stimme hinter ihr. „Alle mögen dich. Alle bewundern dich.“ Sabrina wandte den Kopf. „Ach, Clyde, ich bin so froh, daß du da bist!“ „Du bist sehr blaß, Liebes. Geht es dir nicht gut?“ „Doch, aber ich bin die vielen Menschen nicht gewöhnt. Sie machen mich
nervös.“
„Dann bleib jetzt bei mir. Ich werde sie schon fernhalten.“
„Das wäre schön. Weißt du, ein bißchen berühmt zu sein ist ja ganz nett, aber ich
mag den Rummel nicht, der damit verbunden ist.“
Clyde wich nun keinen Schritt mehr von Sabrinas Seite. Er hatte schützend den
Arm um ihre Schultern gelegt, und sie fühlte sich geborgen. Sonst hätte sie wohl
auch kaum die hektische Betriebsamkeit ausgehalten, welche die Preisgabe ihres
Namens ausgelöst hatte.
Schließlich äußerte sie aber doch den Wunsch, dem Trubel zu entkommen, und
im Handumdrehen befand sie sich mit Clyde draußen auf der Straße, ohne daß
ihr Verschwinden von den Gästen allzusehr bemerkt worden wäre. Übermütig
tanzten sie über die Straße zu den parkenden Autos. Sie wollten sich noch
ausschütten vor Lachen über ihren gelungenen Streich, als sie sich bereits auf
der Heimfahrt befanden.
Mit geschlossenen Augen stand Sabrina entspannt unter der Brause. Alle
Aufregung war von ihr abgefallen, sie träumte ein wenig vor sich hin und
erschrak daher heftig, als die Glastür zur Seite geschoben wurde und Clyde zu ihr
unter die Dusche stieg. Er nahm ihr den Waschhandschuh aus der Hand und
drehte sie um.
„Ich dachte, du könntest jemanden brauchen, der dir den Rücken abwäscht?“
Dabei fuhr er sanft mit dem Seifenlappen an ihrer Wirbelsäule entlang, und
Sabrinas Haut prickelte, wo immer er sie berührte.
Nach einiger Zeit drehte er sie wieder herum, so daß sie ihn nun wieder ansehen
konnte. „Jetzt bist du an der Reihe.“ Er reichte ihr den Waschhandschuh. Verwirrt
nahm sie den Lappen und begann, ihm in kreisenden Bewegungen über die Brust
zu fahren. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, daß sie ihn berührt hatte. Unter
ihrer sanften Massage wuchs sein Verlangen, und Sabrina drängte sich näher an
ihn.
Clyde drehte das Wasser ab, stieß die Tür der Duschkabine zur Seite, hob
Sabrina auf die Arme und trug sie ins Schlafzimmer.
„Clyde, wir machen alles naß!“
„Na und? Wen stört das schon?“ Er verschloß ihren Mund mit einem langen Kuß.
Ohne sie loszulassen, beugte er sich herab, schlug die Bettdecke zurück und
legte Sabrina behutsam mitten auf die Kissen.
„Du bist sehr schön“, flüsterte er heiser.
„Du auch, Liebster.“ Sie strich ihm zärtlich über Schultern und Brust.
„Nur das nicht! Ich kann schöne Männer nicht ausstehen.“
„Dann sagen wir – attraktiv?“
„Das lasse ich zur Not noch gelten.“
„Du bist es tatsächlich, Clyde. Du bist mit Abstand der bestaussehendste Mann,
der mir je begegnet ist.“
„Mir scheint, deine Auswahl war nicht besonders groß“, scherzte er und küßte die
letzten Wassertropfen von ihren Brüsten.
Sabrinas Verlangen nach Vereinigung wuchs. Unruhig wand sie sich unter ihm,
und ihr war so heiß, als hätte sie Fieber. Er sollte wissen, wie sehnsüchtig sie ihn
erwartete, wie sehr sie ihn begehrte. Daher begann sie, ihn zu küssen.
Und dann brach die Leidenschaft über sie herein. Es war, als würden sie
fortgeschwemmt in einem Meer von Liebe.
Clyde hielt sie fest umarmt, er bedeckte ihren Körper mit wilden, berauschenden
Küssen, die wie Feuer auf Sabrinas Haut brannten.
Zum erstenmal scheute sie sich nicht, seine Küsse beinah gierig zu erwidern.
Sie war aktiv wie nie, küßte ihn, berührte ihn und bewies ihm, daß sie seine
gelehrige Schülerin war. Als er endlich in sie eindrang, glaubte sie, vor Glück ohnmächtig werden zu müssen. Ermattet schlummerte sie später an seiner Seite ein, um von Zeit zu Zeit von seinem heißen Begehren geweckt zu werden. Er schien heute unersättlich. Wieder und wieder nahm er von ihr Besitz und liebkoste sie zärtlich, doch aufreizend zugleich. Sabrina versuchte, seine Liebkosungen zu erwidern, aber meist konnte sie nur still seine stürmischen Liebesbezeugungen genießen, es würde nie einen anderen Mann für sie geben… Am nächsten Morgen erwachte Sabrina mit dem Gefühl, die Welt aus den Angeln heben zu können. Sie war ins Licht der Öffentlichkeit getreten, und der Himmel war nicht über ihr zusammengestürzt. Und kaum hatte sie sich entschlossen, um ihre Ehe zu kämpfen, da zeichnete sich bereits der erste Erfolg ab. Clyde war bei ihr. Sie spürte seine Gegenwart sehr deutlich, denn ihr Kopf lag auf seinem Arm, und ihre Wange ruhte darauf. Mit dem anderen Arm hielt er sie an sich gedrückt. Von Kopf bis Fuß fühlte sie seine Wärme, seine Nähe. Sabrina lächelte. Vielleicht hatte sie sich in den ersten Wochen ihrer Ehe falsch verhalten? Vielleicht brauchte ein Mann wie Clyde eine Frau, die bei der Liebe nicht alles dem Mann überließ? Die aus sich herausging? Die auch einmal aggressiv werden konnte? Bei ihrem anfänglichen Mangel an Erfahrung hatte sie nicht gewußt, was sie tun sollte. Was erwartete er von ihr? Wie weit durfte sie gehen? Daher war es ihr nur recht gewesen, daß Clyde die Führung übernahm. In der vergangenen Nacht jedoch hatte sie alle Hemmungen abgestreift. Wild entschlossen, ihn für sich zurückzugewinnen, war sie zum Angriff übergegangen. Sie hatte nicht mehr still abgewartet, sondern ihm bewiesen, daß er eine heißblütige temperamentvolle Frau geheiratet hatte. Vorsichtig versuchte sie nun, sich etwas zu strecken. Sofort verstärkte sich der Druck um ihre Taille. „Wo willst du hin?“ murmelte er schlaftrunken. „Nirgends, Liebster. Ich wollte mich nur ein bißchen recken.“ „Wenn's so ist…“ Er ließ sie los, und Sabrina dehnte die Arme über ihren Kopf und gähnte herzhaft. „Guten Morgen“, sagte sie und legte ihr Kinn auf seine Brust. „Kommst du nicht zu spät ins Büro?“ Er öffnete ein Auge und blinzelte ihr zu. „Sieht so aus, hm? Aber ich glaube kaum, daß man mich deswegen hinauswirft. Hast du gut geschlafen?“ „Ich bin nicht ganz sicher. Immer, wenn ich gerade eingeschlafen war, hat mich jemand geweckt.“ „Hast du eine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?“ „Ich war zu müde, um ihn mir genau anzusehen. Aber seinen Körper würde ich auch im Dunkeln wiedererkennen.“ Clyde lachte und zog sie zu sich heran, so daß sie der Länge nach auf ihm lag. Dann küßte er sie. Sie waren warm und noch ein bißchen verschlafen, diese Küsse. Sabrina hatte ein Gefühl, als wäre sie Wachs unter seinen Händen. Sie blieb ihm keine Liebkosung schuldig, und es dauerte nicht lange, da waren beide erneut in eine Welt der Sinnesfreuden entrückt. Sie ließen sich treiben. Ihre Welt war ein Paradies, war der Himmel auf Erden. Irgendwann hielt Sabrina den Zeitpunkt für gekommen, Clyde die freudige Nachricht mitzuteilen. „Clyde?“ „Hm?“ „Ich muß dir etwas gestehen.“ „Wenn du mir verraten willst, daß du unersättlich bist… das ist für mich längst
kein Geheimnis mehr.“
Sabrina schüttelte den Kopf. „Diesmal irrst du dich, Liebling. Diesmal ist es etwas
anderes.“
Clyde seufzte. Er hatte sich lange nicht so entspannt und ausgeglichen gefühlt.
Seit er gestern abend nach Hause gekommen war, hatte er sich nur auf den
Augenblick konzentriert und keinen anderen Gedanken mehr aufkommen lassen.
Fast flehentlich wünschte er sich, er möge auch zukünftig seine Gedanken und
Befürchtungen so unter Kontrolle halten können.
Sie lagen noch immer engumschlungen beieinander, die Beine verschränkt.
Sabrinas Kinn lag auf seiner Brust, und er sah ihr in die Augen, die wie tiefblaue
Seen schimmerten. „Also gut. Laß hören.“
„Ich bekomme ein Baby, Clyde.“
Die Reaktion war allerdings verblüffend. Clyde erstarrte, richtete sich steil auf,
als habe ihn etwas gestochen, und rückte von ihr ab.
„Du bekommst… was?“
Sie lachte ein bißchen nervös. „Weshalb bist du denn so erschrocken, Clyde? Seit
wir verheiratet sind, hast du dich doch redlich darum bemüht, dieses Ereignis so
rasch wie möglich eintreten zu lassen. Ich dachte, es würde dich freuen, daß
deine Bemühungen nicht vergeblich waren?“
Clyde war es zumute, als habe man ihn aus einer freundlichen, vertrauten
Umgebung in die Eiseskälte eines arktischen Wintermorgens versetzt. Ein Kind!
Sabrina bekam ein Kind?
JeanPierre! Sabrina hatte ihren Liebhaber bisher mit keinem einzigen Wort
erwähnt, und Clyde rechnete auch nicht damit, daß sie ihr Verhältnis zu ihm
zugeben würde. Aber daß sie nun die Stirn hatte zu behaupten, Clyde wäre der
Vater ihres Kindes!
War sie so versessen darauf, nach Frankreich zurückzukehren, daß sie nicht noch
ein paar Wochen, ein paar Monate hatte warten können?
„Und ich dachte, du würdest dich freuen“, brachte Sabrina mit tränenerstickter
Stimme hervor.
Clyde hockte auf der Bettkante und hielt sich den Kopf mit beiden Händen. Nun
tat sie auch noch gekränkt! Arme, kleine Unschuld! Fast hätte er laut aufgelacht.
Hat sich was mit Unschuld, dachte er bitter.
Wenn Clyde bis jetzt vielleicht noch leise Zweifel an Sabrinas intimer Beziehung
mit JeanPierre gehabt hatte, die vergangene Nacht hatte ihn restlos überzeugt.
Sie hatte viel, sehr viel dazugelernt. Das mußte man sagen! Jetzt kannte sie ihr
Handwerk und wußte, wie man einen Mann um den Verstand brachte. Woher
dieses plötzliche Wissen stammte, wußte er zum Glück auch.
Hatte er es nicht geahnt? Wie die Mutter, so die Tochter: flatterhaft, leichtsinnig,
treulos. Zum Glück lebte Scott Bennington nicht mehr. Es hätte ihm bestimmt
das Herz gebrochen, mitansehen zu müssen, daß sein über alles geliebtes Kind
nicht viel besser war als irgendein Flittchen, das sich wahllos Männern an den
Hals warf.
O ja, er hatte es geahnt, aber für ein paar Stunden war es ihm gelungen, diese
Ahnungen zu verdrängen.
Aber so stockblind, so idiotisch war er nicht, sich ein Kind zuschreiben zu lassen,
das nicht von ihm war. Er war doch kein Heiliger. Nein, er würde sich niemals mit
dem abfinden können, was Sabrina ihm angetan hatte. Tatsache war und blieb,
daß sie ihn hintergangen und getäuscht hatte. Wie immer seine Gefühle auch für
sie sein mochten, jetzt spielte das keine Rolle mehr.
„Ach! Du erwartest von mir, daß ich mich darüber freue? Soll ich etwa in Jubel
ausbrechen?“
Abrupt stand er auf, ging ins Badezimmer und schloß die Tür. Kurz darauf hörte Sabrina die Dusche rauschen. Wie gelähmt saß sie da, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie verstand das alles nicht. Was war geschehen? Woher kam dieser plötzliche Stimmungswechsel? Man konnte fast den Eindruck gewinnen, Clyde hätte nie ein Kind haben wollen. Doch der einzige Grund, weshalb er sie überhaupt geheiratet hatte, war doch, daß sie ihm wenigstens, ein Kind schenkte. Und nun dies! Das ergab doch keinen Sinn. Sie erhob sich. Unsicher schaute sie sich um. Was jetzt? Was sollte sie jetzt anfangen? Clyde kam wieder aus dem Bad, wickelte sich in seinen Bademantel und vermied es dabei, Sabrina anzusehen. „Ich komme da nicht ganz mit“, begann sie zögernd. „War es nicht Sinn und Zweck unserer Heirat, daß ich ein Kind bekomme?“ „Gewiß war es das, und die Kandidatin erhält einen Pluspunkt für die Technik, möglichst rasch schwanger zu werden.“ Verblüfft starrte sie ihn an. „Ich verstehe dich nicht. Was meinst du?“ Clyde schaltete seinen Rasierapparat ab und kam langsam auf sie zu. „Dann werde ich es jetzt noch einmal wiederholen, und zwar schön langsam und deutlich, sozusagen zum Mitschreiben. Um sicherzugehen, daß du so schnell wie möglich schwanger würdest, hast du dafür gesorgt, daß nicht nur ein, sondern gleich zwei Männer bereit waren, dir zu den gewissen Umständen zu verhelfen. Es ist nur schade, daß weder JeanPierre noch ich zur Zeit genau wissen, wer von uns nun der stolze Vater wird. Aber da das Kind meinen Namen tragen wird, genieße ich offenbar das Vorrecht, mich erst mal Vater nennen zu dürfen, auch wenn sich herausstellen sollte, daß es letzten Endes JeanPierres Sprößling ist.“ Er warf wütend den Kamm auf den Frisiertisch und kehrte ihr den Rücken zu. Das Zimmer verschwamm vor ihren Augen. Sabrina glaubte einen Moment, der Schlag treffe sie. Sie schaffte es gerade noch bis ins Bad, dann wurde ihr unwohl. Wie aus weiter Ferne hörte sie das Klopfen an der Tür. Jemand rief: „Alles in Ordnung, Sabrina?“ Dann wurde sie ohnmächtig. So fand sie Clyde. Es hatte eine Weile gedauert, bis er die Tür hatte öffnen können. Sabrina lag ausgestreckt auf dem gekachelten Fußboden und blockierte den Eingang zum Bad. Ihr Gesicht war totenbleich. „Sabrina?“ Sie rührte sich nicht. War sie bewußtlos? Clyde bekam Angst. Wer war ihr Arzt? Er hatte sie nicht danach gefragt, ja, er wußte nicht einmal, wie lange sie schon schwanger war. Seit ihrer Hochzeitsnacht waren nicht viel mehr als sechs Wochen vergangen. Wie lange braucht eine Frau, um festzustellen, daß sie schwanger ist? Er hatte gar keine Ahnung von solchen Dingen. Vielleicht hatte sie es sehr bald nach ihrer Hochzeit entdeckt und fühlte sich ihm gegenüber deshalb nicht länger verpflichtet? Sie hatte ja ihren Teil dazu beigetragen, daß die Firma den Erben bekam. Für den Nachwuchs war gesorgt, warum sollte sie sich also nicht frei fühlen? Frei, um ihr Leben so zu genießen, wie es ihr gefiel? Sie schuldete ihm nichts mehr. Vorsichtig legte er Sabrina auf das Bett, zog die Decke bis an ihre Nasenspitze und machte sich auf die Suche nach Mr. Foster. „Sabrina geht es schlecht, Mr. Foster.“ „Mr. Carlyle!“ Der Hausangestellte war aufrichtig besorgt. „Soll ich einen Arzt rufen?“
„Wenn ich nur wüßte, welchen, Mr. Foster. Sabrina erwartet ein Baby, wissen Sie, und möglicherweise ist es nur diese typische Übelkeit am Morgen.“ „Sir! Herzlichen Glückwunsch!“ „Danke, Mr. Foster, danke. Aber wenn Sabrina wieder zu sich kommt, muß sie unbedingt etwas essen. Würden Sie etwas Toast besorgen, Mr. Foster? Und Tee vielleicht?“ „Gewiß, Sir. Selbstverständlich.“ Der Angestellte ging, glücklich, behilflich sein zu können. Clyde sah nachdenklich hinter ihm her. Er mußte auf alle Fälle zunächst einmal herausfinden, wie Sabrinas Arzt hieß. Leise näherte er sich dem Bett. Sabrina lag noch genauso da, wie er sie verlassen hatte. Aber sie hatte die Augen geöffnet. „Wie fühlst du dich?“ Sie drehte sich zur Wand, um ihn nicht ansehen zu müssen. „Es geht schon wieder“, antwortete sie tonlos. „Ich denke, wir sollten trotzdem den Arzt kommen lassen. Bei welchem bist du in Behandlung?“ „Dr. Friedrichs.“ „Ich rufe ihn an.“ „Nein. Bitte nicht. Es geht mir gleich besser. Er sagte mir, daß so etwas vorkäme und durchaus normal sei.“ „Mr. Foster bringt gleich etwas Toast und Tee herauf. Du mußt eine Kleinigkeit essen. Soll ich heute bei dir bleiben?“ Sie schüttelte den Kopf und schloß die Augen. Clyde nahm ihre Hand, die kraftlos auf der Decke ruhte. Sie fühlte sich kalt an. „Hör zu, wir sprechen heute abend noch einmal in Ruhe über alles, ja? Es wird schon einen Ausweg für uns geben. Ruh dich erst einmal aus, und sieh zu, daß du wieder auf die Beine kommst. Ich werde mich beeilen und komm« zeitig nach Hause.“ Sie hielt die Augen fest geschlossen, und als er ihre Hand losließ, zog sie sie unter die Decke. Da beugte er sich über sie und küßte sie auf die Stirn. Sabrina rührte sich nicht, bis er das Zimmer verlassen hatte.
10. KAPITEL Sabrina lag ganz still in ihrem Bett und lauschte. Sie hörte, wie er das Zimmer verließ und die Treppe hinunterging. Da! Das war die Haustür. Er war fort. Hoffentlich! Minutenlang lag sie da und horchte. Er war tatsächlich fort, und sie wollte ihn nie wiedersehen. Bei dem bloßen Gedanken daran, wie er ihre Nachricht aufgenommen hatte, empörte sich alles in ihr aufs neue. Er glaubte also wirklich, sie habe etwas mit JeanPierre gehabt? Oder wollte er so nur den eigenen Seitensprung mit Marcia vor sich rechtfertigen? Jemand klopfte zaghaft an die Tür. Es war Mr. Foster. Vorsichtig balancierte er das Tablett in seinen Händen, bis er neben Sabrinas Bett stand. „Mrs. Carlyle, ich freue mich mit Ihnen. Dieses Haus braucht helles Kinderlachen.“ Er stellte das Frühstück neben Sabrinas Bett ab. „Versuchen Sie, etwas zu essen. Die Köchin hat Ihnen Toast bereitet und Tee aufgebrüht. Essen Sie, soviel Sie mögen. Man muß dem Magen etwas anbieten, heißt es. Das vertreibt die Übelkeit. Wenn Sie es wünschen, könnte ich Ihnen das Frühstück jeden Morgen ans Bett bringen, damit Sie gleich etwas vorfinden, wenn Sie wach werden.“ Sabrina stemmte sich hoch, und Mr. Foster stopfte ihr ein paar Kissen in den Rücken. Es tat gut, so umsorgt zu werden. „Danke, Mr. Foster. Sie sind sehr aufmerksam. Ich werde mir das mit dem Frühstück am Bett noch überlegen. Wenn's nicht zu viel Mühe macht…“ „Wir tun es alle gern für Sie, Mrs. Carlyle. Ich habe eben gerade in der Küche gesagt, seit Sie hier sind, ist Mr. Carlyle ein anderer Mensch. Sie haben Lachen und Frohsinn ins Haus gebracht.“ Was würde Mr. Foster, was würde die Köchin wohl sagen, wenn sie wüßten, daß Clyde annahm, seine Frau erwarte das Kind eines anderen Mannes? überlegte Sabrina. Clyde hatte nicht einen Moment überlegt, ob sein Argwohn angebracht sei. Er hatte sie verurteilt, ohne sie anzuhören. Jeder Missetäter bekam doch eine ordentliche Verhandlung vor Gericht, doch sie war, ohne Umstände, verurteilt und für schuldig befunden worden. Gehorsam trank Sabrina ihren Tee und aß den Toast. Ihr Magen beruhigte sich daraufhin. Sie hatte noch eine Menge zu erledigen, und viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Einige Stunden später lehnte sich Sabrina in dem bequemen Polstersitz der I. Klasse eines Jumbojets zurück und schloß die Augen. Sie hatte es geschafft! Sie flog zurück nach Frankreich, zurück nach Paris. Sie hatte nur JeanPierre angerufen und ihm davon erzählt. Den Grund hatte sie ihm nicht genannt. Sie schämte sich nämlich für Clyde wegen seiner lächerlichen Verdächtigungen. Außerdem könnte JeanPierre auf den Gedanken kommen, sie hätte ihn dazu benutzt, Clyde eifersüchtig zu machen. Das wollte sie nicht. Danach hatte sie die Flugverkehrslinien der Reihe nach angerufen und das erste Flugzeug gebucht, das sie fortbrachte. Sie hatte Glück. Es war noch ein Platz frei in einer Maschine mit direkter Verbindung nach Europa. Ein Koffer war schnell gepackt. Sie brauchte nicht viel. In ein paar Wochen würde sie ohnehin neue Garderobe kaufen müssen. Wenn Dr. Friedrichs recht behielt, dann hatte sie bereits in ihrer Hochzeitsnacht empfangen. Der Arzt hatte die Geburt des Kindes für Ende Januar vorausberechnet. Zuletzt schrieb Sabrina einen Brief an Clyde. Er hatte versprochen, zeitig
heimzukommen, um mit ihr zu reden. Die Mühe konnte er sich aber sparen. Sie hatte nicht die Absicht, mit diesem Mann auch nur eine Minute über die Zukunft zu diskutieren. Überhaupt, wie sollte sie diesem Menschen auch nur begegnen, ohne erneut den Schmerz jenes Augenblicks zu spüren, als er behauptete, nicht der Vater ihres Kindes zu sein. Unterdessen hatte sich Clyde in sein Büro zurückgezogen und die Sekretärin angewiesen, sämtliche Termine abzusagen und keine Telefongespräche durchzustellen. Wann immer in der Vergangenheit ein Problem aufgetreten war, Clyde hatte es stets so gehalten, daß er in der Abgeschiedenheit seiner Büroräume die Schwierigkeiten unter die Lupe nahm und sie von allen Seiten betrachtete, um eine vernünftige Lösung zu finden. Eins stand fest, durch Sabrinas Schwangerschaft waren die testamentarischen Bedingungen erfüllt und der Konzern für die Familie gerettet. Genauso wichtig war aber der zweite Tatbestand, daß er sie nämlich hebte und mit ihr zusammenbleiben wollte. Dazu mußte er wissen, wie tief ihre Gefühle für JeanPierre waren. Allerdings, er würde sie eher freigeben als teilen. Wenn er also heute abend nach Hause kam, würde sie ihm wohl oder übel erklären müssen, wie sie zu JeanPierre stand und was sie für ihn, Clyde, empfand. Vielleicht könnte er ihr das erleichtern, wenn er ihr zunächst sagte, was sie ihm bedeutete. Doch nein! Besser nicht. Sie sollte frei und unbeeinflußt entscheiden können, und sein Liebesgeständnis könnte sie unter Umständen daran hindern, einen ehrlichen Entschluß zu fassen. Wenn sie ihn nicht liebte, wollte er sich ihr auch nicht in den Weg stellen. Sie sollte hingehen können, wohin es sie zog. Wobei Clyde nicht daran denken mochte, was er ohne sie anfangen sollte. Er würde ihre Entscheidung eben akzeptieren müssen. Nachdem er mit seinen Überlegungen so weit gekommen war, richtete er seine Gedanken auf das werdende Kind. Das unschuldige Wesen sollte niemals die Geschichte von den zwei Vätern erfahren. Clyde hoffte plötzlich, es würde ein Mädchen werden mit dem Aussehen seiner Mutter. Gesetzlich wäre er der Vater, und das Kind gehörte zu ihm, selbst wenn sich Sabrina für JeanPierre entscheiden sollte. Um fünf Uhr fuhr Clyde nach Hause. Wie es Sabrina wohl ging? Mittags hatte er angerufen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, und Mr. Foster hatte ihm gesagt, sie schliefe. Das hörte sich gut an. Als erstes warf er einen Blick in die Bibliothek, aber der Raum lag im Dunkeln. Sie wird oben sein, dachte Clyde und schickte sich an, hinaufzugehen. Da erschien Mr. Foster in der Halle. „Ist Sabrina oben, Mr. Foster?“ „Nein, Sir. Sie ist nicht hier.“ Clyde war schon halb auf der Treppe. Jetzt blieb er stehen. „Nicht hier? Wo ist sie?“ „Ich weiß es nicht, Sir. Mrs. Carlyle sagte nur, sie hätte für Sie eine Nachricht hinterlassen. In der Bibliothek, Sir. Auf dem Schreibtisch.“ Clyde fror plötzlich, und er hatte das Gefühl, ihm schnüre etwas die Kehle zu. Langsam stieg er die Stufen wieder hinunter, ging in die Bibliothek und schaltete dort die Lampe auf dem Schreibtisch an. Der Brief war versiegelt, auf dem Couvert stand sein Name. Zögernd streckte er die Hand aus. Er fürchtete sich mit einemmal. Widerstrebend riß er endlich den Umschlag auf und entfaltete den Bogen Papier.
„Lieber Clyde, wenn Du diese Zeilen liest, bin ich bereits auf dem Heimweg. Zurück nach Frankreich. Ich denke, unsere ursprüngliche Abmachung vereinbarungsgemäß erfüllt zu haben. Nach Auskunft des Arztes ist mit meiner Niederkunft Ende Januar zu rechnen. Ich lasse Dich wissen, wenn das Baby da ist, damit die Urkunden unterzeichnet werden können. Nun hast Du also wieder die alleinige Kontrolle über den Konzern. Marcia und Du, Ihr braucht jetzt Eure Beziehung nicht länger geheimzuhalten und könnt Euch ungehindert treffen. Meine Einwilligung habt Ihr. Ich unterschreibe auch gern die Dokumente, die zur Scheidung unserer Ehe nötig sind. Bestimmt weiß Harry, wie man so etwas am besten regelt. Für die Zukunft alles Gute Sabrina.“ Der Brief entglitt seinen Händen und fiel zu Boden. Benommen starrte er vor sich hin. Das Baby sollte bereits im Januar zur Welt kommen? Dann bestand kein Zweifel daran, daß er der Vater war! Aber warum erwähnte sie Marcia? Dafür gab es keine Silbe über JeanPierre. Ob sie gemeinsam zurück nach Frankreich geflogen waren? Ach, was interessierte ihn das! Dann wollte Sabrina also frei sein. Sie hatte ihm ihre Antwort gegeben, noch bevor er sie hatte fragen können. Vielleicht war es besser so. Er eignete sich anscheinend nicht für die Ehe, er war zu mißtrauisch, ging nicht genug aus sich heraus. Bei Sabrina hatte er zwar angefangen, freier zu werden. Doch das war wohl nicht genug gewesen. Alles wäre anders gekommen, wenn sie ihn geliebt hätte. Wie konnten sein Vater und Scott nur annehmen, eine Ehe zwischen Sabrina und ihm könne funktionieren? Sie brauchte Menschen um sich wie diesen JeanPierre, die bereit waren, sich zu öffnen und Freud und Leid miteinander zu teilen. Clyde erhob sich und holte aus dem Barfach ein Glas und eine Flasche mit Cognac. Komisch – früher wäre es ihm nie eingefallen, sich zu betrinken. Nun überkam ihn schon zum zweitenmal dieses Bedürfnis. Dafür durfte er sich bei Sabrina bedanken. Da saß er nun, ein werdender Vater, aber ganz allein. Wie sollte die Zukunft nur aussehen? Der Sommer verging, ebenso der Herbst, und der Winter kam. Seit sie San Francisco so überstürzt verließ, hatte Sabrina nichts von Clyde gehört. Eigentlich erwartete sie auch keine Antwort auf ihren Brief. Zwischen ihnen gab es ja nichts zu klären. Er hatte seine Freiheit wieder, und Harry mochte ihm geraten haben, mit der Scheidung zu warten, bis das Baby geboren war. Es hatte keine Eile. Jetzt, wo sie fort war, konnten er und Marcia sich so oft sehen, wie sie wollten. JeanPierre hatte Michelle geheiratet. Das Paar bewohnte eine hübsche Dachgeschoßwohnung hoch über Paris. Für Suzanne bedeutete das, sich nach neuen Mietern umzusehen, die mit ihr die große Wohnung teilten, denn Sabrina wollte ebenfalls ausziehen, sobald das Kind da war. „Ich würde gern bei euch bleiben“, sagte sie, als die Sprache darauf kam, „aber dies ist keine Umgebung für ein Kind. Ich werde mir ein kleines Haus auf dem Lande kaufen, damit das Baby in frischer Luft und in der Sonne aufwachsen kann und genug Platz hat, zu spielen und sich auszutoben.“ „Als ob es die natürlichste Sache der Welt ist, ein Kind allein großzuziehen“, hatte JeanPierre entgegnet. Er war ärgerlich, denn schließlich gab es da einen Vater, der ruhig ein bißchen mehr Anteilnahme hätte zeigen dürfen.
Außerdem machte JeanPierre sich Sorgen um Sabrina. Sie aß so gut wie nichts.
Offenbar verzehrte sie sich vor Sehnsucht nach Clyde.
Irgend etwas mußte geschehen. Als der Dezember vorüberging, ohne daß auch
nur ein Kartengruß von Clyde kam, entschloß JeanPierre sich, diesem Kerl
gehörig die Meinung zu sagen.
Clyde erhielt den Anruf an einem besonders hektischen Tag.
„Ein RGespräch aus Frankreich, Mr. Carlyle. Es ist ein Monsieur Armand. Jean
Pierre Armand. Sind Sie zu sprechen?“
Clyde blickte auf den Hörer in seiner Hand, als sei er eine gefährliche
Giftschlange.
Sein Herz klopfte. Das Kind konnte noch nicht geboren sein, dazu war es zu früh.
Was also wollte er?
„Natürlich, Phyllis. Stellen Sie durch. – Hallo? JeanPierre?“
„Ich dachte schon, du würdest den Anruf nicht entgegennehmen.“
„So. Dachtest du. Also, was willst du?“
„Ich wollte mich nur vergewissern, ob es dich wirklich nicht interessiert, was
Sabrina macht?“
„Wie geht es ihr?“
„Wenigstens reagierst du normal. Hör zu, Clyde. Ich muß wissen, wie du zu ihr
stehst, ob sie dir wirklich völlig gleichgültig ist?“
„Sie ist mir natürlich nicht gleichgültig. Nun sag schon endlich, warum rufst du
an?“
„Weil ich dir sagen wollte, daß für Sabrina wahrscheinlich die Geburt deines
Kindes eine Gefahr ist. Ich meine, du solltest das wissen.“
„Was redest du da?“ fuhr Clyde ihn an.
„Ich rede davon, daß deine Frau zu schwach ist. Der Arzt sagt, es wird ein sehr
großes Baby, aber Sabrina ist nicht kräftig genug. Wenn er aber mit ihr darüber
sprechen will, sagt sie nur, es sei ihr egal, was mit ihr geschieht. Hauptsache,
dieses Kind käme gesund zur Welt. Und mir hat sie gesagt, das Kind wäre das
einzige, was du jemals von ihr gewollt hättest. Also würde sie es auch gebären,
selbst wenn sie dabei in Gefahr käme.“
„Allmächtiger!“ Clydes Stimme zitterte. „Glaubst du, sie würde mich nicht
abweisen, wenn ich zu euch käme, JeanPierre?“
„Das kommt darauf an, ob du allein kommst oder zusammen mit deiner
Geliebten.“
„Mit wem, bitte? Sag das noch einmal!“
„Deine teure Marcia! Wenn du meine Meinung hören willst – ihr beide paßt
hervorragend zueinander. Euch beide kümmert es nicht, ob ihr andere Menschen
unglücklich macht oder nicht.“
„JeanPierre, ich verstehe nicht, was du meinst. Meine Beziehung zu Marcia habe
ich abgebrochen, noch bevor Sabrina und ich verlobt waren. Und ich habe sie nie
wiederaufgenommen, das mußt du mir glauben.“
„Warum hat Miss Sinclair dann angedeutet, daß ihr beide lediglich wartet, bis
Sabrina wieder nach Frankreich zurückkehrt?“
„Lieber Himmel! Hat sie das behauptet? Wann war das?“
„Das war an dem Tag, als ich Sabrina nach Hause brachte und dich traf. Sie hatte
gerade begriffen, daß dir nicht das geringste an ihr liegt und daß du die Abende
immer bei Marcia verbracht hast. Warum, dachtest du, hätte ich sie sonst wohl
ins Bett gebracht und bei ihr ausgehalten, bis sie eingeschlafen war?“
„Ich dachte natürlich, du und Sabrina, ihr hättet ein Verhältnis miteinander.“
„Menschenskind! Wie kommst du denn auf die Idee? Sie hatte doch nur Augen
für dich, konnte es ja kaum erwarten, wieder nach San Francisco zu fliegen, um
dich zu heiraten, so vernarrt war sie in dich.“ Clyde schwirrte der Kopf. „Heißt das… heißt das etwa, Sabrina liebt mich?“ „Klar, du Blindgänger! Klar liebt sie dich. Das darfst du getrost glauben. Mehr als alles auf der Welt. Würde sie sonst ihr Leben riskieren, nur um dein Kind zur Welt zu bringen? Sie weiß doch, daß du sie nur geheiratet hast wegen dieser blödsinnigen Bedingung, die sich eure Väter da ausgedacht haben. Hoffentlich seid ihr jetzt alle hübsch zufrieden. Die beiden Alten haben ihren Willen, und alles, was Sabrina zu tun übrigbleibt, ist, diesen Millionärssprößling zu bekommen.“ Clyde verstand überhaupt nichts mehr. Sabrina liebte ihn? Hatte ihn schon geliebt, als sie noch nicht verheiratet waren? Warum hatte sie ihn dann verlassen? Wo blieb da die Logik? „JeanPierre! Ich schwöre dir hoch und heilig, zwischen Marcia und mir ist nie etwas gewesen. Was immer dir Sabrina auch erzählt haben mag.“ „Und das soll ich glauben?“ „Es ist die Wahrheit, JeanPierre. Ich mache dir nichts vor. Seit Monaten komme ich hier fast um vor Eifersucht. Ich nahm an, Sabrina liebt dich.“ Über die Leitung hörte man JeanPierre deutlich stöhnen. „Leute! Was für ein Durcheinander. Sag mal, habt ihr euch nie die Zeit genommen, miteinander zu reden, um die Mißverständnisse aus der Welt zu schaffen? Wie mir scheint, seid ihr nur eifrig damit beschäftigt gewesen, falsche Schlüsse zu ziehen.“ „Wie dem auch sei… Jedenfalls, als ich dich bei mir antraf, kam ich extra früher nach Hause, um mit Sabrina zu reden. Deshalb kam ich mir ja so lächerlich vor. Es war ja wie in den Witzen, wo der Ehemann früher als erwartet heimkommt und einen Liebhaber bei seiner Frau vorfindet. Und deine Äußerung hat mich auch nicht gerade heiter gestimmt.“ „Welche Äußerung?“ „Daß du dich um meine Frau gekümmert hättest. Ich fühlte mich verspottet.“ „Ach du liebe Zeit! Ich wollte damit doch nur sagen, daß ich versucht habe, sie zu beruhigen. Sie war nahe daran, die Nerven zu verlieren, weil sie hörte, daß du gerade Marcia von der Testamentsklausel erzählt hast.“ „Aber… ich habe Marcia kein Sterbenswörtchen verraten!“ „Warum sagst du mir das alles? Sabrina sollte es wissen.“ „Ich weiß, ich weiß. Laß mich überlegen. Gib mir deine Telefonnummer. Sobald ich einen Flug gebucht habe, rufe ich zurück. Und… JeanPierre? Würdest du mich am Flughafen abholen, bitte?“ „Das mache ich. Aber Sabrina werde ich noch nichts davon sagen, daß du kommst. Es würde sie nur unnötig aufregen.“ „Du meinst, sie regt sich auf, wenn ich komme?“ „Sie wird sich fragen, warum du es tust. Nein. Es ist besser, du überraschst sie.“ „Wie du meinst, JeanPierre. Bis bald also.“ Sabrina legte den Pinsel aus der Hand. Es hatte keinen Zweck. Sie konnte nicht mehr. Ob sie saß oder stand, sich hinlegte oder herumlief – nichts half. Das Ziehen im Rücken wurde immer schlimmer, und die Schmerzen im Leib kamen und gingen seit dem frühen Morgen. Ob sie den Arzt rufen sollte? Er hatte zwar gesagt, es dauere noch vier Wochen, aber das Baby hatte offensichtlich andere Pläne. Jemand klopfte. Sollte das Suzanne sein? So früh hatte sie die Freundin heute nicht erwartet. „Herein!“ Es war JeanPierre. „Guten Morgen, kleine Mutter. Wie fühlst du dich?“ „Mußt du mich das jedesmal fragen, wenn wir uns sehen?“ nörgelte Sabrina. „Schwanger.“
JeanPierre lachte. „Ich habe dir Besuch mitgebracht“, sagte er und trat zur
Seite, um Clyde vortreten zu lassen.
„Clyde!“ Sabrina schwankte vor Schreck und setzte sich auf das Sofa. Clyde
wirkte müde, er hatte im Flugzeug nur wenig geschlafen. Aber in Sabrinas Augen
sah er großartig aus wie immer.
„Hallo, Sabrina!“ Er ging zu ihr, setzte sich und strich ihr sanft das Haar zurück.
Dann betrachtete er eingehend ihr schmales Gesicht.
Wie mager sie geworden war! Ihre Arme waren so dünn wie die eines Kindes.
Behutsam zog er sie an sich, und sie hielten sich lange umschlungen. Keiner
merkte, daß JeanPierre leise das Zimmer verließ.
„Verzeih mir, Liebling, verzeih, daß ich dich gehen ließ.“
„Wenn ich mich recht erinnere“, sagte Sabrina, und ihre Stimme bebte, „habe ich
dir keine andere Wahl gelassen.“
„Aber ich hätte mich ins nächste Flugzeug setzen und dich zurückholen müssen.“
Verdutzt schaute sie ihn an. „Warum hättest du das tun sollen?“
„Weil ich dich liebe, du Dummchen. Weil ich nicht leben kann ohne dich.“
„Du liebst mich?“ wiederholte sie fassungslos.
„Unbeschreiblich.“
„Aber… was ist mit…“
„Schatz, es gibt so viel, was ich dir erklären muß.“ Er nahm ihre Hand und
drückte sie. „Ich muß dir für so vieles Abbitte leisten, daß ich nicht weiß, wo ich
beginnen soll. Von Anfang an habe ich alles verkehrt gemacht. Es war mir nicht
einmal bewußt, daß ich dich liebe, bevor wir heirateten. Jeremy mußte erst
kommen und mich mit der Nase drauf stoßen. Kürzlich erfuhr ich, daß Marcia
Andeutungen gemacht hat, die dich verletzt haben. Wäre ich Esel nicht so
zugeknöpft gewesen und hätte dir gestanden, was du mir bedeutest, wären sie
für dich sicher ohne Bedeutung gewesen.“
„Da hast du recht.“
„Es tut mir unsagbar leid, daß ich annahm, es sei etwas zwischen dir und Jean
Pierre. Aber als ich ihn damals aus unserem Schlafzimmer kommen sah, zog ich
vorschnell falsche Schlüsse.“
„Du hast JeanPierre aus unserem Schlafzimmer kommen sehen? Das ist doch
nicht möglich!“
„Doch, Liebling. Es war an dem Tag, als du dich so über Marcia geärgert hast.“
Sabrina überlegte.
„Aber das war die Nacht, in der du nicht nach Hause gekommen bist, Clyde.“
„Schatz, seitdem wir verheiratet sind, bin ich keine Nacht ausgeblieben. Ich war
immer zu Hause.“
„Dein Bett war aber unberührt, und als ich dich fragte, sagtest du, es wäre halb
fünf gewesen, als du heimkamst“, antwortete Sabrina erstaunt.
„Und du nahmst an, halb fünf Uhr morgens? Ach, Liebes, welch ein
Mißverständnis! Ich bin unten auf der Couch in der Bibliothek eingeschlafen, weil
ich etwas zu viel Whisky getrunken hatte.“
Schweigend saßen sie nebeneinander, aber dieses Schweigen hatte nichts
Bedrückendes mehr.
Denn sie begriffen beide, daß sie sich schon vor ihrer Hochzeit ineinander verliebt
hatten.
„Ich war so stolz auf meine bildschöne Braut und wünschte mir nichts sehnlicher,
als ein Leben an deiner Seite. Aber ich hatte ja auch eine große Verantwortung
übernommen. Und darum arbeitete ich von früh bis spät…“
„… während ich dich bei Marcia vermutete.“
„Wenn ich das geahnt hätte!“
„Und wenn ich geahnt hätte, daß du JeanPierre für meinen Liebhaber hältst… Ich
war zu Tode erschrocken, als du mir unterstelltest, ich wüßte nicht genau, wer
der Vater meines Kindes ist. Im übrigen… ich bin nicht sicher, ob dieses Baby
sich noch länger geduldet. Ich vermute nämlich, in wenigen Stunden werden wir
wissen, ob wir einen Sohn oder eine Tochter haben.“
„Sabrina! Das ist doch zu früh!“
Sabrina lächelte nur, stemmte sich hoch und ging schwerfällig hinüber zum
Telefon. „Ich rufe jetzt den Arzt.“
Der Arzt kam und gab Sabrina recht. Das Baby war unterwegs. Clyde nahm ihn
daraufhin beiseite und forderte in drohendem Ton, daß er unter allen Umständen
das Leben der Mutter retten solle. Der Arzt hörte ihm geduldig zu, dann klopfte
er ihm auf die Schulter. „Ich habe die Absicht, beide zu retten, Monsieur. Da es
früher kommt als erwartet, wird das Baby keine allzu große Gefahr für Ihre Frau
bedeuten, weil es kleiner und leichter sein wird, als wir bisher angenommen
haben. Versuchen Sie jetzt, ruhig zu bleiben, und überlassen Sie alles Weitere
mir.“
Die Stunden schleppten sich dahin. Michelle, Suzanne und JeanPierre kamen,
um Clyde im Krankenhaus Gesellschaft zu leisten. Es war drei Uhr morgens, als
der Arzt aus dem Kreißsaal kam.
„Ihre Tochter ist ein reizender, kleiner Schreihals. Sie wiegt zwar nur knapp fünf
Pfund, ist aber kerngesund. Herzlichen Glückwunsch!“
„Ein Mädchen!“
„Ja. Mit rötlichem Haar und einem sehr nachdenklichen Gesichtsausdruck. Als
wüßte sie nicht, ob ihr diese Welt gefällt.“
„Wann kann ich meine Frau sehen?“
„In ein paar Minuten. Man bringt sie gerade in ihr Zimmer.“
„War es eine schwere Geburt?“
„Nein, nicht so sehr, wie ich befürchtete. Es war gut, daß Sie kommen konnten.
Ich habe Ihre Frau nie so entspannt und glücklich gesehen.“
JeanPierre trat auf ihn zu. „Gratuliere, Clyde. Ich freue mich für euch.“
„Danke, JeanPierre. Danke für alles, was du für uns getan hast.“
„Ich hab's für Sabrina getan, Clyde, und ich bin froh, daß alles gut ausgegangen
ist. Außerdem gebe ich zu, daß ich dich zu mögen anfange.“
Die Schwester kam und brachte Clyde zu Sabrina. Leise näherte er sich dem Bett
und nahm ihre Hand.
„Hast du sie schon gesehen?“ flüsterte sie kaum hörbar.
Er beugte sich über sie. „Nein. Noch nicht.“
Sabrina sah, wie aufgeregt er war. „Liebster, was ist? Was hast du?“
„Nichts, mein Schatz, nichts. Es ist die Freude. Alles ist in schönster Ordnung.
Sobald du reisen darfst, fliegen wir nach Hause.“ Er lehnte sich vor und küßte sie
auf den Mund.
„Clyde?“
„Ja, mein Herz?“
„Unsere Tochter wird doch nun Vorstandsvorsitzende, hab' ich recht…? Meinst du
nicht, wir sollten auch einen Aufsichtsrat…?“
Er lächelte. „Ich lasse es mir durch den Kopf gehen, ja?“
ENDE