Willkommen Liebe
Lucy Gordon
Bianca 1278 20-1/01
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von almut_k
1. KAPITEL
Luke...
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Willkommen Liebe
Lucy Gordon
Bianca 1278 20-1/01
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von almut_k
1. KAPITEL
Luke hatte diesen Raum als Schlafzimmer gewählt, weil es Aussicht auf die goldene kalifornische Küste bot, auf das schimmernde Wasser und den Manhattan Beach Pier. Er hatte dieses Haus am Strand tatsächlich wegen des herrlichen Ausblicks gekauft, und er genoss ihn jeden Morgen aufs Neue. Heute Morgen, wie sonst auch, sprang er nackt aus dem Bett, und sein erster Gang war der zum Fenster. Er wollte das Rollo gerade hochziehen, als er jedoch innehielt und einen liebevollen Blick über die Schulter zum Bett hin warf, wo er einen Schöpf blonder Locken auf dem Kissen ausgebreitet sehen konnte. Dominique war ein echter Schatz, aber sie war ein Morgenmuffel. Und nach der verrückten Nacht, die sie zusammen gehabt hatten, verdiente sie ihren Schlaf. Ihren Schönheitsschlaf, wie sie es nannte. Obwohl er es absolut nicht verstehen konnte, dass aus gerechnet sie mit ihrem unglaublichen Gesicht und der unglaub lichsten Figur in ganz Los Angeles - vielleicht sogar in der ganzen Welt, wie er großzügig hinzufügte - einen Schönheitsschlaf brauchte. Er ließ das Rollo geschlossen, zog eine Badehose an und ging hinunter in die riesige Küche. Aus dem Kühlschrank holte er das Glas mit Orangensaft heraus, den er am Abend zuvor ausgepresst hatte, und trank ihn in kleinen Schlucken, um den leicht süß-sauren Geschmack so richtig genießen zu können. Danach lief er über den Sandstrand zum Wasser und tauchte mit einem Hechtsprung in den kalten Pazifik ein. Das vertrieb den letzten Rest von Schlaf und machte ihn bereit für einen neue n Tag in seinem Leben. Ein Leben, das er in jeder Hinsicht gut fand. Luke Danton, vierunddreißig Jahre alt, bekannt, gut aussehend, erfolgreich. Solange er sich erinnern konnte, fielen ihm die Freuden des Lebens spielerisch zu ... wenn auch nicht ganz ohne Mühe, wie er sich eingestehen musste. Aber er hatte nichts gegen harte Arbeit. Er verstand es, zuzupacken, umso mehr, da er wusste, dass die Anstrengung sich für ihn immer lohnte. Er tobte eine ganze Stunde in der Brandung herum, nahm die Herausforderung der Wellen an, stemmte sich gegen sie, tauchte unter, übersprang sie. Schließlich watete er aus dem Wasser, blieb kurz stehen, um das Panorama zu genießen - den Strand und die Häuser dahinter. Liebevoll blickte er auf sein eigenes Heim, sein Stolz und seine Freude. Angesichts des Kaufpreises hatte er schlucken müssen, aber das Haus war jeden Cent wert. Als Kind hatte er an diesem Strand gespielt. Als Heranwachsender hatte er hier rumgegammelt, bis seine Mutter ihn dafür anschrie. Aber wenn sie nicht gerade böse auf ihn war, brachte sie ihm das Kochen bei, und darin hatte er seine wirkliche Begabung gefunden. Er war Meisterkoch von Beruf und mittlerweile zum Starkoch aufgestiegen. Als gestandener Mann war er nun vor kurzem hierher zurückgekehrt, um sich ein Haus nur zwei Blocks vom Manhattan Pier entfernt zu kaufen. Er eilte zurück ins Haus, um sich für den Tag fertig zu machen. Dominique schlief noch immer, und er schloss die Badezimmertür hinter sich, um sie mit seinem lauten Gesang unter der Dusche nicht zu wecken. Sein schlanker Körper war muskulös, obwohl er sich niemals mit Fitness abgab. Seine unwahrscheinliche Energie, die harte Arbeit sowie das Schwimmen und Surfen im Pazifik hielten ihn in Form. Seine Beine waren lang und sehnig, seine Hüften straff und seine Schultern breit. Sein Gesicht, dem man ansehen konnte, dass er ständig Unfug im Kopf hatte, wirkte jünger, als er tatsächlich war. Die dunklen Augen und das schwarze Haar könnten auf einen entfernten spanischen Vorfahren zurückzuführen sein.
Aber den stets lachenden Mund hatte er einwandfrei von seinem Vater. Mac Danton hatte es in seinem Leben nie wirklich zu etwas gebracht, und das war auch heute nicht anders, fand die Frau, die ihn immer noch liebte und ihm seine Kinder geboren hatte. „Und du bist genauso schlimm" hatte sie Luke oft vorgehalten. „Es wird Zeit, dass du dir einen anständigen Beruf suchst." Dass er Besitzer von zwei Restaurants war und eine eigene Sendung im Kabelfernsehen hatte, betrachtete sie immer noch nicht als anständigen Beruf. Luke grinste einfach in sich hinein, wenn sie anfing, ihn zu kritisieren. Nachdem er geduscht hatte, zog er eine Hose an und ging hinunter in die Küche. Dominique war inzwischen ebenfalls da. Sie trug einen seiner besten Morgenmäntel aus Seide, und Luke beeilte sich, ihr zuvorzukommen. Er hasste es, jemand in der Küche zu haben, der ihm zur Hand gehen wollte, genau wie ein bildender Künstler es nicht mögen würde, wenn jemand sich an seinen Pinseln zu schaffen machte. „Wie spät ist es?" fragte sie und gähnte. „Kurz vor zwölf. Wie konnten wir nur so lange schlafen?" „Es war doch nicht lange. Wir haben den Nachtklub gegen vier Uhr verlassen", erinnerte sie ihn und schmiegte sich mit ge schlossenen Augen an seine Brust. „Und dann, als wir hier waren ..." Er grinste. „Ja", sagte er langsam, und beide lachten. „Wo finde ich den Kaffee?" fragte sie. „Ich vergesse es immer wieder." „Ich mache den Kaffee schon", entgegnete er schnell und führte sie zu einem Stuhl. „Du bleibst hier sitzen, und ich bediene dich." Sie lächelte ihn schläfrig an. „Nicht zu viel Sahne, bitte." „Als ob ich mittlerweile nicht wüsste, was für deine Figur schlecht ist", erwiderte er, während er den Kaffee mahlte. Sie öffnete weit seinen Morgenmantel und gab Luke einen großzügigen Blick auf ihren perfekten Körper. „Man muss schon einiges tun, um in Form zu bleiben", bemerkte sie. Er grinste. „Bedeck dich. Ich bin immer noch völlig erschöpft von letzter Nacht." „Nein, das bist du nicht. Du bist nie erschöpft, Luke." Sie stellte sich hinter ihn und legte die Arme um seine Taille, dabei presste sie sich so dicht an ihn, dass ihm fast der Kaffeefilter aus der Hand fiel. „Und ich bin auch nicht erschöpft - zumindest nicht von dir." „Das ist mir nicht verborgen geblieben", bemerkte er und lächelte bei der Erinnerung an einige der aufreizenden Momente der vergangenen Nacht. „Wir sind so gut zusammen - in jeder Beziehung." Als Luke nicht antwortete, schloss Dominique die Arme noch enger um ihn. „Findest du nicht auch?" beharrte sie. Luke war froh, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Sein ganzes Leben hatte er sich vor Verpflichtungen gedrückt. Mit der Zeit hatte er sich eine Art Antenne erworben, deren Fühler sofort Alarm schlugen, wenn ihm die Gefahr drohte, gefangen zu werden. Und im Augenblick glühten die Fühler, warnten ihn, dass sich in den nächsten wenigen Momenten entscheiden würde, ob sein Leben weiterhin angenehm bleiben würde. „Ich weiß, dass wir in einer Beziehung perfekt zusammen sind", entgegnete er leichthin. Er drehte sich um und küsste sie auf die Nasenspitze. „Und was will man mehr?" Dominique zog einen Flunsch. „Früher oder später braucht jeder mehr." Oh, Himmel, sie lässt nicht locker! „Nicht dieses Thema, Baby", bat Luke. Er küsste sie wieder, dieses Mal auf
die Lippen. „Lass uns eine schöne Freundschaft nicht verderben." Sie gab nach, für jetzt, wie er wusste. Er kannte Dominiques ausgesprochene Willenskraft, mit der sie es geschafft hatte, von der besten Model-Agentur in Los Angeles vermittelt zu werden und an Bombenjobs heranzukommen ... durch Methoden, die - wie Luke vermutete - lieber nicht genauer untersucht werden sollten. Was Dominique wollte, bekam sie. Und jetzt schien es, dass Dominique ihn in Fesseln legen wollte. Er erzitterte bei dem Gedanken an die nicht zu umgehende Auseinandersetzung. Er hatte keine Angst, dass er den Kürzeren ziehen würde. Wenn es um sein Überleben ging, konnte er nämlich ganz schön dickköpfig sein, was die Leute immer erstaunte, die nur seine aufgekratzte Freundlichkeit und sein Lachen kannten. Aber sich zu streiten schien ihm eine solche Verschwendung, wenn sie beide doch angenehmere Dinge tun konnten. Streiten? Verdammt, nein. Er stritt nie mit Frauen. Es gab andere Wege, sie wissen zu lassen, wo er stand. Subtilere Wege, die sie nach einer genussreichen Nacht freundlich stimmten. Luke mochte Frauen, und er liebte sie über alles, nicht unbedingt ihres Körpers wegen, sondern wegen ihrer sehr eigenen Art. Er war bezaubert von ihrem Wesen, von ihren seltsamen kleinen Geheimnissen, in die sie ihn unbewusst einweihten, was ihm wiederum großen Vorteil bei anderen Frauen brachte. Keine einzige seiner Geliebten hätte ihn nicht mit Freude wieder in ihr Bett aufgenommen. Er bildete sich darauf nichts ein. Er war nur zutiefst dankbar für ihre Großzügigkeit. Und er wollte, dass es auch so blieb. Welcher Mann wollte schon angekettet werden! Er musste mit Zartgefühl vorgehen. Das war es! „Mein armer Liebling", sagte er und küsste Dominique zärtlich. „Nimm deine Kaffeetasse, und leg dich wieder ins Bett. Ich zaubere dir etwas ganz Besonderes zum Lunch." „Was meinst du mit, armer Liebling'? Und ich möchte nicht ins Bett." „Nein? Du siehst immer noch ein wenig schläfrig aus." „Ich sehe müde aus?" schrie sie entsetzt auf. „Nein, nein, nur schläfrig", besänftigte Luke sie. „Und das ist ja auch kein Wunder nach der letzten Nacht. Du bist einfach großartig gewesen." „Nun, ich weiß, was du magst", gurrte Dominique und fuhr mit den Händen über seinen nackten Oberkörper. „Tu das nicht", flehte er und spielte gekonnt die Rolle eines Mannes, der fürchtete, körperlich erregt zu werden. Dabei war genau das Gegenteil der Fall. Jetzt, wo er um ihre Absicht wusste, schienen seine sinnlichen Regungen abgestorben zu sein wie immer, wenn er Hochzeitsglocken hörte. Aber es wäre nicht nett von ihm, Dominique das spüren zu lassen. Und Luke versuchte immer, nett zu sein. Sanft, wenn auch entschieden, führte er sie die Treppe hinauf. „Komm, kuschele dich ins Bett, Liebling, und lass mich dich verwöhnen", murmelte er. Er wusste, dass keine Frau ein solches Angebot zurückweisen würde. Und er würde ein wenig Zeit gewinnen. Vielleicht eine Stunde ... Wenn er Glück hatte. Nachdem Luke Dominique beschwatzt hatte, sich wieder ins Bett zu legen, trat er auf den Balkon und atmete tief durch. Hoffentlich ließen die Engel, die dafür zuständig waren, Junggesellen zu beschützen, ihn nicht im Stich. Weit weg konnte er das schwache Motorengeräusch eines Flugzeugs hören, das zur Landung auf dem Flughafen von Los Angeles ansetzte. Warum er plötzlich auf den Gedanken kam, dass sein guter Engel sich an Bord befand,
wusste er wirklich nicht. „Ladys und Gentlemen, der British Airways Flug 279 von London nach Los Angeles wird in zwanzig Minuten landen. Es ist 12 Uhr 10 Ortszeit, die Temperatur beträgt 23 Grad Celsius ..." Die zehnjährige Josie drehte sich halb vom Fenster ab, aus dem sie fasziniert auf das beginnende Häusermeer unter ihr geblickt hatte. „Mommy, wir sind heute Morgen um halb zehn gestartet und sind elf Stunden geflogen. Wie können wir um halb eins mittags landen?" Pippa gähnte und streckte sich, so weit die Umstände es zuließen. „Los Angeles liegt in der Zeit acht Stunden vor London, Liebling. Ich habe dir das doch schon erklärt, als wir uns den Atlas beguckten." „Ja, aber in Wirklichkeit ist es anders." „Das stimmt." Im Stillen rechnete Pippa sich aus, wie lange sie noch auf eine gute Tasse Tee warten müsse. Josie nahm ihre eigenen Berechnungen vor. Jedenfalls kam sie zu einer befriedigenden Antwort. „Wir sind rückwärts geflogen", rief sie stolz. „Das wird wohl so sein." „Siehst du, es gibt doch eine Zeitreise." Es war tatsächlich eine Art Zeitreise - eine Reise in die Zeit zurück. Der Zeitunterschied betrug allerdings nicht acht Stunden, sondern elf Jahre. Es war eine Reise in die Zeit zurück, als ein naives Mädchen von achtzehn Jahren ihren Verstand vom Herzen hatte leiten lassen und einen Mann liebte, obwohl es klar war, dass seine Liebe nur flüchtig bleiben würde. Auf ihrer Reise in die Zeit zurück erinnerte Pippa sich an den Augenblick, kurz bevor sie Luke Danton begegnet war. Sie stand ein wenig verwirrt im Korridor des Kellers des Ritz Hotels und war sich nicht schlüssig, welche Richtung sie nehmen sollte. Also öffnete sie die erste Tür, die sie sah, und fand sich in der Hotelküche. Und da war er - der gut aussehende, lachende junge Mann, der sie am Arm ergriff, sie wie einen Eindringling hinausbugsierte und ihr praktisch befahl, sich später mit ihm zu treffen. Mach schnell, dass du an der Tür vorbeikommst, solange es noch geht. Renne zum Ende des Durchgangs, zum Treppenaufgang hin. Vergiss, dass es ihn gibt. Dreh die Zeit vor, und du bist in Sicherheit. Sicherheit. Kein Luke. Keine sinnlichen vier Monate. Keine qualvolle Einsamkeit. Keine herrlichen Erinnerungen. Keine wunderbare Josie, ihr Liebling. Sie stieß die Tür auf. Und da war er... Es war für Luke eine äußerst kritische Situation. Natürlich konnte er immer noch schonungslos offen sein: Keine Hochzeit! Auf keinen Fall! Und leb wohl! Aber Luke hasste es, jemandem wehzutun, und er mochte Dominique. Er wollte sie nur nicht heiraten. Er vermutete, dass es eine Verbindung gab zwischen dieser Situation und einer Krise, die sie kürzlich durchgemacht hatte. Nach sechs Jahren als Topmodel hatte es Dominique fassungslos gemacht, dass ihr ein Job, den sie wirklich gewollt hatte, abgeschlagen wurde. Zu Gunsten einer Jüngeren. Dominique war umwerfend schön, aber sie war mit vierundzwanzig eine alte Lady in ihrem Job, und die Stunde hatte geschlagen. Sie hatte Luke nichts von dieser Sache erzählt, aber er hatte es durch die Medien erfahren. Kein Wunder also, dass er keinen Augenblick daran zweifelte, worum es hier wirklich ging und dass sein persönlicher Charme nichts damit zu
tun hatte. Er verübelte es Dominique nicht. Sie lebten in einer rauen Welt. Und er sagte sich, dass sogar eine hinreißende Frau in seinem Bett so manchen Trick anwenden könnte. Luke hatte das selbst einige Male getan. Also nahm er die ganze Angelegenheit gelassen hin. Doch nachgeben ... Nein, das war nicht drin. Es hatte in seinem Leben - abgesehen von seinen Eltern - einen Menschen gegeben, der von ihm nichts verlangt hatte. Der sogar seinen schuldbewussten Heiratsantrag abgelehnt hatte. Pippa ... Er würde ihr dafür immer dankbar sein. Witzige, überdrehte kleine Pippa, so verrückt wie er selbst, die seine Monate in London verzaubert hatte und ihn dann mit einem Lächeln und einem Winken hatte gehen lassen. Er war ihr erster Liebhaber gewesen, und er erinnerte sich immer noch gern, wie sie es genossen hatte, mit ihm Sex zu haben, so als ob Sex eine Schachtel Pralinen wäre, die sie mit ihm vernaschen wollte. Mit einem Jauchzen war sie ins Bett gesprungen, ungehemmt in ihrer Freude, warmherzig und großzügig, erpicht darauf, Lust zu geben und Lust zu empfangen. Er hoffte, ja er hoffte es tatsächlich, dass sie einen Mann gefunden hatte, der sie so befriedigen konnte, wie er es getan hatte. Oder machte er sich da etwas vor? Pippa war sogar cool geblieben, als sie entdeckt hatte, dass sie schwanger war. Er war zu dem Zeitpunkt bereits wieder zurück in Los Angeles gewesen, aber sie hatte ihm geschrieben. Er hatte sie angerufen und ihr pflichtbewusst angeboten, sie zu heiraten. Pippa hatte das sehr lustig gefunden, wie er sich erinnerte. Deswegen heiratete man doch heutzutage nicht. Natürlich wollte sie das Baby, aber wer brauchte schon Luke? Er war nicht gerade erfreut gewesen, so wie sie es ausgedrückt hatte, aber es hatte ihm die Freiheit bewahrt und dazu auch noch ein reines Gewissen. Er hatte schon mal daran gedacht, nach Europa zu fliegen, um sie zu besuchen. Aber die Flüge waren teuer, und es war vernünftiger, ihr das Geld zu schicken. Und das hatte er getan. Regelmäßig. In seiner Erinnerung war sie das verrückte Mädchen geblieben, ein Spaßvogel, dem der Schalk aus den Augen guckte. Sie hatte ihm Fotos von sich geschickt, aber irgendwie blieben sie unwirklich, passten nicht zu den lebhaften Erinnerungen an sie. Luke ertappte sich dabei, dass er lächelte bei der Erinnerung an dieses närrische, streitsüchtige, bezaubernde weibliche Wesen. Alles was Pippa unternahm, tat sie absolut impulsiv und begeistert. Nur mit ihr zusammen zu sein, war schon erschöpfend. Ob es ihre Träume waren oder nur das Essen, es war Grund genug, es ungestüm anzugehen. Sogar der banalste Streit. Und wie sie streiten konnte! Er hatte sie küssen müssen, um ihr den Mund zu verschließen. Doch auch damit hatte er sie nur zum Schweigen bringen können, wenn er ihren reizvollen Körper zu erkunden begann ... um dann herauszufinden, dass sie sich auch dabei leidenschaftlich verhielt. Pippa wusste, dass sie falsch gehandelt hatte. Es war verrückt, sich von einer Minute zur anderen für den Flug nach Los Angeles zu entscheiden. Jetzt war sie hier, müde von der langen Reise, mit einer inneren Uhr, die ihr sagte, dass es kurz vor Mitternacht war, und mit einem Tag vor ihr, der hier gerade begonnen hatte und der hart werden würde. Oh, warum hatte sie nicht zuerst nachgedacht, statt so impulsiv zu handeln? Es war allein Jakes Schuld. Und Harrys und Pauls und Dereks. Die hätten sie aufhalten sollten, vor allem Jake, der eigentlich als der Vernünftigste von den vieren galt. Stattdessen rückte er mit dem Namen eines Freundes heraus, der bei
einer Fluggesellschaft arbeitete und ihr zwei Tickets weit unter dem üblichen Preis besorgen konnte. Paul und Derek hatten sorgfältig ihre Medikamente nachgeprüft und ihr eine Liste gegeben mit Richtlinien, wie sie sich verhalten sollte. Harry hatte sie und Josie in seinem alten Wagen zum Flughafen gefahren. Und die anderen drei waren mitgekommen, weil sie Pippa und ihre Tochter nicht ohne Winken auf die weite Reise hatten lassen können. Wenn doch nur ihre Koffer auf dem Förderband bald erschienen! Pippa war, als ob sie hier bereits eine Ewigkeit wartete! Sie seufzte erschöpft. Josie dagegen hüpfte vor Aufregung auf und ab, sie wollte unbedingt als Erste die Koffer entdecken. „Dort, Mommy, da sind sie! Guck mal!" „Lass sie herankommen." Pippa hielt ihre Tochter zurück, damit sie nicht auf die andere Seite des Laufbandes stürmte und die für sie viel zu schweren Koffer vom Band zerrte. „Warte, bis sie hier sind." Josie schüttelte den Kopf, so dass ihre langen rotbraunen Haare hin und her schwangen. „Ich hasse es zu warten. Ich will alles sofort haben." „Dann bleibt nichts für später übrig, und was würdest du dann tun?" neckte Pippa sie. „Ich mache, dass es später geschieht. Ich kann alles, was ich will, geschehen machen." Es versetzte Pippa immer einen Stich, wenn ihre Tochter so redete. Sie erinnerte sich dann nur zu gut an jemanden, der ge glaubt hatte, dass er das Leben nach seinem Belieben formen könnte. Und dieser Jemand hatte damit Recht gehabt. Als Pippa sich umschaute, wurde ihr bewusst, wie weit sie gereist war, seit sie England verlassen hatte. Dies hier war ein anderer Kontinent, ja eine andere Welt. Alle sahen so gut aus. Wo waren die schlecht gekleideten, schäbigen, schlampig aussehenden Leute, die es in jeder anderen Bevölkerung gab? Wo waren die Übergewichtigen, die Farblosen? Die Menschen hier konnten doch sicherlich nicht alle Möchtegernfilmstars sein? Was hatte Luke mal gesagt? „Eine Auswahl von denen, die zum Film wollten, kamen hierher in den Westen, und wenn sie es nicht schafften, dann blieben sie hier und heirateten einander. Was du auf den Straßen siehst, ist die dritte Generation." So viel Schönheit machte nervös, geradezu, als ob man sich selbst in einer Folge von „Star Trek" befände, wo keiner in die Mannschaft des Raumschiffes aufgenommen werden konnte, der nicht gut genug aussah, um ultrakurze Röcke oder hautenge Anzüge zu tragen. Sie hatte Jeans und Pullover für den langen Flug gewählt, das war ihr vernünftig erschienen. Nun kam es ihr geradezu unmöglich vor. Mit neunundzwanzig war Pippa noch jugendlich schlank. Ihr rötlich braunes, schulterlanges Haar umspielte das herzförmige Gesicht in weichen Wellen. Sie hatte große, leuchtende Augen und einen hübsch geformten Mund, der sich immer leicht zum Lachen verzogen hatte. Ihr Charme lag in ihrem Lachen, vor allem wenn es sich in ihren Augen andeutete, noch bevor sie in Lachen ausbrach. Seit einiger Zeit lachte sie jedoch nicht mehr so oft. Nicht mehr, seit ihr Arzt gesagt hatte: „Pippa, ich muss ehrlich zu Ihnen sein ..." Und gerade in diesem Moment hatte sie das Gefühl, dass sie überhaupt nie wieder lachen würde. Endlich hatten sie ihr Gepäck, und die üblichen Formalitäten bei der Einwanderungsstelle und dem Zoll waren erledigt. Nun konnten sie sich auf den Weg zum Airport Hotel machen.
„Warum können wir nicht einfach bei Daddy wohnen?" wollte Josie wissen, während sie ihre Sachen im Hotel auspackten. „Weil er nicht weiß, dass wir kommen, und sich deshalb nicht auf uns eingestellt hat." Sie hatten schnell alles in Schubladen und im Schrank verstaut, und Josie wollte gleich aufbrechen. Sie nahmen ein Taxi, und Pippa gab dem Fahrer Lukes Adresse. „Ist es weit von hier?" „Höchstens zehn Minuten", gab der Taxifahrer Auskunft. Nur zehn Minuten, und sie hatte sich noch immer nicht ent schieden, was sie Luke sagen sollte, wenn er die Tür öffnete und sie mit Josie sehen würde. Warum hatte sie ihr Kommen nicht angekündigt? Weil er sich womöglich verdrückt hätte, antwortete ihr eine innere Stimme trocken. Der Luke, den sie vor elf Jahren gekannt hatte, war wunderbar gewesen. Es war eine Freude gewesen, mit ihm zusammen zu sein. Aber die Worte „ernsthaft" und „verantwortungsvoll" gehörten nicht zu seinem Vokabular. Eher „nett". Auch „charmant" und „großzügig". Und nicht zu vergessen „amüsant", „toll" und „warmherzig". Doch das Wort „Bindung" war für ihn nicht erfunden worden, obwohl es ihm nicht unbekannt war. Ein Beweis dafür war, dass Luke zwar großzügig für den Unterhalt seiner Tochter gezahlt hatte, niemals jedoch auf die Idee gekommen war, sie zu besuchen. Und das war auch der Grund, warum Pippa mit Josie den Atlantik überquert hatte. Pippa war entschlossen, dass Luke sein Kind kennen lernen sollte, bevor ... Hier unterbrach sie ihre Gedanken. Sie wusste, dass man über diesen Punkt hinaus nicht dachte. Bevor Josie zu schnell erwachsen wurde, ergänzte sie schnell. Sie hatte die Entscheidung getroffen und sofort gehandelt, ohne sich die Zeit zum reifen Überlegen zu geben. Oder ihre Nerven zu verlieren, wie sie sich selbst gegenüber zugab. Und nun waren sie hier, fast bei Lukes Haus. Plötzlich ging ihr auf, wie ungeheuer das war, was sie hier vorhatte. Wenn es Pippa möglich gewesen wäre, umzukehren und geradewegs nach London zurückzufliegen, sie hätte es getan. Doch das Taxi fuhr langsam an die Bordsteinkante vor einem Haus... Der absolute Mittelpunkt seines Hauses war die Küche. Ein großartiger Arbeitsplatz, den Luke selbst entworfen hatte und der sich über die ganze Länge des Hauses erstreckte. Die Küche war mit dem Feinsten und technisch gesehen mit dem Neuesten eingerichtet. Leute, die Luke nur oberflächlich kannten, waren immer überrascht von der fast pedantischen Sorgfalt der Ausstattung. Er selbst sah eher wie gerade aus dem Bett gestiegen aus mit dem ständig zerzausten Haar und der nachlässig- lässigen Kleidung. Und was seine persönlichen Verwicklungen anging, so könnte man sie, wenn man taktvoll sein wollte, nur als unordent lich bezeichnen. Die Küche jedoch, seine Arbeitsstätte, war ein Wunder an Organisation. In einer Ecke stand ein Schreibtisch mit einem Computer. Luke stellte ihn gerade an und bekam online das Restaurant „Luke's Place", das er vor fünf Jahren voller Stolz eröffnet hatte. Der Code öffnete ihm den Kontostand, und er stellte fest, dass die Einnahmen am Abend zuvor ganz hübsch nach oben gegangen waren. Ein Blick auf den Ertrag im anderen Restaurant - „Luke's Other Place" -, das er vor einem Jahr eröffnet hatte, führte ein ebenso befriedigendes Resultat auf. Seine Website zeigte eine erfreuliche Anzahl von Teilnahme, nachdem am Tag zuvor seine Kabelshow - „Luke's feine Küche" - ausgestrahlt worden
war. Seit der ersten Show vor anderthalb Jahren waren die Einschaltquoten hochgeschnellt. Die Show wurde zwei Mal die Woche gesendet, und seine Website war Stunden danach überflutet. Er ging kurz die E-Mail durch, fand nichts, was ihn beunruhigen könnte, aber vieles, was ihn erfreute. Dann bemerkte er etwas, was ihn stutzig machte. Die E-Mail, die er gestern Abend an Josie geschickt hatte, war unbeachtet geblieben. Und das war für Josie ungewöhnlich, die normalerweise wie wild seine Post las und ihm sofort antwortete. Seltsamerweise kannte Luke Josie sehr gut, obwo hl er ihr nie begegnet war. Er zahlte großzügig für ihren Unterhalt. Er hatte ein Konto bei dem besten Spielwarenladen in London, und vor den Weihnachtsfesten und an Josies Geburtstagen rief er an und suchte mit Hilfe einer freundlichen Verkäuferin etwas Passendes für Josies Alter, was ihr dann zugestellt wurde. Mehrmals im Jahr bekam er einen Brief von Pippa, die ihm für die Geschenke dankte und ihm Neuigkeiten von Josie berichtete. Manchmal lag ein Foto dabei. Er konnte auf diese Weise verfolgen, wie seine Tochter heranwuchs und ihrer Mutter immer ähnlicher wurde. Aber sie war ihm irgendwie fremd geblieben, bis zu dem Tag vor einem Jahr, als er die E-Mails öffnete, die über die Website gekommen waren, und eine E-Mail fand, in der einfach stand: Ich bin Josie. Ich bin neun Jahre alt. Bist du mein Pop? Mummy sagt, dass du es bist. Josie. Dass Josie „Mummy" in der englischen Schreibweise geschrieben hatte, statt „Mommy", wie es im Amerikanischen üblich war, hatte ihm plötzlich das Gefühl gegeben, dass es seine Tochter wirklich, ja wirklich gab. Nachdem er sich von dem Schock erholt hatte, hatte er: Ja, ich bin es geantwortet. Und dann hatte er gewartet. Die Antwort kam schnell. Hallo, Pop. Danke für das Fahrrad. Gern geschehen. Wie hast du mich gefunden? Ich habe gesurft und deine Website gefunden. Ganz allein? Ja. Mummy hat zwei linke Hände. Luke freute sich sehr über Josies Unternehmungslust und ihren Wagemut. Es war genau das, was er in ihrem Alter auch getan hätte, wenn es damals Internet gegeben hätte. Damit fingen sie einen völlig unkomplizierten und fröhlichen Austausch von elektronischer Post an, bis zu dem Moment, wo er sie bat: Bitte, hör auf, mich Pop zu nennen. Es hört sich an wie ein Außenbordmotor. Entschuldigung, Papa! Wie war's mit „Dad", du kleiner Schlingel? Schließlich hatte auch Pippa sich an dem Austausch beteiligt. Merkwürdig, aber er fand es schwerer, mit ihr per E- Mail umzugehen. In seiner Erinnerung war sie noch immer das verrückte, bezaubernde Mädchen. Die Frau, zu der sie geworden war, war ihm fremd. Aber er nahm es hin. Sie war die Mutter seines Kindes, und er achtete Pippa allein dafür. Ihr Austausch war herzlich, doch Luke war glücklicher mit Josie. Erst kürzlich hatte er eine größere Fotografie erhalten, auf der Mutter und Tochter zusammen zu sehen waren. Sie saßen nebeneinander und lächelten ihm entgegen. Josie war ein sehr hübsches Kind. Spontan zog er die Schublade auf, wo er das eingerahmte Foto liegen hatte, und nahm es heraus. Quer über den unteren Teil stand geschrieben: Für Daddy ... in Liebe! Pippa und Josie.
Luke wollte das Foto wieder in die Schublade zurücklegen, als ihn irgendetwas zurückhielt. Er betrachtete noch einmal die Gesichter und das Geschriebene. Und ihm kam ein Gedanke... Gemein, dachte er mit schlechtem Gewissen. Doch er war bereits dabei, das Foto so zu platzieren, das man es nicht übersehen konnte. Nein, nicht auffallend genug. Er rückte es ein Stück vor ... dann wieder zurück. Gemein. Ja, eindeutig gemein. Aber garantiert wirksam. Der hilfreiche Engel war wieder einmal zu seiner Rettung herbeigeeilt. Gut gelaunt machte Luke sich an die Arbeit, um einem Model ein perfektes spätes Frühstück zuzubereiten. Es war ein neues Rezept, das er für seine Restaurants ersonnen hatte. Was könnte es Besseres geben, als zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen? sagte er sich. Zwiebel, roter Weinessig, Kopfsalat, Stücke von Früchten, jede Menge Erdbeeren, Luzernensprossen. Er legte alles auf die Arbeitsplatte, dann fing er an, das Dressing für den Salat zu machen. Es würde ein Kunstwerk werden. Er hörte gedämpfte Geräusche von oben. Dominique musste aufgestanden sein, dann das Rauschen der Dusche. Er stellte die Kaffeemaschine an und deckte den Küchentresen mit dem Frühstücksgeschirr. Auch darin war er ein Meister. Dominiques Augen strahlten, als sie sah, wie viel Mühe er sich gegeben hatte. „Darling-Luke, du bist so süß ..." „Warte nur, bis du siehst, was ich für dich zubereitet habe", sagte er und zog für sie einen Barhocker hervor, ließ sie sich setzen und stellte den hübsch angerichteten Teller vor sie hin. „Weniger als zweihundert Kalorien, aber schmackhaft wie bei voller Nahrung." „Mmm! Sieht köstlich aus." Dominique nahm eine Gabel voll in den Mund und schloss verzückt die Augen. „Himmlisch! Und du hast das für mich ausgedacht?" Und für die Besucher meiner Restaurants, die fünfundzwanzig Dollar für ein solches Gericht zahlen. Und natürlich für einige hunderttausend Zuschauer, die jeden Dienstag und Freitag mein Programm einschalten, fügte er in Gedanken hinzu. „Genau das, was ein hart arbeitendes Model braucht", versicherte Luke ihr. „Nur drei Gramm Fett. Ich habe persönlich jedes Gramm abgemessen." „Und wie steht's mit den Kalorien?" „Auf genau einhundertundsiebenundneunzig Kalorien dosiert." Dominique lachte. „Oh, Luke, Darling, du bist ein Spinner. Genau deshalb liebe ich dich auch über alles. Und du liebst mich auch, nicht wahr? Würdest du sonst dies alles für mich tun?" fragte sie. Die Unterhaltung geriet in ein ganz gefährliches Fahrwasser, so viel war klar. Schnell füllte er ihre Tasse mit Kaffee und küsste Dominique auf die Nasenspitze. Aber Dominique ließ sich nicht ablenken. „Wie ich bereits gesagt habe, passen wir so perfekt zusammen, dass mir scheint ..." Gerade im rechten Moment fiel ihr Blick auf das Foto, und Luke atmete erleichtert auf. „Das hab ich nie zuvor gesehen", bemerkte Dominique mit gerunzelter Stirn. „Was? ... Aah, das? Ich hab's grad vorhin aus der Schublade ge holt, als ich etwas darin suchte", antwortete Luke schnell und tat, als ob er sich beeilte, das Foto vom Küchentresen zu nehmen. In Wirklichkeit überließ er es nur allzu gern ihren ausgestreckten Händen. „Daddy?" rief Dominique beim Lesen der Widmung. „Du verschweigst mir
etwas, Luke ... Ist das deine Frau?" „Nein, Pippa und ich waren nie verheiratet. Wir sind befreundet gewesen ... in London, wo ich vor elf Jahren gearbeitet habe. Sie lebt noch immer dort." „Das Mädchen sieht dir überhaupt nicht ähnlich. Wie willst du wissen, dass es dein Kind ist?" „Weil Pippa nicht gesagt hätte, es ist meins, wenn es nicht meins wäre. Außerdem unterhalten Josie und ich uns über das Internet." Der ganze Schwachsinn seiner Bemerkung wurde Luke erst klar, nachdem es zu spät war. Dominique stellte das Foto auf seinen Platz zurück und betrachtete ihn sehr, sehr freund lich. „Du unterhältst dich mit ihr über Internet, und deshalb soll sie deine leibliche Tochter sein? Ich nehme an, das übertrifft jede DNA-Untersuchung." „Ich habe es nicht so gemeint, wie es sich anhörte", beeilte er sich zu sagen. „Darling, ich bin kein Dummkopf." Nein. Es war ein großer Fehler. Dominiques Augen hatten einen durchdringenden Blick. So blickte sie immer drein, wenn sie berechnend war, ging ihm plötzlich auf. „Josie ist mein Kind", wiederholte Luke fest. „Wir haben eine sehr gute Beziehung." „Über das Internet? Junge, Junge, du bist wirklich ein fürsorglicher Vater, nicht wahr?" „Vergiss nicht, sie lebt in Europa. Ich bin tatsächlich ein sehr fürsorglicher Vater", verteidigte er sich. Ihr Vorwurf saß. „Luke, mal ganz ehrlich ... dafür ist wirklich kein Bedarf." „Wie meinst du das?" „Ich meine, dieses Kind ist nicht mehr deine Tochter, als ich es bin. Wahrscheinlich bist du ihrer Mutter nicht einmal begegnet. Ich denke mir, dass du dieses Foto in irgendeinem Trödelladen aufgesammelt und die Widmung selbst geschrieben hast. Es war ein cleverer Einfall von dir, ,und Josie' in einer Kinderhandschrift hinzukritzeln, aber du hast schon immer Wert auf Details gelegt." Luke holte tief Luft. Er war nervös. Die ganze Sache hier lief entschieden falsch. Er fasste nach ihrer Hand. „Dominique - Sweetheart ..." „Luke, es ist schon gut. Ich verstehe." „Wirklich?" „Es ist nur natürlich, dass du ein wenig Angst hast. Aber das legt sich. Du bist bis jetzt jeder Bindung ausgewichen, und nun, da sich die Dinge ändern ... Na ja, ich denke, da ist dir alles fremd. Aber du hast es mir unzählige Male bewiesen, was ich dir bedeute. Auch wenn du es nicht aussprichst, weiß ich, was du mir sagen willst." Luke schluckte. Eins war deutlich: er steckte in Schwierigkeiten. „Dominique, ich schwöre, dass dieses Bild echt ist. Josie ist meine Tochter, und Pippa ist die wunderbare Frau, die sie geboren hat..." „Psst!" Dominique legte einen perfekt manikürten Finger über seine Lippen. „Darling, gib auf. Du musst mir nichts vortäuschen. " Luke hatte es regelrecht die Sprache verschlagen. Er konnte nichts sagen. Jetzt wusste er, wie ein Ertrinkender sich fühlen musste. In dieser brenzligen Situation erschien plötzlich ein Schatten hinter dem Milchglas der Hintertür. Der Moment konnte für Luke nicht günstiger sein. Er wartete das Klopfen gar nicht erst ab, sondern riss die Tür auf. Pippa stand da mit Josie. Und Josie warf sich mit einem Aufschrei in seine Arme. „Daddy!"
2. KAPITEL
Die ersten Worte, die Luke Danton vor Jahren zu Pippa gesprochen hatte, waren „Nichts als raus hier! Aber schnell!" gewesen, nachdem sie in die Küche des Ritz' in London reingeplatzt war. Er hatte sie beim Ellbogen ergriffen und sie unsanft hinausbugsiert. „Hey!" hatte sie protestiert. „Ich wollte nicht, dass du in Schwierigkeiten gerätst, und das wärst du. Die Küche ist tabu für dich." „Wie kommst du darauf?" „Weil du ein Zimmermädchen bist. Ich habe dich in der Uniform gesehen, und ich habe mich nach dir erkundigt." „Oh", hatte Pippa nur gesagt. „Wann machst du Schluss?" „In einer Stunde." „Ich auch. Wir treffen uns im Park gleich hinter dem Hotel. Sei pünktlich." Luke war weg, bevor Pippa ihm eine Antwort hatte geben können. Sie war entrüstet zu ihrer Arbeit zurückgeflitzt. Und wenn sie ihn nun nicht im Park treffen wollte? So frech wie dieser Luke war. Aber er hatte auch lachende Augen, und er war groß und sah gut aus. Eigentlich hatte sie nichts dagegen, dass er sie nach einer Verabredung gefragt hatte. Gefragt? Ha! Nach der Arbeit zog sie schnell ihre Uniform aus und wechselte in ihre normale Kleidung. Zumindest, was sie so als „normal" bezeichnete. Sie war jung und ein wenig verrückt, und es machte ihr gar nichts aus, dass sie damit auffiel. Die engen orangefarbenen Jeans stachen schrill von den purpurroten Cowboystiefeln ab. Der große Hut mit der weichen Krempe war tief blau, und der farbenfrohe Pullover passte fast zu allem oder genau genommen zu gar nichts. Sie war achtzehn und völlig locker. Sie überprüfte ihr Aussehen im Spiegel und schob schnell noch eine rotbraune Haarlocke unter den Hut. Und dann rannte sie den ganzen Weg zum Green Park, der riesigen Grasfläche, die von Bäumen umstanden war und sich hinter dem Hotel weit ausstreckte. Es ärgerte Pippa, als ihr klar wurde, wie sehr sie sich beeilte, so als ob sie ihn nicht verpassen wollte. Farbenprächtig wie ein Papagei saß sie dann auf einer Bank, von der aus sie einen guten Blick auf den Weg hatte, den Luke nehmen müsste, und wartete. Und wartete. Und wartete. Sie lehnte sich zurück, legte den einen bestiefelten Fußknöchel elegant über das andere Knie und gab so das Bild einer lässig dasitzenden Göre ab. Nach einer Weile wechselte sie die Beine. Und wartete. Nach einer Stunde war Pippa wütend. Nicht über Luke, sondern über sich selbst, weil sie noch immer hier saß. Sie sprang zornig auf und ging entschlossen in Richtung Buckingham Palast. Sie konnte es jedoch nicht lassen, noch einen prüfenden Blick zurückzuwerfen. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie er auf dem Weg herangerast kam, als ob sein Leben davon abhinge. Sein Haar war zerzaust und sein Gesichtsausdruck verzweifelt. Für Pippa war das der erfreulichste Anblick seit Jahren. „Oh, nein!" schrie Luke, als er die leere Bank sah. Er warf die Arme in die Luft. „Nein, nein, nein!" „Hmm", machte sie, kam hinter einem Baum hervor und stellte sich vor ihn. Er machte einen regelrechten Freudensprung. „Du hast gewartet!"
„Natürlich habe ich nicht gewartet. Ich bin nach fünf Minuten gegangen. Zufällig kam ich diesen Weg wieder zurück." „Tatsächlich?" „Tatsächlich. Ich hoffe, dass du eine gute Entschuldigung hast." „Wenn ich ehrlich sein soll..." erwiderte Luke leichthin, „... muss ich zugeben, dass ich unser Treffen völlig vergessen habe." „So? Danach sah es mir aber nicht aus." „Na ja, ich dachte, dass es besser wäre, nachzusehen, ob du nicht vielleicht noch immer auf mich wartest." Mit den Händen in den Hüften starrte Pippa ihn böse an. Das war nicht so leicht, denn mit ihren ein Meter siebzig müsste sie den Kopf nach hinten beugen, um zu seinen eins neunzig hochzugucken. Doch sie tat ihr Bestes. „Oh, ja?" forderte sie ihn heraus. „Oh, ja!" entgegnete Luke. „Ooh, jaa?" „Ooh,jaa!" „Oooh, jaaa?" „Oooh, jaaa!" Beide fingen an zu lachen. Luke nahm Pippa fest bei der Hand und sagte: „Im letzten Moment gab es in der Küche einen Engpass, und ich konnte nicht wegkommen. Ich bin fast verrückt geworden, weil ich wusste, dass du warten würdest - ganz gleich, wie lange. Das wusste ich nämlich wirklich." „Am liebsten wäre ich in die Küche gestürmt und hätte dir eine geknallt." „Na toll. Das hätte ich erleben wollen. Und jetzt lass uns was finden, wo wir essen können." Pippa dachte, er meinte einen Burger-Imbiss, aber als sie ihm einen nannte, blickte Luke sie verwundert an. „Burger?" Und das sagte er in einem Ton, dass sie in ihm sofort einen Gleichgesinnten sah. Er nahm sie mit in die Pension, wo er untergekommen war und wo ihm die Miete teilweise erlassen wurde, weil er zwei Mal die Woche das Abendessen zubereitete. Ansonsten hatte er in der Küche freie Hand, um seine eigenen Kochversuche anzustellen. Pippa sah ihm bewundernd dabei zu, wie er einen köstlichen Salat bereitete. So etwas hatte sie vorher noch nicht gegessen. „Ich zeige dir, was richtiges Essen ist", verkündete Luke mit schamloser Überheblichkeit. „Burger! Ausgerechnet mir!" „Hey, ich bin auch Koch - ein weiblicher natürlich. Und ich mag auch keine Burger", protestierte Pippa. „Warum hast du es mir dann vorgeschlagen?" „Na ja, du hast einen amerikanischen Akzent." Luke warf ihr einen entrüsteten Blick zu. „Entschuldigung", entgegnete Pippa hastig. „Ich bin Amerikaner, und deshalb habe ich die Geschmacksnerven und das Feingefühl eines Ochsen", höhnte er gereizt. „Tut mir Leid, dass ich das gesagt habe." „Das sollte dir auch Leid tun!" Er grinste allerdings. „Ich dachte, Vorurteile gegen Ausländer seien in diesem Land ungesetzlich." „Das sind sie auch, aber die Amerikaner fallen ja nicht unter die Ausländer, trotz der scheußlichen Dinge, die sie mit unserer Sprache anstellen." Und um ihn zu provozieren, fügte Pippa hinzu: „Immerhin stammen die meisten von euch ja von uns ab." „Irrtum", entgegnete Luke wie aus der Pistole geschossen. „Meine Vorfahren kommen aus Frankreich, Spanien und Irland. Im Stammbaum gibt es keinen Briten, soviel ich weiß. Nun komm, lass uns nach oben gehen und
essen." Seine Zimmereinrichtung bestand aus einem Bett, einem Tisch, zwei Stühlen und zwei Regalen, die mit Kochbüchern voll gestellt waren. In dieser schäbigen Umgebung zog Luke galant einen Stuhl für sie zu Recht und servierte das Essen mit einem solch eleganten Schwung, als ob sie sich im Restaurant des Ritz' befinden würden. „Was hast du im Keller überhaupt zu suchen gehabt?" wollte Luke wissen. „Ich wollte mir nur die Küche ansehen, um zu wissen, was mich erwartet." „Und das wäre?" „Ich bin in Wirklichkeit kein Zimmermädchen", vertraute Pippa ihm an. „Ich bin eigentlich die beste Köchin der Welt, nur weiß es keiner. Nun ja, ich werde es jedenfalls sein, sobald ich ausgelernt habe. Ich werde eine so großartige Köchin sein, dass das Ritz mich eines Tages anflehen wird, zurückzukehren, um deren Küche zu leiten. Und man wird von weit her kommen, um meine Kreationen zu kosten." Luke war ein guter Zuhörer, und bald hatte Pippa ihm alles erzählt, vor allem über ihre Mutter, ihre kostbarste Erinnerung. „Sie war eine fantastische Köchin. Sie wäre gern Küchenchefin geworden, stattdessen hat sie früh geheiratet. Frauen blieb ja zu der Zeit nichts anderes übrig." Pippa sagte das so, als ob es ein Menschenalter her wäre, statt gerade mal zwanzig Jahre. „Und alles, was mein Dad wollte, war Fisch und Chips, Eier und Chips, Bohnen und Chips." „Chips? Oh, du meinst Fritten." „Ich meine Chips", entgegnete Pippa fest und versuchte, nicht auf sein Grinsen zu reagieren. „Wenn meine Mom Dad etwas vorsetzte, was sie sich ausgedacht hatte, dann sagte er: ,Was soll der Mist?', und weg war er zum nächsten Pub. Also hat sie mir beigebracht, wie man gut kocht. Ich glaube, das war ihre einzige Freude im Leben. Wir haben davon gesprochen, dass ich die Kochschule am College besuche. Sie hatte einen Job angenommen, um das Geld dafür zu sparen. Aber sie hatte sich übernommen. Wir wussten nicht, dass mit ihrem Herz etwas nicht stimmte. Mitralstenose sagte der Doktor. Daran ist sie gestorben." Einen Augenblick war ihr zartes Gesicht traurig, aber sie fing sich wieder. „Das ist hart", meinte Luke mitleidsvoll. Es waren nur die üblichen Worte, aber Pippa hörte sein echtes Mitgefühl heraus. „Ja. Und es dauerte nicht lange, da hat Dad wieder geheiratet, und ich bekam eine Stiefmutter mit dem Namen Clarice, die mich nicht ausstehen konnte." „So eine richtige Aschenbrödel-Geschichte." „Um fair zu sein, war ich auch nicht gerade nett zu ihr. Sie rief mich Phillippa", setzte Pippa voller Abscheu hinzu. „Nicht genug, dass ich niemals dazu kam, meine Schularbeiten zu machen, weil sie jedes Mal, wenn abgestaubt werden musste, Kopfweh bekam, musste sie mich auch noch Phillippa nennen." „Eine schwere Beleidigung." „Und ob!" „Irgendwelche gemeinen Stiefschwestern?" „Ein Stiefbruder. Harry. Der unordentlichste Mensch, den ich kannte, und er erwartete, dass ich seine Sklavin bin. Wenn ich mal erwähnte, dass ich gern zum College gehen würde, dann starrte Clarice mich wütend an und sagte: ,Und wer soll das bezahlen? Du hast vielleicht großartige Ideen. Meinst wohl, dass du etwas Besseres bist.' Ich habe dagegen Einwände gemacht, habe ihr gesagt, dass heutzutage fast alle zum College gingen. Sie aber hat nur die Nase gerümpft und gesagt: ,Nicht Harry.' Und ich habe gesagt, da Harry schwachsinnig sei, würde mich das nicht wundern, und sie hat mir gesagt,
dass ich eine dumme Kuh sei, und ich habe gesagt ... Na ja, du wirst es dir schon denken können." Luke lachte in sich hinein. „Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen. Ich wette, dass du verdammt gut streiten kannst." „Das kann ich", gab Pippa zu, ohne sich zu zieren. „Was war mit dem Ersparten deiner Mom?" „Dad hat es an sich genommen. Ich kann mich erinnern, wie er auf das Sparbuch guckte und sagte: ,Wusste ich doch, dass das Miststück Geld vor mir versteckt hat!' Ich nehme an, er hat das meiste davon auf der Hochzeitsreise mit Clarice durchgebracht." „Gab es denn niemand, der sich für dich einsetzte?" „Frank, der jüngere Bruder meiner Mutter, hat es versucht. Aber Dad hat ihm nur gesagt, er soll sich um seine eigenen Sachen kümmern. Was konnte Frank schon tun? Ich hab's ausgehalten, bis ich die Schule beendet habe, dann bin ich auf und davon." „Unter dem Beifall der grässlichen Stiefmutter?" „Nein, sie war zornig. Sie hatte schon alles für mich geplant. Ich sollte im Lebensmittelladen ihres Bruders für einen Sklavenlohn arbeiten und auch weiterhin die Hausarbeit machen." Pippas Augen blitzten entschlossen. „Ich habe ihr gesagt, wohin sie sich diese Idee stecken sollte." Diese Worte kamen mit so viel Behagen heraus, dass Luke laut lachen musste. „Das kann ich mir gut vorstellen", erwiderte er bewundernd. „Sie sagte, dass sie noch nie eine solch widerliche Sprache gehört habe, und ich warnte sie, dass sie es wieder hören würde, wenn sie mir nicht aus dem Wege ginge. Sie schrie mich an, während ich packte, und sie schrie noch immer, als ich die Treppe hinunter und durch die Haustür ging. Sie schrie bis zum Busbahnhof. Sie sagte, dass es mit mir ein schlimmes Ende in London nehmen werde und dass ich spätestens in einer Woche wieder zurückgekrochen käme. Ich schrie zurück, dass ich lieber vor Hunger sterben wollte. Ich stieg in den Bus und beobachtete, wie Clarice kleiner und kleiner wurde, bis sie aus meinem Leben verschwand und ich aus ihrem. Ich habe den Staub von meinen Füßen geschüttelt, und seit ich aus Encaster weg bin, hab ich es noch nicht bereut." „Encaster? Ich glaube nicht, dass ich je von dem Ort gehört habe." „Niemand hat je von dem Ort gehört bis auf die Leute, die dort wohnen, und die meisten wünschen sich, dass sie dort nicht wohnen müssen. Es liegt etwa dreißig Meilen nördlich von London, ist sehr klein und sehr trübselig." „Wollte dein Dad dich denn nicht zu Hause behalten?" „Ich habe ihn einmal bei seiner Arbeitsstelle angerufen, um ihn wissen zu lassen, dass es mir gut geht. Er sagte mir, dass ich aufhören sollte, ein solcher Idiot zu sein, und dass ich zurückkommen sollte, weil Clarice ihm meinetwegen ganz schön zusetzt. Es ging ihm allein darum. Wenn er auch nur ein klein wenig um mich besorgt gewesen wäre, hätte ich ihm meine Adresse gegeben. Aber er war nicht besorgt. Also ließ ich es sein. Es war das letzte Mal, dass ich mit ihm gesprochen habe. Ich stehe noch immer in Verbindung mit Frank, aber er und Dad haben keinen Kontakt. Frank würde mich außerdem nie verraten." „Also bist du nach London gekommen, um dein Glück zu versuchen, ja? Mit sechzehn? Finde ich gut, Mensch! Und? Sind die Straßen nun mit Gold gepflastert?" „Eines Tages werden sie es sein. Ich nehme Kochkurse an der Abendschule, und wenn ich so weit bin, dass ich ein Diplom bekomme, dann finde ich einen Job als Köchin. Dann besuche ich noch mehr Kurse, finde einen besseren Job
und so weiter und so fort, bis die Gourmets vor meinem Restaurant Schlange stehen." „Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Ma'am, aber es ist mein Restaurant, vor dem sie Schlange stehen werden." „Ich finde, da ist genug Raum für uns beide", gestand Pippa ihm großzügig zu. „Du meinst, für uns drei, nicht wahr?" fragte er mit einem frechen Grinsen. „Du und ich und dein kolossales Ego." „Hey, und was ist mit dir? Na ja, man weiß ja, wie die Amerikaner sind ... hochtrabend. Und außerdem können sie nicht kochen." „Sie können nicht...? Ich weiß nicht, ob ich dir das jemals verzeihen kann. Gerade du, die du zu einer Natio n gehörst, die Fritten isst..." „Chips!" „... zu allem, was sonst noch auf den Tisch kommt. Eine Nation, die glaubt, das Essen wäre nicht gekocht, wenn es nicht im Fett schwimmt, und keinen anständigen Kaffee zu Stande bringt." „Schon gut, schon gut, ich gebe auf." Pippa hob die Hände, als ob sie sich ergeben wollte, dann zeigte sie auf ihren Teller. „Ich muss allerdings zugeben, das schmeckt wirklich lecker." „Habe ich selbst ausgedacht. Wenn ich es perfekt hinkriege, dann überrasche ich den Chefkoch damit." „Na toll! Jetzt bin ich auch noch ein Versuchskaninchen. Wenn ich nicht tot umfalle, nachdem ich das hier gegessen habe, dann weißt du, dass es sicher ist, es dem Sultan von Dingsda und dem Grafen von Sonstwiestein anzubieten ... ist das so?" „Na, so ungefähr", gab Luke mit einem Grinsen zu. Pippa bemerkte, wie er ihre Kleidung musterte. „Hübsch, nicht?" „Ich mag es. Und dieses purpurrote Ding hast du auch getragen, als ich dich vorgestern gesehen habe." Pippa lachte. „Die Leiterin der Hauswirtschaft fiel fast in Ohnmacht. Sie konnte mich nicht schnell genug aus dem hier heraus und in die Uniform hinein haben. Ich mag es nicht, wenn Leute mich übersehen." „Nun, da besteht keine Gefahr. Wie kannst du dir solch modischen Firlefanz leisten und gleichzeitig für die Kurse zahlen?" „Ich trage nur, was andere Leute ablegen. Die Jeans habe ich von einem Flohmarkt, der Preis für die Stiefel wurde mehrmals runtergesetzt, weil die Farbe Leute erschreckt. Den Hut habe ich in einem Billigladen erstanden, und den Pullover habe ich aus Wollresten selbst gestrickt." Luke war von ihr bezaubert. Seine Geschichte zu hören, machte Pippa Spaß. Er war, wie sie bereits vermutet hatte, Amerikaner aus Los Angeles, und sein Leben dort kreiste anscheinend um Sonne, Sand und See. Seine Leidenschaft gehörte dem Kochen, und die einzigen Bücher, die er jemals geöffnet hatte, waren Rezeptbücher. Darüber hinaus gab es für ihn nur schwimmen, surfen, essen, trinken und es sich im Allgemeinen gut gehen lassen. In Pippas Leben hatte es so wenig Anlass zum Fröhlichsein gegeben, dass dieser junge Mann, der Heiterkeit geradezu zu einer Weltanschauung machte, sie in eine traumhafte Welt einführte. Eine Welt, in der das Licht immer golden war, in der die Gefühle immer vergnüglich waren und die Jugend für ewig zu bestehen schien. Und auf seine Art war er ehrgeizig. „Ich möchte nicht nur ein Koch sein, davon gibt es mehr als genug", erklärte Luke. „Ich möchte ein Star unter ihnen sein, möchte mich von den anderen abheben. Ich habe alles Geld, das ich auftreiben konnte, zusammengekratzt, um
in Europa in einigen der namhaftesten Hotels zu arbeiten. Ich bin ein halbes Jahr im 'Danieli' in Venedig gewesen, ein halbes Jahr dem, George V in Paris, und nun bin ich hier im Ritz in London. Wenn meine Arbeitserla ubnis abgelaufen ist, dann kehre ich als ,Luke vom Ritz' nach Los Angeles zurück. Hey, hast du dich verschluckt?" Pippa krümmte sich, ihr war offensichtlich etwas in die falsche Kehle geraten. „Das kannst du nicht tun", sprudelte es aus ihr heraus, als sie wieder sprechen konnte. „,Luke vom Ritz'? Vor Lachen wird man nicht essen können." „Oh", murmelte Luke ernüchtert. „Du glaubst nicht, dass es Eindruck machen würde?" „Ich denke, die werden mit Tomaten nach dir schmeißen." Die schreckliche Wahrheit ging ihm plötzlich auf, und er fing ebenfalls an zu lachen. Je mehr er lachte, desto mehr lachte Pippa, und es wurde komischer und komischer. Wenn das eine romantische Komödie wäre, dachte sie, dann würden sie lachen, bis sie einander in die Arme fielen. Sie verspürte ein erwartungsvolles Prickeln. Aber Luke sagte mit noch halb erstickter Stimme: „Es ist spät. Ich sollte dich nach Hause bringen." „Es ist nicht zu spät", protestierte Pippa. „Doch, das ist es, wenn ich um sechs Uhr wieder starten muss. Komm!" Von einem der Mitbewohner lieh er sich ein zerbeultes Auto und fuhr sie die kurze Strecke zu ihrem Wohnheim. Als er den Wagen an die Bordsteinkante lenkte, erwartete Pippa, dass er die Arme um ihre Schultern legen und sie dicht an sich ziehen würde. „Da sind wir", sagte er, hielt an und öffnete die Beifahrertür. Zögernd stieg Pippa aus. Er begleitete sie zur Eingangstür. „Wir sehen uns morgen", sagte Luke dann und drückte ihr einen kleinen Kuss auf die Wange. Im nächsten Moment bereits verschwanden die Rücklichter um die Ecke. Pippa stand verlassen da und murmelte einige sehr undamenhafte Worte vor sich hin. Pippa war stolz, zu den modernen jungen Frauen zu gehören, die frei waren von Vorurteilen und Zwängen einer, wie sie meinte, überlebten Moral. Sie wollte so ungebunden leben, wie es bis vor wenigen Jahrzehnten nur Männern möglich gewesen war. Das war die Theorie. Die Praxis sah ein wenig anders aus. Frauen, die wie ein Schlot rauchten, stanken wie Aschenbecher. Also vermied sie das Rauchen. Alkohol verursachte ihr Magenbeschwerden. Also vermied sie das Trinken. Drogen jagten ihr Angst ein. Sie hatte in London zu viele der von Drogen abhängigen jämmerlichen Gestalten gesehen. Also wich sie dieser Szene aus. Blieb noch Sex übrig. Und auch das stellte sich als Riesenenttäuschung heraus. Naiv wie sie war, hatte sie sich vorgestellt, dass London voll wäre von attraktiven jungen Männern, die begierig darauf aus waren, eine emanzipierte junge Frau zu treffen. Eine deprimierend große Anzahl der jungen Männer stellte sich als stinklangweilig heraus. Und der Rest war auf Karriere aus, war verheiratet oder gay. Sie redeten zu viel. Oder zu wenig. Oder über uninteressante Dinge. Es war nicht viel anders als in Encaster. Dabei hatte Pippa einiges zu bieten. Sie war eine junge Frau 'mit lachenden Augen, mit Sinn für Humor und mit einer ausnehmend guten Figur. Ihre Beine waren bemerkenswert lang und wohl geformt, und sie zog die Blicke der
Männer durchaus auf sich. Dennoch war Pippa auch nach zwei Jahren in London noch unberührt. So wie es um sie stand, könnte sie gut ein junges Mädchen aus dem viktorianischen Zeitalter abgeben. Es war entmutigend! Doch von dem Augenblick an, wo sie Luke begegnet war, hatte sich alles verändert. Er eroberte sie, weil nichts an ihm fade war, wie sie es bei den anderen gefunden hatte. Und auch, weil seine Stimme so wohlklingend war, wie sie es zuvor noch nie gehört hatte. Es erregte sie, wenn er sprach. Außerdem gewann er ihr Herz, weil seine Augen so lustig dreinblickten und er sie manchmal neckisch und manchmal verführerisch ansah. Zudem war sein Mund ausgesprochen sinnlich, wie sie fand. Aber was Pippa am meisten fesselte, war allein seine Gegenwart. Nur mit ihm in einem Raum zu sein, erhitzte sie bereits. Ihre Wangen wurden heiß, und ihre Augen glänzten. Doch der Faulpelz ließ keine Anzeichen erkennen, dass er sie gern in seinem Bett haben wollte. Und was die ganze Sache besonders ärgerlich machte, war die Tatsache, dass alle bei der Arbeit einfach davon ausgingen, dass sie miteinander schliefen. Luke hatte den Ruf eines unsteten Herzensbrechers. „Er nennt es ,die beschwerlose Reise'", vertraute eins der Zimmermädchen ihr an. „Er ging mit Janice von der dritten Etage eine Weile aus. Alles schien recht nett zu laufen, bis sie ihn zu einer Familienhochzeit eingeladen hat. Großer Fehler. Er hat sie nur einmal angerufen, und das war, um ihr mitzuteilen, dass er Überstunden machen müsse, und es wäre besser, wenn sie es abkühlen ließen." Pippa lauschte dem Tratsch mit aufgestellten Ohren und machte sich im Geiste Notizen, was man lieber sein lassen sollte. Zu beschließen, was man lieber tun sollte, war allerdings schon schwerer. Luke hatte sich eigentlich nie mit ihr verabredet, aber sie arbeiteten in der gleichen Schicht. Und wer immer zuerst fertig war, wartete auf den anderen. Dann schlenderten sie zu ihrer Behausung, er hatte den Arm über ihre Schultern gelegt, während er wie verrückt auf sie einredete und Pippa versuchte, es sich nicht allzu klarzumachen, wie sehr sie es wünschte, dass er zu reden aufhörte und anfinge, sie zu küssen. Und dann kam die Stunde, wo sie schrecklich in Streit gerieten und Pippa nicht mehr auf ihn gewartet hatte, obwohl sie mit ihrer Arbeit früher fertig war als er. Als sie ihn dann traf, hatte sie ihm nur kühl zugenickt und ein knappes „Hallo" gemurmelt. Er hatte daraufhin tatsächlich „Es tut mir Leid, Pippa" gesagt, und es hatte sich so lammfromm angehört, dass ihr ganz warm ums Herz wurde. „Lass uns den Streit vergessen, und komm zu mir. Ich koche uns etwas zu Abend." Sie ließ sich jedoch nicht so leicht rumkriegen, deshalb fügte er hinzu: „Du kannst auch sitzen und mich böse anstarren, wenn es dir lieber ist." Darauf lachten sie beide, und er küsste sie auf die Nasenspitze. Den Rest des Weges bummelten sie dann in perfekter Einstimmigkeit - einer hatte den Arm um die Taille des anderen gelegt - zu seiner Pension. Sie freuten sich beide, dass zwischen ihnen wieder alles in Ordnung war. Die Welt war wieder in Ordnung. Das Abendessen war genau so, wie Pippa es sich manchmal erträumt hatte. Weiches Kerzenlicht, eine Rose neben ihrem Teller. Nach dem Essen saßen sie nebeneinander auf dem Sofa, und Luke schenkte Wein ein, den er extra für diesen Anlass gekauft hatte. „Verzeihst du mir?" fragte er und hob sein Glas. „Was?" „Dass ich ein unausstehlicher Besserwisser bin."
„Oh, das", meinte Pippa obenhin. „Daran bin ich gewöhnt. Ich sollte dir eigentlich jetzt schon vergeben, was du so alles in Zukunft dick auftragen wirst. Überleg nur, wie viel Zeit es mir erspart." Sie brachen beide in Lachen aus. Es war der perfekte Moment, da war Pippa sich sicher. Also lehnte sie sich vor und küsste ihn. Seine Reaktion war wie das Auflodern einer Flamme. Luke nahm Pippa bei den Armen und hielt sie dicht an sich gedrückt. Im nächsten Augenblick fühlte sie jedoch, wie er sie sanft von sich schob und die Lippen von ihren löste. Rosa angehaucht vor Verlegenheit starrte Pippa ihn wütend an. „Ist etwas falsch an mir?" fragte sie aggressiv, um ihre Enttäuschung zu verbergen. „Nein", antwortete Luke leise. „N ichts ist falsch an dir." Sie blickte ihn misstrauisch an. „Du bist doch kein Homo, oder?" Er grinste und schüttelte den Kopf. „Mein Ehrenwort." „Warum küsst du mich dann nicht, du Drückeberger?" „Weil ich nicht aufhören könnte dich zu küssen, und du ... Na ja, du bist jung und ..." „Wirfst du mir etwa vor, dass ich noch keinen Sex gehabt hab?" fuhr Pippa hitzig auf. „Ich werfe es dir nicht vor." „Also willst du mir sagen, dass ich eine unterentwickelte Minderjährige bin. Heutzutage ..." „Ich denke, dass es auch heute Teenager gibt, die unberührt sind", bemerkte er. Er sah ihr zärtlich ins Gesicht. „Nicht in London", behauptete Pippa. „Etwas an dir ist sehr - sehr süß. Du wirkst so jung. Und das brachte mich auf den Gedanken, dass du ... Oh, was soll's!" Jetzt war es an Luke, sich idiotisch vorzukommen und verlegen zu sein. Und Pippa nutzte die Gelegenheit, um wieder die Initiative zu ergreifen. „Weißt du, was mit dir los ist? Du denkst zu viel. Du machst viel Aufhebens um etwas, das keine große Sache ist. Die Welt ist voller Schiffe, die in der Nacht aneinander vorbeisegeln", rief sie dramatisch. „Und wenn ... wenn zwei Menschen sich mögen ..." Jahre später, wenn sie sich diese Unterhaltung in Erinnerung rief, wunderte sie sich über ihr herausforderndes Benehmen damals, und sie zweifelte nicht daran, dass auch Luke es so gesehen haben musste. Aber was auch immer er sich eingeredet haben mochte, um sie nicht zu dicht an sich heranzulassen, in diesem Moment war es hinweggefegt. Auf einmal lag sie in seinen Armen, fieberhaft öffnete er die Knöpfe ihrer Bluse, und alles geschah ge nau so, wie Pippa es sich erträumt hatte. Als er die Hände von ihren Brüsten nahm, schämte Pippa sich fast wegen der Knospen, die fest und rosig waren und deutlich das Verlangen verrieten, das sie zurückzuhalten versuchte. Luke legte die Lippen zart auf eine der Knospen, reizte sie mit der Zunge, und Pippa hatte das Gefühl, dass sie gleich den Verstand verlieren würde. Sie zitterte und klammerte sich an Luke, während er fortfuhr, sie zu erregen. Mit jedem Atemzug zerbarst die Welt in glitzernde Einzelteile. Luke zog Pippa langsam aus, so als ob sie viel Zeit hätten. Nur an seinem schnellen Atem und daran, dass seine Finger zitterten, merkte sie, wie verzweifelt er sich beherrschte. Und dann war sie nackt. Ohne den Blick von ihr zu wenden, streifte er seine eigene Kleidung ab. „Hallo", sagte er lächelnd, als er ebenfalls nackt war. „Hallo." Sie hörte sich atemlos an.
Pippa wusste, dass sie auf ihren Körper stolz sein konnte. Sie war schlank, hatte eine schmale Taille und ungewöhnlich lange Beine. Ihre Brüste waren eher klein und fest, und im Augenblick waren die Spitzen geradezu frech aufgerichtet. Wie gern hätte sie ihn gefragt, ob er sie schön fand. Aber vielleicht ließ er sie das bereits wissen, so liebevoll wie er mit seinen Händen über ihre verführerischen Kurven strich, anerkennend murmelte und hin und wieder innehielt, um ihr einen leichten KUSS aufzudrücken, ehe er dann mit der Liebkosung fortfuhr. Pippa. war fast schockiert über die unbeschreiblich wilden Empfindungen, die sie bestürmten. Es war, als ob ihr Körper nicht von ihr beherrscht wurde, als ob sie ihn nicht bezähmen könnte, auch wenn sie es gewollt hätte. Einen kurzen Moment lang durchzuckten sie die klugen Belehrungen aus ihrer Kindheit. Sei nicht zu gierig ... sei geduldig ... lerne zu warten. Doch diese Anweisungen gehörten einer anderen Welt an, nicht dieser erregenden Welt, die ihr tiefe, sinnliche Lust bot. „Luke ..." flüsterte sie, „du willst mich, nicht wahr?" Er brauchte keine Worte, um zu antworten. Es geschah einfach. Etwas im Universum machte „klick", und alles spielte sich so selbstverständlich ab. Es war herrlich, und Pippa wollte mehr und mehr. Sie wollte die ganze Welt, und Luke gab sie ihr. Der Instinkt leitete sie perfekt. Es war, als ob Luke ihr einen Traum zugeworfen und sie ihn aufgefangen hätte. Sie war lebendig und froh und jung, und alles war herrlich. Er hielt sie dicht an sich, als sie langsam wieder von den Höhen herabkamen. Pippa war vollkommen glücklich und begriff jetzt, warum sie auf diesen Augenblick gewartet hatte. Das hätte sie niemals mit Jack oder Andy oder Clive oder einem anderen jungen Mann tun können, ganz einfach weil sie nicht Luke waren. Er küsste sie auf die Stirn, aber sie konnte fühlen, dass ihn etwas bedrückte. „Was ist?" wollte Pippa wissen. „Bin ich nicht gut gewesen?" „Du bist wunderbar gewesen. Ich habe mir nur selbst versprochen, dass ich es nicht dazu kommen lassen würde. Und ich bin wohl nicht sehr ehrlich, denn sonst hätte ich aufgehört, mich mit dir zu treffen. Ich begehrte dich so sehr, und früher oder später hätte ich nachgegeben." „Aber warum auch nicht?" „Weil du so bist, wie du bist, und weil ich so bin, wie ich bin. Ich werde nicht hier bleiben, Pippa. Ich bleibe nie lange an einem Ort. Wenn meine Arbeitserlaubnis abläuft, dann mache ich mich auf den Weg zurück nach L.A. allein." Pippa zuckte die Schultern. „Das wusste ich. Na und?" Sie konnte das leicht sagen angesichts all der herrlichen Monate, die vor ihnen lagen. „Nun ja, du bist etwas Besonderes. Du verdienst einen Mann, der für dich da ist." „Du meinst einen, der solide und verlässlich ist, der mit mir zum Altar marschiert und mich mit einem Haus in einem Vorort und einem Dutzend Kinder beglückt? Nein, danke! Ich habe Encaster verlassen, um einem solchen Mann zu entkommen." Wie viel von dem, was sie da gesagt hatte, hatte sie auch so gemeint oder geglaubt, dass sie es gemeint habe? Und wie viel hatte sie gesagt, weil sie wusste, dass Luke es hören wollte? Sie hatte es niemals wirklich gewusst. Pippa fing an, das Leben durch Lukes Augen zu sehen. Bis auf einen abendlichen Spaziergang mit Luke im Park, wo sie nicht anders konnte, als ein junges Elternpaar mit einem fordernden Kind zu beobachten.. „Daddy, du hörst mir nicht zu."
„Gleich, mein Liebling."
„Nein, jetzt, Daddy, jetzt!"
„Lass deinen Daddy in Ruhe", sagte die Frau ein wenig gereizt.
Luke grinste. „Armer Kerl!" meinte er. „Einst war er frei, jetzt kann er sich nicht einmal daran erinnern, wie es gewesen ist." Der Mann blickte auf den kleinen Quälgeist herunter. „Was hast du gesagt, Schätzchen?" „Guck mal, Daddy, hier! Da ist eine Raupe, eine groooße ..." Luke und Pippa schlenderten Arm in Arm an der kleinen Familie vorbei, und die durchdringende Stimme des Kindes schien ihnen zu folgen. „Komm, Daddy! Guck mal. Jetzt, Daddy, Daddy! Daddy!"
3. KAPITEL „Daddy, Daddy, Daddy!" Josies Stimme wurde mit jedem Wort lauter. Das muss man ihm lassen, dachte Pippa, Luke reagiert großartig. Er nahm seine Tochter in die Arme und rief: „Hey, was für eine tolle Überraschung!" Und er klang sogar ehrlich erfreut. Vater und Tochter musterten einander, schätzten einander ab. Pippa musste fast darüber lachen, wie die beiden in ihrem Verhalten einander glichen. Ihre Bewegungen waren absolut identisch, die Art, wie sie die Köpfe nach hinten legten und einander aufmerksam ansahen. Luke stellte das Kind sanft auf den Boden und wandte sich mit weit geöffneten Armen Pippa zu. Während er sie an sich zog, murmelte er ihr ins Ohr: „Ich kann's kaum glauben, du kommst wie gerufen." Über seine Schulter hinweg erblickte sie Dominique, und sie verstand. Zwar nicht alles, aber genug, um zu wissen, dass Luke wieder einmal „auf der Flucht" war. Er ließ sie los. „Pippa, Liebste, das ist Dominique - eine Freundin. Dominique, das ist Pippa, von der ich dir gerade eben erzählt habe." Pippas innere Antenne schlug Alarm, und ihr blieb nichts verborgen, nicht einmal, dass die Lippen der Frau schmal wurden, als er „eine Freundin" sagte. Dominique stand da in Lukes Morgenmantel, der sich vorne gerade genug verschoben hatte, um zu zeigen, dass sie darunter nackt war. Sie streckte eine perfekt manikürte Hand aus, um Pippa zu begrüßen, aber sie tat es auf eine Weise, die Pippa einschüchtern sollte. Pippa lächelte jedoch zurück und ließ sich nicht beeindrucken. „Zieh dich lieber an", meinte Luke, legte den Arm um Dominiques Schulter und drängte sie zur Tür. „Hast du nicht in einer Stunde einen Termin?" „In drei Stunden", antwortete Dominique mit eisig- glatter Stimme auf seine Frage. „Nun, du willst doch nicht zu spät kommen, oder?" Luke wandte sich wieder Pippa und Josie zu. „Wo sind eure Koffer?" „Im Airport Hotel." „Ihr werdet nicht im Hotel bleiben", erklärte er beleidigt. „Meine Familie bleibt bei mir. Ich habe das Gästezimmer im Nu fertig. Ihr werdet es mögen." „Danke. So lange ich Sie nicht verdränge ..." Das war an Dominique gerichtet. „Überhaupt nicht", erwiderte Dominique gedehnt und setzte viel sagend hinzu: „Ich habe nicht im Gästezimmer geschlafen." „Das kann ich mir vorstellen", meinte Pippa und begegnete offen dem Blick der attraktiven Frau. Luke hatte sich entfernt, um Bertha, seiner Putzfrau, die gerade gekommen war, Anweisungen zu geben. Dominique wies auf das Foto und bemerkte mit gesenkter Stimme: „Machen Sie sich keine falschen Vorstellungen, Honey. Dieses Bild war bis heute Morgen im Verborgenen." Pippa verzog die Lippen zu einem dünnen Lächeln. „Wirklich? Luke muss es - heute - sehr dringend gebraucht haben." „Oh, Sie haben Sinn für Humor. Aber la ssen Sie sich warnen. Ich erkenne einen Schwindler, wenn ich ihn nur sehe." „Oh, das nehme ich Ihnen sofort ab. Um einen zu erkennen, muss man selbst einer sein, nicht wahr?" Dominique war zu klug, um auf diese Bemerkung einzugehen. Es hätte schlimmer sein können, fand Pippa. Der Empfang hatte ihre kühnsten Hoffnungen übertroffen, auch wenn sie Luke dadurch nur ermöglicht
hatte, mit heiler Haut davonzukommen. Der Hinweis auf seine „Familie" war natürlich allein Dominiques wegen geschehen, aber er war genau das, was Josie zu hören dringend gebraucht hatte. Luke kehrte lächelnd zurück und legte die Hände auf Pippas Schultern. „Lass mich dich anschauen. Oh, Pippa, du bist der erfreulichste Anblick seit langer Zeit." „Was mich absolut nicht wundert", zog sie ihn auf. „Nein, nein, nicht nur allein deswegen. Nach all den Jahren bist du ... bist du meine Pippa geblieben." „Und was bin ich?" mischte Josie sich ein. „Du bist mein liebstes kleines Mädchen", antwortete er sofort und nahm' sie in die Arme. „Jetzt aber alles der Reihe nach. Zuerst Kaffee, dann das Hotel." „Ich bin hungrig", erklärte Josie. „Josie!" rief Pippa. „Wo bleiben die Manieren?" „Natürlich ist sie hungrig", gab Luke seiner Tochter Recht. „Wie wär's mit Milch und Erdbeersalat?" „Du kannst doch keine Erdbeeren in den Salat tun", widersprach Josie. „Kann ich wohl, wart's nur ab." Er holte Milch aus dem Kühlschrank und schenkte Josie ein Glas ein. Bertha verkündete, dass das Gästezimmer bereit sei, und Pippa ging mit ihr nach oben, während Luke Erdbeeren aus dem Gemüsefach holte, Himbeeren und noch andere Früchte, die er aufreihte, wie ein General bei der Inspektion seine Truppe aufreihen ließ. Hinzu kam auch noch Minze und schließlich Kopfsalat. „Sauerrahm", verlangte er kurz. „Drüben im Speiseschrank." Josie verstand sofort und brachte den Rahm. „Und nun ein wenig Honig. Findest du auch dort." Sie folgte seiner Anweisung und stellte sich dann neben ihn, um ihm bewundernd bei der Zubereitung des Salats zuzusehen. Nachdem die Früchte gewaschen waren, wollte Luke sie halbieren, aber Josie versuchte, ihm das Messer aus der Hand zu nehmen. „Das kann ich tun", bot sie an. „Hey, nein! Das Messer ist scharf." Er erlaubte es ihr dann aber doch, als er bemerkte, mit wie viel Geschick sie hantierte. „Diese Arbeit ist dir vertraut, was?" „Zu Hause helfe ich oft in der Küche. Mommy sagt zwar immer, ich soll die scharfen Messer nicht anrühren, aber ich tu's trotzdem." „Kann ich mir gut vorstellen", murmelte er und beobachtete, wie geübt die kleinen Finger sich bewegten. „Und was sagt sie dazu?" „Na ja ..." Josie hielt einen Moment inne, um darüber nachzudenken. „Sie sagt dann ,tu, was ich dir sage' und ,Josie, hast du mich gehört?' Aber dann steckt Jake den Kopf zur Tür herein und sagt: ,Hey, Pip, ich habe Frühschicht. Ist das Essen fertig?' Oder Harry regt sich auf, weil er etwas Wichtiges verloren hat. Harry verliert dauernd etwas Wichtiges. Oder Paul kommt herein, beschmiert mit Schmierfett, sogar im Gesicht. Paul macht alte Autos wieder neu. Oder Derek ..." „Sag mal, wer sind denn all diese Burschen?" „Die sind unsere Mieter und auch unsere Freunde. Die mögen Mommy sehr. Ich bin mit den Erdbeeren fertig. Was kommt jetzt?" „Der Kopfsalat, spül ihn richtig gut." Während Josie den Salat wusch, holte Luke die Teller. Dann ordnete sie die Salatblätter an, während er die Erdbeeren pürierte. „Und jetzt kommt der Honig, die Minze und der Sauerrahm", verkündete Luke
theatralisch, genau so wie er es in seiner Show tat. Aber es war nicht die Kamera, die auf ihn gerichtet war, oder die Blicke der Zuschauer, die auf den Bänken eng zusammengerückt saßen und über seine gut eingeübte, aber doch so spontan erscheinende Darbietung lachten. Es war ein aufgewecktes kleines Mädchen mit fröhlichen Augen, das ihn mit schief gelegtem Kopf beobachtete, genauso wie Pippa ihn damals beobachtet hatte. Und das schockierte Luke. Eigentlich war alles, was heute so passiert war, schockierend. Erst vor wenigen Stunden war er neben einem schönen Model - der absolute Traum eines jeden männlichen Single - aufgewacht. Und plötzlich war er Vater. Na ja, er war natürlich seit Jahren Vater, aber bis zu diesem Moment hatte er sich nicht wie ein Vater gefühlt. Jetzt fühlte er sich jedoch wie einer. Und es war ein gutes Gefühl. Jeder Mann sollte eine Tochter haben, fand er, ganz besonders eine mit langem lockigen, rotbraunen Haar, einem kecken Grinsen und dem Gehabe ihrer Mutter, nämlich keine Herausforderung zu scheuen. Und wieder einmal hatte Luke Danton Glück gehabt. Er brauchte sich nicht einmal darum zu bemühen, dass ihm die guten Sachen in den Schoß fielen. Und wie immer war er auch jetzt dankbar dafür. Lukes Badezimmer war luxuriös mit der Viktorianischen Wanne und dem Waschbecken im selben Stil. Nachdem Pippa sich das Gesicht mit Wasser gekühlt hatte, setzte sie sich. Und während sie sich trocknete, atmete sie tief durch. Sie hatte die erste Hürde genommen. Es war hart gewesen, aber sie hatte es geschafft. Über Luke war sie schon seit langem hinweggekommen, aber es würde niemals leicht sein, ihm physisch nahe zu sein. Luke war nicht nur ein gut aussehender, charmanter Mann. Für sie war er mehr. Sie erinnerte sich noch deutlich an seinen Körper, seine Berührungen, sein Lachen, seine ganze lebendige Persönlichkeit. Er hätte über ihr überraschendes Auftauchen entsetzt sein können, worauf sie gefasst gewesen war. Aber nichts hatte sie darauf vorbereitet, dass er sie und Josie so selbstverständlich in seinem Haus willkommen heißen würde. Sie war Josies wegen hierher gekommen, und deshalb allein war sie froh über den Empfang. Das zumindest redete sie sich ein. Sie holte wieder tief Luft, und als sie sich besser fühlte, kehrte sie in die Küche zurück, wo Luke gerade das Essen auftrug. Pippa war angemessen beeindruckt von seinem Werk. „Einhundertzwanzig Kalorien und sechs Gramm Fett", erklärte Luke. „Ich gebe das immer an, weil die Leute es wissen wollen." „Und es schmeckt lecker", rief Josie völlig glücklich. „Mommy, warum machen wir keinen Erdbeersalat?" „Na klar", erwiderte Pippa trocken. „Ich sehe Jake und Harry direkt vor mir mit einem Teller Erdbeersalat. Wenn sie als Beilage nicht Chips und gebratenen Schinken bekommen, essen sie's allerdings nicht." Sie machte ein angewidertes Gesicht und tat, als ob sie einer dieser Freunde wäre. „Hey, Pip, ich hab 'ne Vierzehnstundenschicht. Ein Mann muss was in die Knochen kriegen, sonst schafft er's nicht, du weißt schon, was ich meine." „Vierzehn Stunden?" hakte Luke nach. „Jake hat gerade sein Examen als Arzt gemacht", erklärte Pippa. „Und damit meint er, berechtigt zu sein, jedem von uns eine Vorlesung über gesundes Essen halten zu müssen. Dabei stopft er sich selbst mit schwer verdaulichem Zeug voll." Josie war als Erste fertig. Ungeduldig wartete sie, bis auch die Erwachsenen so weit waren, vom Tisch aufzustehen und sich startbereit zu machen, um die
Koffer vom Hotel zu holen. Für die kurze Strecke saß sie auf dem Rücksitz in
Lukes Porsche und betrachtete aufmerksam die Gegend, durch die sie fuhren.
Pippa saß neben Luke auf dem Beifahrersitz.
„Ich kann mich noch immer nicht beruhigen", sagte er.
„Du meinst, wir hätten nicht kommen sollen?" fragte sie schnell. „Nein, ich mag Überraschungen. Und ihr seid gerade im rechten Augenblick gekommen." „Ja, das habe ich mitbekommen. Was hättest du ohne uns getan?" „Nicht die Bohne einer Ahnung", antwortete er mit einem Schaudern. „Aber lass uns das vergessen. Wenn ich sagte Überraschung, meinte ich dich. Du hast es schon immer verstanden, mich zu verblüffen. Ich finde es großartig, dass du dich darin nicht geändert hast." „Na ja, vielleic ht hätte ich mich ändern sollen. Ich bin elf Jahre älter, aber ich scheine nicht gerade weiser geworden zu sein. Es hätte ja sein können, dass du mit einer Frau zusammenlebst." „Um Himmels willen! Weißt du was? Die einzige Frau, mit der ich jemals zusammenlebte, bist du gewesen." Sie war mit Luke in die Pension gezogen. „Ma" Dawson, die Lukes Charme völlig verfallen war, hatte für sie ein Zimmer gefunden, das gerade groß genug für zwei war und am Ende des Korridors gleich neben der Küche lag. Ma war lieb und nett, nur kochen konnte sie nicht. Pippa übernahm an drei Abenden das Kochen zu den zwei, die Luke bereits übernommen hatte, und Ma gewährte ihnen einen ganz schön hohen Nachlass auf die Miete. Pippa fühlte sich unglaublich wohl in der unbekümmerten Atmosphäre des Hauses. Nur wenige Blocks entfernt lag das Universitätskrankenhaus, und die meisten der Bewohner waren Medizinstudenten. Sie lebten alle am Rande der Armut, hatten alle einen Nebenjob, studierten viel, aßen und tranken viel und lachten ausgiebig. Es gab zauberhafte Nächte, die sie mit Diskussionen über das Leben bis in die frühen Morgenstunden verbrachten, mit Angus und Michael, Liz und Sarah und George und jedem anderen, der vorbeikam. Pippa steuerte ebenfalls die eine oder andere Bemerkung bei, schmiegte sich in die Kurve von Lukes Arm und genoss die Wärme seines schlanken Körpers. Luke saß zufrieden mit ihr dabei, aber er redete nur wenig. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, das Leben zu leben, um darüber zu sprechen. Seine Welt war nicht abstrakt, sie war körperlich, fassbar, und wo sie es nicht war, ging er mit einem Schulterzucken darüber hinweg. Wenn er sich bei all dem Reden langweilte, fing er an, zart an Pippas Ohrläppchen zu knabbern. Dann verschwanden sie unauffällig, und der Rest der Nacht wurde noch zauberhafter. Pippa schien durch das Leben zu treiben, glückselig über die neu entdeckten sinnlichen Freuden. Bei der Arbeit trug sie die brave, respektvolle Uniform eines Zimmermädchens, was ein Trugbild war. Darunter war sie überhaupt nicht brav und respektvoll. Manchmal musste sie lachen bei dem Gedanken, wie schockiert die Leute wären, wenn sie wüssten, wie sehr ihre Sinne auf Luke gerichtet waren, der sie ebenso unkontrolliert liebte, wie sie es tat. Später hatte sie sich mit den Fragen gequält, ob sie sich nicht damit selbst geschadet habe. War sie nicht immer allzu bereit, allzu begierig, allzu unersättlich gewesen? Vielleicht hätte sie zurückhaltender, raffinierter, spielender vorgehen sollen. Aber es wäre eine Täuschung gewesen, was ihr ehrliches Wesen nicht hätte ertragen können. Sie war jung und übermütig, und Sex mit dem Geliebten zu genießen, schien ihr nur allzu natürlich zu sein. Die Erinnerungen würden sie niemals loslassen ... Erinnerungen an jene
wunderbaren Nächte, wenn sie nackt in seinen Armen lag, während er im Mondlicht andächtig ihren Körper erkundete. Luke konnte so zärtlich sein, dass sie ganz still wurde und sich seinen Liebkosungen hingab. Manchmal hielt er ein, sah auf sie herunter und lächelte. Dann lächelte sie zurück, von einem Glück erfüllt, das weit über die körperlichen Freuden hinausging. Dann wusste sie, dass es auf der ganzen Welt für sie nur Luke gab. Deutlich erinnerte Pippa sich an die Nacht, wo in einem bestimmten Augenblick Sex zur Liebe wurde. Zumindest hatte sie es so empfunden. Warum es gerade in jenem Moment geschah, war ihr ein Rätsel. Was bis dahin ein wunderbar erregendes, sinnliches Spiel gewesen war, wurde tiefer und berührte sie in ihrer Seele. Luke war nicht nur ein Mann, der ihr sexuelle Freude bereitete. Er war der Mann, der seinen Kopf an ihre Brust legte und einschlief, so als ob er ihr total vertraute. Dann schmolz sie vor zärtlicher Zuneigung dahin. Sie hatten nie von Liebe gesprochen. In einer modernen Bezie hung wie der ihren gab es keine ernsthaften Bindungen. Jeder lebte sein eigenes Leben und war damit zufrieden. Und dann plötzlich war Liebe doch da. Luke hätte das als unerwünscht betrachtet, weil er ein Mann war, der sich nicht binden ließ. Und Liebe bedeutete Bindung. So viel war klar. Und während er schlief, wisperte Pippa ihm zu: „Tut mir Leid, Liebling, ich kann unsre Abmachung nicht einhalten. Ich würde dir so gern sagen, dass ich dich liebe, aber du würdest dich zu Tode erschrecken. Oh, Luke!" Was Pippa an Luke so besonders mochte, war sein ausgeglichenes Wesen. Einmal nur hatte sie ihn verstimmt erlebt. An einem Samstag hatte sie sich fein gemacht, um ohne Luke auszugehen. Sie hatte ihm nicht einmal mitgeteilt, wohin sie wollte. „Es ist der erste Samstag, den wir seit Ewigkeiten gemeinsam frei haben, und du verschwindest", hatte Luke sich beschwert. „Und du putzt dich heraus, als ob du etwas ganz Besonderes vorhättest." Misstrauisch betrachtete er das hautenge Kleid aus kirschrotem, anschmiegsamem Jersey. „Du hast bis jetzt keine Geheimnisse vor mir gehabt." „Es ist nur ein kleines Geheimnis." „Also, warum machst du dann eine so große Sache daraus?" Er blickte sie finster an. „Wer ist er?" „Sein Name ist Frank, und er ist mein Onkel, und ich bin zu seiner Hochzeit eingeladen." „Na toll!" stellte Luke beleidigt fest. „Ich bin also nicht gut genug, um deiner Familie vorgestellt zu werden." „Sei nicht albern, Darling, ich dachte nur, du würdest dich langweilen. Eine Hochzeit, gediegene Familienzusammenkunft, Männer in Anzügen mit weißem Hemd und Krawatte, Frauen in Hüten. Ich weiß doch, dass dir so etwas Albträume bereitet." „Lieber nehme ich das in Kauf, als dass ich dich den ganzen Tag über nicht bei mir habe." „Luke, bist du sicher? Du weißt, was passiert, wenn wir da zusammen ankommen." „Klar weiß ich's. Deine Familie wird verkrampft lächeln und fragen, wann du aus mir einen ehrlichen Mann machst. Dann antwortest du einfach, ich sei dein Schatz. Werden dein Vater und Clarice auch da sein?" „Nein. Die sind vor einigen Monaten wegge zogen." „Also, dann lass uns starten." Er küsste sie. „Wenn du glaubst, dass ich dich irgendwohin lasse in deinem hübschen Kleid und ohne mich, dann bist du auf
dem Holzweg." Von irgendwoher holte er einen Anzug hervor, lieh sich von seinem Freund ein zerbeultes Auto, und dann machten sie sich auf den Weg. Pippa hätte vor Freude jubeln können. Sie hatte Luke nicht eingeladen, um nicht den gleichen Irrtum zu begehen wie seine früheren Freundinnen. Und nun kam er doch mit - aus Eifersucht. Er war tatsächlich eifersüchtig! Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Sie waren um die Mittagszeit bei Frank angekommen. Frank besaß einen kleinen Eckladen, der nicht viel einbrachte, aber doch genug für ein bescheidenes Leben. Er war ein ernster Mann und sah mindestens ze hn Jahre älter als seine dreißig aus. Pippa umarmte ihn überschwänglich, und er küsste sie liebevoll. „Wie kommt's, Frank, dass du so ruhig bist?" wunderte sie sich. „Das kann doch nicht normal sein für einen Bräutigam." „Warum sollte ich nervös sein?" fragte er überrascht zurück. „Elly hat alles wunderbar organisiert. Darin ist sie wirklich einmalig." „Klingt ein wenig nüchtern, oder?" flüsterte Luke ihr ins Ohr, als Frank sich kurz umgewandt hatte. „Er redet doch von der Frau, die er heiraten wird?" „Frank zeigt seine Gefühle nicht gern", erwiderte sie genauso leise. Aber laut fügte sie hinzu: „Ehrlich, Frank, es ist fast unanständig, so cool und gelassen zu sein. Kommt es dir nicht in den Sinn, dass Elly in der Kirche nicht auftauchen könnte oder dass du vielleicht nicht gut genug für sie bist?" Frank blickte sie einen Moment lang bestürzt an. Dann lächelte er und drückte kurz ihre Schulter. „Du und deine kleinen Spaße", meinte er nachsichtig. „Ich bin froh, dass du gekommen bist, Kleines." Elly war eine mollige, gutmütige Witwe, ein wenig älter als Frank. Pippa war ihr bereits vorher begegnet und mochte sie. Sie fand, dass sie gut zu Frank passte. Beide gaben das Bild eines Paares ab, in deren Leben es kaum Höhen und Tiefen geben würde, dafür jedoch Zufriedenheit und Zuneigung. Beinahe am Ende des Empfangs nahm Elly Pippa zur Seite und sagte munter: „Ein so gut aussehender junger Mann! Wann dürfen wir denn mit eurer Hochzeit rechnen?" „Es gibt keine Hochzeit", antwortete Pippa und war froh, dass Luke auf der anderen Seite des Raums stand und sich mit einem der Trauzeugen unterhielt. „Aber jeder kann sehen, dass ihr zwei verrückt aufeinander seid", protestierte Elly. Pippa entdeckte, dass ihr Herz sich nicht so leicht kontrollieren ließ, wie sie es gehofft hatte. Denn bei der Bemerkung, dass Luke verrückt nach ihr sei, fing es an wie verrückt zu pochen. Sie tat jedoch, als ob sie welterfahren genug wäre, um genau zu wissen, wie ihr Leben verlaufen sollte. „Ich bin achtzehn. Ich möchte mich noch ein wenig austoben, ehe ich mich niederlasse." „Willst du damit sagen, dass er dich noch nicht gefragt hat?" „Ich will damit sagen, dass man heutzutage wegen einer kleinen Liebschaft nicht überstürzt heiratet. Elly, ganz ehrlich, ich bin wirklich glücklich für dich und Frank. Ich denke, ihr seid füreinander geschaffen. Aber in meiner Generation liegen die Dinge anders." Worauf Elly nur einfach „Hmm" sagte und Pippa recht besorgt ansah. Frank und Luke unterhielten sich volle zehn Minuten, und beide waren erleichtert, als sie unterbrochen wurden. Obwohl Frank freundlich war und es mit ihr gut meinte, fand Pippa ihn wichtigtuerisch und engstirnig, als er zu ihr sagte: „Dieser junge Mann passt überhaupt nicht zu dir, Kleines. Ich fürchte, er ist leichtfertig."
„Er ist dreiundzwanzig", entgegnete Pippa pikiert. „Bist du in dem Alter nicht auch leichtfertig gewesen?" Frank war schockiert. „Natürlich nicht!" „Vielleicht hättest du es aber sein sollen! Jeder sollte mit dreiundzwanzig leichtfertig sein. Die Zeit kommt früh genug, wo man verantwortungsvoll sein muss." „Du hörst dich an, als ob du ihm nach dem Munde redest", warf Frank ihr vor, was ein Schuss ins Schwarze war. „Schenk ihm nicht dein Herz, Pippa. Er wird es nur brechen." Sie versuchte, unbekümmert zu klingen. „Vielleicht breche ich ja seins." „Das hoffe ich. Aber ich bezweifle es." „Oh, Frank, sei nicht so spießig! Ich habe eine herrliche Zeit mit Luke. Wen kümmert schon das Morgen?" Sie ging davon, bevor er darauf antworten konnte. Sie war Franks beunruhigenden Einblicken nicht gewachsen. Als Luke und Pippa in der folgenden Nacht eng umschlungen im Bett lagen, küsste er sie und sagte: „Ich fürchte, Frank ist nicht gut auf mich zu sprechen." „Ich weiß. Er sagte, dass du leichtfertig bist. Ich habe ihm geantwortet, er hätte in deinem Alter auch leichtfertig sein sollen." Luke lachte lauthals. „Dabei hätte ich sein Gesicht sehen mögen. Leichtfertig sein ist nicht seine Art, genauso wenig wie es meine Art wäre, Pfeife zu rauchen und Pantoffeln zu tragen." „Pfeife rauchen und Pantoffeln tragen, wer will das schon?" murmelte Pippa und schmiegte sich verführerisch an ihn. „Es gibt andere Dinge zu tun." „Mmmm", bestätigte er sofort und lächelte viel versprechend. „Warum fängst du nicht damit an, mir all diese anderen Dinge zu zeigen?"
4. KAPITEL
Zu Beginn schienen für Luke die ihm noch verbliebenen vier Monate endlos lang. Lang genug, um das Gefühl zu bekommen, dass Pippa und er für immer zusammengehörten. Aber dann wurden aus vier Monaten drei, zwei, ein Monat, und plötzlich waren es nur noch zwei Wochen, bevor seine Arbeitserlaubnis ablief. Eines Nachts, noch ganz erhitzt von ihrem sinnlichen Zusammensein, setzte er sich im Bett auf und sagte: „Oh, Liebling, ich werde dich vermissen, wenn ich weg bin." In diesem Augenblick brach für Pippa eine Welt zusammen. Luke hatte nicht vor, sie in die Staaten mitzunehmen. Das hatte er sie soeben deutlich wissen lassen. Zwar taktvoll, lieb, aber unmissverständlich. Der Klang ihrer Stimme erstaunte sie. Sie hörte sich nicht an, als ob sie darum kämpfte, nicht in Schreien auszubrechen. „Wie lange noch?" „Zwei Wochen." Er rollte sich zu ihr herüber und sah sie an. „Wir haben eine fantastische Zeit miteinander gehabt, stimmt's?" „Ja, fantastisch, aber ..." Pippa nahm all ihren Mut zusammen, „aber muss sie enden?" Die Nachttischlampe gab nicht viel Licht, doch Pippa konnte sehen, wie sein Gesicht sich anspannte. Hastig fügte sie hinzu: „Ich meine, du könntest eine Verlängerung bekommen." „Oh, das meinst du. Nein, die Genehmigung ist abgelaufen, und die Einwanderungsbehörde hier will sie nicht verlängern. Ich habe mich erkundigt. Da läuft nichts." Also hatte er vorgehabt, mit ihr länger zusammenzubleiben. Doch Pippa wusste, dass sie nach Strohhalmen griff. Und auf einmal war der letzte Tag gekommen, der Tag, an dem sein Flugzeug um die Mittagszeit startete. Pippa begleitete Luke zum Flughafen. Sie saßen in einer Kaffeebar und warteten auf den Ausruf. Etwas schmerzte in ihrer Brust, lag dort wie ein Stein. Und Pippa wusste nicht, wie es ihr möglich sein sollte, diesen Schmerz zu ertragen und dabei ständig zu lächeln. Irgendwie schaffte sie es aber doch. Luke ging fort, und darüber war er glücklich. Sie musste ihn nicht fragen, um zu wissen, dass ihm das Herz nicht brach. Mit seinen Gedanken war er bereits in Kalifornien. Sie begleitete ihn bis zur Sperre, und im letzten Moment umarmte er sie stürmisch. „Ich werde dich nie vergessen, Pippa." „Das wirst du", entgegnete sie fröhlich. „Da sitzt auf dem Flug neben dir eine Schönheit, und schon hast du mich vergessen." Streite das ab. Bitte, streite es ab, flehte sie stumm. „Schlingel!" entgegnete Luke und kniff ihr in die Wange. „Denkst du so von mir?" „Das ist der letzte Aufruf für den Flug ..." „Das ist er. Ich muss gehen! Bye, Baby. Viel Glück!" Ein letztes Streicheln ihrer Wange, und er wandte sich zum Gehen. Pippa sah ihm nach, wie er flott davoneilte, und obwohl er sich noch einmal umdrehte, um ihr ein letztes Mal zuzuwinken, war ihr klar, dass sie bereits aus seinem Leben verschwunden war. In der U-Bahn auf dem Weg zurück fasste sie wieder Mut. Sie hatte es ja von Anfang an gewusst, dass das geschehen würde. Luke hatte aus dem Tag seines Abflugs kein Geheimnis gemacht und auch nicht, dass es in seinem Leben keinen Platz für etwas Dauerhaftes geben würde. Sie waren beide moderne,
liberal eingestellte junge Leute, die nichts gegen eine kurze Liebesbeziehung einzuwenden hatten. Und wenn es vorbei war, na und? Dann ging man eben getrennte Wege. Pippa war überrascht und erfreut, wie gut sie die Situation meisterte. Sie lächelte, als sie die Pension betrat, schaute bei Ma für einen Schwatz rein und ging dann immer noch munter auf ihr Zimmer. Bis heute Morgen war es Lukes und ihr Zimmer gewesen. Jetzt gehörte es ihr allein. Allein. Das Wort traf Pippa unvermittelt, gerade als sie fest davon überzeugt war, dass sie mit dem Abschied wunderbar fertig wurde. Das Lächeln, die Munterkeit und die Tapferkeit fielen ab und hinterließen eisige Kälte. Pippa fing vor Schock zu zittern an. Sie konnte gerade noch die Tür hinter sich schließen, um dann auf den Fußboden zu gleiten und herzzerreißend zu weinen. Tiefer Schmerz überfiel sie in Wellen, jede größer als die vorhergehende, bis Pippa das Gesicht in die Hände barg, um ihr Schluchzen zu dämpfen. Er war weg. Luke war weg. Eine ganze Woche lang lief sie wie ein Zombie herum. Sie hatte keinen Appetit und wurde fast krank von dem wenigen Essen und den Überstunden, die sie freiwillig auf sich nahm. Also bemerkte sie die ersten Anzeichen für eine Schwangerschaft gar nicht. Bis sie alarmiert genug und somit gezwungen war, sich der Wahrheit zu stellen, war sie bereits im zweiten Monat schwanger und so müde und abgemagert, dass sie eines Abends bei Ma in der Küche ohnmächtig wurde. Sarah, eine der Medizinstudentinnen, fing sie gerade noch rechtzeitig auf. Danach gab es keine Zweifel mehr. Sie hatte die Telefonnummer von Lukes Eltern. Drei Mal hatte sie die Nummer gewählt, und drei Mal hatte sie aufgelegt, noch während es klingelte. Ihr Stolz ließ es einfach nicht zu, dass ihr Anruf von jemand anderem angenommen werden würde, dem sie dann erklären musste, dass sie Luke in England gekannt habe und wo er doch, bitte, jetzt sei? Pippa konnte es sich so lebhaft vorstellen, als ob es sich vor ihren Augen abspielte, wie alle in seiner Familie bedeutungsvolle Blicke miteinander wechselten. Eine von Lukes vergangenen Geliebten! Macht sich immer noch etwas vor. Armes Ding! Und wenn er den Hörer selbst abnehmen würde? Hey, Luke ... erinnerst du dich an mich? Ich bin Pippa ... Nein, Pippa! Schließlich schrieb sie ihm, und sie setzte diverse Male an, um genau den Tonfall zu finden, den sie wollte - freundlich, fröhlich, keine Bitten, keine Forderungen, nicht einmal Erwartungen. Ich dachte nur, dass Du es gern wissen möchtest. Damit endete der Brief. Sie schickte den Brief ab, und es begann eine Woche der Qual, zwei Wochen, drei. Himmel, er würde sie nicht beachten! Wahr scheinlich fand er, dass er dazu auch berechtigt sei. Keine Bindungen! Das war die Abmachung gewesen. Pippa wusste jedoch, dass, wenn Luke, der für sie die Welt war, sie auf eine solch billige, gefühllose Weise abwimmeln würde, ihr Herz für immer gebrochen bliebe. Nach einem Monat rief er sie schließlich an und entschuldigte sich. Er wäre weg gewesen, und seine Post hätte sich angesammelt. Er klang freundlich, besorgt, aber nicht wie ein Liebender. In ihrer Freude, dass sie wieder an ihn glauben konnte, fand Pippa, dass sie damit fertig werden könnte. „Wie fühlst du dich?" fragte er. „Ist dir übel? Armes Ding." Pippa brachte es tatsächlich fertig, in sich hineinzulachen. „Luke, ich habe mich noch nie in meinem Leben besser gefühlt. Es ist keine große Sache."
„Dann geht es dir gut, ja? Du hast also nicht das Bedürfnis nach etwas so Langweiligem und Altmodischem - wie einem Ehe mann?" „Luke, ehrlich! Heutzutage?" „Nun, es gibt immer noch Frauen, die darauf Wert legen. Jedenfalls, ich stehe zur Verfügung, wenn ... wenn du es möchtest." Das war es also. Auf seine eigene, pflichtbewusste, umständliche Weise hatte Luke ihr angeboten, sie zu heiraten. Die Versuchung, die Chance zu ergreifen, war riesig. Warum nicht? Andere Paare hatten unter solcher Voraussetzung geheiratet, und ihre Ehen waren glücklich geworden. Pippa atmete tief durch. Noch bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte, fügte Luke hinzu: „Natürlich werde ich für dich und das Baby sorgen, ganz gleich, was geschieht." Und der Moment war vorbei. Er hatte schnell genug das ausgesprochen, was er für sich selbst erhoffte. Er war ein netter Mensch, und er hatte ein Gewissen. Aber das Gewissen war nicht genug. „Darling, du bist süß, wirklich das bist du", meinte sie mit einem Auflachen. „Heutzutage muss man deswegen aber nicht heiraten. Bin ich ein solcher Schwächling, dass ich auf ein kleines Baby ohne dich nicht selber aufpassen kann?" „Ich dachte nur, dass ich einen Platz in dem Geschehen haben könnte, kleine Emanze." „Oh, du bist vielleicht eine gediegene Marke! So verlässlich!" zog Pippa ihn auf. „Du willst doch wohl nicht wie Frank werden, oder?" „Der Himmel behüte mich davor!" Sie redeten noch eine Weile miteinander, und Luke versprach, ihr bald Geld zu schicken. Lachend wünschte Pippa ihm das Beste. Sie wusste, dass sie sich gut verhalten hatte, dass sie gerade richtig geklungen haben musste - vergnügt, unbesorgt, bereit, das Leben mit einem Lied auf ihren Lippen anzupacken. Dann legte sie auf. Dann setzte sie sich und starrte auf das Telefon. Dann schloss sie sich in ihrem Zimmer ein und schluchzte, bis es keine Tränen mehr gab. Als man in der Pension erfuhr, dass Pippa ein Baby erwartete, wurde sie von allen unter die jeweiligen Fittiche genommen. Jeder angehende Arzt betrachtete diese Schwangerschaft als sein oder ihr Spezialbereich. Pippa hörte beim Ritz auf und wurde Ma's ständige Köchin. Das nahmen alle mit Erleichterung auf. Josies Geburt wurde im Haus als ein glückliches Ereignis gefeiert, und die anderen Mütter auf der Entbindungsstation sahen neidisch zu, als die Besucher sich um Pippas Bett scharten. Sie schlössen sogar Wetten ab, wer von den fünf jungen Männern sich wohl als der Vater herausstellen würde. Doch keiner von ihnen war es. Josies Vater ließ einen Blumenstrauß zustellen und schickte eine Karte mit liebevollem Wortlaut sowie einen Extrascheck, um „der Kleinen etwas von mir zu kaufen". Aber er war nicht gekommen, um seine neugeborene Tochter zu sehen. Bald nachdem Ma's Rheumatismus schlimmer wurde, übernahm Pippa die Leitung der Pension. Es war für sie der perfekte Job, da er ihr ermöglichte, Josie immer bei sich zu haben. Für diese Arbeit erhielt Pippa freie Unterkunft, Verpflegung und genug Geld, so dass sie die Schecks, die aus Los Angeles kamen, bei der Bank einzahlen konnte. Luke mochte in mancher Hinsicht unverantwortlich sein, aber was das Geld anging, hatte er sie nicht im Stich gelassen. Wenn seine Finanzen sich verbesserten, so verbesserten sich auch ihre. Und über die Jahre hinweg wuchs
ihr Sparguthaben, das sie bei hohen Zinsen angelegt hatte. Als dann der Zeitpunkt da war, dass Ma in Rente ging, hatte Pippa genug hinterlegt, um eine Hypothek aufzunehmen und Ma die Pension abzukaufen. Luke schickte ihr prompt zehntausend Dollar, damit sie die Räume neu einrichten konnte. Die Pension florierte. Pippa konnte sich selbst als eine erfolgreiche Geschäftsfrau bezeichnen. An Gastbewohnern gab es keinen Mangel. Die Pension hatte wegen der guten Leitung und nicht zuletzt auch wegen Pippas guter Küche einen fantastischen Ruf. Manchmal erinnerte sie sich an ihren Traum, die beste Köchin auf der ganzen Welt zu sein. Aber dieser Traum schien jetzt weit weg zu sein. Genauso weit wie Luke. Nach elf Jahren war der Schmerz verklungen. Nur die süßen Erinnerungen waren geblieben und Josie, ein Kind, das jedes Mutterherz erfreuen konnte. Im Großen und Ganzen war es ein recht glückliches Leben, bis auf den Tag, wo Jake gerade sein Examen als Mediziner abgelegt hatte und ihr vorhielt: „Pip, für eine Frau Ende Zwanzig bist du ganz schön kurzatmig." Und auf einmal war sie wieder ein Kind, das sagte: „Mommy, warum bist du immer außer Atem?" „Es ist nichts, Liebling. Wirklich nichts." Doch drei Monate später war ihre Mutter tot gewesen. „Es ist nichts, Jake." „Das sagst du mir?" erwiderte er schroff. „Seit wann bist du in der Medizin so gut bewandert?" Und in liebevollerem Ton fragte er: „Was sagt dein Arzt?" „Nun, ich bin nicht..." „Dann tu's." Und das hatte sie dann auch getan. Und was der Arzt ihr mitgeteilt hatte, hatte genügt, um das nächstmögliche Flugzeug nach Los Angeles zu nehmen und Josie ihrem Vater vorzustellen, solange ihr noch die Zeit dazu blieb. Sie holten die Reisekoffer aus dem Hotel und fuhren zurück zu Lukes Haus.
Das Ganze hatte nicht länger als eine halbe Stunde gedauert. Pippa fing
gleich mit dem Auspacken an und Josie „half" ihr dabei. Eigentlich machte
sie ihre Mutter mit ihrem Herumhüpfen so nervös, dass Pippa sie aus dem
Zimmer scheuchte.
„Geh und unterhalte dich mit Daddy."
Sie behielt das Lächeln bei, bis Josie verschwand, dann setzte sie sich abrupt hin. Es hatte sie unendliche Kraft gekostet, die Atemzüge zu kontrollieren und nicht nach Luft zu ringen. Josie wusste nur, dass es ihrer Mutter gelegentlich nicht gut ging. Sie hatte keine Ahnung, wie schlimm es um Pippas Gesundheit stand. Und Pippa wollte, dass es dabei blieb, bis sie alles hier in Kalifornien geregelt hatte. Fest umgriff sie das Ende des Bettgestells aus Messing und wartete mit zusammengekniffenen Augen das Ende des Anfalls ab. „Nicht jetzt", betete sie verzweifelt. „Eine Woche. Gib mir noch eine Woche!" Denk an etwas anderes. Konzentrier dich, bis es vorbei ist. Schau dich um. Sieh, wie einladend dieses Zimmer ist mit seinem glänzenden Holzfußboden und den zwei Messingbetten mit den weißen Bettbezügen. Nein, sieh nicht aufs Bett. Die Sehnsucht, dich einfach hinzulegen, wird nur übergroß. So, das war's. Du fühlst dich jetzt besser. Sie hörte Josie, die von unten rief. „Mommy, guck mal! Wir sind am Meer." Bis jetzt hatte Josies Aufmerksamkeit allein ihrem Vater gegolten. Jetzt erst ging ihr voll auf, wie einmalig schön es hier war. Dann hörte Pippa Luke. „Meer! Das ist mehr als ein Meer. Das ist der
Pazifik", erklärte er stolz. Pippa fühlte sich jetzt wieder gut genug, um zu den beiden hinauszutreten. Luke begrüßte sie mit einem breiten Lächeln. „Deine Mom hat mich einmal an die Atlantikküste mitgenommen", erzählte er Josie. „Und du hast gesagt, dass das für dich keine Meeresküste wäre, weißt du noch?" erinnerte Pippa ihn. „Da, wo du aufgewachsen bist, das wäre eine richtige Küste, hast du gesagt." „Und du hast gesagt: Was meinst du mit richtiger Meeresküste?" „Diese Küste ist wirklich schön, Mommy", rief Josie begeistert. „Keine Kiesel, nur Meilen und Meilen Sandstrand. Können wir jetzt gleich runtergehen?" „Nicht jetzt", antwortete Pippa schnell. Sie fühlte, wie die Kräfte sie erneut verließen. „Oh, bitte, Mommy!" „Bist du nicht müde vom langen Flug, Josie?" fragte Luke. „Nein, ich bin nicht müde", beharrte Josie. „Aber deine Mom ist müde. Sie ist eine alte Dame, und sie braucht Ruhe." Er grinste zu Pippa herüber. „Du siehst erschöpft aus. Geh, leg dich hin, während ich und Josie einen Spaziergang am Strand machen." Pippa wollte im Augenblick nichts so sehr, wie sich hinlegen. Sie kehrte in ihr Zimmer zurück, zog sich rasch aus und schlüpfte unter die Bettdecke. Sie merkte, dass Luke auf Zehenspitzen ins Zimmer kam und die Vorhänge gegen das Sonnenlicht vorzog. Er näherte sich dem Bett und blieb einen langen Moment stehen, so als ob er Pippa betrachtete. Dann verließ er das Zimmer wieder. Sie hörte noch, wie er leise die Tür hinter sich schloss, und das war das Letzte, was sie mitbekam, ehe tiefer Schlaf sie übermannte. Es gab für Luke kaum etwas Schöneres, als eine Entschuldigung zu finden, um am Strand entlangzuschlendern. Josie und er hatten genau das drei lange Stunden getan, und danach waren Vater und Tochter ein Herz und eine Seele. Kurz bevor sie die Hintertür erreichten, lachte Luke laut über eine witzige Bemerkung des Kindes, und Josie legte den Finger auf die Lippen und warf ihm einen warnenden Blick zu. „Du weckst Mommy", warnte sie. „Du meinst, sie schläft noch immer?" „Mommy wird leicht müde. Sie legt sich oft am Tag hin, weil sie so viel arbeiten muss für unsere Gäste." „Nun, sie wird hier bei mir nicht arbeiten. Wir werden sie verwöhnen. Geh und dusch dich, während ich für uns etwas zum Essen zaubere." Josie hüpfte in das Schlafzimmer und kam gleich wieder heraus mit dem Finger auf den Lippen und ein paar Kleidungsstücken an sich gedrückt. „Schläft sie noch?" fragte er, und Josie nickte heftig. Luke überlegte kurz und betrat dann leise das Schlafzimmer. Pippa lag auf dem Bauch, ein Arm hing über den Bettrand, und sie schlief wie tot. Als Luke und Josie mitten beim Abendessen waren, erschien Pippa in der Küche in einem von Lukes weiten Bademänteln, den sie über ihrem Nachthemd trug. Sie war offensichtlich gerade aufgestanden. Ihre Augen leuchteten, und sie wirkte ausgeruht. Luke fand, dass sie wieder wie die alte lebenslustige Pippa wirkte, und er konnte die Besorgnis beiseite schieben, die in ihm aufgekommen war, als er sie wie bewusstlos schlafend gefunden hatte. Er stellte sich vor sie hin und grinste sie an. Sie grinste zurück, und im nächsten Moment lagen sie einander in den Armen und lachten vor Freude. „Oh, Mann, ist das gut, dich hier zu haben!" rief er. „Pippa! Meine Pippa, nach so langer Zeit. Lass mich dich anschauen." Er hielt sie auf Armeslä nge
von sich. „Immer noch so hässlich wie einst. Autsch!" „Ja, autsch! Geschieht dir recht. Was eine Frau jemals in dir hat sehen können, ist mir ein Rätsel. Du bist schon damals schlimm ge nug gewesen, jetzt bist du eine Katastrophe. Fett, glatzköpfig ..." „Und du solltest erst meine Schuppen sehen!" stimmte er ihr zu. Sie brachen wieder in Lachen aus, drückten einander und tanzten durch die Küche. Josie beobachtete die beiden und fand es spaßig, wie albern sich ihr Dad und ihre Mom verhielten. „Setz dich und iss mit uns zu Abend", forderte er sie auf und wies auf einen Barhocker. „Kann ich jetzt nur eine Tasse Kaffee haben? Essen werde ich, nachdem ich mich geduscht habe." „Dein Wunsch ist mir Befehl. Frischer Kaffee ist schon da." Luke füllte ihr den Becher und reichte ihn Pippa, die damit gleich verschwinden wollte. „Mommy, ich möchte dir vom Spaziergang erzählen", rief Josie und hielt ihre Mutter zurück. Pippa setzte sich auf den Hocker vor dem Tresen neben ihre Tochter, die anfing, ihr lebhaft zu schildern, wie himmlisch es war, mit Daddy am Strand zu spazieren. Pippa hörte ihr zu und fühlte sich so zufrieden wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr."' Das war es genau, was sie sich erhofft hatte. Allein deswegen hatte sie sich auf die weite Reise gemacht. Alles würde gut werden. „Was nimmst du da ein?" fragte Luke interessiert, als er sah, dass sie etwas in den Mund steckte und es herunterspülte. „Nur ein Aspirin", antwortete Pippa ruhig. „Ich habe ein bisschen Kopfschmerzen." Josies Gesicht bekam einen wissenden Zug, der so gar nicht zu ihrem kindlichen Wesen passte. „Ist es wieder dieses Kopfweh, Mommy?" fragte sie liebevoll. Und an Luke gerichtet erklärte sie: „Das hat sie oft." „Liebling, übertreib nicht. Ich werde halt leicht müde wegen der vielen Arbeit, und heute haben wir einen langen Flug hinter uns." Pippa lachte. „Jetzt weiß ich auch, warum ich mich duschen will, so als ob es morgens wäre. Dabei ist es Abend." „Tu's jetzt gleich. Das schafft dir einen klaren Kopf", riet Luke. „Du wirst dich dann besser fühlen." Er hatte Recht gehabt. Nach dem Duschen fühlte Pippa sich wie neugeboren. Sie zog sich eilig an und kehrte in die Küche zurück, wo Josie sich zwischen einem Eis mit Bananen und einem mit Süßkirschen nicht entscheiden konnte. Schließlich verlangte sie nach beiden. „Du hast ja tatsächlich beide weggeputzt", stellte Luke nach wenigen Minuten erstaunt fest. „Sie ist zehn", erinnerte Pippa ihn. „Was erwartest du?" Josie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber kein Laut kam heraus. Sie war seit vierundzwanzig Stunden wach, und der Schlaf übermannte sie ganz plötzlich. Die Augen fielen ihr zu, ihr Kopf sank nach vorn, und sie wäre vom Barhocker gerutscht, wenn Luke sie nicht aufgefangen hätte. Er brachte sie, von Pippa gefolgt, nach oben ins Schlafzimmer und legte das kleine Mädchen ins Bett. „Wir ziehen sie nicht erst aus", meinte er und zog die Decke über sie. „Nacht, Mommy", murmelte Josie mit geschlossenen Augen. „Gute Nacht, Liebling." Pippa beugte sich über sie und küsste sie. „Nacht, Daddy."
„Gute Nacht, mein Kleines." Auch er beugte sich und küsste das Kind auf eine so selbstverständliche Weise, als ob er das seit zehn Jahren getan hätte. Das war Luke, wie Pippa sich an ihn erinnerte - umgänglich, gefühlvoll, unbefangen. Luke, der sich nicht scheute, mit Wärme und Charme Menschen zu begegnen ... Wenn sie ihn nur nicht unter Druck stellten und zu viel von ihm erwarteten.
5. KAPITEL
Nachdem Josie eingeschlafen war, trugen Pippa und Luke die Kaffeekanne und die Tassen in das große Wohnzimmer, wo Luke sich aufhielt, wenn er nicht arbeitete. Ein riesiges Fenster gab den Blick frei auf den Pazifik. Die Sofas und Sessel waren so gruppiert, das man aufs Wasser sehen konnte. „Hier", sagte Luke und deutete auf das Sofa. „Den Kaffee stell ich dir auf das Tischchen daneben." Pippa setzte sich. Sie genoss es, bedient zu werden, kickte die Schuhe von den Füßen und streckte sich. „Mmm", seufzte sie wohlig. Luke nahm in einem Sessel Platz, von wo aus er sie betrachten konnte. „Was hat dich so plötzlich hierher gebracht? Und warum hast du dich nicht angekündigt?" „Du weißt, dass ich schon immer die Neigung hatte, spontan zu handeln", antwortete Pippa mit einem Schulterzucken. „Die Pension läuft gut, und ich kann mir seit einiger Zeit eine Hilfe leisten. Susan ist gescheit genug, um die Leitung für eine Weile zu übernehmen. Einer meiner Mieter konnte billige Flugtickets bekommen, und da dachte ich, warum nicht?" Pippa war ziemlich zufrieden mit ihren Worten, die genau richtig unverfälscht geklungen hatten, um glaubha ft zu sein. Wer würde schon darauf kommen, dass sie diese Rede eingeübt hatte? „Außerdem", fuhr sie mit der einstudierten Rede fort, „brauchte ich eine Pause. In letzter Zeit machen mir Unpässlichkeiten zu schaffen. Ich bekomme Migräne und manchmal auch Asthma. Und der Doktor sagte, dass ich eine leichte Anämie habe." „Das ist ja furchtbar", sagte Luke und nahm ihre Hand. „Du bist immer so putzmunter gewesen." „Im Grunde bin ich das immer noch. Ich muss nur regelmäßig Tabletten gegen Eisenmangel einnehmen. Mir geht es schon besser. Und es sind unbedeutende Beschwerden. Nichts Lebensbedrohendes." Nichts Lebensbedrohendes ... „Manchmal fehlt es mir an der nötigen Energie", endete sie fröhlich. „Also plan mich nicht immer ein, wenn du mit Josie etwas unternehmen willst." „Was immer du sagst, Pippa. Tu genau das, was du möchtest." „Nun ja, ich dachte, dass ein Kurzurlaub mir gut tun würde. Deshalb sind wir hier." „Und ich werde es voll genießen, euch beide um mich zu haben. Aber es war verrückt, mich nicht zu warnen. Stell dir vor, ich wäre nicht zu Hause gewesen." „Wir werden etwa eine Woche bleiben, und ich weiß, dass deine Fernsehshow zwei Mal die Woche gesendet wird. Also habe ich damit gerechnet, dass du da sein würdest." „Die Rechnung hätte leicht nicht aufgehen können. Meine Shows werden aufgezeichnet, sechs hintereinander. Und in der Zwischenzeit bin ich manchmal bis zu zehn Tagen weg." „Daran habe ich nicht gedacht", gestand Pippa erschrocken. „Und um nichts in der Welt hätte ich Josie verfehlen wollen. Wir beide liegen bereits auf der gleichen Wellenlänge." „Sie ist in genau dem Alter, um dich zu schätzen", stimmte Pippa ihm zu. „Willst du mir damit sagen, dass ich mich geistig gesehen auf der Stufe einer Zehnjährigen befinde?" „Nun, was denkst du?" „Ich denke, dass ich uns ein Glas Wein hole", antwortete Luke hastig und verschwand in die Küche.
Die Sonne versank blutrot im Pazifik, ein herrlicher Anblick, und Pippa stellte sich dicht ans Fenster, um die ganze Schönheit in sich aufzunehmen. „Ich kann verstehen, warum du gerade hier ein Haus gekauft hast", begann sie, als sie Luke wieder zurückkommen hörte. „Es sich nur vorzustellen, dass man dies immer wieder haben kann." „Immer wieder", stimmte Luke zu, stellte sich hinter Pippa und legte die Hände auf ihre Schultern. „Ich bin so froh, dass ich die Gelegenheit habe, es dir zu zeigen. Und ich habe euch beide eine ganze Woche lang bei mir. Ich werde alles tun, damit es die schönsten Ferien werden, die ihr jemals gehabt habt." „Wenn es nur Josie gefällt und ihr euch besser kennen lernt." „Und was ist mit dir?" „Wir kennen uns doch schon", antwortete Pippa lächelnd. „Das war damals. Und jetzt ist jetzt." Er stand noch immer hinter ihr, legte die Arme um sie und drückte sie kurz an sich. So etwas fiel Luke leicht, er fand nichts dabei. Du wirst schwach, warnte sie eine innere Stimme. Du stehst kurz davor, seinem Charme zu erliegen. Dabei hast du dir versprochen, stark zu bleiben. Sie drehte sich um und befreite sich geschmeidig aus seiner Umarmung. „Würdest du mir etwas Wein einschenken?" „Sicher. Komm, setz dich", forderte Luke sie freundlich auf. Er füllte ihr Glas. „Wie steht es bei euch zu Hause, bei deiner Familie und so", erkundigte er sich dann. „Mein Vater ist vor vier Jahren gestorben. Wir haben uns nicht oft gesehen. Ich habe Josie ein einziges Mal zu ihm mitgenommen, damit sie ihn kennen lernt, aber es war kein Erfolg. Er und ich haben uns sowieso schon immer wenig zu sagen gehabt. Clarice hat bald nach seinem Tod wieder geheiratet. Und wie geht es deinen Eltern?" „Denen geht es ausnehmend gut. Sie leben immer noch hier in Manhattan Beach. Sie hatten sich damals hier ein Haus gekauft, bevor die Grundstückspreise in die Höhe geschossen sind. Mein Bruder Zak und meine Schwester Becky verdienen mehr, als Dad jemals verdient hatte. Aber sie können sich in dieser Umgebung kein Grundstück leisten, also leben sie noch immer in unserem Elternhaus. Was machen Frank und Elly? Sind sie zu dem halben Dutzend Kinder gekommen, so wie sie es sich gewünscht haben?" „Nicht einmal zu einem. Der Höhepunkt ihres Lebens ist, wenn ich sie mit Josie besuche." „Armes kleines Mädchen." „Die beiden lieben sie, und sie sind sehr warmherzig." „Das nehme ich dir ab. Ich kann mir nur kein schlimmeres Schicksal vorstellen, als Frank zum Vater zu haben." „Josie mag ihn sehr. Ich muss allerdings gestehen, dass sie ihn etwas langsam findet." „Langsam, langweilig, engstirnig, wichtigtuerisch ..." „Schon gut, schon gut." Pippa lachte. „Er bewundert dich gleichermaßen." „Leichtfertig. So hat er mich doch genannt, nicht wahr?" „Stimmt. Nun ja, er erkannte einen leichtfertigen Typ, wenn er einen sah." „Danke. Du hast schon immer gewusst, wie du mir eins auswischen kannst." „Vielleicht, weil ich dich so schnell durchschaut habe." „Nicht immer. Ich habe dich manchmal reingelegt, ohne dass du es mitbekommen hast." Das versetzte Pippa einen Stich. Würde Luke ihr jetzt beichten, dass er sich vor all den Jahren mit anderen Mädchen getroffen hatte? Aber wie? Er hatte fast jeden Moment mit ihr verbracht.
„Erzähl mir, wie du mich reingelegt hast", bat sie leichthin. „Womöglich gab es einen ganzen Harem, von dem ich nichts gewusst habe. Der Romeo vom Ritz, wie wir dich genannt haben. Ein Mädchen auf jeder Etage." „Nein, so etwas habe ich nicht getan. Ich mag in mancher Hinsicht ein Windhund sein, Pippa, aber ein solcher Windhund bin ich nun doch nicht gewesen." Und er fügte betont hinzu: „Jedenfalls nicht mit dir. Während wir zusammen waren, bist du die Einzige gewesen." Ihr Herzschlag beruhigte sich wieder, aber es schockierte Pippa, dass sie sich auf einmal so sehr erleichtert fühlte. Es sollte sie gleichgültig lassen. Aber das war nicht der Fall. Überhaupt nicht. „Ich hatte allerdings andere kleine Tricks", fuhr Luke fort, „von denen du keine Ahnung hattest." „Oh, ja?" fragte sie, und es klang wie vor elf Jahren. „Oh, ja!" Sie lehnte sich zu ihm vor. „Ooh, jaa?" Er lehnte sich zu ihr vor. „Ooh, jaa!" „Oooh, jaaa?" „Oooh, jaaa!" Sie brachen in Lachen aus, und Pippa ließ sich gegen die Lehne des Sofas zurückfallen. Der Wein war gut, und sie fing an, sich zu entspannen. „Das war so ungefähr das Erste, was wir zueinander gesagt haben", stellte er fest. „Erinnerst du dich?" „Ich erinnere mich, wie du im Green Park aufgetaucht bist und mich nicht vorgefunden hast. Du hast die Hände hochgeworfen und immer wieder ,nein, nein, nein!' geschrieen." „Das bildest du dir ein!" „Absolut nicht", zog sie ihn auf. „Du bist richtig verzweifelt gewesen, weil ich nicht da war." „Ja, das bin ich gewesen", gestand Luke unerwartet. „Es lag mir an dir. Aber dann bist du auf einmal doch da gewesen. Natür lich, weil du mich unwiderstehlich gefunden hast." „Ach, wirklich?" „Also hast du mir Leid getan." Pippa warf ihm einen bösen Blick zu, und sein Ausdruck wurde auf einmal kläglich. „Wenn du nicht zurückgekommen wärst, hätte ich dich im Ritz gesucht. Und dann wäre ich vor dir auf die Knie gesunken und hätte dich um Verzeihung gebeten und dir einen Riesenstrauß Rosen gereicht ... Was nun?" „Tut mir Leid, Luke", brachte Pippa mit vor Lachen erstickter Stimme hervor. „Aber ich kann nicht ernst bleiben, wenn du so redest." „Damals hast du es mir abgenommen", sagte er beleidigt. „So hast du nie gesprochen. Rosen? Du?" „Ich hätte dir Rosen gekauft, wenn ich das Geld gehabt hätte. Aber ich hab's nicht gehabt." „Stimmt. Wir hatten keinen Penny." „Aber es machte uns nichts aus", sagte er langsam. „Nein, es war uns egal." Pippa streckte sich behaglich wie eine Katze. Luke betrachtete sie, wunderte sich, dass sie noch immer dieselbe Figur hatte, schlank, geschmeidig und biegsam. Er erinnerte sich, wie kess und katzenhaft sie gewesen war, wenn sie nackt war, und so voller Energie ... Denk schnell an ihre Kleidung, ermahnte er sich. Sie trug immer die unmöglichsten Sachen. Das unterschied sie von damals, wie er jetzt erkannte. Die Hose und der Pullover waren nett und sahen an ihr hübsch aus, aber sie
waren nicht dafür gemacht, Blicke auf sich zu ziehen. Luke erhob sich abrupt. „Bin gleich wieder zurück." Er verschwand, und einige Augenblicke später hörte Pippa ein „Ring" vom Nebenanschluss des Telefons auf dem Tischchen neben ihr. Sie konnte das Murmeln von Lukes Stimme aus der Küche hören. Schließlich kam er wieder. Er war etwa zehn Minuten weg ge wesen. „Ich musste einiges telefonisch klären, um mich für dich und Josie frei zu machen", erklärte er. „Das Einzige, was ich nicht absagen konnte, ist die Aufzeichnung der Show. Vielleicht mögt ihr aber ja dabei sein und zusehen." „Mhm, das wäre nett. Josie wird begeistert sein." „Du wirst allerdings ganz sicher nic ht zwei Tage lang dabei sitzen wollen. Warum machst du nicht am zweiten Tag einen Einkaufsbummel - auf meine Rechnung? Geh zum Rodeo Drive, und kauf dir und Josie etwas Tolles zum Anziehen," „Luke, sogar ich habe von den Läden am Rodeo Drive gehört und von den Preisen, die man dort verlangt." „Ich habe dir ja gesagt, es geht auf meine Rechnung. Du nimmst meine Karte und kaufst, was immer du willst." Pippa war einen Moment lang still, dann sah sie ihn auf eine Weise an, die ihn beunruhigte, obwohl er keine Ahnung hatte, warum. „Das wird doch wohl nicht deine Goldene Kundenkarte sein, die du mir da anbietest, oder, Luke?" Kein Zweifel, dachte er, ihre Stimme klingt eindeutig unfreundlich. „Ja, es würde sich um meine Goldene Kundenkarte handeln. Aber ist das wichtig?" „Die du auch Dominique gegeben hast, wie ich annehme." „Nun, ja." „Fein. Dafür ist die Goldene Karte ja auch da - für süße Puppen. Dominique ist eine süße Puppe. Ich allerdings bin die Mutter deines Kindes. Das ist ein großer Unterschied." Er schwieg. Dann holte Luke tief Luft. „Mann o Mann! Ich hab's wirklich vermasselt, nicht?" Pippa ließ sich erweichen. „Ein wenig. Tut mir Leid, ich wollte nicht so scharf werden. Aber es war nicht richtig." „Und für Josie? Darf ich ihr einige hübsche Kleider kaufen?" „Josie hasst hübsche Kleider. Sie trägt Jeans und Pullover, Jeans mit Jacken, Jeans mit T-Shirts. Da es hier heiß ist, zieht sie vielleicht Shorts an, aber wenn du ihr ein hübsches Kleid kaufst, beißt sie dir wahrscheinlich die Nase ab." Ihr neckender Ton stimmte Luke wieder versöhnlich. Pippa bedauerte es, dass sie sich so hatte gehen lassen. Aber Luke hatte es so klingen lassen, als ob er sie mit Dominique auf eine Stufe stellte, und das hatte sie zutiefst verletzt. Ihre Beziehung zu Luke war nicht oberflächlich gewesen. Obwohl das alles weit zurücklag, würde sie lieber sterben, als sich von ihm mit den anderen Frauen gleichstellen zu lassen. Auf einmal konnte sie das Gespräch nicht mehr ertragen. „Ich sollte jetzt schlafen gehen, um den Jetlag zu überwinden", sagte sie schnell. „Gute Nacht, Luke." „Du bist mir nicht böse, oder?" „Nein, ich bin dir nicht böse. Wie könnte ich? Du bist heute wunderbar gewesen. Nicht viele Männer hätten unsere spontane Ankunft so gut hingenommen wie du. Für Josie bedeutete es alles." Und für dich? hätte er am liebsten gefragt. Aber ein seltener Anfall von
Scheu hielt ihn davon ab.
Pippa sah ihn liebevoll an. „Gute Nacht."
Luke fühlte sich auf einmal verlegen und gehemmt. Pippa zeigte sich von einer so weichen, weiblichen Seite, wie er es an ihr früher nicht erlebt hatte. Sie hatten miteinander geredet und gelächelt, sie waren ein wenig beschwipst vom Wein. Es wäre angebracht, sie zu küssen. Das war allgemein üblich. Aber für diese besondere Frau war das allgemein Übliche nicht gut genug. Er, der erfahrenste und Raffinierteste Single in ganz L.A. befand sich plötzlich auf unbekanntem Gebiet. Wie sollte er sich der Mutter seines Kindes gegenüber verhalten, die er nach elf Jahren wieder traf? Sie war reizend, und er fühlte sich total entspannt mit ihr, wie Eltern es sein sollten. Es müsste deshalb doch einfach sein ... Richtig? Falsch. Also, gab er vor, cool zu sein, erhob sich hastig und sagte herzlich: „Du hast Recht. Morgen musst du wieder bei Kräften sein. Also schlaf gut." Ihm wurde bewusst, wie er drauflos redete, und hielt deshalb lieber den Mund. Pippa wurde am nächsten Morgen von Josie früh geweckt. „Komm, Mommy. Daddy nimmt mich nach dem Frühstück zum Strand mit und bringt mir Surfen bei. Komm, mach schnell!" „Surfen ist nichts für mich, Liebling. Geh nur mit Daddy, ich bleibe noch ein wenig liegen." Sie stand jedoch nach einer Weile auf und ging zum Fenster, um zu sehen, wie Vater und Tochter Hand in Hand ins Wasser wateten. Dann machte sie sich Tee, und nachdem sie geduscht hatte, zog sie eine dunkle Hose sowie ein weißes Top an und fühlte sich richtig gut. Sie war gerade dabei, sich einen Salat zu machen, als hinter der glaseingefassten Tür an der Rückseite des Hauses ein Schatten auftauchte, und dann vernahm sie ein Klopfen. Pippa öffnete die Tür und bedauerte das sofort. Die Frau, die vor ihr stand, verkörperte Geld und Schönheit. Sie war etwa Mitte Zwanzig und so attraktiv, dass Pippa sie nur anstarren konnte. Claudia Lomax Beton war schon immer reich gewesen und schön, das müsste man ihr lassen. Sie trug nur Top-Designer-Modelle und ließ ihr Haar von einem TopFriseur der Reichen machen. Wenn es nicht zu plump gewesen wäre, hätte man von ihr sagen können, dass sie vor Geld stank. Zu ihr passte jedoch eher die Umschreibung, dass das Geld sie umstrahlte. Pippas Hose und Top wirkten plötzlich armselig. „Hallo", grüßte das zauberhafte Wesen. „Ich bin Claudia. Ist Luke hier?" „Nein, er ist unten am Strand", gab Pippa Auskunft und machte einen Schritt zur Seite, um sie hereinzulassen. „Ich bin Pippa Davis." „Oh", rief Claudia erfreut. „Wie nett, Sie kennen zu lernen. Alles spricht von Ihnen." Wer alles war, das erklärte sie nicht. „Von Ihnen und Josie", setzte Claudia hinzu. „Ist sie mit Luke am Strand?" „Ja. Er bringt ihr das Surfen bei." Diese hier ist nicht eine vulgäre süße Puppe wie Dominique, entschied Pippa. Diese hier hatte Ölquellen, Cartier, Klasse und völliges Selbstvertrauen. „Habe ich mir doch gedacht, dass er am Strand sein würde. Also hab ich mich darauf eingestellt." Sie knöpfte ihr blaues Leinenkleid auf und warf es zur Seite. Darunter trug sie einen schwarzen Einteiler. „Kommen Sie, wir schließen uns den beiden an." Sie sagte das so selbstverständlich, dass Pippas Protest ihr nicht über die Lippen kam. Und bevor sie es richtig begriff, was sie da tat, schlüpfte sie in ihren Badeanzug und folgte Claudia über den schmalen Strandweg und den
breiten Sandstreifen hinunter zum Wasser. Ihr dunkelroter Einteiler hob sich hübsch gegen ihr Haar und ihre Haut ab, aber gegen die betörend schöne Claudia kam sie sich wie ein ungelenker Teenager vor. Dann vergaß sie ihre Befangenheit über die Freude, Josie mit ihrem Vater zusammen zu sehen und zu beobachten, wie er ihr das Surfen beibrachte. Als sie auf einer großen Welle dem Strand zuritt, kreischte Josie vor Aufregung, und Pippa hörte, wie sie rief: „Noch einmal, Daddy, noch einmal!" Luke lächelte vor väterlichem Stolz über seine kleine unerschrockene Tochter. „Ist das Ihre Tochter?" fragte Claudia. „Ja, meine und Lukes", antwortete Pippa. In diesem Moment entdeckte Luke die beiden und übersprang mit Josie an der Hand ein paar Wellen, um dann in großen Schrit ten auf sie zuzulaufen. Er zog Claudia überschwänglich an seine nackte, von Wasserperlen glitzernde Brust. Pippa machte sich auf eine ähnliche Umarmung gefasst, aber er lächelte sie nur an und nickte. Was vollkommen in Ordnung ist, hielt sie sich sofort vor. Josie begrüßte Claudia mit einigen höflichen Worten, aber dann ergriff sie Pippas Hand. „Mommy, komm ins Wasser!" flehte sie. „Also gut, Liebling." Und sie ließ sich lachend von ihrer Tochter zum Wasser ziehen. Luke wäre ihnen gefolgt, doch Claudia legte die Hand auf seinen Arm. „Luke, sie scheint ein wunderbares Kind zu sein, aber ist es auch wirklich deins?" „Du hast mit Dominique gesprochen", erwiderte er und blickte zum Wasser hinüber, wo Pippa und Josie bei jeder Welle hochsprangen und dabei fröhlich lachten. „Vielleicht habe ich mit ihr gesprochen, doch die Frage ist berechtigt", beharrte sie. „Nein, nicht für mich. Dominique ist misstrauisch, weil sie zum ersten Mal von Josie gehört hatte. Ich wusste von Anfang an von ihr. Pippa hat mich angerufen, als sie schwanger war, und wir blieben während der ganzen Zeit in Verbindung." „Das bedeutet noch lange nicht, dass Josie wirklich dein Kind ist." „Okay, zum einen ist es der Zeitpunkt. Josie wurde empfangen, während Pippa und ich zusammenlebten. Zum anderen ist Pippa ..." Er hielt inne und lächelte. „Was ist Pippa?" „Pippa ist eine Frau, der man trauen kann. Niemand kann ehrlicher sein als sie. Das macht sie so besonders. Sogar aus mir hat sie für eine Weile einen ehrlichen und beständigen Mann gemacht." „Du beständig?" „Ja, komisch, nicht wahr? Zwischen uns beiden war ... Nun ja, wie auch immer, wenn sie sagt, dass es so ist, dann ist es auch so." „Und nach all den Jahren kreuzt sie plötzlich hier bei dir auf?" „Sie wollte, dass ich Josie persönlich kennen lerne, und damit hat sie Recht. Ich habe es zu lange hinausgezögert." „Bist du sicher, dass sie es nicht wieder mit dir versuchen will?" „Nein!" widersprach er ärgerlich. „So ist sie nicht." Eine große Welle hatte Pippa und Josie überrascht und sie von den Füßen gerissen. Luke raste den Strand hinunter, aber als er ins Wasser planschte, waren die beiden wieder hochgekommen, prusteten und husteten, und dann lachten sie, als sie merkten, dass ihnen nichts geschehen war. Sie verbrachten den ganzen Morgen bis zum Mittag gemeinsam am Strand, und als sie sich trennten, war es abgemacht, dass Claudia mit ihnen zusammen zu
Abend essen würde in einem von Lukes Restaurants. „Bis später dann", rief Claudia zum Abschied und warf ihnen eine Kusshand zu. Dann eilte sie zu ihrem Wagen. Sobald sie sich hinter das Lenkrad gesetzt hatte, wählte sie auf ihrem Handy eine Nummer. „Dominique? Ich bin gerade bei Luke gewesen.... Ja, ich bin ihr begegnet und dem Kind, und ich bin sehr froh, dass du mich angerufen hast. So viel steht fest, etwas muss getan werden, und je früher desto besser. Sei heute Abend gegen neun Uhr in, Luke’s Other Place' ... Nein, überlass es mir. Um die Einzelheiten kümmere ich mich."
6. KAPITEL
„Luke's Other Place" lag ziemlich genau auf der Hälfte der Manhattan Avenue. Sein erstes Restaurant war glamourös, exklusiv und sehr teuer. Dieses war fürs Volk. Die Preise waren normal, die Auswahl der Speisen war groß mit einem deutlichen Hang zum Lateinamerikanischen, weil Luke diese Küche allen anderen bevorzugte. Er hatte erst kürzlich Ramon, einen Mexikaner, eingestellt, ein wahres Genie in seinem Fach. Das Dekor stellte das Strandleben dar. Eine ganze Wand war einem lokalen Kunstmaler überlassen worden, der den Manhattan Beach Pier bei Sonnenuntergang aquarelliert hatte. Jeder der hier saß, fühlte sich wie bei einem Picknick am Wasser. So einfach die Einrichtung dieses Restaurants war, so supermodern und mit allen technischen Finessen war die Küche eingerichtet. Luke führte Pippa und Josie überall herum und erklärte ihnen mit großem Stolz die Küchengeräte. Josie nickte und stellte gescheite Fragen, was ihren Vater unendlich erfreute. Sie lächelte dem Personal zu, und jeder schloss sie sofort ins Herz. „Du hast es also geschafft", sagte Pippa zu Luke. „Genau so, wie du es vorgehabt hast." „Ich habe gehofft, dass du das sagen würdest." „Allerdings ist es nicht gerade das Ritz." Er lachte. „Du hättest das erste Restaurant sehen sollen." Sie aßen kreolische Nudeln mit Lachsfilet, gegrillt mit Ingwer und Sesamglasur, was Josie besonders gut schmeckte. Und sie war von der Nachspeise noch mehr begeistert, denn „Luke's Other Place" war besonders bekannt für seine Riesenauswahl an delikat schmeckenden Eiscremes. Pippa war glücklich für Josie. Ihre eigenen Gefühle waren allerdings etwas komplizierter. Wie sie Luke gesagt hatte, hatte er es geschafft - im Gegensatz zu ihr. Sie war in den Kochkünsten für mittellose Studenten stecken geblieben. Nun gut, als ob das jetzt noch von Bedeutung wäre. Sie merkte, dass Luke bestürzt in eine Richtung starrte. Sie folgte seinem Blick und sah Dominique im Eingang stehen und sich prüfend im Restaurant umsehen. Claudia, die mit ihnen am Tisch saß, stand sofort auf und ging mit ausgestreckten Händen und einem strahlenden Lächeln auf sie zu, um sie zu begrüßen. „Was bringt sie nur hierher?" murmelte Luke verwundert. „Sie kommt sonst nie in dieses Lokal. Es ist ihr nicht fein genug." Claudia brachte Dominique ungefragt an ihren Tisch. Das Model biss die Zähne zusammen, als sie merkte, dass Luke wie ein stolzer Pfau zwischen seiner Tochter und der Mutter seines Kindes saß und ihr freundlich entgegenlächelte. „Hallo, Süße! Wie nett, dass du schließlich doch einmal den Weg hierher gefunden hast. Du wirst sehen, du wirst es mögen. Du kennst Pippa und Josie, nicht wahr?" „Wir sind uns gestern begegnet", antwortete Dominique eisig. „Sie sind die Lady ohne Kleider an", meldete sich Josie zu Wort. Sie sah arglos in die erschrockenen Gesichter der Erwachsenen. „Das stimmt doch, oder?" „Nicht ganz", antwortete Luke hastig, „Dominique, was kann ich dir bestellen?" „Etwas Kalorienarmes", antwortete Dominique. „Das ist nicht das richtige Restaurant für Sie", vertraute Josie ihr an. „Hier ist alles voller Kalorien. Aber es schmeckt, nicht wahr, Daddy?"
„Sei still, du vorlautes Gör! Willst du mir das Geschäft verderben?" fragte er mit einem Grinsen. „Ich nehme einen Salat und ein Mineralwasser", unterbrach Dominique das Geplauder der beiden. Luke winkte einen Kellner herbei und gab die Bestellung an ihn weiter. „Daddy ..." sagte Josie kläglich. „Ich hab es nicht vergessen, Schätzchen." An Dominique gewandt erklärte er mit einem Zwinkern: „Wir waren gerade dabei, die Eiscremefrage eingehend zu diskutieren." Ein Kellner schob einen Servierwagen auf sie zu mit fünf Reihen verschiedener Eiscremes und den verschiedensten Soßen dazu. „Lecker!" riefen Josie und Claudia wie aus einem Munde. Pippa wollte ebenfalls Eiscreme, und es kam zwischen den drei Frauen zu einem regelrechten Meinungsaustausch, welches wohl wem besser schmecke, bis Luke als eine Art Schiedsrichter eingriff. Nur Dominique machte nicht mit. Sie aß und trank in puritanischer Strenge ihren Salat und das Mineralwasser und saß isoliert, ja fast ein wenig lächerlich da. Josie betrachtete sie mitleidsvoll, während sie sich ihr Eis mit Schokoladensoße schmecken ließ. „Wollen Sie keine Eiscreme? Es schmeckt gut", sagte sie zu Dominique. „Nein, danke", antwortete Dominique. „Ich muss an meine Figur denken." „Willst du meine Pistazien probieren?" bot Claudia Josie an. „Deine Himbeeren sehen köstlich aus." Josie kostete einen Löffel Pistazieneis, und Claudia kostete Josies Himbeereis, und dann wanderten die langstieligen Löffel hin und zurück, und es gab ein allgemeines Gelächter. Als Pippa und Josie gleichzeitig von Claudias Eiscremesoße mit Nussgeschmack probieren wollten, landete ein großer Klacks auf Lukes 500-Dollar-Hose. „Ach du meine Güte", rief Pippa erschrocken. „Tut mir Leid." „Mir auch, Daddy", sagte Josie kleinlaut. „Ja, es ist wirklich jammerschade." Luke klang ehrlich traurig. „So eine Verschwendung von wirklich gutem Eiscreme." Josie kicherte. „Wie ist's bei dir?" Luke wandte sich besorgt an Dominique, die neben ihm saß. „Hast du auch etwas abbekommen?" „Zum Glück nicht", antwortete sie. „Aber mir ist gerade einge fallen, dass ich eine dringende Verabredung habe. Also, bis bald. Es war nett." Sie erhob sich, nickte zum Abschied und rauschte davon. Claudia folgte ihr, und noch bevor Dominique den Ausgang erreicht hatte, drehte sie sich zu ihr um. Die drei am Tisch konnten nicht hören, was Dominique zu Claudia sagte, aber es war offensichtlich, dass das Model schlechtester Laune war. „Du hast das Ganze hier beabsichtigt", zischte Dominique. „Ich wollte dir einen Gefallen tun", wehrte Claudia sich. „Du hast gesagt, dass etwas getan werden müsse." „Und es ist etwas getan worden. Heute Morgen am Strand sah ich Luke, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Nun hast du es selbst gesehen, und ich erspare dir Zeit und Mühe, dich um einen Mann weiter zu bemühen, den du nicht gewinnen kannst. Luke ist vergeben. Ich nehme an, dass er seit elf Jahren vergeben ist, auch wenn keiner davon wusste, einschließlich Luke selbst." „Diese schäbig gekleidete, unbedeutende Person ..." „Sei vernünftig, Dominique. Sie bedeutet ihm sehr viel. Ich habe das sofort gemerkt. Ich weiß nicht, ob er in sie verliebt ist, aber sie bedeutet ihm so viel,
dass sonst niemand für ihn zählt, außer Josie. Eines Tages wirst du mir dankbar
sein."
„Warte nicht darauf." Damit stürmte Dominique hinaus.
„War es reiner Zufall, dass sie heute Abend hier aufkreuzte?" wollte Luke von Claudia wissen, als sie zum Tisch zurückkam. „Es war kein Zufall", antwortete sie ruhig. „Ich habe das veranlasst. Mir schien es das einzige Mittel zu sein, sie vor die vollendete Tatsache zu stellen." „Danke", murmelte Luke. „Bist mir wohl wieder mal zur Hilfe gekommen." „Mir scheint, dass dies immer jemand tut", entgegnete Claudia leise. „Auf diese Weise bringst du die Dinge wieder in Ordnung. Eines Tages wirst du dich in einer Situation wieder finden, wo du nichts in Ordnung bringen kannst." Ohne auf seine Antwort zu warten, wandte sie sich Pippa zu und verabschiedete sich mit einem Händedruck von ihr. Pippa hatte von dem Gespräch nur wenig mitbekommen, aber sie erkannte an Claudias Augen, dass sie ehrlich, humorvoll und klug war. Claudia ließ sich nichts vormachen, das stand fest. Und Pippa fing an, sie zu mögen. Lukes Show wurde im Studio des GFI-Kabelfernsehens in der Marine Street aufgezeichnet. Es würde ein langer Tag werden mit einer Show am Morgen und zwei am Nachmittag. Deshalb machte er sich mit Pippa und Josie schon sehr früh auf den Weg. Zehn Minuten später lenkte er seinen Wagen in das Untergrundparkhaus, und sie fuhren mit dem Lift hinauf zum Studio. Josie schien hingerissen von den Kameras, den Scheinwerfern und den geschäftig herumeilenden Leuten. Das Beste von allem war der Szenenaufbau. Er zeigte eine traditionelle Küche mit allem Drum und Dran - Ober- und Unterschränke aus glänzendem Holz, hochmoderne Koch- und Backplätze sowie Kupferpfannen und -topfe. Pippa hatte schon immer gewusst, dass der unbeschwerte Luke ein Diktator sein konnte, sogar ein Tyrann, wenn es um seine Arbeit ging. Und in den Jahren war das nicht besser geworden. Mit knappen Worten gab er sofort Anweisungen und ließ keinen Zweifel daran, dass er sie auch genauestens ausgeführt haben wollte. „Schaltet die Mikrowelle erst dann ein, wenn ich euch einen Wink gebe", war sein letzter Befehl, und keiner von den Leuten hätte es gewagt, ihm auch nur einen Tipp zu geben, wie man vielleicht das eine oder andere besser machen könnte. Luke stellte Pippa und Josie allen vor, bis der Produzent mit dem Namen Ritchie auf sie zukam, gefolgt von einem jungen Mann, der an Ritchies Lippen zu hängen schien und sein sehr untergebener Assistent war. Ritchie war ein typischer Südkalifornier, jedenfalls wie man sich als Auswärtiger einen Südkalifornier vorstellte. Sein Haar war elegant geföhnt, sein braunrotes Hemd stand bis zur Taille offen und zeigte seinen sonnengebräunten Oberkörper, auf dem eine Kette aus Gold schimmerte. Er hatte eine volle Stimme, und wenn er Anweisungen gab, war es, als ob er der Welt eine wichtige Nachrichtensendung zu verkünden hätte. Ritchie begrüßte Luke mit dem Respekt, dem man einem Star schuldig war, der allein durch seine Show die Teilnehmerzahl dieses Kabelfernsehens verdoppelt hatte. Pippa fand jedoch, dass die Art von Respekt, die Ritchie ihm zeigte, ziemlich ungewöhnlich war. „Luke, Baby, fein, dass du es geschafft hast!" rief er aus, als ob Luke sich soeben aus dem Krankenbett erhoben hätte. „Ich schaffe es immer, Ritch", erwiderte Luke milde. Ritchie tat, als ob er sich schieflachen müsste. „Immer musst du deine kleinen Scherze von dir geben, Luke-Baby! Sag, ist hier alles so, wie du es haben
möchtest?"
„Alles ist genau so, wie es immer gewesen ist."
„Das höre ich gern. Ich weiß schon jetzt, dass die heutigen Shows die allerbesten sein werden, die ..." „Ich möchte dir hier jemand vorstellen", unterbrach Luke Ritchies Übertreibungen. „Das ist Pippa, und das ist Josie, ihre Tochter - und auch meine Tochter." Ritchie riss die Augen auf. „Du ... hast ... eine ... Tochter?" Er schnappte regelrecht nach Luft. Er musterte Pippa und Josie, als ob sie außerirdische Wesen wären. „Nun ja ... ja nun ... wäre mir im Traum nicht..." „Es gibt auch keinen Grund, warum es dir hätte einfallen sollen", fiel Luke ihm wieder freundlich ins Wort. „Sie verbringen ein paar Tage bei mir, und ich möchte, dass sie sich hier wohl fühlen." „Dafür sorge ich persönlich", erklärte Ritchie mit Leidenschaft. „Derek, wo bist du? Ach ja ... die vorderen Sitze für die Ladys." Derek machte sich sofort mit Feuereifer an die Aus führung des Befehls. „Okay, setzt euch auf die Zuschauerbank. Ich muss jetzt los. Bye! Amüsiert euch." Luke drückte Josie kurz an sich und küsste sie auf die Wange, dann legte er die Hand auf Pippas Schulter und küsste sie leicht auf den Mund. Weg war er. Und Pippa wurde bewusst, dass Luke sie nach elf Jahren zum ersten Mal wieder geküsst hatte. Das Publikum für diese Fernsehaufzeichnung begann hereinzuströmen. Die Bänke füllten sich mit lachenden, plappernden Menschen. Ritchie kam heraus und hielt eine kurze Ansprache, die das Publikum einstimmen sollte. Die Scheinwerfer wurden über dem Szenenaufbau eingeschaltet, und da war auch schon Luke mit einem geradezu ansteckenden breiten Lächeln, mit dem er die Menge begrüßte, als ob sie alte Freunde wären. Er trug eine rote Schürze und hatte eine rote Kochmütze auf. Während der nächsten Stunde verfolgten die Zuschauer alle fasziniert den Ablauf. Dieses Mal ging es um die verschiedensten Gerichte aus Kirschen, und Luke erläuterte jeden Handgriff so klar, dass auch der Unbedarfteste ihm folgen konnte. Luke hatte die Gabe, sich völlig unverkrampft mitzuteilen. Und er tat es mit einem so jungenhaften Charme und mit einer so verrückten Clownerie, wenn es angebracht war, dass sich die ihm angeborene Lebensfreude auf die anderen übertrug. Pippa und Josie stimmten mit in das Lachen der Zuschauer ein. Josies Augen glänzten, und sie klatschte laut und lange. „Daddy ist doch toll, nicht, Mommy?" flüsterte sie Pippa zu. „Ja, Liebling. Er ist ganz wunderbar." Nach der ersten Show gab es eine Mittagspause, und Josie und Pippa aßen eine Kleinigkeit mit Luke in seiner Garderobe. Josie plapperte, ohne Atem zu holen, und Luke grinste die ganze Zeit. Dann klingelte das Telefon, und die nächste Show war dran. Alles wiederholte sich. Ritchie kam wieder heraus und ermahnte das Publikum, Luke mit der gleichen Begeisterung zu begrüßen wie zuvor. Er hätte sich die Mühe jedoch sparen können. Die Leute schwärmten für Luke, und das Klatschen und die Beifallsrufe, mit dem sie ihn empfingen, waren ohrenbetäubend. Er hatte sich umgezogen. Vor der frischen Jeans und dem Pullover trug er jetzt eine grasgrüne Schürze, und er hatte eine grasgrüne Kochmütze auf dem Kopf, was andeuten sollte, dass jetzt Salate auf seinem Programm standen. Josie ließ sich wieder gefangen nehmen von der aufgekratzten Stimmung im Kochstudio. Pippa saß zurückgelehnt und versuchte, Luke so zu sehen, wie der
Rest der Welt ihn zu sehen schien. Es war eine seltsame Erfahrung, so als ob sie von weit oben auf ihn hinunterblickte. Und ihr wurde klar, dass Luke ein Mann war, der einer Million Menschen ein wenig von sich selbst geben konnte, aber nichts von sich selbst auch nur einem einzigen Menschen. Sie hätte das schon vor langer Zeit erkennen müssen. Er schien ein Übermaß an Energie zu besitzen, weil er nach einer kurzen Pause gleich wieder mit der dritten Show begann, die so frisch und spontan war wie die erste. Und dann war es zu Ende, und die Zuschauer strömten hinaus, ließen Josie und Pippa allein in den Sitzen zurück, bis Luke sie abholen kam. Im Auto auf dem Weg zurück nach Manhattan Beach sagte Luke: „Ich fürchte, ich werde euch keine gute Gesellschaft heute Abend sein. Ich werde bis spät aufbleiben, um neue Rezepte in der Küche auszuprobieren." „Dann helfe ich dir", bot Pippa sich an. „Ich kann auch kochen, wie du wohl weißt." „Ach, wirklich?" zog er sie auf. „Wenn du nicht am Lenkrad sitzen würdest, würde ich dir ge gen das Schienbein treten. Während ich das Abendessen vorbereite, kannst du an deinen genialen Kocheinfällen arbeiten. Und wag es ja nicht, mir ständig über die Schulter zu gucken." „Jawohl, Madam." Luke versuchte wirklich, sich ganz auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er saß mit Josie vor seinem Computer und entwarf ein Rezept nach dem anderen, überlegte, verwarf es wieder, verbesserte es dann. Aber mit den Gedanken war er nur halb bei dem, was er tat. Er konnte nicht anders, als sich hin und wieder umzudrehen und Pippa dabei kritisch zu beobachten, wie sie sich in der Küche - seiner Küche - hin und her bewegte und die Türen und Schubladen seiner - Küchenschränke öffnete und schloss. „Dad", flüsterte Josie, die mitbekam, wie angespannt er war. „Wenn ich du wäre, würde ich es sein lassen." „Ich wollte doch nur ..." „Lass es sein, Dad! Es gibt nur Streit." „Hör mal", sagte er ebenso leise. „Ich will ihr nur zeigen, wo sie alles finden kann. Ich habe die Dinge nach meinem Plan geordnet." „Ma hat genau den gleichen Plan." „Den gleichen Plan?" „Ma hat ihre Küche genauso eingerichtet. Die Küche ist viel kleiner, aber ebenso wie deine geplant. Die Messer hier, das Hackbrett da, das Mixgerät auf dem Regal zur Rechten, die Waagscha le im Regal zur Linken. Genau wie bei dir. Ma sagte, dass du vor Jahren ihre Küche so umgestaltet hast." „Wirklich?" Luke war fa sziniert. „Und sie regt sich auf, wenn etwas nicht an seinem Platz ist. Ganz ehrlich, sie wird fuchsteufelswild, nur wenn es ein bisschen unordentlich ist." „Pippa - ordentlich? Du machst wohl Witze." „Wieso?" „Ich kenne sie schon lange, das weißt du." „War sie da unordentlich?" „War sie unordent... Himmel! Das eine will ich dir sagen ..." Er unterbrach sich. Ihm wurde auf einmal klar, dass seine Erinnerungen an abgeworfene Kleider, die in ihrem Zimmer verstreut lagen, wohl kaum für die Ohren eines Kindes bestimmt wären. „Vergiss es", sagte er hastig. „Es macht mich nur ganz kribbelig." „Dad, lass es sein."
„Ja, du hast wohl Recht." Er gab nach. Aber es war mehr, als er ertragen konnte. Nach wenigen Minuten sprang Luke auf. „Pippa, nicht diese Pfanne ..." Sie wirbelte herum, ihre Augen blitzten ihn an. „Ich wünschte, du würdest verschwinden. Nimm Josie und mach, dass du aus der Küche kommst." „Dad", mischte Josie sich schnell ein, weil sie sah, dass ihre Eltern sich gleich mächtig in die Haare geraten würden. „Wir können all die Zutaten zu deinen neuen Rezepten kaufen gehen." „Jetzt ist kein Laden geöffnet", brummte Luke dickköpfig. „Doch, Dad", beharrte Josie. „Ich habe amerikanische Filme gesehen, und ich weiß, dass es hier Supermärkte gibt, die die ganze Nacht geöffnet sind. Komm schon." Als er immer noch kämpferisch vor Pippa stand und es auf einen Streit ankommen lassen wollte, nahm Josie seine Jacke vom Haken und hielt sie ihm so lange hin, bis er sie an sich nahm. Dann holte sie rasch die Liste, die er vorhin aufgesetzt hatte, und bugsierte Luke aus der Tür. Pippa hörte noch auf ihrem Weg hinaus ihre Stimmen. „Du solltest Ma niemals aufregen, wenn sie so guckt." „Das weiß ich. Ja, ja, das weiß ich." Die beiden waren nach einer knappen Stunde wieder zurück, beladen mit Einkaufstüten. Pippa hatte ein Essen vorbereitet, das man schnell herunterschlingen konnte. Sie wusste, dass, wenn Luke erst einmal in einer kreativen Phase war, er sein ganzes Interesse nur darauf richten konnte. Sein Charme würde verschwind en, und er würde nur noch „Ja", „Nein", „Beeil dich" und „Du bist mir im Weg" sagen können. Sie hatte vor, Josie darauf aufmerksam zu machen, damit das Kind sich durch sein brüskes Benehmen nicht verletzt fühlte, aber es war nicht nötig. Das Mädchen hatte sich in Lukes getreue Dienerin verwandelt. Josie führte das aus, was er ihr sagte, und zwar schnell, ohne nachzufragen. Sie vergaß nicht, wo das eine oder andere hingehörte, und schien manchmal zu wissen, was er wollte, bevor er es ausgesprochen hatte. Sie war absolut auf ihn eingestellt, und ihre ganze Konzentration galt dem, was er anordnete. Sie war in mehr als nur einer Hinsicht die Tochter ihres Vaters. „Josie, wo ...?" „Hier", rief sie und drückte es ihm in die Hand. „Ich brauche einen anderen Dip ... nein, zwei. Einen würzigen - Tomaten, Radieschen, Cayennepfeffer. Einen milden - Joghurt, Gurke, zerdrückten Knoblauch, Zitronensaft." Er redete jetzt mit sich selbst. „Tomaten", murmelte Josie und holte sie. „Cayenne, Joghurt, Gurke, Knoblauch, Zitronen. " In Sekundenschnelle hatte sie alles in einer Reihe aufgestellt, so dass Luke nur hinzugreifen brauchte. Pippa fühlte sich total überflüssig. Endlich waren sie fertig, und Luke warf Josie einen anerkennenden Blick zu. „Ich wünschte, ich hätte ein paar Leute wie dich bei der Show", sagte er mit einem Grinsen. Und dann klopfte er sich mit der Hand vor die Stirn. „Hey! Aber das ist ein fantastischer Gedanke. Ich brauche jemanden, der weiß, was ich bei diesen Rezepten tue, und du weißt es genau. Du hast mir ja bei diesen Meisterwerken geholfen." „Und wie willst du sie vorstellen?" mischte Pippa sich skeptisch ein. „Als meine Tochter natürlich, was sonst? Du würdest es mögen, nicht wahr, kleiner Fratz?" fragte er Josie. Josie machte einen Freudensprung. „Oh, ja!"
„Aber nur, wenn deine Mommy Ja sagt", fügte Luke hinzu. „Mommy, bitte, bitte! Daddy, sag ihr, dass sie Ja sagt." „Liebling, ich kann mich nicht gegen deine Mutter stellen. Wenn sie es nicht zulässt..." „Luke Danton, du bist der ausgekochteste, gerissenste, gewissenloseste ..." Sein Lächeln nahm ihr den Atem. „Ich vermute, dass es dann Ja bedeutet." „Ja, Mommy, ja!"
„Nun gut, dann also einverstanden."
Luke ergriff Pippa spontan um die Taille und schwang sie in einen Tanz, wirbelte sie herum und herum, bis ihr ganz schwindelig wurde. „Wow!" rief er. Dann sah er sie näher an und fragte: „Hey, geht es dir nicht gut?" „Doch, mir geht's gut", keuchte sie. „Du siehst aber nicht gut aus", stellte erb besorgt fest. „Mir dreht sich alles. Das war zu schnell für mich. Ich muss mich setzen." „Okay, aber nicht auf den Barhocker. Ich hole dir einen Stuhl." „Mommy?" fragte Josie mit gerunzelter Stirn. „Alles ist in Ordnung, Darling. Dein Vater ist verrückt, aber das ist schon in Ordnung." Luke legte den Arm um ihre Schultern. „Dir zu Diensten, Madam", sagte er und half ihr auf den Stuhl. „Du Clown", murmelte sie liebevoll. Nach einer Weile, als Josie sich mit ihrem Vater wieder vor den Computer gesetzt hatte, um die Einzelheiten seiner neuesten Kreation in den Computer zu speichern, erhob Pippa sich noch immer mit zitternden Knien und räumte ab.
7. KAPITEL
Josie kam ganz toll an in der Show. Zuerst hatte sie ein bisschen Bammel, als sie die Kamera auf sich gerichtet sah. Ihr Vater legte ihr aber den Arm um die Schultern, und damit war das Problem gelöst. Luke stellte sie stolz den Zuschauern im Studio und später in den Sendungen den Zuschauern vor den Fernsehern zu Hause als seine Tochter vor, und dann legten sie beide los. In den ersten vierzig Minuten verlief alles glatt. Sie bereiteten Dips zu, Luke den würzigen, Josie den milden. Und dann setzte das Pech ein. Luke wies Josie an, beide Dips von der Arbeitsplatte zum Küchentisch zu bringen. Sie nahm zuerst seinen Dip, aber ihre Finger waren klebrig. Und im nächsten Moment fiel die Porzellanschüssel mit dem würzigen Dip zu Boden. Die Schüssel brach, und der Dip ergoss sich in einem hässlichen Brei. Luke blickte zuerst völlig verblüfft auf den Mischmasch, dann erhellte ein breites Lächeln sein Gesicht. „Ups!" meinte er. „Tut mir Leid, Daddy!" Er zupfte an ihrem Haar. „Es muss dir nicht Leid tun, Kleines. Du wirst einfach für den Verlust Ersatz leisten. Komm, mach dich an die Arbeit. Du erinnerst dich sicher, was ich dir gezeigt habe." Josie nickte und fing eifrig an, die Zutaten anzuordnen, während zwei Assistenten auf dem Boden herumkrochen, um ihn von der Kamera ungesehen zu säubern. Jeder im Studio konzentrierte sich auf Josie, die mit vor Anspannung geröteten Wangen sich an die Arbeit machte. Wenn sie zögerte, gab Luke ihr leise Ratschläge, und sie machte selbstsicher weiter. Von da an ging alles fehlerlos bis zum Ende, und Josie hatte die Herzen aller im Sturm gewonnen. Luke war der Erste, der ihr applaudierte, die anderen fielen mit ein, und Vater und Tochter verbeugten sich gemeinsam, um so den Dank für den Beifall entgegenzunehmen. Ritchie schluchzte fast vor Freude. „Wunderbar! Wunderbar! Wir übernehmen den Teil in die Sendung. Die Leute werden es lieben!" Luke und Josie waren geradezu euphorisch auf dem Weg nach Haus und den Rest des Abends über. Ein Fotograf hatte am Morgen vor der Sendung von ihnen ein Bild nach dem anderen geschossen. Sobald sie zu Hause waren, fing Luke an, die besten Fotos in seinen Computer zu scannen, um seine Website auf den neuesten Stand zu bringen. Der Tag hatte Josie müde gemacht, und sie protestierte nicht, als Pippa ihr sagte, dass es Zeit fürs Bett sei. „Hast du Spaß gehabt heute, Schätzchen?" fragte Luke. „Oh, Dad, es war der beste Tag meines Lebens! Glaubst du, ich könnte ein Fernsehstar wie du werden?" „Mein Mädchen kann alles werden, was es werden möchte." Er küsste sie auf die Stirn und begleitete sie mit Pippa bis zur Tür ihres Schlafzimmers. Dann drehte er sich zu Pippa um, und sein Lächeln verlosch. „Stimmt etwas nicht, Luke?" fragte sie. Sie gingen zurück in den Wohnraum. „Ich werde einen Anruf machen müssen. Meine Familie sieht sich die Kochshows immer an, und wenn Josie übermorgen im Fernsehen erscheint ..." Er verstummte, und sein Gesicht drückte Schuldgefühle aus. Ein schlimmer Verdacht kam in Pippa hoch. „Luke, weiß deine Familie, dass du eine Tochter hast?" Er schüttelte den Kopf. „Sei mir nicht böse. Wenn ich vor Jahren Mom alles gebeichtet hätte, wäre sie regelrecht über mich hergefallen." „Und du meinst, dass es die Sache jetzt nur noch verschlimmert."
„Ja. Hör mal, ich wünschte, ich hätte es getan, aber ..." „Aber du hast das getan, was am leichtesten für dich gewesen ist, wie immer." „Meine Güte, du redest wie Mom!" „So sind wir Mütter halt." „Na schön, also bleibt mir nichts übrig, als den Hörer aufzunehmen und ihr alles zu erklären, bevor sie die Show sieht." „Du wirst es nicht am Telefon tun. Du wirst es ihr persönlich sagen." Luke wurde sichtlich blass. „Du bist verrückt. Du kennst meine Mutter nicht." „Bist du ein Mann oder eine Memme?" „Eine Memme! Ganz eindeutig eine Memme" „Tu es!" „Okay, okay." „Jetzt!" „Jawohl, Madam!" Luke verschwand, und wenige Minuten später hörte Pippa ihn mit dem Porsche davonfahren. Sie nahm an, dass Luke mindestens zwei, drei Stunden brauche n würde, aber nach nur dreißig Minuten sah sie vom Balkon aus, wo sie stand und die milde Nachtluft genoss, seinen Wagen zurückkehren. Es wird wohl niemand zu Hause gewesen sein, dachte sie. Aber dann fuhr ein anderer Wagen in die Einfahrt, und ihm entstie g, wie Pippa schien, ein endloser Strom von Personen, der sich dann auf das Haus zu bewegte. Völlig entgeistert starrte Pippa hinunter. Luke hatte seine Familie gleich mitgebracht! Im nächsten Moment hörte sie das Stimmengewirr im Haus. Nervös ging Pippa die Treppe hinunter, um sie alle zu begrüßen. Lukes mollige kleine Mutter musterte sie scharf. „Bist du Pippa?" wollte sie wissen. „Ich ... ja ..." Der Rest verlor sich in einer Umarmung, die Pippa fast erdrückte. Dann war ihr Mann an der Reihe, der so groß war, dass es keine Zweifel gab, wem Luke seine Größe verdankte. Auch er zog Pippa in seine Arme, drückte sie fest an sich und lachte dröhnend vor Freude. Dann war da auch noch Zak, Lukes Bruder, und Becky, seine Schwester, die - wie ihre Eltern - sich ohne Scheu herzlich zeigten. „Wir hätten uns schon vor langer Zeit kennen lernen sollen", sagte Lukes Mutter. „Ja", stimmte Pippa zu und hatte sie bereits in ihr Herz geschlossen. Luke beging den Fehler, sich in den Mittelpunkt zu drängeln. „Mom, warum gehen wir nicht ..." Sie wirbelte zu ihm herum. „Hat dich jemand gefragt?" „Nein, Mom." „Dann unterbrich uns nicht." „Ja, Mom." Zak und Betty grinsten. Luke warf ihnen einen bösen Blick zu, aber sonst nahm er es lammfromm hin. Plötzlich jedoch wurde es still. Alle Köpfe drehten sich in Richtung Küchentür, wo Josie stand und sich den Schlaf aus den Augen rieb. Pippa wollte sie gerade vorstellen, aber irgendein Instinkt befahl ihr, sich zurückzuhalten. Und es war ein weiser Instinkt, wie es sich gleich zeigte. Luke legte den Arm um die Schultern seiner Tochter und sagte schlicht: „Das ist Josie. Sie ist meine Tochter." Er blickte auf sie herunter. „Und das ist meine Familie - von jetzt ab auch deine Familie." Alle warteten auf die Reaktion seiner Mutter, und sie kam sogleich. Die kleine Frau und das Kind, das fast so groß war wie sie, betrachteten einander prüfend. Dann lächelte Josie und fand sich in den Armen ihrer Großmutter wieder, die vor Rührung Tränen in den Augen hatte. Die ganze Zeremonie, die Pippa vorhin über sich hatte ergehen lassen, fing von vorne an. Josie wurde gedrückt von den Großeltern, von Tante und Onkel, und jeder freute sich sichtlich, dass es Josie gab, von deren Existenz sie bis vor knapp einer Stunde
nichts geahnt hatten. Dass Josie die natürliche Gabe von ihrem Vater geerbt hatte, jeder Situation gewachsen zu sein, bewies sie jetzt. „Ich sollte mich schnell anziehen", entschied sie und verschwand. Pippa folgte ihr und holte für sie ein Paar saubere Jeans und ein T-Shirt heraus. „Das war eine Überraschung, nicht wahr, Liebling." „Ma ..." meinte Josie fast ehrfürchtig, „ich habe Großeltern." „Ja. Du hast bis jetzt keine gehabt." „Ist das nicht schön, Ma?" „Ja, Liebling, das ist wirklich schön." Am nächsten Tag stand Disneyland auf dem Programm. Lukes Vater hatte es so entschieden. Zak und Becky mussten arbeiten, aber die anderen fünf wollten zusammen nach Anaheim fahren, wo Disneyland lag. Zuerst jedoch machten sich Luke, Pippa und Josie auf den Weg zu seinem Elternhaus. Seine Mutter begrüßte Pippa und Josie, als ob sie sich von ihnen vor mindestens einem Jahr verabschiedet hätte und nicht vor wenigen Stunden. Sie nahm bei der nächstbesten Gelegenheit Pippa zur Seite. „Du wirkst auf mich wie eine nette junge Frau, warum wolltest du meinen Sohn nicht heiraten?" fragte sie. „Ich ...? Das hat er Ihnen erzählt?" „Er hat mir erzählt, dass er dich gebeten hätte, ihn zu heiraten, und du hättest Nein gesagt. Stimmt das etwa nicht?" wollte sie wissen. Pippa hatte es fast die Sprache verschlagen. „Der hat vielleicht Nerven", murmelte sie dann. „Er ... ich ... Nun ja, genau genommen wird es wohl auf eine Weise stimmen. Aber da ich es deutlich heraushören konnte, dass er es als seine Pflicht empfand, mich ..." „Pflicht? Luke?" fiel seine Mutter Pippa ins Wort und schüttelte den Kopf.
„Sie hätten hören sollen, wie erleichtert er gewesen ist, als ich ablehnte."
Seine Mutter blickte Pippa aus klugen Augen an. „Du hast es also ernst
gemeint, als du ablehntest." Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. „Absolut! Wenn Luke mich wirklich gewollt hätte, hätte ich Ja gesagt. Aber wir hatten so etwas wie eine Abmachung - keine Bindungen. Und so ... nun ja, Sie wissen schon." „Natürlich weiß ich. Luke ist mein Sohn. Und er ist der Sohn seines Vaters. Der Himmel stehe uns bei!" seufzte sie schwer. Pippa musste lächeln. Lukes Mutter gefiel ihr immer besser. „Höchstwahrscheinlich hat Luke den Unschuldigen gespielt, stimmt's?" „Und gekonnt!" „Ich kann ihn förmlich hören. ,Mom, ich wollte sie ja heiraten, aber sie hat mir eine Abfuhr erteilt.' Nun, er soll es noch bitter bereuen, das verspreche ich dir." „Maisie, kommt ihr nun endlich?" rief Dad. „Sei still!" rief sie zurück. „Ich rede mit meiner Schwiegertochter." „Mrs. Danton ..." fiel Pippa erschrocken ein. „Für mich bist du es", erklärte sie. „Und wenn mein Sohn auch nur ein wenig Verstand hätte, würdest du es schon lange für uns sein. Außerdem hör auf mit dem ,Sie'. Ich bin ,du' für dich." Es war wunderbar, akzeptiert zu werden. Doch Pippa musste auch an Josie denken. „Bitte", begann sie mit leiser Stimme, „wiederholen Sie ... wiederhole es nicht vor den anderen. Ich möchte in Josie nicht die Hoffnung wecken, dass Luke und ich heiraten werden. Das ist sehr wichtig für mich." „Nun gut", gab seine Mutter nach, wenn auch widerwillig. Sie machten den Ausflug nach Anaheim im Wagen von Lukes Vater. Mom saß
auf dem Beifahrersitz und die anderen drei saßen auf dem Rücksitz. Lukes Dad beschrieb Josie Disneyland, und sie saß mit großen Augen erwartungsvoll da und hörte ihm zu, Pippa schwieg. Sie hatte mit sich selbst zu tun, um das, was sie von Lukes Mutter erfahren hatte, zu verarbeiten. Oh, wenn sie Luke nur fünf Minuten für sich hätte! Sie würde ihm als Erstes kräftig gegen das Schienbein treten. Er sollte leiden! Bis sie in Disneyland ankamen, hatte sie sich in einen richtigen Zorn hineingesteigert. Josie war von Anfang an überwältigt von Disneyland. Ihre Großeltern nahmen sie in ihre Obhut und waren selbst so glücklich wie ihre Enkelin. „Ich möchte dir gern die Boutiquen zeigen", sagte Luke, nahm Pippa bei der Hand und rief seinen Eltern hinterher: „Geht schon zu! Wartet nicht auf uns." „Das können wir nicht tun", protestierte Pippa. „Meinst du, dass meine Eltern es nicht schaffen, auf unsere Tochter Acht zu geben? Josie braucht uns nicht. Sie hat genug damit zu tun, ihre Großeltern um den kleinen Finger zu wickeln. Wir würden sie nur dabei stören." „Eigentlich hast du Recht", gab Pippa nach. „Es ist eine gute Gelegenheit, uns unter vier Augen zu unterhalten." „Warum bin ich auf einmal nervös?" „Weil du jeden Grund dazu hast." „Pippa, weißt du, dass deine Augen glitzern? Vor Zeiten war mir das eine Warnung, dass du wütend wurdest, gewöhnlich auf mich. Und kurz darauf platzte dir auch der Kragen." „Gut beobachtet, das muss ich dir lassen. Nun zum Thema. Wie konntest du es wagen, deiner Mutter zu erzählen, dass du mich gebeten hast, dich zu heiraten?" „Aber das hab ich ja auch." „Ha, dass ich nicht lache!" „Ich habe dich gefragt, und du hast Nein gesagt!" protestierte er. „Luke, du hast auf eine Weise gefragt, dass es für mich klar war, wie verzweifelt du auf ein Nein gehofft hast." „Seit wann bist du unter die Gedankenleser gegangen?" „Ich brauchte deine Gedanken nicht zu lesen. Du hast es mich von Anfang wissen lassen. Keine Ehe, kein Familienleben, keine Kinder, keine Fesseln. Du hättest es nicht deutlicher machen können. Also habe ich deinen Hinweis befolgt. Als du das The ma Heirat angetippt hast - aus einer sicheren Entfernung von fünftausend Meilen -, habe ich das gesagt, was du von mir erwartet hast, genauso wie es immer gewesen ist." „Na ja, ich werde ..." „Und dann erzählst du deiner Mutter, es sei alles meine Schuld!", „Pippa, sie hat mich gefragt, warum ich dich nicht geheiratet habe, und ich habe geantwortet, dass ich dich darum gebeten habe und du Nein gesagt hast. Und das war die Wahrheit." „Es war bestenfalls nur die halbe Wahrheit." „Na schön. Ich werde mit ihr reden und ihr genau schildern, wie es gewesen ist." „Das musst du nicht. Ich habe bereits mit ihr gesprochen." „Das ist es also gewesen, als ihr miteinander getuschelt habt. Ihr habt schlecht über mich gesprochen." Seine Worte klangen nicht nur anklagend, sondern auch echt betroffen. „Nein, so ist es nicht gewesen", versuchte Pippa ihn zu beruhigen. „Mann, das ist wie in alten Zeiten! Du hast damals keine Vernunft gehabt, und du hast sie auch jetzt nicht." „Vernunft? Ha! Du redest von Vernunft? Das möchte ich gerne mal hören."
„Pippa, du würdest nicht wissen, was Vernunft ist, und wenn sie dir ins Auge springen würde." „Du kennst die Antwort darauf." „Wenn du nicht die dickköpfigste, unzugänglichste Frau wärst - ich schwör dir, ich würde ... Oh, zum Teufel damit!" „Hey, was tust du da?" Luke hatte ihre Hand ergriffen und zog sie hinter sich her. „Hier lang", rief er über die Schulter. „Luke!" „Beeil dich!" Im nächsten Moment stieg er in eine Pferdekutsche und ließ Pippa keine Wahl, als ihm zu folgen. Seine Hand war warm und fest. Er zog sie auf den hinteren Sitz und hielt sie lachend, während er ihr tief in die Augen schaute. „Luke, ich warne dich. Lass mich sofort los!" Er durfte sie nicht küssen, weil ihr Herz dann schmelzen und sie vergessen würde, warum sie wütend auf ihn war. Sie wollte wütend bleiben. Das war bei Luke schon immer die sicherste Abwehr gewesen. Doch der Kutscher auf dem Kutschbock nahm die Zügel, und die Pferde trabten an. Pippa gab auf. Das Gefühl, das sich in ihr ausbreitete, lahmte alle Regungen, sich an Luke zu rächen. Sie war auf einmal glücklich, wirklich glücklich, so wie sie es schon seit einer ganzen Ewigkeit nicht gewesen war. Mit diesem Mann zusammen zu sein, seinen Arm um ihre Schultern zu fühlen, war einfach himmlisch. Und als er sie küsste, küsste sie ihn zurück und schmiegte sich dann selig in seine Arme. Jahre der Sorgen und der Müdigkeit fielen von ihr ab. Sie wollte sich diesen Augenblick mit Luke gönnen, wollte nicht mehr die Zeit damit verschwenden, gegen ihn anzukämpfen. „Du bist ein Schuft", murmelte sie. „Aber ich vergebe dir." „Das hast du immer getan. Bist du wirklich nicht mehr wütend?" „Es spielt keine Rolle mehr. Lass uns Spaß haben." „Oh, ja, bitte." Als die Kutsche hielt, sprang Luke vom Sitz und half Pippa galant herunter. Sie bummelten über die Hauptstraße, trafen eine hellauf begeisterte Josie und ihre aufgekratzten Großeltern, trennten sich aber gleich wieder, weil Josie ihre Eltern viel zu langweilig fand. Pippa und Luke bestiegen eins der Dampfboote, das wie ein Mississippiboot aussah. Gegen die Reling gelehnt beobachteten sie, wie das Wasser an ihnen vorbeiglitt, bis Luke plötzlich sagte: „Pippa, darf ich dich etwas fragen?" „Natürlich." „Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, was würdest du anders machen?" Das war gefährliches Gebiet. Die Sonne war so warm und die Luft so lieblich, dass sie es eine Sekunde lang fast zugegeben hätte. Ich wäre gern für immer mit dir zusammengeblieben. Aber das würde nur emotionalen Druck auf Luke ausüben, und sie würde all das riskieren, was sie vorhatte. Es war sicherer, darüber leicht hinwegzugehen. „Ich würde wohl nicht wieder die Pension übernehmen", antwortete sie nachdenklich. „Es sind sehr nette Leute, die sie bewohnen. Aber manchmal fühle ich mich wie eingeschlossen." „Kann ich nachvollziehen'', erwiderte er ernst. „Das konntest du schon immer. Du hast mich immer verstanden. Ich konnte immer mit dir über alles reden, was mir sehr viel bedeutet hat." „Mir ging es ebenso", sagte er, und es klang überrascht. Ihm war das erst jetzt aufgegangen. „Ob wir nun Unsinn redeten oder Wichtiges miteinander
überlegten, wir befanden uns immer auf der gleichen Ebene. Und wir hatten fast so etwas wie Gedankenübertragung. Erinnerst du dich noch, wie wir genau wussten, was dir oder mir durch den Kopf ging, und oft das aussprachen, was einem von uns gerade auf der Zunge lag." „Das stimmt." Pippa erinnerte sich gut daran. Luke straffte sich, so als ob ihm plötzlich ein Gedanke gekommen wäre. „Das ist es gewesen, was wir wirklich gehabt haben, nicht wahr? Der Rest war - wie schmückendes Beiwerk." „Köstliches Beiwerk", verbesserte Pippa ihn mit einem Lächeln. „Ja, köstlich." Er nahm ihre Hand. „Würdest du daran etwas ändern wollen?" „Nein", antwortete sie nach einem kurzen Schweigen. „Nichts? Wirklich nichts?" „Was zwischen uns war, hat mir Josie gegeben. Und sie ist alles, was ich haben möchte. Ich danke dir, Luke. Ich danke dir für Josie. Ich danke dir für alles. Ich habe das schon lange sagen wollen." Er fuhr mit dem Finger über die Linien ihrer Handfläche. „Niemand ist mir je so unter die Haut gegangen wie du." „Das gilt auch für mich. Wir sind sehr jung und sehr gefühlsbetont bei allem gewesen. Vielleicht zu gefühlsbetont." „Das glaub ich nicht." Etwas in seiner Stimme ließ Pippa aufhorchen, und sie schaute zu ihm hoch. Aber er musterte noch immer ihre Hand, so als ob er ihrem Blick nicht begegnen wollte. „Luke, ich ..." Es gab einen leichten dumpfen Schlag, als das Boot den Landungssteg erreichte. Um sie herum standen die Leute von ihren Bänken auf, um von Bord zu gehen. Luke hob ihre Hand und küsste sie, während er den anderen an Land folgte. Er hielt ihre Hand fest, bis sie wieder auf Josie und ihre Großeltern stießen. Da erst ließ er sie taktvoll los. Sie aßen zusammen zu Abend und strömten dann mit der Menge zu dem Feuerwerk, das sich mit aller Pracht entfaltete. Josie starrte zum Himmel hinauf, der von den leuchtendsten Farben überflutet wurde. Inmitten der Masse waren Luke und Pippa wie unsichtbar. Er hatte mit den Händen ihr Gesicht umschmiegt, und mit dem Daumen fuhr er zärtlich über ihre Wangen. Er sah sie sehnsuchtsvoll an, beugte den Kopf und küsste sie so zart wie ein Teenager bei seinem ersten KUSS. „Pippa", flüsterte er. „Pippa, meine Pippa ..." Er küsste ihre weichen Lippen fast ehrfürchtig, und sie küsste ihn liebevoll zurück. Es war keine Leidenschaft in dieser Liebkosung. Es war ein Te il des Traums, und Pippa nahm es als Traum hin, forderte nicht mehr, weil dabei die Träume erlo schen. Luke schien das ebenso zu empfinden, denn er zog sich zurück und legte die Hände auf ihre Schultern. Mit der Stirn berührte er ihre Stirn, und mit den Augen dicht vor ihren Augen sah er sie lächelnd an. Ein Zittern überlief ihn plötzlich, und mit rauer Stimme flüsterte er: „Oh, Pippa!" Er umarmte sie ganz fest und murmelte immer wieder: „Pippa, Pippa, Pippa ..." Sie hielt die Augen geschlossen, so dass ihre Welt nichts anderes enthielt als die Wärme seines Körpers so dicht an ihrem Körper, während er sie eng umschlossen hielt. Und so blieb ihnen verborgen, dass drei Augenpaare sie ausgesprochen interessiert beobachteten.
8. KAPITEL
Bereits auf dem Weg nach Hause war Josie auf dem Rücksitz fest eingeschlafen. Luke trug sie in ihr Schlafzimmer und legte sie sanft auf ihr Bett. Josie wurde auch nicht wach, als Pippa sie aus zog. Auf Zehenspitzen schlichen Pippa und Luke sich hinaus. Pippa gähnte. „Ich mache mir noch einen Tee, und dann geh ich auch zu Bett." „Noch nicht", bat Luke, legte die Arme um sie und versuchte, Pippa zu küssen. „Luke, nein", bat sie und drückte mit den Händen gegen seine Brust. „Was ist?" „Der Tag heute war wunderbar, aber es war ein Urla ubstag." „Du bist immer noch in Urlaub." Er zog sie enger an sich, und dieses Mal gelang es ihm, ihre Lippen mit seinem Mund zu berühren. Es erschütterte Pippa, wie sehr sie versucht war, einfach nachzugeben. „Pippa, seit du hier angekommen bist, lagen die Dinge zwischen uns sehr seltsam. Wahrscheinlich war das unausweichlich. Aber heute ... heute ist es anders gewesen. Etwas ist zwischen uns geschehen." „Etwas ist geschehen, aber das zählt nicht." „Es könnte zählen, wenn wir es wollten", murmelte er und fuhr mit den Lippen federleicht über ihre Stirn. „Wünschst du dir das nicht?" „Nein. Ich ... ich wünsche es mir nicht." Luke liebkoste mit den Lippen ihre Wange, ihr Kinn. „Meinst du das wirklich so?" „Ich bin mir nicht sicher, aber du spielst nicht fair. Bitte, Luke, lass mich los. Es war wunderbar, jetzt sollten wir aber vernünftig sein." „Vernünftig?" flüsterte er an ihrem Mund. „Wir?" „Ja, wir", flüsterte sie zurück, Sie sehnte sich nach ihm, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte. „Nein!" rief sie plötzlich alarmiert und entzog sich Luke. Es durchzuckte sie, als sie ihn voll ansah und bemerkte, wie geschockt er war. „Es tut mir Leid, Luke, aber du musst einsehen, dass es zu spät ist. Wir können die Uhr nicht zurückstellen. Einen Tag lang können wir uns etwas vormachen, aber es ist vorbei. Die Wirklichkeit hat uns wieder." „Die Wirklichkeit..." Luke lachte freudlos auf. „Wie ich dieses Wort schon immer gehasst habe!" „Ich auch, manchmal. Und im Moment hasse ich es wieder." „Dann ..." „Liebster, bitte. Die Dinge haben sich geändert. Ich habe mich geändert." Sie lächelte kläglich. Er schien sich zusammenzureißen. „Du hast Recht - natürlich. Wir können die Uhr nicht zurückstellen. Vergiss es. Ich mache dir den Tee. Ich bin berühmt für meinen englischen Tee." Er lächelte und war fast wieder er selbst. Für ihn war das Thema abgeschlossen. Pippa tat es ihm gleich, lächelte und plauderte, so als ob es kein Zwischenspiel gegeben hätte. Nachdem Pippa sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen hatte, ging Luke jedoch nicht zu Bett. Er legte sich auf die Couch und starrte in die Dunkelheit. Es hatte ihn ganz schön aus dem inneren Gleichgewicht geworfen, als er entdecken musste, dass er Pippa noch immer begehrte. Das war ihm einfach vorher noch nie passiert. „Nichts ist so tot wie eine tote Liebe", hieß es in einer Redensart, und bis jetzt war sie ihm eine Lebensweisheit gewesen. Er war schon hin und wieder ins Bett einer früheren Geliebten zurückgekehrt, aber es
war immer aus nostalgischen Gründen geschehen und nicht, weil er von neuem in Leidenschaft zu ihr entbrannt war. Was er jetzt empfand, hatte nichts mit Nostalgie zu tun, sondern mit sehnsüchtigem, tiefem Verlangen. Er hatte nur selten etwas in seinem Leben so gewollt, wie er im Moment Pippa wollte. Aber Pippa war für ihn eine neue Frau, sogar ein wenig geheimnisvoll. Er wusste nicht, wie er darauf kam. Vielleicht weil es Momente gegeben hatte, wo er sie ernst und nachdenklich gesehen hatte, so als ob sie irgendeinen inneren Schmerz verbergen müsse. Das junge Mädchen von einst war ihm entglitten. Und die Frau, die sie geworden war, war ihm fremd, wenn auch nach wie vor verlockend. Es war nicht einmal so sehr Sex, was er bei ihr suchte. Es war die innere Übereinstimmung, die zwischen ihnen von Anfang an bestanden hatte. Er, Luke Danton, der unbekümmerte Frauenheld, hatte so etwas tatsächlich gerade gedacht! Das jagte ihm regelrecht Angst ein. Das war etwas, was zum langweiligen Frank gepasst haben könnte, und das störte Luke mehr als alles andere. Denn es bedeutete, dass er alt wurde. Oder erwachsen? Er rieb sich die Augen, wünschte sich, dass er seine Gedanken verbannen könnte. Aber es gelang ihm nicht. Die Kochshow war für acht Uhr abends angekündigt. Um fünf Uhr nachmittags war die ganze Familie versammelt - Mom, Pop, Zak und seine Freundin, Becky und ihr Freund. Eine halbe Stunde später erschien Claudia mit Champagner, und die Party konnte beginnen. Luke hatte sich übertreffen mit dem Abendessen. Es gab ein Hauptgericht und eine Menge kleiner pikanter Nachspeisen, die jederzeit gegessen werden konnten. Josie, die nichts lieber mochte, als ihrem Vater zur Hand zu gehen, war ihm eine tüchtige Assistentin. Ihr kleines Gesicht glühte vor Eifer, und ihre Augen leuchteten auf, wenn ihr Chef sie lobte. Um Viertel vor acht saßen alle im Wohnraum, der Fernseher wurde eingeschaltet und der Videorekorder für die Aufzeichnung eingestellt. Gespannt warteten sie auf den Beginn des Programms, und als zuerst eine Werbung eingeblendet wurde, buhte jeder. Dann fing das Programm an, und Josie stieß einen tiefen Seufzer aus. Als es vorbei war, gab es lobende Worte und viel Beifall, und Luke überreichte feierlich seiner Tochter das Video. „Ich werde es auf das europäische Videosystem übertragen lassen, bevor du zurückfliegst", versprach er. „Dieses geb ich dir, falls du es hier noch mal sehen möchtest." „Zurückfliegen!" rief Mom schockiert. „Was soll denn dieses Gerede?" „Wir sind nur für eine Woche hier", erklärte Pippa. Es gab einen allgemeinen Aufschrei der Entrüstung. Pippa versuchte, so gut sie es vermochte, die Gemüter zu beruhigen, aber sobald es ihr möglich war, flüchtete sie sich in die Küche. Sie hatte Mühe zu atmen, und sie fühlte, wie sie matt wurde. Claudia fand sie so wenige Minuten später. „Geht es dir nicht gut?" fragte sie besorgt. „Doch, doch, ich hab nur einen leichten Asthmaanfall. Ich neige dazu, und der Smog hier in Los Angeles setzt mir wahrscheinlich zu." „Natürlich. Obwohl in diesem Teil von L.A., direkt am Pazifik, die Luft am saubersten ist."
„Wahrscheinlich bin ich nur ein bisschen empfindlich." Pippa lächelte tapfer. „Lass uns zu den anderen zurückkehren." Die letzten zwei Tage, der letzte Tag, die letzten Stunden am Strand mit Luke und seiner Mom und Dad und Zak und Betty und Claudia. Niemand wollte ausgeschlossen sein. Pippa konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt mit so viel Liebe und Freundlichkeit umgeben gewesen war. Josie hatte ihre Mutter ein paar Mal mit einem rätselhaften Blick in den Augen überrascht und schließlich auch mit der Frage: „Mommy, du und Daddy, werdet ihr zusammenbleiben?" „Nein, Liebling." „Aber ihr liebt euch." „Wir mögen uns sehr, aber nur wie Freunde sich mögen." „Aber..." „Liebling, lass es, bitte! Und sag nichts davon zu Dad. Eines Tages wirst du es verstehen." Dieses kurze Gespräch hatte Pippa mehr belastet, als sie sich eingestehen wollte. Sie wusste, dass von jetzt ab - was immer auch geschehen mochte sie darauf zählen konnte, dass Luke sich als Josies Vater bekennen würde. Sonst war nichts nach Plan verlaufen. Sie hatte mit Luke eine freundschaftliche Beziehung eingehen und nicht sich wieder in ihn verlieben wollen. Jetzt sah sie ein, wie unrealistisch dies gewesen war. Nach all den Jahren konnte sie nicht in seiner Nähe sein, ohne dass es ihr nicht warm ums Herz wurde. „Ist das dein ganzes Gepäck, Pippa?" „Ja." Ein letzter Rundblick in die Küche, ins Wohnzimmer, auf den Pazifik hinaus, um sich alles für später einzuprägen. Luke beobachtete sie, halb lächelnd, halb verwirrt, fast mit dem gleichen Stirnrunzeln wie Josie. Sie fuhren in zwei Wagen zum Flughafen, „Du hast noch ein wenig Zeit", verkündete Lukes Vater, nachdem Pippa eingecheckt und das Gepäck aufgegeben hatte. „Wie wär's mit einem Eisbecher?" Zak verstand den Wink seines Vaters. Er nahm Josie an der Hand, und sie verschwanden alle in Richtung Eiscafe, bis auf Luke und Pippa. „Also", begann sie fröhlich, „es ist so weit." „Ja, das ist es wohl." Plötzlich ergriff Luke sie am Arm. „Komm", sagte er entschlossen. „Wir müssen miteinander reden." Er zog sie auf eine Bank, die ein wenig abseits von den anderen Sitzgelegenheiten stand. „Ich darf es nicht zulassen!" rief er. „Luke - was?" „Ich will nicht, dass du gehst. Nein, hör mir gut zu." Er unterbrach sie, noch bevor sie ein Wort sagen konnte. „Genau das ist schon mal passiert, nämlich als ich England verließ. Und ich hätte es nicht tun dürfen. Ich war verrückt nach dir." „Es war deine Entscheidung. Du hättest bleiben können." „Ich weiß. Meine Entscheidung. Aber es war die falsche, für uns beide. Du hast es damals so gelassen hingenommen, hast Witze gemacht und geflirtet. Ich konnte dir nicht erzählen, was ich fühlte. Du hast mir sehr viel bedeutet und ich dir, und dann hast du mir lachend zum Abschied zugewunken." Pippa konnte ihn nur völlig sprachlos anstarren. „Pippa, ich habe es dir niemals gesagt, aber als ich die Abflughalle erreichte, war mir, als ob ich keinen Schritt weiter machen könnte. Ich wollte das Flugzeug nicht besteigen."
„Du wolltest es nicht?" „Es war damals nicht richtig, dass ich fortging, und es ist jetzt nicht richtig, dass du fortgehst. Ich lasse dich nicht weg, Pippa. Und es hat keinen Zweck, darüber zu streiten. Nein!" Er schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. „Nein, das ist nicht richtig. Ich bringe alles durcheinander." Er redete unzusammenhängend. „Ich möchte nur, dass du noch eine Woche hier bleibst - oder zwei, so dass ich dich überreden kann. Ja, das ist besser. Überreden. Das ist genau das, was ich eigentlich sagen wollte." „Du plapperst." „Wirklich? Ja, es stimmt. Und weißt du, warum? Weil, wenn ich aufhöre zu reden, du mir antworten wirst. Und davor habe ich Angst. Nur zwei Wochen oder drei." „Aber..." „Du kannst so nicht fortgehen. Es ist zu früh. Josie will nicht weg. Sie will hier bleiben und sich mit Dad in Disneyland einnisten. Ich will nicht, dass du fortgehst. Mom und Dad wollen nicht, dass du fortgehst. Pippa, bitte, sag, dass du nicht fortgehst!" „Luke ..." „Nein, warte mit der Antwort. Überleg es dir morgen oder übermorgen. Wenn du nur noch eine kleine Weile hier bleibst, drei Wochen - vielleicht vier." Pippa konnte vor Glück kein Wort herausbringen. Vor Jahren hatte sie davon geträumt, dass Luke sie bitten würde, bei ihr zu bleiben. Endlich war es geschehen. Aber es war zu spät dafür, und jetzt musste sie ihm das sagen, wovor sie sich gedrückt hatte. „Liebster..." „Sag es noch mal. Bitte!" „Liebster, da ist etwas, was ich ..." „Nur noch eine Woche, Pippa, und ich schwöre dir, ich werde nicht um mehr bitten. Na ja, vielleicht um zwei Wochen. Wir haben uns so viel zu erzählen." „Dieses ist der erste Aufruf für den British Airways Flug 1083, Los Angeles nach London Heathrow ..." Luke hielt Pippa am Arm fest. „Du nimmst den Flug nicht!" „Ich nehme den Flug nicht", entschied sie langsam. „Du hast Recht. Es gibt Dinge, die ich dir erzählen muss, persönlich, nicht aus der Entfernung." Er hatte gewonnen! Natürlich hatte er gewonnen. Das tat er immer. Aber da war etwas in ihren Augen, das Luke beunruhigte. Sie leuchteten nicht glücklich. Sie verdunkelten sich wie vor Schmerz. Aber Luke wäre nicht Luke gewesen, wenn er sich nicht einfach darüber hinweggesetzt hätte. Er nahm sie bei der Hand und führte sie ins Eiscafe. Seine Familie blickte ihnen erwartungsvoll entgegen. „Wer kümmert sich um das Gepäck?" fragte Luke und erntete Jubel. Josie warf sic h Pippa in die Arme. „Danke, Mommy, danke!", dann in Lukes Arme, der sie fest an sich drückte. Zak eilte davon, um die Koffer zurückzuholen. Lukes Mutter ergriff Pippa bei der Hand. „Weißt du, wir würden uns sehr freuen, wenn du uns Josie ein paar Tage überlassen könntest." „Nein! Es tut mir Leid", erwiderte Pippa sofort. „Aber das kommt nicht in Frage." Alle starrten sie an, waren sprachlos über ihre heftige Reaktion. „Verzeih mir. Ich wollte nicht unhöflich sein. Natürlich weiß ich, dass Josie bei euch in guten Händen wäre. Ich hab sie nur noch nie zuvor aus den Augen gelassen." „Bitte, Mommy!" flehte Josie. „Grandpa hat mir versprochen, dass wir jeden
Tag zum Disneyland fahren." „Ein solch guter Vorwand hat sich ihm bis jetzt noch nie geboten", bemerkte seine Frau nachsichtig. „Na ja ..." Pippa fühlte sich hilflos. „Dann vielleicht – ein, zwei Tage." Der Jubel war sogar lauter als der zuvor. Pippa war wie benommen. Sie hatte das Gefühl, ganz mächtig überrumpelt worden zu sein. Luke und Pippa saßen auf dem Rücksitz, während Claudia sie in ihrem Wagen nach Hause fuhr, jedenfalls setzte Pippa das einfach voraus. „Das ist doch nicht der Weg zurück nach Manhattan Beach", stellte Pippa nach einer Weile fest. „Ich dachte, wir machen einen kleinen Umweg", erwiderte Claudia leichthin. „Einen Umweg?" „Montecido, es liegt südöstlich gleich vor Santa Barbara. Ich habe dort ein kleines Haus, und während Josie bei Lukes Familie bleibt, bleibst du bei mir." „Aber ..." „Du wirst es mögen, Pippa. Die Luft ist kühler und sauberer als in Los Angeles. Es wird dir gut bekommen." Pippa drehte sich zu Luke. „Schau mich nicht so an", sagte er verdächtig unschuldig. „Ich bin auch gekidnappt worden." „Ha, gekidnappt! Wer's glaubt, wird selig." „Verflixt! Hab ich mir's doch gedacht, dass du es schnell herausfindest." „Luke, du kannst nicht einfach so über mich bestimmen!" „Ich kann wirklich nichts dafür", beteuerte er. „Claudia ist verantwortlich." „Aber..." Er legte den Arm um ihre Schulter und zog sie dicht an seine Seite. „Warum lehnst du dich nicht einfach zurück und genießt es?" Pippa konnte sich nicht mehr wehren. Luke war unwiderstehlich. Und letztlich gab es nicht einmal einen Grund, sich zu wehren. Also entspannte Pippa sich und schmiegte sich an seine Seite. Sie meinte, ein unterdrücktes Lachen vom Vordersitz gehört zu haben, und vermutete, dass Claudia einen Blick in den Rückspiegel geworfen hatte. Sie waren fast zwei Stunden unterwegs. Dann nahmen sie einen schmalen Autoweg einen Hügel hinauf, und die Luft wurde kühler und fr ischer, wie Claudia es angekündigt hatte. Pippa atmete tief durch, und Freude erfasste sie. Der Pazifik glitzerte aus der Entfernung, der Himmel war tiefblau. Claudia bog schließlich in einen langen privaten Fahrweg ein, der zu beiden Seiten von tiefgrünen Büschen gesäumt war. Pippa konnte nur staunen. Luke hatte erwähnt, dass Claudias Reichtum vom Öl kam, und nun wusste sie, was das bedeutete. Das lang gestreckte Haus mit seinen weißen Mauern und dem roten Ziegeldach war im mexikanisch-spanischen Stil erbaut. Eine ganze Weile lang kam es zwischen den Bäumen in Sicht und verschwand wieder, und dann, plötzlich, hörte der Baumwuchs auf, und das Haus lag vor ihnen. Claudia hielt den Wagen an und hupte ein paar Mal. Zwei Männer und zwei Frauen kamen geschäftig aus dem Haus gerannt. „Sonia, Catalina, Ruiz und Alfonso", sagte sie. „Sie versorgen das Haus und den Garten." Ruiz und Alfonso holten sogleich das Gepäck aus dem Kofferraum, und Sonia und Catalina halfen ihnen dabei und versicherten, dass alles vorbereitet sei, die Zimmer seien frisch gelüftet und der Tisch sei gedeckt. Es war angenehm kühl im Haus. Lange weiße Gardinen wehten sanft vor den
geöffneten Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten. Claudia führte Pippa in ein Zimmer, das nach vorn hinaus lag. „Das ist deins", erklärte sie. „Lukes Zimmer ist auf der ge genüberliegenden Seite." Es war ein riesiger Raum mit Möbeln aus warm glänzendem Rosenholz, die sich von den Mosaikkacheln des Bodens wunderbar abhoben. Vor den geöffneten hohen Fenstern bauschten sich weiße Gardinen in der leichten Brise. Auf dem breiten Bett lag eine Tagesdecke aus weißer Spitze. Es war ein Raum, von dem Ruhe ausging, in dem man zu sich selbst finden konnte. Catalina war bereits da und packte Pippas Kleider aus, die sie in einen eingebauten Schrank hing. Sie zeigte Pippa, wo alles war, und verschwand dann. Pippa trat auf den Balkon mit dem schmiedeeisernen Geländer und blickte über den Pool hinweg weit zum Pazifik hinüber und fühlte, wie alle Sorgen von ihr abglitten. „Magst du es?" fragte Claudia von der Tür her. „Claudia, es ist wunderschön." „Es ist mein Zimmer. Ich habe es gewählt, weil man von hier einen Schimmer vom Meer sehen kann." „Aber ich kann dich nicht aus diesem Zimmer verdrängen. Ich kann auch ein anderes nehmen." „Oh, ich bleibe ja gar nicht hier. Ich muss für ein paar Tage fort. Habe ich das nicht erwähnt? Irgendwie muss ich es vergessen haben." „Ja, irgendwie musst du es vergessen haben", bestätigte Pippa lang gezogen. „Ich hab ein Gedächtnis wie ein Sieb", verkündete Claudia unbekümmert. „Doch ehe ich das hier vergesse ..." Sie zeigte auf ein knöchellanges Hauskleid aus reiner Seide in den verschiedenen Schattierungen von Olivgrün über Braungelb bis zu einem blassen Gelb. „Es ist ein alter spanischer Brauch, einem Hausgast beim Emp fang ein Geschenk zu machen", erklärte Claudia. „Das ist mein Geschenk für dich." „Claudia, es ist... es ist..." „Oh, hör schon auf", unterbrach Claudia sie. „Freu dich einfach. Und hier ist noch etwas." Sie gab Pippa ein Notizblatt, auf dem sie einen Namen und eine Adresse aufgeschrieben hatte. „Das hier ist mein Arzt, und er ist verschwiegen." „Ich weiß nicht, wozu ..." fing Pippa schnell an, aber ihr Protest verstummte, als sie Claudia in das ehrliche Gesicht sah. „Ich weiß nicht, was es genau ist", sagte Claudia. „Aber ich weiß, dass da etwas ist und dass du Luke nicht informiert hast. Vielleicht solltest du es ihm mitteilen, während ihr beide hier seid. Und ich denke, es sollte bald geschehen. Bis jetzt ging es immer nur um Luke und Josie. Ab jetzt sollte es auch um dich und Luke gehen." Pippa schaute auf den Notizzettel in ihrer Hand. „Danke", flüsterte sie. Claudia legte impulsiv die Hände auf Pippas Schultern und küsste sie auf beide Wangen. Pippa umarmte sie kurz und lächelte. Plötzlich fühlte sie sich voller Mut. Sie würde es Luke sagen, ohne es hinauszuschieben.
9. KAPITEL Gleich, nachdem Claudia abgefahren war, rief Pippa in London an. „Mark, hallo! Ich weiß, ich sollte im Flugzeug sitzen, aber wir bleiben noch einige Tage hier. Ich rufe dich an, damit ihr nicht umsonst zum Flughafen fahrt, um uns abzuholen." „Pippa, deine Operation ist für nächste Woche angesetzt." „Das weiß ich. Aber es sind nur wenige Tage, die ich länger bleibe. Ich rufe gleich Frank an, damit er ..." „Das ist nicht nötig, er steht neben mir. Wir wollten beide zum Flughafen fahren. Sprich lieber mit ihm." Sie hörte ein Gemurmel, und im nächsten Moment war Frank am Apparat. Er hörte sich schockiert und sehr besorgt an. „Du musst den Verstand verloren haben." „Frank, ich fühle mich gut. Wirklich. Bitte, versuche zu verstehen. Es dürfte nicht allzu schwer sein, die Operation um einige Tage zu verschieben." „Es ist wohl zwecklos, dich zur Vernunft bringen zu wollen. Gib mir Josie!" „Sie ist nicht hier. Sie ist bei Lukes Eltern." Pippa hörte, wie er tief Luft holte. „Also bist du allein mit ihm. Er hat dir das Herz einmal gebrochen, und er wird es wieder tun. Und dieses Mal wird es mehr sein, als nur an einem gebrochenen Herzen zu sterben." Damit knallte er den Hörer auf. Lange saß Pippa auf dem Bettrand. Dann ließ sie sich erschöpft nach hinten fallen, schloss die Augen und war im Nu eingeschlafen. Sie wurde wach durch das Geräusch von Wasser, das in die Badewanne gelassen wurde. Sonia steckte den Kopf herein und lächelte breit. „Senor Danton wartet bereits auf Sie. Das Abendessen ist fertig." Pippa stand schnell auf und ging in das Badezimmer. Ehe sie in die riesige Badewanne stieg, die in den Boden eingelassen war, goss Sonia etwas ins Wasser, das köstlich duftete. Und sobald Pippa sich in das angenehm warme Wasser gleiten ließ, waren all ihre Zweifel und Sorgen vergessen. Sie wählte das hübscheste Abendkleid, das sie besaß, und gab ein wenig Parfüm auf ihre Halsgrube und hinter die Ohrläppchen. Luke war bezaubert. Er streckte Pippa beide Hände entgegen, als sie die Treppe herunterkam. Seine Augen leuchteten und sein Händedruck war zärtlich. Weil er glaubt, dass er mich leicht verführen kann, meldete sich eine kleine lästige Stimme in ihrem Inneren. Pippa wollte nicht auf sie hören. Sie wollte den Abend mit Luke genießen. Es war dunkel geworden, und sie aßen bei Kerzenlicht. Das Essen war perfekt. Der Wein war perfekt. Die Atmosphäre war perfekt. Alles war perfekt. Zu perfekt, meldete sich die Stimme wieder. Nein! Sie wollte den Abend wirklich genießen. „Ich liebe unsere Tochter über alles", gestand Luke und füllte ihr Glas aufs Neue. „Aber wenn du mich fragen würdest, ob ich sie heute Abend vermisse, dann würde ich glatt Nein sagen." Er nahm Pippas Hand und hob sie an seine Lippen. „Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass ich mich nicht freue." „Das tue ich auch", gab Pippa zu. Sie nahm einen Löffel voll von der köstlichen Nachspeise und schloss genießerisch die Augen. „Warum siehst du mich so an?" fragte Pippa nach einer Weile. „Ich dachte gerade, wie schön du im Kerzenlicht aussiehst." Es war wunderbar, wie die Jahre sie von einem reizvollen Mädchen zu einer
faszinierenden Frau verwandelt hatten. Aus hübsch wurde schön, aus lustig wurde geheimnisvoll, und aus übermütig und sexy wurde verlockend und verführerisch. Luke wurde heiß. Er legte den Löffel ab und holte tief Luft, um das innere Gleichgewicht wieder zu finden. Es war nicht leicht. Sie hatten eine zehn Jahre alte Tochter, meine Güte, und er zitterte wie ein unerfahrener Junge. Bei dem Gedanken an die kommende Nacht lächelte er. Wie er Pippa liebte! „Komm, lass uns den Mond anschauen", forderte er sie auf, weil er nicht mehr warten konnte. Er nahm Pippa bei der Hand und zog sie durch die geöffnete Terrassentür hinaus in den Garten. Er atmete ihren leichten Duft ein, und das Mondlicht spielte auf ihren bloßen Schultern. Er konnte der Verlockung, sie zu berühren, nicht widerstehen. Seine Lippen folgten seinen Fingern, mit denen er Muster auf ihre nackte Haut zeichnete. „Luke ..." Ihr Protest klang wenig überzeugend, was sie ärgerte. „Süße Pippa", flüsterte er. „Küss mich, Liebste." Er zog sie in die Arme und drückte sie leidenschaftlich an sich. Und Pippa versteifte sich. Sie konnte nicht anders. „Was ist?" murmelte Luke gegen ihre Lippen. „Küss mich." „Luke, lass mich los!" Er tat es, aber nur ein wenig. „Liebling, was ist? Du bist den ganzen Abend schon so komisch." „Wirklich?" „Ja. Und dabei habe ich geglaubt, dass zwischen uns wieder alles perfekt wäre." „Zwischen uns ist es noch nie perfekt gewesen, Luke", entgegnete sie leicht gereizt. Er hörte es und fühlte sich beunruhigt, auch wenn er nicht begriff, warum. „Wie meinst du das? Ist es vor all den Jahren denn nicht perfekt gewesen?" „Vielleicht für dich, aber mir wurde das Herz gebrochen." Luke runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht." Dass er es nicht verstand, machte Pippa zornig. Auf einmal war das, was lange vergangen schien, wieder lebendig. „Ich meine ... ich meine ... Nun, ich denke, ich meine all die Dinge, die du mir heute auf dem Flughafen gesagt hast. Wir hätten unsere Beziehung aus der Entfernung nicht aufrecht halten können, hast du gesagt. Und wir haben es nicht tun können, weil du es so gewollt hast. Und auf einmal hast du dich anders entschieden, und statt dass ich das tue, was ich vorgehabt habe, lande ich hier." Sie sah ihm an, dass er aus ihrem Gestammel nicht schlau wurde, und das brachte sie nur noch mehr auf. „Aber, Liebling", sagte er, „du hättest mich nicht einfach so verlassen dürfen." „Du hast mich verlassen!" Es war ein Aufschrei. Luke starrte Pippa an, als ob sie in einer fremden Sprache ge redet hätte. „Doch nur, weil du es zugelassen hast", antwortete er schließlich. „Was sagst du da? Ich hätte es zugelassen? Du wolltest es!" „Ein Wort hätte genügt, und ich wäre geblieben. Ach was, ich wollte bleiben. Wenn du nur fünf Minuten länger vor meinem Abflug auf mich gewartet hättest, dann hättest du mich aufhalten können. Ich bin schon im Flugzeug gewesen, und dann bin ich noch einmal zurückgelaufen, bis zur Sperre, ich war sicher, dass du noch da seist. Und wenn du da gewesen wärst, wäre ich geblieben. Aber nicht du. Du bist sofort abgehauen, noch bevor ich die Gangway herunterging. Aus den Augen, aus dem Sinn ... So war es doch?" Pippa starrte ihn entgeistert an. Das konnte doch nicht wahr sein. Schon
weil, wenn es wahr wäre, es unerträglich sein würde. „Nein", stieß sie hervor. „Ich glaube dir nicht." „Hey, du kannst mich nicht Lügner nennen! Tatsache ist, dass ich zurücklief und du nicht mehr da warst." „Das stimmt, ich bin gleich gegangen", murmelte Pippa und atmete schwer. „Und weißt du, warum? Weil du es mir klarge macht hast, dass du nur eine kurze Zeit in England bleiben würdest. Von Anfang an bist du zu mir ehrlich gewesen. Du hast alle Vorkehrungen getroffen, damit ich mich ja nicht beschweren könnte, weil du so verdammt, verdammt ehrlich gewesen bist!" Luke hatte Pippa noch nie vorher fluchen hören, und es schockierte ihn dermaßen, dass er sie nur völlig verblüfft anstarren konnte. „Also habe ich mich nicht beschwert. Ich tat alles, wie du es haben wolltest, wie jeder es immer tut. Ich lächelte und sagte dir nicht, dass mein Herz brechen würde, wenn ich dich verlieren würde. Und warum habe ich es dir nicht gesagt? Weil du so froh gewesen bist, fortzugehen." „Ich bin nicht..." „Halt den Mund! Lass mich dieses eine Mal dir sagen, wie ich fühle. Ich will nichts vortäuschen, auch wenn du die Wahrheit nicht vertragen kannst. Ich habe zu lange damit verbracht, dich nach deinen Bedingungen zu lieben, ohne etwas zurück zu erwarten, und ich habe es satt. Du wolltest keine Bindungen, also habe ich darauf geachtet, dass es keine gibt, was dir nur sehr ent gegenkam. Und was ist dabei für mich herausgesprungen? Die alleinige Erziehung unseres Kindes in einer Pension voller fremder Leute!" Luke hatte das Gefühl, die Welt breche für ihn zusammen. Doch irgendwie war ihm das gleichgültig. Was ihn nicht gleichgültig ließ, war der Schmerz, der aus Pippas zornigen Worten he rausklang. Und es war seine Schuld! Pippa atmete schwer, als ob sie eine Rennstrecke zurückgelegt hätte, und die Worte schienen ihr ausgegangen zu sein. Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, versuchte zu verbergen, dass sie von Tränen feucht waren. Ihre Lippen zitterten, aber Luke sah, wie hart sie schluckte, um ihre Gefühle mit aller Macht zu verdrängen. „Oh, vergiss es", murmelte sie müde. „Nein, ich denke, du solltest alles sagen. Ich nehme an, dass es einiges gibt, was du mir seit Jahren hast sagen wollen." „Ja, es gab einiges, was ich dir habe sagen wollen, aber es ist vergangen. Und es ändert die Sache nicht mehr." „Sprich's aus", beharrte Luke. „Du bist dabei stehen geblieben, dass alle willenlos das taten, was ich von ihnen verlangte." „Stimmt das etwa nicht? Du bist ein Egoist und unreif dazu, und du hast genug Charme, dass man es dir nachsieht. Also weißt du nichts vom wahren Leben. Du hast dich um deine Tochter gekümmert, das stimmt - per E-Mail. Du weißt nicht, wie es ist, vierundzwanzig Stunden am Tag für ein Kind da zu sein. Die Nacht aufzubleiben und neben dem Bettchen zu hocken, weil es Fieber hat. Niemals mit Freunden ausgehen zu können, weil dein Kind dich nötig hat. Davon weißt du nichts." „Zumindest bekomme ich einen Geschmack davon", bemerkte Luke trocken. „Ich habe nie davon gesprochen, das stimmt. Vielleicht hätte ich es tun sollen." „Also, warum hast du es nicht getan?" „Weil ich jung war und dumm und so sehr in dich verliebt, dass es schmerzte. Ich sehnte mich danach, dich zu heiraten, aber ich wusste, dass nur eine Andeutung davon dich weggejagt hätte. Ich habe es nicht einmal gewagt, dich zu Franks und Ellys Hochzeit einzuladen, weil ich Angst hatte, dich zu verlieren,
und weil ich zu unerfahren war, mich zu fragen, ob du all dies wert wärst." „Danke", sagte er, jetzt wirklich gereizt. „Jeder, der Bedingungen stellt, um für sich ja das Beste heraus zuholen, ist die Tränen nicht wert, die man um ihn weint. Und ich hätte mir eine Menge Tränen ersparen können, wenn ich dass so klar gesehen hätte." Luke seufzte verzweifelt. „Ich wünschte bloß, ich wusste, wie es zu dem hier gekommen ist. Vor nur wenigen Minuten war alles so wunderbar gelaufen, dass ..." „Für mich nicht. Für mich ist es nicht wunderbar gelaufen. Ich hab es mir nur eingeredet, weil es so hübsch war, sich romantisch zu geben und es zu genießen, verwöhnt zu werden. Und das hast du ja getan." „Aber ich dachte, dass du ..." „Du denkst immer, was du denken willst. In den elf Jahren ist dir kein, einziges Mal der Gedanke gekommen, mich und deine Tochter in England zu besuchen." „Du hättest mich einladen können." Luke sah ihrem Gesicht an, wie ungehalten sie war, und machte schnell einen Rückzieher. „Nein, nein, vergiss, was ich da gesagt habe." „Ja, ich will es vergessen, genauso wie du mich vergessen hast ... bis jetzt, wo du dich wieder an mich erinnert hast und von mir erwartest, dass ich dir in die Arme sinke. Aber das Leben hat mich geformt. Ich habe ein Kind, dem ich helfen muss, erwachsen zu werden, und dabei bin ich selbst erwachsen geworden." „Pippa, bitte, können wir darüber nicht ruhig sprechen?" „Ich will darüber nicht ruhig sprechen. Ich möchte es hinausschreien, weil du vielleicht dann verstehst, was du getan hast. Ich konnte damit zurechtkommen, dass du dich nicht weiter um mich gekümmert hast. Aber ich kann dir nicht vergeben, dass du Josie nicht beachtet hast, dass du geglaubt hast, du könntest aus der Entfernung ein guter Vater sein, indem du ihr EMails schickst und Geschenke machst, die jemand anderer für dich ausgesucht hat. Oh, verflixt, du hast wirklich geglaubt, dass dies alles genügen würde! Ich hätte Josie nicht hierher gebracht, wenn es für mich nicht fast zu spät wäre. Und wenn du nur ein halbwegs anständiger Vater gewesen wärst, hätte ich es nicht tun müssen." Seine Augen blitzten - das einzige Anzeichen, dass Luke kurz davor war aufzubrausen. „Ich soll wohl dankbar sein, dass du mir all das jetzt vorgeworfen hast", entgegnete er rau. „Ich habe mir etwas vorgemacht. Es tut mir Leid. Ich weiß, dass ich in der Vergangenheit falsch gehandelt habe, aber ich habe geglaubt, dass du mir die Gelegenheit gibst, es wieder gutzumachen." „Es ist zu spät dafür", rief Pippa. „Jahre zu spät! Scher dich zum Teufel, Luke! Ich wünschte, ich wäre dir nie begegnet!"
10. KAPITEL
Pippa lag in ihrem Bett und hätte am liebsten vor Trauer und Enttäuschung geweint. Warum hatte sie sich in ihrem Zorn so gehen lassen und das kaputtgemacht, was hätte schön werden können? Sie hätte nur ruhig bleiben müssen. Aber wann war ihr das jemals gelungen? Es war so perfekt gewesen. Luke hatte seine Arme geöffnet und sein Herz. Und sie hatte ihn wüst beschimpft. Und nachdem sie es zum Bruch hatte kommen lassen, war sie aus dem Haus gestürmt. Sie war im Mondlicht herumgewandert und erst nach einer Stunde ins Haus zurückgekehrt. In einem der Fenster im unteren Stockwerk war das Licht an, und sie konnte Luke sehen, wie er in den Garten hinausschaute und auf ihre Rückkehr wartete. Sie hatte die Terrassentür genommen, damit er mitbekam, dass sie in Sicherheit war. Dann war sie die Treppe hinauf geeilt in ihr Zimmer. Luke war ihr nicht gefolgt. Sie fand keinen Schlaf, also verließ sie das Bett und ging zum Fenster mit dem Blick auf den Pool. Wie einladend das Wasser in dem silbernen Mondlicht glitzerte. Wie kühl es sich auf ihrer fieberheißen Haut anfühlen würde! Sie zog ihr Nachthemd aus und einen Frotteemantel über. Dann schlich sie auf Zehenspitzen auf den Korridor, blieb kurz vor der gegenüberliegenden Tür stehen. Luke schnarchte nicht, aber sie meinte ein gedämpftes Brummen zu hören. Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit. Luke machte Geräusche im Schlaf. Leise schloss Pippa die Tür wieder und ging die Treppe hinunter. Am Pool überlegte sie kurz, schaute prüfend zum Haus hinüber, ob einer zufällig um Mitternacht am Fenster stand. Die Fenster waren alle dunkel, und keiner war da, um sie zu beobachten. Sie zog den Frotteemantel aus, warf ihn zur Seite und glitt nackt ins Wasser. Sie fühlte sich plötzlich wunderbar gelöst und frei. Sie tauchte unter, kam hoch, drehte sich auf den Rücken, dann auf den Bauch und wieder auf den Rücken und kostete die Kühle gegen ihre Haut aus und das Gefühl von Frieden. Luke setzte sich abrupt im Bett auf. Im Unterbewusstsein hatte er mitbekommen, wie eine Tür sich schloss. Er stand auf und ging auf den Korridor hinaus. Aber da war niemand. Er blieb stehen, lauschte. Doch das einzige Geräusch war das sanfte Rascheln der sich in der Brise blähenden Gardinen vor den hohen Fenstern und ein leises Planschen vom Pool her. Vom Pool? Er schob die Gardine vom Fenster zum Pool hin ein wenig zur Seite und beobachtete erstaunt die Szene, die sich ihm bot. Eine Nixe bewegte sich so anmutig und lustvoll im Pool wie ein Fisch im Wasser. Im nächsten Augenblick war er, mit einem Handtuch um die Hüfte geschlungen, unten. Pippa schwamm im Schmetterlingsstil und bekam nicht mit, wie Luke sich auf das Sprungbrett stellte und das Handtuch fallen ließ. Das leichte Quietschen des Sprungbretts erschreckte sie, und sie rollte sich auf den Rücken genau in dem Moment, als Luke, nackt wie sie, durch die Luft flog. Die glitzernde Wasseroberfläche brach in tausend winzige Fontänen, als er mit einem Kopfsprung ins Wasser schoss und in der Tiefe verschwand. An der Bewegung des Wassers merkte Pippa, dass Luke ihr nahe war. Und als er mit dem Kopf wieder auftauchte, schwamm sie schnell davon. Er kam ihr hinterher, holte sie ein, aber er berührte sie nicht und sagte auch nichts, sondern blieb an ihrer Seite. Plötzlich tauchte Pippa. Einen Moment lang hatte er den hinreißenden
Anblick ihrer runden nackten Kehrseite, bevor sie aus seiner Sicht verschwand. Er tauchte, und Pippa und er schwammen im tiefen Wasser Seite an Seite. Pippa konnte es kaum glauben, dass sie krank war. Seit langem hatte sie sich nicht so stark und gut gefühlt. An der Poolkante stießen sie sich wie auf ein Zeichen ab, schwammen auf dem Rücken und fanden in ihren Bewegungen eine Harmonie, die ihnen sonst fehlte. Im seichten Teil des Wassers standen sie voreinander, und Luke nahm Pippas Hand und sah ihr ins Gesicht. Sie blickte ihn offen an. Sie hatten das Ende der verwirrenden Reise erreicht. Was nun? „Komm zu mir zurück", flüsterte er. „Bitte, komm zurück." Pippa sagte nichts, aber sie legte den Kopf an seine Schulter. „Lass uns ins Haus gehen", bat er. „Du erkältest dich sonst." Er holte aus dem Badezimmer frische Handtücher. Pippa saß auf dem Bettrand, als er in ihr Zimmer kam. Er hockte sich vor sie auf den Boden, um ihr die Füße zu trocknen. „Möchtest du weg von hier?" fragte er leise. „Nein." „Bist du sicher? Ich fahre dich sonst nach Hause und lasse dich in Ruhe. Es war falsch, was ich getan habe. Du hast Recht mit allem, was du gesagt hast, aber ich dachte, ich könnte es wieder gutmachen. Doch das war wohl ein Fehler." „Luke, hör auf." Sie legte die Fingerspitzen sanft auf seine n Mund. Er fasste nach ihrer Hand, drehte sie herum und strich mit den Lippen über die Innenfläche. „Es tut mir Leid", flüsterte er. „Ich habe meinen Traum verwirklicht, aber du hast nicht die Gelegenheit gehabt, deinem Traum nachzugehen, weil ich dich mit all der Last zurückgelassen habe." Er küsste erneut ihre Hand und ließ sie nicht los. „Hast du es wirklich so gemeint?" fragte er mit leiser Stimme. „Dass du dir wünschst, mir niemals begegnet zu sein?" „Nein, ich habe es nicht so gemeint." „Natürlich nic ht, schon wegen Josie." „Nein, nicht allein wegen Josie. Ich möchte nicht das verlieren, was wir zusammen gehabt haben. Es war - sehr schön." „Es war das Schönste, was mir jemals passiert ist. Und als ich herausfand, dass ich mich wieder in dich verliebt habe, oder dich noch immer geliebt habe vielleicht auch ein bisschen von beidem -, glaubte ich ..." Luke schüttelte den Kopf. „Verdammt, ich habe keine Probleme, die richtigen Worte zu finden, wenn sie mir nicht viel bedeuten." Er sah zu ihr hoch. „Bei dir fehlen sie mir." Pippa strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn und blickte liebevoll auf ihn herunter. „Stimmt das auch, was du mir erzählt hast?" fragte sie. „Dass du bis zur Sperre noch einmal zurückgekommen bist?" „Ja. Ich wollte es nicht glauben, dass du mich wirklich fortlassen würdest, aber das hast du getan. Also ging ich ins Flugzeug zurück." „Ich war zu stolz, um zu bleiben", gestand sie ihm. Sie sahen einander in die Augen. „Wir hätten zusammenbleiben können", flüsterte sie mit kaum hörbarer Stimme. „Wenn ich nur ein wenig länger gewartet hätte. Wenn ich meinen Stolz nicht vor alles andere gestellt hätte, hätten wir all die Jahre zusammenbleiben können." Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte. „Liebling, bitte nicht." Luke kam aus der Hocke hoch, setzte. sich neben Pippa aufs Bett und nahm sie in die Arme. „Weine nicht, bitte. Es ist niemals gut, zurückzuschauen." „Aber all die vergeudeten Jahre! Ich kann es nicht ertragen, daran zu denken. Wir hätten während dieser Zeit zusammen sein können." Sie klammerte sich an ihn und schluchzte verzweifelt.
„Pippa ... Pippa, bitte! Schau mich an, Liebste. Wein nicht ... bitte, wein nicht!" Luke fühlte in seinem Herzen einen ungewöhnlichen Schmerz wegen der verlorenen Jahre, und Pippas Schmerz machte seinen nur noch größer. Er küsste sie auf die tränenfeuchten Wangen, versuchte Pippa zu trösten. Er wollte sie wieder glücklich haben, weil nur dann für ihn wieder alles in Ordnung sein konnte. Und auf einmal küsste er sie auf den Mund, und es war ein warmer und sanfter Kuss. Pippa legte die Arme um ihn. Der alte Zauber nahm sie wieder gefangen, und sie gab sich ihm hin, genoss das süße Gefühl, das sie ergriff. Sie war wieder in Lukes Armen, da, wo sie hingehörte. Er zog ihr den leichten Frotteemantel aus und nahm das Handtuch ab, das er sich um die Taille geschlungen hatte, als er Pippa ins Haus folgte. Sie waren nackt, und er berührte sie fast scheu. Sein Selbstbewusstsein schien erschüttert worden zu sein. Er benahm sich so zögernd, als ob er sich erst vergewissern wollte, ob Pippa auch einverstanden war. Pippa war wie er verunsichert. Sie sahen einander mit so viel Liebe an und berührten einander mit einer solchen Zärtlichkeit, dass schließlich jeder Zweifel wich. „Sag mir, dass du mich willst", flüsterte er. „Ich muss es hören." „Ich habe nie aufgehört, mich nach dir zu sehnen." „Aber jetzt - in diesem Moment?" „Jetzt - und immer." Als sie miteinander verschmolzen, merkte Pippa, wie ein tiefer Friede sie überkam, so als ob von jetzt ab alles gut werden würde. Sie hatte dorthin zurückgefunden, wohin sie gehörte. Und es war der allerschönste Ort auf Erden, ein Ort, wo die Stürme sich beruhigten und nur Freude blieb. Und Luke fand schnell zu der instinktsicheren Fähigkeit zurück, Pippa genau das zu geben, was sie brauchte. Er liebte sie, als ob sie etwas Kostbares wäre, etwas Zerbrechliches, dem er Schaden zufügen könnte. Als sie hinterher dicht aneinander geschmiegt lagen, flüsterte er: „Es hat niemanden außer dir gegeben." Und weil gewisse Erinnerungen ihn überfielen, fügte er hastig hinzu: „Auch wenn es unglaubhaft klingt." Pippa lächelte. „Es ist schon gut. Ich weiß, was du meinst." Und sie wusste es wirklich. Wie es jetzt zwischen ihnen war, war es früher nie gewesen. Damals hatten sie sich so intensiv und heißblütig geliebt, dass sie völlig erschöpft waren. Diese klaren, echten, starken Empfindungen hatte es damals nicht gegeben. „Ich habe nachgedacht", murmelte er nach einer Weile. „Womöglich ist es gut gewesen, dass du vor der Sperre nicht auf mich gewartet hast. Wir waren Kindsköpfe. Wenn wir da geheiratet hätten, wer weiß, ob es gut gegangen wäre. Ich hätte dich nicht verlassen, aber ich wäre ein schlechter Ehemann gewesen, und du hättest mich irgendwann satt gehabt und ganz sicher rausgeworfen. Wir haben jetzt immer noch Jahre und Jahre vor uns." „Jahre und Jahre", wiederholte Pippa sehnsüchtig. „Oh, Luke, ich hoffe es so sehr." „Natürlich haben wir noch viele Jahre für uns. Wir werden unsere goldene Hochzeit erleben, und dann schau ich zurück und erinnere dich an heute Nacht." Er grinste. „Josie wird dann sechzig sein und ihre Enkelkinder verwöhnen. Kannst du dir das vorstellen? Und ich werde über achtzig sein, und du wirst mich immer noch zurechtstupsen, damit ich nicht auf die schiefe Bahn gerate. Doch so lange ich dich habe, Pippa, werde ich tugendhaft bleiben. Nur ..." er zog sie enger in die Arme, und zum ersten Mal hörte sie einen Anklang von Furcht aus seiner Stimme heraus, „nur musst du da sein, an meiner Seite. Ich habe bereits ein Leben ohne
dich ertragen müssen, ich könnte es nicht wieder ertragen." „Sei still", flüsterte Pippa. „Sag so etwas nicht." „Ich weiß, dass ich Unsinn rede. Ich kann es nur nicht glauben, dass mir eine zweite Chance geschenkt wurde." Für eine ganze Weile fuhr er fort, mit leiser Stimme Pippa zu schildern, wie er sich die Zukunft mit ihr zusammen vorstellte. Die Minuten zogen dahin, und Pippa lag dicht an seinen warmen Körper geschmiegt. Dann, plötzlich, fiel ihm etwas ein. „Hey, jetzt weiß ich wieder, was ich dich frage n wollte. Als du wütend auf mich warst, hast du gesagt ... Was war es noch? Oh, ja ... ,Wenn es für mich nicht fast zu spät wäre.' Was hast du damit gemeint? Liebling? Pippa?" Aber sie war eingeschlafen. Drei Tage wurden zu einem langen perfekten Tag, bis es an der Zeit war, abzureisen. Ein letztes Schwimmen im Pool, ein letztes wunderbar zubereitetes Essen von Sonia, die Verabschiedung von den Dienstboten, die alles überwacht hatten und ihren Teil dazu beigetragen hatten, dass das Liebespaar ungestört blieb. Luke fand Pippa am Pool. Sie saß am Rand und starrte ins Wasser. „Bereit zum Aufbruch?" fragte er sanft. Sie schüttelte den Kopf. „Ich werde nie bereit sein, von hier wegzugehen", antwortete sie wehmütig. „Wir sind so glücklich gewesen." „Ja, weil wir uns wieder gefunden haben." „Ja, und weil es uns gelungen ist, die Welt auszuschließen. Es ist unwirklich hier, wie im Traum. Wenn wir von hier fort sind ..." „Es wird nicht verschwinden. Wir haben unsere eigene Wirklichkeit, und die bleibt bei uns. Wir brauchen keinen Ort, wir brauchen nur uns. Von jetzt ab werden wir immer glücklich sein." „Immer", wisperte sie. „Ich frage mich nur, was .immer' für uns bedeuten wird." „Es bedeutet, dass wir zusammen alt und grau werden und dass wir uns immer lieben werden, egal was geschehen mag." „Und dass wir einander vergeben?" „Wenn das bedeutet, dass du mir vergeben hast, dann ja. Denn du könntest nie etwas tun, was ich vergeben müsste. Ich weiß, dass alles an dir gut und wahr ist." „Luke, da ist etwas, was ich ..." „Psst." Er küsste sie. „Lass die unnötigen Worte. Ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben, bis zum Ende der Zeit. Sag mir, dass du genauso fühlst." „Das weißt du." „Ich möchte, dass du es mir sagst. Ich möchte, dass du es mir oft sagst. Sag es mir, Liebling." „Ich liebe dich, Luke." „Bis zum Ende der Zeit?" „Ja", antwortete Pippa heiser. „Bis zum Ende der Zeit - wann immer das ist." Er strich ihr zärtlich eine Locke aus der Stirn. „Wie seltsam du es sagst, Liebling." Auf einmal klammerte Pippa sich an ihn. „Oh, Luke ... Luke..." „Liebling, was ist?" „Halte mich. Lass mich nicht weg!" In ihr schrie es. Lass mich nicht weg an einen dunklen Ort, wo ich ohne dich sein muss. Ich bin noch nicht bereit... „Ich werde dich nicht von mir lassen", versprach er. Sie blickte ihm prüfend ins Gesicht. „Luke, du liebst mich doch wirklich, nicht
wahr? Du wirst mich lieben, ganz gleich, was geschieht?" „Nichts könnte geschehen, um mich davon abzubringen. Absolut nichts." Sie fuhren am späten Nachmittag zurück nach Manhattan Beach. Pippa schlug vor, Josie erst am nächsten Morgen abzuho len. Sie hatte vor, Luke am Abend einiges zu erklären. Die ganze Fahrt über grübelte sie, wie sie ihm schonend beibringen sollte, dass sie sich in wenigen Tagen einer Operation unterziehen würde, die sie retten würde oder auch nicht. Sollte die Operation erfolgreich sein, würden sie eine gemeinsame Zukunft haben. Wenn nicht... Eine Sekunde lang war die Wand aus schwarzem Eis wieder da, die den Weg versperrte. Pippa legte die Hand über die Auge n, wollte es nicht sehen. Sie hatte Liebe gefunden und Lebensmut. Wie konnte man ihr das wegnehmen? Sie erreichten Lukes Haus bei Sonnenuntergang. „Gerade noch rechtzeitig, um ins Meer zu tauchen", schwärmte Luke. „Einverstanden." Sie würde es ihm beim Abendessen sagen. So wie alles silbern erschien in der Mondnacht, in der sie im Pool geschwommen waren, so erschien jetzt alles tief golden. Der Strand leerte sich schnell, die Flut ging zurück, und außer ihnen gab es nur Meer und Himmel. „Es ist, als ob wir die Welt ganz für uns haben", bemerkte Luke. „Wenn wir es nur so erhalten könnten." Pippa seufzte. „Nur noch mit Josie. Sonst mit niemand." „Das werden wir. Wir schaffen uns unseren eigenen Platz. Ich mache es wieder gut für dich, Pippa. Du wirst die glücklichste Frau weit und breit sein. Was ist?" „Nichts", antwortete sie schnell. „Du bist richtig zusammengefahren. Was habe ich gesagt?" „Das bildest du dir nur ein. Gehen wir jetzt ins Haus?" Sie schlenderten Hand in Hand quer über den Strand. Dann blieb Luke stehen und betrachtete sie liebevoll. „Du bist schön", flüsterte er. „Du bist immer schön gewesen, aber nicht so wie jetzt, mein Liebstes." „Mein Liebstes", wiederholte sie weich. „Mein Liebster, oh, mein Liebster." „Mein Liebstes, das bist du mir immer gewesen." Er zog sie an sich. „Darling, auf dem Strandweg sind Leute." „Macht nichts. Hier in Südkalifornien sind wir alle ein wenig verrückt. Küss mich, Pippa. Wir müssen so viel nachholen." Mit den Lippen auf ihrem Mund fasste er nach ihrer Hand und ging so langsam mit ihr zum Strandweg. Einige wenige Spaziergänger, die die Abendstimmung am Pazifik genossen, traten lachend zur Seite und ließen die beiden durch. Die Sonne wurde blutrot, sank immer tiefer hinter den Horizont und tauchte das Liebespaar in ihren goldenen Schein. Es war wie ein Versprechen auf eine goldene Zukunft. Sie lösten die Lippen auch nicht voneinander, als sie den Gartenweg zum Haus hinaufgingen. Erst als sie die Eingangstür erreicht hatten, ließ Luke sie los. „Schnell", sagte er, „la ss uns hereingehen, damit ich dir zeigen kann, wie verrucht ich bin." „Mhm!" Pippa war so hingerissen von Luke, dass sie die zwei Gestalten nicht bemerkte, die neben der Tür standen. Und erst, als sie ganz nahe dran war, erkannte sie, dass es Frank und Elly waren - ihr Onkel und seine Frau aus London. Der Ausdruck ihrer Gesichter war wie versteinert.
11. KAPITEL „Frank, Elly", flüsterte Pippa. „Wie ... wie nett euch zu sehen." „Wir haben uns um dich Sorgen gemacht", erklärte Elly und legte die Arme um Pippa. „Darling, wir müssen miteinander reden." „Später", murmelte Pippa schnell. „Lass uns zuerst ins Haus gehen." Luke öffnete die Tür, und als sie alle drinnen waren, wandte er sich lächelnd Frank und Elly zu. Sie hatten nicht gerade den günstigsten Moment erwischt, um hier hereinzuschneien, und sie gehörten auch nicht gerade zu den von ihm bevorzugten Menschen. Aber er war, wie er später mit einiger Bitterkeit sagen würde, glücklich genug, um den Teufel selbst zu begrüßen. „Wir kennen uns schon", erklärte er und schüttelte Franks lasche Hand. „Ich bin auf Ihrer Hochzeit gewesen. Elly ..." Er umarmte sie kurz. „Sie sehen beide aus, als ob es Ihnen gut ginge." „Wir sehen alle aus, als ob es uns gut ginge", fiel Pippa hastig ein. „In meinem ganzen Leben habe ic h mich nicht so gut gefühlt. Gebt es schon zu, ihr beide. Habe ich mich nicht aus einem blassen Londoner Geschöpf vorteilhaft verwandelt?" Sie sprach hektisch und mit einer unnatürlich hohen Stimme, aber sie musste die beiden irgendwie darauf hinweisen, dass das Thema gefährlich sei. „Du hast Farbe bekommen", gab Frank widerwillig zu. „Sie sieht wunderbar aus!" rief Luke ungehalten. Er drückte einen KUSS auf ihre Wange. „Liebling, mach uns Kaffee, während ich ... ich mich rasch umziehe." Er war im Nu aus der Küche. „Darling, bist du uns böse?" fragte Elly, sobald er gegangen war. „Aber wie kannst du hier bleiben und den Termin der Operation ...?" „Ich werde rechtzeitig zurück sein. Ich muss erst Anfang nächs ter Woche im Krankenhaus sein." „Du solltest dich zuerst ausruhen!" Frank schrie es fast. „Frank, bitte! Du weißt, warum ich hierher kommen musste." „Ja, ich weiß", sagte er bitter. „Wegen irgendeines albernen Einfalls, dass Josie ihren Vater treffen soll, der seit ihrer Geburt kein Interesse für sie gezeigt hat." „Das ist nicht wahr! Er hat für sie gesorgt." „Aber er hat sich nicht die Mühe gemacht, nach London zu kommen, um sie zu sehen. Sonst hättest du es auch nicht nötig ge habt, diese Wahnsinnsreise zu unternehmen und dein Leben zu riskieren." „Was haben Sie da eben gesagt?" Sie drehten sich alle Luke zu, der in der Tür stand. Er trug Jeans, das war alles. Sein Oberkörper und seine Füße waren bloß. Und er blickte bestürzt drein. Oh, lieber Himmel, auch das noch! dachte Pippa. Nicht so. Das habe ich nic ht gewollt, dass er es so erfährt. „Was haben Sie soeben gesagt?" wiederholte Luke seine Frage an Frank. Sein Gesicht war blass geworden. „Ich habe gesagt, dass Pippa sehr krank ist - todkrank. Und dass sie sich nicht auf eine solch lange Reise hätte mache n dürfen." „Das stimmt nicht", wehrte Pippa ab. „Der Arzt sagte, dass ich eine gute Chance habe." „Er hat gesagt, dass du eine gute bis mittelmäßige Chance hast, wenn du dich sofort operieren lässt und nicht so etwas Dummes unternimmst", stieß Frank wütend hervor. „Er hat nicht damit gerechnet, dass du einen langen Flug über den Atlantik und wieder zurück unternimmst. Weißt du, wie gefährlich das
ist?" Pippa hörte ihm kaum zu. Sie sah Luke an. Er blickte verwirrt drein, so als ob er die Worte hörte, aber ihre Bedeutung nicht erfasste. „Pippa?" fragte er ruhig. „Wovon redet dieser übergeschnappte Mann?" „Frank ist nicht übergeschnappt, Luke. Er übertreibt nur reichlich. Mir ging es in letzter Zeit nicht so gut..."
„Ja, du hast mir erzählt von dem leichten Asthma."
„Asthma, dass ich nicht lache!" fuhr Frank auf. „Sie leidet unter einer Mitralstenose. Sie wissen, was das ist, nicht wahr, Danton? Es ist ein Defekt der Mitralklappe, in Pippas Fall ein angeborener. Und er ist tödlich. Ihre Mutter ist daran gestorben. Und sie wird daran sterben." Lukes Blick war fragend auf Pippa gerichtet. „Ja", flüsterte sie verzweifelt. „Es ist wahr." „Aber ... ich verstehe nicht. Du kannst nicht krank sein. Ich habe dich jeden Tag gesehen, und du bist in Ordnung gewesen." „Dann hat sie Ihnen vorgemacht, dass sie in Ordnung ist", rief Frank höhnend dazwischen. „Ich kann mir gut vorstellen, dass es leicht ist, Ihnen etwas vorzumachen, wenn nur Ihr angenehmes Leben nicht gestört wird." „Bitte, Frank", flehte Pippa. „Sei fair." „Ich soll fair sein? Es ihm leicht machen, so wie du es immer getan hast? In all den Jahren hast du es ihm erlaubt, unter leichten Bedingungen Vater zu sein, weil dies die einzigen Bedingungen sind, an denen er interessiert ist, stimmt es etwa nicht?" „Frank, halt den Mund!" protestierte jetzt Elly. „Josie könnte es mithören." „Josie ist bei meinen Eltern", erklärte Luke. „Wie bequem!" rief Frank verächtlich. „Sie einfach abzuschieben, weil es Ihnen in den Kram passte." „Wie meinen Sie das?" forderte Luke. „Sie wissen, was ich meine. Und dann ... ich habe die Website gesehen. Ihr eigenes Kind dafür zu benutzen, um sich selbst herauszustellen. Wie kannst du so etwas nur zulassen?" Frank blickte Pippa böse an. „Josie wollte es, Frank. Es hat sie glücklich gemacht." „Du gibst einem Kind nicht etwas, was ihm schadet, nur weil es das haben will. Josie braucht Erwachsene, die sie beschützen und nicht ausnutzen." „Wenn es mir nicht um Pippa ginge, würde ich Ihnen einen Schlag verpassen für das, was sie da gerade gesagt haben", drohte Luke mit harter Stimme. „Ich liebe meine Tochter." „Ihre Tochter!" höhnte Frank. „Was für ein Vater sind Sie ihr gewesen? Sicher, Sie haben pünktlich Geld geschickt für das Mädchen, aber das war leicht. Doch wann haben Sie schon mal etwas getan, das nicht leicht für Sie gewesen ist?" „Ich will mich nicht länger mit Ihnen streiten. Ich habe es Ihnen bereits gesagt, ich liebe meine Tochter. Und ich liebe Pippa. Wir werden heiraten. Die Vergangenheit ist vergangen. Und wenn Pippa und Josie mir vergeben können, dann zählt nur das für mich. Was andere denken, ist mir gleichgültig." Frank verlor völlig die Beherrschung. „Sie Idiot!" schrie er. „Verstehen Sie immer noch nicht, dass sie sterben wird? Wenn Sie Pippa vor all den Jahren anständig behandelt hätten, dann hätte sie dieses irrsinnige Risiko nicht eingehen müssen, um Sie aufzusuchen.“ „Frank ..." Pippa und Elly wollten ihn zum Schweigen bringen, aber er war nicht zu bremsen. „Die Operation ist ihre letzte Chance", schrie er, „und nur eine kleine. Was wird dann all ihr feines Gerede wert sein, wenn sie tot ist?" Pippa sah es Luke deutlich an, dass er bis zu diesem Moment nicht ganz
begriffen hatte, wie es um sie stand. Sein Gesicht schien starr zu werden.
„Frank, das ist genug. Ich denke, du solltest jetzt gehen."
„Ich gehe, wenn du mitkommst."
„Ich komme, wenn ich dazu bereit bin. Bitte, Frank, du hättest das nicht tun dürfen. Sag mir nur, wo ich euch erreichen kann." „Im Airport Hotel", antwortete Elly und zog ihren Mann mit sich fort. Pippa konnte es kaum ertragen, Luke so niedergeschmettert zu sehen. „Ich wollte es dir heute Abend erzählen." „Oder morgen? Oder übermorgen?" „Ja, ich habe es hinausgeschoben. Aber heute Abend hättest du es erfahren, weil ich nach London zurückfliegen muss. Oh, Luke, es tut mir so Leid für dich, dass du es auf diese Weise erfahren musstest." Sie berührte ihn. Er zitterte. „Ich kann es nicht begreifen", flüsterte er schließlich. „Wie lange weißt du schon davon?" „Wenige Wochen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Plötzlich gab es so vieles, worüber ich nachdenken musste, und das alles auf einmal." „Du hättest mich sofort anrufen sollen. Ich hätte nach England kommen können." „Wärst du gekommen?" fragte sie wehmütig. „Natürlich wäre ich gekommen. Wenn ich sofort gekommen wäre, hätte ich dir vielleicht dabei helfen können, mit all den Dingen fertig zu werden." Er sah Pippa kühl an. „Aber der Gedanke ist dir nicht gekommen, dich an mich zu wenden, nicht wahr?" „Nein", gab sie zu. „Na ja, ich kann mir dafür nur selbst die Schuld geben", sagte Luke bitter. „Du musst es nicht aussprechen." „Das wollte ich auch nicht." Tränen standen in seinen Augen. Er schlug mit der Faust auf den Frühstückstresen, dann zog er Pippa in die Arme und hielt sie fest an sich gedrückt. „Verdammt noch mal", weinte er. „Pippa, Pippa!" „Es wird alles gut werden", flüsterte sie und umarmte ihn. „Es muss gut werden. Wir können jetzt nicht einander verlieren." „Wirklich nicht?" fragte er heiser. „Frank schien so sicher." „Frank ist ein altes Weib, und er ist in Panik." Sie klammerten sich aneinander. „Ich komme über das eine nicht hinweg, Pippa. Die ganze Zeit, die wir jetzt zusammen waren, hast du ein Geheimnis bei dir behalten. Wie konntest du nur? Und warum bist du so plötzlich hier aufgetaucht?" „Weil ich wusste, dass ich vielleicht nicht mehr lange leben würde, und ich wollte sicher sein, dass du Josie kennen lernst, solange es möglich war. Frank und Elly - sie sind beide gute Leute, Luke - wurden ihr wie Eltern. Sie sind freundlich und verlässlich, und Josie braucht das. Aber ich wollte, dass sie dich kennen lernt. Ich wollte, dass du sie liebst, damit die Verbindung zwischen euch beiden nie abreißt." Er ließ Pippa los, musterte sie seltsam, so als ob er herausfinden wollte, wer sie wirklich war. „Ja, ich verstehe", murmelte er rau. „Wie mir scheint, verstehst du gar nichts. Für dich bin ich die Schuldige." „Du hast mich getäuscht. Hast mich leben lassen in einem Wolkenkuckucksheim." Er lachte freudlos auf. „Ich bin wirklich ein Idiot gewesen. Hast mich an Märchen glauben lassen, dass es eine zweite Chance für uns gibt. Du hättest ehrlich zu mir sein sollen." „Wann? Und wie? Am Tag, als ich angekommen bin vielleicht? Als du mich
benutzt hast, um Dominique zu vertreiben?" Pippa blickte ihm wütend ins Gesicht. „Und was genau hätte ich dir sagen sollen, Luke? Dass ich vielleicht sterbe? Hättest du mich dann in die Arme genommen? Hättest du mich geliebt? Wie mir scheint, wirfst du mir vor, dass ich dich davon nicht abgehalten habe. Ich hätte dich warnen sollen, ist es nicht so? Du bist ja groß darin, dich vor echten Gefühlen zu schützen. Nur ja niemand an dich zu sehr heranlassen, das ist deine Lebensregel. Großzügiger, großherziger Luke mit einem Lächeln für jeden und einem Herz für niemand." „Das habe ich nicht gemeint", rief er verärgert. „Ich denke, doch. Ich denke, dass du es gern gewusst hättest, damit du mir nur so viel gibst und kein bisschen mehr." Luke wurde blass. „Ich kann nicht glauben, dass du das gesagt hast", flüsterte er. Entsetzt starrten sie einander an. Ein Abgrund hatte sich, zwischen ihnen aufgetan. Sie wollten beide sprechen, wollten sich wieder vertragen. Aber die Sekunden vergingen, und sie schwiegen. „Ich denke, ich gehe noch ein bisschen nach draußen", murmelte er schließlich. „Ich muss nachdenken." „Wie du möchtest", erwiderte Pippa apathisch. Sie blickte nicht hoch, als die Tür sich schloss, und im nächsten Moment hörte sie seinen Wagen davonfahren. Luke wollte nur eine Stunde wegbleiben, aber als er auf dem Freeway war, schien er in eine Art Trance zu verfallen, wo es nichts zu geben schien als den Verkehrsstrom, der aus der Unendlichkeit kam und in die Unendlichkeit führte. Er war kalt vor Schock, hatte schreckliche Angst und war völlig desorientiert. Ein Fremder in einer fremden Welt. Er verlor das Zeitgefühl. Die Dunkelheit wandelte sich in Morgengrauen, und er fuhr noch immer. Er hielt, um zu tanken, und kehrte zum Wagen zurück wie ein Geist. Als er endlich vor einem Motel hielt, musste er die Hände vom Lenkrad lösen, einen Finger nach dem anderen. Er schlief nur zwei Stunden und trat die lange Rückreise beim ersten Sonnenstrahl an. Er fuhr so schnell, wie er es wagen konnte. Es war später Nachmittag, als er schließlich sein Haus erreichte. Noch bevor er die Hintertür öffnete, konnte er einen Schatten drinnen sehen, und er atmete erleichtert auf. „Pippa!" Doch es war nicht Pippa. „Sie ist weg, Luke", berichtete Claudia. „Sie ist noch gestern Abend nach England zurückgeflogen. Ich bin hergekommen, weil sie mich angerufen hat, um mir zu erzählen, was vorgefallen war." „Und du hast sie fortgelassen?" „Ich habe sie nicht aufhalten können. Es war ihre Entscheidung. Und nach allem, was ich gehört habe, sollte sie die Operation nicht zu lange hinauszögern." Luke setzte sich schwer auf den Hocker vor dem Frühstückstresen, schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte auf. „Oh, Luke!" Claudia war ziemlich erschüttert. Diese Seite hatte sie an ihm nicht vermutet. Nach einer Weile richtete er sich wieder auf. „Was mir wirklich wehtut, ist, dass sie mich ausgeschlossen hat. Die ganze Zeit lässt sie mich im Glauben, dass alles in Ordnung sei, und dabei hat sie die Bürde allein getragen. Ich hätte ihr nur zu gern geholfen, wäre so gern für sie da gewesen, wenn sie sich schlecht gefühlt hatte. Aber offensichtlich glaubt sie nicht, dass ich dazu fähig
bin. Ich bin gut genug für einen Urlaubsflirt, aber nicht dafür, wenn die Dinge ernst werden. Das stimmt doch, oder?" wollte er wissen. „Ich weiß es nicht", antwortete Claudia. „Nur Pippa könnte es dir beantworten." „Ich versuchte, ihr das deutlich zu machen, aber sie dachte nur, dass ich wütend bin, weil sie mich nicht gewarnt hat und ich mich deshalb nicht zurückhalten konnte, sie zu lieben." „Und? Liebst du sie?" „Ja. Ich liebe Pippa. Ich habe sie immer geliebt." „Und - hast du es ihr gesagt?" „Ja ... nein ... Ich denke, ja." „Du denkst, ja? Weißt du, Luke, Liebe hat nichts anderes für dich bedeutet, als in Ketten gelegt zu werden." „Ich bin ein totaler Idiot gewesen, nicht wahr?" „Ja", antwortete Claudia einfach. Nachdem Claudia sich verabschiedet hatte, ging Luke in sein Schlafzimmer hinauf, um zu duschen und sich umzuziehen. Was er als Erstes sah, war ein Umschlag auf seinem Kissen. Auf dem Umschlag stand sein Name, unverkennbar in Pippas Schrift. Er war noch nie zuvor ein Feigling gewesen, aber diesmal wollte er alles tun, nur nicht den Brief lesen mit der Mitteilung, dass es nun endgültig Schluss sei. Noch während er das dachte, öffnete er den Umschlag und zog mit zitternden Händen das Blatt heraus.
Mein Liebster, Du hast Recht gehabt, ich hätte es Dir gleich zu Anfang sagen sollen. Aber ich habe ja nicht erwartet, dass das zwischen uns geschieht. Ich habe fest geglaubt, dass es zwischen uns aus sei. Meine Hauptsorge hat immer Josie gegolten. Sie liebt Dich, und ich möchte, dass Du ein Teil ihres Lebens bist, ob ich da bin oder nicht. Ich habe Frank als ihren Vormund ernannt, doch ich werde mir von ihm das Versprechen geben lassen, dass Du Josie sehen kannst, wann immer Du willst. Vergiss nur nie, dass sie Elly und Frank auch liebt, und wenn Du Dich gegen Frank stellst, machst Du sie nur unglücklich. Armes kleines Ding, sie wird genug zu bewältigen haben. Leb wohl, mein Liebster. Sollten wir uns nicht wieder sehen, dann versuch, die unfreundlichen Worte, die ich Dir gesagt habe, zu vergessen. Ich habe sie nicht so gemeint. Ich habe Dich immer geliebt, so wie Du warst und bist. Und ich werde es immer tun. Pippa.
Weil Los Angeles acht Stunden hinter London zurück liegt, flog Luke der Zeit voraus. Und nach nur zwei Stunden völliger Dunkelheit sah er den ersten Schimmer der Morgendämmerung. Er fragte sich schon, ob der Flug wohl niemals ein Ende nehmen würde. Schließlich landeten sie. Es war früher Nachmittag. Mit nur einem Gepäckstück war er schnell durch die Sperre. Heathrow hatte sich geändert, seit er vor elf Jahren London und Pippa verlassen hatte. Er konnte die Stelle, wo er Pippa das letzte Mal in den Armen gehalten hatte, nicht mehr finden. Blind und dumm! Blind und dumm! Er wechselte Geld, fand ein Taxi und drückte dem verdutzten Chauffeur mehrere Geldscheine in die Hand. „Fahren Sie schnell!" wies er ihn an.
Sogar dann schien ihm die Zwanzig- Meilen-Fahrt eine Ewigkeit zu dauern, ehe sie in die alte vertraute Einbahnstraße einbogen und vor der Pension hielten. Auch das Haus sah anders aus. Er öffnete die Glastür. Eine junge stämmige Frau in Jeans kam die Treppe hinunter und lächelte ihm zu. „Pippa ..." begann Luke angespannt. „Wo ist sie?" „Im Krankenhaus", antwortete die junge Frau. „Gleich nachdem sie aus Amerika zurückkam, hat man sie dorthin gebracht. Es ging ihr sehr schlecht." Eine kalte Hand schien nach seinem Herzen zu greifen. „Ihre Operation ... hat sie die bereits gehabt?" „Nein. Man hat sie zuerst stabilisiert. Die Operation wurde auf heute Nachmittag angesetzt, glaube ich." „Wo?" „Im Matthews-Krankenhaus. Es liegt..." „Ich weiß, wo es liegt. Danke." Luke war bereits aus der Tür und fing an zu rennen. Vielleicht war noch Zeit genug, um Pippa zu sehen, bevor sie in den Operationssaal gebracht wurde. Weil wenn nicht... Weil wenn nicht, könnte sie sterben, ohne zu erfahren, wie sehr er sie liebte. Und das würde er sich nie vergeben können.
12. KAPITEL Beim Empfang im Krankenhaus gab Luke Pippas Namen an. „Im achten Stock", gab die Frau Auskunft. „Aber ich weise Sie darauf hin, wie ich die anderen darauf hingewiesen habe, dass Sie nicht ins Krankenzimmer dürfen." „Die anderen?" „Mrs. Davies scheint eine Menge Freunde zu haben." Die Fahrt im Lift aufwärts war lang genug, um sich klarzumachen, dass er absolut nicht wusste, was auf ihn zukam. Josie hatte auch nichts gewusst, aber man hatte ihr in der Zwischenzeit zweifellos die volle Wahrheit gesagt. Und er fragte sich, ob seine Tochter ihren Vater jetzt hasste. Was ihn anging, so könnte er es ertragen, er hatte ja nichts anderes verdient. Aber wenn er überlegte, was es Josie antun könnte, so wurde ihm das Herz schwer. Sobald er aus dem Lift trat, stellte er fest, dass die Frau am Empfang nicht übertrieben hatte. Junge Leute drängten sich im Korridor. Unter ihnen waren auch Frank und Elly und... „Josie!" „Daddy!" Das Mädchen jubelte auf und rannte den Korridor hinunter direkt in Lukes ausgestreckte Arme. „Ich wusste, dass du kommst", rief sie verzweifelt. „Onkel Frank hat gesagt, dass du nicht kommen wirst. Er hat gesagt, dass du schlimm zu Mommy gewesen bist, dass sie deinetwegen noch kränker wurde und dass du sie nie richtig geliebt hast und ..." Lukes Blick begegnete Franks Blick über Josies Kopf hinweg. „Sie haben eine Menge gesagt." Lukes Stimme klang eisig. „Dazu haben Sie kein Recht gehabt." „Und Sie haben kein Recht, hier zu sein", konterte Frank. „Wie können Sie es wagen, hier hereinzuplatzen und das Kind aufzuregen?" „Ich schätze, dass es Josie mehr aufgeregt hätte, wenn ich nicht gekommen wäre." „Sie haben hier nichts zu suchen. Wenn Pippa Sie gewollt hätte, dann wäre sie bei Ihnen geblieben." „Darüber reden wir ein anderes Mal." Luke warf ihm einen warnenden Blick zu. „Im Moment möchte ich gern wissen, wie es ihr geht." Elly war zu ihnen gestoßen. „Pippa wird operiert. Der Eingriff ist kompliziert und dauert lange. Aber sie werden vermutlich bald fertig sein." Die jungen Leute kamen einer nach dem anderen zu ihnen und stellten sich vor. Sie gehörten zu den derzeitigen Bewohnern der Pension. Luke nahm die Namen Harry, Jake, Davina auf, aber für mehr reichte seine Aufmerksamkeit nicht. Sie betrachteten ihn ohne Missbilligung, aber mit großer Neugier. Josie hielt sich an Lukes Hand fest und wäre um nichts in der Welt von seiner Seite gewichen. „Daddy, warum ist Mommy so plötzlich abgeflogen? Bist du wirklich schlimm zu Mommy gewesen?" „Sagen Sie es ihr, wenn Sie es wagen!" höhnte Frank. „Genau das werde ich. Ja, Kleines, Mommy und ich hatten Streit, und es war meine Schuld." Ein Zittern überlief ihn. „Es war alles meine Schuld. Ich bin gekommen, um ihr zu sagen, dass es mir sehr Leid tut." „Aber warum? Was hast du getan?" „Als ich herausfand, dass sie krank ist, konnte ich es nicht fassen, dass sie sich mir nicht anvertraut hatte. Das hab ich ihr vorgeworfen." Josies Augen füllten sich mit Tränen. „Das habe ich auch getan. Oh, Daddy, ich wurde sehr böse auf sie im Flugzeug. Ich wollte es nicht, aber ich konnte mir nicht helfen. Und als wir landeten, ist sie zusammengebrochen, und es ist alles
meine Schuld." Sie schluchzte. Luke nahm sie in die Arme. „Es ist nicht deine Schuld, mein Liebling. Es ist allein meine Schuld. Sie hätte uns beide aufklären sollen, aber, weißt du, deine Mommy ist eine sehr starke Frau. Sie neigt dazu, alle Last auf ihre Schultern zu laden, damit die anderen glücklich sein können." Seine Stimme brach, und er musste schlucken. „Und dann findet man heraus, wie sehr sie litt, und man fühlt sich verletzt, dass sie sich nicht mitgeteilt hat. Wir müssen es verstehen - wir beide -, dass sie uns vor Kummer und Sorge bewahren wollte." Luke konnte nicht weitersprechen. Er versuchte, seine Verzweiflung vor dem Kind zu verbergen, aber es gelang ihm nicht, und so zog er Josie dicht an sich und drückte sie, und Josie klammerte sich an ihn. So standen sie, Vater und Tochter, und gaben sich ganz dem Kummer um den Menschen hin, den sie am meisten liebten. Niemand wusste, wie viele Stunden vergangen waren, bevor die Schwingtüren am Ende des Korridors sich öffneten und ein Bett durchgerollt wurde. Es wurde begleitet von einem Arzt in OP-Kleidung und zwei Krankenschwestern, die einen Tropf hielten, an den die Frau, die im Bett lag, angeschlossen war. Sie standen alle angespannt auf und schauten der kleinen Prozession zu, die in einem der Zimmer auf der gegenüberliegenden Seite verschwanden. Luke erhaschte einen knappen Blick auf Pippas Gesicht und fühlte, wie seine Tochter nach seiner Hand griff. Dann trat der Arzt zu ihnen. „Sie ist nicht so kräftig, wie ich es gern hätte, aber sie hält durch. Die nächsten Stunden werden entscheidend sein." „Wird sie am Leben bleiben?" fragte Frank. „Ganz sicher können Sie zumindest das sagen." Der Arzt zögerte. „Es ist zu früh, um irgendwelche Prognosen zu stellen." „Ich will meine Mommy sehen", forderte Josie. „In wenigen Minuten", versprach der Arzt. „Sobald sie versorgt ist. Nur du und noch eine Person - vielleicht von der Fa..." „Ich bin mit ihr am nächsten verwandt", stieß Frank zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Sie ist nicht verheiratet." Luke zuckte zusammen, aber er erhob keinen Einspruch, weil er sich an Pippas Worte „Wenn du dich gegen Frank stellst, machst du Josie unglücklich" erinnerte. „Daddy ..." Josie zog an seiner Hand, aber er schüttelte den Kopf. „Ich warte", murmelte er. „Nein", mischte Elly sich ein. „Pippa wird Sie sehen wollen." Sie legte sanft die Hand auf den Arm ihres Mannes und brachte ihn davon ab, zu protestieren. Hand in Hand betraten Vater und Tochter Pippas Krankenzimmer, und Luke hätte nicht sagen können, wer von ihne n beiden sich mehr an den anderen klammerte. Pippas Anblick erschreckte ihn zutiefst. Sie lag wie tot, still und mit geschlossenen Augen, ihr Gesicht hatte die Farbe von Pergament. Zu beiden Seiten befand sich je ein Tropf, an den Pippa angeschlossen war. Es war ein beängstigender Anblick. Wie jedes Wesen, das hauptsächlich durch die Sinne lebte, schreckte Luke vor Krankheit zurück. Aber jetzt konnte er nur denken, wie klein und zerbrechlich Pippa aussah und wie gern er sie in die Arme nehmen würde, um sie zu beschützen. Doch das war unmöglich. „Dürfen wir sie berühren?" fragte er schließlich. „Lieber nicht", riet ihm eine der Krankenschwestern. „Wie steht es um sie?" „Ihre Farbe ist annehmbar gut, und sie ist stabil. Das ist für den Moment alles, was wir sagen können. Es wäre wohl besser, wenn Sie jetzt gingen."
Zurück auf dem Korridor wiederholte Luke die Worte der Schwester. Er richtete sie an alle, aber er sprach hauptsächlich zu Frank mit bewusst gedämpfter Stimme, um nicht auf die offene Feindschaft in dessen Gesicht zu reagieren. Sie setzten sich und richteten sich auf ein langes Warten ein. Irgendjemand ging zur Cafeteria, um Kaffee und Sandwichs zu holen. Schweigen trat ein. Es wurde dunkel. Und nach endlosen Stunden durfte Josie wieder in Pippas Zimmer. „Daddy ..." „Nimm deinen Onkel Frank mit, Liebling", sagte Luke. „Er liebt sie auch." Nur mit Mühe brachte er die Worte heraus, und nur die Überzeugung, dass Pippa es so gewollt hätte, machte es ihm möglich. Frank warf ihm einen misstrauischen Blick zu, ehe er Josie folgte. „Das war sehr nett von Ihnen", bemerkte Elly. „Es ist Pippas..." Er konnte nicht weitersprechen, aber auf einmal bemerkte er, wie freundlich Ellys Augen auf ihn gerichtet waren. Und er fragte sich, warum er es nicht schon früher bemerkt hatte. Er fühlte sich beschämt, weil er sich so oft über sie lustig gemacht hatte. Impulsiv zog er Pippas Brief hervor. „Sie hätte nichts dagegen, wenn ich Ihnen dies zeige." Er wies mit dem Finger auf die letzten Zeilen, wo Pippa geschrieben hatte: Josie liebt Dich, aber sie liebt auch Frank und Elly, und wenn Du Dich gegen Frank stellst, machst Du sie nur unglücklich. „Danke", flüsterte Elly und reichte ihm den Brief zurück. „Ich werde versuchen, dass Frank es versteht." Josie kam wieder heraus und sagte zu Luke: „Mommy ist noch immer so, wie sie war." „Kein Zeichen, dass sie wach wird?" „Nein. Die sagen, dass sie heute Abend nicht wach wird, weil man ihr so starke Beruhigungsmittel gegeben hat." „Man rät uns, nach Hause zu gehen und erst morgen früh wiederzukommen", sagte Frank. „Das ist ein guter Gedanke", fand Jake. „Während der nächsten Stunden geschieht nichts. Harry wird hier blieben für alle Fälle, und er wird uns anrufen, wenn es nötig ist. Wir können in wenigen Minuten zurück sein. Das Haus liegt praktisch um die Ecke." Er blickte Luke an. „Frank und Elly haben sich ein Zimmer in der Pension genommen. Wo bleiben Sie?" „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht." „Kommen Sie mit uns." „Danke, aber ich werde mich nicht von hier wegrühren", entgegnete Luke entschieden. Frank legte den Arm um Josies Schultern. „Komm, Kind", sagte er. Aber Josie schüttelte den Kopf. „Ich will hier bei Daddy bleiben." „Es ist sehr spät, und du solltest im Bett sein", beharrte Frank. Josies Augen füllten sich mit Tränen, und sie sah Luke flehend an. Bitte, Luke, kämpf nicht um sie. Er wusste nicht, woher die Stimme gekommen war. Er hätte fast schwören können, dass er sie tatsächlich gehört hatte. Aber vielleicht war es nur ein Widerhall in seinem Herzen gewesen. „Wenn ich es mir noch einmal überlege, dann möchte ich doch in der Pension übernachten", meinte er. Er wandte sich Frank und Elly zu. „Ich glaube, es täte uns allen gut, wenn wir zusammenblieben." Am nächsten Morgen waren sie alle wieder im Korridor versammelt, obwohl die
Pensionsmieter wohl wussten, dass sie zu Pippa nicht hereingelassen werden würden. Sie waren ihre Freunde, und sie machten sich Sorgen um sie. Luke versuchte, sich vorzustellen, wer das für ihn tun würde. Seine Familie, natürlich, und Cla udia, sonst keiner. Das große Warten fing aufs Neue an. Die Stunden krochen dahin. Die Ärzte hatten damit begonnen, die Betäubungsmittel zu reduzieren, damit sie das Bewusstsein wiedererlangen konnte. Aber es schlug fehl, was die Ärzte, wie Luke erkennen konnte, mehr besorgt machte, als sie zuzugeben bereit waren. Frank wirkte, als ob er am Ende seiner Kräfte sei. Luke hatte Mitleid mit ihm und fühlte, wie die alte Feindschaft wich. Das Warten wurde zur Tortur. Warum kam niemand, um ihnen Nachricht zu geben? Was hielt man vor ihnen zurück? Endlich öffnete sich die Tür, und der Arzt winkte Josie und Luke heran und ließ sie in das Zimmer treten. „Sie fängt an, sich zu bewegen", teilte er ihnen mit. Sie gingen schnell zum Bett, und Luke stellte sich auf die eine Seite und Josie auf die andere. Pippa regte sich, murmelte Unverständliches. Und dann öffnete sie die Augen und schaute Josie an. „Hallo, Mommy", sagte das Kind froh. „Hallo, mein Liebling." Pippa schaffte es, den Arm wenige Zentimeter zu bewegen, und Josie wusste, dass es eine Einladung war. Sie legte das Gesicht mit der Wange darauf. Luke gab kein Zeichen, dass auch er da war, sondern wartete, bis er dran war. Und schließlich war der Moment da. Josie sagte: „Mommy, guck mal!" und wies auf ihn. Pippa drehte den Kopf ein wenig zur Seite. Langsam sank Luke auf die Knie neben dem Bett, damit Pippa ihn leichter sehen konnte. „Hast du gezweifelt, dass ich kommen würde, Liebes?" fragte er zärtlich. Sie lächelte schwach. „Das hab ich." Ihr fielen die Augen wieder zu. „Pippa!" rief er in Panik. „Sie sollte jetzt wieder ruhen", meldete sich der Arzt und drängte ihn und Josie aus dem Zimmer. Als sie draußen waren, zog Luke den Arzt zur Seite und fragte ihn mit leiser Stimme: „Wie viel bedeutet es wirklich, dass sie wieder zu sich kam?" „Zumindest hilft es", antwortete der Arzt nach einem kurzen Überlegen. „Aber es ist noch kein schlüssiger Beweis." „Wollen Sie damit sagen, dass sie noch immer sterben könnte?" „Ja, das will ich damit sagen. Es ist gut, dass sie das Bewusstsein wiedererlangt hat, die Anzeichen sind jedoch nicht so gut, wie ich gehofft habe." „Ich möchte sie wieder sehen, jetzt gleich. Nur für einen kur zen Moment." Der Arzt war drauf und dran, ihm die Bitte abzuschlagen. Aber etwas in Lukes Augen hielt ihn davon ab. „Zwei Minuten", gestand er ihm zu. Luke näherte sich erneut dem Bett. Es erschreckte ihn, wie bleich Pippa war. Die Farbe des Todes, ging es ihm durch den Kopf. Er verlor sie. „Pippa", begann er eindringlich. „Hör mir zu. Ich muss dich etwas Wichtiges fragen." Sie öffnete die Augen und sah ihn an. „Willst du mich heiraten?" „Frag mich noch mal ..." flüsterte sie mit kaum hörbarer Stimme, „... wenn ich hier heraus bin." „Nein, ich meine jetzt, heute." „Oh, ja, natürlich ... Josie ..." „Nein", unterbrach Luke sie verzweifelt. Er wollte, dass sie verstand. „Du glaubst, dass ich nur einen rechtlichen Anspruch auf sie haben will, aber das ist es nicht. Es geht hier nicht um Josie, es geht um uns. Wir hätten schon vor Jahren heiraten sollen, und wenn ..." er konnte es fast nicht aussprechen,
„... wenn ich dich verlieren sollte, möchte ich wissen, dass du meine Frau gewesen bist. Nicht nur meine Freundin oder die Mutter meines Kindes, sondern meine Frau. Bitte, Liebes, heirate mich jetzt. Es würde mir so viel bedeuten." „Würde es das ... wirklich?" „Mehr als alles andere in der Welt", flüsterte er mit erstickter Stimme. „Aber wäre das denn möglich?" „Überlass es mir." Er sah sie liebevoll an und freute sich unendlich, als ihre Augen schimmerten. „Lass mich nur machen, ich bin gleich wieder zurück." „Und Luke?" „Ja, Liebste?" „Rede mit Harry." Es klang sehr schwach. „Er studiert Jura." „Wenn Sie glauben, dass ich das erlauben werde, dann sind Sie nicht recht bei Sinnen", rief Frank, als er von Lukes Heiratsplänen hörte. „Ich werde mit der Leitung des Krankenhauses reden, damit man Sie hinauswirft." „Frank!" Elly umfasste seinen Arm. „Wenn es das ist, was Pippa will, wie kannst du dich dagegen stellen? Vielleicht ist es ihr letzter Wunsch." Frank kämpfte sichtlich gegen die Tränen an. „Tut, was ihr wollt", stieß er heiser hervor und wandte sich ab. Harry kümmerte sich um die Genehmigung, und wegen der besonderen Umstände gelang es ihm, sie innerhalb einer Stunde zu bekommen. Jake, ein anderer von Pippas Freunden, schaffte seinen Onkel herbei, der Pfarrer war. Josie saß neben Pippa und hielt ihre Hand, als Luke zurückkam. „Wie geht es ihr?" flüsterte er. „Manchmal schlägt sie die Augen auf und ist wach, aber sie schläft gleich wieder ein, Daddy. Mommy sagte, dass sie dich heiraten wird." „Ja, wir heiraten." Josies Gesicht hellte sich auf. „Wann?" „Heute, sobald wir mit den Formalitäten durch sind." Sie strahlte. „Darf ich Brautjungfer sein?" „Liebling, wir heiraten hier, nicht in einer Kirche." „Aber Mommy braucht trotzdem eine Brautjungfer, weil sie eine Braut ist." „Da magst du Recht haben." Josie verließ das Zimmer, und Luke nahm ihren Platz neben Pippa ein. Ihre Augen waren geschlossen. „Du wirst meine Frau sein", versprach er, „was du schon seit Jahren hä ttest sein sollen. Wenn es dir wieder gut geht, wiederholen wir es mit allem Brimborium. Du wirst das schönste Hochzeitskleid bekommen, das wir finden können, aber du wirst niemals schöner für mich aussehen als in dieser Minute." Pippa öffnete die Augen und lächelte schwach. Wie viel sie gehört hatte, wusste er jedoch nicht. Einer nach dem ändern von ihren Freunden und Bewohnern ihrer Pension kam herein. Jakes Onkel, der Pfarrer, erschien, und Frank und Elly waren da. Sie wirkten beide unglücklich. „Wo ist Josie?" fragte Elly. Luke blickte erschrocken in die Runde. „Vor einem Augenblick war sie noch hier." In diesem Moment schlüpfte Josie ins Zimmer mit zwei kleinen Blumensträußen. „Unten beim Eingang gibt es einen Blumenladen", erklärte sie. „Hier, Mommy." Sanft nahm sie die Hände ihrer Mutter, die blutleer auf der Bettdecke lagen, und schloss die Finger um den größeren Strauß. „Danke, mein Liebling." „Sind wir bereit?" fragte der Pfarrer. „Wenn Sie damit einverstanden sind,
würde ich gern die altmodische Zeremonie vornehmen." „Wir sind einverstanden", antwortete Luke für sich und Pippa. Dann fühlte er eine schwache Bewegung gegen seine Hand, und als er herunterblickte, bemerkte er, dass Pippa mit ihrer Hand seine zu fassen suchte. Der Pfarrer räusperte sich. „Innig Geliebte, wir sind hier zusammengekommen ..." Alles andere rauschte an Luke vorbei. Er hörte kein Wort mehr. Er beobachtete Pippas Gesicht, sah, wie ihre Augen auf ihn gerichtet waren mit einem so frohen Staunen, dass ihm das Herz zerspringen wollte. Trotz allem, was geschehen war, liebte sie ihn so sehr, dass dieser Moment sie glücklich machen konnte. „Wer übergibt diese Frau zur Ehe mit diesem Mann?" fragte der Pfarrer. Ein betretenes Schweigen trat ein. Keiner hatte daran gedacht. Einige blickten auf Harry, andere auf Jake. Aber bevor einer der beiden auch nur ein Wort sagen konnte, erklang eine Stimme von hinten. „Ich!" Alle drehten sich zu Frank um, der nach vorn kam, blass, aber entschlossen. „Ich tue es", wiederholte er, nahm Pippas Hand und hielt sie Luke hin. Pippas Augen leuchteten. „Danke, Frank." Luke beugte den Kopf als Zeichen der Dankbarkeit und wusste, dass Pippa die Geste verstand. Dann wurde ihm klar, dass der Pfarrer ihn fragte, ob er diese Frau zur Ehefrau nehmen wolle. Er fühlte sich wie in einer anderen Welt, als er sein Ja gab und Pippa das ihre. Dann kam der Moment, vor dem Luke sich gefürchtet hatte, weil er nicht sicher war, ob er ihn durchstehen könnte, ohne in Tränen auszubrechen. „Ich, Luke, nehme dich, Phillippa, zu meine r angetrauten Frau, will bei dir bleiben in guten und schlechten Tagen. Ich will dich ehren und lieben, bis dass der Tod uns scheidet." Seine Stimme zitterte bei den Worten, aber ihre Hand in seiner gab ihm Kraft. Nun war Pippa an der Reihe. „Ich, Phillippa, nehme dich, Luke, zu meinem angetrauten Mann, will bei dir bleiben in guten und schlechten Tagen. Ich will dich lieben und ehren, bis dass der Tod uns scheidet." Als der Pfarrer Luke nach dem Ring fragte, blickte er ihn verstört an. In der Aufregung hatte er diesen Teil vergessen. Elly zog ihren Ring schnell vom Finger und brachte ihn Luke. Nach einem kurzen Zögern steckte Luke den Ring an Pippas Finger. „Mit diesem Ring erkläre ich ..." Und Pippa war seine Ehefrau. Luke sah auf sie herunter, hoffte, ihrem Blick zu begegnen, aber Pippa war wieder in Bewusstlosigkeit versunken. „Ich möchte von jetzt ab immer hier bei ihr bleiben", teilte Luke dem Arzt mit. „Ich werde meine Frau nicht stören, das verspreche ich Ihnen." „In Ordnung. Womöglich tut es ihr gut, vor allem, wenn sie zu ihr sprechen." „Wird sie es hören?" „Das ist schwer zu sagen. Aber sie wird es zweifellos im Unterbewusstsein aufnehmen." Und das Warten begann. Nur er und Josie blieben im Zimmer. Die Nacht verging. Sie sprachen oft zu Pippa, lehnten sich über sie und küssten sie. Und nichts geschah. „Dad, es ist so, als ob sie gar nicht weiß, dass wir hier sind." „Natürlich weiß sie das, Liebling." Er strich mit dem Finger zärtlich über Pippas Gesicht. „Du weißt doch, dass wir hier sind, Pippa, und du weißt auch, was wir sagen, vor allem, wenn wir dir sagen, dass wir dich lieben."
„Aber wie bekommt sie das alles mit, Daddy?" „Ich weiß es nicht. Es ist unerklärlich, genau wie die Liebe, die auch unerklärlich ist. Deine Mommy weiß, wie sehr wir sie lieben. Sie kann diese Liebe fühlen, wo immer sie jetzt sein mag. Und das macht sie stark, so dass sie wieder fähig sein wird, den Weg zu uns zurückzufinden." „Aber wo ist sie jetzt?" Josie sah ihn an. In ihren Augen spiegelte sich ihr Vertrauen wider, dass ihr Daddy stark und weise war und immer auf sie aufpassen würde. „Ich weiß nicht genau, wo sie ist", antwortete er vorsichtig. „Ich weiß aber, dass es ein Ort ist, wo sie sein muss, bis es ihr wieder gut genug geht, um wach zu werden. Dann können wir uns um sie kümmern - du und ich. Und du wirst schon sehen, dass sie ..." Seine Stimme brach. „Ja, Daddy", sagte Josie sanft und nahm seine Hand. Die Stunden vergingen, und Pippa lag immer noch völlig still. Josie hatte sich am Fußende quer über das Bett gelegt und weinte vor Kummer, aber auch vor Erschöpfung. Luke bat eine Schwester um eine Schlafgelegenheit für seine Tochter, doch Josie lehnte es ab. Sie nahm die Hand ihrer Mutter und küsste sie. „Mommy", flehte sie, „Daddy sagt, dass du wieder zu uns zurückkommst, wenn es dir besser geht." „Josie ..." Luke wollte sie vom Bett nehmen. „Du musst..." „Daddy!" schrie sie aufgeregt. „Sie hat meine Hand gedrückt." Er nahm Pippas andere Hand und fühlte den leichten Druck von Pippas Fingern. „Daddy, sie öffnet die Augen!" „Pippa? Pippa!" „Luke ... du bist die ganze Zeit hier gewesen?" „Die ganze Zeit", antwortete er mit heiserer Stimme. Er machte einen Schritt zurück, um Mutter und Tochter allein zu lassen. Und er wollte auch unbeobachtet bleiben, weil Tränen ihm die Wangen herunterliefen. Josie erzählte ihrer Mutter gleich, wie sehr sie beide auf sie gewartet hatten, und Luke kniete sich wieder neben die Bettseite. „Hast du uns gehört, Mommy?" fragte Josie schließlich. „Ja, Liebling, jedes Wort." „Dann weißt du, wie sehr ich dich liebe, Pippa", flüsterte Luke. Sie lächelte. „Jetzt zweifle ich nicht mehr daran." Josie stand hinter einem der Spiegelglasfenster auf dem Flughafen von Los Angeles und starrte hinaus auf die Flugzeuge, die auf dem Rollfeld standen und in der hellen Aprilsonne glänzten. Sie blickte finster drein, so als ob der Anblick ihr missfiel. Und so war es auch. Denn trotz all dem geschäftigen Herumfuhrwerken dort unten gab es kein Anzeichen von dem Flugzeug, auf das sie wartete. „Ich hasse es, wenn etwas zu spät kommt", sagte sie verärgert. „Nur eine halbe Stunde, Liebling." Pippa musste über das verstimmte Gesicht ihrer Tochter lachen. „Aber Onkel Frank und Tante Elly werden nur zwei Wochen bei uns bleiben, und wir haben schon eine halbe Stunde verloren. " „Keine Sorge, beim Rückflug wird ihr Flug sich ganz bestimmt auch verspäten", besänftigte Luke sie. „Damit wird es ausgeglichen." „Ich gehe jetzt nachfragen", erklärte Josie entschlossen. „Nein, Mommy, du bleibst hier. Du sollst dich noch schonen." „Liebling, ich bin im vierten Monat. Noch kann deine Mommy sich sehr gut bewegen."
„Josie, wir bleiben alle hier und warten auf die Durchsage", bestimmte Luke.
„Ma, wenn es ein Junge ist, können wir ihn dann George nennen?"
„Du willst deinen Bruder nach einem Hund nennen?" fragte Luke entsetzt.
„Er war ein lieber Hund", verteidigte Josie sich trotzig. „Hund bleibt Hund." „Wollt ihr beide Mal still sein?" mischte Pippa sich ein. „Ich will nicht, dass ihr darüber streitet, bis er oder sie geboren ist." „Er", sagte Luke fest. „Ich will einen Jungen." „Daddy, du bist ein Chau... ein ... Mommy, wie heißt das?" Pippa lachte. „Ein Chauvinist." „Das bin ich nicht", entrüstete sich Luke. „Ich habe bereits eine Tochter, und meine Nerven könnten noch so eine nicht ertragen.“ Aber er küsste Josie zärtlich auf den Kopf. „Wann kommt nun endlich das Flugzeug?" quengelte Josie. „Ich gehe jetzt nachfragen." Noch ehe Luke sie aufhalten konnte, war sie weg. Pippa drehte sich zu ihm um, um ihm etwas zu sagen, und fand ihn nachdenklich, was ungewöhnlich war. Nur ein oder zwei Male hatte sie ihn so erlebt. „Was ist, Liebster? Hast du Sorgen wegen der Restaurants?" „Nein, überhaupt nicht, im Gegenteil. Die Profite gehen nach oben. Dein Spinatsalat mit dem Olivenölbrot ist der Hit. Gestern gratulierte mir jemand zu dieser, hervorragenden Kreation. Ich war nahe dran, den Ruhm für mich in Anspruch zu nehmen." Pippa lachte in sich hinein. Sie nahm ihm das sogar ab. „Und Ritchie ist ganz aus dem Häuschen über den Eindruck, den du in der Fernsehshow auf die Zuschauer gemacht hast." „Also, was ist es denn?" „Mir schwebte ein Gedanke vor." „Ein Gedanke? Dir?" neckte sie ihn. „Am besten, du lässt ihn wegschweben. Du wüsstest ja gar nicht, was du damit anfangen solltest." „Du bist so clever, Mrs. Danton. Komisch, wie gut das klingt: ,Mrs. Danton'." „Zurück zu deinem Gedanken. Erzähl mir davon." „Manchmal frage ich mich, ob du mich Josies wegen geheiratet hast." „Wirklich? Nun, es tut dir wahrscheinlich sehr gut, dich das zu fragen." „Ich wusste, dass du so etwas sagen würdest. Und es könnte sogar sein, dass du Recht damit hast. Halte ihn auf Trab. Lass ihn sich quälen, dass er vielleicht
nur der Zweitbeste ist."
„Du vergisst George."
„Nun, der Drittbeste." Luke wartete, dass Pippa das bestreiten würde. „Liebster ..." Sie lachte in sich hinein. „Du musst dir diese Angewohnheit, so etwas Dummes zu denken, wieder abgewöhnen. Du hast keine Übung im Denken, und es bringt dich nur durcheinander." „Also?" „Also was? Wie bist du nur auf die Idee gekommen, dass du der Drittbeste sein könntest?" „Nun, du hast mir nicht gesagt, dass ich es nicht bin", wies er sie hin. „Vielleicht, weil ich kaum zu Wort gekommen bin." „Du wirst es mir also nicht sagen, nicht wahr?" Pippa küsste ihn zärtlich und lächelte. „Wahrscheinlich nicht", antwortete sie. - ENDE