Alban Knecht Lebensqualität produzieren
Alban Knecht
Lebensqualität produzieren Ressourcentheorie und Machtanalyse d...
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Alban Knecht Lebensqualität produzieren
Alban Knecht
Lebensqualität produzieren Ressourcentheorie und Machtanalyse des Wohlfahrtsstaats
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 2009
. 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Tanja Köhler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17636-9
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnisse ........................................................................................................ 9 1 1.1 1.2 2 2.1
2.2
2.3 2.4
2.5
2.6
Einleitung ............................................................................................ 11 Fragestellung und Methode .................................................................. 12 Aufbau.................................................................................................. 12 Messung und Beschreibung von Lebensqualität.............................. 15 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit ....... 16 2.1.1 Das Konzept Lebensqualität................................................... 16 2.1.2 Das Konzept Lebenslage........................................................ 28 2.1.3 Das Konzept Lebensstandard ................................................. 38 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen ..... 41 2.2.1 Sens Kritik am Nutzenkonzept............................................... 41 2.2.2 Sens Kritik am Einkommenskonzept ..................................... 43 2.2.3 Transformationen, functionings und capabilities ................... 47 2.2.4 Operationalisierung und Formalisierung von Sens Theorie ... 56 2.2.5 Sens Konzept des well-being ................................................. 59 2.2.6 Kritik am Ansatz von Sen ...................................................... 66 Vergleich der Ansätze .......................................................................... 70 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit ................................ 74 2.4.1 Lebensqualität: Unterschiede in Mortalität und Morbidität ... 75 2.4.2 Drei Beispiele zur Lebensqualitäts-Analyse .......................... 79 2.4.3 Die Komplexität der Übertragungswege ................................ 92 2.4.4 Transformation, Lebensphasen, Bedeutung der Kindheit ...... 96 2.4.5 Fazit: Die Produktion von Lebensqualität............................ 104 Ableitung eines Modells der Ressourcentransformation .................... 107 2.5.1 Ressourcen und Ressourcentransformation.......................... 107 2.5.2 Eigenschaften von Ressourcen............................................. 112 2.5.3 Formalisierung ..................................................................... 119 Fazit.................................................................................................... 124
6
Inhaltsverzeichnis
3 3.1 3.2 3.3
3.4
3.5
4 4.1 4.2
4.3
Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität ........... 127 Lebensqualität als Ziel staatlichen Handelns...................................... 128 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik ......... 133 3.2.1 Historischer Rückblick: Das Werden des Sozialstaats ......... 133 3.2.2 Claus Offe: Das Kräftemessen in der Gesellschaft .............. 146 Diskurs und Kultur als Rahmenbedingungen ..................................... 156 3.3.1 Der Diskurs zu Wohlfahrt und Lebensqualität..................... 156 3.3.2 Wohlfahrtskultur und Kultur der Lebensqualität ................. 172 3.3.3 Die Subjektivierung von Lebensqualität .............................. 184 Vom Wohlfahrtsregime zum Lebenslaufregime................................. 187 3.4.1 Ländervergleichende Strukturanalyse und Wohlfahrtsregime................................................................. 188 3.4.2 Das Lebenslaufregime.......................................................... 199 Fazit: Rahmenbedingungen der Lebensqualitätsproduktion............... 204 3.5.1 Die drei Zugänge zur Lebensqualitätsproduktion ................ 204 3.5.2 Das Wohlfahrtsdispositiv und die Subjektivierung von Lebensqualität ...................................................................... 208 3.5.3 Sen und die Produktion von Lebensqualität......................... 212 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität ...................... 215 Modell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion ...... 216 4.1.1 Das Mehrebenenmodell........................................................ 217 4.1.2 Systematisierung der Interventionen .................................... 223 Die Interventionen im Detail .............................................................. 229 4.2.1 Die Ressource Geld.............................................................. 229 4.2.2 Die Ressource Gesundheit ................................................... 235 4.2.3 Die Ressource Bildung......................................................... 242 4.2.4 Psychische Ressourcen......................................................... 247 4.2.5 Soziale Ressourcen............................................................... 252 4.2.6 Transformationen verbessern: Fähigkeiten enwickeln ......... 254 4.2.7 Strukturen ändern: Sozial-ökologische Interventionen ........ 257 4.2.8 Fazit...................................................................................... 259 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht ......... 262 4.3.1 Der Aktivierungsstaat........................................................... 263 4.3.2 Der Sozialinvestitionsstaat ................................................... 269 4.3.3 Der pädagogische Früh-Förderstaat ..................................... 274 4.3.4 Die Leitbilder und der Befähigungsstaat – ein Fazit ............ 281
Inhaltsverzeichnis 5 5.1 5.2
7
Zusammenfassung, Ausblicke ......................................................... 285 Zusammenfassung .............................................................................. 285 5.1.1 Überblick.............................................................................. 285 5.1.2 Das Mehrebenenmodell in Kürze......................................... 288 Ausblicke............................................................................................ 289 5.2.1 Anwendungen ...................................................................... 289 5.2.2 Eine Anmerkung zum reduktionistischen Fehlschluss......... 296
Bibliographie ................................................................................................... 299
Verzeichnisse
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5:
Sozialtechnologie der Lebensqualität ......................................... 21 Festlegung einer Unterversorgungsschwelle .............................. 38 Der erweiterte Lebensstandardansatz ......................................... 40 Bruttosozialprodukt und Lebenserwartung bei Geburt............... 60 Unterschiede in der Überlebenswahrscheinlichkeit von Männern nach Ländern............................................................... 62 Abbildung 6: Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens und Verlängerung der Lebenserwartung in der Zeit von 1900–1960 (GB).................... 64 Abbildung 7: Sterblichkeit und Einkommen in Westdeutschland 1985 ........... 76 Abbildung 8: Soziographische Variablen und gesundheitliche Ungleichheit... 95 Abbildung 9: Transformationswege zwischen den sozio-ökonomischen Determinanten der Gesundheit ................................................... 97 Abbildung 10: Verursachungs- und Selektionseffekte ..................................... 102 Abbildung 11: Permanente Ressourcentransformation..................................... 109 Abbildung 12: Transformationsketten .............................................................. 110 Abbildung 13: Schematisierte Bildungsverläufe .............................................. 117 Abbildung 14: Wechselseitige Beziehung der gesellschaftlichen Subsysteme ............................................................................... 147 Abbildung 15: Drei Zugänge der Analyse von Wohlfahrtsstaaten ................... 207 Abbildung 16: Mehrebenenmodell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion........................................................ 218 Abbildung 17: Schichtabhängige Säuglingssterblichkeit in England und Schweden.................................................................................. 241 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Typische Kategorien und Indikatoren des Level-of-LivingAnsatzes........................................................................................... 24 Tabelle 2: Wohlfahrtspositionen......................................................................... 25
10
Verzeichnisse
Tabelle 3: Dimensionen, Indikatoren und Schwellenwerte für Unterversorgung .............................................................................. 33 Tabelle 4: Lebensbereiche und Dimensionen ................................................... 34 Tabelle 5: Das Verfolgen und Erreichen von Zielen ........................................ 51 Tabelle 6: Todesursachen 2004, Deutschland .................................................. 78 Tabelle 7: Subjektive Einschätzung des Gesundheitszustandes in Abhängigkeit von Arbeitslosigkeitserfahrungen bei Männern ........ 83 Tabelle 8: Ausgabenstruktur, Ungleichheit und Lebenserwartung einiger OECD-Länder................................................................................ 189 Tabelle 9: Drei Typen von Wohlfahrtsstaaten ................................................ 195 Tabelle 10: Einkommen- / Umsatzbesteuerung und Wohlfahrtsregime ........... 230 Tabelle 11: Armutsquoten und Armutssicherung in der Europäischen Union .. 234 Tabelle 12: Bildungs-Sozialpolitik vs. nachträglich ausgleichende Sozialpolitik................................................................................... 270
1 Einleitung
Über das Konzept der Lebensqualität des Volkswirts und Philosophen Amartya Sen bin ich erst vor einigen Jahren gestolpert. Nachdem mich die Weltfremdheit vieler volkswirtschaftlichen Modelle schon in meinem Studium beschäftigt hatte, fing mich Sens „neuer“ Ansatz, der mit Begriffen wie Fähigkeiten, Handlungsmöglichkeiten und eben Lebensqualität hantiert, an zu faszinieren. Tatsächlich waren Sens Gedanken gar nicht mehr so neu, sondern gingen auf die Mitte der 80er Jahre zurück. In Deutschland wurde Sen jedoch erst ab Ende der 90er verstärkt rezipiert – und zunächst auch nur innerhalb seiner eigenen Fächer Philosophie und Volkswirtschaft. Ich bekam schon bald den Eindruck, dass der Ansatz von Sen die Chance böte, ökonomische Probleme „näher am Menschen“ und dennoch theoretisch fundiert zu diskutieren, was den Anlass zu dieser Arbeit gab. Eigentlich stellen Lebensqualitätsdissertationen ja ein Paradox dar, da zumindest das Verfassen einer solchen Arbeit meist nur sehr bedingt die Lebensqualität steigert. Für die Soziologie stellt Sens Werk eine Herausforderung – man könnte auch sagen: eine schwerverdauliche Kost – dar. Viele seiner Ausführungen beschäftigen sich mit volkswirtschaftlichen und philosophischen Detailfragen, die sich nur aus der disziplin-geschichtlichen Entwicklung und dem formalen Denken dieser Fächer ergeben. Sen selbst hat sein Betätigungsfeld stark gegen die Soziologie abgegrenzt und macht stets Kurven um sie herum – enge Kurven, die aus soziologischer Sicht erstaunen. Selbst wenn er sich auf einem Terrain bewegt, welches die Soziologie schon lange und mit Erfolg beackert, bleibt er den Denkweisen seiner Disziplinen treu. Sens theoretischer Ansatz stellt dementsprechend nur den Ausgangspunkt dieser Arbeit über die Produktion von Lebensqualität durch den Wohlfahrtsstaat dar. Doch gerade weil seine Themen immer nur ein bisschen und nie so ganz richtig den soziologischen Subdisziplinen zuzuordnen sind, hat dieser Ausgangspunkt mich zu einer Reise quer durch die Soziologie geführt: zur Sozialindikatoren- und Lebensqualitätsforschung, zur Sozialepidemiologie, zur Ungleichheitssoziologie, zur politischen Soziologie, zur Kultursoziologie sowie zur Sozialpolitik und der vergleichenden Wohlfahrtsforschung.
12
1 Einleitung
1.1 Fragestellung und Methode Die Arbeit verfolgt die Frage, wie der Staat Lebensqualität produziert, in drei Schritten. Zuerst wird untersucht, wie Lebensqualität am besten beschrieben werden kann und wie einzelne Menschen Lebensqualität herstellen. Danach wird auf die politischen, kulturellen und institutionellen Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität eingegangen. Im dritten Schritt wird gezeigt, welche Interventionen zugunsten von Lebensqualität (innerhalb dieses Rahmens) vorgenommen werden können und wie man die Wirkungen solcher Interventionen beschreiben kann. Der Versuch den capability approach und den Lebensqualitätsbegriff von Sen mit soziologischen Theorien zu verbinden, brachte mich dabei zur Methode der empirisch informierten Theorieentwicklung: Neben Sens Ansatz werden soziologische Theorien zur Beantwortung konkreter Fragestellungen hinzugezogen und weiterentwickelt. Jeder Schritt besteht nicht nur aus einem Theorienvergleich beziehungsweise -abgleich, sondern wird rückgebunden durch die Hinzuziehung empirischer Untersuchungen. Neben einer umfangreichen Bibliographie brachte diese Vorgehensweise folgende Ergebnissen mit sich: Der erste Schritt, der sich mit der Frage beschäftigt, wie Lebensqualität am besten beschrieben werden kann, resultiert in einem eigenen Modell, das Lebensqualität wie auch soziale Ungleichheit mit Hilfe von vorhandenen Ressourcen (wie Geld, Gesundheit, sozialen Kontakten etc.) und Ressourcentransformationen abbildet (2. Kapitel). Der zweite Schritt, in dem es um die politischen, kulturellen und institutionellen Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität geht, führt diese Vorgehensweise zu einer mehrperspektivischen Machtanalyse, die den Hintergrund für die Beantwortung der Frage nach der staatlichen Produktion von Lebensqualität darstellt (3. Kapitel). Der dritte Schritt, der sich mit konkreten Interventionen zugunsten von Lebensqualität und ihren Wirkungen beschäftigt, führt die Methode der empirisch informierten Theorieentwicklung zu einem Modell der staatlichen Ressourcenzuteilung (4. Kapitel). Im Einzelnen ist die Arbeit wie folgt aufgebaut: 1.2 Aufbau Im Detail betrachtet untersucht das zweite Kapitel, wie die Lebensqualität einzelner Menschen („Mikroebene“) bestmöglich beschrieben werden kann. Nach der Diskussion verschiedener Konzepte (Kap. 2.1) wird der Ansatz von Amartya Sen (Kap. 2.2) gewählt, der Lebensqualität mit Hilfe von sozialepidemiologischen Indikatoren wie Lebenserwartung, Sterblichkeit und gesundheitlichen
1.2 Aufbau
13
Unterschieden darstellt (Kap. 2.4). Es wird gezeigt, dass die individuelle Produktion von Lebensqualität durch den Einsatz von Ressourcen wie z. B. Geld, Bildung und Gesundheit und ihrer permanente Transformation in andere Ressourcen beschrieben werden kann (Kap. 2.5). Die Nähe des Ressourcen-Ansatzes von Sen mit der Theorie der Kapitalarten von Bourdieu wird herausgearbeitet und der Teil der Ressourcentheorie entwickelt, mit dem die individuelle Produktion von Lebensqualität wie auch ihre strukturelle Abhängigkeit beschrieben werden kann. Das dritte Kapitel erörtert die Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität („Makroebene“), um eine Grundlage für die Diskussion von Interventionen zu schaffen. Ausgangspunkt ist hier die praktische Frage, inwiefern der Staat Lebensqualität als Ziel anvisiert. Eine Analyse des Grundgesetzes (3.1) und ein Blick auf die historische Entwicklung des Wohlfahrtsstaates (3.2.1) zeigen, dass Lebensqualität kein vorrangiges Ziel staatlichen Handelns ist. Dieser Umstand wird durch die Analyse politischer Prozesse in Kapitel 3.2 bestätigt: In der Vielzahl der an den Staat gestellten Anforderungen wird Lebensqualität nur innerhalb eines politischen Kalküls – als Teil der Sozialpolitik und eher „nebenbei“ – berücksichtigt. Diese These wird empirisch durch einen Blick in die Geschichte der Sozialpolitik (Kap. 3.2.1.) und theoretisch durch den Bezug zu der Konflikttheorie von Claus Offe (Kap. 3.2.2) untermauert. Kap. 3.3 untersucht diese Machtverhältnisse auf einer anderen Ebene: Es wird gezeigt, dass der öffentliche Diskurs über Lebensqualität und Interventionen zugunsten von Lebensqualität von kulturell geprägten Vorstellungen abhängig ist und das Denken der Bürgerinnen und Bürger1 genauso wie das politische Geschehen beeinflusst. Ein dritter Zugang rundet die Analyse der Rahmenbedingungen ab (Kap. 3.4): Die Betrachtung des Konzepts der Wohlfahrtsregime zeigt, dass unterschiedliche Machtkonstellationen und Wohlfahrtskulturen mit unterschiedlichen regionalenoder länderspezifischen institutionellen Strukturen korrespondieren (Kap 3.4.1). Sie haben direkte und messbare Auswirkungen auf die Lebensläufe der Bürgerinnen und Bürger (Kap. 3.4.2). Die Verbindung der drei diskutierten Perspektiven – die machtanalytische, die diskursive (und kulturelle) sowie die institutionelle Perspektive – entsprechen nicht nur den drei politologischen Zugangsweisen polity, politics und politics, sie können auch als Wohlfahrtsdispositiv im Sinne von Foucault aufgefasst werden (Kap. 3.5.2). Im vierten Kapitel werden die Ergebnisse vom zweiten und vom dritten Kapitel zusammengeführt, indem die Bedeutung institutioneller Strukturen für die Lebensqualität des Einzelnen aufzeigt wird: Die in Abhängigkeit vom jeweiligen Wohlfahrtsregime unterschiedlich ausgeprägten Institutionen teilen die Ressour1 Die Studie versucht dem Anspruch einer geschlechtergerechten Sprache gerecht zu verwerden, verzichtet allerdings auf die Nennung beider Formen, falls das den Lesefluss stören könnte.
14
1 Einleitung
cen (z. B. Geld, Bildung und Gesundheit) auf ihre je eigene Weise den Bürgerinnen und Bürgern zu und strukturieren damit deren Möglichkeiten vor. Hinweise: Die Arbeit gestattet – neben der Entwicklung einer Ressourcentheorie – noch eine weitere Lesart: In großen Teilen kann sie als Kommentar zu Amartya Sens Übersichtswerk Ökonomie für den Menschen (Sen 1999, 2000) verstanden werden.2 Aus der Intention und dem Aufbau der Arbeit ergibt sich, dass der Begriff Lebensqualität in mehrfacher Bedeutung verwendet wird. Sobald es um historische Entwicklungen geht, wird mit dem Begriff auf ein sich wandelndes wissenschaftliches Konzept verwiesen, an das sich die Umgangsprache angelehnt hat. Gleichzeitig wird der Begriff im Sinne des Lebensqualitäts-Konzepts von Amartya Sen verwendet. Die jeweilige Bedeutung ergibt sich aus dem Kontext. Einen wesentlichen Beitrag zur Entstehungen dieser Arbeit haben mehrere Personen geleistet, für deren Unterstützung ich mich bedanken möchte: Angelika Poferl danke ich für die umfassende und kompetente Betreuung und Unterstützung während des ganzen Entstehungsprozesses der Arbeit. Von ihr enthielt ich entscheidende Anregungen für den Aufbau und inhaltlichen Zusammenhalt der Arbeit. Ulrich Beck und Heiner Keupp danke ich für die spannende Reflektion der Arbeit bei Zweitkorrektur und Disputation. Michaela Neumayr, Philipp Catterfeld und Sarah Nies haben mit mir und viel Durchhaltevermögen, alle Teile der Arbeit diskutiert. Für viele weitere hilfreiche Gespräche, Hinweise und Korrekturen danke ich Elmar Koenen, Ina Zimmermann, Dorothee Chlumsky, Tobias Rischer, Karola Kreutner und Peter Buttner. Michi Matthes unterstützte mich bei der Gestaltung einiger Graphiken. Dank gebührt auch der Belegschaft der Bayerischen Staatsbibliothek, die mich die letzten Jahre mit einer Unmenge von Literatur versorgte und dabei bewies, dass auch marktferne Institutionen effizient und kundenorientiert arbeiten können. Nicht zuletzt danke ich meinen Eltern für die außerordentliche und weit reichende Unterstützung meiner Studien. 2
Bei dieser Lesart kann Kapitel 2.1 als historische Beschreibung von Konzepten sozialer Ungleichheit verstanden werden, die Sens capability approach, dem Ansatz der Fähigkeiten und Möglichkeiten, vorausgegangen sind. Kapitel 2.4 vertieft den Lebensqualitätsansatz und erweitert den Ressourcenbegriff von Sen. Zusätzlich werden Methoden einer empirischen Umsetzung des Ressourceneinsatzes erörtert. Kapitel 3.2 und 3.3 setzen Sens volkswirtschaftlichen Ansätzen der social choice (Sen 2000: Kap. 11) eine soziologische Perspektive entgegen. Die Wohlfahrtsregime, die im Kapitel 3.4 diskutiert werden, stellen eine Ergänzung zu Sens internationalen Wohlfahrtsvergleichen dar (Sen 2000: Kap. 2 und 4). Kapitel 4 dieser Arbeit beschreibt das Mikro-Makro-Verhältnis, also das Verhältnis von Struktur und Individuum, für die Beschreibung von Interventionen. Dieses Verhältnis ist bei Sen, der analytisch streng individualistisch argumentiert und gleichzeitig mit hochaggregierten Zahlen weltweite Vergleiche anstellt, unterbelichtet. Das Modell, das die strukturellen Bedingungen der Zur-Verfügung-Stellung von Ressourcen und der Erweiterung von Fähigkeiten klärt, stellt somit eine Erweitung des capability approach dar.
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
da heißt es schnell mal: jeder zehnte haushalt dies oder jeder achte haushalt das. ein achtel der bevölkerung heißt es ohnehin schon, bald jeder 5. aber im grunde wissen wir gar nicht, was los ist, was wirklich los ist – ich sage nur: die dunkelziffer! wir wissen nicht, was draußen wirklich geschieht, ja, da draußen! weil uns niemand die korrekten daten gibt. trotz ihrer ganzen demoskopie. trotz ihrer ganzen befragungskultur, trotz ihrer demoskopischen instrumente, marktforschungssegmente, den biometrischen zitterpartien, wissen wir nichts. d.h. wir haben zahlen, unmengen von zahlen in der hand. sicher, schnell haben sie heute tausende von haushalten überprüft. dauernd werden haushalte befragt, und die haushalte antworten auch, man könnte beinahe sagen, es geschieht nichts anderes mehr als dieses befragen und antworten der haushalte. aber es gibt auch sie: haushalte, die niemals antworten, werden sie befragt. haushalte, die sich da raushalten wollen, die sich selbst genügen, denen es peinlich ist. und dann erhalten wir unmengen von zahlen, und es ist nicht klar, was damit abgebildet werden kann. denn oft genug sind es aussageschwache zahlen, impotente zahlen, schwächliche zahlen, wenn sie so wollen. und daneben tobt die dunkelziffer, ja, ich spreche von der dunkelziffer, also der ungewissen masse, die immer außen vor bleibt. die dunkelziffer tobt um uns herum, sie tobt hinter den anderen ziffern und zahlen, die wir in betrieb genommen haben, sie unterwandert sie, frisst sie von hinten auf. bis nichts mehr als angenagte, ja löchrige statistiken im eu-standard vorhanden sind, die eigentlich am zerbröseln sind, auf uns niederrieseln als fürchterliche inkompetenz, als lähmung jeglicher aussagekraft. Katrin Röggla (2005): Draußen tobt die Dunkelziffer
Zwei wissenschaftliche Disziplinen setzen sich mit der Messung von Wohlfahrt auseinander: Die Soziologie und die Ökonomie. In der Soziologie beschäftigen sich die Sozialstrukturanalyse und die Soziologie sozialer Ungleichheit mit der Messung von Wohlfahrt, wobei insbesondere die Verteilung von Wohlfahrt sowie die Entstehung und Stabilität sozialer Ungleichheit im Mittelpunkt des Interesses stehen. Ihre Konzepte Stände, Klassen, Schichten sowie Lebenslagen, Milieus und Lebensstile gehen geschichtlich gesehen auf gesellschaftsanalytisch und politisch motivierte Beschreibungen von sozialer Ungleichheit zurück (Hradil 2001: Kap. 5.8). Empirische Untersuchungen dieser Tradition beschreiben
16
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
typischerweise Ungleichheiten zwischen Menschen oder Gruppen innerhalb einer Nation in unterschiedlichen Dimensionen.3 In dem Standardwerk Soziale Ungleichheit in Deutschland führt Hradil (2001) „klassische Dimensionen“ ein – materieller Wohlstand, Macht und Prestige – die durch Dimensionen wie Bildung, Gesundheit sowie „Arbeits-, Wohn-, Umwelt- und Freizeitbedingungen“ (Hradil 2001: 31) ergänzt werden. Die Ökonomie beschreibt Wohlfahrt gewöhnlich mit Hilfe von Konzepten der Lebensstandard-Messung, die die Wohlfahrt oder den Wohlstand verschiedener Länder anhand des Bruttoinlandsproduktes und ähnlicher Kennzahlen vergleicht. Hier wird mit Durchschnittswerten wie dem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen gerechnet. Die Verteilung des Einkommens innerhalb einer Nation spielt dabei kaum eine Rolle. In der Folge werden nun Konzepte beider Disziplinen daraufhin untersucht, auf welche Art sie Wohlfahrt beschreiben und die Entstehung, die Voraussetzung und die Aufrechterhaltung sowie die Verteilung von Wohlfahrt erklären. Die Kenntnis darüber dient dazu, Möglichkeiten der Beeinflussung von Wohlfahrt zu erkennen und zu beurteilen. Im Kapitel 2.1 werden die Konzepte Lebensqualität, Lebenslage und Lebensstandard betrachtet. Das Lebensqualitäts-Konzept ist Ende der 60er Jahre aus Weiterentwicklungen des Lebensstandard-Konzepts hervorgegangen, während das Lebenslagen-Konzept der deutschen Ungleichheitsforschung der 20er Jahre entstammt. Nachdem sich die Betrachtung des Bezugs von individuellen Lebensbedingungen zu gesellschaftlichen Strukturen stark gewandelt hat, werden der Ursprung und die Entwicklung der einzelnen Konzepte mit dargestellt. Anschließend wird auf zwei umfassendere Theorien eingegangen: Im Kapitel 2.2 wird der Ansatz Amartya Sens behandelt. Er hat sein anfängliches Interesse an internationalen Lebensstandard-Konzepten hin zu Lebensqualitäts-Konzepten verlagert, die er an Konzepte gesundheitlicher Ungleichheit anbindet (Kap. 2.4). Im Kapitel 2.5 wird subsumierend ein eigener Ressourcenansatz abgeleitet. 2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit 2.1.1 Das Konzept Lebensqualität Das Wort Lebensqualität wurde erstmals4 1924 in dem Buch The economics of welfare von Arthur C. Pigou verwendet, um „nicht-ökonomische Wohlfahrt“ 3 Zur Kritik der Bedeutung nationalstaatlicher Grenzen für die Soziologie siehe Beck 2004, 2002: Kap. 2 4 Entgegen einer anders lautenden These (Swoboda 1973: 32) konnte ich keine frühe Nennung in Senecas De Vita beata finden.
2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit
17
(Pigou 1924: 14) von „ökonomischer Wohlfahrt“ abzugrenzen.5 Die Verbreitung des Konzepts Lebensqualität fand aber erst Ende der 60er Jahre statt; sie war von Planungseuphorie sowie von einer Begeisterung für aktive Sozialpolitik und sozialtechnologische Ideen begleitet. Nachdem die großen gesellschaftlichen Probleme in den Industrienationen durch das lang anhaltende Wirtschaftswachstum als gelöst galten oder lösbar zu sein schienen, traten in diesen Jahren vermehrt Zweifel am immerwährenden Wachstum auf. Umweltverschmutzung, Arbeitslosigkeit, erste Anzeichen von Ressourcen-Knappheit, aber auch eine umfassende Thematisierung von Arbeitsbedingungen, von Geschlechterungleichheit und Minderheitenproblemen stellten das „Immer-so-weiter“ in Frage. Von sozialwissenschaftlicher Seite wurde diese Skepsis durch Rückgriffe auf Konzepte wie Überflussgesellschaft, soziale Kosten und external diseconomies diskutiert (vgl. Zapf 1972: 354f.). Galbraith hatte in seinem Buch The affluent society (Galbraith 1958) von einem Missverhältnis von privatem Reichtum und öffentlicher Armut berichtet, das für Bürger und Gesellschaft suboptimal sei. Das Konzept der sozialen Kosten beschreibt „alle direkten und indirekten Verluste, die Drittpersonen oder die Gesamtheit als Folge der privaten Wirtschaftstätigkeit erleiden“ (Kapp 1958 [1950]: 12). Mishan (1967) versuchte eine „überproportionale Zunahme volkswirtschaftlicher Kosten unmittelbar aus der spezifischen Wachstumspolitik von Marktwirtschaften abzuleiten: Kosten, die das übliche Konzept des Bruttosozialprodukts verschleiert. Neue Güter, neue Technologien, neue Arbeits- und Lebensverhältnisse, die nach gängigen Vorstellungen […] die Wohlfahrt erhöhen, zeigen negative ‚spillover effects’; sie verursachen nicht nur Pollution, Lärm und Müll, sondern auch den entschädigungslosen Verlust alter Gewohnheiten, die Überlastung durch ein unüberschaubares Angebot, steigende Anonymität des Lebens, ‚relative Deprivation’ durch die Entwertung erlernter Fähigkeiten“ (Mishan 1967 zit. n. Zapf 1972: 355). Die negativen 5 Die Textstelle lautet: „The possibility of conflict between the effects of economic causes upon economic welfare and upon welfare in general, which these considerations emphasise, is easily explained. The only aspect of conscious life which can, as a rule, be brought into relation with a money measure, and which, therefore, fall within economic welfare, area a certain limited group of satisfactions and dissatisfactions. But conscious life is a complex of many elements, and includes, not only these satisfactions and dissatisfactions, and along with them, cognitions, emotions and desires. Environmental causes operating to change economic satisfactions may, therefore, either in the same act or as a consequence of it, alter some of these other elements. The way in which they do this may be distinguished, for purposes of illustration, into two principal groups. First, non-economic welfare is liable to be modified by the manner in which income is earned. For the surroundings of work react upon the quality of life. Ethical quality is affected by the occupations—menial service, agricultural labour, artistic creation, independent as against subordinate economic positions, monotonous repetition of the same operation, and so on—into which the desires of consumers impel the people who work for satisfy them. It is affected, too, by the influence which these people exert on others with whom they may be brought into personal contact (Pigou 1924: 14f.).
18
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Folgen der Industrialisierung, die in diesen Konzepten zum Ausdruck kommen, sollten durch politische Eingriffe korrigiert werden, bei denen der Qualität Vorrang vor der Quantität eingeräumt werden sollte. The goals cannot be measured by the size of our bank balance. They can only be measured in the quality of the lives that our people lead (McCall 1975: 246, Sidey 1968: 123),
verkündete Lyndon B. Johnson am 31. Oktober 1964. Und sein Regierungssprecher, Richard N. Goodwin, erklärte am 20. Juli 1965: Everywhere there is growth and movement, activity and change. But where is the place for man? … The task of the Great Society is to ensure our people the environment, the capacities, and the social structures which will give them a meaningful chance to pursue their individual happiness. Thus the Great Society is concerned not with how much, but with how good – not with the quantity of goods, but with the quality of our lives (zit. n. Bauer 1966: xii und Campbell 1981: 4; s. a. Patterson 1996: 562).6
Das politische Klima dieser Jahre war geprägt von dem Optimismus, dass soziale Strukturen und Prozesse analysiert und aktiv geformt werden könnten. Konzepte wie active society und aktive Sozialpolitik traten an, nicht mehr nur auf entstandene Probleme zu reagieren, sondern sie im Vorfeld zu erkennen und rational und langfristig zu lösen, wobei Lebensqualität als neue Zielvariable fungieren sollte (Noll 1996: Kap. 2). Der Politologe Karl Deutsch schlug 1970 beispielsweise folgende weit reichende Dimensionen zur Messung von Lebensqualität vor: quality of political leadership, quality of everyday life of the average citizen, equal rights, opportunity of participation und protection of minorities (1970: 235-246). In Deutschland traf der Begriff Lebensqualität auf eine ähnliche Mischung aus Planungseuphorie, Machbarkeits-Glaube und dem Erkennen der Kumulation
6 Wer hat den Begriff Lebensqualität zuerst verwendet? John Kenneth Galbraith veröffentlichte im Juli 1964 einen Artikel in der Zeitschrift Science mit dem Titel Economics and the Quality of Life, der auf einem Vortrag basierte, den er am 27. Dezember 1963 in Cleveland, Ohio, vor der American Association for the Advancement of Science hielt (Galbraith 1964: 117; s. a. Swoboda 1973: 32). In einer Ansprache vor dem National Convent zu seiner Nominierung als Kandidat für das Präsidentenamt verwendete dann Lyndon B. Johnson den Begriff am 27. August 1964 zum ersten Mal: „So let us join together in giving every American the fullest life which he can hope for. For the ultimate test of our civilization, the ultimate test of our faithfulness to our past, is not in our goods and is not in our guns. It is in the quality – the quality of our people's lives and in the men and women that we produce. This goal can be ours. We have the resources; we have the knowledge. But tonight we must seek the courage” (Johnson 1965 [1964]: 1012, s. a. Johnson 1964). Dies ist nicht verwunderlich, da Galbraith nach Kennedys Tod als Berater und Redenschreiber für Johnson gearbeitet hat (Nobel / Martin 2006). Entgegen anderen Schilderungen wanderte der Begriff also von der Wissenschaft in die Politik und nicht von der Politik in die Wissenschaft.
2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit
19
von Nebenfolgen7 des anhaltenden Wirtschaftswachstums. 1972 veranstaltete die IG Metall in Oberhausen den mit 1.250 Teilnehmern größten je zum Thema Lebensqualität abgehaltenen Kongress (Günter 1972–1974) und die SPD verwendete den Begriff im gleichen Jahr als Leitmotiv im Bundestagswahlkampf8 sowie in ihrem Wahlprogramm (vgl. Noll 2000: 4): Ein ‚mehr’ an Produktion, Gewinn und Konsum bedeutet noch nicht automatisch ein ‚mehr’ an Zufriedenheit, Glück und Entfaltungsmöglichkeiten für den einzelnen. Lebensqualität ist mehr als höherer Lebensstandard. Lebensqualität setzt Freiheit voraus, auch Freiheit vor Angst. Sie ist Sicherheit durch menschliche Solidarität, die Chance zur Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, zu Mitbestimmung und Mitverantwortung, zum sinnvollen Gebrauch der eigenen Kräfte in Arbeit, zu Spiel und Zusammenleben, zur Teilhabe an der Natur und den Werten der Kultur, die Chance, gesund zu bleiben oder zu werden. Lebensqualität meint Bereicherung unseres Lebens über den materiellen Konsum hinaus (zit. nach Noll, 2000: 4f.).
Wie in den USA wurde eine aktivere Gestaltung der Gesellschaft durch die Politik angestrebt (vgl. Kaufmann 2003: 196). „Unter dem Leitmotiv Mehr Lebensqualität ging es um die Gestaltung »sozialer Infrastrukturen« und um den Ausbau des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesens“ (ebd. 161). Prävention wurde zum Thema der Sozialpolitik, genauso wie die Humanisierung des Arbeitslebens9 und die Bürgernahe Gestaltung der sozialen Umwelt10 – so die Titel zweier damaliger Forschungsprogramme (ebd. 162). Auch die Etablierung der Sozialen Dienste und die Professionalisierung der Sozialen Arbeit fallen in diese Zeit. Die anvisierte „Gesellschaftspolitik“ (Achinger 1971 [1958]) bedurfte einer verlässlichen Zahlenbasis, die über die bisherige Erfassung ökonomischer Kennzahlen hinausgehen musste, und das war der Grund, warum sich das Konzept Lebensqualität mit dem der Sozialindikatorenforschung verband, dessen Ursprungs-Mythos auf eine andere Stelle weist, an der aber ebenfalls eine von Planungseuphorie geprägte Stimmung herrschte: Wissenschaftler der NASA und der American Academy of Arts and Sciences wollten die Nebenfolgen eines Weltraumprogramms für die amerikanische Gesellschaft abschätzen und versuchten in Ermangelung ausreichender Daten eigene Indikatorensysteme zu entwickeln (Land 2000, Noll / Zapf 1994: 1). Die Ergebnisse eines daraus entstandenen Forschungsprojektes wurden 1966 unter dem Titel Social Indicators veröffentlicht (Bauer 1966). „Der zeitgleich entstandenen Sozialindikatorenforschung kam […] die Funktion zu, das Konzept der Lebensqualität als neue Ziel7
Zum Begriff der Nebenfolgen als zentraler Begriff der Theorie reflexiver Modernisierung siehe z. B. Beck 1986; Beck / Holzer / Kieserling 2001. 8 Der Wahlkampfslogan hieß: „Mit Willy Brandt für Frieden, Sicherheit und eine bessere Qualität des Lebens.“ Das Magazin des Wissenschaftszentrums NRW bietet zwei Rückblicke auf den Kongress von Johannes Rau 1997 und Erhard Eppler 1997. 9 Einen Überblick bietet Keil / Oster 1977. 10 Siehe Kaufmann 1977.
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
formel einer aktiven Gesellschaftspolitik zu operationalisieren und zu quantifizieren und die Antwort auf die mit dem Perspektivenwechsel verbundenen erhöhten Informationsanforderungen einer „active society“ und aktiven Gesellschaftspolitik zu geben“ (Noll 2000: 6, vgl. auch Noll 2005: 185f.). Die Idee der Sozialindikatoren diffundierte schnell in die bestehende Sozialforschung. Sie hatte so großen Erfolg und entfaltete solch eine bindende Kraft zwischen den Forschern, (Noll 1996: Kap. 2), dass Duncan bereits im Jahre 1969 von der Existenz einer Sozialindikatoren-Bewegung sprechen konnte (Duncan 1969: 1, vgl. auch Land 2000). In vielen Industrieländern wurden in der Folge Sozialberichte erstellt und ehrgeizige Forschungsprojekte begonnen. Der USamerikanische Bericht Towards a Social Report von 1969 galt als Vorreiter der Sozialberichte. Bereits im folgenden Jahr erschienen in den USA der Bericht Toward Balanced Growth und die Social Trends in Großbritannien. 1970 wurden in Deutschland die Materialien zum Bericht zur Lage der Nation, die einen OstWest-Vergleich umfassten, und in Frankreich die Indicateur sociaux veröffentlicht (Zapf 1972: 370). Darüber hinaus wurden mit Hilfe der aufkommenden Computertechnologie „gesamtgesellschaftliche Simulationen“ (ebd. 367) durchgeführt, die weit in die Zukunft reichten: So berechnete eine systemanalytische Umweltstudie für die Bundesrepublik Deutschland Szenarien für das Jahr 2000 (Kumm 1975, siehe Abbildung 1) und der erste Bericht des Club of Rome Die Grenzen des Wachstums (Meadows / Meadows 1972) extrapolierte Makro-Daten bis ins Jahr 2100. Lebensqualität wurde dabei als Makro-Konzept verstanden, das den einzelnen Menschen nicht „aus dem Blick“ verlieren sollte: „Lebensqualität nun scheint mir ein Konzept zu sein, das aktuell wird, wenn es auf der Makroebene um Leistungsbewertung geht: um die Bewertung eines politischen Systems oder der Gesellschaft insgesamt – und zwar im Hinblick auf die Lebensumstände jedes einzelnen Bürgers“ schrieb Zapf (1972: 354) in einem Überblicksartikel zur Messung der Lebensqualität, in dem er ein umfangreiches Forschungsprogramm vorschlug: – Ausbau der (amtlichen) Sozialstatistik. Institutionalisierung und Routinisierung von Umfragen, speziellen Budgets, wie z. B. Bildungs- und Gesundheitsbudgets, benutzerorientierten statistischen Handbüchern […] – Ausbau der Umfrageforschung. Ergänzung und Erweiterung der amtlichen Statistik in Richtung auf „subjektive“ Daten. Entwicklung von Zeitreihen durch Replikationsstudien, Datenarchive […] – Wissenssoziologie der gesamtgesellschaftlichen Datenproduktion und Datenverwendung. Analyse der amtlichen und privaten Datenproduktion und Datenverwendung. Analyse institutioneller Verzerrungen und Barrieren gegen Innovationen und Anwendungen statistischer Information. […]
2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit Abbildung 1: Sozialtechnologie der Lebensqualität
Quelle: Kumm 1975: 313
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
– Individuelle Aspirationen, Gruppeninteressen. Analysen individueller Zufriedenheits- bzw. Frustrationsniveaus in verschiedenen Lebensbereichen durch Umfragen. Quality of Life-Surveys für repräsentative Stichproben. – Nationale Zielsetzungen. Analysen gesamtgesellschaftlicher Ziele und Werte sowie ihres Konsens / Dissens-Grades. Analyse von mittelfristigen und langfristigen Entwicklungsplänen. Kostenschätzungen für Entwicklungsprogramme. – Soziale Indikatoren. Entwicklung von Messgrößen zur Struktur- und Performanzanalyse in zentralen gesellschaftlichen Lebensbereichen. Entwicklung eines integrierten Systems sozialer Indikatoren. – Sozialberichte. Synthetisierende und bewertende Interpretation von Strukturund Performanzindikatoren unter Einschluss von Datenkritik und Aspirationsbzw. Zielanalyse. – Soziale Gesamtrechnung. Entwicklung integrierter Systeme der demographischen und sozialen Gesamtrechnung. Erforschung von Zeitbudgets. Entwicklung von wohlfahrtsorientierten Bilanzen und Teilbilanzen in Analogie zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (Zapf 1972: 363f.). Auf internationaler Ebene begann die OECD 1970 mit einem Program of Work on Social Indicators um die künftige Wachstumspolitik am Ziel der Lebensqualität auszurichten (Zapf 1972: 369). Soziale Indikatoren sollten aus einer Liste von Zielbereichen ausgesucht werden und daraus soziale Aufgabenbereiche abgeleitet werden. Als Besonderheit galt, dass die Zielbereiche nicht durch Inputs, also durch Kosten beschrieben wurden, sondern durch verschiedene Outputs (ebd.). In einem ersten Schritt hatten sich die beim Aushandlungsprozess beteiligten Parteien, Beamte und Wissenschaftler, auf acht Punkte geeinigt (Zapf 1972: 369): – Personal health and safety, – Personal development and intellectual and cultural enrichment through learning, – Occupational development and satisfaction, – Time and leisure, – Command over goods and services, – The physical environment, – The social environment, – The political environment.
2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit
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Das ehrgeizige Projekt der OECD wurde in den verschiedenen Ländern nur unzureichend umgesetzt, in den 80er Jahren ganz fallen gelassen11 und nur von einigen Wissenschaftlern weiter verfolgt (Zapf 2000: 9). Auch die Vereinten Nationen etablierten ein System of Social and Demographic Statistics (UN 1975), wobei sie auf ältere Arbeiten von Drewnowski und einer eigenen Expertenkommission aus den 50er Jahren zurückgreifen konnten (Siehe z. B. Drewnowski 1974). Denn bereits damals wurde versucht, den Lebensstandard mittels mehrdimensionaler Wohlfahrts-Komponenten zu identifizieren (Noll 1996: 2. Kap.). Neben der Etablierung der offiziellen Sozialberichte fallen auch die ersten Haushalts-Untersuchungen in die Zeit um 1970. Internationale Klassiker sind die schwedische Level-of-Living-Study von 1968 und die US-amerikanische Studie Quality of American Life von 1971 (vgl. auch Zapf 2000: 7). Bereits in diesen ersten Berichten zeichneten sich – neben dem erwachenden Interesse an MikroDaten – zwei Strömungen der Sozial-Indikatoren-Forschung ab, die Noll später als (1) skandinavischen oder schwedischen Ansatz und als (2) amerikanischen Ansatz bezeichnete (Noll 2000: 8). (1) Der schwedische Ansatz versucht Wohlfahrt und Lebensqualität allein mit objektiven Indikatoren zu beschreiben. Während objektive Indikatoren auch Makro-Daten wie die Arbeitslosenquote, die Armutsrate, die Wochenarbeitszeit, die absolvierten Schuljahre, die Säuglingssterblichkeit oder die Selbstmordrate umfassen können, wurde Wohlstand im Rahmen des frühen Level-of-LivingKonzept verstanden als „individual’s command over resources by the help of which one can control and purposely direct one’s living conditions as a determining element of welfare” (Uusitalo 1994: 106). Unter Ressourcen wurden unter anderem Einkommen, Vermögen, Bildung, soziale Beziehungen sowie psychische Energien verstanden, mit denen die Lebensverhältnisse den Bedürfnissen entsprechend geformt werden können (Erikson / Uusitalo 1987: 189, Noll 2000: 8). A resource approach regards an individual as an active being, leaving room for individual preferences, however. Resources are also an object of social and economic policies, and individuals can be compared in terms of their command over resources. However, the value of a resource depends on the circumstances in which an individual lives. For example, the value of education for an individual depends partly on the characteristics of labour markets and on the education of other people. The Norwegian Level of Living Survey brought the concept of arenas to the theoretical arsenal of the Scandinavian welfare research. It is the interaction of resources and arenas which defines the outcome of the use of resources, i.e. welfare (Uusitalo 1994: 106).
11
Den Stand zu Anfang der 80er Jahre fasst OECD 1982 zusammen.
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Gegenüber einfacheren Ressourcenansätzen, die davon ausgehen, dass Ressourcen auf immer gleiche Weise eingesetzt werden können, besteht die Besonderheit hier in der Betonung der Tatsache, dass der Einsatz von Ressourcen spezifischen Bedingungen unterliegt. Sowohl Ressourcen als auch Bedingungen werden mit objektiven Indikatoren abgebildet. Tabelle 1: Typische Kategorien und Indikatoren des Level-of-Living-Ansatzes Health and access to care
Ability to walk 100 metres without difficulty; Various symptoms of pain and illness
Employment and working conditions
Unemployment; Monotonous physical work routine
Economic resources
Income and wealth, ability to come up with $1,000 within a week
Knowledge and education
Level of education achieved
Family and social relations
Marital status; Visits to relatives and friends
Housing and neighbourhood facilities
Number of household members per room; Housing amenities
Security of life and property
Victimization in violence; Damages and thefts
Recreation
Vacation trips; Leisure time pursuits
Political resources
Voting in elections; Ability to file formal complaints
Quelle: Uusitalo 1994: 105 Subjektive Indikatoren, die durch Fragen nach der Zufriedenheit mit bestimmten Lebensumständen erhoben werden, werden von den Anhängern des schwedischen Ansatzes aus verschiedenen Gründen abgelehnt. So führt Tåhlin aus: A main argument for directing attention towards the former [die objektiven Bedingungen; A. K.] was that the results of the level of living survey should provide the ground for political measures. A political manipulation of the citizens’ satisfaction is hardly desirable. Reforms and interferences of different kinds ought to concern the external conditions within which the individual himself shapes his life, not his subjective judgements. The politically interesting information is therefore data about actual condition (Tåhlin 1990: 158).
Ein weiteres Problem bei subjektiven Indikatoren besteht darin, dass die Antworten stark von der individuellen Bedürfnisstruktur und dem Erwartungsniveau (auch Aspirationsniveau genannt) abhängen (vgl. Tåhlin 1990: 157). „Repeated failures and setbacks reduces expectations and demands in the long run, while the opposite occurs in the case of repeated success“ (ebd.: 158). Und Zapf führt noch einige weitere Gründe an:
2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit
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Zu den wichtigsten inhaltlichen Erklärungen gehören die Hypothesen, dass die Befragten nur individuelle Verbesserungen gegenüber Vergleichsgruppen mit höherer Zufriedenheit honorieren, nicht aber kollektive Verbesserungen (Easterlin 1974, Duncan 1975); dass Befragte unter dem sozialen Druck stehen, Unzufriedenheit zu verleugnen (Roos 1978); dass sich ihre Ansprüche resignativ an die Umstände anpassen (Ipsen 1978); dass Unzufriedenheitsäußerungen kulturell gelernt und damit von den eigenen Erfahrungen abhängig sind (Inglehart 1977); und dass individuelle Bewertungsmaßstäbe, die nicht situationsdeterminiert sind, gleiche Ausgangslagen in ganz unterschiedlichem Maße als befriedigend erschienen lassen (Campbell / Converse / Rodgers 1976). Alle diese Effekte sind selbst Bestandteile der »gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit« und drücken die Korrelationen (Zapf 1984: 25).12
Die anhand von subjektiven Kriterien gemessenen Unterschiede fallen also tendenziell geringer aus, als vergleichbare objektiv gemessene Kriterien und könnten in der Konsequenz soziale Unterschiede verharmlosen. Tabelle 2: Wohlfahrtspositionen Subjektives WohlObjektive befinden Lebensbedingungen
gut
schlecht
gut
well-being
Dissonanz
schlecht
Adaptation / Anpassung
Deprivation
Quelle: nach Zapf 1984, modifiziert Werden die Kategorien objektive Lebensbedingungen (wie beispielsweise die Wohnungsgröße in Quadratmetern) und subjektives Wohlbefinden (wie beispielsweise die Zufriedenheit mit der Wohnungsgröße) mit je zwei Ausprägungen gegenübergestellt, ergeben sich vier so genannte Wohlfahrtspositionen. Neben den zwei „stimmigen“ Beziehungen well-being und Deprivation können objektiv gute Bedingungen mit Unzufriedenheit einhergehen (Unzufriedenheits12 Easterlin, Richard A. (1974): Does Economic Growth Improve the Human Lot. Some Empirical Evidence. In: David, Paul A. / Reder, Melvin (Hrsg.): Nations and Households in Economic Growth. New York, London: Academic Press. Duncan, Otis D. (1975): Does Money buy Satisfaction? In: Social Indicators Research, 2, S. 267–274. Roos, Jeja P. (1978): Subjective and Objective Welfare: A Critique of Erik Allardt. Research Group for Comparative Sociology. Research Report, 16, 1977, University of Helsinki. Ipsen, Detlev (1978): Das Konstrukt der Zufriedenheit. In: Soziale Welt, 29, S. 44–53. Inglehart, Ronald (1977): Values, Objective Needs and Subjective Satisfaction among Western Publics. In: Comparative Political Studies, 9, S. 429–458. Campbell, Angus / Converse, Philip E. / Rodgers, Willard L. (1976): The Quality of American Life. New York: Russell Sage Foundation.
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
dilemma) und objektiv schlechte Bedingungen mit Zufriedenheit (Zufriedenheitsparadoxon) (Zapf 1984: 25).13 (2) Anders als der schwedische Ansatz betont der amerikanische Ansatz der quality-of-life-Forschung subjektive Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse. Der Ansatz weist eine Nähe zum volkswirtschaftlichen Nutzenkonzept auf (vgl. Kap 2.2.), sein Entstehungshintergrund stellt aber die Sozialpsychologie und die mental-health-Forschung dar (Noll 2000: 9). Der Ansatz wurde durch Campbells Slogan „The quality of life must be in the eye of the beholder“ (Campbell 1972: 442) auf den Punkt gebracht. Campbell und Converse beschrieben in ihrem Buch The Human Meaning of Social Change (1972) wie gesellschaftliche Veränderungen von der Bevölkerung subjektiv wahrgenommen werden (vgl. Noll 2000: 9). Mit Ausschlag gebend für die Entscheidung sich auf subjektive Indikatoren zu beschränken, war die Überzeugung, dass die Wohlfahrt zunehmend durch immaterielle Komponenten bestimmt wird (ebd.). Die Messung der subjektiven Lebensqualität erfolgt entweder durch Befragungen nach der Zufriedenheit oder dem erlebten Glück mit dem gesamten Leben, zum Beispiel durch die Frage „Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Leben allgemein?“ oder durch Befragung nach Teilbereichen des Lebens. Solche Befragungen werden manchmal durch die Frage ergänzt, welche Wichtigkeit den Teilbereichen zugesprochen wird. In einer Metastudie versucht Cummins (1996) häufig verwendeten Kategorien und Fragen bestimmten Schlüsselkategorien zuzuordnen. Er erhält folgende Zuteilung: – Material well-being (finances, living situation, standard of living, housing, pay …) – Health (health, personal health, health / functioning, intellectual performance …) – Productivity (job, work, paid employment, school…) – Intimacy (Family life, friendship, marriage, friends, sex life, relatives with family…) – Safety (safety, financial security, security of belongings, control over life…) – Community (education, social relations, neighbourhood, area you life in, visiting…) – Emotional well-being (Leisure, religion, recreation, spare time, fun, hobbies…) (ebd. 309) Neben Fragen nach dem privaten Leben sind auch Fragen nach gesellschaftlichen Belangen, wie beispielsweise nach der Akzeptanz der Demokratie, der Ver13
Vgl. auch Noll 2000: 11, Voges / Jürgens / Mauer et al. 2003: 49.
2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit
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wirklichung von Freiheitsrechten, Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit üblich.14 Allerdings zeigt sich, dass es sich auch bei dem so genannten subjektiven Ansatz um einen quantitativen Ansatz handelt, da versucht wird, ein Zufriedenheitsniveau quantitativ zu messen. Der Ansatz unterscheidet sich also fundamental von subjektiven Ansätzen der qualitativen Sozialforschung, die mit grundsätzlich anderen Methoden als der Auswertung von Makrodaten und vorgefertigten Fragebögen versuchen, die Probleme von Bürgern in deren subjektiver Sicht zu erfassen. Beide genannte Ansätze, der subjektive wie auch der objektive, basieren auf einer impliziten sozialplanerischen Idee: Die Lebensbedingungen bzw. das Wohlergehen der Bevölkerung soll mittels sozialwissenschaftlicher Methoden erhoben werden um Politikern Mittel, also insbesondere Zahlenmaterial, für paternalistische Entscheidungen an die Hand zu geben. Ausgeklammert wird von vornherein die Diskussion der Frage, auf welchen Wegen Bürger über ihre eigenen Lebensbedingungen und ihr Wohlbefinden bestimmen können: Mittels Bürgerbeteiligung? Durch Selbstverwaltung? Über Volksbefragungen?15 Durch Auskünfte bei Haushaltsbefragungen und die Wahl von Politikern, denen sie zutrauen, das erhobene Zahlenmaterial „richtig“ zu interpretieren? Oder durch die Erhebung ihres Einkommens bei den Finanz- und StatistikÄmtern, aus dem dann die Lebensqualität errechnet werden kann? Rückblickend betrachtet hatte die social-indicator-Bewegung und das mit ihr verbundene Konzept Lebensqualität ihren Zenit Mitte der 70er Jahre überschritten (Zapf 2000: 9, Noll 2000: 12); über die 80er Jahre verschwand die anfängliche Euphorie. Das Konzept Lebensqualität wurde seines utopischen, gesellschaftspolitischen Inhalts entleert und zunehmend individualisiert (Zapf 2000: 3). Es diffundierte in die verschiedensten wissenschaftliche Disziplinen, teilweise verflachte es: Der Begriff erschien ab Mitte der 80er Jahre nach und nach in Titeln von Studien der Stadt- und Regionalplanung, der Geographie, der Medizin, in Studien über alte und behinderte Menschen und zunehmend auch in Titeln von Büchern über Sport, Wellness und Lebensberatung. Während Bücher, die das Thema Lebensqualität für sich beanspruchten, in den 70er Jahren noch Titel trugen wie »Lebensqualität«? Von der Hoffnung Mensch zu sein (Landeszentrale für politische Bildung 1974), wie Lebensqualität. Öffentliche Armut – Privater Reichtum (Friedl 1973) oder wie Bessere Lebensqualität – durch das Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft für den Umweltschutz (EG 14
Rapley 2003: 11; ein Beispiel für Deutschland gibt Bulmahn 1999. Tatsächlich trug die Veröffentlichung zur umstrittenen Volkszählung des Jahres 1987 den Titel „Volkszählung '87 – Zehn Minuten, die allen helfen“ und den Untertitel: „Ergebnisse der Volkszählung '87 – Chancen für mehr Lebensqualität“ (Statistisches Bundesamt 1990). Zu einem schweizer Versuch der Beschreibung von Lebensqualität durch Ergebnisse von Volksbefragungen siehe Vettinger / Walter-Busch 1993. 15
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
1974), so waren ab den 90er Jahren Titel möglich, wie Lebensqualität im ländlichen Niedersachsen unter besonderer Berücksichtigung der Exposition gegenüber Intensivtierhaltungsbetrieben (Peters 2003), Lebensqualität als prädikative Mediatorvariable für das Überleben bei Patienten mit Tumoren im Kopf-HalsBereich und mit Bronchialkarzinomen in der Strahlentherapie (Krost 2005), Vergleich der Rekonstruktionsmöglichkeiten gerade End-zu-End-Anastomose und J-Pouch nach tiefer anteriorer Rektumresektion in Bezug auf funktionelle Resultate und Lebensqualität (Ach 2003) oder auch ein Titel wie SALUTO – Das Programm für Lebensqualität pur. Fitness für Körper und Geist, Aktiv gegen freie Radikale, Vitamine für die Seele (Wienecke 2003). Was die ursprüngliche Idee des Konzepts betrifft, so haben die anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten ab den 80er Jahren der Diskussion um einen anderen Wohlstand gerade keinen Antrieb gegeben – im Gegenteil –, und der Glaube an Steuer- und Planbarkeit verlor seine Überzeugungskraft. Gleichzeitig wurde die Erhebung von Wohlfahrts- und Sozialindikatoren in der Sozialforschung Routine und schließlich auch auf europäischer Ebene implementiert. Als in Deutschland in den 80er Jahren die Frage nach der „neuen Armut“ (vgl. Kaufmann 2003: 166) gestellt wurde, verband sich die Sozialindikatorenforschung mit der an Wichtigkeit gewinnenden Armutsforschung (vgl. Allmendinger / Hinz 1999: 18), und damit auch das Konzept der Sozialindikatoren mit dem Konzept der Lebenslagen, das bereits früher Teil der deutschen Armutsforschung war. Britische Armutsforscher arbeiteten daran schon seit Anfang der 70er Jahre konzeptionell (vgl. Townsend 1970, 1979). 2.1.2 Das Konzept Lebenslage Der Begriff Lebenslage wurde zuerst von dem österreichischen Nationalökonomen und Philosophen Otto Neurath (1882–1945) in der Zwischenkriegszeit verwendet. Ausgangspunkt seiner Beschäftigung mit den Lebenslagen waren Ergebnisse seiner Studien zur Kriegswirtschaft, die belegten, dass der Lebensstandard der Bevölkerung während verschiedener Kriege infolge der kriegsbedingten Einschränkungen von Marktmechanismen wider Erwarten zugenommen hatte (vgl. Voges /Jürgens / Mauer et al. 2003: 38). In der sozialreformerischen und gesellschaftstechnischen Absicht, die soziale Situation der Menschen zu verbessern (vgl. Neurath 1981 [1931]: 502), schuf er ein Begriffssystem von Lebensboden, Lebensordnung und Lebenslage. Lebensboden bezeichnet dabei die Umgebung einer Gesellschaft oder Gruppe von Menschen. Man kann soziologische Betrachtungen damit beginnen, dass man eine Gruppe innerhalb ihrer Umgebung beschreibt, innerhalb der Wälder und Flüsse, Sümpfe und Bakterien [die Seuchen
2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit
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verursachen können; A. K.], Werkzeuge und Häuser, die sie eben zur Verfügung hat. Klima, geographische Verhältnisse […] gehören zum Lebensboden eines Volkes (ebd. 505).
Die Lebensordnung einer Gruppe oder Gesellschaft stellt die „Gesamtheit seiner tatsächlich ausgeübten Gewohnheiten da“ (ebd. 507), oder, in anderen Worten, ihr „soziales Beziehungsgeflecht“ (Voges / Jürgens / Mauer et al. 2003: 38). Lebenslage bezeichnet die „Versorgung der Menschen […] mit Wohnung, Nahrung, Kleidung“ (Neurath 1981 [1931]: 503). An anderer Stelle definiert er: Lebenslage ist der Inbegriff all der Umstände, die verhältnismäßig unmittelbar die Verhaltensweisen eines Menschen, seinen Schmerz, seine Freude, bedingen. Wohnung, Kleidung, Gesundheitspflege, Bücher, Theater, freundliche menschliche Umgebung, all das gehört zur Lebenslage, auch die Menge der Malariakeime, die bedrohlich einwirken (ebd. 512).
Der Lebensboden bestimmt die Lebenslage nicht direkt, sondern vermittelt durch die Lebensordnung (ebd. 503, 511). „[B]ei gegebenem Lebensboden [kann man] die Frage stellen, welche Lebenslagenleistung eine Lebensordnung erzeugen kann“ (ebd. 507). Neurath geht von einer weitgehenden Analysierbarkeit und Gestaltbarkeit (vgl. ebd. 503) der Lebensordnung aus. Lebenslage beschreibt er als Wohlstandsindikator und Maß für Evaluationen. „Wenn wir wissen wollen, wie eine bestimmte Einrichtung sich auswirken wird, ist’s wesentlich zu fragen, welchen Einfluss sie auf die Lebenslage ausübt“ (ebd. 511). Seine Beschreibung verbindet er mit einer expliziten Kritik an einkommensbasierten Wohlstandsindikatoren16 und einer Kritik ungleicher Verteilung von Wohlstand, die Armut erzeugt (ebd. 511). In der zitierten Definition betont er die Vorstrukturierung des Verhaltens: Die „Umstände“, die die Lebenslage ausmachen, „bedingen“ „verhältnismäßig unmittelbar die Verhaltensweisen“ (ebd. 512). Er geht auf typische Muster von Lebenslagen ein, die er Lebenslagenrelief nennt. Dabei weist er darauf hin, dass eine erzeugte Lebenslage den Ausgangspunkt darstellt für die Erzeugung zukünftiger Lebenslagen17 und geht auf subjektive Indikatoren und ihre Problematik ein: [Lebenslage] ist die Bedingung jenes Verhaltens, das wir als Lebensstimmung kennzeichnen. Wir sprechen von einer schlechten Lebenslage, wenn die Stimmung eines Menschen durch solche Lebenslage im allgemeinen herabgedrückt wird. Das setzt freilich voraus, dass man die Lebensstimmungen in eine Reihe bringen kann, dass man von mehr oder minder glücklichem Ausdruck eines Menschen zu sprechen sich getraut, dass man sogar die Verhaltensweisen zweier Menschen in diesem Sinne zu vergleichen wagt (ebd. 512). 16
„In Wirklichkeit sind die Zahlen der Geldrechnung eine Sache für sich. Sie gestatten keine eineindeutige Zuordnung zu soziologischen Phänomenen, auch nicht zu Höhen der Lebenslage“ Neurath 1981 [1931]: 509. 17 „Die jeweils erzeugte Lebenslage wird selbst zu einem Stück Lebensboden, mit dem weiterhin gerechnet werden muss. Man kann z. B. zusehen wie sich die Lebenslagen bestimmter Gruppen unter dem Einfluss einer bestimmten Lebensordnung gestaltet“ (ebd. 507).
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Damit hat Neurath wesentliche Themen benannt, die auch in der aktuellen Diskussion zum Begriff Lebenslage – und im Fortgang dieser Arbeit – eine Rolle spielen. Nach dem zweiten Weltkrieg nahm Gerhard Weisser (1898–1989) das Konzept Lebenslage wieder auf. Sein Konzept ist der marktwirtschaftlichen Ordnung und einer pluralistischen Gesellschaftsordnung verpflichtet (Voges / Jürgens / Mauer et al. 2003: 40) und stellt im Gegensatz zu Neurath den einzelnen Menschen mit seinen individuellen Bedürfnissen ins Zentrum seiner Betrachtung: Als Lebenslage gilt der Spielraum, den die äußeren Umstände dem Menschen für die Erfüllung der Grundanliegen bieten, die ihn bei der Gestaltung seines Lebens leiten oder bei möglichst freier und tiefer Selbstbesinnung und zu konsequentem Verhalten hinreichender Willensstärke leiten würden (Weisser 1978: 275).
Die Definition weist zuerst auf Wahlmöglichkeiten – auf einen Spielraum in der Lebensgestaltung – hin, den der Einzelne durch sein Handeln ausfüllt. Unter Grundanliegen versteht Weisser „’unmittelbare Interessen’ des Menschen, positive und negative im Sinne: was erstrebt er und was sucht er zu vermeiden?“ (Amann 1983: 142) wodurch die Lebenslage zum Rahmen zielgerichteter Handlungen wird. In einem unveröffentlichten Manuskript zählt Weisser solche Interessen auf: 1. Mittelbares Interesse an Ausstattung mit denjenigen Mitteln zur Befriedigung sinnlicher oder geistiger Interessen, die im Verhältnis zum Bedarf knapp sind […], 2. Im besonderen Interesse an Deckung des Bedarfs an sog. „lebenswichtigen“ Gütern (einschl. Diensten) […], 3. Interesse an „Einkommen“ […], 4. Interesse an Vermögen (Genuß- oder Produktivvermögen) […], 5. Interesse an Gegenständen des „Gemeinbedarfs“ […], 6. Interesse an ausreichender Vorsorge […], 7. Negatives Interesse an der Belastung mit Steuern und Abgaben […], 8. Negatives Interesse an der Beeinträchtigung der Bedarfdeckung durch Abhängigkeit: Hier setzen vor allem die Analysen der Wirkungen privater Marktmacht auf die Lebenslagen der Konsumenten und der Erörterung von Abwehrmaßnahmen ein […], 9. Interesse an aktiver Teilnahme am Wirtschaftsleben […], 10. Interesse an Selbstbestimmung des wirtschaftlichen Handelns […], 11. Interesse an Gemeinschaft beim Wirtschaften […]18
Durch die Verbindung des Handelns mit den das Handeln begründenden Motivationen entstehen konzeptionelle Probleme: Handeln kann auf die Erfüllung der Grundanliegen gerichtet sein, Handeln kann aber auch auf andere Ziele hin gerichtet sein. Weisser dehnt deshalb den Begriff des Grundanliegens aus: 18
Weisser, Gerhard 1957: Einige Grundbegriffe der Sozialpolitiklehre. Unveröffentlichtes Manuskript: Köln, S. 21f., zit. n. Amann 1983: 146.
2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit
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Neben den tatsächlich vorgefundenen Interessen werden zusätzlich aber auch solche berücksichtigt, die der Mensch bei ‚unbehinderter’ Selbstbesinnung haben würde (…), d.h., die er nur deswegen nicht hat, weil die äußere Situation, in der er sich befindet, ihn verzweifelt macht, abstumpft, kulturell verflacht oder dgl. Einflüsse ausübt. Auch Bevormundung kann zu einem solchen Hindernis werden, wenn sie ihn psychisch überwältigt, so dass er sich ihrer nicht erwehren kann.19
Damit spricht Weisser das Problem an, das auch bei der Diskussion subjektiver Indikatoren erwähnt wurde: Die Interessen sind – ähnlich wie Erwartungen oder auch Präferenzen – stark von der Situation abhängig. Seine Begriffsdefinition stellt allerdings ein Problem für eine Operationalisierung dar. Es könnten die „tatsächlich vorgefundenen“ oder die bei „unbehinderter Selbstbesinnung“ bestehenden Interessen untersucht werden. Außerdem kann nicht ausgeschlossen werden, dass Handeln auch bei „unbehinderter Selbstbesinnung“ auf andere Ziele als auf die Erfüllung der Grundanliegen hin gerichtet sein kann. Das Zitat zeigt gleichzeitig den Fokus von Weisser auf. Für ihn ist das Konzept der Lebenslagen ein Konzept der Armutsforschung. „Erkenntnisgegenstand ist bei O. Neurath die Gesamtheit der Bevölkerung, in der einzelne Gruppen unterschiedliche Lebenslagen aufweisen“ schreibt Amann, „bei G. Weisser ist es jener Teil der Bevölkerung, der als die ‚sozial Schwachen und Gefährdeten’ bezeichnet werden“ (Amann 1983: 139). Weissers Schülerin Ingeborg Nahnsen entpsychologisiert sein LebenslagenKonzept und legt wieder mehr Gewicht auf die strukturellen Bedingungen des Handelns. Den Handlungsspielraum, der sich für den Einzelnen ergibt, teilt sie in Einzelspielräume auf: – Versorgungs- und Einkommensspielraum Der Komplex gesellschaftlicher Umstände, der hier angesprochen wird, lässt sich zusammenfassend als gesellschaftliches System der Einkommensverteilung bezeichnen. Es schließt sowohl die Primär- als auch die Sekundärverteilung ein. Es ist maßgeblich für die typischen Unterschiede hinsichtlich Einkommenshöhe, Einkommensstabilität sowie Einkommensentwicklung im Lebensverlauf zwischen den Gesellschaftsmitgliedern. So handelt es sich in diesem Einzelspielraum um die Verfügbarkeit der Mittel, die notwendig sind, um einmal den lebensnotwendigen Bedarf zu decken, und zum anderen alle jene sonstigen Interessen zu befriedigen, deren Realisierung mit dem Einsatz von Geld zu erreichen ist. (Nahnsen 1992: 119). […] – Kontakt- und Kooperationsspielraum Die Möglichkeit Kontakte zu anderen Menschen, soziale Beziehungen, zu unterhalten, gilt […] als eine[r] der wesentlichen Stabilitätsfaktoren für die menschliche Persönlichkeit. Dabei spielen auch Art und Inhalt solcher Beziehungen eine Rolle. Neben dieser eher psychischen Funktion, erleichtert die Möglichkeit, mit anderen in Kontakt zu treten und solche Kontakte auch kontinuierlich wahren zu können, die Bewältigung zahlreicher auch äußerlich-materieller Probleme (ebd. 123). […] 19
Ebd. S. 3, zit. n. Amann 1983: 143.
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität – Lern- und Erfahrungsspielraum Mögliches Lernen und Erfahrungsgewinn sind zusammen mit sozialisationsbedingten Einstellungen ganz wesentliche Einflussfaktoren für die Lebenslagen. Sie beeinflussen mögliches Verhalten und Denkmöglichkeiten; sie wirken sich nachhaltig auf den Erwerb des Lebensunterhaltes und auf die Berufskarrieren aus, sie sind maßgeblich für allgemeine Weltund Wertorientierung, vermitteln Vergleichsmöglichkeiten, sind schlechthin maßgeblich für die Vorstellmöglichkeiten alternativer Lebensweisen (ebd. 128). […] – Muße- und Regenerationsspielraum Muße ist zweifellos neben Kenntnissen, Erfahrung, Wissen von Möglichkeiten der Lebensgestaltung der zweite wichtige Faktor für das Vermögen, sich auf Grundanliegen zu besinnen. Sie ist gleichzeitig eine wesentliche Voraussetzung dafür, nach der Erfüllung bestimmter Grundanliegen streben zu können. […] Regenerationsfähigkeit, die jeweilige Wiederherstellung und Erholung der psychophysischen Konstitution nach und von Belastungen und Strapazen ist ein wesentlicher Faktor für ein erfolgversprechendes Streben nach der Befriedigung wichtiger, leitbildbezogener Interessen. Beides wird durch alle jene Verhältnisse bestimmt, die für Sicherheit oder Unsicherheit der psycho-physischen und der ökonomischen Existenz maßgeblich sind, die die Arbeitsmühen bestimmen, einschließlich der Gefährlichkeit von Arbeit, die Not und Lebensängste zu erzeugen vermögen, aber auch diejenigen, die Hilfe bereitstellen (ebd. 133). […] – Dispositions- und Partizipationsspielraum Um hinsichtlich dieses Spielraums die wichtigsten Elemente zu erfassen, ist es sinnvoll von drei Bereichen möglicher Dispositionspotentiale zu sprechen, nämlich dem privaten, dem sozio-ökonomischen und dem politischen (ebd. 140).20
In jüngster Zeit hat das Lebenslagen-Konzept neue Bedeutung erlangt, da sowohl der Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bundesregierung regelmäßig vorgelegt, wie auch beispielsweise der elfte Kinder- und Jugendbericht (BFSFJ 1998) sich des Lebenslagen-Ansatzes bedienen. Nach dem ersten Armuts- und Reichtumsbericht sind viele Teilfragen des Konzepts vertieft worden. Auch hat sich so etwas wie ein Konsens über die Inhalte des Konzepts herausgebildet. Folgende Eigenschaften werden heute mit dem Konzept verbunden: (1) Multidimensionalität, (2) Berücksichtung subjektiver und objektiver Faktoren, (3) Lebenslage als Explanandum und Explanans und (4) Multikausalität (vgl. Voges / Jürgens / Mauer et al. 2003: 44f., Allmendinger / Hinz 1999: 20f.). (1) Multidimensionalität bedeutet, dass die Lebenslage – wie beim schwedischen Level-of-Living-Ansatz – in mehreren Dimensionen erhoben wird. Beispielsweise verwendet der Endbericht zu Methoden und Grundlagen des Lebenslagen-Ansatzes (Voges / Jürgens / Mauer et al. 2003) der eine Vorarbeit des zweiten Armuts- und Reichtumsbericht darstellt, die Dimensionen Bildung, Erwerbsbeteiligung, Einkommenssituation, Vermögens- und Schuldensituation, Gesundheit, Wohnen, Soziale Integration. In dieser Untersuchung wurde für jede Dimension eine Unterversorgungsschwelle festgelegt. Das Unterschreiten der
20
Siehe zum Konzept von Nahnsen auch Andretta 1990
2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit
33
Schwelle bedeutet, dass in dieser einen Dimension eine spezifische Armut herrscht. Tabelle 3: Dimensionen, Indikatoren und Schwellenwerte für Unterversorgung Dimension
Indikator
Unterversorgungsschwelle
Einkommen
Erzielung: bedarfsgewichtetes verfügbares Haushaltseinkommen
50% des durchschnittlichen gewichteten Haushaltseinkommen
Verwendung: Ausgaben für Wohnraum- und Gesundheitsversorgung
30% des Haushaltsnettoeinkommens für Wohnraum, 5% für Gesundheitspflege
Umfang der Erwerbstätigkeit
Anteil der Arbeitslosen, Anteil an nichtpräferierter Teilzeitarbeit
Inadäquate Beschäftigung
Anteil an unterwertigen Beschäftigungsverhältnissen (berufl. Stellung Ausbildungsniveau
Wohndichte
Weniger als ein Zimmer pro Person
Wohnungsausstattung
60% eines Ausstattungsindex basierend auf den Wohnraumgütern wie Küche, Bad, WC, fließend Heißwasser, Zentralheizung u. Ä. nach Verfügbarkeit in der Bevölkerung gewichtet
Haushaltsausstattung
60% eines Deprivationsindex basierend auf den Ausstattungsgütern wie PKW, TV, Video, Telefon u. Ä. nach Verfügbarkeit in der Bevölkerung gewichtet und nach Präferenz kontrolliert
Gesundheit
Erkrankungen
gesundheitliche Beeinträchtigung bei alltäglicher Arbeit
Bildung
Erzielung: schulische und berufliche Bildung
ohne allgemeinen oder berufsbildenden Schulabschluss
Verwendung: Bildungsrendite
50% des mittleren Bruttoerwebseinkommens bei gleichem Bildungsniveau
Erwerbsbeteiligung
Wohnen
Quelle: Voges 2002: 23, modifiziert Eine umfangreiche Untersuchung zu Lebensqualität und Armut in der Schweiz (Leu / Burri / Priester 1997) verwendete die „Lebensbereiche“ Wohnsituation, Arbeit und Ausbildung, Soziale Herkunft, Private Netzwerke, Subjektives Wohlbefinden, Gesundheit, Finanzielle Situation, Demographie und Bewältigungsstrategien, die in weitere „Dimensionen“ unterteilt wurden. (2) Anders als im schwedischen oder im amerikanischen Ansatz der Lebensqualitätsforschung werden in heutigen Lebenslagen-Untersuchungen meistens objektive und subjektive Indikatoren gleichzeitig erhoben. Wie oben erwähnt, wird dabei die Zufriedenheit zu den verschiedenen Dimensionen an-
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Tabelle 4: Lebensbereiche und Dimensionen Lebensbereich
Dimensionen
1. Wohnsituation
Wohnqualität Wohnstatus Kosten der Wohnungsversorgung Zufriedenheit mit dem Wohnen
2. Arbeit und Ausbildung
Erwerbsstatus Berufliche Stellung und Arbeitssituation Erwerbslosigkeit Zufriedenheit mit der Arbeit Bildungsniveau
3. Soziale Herkunft
Elternhaus während der Sozialisation Subjektive Schichteinstufung
4. Private Netzwerke
Soziale Kontakte Zufriedenheit mit sozialen Kontakten
5. Subjektives Wohlbefinden
Lebenszufriedenheit Besorgnis- und Anomiesymptome
6. Gesundheit
Wahrnehmung gesundheitlicher Probleme Behinderung und Pflegebedürftigkeit Arzt- und Krankenhausbesuch Krankenversicherungsschutz Zufriedenheit mit der Gesundheit
7. Finanzielle Situation
Haushaltseinkommen Finanzielle Belastungen Subjektiver Einkommensbedarf Zufriedenheit mit dem Einkommen
8. Demographie
Demographische Merkmale Haushalts- und Familienstruktur
9. Bewältigungsstrategien
Problemlagen und Bewältigungsstrategien Erfahrungen mit Ämtern und Behörden
Quelle: Nach Leu / Burri / Priester 1997: 56, modifiziert hand von Fragen nach umfassender Zufriedenheit („Wie zufrieden sind sie mit der Wohnsituation?“) oder anhand von mehreren speziellen Fragen („Wie zufrieden sind Sie mit der Wohnungsgröße?“, „ … der sanitären Ausstattung?“, „… dem Wohnumfeld?“) erhoben (vgl. Voges / Jürgens / Mauer et al. 2003: 11) und eventuell nach der Wichtigkeit der einzelnen Punkte gefragt. Objektive und subjektive Ergebnisse können dann gegenübergestellt werden um beispielsweise Dissonanz oder Anpassung (siehe Tabelle 2) zu identifizieren. Werden Erhebungen nach einiger Zeit wiederholt, so können Veränderungen der objektiven Situation und der subjektiven Einschätzung verglichen werden. Prinzipiell könnte bei solchen Untersuchungen geprüft werden, ob beispielsweise Unzu-
2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit
35
friedenheiten Änderungen in der Lebensweise nach sich ziehen, wo die Grenzen der Adaptation sind, wie mit Dissonanz umgegangen wird, beziehungsweise ob sich Interessen-Schwerpunkte verlagern. Solche Auswertungen von Lebenslagen-Daten sind jedoch rar. Voges, Jürgens, Mauer et al. (2003) vermuten aber, dass „[d]ie ‚Dissonanten’ […] oftmals das Potential für Protest und Wandel dar[stellen], während die ‚Adaptierten’ häufig die Realität von Ohnmacht und gesellschaftlichem Rückzug repräsentieren. Insbesondere werden die ‚Adaptierten’, obwohl sie von Mängellagen definitiv betroffen sind, von sozialpolitischen Maßnahmen oft nicht erreicht, während umgekehrt die öffentliche Meinung besonders sensibel auf die gut gestellten Unzufriedenen reagiert“ (Voges / Jürgens / Mauer et al. 2003: 49, s. a. Zapf 1984: 26). Ein typisches Beispiel für eine solche Auswertung sieht so aus: Die Unterschiede zwischen höheren und niedrigeren Einkommensquartilen variieren wie folgt: […] Im Bereich subjektiver Bewertungen ist festzustellen, dass die Zufriedenheit mit dem Lebensstandard erwartungsgemäß stark mit dem Einkommensniveau zusammenhängt, die Unzufriedenheit mit dem Umweltschutz kaum. Die ärmeren Bevölkerungsschichten sind seltener in Vereinen und haben häufiger keine engen Freunde; von Ängsten und Sorgen sind sie häufiger betroffen; ihre Lebenszufriedenheit ist geringer als die der höheren Einkommensschichten. Die Unterschiede in diesen objektiven und subjektiven Merkmalen sind zwischen den untersten und dem obersten Einkommensquartil besonders stark. Die unterschiedliche Ausprägung der Wohlfahrtsmaße lässt sich aber nicht allein auf die Einkommensunterschiede zurückführen; sie ist von zahlreichen weiteren Faktoren mitbedingt, wie etwas dem Alter, der Bildungsqualifikation, der Haushaltsform oder der Familiensituation (Glatzer / Hübinger 1990: 40f.).
(3) Aus der Aufteilung des Indikators Bildung in die zwei Kategorien Erzielung und Verwendung (in Tabelle 3) wird ersichtlich, dass Dimensionen und Lebenslage auf zweierlei Weise interpretiert werden können: Sie können als das Ergebnis des zurückliegenden Lebens oder aber als Ausgangspunkt des zukünftigen Lebens verstanden werden. In den meisten Untersuchungen wird die Lebenslage als das Resultat des zurückliegenden Lebens verstanden und stellt damit den zu erklärenden Sachverhalt, das Explanandum dar (Voges / Jürgens / Mauer et al. 2003: 50). Die verschiedenen Dimensionen werden als Zusammenfassung / Quintessenz des bisherigen Lebensvollzugs bzw. der bisherigen Lebensbewältigung gesehen. Die Lebenslage stellt das Ergebnis, den Output des bisherigen Lebens in Form einer Momentaufnahme dar. Eine Unterversorgung in der Dimension „Wohnen“ wird beispielsweise als das Unterschreiten der Schwelle von einem Zimmer pro Person verstanden und auf in der Vergangenheit liegende Gründe (wie Einkommensarmut, Kinderreichtum, knappen oder teurem Wohnraum, fehlendem Verhandlungsgeschick gegenüber Vermietern, Scheu, einen Umzug zu organisieren oder fehlenden öffentlichen Wohnungsbau) zurückgeführt. Die Lebenslage kann aber auch als Ausgangpunkt des zukünftigen Lebens verstanden werden und stellt dann den erklärenden Sachverhalt, das Explanans dar (Vo-
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
ges / Jürgens / Mauer et al. 2003: 50). Die verschiedenen Dimensionen werden dann als die Ressourcen verstanden, die für den zukünftigen Lebensvollzug bzw. die zukünftige Lebensbewältigung eingesetzt werden können. Die Lebenslage stellt somit den Input des zukünftigen Lebens in Form einer Momentaufnahme dar. Eine Unterversorgung wird hier verstanden als Ressourcenmangel. (Eine Unterversorgung in der Dimensionen „Wohnen“ könnte beispielsweise die Ursache dafür sein, dass Kinder keine ausreichende Ruhe zum Erledigen der Hausaufgaben finden, keine Freundinnen und Freunde einladen können, ihre Freizeit auf der Straße verbringen müssen.) Untersuchungen zur Lebenslage müssen klarstellen, ob die Lebenslage als Explanandum oder Explanans interpretiert wird. (4) Allmendinger und Hinz (1998: 19) charakterisieren den LebenslagenAnsatz des Weiteren als multikausal: Wie entstehen soziale Unterschiede in den verschiedenen Dimensionen und – noch wichtiger – wie sehen die Wirkungen und Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Dimensionen aus? Unterversorgung in einer Dimension (etwa der Einkommensdimension) kann die Versorgung in anderen Dimensionen (wie Wohnen und Gesundheit) negativ beeinflussen. Im Lebenslagen-Ansatz fragen wir ausdrücklich auch nach den möglichen Rückkopplungen einer solchen Kausalbeziehung (Allmendinger / Hinz 1999: 20f.).
Insbesondere wenn Längsschnittdaten vorhanden sind, wenn also Erhebungen zu verschiedenen Zeitpunkten stattgefunden haben, könnten Veränderungen der objektiven oder subjektiven Indikatoren beobachtet und nach „möglichen Rückkopplungen“ (ebd. 21) gefragt werden. Zur Analyse werden die Menschen, von denen Daten erhoben wurden, in Gruppen eingeteilt. Die Einteilung kann entweder anhand des Einkommens vorgenommen werden – zum Beispiel mit Hilfe von Einkommensquartilen, wie in dem oben angeführten Zitat – oder es können Teilgruppen der Bevölkerung wie (kinderreiche) Familien, Alleinerziehende, ältere Menschen, Migranten, behinderte Menschen etc. betrachtet und mit dem Bevölkerungsdurchschnitt verglichen werden. Es können aber auch aus mehreren Merkmalen – wie beispielsweise Erwerbsstatus, berufliche Stellung, Geschlecht und Alter – Lagen21 gebildet und miteinander verglichen werden (Glatzer / Hübinger 1990: 41). „Durch eine für die kausale Analyse besonders ergiebige Längsschnittuntersuchung von Lebenslagen können die Risiken, in soziale Unterversorgung zu geraten, ursächlich bestimmt werden. Ein solches Vorgehen ist die Grundlage für eine präventive sozialpolitische Strategie“ schreiben Allmendinger und Hinz 21 Unter Lage werden hier nicht mehr die vielfältigen Umstände des Lebens eines Menschen verstanden – in diesem Sinne wird das Wort Lebenslage auch verwendet –, sondern Umstände, die mehrere Menschen teilen. Wird das Wort in diesem Sinne verwendet, so ergeben sich Parallelen zu theoretischen Begriffen wie „Klasse“ oder „Schicht“.
2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit
37
(1990: 21). Dies kann aber nur gelingen, wenn sich die Ursachen tatsächlich aus den Veränderungen rekonstruieren lassen und das ist gerade dann schwierig, wenn die Ursachen komplex sind, wenn strukturelle Veränderungen beteiligt sind, und wenn Menschen trotz der Übereinstimmung der Gruppierungs-Merkmale auf Änderungen ihres Umfeldes unterschiedlich reagieren. Sowohl die qualitative Lebenslagenstudie Die Realität der neuen Armut von Lompe (1989), als auch die Studie Zeit der Armut von Leibfried / Leisering / Buhr et al. (1995) zeigen aber, dass eine Situation, wie die von Sozialhilfeempfängern, durch sehr unterschiedliche Ausgangssituationen ausgelöst werden kann und für die Betroffenen sehr unterschiedliche Bedeutung haben kann.22 „Nur wenn man um die subjektiven Handlungsstrategien weiß, sind sinnvolle Aussagen zu sozialen Problemen und ihrer sozialpolitischer Bekämpfung möglich“ (Allmendinger / Hinz 1999: 21). Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Beziehungen zwischen der Mikro- und Makroebene ausreichend geklärt werden (vgl. Glatzer / Hübinger 1990: 49). Der Anspruch der quantitativen und qualitativen Lebenslagenforschung, die Komplexität verschiedener Lebenslagen abbilden zu können, macht das Konzept für die Armutsforschung interessant. Für die Definition von Armut wird in der quantitativen Forschung gewöhnlich für jede Dimension der Lebenslage eine „Unterversorgungsschwelle“ festgelegt (siehe Tabelle 3). Das Unterschreiten einer oder mehrerer Schwellen wird dann als Armut bezeichnet; alternativ wird aus allen Dimensionen ein Index gebildet und für diesen Index eine Schwelle festgelegt. Ein solcher Index war die Ausgangsbasis für das Vorgehen von Townsend (1979). Er konstruierte einen Index aus 60 Indikatoren, der Bereiche wie Ernährung, Bekleidung, Heizung, Strom, häusliche Einrichtung, Wohnverhältnisse, Wohnungsausstattung, Arbeitsbedingungen, Bildung, familiäre Unterstützung, Gesundheit und soziale Beziehungen umfasste. Dann suchte er nach einer Einkommensschwelle, unterhalb derer Schwierigkeiten entstehen, an den Traditionen, Aktivitäten und Ernährungsgewohnheiten teilzuhaben und konnte tatsächlich eine Einkommensgrenze festlegen, ab der sein Deprivationsindex überproportional stieg (Townsend 1979: 261; siehe Abbildung 2). Dies bestätigte die herausragende Bedeutung des Einkommens für die Gestaltung des Lebens insgesamt, als auch einen engen Zusammenhang zwischen dem Einkommen und den anderen Dimensionen.
22
Siehe auch Hübinger 1989.
38
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Abbildung 2: Festlegung einer Unterversorgungsschwelle
Quelle: Townsend 1979: 261 und Voges / Jürgens / Mauer et al. 2003: 64. X-Achse: Einkommen in Prozent des Sozialhilfesatzes (logarithmisch), Y-Achse: Deprivationsindex 2.1.3 Das Konzept Lebensstandard Im Folgenden soll noch auf das Konzept Lebensstandard eingegangen werden und auf eine Erweiterung dieses Konzepts von Andreß. Der Lebensstandard bezeichnet objektive Maße der Güterausstattung, insbesondere von Haushalten, aus denen auf Wohlstand geschlossen werden soll. Das Konzept wurde insbesondere in der Nachkriegszeit und bis hinein in die 70er und 80er Jahre entwickelt, als der zunehmende Wohlstand von der Vorstellung geprägt war, dass – überspitzt ausgedrückt – die Welt gerettet ist, wenn jeder einen Kühlschrank, einen Fern-
2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit
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seher und ein Auto besitzt. Heute wird das Konzept kaum mehr weiterentwickelt,23 aber beispielsweise in dem vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Datenreport (Statistisches Bundesamt 2005) und für Vergleiche des Wohlstandes von Ost- und West-Deutschland (z.B. Noll / Weick 2005) in größerem Umfang genutzt. Indikatoren des Lebensstandardkonzepts können beispielsweise sein: – Verteilung der monatlichen Verbrauchsausgaben eines Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalts mit mittlerem Einkommen in Deutschland, – Prozentsatz der Haushalte, die über eine vollautomatische Waschmaschine, einen Pkw oder ein Telefon verfügen, – Zahl der Schwimmbäder je 10000 Einwohner, – Zahl der jährlichen Auslandsurlaube pro Einwohner, – Für einen internationalen Vergleich wird z. B. angegeben wie viele Stunden ein durchschnittlich verdienender Industriearbeiter arbeiten muss, um bestimmte Güter kaufen zu können (Ludwig 2000).
Den einfachen Lebensstandardansatz haben Andreß und Lipsmeier (Andreß 1999, Andreß / Lipsmeier 2000, Andreß 2002) zum so genannten erweiterten Lebensstandardansatz modernisiert und erweitert. Wohlfahrt soll über die vorhandenen Geldmittel eines Haushaltes und ihre konsumtive Verwendung abgebildet werden, da die bei der Verwendung entstehenden Handlungsspielräume von verschiedenen Personen unterschiedlich genutzt werden. Dazu wurde zuerst erhoben, ob bestimmte Items, wie „Telefon“, „Auto“, „mindestens ein einwöchiger Urlaub weg von zu Hause pro Jahr“, „im Durchschnitt eine warme Mahlzeit pro Tag“ und „neue Kleidung kaufen, auch wenn die alte noch nicht abgetragen ist“ vorhanden waren und, falls nicht, wurde gefragt, ob sie aus finanziellen Gründen oder aus anderen Gründen nicht vorhanden waren. Zusätzlich wurde bei jedem Item gefragt, ob es als unbedingt notwendig, eher notwendig, eher nicht notwendig oder überhaupt nicht notwendig eingeschätzt wird. Die Erhebung der Notwendigkeit diente dann zur Festlegung eines „notwendigen“ Lebensstandards. Mit der Frage nach dem Vorhandensein konnte der Grad der individuellen Unterversorgung festgestellt werden. (Alternativ kann der „notwendige“ Lebensstandard von Forschern festgelegt werden, oder es können – sozusagen als Maß der relativen Armut – die Güter als notwendig erachtet werden, die in überdurchschnittlichem Maße vorhanden sind.) Die Anzahl der Güter, die aus finanziellen Gründen nicht vorhanden waren, wurde gezählt und Armut als das Überschreiten einer bestimmten Schwelle an nicht leistbaren Gütern beschrieben.
23
Den letzten umfangreicheren Sammelband stellt Fischer 1995a dar.
40
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Abbildung 3: Der erweiterte Lebensstandardansatz Sozio-ökonomische Rahmenbedingungen Haushaltskontext Präferenzen
Ressourcen
Verhalten
Resultante
Indirekte Indikatoren (Einkommen)
Direkte Indikatoren (Konsum, Lebensstandard)
Politische Einkommensstandards Warenkorbstandards Statistische Einkommensstandards Einkommensstandards durch Befragung
Statistische Ausgabensstandards Versorgungsstandards durch Befragung
Quelle: Andreß 2002: 17, neue Darstellung Legt man den notwendigen Lebensstandard „subjektiv“ und individuell fest, entsteht wiederum das Problem, dass es stark vom Einkommen abhängig sein kann, was jemand für notwendig oder für nicht notwendig erachtet.24 Mit dem modifizierten Lebensstandardansatz soll berücksichtigt werden, dass die Transformation von „Ressourcen“ in „Resultate“, wie sie in Abbildung 3 dargestellt wird, neben den subjektiven Präferenzen sicher auch von objektiven Bedingungen abhängt, wie beispielsweise Krankheit oder Behinderung, die einen erhöhten Bedarf verursachen. Mögliche Gründe für den Mehrbedarf müssten eigentlich mit erhoben werden um tatsächlich Rückschlüsse ziehen zu können. Die Ansätze, die hier diskutiert wurden, werden im Kapitel 2.3 verglichen. Zuvor wird noch der umfassendere Ansatz von Sen eingeführt.
24 Andreß / Lipsmeier 2000 schreiben dazu: „Auch diese Selbsteinschätzung durch die Befragten einer Stichprobe ist nicht frei von Problemen, da z.B. nicht ausgeschlossen werden kann, dass Personen trotz offensichtlich niedriger Ressourcen angeben, aus anderen als finanziellen Gründen nicht über ein Merkmal zu verfügen (27).
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
41
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen Wenn die Leute hören, dass ich Ökonom bin, fragen sie mich, wie sie ihr Geld anlegen sollen. Ich sage ihnen dann, dass ich ihnen keinen Rat geben kann und dass mich vielmehr die Menschen interessieren, die kein Geld haben, um es anzulegen (Amartya Sen nach der Bekanntgabe der Entscheidung des Nobelpreiskomitees).
Der Volkswirt und Philosoph Amartya Sen erhielt 1998 den Nobelpreis für sein Lebenswerk, das viele Wissensgebiete berührt.25 Seit dem Beginn seiner Karriere hatte er die Diskussion philosophischer Gerechtigkeitsfragen mit der Diskussion theoretischer Fragen der Wirtschaftswissenschaften, insbesondere zu den Themen Wohlstandsmessung und Social Choice, verbunden. Gleichzeitig stellte er eine Verknüpfung zu Ergebnissen seiner empirischen Untersuchungen zur Bedeutung der Sozialpolitik in so genannten Entwicklungsländern her. Dabei ist ihm die Problematik der beiden in der Ökonomie meist verbreiteten Maße für Wohlfahrt bewusst geworden. Neben dem Wohlfahrtsmaß Einkommen, das hauptsächlich auf der Makroebene verwendet wird, misst die Mikroökonomie Wohlfahrt als Nutzen. Sens Kritik interessiert hier nicht nur, weil der Nutzenansatz als Maß individueller Wohlfahrt die Alternative der Ökonomie zu den anderen hier diskutieren Konzepten der Wohlfahrtsmessung darstellt –, sie interessiert besonders deshalb, weil sie die Unmöglichkeit interpersoneller Nutzenvergleiche postuliert hat. Damit werden die Themen Ungleichheit und Armut für die Ökonomie unsichtbar gemacht, beziehungsweise auf Effizienzfragen reduziert. Für Sen stellt die Kritik am Nutzenansatz den Ausgangspunkt der Suche nach neuen Wegen in der Wohlfahrtsmessung dar. 2.2.1 Sens Kritik am Nutzenkonzept Der Nutzenansatz der Ökonomie geht auf die Philosophie von Benthams (1748– 1832) Utilitarismus zurück (Biesecker / Kesting 2003: 99). Der Utilitarismus und der Nutzenansatz basieren auf der Annahme, dass jede Person aus dem Konsum eines Gutes einen gewissen individuellen und subjektiven Nutzen zieht. Während Bentham selbst die Aggregation des Nutzens verschiedener Güter und verschiedener Personen noch unproblematisch erschien – er wollte mit dem Konzept den Gesamtnutzen der Gesellschaft optimieren – wurde dieser Vorgang später problematisiert: Der Ökonom Lionel Robbins (1898–1984) und andere methodische Positivisten hielten interpersonelle Vergleiche von inneren Zuständen 25
Für einen Einstieg ins Sens unübersichtliches Werk eignen sich Sen 2000, 2000a sowie Pressman / Summerfield 2000 und Volkert 2005.
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
für sinnlos.26 Folgt man dieser Argumentation, kann aus Kauf- und Konsumentscheidungen – und auch aus der Entscheidung, wie viel Arbeit-(szeit) eine Person auf dem Arbeitsmarkt anbietet –, zwar immer noch auf eine implizite Bewertung geschlossen werden, da gemäß dem Grenznutzensatz für ein Gut höchstens so viele Mittel für ein Gut eingesetzt werden, wie dieses subjektiv wert ist. Mit diesem Verfahren kann aber nur der Grenznutzen ermittelt werden, nicht jedoch der absolute Nutzen.27 Um das Nutzen-Konzept aufrecht zu erhalten, erfolgte später eine Umdeutung: Auf den Vergleich psychischer Zustände konnte verzichtet werden, wenn unter Nutzen nur mehr eine Rangordnung von Präferenzen verstanden wurde, also eine Repräsentation der Wichtigkeit verschiedener Güter (Sen 2000: 87, Varian 1995: 50). Damit mögen einige theoretische Probleme beseitigt worden sein, dennoch bleibt der interpersonelle Vergleich durch Befragung oder beobachtbare Entscheidungen „unmöglich“ in dem Sinne, dass man den Nutzen nicht durch eine Zahl ausdrücken und somit vergleichbar machen kann. Verzichtet man aber auf interpersonelle Vergleiche, sind mit dem Nutzenansatz kaum Aussagen darüber zu machen, ob Einkommensverteilungen oder -umverteilungen einen positiven Effekt für einen aggregierten Gesamtnutzen der Gesellschaft haben. Der Standard-Ansatz begnügt sich daher bei dem Vergleich von Nutzen gewöhnlich mit Vergleichen nach dem ParetoKriterium. Das besagt, dass verschiedene Zustände und Verteilungen nur dann verglichen werden können, wenn entweder eine Person besser gestellt, und gleichzeitig keine andere Person schlechter gestellt wird – dann kann man von einem Nutzengewinn sprechen –, oder wenn eine Person schlechter gestellt und keine andere Person besser gestellt wird – dann kann man von einem Nutzenverlust oder geringerem Nutzenniveau sprechen (siehe auch Sen 1992: 25, Biesecker / Kesting 2003: 323). Umverteilungen, bei denen eine Person besser gestellt wird und eine andere schlechter gestellt wird, also beispielsweise jegliche (sozial-)staatliche Umverteilung kann mit dem Standard-Ansatz aber nicht bewertet werden.28 Gemäß diesem Kriterium können Güter nur dann einen höher bewerteten Nutzen stiften, wenn eine Umverteilung durch einen freiwilligen Tausch zustanden gekommen ist oder wenn die Menge an Gütern gegenüber einem ursprünglichen Zustand gestiegen ist. Sen weist nun auf die theoretisch banale aber moralisch beachtliche Tatsache hin, dass – bei Verwendung des Pareto-Optimums, das in der praktischen Anwendung immer die Rechtfertigung des Status-Quo beinhaltet – eine Situation 26
Robbins 1984 [1932]: 124f.; vgl. auch Pribram 1998: 781; Sen 2000: 86. Darüber hinaus gibt es noch einige Probleme mehr, wie beispielsweise Interessen, die nicht auf Märkten repräsentiert werden können und solche, die durch fehlende Nachfrage-Kraft nicht auf Märkten repräsentiert werden. 28 Siehe auch Pressman / Summerfield 2000: 92. 27
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
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auch dann als optimal bezeichnet wird, wenn einige sehr reiche Menschen im Luxus leben und alle anderen hungern (Sen 1987: 32, 1985a: 5). Dass sich in diesem Extremfall die Wohlfahrt durch Umverteilung erhöhen würde, scheint Sen so offensichtlich, dass er mit Hilfe dieses Beispiels die Grenzen des sinnvollen Gebrauchs der Nutzentheorie aufzeigen kann (s. a. Pressmann / Summerfield 200: 95). Der Nutzenansatz hatte aber noch weitere Implikationen: Sieht man einmal davon ab, dass gewöhnlich nur der Nutzen betrachtet wird, der aus Gütern entsteht, und damit alle anderen Umstände, die Nutzen bringen, vernachlässigt werden, führte die Unmöglichkeit des interpersonellen Nutzenvergleiches – sicherlich in der Kombination mit einer bereits im klassischen Utilitarismus verankerten Unsensibilität für Verteilungsfragen (vgl. Sen 2000: 76, 80) und einem abseits der Theorie entstandenen, „politischen Bedarf“ an Argumenten, die gegen eine Umverteilung sprechen (vgl. Galbraith 2005: 12) – in der Folge zu einem generellen Misstrauen der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie gegenüber Fragen von Verteilung und Umverteilung und zu einer Hinwendung zu Fragen des Wachstums, der Effizienz und der Allokation. Eine Folge davon ist, dass sich ein Großteil der Beiträge der Ökonomie zu Fragen der Armut und Ungleichheit häufig auf die Beschreibung vermeintlicher Beeinträchtigungen von Wachstum, Allokation und Effizienz beschränkt, die angeblich aufgrund von „verzerrten“ Arbeitsanreizen durch Sozialleistungen und durch Eingriffe in die Arbeitsmärkte entstehen. 2.2.2 Sens Kritik am Einkommenskonzept Das Einkommen ist das zweite wichtige ökonomische Konzept der Wohlfahrtsmessung. Eigentlich widerspricht die Verwendung des Einkommens für die Wohlfahrtsmessung der Nutzentheorie, da bei Fragen der Wohlfahrt nur der aus dem Einkommen resultierende Nutzen von Interesse sein dürfte, nicht aber das Einkommen selbst (vgl. Sen 2000: 88). Folgt man allerdings dieser Argumentation, so würde jede Betrachtung auf einer Markoebene (z. B. Ländervergleiche etc.) unmöglich werden. Deshalb wird das Einkommen, zum Beispiel in der Form des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens, insbesondere in der MakroÖkonomie, als Wohlfahrtsmaß verwendet. Sen führt eine Liste von Gründen an, weshalb dies – auch unabhängig von der Frage, welchen Nutzen das Einkommen stiften kann – eine höchst problematische Vorgehensweise ist. Seine Kritik umfasst dabei gleichermaßen Vergleiche innerhalb von Nationen wie auch Vergleiche zwischen Nationen:
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
– Die Unterschiede der Menschen und ihrer Lebensumstände machen es nämlich unmöglich, aus dem Einkommen auf die aus dem Einsatz des Einkommens resultierende Wohlfahrt – mag sie mit Hilfe subjektiver oder objektiver Indikatoren gemessen werden – zu schließen (Sen 2000: 101). Menschen haben disparate psychische Eigenschaften, die mit Behinderung, Krankheit, Alter oder Geschlecht verbunden sind, was unterschiedliche Bedürfnisse hervorruft. Ein Kranker beispielsweise benötigt ein höheres Einkommen, um die Krankheit zu bekämpfen – ein Einkommen, das ein Gesunder nicht bräuchte; und selbst mit ärztlicher Behandlung kann es geschehen, dass der Kranke nicht dieselbe Lebensqualität genießt, die ein bestimmtes Einkommensniveau einem anderen ermöglichen würde. Ein Behinderter mag eine Prothese brauchen, ein älterer Mensch mehr Unterstützung und Hilfe, eine Schwangere eine gehaltvollere Nahrung usw. (Sen 2000: 90).
Sen betont, dass dieses Argument besonders bei der Betrachtung von Armutssituationen eine wichtige Rolle spielen kann, da ein niedriges Einkommen und ein erhöhter Bedarf, wie sie das Zitat nennt, häufig zusammenfallen (Sen 2000: 111). – Verwendet man das Einkommen (oder die daraus resultierende Kaufkraft) für Vergleiche verschiedener Länder oder Gesellschaften, so vernachlässigen Einkommensvergleiche die Verschiedenheit der Umweltbedingungen, die dazu führen, dass Einkommen ungleich in Wohlfahrt transformiert werden kann: Unterschiedliche Umweltbedingungen (große klimatische Unterschiede, Regenfälle, Überflutungen usw.) können sich darauf auswirken, was jemand mit einem bestimmten Einkommensniveau anfangen kann. Heizung und Kleidung stellen die Armen in einem kälteren Klima vor Probleme, die nicht weniger Arme in wärmeren Gegenden nicht haben (Sen 2000: 90).
– Des Weiteren führt Sen Unterschiede im sozialen Klima an: Die Möglichkeit, persönliches Einkommen und persönliche Ressourcen in Lebensqualität umzusetzen, wird auch von sozialen Bedingungen beeinflusst, darunter öffentliche Bildungseinrichtungen, eine hohe oder niedrige Verbrechens- und Gewaltquote in der jeweiligen Umgebung. Epidemien und Umweltverschmutzungen sind sowohl von Umwelt- wie von sozialen Faktoren abhängig. Neben öffentlichen Institutionen29 können auch die sozialen Beziehungen innerhalb des Gemeinwesens eine große Rolle spielen, wie die jüngsten Untersuchungen zum „Sozialkapital“ dargelegt haben (Sen 2000: 90).
– Gewöhnlich arbeiten in einer Familie nicht alle Personen, das erwirtschaftete Einkommen wird aber für alle verwendet. Untersuchungen, die das Einkommen als Indikator verwenden, negieren häufig die innerfamiliäre Verteilung oder versuchen sie zu theoretisch zu rekonstruieren. Beispielsweise kann das 29
In der Originalübersetzung ungünstig übersetzt als „Einrichtungen“.
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
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gesamte Einkommen in Äquivalenzeinkommen umgerechnet werden. Dabei wird das ursprüngliche Einkommen auf die Anzahl der Erwachsenen und Kinder (mit Gewichten) verteilt (siehe z. B. Hanesch / Krause / Bäcker 2000: 48f.). Wie aber das Einkommen innerhalb der Familie tatsächlich verteilt wird und wer daraus welchen Vorteil zieht, kann sehr unterschiedlich sein. Sen weist darauf hin, dass dies nicht nur in Entwicklungsländer bedeutsam ist, wo insbesondere Mädchen und Frauen benachteiligt werden: Bei Ungleichheit und Armut in Europa und Nordamerika fällt dieses Problem zweifellos nicht so ins Gewicht, doch die oft stillschweigend gemachte Annahme, dass die Frage der Ungleichbehandlung der Geschlechter die »westlichen« Länder auf einem elementaren Niveau gar nicht erst tangiert, ist in gewisser Weise falsch. Beispielsweise hat Italien eine der höchsten Quoten »nicht anerkannter« Arbeit von Frauen gegenüber anerkannter Arbeit, die in die Standardberechnung des Nationaleinkommens eingeht. Die Berücksichtigung der aufgewendeten Mühe und Zeit und die damit einhergehende Beschneidung der Freiheit hat selbst für die Armutsanalyse in Europa und Nordamerika gewisse Folgen (Sen 2000: 112).
– Einkommensvergleiche verschiedener Gesellschaften oder Länder leiden durch die Relativität der Armut. Dieser Begriff wird normalerweise bei der Armutsdefinition ins Spiel gebracht. Bei Untersuchungen, die auf dem Einkommen basieren, wird von Armut gesprochen, wenn eine Person weniger als 50% oder 60% des Durchschnitteinkommens verdient; die Armutsgrenze schwankt also mit dem Einkommen anderer. Welche Gründe gibt es für dieses Vorgehen? Der Mitteleinsatz für das Mithalten-Können in einer Gesellschaft kann – so argumentiert Sen – recht unterschiedlich sein. Dinge, Tätigkeiten und spezielle Ausgaben erfüllen soziale Funktionen (Sen 2000: 112), die die „soziokulturelle Teilhabe und Teilnahme“ (Schmid / Wallimann 1998: 25) am gesellschaftlichen Leben erst ermöglichen. Stehen nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung, dann kann dies in anderen Lebensbereichen zu Beeinträchtigungen führen, und ein „relativer Mangel hinsichtlich des Einkommens kann einen absoluten Mangel in Bezug auf die Verwirklichungschancen mit sich bringen“.30 Die paradoxe Erscheinung, dass es in reichen Ländern […] Hunger gibt, hängt in der Tat damit zusammen, dass konkurrierende Anforderungen an das Haushaltsbudget gestellt werden: einerseits die Bedürfnisse des Leibes, andererseits das Bedürfnis, sozial mithalten zu können (Sen 2000: 113).
Das Nicht-Mithalten-Können kann psychische Auswirkungen haben, und so vermutet Sen, dass „[d]ieselbe Relativität des Maßstabs […] sich auch auf die persönlichen, zur Wahrung der Selbstachtung nötigen Mittel erstrecken“ mag (Sen 30
Sen 2000: 112, s. a. 1992: 115f., 1983
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
2000, 91). Mehrfach weist er in seinen Schriften darauf hin, dass dieses Argument bereits Adam Smith beschäftigte (z.B. Sen 2000: 94). Unter lebenswichtigen Gütern verstehe ich nicht nur solche, die unerlässlich zum Erhalt des Lebens sind, sondern auch Dinge, ohne die achtbaren Leuten, selbst der untersten Schicht, ein Auskommen nach den Gewohnheiten des Landes nicht zugemutet werden sollte. Ein Leinenhemd ist beispielsweise, genau genommen, nicht unbedingt zum Leben notwendig. Griechen und Römer lebten, wie ich glaube, sehr bequem und behaglich, obwohl sie Leinen noch nicht kannten. Doch heutzutage würde sich weithin in Europa jeder achtbare Tagelöhner schämen, wenn er in der Öffentlichkeit ohne Leinenhemd erscheinen müsste. Denn eine solche Armut würde als schimpflich gelten, in die ja niemand ohne eigene Schuld geraten kann, wie allgemein angenommen wird. Ebenso gehören heute in England Lederschuhe aus Lebensgewohnheit unbedingt zur notwendigen Ausstattung. Selbst die ärmste Person, ob Mann oder Frau, würde sich aus Selbstachtung scheuen, sich in der Öffentlichkeit ohne Schuhe zu zeigen (Smith 1667 [1978]: 747).
Sen zeigt zwei mögliche Interpretationen von Einkommensanalysen auf: Einerseits kann man das Einkommen betrachten als einen Betrag, der Auskunft gibt über die Menge von möglichen Optionen, die mit ihm realisiert werden könnten. Diese Variante nennt er option view. Sie beschreibt sozusagen die Situation vor der Transformation des Einkommens in Güter, Dienstleistungen etc. Andererseits kann man versuchen die Wohlfahrt mit Hilfe des aufgewendeten Einkommens abzuschätzen. Diese Variante, die versucht, das Ergebnis der Transformation zu bewerten, nennt er selection view (Sen 1979, 1992: 34). Sen kritisiert sowohl den option view, da die Transformation von Einkommen in Güter und Dienstleistungen stark von Märkten und Preisen abhängt, als auch den selection view, der die Transformation von Gütern und Dienstleistungen in die daraus resultierende Wohlfahrt als unproblematisch darstellt (Sen 1992: 37, s. a. Fn. dort). Diese zweite Transformation ist es, die in der Ökonomie normalerweise mit dem Nutzenansatz beschrieben wird, was – wie oben dargestellt wurde – auch problematisch ist. Sen hält also Einkommensvergleiche für die Wohlfahrtsmessung für ungeeignet, insbesondere, weil das Einkommen wenig darüber aussagt, was mit ihm erreicht werden kann. Dies hängt vielmehr von individuellen und strukturellen Faktoren ab. Viele seiner Argumente wurden schon in der Diskussion der Lebenslagen angeführt. So erinnert die Beschreibung der klimatischen Unterschiede an die Beschreibung des Lebensbodens bei Neurath und die Beschreibung des „sozialen Klimas“ ähnelt der Beschreibung der Lebensordnung bei Neurath. Die Diskussion des option view thematisiert das Problem der Beschreibung von Handlungsspielräumen und Interessen, das schon Weisser beschäftigt hat, und die Unterscheidung in option view und selection view ähnelt der Diskussion der Wahl im erweiterten Lebenslagen-Ansatz.
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
47
Auf der Suche nach neuen Wegen experimentierte Sen in den 80er Jahren mit entitlements31, mit Grundbedürfnissen32 und mit dem Konzept des Lebensstandards. Die Wohlfahrtsmessung mit Hilfe von Grundbedürfnissen stellte ihn vor ähnliche Probleme wie der Einkommens-Ansatz33 und so nahm Sen in der Folge die Fähigkeit von Menschen, ihr Einkommen in Wohlfahrt zu transformieren, in den Blick (Pressman / Summerfield 2000: 97). “It seems reasonable to move away from a focus on goods as such to what goods do to human beings” (Sen: 1982a: 29f.). 2.2.3 Transformationen, functionings und capabilities Neben den angeführten ökonomischen Argumenten, hatten auch philosophische Debatten dazu beigetragen, dass Sen sein Interesse auf die Transformation von Ressourcen richtete (Sen 1992: 36–37). Sen beobachte, dass sich alle wichtigen Gerechtigkeitstheorien mit der Frage der Gleichheit beschäftigen, sich aber stark darin unterscheiden, was gleich sein soll. Beispielsweise streben Anhänger des philosophischen Liberalismus typischerweise eine Gleichheit von Rechten an, die gleiche Handlungsfreiheiten und Chancen als Ausgangspunkt garantieren sollen. Unter der Annahme, dass diese Handlungsfreiheiten und Chancen bestehen, werden Unterschiede im Einkommen dann dahingehend interpretiert, dass sie durch gewollte, bewusst gewählte Unterschiede im Engagement der Erlangung von Einkommen zustande kommen. Der Rawls’sche Liberalismus strebt neben gleichen Rechten eine Gleichheit von Grundgütern an, die zu einer Chancengleichheit durch eine garantierte Mindestausstattung führen soll (Sen 1992: 37). Utilitaristen verwenden hingegen den Nutzen als Maßstab ihrer Philosophie und untersuchen daher keine Ausgangspositionen, sondern Endzustände, weshalb sie den Konsequentialisten zugerechnet werden. Lassen sich Utilitaristen auf interpersonelle Vergleiche ein – und Philosophen tun das eher als Ökonomen – so rechtfertigt ihre Philosophie im Allgemeinen eine beliebig große Verteilungsungleichheit, wenn dabei die Gesamtwohlfahrt erhöht wird (wobei allerdings jeder Person die gleiche Wichtigkeit zugemessen werden muss). Bedürfnisorientierte Philosophien untersuchen hingegen Endzustände auf ihre Angemessenheit hin: Sie vertreten die Position, dass Nachteile, die Menschen haben – beispielsweise durch eine Behinderung – auszugleichen sind. Sen analysierte, 31
Entitlements sind Verfügungs- und Zugangsrechte, mit denen Drèze und Sen erklärt haben, wie es zu Hungerkatastrophen kommen kann, obwohl im Landesdurchschnitt ausreichend Nahrung zur Verfügung steht. Siehe dazu: Drèze / Sen 1989. 32 Einen Überblick bietet Stewart 1996. 33 Sen 1987a: 48f., vgl. auch Sen 1992: 27.
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
was diese Positionen unterscheidet und kam zu dem Schluss, dass sie sich entweder mit Ausgangsbedingungen oder mit Endzuständen beschäftigen, nicht aber die Art und Weise berücksichtigen, wie die Transformation vonstatten geht. Gerade diese Unterschiede in den Transformationsmöglichkeiten können aber große Ungleichheit erzeugen. Für die Beschreibung der Transformation führte Sen den Begriff functionings ein. Er versteht darunter Tätigkeiten (doings), aber auch Zustände einer Person (beings), die für die Herstellung des persönlichen Wohlergehens (well-being) oder für die Verfolgung anderer Ziele einer Person (achievement) wesentlich sind. The concept of “functionings”, which has distinctly Aristotelian roots, reflects the various things a person may value doing or being. The valued functionings may vary from elementary ones, such as being adequately nourished and being free from avoidable disease, to very complex activities or personal states, such as being able to take part in the life of the community and having self-respect (Sen 1999: 75).
Die Nähe des Begriffes functioning zu dem Begriff Funktion ist dabei gewollt, da die functionings die Transformation eines Inputs, sozusagen eines x-Wertes, in einen Output, also einen y-Wert34, beschreiben. Funktion stellt dementsprechend die übliche Art der Übersetzung des Sen’schen Begriffs dar. Stellt man den technischen Aspekt der Transformation in den Hintergrund und betrachtet die Transformation eher unter dem Aspekt des alltäglichen Lebensvollzugs, so bietet sich die Übersetzung des Begriffs functioning mit dem Begriff Fähigkeiten an.35 Im Folgenden werden beide Begriffe verwendet. Obwohl es sich um ein sehr breites Konzept handelt, mit dem große Teile des Lebensvollzugs beschrieben werden können, führt Sen in verschiedenen Texten häufig die gleichen Beispiele an: – ausreichend ernährt zu sein (Sen 1999: 75, s. a. Sen 2000: 95), – frei zu sein von vermeidbaren Krankheiten (Sen 1999: 75), – die Möglichkeit zu haben, ein hohes Alter zu erreichen (Sen 1999: 96, Sen 2000: 121), – eine Wohnung und Kleidung zu haben (Sen 1983: 163), – Möglichkeit zu leben ohne sich seiner Kleider schämen zu müssen (Sen 1985: 46), – die Möglichkeit zu haben am Gemeinschaftsleben teilzunehmen (Sen 1999: 75), 34
Functionings – in der Pluralform – beschreiben dann die Transformationen verschiedener x-Werte (Ressourcen) in verschiedene Ergebnisse, angegeben in y-Werten. 35 Dieser Vorgehensweise folgten beispielsweise die Übersetzerinnen von Nussbaum 1999.
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
49
– Selbstachtung zu besitzen (Sen 2000: 95), – lesen und schreiben zu können (Sen 1985: 46), – Urlaub machen und reisen zu können (Sen 1985: 46).36 Sen hat sich dagegen ausgesprochen, eine vollständige Liste von Fähigkeiten oder Grundfähigkeiten anzugeben, da er die Meinung vertritt, dass die Erstellung der Liste in einem demokratischen Prozess erfolgen soll (Sen 2000: 95; vgl. auch Robeyns 2005: 106). Dagegen hat Martha Nussbaum, die Sen bei der Entwicklung seines Ansatzes begleitet hat, solch eine Liste über einen längeren Zeitraum erarbeitet. Ihr zur Folge gehören zu den Grundfähigkeiten … 1. Die Fähigkeit, ein volles Menschenleben bis zum Ende zu führen; nicht vorzeitig zu sterben oder zu sterben, bevor das Leben so reduziert ist, dass es nicht mehr lebenswert ist. 2. Die Fähigkeit, sich guter Gesundheit zu erfreuen; sich angemessen zu ernähren; eine angemessene Unterkunft zu haben; Möglichkeiten der sexuellen Befriedigung zu haben; sich von einem Ort aus zu einem anderen zu bewegen. 3. Die Fähigkeit, unnötigen Schmerz zu vermeiden und freudvolle Erlebnisse zu haben. 4. Die Fähigkeit, die fünf Sinne zu benutzen, sich etwas vorzustellen, zu denken und zu urteilen. 5. Die Fähigkeit, Bindungen zu Dingen und Personen außerhalb unser selbst zu haben; diejenigen zu lieben, die uns lieben und für uns sorgen, und über ihre Abwesenheit traurig zu sein; allgemein gesagt: zu lieben, zu trauern, Sehnsucht und Dankbarkeit zu empfinden. 6. Die Fähigkeit, sich eine Vorstellung vom Guten zu machen und kritisch über die eigene Lebensplanung nachzudenken. 7. Die Fähigkeit, für andere und bezogen auf andere zu leben, Verbundenheit mit anderen Menschen anzuerkennen und zu zeigen, verschiedene Formen von familiären und sozialen Bindungen einzugehen. 8. Die Fähigkeit, in Verbundenheit mit Tieren, Pflanzen und der ganzen Natur zu leben und pfleglich mit ihnen umzugehen. 9. Die Fähigkeit, zu lachen, zu spielen und Freunde an erholsamen Tätigkeiten zu haben. 10. Die Fähigkeit, sein eigenen Leben und nicht das von jemand anderem zu leben. 11. Die Fähigkeit, sein eigenes Leben in seiner Umgebung und seinem eigenen Kontext zu leben (Nussbaum 1999: 57).
Sen führt noch einen weiteren Begriff ein, der in einem engen Verhältnis zu den Funktionen (functionings) steht: capabilities. Capabilities sind Handlungsspielräume oder Verwirklichungsmöglichkeiten, die einer Person zur Verfügung stehen.37 Im Folgenden werden beide Übersetzungsweisen gleichwertig verwendet. Die Handlungsspielräume / Verwirklichungsmöglichkeiten einer Person hängen natürlich auch von der Fähigkeit ab, Ressourcen zu transformieren, also von ih36
S. a. Sen 1985: 46, 1983: 162f., 1984a. Beachte die Nähe zum dem Dahrendorf’schen Begriff Lebenschancen (Dahrendorf 1979) und der Optionen (ebd. 51). Der Begriff Möglichkeiten wird hier dem Begriff der Chancen vorgezogen, weil er weniger die statistische Chance konnotiert, die nach einem Zufallsprinzip eintritt oder auch nicht (anders: ebd. 96 und Volkert 2005). 37
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
ren functionings. So bringt Sen Funktionen und Verwirklichungsmöglichkeiten in ein sehr einfaches Verhältnis: Die Verwirklichungsmöglichkeiten beschreiben die Menge von möglichen Funktionen, die eine Person realisieren kann. Eine Person sucht aus der Menge ihrer Verwirklichungsmöglichkeiten die Funktionen aus, die sie realisieren möchte. Realisierte Funktionen bezeichnet Sen als achievement. A person’s “capability” refers to the alternative combinations of functionings that are feasible for her [38] to achieve. Capability is thus a kind of freedom: the substantive freedom to achieve alternative functioning combinations (or, less formally put, the freedom to achieve various lifestyles) (Sen 1999: 75).
Beispielsweise könnte erholt sein, ähnlich wie ausreichend ernährt sein, ein achievement sein, das auf verschiedenen Wegen erreicht werden kann: Man kann ans Meer oder in die Berge fahren oder einen Städteurlaub machen. Diese verschiedenen Möglichkeiten stellen die Verwirklichungsmöglichkeiten dar, aus denen eine Person eine Art Urlaub zu machen auswählt. Dieser Urlaub hat dann die Funktion die Erholung herzustellen. Auch die Möglichkeit sich fortzubewegen kann als Verwirklichungsmöglichkeit beschrieben werden, und Sen verwendet dieses Beispiel um noch einmal das Verhältnis von Verwirklichungsmöglichkeiten zum Nutzen aufzuzeigen: Having a bike gives a person the ability to move about in a certain way that he may not be able to do without the bike. So the transportation characteristic of the bike gives the person the capability of moving in a certain way. That capability may give the person utility or happiness if he seeks such movement or finds it pleasurable. So there is, as it were, a sequence from a commodity (in this case the bike), to characteristics (in this case, transportation), to capability to function (in this case, the ability to move), to utility (in this case, pleasure from moving.) […] The commodity ownership or availability itself is not the right focus since it does not tell us what the person can, in fact, do. I may not be able to use a bike if—say—I happen to be handicapped. Having the bike—or something else with that characteristic—may provide the basis for a contribution to the standard of living, but it is not in itself a constituent part of the standard. On the other hand, while utility reflects the use of the bike, it does not concentrate on the use itself, but on the mental reaction to that use (Sen 1983: 160).39
Sen begründet mit dem Begriff der Verwirklichungsmöglichkeiten auch einen eigenen (philosophischen) Freiheitsbegriff. Die Anzahl der Verwirklichungsmöglichkeiten kann als Freiheit interpretiert werden; jede weitere Möglichkeit das Leben zu gestalten bedeutet also eine zusätzliche Freiheit, auch wenn immer nur eine dieser Verwirklichungsmöglichkeiten realisiert werden kann. Sen unterscheidet also zwischen einer Menge an unrealisierten Möglichkeiten und den 38 39
Sen verwendet abwechselnd die männliche und die weibliche Form. Siehe zu diesem Beispiel auch: Sen 1985: 10.
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
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tatsächlich ergriffenen Möglichkeiten. Dabei weist er Möglichkeiten einen intrinsischen Wert zu, also einen Wert, der unabhängig davon besteht, ob eine Möglichkeit realisiert wird oder nicht (Sen 1992: 31, 51). For example, an affluent person who fasts may have the same functioning achievement in terms of eating or nourishment as a destitute person who is forced to starve, but the first person does have a different “capability set” than the second (the first can choose to eat well and be well nourished in a way the second cannot) (Sen 1992: 52, 1999: 75).
Aber auch die Funktionen stellen einen Aspekt von Freiheit dar. Sen führt zur Erklärung dieses Aspektes das Beispiel eines behinderten Menschen an: Die Freiheit eines Gehbehinderten andere Orte zu erreichen sind eingeschränkt (vgl. Sen 1983: 164). Sein geringerer Spielraum kann eventuell durch materielle Zuwendungen kompensiert werden, wodurch er beispielsweise seine Mobilität unter Zuhilfenahme eines Rollstuhls oder Autos erhöhen kann, dennoch bleibt die Gehbehinderung eine Einschränkung. Funktionen (functionings) weisen also eher auf deterministische Begrenzungen von Freiheit hin, während capabilities auf Wahlmöglichkeiten verweisen. Wie aber nutzen Menschen ihre Freiheit, also ihren zur Verfügung stehenden Handlungsspielraum und wie kann die bestehende Freiheit bewertet werden? Sen weist darauf hin, dass einige Richtungen der Wohlfahrtsmessung den Aspekt der Wahlmöglichkeiten unterschlagen, indem sie die realisierte Wahlmöglichkeit für die optimale halten (Sen 1992: 51). Er hält diese Vorgehensweise nicht für geeignet. Zwar verfolgen Menschen mit ihren Handlungen normalerweise irgendwelche bestimmten Ziele, jedoch stimmen diese Ziele nicht unbedingt mit einem Wohlfahrtskriterium(-ziel) überein, das an das Leben einer Person von außen herangetragenen wird. Menschen optimieren eben nicht nur ihr Einkommen, ihre Wohlfahrt oder ihren Nutzen. Tabelle 5: Das Verfolgen und Erreichen von Zielen well-being (Wohlergehen)
agency goals (individuelles Handlungsziel)
freedom to achieve (Handlungsspielräume)
well-being freedom (Handlungsspielraum für die Erzeugung von Wohlergehen)
agency freedom (Handlungsspielraum für die Verfolgung individueller Handlungsziele)
achievement (Zielerreichung)
well-being achievement (realisiertes Wohlergehen)
agency achievement (realisierte Handlungsziele)
Quelle: Sen 1992: 95f., Übersetzung: A. K. Sen sieht daher zwei generelle Möglichkeiten, die achievements zu bewerten: entweder anhand „subjektiver“ Kriterien, also anhand der Ziele, die eine Person
52
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
für sich selbst festlegt oder anhand eines extern vorgegebenen, objektiven Wohlfahrtskriteriums, das Sen als Wohlergehen (well-being) bezeichnet. Kreuzt man die beiden Kriterien agency und well-being mit den beiden Perspektiven, Wahlfreiheit (freedom) und erreichtes Ziel (achievement), so ergeben sich vier Situationen, die bewertet werden könnten (Sen 1992: 59f.). Can freedom conflict with well-being? … Freedom and well-being achievement can, thus, move in opposite directions, no matter whether we interpret freedom as agency freedom or as well-being freedom… The reasons for possible conflict can vary, but they relate ultimately to the substantive content of the distinction between the two aspects—well-being and agency—of a person (62). That distinction not only indicates two different perspectives on which inequality may be assessed, but also provides reason… for expecting that well-being may not move in the same direction as freedom judged in either perspective (Sen 1992: 59, 62).
Sen versteht die Entwicklung von Gesellschaften nun als die Zunahme von Freiheit in Form von Handlungsspielräumen beziehungsweise Verwirklichungsmöglichkeiten ihrer Mitglieder. Bereits oben, bei Sens Kritik am Wohlfahrtsindikators Einkommen – und auch bei der Aufzählung der Funktionen – wurde klar, dass er davon ausgeht, dass die Zunahme der Handlungsspielräume nicht durch einen Menschen selbst und alleine erreicht werden kann, sondern dass dabei strukturellen Gegebenheiten wesentlich sind (Sen 2000, 44). Er spricht dabei aber nicht von Gesellschaft, Struktur oder Makroebene, sondern identifiziert zwei unterschiedliche Funktionen von Freiheiten für die Entwicklung: „Die Erweiterung von Freiheit wird […] unter zwei Gesichtspunkten betrachtet, nämlich als (1) oberstes Ziel und als (2) wichtigstes Mittel der Entwicklung. Wir können hier auch von einer »konstitutiven Funktion« und einer »instrumentellen Funktion« der Freiheit für die Entwicklung sprechen“ (Sen 2000: 50). Die konstitutive Funktion von Freiheit, die Sen auch als „intrinsische Bedeutung menschlicher Freiheit“ (ebd. 51) bezeichnet, besteht in dem Eigenwert für Entwicklung und Wohlfahrt. Die instrumentelle Funktion besteht in der „Art und Weise, in der verschiedene Formen von Rechten, Chancen und Berechtigungen zur Erweiterung der menschlichen Freiheit im allgemeinen beitragen und damit die Entwicklung fördern“ (ebd. 51). Diese instrumentelle Funktion entsteht dadurch, dass sich die verschiedenen „Arten von Freiheiten“ (ebd. 51) gegenseitig verstärken. Die Betonung der Wahlmöglichkeit und ihre Beschreibung als Freiheit unterscheidet den Ansatz Sens stark von anderen Ansätzen der Wohlfahrtsmessung und öffnet ihn zur philosophischen Diskussion des Freiheits-Begriffs hin: Der Nutzenansatz und der Utilitarismus reduzieren die Wahlmöglichkeiten einer Person auf einen Vergleich von Grenzkosten verschiedener Güter, der das Ergebnis eines Nutzenoptimierungskalküls ist, beziehungsweise auf die Verfolgung des eigenen Glücks oder Vorteils. Die eigentliche Wahl geht gleichsam automatisch
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
53
vor sich, sobald sich eine Person über ihre Grenzkosten beziehungsweise ihren Nutzen im Klaren ist. Sen kann durch die Unterscheidung von capabilities und functionings solch vereinfachende Annahmen umgehen; er stellt einen theoretischen Rahmen zur Verfügung, mit dessen Hilfe die Wahl in einem breiteren Rahmen analysiert und andere Zielsetzungen als die der Nutzenoptimierung betrachtet werden können. Oben wurde aufgezeigt, dass liberale Positionen der Gleichheit an Rechten und der Chancen eine zentrale Bedeutung zusprechen, weil sie über die Herstellung gleicher Ausgangssituationen Gerechtigkeit herstellen wollen. Capabilities beschreiben nun gerade solche Chancen, die auf verschiedene Weise wahrgenommen werden können. Die functionings und die Diskussion von Ressourcen zeigen auf, welche Kriterien bei einem Vergleich von Ausgangssituationen berücksichtigt werden müssen. Rawls Version des Liberalismus möchte Gerechtigkeit durch eine Mindestausstattung an Grundgütern herstellen, die „Rechte, Freiheiten und Chancen sowie Einkommen und Vermögen […] und die sozialen Grundlagen der Selbstachtung“40 umfassen sollten. Unter Hinzuziehung von Sens Ansatz wird klar, dass Rawls die Tatsache vernachlässigt, dass diese Grundgüter erst transformiert werden müssen. Sen erweitert also den Ansatz von Rawls, indem er neben dem Nutzen weitere Ziele zulässt. Sen beschreibt wie sich andere Ansätze zu seinem verhalten: [S]eine Vorzüge wie Grenzen liegen recht deutlich zutage. Es scheint, als sei die Perspektive nicht nur in der Lage, die Bedeutung der Freiheit unmittelbar zu würdigen, sie vermag auch denjenigen Motiven gebührend Aufmerksamkeit zu schenken, die die Relevanz der anderen Perspektiven ausmachen. Insbesondere gelingt es dem an Freiheit orientierten Standpunkt unter anderem, dem Interesse des Utilitarismus am Menschen Wohlergehen, der Beschäftigung des radikalen Liberalismus mit Entscheidungs- und Handlungsfreiheit sowie der Rawls’schen Theorie mit ihrer Konzentration auf individuelle Freiheiten und die zur Ausübung substantieller Freiheiten nötigen Mittel zu genügen (Sen 2000: 109).
Obwohl man sich unter dem hier verwendeten Freiheitsbegriff nach wie vor individuelle Handlungsspielräume und Verwirklichungschancen vorzustellen hat, führt Sen eine erweiterbare Liste von fünf instrumentellen Freiheiten an, die Makro-Aspekte der Produktion individueller Freiheit darstellen. Sie muss vor dem Hintergrund seines entwicklungspolitischem Interesses gelesen werden. – Politische Freiheiten […] betreffen die Möglichkeiten, darüber mit zu entscheiden, wer regiert und nach welchen Prinzipien derjenige regiert. Dazu gehört ferner, die Regierenden kontrollieren und kritisieren, die eigene Meinung frei äußern zu können, durch eine unzensierte Presse informiert zu werden, die Wahl zwischen verschiedenen politischen Parteien zu haben u.s.w. […] – Ökonomische Institutionen betreffen die Chancen der Individuen, sich ökonomischer Ressourcen zum Zwecke des Konsums, der Produktion oder des Tausches zu bedienen. Welche 40
Rawls 1979: 83 und Rawls 1971: 60–65, zit. n. Sen 1992: 81
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität ökonomischen Zugangsrechte eine Person hat, wird davon abhängen, welche Ressourcen sie besitzt oder über welche sie verfügen kann, wie auch von den Bedingungen des Tausches, etwa der relativen Preise und des Funktionierens der Märkte. Insofern der Prozess der ökonomischen Entwicklung Einkommen und Reichtum eines Landes erhöhen, spiegeln sich diese in entsprechender Erweiterung der wirtschaftlichen Zugangsrechte der Bevölkerung […] Wie die zusätzlichen Einkommen verteilt werden, macht offenbar einen Unterschied. – Soziale Chancen beziehen sich auf jene Institutionen, die eine Gesellschaft für die Bildung, das Gesundheitswesen u.s.w. bereitstellt und die sich auf die substantielle Freiheit des Einzelnen auswirken, ein besseres Leben führen zu können. Diese Institutionen sind nicht allein für die private Lebensführung wichtig, wie etwa gesund zu leben, nicht an vermeidbaren Krankheiten leiden zu müssen oder vor der Zeit zu sterben, sie sorgen auch für eine effektive Teilnahme an ökonomischen und politischen Aktivitäten […]. – Bei sozialen Interaktionen stellen Menschen Vermutungen darüber auf, was ihnen angeboten wird und was sie erwarten können. In diesem Sinne basieren Gesellschaften auf Vertrauen. Transparenzgarantien betreffen dann die notwendige Offenheit, die Menschen erwarten können: die Freiheit, miteinander umzugehen und dabei die Gewähr zu haben, dass Offenheit und Durchsichtigkeit herrschen […] Solche Garantien sind […] ein geeignetes Instrument bei der Prävention von Korruption, unverantwortlichem Finanzgebaren und Schiebereien. – Schließlich gibt es, unabhängig davon, wie gut ein Wirtschaftssystem funktioniert, immer einige Leute, die besonders gefährdet sind, aufgrund von materiellen, ihr Leben negativ beeinflussenden Veränderungen in große Not zu geraten. Hier ist soziale Sicherheit gefragt, um durch Sozialversicherungen zu verhindern, dass der betroffene Bevölkerungskreis in extremes Elend versinkt, manchmal sogar Hungernot und Tod erleidet. In diese Domäne der sozialen Sicherheit fallen ständige Institutionen, wie Arbeitslosenunterstützung, ein gesetzlich garantiertes Mindesteinkommen für Bedürftige wie auch Soforthilfe bei Hungersnöten oder befristete öffentliche Beschäftigungsprogramme, um den Mittellosen Einkommen zu verschaffen.41
Diese Freiheiten, Institutionen, Chancen und Sicherheiten, die Elemente der instrumentellen Freiheit im Sinne Sens darstellen, zeigen auf, dass der Markt eben nur ein Freiheit erzeugender Bereich neben vielen anderen ist. Die beschriebenen instrumentellen Freiheiten können nicht individuell erreicht werden, sondern nur durch staatliches oder kollektives Handeln. Wie das geschehen kann oder sollte, dazu sagt Sen wenig. Das mag mit der Konstruktion seines Ansatzes zusammenhängen, der gleichermaßen auf Entwicklungsländer und Industrienationen angewendet werden kann, dafür aber recht allgemein gehalten ist. Sen betont allerdings immer wieder die Wichtigkeit öffentlicher Diskurse, demokratischer Einigungsprozesse und der Menschenrechte als Mechanismen, die der Herstellung der Freiheit dienen (Sen 2000: 180f.). Für Sen hat der Ansatz der Verwirklichungsmöglichkeiten eine besondere Bedeutung für die Beschreibung und Bekämpfung von Armut: Much the same plurality applies also to the approach of seeing poverty as capability failure. This can be linked to various underlying concerns, such as guaranteeing minimal individual 41
Sen 2000: 52f. mit Änderungen in der Übersetzung; engl. Original: Sen 1999: 38f.
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
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well-being of providing minimal individual freedoms, and these in turn can be related to more foundational demands of good—or right—social arrangements. The case of reorienting poverty analysis from low incomes to insufficient basic capabilities can be, ultimately, connected with these alternative foundational concerns […] the reorientation from an income-centered to a capability-centred view gives us a better understanding of what is involved in the challenge of poverty [...]. It provides us clearer guidance on the priorities of anti-poverty policy and helps us to understand better the genesis of poverty in apparently unlikely circumstances (e.g. in richer countries of Europe and America). The wisdom of focusing on poverty as lack of freedom is consistent with a variety of foundational concerns (Sen 1992: 151f., Hervorhebungen im Original).
Eine große Bedeutung erhält die Unterscheidung beispielsweise bei der Einschätzung von Arbeitslosigkeit: Mainstream-Ökonomen neigen dazu, Arbeitslosigkeit als freiwillige Arbeitslosigkeit zu interpretieren, die das Ergebnis einer persönlichen Nutzenoptimierung zwischen dem Lohn und dem Wert der Freizeit darstellt, Arbeitslosigkeit wird also als ein gewünschtes agency achievement interpretiert. Problematisch erscheinen dann die zu hohen Transferleistungen, die das Optimierungs-Kalkül dahingehend beeinflussen, dass sich Arbeit nicht mehr lohnt. Abgesehen davon, dass eine solche Interpretation Probleme auf der Nachfrageseite des Arbeitsmarktes unterschätzt (also etwa ein zu geringes Angebot von Arbeitsplätzen), abstrahiert ein solcher Ansatz auch von Problemen eines Arbeitssuchenden, die in zu geringen Verwirklichungsmöglichkeiten und Funktionen fußen. Fehlende Funktionen wie Bildung, Ausbildung, Mobilitätschancen und flexible Zeitvorräte können die Handlungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt erheblich beeinträchtigen, so dass die Handlungsspielräume, die capabilities immer enger werden. Diese Problematik wird wahrscheinlich besser verstanden, wenn sie auf dem freedom-Level und nicht auf dem achievement-Level untersucht wird, wenn also Entscheidungen unter dem Aspekt von bestehenden oder nicht bestehenden Handlungsspielräumen betrachtet werden, statt als das Ergebnis eines unterstellten Optimierungskalküls (Freizeit oder Einkommen) betrachtet werden. So kann überhaupt erst die Handlungsspielräume erweiternde Funktion finanzieller Transfers erkannt werden. Werden freedom und achievement untersucht, so können Erkenntnisse über die Wahl gewonnen werden, beispielsweise über die Unterschiede zwischen well-being achievement und agency achievement. Die Freiheit einen Job anzunehmen hängt aber nicht nur vom Individuum alleine ab, sondern eben auch von Wahlmöglichkeiten und Freiheit erzeugenden Institutionen. Dies könnten beispielsweise Institutionen der Bildung, Fortbildung oder Umschulung sein.
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
2.2.4 Operationalisierung und Formalisierung von Sens Theorie Wenn es gelänge, den Begriff der Lebenschancen operational so zu präzisieren, dass zumindest Aussagen darüber möglich werden, ob es in einer gegebenen Gesellschaft oder für eine gegebene Klasse mehr oder weniger Lebenschancen gibt, dann ließe das Fortschrittsproblem sich in einer empirisch und theoretisch gleichermaßen interessanten Weise umformulieren (Dahrendorf 1979: 92).
Wie kann die Operationalisierung des Ansatzes von Sen aussehen? Sen hat auf diese Frage eine formale Antwort gegeben. Er war außerdem an der Entwicklung des Human Development Index beteiligt und versteht ihn als eine mögliche Umsetzung seines Konzepts. Er schlägt vor, die Funktionen für empirische Untersuchungen zu quantifizieren und durch je eine Zahl zu repräsentieren. Die Quantifizierungen verschiedener Funktionen ergeben dann einen Vektor. Die Verwirklichungsmöglichkeiten beinhalten eine Vielzahl solcher Vektoren und können als Matrizen dargestellt werden, welche die Vektoren der Funktionen enthalten (Sen 2000: 96, 1999: 75). Die Menge oder das Ausmaß jeder einzelnen Funktion [im Original: functioning], die einer Person zur Verfügung steht, könnte man durch eine Zahl darstellen. Ist dies geschehen, so kann die tatsächliche Leistung [im Original: achievement] als Funktionenvektor verstanden werden. Die Menge der Verwirklichungsmöglichkeiten [im Original: capability set] würde dann aus den alternativen Funktionen bestehen, aus denen die Person wählen kann. Während die Kombination der persönlichen Funktionen ihre tatsächliche Leistungsfähigkeit widerspiegelt, repräsentiert die Menge an Verwirklichungsmöglichkeiten ihre Freiheit, etwas zu verwirklichen: die Kombination ihrer alternativen Funktionen, aus der eine Person wählen kann (Sen 1999: 75, Übersetzung: A.K., s. a. Sen 2000: 96).
In einer frühen Version seines Ansatzes (Sen 1985: 11) hat er diese Idee auch formal dargestellt:
bi
f i (c( xi ))
wobei:
xi
einen Vektor mit den Gütern (Im Original: commodities), der die Teilmenge aller Güter X angibt, die von einer Person i besessen werden.
Es ist davon auszugehen, dass der Begriff der Güter in einem sehr weiten Sinne als materielle und immaterielle Ressourcen gedacht worden ist.
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
c( xi )
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die Funktion, die den Gütervektor in einen Vektor mit den Eigenschaften (c = characteristics) der Güter transformiert,
f i (c( xi )) die Funktion, die angibt, wie die Eigenschaften der Güter genutzt bzw. transformiert werden können – dies ist ein functioning.
Fi (c( xi )) beschreibt die Menge an unterschiedlichen Funktionen f i (c( xi )) , die eine Person realisieren könnte (Sen 1985: 11).42
bi
beschreibt das Ergebnis der einen (aus der Menge Fi) realisierten Funktion fi , also den tatsächlich erreichten Zustand (being = b), das achievement.
Dieser Zustand könnte dann hinsichtlich seiner Wohlfahrt (well-being) evaluiert werden, was formal durch eine Evaluationsfunktion dargestellt wird (ebd. 13):
vi
vi ( f i (c( xi )))
Die Freiheit besteht aus der Menge (Quantity = Q) aller Handlungsmöglichkeiten:
Qi ( X i )
[bi bi
f i (c( xi )) f i Fi und xi X i ]
Diese aufwendige Formalisierung, die sehr unterschiedliche Vorgänge auf einem sehr allgemeinen Niveau zusammenfasst, diente Sen wohl in erster Linie dem theoretischen Vergleich mit den in der Volkswirtschaft verwendeten Nutzenfunktionen. Bei einer Quantifizierung würde natürlich das Problem entstehen, dass es eine beliebig große Anzahl an möglichen Funktionen (functionings) geben kann und darüber hinaus eine beliebig große Anzahl an Handlungsalternativen, also an Verwirklichungsmöglichkeiten (Vgl. Kuklys 2005: 6). Sen weist aber darauf hin, dass für empirische Anwendungen nicht alle möglichen Funktionen ermittelt und erhoben werden müssen, sondern dass – je nach Frage oder Forschungsinteresse – andere im Vordergrund stehen könnten. Für die Analyse extremer Armut in Entwicklungsländern könnten bereits einige wenige Funk42
An dieser Stelle hat Sen darauf verzichtet, die verschiedenen functionings fi mit einem weiteren Index zu bezeichnen. Dieser Index würde alle realisierbaren functionings nummerieren, nur eine dieser functionings würde realisiert werden.
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
tionen oder Verwirklichungsmöglichkeiten – wie beispielsweise „the ability to be well-nourished and well-sheltered, the capability of escaping avoidable morbidity and premature morality, and so forth“ (Sen 1992: 44) – reichen um weit reichende Aussagen zulassen. Sollen Funktionen oder Verwirklichungsmöglichkeiten dazu dienen, politische Zielvorgaben festzusetzen, dann hält Sen – und hier ergibt sich ein Bezug zur Social-Choice-Forschung, einem anderen wichtigen Forschungsgebiet Sens43 – politische Auseinandersetzungen für den besten Weg, eine geringe Anzahl geeigneter Funktionen auszuwählen oder festzulegen, da es sich dabei um ein Bewertungsproblem handelt.44 Während also für die Analyse wesentliche Funktionen und Verwirklichungsmöglichkeiten untersucht werden sollen, können aus diesen Forschungsergebnissen nicht einfach zu behebende Defizite abgeleitet werden, denn die Entwicklung einer Strategie zur Verbesserung von Funktionen und Verwirklichungsmöglichkeiten soll immer die betroffenen Menschen mit einbeziehen. Ist damit die Auswahl der Funktionen geklärt, so ist noch unklar, wie die Quantifizierung der einzelnen Funktionen (functionings) aussehen kann. In neueren Texten verweist Sen aber auf die Standard-Literatur der schwedischen Wohlfahrtsforschung, die mit gewöhnlichen Sozialindikatoren arbeitet.45 Diese Sozialindikatoren bilden Ressourcen ab, die in Transformationen eingebracht werden, beschreiben jedoch nicht die Transformation selbst. Sen hat bei der Erstellung des wichtigsten Indikators, den die UN für den Vergleich der Entwicklung der Nationen verwendet, nämlich den human development index (HDI) mitgewirkt und dies als Anwendung seines Ansatzes verstanden. Der HDI setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Wissen und Bildungstand, Einkommen und Lebenserwartung. Wissen und Bildungsstand gelten als Ressource oder Verwirklichungsmöglichkeit, die die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglicht (Feldmann 2000: 53). Das Einkommen, das in Ermangelung anderer Daten durch das Pro-Kopf-Einkommen erhoben wird, wird als Mittel für einen annehmbaren Lebensstandard interpretiert (ebd.), also auch als Ressource oder Verwirklichungsmöglichkeit. Die Langlebigkeit wird verstanden als „Fähigkeit des Menschen, ein langes und gesundes Leben zu führen; dies ist die Voraussetzung für die Entwicklung persönlicher Fähigkeiten (capabili-
43
Siehe Sen 1995. Sen 2000: 100, 95 (siehe dort auch Fn. 42), Sen 1992: 44f., Sen 1987. 45 „For helpful discussion of various constitutive elements of quality of life, see Allardt (1981, 1993), Erikson and Åberg (1987), Erikson (1991) [gemeint ist: Erikson (1993)], Ysander (1993). Indeed, the ‚Scandinavian studies’ on living conditions have done much to demonstrate and clarify the empirical possibility of examining diverse functionings as the basis of quality of life.“ (Sen 1992: 39, Fn. 2). S. a. Sen 2000: 37, 89 44
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
59
ties)“.46 Dass capabilities andere capabilities fördern und sich gegenseitig verstärken, wurde bereits erwähnt (s. a. Sen 2000: 100). Auch wurde erwähnt, dass sie einen intrinsischen Wert haben können. Gleichzeitig spricht Sen der Lebenserwartung aber auch noch eine andere Bedeutung zu: sie stellt einen geeigneten Indikator für das well-being dar. 2.2.5 Sens Konzept des well-being Mit well-being bezeichnet Sen ein Wohlfahrtskriterium, mit well-being achievement, die individuell realisierte Wohlfahrt. Den Begriff Lebensqualität verwendet er – obwohl er zusammen mit Martha Nussbaum einen Sammelband mit dem Titel Quality of Life herausgegeben hat (Nussbaum / Sen 1993) – nur selten,47 und zwar im Sinne einer Konkretisierung des eher philosophischen Begriffs well-being. Wiederholt schlägt er vor, Lebenserwartung, Überlebenswahrscheinlichkeit und Sterblichkeit als Maße für das well-being zu verwenden (Sen 1998, 1993, 2000: Kap. 2). Die Möglichkeit ein langes Leben zu führen versteht er gleichzeitig als Wohlfahrtskriterium und als Verwirklichungsmöglichkeit. Die Lebenserwartung wird gewöhnlich angegeben als erwartete Lebensdauer von Neugeborenen. Sie ist insofern nur eine theoretische Zahl, die extrapoliert werden muss und keine unerwarteten lebensverkürzenden Ereignisse in der Zukunft berücksichtigen kann, allerdings unterliegt sie auch keinen Verzerrungen durch zurückliegende Ereignisse. Darüber hinaus gibt es prognostizierte Lebenserwartungen für Menschen, die bereits ein gewisses Alter erreicht haben. Die tatsächlich realisierte Lebenserwartung kann natürlich erst nach dem Ableben einer Kohorte angegeben werden. Gegenüber der Lebenserwartung gibt die Überlebenswahrscheinlichkeit für jedes Alter die Wahrscheinlichkeit an, noch am Leben zu sein, sie bildet also eine Verteilung ab. Die Sterbewahrscheinlichkeit, die auch einfach Sterblichkeit genannt wird, gibt dagegen an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für Menschen einer bestimmten Altersgruppe ist, innerhalb eines Jahres zu sterben. Die Sterblichkeit wird meistens angegeben als Anzahl der Fälle von 1.000, 10.000 oder 100.000 Menschen.48 Die Wahrscheinlichkeit eines Neugeborenen im ersten Lebensjahr zu sterben, beträgt in Deutschland beispielsweise 5:1.000. Die Wahrscheinlichkeit an einem Verkehrsunfall zu sterben, beträgt in der Altersgruppe der 20- bis 25-Jährigen ungefähr 3,2:10.000; und die Wahrscheinlichkeit eines 60- bis 65-Jährigen an Krebs zu sterben beträgt 46
Feldmann 2000: 53; gewöhnlich werden allerdings functionings und nicht capabilities mit Fähigkeiten übersetzt. 47 Siehe Sen 1993: 31, Sen 1998, Sen 2000: 15, 36f., 62, 74, 101, 114 48 Siehe dazu z.B. Hauser 1982
60
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
55:10.000 (Statistisches Bundesamt 2003). Sterblichkeiten sind also sehr kleine Zahlen, die allerdings sehr stark auf Einflüsse reagieren. So kann starkes Rauchen die Sterblichkeit ab dem mittleren Alter verdoppeln. Werden Sterblichkeiten verglichen, so wird häufig das Verhältnis der Sterbewahrscheinlichkeit mit und ohne diesen Einfluss angegeben. Lebensdaten wie Lebenserwartung und Sterblichkeit, können auch zum Vergleich verschiedener Länder und Regionen verwendet werden. Mit ihnen kann die Situation von Minderheiten beschrieben, wie auch gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und sozialer Wandel abgebildet werden. Dieses Vorgehen wird im Folgenden an einigen Beispielen erläutert. Abbildung 4: Bruttosozialprodukt und Lebenserwartung bei Geburt
Quelle: Sen 1999: 47. Die schwarzen Balken geben das durchschnittliche ProKopf-Einkommen in US-Dollar an, die weißen Balken die Lebenserwartung. Zur Verdeutlichung seiner oben erwähnten Idee, dass das Bruttosozialprodukt sehr unterschiedlich in well-being transformiert wird, vergleicht Sen das durchschnittliche Bruttosozialprodukt und die Lebenserwartung einiger Entwicklungsländer (Sen 2000: 63). Während die Einwohner Keralas, des „Vorzeige-Bundesstaates“ Indiens (Wilkinson 2005: 231), der mit 30 Mio. Einwohnern die Größe verschiedener Länder erreicht, 1994 ein Pro-Kopf-Einkommen von 300 US-Dol-
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
61
lar pro Kopf hatten, ist ihre Lebenserwartung so hoch wie in vielen Industrienationen. Auch die Menschen in China und Sri Lanka haben eine im Verhältnis zu ihrem Bruttosozialprodukt auffällig hohe Lebenserwartung. Dagegen können andere Länder, die über ein vergleichsweise höheres Bruttosozialprodukt verfügen, dieses nicht in gleichem Maße in Lebenserwartung umsetzen. Die Verteilung der Lebenserwartung innerhalb einzelner Länder kann weitere Informationen enthalten, die helfen können auf die Ursachen der Ungleichheit zu schließen. Allerdings liegen solche Daten nicht für alle Länder vor. Sen verwendet Lebensdaten wie die durchschnittliche Lebenserwartung und die Überlebenswahrscheinlichkeit aber auch, um Vergleiche von Bevölkerungsteilen von Industrienationen und Entwicklungsländern vorzunehmen: Er vergleicht die Lebenserwartung von US-Afro-Amerikanern49 und weißhäutigen USAmerikanern mit der Lebenserwartung von Chinesen und den Bewohnern Keralas. Tatsächlich haben US-Afro-Amerikaner eine wesentlich geringe Wahrscheinlichkeit ein höheres Alter zu erreichen als Menschen aus – am Pro-KopfEinkommen gemessenen – viel ärmeren Ländern wie China, Kerala oder auch Sri Lanka, Jamaika oder Costa Rica (Sen 2000: 34). Dies ergibt sich auch aus der durchschnittlichen Lebenserwartung bei der Geburt, die 2001 in China 79,7 Jahre betrug, in Sri Lanka 72,3 in Jamaika 75,5 in Costa Rica 77,9 und in den USA 76,9 Jahre (UNDP 2003). Die Lebenserwartung für US-Afro-Amerikaner betrug 2001 nur 72, für weiße US-Amerikaner jedoch 78 Jahre (Mc Falls 2003: 13f.). Während die US-Afro-Amerikaner im Verhältnis zu der Bevölkerung Chinas eine niedrigere Säuglingssterblichkeit und eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit in den ersten Lebensjahren haben, ändern sich die Verhältnisse in den höheren Lebensjahren (Sen 2000: 35). Gewalt in benachteiligten Wohnvierteln ist dabei nur ein Grund neben vielen anderen (McFalls 2003: 13). Auch das geringere Einkommen der Afro-Amerikaner, das im Allgemeinen mit einer geringeren Lebenserwartung einhergeht, spielt eine Rolle; kann aber auch nicht den ganzen Unterschied erklären (Sen 1998: 17).50 Vergleicht man die Lebenserwartung eines weißen Bewohners einer reichen Gegend der USA mit dem eines Afro-Amerikaners aus einer armen Gegend, so beträgt der Unterschied der Lebenserwartung fast 16 Jahre.51 Tatsächlich ist die Sterblichkeit in den ärmsten Gegenden, wie in dem New Yorker Stadtviertel Harlem und an Chicagos South Side zwei bis drei Mal so hoch wie im USDurchschnitt und damit in den meisten Altersgruppen höher als in Bangladesh, 49
Sen verwendet die Bezeichnung Afro-Americans, was eine Festschreibungen auf eine ferne „Heimat“ darstellt. Siehe dazu z. B. Beck 2004: 40f. Die vergleichbaren Unterschiede in der Lebenserwartung von Frauen stellen sich ähnlich dar, sind jedoch nicht ganz so ausgeprägt (Sen 2000: 35). 51 Geronimus / Bound / Waidmann et al. 2001; s. a. Sen 2000: 36, 120 und Wilkinson 2005: 14 50
62
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
das eines der ärmsten Länder der Welt ist.52 Auch hat ein Afro-Amerikaner in Harlem eine geringere Wahrscheinlichkeit 65 Jahre als zu werden als ein Bangladeshi. Abbildung 5: Unterschiede in der Überlebenswahrscheinlichkeit von Männern nach Ländern
Quelle: Sen 1999: 22, modifiziert, Übersetzung: A. K. Sen sieht die Möglichkeit mit Hilfe der Muster von Lebenserwartung, Überlebenswahrscheinlichkeit und Sterblichkeit die unterschiedlichen Strukturen der Qualität von Wohlfahrt verschiedener Länder, Regionen oder Bevölkerungsgruppen zu beschreiben, auch wenn die Lebensverhältnisse auf den ersten Blick kaum als vergleichbar erscheinen: „Sogar was den Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und Einkommen betrifft, ist es bemerkenswert, wie stark sich der Mangel für bestimmte Gruppen in sehr reichen Ländern mit der dritten Welt vergleichen lässt“ (Sen 2000: 34). 52
McCord / Freeman 1990, s. a. Sen 2000: 36, Wilkinson 2005: 15, 228, Geronimus / Bound / Waidmann et al. 1996
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
63
Wodurch entstehen diese immensen Unterschiede zwischen Einkommen und Lebenserwartung, beziehungsweise diese Unterschiede in der Transformation von Einkommen in Lebenserwartung? Sen führt sie in erster Linie auf die unterschiedliche Struktur öffentlicher Institutionen und der Erreichbarkeit von Dienstleistungen für die Bevölkerung zurück, aber auch auf die Sozialbeziehungen, das öffentliche Leben und auf Umstände wie die öffentliche Ordnung und Gewalt: Zu den für diesen Unterschied verantwortlichen kausalen Einflüssen, d. h. für den Gegensatz zwischen dem Lebensstandard bezogen auf das Pro-Kopf-Einkommen und die Möglichkeit, ein höheres Einkommen zu erreichen, zählen soziale Institutionen und Sozialbeziehungen, also etwa Krankenversicherungen, Gesundheitswesen, Schulbildung, Recht und Ordnung, alltägliche Gewalt etc. (Sen 2000: 36).
Die Lebensqualität des Einzelnen wird eben nicht nur über das Einkommen aus wirtschaftlicher Tätigkeit vermittelt, sondern auch über Dienste von sozialen Institutionen, die entweder nur bestehen, wenn sich eine Gesellschaft dafür entscheidet – ein Beispiel wäre ein öffentlicher Rettungsdienst – oder über Güter und Dienstleistungen, die zwar auf Märkten angeboten werden, die sich aber nicht alle Bedürftigen leisten können – ein Beispiel wäre eine private Krankenversicherung. In einem weiteren Beispiel, das die Entwicklung der Lebenserwartung in England und Wales in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts behandelt, zeigt Sen einen Zusammenhang zwischen Wohlfahrtskultur, sozialen Institutionen und der Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt53 auf. Die folgende Abbildung zeigt das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens und die Zunahme der Lebenserwartung einer jeden Dekade an. Tatsächlich laufen die beiden skalierten Graphen gegenläufig, das heißt, in den Perioden mit einem hohen Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens ist die bei der Geburt erwartete Lebenserwartung nur langsam gewachsen, in den Perioden mit einem niedrigen Anstieg des Pro-Kopf-Einkommen hat die Lebenserwartung schneller zugenommen. Die beiden Dekaden mit dem höchsten Zuwachs der Lebenserwartung sind die Dekaden des 1. und 2. Weltkriegs. Da dieser Zusammenhang nicht auf eine Zeitverzögerung zurückgeführt werden kann (Sen 1998: 7) stellt sich die Frage, wie er zu erklären ist. Die Untersuchung The Great War and the British People von Jay Winter (1986) analysiert die Gründe für den ersten Weltkrieg. Zwischen 1914 und 1918 ist die Sterblichkeit der nicht vom Krieg betroffenen Zivilbevölkerung, insbesondere in den niedrigen Schichten, stark gefallen, die Lebenserwartung hat sich 53
Die Sozialepidemiologie arbeitet häufig mit der bei Geburt erwarteten Lebenserwartung. Diese Zahl muss zwar extrapoliert werden, unterliegt aber weniger Verzerrungen von zurückliegenden Ereignissen.
64
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Abbildung 6: Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens und Verlängerung der Lebenserwartung in der Zeit von 1900–1960 (GB)
Quelle: Sen 1995a: 11, modifiziert. s. a. Sen 1999: 52 erhöht (Winter 1986: 115, 140). Diese Errungenschaften sind insbesondere durch Verbesserungen in den unteren Schichten zustande gekommen, deren Lebensdaten sich – zusammen mit den Einkommen (ebd. 232f.) – den höheren Schichten genähert haben. Winter kann zeigen, dass sie auf eine bessere Versorgung dieser Schichten mit Lebensmitteln zurückzuführen sind. Zwar standen während des Krieges insgesamt geringere Mengen an Lebensmitteln zur Verfügung (244), diese wurde aber gleichmäßiger verteilt – in der Industrie gab es spezielles Kantinenessen; bedürftige Kinder und Jugendliche wurden versorgt (ebd. 241) – und kamen so auch der Unterschicht und dort insbesondere den Kindern zugute (ebd. 117, 143f., 245). Die Unterstützung für werdende und junge Mütter hatte einen starken Rückgang der Säuglings- und Kindersterblichkeit zur Folge (ebd. 143f.). All diese Effekte sind eingetreten, obwohl die Hälfte der Ärzte kriegsbedingt abwesend war (ebd. 154), so dass Winter den Schluss zieht: In our case, the period effects point almost entirely in one direction: towards environmental improvements during the war yielding increasing survival chances not only for young children and mothers but also for the bulk of the civilian population (Winter 1986: 153).
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
65
In der Dekade des zweiten Weltkriegs wurden in Großbritannien viele weitere große Sozialstaatsprojekte auf den Weg gebracht, wie der „Family Allowance Act of 1945; the National Assistance, National Insurance, National Health Service and Housing Acts of 1946; the Children Act of 1948; and the Housing Act of 1949“ (Goodin / Dryzek 1987), die teilweise die schnelle Zunahme der Lebenserwartung erklärt. Sen folgt an dieser Stelle dem Argument von Winter (1986), der den Ursprung der Verbesserungen in den Lebensbedingungen und der Lebenserwartung in einem stärkeren „Geist des Teilens“ während der Kriegsjahre und in „kooperativeren Aktionen“ sah. (s. a. Goodin / Dryzek 1987). Damit wendet er das oben angeführte Argument günstiger Strukturen in ein kulturalistisches Argument: Die vom Krieg induzierten Veränderungen in der Einstellung der Menschen gegenüber Gesellschaft und Wohlfahrtsstaat werden als Auslöser für Veränderungen der Struktur des Wohlfahrtsstaates gesehen.54 Die Bedeutung der öffentlichen Institutionen soll noch an einem besonders krassen Beispiel aufgezeigt werden. Sen, der 1943 als Neunjähriger selbst die Große Bengalische Hungersnot erlebt hatte, bei der 3 Millionen Menschen starben (Pressman / Summerfield 2000: 90), analysierte seit den 70er Jahren die Entstehung von Hungersnöten, die die Lebenserwartung der Bevölkerung krisenhaft – anstatt dauerhaft – beeinträchtigt. Er konnte zeigen, dass Hungersnöte zwar mit Missernten zusammenhängen können, dass aber die Vorstellung, dass fehlende Nahrungsmittel der Hauptgrund für das Verhungern sind, falsch ist (Sen 2000: 201f.). Meist betreffen Hungersnöte nur 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung (ebd. 206). Die Ursachen des Verhungerns liegen darin, dass sich dieser Teil der Bevölkerung die benötigte Nahrung nicht leisten kann, beispielsweise, weil die Nahrungsmittelpreise infolge der Erwartung einer Knappheit oder auch aus anderen Gründen steigen (ebd. 205), weil sie als Landarbeiter einen geringeren Lohn bekommen oder arbeitslos werden (Sen 1987c: 10). Häufig werden sogar Nahrungsmittel aus Krisengebieten ausgeführt (Sen 2000: 208). Die Situation führt in der Folge zu Flüchtlingsströmen und Epidemien. Fehlt in dieser Situation eine Öffentlichkeit, die auf die Hungersnot aufmerksam macht, beispielsweise in Diktaturen, die nicht über eine freie und funktionierende Presse verfügen, dann kann es passieren, dass eine Regierung das Ausmaß der Not unterschätzt, oder eine Hungersnot sogar für politische Ziele nutzt.55 Tatsächlich hat es nie eine Hungersnot in einem demokratisch regierten Staat gegeben (Sen 2000: Kap. 7). Hungersnöte können also nur verstanden werden als multikausales und gesellschaftliches Problem, das auf die Wichtigkeit öffentlicher Institutionen – verstanden im weitesten Sinne, was beispielsweise auch die Pressefreiheit umfasst – 54
Vgl. zum Thema auch Pamuk 1985 und Wilkinson 2005: 39 Die chinesische Hungersnot von 1958–1961, die 30 Millionen Opfer forderte, wurde während einer Dauer von mindestens drei Jahren von offiziellen Stellen verschwiegen oder negiert (Sen 1987b: 25). 55
66
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
hinweist. Wenn Schlagworte wie Marktversagen oder Staatsversagen angesichts der Komplexität von Hungerkatastrophen an Aussagekraft verlieren, so können sie doch verstanden werden als eine fatale Verkettung fehlender Ressourcen und Verwirklichungsmöglichkeiten. Hungersnöte stellen in diesem Sinne keine Ausnahmesituation dar, sondern eher das tragische Ende eines Kontinuums zwischen Gesellschaften, in denen öffentliche Institutionen ausreichende Ressourcen und Verwirklichungsmöglichkeiten für alle garantieren und Gesellschaften, die das nicht oder nur in geringerem Maße tun.56 Dass Lebensdaten nicht nur für eine langfristige und nachträgliche Beurteilung verwendet werden können, thematisiert Sen an einem weiteren Beispiel (1995a: 28f.) die rasche Veränderung der Sterblichkeit in Russland während der Transformation. Seit dem Jahre 1989 hat dort die Sterblichkeit stark zugenommen, Die Lebenserwartung von Männern ist zwischen den Jahren 1989 und 1994 um 6,6 Jahre – von 64,2 auf 57,6 Jahre – gefallen, die von Frauen um 3,3 Jahre (Brainerd / Cutler 2005). “In particular, the rapid deterioration of the health service and medical facilities, the collapse of the general system of social security, and changes in social and physical environments are natural candidates for immediate investigation in this context”, schreibt Sen (1998: 21) dazu.57 2.2.6 Kritik am Ansatz von Sen Sen legt mit seinem Ansatz eine Möglichkeit vor, Wohlfahrt auf eine Art zu beschreiben, die die Beschreibung von Ungleichheit innerhalb eines Landes, aber auch Vergleiche zwischen Ländern zulässt. Durch die Verwendung von Lebensdaten wie Lebenserwartung und Mortalität wird – anders als bei monetären Indikatoren – Bezug genommen auf eine im wahrsten Sinne des Wortes – erlebbare Größe, die einen Bezug zu den Grundrechten herstellt, als auch zu einer Größe, die nicht unter einer Umrechungsproblematik oder fehlende Konvertierbarkeit leidet (vgl. Noll 2002) und auch auf Lebensformen anzuwenden ist, die wenig oder gar nicht über Märkte funktionieren, wie beispielsweise subsistenzwirtschaftliche. So kann die Lebensqualität sehr unterschiedlich strukturierter Länder oder Regionen verglichen werden. Gleichzeitig kann mit Hilfe der Beschreibung der individuellen Ressourcentransformation beziehungsweise der eingesetzten Ressourcen die Entstehung von Wohlfahrt nachvollzogen werden. Trotz dieser Vorzüge kann der Ansatz an manchen Stellen kritisiert werden:
56
Siehe zu diesem Absatz auch Sen 1981 sowie Drèze / Sen 1989. Die Erhöhung der Sterblichkeit der Transformationsstaaten stellt heute ein gut untersuchtes Feld dar. Siehe z. B. Bobadilla / Costello / Mitchell 1997, Andreev / Nolte / Shkolnikov 2003.
57
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
67
Es bleibt unklar, ob Sen tatsächlich die Transformation von Ressourcen beschreiben möchte oder doch die Ressourcen selbst. Gemäß dem oben angeführten Zitat (siehe Seite 56) kann die Leistungsfähigkeit (achievement) als eine Menge der möglichen Funktionen dargestellt werden. Diese Funktionen bleiben aber abhängig vom Einsatz der Ressourcen. Es stellt sich also die Frage, in welchem Verhältnis Ressourcen und Transformationen stehen. Weitere Unklarheiten entstehen durch die Aussage, dass die Funktionen, wie oben angeführt, Tätigkeiten (doings) oder auch Zustände einer Person (beings) sein können. Zustände, wie gesund zu sein oder lesen und schreiben zu können, können ja tatsächlich der Transformation nutzen, sie müssten dann aber als Ressourcen, nicht als Transformationen betrachtet werden. Ressourcen sind von ihrem Einsatz und ihrer Transformation zu unterscheiden. Des Weiteren führt Sen als Beispiel für Funktionen die Möglichkeit ein hohes Alter zu erreichen und ausreichend ernährt zu sein an. Hierbei handelt es sich offensichtlich in erster Linie um Ergebnisse von Transformationen, nicht um Transformationen selbst. Auch die Indikatoren des HDI (den Sen als eine Anwendung seines Ansatzes versteht), die Indizes zu Wissen und Bildungstand, Einkommen sowie Lebenserwartung umfassen, stellen eigentlich keine functionings dar, sondern sind Ergebnisse zurückliegender Transformationen. An zentralen Stellen hat Sen auf den schwedischen Ansatz als Beispiel für eine sinnvolle Vorgehensweise hingewiesen58, dieser Ansatz entspricht aber dem Lebenslagen-Ansatz. Insofern bleibt bei Sens das Verhältnis von Ressourceneinsatz, Funktionen, Transformationen und dem Ergebnis von Transformationen unklar. Als Problem stellt sich meines Erachtens die sehr unpsychologische und sehr unsoziologische Vorstellung von Fähigkeiten (functionings) dar. So ergibt sich einerseits eine Vernachlässigung von psychologischen Dispositionen. So könnte sich die Art, wie man aus der Menge der Handlungsmöglichkeiten auswählt, als von psychologischen Dispositionen abhängig erweisen. Auch weisen beispielsweise die psychologischen Entwicklungstheorien sowie die Lebenslaufund Biographieforschung auf die Bedeutung der frühkindlichen Entwicklung hin, die die Handlungsmöglichkeiten im späteren Lebensverlauf beeinträchtigen können. Dies könnte auf zweierlei Weise berücksichtigt werden: Entweder dadurch, dass man auch psychische Dispositionen als Ressourcen oder Fähigkeiten beschreibt oder dadurch, dass die Funktionen auch das zurückliegende Leben mit einbeziehen. 58
„Es sollte jedoch schon hier gesagt werden, dass die freiheitszentrierte Perspektive eine starke Ähnlichkeit mit der allgemein üblichen Analyse der Lebensqualität aufweist, die sich ebenfalls darauf konzentriert, wie die Menschen leben – möglicherweise sogar, welche Wahlfreiheit sie haben –, und nicht bloß auf die Mittel oder das Einkommen, über das jemand verfügt“ Sen 2000: 37. S. a. Fn. 45 dieser Arbeit. Nussbaum / Sen 1993 umfasst auch einige Beiträge schwedischer Forscher.
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Des Weiteren differenziert Sen nicht ausreichend zwischen Mikro- und Makroebene. Die sozialen Institutionen Politische Freiheiten, ökonomische Institutionen, Soziale Chancen, Transparenzgarantien und soziale Sicherheiten (Sen 2000: 52f.) nennt er „unterschiedliche Arten von Freiheiten“ (ebd.). Diese Makrophänomene, die kollektiver Institutionalisierungen bedürfen und strukturellen und kulturellen Einflüssen unterliegen, mögen auf der Makroebene Voraussetzungen für Handlungsspielräume öffnen – sie können aber nicht mit den individuellen Handlungsspielräumen gleichgesetzt werden, die Sen auch mit dem Begriff Freiheit bezeichnet. Sen weist selbst auf dieses Problem hin, indem er von real opportunity spricht59, nur stellt sich dann die Frage, wie echte von unechten Möglichkeiten unterschieden werden sollen. Auch bleibt unklar, wie diese Institutionen das Leben einzelner Personen prägen, und auf welche Weise sie individuelle Handlungsspielräume öffnen oder schließen. Auch die von Sen vorgeschlagene Formalisierung der Zustände, deren Wohlergehen (well-being) bewertet werden soll,
bi
f i (c( xi ))
deutet darauf hin, dass er Makrophänomene unberücksichtigt lässt. Robeyns und Kuklys haben deshalb zwei Modifikationen vorgeschlagen. Robeyns (2000: 12) schlägt folgende Formalisierung vor:
bi
f i (c( xi ; z i ))
wobei zi „soziale und umweltbezogene Transformations-Faktoren (wie öffentliche Güter, Infrastruktur, soziale Normen, öffentliche Ordnung u.s.w.) berücksichtigen sollen, welche die Transformation der Eigenschaften von Gütern in den Funktionen (functionings) beeinflussen“ (Robeyns 2000: 12; Übersetzung: A. K.). Kuklys (2005: 11) konzipiert diese Faktoren als Nebenbedingungen:
bi
f i (c( xi z i , z s , z e ))
wobei zi, zs und ze „Transformationsfaktoren auf einer individuellen (i), sozialen (s) und einer umweltbezogenen Ebene (e) darstellen, die die Transformationsrate […] bestimmen“ (ebd.). 59
Sen 1992, 31; 1999: 74; s. a. Alkire 2005: 121
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen
69
Auch auf einer empirischen Ebene verwischt Sen die Grenze zwischen Mikroebene und Makroebene. Seine Theorie ist ja als Mikro-Theorie konzipiert, die individuelle Funktionen und Handlungsmöglichkeiten betrachtet. Eine Anwendung wie der HDI betrachtet aber weder individuelle Funktionen noch individuelle Handlungsspielräume, sondern beschreibt hochaggregierte Zustände. Mögen die Indikatoren noch eine Annäherung an erreichte Zustände darstellen, die auch als Ressourcen für zukünftiges Handeln gedeutet werden können, so fallen durch diese Vorgehensweise auf alle Fälle alle Aspekte der Handlungsmöglichkeiten, wie die Größe des Raumes der Handlungsmöglichkeiten und die Bedingungen der Wahl ganz aus dem Blick. Das von Sen so bezeichnete capability accounting (Sen 1992: 149) ist jedenfalls nirgendwo in Sicht. Ein weiteres Problem, das Sen im Unklaren lässt, sind die Themen Risiko und Unsicherheit. Das Leben, die Nutzung von und die Verfügung über Ressourcen, die Art und Weise wie Transformationen vor sich gehen, all das ist zu einem großen Teil nicht planbar. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit Risiken zu bearbeiten. Bei Sen bleibt dieser Aspekt unterbelichtet und wird nur als Ad-hoc-Argument einführt. Beispielsweise diskutiert er – im Zusammenhang mit der Frage, welche Verantwortung der Einzelne beim Wählen aus Handlungsmöglichkeiten hat – den Fall, dass eine wohlbekannte Versicherungsgesellschaft oder eine angesehene Bank Pleite geht (Sen 1992: 149). Die Wahl einer Handlungsmöglichkeit stellt sich nachträglich als „falsch“ heraus, obwohl eine Person nicht fahrlässig gehandelt hat. Dieses Beispiel ist sehr konkret, unterschätzt aber die weit reichende Bedeutung die die Bearbeitung von Risiken gerade bei der Schaffung von Institutionen sozialer Sicherheit, aber auch vielen weiteren Aspekten sozialen und gesellschaftlichen Handelns hat. Gleiches gilt für unintendierte Nebenfolgen individuellen und kollektiven Handelns, für externe Effekte etc. (s. a. Alkire 2005: 124). Sen zeigt auf, wie Lebensqualität mit Hilfe von Lebensdaten – Lebenserwartung und Mortalität – beschrieben werden kann. Jedoch wird die systematische Verbindung oder vermittelnde Instanz, die den Zusammenhang des Capability-Ansatzes mit dem durch Mortalität und Lebenserwartung gemessenen Wohlergehen nicht dargestellt. Die Beschreibung der Lebenserwartung als eigener Handlungsspielraum (capability) kann dabei nur ein Teilaspekt sein, auch wenn eine längere Lebenserwartung eine Voraussetzung für personenbezogene Investitionsstrategien waren und sind.
70
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
2.3 Vergleich der Ansätze Als Abschluss der Einführung in die verschiedenen Konzepte werden hier die bisher diskutierten Ansätze bezüglich (1) der Bedeutung von Ressourcen, (2) des Lebenslagenbegriffs, (3) der Konzeption von Handlungsspielräumen und (4) des Mikro-Makro-Links sowie (5) der Berücksichtigung objektiver und subjektiver Faktoren verglichen. Im Anschluss daran wird im Kapitel 2.4 die Beschreibung der Lebensqualität durch Gesundheits-Indikatoren vertieft. Danach wird in Kapitel 2.5 ein eigenes Modell der Ressourcentransformation vorgestellt. (1) Die verschiedenen vorgestellten Konzepte hantieren mit verschiedenen Ressourcen-Begriffen: In einfachen Ressourcen-Ansätzen wird unter Ressourcen einfach das Einkommen verstanden. Im erweiterten Lebensstandardkonzept von Andreß werden diese Ressourcen als Ausgangsbasis einer Transformation in Resultate verstanden. Sen versteht unter dem Begriff neben dem Einkommen mindestens auch Bildung und Gesundheit; sein Ressourcenbegriff bleibt aber für erweiterte Betrachtungen offen. Ressourcen sind für ihn hauptsächlich Inputs der Funktionen. Konkretisiert ist die Idee eines weiten Ressourcen-Begriffs beispielsweise im schwedischen level-of-living-Ansatz, wie man dem folgenden Zitat entnehmen kann: „The individual’s command over resources in the form of money, possessions, knowledge, mental and physical energy, social relations, security and so on, through which the individual can control and consciously direct his living conditions” (Erikson 1993). Eine solche weite Interpretation des Ressourcenbegriffes soll in der Folge verwendet werden: Definition: Unter Ressourcen wird hier all das verstanden, was ein Mensch einbringen kann um sein Überleben zu sichern und seine Ziele zu verfolgen. (2) Der Begriff Lebenslage schwebt zwischen der Beschreibung eines Verteilungsergebnisses, gemessen am einzelnen Menschen, und der Beschreibung einer Ausgangsposition, aus der heraus ein Mensch handeln kann. So bezeichnet Lebenslage bei Neurath die „Versorgung der Menschen […] mit Wohnung, Nahrung, Kleidung“ (Neurath 1981 [1931]: 503), gleichzeitig ist sie „der Inbegriff all der Umstände, die […] die Verhaltensweisen eines Menschen […] bedingen“ (ebd. 512). Bei Weisser gilt sie als „Spielraum für die Erfüllung der Grundanliegen“. Er konzipiert sie also als Bedingung des Handelns. Voges / Jürgens / Mauer et al. (2003: 50) analysieren genau diese doppelte Interpretationsmöglichkeit der Lebenslage indem sie darauf hinweisen, dass die Lebenslage gleichzeitig als Explanans und Explanandum dienen kann.
2.3 Vergleich der Ansätze
71
Definition: In dieser Arbeit wird unter Lebenslage eine Momentaufnahme der Lebensumstände verstanden, die sich aus der Transformation von Ressourcen ergibt. Aus der Existenz der „zwei Gesichter der Lebenslage“ folgt, dass es sich bei dem Ressourcen-Ansatz und Lebenslagen-Ansatz nicht um zwei gegensätzliche Ansätze handelt wie häufig in der Literatur behauptet wird.60 Im Ressourcen-Ansatz werden finanzielle Ressourcen – ähnlich wie bei dem erweiterten Lebensstandard-Konzept – als Input betrachtet, der verwendet wird um damit eine Lebenslage als Output zu produzieren. Die zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen können aber auch als Ergebnis einer Lebenslage verstanden werden. Andererseits stellen die finanziellen Ressourcen nur einen Teil aller eingesetzten Ressourcen dar. Die Lebenslage als Explanandum (als Input) weist darauf hin, dass weitere Ressourcen eingebracht werden – wie Wohnsituation, Bildung etc. Im Fortgang der Arbeit wird das breite Spektrum an eingebrachten Ressourcen besondere Beachtung finden. (3) Handlungsspielräume spielen bei einigen der vorgestellten Ansätze keine Rolle. Betrachtet werden dabei nicht mögliche, sondern nur realisierte Lebenslagen. Dies ist beispielsweise bei den Lebensqualitäts-Ansätzen und dem gewöhnlichen Lebensstandard-Ansatz der Fall. Auch die Beschreibung Neuraths sieht von der Beschreibung von Handlungsspielräumen ab, was wohl daraus resultiert, dass er den Zusammenhang von Lebensboden, Lebensordnung und Lebenslage als relativ deterministischen beschreibt. Handlungsspielräume werden explizit im Ansatz von Weisser und von Sen diskutiert. Im erweiterten Lebensstandardansatz haben Handlungsspielräume nur in so fern eine Bedeutung, als die Auswahl der materiellen Güter bei der Verwendung des Einkommens abgebildet werden soll. Bei Weisser stellt die Lebenslage den Spielraum dar, innerhalb dessen ein Mensch agiert, wobei er nur solche Handlungsmöglichkeiten betrachtet, die Grundanliegen erfüllen, „die ihn [den Mensch] bei der Gestaltung seines Lebens leiten oder bei möglichst freier und tiefer Selbstbesinnung und zu konsequentem Verhalten hinreichender Willensstärke leiten würden“ (Weisser 1978: 275; siehe Seite 30). Die Verdoppelung der Handlungsziele („oder bei…“) weist auf ein Problem hin, welches auch Sen bearbeitet, wenn er zwischen well-being achievement und agency achievement unterscheidet: Der Mensch nimmt Handlungsmöglichkeiten nicht unbedingt in Hinblick auf ein von außen angelegtes wünschenswertes Kriterium (Bei Sen: well-being) wahr: Weisser beschreibt das Leben auf die eigenen Handlungsziele hin mit den Worten: „die ihn bei der Gestalt seines Lebens leiten […] würden“ (ebd.). Gleichzeitig ist 60
Vgl. beispielsweise Glatzer / Neumann 1993: 41
72
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
er bedacht, den Teil von Handlungsspielräumen aus seinem Konzept zu tilgen, die er verwerflich findet, indem er den Beisatz anfügt: „oder bei möglichst freier und tiefer Selbstbesinnung und zu konsequentem Verhalten hinreichender Willensstärke leiten würde, wohingegen die tatsächlich vorgefundenen Interessen (= Handlungsziele) ergänzt werden um solche, die „der Mensch bei ‚unbehinderter’ Selbstbesinnung haben würde […], d.h., die er nur deswegen nicht hat, weil die äußere Situation, in der er sich befindet, ihn verzweifelt macht, abstumpft, kulturell verflacht oder dgl. Einflüsse ausübt.“ Diese Art der Beschreibung führt zu einer unklaren Abgrenzung der Handlungsspielräume, weil immer mit einem nicht-existenten Ideal eines Menschen in einer perfekten äußeren Situation verglichen werden müsste, und es führt zu einer problematischen Psychologisierung, denn wer weiß schon, welche Grundanliegen uns leiten würden „bei freier und tiefer Selbstbesinnung und zu konsequentem Verhalten hinreichender Willensstärke“.61 Was lag in unserer Macht? Haben wir uns nur nicht genug angestrengt, wenn die Dinge nicht gut laufen? Hier soll mit dem folgenden Begriff von Handlungsspielräumen gearbeitet werden: Definition: Die Handlungsspielräume eines Menschen sind all diejenigen möglichen Handlungen, die ein Mensch unter Verwendung seiner Ressourcen innerhalb einer gegebenen Struktur erreichen kann. (4) Die Ansätze unterscheiden sich stark in der Weise, wie der Zusammenhang zwischen der Mikro- und der Makroebene konzipiert wird. Es wurde gezeigt, dass das Konzept Lebensqualitätsforschung anfänglich als Makro-Konzept betrachtet wurde, wogegen es heute eher ein Mikro-Konzept darstellt. Der Zusammenhang beider Ebenen war kein vorrangiges Problem. Bezüglich der Lebenslagen-Konzepte weist Neuraths Beschreibung von Lebensboden und Lebensordnung Ähnlichkeiten zu den heutigen Begriffen Struktur und Kultur auf. Die Lebenslage stellt – im Gegensatz zum Lebensboden – die unmittelbare Umwelt eines Menschen dar. Bei Weisser und Nahnsen kommt die Struktur alleine durch die Spielräume zum Ausdruck, die für den Einzelnen zur Verfügung stehen. Bei Nahnsen stehen die Kontaktmöglichkeiten zu anderen Menschen des Kontaktund Kooperationsspielraums (siehe oben S. 31) auf der gleichen Ebene wie das „gesellschaftliche System der Einkommensverteilung“ des Versorgungs- und Einkommensspielraumes (ebd.). Insofern bleibt die Unterteilung in Ebenen unterentwickelt. Auch bei Sen bleibt die Unterteilung in Ebenen etwas diffus: Für Sen stellen die Handlungsspielräume eines Menschen seine Freiheiten dar. Der individuelle Zugang zu ökonomischen Ressourcen („Mikro“) sowie die Einkom61
Ähnlich problematisch: Andretta 1990: 73f.
2.3 Vergleich der Ansätze
73
mensverteilung („Makro“) werden nicht auf unterschiedlichen Ebenen konzipiert und stehen gleichwertig nebeneinander. Insgesamt kann man sagen, dass in den Ansätzen die verschiedenen Ebenen, über welche die Lebensbedingungen beeinflusst werden und die Lebensqualität hergestellt wird, wenig klar konzipiert wird (so auch in Tabelle 3). Im 4. Kapitel dieser Arbeit wird eine Klärung versucht werden. Definition: Der Begriff Lebensbedingungen soll Voraussetzungen des Lebensvollzugs auf der Makroebene bezeichnen. (5) Die Ansätze unterscheiden sich auch in der Art und Weise, wie sie objektive und subjektive Faktoren mit einbeziehen. Dafür wird in der Lebensqualitätsforschung der schwedische vom amerikanischen Ansatz unterschieden. Während der schwedische Ansatz sich auf objektive Faktoren beschränkt, weil subjektive Faktoren einer gewissen Beliebigkeit unterliegen, beschränkt sich der amerikanischen Ansatz auf subjektive Faktoren, weil die Lebensqualität nur existiert, wenn sie auch gefühlt wird. In empirischen Untersuchungen wird diese gewöhnlich quantifizierend abgefragt durch Fragen nach der Zufriedenheit. Bei Neurath wird die subjektive Lebensstimmung als mehr oder weniger direktes Resultat der Lebenslage konzipiert („[Lebenslage] ist die Bedingung jenes Verhaltens, das wir als Lebensstimmung kennzeichnen.“) wobei Neurath auf das Problem hinweist, dass man Lebensstimmungen nur schwer „in eine Reihe bringen kann“ (Neurath 1981 [1931]: 512), also ordinal oder metrisch messen kann. Eine entgegengesetzte Rolle hat die Subjektivität bei Weisser, da er den Spielraum über die subjektiven Grundanliegen definiert (s. o.) und sie damit – anders als bei Neurath – dem Handeln vorausgehen. Andererseits interessieren Weisser nur die Spielräume, nicht hingegen, wie innerhalb dieser Spielräume gewählt – besser gesagt: gehandelt – wird (siehe Andretta 1990: 84). Durch diese eigenartige Vermischung von Objektivität und Subjektivität ergeben sich Probleme bei empirischen Anwendungen (siehe Andretta 1990: 81f.). Im erweiterten Lebensstandardansatz wird die Subjektivität – ähnlich knapp wie in der orthodoxen VWL – ausschließlich als Präferenz berücksichtigt, welche die Auswahl von Gütern aus einem Güterspektrum bestimmt.62
62 Die „Subjektivität“ und die „Objektivität“ sind im Folgenden noch Thema (siehe Kap. 3.3.3, 3.5 und 5.2)
74
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit „Woyzeck, er sieht immer so verhetzt aus. Ein guter Mensch tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. – Red’ er doch was, Woyzeck. Was ist heut für Wetter?“ (Der Hauptmann in Büchners Woyzeck. Büchner 1984 [1836–1837])
Der Vorschlag von Sen, Lebensqualität durch Lebenserwartung und Sterblichkeit zu beschreiben, kann noch besser begründet werden. Im Folgenden wird aufgezeigt, dass diese Größen geeignete Indikatoren darstellen, da sie Informationen zur Produktion und Beeinträchtigung von Lebensqualität beinhalten. Zur ausführlichen Begründung des Ansatzes wird im Fortgang dieser Arbeit neben den Lebensdaten Lebenserwartung und Mortalität (Sterblichkeitsrate), auch die Erkrankungsrate, also die Morbidität hinzugezogen. Die Lebenserwartung und die Mortalität werden im Folgenden als Lebensdaten bezeichnet. Um die Ursachen unterschiedlicher Lebensqualität in den Blick zu bekommen, wird nicht nur nach dem Ausmaß von Lebenserwartung, Mortalität und Morbidität gefragt, sondern nach den Unterschieden des Ausmaßes zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, zwischen verschiedenen sozialen Schichten und zwischen räumlichen Einheiten, wie Bundesländern, Nationalstaaten und Regionen.63 Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen, sozialen Schichten und räumlichen Einheiten weisen auf spezifische Belastungen hin, die eine höhere oder geringer Lebenserwartung und höhere oder geringere Mortalität oder Morbidität verursachen. Die Beschreibung durch Lebensdaten und Morbidität bedeutet nicht, dass der Gesundheitsversorgung a priori eine herausragende Rolle bei der Produktion von Lebensqualität zugesprochen wird. Im Gegenteil: Empirische Untersuchungen zeigen, dass Gesundheit, Krankheit und Tod zu einem eher geringen Teil von der Gesundheitsversorgung abhängen, sondern von den Bedingungen in verschiedenen Lebensbereichen, wie Arbeitswelt, Wohnen, Ernährung, öffentlicher Verkehr, Bildung und so weiter. Wilkinson (2005) verwendet die Metapher eines Lazaretts, um das Verhältnis der Gesundheitsversorgung zu anderen die Gesundheit beeinflussenden Bereichen zu beschreiben: In fact, the effects of any differences in medical care are dwarfed by differences in who gets heart disease and cancer and who is insured on the roads. Although there are class differences in survival rates once you have any of these conditions […], their impact is smaller than the 63
Wilkinson 2005: 127f. diskutiert die Bedeutung der Größe von Untersuchungseinheiten und zeigt mögliche Effekte beim Übergang zur Betrachtung kleinerer Einheiten auf.
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
75
impact of the differences in who gets what to start with. To understand the position of medical care in relation to the overall burden of disease in a population, you need to think of it as functioning rather like an army medical corps. Though it is essential to have good medical treatment for battle casualties, if you want to know why the number of casualties in a war was large or small, you need to look at the nature of the battle, not at the medical corps. In society at large, the nature of the battle, which would explain overall health standards, is the nature of social and economic life (Wilkinson 2005: 59).
Gesundheit wird also nur zu einem geringen Teil durch die Gesundheitsversorgung geschaffen; auch ist die Verlängerung der Lebenserwartung nur zu einem geringen Teil auf die medizinische Versorgung zurückzuführen (Noack 2001: VIII, Wilkinson 2001: 38, McKeown 1982). Dies gilt trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung unschätzbare Dienste für einzelne Menschen leisten kann. Anhand von empirischen Untersuchungen wird nun gezeigt, wie Lebensqualität mit Hilfe der Lebensdaten und der Morbidität sowie deren Verteilungen in verschiedenen Gruppen beschrieben werden kann. Dann wird anhand von Beispielen gezeigt, wie diese Unterschiede entstehen. 2.4.1 Lebensqualität: Unterschiede in Mortalität und Morbidität Einführend werden hier Unterschiede in der Mortalität für Deutschland für verschiedene Gruppen wiedergegeben, die anhand der Schichtvariablen Einkommen, Bildung und beruflicher Status gebildet wurden. Bei empirischen Untersuchungen zur gesundheitlichen Ungleichheit wird die Bevölkerung in Gruppen unterteilt, um dann die Unterschiede zwischen den Gruppen zu betrachten. Die Bildung der Gruppen kann anhand von Berufen oder Regionen vorgenommen werden. Es können aber auch Bevölkerungsgruppen wie Arbeitslose, Alleinerziehende oder Migrantinnen und Migranten betrachtet werden. Ergeben sich Unterschiede in den Lebensdaten und der Morbidität zwischen den verschiedenen Gruppen, so kann auf besondere Belastungen geschlossen werden. Für empirische Untersuchungen werden daher Daten benötigt, die schichtspezifische Angaben wie Ausbildung, Beruf oder Einkommen sowie Morbidität und Mortalität oder sogar Krankheits- beziehungsweise Todesursache enthalten. Anders als in Großbritannien werden in Deutschland beim Tod einer Person solche Angaben nicht erhoben, so dass aus den demographischen Daten des Statistischen Bundesamtes keine Schichtunterschiede ermittelt werden können (Mielck 2000: 69). Als Datenquellen können aber Erhebungen wie der Mikrozensus, das Sozio-Ökonomische Panel, Gesundheits- oder Umweltsurveys und Daten der Krankenkassen dienen, wenn nicht eigens Daten für einzelne Untersuchungen erhoben werden.
76
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Abbildung 7: Sterblichkeit und Einkommen in Westdeutschland 1985
Quelle: Statistisches Bundesamt 1998: 104, neue Darstellung (Die Daten beziehen sich auf pflichtversicherte männliche Angestellte. Klosterhuis / Müller-Fahrnow 1994) Für Abbildung 7 wurden Daten der Rentenversicherung verwendet. Es ergibt sich eine in allen Altersgruppen stark erhöhte Sterblichkeit in den einkommensschwachen Gruppen. Bei den 35- bis 39-Jährigen ist die Sterblichkeit in der untersten Einkommensklasse im Vergleich zur höchsten Einkommensklasse 5,7mal so hoch (= relatives Sterberisiko) und beträgt ca. 0,2% pro Jahr. Bei den 55bis 59-Jährigen ist sie 1,7-mal so hoch und beträgt dort ca. 1% pro Jahr. Die Unterschiede nehmen offenbar mit dem Alter ab (s. a. Mielck 2000: 77). Unterschiede bestehen dabei zwischen allen Einkommensklassen. Es gibt keine Einkommensschwelle, oberhalb der sich Einkommensunterschiede nicht mehr auf die Mortalität auswirkt, sondern es gibt einen Gradienten über alle Einkommensklassen (s. a. Helmert 2003: 14). Große Ungleichheit in der Mortalität besteht
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
77
auch, wenn nach dem Kriterium Bildung unterschieden wird. In einer Untersuchung anhand von Daten des deutschen Sozio-Ökonomischen Panels (GSOEP) ist die Sterblichkeit über alle Altersgruppen bei weniger als neun Ausbildungsjahren 1,46 Mal höher als bei denen, die mehr als 15 Bildungsjahre haben. (Statistisches Bundesamt 1998: 111).64 Gesundheitliche Ungleichheit kann auch anhand des Kriteriums berufliche Stellung aufgezeigt werden. Anhand von Krankenkassendaten wurde die kumulierte Sterblichkeit nach 14 Jahren untersucht. Angehörige der niedrigsten von fünf beruflichen Statusgruppen hatten dabei eine fast doppelt so hohe Sterblichkeit wie Angehörigen der höchsten Statusgruppe.65 Verschiedene Untersuchungen weisen nach, dass die genannten Kriterien Einkommen, Bildung und berufliche Stellung einen Einfluss haben, unabhängig davon, ob sie einzeln oder zusammen betrachtet werden (Steinkamp 1993: 111). Es kann also davon ausgegangen werden kann, dass diese Kriterien jeweils auch eine unabhängige Wirkung auf die Sterblichkeit haben. Die höheren Sterblichkeitsraten entsprechen natürlich einer kürzeren Lebenserwartung. Eine Untersuchung mit Daten des Sozio-Ökonomischen Panels ergab für Frauen, dass diejenigen aus dem untersten Einkommensquantil eine um vier Jahre kürzere Lebenserwartung im Vergleich zu jenen aus dem obersten Einkommensquantil haben. Für Männer ergab sich eine um sechs Jahre kürzere Lebenserwartung (Held-Reil 2000: 1, 24). Eine andere Untersuchung, die nach dem Bildungsabschluss gruppiert, weist für Abiturientinnen eine um 4,4 Jahre höhere Lebenserwartung gegenüber Frauen ohne Abitur aus, und für Abiturienten eine um 3,3 Jahre höhere Lebenserwartung gegenüber Männern ohne Abitur (Klein 1996: 374). In verschiedenen Gruppen der Bevölkerung, beziehungsweise in den verschiedenen Schichten, ergeben sich also teilweise erhebliche Unterschiede in Lebenserwartung und Sterblichkeit. Wie aber können die Unterschiede zwischen einkommensarmen und -reichen, bildungsarmen und -reichen Menschen und zwischen Menschen mit niedriger und hoher beruflichen Stellung erklärt werden? Kann man die Unterschiede in Lebenserwartung und Sterblichkeit alleine auf die unterschiedlichen Möglichkeiten, welche die zur Verfügung stehenden Ressourcen Einkommen und Bildung sowie die mit einer beruflichen Stellung verbundenen Ressourcen mit sich bringen, zurückführen? Liegen den gesundheitlichen Unterschieden verschiedene Verhaltensweisen zugrunde, die mit einer geringeren Ressourcenausstattung einhergehen und die gesundheitliche Auswirkungen haben, oder sind bessere oder schlechtere Lebensbedingungen Ursache und Wirkung der geringeren Ressourcenausstattung, die in Kombination zu den gesundheitlichen Unterschieden führen? Um mehr Informationen zu bekommen werden die Todesursachen betrachtet, denn auch die Betrachtung der Umstände, 64 65
S. a. Becker 1998, Klein 1996 Lampert / Ziese 2003: 97, s. a. Helmert 2000
78
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
die zum Tode führen, kann helfen Ursachen in den Unterschieden der Lebenserwartung und Mortalität zu klären. Tabelle 6: Todesursachen 2004, Deutschland Gestorbene 2004 Pos. Nr. ICD10
insgesamt
männlich
Todesursachen
weiblich
%-Anteil an Todesursachen
%-Anteil an Todesursachen
Anzahl
in %
Anzahl
818.271
100
383.388
46,9
434.883
53,1
C00C97
Bösartige Neubildungen 209.329
25,6
111.013
53,0
98.316
47,0
I00I99
Krankheiten des Kreislaufsystems
368.472
45,0
152.468
41,4
216.004
58,6
I21I22
Myokardinfarkt
67.149
8,2
36.803
54,8
30.346
45,2
J00J99
Krankheiten des Atmungssystems
52.500
6,4
27.214
51,8
25.286
48,2
K00K93
Krankheiten des Verdauungssystems
42.213
5,2
21.304
50,5
20.909
49,5
S00T98
Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen
33.309
4,1
20.758
62,3
12.551
37,7
A00T98
Insgesamt
Anzahl
Darunter:
Darunter nach der äußeren Ursachen (S00-T98): V01V99
Transportmittelunfälle
6.087
0,7
4.438
72,9
1.649
27,1
W00W19
Stürze
7.913
1,0
3.433
43,4
4.480
56,6
X60X84
Vorsätzliche Selbstbeschädigung (Suizid)
10.733
1,3
7.939
74,0
2.794
26,0
Quelle: Statistisches Bundesamt (2005a) Es kann nach tödlichen Krankheiten und tödlichen Verletzungen differenziert werden. Von diesen werden die so genannten „äußere Ursachen“ wie Transportmittelunfälle, Stürze und vorsätzliche Selbstschädigungen / Suizid (siehe Tabelle
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
79
6) unterschieden. Für die verschiedenen tödlichen Krankheiten können wiederum Ursachen, Auslöser oder „fördernde“ Umstände, die strukturell vorgegeben sind, angegeben werden, die hier in einen Zusammenhang mit der Lebensqualität gestellt werden. In dem Ausmaß, in dem verschiedene soziale Schichten, Berufsgruppen oder Bevölkerungsgruppen wie Arbeitslose, Alleinerziehende oder Menschen einer bestimmten Region unterschiedlichen strukturellen Bedingungen ausgesetzt sind, ergeben sich Unterschiede in Morbidität und Mortalität. Dies gilt aber nicht nur für die den Tod verursachenden Krankheiten, sondern auch für die „äußeren Ursachen“. Auch diese Todesursachen treffen unterschiedliche Gruppen unterschiedlich häufig, weil sie von strukturellen Bedingungen beeinflusst werden; damit hat sich ja bereits Emil Durkheim in seiner Studie über den Selbstmord beschäftigt (Durkheim 1983 [1897]). 2.4.2 Drei Beispiele zur Lebensqualitäts-Analyse Im Folgenden soll anhand von drei Beispielen aufgezeigt werden, wie die Ursachen der Unterschiede in Morbidität und Mortalität rekonstruiert werden können. Das erste Beispiel beschäftigt sich mit den Ursachen der Herz-KreislaufKrankheiten (1). Zwei weitere Beispielen beschäftigen sich mit Ursachen, die verschiedene Krankheiten auslösen können: Das zweite Beispiel beschäftigt sich mit Arbeitslosigkeit, die als belastende Lebenssituation viele psycho-soziale Folgen zeitigt (2), das dritte Beispiel behandelt den Feinstaub in der Außenluft (3). (1) Beispiel: Ursachen der Herz-Kreislauf-Krankheiten. Die Herz-Kreislauf-Krankheiten, zu denen unter anderem der Herzinfarkt und der Schlaganfall zählen, stellen in Deutschland die häufigste Todesursache dar; sie erklären einen großen Teil der Mortalität (siehe Tabelle 6). Der Herzinfarkt galt lange Zeit als Managerkrankheit (siehe Siegrist 2004: 6), tatsächlich hat er heute einen ausgeprägten und „normal verlaufenden“ sozialen Gradienten66: Er kommt in den unteren Schichten häufiger vor als in höheren, bei einer Unterteilung der Bevölkerung in fünf Schichten – in der untersten Schichten doppelt so häufig vor wie in der obersten (Helmert / Maschewsky-Schneider / Mielck 1993: 131). Siegrist fasst in einer Übersicht (Siegrist 2004) die Erforschung der Ursachen von HerzKreislauf-Krankheiten zu fünf Erklärungsansätzen zusammen: Eine mögliche Erklärung besteht in einem schlechteren Zugang der „weniger privilegierten Schichten“ zum medizinischen Versorgungssystem (Siegrist 2004: 8). Es lässt sich auch für Deutschland zeigen, dass sie seltener zum Arzt gehen, bei Beschwerden länger warten, bevor sie zum Arzt gehen und seltener an 66
Eine ausführliche Diskussion des Gradienten bietet z. B. Steinkamp 1999.
80
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen (ebd.). Eine Zwei-Klassen-Medizin kann den Zugang zu bestimmten Behandlungen erschweren. „Aufgrund der Daten lässt sich abschätzen, dass maximal etwa ein Fünftel der gesamten Varianz sozialer Ungleichverteilung von Herz-Kreislauf-Krankheiten im mittleren Lebensalter auf Einflüsse des medizinischen Versorgungssystems zurückgeführt werden kann“ (Siegrist 2004: 8). Die Wichtigkeit des Versorgungssystems scheint aber in höherem Alter zuzunehmen (ebd.). Das Gesundheitswesen kann also – wie oben bereits angesprochen – nur einen geringen Teil der Unterschiede erklären. Diese Art der Erklärung weist also auf die Bedingtheit der Gesundheit vom Gesundheitssystem hin, also auf strukturelle Bedingungen. Eine weitere Möglichkeit der Erklärung stellt der Selektionsmechanismus dar. Er beschreibt den Effekt, dass Menschen, die eine Krankheit bekommen, in der Folge der Krankheit oder auch in der Folge einer Vorerkrankung sozial absteigen können. Querschnittsuntersuchungen, die nach einem sozialen Abstieg Schicht und Erkrankungshäufigkeit untersuchen, könnten dann fälschlicherweise die Zugehörigkeit zu einer weniger privilegierten Schicht für die Ursache einer Erkrankung halten, obwohl sie nur Folge der Erkrankung war. Die Richtung der Kausalität kann nur in Längsschnittuntersuchungen geklärt werden. Es werden dabei zwei Effekte unterschieden, die bezeichnet werden als Verursachungshypothese (engl.: causation) – auch soziogene Hypothese oder shift-Effekt genannt – beziehungsweise als Selektionshypothese (engl.: selection), die auch als drift-Effekt bezeichnet wird. Verursachung bedeutet, dass die Unterschiede der Erkrankungshäufigkeit ursprünglich durch die Gruppen- oder Schichtzugehörigkeit ausgelöst werden (für Einkommensschichten bedeutet das „plakativ formuliert: ‚Armut macht krank’“ (Mielck 2000: 164)). Selektion bedeutet, dass eine Erkrankung zu einer Auslese führt, also normalerweise zu einem Abrutschen in eine tiefere Schicht67 („plakativ formuliert: ‚Krankheit macht arm’“ (Mielck 2000: 164)). In prospektiven Langzeituntersuchungen können beide Effekte auseinander gehalten werden, weil im zeitlichen Verlauf verfolgt werden kann, in welcher Gruppe oder Schicht ein Mensch erkrankt ist und ob er in Folge der Erkrankung die Gruppe oder die Schicht gewechselt hat. Siegrist (2004: 8) kann durch Rückgriff auf solche Untersuchungen zeigen, dass der Selektionseffekt für Herz-Kreislauf-Krankheiten durchgängig nur einen geringen Einfluss hat.
67
vgl. Davison / Neale 1998: 473; Knecht 2002: 51; Steinkamp 1999: 119; das Abrutschen stellt zwar „nur“ eine Folge der Krankheit dar, sie kann aber dennoch Ursache für geringere Lebensqualität sein und sollte deshalb sozialpolitisch nicht unbeachtet bleiben. Beide Effekte können Ziel der Sozialpolitik sein: Beeinflussung des sozialen Gradienten der Morbidität und Abfederung der Folgen einer Erkrankung.
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
81
Eine dritte mögliche Erklärung vermutet die Entstehung einer Prädisposition für koronare Herzkrankheiten während der Embryonalentwicklung und der ersten Lebensjahre. Danach sind Fehlernährung, Mangel an wichtigen Vitaminen und Suchtverhalten vor und während der Schwangerschaft bei Frauen aus niedrigen Schichten häufiger anzutreffen als bei sozial besser gestellten. Als Folge bilden sich Stoffwechselstörungen während der vorgeburtlichen Entwicklung aus, die häufig zu einem niedrigen Geburtsgewicht und einem langfristig erhöhten Erkrankungsrisiko führen […]. Aus den verschiedenen Längsschnittstudien ist bekannt, dass Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht häufig bereits im Schulalter zu Übergewicht neigen. Beide Tatbestände sind bei Kindern aus bildungsschwächeren Schichten weiter verbreitet […]. Damit wird ein Weg aufgezeigt, wie frühkindliche Benachteiligung im Erwachsenenalter die Herz-Kreislauf-Gefährdung steigen lässt. Denn Übergewicht ist ein erstrangiger Risikofaktor für die Entwicklung von Bluthochdruck und dem sog. metabolischen Syndrom, das als Disposition für erhöhte Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu betrachten ist […] Neben der während der Schwangerschaft angebahnten Stoffwechselstörungen ist jedoch auch die familiäre Situation in den ersten Lebensjahren des Kindes sehr bedeutsam für das Zustandekommen einer höheren Krankheitslast im späteren Lebensverlauf von Mitgliedern aus weniger privilegierten sozialen Schichten […] (Siegrist 2004: 9).
Zusätzlich können psychische Belastungen, die in den ersten Lebensjahren entstehen, zur Erhöhung des Erkrankungsrisikos beitragen (Siegrist 2004: 9). Diese Argumentation lässt sich übrigens schwerlich entweder der Mikro- oder der Makroebene zuordnen. Die Bedingungen, die sich für das Leben durch die vorgeburtliche Entwicklung und die frühe Kindheit ergeben, stellen für das Kind sozusagen unabänderliche Mesobedingungen dar, die zeitverzögert wirken. Zwei weitere Gründe sieht Siegrist eng miteinander verzahnt: gesundheitsschädigendes Verhalten sowie materielle und psycho-soziale Belastungen im Erwachsenenalter: Viele koronare Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel und eine ungesunde Ernährung sind sozial ungleich verteilt. „Beispielsweise wiesen Männer, deren Schulbildung weniger als 10 Jahre betrug, ein mehr als doppelt so hohes Risiko, übergewichtig oder Raucher zu sein im Vergleich zu Männern mit mehr als 12 Ausbildungsjahren“ (Siegrist 2004: 10). Allerdings kann auch gezeigt werden, dass der Einfluss der sozialen Ungleichheit bei Kontrolle des Einflusses gesundheitsschädigender Verhaltensweisen bestehen bleibt, wenn auch in abgeschwächter Form. Es sind also nicht diese Verhaltensweisen alleine, die das Risiko erhöhen (ebd. 10). Bei gesundheitsschädigenden Verhaltensweisen stellt sich die Frage, in welchem Maß sie strukturellen Bedingungen, wie beispielsweise fehlendem Wissen zu gesundheitsförderlichem Verhalten, zugeordnet werden können, und in welchem Maß sie in die Entscheidungsfreiheit eines einzelnen Menschen fallen. Dieses Problem wird noch im Fortgang dieser Arbeit diskutiert werden.
82
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Eine weitere Erklärung geht davon aus, dass es in den weniger privilegierten Schichten stärker belastende Lebens- und Arbeitsbedingungen gibt, und dass gleichzeitig weniger materielle und psycho-soziale Ressourcen zur Bewältigung dieser Belastungen zur Verfügung stehen (ebd. 10). Da die Häufigkeit der koronaren Herzkrankheiten nicht nur einen Einkommens-Gradienten hat, sondern auch mit der beruflichen Situation stark variiert (Marmot / Theorell / Siegrist 2002, Schnall / Belkic / Landsbergis 2000), hat sich die Forschung den beruflichen Belastungen in Form von chronischem, negativem Stress, genannt Distress, zugewandt. Zwei Stress-Modelle wurden formuliert und empirisch getestet. Das Anforderungs-Kontroll-Modell von Karasek und Theorell (1990) besagt, dass hohe Anforderungen an eine arbeitende Person mit geringem Entscheidungs- und Kontrollraum bei der Arbeitsgestaltung zu den chronischen Stressbelastungen führen, die das Risiko von Herz-Kreislauf-Krankheiten erhöhen. Das Modell beruflicher Gratifikationskrisen von Siegrist (1996) hält ein Ungleichgewicht von „fortgesetzter hoher geleisteter Verausgabung und nicht angemessen gewährten Belohnungen“ für den Auslöser des Stresses, der das Herz-KreislaufRisiko erhöht. Dabei wurden drei Dimensionen von Belohnungen unterschieden: „finanzielle (Lohn, Gehalt), emotionale (Anerkennung, Wertschätzung) und statusbezogene Belohnungen (Aufstiegschancen, Arbeitsplatzsicherheit)“.68 Empirische Untersuchungen konnten beide Modelle bestätigen69, selbst dann, wenn gesundheitsschädigendes Verhalten, das mit dem höheren Stress korreliert, kontrolliert wurde (Siegrist 2004: 19). Diese Erklärung weist auf strukturelle Bedingungen der Arbeitswelt hin, denen der Einzelne ausgeliefert ist und die vom Einzelnen nicht oder nur schwer zu beeinflussen sind. Insgesamt zeigt das Beispiel, wie komplex die Wirkungen sind, die zu Herz-Kreislauf-Krankheiten führen. Strukturelle Bedingungen, Handeln und Verhalten sowie Prädispositionen, die auf die Kindheit zurückgehen, verursachen in Kombination die Unterschiede im Ausmaß und der Art von Morbidität und Mortalität. Dabei ist der Anteil, der allein durch unterschiedliches gesundheitliches Verhalten (z. B. Rauchen) zu erklären ist, eher gering. Eine Rekonstruktion der Produktion gesundheitlicher Ungleichheit kann aber nicht nur an den Krankheiten ansetzen. Da manche Belastungen mehrere Krankheiten gleichzeitig verursachen, kann sie ihren Ausgangspunkt auch bei den Belastungen nehmen, wie in den folgenden Beispielen (vgl. auch Mielck 2000: 64). (2) Beispiel: Psycho-soziale Folgen von Arbeitslosigkeit. Das Thema der gesundheitlichen Folgen von Arbeitslosigkeit ist mittlerweile ausführlich beforscht. Bereits eine der ersten großen empirischen soziologischen Untersuchungen, „die Arbeitslosen von Marienthal“ (Jahoda / Lazarsfeld / Zeisel 1975 68 69
Siegrist 1996: Kap 3.3, 2004: 16 Übersicht: Marmot / Theorell / Siegrist 2002, Schnall / Belkic / Landsbergis 2002
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
83
[1933]) untersuchte die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit. Fast alle Bewohner eines Dorfes in der Nähe von Wien wurden arbeitslos, als der größte Arbeitgeber der Gegend, eine Manufaktur, die Tore schloss. Schon in dieser Untersuchung wurde von gesundheitlichen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit berichtet. Ein großer Anteil der Bevölkerung wurde depressiv oder apathisch (ebd. 71f.), und die Gesundheit der Kinder war beeinträchtigt (53). Tabelle 7: Subjektive Einschätzung des Gesundheitszustandes in Abhängigkeit von Arbeitslosigkeitserfahrungen bei Männern Gruppe nach Arbeitslosigkeitserfahrung innerhalb der letzten 5 Jahre und aktuellem Erwerbsstatus
Gesundheitszustand weniger gut oder schlecht Anteil
Risiko
Keine vorausgehende Arbeitslosigkeit
10,90%
1 (Referenz)
Weniger als 1 Jahr vorausgehend arbeitslos
12,50%
1,6 (1,0–2,6)
Ein oder mehr Jahre vorausgehend arbeitslos
16,70%
1,7 (0,9–3,0)
Weniger als 1 Jahr arbeitslos, Nebenverdiener
11,40%
0,9 (0,4–2,5)
Ein oder mehr Jahre arbeitslos, Nebenverdiener
23,80%
2,1 (1,0–4,4)
Weniger als 1 Jahr arbeitslos, Hauptverdiener
17,90%
1,8 (0,8–4,3)
Ein oder mehr Jahre arbeitslos, Hauptverdiener
39,60%
4,3 (2,8–8,0)
Aktuell Berufstätige
Aktuell Arbeitslose
Quelle: Auswertungen des Bundes-Gesundheitssurveys durch Grobe / Schwartz 2003: 10 Heute sind die psycho-sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit sehr genau belegt. Beispielsweise zeigen Auswertungen des Bundes-Gesundheitssurveys auf, dass die Gesundheit bei Arbeitslosigkeit stark leidet. In dieser Untersuchung betrug der Anteil der befragten Männer mit weniger gutem oder schlechtem Gesundheitszustand bei Hauptverdienern, die ein Jahr oder länger arbeitslos waren 39,60%, während dieser Anteil bei Berufstätigen ohne vorausgehende Arbeitslosigkeit nur 10,90% betrug (sieht Tabelle 7). In der Mehrzahl der im Bundes-Gesundheitssurvey erfragten Erkrankungen waren arbeitslose Männer im Vergleich zu berufstätigen Männern häufiger betroffen. Statistisch abzusichernde Unterschiede zeigten sich hinsichtlich »Durchblutungsstörungen des Gehirns mit Lähmungen oder Gefühlsstörungen«, »Durchblutungsstörungen der Beine«, »Chronische Bronchitis«, »Leberzirrhose«, »Epilepsie«, »Psychischen Erkrankungen«, sowie »Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen«. Anzumerken ist, dass die genannten Erkrankungen (mit Ausnahme der chronischen Bronchitis) auch unter den häufiger erkrankten Arbeitslosen jeweils weniger als 10%
84
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität der Befragten betreffen. Bei arbeitslosen Frauen zeigt sich ein deutlich abweichendes Bild. Von ihnen werden lediglich »Durchblutungsstörungen der Beine« signifikant häufiger angegeben (Grobe / Schwartz 2003: 11).
Eine Sekundäranalyse von Krankenkassendaten der Gmünder Ersatzkasse konnte ein Mehr an Krankenhausaufenthalten nachweisen. Arbeitslose Männer sind dabei 2,3 Mal häufiger im Krankenhaus als Männer, die nicht von Arbeitslosigkeit betroffen sind; arbeitslose Frauen sind 1,7 Mal häufiger im Krankenhaus als Frauen, die nicht von Arbeitslosigkeit betroffen sind (Grobe / Schwartz 2003: 11). Die vermehrten Krankenhausaufenthalte von Arbeitslosen entstehen durch Krankheiten aller Diagnosegruppen des ICD 10, allerdings sind die Unterschiede bei den Infektionskrankheiten, den Stoffwechselerkrankungen, den Krankheiten der Verdauungsorgane sowie bei den Verletzungen und Vergiftungen am deutlichsten (ebd. 12). Der deutlichste Abstand zeigt sich aber bei den Krankenhausaufenthalten wegen psychischer Störungen und Verhaltensstörungen (ICD 10 F). Männer verbringen siebenmal mehr Tage, Frauen drei Mal mehr Tage im Krankenhaus wegen solcher Störungen (ebd. 12f.). Auch die Morbidität von Arbeitslosen ist stark erhöht: So ergab sich bei der Auswertung der genannten Krankenkassendaten ja nach Dauer der Arbeitslosigkeit in einem Zeitraum von drei Jahren ein Gradient bei der Sterblichkeit. „Während rechnerisch unter 100.000 durchgängig Berufstätigen in den drei Folgejahren [nach dem betrachteten Zeitraum] lediglich 277 Menschen starben, traten bei Personen mit einem bis unter zwei Jahren Arbeitslosigkeit schon 463 Todesfälle und bei Mitgliedern mit mehr als 2 Jahren dokumentierter Arbeitslosigkeit schließlich 965 Todesfälle je 100.000 Mitglieder auf“ (Grobe / Schwartz 2003: 16). Dies entspricht einer um das 1,6-fach erhöhten Mortalität bei den Versicherten, die bis zu einem Jahr arbeitslos waren, und einer um das 3,4-fach erhöhten Mortalität bei denen, die mindestens zwei Jahre arbeitslos waren (ebd. 16). Andere Untersuchungen zur Mortalität von Arbeitslosen ergeben ähnliche Ergebnisse: Eine Untersuchung von Krankenkassendaten der AOK aus der Zeit von 1980 bis 1990 führte zu einer 2,6-fach erhöhten Moralität. (Schach / RisterMende / Schach et al. 1994: 188f.). In dieser Untersuchung stieg die Sterblichkeit arbeitsloser Frauen stärker an als die von arbeitslosen Männern. In einer prospektiven Langzeitstudie an englischen Männern wurde bei einer Nachuntersuchung nach fünf Jahren ebenfalls eine Verdoppelung der Mortalitätsrate festgestellt (Morris / Cook / Shaper 1994). Es ergab sich insbesondere eine Verdopplung der Sterblichkeiten für Herz-Kreislauf-Krankheiten und Krebs. Dass Arbeitslose häufig mehr rauchen und mehr Alkohol konsumieren, konnte, wie auch die soziale Schicht, nur einen kleinen Teil der erhöhten Sterblichkeit erklären. Viele weitere Untersuchungen bestätigen die erhöhte Sterblichkeit und die angeführten Zusammenhänge (siehe z. B. Gallo / Teng / Falba 2006, Voss /
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
85
Nylén / Floderus et al. 2004, Keefe / Reid / Ormsby et al. 2002, Martikainen / Valkonen 1996). Bei Querschnittsuntersuchungen zur Morbidität und Mortalität von Arbeitslosen entsteht das Problem, dass die beiden oben genannten Effekte Verursachung (hier: „Arbeitslosigkeit macht krank“) und Kausation (hier: „Krankheit führt zu Arbeitslosigkeit“) Auslöser sein können (Statistisches Bundesamt 1998: 116, Grobe / Schwartz 2003: 17, Bammann / Helmert 2000: 159). Lang anhaltende Krankheiten oder häufige Krankheitsepisoden stellen, entgegen der landläufigen Meinung (siehe Lepke 2006: 159), einen Kündigungsgrund dar und können so zur Arbeitslosigkeit führen.70 Zusätzlich überlagern sich verschiedene Effekte, die schwer zu trennen sind: Das Risiko arbeitslos zu werden ist bei niedriger Bildung und bei niedriger beruflichen Stellung höher; viele Krankheiten weisen bereits einen sozialen Gradienten bezüglich Bildung und Einkommen auf. Zusätzlich ist Arbeitslosigkeit (und häufig auch der Wiedereinstieg nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit) mit einem Verlust an Einkommen verbunden (Bammann / Helmert 2000: 160). Verursachung und Kausation können aber zumindest analytisch unterschieden werden: Erstens bei prospektiven Langzeitstudien, bei denen am Anfang eines längeren Zeitraums eine Gesundheitsuntersuchung stattfindet und der Verlauf der Ereignisse beobachtet werden kann71; zweitens, bei Betriebsschließungen, bei denen die Entlassung unabhängig vom Gesundheitszustand erfolgt72, und drittens, wenn die Möglichkeit besteht, Vorerkrankungen zu erheben, wie das beispielsweise bei den Daten der Krankenkassen der Fall ist: So wurden die Daten der Gmünder Ersatzkasse auf Krankenhausaufenthalte über drei Wochen Länge (in einem Zeitraum von drei Jahren) in Abhängigkeit von der Arbeitslosendauer hin untersucht. Im Vergleich zu durchgängig Beschäftigten ergab sich für Personen, die innerhalb der drei Jahre mindestens ein halbes Jahr arbeitslos waren ein ca. 2,6-fach erhöhtes Risiko, für Personen, die ein Jahr oder länger arbeitslos waren sogar ein 3-fach erhöhtes Risiko für einen längeren Krankenhausaufenthalt (Grobe / Schwartz 2003: 18). Eine Einbeziehung der Vorerkrankungen reduziert die Risiken von 2,6 und 3 auf 2,1 und 2,3. Dies weist darauf hin, dass Vorbelastungen aus der Zeit vor der Arbeitslosigkeit eine Rolle spielen, was auf einen Kausationseffekt hindeutet. Dass die Risken dennoch hoch bleiben, weist auf einen starken Verursachungseffekt hin. Berth, Förster, Stöbel-Richter et al. (2006) gehen aufgrund einer Längs70
„Ein in der Person des Arbeitnehmers liegender Kündigungsgrund im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG wird von der Literatur […] und Rechtsprechung […] immer dann anerkannt, wenn der Arbeitnehmer zur Zeit der Kündigungszugangs noch lang anhaltend bzw. lang andauernd krank ist.“ (Lepke 2006: 198) 71 Morris / Cook / Shaper 1994 und Ferrie / Shipley / Marmot et al. 1995 72 Z. B. Keefe / Reid / Ormsby 2002
86
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
schnittstudie zur psychischen Belastung von Arbeitslosigkeit davon aus, dass beide Effekte in Wechselwirkung treten. Anzunehmen ist daher eine Wechselwirkung von Selektion und Kausalität im Sinne eines Teufelskreises: Psychisch belastetere [sic!] Personen werden eher arbeitslos und leiden dann mehr unter den Folgen der Arbeitslosigkeit, was wiederum zu schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt führt (Berth / Förster / Stöbel-Richter et al. 2006: 111).
Wie kommt es nun aber zu der starken Beeinträchtigung der psychischen und körperlichen Gesundheit durch die Arbeitslosigkeit? Bei der Erforschung der psycho-sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit wurde lange Zeit von einem gleichförmigen Verlauf ausgegangen, der in typischen Phasen verläuft (Kieselbach / Wacker 2000: 116, Kieselbach / Beelmann 2006: 16). Danach käme es durch die Arbeitslosigkeit zuerst zu einer kurzen Phase des Schocks. Die darauffolgende optimistische Phase münde nach ca. einem Jahr – falls sich kein neues Arbeitsverhältnis auftäte – in eine pessimistische Phase. Bei lang anhaltender Arbeitslosigkeit schlüge dann der Pessimismus in einen Fatalismus um (vgl. Friedrich / Wiedemeyer 1998: 55, Paul / Hassel / Moser 2006: 38). Heute ist klar, dass die Bewältigung von Arbeitslosigkeit differenzierter betrachtet werden muss, da sie stark davon abhängig ist, welche Stressoren auf welche Ressourcen treffen (Kieselbach / Wacker 2000; Kieselbach / Beelmann 2006: 16). Gleichzeitig sind aber auch neue „Phasen“ erkannt worden: So kann bereits ein unsicherer Arbeitsplatz oder eine antizipierte Kündigung zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen (Ferrie / Shipley / Marmot et al. 1995, vgl. auch Paul / Moser 2001: 99). Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass Arbeitslosigkeit die Lebenszufriedenheit auch dann noch beeinträchtigt, wenn ein neuer Arbeitsplatz gefunden wurde (Lucas / Clark / Georgellis et al. 2004, vgl. Berth / Förster / Brähler 2005). Kieselbach und Wacker (2000) unterscheiden drei unterschiedliche Ursachen des mit der Arbeitslosigkeit einhergehenden psycho-sozialen Stresses: 1. Die mit der Arbeitstätigkeit verbundenen Momente von ökonomischer Sicherheit, sozialer Einbindung, Selbstwertgefühl, Zeitstrukturierung sowie externen Anforderungen schwächen sich ab oder gehen verloren (primäre Viktimisierung). 2. Erfahrungen von Alltagsproblemen wie finanziellen Sorgen, Zukunftsunsicherheit und sozialer Stigmatisierung führen zu einer Verstärkung von Belastungen (sekundäre Viktimisierung). 3. Sozial als unangemessene angesehene Formen der Bewältigung werden den Betroffenen selbst angelastet (tertiäre Viktimisierung): – zum einen jenen Menschen, die aufgrund des Mangels an persönlichen und sozialen Ressourcen mit ihrer Situation nur sehr unzureichend fertig werden und gravierende psychosoziale Probleme aufweisen, – zum anderen jenen positiven Bewältigen der Arbeitslosigkeit, die „zu gut“ mit der Situation fertig werden, und denen deshalb Missbrauch des sozialen Sicherungssystems vorgeworfen wird (Kieselbach / Wacker 2000: 117).
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
87
Die Belastung durch Arbeitslosigkeit führt häufig zuerst zu einer Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit. „Depressive Verstimmungen, Unzufriedenheit mit der aktuellen Lebenssituation, Ängstlichkeit, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, geringes Selbstwertgefühl, Resignation bis hin zur Apathie, geringes Aktivitätsniveau und soziale Isolation sowie Einsamkeit repräsentieren die wichtisten Symptome einer schlechteren psychischen Gesundheit“ (Kieselbach / Beelmann 2006: 21). Eine Metauntersuchung kommt zu ähnlichen Ergebnissen: „Arbeitslose zeigen mehr allgemeine psychische Symptome, mehr Kennzeichen der Depression und der Angst, mehr psychosomatische Symptome, externalere [sic!] Kontrollüberzeugungen, weniger Lebenszufriedenheit, ein schlechteres emotionales Wohlbefinden und ein geringeres Selbstwertgefühl als die erwerbstätigen Vergleichspersonen“ (Paul / Moser 2001: 91). Vermehrtes Rauchen stellt in dieser Situation ein häufiges „Belastungs-Bewältigungs-Verhalten“ (Kieselbach / Beelmann 2006: 21) dar. Trotz der vermehrten Freizeit sind Arbeitslose seltener sportlich aktiv (ebd.). Einige Untersuchungen geben Anhaltspunkte, auf welche Weise dabei unterschiedliche Ressourcen „zusammenspielen“: Beispielsweise konnten Kessler, Turner und House (1988: 79f.) zeigen, dass eine gute „soziale Integration“ das Ausmaß an Ängstlichkeit, Depressivität, Somatisierung und psychischen Erkrankungen, die mit der Arbeitslosigkeit einhergehen, verringerte (s. a. Kieselbach / Beelmann 2006: 19). Soziale Kontakte lindern also die negativen Effekte von Arbeitslosigkeit. Um Langzeiteffekte beschreiben zu können, untersuchten Price, Choi und Vinocur (2002) Arbeitslose während eines Zeitraumes von zwei Jahren. Dabei zeigte sich, dass die mit der Arbeitslosigkeit einhergehende Depressivität und der Kontrollverlust hauptsächlich durch die finanzielle Belastung vermittelt wurden. Der Kontrollverlust führte auf die Dauer dann zu gesundheitlichen Einschränkungen und psychischen Symptomen. Somit bestätigte sich ihre Annahme einer „chain of aversity“ (ebd.), also einer „Kette des Elends“, die als „Kaskadeneffekt“ (ebd.) von der Arbeitslosigkeit ausgehend über die finanzielle Belastung, Depression und Kontrollverlust zu einer schlechten Gesundheit und psychischen Symptomen führt, von denen wiederum ein leicht negativer Effekt auf die Wahrscheinlichkeit der Wiedereinstellung ausging („Abwärtsspirale“) (ebd. 308). Ähnliche Ergebnisse produzierte eine schwedische Untersuchung an Arbeitslosen (Starrin / Jönsson / Rantakeisu 2001), die nicht nur zu dem Schluss kam, dass das Kohärenzgefühl73 der Arbeitslosen niedriger war als im Durchschnitt der Bevölkerung; sie konnte auch zeigen, dass das Kohärenzgefühl genau dann niedrig war, wenn die Arbeitslosen Situationen erlitten, in denen sie sich geschämt hatten oder wenn sie in finanzielle Bedrängnis kamen. Die psycho73
Die Autoren beziehen sich damit Antonovskys (1997 [1987]) Konzept des sense of coherence.
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
sozialen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit – so könnte man zusammenfassen – sind also stark abhängig von den zur Verfügung stehenden sozialen und finanziellen Ressourcen. (3) Beispiel: Feinstaub. Das dritte Beispiel für eine Lebensqualitäts-Analyse beschäftigt sich mit Feinstaub, der wiederum eine Ursache von vielen verschiedenen Krankheiten betrachtet. In diesem Beispiel wird die Vermittlung zwischen Belastung und Gesundheit mittels einer physikalischen Noxe74 übertragen und nicht, wie in den anderen Beispielen über psycho-sozialen Stress. Insbesondere in den Städten ist die gesundheitliche Belastung durch Feinstaub sehr hoch. EU-weite Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass die Feinstaub-Belastung die Lebenszeit jeder Europäerin und jedes Europäers um durchschnittlich ca. neun Monate verkürzt (GSF 2005: 7, s. a. Umweltbundesamt 2007) und zwischen 288.000 und 400.000 vorzeitige Todesfälle verursacht (Watkiss / Pye / Holland 2005, Apheis 2004; Englert 2007: 112, s. a. Europäische Kommission 2005: 1). Problematisch sind dabei nicht die Feinstäube aus natürlichen Quellen, sondern solche aus anthropogenen Quellen, also hauptsächlich Partikel aus Verbrennungsprozessen. Unterschieden werden Kurzzeit- und Langzeiteffekte auf Morbidität und Mortalität. „Die Liste der Kurzzeiteffekte ist lang: Sie reicht von erhöhten Mortalitätsraten durch die Erhöhung der täglichen Sterblichkeit während Perioden mit erhöhter Partikelkonzentration (Eikmann / Seitz 2002), Verschlechterung der Symptome bei Asthmatikern, vermehrten Krankenhausaufnahmen und Arztbesuchen wegen Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen bis hin zu Veränderungen des Herzrhythmus, des EKGs sowie anderer Funktionsparameter des Herz-Kreislauf-Systems und der Atemwege“ (ebd., GSF 2005: 7). Bei Kleinkindern unter einem Jahr erhöht Feinstaub das Atemtodrisiko. Bei Kleinkindern kann sich Feinstaub auf die Entwicklung der Lunge auswirken und Asthma verschlimmern. Bei Kindern aller Altersgruppen kann Feinstaub Husten und Bronchitis verursachen (WHO 2005: 2). Studien zur Langzeitexposition gegenüber Feinstaub ergeben einen Anstieg der Sterblichkeit an kardiopulmonalen Ursachen und Lungenkrebs. Der Verlust an Lebenserwartung in der Bevölkerung kann dabei die Größenordnung eines Jahres erreichen. Die Langzeitstudien zeigen ferner, dass die Feinstaubexposition zu chronischen Atemwegserkrankungen oder vermindertem Lungenwachstum führen kann. Das Fatale zudem: Möglicherweise erhöht chronische Feinstaubexposition auch die Empfindlichkeit gegenüber akuten Veränderungen in der Feinstaubbelastung (GSF 2005: 7).
74 Noxe ist ein medizinischer Fachausdruck für eine krankheitserregende Ursache, ein Schadstoff oder ein schädigendes Agens (Pschyrembel 1998: 1135).
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
89
Während der Autoverkehr bei den Gesamtstaubemissionen nur zu 33% verantwortlich ist, ist er Hauptverursacher beim Feinstaub: Der durch den Verkehr verursachte Anteil an den jährlichen Feinstaubemissionen lag im Jahre 2002 bei 51% (26% abgasbedingt, 25% Staubaufwirbelung, Abrieb der Straßenoberfläche sowie Reifen und Bremsen) (Umweltbundesamt 2005: 6, s. a. GSF 2005: 3). Dieselmotoren sind daran in besonderem Maß, mit ca. 3 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (μg/m3) beteiligt: So wird davon ausgegangen, dass bei einer sofortigen Ausstattung aller Dieselfahrzeuge mit Russfiltern die Lebenserwartung der deutschen Bevölkerung um cirka zwei Monate ansteigen würde (GSF 2005:) und ein bis zwei Prozent weniger an Krebs und so genannten kardio-pulmonalen Ursachen sterben würden (Ärztewoche 2006). Ein Anstieg der feinsten Stäube (PM2,5) um 10-μg/m3 bringt eine Erhöhung der allgemeinen Sterblichkeit um 6%, eine 8%-ige Erhöhung der Sterblichkeit mit kardio-pulmonalen Ursachen und eine 13%-ige Erhöhung von Lungenkrebs mit sich (Pope 2002: 1136, s. a. WHO 2005: 2). Längerfristige Expositionen haben noch weiter reichende Auswirkungen. So ergab sie bei einer zehnjährigen Untersuchung eine um 9% erhöhte Mortalität, bei einer achtzehnjährigen Untersuchung eine um 17% erhöhte Moralität (Ärztewoche 2006). Dabei scheint es keine Schwellenwerte zu geben, unterhalb derer Feinstaub unwirksam bliebe (WHO 2005: 3, Umweltrat 2008: 213). Während mittlerweile viele Untersuchungen vorliegen, die schichtspezifische Unterschiede der Umweltbelastung und bei den umweltbedingten Erkrankungen nachweisen75, existieren erst wenige Untersuchungen zu schichtspezifischen Feinstaub-Belastungen und deren Folgen.76 Beispielsweise wurde in einer Untersuchung im kanadischen Hamilton aufgezeigt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner der ärmeren Stadtviertel einer höheren Feinstaub-Belastung ausgesetzt sind und diese Bewohnerinnen und Bewohner auch früher sterben (Finkelstein / Jerrett / DeLuca et al. 2003). In einer Untersuchung älterer Frauen im Ruhrgebiet (Schikowski / Sugiri / Reimann et al. 2008) konnte eine Reduktion der Lungenfunktion bei niedrigerem sozial-ökonomischen Status nachgewiesen werden. Der soziale Gradient konnte einerseits auf eine größere Umweltbelastung und andererseits auf vermehrtes Rauchen zurückgeführt werden (ebd. 179). In Folge der von der EU angestoßenen Untersuchungen – und obwohl es kaum ein öffentlichen Bewusstsein für dieses Problem gab – hat die EU 1999 eine Richtlinie beschlossen, die die Werte im Jahrsmittel auf 40 Mikrogramm
75
Siehe z. B. Bolte / Mielck 2004, Maschewsky 2004, Mielck / Heinrich 2002 Bolte / Kohlhuber 2006, Kohlhuber / Mielck / Weiland / Bolte 2006, Evans / Kantrowitz 2002, s. a. Wichmann / Heinrich / Peters 2002 76
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Feinstaub pro Kubikmeter Luft begrenzt.77 Ausnahmen bis höchstens 50 Mikrogramm Feinstaub sind für höchstens 35 Tage pro Jahr zugelassen. Diese Richtlinie trat in Deutschland bereits sechs Jahre später, am 1. Januar 2005, in Kraft. In vielen Städten wurde das Maß an erlaubten jährlichen Überschreitungen bereits nach drei Monaten erreicht und das bis dahin kaum diskutierte Thema Feinstaub beherrschte tagelang die Headlines der Boulevard-Zeitungen – bis es dort vom Tod des Papstes Johannes Paul II. am 2. April 2005 und der Schlagzeile „wir sind Papst“ verdrängt wurde. Im Vergleich zu den beiden anderen Beispielen, bei denen die Übertragung über die psychische Stressbelastung funktioniert, ist in diesem Beispiel der Übertragungsweg physikalischer Art. Feinstaub-Partikel können im Körper – bis zum Ausbruch einer Krankheit – wirken ohne in irgendeiner Weise in das Bewusstsein der Betroffenen zu gelangen. Gemeinsam haben die Übertragungswege, dass gesellschaftlich verursachte Belastungen in den Körper dringen und langfristige Belastungen mit sich bringen, die das Mortalitätsrisiko erhöhen. Sowohl die Daten zur Sterblichkeit als auch die drei Beispiele zeigen, dass in den unteren Schichten – genauer ausgedrückt in den ärmeren, weniger gebildeten und in weniger angesehenen Berufen arbeitenden Schichten – die Lebenserwartung niedriger und die Morbidität und die Mortalität höher sind. Dabei gibt es keine Schwelle, ab der eine Erhöhung des Einkommens keinen positiven Einfluss mehr auf Lebenserwartung, Morbidität und Mortalität hat – also keine so genannte „protektive Wirkung“ (Siegrist 2000: 141) mehr entfaltet, wie Epidemiologen sagen – sondern die Lebenserwartung steigt in jeder nächst höheren Einkommensgruppe an. Dieser so genannte soziale Gradient78 konnte nicht nur für Deutschland, sondern auch international für die Sterblichkeit (Steinkamp 1999: 107) und für fast alle Krankheiten nachgewiesen werden.79 Ein sozialer Gradient ergibt sich in Untersuchungen zur Erkrankungshäufigkeit, er ergibt sich für den allgemeinen Gesundheitszustand80, für körperliche wie für psychische Krankheiten81, für chronische Krankheiten82 und für die Zahngesundheit.83 Einige Krankheiten führen in den niedrigeren Schichten nach Ersterkrankung 77 Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft. S. a.: Richtlinie 2001/81/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 23. Oktober 2001 über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe 78 Eine ausführliche Diskussion des Gradienten bietet z. B. Steinkamp 1999. 79 Mit der Ausnahme von Allergien und Heuschnupfen, die einen umgekehrten Zusammenhang aufweisen. Siehe dazu z. B. Helmert 2003: 92f. und Mielck 2000: 110. 80 Für Deutschland: Mielck 2000: 95, 119; international: Mielck 2000: 125 81 Für Deutschland: Mielck 2000: 88, Steinkamp 1999: 112 82 Für Deutschland: Mielck 2000: 100f.; international Mielck 2000: 125 83 Für Deutschland: Mielck 2000: 86, 107, 120
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
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schneller zum Tod.84 Es konnte gezeigt werden, dass die Sterblichkeit der Säuglinge von Müttern aus bildungsarmen Schichten höher ist.85 Der soziale Gradient lässt sich auch in Untersuchungen finden, die gesundheitsschädigendes Verhaltens kontrollieren. Im Ländervergleich ergeben sich häufig für die verschiedenen Länder unterschiedliche Ausprägungen des Gradienten. Die Bedeutung des sozialen Gradienten ist so groß, dass soziale Ungleichheit als der problematischste Faktor – für die Gesundheit und die Lebensqualität – gesehen werden kann, der als Hintergrundvariable die Raten unterschiedlicher Erkrankungen (Prävalenzraten) sowie der Sterblichkeit in enormen Maße beeinflusst. Bevor wir die Analyse vertiefen, können wir an dieser Stelle ein erstes Fazit ziehen. Die Sozialepidemiologie „beschäftigt [sich] mit der Frage, wie die soziale Struktur der Gesellschaft mit dem Gesundheitszustand ihrer Mitglieder zusammenhängt“ (Mielck 2000: 12). An den angeführten Beispielen und Untersuchungen können wir ihr Potential erkennen. Durch sozialepidemiologische Analysen von Unterschieden der Morbidität und Mortalität in den verschiedenen Gruppen rücken die Belastungen, die durch strukturelle Bedingungen86 und durch individuelle Verhaltensweisen verursacht werden, gleichermaßen in den Blick. Eine Vielzahl von Untersuchungen zeigt, dass Verursachungsprozesse im Allgemeinen ein größeres Gewicht haben als Selektionsprozesse, die jedoch auch eine Rolle spielen (Steinkamp 1993: 111, Mackenbach / van de Mheen / Stronks 1994). Verursachung und Selektion schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern sind Prozesse, die ineinander greifen. Im Allgemeinen spielt Zugang und Nutzung des Gesundheitssystems nur eine untergeordnete Rolle, frühkindliche Belastungen und Belastungen des Erwachsenenlebens hingegen eine große. Werden die Informationen über die verschiedenen Krankheiten und Todesursachen hinzugezogen, können die Bereiche, in denen die Belastungen entstehen, identifiziert und „Transformations- und Übertragungswege“ (engl.: pathways) rekonstruiert werden. Körperliche Reaktionen auf psychischen Stress können – in Anlehnung an den oben erarbeiteten Begriff – auch als Transformationen bezeichnet werden.87 Als Übertragungen sollen – in einer generalisierten Verwendung des medizinischen Begriffs der Übertragung einer Krankheit – die Wirkung struktureller Bedingungen auf das Individuum bezeichnet werden.
84
Für Deutschland: Mielck 2000: 74, 80 Für Deutschland: Mielck 2000: 83f. 86 Sie werden von Epidemiologen auch als ökologische Bedingungen bezeichnet. 87 Vgl. auch Hummer / Rodgers / Ebenstein 1998: 563 85
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
2.4.3 Die Komplexität der Übertragungswege Die Fülle an Ursachen und Übertragungswegen zeigt die Komplexität des Verhältnisses von Struktur und Mensch auf, deren Erforschung auch noch von den oben erwähnten methodischen Problemen überlagert wird. Um diese Komplexität zu reduzieren werden normalerweise einfache Kategorien gebildet, die als Erklärungen für gesundheitliche Ungleichheit dienen können: So erklärte der britische Black Report – der erste umfassende Public-HealthBericht, der im Jahr 1982 erschien – gesundheitliche Unterschiede durch – methodische Artefakte (artefact explanation), gesundheitsbedingte soziale Mobilität (natural or social selection), Gesundheitsverhalten (cultural / behavioural explanation) und materielle Lebensbedingungen (materialist / structuralist explanation) (Black / Morris / Smith et al. 1982). Lee / Paxman (1997: 16f.) nennen human biology, environment, lifestyle, medical care. Und Höpflinger (1997: 147) unterscheidet in seinem Buch über Bevölkerungssoziologie genetische und biologische Faktoren, umweltspezifische Faktoren, sozio-ökonomische Faktoren, soziokulturelle Faktoren sowie spezifisches Verhalten. Die Bedeutung der verschiedenen Bereiche wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Der Black Report kommt zu dem Ergebnis, dass die materiellen Lebensbedingungen ausschlaggebend sind: Wir betonen unsere Überzeugung, dass die beste Antwort auf die Frage nach den Ursachen in dem Ansatz ‚materielle Lebensbedingungen’ enthalten ist. Es ist allerdings kaum zu bezweifeln, dass die empirischen Ergebnisse zum Teil auch durch die anderen Ansätze erklärt werden können.88
Steinkamp (1999), der einen Überblick über internationale Studien bietet und mit den Kategorien des Black Reports arbeitet, kommt zu dem Ergebnis: Aus der prospektiven Londoner Whitehall-Studie […] ergibt sich der aufsehenerregende Befund, dass bei Kontrolle bekannter traditioneller Risikofaktoren (Alter, Rauchen, systolischer Blutdruck, Plasmacholesterol, Blutzucker, Körpergröße), das mit dem jeweiligen Berufsstatus verbundene Risiko, an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu sterben, nur um weniger als ein Viertel geringer wird.[…] Auch sportliche Aktivitäten in der Freizeit, die von Angehörigen der unteren sozialen Schicht nach eigenen Angaben deutlich seltener betrieben werden, beeinflussen dieses Ergebnis kaum (Steinkamp 1999: 125f.).
Nach der Berücksichtigung weiterer Untersuchungen, kommt er zum Schluss: Die theoretischen Reflexionen und empirischen Ergebnisse zur Einschätzung der Erklärungsreichweite des Verhaltensansatzes machen überaus deutlich, dass mit ihm allein der bedrü88
Black / Morris / Smith et al. 1990: 114, zit. nach und deutsche Übersetzung durch Mielke 2000: 245
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
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ckenden Tatsache massiver sozialer Ungleichheit von Krankheit und Lebenserwartung nicht beizukommen ist. Seine Favorisierung in der Verhaltensmedizin steht im eklatanten Widerspruch zu seiner Erklärungskraft sowohl für chronische Krankheiten (vor allem Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krebs, Rheuma), die über Dreiviertel des Morbiditäts- und Mortalitätsgeschehens ausmachen, als auch für die soziale Ungleichverteilung dieser Krankheiten (Steinkamp 1999: 126f.).
Zu „genaueren“ Ergebnissen kommen Lee / Paxman (1997: 16) in einer USamerikanischen Untersuchung: By allocating the contributing factors of premature mortality to the four elements of the determinants of health, the results indicate that 20% of premature deaths were attributed to inherited and genetic factors; environmental factors contributed another 20%; and inadequacies in the health care system contributed to 10% of premature mortality; and life-style contributed to approximately 50% of premature mortality (Lee / Paxman 1997: 16f.).
Diese unterschiedlichen Einschätzungen brauchen nicht verwundern, da andere Kategorisierungen vorgenommen wurden und die Anteile mit unterschiedlichen Methoden errechnet wurden. Lee / Paxman (1997: 17) betonen selbst, dass die Kategorie lifestyle nicht zwischen Handeln und Verhalten einerseits und verursachenden Strukturen andererseits unterscheidet. Der lifestyle ist aber (auch) das Ergebnis von strukturellen Gegebenheiten, von zur Verfügung stehenden Ressourcen, von kulturellen Gegebenheiten und zurückliegenden Lebensereignissen; dies ist in der Aufteilung nicht berücksichtigt. Tatsächlich kann sich die Bedeutung der verschiedenen Bereiche auch ändern. Würde beispielsweise eine gute medizinischen Versorgung und gesundheitliche Aufklärung aller gesellschaftlichen Gruppen dazu führen, dass in diesem Bereich wenige oder keine Unterschiede mehr erzeugt werden, so würde dieser Bereich statistisch irrelevant, obwohl und weil er geringere Unterschiede produziert. Würde durch Prävention erreicht werden, dass weniger geraucht würde, so würde die Bedeutung des Bereichs lifestyle abnehmen. Dadurch würde die gesundheitliche Ungleichheit alleine durch die anderen Bereiche, also auch durch den Bereich health care erklärt werden, wodurch deren Prozentanteil steigen würde. Der Bereich health care käme damit in Verdacht größere Ungleichheit zu produzieren, obwohl er erfolgreich war in der Reduktion gesundheitlicher Ungleichheit. In einer Gesellschaft, die strukturell großes Gewicht auf „eigenverantwortliches Handeln“ legt, aber nicht ausreichende Ressourcen für eigenverantwortliches Handeln zur Verfügung stellt, könnte das Gewicht von Handeln überbetont werden. Gibt es beispielsweise keinen Arbeitsschutz, so könnte man die Einforderung des Arbeitschutzes als Aufgabe für jeden Einzelnen beschreiben. Die Herstellung von Sicherheit und guten Arbeitsbedingungen in der Arbeitswelt könnte also als eigenverantwortliches Handeln erscheinen, Arbeitsunfälle jedem
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Einzelnen zugerechnet werden. Allerdings ist es wohl ein schwieriges Unterfangen als Einzelner einen umfassenden Arbeitsschutz einzufordern. Solche Forderungen sind in der Geschichte wohl hauptsächlich kollektiv durchgesetzt worden. Diese Überlegungen zeigen, wie schwer die Grenze zwischen Handeln und Struktur zu ziehen ist. Wenn man also „einfachen“ Ergebnissen misstrauen muss, so eignen sich sozialepidemiologische Untersuchungen dennoch dafür, Auswirkungen der Gesellschaft auf das Individuum zu verdeutlichen und Hinweise auf das Zusammenspiel von gesellschaftlicher Struktur und individuellem Verhalten – oder wie Mielck formuliert von „Verhalten und Verhältnissen“ (Mielck 2000: 175) – bei der Produktion von gesundheitlichen Unterschieden zu geben. Gesellschaftliche Struktur und individuelles Verhalten wirken dabei nicht getrennt auf die Gesundheit, sondern in einem komplizierten Wechselverhältnis. Handeln ist immer schon begrenzt durch die vorgegebenen Strukturen, es kann nur innerhalb dieser Strukturen stattfinden. Dieses Verhältnis wird als Einbettung bezeichnet (Steinkamp 1993: 111; Hummer / Rodgers / Eberstein 569) – es wirkt praktisch wie im Schlaf, denn häufig gibt es wenig Bewusstsein für diese handlungsbeschränkenden Strukturen. Über die Verbindung von Handeln und Struktur hinaus kann es auch Übertragungswege geben, bei denen die Struktur auf das Individuum ohne Vermittlung durch individuelles Handeln wirkt: Beispielsweise können Feinstaub und ähnlich Stoffe auf die Gesundheit wirken, ohne dass diese Wirkung durch Handeln vermittelt ist, die Exposition alleine genügt. Und am Beispiel der psycho-sozialen Folgen von Arbeitslosigkeit konnte man erkennen, dass das bloße Erleiden psychischer Belastungen eine gesundheitliche Wirkung entfalten kann.89 Strukturen wirken also über die unterschiedlichsten Übertragungswege in den einzelnen Menschen hinein. Die sich ergebenden Belastungen werden im Ergebnis in die Körper der Individuen hinein projiziert, sie lagern sich „in den Körpern” ab (Diez Roux 2003: 110), sie gehen „unter die Haut“ – so die geläufigste Metapher für diesen Sachverhalt (vgl. Wilkinson 2005: 164; Siegrist 2004: 10). Im Folgenden wird an einigen Schemata die Diskussion der Epidemiologie zu den Übertragungswegen aufgezeigt. Zuerst vertiefen wir die Diskussion über das Verhältnis von Struktur und Verhalten anhand eines Schemas von Behrens und nehmen eine Erweiterung durch die Berücksichtigung des Ressourceneinsatzes vor. Dann gehen wir auf die Bedeutung von psycho-sozialen Übertragungswegen ein, die die Verbindung der Lebensbedingungen mit der Biologie des Menschen darstellen, sowie auf die Bedeutung der Lebensphasen und der Kindheit. 89 Siehe zu psychischen Erkrankungen und zur Bedeutung des Verhältnisses von Struktur und Handeln: Steinkamp 1999: 123.
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
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Abbildung 8: Soziographische Variablen und gesundheitliche Ungleichheit Soziodemographische Variablen (sog „Schichtgradienten) Einkommen Stellung in der Hierarchie Bildung Genetische Disposition
„out come“ Mortalität (Morbidität / Lebensqualität) Impairment Ability Participation
beobachtbare Handlungen (Bewältigungshandeln)
Arbeitsbedingungen Umweltbedingungen Wohnbedingungen
Praktiken/ Deutungsmuster
Wahrgenommene Handlungsmöglichkeiten und Handlungshindernisse
individuelle Handlungsziele
Quelle: Behrens 1999: 252, neue graphische Darstellung Abbildung 8 zeigt eine schematische Darstellung, die einige der diskutierten Elemente aufnimmt und die Anbindung an den Sen’schen Ansatz erlaubt. Die Graphik ist angeordnet wie ein Mikro-Makro-Schema in Form einer Coleman’schen Badewanne: Links oben sind Bedingungen in Form von vorgegebenen soziodemographischen Variablen aufgeführt, die die Lebensbedingungen für einen Menschen vorgeben, in Sinne eines Rahmen des Lebensvollzugs. Innerhalb dieses Rahmens ergeben sich Handlungsmöglichkeiten, die auf individuelle Handlungsziele hin gewählt werden. Die von Behrens verwendeten Begriffe gleichen sogar den Begriffen von Sen: Die Bedeutung des hier verwendeten Begriffs der wahrgenommenen Handlungsmöglichkeiten gleicht der des Sen’schen Begriffe der Handlungsmöglichkeiten (capabilities), der hier verwendete Begriff der individuellen Handlungsziele gleicht dem Begriff der agency freedom, und der Begriff der beobachtbaren Handlungen gleicht dem Begriff des achievements. Mortalität und Morbidität stellen hier – neben oder als Lebensqualität – das Ergebnis (outcome) des abgebildeten Prozesses dar, der in der Coleman’schen Badewanne fortlaufend durchlaufen wird, in dem Sinne, dass die Ergebnisse individuellen Handelns wieder strukturbildend sind. Gegenüber der Sen’schen Per-
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
spektive ist diese Graphik erweitert um die Praktiken / Deutungsmuster, die die Lebensbedingungen interpretieren oder auch schaffen – der Autor gibt dazu keinen Hinweis – und die Wahl der Handlungsmöglichkeiten bestimmen. Diese Darstellung entspricht einem Argument, dem man in der Medizinsoziologie häufig begegnet (z.B. Siegrist 2000, Mielck 2006), nämlich dass gesundheitsschädigende Verhaltensweisen auf vielfache Weise kulturell geprägt sind. Gar nicht abgebildet werden in dieser Graphik die Übertragungswege, die nicht durch Handeln vermittelt werden. Das Handeln bleibt undifferenziert und, wie die beobachtbaren Handlungen zum outcome, zu Morbidität, Mortalität, Lebensqualität, impairment, ability, participation führen, ist weder der Abbildung noch dem dazugehörigen Text (Behrens 1999) zu entnehmen. 2.4.4 Transformation, Lebensphasen, Bedeutung der Kindheit Zur Komplettierung werden nun noch einige Themen vertieft: Zuerst wird die Ressourcentransformation in einen Zusammenhang zur Gesundheit gestellt (1). Dann wird die Bedeutung der verschiedenen Lebensphasen diskutiert. Langzeitstudien zeigen, dass für chronische Krankheiten und für die Sterblichkeit alle Lebensphasen eine Rolle spielen, so dass sie als Indikatoren für die Belastungen eines ganzen Lebens dienen können (2). Schließlich wird auf die besondere Bedeutung der Kindheit hingewiesen (3). (1) Um den Zusammenhang von Ressourcentransformation und Gesundheit zu klären, wird hier eine finnische Untersuchung angeführt, die – als eine der wenigen sozialepidemiologischen Untersuchungen – verschiedene eingebrachte Ressourcen auf Gesundheit bezieht und damit Handeln differenzierter beschreibt. Bildungsabschluss, Beruf und Einkommen wurden hier von den Autoren als Ressourcen interpretiert, die sich einerseits gegenseitig bedingen und die gleichzeitig „common impacts of a general hierarchical ranking in society“ widerspiegeln sollen (Lahelma / Martikainen / Laaksonen et al. 2003: 327). Die angenommenen Wirkungsrichtungen zwischen den Ressourcen haben die Autoren anderen Analysen entnommen und plausibel begründet: Die Ausbildung wird früh im Lebenslauf erreicht, sie bestimmt dann weitgehend den erreichten Beruf und – durch diesen vermittelt – das Einkommen. Ausbildung, Beruf und Einkommen wirken aber auch jeweils unabhängig auf die Gesundheit (siehe Abbildung 9), die durch Fragen nach einschränkenden chronischen Krankheiten erhoben wurde. Solche Krankheiten kamen in der untersten Einkommensklasse bei Männern 1,5 Mal häufiger und bei Frauen 2,5 Mal häufiger vor als in der obersten Einkommensklasse.
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
97
Für alle drei verursachenden Größen konnte ein je eigener Effekt nachgewiesen werden (ebd. 330f.). Bei Frauen konnten Unterschiede zum größten Teil auf unterschiedliches Einkommen zurückgeführt werden und zu einem kleineren Teil direkt auf die Ausbildung (siehe: direkter Pfeil von Bildung zu Gesundheit) (ebd. 329). Der Einfluss der Bildung wurde zu mehr als 50% durch die Berufsklasse und das Einkommen vermittelt (331). Bei Männern spielte die Bildung als verursachende Größe eine wichtigere Rolle als das Einkommen (ebd. 330), so dass die Autoren zu dem Schluss kamen: „Our findings suggest that health inequalities are not produced by one single indicator among woman or man but by a complex set of socioeconomic determinants“ (ebd. 331).90 Abbildung 9: Transformationswege zwischen den sozio-ökonomischen Determinanten der Gesundheit Bildung
Beruf
Einkommen
Gesundheit
Quelle: Eigene Darstellung, angelehnt an Lahelma / Martikainen / Laaksonen et al. 2004: 327 Diese Beziehungen zwischen den verschiedenen eingebrachten Ressourcen fehlen in der Abbildung 8, die des Weiteren den Übertragungsweg mittels des psycho-sozialen Stresses missen lässt. Der psycho-soziale Stress ist in der letzten Zeit in den Mittelpunkt des Interesses der sozialepidemiologischen Forschung geraten, nicht nur weil der soziale Gradient nur teilweise durch Unterschiede des Einkommens und den materiellen Lebensbedingungen erklärt werden kann, sondern hauptsächlich deshalb, weil sozialepidemiologische Studien, in denen die industrialisierten Länder verglichen wurden, aufzeigen, dass Unterschiede im Bruttosozialprodukt zwischen diesen Staaten nur gering mit Morbidität und Lebenserwartung korrelieren, dass jedoch innerhalb eines jeden Landes das Einkommen mit Morbidität und der Lebenserwartung hoch korreliert. Diese Diskussion ähnelt in ihrem Ausgangspunkt der Analyse von Amartya Sen, obwohl Sens Lebensqualitäts-Ansatz sich eher mit Armut als mit Einkommensungleichheit beschäftigt. Der sozialepidemiologische Mainstream nahm allerdings weder Sens 90 Bei einer deutschen Untersuchung (Becker 1998) ergibt sich eine noch wichtigere Bedeutung der Bildung.
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Plädoyer für eine breite Berücksichtigung unterschiedlicher Ressourcen, noch seine Betonung von Handlungsspielräumen erweiternden sozialen Institutionen auf, sondern suchte nach einer Erklärung, auf welche Weise der größere Unterschied zwischen arm und reich innerhalb eines Landes einen die Gesundheit beeinträchtigen Effekt entwickeln kann.91 Die Tatsache, dass „relativ“ und nicht „absolut gestorben wird“ (vgl. Wilkinson 1997) führte dazu, dass versucht wurde, allerlei soziologische Konzepte zur Erklärung heranzuziehen: Wilkinson (2001) vermutet, dass ausgeprägte Hierarchien an sich zu chronischen Stressbelastungen führen, die über den so genannten psycho-sozialen Übertragungsweg die Lebenserwartung verkürzen und den sozialen Gradienten mitverantworten. In der Folge wurde – mehr oder weniger als Generalisierung der oben erwähnten Konzepte des Anforderungs-Kontroll-Modells von Karasek und Theorell und der Gratifikationskrise von Siegrist – das Putnam’sche Konzept des Sozialkapitals (Putnam 1993, 1999) in die Diskussion eingebracht,92 dann das bourdieusche soziale Kapital (Kawachi / Berkman 2000: 176) in der Annahme, dass fehlendes Sozialkapital Stress in den unteren Hierarchie-Rängen auslöst. Statistisch wurde versucht, in Mehrebenenmodellen die Effekte, die durch die Unterschiede im individuellen Einkommen entstehen, von Kontexteffekten zu trennen, die einen eigenständigen Einfluss der gesamtgesellschaftlichen (Einkommens-)Ungleichheit auf die Lebensdaten haben (Subramanian / Kawachi 2004). Schließlich wurde über die ungleiche Verteilung der Anerkennung als Auslöser der gesundheitlichen Ungleichheit in der Gesellschaft spekuliert (Wilkinson 2005: Kap. 5f.) und das Thema Kultur aufgegriffen.93 An dieser internationalen, aber von der US-amerikanischen Forschung dominierten Diskussion, die sich wild aktuell diskutierter soziologischer Konzepte bediente, ist auffällig, dass das Sozialkapital als Sammelbegriff für die unterschiedlichsten Vorstellungen von gesellschaftlichen Zusammenhängen verwendet wurde, wobei eine Schwerpunktsetzung auf lokale Zusammenhänge wie Community und Nachbarschaft erfolgte94 (Kawachi / Berkman 2000: 186f.). Zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheit wurden dementsprechend vor allem lokale Interventionen wie Community Development und Community Building diskutiert (Pearce / Smith 2003: 127). Gleichzeitig wurde in dieser Diskussion 91
Siehe z. B. Subramanian / Kawachi 2003. Einen Überblick über die Diskussion bieten Kawachi / Kennedy / Wilkinson 1999. 92 Siehe zur Menge von Sozialkapital-Studien Kawachi / Kim / Coutts et al. 2004; zu ihrer Abfolge siehe Moore / Haines / Hawe et al. 2006. 93 Eckersley 2005 sowie die anschließende Diskussion in der gleichen Ausgabe des Journals of Epidemiology. 94 Beispielsweise schrieben Kawachi / Kennedy / Lochner et al. 1997: 1491: „Social capital is thus a community-level („ecologic“) variable whose counterpart at the individual level is measured by a person’s social networks.“
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
99
die Bedeutung von Interessens- und Klassenkonflikten, von Politik (Muntaner 2006), von Sozialstaat und Sozialpolitik sowie von staatlichen Institutionen und Interventionen vernachlässigt (Navarro 2004). Die Diskussion betrachtet hauptsächlich die Ungleichverteilung von Einkommen, jedoch kaum Armut in ihrer Multidimensionalität.95 Während diese Diskussion über Zusammenhänge auf der Makroebene also nicht besonders fruchtbar erschien, so führte die Annahme, dass häufiger und anhaltender Stress eine zentrale Funktion bei der Entstehung gesundheitlicher Ungleichheit haben könnte, zu einer vergleichsweise klaren Forschung der Wirkung von Stress auf der Mikroebene. Der biologisch verlängerte psycho-soziale Übertragungsweg – bringt man angenommene Verursachungskette in die logische Reihenfolge, müssen man eigentlich von einem „sozio-psycho-biologischen“ Übertragungsweg sprechen – besteht in körperlichen Reaktionen von (chronischen) psycho-sozialen Stressbelastungen, die von der Psychoimmunologie und der Psychoendokrinologie erforscht werden. Stress führt zur Aktivierung des zentralen Nervensystems, des Immunsystems und des endokrines Systems (Hormonsystem),96 die untereinander interagieren (Tewes / Schedlowski 1994: 13). Kurzfristig dienen die in Gang gesetzten Mechanismen einer angemessenen Anpassung an eine Stress-Situation. Eine anhaltende Belastung oder Überforderung dieser Systeme führt aber nicht nur zur Schwächung der Immunabwehr (Tewes / Schedlowski 1994: 23), sondern sie kann auch zu irreversiblen körperlichen Schäden führen.97 Des Weiteren werden solche Belastungszustände vom Körper erinnert und führen zur Modifikation der zukünftigen körperlichen Reaktionen.98 Die Forschung legt nun nahe, dass sich die Gesellschaften darin unterscheiden, in welchem Umfang sie für den Einzelnen Stress produzieren und wie dieser Stress sozial verteilt ist. Menschen aus niedrigeren Schichten sind wohl einem höheren Stress ausgesetzt, was für den sozialen Gradienten bei Morbidität und Mortalität mitverantwortlich sein könnte (Brunner / Marmot 2004). (2) Versucht man die Übertragungswege zu rekonstruieren, so müssen dabei auch die verschiedenen Lebensphasen berücksichtigt werden. Der zeitliche Verlauf hat schon bei zwei zitierten Untersuchungen eine Rolle gespielt. Ein Ergebnis der Untersuchungen von Siegrist zu den Herz-Kreislauf-Krankheiten war ja, 95 Pearce / Smith 2003; vgl. beispielsweise die geringe Präsenz des Themas in Armut in Kawachi / Kennedy / Wilkinson 1999 wie auch in Berkman / Kawachi 1999. 96 Die verschiedenen Reaktionen im endokrinen System werden wiederum als Systeme bezeichnet (Katecholamin-System, Cortisol-System, Testosteron-System; vgl. Tewes / Schedlowski 1994: 20f.), die bestimmte Übertragungswege beschreiben. S. a. Brunner / Marmot 2004: 29. 97 Tewes / Schedlowski 1994: 25, s. a. Brunner / Marmot 2004: 19, 41 98 Genauer gesagt: Das Zentralen Nervensystem und das Immunsystem merken sich solche Zustände (Tewes / Schedlowski 1994: 13).
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
dass eine Prädisposition für koronare Herzkrankheiten schon während der Embryonalentwicklung und der ersten Lebensjahre entstehen kann. Solche Prädispositionen können latent bestehen und sehr bald oder auch erst nach Jahrzehnten Auswirkungen zeitigen (Power / Hertzman 1997: 210). Eine Latenz kann auch für Beeinträchtigungen im Knochenaufbau bestehen, die im Alter zu Osteoporose führen kann, sowie für schädigende Verhaltensweisen.99 Die oben zitierte finnische Untersuchung hat gezeigt, auf welche Art die Gesundheit durch zurückliegende Ereignisse beeinflusst werden kann. Ein offizieller Bildungsabschluss stellt einen Indikator für die erreichte Bildung dar. Ein Bildungsabschluss wird gewöhnlich früh im Leben erreicht, die damit einhergehende Bildung beeinflusst durch verschiedene Folgen wie Lebensstil, Gesundheitsverhalten, Berufswahl und Einkommen die Gesundheit das ganze Leben lang. Begebenheiten des frühen Lebens, beispielsweise der Kindheit, die unmittelbare Wirkungen auf den gesamten Lebenslauf haben, also nicht eine Zeit lang latent bleiben, können mit Verlaufsmodellen (engl.: pathways models) abgebildet werden (Power / Hertzmann 1997: 211; siehe auch Steinkamp 1993: Kap. 5). Statistisch konnten beide Effekte, Latenzeffekte und Verlaufseffekte, nachgewiesen werden: …, some evidence exists to suggest that adult health is more fully understood by taking into account of life careers or accumulated circumstances than by focusing on any particular period in isolation from other life stages. This can be seen for adult ‘health’ outcomes including mortality. It is illustrated, for example, in studies that show stronger relationships between mortality and longest occupation that between mortality and current occupation […] Other investigation of lifetime socioeconomic circumstances demonstrate that mortality risks associated with lower social class origins are to some extend ameliorated by higher socioeconomic position on later life (Power / Hertzman 1997: 216).
Blane finden ähnliche Effekte in einem etwas anderen Untersuchungsdesign: The behavioural risk factors […] are related to the subjects’ own social class during adulthood, but are not related to their father’s social class when they were children. In contrast, most of the physiological risk factors […] are associated with both father’s and own social class, but in such a way that the association are stronger with adulthood than with childhood. One physiological risk factor, body mass index, was related to the father’s social class during the subject’s childhood, but not to adult class. There results can be interpreted as showing that behaviour is determined primarily by current social context, probably the norms of the person’s significant others, while physiological status reflects the accumulated influences of both past and present (Blane 1999: 73).
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„Most of the prevalent environmental hazards, such as tobacco smoke and atmospheric pollution, cause their damage slowly and usually require decades of exposure to produce disability and premature death” (Bartley / Blane / Montgomery 1997).
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
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In einem Übersichtsartikel kommt Blane zu dem Schluss: Each phase of life appears capable of adding its own protection or disadvantage. Behaviour may be the most malleable of these, in the sense that it can respond to the norms of the person’s current social context, while physiological status accumulates the results of past events, habits, and hazardous exposures. The elements of the life course appear to be interdependent; educational attainment is a major transmission belt for the long-term effects of childhood circumstance; and family assets are a major component of the effects of adult occupation (Blane 1999: 75f.).
Nimmt man diese Perspektive der starken wechselseitigen Abhängigkeit von strukturellen Gegebenheiten der Herkunftsfamilie, des Verhaltens und des Körpers ein, in dem sich Belastungen über das ganze Leben hin ansammeln und sich selbst verstärken durch Effekte in anderen Lebensbereichen (höheres Risiko arbeitslos zu werden, höhere Wahrscheinlichkeit chronischer Krankheiten…) so erscheint auch die Einteilung in einen Verursachungseffekt – also ein Effekt auf den Gesundheitszustand, der auf eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht zurückzuführen ist – und einen Selektionseffekt – also der Effekt, dass sich aus einem schlechteren Gesundheitszustand der Wechsel in eine andere Schicht ergibt – als zu schematisch, da beide gleichzeitig oder verzögert wirken, oder sich gegenseitig verstärken oder abschwächen können. Dies wird in Abbildung 10 dargestellt. Der Verursachungseffekt („Armut macht krank“) kann unterteilt werden. Ungünstige Lebensbedingungen in der Kindheit und im Erwachsenenalter können zeitnah zu schlechter Gesundheit führen (1 und 2). Andererseits können ungünstige Lebensbedingungen in der Kindheit zeitverzögert zu schlechter Gesundheit im Erwachsenenalter führen (3). Im letzten Fall kann man von einer „sozialen Hypothek“ sprechen, die sich beispielsweise durch eine erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten wie Magenkrebs oder Schizophrenie äußern kann. Die ungünstigen Lebensbedingungen („Armut“) können sich einer Vielzahl von Faktoren zeigen: „Specific risk factors which may be involved in the ‘causation’ mechanism can be grouped into health-related lifestyle factors (e.g. smoking, nutrition), structural / environmental factors (e.g. material deprivation, occupational exposures) and psychosocial stress-related factors (e.g. life events, lack of social support)” (Mackenbach / van de Mheen / Stronks 1994: 300). Auch der Selektionseffekt („Krankheit macht arm“), der durch die soziale Mobilität ausgelöst wird, kann unterteilt werden. Einerseits können Krankheiten im Erwachsenenalter zu Einkommensverlusten führen (4), beispielsweise durch Frühverrentung (intragenerational selection; ebd.). Andererseits können Krankheiten der Kindheit (oder Krankheiten, die schon während der Kindheit bestanden, wie z. B. chronische Krankheiten) auf das Einkommen im Erwachsenenalter wirken (5). Wir können hier von einer „gesundheitlichen Hypothek“ sprechen, die häu-
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
fig durch eine intergenerational selection, also einen Effekt der sozio-ökonomischen Position der Eltern auf die Gesundheit der Kinder im Erwachsenenalter, zu Abbildung 10: Verursachungs- und Selektionseffekte Sozio-ökonomischer Status der Eltern
Sozio-ökonomischer Status des erwachsenen Kindes soziale Hypothek (3)
Verursachung (1)
Verursachung (2) Selektion (4)
gesundheitliche Hypothek (5)
Gesundheitszustand des jungen Kindes
Gesundheitszustand des erwachsenen Kindes
Quelle: Eigene Darstellung (Knecht 2009) angelehnt an Mielck 2000: 266 und Mackenbach / van de Mheen / Stronks 1994: 300 Stande kommt. Beide Effekte können auch in Kombination auftreten. Von indirekter Selektion spricht man, wenn ungünstige Lebensbedingungen in der Kindheit die soziale Mobilität direkt beeinträchtigen und gleichzeitig die Gesundheit im Erwachsenenalter beeinträchtigen. More recently, the importance of indirect selection has also been stressed […]. This mechanism assumes that (among others) unfavorable circumstances in childhood can act as a common background factor that affects both health in adult life and social mobility […] Factors like material deprivation during childhood may influence both educational (and thereby occupational) achievement and health in adult life […]. Childhood conditions are likely to be both a causal factor and a factor influencing social mobility (Van de Mheen / Stronks / Van den Bos et al. 1997: 22).
Ungünstige Lebensbedingungen in der Kindheit können aber die Gesundheit schon in der Kindheit selbst beeinträchtigen und in der Folge zu soziale Abwärts-Mobilität führen. Von indirekter Verursachung spricht man, wenn gesundheitliche Beeinträchtigungen in der Kindheit die soziale Position bereits in der Kindheit verschlechtern; beispielsweise könnte wegen einer organischen oder
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
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psychischen Krankheit die Schule nicht beendet werden. Gezeigt werden kann auch, dass es für verschiedene Belastungen Phasen gibt, in denen eine besondere Verletzbarkeit besteht (Mackenbach / Bakker / Kunst et al. 2002: 16). (3) Die besondere Bedeutung der Kindheit, die hier aus der Perspektive ihrer Folgen für die Gesundheit im Erwachsenenalter gesehen wurde, findet natürlich ihre Entsprechung bei der Betrachtung der Kindheit selbst. Lassen wir an dieser Stelle die Ergebnisse der Pränatalforschung, der Untersuchungen zu den Folgen von Frühgeburten (siehe dazu Trabert 2002: 61), die Theorien zur biologischen Programmierung (z. B. Aber / Bennett / Conley 1997) und Freuds Theorie zur (früh)kindlichen Prägung100 außer Acht und betrachten nur die besonderen gesundheitlichen Belastungen der Lebenslage anhand von Untersuchungen zur Kinderarmut. In Deutschland gibt es hierzu nur eine begrenzte Anzahl meist regionaler Studien. Solche Untersuchungen zeigten auf, dass Kinder, die in Armut aufwachsen, häufiger über Kopf-, Rücken und Magenschmerzen sowie über Nervosität, schlechtes Einschlafen, Hilflosigkeit und Einsamkeit klagen als Kinder aus bessergestellten Familien. Ihre Zahngesundheit ist schlechter. Diese Kinder haben durchschnittlich ein geringeres Selbstwertgefühl und mehr psychosomatische Beschwerden (Hurrelmann / Klocke 1995 und Klocke / Lampert 2005: 14). Eine Schuleingangsuntersuchung in Brandenburg ergab in der untersten sozialen Schicht eine ungefähr doppelt so hohe Morbidität bei Sprachstörungen, Seh- und Hörschwächen sowie bei psychosomatischen Störungen. Kinder, die in Armut aufwachsen werden seltener geimpft (Trabert 2002: 62) und nehmen seltener an Vorsorgeuntersuchungen teil (Klocke / Lampert 2005: 3), sie sind im Durchschnitt schlechter ernährt, bewegen sich weniger und sind häufiger übergewichtig (vgl. Trabert 2002: 61f.). Das in der Kindheit ausgeprägte Gesundheitsverhalten wird oftmals im Erwachsenenalter beibehalten (Klocke / Lampert 2005: 15). Diese Kinder sind auch sehr viel häufiger von Unfällen betroffen.101 Mielck kommt nach einer Zusammenfassung verschiedener Studien zur Kinderarmut zu dem Schluss: Es liegt auf der Hand, dass sowohl der sozio-ökonomische Status als auch der Gesundheitszustand von Erwachsenen durch ihre Kindheit geprägt werden… Die bisher vorliegenden Ergebnisse weisen […] eindeutig darauf hin, dass die soziale und gesundheitliche Ungleichheit aus der Kindheit häufig in das Erwachsenenalter ‚vererbt’ wird. […] Die Ungleichheiten verfestigen sich im Lebenslauf und müssen daher so früh wie möglich verringert werden (Mielck 2001: 33).102
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Siehe dazu Marmot 1997, Elo / Preston 1992 Zit. nach Mielck 2001: 26–31; Klocke / Lampert 2005: 11–13, s. a. Trabert 2002: 62. 102 S. a. Klocke / Lampert 2005: 17f. 101
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Diese These wird wiederum unterstützt von sozialepidemiologischen Untersuchungen, die aufzeigen, in welchem Maße Probleme des Erwachsenenalters auf die Kindheit zurückzuführen sind. Dabei wirken sowohl biologische als auch psychische Übertragungswegen in die Zukunft, die teilweise medizinisch und psychologisch abgebildet werden können.103 Tatsächlich weisen internationale Untersuchungen in den unteren sozialen Schichten eine stark erhöhte Mortalität auf – postnatal wie auch während der ersten Lebensjahre (Trabert 2001: 5). Die Relevanz des Themas Kinderarmut für die Lebensqualität ergibt sich also gleichermaßen aus den Belastungen der Kindern, der Morbidität, der Mortalität wie auch aus der Anzahl der Betroffenen: In Deutschland leben mittlerweile ca. 15% aller Kinder unter Armutsbedingungen.104 2.4.5 Fazit: Die Produktion von Lebensqualität Was können wir nun über die Produktion von Lebensqualität sagen? Um diese Frage beantworten zu können, muss man sich für eine Definition und Operationalisierung von Lebensqualität entscheiden. Der Vergleich der verschiedenen Konzepte hat gezeigt, dass deren Indikatoren Unterschiedliches messen und dadurch unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen. „Objektive“ Daten zur Lebenslage stimmen oft nicht mit „subjektiven“ Befragungen nach dem Wohlbefinden überein. Und ein Globalmaß wie das Bruttosozialprodukt mag zwar etwas über das Produktionsvolumen aussagen, es sagt aber wenig über die Lebensumstände der Menschen aus. Diese Lebensumstände hängen viel mehr von den zur Verfügung stehenden Ressourcen und den Möglichkeiten sie zu transformieren, ab. Auch die Gesundheit kann als Ressource betrachtet werden, sie kann aber gleichzeitig – zusammen mit Informationen über Lebenserwartung und Mortalität – als Indikator der Lebensqualität dienen. Mit Hilfe dieser Indikatoren können sogar geschichtliche Entwicklungen beschrieben und abgebildet werden, Hungernöte, aber auch politische Umbrüche, wie sie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstanden sind. Gleichzeitig kann etwas über soziale Ungleichheit und über die Benachteiligung von Minderheiten ausgesagt werden. Die Auswirkungen der vorgegebenen Struktur werden dabei letzten Endes immer am einzelnen Menschen gemessen, so dass die Möglichkeit besteht, die Übertra103 Wadsworth 1997, Elo / Preston 1992, Marmot 1997 sowie den dazugehörigen Sammelband des BMB, Davey Smith / Hart / Blane et al. 1998, Van De Mheen / Stronks / Van Den Bos et al. 1997, siehe Aber / Bennett / Conley et al. 1997, Lynch / Kaplan / Salonen 1997 104 Der Prozentsatz ist natürlich vom verwendeten Armutskriterium abhängig. Siehe z. B. Huster 2003: 11; Butterwegge 2004.
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit
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gungswege zwischen strukturellen Bedingungen und Ursachen und deren Auswirkungen auf den Menschen zu rekonstruieren. An den Beispielen der HerzKreislauf-Krankheiten, des Feinstaubes und den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit wurde aufgezeigt, wie komplex diese Zusammenhänge sind. Auf der Mikroebene wurde – unter anderem anhand der finnischen Untersuchung – gezeigt, wie Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheit abhängt von den eingebrachten Ressourcen Bildung, Einkommen sowie von jenen Ressourcen, die durch die Berufssituation repräsentiert werden. Die verschiedenen Ressourcen wirken dabei direkt auf die Gesundheit, teilweise werden sie ineinander transformiert und zeitigen dann auf mehreren Übertragungswegen gesundheitliche Wirkungen. Klar wurde auch die Bedeutung des psycho-sozialen Übertragungsweges, auch wenn dessen Zusammenhang zu gesellschaftlichen MakroGrößen eher diffus dargestellt wird. Des Weiteren haben wir gesehen, dass die Gesundheit nicht nur das Endprodukt anderer Ressourcentransformationen ist (also eine abhängige Variable), sondern dass die Gesundheit selbst andere Ressourcen beeinflusst, und dass zurückliegende Zeiträume, insbesondere die Kindheit, eine besondere Rolle für die Gesundheit und die Entstehung gesundheitlicher Unterschiede spielen, da sowohl die Lebensbedingungen als auch der Gesundheitszustand zurückliegender Zeiträume lebenslange Auswirkungen haben und kumulativ wirken können. Wie andere Indikatoren sind auch Gesundheit und Lebensdaten nicht völlig unproblematisch. Einerseits können einzelne Krankheiten verschiedene Ursachen haben, die nicht unbedingt leicht zu identifizieren sind. Allergien stellen beispielsweise eine der wenigen Krankheitsgruppen dar, die einen „umgekehrten“ sozialen Gradienten haben, also in höheren Schichten häufiger vorkommen (Helmert 2003: 91f.). Untypisch ist auch, dass ältere Menschen von Allergien seltener betroffen sind als jüngere und dass sie in Ostdeutschland seltener vorkamen, wobei sich nun allmählich die Prävalenzraten angleichen (ebd. 95). Dieser Fall ist (noch) ungelöst, es gibt hierfür bisher nur einige Thesen (ebd. 96). Andererseits können besondere Belastungen in den verschiedenen Lebensbereichen entstehen und sich auf vielfältige Weise, also in unterschiedlichen Krankheiten, ausdrücken. Zieht man sozialpolitische Interventionen in Betracht, so können Indikatoren, die sich an der Gesundheit festmachen, dazu führen, dass bevorzugt gesundheits- und medizinorientierte Interventionen erwägt werden.105 Der individuumszentrierte „medizinische Blick“ vermutet die Produktion der gesundheitlichen Unterschiede ja in erster Linie im Körper eines Menschen, weniger in seinen Lebensbedingungen, in der Struktur, die das Verhalten präfor105
Die Chemikalien-Verordnung der EU und die geplante EU-T-Shirt-Richtlinie, die von Brüssel aus Bauarbeiter, Freiluft-Bedienungen und -Kellner in ganz Europa vor Hautkrebs schützen soll (Hagelüken 2005) ist ein Beispiel dafür.
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
mieren. Dennoch sind Gesundheit bzw. Morbidität sowie Lebenserwartung und Mortalität als Indikator für Lebensqualität geeignet: – Die Komplexität der Verursachung von Krankheiten und Tod spiegelt ja die Komplexität der Übertragungswege von Belastungen wider. Die Klärung dieser Zusammenhänge kann deshalb den Blick auf Übertragungswege schärfen, die sonst unentdeckt blieben und so die Entstehung von Ideen der Vermeidung, Bekämpfung oder Intervention fördern. Die Diskussion der Herz-Kreislauf-Krankheiten und der Feinstaub-Belastungen sind dafür Beispiele. – Morbidität, Mortalität und Lebenserwartung eignen sich gerade auch deshalb als Indikator für Lebensqualität, weil sie die Komplexität der Verursachung zuerst einmal auf wenige Zahlen reduzieren. Teilprobleme, wie spezielle Krankheits- oder Todesursachen, können dann in genaueren Analysen vertieft werden. Es ergibt sich übrigens ein enger Zusammenhang zwischen aktiver, also beschwerdefreier Lebensdauer und der Lebenserwartung, so dass sich die Aussage der Indikatoren Morbidität, Mortalität und Lebenserwartung ähneln (z. B. Unger 2003). – Mag die Lebenserwartung ein Maß sein, das sich nur langsam ändert und genaue Auswertungen nur nachträglich zulässt, so hat das Beispiel der Zunahme der Sterblichkeit in Russland gezeigt, dass mit diesem Maß auch kurzfristige Veränderungen abzubilden sind. – Auch die Tatsache, dass strukturelle Auswirkungen individuumsbezogen gemessen werden, spricht für die Verwendung der Größen als Maß der Lebensqualität. Gesundheit hat ja – im Sinne von Sens ermöglichenden Freiheiten – nicht nur einen funktionellen Wert für die Herstellung von Handlungsspielräumen, sondern auch einen intrinsischen: Gesundheit ist an sich wichtig, was auch in seiner Funktion als Menschenrecht zum Ausdruck kommt. – Wenn Gesundheit und Lebensdaten als Indikatoren für Lebensqualität medizinische und gesundheitsbezogene Interventionen nahe legen, so beinhaltet die Forschung gerade auch die Möglichkeit strukturelle Zusammenhänge zu thematisieren. – Ein weiteres Problem bei der Verwendung der Gesundheit als Indikator könnte sein, dass die gesundheitlichen Unterschiede teilweise durch das Verhalten bedingt sind – im Ansatz von Sen würde man von der unterschiedlichen Wahrnehmung der Handlungsmöglichkeiten sprechen –, und teilweise durch die Struktur. Eine Abgrenzung zwischen Handeln und Struktur zu finden – ein Grundproblem der Soziologie – insbesondere als Prozentzahl zwischen selbst- und fremdverursachtem Anteil an Krankheiten und verkürzter Lebenserwartung ist wohl wenig ergiebig, hängt doch schließlich auch das Verhältnis von Struktur und Handeln ab von vorgängigen Strukturen. Die
2.5 Ableitung eines Modells der Ressourcentransformation
107
Modellbildung hinsichtlich dieser Frage wird in bisher angeführten Ansätzen zwar ansatzweise diskutiert, scheint aber wenig ausgefeilt. Im Folgenden werden die gewonnenen Erkenntnisse in einem eigenen Modell zusammengefasst. 2.5 Ableitung eines Modells der Ressourcentransformation 2.5.1 Ressourcen und Ressourcentransformation Bei der Diskussion von Ressourcen und Lebenslagen haben wir gesehen, welchen weiten Begriff von Ressourcen der schwedische level-of-living-Ansatz verwendet, und dementsprechend wurden hier Ressourcen definiert als all das, was ein Mensch einbringen kann um sein Überleben zu sichern und seine Ziele zu verfolgen. Dazu gehören die bereits ausführlich betrachteten Ressourcen Einkommen, Bildung und Gesundheit, aber auch Zeit, soziale Netzwerke und psychische Ressourcen. Zeit ist zwar eine Ressource, die jedem Menschen in gleicher Menge zur Verfügung steht, ihre Transformation in andere Ressourcen kann sich aber sehr unterschiedlich darstellen. Der Stundenlohn stellt ja eine Beschreibung dar, wie Zeit in Kombination mit Bildung und Gesundheit in Einkommen transformiert wird. Zeit als Ressource kann aber auch in vielerlei anderer Hinsicht eine Rolle spielen: So stellt die gesellschaftliche Organisation des Verkehrs, also das Zur-Verfügung-Stehen von Straßen (mit und ohne Staus), von öffentlichen Transportmitteln und von Radwegen eine strukturelle Gegebenheit dar, innerhalb derer der Einzelne seinen Ressourcen Zeit und Geld zum Fortkommen einsetzt. Und diskutiert man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, so muss die Knappheit der Ressource Zeit genauso wie die Knappheit der Ressource Einkommen betrachtet werden. Soziale Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Kindergärten oder Tagesmütter und -väter haben für die Eltern unter anderem die Funktion von Zeitproduzenten, die helfen, die Knappheit der Ressource Zeit zu vermindern.106 Unter Ressourcen sollen hier aber auch psychische Ressourcen verstanden werden.107 Beispielsweise könnten Motivation, Selbstbewusstsein und Kohärenzgefühl neben Bildung eine wichtige Ressourcen auf der Suche nach einer Arbeitsstelle sein. Umgekehrt können Selbstbewusstsein und Motivation selbst ein Nebenprodukt des Innehabens einer Arbeitsstelle sein – dafür sprechen beispielsweise die psycho-sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit. 106 107
Siehe zur Ressource Zeit: Rinderspacher 2002, 2004, 1990, Wotschack 1997, Garhammer 1999. Für weitere Literaturverweise siehe Knecht / Buttner 2008: 47.
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Nicht zuletzt können auch soziale Netzwerke, also persönliche Kontakte und Beziehungen, als Ressource betrachtet werden: Soziale Netzwerke helfen nicht nur bei Arbeitssuche und bei der Karriere,108 Menschen mit vielen Kontakten sind (abhängig von der Qualität der Beziehungen) tendenziell gesünder. Der Begriff social support steht dabei für die Verwendung der Netzwerke für die Alltagsbewältigung oder die Bewältigung besonderer Probleme. Auf die enge Verknüpfung der sozialen Ressourcen mit anderen Ressourcen und auf deren sozial ungleiche Verteilung weisen auch Keupp und Kollegen hin: Die Netzwerkforschung hat nicht nur gezeigt, dass moderne Subjekte im Durchschnitt und im Vergleich zu den Vorläufergenerationen mehr eigeninitiierte soziale Beziehungen haben […], sondern auch, dass sozialökonomisch unterprivilegierte Gruppen offensichtlich besondere Defizite bei der zunehmenden erforderlichen eigeninitiativen Beziehungsarbeit aufweisen. […] Das soziale Kapital der Subjekte, ihre sozialen Ressourcen, sind offensichtlich vom verfügbaren ökonomischen Kapital mitbestimmt – und vom kulturellen Kapital. Kulturelle Ressourcen erleichtern Kontakte, Kommunikation und Selbstrepräsentation – Leistungen also, die zum Knüpfen der sozialen Netzwerke wichtig sind. Auch für den Erwerb von kulturellem Kapital erweist sich ökonomisches Kapital als zentrale und strategische Ressource (Keupp / Ahbe / Gmür et al. 2003: 278).
Im Modell der Ressourcentransformation, das hier entwickelt wird, wird nun gezeigt, wie die verschiedenen Ressourcen eingesetzt und ineinander transformiert werden. Der Lebensvollzug kann verstanden werden als permanente Umwandlung von Ressourcen. Diese Ressourcentransformation stellt also ein abstraktes Abbild des Lebensvollzugs dar. Bei der Umwandlung werden immer wieder Ressourcen gebraucht oder verbraucht, es entstehen dabei aber auch immer wieder neue Ressourcen (Abbildung 11).109 Richtet man den Blick auf diese Transformationen, so sind die entstehenden Lebenslagen nicht nur als das Endprodukt der eingebrachten Ressourcen zu deuten, sondern jede Lebenslage ist Durchgangsstadium zur nächsten Situation, zur nächsten Lebenslage, die dann wiederum Ausgangspunkt der nächsten Transformation ist. Ressourcen werden eingebracht zum Überleben, zur Reproduktion, zur Lebensgestaltung und -bewältigung und zur Verfolgung eigener Ziele. Die oben angeführte finnische Untersuchung zur Transformation verschiedener Ressourcen in Gesundheit (siehe Abbildung 9) hat beispielhaft gezeigt, in welchem Maße Bildung in Gesundheit transformiert wird und in welchem Maße Bildung in eine berufliche Stellung transformiert wird, die wiederum zu Einkommen führt. Sowohl die berufliche Stellung (beziehungsweise die mit ihr einher108
Zur Arbeitssuche: Granovetter 1995, Pischner / Schupp / Wagner 2002: 150, Freitag 2000, vgl. auch Kortmann / Sopp 2001. Zur Karriere: Nach Steyrer 2007 verwenden erfolgreiche Manager bis nahezu 50% ihrer Arbeitszeit für die Netzwerkpflege. 109 Vgl. Sen 1992: 36, Fn. 16
2.5 Ableitung eines Modells der Ressourcentransformation
109
gehenden Ressourcen) als auch das Einkommen wurden wieder in Gesundheit transformiert. Abbildung 11: Permanente Ressourcentransformation Einkommen / Geld Einkommen / Geld Bildung / kulturelle Ressourcen
Bildung / kulturelle Ressourcen
Beziehung / Netzwerke / Kontakte Gesundheit
Lebensvollzug
Beziehung / Netzwerke / Kontakte Gesundheit
psychische Ressourcen Zeit
psychische Ressourcen …
…
Quelle: Eigene Darstellung Die permanente Transformation der Ressourcen findet in typischen Abläufen statt, die als Transformationsketten bezeichnet werden können. Wie Abbildung 12 zeigt, kann Erwerbsarbeit nach dem hier entwickelten Ansatz verstanden werden als eine Transformation von psychischer und physischer) Gesundheit, Bildung und Zeit in Einkommen in Form von Geld, aber auch in soziale Netzwerke und in Berufserfahrung. Beim Kauf von Gütern (beispielsweise Nahrungsmittel), oder Dienstleistungen, wird Einkommen weiter transformiert in Gesundheit oder gesundheitliche Belastungen sowie in Sozialprestige. Konsumieren kann nämlich auch eine Transformation in psychische Ressourcen bedeuten: Der Kauf von Produkten sowie der Besitz können Stolz verursachen, selbstbewusster machen, das Sozialprestige erhöhen und identitätsbildend sein.110 Konsum ist deshalb kein „Verschwinden“ von Produkten wie es beispielsweise die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung nahelegt, sondern eine 110
Vgl. auch Ullrich 2006
110
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Transformation. Bourdieu hält deshalb sogar den Begriff Verschwendung für überflüssig, da Konsum eben auf anderer Ebene eine Investition darstellt (Bourdieu 1992 [1983]: 71). Freizeit kann in diesem Ansatz beispielsweise verstanden werden als eine Kombination von Zeit, Geld und sozialen Netzwerken – wenn man die Freizeit mit Freundinnen und Freunden verbringt –, die in physische und psychische Gesundheit und vielleicht neue oder intensivere Beziehungen und Kontakte umgewandelt wird. Abbildung 12: Transformationsketten Gesundheit Bildung
Einkommen Soziale Netzwerke
Erwerbsarbeit
Bildung / Erfahrung
Zeit
Gesundheit Bildung
Gesundheit Erwerbsarbeit
Einkommen
Nahrungsmittel Sozialprestige
Zeit
Einkommen
Gesundheit Wohnung Sozialprestige
Quelle: Eigene Darstellung Transformationen können kurzfristig oder langfristig betrachtet werden. Transformation von Geld in Güter und Dienstleistungen werden praktisch täglich vorgenommen. Die Verwendung der Zeit würde man wohl eher in kurzen Zeitspannen untersuchen. Die Transformation der Erwerbsarbeit in Einkommen könnte man pro Tag, Monat oder Jahr untersuchen. Andererseits stellen Investitionen in
2.5 Ableitung eines Modells der Ressourcentransformation
111
Bildung und ihre Auswirkungen auf das Einkommen und die Gesundheit Prozesse dar, die sehr langfristige Auswirkungen erzeugen. Durch langfristige Ressourcentransformationen kann man auch die oben angeführten Auswirkungen vorgeburtlicher Umstände und der frühen Kindheit auf das spätere Leben abbilden. Eine Vielzahl an empirischen Untersuchungen können als Ressourcentransformationen dargestellt werden: Dass das Einkommen die Gesundheit111 und – umgekehrt – die Gesundheit das Einkommen beeinflusst112, wurde bei der Diskussion der Verursachungs- und Selektionseffekte und ihrem Zusammenspiel schon umfassend dargelegt. Auch die Bedeutung der Bildung für die Gesundheit wurde schon aufgezeigt.113 Teilweise wird der Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit durch die Ernährung vermittelt,114 so dass sich eine Transformationskette Bildung – Ernährung – Gesundheit ergibt. Auch soziale Netzwerke haben eine Wirkung auf die Gesundheit.115 Dieser Zusammenhang zeigt sich beispielsweise bei solchen Untersuchungen, die aufzeigen, dass die Anzahl von Freunden und Bekannten und die Zahl an Kontakten mit Mitmenschen sowie das Verheiratetsein mit besserer Gesundheit und längerer Lebenserwartung einhergehen.116 Einerseits haben wohl Kontakte und Beziehungen mit anderen Menschen eine direkte protektive Wirkung117, andererseits können einige Erkrankungen besser aufgefangen bzw. verarbeitet werden und schneller ausheilen, wenn soziale Netzwerke zur Verfügung stehen. Als Beispiel dafür können Untersuchungen von Uta Gerhardt dienen, die aufzeigen, wie soziale Beziehungen und deren Qualität die Behandlungsart, -verlauf und den Erfolg von Dialysefällen (Gerhardt 1986) und koronaren Bypass-Operationen (Gerhardt 1999) bestimmen.118 Dass soziale Netzwerke auch in Einkommen transformiert werden können ergibt sich beispielsweise aus Untersuchungen, die aufzeigen, dass der Bekanntenkreis, insbesondere der weitere Bekanntenkreis, 111 Lampert / Ziese 2005, Unger 2003, Reil-Held 2000, Fuchs 1995, Weber 1997, siehe aber auch: Lynch / Kaplan 1997 112 Kritisch: Unger 2003: 37 113 Siehe dazu auch Unger 2003: 98, Lampert / Ziese 2005, Klein / Schneider / Löwel 2001, Becker 1998, Mirowsky / Ross 1998, Davey Smith / Hart / Hole et al. 1998, Valkonen / Sihvonen / Lahelma 1997, Steinkamp 1993. (Die Vermittlung durch Verhaltensweisen spiegelt sich in der jeweilig individuellen Funktion wider) 114 Helmert / Mielck / Seha 1997, Meier-Gräwe 2005 115 Siehe dazu auch Kroll / Lampert 2007, Helmert / Voges 2005, Klein / Löwel / Schneider / Zimmermann 2002. Vergleiche auch die angeführten Untersuchungen zum sozialen Kapital, das konzeptionell allerdings meist auf einer Makroebene abgesiedelt wird. 116 Jungbauer-Gans 2002; Schwarzer / Taubert / Schulz 2002: 6f. 117 Siegrist 2000: 141. 118 Siehe für die Wirkungen nach Krebs- und Herzoperationen auch Schwarzer / Taubert / Schulz 2002.
112
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
eine wichtige Rolle bei der Suche nach einer Arbeitstelle ist.119 Andererseits benötigt die Pflege sozialer Netzwerke auch wieder Ressourcen. So können Geschenke eine wichtige Rolle spielen im Aufbau und der Aufrechterhaltung von Beziehungen.120 Als Beispiel einer umfassenden Betrachtung von Ressourcen – wenn auch nur bedingt von Ressourcentransformation – kann die Untersuchung Steckbriefe von Armut von Meier / Preuße / Sunnus (2003) dienen, die aus einer vom Bundesministerium für Familie, Senioren und Jugend in Auftrag gegebene Studie zur „Haushaltsführung“ und zur „Stärkung von Haushaltsführungskompetenzen“ von „Haushalten in prekären Lebenslagen“ hervorgegangen ist.121 In dieser Untersuchung wurden neben quantitativen Haushaltsanalysen, die Geldbedarf und Geldverwendung der untersuchten Haushalte betrachteten, die verschiedenen zur Verfügung stehenden Ressourcen122 qualitativ analysiert, um zu verstehen, wie diese „Haushalt in prekären Lebenslagen“ über die Runden kommen und wie sie „funktionieren“. Mit Hilfe dieser Informationen sollte eruiert werden, wie in solchen Haushalten die Lebenslage verbessert werden kann. Weder Ressourcen noch Ressourcentransformationen sind hier abschließend aufgeführt. Neben den angeführten Ressourcen können verschiedene materielle Dinge als Ressourcen dienen. Motivation und Selbstbewusstsein können als Ressourcen interpretiert werden. Neben formalem Wissen kann Alltagswissen eine Rolle spielen. Sogar Fröhlichkeit, Charme und Schönheit mögen Ressourcen sein, aus denen geschöpft werden kann. Welche Ressourcen in Untersuchungen konkret betrachtet werden, hängt von der Fragestellung ab und kann je nach dem unterschiedlich sein. 2.5.2 Eigenschaften von Ressourcen Im Folgenden soll versucht werden, die Ressourcen nach verschiedenen Eigenschaften zu kategorisieren. Betrachtet man die angeführten Ressourcen, so fällt auf, dass einige den Kapitalarten Bourdieus ähneln. Bekanntlich beschreibt Bourdieu die drei Kapitalarten kulturelles Kapital, soziale Kapital und ökonomisches Kapital. Während der Begriff ökonomisches Kapital mittelbar oder unmittelbar in Geld konvertierbare Güter beschreibt, umfasst das kulturelles Kapital formelle Bildung, wie Schulbildung oder Ausbildung, deren Existenz durch 119
Granovetter 1995; Pischner / Schupp / Wagner 2002; Kortmann / Sopp 2000 Siehe für einen Überblick: Stegbauer 2002. Siehe zur Kritik von Meier / Preuße / Sunnus 2003 auch: Knecht 2006. 122 In Kategorien wie Wohnungssituation, zeitliche Situation, Bildung, Gesundheit, psychosoziale Situation, institutionelles Netzwerk, familiales Netzwerk, Alltagskompetenzen, Äquivalenzeinkommen. 120 121
2.5 Ableitung eines Modells der Ressourcentransformation
113
Bildungstitel institutionalisiert wird, wie auch informelle Kenntnisse sowie informelles Wissen und Können (Bourdieu 1992 [1983]: 53f.), dessen Wichtigkeit insbesondere auch in der Möglichkeit besteht, sich damit von anderen abzuheben. So beschreibt der Habitus angelernte und tief verinnerlichte Verhaltensweisen, Denkweisen und Geschmäcker, durch die man sich sozial positioniert. Als soziales Kapital bezeichnet Bourdieu „die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind; oder anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf die Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen“ (Bourdieu 1992 [1983]: 63). Das ökonomische Kapital ist unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisierung in der Form des Eigentumsrechts. Das kulturelle Kapital ist unter bestimmten Voraussetzungen in ökonomisches Kapital konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisierung in der Form von schulischen Titeln; das Soziale Kapital, das Kapital an sozialen Verpflichtungen oder „Beziehungen“ ist unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls in ökonomisches Kapital konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisierung in Form von Adelstiteln (53).
In Bourdieus Ansatz repräsentiert die Ungleichverteilung der Kapitalarten die Struktur der Gesellschaft: Die zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebene Verteilungsstruktur verschiedener Arten und Unterarten von Kapital entspricht der immanenten Struktur der gesellschaftlichen Welt, d.h. der Gesamtheit der ihr innewohnenden Zwänge, durch die das dauerhafte Funktionieren der gesellschaftlichen Wirklichkeit bestimmt und über die Erfolgschancen der Praxis entschieden wird (Bourdieu 1992 [1983]: 50).
Anders als bei Sen, der die Ressourcen als ein Mittel beschreibt, das Freiheit in der Form von Handlungsmöglichkeiten produziert, und die Bedeutung ihrer Ungleichverteilung eher unterschätzt, beschreibt Bourdieu die Verteilung der Kapitalarten als ein Mechanismus, der dazu dient, Ungleichheit herzustellen und aufrechtzuerhalten, um damit Privilegien zu sichern (s. a. ebd. 49). Wer über eine bestimmte Kulturkompetenz verfügt, z.B. über die Fähigkeit des Lesens in einer Welt der Analphabeten, gewinnt aufgrund seiner Position in der Verteilungsstruktur des kulturellen Kapitals einen Seltenheitswert, aus dem sich Extraprofite zeihen lassen. D.h., derjenigen Teil des Profits, der in unserer Gesellschaft aus dem Seltenheitswert bestimmter Formen von kulturellem Kapital erwächst, ist letzten Endes darauf zurückzuführen, dass nicht alle Individuen über die ökonomischen und kulturellen Mittel verfügen, die es ihnen ermöglichen, die Bildung ihrer Kinder über das Minimum hinaus zu verlängern, das zu einem gegebenen Zeitpunkt für die Reproduktion der Arbeitskraft mit dem geringsten Marktwert erforderlich ist. Die ungleiche Verteilung von Kapital […] bildet somit die Grundlage für die spezifischen Wirkungen von Kapital, nämlich die Fähigkeit zur Aneignung von Profiten und zur Durchsetzung von
114
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität Spielregeln, die für das Kapital und seine Reproduktion so günstig wie möglich ist (Bourdieu 1992 [1983]: 58).
Dieser Mechanismus kann nicht nur billigend in Kauf genommen werden – wie die Darstellungen Sens teilweise nahe legen –, sondern kann explizit politisch gewollt sein: Dieses Beharrungsvermögen der Kapitalstrukturen hängt zum einen damit zusammen, dass sie sich in der Regel im Rahmen von Institutionen und Dispositionen reproduzieren, die ihrerseits Produkte von Kapitalstrukturen sind und deshalb auch auf sie abgestimmt sind; selbstverständlich wird es aber durch gezieltes politisch-konservatives Handeln noch verstärkt, nämlich durch eine Politik der Demobilisierung und Depolitisierung, die darauf abzielt, die Beherrschten in einem bloß praktischen Gruppenzustand zu halten, so dass sie lediglich durch das Zusammenspiel von Anordnungen miteinander in Verbindung treten und dazu verurteilt sind, wie ein Aggregat zu funktionieren und auf die immer gleichen isolierten und additiven Praktiken (wie die Entscheidungen des Marktes oder des Wählens) beschränkt bleiben (ebd. 75).
Kapitalarten liegen nicht nur „objektiviert“, also in materialisiert Form von Gütern vor, sie müssen auch verinnerlicht werden. Der Habitus stellt eine Form des kulturellen Kapitals dar, die ein Leben lang – häufig eher unbewusst – verinnerlicht wird (ebd. 58). Schließlich ist auch […] bekannt, dass die Akkumulation kulturellen Kapitals von frühester Kindheit an – die Voraussetzung zur schnell und mühelosen Aneignung jeglicher Art von nützlichen Fähigkeiten – ohne Verzögerung und Zeitverlust nur in Familien stattfindet, die über ein so starkes Kulturkapital verfügen, dass die gesamte Zeit der Sozialisation zugleich Zeit der Akkumulation ist (ebd. 58).
Gerade weil die Kindheit Spuren hinterlässt, die man nicht auslöschen kann, gerade weil die Aneignung des kulturellen Kapitals von der Herkunftsfamilie abhängig ist, gerade deshalb kann durch sie Distinktion erreicht werden. Hiermit ergibt sich eine Parallele zur Ressource Gesundheit: Wir haben gesehen, dass die die Gesundheit beeinflussenden Faktoren und die Gesundheit selbst bereits ab der frühesten Kindheit gruppen- und schichtspezifische Ausprägungen entwickeln, die latent vorhanden bleiben oder sogar im Körper Spuren hinterlassen. Parallel dazu entwickelt sich ein schichtspezifischer Habitus, der von Anfang an Vor- und Nachteile bei der späteren Kapitalakkumulation präformiert und sich auch – allerdings in anderer Weise – im Körper niederschlägt: Das inkorporierte kulturelle Kapital besteht aus Gesten, aus Körperhaltungen, aus Akzenten, aus Redeweisen und tausend anderen Selbstverständlichkeiten. Die körperliche Prägung, die die beiden Ressourcen Gesundheit und soziales Kapital mit sich bringen, ist teilweise verbunden durch die schichtspezifische Ausprägung gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen.
2.5 Ableitung eines Modells der Ressourcentransformation
115
Wie die Transformation von Ressourcen bei Sen wesentlicher Bestandteil des Ansatzes ist (in der Form der Funktionen), so diskutiert auch Bourdieu die Transformation der Kapitalarten in seinem Ansatz. Dabei ist einerseits klar, dass kulturelles Kapital und soziales Kapital (in Form von Beziehungen zu den „richtigen“ Leuten) Werte darstellen, die die Einkommensmöglichkeiten verbessern, andererseits ist die Produktion unter anderem von institutionalisiertem kulturellem Kapital in Form von Bildungstiteln wie Schulabschlüsse, Diplomen und Doktortiteln – neben dem Aufwand, den die Herkunftsfamilie durch die Weitergabe schichtspezifischer Fähigkeiten leistet – abhängig vom ökonomischem Kapital: Durch die Bestimmung des Geldwertes, der für den Erwerb eines bestimmten schulischen Titels erforderlich ist, lässt sich sogar ein „Wechselkurs“ ermitteln, der die Konvertibilität zwischen kulturellem und ökonomischem Kapital garantiert. Weil der Titel das Produkt einer Umwandlung von ökonomischem in kulturelles Kapital ist, ist die Bestimmung des kulturellen Wertes eines Titelinhabers im Vergleich zu anderen unauflöslich mit dem Geldwert verbunden, für den er auf dem Arbeitsmarkt getauscht werden kann; denn die Bildungsinvestition hat nur Sinn, wenn die Umkehrbarkeit der ursprünglichen Umwandlung von ökonomischem in kulturelles Kapital zumindest teilweise objektiv garantiert ist (ebd. 62).
Investitionen in kulturelles und soziales Kapital müssen persönlich vorgenommen werden, da sie nicht delegiert werden können (vgl. ebd. 58, 71). Für alle Transformationen muss also Zeit aufgewendet werden, die dadurch – wie oben beschrieben – selbst zum knappen Gut wird. Die Kapitalarten können als die Teilmenge von Ressourcen verstanden werden, die halt- oder hortbar sind, Bourdieu formuliert das für seinen Kapitalbegriff so: „Dem Kapital wohnt eine Überlebenstendenz inne; es kann ebenso Profite produzieren wie sich selbst reproduzieren oder auch wachsen“ (Bourdieu 1992: 50). Geld ist hortbar – gerade diese Eigenschaft stellt eine der Funktionen von Geld dar123 –, materielle Güter sind hortbar, aber auch Bildung ist hortbar. Einmal erlangtes Wissen – inkorporiertes kulturelles Kapital – kann an unterschiedlicher Stelle immer wieder eingesetzt werden, wie auch ein einmal erreichter Bildungsabschluss – institutionalisiertes kulturelles Kapital – immer wieder verwendet werden kann. Die Tatsache, dass Bildung einer Entwertung unterliegen kann – beispielsweise veralten Kenntnisse von Computerprogrammen schnell – spricht nicht dagegen, Bildung als Kapitalart anzusehen: Alle Kapitalarten, auch materielle Güter und das Geld, sind von Entwertungen bedroht. Die Eigenschaft der Hort- und Haltbarkeit unterscheidet aber die Kapitalarten 123
Gemäß der volkswirtschaftlichen Theorie hat Geld drei Funktionen: Es dient als Zahlungsmittel, als numéraire – also als Wertmaßstab – und als Wertaufbewahrungsmittel. Unterschätzt werden bei dieser Aufzählung andere Funktionen von Geld: Geld als Mittel der Macht, Geld als Sozialprestiges und Geld als Mittel, dass die Ressourcentransformation vereinfacht.
116
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
von den psychischen Ressourcen und der Zeit, deren Knappheit dadurch andere Gestalt hat. Fraglich ist, ob Gesundheit als Kapitalart zu betrachten ist. Man kann etwas „für die Gesundheit tun“, in die Gesundheit investieren und damit die Wahrscheinlichkeit, nicht krank zu werden stark verändern. Beispielsweise hat jeder dritter Mensch, der ausgiebig sonnenbadet, in seinem Leben mit Hautkrebs zu tun und jeder zehnter Raucher, der mindestens eine Packung pro Tag raucht, erkrankt an Krebs (Proske 2004: 137f.). In einer langfristigen Betrachtung der Gesundheit spielen heute zunehmend degenerative Krankheiten eine Rolle, deren Auftreten einer geringeren Zufälligkeit als den infektiösen Krankheiten eigen ist. Die zahlreichen, oben angeführten sozialepidemiologischen Untersuchungen zeigen, wie stark Gesundheit und Krankheit abhängig sind von individuellen Verhaltensweisen und strukturellen Gegebenheiten. Die Abhängigkeit von strukturellen Gegebenheiten spricht nicht dagegen, Gesundheit als Kapitalart zu bezeichnen, eher im Gegenteil – denn auch die Hortbarkeit von anderen Kapitalarten, insbesondere von Geld und Gütern, ist in hohem Maße abhängig von strukturellen Gegebenheiten. Problematisch ist nur, dass die individuelle Gesundheit – trotz der aufgezeigten Regelmäßigkeit, die sich bei einer großen Zahl von Menschen ergeben – großen zufälligen Schwankungen unterliegen kann, was dagegen spricht, Gesundheit als Kapitalart zu bezeichnen. Seltene Risiken können strukturellen Bedingungen unterliegen und gleichzeitig für den einzelnen Menschen unwahrscheinlich bleiben. Diese Frage kann an dieser Stelle nicht endgültig gelöst werden, dennoch wird hier – in Anlehnung an Michael Grossman (1972) und an Rolf Becker (1998: 145) – von Gesundheitskapital gesprochen und Gesundheit als hortbar betrachtet.124 Betrachtet man die Kapitalarten über längere Phasen eines Lebens, so kann man ihre Entwicklungen betrachten. Solche Entwicklungen können als Karrieren bezeichnet werden, das Anwachsen der Kapitalarten kann als Akkumulationen bezeichnet werden. In diesem Sinne kann man von Berufskarrieren sprechen, von Bildungskarrieren (siehe Abbildung 13), von Netzwerkkarrieren, aber auch von Wohnkarrieren (Wunsch / Duchêne / Thiltgès et al. 1996: 170), von Einkommenskarrieren,125 von Vermögenskarrieren oder auch von Überschuldungskarrieren (Projektgruppe Sozialbericht Bayern 1999: 410).126 Ergeben sich typische Muster von Akkumulationen, also typische Investitionsschemata, so können ähnliche Karrieren zu Clustern zusammengefasst werden. Quantifiziert man Bildung nach Dauer des Schulbesuchs sowie Schul- und Ausbildungsart, so
124
Siehe auch Deutscher Bundestag 2009: 62 Unger 2003: 48 spricht von Lebenseinkommensprofilen. 126 Vgl. Neuraths Idee des Lebenslagenreliefs: Neurath 1981 [1931]. 125
2.5 Ableitung eines Modells der Ressourcentransformation
117
könnten sich beispielsweise durch das dreigliedrige Schulsystem solche Cluster ergeben, die den weiteren Berufsverlauf vorstrukturieren. Die verschiedenen Kapitalarten entwickeln sich natürlich nicht unabhängig voneinander. Sowohl quantitative Untersuchungen, wie die oben zitierten sozialepidemiologischen Untersuchungen, als auch qualitative Untersuchungen, die auf Bourdieus Kapitaltheorie basieren, zeigen, dass die Entwicklung der verschiedenen Kapitalarten häufig parallel verläuft. Wie kommt es zu speziellen Lebenslagen, welche Umstände gehen ihnen voraus, welche folgen ihnen und was prägt den Verlauf? Solche Fragen können qualitative Untersuchungen zu Armutskarrieren (Ludwig 1996), Patientenkarrieren (Gerhard 1986), Delinquenzkarrieren (Kluge 2000), oder Drogenkarrieren (Groenemeyer 1990) leiten. Abbildung 13: Schematisierte Bildungsverläufe Bildungsindikator
0
10
20
30
40
50
60
Alter
Quelle: Eigene Graphik Ressourcen können aber auch noch nach anderen Eigenschaften unterteilt werden. So gibt es Ressourcen, die beim Gebrauch untergehen – also vollständig transformiert werden –, andere bleiben erhalten oder vermehren sich sogar beim Gebrauch. Geld, Zeit und einige Güter wie Lebensmittel gehen unter, während sich Bildung und berufliches Wissen bei der Nutzung eher vermehren (vgl. z. B. die Mincer-Funktion: Mincer 1974: 83f.). Während Entwertung und Schwund
118
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
den Werteverlust durch vergehende Zeit beschreiben, beschreibt Abnutzung den Wertverlust beim Gebrauch. Einige Ressourcen, wie beispielsweise körperliche und psychische Gesundheit, Bildung und Wissen und das soziale Kapital sind an einen Menschen gebunden, andere Ressourcen, wie Geld und materielle Güter, nicht. Von der Gebundenheit an den Körper hängt es ab, auf welche Weise Ressourcen übertragbar sind und beispielsweise von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden können. Besondere Eigenschaften hat die Ressource Geld. Geld kann als Machtmittel dienen und das Sozialprestige erhöhen, in erster Linie dient es aber wohl als Wertaufbewahrungsmittel, das zukünftige Transformationen sichern kann.127 Das ist wohl der Grund, wieso im oben diskutieren eindimensionalen Ressourcenansatz das Einkommen als einziger Indikator für die Beschreibung einer Lebenssituation verwendet wird. Dass er als Beschreibung einer Lebenslage und der Lebensqualität nicht taugt, hängt wohl damit zusammen, dass es dennoch große Beschränkungen bei der Transformation von Geld in andere Ressourcen gibt – so kann man sich beispielsweise Beziehungen und Gesundheit eben nur zum Teil kaufen – aber auch damit, dass die Transformation der Ressourcen stark von strukturellen Gegebenheiten abhängt, und dass die Kapitalakkumulationen anderer Kapitalarten sich nur teilweise im Einkommen widerspiegeln. Die unterschiedlichen Eigenschaften der Ressourcen dürfen bei Analysen nicht über einen Kamm geschert werden, wie es eine einfache Aufzählung von Ressourcen nahe legen könnte, da sich aus den Eigenschaften unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen für die Transformation und die Produktion von Lebensqualität ergeben. Insbesondere haben verschiedene Ressourcen eine eigene Zeitlichkeit, die auch ihre Bedeutung als Indikatoren beeinflusst. So bestimmt die Bildung – wie in Kapitel 4.2.3. ausgeführt wird – schon sehr früh zukünftige Handlungsspielräume. Geld und Einkommen stellen ein Maß für kurzfristige Transformationsmöglichkeiten dar, Vermögen ein Maß für die Sicherheit zukünftiger Transformationen, wohingegen die Gesundheit – und mit ihr die Lebensdaten – insbesondere ab dem mittleren Alter zurückliegende Ereignisse abbildet und dadurch ihre besondere Bedeutung als bilanzierender Indikator erlangt.
127
„Income, on the other hand, is used to purchase health care and preferred qualities of nutrition, transportation, exercise equipment, and housing, and is therefore the socioeconomic measure chosen by some analysts (e. g. Adler / Newman 1994)“. Zit. n. Hummer / Rodgers / Ebenstein 1998: 560
2.5 Ableitung eines Modells der Ressourcentransformation
119
2.5.3 Formalisierung Nachdem nun verschiedene Teile der Ressourcentheorie dargestellt worden sind – Ressourcen beziehungsweise Kapitalarten, Transformationen sowie Akkumulationen der Kapitalarten – wird nun eine Formalisierung vorgeschlagen. Die Formalisierung soll allerdings in erster Linie der einfachen Darstellung dienen und als Schematisierung des Modells verstanden werden, nicht aber als Vorschlag einer Quantifizierung.128 Nach der Darstellung der Formalisierung werden Perspektiven zur Untersuchung von Ressourcentransformationen diskutiert. Zentraler Bestandteil des Modells sind die Ressourcentransformationen. Sie können – modellhaft und in Anlehnung und Erweiterung der Formalisierung Sens – als Transformationsfunktionen dargestellt werden. Beispielsweise könnte das Einkommen (yield = y) der Person i während eines – kürzeren oder längeren – Zeitraums t erklärt werden durch das Bildungskapital (b), den Gesundheitszustand (g), die sozialen Kontakte (k), materielle Ressourcen (x) und weitere eingebrachte Ressourcen (…). Die Abhängigkeit der Transformation von strukturellen Bedingungen wird durch die Bedingungen (z) ausgedrückt:
yi ,t
yi ,t (b, g , x, k ,... z )
das yi,t gibt also das Ergebnis129 der Ressourcentransformation an. Leidet das Einkommen unter der Gesundheitssituation so stellt dies einen Selektionseffekt dar. In dieser Gleichung ist der Gesundheitszustand unabhängige, erklärende Variable. Oben wurde gezeigt, dass die Variablen Einkommen, und unabhängig davon die Variable Bildung auf den Gesundheitszustand einwirken. Der Gesundheitszustand der Person i im Zeitraum t kann beispielsweise erklärt werden durch das Bildungskapital (b), das Einkommen (y), soziale Kontakte (k), durch die Ernährungsweise (e) und weitere Ressourcen (…). Die Transformation ist wiederum abhängig von strukturellen Bedingungen (z).
gi , t
128
gi , t (b, y, k , e,..., z )
130
Oben wurde darauf hingewiesen, dass wohl auch Sens Formalisierung in diesem Sine verstanden werden sollte. Soziologische Pseudoformeln finden sich im Übrigen auch bei Bourdieu 1982: 175 und Dahrendorf 1979: 109 129 Sen spricht vom achievement. Siehe oben. 130 Leidet in dieser Gleichung die Gesundheit unter dem Einkommen, so stellt dies den Verursachungseffekt dar.
120
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Solche Gleichungen stehen nun für Sens functionings. Beschreibt man die Entstehung und den Einsatz einer jeden Ressource mit einer Gleichung, so ergibt sich ein Gleichungssystem, dass die Ressourcentransformation einer Person beschreibt. Die Indexierung i,t weißt darauf hin, dass es für verschiedene Personen i und für verschiedene Zeitpunkt t verschiedene Funktionen gibt. Eine Besonderheit ergibt sich, wenn man berücksichtigt, dass Gesundheit auch von allen zurückliegenden Lebenslagen und Lebensumständen abhängig ist, die zwischenzeitlich latent bleiben. Dann muss die Gesundheit als von zurückliegenden Ressourcen und strukturellen Bedingungen abhängig dargestellt werden.
gi , t
gi , t (b0 , y0 , k0 , e0 z0 ,..., bt , yt , kt , et zt )
Für diejenigen Ressourcen, die Kapitalarten sind, also für die halt- und hortbaren Ressourcen, können neben den Transformationsfunktionen auch Bestandsfunktionen angegeben werden, welche die Zu- und Abnahme der Kapitalart darstellen. Eine Transformationsfunktion beschreibt die Transformation zu einem bestimmten Zeitpunkt, eine Bestandsfunktion beschreibt die Entwicklung einer Ressource über einen kürzeren oder längeren Zeitraum, also dafür, dass der Index die Zahlen 0 bis T annimmt. Die Bestandsgröße Vermögen (Y) kann also angegeben werden durch die Summe der Einnahmen (y) aller Perioden weniger die Summe aller Ausgaben (a) aller Perioden. t T
Yi ,T
³
t T
y i ,t
t 0
³a
i ,t
t 0
Die Makrobedingungen gehen in diese Gleichung nur mittelbar ein, durch die Einnahmen und Ausgaben, die ja von Makrobedingungen abhängen. Ein quantitativer Index für Bildung könnte die akkumulierte Bildung bewerten, abzüglich der Entwertung (d), die durch das Veralten von Wissen entsteht. t T
Bi ,T
³b
i ,t
t 0
t T
³d
i ,t
t 0
Es wurde gezeigt, dass die Annahme der Planbarkeit von Gesundheit und der Hortbarkeit eines Gesundheitskapitals problematisch ist: Würde man dennoch
2.5 Ableitung eines Modells der Ressourcentransformation
121
eine Bestandsfunktion für Gesundheit annehmen – die Lebenserwartung könnte als Indikator des Gesundheitskapitals verwendet werden oder ein anderer Index, der umfassend über die Gesundheit berichtet –, so würde das Gesundheitskapital, ähnlich wie die Gesundheit selbst, als Resultat einer Folge zurückliegender Ressourcenausstattungen beschrieben werden:
Gi ,T
Gi , T (b0 , y 0 , k 0 , e0 z 0 ,..., bT 1 , yT 1 , k T 1 , eT 1 z T 1 )
Verwendet man die Lebenserwartung als Funktion des Gesundheitskapitals, so können Untersuchungen, die Determinanten der Lebenserwartung anführen, interpretiert werden als Untersuchungen, die das Gesundheitskapital beschreiben. Es gibt ja eine Vielzahl von Untersuchungen, die die Lebenserwartung in Abhängigkeit vom Einkommen131, der Bildung132, der Berufssituation133 oder der sozialen Kontakte134 beschreiben. Wie oben beschrieben, bezieht sich dabei eine große Zahl dieser Untersuchungen auf zurückliegende Lebenslagen, Lebensbedingungen oder Gesundheitszustände.135 Legt diese technizistisch anmutende Darstellung der Ressourcentransformation nicht nahe, dass Ressourcen ähnlich wie Betriebsmittel, Werkstoffe und betriebswirtschaftliches Kapital bilanziert werden könnten, dass die Ressourcen in einem unendlichen Prozess, der durch Bestands- und Flussgrößen beschrieben werden kann, transformiert werden und diese Transformation ähnlich wie Produktionsfunktionen zu beschreiben seien? Könnte man nicht in Form von Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen untersuchen, mit welchem Input an einem Tag, in einem Monat oder in einem Jahr welcher Output produziert werden kann und so Sens Funktionen beschreiben?136 Solche Quantifizierungen mögen teilweise möglich sein, beispielsweise, wenn man unter Vernachlässigung aller anderen eingebrachten Ressourcen untersuchen möchte, mit welchem Aufwand an Zeit und unter welchem Einsatz formaler Bildung und Berufserfahrung welches Einkommen erzielt wird oder werden kann.137 Allerdings sprechen 131 Lampert / Ziese 2005, Klein / Unger 2001, Reil-Held 2000, Helmert / Bammann / Voges et al. 2000, Steinkamp 1999: 104f. 132 Lampert / Ziese 2005, Becker 1998, Klein / Schneider / Löwel 2001, Unger 2003, Steinkamp 1999: 109 133 Die Berufssituation wird hier als Indikator für berufsspezifische Ressourcen und Belastungen betrachtet. Zu Berufssituation und Lebenserwartung siehe z. B.: Lampert / Ziese 2005 134 Helmert 2004, Schwarzer / Taubert / Schulz 2002 135 z. B. Davey Smith / Hart / Blane et al. 1998, Lynch / Kaplan / Salonen 1997, Mackenbach / Bakker / Kunst et al. 2002, Wadsworth 1997, 1991 136 Siehe dazu Kuklys 2005 und Drewnowski 1974 137 Siehe z.B. Franz 2003: Kap. 3 sowie Mincer 1974
122
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einige Argumente dagegen, Ressourcentransformation allein mit quantifizierenden Forschungsmethoden zu betrachten: (1) Eine Quantifizierung setzt voraus, dass die verschiedenen Ressourcen und ihre Transformationen quantitativ bewertet werden können. Eine solche Bewertung negiert aber alle nicht quantifizierbaren Eigenschaften der Ressourcen und Transformationen. Für die verschiedenen Ressourcen müssten „Wechselkurse“ und ein numéraire, eine gemeinsame Einheit, gefunden – oder besser: erfunden – werden, die dann sofort den falschen Eindruck einer beliebig und unproblematisch vollziehbaren Umwandlung erwecken würden. Einkommen kann ja nicht in beliebiger Weise in Lebenszeit umgewandelt werden und Lebenszeit nicht in beliebiger Weise in Geld – Transformationen sind komplex und fordern daher komplexe Beschreibungen. Auch würde sich die Frage stellen wie eine solche Bewertung vorgenommen werden könnte und wer eine solche Bewertungen vornehmen soll, Experten oder Betroffene? (2) Verschiedene Ressourcen, wie Bildung, Gesundheit und psychische Ressourcen haben neben ihrer funktionalen Bedeutung eine so genannte „intrinsische Bedeutung“, einen „Wert für sich“. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass verschiedene Ressourcen durch die Grund- und Menschenrechte garantiert werden (sollen), beziehungsweise dass sie eine Bedeutung als Mittel zur Erreichung von grund- und menschenrechtlich garantieren Rechte haben. Die quantitative Beschreibung der Transformierbarkeit sagt nichts über die „intrinsische Bedeutung“ der Ressourcen für den einzelnen Menschen aus, über die auch die Wahl einer Handlungsmöglichkeit nur wenig Auskunft gibt. (3) Quantifizierungen können aber auch aus anderen Gründen problematisch sein. In den oben zitierten sozialepidemiologischen Untersuchungen wurden häufig statistische Zusammenhänge zwischen Aggregatgrößen wie Bildung, Einkommen oder Gesundheit dargestellt. Die Zusammenhänge der Aggregatgrößen sind sehr nützlich für das Aufspüren der Übertragungswege. Gleichzeitig legen sie aber einen reduktionistischen Blick auf die Transformationen nahe, wie er in folgendem Zitat zum Ausdruck kommt: „We conclude that high educational attainment improves health directly, and it improves health indirectly through work and economic conditions, social-psychological resources, and health lifestyle“ (Ross / Wu 1995). Was könnte die direkte Verbesserung der Gesundheit durch höhere Bildung bedeuten? Nachdem höhere Bildung immer erst auf irgendeinem Weg in eine bessere Gesundheit transformiert werden muss, kann es keine „direkte“ Verbesserung der Gesundheit geben; der zitierten Aussage liegt eine gedankliche Verkürzung zugrunde. Die statistischen Zusammenhänge der Aggregatgrößen müssen also immer ergänzt werden durch detaillierte Analysen der Übertragungswege, beziehungsweise der Transformationsketten.
2.5 Ableitung eines Modells der Ressourcentransformation
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(4) Des Weiteren besteht die Gefahr, dass quantitative Beschreibungen in der Art von Produktionsfunktionen, Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen genau eine Schwäche mit ihnen teilt: Alle (externen) Voraussetzungen der Transformation und alle externen Effekte einer Transformation bleiben in solchen betriebswirtschaftlichen Beschreibungen ja außen vor. Die Existenz von Hilfskonstrukten wie das volkswirtschaftliche Ökosozialprodukt oder Umwelt- und Sozialberichte der Unternehmen sollen ja genau solche Umstände beschreiben, die durch die Quantifizierungen der Bilanz nicht abgebildet – soll man sagen: verschleiert? – werden, und sie zeigen gleichzeitig, wie schwer es ist, eine Perspektivenerweiterung zu erreichen. (5) Ein weiteres Problem der Quantifizierungen stellt die Beschreibung der Handlungsspielräume dar. Gemäß der Formalisierung von Sen ergeben sich die Handlungsspielräume (capabilities) als Summe aller wählbaren Funktionen (functionings). In diesem Sinne gibt es wohl unendlich viele Handlungsmöglichkeiten, die nicht erschöpfend beschrieben und noch weniger quantifiziert werden können. Sens Formalisierung (siehe oben S. 57) kann demnach wohl kaum verstanden werden als Aufforderung Handlungsmöglichkeiten zu zählen; Quantifizierungen und Bilanzierung verbieten sich. Wie können aber empirische Forschungsfragen zu Handlungsspielräumen angegangen werden? Empirische Untersuchungen können einfach gewählte Handlungen untersuchen (achievements) anstelle der Handlungsmöglichkeiten selbst. Dies mag, je nach Fragestellung einer Untersuchung, eine vertretbare Vereinfachung sein. Was aber, wenn man sich tatsächlich dafür interessiert, auf welche Art Handlungsspielräume wahrgenommen werden – wenn man sich beispielsweise für die Frage interessiert, welchen Handlungsspielraum Arbeitslose auf dem Arbeitsmarkt haben, welche Handlungsspielräume für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bestehen, welche Aufstiegschancen sich für Frauen in Unternehmen ergeben (Stichwort: Gläserne Decke) oder wie Bildungsentscheidungen gefällt werden. Sollen solche Fragen nach Handlungsspielräumen bearbeitet werden, dann müssen der Frage angemessene Methoden gefunden werden, die die Komplexität von verfolgten Zielen, von vorgenommenem Wählen und vom Handeln in einer gegebenen (mehr oder weniger beschränkenden) Struktur abbilden können. Die Vorstellung, dass ein Mensch bewusst und rational aus der Menge der für ihn realisierbaren Handlungsmöglichkeiten auf ein bestimmtes selbst vorgegebenes Ziel hin auswählt, ist natürlich naiv. Entscheidungen können routinemäßig verlaufen und Gewohnheiten folgen. Die Entstehung von persönlichen Zielen ist nicht unabhängig von der Gesellschaft, in der man lebt, sondern stark sozial geprägt.138 Die 138
Bourdieus beschreibt in „Die feinen Unterschiede“ wie stark Handlungen – aber auch Geschmäcker und Wünsche, die Handlungsziele bestimmen – determiniert sind durch die eigene soziale Posi-
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2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität
Menge aller theoretisch realisierbaren Handlungen sind für einen Menschen kaum abzusehen; ob anvisierte Ziele erreicht werden können oder nicht, ist häufig unsicher. Darüber hinaus können Handlungsspielräume auch „psychisch“ begrenzt sein. Die Art und Weise, wie man Ziele und welche Ziele man für sich definiert, wie man sein Leben plant, „was man sich zutraut“, ist abhängig von der psychischen Verfassung, vom Selbstbewusstsein, von Motivationen, die sich während eines Lebens ausgebildet haben. Solche Faktoren können Menschen Handlungsspielräume verschließen, die „objektiv“ als gegeben erscheinen. Ein Handelnder hat eigene, „subjektive“ Vorstellungen davon, welches Handeln welchen „Sinn macht“, welche Ziele er damit verbindet und was er sich davon erwartet; und solche Sinngebungen können sehr unterschiedlich sein. All das muss berücksichtigt werden, wenn man sinnvoll Handlungsspielräume vermessen möchte und sich nicht allein auf Sens optimistische Hoffnung verlassen möchte, dass bestehende Spielräume im Großen und Ganzen zum eigenen Wohl und zum Wohle aller genutzt werden.139 2.6 Fazit In diesem Kapitel wurden zuerst die geläufigen Ansätze zur Beschreibung von Wohlfahrt und Lebensqualität dargestellt. Der dargestellte Ansatz von Sen erlaubte uns Handeln und Struktur in ein Verhältnis zur erreichten Lebensqualität zu stellen – jenseits problematischer monetärer Konzepte und jenseits von Güterund Nutzenkonzepten. Handeln wurde dabei dargestellt als die Verwendung der zur Verfügung stehenden Ressourcen. Der einzelne Mensch verwendet Ressourcen gemäß der ihm zur Verfügung stehenden „Funktionen“ (functionings) und erzeugt dadurch seine Lebenslage. Die Möglichkeiten Ressourcen umzusetzen sind nicht nur von Mensch zu Mensch unterschiedlich, sie sind insbesondere stark abhängig von – wie Sen es ausdrückt – sozialen Institutionen; beziehungsweise – allgemeiner ausgedrückt – von vorgegebenen Strukturen. Ein Mensch wählt innerhalb seines Handlungsspielraumes diejenigen Funktionen, die seinen eigenen Zielen am besten entsprechen. Lebensqualität kann, muss aber nicht, ein solches Ziel sein. Lebensqualität wurde hier anhand von Daten der Lebenserwartung, der Mortalität und der Morbidität gemessen. Der zur Geltung kommende sozialepidemiologische Blick beinhaltet die Chance, die vielfältigen Ursachen der Unterschiede in Lebenserwartung, Mortalität und Morbidität, die als Beeinträchtigung tion. Handeln diene der sozialen Positionierung und der Identifizierung, Handlungsmotivationen seien oft unbewusst bestimmt (Bourdieu 1992 [1983]). 139 Siehe zu den Handlungsspielräumen auch Honegger / Hradil / Traxler 1998, Weymann 1989
2.6 Fazit
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der Lebensqualität zu interpretieren sind, zu beschreiben. Erneut wurde die Bedeutung der Strukturen klar: Einerseits beeinflussen die Strukturen die Lebensqualität, andererseits ist individuelles Handeln in Strukturen eingebettet. Die Bedeutung des Verhältnisses von Handeln und Struktur wird Thema des nächsten Kapitels sein. Für die Beschreibung der Produktion von Lebensqualität wurde ein theoretischer Rahmen erarbeitet, die die oben dargestellten Konzepte weiterentwickelt: Der erarbeitete Ansatz hebt die Trennung zwischen Ressourcen- und Lebenslagen-Ansatz auf; beide können als zwei Seiten einer Medaille, als unterschiedliche Beschreibungen der Ressourcentransformation betrachtet werden. Er verbindet verschiedenen Forschungsrichtungen durch die Integration von Elementen der Sozialstruktur, der Soziologie sozialer Ungleichheit, der Sozialepidemiologie und der Lebensqualitätsforschung. Der Ansatz überwindet die diffuse Psychologisierung des Lebenslagen-Ansatzes von Weisser, in dem er psychische Umstände – in einem ersten Schritt – selbst als Ressource darstellt. Mangelnde Motivation und mangelndes Selbstbewusstsein werden hier als Ressourcenmangel verstanden und nicht als „fehlende Willensstärke“ und einem Abweichen vom goldenen Pfad der „freien und tiefen Selbstbesinnung“ wie in Weissers Konzept. Die Vermittlung des „objektivierenden“ Blickes auf psychische Ressourcen mit der „Subjektivität“ des Einzelnen wird – als zweiter Schritt – im Kapitel 3.3.3 versucht. Bezüglich des Senschen Ansatzes bietet der erarbeitete Ansatz eine Klärung des Verhältnisses von Ressourcen und Funktionen sowie eine Erweiterung des Ressourcenbegriffs. Die Formalisierung dieser Ressourcentheorie soll die konzeptionelle Klarheit erhöhen. Sie gestattet die theoretische, modellhafte Betrachtung der Ressourcentransformation innerhalb einer Struktur mit zurückliegenden Ereignissen – frühen Prägungen, Sozialisation sowie zurückliegenden Lebenslagen und Ressourcenausstattungen – zu verbinden und Lebensläufe, beziehungsweise Karrieren, als Akkumulation von Ressourcen zu verstehen. Einige Transformationen konnten anhand quantitativer Untersuchungen verdeutlicht werden, eine umfassendere Betrachtung – beispielsweise die Diskussion von Handlungsspielräumen – erfordert aber die Berücksichtigung qualitativer Aspekte und die Anwendung qualitativer Methoden, die in der von Wirtschaftswissenschaftlern und Philosophen dominierten Rezeption des Ansatzes von Sen bisher völlig vernachlässigt wurden. An dieser Stelle kann die Formalisierung noch dazu dienen, das nächste Kapitel zusammenzufassen und zu ihm überzuleiten: Gemäß den obigen Formeln beschäftigt es sich nämlich mit den „Nebenbedingungen“, also mit „ |z “.
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
Wer über die beste Verfassung die Untersuchung in sachgemäßer Weise anstellen will, der muss notwendig zuerst bestimmen, welches das wünschenswerte Leben ist. Denn solange dies noch im Unklaren ist, muss notwendig auch die beste Staatsverfassung im Unklaren bleiben. (Aristoteles Politik 1323 a 14–17, zit. n. Nussbaum 1999: 32)
Nachdem im zweiten Kapitel gezeigt wurde, wie Lebensqualität gemessen und beschrieben werden kann und welche lebensqualitätsrelevanten Indikatoren dabei zu beachten sind – die Lebenserwartung, die gesundheitliche Ungleichheit, allgemeiner: die Ressourcenungleichheit sowie die Strukturen, welche die Lebensqualität beeinflussen, die Entwicklung von Fähigkeiten und die Größe von Handlungsspielräumen – stellt sich nun die Frage nach den Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität. Hier geht es also um die Frage, welchen Bedingungen und Möglichkeiten die Produktion von Lebensqualität unterliegt und auf welche Art und Weise der Staat die Produktion von Lebensqualität in Angriff nimmt. Im Folgenden wird anhand einer Analyse des Grundgesetzes untersucht, inwieweit Lebensqualität ein Ziel staatlichen Handelns ist (Kap. 3.1). Anschließend zeigt ein Blick in die Geschichte des Sozialstaats, wie stark sich die Produktionsbedingungen von Lebensqualität und die diesbezüglichen Zielsetzungen des Staates wandeln –, und dass sie dabei einem roten Faden folgen (Kap. 3.2.1). Die historischen Erfahrungen werden durch Bezugnahme auf einen konflikttheoretischen Ansatz von Claus Offe verallgemeinert (Kap. 3.2.2). Kapitel 3.3 behandelt die Bedeutung von Diskursen und kulturell geprägten Überzeugungen bei der Herstellung von Lebensqualität (3.3.1 und 3.3.2) und reflektiert, wie diese subjektiviert werden (3.3.3). Kapitel 0 thematisiert schließlich die Bedeutung (wohlfahrts-)staatlicher Institutionen für die Lebensqualität. Typisierungen von Wohlfahrtstaaten erlaubt es, ihre Unterschiedlichkeit hinsichtlich ihrer Strukturen und Institutionen analytisch zu fassen.
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
3.1 Lebensqualität als Ziel staatlichen Handelns Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s auch den Menschen gut. (Slogan der Wirtschaftskammer Österreich)
Mit Sen wurde gezeigt, dass Lebensqualität und Bruttosozialprodukt zwei Größen sind, die im Ländergleich in eher geringem Maße korrelieren. Es gibt also Länder mit geringem Bruttosozialprodukt, in denen die Menschen eine hohe Lebensqualität – gemessen an dem Indikator Lebenserwartung – erreichen. Umgekehrt gibt es Länder mit einem hohen Bruttosozialprodukt, in denen die Menschen nur eine geringe durchschnittliche Lebenserwartung erreichen. Die sozialepidemiologische Forschung kann teilweise recht genau aufzeigen, in welchen Lebensbereichen und unter welchen Umständen Beeinträchtigungen der Lebenserwartung und Erhöhungen der Sterblichkeit entstehen. Diese Ergebnisse könnten vielleicht erwarten lassen, dass der Staat140 die Herstellung von Lebensqualität als eigenständiges Ziel neben wirtschaftliche Zielsetzungen stellt und diesem Ziel Lebensqualität sogar eine Priorität gegenüber wirtschaftlichen Zielen einräumt. Betrachtet man allerdings die kodifizierten Staatsziele des deutschen Grundgesetzes, sind darin Lebensqualitätsziele kaum zu finden: Unter Staatszielen im juristischen Sinne „versteht man die Absichten und Ziele eines politischen Gemeinwesens“ (Schubert / Klein 2006: 291). In Deutschland gelten als Staatsziele im juristischen Sinne die Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 GG, also das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und das Sozialstaatsprinzip, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern (Art. 3 II GG) sowie das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht (Art. 109 Abs. 2 GG). 1992 wurde die europäische Integration (Art. 23 I GG) als Staatziel hinzugefügt, 1994 im Rahmen der in der Folge der Wiedervereinigung durchgeführten Verfassungsreform noch der Umweltschutz als Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG; Fischer 1995: 72f.). 2002 folgte der Tierschutz (Art 20a GG). Keines dieser Staatziele bezieht sich auf Lebensqualität oder Gesundheit. Abgesehen davon verpflichten Staatsziele zwar den Staat und dienen der Auslegung des Rechts, sie stellen aber keine individuellen Rechte, beziehungsweise keine individuell ein-
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„Der Staat“ ist natürlich kein einheitliches sondern ein sehr vielschichtiges unübersichtliches Gebilde, das nicht einem einzigen Meta-Plan folgt. Mit diesem Begriff wird hier der Verbund hoheitlicher Institutionen bezeichnet, der „mit der Ausübung allgemeinverbindlicher Steuerungs-, Regulierungs- und Koordinierungsfunktionen betraut ist, sich […] dabei demokratischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse bedient und zur Durchsetzung dieser Entscheidungen mit Sanktionsmitteln ausgestattet ist“ (Schubert / Klein 2006: 285).
3.1 Lebensqualität als Ziel staatlichen Handelns
129
klagbaren Rechte dar.141 Allerdings kann aus dem Sozialstaatsprinzip eine staatliche Verpflichtung zur Absicherung eines Existenzminimums abgeleitet werden (Umbach / Clemens 2002: 1308), wie sie beispielsweise die Sozialhilfe oder das Arbeitslosengeld II darstellen (vgl. Gröschner 1998: 103). Auch das Sozialgesetzbuch SGB I kann als Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips verstanden werden (Böhnisch 1982: 100). Der oben bereits genannte Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (GG Art 20a) schließt den „Schutz der menschlichen Gesundheit ein […], wenn diese gefährdet wird, weil natürliche Lebensgrundlagen beschädigt oder zerstört werden“ (Umbach / Clemens 2002: 1325). Damit ist aber nur ein Schutz vor extremer Umweltzerstörung gemeint, jedoch kein Anspruch auf eine gesunde Umwelt im Sinne der Sozialepidemiologie. Während der letzten umfassenden „Renovierung“ des Grundgesetzes in Deutschland, in der Gemeinsamen Verfassungskommission, wurden tatsächlich von der Opposition Vorschläge zur weitergehenden Kodifizierung von Staatszielen wie einem Recht auf Arbeit, auf angemessenen Wohnraum, auf soziale Sicherheit und einem Recht auf Bildung in die Diskussion eingebracht – allesamt Rechte also, die als Ressourcen-Garantien verstanden werden können. Daneben wurden auch Forderungen zur weitergehenden Demokratisierung, wie Bürgerbeteiligungen, Plebiszite, Ausbau des Minderheitenschutzes sowie weitere Forderungen zur Demokratisierung der Wirtschaft und zum Datenschutz eingebracht (Fischer 1995: 66–75). Auch das Staatsziel Soziale Marktwirtschaft wurde gefordert (kritisch dazu: Folz 1994). Allerdings wurden diese Forderungen, insbesondere die Ressourcen-Garantien, von den Regierungsparteien als „Verfassungslyrik“ (Fischer 1995: 74) abgeschmettert,142 „nicht zuletzt mit dem Hinweis auf die alte DDR, in deren Verfassung es solche Staatsziele gegeben habe, die aber das Leben der Menschen nicht verbessert hätten“ (ebd. 72).143 Ein Abgeordneter äußerte die Bedenken, „dass die Politik an der Verdrossenheit der Bürger mitwirke, wenn Staatsziele in das Grundgesetz aufgenommen werden würden, die nicht erfüllt werden könnten“.144 Dass der Umweltschutz, auf den dieses Argument eigentlich im Besonderen zutrifft, dennoch den Weg in das Grundgesetz geschafft hatte, hing damit zusammen, dass er bereits eine zehnjährige Diskus-
141 Schubert / Klein 2006: 291. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern stellt diesbezüglich eine Ausnahme dar, da sie Teil der grundrechtlichen Artikel 1–20 GG ist. 142 Ähnliche Argumente berichtet Böhnisch 1982: 102 für einen früheren Zeitpunkt. 143 Tatsächlich haben einige der Länderverfassungen der östlichen Bundesländer, insbesondere Brandenburg, ähnliche Formulierungen beibehalten. Siehe Fischer 1995: 74 144 Originalzitat des CSU-Abgeordneten Reinartz: Gemeinsame Verfassungskommission, Stenographischer Bericht der 6. Sitzung vom 14.5.1992, S. 34f., zit. n. Fischer 1995: 73
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
sion hinter sich hatte und, so vermutet Peter Fischer, sein Scheitern die gesamte Verfassungskommission diskreditiert hätte.145 Aus den Staatszielen im engeren Sinne kann also nur die Sicherung eines Existenzminimums abgeleitet werden; es ergeben sich jedoch keine Rechte auf Ressourcen-Garantien, auf die Förderung der Fähigkeiten bzw. Funktionen im Sinne von Sen, auf Strukturen, die ein gesundes und langes Leben zulassen, auf eine Reduzierung der Ressourcen-Ungleichheit oder auf eine gesunde Umwelt im Sinne der Sozialepidemiologie. Vergleichsweise gut sind wirtschaftliche Ziele kodifiziert, die nur indirekt, also transformiert, den Menschen zu Gute kommen können. Dies gilt insbesondere deshalb, weil das Staatziel gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht 1967 durch das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ auf die als magisches Viereck bekannten Ziele – Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum – heruntergebrochen und spezifiziert wurden.146 Wird der Begriff des Staatsziels weiter gefasst, kann auch die Verwirklichung individueller Grundrechte als Staatsziel betrachtet werden (vgl. Sachs 2003: 14), nämlich in dem Sinne, als der Staat es sich zum Ziel macht, diese Rechte „seiner“ Bürgerinnen und Bürger zu garantieren. In Frage kommen dabei die Würde des Menschen (GG Art. 1 I), die freie Entfaltung der Persönlichkeit (GG Art. 2, I) und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (GG Art. 2 II 1). Die Würde des Menschen umfasst neben der Gewährleistung elementarer Rechtsgleichheit, der Wahrung der personalen Identität und der Sicherung menschengerechter Lebensgrundlagen auch die Achtung und den Schutz der körperlichen Integrität, die sich allerdings nur auf Folter und bioethische Themen bezieht (Sachs 2003: 87). Die Sicherung der menschengerechten Lebensgrundlagen garantiert ein materielles Existenzminimum – jedoch keinen weitergehenden Schutz vor gesundheitsbeeinträchtigenden und lebensverkürzenden Lebensumständen.147 Auch eine Verletzung des ökologischen Existenzminimums, das die Sicherung der menschengerechten Lebensgrundlagen ebenfalls beinhaltet, wird nur bei groben Beeinträchtigungen der Lebensbedingungen angenommen.148 Die freie Entfaltung der Persönlichkeit stellt in erster Linie einen Schutz gegen Eingriffe des Staates dar und begründet keine Leistungsansprüche (Um145
„Die Verhandlungen über die Einfügung dieses Staatsziels in die Verfassung gingen jedoch weiter, da sich die Parteivertreter wohl im Klaren darüber waren, welches Bild sie in der Öffentlichkeit hinterließen, wenn sich seit Jahren alle Parteien für die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz aussprachen, aber dieses Ziel wieder einmal nicht erreicht wurde.“ Fischer 1995: 77 146 Siehe auch die „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ des Art. 91a I GG 147 Vgl. Sachs 2003: 90 und Umbach / Clemens 2002: 113 148 „Art 1 I GG ist insoweit erst dann beeinträchtigt, wenn die Existenz einer für das menschliche Leben in Deutschland unentbehrliche Lebengrundlage gefährdet ist.“ Sachs 2003: 90
3.1 Lebensqualität als Ziel staatlichen Handelns
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bach / Clemens 2002: 196f., Jung 1982: 249). Das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann – wie schon oben angedeutet – nicht im Sinne eines Grundrechtes auf Gesundheit verstanden werden. Umbach und Clemens stellen fest, dass ein Grundrecht, das sich beispielsweise an der Gesundheitsdefinition der WHO orientieren würde „weit über das durch Art. 2 II 1 Alt. 2 Garantierte hinausgehen“ würde, und dass ein derartiges Recht nicht einlösbar wäre (Sachs 2003: 155, Umbach / Clemens 2002: 227). Das Recht auf körperliche Unversehrtheit stellt eher ein Grundrecht auf medizinische Mindestversorgung dar (Umbach / Clemens 2002: 331). „Für Immissionen aller Art dürfte eine gewisse Erheblichkeitsschwelle gelten, die sachgerecht erscheint, um den Schutztatbestand nicht der Ausuferung preiszugeben“ (ebd. 228). Psychische Beeinträchtigungen gelten dabei nur insoweit als erheblich, als sie sich in körperlichen Erkrankungen manifestieren. Auch die sogenannte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse (GG Art. 72 II und GG Art. 106 III S. 4) hilft hier nicht weiter. Das Erfordernis der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse (GG Art. 106 III) stellt nur die Beschreibung eines Zieles für die Bestimmung des Verteilungsschlüssels eingenommener Steuern auf Bund und Bundesländer dar. In der Neufassung des GG Art. 72 II wurde die Formel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse abgeschwächt und durch die Formel der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ersetzt. Sie stellt allerdings nur eine Bedingung für Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes dar (GG Art. 72 II) und bezieht sich darüber hinaus auf regionale Unterschiede der Lebensverhältnisse, nicht auf die Unterschiede der Lebensverhältnisse verschiedener Menschen innerhalb einer Region (Stettner 1998: 1355). Zusammenfassend können wir also feststellen, dass weder Lebensqualität oder Gesundheit, noch gesundheitliche Gleichheit oder ausreichende Ressourcen den Status von Staatszielen oder individuellen Grundrechten haben – auch wenn manche Grundgesetzartikel eventuell Auslegungen zu weitergehenden Ansprüche nach höherer Lebensqualität, nach größerem Gesundheitsschutz und geringer gesundheitlicher Ungleichheit möglich erscheinen lassen. Die gängige Auslegung sieht in den meisten Fällen nur einen Mindestschutz als geboten an und negiert damit insbesondere das Problem des sozialen Gradienten der gesundheitlichen Ungleichheit. Das Problem sozialer gesundheitlicher Ungleichheit scheint zu vage zu sein, um daraus eine Verpflichtung des Staates zum Eingreifen abzuleiten. Dies mag unter anderem damit zusammen hängen, dass sich das Recht im Allgemeinen schwertut, sowohl mit der Durchsetzung von Ansprüchen des Gemeinwohls (Klagemöglichkeiten ergeben sich ja gewöhnlich nur aus individuellen Ansprüchen oder Rechtsverletzungen), als auch mit rechtlichen Konstruktionen von Ansprüchen aus statistisch nachweisbaren, aber kausal diffusen Ursachen. Zusätzlich sind Staatsziele überhaupt nicht direkt einklagbar, was ein Hin-
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
weis darauf ist, dass gemäß der Verfassung die Ziele des Staates und die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger auseinanderfallen.149 Einerseits scheint der Staat Ziele zu verfolgen, die gegenüber den Bürgern nicht garantiert werden sollen oder müssen, andererseits stellen die Grundrechte der Bürger und die Garantie deren Gewährung kein Staatsziel dar.150 Auch die Formeln der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse und der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse begründen keine Ansprüche nach größerer (gesundheitlicher) Gleichheit. Sie stellen dem Staat Lenkungsmechanismen zur Verfügung, um mit Hilfe der Rechtsetzung und der Umverteilung staatlicher Mittel die regionalen (wirtschaftlichen) Lebensverhältnisse zu steuern; in keinem Falle decken sie Forderungen nach gleichen individuellen Lebensverhältnissen im Sinne der Anpassung von Lebenslagen, nach zur Verfügung gestellten Ressourcen oder der Entwicklung gleicher individueller Fähigkeiten ab. Dass Lebensqualität, Gesundheit und ausreichende Ressourcen damit weder Staatsziel noch individuelle Grundrechte sind, passt kaum zu der im ersten Kapitel erarbeiteten Perspektive der Lebensqualität – unabhängig davon, ob man davon ausgeht, dass Lebensqualität und wirtschaftliches Gedeihen in einem Komplementärverhältnis oder einem Konkurrenzverhältnis stehen. Tatsächlich ist die öffentliche Diskussion stark auf weiteres Wirtschaftswachstum und eine Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens ausgerichtet, obwohl dies in Ländern mit hohem Pro-Kopf-Einkommen keine oder nur eine geringe Verlängerung der Lebenserwartung mit sich bringt. Lebensqualität, Gesundheit und Ressourcen sind also in keinem Falle das Ergebnis einer Politik, die diese Kategorien als (oberste) Ziele definiert und das politische Handeln darauf ausrichtet, sondern eher eine Nebenfolge staatlichen Handelns, das größtenteils auf andere Ziele hin orientiert ist. Um die Rolle und die Ambivalenz des durch das Sozialstaatsprinzip geschützten Sozialstaates zu klären, blicken wir hier auf seine Entstehung und auf seine Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg zurück.
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Eine aufschlussreiche Diskussion dazu liefert Bull 1973. Natürlich unterscheiden sich die Verfassungen verschiedener Staaten (und auch Bundesländer) sowohl in Hinblick auf die Repräsentation lebensqualitätsbezogener Themen wie auch in Hinblick auf das Auseinanderfallen der Ziele der Bürger und der Staaten. Verfassungsvergleiche könnten eine aufschlussreiche Methode im Vergleich von Wohlfahrtsregimen (s. u.) sein.
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3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik
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3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik Wirtschaftliches Wachstum und steigender Wohlstand haben seit dem Zweiten Weltkrieg den Lebensstandard unserer Bürger wesentlich verbessert. Mehr Produktion bedeutet aber noch nicht automatisch mehr Freiheit für den einzelnen. Lebensqualität ist mehr als Lebensstandard. Sie ist Bereicherung unseres Lebens über Einkommen und Konsum hinaus. Sie setzt ein neues Verständnis vom Allgemeininteresse voraus. Sie hängt immer mehr davon ab, wie viel gute Nachbarschaft es bei uns gibt und was die Gemeinschaftseinrichtungen zu leisten vermögen. Weder die einzelnen noch die Gemeinschaft können auf die Dauer auf Kosten der Natur leben. Sonst wird die Entwicklung unserer Umwelt inhuman […]. Lärm, Luft- und Wasserverschmutzung und Störungen des Naturhaushaltes stellen in der Tat die Vorteile des wirtschaftlichen Wachstums in Frage. Doch ich warne zugleich vor dem gedanklichen Kurzschluss, den Ausweg etwa in einer generellen Einschränkung des Wachstums und der Produktivität zu sehen. Es geht vielmehr um die Frage des Wo, Wie und Wofür des wirtschaftlichen Wachstums – und um die Einsicht, dass Wachstum und ökonomisches Prinzip im Dienste des Menschen stehen müssen. […] Umweltschutz, Raumordnung, Stadtentwicklung, Verkehrsausbau und damit die Verbesserung der Lebens-, Arbeits-, Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten müssen in engem Zusammenhang gesehen werden. (Regierungserklärung des Bundeskanzlers Willy Brand vom 18. Januar 1973, zit. n. Beyme 1979: 296f.)
3.2.1 Historischer Rückblick: Das Werden des Sozialstaats Die Etablierung des deutschen Sozialstaates vollzog sich während des 19. Jahrhunderts. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts wurden die ersten Arbeiterschutzgesetze, wie das Verbot der Kinderarbeit und die Einschränkung der Arbeit Jugendlicher, auf den Weg gebracht (vgl. Lampert /Althammer 2001: 66, Böhnisch / Arnold / Schröer 1999: 29). Die Einführung des allgemeinen, direkten und gemeinen Wahlrechts verstärkte die sozialpolitische Dynamik innerhalb der entstehenden und zusammenwachsenden Nation (Lampert /Althammer 2001: 67, Wagner / Zimmermann 2003: 252). So wurde 1883 die Krankenversicherung eingeführt, 1884 die Unfallversicherung und 1889 die Invaliditäts- und Altersversicherung. Wie sehr dabei die Sozialpolitik als Mittel gesehen wurde, das der „sozialen Befriedung“ (Böhnisch / Arnold / Schröer 1999: 30; Lampert / Althammer 200: 69) der Gesellschaft dienen und insbesondere die erstarkte Arbeiterbewegung beruhigen sollte, zeigen Lampert und Althammer anhand verschiedener Quellen auf: Die Sozialversicherungsgesetzgebung war in der „Kaiserlichen Botschaft“ von Kaiser Wilhelm I. vom 17. Nov. 1881 angekündigt worden. Sie ging aus von der Überzeugung, „dass die Hei-
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität lung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde“. Den inneren Zusammenhang zwischen der Sozialversicherungsgesetzgebung und dem Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie aus dem Jahre 1878 bestätigt nicht nur die Kaiserliche Botschaft von 1881, sondern auch die Reichstagsrede Bismarcks vom 15. März 1884: „Bei Einbringung des Sozialistengesetzes hat die Regierung Versprechungen gegeben dahin, dass als Korollär dieses Sozialistengesetzes ernsthafte Bemühungen für eine Besserung des Schicksals der Arbeiter Hand in Hand mit demselben gehen sollte. Das ist meines Erachtens das Komplement für das Sozialistengesetz“ (zit. nach Lampert / Althammer 2001: 67).
Bismarck bezeichnete seine sozialpolitische Doppelstrategie des Verbotes der sozialdemokratischen Parteien und der Sozialpolitik als „Zuckerbrot und Peitsche“ (Schmidt 2005: 28). Die sozialpolitischen Zugeständnisse sollten die Arbeiter von der Sozialdemokratie trennen und über die Gewährung von Sozialleistungen an den kaiserlichen Staat binden. Bei dieser Interpretation des Konflikts, der zur Entstehung der Sozialpolitik in Deutschland führte, steht das Eigeninteresse des Staates im Vordergrund. Er bearbeitete nicht nur die durch die Industrialisierung entstehenden Probleme, sondern nutzte diese Situation um gleichzeitig eigene politische Interessen zu befördern. Einen etwas anderen Schwerpunkt wählt Eduard Heimann (1980 [1929]) in seiner Beschreibung in seiner sozialen Theorie des Kapitalismus: Sozialpolitik ist eine Summe von Maßregeln zum Schutz und zur Förderung des arbeitenden Menschen, den die Güterordnung als eine Sache unter Sachen behandelt. Kapitalismus ist aber – hinter und unter jedem bloß rationalen Zwecksinn – Kapitalherrschaft und enthüllt sich als solche besonders in der rational so störenden Monopolgipfelung; Sozialpolitik ist Abbau der Herrschaft zugunsten der Beherrschten. Sozialpolitik ist also der Einbau des Gegenprinzips in den Bau der Kapitalherrschaft und Sachgüterordnung; es ist die Verwirklichung der sozialen Idee im Kapitalismus gegen den Kapitalismus. In der Doppelstellung der Sozialpolitik als Fremdkörper und zugleich als Bestandteil im kapitalistischen System liegt ihre eigentümliche Bedeutung (Heimann 1980 [1929]: 167f.).
Einerseits war der Kapitalismus darauf angewiesen, dass soziale Probleme bearbeitet wurden, und zwar nicht nur um sein eigenes Überleben zu sichern, sondern auch im Interesse der Wachstums- und Profitsteigerung (z. B. Böhnisch / Arnold / Schröer 1999: 48), denn die Betriebe waren zunehmend abhängig von immer besser ausgebildeten Arbeitern, die mit den Anforderungen in den Fabriken zurecht kamen, was Heimann am Beispiel des Arbeitsschutzes aufzeigt. Andererseits führte die Sozialpolitik nach und nach zu einer Berücksichtigung der Belange der Arbeiter und zu ihrer Ermächtigung, was die Voraussetzung dafür schuf, dass diese sich an die veränderten Produktionsbedingungen anpassen
3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik
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konnten. Durch die Arbeiterbewegung und die Arbeiterbildung veränderten sie die Unternehmen selbst. In der Vergesellschaftung der sozialen Idee im entwickelten Kapitalismus wurden erst die materiellen Voraussetzungen für eine technisch-ökonomisch moderne und nach Demokratisierung drängende Industriegesellschaft geschaffen. Die Sozialpolitik ist zugleich Resultante und Antrieb dieses dialektischen Zusammenspiels. Sozialpolitik ist somit nicht nur eine institutionelle Form […] sondern Strukturprinzip der industriekapitalistischen Moderne (Böhnisch / Arnold / Schröer 1999: 48f.).
Hier wird Sozialpolitik stärker als Ergebnis des Konflikts zwischen „Kapital und Arbeit“ verstanden. Symbolkraft für die vermittelnde Tätigkeit des Staates hat übrigens die Tatsache, dass die Arbeitgeber von Anfang an an der Finanzierung der Sozialversicherung beteiligt wurden (vgl. Lampert / Althammer 2001: 67, Schmidt 2005: 24). Neben diesem primären Machtkampf der beiden Parteien steht allerdings der subtilere Effekt, dass die von den Arbeitern erkämpften Errungenschaften wiederum der kapitalistischen Dynamik zu Gute kommen. Dieses zentrale Argument Heimanns erinnert an Amartya Sens Betonung der Sozialpolitik als Grundlage wirtschaftlicher Entwicklung. Allerdings unterschätzt Heimann, wie schon Marx (Böhnisch / Arnold / Schröer 1999: 32, 50), die Bedeutung des Staates in diesem Konflikt und weist ihm eine reaktive Rolle zu. Die Entstehung des Sozialstaates kann man, durch eine Verbindung der zwei angeführten Ansätze, als Vorgänge innerhalb des „sozialkapitalistischen Dreiecks“ Arbeit – Kapital – Staat interpretieren, da Staatsgründung und die „Arbeiterfrage“ mehrfach miteinander verbunden waren: Bismarck nutzte den schwelenden Konflikt für die Integration des 1871 gegründeten territorial, konfessionell und sozial gespaltenen Nationalstaates und die Etablierung des nationalstaatlichen Herrschaftsanspruchs (ebd. 44, 51, Wagner / Zimmermann 2003). Sozialpolitik war dabei primär konservative „Staatspolitik“ (Schmidt 2005: 29), die die Exekutive stärken und gesellschaftliche Interessen inkorporieren sollte, „mit dem Hintergedanken, hierdurch Parlament und Parteien zu schwächen“ (Schmidt 2005: 29). So entwickelte sich in Deutschland ein Nationalstaat mit einem Typ staatlicher Sozialpolitik, der einerseits in dem autoritär-patriarchalen Bild des ‚Vater Staat’ […] die Gesellschaft maßgeblich mitstrukturierte. Seine Grundpfeiler Bürokratie und Rechtswesen, die zu allen Zeiten der deutschen nationalen Entwicklung der letzten hundert Jahre auch den Nationalstaat getragen haben und in der deutschen Nationalideologie als „unpolitisch“ galten, waren gleichsam Preußens ‚Mitgift’ für die deutsche Nation (Böhnisch / Arnold / Schröer 1999: 45).
Die Dominanz des Staates fiel „mit der in der sozialkapitalistischen Dialektik freigesetzten Notwendigkeit gesellschaftlicher Regulation zusammen“ (Böhnisch / Arnold / Schröer 1999: 51), wobei der Staat eine vermittelnde Rolle zwischen
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
Arbeitern und Unternehmen einnahm. Das Ergebnis war ein kapitalistischer und paternalistischer Interventionsstaat „besonderer nationaler Prägung“ (Böhnisch 1982: 55; s. a. Böhnisch / Arnold / Schröer 1999: 51, Wagner / Zimmermann 2003). Die Tatsache, dass die Unternehmen in die Finanzierung der Sozialversicherungen einbezogen wurden, sorgte gleichzeitig für deren Begrenzung, denn Bismarck wollte keine zusätzlichen Belastungen für die Unternehmer. Nach 1880 witterte er die Gefahr der Beeinträchtigung der deutschen Wirtschaft gegenüber der internationalen Konkurrenz und stellte sich gegen den weiteren Ausbau der Sozialpolitik (vgl. Lampert / Althammer 2001: 70). Das Kostenargument hatte bereits zuvor zur Grundsteinlegung eines Merkmals geführt, das auch heute noch den deutschen Sozialversicherungsstaat prägt: Um den Unternehmen keine zusätzlichen Kosten aufzubürden, setzte Bismarck auf eine Sicherung bei eingetretenen Schäden anstelle einer arbeits- und produktionsbezogenen Prävention (Schmidt 2005: 23f.). Das war ein erster Schritt zu einer nachsorgeorientierten anstelle einer präventionsorientierten Sozialpolitik, die gleichzeitig eine Sichtweise etablierte, Sozialpolitik in erster Linie „als Kostenfaktor“ versteht. Auch die anderen Staaten Europas waren durch die Umbrüche, welche die Industrialisierung mit sich brachte, herausgefordert. Die Umbrüche trafen allerdings auf sehr unterschiedliche Machtkonstellationen und fanden, auch weil die Staaten in unterschiedlicher Weise demokratisiert waren, je eigene Antworten auf die neuen sozialen Herausforderungen: Die Unterschiede in der Entwicklung der europäischen Nationalstaaten bestehen „in der ganz verschiedenartigen Legitimation des Herrschaftsanspruchs, hier durch das Prinzip der Volkssouveränität und dort durch das monarchische Prinzip, sowie in der sehr unterschiedlichen sozialen Basis beider Systeme. Sie gründete in Frankreich auf den tief einschneidenden wirtschaftlich-gesellschaftlichen wie auch politischen Veränderungen seit der Revolution von 1789, während sie beispielsweise in Preußen noch starke Stützpfeiler in den vorrevolutionären Verhältnissen hatte. Selbst wenn man sich dieser Unterschiede bewusst bleibt, ist jedoch nicht zu übersehen, dass sich nach 1850 in weiten Teilen Europas eine Zwischenform zwischen den überlieferten Systemen des alle politische Macht monopolisierenden monarchisch-bürokratischen Anstaltsstaates und dem System parlamentarisch-demokratisch legitimierter und gesteuerter Herrschaft etablierte, wie es in Orientierung an England […] die liberal-konstitutionelle Bewegung auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Diese Zwischenform […] verband das Prinzip autoritärer, auf den Vorrang der Exekutive gegründeter Herrschaft mit Formen parlamentarischer und demokratischer Willensbildung und sucht über die Vorstellung des Konsenses und eines permanenten Interessenausgleichs zu erreichen und zu vermitteln (Gall 1989: 13).151
Dieser kurze Rückblick auf die Entstehung des Sozialstaates zeigt auf, welche geringe Bedeutung die Probleme und – so könnte man heute anfügen – die Bedürfnisse, die Ressourcen und die Gesundheit der Arbeiter in diesem Prozess 151
S. a. Böhnisch / Arnold / Schröer 1999: S. 43
3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik
137
hatten (vgl. Schmidt 2005: 27), und in welchem Ausmaß stattdessen diese Prozesse von der politischen Machtkonstellation jener Zeit abhängig waren. Dass die Sozialpolitik sich nur wenig an den tatsächlichen Problemlagen orientierte, geht auch aus ihrem Umfang hervor. Sozialpolitik galt nämlich Kritikern einfach als „notdürftiger, symbolhafter Ersatz für das dem Unternehmertum meist so hochwillkommene staatliche Nichtstun auf dem Gebiet des positiven Arbeitsschutzes wie des regulierenden Eingreifens in die Arbeitsverfassung“ (Rosenberg 1976: 213; s. a. Schmidt 2005: 33). Rosenberg hält die Erhöhung der Kaufkraft sogar für die eigentliche Sozialreform der 1880er: Die Kaufkraft des Durchschnittlohns nahm stark zu, was vielen wichtiger erschien als die bescheidenen Leistungen der neuen Sozialversicherungen (Rosenberg 1976: 217f.).152 Diese Haltung, dass soziale Probleme am besten durch Wirtschaftspolitik und Wirtschaftswachstum zu beseitigen sind, wurde bald nach dem zweiten Weltkrieg „offizielle Ideologie“. Während es direkt nach dem Krieg eine kurze marktkritische Periode gegeben hatte, da man die Industriellen als Mit-Initiatoren des dritten Reiches gesehen hatte, verkündete Adenauer bereits 1949 in seiner ersten Regierungserklärung am 20. September: „Die beste Sozialpolitik [ist] eine gesunde Wirtschaftspolitik“ (siehe Beyme 1979: 64). Der Wiederaufbau unserer Wirtschaft ist die vornehmste, ja einzige Grundlage für jede Sozialpolitik und für die Eingliederung der Vertriebenen. Nur eine blühende Wirtschaft kann die Belastungen aus dem Lastenausgleich auf die Dauer tragen. Nur sie kann auf die Dauer das Steueraufkommen bringen, das die Haushalte des Bundes, der Länder und der Gemeinden, die immer aus der Gesamtschau heraus betrachtet werden müssen, zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen (Konrad Adenauer zit. n. Beyme 1979: 62).
Diese Politik wurde von Erhard weitergeführt, der „immer breitere Schichten unseres Volkes zum Wohlstand führen“ wollte und dabei „auch an die endgültige Überwindung des Klassenkampfes“ dachte (zit. nach Haller 2006: 207). Die Rhetorik, gemäß der mit Wirtschaftswachstum soziale Probleme beseitigt werden können, wurde sowohl durch den Ansatz von Ford und Keynes gestützt, die beide eine Versöhnung der Klassengegensätze im Auge hatten. Ford sah die Auflösung des „Widerspruchs von Arbeit und Kapital“, die ja bei Heimann die zentrale Rolle spielte, dadurch gegeben, dass die Arbeiter in ihrer Konsumenten-Rolle von Rationalisierung und Wirtschaftswachstum genauso profitierten wie die Unternehmen:
152
S. a. Schmidt 2005: 34. Zur Sozialpolitik während der Weimarer Republik siehe z. B.: Schmidt 2005: 49 oder Reidegeld 2006
138
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität Der Arbeiter ist mehr Käufer als Verkäufer. Der Punkt, von dem aus man das Rad ins Rollen bringen muss, ist der Kauf. Macht es dem einfachen Volke leicht, sich Dinge zu kaufen. Das schafft Arbeit. Das schafft Löhne. Das schafft Überschuss für Ausdehnung und größere Dienstleistung (Ford 1926: 21).
Zugleich betont Ford allerdings, dass (Rationalierungs-)Profite nur teilweise den Arbeitern zugute kommen sollten: Profite gehören in erster Linie ins Geschäft, und die Arbeiter sind nur ein Teil des Unternehmens. Würden sämtliche Profite an den Arbeiter abgeführt, dann wären Verbesserungen […] unmöglich. Die Preise müssten anziehen, der Absatz würde nachlassen, und das Geschäft würde allmählich zu Grunde gehen. Die Profite müssen vielmehr zur Herabsetzung der Gestehungskosten verwandt werden, und der Vorteil der verminderten Kosten muss in beträchtlichem Maße dem Konsumenten zugute kommen. In der Auswirkung ist dies das Gleiche wie eine Steigerung der Löhne (Ford 1926: 11).
Böhnisch, Arnold und Schröer (1999) sehen vier zentrale Schlüsselideen in Fords „eher pragmatisch und rezepturhaft aufgebaute[m] Gedankengebäude“: – „die Idee der Transformation der Arbeiteridentität in eine Konsumentenidentität. – die Entdämonisierung des Kapitalismus durch die Trennung von ‚gutem’, gesellschaftsverantwortlichem Unternehmerkapital und ‚schlechtem’, profitzentriertem und internationalistischem Finanzkapital“ (Böhnisch / Arnold / Schröer 1999: 52). In Fords Weltbild stellt der industrielle Arbeitgeber gar keinen „Kapitalisten“ dar, sondern er ist selbst einer, der unter den (Finanz-)Kapitalisten leidet. „Der arme, zwischen der feindlich gesinnten Arbeiterschaft und dem raffgierigen Kapital stehende Industrielle hatte es schwer, überhaupt zu produzieren. Von oben wegen Zinsen und Dividenden gepresst, von unten gedrängt, mehr Geld für geringere Arbeit zu bewilligen, war seine Möglichkeit, Dienste zu leisten, gering“ (Ford 1926: 31). Seine Spitzen gegen das „internationale Finanzkapital“ waren dabei von antisemitischen Untertönen getragen (Böhnisch / Schröer 2002: 30). – „der Versuch der Exklusion der Gewerkschaften aus dem fordistischen Produktions- und Konsumtionsprozess mit der Begründung, dass sie nicht nur dessen ökonomische Rationalität, sondern vor allem auch seine wohlfahrtsstaatliche Effizienz gefährdeten und daher dem Arbeiter schadeten. – die ethisch-moralische Absicherung des Konsumkapitalismus, die als rigide puritanische Sittenlehre in seiner Praxis der ‚Arbeitererziehung’ und der Gestaltung des Arbeiteralltags […] Anwendung fand. Sie wurde in der zeitgenössischen Rezeption als geistige Erneuerung eines bis dato moralisch korrumpierten Profitkapitalismus gefeiert“ (ebd. 52f.).
Wie schon Adam Smith vor ihm (siehe Böhnisch / Arnold / Schröer 1999: 31) setzte Ford darauf, dass Wirtschaftswachstum alleine Armut beseitigt könnte und schloss daraus, dass mit der Erhöhung der Arbeitseinkommen alle Probleme – staatsfrei und ohne Sozialpolitik – beseitigt werden können. Nach unzähligen weiteren Jahren des Wachstums zeigt sich nun aber – zu diesem Schluss kamen ja auch Sens und Wilkinsons –, dass der Verteilung von Einkommen und – allgemeiner gesprochen – von Ressourcen sowie die Organisation von öffentlichen
3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik
139
Institutionen eine erhebliche Rolle in der Umsetzung von (steigendem) Bruttosozialprodukt in Lebensqualität zukommt. Neben dieser Position Fords stellt der Keynesianismus eine – besser fundierte und weniger polemische – Hintergrundtheorie der Politik der Nachkriegszeit dar, die implizit ebenfalls den Versöhnungsgedanken enthält, allerdings den Staat wieder ins Spiel bringt. Zentraler Gedanke von Keynes’ Analyse der Weltwirtschaftskrise von 1929 war die Bedeutung der Nachfrage für die Konjunktur. Geringe Absatzerwartungen der Unternehmer können dazu führen, dass trotz rückläufiger Lohn- und Zinskosten die Produktion zurück geht und sich eine Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit entwickelt (Pribram 1998: 933f). Dadurch entsteht „das Paradox der Armut, mitten im Überfluss“, so Keynes (1936; zit. n. Herz 2000: 82). Er zeigte zwei Mechanismen auf, um die Nachfrage in einer solchen Situation wieder zu stärken. Einerseits plädierte er für eine Umverteilung der Einkommen durch eine progressive Einkommensteuer, da Einkommensschwache weniger sparen und einen größeren Anteil ihres Einkommens konsumieren als Reiche, was die Nachfrage stärke (Pribram 1998: 938, 941). Des Weiteren schlug er vor, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch staatliche Investitionen wieder in Schwung zu bringen. Insbesondere der zweite Vorschlag prägte die Nachkriegszeit und beflügelte die Steuerungsphantasien (vgl. Boeckh / Huster / Benz 2006: 105). „Wir sind alle Keynesianer“, verkündete US-Präsident Richard Nixon im Jahr 1971. Der Keynesianismus ist nicht nur als volkswirtschaftliche Theorie lesbar, sondern stellt gleichzeitig eine neue Variante der staatlichen Vermittlung, beziehungsweise Versöhnung der Interessen von Unternehmen und Arbeitnehmern da, die es den Gewerkschaften ermöglichte aufzuzeigen, dass Lohnerhöhungen auch den Unternehmen nutzen. Mag diese Rhetorik, welche die Sozialpolitik ganz im Schatten der Wirtschaftspolitik sah, auch Vorläufer späterer anti-sozialpolitischer oder neo-liberaler Argumentationen gewesen sein, so wurde dennoch der Sozialstaat in Deutschland in den Nachkriegsjahren bis 1956 rekonstruiert und ausgebaut. Dabei wurden – wie schon in der Zeit vor dem Dritten Reich (Preller 1949) – immer größere Teile der Bevölkerung in das Sozialversicherungssystem einbezogen und dessen Leistungen ausgeweitet (Schmidt 2005: 78, Lessenich 2000: 51). Am Ende der ersten sozial-liberalen Legislaturperiode (1969–1972), die den Sozialstaat, insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Bildung, noch einmal expandieren ließ,153 stand der Wahlkampf, in dem die SPD mit Brandt als Kanzlerkandidat die Lebensqualität thematisierte. Der Sozialstaat, der nun kurz vor dem Höhepunkt seiner Ausweitung im Jahr 1975 stand, erfreute sich nahezu uneingeschränkter Akzeptanz (Schmidt 2005: 93f.). Wie bereits in Kapitel 2.1.1 153
Die Sozialleistungsquote stieg – je nach Berechungsweise – um 7 bis 8 Prozentpunkte (Schmidt 2005: 93; Alber 1989: 79).
140
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
gezeigt, war die Politik zunehmend von der Steuerungsfähigkeit der Gesellschaft ausgegangen; die neu entwickelten Sozialindikatoren hatten dabei die Aufgabe einer umfassenderen Zustandbeschreibung der Gesellschaft. Zeitgleich erschienen die ersten ökologischen Probleme am Horizont, die nach politischer Bearbeitung drängten (Weizsäcker 1994). „Der blaue Himmel über der Ruhr“ und die Umweltverschmutzung waren schon Thema der Wahlkämpfe ab 1961 gewesen, und im Oktober 1971 beschloss die Bundesregierung ein Umweltprogramm, das eine umfangreiche Umweltgesetzgebung auslöste.154 Auch die ökologischen Probleme – sie scheinen im Bruttosozialprodukt ja nicht auf – sollten durch die Beschreibung mit Hilfe von Sozialindikatoren handhabbar und steuerbar gemacht werden (siehe z. B. Hujer 1974). Angesichts dieser Konstellation erschien Lebensqualität als angemessenes analytisches Konzept, das einen Umschwung bedeutete, weg von einer auf die wirtschaftliche Leistung orientierten Sichtweise, die das Bruttosozialprodukt und den Lebensstandard in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung stellte, hin zu einer umfassenderen „gesellschaftspolitischen“ Betrachtungsweise (siehe Seite 19). Böhnisch (1982: 9) sieht hier sogar den Zeitpunkt für eine Neudefinition des Sinns von Sozialpolitik gekommen: Hieß es in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers von 1949 noch, dass „die beste Sozialpolitik eine gesunde Wirtschaftspolitik ist“ (zit. nach Beyme 1979: 64), so hieß es 1972 in einem »Entwurf eines ökonomisch-politischen Orientierungsrahmens für die Jahre 1973– 1985« der SPD genau umgekehrt (und das erinnert uns erneut an die Argumentation Amartya Sens): „Auf der einen Seite müssen die Mittel für sozialpolitische Aufgaben und Investitionen erwirtschaftet werden, auf der anderen Seite – und das ist bestimmendes Merkmal einer geplanten und produktiven Arbeits- und Sozialpolitik – wird Sozialpolitik zu einer immer wichtigeren Voraussetzung für die Wirtschaft“ (zit. n. Böhnisch 1982: 9, s. a. 17). Hier ist Sozialpolitik nicht mehr das Ergebnis, sondern die Voraussetzung der Wirtschaftspolitik. Dass Lebensqualität mehr sein sollte als die bisherige Sozialpolitik (Kaufmann 2003: 158f.), kann exemplarisch an der Einleitung der kleinen pädagogischen Schrift für den Lehrkörper Qualität des Lebens. Ziele und Konflikte sozialer Reformpolitik – didaktisch aufbereitet gezeigt werden, die 1973 veröffentlicht wurde: In der Nachkriegszeit waren die Bundesbürger vor allem damit beschäftigt, sich wieder eine sichere Basis zu schaffen. In sehr vielen Fällen diktierte die Not das Streben nach materiellem Mehr. Wer zu Wohlstand kam, galt etwas. Der Geltungskonsum schuf neue Statussymbole. Das Leistungsstreben wurde für viele zum Selbstzweck. […] Auf diesem Wege merkten einige früher, andere später, aber viele haben es noch immer nicht erkannt, dass materieller Wohlstand 154
S. a. Brandts Regierungserklärung von 1973: Beyme 1979: 297. Vgl. für die USA Bauer 1966: xv, Patterson 1996: 568f., Lave 1981
3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik
141
nicht identisch ist mit individuellem Wohlbefinden und gesellschaftlicher Wohlfahrt. […] Die Disproportionalität der Bedarfsdeckung durch ungerechte Einkommensverteilung und Vermögenskonzentration einerseits sowie durch privaten Wohlstand bei öffentlicher Armut andererseits hat die Ruhe des Wirtschaftsbürgers schon in den sechziger Jahren gestört. […] Mit Beginn der siebziger Jahre wurden die Zweifel am Sinn des materiellen Leistungsstrebens in den Industriegesellschaften stärker. […] Der Übergang von der unbegrenzten quantitativen Mehrproduktion zur überwiegend qualitativen Verbesserung unserer Güter und gleichzeitiger Verlängerung des Urlaubs sowie der Verbesserung der Gesundheitsvorsorge ist nur möglich, wenn die Effektivität wirtschaftlicher Tätigkeit steigt. Sie muss in einer Form erhöht werden, die den Arbeitsprozess zugleich humanisiert und demokratisiert. Niemand wird dabei auf Annehmlichkeiten und technische Neuerungen verzichten wollen, die dem Menschen das Leben erleichtern. Aber er sollte kritikfähiger gegenüber den Konsummätzchen werden, die nicht ihm, sondern den Herstellern nützen. Er sollte neue Maßstäbe für ein menschenwürdigeres Dasein entwickeln (Dörge 1972: 7f.; Hervorhebungen im Original).
In den Zitaten ist der Gegensatz der Interessen der Arbeitnehmer und der Unternehmen demokratisch gewendet. Bürger und Staat hängen beide am Tropf „der Wirtschaft“, die die Mittel für sozialpolitische Aufgaben und die Verlängerung des Urlaubs erwirtschaften muss. Sozialpolitik braucht nun nicht mehr die soziale Befriedung im Blick zu haben, stattdessen muss sie die Voraussetzungen für das Gedeihen der Unternehmen liefern, um das eigentliche Ziel, die Erhöhung der Lebensqualität der Bevölkerung, zu erreichen. Ein Problem aus Lehrersicht ist dabei, dass die Konsumenten auf die Hersteller „hereinfallen“, die „Konsummätzchen“ fördern – das ist die neue Schuld der Unternehmer nach der Ford’schen Konsum-Versöhnung – und damit der Befriedigung wichtiger Bedürfnisse eher im Wege stehen. Die mit der Idee der Lebensqualität verbundenen Hoffnungen auf eine Neubewertung der Bedeutung der Wirtschaft und des Wirtschaftswachstums und eine stärkere Ausrichtung an den Bedürfnissen der Menschen währte jedoch – zumindest im Mainstream der Politik – nur für kurze Zeit. Die Ölkrise 1973 führte zu einer weltweiten Rezession und geringerem Wirtschaftswachstum (Schmidt 2005: 76, 96), was wirtschaftliche Themen wieder in den Vordergrund rückte. Das gesellschaftspolitische Konzept Lebensqualität entpuppte sich als Eintagsfliege und die Sozialpolitik glitt wieder in ihr altes Fahrwasser: Ging man in der Wohlfahrtspolitik der 70er Jahre noch davon aus, dass die Sozialpolitik – vor allem durch die Qualifizierung des Faktors Arbeit …ein »Bestimmungsfaktor wirtschaftlichen Wachstums« (Funke 1978) werden kann, so hat die Stagnation der Wohlfahrtspolitik Ende der 70er Jahre das alte Gesicht der Sozialpolitik wieder hervorgekehrt: Kompensationspolitik für die Folgeprobleme und -kosten der kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung, allerdings auf einer historisch neuen Stufe. Die Komponenten der Sozialpolitik sind inzwischen modernisiert: die klassische Arbeitsschutzgesetzgebung ist um die Grundsätze zur »Humanisierung des Arbeitslebens« erweitert, die Sozialversicherung hat den Personenkreis der Versicherungs- und Anspruchsberechtigten erweitert und die Sozialleistungen an die Lohn- und Gehaltsentwick-
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität lung angepasst. In ihrem Kern werden aber die sozialpolitischen Maßnahmen doch immer wieder auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Adressaten zurückgeführt: sie sollen die Reproduktion der individuellen Arbeitskraft sichern, sie bei Schädigung oder Minderung wiederherstellen und ihre Mobilität fördern (Böhnisch 1982: 17).
Nachdem der Hype der Lebensqualität nachließ, wurden die damit zusammenhängenden Themen von der Ende der 70er Jahre gegründeten Partei Die Grünen aufgegriffen. Ihr Entstehen aus den neuen sozialen Bewegungen und Bürgerinitiativen ist eng mit politischen Themen verknüpft, die nach 1975 in den Augen ihrer Anhängerinnen und Anhängern von den etablierten Parteien vernachlässigt wurden. Grüne Politik sollte „sozial, ökologisch, basisdemokratisch und pazifistisch“ sein (Kelly 1983: 31). In ihrem Buch Um Hoffnung kämpfen. Gewaltfrei in eine grüne Zukunft diskutierte das Gründungsmitglied der Grünen, Petra Kelly (1983), auch das Verhältnis von „Wirtschaft“ und „Menschen“, das von der an die Macht strebenden Partei auf wieder andere Weise vermittelt werden sollte: „Irgendwo müssen wir alle praktisch und handfest klarstellen, dass erst der Mensch und danach die Wirtschaft kommt“ (Kelly 1983: 27). Und weiter: Anstelle der Steigerung der Warenmassen im Rahmen der erweiterten Produktion des Kapitals soll es nun die Steigerung der Lebensqualität im Einklang mit der Notwendigkeit zyklischer Erneuerung und der Erhaltung der Natur geben – das ist eine der entscheidenden Aufgaben im Bereich einer neuen politischen Kultur, die die Grünen anstreben (Kelly 1983: 25).
Aus heutiger Sicht fällt die für das Konzept Lebensqualität typische, und in der grünen Programmatik der Anfangsphase erkennbare Nähe und Gleichgerichtetheit der sozialen Frage und der ökologischen Frage auf, die beide als vom Kapitalismus produzierte, aber nicht (ausreichend) bearbeitete Probleme dargestellt werden. Diese Hauptsäulen, unter anderem die Gewaltfreiheit, die soziale und solidarische Komponenten, die Ökologie und die Basisdemokratie, sind Grundsäulen, die die grüne Partei niemals verlassen kann. Es sind Grundsäulen, die die grüne Partei auch niemals kompromittieren darf (Kelly 1983: 31). Wir, die Grünen, sind ein historischer Versuch, zugleich „Bewegung“ zu bleiben, aber auch Partei zu sein, die „Partei“ für diejenigen ergreift, die im herrschenden System vergessen oder unterdrückt werden. So verstehen wir uns unter anderem auch als Vertreter der Minderheiten, der Diskriminierten, der Kranken, der sozial schwachen, der Kinder, der kommenden Generationen, der Tiere und der Pflanzen (Kelly 1983: 179).
Die Nähe der sozialen und der ökologischen Frage ergab sich bei diesen Vertreterinnen und Vertretern der „Diskriminierten, der Kranken“, „der Tiere und der Pflanzen“ durch den „post-materialistischen“ Glauben, dass Wohlstand nicht länger durch die Erhöhung von Wirtschaftswachstum und Verbrauch materieller
3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik
143
Ressourcen erreicht werden kann, sondern dass diese materiellen Ressourcen einer Lebensqualität auch im Wege stehen können, die eher durch die Befriedigung bürgernaher Bedürfnisse erreicht werden könne. Damit stellten sich die Grünen, zumindest bis zum Antritt der rot-grünen Koalition im Jahr 1998, gegen den gesellschaftlichen Mainstream, dessen Diskurs sich während der permanent ansteigenden Arbeitslosigkeit wieder rematerialisierte. Früh schon verdrängten die Arbeitslosigkeit und die „neue soziale Frage“ (Geißler 1976) die „ökologische Frage“ – und das Wirtschaftswachstum rückte als universales Mittel der Problemlösung wieder ins Zentrum. In den Sozialwissenschaften wurden allerdings einige in dieser Zeit entstandenen Denkweisen und Themen weiterverfolgt und ausgearbeitet: So hat Claus Offe bereits 1969 die These der Disparität der Lebensbereiche (Bergmann / Brandt / Körber et al. 1969: 80f., Offe 2006 [1969], s. a. Borchert / Lessenich 2006: 17, Hradil 2001: 84) vertreten, die ebenfalls die Bedeutung des wirtschaftlichen Wachstums als Fortschrittsindikator relativierte. Offe ging davon aus, dass die Bedeutung des Einkommens als Indikator für die Beschreibung der Lebenschancen155 nachlässt, während die Bedeutung anderer Ressourcen zunimmt: Derjenige Anteil der konkreten Lebensumstände von Individuen, der auf dem Weg der individuellen Disposition über Einkommen zu verändern ist, vermindert sich jedenfalls für die breite Mittelgruppe […]. Deshalb ist auch der Zusammenhang von Einkommen und Lebenschancen gelockert. Jenseits der Sphäre individuellen Güterkonsums erstreckt sich ein Bereich von Lebensbedürfnissen, zu deren Befriedigung die Mittel nicht individuell kaufbar, sondern politisch und institutionell determiniert und verteilt sind. Das gilt etwa für die Bereiche der Erziehung und Bildung, der sozialen und physischen Sicherheit, der Gesundheit, des Verkehrs, des Wohnens, der Freizeitverwendung (Offe 2006 [1969]: 40).
Max Haller (2006: 194) sieht hierin eine Grundlage der später von Stefan Hradil bearbeiteten Konzepte der Lebenslage, der sozialen Lage und der sozialen Milieus (s. Hradil 1987, 2001). Die in dieser Zeit aufkommenden Untersuchungen zum Postmaterialismus und zum Wertewandel – in den USA wurde die Forschung insbesondere von Inglehart (1977) angestoßen, in Deutschland von Klages (Klages / Kmieciak 1979) – stehen ebenfalls mit einer Relativierung der Bedeutung des materiellen Wohlstandes in Zusammenhang. Hier wurde untersucht, inwieweit die Bevölkerung von traditionellen und materialistischen Werten Abstand nimmt und sich verstärkt Werten wie Selbstentfaltung, Selbstverwirklichung und Mitbestimmung zugewendet hatte (Hillman 2001).
155
Der Begriff kann als Vorläufer des Sen’schen Begriffs der Handlungsspielräume verstanden werden. Siehe auch Fn. 37
144
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
Auch die Theorie Ulrich Becks kann teilweise als Analyse von Verwerfungen verstanden werden, die sich seit den 70er Jahren abzeichnen. Sie impliziert wiederum eine Wohlstands-Kritik und thematisiert Verschiebungen im Kräfteverhältnis zwischen Staat, Bürgern und Wirtschaft. Hatte der materielle Wohlstand der Nachkriegszeit zu einem größeren Reichtum aller geführt, der die sozialen Unterschiede weniger sichtbar werden ließ – der Fahrstuhleffekt (Beck 1986: 122) –, so zeichnet sich „spätestens seit den 70ern“ die gesellschaftliche Konfiguration der Risikogesellschaft (Beck 1986) ab.156 In der Risikogesellschaft weisen nicht mehr nur die unterschiedlichen Lebenslagen auf die Disparität der Lebensbereiche hin (Offe 2006 [1969]), sondern auch die neu entstehenden und thematisierten Risikolagen, beziehungsweise die „sozialen Gefährdungslagen“ (Beck 1986: 30). Die Reichtumsproduktion, der ihre Legitimationsgrundlage, nämlich die Bekämpfung des evidenten Mangels, genommen wurde, birgt als Nebenfolge immer mehr Risikoproduktion in sich, die nicht nur „gesundheitliche Folgeprobleme für Natur und Mensch“ (ebd. 31), sondern auch weitreichende soziale, wirtschaftliche und politische Nebenfolgen zeitigen, so Beck (1986: 27– 31). Diese Risiken entziehen sich einer Beschreibung und Kontrolle durch Sozialindikatoren und der Steuerung, weil gar nicht genau gewusst wird, was uns bedroht, denn mit dem Wissen (auch über gesellschaftliche Zusammenhänge) wird das Nicht-Wissen immer wichtiger (vgl. Beck 1996). Risiken wie Umweltverschmutzung und Klimawandel lassen neue Sicherheits-Bedürfnisse entstehen. Als globale Risiken würden sie zunehmend nach einer „Gesellschaftspolitik“ einer anderen Dimension verlangen – nämlich nach einer „Welt-Gesellschaftspolitik“ beziehungsweise einer „Weltgesellschafts-Politik“ (vgl. dazu: Beck 2002, 2004, 2007), die auch die politischen Grundlagen von Sozialpolitik – am Übergang zwischen erster und zweiter Moderne (siehe z. B. Beck / Bonß / Lau 2001: 25) – verändern und in Frage stellen würden. Fassen wir zusammen: Am Anfang dieses Kapitels stand die Erkenntnis, dass Lebensqualität kein Ziel staatlicher Politik im Sinne des Grundgesetzes darstellt und anscheinend keine besondere Priorität in der deutschen Politik hat. In der Politik wird Lebensqualität wohl am ehesten – wenn auch nicht nur – im Bereich Sozialpolitik bearbeitet. Dabei hat der Blick auf die Geschichte gezeigt, dass Sozialpolitik nicht einfach Bedürfnisse und Wünsche der Gesellschaft in 156
Der Risiko-Aspekt wird in dieser Arbeit vernachlässigt. Eine Integration könnte eventuell dadurch geschehen, dass Sicherheit als individuelle Ressource gesehen wird (oder Risiko als Belastung), deren Vorhandensein – wie bei den anderen Ressourcen – davon abhängig ist, in welchem Ausmaß sie durch die Menschen selbst produziert werden kann, beziehungsweise durch staatliche Institutionen zur Verfügung gestellt wird. Konnten soziale Risiken noch so beschrieben werden und die Produktion von Sicherheit durch Einzelne selbst erbracht werden (als Fähigkeit im Sen’schen Sinne), so ist dies in der Risikogesellschaft aufgrund der Größe und Komplexität der Risiken nicht mehr möglich.
3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik
145
Gesetze fasst, sondern eher zu verstehen ist als eine Befriedungspolitik, mit der der Staat versucht, divergierende Interessen in der Gesellschaft auszubalancieren sowie eigene Interessen zu verfolgen. Sozialpolitik kann somit eher als das Ergebnis von Kämpfen widerstreitender Interessen von Bürgern, Staat und Unternehmen verstanden werden, wobei sich die Interessengruppen und -konstellationen, die Machtverhältnisse und die verhandelten Themen permanent ändern. Dass sich dabei auch die Sozialpolitik selbst, ihre Bedeutung und ihre Struktur verändert, kann das Phasenmodell der Sozialpolitik von Nullmeier / Rüb (1993: 18) verdeutlichen: Sie bezeichnen die frühe Phase der Sozialpolitik im 19. Jahrhundert, in der es um eine politische Integration der Arbeiterinnen und Arbeiter ging, als politisierten Sozialstaat. Durch Einbeziehung immer weiterer Bevölkerungsteile entwickelte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts daraus ein ständischer Sozialstaat, der auf den bürgerlichen Mittelstand hin ausgerichtet war (ebd.). Ab der Nachkriegzeit bis 1975 wurde der Sozialstaat ökonomisiert. In einer wachsenden Wirtschaft expandierten ständig die Zuständigkeiten und die Leistungen, weshalb Nullmeier und Rüb von einem wachstumsorientierten Sozialstaat sprechen (ebd.). Kurz vor dem Höhepunkt der Expansion des Sozialstaates verbreitete sich das Konzept Lebensqualität, das in die Richtung einer umfassenderen Sozialpolitik, einer Gesellschaftspolitik (Achinger 1971), wies, die ökologischer, humaner, demokratischer und ganzheitlicher sein sollte (vgl. Günter 1973). Der kurze Frühling der Lebensqualitätsdiskussion fand sein jähes Ende durch die Ölkrise, die die Angst um Wirtschaftswachstum und um Arbeitsplätze wieder in den Vordergrund schob. Der Sozialstaat geriet – so Nullmeier und Rüb – „nach 1974/1975 aufgrund eines schnell ansteigenden und in den 80er Jahren bei einem auf ca. zwei Millionen Personen in Deutschland verharrendem Niveau der Arbeitslosigkeit in eine finanzielle Dauerkrise“ (ebd. 18). Nullmeier und Rüb identifizieren für die Zeit nach 1975 einen Sozialsicherungsstaat, der sich, in einer permanenten Finanzierungskrise gefangen, nur noch um sich selbst dreht und sich nicht mehr adäquat auf veränderte Lagen und Sicherungs-Bedürfnisse einstellt. Wenn die Idee der Lebensqualität auch nur kurze Zeit in der Politik präsent war, so kann man dennoch nicht sagen, dass sie keine Wirkung hatte. Einerseits hatte die junge Partei der Grünen ab den 80er Jahren lebensqualitätsbezogene Themen in die Politik eingebracht, wobei einige davon wohl mit der Nähe zur Macht wieder aus dem Blick geraten sind, andere dagegen breite Akzeptanz und den politischen Mainstream erreichten. Andererseits sind in den Sozialwissenschaften Analysen entstanden, welche die lebensqualitäts-bezogenen Themen neu zu durchdenken erlauben und die auf die Politik zurückwirken (vgl. Leisering 2001: 1211). In dieser Linie steht auch Amartya Sen, der aus dieser Perspektive ein „später“ Lebensqualitäts-Theoretiker ist.
146
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
Wollte man die Diskussion um die Wohlfahrtsproduktion in den letzten 40 Jahren auf den Punkt bringen, so könnte man sie als Widerstreit von zwei Prinzipien beschreiben, die beide als Nebenfolgen der Weltraumtechnik Geschichte machten: Die Teflonpfanne könnte als Sinnbild für den Glauben an technischen Fortschritt, Wachstum, Effizienzsteigerung und privaten Reichtum fungieren157; die Sozialindikatoren, die zur Abschätzung der gesellschaftlichen Folgen der Weltraumforschung entwickelt wurden, und das damit verbundene Konzept der Lebensqualität (siehe S. 19) könnten als Sinnbild für die Idee stehen, Wohlfahrt kollektiv zu produzieren. Einen ähnlichen Widerspruch hat Lyndon B. Johnson in einer Rede vor der National Convention anlässlich seiner Nominierung am 27. August 1964 thematisiert, in der der Begriff Lebensqualität überhaupt zum ersten Mal in der Politik verwendete wurde (siehe auch S. 18): For the ultimate test of our civilization, the ultimate test of our faithfulness to our past, is not in our goods and is not in our guns. It is in the quality – the quality of our people's lives and in the men and women that we produce (Johnson 1965 [1964]: 1012).
Tatsächlich war es der Gegensatz zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut, der auch Galbraith dazu gebracht hatte, über die quality of life nachzudenken. Im folgenden Kapitel wird nun ein politiksoziologischer Ansatz eingeführt, der zu einer theoretischen Erklärung der politischen Prozesse beitragen kann, die das Ausmaß der Lebensqualitätsproduktion bestimmen. 3.2.2 Claus Offe: Das Kräftemessen in der Gesellschaft Claus Offe hat sich bereits ab den 70er Jahren mit der Frage beschäftigt, welchen Themen welche Wichtigkeit in politischen Prozessen zukommt. Dafür modellierte er die Beziehungen zwischen Staat, Bürgern und Wirtschaft im Rahmen einer Konflikttheorie. Für seinen Ansatz, den Borchert / Lessenich (2006: 16) später als „Theorem der Selektivität politischer Institutionen“ bezeichnen, stellte Offe (1973) politische Veränderungen anhand eines Dreiecks dar, das als Abwandlung des oben angeführten „sozialkapitalistischen Dreiecks“ Arbeit – Kapital – Staat betrachtet werden kann. Die Eckpunkte sind hier, mit Bezug auf 157
Dass die Abstammung der Teflonpfanne von der Raumfahrt nur ein Mythos ist, tut ihrer Versinnbildlichung nicht unbedingt einen Abbruch, eher könnte das Gegenteil der Fall sein: Das Gesellschaftsprojekt Weltraumeroberung erhält eine Rechtfertigung dadurch, dass sie einen individuellen Nutzen stiftet. (Teflon ist kein Abfallprodukt der Weltraumforschung. Es wurde zuerst 1938 von Roy Plunckett entdeckt und war ab 1950 im Handel. Marc Gregoire, der Erfinder der TeflonPfanne und Gründer der Firma Tefal, beschichtete damit zuerst seine Angelschnur um sie leichter entwirren zu können. Krämer / Trenkler 2006: 351)
3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik
147
Parsons Strukturfunktionalismus und der damaligen „frühen“ Versionen der Systemtheorie, als ökonomisches System, politisch-administratives System und sozio-kulturelles System bezeichnet. Die Systeme stehen in einem komplexen Abhängigkeitsverhältnis zueinander, das stets droht in ein Ungleichgewicht – eine Krise – zu geraten und deshalb permanent ausbalanciert werden muss. Dabei ist das politisch-administrative System – zumindest vordergründig – federführend.158 Abbildung 14: Wechselseitige Beziehung der gesellschaftlichen Subsysteme Ökonomisches System
Fiskalische Mittel Steuerungsleistungen
Politisch-administratives System
Arbeitsmotivation und -fähigkeit
Massenloyalität soziale Entschädigung
Steuerungsleistungen
Sozio-kulturelles System
Quelle: Offe 1973: 213, nach der Darstellung von Böhret / Jann / Kronenwett 1988: 276 Das politisch-administrative System muss bedacht sein, seine Legitimation aufrecht zu erhalten, was unter anderem durch demokratische Wahlen geschieht. Die durch die Wahlen erreichte Legitimation ist jedoch diffus, da sie sich weniger auf spezielle Themen, Projekte oder Handlungsbereiche bezieht, sondern eher auf den Zeitraum, für den eine Regierung (oder spezielle Ämter) gewählt wurden. In dem entstehenden Handlungsfreiraum sind Politikerinnen und Politiker von dem Zwang befreit, für jedes Vorhaben neue Mehrheiten zu organisieren. Durch Gesetze können sie in das sozio-kulturelle und in das ökonomische System „hineinregieren“ und damit das Gesamtsystem stabilisieren 158
Offe 2006 [1975]: 133f. Vgl. auch Vogel 2000: 26
148
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
(Offe 2006 [1969]: 27f.), unter anderem durch Sozialpolitik. Für die übernommenen Aufgaben benötigt das politisch-administrative System finanzielle Mittel, die es aus dem ökonomischen System durch Besteuerung erhält. Diese Abhängigkeit beschränkt den Handlungsspielraum des politisch-administrativen Systems gegenüber dem ökonomischen System (ebd. 190, 217). Die Möglichkeiten, das ökonomische System zu „steuern“, schätzt Offe (1973: 212) als gering ein, weist aber dennoch auf die hohe Regelungsdichte hin: Die Subventionierung der Forschungs- und Entwicklungskosten, die steuerliche Alimentierung unternehmerischen Investitionswillens, die handelspolitische Regulierung der Absatzchancen und die konjunkturpolitische Beeinflussung des Nachfragevolumens sind nur wenige Indizien dafür, dass in entwickelten Interventionsstaaten das ökonomische System keineswegs mehr das vorpolitische Substrat, sondern eines der wichtigsten Aktionsfelder des Staatsapparates ist (Offe 2006 [1969]: 43).
Unternehmen sind als Teil des ökonomischen Systems von der Aufrechterhaltung des Gesamtsystems abhängig. Sie können dies aber nicht selbst leisten,159 und benötigen dafür das politisch-administrative System. Gleichzeitig sind sie vom sozio-kulturellen System abhängig, das die Basis des Produktionsfaktors Arbeit darstellt. Die Bürger, als Teil des sozio-kulturellen Systems, adressieren ihre über die Entlohnung der Arbeit hinausgehenden Bedürfnisse und Ansprüche an das politisch-administrative System, was das Resultat einer Gewöhnung an sozialpolitische Eingriffe ist (Böhnisch / Arnold / Schröer 2000: 51; vgl. auch Vogel 2007: 34).160 Das politisch-administrative System muss nicht nur faktisch, sondern auch eingestandenermaßen und programmatisch die Aufgabe übernehmen, die Lebensumstände und die faktischen Lebenschancen der Masse der Bevölkerung in Übereinstimmung mit geltenden Normen und Erwartungen zu regulieren und zu steuern. Dieser Zugang führt zu Prätentionen und zur Übernahme von Verantwortlichkeiten, deren Nicht-Einlösung sehr viel deutlicher, sichtbarer und zurechenbarer ist, als das in Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung der Fall war, in denen der Staat nur faktisch, nicht aber eingestandenen Programmatiken zufolge Stabilisierungs- und Steuerungsaufgaben wahrnahm (Offe 1973: 219f.).
Offe hat diese Zusammenhänge in den 70er Jahren eher thesenartig und mit dem für die Zeit typischen „spätkapitalistischen“ Vokabular (vgl. Offe 1972a, 2006) vorgetragen. Dennoch hilft der Ansatz die Verhältnisse zwischen den Systemen 159
Offe bezeichnet das als „Anarchie-These“. Im politologischen Jargon der 70er liest sich das so: „Das Kapital ist nicht in der Lage, seine langfristigen und kollektiven Bestandsbedingungen selbst als solche wahrzunehmen und zu realisieren“ (Offe 1973: 218). 160 Das gilt zumindest für fortgeschrittene Industriegesellschaften mit ausgebautem Wohlfahrtsstaat. Böhnisch / Arnold / Schröer (1999: 51) liefern das Beispiel der Massenarbeitslosigkeit der ausgehenden 20er Jahre, die eher dem Staat als den Arbeitgebern angelastet wurde.
3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik
149
zu klären. Im Rahmen dieses Ansatzes lassen sich nicht nur die sogenannten bipartistischen Beziehungen reflektieren, sondern auch die tri-partistischen: So können die Argumentationen von Ford beschrieben werden als Verhältnis des ökonomischen und des sozio-kulturellen Systems („in guten Zeiten“), das gleichzeitig dem politisch-administrativen System einen Legitimationsmechanismus (Massenkonsum) bietet. Andererseits kann der nachfrageorientierte Keynesianismus als Versuch gesehen werden, das sozio-kulturelle System durch das ökonomische System zu beeinflussen („in schwierigen Zeiten“). Eine tri-partistische Sichtweise lässt auch das Verhältnis zwischen dem ökonomischen und dem sozio-kulturellen System in einem anderen Licht erscheinen. Es wird nämlich in hohem Maße durch das politisch-administrative System geregelt. Zwar ist in Deutschland die Tarifautonomie verbürgt durch das Recht „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden“ (GG Art. 9), dennoch kann das politisch-administrative System auf vielfältige Weise in diese Beziehung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer „hineinregieren“, beispielsweise durch Arbeitsmarktpolitik oder Arbeitslosenpolitik, aber auch durch Mindestlöhne oder andere Einkommen sichernde und dekommodifizierende161 Interventionen, wie beispielsweise durch ein Bürgergeld (vgl. z. B. Fehmel 2006). Offe (2006 [1969]) beschreibt einige institutionelle Mechanismen, die dazu führen, dass gewisse Themen erfolgreicher aufgegriffen und bearbeitet werden, beziehungsweise einen größeren Stellenwert erreichen als andere. Hierbei stellt er sich die Frage, inwieweit sich von der Bevölkerung „artikulierte politische Bedürfnisse“ in der Politik wiederfinden, also wie hoch die „Permeabilität“ des politisch-administrativen Systems für diese Bedürfnisse ist: Welchen qualitativ bestimmten Bedürfnisinterpretationen räumt es [das politische System] die Chance ein, auf der Ebene des politischen Systems beteiligt zu werden und auf der Ebene exekutiver Handlungen Folgen auszulösen? Welche anderen Bedürfnisse werden demgegenüber an der institutionellen Artikulation gehindert und in nicht-politische oder ideologische Medien der Verarbeitung gedrängt? (Offe 2006 [1969]: 30f.)
Interessen und Bedürfnisse, die in der Bevölkerung entstehen, müssen erst organisiert werden um für die Politik relevant zu sein. Diese Organisation von Interessen würde sich, so Offe, auf einer Meso-Ebene durch Verbände, Gewerkschaften und Nicht-Regierungs-Organisationen abspielen. Organisierbar sind nur solche Interessen, die sich als Spezialbedürfnisse einer sozialen Gruppe interpretieren lassen. Als weitere Einschränkung kommt hinzu, dass dieses Spezialinteresse den aktuellen und potentiellen Mitgliedern dieser Gruppe hinreichend deutlich und wichtig sein muss, so dass sie bereit sind, die benötigten Ressourcen beizusteuern: Deshalb sind die primä161
Siehe dazu Kap 3.4
150
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität ren Lebensbedürfnisse (Konsum- und Investitionschancen, Abdeckung sozialer Risiken, Zuteilung arbeitsfreier Zeit) großer und relativ homogener Statusgruppen (Bauern, Arbeiter, Angestellte, Mittelstand, Unternehmer u. a.) am leichtesten organisierbar. Schwerer bzw. überhaupt nicht unmittelbar zu organisieren sind diejenigen Lebensbedürfnisse, die nicht klar abgrenzbaren Status- und Funktionsgruppen, sondern der Gesamtheit der Individuen zuzuordnen sind. Gerade der Kategorie allgemeiner Bedürfnisse (z. B. derjenigen, die im Zusammenhang stehen mit Wohnung, Gesundheit, Verkehr, Bildung bürgerlicher Rechtsordnung, Freizeitverhalten), welche die physischen, moralischen und ästhetischen Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens außerhalb der Markt- und Verteilungssphäre betreffen, ist die Organisationsform des Verbandes oder der Interessengruppen strukturell versperrt (Offe 2006 [1969]: 33).
Zu solchen schwer organisierbaren Interessen bilden sich also tendenziell wenige Interessenverbände. Sie werden, so Offe, eher durch bestehende Organisationen oder durch Zusammenschlüsse bestehender Organisationen vertreten, die bereits, teilweise auch von öffentlicher Seite, aufgrund solcher allgemeiner Bedürfnisse eingerichtet worden sind (Städtetag, Krankenkassenverbände, Wohlfahrtsverbände, Kultusministerkonferenz), oder durch Organisationen, die sich im Rahmen von eigenen wirtschaftlichen, beruflichen oder berufsständischen Interessen mit diesen allgemeinen Bedürfnissen beschäftigen oder sie instrumentalisieren, wie Ärztekammern oder Gewerkschaften (vgl. Offe 2006 [1969]: 34). Damit sich organisierte Interessen und Bedürfnisse durchsetzen können, müssen sie allerdings nicht nur organisationsfähig sein, sondern auch konfliktfähig. Offe weist darauf hin, dass Gruppen wie Schüler, Studenten, Arbeitslose, Pensionäre, Kriminelle und ethnische Minoritäten ihre Interessen und Bedürfnisse zwar eventuell organisieren können, dass sie aber wenig konfliktfähig sind. Konfliktfähigkeit beruht auf der Fähigkeit einer Organisation […] kollektiv die Leistung zu verweigern bzw. eine systemrelevante Leistungsverweigerung glaubhaft anzudrohen. Eine Reihe von Status- und Funktionsgruppen ist zwar organisationsfähig, aber nicht konfliktfähig. […] Die Bedürfnisse solcher Gruppen sind mit verminderter Durchsetzungskraft ausgestattet, weil sie am Rande oder außerhalb des Leistungsverwertungsprozesses stehen und ihnen daher das Sanktionsmittel einer ins Gewicht fallenden Leistungsverweigerung nicht zur Verfügung steht (Offe 2006 [1969]: 34).
Die dadurch ausgelöste Verzerrung führt dabei tendenziell zu einer höheren Durchsetzungskraft von Interessen und Bedürfnissen, die aus dem Bereich der Wirtschaft kommen (aus dem „ökonomischen System“), gegenüber den Interessen der Bürger. Dies ist unter anderem auf unterschiedliches Lobbying zurückzuführen.162 Eine weitere Interessen-Auslese ergibt sich im Parteiensystem, das eine Monopolisierung des Zugangs zu zentralen Bereichen des politischen Sys162
Siehe dazu z. B. Leif / Speth 2006: 15f., Kleinfeld / Zimmer / Willems 2007, Simmert / Engels 2002
3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik
151
tems darstellt. Nachdem die Parteien als Institutionen davon abhängig sind, immer wieder gewählt zu werden, müssen Sie, um für eine breite Wählerschaft attraktiv zu bleiben, relativ unspezifische Interessen vertreten, welche die Chancen gewählt zu werden, erhalten oder vergrößern (Offe 2006 [1969]: 32). Auch damit geht, so Offe, eine Verzerrung der Interessenrepräsentation einher: Der wahlkampfstrategisch gebotene kleinste gemeinsame Nenner, aus dem sich das »image« einer Partei (oft nur ihrer Spitzenkandidaten) errechnet, liegt notwendigerweise unterhalb des rational vereinbarten Interessengegensatzes zwischen den wichtigsten Wählergruppen wie Landbevölkerung, Mittelstand und Industriearbeiterschaft; er liegt auf der demoskopisch beobachtbaren Ebene privatisierter Werthaltungen, gruppenspezifischer Subventions- und Entschädigungsansprüche und traditionalistischer Ressentiments. Gerade dieser, nämlich der politisch am wenigsten aufgeklärte Bereich der Bedürfnisstruktur, erlangt infolgedessen das größte Gewicht als parteistrategisches Erfolgskriterium (Offe 2006 [1969]: 32).
Weitere Probleme der Repräsentanz der Interessen und Bedürfnisse entstehen in den zentralen politischen Institutionen, wie Parlamenten und Regierungen, beispielsweise durch Koalitionszwang, durch wahltaktisches Handeln oder – wie in Deutschland – auch durch die große Einflussnahme der Regierung auf die Parlamente (vgl. Offe 2006 [1969]: 36f.). Die politischen Abläufe führen häufig – im Rahmen eines politischen „Krisenmanagements“ und einer „langfristigen Vermeidungsstrategie“163 (ebd. 44f.) zu der Priorisierung politisch brisanter und dringender Themen gegenüber solchen, die zwar auch Probleme aufwerfen, aber weniger akut und sichtbar sind und „weniger Folgen für das Gesamtsystem haben“ (Offe 2006 [1969]: 45). Das durch diesen strukturellen Mechanismus bewirkte Verhältnis der Disparität zwischen den verschiedenen Problembereichen und Bedürfnissphären des gesellschaftlichen Lebens wächst um so mehr, je dringlicher die staatlich disponiblen Ressourcen für die Zentralprobleme der Gewährleistung kontinuierlicher Kapitalverwertungschancen, ausreichender effektiver Nachfrage, Erhaltung von außerwirtschaftlichen Beziehungen, militärischer Krisenvermeidung oder innenpolitischer Konfliktabwehr und Konfliktunterdrückung benötigt werden (Offe 2006 [1969]: 45f.).
Die beschriebenen Mechanismen führen zu einem „Filtersystem“ (Offe 2006 [1969]: 38), das zu einer Verzerrung der Repräsentanz der Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung in der Politik führt. Empirische Kennzeichen für die Disparität von Lebensbereichen ist der unterschiedliche Entwicklungsabstand zwischen dem tatsächlich institutionalisierten und dem möglichen Niveau des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts: Das Missverhältnis zwischen modernsten Produktions- und Militärapparaten und der stagnierenden Organisation des Verkehrs-, Gesund163
Beispielsweise beschreibt Schmidt 2005: 97 wie die Sparpolitik von 1975/1976 den Weg des geringsten Widerstandes gegangen ist.
152
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität heits- und Bildungssystems ist ein ebenso bekanntes Beispiel wie der Widerspruch zwischen rationaler Planung und Regulierung der Steuer- und Finanzpolitik und der anarchischen, naturwüchsigen Entwicklung von Städten und Regionen (Offe 2006 [1969]: 45f.).
Diesem institutionellen Arrangement, das in den verschiedenen Ausprägungen heutiger Demokratien ähnlich funktioniert, mag zugutegehalten werden, dass es eine stabilisierende Funktion ausübt. Es räumt den Parteien und Politikern Handlungsspielräume gegenüber den Wählern und „den Stammtischen“ ein und wirkt etwaigen Gefahren, die mit Verfahren direkter Demokratie verbunden sind, entgegen. Allerdings beinhalten solche Argumente einer überlegenen Einsichtsfähigkeit gewählter Politikerinnen und Politiker immer auch paternalistische Aspekte (s. u.). Mit Offes Ansatz sind die Schwierigkeiten zu erkennen, auf die eine lebensqualitätsbezogene Politik stößt: Interessen, wie die Verbesserung der Lebensqualität und eine Verlängerung der Lebenserwartung, sind als politische Themen eher schwer zu platzieren. Solche Forderungen sind sehr allgemein und damit schwer „zu bündeln“, also schwer organisierbar. Für die Parteien könnte das Thema Lebensqualität dann interessant werden, wenn Teilaspekte aktuell politisch relevant werden und sich dazu eignen, Wählerinnen und Wähler hinter sich zu scharen. Ein Beispiel dafür ist die Luftreinhaltung auf kommunaler Ebene. Die Lebenserwartung an sich ist als politisches Thema wohl noch weniger geeignet, solange sie eine der wenigen Sozialindikatoren ist, die sich kontinuierlich positiv entwickeln (Statisches Bundesamt 2006, Max Planck Institut 2007) und daher unproblematisch erscheinen. Eher hat die Ungleichheit in der Lebenserwartung das Potential zum politischen Thema zu werden, wie es in einigen Ländern z.B. Großbritannien und Österreich, bereits der Fall ist.164 Voraussetzung für eine stärkere politische Thematisierung wäre wohl eine erhöhte Aufmerksamkeit größerer Bevölkerungsgruppen. Die Ungleichheit des Einkommens und der Ressourcenausstattung (s. o.) ist zwar ein Dauerbrenner in der Politik, sie wird aber nicht als Einbuße von Lebensqualität thematisiert. Es wurde bereits gezeigt (S. 74), dass Gesundheit und gesundheitliche Ungleichheit nur zu einem geringen Teil im Gesundheitswesen produziert werden und zu einem großen Teil auf strukturelle Bedingungen zurückzuführen sind, woraus auch die Wichtigkeit von Prävention resultiert. Problematische strukturelle Bedingungen können wohl nicht per se zu einem politischen Thema werden, sondern nur im Rahmen von konkreten Interventionen. Beispielsweise ist die augenfällige Diskrepanz zwischen Prävention und Behandlung wohl auch darauf zurückzuführen, dass es im Bereich der Behandlung viele gut organisierte Interessen164 Mielck 2001: 296, 318f., Armutskonferenz 2003; s. a. Kooperationsverbund 2006 und http://www.gesundheitliche-chancengleichheit.de
3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik
153
gruppen gibt (Ärzte, pharmazeutische Industrie etc.), hingegen der Bereich der Prävention kaum Interessen bündeln kann: Die Brisanz ist eher gering (Gesunde beschäftigen sich wenig mit ihren zukünftigen Krankheiten, Kranke nicht mit Prävention) und es gibt bisher nur wenige Gruppen mit wirtschaftlichen Interessen in diesem Bereich – zurzeit wir nur ca. 1% der Gesundheitsausgaben in Deutschland für Prävention ausgegeben (Siegrist 2001: 43, vgl. auch Lenhardt / Offe 1977: 111, Badura 1999: 259). Auf weitere Schwierigkeiten stoßen lebensqualitätsbezogene Themen in der Politik, sobald sie Interessen von Unternehmen entgegenlaufen. Konfliktfähig sind hier wohl eher solche Themen, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess stehen (wie das betriebliche Gesundheitswesen etc.), soweit sich bestehende Institutionen wie Gewerkschaften oder die gesetzliche Unfallversicherung ihrer annehmen. Die Entwicklung des Kräfteverhältnisses verschiedener Interessengruppen wurde bereits oben am Beispiel der deutschen Geschichte nachgezeichnet. Die jüngste Verschiebung dieses Kräfteverhältnisses unterschiedlicher Gruppierungen der Gesellschaft resultiert aus der fortschreitenden Globalisierung.165 Die Transnationalisierung der Märkte für Güter und Dienstleistungen und die zunehmende Mobilität von Kapital und Wissen (Deutscher Bundestag 2002) führte zu einem Machtgewinn, insbesondere der großen multinationalen Unternehmen gegenüber den Arbeitnehmern und gegenüber den politischen Systemen der Nationalstaaten (vgl. Kaufmann 2005: 257). Dies hat umfangreiche und regional sehr unterschiedliche Auswirkungen, auch auf die Ressourcenverteilung und die Lebensqualität. Die Machtpotenziale der Staaten gegenüber den Unternehmen verändern sich wiederum auch durch die Entwicklung supranationaler Strukturen. Staaten geben Macht „nach oben“ ab (Beispiel EU), gewinnen dadurch aber gemeinsam neue Souveränität gegenüber den (multinationalen) Unternehmen.166 Die Veränderungen durch die Globalisierung werden zu neuen Konstellationen von Lebensqualitäts-Problemen führen und zu neuen Bewältigungsstrategien. Dass solche Probleme auch Integrationskraft haben, lässt sich auch der Geschichte entnehmen: So kann die Entstehung des Nationalstaates und des Sozialstaates als Mechanismus verstanden werden, der die Solidarität konstituierte, die nötig war um die sozialen Probleme zu bearbeiten (Wagner / Zimmermann 2003). Vielleicht befinden wir uns in einem ähnlichen Prozess: Soziale Probleme wie Lohndumping, Dumping der Arbeitsbedingungen, aber auch die Klimaveränderung fordern neue Institutionen ihrer Bewältigung.
165
Siehe zum Begriff der Globalisierung z. B. Beck 1997, 2002 Siehe zur Globalisierung, zur europäischen Integration und deren Auswirkungen auf den Wohlfahrtsstaat: Leibfried 2000. Nicht weiter eingegangen wird hier auf die Veränderung des Begriffs Gesellschaft in der Globalisierung. (Siehe dazu auch Beck 2002: Kap. 2) 166
154
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
Fazit: Es wurde aufgezeigt, dass Lebensqualität keine vorrangige Kategorie staatlichen Handelns ist, sondern dass das realisierte Ausmaß an Lebensqualität ein Ergebnis vielfältiger politischer Aushandlungsprozesse ist. Dieser Umstand zeigte sich am Grundgesetz genauso wie an der historischen Entwicklung der Sozialpolitik, beziehungsweise der Gesellschafts- und der Lebensqualitätspolitik. Mit der Diskussion des konflikttheoretischen Ansatzes von Claus Offe konnte die These, dass die Produktion von Lebensqualität für den Staat von untergeordneter Wichtigkeit ist, theoretisch untermauert werden. Gleichzeitig wurden einige politische Mechanismen beschrieben, die zu mehr oder weniger Lebensqualität führen. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Kräfteverhältnisse zwischen verschiedenen Gruppierungen in der Gesellschaft, insbesondere jene zwischen Unternehmen und Bürgern. Die Ergebnisse der politischen Aushandlungsprozesse führen zu Politiken, die unterschiedliche Handlungsspielräume, eine unterschiedliche Ressourcenverteilung und Unterschiede in der Lebensqualität zeitigen. Insofern lassen die von Sen aufgezeigten Unterschiede zwischen Pro-KopfEinkommen und Lebensqualität genauso wie der Ansatz von Offe darauf schließen, dass eine stark am Wirtschaftswachstum orientierte Politik zu einer Vernachlässigung von Lebensqualität statt zu ihrer Förderung führen kann. Das Schema von Offe (Abbildung 14) macht auch plausibel, wieso die demokratische Kontrolle durch die Bürger nicht unbedingt zu einer stärker an Lebensqualität orientierten Politik führt. Dies hängt nicht nur mit Schwierigkeiten der Bündelung von Interessen der Bevölkerung zusammen, sondern auch mit der doppelten Kopplung der Interessen von Bürgern und Unternehmen. Einerseits überschneiden sich die Konsuminteressen der Bürger mit den Absatzinteressen der Unternehmen (vgl. Offe 2006 [1972]: 74), andererseits sind die Menschen abhängig von ihren Arbeitsplätzen und vice verca. Die Wichtigkeit von Konsum und Einkommenserzielung beziehungsweise die Angst vor Einkommensverlust verleihen diesen Themen in der Politik einen Vorsprung gegenüber lebensqualitätsbezogenen Themen. Eine Fokussierung auf den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftswachstum kann dazu führen, dass der Staat mit allen Mitteln versucht, Arbeitslosigkeit zu beseitigen, wobei das politische Interesse schwindet, Erwerbsarbeit auf seine lebensqualitätssichernden oder -erhöhenden Implikationen hin zu untersuchen (vgl. Kratzer / Menz / Nies et al. 2008).167 Theoretisch wird so ein 167
Auch Kratzer / Menz / Nies et al. 2008 sprechen von einem zunehmenden Bedeutungsverlust der Qualität der Arbeit. Nach einem arbeitspolitisch „verlorenen Jahrzehnt“ sehen sie „leistungspolitische Fragen durch steigenden Leistungsdruck in den Betrieben, zunehmende Extensität von Arbeit, den wachsenden Übergriff der Arbeit auf die Lebenswelt […] und nicht zuletzt die erhöhten gesundheitlichen Belastungen neuer Arbeitsformen allerdings wieder mehr im Fokus des öffentlichen Interesses“ (ebd.) und führen einige aktuelle Projekte von Gewerkschaften an.
3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik
155
Wirtschaftswachstum in Verbindung mit sinkender Lebensqualität möglich, was man als „Lebensqualitäts-Stagflation“ bezeichnen könnte.168 Die Abhängigkeit des Einzelnen von „der Wirtschaft“ ist in verschiedenen Ländern unterschiedlich groß. Ein so genannter hoher Kommodifizierungsgrad (siehe unten S. 190, vgl. auch Esping-Andersen 1990, Borchert / Lessenich 2006: 15f.) veranlasst Einzelne dazu, die Erfüllung ihrer Bedürfnisse eher durch eine an Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt orientierte als durch eine lebensqualitätsorientierte Politik zu sehen und dementsprechend zu wählen. Wenn dies so wäre, könnte sich eine kommodifizierende und „aktivierende“ Arbeitsmarktpolitik selbst verstärken: Eine auf Arbeitsmarkt und Wirtschaftswachstum orientierte Politik erhöht den Druck am Arbeitsmarkt als Mittel gegen Arbeitslosigkeit; gerade dieser erhöhte Druck am Arbeitsmarkt könnte dazu führen, dass sich Bürger bei Wahlen stärker für eine arbeitsmarktorientierte Politik entscheiden – unter Vernachlässigung von lebensqualitätsorientierten Themen. Kommodifizierende Mechanismen wären dann Ursprung genauso wie Ergebnis einer an Arbeitsmarkt und Wirtschaftswachstum orientierten Politik. Dementsprechend wäre Dekommodifikation dann eine Voraussetzung dafür, dass sich Bürger für eine lebensqualitätsorientierte Politik überhaupt erst entscheiden können. Das folgende Kapitel 3.3 beschäftigt sich mit der Entstehung von solchen gesellschaftlichen Grundüberzeugungen, während in Kapitel 0 der Begriff des Wohlfahrtsregimes eingeführt wird, der historische, konflikttheoretische und diskursive Elemente in sich vereint.
168
Ein möglicher volkswirtschaftlicher Forschungsansatz bestände darin, die gesamtwirtschaftliche Zusammensetzung von konsumierten Produkten und Dienstleistungen zu betrachten. Je geringer der Lebensqualitäts-Output von Produkten oder Dienstleistungen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass negativen externen Effekte oder nicht-intendierte Nebenfolgen größer sind als deren Lebensqualitäts-Output. (Dabei müsste zwischen privaten und öffentlichen Gütern unterschieden werden.)
156
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
3.3 Diskurs und Kultur als Rahmenbedingungen Wenn aber aus dem Klima, der Lebensordnung, den Gebräuchen, der Fertigkeit in gewissen Handlungen das unbekannte Prinzip entspringt, das die Karaktere und die Geister bildet, so kann man sagen, dass die Regenten durch weise Gesetze, durch nützliche Einrichtungen, durch den Zwang, den die Auflagen mit sich bringen, durch die wiederhergestellte Kraft die aus ihrer Aufhebung entsteht, endlich durch ihr eigenes Beispiel, die physische und moralische Existenz ihrer Unterthanen regieren. Vielleicht wird man dereinst diese Mittel benutzen können, um den Sitten und dem Geiste der Nation eine Wendung, nach Wunsch, zu geben. (Moheau 1780169, zit. n. Foucault 2006: 43)
In diesem Kapitel wird aufgezeigt, dass politische und gesellschaftliche Diskurse sowie kulturell geprägte Überzeugungen einen relevanten Rahmen für die Produktion von Lebensqualität darstellen (Kap. 3.3.1 und 3.3.2). Dabei wird einem Verständnis gefolgt, das nur einen graduellen Unterschied zwischen den beiden Bereichen sieht. Im Anschluss daran wird aufgezeigt, in welcher Weise diese Diskurse von den Menschen subjektiviert, also in sich aufgenommen werden. 3.3.1 Der Diskurs zu Wohlfahrt und Lebensqualität Ein Bettler schläft im Tierpark Schönbrunn auf einer Bank. Kommt ein Krokodil und frisst ihn, so dass nur mehr der Kopf zu sehen ist. Da kommen zwei Besucher vorbei – sagt der eine zum anderen: "Schau: Kein Geld, keine Unterkunft, aber einen Schlafsack von Lacoste!"
Das Wort Diskurs hat in den 60er Jahren durch Michel Foucault eine Bedeutung als wissenschaftlicher Ausdruck erhalten. Hier soll unter Diskurs ein überindividueller Komplex von Aussagen verstanden werden, in dem Sprache, Wissen und Wahrheit miteinander verbunden sind.170 Foucault nutzte diesen Begriff in seiner historischen Analyse Die Ordnung der Dinge (1971) um damit „grundlegende Wissensordnungen bzw. allgemeine Erkenntnisstrukturen“ (Keller 2004: 16) zu bezeichnen, die sich längerfristig verändern können. Die Art, wie über Phänomene – in dieser Arbeit sind es hauptsächlich soziale Phänomene – gesprochen wird, entspringt gemäß der Diskurstheorie (vgl. Keller / Hirseland / Schneider et al. 2006a: 15) weder einer zunehmenden Annäherung an eine absolute Wahrheit noch geschieht sie zufällig. 169
Moheau, Antoine Jean Baptiste de (1780): Untersuchungen und Betrachtungen über die Bevölkerung von Frankreich. Gotha: Ettinger (Franz. Originalausgabe von 1778) 170 Vgl. zur Herleitung des Diskurses: Foucault 1981: 40. Siehe zum Verhältnis von Diskurs und Praxis: Keller 2004: 43.
3.3 Diskurs und Kultur als Rahmenbedingungen
157
Die Wissensordnung – und dies ist eine entscheidende Neuorientierung – wird dabei nicht länger als Abbild von Wirklichkeit verstanden oder in alter idealistischer Tradition dem ‚Geist’ zugeschrieben, sondern der Materialität der Diskurse selbst, also den Aussage- und Zeichensequenzen, die in diskursiven Praktiken entstehen und durch deren Wiederholung die Wirklichkeit der Welt konstruiert wird (Keller / Hirseland / Schneider et al. 2006a: 12).
Am Diskurs interessierte Foucault aber nicht die Grammatik, sondern die Regelhaftigkeit der Semantik und die Produktion von Bedeutungen mit denen die Menschen ihre Wirklichkeit herstellen (Keller 2004: 45, 63). Er arbeitete die „allgemeine Erkenntnisstruktur“ (franz.: épistème), die „grundlegenden Wissensordnungen“ heraus, die der „konkreten Erkenntnistätigkeit und ihrer sprachlichen Fixierung“ (ebd. 16) vorausgehen. Sprachgebrauch ist zugleich praktisches Tun und Prozessierung (auch Zuschreibung) von Sinn bzw. Bedeutung; beide Dimensionen können als sozialer und zugleich sozial strukturierter Prozess verstanden werden. Dabei besteht eine dialektische Beziehung zwischen Diskursen und der ihren Kontext bildenden Sozialstruktur: beide wirken wechselseitig als Bedingungen und Effekte. Diskurse konstituieren Welt, und sie werden umgekehrt auch konstituiert; sie (re-)produzieren und transformieren Gesellschaft; sie leisten die Konstruktion sozialer Identitäten, die Herstellung sozialer Beziehungen zwischen Personen und die Konstruktion von Wissens- und Glaubenssystemen (Keller 2004: 28).
Die Idee, dass die Menschen die Welt als soziale bzw. „gesellschaftliche Konstruktion“ (Berger / Luckmann 1980) durch sozial vermittelte Vorstellungen erschaffen, verbindet die Diskurstheorie mit der Wissenssoziologie (Keller 2004: 56).171 Da die Welt in unterschiedlichen Bereichen einer Gesellschaft (wie Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Medien, Alltag) auf unterschiedliche Weise konstruiert bzw. gedacht wird, existieren verschiedene Diskurse nebeneinander. Neben Diskursen mit großer Reichweite, wie dem öffentlichen Diskurs oder dem Mediendiskurs, entstehen Spezialdiskurse wie beispielsweise der wissenschaftliche Diskurs oder der philosophische Diskurs (Jäger 2004: 159). Wenn unterschiedliche Diskurse nebeneinander bestehen, so heißt das dennoch nicht, dass sie unabhängig sind. Beispielsweise fließen ständig Elemente von wissenschaftlichen Diskursen in den öffentlichen Diskurs, der auch Interdiskurs genannt wird, weil er verschiedene Diskursstränge miteinander verbindet (Jäger 2004: 159). Auch an der Entwicklung des Begriffes Lebensqualität kann man sehen, wie verschiedene Diskurse nebeneinander bestehen und aufeinander Einfluss nehmen. In Kapitel 2.1.1 wurde gezeigt, dass sich der Begriff Lebensqualität als Abgrenzung beziehungsweise Erweiterung eines am Lebensstandard orientierten 171
In ihrem Ursprung hat sich die Wissenssoziologie allerdings mehr mit Alltagshandeln beschäftigt (Berger / Luckmann 1980), die Diskursanalyse eher mit der Konstruktion wissenschaftlichen Wissens (Foucault 1971 [1966], 1981 [1969]). Siehe dazu auch Keller 2006.
158
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
Denkens als politischer Begriff zuerst in den USA, dann in Deutschland etablierte. Im sozialwissenschaftlichen Diskurs verband er sich mit der im Entstehen begriffenen Sozialindikatorenforschung, die dann in den USA wie auch in Deutschland vom politischen Diskurs rezipiert wurde. Die Verschiebungen des Diskurses über Lebensqualität brachten dabei einen Bedeutungswandel des Begriffs mit sich: Seine Karriere begann er als wissenschaftlicher Begriff für die Beschreibung von Makro-Phänomenen, nach seinem Aufschwung und seinem Bankrott im politischen Mainstream-Diskurs wurde es still um ihn, bis er ein Comeback im wissenschaftlichen Diskurs fand – dieses Mal als Mikro-Begriff. In Kapitel 3.2 wurde gezeigt, wie die mit dem Begriff Lebensqualität verbundene politische Idee einer weniger am Wirtschaftswachstum ausgerichteten Politik nach der Ölkrise zunehmend an Bedeutung verlor. Der Begriff Lebensqualität ist also wie andere Begriffe auch nicht zu verstehen als ein Begriff, der eine Wahrheit ausdrückt, die entdeckt wurde oder der sich die Wissenschaft asymptotisch annähert, sondern als ein Begriff, dessen Bedeutung sich je nach politischer Interessenlage ändert und der so Wahrheit konstituiert. Diskurse stehen in einem engen Verhältnis zur Ausübung von Macht. Einerseits bestimmen Diskursordnungen, die aus „institutionell stabilisierten Ermächtigungs- und Ausschlusskriterien (etwa Bildungstitel)“ (Keller 2006: 125) bestehen, „wer sprechen darf“, das heißt, wer in verschiedenen Sprechsituationen die Möglichkeit bekommt, seine „Sicht der Dinge“ vorzutragen, und so den Diskurs in eine Richtung lenken und ihn formen kann (vgl. Foucault 1974: 7).172 Zentraler im Sinne der foucaultschen Diskurstheorie ist aber ein weitergehender Gedanke: Diskurse bergen grundlegende „Vorstellungen der Welt“ in sich. Etablierte Diskurse stellen Wissens-Ordnungen (Keller 2006: 126) dar, die nur schwer hinterfragbar sind. Solche „Definitionen, wie die Welt ist“ beeinflussen oder bestimmen das Handeln der Menschen und zeitigen so reale Folgen (Keller 2004: 63). Die Analyse solcher Macht-Wissens-Komplexe ist Aufgabe der Diskursanalyse. Foucault skizziert „ein umfassendes sozialwissenschaftliches Forschungsprogramm, das nicht nur die Analyse von Aussagezusammenhängen, sondern gerade eben die gesellschaftliche Herstellung und Ordnung von Praktiken, Objekten, Menschen, Ideen, kurz von Realitätszusammenhängen insgesamt anvisiert“ (Keller 2004: 46). Das Erkenntnisinteresse richtet sich demnach auf die symbolische und strukturelle Dimension von Diskursen, auf die Praxis der Diskursproduktion und auf diskursive Machtkämpfe, die keineswegs nur der sozialen Integration und Konsensfindung dienen, sondern vielmehr auch der 172
Darauf weisen auch Berger / Luckmann (1980: 117) hin: „Wer den derberen Stock hat, hat die bessere Chance, seine Wirklichkeitsbestimmung durchzusetzen“.
3.3 Diskurs und Kultur als Rahmenbedingungen
159
Mobilisierung kollektiven Handelns, der Definition von Normalität und Abweichung, der Transformation bestehender Wissens- und Moralsysteme (Keller / Hirseland / Schneider et al. 2006a: 12f.). Ein wesentliches Ziel der Diskursforschung ist […] die Beantwortung der Frage, welches Wissen, welche Gegenstände, Zusammenhänge, Eigenschaften, Subjektpositionen usw. durch Diskurse als ‚wirklich’ behauptet werden, mit welchen Mitteln […] dies geschieht, und welche unterschiedlichen Formationsregeln und -ressourcen diesen Prozessen zugrunde liegen. Die sprachpraktische Wirklichkeitskonstruktion in Diskursen […] enthält immer auch im- oder explizite Ausschließungen anderer Deutungsmöglichkeiten, Abwertungen usw. Diskursproduzenten sind bemüht, Lesarten eines Diskurses anzuleiten und liefern dazu kommentierende oder bilanzierende Texte (Keller 2004: 68).
Foucault verwendet für seine Analysen einen weiten Machtbegriff: Unter Macht versteht er nicht die Möglichkeit anderen Menschen einen Willen zu oktroyieren; stattdessen sieht er Macht sowohl in Verwaltung, Recht und andere institutionelle Strukturen eingelassen, wie auch in kulturelle Selbstverständlichkeiten, in Traditionen, ökonomische Notwendigkeiten und Rationalitäten. Unter Macht, scheint mir, ist zunächst zu verstehen: die Vielfältigkeit von Kraftverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kraftverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt, […] und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen und deren große Linien und institutionelle Kristallisierungen sich in den Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Harmonien verkörpern. […] Zweifellos muss man Nominalist sein: die Macht ist eine Institution, ist nicht eine Struktur, ist nicht eine Mächtigkeit einiger Mächtiger. Die Macht ist der Name, den man einer komplexen Situation in einer Gesellschaft gibt. […] Die Macht ist nicht etwas, was man erwirbt, wegnimmt, teilt, was man bewahrt oder verliert; die Macht ist etwas, was sich von unzähligen Punkten aus […] vollzieht. Die Machtbeziehungen verhalten sich zu anderen Typen von Verhältnissen (ökonomischen Prozessen, Erkenntnisrelationen, […]) nicht als etwas Äußeres, sondern sind ihr immanent (Foucault 1983: 93f.).173
In einer Spezifizierung von Foucaults Ansatz hat Michael Schwab-Trapp (2006) die Diskursanalyse als eine spezifische Form politischer Soziologie vorgestellt. An politischen Diskursen kann man vielleicht am einfachsten erkennen, dass die Wahrheit durch die Diskurse nicht erkannt, sondern hergestellt wird: In konfligierenden politischen Diskursen werden Deutungen für politische und soziale Ereignisse und Handlungszusammenhänge produziert, die gleichzeitig Deutungsvorgaben für die Öffentlichkeit darstellen und meistens auch eine legitimatorische Funktion haben. Dabei werden gleiche Sachverhalte von verschiedenen Diskursgemeinschaften (beispielsweise politischen Parteien) höchst unterschiedlich interpretiert, da sie je eigene gemeinschaftsspezifische Diskurse ausbilden (Schwab-Trapp 2006: 272). Die gemeinschaftsspezifischen Diskurse von 173
Vgl. auch Foucault 2001: 29f., 1978: 29f., 60f.; Keller 2004: 49
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politischen Parteien beziehen sich typischerweise auf Metadiskurse („konservativ“, „liberal“, „sozialdemokratisch“, „grün“), die teilweise durch Bezüge zu philosophischen Diskursen untermauert werden. Beispielsweise können liberale Parteien versuchen ihren Diskurs durch Bezug auf den philosophischen Liberalismus zu legitimieren. Die gemeinschaftsspezifischen Diskurse haben eine integrierende Funktion nach innen und eine abgrenzende Funktion nach außen (ebd.). Die „Wahrheit“ wird nun im politischen Wettstreit durch die politische Durchsetzungs- und Mehrheitsfähigkeit produziert, nicht durch eine „sachliche Richtigkeit“. Bei dieser „Wahrheitsproduktion“ bleiben die unterschiedlichen politischen Positionen vorerst erhalten, allerdings produziert die mehrheitsfähige oder durchsetzungsstärkste Position neue, in strukturellen Gegebenheiten festgehaltene „Wahrheiten“, wie Verordnungen, Gesetze, Steuern, Transfers oder Kriege, die in ihrer „Wirklichkeit“ erst wieder in Frage gestellt werden müssten. Durch ihre exponierte Stellung im öffentlichen Diskurs haben einzelne Politiker oder wichtige politische Diskursgemeinschaften, als diskursive Eliten (SchwabTrapp 2006: 274), die Möglichkeit ihre Wahrheit in eine breite Öffentlichkeit zu streuen. Sie können dabei – neben der Inszenierung von konfligierenden Diskursen – eine Strategie wählen, bei der Konflikte ausgeblendet und harmonisierende Deutungsvorgaben geliefert werden. So kann beispielsweise ein solidarisches Wir-Gefühl („Wir sitzen alle im gleichen Boot“) diskursiv produziert, gleichsam „herbeigeredet“, werden. Für diese Arbeit sind nun alle Diskurse interessant, die lebensqualitätsrelevante Themen, wie Einkommen, Gesundheit, Bildung oder Umwelt behandeln. Im öffentlichen und politischen Diskurs werden die verschiedenen Bereiche der Einkommens-, Gesundheits-, Bildungs- und Umweltpolitik jedoch separat, in unterschiedlichen Diskurssträngen, diskutiert, und ihre gemeinsame Bedeutung für die Lebensqualität nicht thematisiert. Dabei ist selbst die Unterteilung der Themen diskursiv produziert: Vergleicht man beispielsweise das Verhältnis des sozialpolitischen Diskurses und des bildungspolitischen Diskurses in Großbritannien, den USA und Deutschland, so zeigt sich, dass in Großbritannien und den USA Bildungspolitik als Teil der Sozialpolitik verstanden wird (Allmendinger 1999: 35, Allmendinger / Leibfried 2002: 288f., Holtmann / Mutz / Buchheister et al. 2007: 239). Dort wird die Bildungspolitik seit langem als der zentrale Mechanismus für die Herstellung von Chancengleichheit verstanden (Opielka 2004: Kap. 6). In Deutschland hingegen wurde die Bildung als Produzent sozialer Ungleichheit bisher eher verkannt. Eine Diskussion dazu kommt erst seit kurzem in Gang, induziert durch Ländervergleiche wie der PISA-Studie (Opielka 2005). Obwohl eine Analyse des Diskurses über Lebensqualität in dem hier vertreten Verständnis die Diskursstränge aller lebensqualitätsrelevanten Fragen berücksichtigen müsste, wird im Folgenden exemplarisch der am besten unter-
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suchte Bereich, der Wohlfahrtsdiskurs, behandelt und anhand des Teildiskurses über Arbeitslosigkeit, insbesondere des Mißbrauchsdiskurses vertieft. Empirische Untersuchungen zum Wohlfahrtsdiskurs (vgl. Kaufmann 2005: 219) können verschiedenen Ebenen zugeordnet werden: Untersuchungen der Mikroebene beschäftigen sich zum Beispiel mit der Kommunikation zwischen Sozialhilfeempfängern und Angestellten auf dem Sozialamt (Maeder / Nadai 2004, vgl. auch Jacobs / Ringbeck 1994: 51, Krieger / Pollmann / Schläfke 1987, Grunow / Hegner 1979, s. a. Kantel 2008: 130f.), mit der Neigung zum Missbrauch des Sozialstaates (Lamnek / Olbrich / Schäfer 2000, Lamnek / Luedtke 1999: Kap. IV) und den dabei verwendeten Diskursstrategien sowie mit den Einstellungen der Bevölkerung gegenüber Leistungsempfängern. Untersuchungen der Mesoebene beschäftigen sich beispielsweise mit Einstellungen politischer Eliten, mit Organisationskulturen und mit sozialpolitischer Implementationsforschung. [Auf der Mesoebene] sollten Fragen nach der Organisationskultur, nach der Problemdefinition und der Problembearbeitung in Organisationen sowie nach den Prozessen der Entscheidungsfindung und Entscheidungslegitimierung im Vordergrund stehen. Als sozialpolitisch relevant sind dabei alle Organisationen anzusehen, die unmittelbar an der Finanzierung, Organisation und Erbringung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen beteiligt sind. Dies sind neben den politischen Parteien und Entscheidungsträgern vor allem die Sozialversicherungsträger, die Sozialämter, die Wohlfahrtsverbände sowie Interessenorganisationen (u. a. Berufsverbände und Selbsthilfeorganisationen von Adressaten) (Ullrich 2003: 16).
Ein Beispiel dafür ist der Vergleich von Gerechtigkeitsvorstellungen von Politikerinnen und Politikern in Deutschland und den Niederlanden durch Roswitha Pioch (2000). Sie konnte zeigen, dass der niederländische Gerechtigkeitsdiskurs auf einem Kontinuum von Gerechtigkeitsvorstellungen zwischen den Polen Marktgerechtigkeit und universeller Teilhabegerechtigkeit einen größeren Bereich abdeckt und das Solidarprinzip in den Mittelpunkt rückt, wohingegen der deutsche Diskurs enger geführt wird und das Äquivalenzprinzip in den Mittelpunkt rückt (Pioch 2000: 435f.). Auch das Thema Agenda-Setting, also die Beschäftigung mit der Frage, wann Medienproduzenten oder Politiker ein Thema aufgreifen, ist der Mesoebene zuzuordnen (vgl. z. B. Eichhorn 1996, Hagen 2001). Ein Beispiel dafür stellt Lampings Untersuchung zur „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen dar (1994: Kap. 2). Er ging der Frage nach, wann und wie politische Akteure bestimmte Phänomene als Problem definieren und welche Problemlösungsstrategien sie dann wählen. Er zeigt, dass die politischen Akteure die Komplexität des Gesundheitswesens auf das Problem seiner Finanzierung reduzieren, was von vorne herein Kosteneinsparungen als Mittel der Wahl nahelegt. „Gesundheitspolitik agiert […] nicht auf der Basis von gesundheitlichen Zielen (Maximierung der Gesundheit der Wohnbevölkerung u. ä.) und Informationen über Morbiditätsrisiken, Todesfällen, Lebensqualität […] von gesund-
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heitspolitischen Maßnahmen etc., sondern konzentriert sich fast ausschließlich auf monetäre Faktoren“ (Lamping 1994: 280). Selbsthilfe, Eigenverantwortlichkeit und Subsidiarität dienten dabei als Floskeln zur Redefinition des Versicherungsgedankens (ebd. 284). Ergebnis der politischen Prozesse waren dann in erster Linie „Verschiebungen“ von Kosten hin zu anderen Kostenträgern oder zu den Bürgern (Selbstbeteiligung etc.) (ebd. 281f.). Untersuchungen der Makroebene analysieren beispielsweise den parlamentarischen Diskurs oder die Vermittlungsrolle der Medien im Diskurs. So haben Bleses und Rose (1998) am parlamentarischen Diskurs zur Familien- und Arbeitsmarktpolitik untersucht, wann normative und wann utilitaristische Argumente verwendet werden und durch welche Argumentationen große Teile der Bevölkerung gleichzeitig angesprochen werden können. Kulawik (1999) verglich die Etablierung von Arbeitsschutzbedingungen und finanziellen Unterstützungen für Mütter in Schweden und Deutschland in der Zeit von 1870 bis 1912. In Deutschland spielten dabei der Sittlichkeitsdiskurs und medizinische Deutungsmuster eine starke Rolle (ebd. 308). Die Verbannung der Frauen aus der Öffentlichkeit – beispielsweise durch das Verbot politischer Betätigung, durch Ausschluss aus den Gewerkschaften und nicht zuletzt durch den Ausschluss aus Gymnasium und Universität – führte dabei auch zu einem Ausschluss aus dem öffentlichen Diskurs. Ohne Beteiligung der Frauen wurden die Maßnahmen für Mütter so konzipiert, dass sie weiterhin von der Arbeitswelt ferngehalten wurden. Anders in Schweden: Dort gab es anfangs keine Unterscheidung zwischen geschlechtsspezifischen Regelungen bezüglich des Arbeitsschutzes. Die organisierte Frauenbewegung verhinderte Regelungen, die dazu geführt hätten, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt gewesen wären. Es kam nur zu einer gesetzlichen Mutterschaftsversicherung als Minimallösung (ebd. 311). Nullmeier und Rüb (1993) haben den parlamentarischen Diskurs zur Rentenreform mit einem „wissenspolitologischen Ansatz“ untersucht. Durch die Rekonstruktion des politischen Diskurses kamen sie zu dem Schluss, dass die Änderungen in der Rentenversicherung weniger auf Sachzwängen beruhte als in einem „Wandel der Interpretationsmuster und normativen Prinzipien“ (ebd. 19). Des Weiteren zeigen sie auf, dass die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten keinen Versuch darstellte, die Lebenslagen von Frauen zu formen, sondern einer biopolitischen Idee der Demographie-Steuerung folgte (Nullmeier / Rüb 1993: 160f., 17). Auch das Standardwerk „Politik als Ritual“ mit dem Murray Edelmann (2005 [1964]) den Begriff Symbolische Politik geprägt hat und ihre Funktion analysiert, kann hier eingeordnet werden. Weitere Untersuchungen der Makroebene beschäftigen sich mit dem Diskurs der öffentlichen Medien und ihrer Funktion für die Meinungsbildung (vgl. Eichhorn 1996, Hagen 2001). Am Diskurs über Arbeitslosigkeit, Arbeitslose und den Missbrauch von Sozialleistungen, die zu den am inten-
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sivsten untersuchten Bereichen gehören, wird gezeigt, wie solche Diskurse, die letztendlich auch konkrete politische Auswirkungen zeitigen können, funktionieren. Klagen über vermeintliches „Pensionsspekulantentum“, über „Simulanten“ und über „Selbstverstümmeler“, die sich Leistungen erschleichen wollen, gab es schon seit der Gründung der Sozialversicherungen (Nullmeier / Vobruba 1995: 42, siehe z. B. auch Schmidt 2005: 43 und Wogawa 2000: 37). Nach den Weltkriegen hat der Diskurs über die „faulen Arbeitslosen“ erst im Sommer 1975 – mit dem Beginn der Arbeitslosigkeit – einen ersten Aufschwung genommen. Er wurde vom sozialdemokratischen Bundesarbeitsminister Walter Arendt ausgelöst. Er klagte mehrfach über „sozialen Wildwuchs, einseitige Begünstigung und Leistungsmissbrauch im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und erhielt dabei von weiteren Politikern der Regierungskoalition und den Medien Unterstützung. Dagegen warf der Arbeitnehmerflügel der oppositionellen CDU der Regierung vor, sie „diffamiere Arbeitslose als Drückeberger“ (Oschmiansky / Schmid / Kull 2003: 4; s. a. Wacker / Paul 1975).
1981 gab es einen neuen Höhepunkt der Diskussion, als Heinz Westphal (SPD) im Deutschen Bundestag verkündete „dass es Leute gibt, die sich nicht scheuen, das geschaffene Netz sozialer Sicherung ohne Rücksicht auf die Solidargemeinschaft aus egoistischen Gründen für sich auszunutzen und damit zu missbrauchen“ (zit. n. ebd.: 5) Noch drastischer formulierte dann der CSU-Abgeordnete Erich Riedl: „[D]as soziale Netz [sei] für viele eine Hängematte – man möchte sogar sagen: eine Sänfte – geworden […]; eine Sänfte, in der man sich von den Steuer und Sozialabgaben zahlenden Bürgern unseres Landes von Demonstration zu Demonstration, von Hausbesetzung zu Hausbesetzung, von Molotow-CoctailParty zu Molotow-Coctail-Party und dann zum Schluss zur Erholung nach Mallorca oder sonst wohin tragen lässt“ (zit. n. Oschmiansky / Schmid / Kull 2003: 5). Die an diese erste anschließende zweite Phase von 1985–1990 bezeichnet Hans Uske als De-facto-Vollbeschäftigungsgesellschaft. Die höhere Arbeitslosigkeit wird zur Normalität und in den Medien bis 1990 immer seltener thematisiert. Es findet eine Welle der Entproblematisierung, der De-Thematisierung und der Marginalisierung der Arbeitslosigkeit statt. Während immer klarer wird, dass Arbeitslosigkeit eher ein Problem einer Randgruppe von Geringgebildeten ist (vgl. Uske 1995: 8), wird auch die gestiegene Arbeitslosigkeit zu einem Randproblem, zu einem „Sockel von Arbeitslosigkeit“, der akzeptiert werden muss (Uske 1995: 7, 219). Wie Uske sieht Leisering in dieser Zeit einen „sozialpsychologischen Gewöhnungseffekt“ wirken, der durch andauernde Thematisierung und Dramatisierung eher gefördert als konterkariert wurde (Leisering 1994:
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508). Als die Arbeitslosenzahlen nach der Vereinigung von West- und Ostdeutschland wieder stiegen, erreichte die Debatte 1993 einen weiteren Höhepunkt, in der Bundeskanzler Helmut Kohl vor dem „kollektiven Freizeitpark“ warnte (Oschmiansky / Schmid / Kull 2003: 5). In der Regierungszeit von Gerhard Schröder kam es zu einer dritten größeren Welle in der Missbrauchsdebatte: „Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft“ stellte Schröders Claim vom April 2001 dar. Dieser Diskurs lebte im August 2001 noch einmal auf, als der hessische Ministerpräsident Roland Koch bei einem Besuch des US-amerikanischen Programms Wisconsin Works zu der Äußerung inspirieren ließ: “Wer arbeitsfähig ist und sich einem Beschäftigungsprogramm verweigert, sollte sich auf ein sehr bescheidenes Leben bis hin zur Wohnunterkunft einrichten“ (zit. n. ebd. 5). Kurz vor der Abwahl der Regierung Schröder erreichte die Debatte ihren vorerst letzten Höhepunkt durch die Veröffentlichung des Pamphlets Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, „Abzocke“ und Selbstbedienung im Sozialstaat. Ein Report vom Arbeitsmarkt im Sommer 2005 durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BWA 2005, s. a. Clement 2005), das durch ein Vorwort des damaligen Bundesministers Wolfgang Clement eingeleitet wurde und stilistisch an Boulevard-Zeitungen angelehnt war (vgl. Dückert 2005). Der Diskurs über Arbeitslosigkeit und den Missbrauch von Leistungen der Arbeitslosenversicherung wird hauptsächlich durch Massenmedien vermittelt (Wogawa 2000: 10, Uske 2000: 169). Dabei sind diejenigen, über die geredet wird – die Arbeitslosen und Missbraucher – nahezu vom Diskurs ausgeschlossen (Wogawa 2000: 18). Der Missbrauchsdiskurs und seine Wellen stehen in keinerlei Verhältnis zum Ausmaß des „Missbrauchs“ – oder der „Faulheit“ von Arbeitslosen.174 So wurden die meisten Debatten in Zeiten angefacht, in denen die sowieso selten verhängten Sperrzeiten abnahmen (Oschmiansky / Schmid / Kull 2003: 9); auch hat sich noch niemand ernsthaft an eine Erklärung gewagt, wieso die Faulheit, die ja angeblich die Arbeitslosigkeit (mit)verursachen soll, sich so gleichmäßig parallel zur (Welt-)Konjunktur auf und ab entwickelt. Auffällig war, dass die meisten Debatten in Rezessionen ca. ein bis eineinhalb Jahre vor Bundestagswahlen stattfanden175 und wohl eher die Funktion hatten, Kürzungen von Leistungen der Arbeitslosenversicherung, die politisch gewollt oder wegen knapper Kassen notwendig waren, zu legitimieren (Wogawa 2000: 30. siehe z. B. 174
Vgl. Leisering 1994, Nullmeier / Vobruba 1995: 42. Stellt man den Diskurs der Massenmedien einem Referenzdiskurs wie dem wissenschaftlichen Diskurs gegenüber, so muss man immer bedenken, dass dieser natürlich genau wenig „essentialistisch“ gedacht werden darf. Auch ein wissenschaftlicher Diskurs ist „nur“ eine konstruierte Wirklichkeit. In dieser Diskursbeschreibung wird also auf die Diskrepanz dieser beiden Diskurse abgestellt. Weingart / Engels / Pansegrau 2002: 17, vgl. auch Wogawa 2000: 15f. 175 Oschmiansky / Schmid / Kull 2003: 3, 9; vgl. auch Wogawa 2000: 163
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BWA 2005) bzw. nicht eingelöste Wahlversprechen durch das Auffinden von Sündenböcken zu übertünchen (Oschmiansky / Schmid / Kull 2003: 6). Auch eine andere Charakteristik des Missbrauchsdiskurses kann Zweifel wecken, ob es im Missbrauchsdiskurs tatsächlich um den Missbrauch selbst geht: Zum Missbrauchsdiskurs gehört die Forderung nach mehr Kontrollen, höheren Strafen etc. Typischerweise werden dabei auch Regelungen gefordert, die bereits vorhanden sind und angewendet werden (Wogawa 2000: 30). Tatsächlich kann der Missbrauchsdiskurs mit allgemeinen Kürzungen oder Verschärfungen der Zumutbarkeitsregelungen einhergehen – er wird für deren Legitimation verwendet – die lauthals eingeforderten stärkeren Kontrollen (vgl. z. B. Clement 2005) gegen den Missbrauch werden jedoch nicht oder kaum umgesetzt. Auch dies deutet darauf hin, dass der Missbrauchsdiskurs eher die Funktion hat, politische Ereignisse vorzubereiten, zu „begleiten“ oder nachträglich zu kommentieren, als ein existierendes Problem zu benennen und für dessen Bearbeitung zu sorgen. (Vgl. z. B. Wogawa 2000: 151f.) So kommt Wogawa in einer Analyse von Zeitungsartikeln über den Missbrauchsdiskurs zu dem Schluss: Es gibt demzufolge eine deutliche Diskrepanz zwischen offensichtlich geforderten Maßnahmen und deren Eignung, tatsächlich Missbrauch zu verhindern. Dies könnte folgendermaßen erklärt werden; da Missbrauchserscheinungen insgesamt nur wenig relevant sind, wäre zusätzlicher Kontrollaufwand im Verhältnis zu einem eventuellen Nutzen viel zu hoch – dies dürfte auch jenen bekannt sein, die den Missbrauchsvorwurf instrumentell einsetzen. Außerdem würde das Muster „Missbrauchsargument“ damit langfristig entkräftet und seiner Wirksamkeit benommen (Wogawa 2000: 30).
Auf eine Diskrepanz zwischen Ausmaß der Diskussion über den Missbrauch der Arbeitslosenversicherung und Umfang des Problems des Missbrauchs weist unter anderem die geringe Anzahl verhängter Sperrzeiten in der Arbeitslosenversicherung hin (Oschmiansky / Schmid / Kull 2003: 8f.). Das immer wieder ins Spiel gebrachte Argument der Missbrauchsdebatte, dass hohe Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu langen „Erholungsphasen in der sozialen Hängematte“ führen, fand bisher keine oder nur geringe empirische Unterstützung (vgl. ebd. 2003: 21f., Knecht 2002: 81f.). Eine ähnliche Konstellation findet sich auch in anderen Bereichen der Missbrauchsdebatte wie Sozialhilfe, Gesundheit und Asyl. Untersuchungen zur Nutzung sozialstaatlicher Leistungen konnten weder ein verbreitetes Missbrauchsverhalten noch die Welfarisation-These, also die These, dass wohlfahrtsstaatliche Leistungen zu einer Gewöhnung oder sogar Abhängigkeit führen, bestätigen.176 Für die Sozialhilfe konnte als weit verbreitete Verhaltensweise nur das Non-Take-Up nachgewiesen werden, also der Ver176
Gebauer / Petschauer / Vobruba 2002, Leibfried / Leisering 1995, Jordan / James / Kay et al. 1992, s. a. Knecht 2000: 81f. und Ullrich 2003, mit Angaben weiterer Quellen.
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zicht auf Inanspruchnahme aus Scham oder Unkenntnis.177 Ähnliches gilt für den angeblich verbreiteten Missbrauch von Krankenkassenleistungen. Verschiedene Studien konnten zeigen, dass eine Krankenversicherung weder zu einem nachlässigen Gesundheitsverhalten, noch zu einer höheren Risikoneigung der Versicherten führt (z. B. Jaufmann / Mezger / Pfaff 1995, Twardowski 1998). Die Sozialversicherung scheint auch keinen negativen Einfluss auf die individuelle Solidaritäts- und Hilfsbereitschaft zu haben (vgl. Ullrich 2003: 15). Im Missbrauchsdiskurs der Massenmedien und der Politik werden besondere sprachliche und argumentative Techniken verwendet: Häufig wird der Missbrauchsvorwurf sehr unspezifisch erhoben (Wogawa 2000: 40, 141). Teilweise wird dabei offen gelassen, über welchen Themenbereich gesprochen wird, teilweise werden die Empfänger von sozialstaatlichen Leistungen pauschal verdächtigt, Missbrauch zu begehen. Das geht so weit, dass selbst die rechtskonforme Inanspruchnahme von Leistungen diffamiert wird. Die Ergebnisse empirischer Untersuchungen werden in der Missbrauchsdiskussion der Massenmedien und der Politik meistens völlig ignoriert. Die bestehenden Mechanismen zur Verhinderung des Missbrauchs werden typischerweise ausgeblendet, so dass eine missbräuchliche Inanspruchnahme unproblematisch erscheint (Wogawa 2000 42f.). In der Folge dieser Argumentation reicht die Existenz eines Leistungsgesetzes einen Missbrauch „nachzuweisen“ (ebd. 37f.). Als zentrale Technik kann die Deformierung der „Heere von Missbrauchern“ gelten. Beim diskursiven Dissen178 wird dabei häufig auf die immergleichen Bilder zurückgegriffen, die sich durch dauerhafte Verwendung im Sprachschatz und den Köpfen festsetzen können: „Drückeberger, Arbeitsunwillige, Schmarotzer“179 „fröhliche Aussteiger“180, „Faulenzer, Sozialbetrüger, Maßlose“181, „Sozialschmarotzer“182, „Asylmissbraucher“183, „Abzocker“ und „Parasiten“184, die als Ausdruck des „Sozialhyänentums“185, ihrer „Mitnahme-Mentalität“186 und der „Selbstbedienung im 177
Kayser / Frick 2000, Hartmann 1985, Leibfried 1976, van Oorshot 1995, s. a. Ullrich 2003; Wogawa 2000: 63 Das Wort Dissen entstammt der Sprache der Rapper. Es ist vom englischen Wort „disrespect“ abgeleitet und bedeutet „jemanden schlechtmachen, jemanden schräg anmachen, respektlos behandeln oder jemanden schmähen. Ursprünglich ein Slangausdruck aus den USA, kam es über die Hip-HopSzene – in der das Dissen zu einer eigenen Kunstform, dem Battle-Rap, erhoben wurde – auch nach Deutschland“ (Wikipedia 2008) 179 Uske 1995: 42 180 Uske 2000: 181 181 Kreft / Uske 1998: 111 182 Oschmiansky / Schmid / Kull 2003: 3 183 Vgl. Butterwegge 2005 184 BWA 2005: 10 185 Wogawa 2000: 9 186 BWA 2005: 3 178
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Sozialstaat“187 „unter dem Schutzdach der deutschen Sozialversicherung“188, in der „sozialen Hängematte“189 ihres „kollektiven Freizeitparks“190 „unter den Palmen von Bali“191, „im Schlaraffenland“192 ruhen – in der Hängematte, die sie mit einem „Trampolin“ verwechseln193 genauso wie sie den „Sozialstaat mit einer Melkkuh verwechseln“194, und sich damit auf das Niveau eines „Florida-Rolfs“ und eines „Viagra-Kalles“195 begeben.196 Allerdings scheint es so, dass dieser Diskurs mehr an die Sphäre der Politik selbst gerichtet ist, als an die Öffentlichkeit. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung von Nullmeier und Rüb (1993), die die Politik mehr und mehr mit sich selbst beschäftigt sieht: Auf der Politics-Ebene realisiert sich die Schließung gegenüber sozialen Bedürfnissen und neuen Problemlagen, durch die Entparlamentarisierung und korporative Verfassung von Entscheidungen sowie durch Bildung einer informellen großen Koalition. Sozialpolitik durchläuft politische Eigenzyklen: In kleinen Verhandlungszirkeln verlagerte Entscheidungsprozesse erhalten den Charakter von Reaktionen der politisch-administrativen Elite auf sich selbst und verlaufen ohne Einbeziehung der Öffentlichkeit. Die eigenzyklische Schließung des Politikprozesses und der kontinuierliche Verlust des Sozialen kennzeichnen das neue Stadium sozialpolitischer Entwicklung in Deutschland (Nullmeier / Rüb 1993: 18).
Obwohl der Missbrauchsdiskurs in der Politik hauptsächlich strategische Bedeutung hat – Wogawa (2000: 9) beschreibt ihn als ein „Instrument der Interessenvermittlung“ –, so wirkt er dennoch auf das Verständnis von Arbeitslosigkeit der Menschen. Missbrauch und Faulheit können sich als Deutungsmuster verfestigen, die Arbeitslosigkeit erklären sollen (vgl. Wogawa 19, Ullrich 2003: 15). So scheint der Legitimationsbedarf von Leistungskürzungen häufig ein Grund dafür zu sein, eine neue Runde der Missbrauchsdebatte zu beginnen (Wogawa 2000: 30, vgl. Oschmiansky / Schmid / Kull 2003: 6)197 oder den Wohlfahrtsstaat als Ganzen in der Öffentlichkeit in Misskredit zu bringen. 187
BWA 2005: 1 Norbert Blüm, zitiert nach: Uske 1995: 69 Wogawa 2000: 9. Zur Hängematte s. a.: Uske 2000 190 Helmut Kohl, zit. nach Oschmiansky / Schmid / Kull 2003: 5 191 Norbert Blüm, zit. nach: Uske 1995: 69 192 Focus 1995, Heft 43, zit. nach Uske 2000: 180 193 Focus 1995, Heft 43: 284, zit. nach: Wogawa 2000: 66; s. a. Uske 2000: 188 194 BWA 2005: 20 195 Vgl. Butterwegge 2005 196 Mehr zu den Techniken: Schetsche 1996: 87f., Jäger 2004 197 „Mit steigender Arbeitslosigkeit wird der Ruf nach Kürzungen im Bereich sozialer Sicherung und paradoxerweise [schließlich gibt es weniger offene Stellen und die strukturelle Ursache der Arbeitslosigkeit wird deutlicher (A. K.)] auch nach stärkerem Arbeitszwang lauter. [… Es] wird die vorgebliche Notwendigkeit dieser Maßnahmen besonders häufig mit dem Missbrauchsargument begründet, was die Konvergenz“ von Arbeitslosenzahlen und Diskurs erklären könnte (Wogawa 2000: 30). 188 189
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Gleichzeitig kann der Missbrauchsvorwurf der politischen Profilierung dienen, Politiker können versuchen damit ihre Innovations- und Durchsetzungsfähigkeit zu beweisen (ebd. 10). Fraglich ist, ob der Diskurs für Politiker nicht auch die psychologische Funktion hat, ihre Ohnmacht gegenüber der steigenden Arbeitslosigkeit vor der Öffentlichkeit zu kaschieren und Ohnmachtsgefühle abzuwehren. Liest man den Report des BWA und würde man ihn wörtlich nehmen, dann könnte man allerdings fast vermuten, dass in diesem Fall die Abwehrhaltung in einen Verfolgungswahn nahezu stalinistischer Art umgeschlagen ist, der in dem Glauben besteht, dass es den hinterlistigen Bürgern mehr und mehr gelingt, die wohlwollende Politik des Wohlfahrtsstaates böswillig zu unterminieren: „Die Abzocke des Sozialstaates braucht gesellschaftlichen Nährboden, um sich auszubreiten. Fast niemand würde sich im privaten Kreis einer Tat brüsten, wenn er damit rechnen müsste auf allgemeine Ächtung zu stoßen…“ (BWA 2005: 3). Hier werden nicht nur alle Arbeitslosen einem Generalverdacht des Missbrauchs ausgesetzt, sondern eine ganze Gesellschaft als Verschwörungs-Gemeinschaft dargestellt. Oschmiansky / Schmid / Kull (2003: 6) schließen aus ihrer Analyse des Ablaufs der Missbrauchsdebatten, dass das Missbrauchsargument hauptsächlich dazu dient, vor Wahlen die „politische Mitte“ anzusprechen bzw. zu mobilisieren, die „fast ‚chronisch’ zur Annahme [neigt], es werde mit den sozialen Leistungen Missbrauch getrieben“ (ebd. 10, vgl. auch Pioch / Vobruba 1995: 132). Für diese Erklärung spricht, dass der Diskurs häufig im Vorfeld von Bundestagswahlen in Gang gebraucht wird. Fraglich bleibt, auf welche Weise und in welchem Ausmaß mediale Diskurse auf die öffentliche Meinung wirken (vgl. Schenk 2007). Lutz Hagen zeigte durch eine Analyse der Wahrnehmung von in Medien thematisierter und von selbst erfahrener Arbeitslosigkeit, dass für die Problemdefinition eher der Mediendiskurs entscheidend ist (2001: 209f.), was durch andere Untersuchungen bestätigt wird.198 Dies rechtfertigt allerdings keine allgemeine Aussage über die „Macht der Medien“, da ihre Wirkung dennoch von Alltagserfahrungen abhängen kann: „Um so eher ein Problem auch direkt, d.h. medienunvermittelt erfahrbar ist, […] um so schwächer der Einfluss der Medien“ (ebd. 217). Im Umkehrschluss kann vermutet werden, dass nicht nur die Einschätzung der Wichtigkeit eines Themas, sondern auch die Mythenbildung bei den Themen, die hauptsächlich medial vermittelt sind, besonders groß sind. Bezüglich der Arbeitslosigkeit wird davon ausgegangen, dass die mit dem „Blame-the-Victim-Spiel“ (Trube 2003: 180) einhergehende Stigmatisierung auf die Selbstzuschreibungen der Arbeitslosen zurückwirken und „Stimmungen“ 198 Vgl. Wogawa 2000: 28; Pioch / Vobruba 1995: 134, Ullrich 2003: 15, für die Krankenversicherung: Ullrich 1995
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produzieren, die sich letztendlich auch auf die Verteilung und Umverteilung der Ressourcen auswirken (Wogawa 2000: 25, kritisch: Oorschot 2007: 134f.): Zudem zielen die „Faulheitsvorwürfe“ darauf, das sozialpsychologische Klima zu schaffen, um Leistungseinschränkungen oder auch Zumutbarkeits- oder Sanktionsverschärfungen den Boden zu bereiten. Missbrauchs- oder Faulheitsdebatten dienen hierbei als „mentales Einfallstor“, um auch die rechtmäßigen Leistungsempfänger auf diese negativen Anpassungsprozesse einzustimmen, ihr Widerstandspotential zu verringern und die politischen Folgewirkungen in Form von Stimmverlusten bei Wahlen zu begrenzen (Oschmiansky 2003: 16).
Fraglich ist, wie stark die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates unter der medialen Präsenz der Missbrauchsdiskussion „leidet“. Einerseits ist die Zustimmung zum Sozialstaat auch während der „Krisenjahre“ insgesamt hoch geblieben199; andererseits zeigt sich, dass staatliche Interventionen zur Armutsbekämpfung dann weniger befürwortet werden, wenn Armut als selbstverschuldet verstanden wird (Mau 2003: 121, Sachweh / Ullrich / Bernhard 2006: 500). Leisering geht davon aus, dass sich die Wahrnehmung sozialer Probleme über längere Zeiträume hinweg stark verändern kann: „Die Theorie sozialer Probleme, die problemspezifische Faktoren besser berücksichtigen kann, unterschätzt […] in ihren Themenkarrieremodell längerfristig wirksame kulturelle Faktoren sowie den Einfluss ‚objektiven’ gesellschaftlichen Wandels auf Änderungen der Problemdefinitionen“ (Leisering: 1994: 504). Dass Diskurse sehr unterschiedlichen Mustern folgen können und diese Diskursverläufe dann auch ganz andere Folgen zeitigen, kann hier noch einmal an einem Vergleich der Verantwortungs- und Schulddiskurse zum Thema Arbeitslosigkeit und dem Umweltdiskurs verdeutlicht gezeigt werden. Dass beide Themen lebensqualitätsrelevant sind, wurde im Kapitel 2.4.2 anhand der Diskussion der gesundheitlichen Folgen von Arbeitslosigkeit und des Umweltthemas Feinstaub dargestellt. Vergleicht man nun die beiden Diskurse, so zeigt sich, dass Verantwortung und Schuld auf sehr unterschiedliche Weise konstruiert werden. Im Diskurs zur Arbeitslosigkeit wird die Frage nach Verantwortung und Schuld ja stark individualisiert, was insofern verwunderlich erscheint, als das Ausmaß der Arbeitslosigkeit von den konjunkturellen Arbeitsmarktbedingungen abhängig ist (und es schwer vorstellbar ist, dass konjunkturelle Faulheit Auslöser dieser Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt ist200). Ganz anders verläuft die Diskussion über Verantwortung und Schuld bei der Umweltverschmutzung und 199
Vgl. Pioch / Vobruba 1995: 119 und Oorschot 2007: 134, s. a. Pettersen 1995: 203f., Ringen 1987: 57, Ullrich 2000: 133f., 2005: 217f. 200 „Mit steigender Arbeitslosigkeit wird der Ruf nach Kürzungen im Bereich sozialer Sicherung und paradoxerweise [schließlich gibt es weniger offene Stellen und die strukturelle Ursache der Arbeitslosigkeit wird deutlicher (Anmerkung von A. K.)] auch nach stärkerem Arbeitszwang lauter“ (Wogawa 2000: 30).
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
über den Ausstoß von CO2. Obwohl gerade hier die Verantwortung des Individuums als Emittent von Feinstaub und CO2, beispielsweise durch Autofahren und den Konsum umweltbelastender Güter, eigentlich offensichtlich ist, spiegelt sich das in der öffentlichen Diskussion kaum wider. Dass eine solche Schuldfrage zwar allmählich denkbar wird, aber bislang als Zumutung abgelehnt wird (siehe z. B. Klaus 2007), das kann exemplarisch an einem konfus argumentierenden Zeitungsartikel aufgezeigt werden. Er wendet sich gegen die Verwendung des Treibhausausstoßes „als Sündparabel und moralische Währung“, indem er die Argumentation ins Lächerliche zieht: Eine seltene Allianz von Politik, NGOs, Medien und Wirtschaft hat in den letzten Monaten ziemlich jede menschliche Lebensäußerung auf den Prüfstand gestellt und in CO2 umgerechnet. CO2- Rechner, an denen jeder seinen persönlichen „CO2-Fußabdruck“ errechnen kann, haben Hochkonjunktur. […] Wie viel CO2 verbraucht die elektrische Zahnbürste gegenüber der manuellen (94,5g zu 0g), wie viel der Radiowecker gegenüber dem Aufziehwecker (22,26g zu 0g)? Essgewohnheiten werden unter die Lupe genommen, herkömmliche Glühbirnen verteufelt und Duschköpfe angeprangert. […] Es findet eine CO2isierung des menschlichen Daseins statt (Berg 2007).
Normalerweise wird in der Umweltdiskussion die Frage von Verantwortung und Schuld eher auf eine Makroebene gehoben, was man als „makrotisieren“201 bezeichnen kann. Selbst im wissenschaftlichen Diskurs wird unter dem Begriff „Umweltgerechtigkeit“ nur über die Gerechtigkeit der Verteilung von Belastungen gesprochen, also nur die „Opferrolle“ thematisiert, es wird aber nicht über die unterschiedliche individuelle Produktion von Belastungen gesprochen, also über die „Täterrolle“ (siehe z. B. Schlüns 2007: 25). Ansonsten hätte die Boulevard-Presse schon längst Äquivalente zu Arbeitslosengeld- und SozialhilfeMissbrauchern, wie „Florida-Rolf“ und „Viagra-Kalle“ produziert. Wollte man die Phantasie spielen lassen, könnte man an einen skandalverdächtigen „FerrariEddi“ oder „Feinstaub-Eddi“ denken, der mit dem Auto zum Zigarettenholen fährt, oder man könnte an einen „Fernflug-Manni“ oder „Klimakiller-Manni“ denken, der jedes Jahr nach Thailand in den Urlaub fliegt. Im Diskurs zur Umweltverschmutzung und zum Klimawandel wird also Schuld und Verantwortung weniger bei Individuen gesucht, sondern auf die Ebene von Organisationen wie Unternehmen, Institutionen oder Staaten verschoben. So werden in der Klimadebatte gerne die USA oder China als Schuldige gehandelt, die den größten ProKopf-Ausstoß an CO2 beziehungsweise den größten absoluten CO2-Ausstoß im 201
Die Schuld der Kolonialisierung und am Holocaust kann für die Generation der Kinder der Täter nur über das Volk als Ganzes hergestellt werden, also mittels Makrotisierung; andererseits können die Täter versuchen, sich über den Mechanismus der Makrotisierung zu „entschulden“: Die Gegebenheiten der Zeit hätten ihr Handeln mit sich gebracht und gerechtfertigt.
3.3 Diskurs und Kultur als Rahmenbedingungen
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Staatenvergleich produzieren.202 Solche Schuldverschiebungen sind noch wenig untersucht, da die Schuld- und Verantwortungsforschung noch in ihren Kinderschuhen steckt, und so kann man über die Gründe ihrer Entstehung nur spekulieren.203 Ein Grund für die Unterschiedlichkeit der Diskurse könnte sein, dass die Arbeitslosen eine relativ genau abgegrenzte Gruppe von Menschen sind, wohingegen jeder Mensch auf irgendeine Art Umweltsünder ist. Zwar sind Arbeitslose eine heterogene Gruppe und ihre Lebenssituationen können sehr unterschiedlich aussehen, allerdings scheinen sich Themen, die abgrenzbare und benachteiligte Gruppen betreffen, besser für Missbrauchsdiskurse zu „eignen“ als Themen, die diffus sind und mehr oder weniger die gesamte Bevölkerung treffen. Die diffuse Abgrenzung macht es für Politiker schwierig, besondere Wählergruppen durch das Anprangern von „Sündern“ anzusprechen. Eine Rolle mag auch fehlendes Wissen spielen. Im Bereich Umwelt gibt es wenig Wissen über die Folgen von individuellem, umweltschädlichem Verhalten. Insbesondere ist wenig über die Verteilungswirkungen von Umweltschäden bekannt. Auch werden die Themen Umweltgerechtigkeit und soziale Verteilung der Umweltbelastungen204 erst seit kurzem in der Wissenschaft diskutiert.205 Der Umweltdiskurs hat deshalb noch keine dem Missbrauchsdiskurs äquivalente Gräben zwischen Gewinnern und Verlierern hervorgebracht. Zwar sind die Ursachen von Arbeitslosigkeit nicht restlos geklärt, aber die Verteilungswirkungen scheinen auf den ersten Blick einfach beschrieben zu sein: „Die Arbeitslosen liegen der Gesellschaft auf der Tasche“. Eine weitere Rolle für die unterschiedliche Diskussion von Schuld im Arbeitslosen- und im Umweltdiskurs könnte auch die Tatsache spielen, dass der Missbrauchsdiskurs sich besser in bestehende Großideologien einbauen lässt. Er zeigt sich anschlussfähig an die Standort-Diskussion, an den Diskurs über ausländische Mitbürger sowie an die „Jammerdiskurse“ des moralischen und kulturellen Untergangs und kann so neue Argumente für bestehende politische Positionen liefern. Demgegenüber steht der Umweltdiskurs, soweit er auf Verzicht und Suffizienzstrategien hinausläuft, gegen den hegemonialen Diskurs der Wichtigkeit von Wirtschaftswachstum (vgl. auch Neckel / Dröge / Somm 2004: 156). Es ist zu vermuten, dass ein Diskurs, der mehr Fragen aufwirft, als Antworten liefert, für die Politik eher ungeeignet ist (siehe ebd.). Vielleicht kann man die Verschiebung des Umweltdiskurses der Grünen – weg von der Forderungen des Umbaus der Industriegesellschaft, hin zu Argumentationen, dass ökologisches Handeln auch Arbeitsplätze schaffen kann und dass mehr Umweltschutz durch 202
Vgl. zum Umweltbewusstsein: Kuckartz / Rheingans-Heintze 2006 Siehe aber die Hinweise von Beck 1986: 144f., 150, 211f. und Keupp / Ahbe / Gmür et al. 2003: 277 204 So lautet der Untertitel des Buchs von Bolte und Mielck 2004. 205 Siehe z. B. Maschewsky 2004 und Hunsicker 2005 203
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Effizienzsteigerung möglich ist – in diesem Licht sehen. All diese Vermutungen müssen aber erst geklärt werden, da es sich um ein wenig erforschtes Gebiet handelt. Es ist aber klar geworden, dass in den Diskursen verschiedene kulturelle Selbstverständlichkeiten mitschwingen, dass die Diskurse nach unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten funktionieren und dass die Schuldzuschreibungen und Gerechtigkeitsvorstellungen in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich konstruiert werden (vgl. auch Groenemeyer 2001: 151f.). Die enge Verflechtung des Diskurses mit Machtinteressen und politischen Strategien, die Abhängigkeit des Diskurses von Wissen, wie auch die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, Argumentationen jenseits von bestehenden Diskursen zu etablieren, machen die Diskurse zu einer eigenen Analyse-Ebene von sozialpolitischem und lebensqualitätsbezogenem Handeln. 3.3.2 Wohlfahrtskultur und Kultur der Lebensqualität Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Diskursen überlappt sich mit der Kultursoziologie. Deshalb soll hier zuerst der Begriff der Kultur als ein dem Begriff des Diskurses verwandter eingeführt werden. Daran anknüpfend ergeben sich die Bedeutungen der Begriffe Wohlfahrtskultur und Lebensqualitätskultur. Anschließend wird anhand von drei Themen – der Bedeutung von Religion für den Wohlfahrtstaat, der kulturellen Interpretation von sozialer Ungleichheit und der Diskussion über Gerechtigkeit – beispielhaft die Bedeutung der Kultur für Wohlfahrt und Lebensqualität verdeutlicht. Es bestehen mehrere Möglichkeiten den Begriff Kultur zu definieren. Reckwitz (2000) hält vier mögliche Kulturbegriffe auseinander. Der frühe normative Kulturbegriff beschreibt eine „in irgendeiner Weise ausgezeichnete, erstrebenswerte Lebensweise“ einzelner Menschen (Reckwitz 2000: 66). Der Ausdruck „Kultur haben“ als Beschreibung eines Charakterzuges einer Person lehnt sich an diesen Kulturbegriff an. Der totalitätsorientierte Kulturbegriff beschreibt „keine ausgezeichnete Lebensform mehr, sondern die spezifische Lebensform eines Kollektivs in einer historischen Epoche“ (Reckwitz 2000: 72). Dieser Begriff von Kultur, der einem ethnologischen Verständnis folgt, umfasst die „Totalität der kollektiv geteilten Lebensformen eines Volkes“ (ebd.) und steht dem Begriff der Natur gegenüber. Der differenzierungstheoretische Kulturbegriff stellt schließlich eine Einengung gegenüber den beiden angeführten Kulturbegriffen dar. Unter Kultur wird nur mehr die intellektuelle und künstlerische Sphäre verstanden, also jenes Handlungsfeld „in dem die Produktion, Verteilung und Verwaltung von »Weltdeutungen« intellektueller, künstlerischer, religiöser oder massenmedialer Art stattfindet“ (ebd. 72). Beispielsweise stützt sich der
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Begriff des Kulturbetriebs auf ein solches Verständnis von Kultur. Im Fortgang dieser Arbeit soll aber ein vierter Kulturbegriff Verwendung finden, der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff. Kultur „erscheint hier vielmehr nun als jener Komplex von Sinnsystemen oder – wie häufig formuliert wird – von »symbolischen Ordnungen«, mit denen sich die Handelnden ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen und die in Form von Wissensordnungen ihr Handeln ermöglichen und einschränken“ (ebd. 84). Anders als beim differenzierungstheoretischen Kulturbegriff gibt es hier kein vom Handeln abgehobenes idealistisches Verständnis von Kultur: Wenn Kultur damit nicht nur als die Ebene kollektiver Sinnsysteme verstanden wird, sondern sich auf Sinnsysteme bezieht, die Handeln anleiten und sich im Handeln manifestieren, dann bietet es sich an, den Kulturbegriff mit dem Begriff des »Wissens« in Zusammenhang zu bringen. »Kultur« sind dann jene Sinnsysteme, über die die Akteure im Sinne von »geteilten« Wissensordnungen verfügen, die ihre spezifische Form des Handelns ermöglichen und einschränken (Reckwitz 2000: 85).
Ein solches Verständnis von Kultur entspricht dem cultural turn der Sozialwissenschaften, also der während der letzten beiden Jahrzehnte einsetzenden, verstärkten Hinwendung zu kulturwissenschaftlichen, interpretativen und konstruktivistischen Argumentationen (z. B. Reckwitz 1999: 19). Gleichzeitig weist ein solches Verständnis von Kultur eine große Ähnlichkeit mit dem Diskursbegriff auf. Der Foucaultsche Begriff des Diskurses und seine Vorstellung von MachtWissens-Komplexen einerseits und der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff andererseits verbinden gleichermaßen das gesellschaftliche „Sprechen über“, das „Denken über“, also die kollektive Sinngebung mit dem Handeln; sie betonen also die kulturelle Prägung bzw. Vorstrukturierung des individuellen Handelns. Allerdings werden die beiden Begriffe Kultur und Diskurs umgangssprachlich unterschiedlich konnotiert: Kultur wird eher als eine statische, unveränderbare Ordnung begriffen, die unhinterfragbare Deutungsmuster und Handlungsmuster produziert, während mit dem Begriff Diskurs die Idee von politisch umkämpften Einstellungen und wenig etablierten Wissensbeständen verbunden wird, die „en discours“ täglich umkämpft und hinterfragt werden. Diese Arbeit folgt aber einer anderen Begrifflichkeit, denn Foucault zählt gerade auch die gefestigten Wissensbestände zum Diskurs, wie auch der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff den steten Wandel von Kultur berücksichtigt (vgl. Knecht 1999: 330). Hier soll also der Unterschied zwischen Diskurs und Kultur nur als gradueller verstanden werden, wobei dann von Kultur gesprochen werden soll, wenn es um grundlegende Themen, um sehr komplexe Diskurszusammenhänge und um mehr oder weniger unhinterfragbare Wissensbestände und Einstellungen geht.
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Einem solchen diskursnahen bedeutungs- und wissensorientierten Kulturbegriff folgt auch Birgit Pfau-Effinger bei ihrer Definition von Wohlfahrtskultur. Sie versteht darunter einen complex of ideas to which welfare state policies refer. […] ‚Welfare culture’ in this sense means the relevant ideas in a given society surrounding the welfare state and the way it is embedded in society. It comprises the stock of knowledge, values and ideals to which the relevant social actors, the institution of welfare state and concrete policy measures refer. The cultural values and ideals which predominate in the welfare culture restrict the spectrum of possible policies of a welfare state (Pfau-Effinger 2005: 4).206
Die Spannbreite an unterschiedlichen Wohlfahrtskulturen ergibt sich insbesondere durch regionale und nationale, aber auch durch historische Unterschiede von Metadiskursen, wobei unter Metadiskursen – oder Schlüsseldiskursen – solche Diskurse verstanden werden, die grundlegende Themen behandeln und damit in viele andere Diskursstränge hineinwirken. Ein Beispiel für die Analyse eines wohlfahrtspolitischen Metadiskurses stellt die Arbeit Der Vorsorgestaat von François Ewald (1993) dar. Ewald zeigt am Beispiel Frankreich auf, wie Arbeitsunfälle und die daraus folgenden Versorgungsrisiken als gesellschaftliches Thema entdeckt wurden. Neue Methoden der Statistik konnten den Unfall als regelmäßiges Ereignis erkennbar machen, für das die Arbeitgeber eine Schuld oder Mitschuld trugen. Diese neue Sichtweise, die am Schnittpunkt von Industrialisierung, Entwicklung der Statistik und des Versicherungswesens entstand (ebd. 486f., 182f.), führte dazu, dass Risiken als gesellschaftliches, genauer gesagt: als nationales Problem gesehen werden konnten (ebd. 266f., vgl. auch Wagner / Zimmermann 2003). Diese Entwicklung war wiederum Voraussetzung dafür, dass ein Bedarf an einem weit reichenden Sozialversicherungswesen überhaupt postuliert werden konnte. Im Folgenden wird die Bedeutung der Kultur für den Bereich der Wohlfahrt anhand von drei Beispielen aufgezeigt: Zuerst wird die Bedeutung der Religion bei der Entstehung unterschiedlicher Wohlfahrtsstaaten thematisiert, gewissermaßen ein „klassisches“ Thema (1). Dann wird aufgezeigt, dass auch das Verständnis von sozialer Ungleichheit diskursiv produziert wird (2): Das Verständnis und die Thematisierung von sozialer Ungleichheit stellen einen Rahmen für Gerechtigkeitsdiskurse, und damit für die Begründung von Ansprüchen auf Interventionen. Schließlich wird aufgezeigt, dass auch ein Begriff wie Gerechtigkeit kulturell geprägt (und diskursiv umkämpft) ist (3).
206
Für weitere Definitionen des Begriffes Wohlfahrtskultur siehe Leisering 1994: 495, Kaufmann 1991 und Oorschot 2007: 130. Jausmann / Mezger / Pfaff 1995: 76 wollen mit den Begriffen gesellschaftspolitischer Großwetterlage und Sozialklima etwas Ähnliches beschreiben.
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(1) Besonders im Mittelalter hatte die Religion einen starken Einfluss auf das Verständnis von Armut. So wird davon ausgegangen, dass Arme wegen der vorherrschenden christlichen Interpretation von Armut weniger stigmatisiert waren als heute: Der zentrale Stellenwert von Fürsorge als Sorge um Not leidende andere [sic!] hängt theologisch mit der Würdigung der Armen durch Jesus zusammen (z.B. Lk 6, 20b), mit der im Mt 25 enthaltenen Aufforderung zu tätiger Barmherzigkeit, aber auch mit Jesu kritischen Worten Reichen gegenüber. Armut gewinnt dadurch eine theologische Dignität. Christologisch gesehen verkörpern Arme den leidenden Christus. Armut wird als frei gewählte auch für Reiche zu einer erstrebenswerten Lebensform. Arme fungieren spirituell als Lehrmeister für die Begüterten (Schnabl 2005: 22).207
Erst im späten Mittelalter setzte sich die positive Bewertung von Arbeit und Beruf durch (Kaufmann 1988: 76), die vor allem durch den Protestantismus verstärkt wurde, wie Max Weber in dem Aufsatz Die protestantische Ethik und der ‚Geist‘ des Kapitalismus gezeigt hat (Weber 1988 [1904]). Für die Gründung und Entwicklung des Wohlfahrtsstaates spielten dann christliche Moralvorstellungen der Caritas (lat.: „Nächstenliebe“) und der Diakonie („Dienst am Menschen“) eine wichtige Rolle. Die in Deutschland und Schweden bestehende enge Verbindung zwischen protestantischer Kirche und Staat, das lutherische Staatskirchentum (Kaufmann 1988: 80; vgl. auch Anzenbacher 1998: 173), stützte beispielsweise die Idee einer Übernahme staatlicher Verantwortung in der „sozialen Frage“ (Kaufmann 1988: 79f., Hornsby-Smith 1999: 176). Protestantism qualitatively changed church-state relationships which, in turn, facilitated the construction of the welfare state … This contrast between the Protestant and the Catholic nations explains the qualitative differences between their welfare states. These differences concern the degree of ‚stateness’ (the level of centralisation; the level of state-church integration; the degree of state intervention in the economy) and the degree of institutional coherence (universalism versus fragmentation) (Kersbergen 1995: 194f.).
Manow (2002) thematisiert den Unterschied zwischen den beiden protestantischen Spielarten: erstens, dem lutherischen Staatskirchentum (s. a. Kaufmann 1988: 80), der die Etablierung des Wohlfahrtsstaates als paternalistisches Projekt förderte und, zweitens, die reformistischen Bewegungen, die als (benachteiligte) Minderheiten anti-staatlich eingestellt waren und daher bei der Institutionalisierung des Wohlfahrtsstaates eher als Bremse wirkten (Manow 2002: 208). Im Unterschied dazu legte die katholische Christdemokratie in den Anfängen des Sozialstaates einen Schwerpunkt auf die Versöhnung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern (Kaufmann 1988: 85) sowie zwischen liberalem Kapitalismus 207
Siehe auch Oorschot 2007: 130
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einerseits und Sozialismus und Sozialdemokratie andererseits und suchte einen „dritten Weg“ (Hornsby-Smith 1999: 176). Religiöse Ideen und Überzeugungen stellen also den ideologischen Hintergrund dar, vor dem die Wohlfahrtsstaaten entstanden sind und sich entwickelt haben (vgl. Kaufmann 1988: 79); und das gilt nicht nur für die christlichen Religionen.208 Diese Einflüsse sind heute – trotz der eher abnehmenden Bedeutung religiöser Überzeugungen in der politischen Debatte – in den Ländern Europas noch deutlich zu erkennen und zu spüren. (2) Ein weiteres Schüsselthema der Wohlfahrtskultur stellt das Verständnis von sozialer Ungleichheit dar, denn wie Menschen soziale Ungleichheit wahrnehmen beziehungsweise auf welche Art solche Ungleichheit legitimiert werden muss, ergibt sich erst im Diskurs. In traditionellen Gesellschaften wird Ungleichheit als Ausdruck einer natürlichen Ordnung erlebt (Eder 1990: 178f.). Ungleichheiten unterlagen daher keinem oder nur einem geringen Legitimationsdruck. Ein Herrscher „von Gottes Gnaden“ muss seine Stellung nicht durch höhere Leistung rechtfertigen (vgl. ebd.). Erst die in der Aufklärung verkündete „Gleichheit der Menschen“ (vgl. Mau 2004), die als emanzipatorisches Argument der Bürger gegen den Adel diente, produzierte den Legitimationszwang für soziale Ungleichheit. Das kulturelle Verständnis von Ungleichheit hatte sich also grundlegend gewandelt. Der Ländervergleich zeigt, wie es unterschiedliche Deutungsmuster zu einem relativ homogenen Problem geben kann. So wurde die „soziale Frage“ in der Geschichte in Deutschland bis zum Ende der Weimarer Republik vor allem als Arbeiterfrage definiert, in England dagegen vor allem als Frage der Einkommensarmut. In Frankreich war die durch die Industrialisierung bedrohte Familie Ausgangspunkt sozialpolitischer Interventionen (Kaufmann 1988: 69, vgl. Ostner 1995: 63, vgl. aber auch Foucault 2006: 154f.); und in Schweden wurde die soziale Frage sehr früh schon als Problem mehrdimensionaler sozialer Ungleichheit verstanden (vgl. Kaufmann 1991: 25, Schmid 2002: 33). Diese Deutungsmuster, die die Diskurse teilweise bis heute beeinflussen, stellen den Rahmen dar, innerhalb der Forderungen / Gerechtigkeitserwägungen etc. überhaupt möglich sind (vgl. auch Oorschot 2007: 133). Auch die Veränderungen in der Wahrnehmung von Geschlechterverhältnissen können die Kulturabhängigkeit der Interpretation sozialer Ungleichheit aufzeigen. Die zunehmende Thematisierung der Geschlechterungleichheit, vor allem durch die Frauenbewegungen während des letzten Jahrhunderts, führte tendenziell zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse, z. B. was Einkommen, Bildung, Lebensläufe, Interessen etc. betrifft. Dies hat aber gerade nicht zu der 208
Zur sozialpolitischen Bedeutung des Konfuzianismus in Ostasien siehe Rieger / Leibfried 1999.
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Wahrnehmung einer größeren Gleichheit zwischen den Geschlechtern geführt, sondern eher zu der Entdeckung und Thematisierung immer neuer Ungleichheiten, wie ungleichen Beförderungschancen trotz gleicher Bildung und Leistung (vgl. z. B. Kohlenberg 2006), oder wie die ungleiche Berücksichtigung von Frauen und Männern bei öffentlichen Ausgaben (vgl. Nollmann 2003: 18)209. Gottschall (2000: 33) hält es für einen scheinbar paradoxen Sachverhalt, dass geschlechterspezifische Ungleichbehandlung in einer historischen Situation zum Gegenstand sozialer und politischer Auseinandersetzungen werden, in der Frauen nach traditionellen meritokratischen und politischen Kriterien (Bildungsgewinne, berufliche Integration) materielle und rechtliche Angleichung erreicht und auch Autonomiegewinne in der privaten Lebensführung erzielt haben (Gottschall 2000: 33).
Gottschall dient dieser Umstand als Beleg für die Wichtigkeit einer kulturorientierten Betrachtungsweise (s. a. Nollmann 2003: 17f.), denn „offensichtlich entzünden sich soziale Konflikte nicht nur an Verteilungsfragen und Partizipationschancen, sondern auch an der Frage nach der Interpretation von Gleichheit bzw. der Legitimation von bestimmten Formen von Ungleichheit“ (Gottschall 2000: 33). (3) Ein drittes Beispiel für einen wohlfahrtspolitischen Metadiskurs stellt der Diskurs zum Thema Gerechtigkeit dar. Der Begriff Gerechtigkeit erweist sich als vage, vieldeutig und bleibt politisch umkämpft. Das ist symptomatisch für das Gezerre um den Begriff und sollte deshalb nicht als Problem verstanden werden, das definitorisch gelöst werden kann. Im politischen Diskurs muss jede Partei ihre Vorstellungen und Ideen auch als gerecht darstellen können. Allerdings kann Gerechtigkeit auch gegen andere Argumente aufgewogen oder ausgespielt werden: Rechtskonformität, Verantwortungszuschreibung, Tradition, Nächstenliebe, Würde, Solidarität210, Mitleid, Subsidiarität sowie pragmatische Argumente wie Effizienz, Effektivität, Praktikabilität, organisatorische Einfachheit oder auch Thatchers TINA-Argument: „There is no Alternative” können hierbei eine Rolle spielen.211 Dass die Parteien ihre politischen Vorstellungen auf irgendeine 209
Die Methode Gender Budgeting, mit der solche Effekte gemessen werden können, wurde zuerst in den 80er Jahren in Australien angewendet. Sie hat sich in den 90ern in den angelsächsischen Ländern verbreitet und seit Beginn des neuen Jahrhunderts auch den Weg in den politischen Diskurs gefunden (Neumayr 2003: 12). Siehe zu Gender Budgeting auch Bergmann / Gubitzer / Klatzer et al. 2004, BEIGEWUM 2002. 210 Vgl. z. B. Pioch 2000: 439 211 So kann der politische Diskurs zum Thema Arbeitslosigkeit – um dieses Thema noch einmal aufzugreifen – in verschiedenen Wohlfahrtskulturen sehr unterschiedlich aussehen: Er kann als Diskussion über Bedarfsgerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit geführt werden, aber auch als Diskurs über Leistungsmissbrauch, Sparzwang (vgl. Bleses / Rose 1998) oder als makroökonomisches Problem.
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Weise diskursiv als gerecht plausibel machen müssen, scheint dabei eher zweitrangig (siehe z. B. Oorschot 2007: 133). Gerade die Etablierung der Vorstellung von Alternativlosigkeit kann ein unumstößlicheres „Argument“ darstellen als irgendwelche Bezüge zu abstrakten Gerechtigkeitsvorstellungen (Siehe auch Opielka 2008: 132). Das Ausmaß, in dem sich auf „Gerechtigkeit“ bezogen wird, kann also sehr unterschiedlich sein. Nachdem in der politischen Diskussion der Begriff Gerechtigkeit mit ganz unterschiedlichen Inhalten belegt wird, wird häufig versucht, die Spannweite an Bedeutungen durch die Identifikation von Paradigmen, Clustern oder grundlegenden Haltungen212 zu systematisieren. Solche Paradigmen stellen typische Kombinationen von Argumenten, Ansichten und Einstellungen dar, die sich teilweise logisch ergänzen und so gegenseitig stützen – und mit denen unterschiedliche Gerechtigkeitsfragen zu bearbeiten sind. Leisering, der Paradigmen als „sozial kontextuierte Wertideen“ definiert (Leisering 2004: 30), findet vier solcher Paradigmen, die den bundesdeutschen sozialpolitischen Diskurs bestimmen: Bedarfsgerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit, produktivistische Gerechtigkeit und Teilhabegerechtigkeit. – „Bedarfsgerechtigkeit besagt, dass Ansprüche auf Ressourcen nach – unterschiedlich definierbaren – sozial zugeschriebenen, vor allem staatlich festgelegten Bedarfen bemessen werden sollen“ (Leisering 2004: 33). Dieses Paradigma korrespondiert mit der Betonung der Notwendigkeit staatlicher Eingriffe, insbesondere einer sozialstaatlichen Armutsvermeidung, in ihm verkörpert sich die Wertidee der Menschenwürde. Nach Leisering spielt es schon seit den 80er Jahren eine besondere Rolle im „umbaukritischen Diskurs“ (ebd. 34). – „Leistungsgerechtigkeit bedeutet dagegen: ‚Wer mehr leistet als andere, soll auch mehr erhalten’“ (ebd. 33). Der Markt, aber auch die beitragsäquivalenten Sozialleistungen (z. B. Rente) verkörpern dieses Paradigma, das unter Leistung in erster Linie gutbezahlte Erwerbsarbeit versteht. Gemäß dieser Gerechtigkeitsvorstellung – und gegen die Vorstellung der Bedarfsgerechtigkeit – werden beispielsweise Workfare-Programme, also Arbeitsprogramme für Arbeitslose, gefordert. – „Gemäß produktivistischer (oder ‚funktionalistischer’) Vorstellungen von Gerechtigkeit […] gelten soziale Verhältnisse, etwa Ungleichheiten am Markt als gerecht, wenn sie mittel- und langfristigen Nutzen stiften, nämlich die Wohlfahrt maximieren“ (ebd. 33). Gegenüber den ersten beiden Paradigmen, die sich an der Verteilung von Gütern orientieren, orientiert sich dieses Paradigma an der Vorstellung einer „Erhöhung des Verteilungsvolumens“ (ebd.). 212
Vgl. Kaufmann 2005: 107f., der „grundsätzliche Haltungen“ als Ausdruck „unterschiedlicher ‚Wohlfahrtskulturen’“ darstellt.
3.3 Diskurs und Kultur als Rahmenbedingungen
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Dabei wird unterstellt, dass sich bei größerer Ungleichheit das Wirtschaftswachstum vergrößert und das Verteilungsvolumen zunimmt. Dieses Argument spielte insbesondere eine Rolle im neoliberalen Diskurs der 90er. Leisering sieht dieses Argument getragen durch „’die Wirtschaft’, die freien Berufe, zunehmend Angestellte und Kleinunternehmer in neuen Branchen aber auch, verschämt, Gewerkschaften und SPD“ (ebd. 36). Er betont dabei, dass das Wachstumsparadigma allerdings auch auf den Sozialstaat angewendet wird, etwa wenn sozialpolitische Interventionen als wachstumsfördernde Investition in eine „funktionierende Gesellschaft“ betrachtet werden (ebd. 36). – Teilhabegerechtigkeit versteht Leisering als ein sich neu formierendes Gerechtigkeitsparadigma, das sich aus der Diskussion ‚neuer’ sozialer Ungleichheiten ergibt, die in keinem direkten Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt stehen und sich an Unterscheidungsmerkmalen wie Alter, Generationszugehörigkeit, Geschlecht, Ethnizität oder Nationalität festmachen. Die hier vorgebrachten sozialen, nicht nur ökonomischen Gerechtigkeitsvorstellungen können sich in unterschiedlichsten Normen sozialer Teilhabe manifestieren, etwa in Gleichheit, aber auch in Ungleichheit, Diversität und Pluralität, sozialer Anerkennung und Partizipation. Hier zeichnet sich eine neue Gerechtigkeitsvorstellung ab, eine Teilhabegerechtigkeit, die […] mehr auf Zivilgesellschaft, Partizipation und Menschenrechte setzt (ebd. 37).
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Wolfgang Merkel (2001), der für eine Einteilung der Gerechtigkeitsvorstellungen auf den philosophischen Diskurs zurückgreift. Er ordnet verschiedenen politischen Grundpositionen exemplarisch Vertreter des sozialphilosophischen Diskurses zu.213 Dann legt er dar, in welchem Ausmaß diese Gerechtigkeitsvorstellungen in verschiedenen Ländern bzw. Wohlfahrtsregimen realisiert sind. Dass die philosophischen Gerechtigkeitskonzepte im politischen Diskurs immer wieder gefunden werden können, hängt natürlich damit zusammen, dass die beiden Diskursstränge, philosophischer Gerechtigkeitsdiskurs und politischer Gerechtigkeitsdiskurs, immer wieder interagieren. Beispielsweise werden die von Aristoteles eingeführten Begriffe iustitia distributiva und iustitia commutativa, die Idee des Utilitarismus oder Rawls (1979) „Theorie der Gerechtigkeit“ – seine Vorstellung einer egalitären Grundeinkommenssicherung – vom politischen Diskurs immer wieder aufgegriffen und dienen ihm als Orientierung. Jedoch lässt sich die Geordnetheit philosophischer Gerechtigkeitsargumente im empirischen politischen Diskurs nicht wiederfinden (vgl. auch Neckel / Dröge / Somm 2004: 162). In politischen Debatten wird wie gesagt oft spontaner und „kleinteiliger“ – also ohne Bezug auf Großideologien – argumentiert, und die Notwendigkeit, Politik als gerecht darzustellen, scheint für 213
Die libertäre Position sieht er am besten durch von Hayek repräsentiert, die sozialliberale Position durch John Rawls und die kommunitaristische Position durch Michael Walzer.
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die politische Praxis keine starke Einschränkung von Handlungsspielräumen darzustellen. Auch Opielka (2004) kommt zu einer sehr ähnlichen Unterteilung der Gerechtigkeitskonzepte, die er allerdings nicht aus dem politischen Sozialstaatsdiskurs extrahiert, sondern theoretisch herleitet: Er unterscheidet zwischen Bedarfsgerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit und Teilhabegerechtigkeit (48f.). Diese Gerechtigkeitskonzepte kann er einerseits den politischen Großideologien Sozialdemokratie, Liberalismus und dem Konservativismus zuordnen, wie auch verschiedenen Wohlfahrtsregimen, also verschiedenen Typen von Wohlfahrtsstaaten (siehe Kap. 3.4.1, vgl. auch Opielka 2006). Dass die Gerechtigkeitsvorstellungen in verschiedenen Ländern divergieren, lässt sich auch empirisch zeigen: Einerseits gibt es in den verschiedenen Ländern häufig vertretenene Meinungen – Schwerpunkte –, andererseits unterscheiden sich die Strukturen der Meinungsspektren, insbesondere nach sozialen Gruppierungen. Svallfors (2003: 508) kann das in einer Auswertung des International Social Survey Programme (ISSP)214 verdeutlichen: Seiner Untersuchung lässt sich einerseits ein großer Unterschied in der Zustimmung zum Wohlfahrtsstaat entnehmen; insbesondere in den englischsprachigen Ländern ist die Zustimmung deutlich geringer. Allerdings zeigen sich auch berufsgruppenspezifische Muster: Die Gruppe der Arbeiter stimmt in jedem Land dem Wohlfahrtsstaat am meisten zu. Auffällig sind auch die großen Unterschiede in der Zustimmung zwischen den Arbeitern und der höheren Dienstklasse in manchen Ländern wie Schweden, Frankreich und Deutschland (Svallfors 2003: 508, vgl. auch Arts und Gelissen 2001). Mau (1997) verwendete die Daten des ISSP für einen Vergleich der Länder Schweden, Großbritannien und Deutschland. Aus den Fragen bildete er vier Bereiche um die Gerechtigkeitsvorstellungen der Bevölkerungen abzubilden. Ein erster Bereich beschäftigt sich mit der Funktion von sozialer Ungleichheit. Sie kann positiv interpretiert werden als notwendig für die Arbeitsmotivation, als Mechanismus, der sinnvoll ist, für das Wirtschaftswachstum oder negativ als Ergebnis von Herrschaftsinteressen. In allen Ländern überwog die Motivationsfunktion als Rechtfertigung sozialer Ungleichheit; insbesondere in Deutschland, wo 80% der Befragten dieser Funktion von sozialer Ungleichheit zustimmten. Dagegen wurde das Wirtschaftswachstum in allen Ländern als wenig relevant für die Rechtfertigung sozialer Ungleichheit angesehen; in keinem Land stimmten mehr als 40% der Befragten dieser Funktion zu. Der Herrschaftsfunktion, die soziale Ungleichheit als Ergebnis der Interessen mächtiger Kreise sieht, stimmen 214
Das ISSP ist ein Survey, für den mittlerweile in über 40 Ländern Daten zu den Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger erhoben werden. Jüngere Ergebnisse für Deutschland wurden von Schrenker und Ramge (2007) aufbereitet.
3.3 Diskurs und Kultur als Rahmenbedingungen
181
in Schweden unter 40%, in England 50%, in Westdeutschland über 60% und in Ostdeutschland über 70% zu (Mau 1997: 54). Auf der gewählten Interpretationsfolie wohlfahrtsstaatlicher Regime und sozialer Leitbilder ist insbesondere die international variierende Bedeutung der Herrschaftsfunktion und der Wachstumsfunktion von Relevanz. Hier zeigen sich in den Gesellschaftsbildern der Bevölkerungen Spuren sozialer Normen und Vorstellungen, die in die sozialen Institutionen und national favorisierten Politiken Eingang gefunden haben. Schwedens Ungleichheitsstruktur besitzt demnach die größte Legitimität. Danach folgen, in gradueller Abstufung, Großbritannien, Westdeutschland und dann die ehemalige DDR (Mau 1997: 55).
Eine zweite Perspektive auf das Gerechtigkeitsbewusstsein in der Bevölkerung gestatten Fragen zur Zuteilung gesellschaftlich attraktiver Positionen. Wird sie eher durch Leistung, durch Ressourcen wie soziales Kapital oder durch so genannte „horizontale Askriptionen“ wie Geschlecht, Rasse, Religion erklärt? In allen Ländern findet die Leistungsfunktion die höchste Zustimmung. 84% der britischen Bevölkerung, 66% der schwedischen, 71% der ostdeutschen und 52% der westdeutschen Bevölkerung hielten „harte Arbeit“ für essentiell oder sehr wichtig „wenn es um das Vorwärtskommen im Leben geht“ (Mau 1997: 58). Bezüglich personaler Netzwerke, die häufig kritisch gesehen und der Leistungsgerechtigkeit entgegenlaufend verstanden werden („Vitamin B“), zeigen sich große Unterschiede: In Großbritannien halten sie nur 35% für relevant, in Schweden 38%, in Westdeutschland 53%% und in Ostdeutschland 59%. Horizontale Askriptionen werden in allen Ländern für wenig wichtig gehalten (ebd. 59). Des Weiteren wurden die Einstellungen zu der bestehenden Einkommensungleichheit abgefragt. Der Aussage „Die Einkommensunterschiede sind zu groß“ stimmten in Schweden 61%, in Großbritannien 81%, in Westdeutschland 83% und in Ostdeutschland 97%“ zu (Mau 1997: 59). Allgemein hohe Zustimmungen zu dieser Frage werden durch Untersuchungen, die auch andere Länder einschließen, bestätigt (z. B. Zwicky 1991 für die Schweiz). Bei der Interpretation dieser Unterschiede muss man allerdings immer berücksichtigen, dass sich die Fragen auf Sozialstaaten beziehen, die tatsächlich unterschiedlich strukturiert sind. Ein vierter Bereich der Untersuchung von Mau befasst sich mit den gewünschten staatlichen Interventionen. Die Fragen beziehen sich auf staatliche Arbeitsplatzgarantien, auf staatliche Einkommensumverteilung, die Reduktion von Einkommensdifferenzen und auf die Bereitstellung eines Basiseinkommens (Mau 1997: 64). Alle vorgeschlagenen Interventionen erreichten in Ostdeutschland die größte Zustimmung von bis zu 90%. Während in Schweden und Deutschland Interventionen zur Sicherung der Vollbeschäftigung präferiert wurden, wurde in Großbritannien mit 68% Zustimmung die Bereitstellung eines
182
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
Basiseinkommens favorisiert. Diese Antworten spiegeln die Schwerpunkte der jeweiligen Sozialpolitik wider. Ein Vergleich der Varianzen der Ländervariablen mit den individuellen Variablen zeigt auf, dass die Erklärung der Ländervariablen deutlich größer ist als der von Individualmerkmalen, was ein Hinweis darauf ist, dass die Einstellungen weniger aus Eigen- oder Gruppeninteressen resultieren, sondern in erster Linie durch eine länderspezifische Kultur geprägt ist (Mau 1997: 85f.) und die Bevölkerung den Status quo ihres jeweiligen Landes im Großen und Ganzen bestätigt. Mau (1997: 46) nennt dies „Gewöhnungseffekte, die eine normative Leitwirkung haben.“ Dieser Ländereffekt stellt also den Hintergrund dar, vor dem sich die Variabilität individueller Einstellungen abspielt. Dabei haben die Individualmerkmale Geschlecht, Alter, soziale Selbsteinstufung, Bildung und Individualeinkommen und insbesondere die Parteipräferenz eine besondere Bedeutung (Mau 1997: 45, 49, 85). Die Bedeutung der Parteipräferenz kann als Hinweis auf die Existenz mehrerer „Sub-Wohlfahrtskulturen“ verstanden werden, die sich in der Parteienlandschaft abbilden. Auch andere Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass die individuellen Merkmale eine Rolle spielen, wenn auch keine große (Sachweh / Ullrich / Bernhard 2006: 491f., 501, Mau 1998: 27, Oorschot 2007: 134, vgl. auch Ullrich 2000: 3). Die Variationen sind im Allgemeinen zu gering, um von einem rein „rationalen“, an materiellen Vorteilen orientierten Median-Voter auszugehen (vgl. Offe 1990: 200; Schmidt 2000: 230). Das bedeutet, dass kulturelle Überzeugungen auch gegen den materiellen Vorteil stehen können (vgl. Oorschot 2007: 134, Sachweh / Ullrich / Bernhard 2006: 491f.).215 Anhand der Beispiele Religion, Soziale Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit wurde dargestellt, auf welche Weise die Kultur den Wohlfahrtsstaat prägt. Dieses Ergebnis erweitert noch einmal die Analyse zu den Wohlfahrts- und Lebensqualitätsdiskursen. Es wurde klar, dass sowohl in die Kultur als auch in die politischen und gesellschaftlichen Diskurse „Wahrheiten“ eingelassen sind, die als Rahmen dienen – beziehungsweise als Folie, vor der die Produktion von Lebensqualität überhaupt erst stattfinden kann. Gesellschaften verfügen dabei über Wissensbestände, die tiefer verankert sind und deshalb weniger oder nicht hinterfragbar sind, und über Wissensbestände, die angreifbarer und vielleicht sogar aktuell umkämpft sind. Wir haben gesehen, dass die Diskurse auf verschiedenen Ebenen wirken und analysiert werden können: Die abstrakteren politischen oder 215
Als Beispiel für eine solche Ansicht kann die These dienen, dass eine Rentenreform nur solange stattfinden kann, wie nicht eine Mehrheit davon benachteiligt wird. Diese von H.-W. Sinn vertretene These (Sinn / Übelmesser 2000), ist wohl Unsinn (Kohli 2003: 540, Oorschot 2007: 134, vgl. auch Mayer 2005: 45). Eine Mehrheit von älteren Mitmenschen bedeutet weder, dass diese die Notwendigkeit von Reformen nicht verstehen könnten, noch dass sie ihre materiellen Interessen politisch gegen „die Jungen“ durchsetzen wollen. Bei der Meinungsbildung spielen eben auch kulturelle Überzeugungen, beispielsweise die Solidarität zwischen jungen und alten Mitbürgern, eine Rolle.
3.3 Diskurs und Kultur als Rahmenbedingungen
183
medialen Diskurse können auf die Alltagsdiskurse einwirken und die wissenschaftlichen Diskurse auf die politischen. In dem nie endenden Prozess interpretiert die Gesellschaft – interpretieren die Menschen – sich selbst und sie konstruieren dabei auch Vorstellungen von Ungleichheit, von Gerechtigkeit und von der Verantwortlichkeit für soziale Fragen und Probleme. Dabei wird bestimmt, wer arbeiten soll und aus welchen Gründen, wer Steuern zahlen soll, wer aus welchen Gründen welche Leistungen erhalten soll, welches Ausmaß der Staatstätigkeit das „richtige“ ist und welche Interventionen „nötig“ sind. Folgende Themen und Fragen können dem Bereich der Wohlfahrts- und Lebensqualitätskultur zugerechnet werden: – Die Definition von Wohlfahrt und die Ziele der Gesellschaft: Was wird unter Wohlfahrt und Lebensqualität verstanden? In welchem Maß stellen Wohlfahrt oder Lebensqualität überhaupt Ziele einer Gesellschaft dar? – Die Beschreibung von sozialer Ungleichheit: Welche Ungleichheitsthemen beherrschen den Diskurs? Einkommen (Nollmann 2003: 21), Bildung, Gesundheit? Auf welche Art werden Hierarchien geschaffen? Welche Bedeutung hat der Konsum für die gesellschaftliche Positionierung? Wie wird soziale Ungleichheit konnotiert? Wie wird das Verhältnis zwischen Ungleichheit und Wohlfahrt oder Lebensqualität konstruiert? – Rechtfertigungen sozialer Ungleichheit: Wie wird soziale Ungleichheit, wie ungleiche Verteilungen an Ressourcen und Wohlfahrt gerechtfertigt? Auf welche Ideologien wird Bezug genommen? Welche Unterschiede erfahren welche Akzeptanz? – Gesellschaftliche Verantwortung: Wie wird die gesellschaftliche Verantwortung konstruiert? Welche Bedeutung erhalten gesellschaftliche Interessen und welche individuelle Interessen? Welche Rolle spielen Solidarität oder individuelle Verantwortung? Welche Einstellung gibt es gegenüber ökologischen Problemen und ökologischen Lebensstilen? – Interventionen: Welche Interventionen sind etabliert, welche werden verhandelt? Welche Rolle spielen soziale Lösungen, welche technische Lösungen? Stehen Suffizienz oder Effizienz im Vordergrund? Wie werden Interventionen gerechtfertigt? Wem wird die Zuständigkeit zugeschrieben? Wie wird das Verhältnis zwischen Staat und Individuum definiert? – Welche Tabus / blinde Flecken gibt es?
184
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
3.3.3 Die Subjektivierung von Lebensqualität Auf dem Forschungsgebiet der Diskursanalyse wird in jüngster Zeit verstärkt der Frage nachgegangen, welche Wirkung von Diskursen – aber auch von anderen Macht ausübenden Umständen – auf das subjektive Verständnis von Individuen, also auf ihr Verständnis von sich und der Welt, ausgehen. Diese Wirkung der Diskurse auf das Individuum, die man im Rahmen psychologischer Theorien wohl in Beziehung zu den Konzepten Internalisierung oder Identifikation bringen würde, wird in diesem Zusammenhang als „Subjektivierung“ bezeichnet. Anders formuliert: Die Diskurse machen nicht Halt vor dem Individuum, sondern werden Teil seines Verständnisses von sich: Wie sehen Individuen sich selbst, wie möchten sie gesehen werden, diese Fragen stehen hier genauso im Forschungsinteresse wie Fragen danach, welchen identitären Zwängen sich Menschen selbst ausgesetzt sehen und wie sie versuchen, sich dagegen zu positionieren, zu wehren. Denn den Individuen wird […] ein (alltagsweltlich relevantes) Wissen möglich, das sie dazu bringen kann, sich auf ›normale‹ und ›nützliche‹ Weise (entsprechend der ›gesellschaftlichen Situation‹, so wie sie diese ›für-wahr-nehmen‹ und erfahren) zu sich selbst und zur Welt um sie herum zu verhalten. Ebenso ermöglicht dies Individuen, sich gegen diese ihnen zugeschriebenen Positionierungen und normativen Skripts der Normalität und Eingepasstheit zu wenden und so ein ›widerständiges‹ Selbst-Verständnis und Selbst-Verhältnis zu entwickeln und darzustellen (Bührmann / Schneider 2008: 71).
Die Subjektivierung verläuft also nicht linear in dem Sinne, dass man aus der Rezeption spezieller Diskurse auf spezielle Weisen der Subjektivierung und auf einheitliche Einstellungen, Meinungen oder Gefühle schließen könnte. Zum einen gibt es nicht nur einen Diskurs, sondern – wie oben ausgeführt – ein Geflecht verschiedener Diskurse / Diskursstränge, so dass es auch immer mehrere Bezugsmöglichkeiten gibt. Zum anderen gibt es auch eine Anzahl unterschiedlicher sozialer Positionen, die zu verschiedenen Weisen von Subjektivierungen führen können. Bührmann und Schneider (2008), die dieses auf Foucault zurückgehende Konzept weiter ausarbeiten, unterscheiden deshalb zwischen Subjektivierungsweisen und Subjektformierungen / Subjektpositionierungen: Der Begriff der Subjektivierungsweise „kann dabei verstanden werden als die gesellschaftlich vorgegebene […] produzierte und vermittelte Art und Weise, wie sich Individuen im Verhältnis zu und im sozialen Austausch mit anderen bzw. mit der Welt selbst wahrnehmen, (leibhaftig) fühlen und in ihren verkörperten Praktiken mehr oder weniger habitualisiert präsentieren“ (Bührmann / Schneider 2008: 60). Dies kann zwar auch auf eine widerständige Weise erfolgen; sie bleibt dabei eine Weise die sich nur in Relation zur Gesellschaft denken lässt. Demgegenüber enthalten die diskursiv vermittelten Subjektformierungen und -positionierungen „Wissen darüber, wer der einzelne im Verhältnis zu anderen sein soll, welche
3.3 Diskurs und Kultur als Rahmenbedingungen
185
Praktiken dabei zu verfolgen sind und welche Bewertungen damit einherzugehen haben“ (Bührmann / Schneider 2008: 69). Die Subjektformierungen und -positionierungen ergeben sich also aus den gesellschaftlichen Positionen. Beispielsweise können schichtabhängige Einstellungen als Hinweise auf solche Subjektformierungen und -positionierungen verstanden werden. Die Begriffe disponierte Subjektivität und disponierende Subjektivität, die Link (2007: 224) in die Debatte eingeführt hat, beschreiben solche spezifischen Subjektivierungen. Der Begriff disponierte Subjektivität beschreibt dabei den Aufbau einer Identität als Mensch über den bestimmt wird, die disponierende Subjektivität den Aufbau einer Identität als ein Mensch, der über andere bestimmt (vgl. auch Bührmann / Schneider 2008: 68f.). Im Zusammenhang mit dieser Arbeit interessieren natürlich die Weisen, auf welche die Wohlfahrtsregime auf die Bildung eines Bewusstseins von sich und der Welt im Allgemeinen und auf Einstellungen gegenüber dem Sozialstaat im Speziellen einwirken und Subjektivierungen vorgeben. Wenn dieses Teilgebiet der governmentality studies bisher auch noch wenig thematisiert und beforscht wurde216, so gibt es alleine schon in den bisher angeführten empirischen Untersuchungen Anhaltspunkte dafür, wie eine solche Subjektivierung funktioniert. Oben (S. 182) wurde bereits auf den Gewöhnungseffekt bzw. den „kollektiven Lernprozess“ (Ullrich 2003: 4) hingewiesen, der dazu führt, dass die Grundlagen des Wohlfahrtsregimes unter dem man lebt – also beispielsweise das angestrebte Ausmaß an sozialer Sicherheit – im Großen und Ganzen große Zustimmung erhält (Mau 1997: 45f., 1998: 37, Ullrich 2000: 144, Oorschot 2007: 135). Dieser Gewöhnungseffekt, der in vielen weiteren Untersuchungen bestätigt wurde (Mau 1997: 43f., 2003: 30, Oorschot 2007, vgl. Sachweh / Ullrich / Bernhard 2006: 493f., Haller zit. n. Pioch / Vobruba 1995: 147), stellt das Ergebnis einer Subjektivierung dar. Allerdings kann sich das Anspruchsniveau der Bürger auch dem Diskurs der „schlechten Zeiten“ anpassen: Mau geht davon aus, dass die verbreiteten „Vorstellungen über die Realisierbarkeit und die Funktionalität von Sozialpolitik [dazu beitragen] Veränderungen der Erwartungshaltung und Präferenzverschiebung in Bezug auf sozialpolitische Fragestellungen herbeizuführen“ (Mau 1998: 29); ähnlich argumentieren auch Pioch und Vobruba (1995: 125). Des Weiteren stellt sich die Frage, wie die erreichten beziehungsweise zugeteilten Positionen wahrgenommen werden und welchen Einfluss das auf die Wahrnehmung des Wohlfahrtsstaates hat. Die oben angeführte quantitative Untersuchung von Svallfors (2003) zeigt zumindest auf, dass die Zustimmung zum Wohlfahrtsstaat schichtabhängig ist. Solche Untersuchungen benötigen aber
216
Vgl. zu den governmentality studies Bröckling / Krasmann / Lemke 2000 und Lemke 2000
186
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
noch Ergänzungen durch qualitative Untersuchungen, die den Prozess der Subjektivierung besser erklären. Dass sogar das Verhältnis zur Elite systemabhängig ist, zeigt der angeführte Ländervergleich von Mau (siehe S. 180). Bei der Frage nach der Ursache sozialer Ungleichheit zeigten sich große Unterschiede (Mau 1997: 53). Die Herrschaftsfunktion sozialer Ungleichheit, also der Idee, dass „es strukturell determinierte Interessen gibt, die die bestehende Ungleichheitsordnung aufrechterhalten wollen“ (ebd.) stimmen in Schweden 43%, in Großbritannien 50% in Westdeutschland ca. 60% und in Ostdeutschland ca. 70% zu. Auch Ergebnisse der sozialpsychologischen Forschung können Anhaltspunkte für die Subjektivierung durch den Wohlfahrtsstaat geben (vgl. Klages / Franz / Herbert 1987). Beispielsweise thematisiert Goffman unter dem Begriff „cooling the mark out“, wie Prozesse verlaufen, bei denen sich Personen nach einem Scheitern mit ihrer Situation versöhnen (Goffman 1952). Mit diesem Konzept lässt sich auch die Frage stellen, wie Menschen mit der gesellschaftlichen Zuweisung wenig angesehener Positionen, beispielsweise im Bildungssystem, umgehen. Auch die in den USA verbreiteten Diskussionen über die neue Unterschicht und über die Existenz einer „Kultur der Armut“ (Lewis 1966, vgl. auch Ullrich 2003: 15, Gebhardt 1995, Oorschot 2007: 132), also über die Frage, ob die Unterschicht eine ihr eigene Abhängigkeitsmentalität besitzt oder entwickelt hat, lässt sich mit einer Verbindung sozialpsychologischer Ansätzen und des Subjektivierungsansatzes diskutieren. Wenn es zwar nach meinem Wissen keine wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass die Subjektivierung solcher Positionen zu der Entwicklung einer (Sub)kultur der Abhängigkeit führt (vgl. Salentin 2000, Goetze 1971, 1992; Lindner 1999, Oorschot 2007: 131f., vgl. Knecht 1999: 328f.,), so stellt sich dennoch die Frage, ob der Wohlfahrtsstaat selbst nicht in viele Stigmatisierungsprozesse seiner Bürger verwickelt ist. Wie wird beispielsweise der von der Wissenschaft seit Jahren beziehungsweise Jahrzehnten beschriebene problematische Umgang der Behörde mit Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern von den Betroffenen subjektiv verarbeitet (vgl. Maeder / Nadai 2004, Jacobs / Ringbeck 1994)? Und gibt es zwischen den Wohlfahrtsregimen Unterschiede in der Art und Weise, in der sich Arbeitslose für ihre Arbeitslosigkeit schämen? Wenn es bezüglich der Subjektivierung noch viele offene Fragen gibt, so kann das Konzept dazu dienen, die Wirkungsweise der Diskurse und der kulturellen Überzeugungen auf das Individuum nachzuzeichnen. Wie der Wohlfahrtsstaat wahrgenommen wird, was von ihm erwartet werden kann und welche Positionen der Einzelne ihm gegenüber ausbilden kann, das wird zwar nicht linear vorgegeben, allerdings stecken Diskurse und Kultur dafür sozusagen einen Rahmen ab. Die Subjektivierung führt also gewissermaßen dazu, dass der Sozialstaat mit seinen Institutionen auch den dazu „passenden Menschen“ hervorbringt, so
3.4 Vom Wohlfahrtsregime zum Lebenslaufregime
187
dass Lemke (2000) von der „Ko-Formierung von […] Staat und […] Subjekt“ sprechen kann (Lemke 2000: 33). Im folgenden Kapitel 3.4 soll nun gezeigt werden, dass die länder- und die regionenspezifischen Wohlfahrtskulturen und Wohlfahrtsdiskurse sich auch in spezifischen Verfassungen widerspiegeln bzw. zu spezifischen Strukturen und Institutionen führen. 3.4 Vom Wohlfahrtsregime zum Lebenslaufregime Die politische Soziologie sozialer Ungleichheit […] muss im Sinne einer »logic of stratification«, die davon ausgeht, dass der Wohlfahrtsstaat – je nach rechtlicher und institutioneller Gestalt – einen prägenden Einfluss auf die soziale Gliederung und Schichtung hat und »auf diese Weise (…) einen seiner Struktur und Funktionsweise entsprechenden Gesellschaftsaufbau«[217] entwickelt, die politische Strukturierung sozialer Klassenverhältnisse und Ungleichheiten zu analysieren. Das Strukturgefüge der Gesellschaft muss in stärkerem Maße als Ausdruck von Rechtssetzung und Staatlichkeit, von politischer Herrschaft und Gestaltungsfähigkeit begriffen werden. Dabei geht es […] zuallererst um die sozialstrukturell formative und selektive Kraft des Wohlfahrtsstaats, dessen spezifisches soziales Produkt die breite Zone der Mittelklassen ist (Vogel 2004: 51).
Bisher wurde in diesem dritten Kapitel gezeigt, dass die Entstehung und Ausprägung von Wohlfahrtsstaaten einerseits abhängig ist von zurückliegenden und aktuellen Interessen- und Machtkonstellationen und andererseits von kulturellen Überzeugungen der Bevölkerung sowie von den Diskursen. Anhand von Ländervergleichen wird im Folgenden gezeigt, dass sich diese Unterschiede auch auf die Strukturen des Wohlfahrtsstaates und auf die wohlfahrtsstaatlichen Institutionen auswirken, beziehungsweise, dass sich diese Unterschiede in den Strukturen und Institutionen widerspiegeln.
217
Zit. n. Lütz, Susanne / Czada, Roland (2000): Marktkonstitution als politische Aufgabe. Problemskizze und Theorieüberblick. In: dies. (Hrsg.): Die politische Konstitution von Märkten. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. S. 9–35. Hier: S. 27
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
3.4.1 Ländervergleichende Strukturanalyse und Wohlfahrtsregime Der liberale Wohlfahrtsstaat basiert auf der Idee, dass wir vor dem Markt alle gleich sind, der sozialdemokratische, dass wir vor dem Staat alle gleich sind, und der konservative, dass wir alle vor der Ungleichheit gleich sind. (Arg de Triomphe)
Zahlen, die die Einkommen und deren Verteilung, die Bildungsabschlüsse und das Gesundheitswesen verschiedener Länder vergleichen, werden regelmäßig von offiziellen Institutionen vorgelegt. Weltweite Vergleichszahlen bieten die Human Development Reports des United Nations Development Programme.218 Die OECD fasst solche Indikatoren in einem Factbook zusammen, das Statistische Amt der Europäischen Union, die Eurostat, veröffentlicht das Eurostat Jahrbuch und die Weltbank gibt die World Development Indicators heraus. Darüber hinaus ist 2007 ein Handbook of quality of life in the enlarged European Union erschienen (Alber / Fahey / Saraceno 2008). Die Indikatoren in solchen Übersichten weisen darauf hin, wie verschiedenartig Wohlfahrtsstaaten strukturiert sein können. Beispielsweise weisen die Länder sehr unterschiedliche Verteilungen der Einkommen auf. Der Gini-Koeffizient, der ein Maß für Ungleichverteilungen der Einkommen darstellt219, bewegt sich innerhalb der OECD-Länder zwischen 24,3% (Schweden) und 48% (Mexiko) (OECD 2008: 249). Der Anteil des Bruttosozialprodukts, der im Jahr 2003 für öffentliche Sozialausgaben aufgewandt wurde – die Sozialquote –, lag 2003 in den OECD-Ländern zwischen 5,7% (Korea) und 31,3% (Schweden) und in den europäischen OECDLändern zwischen 9,9% (Estland) und 31,3% (Schweden). Die öffentlichen Gesundheitsausgaben der OECD-Länder variierten zwischen 2,8% (Korea und Mexiko) und 8,6% (Frankreich) des Bruttosozialproduktes (ebd. 211). Des Weiteren variierte der Anteil des Bruttosozialprodukts, der für öffentliche Bildungsausgaben aufgewandt wurde, zwischen 3,3% (Griechenland) und 6,9% (Dänemark) (ebd. 203; s. a. Tabelle 8). Gemäß den Unterschieden in den öffentlichen Ausgaben unterscheiden sich die Länder auch in ihrer Steuerpolitik und in ihren Armutsquoten (siehe Kap. 4.2.1). Die Steuerquoten, also der Anteil vom Bruttosozialprodukt, der als Steuern erhoben wird, streut innerhalb der OECD-Länder zwischen 19,0% (Mexiko) und 49,9% (Schweden) (OECD 2008: 225). Für einige Länder wurde ermittelt, inwieweit die Einkommensungleichheit durch das System von Steuereinnahmen und Transfers verringert wird (siehe Tabelle 8, Spalte 7). Innerhalb der acht 218
Online: http://hdr.undp.org/en/ Der Gini-Koeffizient ist ein Ungleichheitsmaß, das bei vollständiger Gleichverteilung den Wert eins (oder hundert Prozent) und bei größtmöglicher Ungleichverteilung den Wert 0 annimmt. Für die genaue Herleitung siehe z. B. Fahrmeir / Künstler / Pigeot et al. 2003: 82. 219
3.4 Vom Wohlfahrtsregime zum Lebenslaufregime
189
Tabelle 8: Ausgabenstruktur, Ungleichheit und Lebenserwartung einiger OECDLänder Angaben für das Jahr 2003 (außer Spalte 7)
Australien Österreich Belgien Kanada Tschech. Rep. Dänemark Finnland Frankreich Deutschland Griechenland Ungarn Irland Italien Japan Korea Luxemburg Mexiko Niederlande Neuseeland Norwegen Polen Portugal Slowak. Rep. Spanien Schweden Schweiz Türkei Verein. Königsr. USA
Sozialquote
Gesund- Bildungs heitsausgaben ausgaben
in % des BSP
in % des BSP
in % des BSP
17,9 26,1 26,5 17,3 21,1 27,6 22,5 28,7 27,3 21,3 22,7 15,9 24,2 17,7 5,7 22,2 6,8 20,7 18,0 25,1 22,9 23,5 17,3 20,3 31,3 20,5 20,6 16,2
6,2 7,7 7,2 6,8 6,7 7,7 5,6 8,6 8,5 4,7 5,9 5,6 6,2 6,6 2,8 6,8 2,8 6,3 8,4 4,4 7,1 5,2 5,5 7,9 6,7 5,4 6,7 6,7
4,3 5,0 5,8 4,2 6,9 6,0 5,7 4,3 3,3 5,1 4,3 4,4 3,5 4,4 5,2 4,6 5,6 6,2 5,4 5,3 4,0 4,2 6,5 5,9 3,8 5,0 5,1
Steuerquote
Einkom- Reduktion mensder Einungleich- kommensheit ungleichheit in % des GiniÄnderung BSP Koeff. des GiniKoeff. in % 30,7 30,5 34 43,1 25,2 44,6 25 48 33,7 30,1 37,3 26,0 48,0 22,5 48 44,0 26,1 41 43,2 27,3 35,5 27,7 28,1 34,5 35 37,5 29,3 28,8 30,4 41,8 34,7 32 25,7 31,4 22 25,3 31,6 38,5 26,1 19,0 48,0 36,9 25,1 34,3 33,7 35 42,3 26,1 34,1 36,7 34,7 35,6 33,2 25,8 34,2 32,9 49,4 24,3 53 29,4 26,7 32,8 43,9 35,2 32,6 25,9 35,7 25
Lebenserwartung
80,3 79,0 78,9 80,0 75,6 77,2 78,5 79,5 78,7 78,3 72,7 80,1 80,1 82,0 77,0 78,5 75,1 78,4 79,1 79,4 74,3 77,2 74,0 79,5 80,2 80,5 68,7 78,4 77,4
Quellen: OECD 2008. Zur 7. Spalte: Die Reduktion der Einkommensungleichheit durch Steuern und Transfers errechnet sich aus einem Vergleich der Verteilung vor Steuern und Transfers mit der Verteilung nach Steuern und Transfers. Quelle: Luxembourg Income Survey. Burniaux / Dang / Fore et al. 1998: 39, vgl. a. Vogel 2003a: 382.
190
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
untersuchten Länder ergab sich für Schweden die stärkste Reduktion: Der GiniKoeffizient verringerte sich von 48,7 auf 23, was einer Reduktion von 53% der Einkommensungleichheit bedeutet (siehe Tabelle 8, Spalte 7). Die geringste Reduktion ergab sich für Japan, das sich allerdings durch eine geringe Ungleichheit in der Ausgangsverteilung auszeichnet: Hier wurde der Gini-Koeffizient von 34,0 auf 26,5 reduziert, was einer Reduktion der Einkommensungleichheit von 22% entspricht. Anhand dieser Zahlen können wir sehen, dass es enorme Unterschiede im Ausmaß der Zuteilung von Mitteln zugunsten verschiedener Ressourcen wie Gesundheit, Bildung und Einkommen gibt.220 Allerdings geben solche Zahlen nur einen sehr groben Einblick. Insbesondere enthalten Daten wie die Sozialquote, die Gesundheitsausgaben, die Bildungsausgaben oder die Steuerquote keine Aussagen darüber, wie diese Ressourcen in der Bevölkerung verteilt sind und welches Umverteilungsmoment die staatlichen Interventionen haben. Ab Anfang der 90er Jahre wendete sich die sozialpolitische Forschung verstärkt von der Betrachtung solcher Makrozahlen ab und zur Analyse sozialstaatlicher Institutionen hin (vgl. Schmid 2002: 82, Castles / Mitchell 1993: 97). Bahnbrechend war dabei die Untersuchung von Gøsta Esping-Andersen zu den Wohlfahrtsregimen (Esping-Andersen 1985, 1990: 19f., 56, s. a. Esping-Andersen 1985a: 468f.). Esping-Andersen hatte argumentiert, dass hohe Sozialausgaben auch aus ungelösten sozialen Problemen oder aus hohen Leistungen für einen privilegierten öffentlichen Dienst resultieren können (1985a: 469, vgl. 1998: 33f.). Außerdem werden Steuerbegünstigungen, die inhaltlich Sozialausgaben gleichgestellt werden können, nicht abgebildet (Esping-Andersen 1998: 33, 42). All das führt dazu, dass die Zahlen alleine nur bedingt aussagekräftig sind. Anhand von Ländervergleichen hatte er sich dann – in Auseinandersetzung mit der Regulationstheorie221 – damit beschäftigt, welche Auswirkungen spezielle historische Machtkonstellationen auf die Institutionalisierung verschiedener „Regulations- und Distributionstypen“ haben (Esping-Andersen 1985, 1985a: 474, vgl. auch Lessenich 2000: 57). In den Three Worlds of Welfare Capitalism (EspingAndersen 1990) führte er historisch-machtanalytische Betrachtungen zur Entstehung des Sozialstaats, strukturelle Betrachtungen zur sozialen Schichtung und zu sozialer Ungleichheit sowie institutionelle Analysen zu den verschiedenen sozialpolitischen Bereichen zusammen. Ein Ausgangspunkt seiner Argumentationen ist dabei die Dekommodifikation: Damit bezeichnet Esping-Andersen den „Grad, in dem Einzelne und Familien einen sozial akzeptablen Lebensstandard unabhängig von ihrer Teilhabe 220
Es gibt auch Untersuchungen, die sich mit Ländervergleichen der Verwendung der Ressource Zeit in der Europäischen Union beschäftigen. Siehe dazu z. B. Eurostat 2004, 2008: 47f., 82, 111, Aliaga / Winqvist 2003, Garhammer 2008. 221 S. a. Lessenich 1995; zur Regulationstheorie siehe z. B. Hirsch / Roth 1986
3.4 Vom Wohlfahrtsregime zum Lebenslaufregime
191
am Arbeitsmarkt“ (Esping-Andersen 1990: 37, 50f.; vgl. auch 1985a: 471) aufrechterhalten können. Dieses Konzept umfasst also alle Institutionen, die verhindern, dass die Arbeitskraft am Arbeitsmarkt wie andere Waren (engl.: commodities) gehandelt wird (Esping-Andersen 1990: 35).222 Esping-Andersen sieht die Frage der Dekommodifikation als das „Herz der Debatte und Konflikte um die ‚soziale Frage’ im 19. Jahrhundert“ (ebd. 37). Zu den dekommodifizierenden Institutionen gehören Arbeitslosen-, Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung genauso wie Sozialhilfe, geschützte Werkstätten für Menschen mit Behinderungen oder ein bedingungsloses Grundeinkommen (ebd. 47). Die dekommodifizierende Wirkung dieser Leistungen ist allerdings davon abhängig, welche Zugangsvoraussetzungen es gibt, wie hoch die Leistungen sind, wie lange sie gewährt werden und ob der Zugang stigmatisierend organisiert ist (ebd.). EspingAndersen kann empirisch zeigen, dass das Ausmaß der Dekommodifikation weitestgehend durch die politische Macht der sozialdemokratischen Parteien erklärt werden kann (1990: 53, 1985a: 480f.). Die Sozialdemokratie war dabei nicht alleine an einer Verbesserung der Lebenssituation und der sozialen Sicherheit interessiert, sie sah in einem gewissen Grad von Unabhängigkeit vom Arbeitsmarkt auch eine Vorbedingung für die Mobilisierung der Arbeiter für Streik und politische Aktionen (Esping-Andersen 1985a: 471). When workers are completely market-dependent, they are difficult to mobilize for solidaristic action. Since their resources mirror market inequalities, divisions emerge between the ‘ins’ and ‘outs’, making labor-movement formation difficult. Decommodification strengthens the worker and weakens the absolute authority of the employer (Esping-Andersen 1990: 22).
Nur nebenbei thematisiert er, neben der dekommodifizierenden Funktion ausreichender Geldmittel, die Bedeutung anderer Ressourcen: „[W]orkers require social resources, health, and education to participate effectively as socialist [!] citizens“ (Esping-Andersen 1990: 12). Einen zweiten Ausgangspunkt seiner Argumentationen stellte die Stratifikation dar (ebd. 56f.). Ältere Theorien des Wohlfahrtsstaates sind häufig davon ausgegangen, dass wohlfahrtsstaatliche Eingriffe gewissermaßen „automatisch“ größere Gleichheit zeitigen, entweder durch Einkommensumverteilung oder dadurch, dass sie die Bildungsmobilität erhöhen (vgl. Esping-Andersen 1990: 23, 55; Mau 1997: 9). Entgegen solchen Annahmen hat Esping-Andersen den Wohlfahrtsstaat als einen Mechanismus untersucht, dem selbst stratifizierende Kraft innewohnt und der eine eigene Stratifikation hervorbringt: “The welfare state is 222
In der volkswirtschaftlichen Theorie wird der Arbeitsmarkt, auf dem das Arbeitsangebot der Arbeitnehmer auf die Arbeitsnachfrage der Unternehmen trifft, in gleicher Weise konzipiert wie der Gütermarkt, auf dem das Güterangebot der Unternehmen auf die Güternachfrage der Konsumenten trifft.
192
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
not just a mechanism that intervenes in, and possibly corrects, the structure of inequality; it is, in its own right, a system of stratification. It is an active force in the ordering of social relations” (Esping-Andersen 1990: 23). Im Vergleich identifiziert Esping-Andersen verschiedene typische Ausprägungen der Stratifikation (Esping-Andersen 1990: 58). Länder mit liberaler Tradition haben nur stigmatisierende, steuerfinanzierte Mindestsicherungen auf niedrigem Niveau ausgebildet, was häufig zu einer großen Schicht von Armut betroffener Menschen und der Tendenz einer Zweiteilung der Gesellschaft geführt hat (vgl. ebd. 63f.). Länder, die stark sozialistisch bzw. sozialdemokratisch beeinflusst waren, entwickelten Sozialleistungen auf höherem Niveau, die allen Bürgern gleiche Leistungen gewährten (ebd. 25), was die Schichtunterschiede abschwächt (ebd. 68). Einen dritten Typus bilden Länder, wie Deutschland, Österreich und Italien, in denen die Sicherungen, entlang von Berufsgruppen, also „korporatistisch“ organisiert und an einbezahlte Beiträge gekoppelt wurde, was statuserhaltend wirkt. Aus seinem theoretischen Ansatz hat Esping-Andersen empirische Maße abgeleitet um die unterschiedlichen institutionellen Ausgestaltungen zu operationalisieren. So konnte er zeigen, dass sich die drei Typen tatsächlich signifikant voneinander unterscheiden (Esping-Andersen 1990). Die drei Wohlfahrtsstaatstypen bezeichnete er als Regime. Damit wollte er den Umstand bezeichnen, „dass die Beziehung zwischen Staat und Wirtschaft einen Komplex von rechtlichen und organisatorischen Features bezeichnet, die systematisch miteinander verwoben sind“ (Esping-Andersen 1990: 2). Dazu gehören – neben dem Grad der Dekommodifizierung und der Art der Strukturierung – das Engagement bei der Beseitigung von Arbeitslosigkeit (ebd. 496), der Welfare-Mix zwischen Staat und privaten Versorgungsleistungen, das Maß der Einkommensumverteilung durch Steuern und Transfers (Esping-Andersen 1985a: 494) sowie der „Rahmen für politische Konflikt- und Kooperations-Verhältnisse und ein normatives Setting, das bestimmte Verteilungsnormen und Gerechtigkeitsstandards inkorporiert“ (Mau 1997: 13, vgl. auch Schmid 2002: 83, Lessenich 2000: 58). Die Wohlfahrtsstaatstypen bezeichnete er als liberales, konservatives bzw. etatistisch-korporatistisches und sozialdemokratisches Wohlfahrtsregime. Das liberale Wohlfahrtsregime, dem Esping-Andersen die USA, Großbritannien, Canada, Australien, Neuseeland und Irland zurechnet (1990: 52), zeichnet sich dadurch aus, dass es in ihren rudimentären Sozialversicherungsprogrammen hauptsächlich bedarfsgeprüfte und geringe Transferleistungen bietet, die steuerfinanziert werden und deren Inanspruchnahme tendenziell stigmatisierend ist. Der Markt ist die zentrale Versorgungsinstanz: Er ermöglicht die Erzielung von Einkommen ebenso wie den Versicherungsschutz, denn die Bürger werden mit ihren Sicherungsbedürfnissen auf die privaten Versicherungsmärkte
3.4 Vom Wohlfahrtsregime zum Lebenslaufregime
193
verwiesen (ebd. 63). Der Staat fördert den Markt durch passive Zurückhaltung oder sogar durch die Subventionierung privater Sicherungsformen (ebd. 43). In der Wohlfahrtskultur ist der Glaube an die Selbstheilungskräfte des Marktes stark verankert; wohlfahrtsstaatliche Eingriffe gelten als paternalistisch und elitär (ebd. 41f.). Als „letzte“ Sicherung dienen bedarfsgeprüfte (engl.: means-tested) und auf spezielle Bedarfsgruppen gerichtete (engl.: targeted) Mindestsicherungssysteme, die trotz ihrer Gerichtetheit nur eine geringe Umverteilungswirkung bewirken (s. a. Castles / Mitchell 1993: 98), was als Redistributionsparadox bezeichnet wird (Korpi / Palme 1998). Wohlfahrtsstaaten dieses Typs haben sich im Verlauf der Geschichte durch die Existenz großer Armut, durch hohe Armutsquoten und einer Tendenz zu einer Zweiteilung der Gesellschaft ausgezeichnet (vgl. Esping-Andersen 1990, 1998). Zum konservativen Wohlfahrtsregime gehören Länder wie Deutschland, Italien, Frankreich, und die Schweiz. Sie zeichnen sich durch eine lange Tradition aktiver staatlicher Eingriffe in die Wohlfahrtsproduktion aus. In diesen Ländern sind die meisten sozialen Leistungen beitragsfinanziert und abhängig von der Höhe und Länge der Einzahlung (vgl. Esping-Andersen 1990: 58, s a. Schmid 2002: 84). Die deutsche Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sind Beispiele dafür. Während der Sozialversicherungsschutz dekommodifiziert, ist die Bindung der Leistungen an die eingezahlten Beiträge – und somit an die Arbeitsmarktpartizipation – kommodifzierend. Ein solches Regime hat sich in den Staaten entwickelt, die – wie in Kapitel 3.2 ausgeführt – die Installation des Sozialversicherungssystems zur Befriedung sozialer Probleme und zur Bindung der verschiedenen Berufs- und Interessengruppen an den Staat nutzten, und dabei gemäß dem Motto „teile und herrsche“ einzelnen Bevölkerungsgruppen besondere Rechte zusprachen. So wurden die Sicherungssysteme entlang von Berufsgruppen „korporatistisch“ und statusgemäß organisiert, was beispielsweise in der Alterssicherung in Deutschland zu einem Nebeneinander von staatlich kontrollierten Fonds223, steuerfinanzierter Altersversicherung der Beamten und kammerorganisierten Altersversicherungen selbstständiger Ärzte oder Rechtsanwälte führte. In Italien gibt es sogar mehr als 120 berufsspezifische Pensionsfonds (Esping-Andersen 1990: 61). In dem konservativen Wohlfahrtsregime ist die Familie neben dem Staat eine wichtige Versorgungsinstanz, und häufig sogar der Adressat von staatlichen Leistungen. Esping-Andersen führt dies auf den Einfluss der katholischen Sozialbewegung zurück (ebd. 61). Das konservative Wohlfahrtsregime hat eine statuserhaltende strukturierende Wirkung; die sozialpolitischen Interventionen haben häufig eher die Mittelschicht als die Unterschicht im Blick (ebd. 56f.). Umfangreiche Steuerbegünstigungen bei 223
Bis vor Kurzem gab es sogar getrennte Fonds für Angestellte (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) und Arbeiter (Landesversicherungsanstalten der Arbeiter).
194
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
Abschreibungsregeln oder für den Abschluss privater (Zusatz-)Versicherungen sind Beispiele dafür (Esping-Andersen 1998: 34). Die nun abgeschaffte deutsche Eigenheimzulage, die relativ gut gestellte Familien in ihrem Wunsch nach einem Eigenheim großzügig gefördert hat, stellt gleichermaßen ein Beispiel für die Familien- und die Mittelschichtsorientierung dar. Solche Wohlfahrtsstaaten verteilen weniger horizontal um, also weniger von den gutverdienenden zu den weniger verdienenden Bürgerinnen und Bürgern, als vertikal, also beispielsweise von den Jungen zu den Alten (Rente) und von den Gesunden zu den Kranken (Krankenversicherung). Das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime, zu dem Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark und die Niederlande zählen, zeichnet sich durch ein umfassendes Angebot steuerfinanzierter Sozialleistungen aus, die universalistisch sind: Alle Bürger werden in den Versicherungsschutz eingeschlossen und die Leistungen sind – der Idee eines „flat-rate universalism“ (Esping-Andersen 1990: 25) folgend – vereinheitlicht und nicht beitrags- oder statusabhängig. Weitere Kennzeichen sind hohe Einkommensteuern, die für die Finanzierung einer hohen Sozial(leistungs)quote benötigt werden. Der Staat gilt als zentrale Versorgungsinstanz, was sich auch im geringen Anteil privater Angebote und Leistungen im Bereich von Gesundheit, Alterssicherung, Bildung etc. äußert. Das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime ist in Ländern entstanden, in denen sozialdemokratische Parteien – trotz ihrer klassenbewussten und ausgegrenzten Anfänge – Koalitionen mit anderen „kleine Leuten“, wie beispielsweise Bauern eingingen, ihre Idee von Solidarität verallgemeinerten und in universalistische Sozialleistungen umsetzten (ebd. 46, 68). Die ausgebauten Umverteilungsmechanismen haben egalisierende Wirkung und führen zu einer geringen Ausprägung von sozialen Schichten (ebd. 56f.). Die umfassende Versorgung erlaubt eine Emanzipation gegenüber Arbeitgeber, Herkunftsfamilie und dem (Ehe)Partner oder der (Ehe)Partnerin. Die Erwerbsbeteiligung ist sehr hoch, was auf eine engagierte Vollbeschäftigungspolitik und dem staatlichen Bedarf an Arbeitskräften zurückzuführen ist – und paradoxerweise die hohe Dekommodifikation dieses Regimes konterkariert. Esping-Andersens Analyse der Wohlfahrtsregime wurde auf breiter Basis kommentiert, rezipiert und weiterentwickelt. Leibfried (1990) hat den Ansatz um einen vierten rudimentären Wohlfahrtsstaat ergänzt. Damit wollte er die Besonderheiten einiger südeuropäischen Länder wie Spanien, Portugal, Griechenland mit autoritärer Vergangenheit erfassen, in denen der Sozialstaat nur partiell entwickelt ist, dafür aber nicht-staatliche, traditionelle Formen der Unterstützung der Familie oder der Kirchengemeinden wichtig bleiben (s. a. Schmid 2002: 87, Lessenich 1995: 61f.), Länder also, die zwar als korporatistisch, aber nicht so sehr als etatistisch bezeichnet werden können. Die Australier Francis Castles und
3.4 Vom Wohlfahrtsregime zum Lebenslaufregime
195
Tabelle 9: Drei Typen von Wohlfahrtsstaaten Variablen – Indikatoren
Regimetyp liberal
konservativ
sozialdemokratisch
schwach
mittel (für „Familienernährer“)
stark
Residualismus – Anteil von Fürsorgeleistungen an gesamten Sozialausgaben
stark
stark
schwach
Privatisierung – Anteil privater Ausgaben für Alter bzw. Gesundheit an den jeweiligen Gesamtausgaben
hoch
niedrig
niedrig
Korporatismus / Etatismus – Anzahl von nach Berufsgruppen differenzierten Sicherungssystemen – Anteil der Ausgaben für Beamtenversorgung
schwach
stark
schwach
Umverteilung – Progressionsgrad des Steuersystems – Gleichheit der Leistung
schwach
schwach
stark
Vollbeschäftigungsgarantie – Ausgaben für aktive Arbeitsmarktpolitik – Arbeitslosenquote, gewichtet nach Erwerbsbeteiligung
schwach
mittel
stark
marginal zentral marginal
zentral marginal subsidiär
marginal marginal zentral
individualistisch
Verwandtschaft, Korporatismus, Etatismus
universalistisch
Leistungsgerechtigkeit
Bedarfsgerechtigkeit
Verteilungsgerechtigkeit
Modellbeispiele
USA
Deutschland, Italien
Schweden
Weitere Länder
Großbritannien
Österreich, Frankreich
Finnland
Dekommodifizierung: – Einkommensersatzquoten – Anteil individueller Finanzierungsbeiträge
Bedeutung von - Familie / Gemeinschaft - Markt - Staat Dominante Form sozialstaatlicher Solidarität Konzeption sozialer Gerechtigkeit
Quellen: Opielka 2006: 37, mit Änderungen. Vgl. auch Esping-Andersen 1985a: 478, Lessenich 1995: 57, Kohl 1993: 71 und Opielka 2004: 35
196
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
Deborah Mitchell (1993) haben bei der Gruppierung der Länder den Fokus auf die kulturellen Gemeinsamkeiten der Länder gelegt und sie in Sprachgemeinschaften eingeteilt, die sie family of nations nannten. Allerdings finden sie unter den englischsprachigen Länder neben den liberalen Wohlfahrtsstaaten eine zweite Gruppen: Die sogenannten radikalen Wohlfahrtsstaaten zu denen Australien und Neuseeland gehören, zeichnen sich zwar auch durch eine geringe Dekommodifikation und eine geringe Sozialquote aus, allerdings erreichen sie dabei ein relativ großes Maß an Umverteilung (Castles / Mitchell 1993, s. a. Schmid 2002: 88). Aus feministischer Sicht wurde kritisiert, dass Esping-Andersen sich in seiner Analyse zu sehr auf das männliche Normalarbeitsverhältnis stützte (siehe z. B. Sainsbury 1994, Daly 1994, O’Connor 1996, 2004). Sein Konzept der Dekommodifikation bezieht sich auf Erwerbstätige und berücksichtigt dabei weder die Situation von Frauen, deren „Dekommodifikation“ an den Status des Ehemanns224 oder die Mutterschaft gekoppelt ist (vgl. Daly 1994: 108f., O’Connor 1996: 61f., 2004: 191), noch von Frauen, die sich kommodifizierende Interventionen wünschen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern (vgl. Ostner 1995: 59). Der Wohlfahrtsstaat stratifiziert eben nicht nur nach verschiedenen Berufs- und Einkommensgruppen, sondern auch nach den Geschlechtern, beispielsweise durch Regelungen, die Müttern das Arbeiten ermöglichen oder sie vom Arbeitsmarkt fernhalten (Daly 1994: 109, O’Connor 1996: 62f., 2004: 191). Mary Daly (1994) stellt deshalb die Frage, auf welche Weise Wohlfahrtsstaaten die Verteilung der Ressourcen hinsichtlich der Geschlechter beeinflussen: „A key empirical question arising from this is how welfare states affect the volume and sources of resources available to men and women, and in particular how they affect women’s reliance on mens incomes” (Daly 1994: 109). Für die Analyse erweitert sie in ihren Untersuchungen die „Dekommodifikations-Achse“ Markt – Staat auf das Dreieck Markt – Staat – Familie (ebd. 101). So kann Pflege- und Reproduktionsarbeit in den Familien selbst geleistet werden – sie wird dann meist von Frauen geleistet, die dafür tendenziell vom Arbeitsmarkt fernbleiben –, oder auch durch wohlfahrtsstaatliche Institutionen, was den Frauen bessere Möglichkeit eröffnet am Arbeitsmarkt teilzuhaben. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, dass der Staat den Familien Geldmittel zur Verfügung stellt, mit denen diese Pflegeleistungen auf dem Markt einkaufen können (ebd. 110). Zwar ist das erste Modell, die „Arbeitsteilung nach Geschlechtern“ typisch für den konservativen Wohlfahrtsstaat; neben Deutschland und den Niederlanden stellt aber auch Großbritannien eine sogenannte „male-breadwinner country“ (Daly 1994: 112) dar, also ein Land, in dem das Modell des männlichen Familienernährers 224
Z. B. in der Familienkrankenversicherung oder der Hinterbliebenenrente.
3.4 Vom Wohlfahrtsregime zum Lebenslaufregime
197
(vgl. Ostner 1995) im Vordergrund steht. Frankreich fährt dagegen einen Doppelkurs: Einerseits steht die Familie im Fokus der sozialen Unterstützung; es gibt aber gleichzeitig Mechanismen, die Frauen darin unterstützen trotz Mutterschaft am Arbeitsmarkt zu bleiben. In den skandinavischen Ländern sind die Pflegeleistungen am stärksten „sozialisiert“, was jedoch nicht für Norwegen gilt (Daly 1994: 110). Orientiert man sich also an den Mitteln und dem Ausmaß, in dem der Staat das Fernhalten der Frauen vom Arbeitsmarkt durch gesetzliche Regelungen unterstützt, so ergibt sich eine andere als die von Esping-Andersen ermittelte Ländergruppierung (vgl. auch Holtmann 2007: 152f.).225 Auf ähnliche Weise hat auch Vogel (2003) die Gedanken der feministischen Wohlfahrtsforscherinnen und -forscher aufgenommen und die EU-Staaten danach unterteilt, in welchem Maße die Verantwortung der Wohlfahrtsproduktion beim Staat oder bei den Bürgerinnen und Bürgern selbst, also hauptsächlich bei den Familien liegt (ebd. 549). Dabei stellen die nordischen Länder (Schweden, Dänemark, Finnland, Norwegen) den einen Pol dar, der sich durch eine hohe Verantwortungsübernahme durch den Staat auszeichnet. Deren Modell zeichnet sich durch eine hohe Beschäftigungsrate aus. Insbesondere Frauen nehmen in hohem Maße am Arbeitsmarkt teil – der Staat kümmert sich um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verfügen über eine gute Ausbildung. Ein weiteres Merkmal dieses Modells sind die hohen Sozialausgaben bzw. Sozialinvestitionen. Trotz der verstärkten Nachfrage nach Arbeitsplätzen sind in diesem Modell die Arbeitslosenquoten vergleichsweise gering, was, wie bereits erwähnt, auch daran liegt, dass der Staat Angestellte für die staatliche Wohlfahrtsproduktion benötigt. Des Weiteren zeichnet sich dieses Modell durch generöse Lohnersatzleistungen aus, also durch eine hohe Dekommodifikation, die wegen der geringen Raten der Inanspruchnahme gut finanziert werden können. Die hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen und die hohen Beschäftigungsraten führen zu geringer Ungleichheit der Einkommen. Die Defamiliarisierung dieses Wohlfahrtsmodells korrespondiert damit, dass Kinder früher das Elternhaus verlassen um mit Partnern zusammenleben, sowie mit hohen Raten Alleinlebender und Alleinerziehender. Die Fertilitätsraten sind in diesem Wohlfahrtsmodell höher, weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser bewerkstelligt werden kann (vgl. ebd. 557f.).226 Das 225
Esping-Andersen hat auf die Kritik an seiner ursprünglichen Systematik reagiert und diese entsprechend weiterentwickelt (Esping-Andersen 1999, Esping-Andersen / Duncan / Hemerijck et al. 2002). 226 Vogel findet noch weitere „besondere“ Eigenschaften dieses Wohlfahrtsstaatsmodells: „It should be noted that the uniqueness of the Nordic Cluster extends far beyond the indicators displayed in this summary, including left-wing political dominance, high levels of labor union enrolment, strong political support for egalitarian income policies and extensive public services, high level of voting rates
198
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
südliche Cluster, zu dem Italien, Griechenland, Spanien und Portugal gehören, stellt gemäß Vogels Unterteilung den Gegenpol dar. Die Erwerbstätigenraten sind gering; die Arbeitslosigkeit, die Ungleichheit der Einkommen und die Armutsquoten sind hoch. Die Familie spielt eine wichtige Rolle als Institution der Wohlfahrtsproduktion, die bedürftige Familienmitglieder unterstützt – also insbesondere junge Erwachsene, die noch nicht am Arbeitsmarkt reüssiert haben, Mütter, die in erhöhtem Maße vom Arbeitsmarkt fern bleiben und ältere Familienmitglieder, die nur eine geringe Pension bekommen (Vogel 2003: 558). Die Familien sind tendenziell größer, die Kinder verlassen später das Elternhaus und gehen später feste Partnerschaften ein. Die Trennungsraten sind geringer, es gibt weniger Singlehaushalte und häufiger Mehrfamilienhaushalte (ebd.). Die späte partnerschaftliche Bindung, die geringe Fertilität und das hohe Alter von werdenden Eltern sind – so Vogel – als „Coping-Verhalten“ dieses südlichen Wohlfahrtsmodells zu verstehen (Vogel 2003: 559). Einer dritten Gruppe, die eine Mischform der beiden genannten Cluster darstellt, sind Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Großbritannien und Irland zuzuordnen (ebd.). Fazit: Mit Hilfe der Wohlfahrtsregime können wir besser sehen, welche weit reichenden Auswirkungen die Organisation des Wohlfahrtsstaates auf den Einzelnen haben. Die Wichtigkeit der Wohlfahrtsregime für diese Arbeit ergibt sich dabei weniger aus der Gruppierung, als aus der Darstellung der Vielfältigkeit. Bei solchen Typenbildungen gelingt häufig keine vollständig schlüssige Einordnung (vgl. Arts / Gelissen 2002, Meyer 2005: 35f.); und eine solche Klassifikation wird immer schwieriger, je mehr Merkmale hinzugezogen werden. Würde man beispielsweise die staatliche Regulierung von Ausschankregeln von Alkohol untersuchen – ein Beispiel was zwar nicht unbedingt sozialstaatsrelevant wäre, aber bestimmt lebensqualitätsrelevant ist –, so würde sich wohl zeigen, dass paradoxerweise das „sozialdemokratische“ Schweden auf die marktkonforme bzw. marktnahe Regulierung durch hohe Preise setzt, während sich das „liberale“ Großbritannien eher mit Verboten behilft (Kein Alkohol nach 22 Uhr), die eigentlich systemfremd sind. Die Idee der Wohlfahrtsregime nimmt die Thematisierung der Wichtigkeit wohlfahrtsstaatlicher Institutionen Amartya Sens auf und konkretisiert sie. Dabei spielen aber nicht nur das Bildungs- und Gesundheitswesen eine Rolle, sondern beispielsweise auch Umverteilungsmechanismen und die rechtliche Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen, wie Steffen Mau (1997) zusammenfasst:
and general participation in collective organisations, as well as rather homogeneous value patterns” (Vogel 2003: 558).
3.4 Vom Wohlfahrtsregime zum Lebenslaufregime
199
Der Wohlfahrtsstaat gehört zu den verteilungswirksamen Funktionssystemen moderner Gesellschaften, die gleichzeitig ungleichheitsreduzierende und spezifisch ungleichheitsschaffende Wirkung haben. Damit ermöglicht er eine Allokation von Lebenschancen nach Prinzipien, die von der rein marktförmigen Allokation abweichen. […] Die Wirkungen des Wohlfahrtsstaates determinieren heute Erwerbsverläufe, den Erwerbsstatus, die industriellen Beziehungen ebenso wie familiales Verhalten und die Haushaltsökonomie. Soziale Sicherungssysteme sind dabei nur ein Element der Staatsaktivität. Die aktive und passive Arbeitsmarktpolitik, die rechtlichen Rahmenbedingungen, das Bildungs- und Ausbildungssystem und die Bedeutung des öffentlichen Sektors sind solche weitreichenden Eingriffe. Insbesondere die Lebensverlaufsforschung hat verdeutlicht, wie sehr wohlfahrtsstaatliche Intervention auf die Verlaufsmuster Einfluss nimmt und strukturbildend wirkt (Mau 1997: 9).
Zentraler Punkt des Ansatzes von Amartya Sen war die Bedeutung des Sozialstaates für den Einzelnen, der trotz der Berücksichtigung von Makrostrukturen letztlich die zentrale Instanz für die erreichte Lebensqualität darstellen soll. Dementsprechend können die verschiedenen Wohlfahrtsregime auf ihre Auswirkung auf Individuen hin befragt werden. 3.4.2 Das Lebenslaufregime Seit Anfang der 80er Jahre haben sich sowohl international wie auch in Deutschland vermehrt Soziologinnen und Soziologen mit der Erforschung des Lebenslaufs beschäftigt (siehe z. B. Sørensen / Weinert / Sherrod 1986). Dabei stand anfangs insbesondere die Frage nach den Auswirkungen der zunehmenden Individualisierung auf die alltägliche Lebensführung und -entscheidungen im Mittelpunkt des Interesses. Bald schon trat die Frage nach dem Einfluss des Staates auf die individuelle Lebensführung hinzu (siehe z. B. Mayer / Müller 1986, 1989). So beschreiben Mayer und Müller in dem Aufsatz „Lebensverläufe im Wohlfahrtsstaat“ (1989), wie der Einzelne im Laufe seines Lebens ein Geflecht von gesetzlichen Regelungen durchläuft, die das Leben partitionieren und periodisieren. Das Ausbildungs-, das Arbeitssystem und das Sozialversicherungssystem sind Bereiche, die stark staatlich reglementiert sind – und in ihnen wird die Nähe zwischen der Produktion von Möglichkeiten und Zwängen für das Individuum offensichtlich. Schulpflicht und Beschulungsrecht (genannt: Beschulungspflicht), freie Berufswahl, Gewerbefreiheit und Arbeitspflicht, Rentenberechtigung und Zwangsberentung. Die Teilnahme der Bürger an diesen Systemen – oder sollte man eher sagen: Der Spießrutenlauf der Bürger durch diese Systeme? – wird durch Regeln für die Zugänge und Übergänge wie Altergrenzen, Anwartschaftszeiten etc. weiter strukturiert, was auch Entscheidungen der „Privatsphäre“, wie die Partnerbindung, das Bekommen von Kindern und die Mobilität beeinflusst. In den 90er Jahren verband sich die Lebenslaufforschung,
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
die vom Einzelnen ausgehend hin zur Struktur dachte, mit der Forschung über Wohlfahrtsregime, die von Strukturen ausgehend mehr und mehr die Wirkung auf den Einzelnen in den Blick nahm. Mit dieser Perspektive des LebenslaufRegimes (Lessenich 1995: 50, Meyer 2005: 25) lassen sich die Strukturen der sozialen Ungleichheit und der sozialen Mobilität, die unterschiedlichen Auswirkungen makroökonomischer Schocks auf Lebensläufe und Entscheidungen der Menschen, die demoskopischen Veränderungen, die Funktion von Wohlfahrtsprogrammen, als auch die Reaktion der Akteure auf Modernisierungsprozesse als Zusammenspiel von Struktur und Akteur untersuchen (vgl. Mayer 2005: 18f., 25). In einem Überblicksartikel führt Mayer die folgenden Institutionen des Lebenslaufs auf, die eine spezifische „nationale institutionelle Konfiguration“ ergeben: – Schulwesen (Stratifikation (ein- oder mehrgliedrig), Inhalte (Allgemeinbildung oder fach-spezifische Bildung, …)) – Berufsausbildung (institutionalisiert oder durch Anlernen („on-the-job“), duales System …) – Eintritt in die Berufswelt (über Ausbildungssystem, Vermittlung durch Ämter oder Netzwerke) – Produktionssystem (Komplexität des Herstellungsprozesses, Anforderung an die Ausbildung) – Gestaltung der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen (engl.: labor relations system) (Organisationsgrad in Gewerkschaften, Art der Aushandlung der Löhne) – betriebliche Verfassung (Betriebsverfassung, firmeninterne Arbeitsmärkte, betriebliche Wohlfahrt) – Wohlfahrtsstaat (Grad der Dekommodifikation, bedarfsgeprüfte Transfers oder einkommensabhängige Versicherungsleistungen) – Größe des öffentlichen Sektors – Aktive Arbeitsmarktpolitik (Weiterbildung, Umschulung, staatlich zur Verfügung gestellte Arbeitsplätze) – Arbeitsmarktregulierung (Arbeitsbedingungen, Kündigungsschutz, Betriebsverfassung, Job-Sicherheit) – Steuersystem (Höhe der Steuern, Individualbesteuerung oder Besteuerung von Ehegemeinschaften) – Familienpolitik (Transfers für Familien und Kinder, Organisation der Kinderbetreuung, Arbeitsplatzsicherheit für Mütter) (Mayer 2005: 38f.)
3.4 Vom Wohlfahrtsregime zum Lebenslaufregime
201
Die Bedeutung der nationalen institutionellen Konfigurationen für den Lebenslauf der Menschen kann anhand sogenannter Lebenslauf-Outcomes gemessen werden. Damit bezeichnet Meyer die Ergebnisse zu den Zeitpunkten, welche die Zäsur am Ende einer Lebensphase und den Übergang in die nächste beschreiben (Meyer 2005: 20). Dazu gehören das Verlassen des Elternhauses und der Schule, das Eintrittsalter in den Arbeitsmarkt, das Erreichen der ökonomischen Selbstständigkeit, die Familiengründung sowie Jobwechsel, der Wechsel von Anstellungsphasen und Phasen der Arbeitslosigkeit sowie der Eintritt in die Pensionierung. Insbesondere werden dabei die nationalen Eigenheiten der Karriereverläufe von Frauen betrachtet (Meyer 2005: 40f.). Des Weiteren können die nationalen institutionellen Konfigurationen auf ihre Produktion spezieller Mobilitätsregime und Risiken betrachtet werden. Mayer (2005: 46) nennt die Kategorien Arbeitsplatzmobilität sowie die Einkommensmobilität, die neben der räumlichen Mobilität stehen. Als konfigurationsabhängige Risiken nennt er Armutsrisiken, die wiederum von den Frauenerwerbsraten, den Arbeitsmöglichkeiten für Mütter, der partnerschaftlichen Bindung und der wohlfahrtsstaatlichen Absicherung abhängig sind und Arbeitsmarktrisiken wie (Langzeit-)Arbeitslosigkeit, niedrige Bezahlung sowie das Risiko, nur zu schlechteren Konditionen wiedereingestellt zu werden. Diese umfassende Beschreibung der den Lebenslauf bestimmenden Strukturen mit ihrem starken Arbeitsmarktbezug bot nun die Möglichkeit weitere Besonderheiten der verschiedenen Wohlfahrtsregime zu entdecken, auch wenn Mayer die Vorgehensweise, verschiedene Länder in Regime zusammenzufassen, nur bedingt für sinnvoll erachtet. Selbst Länder, die ähnlich strukturiert scheinen, unterschieden sich in einer Vielzahl von Besonderheiten, die noch dazu einem permanenten Wandel unterliegen (vgl. Mayer 2001: 100, 2005: 35f., 48). Er plädiert deshalb dafür, auch bei Typenbildungen die institutionellen Besonderheiten der einzelnen Länder und ihre Folgen in den Blick zu nehmen (Mayer 2005: 35, 43). Nach seinen Untersuchungen zeichnet sich das liberale Wohlfahrtsregime – zusätzlich zu den von Esping-Andersen herausgearbeiteten und oben aufgeführten Eigenschaften – durch geringe Stratifikation bzw. ein eingliedriges Schulsystem aus, durch einen frühen Eintritt in die Arbeitswelt, der häufig über gering entlohnte Jobs führt, durch ein geringes Maß an Berufsausbildung und betriebliche Weiterbildung, durch ein geringe Wichtigkeit formaler Bildungsabschlüsse, durch hohe Flexibilität des Arbeitsmarktes und häufige Wechsel der Arbeitsstellen und der Berufsfelder. Die hohe Anforderung an die Flexibilität zieht eine geringere Stabilität von Partnerschaften nach sich, wobei die Geburtenraten jedoch hoch bleiben. Da die Pensionen niedrig sind, wird die Pensionierung de facto häufig herausgeschoben (vgl. Mayer 2001: 101f., Mayer 2005: 36f.). Das konservative Wohlfahrtsregime zeichnet sich durch ein strati-
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
fiziertes, also mehrgliedriges Schulsystem aus, durch eine umfangreiche Berufsausbildung und viele Arbeitsplätze für gut ausgebildete Angestellte. Der Arbeitsmarkt ist unflexibel, der Einstieg in die Arbeitswelt geschieht spät. Firmen und Branchen werden selten gewechselt, allerdings bestehen häufig Chancen innerhalb der anstellenden Firmen, auf dem sogenannten internen Arbeitsmarkt, Stellen zu wechseln oder aufzusteigen. Häufig wird nach dem Senioritätsprinzip befördert und entlohnt. Die Arbeitnehmer gehen relativ früh in Pension, wobei die Pensionen tendenziell hoch sind (vgl. Meyer 2001: 101f., 2005: 37).227 Das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime hat ein einheitliches Schulsystem, in das die Berufsausbildung teilweise integriert ist. Auch hier geschieht der Eintritt in die Arbeitswelt früh. Die Arbeitsstellen werden seltener gewechselt, jedoch ist der Wechsel des Beschäftigungsfeldes häufig. Frauen genießen eine hohe Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt. Das Pensionsalter ist relativ hoch (vgl. Mayer 2001: 101f., 2005: 42). Die Lebenslaufforschung kann übrigens noch einen Beitrag zu einem Detailproblem von Amartya Sens capability approach beitragen: Wie in Kapitel 2.2.3 aufgezeigt wurde, betont Sen die Bedeutung der Handlungsspielräume. Die Beschreibung dieser Spielräume hat sich aus Sicht der ökonomischen Theorie als unlösbar erwiesen (Kuklys 2005: 6, Alkire 2005: 121). Die Lebenslaufforschung ist eines der Gebiete der Soziologie, die sich – am Kreuzungspunkt zwischen Individualisierungsthese und Theorien, die von einer zunehmenden gesellschaftlichen Kolonialisierung des Individuums ausgehen (vgl. Beck / Beck-Gernsheim 1994, Weymann 1989a) – mit der für die Soziologie zentralen Frage nach den Zusammenhängen zwischen Struktur, Handlungsmöglichkeiten und den Entscheidungen einzelner Menschen beschäftigt. Zur Bearbeitung der Frage nach den Handlungsmöglichkeiten können qualitative und quantitative Ansätze gleichermaßen beitragen. Mit Hilfe von qualitativen Methoden kann beispielsweise untersucht werden, vor welchem Hintergrund und mit welchem subjektiven Verständnis einer Lebenssituation bestimmte Entscheidungen gefällt werden, ob also andere Möglichkeiten ins Auge gefasst und für realisierbar gehalten wurden. Mit Hilfe von quantitativen Methoden kann untersucht werden, auf welche Weise bestimmte Entscheidungen regelmäßig gefällt werden und davon können, wie Martin Kohli ausführt, Rückschlüsse auf die Handlungsspielräume gezogen werden: Mit Bezug auf die Handlungsebene ist überdies zu klären, wie weit es sich bei der Ausdifferenzierung von Lebensformen wirklich um frei zugängliche Optionen handelt oder eher um fremdbestimmte Muster und erzwungene Reaktionen auf veränderte Opportunitätsstrukturen. Ein Hinweis auf gesellschaftlich strukturierte Optionen liegt immer dann vor, wenn die Plurali227
Siehe zur Diskussion dieser weiteren Eigenschaften von Wohlfahrtsregimen auch Esping-Andersen 2000.
3.4 Vom Wohlfahrtsregime zum Lebenslaufregime
203
sierung nicht beliebig streut, sondern in die Herausbildung und Verfestigung von Unterschieden zwischen sozialen Schichten und Milieus mündet (z. B. Burkhart und Kohli 1989 [228]). Umgekehrt sind Befunde über zunehmende Heterogenität innerhalb der einzelnen Milieus (z. B. Brüderl und Klein 2003 [229]) ein Beleg für „echte“ Optionenvervielfältigung (Kohli 2003: 535).
In diesem Kapitel wurde gezeigt, welche unterschiedlichen Strukturen und Institutionen Staaten in Bezug auf die Produktion von Wohlfahrt und Lebensqualität ihrer Bevölkerung ausprägen. Unter einem Wohlfahrtsregime versteht man dabei eine typische Kombination sozialstaatlicher Institutionen, die sich geschichtlich herausgebildet hat. Länder, die dem gleichen Wohlfahrtsregime angehören, teilen auch ähnliche Gerechtigkeitsüberzeugungen und Einstellungen. Für diese Arbeit ist allerdings nicht die Frage entscheidend, ob das Clustern oder Gruppieren der Länder möglich und sinnvoll ist, sondern die Darstellung der Bandbreite von Möglichkeiten auf sozialstaatliche Fragen zu reagieren. In einer Verbreiterung der Analyse sozialstaatlicher Institutionen könnten auch alle lebensqualitätsrelevanten Institutionen betrachtet werden – und wiederum die Frage gestellt werden, welche Wohlfahrtsregime beziehungsweise Lebensqualitätsregime sich dabei zeigen. Eine solche Perspektive müsste neben der klassischen sozialstaatlichen Perspektive mindestens auch Vergleiche des Gesundheitswesens, des Bildungswesens und des Umweltschutzes umfassen. Es wurde gezeigt, dass diese Bereiche nur teilweise oder gar nicht als Teil des Wohlfahrtsstaates diskutiert wurden. Während Klarheit darüber besteht, dass es besondere nationale Umgangweisen in Bezug auf den Umweltschutz gibt – die von Frankreich belächelte deutsche Waldsterben-„Hysterie“ oder die Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich im Umgang mit Atomenergie sind bekannte Beispiele – wurde nach meinem Wissen bisher nicht diskutiert, ob diese besonderen nationalen Umgangweisen mit dem Umweltschutz und die damit verbundenen besonderen Institutionalisierungen sich in die bestehende Kategorisierung in Wohlfahrtsregime einfügen, ob sie umfassendere Lebensqualitätsregime bilden, oder ob sie sich zu eigenen Umweltschutzregimen gruppieren lassen. Es stellt sich dabei die Frage, ob die Varianz zwischen den Ländern der Europäischen Union geringer ist, da der Beginn der Ökodebatte in eine Zeit fiel, in der die Europäisierung bereits fortgeschritten war und in diesem Bereich viele „harmonisierende“, also
228
Burkhart, Günter / Kohli, Martin (1989): Ehe und Elternschaft im Individualisierungsprozeß: Bedeutungswandel und Milieudifferenzierung. In: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaften, 15, S. 405–426 229 Brüderl, Josef / Klein, Thomas (2003): Die Pluralisierung partnerschaftlicher Lebensformen in Westdeutschland, 1960–2000. In: Bien, Walter / Marbach, Jan H. (Hrsg.): Partnerschaft und Familiengründung. Opladen: Leske + Budrich. S. 189–217
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
für alle EU-Mitgliedsländer verbindliche Vorgaben von Seiten der Europäische Gemeinschaft gemacht wurden. Durch die Verbindung der ländervergleichenden Wohlfahrtsregimeanalyse mit den Ergebnissen der Lebenslauf-Forschung konnte gezeigt werden, welches Ausmaß der Zugriff des Staates auf die „objektiven Daten“ des Lebensverlaufs der Menschen hat. Die Perspektive dieses Einflusses, der hauptsächlich als durch Strukturen und Institutionen vermittelt gilt, ergänzt die oben diskutierte Perspektive des Einflusses des Wohlfahrtsstaates auf die „Subjektivität“ der Menschen. 3.5 Fazit: Rahmenbedingungen der Lebensqualitätsproduktion 3.5.1 Die drei Zugänge zur Lebensqualitätsproduktion Die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für die Produktion von Lebensqualität wurden in diesem dritten Kapitel auf dreifache Weise diskutiert. Ausgehend von der Frage, warum Gesundheit nicht durch die Verfassung geschützt ist, wurden Mechanismen aufgezeigt, die bei der Entstehung des Wohlfahrtsstaates von Bedeutung waren. Ein Rückblick auf die damalige Entwicklung leitete zum ersten Zugang, zu Offes konflikttheoretischem Ansatz über. Gemäß diesem ersten Zugang ergeben sich das Ausmaß und die Art der Produktion von Lebensqualität als Ergebnis widerstreitender politischer Interessen im Wohlfahrtsstaat, die sich aus Konflikten – unter anderem im sozialkapitalistischen Dreieck Arbeit – Kapital – Staat ergeben. Ein zweiter Zugang zeigte die Bedeutung der Diskurse und der Kultur für die Lebensqualitätsproduktion auf: Gesellschaftliche Sinnproduktion ist sprachlich vermittelt, und deshalb stellen Diskurse und kulturelle Überzeugen limitierende Rahmenbedingungen für das politische Handeln und das Handeln von Individuen dar. Damit bestimmen solche Deutungsmuster auch die Art und das Ausmaß der Produktion von Lebensqualität. Diskurse sind sozusagen ein weiteres Mittel beziehungsweise eine eigene Ebene des politischen Widerstreits, was beispielsweise an der Funktion des Parlamentes deutlich wird: Es kann als Clearingstelle des politischen Diskurses verstanden werden, die dem Prozess der Institutionalisierung vorgeschaltet ist. Diskurse und Kultur stellen insofern eine Ergänzung zum konflikttheoretischen Ansatz von Offe dar. Die bei Offe beschriebenen Auseinandersetzungen im sozialkapitalistischen Dreieck werden gleichzeitig auf diskursiver Ebene geführt. Während sich seit den 90er Jahren der Begriff Wohlfahrtskultur etabliert hat (Kaufmann 1991), ist kein entsprechender Begriff wie Lebensqualitätskultur entstanden, was wohl aus dem Erliegen einer lebensqualitätsorientierten Gesell-
3.5 Fazit: Rahmenbedingungen der Lebensqualitätsproduktion
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schaftspolitik seit der Ölkrise resultiert. So gibt es heute keinen zusammenhängenden Lebensqualitätsdiskurs, in dem die verschiedenen Politikbereiche, in denen Ressourcen verteilt werden und die zur Produktion von Gesundheit, Lebenserwartung und Lebensqualität beitragen, in einem systematischen Zusammenhang gesehen werden – wenn auch einzelne Fragen davon diskutiert werden. Während Lebenserwartung und Lebensqualität als Themen sowohl im Alltagsdiskurs als auch im politischen Diskurs kaum präsent sind, wird das Thema Gesundheit im öffentlichen Diskurs tendenziell auf ein Kostenproblem im Gesundheitswesen reduziert (Bauer 2006). Die Betrachtung der Diskurse (Kap. 3.3.1) hat auch gezeigt, dass sozialpolitische Themen und Umweltthemen in zwei verschiedenen Diskurssträngen und nach ganz unterschiedlichen Regeln behandelt werden, obwohl sie ähnliche Auswirkungen auf die Lebensqualität, wie sie in dieser Arbeit verstanden wird, haben. Die Verschiedenartigkeit dieser beiden Diskurse zeigt noch einmal die Bedeutung von Diskursen und kulturellen Überzeugungen auf; in der politischen Praxis stellt sie einen Hemmschuh für eine Verbindung der „sozialen Frage“ mit der „Umweltfrage“ dar. Ein Lebensqualitätsdiskurs oder eine Kultur der Lebensqualität würde alle lebensqualitätsrelevanten Themen in einen Zusammenhang stellen und die Auswirkungen staatlichen Handelns – insbesondere auch die sozial ungleichen Auswirkungen – auf die Bürgerinnen und Bürger thematisieren. Dass das Bewusstsein für diesen Zusammenhang gering ist, zeigt beispielsweise eine Untersuchung von Mielck, Backett-Milburn und Pavis (1998): Mittels einer Befragung konnten sie zeigen, dass zu diesem Zeitpunkt selbst Expertinnen und Experten des deutschen Gesundheitswesens kaum Kenntnisse über die schichtspezifische Ungleichheit der Lebenserwartung hatten. Oben (Kap. 3.3.3) wurde des Weiteren gezeigt, wie die Diskurse auf die „Subjektivität“ der Menschen wirken. Die öffentlichen und politischen Diskurse prägen das Bewusstsein ihrer Bürger im Allgemeinen, wie auch ihre Einschätzung lebensqualitätsrelevanter Fragen. Der dritte Zugang beschäftigt sich mit der Bedeutung von wohlfahrtsstaatlichen Strukturen und Institutionen und deren Auswirkungen auf die einzelnen Bürgerinnen und Bürger. So können Länder verglichen werden hinsichtlich der Strukturen und Institutionen ihrer staatlichen Sicherungssysteme, ihrer Organisation des Arbeitsmarktes, der Aufgabenverteilung der Reproduktionsarbeit zwischen Familie, Staat und Markt sowie weiterer Bereiche, wie beispielsweise der Umweltschutzpolitik. Mit Hilfe der Lebenslaufforschung konnte gezeigt werden, wie prägend diese Lebenslaufregime sind, also in welch hohem Ausmaß die Strukturen und Institutionen das Leben der einzelnen Menschen beeinflussen. Diese drei Zugänge sind vielfach miteinander verflochten. Der politische Diskurs findet auch in der Form eines interessengeleiteten Kampfes um die Wahrheit statt. Beim ersten Zugang (Offes Konflikttheorie) und beim zweiten
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
Zugang (mittels Diskurse und kultureller Überzeugungen) handelt es sich also nicht um zwei völlig unterschiedliche Erklärungen der Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität, sondern um zwei sich ergänzende Teilaspekte. Offe demonstriert diesen Zusammenhang exemplarisch in einem Aufsatz, in dem er darstellt, wie wichtig die Etablierung eines neoliberalen Diskurses für die Durchsetzung von Thatchers neoliberaler Politik war (Offe 1996). Kulawik wiederum demonstriert am Vergleich der Implementation des Mutterschutzes in Schweden und Deutschland im frühen 20. Jahrhundert, dass die unterschiedliche Präsenz von Frauen in der Öffentlichkeit und die umfangreichere Beteiligung von Frauen am Gesetzgebungsprozess, also eine unterschiedliche Machtkonstellation, zu anderen Diskursen und zu anderen wohlfahrtsstaatlichen Interventionen führte (Kulawik 1999: 311f., s. a. S. 34). Starke Wechselbeziehungen bestehen auch zwischen (wohlfahrtsstaatlichen) Institutionen einerseits und Diskursen und kulturellen Überzeugungen andererseits. So entstehen Einstellungen zu Fragen der Wohlfahrt und Lebensqualität in Auseinandersetzung mit den jeweiligen Lebensgewohnheiten und einer konkreten Institutionenlandschaft. Sozialpolitik kann beispielsweise die Einstellung der Bürgerinnen und Bürgern gegenüber der Erwerbsarbeit oder das Verständnis der Bürger von ihrem Staat verändern (vgl. Oorschot 2007: 129 und Pfau-Effinger 2005). Einen weiteren Aspekt im Verhältnis von Institutionen und Diskurs hat Vivian A. Schmidt (2000) aufgezeigt. Sie verglich die Diskurse der sozialstaatlichen Reformen verschiedener Länder (ab den 80er Jahren) und kam zu dem Schluss, dass diese Diskurse stark von der Organisationsform der politischen Institutionen abhängig sind: In zentralisierten Ländern mit einer „government-centered policy elite”, wie England und Frankreich, sind die Diskurse eher top-down organisiert: Politische Eliten müssen die vorgenommenen Maßnahmen vor den Bürgerinnen und Bürgern legitimieren. Schmidt bezeichnet solche Diskurse als „kommunikative Diskurse“ (engl.: communicative discourses). Dagegen sind in dezentralisierten Ländern häufig viele „Entscheider(innen)“ verwickelt, wie beispielsweise Länderregierungen oder Lobbygruppen, die in Abstimmungsprozessen überzeugt werden müssen. Solche Diskurse laufen offener, vorsichtiger und führen eher zu Kompromisslösungen. Schmidt bezeichnet sie als, „coordinative discourses”, also als „abgestimmte Diskurse“ (Schmidt 2000: 232, vgl. auch Lamping / Schridde 2004: 39f.).
3.5 Fazit: Rahmenbedingungen der Lebensqualitätsproduktion
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Abbildung 15: Drei Zugänge der Analyse von Wohlfahrtsstaaten
Konflikttheorie (z. B. Claus Offe) Der politische Kampf prägt die Ungleichheitsstruktur
Diskurs und Kultur Diskursives Verhandeln von Wahrheit und Gerechtigkeit produziert kulturelle Überzeugungen
Wohlfahrtsregime (Esping-Andersen) Dekommodifikation, Stratifikation, Verteilungsregime, Arbeitsmarktregime
Quelle: Eigene Graphik Die drei Zugänge zu den Rahmenbedingungen der Lebensqualitätsproduktion sind also nicht vollständig unabhängig von einander, noch sind sie deckungsgleich. Anders ausgedrückt: Jeder Zugang hat einen eigenen Erklärungswert, keiner lässt sich vollständig durch die anderen erklären.230 Der jeweilige Status230
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Rieger / Leibfried (1999: 456f.): „ ‚Kultur’ als solche kann sozialpolitische Entwicklungen nicht vollständig erklären; der Zusammenhang zwischen kulturellen Überzeugungen und sozialpolitischem Entscheidungshandeln ist vermittelt. Dies heißt zum einen, dass Kultur nicht nur autonom entwicklungsfähig ist, sondern dass sie auch in einem Widerspruch zu sozialpolitischen Institutionen geraten kann. Es bedeutet zum anderen, dass Werte und Ideen, die
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Quo ist von allen drei Ebenen beeinflusst, und dementsprechend muss die Analyse der Produktion von Lebensqualität stets alle drei Zugänge zu den Rahmenbedingungen mitdenken: erstens, die Interessenkonstellation in politischen Konflikten und ihre geschichtliche Gewordenheit; zweitens, die gesellschaftlichen Deutungsmuster und die hervorgebrachten kulturellen Einstellungen; und drittens, die Strukturen und Institutionen. Da die drei Zugänge sich ergänzende Erklärungen liefern, die nicht voneinander unabhängig sind, werden sie in Abbildung 15 als überlappende Kreise dargestellt. Die drei Zugänge entsprechen in etwa auch der Aufteilung der Politikwissenschaften in die drei Politik-Bereiche: Politik als politics bezeichnet „Prozesse des politischen Kampfes und der politischen Willensbildung über die Institutionalisierung und das Ingangsetzen bzw. Verhindern derartiger Maßnahmen“ (Kaufmann 2005: 39). Der Begriff polity umfasst die verfestigten „Formen der Politik“, also die allgemeinen politischen Strukturen und Ordnungen einer Gesellschaft sowie ihre rechtliche Verfasstheit (vgl. Schubert / Klein 2006: 236f.), worunter auch die Themenkreise Wohlfahrtsdiskurs und Wohlfahrtskultur subsumiert werden (vgl. Lessenich 2000: 49). Politik im Sinne von policy bezeichnet „Komplexe von durch politische Entscheidungen institutionalisierten öffentlichen Maßnahmen und damit Bereiche exekutiven politischen Handelns“ (Kaufmann 2005: 39). Hier geht es also um spezifisch wohlfahrtsstaatliche Interventionen und Institutionen, deren länderspezifische Ausgestaltung aufgezeigt wurde. Die drei erarbeiteten Zugänge bieten also Erklärungen zu allen drei Politik-Bereichen. 3.5.2 Das Wohlfahrtsdispositiv und die Subjektivierung von Lebensqualität Die drei Zugänge zu den Rahmenbedingungen der Lebensqualitätsproduktion können auch als Konglomerat von Zwängen verstanden werden, das den Lebenslauf der Menschen genauso weitgehend beeinflusst wie seine Lebensdauer und sozialpolitische Formen und Entscheidungen erklären sollen, nicht allein anhand dieser rekonstruiert werden können. Lineare oder exklusive Abhängigkeiten zu behaupten ist eine Verkürzung komplexer Interaktionen. Diese müssen im Einzelfall analytisch differenziert werden. „Kultur“ strukturiert sozialpolitische Alternativenräume, bestimmt aber nicht sozialpolitische Entscheidungen. Die zentrale intervenierende Variable sind interessenpolitische Machtverhältnisse. Diese entscheiden zwar über den Inhalt und über das „wann“ und das „wie viel“ sozialpolitischer Interventionen und ihrer Institutionalisierungen. Diejenigen Momente wohlfahrtsstaatlicher Entwicklung aber, die hier interessieren, sind „Interessen“ kaum oder zumindest nur in sehr abgeschwächter Form zuzuordnen. Weder die langfristige Dynamik institutioneller Strukturen von Wohlfahrtsstaaten noch ihre Autonomie im System gesellschaftlicher Einrichtungen, auch nicht ihre Eigenständigkeit, was die die Sozialpolitik leitenden Werte betrifft, genauso wenig wie der Universalismus sozialpolitischer Vergesellschaftung, rühren unmittelbar aus Entscheidungen“ (Rieger / Leibfried 1999: 456f.).
3.5 Fazit: Rahmenbedingungen der Lebensqualitätsproduktion
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sein Verständnis von diesem Leben. Unter dieser Perspektive ergibt sich eine Nähe mit dem Foucault’schen Begriff des Dispositivs231. Foucault definiert Dispositiv als … erstens ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architektonische Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philantrophische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wohl wie Ungesagtes[,] umfasst. Das Dispositiv selbst ist ein Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann (Foucault 1978: 120).
Bereits oben (S. 158) wurde erwähnt, dass Foucaults Interesse einer Machtanalyse galt, die Macht nicht als etwas versteht, das an Macht oder Gewalt ausübende Personen gebunden ist, sondern als etwas, das sich aus einem „Gesamtzusammenhang“, aus spezifischen Strukturen, ergibt. Der Begriff Dispositiv umfasst die verschiedensten Phänomene und Bereiche, die das Handeln der Menschen beeinflusst und sie dazu bringt, etwas zu tun bzw. auf eine bestimmte Weise zu handeln (vgl. Foucault 2006: 18). Die breite Definition des Begriffes Dispositiv gestattet es nun, das „entschieden heterogene Ensemble“ (siehe obiges Zitat), also sehr unterschiedliche Bereiche, daraufhin zu analysieren, wie auf Individuen Macht ausgeübt wird. Der foucaultsche Begriff des Dispositivs überschneidet sich stark mit den erarbeiteten drei Zugängen. Eine erste Überschneidung ergibt sich aus dem „doppelten Zugriff“ auf das Individuum: In Foucaults Definition des Dispositivs stehen „Diskurse“, „wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische und philantrophische Lehrsätze“ unterschiedslos neben „Institutionen“, „Gesetzen [und] administrativen Maßnahmen“ und sogar neben „architektonischen Einrichtungen“. Tatsächlich definiert Foucault eine Zweiteilung in Diskurse und Institutionen: Was man im Allgemeinen „Institutionen“ nennt, meint jedes mehr oder weniger aufgezwungene, eingeübte Verhalten. Alles was in einer Gesellschaft als Zwangssystem funktioniert, und keine Aussage ist, kurz also: alles nicht-diskursive Soziale ist Institution (ebd. S. 125).
Wenn in den Zugängen oben auch nicht auf die Bedeutung der Architektur eingegangen wurde232, so wurde doch einerseits im Anschluss an die Einführung der Diskurse gezeigt, auf welche Weise diese Diskurse und die (Wohlfahrts-)Kultur 231
Siehe zum Dispositiv auch Foucault 2001 [1976]: 29f., 2006 [1978]: 63, 73, Bührmann / Schneider 2008, Agamben 2008, Keller 2004: 63. 232 Denkbar wäre, die mit politischen Konflikten einhergehenden räumlichen Trennungen zu untersuchen, Architektur als non-verbale Diskurse zu lesen (siehe Maeder / Nadai 2004: 42f., Schultheis 1999: 129f.), die Repräsentation von Wohlfahrtskultur in Baustilen wie Genossenschaftsbauten zu untersuchen (vgl. Kriechbaum / Kriechbaum 2007) oder die Architektur von Verwaltungsbauten in den Blick zu nehmen.
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
von Individuen subjektiviert werden; andererseits wurde im Anschluss an die Diskussion der Wohlfahrts- und Lebenslaufregime gezeigt, wie weitgehend die Institutionen des (Wohlfahrts-)Staats den Lebenslauf der Bürgerinnen und Bürger regeln und bestimmen. Eine weitere Eigenschaft des Dispositivs sieht Foucault darin, dass „das Dispositiv selbst […] ein Netz“ ist (siehe obiges Zitat; vgl. auch Bührmann / Schneider 2008: 53). Das kann so verstanden werden, dass es gerade das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente ist, die das Dispositiv ausmachen, und dass die Kräfte, die von den verschiedenen Elementen ausgehen, die Menschen von verschiedenen Punkten aus in eine einheitliche Richtung drängen – also veranlassen, dass sie gemäß bestimmter Absichten handeln. [Ich möchte] in dem Dispositiv gerade die Natur der Verbindung deutlich machen, die zwischen diesen heterogenen Elementen sich herstellen kann. So kann dieser oder jener Diskurs bald als Programm einer Institution erscheinen, bald im Gegenteil als ein Element, das es erlaubt, eine Praktik zu rechtfertigen und zu maskieren, die ihrerseits stumm bleibt, oder er kann auch als sekundäre Reinterpretation dieser Praktik funktionieren, ihr Zugang zu einem neuen Feld der Rationalität verschaffen. Kurz gesagt gibt es zwischen diesen Elementen, ob diskursiv oder nicht, ein Spiel von Positionswechseln und Funktionsveränderungen, die ihrerseits wiederum sehr unterschiedlich sein können (Foucault 1978: 120).
Wenn auch fraglich bleibt, ob man allgemeine Aussagen darüber machen kann, inwiefern die drei Zugänge sich ergänzende Wirkungen entfalten, so entsprechen der Idee des Netzes doch die obigen Ausführungen, die die drei Zugänge als sich überschneidende beziehungsweise sich ergänzende darstellen; als Elemente, die sich gegenseitig verstärken können (Siehe Abbildung 15). Dieses Zusammenspiel wird auch in einer weiteren Eigenschaft deutlich, mit der Foucault das Dispositiv belegt: Es stellt einen Macht-Wissens-Komplex dar. „Eben das ist das Dispositiv: Strategien von Kräfteverhältnissen, die Typen von Wissen stützen und von diesen gestützt werden“ (ebd. 123). Im Macht-Wissens-Komplex werden die beiden Eigenschaften des Dispositivs, nämlich der enge Zusammenhang zwischen Subjektivierung und Objektivierung und seiner Netzartigkeit zusammengefasst. Foucault sieht aber noch eine weitere Eigenschaft des Dispositivs: [Ich] verstehe […] unter Dispositiv eine Art von – sagen wir – Formation, deren Hauptfunktion zu einem sagen wir gegebenen historischen Zeitpunkt darin bestanden hat, auf einen Notstand [franz.: urgence] zu antworten. Das Dispositiv hat also eine vorwiegend strategische Funktion (Foucault 1978: 120).
Wie Offe (siehe Kap. 3.2.2) und Esping-Andersen (siehe Kap. 3.4.1) betont Foucault die Bedeutung der Geschichte für das Entstehen von Dispositiven. Anders als Offe und Esping-Andersen fokussiert er dabei allerdings weniger auf einen
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klar identifizierbaren „Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit“ in der Sphäre der Politik, sondern auf die dezentralen, allgegenwärtigen und schwieriger identifizierbaren Kräfte, die neben der Sphäre der Politik gerade auch das sogenannte „private Leben“ durchdringen. Auf die Frage nach der Bedeutung des Politischen gefragt, antwortet Foucault in einem Interview: Wenn es stimmt, dass die Gesamtheit der Kräfteverhältnisse in einer gegebenen Gesellschaft den Bereich der Politik konstituiert und dass eine Politik eine mehr oder weniger globale Strategie ist, diese Kräfteverhältnisse zu koordinieren und auf Zwecke auszurichten versuchen, glaube ich, dass man […] auf folgende Weise antworten muss: Die Politik ist nicht das, was elementare und von „Natur“ aus neutrale Beziehungen in letzter Instanz determiniert (oder überdeterminiert). Jedes Kräfteverhältnis impliziert in jedem Augenblick eine Machtbeziehung […] und jede Machtbeziehung verweist, als auf ihre Wirkung aber auch als auf ihre Möglichkeitsbedingungen, auf ein politisches Feld, dessen Teil sie ist. Sagt man, dass ‚alles politisch ist’, so spricht man von der Allgegenwart der Kräfteverhältnisse und ihrer Immanenz in einem politischen Feld. Aber man stellt sich damit auch die noch kaum skizzierte Aufgabe, dieses unbestimmte Wirrwarr zu entflechten (Foucault 1978: 112).
Dies entspricht den Ergebnissen der Analyse der Wohlfahrts- und Lebenslaufregime, die gezeigt haben, dass die staatlichen Institutionen weit mehr in das alltägliche Leben „hineinregieren“ als das gemeinhin vorgestellt wird. Vergleicht man die Kombination der drei Ansätze mit dem Foucault’schen Dispositiv, so zeigt sich, dass es weitgehende Überschneidungen gibt, aber auch unterschiedliche Schwerpunkte. Bezogen auf die Frage nach der Produktion von Lebensqualität durch den Wohlfahrtsstaat fordert der Blickwinkel des Dispositivs dazu auf, neben der Perspektive: „Was bietet der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern?“ auch immer den anderen Blickwinkel zu reflektieren: „Was will das Agglomerat von (staatlichen) Institutionen von seinen Bürgerinnen und Bürgern?“ Der Staat produziert Lebensqualität und Wissen über Lebensqualität nicht, oder nicht nur, im Rahmen eines humanistischen Projekts, sondern auch als strategisches Projekt, also in einer Weise, die seinen eigenen Zielen nutzt. Soweit dabei die Techniken des Wohlfahrtsstaates und der staatlichen Lebensqualitätsproduktion gemeint sind, kann man also von einem Wohlfahrtsdispositiv beziehungsweise einem Lebensqualitätsdispositiv sprechen. Ein Lebensqualitätsdispositiv stellt dann einen lebensqualitätsbezogenen Macht-Wissens-Komplex dar, der unter anderem über die Kombination der drei Zugänge, die in diesem Kapitel diskutiert worden sind, analysiert werden kann (Siehe Abbildung 15). Gemäß der Idee von Foucault darf dabei allerdings nicht (nur) nach Einzelnen gesucht werden, die Forderungen formulieren und durchsetzen, sondern nach den in den Institutionen und Diskursen versteckten Mechanismen.
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
3.5.3 Sen und die Produktion von Lebensqualität Ausgehend von diesen drei Zugängen (1) und dem Dispositiv (2) kann nun auch ein neuer Blick auf den Ansatz von Sen genommen werden. Dadurch relativiert sich insbesondere Sens optimistische Vorstellung, dass ein Mehr an Ressourcen automatisch zu einem Mehr an Handlungsspielräumen und Freiheiten für die Einzelne oder den Einzelnen führt. (1) Gemäß dem ersten Zugang führt ein Mehr an Ressourcen zu neuen Verteilungskämpfen, die insbesondere nicht automatisch zu einer gleichmäßigeren Verteilung führen. Gemäß dem zweiten Zugang können gesellschaftliche Veränderungen hin zu einer ressourcenreicheren Konstellation auch mit veränderten Deutungsmustern und kulturellen Überzeugungen zusammen treffen. Einen Anhaltspunkt dafür, dass dies regelmäßig der Fall ist, gibt Bourdieu, dessen Analyse der Kapitalarten zeigt, dass Ressourcen immer auch Mittel der sozialen Positionierung sind. Welche Ressourcenausstattung „normal“, „hervorstechend“ etc. ist, wird in einem kulturellen Prozess festgelegt. In dieser Hinsicht geht es für den Einzelnen nicht um ein absolutes Mehr an Ressourcen, sondern um ein relatives Mehr. Kulturelle Zuschreibungsprozesse sind es auch, die festschreiben, wer ein Mehr an Ressourcen „verdient“, „verdient hat“ beziehungsweise „sich verdient hat“. Die Analyse wohlfahrtsstaatlicher Diskurse kann aber noch in anderer Hinsicht zu einer weniger optimistischeren Haltung als der von Sen führen: Aktuelle Diskurse zum Wohlfahrtstaat argumentieren heute fast nur mehr über Kosten. Über die von Sen diskutierten Vorteile einer verbesserten Ressourcenausstattung wird kaum gesprochen (vgl. z. B. Offe 1990: 196 und Nullmeier / Rüb 1993: 14, Lamping 1994: 280). Der dritte Zugang legt nahe, dass die Verteilung von Ressourcen stark durch institutionalisierte Verteilungsprozesse beschränkt ist, der sich nur langsam, „pfadabhängig“ verändert, und nicht „in Sprüngen“ (s. a. Pioch 2000: 438, Schmidt 2000). (2) Auch das foucaultsche Konzept des Dispositivs wirft ein neues Licht auf den Ansatz von Sen. Unter dem Begriff Gouvernementalität hat Foucault staatliche Regierungstätigkeit als Dispositiv untersucht. Seine Analyse hat er dabei gerade am Beispiel der Lenkung und Beeinflussung der Bevölkerungszahlen ab dem 18. Jahrhundert erarbeitet (s. a. Foucault 1983: Kap. V). Sie fand ihre Grundlage in einer neuen Art von Wissen, nämlich in statistischen Auswertungen von Geburten- und Mortalitätsraten (Foucault 2006 [1978]: 104f.). Dabei zeigt er in einem geschichtlichen Aufriss, dass sich hoheitliches Handeln von einer direkten Macht- und Gewaltausübung auf das untertänige Volk wegentwickelt hat, hin zu einer geschickten, subtileren Lenkung und Beeinflussung der Bevölkerung durch das Formen von Lebenswelten, die Anreize so
3.5 Fazit: Rahmenbedingungen der Lebensqualitätsproduktion
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setzen, dass die Bevölkerung gleichsam automatisch gehorcht (Foucault 2006: 134f.) – gewissermaßen eine Form der Kontextsteuerung. [W]as mag im Grunde der Zweck [der Regierung] sein? Sicherlich nicht zu regieren [im Sinne von „uneingeschränkt herrschen“ (Anmerkung: A. K.)233], sondern das Geschick der Bevölkerung zu verbessern, ihre Reichtümer, ihre Lebensdauer, ihre Gesundheit zu mehren. Und als Instrument, das sich die Regierung gibt, um diese Ziele, die dem Feld der Bevölkerung gewissermaßen immanent sind, zu erreichen, fungiert im wesentlichen die Bevölkerung, die sie direkt durch Kampagnen oder wieder indirekt durch Techniken beeinflusst, die es, ohne dass die Leute es allzu sehr bemerken, beispielsweise erlauben, die Geburtenrate oder die Bevölkerungsströme zu stimulieren, indem sie sie in diese oder jene Region oder zu irgendeiner bestimmten Tätigkeit lenken (Foucault 2006: 158).
Auf Basis dieser statistischen Grundlagen versuchte man damals Möglichkeiten sozialpolitischer Interventionen abzuleiten um die Bevölkerungszahl in die gewünschte Richtung zu trimmen (vgl. auch Desrosières 2005: 3). Foucault bezeichnet diese Vorgehensweise als Bio-Politik (vgl. Foucault 1983 [1976]: 135, 138, s. a. Foucault 2001 [1976]: 282f.), gewissermaßen als Versuch des „Herumdokterns“ am „Volkskörper“. Biopolitik beziehungsweise Bio-Macht bezeichnen in diesem Zusammenhang Dispositive, die auf die Körper und die Gesundheit der Menschen gerichtet sind.234 Er zeigte, wie eng die Entstehung von sozialepidemiologischem Wissen mit einem zunehmenden Bedürfnis nach der Beherrschung des „Volkskörpers“ zusammenhing, also mit der Steuerung von Geburtenquoten, Sterberaten, Lebenserwartungen etc. 235 Nun wurde im ersten Kapitel mit Amartya Sen gezeigt, dass die institutionelle Ausgestaltung eines Wohlfahrtsstaates Auswirkungen auf die Lebenserwartung hat. Und mit dem Ansatz der Wohlfahrtsregime von Esping-Andersens Ansatz und der Lebenslaufforschung wurden nicht nur die Möglichkeiten verschiedener Ausgestaltungen von Wohlfahrtsstaaten systematisiert, sondern wir konnten auch sehen, dass die institutionelle Ausgestaltung eines Wohlfahrtsstaates Auswirkungen auf die Geburtenrate hat. Eine „von oben“ geplante Opti233
Hierbei handelt es sich um ein Wortspiel mit der Doppeldeutigkeit des Wortes régner. Der heutigen Bedeutung „regieren“ gingen andere Bedeutungen voraus: „ausüben einer absoluten Macht“ sowie „beherrschen“ mit der Konnotation der Ausübung von Gewalt (siehe z. B. Rey / Rey-Debove 1986: 1646). 234 In „Die Geburt der Biopolitik“ definiert Foucault den Begriff Biopolitik so: „Hierunter verstand ich die Weise, in der man seit dem 18. Jahrhundert versuchte, die Probleme zu rationalisieren, die der Regierungspraxis durch die Phänomene gestellt wurden, die eine Gesamtheit von als Population konstituierten Lebewesen charakterisieren: Gesundheit, Hygiene, Geburtenziffer, Lebensdauer, Rassen …“ (2006a: 435). S. a. Foucault (1983 [1976]: 139). Siehe zur Bio-Macht Foucault (1983 [1976]: 135f.) 235 Vgl. zum Verhältnis von Biopolitik und Regierungstechniken Lemke 2007: 146f., insbes. 148, Fn. 44.
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3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität
mierung von Lebensqualität, Morbidität, Mortalität und Fertilität würde sozusagen das Paradebeispiel der biopolitischen Intervention darstellen (s. a. die Kritik von Navarro 2000). Damit stellt sich auch für diese Arbeit die Frage, ob mit ihr in erster Linie eine Analyse verfeinert und vorangetrieben wird, die das Wissen für die „Verbesserung“ biopolitischer Interventionen liefert, im Sinne eines „verbesserten“ Macht-Wissens-Komplexes? Produziert der Sozialstaat Lebensqualität alleine in diesem Sinne? Gegen oder für die Bürgerinnen und Bürger, oder als deren Stellvertreter? Bedeuten neue Versuche Lebensqualität herzustellen immer auch neue Beschränkungen, neue Zwänge und neue Bevormundungen? Welche Durchlässigkeit gewährt die Politik den Bedürfnissen und Forderungen der Bevölkerung? Haben Einführung und Ausbau der Demokratie in dieser Hinsicht etwas Wesentliches geändert? Wir haben gesehen, dass diese Fragen nicht allgemein zu beantworten sind, sondern dass sich die Antworten darauf je nach Land und Epoche unterscheiden – und es wurde klar, dass die „Verbesserung der Lebensqualität“ eine geringe Priorität hat. Vielleicht müssen wir es sogar für symptomatisch halten, wenn der Begriff Lebensqualität als Teil einer biopolitischen Gouvernementalität fungiert, so wie in dem Zitat des Nazi-Statistikers Friedrich Zahn (1940), der nach meinem Wissen diesen Begriff als erster in einem deutschen Text verwendet hat: Ergänzt werden diese statistischen Erkenntnisse durch die biologischen Bestandsaufnahmen, wie sie in den Musterungsergebnissen der Wehrmacht, in den Untersuchungsergebnissen für das Jungvolk und den Jungmädelbund, in den Spezialuntersuchungen von Gesundheitsämtern, Universitätsinstituten, Betriebsärzten usw. für besondere Personenkreise, für besondere Gebietsteile vorliegen. Auch die statistische Auswertung der Ergebnisse der Reichsberufswettkämpfe darf nicht unerwähnt bleiben. Alle die genannten Quellen ermöglichen mit der Zeit einen allgemeinen Gesundheitskataster, eine volksbiologische Diagnose, ein klares Bild von der Lebensqualität des deutschen Volkes, von den Erbgesunden und den Erbkranken, ermöglichen wichtige Unterlagen zur Förderung der guten, zur Verhinderung der schlechten Erbmasse, zur erbbiologischen Gesundung des Volkskörpers (Zahn 1940: 372, Hervorhebung durch A. K.).236
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Siehe auch Götz / Roth 1984 und Weingart / Kroll / Bayertz 1992: 186.
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Was heißt, ein Schiff führen (franz.: gouverner237)? Gewiss heißt es, sich der Seeleute anzunehmen, doch heißt es zugleich, dass Schiff und die Ladung zu übernehmen; ein Schiff zu führen heißt auch, die Winde, die Klippen, die Stürme, die Unbilden der Witterung zu berücksichtigen. Es ist dieses Herstellen einer Beziehung zwischen den Seeleuten und dem Schiff, das gerettet werden, und die Ladung, die in den Hafen gebracht werden muss, und deren Beziehung zu all jenen Ereignissen wie den Winden, den Klippen, den Unwettern, das die Führung eines Schiffs kennzeichnet. (Foucault 2006 [1978]: 146f.)
Während im zweiten Kapitel dieser Arbeit gezeigt wurde, wie der einzelne Mensch Lebensqualität mit Hilfe von Ressourcen und durch die Transformation von Ressourcen produziert, ging es im dritten Kapitel um die Bedeutung der Rahmenbedingungen für die Produktion von Lebensqualität. Kulturelle Überzeugungen und politische Auseinandersetzungen führen zu einem institutionellen Gefüge, das den Lebensverlauf jedes Einzelnen vorstrukturiert. Regime können als Beschreibung von solchen Strukturen verstanden werden. Der Zusammenhang zwischen diesen Regimen und der individuellen Ressourcenausstattung wurde in der Forschung bisher kaum expliziert. Esping-Andersen bezieht sich in seiner Diskussion der Wohlfahrtsregime zwar auf den schwedischen Level-ofLiving-Ansatz und bemerkt, dass sich die einzelnen Regime in der Verteilung der Ressourcen unterscheiden, allerdings vertieft er diesen Gedanken nicht (Esping-Andersen 1990: 57). In der Diskussion der Lebenslaufregime wird dagegen die Bedeutung von Ressourcen wie Bildung und Geld klar gesehen und deren Entwicklung über den Lebensverlauf thematisiert; dies dient dann aber nur dazu Übergänge, wie Berufseintritt, Heiratsalter und das Alter, in dem man Kinder bekommt, zu erklärt, jedoch nicht die Lebensqualität oder Lebenserwartung. Im Folgenden soll nun auf Basis des im zweiten Kapitel entwickelten Modells der Ressourcentransformation und der im dritten Kapitel beschriebenen politischen und kulturellen Rahmenbedingungen ein Modell entwickelt werden, das es erlaubt, den schwer abzubildenden Zusammenhang zwischen Mikro- und 237 Es handelt sich um ein Wortspiel: Das französische Verb gouverner bedeutet gleichzeitig einen Staat regieren und ein Schiff steuern (vgl. Rey / Rey-Debove 1986: 879).
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Makroebene, den Mikro-Makro-Link, auf eine umfassende und übersichtliche Weise zu beschreiben. Dabei werden staatliche Interventionen darauf hin untersucht, auf welche Weise und in welchem Umfang sie dem einzelnen Menschen Ressourcen zur Verfügung stellen. Neben direkten Ressourcenzuteilungen und -umverteilungen wird dabei auch betrachtet, inwieweit der Staat in jene Ressourcenverteilungen eingreift, die außerhalb der Sphäre direkter staatlicher Interventionen liegen. Mit Bezug auf den Ansatz von Amartya Sen stellt sich die Frage, inwieweit staatliche Interventionen neben der Zuteilung von Ressourcen die Entwicklung der Fähigkeiten (functionings) und der Handlungsspielräume (capabilities) ihrer Bürgerinnen und Bürger beeinflussen. Es wird nun zuerst ein Mehrebenenmodell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion – als zweiter Baustein der Ressourcentheorie – entwickelt (Kap. 4.1.1). Verschiedene Interventionsarten werden systematisiert (Kap. 4.1.2) und die Zuteilung der einzelnen Ressourcen wird dargelegt (Kap. 4.2). In Kapitel 4.3 werden dann verschiedene Trends der Wohlfahrts- und Lebensqualitätspolitik aus der Perspektive der Ressourcentheorie betrachtet. 4.1 Modell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion Ökonomen, Verwaltungswissenschafler, Politikwissenschaftler und Soziologen [haben] gemeinsam versucht, die theoretischen Grundlagen für die Erklärung der Steuerungsfähigkeit im öffentlichen Sektor zu verbessern. Leider kann dabei kein dem Marktmodell vergleichbar elegantes Ergebnis erwartet werden (Kaufmann 2005: 197).
Für die Darstellung der Ressourcenzuteilung wird ein Mehrebenenmodell verwendet. Solche Modelle, die der Veranschaulichung von hierarchischen Beziehungen dienen, werden in der Sozialepidemiologie für die Darstellung der sozialen Verursachung von Gesundheit und Krankheit herangezogen.238 Sie eignen sich auch als Grundlage für empirische Untersuchungen, da für ihre Schätzung statistische Methoden zur Verfügung stehen (Bolte / Kohlhuber 2006: 99, Soobader / Cubbin / Gee et al. 2006, Pekkanen / Pearce 2001).
238
Steinkamp 1999: 130, Mackenbach / Bakker / Kunst et al. 2002: 17f., Berkman / Glass / Brissette et al. 2000: 847, Bolte / Kohlhuber 2006: 102, Becker 2006: 105f., Höpflinger 1997: 144f., Stallones 1980: 70, vgl. auch Krieger 2001: 671, Marmot 2000, Soobader / Cubbin / Gee et al. 2006.
4.1 Modell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion
217
4.1.1 Das Mehrebenenmodell Das Modell besteht aus drei Ebenen, einer Makro-, einer Meso- und der Mikroebene (siehe Abbildung 16). Auf der Makroebene stellen Lebensqualitätskultur und Lebensqualitätsdiskurse den Hindergrund dar, vor der die Lebensqualitätsproduktion stattfindet. Mit diesen Begriffen werden kulturelle Überzeugungen und Einstellungen aus unterschiedlichen Diskurssträngen zusammengefasst, soweit sie für das Thema Lebensqualität relevant sind, obwohl – oder gerade weil – das hier vertretene umfassende Konzept von Lebensqualität in der Öffentlichkeit nicht in einem zusammenhängenden Diskurs thematisiert wird. Die Vorstellungen von sozialer Ungleichheit, von „guter“ Politik, von sozialer Gerechtigkeit und von den „richtigen“ staatlichen Interventionen, die auf dieser Ebene abgebildet werden und geschichtlich geprägt sind, üben einen Einfluss auf die Lebensbedingungen aus. Vor allem aber stellen sie den Hintergrund dar, vor dem politische Konflikte ausgetragen werden. Diese politischen Auseinandersetzungen (polity) führen beispielweise über die Prozesse der Gesetzgebung zur Politik im Sinne von policy, also zu konkreten Interventionen und Maßnahmen. In Abbildung 16 werden diese politischen Maßnahmen mit dem Begriff Lebensqualitätspolitik zusammengefasst. Damit sollen aber nicht nur die politischen Aktivitäten beschrieben werden, die explizit auf Lebensqualität ausgerichtet sind, sondern all jene lebensqualitätsrelevanten policies, die einen Einfluss auf die Lebensqualität ausüben. Die Lebensqualitätspolitik wirkt auf verschiedene Weisen auf die Lebensbedingungen ein: Lebensqualitätspolitiken können auch auf die Lebensbedingungen von Menschen einwirken, ohne dass diese mit einer Institution in Verbindung treten. Dieser Zusammenhang ist in der Graphik durch den kurzen Pfeil zwischen den Feldern Lebensqualitätspolitik und Lebensbedingungen symbolisiert. Unmittelbar auf die Lebensbedingungen wirken beispielsweise Regelungen und Maßnahmen zur Luftreinhaltung, zur Städteplanung, zur Verkehrssicherheit oder zur gesundheitlichen Aufklärung. Staatliche Institutionen haben hierbei eher planende oder überwachende Funktion. Die distributive Wirkung solcher Interventionen bleibt häufig undiskutiert und unbewusst. Eine Politik, die die Beeinflussung der Lebensbedingungen im Blick hat, kann – in Abwandlung und Erweiterung der üblichen Begriffsverwendung – als Strukturpolitik bezeichnet werden, da sie die Struktur der Lebensbedingungen beeinflusst, innerhalb der Ressourcen verteilt beziehungsweise zugeteilt werden. Sie stellt selbst keinen Ressourcentransfer dar, kann aber dennoch die Ressourcenausstattung der Individuen beeinflussen. So kann die Ausstattung mit der Ressource Gesundheit abhängig sein von der Luftreinhaltungspolitik und die Ausstattung mit der Ressource Zeit vom Angebot des öffentlichen Nahverkehrs. Interventionen dieses
218
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Abbildung 16: Mehrebenenmodell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion Lebensqualitätskultur / Lebensqualitätsdiskurse (polity) M a k r o
Politische Konflikte (politics)
Lebensqualitätspolitik (policy)
Lebensbedingungen Arbeitsbedingungen, Wohnbedingungen, Lebensqualitätsrelevante öffentliche Institutionen Institutionen des Bildungs- und Gesundheitswesens, weitere zuteilende Institutionen, Soziale Dienste
Unternehmen, Märkte Lohnpolitik, Arbeitsschutz, Konsumentensicherheit regeln den Austausch von Ressourcen
Qualität der Umwelt etc. Beziehungen als Ressourcenspender: Familie / Freunde / Bekannte Vermittlung von Bildung, sozialem Kapital und psychischen Ressourcen
Der Mensch mit seinen Resourcen und der Fähigkeiten zur Ressourcentransformation
Quelle: Knecht 2009, ohne Darstellung von Rückwirkungen
M e s o
M i k r o
4.1 Modell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion
219
Bereichs können als strukturelle Interventionen oder als sozial-ökologische Interventionen bezeichnet werden. Während der ursprüngliche Ökologie-Begriff auf das 19. Jahrhundert zurückgeht (Haeckel 1866: 286), und die Wissenschaft der Wechselbeziehungen zwischen Organismen und deren natürlicher Umwelt bezeichnet, wurden die Begriffe „sozial-ökologisch“, „ökosozial“ und „ökologisch“ ab den 80er Jahren verwendet, um die Beziehungen des Menschen zu der ihn umgebenden sozialen und biologischen Umwelt zu bezeichnen.239 Mit dem Begriff „sozial-ökologische Intervention“ soll einerseits daran angeschlossen und andererseits der Begriff der ökologischen Intervention vermieden werden, der stärker mit dem Umweltschutz konnotiert wird (siehe jedoch Kaufmann 2005: 125, Dollinger / Raithel 2006: 142f, Zank 2002: 332, Fehr 2003). Neben diesen strukturellen bzw. sozial-ökologischen Interventionen umfasst die Lebensqualitätspolitik Interventionen, die durch verschiedene Institutionen vermittelt sind. In dem hier entwickelten Modell werden öffentliche / staatliche Institutionen, privatwirtschaftliche Akteure und Familien als Institutionen unterschieden. Interventionen der Lebensqualitätspolitik, also solche, die einen Ressourcentransfer zugunsten eines einzelnen Menschen auslösen, werden hauptsächlich durch staatliche bzw. öffentliche Institutionen vermittelt. Dazu zählen Institutionen des Bildungs- und Gesundheitswesens genauso wie staatliche Institutionen, die monetäre (Um-)Verteilungen und Zuteilungen organisieren, wie Sozialämter, Wohnungsämter und andere ressourcenzuteilende Behörden. In diesem Bereich wird, durch den Staat selbst und im Auftrag des Staates, ein nicht zu vernachlässigender Teil der gesamtwirtschaftlichen Tätigkeit erbracht. Wie oben gezeigt wurde, umfasst das öffentliche Gesundheitswesen in den OECD-Ländern zwischen 2,8 und 8,6 Prozent des Anteils des Bruttosozialprodukts des jeweiligen Landes (Deutschland: 8,5%). In Deutschland arbeiten in diesem Bereich über vier Millionen Beschäftigte (Statistisches Bundesamt 2008: 12, 1998: 367f.).240 Die Bildungsausgaben umfassen in den OECD-Ländern zwischen 3,3 und 6,9 Prozent des Bruttosozialprodukts (Deutschland: 4,3%). Zu dem Bereich der öffentlichen Institutionen sollen hier auch die sozialen Dienste gezählt werden, soweit sie staatlich finanzierte Leistungen erbringen. Unter den Interventionen der sozialen Dienste werden solche Interventionen verstanden, bei denen Menschen bei psycho-sozialen Problemen geholfen wird (vgl. Böhnisch / Arnold / Schröer 1999: 239). Zu den Sozialen Diensten zählen Beratungseinrichtungen, Tagesstätten oder Heime, die der Erziehung, Betreuung, Erholung, Gesundung, Rehabilitation oder der Pflege dienen (Dahme / Schütter / Wohlfahrt 2008: 29f.). Ihre Funktion bezieht sich im Allgemeinen also nicht auf die Bereitstellung fi239
Siehe z. B. Brofenbrenner 1981, Bateson 1981, Wendt 1982, 1990, Krieger 2001 Gesundheitswesen im engeren Bereich sowie angrenzende Arbeitsfelder wie Altenpfleger(innen), Heilerziehungspfleger(innen), Apotheker(innen) und Augenoptiker(innen).
240
220
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
nanzieller Ressourcen, sondern auf die Arbeit an den psychischen und sozialen Ressourcen, der Gesundheit und den functionings. In diesem Bereich finanziert der Staat häufig Leistungen, die durch Einrichtungen der sogenannten freien Wohlfahrtspflege unter dem Dach der Wohlfahrtsverbände241, durch weitere Non-Profit-Organisationen (Vereine, gemeinnützige GmbHs etc.) und zunehmend auch durch gewinnorientierte Unternehmen erbracht werden. Obwohl es denkbar wäre, diesen Bereich als eigene Kategorie von Institutionen zu führen242, wird er an dieser Stelle den öffentlichen Institutionen subsumiert. Die Bedeutung des Bereichs der Sozialen Dienste lässt sich an der Anzahl der Angestellten in sozialpflegerischen Berufen darstellen: Er beträgt in Deutschland über eine Million Beschäftigte (IAB 2007, s. a. Cloos / Züchner 2002). Die Bedeutung des Gesamtumfangs der Interventionen, die durch öffentliche Institutionen erbracht oder finanziert wird, kann auch anhand der Sozialquote verdeutlicht werden, die in den europäischen OECD-Ländern ohne die Ausgaben für Bildung zwischen 9,9% (Estland) und 31,3% (Schweden) variiert (Deutschland: 27,3%) (OECD 2008; s. a. S. 188). Institutionen der Wirtschaft spielen in der Lebensqualitätspolitik grundsätzlich eine andere Rolle als öffentliche Institutionen, da bei diesen Institutionen der gegenseitige Ressourcentausch im Vordergrund steht. Der Einzelne tauscht mit einem Unternehmen seine Arbeitsleistung gegen Geld und sein Geld gegen Güter und Dienstleistungen. Dennoch beeinflusst der Staat die Verhältnisse zwischen den Akteuren auf vielseitige Weise. So regeln Mitbestimmungsgesetze und Arbeitschutzgesetze das Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen, der Verbraucherschutz regelt das Verhältnis zwischen Unternehmen und Konsumenten, und in das Verhältnis zwischen den Unternehmen greifen wettbewerbsrechtliche Regelungen ein. Zusätzlich greift der Staat durch die Besteuerung der Tauschgeschäfte, also des Ressourcentausches der Akteure (Einkommensteuer, Umsatzsteuer etc.), ein. Staatliche Lebensqualitätspolitik führt hier also zu „lenkenden“ und nicht zu distributiven Interventionen. Ein weiterer Eingriff in das Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen geschieht übrigens durch den bereits erwähnten Mechanismus der Dekommodifikation (siehe S. 190): Der Einzelne ist von einem permanenten Ressourcenzufluss abhängig, den er normalerweise im Austausch gegen seine Arbeitsleistung erhält. Dekommodifizierende Interventionen können das rechtliche Verhältnis von Arbeitnehmern und Arbeitgebern beeinflussen und beispielsweise durch Mindest241
Die größten Wohlfahrtsverbände sind das Rotes Kreuz, die Caritas, die Diakonie und die Arbeiterwohlfahrt. Die deutschen Wohlfahrtsverbände beschäftigen mehr als 1,4 Millionen Menschen (Vollund Teilzeitbeschäftigte, im Jahr 2004: BFW 2004: 19). 242 Insbesondere können die NGOs als Erweiterung der Akteure Staat, Unternehmen, Bürger gesehen werden.
4.1 Modell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion
221
lohnregelungen den Tausch von Ressourcen regeln. Andererseits können dekommodifizierende Interventionen von staatlicher Seite andere Ressourcenquellen eröffnen, was dazu führt, dass sich die Abhängigkeit des Einzelnen vom Arbeitsmarkt verringert. Eine dritte Gruppe von Institutionen stellen die Familie, die persönlichen Beziehungen und der Freundeskreis dar, die als mehr oder weniger formelle Institutionen auch Ressourcen zur Verfügung stellen können. Wie oben dargestellt, kommt der Familie je nach Wohlfahrtsregimetyp eine andere Bedeutung zu. Der Staat übt dementsprechend einen Einfluss darauf aus, welche Aufgaben der Familie zugeteilt werden. Ein Beispiel dafür ist das unterschiedliche Ausmaß der Betreuung von Kindern und Älteren in der Familie. Der Staat regiert aber auch durch Geldleistungen und durch Regelungen in die Familie hinein. Beispiele dafür sind die Regelungen zu Eheschließung, Scheidung oder der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, die mit besonderen finanziellen Verpflichtungen der Partner untereinander einhergehen. In der Diskussion der Wohlfahrtsregime wurde gezeigt, dass die drei Regimetypen ihren Schwerpunkt bei je einer anderen Kategorie von Institutionen setzen: Grob betrachtet kann man sagen, dass das liberale Wohlfahrtsregime auf den Markt setzt, das sozialdemokratische auf den Staat und das konservative auf die Familie (vor allem in den südeuropäischen Länder), beziehungsweise auf eine Kombination von Staat und Familie (z. B. Deutschland oder Frankreich). Die drei Kategorien von Institutionen stehen somit in einer Art Substitutionsverhältnis. In Abbildung 16 stellen die drei Kategorien von Institutionen, die öffentlichen Institutionen, die Unternehmen und Märkte sowie die Familien und Beziehungen einen Teil der Lebensbedingungen dar. Der Einzelne tauscht mit diesen Institutionen Ressourcen aus, was durch die weißen Doppelpfeile symbolisiert wird. Allerdings beschränkt sich die Funktion dieser Institutionen nicht allein auf die Zur-Verfügung-Stellung von Ressourcen, sondern sie beeinflussen beispielsweise auch – positiv oder negativ – die Lebensbedingungen, wie beispielsweise die Wohnbedingungen, die allgemeinen Bedingungen der wirtschaftlichen Betätigung, der Arbeitsbedingungen und die soziale und ökologische Qualität der Umwelt. Der Begriff der Lebensbedingungen umfasst mehr als die genannten Institutionen, nämlich beispielsweise auch die sogenannte „natürliche Umwelt“. Bevor nun die Interventionen klassifiziert und diskutiert werden, wird das entwickelte Modell mit einem sozialepidemiologischen Modell verglichen um Parallelen und Differenzen herauszuarbeiten. Das sozialepidemiologische Modell von Schulz und Northridge (2004) dient schwerpunktmäßig dazu, die Entstehung von gesundheitlicher Ungleichheit durch einerseits soziale und andererseits ökologische Faktoren darzustellen. Es
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
kann daher zusätzlich dazu dienen, das bereits eingeführte Thema der Nähe von sozialer Frage und ökologischer Frage zu vertiefen (s. a. Krieger 2001). Es ist als Vierebenen-Modell konzipiert: – Die Makroebene des Modells von Schulz und Northridge umfasst die natürliche Umwelt (z. B. Klima, Wasser), makrosoziale Faktoren wie historische Gegebenheiten, Gesetze und Rechte, Ideologien, soziale und kulturelle Institutionen sowie soziale Ungleichheit. – Die Mesoebene des Modells umfasst einerseits die gebaute Umwelt, zu der sie die Gebäude, die Transportsysteme und das (an Gebäude gekoppelte) Dienstleistungsangebot zählen sowie andererseits den sozialen Kontext, der die Politikbereiche, die Teilhabe und den politischen Einfluss der Bürger und die Qualität der Bildung umfasst. – Die dritte Ebene dieses sozialepidemiologischen Modells wird als proximale Ebene bezeichnet. Sie dient der Darstellung von Auswirkungen der unmittelbaren Umgebung auf die Gesundheit des einzelnen Menschen. Zu dieser Ebene zählen die Arbeits-, Wohn- und Umweltbedingungen sowie die Nachbarschaft, aber auch Kriminalität und finanzielle Unsicherheit als Stressoren. Des Weiteren umfasst die Ebene das Gesundheitsverhalten sowie die soziale Integration und die soziale Unterstützung. – Die vierte Ebene des Modells umfasst, gewissermaßen als Resultat der sich von den verschiedenen Ebenen ergebenden Einflüsse, die Gesundheit und das Wohlbefinden. Die Autorinnen veranschaulichen ihr Modell anhand einiger Beispiele, darunter Feinstaub aus Dieselabgasen und Bleibelastung von Kindern (Schulz / Northridge 2004: 460f.). Im Aufbau der beiden Modelle ergeben sich, wohl wegen des andersartigen Fokus des sozialepidemiologischen Modells, Unterschiede. Die Unterscheidung zwischen der Makroebene und der Mesoebene folgt im sozialepidemiologischem Modell der Logik der Veränderbarkeit: Die Elemente der Makroebene werden als fundamental bezeichnet und gelten als politisch unzugänglich, während auf der Mesoebene, die im Modell auch als community level bezeichnet wird, Bereiche genannt sind, in denen Sozialepidemiologen häufig Änderungen vorschlagen. Die Produktion sozial ungleicher Ressourcenausstattung haben die Autorinnen alleine dem Makroniveau zugeordnet.243 Dabei wird allerdings vernachlässigt, dass Ungleichheit auf allen Ebenen und bezüglich fast aller angeführter Ele243
„These political, economic, and legal processes, and the unequal distribution of material resources that they produce, are included in our model as fundamental factors, that is, factors that affect health by influencing access to multiple resources that are necessary to maintain health.” Schulz / Northridge 2004: 457
4.1 Modell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion
223
mente besteht, unf dass sie auf allen Ebenen reproduziert wird. Nachdem im Modell der Lebensqualitätsproduktion der Fokus auf das wohlfahrtsstaatliche Handeln gerichtet ist, stehen dort, neben den verschiedenen Politikebenen, vor allem öffentliche Institutionen im Vordergrund, die an der (Um-)Verteilung von nahezu allen Ressourcen beteiligt sind. Die Grenze zwischen der Mesoebene und der Mikroebene (proximate) folgt dem in der Sozialepidemiologie geläufigen Unterschied zwischen distalen und proximalen Ursachen (vgl. Bolte / Kohlhuber 2006: 93). Unter distalen Ursachen werden solche Ursachen verstanden, die nicht direkt wirken, sondern erst durch vermittelnde proximale Ursachen. So kann ein geringes Einkommen (distal) dazu führen, dass man in einem Wohnviertel lebt, in dem man mehr Umweltbelastungen ausgesetzt ist (proximal); und geringe Bildung (distal) kann dazu führen, dass man sich schlecht ernährt (proximal). Diese Konzeption hat allerdings im Modell von Schulz und Northridge zur Folge, dass auf der proximalen Ebene so heterogene Elemente wie Stressoren der Umwelt, Gesundheitsverhalten einer Person und Soziale Integration und Unterstützung durch Mitmenschen zusammengefasst werden. Das führt dazu, dass sich die Grenze zwischen dem Menschen und seiner Umgebung auflöst. Dagegen wird im Modell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion geringes Einkommen als geringe persönliche Ressourcenausstattung dargestellt, und die damit einhergehende höhere Umweltbelastung als eine Lebensbedingung, die sich als Ergebnis einer Lebensqualitätspolitik ergibt. Andererseits würden die Folgen geringer Bildung auf das Ernährungsverhalten als ein Defizit der persönlichen functionings aufgefasst werden, die eventuell auf die Bildungspolitik zurück geführt werden können. 4.1.2 Systematisierung der Interventionen Der Inhalt der Arbeit ist entscheidend, die Frage, ob die Arbeit auf den Menschen ausgerichtet ist; ob sie eine wechselseitige Anpassung von Mensch und Lebensumständen bezweckt; ob sie dazu beiträgt, einem Menschen die Anpassung an seine Lebensumstände zu erleichtern und zu ermöglichen oder aber auch die Lebensumstände einzelner Menschen oder ganzer Gruppen so zu gestalten, dass die dabei geeigneter für die Erfüllung ihrer Lebenszwecke werden; dass sie die ihnen gegebenen Kräfte entwickeln und ihre Möglichkeiten erfüllen können (Salomon 1927: 17).
Um die Interventionen zu systematisieren, wird nun einerseits auf den Ressourcenansatz, der im zweiten Kapitel dieser Arbeit entwickelt wurde, und andererseits auf das oben vorgestellte Mehrebenenmodell der Lebensqualitätsproduktion zurückgegriffen. Im Ressourcenansatz wurde im Anschluss an den capability approach von Sen unterschieden zwischen Ressourcen, die dem Menschen als
224
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Input zur Verfügung stehen, und den functionings, also den Fähigkeiten, diese Ressourcen für den Lebensvollzug und die Verfolgung eigener Ziele zu verwenden. Davon ausgehend werden nun folgende Interventionen unterschieden: – Interventionen, die Ressourcen zur Verfügung stellen oder die Ressourcenausstattung verbessern, können als Ressourceninterventionen bezeichnet werden. Typische Beispiele für solche Interventionen sind der Transfer von Arbeitslosengeld, Wohngeld oder Rente – oder eine ärztliche Behandlung, die die Ressource Gesundheit verbessert. – Bei anderen Interventionen steht die Verbesserung der functionings im Vordergrund. Die functionings geben an, wie gut die vorhandenen Ressourcen genutzt werden können. Was kann man sich unter solch einer Verbesserung vorstellen? Wenn es einem Menschen gelingt, mehr Geld in der gleichen Zeit zu verdienen, dann stellt das eine Verbesserung der Fähigkeiten dar. Wenn es gelingt, durch Präventionsmaßnahmen länger gesund zu bleiben, dann stellt auch das eine Verbesserung der Fähigkeiten dar. Wodurch werden solche Verbesserungen der functionings erreicht? Auf dem Mikroniveau wird das wohl vor allem durch Lernen erreicht. Interventionen zur Verbesserung der functionings sind also hauptsächlich pädagogische Interventionen. Sowohl die Ressourceninterventionen wie auch die Interventionen zur Verbesserung der functionings werden größtenteils von öffentlichen Institutionen angeboten beziehungsweise durchgeführt. – Innerhalb des Modells der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion lassen sich noch solche Interventionen verorten, die darauf zielen, die Lebensbedingungen zu verbessern. Solche Interventionen können als sozialökologische Interventionen bezeichnet werden. Beispiele dafür sind Regelungen und Maßnahmen in den Bereichen Arbeitsschutz, Konsumentenschutz, Verkehrssicherheit, Wohnqualität von Städten, Umweltschutz sowie Schutzbestimmungen für die Gesundheit (beispielsweise Verbot von radioaktiver Strahlung). Sie können die Form von gesetzlichen Regelungen oder von konkreten Maßnahmen haben. Obwohl solche Interventionen einen großen Stellenwert bei der Produktion von Lebensqualität haben, wird ihnen in der Sozialpolitik häufig eine untergeordnete Rolle zugewiesen, sie sind jedoch typisch für den Umweltschutz. Die sozial-ökologischen Interventionen können noch einmal unterschieden werden in solche, die direkt auf die Lebensbedingungen wirken (direkte sozial-ökologische Interventionen) und solche, die auf und über Akteure wie Unternehmen, Familien bzw. Märkte etc. wirken (indirekte sozial-ökologische Interventionen). Im Endeffekt haben allerdings sowohl direkte wie indirekte sozial-ökologische Interventionen Auswirkungen
4.1 Modell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion
225
auf die individuelle Ausstattung mit Ressourcen wie beispielsweise Gesundheit oder Einkommen. Können auch die verschiedenen Interventionstypen – wie bereits die Institutionen – bestimmten Typen von Wohlfahrtsstaaten zugeordnet werden? Nachdem diese Frage bei den Ausführungen über die Zuteilung der verschiedenen Ressourcen und über die Entwicklung von Fähigkeiten eine Rolle spielen wird, skizziere ich an dieser Stelle nur eine vorläufige Antwort: Tendenziell setzen Staaten des sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimes – neben dem Ressourcentransfer – ihren Schwerpunkt auf Bildungspolitik und die Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Wir hatten gesehen, dass in diesen Staaten die Arbeitsmarktbeteiligung – trotz oder wegen der hohen Dekommodifikation – besonders hoch ist. Es kann also vermutet werden, dass diese Staaten einen Schwerpunkt auf die Verbesserung der functionings legen, in Kombination mit sozial-ökologischen Interventionen, die den Arbeitsmarkt regeln. Im Vergleich dazu stellt ein konservativer Staat wie Deutschland einen „Transfer- und Umverteilungsstaat“ (Leisering 2003: 179) dar, von dem wir vermuten können, dass er einen Schwerpunkt auf Ressourceninterventionen legt. In liberalen Staaten werden dagegen Eingriffe des Staates kritisch gesehen, daher haben „klassische“ ressourcenzuteilende Interventionen ein relativ kleineres Gewicht. Das bedeutet aber nicht, dass es keinerlei staatliche Eingriffe gäbe. So kann die Einkommenssicherung im Alter entweder durch staatliche oder private Versicherungen angeboten oder, wie in wenig industrialisierten Gesellschaften üblich, durch die Familie geleistet werden. Selbst wenn der Staat kein eigenes Sicherungssystem zur Verfügung stellt, setzt er Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Bürgerinnen und Bürger ihr Einkommen im Alter sichern können. In den Ländern, in denen der Staat auf private Einkommenssicherung im Alter setzt, unterliegen diese meist umfangreichen staatlichen Regelungen (vgl. Vogel 2007: 45). Es gibt hier also eine Tendenz zu indirekt sozial-ökologischen Interpretationen. Bevor wir die Interventionen im Einzelnen betrachten, wird auch die gerade entwickelte Unterteilung der Interventionen – wie vorher schon das Modell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion – verglichen. Das sozialpolitische Modell der Interventionen von Franz-Xaver Kaufmann (1999, 2005: 69f.) stellt das bekannteste sozialpolitische Interventionsmodell dar. Kaufmann hat dieses Modell für die „Klärung der zentralen Probleme angewandter sozialwissenschaftlicher Grundlagenforschung über Sozialpolitik, nämlich der Effektivitäts- und der Steuerproblematik“ (Kaufmann 2005: 86) entwickelt, mit dem er eine Antwort auf folgende Frage sucht: „Wie und unter welchen Bedingungen lassen sich mit staatlich induzierten Maßnahmen bestimmbare Wirkungen mit Bezug auf die ‚sozialen Verhältnisse’, oder alltagssprachlicher: die Arbeits- und
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Lebensverhältnisse der Bevölkerung erzielen?“ (ebd. 86) Dafür unterscheidet er anhand der jeweils angestrebten Wirkungen vier Interventionsformen (ebd. 87): – Maßnahmen zur Verbesserung des rechtlichen Status von Personen(-mehrheiten), sogenannte rechtliche Interventionen: Unter den rechtlichen Interventionen versteht Kaufmann die Einräumung definierter Individualrechte, die die Position des als schwächer geltenden Partners in einem Rechtsverhältnis stärken und einen konkreten Adressaten („Rechtsverpflichteten“) benennt (ebd. 89f.). Der Begriff bezieht sich also nicht auf die allgemeine Funktion des Rechts als Steuerungsmittel des Staats, sondern auf die konkrete Ausgestaltung von Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Bürger (ebd. 89). Solche rechtlichen Interventionen beinhalten häufig dekommodifizierende Aspekte. – Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommensverhältnisse von Personen (-mehrheiten), sogenannte ökonomische Interventionen: Darunter versteht Kaufmann Maßnahmen, die „die Lebenslage der Bevölkerung in Form einer unmittelbar erfahrbaren Modifikation des verfügbaren Einkommens beeinflussen. Als sozialpolitisch sind sie zu bezeichnen, insoweit sie zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ökonomisch benachteiligter Personenmehrheiten führen“ (ebd. 93). Er sieht in diesem Bereich eine starke Beteiligung der Unternehmen, die organisatorisch die Abführung von Steuern übernehmen und finanziell die Arbeitgeberanteile zu den gesetzlichen Versicherungen tragen. – Maßnahmen zur Verbesserung der Gelegenheitsstrukturen für Personen(-mehrheiten), sogenannte ökologische Interventionen: Kaufmann versteht darunter den Bereich, der unter verwaltungswissenschaftlicher Perspektive als „Daseinsvorsorge“, unter ökonomischer Perspektive als „soziale Infrastruktur“ und unter soziologischer Perspektive als „soziale Dienste“ bezeichnet wird (siehe ebd. 96). Dazu zählt er die „räumlichen Angebote zur Selbstbedienung“ (Parks, Sportstätten, Sprachlabors) und das Vorhalten personenbezogenen Dienstleistungen (96f.). Ihr Angebot wird gewöhnlich auf einer örtlichen Verwaltungsebene „bürgernah“ organisiert und soll die Gelegenheitsstruktur (für oder durch die Nutzung eines meritorischen Gutes) der Bürgerinnen und Bürger verbessern. Allerdings zählt Kaufmann die konkreten Tätigkeiten sozialer Dienste, soweit sie face-to-face geleistet werden, nicht mehr zu den ökologischen Interventionen, sondern zu den pädagogischen Interventionen. – Maßnahmen zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft von Personen(-mehrheiten), sogenannte pädagogische Interventionsformen: Dazu zählt Kaufmann „Maßnahmen zur direkten Erhöhung der Handlungsfähigkeit durch bildende, beratende, rehabilitative oder informative Anstrengungen“ (ebd. 101). Dabei kann eher die „Erhöhung allgemeiner Hand-
4.1 Modell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion
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lungskompetenzen“ (ebd. 101) im Vordergrund stehen, wie bei pädagogischen Maßnahmen in allgemeinbildenden Schulen und bei der Prävention im Gesundheitswesen oder aber spezifische Handlungskompetenzen, wie in der Berufsausbildung. Kaufmann betont, dass Lernen immer erst durch eine Verknüpfung von Wissen und Motivation geschehen kann (ebd. 102). Obwohl das sozialpolitische Modell von Kaufmann inklusionstheoretisch untermauert ist und nur solche lebensqualitätsrelevanten Umstände mit einbezieht, die Teil der Sozialpolitik sind, lässt sich die oben entwickelte Unterteilung der Interventionen gut mit dem sozialpolitischen Modell der Interventionen von Kaufmann vergleichen: Der oben eingeführte Begriff der Ressourceninterventionen ist in zweierlei Hinsicht weiter gefasst als die ökonomischen Interventionen des Modells von Kaufmann. Einerseits wurde neben der Zuteilung von Geld auch die Zuteilung aller anderen Ressourcen unter den Begriff der Ressourcenintervention gefasst. Kaufmann hat den Begriff der Ressourceninterventionen aber noch weiter beschränkt, indem er nur solche Interventionen betrachtet, die sozialpolitisch „zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ökonomisch benachteiligter Personenmehrheiten führen“ (93). Auch hier fällt die Betrachtung der Ressourceninterventionen gemäß unserer Unterteilung weiter aus. Sie umfasst jeden Eingriff in die Verteilung von Einkommen und anderer Ressourcen, da wir gesehen haben, dass Ressourcen und ihre ungleiche Verteilung und Umverteilung (zumindest potentiell) immer eine Rolle für die Lebensqualität spielen. Deshalb gibt es bei den Ressourceninterventionen keine mit Kaufmann vergleichbare Beschränkung auf Menschen, die ökonomisch benachteiligt sind. Des Weiteren ähneln die Interventionen zur Verbesserung der functionings im Modell der Lebensqualitätsproduktion den pädagogischen Interventionen des Kaufmann-Modells; auch der Begriff von Kaufmann zielt auf die Verbesserung von Fähigkeiten durch Bildung. Die Definitionen der ökologischen Interventionen nach Kaufmann und der oben eingeführten sozial-ökologischen Interventionen überschneiden sich, sie sind aber nicht deckungsgleich: Kaufmann zählt nämlich auch die Vorhaltung sozialer Dienste zu den ökologischen Interventionen, die in unserer Unterteilung den Interventionen zur Verbesserung der functionings zugeordnet würden. Wegen der Betrachtung aller lebensqualitätsrelevanten Interventionen umfasst unsere Einteilung allerdings auch Interventionen aus dem Bereich des Umweltschutzes, die das sozialpolitische Modell von Kaufmann, trotz seiner Verwendung des Begriffes „ökologische Interventionen“ nicht umfasst. In der oben entwickelten Unterteilung der Interventionen gibt es keine Kategorie, die den „rechtlichen Interventionen“ des Modells von Kaufmann ent-
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
spricht. Der Grund dafür besteht darin, dass hier nicht die Rechte selbst interessieren, sondern nur für den aus den Rechten resultierenden konkreten Einfluss auf die Lebensbedingungen bzw. für konkrete Ressourcenzuflüsse. Die Umsetzung von Rechten kann sehr unterschiedlich aussehen (was zuletzt exemplarisch bei der Umsetzung von Nichtraucherschutzgesetzen als auch bei der Begrenzung von Feinstaub vorgeführt wurde). Teilweise müssen Rechte auch erst in Anspruch genommen, eingefordert oder eingeklagt werden, bevor sie de facto gewährt werden und wirken. Abstrakte Rechte, die zum Beispiel Gleichheit, Gleichbehandlung, Gleichstellung oder Chancengleichheit garantieren, mögen zwar eine formale Bedeutung haben, sie können aber nicht die Umsetzung ihres Anspruchs in der Praxis garantieren, solange gewachsene Strukturen diese Rechte konterkarieren – und ihre Umsetzung in manchen Fällen selbst von staatlicher Seite unerwünscht ist und behindert wird (siehe z. B. O’Connor 1996: 106). Beispiele für Probleme dieser Art sind die geschlechtergerechte Bezahlung oder der chancengleiche Zugang zu Bildungsinstitutionen. Nachdem also aus Rechten nicht auf eine konkrete Ausstattung mit Ressourcen oder Fähigkeiten geschlossen werden kann, stellen sie für uns kein geeignetes Mittel der Kategorisierung von Interventionen dar.244 Im Modell der Lebensqualitätsproduktion werden Rechte zwar als Steuerungsmittel der Lebensqualitätspolitik verstanden. Ihre konkrete Bedeutung entfalten sie aber immer nur in ihren konkreten Auswirkungen für das Individuum. Der Verzicht auf die rechtlichen Interventionen als eigene Kategorie bringt zusätzlich den Vorteil mit sich, das die von Kaufmann verwendete und wenig anschauliche Unterscheidung zwischen der Form einer Interventionen (rechtliche Intervention) und ihrem Inhalt überflüssig wird, die Kaufmann in seinem Modell benötigt, nachdem ökonomische Interventionen wie die Zuweisung von Sozialhilfe gleichzeitig auch rechtliche Intervention darstellen können (Kaufmann 2005: 122).
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S. a. Sens Problem mit den entitlements
4.2 Die Interventionen im Detail
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4.2 Die Interventionen im Detail Eine politische Theorie für den Wohlfahrtsstaat hat sich mit den Erfolgsaussichten unterschiedlicher politisch gesteuerter Interventionen in die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse konkret auseinanderzusetzen, um unser Wissen um die natürlich nicht schrankenlosen Möglichkeiten der staatlich induzierten Problembearbeitung zu verbessern […]. Dass Politologen und Soziologen dieses Feld bis vor kurzem alleine den Ökonomen überlassen haben, scheint ein entscheidender Grund für unser mangelhaftes Verständnis des Wohlfahrtsstaats zu sein. (Kaufmann 2005: 199)
Im Folgenden wird nun ein Überblick gegeben über die Mechanismen, mit denen die unterschiedlichen Arten von Ressourcen zur Verfügung gestellt beziehungsweise zugeteilt werden. Dabei sollen die Ungleichheiten und die Verteilungswirkungen der Zuteilung im Blick behalten werden. Nachdem die Zuteilung jeder einzelnen Ressource sehr komplex ist und je eigener Untersuchungen bedarf, können an dieser Stelle nur rudimentäre Ausführungen und exemplarische Beispiele angeführt werden, die das Prinzip der Zur-Verfügung-Stellung verdeutlichen sollen. Es werden die Ressourcen Geld (1), Gesundheit (2), Bildung (3) sowie die psychischen Ressourcen (4) und die sozialen Ressourcen (5) behandelt. Zusätzlich wird auf die Fähigkeiten und Transformationen (functionings) (6) sowie auf die sozial-ökologischen Interventionen (7) eingegangen. Dabei werden Aspekte untersucht wie die Mechanismen der Zur-Verfügung-Stellung, die Entstehung der Ungleichverteilungen sowie die Zusammenhänge zwischen der Zuteilung einer Ressource und den Auswirkungen auf weitere Ressourcen. Ausgewählte Ländervergleiche geben Hinweise auf das Spektrum der Vorgehensweisen und der Ergebnisse bei der Ressourcenzuteilung. 4.2.1 Die Ressource Geld „Ich habe viel Geld für Alkohol, Mädchen und schnelle Autos ausgegeben – den Rest habe ich einfach verschleudert.“ (George Best, zit. n. dem Artikel „George Best im Alter von 59 Jahren gestorben“, FIFA 2005)
Die Ressource Geld spielt in verschiedener Hinsicht eine besondere Rolle: Wir hatten schon gesehen, dass Geld nicht nur die in den Sozialwissenschaften am häufigsten betrachtete Ressource darstellt, sondern dass viele Untersuchungen ausschließlich diese Ressource untersuchen. Eine weitere Besonderheit ist, dass die Ressource Geld, anders als andere Ressourcen, in beide Richtungen fließt, vom Staat zu den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch von den Bürgerinnen und
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Bürgern zum Staat: Neben der Erhebung von Steuern und der Zur-VerfügungStellung von Transfers durch direkte Ressourceninterventionen beeinflusst der Staat die Einkommenssituation einzelner Menschen auch dadurch, dass er in die Beziehung anderer Akteure eingreift, beispielsweise in dem er die Entlohnung für Arbeit reglementiert (s. a. Kaufmann 2005: 330). Die Analyse der Einkommensverteilung muss diese drei Aspekte berücksichtigen. Für die Analyse von Verteilungswirkungen bei der Erhebung von Steuern und der Zur-Verfügung-Stellung von Transfers stehen zwei Methoden zur Verfügung: Die Inzidenzanalyse dient der Beschreibung der Umverteilungswirkung einzelner Steuern oder Leistungen auf der Mikro- und Mesoebene. Sie vergleicht Situationen, die sich rechnerisch für eine Person, eine Personengruppe oder auch eine Region mit und ohne einer Steuer oder einen Geldtransfer ergeben (Zimmermann / Henke 2001: 476). Auf der Makroebene kann die Wirkung des Zusammenspiels der verschiedenen Sozialleistungen auch durch den Vergleich von Outcomes wie Armutsquoten oder Verteilungsmaße beschrieben werden. Dabei muss allerdings sowohl die Primärverteilung, also die Verteilung der Bruttoeinkommen, als auch die Sekundärverteilung, also die Verteilung nach Steuern und Transfers, betrachtet werden. Tabelle 10: Einkommen- / Umsatzbesteuerung und Wohlfahrtsregime Grundfreibetrag
Eingangssteuersatz
Spitzensteuersatz ab
Spitzensteuersatz
Umsatzsteuersatz
Schweden
€ 31.731,-
20%
€ 47.987,-
56,5%
25,0%
Deutschland
€ 7.663,-
16%
€ 52.152,-
44,3%
16,0%
Großbritannien
€ 7.127,-
10%
€ 47.164,-
40,0%
17,5%
Quelle: BMF 2005: 43f., Daten des Jahres 2004 Der Vergleich der Eingangs- und Spitzensteuersätze der Einkommensteuer gibt einen Anhaltspunkt für die unterschiedlichen Verteilungswirkungen bei der Erhebung der Einkommensteuer. Großbritannien hat als liberaler Wohlfahrtsstaat einen geringen Spitzensteuersatz, besteuert allerdings schon kleine Einkommen. Dagegen hat Schweden als sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat einen hohen Spitzensteuersatz, besteuert allerdings erst recht hohe Einkommen (BMF 2005: 43f.). Schweden hat jedoch auch einen sehr hohen Umsatzsteuersatz, der insbesondere kleine Einkommen belastet, die zu einem vergleichweise hohen Anteil für Konsum ausgegeben werden (vgl. Hickel 2007: 162). Zu erkennen ist, dass alleine die Einkommens- und Umsatzbesteuerung einen weitgehenden Einfluss auf die Verteilung monetärer Ressourcen hat.
4.2 Die Interventionen im Detail
231
Im System der Besteuerung können sich zusätzliche Verteilungswirkung aus Abschreibmöglichkeiten, Vergünstigungen, Pauschalen, Absatzbeträgen oder Freibeträgen ergeben. Noch einigermaßen übersichtlich sind die Verteilungswirkungen der Ehegattenbesteuerung. Vergleicht man mehrere Länder, kristallisieren sich zwei typische Verfahren heraus: Die individuelle Veranlagung, bei der Ehepartner ihr Einkommen getrennt versteuern, und die gemeinsame Veranlagung. Bei der individuellen Veranlagung haben Ehepaare keinen finanziellen Vorteil gegenüber unverheirateten Paaren (Schratzenstaller 2002: 68). In Reinform wird dieses Verfahren nur in Schweden angewandt (ebd. 69), in vielen anderen Ländern wird die individuelle Besteuerung durch Freibeträge etc. modifiziert. So gibt es beispielsweise in Österreich einen Alleinverdienerabsatzbetrag. Die gemeinsame Veranlagung wird meistens in Form des Ehegattensplittings durchgeführt. Bei diesem Verfahren werden die Einkommen beider Ehepartner addiert; danach versteuert jeder Ehepartner die Hälfte des gemeinsamen Einkommens. Finanzielle Vorteile aus dem Splittingverfahren (gegenüber der Individualbesteuerung) ergeben sich einerseits aus der Ungleichheit der Einkommen der beiden Ehepartner und andererseits aus der Höhe des gemeinsamen Einkommens. Verdienen beide Ehepartner gleich viel, so ergibt sich kein Vorteil gegenüber der Individualbesteuerung bzw. gegenüber unverheirateten Paaren. Die größtmögliche Begünstigung ergibt sich bei diesem Verfahren dann, wenn das gesamte Einkommen von einer Person erwirtschaftet wird, da sich die jeweilig zu versteuernde Hälfte in einer wesentlich niedrigeren Progressionsstufe befindet als das Einkommen des Alleinverdieners oder der Alleinverdienerin. Das Splittingverfahren setzt daher einen finanziellen Anreiz für die Nichterwerbstätigkeit einer der verheirateten Personen – in der Praxis sind das meist Frauen / Mütter – womit eine an dem Alleinverdiener-Modell bzw. Ernährer-Modell angelehnte Lebensplanung nahegelegt wird (Dingeldey 2002: 154, Schratzenstaller 2002: 68). Der hemmende Effekt wird besonders dann deutlich, wenn einer der Ehepartner, beispielsweise nach einer Kinderpause, „hinzuverdienen“ möchte und dieses zusätzliche Einkommen mit dem hohen Grenzsteuersatz des anderen Ehepartners besteuert wird245 (Dingeldey 2002: 155). Bereits die Nationalsozialisten, die die Kombination aus Ehegattensplitting und progressiver Besteuerung 1934 als erste etablierten, erhofften sich von dem Verfahren eine Entlastung des Arbeitsmarktes durch den geringen Anreiz für Frauen zum Haushaltseinkommen beizutragen (Aly 2005: 20, Greven 2006). Der Umfang der finanziellen Begünstigung durch das Ehegattensplitting ist des Weiteren noch von der Höhe des Einkommens abhängig. Wie viele andere Steuervergünstigungen (z. B. Kinderfreibeträge) greift sie 245
Dieser Effekt wird zusätzlich zementiert durch die Zuordnung in verschiedene Steuerklassen.
232
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
erst bei mittleren Einkommen, da der Vorteil vom Steuersatz246 abhängig ist. Insofern stellt sie eine typische mittelschichtsorientierte „Subvention“ dar. Vergleicht man Großbritannien, Deutschland und Schweden als typische Repräsentanten der Wohlfahrtsregime, so ergibt sich ein aufschlussreiches Bild: In Großbritannien, das sich ohnehin durch eine geringe Steuerlast auszeichnet, gibt es nur geringe Steuererleichterungen für verheiratete Alleinverdienerinnen und Alleinverdiener. Das System entspricht so der liberalen Ideologie des „Nichteingreifens“ in private Lebenszusammenhänge. Das von Deutschland verfolgte System des Ehegattensplittings entspricht der Idee des konservativen Wohlfahrtsstaates mit dem dafür typischen Familienbild des Ernährermodells. Tatsächlich geht diese „Absetzbarkeit der Heimarbeit“ in Westdeutschland einher mit dem niedrigsten Anteil von Haushalten mit zwei vollbeschäftigten Partnern in Europa (vgl. ebd. 2002: 155). Ostdeutsche Familien tendieren stärker zu egalitären Erwerbsmustern, was neben der schwierigeren wirtschaftlichen Situation im Osten auch auf eine andere „Kultur“ zurückzuführen ist (ebd. 157); der Anteil an Zweiverdienerhaushalten ist dort vergleichweise hoch (ebd.). Schweden folgt dem System der individuellen Besteuerung in Reinform (Schratzenstaller 2002: 69). Der Logik des sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimes und dem gesetzten finanziellen Anreizen entsprechend, geht diese Regelung mit einem sehr hohen Anteil von Zweiverdienerhaushalten einher (Dingeldey 2002: 157). Wie erheblich die Verteilungswirkungen sind, lässt sich an der Differenz der Abgabenquote zwischen einem Single mit Durchschnittseinkommen und einem verheirateten Alleinverdiener zeigen. Während sich in Deutschland die durchschnittliche Abgabenquote von 45,6% des Einkommens auf 36% vermindert, bleibt sie in Schweden konstant bei 35,8%. In Großbritannien senkt sie sich von 27,1% auf 25,7%.247 Es zeigt sich also wieder ein erheblicher Verteilungseffekt durch das System der Besteuerung. Neben den Verteilungseffekten bei der Einnahme von Steuern und Abgaben gibt es weitere Effekte auf der Ausgabenseite. Einen großen Teil der direkten Ressourceninterventionen machen die Sozialleistungen aus, die entweder aus Steuern oder aus Beiträgen finanziert sind. Alleine in Deutschland gibt es ca. 140 verschiedene solcher Leistungen (vgl. Mitschke 2000: 35), so dass die Umverteilungswirkung der Summe dieser Leistungen kaum abzuschätzen ist, geschweige denn international verglichen werden könnte. Zur Beschreibung von Verteilungseffekten auf der Ausgabenseite kann deshalb nur die Inzidenz einzelner Leistungen betrachtet und verglichen werden; alternativ kann die Wirkung der Kombination aller Sozialleistungen durch Makrodaten abgeschätzt werden. Bei Ländervergleichen müssen dann gleichzeitig die spezifischen Primärverteilungen 246 247
Genau genommen müsste man vom Grenzsteuersatz sprechen. Mehr Informationen zur Besteuerung gibt Schratzenstaller 2006.
4.2 Die Interventionen im Detail
233
sowie die „Korrekturen“ dieser Verteilung durch die Besteuerung einerseits und die Transfers andererseits im Auge behalten werden (Hölsch / Kraus 2006: 51, Förster / Pearson 2003: 186). Auf die länderspezifischen ungleichen Verteilungen wurde bereits bei der Diskussion der Wohlfahrtsstaaten eingegangen, weshalb hier die Betrachtung der Armutsreduktion, die eine besondere Bedeutung für die Lebensqualität und Gesundheit hat, als Beispiel dienen soll. Dabei gestaltet sich das Zusammenspiel der (Sozial-)Versicherungssysteme und der steuerfinanzieren Mindestsicherungssysteme248 (engl.: social assistance) je nach Wohlfahrtsregime unterschiedlich. Wir hatten bereits gesehen, dass im konservativen Wohlfahrtsstaat beitragsabhängige Leistungen als Soziale Sicherung (wie beispielsweise die Rente in Deutschland) vorherrschen. Nur manchmal sind in solchen Systemen, die eher der Statussicherung als der Umverteilung dienen, Armut verhindernde Mindestleistungen eingebaut. Solange solche vorgelagerten Versicherungssysteme funktionieren, benötigen nur wenige Menschen das Mindestsicherungssystem. Belgien und Deutschland waren Beispiele für diese Situation (Cantillon / Mechelen / Schulte 2008: 229). Im liberalen Wohlfahrtsstaat steht dagegen die private Absicherung im Vordergrund. Der Staat hilft „nur im Notfall“ mit bedarfsgeprüften (engl.: means-tested) und auf spezielle Bedarfsgruppen gerichteten (engl.: targeted) Leistungen. In solchen Systemen muss tendenziell ein größerer Anteil der Bürgerinnen und Bürger auf das Mindestsicherungssystem zurückgreifen. Für den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat sind universalistische, steuerfinanzierte Leistungen typisch, in die häufig Mindestsicherungen integriert sind. Neben dem Zusammenspiel der verschiedenen „Säulen“ der wohlfahrtstaatlichen Sicherung ist die Effektivität der Leistungen in Bezug auf die Armutssicherung auch von der institutionellen Ausgestaltung der Versicherungsleistungen und der Mindestsicherungssysteme abhängig, also von den formellen Zugangsvoraussetzungen, von der Höhe und der Dauer der Leistungen (Hölsch / Kraus 2006: 52, Cantillon / Mechelen / Schulte 2008: 224). Daneben spielt die tatsächliche Zugänglichkeit der Leistungen eine Rolle, da die Nicht-Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch Menschen, die eigentlich dazu berechtigt sind solche Leistungen zu empfangen, das Funktionieren von Mindestsicherungssystemen stark beeinträchtigen können (Benz 2004: 121f., Behrendt 2003: 524f.). Tabelle 11 zeigt die Armutsquoten von EU-Ländern bevor und nachdem Sozialleistungen zugeilt wurden sowie die Differenz zwischen diesen beiden Werten. Die Adäquanz der Mindestsicherung ergibt sich aus einem Vergleich der
248 Dazu gehören das deutsche „Hartz IV“ und die Grundsicherung, die österreichische Notstandshilfe und die schweizer Sozialhilfe.
234
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Mindestsicherungsleistungen und der 50%-Armutslinie.249 Das Vereinigte Königreich Großbritannien (mit Nordirland) weist die höchste Armutsquote in der Primärverteilung auf. Die auf Armutsverhinderung orientierten Sozialleistungen senken die Armutsquote nur bedingt. Die nordischen Wohlfahrtsstaaten SchweTabelle 11: Armutsquoten und Armutssicherung in der Europäischen Union
Österreich Belgien Tschechische Republik Dänemark Finnland Frankreich Deutschland Griechenland Ungarn Irland Italien Luxemburg Niederlande Polen Portugal Slowakische Republik Spanien Schweden Vereinigtes Königreich
Armutsquote nach dem 60%Kriterium vor Sozialleistungen (2005) in % der Gesamtbevölkerung 25 27
Armutsquote nach dem 60%Kriterium nach Sozialleistungen (2005) in % der Gesamtbevölkerung 13 15
Reduktion der Armutsquote in Prozentpunkten (Differenz der Spalten 2 und 3) in % der Gesamtbevölkerung 12 12
Adäquanz der Mindestsicherung (2004)
22
10
12
64
28 29 25 26 23 30 33 24 24 21 29 25
12 13 13 13 21 16 18 20 14 10 19 18
16 16 12 13 2 14 12 4 10 11 10 7
126 111 77 102 40 121 72 120 92 48
20
12
8
38
24 29
20 12
14 17
55 98
30
19
11
96
in % der Armutsgrenze 85 76
Quellen: Spalte 2 und 3: EU-SILC, zit. n. Bundesregierung 2008: XII, Spalte 4: eigene Berechnungen, Spalte 5: Cantillon / Mechelen / Schulte 2008: 224
249
Die Adäquanz der Mindestsicherung ist hier angegeben für eine alleinstehende Person, sie differiert für verschiedene Personengruppen (Cantillon / Mechelen / Schulte 2008: 224).
4.2 Die Interventionen im Detail
235
den, Finnland und Dänemark verfügen zwar auch über hohe Armutsquoten in der Primärverteilung, allerdings gelingt es im universalistischen Wohlfahrtsregime besser, die Armutsraten zu senken. Deutschland erreicht bei vergleichsweise geringer Armutsquote in der Primärverteilung eine mittlere Senkung der Armutsquote. Belgien kann trotz geringer Adäquanz der Mindestsicherung Armut durch die vorgelagerten Sicherungssysteme verhindern. Der Ausreißer Griechenland stellt das Extrem eines rudimentären Wohlfahrtsstaates dar (siehe S. 194, vgl. auch Leibfried (1990), Hölsch / Kraus 2006: 54). Die relativ geringe Armutsquote in der Primärverteilung wird durch die Soziale Sicherung kaum verändert. In einer Untersuchung zur Mindestsicherung konnten Cantillon und Bosch (2003: 555) dementsprechend einen statistischen Zusammenhang zwischen der Höhe der Sozialausgaben und der Armutsquote nachweisen (Cantillon / Bosch 2003: 555). Dass die Armutsquote gleichzeitig mit der Existenz von Niedriglöhnen korrelierte, weist allerdings darauf hin, dass die Unterschiede in der Primärverteilung durch die Umverteilung nicht wett gemacht werden können (Cantillon / Bosch 2003: 550). Die Primärverteilung ist wiederum abhängig von der Konstellation der Beschäftigten (z. B. Anteil der Alleinverdienerhaushalte und Verteilung von Bildung) und den Bedingungen des Arbeitsmarktes (Beschäftigungspolitik, Mindestlohnregelungen, Nachfrage nach gering ausgebildeten Menschen) (Benz 2004, Cantillon / Bosch 2003). Eingriffe in diesen Bereich werden gemäß dem obigen Modell nicht als Ressourceninterventionen, sondern als sozial-ökologische Interventionen beschrieben. In der Politik scheinen Interventionen, die in die Verteilung von Geld eingreifen, eine zunehmende Bedeutung zu bekommen. Ob es darum geht, dass die Deutschen mehr Kinder bekommen, weniger rauchen oder weniger Auto fahren sollen, der Staat versucht mit Hilfe von finanziellen Anreizmechanismen mit seinen Bürgerinnen und Bürgern zu kommunizieren, beziehungsweise sie zu „steuern“. Dabei gerät der Aspekt der Umverteilung gegenüber den angestrebten Lenkungswirkungen allerdings zunehmend aus dem Blickfeld. Das Modell der Ressourcentransformation zeigt, dass sich die Einkommensunterschiede und die Einkommensumverteilung auch auf die Ausstattung mit anderen Ressourcen wie beispielsweise der Gesundheit auswirken. 4.2.2 Die Ressource Gesundheit Es wurde bereits gezeigt, dass der größere Teil der gesundheitlichen Ungleichheit außerhalb des Gesundheitswesens entsteht (siehe S. 74; s. a. Adler / Newman 2002: 68). Die sozialepidemiologischen Untersuchungen wiesen auf das breite Spektrum der die Gesundheit beeinflussenden Faktoren hin. Die Gesund-
236
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
heit einzelner Menschen wird neben genetischen Faktoren stark durch die Lebensbedingungen, durch gesundheitsrelevante Verhaltensweisen und Fähigkeiten und durch die individuelle Ressourcenausstattung bestimmt. Auch wenn der Bereich des Gesundheitswesens nur für einen geringen Anteil der gesundheitlichen Ungleichheit verantwortlich ist – der auf das Gesundheitssystem zurückgeführte Anteil wird auf 10% bis maximal 30% geschätzt (Adler und Newman 2002: 65, Rosenbrock 2002: 31) – steht er in diesem Kapitel im Mittelpunkt der Betrachtung, da es der Bereich ist, in dem Gesundheit am unmittelbarsten zugeteilt wird. Das Gesundheitswesen beeinflusst die Gesundheit wiederum auf unterschiedlichen Wegen, nämlich durch Gesundheitsförderung, Prävention, Heilung und Rehabilitation. Obwohl den Bereichen Gesundheitsförderung und Prävention eigentlich eine besondere Funktion zukommen müsste, da das Gesundheitssystem nicht in der Lage ist, bereits anderswo entstandene gesundheitliche Belastungen und Ungleichheiten im Nachhinein aufzufangen (Adler / Newman 2002: 68), beschäftigt sich das Gesundheitssystem hauptsächlich mit Heilung (Mackenbach / Bakker / Sihto et al. 2002: 30). Für den Bereich Gesundheitsförderung und Prävention werden in Deutschland nur ca. 5% der öffentlichen Gesundheitsausgaben aufgewendet (Hurrelmann / Klotz / Haisch 2007: 14f.), obwohl davon auszugehen ist, dass bei flächendeckender Anwendung aller heute bekannten Methoden der Gesundheitsförderung und Prävention ca. 25% bis 30% der heute anfallenden Kosten der Krankenversorgung einzusparen wären (Sachverständigenrat 2001: 138, Pkt. 115). Die Begriffe Gesundheitsförderung und Prävention werden uneinheitlich voneinander abgegrenzt (Rosenbrock 2004: 147, Hurrelmann / Klotz / Haisch 2007: 11). Allgemein gesprochen bezieht sich der Begriff Prävention auf Strategien, die sich auf die Vermeidung von Krankheiten beziehen. Der weitere Begriff der Gesundheitsförderung etablierte sich im Anschluss an die Deklaration der Ottawa-Charta im Jahr 1986. Gemäß dieser Charta zielt Gesundheitsförderung auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. […] In diesem Sinne ist die Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. Gesundheit steht für ein positives Konzept, das in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit betont wie die körperlichen Fähigkeiten (WHO 1986).
Während manchmal Gesundheitsförderung und Prävention als sich ergänzende Begriffe verstanden werden (Hurrelmann 2007: 147), so stellt der weite Begriff der Gesundheitsförderung gemäß der Ottawa-Charta eher einen Oberbegriff dar, der auch die Prävention umschließt (Rosenbrock 2004). Um Abgrenzungsprobleme zu umgehen, werden an dieser Stelle die Interventionen des Bereichs der Gesundheitsförderung und Prävention mit Hilfe von zwei anderen im Fachdiskurs
4.2 Die Interventionen im Detail
237
geläufigen Begriffen unterschieden: Verhaltensprävention und Verhältnisprävention. Unter dem Begriff der Verhaltensprävention werden Strategien zusammengefasst, die sich „direkt um eine Verbesserung des Gesundheitsverhaltens bemühen, also zum Ziel haben, in den Prozess der individuellen Bewältigung von Entwicklungsaufgaben im Lebenslauf und den sich hieraus ergebenden Ergebnissen für die Planung und Steuerung des Verhaltens (und nicht mittelbar über die Beeinflussung von Gesundheitsverhältnissen) einzugreifen (Hurrelmann 2006: 197).
Bereiche der Verhaltensprävention sind beispielsweise die Gesundheitserziehung, die Gesundheitsbildung, die Patientenschulung und die Stärkung der Gesundheitskompetenzen (Hurrelmann 2006: 197f.). Dagegen geht es bei der Verhältnisprävention um die Optimierung der „Gesundheitsverhältnisse“, der politischen Gestaltung der sozialen, ökonomischen, kulturellen und organisatorischen Strukturen, die Einfluss auf die Gesundheitsund Krankheitsdynamik von einzelnen Menschen und ganzen Bevölkerungsgruppen nehmen (Hurrelmann 2006: 153).
Hierzu gehören Interventionen zur Verbesserung des Sozialraums, der Arbeitsbedingungen und der sozialen Umweltbedingungen (vgl. Hurrelmann 2006: 153). Verhaltenspräventive Maßnahmen stellen gemäß der oben entwickelten Systematik keine Zuteilung von Gesundheit, sondern eine Verbesserung der Fähigkeiten dar (siehe dazu Kap. 4.2.6), während die Verhältnisprävention einen Teil der strukturell wirkenden sozial-ökologischen Interventionen darstellt. In den folgenden Ausführungen werden deshalb nur die klassischen Bereiche des Gesundheitssystems, die Behandlung und die Rehabilitation, betrachtet. Die Ungleichheit in der Versorgung mit kurativen Dienstleistungen ist heute zumindest in den industrialisierten Ländern – trotz regionaler Unterschiede in der Versorgung – kaum mehr auf eine unzureichende Infrastruktur zurückzuführen; stattdessen kann die unterschiedliche Versorgung zurückgeführt werden auf (1) die Kostenstruktur, (2) spezifisches Verhalten bei der Nutzung oder (3) Unterschiede in der Behandlungsqualität. (1) Die meisten industrialisierten Staaten stellen den Zugang zum Gesundheitssystem für die Mehrheit der Bevölkerung durch ein staatlich finanziertes Gesundheitssystem oder durch Pflichtversicherungen sicher. Eine Ausnahme stellt in dieser Hinsicht die USA dar, in denen dieser Bereich bis vor Kurzem völlig der Hand jedes Einzelnen lag und in der in der Folge mehr als 45 Millionen Menschen, also mehr als 15% der Bevölkerung, nicht versichert waren (vgl. Raphael / Bryant 2006: 46, Bauer 2006: 24). Die Nicht-Versicherten kamen in der Mehrzahl aus Familien mit niedrigem Einkommen. Sie waren nachgewiesenermaßen aufgrund der fehlenden Versicherung auch schlechter versorgt (Adler /
238
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Newman 2002: 68). In Deutschland, wo ein umfassender Versicherungsschutz zuletzt durch eine Versicherungspflicht auf alle Bürgerinnen und Bürger ausgedehnt wurde (GKV-WSG 2007), scheint es solche Effekte nicht zu geben. Einige Untersuchung weisen eher auf eine höhere Nutzung durch niedrigere Schichten hin (Bergmann / Kalcklösch / Tiemann 2005: 1368, Breyer / Heineck / Lorenz 2003: 371), was der höheren gesundheitlichen Belastung entsprechen würde. Allerdings werden zunehmende Eigenbeteiligungen wie Praxisgebühren und Medikamentenzuzahlungen gefordert. Auch werden die Kosten für einige Diagnoseund Behandlungsmethoden nicht mehr von den Krankenkassen übernommen und müssen – oder müssten – dann als sogenannte „individuelle Gesundheitsleistungen“ selbst bezahlt werden. Welche Auswirkungen dies auf die Versorgung hat, ist noch nicht ganz klar. Rückert, Böcken und Mielck (2008) zeigen, dass die 2004 eingeführt Praxisgebühr dazu führt, dass insbesondere Menschen mit geringem Einkommen Arztbesuche vermeiden oder nur verzögert zum Arzt gehen. Holst (2008) zeigt in einem internationalen Überblicksartikel, dass Zuzahlungen bei präventiven Untersuchungen und bei medikamentöser Therapie zu geringerer Nachfrage führen, insbesondere bei ökonomisch schlechter gestellten Menschen. Einige der zitierten Untersuchungen bestätigen, dass unterlassene präventive Untersuchungen zeitversetzt zu höheren Kosten führen (Holst 2008: 61f). Im Literaturüberblick von Janßen, Grosse Frie und Ommen (2006) kommen nur manche Untersuchungen zu dem Schluss, dass höhere Kosten zu einer geringeren Inanspruchnahme führen. Mielck (2000: 236f.) berichtet über eine Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, die zeigt, dass die über die Versicherungsbeiträge hinausgehenden Gesundheitsausgaben kontinuierlich mit dem Einkommen steigen, obwohl davon ausgegangen werden muss, dass die höhere Morbidität in den niedrigeren Schichten zu einem größeren Bedarf führt. (2) Für die schichtspezifische Nutzung des Gesundheitssystems, die nicht von Kosten abhängig sind, zeigen einige Untersuchungen, dass Menschen mit niedrigerem sozial-ökonomischem Status weniger präventionsorientiert sind, beispielsweise bei der zahnmedizinischen Prophylaxe (Born / Baumeister / Sauer et al. 2006, Mielck 2000: 217, Statistisches Bundesamt 1998: 390, 245). Sie nutzen auch weniger die Möglichkeiten von Früherkennungsuntersuchungen für Kinder (Statistisches Bundesamt 1998: 55, Mielck 2000: 211, Ellsäßer 2004) und Erwachsene (Mielck 2002: 213f., s. a. Scheffer / Dauven / Sieverding 2006, Bermann / Kalcklösch / Tiemann 2005: 1373). Kinder aus Familien mit niedrigerem Status scheinen auch seltener geimpft zu werden (Mielck 2002: 212, Ellsäßer 2004). Die Gründe für die ungleiche Nutzung fassen Borgetto und Kälble (2007) so zusammen: In Schichten mit niedrigerer Bildung herrschen eher fatalistische Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit und ein eher instrumentelles Verhältnis zum eigenen Körper vor (‚normaler
4.2 Die Interventionen im Detail
239
Verschleiß’). Zudem ist die Symptomwahrnehmung bei Angehörigen unterer sozialer Schichten relativ gering ausgeprägt und die soziale Distanz zum Arzt eher groß […] In Studien zu dem Prozess des Hilfesuchens hat sich entsprechend gezeigt, dass soziale Benachteiligung im Hinblick auf Bildung und sozialen Status mit längeren Phasen der Selbstmedikation und des Hilfesuchens im Laiensystem und einer höheren Schwelle der Inanspruchnahme eines Arztes einhergeht (Borgetto / Kälble 2007: 170).
Eher unlogisch erscheinen also die Angst vor dem Missbrauch von Gesundheitsleistungen und die Forderung nach der Übernahme von mehr Verantwortung bei der Nutzung des Gesundheitssystems. Als Parallele zum Missbrauchsdiskurs der Arbeitslosen wird die Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitssystems als Mißbrauch dargestellt, der angeblich mit Hilfe von Eigenbeteiligung oder der Gewährung von Minimalleistungen geheilt werden könne (Siehe z. B. Kersting 1997). Eine empirische Untersuchung zu den Gesundheitssystemen (Doorslaer/ Jones 2004) in Europa weist auf einen ganz anderen Zusammenhang hin: Menschen mit niedrigem Einkommen haben, wie schon erwähnt, tendenziell einen höheren Bedarf an Gesundheitsleistungen. Dem entspricht eine leicht erhöhte Inanspruchnahme durch diese Gruppe. Eine größere Abweichung vom Durchschnitt stellt jeodch die Inanspruchnahme der Fachärzte durch Menschen mit höherem Einkommen dar. [I]n all countries the need for care tends to be greater among lower income groups. But there are substantial differences in the degree to income-related inequalities in use after such differences in need have been standardized out, both between GP and specialist visits and between the (annual) probability of at least one contact and the conditional number of visits (Doorslaer / Jones 2004: 606:).
Es scheint also – ähnlich dem non-take-up-Problem bei den Mindestsicherungssystemen – eher ein Problem darin zu liegen, dass Menschen mit niedrigerem Einkommen das Gesundheitssystem nicht ausreichend nutzen (Borgetto / Kälble 2007: 171f.) oder dass Unterversorgung und Überversorgung auf ungesunde Weise nebeneinander bestehen. Eigenbeteiligungen und Mindestleistungen laufen tendenziell Gefahr die im Gesundheitssystem produzierten Ungleichheiten der Gesundheit zu vergrößern (Klammer 1998: 297f.). (3) Ein weiterer Umstand kann zu Unterschieden in der Qualität der Versorgung von versicherungsabhängigen Leistungen führen, nämlich die sich allmählich abzeichnende Zwei-Klassen-Medizin. Unabhängig von der Art der Nutzung müssen gesetzlich Versicherte bei ambulanten Behandlungen und in Krankenhäuser länger auf Termine und Behandlungen warten250, ihnen werden (mehr) Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten vorenthalten und sie erhalten teilwei250
Siehe für Deutschland: Sauerland / Kuchinke / Wübker 2008: 3; für Österreich siehe Czypionka / Kraus / Riedel et al. 2007
240
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
se billigere Medikamente als privat Versicherte (vgl. z. B. Herbert 2008, Bauer 2006: 22). Im Vergleich zeigt sich, dass die Staaten einen sehr unterschiedlichen Anteil des Bruttosozialprodukts für Gesundheitsleistungen ausgegeben. Die Gesundheitsausgaben der angeführten OECD-Länder variierten im Jahr 2003 zwischen 2,8% (Korea und Mexiko) und 8,6% (Frankreich) des Bruttosozialproduktes (Frankreich) (OECD 2008: 21). Werden die privaten Gesundheitsausgaben mit einbezogen, dann werden sogar zwischen 5,4% (Korea) und 15,2% (USA) für Gesundheitsleistungen aufgewendet (ebd.). Die Gesundheitssysteme unterscheiden sich aber nicht nur hinsichtlich der aufgewendeten Kosten, sondern auch hinsichtlich der Finanzierung und der Ausgabenstruktur sowie der Versorgungsstruktur und der Leistungen. Zur Beschreibung dieser Bereiche dienen Indikatoren wie die Anzahl der praktizierenden Ärzte pro 1.000 Einwohner, unterteilt in Allgemeinärzte und Spezialisten, wie die Arztkontakte pro Jahr, die Anzahl der Krankenhausbetten, die Bettenauslastung und die Krankenhausverweildauern, wie Wartezeiten auf Behandlungen oder der Ausgabenanteil für Prävention und Gesundheitsförderung an den Gesundheitsausgaben (OECD 2005: 38f.). Während der BSP-Anteil für Gesundheitsausgaben und die Organisation der Versicherung den Wohlfahrtsregimetypen zugeordnet werden kann, folgen die Variationen der Organisation des Gesundheitsbereichs nicht unbedingt dieser Typologie (Bambra 2005, Jensen 2008, vgl. a. Wendt 2006: 596). Ländervergleiche des Outputs gesundheitspolitischer Interventionen sind schwer vorzunehmen, nicht nur weil die unterschiedlichen Strukturen der Gesundheitssysteme auch andere Muster der Nachfrage mit sich bringen (Wendt 2006: 595), sondern auch, weil die Gesundheit stark von anderen Faktoren beeinflusst wird, und eben nur zu einem geringen Teil von der Struktur des Gesundheitswesens abhängig ist. Zambon / Boyce / Cois et al. (2006) konnten regimetypische Unterschiede bezüglich bestimmter Symptomatiken nachweisen. Relativ gut lassen sich Interventionen im Bereich der Gesundheit bei der Säuglingssterblichkeit vergleichen, da sie stark abhängig ist von der Mutterschaftsvorsorge, der Akutbehandlung bei und nach der Geburt und der Nachsorge. Dieser Zusammenhang lässt sich an mehreren Beispielen zeigen: So hat in Deutschland die Säuglingssterblichkeit deutlich abgenommen, als zu Beginn der 70er Jahre Mutterschaftsvorsorgeuntersuchungen, die besondere Betreuung von Risikoschwangerschaften und die Früherkennungsuntersuchungen von Neugeborenen eingeführt wurden (Statistisches Bundesamt 2008: 54, 392). Die Säuglingssterblichkeit, die sich in den OECD-Ländern im Jahr 2005 zwischen 2,3 Promille (Island) und 23,6 Promille (Türkei) bewegt, betrug in Deutschland noch 3,9 Promille (OECD 2007, s. a. Statistisches Bundesamt / GESIS-ZUMA / WZB 2008: 429, 246). Während die Frühsterblichkeit, also die Sterblichkeit innerhalb der ersten
4.2 Die Interventionen im Detail
241
Woche eher von der medizinischen Akutversorgung abhängig ist, spielen bei der sogenannte Nachsterblichkeit, also der Sterblichkeit zwischen dem 28. Tag und dem ersten Geburtstag, Vorsorgemaßnahmen eine besondere Rolle: Die Senkung der Nachsterblichkeit hat [in Deutschland] eine besondere Priorität, da die Werte gegenüber der Mehrheit der Länder mit vergleichbar geringer Früh- und Spätsterblichkeit noch überhöht sind. Dabei geht es insbesondere darum, Schwangere und Mütter aus besonders gefährdeten Gruppen stärker als bisher in Vorsorgemaßnahmen einzubeziehen. Dies wird nach den bisherigen Erfahrungen durch die auf die Nachfrage beschränkten „Komm-Strukturen“ erschwert. Deshalb sollten Sozialdienste oder Familienhebammen die Risikogruppen im Rahmen einer aufsuchenden Fürsorge betreuen und sie zum Umgang mit gesunden und kranken Säuglingen beraten. In Finnland und Schweden gibt es entsprechende Dienste seit langem; sie gelten als wesentliche Ursache für den stärkeren Rückgang der Säuglingssterblichkeit (Statistisches Bundesamt 1998: 56).
Auf die Bedeutung sozialstaatlicher Interventionen weist auch ein Vergleich der schichtspezifischen Sterberaten von Schweden und England/Wales aus den 90er Jahren hin (Wilkinson 2001: 106, Leon / Vågerö / Otterblad Olausson 1992). Abbildung 17: Schichtabhängige Säuglingssterblichkeit in England und Schweden
Quelle: Eigene Graphik, Daten nach Leon / Vågerö / Otterblad Olausson 1992. Die weißen Marken trennen die Frühsterblichkeit (unterhalb) von der Nachsterblichkeit. S.a. Wilkinson 2001: 106
242
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Während die Säuglingssterblichkeit in Schweden kaum vom sozialen Status abhängig war, ergab sich für England und Wales nicht nur insgesamt eine höhere Sterblichkeit, sondern auch ein stark ausgeprägter Gradient (ebd., siehe auch Wilkinson 2001: 105f.). Für den starken sozialen Gradient in England sind nicht die Unterschiede in den „sozialen Klassen“ (Abbildung 17) selbst verantwortlich. Diese Unterschiede des Berufsstands und Einkommens bedingen kostenabhängige und kostenunabhängige Unterschieden in der Nutzung von Vorsorge-, Behandlungs- und Nachsorgemöglichkeiten; darüber hinaus könnten auch Verhaltensweisen wie Rauchen oder Alkoholkonsum während der Schwangerschaft eine Rolle spielen, soweit sie in Schweden insgesamt seltener vorkommen oder weniger von der Schicht abhängig sind als in England. 4.2.3 Die Ressource Bildung Auch bei der Zuteilung von Bildung spielt der Staat – neben der Familie – eine zentrale Rolle (Müller 1992: 318). Das Schul- und Universitätswesen ist in fast allen Staaten der Welt in staatlicher Hand oder staatlich reglementiert; gleichzeitig haben diese Bildungssysteme einen starken Einfluss auf die Stratifizierung der Gesellschaft. Die PISA-Studien haben zum Vorschein gebracht, dass gerade in Deutschland der Bildungserfolg der Kinder besonders stark vom sozioökonomischen Status der Herkunftsfamilie abhängig ist (siehe z. B. Büchner 2003; Baumert / Schümer 2001, 2002; Smolka 2002: 4f., 2005: 23). Die Bildungsexpansion hat zwar dazu geführt, dass immer mehr Kinder höhere Schulen besuchen und studieren251; auch zeitigen die Merkmale Geschlecht, religiöse Zugehörigkeit und die Herkunft von Stadt oder Land keine unterschiedlichen Bildungserfolge mehr (Büchner 2003: 16). Geblieben ist jedoch die Abhängigkeit des Bildungserfolges von der Bildung und der ökonomischen Situation der Eltern (siehe z. B. Baumert / Watermann / Schümer 2003: 50, Preisendörfer 2008). Die Bildungsunterschiede entstehen auf den verschiedenen Stufen des Bildungssystems (Isserstedt / Middendorff / Fabian et al. 2007: 3. Kap., Büchner 2003, Vester 2004: 19f.). Dabei können zwei Effekte unterschieden werden (Boudon 1974, Breen / Goldthorpe 1997, Kristen 1999, Baumert / Watermann / Schümer 2003: 49): Einerseits können Kinder aus Familien mit niedrigem sozialen Status in der Schule weniger erfolgreich sein (siehe dazu Kristen 1999: 6f.); einige Untersuchungen zeigen, dass der Schulerfolg unter erschwerten ökonomischen Bedingungen und unter einem kulturellen Abstand zur Schulwelt leiden kann (Siehe z. B. Lauterbach / Lange / Becker 2002). Diese Unterschiede im 251
Siehe für eine Interpretation der Bildungsexpansion gemäß dem Theorieansatz Bourdieus: Vester 2004, 2008
4.2 Die Interventionen im Detail
243
Erfolg in Bildungseinrichtungen werden als primärer Effekt bezeichnet (zuerst: Boudon 1974: 29f.). Andererseits führen die Entscheidungen für bestimmte Schultypen bzw. für bestimmte Ausbildungen und Berufe an den sogenannten „Übergängen“ von einer Stufe zur nächsten zur Verstärkung der Bildungsunterschiede (Büchner 2003: 7, 18, 21, Kristen 1999), was als sekundärer Effekt bezeichnet wird (Boudon 1974: 29f., s. a. Büchner 2003: 18, Baumert / Watermann / Schümer 2003: 49). So werden in weniger gebildeten Schichten selbst bei gleichem Schulerfolg Schulentypen gewählt, die weniger Bildungschancen eröffnen. Eine Auswertung der PISA-Studie 2000 ergab, dass Kinder aus mittleren und höheren „Dienstleistungsschichten“ bei gleichen „kognitiven Grundfähigkeiten“ und gleicher Lesekompetenz eine mehr als dreifach größere Chance haben ein Gymnasium zu besuchen als Kinder aus niedrigeren sozialen Schichten (Baumert / Schümer 2002: 168f.). Diese Wahl ergibt sich als Resultat einer unterschiedlichen Bewertung der Bildungsabschlüsse (Büchner 2003: 18) und einer anderen Ausstattung mit psychischen Ressourcen, wie geringerem Selbstvertrauen und Angst vor Mißerfolg bei den Eltern und den Kindern (siehe z. B. Burgermeister 2003, Vester 2004: 48), die zu unterschiedlichen „Bildungsaspirationen“ führen (Büchner 2003: 13, Vester 2004: 49, s a. Baumert / Watermann / Schümer 2003: 49). Auch die Lehrerinnen und Lehrer scheinen an dieser „Verdrängung“ beteiligt zu sein: In mehreren Untersuchungen erhielten Kinder aus niedrigeren sozialen Schichten bei gleicher Schulleistung seltener die Empfehlung auf ein Gymnasium zu wechseln als Kinder aus höheren Schichten (Ditton 2007, Lehmann / Peek / Gänsefuß 1997: 90, Baumert / Watermann / Schümer 2003: 49). Im Ergebnis führen diese Prozesse zu einer sogenannten starken „Selektion“ nach dem sozial-ökonomischen Status der Herkunftsfamilie (vgl. Vester 2004: 19), die auch als „soziale Vererbung“ bezeichnet wird (siehe z. B. Büchner 2003: 18f.). So zeigt eine 2005 durchgeführte Befragung von Studienanfängerinnen und Studienanfängern zur „Bildungsbeteiligung“ (Isserstedt / Middendorff / Fabian et al. 2007: 3. Kap.), dass von 100 Kindern, deren Väter einen akademischen Abschluss haben, 88 Kinder den Übergang in eine hochschulberechtigende Schullaufbahn schaffen und 83 dieser Kinder dann auch ein Hochschulstudium aufnehmen. Hingegen schaffen von 100 Kindern, deren Väter keinen akademischen Abschluss haben, nur 46 Kinder den Übergang in eine hochschulberechtigende Schullaufbahn. Nur die Hälfte dieser Kinder, also 23, beginnt ein Studium (ebd. 111, vgl. auch Büchner 2003: 17). Die verschiedenen Bildungswege führen in der Folge zu sehr unterschiedlichen Einkommenschancen. Klemm (1999) fasst eine Untersuchung dazu so zusammen: „Wenn das Einkommen eines männlichen (weiblichen) Ungelernten für 1993 mit 100% angesetzt wird, so beläuft sich das entsprechende Einkommen eines Absolventen der dualen Ausbildung auf 123% (121%), das eines Fach-
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
schulabsolventen auf 162% (156%) und das eines Universitätsabsolventen auf 215% (214%).“ Verstärkend kommt hinzu, dass geringe Bildung immer stärker mit dem Risiko der Arbeitslosigkeit verbunden ist (Allmendinger 1999: 45, Reinberg / Hummel 2005: 2). Wir hatten auch bereits gesehen, dass Bildung während des weiteren Lebensverlaufs Auswirkungen auf das Einkommen und die Gesundheit hat (s. a. Allmendinger 1999: 46). Während die angeführten Untersuchungen die Ungleichverteilung der Ressource Bildung und ihre Folgen darstellen, so können Ländervergleiche auf die große Bandbreite der Ausgestaltung von Bildungspolitik verweisen. Allmendinger und Leibfried (2002, 2003) verglichen OECD-Länder anhand von PISA-Daten. Dabei fielen nicht nur die großen Unterschiede in den Leistungen auf, sondern auch die unterschiedlichen Abstände zwischen den guten und den schlechten Schülern innerhalb eines Landes. In Ländern wie Deutschland, Belgien, Dänemark, Norwegen, der Schweiz und den USA gibt es neben Schülerinnen und Schülern mit sehr guten Ergebnissen auch viele mit sehr geringen Kompetenzen. Deutschland zeichnete sich in der Untersuchung sogar durch die im OECD-Vergleich größte Spannweite aus, bei insgesamt unterdurchschnittlichen Ergebnissen. Länder wie Finnland, Kanada, Japan, Schweden und das Vereinigte Königreich erreichen eine hohe durchschnittliche Kompetenz ohne dabei Schülerinnen und Schüler „auf der Strecke“ zu lassen: Es gibt wenig Schülerinnen und Schüler mit geringen Kompetenzen. In Ländern wie Portugal, Luxemburg, Liechtenstein, Ungarn und Griechenland gab es Schülerinnen und Schüler mit sehr geringen Kompetenzen neben wenigen mit guten Ergebnissen. Spanien und Südkorea sind Länder, in denen die Kompetenzen sehr homogen verteilt waren (Allmendinger / Leibfried 2002: 300f., 2003: 69f.). Die Gruppierung der Länder weist nur teilweise eine Verwandtschaft zu den Wohlfahrtsregimen von Esping-Andersen auf (Allmendinger Leibfried 2003: 74). Finnland und Schweden entsprechen dem universalistischen Anspruch des sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimes, Dänemark und Norwegen dagegen weniger. Anders als den USA gelingt es dem Vereinigten Königreich „Kompetenzarmut“ bei den Schülerinnen und Schülern zu vermeiden, allerdings widerspricht die hohe Varianz der Ergebnisse eventuell dem Anspruch des liberalen Wohlfahrtsstaates Chancengleichheit durch Bildung zu befördern. Die große Bedeutung der Stratifikation im konservativen Wohlfahrtsstaat lässt eine hohe Varianz der Ergebnisse erwarten. Während sich dies für Deutschland, Belgien und die Schweiz bestätigt, entsprechen Italien, Frankreich und Österreich nicht diesem Muster (Allmendinger / Leibfried 2002: 300f., 2003: 69f.). Die geringen durchschnittlichen Kompetenzen (Niveaueffekt) und die breite Streuung (Differenzierungseffekt), die sich in Deutschland gezeigt haben, kön-
4.2 Die Interventionen im Detail
245
nen auf die Ausgestaltung der Bildungs- und Erziehungssysteme zurückgeführt werden: – Bezüglich des vorschulischen Bereichs werden Unterschiede in der Versorgung und der Qualität diskutiert. In Deutschland wurde die Betreuung außer Haus, insbesondere der Kinder unter drei Jahren, lange Zeit als stiefmütterlich betrachtet und politisch auch stiefmütterlich behandelt (Gottschall 2001: 13). Erst in den 90er Jahren wurde der Besuch von Kindergärten zum Normalfall (Geier / Riedel 2008: 12, Rauschenbach 2008: 58). Der Ausbau der Kleinkindbetreuung wird erst seit den letzten Jahren stärker forciert (vgl. Rauschenbach 2008: 60). Die geringe vorschulische und außerhäusliche Betreuung für Kinder ist deshalb problematisch, weil davon ausgegangen wird, dass sie – zumindest ab einem bestimmten Alter – zusätzliche Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs bietet (Geier / Riedel 2008: 12, Roßbach / Kluczniok / Kuger 2008). Entgegen der Idee des Kindergartenerfinders Fröbel (ebd. 154), wurden Kindergärten die längste Zeit eher als „gärtnerische Kinderpflegestätten“ (Allmendinger / Leibfried 2002: 307) und weniger als Bildungseinrichtungen betrachtet (Gottschall 2001: 13, s. a. Volkert 2008). Schmidt (2002: 8) bescheinigt Deutschland deshalb einen „Investitionsbias“ (Allmendinger / Leibfried 2002: 307) zu Gunsten der sekundären Bildung. – Des Weiteren wird die Dreigliedrigkeit des deutschen Schulsystems als Ursache für das schlechte Abschneiden Deutschlands in der PISA-Studie diskutiert.252 Die frühe sogenannte „Selektion“ verhindert, dass „bildungsferne, sprachferne und kompetenzschwache Schüler […] in einem Lehr- und Lernzusammenhang mit ihrem starken Gegenüber wachsen (Allmendinger / Leibfried 2002: 306). Die verschiedenen Schultypen beeinflussen – und das heißt oft: beschneiden – stark die weiteren Entwicklungschancen (vgl. Baumert /
252
Die Dreigliedrigkeit des deutschen Schulwesens geht wie die Sozialversicherung auf ein Machtkalkül Bismarcks zurück: Er wollte die Universitäten durch einschränkende Zugangsregelungen vor einem „akademischen Proletariat“ schützen (Tenorth 2008: 242, Friedeburg 1989: 238f.). Sie ist also ein berechnend eingeführtes, für das konservative Wohlfahrtsregime typisches Element mit stark stratifizierender Wirkung. Sie entspricht der Strategie von Wilhelm II, die Schule für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Er formulierte 1889 in einer allerhöchsten Kabinettordre: „Schon längere Zeit hat Mich der Gedanke beschäftigt, die Schule in ihren einzelnen Abstufungen nutzbar zu machen, um der Ausbreitung sozialistischer und kommunistischer Ideen entgegenzuwirken. In erster Linie wird die Schule durch Pflege der Gottesfurcht und der Liebe zum Vaterland die Grundlage für eine gesunde Auffassung auch der staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu legen haben. Aber ich kann Mich der Erkenntnis nicht verschließen, dass in einer Zeit, in welcher die sozialdemokratischen Irrtümer und Entstellungen mit vermehrtem Eifer verbreitet werden, die Schule zur Erkenntnis dessen, was wahr, was wirklich und was in der Welt möglich ist, erhöhte Anstrengungen zu machen hätte.“ (Zit. n. Tenorth 2008: 240)
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Watermann / Schümer 2003: 51, Baumert / Köller / Schnabel 2000) wie auch die Einkommenschancen. Dass in Deutschland […] gerade jene, die eine besondere Förderung benötigen, am unteren Ende der Schulhierarchie ohne ausreichende Förderstruktur konzentriert werden, stellt das herausragende Ergebnis einer gescheiterten Schulpolitik in über drei Jahrzehnten dar (Bauer / Bittlingmayer 2005: 16).
An diesem dreigliedrigen System wird festgehalten, obwohl internationale Studien immer wieder belegen, dass ein eingliedriges Schulsystem kompetenzarmen Schülerinnen und Schülern nutzt und kompetenzreichen nicht oder nur kaum schadet (ebd., s. a. Hanushek / Wössmann 2006, Ammermueller 2007, Dustmann 2004). Unterschiede in der Leistung werden naturalisiert, also alleine auf Begabungen zurückgeführt, ihre Veränderbarkeit durch Förderung in Frage gestellt (siehe beispielsweise Trapp 2004). Weniger diskutiert wird, dass mit dem dreigliedrigen Schulsystem auch das gegenseitige Verständnis verschiedener sozialer Gruppen, das soziale Lernen voneinander und das Kennenlernen anderer sozialer Realitäten verunmöglicht wird; damit wird wohl auch die gesellschaftliche Stratifizierung vorantrieben und vielleicht sogar ein solidarisches Verhältnis von Menschen aus verschiedenen Schichten verhindert (vgl. Baier 2003: 383). – Eine weitere Besonderheit des deutschen Schulsystems stellt die Halbtagsschule dar, die auch die Ungleichheit im Schulerfolg befördert. Smolka (2002: 9) geht davon aus, dass Ganztagsangebote insbesondere für Kinder wichtig wären, bei denen „häusliche Defizite“ (ebd.) kompensiert werden müssen (s. a. Sell 2005: 67). Allmendinger und Leibfried sehen die Halbtagsschule mitverantwortlich für einen Lernstil, der auf „Rezeption und Abstraktion“ (2002: 307) basiert (s. a. Gottschall 2001: 21). Außerdem geht mit dem Halbtagsangebot einher, dass das Lernen zu einem großen Teil zu Hause mit den Eltern oder in der Nachhilfe stattfindet (vgl. Rudolph 2002: 238f., Schneider 2004). Nachdem es vor allem Eltern, denen es an Geld, Bildungs- und Zeitressourcen fehlt, nicht möglich ist, ihre Kinder umfassend zu unterstützen oder unterstützen zu lassen, reproduziert ein solches System die Bildungsunterschiede stärker als die Ganztagsschule. – Die Produktion von Ungleichheit in der Bildung geht auch nach dem Schulabschluss weiter. Hier stellen beispielsweise Studiengebühren einen Mechanismus dar, der den Zugang zum Studium gemäß dem Zugang zu monetären Ressourcen, und damit sozial ungleich, filtert. Gemäß einer neuen Untersuchung des HIS haben 2006 zwischen 6.000 und 18.000 Studienberechtigte aufgrund der eingeführten Studiengebühren auf ein Studium verzichtet (Heine / Quast / Spangenberg 2008).
4.2 Die Interventionen im Detail
247
Alles in allem zeigt sich wie stark die strukturierende Wirkung staatlicher Interventionen im Bereich der Bildung ist, und dass der Staat den verschiedenen Bevölkerungsgruppen Bildung in einem sehr unterschiedlichen Maß zuteilt. Ländervergleiche zeigen die Breite der Möglichkeiten auf, wie er diese Aufgabe angehen kann. Mit der Zuteilung von Bildung strukturiert der Staat auch die Möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger vor, Bildung in andere Ressourcen wie Gesundheit und Einkommen zu transformieren. 4.2.4 Psychische Ressourcen Bei den psychischen Ressourcen stellt sich genau wie bei den anderen Ressourcen die Frage, auf welche Weise sie ungleich verteilt sind, inwieweit der Staat an der Produktion und Aufrechterhaltung ihrer Verteilung beteiligt ist, beziehungsweise inwieweit er sie verursacht und aufrechterhält. Der Begriff psychische Ressourcen wird hier als Überbegriff für so unterschiedliche Konzepte wie Motivation, Selbstwertgefühl (engl.: self-esteem), internale Kontrollüberzeugungen (engl.: locus of control), Selbstwirksamkeitserwartung (engl.: self-efficacy), Kohärenzgefühl (engl.: sense of coherence) und identitätsrelevante Ressourcen bzw. innere Ressourcen verwendet – ungeachtet der Differenzen zwischen diesen Konzepten.253 Die Erkenntnislage zur sozialen Ungleichverteilung und zur Abhängigkeit dieser Verteilung von sozialstaatlichen Interventionen ist allerdings im Vergleich zu anderen Ressourcen dünn und es gibt dazu kaum international vergleichende Studien. Das hängt damit zusammen, dass psychische Ressourcen oft nur als Teil der Persönlichkeit gedacht werden und damit ihre Abhängigkeit von politischen Umständen aus dem Blick gerät. Die Sozialpsychologie, die eine solche verkürzte Sichtweise überschreiten will, hat meistens die Abhängigkeit von gesellschaftlichen Veränderungen wie der Modernisierung in den Mittepunkt ihrer Betrachtungen gestellt, weniger jedoch die Abhängigkeit von staatlichem Handeln. Die geringe Kenntnis über den Einfluss staatlichen Handelns auf die psychischen Ressourcen könnte auch mit darin begründet sein, dass die Zuteilung und der Entzug psychischer Ressourcen durch den Staat häufig wenig zielgerichtet – wenn wohl auch nicht völlig unbeabsichtigt – ge-
253
Siehe zum Konzept Motivation: Deci / Ryan 1985, Heckhausen 1989. Siehe zum Konzept der internalen Kontrollüberzeugungen z. B Rotter 1982 und den Sammelband von Mielke 1982 . Siehe zum Konzept Selbstwirksamkeitserwartung: Bandura 1997, 1992 Schwarzer 1994 und auch Grundmann 2008, vgl. auch das Seligmans Konzept der erlernten Hilflosigkeit (Seligman 1986) und Schubert 2004: 181. Siehe zum Konzept Kohärenzgefühl: Antonovsky 1997 und zum Konzept identitätsrelevante Ressourcen bzw. inneren Kapitalien / Ressourcen: Keupp / Ahbe / Gmür et al. 2003: 560.
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
schieht254, sondern als Nebeneffekt der Zuteilung von Einkommen, Arbeit und Bildung. Am offensichtlichsten ist dies der Fall in den Bereichen von Armut und Arbeitslosigkeit. Wie bereits thematisiert, sind die Armutsquoten, wie auch die Arbeitslosen- und die Erwerbsquoten stark von sozialstaatlichen Interventionen abhängig, die auch das Ausmaß der mit Armut und Arbeitslosigkeit einhergehenden psychischen Beeinträchtigungen beeinflussen (vgl. zu den psychischen Folgen S. 82; s. a. Wacker / Kolobkova 2000, Luedtke 1997: 181f.), soweit nicht versucht wird, solche Folgen einzudämmen. Außerdem entstehen bei Arbeitslosigkeit und Armut Folgen für die Kinder der Betroffenen (1). Des Weiteren ist davon auszugehen, dass sozialstaatliche Institutionen wie Schulen (2) und mehr noch Arbeitsämter, Arbeitsgemeinschaften und Sozialämter, die sich mit Armutsproblemen befassen (3), je nach institutioneller Ausgestaltung psychische Ressourcen entweder vermindern oder aufbauen. (1) Mehrere Untersuchungen zeigen die Folgen von Arbeitslosigkeit und Armut für Kinder auf. Sie reagieren mit Beeinträchtigung des Selbstvertrauens, Gefühlen der Hilflosigkeit und mit sozialem Rückzug. – Eine US-amerikanische Studie zeigt bereits bei Fünfjährigen mehr internalisierende Belastungssyndrome wie Ängstlichkeit, Niedergeschlagenheit und Depressivität sowie stärkeres externalisierendes Problemverhalten wie Wutausbrüche und Zerstörung von Spielsachen (Duncan / Brooks-Gunn / Klebanov 1994). – Andreas Klocke konnte anhand einer Untersuchung in Deutschland zeigen, dass Kinder und Jugendliche, die von Armut betroffen sind, auffällig seltener Mitglied in einem Verein oder in einer Freundesclique integriert sind (Klocke 1996: 399). Sie haben auch seltener das Gefühl von den Mitschülern akzeptiert zu sein. „Kinder und Jugendliche aus der Armutsgruppe verfügen seltener über Selbstvertrauen, fühlen sich öfters hilflos und berichten häufiger über Gefühle der Einsamkeit“ (Klocke 1996: 401). Die Kinder berichteten auch von gesundheitlichen Beeinträchtigungen. – In einer qualitativen Untersuchung zeigen Butterwegge und Mitautoren, dass die Auswirkungen der Armut auf das Selbstbewusstsein abgeschwächt werden, wenn andere Ressourcen kompensatorisch eingesetzt werden können: Die Erkenntnis eingeschränkter Konsummöglichkeiten gewinnen die Kinder mit etwa 10, 11 Jahren. Sie greifen deren Selbstbewusstsein massiv an. Es geht hier weniger um die soziale Ausgrenzung von „Schmuddelkindern“, welche die äußeren Merkmale ihrer Segregation (z. B. abgerissene Kleindung) deutlich sichtbar tragen, sondern um den unsichtbaren Prozess der 254
Das gilt natürlich nicht für das Foltern oder Brechen von Regimegegnern, Gefangenen etc., wo das Vernichten psychischer Ressourcen Konzept ist.
4.2 Die Interventionen im Detail
249
Nichtteilhabe am durchschnittlichen Konsum in Relation zur Gesamtgesellschaft. Verfügt eine Familie über genügend kulturelles und soziales Kapital, um die konsumtiven Mängel zu kompensieren, wird dieser Desintegrationsprozess bis zu einem gewissen Grade abgefangen und das Selbstbewusstsein der Kinder nicht in Mitleidenschaft gezogen […] Kinder, die aufgrund ihrer Klassenlage ein höheres Maß an kulturellem Kapital einbringen (können), sind in der Schule zumeist erfolgreich, haben trotz widriger Umstände eine ungestörte Entwicklung zu erwarten und bilden ihre Persönlichkeit in einem weiterhin funktionierendem Sozialgefüge aus. […] Die meisten Kinder unseres Samples unterliegen der Gefahr, im Bildungssystem abzusteigen und benachteiligt zu werden, wenn die Schule konsumtive Anreize wie Reisen, Mobilität, Zugang zu Kultureinrichtungen, Spracherwerb und Sport nicht oder nicht ausreichend bereitstellt (Butterwegge / Holm / Imholz et al. 2003: 262f).
Die Ergebnisse werden von weiteren Untersuchungen bekräftigt (Schindler / Wetzels 1987, Felner / Brand / DuBois et al. 1995, s. a. Walper 1995: 190f, 1999: 308f., Trumpp 2000). (2) Wirkungen des Staats auf die Entfaltung der psychischen Ressourcen von Kindern sind auch im Bildungsbereich zu erwarten. Mit der Wirkung der Schule auf die Selbstwirksamkeit hat sich beispielsweise der Bildungsforscher Wolfgang Edelstein beschäftigt. Er sieht das deutsche Schul- und Unterrichtssystem, das – im Unterschied zu anderen Ländern – einseitig auf „frontale und lebensferne Wissensvermittlung“ und auf Leistungstests fokussiert ist, als ein System, das quasi automatisch geringe Motivation, fehlendes Vertrauen in die Selbstwirksamkeit und Frust zeitigt (Edelstein 2002, 2000a, 2004). Die Klage über die Leistungsdefizite der Schüler lässt häufig übersehen, dass viele Schüler Schule und Unterricht als bedrückend und sinnentleert erleben, dass sie auf nicht durchschaute Anforderungen und nicht begriffene Erwartung häufig mit Resignation, Hoffnungslosigkeit und Selbstwertverlust reagieren, vor allem wenn sie zivil und wohlerzogen genug sind, um einen rebellischen Habitus zu vermeiden (Edelstein 2002a: 16). [Es] erscheinen die viel diagnostizierten Eigenschaften Motivationsdefizit, Leistungsschwäche und Langeweile weniger Merkmale der Schüler zu sein, bei denen sie „gemessen“ werden, als kritische Attribute der Schule, die sie ihnen ohnmächtig und hilflos zuschreibt (Edelstein 2000: 375).
Edelstein betont, dass diese Situation sich in anderen Ländern nicht auf die gleiche Weise darstellt und plädiert für „selbstwirksame Schulen“ (Brockmeyer / Edelstein 1997), die sich durch mehr Mitsprachrechte und mehr individuelle Förderung auszeichnen. Die Lernprozesse sollten offener, motivierender und weniger defizitorientiert sein (Brockmeyer / Edelstein 1997, vgl. auch Fuchs 2005). Wenn er auch nicht untersucht hat, inwieweit die verschiedenen Schul- und Unterrichtssysteme zu den Wohlfahrtsstaats-Ideologien der jeweiligen Ländern passen, so geben seine Beobachtungen Anlass zur Vermutung, dass sich im Verhältnis zwischen Schule und Schülern das für Deutschland typische paternalistisch-autoritäre Verhältnis des (Sozial-)Staats zu seinem Bürgern widerspiegelt
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
(Edelstein 2002a, 2004). Unklar bleibt, inwieweit das Schul- und Unterrichtssystem die Subjektivierung dieses Unterordnungs-Verhältnisses durch die Bürgerinnen und Bürger in Form eines „heimlichen Lehrplans“ (Zinnecker 1975) verursacht bzw. perpetuiert, ob diese Subjektivierung mit sozial ungleicher Ausstattung an psychischen Ressourcen, also beispielsweise mit der Erzeugung von Gewinner- und Verlierer-Mentalitäten, einhergeht und auf diese Weise systematisch ein unterschiedliches Ausmaß an Chancen und Handlungsspielräumen zuteilt. (3) Neben der Schule können auch andere öffentliche Einrichtungen Orte sein, die eine Rolle beim Auf- oder Abbau von psychischen Ressourcen spielen. Maeder und Nadai (2004) stellen anhand von Interaktionsanalysen, die sie an schweizer Sozialhilfeämtern durchgeführt haben, dar, auf welche Art der Empfang von Sozialhilfe an Stigmatisierung und Degradierung gekoppelt ist. Diese Effekte zeigen sich abhängig von der institutionellen Ausgestaltung, da die Sozialhilfe (teilweise) auch in weniger stigmatisierende Leistungen integriert werden kann (z. B. in Leistungen für Arbeitslose oder Rentner), und da die Stigmatisierung auch davon abhängig ist, ob die Antragsstellung für Geldleistungen und für die psycho-soziale Beratung gemeinsam oder getrennt, durch Verwaltungsfachkräfte oder durch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter erteilt wird (vgl. Maeder / Nadai 2004: 57, 65, 138, 147). Ein weiteres Beispiel für Mechanismen, mit der Ämter in Prozesse der Stigmatisierung und Motivation eingebunden sind, zeigt ein Projekt zu den jüngsten administrativen Änderungen bei der „Arbeitsagentur“ auf. Zur „effizienten“ Gestaltung ihrer Tätigkeit hat die Arbeitsagentur eine Art „Diagnosetool“ eingerichtet, das die Arbeitslosen in vier Kategorien („Kundensegmente“) klassifiziert255: in sogenannte Kunden mit Marktprofil, Kunden mit Beratungsprofil ‚Fordern’, Kunden mit Beratungsprofil ‚Fördern’ und Kunden mit Betreuungsprofil (Behrend 2007: 100, Spindler 2008: 9). Während die Gruppe der zu fördernden „Kunden“ auf vielfältige Weise motiviert werden soll, eine Arbeitsstelle zu suchen, sollen sowohl für die „Marktkunden“, die in den Augen des Amtes keine Unterstützung benötigen, wie auch für die euphemistisch als „Beratungskunden“ bezeichneten, welche die schwer oder gar nicht zu vermittelnden „Kunden“ umfassen, keine weiteren Kosten aufgewendet werden. Das wird ihnen aber normalerweise nicht mitgeteilt (ebd. 107, vgl. auch Spindler 2008: 9, s. a. Trube 2003: 186). Die Folge ist, dass diese „Kunden“ gegen eine „unsichtbare Wand“ laufen, wobei deren Frustration, Demotivierung und Demoralisierung anscheinend ohne Weiteres in Kauf genommen wird (s. a. Trube 2003: 181):
255
Siehe zum „Profiling“ Trube 2003: 188 und Spindler 2003: 235.
4.2 Die Interventionen im Detail
251
Als Konsequenz der Kundensegmentierung müssen Herr Everding und Kollegen nun motivierten Betreuungs-, aber auch Marktkunden klar machen, dass sie zu wenige bzw. zu viele Vermittlungshemmnisse haben und deshalb nicht finanziell gefördert werden. Es sei, so Herr Everding, eine heikle und schwierig zu vermittelnde Sache, „eventuelle Ansprüche die der Kunde hat, abzubügeln oder abzuwiegeln oder in eine andere Richtung zu lenken, weil se einfach nicht mehr systemkonform sind …“ […]. Denn man könne, wie Herr Everding an anderer Stelle durchaus nicht nur ironisch meint, den „Beratungskunden“ „ja nicht einfach Hausverbot erteilen“ (Behrend 2007: 110).
Der Vergleich verschiedener Systeme und die Reflektion von Veränderungsprozessen zeigen, dass es einen beachtlichen staatlichen Gestaltungsspielraum für die mehr oder weniger stigmatisierende und motivierende Ausgestaltung von Sozialleistungen gibt. So wird klar, auf welche Weise staatliches Handeln die psychischen Ressourcen beeinflussen kann. Allerdings wird wohl im Allgemeinen beim Staat keine Zuständigkeit für den Aufbau psychischer Ressourcen (jenseits der Motivierung zur Erwerbsarbeit) oder für die Möglichkeit Anerkennung zu erlangen, gesehen. Daraus weist auch der von offizieller Seite wie von Seiten der Medien immer wieder vorgebrachte Vorwurf des Missbrauchs von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld für teure Konsumgüter wie Turnschuhe und Handys hin. Betroffene erwerben solche Güter zumindest teilweise auf dem Gebiet des Konsums „mithalten“ zu können und so Teil dieser Gesellschaft zu bleiben (vgl. z. B. Klocke 1996: 392). Statt einer bloßen Verurteilung könnte ihr Handeln auch ein Ausgangspunkt sein für Diskurse über die Bedeutung psychischer Ressourcen und Möglichkeiten Anerkennung zu erfahren. Des Weiteren zeigt sich, dass der Staat scheinbar zunehmend der intrinsischen Motivation seiner Bürgerinnen und Bürgern misstraut (siehe z. B. BWA 2005) und mehr Gewicht auf extrinisische Motivierung, Disziplinierung und den Entzug materieller Ressourcen setzt (siehe z. B. Ludwig-Mayerhofer / Behrend / Sondermann 2008). Ob dieses Vorgehen von Erfolg gekrönt sein wird, ist fraglich: Stevan Hobfoll, der die psychologische Ressourcentheorie mitgeprägt hat, warnt vor „Verlustspiralen“ der Transformation (engl.: loss spirals, Hobfoll 1989: 519), in denen sich das Fehlen von psychischen Ressourcen auf andere Ressourcen auswirkt und umgekehrt. Schubert (2004: 204) spricht in einem ähnlichen Zusammenhang von einem „Schereneffekt“, der zu mehrdimensionaler Ressourcenarmut bzw. zu mehrdimensionalem Ressourcenreichtum führt. Zu dem Fazit, dass Wohlfahrtsstaaten (und insbesondere konservative Wohlfahrtsregime) psychische Ressourcen in ähnlicher Weise wie monetäre Ressourcen nach dem Matthäus-Prinzip „wer hat, dem wir gegeben“ verteilen, kommt auch Lessenich: [Es] tritt zunehmend offen zutage, was in glücklicheren Tagen ökonomischer Prosperität aus dem Blick geraten war, nämlich der grundsätzlich stratifizierte Charakter sozialer Ansprüche und die zutiefst produktivistische Skalierung sozialer Wertschätzung im Wohlfahrtsstaat: Hier
252
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität wird dem gegeben – Einkommen, Einkommensersatz, sozialer Status, soziale Rechte, soziale Achtung –, der anerkannter Teil der erwerbsgesellschaftlichen Leistungsgemeinschaft ist, und zwar umso mehr, je höher […] der individuelle Leistungsbeitrag ausfällt. Dieser hierarchisierten Wertschätzung der Produktiven korrespondiert, anerkennungstheoretisch gesprochen, die pauschale Missachtung der ‚Unproduktiven’, ihre regulative Entwürdigung und – zunehmend offensivere und aggressivere – diskursive Beleidigungen (Lessenich 2007: 162).
4.2.5 Soziale Ressourcen Unter dem Begriff Sozialkapital werden verschiedene Konzepte zusammengefasst, die zwar miteinander in Verbindung stehen, aber keiner einheitlichen Theorie entstammen (Franzen / Pointner 2007, Oorschot / Arts / Gelissen 2006: 149, Gabriel / Kunz / Roßteutscher et al. 2002: 98). Vergleiche dieser Konzepte arbeiten drei Aspekte heraus: Einen ersten Aspekt stellen die persönlichen Netzwerke dar, wozu die Familie sowie die Freundes- und Bekanntenkreise zählen. Die Beziehungen können individuell genutzt werden und stellen somit eine „netzwerkbasierte Ressource“ (Franzen / Pointner 2007: 72) dar, wie auch eine soziale Ressource im Sinne der Ressourcentheorie. In empirischen Untersuchungen werden diese mit Indikatoren wie Kontakt zu Familie und Freunden und Anzahl der Mitgliedschaften in Vereinen gemessen. Einen weiteren Aspekt des Begriffs Sozialkapital stellt das sogenannte generalisierte Vertrauen dar, also das Vertrauen, das ein Einzelner gegenüber Mitbürgern und staatlichen Einrichtungen im Allgemeinen hat. Normen und Werte des gesellschaftlichen Zusammenlebens, wie sie sich beispielsweise im zivilgesellschaftlichen oder politischen Engagement ausdrücken, stellen den dritten Aspekt dar (Franzen / Pointner 2007, Oorschot / Arts / Gelissen 2006, Gabriel / Kunz / Roßteutscher et al. 2002). An dieser Stelle interessiert besonders der erste Aspekte. Soweit das generalisierte Vertrauen und die Normen und Werte als gesellschaftliche Ressource auf dem Makro-Niveau zu verstehen sind, würden sie im Modell der Ressourcenzuteilung als sozial-ökologische Faktoren verstanden werden (siehe Abbildung 16). Es stellt sich nun die Frage, auf welche Art die sozialen Ressourcen in einen Zusammenhang mit (wohlfahrts-)staatlicher Tätigkeit gebracht werden können, beziehungsweise auf welche Art die Verteilung der sozialen Ressourcen von staatlicher Tätigkeit abhängig ist. Dies kann anhand einiger empirischer Untersuchungen aufgezeigt werden: Jungbauer-Gans und Gross (2007) untersuchten anhand von Daten des European Social Survey Verteilung (und Ungleichverteilung256) des sozialen Kapitals. Dabei zeigt sich, dass die Mitgliedschaften in Vereinen in Ländern mit hohem Wohlstandsniveau wie auch in Ländern mit gerin256
Die Verteilung wurde mittels Mittelwerte, die Ungleichverteilung mittels Dispersions-Werte gemessen (siehe Jungbauer-Gans / Gross 2007: 221
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gen Einkommensunterschieden ein höheres Niveau erreichen (Jungbauer-Gans / Gross 2007: 230f). Hohe Bildungsausgaben gehen nicht nur mit mehr Mitgliedschaften in Vereinen einher, sondern auch mit einer gleichmäßigeren Teilhabe der Gesamtbevölkerung an diesen Mitgliedschaften (ebd. 231). Diese erhöhte „Homogenität des Mitgliedstatus“ ergab sich auch in Ländern mit einer hohen Partizipation von Frauen am Erwerbsleben (ebd. 233f.). Dieser Effekt wird darauf zurückgeführt, dass Frauen, die arbeiten insgesamt stärker gesellschaftlich integriert sind (Gabriel / Kunz / Roßteutscher et al. 2002: 99, 111). Ähnliche (und stärkere) Effekte ergaben sich für die Erklärung des sozialen Vertrauens, das ebenfalls mit zunehmendem Pro-Kopf-Einkommen und Bildungsniveau sowie mit abnehmender Ungleichheit steigt (ebd. 226f.). Jungbauer-Gans und Gross untersuchten auch die Zusammenhänge zwischen Sozialkapital und Lebenserwartung beziehungsweise zwischen Sozialkapital und dem Human Development Index. Beide Zusammenhänge korrelieren stark und sind signifikant (ebd. 227, 231, s. a. Rostila 2007). All diese Ergebnisse zeigen nicht nur, wie sehr die sozialen Ressourcen von institutionellen Gegebenheiten abhängen (s. a. Oorschot / Arts / Gelissen: 2006: 161, 165) und wie eng sich der Zusammenhang von monetären, Bildungs- und sozialen Ressourcen darstellt, sondern sie widersprechen sowohl der Kompensationshypothese als auch der Crowding-Out-Hypothese. Die Crowding-Out-Hypothese besagt, dass die Staatstätigkeit die Fähigkeit der Gesellschaft zur Selbstorganisation verdrängen und unterminieren würde. Demnach würde es in ausgebauten Wohlfahrtsstaaten besonders wenig, in rudimentären und liberalen Wohlfahrtsregimen jedoch besonders viel Sozialkapital geben. Empirische Untersuchungen kommen genau zum gegenteiligen Ergebnis: Gerade die skandinavischen Länder zeichnen sich durch ein hohes Engagement in Vereinen und – allgemeiner gesprochen – durch hohes Sozialkapital und geringere Ungleichheit des Sozialkapitals aus, wohingegen rudimentäre Wohlfahrtsstaaten wie Portugal und Griechenland einen geringen Anteil an Mitgliedschaften und Sozialkapital aufweisen, und sich durch große Heterogenität auszeichnen (Jungbauer-Gans / Gross 2007: 223, 226, s. a. Oorschot / Arts 2005, Oorschot / Arts / Gelissen 2006: 161, Böhnke 2007: 236).257 Rothstein und Uslander (2005) plädieren daher für universalistische Wohlfahrtsprogramme, die neben einer Reduktion der Ungleichheit auch die soziale Kohäsion stärken (s. a. 257
Allerdings konnten Jungbauer-Gans und Gross (2007) keinen Zusammenhang zwischen den Ausgaben eines Landes für soziale Sicherung und der Anzahl der Mitgliedschaften in Vereinen nachweisen. Dies kann eventuell dadurch erklärt werden, dass die Zahlen zu den Sozialausgaben einen wenig aussagekräftigen Indikator für die Wirkungen der Sozialpolitik darstellen (siehe die Kritik von Esping-Andersen, S. 190) oder dadurch, dass diese Sicherungssysteme tatsächlich keine Auswirkung auf die Mitgliedschaften – wenn auch auf andere Aspekte des Sozialkapitals – haben.
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Jungbauer-Gans / Gross 2007: 218, Oorschot / Arts / Gelissen 200: 161) und einen gemeinsamen Erfahrungshorizont der Menschen entstehen lassen (vgl. Gabriel / Kunz / Roßteutscher et al. 2002: 221f.). Die Kompensationshypothese besagt, dass „im Falle materieller Benachteiligung Solidarität steigt, Netzwerke engmaschigerer geknüpft und Hilfeleistungen in Anspruch genommen werden, die bei der Bewältigung einer prekären Versorgungsleistung nützlich sein können“ (Böhnke 2007: 245). Auch dieser These widersprechen empirische Untersuchungen, die zu dem Schluss kommen, dass die verschiedenen Kapitalarten sich tendenziell gegenseitig bedingen anstatt Substitute darzustellen: Die Netzwerkforschung hat nicht nur gezeigt, dass […] sozialökonomisch unterprivilegierte Gruppen offensichtlich besondere Defizite bei der zunehmenden erforderlichen eigeninitiativen Beziehungsarbeit aufweisen. […] Das soziale Kapital der Subjekte, ihre sozialen Ressourcen, sind offensichtlich vom verfügbaren ökonomischen Kapital mitbestimmt – und vom kulturellen Kapital. Kulturelle Ressourcen erleichtern Kontakte, Kommunikation und Selbstrepräsentation – Leistungen also, die zum Knüpfen der sozialen Netzwerke wichtig sind (Keupp / Ahbe / Gmür et al. 2003: 278).
Dementsprechend müssen monetäre Ressourcen und Bildungsressourcen eher als Bedingung für soziale Beziehungen gesehen werden, denn als ein Hemmnis. Die positiven Wirkungen des sozialen Kapitals in besonderen Belastungssituationen werden unter dem Begriff social support diskutiert (Siehe z. B. Glatzer / BergerSchmitt 1986). 4.2.6 Transformationen verbessern: Fähigkeiten enwickeln In Kapitel 2.5.1 wurde der Begriff der Ressourcentransformation im Anschluss an den Sen’schen Begriff der functionings (Fähigkeiten) eingeführt. Beide Begriffe beschreiben sehr unterschiedliche Umwandlungen auf einem abstrakten Niveau. So können functionings und die Transformationen auch verschiedene Körperfunktionen und -aktivitäten beschreiben.258 Auch die Umwandlung von Zeit und Geld in Bildung oder die Umwandlung von Bildung und Zeit in Einkommen stellen Transformationen dar (siehe Kap. 2.2.3). Die folgenden Ausführungen beschränken sich allerdings nur auf einen Teilaspekt dieser Umwandlungen, nämlich auf die Kompetenzen. Darunter werden hier praktische Fähigkeiten verstanden, die der Verfolgung bestimmter Ziele, 258
Dieser Aspekt wird auch durch die ICF, die International Classification of Functioning, Disability and Health (dt.: Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit), deren Name auch den von Sen verwendeten Begriff der functioning beinhaltet, verdeutlicht. Siehe DIMDI 2005
4.2 Die Interventionen im Detail
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beispielsweise der Erwerbsfähigkeit, dienen. Im (pädagogischen) Diskurs werden verschiedene Kompetenzen unterschieden, wie beispielsweise Basiskompetenzen (Deutsches PISA-Konsortium 2001, 2002), Schlüsselkompetenzen, soziale, emotionale und kommunikative Kompetenzen (Rohlfs / Harring / Palentien 2008), kognitive, berufliche, akademische Kompetenzen (Deutscher Bundestag 2009: 46) sowie Alltagskompetenzen (Meier / Preuße / Sunnus 2003: 56), Lebensführungskompetenzen (Büchner 2003: 9) bzw. Lebenskompetenzen (Baier 2003: 386), Daseinskompetenzen (Deutscher Bundestag 1995: 26) und – spezieller – Gesundheitskompetenzen (Janßen / Grosse Frie / Ommen 2006: 148f.). Zumindest analytisch sind anwendungsorientierte Kompetenzen zu unterscheiden von der Ressource Bildung, der eher kognitives Wissen und Kenntnisse zuzurechnen sind, wie auch von den anderen Ressourcen.259 Auf welche Art diese Kompetenzen (als ein Bereich der Fähigkeiten) durch staatliches Handeln beeinflusst werden, lassen sich durch die Ausführungen von Franz-Xaver Kaufmann zu den pädagogischen Interventionen aufzeigen260: Pädagogische Interventionen im hier gemeinten Sinne können sich [...] direkt auf Personen(mehrheiten) beziehen, deren gesellschaftliche Handlungskompetenz […] als beeinträchtigt definiert wird. Sozialpolitisches Ziel der Maßnahmen ist hier typischerweise eine direkte Erhöhung der Handlungsfähigkeit durch bildende, rehabilitative oder informative Anstrengungen. Es geht hier also darum, bestimmte, in der allgemeinen Kultur vorhandene soziokulturelle Bestände in kompetenzsteigernde Weise an Individuen zu vermitteln […] Gemeinsam ist all diesen Maßnahmen, dass sie auf die Ermöglichung bzw. Verstärkung von Vermittlung soziokultureller Bestände an Personen gerichtet sind, dass sie also Prozesse sozialen Lernens in inhaltlicher Hinsicht beeinflussen wollen. Dies ist selbst wiederum ein vielstufiger Prozess […], es geht stets um die Ermöglichung von Lernen, um die Verknüpfung von Wissen und Motivation zur Entfaltung von Kompetenz. Typischerweise setzen solche Lernprozesse interpersonelle Kommunikation voraus (Kaufmann 2005: 101f., Hervorhebungen im Original]).
Staatliche Interventionen, die die Fähigkeiten verbessern, kommen – neben der Schule, in der verschiedene Kompetenzbereiche in Verbindung mit formaler Bildung vermittelt werden – insbesondere in Form von Empowerment-Prozessen 259
Eine solche Unterscheidung macht auch eine Empfehlung der EU zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen (Europäische Union 2006). Die PISA-Untersuchung 2003 unterscheidet zwischen 1.) Inhalten / Konzepten („Wissen, dass“), 2.) Prozessen / Prozeduren („Wissen wie“) und 3.) Situationsklassen und Kontexten, in denen Wissen angewandt werden kann. Siehe: PISA-Konsortium Deutschland 2005: 19. Siehe auch Esping-Andersen 2004: 299f. Grundmann 2008 sieht die Begriffe Agency und Capability als Teilaspekte von Handlungsbefähigung. Die Handlungsbefähigung bringt er dann mit Wirksamkeitserfahrungen in Verbindung, die hier als psychische Ressourcen diskutiert werden; allerdings trennt er nicht zwischen functionings und capabilities. Andresen / Otto / Ziegler 2008: 165 hingegen unterscheiden zwischen formal, non-formal und informal education und sehen sie vereinfachend alle als Teil der capabilities. 260 Wie bereits ausgeführt, gleichen Kaufmanns pädagogische Interventionen dem Kompetenzaspekt der functionings.
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vor. Solche Prozesse, wie sie beispielsweise von der Sozialen Arbeit induziert werden, versuchen durch eine Verbesserung der Kompetenzen und nicht primär durch eine Verbesserung der Ressourcenausstattung Handlungsspielräume zu erweitern und eine bessere Lebenssituation zu erreichen. Herriger definiert den Begriff in dem Standardwerk Empowerment in der Sozialen Arbeit (Herriger 2006) so: Der Begriff „Empowerment“ bedeutet Selbstbefähigung und Selbstermächtigung, Stärkung von Eigenmacht, Autonomie und Selbstverfügung. Empowerment beschreibt mutmachende Prozesse der Selbstbemächtigung, in denen Menschen in Situationen des Mangels, der Benachteiligung oder der gesellschaftlichen Ausgrenzung beginnen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, in denen sie sich ihrer Fähigkeiten bewusst werden, eigene Kräfte entwickeln und ihre individuellen und kollektiven Ressourcen zu einer selbstbestimmten Lebensführung nutzen lernen. Empowerment – auf eine kurze Formel gebracht – zielt auf die (Wieder-) Herstellung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Alltags (Herriger 2006: 20).
Empowerment versteht er als professionelles Konzept der Unterstützung von Selbstbestimmung, das der sogenannten „erlernten Hilflosigkeit“ (siehe ebd. 54 und Seligman 1986) genauso entgegensteht wie entmündigenden Tendenzen261 der sozialen Arbeit: Handlungsziel einer sozialberuflichen Empowerment-Praxis ist es, Menschen das Rüstzeug für ein eigenverantwortliches Lebensmanagement zur Verfügung zu stellen und ihnen Möglichkeitsräume aufzuschließen, in denen sie sich die Erfahrungen der eigenen Stärke aneignen und Muster einer solidarischen Vernetzung erproben können (Herriger 2006: 19).
Mit seinem Konzept stellt er – dem hier vorgestellten Ansatz ähnlich – sowohl Bezüge zu den Kompetenzen (siehe ebd. S. 96, 147) wie auch zu den Ressourcen her (ebd. 86f., s. a. Knecht / Buttner 2009). Die umfassenden Wirkungen von Kompetenzen und Empowerment auf die Gesundheit thematisiert Rosenbrock (2004) – allerdings ohne Ressourcen und Kompetenzen strikt auseinanderzuhalten – im Zusammenhang mit der Gesundheitsförderung: Folgt man der Logik der Ottawa-Charta der WHO (1986), der wir das Konzept [der Gesundheitsförderung] zu verdanken haben [262], dann geht es bei der Gesundheitsförderung immer 261
Siehe zu diesem Aspekt auch Kaufmann 2005: 102 Die Ottawa-Charta definiert Gesundheitsförderung so: „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. verändern können. In diesem Sinne ist die Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. 262
4.2 Die Interventionen im Detail
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um die Stärkung der individuellen und kollektiven Gesundheitsressourcen im Sinne des Erwerbs von spezifischen und unspezifischen Kompetenzen durch Partizipation und praktische Befähigung. Es geht bei Gesundheitsförderung also um die Vermittlung bzw. Ermöglichung von Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeit, Bildung, Einkommen, Information, Transparenz, Handlungswissen, Verhaltensspielräume, Einbindung in soziale Netzwerke, Erholungsmöglichkeiten etc. Diese Gesundheitsressourcen werden benötigt 1. um die psychischen bzw. physischen Bewältigungsmöglichkeiten von Gesundheitsbelastungen zu erhöhen, 2. um die Handlungsspielräume zur Überwindung gesundheitlich belastenden Verhaltens zu vergrößern, oder 3. um die Handlungskompetenzen für die Veränderung solcher Strukturen zu entwickeln bzw. freizusetzen, die a) entweder direkt die Gesundheit belasten oder b) gesundheitsbelastendes Verhalten begünstigen (Rosenbrock 2004: 147).
Für die hier verfolgte Argumentation ist es wichtig zu sehen, dass die im Zitat genannten Bereiche der Förderungen eben immer auch einen Einfluss auf die Gesundheit haben, selbst dann, wenn sie weniger strikt, als dort argumentiert, auf die Verbesserung der Gesundheit abzielen. Empirische Ansätze zur Messung von Fähigkeiten oder Handlungsspielräumen gibt es bisher kaum. Im Bereich der Länder- und Wohlfahrtsregimevergleiche versuchen Holtmann / Mutz / Buchheister et al. (2007) in Anlehnung an Sen einen Autonomie-Indikator zu entwickeln, mit dem sie einen Mangel an Verwirklichungschancen messen wollen. Allerdings gleicht ihr Indikator einfach klassischen Deprivationsindices (ebd. 195). Alkire (2002) und Kuklys (2005) stellen weitere rudimentäre Versuche an, Fähigkeiten und Handlungsspielräume zu messen. 4.2.7 Strukturen ändern: Sozial-ökologische Interventionen Neben Interventionen, die Ressourcen zuteilen oder functionings verändern, gibt es auch solche, die auf die Lebensbedingungen gerichtet sind. Solche Interventionen können unterteilt werden in indirekte und direkte Interventionen. Indirekte, institutionen-vermittelte sozial-ökologische Interventionen richten sich an Institutionen, wie sie in Abbildung 16 angeführt wurden (1. öffentliche Institutionen, 2. Unternehmen / Märkte und 3. Beziehungen / Familien). Diese Interventionen beeinflussen das Handeln dieser Institutionen und in der Folge den Ressourcenaustausch zwischen ihnen und den einzelnen Menschen. Als Beispiel Gesundheit steht für ein positives Konzept, das in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit betont wie die körperlichen Fähigkeiten. Die Verantwortung für Gesundheitsförderung liegt deshalb nicht nur bei dem Gesundheitssektor, sondern bei allen Politikbereichen und zielt über die Entwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von umfassendem Wohlbefinden hin“ (WHO 1986).
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können Mindestlohnregelungen dienen, die Unternehmen veranlassen Angestellten auf eine bestimmte Art zu entlohnen, aber auch Arbeitsschutzregelungen, die Einfluss auf die Gesundheit von Angestellten haben, einzuhalten. Direkte sozialökologische Interventionen wirken dagegen (direkt) auf die Lebensbedingungen, die dann wiederum unmittelbar auf die einzelnen Menschen wirken. Luftreinhaltungsgebote können sich zwar auch an Unternehmen wenden, allerdings tritt der Einzelne, der durch solche Regelungen geschützt oder belastet wird, nicht mehr mit dem Unternehmen in Beziehung. Die direkten sozial-ökologische Interventionen können unterschiedliche Reichweite haben: Sie können sich eher auf die unmittelbare Umgebung und Wohnumgebung beziehen, oder auf größere, sogar globale Zusammenhänge. Maßnahmen zur Reduktion von Feinstaub können sehr kleinräumig vorgenommen werden, wohingegen die Reduzierung von FCKW überstaatliche Maßnahmen verlangt und nur dann weltweit Auswirkungen auf die Ressource Gesundheit haben kann. Die Interventionen können auf verschiedene Ressourcen hin ausgerichtet sein. Interventionen, die auf monetäre Ressourcen gerichtet sind oder zumindest Auswirkungen auf die individuelle Ausstattung mit monetären Ressourcen haben sind zum Beispiel Mindestlohnregelungen263, Regelungen zu einem Mindesteinkommen, beschäftigungspolitische Maßnahmen und Regelungen, Gesetze zur Kündigung und bei Arbeitslosigkeit, Infrastrukturmaßnahmen, Maßnahmen zur Stadt(teil)entwicklung, (Soziale Stadt) und Verkehrsplanung. Interventionen, die auf die Gesundheit gerichtet sind oder Auswirkungen auf die Gesundheit haben, sind zum Beispiel Gesetze und Maßnahmen, die die Gesundheit in der Wohnung, der Wohnumgebung und am Arbeitsplatz fördern sowie Maßnahmen der Gesundheitsförderung, der Gesundheitsprävention, der Luftreinhaltung, der Wasserpolitik, der Entsorgung, der Verkehrsplanung- und -sicherheit, wie auch Maßnahmen, die eine Infrastruktur zugunsten von Gesundheit vorhalten. Zu der vorgehaltenen Infrastruktur gehören beispielsweise Krankenhäuser oder Rettungsdienste. Bildung, psychische Ressourcen und functionings werden hauptsächlich in face-to-face-Settings erhöht beziehungsweise verbessert (vgl. Kaufmann 2005: 101f.). Sozial-ökologische Interventionen in diesen Bereichen bestehen hauptsächlich aus dem Vorhalten von Infrastruktur wie Schulen, Bibliotheken, Museen, Psychotherapie und sozialen Diensten. Ein Beispiel für Interventionen, die kein Vorhalten darstellen, sind Regelungen oder Maßnahmen zur betrieblichen Fort- und Weiterbildung oder zur Fort- und Weiterbildung von Arbeitslosen. Die Ausstattung mit sozialem Kapital kann beispielsweise durch Interventionen beeinflusst werden, die selbstorganisiertes Engagement organisatorisch oder finanziell unterstützt. Die Einrichtung von Kindertagesstätten oder gesetzlichen Re263
Bhatia / Katz 2001 bieten eine Abschätzung der Verbesserung der Gesundheitssituation bei Einführung eines Mindestlohns in San Francisco.
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gelungen der Arbeitszeit sind Maßnahmen, die sich auf die individuelle Verfügung über die Ressource Zeit auswirken. Die sozial-ökologischen Interventionen, direkte wie indirekte, wirken dann auf verschiedenen Übertragungswegen auf das Individuum, insbesondere auf seine Ressourcenausstattung (siehe Kap. 2.4.3.; s. a. Macintyre / MacIver / Sooman 1993, Macintyre / Ellaway / Cummins 2002). 4.2.8 Fazit Interventionen des Staates können auf verschiedene Weisen systematisiert werden. So kategorisierte die Implementationsforschung der 80er Jahre Interventionen eher anhand der unterschiedlichen Steuerungsmedien Macht, Geld und Recht. Mayntz (1980: 5) unterteilt in folgende Kategorien: 1.) regulative Politik, 2.) Anreize und finanzielle Transfers, 3.) öffentliche Erstellung von Infrastruktur und technische Dienstleistungen, 4.) Informations- und Überzeugungsprogramme und 5.) Setzung von Verfahrensnormen (s. a. Kaufmann 2005: 150, Fn. 46f.). Kaufmann unterteilt dagegen die Interventionsformen – wie schon gezeigt – in rechtliche, ökonomische, ökologische und pädagogische Interventionen. In dieser Arbeit wurde, indem die Zuteilung der verschiedenen Ressourcen und ihre Transformationen in den Mittelpunkt gestellt wurden, ein anderer Weg gegangen. Die Vorgehensweise erlaubt es, die Auswirkungen und Bedeutungen der Interventionen für den Einzelnen in den Blick zu nehmen; und das gilt insbesondere auch für Interventionen, die auf die Steuerung von Makrodaten ausgelegt sind. Die tatsächliche Wirkung von solchen Makrointerventionen, wie finanzielle Anreize für die Erhöhung von Geburtenziffern, wie eine Bildungspolitik, die eine auf einen zukünftigen Arbeitsmarkt abgestimmte Mengen von Bildung zuzuteilen möchte, oder wie die verschiedenen Steuerungsversuche der Wirtschaft (keynesanisch-nachfrageorientiert, neoklasssisch-angebotsorientiert oder monetaristisch), können nur dann umfassend verstanden werden, wenn ihre Verarbeitung durch den einzelnen Menschen berücksichtigt wird. In der Diskussion der Ressourcenzuteilung hat sich gezeigt, dass auch die Aneignung von Ressourcen voraussetzungsvoll ist: So müssen Gesundheitsdienstleistungen erst gekannt und genutzt werden. Bildungsangebote, deren Inanspruchnahme auf Eliten ausgerichtet ist und die auf ein hohes kulturelles Kapital und ein bestimmtes Selbstverständnis (psychische Ressourcen) der Herkunftsfamilie aufbauen, mögen formal gerecht erscheinen, stellen aber keine Chancengleichheit her und reproduzieren soziale Ungleichheiten. Auch können finanzielle Anreize für die Erhöhung von Geburtenziffern ins Leere laufen, wenn damit keine realen Handlungsspielräume für Frauen geschaffen werden, wenn also
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beispielsweise die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht verbessert wird. Mängel der Wahrnehmung der mit den Ressourcen verbundnen Chancen können wiederum abhängig von den Fähigkeiten und Kompetenzen sein. Was auf den ersten Blick wirken kann, als wäre es individuelles und vielleicht auch selbstverschuldetes Verhalten, kann sich auch als ein Fehlen von Fähigkeiten herausstellen. Nachdem nun die verschiedenen Teile der Ressourcentheorie vorgestellt wurden, also das Modell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualität (Kap. 4.1), die Zuteilung, Zuordnung beziehungsweise Allokation der verschiedenen Ressourcen (Kap. 4.2) und, bereits im zweiten Kapitel, die Transformationen durch die einzelnen Menschen, werden nun die verschiedenen Bereiche aufgezählt, die aus Sicht der Ressourcentheorie in Diskussionen über Lebensqualität und Gerechtigkeit berücksichtigt werden sollten: Ressourcen – Zu berücksichtigen sind alle relevanten Ressourcen. Es reicht nicht aus allein ungleiche Einkommen beziehungsweise Einkommenschancen zu betrachten oder zu diskutieren, da sich die ungleichen Einkommenschancen auch aus ungleichen Bildungschancen, Gesundheitschancen und Sozialkapitalchancen ergeben (siehe z. B. Maaser 2003: 26). – Die im Zusammenhang mit Aktivierungskonzepten geforderte größere Verantwortungsübernahme durch die Bürgerinnen und Bürger – so sie als Ziel definiert wird – setzt voraus, dass die einzelnen Menschen über ausreichende Ressourcen und Fähigkeiten verfügen (s.a. Opielka 2004: 87, Olk 2000: 121f.). – Zu erinnern ist an dieser Stelle auch an die Argumentation Sens, dass Ressourcen neben ihrem funktionalen Wert, also ihrer Bedeutung für die Produktion anderer Ressourcen, immer auch in ihrem intrinsischen Wert Beachtung finden müssen. Gesundheit, Bildung, Beziehungen und auch Einkommen haben neben ihrem funktionalen Wert immer auch einen intrinsischen Wert. Transformationen von Ressourcen / Fähigkeiten – Neben dem funktionalen und dem intrinsischen Wert haben Ressourcen zusätzlich eine Bedeutung als Lebensqualitäts-Indikator. Insoweit können sie als Resultat der Vergangenheit betrachtet werden. Es ist davon auszugehen, dass es lebensphasenspezifische Leitindikatoren gibt: So nimmt die unterschiedliche Entwicklung des kulturellen Kapitals (und wohl der psychischen Ressourcen), die später in der Schule und im Beruf große soziale Unterschiede und Stratifizierung produziert, bereits im Kleinkind- und Kindergartenalter ihren Ausgang. Unterschiede des kulturellen Kapitals führen dann zu
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unterschiedlichem Schulerfolg und unterschiedlichen Einkommen. Bildung und Einkommen bestimmen, insbesondere im Alter, die Gesundheit und in der Folge die Lebenserwartung. Auch wenn die Bedeutung der Ressourcenausstattung und der langfristigen Ressourcentransformation noch weiterer empirischer Untermauerung bedarf, so wird dennoch klar, dass Gerechtigkeitserwägungen und Diskussionen zur Chancengleichheit nicht nur alle Ressourcen sondern auch die Ressourcentransformationen einbeziehen müssen. – Neben diesen langfristigen Transformationen sind auch die mehr kognitiven Fähigkeiten (Kompetenzen) von Interesse. Auch sie haben neben einem funktionalen Wert, beispielsweise der employability, einen intrinsischen Wert: Die Fähigkeiten und Möglichkeiten (functionings) der Bürgerinnen und Bürgern bildet auch die Grundlage demokratischen und zivilgesellschaftlichen Handelns, welches über die bloße Abgabe der Stimmen bei Wahlen hinausgeht. Es wäre deshalb bedenklich, wenn sich die Ausbildung der Fähigkeiten alleine an Anforderungen des Arbeitsmarktes orientieren würde (vgl. Dingeldey 2005: 4). Lebensbedingungen Neben den Ressourcen, Fähigkeiten und capabilities haben immer auch die Lebensbedingungen einen Einfluss auf die Lebensqualität. Ungleichheiten in den Lebensbedingungen können Person relativ unabhängig von deren Handeln fördern oder behindern (s. a. Macintyre / MacIver / Sooman 1993). Die Beeinflussung der einzelnen Menschen geschieht dabei über ganz unterschiedliche Übertragungswege (siehe oben Kap. 2.4.3). Es wurde gezeigt, dass dabei Stress verursachende „soziale Lebensbedingungen“ genauso relevant sind wie Aspekte der sogenannten „ökologischen Lebensbedingungen“ (s. a. Adler / Newman 2002: 66f.). Verteilung von Ressourcen und Fähigkeiten Viele philosophische Konzepte basieren auf der Prämisse einer Ausgangssituation, in der eine Gleichverteilung von Ressourcen herrscht. Betrachtet man alle Ressourcen, so stellt sie eine Fiktion dar, die nur als Leitvorstellung dienen kann (vgl. Rauschenbach 2008: 52, Opielka 2004: 94). Menschen wachsen unter Lebensbedingungen auf, die sie nicht steuern können, und wenn sie alt genug geworden sind, ihr Leben „in die Hand zu nehmen“, dann sind sie bereits stark durch ihr vergangenes Leben geprägt. Wie könnte man solche Ungleichheiten korrigieren, falls man sie ungerecht finden würde? Kann man sie durch die Entwicklung der Fähigkeiten ausgleichen, eventuell durch frühpädagogische Förderung (siehe Kap. 4.3.3)? Oder müssten Gerechtigkeitskonzepte hier auf kompensatorische Ressourcenumverteilung zurückgreifen? Verschiedene Fürsprecher
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einer Politik der „zweiten Chance“ sehen eine Notwendigkeit Chancengleichheit permanenten herzustellen (vgl. auch Giddens 1999: 128f., 145f., s. a. Butterwegge 2005a: 237, Maaser 2003: 24, 28, Vogel 2004: 51). Eine Politik der „zweiten Chance“ müsste allerdings auf die individuell benötigten Entwicklungsschritte von Menschen eingehen – und sie setzt Menschen voraus, die die Grundkompetenz „Lernen“ entwickelt haben. Wenn diese Voraussetzung gegeben wäre, dann würden sich eine Politik der zweiten Chance und die Forderung nach lebenslangem Lernen sinnvoll ergänzen. Augenblicklich sind es allerdings hauptsächlich die gut gebildeten Schichten, die sich fort- und weiterbilden. Aspekte der Macht und des Tausches Diskussionen zu den Themen von Lebensqualität, Ungleichheit oder auch Gerechtigkeit können nicht unabhängig von Aspekten der Politik und der Ausübung staatlicher Macht diskutiert werden. Dabei scheint insbesondere das Verhältnis zwischen Bürger und Staat im Wandel zu sein. 4.3 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht „Dass der aktive Staat nicht nur in den Wirtschaftskreislauf, sondern auch in den Lebenskreislauf seiner Bürger eingriff, hatten die Reformer als ganz unproblematisch gesehen. Die Reform der Lebensbedingungen der Beschäftigten war ja das Ziel der sozialstaatlichen Programme.“ (Habermas 1985: 150)
Im Folgenden werden drei verschiedene aktuelle politische Leitbilder dargestellt und mit Hilfe der Ressourcentheorie analysiert. Das Leitbild des Aktivierungsstaates geht, verkürzt dargestellt, davon aus, dass die Bürgerinnen und Bürger selbstverantwortlicher handeln können und somit weniger des Sozialstaates bedürfen (Kap. 4.3.1). Im schon älteren Leitbild des Sozialinvestitionsstaates werden Ausgaben für sozialpolitische Belange nicht mehr als Konsumausgaben oder als gesellschaftliche Reparaturausgaben betrachtet, sondern als Investitionen, die einen zukünftigen Ertrag produzieren können (Kap. 4.3.2). Als Spezialfall des Sozialinvestitionsstaates kann der pädagogische Früh-Förderstaat angesehen werden. In diesem Leitbild wird die frühe Kindheit als Angelpunkt für die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern verstanden, die besondere sozialpolitische Aufmerksamkeit verdient (Kap. 4.3.3). In einem Fazit werden die Konzepte mit dem Leitbild des Befähigungsstaates in Verbindung gebracht (Kap. 4.3.4).
4.3 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht
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4.3.1 Der Aktivierungsstaat Während der gesamten Menschheitsgeschichte war Arbeit a priori gegeben. Sie hat die Menschen Jahrtausende lang begleitet, belagert, verfolgt. In den letzten Jahren hat sich dies geändert. Die Arbeit verfolgt nicht mehr. Wir verfolgen sie. Wir fahnden nach ihr. Mit allen Mitteln. Wie nach einem kostbaren Rohstoff. Oder wie Jäger nach der Beute. Die eigentliche Arbeit ist heute nicht mehr die Arbeit selbst, sondern die Suche nach Arbeit. Ein arbeitsloser Mensch ist nicht ein Mensch ohne Arbeit. Im Gegenteil. Er ist ein Mensch mit einer ungleich schwierigeren Arbeit, der Arbeit, überhaupt eine Arbeit zu finden. Arbeitssuche ist ein irreführendes Wort. Sucharbeit ist das Wort („Schule der Arbeitslosen“, Zelter 2006: 34).
Während in den 60er Jahren noch die active society postuliert (siehe S. 20) und in den 70ern und 80ern der Staat selbst als aktiver Staat beschrieben wurde (vgl. Kaufmann 2003: 160, Opielka 2004: 86, Trube 2003: 179), der aktive Sozialpolitik betrieb (Widmaier 1970), stand der Begriff aktiv um die jüngste Jahrhundertwende für die Idee, dass der Staat, nun als aktivierender Staat, seine „aktiven Bürger“ und Bürgerinnen (Dingeldey 2007: 189, vgl. z. B. auch Evers / Leggewie 1999) stärker darin unterstützt, dass sie eigeninitiativ und eigenverantwortlich handeln (können), und dadurch möglichst erst gar nicht in Situationen kommen, in denen sie sozialstaatliche Leistungen wie Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe benötigen (z. B. Merkel 2001, Cantillon / Bosch 2003: 554, Esping-Andersen 2002: 47): Um die Effizienzvorteile marktmäßiger Lösungen auch bei der Produktion sozialer Leistungen besser nutzen zu können, sollen die Wohlfahrtsstaatsbürger für den Markt fit gemacht werden – und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Fähigkeiten als auch hinsichtlich ihrer materiellen Ressourcen (Ullrich 2003a: 947).
Neben dieser Definition des Begriffs Aktivierung, die einem sozialliberalen Marktmodell entspricht, hat Ullrich (2003) zwei weitere Bedeutungen des Begriffs ausgemacht: Aktivierung stehe auch für die Vorstellung, dass der Staat die Bürgerinnen und Bürgern in ihrer Hilfe zur Selbsthilfe beziehungsweise bei der gegenseitigen, solidarischen Hilfe unterstützt (Ullrich 2003a: 947). Diese Vorstellung, die vom Kommunitarismus inspiriert ist, wird unter den Begriffen bürgerschaftliches Engagement und aktive Zivilgesellschaft diskutiert (s. a. Maaser 2003: 29f., Schröder 2000). Drittens könne Aktivierung in einem schlichten Verweis an den Markt bestehen: Sofern „Vermarktung“ und Aktivierung nicht einfach gleichgesetzt werden, […] erfolgt die Einführung von Marktelementen i. d. R., ohne dass damit eine dezidiert aktivierende Intention verbunden ist – jedenfalls keine, die über die harte „Schule des Marktes“ hinausginge, nach marktliberalen Vorstellungen ohnehin der einzige notwendige Aktivierungs- und Lernmechanismus (Ullrich 2003a: 950, Hervorhebung im Original).
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Mittlerweile zeichnet sich allerdings bereits eine weitere Verschiebung der Verwendung des Begriffs Aktivierung ab, bei der weder irgendeine Art von Förderungen oder Hilfeleistungen im Vordergrund steht noch der bloße Verweis auf den Markt, sondern bei dem es um eine neuartige Ausübung von disziplinierendem Zwang auf Empfänger sozialer Leistungen geht.264 Verschieden Autorinnen und Autoren haben Charakteristika dieser Veränderungen (für Deutschland) beschrieben: – Dingeldey (2005: 5) beobachtet, dass mit der Aktivierungspolitik eine individualisierende Neudefinition sozialstaatlicher Probleme einhergeht. Es sind nicht länger die Arbeitsmarktstrukturen, die als problematisch angesehen werden, sondern die Individuen, die sich als nicht marktgerecht genug erweisen. Mit dem Paradigmenwechsel zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik wurde die staatliche Verantwortung zum Erreichen des Vollbeschäftigungsziels, respektive der Steigerung der Nachfrage nach Arbeit, auch formell zurückgenommen und employability (Beschäftigungsfähigkeit) als neues Meta-Ziel der Arbeitsmarktpolitik benannt (Dingeldey 2005: 4).
– Das individualisierende Problemverständnis ist gekoppelt mit einer neuen Betonung der Pflichten im Verhältnis zwischen Staat und Bürger (Dahme / Otto / Trube et al. 2003: 10, Maaser 2003: 22, Dingeldey 2007: 189 s. a. Opielka 2003a). Beispielsweise werden die Leistungen der Arbeitslosenversicherung, die bisher eigentlich als Gegenleistung für die eingezahlten Beiträge verstanden wurden, an weitere Zugangsvoraussetzungen geknüpft, wie beispielsweise an eine Tätigkeit in einem Ein-Euro-Job (offiziell: AGH-MAE – „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“) oder wie die neuen niedrigeren Vermögensgrenzen, die eine Voraussetzung für das Arbeitslosengeld II darstellen (vgl. auch Kessl / Otto 2003: 59) und das fast vollständige Aufbrauchen des eigenen Vermögens als Bedingung für den Bezug von Arbeitslosengeld II bedeutet. Auf eine neue Verteilung von Pflichten und Rechten weisen auch die neuen „Eingliederungsvereinbarungen“ hin, die Arbeitslose in den Jobcentern unterschreiben müssen und die bereits sprachlich eine undurchsichtige Mischung zwischen einem privatrechtlichen Vertrag und einem öffentlich-rechtlichen Verwaltungsakt darstellen (Vogel 2007: 57, 75). Die Arbeitslosenverwaltung lässt hier einen rechtlichen Graubereich entstehen, der Arbeitslose systematisch entrechtet (Spindler 2005/2006: 180f). – Die Redefinition sozialer Probleme und deren Individualisierung werden durch diskursive Strategien des Staates wie der Moralisierung des Diskurses unterstützt. Einerseits geschieht dies durch die Beeinflussung öffentlicher Dis264
Davon sind neben dem Bereich Arbeitslosigkeit auch die Bildung und die Gesundheit betroffen. Siehe z. B. Kessl / Otto 2003: 62, Opielka 2004: 89.
4.3 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht
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kurse (siehe oben), wenn sie Themen wie den Mißbrauch, die Armutsfalle, eine Abhängigkeitskultur oder eine Kultur der Armut zum Inhalt haben (vgl. Opielka 2004: 90). Andererseits scheint auf Seiten der Verwaltung ein „Neusprech“ Einzug zu halten, der die Vorgänge für Außenstehende und Betroffenen zunehmend undurchsichtig macht. Wenn euphemistisch von „Eingliederungsvereinbarung“, „Kooperation“, „Koproduktion“, „Fördern“ und „Kunde“ gesprochen wird, so bekommen diese Worte neue Inhalte: Die im Rahmen der Aktivierungspolitik notwendige Kooperation zwischen Staat und Bürgern bzw. gesellschaftlich relevanten Gruppen wird als Prozess diskursiver Steuerung bzw. dialogischer Koordination beschrieben; betont wird dabei gerne die Freiwilligkeit des Kooperationsund Koproduktionsprozesses, der konsensuale Charakter der Verhandlungen, die gemeinsame Problemdefinition und die sich daraus ergebende Selbstbindung der beteiligten Akteure. Betrachtet man die der Koproduktionskonzeption zugrunde liegende Kooperationsform etwas näher, muss man sie als vertragliche, „kontraktuell“ fundierte beschreiben, da in sog. Kooperationsverträgen Ziele und Ergebnisse […] mit entsprechenden Folgeverpflichtungen für die vertragsschließenden Parteien festgelegt werden (Dahme / Wohlfahrt 2003: 89).
Diese Tendenz einer sich verändernden Sprache registriert auch Spindler (2003: 230): Gleichzeitig verändert sich das begriffliche Repertoire: aus den Leistungen zur Existenzsicherung wurden unter dem Einfluss der aus dem angloamerikanischen Raum hereinströmenden workfare-Diskussion […] „passive Transferleistungen“, die nur verwahren, ausgliedern, die Jugend verführen, das Volk sedieren (Spindler 2003: 230).
Tatsächlich werden die Bürgerinnen und Bürger eben nicht zu umworbenen „Kunden“, sondern zu einer „Sozialstaatsklientel“ (vgl. Dingeldey 2005: 5), die verstärkt unter Druck gesetzt wird. Auch die schrittweise Umdefinition des Begriffs der Aktivierung ist Teil dieser sprachlichen Veränderungen (s. a. Opielka 2004: 88). – Sozialpolitische Interventionen zielen zunehmend auf die schnelle Reintegration in den Arbeitsmarkt, egal zu welchen Bedingungen; Sozialpolitik wird nur mehr als Teil der Arbeitsmarktpolitik verstanden (Dahme / Wohlfahrt 2003: 90). Wieweit dabei gegangen wird zeigt exemplarisch der Versuch der ARGE Aachen eine Frau in das Rotlichtmilieu zu vermitteln (Eckert 2006). Dagegen wurden Förderungen durch Umschulung und Weiterbildung in letzter Zeit – zumindest in Deutschland – reduziert (Dingeldey 2007: 200). – Mit diesen euphemistisch als „Aktivierung“ benannten Änderungen ist für die Bürgerinnen und Bürger ein immer stärkerer Zwang zu einer „marktkonformen Lebensorientierung“ (Opielka 2004: 86) beziehungsweise zu einer „subjektiven Selbstmobilisierung“ (Kessl / Otto 2003: 62) verbunden.
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität Gerade der Eingriff des Staats in die Sphäre der Erwerbsarbeit, insbesondere in die Randlagen von Arbeitsmarkt und Beschäftigungssystem, war noch nie so mannigfaltig wie heute. Wer hierfür Belege sucht, dem genügt ein Blick auf die aktuelle Entwicklung von Arbeitsmarktund Sozialpolitik. Arbeitslose werden im Zuge gesetzlicher Neuregelungen aufgefordert, zunächst ihre Vermögensgegenstände aufzubrauchen, bevor sie staatliche Unterstützungsleistungen erhalten, qualifizierte Facharbeiter werden von den Arbeitsagenturen in die Leiharbeit gedrängt, Familien müssen vom Job-Mix im staatlich geförderten Niedriglohnsektor existieren, der berufliche Bestandsschutz ist aufgehoben, und nur noch kurzzeitig Arbeitslosen wird der Weg in weiterbildende und arbeitsschaffende Maßnahmen geebnet (Vogel 2004: 40).
Wie weit mit den neuen Regelungen in die Privatsphäre eingegriffen wird, kann beispielsweise auch an den US-amerikanischen family-capBeschränkungen gezeigt werden: Sie regeln, dass Frauen keine zusätzlichen Leistungen bekommen können, wenn sie während des Bezugs von Fürsorgeleistungen ein (weiteres) Kind bekommen. Mit solchen Regelungen soll in den USA verhindert werden, dass Sozialleistungen „missbraucht“ werden oder dazu führen, dass eine Unterstützung zu Verhaltensweisen verleitet, die weitere Kosten entstehen lassen (Graser 2001: 1254).265 – Hilfeleistungen werden stärker an (sozial-)pädagogische Eingriffe gebunden (Dahme / Wohlfahrt 2003: 96). Dies geht mit einer Neuausrichtung der angebotenen Dienstleistungen einher, die zunehmend durch einen paternalistischautoritären Geist geprägt sind und einen disziplinierenden Charakter erhalten (Dahme / Wohlfahrt 2003: 93, Trube 2003: 188, Opielka 2003, s. a. Lutz 2008). – Die Machtausübung wird dabei dezentraler und unsichtbarer; außerdem gibt es eine Verschiebung von einer direkten Menschenführung (Kessl / Otto 2003: 70) hin zu Selbsttechnologien, bei denen sich die Menschen mehr und mehr selbst kontrollieren: [Die] Reduzierung politischer Regelungsmacht, d. h. diese Schwächung bestehender staatlicher Herrschaftsinstanzen, wird durch die Substitution des Terminus „government“ durch den Neologismus „governance“ angedeutet. Von einer Reduzierung staatlicher Regulierungsmacht kann nun aber mit Blick auf die aktuellen Veränderungen von Vergesellschaftungsprozessen gerade nicht die Rede sein. Die veränderten Akteurskonstellationen führen zwar zu einer Struktur, die neben der direkten auch die indirekte Menschenführung i. S. einer Selbststeuerung der Individuen und Organisationen umfasst. Die Regulierungsmacht reduziert sich in diesem Prozess aber nicht, sondern wird eher noch konzentriert in den um die eigentliche Leistungserbringung entlasteten Administrationen (Kessl / Otto 2003: 70).
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Die mit den Änderungen einhergehenden und an der Vermarktbarkeit orientierten wachsenden Anforderungen an die „richtige“ Lebensweise werden unter den Begriffen des Arbeitskraftunternehmers (Voß / Pongratz 1998, Pongratz / Voß 2003) und des unternehmerischen Selbst (Bröckling 2007) diskutiert (s. a. Dahme / Wohlfahrt 2003: 86).
4.3 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht
267
Betrachtet man das Leitbild und die Praxis des Aktivierungsstaates aus der Perspektive der Ressourcentheorie, so beschreibt Aktivierung eigentlich die Hoffnung, dass die Bürgerinnen und Bürger mit weniger materiellen Ressourcen, Unterstützung und mit weniger psychischen Ressourcen (Kessl / Otto 2003: 68) eine bessere „Performance auf dem Arbeitsmarkt“ (Koch / Walwei / Wießner et al. 2002: 43) bringen. Die erhoffte Wirkung kann aber nur eintreten, wenn entweder die Bürgerinnen und Bürger bisher tatsächlich über ausreichende Fähigkeiten und Handlungsspielräume verfügt haben und diese in bedeutendem Umfang ungenutzt gelassen haben – oder aber wenn sie unterstützt werden. Mag das für Einzelfälle gelten (Spindler 2008: 10), so spricht dennoch vieles gegen eine solche Einschätzung. Ullrich schätzt die Situation so ein: Marktmechanismen schaffen zwar Wahl- und Kontrollmöglichkeiten; damit diese aber zu Wohlfahrtsgewinnen führen (z. B. durch die Stärkung der Positionen gegenüber Leistungsanbietern), müsse gesichert sein, dass die bestehenden Optionen auch tatsächlich genutzt werden. Dies könne bei der typischen „Sozialstaatsklientel“ (u. a. Pflegebedürftige, Kranke, Rentner) jedoch nicht einfach vorausgesetzt werden. Erforderlich sei daher eine parallele Erhöhung der „Marktkompetenz“, d.h. vor allem die Ausstattung der Nachfrager mit kulturellem und ökonomischem Kapital (Ullrich 2003a: 950).
Von einer verstärkten Aktivierung im Sinne von Maßnahmen der Befähigung, des Empowerment oder umfangreicherer Bildung oder Ausbildung kann aber zumindest in Deutschland keine Rede sein (Olk 2000, Dingeldey 2007: 191). Während in anderen europäischen Ländern wie beispielsweise Dänemark Maßnahmen der Aktivierung mit einem Ausbau von beruflichen Fördermaßnahmen einhergingen, wurde, in Deutschland, wie bereits erwähnt, die berufliche Weiterbildung und Umschulung zurückgefahren (Dingeldey 2007: 200); auch die angekündigte umfangreichere Ausbildung und Berufsausbildung junger Menschen scheint nicht umgesetzt zu werden. Es ist sogar fraglich, ob der Staat tatsächlich daran interessiert ist, die Selbstorganisation der Bürger zu stärken. So kommen Dahme und Wohlfahrt (2003) bezüglich der politischen Partizipation zu dem Schluss: Wenn Vertreter des aktivierenden Staates davon reden, dass politische Partizipation im Sinne des aktivierenden Staates eine weitere Bedeutung erhält als in den klassischen Demokratiekonzepten, dann kann damit nur gemeint sein, dass im Zuge der allgemeinen Ökonomisierung auch „politische Partizipation“ zum Bestandteil einer Leistungskette wird, in der der Bürger als Co-Planer des Rathauses tätig werden kann, allerdings als ein „von oben“ durch die Verwaltung inszeniertes Instrument, das auf Co-Produktion verpflichtet wird (Dahme / Wohlfahrt 2003: 86).
Wenn nun allerdings die von den Aktivierungs-Befürwortern vermuteten missbrauchten Handlungsspielräume und Fähigkeiten tatsächlich nicht existieren und die Bürgerinnen und Bürger nicht unterstützt werden, dann gleicht die beschrie-
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
bene Vorgehensweise eher einer „Quadratur des Kreises“, denn weniger Ressourcen erhöhen dann nicht die Handlungsfähigkeit, sondern sie führen zu geringeren Handlungsspielräumen sowie zu mehr Entmutigung und mehr Stress bei den Betroffenen. Letztendlich zeigt sich, dass eine Analyse der sich unter dem Begriff Aktivierung vollziehenden Prozesse neben einer Analyse der Veränderungen in den Ressourcenströmen auch eine machtorientierte Perspektive, wie sie im dritten Kapitel erarbeitet wurde, einnehmen muss: Eine veränderte Macht- und Interessenkonstellation geht mit sich verändernden Diskursen einher, die über politische Prozesse auf die institutionellen Strukturen einwirken. Das neue Wohlfahrtsdispositiv stellt keinen Abschied vom Staat dar, sondern eher eine Reinterpretation des Verhältnisses vom Staat zu seinen Bürgerinnen und Bürgern, so auch Berthold Vogel: Insgesamt können wir festhalten, dass wir es aktuell nicht mit einer Einbahnstraße zu immer weniger Staat zu tun haben, sondern mit veränderten Formen intensivierter politischer Steuerung über Kostenrechnung, Vertrag und Projekt. Viel spricht dafür, dass diese Veränderungen nicht ohne Konsequenzen für das soziale Ungleichheitsgefüge bleiben (Vogel 2007: 58).
Vermutlich wird dieser Zugriff auf die Bürgerinnen und Bürger asymmetrisch erfolgen: Auf einen Teil der Bevölkerung, wie beispielsweise auf Leistungsempfänger (Arbeitslose, Kranke oder Rentner) wird der Druck erhöht auf Grundlage von Diskursen, die Verantwortung individualisieren, und mit Empfehlungen wie „den Gürtel enger zu schnallen“ (Kohl) und „die Ärmel aufzukrempeln“ (Schröder) (s. a. Dahme / Wohlfahrt 2003, Dingeldey 2007: 190), während andere Teile der Bevölkerung mittels Steuererleichterungen entlastet werden. Eine solche Konstellation eines zunehmend ungleichen Zugriffs auf die Bürgerinnen und Bürger, die man als asymmetrische Kolonialisierung bezeichnen kann, könnte zu einer Spirale der Entsolidarisierung und zu einer neuen Spaltung der Gesellschaft führen (vgl. Vogel 2004: 41, 44f.). Kommt es dabei zu einer weitergehenden Kommodifizierung, dann könnten lebensqualitätsrelevante Themen wie Umweltschutz oder betrieblicher Gesundheitsschutz weiter aus dem Blick geraten.
4.3 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht
269
4.3.2 Der Sozialinvestitionsstaat Eine Politik der aktiven Arbeitsbeschaffung, die auch die Armut verringern will, erfordert eine Neuverteilung (keine Verringerung!) der Sozialausgaben, die von passiven Transferleistungen hin zu einem dienstleistungsorientierten Modell, das nicht nur soziale Sicherheiten garantiert, sondern auch vorhandene Fähigkeiten optimal nutzt und zur Geltung bringt. (Cantillon / Bosch 2003: 555)
Das Leitbild des Sozialinvestitionsstaates geht auf die Einsicht zurück, dass Sozialpolitik nicht nur ein Kostenfaktor ist, sondern dass diese Ausgaben für „Soziales“ teilweise als Investitionen für die Zukunft gesehen werden können. Unter Sozialinvestitionen können wohlfahrtsstaatliche, aber auch private Leistungen verstanden werden, von denen individueller oder sozialer Nutzen in der Zukunft erwartet werden. So können „sozialinvestive“ von „sozialkonsumtiven“ Sozialleistungen unterschieden werden (Merkel 2001: 151). Der investive Charakter wird insbesondere bei Ausgaben für die Bildung und Gesundheit einzelner Menschen gesehen, da diese Ressourcen Grundvoraussetzungen für Erwerbsarbeit bilden. In einem weiteren Sinne wird der Begriff auch für Infrastrukturinvestitionen wie Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen und Universitäten verwendet (vgl. Marx 1970: 49), und sogar für präventive Maßnahmen, die helfen, zukünftige Opportunitätskosten zu vermeiden. Beispielsweise kann die Jugendhilfe helfen Kosten zu sparen, die durch hohe Kriminalität entstehen (Macsenaere 2008: 259). Eine Strategie, die Sozialinvestition konsequent in ihren Mittelpunkt stellt, besteht in einer […] Gewichtsverlagerung von der traditionellen Sozialleistungspolitik hin zu einer Sozialinvestitionspolitik. Diese Verschiebung der Gewichte ist plausibel: Je mehr und bessere Sozialinvestitionen durchgeführt werden, desto weniger Hilfeleistungen und Korrekturen sind später erforderlich – ohne das Sozialleistungen jedoch ganz abgebaut werden müssen und können (Widmann 1970: 12).
Im Bereich Gesundheit könnte eine sozialinvestive Strategie in der Betonung von Gesundheitsförderung und Prävention gegenüber der Behandlung und Rehabilitation liegen. Vergleich man die Wohlfahrtsregime, so zeigt sich, dass manche Staaten, wie beispielsweise Deutschland, eher monetäre Ressourcen an Menschen verteilen, die im späteren Lebensverlauf in problematische Lebenssituationen gekommen sind, wohingegen andere Staaten das Schwergewicht eher auf eine umfassende Integration in den Arbeitsmarkt setzen (Dingeldey 2007, 2005, Holtmann / Mutz / Buchheister et al. 2007: 238, Cantillon / Bosch 2003: 555, Esping-Andersen 1997: 241f.). Dementsprechend unterscheidet Leisering zwischen „Sozialinvestitionsstaaten“ und „Transfer- und Umverteilungsstaaten“ (Leisering 2003:
270
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
179). Man könnte auch von mittelalterlichen Transferstaaten sprechen, da Transfers mit geringer investiver Bedeutung vor allem an Menschen ab dem mittleren Alter gehen (Langzeitarbeitslosigkeit, Frühpensionierung, Abwrackprämie), aber auch, weil man in der Versorgung armer Menschen durch Spenden im Mittelalter den Ursprung heutiger Transferstaaten sehen könnte. Ähnlich wie Leisering unterscheiden Allmendinger und Leibfried (2002) zwischen „nachträglich ausgleichender Sozialpolitik“ und „Bildungssozialpolitik“; sie benutzen dafür die folgenden Kriterien und Merkmale: Tabelle 12: Bildungs-Sozialpolitik vs. nachträglich ausgleichende Sozialpolitik Bildungs-Sozialpolitik
Nachträglich ausgleichende Sozialpolitik
Lebensphase
eher Jugend
eher Alter
Zeitliche Ausrichtung
Zukunft (prospektiv)
Vergangenheit (retrospektiv)
Sachlicher Zuschnitt
Verändernde Gestaltung der Bedingungen zukünftiger Marktprozesse
Reagierende Beeinflussung von feststehenden Marktergebnissen
Typischer Zuschnitt des sozialpolitischen Zugangs
Vorgreifende Qualifizierung durch Dienstleistungserbringung
Ausgleichsleistung durch Geldzahlung
Statusbezug
statusherstellend
statuserhaltend
Quelle: Allmendinger / Leibfried 2002: 292 Die unterschiedliche Schwerpunktsetzung der Wohlfahrtsregime hat Wolfgang Merkel (2001) durch eine empirische Studie bestätigt: [In] den sozialkonsumtiven Ausgaben führen die kontinentaleuropäischen Länder, während sie in den sozialinvestiven Ausgaben an letzter Stelle liegen. […] [D]en unteren Schichten wird die zentrale Aufstiegsleiter ‚Bildung’ nicht zureichend geöffnet. Es droht eine Festzuschreibung ihrer untergeordneten Position in Wirtschaft und Gesellschaft (Merkel 2001: 151).
Das Konzept der Sozialinvestitionen ist nicht neu; bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurde „der wirtschaftliche Wert der Sozialpolitik“ (Gesellschaft für soziale Reform 1931) thematisiert, unter anderem unter dem Titel der „Menschenökonomie“ (vgl. Bröckling 2003: 6f.). Ab den 70er Jahren verbreitete sich dann – im Zusammenhang mit den sozialtechnologischen Ideen dieser Zeit – der Begriff der Sozialinvestition erneut (Sanmann 1970, Ahrns 1971, vgl. auch Vobruba 1989). Neue Aktualität hat es dadurch erlangt, dass Giddens es als Element des Leitbildes des „drittes Weges“ für die britische neue Linke ins Spiel gebracht hat (Giddens 1999). Anscheinend erwies es sich in dem durch Thatche-
4.3 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht
271
rismus und Neoliberalismus geprägten britischen Wohlfahrtsdiskurs der 90er als eines der wenigen „passablen“ Argumente, die noch zu Gunsten von Sozialpolitik angeführt werden konnte (vgl. Lister 2004: 157f.). Allerdings wurde das Konzept in dieser neuen Phase der Diskussion mit anderen Elementen, insbesondere mit Teilen des Leitbildes der „Aktivierungspolitik“ vermischt. So diskutiert Giddens unter dem Begriff des social investment state nicht nur die Forderung nach lebenslangem Lernen (Giddens 1999: 145), sondern auch Forderungen nach einem Abbau direkter Zahlungen (ebd. 137) und der Ermunterung zu risikoreicherem Verhalten. „Eine risikoreichere Einstellung sollte, wenn möglich durch Anreize, wenn nötig durch gesetzliche Verpflichtungen gefördert werden“ (ebd. 143). Weiter plädiert er im Zusammenhang mit den Sozialinvestitionen – etwas nebulös – für „stärker ortsbezogene Verteilungssysteme“ (ebd. 137) und die Benützung des Gemeinwesens für die Armutsbekämpfung (ebd. 129). Sozialinvestive Maßnahmen versteht er als eine Abkehr von der Umverteilungsidee des „prinzipiell undemokratischen […] Wohlfahrtsstaats“ (ebd. 132) hin zu einer gerechteren „Umverteilung von Chancen“ (ebd. 118). In der Folge der englischen Diskussion, und nicht zuletzt durch das Schröder-Blair-Papier266, das auch auf die Sozialinvestitionen eingeht, wurde diese Leitidee auch in Deutschland wieder verstärkt diskutiert. Auch in dieser Diskussion werden Aspekte der Sozialinvestition mit Aspekten der Aktivierung und ökonomisierenden Betrachtungen des menschlichen Lebens verbunden: So versteht Priddat (2004) unter Sozialinvestitionen nicht allein die Betrachtung sozialer Leistungen unter Investitions-Gesichtspunkten, sondern den Ersatz bisheriger öffentlich-rechtlicher Ansprüche durch ein privatrechtliches Vertragsverhältnis – beziehungsweise Pseudo-Vertragsverhältnis (Spindler 2008: 12). Eine Bürgerin oder ein Bürger geht einen – jeweils spezifischen – Kooperationsvertrag mit dem Staat ein. X verpflichtet sich, die Lage, in der er [Sozialtransfers] beziehen soll, selbständig und in Kooperation mit dem Staat aufzuheben. Wir haben es mit einem neuen Begriff der „Sozialarbeit“ zu tun, die nicht mehr ein dafür Angestellter an den Bedürftigen leistet, sondern die die Bedürftigen an sich und für sich selbst leisten, um aus der Situation herauszukommen, in der sie bedürftig sind. […] Es geht nicht mehr um soziale Verteilung an Bedürftige, sondern um social investment. Social investment ist die Bereitschaft des Staates, in ein Mitglied der Gesellschaft zu investieren, um den Zustand der Bedürftigkeit in einen Zustand des re-entry in selbständige Einkommensgenerierung herzustellen. Aus den returns on investment, d.h. aus dem dann erreichten Ein266
Das Schröder-Blair-Paper greift den Gedanken der Sozialinvestitionen zwei Mal auf: „Daher besteht die wichtigste Aufgabe der Modernisierung darin, in Humankapital zu investieren, um sowohl den einzelnen als auch die Unternehmen auf die wissensgestützte Wirtschaft der Zukunft vorzubereiten“ (Schröder / Blair 1999: 889). „Moderne Sozialdemokraten sind keine Laissez-faireNeoliberalen. Flexible Märkte müssen mit einer neu definierten Rolle für einen aktiven Staat kombiniert werden. Erste Priorität muß die Investition in menschliches und soziales Kapital sein“ (ebd. 892).
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität kommen, wird über Steuern und Senkungen der sonst anfallenden Sozialtransfers eine Rückzahlung erreicht (Priddat 2004: 92).
Typisch für die jüngste Umdefinition des Sozialinvestitionsgedanken in Großbritannien und Deutschland ist also die Verquickung mit „aktivierenden“ Elementen, die in erster Linie an einer schnellen Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt orientiert ist (vgl. Dingeldey 2007: 189) und damit an möglichst geringen, kurzfristigen Investitionen. Dieser „work-first“ genannte Ansatz (Fromm / Sproß 2008: 257) hat natürlich weder etwas mit der ursprünglichen Idee höherer oder effizienteren Investitionen in Bildung zu tun, noch mit der Verbesserung der Fähigkeiten und Möglichkeiten der Menschen zugunsten eines besseren Lebens267, noch mit Gerechtigkeitsvorstellungen, die bisher im Zusammenhang mit dem Konzept diskutiert worden sind: Sozialinvestitionen vermitteln die Grundlage für die Verwirklichung individueller Lebenschancen […] [Ich] sehe Sozialinvestitionen […] als Vehikel der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Sicherheit, der Rationalität und des Fortschritts. […] Dabei muss jedoch klar sein, dass eine derart allgemeine Formulierung für alle wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen des Staates gilt und dass der Grenzverlauf zwischen Transferzahlungen oder Sozialkonsum und Sozialinvestitionen bei einer derartigen Zielformulierung nicht klar erkennbar ist. Kann man das Kindergeld als Sozialkonsum, Ausbildungsbeihilfen dagegen als Sozialinvestitionen bezeichnen? Beide vermitteln die Grundlage für die Verwirklichung individueller Lebenschancen (Marx 1970: 51).
Fassen wir zusammen: Das ursprüngliche Leitbild des Sozialinvestitionsstaates stellt zumindest einen Ansatz dar, der das Potential hat, die Wichtigkeit von Ressourcen und Kapitalarten für die zukünftige Entwicklung von Menschen zu klären. Allerdings wird dabei bisher nur auf die Ressource Bildung abgestellt, weniger auf Gesundheit oder psychische Ressourcen etc. Eine umfassende Investitionsperspektive müsste sich aber auch die Frage nach dem Zusammenwirken verschiedener Ressourcen stellen. Schließlich waren die angelsächsischen Ländern mit ihrer sozialinvestiven Bildungs-Strategie bisher genauso erfolglos darin soziale Ungleichheit oder auch Arbeitslosigkeit zu verringern und mehr Chancengleichheit zu erreichen, wie die transferorientierten Ländern (s. a. Giddens 1998: 31). Fast könnte es scheinen, als ob die Betonung der jeweils verfolgten einen Strategie die Funktion hat, die anderen Mechanismen, die soziale Ungleichheit aufrechterhalten, unangetastet zu lassen (vgl. auch Esping-Andersen 2003). Was in der Diskussion des Sozialinvestitionsstaates auch fehlt, ist eine Berücksichtigung des time lags. Würde man heute beginnen, soziale Ungleichheit über Bildung herzustellen, dann ließen die egalisierenden Effekte fast eine Generation auf sich warten. Konsequenterweise müsste solange auch mit „stra267
Siehe zu den finanzpolitischen Aspekten von Sozialinvestitionen: Kullmer 1970
4.3 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht
273
fenden“ Aktivierungsmaßnahmen gewartet werden, die denjenigen gelten sollen, die es angeblich verpasst haben, auf diese Angebote einzugehen. Die Langzeitarbeitslosigkeit von heute stellt sich aber mehr und mehr – und gerade in der Perspektive der Sozialinvestitionen – als das Produkt einer verfehlten Bildungs- und Sozialinvestitionspolitik der Vergangenheit dar (Esping-Andersen 2002: 44, s. a. Reinberg / Hummel 2005). Insbesondere in den neueren Konzepten gilt eine schnelle Wiedereingliederung „zu jedem Preis“ in den Arbeitsmarkt als vorrangiges Ziel. Das stellt gegenüber früheren Konzepten (siehe z. B. Nell-Breuning 1970) wie auch gegenüber dem Capability-Ansatz von Amartya Sen, der die Handlungsspielräume an den Zielen des einzelnen Menschen misst, eine starke Reduktion dar. Das ökonomische Kalkül, das dem Sozialinvestitionsgedanken zu Grunde liegt, kann auch den Ausschluss von Integrationsmaßnahmen und Arbeitsmarkt von derjenigen bedeuten, in die sich nicht mehr zu investieren lohnt (Dahme / Wohlfahrt 2005). Dabei stellt sich nicht nur die Frage nach der Diagnose- und Prognosefähigkeit der Ämter, die darüber entscheiden, ob es sich in einen Arbeit suchenden Menschen noch zu investieren lohnt, sondern es wird auch klar, dass bei einer solchen Vorgehensweise wiederum keine Handlungsspielräume erzeugt, sondern vernichtet werden. Umschulungen und Fortbildungen kommen gemäß dem Investitionsgedanken den jüngeren und besser ausgebildeten Arbeitssuchenden zugute, was die Schere zwischen den Menschen mit großen und kleinen Chancen und Handlungsspielräumen immer weiter öffnet. Dies kann unter Gesichtspunkten der Gerechtigkeit und der Gleichstellung neue Probleme darstellen.
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
4.3.3 Der pädagogische Früh-Förderstaat Was sagt wohl Schröder dazu, ich glaub ich ruf ihn mal an, sag zu ihm: Gerhard, schau dir doch unsere Jugend mal an, ein Drittel starrt mit offenem Mund auf ihre Playstation, das zweite Drittel feiert im Exzess als Rave-Nation, abhängig von teuflischen pharmazeutischen Erzeugnissen, weil sie nicht wussten, was diese scheiß Drogen bedeuteten, das dritte Drittel hängt perspektivlos rum auf deutschen Strassen, Kids mit 13 Jahren ziehen sich schon dies` weiße Zeug in die Nasen, […] denken zur Not geht es wie bei Nintendo noch neu zu starten, scheißen drauf ob sie bald sterben, wer will schon alt werden, in diesem Land, in dem mehr Schranken stehen als es Wege gibt, mehr Mauern als Brücken gibt – Stimmung ist negativ, für die Alten: Darum rauchen wir täglich Weed, und deshalb sind ich und meine ganze Generation so depressiv. (Samy Deluxe: Aus dem Lied „Weck mich auf“. Deluxe 2010)
Das jüngste Staats-Leitbild stellt frühpädagogische Interventionen in sein Zentrum und fokussiert auf den Ausbau der Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern, insbesondere von Kleinkindern, um die bestmögliche Grundlage für die weitere Entwicklung der Kinder zu erreichen. Es kann daher als pädagogischer Früh-Förderstaat beziehungsweise als (früh-)pädagogischer Förderstaat bezeichnet werden. In der Idee des pädagogischen Früh-Förderstaates treffen verschiedene Ideen und Erwartungen zusammen: Erstens geht es um förderliche Erziehung als Selbstzweck. Der in Deutschland weit verbreitete Diskurs der Schädlichkeit außerhäuslicher Betreuung von Kindern im Allgemeinen und insbesondere von Kindern unter drei Jahren, hat sich in letzter Zeit eher zu einem Diskurs über die Chancen der Betreuung in Einrichtungen wie Kindergrippen, Kindergärten und Kindertagessstätten entwickelt (siehe z. B. Rauschenbach 2008). Einige prominente Fälle der Verwahrlosung von Kindern haben die Thematisierung der Erziehung in Einrichtungen beschleunigt (vgl. Deutscher Bundestag 2009: 9). Zweitens wurde in den letzten Jahren die frühkindliche Phase als entscheidende Bildungsphase entdeckt (Esping-Andersen 2002: 49f., Volkert 2008). Es hat sich gezeigt, dass die soziale Vererbung nicht in allen Ländern gleich groß ist, und dass ein Abbau von Bildungsungleichheit nur dann erreicht werden kann, wenn das Entstehen von Defiziten in der Entwicklung von Kindern, die später für die großen Diskrepanzen im Bildungserfolg verantwortlich sind, bereits im vorschulischen Alter vermieden wird (Esping-Andersen 2002: 49f., 2003, Sell 2005: 69). Vom Besuch von Kindergrippen und Kindergarten, gerade von Kindern aus „bildungsfernen“ Familien, erhofft man sich eine Angleichung der Bil-
4.3 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht
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dungschancen in der Schule (Esping-Andersen 2003, 2002: 27). Tatsächlich ist es in Schweden gelungen, den Schulerfolg der Kinder von Bildung und Beruf der Eltern abzukoppeln (ebd.); dieser Zusammenhang stellte bisher eine Konstante bildungssoziologischer Forschung dar. All dies spricht für ein verstärktes Engagement in der Frühpädagogik in Einrichtungen wie auch für eine verstärkte Unterstützung der Eltern bei der Erziehung und Bildung ihrer Kinder (Rauschenbach 2008, Dohmen 2005: 31). Drittens ist die Hoffnung auf bessere Bildungsergebnisse auch von einem Investitionsgedanke geleitet (Sell 2005); insofern stellt das Leitbild des pädagogischen Früh-Förderstaates eine besondere Form des Sozialinvestitionsstaates dar (Lister 2003, 2004). Es wird argumentiert, dass „Investitionen“ in das frühe Leben eine höhere Rendite haben, beziehungsweise, dass es schwierig ist, Defizite an Bildung und Fähigkeiten im höheren Alter auszugleichen (Esping-Andersen 2003, 2004: 297, vgl. auch Kristen 1999: 17). Erziehung und Bildung im (frühen) Kindesalter kann einmal als präventive soziale Investition verstanden werden, die zukünftige soziale Kosten – genauer gesagt: Opportunitätskosten – verhindern soll, die durch Kriminalität und Drogenkonsum etc. einige der Kinder anfallen (siehe Dohmen 2005: 31, Barnett / Belfield / Nores 2005: 130f). Andererseits wird das Engagement für Bildung als Bildungsinvestition betrachtet, das sowohl hohe private wie auch hohe soziale Erträge „erwirtschaftet“ (Sell 2005: 63). Investitionen in Bildung gelten sogar langfristig als wachstumsfördernder als die Akkumulation von Kapital (vgl. Kaufmann 2005: 236, Deutscher Bundestag 1995: 26). Von Seiten „der Wirtschaft“ werden Investitionen in Bildung verstärkt eingefordert, da befürchtet wird, dass mit dem Bevölkerungsrückgang nicht mehr ausreichend gut ausgebildete Arbeitskräfte zu Verfügung stehen (VhU 2005, McKinsey / Robert Bosch Stiftung 2008, 2009, vbw 2003, 2004, s. a. Dohmen 2005, Leszczensky / Frietsch / Gehrke et al. 2009, Esping-Andersen 2002: 2). Während es für den Besuch unterschiedlicher Schulzweige und Ausbildungen recht genaue Rendite-Berechnungen gibt, wird der Begriff der Sozialinvestition im Bereich der Frühpädagogik, wie auch in anderen Bereichen, eher als Metapher verwendet. Nur wenige Untersuchungen versuchen alle Ergebnisse zu quantifizieren, wie beispielsweise die amerikanische High/Scope Perry Preschool Study, (Schweinhart / Montie / Xiang et al. 2005), die nach einer 40-jährigen Begleitung der Versuchspersonen und umfangreichen Kosten-Nutzen-Analysen zu dem Ergebnis kommt: In constant 2000 dollars discounted at 3%, the estimated economic return to society for the High/ Scope Perry Preschool Project was $258,888 per participant on an investment of $15,166 per participant—$17.07 per dollar invested. Of that return, $195,621, $12.90 per dollar invested, went to the general public and $63,267 went to each participant. Of the public return, 88% came from crime savings, and 1% to 7% came from either education savings, increased taxes due to higher earnings, or welfare savings. Remarkly, 93% of the public return was due
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität to males because of the program’s large reduction of male crime, and only 7% was due to females (Barnett / Belfield / Nores 2005: 131).
In seinem Konzept der „child-centred social investment strategy“ verbindet Esping-Andersen (2002) die pädagogischen und bildungsinvestiven Argumente mit weiteren sozialpolitischen Zielen: – Der Besuch von Kindertagesstätten erlaubt eine bessere Vereinbarkeit des Familien- und des Arbeitslebens. Dies ermöglicht eine Verbesserung der beruflichen Gleichstellung von Frauen (Esping-Andersen 2002: 44). In Ländern wie Deutschland, in denen Mütter nach der Geburt von Kindern häufig lange Zeit vom Arbeitsmarkt fernbleiben, ist der Unterschied in der Bezahlung von Männern und Frauen größer als in Ländern wie Schweden und Frankreich, in denen es ein qualitativ gutes, finanziell gefördertes Betreuungsangebot gibt.268 – Durch ein gut ausgebautes System der Kinderbetreuung kann auch Familienund Kinderarmut verhindert werden. Länder in denen beide Elternteile beziehungsweise allein Erziehende eine hohe Erwerbsbeteiligung haben, zeichnen sich regelmäßig durch niedrigere Armutsquoten aus (Esping-Andersen 2002: 37, 42; s. a. Adler / Newman 2002: 63). Hohe Armutsraten von Alleinerziehenden ergeben sich dagegen vor allen in solchen Ländern, in denen es wenige Möglichkeiten gibt, seine Kinder extern betreuen zu lassen (Esping-Andersen 2002: 35, s. a. 1997: 241). – Außerdem sind in Ländern, die die Möglichkeit der Vereinbarkeit verbessern, auch die Geburtenraten höher sind. Die niedrigen Geburtenraten in manchen Ländern in Europa ergeben sich nicht aus dem Wunsch von Frauen weniger Kinder zu bekommen; der Kinderwunsch ist in Europa überall ähnlich hoch, er liegt bei ca. 2,4 Kinder pro Familie (Esping-Andersen 2003, 2002: 63). Allerdings erweist sich die Realisierung des Kinderwunsches als abhängig von den Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (EspingAndersen 2003, 2002: 59f.). – Des Weiteren sieht Esping-Andersen positive Auswirkungen einer „childcentred social investment strategy“ auf den Arbeitsmarkt. Einerseits werden für die Umsetzung einer ausgebauten Frühpädagogik und einer umfangreicheren Bildung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen Arbeitskräfte benötigt (siehe z. B. Roßbach 1996). Laut Rauschenbach führt der in Deutsch268
Die Einkommensunterschiede entstehen durch mehrer Mechanismen: Frauen bekommen nach einer Babypause schlechter bezahlte Jobs, weil sie weniger Berufserfahrung haben. Allerdings zeigt sich, dass Arbeitgeber Frauen bei Beförderungen benachteiligen, weil sie annehmen, dass sie Kinder bekommen könnten. Auch wählen in Ländern, in denen die Betreuung zu Hause durch die Mutter den Normalfall darstellt, Frauen eher Berufe, die sich mit Familie besser vereinen lassen, aber eventuell auch schlechter bezahlt sind.
4.3 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht
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land geplante Ausbau der Kindertagesstätten bis 2013 zu einem zusätzlichen Bedarf an 44.000 Vollzeitstellen für Erzieherinnen und Erzieher gegenüber dem Jahr 2006 (Rauschenbach 2008: 64). – Ein Mehr an Bildung und Fähigkeiten der nachkommenden Generationen könnte langfristig zu weniger Langzeitarbeitslosigkeit führen, die Esping-Andersen hauptsächlich auf Bildungsdefizite zurückführt (Esping-Andersen 2002: 44), wie auch zu einer Entlastung des Teilarbeitsmarktes gering qualifizierter Jobs. Dies könnte sogar zu relativ höheren beziehungsweise zu weniger schnell sinkenden Löhnen in diesem Bereich führen (Esping-Andersen 1997: 240). Betrachtet man das Leitbild des pädagogischen Früh-Förderstaates aus einer ressourcentheoretischen Perspektive, so haben Kindertagesstätten dort eine mehrfache Funktion: Einerseits vermitteln Sie den Kindern Bildung und Fähigkeiten. Dabei ist die Qualität der Betreuungsangebote von entscheidender Bedeutung (Esping-Andersen 2003, 2002: 50, Roßbach / Kluczniok / Kuger 2008: 153, Gottschall 2001: 18, s. a. Deutscher Bundestag 2009: 194). Des Weiteren stellen sie Einrichtungen dar, die den Eltern die Ressource Zeit zur Verfügung stellen. Diese Zur-Verfügung-Stellung von Ressourcen interagiert allerdings auch mit den ökonomischen Ressourcen: Esping-Andersen weist darauf hin, das gerade der egalisierende Effekt nur dann erreicht werden kann, wenn die Betreuungsund Bildungsangebote möglichst viele und insbesondere auch Kinder aus „bildungsfernen“ Familien erreichen (vgl. zur Erreichbarkeit: Geier / Riedel 2008: 18f.). Anderenfalls wären sie nur ein neuer Mechanismus der Stratifikation. Nachdem private Angebote sehr teuer sein können, schlägt er vor die Betreuung, Erziehung und Bildung in Tagesstätten kostenlos anzubieten (Esping-Andersen 2003: 61). Kaum diskutiert werden in der Öffentlichkeit bisher die Auswirkungen des Besuchs von Kindertagesstätten auf die Gesundheit; allerdings etablierte sich dazu in den letzten Jahren ein ausführlicher fachlicher Diskurs zu den Möglichkeiten der Gesundheitsförderung und -prävention in Kindertagesstätten (Kliche / Gesell / Nyenhuis 2008, Meyer-Nürnberger 2001, 2002). Soweit es zu einer Umsetzung des Leitbildes des pädagogischen Früh-Förderstaates kommt, ist allerdings zu erwarten, dass die konkrete Ausgestaltung je nach Wohlfahrtsregime divergiert: Anzunehmen ist, dass ein liberaler Wohlfahrtsstaat gemäß dem Anspruch der Minimalisierung von Unterstützung Kinderbetreuungskosten nicht in vollem Umfang übernehmen wird. In einem solchen System könnten dann Betreuungslösungen mit sehr unterschiedlicher Qualität nebeneinander existieren, wie es bereits in den USA der Fall ist:
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität Die Verteilung vorschulischer Betreuung in Amerika ist ein Spiegelbild elterlicher Finanzkraft. Eine Minderheit genießt qualitativ hochwertige Betreuung; der große Rest muss sich mit informeller Betreuung (etwa durch die alte Dame von gegenüber) zufrieden geben oder ganz auf Betreuung verzichten [269]. Deshalb erreichen amerikanische Kinder das Schulalter bereits in hohem Maße sozial geschichtet und sortiert. Deshalb weisen die Vereinigten Staaten so ungewöhnlich starke Korrelationen zwischen der sozialen Herkunft und den Lebenschancen ihrer Bürger auf (Esping-Andersen 2003: 7).
Was den Wohlfahrtsdiskurs betrifft, so könnte es eine Entwicklung dahin geben, dass das Abhängigkeits-Argument im sozialstaats-phobischen liberalen Wohlfahrtsregime irgendwann auch auf Kinder ausgedehnt wird: Mögen Kinder noch als „gute Arme“ erscheinen, die ihre Armut nicht selbst verschuldet haben, so ist auch eine Kritik an einer umfassenden Förderung von Kindern möglich, da – so könnte in Zukunft argumentiert werden – jene Kinder, die den „Geist der öffentlichen Unterstützung einatmen“, später als Erwachsene diese Art der öffentlichen Bewältigung von Problemen auch in anderen Bereichen erwarten und einfordern. Länder des sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimes nutzen tendenziell die Lenkungseffekte des Steuersystems, des Arbeitsmarktes und der Ausgestaltung der Kinderbetreuung so, dass ein Anreiz, entsteht Kinderbetreuungsangebote anzunehmen. Je nach Einkommens- und Familiensituation können sie starke Zwänge darstellen. Beispielsweise werfen Kritiker dem schwedischen Staat vor, durch das Steuerrecht das Erziehen von Kindern zu Hause unmöglich gemacht zu haben (siehe z. B. Gustafsson 2002, vgl. Prütz 2004 für Deutschland). Solche Kritik rückt das schwedische System in die Nähe zum vergangenen realsozialistischen Wohlfahrtsregime. Der starke Druck, das Kind möglichst früh in eine Tagesstätte zu geben und wieder zu arbeiten, stellt aus dieser Perspektive einen unerwünschten bzw. unerlaubten Eingriff in die Privatsphäre dar. Wie wir gesehen haben (siehe S. 193) zeichnet sich das Wohlfahrtsdispositiv des konservativen Wohlfahrtsstaates einerseits durch seine starke stratifikatorische Kraft aus, andererseits durch die Ambivalenz seiner Interventionen, in denen Rechte – wie schon zu Bismarcks Zeiten, am Ursprung des Wohlfahrtsstaates – so zugeteilt werden, dass sie gleichzeitig Gehorsam einfordern und helfen, die staatliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Wollte man für eine Abschätzung zukünftiger sozialpolitischer Themen und Diskussionen die Leitidee des pädagogischen Früh-Förderstaates mit der Erfahrung der starken Stratifikation des konservativen Wohlfahrtsstaates in Verbindung bringen, so könnte man auf die Idee kommen, dass nach der Welt der Arbeit und der Schule nun die Welt der Frühpädagogik als neue Sphäre der Stratifikation entdeckt wird. In der Schule wird Stratifikation durch einen Glauben an genetische Begabung, also durch Naturalisierung, legitimiert – und zugleich produziert. Ein Transfer dieser stratifizieren269
Esping-Andersen zitiert hier Waldfogel 2002.
4.3 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht
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den Mechanismen könnte darin bestehen, die Dreigliedrigkeit der Sekundarstufe auf Kindergarten, Vorschule und Grundschule auszudehnen. Denn wenn unterschiedliche Begabungen den Grund für die Dreigliedrigkeit des Schulwesens darstellen, gleichzeitig aber manifest wird, dass sich diese Begabungen bereits in früher Kindheit immens unterscheiden und wohl zukünftig auch immer besser diagnostiziert werden können, vielleicht endet dann der Ruf nach „angemessener Förderung“ in einem gestuften Kindergarten-, Vorschul- und Grundschulsystem mit entsprechenden Einstufungstests. So schreibt eine Bundestagsabgeordnete in einem Artikel mit dem Titel „Auf die ersten Jahre kommt es an: Früh investieren, nicht spät reparieren!“: Obwohl die Bedeutung genetischer Faktoren im Detail nicht abschließend geklärt ist, ist die optimistische Annahme, dass durch optimalen Unterricht das Lernen behindernde Faktoren völlig ausgeglichen werden könnten, definitiv falsch. Erblichkeit von Intelligenz wirkt sich auf die Möglichkeiten und Grenzen des Lernens aus. Aus diesem Grunde ist es wichtig, die Lernvoraussetzungen der Lernenden zu kennen, damit diese weder unter- noch überfordert werden. Besonders in den ersten Lebensjahren können genetische Unterschiede durch Milieuunterschiede überlagert werden (Reiche 2005: 18).270
Die geschilderte Utopie der frühen Einstufungstests mag vielleicht eher abwegig erscheinen, allerdings gibt es bereits Tendenzen, die frühkindliche Erziehung der Verwaltung dem Bereich des Sozialen zu entziehen und der stratifizierungsgeübteren Verwaltung der Schule zuzuschlagen: „Um sich zu Bildungsstätten zu mausern, müssten die Kindergärten eher den Kultus- als den Sozialministerien zugeordnet […] werden“ (Reiche 2005: 21f.).271 Des Weiteren ist für den konservativen Wohlfahrtsstaat im Allgemeinen und für den deutschen Wohlfahrtsstaat im Besonderen die Verknüpfung der Erteilung von Rechten mit der Organisation von Gehorsam und öffentlicher Ordnung typisch. Es ist davon auszugehen, dass dieser Geist nicht nur in der Sozialpolitik spürbar bleibt, sondern auch den Unterrichtsstil an deutschen Schulen langfristig geprägt hat und eine der Ursachen für Selektion, Leistungsdruck wie auch für eine elitäre Vorstellung von Erziehung und Bildung darstellt. Eine solche Vorstellung von Erziehung und Bildung liegt vielen Vertretern der wissenschaftlichen Disziplinen der (Früh-)Pädagogik wohl eher fern. Viele Stimmen plädieren für angstfreies, spielerisches, selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Lernen, in dem Kinder auf kreative Weise Erfahrungen im Umgang mit der Welt sammeln (Vgl. Lenzen 2004, Hüther / Nitsch 2008, Neider 2004, Klein 2002: Kap. 17, Braun / Meier 2004, s. a. Elkind 1987, Elschenbroich 2005). 270
Anfragen zu der These der Überlagerung genetischer Unterschiede durch Milieuunterschiede in den ersten Lebensjahren hat Frau Reiche leider nicht beantwortet. 271 Rauschenbach sieht die Gefahr der Verschulung des Kindergartens auch gegeben bei der Einführung eines Pflichtkindergartenjahres (Rauschenbach 2008: 59).
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Bauer / Bittlingmayer (2005: 18f.) fordern auch für die Schule einen Unterricht mit, „lebensweltlichen Bezüge“, was sich nicht nur aus pädagogischen Erwägungen ergibt, sondern auch eine Voraussetzung dafür ist, dass der Unterricht von allen Schülern rezipiert werden kann: Kern einer inhaltlichen Lehrplanreform muss daher sein, die Unterrichtsinhalte so weit wie möglich an die Lebenswirklichkeit von sozial benachteiligten Gruppen anzupassen. Im Gegensatz zu einer immer noch dominanten schulischen Mittelschichtsorientierung müsste hier für eine Art Unterschichtscodierung in den Richtlinien und Lehrplänen eingetreten werden. Wenn die Einbeziehung lebensweltlicher Bezüge benachteiligter Milieus gelingt, eröffnen sich damit auch Möglichkeiten einer reflexiven Pädagogik […], einer Pädagogik, die die Mechanismen von Ausgrenzung und Benachteiligung sichtbar machen und damit Potenziale zur Selbstaufklärung stärken soll (Bauer / Bittlingmayer 2005: 19).
Smolka (2002) sieht auch einen Zusammenhang zwischen Unterrichtsstil und den schlechten PISA-Ergebnissen: Die PISA-Studie [2000] zeigt, dass im internationalen Wettbewerb Kreativität, Handlungsorientierung und problemlösender Anwendungsbezug gefordert sind – die Fähigkeit nämlich, gelerntes Wissen auch anwenden zu können. Das können nur selbständige Schülerinnen und Schüler. Die Paukschule ist passé (Smolka 2002: 8).
Allerdings gibt es zu diesen Fragen auch andere Standpunkte: In dem oben bereits erwähnten Artikel „Auf die ersten Jahre kommt es an: Früh investieren, nicht spät reparieren!“ werden aus den Ergebnissen der PISA-Studie ganz andere Schlüsse gezogen: Viele Bildungspolitiker haben die Wucht des Wertewandels unterschätzt, der im Gefolge des damaligen Studentenaufstands das deutsche Schulwesen verändert hat. Verblüfft liest man nun in der Pisa-Studie, dass sich anderswo – und zwar keineswegs nur in koreanischen Paukschulen –, Disziplin und Selbstdisziplin als „leistungssteigernde Faktoren“ auswirken. Dazu gehören auch Eigenschaften wie Ordnung, Fleiß und Pünktlichkeit, die jahrzehntelang als Sekundärtugenden verschrieen waren. Leider gibt es als Folge der Wirren der 68er in Deutschland eine Einstellung, die Schule als „Angriff auf die Kindheit“ begreift und damit wiederum dem Nachwuchs schadet. Es wird uns nicht gelingen, eine Bildungsoffensive in Gang zu setzten ohne eine Erziehungsoffensive (Reiche 2005: 24).
Es könnte sein, dass sich hier eine Angst vor Emanzipation, Eigenständigkeit, Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung und Kreativität zeigt, die verwandt ist mit Bismarcks Ruf nach Gehorsam und Disziplin und seiner Angst vor dem „akademischen Proletariat“. Das dem entsprechende Erziehungswesen wäre leistungs- und defizitorientierter; man könnte es eher einen Frühförder-Staat nennen als einen Früh-Förderstaat, denn Frühförderung beschäftigt sich eigentlich mit der Förderung von Kindern, die eine Behinderungen haben oder von einer Behinderungen bedroht sind. Da die Feststellung eines Defizits die Voraus-
4.3 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht
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setzung der staatlichen Förderung ist (Klein 2002: 4), ist diese Frühförderung immanent defizitorientiert.272 Neuerdings gibt es eine Tendenz, den Begriff der Frühförderung nun für ein an alle Kleinkinder gerichtetes frühpädagogisches Engagement zu verwenden (siehe z. B. Dieter Dohmen 2005, und Stadt Winterthur 2009, Röhr-Sendlmeier 2007). Fraglich ist, ob sich hier nicht ein Mentalitätswandel anbahnt, der nun alle Kinder als potentiell defizitär und leistungsschwach betrachtet. So oder so – wir sehen, dass die Diskussion des Früh-Förderstaates zwar eine Diskussion über die Art und Weise der Zur-Verfügung-Stellung von Ressourcen ist, sie ist allerdings stark kulturell geprägt. So scheint es absehbar zu sein, dass der Diskurs um den pädagogischen Früh-Förderstaat immer auch ein Kampf um eine (Vor-)(Schul-)Kultur sowie um Erziehungs- und Unterrichtsstile sein wird. 4.3.4 Die Leitbilder und der Befähigungsstaat – ein Fazit Eine nüchtere Analyse ihrer empirischen Wirkungen […] würde deutlich machen, dass soziale Rechte, kluge Anreize und ein größeres Vertrauen in die Menschen einer kontrollierenden Sozialpolitik nachhaltig überlegen sind (Opielka 2004: 98).
Es wurden nun die drei Leitbilder aus einer ressourcentheoretischen Betrachtungsweise beschrieben. Wir haben gesehen, dass alle Leitbilder Elemente enthalten, die auf die Förderungen von Bildung, von Fähigkeiten und von Kompetenzen abzielen; bezüglich des Aktivierungsleitbildes gilt das zumindest für das ursprüngliche Konzept. Das Konzept der Sozialinvestitionen legt einen Schwerpunkt auf die Sozialausgaben, die nicht nur Kosten darstellen, sondern auch als Investitionen betrachtet werden können, weil sie die Ressourcenausstattung verbessern und die Entwicklung von Fähigkeiten fördern. Im pädagogischen FrühFörderstaat wird die frühkindliche Phase als besonders relevant für diese Entwicklung der Fähigkeiten gesehen. Soweit lassen sich die Ansätze auch durch die Ressourcentheorie abbilden. Dabei fällt auf, dass bei den Konzepten hauptsächlich die Bildung und die Kompetenzentwicklung im Vordergrund stehen, jedoch weniger die Gesundheit und die sozialen und psychischen Ressourcen. 272
"Die gesetzlichen Grundlagen im SGB IX binden die Gewährung von Frühförderung nach wie vor an die Feststellung, dass ein Kind behindert oder von einer Behinderung bedroht ist. Damit ist klar, Frühförderung kann nach diesem Gesetz nur finanziert werden, wenn eine Behinderung oder eine drohenden Behinderung festgestellt ist. Der Nachweis ‚spezieller Bedürfnisse’ oder eines ‚sonderpädagogischen Förderbedarfs’ alleine genügt nicht als Voraussetzung für die Gewährung von Frühförderung. Die Behinderung oder die ‚drohende Behinderung’ z. B. als ‚Entwicklungsverzögerung’ muss am Kind erkennbar sein“ (Klein 2002: 4).
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4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Auffällig ist auch, dass in den Leitbildern kaum die Auswirkungen der Lebensbedingungen thematisiert werden. Dies entspricht dem Trend der Individualisierung der Verantwortung bei Arbeitslosigkeit und für die eigene Gesundheit (vgl. Raphael / Curry-Stevens / Bryant 2008) sowie dem bereits thematisierten Mangel an Konzepten, in denen soziale Probleme und Umweltprobleme verbunden werden. Des Weiteren fällt die Diskrepanz zwischen den Diskursen zu den Leitbildern und der praktischen Umsetzung der Leitbilder auf. Entweder nutzen sich die Leitbilder im Prozess ihrer Umsetzung ab und stellen sich in der Realität dann anders dar, oder die propagierten Leitbilder stellen „Mogelpackungen“ dar, deren Umsetzung gar nicht gewünscht ist. Mögliche Gründe für den Umstand, dass die Leitbilder nicht umgesetzt werden, wurden auch schon im dritten Kapitel angesprochen: Der Sozialstaat stellt eine Kompromisslösung divergierender Interessen dar. Mit Bezug auf Claus Offe wurde gezeigt, dass es in dieser Situation für die Politik von Interesse sein kann, Wählerinnen und Wählern wohlklingende Leitbilder zu „verkaufen“, die sich an ihren Interessen zu orientieren scheinen – und gleichzeitig im Hintergrund andere Interessen zu verfolgen, wie staatliche Eigeninteressen, Interessen der Wirtschaft oder auch wahlstrategische, koalitionsinterne und haushaltstechnische Interessen; hinzu kommen divergierende Interessen der umsetzenden Institutionen. Die Überlagerung eines Leitbildes durch themenfremde politische Interessen ließe sich auch bei der FrühpädagogikDiskussion erkennen. Die foucaultschen Analysen zur Gouvernementalität, zur Biopolitik und zum Dispositiv haben gezeigt, wie der Staat lenkend auf die Menschen und ihre Körper zugreift. Und die Analyse der Zur-Verfügung-Stellung der verschiedenen Ressourcen hat gezeigt, mit welchen feinen Mechanismen die staatliche Lenkung durch Zuteilung und Entzug von Ressourcen von Statten geht. So wird Aktivierung zumindest in Deutschland nicht an eine verbesserte Förderung gekoppelt; ein Umstand, den es übrigens mit dem US-amerikanischen Konzept des enabling states teilt.273 Es geht auch nicht um größere Handlungsspielräume im Sinne von zunehmenden Lebenschancen oder Entscheidungsfreiheiten. Stattdessen werden der Druck auf den Einzelnen erhöht und Leistungen verstärkt an Gegenleistungen gebunden. Diejenigen, die sich außerhalb des Arbeitsmarktes befinden, werden zunehmend Disziplinierungsmaßnahmen unterworfen, und diejenigen, die
273
Der enabling state, der ebenfalls als „befähigender Staat“ übersetzt wird, ist ein ab Ende der 80er Jahre verbreitetes Privatisierungskonzept, das von Gilbert und Gilbert in die Diskussion eingebracht wurde (Siehe Gilbert / Gilbert 1989, Gilbert 2005, s. a. Evers 2000: 15). Die Erhöhung von Kompetenzen spielt in dem Konzept, trotz seiner Bezeichnung, keine Rolle.
4.3 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht
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sich auf dem Arbeitmarkt befinden, zwingt der Markt in zunehmendem Maße zur Selbstdisziplinierung.274 Letztendlich bleibt zu fragen übrig, wie eine Politik und ihre Interventionen aussehen könnten, die tatsächlich größere Handlungsspielräume für den Einzelnen erreichen möchte? Wie könnte ein Staat gestaltet sein, der als Befähigungsstaat, als Ermöglichungsstaat, als Handlungsspielräume erweiternder Staat oder als capability-building-state die Erweiterung von Fähigkeiten und Handlungsspielräumen in den Mittelpunkt stellt, ohne dabei Interventionen gleich wieder an gängelnde Gegenleistungen zu binden? Wie könnten Interventionen aussehen, die einen weder an den Markt verweisen (wie das liberale Wohlfahrtsregime), noch an den Staat (wie das sozialdemokratische Wohlfahrtsregime), noch an soziale Netzwerke wie Familien (wie das konservative Wohlfahrtsregime)? Eine Politik, die dieses Ziel verfolgen wollte, müsste die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und den jeweiligen Institutionen Markt, Staat und Familie lockern, ohne die Verbindung zu ihnen zu zerstören (sie sollen ja erhalten bleiben in ihren Handlungsspielräume erweiternden Funktion). Grundsätzlich könnte das möglich sein, denn wir haben gesehen, dass ein lockern dieser Verbindungen nicht ihr Ende bedeutet: In den skandinavischen Ländern, die über ein besonders hohes Ausmaß der Dekommodifikation verfügen, ist die Erwerbsbeteiligung besonders hoch und nicht geringer, wie vermutet werden könnte. Der Markt wirkt hier wohl weniger zwingend und scheint gleichzeitig seiner Bedeutung als Möglichkeit gut gerecht zu werden. Des Weiteren hat sich gezeigt, dass staatliches sozialpolitisches Engagement nicht das zivilgesellschaftliche Engagement verdrängt, sondern das Gegenteil bewirkt: Ein funktionierendes staatliches Gefüge scheint eher eine Voraussetzung für zivilgesellschaftliches Engagement darzustellen. Auch in diesem Bereich dürfte es also Interventionen geben, mit denen der Staat von Zwängen befreien und Handlungsspielräume produzieren kann. Inwiefern wäre ein Staat vorstellbar, der Einkommen, Bildung, Gesundheit und andere Ressourcen quasi gegenleistungslos anbietet, beispielsweise in Form von unbedingtem Bürgergeld, von Bürgerbildung und einer Bürger(kranken) versicherung? Tatsächlich hat Opielka ergänzend zu den drei Wohlfahrtsregimen von Esping-Andersen einen vierten Regimetyp, das garantistische Wohlfahrtsregime, formuliert, den er aus der Idee umfangreicher Bürger- und Grundrechte sowie von dem Gerechtigkeitsideal der Teilhabegerechtigkeit ableitet. In diesem 274
Foucault (2006a) hat bereits Ende der 70er Jahre darauf hingewiesen, dass der Markt im sich durchsetzenden Neoliberalismus als Mittel dient, die Selbstdisziplinierung der Menschen zu erhöhen. Er interpretierte dies als Ablösung der bis dato vorherrschenden Tendenzen der Disziplinierung. Die Zwangsmaßnahmen außerhalb des Arbeitsmarktes scheinen demgegenüber aber wieder an alte Disziplinierungsweisen anzuschließen (s. a. Lessenich 2008, Bröckling 2007).
284
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität
Wohlfahrtsregime sind Kommodifizierung, Etatismus und Korporatismus schwach; die Umverteilung geschieht durch Bürgergeld und Bürgerversicherungen (Opielka 2004, 2006). Nicht erarbeitet ist in diesem Konzept ein Bildungssystem, dass auf Zwang verzichtet. Da Versäumnisse im Bereich der Bildung später schwer aufgeholt werden können (und zusätzlich bei der Erziehung die Versäumnisse der Eltern den Schaden der Kinder darstellen und somit auseinanderfallen), ist hier wohl ein Verzicht auf eine Verbindung von Pflichten und Rechten am schwersten vorstellbar. Bildungsgutscheine könnten eine Methode sein, bei fixierten Inhalten das staatliche Monopol auf die Festlegung der Unterrichtsmethoden und des „heimlichen Lehrplans“ zu durchbrechen. Das Resultat einer Liberalisierung würde wohl davon abhängig sein, ob die Schulen eher von gewinnorientierten oder von zivilgesellschaftlichen Institutionen betrieben werden. Große Qualitätsunterschiede könnten einen neuen Mechanismus der Selektion darstellen. Über die Machbarkeit hinaus stellt sich aber wiederum die Frage der politischen Erwünschtheit größerer Handlungsspielräume für die Bevölkerung. Eher unwahrscheinlich ist es, dass von Seiten der etablierten Politik der Anstoß zu mehr Mitsprache, zum Empowerment und zu mehr Emanzipation der Bürgerinnen und Bürger kommt (Vgl. Opielka 2004: 57, Butterwegge 2005: 271, Fn. 1005, Giddens 1999: 89). Fraglich ist, wieweit sich Bürger verstärkt unabhängig machen können vom Staat, vielleicht durch subpolitische Strategien (Beck 1993: Kap. 5, Beck 2007a), durch Selbstorganisation in einer Gemeinwesenökonomie (Elsen 1998, 2007) durch Suffizienz- und Subsistenzstrategien (Bennholdt-Thomsen / Holzer / Müller 1999, Dahm 2003) – oder dadurch, dass sie einen stärkeren Einfluss auf die bestehenden politischen Strukturen einfordern – durch Elemente der direkten Demokratie oder auch durch partizipative Budgets, bei denen die Bürgerinnen und Bürger mitbestimmen, wofür Gemeinden oder Bundesstaaten ihr Geld ausgeben (z. B. Leubolt 2006). Solche Strategien könnten der ursprünglichen Sen’schen Idee der erweiterten Handlungsspielräume entsprechen, allerdings sind sie höchst voraussetzungsvoll – und selbst wieder stark abhängig von den Kompetenzen und Handlungsspielräumen der Bürgerinnen und Bürger. Die Katze beißt sich da also in den Schwanz.
5 Zusammenfassung, Ausblicke
Die anhaltende und für die Moderne konstitutive Spannung zwischen Entwurzelung und Freiheitsgewinn, zwischen immer wieder neu zu justierenden Ent- und Begrenzung der Daseinsformen, fordert Aktivitäten des verwaltenden, arbeitenden und daseinsvorsorgenden Staats heraus. Die staatliche Intervention und Gestaltung des Sozialen ist daher längst keine Frage des guten Willens paternalistischer Wohlfahrtsgewährung mehr, auch wenn in den aktuellen Reformdebatten starke Elemente eines Neopaternalismus zurückkehren, der dafür plädiert, mit Hilfe der strengen Hand väterlicher Fürsorge den Zurückgebliebenen des wirtschaftlichen Wandels selbstlose Arbeitsmoral, gesunde Ernährung und niveauvollen TV-Konsum nahezubringen (Vogel 2007: 19).
5.1 Zusammenfassung 5.1.1 Überblick Diese Arbeit ging der Frage nach, wie der Staat Lebensqualität produziert. Dieser Frage wurde in drei Schritten beantwortet: Zunächst wurde nach einer Möglichkeit gesucht Lebensqualität in einer der Fragestellung angemessenen Weise zu beschreiben (2. Kapitel). Dazu wurden verschiedene existierende Konzepte dargestellt, kritisiert und verglichen: das Lebenslagen-Konzept, das Lebensstandard-Konzept sowie verschiedene Lebensqualitätskonzepte. Das spezielle Lebensqualitätskonzept von Amartya Sen beschreibt Lebensqualität über Unterschiede in der Ausstattung mit Bildung und Gesundheit, über Unterschiede in der Transformationsfähigkeit von Ressourcen (functionings) und über deren Auswirkungen auf die Lebenserwartung, die als Indikator für die Lebensqualität dient. Mit Hilfe von sozialepidemiologischen Untersuchungen wurde dann die Analyse der Zusammenhänge zwischen Ressourcenausstattung, Ressourcentransformationen und Lebenserwartung vertieft und empirisch belegt. Gesundheit und Lebenserwartung sowie ihre spezifischen Verteilungen spiegeln sowohl innerhalb einzelner Länder als auch im Ländervergleich die Unterschiedlichkeit von Lebenssituationen und Handlungsfähigkeit gut wieder und können daher als Maß für Lebensqualität dienen. Die Analyse der Häufigkeit und Verteilung bestimmter Krankheiten im Detail kann dazu dienen,
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5 Zusammenfassung, Ausblicke
für die Lebensqualität problematische Bereiche aufzudecken. Dieser Teil schließt mit der Ableitung eines eigenen Modells der Ressourcentransformation: Für eine möglichst vollständige Beschreibung der Lebensqualität wird der Sen’sche Ansatz mit der Theorie der Kapitalarten von Bourdieu kombiniert: denn, während Bourdieu die Gesundheit als Kapitalart bzw. als Ressource außer Betracht lässt, geht Sen nicht auf die Bedeutung des sozialen Kapitals ein. Allerdings spielt bei beiden Theoretikern die Transformationsfähigkeit der Ressourcen eine zentrale Rolle. Das Modell der Ressourcentransformation verwendet dabei einen umfassenden Begriff von Ressourcen, der Geld, Bildung, soziales Kapital, Gesundheit, psychisches Kapital etc. umfasst. In dem erarbeiteten Modell der Ressourcentransformation werden Lebenssituationen und Lebensqualität über die Ausstattung mit diversen Ressourcen und über die Fähigkeit diese Ressourcen zu transformieren, beschrieben. Mit Hilfe dieser Kategorien kann auch soziale Ungleichheit sinnvoll abgebildet werden. Insofern stellt die Ressourcentheorie eine Theorie sozialer Ungleichheit dar. Die Lebenserwartung fungiert dabei als langfristiger Outcome-Indikator. In einem zweiten Schritt wurde der Frage nach den Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität nachgegangen (3. Kapitel). Erste Anhaltspunkte ergeben sich durch eine Analyse des Grundgesetzes, die aufzeigt, dass Gesundheit und Lebenserwartung in nur äußerst geringem Maße grundgesetzlich geschützt sind. Dann wird die Frage nach den Rahmenbedingungen der Lebensqualitätsproduktion durch Bezüge zu drei Theoriesträngen beantwortet: (1) Mit Bezug auf den konflikttheoretischen Ansatz von Claus Offe wird argumentiert, dass Gesundheit, Lebenserwartung und Lebensqualität als Themen in der Politik in einem Konkurrenzverhältnis zu anderen, insbesondere wirtschaftlichen Interessen stehen. Im politischen Prozess sind sie vergleichsweise schlecht organisiert und wenig präsent. Die Argumentation wurde mit einem Blick in die Geschichte (insbesondere der Sozialpolitik) untermauert. (2) In einem zweiten Zugang werden die diskursiven und kulturellen Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität beleuchtet. Wie in Diskursen Themen dargestellt und verhandelt werden, ist nicht nur das Ergebnis eines permanenten Kampfes um Deutungshoheit, sondern hat auch reale Auswirkungen auf die Politik: Diskurse über den Missbrauch sozialer Leistungen können ihre Empfänger diskreditieren. Wird dann Hilfe vorenthalten kann sich das auf die Lebensqualität auswirken. Klar wurde auch, dass der Diskurs zu lebensqualitätsrelevanten Themen aufgespaltet ist; es gibt keinen öffentlichen Diskurs, der verschiedene lebensqualitätsrelevante Themen und ihren Bezug zu Gesundheit und Lebenserwartung im Zusammenhang thematisiert. Den lebensqualitätsrelevanten Diskursen ähnlich ist das wissenssoziologische Konzept der Wohlfahrtskultur. Unter diesem Begriff wurden grundlegende Überzeugungen zu wohlfahrts- und lebensqualitätsrelevanten
5.1 Zusammenfassung
287
Themen verstanden, wie beispielsweise religiöse Weltbilder oder Gerechtigkeitsvorstellungen. Im Ländervergleich kann sowohl das breite Spektrum solcher Vorstellungen wie auch ihre kulturelle Verwurzelung aufgezeigt werden. Die kulturell verankerten Deutungen werden von den Bürgern auf die eine oder andere Weise subjektiviert. (3) Der dritte Zugang behandelte die Bedeutung der strukturellen und institutionellen Verfassung von Staaten für die Produktion von Wohlfahrt und Lebensqualität. Esping-Andersen hat mit Hilfe des Konzepts der Wohlfahrtsregime in Ländervergleichen aufgezeigt, auf welche unterschiedlichen Arten Staaten die Wohlfahrtsproduktion institutionalisieren. Verallgemeinernd lässt sich dieser Ansatz auch auf die Produktion von Lebensqualität anwenden. Zieht man das Konzept des Lebenslaufregimes hinzu, das die Auswirkungen der Regime auf das Leben der einzelnen Menschen darstellt, dann wird auch klar, dass man Lebensqualitätsregime durch die Weise beschreiben kann, wie sie den Bürgerinnen und Bürgern verschiedene Ressourcen (Geld, Bildung, Gesundheit etc.) zur Verfügung stellen beziehungsweise zuteilen. In ihrer Kombination bilden die drei geschilderten Zugänge (Konflikttheorie, Diskurs/Kultur, Wohlfahrtsregime) ein System, beziehungsweise – metaphorisch gesprochen – ein enges Netz, das sich um die Menschen legt275 und ihr Leben weitgehend vorstrukturiert: Der Zugriff auf die Subjektivität ergänzt dabei die Zwänge, die die objektiven Lebensbedingungen vorgeben. Es kann in Anlehnung an Foucault als Lebensqualitätsdispositiv beschrieben werden, dem gleichzeitig Aspekte der Ermöglichung bestimmter Lebensweisen wie auch deren Verhinderung innewohnen. In einem dritten Schritt wurden das Modell der Ressourcentransformation und die Idee Lebensqualitätsregime durch die Zuteilung von Ressourcen darzustellen, verwendet um ein Mehrebenenmodell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion zu erstellen (4. Kapitel): Auf der Ebene der Politik werden Intervention geplant und durchgeführt. Vermittelt über verschiedene Institutionen und über die Gestaltung der Lebensbedingungen haben diese Interventionen Auswirkungen auf die Ressourcenausstattung, auf die Fähigkeit von Menschen Ressourcen zu transformieren und damit letztendlich auf die Möglichkeit ihr Leben zu gestalten. Im Folgenden wird das Mehrebenenmodell thesenartig darstellt.
275
Dieses Bild geht auf Foucault zurück. Siehe oben S. 209
288
5 Zusammenfassung, Ausblicke
5.1.2 Das Mehrebenenmodell in Kürze Der Staat beeinflusst die Individuen durch Interventionen. Im Kern der Lebensqualitätsproduktion des Staates stehen Interventionen, die Auswirkungen auf die einzelnen Menschen haben. Die Interventionen müssen nicht explizit auf die Produktion von Lebensqualität ausgerichtet sein, sie können die Lebensqualität auch unbeabsichtigt beeinflussen. Auch der Verzicht auf bestimmte Interventionen kann Auswirkungen auf die Lebensqualität haben; der Verzicht auf Interventionen kann insofern Interventionen gleichgestellt sein. Der Staat teilt den Individuen Ressourcen, Fähigkeiten und Lebensbedingungen zu. Wenn Lebensqualität mit einem objektiven Maß wie der Lebenserwartung oder der Gesundheit gemessen wird, dann kann die Produktion von Lebensqualität beschrieben werden über Faktoren, die die Lebenserwartung beeinflussen. Ressourcen, Fähigkeiten und Lebensbedingungen haben sich hierbei als wesentliche Elemente herausgestellt, mit denen der Einzelne sein Leben bestreitet und die gleichzeitig Auswirkungen auf seine Lebenserwartung haben. Die Lebensbedingungen wirken sich wiederum auf die Ausstattung mit Ressourcen wie beispielsweise der Gesundheit aus. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass der Staat eine wesentliche Rolle in der Zuteilung und Verteilung dieser Ressourcen, Fähigkeiten und Lebensbedingungen spielt. Er beeinflusst damit die Lebensqualität des Einzelnen, wie auch die Verteilung beziehungsweise das Gefüge von Lebensqualität. Probleme wie Interventionen aus dem „klassischen“ Bereich der Sozialpolitik einerseits und auch dem Bereich des Umweltschutzes andererseits gleichen sich in ihren Auswirkungen auf Gesundheit und Lebenserwartung. Psychosozialer Stress setzt, genauso wie mit bestimmten Lebensstilen einhergehende, gesundheitsschädliche oder gesundheitsfördernde Verhaltensweisen oder wie die ökologischen Umweltbedingungen (z. B. die Schadstoffbelastung) sehr unterschiedliche körperliche Belastungen und Prozesse in Gang, die sich allerdings in ihren letzten Auswirkungen auf Gesundheit und Lebenserwartung ähneln. Mit der staatlichen Zuteilung von Ressourcen, Fähigkeiten und Lebensbedingungen wird auch die Ungleichheitsstruktur geprägt. Die Zuteilung von Ressourcen, Fähigkeiten und Lebensbedingungen geschieht nicht nach dem „Gießkannenprinzip“, sondern nach recht spezifischen Zuteilungsregeln. Ungleichheiten in der Zuteilung von (formaler) Bildung und in der Entwicklung von Fähigkeiten/Kompetenzen haben dabei eine besondere Bedeutung: Über verschiedene Transformationen wirken sie sich stark auf den weiteren Verlauf der Ressourcenausstattung aus (auf Einkommen, Gesundheit und z. B. auf das Selbstbewusstsein) und bestimmen damit zukünftige Lebenschancen beziehungsweise Handlungsspielräume.
5.2 Ausblicke
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Im Ländervergleich zeigt sich ein breites Spektrum an Vorgehensweisen. Vergleicht man die Lebensqualitätsproduktion verschiedener Staaten, so kann man sehen, dass Staaten die Zuteilung von Ressourcen, Fähigkeit und Lebensbedingungen in unterschiedlicher Weise vornehmen und damit Lebensqualität auf sehr verschiedene Weise produzieren. So unterscheiden sich Wohlfahrtsregime in der Art der Ressourcenzuteilung und der damit verursachten Ungleichheitsstruktur. In konservativen Wohlfahrtsregimen zementieren sozialstaatliche Interventionen häufig die bestehende Ungleichheit. Ein Schwerpunkt der Interventionen liegt auf finanziellen Transfers, deren Höhe sich wie beispielsweise in der Rentenversicherung am bisherigen sozialen Status orientiert. In liberalen Wohlfahrtsregimen wird eine vom Markt produzierte Ungleichheit nur wenig korrigiert, wenngleich der Bildungspolitik für die Herstellung der Chancengleichheit eine zentrale Rolle zugesprochen wird. Sozialdemokratische Wohlfahrtsregime wiederum zeichnen sich durch ein hohes Maß an Umverteilung aus. Die Zuteilung von Ressourcen, Fähigkeiten und Lebensbedingungen orientiert sich stark an universalistischen, die Gleichheit betonenden Gerechtigkeitsvorstellungen. Die Idee der Typisierung von Wohlfahrtsregimen kann aber nicht nur im Bereich der Wohlfahrtsproduktion angewandt werden, sondern prinzipiell auch auf andere Bereiche der Produktion von Lebensqualität, wobei je nach Fokus andere Länder zu gruppieren sind. Neben den bisher benannten „objektiven“ Bedingungen beeinflusst der Staat auch die Subjektivierung von Lebensqualität. Das geschieht einerseits über eine Beteiligung an dem Alltagsdiskurs über das, was Lebensqualität ist. Darüber hinaus ist der Staat auch an stigmatisierenden Missbrauchsdiskursen beteiligt, die auch von den Betroffenen subjektiviert werden und daher in einem Zusammenhang zu psychischen Ressourcen stehen könnten. Auf die Bedeutung der Subjektivierungsweisen weist auch die im Ländervergleich sehr unterschiedliche Einstellung gegenüber wohlfahrtsstaatlichen (und lebensqualitätsrelevanten) Fragen hin. 5.2 Ausblicke Nothing is as practical as a good theory. (Lewin 1945: 129)
5.2.1 Anwendungen Eine Theorie gestattet im besten Fall einen anderen, neuen Blick auf die Welt; und so kann die Verbindung verschiedener Ansätze oder die Übertragung bestehender Ansätze auf verwandte Themen oder Fragestellungen anderer Disziplinen
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5 Zusammenfassung, Ausblicke
dazu dienen, neue Blicke auf bestehende Forschungsgegenstände zu werfen und neue Fragen zu stellen. Die verschiedenen in dieser Studie betrachteten Themen fallen teilweise in die Arbeitsgebiete unterschiedlicher Disziplinen, beziehungsweise werden sie von mehreren Disziplinen untersucht; so ergibt sich die Hoffnung, dass eine ressourcentheoretische Betrachtung Denkanstösse in mehreren Disziplinen wie auch für die interdisziplinäre Verständigung geben kann. Im Folgenden möchte ich zuerst einige Ideen skizzieren, welche Form solche Beiträge annehmen könnten, um dann kurz einen Blick auf die Bedeutung ressourcentheoretischer Betrachtungen für die Praxis zu werfen. Sozialphilosophie. In der Sozialphilosophie werden häufig Gerechtigkeitsfragen auf materielle Verteilungsfragen reduziert. Diese Perspektive kann durch die Berücksichtigung der Verteilung aller Ressourcen erweitert werden, wie auch durch die Beachtung des durch die Transformationen verursachten engen Zusammenhangs der Verteilung der einzelnen Ressourcen. Voraussichtlich würde sich dann herausstellen, dass die Sphären der Gerechtigkeit, die Walzer auseinanderhält (vgl. Walzer 1998: 49), in der Praxis viel zu eng zusammenhängen um sie als voneinander getrennte Bereiche zu betrachten. Auch Rawls Theorie der Gerechtigkeit, die gesundheitliche Ungleichheit systematisch vernachlässigt276, könnte neu durchdacht werden, denn wahrscheinlich würden hinter dem Schleier des Nichtswissens andere Verteilungen präferiert werden, wenn berücksichtigt würde, dass neben der ungleichen Verteilung monetärer Ressourcen beispielsweise auch Gesundheit und Lebenserwartung höchst ungleich verteilt werden277: Ein Grundsatz von Rawls besagt, dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten so zu gestalten sind, “dass […] vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen […]“ (Rawls 1979: 81). Als Grenze der Umverteilung gilt das sogenannte Rawlsian-Limit. Es besagt, „dass die Steuern 276
Rawls schreibt: „Als ersten Schritt wollen wir annehmen, die Grundstruktur der Gesellschaft verteile gewisse Grundgüter, d. h. Dinge, von denen man annehmen kann, dass sie jeder vernünftige Menschen haben will. Diese Güter sind gewöhnlich brauchbar, gleichgültig, was jemand für einen Lebensplan hat. Der Einfachheit halber wollen wir annehmen, die hauptsächlichen Grundgüter der Gesellschaft seien Rechte, Freiheiten und Chancen sowie Einkommen und Vermögen. […] Das also seinen die gesellschaftlichen Grundgüter. Andere Grundgüter wie Gesundheit und Lebenskraft, Intelligenz und Phantasie sind natürliche Güter; sie werden von der Grundstruktur nur mittelbar beeinflusst“ (Rawls 1979: 83). 277 Rawls postuliert, „dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten, etwa verschiedener Reichtum oder verschiedene Macht, nur dann gerecht sind, wenn sich aus ihnen Vorteile für jedermann ergeben, insbesondere für die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft“ (Rawls 1979: 32). Zwei seiner Verteilungsgrundsätze lauten in der Kurzform dann: „1. Jedermann soll gleiches Recht auf das umfangreichste System gleicher Grundfreiheiten haben, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist. 2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass […] vernünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen […]“ (Rawls 1979: 81).
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oder Sozialabgaben nur so hoch sein dürfen, dass sie das Wachstum des Landes nicht negativ beeinträchtigen“ (Schreyögg 2004: 12). Reduziert man die Umverteilung auf die Ressource Geld, dann würde man eventuell noch – wie auch Schreyögg – der üblichen Interpretation folgen: „Somit wird eine staatlich gewährte Minimalversorgung mit gewissen Umverteilungswirkungen angestrebt, die darüber hinaus ausreichend Raum für Einkommensdifferenzierungen lässt“ (ebd.). Betrachtet man aber Gesundheit als eine eigenständige zu verteilende Ressource, dann würde man wohl zu einem anderen Schluss kommen, da im Ländervergleich eine größere Gleichverteilung von Gesundheit (und Lebensdauer) nicht mit einer Reduzierung von Gesundheit (und Lebensdauer) anderer Menschen einhergeht. Interventionen, die die Gesundheit (und Lebensdauer) von Benachteiligten (mit kurzer Lebenserwartung) verlängern, verschlechtern nicht die Gesundheit beziehungsweise verkürzen nicht die Lebenserwartung von anderen Menschen, deren Lebensumstände eher mit einer hohen Lebenserwartung einhergehen (s a. Wanek / Heinrich / Chavet 2002: 160f, Klammer 1998: 268). Solange es aber keine „Konkurrenz um Lebenszeit“ gibt, solange greift aber auch das umverteilungsbegrenzende Rawlsian-Limit nicht. Sozialepidemiologie. Bei Durchsicht der hinzugezogenen sozialepidemiologischen Literatur fällt auf, welch periphere Bedeutung politische Prozesse und sozialstaatliche Institutionen in den Ansätzen und Argumentationen haben. Besonders evident wird das in der jüngsten Diskussion um die Bedeutung des Sozialkapitals als Verursacher gesundheitlicher Ungleichheit (siehe oben S. 98). Beispielsweise wird mit Bezug auf Putnam die „höhere Kohäsion“ der Gesellschaft durch gemeinsames Abendessen mit Freunden, dem gemeinsamen Bowlen und dem Zeitungslesen gesehen. Vernachlässigt wird dabei, dass sich eine größere Solidarität in der Gesellschaft auch in Arztpraxen und Krankenhäusern, die allen Bürgerinnen und Bürgern eine gute Versorgung angedeihen lassen, in soziale Schichten überbrückenden Schulen für alle Kinder, in gesunder Umwelt und Erholungsmöglichkeiten – allgemeiner gesprochen: in öffentlichen Institutionen wie in Ressourcen zuteilenden bzw. umverteilenden Institutionen – widerspiegelt und ausbilden kann. Besonders evident wird diese institutionennegierende Sichtweise, wenn Wilkinson (2001: Kap. 10) die gesundheitlichen Auswirkungen von Stress anhand von Untersuchungen an Pavianen und der hierarchischen Struktur von Pavian-Populationen erklärt und dies als Beweis für die zentrale Bedeutung von Sozialkapital, Sozialstruktur und Anerkennungsprozessen sieht, ohne dabei auf politische Prozesse, wohlfahrtsstaatliche Institutionen und das Verhältnis von Bürgern, Staat und Wirtschaft einzugehen. Deren Wirkung auf „Humanpopulationen“ wurde in dieser Arbeit aufgezeigt.278 Die 278
Hohe Korrelationen von Esping-Andersens Dekommodifizierungs-Index und dem Gini-Koeffizient könnten ein Anzeichen dafür sein, dass die von Wilkinson alleine auf ungleiche Machtverhält-
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Berücksichtigung der politischen Abläufe bei der Zuteilung von Ressourcen kann also die sozialepidemiologische Perspektive erweitern. Volkswirtschaftslehre. Am Anfang des Diskurses zur Lebensqualität stand Galbraiths Thematisierung des Verhältnisses von öffentlichen und privaten Gütern (siehe S. 17). Diese Frage ist allerdings im Laufe der Diskussion wieder aus dem Blick geraten. Nach wie vor fehlen Untersuchungen zur gesamtwirtschaftlichen Zusammensetzung des Verbrauchs geschweige denn der persönlichen Ressourcennutzung, der Investitionen sowie der Transformationen. Vermutlich wird in ungleichen Gesellschaften ein größerer Anteil des BSP für Konsumgüter verwendet, die nur mehr einen geringen Beitrag für die Lebensqualität leisten, beziehungsweise nur eine geringe Steigerung der Lebensqualität mit sich bringen279 (und deren Produktion und Nutzung eventuell viele negative Effekte verursachen). Geringe öffentliche, die Lebensqualität fördernden Investitionen, beispielsweise in Bildung und Gesundheit, werden in ungleichen Gesellschaften nur in geringen Teilen durch Private kompensiert. Lebensqualität kann so zum Privileg einer Minderheit werden. Gesellschaften, in denen Ressourcen gleichmäßiger verteilt sind, scheinen individuelle Grundbedürfnisse besser abzudecken; es gibt mehr Sozialinvestitionen und weniger demonstrativen Konsum. Abschätzungen des Lebensqualitäts-Impacts öffentlicher Güter sind natürlich schwierig vorzunehmen, die Betrachtung des Ressourcentransfers und der Gewährung von Fähigkeiten könnten dabei eine sinnvollere Methode sein als Nutzenbetrachtungen. Ungleichheitsmaße der Volkswirtschaftslehre und der Soziologie. Für die Quantifizierung von sozialer Ungleichheit legt eine ressourcentheoretische Betrachtung die Berücksichtigung verschiedener Aspekte nahe: Erstens sollte eine Betrachtung von Ungleichheit immer alle relevanten Ressourcen und deren Entwicklung im Zeitverlauf berücksichtigen und nicht nur das Einkommen oder die Bildung oder die Gesundheit. Außerdem sollten bei Untersuchungen auf der Makroebene die Verteilungen aller Ressourcen betrachtet werden. Dafür können entweder Verteilungsparameter wie Varianzen herangezogen werden oder Ungleichheitsmaße entwickelt werden, die der Lorenz-Kurve und dem Gini-Koeffizient ähnliche sind. Erste Ansätze dazu gibt es beispielsweise bei Krüger (2004), der in einer Untersuchung der Auswirkung ausländischer Direktinvestitionen auf Entwicklungsländer einen Bildungs-Gini verwendet. Esping-Andersen (2004: 299f.) nutzt in einer Auswertung einer PISA-Studie eine Art „Kompetenz-Gini“ (s. a. Nollmann 2007: 18f.), während Lai / Huang / Risser et al. (2008) und Pan nisse zurückgeführte Effekte sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit eher mit dekommodifizierenden Institutionen zusammenhängen. 279 Siehe zum Argument des „falschen“ Konsums auch Sen 2000: 113. Sen bezieht sich dabei allerdings auf reiche Länder im Allgemeinen, nicht auf Länder mit einer ungleichen Verteilung.
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American Health Organization (2001) mathematische Grundlagen für einen Gesundheits-Gini legen. Im Gegensatz dazu wurden meines Wissens noch keine Ansätze entwickelt mit denen Ungleichheiten des sozialstaatlichen Inputs gemessen werden. So könnte ein Bildungsausgaben-Gini280 oder ein Gesundheitsausgaben-Gini messen, wie (sozialstaatliche) Leistungen auf die Bürgerinnen und Bürger verteilt werden. Soziologie sozialer Ungleichheit und Sozialpolitik. In der Arbeit wurde gezeigt, welche zentrale Rolle sozialstaatliches Handeln für die Stratifikation von Gesellschaften hat. Der Sozialstaat ist keine periphere Reparatureinrichtung, die Ungleichheiten der Verteilung unwesentlich korrigiert, sondern zentrale Verteilungs- und Zuteilungsinstanz, die die Stratifikation an allen möglichen Stellen beeinflusst, aufrechterhält oder sogar verstärkt. Die politische Soziologie sozialer Ungleichheit […] muss im Sinne einer »logic of stratification«, die davon ausgeht, dass der Wohlfahrtsstaat – je nach rechtlicher und institutioneller Gestalt – einen prägenden Einfluss auf die soziale Gliederung und Schichtung hat und »auf diese Weise (…) einen seiner Struktur und Funktionsweise entsprechenden Gesellschaftsaufbau« [281] entwickelt, die politische Strukturierung sozialer Klassenverhältnisse und Ungleichheiten analysieren. Das Strukturgefüge der Gesellschaft muss in stärkerem Maße als Ausdruck von Rechtssetzung und Staatlichkeit, von politischer Herrschaft und Gestaltungsfähigkeit begriffen werden. Dabei geht es […] zuallererst um die sozialstrukturell formative und selektive Kraft des Wohlfahrtsstaats, dessen spezifisches soziales Produkt die breite Zone der Mittelklassen ist (Vogel 2004: 51).
Der mehrdimensionale und interdisziplinäre Ansatz der Ressourcentheorie gestattet dabei eine Vertiefung der Analyse, insbesondere in Bezug auf die Wechselwirkungen der verschiedenen Ressourcen und Fähigkeiten. Die auf die ZurVerfügung-Stellung beziehungsweise Zuteilung von Ressourcen und Fähigkeiten fokussierte Perspektive erlaubt dabei die Beziehung zwischen der einzelnen Bürgerin und dem einzelnen Bürger und dem Staat in den Blick zu nehmen. Sie kann durch den hier vorgestellten Ressourcenansatz vertieft werden oder auch durch einen modifizierten Ansatz, der neben der Zuteilung einen stärker austauschorientierten Ansatz wählt.282 Dafür könnte beispielsweise die psychologische Ressourcentheorie von Uriel und Edna Foa (Foa / Foa 1974, Foa / Converse / Törnblom et al. 1993), die für die Analyse des Austausches von Ressourcen in Beziehungen konzipiert ist, auf das Verhältnis von Staat und Bürger angewandt werden. 280
Eine Bildungs-Lorenz-Kurve würde den Anteil der Bildungsausgaben (y%) angeben, der für x% der Personen aufgewendet wird. Daraus könnte ein Bildungsausgaben-Gini abgeleitet werden. 281 Zit. n. Lütz, Susanne / Czada, Roland (2000): Marktkonstitution als politische Aufgabe. Problemskizze und Theorieüberblick. In: dies. (Hrsg.): Die politische Konstitution von Märkten. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. S. 9–35. Hier: S. 27 282 Periphere Hinweise zum Austausch geben Opielka 2004: 87, Klages 1988
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Genderforschung und Sozialpolitik. In der Arbeit wurde gezeigt, dass der Typus des Wohlfahrtsregimes starke Auswirkungen auf die Position von Frauen und Männern und auf die Verhältnisse zwischen Frauen und Männern hat. Der Ressourcenansatz könnte für die Genderforschung, wie übrigens auch für Untersuchungen mit einem Intersectionality-Ansatz ergiebig sein, wenn es gelingt, aufzuzeigen, wie die Unterschiede in der Ausstattung mit Ressourcen und Fähigkeiten im Lebensverlauf entstehen und wie dabei (kulturell bedingtes) genderspezifisches Handeln, beispielsweise innerhalb der Familien, und staatliche Interventionen interagieren. Benachteiligungen in der Familie, wie beispielsweise eine familiäre Sozialisation, die versucht Frauen klar zu machen, dass sie weniger wert sind als Männer und damit zu geringeren psychischen Ressourcen führt oder deren Benachteiligungen bei der Finanzierung der Ausbildung und später bei Erbgängen interagieren zuerst mit der schulischen Sozialisation, dann mit Ausbildungs- und Berufsentscheidungen und – bei einer Familiengründung – mit den Wirkungen von Ehegattenbesteuerung, gesetzlicher Regelungen zur Mutterschaft und der Institutionalisierung der Kinderbetreuung. Gelingt es nun, genderspezifische Muster in der Zuteilung von Ressourcen festzustellen und deren Hintergründe zu beleuchten, so können Benachteilungen und ihre Folgen sichtbar gemacht und biologisch-naturalisierende Begründungen in Frage gestellt werden. Eine Intersectionality-Perspektive könnte verschiedene Arten der Benachteiligung hinsichtlich der Ressourcen und Fähigkeiten vergleichen. Zum Verhältnis subjektiver und objektiver Methoden. Amartya Sen favorisiert die sogenannten objektiven Methoden, wie sie auch in der schwedischen Wohlfahrtsforschung verwendet werden, gegenüber den subjektiven Methoden im Sinne des amerikanischen Ansatzes gemäß Campbells Slogan „The quality of life must be in the eye of the beholder“ (Campbell 1972: 442; siehe oben S. 26). Er argumentierte, dass durch Anpassungsprozesse objektiv schlechte Lebensverhältnisse als gute wahrgenommen werden und belegte das anhand einer ländervergleichenden Untersuchung zur subjektiven Zufriedenheit mit dem eigenen Gesundheitszustand. Diese war in den Ländern mit der höchsten Lebenserwartung am geringsten (Sen 2000). In dieser Arbeit wurden zwei Arten des Zugriffs auf das Individuum thematisiert, wodurch eine übergeordnete Perspektive eingenommen werden kann: Erstens wurde im Anschluss an die Diskussion der Wohlfahrts- und Lebenslaufregime gezeigt, wie weitgehend die Institutionen des (Wohlfahrts-)Staats den Lebenslauf wie auch die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger regeln und bestimmen. Für die Bedeutung dieser „objektiven“ Mechanismen gibt es nicht unbedingt ein Bewusstsein bei den Bürgerinnen und Bürgern. Die Wirkungen sind häufig nicht offensichtlich, sie können allerdings, beispielsweise in Ländervergleichen, untersucht werden. Zweitens wurde im Anschluss an die Darstel-
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lung der Diskurse gezeigt, dass diese Diskurse und die (Wohlfahrts-)Kultur von Individuen von Einzelnen „in sich aufgenommen“, also „subjektiviert“ werden. Das Zustandekommen der so entstehenden subjektiven Sichtweisen zu lebensqualitätsrelevanten Themen bleibt aber nicht, wie im amerikanischen Ansatz der Wohlfahrtsforschung (siehe S. 26) unhinterfragt, statt dessen wird das Entstehen der Sichtweisen thematisiert. Aussagen über die erlebte, die „subjektive“ Lebensqualität benötigen eine Interpretation, die beides berücksichtigt: Einerseits bewerten solche Aussagen die jeweils länderspezifischen Strukturen, andererseits werden sie vor dem Hintergrund bzw. vor der Folie des eigenen kulturellen Verständnisses getätigt. Dementsprechend arbeiten qualitativ-rekonstruktive Verfahren nicht einfach mit Fragebögen („Wie hoch ist ihre Gesamtzufriedenheit: „sehr hoch?“, „hoch?“, „mittel?“, „gering?“, „sehr gering?“), sondern mit offenen Fragen, die es ermöglichen, den Hintergrund, vor dem solche Aussagen gemacht werden, mit in den Blick zu nehmen. Solche Untersuchungen bleiben nicht auf dem Niveau der Erhebung stehen („Gesamtzufriedenheit ist hoch“), stattdessen wird nach den Entstehungsbedingungen gefragt, also beispielsweise nach den Subjektivierungsweisen und den Subjektformierungen / Subjektpositionierungen. Die Entstehung der „subjektiven“ Lebensqualität muss also in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Mit dieser Betrachtung befinden wir uns im Heckwasser des Weber’schen Gegensatzes von erklären und verstehen. Die richtige kausale Deutung eines konkreten Handelns bedeutet: dass der äußere Ablauf und das Motiv zutreffend und zugleich in ihrem Zusammenhang sinnhaft verständlich erkannt sind. Eine richtige kausale Deutung typischen Handelns (verständlicher Handlungstypus) bedeutet: dass der als typisch behauptete Hergang sowohl (in irgendeinem Grade) als kausal adäquat festgestellt werden kann. Fehlt die Sinnadäquanz, dann liegt selbst bei größter und zahlenmäßig in ihrer Wahrscheinlichkeit präzis angebbarer Regelmäßigkeit des Ablaufs (des äußeren sowohl wie des psychischen) nur eine unverstehbare (oder nur unvollkommen verstehbare) statistische Wahrscheinlichkeit vor. Andererseits bedeutet für die Tragweite soziologischer Erkenntnisse selbst die evidenteste Sinnadäquanz nur in dem Maß eine richtige kausale Aussage, als der Beweis für das Bestehen einer (irgendwie angebbaren) Chance erbracht wird, dass das Handeln den sinnadäquat erscheinenden Verlauf tatsächlich mit angebbarer Häufigkeit oder Annäherung (durchschnittlich oder im »reinen« Fall) zu nehmen pflegt. Nur solche statistischen Regelmäßigkeiten, welche einem verständlich gemeinten Sinn eines sozialen Handelns entsprechen, sind (im hier gebrauchten Wortsinn) verständliche Handlungstypen, also: »soziologische Regeln« (Weber 2005 [1921]: 9).
Im Gegensatz zu Sens Favorisierung der objektiven Methoden wird hier also für eine Triangulation plädiert. Das hat auch etwas mit der Frage zu tun, wie Interventionen aus einem zunehmend besseren Verständnis von sozialepidemiologischen und sozialstrukturellen Zusammenhängen, sowie von der individuellen Nutzung von Ressourcen und Fähigkeiten u.s.w. abgeleitet werden können.
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5.2.2 Eine Anmerkung zum reduktionistischen Fehlschluss Ich glaube wen immer ich seh’ müsste glücklich sein. Wir mögen das Land, wir akupunktieren den Boden. Wir massieren die Straßen, wir cremen die Häuser. Wir wischen die Städte, wir kühlen die Motoren. Wir mögen das Land, wir akupunktieren den Boden, mit großen Stahlstangen […]. Wir salben den Beton, wir verbinden die Drähte, wir trösten die Maschinen, wir besprechen die Membranen. Der Infrastruktur legen wir die Hände auf, mit großen Händen […]. (Aus dem Lied „Räume räumen“. PeterLicht 2008)
PeterLichts Welt-Verbesserungsvorschläge weisen auf ein Skalierungsproblem von Interventionen hin. Wissen über „Makro-Zusammenhänge“ verleitet dazu vorschnell abhelfende Interventionen abzuleiten. Tatsächlich wird in zunehmendem Maße versucht, sozialpolitische Probleme mit Hilfe von abstrakten, materiellen Anreizmechanismen zu lösen, statt auf Aufklärung, Empowerment und demokratisches Ausloten von Bedürfnissen zu setzen: So wurde kürzlich vorgeschlagen, dem Problem des Übergewichts mit einer Fettsteuer oder höheren Krankenversicherungsbeiträgen zu begegnen (Apfel 2007). Der Gefährlichkeit des Rauchens kann mit Rauchverboten, einer höheren Zigarettensteuer oder ebenfalls mit finanziellen Nachteilen bei der Versicherung entgegnet werden. In Österreich haben Politiker sogar vorgeschlagen, das Kindergeld für Mütter zu kürzen, die während der Schwangerschaft und den ersten Lebensjahren ihrer Kinder rauchen (ORF 2007); und in der Schweiz wurde die Einführung einer Lärmsteuer diskutiert (NZZ 2007). Arbeitslose, die einen Mangel an finanziellen Ressourcen aufweisen, kann man in Workfare-Programmen unterbringen, oder – wenn fehlende Bildung als Grund entdeckt wurde – in Learnfare-Programmen (vgl. Wilke 2002: 191, Lightman 1997: 93). Auch in der Entwicklungshilfe – genannt wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – werden Leistungen verstärkt an Gegenleistungen gebunden, die beispielsweise die Form von foodfor-work, food-for-education oder cash-for-education annehmen können (Leisering / Buhr / Traiser-Diop (2007: 147). Es wurde gezeigt (insbes. Kap. 4.3.1), dass sich eine solche Ausübung von Zwang, genannt Konditionalität, zunehmend verbreitet. Zuletzt wurde dieser Trend auf den Bereich der Gesundheit ausgedehnt; das wird in der Wissenschaft (z. B. Mazumdar 2008) und der Belletristik (z. B. Zeh 2009, Lütz 2005, siehe aber bereits Butler, Samuel (1994 [1872]) gleichermaßen wahrgenommen. Es scheint für den Staat nahe zu liegen, Gesundheitsfragen und soziale Probleme mittels einer Erhöhung der Disziplinierung oder der Selbstdisziplinierung der Bürgerinnen und Bürger erreichen zu wollen –
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immer davon ausgehend, dass die Bürger ihre „eigentlichen“ Möglichkeiten ein besseres Leben zu führen, nicht ausreichend nutzen – anstatt wie Amartya Sen darauf zu vertrauen, dass Bürgerinnen und Bürgern, denen ausreichend Spielräume für die Gestaltung ihres Lebens und für die Verfolgung eigener Interessen zu Verfügung stehen, für sich sinnvoll wählen würden: Die Ziele und Mittel von Entwicklung erfordern es, den Standpunkt der Freiheit in den Mittelpunkt zu rücken. In dieser Perspektive müssen wir die Menschen als aktive Subjekte ihres eigenen Schicksals behandeln und ihnen die entsprechenden Spielräume zubilligen, statt in ihnen die passiven Empfänger der Früchte ausgeklügelter Entwicklungsprogramme zu sehen. Staat und Gesellschaft kommt die große Verantwortung dafür zu, die menschlichen Verwirklichungschancen zu erweitern und zu schützen. Doch ihre Aufgabe ist es lediglich, die nötige Hilfestellung zu geben, nicht aber Fertiglösungen anzubieten (Sen 2000: 70).
Anstelle dieser Bescheidenheit treten Zwangsmassnahmen, die entstehende Handlungsspielräume immer wieder verkleinern: Die Förderung von Handlungsspielräumen ist nicht zu trennen von der Forderung, einen spezifischen Gebrauch von diesen »Freiheiten« zu machen, so dass die Freiheit zum Handeln sich oftmals in einen faktischen Zwang zum Handeln oder eine Entscheidungszumutung verwandelt. Da die Wahl der Handlungsoptionen als Ausdruck eines freien Willens erscheint, haben sich die Einzelnen die Folgen ihres Handelns selbst zuzurechnen (Lemke / Krasmann / Bröckling 2000: 30).
Bei der Planung von Interventionen begehen Staaten – wie teilweise auch die Wissenschaft – einen „reduktionistischen Fehlschluss“: Quantitative Zusammenhänge, wie sie die Sozialepidemiologie und die Soziologie sozialer Ungleichheit hervorbringt, also beispielsweise zwischen Einkommen und Gesundheit oder zwischen Bildung und Gesundheit sind zuerst einmal Korrelationen, aber noch keine Kausalzusammenhänge (siehe z. B. Jungbauer-Gans / Gross 2006: 85). Häufig sind weder die Übertragungswege (siehe oben Kap. 2.4.3), noch die Transformationsketten (siehe oben S. 109), noch die subjektiven Vorstellungen und Wahrnehmungen über die Probleme ausreichend erforscht. Wir wissen, dass weniger Einkommen und weniger Bildung zu einem kürzerem Leben führt, aber es gibt bisher nur ein geringes Wissen über die dahinterliegenden Mechanismen. Wir wissen, dass Rauchen ungesund ist und dass in unterschiedlichen Schichten in unterschiedlichem Maße geraucht wird – unklarer ist allerdings, woher die Lust an der Betäubung kommt, wodurch diese Lust ausgelöst wird, auf welche Weise Rauchen das Leben erträglicher macht und wieso es erträglicher gemacht werden muss. Das Fehlen von solchem Wissen ist der Grund, weshalb aus abstraktem Zahlenwissen nicht direkt sinnvolle Interventionen abgeleitet werden können.
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In der Praxis scheinen Interventionen gerade dann gut zu funktionieren, wenn Menschen in (Änderungs-)Prozesse eingebunden werden, wenn sie dabei ihre Bedürfnisse einbringen können und eine Achtung ihrer Person und ihrer Probleme erfahren.283 Genau bei diesen Prozessen spielt die Subjektivität der Menschen eine zentrale Rolle. Forschung, die den Menschen etwas bringen soll, darf sich deshalb nicht alleine auf statistische Zusammenhänge stürzen, sondern muss danach fragen, wie die angegangen Probleme und die Interventionen subjektiv gesehen und bearbeitet werden. Abstrakte quantitative Analysen wie sie die Sozialepidemiologie liefert und qualitative Ansätze müssen dabei miteinander verbunden werden. Dass Maßnahmen besser gelingen, wenn sie personen-nah konzipiert werden, hat aber nicht nur etwas mit der Menge vorhandenen Wissens zu tun oder damit, dass eine solche Herangehensweise robuster gegen Fehlschlüsse ist.284 Die Einbindung selbst ist etwas, dass den Menschen Anerkennung zuspricht, Selbstbewusstsein vermittelt und Vertrauen stiftet. Interventionen, die die Menschen und ihre Bedürfnisse möglichst weitgehend einbinden, können auch eine Form gelebter Demokratie darstellen.
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Ich danke Andreas Mielck für Hinweise zu dieser Frage im Rahmen eines Vortrages an der Hochschule München. Augenblicklich stehen insbesondere die Sozialepidemiologie und die Erziehungswissenschaften an einem Punkt, an dem gute Analysen der Ist-Situation vorliegen, aber vergleichsweise wenige Kenntnisse darüber, wie man auf diese Ist-Situation verbessernd einwirken kann. 284 Solche Interventionen führen zu einem schnelleren Feedback. Das ist dann besonders wichtig, wenn die Wirksamkeit der Intervention im Vorhinein nicht abgeschätzt werden kann, was häufig der Fall ist. Wenn Mackenbach / Bakker / Sihto et al. (2002: 33) für den Bereich Gesundheit schreiben „Any attempt to reduce socioeconomic on equalities in health should be based on an understanding of their causes”, dann steckt darin wohl eine Überschätzung wissenschaftlichen Wissens. Ein reflektierter Umgang mit Nicht-Wissen könnte zielführender sein, eben auch weil ein Wissen über die Gründe nichts über das Gelingen von Interventionen aussagt und weil Interventions-Experimente schnell relevantes Wissen produzieren können.
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