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Springer-Lehrbuch
Für weitere Bände: http://www.springer.com/series/1183
Werner A. Müller Monika Hassel
Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender Modellorganismen 5. Auflage
Werner A. Müller Heidelberg Deutschland
Monika Hassel Marburg Deutschland
ISSN 0937-7433 ISBN 978-3-642-28382-6 DOI 10.1007/978-3-642-28383-3
978-3-642-28383-3 (eBook)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Spektrum c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1999, 2003, 2006, 2012 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Spektrum ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media www.springer-spektrum.de
Vorwort
Die auffälligste Neuerung dieser 5. Auflage gegenüber den Vorauflagen ist die mehrfarbige Gestaltung der Abbildungen; inhaltlich ist mehr Raum den Themen „Entwicklung des Menschen“ (einschließlich medizinischer Aspekte) und „Evolution von Entwicklungsprozessen“ gewidmet. Manche Kapitel sind umgestellt, viele erweitert, alle auf den neuesten Stand gebracht, soweit dies in einem einführenden Lehrbuch möglich ist. Beibehalten wurde jedoch das didaktische Grundkonzept: Die Entwicklung bedeutender Modellorganismen und des Menschen werden in geschlossenen Einzelabhandlungen dargestellt; dies enthebt den Leser/die Leserin von der Mühsal, die gesamte Entwicklung etwa der Drosophila, von Xenopus oder der Maus und die Embryonalentwicklung des Menschen aus vielerlei in mehreren Kapiteln verstreuten Abschnitten und Abbildungen selbst zusammenstellen zu müssen. Alsdann werden in vergleichenden Darstellungen Themen wie Befruchtung, Sexualentwicklung, Entwicklungsgenetik, Klonen und transgene Tiere, Entwicklung des Nervensystems, Stammzellen und regenerative Medizin, sowie Aspekte der Evolution zusammenfassend dargestellt. Jedes Kapitel sollte in sich geschlossen und für sich verstehbar sein; denn die Erfahrung lehrt, dass Lehrbücher nur abschnittsweise gelesen werden. Dieses Konzept erzwingt es, dass in den vergleichenden Abhandlungen manches aus der Entwicklung einzelner Organismen wiederholt wird. Verweise auf Abbildungen und Ausführungen in anderen Kapiteln zielen auf ergänzende Informationen und parallele Erscheinungen. Separate Boxen behandeln Sonderthemen wie Von der Seele zur Information: Geschichte der Entwicklungsbiologie Pränataldiagnostik, gesetzliche Bestimmungen in Deutschland: Embryonenschutzgesetz, Schwangerschaftsabbruch Aspekte der Reproduktionsmedizin, Störungen der Sexualentwicklung Genetische und molekularbiologische Methoden der Entwicklungsbiologie und spekulative Diskussionsbeiträge wie Ungelöste Rätsel: Urmund, Mund und primäre Körperachsen – homolog oder nicht? Ungereimtheiten der Lehrtradition: drei Keimblätter – und nicht mehr?, sowie „ektodermales“ Nervensystem. Diese Sonderthemen und die Betonung auf „Mensch“ sind Alleinstellungsmerkmale dieses Lehrbuchs. Im Dienste einer flüssigen Lesbarkeit haben wir darauf verzichtet, hinter jeder Aussage die Literaturquelle anzugeben. Ein einführendes Lehrbuch darf sich in diesem Punkt von Review-Artikeln in Fachzeitschriften unterscheiden. In der ausführlichen Literaturliste am Ende des Buches wird man bei Bedarf die Referenzquellen finden. V
VI
Vorwort
Die Abbildungen sind, wie bisher auch, zur Wahrung eines einheitlichen didaktischen Konzepts vom Autor WM selbst angefertigt worden. Fotografien verdanken wir aber auch anderen Urhebern. Manche Kollegen sind uns beigestanden durch Begutachtung unserer Abbildungsentwürfe oder durch kritische Lektüre einzelner Abschnitte. Wir danken Prof. Dr. Martin Blum, Stuttgart, Prof. Dr. Angelika Böttger, München, Prof. Dr. Bert Hobmayer, Innsbruck, Prof. Dr. Christof Niehrs, Heidelberg, Prof. Dr. Renato Paro, Zürich, Prof. Dr. Herbert Steinbeisser und Prof. Dr. Jochen Wittbrodt, Heidelberg. Schließlich danken wir den Mitarbeitern des Springer-Verlages, welche diese Neuauflage ermöglicht und betreut haben, insbesondere Frau Stefanie Wolf. Heidelberg und Marburg, April 2012
Werner Müller, Monika Hassel
Inhaltsverzeichnis
1
Entwicklung und Reproduktion: Wesenszüge des Lebendigen in der Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Entwicklung als Selbstkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Reproduktion: Sex versus natürliches Klonen . . . . . . . . . . . . . 10
2
Etappen und Prinzipien der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.1 Etappen der Entwicklung in der Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.2 Allgemeine Prinzipien in Kurzfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
3
Der Start: Befruchtung, Aktivierung des Eies und erste Zellteilungen (Furchung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Befruchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Aktivierung des Eies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Nicht-chromosomale Informationsträger . . . . . . . . . . . 3.4 Erste Zellteilungen: die Furchung und der MPF-Oszillator
4
. . . . .
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. . . . .
Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose . . . . 4.1 Der Seeigel-Keim: Basismodell für tierische Entwicklung und Objekt historisch bedeutsamer Experimente . . . . . . . . . 4.2 Ein Außenseiter: Dictyostelium discoideum . . . . . . . . . . . . 4.3 Hydra und weitere Cnidarier: Unsterbliche Polypen und historische Pioniermodelle der Entwicklungsbiologie . . . . 4.4 Caenorhabditis elegans: ein Beispiel für invariante Zellstammbäume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Spiralier: ein in der Natur oft benutztes Furchungsmuster . . . . 4.6 Drosophila melanogaster: Referenzorganismus der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie . . . . . . . . 4.7 Tunikaten: „Mosaikentwicklung“ im Stamm der Chordaten? . .
. . . . .
. . . . .
35 35 41 44 46
. . 53 . . 53 . . 64 . . 69 . . 78 . . 82 . . 84 . . 107
5
Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere . 5.1 Xenopus: Referenzmodell der Wirbeltierentwicklung . . . . 5.2 Zebrabärbling Danio rerio und der Medaka Orycias latipes 5.3 Amnioten: Hühnchen, Wachtel und Chimären von beiden . . 5.4 Die Maus: Stellvertreter für den Menschen . . . . . . . . . . .
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111 111 133 137 142
6
Die Embryonalentwicklung des Menschen . . . . . . . . . . . 6.1 Der Mensch und Modellorganismen . . . . . . . . . . . . 6.2 Von den Urkeimzellen bis zur Befruchtung . . . . . . . . 6.3 Von der Befruchtung bis zum phylotypischen Stadium .
. . . .
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151 151 152 154
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. . . .
VII
VIII
Inhaltsverzeichnis
6.4 6.5 6.6 6.7 7
Schnittstelle Mutter/Kind: die Plazenta . . . . . . . . . . . . . . . . Hormonale Beziehungen zwischen Kind und Mutter . . . . . . . . Die Entwicklung des Menschen im Vergleich zu anderen Wirbeltieren: Gemeinsames, Trennendes, Aspekte der Evolution Konservative Wege versus Neuerungen in der Entwicklung der Wirbeltiere und des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
In Vorbereitung auf neues Leben I: Geschlechtsbestimmung und Geschlechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Wesen der Sexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Geschlechtsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Die frühe Sexualentwicklung bei Säugern und dem Menschen . 7.4 Das psychische Geschlecht und postnatale Sexualentwicklung .
. . . . .
. 162 . 166 . 180 . 186 . . . . .
195 195 196 199 208
8
In Vorbereitung auf neues Leben II: Gametogenese: Die Entstehung von Ei und Spermium und deren Ausstattung mit einer Mitgift . . . . 219 8.1 Keimbahn und Urkeimzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 8.2 Die Oogenese: Herstellung und Bevorratung der Eizelle . . . . . . . 225 8.3 Die Spermatogenese: das Herstellen von Spermien . . . . . . . . . . 230 8.4 Weitere Mitgift: maternale und paternale Prägung . . . . . . . . . . 232 8.5 Genetische Konsequenzen der Soma-Keimbahn-Trennung . . . . . 232
9
Positionsinformation, Musterbildung I: Spezifikation der Körperkoordinaten und erste Schicksalsbestimmung durch maternale Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Das Starten ortsgerechter Differenzierungsprogramme . . . . . 9.2 Festlegung der Körperachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Frühe Determination von Zelltypen durch maternale Faktoren 9.4 Autonome versus abhängige Entwicklung, asymmetrische Zellteilung versus Zell-Zell-Interaktion . . . . . . . . . . . . . .
10
11
. . . .
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. . . .
235 235 236 242
. . . 243
Positionsinformation, Musterbildung II: Embryonale Induktion und Musterbildung durch Zell-Zell-Kommunikation . . . . . . . . . 10.1 Positionsinformation und die Erzeugung neuer Muster . . . . . 10.2 Musterbildung durch Signalaustausch zwischen Nachbarn über direkten Zellkontakt: laterale Inhibition und laterale Hilfe 10.3 Embryonale Induktion und der Spemann-Organisator . . . . . . 10.4 Induktionskaskaden und Identifizierung der Signale . . . . . . . 10.5 Musterbildung: Morphogene und Gradiententheorie . . . . . . . 10.6 Das Herz am rechten Fleck: Links-rechts-Asymmetrie . . . . . . 10.7 Morphogenetische Felder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8 Modellfelder: die Knospen für Vogelflügel und Mäusebein . . . 10.9 Musterkontrolle und Positionsgedächtnis bei Hydra . . . . . . . 10.10 Musterkorrektur durch Interkalation . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.11 Periodische Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . 247 . . 247 . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
249 252 257 262 267 270 271 280 285 286
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion . . . . . . . . . 293 11.1 Signalsysteme und Mechanismen der Signalweiterleitung: ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Inhaltsverzeichnis
IX
11.2 11.3 11.4 12
13
14
Wie Zellen miteinander kommunizieren: Signal-Transmission und Propagation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Signalsubstanzen und die von ihnen aktivierten Transduktionssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Lipophile Signalsubstanzen und Steuerung der Genaktivität . . . . 315
Entwicklung und Gene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Differentielle Genexpression als Basis der Differenzierung . . 12.2 Gene zur Spezifikation von Körperregionen und Organen: Hox-Gene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Gene zur Programmierung von Augen und Zelltypen . . . . . 12.4 Entwicklungssteuernde Gene und Transkriptionskontrolle: ein Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Epigenetik: Reversible Veränderungen in der Zugänglichkeit von Genen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6 Irreversible Veränderung des Genoms und damit des Zelltyp-spezifischen genetischen Programms .
. . . 321 . . . 339 . . . 344 . . . 351 . . . 355 . . . 359 . . . 364
Anwendungsorientierte Experimente an Frühkeimen der Wirbeltiere: Klonen, Chimären, Teratome, transgene Tiere . . . . 13.1 Klonen: die Herstellung genetisch identischer Kopien . . . . . . . . 13.2 Versuche mit Chimären und Teratomen – und was solche Versuche (nicht) bringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Genetische Manipulationen an Embryonen: K.o.-Mutanten und transgene Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morphogenese: Gestaltbildung durch aktive Zellbewegung, differenzielle Zelladhäsion und Zelltod . . . . . . . . . . . . . . 14.1 Aktive Zellbewegung und Ortsveränderung . . . . . . . . 14.2 Gleitvorgänge und Zellsortierung kraft differenzieller Zelladhäsion . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Zelladhäsionsmoleküle und Zellerkennung . . . . . . . . . 14.4 Die Bildung verzweigter tubulärer Strukturen: Tracheen, Lungen, Blutgefäße, Nierentubuli . . . . . . . . 14.5 Gestaltbildung durch Entfernen von Zellen: Apoptose, der programmierte Zelltod . . . . . . . . . . . .
369 369 376 378
. . . . . . 385 . . . . . . 385 . . . . . . 386 . . . . . . 388 . . . . . . 390 . . . . . . 392
15
Fernwanderer und die vielfältigen Schicksale der ausgewanderten Neuralleistenzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 15.1 Urkeimzellen und Blutzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 15.2 Neuralleisten-Abkömmlinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1 Vorbereitung im frühen Embryo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2 Morphologische Entwicklungsgeschichte des Nervensystems . . . 16.3 Die genetische Programmierung des Zentralnervensystems . . . . . 16.4 Direkt ans Gehirn angeschlossene Sinnesorgane des Kopfes . . . . 16.5 Das periphere Nervensystem und Zellmigration über weite Strecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.6 Navigation der Nervenfortsätze und Vernetzung der Nervenzellen
403 403 406 417 422 423 426
X
Inhaltsverzeichnis
16.7 16.8 16.9
Der Anschluss des Auges und Riechepithels an das Gehirn . . . . . 429 Im Rückenmark und vom Rückenmark in die Peripherie . . . . . . 438 Plastizität: Korrekturen, Ausbau, Reserven . . . . . . . . . . . . . . . 440
17
Herz und Blutgefäße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1 Vom scheinbaren Chaos zur Ordnung . . . . . . . . . 17.2 Das Herz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3 Blutgefäße: Vasculogenese und Angiogenese . . . . 17.4 Anpassung des Kreislaufs vor und nach der Geburt .
. . . . .
. . . . .
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. . . . .
. . . . .
18
Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin . . . . . . . . . . . . 18.1 Die stetige Grunderneuerung des Organismus; Stammzellen des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2 Die hämatopoietischen (blutbildenden) Stammzellen . . . . . . . . 18.3 Regenerative Medizin: Gewebe- und Organersatz aus Stammzellen . . . . . . . . . . . . . 18.4 iPSC: Reprogrammierung differenzierter Zellen zu pluripotenten Stammzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.5 Regeneration ganzer Körperteile und von Organen: Wirbellose und Wirbeltiere im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . 18.6 Die zellulären Grundlagen eines hohen Regenerationsvermögens 18.7 Kontrollsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 479 . 480 . 485
19
Wachstumskontrolle und Krebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.1 Wachstumskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19.2 Krebs: Wesenszüge, Vorkommen, Begriffe . . . . . . . . . 19.3 Besondere Eigenschaften von Krebszellen und Tumoren 19.4 Ursachen einer Cancerogenese . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
. . . . .
20
Metamorphose und ihre hormonale Steuerung 20.1 Metamorphose: ein zweiter Phänotyp aus einer „zweiten Embryogenese“ . . . . . 20.2 Hormonale Steuerung der Metamorphose . 20.3 Auslösung der Metamorphose . . . . . . . . 20.4 Reverse Entwicklung . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
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. . . . .
445 445 445 447 453
. 457 . 457 . 462 . 469 . 475
493 493 494 495 497
. . . . . . . . . . . . . . . 503 . . . .
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503 506 511 514
21
Unsterblichkeit oder Altern und Tod: Was will die Natur? 21.1 Möglichkeit und Unmöglichkeit einer Immortalität . . . 21.2 Theorien des Alters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.3 Der Tod als genetisch vorprogrammiertes Ereignis . . .
. . . .
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. . . .
. . . .
517 517 518 520
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development) . . . . . . . . . . . . . . . . 22.1 Ein Rückblick auf Klassisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2 Neue Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns – Evo-Devo Biologie und ihre Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.3 Neues aus Überkommenem im genetischen Programm . . . . . . . 22.4 Der gemeinsame Satz molekularer Werkzeuge (molecular tool kit) 22.5 Variationen von Bauplänen innerhalb von Tierstämmen . . . . . . . 22.6 Rekonstruktion der großen Entwicklungsreihen und phylogenetischer Stammbäume . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
525 525 526 531 534 538 541
Inhaltsverzeichnis
XI
22.7 22.8
Evolution der Augen – Darwins Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . 552 Zur Evolution des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613
Liste der Boxen
1.1 2.1 3.1 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 7.1 7.2 7.3 9.1 10.1 10.2 12.1 12.2 16.1 19.1 22.1 22.2 22.3 22.4
Von der Seele zur Information: Zur Geschichte der Entwicklungsbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu den Begriffen Determination, Spezifikation, Commitment . . . . . . . Selbstbefruchtung und Parthenogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einige neue Aspekte der Reproduktionsmedizin des Menschen . . . . . . Geboren aus einer Jungfrau? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verantwortung gegenüber dem werdenden Kind . . . . . . . . . . . . . . . Pränataldiagnostik: Möglichkeiten und Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzliche Regelungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störungen der Sexualentwicklung beim Menschen und mögliche Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Störungen der Sexualentwicklung und Fertilität durch Hormon-ähnliche Fremdsubstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Männer: Ein aussterbendes Geschlecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wo ist vorn, wo hinten, wo ist oben, wo unten? Quellen primärer Positionsinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie können Gradienten erkannt und sichtbar gemacht werden? . . . . . . Modelle zur biologischen Musterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Nomenklatur von Genen und Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genetische und molekularbiologische Methoden der Entwicklungsbiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genetische Netzwerke in der Entwicklung des Nervensystems . . . . . . Die Hypothese der Mehrstufen-Carcinogenese . . . . . . . . . . . . . . . . Die Sage von den drei Keimblättern – Ungereimtheiten und irreführende Terminologien in der vergleichenden Entwicklungsbiologie . . . . . . . . Ungelöste Rätsel: Urmund, Mund und primäre Körperachsen – homolog oder nicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie sahen die Urbilateria aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sind bei Wirbeltieren und Arthropoden Bauch- und Rückenseite vertauscht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 30 40 169 170 171 174 178 209 212 215 236 263 277 321 322 416 501 544 546 549 551
XIII
1
Entwicklung und Reproduktion: Wesenszüge des Lebendigen in der Übersicht
1.1 Entwicklung als Selbstkonstruktion 1.1.1 Lebewesen konstruieren und organisieren sich selbst auf der Basis ererbter Information Zu den Wesenszügen lebender Organismen, besonders der vielzelligen Lebewesen, gehört ihre Fähigkeit, sich zu entwickeln, das heißt, aus einfachen Anfangszuständen heraus eigenständig komplexe Strukturen aufzubauen und eine artgemäße Endgestalt zu erlangen. Es geht in diesem Buch um Entwicklung im Sinne von Ontogenie, also um die Entwicklung im Zuge eines individuellen Lebens, das in der Regel mit der Befruchtung eines Eies beginnt und mit dem Tode des Individuums endet. Entwicklung im Sinne der Phylogenie oder Evolution, die sich als allmähliche Umgestaltung der Organismen im Zuge langer Generationsfolgen darstellt, wird hier nur insofern behandelt, als wir im Schlusskap. 22 die Abwandlung ontogenetischer Entwicklungsmuster in der Evolution diskutieren. Auch kleine Änderungen in der molekularen Steuerung der Entwicklung können große Änderungen in den Bauplänen zur Folge haben. Selbstkonstruktion und Selbstorganisation sind Begriffe, die das Wesentliche der ontogenetischen Entwicklung auf eine kurze Formel zu bringen versuchen. Die Entwicklung eines vielzelligen Lebewesens startet ja im Regelfall mit einer einzigen Zelle, der befruchteten Eizelle, die kaum den Organisationsgrad eines Einzellers erreicht. In der Eizelle oder gar im winzigen Spermium einen schon fertigen Organismus beispielsweise einen Homunculus (Abb. 1.1) zu sehen, war
nur dem fantasievollen Auge früherer Naturkundler möglich. Der heutige Zellbiologe, Biochemiker oder Molekularbiologe findet in der befruchteten Eizelle nicht viel mehr als in sonstigen Zellen auch. Sie kann im Einzelfall zwar riesig sein – die gelbe Kugel im Hühnerei ist eine Eizelle – doch ihre subzellulären Strukturen sind, auch im Elektronenmikroskop, nicht vielgestaltiger als in zahlreichen anderen Zelltypen. Und doch wird aus dieser unauffälligen Zelle ein hochkomplexes Gebilde mit Abermillionen verschiedener Zellen, die in einem hochgradig geordneten Zusammenspiel selbst den Organismus, das Individuum, formen. Lebewesen können – bei vielen Pflanzen und „niederen“ Tieren – nicht nur aus befruchteten Eizellen entstehen, sondern auch durch die Vermehrung bereits entwickelter, vielzelliger Lebewesen (Abschn. 1.2.1). Doch auch dann, wenn sich Lebewesen im Zuge einer asexuellen oder vegetativen Fortpflanzung (traditioneller Ausdruck) selbst klonen, ist es anfänglich ein Verband aus wenigen weitgehend gleichartigen Zellen, oft Knospe genannt, der das generative Startmaterial für die Entwicklung eines neuen Lebewesens darstellt.
Gleich, ob das neue Leben mit einer Eizelle oder Knospe beginnt: Das fertig entfaltete Lebewesen ist von einer Komplexität, die unser Vorstellungsvermögen weit übertrifft. Jeder kann sich eine Eizelle oder eine Knospe vorstellen. Wer aber kann sich die ca. 100 Milliarden Nervenzellen unseres Gehirns mit ihren 1013 bis 1014 synaptischen Verbindungen in ihrer dreidimensionalen Architektur vorstellen? All die vielen und vielgestaltigen somatischen Zellen (somatisch D dem sterblichen Körper zugehörig), die aus generativen Fortpflanzungszellen (generativ D erzeugend) hervorgehen, gewinnen aber, anders als
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_1,
1
2
1
Entwicklung und Reproduktion: Wesenszüge des Lebendigen in der Übersicht
Abb. 1.1 Homunculus in einem Spermium, gesehen mit den Augen des Nicolas Hartsoeker (1694)
Mitglieder eines Klons von Einzellern, keine unabhängige Lebensfähigkeit, sondern sind nur in der Gemeinschaft des Zellenverbandes lebensfähig. Im Dienste dieser Gemeinschaft, die wir als Einheit betrachten und als Organismus oder Individuum bezeichnen, übernehmen die Zellen unterschiedliche Aufgaben; sie differenzieren sich morphologisch und funktionell und bauen gemeinsam vielzellige Strukturen, Gewebe und Organe auf. Dabei werden von Generation zu Generation jeweils dieselben Strukturen und Muster in derselben zeitlichen und räumlichen Ordnung hergestellt. Die Zunahme an Komplexität in der Ontogenie und die Gestaltbildung (Morphogenese) aus einfachen, anscheinend amorphen Ausgangszuständen haben früh die Frage nach den ursächlichen, formenden und ordnenden Prinzipien aufgeworfen. Aristoteles sah in der Seele das letztendlich formbestimmende Prinzip (Box 1.1); heute wird der genetischen Information die tragende Rolle zuerkannt. Die Möglichkeit, sich selbst reproduzierbar herzustellen, ist durch genetische Information (DNA des Kerns und der Mitochondrien) und durch weitere informationstragende Strukturen der Eizelle (maternale Information, cytoplasmatische Determinanten) gewährleistet; nicht jedoch ist die fertige Organisation selbst in der Eizelle vorgezeichnet. Sie enthält keinen „Bauplan“ im Sinne des üblichen Sprachgebrauchs; denn ein Bauplan ist eine Skizze des fertigen Gebildes. Schon um die Abermilliarden Verschaltungen im Zentralnervensystem zu skizzieren, wäre mutmaßlich weit mehr an Information nötig, als eine befruchtete Eizelle beherbergen kann.
Welche Information enthält das Genom (Summe aller Gene, Gesamtheit der genetischen Information) tatsächlich? Die Doppelhelixstruktur der DNA ermöglicht es, vor jeder Zellteilung exakte Kopien ihrer selbst herzustellen, die dann den Tochterzellen zugeteilt werden können. Das Genom ist in Abschnitte, Gene genannt, unterteilt. Ein Teil dieser Gene, neuerdings als „codierende“ Gene definiert, enthält Informationen, in welcher Reihenfolge welche Aminosäuren verkettet werden müssen, damit all die vielen Proteine, die eine Zelle braucht, ihre korrekte Primärstruktur erhalten. Hierfür wird im Zuge der Transkription die Information eines Gens in Form einer mRNA (messengerRNA) kopiert und diese ins Cytoplasma exportiert. Dort kann, sogleich oder später, mittels dieser mRNA an den Ribosomen ein Protein hergestellt (Translation) werden. Der gesamte Prozess, Transkription plus Translation, wird als Genexpression zusammengefasst. Andere Gene enthalten Information, die es ermöglicht Hilfsmittel der Proteinsynthese, speziell tRNAs und rRNAs, herzustellen. Weitere Abschnitte des Genoms codieren für kurzkettige regulatorische RNA Moleküle, die wichtige Funktionen erfüllen und in Kap. 12 zur Sprache kommen werden. Im Genom kann auch eine raum-zeitliche Organisation verwirklicht sein. So sind manche Gene auf den Chromosomen in einer Reihenfolge angeordnet, die dem räumlichen und zeitlichen Muster ihrer Expression entspricht. Solche Entsprechungen (Kolinearität) finden sich in den Hox/HomGenclustern, welche Körperregionen markieren (Kap. 4, Abschn. 4.6 und Kap. 12). Auch in den „nicht-codierenden (non-coding)“ Genomabschnitten kann Information verborgen sein, wenn sie beispielsweise als Bindungsstellen für regulatorische Transkriptionsfaktoren dienen und so zur Steuerregion für codierende Gene werden. Sie heißen dann Promotoren oder Enhancer (Verstärker). Weitere potenzielle Funktionen nichtcodierender DNA-Abschnitte werden in Kap. 12 diskutiert. Es überfordert unser Vorstellungsvermögen, wenn wir im Einzelnen ableiten wollten, wie der sich entwickelnde Keim auf der Basis solcher Minimalinformation sich als zunehmend komplexer werdendes
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Gebilde selbst aufbaut oder durch Regeneration Verlorenes wieder ergänzt.
1.1.2 Entwicklung bedeutet auch Zunahme an Komplexität, ermöglicht durch vernetzte Genaktivitäten und Zell-Zell-Wechselwirkungen Wie ist es möglich, dass ein lebendes System seinen eigenen Komplexitätsgrad steigern kann? Zwei partielle Erklärungen für diesen Komplexitätsgewinn werden in den folgenden Kapiteln herausgearbeitet und hier kurz zusammengefasst: Kombinatorik auf der Ebene der Gene In den verschiedenen Zelltypen, Organen, Körperregionen werden zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Kombinationen von Genen wirksam. Mit mehreren Tausend Genen, wie sie alle vielzelligen Tiere besitzen, ist eine praktisch unerschöpfliche Vielfalt von Kombinationen in den Genaktivitäten möglich. Dabei sind die Genaktivitäten durch vielerlei Querverbindungen miteinander vernetzt. Zellsoziologie Zellen interagieren miteinander; sie bilden eine Gesellschaft, in der sich ihre Mitglieder wechselseitig beeinflussen. Die Zellen verteilen in wechselseitiger Absprache untereinander Aufgaben und Rollen. Ihre Verhaltensmuster sind nicht allein von innen heraus durch die Gene determiniert, sondern auch von außen durch Energie- und Informationszuflüsse aus ihrer zellulären Nachbarschaft und, in späteren Phasen der Entwicklung, aus der Umwelt des Lebewesens.
1.1.3 In einer Population gibt es in aller Regel von jedem Gen mehrere Varianten, Allele genannt. Die individuelle Kombination seiner Allele bestimmt den Genotyp des Individuums; unterschiedliche Genotypen erzeugen in der Regel unterschiedliche Phänotypen Im Verlaufe von Jahrtausenden erfahren Gene Mutationen, auch in den Keimzellen einzelner Individuen. Einige Mutationen bleiben erhalten, sodass der Gen-
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pool einer Tier- oder Pflanzenart mehrere Varianten eines Gens enthält. Diese einstmals durch Mutation entstandenen Varianten eines Gens nennt man Allele. Die Mehrzahl aller Lebewesen, der pflanzlichen und der tierischen einschließlich des Menschen, ist diploid. Dies besagt, dass die Kerne ihrer Zellen von jedem Gen zwei Ausgaben, zwei Allele, enthalten, die sich im Regelfall in einzelnen Basenpaaren voneinander unterscheiden und möglicherweise ihre Funktion unterschiedlich gut erfüllen. Jedes Individuum, das sein Dasein einem Akt sexueller Fortpflanzung verdankt, enthält eine einmalige Kombination solcher Allele. Diese individuelle Kombination der Allele nennt man Genotyp. Der individuelle Genotyp kann seinen Ausdruck finden in einem individuellen Phänotyp, einer individuellen Erscheinungsform. Zwar wird sich keinesfalls jede Mutation phänotypisch bemerkbar machen; doch ermöglicht die Fülle möglicher Allelkombinationen individuelle Vielfalt im Rahmen der arttypischen Gesamterscheinung.
1.1.4
Die genetische Mitgift enthält Information, um mehr als nur einen Phänotyp zu entwickeln
In der Embryonalentwicklung ändern sich laufend die äußere Gestalt (Morphologie) des Embryos und die Struktur der Zellverbände in Epithelien, Geweben und Organen. Die Form und zelluläre Zusammensetzung des Körpers verändert sich dabei hin zu höherer Komplexität. Der neue Organismus wird mit allem ausgestattet, was er braucht, um ein eigenständiges Leben zu führen, wenn er aus der Eihülle schlüpft oder die Mutter ihn ans Licht der Welt bringt. Ein und dasselbe Genom erlaubt dramatische Veränderungen des Phänotyps im Lebenslauf der meisten Tiere. In der Regel treten zwei sehr verschiedene Phänotypen auf, die über eine geraume Zeit stabil bleiben und ein eigenständiges Leben führen. Vielfach mündet die Embryonalentwicklung in einen ersten stabilen Phänotyp, der zwar mobil ist und Nahrung zu sich nehmen kann, sich aber nicht fortpflanzt. Ist dies so, wird er Larve genannt (sie trägt je nach Tiergruppe unterschiedliche Namen, z. B. Raupe bei Schmetterlingen, Engerling bei Käfern, Kaulquappe bei Fröschen). Nach einer Phase des Wachstums wandelt sich die Larve im Zuge einer dramatischen Metamorphose (Umgestaltung) in einen zweiten Phänotyp um, der
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Entwicklung und Reproduktion: Wesenszüge des Lebendigen in der Übersicht
Box 1.1: Von der Seele zur Information: Zur Geschichte der Entwicklungsbiologie
Begründung der Entwicklungsbiologie im antiken Griechenland Obgleich Embryonen bereits in Schriften des altindischen Sanskrit und in altägyptischen Bildern dargestellt sind, war es doch der Grieche Aristoteles (384–322 v. Chr.), Sohn eines Arztes, der als erster systematisch entwicklungsbiologische Studien betrieb, das Beobachtete zu deuten versuchte und bleibende Begriffe schuf. Der Philosoph, Philologe, Staatslehrer und Erzieher des makedonischen Prinzen Alexander, den die Nachwelt Alexander den Großen nennen sollte, war auch ein begeisterter Naturforscher. Aristoteles war es, der die ersten Lehrbücher der Zoologie und Entwicklungsbiologie schrieb. Es zählen dazu das vielbändige Werk „Geschichte der Tiere“ (Peri ta zoa historiai, in Latein: Historia animalium), in dem sich auch Kapitel zur Entwicklung befinden, und das fünfbändige Werk „Von der Zeugung und Entwicklung der Tiere“ (Peri zoon geneseos; Lat.: De generatione animalium). Weitere Ausführungen zur Entwicklungsbiologie sind in den Büchern „Über die Seele“ (Peri psyche; Lat.: De anima) und in der „Metaphysik“ zu finden. Aristoteles unterschied vier Möglichkeiten, wie Organismen entstehen können: Urzeugung aus faulendem Substrat, aus dem u. a. Fliegen und Würmer hervorgehen sollten, Knospung, zwittrige und getrenntgeschlechtliche Fortpflanzung. Aristoteles beschrieb die Entwicklung des Hühnchens im Ei. (Im Folgenden: Noch heute gebrauchte Ausdrücke sind fett, heute nicht mehr gebrauchte kursiv gekennzeichnet.) Nach seiner Beobachtung liegt anfänglich eine unstrukturierte Masse vor, die im Zuge einer Morphogenese (Gestaltbildung) Form erhält. Inmitten der sich herausbildenden Gestalt beobachtete er den „springenden Punkt“, das pochende Herz. Ziel der Morphogenese sei das ergon, das fertige Werk, die Arbeit (im Sinne des Künstlers). Gestaltendes Prinzip ist laut Aristoteles die energeia (Energie, das im Inneren tätige Wirken, die Verwirklichung einer Möglichkeit), auch entelecheia genannt: dasjenige, welches das Ziel in sich birgt. Energie bzw. Entelechie ist Wirk- und Finalursache zugleich (Wirkursache D hervorbringende Ursache; Finalursache D Zweck, Ziel des Wirkens). Um eine artspezifische Ge-
stalt hervorbringen zu können, müsse das wirksame Prinzip eine Vorstellung (eidos D Bild, Idee) haben von dem, was geschaffen werden soll. Deshalb sei die letzte Wirkursache, die letzte Entelechie, die Seele (Psyche). „Sie (die Seele) bewirkt die Bildung ... eines anderen, ähnlichen Organismus. Ihre wesentliche Natur existiert bereits; ... sie bewahrt nur ihre eigene Existenz; ... Die primäre Seele ist das, was in der Lage ist, die Art zu reproduzieren.“ Die Seele besitzt, in die heutige Sprache der Biologie übersetzt, „genetische Information“. Aristoteles unterschied mit Plato: vegetative Seele (Ernährungsseele), die in allen Lebewesen tätig sei und Leben überhaupt ermögliche, animale Sinnenseele, die Empfindung ermögliche, und Geistseele, die Denken ermögliche. Die vegetative Seele ermögliche der Pflanze Regeneration und enthalte die formende Kraft auch der tierischen Entwicklung. Sie wohne dem Samen des Mannes inne und werde in der Zeugung vom Vater auf das Kind übertragen, während die Mutter (Lat.: mater) den zu formenden Stoff (hyle, Lat.: materia, Materie) als amorphen Monatsfluss liefere. Die Geistseele sei ewig, unsterblich, sei leidenslose, reine Energie und betrete den Körper des Menschen „durch eine Tür“. Aristoteles hat mit seinen Auffassungen Jahrhunderte geprägt. Bei allem Respekt vor seiner Persönlichkeit – was er über Urzeugung, Zeugung und Befruchtung behauptete, darf höflich verschwiegen werden.
Die Renaissance der Entwicklungsbiologie Die Embryologie erlebte ihre Wiedergeburt (Renaissance) im 16. Jahrhundert. In der Schule von Padua (Vesalius, Fallopio, Fabricius ab Aquapendente) wurde die Anatomie von Ovar und Hoden studiert. Der Friese Volcher Coiter (1514–1576) nahm die Studien des Aristoteles am Hühnchen wieder auf – er gilt als Vater der neuzeitlichen Embryologie – und verband seine Kenntnisse mit denen der italienischen Anatomen. Er erklärte, ein Embryo entstehe im Ei und das Ei im Ovar. Auch der Engländer William Harvey (1578– 1657), als Entdecker des großen Blutkreislaufs bekannt, nahm die embryologischen Studien des I
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Box 1.1: Fortsetzung Aristoteles wieder auf und dehnte sie auf Insekten und Säuger aus. Er meint, bei niederen Organismen möge es ja Urzeugung geben. Bei Insekten aber bestehe Entwicklung in der metamorphosis (Metamorphose D Umgestaltung) schon existierender Formen. (Harvey betrachtete die Puppe als Ei, wie vor ihm schon Aristoteles und später nach ihm noch manch anderer Forscher, und mancher Laie heute noch („Ameiseneier“ des Zoogeschäfts und Fischzüchters). Bei höchsten Tieren aber sei Entwicklung nicht bloße Umformung, sondern, wie auch schon Aristoteles beschrieb, epigenesis (Epigenese D aufbauende Erzeugung, zunehmende Neubildung aus Ungeformtem). Und Harvey schrieb den Satz: „Wir behaupten . . . , dass alle Tiere, auch die lebendgebärenden, der Mensch nicht ausgenommen, von Eiern produziert werden.“ Die spätere Literatur verkürzt den Satz zu „omne vivum ex ovo“ („Alles Leben aus dem Ei“), inspiriert wohl vom Titelblatt der embryologischen Schrift Harveys „Exercitationes de Generatione Animalium“, auf dem ein Ei die Aufschrift trägt „ex ovo omnia“ (Alles aus dem Ei). Allerdings war Harveys Säugerei noch nicht das, was wir heute darunter verstehen; er glaubte die Blastocyste (frühes Embryonalstadium) sei das Ei (es war erst Carl Ernst von Baer, der 1827 das echte Säugerei entdeckte).
Präformation und Mechanizismus Wenn der Züricher Konrad Gesner (1516–1565), dem Römer Plinius folgend, berichtet, die Bärin gebäre in ihrer Höhle einen ungeformten Klumpen Fleisch und lecke ihn dann in Form, so war er wohl kaum von der philosophischweltanschaulichen Theorie des Mechanizismus beeinflusst. Wohl aber später sein Landsmann Albrecht von Haller (1708–1777). Haller behauptet kategorisch: „Nulla est epigenesin“, es gibt keine Neubildung. Er folgte mit dieser Auffassung den Begründern der mikroskopischen Anatomie. Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723) schrieb, „. . . dass der menschliche Fetus, obzwar nicht größer als eine Erbse, mit all seinen Teilen ausgestattet ist“. Leeuwenhoek glaubte wie andere frühe Mikroskopiker (z. B. Hartsoecker), im Samen kleine
Tierchen (animalcula oder zoa) gesehen zu haben (Später benannte von Baer die Zoa um in Spermatozoa D Samentiere). In den menschlichen Samenzellen glaubten diese Mikroskopiker Homunculi, kleine vorgeformte Menschlein mit (relativ) übergroßen Köpfen (Abb. 1.1) gesehen zu haben. Embryonen sollten aus den Homunculi durch Wachstum hervorgehen. Ähnlich sah man in den „Eiern“ (Puppen) von Insekten adulte Ameisen oder Schmetterlinge als Miniaturen vorgeformt, so wie man in den Knospen von Pflanzen kleine Blätter und Blüten vorgeformt findet. Die vorgeformten Wesen und ihre Organe müssten nur „evolviert“, d. h. ausgewickelt und enthüllt werden. Solche Auffassungen kamen den Mechanizisten entgegen, welche die Auffassung vertraten, Leben gehorche allein den Gesetzen der Mechanik. Lebewesen seien kunstvolle Räderwerke, seien Maschinen; Entwicklung sei die mechanische Entfaltung von Vorgeformtem. Lebewesen wurden in den Augen der Mechanizisten als komplexe Uhrwerke betrachtet, vergleichbar den bewundernswerten astronomischen Uhren, welche die zeitgenössischen Kunsthandwerker bauten (z. B. im Münster von Straßburg oder am Rathaus von Prag). Ob man sich diese Maschinen als beseelt oder seelenlos vorstellte, hing von der religiösen und weltanschaulichen Einstellung der jeweiligen Autoren ab. Im Jahr 1627 veröffentliche Marcello Malpighi ein Kompendium der Hühnchenentwicklung mit detailliert ausgeführten Kupferstichen. Erstmals zeigte er die Neuralfalten (aus denen das Zentralnervensystem hervorgeht), die Somiten (aus denen die Wirbel und die Muskulatur hervorgehen) und die Blutgefäße, die vom Herzen zum Dotter und vom Dotter zurück zum Herzen führen. Trotzdem stellt Malpighi die Theorie der Epigenese in Frage und bekennt sich zur Präformationslehre. Schließlich habe Gott nach der Bibel nur einmal die Welt erschaffen, und es sind keine weiteren göttlichen Schöpferakte nötig, wenn nur mehr vorgefertigte Strukturen entrollt werden müssen. Die Doktrin der Präformation führte indes alsbald zu allerlei vertrackten Problemen: I
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Box 1.1: Fortsetzung Wenn die ontogenetische Entwicklung nur in einer mechanischen Entfaltung von Vorgeformtem besteht, müssen da nicht alle Generationen vom Anbeginn der Welt bis zu ihrem Ende schon vorgeformt vorliegen? Emboitment (Insicheinschließen) war die Antwort. Wie bei russischen Puppen steckt im Inneren eines ersten Wesens ein kleineres Wesen, darin steckt wieder ein noch kleineres usf. Nach Berechnungen von Vallisneri (1661–1730) sollten im Ovar der Urmutter Eva ineinander verschachtelt 200 Mio. Menschen enthalten gewesen sein. Gott war nur einmal als Schöpfer tätig. Der damals geschaffene Vorrat sollte bis ans Ende aller Tage reichen. Der Genfer Gelehrte Charles Bonnet (1720– 1793), der die Parthenogenese der Blattläuse beschrieb, meinte 1764: „Die Natur arbeitet so klein wie sie will“. Das Mikroskop machte die zelluläre Struktur der Lebewesen offenkundig. In welchen Zellen und welchen subzellulären Strukturen sollten die Miniaturausgaben künftiger Nachkommen zu finden sein? Die Mikroskopiker entdeckten nicht nur Eier, sondern auch Spermatozoen. Nun konnte der schon existierende Mensch entweder im Ei (Ovisten) oder im Spermatozoon (Animalculisten, Homunculisten) gesehen werden. Zu den Ovisten bekannten sich so angesehene Anatomen wie eben Marcello Malpighi (1628–1694) und auch Jan Swamerdam (1637–1680). Wie kann eine Regeneration stattfinden, wenn verlorene Körperteile nur aus Vorgeformtem ersetzt werden könnten? Lazzaro Spallanzani (1729–1799) führte als erster künstliche Befruchtungen durch. Er berichtete, unbesamte Eier des Frosches fielen der Degeneration und dem Zerfall anheim. Auch bei Hunden gebe es nur Nachwuchs, wenn auch männliche Tiere ihren Beitrag leisten konnten. Obzwar Spallanzani irrtümlich die Samenzellen für Parasiten hielt, war gezeigt, dass weibliches und männliches Geschlecht zur Zeugung von Nachkommen beitragen müssen. Die Präformationslehre in ihrer extremen Form war bald Geschichte.
Epigenese und Vitalismus Caspar Friedrich Wolff (1738–1794, Berlin), der erneut die Hühnchenentwicklung studiert, sieht wieder Neubildung, Morphogenese aus formlosem Dottermaterial. Er, wie vor ihm Aristoteles und wie nach ihm alle weiteren Vitalisten, schloss auf „immaterielle“, d. h. nicht-korpuskuläre, Wirkprinzipien, auf eine vis essentialis oder vis vitalis, eine besondere „Lebenskraft“. Immanuel Kants akademischer Kollege Johann Friedrich Blumenbach (1742–1840) postulierte einen besonderen physikalisch wirkenden „Bildungstrieb“, der über die Keimzellen vererbt würde. Viele bedeutende Biologen waren Vitalisten, unter ihnen der in Estland geborene Carl Ernst von Baer (1792–1876), der in mehreren Säugerarten Eier aufspürte und vergleichende embryologische Studien betrieb. Er war es auch, der die Beobachtung machte, dass alle Wirbeltiere vorübergehend ein sehr ähnliches Embryonalstadium durchlaufen und danach erst die Entwicklung divergent wird (s. Abb. 6.17). Auf dieser Beobachtung fußt das von Ernst Haeckel (1834–1919, Jena) formulierte, bis heute umstrittene „ontogenetische oder biogenetische Grundgesetz“, das besagt, die Ontogenie (Individualentwicklung) sei eine abgekürzte Form der Phylogenie (Stammesgeschichte) (Abschn. 6.6). Interesse an der menschlichen Embryonalentwicklung wurde geweckt von Wilhelm His (Basel, Leipzig) durch seine Schriften „Unsere Körperform und das physiologische Problem ihrer Entstehung“ (1874) und „Anatomie menschlicher Embryonen“ sowie durch seine plastischen Modelle. Die experimentelle Embryologie begann in Frankreich in der Tradition der Morphologie. Etienne Geoffroy Saint-Hilaire (1772–1844), Zoologe und Opponent des einflussreichen Georges Cuvier, versuchte die Ursachen von Missbildungen (Terata) herauszufinden und störte mit recht groben Mitteln die Embryonalentwicklung des Hühnchens. (Heutzutage wird Saint-Hilaire vor allem als Begründer der Vorstellung zitiert, Arthropoden seien gewissermaßen auf den Rücken gedrehte Wirbeltiere; Kap. 22). Um 1886 begann Laurent Chabry (1855–1893) mit selbstgefertigten mikrochirurgischen Instrumenten operative Eingriffe I
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Box 1.1: Fortsetzung an den winzigen (0,16 mm) Embryonen der Tunicaten (Ascidia aspersa). Er beobachtete spontane Anomalien und versuchte auch schon, durch Eingriffe einzelne Zellen (Blastomeren) des frühen Embryos auszuschalten und damit örtlich begrenzte Defekte zu setzen.
Aufschwung um die Jahrhundertwende Von 1860 an werden zahlreiche bedeutende Entdeckungen gemacht, und es beginnt die Epoche der experimentellen Embryologie, der Zellbiologie und der Genetik. Experimentelle Embryologie Aufsehen erregte Wilhelm Roux (1850–1942, Halle, Breslau) durch Experimente am Keim des Frosches. Mit einer heißen Nadel zerstörte er im Zweizellstadium eine der beiden Zellen und erhielt Embryonen, denen eine Hälfte fehlte (hätte er die abgetötete Zelle entfernt, hätte er eine zwar an Masse halbierte, in ihrer Struktur aber vollständige Kaulquappe erhalten können). Durch seine theoretischen Schriften sowie durch die Gründung einer ersten Zeitschrift für „Entwicklungsmechanik“ – später „Wilhelm Roux’s Archiv für Entwicklungsmechanik“ genannt – ist er zu einem der führenden Pioniere der experimentellen Entwicklungsbiologie geworden. (Die Zeitschrift heißt heute „Development, Genes and Evolution“.) Ein Pionier nicht minderer Bedeutung war Hans Driesch, der ähnliche Experimente am Seeigelembryo machte und einflussreiche Bücher schrieb (s. unten). Zellbiologie, Entwicklungsgenetik Der früh weitgehend erblindete und deshalb dem theoretischen Denken zugewandte Zoologe August Weismann (1834–1914, Freiburg i. Brsg.) ordnete in seiner „Keimplasmatheorie“, in Vorahnung künftiger Erkenntnisse über die Gene, seine hypothetischen, selbstreproduktiven „Determinanten“ den u. a. von Eduard Strasburger (Bonn) und Walter Flemming (Kiel) entdeckten Chromosomen zu. Allerdings meinte Weismann noch, die Determinanten würden differenziell auf die Zellen des Keims verteilt und bedingten so Zelldifferenzierung; nur die Keimzellen erhielten das
ganze Kompendium der Determinanten als „Keimplasma“. Als Weismann noch mikroskopieren konnte, fand er Stammzellen und benannte sie so. Er definierte Urkeimzellen als Stammzellen von Keimzellen und postulierte die Existenz einer Keimbahn, die von der befruchteten Eizelle zu den Urkeimzellen führt. Die Brüder Oskar Hertwig (1849–1922) und Richard Hertwig (1850–1937), die oft gemeinsam an der Meeresbiologischen Station in Roscoff mit Seeigeln arbeiteten, lenkten die Aufmerksamkeit auf den Kern als Sitz der Erbanlagen (gemeinsames Hauptwerk 1884). Sie ergänzen die älteren Beobachtungen von Otto Bütschli (1948–1920, Heidelberg) und M. Drebes über die Befruchtung und erkennen, dass das Wesentliche die Vereinigung des männlichen und weiblichen Kerns sei. Oskar Hertwig entdeckte am Seeigelei auch die Polkörper und sah den Kern in diesen kleinen Geschwisterzellen der Oocyte. Der Seeigelkeim wird zum bedeutsamsten Untersuchungsobjekt der frühen Entwicklungsbiologie (O. & R. Hertwig, T. Boveri, H. Driesch, T. H. Morgan). Chromosomen versus cytoplasmatische Komponenten Durch sorgfältige Beobachtung und scharfsinnig interpretierte Experimente am Ei des Spulwurms Ascaris besticht Theodor Boveri (1862–1915, Würzburg); er belegt experimentell die Bedeutung einzelner Chromosomen des Seeigelkeims für die Entwicklung. Er erkennt aber auch, dass das Cytoplasma mit dem Kern in Wechselwirkung steht, ein von Morgan, Driesch und ihm selbst am Seeigelkeim bestätigter Befund. Boveri ist der Begründer der Gradiententheorie (Abschn. 4.1, Kap. 10, Box 10.1). Die Bedeutung cytoplasmatischer Determinanten wurde durch sorgfältige, sehr diffizile Experimente von Edmund Beecher Wilson (1856–1939) und seinen Schülern analysiert. Sie arbeiteten mit Embryonen mariner Invertebraten, insbesondere mit dem Spiralierkeim von Dentalium (Zahnschnecke, Scaphopoda, Molluska; Abschn. 4.5). EG Conklin führte ähnliche Studien an Tunikaten (Manteltieren; Abschn. 4.7) durch. Wilson entdeckte die Geschlechtschromosomen I
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Box 1.1: Fortsetzung bei Insekten und schrieb ein Lehrwerk („The Cell in Development and Inheritance“, 1896), das vor allem in den USA großen Einfluss hatte. Regenerationsstudien Die mit Boveri und untereinander persönlich bekannten Forscher Edmund B. Wilson (USA), Hans Driesch (1876–1941, Heidelberg) und Thomas Hunt Morgan (1866–1945, USA) trafen sich oft in der von Anton Dohrn gegründeten Meereszoologischen Station Neapel, um hier neben embryologischen Studien am Seeigel auch Regenerationsexperimente an Hydrozoen (Tubularia) durchzuführen, nach dem Vorbild des Genfer Gelehrten Abraham Trembley (1710– 1784), der bereits um 1740 vorzüglich dokumentierte Regenerationsexperimente an Hydra durchgeführt hatte. Diese Regenerationsstudien hatten das Zeitalter der experimentellen Entwicklungsbiologie eingeläutet. Eine heute noch lesenswerte Zusammenfassung der um die Jahrhundertwende beliebten Regenerationsstudien schrieb der spätere Begründer der Drosophila-Genetik, T. H. Morgan („Regeneration“ 1901).
Von der Seele zur Information der Neuzeit Von besonderer Tragweite waren die Experimente und deren Interpretation am Keim des Seeigels durch Hans Driesch (1876–1941) sowie die Etablierung von Drosophila als Modellobjekt der Genetik durch Thomas Hunt Morgan (1866–1945; der erste Biologe, der einen Nobelpreis gewinnen sollte, 1933). Das klassische, von Driesch und anderen durchgeführte Experiment bestand in der Trennung der ersten aus der Eizelle hervorgegangenen Tochterzellen (Blastomeren): Sie entwickelten sich zu ganzen Seeigellarven. Damit war klar widerlegt, dass Organismen Maschinen im Sinne des Mechanizismus seien; denn kein Teil einer zerlegten Maschine ergänzt sich selbst zum Ganzen. Driesch führt den aristotelischen Begriff der Entelechie wieder ein, sieht in ihr aber keine Kraft (wiewohl sie in der Lage sei, physikalische Kräfte zu „suspendieren“), sondern ordnet ihr Begriffe wie „Wissen“ und „Nachricht“ zu und nimmt damit den erst 1942 durch Norbert Wiener in Technik und Naturwissenschaft eingeführten Begriff der Information vorweg. Allerdings ist die
Entelechie des Hans Driesch, im Gegensatz zur genetischen Information unserer Tage, transzendent und nicht an einen materiellen Träger gebunden. Driesch erkennt auch ein entwicklungsbiologisches Prinzip, das heute unter dem Begriff der Positionsinformation bekannt ist. Er erläutert, dass „das Schicksal einer Zelle eine Funktion ihrer Lage im Ganzen“ sei, und es habe „jeder einzelne elementare Prozess der Entwicklung nicht nur seine Spezifikation, sondern auch seinen spezifischen und typischen Platz im Ganzen, seine Lokalität“. Schicksalbestimmende (determinierende) Ereignisse und induktive Wechselwirkungen zwischen Keimbereichen wurden mit großer Experimentierkunst am Amphibienkeim von dem Schüler T. Boveris Hans Spemann (1869–1941, Freiburg, Nobelpreis 1935) und dessen Mitarbeiterin Hilde Mangold untersucht und führten zur Entdeckung des Organisators (Abschn. 5.1 und Kap. 10). Die klassische, überwiegend organismisch orientierte Entwicklungsbiologie herrschte bis 1970 vor und hat noch manche bedeutende Forscherpersönlichkeit hervorgebracht: Gradiententheorie: Theodor Boveri, Sven Hörstadius (Seeigelkeim); Thomas H. Morgan, Charles M. Child (Regenerationsphänomene), Klaus Sander (Insektenkeim); Embryonale Induktion: Hans Spemann, L. Saxen und P. D. Nieuwkoop (Amphibien), C. H. Waddington (Hühnchen) und zahlreiche weitere Autoren bis in die heutigen Tage; Zellinteraktionen und Zellkulturen: J. Holtfreter, Victor Hamburger, Paul Weiss; Transdetermination und Transdifferenzierung: Ernst Hadorn, Tuneo Yamada, Volker Schmid; Zell- und Kerntransplantationen, Klonen: Robert Briggs, Thomas King, John B. Gurdon (Frosch, Kerntransplantationen), Beatrice Mintz (Maus, Teratocarcinomzellen); Biochemische und molekulare Entwicklungsbiologie: Wegbereiter einer biochemisch orientierten Entwicklungsbiologie waren u. a. Jean Brachet (RNA im Amphibienei), Alfred Kühn (Genwirkketten bei Insekten), W. Beermann, M. Ashburner (Riesenchromosomen), Heinz I Tiedemann (Induktionsfaktoren).
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Box 1.1: Fortsetzung Die Rolle der DNA als Träger der genetischen Information, 1953 durch James D. Watson und Francis Crick erstmals mechanistisch erklärt, epigenetische Modifikationen der DNA, Wechselspiel zwischen cytoplasmatischen Faktoren und der DNA, die Rolle der Mikro-RNAs sowie der Signalaustausch zwischen den Zellen sind Schwerpunkte der gegenwärtigen Forschung. Drosophila wurde zum Referenzmodell der genetisch-molekularbiologischen Entwicklungsbiologie (Abschn. 4.6) durch die Pionierarbeiten von Edward B. Lewis, Christiane Nüsslein-Volhard, Eric Wieschaus (gemeinsam Nobelpreis 1995), David S. Hogness, Gary Struhl, Walter Gehring und vielen anderen. Sydney Brenner gelang es, den kleinen Rundwurm Caenorhabditis elegans (Abschn. 4.4) als zweites Modell der Entwicklungsgenetik zu etablieren. Nachdem das gesamte Genom dieser beiden Modellorganismen sequenziert ist, und ebenso das Genom des Menschen und der Maus sowie jährlich mehrerer weiterer Organismen, richtet sich die Forschung darauf ein, künftig das Proteom, das gesamte Spektrum der Proteine, zu analysieren und die vielfältigen Funktionen der Proteine in diesen Organismen vergleichend zu studieren. Systematisch werden Genfunktionen stillgelegt (z. B. mittels RNAi, Kap. 12).
die Fähigkeit gewinnt, sich fortzupflanzen. Man nennt ihn Imago (besonders bei Insekten und anderen Wirbellosen) oder Adultform (Adultus; Erwachsener, bei Wirbeltieren). Larve und Imago (Adultform) besiedeln in aller Regel unterschiedliche ökologische Nischen und nehmen unterschiedliche Ressourcen der Umwelt in Anspruch. Zusätzlich zur Larve können weitere, sich nicht sexuell fortpflanzende Phänotypen ausgebildet werden. Bei manchen Wirbellosen, so bei Scyphozoen und einigen Hydrozoen im Tierstamm der Cnidarier, treten neben Larven zwei adulte Phänotypen auf, die unterschiedliche Form haben und unterschiedliche Lebensräume besiedeln: der Polyp und die Meduse
An die klassische Entwicklungsbiologie knüpften an, sie um molekularbiologische Methoden erweiternd, u. a. Eric Davidson (Seeigel), John Gerhart, Marc Kirschner, Eddy de Robertis (Xenopus), Lewis Wolpert (Positionsinformation, Musterbildung in der Flügelknospe) und eine Heerschar jüngerer Forscher wie z. B. Christof Niehrs (Xenopus). Mit Lewis Wolpert ist auch einer der Wegbereiter einer ganz anders orientierten Entwicklungsbiologie genannt. Aufbauend auf mathematischtheoretischen Modellen von Alan Turing werden Computermodelle zur Simulation biologischer Musterbildung entwickelt, u. a. von Alfred Gierer, Hans Meinhardt, James D. Murray und Hans G. Othmer. Es wären noch manche Persönlichkeiten mit ebenbürtigen wissenschaftlichen Leistungen zu nennen; doch wird jede noch so umfangreiche Auswahl unvermeidlich unvollständig sein. Die gegenwärtige Forschung kann am besten verfolgt werden, wenn man regelmäßig Übersichtsartikel (Reviews, Essays) in angesehenen Fachzeitschriften liest (siehe Bibliographie am Schluss des Buches). Dieses einführende Lehrbuch sollte den Studenten befähigen, solche Übersichtsartikel zu verstehen.
(Qualle; s. Abb. 1.3, Abschn. 1.2.4). Solche unterschiedlichen Gestalten werden auch Morphe genannt. Treten beide Formen auf, können sich nur die Medusen sexuell fortpflanzen. Trotz der kompletten Sequenzierung vieler Genome ist es gegenwärtig nicht möglich, und wird wohl auch nie möglich sein, aus den Basensequenzen der DNA mittels physikalischer Gesetze und logischer Regeln vorherzusagen, in welchen Erscheinungsformen ein Organismus existieren kann und welche zelluläre und molekulare Zusammensetzung sowie welchen Komplexitätsgrad er an einem beliebigen Zeitpunkt seines Lebens haben wird.
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Entwicklung und Reproduktion: Wesenszüge des Lebendigen in der Übersicht
1.2 Reproduktion: Sex versus natürliches Klonen Zu den Wesenszügen der Organismen gehört neben der Selbstorganisation im Lauf der Entwicklung auch die Fähigkeit, sich fortzupflanzen, das heißt, neue, gleichartige Lebewesen hervorzubringen. Wir unterscheiden zwei grundlegend verschiedene Reproduktionsweisen: die asexuelle, uniparentale (D von einem einzigen Elternteil ausgehende) und die sexuelle, biparentale (D von zwei Elternteilen ausgehende) Erzeugung einer Nachkommenschaft, sowie zwei von der sexuellen Fortpflanzungsweise abgeleitete Nebenformen, die uniparentale Erzeugung von Nachkommen in Zwittern (Endogamie) und die Parthenogenese, die Jungfernzeugung, bei der männliche Individuen bei der Fortpflanzung keine Rolle spielen und nur weibliche Individuen Gene für die Nachkommen beisteuern.
1.2.1 Asexuelle Reproduktion, auch vegetative Fortpflanzung genannt, geht von nur einem elterlichen Organismus aus und bringt Nachkommen hervor, die mit ihm genetisch identisch sind Bei der asexuellen (ungeschlechtlichen) Fortpflanzung hat der Nachkomme nur einen Elternteil als Spender genetischer Information; die Fortpflanzung ist uniparental. Asexuelle Reproduktion gründet auf konventioneller mitotischer Zellteilung (Abb. 1.2). In der Mitose wird die genetische Information unverändert und vollständig an die zwei Zellen weitergegeben, welche aus der sich teilenden Ausgangszelle hervorgehen – man nennt sie in der Regel Tochterzellen. Die Zeitspanne von einer Zellteilung zur nächsten heißt Zellzyklus. Vor einer Zellteilung wird in der S-Phase (Synthese-Phase) des Zellzyklus die DNA repliziert, d. h. es wird eine getreue Kopie hergestellt. Beide, die Original-DNA und ihre Kopie, werden in dann verdoppelten Chromosomen verpackt. Die zwei Stränge des verdoppelten Chromosoms werden nach alter Tradition Chromatiden genannt. Die beiden Chromatiden werden in der M-Phase, der Mitose im engeren Sinn, so auf die zwei Tochterzellen verteilt, dass jede mit einem vollständigen Satz von
Chromosomen ausgerüstet ist. Die Gründerzelle, ihre zwei Tochterzellen und alle weiteren durch Mitosen aus ihnen hervorgehenden Zellen sind mit demselben Genom ausgestattet. Bei Einzellern hat man eine solche Gemeinschaft genetisch gleicher Individuen Klon genannt. Der Begriff ist auf Vielzeller übertragen worden. Klon: Ein Klon ist eine Gruppe von Individuen, die qualitativ mit genau der gleichen genetischen Information ausgestattet sind. Der Begriff Klon wird im üblichen wissenschaftlichen Sprachgebrauch nicht verwendet, sofern die mitotisch erzeugten Zellen zusammenbleiben und gemeinsam einen vielzelligen Organismus aufbauen Man spricht vielmehr bei einer solchen Gemeinschaft von einem Individuum. Der Begriff Klon ist jedoch angebracht, wenn ein solches Individuum über mitotisch erzeugte (in der Regel vielzellige) Fortpflanzungskörper neue Individuen hervorbringt. Asexuelle Fortpflanzung ist natürliches Klonen; denn sie bringt Organismen hervor, die alle mit dem Genotyp des elterlichen Gründerorganismus ausgestattet sind.
Außer dem Wort „klonen“ liest man auch das Tätigkeitswort „klonieren“. Dieser Begriff wird nicht nur im Zusammenhang mit künstlichem Klonen von Organismen verwendet, sondern auch im molekularbiologischen Laboralltag. Dort bezeichnet „klonieren“ den gesamten Prozess des Ligierens einer DNA in einen Vektor und die Vervielfältigung des Konstrukts in Bakterien oder Zellen. Solches Klonieren sollte viele identische Kopien der ausgewählten DNASequenz erzeugen.
Da asexuelle Reproduktion besonders häufig bei Pflanzen vorkommt, wird sie auch als vegetative Fortpflanzung bezeichnet. Viele Pflanzen erzeugen Nachkommenschaft über sich ablösende Knospen (beispielsweise die Adventivsprosse der Begonien), durch überirdische (Erdbeeren) oder unterirdische Ausläufer (Himbeeren, Brombeeren) oder über Knollen (Kartoffel). Es gibt indes auch eine Reihe „niederer“ Tiere, so Korallen oder den Süßwasserpolypen Hydra aus dem Tierstamm der Cnidarier, die sich asexuell über Knospen oder sonstige vielzellige Reproduktionskörper fortpflanzen können. In vielen Laboratorien der
1.2 Reproduktion: Sex versus natürliches Klonen
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Chromosomen mütterlicher Herkunft (von der Eizelle)
Chromosomen väterlicher Herkunft (vom Spermium)
Homologe Homologe Mitose
Meiose Urkeimzelle in G1-Phase
Somatische Zelle in G1-Phase
S-Phase G2-Phase
S-Phase G2-Phase meiotische Prophase
Crossing-over
Chromosomen verdoppelt, nun aus zwei “Chromatiden” bestehend
eigentliche Mitose Trennung der Chromatiden
1. Teilung Trennung der verdoppelten homologen Chromosomen
2.Teilung zwei diploide Zellen
vier haploide Zellen
Abb. 1.2 Mitose und Meiose im Vergleich. Aus der Meiose gehen vier Vorläuferzellen von Keimzellen (Oocyten oder Spermatocyten) hervor; diese sind haploid, besitzen also jeweils nur einen Satz von Genen. Diese Gene liegen in den einzelnen
Vorläufern der Keimzellen in unterschiedlichen Ausführungen (Allelen) vor, weil sie unterschiedlicher ursprünglicher Herkunft sind. Aus der Mitose gehen zwei Zellen mit exakt gleicher genetischer Ausstattung hervor
Welt wird Hydra magnipapillata, wild type 105, gezüchtet. All die vielen Tausenden von Polypen sind durch Knospung entstanden und gehen auf eine einzige Hydra zurück, die einstmals in einem japanischen See gefischt worden ist. Sie bilden allesamt einen einzigen, über die Welt verstreuten Klon.
Zwei elterliche Organismen, im Regelfall als weiblich und männlich unterschieden, tragen zur genetischen Ausstattung ihrer gemeinsamen Nachkommen bei. Es entstehen dabei neu zusammengestellte Genotypen, die zwar den elterlichen weitgehend gleichen, doch unterschiedlich genug sind, dass die natürliche Auslese die momentan günstigsten Allelkombinationen gegenüber weniger günstigen bevorzugen kann. Der Wesenszug der sexuellen Reproduktion ist, dass das neue Individuum seine genetische Ausstattung über zwei Keimzellen, wissenschaftlich Gameten genannt, erhält. Diese Ausstattung besteht in zwei Sätzen von Chromosomen, einem „väterlichen“ (paternalen) Satz, den der männliche Gamet, die Spermazelle (das Spermium oder Spermatozoon) beisteuert, und
1.2.2 Sexuelle Fortpflanzung ist biparental und bringt Nachkommen mit neu zusammengestellter genetischer Mitgift hervor In der Geschichte des Lebens hat die sexuelle Reproduktion die Oberhand gewonnen über die ungeschlechtliche. Sexuelle Reproduktion ist biparental:
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Entwicklung und Reproduktion: Wesenszüge des Lebendigen in der Übersicht
einem „mütterlichen“ (maternalen) Satz, den der weibliche Gamet, die Eizelle (das Ei oder Ovum) mitbringt. Beide Gameten treffen sich und fusionieren miteinander; hierbei werden beide Chromosomensätze in einem gemeinsamen Kern versammelt. Dieser Vorgang heißt Befruchtung (Fertilisation). Die aus der Fusion hervorgehende Zelle heißt Zygote (befruchtete Eizelle). Ihr doppelter Chromosomensatz wird durch das Adjektiv diploid gekennzeichnet, wohingegen der einfache Chromosomensatz der Gameten mit dem Adjektiv haploid belegt wird. Ein doppelter Chromosomensatz bedeutet, dass dem neu entstehenden Individuum von jedem Gen zwei Ausgaben, zwei Allele, zur Verfügung stehen. Sind beide Allele eines bestimmten Gens identisch, ist das Individuum bezüglich dieses einen Gens homozygot, sind beide Allele unterschiedlich, ist das Individuum bezüglich dieses Gens heterozygot Eine Serie mitotischer Zellteilungen, Furchung genannt, markiert den Beginn der Embryonalentwicklung (s. Abb. 2.3). Die aus der Zygote entstehenden Tausenden neuer Zellen sind alle diploid und, jedenfalls im Augenblick ihrer Entstehung, genetisch äquivalent. Sie bilden also, genetisch betrachtet, einen Klon von Zellen. Sie teilen sich in zwei Hauptgruppen: Somatische Zellen bilden gemeinsam das neue Individuum; sie übernehmen dabei im Sinne einer Arbeitsteilung unterschiedliche Funktionen, sie differenzieren sich. Somatische Zellen verlieren die Fähigkeit, durch Fortpflanzung neue Organismen zu erzeugen, und fallen später dem Tod anheim. Die zweite Gruppe sind generative Zellen, die im Regelfall am Aufbau des neuen Lebewesens nicht teilnehmen, sondern als Urkeimzellen beiseite gelegt werden und später im Leben des Individuums die Keimzellen für die nächste Generation liefern. Zwei fundamentale, dem Zufall unterworfene Ereignisse charakterisieren die sexuell gegründete Existenz und machen das individuelle Ergebnis im Detail unvorhersehbar: 1. Die Meiose, eine besondere Art zweier nacheinander ablaufender Zellteilungen, in deren Verlauf der diploide Chromosomensatz der Urkeimzellen zum haploiden der Gameten reduziert wird (Reduktionsteilung) und zugleich die mütterlichen und väterlichen Allele neu kombiniert werden.
2. Die Befruchtung, die Fusion der zwei Gameten zur einzelligen Zygote. Meiose: Wenn der Nachkomme daran geht, selbst neue Keimzellen zu produzieren, muss ein Prozess eingeschaltet werden, der den diploiden Status der Urkeimzellen zum haploiden der Gameten reduziert, sonst würden bei der Befruchtung 2 C 2 Chromosomensätze addiert werden, in der nächsten Generation 4 C 4, dann 8 C 8, und in der Folge weniger Generationen würde die Zahl der Chromosomensätze ins Unermessliche steigen. Die Reduktion vom diploiden zum haploiden Satz geschieht in der Meiose, bestehend in einer Folge von zwei besonderen, nacheinander ablaufenden Zellteilungen (Abb. 1.2). Da es zwei Zellteilungen sind, entstehen aus jeder Urkeimzelle vier haploide Zellen (allgemein Gone genannt), auch wenn in weiblichen Wesen drei der vier haploiden Zellen als Minizellen (Polkörper) zugunsten der vierten, der riesigen Eizelle, zugrunde gehen (Kap. 8). Von ganz besonderer Bedeutung ist nun aber der Umstand, dass im Zuge der Meiose die Chromosomen mit ihren Allelen nicht nach ihrer elterlichen Herkunft getrennt auf die vier haploiden Zellen verteilt werden, sondern in neuen Mischungen. Wir erläutern dies am Beispiel der Chromosomen des Menschen. Unsere Urkeimzellen sind noch diploid und enthalten wie die somatischen Zellen unseres Körpers 2 23 Chromosomen, 23 paternale, geerbt von unserem Vater, und 23 maternale, geerbt von unserer Mutter. Jedes der 23 Chromosomen im haploiden Satz ist ein Unikat und trägt einige Tausend Gene. Im diploiden Satz ist jedes Chromosom zweifach vertreten, eines vom Vater und eines von der Mutter stammend. Man nennt solche sich entsprechenden Chromosomen homologe Chromosomen oder kurz Homologe. Beide Homologe enthalten zwar die gleichen Gene, aber sehr oft in unterschiedlichen allelen Ausführungen. Im Zuge der ersten meiotischen Teilung mag eine bestimmte Eizelle von einem homologen Chromosomenpaar, beispielsweise vom Paar des Chromosoms Nr. 11, das ursprünglich mütterliche erhalten, von einem anderen Paar vielleicht ebenfalls das mütterliche, von einem dritten jedoch das väterliche usf. Ebenso werden im Hoden Spermazellen gebildet, die zwar alle haploid sind und einen vollständigen Chromosomensatz enthalten, doch stammen in jedem Satz die einen Chromosomen ursprünglich vom Vater des jungen Mannes, der die Spermien produziert, die anderen
1.2 Reproduktion: Sex versus natürliches Klonen
von seiner Mutter. In jedem einzelnen Spermium ist die jeweilige Mischung vom Zufall bestimmt. Betrachtet man alle 23 Chromosomen, die eine haploide Keimzelle enthält, so ist die Zahl möglicher Kombinationen gewaltig: Es gibt 223 D 8;4 106 mögliche neue Kombinationen von paternalen und maternalen Chromosomen. Eine Frau könnte 8 Mio. Eizellen haben, die sich alle in mindestens einem Chromosom von den anderen unterscheiden, und entsprechend könnte jeder Mann 8 Mio. verschiedene Spermien erzeugen. Zusätzlich zu dieser Rekombination, die sich aus der Neuverteilung ganzer Chromosomen ergibt, kommt der wechselseitige Austausch von Chromosomenabschnitten (Crossing-over) hinzu, der in der Meiose zwischen homologen Chromosomen möglich ist. Angenommen, ein Gamet werde mit 104 Allelen ausgestattet, weil das Individuum, das diese Gameten erzeugt, 2 104 Allele besitzt, und angenommen, dass all diese Allele frei kombinierbar wären, so gäbe es 210:000 , entsprechend ca. 103000 Kombinationsmöglichkeiten. Schätzungen zufolge soll das ganze Weltall weit weniger Elementarteilchen enthalten. Ob nun solche Schätzungen zutreffen oder nicht, bei sexueller Fortpflanzung kann jeder Nachkomme seine individuelle, nur ihm zukommende Kombination von Allelen erhalten, seinen einmaligen Genotyp (Ausnahmen: eineiige Zwillinge, Abb. 13.1). Bei der Befruchtung kommt ein zweites Mal Unkalkulierbares ins Spiel: Welches Spermium trifft welche Eizelle? Es waltet Zufall. Ein Wesenszug sexueller Fortpflanzung ist es somit, dass das Ergebnis im Einzelnen nicht vorhersehbar ist. Die Nachkommen sind zwar ihren Eltern ähnlich, sind aber in ihrem Genotyp und Phänotyp mit keinem Elternteil identisch, und sie sind auch gegenüber ihren Geschwistern verschieden. Sexuelle Fortpflanzung ist mit hohen Kosten verbunden. Die männlichen Mitglieder der Population nutzen die Umweltressourcen, ohne selbst und allein Nachkommen in die Welt setzen zu können. Auch die Zeit und Energie, die für die Suche nach einem Partner, für Werbung und Paarung aufgebracht werden müssen, sind Kosten treibend. Sexuelle Fortpflanzung hat jedoch Vorteile, wenn es um möglichst große genetische Flexibilität geht. Genetisch verschieden ausgestattete Individuen können auf lange Sicht der Population eine höhere Überlebenschance verleihen, weil bei wechselnden Umweltgegebenheiten mal dieser Genotyp, mal jener
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von Vorteil sein kann. In Zeiten der Not mögen andere Genotypen gefragt sein als in Zeiten des Überflusses. Auch ermöglicht Sexualität zu Nachkommen zu kommen, die in der Konkurrenz zu anderen Artgenossen besser zurechtkommen.
1.2.3 Viele Organismen haben eine Option zur uniparentalen Fortpflanzung; sexuelle Fortpflanzung wird dann oftmals nur in Zeiten der Not bevorzugt, wenn genetische Anpassung von Vorteil sein kann Asexuelle Fortpflanzung hat Vorteile, wenn es darum geht, rasch einen neuen Lebensraum zu besiedeln oder ein im Augenblick zur Verfügung stehendes, aber begrenztes und vergängliches Nahrungsangebot zu nutzen. Alle Mitglieder einer Population können sich eigenständig fortpflanzen. Da nun, je nach den Umständen, asexuelle wie sexuelle Fortpflanzung vorteilhaft oder nachteilig sein kann, haben viele Tiergruppen neben der sexuellen Reproduktion auch die Option zur asexuellen bewahrt, oder sie haben andere Formen uniparentaler Fortpflanzung entwickelt: Zwittertum (Hermaphroditismus) mit der Möglichkeit der Selbstbefruchtung wie beim Rundwurm Caenorhabditis elegans (Abschn. 4.4) oder Embryonalentwicklung aus unbefruchteten, diploid gebliebenen Eizellen (diploide Parthenogenese, Kap. 3, Box 3.1). Uniparentale Fortpflanzung bedeutet im Regelfall auch natürliches Klonen. Die Säugetiere jedoch haben im Zuge ihrer Evolution die Option zur uniparentalen Reproduktion verloren.
1.2.4
Manche Organismen existieren in zwei verschiedenen, autonom lebenden Phänotypen, die sich unterschiedlich fortpflanzen; man spricht von Generationswechsel
Komplexe Entwicklungswege sind verwirklicht, wenn eine Art in zwei (oder gar mehreren) autonom lebenden und fortpflanzungsfähigen Erscheinungsformen (Phänotypen, Morphen) existiert. In all diesen Fällen beobachtet man, dass sich ein Phänotyp biparental sexuell fortpflanzt, der andere Phänotyp (oder mehrere andere) uniparental durch natürliches Klonen. Man
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Entwicklung und Reproduktion: Wesenszüge des Lebendigen in der Übersicht
Qualle (Meduse) Aurelia 2. Generation
Abb. 1.3 Lebenszyklus des Scyphopolypen bzw. der Qualle Aurelia aurita
Gonade (Hoden oder Ovar)
Sexuelle Reproduktion Spermatozoon Ei
Ephyra-Larve
Zygote
PlanulaLarve
Metamorphose
Asexuelle Reproduktion durch Abschnürung (Strobilation)
spricht von Generationswechsel. Ein solcher ist häufig bei Pflanzen, und bei diesen in aller Regel mit einem Kernphasenwechsel verbunden, was besagt, dass es zu einem regelmäßigen Wechsel zwischen einer diploiden und einer haploiden Generation kommt. Dies ist nicht so bei vielzelligen Tieren; bei ihnen sind beide Erscheinungsformen, die uniparental und die biparental sich fortpflanzende Erscheinungsform, diploid; nur die Gameten sind haploid. Der Wechsel zwischen den beiden diploiden Formen (Diplont 1, Diplont 2) tritt in zwei Weisen auf, als Metagenese oder als Heterogonie. Metagenese Beispiele: Scyphozoen und viele Hydrozoen und im Tierstamm der Cnidarier. Die vom befruchteten Ei ausgehende Embryonalentwicklung führt über eine Larve und deren Metamorphose zu einem ersten fortpflanzungsfähigen Phänotyp, den langlebigen, sessilen Polypen. Er erzeugt asexuell über Knospen neue Polypen oder er erzeugt, ebenfalls asexuell einen zweiten, ganz anders gestalteten Phänotyp, die freischwimmende, planktisch lebende Meduse. (Dies geschieht bei Hydrozoen mittels Knospen, bei Scyphozoen über scheibenförmige Abschnürungen, Ephyrae genannt.) Die Meduse der Hydrozoen erreicht nur Millimeter-Maße, bei Scyphozoen ansehnliche Größe und ist als Qualle auch dem Nichtzoo-
Polyp 1. Generation
logen bekannt. Die Medusen pflanzen sich sexuell über Gameten fort, der Lebenszyklus ist geschlossen (Abb. 1.3). Heterogonie Beispiel: die meist in Schwarz, bisweilen in Grün gekleidete Bohnenblattlaus Aphis fabae (die freilich nicht nur Bohnenpflanzen, sondern viele weitere Pflanzen befällt). Im Frühjahr, wenn es gilt, die noch weichen, saftigen und nahrhaften Blätter und Stängel zu nutzen, besteht die ganze Population nur aus – flügellosen – Weibchen (Abb. 1.4). Ihre Eizellen durchlaufen keine Meiose, bleiben also diploid, und sie entwickeln sich, ohne dass ein Spermium ins Spiel käme, innerhalb der jungfräulichen Mutter (Fundatrix) zu kleinen Blattläusen. Die uniparental erzeugten, vivipar geborenen Tiere (Virginopara) sind wieder weiblich und flügellos; denn sie sind Klone, also getreue Kopien ihrer Mutter. Es liegt ein Fall von diploider Parthenogenese (Jungfernzeugung) vor. Diese Art der uniparentalen Reproduktion erlaubt ein rasantes Anwachsen der Population; denn 100 % der Population sind gebärende Mütter und nicht nur 50 % wie oftmals bei sexueller Reproduktion. Im Sommer und Herbst jedoch, wenn Blätter und Sprosse hart und die Phloemsäfte unergiebig geworden sind, und Vorsorge für den Winter getroffen werden
1.2 Reproduktion: Sex versus natürliches Klonen
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Aphis fabae
Abb. 1.4 Fortpflanzungsweisen bei der Bohnenblattlaus Aphis fabae
Fundatrix
vivipar
Frühling
Virginopara
2n-
Winter
Par
the
nog
ene
se
Überwinterungsei
Herbst
Sommer Sexualis
asexuell Sexualis
muss, schreitet man zur sexuellen Fortpflanzung. Es treten neben ungeflügelten zunehmend auch geflügelte Formen auf; sie gebären geflügelte Weibchen, die Sex mögen (miktische Weibchen), oder Männchen, die ihnen zu Diensten sind. Die Eizellen dieser miktischen Weibchen durchlaufen die Meiose, werden von einem Spermium befruchtet und dann abgelegt. Die abgelegten Eier sind von einer derben Schale umhüllt und mit Frostschutzmitteln ausgestattet; sie überdauern den Winter. Aus ihnen schlüpfen im Frühjahr wieder flügellose, parthenogenetisch sich fortpflanzende Weibchen (Fundatrices). Der Lebenszyklus ist geschlossen. Die Blattlaus lehrt uns ein oftmals verwirklichtes Fortpflanzungsprinzip: Um günstige aber vergängliche Umweltbedingungen und Ressourcen rasch zu nutzen, bevorzugen viele tierische Organismen uniparentales, natürliches Klonen sei es in Form der asexuellen Fortpflanzung, sei es in Form der diploiden Parthenogenese. Zur sexuellen Fortpflanzung geht man über, wenn harsche und sich dramatisch ändernde Umweltbedingungen es angeraten erschei-
nen lassen, der Natur verschiedene Genotypen zur Auswahl anzubieten; es werden „hoffentlich“ überlebensfähige dabei sein.
1.2.5 Progenesis und Neotenie – geschlechtsreife Larven: Fundgrube der Evolution? In der Geschichte des Lebens ist es bisweilen vorgekommen, dass schon Larvenstadien die Geschlechtsreife erlangten und eine Metamorphose zur Adultform heute nicht mehr stattfindet. Es mag in diesen Fällen nützlich gewesen sein, den Lebensraum der Larve nicht mehr zu verlassen, oder es wurde im Laufe der Zeit zunehmend schwieriger, ihn überhaupt zu verlassen. Manches marine Kleinlebewesen vom Tierstamm der Anneliden (Ringelwürmer) sowie bestimmte Brunnenkrebse (Bathynellacea) ähneln den Larvenformen anderer Vertreter dieser Tiergruppen. Man bezeichnet die Vorverlagerung der Geschlechtsreife auf Larvalstadien heutzutage als Pro-
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Entwicklung und Reproduktion: Wesenszüge des Lebendigen in der Übersicht
genesis (früher nicht von Neotenie unterschieden). Besonders viele fortpflanzungsfähige Larvenformen kennt der Zoologe von parasitischen Trematoden (Plattwürmern), beispielsweise vom kleinen Leberegel (Dicrocoelium lanceolatum). Aus dem bisexuell gezeugten befruchteten Ei schlüpft eine frei lebende Larve, die bald beginnt, parthenogenetisch Zweitlarven zu erzeugen. Diese erzeugen ihrerseits Drittlarven und erst diese führen die Entwicklung zur Adultform zu Ende. Jede der Zwischengenerationen, wiewohl selbständig, hat larvalen Charakter; aber von einer Reproduktionsstufe zur nächsten ähnelt die neue Generation mehr und mehr der Adultform. Diese pflanzt sich schlussendlich bisexuell fort. Über Details und über den mit dem Generationswechsel verbundenen Wirtswechsel unterrichten Lehrbücher der Zoologie. Der Progenesis steht die Neotenie (im heutigen, eingeengten Sprachgebrauch) nahe: Es werden einige larvale Merkmale beibehalten, auch wenn die Geschlechtsreife erreicht ist. Neotenie ist von zwei höhlenbewohnenden Molcharten bekannt, dem mexikanischen Axolotl (Ambystoma) und dem Grottenolm (Proteus) der südeuropäischen Karsthöhlen. Beide verlassen das Wasser nicht mehr und behalten zeitlebens ihre äußeren Kiemen. Es gibt die Auffassung, Progenesis und Neotenie eröffneten in der Evolutionsgeschichte die Möglichkeit, neue Bauplantypen zu entwickeln. Man stelle sich vor, eine Raupe würde sich nicht mehr zum Schmetterling umwandeln. Der Bauplan einer Raupe wäre nun das Material, mit dem die Evolution Neues erproben könnte, so dass bald Raupen zu erwarten wären, die sich stark von konventionellen unterscheiden. Diese müssen ja befähigt bleiben, Nachkommen hervorzubringen, haben demzufolge nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten der Neuorganisation und Umgestaltung. Einen Bauplan völlig umzukonstruieren ist kein leichtes Unterfangen; denn jede Abweichung von der Norm kann rasch zu verminderten Reproduktionsraten führen, oder gar zum Chaos. Die Evolution von Entwicklungsmustern ist ein Thema, das den Entwicklungsbiologen, der erklären will, vor große Herausforderungen stellt und im Schlusskapitel dieses Buches behandelt wird. Zusammenfassung
Entwicklung und Reproduktion (Fortpflanzung) sind Wesenszüge des Lebendigen. In ihrer Ontogenie, ihrem individuellen Leben, konstruieren
sich die Organismen selbst in einem Prozess der Selbstorganisation. Für diese Selbstkonstruktion stehen ihnen ererbte innere Quellen von Information zur Verfügung. Das Genom eines Individuums, die Gesamtheit der genetischen Information, die in der DNA der Kern-Chromosomen und der Mitochondrien gespeichert und in Gene gegliedert ist, enthält verschiedene Varianten der artspezifischen Gene, Allele genannt. Die individuelle Kombination der Allele ergibt den Genotyp, der in einem individuellen Phänotyp (Erscheinungsform) Ausdruck finden kann. In vielen tierischen Organismen kann das Genom für mehrere verschiedene Phänotypen, Larve und Imago (Adultform), codieren, oder für zwei Phänotypen, die sich nicht nur in ihrer Gestalt unterscheiden (z. B. Polyp und Meduse/Qualle bei Cnidariern), sondern sich auch in unterschiedlicher Weise fortpflanzen. Bei der Reproduktion wird genetische Information an Nachkommen weitergegeben. Es gibt zwei fundamentale Weisen des Informationstransfers: 1. Asexuelle Reproduktion ist uniparental (der Nachkomme geht aus einem einzigen elterlichen Organismus hervor) und sie basiert auf mitotischer Zellteilung; deshalb haben alle Nachkommen den gleichen Genotyp wie der elterliche Organismus. Elter und Nachkommenschaft bilden einen Klon; asexuelle (vegetative) Fortpflanzung ist natürliches Klonen. 2. Bei der biparentalen, sexuellen Fortpflanzung tragen zwei Eltern, im typischen Fall als weiblich und männlich unterscheidbar, zur genetischen Mitgift des Nachkommen bei. Jeder Elternteil trägt genetische Information durch seine Gameten (Keimzellen), den Eizellen oder Spermien (Spermatozoen), bei. Gameten sind haploid; sie enthalten einen Satz von Chromosomen und damit einen Satz von Allelen. Bei der Befruchtung fusioniert eine Spermazelle mit einer Eizelle zur Zygote, der befruchteten Eizelle. Sie ist nun diploid; denn sie enthält zwei Chromosomensätze, einen Satz mütterlichen und einen Satz väterlichen Ursprungs. Beide Sätze enthalten in der Regel verschiedene Allele der Gene. Alle somatischen Zellen, die durch Mitosen aus der Zygote hervorgehen und gemeinsam den neuen Organismus aufbauen, sind diploid und genetisch äquivalent (jeden-
1.2 Reproduktion: Sex versus natürliches Klonen
falls anfänglich). Diploid sind auch noch die Urkeimzellen. Sexuelle Fortpflanzung umfasst zwei Ereignisse, die dem Zufall unterworfen sind, sodass das Ergebnis im Einzelnen unvorhersehbar ist. (1) In der Entwicklung der Gameten reduziert die Meiose, die aus zwei besonderen, nacheinander ablaufenden Zellteilungen besteht, den diploiden Chromosomensatz der Urkeimzellen zum haploiden der Gameten; dabei werden die Chromosomen mit ihren Allelen so neu verteilt, dass die neuen Gameten Allele ursprünglich mütterlicher und ursprünglich väterlicher Herkunft gemischt erhalten. Die jeweilige Mischung ist zufallsabhängig. (2) Zufall ist zweitens bei der Befruchtung im Spiel; denn es ist nicht vorbestimmt, welches Spermium welche Eizelle trifft. Sexuelle Reproduktion führt daher zu Nachkommen, die in ihrem individuellen Genotyp von ihren Eltern und von ihren Geschwistern verschieden sind, und in der Regel auch in ihrem Phänotyp unterschiedlich sind. Abgeleitete Nebenformen der Sexualität, Hermaphroditismus (Zwittertum) mit potenzieller Selbstbefruchtung und diploide Parthenogenese (Jungfernzeugung) sind sekundäre Formen uniparentaler Fortpflanzung und des natürlichen Klonens. Manche tierischen Organis-
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men treten in zwei verschiedenen Erscheinungsformen auf, die sich unterschiedlich fortpflanzen. Man nennt dies Generationswechsel. In der Metagenese der Cnidarier treten diese Phänotypen als sich asexuell fortpflanzende Polypen und sich sexuell fortpflanzende Medusen/Quallen auf, in der Heterogonie von Blattläusen als flügellose Weibchen, welche sich parthenogenetisch fortpflanzen, und als geflügelte, sich sexuell fortpflanzende Weibchen und Männchen. Sonderformen sind auch Progenesis und Neotenie: Schon die Larve pflanzt sich fort und verzichtet darauf, in die adulte Lebensphase zu wechseln (Progenesis), oder der Adultus behält noch einige larvale Züge bei (Neotenie). Uniparentales, natürliches Klonen, sei es in Form asexueller Vermehrung oder in Form einer Parthenogenese, ermöglicht ein rasches Anwachsen einer Population in guten Zeiten und damit eine ausgiebige Nutzung zeitlich begrenzter Ressourcen. Hingegen erlaubt die kostenintensive sexuelle Reproduktion Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten, weil sie immer wieder neue Genotypen hervorbringt, von denen manche an die neuen Gegebenheiten besser angepasst sein können. Sexuelle Reproduktion fördert die Evolution. In der Evolution der Säuger ist die Fähigkeit zur uniparentalen Reproduktion verlorengegangen.
2
Etappen und Prinzipien der Entwicklung
2.1 Etappen der Entwicklung in der Übersicht 2.1.1 Das Tier durchläuft im Regelfall eine Embryonalentwicklung, oft gefolgt von Larvalstadium und Metamorphose, bis es im Adultstadium die Geschlechtsreife erlangt Bei Organismen, die sich sexuell reproduzieren, muss die Entwicklung eines neuen Individuums in beiden Eltern vorbereitet werden. In ihren Gonaden werden im Prozess der Gametogenese Keimzellen, allgemein Gameten genannt, hergestellt. Die Gametogenese geschieht in der weiblichen Gonade, dem Ovar, als Oogenese und liefert Eizellen; in der männlichen Gonade, dem Hoden, liefert die Spermatogenese (Spermiogenese) Spermien (Spermatozooen, Spermazellen). Details zur Oogonese und Spermatogenese sind in Kap. 8 beschrieben. Die Entwicklung des neuen Individuums startet mit der Befruchtung D Fertilisierung. Befruchtung ist die Fusion zweier generativer Zellen, eines Spermiums und einer Eizelle (Ovum), zur Zygote (Abb. 2.1). Spermium und Eizelle sind haploid; sie bringen je einen einfachen Chromosomensatz mit, der beim Spermium als „väterlich“, bei der Eizelle als „mütterlich“ angesprochen wird. Nach der Fusion der beiden Keimzellen zur Zygote steht im jetzt diploiden Chromosomensatz die Information beider Genome zum Aufbau eines neuen Organismus zur Verfügung. Es folgt die Embryogenese: Innerhalb einer schützenden Hülle, bei lebendgebärenden (viviparen) Tie-
ren innerhalb des Mutterleibes, werden aus der einen Zygote durch fortgesetzte mitotische Teilungen zahlreiche Zellen hergestellt. Diese bleiben beisammen, gestalten gemeinsam die Grundarchitektur des neuen Organismus und statten ihn soweit mit Geweben und Organen aus, dass der aus der Hülle schlüpfende oder von der Mutter geborene Organismus ein eigenständiges Leben beginnen kann. Die Embryonalentwicklung ist mit dem Schlüpfen eines Organismus, der Nahrung zu sich nehmen kann, abgeschlossen. Bei der Mehrzahl der Tiere führt die Embryogenese hin zu einem ersten selbständigen Phänotyp (Erscheinungsbild), der Larve: so z. B. beim Seeigel, der als Prototyp einer tierischen Entwicklung angesehen werden kann (s. Abb. 4.2). Die Larve durchläuft nach einer Larvalentwicklung, in der meist nur unauffällige Veränderungen vonstatten gehen, eine dramatische Metamorphose zu einem neuen Phänotyp, den man bei Wirbellosen in der Regel Imago, sonst Adultform (Adultus, Erwachsener) nennt und der eine andere ökologische Nische als die Larve besiedelt. Fast immer nutzen Larve und Adultform verschiedene Nahrungsquellen. Den über eine Larve führenden Lebensweg nennt man indirekte Entwicklung. Einige Tiergruppen, unter ihnen die Landwirbeltiere, umgehen ein Larvenstadium; in der direkten Entwicklung entsteht aus dem Embryo Zug um Zug der adulte Phänotyp. Die Adultform erlangt nach einer Juvenilphase schließlich die Geschlechtsreife (Maturität). Die Seneszenz (Altern) beendet die Phase der Geschlechtsreife, der Tod das Leben der somatischen Zellen des Individuums. Dessen generative Zellen sollten aber zuvor das Leben an eine neue Generation weitergegeben haben.
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_2,
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2 Etappen und Prinzipien der Entwicklung
EIREIFUNG mit Meiose
a
2. Polkörper
1. Polkörper
1n
2n
Eizelle mit haploidem (1n) Kern
Oocyte mit diploidem (2n) Kern
BEFRUCHTUNG
b
Polkörper, zugrunde gehend
2n
Samenzelle mit haploidem (1n) Kern
Eizelle mit haploidem (1n) Kern
c
Zygote mit diploidem (2n) Kern
BILATERALSYMMETRIE durch cytoplasmatische Segregation animaler Pol anterior
dorsal
posterior ventral vegetativer Pol Abb. 2.1 Allgemeines Schema zu Eireifung und Meiose, Befruchtung und Etablierung der Körperachsen am Beispiel eines Amphibiums. Diagonal gegenüber der Spermieneintrittstelle
kommt der spätere Schwanzpol zu liegen; die Diagonale trennt die dorsale von der ventralen Hälfte
2.1 Etappen der Entwicklung in der Übersicht
2.1.2 Die Eizelle enthält außer der in der DNA gespeicherten genetischen Information noch cytoplasmatische Informationsquellen; in ihrer inneren Struktur ist sie polar, d. h. asymmetrisch, gebaut Eier enthalten mit ihrem Dotter eine reiche Quelle von Energie und Baumaterialien. Dies ist allgemein bekannt und auch, dass eine normale Embryonalentwicklung stattfinden kann, wenn man die Eizelle entkernt und stattdessen einen somatischen Kern eines adulten Tieres einbringt. Hieraus abgeleitete Vorschläge, im Aussterben begriffene Arten durch Klonieren zu retten und zu vermehren, indem man ihren somatischen Zellen Kerne entnimmt und in entkernte Eizellen anderer Arten einbringt, bezeugen, dass man über das Innenleben von Eizellen, über ihre inneren Schätze, nur unzulänglich Bescheid weiß. Es gibt sogar den Vorschlag, Mammuts wieder zum Leben zu erwecken, in dem man aus gefrorenen Leichen, wie sie bisweilen in Sibirien gefunden werden, Kerne entnimmt und in Eizellen von Elefanten verbringt. Der Vorschlag ist nicht sehr erfolgversprechend. Was solche Vorschläge nicht beachten, ist der Befund, dass Eizellen außer der DNA des Kerns auch DNA der Mitochondrien und darüber hinaus über weitere Informationsquellen verfügen, die im Cytoplasma gespeichert sind und sehr wohl artspezifisch sein können. Schon die ersten historischen Experimente mit Eizellen und frühen Embryonen (durch Boveri, Wilson, Conklin, Driesch; s. Box 1.1) hatten den Hinweise auf solche Informationsquellen gegeben. Diese Informationsträger sind in die Literatur eingegangen als cytoplasmatische Determinanten. Die heutigen molekularbiologischen Methoden haben es erlaubt, viele dieser Determinanten molekular zu identifizieren. Es handelt sich überwiegend um mRNAs, die für Transkriptionsfaktoren codieren. Transkriptionsfaktoren regeln Genaktivitäten. Die besagten mRNAs werden von Zellen des mütterlichen Organismus produziert und leiten sich folglich von Genen des mütterlichen Organismus ab (maternale RNAs). Die produzierenden Zellen sind die Oocyten selbst oder Hilfszellen in ihrer Nachbarschaft, deren Produkte (mRNA oder die von dieser mRNA codierten Proteine) im Verlauf der Oogenese ins Ei eingelagert werden. Man spricht deshalb auch von maternaler Information.
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Effekte solcher cytoplasmatischer, in der Eizelle gespeicherter Determinanten werden sichtbar, wenn die Mendelsche Reziprozitätsregel nicht gilt und die genetische Konstitution der Mutter für den Phänotyp maßgeblich ist (z. B. Maulesel im Vergleich zum Maultier; Rechts- oder Linkswindung eines Schneckengehäuses, s. Abb. 4.21). Eine der ersten identifizierten Determinanten ist die mRNA des Gens bicoid im Ei von Drosophila (diese maternale mRNA ist unverzichtbar, aber spezifisch für Drosophila und nahe verwandte Fliegen, Abschn. 4.6). Eine Reihe von solchen maternalen Faktoren ist auch im Ei des Krallenfrosches Xenopus gefunden worden (Abschn. 5.1). Nach gegenwärtigem Wissen enthält jedes tierische Ei eine Kollektion solcher maternaler Faktoren, angeordnet in einem dreidimensionalen Muster. Cytoplasmatische Determinanten sind also nicht gleichförmig im Ei verteilt, sondern an bestimmten Orten konzentriert. Dieses Mosaik von Determinanten und ihre mögliche Artspezifität muss der experimentell arbeitende Entwicklungs- und Reproduktionsbiologe im Auge behalten. Im Weiteren dieses Abschnittes wollen wir nur die globale Struktur des Eies betrachten. Primäre animal-vegetative Polarität: Auch wenn die Eizelle nicht länglich-elliptisch (wie bei Insekten), sondern kugelförmig geformt ist, ist sie in ihrer inneren Struktur stets asymmetrisch. Man spricht in der Biologie von einer polaren Struktur. Im Mindestfall drückt sich diese Polarität (physikalisch Anisotropie) in der Lage des Eikerns aus. Dieser Kern wird wegen seiner Größe traditionell auch „Keimbläschen“ genannt. Schon in der Oocyte, der noch diploiden Vorläuferzelle der Eizelle, liegt der Kern in der Regel nicht zentral, sondern peripher nahe der Eioberfläche. Im Zuge der meiotischen Teilungen werden hier die Richtungs- oder Polkörper (als abortive Miniatur-Geschwisterzellen der Eizelle) abgeschnürt (Abb. 2.1a). Dieser Ort wird üblicherweise in den Abbildungen als „Nordpol“ der Eikugel dargestellt und animaler Pol genannt. Der gegenüberliegende „Südpol“ heißt vegetativer Pol. In seinem Bereich lagert in der Regel, wenn auch keinesfalls stets, jenes Material, das später zur Formung des Urdarms herangezogen wird. Das Adjektiv vegetativ nimmt Bezug auf die künftigen „vegetativen“ Organe, die sich vom Urdarm ableiten und als Organe der Nahrungsaufbereitung „niederen“ Lebensfunktionen dienen. Demgegenüber
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2 Etappen und Prinzipien der Entwicklung
werden im Umfeld des animalen Pols oftmals die für Tiere so typischen Sinnes- und Nervenzellen hergestellt. Die sich vom „Nordpol“ zum „Südpol“ ziehende Polaritätsachse wird animal-vegetative Eiachse (Abb. 2.1c) genannt.
Wenn allerdings wie im Tierstamm der Cnidarier der Ort der Urdarmbildung nicht dem Ort der Polkörperbildung gegenüberliegt, sondern mit ihm zusammenfällt (s. Abb. 22.12), gibt die traditionelle Bezeichnungsweise Anlass zu Konfusion und hat in vielen Abhandlungen und Lehrbüchern zu inkorrekten Darstellungen geführt.
Bilateralsymmetrie: Nach der Befruchtung kommt das Innere der Eizellen in Bewegung. Viele ihrer Komponenten werden umgelagert und das Ei wird im Zuge dieser ooplasmatischen Segregation bilateralsymmetrisch (Abb. 2.1c). Beim Ei der Amphibien, dem Prototyp eines Wirbeltier-Eies, sind nun zwei Polaritätsachsen auszumachen; und man kann unterscheiden zwischen vorn (anterior oder cranial) und hinten (posterior oder caudal), zwischen künftiger Rückenseite (dorsal) und Bauchseite (ventral). Das Ei wird damit bilateralsymmetrisch. Bei Insekten ist das Ei schon vor der Befruchtung bilateralsymmetrisch strukturiert. Tierische Eizellen sind, von seltenen Ausnahmen (z. B. einigen Cnidariern) abgesehen, von verfestigenden und schützenden, nichtzellulären Hüllen umgeben. Die innerste, nicht-zelluläre Schicht, die direkt der Zellmembran aufliegt, enthält Glykoproteine und heißt Vitellinmembran (es ist dies keine Membran mit der Doppellipidstruktur einer Zellmembran; sondern ein dünnes hydrophiles Hüllhäutchen). Von den weiteren Hüllen seien genannt die Zona pellucida des Säugereies und das Chorion des Insekteneies. (Der Begriff Chorion wird auch bei Reptilien, Vögeln und Säugern verwendet, bezeichnet dort allerdings eine zelluläre, vom Keim selbst gebildete, „extraembryonale“ häutige Struktur.) Zoologische Lehrbücher listen gern Fachtermini auf, die dem Griechischkundigen Hinweise auf Menge und Verteilung von Dotter (Endsilbe -lecithal) im Ei geben: Vorsilben: oligolecithal D wenig Dotter, poly D viel, iso D gleichförmig verteilt, telo D an
einem Pol konzentriert. Menge und Verteilung des Dotters nehmen Einfluss auf den Furchungsverlauf.
2.1.3 Furchung ist eine Serie rasch ablaufender Zellteilungen Der Befruchtung und Aktivierung des Eies folgt die Furchung (Abb. 2.2, 2.3 und 2.4): Auch nach der Fusion mit dem Spermium ist die nun befruchtete Eizelle, die diploide Zygote, noch immer einzellig. Aus ihr soll ein vielzelliger Organismus mit oft Abermillionen von Zellen entstehen. Folglich wird nun in einer Serie rasch aufeinander folgender Zellteilungen vielzelliges Baumaterial hergestellt. In rasantem Tempo wird der Keim ohne Volumen- oder Massenzunahme in immer kleiner werdende Zellen zerlegt. Diese Etappe wurde Furchung benannt, weil oftmals auf der Eioberfläche, beispielsweise auf der gelben Eikugel des Hühnchens, als Ausdruck der beginnenden Zellteilungen Furchen sichtbar werden. Die Furchung kann holoblastisch (D total) sein; d. h. das Eimaterial wird vollständig (griech.: holos D ganz) in Zellen untergebracht (Abb. 2.3a–c); oder meroblastisch (D partiell); d. h. das Ei wird zunächst wegen der großen, sperrigen Dottermasse nur teilweise (griech.: meros D Teil) in Zellen unterteilt (Abb. 2.3d–f). Maßgebend dafür, ob eine holoblastische Furchung mit regulären Zellteilungen möglich ist, sind Größe und Dottergehalt der Eier. Bei holoblastischer Furchung (Beispiele: Seeigel, s. Abb. 4.2, und Frosch, s. Abb. 5.6) heißen die noch recht großen ersten Tochterzellen Blastomere(n) (griech.: blastos D Keim; meros D Teil). Je nachdem, ob die beiden aus einer Zelle hervorgehenden Tochterzellen in ihrer Größe gleich oder ungleich sind, spricht man von äqualer oder inäqualer Teilung. Bei inäqualer Teilung gehen aus einer Blastomere eine Mikromere und eine Makromere hervor. Beispiele eines meroblastischen Furchungsverlaufs sind die superfizielle Furchung der Insekten und die diskoidale der Fische, Reptilien und Vögel (Abb. 2.3d–e; s. auch Abb. 5.22 und 5.25). Der zeitliche Ablauf und die räumliche Anordnung der Tochterzellen einer holoblastischen Furchung erfolgen bei manchen Tiergruppen nach strenger Gesetzmäßigkeit: Die Blastomeren kommen, dirigiert durch
2.1 Etappen der Entwicklung in der Übersicht
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Furchung = Serie von Zellteilungen
Zygote
2-Zellen-Stadium
8-Zellen-Stadium
164-Zellen-Stadium Morula/Blastula
Gastrulation: Bildung des Urdarms und der “Keimblätter” Blastocoel
Blastula
Ektoderm Mesoderm Coelom
Urdarm
frühe Gastrula
Urmund
Entoderm späte Gastrula
Gastrulation: Mesodermbildung
Mesoderm durch Abfaltung aus Urdarm (Enterocoelbildung) z.B. Seeigel, Branchiostoma und weitere Deuterostomier
Mesoderm aus sich vermehrenden paarigen Einzelzellen (Urmesoblasten) bei Anneliden (Platynereis) und anderen Spiraliern
Abb. 2.2 Schematische Übersicht über die frühembryonalen Entwicklungsstadien. Das Schema orientiert sich in seinen Grundzügen an der Entwicklung von Deuterostomiern (Seeigel, Amphibien) mit dem Urmund am vegetativen Pol
die Centrosomen der Spindelapparate, in einer bestimmten geometrischen Konfiguration zu liegen. Im Regelfall durchschneiden die ersten beiden Trennflächen (Furchungsebenen) den Keim vom animalen zum vegetativen Pol, wobei die zweite Trennfläche im rechten Winkel zur ersten steht (Abb. 2.3a). Die aus Aktin- und Myosinfilamenten hergestellten kontraktilen Ringe durchschnüren das Ei entlang von Meridianen. In der Fachsprache verlaufen demgemäß die zwei ersten Furchungen meridional. Es wird da-
bei das 4-Zellstadium erreicht. Die dritte Furchung, die zum 8-Zellstadium führt, verläuft demgegenüber äquatorial; das heißt in der Äquatorebene oder parallel zu ihr. Der weitere Verlauf ist uneinheitlich, doch gibt es einige häufig vorkommende Grundmuster. Drei Standardmuster sind Radiärtyp, Spiraltyp und Bilateraltyp (Abb. 2.4). Abschluss der Furchung: Viele tierische Keime erreichen nun das Stadium der Blastula, einer bewim-
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2 Etappen und Prinzipien der Entwicklung
a
total, äqual, radiär. Beispiel: Echinodermen, Seeigel Echinus
b
total, inäqual, spiral. Beispiel: Anneliden, Platynereis
c
total, inäqual, bilateral. Beispiel: Tunicaten, Ascidie Ciona
d
partiell, moderat discoidal: Fische
e
partiell discoidal; Blick von oben. Beispiel: Reptilien, Vögel
f
partiell superfiziell. Beispiel: Drosophila
2.1 Etappen der Entwicklung in der Übersicht
25
J Abb. 2.3 Übersicht über die häufigsten Furchungstypen. a Bei der Radiärfurchung (z. B. Seeigel) liegen Zellen in Säulen übereinander. b Bei der Spiralfurchung (z. B. Anneliden) werden durch eine schräge Spindelstellung die Zellen relativ zueinander verschoben – sie kommen auf Lücke zu liegen. c Die Bilateralfurchung (z. B. Urochordaten) erzeugt ab der ersten Teilung einen bilateralsymmetrischen Keim. d, e Sehr dotterreiche Ei-
Abb. 2.4 Furchungstypen gemäß der Anordnung der ersten Blastomeren zueinander
er, wie z. B. die der Vögel, zerlegen den Dotter unvollständig in Zellen oder gar nicht. Die Keimscheibe liegt daher dem Dotter auf. f Die superfizielle Furchung bei Drosophila verläuft bis zum 254-Zell-Stadium in einem Syncytium. Erst danach wandern die Zellen zur Peripherie, und es werden Zellmembranen eingezogen und so Zellen geschaffen
radiär Seeigel
ant.
spiral Anneliden, Mollusken
dors.
IIa
I
post. IIb ventr. bilateral Tunikaten
perten Hohlkugel, deren Innenraum von Flüssigkeit oder sich verflüssigendem Dotter angefüllt ist. Die zelluläre, epithelartige Wandung der Blastula heißt Blastoderm, der Innenraum Blastocoel oder primäre Leibeshöhle. Wenn die Entwicklung von dieser Norm abweicht, werden andere, oft aber ähnlich klingende Ausdrücke gebraucht. Die Blastocyste der Säuger sieht ähnlich aus wie die Blastula eines Seeigels, ist jedoch nicht mit ihr gleichzusetzen; denn die zelluläre Wand der Blastula wird vollständig zur Bildung des Embryos herangezogen, die Wand der Blastocyste nicht; sie liefert nur die Plazenta, nicht den Embryo (Näheres dazu s. Abschn. 5.4 „Maus“ und Kap. 6 „Mensch“). Auch wenn später weitere Zellteilungen folgen, gilt die Furchung mit dem Erreichen des Blastula-/Blastocysten-Stadiums als abgeschlossen.
2.1.4
rotational Säuger
Während der Gastrulation wird die Bildung innerer Organe vorbereitet
Ein tierischer Organismus benötigt innere Gewebe und Organe, im Mindestfall einen (rohrförmigen) Hohlraum, in dem die Nahrung enzymatisch zerlegt werden kann. Folglich müssen nun Zellen, einzeln oder im geschlossenen Verband, ins Innere der Keimblase verfrachtet werden. Diese Verfrachtung ins Innere nennt man Gastrulation (griech.: gaster D Magen) in Anspielung darauf, dass hierbei im Regelfall als erstes die Bildung des Urdarms (Archenteron, Entoderm) in die Wege geleitet wird. Die Art und Weise, in der Zellen ins Innere verfrachtet werden, kann von Fall zu Fall recht verschieden sein. Gemeinhin werden sechs Grundmodi unterschieden (Abb. 2.5):
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2 Etappen und Prinzipien der Entwicklung
Gastrulation: Sonderung in Ektoderm und Entoderm Gastrulation bei gefüllten Blastulae (Stereoblastulae)
a
b
Involution Epibolie (Umbiegen) bei Fischen Umordnung und Epithelbildung, z.B. bei dem Cnidarier Hydractinia
Gastrulation bei hohlen Blastulae (Coeloblastulae)
c
d
Delamination z.B. einige Cnidarier (Scleractinia-Korallen)
e
polare Immigration z.B. einige Cnidarier (Hydrozoon Clytia)
Invagination am animalen Pol Cnidarier (Scyphozoen: Aurelia, Anthozoen: Nematostella, Steinkorallen)
f
Invagination am vegetativen Pol Seeigel und andere Deuterostomier
Abb. 2.5 Übersicht über die häufigsten Gastrulationstypen. Die Bildung des Mesoderms kann auf sehr verschiedene Weisen geschehen; zwei häufige Bildungsarten sind exemplarisch dargestellt
Invagination: Eindellung und Einstülpung einer Zellschicht ins Innere des Embryos durch aktive Verformung (gemeinsame Erzeugung kohärenter Biegemomente durch die Zellen); Involution, Umstülpung, Umströmung: Zellen umkriechen als kohärenter Verband eine Kante, in der Regel die Lippe eines Urmundes; Epibolie, Umwachsung: Ein äußeres Blastoderm umwächst eine innere Masse;
Delamination, Abblättern: Vom äußeren Blastoderm lösen sich nach Zellteilungen Schichten von Zellen ab; Immigration, Einwanderung: Zellen dringen einzeln ins Keimesinnere ein (und nicht als zusammenhängender Verband wie bei der Involution); polare Proliferation: nach innen gerichtete Zellteilungen im Bereich eines der beiden Pole des Keims.
2.1 Etappen der Entwicklung in der Übersicht
Bei den meisten Keimen vollzieht sich die Gastrulation in einer Kombination mehrerer dieser Grundmuster. Keimblattbildung ist ein weiterer, historisch alter Ausdruck für diese und die nachfolgende Entwicklungsetappe. Wie der Ausdruck „Furchung“ ist der der Botanik entlehnte Ausdruck „Keimblatt“ ein Relikt aus historischen Beschreibungen der Hühnchenentwicklung (z. B. CF Wolff, CE von Baer, Box 1.1). Beim Vogelembryo liegen kurzfristig drei Zellschichten – drei „Keimblätter“ – übereinander: Ektoderm, Mesoderm, Entoderm. Die früh im Lauf der Evolution von der Hauptlinie der Tiere abgespaltenen Tierstämme Cnidaria und Ctenophora, früher als Coelenterata zusammengefasst, kommen mit zwei Zellschichten aus: dem Ektoderm (Epidermis) und dem Entoderm (Gastrodermis). Sie werden als diploblastisch bezeichnet (siehe aber Kap. 22). Alle Tiere, die sich auf der Hauptlinie weiterentwickelt haben, besitzen drei Keimblätter und werden mit dem Adjektiv triploblastisch gekennzeichnet. Wie kommt es zu drei Schichten? Bei triploblastischen Organismen entsteht in der Gastrulation nicht nur der Urdarm, vielmehr wird zwischen dem Urdarm und dem äußerem Blastoderm eine weitere Schicht eingeschoben. Die Wege dorthin sind vielfältig (Kap. 4) – bei Spiralia beispielsweise ist eine einzige, früh festgelegte Zelle (4d-Zelle) für die Bildung des Mesoderms verantwortlich; von ihr leiten sich die paarigen Urmesoblasten (Mesoteloblasten) ab, die durch Proliferation die segmentalen Mesodermpakete erzeugen (s. Abb. 4.22). Bei anderen Tieren faltet sich das Mesoderm vom Urdarm ab oder es wird in einer mehrphasigen Gastrulation wiederholt Zellmaterial ins Innere geschafft. Manchmal wird auch erst ein kompaktes Mesentoderm ins Innere verlagert und dort aufgegliedert in das Entoderm des künftigen Magen-Darmtraktes und das Mesoderm. Das Mesoderm hat besonders große Talente und seine Bildung ist eine der wichtigsten evolutionären Errungenschaften. Aus ihm entstehen im Regelfall in enger Abstimmung mit Entoderm und Ektoderm die Muskulatur, Exkretionsorgane, Gonaden, Bindegewebe, gegebenenfalls innere Skelettelemente, Blutgefäße und die häutige Auskleidung der sekundären Leibeshöhle, des Coeloms. Die verbleibende epitheliale Außenwand der Gastrula ist das Ektoderm. Ein Teilgebiet des Ektoderms wird auch als Neuroektoderm
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bezeichnet, wenn es, wie dies bei Amphibien der Fall ist, noch Zellen zur Herstellung von Sinnesorganen (z. B. Seitenlinien, Innenohr) und von Nervengewebe abgliedert (s. Abb. 5.8, 16.2 und 16.16), bevor es selbst zur Epidermis wird. Dem löblichen Versuch sprachlich gebildeter Autoren entwicklungsbiologischer Werke, den oft unpassenden Terminus derm (Haut) durch den Terminus blast (bildendes Material) zu ersetzen, war kein großer Erfolg beschieden. Aber man liest bisweilen schon Ausdrücke wie Epiblast statt Ektoderm, Hypoblast statt Mesentoderm und Mesoblast statt Mesoderm, insbesondere in Darstellungen der Vogel- und Säugerentwicklung.
2.1.5 Organbildung und Gewebedifferenzierung ermöglichen ein eigenständiges Leben Die Organbildung (Organogenese) wird bereits mit der Gastrulation eingeleitet. Bei Wirbeltieren wird die erste Phase, die zur Formung des Zentralnervensystems führt, Neurulation genannt (s. Abb. 5.8). Weitere Etappen sind kaum mehr mit übergreifenden Begriffen benennbar, weil im Zuge der Organogenese das artspezifische Endziel der Entwicklung angestrebt wird und daher sehr unterschiedliche Wege beschritten werden. Vielfach führt die Entwicklung zu einer Erstausgabe (einem ersten stabilen Phänotyp) des Lebewesens, der Larve. Die Organausstattung ist vor allem bei marinen Larven oftmals sehr dürftig; andererseits werden spezifische Larvalorgane ausgebildet. Das Fehlen komplexer Organe lässt sich zum einen auf die geringe Größe der Larven zurückführen. Ein kleines Volumen erlaubt die Diffusion von Sauerstoff in die Larve oder das Entweichen des Abfallprodukts Ammoniak aus der Larve heraus, ohne dass hoch differenzierte Atmungs-, Kreislauf oder Exkretionsorgane nötig wären. Einige Indizien weisen aber auch darauf hin, dass Entwicklungswege über eine Larve evolutionäre Entwicklungsreihen nachvollziehen (Kap. 22). Larven sind per se ein Erfolgsmodell. Doch ermöglichen die Metamorphose und die damit verbundene komplexe Organogenese der Imago oder Adultform, sich in Lebensräumen erfolgreich zu behaupten, die eine Ausstattung mit anderen Organen (z. B. Flügel) erfordern.
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2 Etappen und Prinzipien der Entwicklung
2.2 Allgemeine Prinzipien in Kurzfassung einzuschlagen, wird häufig mit der Endsilbe -blast 2.2.1 Bei aller Mannigfaltigkeit der tierischen Entwicklung gibt es doch einige grundlegende und wiederkehrende Vorgänge Die Entwicklung des Vielzellers beinhaltet Zellproliferation (wiederholte Zellteilungen), Zelldifferenzierung, das heißt die Ausbildung funktionell spezialisierter Zellen aus undifferenzierten Vorläufern; dieses Verschiedenwerden muss in einer definierten räumlichen Ordnung geschehen. Sie geht daher mit Musterbildung einher: Die verschiedenartigen Zellen sind nicht chaotisch durcheinander, sondern in artspezifischen Mustern angeordnet. Zelldifferenzierung führt in der tierischen Entwicklung, anders als in der Entwicklung der Pflanzen, sehr oft zu Zellbewegungen; diese führen zur aktiven Verformung von Epithelien oder sind als Wanderung individueller Zellen zu beobachten. Bei genauem Hinsehen findet man, dass in der Entwicklung des Vielzellers stets auch ein programmierter Zelltod (Apoptose; s. Abb. 14.9) stattfindet. Sie spielt z. B. eine Rolle bei der Bildung der Finger aus einem embryonalen Handpaddel (s. Abb. 14.8). Alle diese Ereignisse zusammen führen zur Morphogenese, d. h. zur Gestaltbildung. Zellteilungen erfordern eine subtile Proliferationskontrolle; denn der Bedarf an einzelnen Zelltypen ist unterschiedlich. Die Proliferationskontrolle ist folglich eng mit der Differenzierungskontrolle verknüpft. Zelldifferenzierung kann zweierlei bedeuten (Abb. 2.6): 1. das Verschiedenwerden der Zellen im Vergleich zueinander und 2. die individuelle Zellentwicklung, d. h. das Verschiedenwerden einer Zelle im Laufe der Zeit (Zellreifung). Die Entwicklung einer jeden Zelle beginnt mit einer multipotenten Gründerzelle, welche teilungsfähig und Ursprung mehrerer Zelltypen ist. (Die erste Gründerzelle ist naturgemäß die Eizelle selbst.) Ein Akt der Entscheidung, Determination oder commitment (Festlegung, Verpflichtung) genannt, lenkt die Entwicklungspfade der Nachkömmlinge zu verschiedenen Zielen. Eine Zelle, die schon „verpflichtet“ (determiniert, festgelegt, programmiert) ist, einen bestimmten Entwicklungspfad
(z. B. Neuroblast, Erythroblast) gekennzeichnet. Sie wird nach einigen Teilungsrunden zur terminalen Differenzierung übergehen, d. h. ihre spezielle molekulare Ausstattung, Form und Funktion erhalten. Dabei wird sie in der Regel ihre Teilungsfähigkeit einbüßen. Die Endsilbe -cyt (z. B. Erythrocyt) gibt den Hinweis darauf, dass dies geschehen ist. Das Bedeutungsspektrum der Begriffe Determination, Spezifikation und Commitment wird in Box 2.1 vergleichend zusammengefasst (Abb. 2.6). Determination geht mit Musterbildung einher. Ein Muster (pattern) ist die geordnete räumliche Konfiguration, in der die verschiedenen Zelltypen und suprazellulären Strukturen (Gewebe, Organe) in Erscheinung treten. Musterbildung im Verband von Zellen basiert oft auf positionsgerechter Aufgabenzuweisung, d. h. positionsabhängiger Determination. Musterbildung kann aber auch darauf beruhen, dass bereits differenzierte Zellen durch aktive Bewegung bestimmte Positionen aufsuchen. Bei der experimentellen Analyse der Entwicklungsprozesse geht man von Arbeitshypothesen aus. Eine alte Vorstellung ist, dass Zelldifferenzierung auf differenzieller Genexpression (differenzieller Genaktivität) beruhe. Diese Vorstellung ist mittlerweile durch zahlreiche Beispiele und Experimente als zutreffend belegt. Determination wird als eine Programmierung betrachtet, bei der entschieden wird, welche Gensätze abrufbar bleiben und welche blockiert werden. Hierbei sind nicht immer die embryoeigenen (zygotischen) Gene maßgebend. Eine solche Programmierung kann, historische Hypothesen bestätigend, schon früh in der Entwicklung von cytoplasmatischen, maternalen Determinanten ausgehen. Maternale Transkripte, die während der Oogenese in der Eizelle deponiert wurden, stehen für eine sehr frühe, ortspezifische Translation regulatorischer Proteine zur Verfügung. Maternale Effekte weisen somit auf die besondere Bedeutung der Oogenese für die künftige Entwicklung hin. Wird die Embryonalentwicklung in besonders starkem Maße von gespeicherten, molekularen Determinanten bestimmt, spricht man auch von autonomer Entwicklung oder Mosaikentwicklung; denn ein Mosaik an Determinanten im Ei führt zu früher Aufgabenzuweisung und erlaubt den Zellen, unabhängig von anderen ihren Entwicklungsweg zu gehen.
2.2 Allgemeine Prinzipien in Kurzfassung
29
Differenzierung als Divergenz der Entwicklungswege Epidermis, Keratinocyten Eizelle mit verschieden lokalisierten Substanzen
Nervenzelle Muskelzelle
Knorpelzelle
Spezifikation weitere Determination (unverbindliche Zuweisung des Schicksals) durch Wechselwirkung
Darmzelle
finale Determination terminale Differenzierung (commitment)
Differenzierung als individuelle Zellentwicklung finale Determination (commitment)
terminale Differenzierung (Zellreifung) Zellteilung
z.B. Neuroblast
Neuron
Zellteilung unipotente Stammzelle
z.B. Keratinocyte
Abb. 2.6 Bedeutungen des Begriffs Differenzierung für Zellverbände oder Einzelzellen. Divergenz der Entwicklungswege benachbarter Zellen ist Voraussetzung für die individuelle Zell-
differenzierung im Sinne von Zellreifung. Die Abstimmung erfolgt durch Signale zwischen den Zellen oder aufgrund autark laufender endogener molekularer Uhren
Dies ist ein Thema des Kap. 9. Eine asymmetrische Zellteilung kann solche cytoplasmatischen Determinanten auf verschiedene Tochterzellen verteilen und damit deren weiteres Schicksal in unterschiedliche Bahnen lenken, dies nicht nur in der frühen Entwicklung eines Embryos, sondern auch später im Leben. Ein Beispiel ist die Epithel-Mesenchym-Transition, die amöboid bewegliche Mesenchymzellen von stationär bleibenden Epithelzellen trennt (Abb. 2.7); ein weiteres Beispiel wird die Vermehrung von Nervenzellen aus Stammzellen im wachsenden Gehirn sein (Kap. 16; Abb. 16.7). Die Programmierung der verschiedenen Entwicklungswege kann aber auch auf einer wechselseitigen Absprache zwischen den Zellen beruhen. Solche
Zellinteraktionen sind Thema des Kap. 10. Sie machen die Entwicklung der einzelnen Zelltypen zwar abhängig von der Nachbarschaft, erlauben aber auch im Bedarfsfall eine korrigierende Regulation. Man spricht von regulativer Entwicklung. Eine schematische Darstellung der Abläufe, die von ersten maternalen Faktoren im Ei über wechselseitige Interaktionen der Zellen im Embryo zu einer zunehmend komplexeren Aufgliederung des Embryos in Territorien mit unterschiedlichem weiteren Schicksal führen, gibt Abb. 2.8. Diese Abläufe werden allgemein unter den Begriffen Positionsinformation (positional information) und Musterbildung (pattern formation) zusammengefasst und hier in den Kap. 9 und 10 konkret behandelt.
30
2 Etappen und Prinzipien der Entwicklung
Box 2.1: Zu den Begriffen Determination, Spezifikation, Commitment Die Prozesse, durch welche Zellen ihre Aufgabe zugewiesen erhalten und für einen bestimmten Entwicklungsweg programmiert werden, heißen in der Tradition der Entwicklungsbiologie Determination. Ein neu in Mode gekommener Begriff hierfür ist commitment (Verpflichtung). Spezifikation ist ein weiteres Wort (in der Entwicklungsbiologie erstmals von H. Driesch gebraucht und von L. Wolpert populär gemacht). Es bedeutet ebenfalls Aufgabenzuweisung, ohne schon eine strikte Programmierung zu implizieren. Viele wissenschaftliche Begriffe kommen in Mode, ohne je verbindlich definiert worden zu sein. Dies gilt auch für die drei oben genannten Begriffe, wiewohl es Versuche gab, nachträglich Definitionen zu geben und Vorschläge für den Gebrauch solcher Begriffe zu machen. Anders als bei der Festlegung von Gattungs- und Artnamen gibt es jedoch kein Gremium, das verbindliche Vorschriften machen könnte und man muss versuchen, bei der Lektüre einschlägiger Artikel aus dem Kontext heraus zu verstehen, in welcher Bedeutung dieser oder jener Begriff verwendet wird. Spezifikation und „spezifizieren“ liest man oft im Zusammenhang mit Musterbildung in Zellarealen (Kap. 10). Im Sinnzusammenhang meint Spezifikation das richtungsweisende Dirigieren auf ein bestimmtes Schicksal, doch noch keine irreversible Festlegung. Commitment bedeutet ebenso wie der klassische Begriff Determination eine verbindliche Festlegung. Der Begriff wird meist (nur) verwendet, wenn ein besonderer Zelltyp betrachtet wird. Determination, allgemein als Bestimmung des Schicksals definiert, bleibt ein brauchbarer Überbegriff, wenn Spezifikation als Einleitung eines spezifischen Entwicklungsprogramms und Commitment als die definitive Festlegung verstanden wird. Wer den Ausdruck Determination für den fertigen Zustand reservieren will, kann für den Prozess des Festlegens den – sprachlich unschönen – Ausdruck Determinierung verwenden.
Determinationsmodus und -zustand müssen experimentell ermittelt werden Die Beobachtung, dass manche Blastomeren bestimmte cytoplasmatische Komponenten erhalten, andere hingegen nicht, sagt noch nichts Zuverlässiges über den Modus der Determination aus. Das Froschei beherbergt in der animalen Rindenschicht schwarze Pigmentgranula; nur animale Blastomeren erhalten sie zugeteilt. Diese Granula sind jedoch für die Determination bedeutungslos; denn Albinoeier entwickeln sich normal. Ob entwicklungsbestimmende Komponenten vorliegen, muss im Experiment geprüft werden: Man verlagert plasmatische Komponenten durch Druck oder Zentrifugation. Oder man saugt mit der Mikropipette fragliches Plasma ab und injiziert es an anderen Orten (s. Abb. 4.30, 4.32). Der Determinationszustand wird mit folgenden Verfahren getestet: Isolationstest. Embryonale Zellen oder Zellverbände können in Kulturmedien passender Zusammensetzung kultiviert werden. Entwickeln sie sich autonom (oder nach Zugabe bzw. dem Entzug bestimmter, die terminale Differenzierung auslösender bzw. hemmender Substanzen) zu stets den gleichen terminal differenzierten Zellen, gelten sie als determiniert. Man kann in fetalem Kälberserum – es enthält vielerlei Wachstumsfaktoren – über Jahre und kilogrammweise Myoblasten (C2/C12-Zellen) züchten. Die Silbe Myo- weist auf Muskelzelle; die Endsilbe -blast kennzeichnet die determinierten, oft aber noch teilungsfähigen Vorläuferzellen. Sie differenzieren sich stets zu Muskelzellen, wenn man ihnen das Kälberserum entzieht. Wie dieses Beispiel belegt, kann in proliferierenden Zellkulturen der Determinationszustand unverändert von Zellgeneration zu Zellgeneration weitergegeben werden. Man spricht von Zellheredität. Terminologischer Hinweis: Nach Jonathan Slack (1991) sollte man in den Fällen, in denen Zellen in neutraler Umgebung ihrer Bestimmung I
2.2 Allgemeine Prinzipien in Kurzfassung
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Box 2.1: Fortsetzung treu bleiben, sagen, solche Zellen seien spezifiziert. Transplantationstest: In der von Hans Spemann entwickelten mikrochirurgischen Technik werden Zellen, Zellverbände oder größere Teile eines Keims in andere Keime und an einen anderen Ort verpflanzt. Man kann die Spender-Zellen in Wirts-Keime (Empfängerkeime) der gleichen Art einpflanzen (autologe oder homoplastische Transplantation). Alternativ funktionieren Transplantationen, zumeist ohne besondere Komplikationen, auch in Wirtskeimen einer fremden Art (heterologe oder heteroplastische Transplantation, z. B. zwischen Frosch und Molch, Haushuhn und Wachtel). Sind die Transplantate bereits irreversibel determiniert, verhalten sie sich „herkunftsgemäß“, d. h. ihrem mitgebrachten Programm entsprechend, und autonom, d. h. ohne sich von der neuen Umgebung von ihrem eingeschlagenen Entwicklungsweg abbringen zu lassen. Zellen, die noch nicht (irreversibel) determiniert sind, können sich hingegen „ortsgemäß“ entwickeln, wenn von ihrer neuen Umgebung determinierende Signale auf sie einwirken. Die Adjektive „herkunftsgemäß“ und „ortsgemäß“ hat Hans Spemann geprägt und durch seine berühmt gewordenen Experimente belegt. So bildet ein ektodermales Stück aus einer Froschgastrula, das an seinem Herkunftsort zu Bauchhaut geworden wäre, aber in die künftige Mundregion eines Molches implantiert worden ist, dem neuen Ort gemäß Zähne. Freilich sind es Hornzähne, wie es der genetischen Potenz der Froschzellen entspricht (s. Abb. 5.12). Die Einpassung an den neuen Ort gilt als Kriterium, dass das transplantierte Gewebe nicht (irreversibel) determiniert war, und ist zugleich Beleg für das Wirken einer Positionsinformation (Kap. 10 und Box 10.2). Die Ergebnisse des Isolations- und des Transplantationstests sind nicht immer konform; denn
eine noch instabile Determination (Spezifikation) kann nach Transplantation noch umgestimmt werden. Terminologischer Hinweis: Nach Slack (1991) gelten Zellen, die sich nach Transplantation auch in der fremden Umgebung herkunftsgemäß und autonom verhalten, als determiniert. Potenzprüfung durch Kerntransplantation: Mit der Determination auf eine bestimmte Aufgabe geht in der Regel die Fähigkeit verloren, sich zu anderen Zellformen entwickeln zu können. Die Entwicklungspotenz wird eingeschränkt. Ob dies mit einer irreversiblen Veränderung des genetischen Programms einhergeht, kann durch Kerntransplantation (Kap. 13) geprüft werden. Berühmtes Experiment, durchgeführt von R. Briggs, T. J. King, J. B. Gurdon, an Xenopus: In entkernte Eizellen implantierte Kerne aus somatischem Gewebe, z. B. aus Darmzellen der Kaulquappe oder aus Lungenzellen des Frosches, ermöglichten in einer beträchtlichen Zahl der Fälle eine komplette Entwicklung: Es entstanden Krallenfrösche. Die Kerne der erfolgreich benutzten Spenderzellen waren totipotent (omnipotent); die Determination hatte in diesen Zellen nicht zu einem irreversiblen Verlust der genetischen Potenz geführt. Wenn die verwendeten Kerne alle von ein und demselben Individuum stammen, sind die erzeugten Labornachkommen mit dem Spender und untereinander erbgleich. Sie sind geklont (Kap. 13). Determination ist wie die Berufswahl nach der Schule: Mit der Entscheidung für einen speziellen Beruf, mit der Zuweisung einer speziellen Aufgabe, werden zugleich alternative Entwicklungspotenzen eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen. Seltene Ausnahmen sind unter den Begriffen Transdetermination und Transdifferenzierung (Kap. 18, Regeneration) zu finden.
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2 Etappen und Prinzipien der Entwicklung Zellpolaritätsproteine (partition defective proteins PAR)
apikal mit PAR
Actinomyosinfilam.
Adherens junction Adhäsionskontakt mit Cadherinen
Adherens junction
Epithelzelle ECM
AsterMikrotubuli+ Myosin10
symmetrische Mitose
asymmetrische Mitose
Mesenchymzelle
Abb. 2.7 Asymmetrische mitotische Zellteilung, die amöboid bewegliche Mesenchymzellen von Epithelzellen trennt
a
+
Cytoplasmatische Determinanten b
c
Ooplasmatische Segregation
Mikrotubulus
Dynein RNP-Partikel Kinesin
d
-
Zell-Zell-Kommunikation und Signalausbreitung durch gap junction
e
Zell-Zell-Kommunikation plus Signalausbreitung im Zwischenzellraum (Interstitium)
Abb. 2.8 Determinationsfolge in einem generalisierten tierischen Embryo. Eine erste ortsabhängige Spezifikation des künftigen Schicksals geschieht durch cytoplasmatische Determinanten, die im Zuge einer Ei-internen Musterbildung (ooplasmatischen Segregation) durch das Cytoskelett und molekulare
Motoren neu geordnet und dann verschiedenen Blastomeren zugeteilt werden. Später beruhen Determination und Musterbildung auf dem Signalaustausch zwischen Zellen, teils über Zelladhäsions- und Erkennungsmoleküle, teils über gap junctions, teils durch Diffusion über Zellzwischenräume hinweg
2.2 Allgemeine Prinzipien in Kurzfassung
Zusammenfassung
Es werden grundlegende Begriffe eingeführt und die wichtigsten Etappen tierischer Entwicklung kurz beschrieben. Tierische Entwicklung verläuft in Etappen: 1. Gametogenese, die Herstellung von Eizellen (Oogenese) oder von Spermien (Spermatogenese); 2. Befruchtung (Fertilisation), die Fusion einer Eizelle mit einem Spermium; 3. Embryogenese (Embryonalentwicklung) mit Furchung, einer Serie rasch ablaufender Zellteilungen, Gastrulation, einem Prozess, in dessen Verlauf Zellen ins Keimesinnere zur Herstellung der inneren Organe verlagert und die Zellschichten der „Keimblätter“ (Ektoderm, Mesoderm, Entoderm) voneinander gesondert werden; Organogenese: Organbildung. Oftmals endet die Embryonalentwicklung mit einer Larve, die eine 4. Metamorphose zur Imago bzw. der Adultform durchläuft; 5. Sexualentwicklung beendet die Lebensperiode, in der Organe neu hergestellt werden oder ihre Reife (Adoleszenz, Maturität) erlangen. Wichtige Begriffe der morphologischen Entwicklungsgeschichte sind: Eizelle mit ihrem animalen und vegetativen Pol, „Keimbläschen“ (D großer Kern einer Eizelle), Polkörper (D die drei kleinen der vier aus der Meiose hervorgehende Zellen, welche zugrun-
33
de gehen, während die vierte zur großen Eizelle wird). Embryonen: – Furchungsteilungen D rasch ablaufende Zellteilungen, die zum 2-, 4-, 8-, 16-, 32-, . . . -Zellstadium führen. – Blastula D Hohlkugel am Ende der Furchung mit Blastoderm (Außenwand) und Blastocoel (D primärer Leibeshöhle). – Gastrula, Stadium, in dem der Keim mehrschichtig wird, mit den „Keimblättern“ Ektoderm, Mesoderm, Entoderm. Diploblastische Tierstämme (D Ekto- und Entoderm), Triploblastische Tierstämme (D drei Keimblätter), Coelom (D sekundäre Leibeshöhle mit mesodermaler Wandung). Furchungsweisen: – holoblastisch (total): Radiär-, Spiral-, Bilateral-Furchung – meroblastisch (partiell): superfizielle, diskoidale Furchung Gastrulationsweisen: Invagination, Involution, Epibolie, Delamination, Immigration, polare Proliferation Allgemeine Prinzipien der Entwicklung sind: Zellteilung, Musterbildung und Determination, Zelldifferenzierung, Zellbewegungen (Verformung, Wanderung), programmierter Zelltod (Apoptose). Alles zusammen führt zur Morphogenese, zur Gestaltbildung.
3
Der Start: Befruchtung, Aktivierung des Eies und erste Zellteilungen (Furchung)
3.1 Die Befruchtung 3.1.1 Wann beginnt das Leben? Der Beginn eines zyklisch sich wiederholenden Geschehens ist nicht leicht zu definieren, und Leben von Generation zu Generation kann als eine Folge zyklischer, sich wiederholender Prozesse verstanden werden. Leben verträgt keine Unterbrechung (allenfalls einen vorübergehenden Stillstand in einem Ruhestadium). Leben ist ein Kontinuum, das bereits vor Milliarden von Jahren vor der Stufe des Vielzellers begann und erst mit dem Tod des letzten Organismus enden wird. Dennoch hat jedes individuelle, auf sexueller Fortpflanzung gegründetes Leben zwei diskrete Grenzen: die Befruchtung und den Tod. Eizelle und Spermienzelle sind nicht fähig, ein eigenständiges Leben zu führen. Wenn sie aus dem Ovar oder dem Hoden entlassen sind, ist ihre Lebensspanne auf wenige Minuten, Stunden oder Tage begrenzt (Mensch: Eizelle bis max. 12 h, Spermien bis max. 3 Tage). Erst aus der Fusion einer Eizelle mit einem Spermium (Spermatozoon) entsteht mit der Zygote eine Zelle, welche die Potenz hat, zu überleben und ein neues Individuum hervorzubringen und auf längere Sicht eine nächste Generation. Im Augenblick der Befruchtung ist das individuelle genetische Programm des neuen Lebewesens zusammengestellt, das
ihn bis zu seinem Tod begleiten wird. In der Begrifflichkeit der Biologie ist ein Mensch Homo sapiens vom Augenblick der Befruchtung an bis zum Augenblick seines Todes. Jedes Stadium seiner Entwicklung gehört zu seinem Dasein.
3.1.2 Terminologische Puristen unterscheiden zwischen Besamung und Befruchtung Mütterliches und väterliches Genom werden im Prozess der Befruchtung zusammengeführt. Befruchtung und Besamung sind zwei Ausdrücke, die nicht immer so sauber getrennt gebraucht werden, wie es terminologisch beschlagene Wissenschaftler wünschen. Nach ihrer Definition setzt die Besamung ein, wenn die Spermien vom ♂ freigesetzt werden; sie beinhaltet die Begegnung von Spermium und Eizelle und gipfelt in der Fusion der Spermienmembran mit der Zellmembran der Eizelle. Befruchtung bezeichnet dann in der Terminologie der Puristen die Fusion der beiden haploiden Genome zum diploiden Zygotengenom in der Eizelle. Üblicherweise werden jedoch alle Prozesse, welche zur Begegnung von Spermium und Eizelle und zur Fusion ihrer Kerne führen, und welche die weitere Entwicklung der Eizelle in Gang setzen, unter der Überschrift „Befruchtung“ (Fertilisation, fertilization) abgehandelt.
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_3,
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3
Der Start: Befruchtung, Aktivierung des Eies und erste Zellteilungen (Furchung)
3.1.3 Die Eizelle lockt das Spermium an; Lockstoffe sind vielfältig und ihre Rezeption gründet auf Mechanismen, wie sie auch von Lichtsinneszellen oder Riechzellen bekannt sind Der bestuntersuchte Befruchtungsvorgang ist der des Seeigels. Die Befruchtung findet frei im Seewasser statt (äußere Befruchtung). Das frisch abgelaichte Ei sendet ein artspezifisches Pheromon als Lockstoff aus, um die Spermien zum Ziel zu führen. Pheromone sind innerartlich wirkende Duftstoffe, die in der Regel im Zuge der Fortpflanzung, aber auch als Warnsignale eingesetzt werden. Als Lockstoff für Spermien werden Pheromone auch als Gamone bezeichnet. Im Falle des Seeigels ist das Gamon ein Peptid. Das Flagellum des Spermiums ist dicht mit molekularen Rezeptoren für das Peptid ausgestattet. Die Rezeptoraktivierung verursacht eine Hyperpolarisation des elektrischen Membranpotenzials, wie dies auch von den Photorezeptoren (Stäbchen und Zapfen) unseres Auges bekannt ist. Zwischen Rezeptor und den Ionenkanälen in der Membran des Flagellums wirkt die sonst im Tierreich selten genutzte, intrazelluläre cGMP-abhängige Signalkaskade, die auch in den Photorezeptoren unserer Netzhaut den Empfang eines Lichtsignals beantwortet (s. Müller und Frings (2009)). Noch verblüffender sind neuere Befunde zur Chemotaxis der Spermien bei Säugern. Wenig überraschend ist, dass das chemotaktische Signal offenbar sehr komplex und hocheffizient ist: Im Experiment lassen sich Spermien von winzigen Spuren (Picomol D 1012 M) des Steroidhormons Progesteron anlocken; des Weiteren durch das gasförmige Stickstoffmonoxid NO. Progesteron löst sich von den Cumuluszellen, die sich vom Eifollikel ableiten und das Ei nach seiner Freisetzung aus dem Ovar umhüllen. Progesteron öffnet im Flagellum des Säugerspermiums Anionenkanäle, und dies erhöht deren Bewegungsaktivität. Doch damit nicht genug. Überraschenderweise sind Säugetier-Spermien mit Duftstoffrezeptoren ausgestattet, die auch in Riechzellen der Nase vorkommen. Einer dieser Rezeptoren bindet einen künstlichen aromatischen Aldehyd Namens Bourgeonal, einen Maiglöckchen-Duftstoff, der jedoch nicht im Vaginalsekret nachgewiesen werden konnte. Neben Gradienten chemischer Signale soll bei der inneren Befruchtung der Säuger auch ein Tempera-
turgradient entlang dem Ovidukt den Spermien Orientierung geben.
3.1.4 Die Befähigung zur Befruchtung erlangt das Spermium erst durch einen Aktivierungsprozess, die Kapazitation Unabhängig davon, wie das Säuger-Spermium den Ovidukt hinaufgeleitet wird, es muss die Wegstrecke auch durchschwimmen, um befruchtungsfähig zu werden. Auf seiner Schwimmstrecke den Eileiter hinauf erfährt es eine Behandlung durch Sekrete des weiblichen Organismus. Es erlangt erst dadurch die Kapazitation (Befähigung) zur Befruchtung der Eizelle. Bei den meisten Säugerarten hat diese Kapazitation einen besonderen Zweck: Die Spermien bleiben zunächst in der schleimigen Mucosa des Eileiters hängen und werden so vorerst zurückgehalten und gespeichert. Erst zur Zeit der Ovulation machen die Sekrete des Oviducts die Spermien mobil. Die Spermien werden nun hyperaktiv und entkommen so dem hinderlichen Schleim, und sie tun dies zur rechten Zeit, eben wenn ein befruchtungsfähiges Ei in den Ovidukt gelangt ist. Kapazitation der Spermien ist auch bei wirbellosen Tieren nötig und wird beispielsweise beim Seeigel durch die Verdünnung der Spermien im leicht alkalischen Meerwasser (pH 8,2) ermöglicht.
3.1.5 Akrosom: Ein chemischer Bohrer ermöglicht das Durchdringen der Eihüllen Der Kontakt des Spermienkopfes mit Komponenten (Polysacchariden) in der Hülle des Eies löst die Akrosomreaktion aus. Das Akrosomvesikel im Spermienkopf (Abb. 3.1, 3.2 und 3.3) öffnet sich und entlässt eine Kollektion von Enzymen. Es finden sich darunter viele Proteasen, die zu einem Proteasomaggregat gebündelt sind, sowie bei Säugern weitere Enzyme wie Glykosidasen und Hyaluronidasen. Das von seinem Flagellum vorangetriebene Spermium besitzt mit seinem Akrosom einen chemischen Bohrkopf und frisst enzymatisch einen Kanal durch die Eihülle bis zur Eimembran. Beim Seeigel wird die extrazelluläre Gallerthülle und die der Eizellmembran aufgelagerte Vitellinmembran lokal verdaut, beim Säuger die Zona
3.1 Die Befruchtung Abb. 3.1 Befruchtung im Überblick. Die Zahlen 1–7 geben die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse wieder. (1) Kontaktaufnahme mit der äußeren Eihülle. (2) Freisetzen des Akrosomvesikels (rot) und Durchbohren von Gallerthülle (weiß) und Vitellinmembran (gelb) sowie Kontaktaufnahme mit der Zellmembran (rot). (3) Aktivierung des Eis, Exocytose der Corticalgranula (blau). Abheben der Vitellinmembran (7), Eindringen des Spermienkopfes in die Eizelle (4), Freisetzen des Spermienkerns (5) und Fusion der Vorkerne zum Zygotenkern (6)
37
haploider Oocytenkern = Vorkern Eizellmembran
diploider Zygotenkern
haploider Spermatocytenkern = Vorkern
Eihülle Seeigel: Gallerte (jelly layer) plus Vitellinmembran (vitelline envelope)
6 5 4
Säuger: Zona pellucida
7 2 1
3 Exocytose der Rindenvesikel (Corticalgranula)
Spermium
Befruchtung
pellucida, die als extrazelluläre Schutzhülle die Eizelle umgibt. Beim Seeigelspermium verlängert sich der Bohrkopf zu einem spitzen Fortsatz: Vom Boden des geöffneten Akrosomvesikels wird eine fingerartige Struktur, das Akrosomfilament, durch den erbohrten Kanal geschoben; dabei wird das Filament (ein langer Microvillus) durch die blitzartige Polymerisation von globulären G-Aktinmolekülen zu F-Aktinfilamenten vorangetrieben.
3.1.6 Artspezifische Rezeptoren der Eihülle kontrollieren das eingefangene Spermium Seeigel Im freien Seewasser der Meere schwimmen zur Laichzeit Spermatozoen vieler verschiedener Echinodermen und suchen ein Ziel. Im Laborversuch können sich auch artfremde Spermien durch die äußere Hülle des Eies bohren, doch vor der Fusion prüfen sich Ei und Spermium wechselseitig auf Passfähigkeit. Außen auf der Oberfläche des Akrosomfilaments befinden sich als Erkennungszeichen Bindin-Proteinmoleküle, die mit Glykoproteinen (Bindinrezeptoren) der Zellmembran in Wechselwirkung treten. Bindin und Rezeptor sind artspezifisch aufeinander abgestimmt, sodass nur arteigene Spermien mit der Zellmembran Kontakt aufnehmen können (Abb. 3.2).
Die Artspezifität des Bindinproteins beruht auf dem Polymorphismus seines Gens: Es gibt bei den verschiedenen Arten der Seeigel unterschiedliche Varianten des Bindingens, die durch verschiedene Mutationen mancherlei Art (Punktmutationen, Deletionen, Duplikationen bestimmter Teilsequenzen) aus einem Ur-Gen hervorgegangen sind. Auf Seiten der Eizelle muss auch der Bindinrezeptor im Sinne einer Koevolution spezifisch auf das arteigene Bindin abgestimmt worden sein.
Säuger Auch beim Säuger muss das Spermium für seine Aufgabe, die Eihüllen zu durchdringen, vorbereitet sein und im rechten Augenblick aktiviert werden. Das Ei seinerseits muss das Spermium einfangen und festhalten. Hierzu besitzt es Rezeptoren in der Glashaut D Zona pellucida, welche das Ei umhüllt. Bei der Maus sind dies Glykoproteine, die man ZP1, ZP2 und ZP3 nennt (ZP D Zona pellucida), beim Menschen kommt dazu noch ein ZP4. ZP3 (in Koppelung an ZP4) gilt als Spermienrezeptor. Alle ZP-Proteine besitzen Cystein-reiche extrazelluläre Domänen, wie sie in ähnlicher Art auch in vielen anderen extrazellulären Proteinen vorkommen. Zusammen bilden die ZP-Proteine einen fibrillären Komplex, der nur in der Zona pellucida unbefruchteter Eier in einer Form vorliegt, die dem Spermienkopf ein Andocken erlaubt (Abb. 3.3). Nach der Befruchtung werden bestimmte Komponenten (ZP2) des Komplexes durch Proteasen gespalten und die Spermien-bindende Kapazität des Rezeptorkomplexes verschwindet. Das Gegenstück zum ZP-Rezeptor der Eihülle ist sein Ligand am Spermienkopf.
38
3
Der Start: Befruchtung, Aktivierung des Eies und erste Zellteilungen (Furchung)
Befruchtung Seeigel
Bindin
Centriol Mitochondrium
Mitochondrium
Centriolenpaar Enzyme
Befruchtungsmembran
Akrosomvesikel Spermienkern Corticalgranula Gallerthülle Vitellinmembran Zellmembran mit Mikrovilli und Bindinrezeptoren Abb. 3.2 Befruchtung beim Seeigel. Bei Kontakt der Spitze des Spermienkopfes (Akrosom) mit der Gallerthülle setzt das Akrosomvesikel Enzyme frei, insbesondere zu einem Proteasom gebündelte Proteasen. Diese verdauen einen Kanal durch Gallerte und Vitellinmembran. Vom Boden des geöffneten Akrosomvesikels wird ein Akrosomfilament vorgestreckt, sodass die Bindinmoleküle auf seiner Oberfläche in Kontakt zu den Bin-
dinrezeptoren der Eizellmembran kommen. Nach Fusion der Spermienmembran mit der Eizellmembran wird der Inhalt des Spermienkopfes in die Eizelle aufgenommen. Durch Exocytose der Corticalgranula wird quellfähiges Material (blau) in den Raum zwischen Zellmembran und Vitellinmembran entlassen; das aufquellende Material hebt die Vitellinmembran als „Befruchtungsmembran“ von der Eioberfläche ab
Beim Säuger kommt das Spermium nicht mit seiner Spitze, sondern mit seinem Äquator in Kontakt mit der Eihülle. Entlang des Äquators besitzt das Spermium auf seiner Oberfläche eine besondere Bindungszone, in der mehrere für die Fertilität unverzichtbare Faktoren lokalisiert sind. Eines dieser Proteine heißt ESP (Equatorial Segment Protein), das in Kooperation mit einer Reihe anderer Proteine (z. B. SED1) die Bindung zum ZP-Komplex vermittelt. Diese Bindung löst die Akrosomreaktion aus und es werden weitere Proteine an der Spermienoberfläche freigelegt. Allerdings sind die Spermien-einfangenden Proteine der Zona pellucida, einschließlich des ZP-Komplexes, keine integralen Membranproteine, sondern Komponenten der extrazellulären Eihülle. Es muss folglich ein weiterer Prozess nachgeschaltet sein, der die Fusion des Sper-
miums mit der Eizelle ermöglicht. Die letztendlichen Bindungspartner sind derzeit (2011) noch unbekannt. Mehrere Moleküle wurden als Bindungspartner auf Seiten der Eizelle in die Diskussion gebracht, seit längerem ein Mitglied der Integrinfamilie, sowie Fertilin ˇ , eine Protease. Allerdings haben nachfolgende Analysen anfängliche Erfolgsmeldungen widerlegt. Eine neuere Hypothese vertritt die Meinung, die Bindepartner seien Mitglieder der Immunglobuline – eine spannende Vorstellung.
In Parallele zu den Vorgängen beim Seeigel (und anderer Organismen wie den Ascidien), und unterstützt durch mancherlei Reagenzglasversuche mit Eizellen und Spermien der Maus, wird folgende Sequenz von Ereignissen vermutet: Das Spermium wird an den ZP-Komplex der Eihülle gebunden; das Akrosom öff-
3.1 Die Befruchtung
39
Befruchtung Säuger
Mitochondrien 2 1
4
Akrosom
Centriolen
ZP2 gespalten
Kern
5
ZP1,2,3-Proteine Zona pellucida
Kern
3
Zellmembran
Corticalgranula Spermium
Mitochondrien, sich auflösend
6
Exocytose der Corticalgranula
Ei
Abb. 3.3 Befruchtung beim Säuger. (1) Der Spermienkopf dockt mit seiner äquatorialen Region über besonderen Rezeptoren an Z3-Proteine des Eies an. (2) Es öffnet sich das Akrosomvesikel und entlässt Enzyme, die einen Kanal aus der Zona pellucida herauslösen. (3) Durch das Platzen des Akrosoms wird am Spermium ein noch nicht definitiv identifizierter Ligand (grün) exponiert, der von der Eizellmembran mittels eines hypothetischen Rezeptors gebunden wird. (4) Die Eizellmembran
faltet sich dem Spermium entgegen und fusioniert mit der Spermienmembran; dabei wird ein Durchgang frei. (5) Spermienkern und Mitochondrien sind in die Eizelle aufgenommen; die Mitochondrien werden abgebaut, das Centriolenpaar bleibt erhalten. (6) Durch Exocytose der Corticalgranula werden Enzyme (blau) in den Raum zwischen Zellmembran und Zona pellucida entlassen. Die Enzyme bauen Spermien-bindende ZP-Proteine ab und härten die Zona pellucida aus
net sich und setzt eine Kollektion von Proteasen frei, welche zu einem Proteasom gebündelt sind und durch weitere Enzyme ergänzt werden. Diese Kollektion von Enzymen greifen ubiquinierte Proteine der Eihülle an. Ist der Weg zur eigentlichen Eizellmembran enzymatisch freigeräumt, können die Zellmembranen des Spermiums und der Eizelle mittels artspezifischer, membranresidenter Bindepartner direkten Kontakt zueinander aufnehmen. Welche Partnermoleküle auch immer die Vereinigung der Spermienmembran mit der Eizellmembran einleiten: Ihre wechselseitige Bindung setzt eine Si-
gnaltransduktionskaskade in Gang (Abschn. 3.2) und leitet die Fusion der Zellmembranen von Spermatozoon und Eizelle ein. In elektronenmikroskopischen Aufnahmen sieht man, wie sich die mit Mikrovilli bestückte Oberfläche der Eizelle als Befruchtungshügel dem Spermium entgegenwölbt. Diese Mikrovilli fusionieren mit der Zellmembran des Spermiumkopfes. Dabei wird eine Passage freigemacht; der Kern des Spermiums, seine Mitochondrien und Centriolen werden aus dem Spermiumkopf ausgestoßen und durch die Passage in die Eizelle gezogen.
40
3
Der Start: Befruchtung, Aktivierung des Eies und erste Zellteilungen (Furchung)
Box 3.1: Selbstbefruchtung und Parthenogenese Es sei hier nochmals ein Thema aufgegriffen, das schon in Kap. 1 angesprochen worden ist: Bei einer Reihe von Tieren, vor allem von Wirbellosen, kann eine Embryonalentwicklung starten und zu Ende kommen, ohne dass zwei Eltern Gelegenheit hätten, mit ihren Genen zur Hälfte die genetische Ausstattung der Nachkommen bestimmen zu können. Ergänzend listen wir hier systematisch einige der Möglichkeiten uniparentaler (ein-elterlicher) Fortpflanzung auf. Drei Grundtypen seien hier diskutiert: Selbstbefruchtung (Endogamie) bei Zwittern haploide Parthenogenese diploide Parthenogenese Bei Endogamie, haploider Parthenogenese und einer bestimmten Form der diploiden Parthenogenese kommt es zu einer rigorosen Elimination von Trägern defekten Erbgutes.
Zur Selbstbefruchtung fähige Zwitter können sich uniparental fortpflanzen; bei wiederholter Inzucht werden die Nachkommen von Generation zu Generation zunehmend einander gleich Zwittrige Arten, wissenschaftlich auch als Hermaphroditen bezeichnet (nach dem griechischen Halbgott Hermes sowie der Schönheits- und Liebesgöttin Aphrodite), können definitionsgemäß sowohl Eizellen wie Spermien erzeugen. Vielfach jedoch ist Selbstbefruchtung nicht möglich, sei es, dass die anatomischen Gegebenheiten es den Spermien unmöglich machen, im selben Organismus Eizellen aufzusuchen, sei es, dass Spermien und Eier nicht zur selben Zeit produziert werden, sei es, dass Eizellen und Spermien nicht miteinander fusionieren können (Inkompatibilität). In seltenen Fällen allerdings ist Selbstbefruchtung (Endogamie) möglich. Bekannte Beispiele sind Endoparasiten wie Bandwürmer (Cestoden) oder einer unserer Modellorganismen, der Fadenwurm Caenorhabditis elegans (s. Abb. 4.19). In seiner Gonade greift die reife Eizelle beim Passieren der Spermienkammer (Spermathek) ein Spermium auf und entwickelt sich gleich anschließend noch im Muttertier zur Larve.
Bei wiederholter Inzuchtkreuzung, etwa nach 6–7 Fortpflanzungszyklen, liegen nahezu 100 % der Allele homozygot vor. Homozygote Defektmutationen sind dann in den meisten Fällen letal. Das hat die Elimination solcher Individuen und damit auch die Elimination solcher Defektallele zur Folge. Dieser „erwünschte“ Effekt wird allerdings durch das Risiko erkauft, dass eine ganze Population aussterben könnte. Durch gelegentliches Einschieben einer biparentalen sexuellen Fortpflanzung wird dieses Risiko gemildert.
Haploide Parthenogenese: So erzeugte Männchen bei Insekten sind im besonderen Maße dem Fitnesstest unterworfen Bei Bienen und anderen Hautflüglern (Hymenopteren: Bienen, Wespen, Ameisen) liegt es oftmals im „Ermessen“ der Königin, zu entscheiden, welches Geschlecht ein Nachkomme haben soll. Bei Insekten gibt es wie bei Wirbeltieren eine innere Besamung, das heißt, das Ei wird besamt und befruchtet, bevor es den mütterlichen Körper verlässt. Dazu benutzt ein Weibchen Samen, das es nach der Begattung im Receptaculum seminis gespeichert hat. Eine Bienenkönigin, und ebenso eine Ameisenkönigin, kann ein Ei aber auch unbefruchtet lassen, und trotzdem entwickelt sich das abgelegte Ei. Aus der Puppenhülle schlüpft später dann ein haploider Drohn (♂). Drohnen müssen im Hochzeitsflug ihre Fitness beweisen. In haploiden Organismen wird jedes beschädigte Allel die Fitness des Trägers reduzieren. Drohnen mit Defektallelen haben kaum eine Chance, bei der Begattung zum Zuge zu kommen. Das Defektallel wird aus der Population eliminiert. Diploide Parthenogenese: Das Ergebnis kann eine Art natürlichen Klonens sein Es gibt drei Möglichkeiten, wie Mütter, ohne ein Spermium zuzulassen, diploide Nachkommen hervorbringen können: Modus 1: Oocyten entwickeln sich, bevor eine Meiose in Gang kommt; die Nachkommenschaft ist ein Klon des mütterlichen Organismus. Beispiel ist die Heuschrecke Pycnoscelus I surinamensis.
3.2 Aktivierung des Eies
41
Box 3.1: Fortsetzung Modus 2: Nach Abschluss der ersten meiotischen Teilung vereinigt sich der Polkörper wieder mit der Eizelle und bringt dabei wieder einen Chromosomensatz und ein Centriolenpaar zurück. Diese Fusion kann auch eine Aktivierung der Eizelle auslösen. Auch hier sind die Nachkommen eines Individuums Mitglieder eines Klons. Modus 3: Eizellen durchlaufen beide meiotische Teilungen, werden also haploid, doch kommt es zu einer nachträglichen Aufregulierung, sei es dass der zweite Polkörper mit der Eizelle verschmilzt, sei es, dass nach der ersten Replikation der Chromosomen Kern- und Zellteilung unterbleiben. (Im letzteren Fall würden alle Allele homozygot vorliegen, und die Individuen kämen in die Prüfung eines rigorosen Fitnesstests wie bei der oben besprochenen haploiden Parthenogenese.) Diploide Parthenogenese (nach Modus 1 oder 2) ist bekannt von einer Reihe von Wirbellosen, insbesondere von Blattläusen, bei denen im Frühjahr eine rein weibliche Population rasch eine
3.1.7 Weiteren Spermien wird in der Regel der Zutritt verwehrt Wenn die Zellmembran des Spermiums mit der Membran der Eizelle fusioniert, wird in der Regel weiteren Spermien der Zutritt verwehrt und damit Polyspermie verhindert. Man unterscheidet folgende Phasen: 1. einen schnellen ersten, aber nur vorläufigen Block gegen Polyspermie; er wird ausgelöst durch eine Depolarisation des elektrischen Potenzials (D Erniedrigung der elektrischen Spannung) der Zellmembran. Diese Depolarisation inaktiviert die für die Spermienbindung zuständigen Rezeptoren; 2. einen nachfolgenden permanenten Block; er ist verbunden mit dem Aufblähen der sogenannten Befruchtungsmembran, die sich plötzlich von der Zellmembran trennt und abhebt. Dies ist besonders gut bei den Eiern des Seeigels und der Amphibien zu beobachten. Beim Säugerei wird dieser Block erreicht, indem die ZP-Rezeptoren, an welche wei-
Vielzahl von Nachkommen hervorbringen kann (s. Abb. 1.4). Doch selbst einigen Wirbeltieren ist Parthenogenese nicht fremd. Einige „Kaltblüter“, speziell einige Fischarten, können auf Sexualpartner verzichten. Auch ein Landwirbeltier hat dank seiner parthenogenetischen Entwicklung Aufsehen erregt: Es ist die amerikanische Eidechsenart Cnemidophorus uniparens. Noch mehr Aufsehen erregt diese Art freilich durch ihr Sexualverhalten. Obwohl die Population aus lauter Weibchen besteht, verzichtet man nicht auf Sex. Eine Partnerin benimmt sich wie ein ♀, das andere wie ein ♂. Von Zeit zu Zeit werden die Rollen getauscht. In einer Population, die sich so fortpflanzt, werden bald diese oder jene Allele verloren gehen, weil nun mal nicht alle Individuen Nachkommen haben werden, und die, welche Nachkommen haben, haben sie nicht alle in gleicher Zahl. Die genetische Vielfalt sinkt wie im Fall der Endogamie. Wenn es schon Parthenogenese bei Wirbeltieren gibt, fragt man sich neugierig: Gibt es Parthenogenese auch bei Säugern, vielleicht gar beim Menschen? Wir diskutieren diese Frage in Box 6.2.
tere Spermien andocken könnten, enzymatisch gespalten und damit unbrauchbar gemacht werden. Diese Sperrmechanismen werden bei der Aktivierung des Eies eingeschaltet und daher nachfolgend unter Abschn. 3.2 näher beschrieben. Bei vielen tierischen Organismen ist ein erster, rascher Block gegen Polyspermie lebenswichtig. Polyspermie würde zum Absterben des Keims führen. Amphibien- und Insekteneier freilich verkraften Polyspermie; überzählige Spermien werden in der Eizelle vernichtet.
3.2 Aktivierung des Eies 3.2.1 Dornröschen wird wachgeküsst Die noch unbefruchtete Oocyte schläft: Transkription, Proteinsynthese, Zellatmung sind auf oder nahe dem Nullpunkt. Der Kontakt des finalen Spermiumliganden mit dem entsprechenden Rezeptor in der Eizellmem-
Abb. 3.4 Aktivierung des Eies bei der Befruchtung. In der rechten Spalte sind zeitliche Verläufe dargestellt. PIP2 ist eine Ausgangssubstanz des PISignaltransduktionssystems (s. Abb. 11.5). Die positive Rückkoppelung (Pfeile) deutet an, dass Calcium-Ionen die Freisetzung weiterer Ca2C Ionen fördern. Während die Depolarisation vermutlich unmittelbar vom Spermium ausgelöst wird, sind die Veränderungen in der Konzentration des cytosolischen Ca2C und des pH-Wertes Folge der durch die Signaltransduktion ausgelösten Ereignisse
3
Der Start: Befruchtung, Aktivierung des Eies und erste Zellteilungen (Furchung)
Ei-Aktivierung Depolarisationswelle
PIP2
pH Ca 2+
DAG IP3
+
+
Positive Rückkoppelung
mV
Depolarisation
+25 0 -25 -50 -75
ER Ca 2+
III. CorticalgranulaExocytosewelle
Ca2+Mol/L
42
10 10 10
-4
pH
Ca2+
-6
7,0
-8
I. Welle der Depolarisation
7,4
pH 0
4
8
12
min
II. Welle der Ca2+-Freisetzung
bran löst eine Kaskade dramatischer Ereignisse aus. Sie sind im Seeigelei am besten untersucht, laufen aber im Säugerei in ähnlicher Weise ab (Abb. 3.4, 3.5): An der Kontaktstelle fusionieren die Membranen von Spermium und Eizelle. Es wird eine Passage freigemacht, durch die nicht nur der Kern und das Centrosom des Spermiums geschleust werden, sondern auch ein vom Spermium gelieferter Faktor, der die Aktivierung des Eies einleitet. Die Eimembran erfährt eine elektrische Depolarisation, die sich vergleichbar einem Aktionspotential über die Oberfläche des Eies ausbreitet. Beim Seeigel sollen durch eine Spannungs-gesteuerte allosterische Konformationsänderung die Bindinrezeptoren so modifiziert werden, dass weitere Spermien nur noch schlecht an die Eimembran ankoppeln können (erster, rascher Block gegen Polyspermie). Am Ort des Spermium-Eintritts wird das PI-PKCSignaltransduktions-System (Abb. 3.5; auch Abb. 11.5) aktiviert und es entstehen in Sekundenschnelle die sekundären Botenstoffe (second messenger) IP3 und Diacylglycerol (DAG). Hierbei wirkt der vom Spermium eingeschleuste Faktor als Katalysator; er ist mit einiger Wahrscheinlichkeit als eine Phospholipase C identifiziert. Phospho-
lipasen der Klasse C sind Enzyme, welche die Herstellung intrazellulärer Second Messenger aus Phospholipiden katalysieren (s. auch Kap. 11). Über einen (oder mehrere) Second Messenger (IP3 , cGMP, cADP-Ribose) wird zuerst in der Nähe des Spermiums aus dem endoplasmatischen Reticulum (ER) der Eizelle über Ionenkanäle Ca2C freigesetzt. Eine positive Rückkopplungsschleife sorgt dafür, dass das freigesetzte Ca2C seinerseits in der Nachbarzone die Freisetzung von weiteren Ca2C Ionen aktiviert: Explosionsartig breitet sich eine Ca2C -Welle über das Ei aus. Ca2C wird alsdann blitzartig wieder ins ER zurückgepumpt. Hierdurch entsteht, vom Eintrittsort des Spermiums ausgehend, eine an- und abschwellende Ca2C -Welle. Im Ei des Hamsters, und ähnlich im Ei der Maus, folgen der ersten Ca2C -Welle in Intervallen von 1 bis 10 min weitere Ca2C -Oszillationen. Ca2C ermöglicht im Seeigelei und Amphibienei die explosionsartige Exocytose der Corticalgranula (Corticalvesikel). Sie entlassen dabei stark quellfähige Proteoglykane (Hyalin) zwischen Eimembran und die extrazelluläre, elastische Vitellinmembran. Durch Wasseraufnahme quillt das Hyalin mit explosiver Geschwindigkeit zu einer Gallertschicht. Die elastische Vitellinmembran wird wie ein Air-
3.2 Aktivierung des Eies
43
Spermium Vitellinmembran ("Befruchtungsmembran")
H+- Pumpe
8
3
PK
P P
P
IP3-aktivierter Ca2+-Kanal
P
5
es iert l aris narea l o dep bra mV Mem +20 +
Na
6
P
G-Protein
-70mV
7
P
IP3 P
P
o
P
o o
2
P
PIP
P
4
P
oH
o o
P
PLC
BindinRezeptor
Ca2+-aktivierter Ca2+-Kanal
P
Bindin
Endoplasmatisches Reticulum
Eizelle
G
o
o
1
DA
-70mV
4
C
P
Akrosomfilament
PLC
e mp iert + - Pu ktiv H a
dep Memolarisie bran rtes noch nicht aktivierter area + 20m l Bereich V IP3 -Rezeptor
Na+
2 Aus
ng
eitu
br Aus
-70mV
brei
tung
Na+- Kanäle
Corticalgranulum
O
Spaltstelle der Phospholipase C (PLC) H OH
O O O
O Di-Acyl-Glycerol (DAG)
Phosphatidyl-inositol-4,5-bisphosphat (PIP2 )
-
PO 2
-PO 3
O
HO
OH
O
OH O
-PO 3 Inositol-1,4,5-trisphosphat
(IP3 )
2
44
3
Der Start: Befruchtung, Aktivierung des Eies und erste Zellteilungen (Furchung)
J Abb. 3.5 PI-PKC-Signaltransduktion bei der Aktivierung des Eies. Die eingekreisten Zahlen geben Hinweise auf die zeitliche Reihenfolge. (1) Das Spermium dockt mittels des Bindinmoleküls an den Bindinrezeptor in der Eizellmembran an. (2) Dadurch ausgelöst öffnen sich der Reihe nach Natriumkanäle in der Eizellmembran. Die einströmenden NaC -Ionen erniedrigen (depolarisieren) die elektrische Spannung zwischen dem zelläußeren und -inneren Raum. Diese Depolarisation läuft wellenförmig über das Ei. (3) Vom Spermium wird ein Faktor geliefert, der die Signaltransduktion ermöglicht. Der Faktor ist nach Auffassung einer Arbeitsgruppe das Enzym PLC (Phospholipase C). (4) Vermittelt durch ein dreigliedriges G-Protein kommt die PLC in Kontakt zum Bindinrezeptor und wird aktiviert. PLC spaltet das in der Membran verankerte PIP2 in die zwei Second Messengers
bag plötzlich gewaltig gedehnt. Sie wird nun Befruchtungsmembran genannt. Beim Säugerei hingegen wird kein Airbag aufgeblasen. Vielmehr werden aus den Corticalgranula Enzyme frei, welche die Spermien-bindenden Rezeptoren der Zona pellucida zerstören. Die Vitellinhülle wird nicht von Phospholipiden, sondern von speziellen, Tyrosin-reichen Glykoproteinen gebildet. Diese Glykoproteine erhärten durch Transamidierung und eine Peroxidase-vermittelte DiTyrosin-Vernetzung zu einer permanenten Barriere gegen Polyspermie. Das Ca2C -Signal unterstützt darüber hinaus die metabolische Aktivierung der Eizelle. Diese Aktivierung wird weiterhin durch das an der Innenseite der Eizellmembran verbleibende und zuvor aus PIP2 als Second Messenger freigesetzte Diacylglycerol (DAG) vermittelt (Abb. 3.5, Details in Abb. 11.5). DAG aktiviert eine Ca2C -abhängige Proteinkinase C (PKC). Diese stimuliert wiederum durch Phosphorylierung einen membranständigen NaC =HC -Antiporter, der HC im Austausch gegen NaC nach außen schleust. Das Cytosol der Eizelle wird somit alkalisiert. Es wird angenommen, dass der pH-Anstieg Bedingungen schafft, unter denen die bis dahin in RibonukleoproteinPartikeln gespeicherte mRNA zur Translation frei wird. Unter den neu hergestellten Proteinen befinden sich u. a. Histone, die zur Verpackung des Chromatins im Zuge der Furchungsteilungen benötigt werden. Bei Säugetieren wird im Weiteren die bis dahin blockierte Meiose fortgesetzt und der zweite Polkörper (Richtungskörper) von der Eizelle abgeschnürt. Nun ist auch der Eikern wie der Spermienkern haploid.
DAG und IP3 . (5) IP3 erreicht und bindet an einen Calciumkanal im Endoplasmatischen Reticulum H (ER). Ca2C -Ionen strömen vom ER ins Cytoplasma und (6) vermitteln die Fusion der Cortikalvesikel mit der Eizellmembran. Die Vesikel öffnen sich und (7) entlassen quellfähiges Hyalin (blau) zwischen Eizellmembran und der Vitellinmembran. Diese wird durch das Aufquellen des Hyalins als „Befruchtungsmembran“ abgehoben. (8) Das in der Eizellmembran verbliebene DAG aktiviert in Kooperation mit Ca2C -Ionen das Enzym PKC. Dieses phosphoryliert und aktiviert Protonenpumpen. Es werden HC -Ionen (Protonen) aus der Eizelle ausgeschleust. Die dadurch bewirkte Erhöhung des intrazellulären pH-Wertes ermöglicht das Starten vieler metabolischer Aktivitäten wie Proteinsynthese auf der Basis gespeicherter mRNA
Ein anderer von der Proteinkinase C ausgehender, im Einzelnen noch nicht bekannter Aktivierungsweg führt zum Start der DNA-Replikation im eingeschleusten haploiden Spermienkern, den man ♂ Vorkern nennt, und im haploiden Kern der Oocyte, dem ♀ Vorkern. Der ♂ Vorkern wandert, geführt von einem Centriol, zum ♀ Vorkern und fusioniert mit ihm zum diploiden Zygotenkern. Der Befruchtungsvorgang ist abgeschlossen.
3.3
Nicht-chromosomale Informationsträger
3.3.1 Mitochondriale Gene sind bei Säugern rein mütterlicher Herkunft Wir hatten oben beiläufig erwähnt, dass die vom Spermium mitgebrachten Mitochondrien eliminiert werden. Es geht damit auch die väterliche mitochondriale DNA (paternale mtDNA) verloren. Dies hat beträchtliche Konsequenzen: Hinsichtlich der mitochondrialen Gene sind wir nur Kinder unserer Mutter. Populations- und Evolutionsgenetiker leiten aus Untersuchungen der mtDNA in der Bevölkerung der verschiedenen Erdteile aufsehenerregende Schlussfolgerungen ab. Indem sie mitochondriale Gene analysieren, die in der Evolution starke Veränderungen erfuhren (sogenannte hypervariable Regionen), leiten Genetiker ab, wie die Reihe der Mütter zeitlich anzuordnen ist und woher eine untersuchte Population stammt. Aus solchen Analysen konnte beispielsweise unabhängig von archäologischen und fossilgeschichtlichen Befunden abgeleitet werden, dass Homo sa-
3.3 Nicht-chromosomale Informationsträger
piens in mehreren Wellen von Afrika aus Eurasien besiedelt hat, und von Asien aus Amerika. (In analoger Weise können Gene des Y-Chromosoms verglichen werden, um die Genealogie einer Population gemäß der väterlichen Linie zurückzuverfolgen.) Es gibt Hinweise, dass die heutige Menschheit von nur wenigen Urmüttern abstammt, die einen sehr schmalen Engpass (bottleneck) in der menschlichen Entwicklungsund Migrationsgeschichte überlebt haben. Freilich geht nicht bei allen sich sexuell fortpflanzenden Organismen die paternale mtDNA verloren, auch nicht bei allen Tieren, beispielsweise nicht bei Drosophila und nicht bei verschiedenen Muschelarten. Auch in Nachkommen von Säugern konnte man überdauernde paternale mtDNA-Sequenzen nachweisen in einzelnen wenigen Fällen auch beim Menschen. Allerdings bringt die Eizelle stets viele Mitochondrien mit, das Spermium nur eines oder nur wenige. Bei der Vermehrung der Mitochondrien im Zuge von Zellteilungen ist also die Ausgangsmenge der maternalen DNA von vornherein sehr viel größer und die paternale DNA wird mehr und mehr ausgedünnt.
3.3.2 Das väterliche Centrosom und der mütterliche Nucleolus müssen kooperieren Das Spermium bringt außer seinem Kern und seinem Mitochondrium auch ein Centrosom mit (Abb. 3.6), jedenfalls beim Säugetier und damit auch beim Menschen. Anders als das Mitochondrium des Spermiums ist dessen Centrosom unentbehrlich. Es enthält beim Menschen ein Centriol. Dieses sammelt Proteine der Oocyte um sich und organisiert den Aufbau des Spermasters. Dies ist ein Spindelapparat, der die beiden haploiden Kerne zusammenführt und damit die „eigentliche“ Befruchtung erst ermöglicht. Schon in der Gametogenese wird eine bemerkenswerte Arbeitsteilung vorbereitet. Das Spermium behält sein Centriol, verliert aber Tubulin und andere Proteine, die für den Bau eines funktionsfähigen Centrosoms und Spindelapparates erforderlich sind. Die Oocyte andererseits muss mit einem degenerierten Centriol vorliebnehmen, speichert aber Centrosomkomponenten und Spindelproteine. So müssen Eizelle und Spermium kooperieren, um vollgültige Spindelapparate herstellen zu können.
45
Centrosom
Centriolenpaar
Mikrotubuli des im Aufbau befindlichen Spindelapparates (Spermaster) Abb. 3.6 Struktur eines Centrosoms zur Erinnerung. Der zentrale Komplex (blau) stammt beim Säugetier vom Spermium und damit vom Vater, die übrigen Komponenten (pink, violett) von der Oocyte und damit von der Mutter
3.3.3 Säuger: Für die Normalentwicklung ist ein Spermium, und damit ein Vater, unentbehrlich – solange nicht Klonen die natürliche Fortpflanzungsweise ersetzt Bei Säugern, und damit auch beim Menschen, gibt es vorab drei Gründe, weshalb unter natürlichen Bedingungen nur dann ein Kind zur Welt kommt, wenn zuvor ein Vater seinen Beitrag geleistet hat: 1. Das Spermium muss mit seinem haploiden Genom das haploide Genom der Eizelle zum diploiden Genom der Zygote vervollständigen. Ein haploides Genom reicht nicht, um ein Wesen entstehen zu lassen, das die Embryonalentwicklung schadlos übersteht und auf längere Sicht lebensfähig ist. 2. Das Spermium schleust zur Aktivierung des Eies ein Aktivierungsprotein in die Eizelle ein. (Nach gegenwärtigem Kenntnisstand handelt es sich, wie in Abb. 3.5 angedeutet beim Seeigel jedenfalls um eine Phospholipase C.)
46
3
Der Start: Befruchtung, Aktivierung des Eies und erste Zellteilungen (Furchung)
3. Sogleich nach der Aktivierung des Eies werden die Chromosomen verdoppelt, und es wird die erste Furchungsteilung eingeleitet. Um eine ordentliche Verteilung der Chromosomen zu sichern, muss ein bipolarer Spindelapparat aufgebaut werden. Zu dessen Organisation braucht die Zygote, wie jede sich teilende eukaryotische Zelle, zwei Centrosomen (die bei Tieren jeweils ein Centriolenpaar einschließen). Bei der Mehrzahl der Wirbeltiere, und so auch beim Menschen, steuert die Eizelle das eine Centrosom bei, das Spermium das zweite. (Vor den weiteren Zellteilungen werden diese dann jeweils verdoppelt.) Wie oben im Abschn. 3.3.2 erläutert, ist das väterliche Centrosom für die Zusammenführung der haploiden Vorkerne zum diploiden Zygotenkern maßgeblich verantwortlich und seine Duplikation erlaubt erst korrekte nachfolgende Kernteilungen im Zuge der Furchung. Dennoch ist auch bei Säugern in seltenen Fällen ein parthenogenetischer Frühstart der Entwicklung möglich. Es sind folgende Möglichkeiten bekannt: Noch diploide Keimzellen im Ovar, aber auch im Hoden, beginnen sich zu entwickeln. In diesen Fällen entstehen jedoch keine normalen Embryonen, sondern Teratome (embryonale Tumoren) mit chaotisch disorganisierten Geweben und Organen, oder gar tumorartige Teratocarcinome (Eierstockkrebs oder Hodenkrebs). Oocyten werden aus dem Ovar ausgestoßen; in seltenen Fällen beginnen sie auch ohne Zutun eines Spermiums sich zu entwickeln, und es entstehen haploide oder diploide Embryonen. Sie sind – haploid, wenn sie die Meiose zu Ende bringen und den zweiten Polkörper abschnüren bevor sie mit der Furchung beginnen; – diploid, wenn der erste Polkörper in die Eizellen zurückfindet. Bei der Maus (und auch anderen Säugern) kann Parthenogenese künstlich ausgelöst werden, beispielsweise indem aus dem Ovar entlassene Oocyten aufgefangen und im Kulturgefäß durch elektrische Reize oder mit 7 % Ethanol aktiviert werden. Haben die Keime das Blastocystenstadium (s. Abb. 5.28) erreicht, werden sie in den Uterus von Ammenmüttern eingeführt. Bisheriges Ergebnis: Ob haploid oder diploid, die Entwicklung kommt nach 10 Tagen (im 10. bis 13. Somitenstadium, vgl. Abb. 5.30) zum Stillstand und der Keim stirbt ab. Bis zum Jahr 2011 ist noch nie ein lebensfähiges Mäuslein oder ein anderes Säugetier
geboren worden, das sich nachweislich parthenogenetisch entwickelt hätte. Eine Ursache für das frühzeitige Absterben der Embryonen ist, dass der Keim ohne väterliches Genom keine ordentliche Plazenta bilden kann. Dafür wird die genomische Prägung, die wir im Kap. 8 ansprechen werden, verantwortlich gemacht. Bei der Maus wird ein paternal geprägtes Genom im ernährenden Trophoblasten (s. Abb. 5.28) und damit auch in der Plazenta gebraucht; ein ausschließlich maternal geprägtes Genom ist nicht hinreichend. Werden zwei Genome vereinigt, die beide in einer weiblichen Keimbahn geprägt worden sind, so bildet der Keim nur eine kümmerliche Plazenta, die den Embryo nicht ausreichend versorgen kann. Genomische Prägung bringt keine Probleme, wenn Klonen mittels somatischer Kerne gelingt (Kap. 13). Somatische Kerne enthalten ja ein „väterliches“ und „mütterliches“ Genom, die einstmals in der Spermatogenese bzw. Oogenese ihre unterschiedliche Prägung erfahren hatten und diese Prägung (und ebenso ihre Centrosomen) den Zellen des werdenden Kindes weitervermitteln konnten. Falls Klonen beim Menschen ebenso wie bei Schafen, Rindern und Mäusen gelänge, würde ein Vater nicht mehr gebraucht (es sei denn, man wollte Männer klonen, wozu freilich auch das Y-Chromosom einer kultivierten männlichen Zelllinie genügte). Über Klonen ließe sich eine vater- und mannlose Gesellschaft herstellen. Lassen wir vorerst beiden, Mutter und Vater, ihr Recht auf natürliche Funktion. Dann können mit einem ordentlich aktivierten Ei, einem vollständigen Centrosom und einem garantiert diploiden Genom nun die ersten Zellteilungen beginnen. Sie werden unter dem Begriff Furchung zusammengefasst.
3.4 Erste Zellteilungen: die Furchung und der MPF-Oszillator 3.4.1 Weil der Embryo auf seine mütterliche Mitgift zurückgreifen kann, lässt sich der frühembryonale Zellzyklus auf die S- und M-Phase verkürzen In der Embryonalentwicklung soll nun möglichst rasch ein vielzelliger, eigenständiger Organismus entstehen;
3.4 Erste Zellteilungen: die Furchung und der MPF-Oszillator Abb. 3.7 Embryonaler Zellzyklus (links) und MPF-Oszillator. Nicht berücksichtigt ist das periodische An- und Abkoppeln weiterer Kinasen und Phosphatasen. CDK D Cyclin-abhängige (dependent) Kinase, CDC D Zellteilungszyklus-abhängige Phosphatase; G1 D G1 Phase, G2 D G2 Phase, M D Mitose, MPF D Maturation Promoting Factor, S D S-Phase
47
Mitose
P
M
Aktiver MPFKomplex
S
P
Phosphorylierung
Midblastula transition
Zellzyklus
P
P
P P
Degradation
M periodische Translation
G1
G2 S
Cyclin
P hemmend P aktivierend
CDK (Cyclindependent kinase)
denn der tierische Embryo kann keinem Feind entfliehen und muss sich bald selbst ernähren (sieht man vom Säugerembryo ab). Dabei kommt dem Ei zugute, dass es auf einen Vorrat an maternaler mRNA zurückgreifen kann. Der frühe Keim kann deshalb darauf verzichten, seine eigenen (zygotischen) Gene in Anspruch zu nehmen, in der Regel bis kurz vor der Gastrulation. Die für den Start der Entwicklung benötigte mRNA liegt als maternale Mitgift im Ei bereit, verpackt in RNP (Ribonukleoprotein)-Partikeln. Sie wird ausgepackt und sogleich an den Ribosomen translatiert, um die erforderlichen Proteine herzustellen. Dank des Vorrates an mRNA kann der Zellzyklus stark verkürzt werden. Ein normaler Zellzyklus, d. h. die Spanne von einer Zellteilung bis zur nächsten, gliedert sich im Regelfall in vier Phasen (Abschnitte): G1, S, G2 und M-Phase (Abb. 3.7). In der S-Phase (Synthese-Phase) wird die DNA repliziert; in der M-Phase (Mitose) werden die Zellen geteilt. In G1 und besonders in G2 findet bei Bedarf die Transkription von Genen statt.
S-Phase
Im Regelfall können sich die Zellen der Furchungsphase darauf konzentrieren, ihre DNA zu replizieren und ihre Chromosomen zu verdoppeln (Chromosomen mit zwei Chromatiden sind in sich verdoppelte Chromosomen). Da maternale mRNA für Histone und andere Chromatin-verpackende Proteine bereits in vielen Kopien im Cytoplasma vorliegt, werden solche Proteine rasch hergestellt und die Replikation der Chromosomen ist in 20–30 min abgeschlossen. Die Chromosomen werden in die Transportform kondensiert, sodass die Mitose sofort durchlaufen werden kann: Die verdoppelten Chromosomen werden auf Tochterzellen verteilt. In rascher Folge wird nach einer S-Phase sogleich die M-Phase durchlaufen, dann die nächste S-Phase und so fort; G1 und G2-Phase fehlen zunächst, jedenfalls bei den bevorzugten Untersuchungsobjekten: Seeigel, Xenopus und Spisula (einer Muschel). Die entstehenden Zellen teilen sich synchron und werden dabei immer kleiner. Bei Xenopus (Abschn. 5.1) beendet im Blastulastadium die midblastula transition die Phase rascher und
48
3
Der Start: Befruchtung, Aktivierung des Eies und erste Zellteilungen (Furchung)
synchroner Zellteilung. Von nun an werden Transkriptionsprodukte zygotischer Gene benötigt und deshalb nach und nach G1- und G2-Phase eingeschoben. (Bei anderen Keimen spricht man von „zygotic gene activation (ZGA)“ oder „embryonic genome activation“). Nun werden die Zellzyklen länger, die Teilungen der verschiedenen Zellen zunehmend asynchron. Der Start eines Zellzyklus wird mehr und mehr von extrazellulären Signalen abhängig. Im Gegensatz zu vielen anderen Tieren, bei denen eine schnelle Frühentwicklung ratsam ist und deshalb maternale mRNA genutzt wird, fängt der Säugerkeim schon früh mit zygotischer Transkription an, und entsprechend ist bei ihm der embryonale Zellzyklus ungewöhnlich lang.
3.4.2 Die Furchungsteilungen werden von einem molekularen Oszillator angetrieben Der interne Oszillator, der den frühembryonalen Zellzyklus antreibt, nutzt molekulare Komponenten, die dem Steuerungsapparat eines jeden Zellzyklus zugrunde liegen (Abb. 3.7). Komponenten des Oszillators sind eine Mehrzahl von Proteinen mit Namen Cyclin; bei Xenopus heißt die Hauptkomponente Cyclin B Wie ihr Name andeutet, werden Cycline periodisch (zyklisch) hergestellt Andere Komponenten hingegen werden kontinuierlich produziert, so mehrere Protein-Kinasen des Typs CDK (Cyclin-Dependent proteinKinase). Diese Enzyme übertragen dank ihrer Kinasefunktion Phosphatreste von ATP auf Aminosäuren von Proteinen. Empfänger des Phosphats sind die Aminosäuren Serin und Threonin in Nachbarschaft zu Prolin an bestimmten Positionen des Proteins. Die CDKs ihrerseits werden durch andere Enzyme kontrolliert. Dabei spielen auch Phosphatasen eine Rolle, die Phosphat wieder entfernen (dephosphorylieren) wie CDC7 (Cell Division Cycle 7) und CDC25. Umfangreiche vergleichende Studien haben ergeben, dass jeder Organismus sein eigenes Spektrum an solchen Komponenten hat. In keinem Fall ist der Oszillator vollständig analysiert. Es gibt bei aller Vielfalt jedoch ein gemeinsames Grundprinzip, das in Abb. 3.7 wiedergegeben ist: Kurz vor dem Eintritt der Zellen in die Mitose ist die Menge des periodisch produzierten Cyclins (bei
Xenopus Cyclin B) am höchsten. Nun erfährt es eine Phosphorylierung an einer sehr spezifischen Position und der gesamte Komplex wird dadurch zum aktiven Mitosis-Promoting Factor MPF (synonym: M-phasePromoting Factor; Meiosis-Promoting Factor, oder Maturation-Promoting Factor; weil der MPF auch in der Reifeteilung wirksam ist und als Initiator der Reifeteilung entdeckt worden ist). Nach Abschluss der Mitose wird das phosphorylierte Cyclin B abgebaut. Damit schließt sich der Zyklus. Die Zyklen der Zellteilungen sind begleitet von Wellen von Calcium-Ionen, die periodisch im Cytoplasma vor jeder Cytokinese auftauchen. Der MPF unterliegt weiteren regulatorischen Modifikationen. Diese werden von Kinasen und Phosphatasen bewerkstelligt, die im Dienste verschiedener Kontrollsysteme stehen. Beispielsweise muss ein besonderes Kontrollsystem sicherstellen, dass die Zellteilung erst dann gestartet wird, wenn die DNA vollständig repliziert ist und die Chromosomen in die Transportform (Metaphase-Chromosomen) gebracht sind. Und es muss sichergestellt werden, dass die Replikation eine exakte Kopie der DNA liefert. Dem präzisen molekularen Uhrwerk, das alle Zellteilungen steuert, ist eine Vielzahl von Vermittlern zu den Organisatoren des Spindelapparates und der Mitochondrienvermehrung angeschlossen. Eine essenzielle Komponente ist die MAPKinase (MAPK MitogenAssociated Protein Kinase), welche ein großes Spektrum von Zellproteinen phosphoryliert. Eine Vielzahl von Kinasen und Phosphatasen ermöglicht für eine schnelle Änderung des Aktivierungszustands von Proteinen und eine auf jede Zelldifferenzierung abgestimmte Feinabstimmung. Nach Abschluss der ersten, embryonalen Zellteilungen wird das Uhrwerk auch empfänglich für externe Signale und es werden Musterbildung und Differenzierung möglich.
3.4.3 In der Furchung können Zellteilungsfolgen nach starren Mustern vonstatten gehen, so dass artspezifische Zellstammbäume erstellt werden können Bei einigen der kleinen Keimen, die sich zu kleinen Organismen entwickeln, konnte man durch exakte Beobachtung feststellen, dass die Zellteilungen nach
3.4 Erste Zellteilungen: die Furchung und der MPF-Oszillator
49
einem festen zeitlichen und räumlichen Muster erfolgen. Die Genealogie führt stets zu den gleichen Zellentypen, Geweben oder Organen. Die Erfahrung zeigt, dass exakte Genealogie mit früher Determination korreliert ist. Bei den Spiraliern sieht man oft eine kreuzförmige Figur in der Anordnung der Blastomeren („Kreuz der Mollusken“), und sehr früh führt die D-Linie zur Urmesodermzelle 4d (s. Abb. 4.21). Bei Nematoden, so auch bei Caenorhabditis elegans, führt die P-Linie zu den Urkeimzellen (s. Abb. 4.20). Bei den Tunikaten führt ein bestimmter Zellstammbaum zur Schwanzmuskulatur, ein anderer zur Chorda (Notochord; s. Abb. 4.43). Diese anfänglich präzisen Furchungsmuster sind vorbestimmt durch die wechselnde Orientierung der Mitosespindeln. Die physikalischen Kraftgeber für die jeweilige räumliche Neuorientierung sind ActinMyosinfilamente und Mikrotubuli, die von Kinesinmotoren bewegt werden. Eingebunden in den Apparat sind die Centrosomen mit ihrem MikrotubulusOrganisator, und dieser ist wiederum an den MPFOszillator gekoppelt. Ein von Generation zu Generation exakt reproduzierter Stammbaum sagt jedoch wenig Zuverlässiges darüber aus, wann in der Entwicklung das Schicksal der Zellen tatsächlich programmiert wird und wann es irreversibel festgelegt ist.
Organismen eigen; auch die Keime der Echinodermen und Säugetiere besitzen ein großes Regulationsvermögen. Altbekannter Beweis: die Entwicklung vollständiger eineiiger Zwillinge beim Auseinanderfallen früher Keime in zwei Hälften oder bei experimenteller Trennung im 8-Zell-Stadium (eineiige Achtlinge). Trotz dieser fehlenden Präzision am Beginn wird letztlich ein hochkomplexer Organismus in wunderbarer Ordnung entstehen. Wie dies möglich ist, versuchen wir in den folgenden Kapiteln zu ergründen.
3.4.4 Bei anderen Keimen, so beispielsweise denen der Wirbeltiere, ist viel Variabilität erlaubt Verfolgt man den Furchungsverlauf am Amphibienkeim im Zeitraffer, sagen wir beim Bergmolch, und vergleicht Keim mit Keim, so gewahrt man viel individuelle Variabilität. Besonders hoch ist diese Variabilität bei Tierstämmen, die sich sehr früh von der Hauptlinie der Tiere abgetrennt haben, wie den Schwämmen und Cnidariern. Hier scheint alles erlaubt, was nicht allzu sehr stört, und es gibt viele Abweichungen selbst beim Vergleich von Geschwisterkeimen (z. B. bei Hydractinia echinata, s. Abb. 4.17) – bis hin zu einer „Katastrophalfurchung“. Hohe Flexibilität in der Ausführung der Furchung ist oft mit hohem Regulationsvermögen bei experimentellem Eingriff korreliert. Beides ist aber nicht nur evolutionsgeschichtlich alten
3.4.5 Vor und im Zuge der ersten Zellteilungen werden auch entwicklungssteuernde, maternale Determinanten gezielt verteilt Bereits während der ersten Furchungsteilungen werden den Tochterzellen in unterschiedlicher Weise auch Faktoren zugeteilt, welche eine erste Differenzierung der Zellen einleiten – Differenzierung hier im Sinne unterschiedlicher Entwicklungswege. Oftmals handelt es sich um sogenannte Transkriptionsfaktoren, welche im Verlauf der Embryonalentwicklung in den Tochterzellen, denen sie zugeteilt worden sind, an die Steuerregion (Enhancer, Promotoren) verschiedener Gene binden und deren Aktivität kontrollieren. Die geordnete Zuteilung dieser Faktoren steht in Verbindung mit der Entscheidung, wo künftig die Körperkoordinaten (Polaritätsachsen) verlaufen werden wo der Kopfpol und wo der Schwanzpol, wo die Rückenseite und wo die Bauchseite zu liegen kommen werden. Das Besondere dieser früh zur Wirkung kommenden Faktoren ist, dass sie bereits vor der Befruchtung im Verlauf der Oogenese im Ei vorrätig eingelagert worden sind. Also ist für deren Produktion das Genom des Spermiums nicht von Belang, vielmehr sind diese Komponenten unter der dirigierenden Herrschaft des mütterlichen Genoms geschaffen worden. Man nennt sie entsprechend auch maternale Determinanten. Manchmal ist es die noch diploide Oocyte, welche das mütterlich Genom noch unverändert in ihrem Kern beherbergt und mit dessen Hilfe diese Faktoren erzeugt werden, manchmal sind es somatische Zellen in der Umgebung der Eizelle, welche diese Materialien produzieren und der Oocyte zur Verfügung stellen. Dies ist von Fall zu Fall verschieden; deswegen werden diese maternalen Determinanten im folgenden Kapitel
50
3
Der Start: Befruchtung, Aktivierung des Eies und erste Zellteilungen (Furchung)
bei den einzelnen Modellorganismen eingeführt und besprochen. Eine vergleichende Zusammenfassung zu diesem Thema gibt dann Kap. 9 (Positionsinformation und Musterbildung I). Nach dem Wirken dieser maternalen Determinanten gründen die weitere Untergliederung und Differenzierung im werdenden Embryo auf konzertierten Zell-Zell-Wechselwirkungen. Sie werden Thema des Kap. 10 (Positionsinformation und Musterbildung II) sein. Maternale Faktoren setzen Genaktivitäten im Embryo selbst in Gang Bei Amphibien geschieht dies im Verlauf der Furchung in der midblastula-transition, bei Säugern schon früher. Embryoeigene Gene nennt man auch zygotische Gene. Sie sind, soweit sie die Entwicklung steuern, Thema des Kap. 12.
Zusammenfassung
Mit der Befruchtung, der Fusion eines Spermiums mit einer Eizelle zur Zygote, beginnt das neue Leben. Ein Spermium wird durch Lockstoffe, Gamone, zur Eizelle geführt und in der Eihülle festgehalten. Beim Säuger ist das als Hormon bekannte Progesteron eine Komponente des Lockstoffbuketts. Die Eizelle fängt herankommende Spermien mittels spezifischer Rezeptoren ein; bei Säugern ist dies das ZP3-Protein, das sich an der Oberfläche der Eihülle (Zona pellucida) befindet. Die Bindung eines Spermiums löst in ihm eine Akrosomreaktion aus. Das an der Spitze des Spermienkopfes befindliche Akrosomvesikel setzt Enzyme frei, die dem Spermium den Weg durch die Eihüllen freimachen. Um die Fusion der Zellmembranen von Spermium und Eizelle einzuleiten, exponiert das Spermium einen Liganden, der mit Rezeptoren der Eizellmembran interagiert. Nach Fusion der Zellmembranen von Ei- und Spermazelle wird eine Passage frei, durch die der Kern des Spermiums in die Eizelle gelangt. Mit der Fusion des vom Spermium gelieferten haploiden, „väterlichen Vorkerns“ mit dem haploiden, „mütterlichen Vorkern“ der Eizelle zum diploiden Zygotenkern ist die Befruchtung abgeschlossen. Bei Säugetieren wird das vom Spermium mitgebrachte Mitochondrium aufgelöst und die väterliche mitochondriale DNA abgebaut. Folglich sind wir hinsichtlich der mitochondrialen Gene Kinder nur unserer Mutter, und Genetiker können anhand
mitochondrialer Gene die mütterliche Genealogie zurückverfolgen (anhand des Y-Chromosoms auch die väterliche Linie). Andererseits ist das vom Spermium mitgebrachte Centrosom essenziell für eine geordnete Zusammenführung der beiden Vorkerne und korrekte nachfolgende Zellteilungen. Der Kontakt von Spermium und Eizelle triggert in der Eizelle eine elektrische Depolarisation der Zellmembran, vergleichbar dem Aktionspotential einer Nervenzelle, und eine Signaltransduktionskaskade (PI-PKC-System), die ihrerseits eine wellenförmig sich ausbreitende Freisetzung von Calcium, das Abheben der Vitellinmembran von der Eioberfläche (z. B. Seeigelei, Amphibienei) oder den enzymatischen Abbau der Spermienbindenden Rezeptoren der Eihülle (Säuger) sowie die Aktivierung der bis dahin metabolisch ruhenden Eizelle auslösen. Depolarisation der Zellmembran, das Aufblähen und Verfestigen der Vitellinmembran zur „Befruchtungsmembran“ oder die Zerstörung der Spermien-Rezeptoren bewirken eine Sperre gegen das Eindringen weiterer Spermien. Die folgende Furchung ist eine rasche Folge von Zellteilungen. Weil der Keim auf maternale, gespeicherte mRNA zurückgreifen kann, ist anfänglich keine Transkription nötig und der Zellzyklus kann auf S- und M-Phase verkürzt werden. Kurz vor der Gastrulation, beim Säugerkeim schon früher, werden G1 und G2Phase eingeschoben, sobald der Keim seine eigenen (zygotischen) Gene nutzt. Die Zellzyklen werden durch ein inneres Uhrwerk angetrieben. Eine Schlüsselrolle kommt dabei einem Komplex von Cyclinen und Cyclin-abhängigen Protein-Kinasen (CDK) zu, der als MPF (Mitosis-Promoting Factor, M-phase-Promoting Factor oder MaturationPromoting Factor) bekannt geworden ist und der im Rhythmus der Zellteilungen periodisch aktiviert und inaktiviert wird. Das raumzeitliche Muster der Zellteilungsfolgen ist bisweilen präzise und artspezifisch festgelegt, so bei den Spiraliern. Es sind Komponenten der Eizelle, die das Muster bestimmen. Früh in der Entwicklung muss bestimmt werden, wo im Körper vorn und hinten, dorsal und ventral sein soll. Die Festlegung der Körperkoordinaten, auch Körper- oder Polaritätsachsen genannt, erfolgt bei einigen Organismen bereits im Zuge der
3.4 Erste Zellteilungen: die Furchung und der MPF-Oszillator
51
Oogenese durch Komponenten des Eies, die unter der Regie mütterlicher (maternaler) Gene hergestellt werden und deshalb maternale Faktoren genannt werden. Beispiele werden im folgenden Kap. 4 vorgestellt.
In der separaten Box 3.1 werden Fälle von Selbstbefruchtung und Parthenogenese („Jungfernzeugung“, das heißt Entwicklung ohne Beteiligung eines Spermiums) bei Wirbellosen und Wirbeltieren vorgestellt.
Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
Wie in der Genetik hat es sich auch in der Entwicklungsbiologie eingebürgert und als zweckmäßig erwiesen, die Forschung erst einmal auf wenige Referenzorganismen („Modellorganismen“, Abb. 4.1) zu konzentrieren, um bei der Analyse grundlegender Vorgänge bis in den molekularen Bereich vorstoßen zu können. Es gibt aber keinen einzelnen Organismus, an dem alle bedeutsamen Aspekte der Entwicklung modellmäßig untersucht werden könnten; denn jede Embryonalentwicklung führt schließlich zu einer bestimmten, einzelnen Tierart und nicht zum Tier schlechthin. Aus dem Ei einer Drosophila wird eine Taufliege, keine Fliege schlechthin, und schon gar nicht ein Fisch oder ein Mensch. Prinzipien allgemeiner Art werden nur erkennbar, wenn man die Abläufe vergleichend an mehreren Organismen studiert, die sich unterschiedlich entwickeln und dennoch gemeinsame Grundzüge erkennen lassen. Zudem zeigt sich in der Forschungspraxis, dass jeder eingeführte Referenzorganismus neben besonderen Vorzügen auch spezifische Nachteile bietet.
4.1 Der Seeigel-Keim: Basismodell für tierische Entwicklung und Objekt historisch bedeutsamer Experimente 4.1.1 Der Seeigel-Keim ist Referenzmodell für Befruchtung und frühe Embryonalentwicklung Bereits vor 1900 wurden mit den Eiern und Spermien der Seeigel Pionierarbeiten zur Befruchtung durchgeführt. Seeigeleier sind heute noch die bestuntersuchten
Modellkeime zum Studium der Befruchtung, der Eiaktivierung und des embryonalen Zellzyklus. Allerdings sind Seeigel nicht das ganze Jahr über geschlechtsreif und müssen aus der Natur geholt werden.
Da in verschiedenen Regionen der Weltmeere unterschiedliche Arten gefunden werden, gibt es keine einzelne Art, die „den Seeigel“ repräsentiert. In Anrainerstaaten der Nordsee wird viel mit Paracentrotus lividus und Echinus esculentus gearbeitet, japanische und amerikanische Forscher arbeiten oft mit der pazifischen Art Strongylocentrotus purpuratus. Wir machen in diesem einführenden Buch keinen Unterschied; denn die artspezifischen Unterschiede sind in der frühen Embryonalentwicklung gering. Da Seeigel ca. 12.000 Gene zur Steuerung der Embryonalentwicklung gebrauchen, ist die hier gebotene sehr geringe Auswahl von der momentan vorliegenden Literatur bestimmt, in der Homologien zu entwicklungssteuernden Genen der Vertebraten im Vordergrund stehen.
Diesen Nachteilen stehen besondere Vorzüge gegenüber: Man kann Eier und Spermien getrennt und in großer Menge gewinnen. Die Eier sind zwar klein (0,1 mm im Durchmesser) und wie nahezu alle tierischen Eier in einer Hülle eingeschlossen, doch sind Hülle und Ei transparent, und die Hülle („Gallerte“) lässt sich leicht und ohne Schaden entfernen. Die Eier entwickeln sich im freien Wasser und, nach künstlicher Besamung, über lange Zeit in perfekter Synchronie.
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_4,
53
4
54
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
Tribolium
2
Cladonema
Drosophila
7
Hydra
3
9 Platynereis
Hydractinia
11
1
Nematostella
8
6
4
Anthozoa
Aurelia
12 14
10
C.elegans
Echinus Ciona,Styela Psammechinus Halocynthia
Spisula
Ascidia
Arthropoda
Hydrozoa 5
13 15
Lymnea
Dugesia
Annelida Mollusca
Nematoda
Turbellaria (Planaria)
Scyphozoa
Vertebrata Urochordata (Tunicata)
Spiralia
Echinodermata
Chordata
Lophotrochozoa
Ecdysozoa Cnidaria
Protostomia Diploblastie
Deuterostomia
Triploblastie
Urbilateria Porifera
Eumetazoa
Metazoa Choanoflagellata
? Abb. 4.1 Modellorganismen – Evertebraten, die in diesem Buch behandelt oder erwähnt werden, eingegliedert in den derzeit aufgrund molekulargenetischer Daten bevorzugten Stammbaum. Bildquelle: Lehrbildsammlung WM
Eier und Spermien werden durch fünf Genitalporen auf der Oberseite (D aboraler Pol) der Seeigel ins Meerwasser entlassen. Im Labor werden reife ♀ und ♂ Seeigel mit der Oberseite nach unten über Glasgefäße gesetzt und durch Injektion einer
KCl-Lösung in die Körperhöhle zum Ablaichen gebracht; alsdann mischt man die milchige Spermiensuspension in die Suspension der Eier. Die Transparenz von Eihülle und Keim erlaubt es, die Vorgänge bei Befruchtung, Furchung und Gastrulation an le-
4.1 Der Seeigel-Keim: Basismodell für tierische Entwicklung und Objekt historisch bedeutsamer Experimente
benden Keimen unter dem Mikroskop zu beobachten. Das Ei des Seeigels und der Verlauf der Furchung sind zu Lehrbuchvorbildern für tierische Eizellen und tierische Frühentwicklung schlechthin geworden (Abb. 4.2a). Das von einer Gallerte und einer Vitellinmembran umschlossene Ei ist in seiner inneren Struktur entlang der animal-vegetativen Eiachse asymmetrisch. Der animale Pol ist definitionsgemäß jener Eipol, an dem im Zuge der meiotischen Zellteilungen die abortiven Miniatur-Geschwisterzellen der Eizelle als Richtungskörper D Polkörper abgeschnürt wurden. Sie sind beim Seeigel nach dem Ablaichen, aber schon vor der Befruchtung abgeschnürt worden. Besamung, Befruchtung und Aktivierung des Eies sind als bestuntersuchte Referenzfälle im vorigen Kap. 3 geschildert worden. Nach dem Einschleusen des Spermienkerns, der Ausbildung einer Barriere gegen das Eindringen weiterer Spermien (Befruchtungsmembran) und der Aktivierung des Eies zerlegen die Furchungsteilungen das Ei in zunehmend kleinere Tochterzellen, ohne dass sich das Volumen des Keims nennenswert ändert. Die ersten noch recht großen und im Mikroskop individuell erkennbaren Tochterzellen heißen Blastomeren. Die Verdoppelung der Chromosomen erfolgt so rasch, dass alle 20–30 min die Zellen geteilt werden können. Dies ist die kürzestmögliche Zeit für einen Zellzyklus. Die Keime durchlaufen wie von einem Uhrwerk getrieben synchron das 2-, 4-, 8-, 16-, 32-, 64-, 128-Zell(en)stadium. Nun wird im Inneren ein flüssigkeitsgefüllter Hohlraum ausgespart; alle Zellen ordnen sich zu einer einlagigen epithelialen Außenwand um den Hohlraum. Es ist eine (Coelo-)Blastula entstanden; ihre zellige Wandung wird Blastoderm, ihr zentraler Hohlraum Blastocoel (primäre Leibeshöhle) genannt. Die Zellen des Blastoderms bilden an ihrer nach außen gekehrten Oberfläche Mikrovilli und je ein Cilium aus. Die Mikrovilli scheiden Material aus, das zur gallertigen Eihülle beiträgt. Die Cilien lassen die Blastula in der Eihülle rotieren. In einem kleinen Feld am animalen Pol (Scheitelplatte) der rotierenden Blastula erscheint ein Bündel langer Cilien (Apikalorgan, Wimpernschopf). Diese Cilien sind viel länger als die übrigen Cilien der Blastula (Abb. 4.2). Am gegenüberliegenden, vegetativen Pol liegen die Abkömmlinge der Mikromeren, einer Gruppe ribosomenreicher Furchungszellen, die (bei manchen Seeigeln) kleiner als die anderen sind. Sie
55
vollführen unruhige Bewegungen und leiten die Gastrulation ein. Die Gastrulation (Abb. 4.2b) ist mehrphasig. In einer ersten Phase scheren am vegetativen Eipol die Abkömmlinge der Mikromeren aus dem Verband des Epithels aus und dringen, in ihrem Bewegungsverhalten Amöben gleich, in die Hohlkugel ein. Die besonders kleinen Mikromeren, die am vegetativen Eipol saßen, durchlaufen ihre terminale Differenzierung erst nach der Metamorphose der Larve. Ihre momentanen Nachbarn, die mit ihnen zusammen ins Innere abwandern, repräsentieren das skelettogene Material. Sie kriechen in der Gastrula herum, vermehren sich und sammeln sich zu lockeren Gruppen, dem primären oder skelettogenen Mesenchym, fusionieren schließlich zu syncytialen Kabeln, um gemeinsam durch Ausscheiden schwerlöslicher Calcium-Salze die Kristallnadeln des larvalen Skeletts herzustellen. Das Mesenchym ist loses Zellmaterial, das bei anderen tierischen Organismen zum Mesoderm zählt (ein epitheliales Mesoderm um innere Leibeshöhlen entwickelt sich beim Seeigel später aus Abfaltungen des Urdarms). Die Mikromeren sind auch Sender eines induzierenden Signals, das die benachbarten Zellen auffordert, den Urdarm zu bilden (Abschn. 4.1.9, s. Abb. 4.7). Die in der Normalentwicklung am vegetativen Pol in Gang kommende Bildung des Urdarms stellt die zweite Phase der Gastrulation dar. Unter dem induzierenden Einfluss der ausscherenden Mikromerenabkömmlinge beginnen die Abkömmlinge des Zellkranzes veg1 durch Invagination (Einstülpung) den Urdarm (Archenteron) zu formen. An der Spitze des Urdarms befinden sich Zellen, die Filopodien ausstrecken und mit diesen Filopodien die Innenwand des Blastoderms abtasten, um den Ort des künftigen Mundes zu finden und die Urdarmspitze dorthin zu dirigieren. Wo die Urdarmspitze die Wand der Gastrula berührt, bricht der Mund durch. Der definitive Mund entspricht also nicht dem Urmund, sondern wird am anderen Ende des Urdarms neu gebildet. Der Urmund wird zum After: Der Seeigel, und mit ihm der ganze Tierstamm der Echinodermen, gehört, wie auch der Tierstamm der Chordaten, zu dem wir Menschen wie alle Wirbeltiere gehören, zu den Deuterostomiern. Vor der Urmundbildung lösen sich die mit Filopodien ausgestatteten Pfadfinderzellen von der Urdarmspitze ab und werden zu einem lockeren Füllgewebe, das man sekundäres Mesenchym (Mesoderm) nennt.
56 Abb. 4.2 Seeigelentwicklung. a Furchung
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
a
EIREIFUNG Polkörper
Vitellinmembran
BEFRUCHTUNG
Kontakt
, Vorkerne Zygote
FURCHUNG
3
2 1
1
animal
vegetal
2Z
4Z
Apikalorgan
8Z
Mesomeren
Blastoderm
an 1 an 2 veg 1
Makrom. Mikrom. 16 Z
Für die vergleichende Entwicklungsgeschichte ist auch die Anlage der Coelomepithelien von Interesse: Sie werden durch Abfaltung vom Urdarm (Enterocoelbildung) hergestellt wie dies ähnlich auch bei Branchiostoma und niederen Chordaten, speziell bei Tunikaten, geschieht. Sie werden als Archicoelomaten zusammengefasst. Coelomepithelien werden stets dem Mesoderm zugerechnet. In der Tradition der Embryologie wird der Seeigelembryo, auch wenn nie ein geschlossenes mesodermales „Keimblatt“ auszumachen ist, am Ende als triploblastisch angesehen, bestehend aus einem äußeren ektodermalen Epithel, einem entodermalen
veg 2
Blastocoel
Mikrom. 64-128 Z
Blastula
Urdarm und dazwischen eingebetteten mesodermalen Geweben verschiedener Art.
4.1.2
Die bilateralsymmetrische Larve entwickelt in der Metamorphose aus Imaginalscheiben die Organisation des radiärsymmetrischen Seeigels
Die Embryogenese endet mit dem Schlüpfen der bilateralsymmetrischen, planktisch lebenden, feenhaft schönen Seeigellarve. Sie heißt Pluteus (Abb. 4.2b). Mit ihren Cilien gleitet die Larve durch das Wasser und
4.1 Der Seeigel-Keim: Basismodell für tierische Entwicklung und Objekt historisch bedeutsamer Experimente Abb. 4.2 Seeigelentwicklung (Fortsetzung). b Von der Gastrulation bis zur Pluteuslarve
57
GASTRULATION sek. Mesenchym Ektoderm Urdarm Mesentoderm prim. Mesenchym Urmund Blastoporus LARVALE ORGANOGENESE CoelomAnlage
Arme
späterer Mund Skelett Urmund - After
METAMORPHOSE
Imaginalanlage aboral
Imaginalanlage oral
aborale Pluteus (von ventral)
orale Imaginalanlage
strudelt Einzeller als Nahrung in ihren Mund. Die Metamorphose der planktischen, bilateralsymmetrischen Larve in den pentameren Seeigel erfordert eine tiefgreifende Umkonstruktion, welche ganz ähnlich wie bei holometabolen Insekten (z. B. Drosophila), von Imaginalscheiben ausgeht (Abb. 4.2b) Die komplizierte, „katastrophale“ Metamorphose soll hier nicht weiter betrachtet werden. Experimente mit dem Seeigelkeim enden mit der Begutachtung der Pluteuslarve.
4.1.3 Bedeutsame Experimente 1: Aus halbierten Embryonen gehen zwei vollständige Tiere hervor; Embryonen sind folglich keine Maschinen und fähig zur Regulation – aber man muss richtig halbieren Trennt man im Zweizellstadium die beiden ersten Blastomeren, so liefert jede einen zwar verkleinerten, aber durchaus vollständigen und harmonisch
gegliederten Pluteus; man erhält eineiige Zwillinge (Abb. 4.3). Nach Trennen der Blastomeren im Vierzellstadium kann man harmonisch verkleinerte, eineiige Vierlinge erhalten. Auch nach Halbierung einer Blastula kann man noch vollständige, eineiige Zwillingsplutei zu sehen bekommen, sofern man vor dem Beginn der Gastrulation halbiert und sofern die Schnittebene entlang der animal-vegetativen Eiachse geführt wird. Hans Driesch, der als erster um 1890 solche Experimente machte, schloss daraus, dass entgegen der Auffassung der Mechanizisten (Box 1.1) lebende Keime keine Maschinen seien; denn kein Teil einer zerlegten Maschine ergänze sich selbsttätig zum Ganzen. Ab dem 8-Zellstadium ist es technisch möglich, den Keim in der Äquatorebene auch quer zur Eiachse zu halbieren. Nun ist das Ergebnis ein anderes: Die animale Hälfte formt zwar eine Blastulaähnliche Hohlkugel, die jedoch nicht in der Lage ist, einen Urdarm zu bilden (Dauerblastula). Umgekehrt kann zwar die vegetative Hälfte einen Ur-
58
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
Abb. 4.3 Halbierung des Seeigelembryos im 8-Zellstadium. Links: Halbierung quer zur animalvegetativen Achse. Rechts: Halbierung entlang der animal-vegetativen Achse. Experimente von Driesch 1892 und Hörstadius 1935
Anim. Pol
Veg. Pol
Dauerblastula
darm bilden, der entstehende Pluteus zeigt jedoch erhebliche Defizienzen; er ist z. B. mundlos und hat zu kurze Arme (Abb. 4.3). Durch Verlagerung von Cytoplasma durch Druck erhielten Theodor Boveri, Hans Driesch und Thomas Hunt Morgan (Box 1.1) Hinweise, dass für die unterschiedlichen Entwicklungspotenzen cytoplasmatische Komponenten verantwortlich sind. Theodor Boveri fand Hinweise, dass bestimmte, für die weitere Entwicklung bedeutsame Komponenten im Cytoplasma in Form eines Gefälles (Gradient) vorliegen dürften. Driesch schloss, ohne sich auf diese Gradientheorie einzulassen, das Schicksal einer Zelle sei „eine Funktion ihrer Lage im Ganzen“. Aus heutiger Sicht kommt es im Seeigelkeim zu einer frühen Regionalisierung, welche die Blastulakugel in Zonen unterschiedlicher Entwicklungspotenzen gliedert. Wie von den Gründern der experimentellen Entwicklungsbiologie vorhergesagt, bereiten im Cytoplasma der Eizelle an unterschiedlichen Orten lokalisierte Faktoren eine erste regionale Untergliederung der Blastula vor. Daraufhin kommt es in der Blastula zum Austausch von Signalen, die den Zellen ein ortsgemäßes Verhalten ermöglichen; man spricht heute von Positionsinformation (s. Kap. 10). Bei der Ausbreitung der Signalsubstanzen dürften Konzentrationsgradienten von diffusionsfähigen Substanzen von Bedeutung sein. Darauf weisen die nachfolgend beschriebenen Versuche hin.
4.1.4
Pluteus +/- normal 1/2 groß
Pluteus 1/2 groß
Pluteus 1/2 groß
Bedeutsame Experimente 2: Es gibt Wechselwirkungen zwischen den Zellen des Embryo; sie gaben Anlass, die jahrzehntelang kontrovers diskutierte Gradiententheorie weiter zu entwickeln
Isoliert man im 64-Zellstadium die animale Kappe an1 (Abb. 4.4), entsteht daraus eine zur Gastrulation unfähige Blastula, die bei genauerer Betrachtung eine seltsame Anomalie erkennen lässt: Die langen Cilien (Apikalorgan, Scheitelplatte), sind nicht auf einen Schopf am animalen Pol konzentriert; die ganze Blastula trägt solche langen Cilien. Sogar der Kranz an2, dessen Abkömmlinge normalerweise nur mit kurzen Cilien ausgestattet sind, wird nach seiner Isolierung zu einer Blastula, die weitgehend mit langen Cilien bedeckt ist. Die Fähigkeit, ein Apikalorgan zu bilden, hat sich räumlich ausgedehnt. Man nennt dies Animalisierung. Im intakten Keim muss diese Potenz zurückgedrängt oder kompensiert werden durch Einflüsse aus dem vegetativen Keimesteil. Diese Einflüsse sind systematisch von skandinavischen Forschern (John Runnström, Sven Hörstadius) durch handwerklich diffizile Transplantationsstudien untersucht worden. Man kann durch Hinzufügen von Mikromeren, also von Zellen des vegetativen Pols, zu den isolierten Zellkränzen der animalen Hemisphäre die übersteigerte animale Potenz kompensieren. In-
4.1 Der Seeigel-Keim: Basismodell für tierische Entwicklung und Objekt historisch bedeutsamer Experimente Abb. 4.4 Beispiel eines klassischen Experiments am Seeigelembryo, das die Gradiententheorie stützte. Experimente von Hörstadius 1935, 1939
59
an 1
4 Mikromere
an 2
2 Mikromere veg 1
1 Mikromere veg 2
1 Mikromere Mikromere
Zellkränze allein
dem man die Zahl der hierzu nötigen Mikromeren bestimmt, kann die Stärke der animalen Entwicklungspotenz titriert werden (Abb. 4.4). Der Kranz an1 wird durch Hinzufügen von 4 Mikromeren normalisiert; das Konglomerat wird zu einem weitgehend normalgestalteten Pluteus. Beim Kranz an2 genügen 2 Mikromeren; beim Kranz veg1 genügt 1 Mikromere, wobei in diesem Fall, als Indiz einer zu schwachen animalen Komponente, ovoide Larven mit zu kurzen Armen und weiteren Defekten entstehen. Es muss also auch eine animale Komponente in ausreichender Stärke vorhanden sein, damit eine normale Entwicklung möglich ist. Dies zeigt sich noch deutlicher bei der systematischen Fortsetzung des Experiments: Der Kranz veg2, der ohne Hinzufügen einer Mikromere ein rudimentäres Pluteus-ähnliches Gebilde liefert, wird durch Hinzufügen von Mikromeren vegetalisiert, d. h. er verliert die
Zellkränze aus Blastula
Zellkränze mit angehefteten Mikromeren
Fähigkeit, Arme zu bilden und formt, gemessen an der Größe des Restkörpers, einen zu großen Darm, der gar nicht mehr eingestülpt werden kann (Exogastrula). Diese und weitere Beobachtungen gaben Anlass zu einer Theorie der Entwicklungssteuerung, die als Gradiententheorie bekannt geworden ist: Von den Mikromeren gehe eine vegetalisierende Wirkung aus, die sich Richtung animaler Pol ausbreite und dabei eine vom animalen Pol ausstrahlende animalisierende Wirkung kompensiere. Weil sich beide entgegengesetzten Wirkungen wechselseitig neutralisierten, nehme die Stärke beider Wirkungen mit der Distanz von ihren Ursprungsorten ab. Die Entwicklungspotenz eines Keimbezirkes werde vom Verhältnis beider Wirkungen bestimmt. Die am häufigsten vorgetragene Hypothese ist, die genannten Wirkungen seien auf Konzentrationsge-
60
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
fälle zweier Substanzen (oder komplexerer Komponenten) zurückzuführen. Solche Substanzen, die ungleichförmig verteilt und für eine geordnete räumliche Differenzierung zuständig sind, nennt man nach einem Vorschlag von A. Turing Morphogene (Box 10.2; Abschn. 10.7). Damit ein Morphogen am rechten Ort erzeugt werden kann, muss der Embryo erst einmal ortsgerecht die Potenz zur Erzeugung erworben haben. Hierfür sind im Seeigelembryo wie auch in den Embryonen zahlreicher anderer, vielleicht gar aller Tiere maternale Faktoren maßgeblich, die an unterschiedlichen Orten im Ei deponiert sind.
Beta-CATENIN ist als wichtiges Element einer Signalkaskade bekannt, die im Normalfall mit einem von außen herankommenden Signal namens WNT beginnt (Kap. 11; s. Abb. 11.6). Wird durch ein solches WNT-Signal die Kaskade aktiviert, dann wird ˇ-CATENIN in den Kern aufgenommen und zum Transkriptions(-Co)faktor. Im frühen Amphibienembryo gelangt maternales ˇ-CATENIN jedoch schon in die Kerne, bevor ein WNT-Signal eintrifft. So könnte es auch beim Seeigel sein. Bis zum 16-Zellenstadium befindet sich ˇ-CATENIN noch im Cytoplasma, in höchster Konzentration in den Mikromeren, zwischen dem 16- und 60-Zellenstadium dringt es dann in die Kerne der vegetativen Hemisphäre ein. Von allen bisher gefundenen Determinanten ist ˇCATENIN die wirksamste; in die Mikromeren eingebaut, befähigt ˇ-CATENIN diese, unabhängig von ihrer Umgebung zu skelettogenen Zellen zu werden (autonome Entwicklung) und die Gastrulation einzuleiten (Abschn. 4.1.9). ˇ-CATENIN hat auch fundamentale Bedeutung für die räumliche Organisation und Aufgliederung des Embryos der Amphibien und anderer Organismen (Zusammenfassung in Kap. 11 und Kap. 22; Abb. 22.4). Wir sehen eine bemerkenswerte Kongruenz: Im Seeigelembryo ebenso wie im Amphibienembryo und im Embryo von Cnidarier-Polypen entsteht der Urmund in dem Gebiet, in dem gespeicherte mRNA für ˇ-CATENIN lokalisiert ist (s. Abb. 22.4). Zugleich werden Zellen, die diesen Faktor in sich bergen, befähigt, Signalmoleküle zu erzeugen, die man Induktoren nennt. Diese werden ausgesandt und bestimmen das Schicksal benachbarter Zellen.
4.1.5 Im Ei gespeicherte cytoplasmatische Information ist für die Ausrichtung der Körperachsen von Bedeutung; mRNAs von Transkriptionsregulatoren liegen schon im Ei in Form von Gradienten vor und lenken das Schicksal der Keimesregionen Mit dem Ziel, entwicklungssteuernde Faktoren zu finden, die bereits während der Oogenese im Ei deponiert werden, ist mittels molekularbiologischer Verfahren nach mRNA-Sorten gesucht worden, die für Proteine mit DNA-bindenden Domänen codieren. Solche Proteine kommen als Regulatoren von Genaktivitäten in Betracht und man nennt sie dann allgemein Transkriptionsfaktoren. Es ergab sich folgendes Bild (Abb. 4.6): Schon im ungefurchten Ei liegen maternale, d. h. während der Oogenese transkribierte mRNAs vor, die für Transkriptionsregulatoren codieren, aber noch in Ribonukleoproptein-(RNP)-Komplexen verpackt sind. Sie werden in der befruchteten Eizelle entpackt und translatiert und liegen entlang der animal-vegetativen Achse in gegenläufigen Konzentrationsgradienten vor: In der oberen, animalen Eihälfte findet man verschiedene Animalizing Transcription Factors, ATFs; in der unteren, vegetativen Hälfte findet man den Transkriptionsfaktor ˇ-CATENIN. In der Blastula findet sich ˇ-CATENIN in den Kernen der unteren Hemisphäre, am meisten in den Kernen im Umfeld des vegetativen Pols, wo sich die Mikromeren befinden und sich bald der Urmund zu bilden beginnt.
4.1.6
Man ist lang vermuteten Morphogenen auf der Spur: Von besonderer Bedeutung sind das WNT-Signalsystem und Signale der TGF-ˇ-Klasse (BMP, Nodal) die auch im Wirbeltier von zentraler Bedeutung sind
Die Existenz von Morphogengradienten war lange umstritten. Morphogene sind als biologische Signalsubstanzen nur in winzigen Spuren vorhanden und erzeugen die erwartete Wirkung nur, wenn sie in Form
4.1 Der Seeigel-Keim: Basismodell für tierische Entwicklung und Objekt historisch bedeutsamer Experimente Abb. 4.5 Seeigel: Anlagenplan der Bezirke einer Blastula und die entsprechenden Strukturen in der Pluteuslarve
61
Seeigel: Anlagenplan (fate map)
II. orales Ektoderm
I. aborales Ektoderm V Coelomanlage orales Ektoderm
I
II
aborales Ektoderm
III IV
IV. große Mikromeren
III. vegetative Platte
V. kleine Mikromeren
eines Gradienten oder eines anderen ungleichförmigen Verteilungsmusters vorliegen. Morphogengradienten sind erst in jüngerer Zeit (nach 1980) bei Drosophila (Abschn. 4.6) und Xenopus (Abschn. 5.1) molekularchemisch identifiziert worden. Potenzielle Morphogene entlang der animalvegetativen Achse: 1. Das WNT/ˇ-CATENIN System. In der Blastula wird, wie eben erwähnt, das maternale ˇ-CATENIN in die Kerne aufgenommen, wobei sich ein vom vegetativen Pol ausgehender Gradient einstellt. Nun ist aber ˇ-CATENIN kein extrazelluläres Signalmolekül; es kann sich nicht über Zellgrenzen hinweg ausbreiten und folglich selbst kein Morphogen sein. Im Kern jedoch schaltet ˇCATENIN das Gen für das WNT-3 Signal ein; und dieses kann in Zellzwischenräume entlassen werden. In diesem Zusammenhang finden uralte Experimente wieder Interesse: Frühe Seeigelkeime, die sich in mit Lithiumchlorid-angereichertem Seewasser entwickeln, werden vegetalisiert. Der Ausdruck „vegetalisiert“ will besagen, dass die Oralarme zu klein geraten, der Darm hingegen zu groß ausfällt. Animale Hemisphären werden nicht nur von Mikromeren, sondern auch von Lithium-Ionen normalisiert, bei hohen Lithiumkonzentrationen sogar bis zur Exogastrula vegetalisiert, deren zu großer Darm nicht im Keimesinneren Platz hat und nach außen gestülpt ist. (Auch bei Amphibien kön-
nen mittels Lithium Missbildungen hervorgerufen werden, z. B. die Entwicklung eines zweiten Kopfes vorne ventral.) Von Lithium ist u. a. bekannt, dass es durch Hemmung des besonders Lithiumempfindlichen Enzyms GSK-3 den Empfang eines WNT3-Signals simuliert. Es liegt also die Annahme nahe, dass WNT3 Teil des vom vegetativen Pol ausstrahlenden Morphogengradienten ist. Erfahrungen mit dem Amphibienkeim lassen aber vermuten, dass die Natur Wichtiges dadurch absichert, dass nicht nur ein, sondern mehrere parallel arbeitende Signalsysteme eingesetzt werden. 2. Calcium-Signale. Parallel zum Gradienten von kernresidentem ˇ-CATENIN läuft ein Gradient in der Konzentration intrazellulärer Calcium-Ionen. Auch dieser Gradient, der wiederum in den Mikromeren sein Maximum hat, trägt zur Spezifizierung des Zellenschicksals bei. 3. NOTCH-System. Bevor sich ein Urmund bildet, besetzen Mikromeren den vegetativen Pol. Sie müssen nun den Platz räumen und wandern ins Keimesinnere. Vor ihrem Auswandern in das Blastocoel unterhalten sich die Mikromeren kurz mit ihren Nachbarn über ein NOTCH-Signalsystem (s. Abb. 11.7). Dieses wurde zwar bei Drosophila entdeckt, erwies sich aber dann als universell im Tierreich benutztes Verständigungsmittel, wenn es darum geht, sich von Nachbarn abzusondern. Wir besprechen es am Beispiel der Entwicklung von Nervenzellvorläufern im Kap. 10 (s. Abb. 10.1).
Auch wenn der adulte Seeigel radiärsymmetrisch ist, die Pluteuslarve ist es nicht; sie ist bilateralsymmetrisch. Vorgegeben ist in der Struktur des Eies nur die animal-vegetative Achse. An ihrem unteren Ende bildet sich der Urmund. In der Gastrula biegt sich der Urdarm mit seiner Spitze zur äußeren Körperwand. Dort wo die Urdarmspitze die Wand berührt, bildet sich der definitive Mund. Nun lässt sich eine zweite Achse ausmachen: eine oral-aborale Achse, die in etwa senkrecht zur animal-vegetativen Achse verläuft. Schon zuvor in der frühen Blastula ist das künftige Mundfeld markiert, wenn man durch In-situHybridisierung (Kap. 12) den Expressionsbereich des Gens nodal sichtbar macht. Wird die Expression des Gens unterdrückt, gibt es keinen Mund. Das vom Gen nodal codierte NODAL-Protein ist wie BMP ein Signalmolekül aus der TGF-ˇ-Familie. Wir werden ihm bei Wirbeltieren wieder begegnen, wo es eine unverzichtbare Rolle in der Etablierung der RückenBauch-Achse spielt. Die mRNA von nodal liegt noch nicht als maternales Transkript im Ei bereit. Welche Faktoren bestimmen nun wieder, dass im Oralfeld das Gen nodal eingeschaltet wird? Es sind maternal ererbte Faktoren ganz anderer Art: Im Bereich des künftigen Oralpols haben sich mehr Mitochondrien angesammelt als auf der gegenüberliegenden Seite. Die hohe oxidative Aktivität dieser Mitochondrien sorgt dafür, so wird angenommen, dass eben hier der Genschalter für nodal (wie auch für eine Reihe anderer Gene) auf „on“ gestellt wird. Ausgehend von den primären Gradienten in der Verteilung maternal codierter Transkriptionsregulatoren (im animalen Bereich: ATFs, im vegetativen: ˇ-CATENIN) und vermittelt durch Gradienten von Morphogenen (im animalen Bereich: BMP; im vegetativen: WNT und NOTCH, im Oralbereich NODAL) wird die Blastula zunehmend in Regionen unterschiedlicher Bestimmung aufgegliedert. Von NODAL wird
a
b Apikalorgan
ATF
animal
oral (definit. Mund)
BMP-2/4
4.1.7 Als bilateralsymmetrischer Organismus benötigt der Seeigelembryo eine zweite, eine oral-aborale Asymmetrieachse; bei ihrer Etablierung spielen Mitochondrien und das von Wirbeltieren bekannte Morphogen NODAL eine tragende Rolle
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
Nodal Chordin
62
aboral
vegetal
β-Catenin Wnt maternale (+zygotische) Gene
Urmund zygotische Gene
zellübergreifende Signale (Morphogene) ATF = animalizing transcription factors β-Catenin (Transkriptionscofaktor)
Abb. 4.6 Seeigel, a Verteilungsmuster regionalspezifisch deponierter maternaler Genprodukte in der Blastula. b Expression zygotischer Gene, die für Signalsubstanzen codieren; diese werden auch im Wirbeltierembryo exprimiert und erfüllen die Kriterien von antagonistisch wirkenden Morphogenen
das Gen für das Protein CHORDIN eingeschaltet. Wir kommen zum BMP/CHORDIN-System Man fand Transkripte (mRNA) für Signalproteine der CHORDIN-Klasse am oralen Pol und für ein BMP2/4-ähnliches Protein am aboralen (Abb. 4.6). Hier liegt eine weitere bemerkenswerte Parallele zu Wirbeltieren vor: Bei Amphibien werden wir zwei antagonistisch wirkende, vom dorsalen bzw. ventralen Keimbereich ausstrahlende Morphogene kennenlernen, die vergleichbare Wirkungen wie die hypothetischen Seeigelmorphogene haben. Beim Amphibienembryo sind dies die Morphogene BMP-4, ein Mitglied der TGFˇ-Familie, das im ventralen Keimbereich erzeugt und sezerniert wird, und CHORDIN, das im dorsalen Bereich erscheint. Diese beiden von dorsal bzw. ventral ausstrahlenden Morphogene bilden gegenläufige Konzentrationsgradienten (s. Abb. 5.19). CHORDIN bindet und inaktiviert das BMP. Durchaus Vergleichbares mit homologen Morphogenen dürfte sich im Seeigelkeim abspielen: In der Seeigellarve hat allerdings CHORDIN, anders als im Amphibienembryo, keine Bedeutung für die Spezifikation der oral-aboralen Körperachse, ist jedoch wie im Wir-
4.1 Der Seeigel-Keim: Basismodell für tierische Entwicklung und Objekt historisch bedeutsamer Experimente
beltier für eine erste Programmierung des künftigen Nervensystems zuständig.
63
Mikromerentransplantation
4.1.8 Schließlich ist der Embryo in Territorien gegliedert, in denen unterschiedliche Genaktivitäten unterschiedliche Gewebe und Organe hervorbringen Nach der 6. Furchungsteilung, wenn 64 Zellen vorliegen und das Wirken der Gradienten allmählich zum Stillstand kommt, ist die Blastula in fünf Territorien mit unterschiedlicher Ausstattung an Transkriptionsfaktoren gegliedert (Abb. 4.5, 4.6): 1. Ein erstes Territorium umfasst jene Zellen, die später das orale Ektoderm mit seinem Wimpernband bilden. 2. Ein zweites Territorium wird das aborale, Cilienfreie Ektoderm bilden. 3. Das dritte Territorium, die unterhalb des Äquators gelegene vegetale Platte, wird den Urdarm und seine Derivate (z. B. Coelom, sekundäres Mesenchym) hervorbringen. Überraschend exprimiert diese Zone ein Gen, das dem Chordatengen Brachyury homolog ist. Dieses Gen wird in den Embryonen der Chordaten erst im gesamten frühen Mesoderm und später noch in der Chordaanlage exprimiert. Echinodermen und Chordaten sind aus gemeinsamen Vorfahren hervorgegangen, doch haben die Echinodermen keine Chorda. 4. Das vierte Territorium kennzeichnet jene Zellen, die später in der Gastrula das larvale Skelett bilden. 5. Das fünfte Territorium umfasst die kleinen Mikromeren, die, wie im folgenden Abschnitt erläutert, die Urdarmbildung auslösen.
4.1.9 Mikromeren sind Ursprung eines induktiven Signals mit Nahwirkung, das die Bildung des Urdarms einleitet Die Mikromeren sind nicht nur Quelle von Morphogenen, die in die Ferne wirken. Kurz bevor oder während die Mikromeren ins Keimesinnere einwandern, erteilen sie mit einem induktiven Signal ihren unmittelbaren Nachbarn, den über ihnen liegenden Zellen der vegetalen Platte, den Befehl, den Urdarm zu bilden. Transplantiert man Mikromeren an die Flanke
normale Gastrulation
doppelte Gastrulation
Abb. 4.7 Seeigel: Induktion eines zweiten Urmundes nach Transplantation zusätzlicher Mikromeren an den animalen Pol einer Blastula
einer Blastula, lösen sie dort die Bildung eines zweiten Urdarms aus (Abb. 4.7). Vergleichbare Phänomene werden wir beim Amphibienkeim wiederfinden. Man spricht dort von einer Organisatorwirkung und dieser Begriff wird auch hier gebraucht, wenn man die Parallelität (Homologie?) der Ereignisse betonen will. Im Falle des Seeigels ist noch nicht bekannt, ob diese induktiven Signale mit identifizierten Morphogenen (z. B. WNT) identisch sind oder ob das NOTCHSystem diese Signale vermittelt.
4.1.10 Der relative Anteil, in dem die verschiedenen Zelltypen vertreten sein werden, unterliegt einer Regelung; laterale Hemmung ist an der Regelung beteiligt Entfernt man in der späten Blastula die Mikromeren, die später die larvalen Skelettnadeln sezernieren wür-
64
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
den, springen Zellen des Kranzes veg2, welche sich normalerweise an der Bildung des Darmes beteiligen, in die Bresche ein und übernehmen die Aufgabe der ausgefallenen Mikromeren. Anders betrachtet: Sind ausreichend skelettogene Mikromeren vorhanden, hindern sie die benachbarten künftigen Darmzellen, ihre Potenz zur Skelettbildung zur Geltung zu bringen. Die den Zellen der verschiedenen Territorien zugeteilten maternalen Faktoren bewirken also, vom 5. Territorium abgesehen, noch keine irreversible Festlegung des Schicksals und erlauben noch keine unabhängige Entwicklung. Vielmehr tauschen die Zellen der verschiedenen Territorien Signale aus: Es werden Induktoren und Inhibitoren an die Nachbarschaft gerichtet, und es kommt zu Wechselwirkungen über weite Distanzen mittels Morphogenen. Dadurch erfährt ihr Determinationszustand eine Feinabstimmung und Stabilisierung, und es wird die relative Häufigkeit, in der die verschiedenen Zelltypen hergestellt werden, geregelt. Diese Prinzipien findet man bei allen tierischen Organismen verwirklicht.
2. Der Entwicklungszyklus (Abb. 4.8) geht im Regelfall des Labors nicht von einer befruchteten Eizelle aus, sondern von keimenden „Sporen“. Der gesamte Zyklus ist bei den gängigen Laborkulturen rein asexuell. 3. In diesem Entwicklungszyklus kommt es zu einem Wechsel vom einzelligen zum vielzelligen Zustand, und zwar dadurch, dass sich viele Individuen, die zuvor als Einzeller lebten, zusammenfinden, um als vielzellige Gemeinschaft Vorsorge für das Überleben unter ungünstigen Umweltbedingungen zu treffen. Dictyostelium lebt in humusreichen Böden, vor allem in Waldböden, auch Zentraleuropas. Aus den Hüllen der Sporen schlüpfen Amöben, die zunächst getrennt leben und sich durch Zellteilung vermehren (vegetative Lebensphase). Erst später, wenn die Nahrung (Bakterien, Hefen) erschöpft ist oder der Untergrund auszutrocknen droht, strömen die Amöben zu großen, dichten Ansammlungen zusammen (Aggregation, Abb. 4.8 und 4.10), um einen vielzelligen, geschlossenen Verband (Aggregat, Pseudoplasmodium) zu bilden. Dieser Verband (Fachausdruck: Migrationsplasmodium) nimmt die äußere Gestalt einer Miniatur-Nacktschnecke an und wird daher in englischsprachigen Artikeln als slug bezeichnet. Dieser slug sucht phototaktisch einen hellen Standort. Dort wandelt er sich in einen Fruchtkörper um, der aus einer Bodenplatte und einem Stiel besteht, und der an der Spitze dieses Stiels eine kugelförmige Ansammlung neuer Sporen trägt. Bodenplatte und Stiel bestehen aus somatischen Zellen, die sich mit Cellulosewänden umgeben und absterben. Die Sporenzellen hingegen sind der Fortpflanzung dienende, asexuelle, generative Zellen. Damit erfüllt der Fruchtkörper wesentliche Kriterien eines vielzelligen Organismus: Es gibt eine Sonderung zwischen generativen, potenziell unsterblichen Zellen und sterblichen somatischen Zellen, und es gibt eine Arbeitsteilung unter den somatischen Zellen (Bodenplatte versus Stiel). Obwohl also der Entwicklungsgang, anders als der des Seeigels, ganz und gar nicht Prototyp einer typisch tierischen Entwicklung sein kann, beobachtet man doch Vorgänge, die als experimentell leicht zugängliche Modellfälle für ähnliche Vorgänge in vielzelligen, tierischen Lebewesen dienen können. Im Labor sind es vor allem zwei Ereignisse, die untersucht werden: die Aggregation und die Zelldifferenzierung.
4.2 Ein Außenseiter: Dictyostelium discoideum 4.2.1 Kooperation hilft dem Überleben: von amöbenhaften Einzelzellen zum vielzelligen Verband Dictyostelium ist in mehrfacher Hinsicht ein Sonderfall: 1. Der Organismus wird in Lehrbüchern der Botanik als zellulärer Schleimpilz, in Lehrbüchern der Zoologie als Amöbe aus der Gruppe der sozialen Amöben (Acrasiales, Acrasea) eingestuft. Diese scheinbar unterschiedliche Klassifizierung ist kein Widerspruch; denn die zellulären Schleim„pilze“ lassen keinen phylogenetischen Bezug zu den echten Pilzen, eher zu anderen Gruppen von Amöben erkennen. Speziell die Struktur der ribosomalen 5S-rRNA und Eigenheiten von Proteinsequenzen zeigen, dass Dictyostelium eher in das Reich der Tiere (Amoebozoa) als in das Reich der Pflanzen oder der echten Pilze einzuordnen ist. Sein (vollsequenziertes) Genom umfasst ca. 34 Megabasen und etwa 12.500 proteincodierende Gene.
4.2 Ein Außenseiter: Dictyostelium discoideum
65
Fruchtkörper
Sporenzellen (generativ)
“Slug” (Pseudoplasmodium)
Stielzellen (somatisch)
Dictyostelium discoideum
Grundplatte (somatisch)
vegetative Vermehrung Aggregation
Freisetzen der Sporen Schlüpfen der Amöben
Zellströme Abb. 4.8 Entwicklungszyklus von Dictyostelium discoideum (nach Gilbert, Developmental Biology, umgezeichnet)
4.2.2
Bei der Aggregation werden von Schrittmacherzellen im Sammelzentrum rhythmisch chemotaktische Signale in Form von cAMP-Molekülen ausgesandt; die Signale werden von Amöben der Umgebung verstärkt und im Staffetenverfahren in die Peripherie geleitet
Im Zentrum des Sammelplatzes senden hungernde Zellen einen Lockstoff aus; bei D: discoideum ist es cyclisches Adenosinmonophosphat, das alle 2,5 bis 5 min in synchronen Pulsen ausgesandt wird. cAMP breitet sich durch Diffusion im Wasserfilm des feuchten Lebensraumes aus (Abb. 4.9). Das Signalmolekül wird von benachbarten Zellen mittels membranständiger Rezeptoren aufgefangen. Diese Rezeptoren gehören dem Serpentintyp an: Sieben Membrandurchspannende Domänen sind mit einer Signaltransduktionskaskade gekoppelt, welche Elemente enthält, die man von tierischen Zellen und menschlichen Immunzellen kennt: Elemente des Adenylatcyclase-PKA-Systems
und Phosphatidylinositol-Lipide, speziell Phosphatidylinositol (1,4,5)-trisphosphat IP3 und Phosphatidylinositol (3,4,5)-trisphosphat PIP3 als intrazelluläre Signalsubstanzen (Abb. 4.9 und 4.10). (Mehr zu extraund intrazellulären Signalsystemen berichtet Kap. 11). Ein erster Effekt des Signalempfangs ist, dass eng benachbarte Zellen ihren Senderhythmus synchronisieren. Etwa 100 synchronisierte Zellen bedeuten eine 100fache Signalverstärkung; eine solche synchron sendende Hundertschaft wird zum Schrittmacher. Weit würden die Signale dennoch nicht reichen, hätte D. discoideum nicht einen zweiten, sehr effizienten Trick erfunden. Um sowohl die Ausbreitungsgeschwindigkeit als auch die Reichweite des extrazellulären cAMP-Signals zu erhöhen, wird eine Signalstaffette (signal relay) eingerichtet: Amöben, die außerhalb des Schrittmacherzentrums liegen und mit ihren membranständigen Rezeptoren das Signal empfangen haben, senden nach einer Latenzzeit von einigen Sekunden selbst cAMP aus. So wird die lokale Konzentration erhöht, das Signal verstärkt, die Diffusion beschleunigt. Damit das Signal stets vom pulsierenden Zentrum in die Peripherie des Aggrega-
66
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
zum Aggregat zu vereinigen. Es umfasst schließlich an die 100.000 oder mehr Zellen.
cAMP AC
cAMP
G
ATP
G
IP3
ER
Ca2+
PLC
PIP3 Fron
PIP2 Kinase t mit
Pseu
dopo
dien
PIP2 = Phosphatidylinositol-bisphosphat IP3 = Phosphatidylinositol-(1,4,5)trisphosphat PIP3 = Phosphatidylinositol-(3,4,5)trisphosphat Abb. 4.9 Dictyostelium: Aggregation. a Amöben im Schrittmacherzentrum (exemplarisch 3 von ca. 100 gezeigt) senden synchron cAMP in Abständen von 2,5–5 min aus. Das von Amöben der Umgebung aufgefangene cAMP-Signal regt diese an, (1) sich Richtung Signalzentrum zu bewegen und (2) selbst ebenfalls cAMP auszusenden. Während sich das Signal vom Zentrum in die Peripherie fortpflanzt, bewegen sich die Amöben in Gegenrichtung von der Peripherie ins Zentrum. b In dichten Aggregaten bilden sich spiralförmige Figuren. Momentan ruhende Zellen heben sich als dichte Cluster von den gestreckten, momentan in Bewegung befindlichen Zellen ab
tionsfeldes weitergegeben wird und nicht auch wieder zurück zum Zentrum, ist jede Amöbe nach der eigenen Signalemission für 1 bis 2 min taub (refraktär), so dass sie durch ihr eigenes Signal und das ihrer peripher gelegenen Nachbarn nicht irritiert wird. Erst wenn in 3 min das von der Stafette weitergetragene Signal unhörbar in der Ferne verklungen ist, wird die Amöbe wieder empfänglich für ein vom Zentrum herankommendes Signal. Jeder Puls von cAMP löst eine ruckartige Bewegung der Amöben Richtung Signalquelle, letztlich Richtung Zentrum aus. Nach jeder Signalwelle richtet man sich neu aus und bewegt sich rasch ein Stück Richtung Sammelplatz. Treffen Amöben auf ihrem Marsch andere, so heften sie sich mittels Zelladhäsionsmolekülen mit ihrem Vorderende ans Hinterende der voranmarschierenden Amöbe und ziehen als geschlossene Karawane weiter. Karawanen von Amöben strömen von allen Seiten zum Zentrum, um sich hier
In dichten Ansammlungen bilden sich reizvolle spiralige Muster aus Zellen, die momentan refraktär, ruhend und abgekugelt sind, streuen Licht anders als langgestreckte, sich bewegende Zellen. Dabei sind die refraktären Zellen so angeordnet, dass sie auf Spiralbahnen liegen (Abb. 4.10). Mathematisch begabten Wissenschaftlern gelang es, auf der Basis partieller Differentialgleichungen, welche die Ausbreitung der cAMPWellen und das Verhalten der Zellen beschreiben, solche Muster auf dem Bildschirm des Computers zu erzeugen. Computersimulationen biologischer Musterbildung sind ein eigenes Gebiet moderner Entwicklungsbiologie (Kap. 10, Box 10.2).
4.2.3
Im Zuge der Aggregation kommt es zu einer Zelldifferenzierung, die eine wechselseitige Absprache erfordert
Spätestens im Verband des slug spaltet sich die genetisch einheitliche Zellpopulation in mehrere Subpopulationen auf, in die künftigen Stielzellen, die etwa 20 % der Zellpopulation umfassen und im wandernden slug die Spitze einnehmen (und sich ihrerseits in Untertypen gliedern), in die künftigen Sporenzellen, und schließlich in die künftigen Zellen der Bodenplatte, die zwar den Stielzellen ähnlich sind, aber im slug sowohl die vorderste Spitze als auch die posteriore Schleppe bilden (Abb. 4.11). Zwei Hypothesen werden diskutiert, wie diese Aufgliederung bewerkstelligt und zugleich eine Musterbildung derart erreicht wird, dass die drei Zelltypen eine bestimmte Position im Gesamtverband einnehmen: 1. Die Hypothese der Positionsinformation (s. Kap. 10), nach der die Position im slug für das Schicksal der Zellen maßgeblich sei, und 2. die Hypothese der Aussonderung (sorting out), nach der die Zellen schon vor oder während der Aggregation unterschiedlich werden und dann entsprechend ihrer künftigen Rolle ihren Platz im slug aufsuchen.
4.2 Ein Außenseiter: Dictyostelium discoideum Abb. 4.10 Dictyostelium. Extrazelluläre und intrazelluläre Signalmoleküle, die bei der chemotaktischen Orientierung und Wanderung zum Aggregationszentrum von Bedeutung sind
67
a
Dictyostelium Aggregation
Schrittmacher cAMP-Welle
Be
we
gu
ng
sric
htu
ng
Signalstafette
b
2. Reihe ruhender refraktärer, dann wieder sendender Zellen
1. Reihe ruhender refraktärer, dann wieder sendender Zellen
Beide Hypothesen müssen zusätzlich erklären, wie ein bestimmtes Zahlenverhältnis zwischen den verschiedenen Zelltypen hergestellt und nach experimenteller Störung wieder einreguliert werden kann. Entfernt man die vorderen prestalk-Zellen oder die hinteren prespore-Zellen eines slug, so kommt es zu einer teilweisen Revision der Entwicklungswege; welche Zellen auch immer sich am Vorderende wiederfin-
den, sie werden zu Stielzellen. Welche Zellen auch immer am Hinterende sind, sie werden zu Sporenzellen oder Bodenplattenzellen. Am Ende liegen doch wieder Stiel- und Sporenzellen in angemessenen Verhältnissen vor (Abb. 4.11). Eine solche numerische Regulation ist so lange möglich, bis im entstehenden Fruchtkörper die Zelldifferenzierung irreversibel geworden ist. Viele Indizien sprechen dafür, dass kom-
68 Abb. 4.11 Dictyostelium. Position der künftigen Stielund Sporenzellen im Migrationsplasmodium. Nach frühzeitiger Teilung des Plasmodiums ist noch eine weitgehende numerische Nachregelung des Verhältnisses von Stiel- zu Sporenzellen möglich
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose Dictyostelium Migrationsplasmodium (“slug”)
Präsporen-Zellen Prästielzellen
Bodenplatte
Harmonische numerische Regulation nach Trennung
binierte Hypothesen den besten Erklärungswert haben. Die Bereitschaft der Zellen zu aggregieren hängt nicht nur vom unzulänglichen Ernährungszustand ab, sondern auch von einer kritischen Zellendichte. Die Zellen scheiden einen Proteinfaktor aus; die Konzentration dieses Faktors ist ein indirektes Maß der Zellendichte; denn je höher die Zellendichte ist, desto höher wird die Konzentration des Faktors. Ausreichende Zellendichte und Zellenzahl gewährleisten, dass ein vollständiger Fruchtkörper gebildet werden kann. Experimentell nachgewiesen ist, dass darüber hinaus von den Zellen freigesetzte niedermolekulare Signalstoffe für die geregelte Aufgliederung in Stielund Sporenzellen und für ihre ortsgerechte Platzierung im slug maßgeblich sind. Unter diesen Faktoren befinden sich der Differentiation-inducing Factor DIF, der die Bildung von Stielzellen stimuliert, sowie Adenosin und Ammoniak. DIF ist ein chloriertes Hexaphenon. DIF wird wie cAMP von aggregierenden Zellen ausgeschieden, und nachfolgend weiterhin im slug. Zellen werden zu Stielzellen, wenn eine hohe Dosis von cAMP und DIF und eine niedere Konzentration von NH3 vorliegt – Verhältnisse, wie sie an der Spit-
ze des slug zu herrschen scheinen. Induziert DIF die Stielzellenbildung, so hemmt er andererseits die Sporenbildung. Ammoniak entsteht, wenn überschüssiges Protein abgebaut wird, beispielsweise in den künftigen Stielzellen, die dem Tod entgegengehen, aber zuvor die N-freie Cellulose synthetisieren müssen, um eine stabile Cellulose-haltige Zellwand aufbauen zu können. Es gibt Hinweise, dass neben den genannten Signalmolekülen weitere Moleküle freigesetzt werden und als billige Träger von Informationen bei der wechselseitigen Absprache zwischen den sich differenzierenden Zellen von Bedeutung sind. Beispielsweise wird an der Spitze des wandernden slug aus dem Abbau von cAMP das Nukleosid Adenosin, das am Entstehungsort die Bildung von Sporenzellen unterdrückt. Andererseits fördert die Verdunstung des Ammoniaks an der emporgehobenen slug-Spitze die Entwicklung von Stielzellen. Es gibt also Faktoren, die an der Spitze die Bildung von Stielzellen begünstigen (viel cAMP und DIF, entweichender Ammoniak) und Faktoren, die dort die Bildung von Sporenzellen unterdrücken (Adenosin). Sowohl chemische wie physikalische Bedingungen bestimmen den Entwicklungsweg und nehmen Einfluss auf die Entscheidung, wo was geschieht.
4.3 Hydra und weitere Cnidarier: Unsterbliche Polypen und historische Pioniermodelle der Entwicklungsbiologie orales oder distales Ende
20 Tage
Mund Kopf
Tentakel Hypostom
4 Tage Mitosen
Gastralregion 2 Tage
Rumpf
8 Tage
Knospen Stiel Fuß
Basalscheibe
20 Tage
aborales oder proximales Ende
Abb. 4.12 Hydra vulgaris mit Knospen. Die Pfeile geben die Richtung der Verschiebung an, welche die epithelialen Zellen erfahren, weil in den terminalen Körperregionen (Tentakel, Fuß) Zellen absterben und nach und nach durch Zellen ersetzt werden, die aus der Körpermitte kommend in die terminalen Körperregionen nachrücken. Überschüssige neue Zellen werden als Knospen exportiert
Dictyostelium ist zu einem Modellorganismus zum Studium von Chemotaxis, Signalausbreitung und Aggregation geworden. Der Organismus steht auch Modell für die Herstellung von Zellkontakten mittels Zelladhäsionsmolekülen, für ortsgerechte Zelldifferenzierung und für die numerische Kontrolle der relativen Mengen, in denen verschiedene Zelltypen hergestellt werden.
4.3
Hydra und weitere Cnidarier: Unsterbliche Polypen und historische Pioniermodelle der Entwicklungsbiologie
4.3.1 Mit Regenerationsstudien an Hydra begann um 1740 die experimentelle Entwicklungsbiologie Mit systematisch angelegten und in meisterlichen Kupferstichen dokumentierten Regenerationsexperimenten an Hydra (Abb. 4.12), durchgeführt von dem Genfer Gelehrten Abraham Trembley, begann um 1740 das Zeitalter systematisch geplanter Experimente in der Entwicklungsbiologie. Trembley hatte aus dem Genfer See grüne Hydren gefischt. Um zu prüfen, ob
69
es sich um Pflanzen oder Tiere handle, zerschnitt er die Gebilde mit einem Skalpell in Teile; denn nach Aristoteles sollten nur Pflanzen regenerieren können. Trotz des beobachteten, schier unbegrenzten Regenerationsvermögens kam Trembley zu dem Schluss, dass es sich um Tiere handle und nannte sie Süßwasserpolypen (Linné gab ihnen später wegen ihres Regenerationsvermögens mit Bezug auf die neunköpfige Wasserschlange Hydra der griechischen Sage, die jeden abgeschlagenen Kopf rasch nachwachsen ließ, den Namen Hydra). Transplantationsstudien (nach Art von Abb. 4.15 und 10.20) führten 1909 zur Entdeckung des Induktionsphänomens (Kap. 10) durch die Amerikanerin Ethel Brown. Das Inventar der Gene einer Hydra umfasst ca. 20.000 proteincodierende Gene. Das Inventar an Zelltypen ist in Abb. 4.13 zusammengestellt.
4.3.2
Man kann Hydren in einzelne Zellen zerlegen; Aggregate solcher Zellen können sich selbst zu ganzen Tieren reorganisieren
Hydra ersetzt mühelos verlorene Körperteile. Mit einer Regeneration ist jedoch das Potenzial zur Wiederherstellung eines ganzen Polypen noch keineswegs erschöpft. Man kann Polypen in Einzelzellen zerlegen (dissoziieren). Die Zellen sinken zu Boden, kriechen wie Amöben umher, nehmen wieder Kontakt zueinander auf und bilden zunächst unförmige und ungeordnete Zellklumpen: Reaggregate. Diese Reaggregate reorganisieren sich im Verlauf von Tagen oder Wochen zu neuen, lebensfähigen Polypen (Abb. 4.14). Aussonderung (sorting out): Zuerst sondern sich Entoderm- von Ektodermzellen zu einer Blastulaähnlichen Hohlkugel. An diesem Sortierungsvorgang sind amöboide Zellwanderung und selektive Zellhaftung beteiligt. Entodermale Zellen haften untereinander stark aneinander und werden von den schwächer haftenden, sich flächenhaft ausdehnenden Ektodermzellen umhüllt. Musterbildung: Nach der Rekonstitution der epithelialen Organisation kommt im Aggregat durch Selbstorganisation ein Musterbildungsprozess in Gang, der chaotisch beginnt und mit Ordnung endet (Abb. 4.14). Zuerst entwachsen den Aggregaten Büschel von Tentakeln in zunächst unregelmäßiger Anordnung. Zwischen die Tentakel schieben sich
70 Abb. 4.13 Hydra. Zelltypen (Auswahl der wichtigsten) einer Hydra. Nicht maßstabgerecht
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose I. Epithel(-muskel-)zellen
Ektoderm Entoderm
Cilium
Fortsatz mit Myofibrillen
II. Interstitielle Zellen Stammzelle Drüsenzelle Sensorische Nervenzelle I-Zellen
Neuroblasten
Ganglionäre Nervenzelle Nematoblasten
Keimzellen
Nematocyten = Cnidocyten
Stenotele (Penetrante)
Mundkegel, umso mehr, je größer ein Aggregat ist, und um jeden Mundkegel ordnen sich die Tentakel zu einem Kreis. Überschüssige Tentakel werden reduziert, neue füllen Lücken. Jeder so geformte „Kopf“ (Hypostom) wird zum Organisator einer neuen Körperachse, die aus dem Aggregat herauswächst und den
Isorhiza (Glutinante)
Desmoneme (Volvente)
Kopf an ihrem Ende emporträgt. Schließlich bilden sich auch „Füße“, und Füße können sich aufspalten. So lösen sich aus dem vielköpfigen Monster einköpfige Polypen ab. Am Ende hat man mehrere normalgestaltete Hydren. Man nennt diesen gesamten Reorganisationsprozess auch Rekonstitution.
4.3 Hydra und weitere Cnidarier: Unsterbliche Polypen und historische Pioniermodelle der Entwicklungsbiologie Abb. 4.14 Hydra. Reorganisation in einem Aggregat aus dissoziierten Zellen. Am Ende des mehrere Tage oder Wochen dauernden Prozesses lösen sich durch Aufspalten der Fußscheiben vollständige Polypen unterschiedlicher Größe voneinander. Nach einem Präparat des Verfassers. Wnt-Expression (blaue Flecken) adaptiert nach Hobmayer et al. (2000). Da die vielköpfigen Gebilde gefüttert worden waren, bildeten sich auch noch Knospen, die hier der Übersichtlichkeit wegen nicht eingezeichnet sind
a
b
71
c wnt Expression
d
4.3.3 Hydropolypen sind potenziell unsterblich; denn sie können alle gealterten und verbrauchten Zellen aus einem Reservoir von Stammzellen ersetzen Hydra ist eine Vertreterin des Stammes der Cnidarier (Stammgruppe Coelenteraten), der am einfachsten gebauten und evolutionsgeschichtlich wohl ältesten Tiergruppe, deren Mitglieder mit einem Sinnes-NervenSystem und mit Epithel-Muskelzellen ausgestattet sind. Eine besondere Fähigkeit der Hydren anderer Hydroidpolypen ist, zeitlebens durch Zellproliferation und Zelldifferenzierung alle gealterten Zellen einschließlich der Nervenzellen durch neue ersetzen zu können. Eine Hydra besteht aus zwei Hauptkategorien von Zellen (Abb. 4.13): 1. Epithel(muskel)zellen, die als Ektoderm und Entoderm ein doppelwandiges Rohr bilden und damit die Grundarchitektur des diploblastischen Körpers aufbauen, und 2. Interstitielle Zellen, die sich (meistens) in den Zwischenräumen (Interstitien) zwischen den Epithelzellen aufhalten. Zu ihnen gehören: Sinnesnervenzellen, ganglionäre Nervenzellen, vier Typen von Nesselzellen, bestimmte Drüsenzellen und Geschlechtszellen.
e
Alle diese Zellen können bei Verlust (durch Verletzung, Verbrauch oder Alterung) aus Stammzellen, welche die Fähigkeit zur mitotischen Teilung bewahren, bei Bedarf jederzeit neu hergestellt werden. Die Fähigkeit einer Hydra, immerwährend ihren Bestand an Zellen erneuern zu können, ist ein erstes Schwerpunktthema der Forschung. Entsprechend dem Inventar an Zelltypen sind drei Grundtypen von Stammzellen beschrieben worden: 1. Ektodermale Epithelstammzellen; 2. entodermale Epithelstammzellen und 3. pluripotente interstitielle Stammzellen (i-Zellen). Diese kleinen Zellen wurden so benannt, weil sie in den Zellzwischenräumen (Interstitien) der Epithelzellen eingebettet sind. Aus i-Zellen gehen Nervenund Sinneszellen, Nesselzellen, einige Drüsenzellen und die Gameten hervor. Eine zweifelsfreie Umwandlung von i-Zellen in Epithelzellen oder von Ektodermin Entodermzellen, oder umgekehrt, ist noch nie beobachtet worden. Andere Hydrozooen wie die unten unter Abschn. 4.3.7 beschriebene Hydractinia besitzen hingegen totipotente Stammzellen, mit deren Hilfe alle Zelltypen erneuert werden können. Die in der Körpermitte geborenen Epithelzellen erfahren nach und nach eine Verlagerung entweder in die Tentakel oder den Mundkegel, oder sie werden in Richtung Fuß verschoben, wo sie sich ortgemäß umgestalten. Bei gut genährten Polypen wird eine Überschussproduktion an Epithelzellen zur Bil-
72
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
dung von Knospen benutzt und so exportiert. Durch die sich ablösenden Knospen klonen sich die Tiere selbst. Während neue Epithelzellen passiv in Richtung Kopf, Fuß oder Knospe verschoben werden, wandern die Zellen der interstitiellen Linie, vor allem Nematoblasten und Neuroblasten, auch aktiv durch die Zellzwischenräume zu ihren finalen Bestimmungsorten. Im Mundfeld, in den Tentakeln und im Fuß durchlaufen sowohl die Epithelzellen als auch die Abkömmlinge der interstitiellen Stammzellen eine letzte terminale Differenzierung oder Umdifferenzierung (Transdifferenzierung). Beispielsweise werden aus (teilungsfähigen) Epithelzellen der Körperwand im Fuß (teilungsunfähige) Drüsenzellen, mittels derer die Hydren sich auf einer Unterlage festheften können. Die terminal differenzierten Zellen sterben bald, werden abgestoßen oder von Nachbarn phagocytiert, und müssen durch frischen Nachschub, den der unerschöpfliche Jungbrunnen der Körpermitte liefert, ersetzt werden (Abb. 4.12). Hydra ist daher ein „immerwährender Embryo“, und obwohl jede einzelne ausdifferenzierte Körperzelle irgendwann stirbt, ist der Organismus als Ganzes potenziell unsterblich.
4.3.5 Die laufende Zellerneuerung verlangt Positionsinformation; sie wird auch bei der Regeneration benötigt, um Kopf und Fuß ortsgerecht wiederherstellen zu können
4.3.4 Hydren ohne Nerven(-zellen): Sie leben und gedeihen, wenn sie fürsorglich behandelt werden Die Forschung an Hydra hat ein kurioses, bislang ohne Beispiel dastehendes Resultat ergeben: Man kann mittels verschiedener Agenzien, z. B. mittels Hydroxyharnstoff, selektiv die interstitiellen Stammzellen abtöten. Als Folge davon können die Polypen keine Nesselzellen mehr herstellen, und es sterben nach und nach auch alle Nervenzellen ab. Trotzdem sterben die Tiere als solche nicht, sofern man in den Gastralraum der unbeweglich gewordenen Polypen künstlich Nahrung einführt und anschließend die unverdauten Reste wieder herausholt. Nervenzell-freie (epitheliale) Hydren können Kopf und Fuß regenerieren und durch Knospung weitere Nervenzell-freie Nachkommen erzeugen. Führt man über transplantiertes Spendergewebe fremde Stammzellen ein, erscheinen nach und nach wieder Nerven- und Nesselzellen, und die Tiere normalisieren sich.
Je nachdem, wo sich die Zellen befinden, organisieren sie sich zu einem Hypostom („Kopf“), zu einer Gastralregion („Rumpf“) oder zu einer Basalscheibe („Fuß“) (Abb. 4.12). Wie aber bekommen die Zellen mit, wo sie sich befinden? Woher eine Positionsinformation kommen mag, und wie das Körpermuster im Falle einer Störung korrigiert werden kann, wird in Abschn. 10.9 diskutiert. Hier sei zusammenfassend auf einige Erkenntnisse hingewiesen: Der Kopf (Hypostom) hat die Funktion eines Organisators, vergleichbar dem SpemannOrganisator im Amphibienembryo (s. Abschn. 5.1 und Kap. 10). In die Rumpfregion implantierte Fragmente eines Kopfes beeinflussen die umgebenden Rumpfzellen so, dass sie sich an der Bildung eines neuen, zusätzlichen Kopfes und Rumpfes beteiligen (Abb. 4.15, s. auch Abb. 10.19 und 10.20). Die Fähigkeit, einen Kopf zu bilden und Kopfbildung zu organisieren, nimmt entlang der Körpersäule gradientenhaft von oben nach unten ab; die Fähigkeit, Fußgewebe zu bilden, nimmt hingegen zu. Diese reziproken Fähigkeiten sind relativ stabil in der Körpersäule einprogrammiert, aber dennoch im Falle einer Regeneration veränderlich; sie werden unter dem Begriff Positionswert zusammengefasst. Ein hoher Positionswert bedeutet gute Kompetenz zur Organisation von Kopfstrukturen verbunden mit geringer Kompetenz zur Fußbildung. Wenn eine Hydra quergeschnitten und so Rumpfgewebe veranlasst wird, Kopfstrukturen zu regenerieren, steigt am apikalen, kopfregenerierenden Ende der durch Transplantation messbare Positionswert an. Je weiter unten der Körper geschnitten wird, desto länger dauert es, bis der maximale Wert erreicht wird (Abb. 4.15). Weiteres zu den Begriffen Positionsinformation und Positionswert wird in Abschn. 10.9 erläutert. Es gibt Fernwirkungen zwischen den Körperregionen: Ein vorhandener Kopf unterdrückt die Bildung eines weiteren Kopfes in der restlichen Körpersäu-
4.3 Hydra und weitere Cnidarier: Unsterbliche Polypen und historische Pioniermodelle der Entwicklungsbiologie Abb. 4.15 Hydra. Positionsinformation und Positionswert. a Einfaches Regenerationsexperiment, das die Existenz von Positionsinformation belegt: Ein und dieselbe Zellgruppe bildet je nach ihrer Lage im Körper Gastralregion, Kopf oder Fuß. b Der Positionswert drückt sich in der positionsabhängigen Fähigkeit aus, Kopfstrukturen zu bilden, und ebenso in der Fähigkeit einer Gewebeprobe, die Bildung eines Kopfes zu induzieren, wenn sie in einen anderen Polypen an einem tiefer liegenden Ort implantiert wird. Im Hypostom und dicht unterhalb des Tentakelkranzes ist diese Fähigkeit am höchsten. Je tiefer unten der obere Teil eines Polypen chirurgisch entfernt wurde, desto länger dauert es, bis das apikale Gewebe die volle Induktionspotenz erlangt
a
Positionsinformation
b
Positionswert
73
0h
4h
12 h
30 h Nötige Regenerationszeit zur Erlangung der vollen Induktionspotenz
le und fördert zugleich die Bildung eines Fußes an ihrem unteren Ende. Worin diese Fernwirkung besteht, darüber gibt es gegenwärtig einige konkurrierende Hypothesen aber nur wenig gesichertes Wissen.
4.3.6 Bei der Etablierung des Kopfes und der Körperachse sind Signalsysteme beteiligt, die man von Wirbeltieren kennt, insbesondere WNT/beta-Catenin-Systeme Mit molekularbiologischen Methoden wird nach Signalsystemen gesucht, die bei der Achsendetermina-
tion und Kopfbildung und im Zuge der Knospung oder im Reaggregat beteiligt sind. Die Suche (mittels „reverser Genetik“, Kap. 12) hat u. a. Elemente des kanonischen ˇ-CATENIN-Signalweges aufgespürt (Abb. 4.16). „Kanonisch“ bedeutet sprachlich „der Norm entsprechend“, faktisch „mittels ˇ-Catenin Gene aktivierend“) Diese Signalwege sind vielfach auch in Wirbeltieren tätig (Zusammenfassung in Kap. 11 und 22). Speziell das kanonische WNT3System ist bei der Orientierung und Ausbildung einer Körperachse bei vielen tierischen Organismen von entscheidender Bedeutung, so in der Embryonalentwicklung des Hydrozoons Hydractinia, aber auch des Seeigels und der Wirbeltiere. Der Signalweg umfasst u. a. das sezernierte Signalmolekül WNT3a, das intrazel-
74
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
Achsenbildung: kanonisches WNT-System
a1
Umorientierung von Zellbewegungen: nicht-kanonische WNT-Systeme
a2
Wnt-3a
Hydra ß-Catenin
a3
a4
Brachyury
goosecoid
Wnt-8 BMP-5/8
Wnt-3a Wnt-8 Wnt-5
PKC-1 PKC-2
PKC-1 PKC-2
Wnt-5
Wnt-3a Wnt-8
FGF-R
PKC-1 PKC-2 FGF-R Notch-abhängige Gene (Punkte MMP-3,
PKC-2
Streifen HyHes)
PKC-2
Hydra, Hydractinia b1
b2
Stimulation des kanonischen WNT-Systems
wachsende Polypen
Abb. 4.16 Hydra und Hydractinia: Expression von Genen, die bei der Konstruktion des Körpers während der Knospung und der Rekonstruktion während einer Regeneration eine wichtige Rolle spielen. Es sind nur Gene berücksichtigt, die in homologer Form auch in Vertebraten vorkommen. a1 Expressionsorte des für die Achsenbildung zuständigen kanonischen WNT-Systems; a2 mit der Umorientierung von Zellbewegungen korrelierte, nicht-kanonische WNT-Systeme (Wnt8 wird bei Wirbeltieren dem kanonischen Wnt-System zugeordnet. Wnt8
der Hydra entspricht in seiner Aminosäurenzusammensetzung weitgehend dem nicht-kanonischen Wnt11 der Wirbeltiere – Hobmayer, pers. Mitteilung). a3 und a4: Expressionsorte für weitere in der Evolution konservierte Gene, für sezernierte Faktoren (BMP, FGF), Elemente der Signaltransduktion (PKC) und für Transkriptionsfaktoren (BRACHYURY, GOOSECOID). Zu den Signalsystemen allgemein s. Kap 11. b Mehrfache Kopfbildung nach Stimulation des kanonischen WNT-Systems
luläre Enzym GSK-3, den Kern-residenten Transkriptionsfaktor TCF sowie den Co-Transkriptionsfaktor ˇ-CATENIN (s. Abb. 11.6). Schon in der Eizelle von Hydractinia liegen mRNAs für Elemente der WNT-ˇ-CATENIN-Signalkaskade am animalen Pol vor, aus dem der posteriore Pol der Larve und im Zuge der Metamorphose der Kopf des Primärpolypen hervorgeht. Nach verstärk-
ter Aktivierung des WNT-ˇ-CATENIN wird auch der anteriore Pol der Larve zu einem Kopfpol und der Primärpolyp hat alsdann zwei Köpfe (s. Abb. 9.5). Auch in adulten, noch wachsenden Polypen von Hydractinia wie auch von Hydra kann man durch Stimulation des WNT-Signalsystems die Entwicklung überzähliger Köpfe und sogar die Umwandlung des ganzen Körpers in ein tentakeltragendes Gebilde her-
4.3 Hydra und weitere Cnidarier: Unsterbliche Polypen und historische Pioniermodelle der Entwicklungsbiologie
vorrufen. Bei der asexuellen Bildung von Knospen und in Aggregaten zuvor dissoziierter Zellen wird das Auftauchen von Kopf-Organisationszentren durch Aktivierung ds WNT-Systems angekündigt. In der Knospe und im Aggregat aus dissoziierten Zellen und bei der Regeneration eines enthaupteten Polypen erscheint als erstes Indiz einer bevorstehenden Kopfbildung mRNA für ˇ-CATENIN und TCF, dann taucht im künftigen Mundfeld mRNA für WNT auf. Kolonien von Hydractinia (s. Abb. 4.17) entwickeln nach verstärkter Aktivierung des Systems Riesenknospen, aus denen vielköpfige Polypen hervorgehen. Die Bedeutung des WNT-Systems bei der Musterbildung und Musterkontrolle wird in Abschn. 10.9 eingehender erläutert. Es muss allerdings damit gerechnet werden, dass die Entwicklung so komplexer und lebenswichtiger Strukturen wie die eines Kopfes nicht nur durch ein einzelnes Signalsystem gesteuert wird, sondern durch ein mehrfach abgesichertes Netzwerk von Signalsystemen. Teilweise ähnliche Reaktionen wie nach Aktivierung des WNT-Systems können auch durch Aktivierung des PI-PKC-Signaltransduktionssystems (s. Abb. 11.5) hervorgerufen werden, beispielsweise mittels Diacylglycerol (s. Abb. 10.20). Die Neuorientierung von Zellbewegungen, wie sie die Bildung von Knospen einleiten, wird nichtkanonischen WNT-Systemen (s. Abb. 10.7) zugeschrieben. Es sind weitere Signalmoleküle und membranständige Rezeptoren für Signalmoleküle (z. B. ein FGF-R) entdeckt worden, welche gemäß ihrem Expressionsort und funktionellen Studien bei der Organisation der Kopfbildung beteiligt sind. Überraschenderweise ist in den Zellkernen im Umfeld des Mundes (D Urmundes) auch der Transkriptionsfaktor BRACHYURY (Abb. 4.16) zu finden, den man bei Wirbeltieren als spezifisch für mesodermale Anlagen ansieht und der besonders stark in der Chordaanlage exprimiert wird. Frage: Kann man den Kopf einer Hydra mit dem Kopf der Wirbeltiere gleichsetzen, oder entspricht er der Urmundregion, das heißt dem Hinterpol, der Wirbeltiere? Dies ist eine Frage, die seit Langem kontrovers diskutiert und nicht einheitlich beantwortet wird. Studien an dem Hydrozoon Podocoryne und dem Anthozoon Nematostella (s. Abschn. 4.3.8) haben erkennen lassen, dass der Mund der Cnidarier dem primären Urmund (Blastoporus) gleichzusetzen ist. Hingegen wird beim Seeigel und den Wirbeltieren der Blastoporus zum After und ein Mund bricht sekundär auf. Diese
75
Organismen sind Deuterostomier, nicht aber sind es die Cnidarier. Die Diskussion um die Homologisierbarkeit von Kopf und Mund wird im Schlusskap. 22, Abb. 22.12, wieder aufgegriffen.
4.3.7 Hydractinia: Bei diesem marinen Hydrozoon hatte 1883 August Weismann erstmals Stammzellen beschrieben und so benannt sowie die Begriffe Urkeimzellen und Keimbahn geprägt Marine Hydrozoen hatten einstmals in der Geschichte der Entwicklungsbiologie eine große Bedeutung. Viele damals bekannte Forscher wie Thomas Hunt Morgan führten Regenerationsstudien an Tubularia durch. In einem monumentalen, lange verschollenen und in Vergessenheit geratenen Werk über „Die Entstehung der Sexualzellen bei Hydromedusen“ hat 1883 der damals weltbekannte Freiburger Zoologe August Weismann (s. Box 1.1) Stammzellen beschrieben und als solche benannt. Der Begriff „Stammzellen“ taucht erstmals im Abschnitt über das Hydrozoon Hydractinia echinata auf. Auch weitere Grundbegriffe der Entwicklungsbiologie wie Urkeimzellen und Keimbahn (s. Kap. 8) sind erstmals in diesem und in folgenden Werken Weismanns (1883, 1892) formuliert worden. Hydractinia ist in den letzten Jahrzehnten zu einem weiteren Modellorganismus aus dem Stamm der Cnidarier geworden. Kolonien von Hydractinia finden sich im Nordatlantik einschließlich der Nordsee. Sie bewachsen bevorzugt Schneckenschalen, die von Einsiedlerkrebsen bewohnt sind. Der Lebenszyklus (Abb. 4.17) führt über eine im freien Wasser ablaufende Embryonalentwicklung zu einer Planulalarve, die sich im Zuge einer Metamorphose in einen Primärpolypen, den adulten Phänotyp, verwandelt. Der Primärpolyp ist Gründer einer neuen Kolonie, die schließlich aus mehreren hundert Polypen, einschließlich einer großen Zahl von Geschlechtspolypen besteht. Im Gegensatz zu Hydra, welche Geschlechtszellen nur bei ungünstigen Umweltbedingungen und in kleiner Zahl produziert und deren Embryonen in einer undurchsichtigen, derben Hülle verborgen sind, kann man von Hydractinia täglich befruchtete Eier in großer Zahl gewinnen. Die Embryonalentwicklung kann beobachtet, die Metamorphose der Planulalarve
76
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
Hydractinia echinata a
b
maternale Wnt3a-mRNA
zygotische Wnt3a-mRNA
c
Preplanula l a e n n o t y w i c k lu br Em ng Planula L
Spermium
eb en s L
li s a
le va
tio
n
ar
age 3T
Fer t i
Ei Oocyte
et a m o rp
3
–
M
24 Stunden
Meduse
Wnt3a-mRNA
d
Wnt3a-mRNA
se
ic
onate
ho
tw En
Gonophor
4M
k lu
ng
un d
lo Wachstum einer Ko
ni e
Stolone
Podocoryne carnea (Hydractinia carnea)
Kanäle
Nährpolyp = Gastrozooid Geschlechtspolyp = Gonozooid
Abb. 4.17 Hydractinia echinata, ein koloniales Hydrozoon des nördlichen Atlantiks, und Podocoryne (Hydractinia) carnea, eine Schwesterart aus etwas wärmeren Gewässern, die beide in freier Natur oft von einem Einsiedlerkrebs bewohnte Schne-
ckenschalen bewachsen, im Labor jedoch auf beliebigen Substraten gezüchtet werden können. Die zusätzlichen Figuren a–d zeigen das Expressionsmuster von WNT-3a
zum Primärpolypen zum beliebigen Zeitpunkt ausgelöst werden. In freier Natur wird die Metamorphose durch bestimmte Bakterien ausgelöst, die auf besiedlungswürdigen Substraten einen Biofilm bilden. Die Anwesenheit eines solchen Biofilms wird von den Planulalarven mittels chemosensitiver Sinnesnerven-
zellen wahrgenommen; diese setzen alsdann ein Neuropeptid frei, das die Vorgänge der Metamorphose auslöst und synchronisiert. Im Labor kann man diese Sinneszellen mittels Caesium-Ionen depolarisieren (reizen) und dadurch die Metamorphose zu beliebiger Zeit künstlich auslösen.
4.3 Hydra und weitere Cnidarier: Unsterbliche Polypen und historische Pioniermodelle der Entwicklungsbiologie
77
Gonozooid (Geschlechtspolyp) Oocyten Gastrozooid (Nährpolyp)
i-Zellen (Stammzellen)
Chitin
entodermale Kanäle
Ektoderm
Abb. 4.18 Hydractinia: Struktur einer Kolonie und Orte, in denen interstitielle Stammzellen sich vermehren und wandern. Ein Teil der Stammzellen immigriert in die Gonozooide und wir zu Urkeimzellen.
Kolonien von Hydractinia haben die Fähigkeit, genetisch fremde, um das Substrat konkurrierende Kolonien als fremd zu erkennen und zu vernichten. Erkennung beruht auf membrangebundenen polymorphen Molekülen der Immunglobulinklasse. Somit ist Hydractinia auch zu einem Modell für das Erkennen genetisch fremden Gewebes und für immunbiologische Fragen geworden Besonderes Interesse gilt den interstitiellen Stammzellen (i-Zellen, Abb. 4.18). Unter diesen befinden sich totipotente Stammzellen. Der Nachweis gelang experimentell: Kolonien wurden durch Behandlung mit Cytostatica (Mitomycin C) ihrer i-Zellen beraubt, was sie begrenzte Zeit überleben. Nach dem Verlust all ihrer eigenen i-Zellen wurden i-Zellen von Spenderklonen eingeführt, deren Wachstum durch Mutationen in auffälliger Weise phänotypisch verändert war (die z. B. vielköpfige Polypen bildeten) und ein anderes Geschlecht als der Empfänger hatten. Die Empfänger wandelten sich im Laufe der Zeit vollständig in Spendertiere um. Durch artifizielle (ektopische) Expression eines Pluripotenzgens in Epithelzellen ließen sich diese in pluripotente i-Zellen verwandeln; sie bild eten Neoplasien, das heißt Tumor-ähnliche Agglomerate. Der Status der Differenzierung ist bei Cnidariern nicht immer irreversibel festgelegt. Transdifferenzierungsvorgänge (Kap. 18) werden an isolierten quergestreiften Muskelzellen von Medusen, z. B. der zu den Hydractiniiden zählenden Art Podocoryne carnea (Mittelatlantik, Mittelmeer) gemacht. Im Gegensatz zu Hydractinia erzeugt Podocoryne an ihren Geschlechtspolypen Medusen die sich ablösen und mittels quergestreifter Muskelzellen schwimmend fortbewegen. Isolierte quergestreifte Muskelzellen werden, wenn sie
keinen Kontakt zur Mesogloea (extrazelluläre Basallamina) haben, durch Transdifferenzierung zu anderen Zelltypen (s. Abb. 18.13), auch zu Geschlechtszellen.
4.3.8 Weitere Cnidarier: Nematostella vectensis Neben den genannten Hydrozoen, Hydra, Hydractinia und Podocoryne hat sich ein weiterer Cnidarier als Modellorganismus in den Vordergrund geschoben. Es ist die kleine, ca. 2 cm lange Seeanemone Nematostella vectensis (s. Abb. 4.1), die eingegraben im Sediment in brackigen Flussmündungen Englands und Amerikas lebt und auch im Labor geschlechtsreif wird. Seeanemonen gehören wie die Korallen zur Klasse der Anthozoen. Die Anthozoen, welche keine Medusen (quallenhafte Schwimmformen) hervorbringen, gelten als die urtümlichsten Vertreter des Tierstammes der Cnidarier. Die Embryonalentwicklung ist „normgerecht“; die Gastrulation erfolgt nach dem Urtypus der Invagination (s. Abb. 2.5) – entgegen der extremen Vielfalt an Gastrulationstypen bei Hydrozoen. Allerdings erfolgt diese Invagination an dem Pol der Blastula, an dem zuvor die reifende Oocyte die Polkörper abgeschnürt hatte, und nicht wie beim Seeigel am gegenüberliegenden Pol. Definitionsgemäß wird folglich bei Nematostella der Gastrulationspol „animaler“ Pol genannt; dass dies erhebliche Schwierigkeiten bei evolutionsgeschichtlichen Betrachtungen bereitet, wird in Box 22.2 mit der dortigen Abb. 22.12 erläutert. Ungeachtet dieser definitorischen Problematik wird auch bei Nematostella wie beim Seeigel im Umfeld des Urmundes ˇ-CATENIN in die Kerne aufgenommen und
78
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
WNT exprimiert. Der Urmund der Planulalarve wird zum definitiven Mund des fertigen Anemonenpolypen; er ist also, so betrachtet, ein Protostomier. Stammzellen sind bei Nematostella noch nicht beschrieben worden. Ein Überblick über den Genbestand der Cnidarier hat Unerwartetes erkennen lassen: Bereits die Cnidarier haben zahlreiche Gene, die in sequenzhomologer Form erstmals bei Wirbeltieren einschließlich des Menschen identifiziert worden waren. Es sind dies insbesondere Gene für Signalsubstanzen, Signaltransduktionssysteme (Kap. 11) und Genaktivitäten regulierende Transkriptionsfaktoren. Cnidarier gleichen in Hinblick auf ihren Bestand an bestimmten Gengruppen oftmals mehr den Wirbeltieren als die im Folgenden vorgestellten wirbellosen Modellorganismen Caenorhabditis elegans und Drosophila melanogaster.
kann. Die Zellgenealogie (cell lineage) von C. elegans ist komplett aufgeklärt. Voraussetzungen dafür waren, dass bei Nematoden der Zellstammbaum weitgehend invariant, d. h. bei jedem Individuum und von Generation zu Generation (bis auf gelegentliche minimale Variationen) gleich ist, und damit die Entwicklung stets mit einer definierten Zahl von Zellen endet (Zellkonstanz).
4.4 Caenorhabditis elegans: ein Beispiel für invariante Zellstammbäume 4.4.1 Ein kleiner Fadenwurm (Nematode) mit äußerst präzise programmiertem Entwicklungsgang macht Karriere im Labor Es war der Molekularbiologe Sydney Brenner, der Mitte der 1960er Jahre den kleinen, ca. 1 mm langen Wurm aus der Gruppe der Nematoden (Abb. 4.19) zu einem anerkannten Referenzmodell der Entwicklungsbiologie werden ließ. Caenorhabditis elegans, meistens C. elegans abgekürzt, ist zum Untersuchungsobjekt der Genetiker, Molekularbiologen, Zellbiologen und Neurobiologen geworden – dank einer Reihe erwünschter Eigenschaften: C. elegans ist leicht in großer Menge zu züchten, die Generationsfolge ist kurz (ca. 3,5 Tage), der Wurm ist transparent und seine innere Anatomie einfach; genetische Analysen sind möglich, Mutanten leicht zu gewinnen. Die nur 12 Stunden (bei 25 ı C) währende Embryonalentwicklung läuft mit der Präzision eines Uhrwerks und nach einem festgelegten Muster ab. Ausgehend von der befruchteten Eizelle kann bei genauer Betrachtung ein Stammbaum aller somatischen Zellen erstellt werden, den ein nachfolgender Forscher als Referenz für seine eigenen Untersuchungen heranziehen
4.4.2
C. elegans erlaubt eine ausgeklügelte Genetik. Ein kurzer Lebenslauf führt zu Zwittern oder zu Weibchen und Männchen; man kann Mutanten herstellen und kreuzen
C. elegans lebt in freier Natur in ähnlichem Milieu wie die Amöben von Dictyostelium. Feuchte Böden mit viel verrottendem Material und reicher Bakterienflora sind dem Würmchen wie den Amöben eine Freude. Im Labor zieht man erst in Agarschalen Bakterienrasen heran und lässt diese dann von C. elegans abweiden. Die abgelegten „Eier“ sind Eischalen, in denen sich Embryonen oder schon schlüpffähige Jungwürmer befinden. Die geschlüpften Jungwürmer durchlaufen vier durch Häutungen getrennte Larvalstadien und sind nach der vierten Häutung im Alter von nur 4 Tagen geschlechtsreif. Nach 2–3 Wochen ist ihr Leben zu Ende. Die Würmchen sind im Regelfall Hermaphroditen (Zwitter). In ihren Geschlechtschromosomen repräsentieren diese Zwitter den XX-Typ, in ihrem Habitus und ihrer Anatomie sind sie weiblich, doch produzieren sie in ihren schlauchförmigen Gonaden neben Eiern, die aus einem syncytialen Ovar hervorgehen, auch Spermien. Passiert ein Ei die Spermathek, fusioniert es mit einem Spermium. Diese Selbstbesamung führt zu Inzucht; deshalb ist die genetische Varianz zwischen den Nachkommen sehr gering. Durch gelegentliches Non-Disjunction (fehlende Aufteilung) in der Meiose der Keimzellen treten Spermien statt, wie im Normalfall, mit einem X solche mit XX und Spermien gänzlich ohne X (0-Spermien) auf. Fusioniert ein 0-Spermium mit einer Eizelle (die stets ein XChromosom mitbringt), entstehen Individuen mit einer X0-Konstitution, und diese werden zu Männchen. Dies tritt bei einem von ca. 700 Nachkommen auf. (Die komplementären XXX-Individuen sind letal.) Die Männchen paaren sich mit Zwittern, die dabei als ♀
4.4 Caenorhabditis elegans: ein Beispiel für invariante Zellstammbäume
79
Caenorhabditis elegans Pharynx
ZNS
Spermathek Befruchtung
Embryonalentwicklung im Uterus
Ovarien
Vulva
Uterus
Spermathek
Jungwurm Abb. 4.19 Caenorhabditis elegans (C. elegans), ein Nematode
fungieren. So lassen sich auch fremde Allele einkreuzen. Mutanten können mittels mutagener Substanzen hergestellt werden oder mittels transposabler Elemente, die man in die syncytiale Gonade injiziert und die bei Insertion in ein Gen oder in die Promotorregion eines Gens dessen Funktion zerstören können (s. Kap. 12 und Kap. 13). Eine rezessive Mutation, die in einem Hermaphroditen heterozygot vorliegt, wird nach Selbstbefruchtung in der übernächsten Generation (F2) bei einem Viertel der Individuen homozygot vorhanden sein und daher phänotypisch zum Vorschein kommen.
4.4.3 In der Embryonalentwicklung entstehen über exakt festgelegte Zellstammbäume Individuen mit stets gleicher Zellenzahl; zur Zellkonstanz trägt auch programmierter Zelltod bei Die Embryonalentwicklung findet im Uterus der Zwitter statt. Da die Elterntiere wie die Embryonen durchsichtig sind und die Embryonen ohne Schaden auch aus dem Uterus herausgeholt werden können, war eine genaue Beobachtung der Zellteilungsfolge möglich. Eine für solche Studien gern benutzte Hilfsmethode war die Injektion fluoreszierender Farbstoffe. Heutzutage werden gerne Reportergene (s. Kap. 12 und Kap. 13) in Blastomeren eingeschleust, womit nicht nur diese Blastomeren selbst, sondern auch ihre Abkömmlinge markiert werden. Zum Ausschalten ein-
zelner Zellen kann der Laser-Mikrostrahl eingesetzt werden. Ergänzt wurde die deskriptive Analyse durch die sorgfältige Untersuchung zahlreicher Mutanten, die in ihrer Zellgenealogie gestört sind. Ein Wurm schlüpft nach Beendigung der Embryonalentwicklung mit 556 somatischen Zellen und 2 Keimzellen. Nach der letzten Larvalhäutung hat der fertig entwickelte, geschlechtsreife Wurm 959 somatische Zellen und etwa 2000 Keimzellen, wenn er zwittrig ist, oder 1031 somatische Zellen und etwa 1000 Keimzellen, wenn er ♂ ist. Das Nervensystem besteht aus 302 Nervenzellen. Sie gehen aus 407 Vorläuferzellen hervor. Für die Reduktion der Zahl von definitiven Nervenzellen gegenüber der Zahl der Vorläufer ist programmierter Zelltod (Apoptose; s. Kap. 14) verantwortlich. Programmierter Zelltod wird auch in anderen Zell-Linien beobachtet.
4.4.4
Besondere Beachtung verdient ein Stammbaum, der zu den Urkeimzellen führt: die Keimbahn
Die Zellteilungen im frühen Embryo sind häufig asymmetrisch; d. h. die beiden Tochterzellen einer Gründerzelle gehen unterschiedlichen Schicksalen entgegen. Besonders eindrucksvoll bei Nematoden ist die Keimbahn, d. h. jene Folge von Zellgenerationen, die von der befruchteten Eizelle hinführt zu den Keimzellen (Abb. 4.20). Die Zellen, die direkt in dieser Linie liegen, heißen P bis P4 ; die Zelle P4 ist die Urkeimzelle, das heißt die Stammzelle aller Keimzellen. Die bei den asymmetrischen Teilungen erzeugten Ge-
80
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose Notch-Rezeptor
ABp
Notch
Delta-Signal Delta
ABa
P2
amöboides Spermatozoon
Wnt
EMS
Wnt-Signal (MOM2)
Wnt-Rezeptor (Frizzled, MOM5)
Min 0 30
P0
AB ABa
P1 P2
EMS
ABp
60 MS
E
C
P3
90
D Pharynx HautmuskelMuskeln schlauch Drüsen Pharynx Nervenzellen Nervenzellen (80 Zellen) (389 Zellen)
Hautmuskel- Muskeln schlauch (20 Zellen) Muskeln 2 Nervenzellen (20 Zellen) (47 Zellen) Entoderm (Darm)
P4 Keimzellen
Abb. 4.20 Zellgenealogie (cell lineage) von C. elegans und Signalsysteme, die im 4-Zellenstadium wirksam sind. Die P2Zelle wirkt auf ihren ABp-Nachbarn ein mittels des Membrangebundenen DELTA-Signals, das von der ABp-Zelle mittels eines NOTCH-Rezeptors empfangen wird. Auf die Zelle EMS richtet P2 ein WNT-Signal; der das Signal auffangende Rezeptor von EMS ist als FRIZZLED bekannt. Die Literatur zu C. elegans benutzt allerdings aus Tradition meistens andere Na-
men. DELTA heißt auch APX-1, NOTCH auch GLP-1; WNT heißt MOM-2, FRIZZLED MOM-5. Die Signale bestimmen das weitere Schicksal der angesprochenen Zellen. Die generelle anterio-posteriore Polarität war vom Spermatozoon bestimmt worden, das sich bei C. elegans wie eine Amöbe bewegt und an einem der beiden Eipole, dem künftigen Vorderpol, die Eizellmembran durchdringt
schwisterzellen werden Somazellen, d. h. Zellen, die zum Aufbau des Körpers und seiner Gewebe benutzt werden. Die Keimbahnzellen erhalten ein besonderes Erbe: Nur ihnen werden die cytoplasmatischen P-Granula (Keimbahn-Granula) zugeteilt; die somatischen Zellen gehen leer aus. Diese P-Granula haben keine sie umschließende Membran und enthalten als Komponenten Proteine verschiedene RNA-Spezies sowie Mitochondrien. Sie entsprechen den Keimbahngranula in anderen Organismen, beispielsweise den Granula des Anneliden Platynereis (Abschn. 4.5.3) und des Krallenfrosches Xenopus (s. Abb. 8.3). Von einigen Komponenten der P-Granula ist bekannt, dass sie vorhanden sein müssen, damit die Keimbahn schließlich auch zur Pro-
duktion von Keimzellen führt. Eine Kompenente, die im ganzen Tierreich auftaucht und die Stammzellen der Keimbahn markiert ist das Produkt des Gens vasa. Das VASA-Protein (bei C. elegans GLH-1 genannt) ist eine RNA-Helicase, die RNA bindet und entwindet. In den Endstationen der Keimbahn, den Keimzellen heften sich die P-Granula an die Poren der Kernmembran. Dies lässt vermuten, dass Komponenten der Granula beim Export und Import von Molekülen durch die Kernporen beteiligt sind. Bei etlichen anderen Nematoden, so bei den Spulwürmern Parascaris univalens und Ascaris suum, bleiben nur in der Keimbahn die Chromosomen völlig intakt, während im Zuge der asymmetrischen Teilungen die jeweilige Somazelle einen Teil des Chro-
4.4 Caenorhabditis elegans: ein Beispiel für invariante Zellstammbäume
mosomenmaterials verliert (Chromatindiminution). Die mögliche Bedeutung dieses seltsamen Schauspiels wird in Abschn. 12.6.2 diskutiert. Wir kehren zurück zu C. elegans, wo Chromatindiminution nicht vorkommt. Die Analyse des Zellstammbaums und aller seiner Verzweigungen hat ergeben, dass der Darm von einer einzigen somatischen Gründerzelle, der E-Zelle, hervorgebracht wird. Im Zuge der Differenzierung bilden die Darmzellen Rhabditingranula (unbekannter Funktion), die im Polarisationsmikroskop aufleuchten und dadurch den sich entwickelnden Darm hervorheben. Rekonstruiert man aber die Stammbäume aller somatischen Zellen, so findet man, dass eine Zuordnung eines bestimmten Organs, Gewebes oder Zelltyps zu einer einzelnen Gründerzelle, wie sie in der zum Darm führenden E-Linie beobachtet wird, nicht die Regel ist. Nerven- und Muskelgewebe sind, wie es in der Fachsprache heißt, polyklonalen Ursprungs: Nervenzellen gehen zurück auf Gründerzellen, deren Abkömmlinge teilweise auch Muskelzellen werden. Die Muskeln des Hautmuskelschlauches gehen ihrerseits auf drei verschiedene Gründerzellen zurück, die jeweils auch noch andere Gewebe liefern (Abb. 4.20). Zur Nomenklatur: Die Fachsprache gebraucht hier in der Regel den Ausdruck „Gründerzellen“ und nicht „Stammzellen“, weil von den zwei Tochterzellen einer Stammzelle, die der üblichen Definition gehorcht, eine Tochterzelle Stammzelle bleibt und nur die andere der Differenzierung entgegengeht. Die Tochterzellen von Gründerzellen können jedoch beide den Weg zur Differenzierung einschlagen. Außerdem behalten die Stammzellen einer Hydra oder der Wirbeltiere auch im adulten Tier ihre Teilungsfähigkeit und können deshalb zeitlebens neuen Nachschub an Zellen erzeugen. Bei C. elegans sind nur die Urkeimzellen Stammzellen solcher Art (zu Stammzellen allgemein s. Kap. 18).
4.4.5 Nicht allein die Genealogie der Zellen ist entscheidend; anfänglich herrschen Wechselwirkungen zwischen benachbarten Zellen vor Wegen der Präzision, mit der in C. elegans Zellstammbäume rekonstruiert werden können, glaubte man lange, dieser Nematode gehöre mit Recht zu jenen Organismen, denen die klassische Entwicklungsbiologie
81
eine „autonome“ oder Mosaikentwicklung zugeschrieben hatte. Schon im ungefurchten Ei lägen sichtbare cytoplasmatische Komponenten (wie die P-Granula) oder unsichtbare Determinanten in einem präzisen Muster vor und würden im Zuge der Furchung den Gründerzellen zugeteilt; ihr Schicksal und das ihrer Nachkömmlinge sei damit festgelegt. Unterstützt wurde diese Auffassung durch erste Experimente: Werden bestimmte Blastomeren gezielt abgetötet, bleiben irreparable Schäden. Mittlerweile weiß man jedoch, dass das Schicksal der Zellen nicht allein von ihrer Genealogie bestimmt wird, sondern in hohem Maße von – allerdings sehr frühen und sehr präzisen – Zellinteraktionen. Diese beruhen (überwiegend oder stets) auf membranständigen Signalmolekülen, die an Rezeptormoleküle der Nachbarzellen binden. Zwei solche, bereits im 4-Zellenstadium eingerichtete Signalsysteme seien genannt, weil sie im ganzen Tierreich verbreitet sind: das NOTCH/DELTA-System und ein WNT-System. DELTA (bei C. elegans auch APX-1 genannt) und WNT (bei C.elegans MOM2) bezeichnen die Signale, NOTCH (GLP-1) und FRIZZLED (MOM5) die zugehörigen Rezeptoren. (Näheres zu diesen vielfach in der Embryonalentwicklung zur Steuerung der Differenzierung benutzten Signalsystemen s. Kap. 11, Abb. 11.6.)
4.4.6
Nach Programmierung des Zellschicksals führen weitreichende Zellwanderungen Zusammgehörendes zusammen; dies ist ein besonderer Fall biologischer Musterbildung
Verschiebt man die Position einer Blastomere von einem Ort an einen anderen, so kann diese Blastomere in Abhängigkeit von ihrer neuen Umgebung einen anderen Lebensweg einschlagen. Jedoch ist schon im 28-Zellenstadium das Schicksal der Zellen festgelegt. Dann kann eine abgetötete Zelle nicht mehr verschmerzt werden. Erstaunlicherweise kommt es vor und nach dem 28-Zellenstadium zu ausgedehnten Verschiebungen in der Position der einzelnen Zellen, wobei Zellen gleichen Schicksals sich in Gruppen zusammenfinden. Es liegt ein ungewöhnlicher Modus der Musterbildung vor: Zellen erhalten ihr Schicksal oftmals weit entfernt von ihrem definitiven Bestimmungsort zugewiesen; dann machen sie sich auf den
82 Abb. 4.21 Spiralfurchung bei rechts und links gewundenen Schnecken. Adaptiert nach Morgan (1927)
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
linksgewunden
1B
B
AB C
1C
A CD
D
AB
B
4B
4A
4C
4d 4D
1 d 1A 1D
1B
A CD
4A
C D
1A
4B
1C 1D
4D
4d
4C
rechtsgewunden
Weg, um sich jenen Zellen anzugliedern, die gleiches Schicksal haben oder ihre Nachbarn sein sollen.
4.4.7 C. elegans war der erste tierische Organismus, dessen Genom vollständig sequenziert worden ist; und er ist für Genmanipulationen mancherlei Art zugänglich C. elegans ist klein und vergleichsweise einfach gebaut, und die Gesamtmenge an DNA beträgt nur ca. 1=38 des menschlichen Genoms. Deshalb wurde früh die Sequenzierung des Genoms in Angriff genommen; das Projekt wurde 1998 abgeschlossen, und damit war erstmals das Genom eines tierischen Organismus vollständig sequenziert. Die Suche nach potenziell Protein-codierenden Genen (vermutete Startcodons mit anschließendem offenen Leseraster) hat ergeben, dass der kleine Nematode mit 19.000 Genen augenscheinlich mehr, jedenfalls nicht weniger, Gene hat als die Fliege Drosophila, und nicht viel weniger als der Mensch. Man kann Gene ausschalten, indem in die syncytiale Kammer der Gonade Transposons injiziert werden, die (in unkontrollierbarer Weise) in Gene einspringen und ihr Leseraster zerstören. Eine andere Möglichkeit, Genfunktionen auszuschalten, ist die Injektion doppelsträngiger RNA (dsRNA), welche eine Kopie des ins Visier genommenen Gens enthält. Diese RNA-Interferenz (RNAi)genannte Methode bewirkt in einem komplexen Me-
chanismus die Zerstörung der entsprechenden zelleigenen mRNA (s. Kap. 12; Abb. 12.8). Durch Einschleusen neuer Gene können auch transgene Tiere hergestellt werden. In die syncytiale Gonade injizierte Genkonstrukte werden als extrachromosomale Elemente in die Oocyten aufgenommen. Freilich sind solche Transgene oft nicht stabil; doch kann eine vorübergehende Aktivität des eingeführten Gens ausreichen, wichtige Hinweise auf seine Funktion zu gewinnen. Nun konzentriert sich das Bemühen der Forscher darauf, herauszufinden, wann welche Proteine im Lauf der Entwicklung exprimiert werden und welche Funktion diese Proteine erfüllen. Nach dem Genom wird nun also das Proteom (Proteomics) analysiert.
4.5
Spiralier: ein in der Natur oft benutztes Furchungsmuster
4.5.1
Spiralfurchung kennzeichnet mehrere wirbellose Tierstämme
Spiralfurchung (Abb. 4.21, auch Abb. 2.4) kommt in mehreren Tierstämmen vor: Im Stamm der Plathelminthen bei den polycladen Turbellarien, im Stamm der Nemertinen, der Anneliden und der Mollusken (mit Ausnahme der Tintenfische). Man fasst diese Stämme als Spiralier zusammen. Oft mündet die Embryonalentwicklung der Spiralier in der Trochophora (Abb. 4.22) oder einer der Trochophora ähnlichen Larve.
4.5 Spiralier: ein in der Natur oft benutztes Furchungsmuster
apikaler Schopf Larvalauge Muskelzellen Darm Prototroch (Wimpernband) Mund
Metatroch
Protonephridium Mesoblastenbänder Mesoteloblast
Abb. 4.22 Trochophora-Larve eines Anneliden, schematisiert
4.5.2
Die Gründerzelle 4d lässt das Mesoderm hervorgehen
Wie bei dem Nematoden C. elegans kann auch bei den typischen Spiraliern eine strenge Zellgenealogie rekonstruiert werden. Besonderes Interesse haben stets die Zelle D des Vierzellstadiums (Zellen A, B, C, D) und ihr späterer Abkömmling 4d beansprucht. Die Zelle 4d ist der Urmesoblast oder Mesoteloblast (Abb. 4.22), aus dem die mesodermalen inneren Organe hervorgehen. Bei vielen Muscheln und Schnecken, und besonders auffällig beim Scaphopoden Dentalium (Meerzahn), wird im Rhythmus der Furchungsteilungen nahe dem vegetativen Pol periodisch ein blasenförmiger Pollappen ausgestülpt und wieder eingezogen. Diese pulsierende Blase hängt an den Zellen der Linie von D bis d und enthält Komponenten, die für die spätere Mesodermbildung essenziell und bestimmend sind. Wird der Pollappen abgetrennt und mit der Zelle A zur Fusion gebracht, so verliert die D-Zelle die Fähigkeit, das Mesoderm hervorzubringen, stattdessen hat die mit dem Pollappen verschmolzene Zelle A die Fähigkeit zur Mesodermbildung erhalten.
4.5.3 Platynereis dumerilii: ein Ringelwurm mit Modellcharakter Unter den Spiraliern beginnt der Polychaet (Vielborstenwurm) Platynereis dumerilii (Abb. 4.23) aus dem Stamm der Anneliden und der Familie der Nereiden die Rolle eines dominierenden Modellobjekts zu übernehmen. Er ist damit zugleich ein Exponent der Stam-
83
mesgruppe der Lophotrochozoa (Abb. 4.1). Platynereis ist im marinen Bereich zu Hause, ist aber, wie es sich für einen guten Modellorganismus gehört, gut im Labor zu halten und zu züchten. Die transparenten, im erwachsenen Zustand 5–6 cm langen Würmchen sind mit vielen Paddelfüßchen (Parapodien) ausgestattet. Im hinteren Teil des Körpers werden die Parapodien zu Schwimmpaddeln, wenn die Würmchen geschlechtsreif werden und sich anschicken, in einer Neumondnacht an die Wasseroberfläche zu emporzusteigen, um dort, lebhaft in Kreisen schwimmend, ihre Eier oder Spermien ins freie Wasser zu entlassen. Das geschieht allerdings nur einmal im Leben. Nach dem Ablaichen sterben die Tierchen ab. Die zuvor abgesetzten etwa 600 Eier furchen sich nach dem Spiraltypus; der langgestreckte Urmund der Gastrula gibt Ursprung sowohl für den definitiven Mund wie für den After, wie dies Theoretiker für die hypothetischen Urbilateria postulieren (s. Abb. 22.13). Der Embryo wird im Verlauf der Gastrulation mit zwei Paaren von Urmesoblasten ausgestattet, die sich von der Furchungszelle 4d ableiten. Die Gastrula entwickelt sich zu einer Trochophoralarve. Wie bei allen Modellorganismen werden auch bei Platynereis umfangreiche Studien zur Expression entwicklungsrelevanter Gene gemacht. Ein Ziel ist es, den hypothethischen Urbilaterier zu rekonstruieren und den Bestand an Genen und deren Expressionsmuster mit denen der Wirbeltiere zu vergleichen. Es wurden bereits überraschende Übereinstimmungen in der Entwicklung der Lichtrezeptoren der Augen und neurosekretorischen Zellen des Gehirns gefunden (s. Literaturliste). Andere, allerdings stärker abgeleitete und nicht so leicht züchtbare Vertreter der Anneliden, die Herberge in entwicklungsbiologischen Labors fanden, sind die Röhrenborstenwürmer Capitella und Chaetopterus und die tropischen, blutsaugenden Egel Helobdella und Haementeria. Bei Egelkeimen ist es durch Injektion von Markierungssubstanzen (Fluoreszenzfarbstoffe, Meerrettich-Peroxidase) gelungen, den Stammbaum des ganzen Nervensystems zu rekonstruieren. Von den ersten 4 Zellen liefern die Blastomeren A, B, C das Entoderm, also den Darm; die Zelle D ist Ursprung eines Zellklons, der zum Mesoderm wird, und eines zweiten, der sich in die Subklone für Ektoderm und für das Nervensystem spaltet. Man hat auch die neuronale Verschaltung über die auswachsenden Nervenfasern beobachtet. Von Mollusken werden gern die Keime der Süßwasserschnecke Lymnea, der marinen Schnecken Littorina und Ilyanassa, der Land-Nacktschnecke Bithynia, des Scaphopoden Dentalium und der Muschel Spisula untersucht. Bei Spisula fand wie beim Seeigel die Eiaktivierung besonderes Interesse.
84
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
Abb. 4.23 Lebenszyklus von Platynereis dumerilii, einem Polychaeten (Vielborstenwurm) aus dem Stamm der Anneliden
geschlechtsreifes Weibchen mit Oocyten in Leibeshöhle
1D 1c
1d
1b
1a
Embryo
Platynereis dumerilii
Trochophora
weidender Wurm
Nectochaeta
4.5.4
Einheit und Vielfalt: Trotz gleichartiger frühembryonaler Entwicklung lässt die spätere Entwicklung eine große Vielfalt an Formen entstehen
4.6
4.6.1 Die Spiralier im Allgemeinen und die Anneliden im Besonderen wären vorzüglich geeignet, um einer interessanten evolutionsgeschichtlichen Frage nachzugehen: wie aus einheitlichen Ursprüngen biologische Diversität entsteht. Trotz einer gleichartigen frühen Embryonalentwicklung entwickeln sich im weiteren Verlauf recht unterschiedlich konstruierte und gegliederte Formen. Wie Verwandschaftsbeziehungen in Verbindung mit Genomvergleichen aus der frühen Embryonalentwicklung abgeleitet werden können, wird im Kap. 22 diskutiert.
Drosophila melanogaster: Referenzorganismus der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie Eine kleine Fliege, deren Genom immerhin fast halb so viele Gene enthält wie das Genom des Menschen, macht Geschichte
Mancher Laie fragt sich: Wie kann ein(e) Forscher(in) sich zeitlebens mit einer kleinen Fliege beschäftigen und dafür auch noch den Nobelpreis für Medizin bekommen (1933: T. H. Morgan; 1995: E. B. Lewis, C. Nüsslein-Volhard, E. Wieschaus), wenn öffentlich geförderte Forschung doch dem Menschen zugute kommen sollte? Es hat selbst Genetiker und Entwick-
4.6 Drosophila melanogaster: Referenzorganismus der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie
lungsbiologen verblüfft, dass viele der in Drosophila identifizierten entwicklungssteuernden Gene in ähnlicher (homologer) Form auch im Menschen wirksam sind. Obzwar bereits T.H. Morgan die Taufliege Drosophila melanogaster zum erfolgreichsten Modell der Genetik eines eukaryotischen Organismus gemacht und E.B. Lewis schon 1978 die Komplexe der homöotischen Gene (s. Abschn. 4.6.15) vorgestellt hatte, haben erst Forschungsprojekte der letzten 5 Jahrzehnte Drosophila auch zu einem der bedeutsamsten Referenzmodelle der Entwicklungsbiologie werden lassen. Zwei komplementäre Forschungsansätze waren besonders erfolgreich: die Suche nach spezifischen, entwicklungssteuernden Genen mittels Mutagenese durch Christiane Nüsslein-Volhard und Eric Wieschaus sowie die zahlreichen molekularbiologischen Studien, die sich anschlossen und sich bemühten, solche entwicklungssteuernde Gene zu identifizieren, zu klonieren, zu sequenzieren, zu verändern und die Funktion der von diesen Genen codierten Proteine aufzuklären. Nach dem Genom von C. elegans war auch bald das von Drosophila vollständig durchsequenziert. Es enthält nach Computer-gestütztem Durchmustern der Gesamtsequenz 13.601 proteincodierende Gene, von denen ca. 5000 für die Entwicklung unerlässlich sind. Wenn beide Allele eines dieser 5000 Gene defekt sind, entsteht keine lebensfähige Fliege; der Embryo oder die Larve stirbt ab. Ausgesprochen entwicklungssteuernd sind indes nur ca. 100 Gene. Bevor weiter auf entwicklungssteuernde Gene eingegangen wird, sei zuerst der Lebenslauf der Taufliege (Essigfliege, neuerdings meistens Fruchtfliege genannt, weil sie im Englischen fruit fly heißt) vorgestellt.
85
DROSOPHILA I Tag 0
Befruchtung Eiablage Ei Embryonalentwicklung
1 Tag
Schlüpfen
Larve I 5 Tage
Häutung Larve II
Häutung
Larve III
Häutung Verpuppung
Puppe
9 Tage
Metamorphose
Imago Fliege
4.6.2 Ein kurzer Lebenslauf: In 24 Stunden ist die Embryonalentwicklung abgeschlossen
Abb. 4.24 Drosophila melanogaster. Lebenslauf
Der gesamte Entwicklungszyklus der Taufliege (Abb. 4.24) von Eiablage zu Eiablage dauert bei 25 ı C ca. 2 Wochen: Nur einen Tag beansprucht die Embryonalentwicklung; in fünf bis sechs Tagen werden die drei durch Häutungen getrennten Larvenstadien durchlaufen; fünf Tage dauert die innerhalb der Puppenkutikula ablaufende Metamorphose zur Fliege. Im
Labor lebt dann die Fliege einige Wochen, wenn es das Laborpersonal gestattet. Viele Besonderheiten der Entwicklung sind Ausdruck des „Bemühens“ der Natur, die Embryonalentwicklung so rasch wie möglich ablaufen zu lassen. Drosophila hat ein besonders effektives Verfahren entwickelt, in großer Schnelligkeit entwicklungsfähige Eizellen herzustellen.
86
4.6.3 In der Oogenese füttern Ammenzellen die Oocyte, und es wird detaillierte Vorsorge für die Zukunft getroffen
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose 1 1
1
2
5
1
3
6
4
7
2
4
8
2 3
Oogonie 4 Mitosen 13 9 10 14
Schon bei der Herstellung der Eizelle werden Vorbereitungen für eine rasante Embryonalentwicklung getroffen. So mancher Befund der entwicklungsbiologischen Genetik, speziell die herausragende Bedeutung der maternalen (maternellen, mütterlichen) Information, wird nur verständlich, wenn man weiß, dass die Fliegenmutter bei der Herstellung des Eies in der Oogenese für den künftigen Embryo besonders umfangreiche Vorsorge trifft. Die Eier werden in Schläuchen hergestellt, den Ovariolen (Abb. 4.25), die durch Querwände in Kammern gegliedert sind. Die Zellen der Kammerwände heißen Follikelzellen, in Analogie zu den Follikelzellen im Ovar der Säuger. In jeder Kammer befindet sich eine weibliche Urkeimzelle D Oogonium oder Oogonie. Die Oogonie teilt sich in vier mitotischen Teilungsschritten in 16 Zellen, die durch cytoplasmatische Schläuche, Fusome genannt, miteinander verbunden bleiben. Zwei der im Inneren der 16erGruppe liegenden Zellen sind über 4 Fusome mit 4 Geschwisterzellen verbunden; eine dieser zwei Zellen wird zur Oocyte, der Ei-Vorläuferzelle; ihre 15 Geschwisterzellen werden zu Nährzellen D Ammenzellen und gruppieren sich an einem Pol der Oocyte zum Nährfach. Während die Oocyte zunächst diploid bleibt und später im Zuge der Meiose haploid wird, werden die 15 Nährzellen polytän, d. h. die DNA der Chromosomen wird durch wiederholte Replikationsrunden multipliziert (ohne dass die vervielfältigten DNA-Stränge auf verschiedene Chromosomen verteilt würden). Diese Polytänisierung spiegelt die besondere Versorgungsfunktion der Nährzellen wider: Sie sind transkriptionell besonders aktiv, produzieren in großer Menge rRNA zur Herstellung zahlreicher Ribosomen, und erzeugen viele unterschiedliche mRNA-Transkripte, die in RNP-Partikeln verpackt werden. Ribosomen und RNP-Partikel werden aus den Nährzellen ausgeschleust, über die Fusome in die Oocyte verfrachtet und so dem Ei für die rasche Bewältigung der Embryonalentwicklung zur Verfügung gestellt. In der späten Oogenese werden der Oocyte auch Dottermaterialien, Vitellogenine und Phosphovitine zugeführt. Diese Materialien werden im Fettkörper des mütterlichen Organismus produziert, in die
Oogonien
5
1
2
6
7
3
4
8
15 11 12 16
16
Follikelzellen Nähr
zelle
n
Oocyte
8 12 14 15 4 6 10 13 11 7 2 5 3 1
Polyploider Nährzellkern
Fusom Diploider Oocytenkern Follikel
Abb. 4.25 Drosophila. Oogenese in einem Ovariolschlauch
Hämolymphe entlassen, von den Follikelzellen aufgenommen und der Oocyte weitergereicht. Diese nimmt diese Materialien per Endocytose auf und lagert sie in die Dottergranula ein, um einen Vorrat an Protein (und damit an Aminosäuren), an Phosphat und Energie anzulegen. Zum Schluss sezernieren die Follikelzellen das mehrschichtige Chorion, d. h. die derbe Eihülle. Die Oocyte selbst ist bloßer Abnehmer; ihr Kern ist transkriptionell inaktiv. Sofern Nährzellen, Fettkörperzellen und Follikelzellen genetische Information benötigen, um all die Materialien herzustellen, die
4.6 Drosophila melanogaster: Referenzorganismus der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie
in die Oocyte exportiert werden sollen, müssen sie auf ihre eigenen Gene zurückgreifen. Diese entsprechen denen des übrigen mütterlichen Organismus: Die Genprodukte sind folglich maternal, die betreffenden Gene heißen Maternaleffekt-Gene (wobei „effekt“ auf Veränderungen hindeutet, die nach einer Mutation der Gene im Phänotyp sichtbar werden). Am Vorderende wird im Chorion ein Kanal, die Mikropyle, ausgespart, durch den später das Spermium (s. Abb. 4.26) Zutritt zur Eizelle erhält. Die Besamung erfolgt wie bei den landlebenden Vertebraten im letzten, als Eileiter dienenden Abschnitt der Ovariole, wobei gespeicherter Samen aus einer Vorratskammer (Receptaculum seminis) hinzugezogen wird.
4.6.4 Im Zuge der „superfiziellen Furchung“ werden zunächst in rascher Folge Kerne hergestellt, die erst später mit Zellmembranen umhüllt werden. Die ersten Zellen, die Polzellen, werden zu den Urkeimzellen Die Embryonalentwicklung (Abb. 4.26) startet sogleich nach der Befruchtung und Eiablage und führt in rasantem Tempo binnen eines Tages zur schlüpffähigen Larve. Die Furchung, man nennt sie superfiziell, ist ungewöhnlich. Erst werden in rascher Folge nahezu alle 9 min die Kerne dupliziert: 2, 4, 8, 16 etc., bis nach 13 Replikationsrunden ca. 6000 Kerne vorliegen. Ist das 256 Kernstadium überschritten, beginnen die Furchungskerne in die Peripherie zu wandern und sich in der Eirinde D Eicortex anzusiedeln. Als erste gelangen am Hinterpol des Eies Kerne ans Ziel. Dort hatten sich (unter dem organisierenden Einfluss des maternalen Gens oskar) im Zuge der Oogenese Polgranula angesammelt. Diese Polgranula enthalten außer Protein mehrere Sorten von RNA, einschließlich RNA mitochondrialen Ursprungs, sowie die maternal erzeugte RNA der Gene vasa und nanos (und RNA manch anderer Gene), denen eine wichtige Rolle bei der Determination von Keimzellen zufällt (s. Kap. 8). Die zugewanderten Kerne werden mitsamt einer Portion Polgranula von Zellmembranen umhüllt und als Polzellen abgeschnürt. Diese ersten embryonalen Zellen werden als Urkeimzellen determiniert; sie gelangen später in den Darm, verlassen ihn dann und dringen in die Gonaden ein.
87
Entnimmt man von einem Spender-Ei posteriores Polplasma und deponiert es am Vorderpol eines noch ungefurchten Empfänger-Eies, entstehen dort ebenfalls Urkeimzellen. (Diese finden jedoch den Weg in die Ovarialschläuche nicht und können sich nicht zu Keimzellen weiterentwickeln. Bringt man sie jedoch mittels einer Pipette ans Hinterende, finden sie den weiteren Weg in die Schläuche und können Ursprung für Eizellen oder Spermien werden.) Die nicht in Polzellen integrierten Furchungskerne ordnen sich, wenn sie in der Peripherie angekommen sind, in einer corticalen Schicht unterhalb der Eimembran an. Man spricht jetzt von einem syncytialen Blastoderm, obwohl es sich nach korrekter Definition um ein plasmodiales Blastoderm handelt (denn Syncytien nach der klassischen Definition entstehen durch nachträgliches Verschmelzen von zuvor eigenständigen, Membran-umschlossenen Zellen). Alsdann werden von der Eioberfläche aus zwischen den Kernen Falten aus Zellmembranen abgesenkt. Die abgesenkten Zellmembranen hüllen die Kerne mitsamt umgebendem Cytoplasmahof ein; es entstehen reguläre Zellen und es wird das Stadium des zellulären Blastoderms erreicht. Einige Kerne bleiben im Dotter zurück. Später werden auch diese mit Zellmembranen umhüllt. Man nennt sie Vitellophagen (Dotterfresser). In mehreren Gruppen von Insekten sollen diese Vitellophagen am Aufbau des Mitteldarms teilnehmen, nicht aber bei Drosophila. Der Körper wird nun von der Bauchseite her geformt. Zuerst drängen sich auf der künftigen Ventralseite die Zellen des Blastoderms zu einem Keimstreif (Keimband, germ band) zusammen.
4.6.5 In der Gastrulation wird von vorn und hinten her der künftige Verdauungskanal eingestülpt, während Mesoderm und die Neuroblasten der Bauchganglienkette über eine ventrale Primitivrinne eingesenkt werden Es folgt die Gastrulation. In dieser Phase werden jene Zellverbände ins Innere verlagert, die den Oesophagus und Magen-Darm-Trakt, die Muskulatur und das Nervensystem bilden werden. Diese Einwärtsverlagerung geschieht an mehreren Orten.
88
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
Drosophila
Abb. 4.26 Drosophila. Embryonalentwicklung
FURCHUNG
Kerne Zellmembran
Micropyle
Blastoderm, syncytial
Chorion
c
a
Vitellophage Wanderung der Kerne in die Eirinde Polzellen
Blastoderm, zelluläres
d
b
GASTRULATION und SEGMENTATION Kopffalte Invagination, hinten
e
f
Invagination, vorn
Anlagenplan
Primitivrinne neurales Mesoderm Ektoderm
Keimstreif expandiert A8 A7 A6 A5
Proctodaeum
A4
i
Md
A3 Mx Lb T1 T2
T3 A1 A2
Keimstreif kontrahiert, Rückenschluss
k Md Mx Lb
T1
T2
T3
A6 A2 A4 A5 A1 A3
A8 A7
g
Entoderm Neuroblasten Mesoderm After Darm
h
Mesoderm Bauchganglienkette
IMAGO
LARVE
l
m
Muskulatur
4.6 Drosophila melanogaster: Referenzorganismus der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie
Drosophila
Abb. 4.27 Drosophila. Gastrulation im Längsschnitt. Streckung und nachfolgende Kontraktion des Keims sind im Schema nicht berücksichtigt
89
GASTRULATION, längs Medial-/Sagittalebene
Zelluläres Blastoderm
Polzellen
Dotter
Primitivstreif Gehirnanlage Neuroblasten, optische Loben
hintere Darminvagination
vordere Darminvagination Mesoderm Gehirn mit:
opt. Loben ProtoDeutoTrito-Cerebrum
Unterschlundganglion Speicheldrüse
1. Der Oesophagus und Magen-Darm-Kanal (Abb. 4.26, 4.27). Ventral vorne und dorsal hinten werden Taschen invaginiert, die sich zu Schläuchen erweitern. Beide Schläuche wachsen aufeinander zu und verschmelzen, wenn sie sich treffen, zum Mitteldarm. Er repräsentiert das Endoderm. Beim Einstülpen der Taschen wird weiteres Blastoderm ins Innere gezogen, das vorn zum Stomodaeum (später Oesophagus) wird, hinten zum Proctodaeum (später Enddarm); Stomodaeum und Proctodaeum werden nach alter Tradition dem Ektoderm zugerechnet. 2. Bildung des Mesoderms und des ventralen Nervenstrangs (Abb. 4.26 und 4.27; s. auch Abb. 4.36). Mesoderm. Entlang der Mittellinie der Ventralseite wölbt sich eine Rinne, die Primitivrinne, hoch und taucht ins Innere des Eies. Das Dach der Rinne löst sich ab; es wird zum Mesoderm. Im Inneren gliedert sich das Mesoderm
Vorderdarm Mitteldarm
Bauchganglienkette
Hinterdarm
Muskeln
in segmentale Pakete, die sich bald in kleinere Zellgruppen auflösen. Aus ihnen wird die larvale Muskulatur hergestellt. Ventrales Nervensystem. Zwei Bänder von Zellen, die vor der Gastrulation das ventrale Band des künftigen Mesoderms links und rechts begleitet hatten, werden zu neurogenen Zellen. Diese trennen sich (unter dem Einfluss des Notch/Delta-Systems, s. Abb. 10.1) von ihren Nachbarn, den Epidermoblasten, und rücken in der Primitivrinne ins Keimesinnere ein. Dort gruppieren sich die neurogenen Zellen in sich segmental wiederholende paarige Aggregate. Aus den neurogenen Zellen werden Neuroblasten und aus den paarigen Aggregaten von Neuroblasten die paarigen Ganglien des ventralen Nervenstrangs (Bauchganglienkette, Strickleiternervensystem, „Bauchmark“). 3. Das Gehirn. Im vorderen dorsalen Blastoderm lösen sich Neuroblasten, dringen in die Tiefe und
90
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
bilden die inneren Komponenten des Oberschlundganglions. Es gliedert sich, wie bei anderen Insekten, in (mindestens) drei Abschnitte: Proto-, Deuto- und Trito-Cerebrum. Ergänzt wird das Cerebrum durch die mächtigen optischen Loben, über denen in der späteren Fliege die Augen liegen werden. Die optischen Loben werden aus paarigen Plakoden hergestellt, d. h. aus plattenartigen Verdickungen des Blastoderms, die invaginieren und sich in die Tiefe absenken.
4.6.6 Nur kurz erwähnt: Rückenschluss, Bewegungen des Keimstreifs Anfänglich ist der Keimstreif dorsal offen, wenn auch von der Eihülle, dem Chorion, umschlossen. Der Darmkanal (Abb. 4.26f, g) und die Epidermis bleiben noch lange Zeit dorsal offen. Wenn die Ränder der Darmwand und der Epidermis hochgewachsen sind und sich in der Mittellinie treffen, werden sie reißverschlussartig zusammengeführt und verschmelzen (Rückenschluss). Noch bevor dies geschehen ist, dehnt sich der Keim derart in die Länge, dass er sich am hinteren Eipol nach dorsal und vorne umbiegen muss und sein hinteres Ende schließlich fast den Kopf berührt (Keimstreif-Elongation; Abb. 4.26i). Später zieht er sich wieder auf Eilänge zusammen (Keimstreif-Verkürzung). Diesen Vorgängen soll hier keine weitere Beachtung geschenkt werden.
4.6.7 Der Körper wird in Segmente gegliedert, die sich anfänglich wenig unterscheiden, in der fertigen Fliege aber sehr Schon im jungen Embryo wird die spätere Segmentierung vorbereitet, d. h. die Gliederung des Körpers in periodisch sich wiederholende Einheiten. Die Segmentierung beginnt auf der Ebene der Genexpression bereits im syncytialen Blastoderm, wird aber morphologisch erst später durch die periodische Aufgliederung des Mesoderms in Pakete und durch das Einsenken von Rinnen im Ektoderm sichtbar. Die Rinnen markieren Segmentgrenzen. Die Segmente sind anfänglich weitgehend gleichförmig, homonom, werden dann aber ungleichartig, heteronom. Ihre Zahl wird, je nach Literaturquelle, mit 17
bis 20 angegeben, äußerlich erkennbar sind so viele nicht. Bereits der Keimstreif gliedert sich in drei Hauptgruppen (Tagmata) von Segmenten. An der Larve sind die diversen Segmente und Segmentgruppen äußerlich nur anhand feiner Cuticularstrukturen unterscheidbar, nach der Metamorphose an der fertigen Fliege werden sie jedoch klar erkennbar verschieden. Aus der Verschmelzung des terminalen Akron mit sehr wahrscheinlich sieben Segmenten entsteht der Kopf. Die Zahl 7 wird aus dem Expressionsmuster der Segmentpolaritätsgene engrailed und wingless (s. folgende Abschnitte) aus der Struktur des Nervensystems und aus Ausfällen in Deletionsmutanten abgeleitet. Alle 7 Kopfsegmente, die 4 prägnathalen (vor den Mundwerkzeugen liegenden) und die 3 gnathalen (die Mundwerkzeuge tragenden) liefern Neuroblasten zur Bildung der Ober- und Unterschlundganglien. Die drei gnathalen Kopfsegmente bilden als Mandibular-, Maxillar- und Labialsegment (Mb, Mx, Lb) die Mundwerkzeuge aus. Bei der Larve ist freilich der Kopf weitgehend ins Innere eingestülpt. Bei ihr beginnt der Körper äußerlich mit dem Thorax, bestehend aus den drei Segmenten: T1 D Prothorax, T2 D Mesothorax, T3 D Metathorax. Bei der fertigen Fliege trägt jedes Thoraxsegment ein Paar Beine, der Mesothorax dazu ein Paar Flügel und der Metathorax das zu Schwingkölbchen (Halteren) umgeformte zweite Flügelpaar. Das Abdomen besteht aus acht Segmenten (A1–A8); das abschließende Telson (es enthält mutmaßlich ein rudimentäres 9. Segment) zählt ebenso wie das Akron am Vorderende nicht als (vollständiges) Segment.
4.6.8
Entwicklungssteuernde Gene: Meistergene beherrschen andere Gene
Durch umfangreiche Mutagenese- und Kreuzungsexperimente ist es gelungen, bei Drosophila ein nahezu vollständiges Kompendium der entwicklungssteuernden Gene zu erstellen. Einem Gen kommt man in klassischer Weise am ehesten auf die Spur, wenn seine Mutation einen charakteristischen, äußerlich sichtbaren Defekt zur Folge hat. Hat man früher in der Regel mutagene Agentien verfüttert, führt man heute
4.6 Drosophila melanogaster: Referenzorganismus der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie
I. Maternaleffekt-Gene
Phänotypen bei Defektmutationen
t1 Genprodukte der
bicoid -/-
maternalen Polaritätsgene, vorne bicoid, hinten oskar, nanos
oskar -/-
II. Zygotische Segmentierungsgene hunchback
91
giant krüppel giant
t2 Gap-Gene
z.B. krüppel, knirps knirps
knirps
syncytiales Blastoderm
knirps -/-
t3 Paarregel-Gene
even skipped (eve) fushi tarazu (ftz) even skipped -/-
zelluläres Blastoderm
t4 Segmentpolaritätsgene
hedgehog -/-
engrailed (blaue Streifen)
III. Homöotische Segment-Identitätsgene
Antp-C
Ubx Abd
Abb. 4.28 Drosophila. Genklassen der embryonalen Musterbildung. Zeitliche Folge in der Expression von Meistergenen (Selektorgenen), welche die Musterbildung kontrollieren. Die Streifen zeigen die Verteilung der von diesen Genen codierten Proteine. Das Körpermuster wird spezifiziert (1) durch die maternalen Gene (maternal effect genes), welche die Körperachsen festlegen und die Expression der (2) zygotischen Gap-Gene in die Wege leiten; diese definieren breite Territorien und schalten
Dentikelmuster bei wingless -/-
(3) die Paarregelgene (pair rule genes) ein, welche in alternierenden Streifen exprimiert werden und die künftigen Segmente ankündigen. (4) Die Segmentpolaritätsgene (segment polarity genes) leiten die morphologische Segmentierung ein und die Unterteilung der Segmente in kleinere Einheiten. (5) Die homöotischen Gene (homeotic genes) bestimmen letztendlich die besondere Identität der Segmente. (Nach Gilbert, Developmental Biology, umgezeichnet und korrigiert)
92
bevorzugt transposable P-Elemente ein, die in Gene inserieren, das Leseraster unterbrechen und die Gene dadurch zerstören können (s. Kap. 12). Die Frühentwicklung, auf die sich unser Überblick beschränkt, wird beherrscht von einigen wenigen Schlüsselgenen (Meistergene D Selektorgene), die über ihre Proteinprodukte Einfluss auf den Funktionszustand weiterer Gene nehmen. Die Produkte dieser Schlüsselgene enthalten DNA-bindende Domänen und wirken als Transkriptionsfaktoren: Sie schalten andere Gene ein oder aus. Es werden drei Klassen entwicklungssteuernder Gene unterschieden (Abb. 4.28): 1. Maternale Koordinatengene 2. Segmentierungsgene 3. Homöotische Segmentidentitätsgene (HOMGene): Segmentierungsgene und homöotische Gene werden auch als zygotisch klassifiziert. Zygotisch will besagen, dass hier die Produkte der Gene des Embryo selbst, und nicht seiner Mutter, zum Zuge kommen.
4.6.9 Anfänglich hat die Mutter das Sagen: Maternale Gene sind für die Festlegung der Körperkoordinaten (Achsendetermination) zuständig Die Fliege ist ebenso wie der Mensch in ihrer Grundarchitektur bilateralsymmetrisch konstruiert: Wir sehen eine von der Stirn bis zum Körperende ziehende antero-posteriore Polaritätsachse und eine senkrecht zu ihr verlaufende dorso-ventrale Polaritätsachse. Diese Architektur scheint bereits in der Form des Eies vorgezeichnet zu sein. Man kann leicht einen Vorderpol von einem Hinterpol und eine Rückenseite von einer Bauchseite unterscheiden. Mutanten belehren aber den Beobachter, dass die äußere Eiform und die innere Architektur des entstehenden Embryos gänzlich disharmonieren können. Bei Drosophila werden die Koordinaten des künftigen Embryos unter dem Einfluss spezifischer Gene etabliert, deren Produkte (mRNA, Protein) in einem bestimmten räumlichen Muster in der Eizelle deponiert werden. Es sind jedoch nicht Gene, die in den Kernen des Embryos selbst aktiv werden, sondern Gene der Mutter, die hier bestimmend sind! Die Bedeutung solcher maternaler Gene (oder MaternaleffektGene) wird erkennbar, wenn Mutationen dieser Gene zu einer Fehlleistung in der fundamentalen Körper-
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose Nährzellen Oocyte Transport-Mikrotubuli
__ __ __ _
+ + + + + + +
oskar-mRNA
Follikel normal
Nährzellen
Oocyte
Nährzellen
dicephalic (zweiköpfige) Mutante
Abb. 4.29 Drosophila. Kammer einer Ovariole im Wildtyp (links) und in der maternalen Mutante dicephalic
architektur des Embryos führen und die genetische Analyse zeigt, dass die Mendel’sche Reziprozitätsregel außer Kraft gesetzt ist. Der samenspendende Vater ist für die Ausprägung eines solchen Merkmals bedeutungslos und auch der Genotyp des Embryos selbst ist nicht von Belang. Es sind defekte Gene der Mutter für diese Fehlleistungen verantwortlich. Mutante Weibchen erzeugen Eier, die meistens äußerlich normal aussehen, aber Embryonen hervorbringen, denen bestimmte Körperregionen fehlen oder die korrekte Strukturen am falschen Platz erzeugen. Beispielsweise kann statt eines Abdomens ein zweiter Kopf zum Vorschein kommen, der spiegelbildlich zum ersten angeordnet ist (Mutante dicephalic), oder es kann umgekehrt statt eines Kopfes ein zweites Abdomen entstehen (z. B. Mutante bicaudal). Öffnet man das Ovar der Mutter einer dicephalic-Fliege, beobachtet man Verräterisches. Die Oocyte wird nicht nur am Vorderpol, sondern auch an ihrem Hinterpol von Ammenzellen versorgt (Abb. 4.29). Wie man entwicklungssteuernde Faktoren im Ei aufspürt und ihre Bedeutung in Erfahrung bringt Wir fragen: Welche der Materialien, die in die Oocyte gelangen (oder von ihr selbst hergestellt werden), sind schicksalsbestimmend; welche Gene und Genprodukte
4.6 Drosophila melanogaster: Referenzorganismus der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie
Entnahme von Polplasma
a Spender, Genotyp a Injektion des Polplasmas
b1 Empfänger, Genotyp b Entnahme induzierter Polzellen
induzierte Polzellen (mit Genotyp b)
normale Polzellen
b2 Injektion der Polzellen
c Empfänger, Genotyp c
Abb. 4.30 Drosophila. Transplantation von Polplasma vom Hinterpol eines Spenderkeims in den Vorderpolbereich eines Empfängerkeims. Es entstehen Polzellen, die zu funktionsfähigen Keimzellen werden können, wenn sie in den Hinterpolbereich eines weiteren Empfängers transplantiert werden
sind maßgeblich; wo wird die mRNA hergestellt; wohin gelangt sie; wann wird das Protein hergestellt und welche Funktion hat es? Dass überhaupt lokale cytoplasmatische Determinanten schicksalbestimmend sein können, kann im Einzelfall auch ohne Genetik nachgewiesen werden. Wird am Hinterpol des frisch abgelegten Eies Cytoplasma abgesaugt und in den Vorderpolbereich eines anderen Eies injiziert, entstehen dort Polzellen, Urkeimzellen also (Abb. 4.30). Zieht man am Vorderpol Cytoplasma ab oder bestrahlt den vorderen Eibereich mit hartem UV-Licht, entstehen Larven ohne
93
Kopf. Um jedoch herauszufinden, welche Komponenten maßgeblich sind, und wie sie normalerweise an den Hinterpol oder Vorderpol gelangen, wären Versuche solcher Art zu undifferenziert. Im Cytoplasma des Hinterpols beispielsweise mögen Hunderte, wenn nicht Tausende, verschiedene Substanzen vorliegen; doch welche von ihnen bestimmen das Schicksal der Zellen? Studien mit Mutanten haben in diesem Fall eine besondere Funktion des Gens oskar erkennen lassen. Die mRNA dieses maternal in den Ammenzellen transkribierten Gens enthält eine UTR-Signalsequenz, welche nicht in eine Aminosäuresequenz translatiert wird (UTR D untranslated region), sondern als postalischer Leitcode fungiert und den Transport der mRNA zum Hinterpol vermittelt. Der Transport erfolgt entlang von Mikrotubuli und wird von Motorproteinen bewerkstelligt. Am Hinterpol angekommen organisiert das oskar-Genprodukt die Rekrutierung und Akkumulation weiterer RNA-Spezies, zum Beispiel der maternalen mRNA der Gene vasa und nanos. Ist das Genprodukt von vasa defekt, entstehen keine Keimzellen. Ist das Genprodukt von nanos defekt oder nicht am Hinterpol konzentriert, entsteht eine Larve ohne Hinterleib (und damit ebenfalls ohne Keimzellen) (Abb. 4.31). Unter dem organisierenden Einfluss von oskar akkumulieren am Hinterpol nicht nur Keimzelldeterminanten, sondern auch Substanzen, die für die Programmierung eines Abdomens benötigt werden. Bei der Begutachtung von Tausenden von Mutanten kann man auch das Gegenstück finden: Larven ohne Kopf und Thorax. Bei manchen Defektallelen dieses Gens findet sich anstelle des Kopfes ein Abdomenähnliches Gebilde; daher erhielt das Gen die Bezeichnung bicoid (D bicaudal-ähnlich). Stammt also die Larve von einer bcd=Mutter, fehlt ihr der Vorderkörper mit Kopf und Thorax. Mit bicoid und nanos sind zwei wichtige Gene genannt, die offenbar an der Organisation der Grundarchitektur des Körpers beteiligt sind. Zunächst aber sind solche Gene nur Namen; mit einer klassischen genetischen Analyse hat man Gene noch nicht als materielle DNA-Sequenzen im Griff. Doch waren das Interesse und der Ehrgeiz so mancher molekularbiologisch arbeitenden Arbeitsgruppe geweckt. Es ging eine mühselige, aber durch den Erfolg belohnte Suche nach den realen Genen und ihren Produkten los. Ein Gen muss kartiert, kloniert (vermehrt), sequenziert und exprimiert (in Protein umgesetzt) werden. Durch in situ-Hybridisierung mittels Anti-sense-RNA lässt
94
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose Wildtyp
Abb. 4.31 Drosophila. Mutanten der Körperarchitektur im Vergleich zum Wildtyp (Mitte). Dargestellt sind die Verteilung der (defekten) maternalen mRNA, die Verteilung der von dieser RNA codierten (defekten) entwicklungssteuernden Proteine und der daraus resultierende (mutierte) Phänotyp
bicoid +/+ mRNA
oskar +/+ mRNA
BICOID-Protein, intakt, Gradient NANOS-Protein als Gradient
normale Larve Mutante bicoid -/des anterioren Systems
bicoid -/- mRNA
Mutante oskar -/des posterioren Systems
oskar -/- mRNA
BICOID-Protein, defekt NANOS-Protein, intakt
BICOID-Protein, intakt NANOS-Protein, defekt oder inkorrekt verteilt
Larve ohne Kopf und Thorax
Larve ohne Abdomen
sich in Erfahrung bringen, wo im Ei die verschiedenen mRNAs deponiert werden. Antikörper gegen das exprimierte Protein, zur Immunfluoreszenz-Färbung eingesetzt, machen sichtbar, wann die entsprechenden Proteine im Embryo auftauchen und wo sie hingelangen (s. dazu Abb. 12.7 und 12.9). Das Ergebnis sah vielversprechend aus. In den ersten Minuten der embryonalen Entwicklung wer-
den die mRNAs in Protein translatiert, wobei sich im Eicortex Gradienten in der Verteilung dieser Proteine einstellen. Der BICOID-Protein-Gradient hat sein Konzentrationsmaximum am Vorderpol, die NANOSund CAUDAL-Gradienten haben ihr Maximum am Hinterpol (Abb. 4.31). Hatte man aber auch wirklich das richtige Gen gefunden und im mikroskopischen Präparat die richtige
4.6 Drosophila melanogaster: Referenzorganismus der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie Abb. 4.32 Drosophila. Spiegelbildliche Verdoppelung des Vorderkörpers durch ektopische Expression des bicoid-Gens und des Abdomens durch ektopische Expression von oskar. Eine ektopische Expression von bicoid wurde durch Injektion von Wildtypbicoid mRNA am Hinterpol eines frisch abgelegten Eies erreicht, eine ektopische Expression von oskar dadurch, dass die Fliegenmutter mit einem oskar-Gen versehen wurde, dem die Lokalisierungssequenz von bicoid vorangestellt worden war
95
bicoid +/+ -mRNA
zweiköpfige Larve
oskar +/+ mRNA
oskar +/+ mRNA
mit bicoid-Lokalisierungssequenz
Larve mit zwei Hinterhälften
mRNA und das richtige Protein zu sehen bekommen? Nehmen wir bicoid. Der definitive Beweis, dass wir ein die Kopfbildung beherrschendes Gen in die Hände bekommen haben, ist erst dann gelungen, wenn durch Injektion von Wildtyp (bicoid C=C)-mRNA am Vorderpol das defekte Ei einer bicoid=Mutter geheilt werden kann, oder wenn nach Injektion von (bicoid C=C)-mRNA am Hinterpol eines (normalen) Eies dort ein (zusätzlicher) Kopf entsteht (Abb. 4.32). Eine geschickte Strategie kann es mit molekularbiologischen Tricks erreichen, dass die Natur selbst
eine mRNA an den falschen Ort lenkt. Tauscht man beispielsweise im Labor die Signalsequenz von oskar gegen die von bicoid und schleust solche Konstrukte in das Genom weiblicher Fliegen, können solche transgenen Fliegen Eier legen, die oskar dank der bicoid-Signalsequenz auch am Vorderpol ablegen, während die mRNA ihres normalen oskar-Gens dank seiner Signalsequenz an den Hinterpol geführt wird. Ergebnis sind kopflose Larven mit einem zweiten, spiegelbildlich angeordneten Abdomen (Abb. 4.32), wie sie auch die Eier bicaudal-mutierter Mütter her-
96
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
vorbringen. Die oskar-mRNA an beiden Eipolen erzeugt also eine Phänokopie (Imitation) des bicaudalMaternaleffekts.
4.6.10
Gene, die für die Verwirklichung der basalen Körperarchitektur zuständig sind Hier fassen wir die Befunde der Gensuche zusammen. Die maternalen, die Körperachse bestimmenden Gene sind im Ovar der Mutter, genauer gesagt in den Ammenzellen der Nährfächer oder in den Follikelzellen tätig. Die Genprodukte werden in der Mehrzahl in Form von RNP-Partikeln in die Oocyte geschleust und nach der Befruchtung in Protein translatiert. Die von diesen Genen codierten Proteine werden nicht direkt als Baumaterial zum Aufbau des Embryos verwertet, sondern sind Transkriptionsfaktoren und steuern die Aktivität von Genen des Embryos (zygotische Gene) oder sie sind Elemente von Signalsystemen, die im frühen Embryo eingerichtet werden und ortsgerechte Reaktionen der Zellen des Embryos ermöglichen. Es sind vier Genklassen, deren Produkte die Körpergrundarchitektur bestimmen, drei für die Längsachse (Abb. 4.28), eine für die Dorsoventalachse. 1. Gene, welche die antero-posteriore Polarität festlegen: die anteriore Gruppe mit bicoid (bcd); Embryonen, die von mutanten bcd=Müttern abstammen, fehlt der Vorderkörper mit Kopf und Brust; die posteriore Gruppe mit nanos (nos); Embryonen, die von Müttern mit gestörtem posterioren System abstammen, haben keinen Hinterleib; die terminale Gruppe mit torso und caudal. Mütter, die im Gen torso, dem Schlüsselgen der terminalen Gruppe, defekt sind, haben als Nachkommen Larven, denen das Akron und Telson fehlt. (Der Keim fertigt mittels maternal erhaltener torso-mRNA die TORSO-Rezeptoren, die in der Zellmembran eingebaut werden und mit denen am hinteren und am vorderen Eipol externe Schlüsselfaktoren aufgefangen werden. Diese externen Faktoren sind von den Follikelzellen sezerniert und zwischen der derben Eihülle (Chorion) und der Eizellmembran deponiert worden.) 2. Gene, welche die dorso-ventrale Polarität festlegen: dorsal (dl) und Toll (Tl)
Das bicoidGen macht Wissenschaftsgeschichte: Das BICOID-Protein gilt als das erste identifizierte Morphogen und ist zugleich Beispiel eines Transkriptionsfaktors mit Homöodomäne
BICOID – seine mannigfaltigen Funktionen gibt folgender Stichwortkatalog wieder: Lokalisation: Weil die bicoid (bcd)-mRNA am Vorderpol deponiert worden war und auch hier für einige Zeit translatiert wird, und weil dieses schon sehr früh geschieht, wenn das Ei noch einen einheitlichen Raum darstellt, kann sich das BICOIDProtein im ganzen Ei ausbreiten (Abb. 4.33). Es hat jedoch eine kurze Lebenszeit – seine Halbwertszeit ist 30 min – und deshalb formt sich ein Konzentrationsgradient mit Maximum am Vorderpol und Minimum am Hinterpol. Transkriptionsfaktor: Das Produkt des bicoidGens ist ein Transkriptions-regulierendes Protein. Das BICOID-Protein wandert in die Kerne des Blastoderms. Es ist mit einer Homöodomäne, die sich von der Homöobox des bicoidGens ableitet, ausgestattet. Die Homöodomäne wird ihrer räumlichen Struktur halber auch Helix-turnHelix-Domäne genannt. Mit dem HELIX-TURNHELIX-Motiv HTH (s. Abb. 12.14) bindet das BICOID-Protein an die Enhancer/Promotoren bestimmter Gene (z. B. von hunchback), und leitet als Aktivator deren Expression ein (Abb. 4.33). Die eingeschalteten Gene sind Gene des Embryos; solche werden im Unterschied zu den Maternaleffektgenen zygotische Gene genannt. RNA-bindender Faktor: Das BICOID-Protein bindet die mRNA von caudal; dadurch wird diese aus dem Verkehr gezogen und eine beeindruckende Untergliederung der Längsachse in Streifen zygotischer Genexpression in die Wege geleitet (s. folgende Abschn. 4.6.11 und 4.6.14). Morphogen: Dem Gradienten der BICOIDProtein-Konzentration wird Positionsinformation zugesprochen: Viel BICOID-Protein schaltet andere Gene ein als wenig. BICOID hat die Funktion eines Morphogens. Definitionsgemäß ist ein Morphogen eine Substanz, die dank ihres Konzentrationsprofils hier diese, dort jene Entwicklung
4.6 Drosophila melanogaster: Referenzorganismus der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie
97
Antero-posteriore Polarität
maternale bicoid mRNA
a
b2
BICOID Protein-Gradient
CAUDAL NANOS
b1
BICOID und CAUDAL in den Kernen
c1
relative Konzentration
BICOID CIC CAUDAL NANOS
hb
post
ant
hb
hb kr
hb kni
d1
BICOID
c2
kni
Kr
Kr hb kni
d2
hb = hunchbak kr = krüppel kni = knirps Genaktivierung BICOID
Abb. 4.33 Drosophila. Rolle der Produkte des maternalen bicoid-Gens bei der Spezifikation der vorderen Körperregion. Das Protein wandert in die Kerne und wirkt dort, konzentrationsabhängig, als Aktivator oder Repressor anderer, zygotischer Gene, z. B. als Aktivator des Gap-Gens hunchback. Dem Gradienten des BICOID-Proteins stehen im zellulären Blastoderm Gradienten der Proteine CAUDAL und NANOS gegenüber. Ihr Verbreitungsbereich ist nicht nur eine Funktion ihres Diffusionskoeffizienten, vielmehr spielen auch komplizierte Wechselwirkungen der Genprodukte untereinander eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zur mRNA von BICOID sind die maternalen mRNAs von caudal und hunchback anfänglich ubiquitär verteilt. Die Translation der caudal-mRNA wird jedoch in der
vorderen Region des Embryos von BICOID unterdrückt. Die maternale mRNA von hunchback wird im zellulären Blastoderm durch zygotische abgelöst. Die zygotische Transkription des hunchback-Gens wird durch das in den Kern eingewanderte BICOID-Protein angestoßen, andererseits durch den gemeinsamen Einfluss von KRÜPPEL und KNIRPS auf den vorderen Keimbereich begrenzt. Die aktivierende Wirkung von BICOID auf seine Zielgene wird durch weitere, hier nicht eingezeichnete Faktoren begrenzt, so durch den maternalen Faktor CIC (Capicua), der die posteriore Grenze der Zielgen-Expression mitbestimmt. Adaptiert nach verschiedenen Autoren, u. a. Driever und Nüsslein-Volhard (1988); Jaeger und Martinez-Arias (2009); Grimm et al. (2010); Loehr et al. (2010)
ermöglicht (s. Box 10.2). Bei Drosophila bestimmt das Konzentrationsprofil von BICOID die Position und räumliche Dimension der künftigen Kopfund Thoraxregion. Durch genetische Manipulation wurden Mütter erzeugt, die mehr oder weniger bicoid-Gene enthielten und ihren Eiern mehr oder weniger bicoid-mRNA als Mitgift zuteilten. Reicht bei erhöhter BICOID-Gesamtkonzentra-
tion ein bestimmter Konzentrationsschwellenwert weiter nach posterior, wird entsprechend die Kopf-Thorax-Region nach posterior verschoben (Abb. 4.34). Allerdings bewerkstelligt BICOID nicht für sich allein eine ortsgerechte Weiterentwicklung; denn es interagiert mit anderen regulatorischen Proteinen wie CAUDAL und CIC (Abb. 4.33).
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
1 bicoid Gen
Bicoid-Verteilung
n bicoid Gene
98
4 Bicoid-Verteilung 2 1 Schwellenwert
Expressionsstreifen des Gens empty spiracles (ems)
Abb. 4.34 Drosophila. Gradient in der Verteilung des BICOIDProteins. Der Gradient spezifiziert die Position und Dimension der Kopf-Thorax-Region. Wenn in der Oogenese auf Grund einer genetischen Manipulation der Eltern mehr bicoid-Gene als normal aktiv waren, sind in der Eizelle Höhe und Bereich des Gradienten vergrößert. Als Folge verschiebt sich die künftige
Kopf-Thorax-Region, hier angedeutet durch die Expressionsstreifen des Homöobox-Gap-Gens ems (empty spiracles), das im Blastodermstadium die Position der künftigen Kopfregion anzeigt. Adaptiert nach Driever und Nüsslein-Volhard (1988); Walldorf und Gehring (1992)
4.6.11 Nicht alles läuft über Transkriptionskontrolle; auch Hemmung der Translation trägt zur gradierten Verteilung von wichtigen Proteinen bei. Beispiele: NANOS
biologie oft wiederfindet: Ein Gradient, der in der einen Richtung abfällt, bedingt die Ausbildung eines zweiten Gradienten, der in dieser Richtung ansteigt. Es sei verwiesen auf die Embryonen von Seeigeln (Abb. 4.6) und Amphibien (Abb. 10.5). Zur Begrenzung des BICOID-Wirkungsbereiches und zur räumlichen Verschärfung des Expressionsbereichs der Zielgene tragen weitere Faktoren bei wie CIC (CAPICUA). Wie Gradienten in gegliederte Körpersegmente mit scharfen Grenzen umgesetzt werden können, ist eine Frage, die Entwicklungsgenetiker und Konstrukteure von Computermodellen zu lösen versuchen.
Anders als das BICOID Protein wandert das NANOSProtein nicht in die Kerne, sondern wirkt indirekt auf die Genaktivität, indem es im posterioren Eibereich die Translation der hunchback-mRNA verhindert. Das HUNCHBACK-Protein reprimiert nämlich die Expression von Genen, die man zur Konstruktion des Hinterleibs benötigt, und soll folglich nur im vorderen Eibereich nicht aber im hinteren Eibereich seine Funktion erfüllen dürfen. Positiv wird die Entwicklung eines Abdomens durch Genprodukte ermöglicht, die sich von den Maternaleffektgenen oskar, pumilio und caudal ableiten. Das BICOID-Protein fängt caudal-mRNA ab und verhindert dadurch die Translation der im ganzen Ei gleichförmig verteilten caudal-mRNA in CAUDALProtein. Weil nun aber die Konzentration des hemmenden BICOID von vorn nach hinten abfällt, etabliert sich für das CAUDAL-Protein ein inverser, von vorne nach hinten ansteigender Gradient (Abb. 4.33). Dies ist ein Prinzip, das sich in der Entwicklungs-
4.6.12
Die Rücken-Bauchachse wird von einem externen Signal vorherbestimmt, das über eine Signaltransduktionskaskade den Transkriptionsfaktor DORSAL in ventrale Kerne lenkt
Für die korrekte Erstellung ventraler Strukturen ist das maternale Gen dorsal unentbehrlich. Man beachte: Da Gene in aller Regel nach dem Phänotyp von (Defekt-)Mutanten benannt werden, ist die Nomenklatur leicht irreführend. Mit einem untauglichen, von
4.6 Drosophila melanogaster: Referenzorganismus der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie
einem defekten dorsal-Gen codierten Protein kann der Embryo keine ventralen Strukturen (z. B. keine Bauchganglienkette) herstellen; stattdessen wird die Bauchseite wie die Rückenseite gemacht, der Embryo ist dorsalisiert. Das normale dorsal-Produkt bewirkt ventrale Strukturen! Das mittels der maternalen dorsal-mRNA gefertigte DORSAL-Protein soll in die Kerne der Bauchseite wandern und, vergleichbar dem BICOID-Protein, als Transkriptionsfaktor wirksam werden, der konzentrationsabhängig verschiedene zygotische Gene einschaltet. Im Gegensatz zu BICOID ist DORSAL jedoch anfänglich gleichförmig verteilt und in einem Zustand, der seine Aufnahme in Kerne nicht zulässt. DORSAL wird sogleich nach seiner Translation von einem Protein CACTUS abgefangen und zunächst in einem DORSAL/CACTUS-Heterodimer gefangen gehalten. DORSAL muss aus dem Komplex befreit werden, aber nur auf der Ventralseite des Keims; und dafür bedarf es eines Signals, das sagt, wo denn die Ventralseite ist. Die Ventralseite wird durch ein externes Signalmolekül markiert, das in einem Proteinkomplex in der Eihülle deponiert ist und mittels einer Protease aus diesem Komplex freigesetzt wird. Das freie Signalprotein trägt den liebenswerten Namen SPÄTZLE (was je nach Geschmack als kleiner Spatz oder als Nudeln nach schwäbischer Hausfrauenart gedeutet werden kann). Das freigesetzte SPÄTZLE-Protein ist Ligand für einen Rezeptor, den die Eizelle in den ersten Minuten ihrer Entwicklung aus der maternalen mRNA des Gens toll herstellt und in die Eizellmembran einbaut. Dieser TOLL-Rezeptor ist eine Rezeptor-ProteinTyrosinkinase (ähnlich dem Insulin-Rezeptor). Hat der TOLL-Rezeptor sein SPÄTZLE an oder in den „Mund“ gekriegt, löst er eine SignaltransduktionsKaskade aus. Sie führt dazu, dass CACTUS phosphoryliert und alsdann von Proteasen zerstört wird. DORSAL ist frei und wird in die Kerne aufgenommen. Weil nun aber das Signaltransduktionssystem nur auf der Bauchseite aktiviert wird, wird DORSAL überwiegend auf der Ventralseite von CACTUS gelöst und kann in die Kerne einwandern. Als Folge wird in den Kernen des (noch syncytialen) Blastoderms ein Konzentrationsgradient an aufgenommenem DORSAL-Protein sichtbar (Abb. 4.35 und 4.36). In den Kernen wird DORSAL zum Transkriptionsfaktor; er ist dem Faktor NF-kappa-B der Wirbeltiere homolog.
99
4.6.13 Bei der Untergliederung des Keims entlang der Rücken-Bauch-Strecke in Ektoderm, Neuralbereich und Mesoderm spielen zwei Morphogene eine Rolle, die in ähnlicher Form auch in Wirbeltieren vorkommen Der DORSAL-Gradient wird eingesetzt, um von der Bauchseite her über die Flanken hinweg bis zur Rückenseite das nun zellulär gewordene Blastoderm in mehrere Zonen zu gliedern, in denen unterschiedliche Sätze von embryoeigenen Genen zum Zuge kommen. Diese Zonen kündigen vier Schicksalsbereiche an (Abb. 4.36): Der ventrale Streif (in dem die Gene twist und snail eingeschaltet werden) wird zum Mesoderm, das in der Primitivrinne ins Keimesinnere eindringen wird. Die folgenden Streifen links und rechts enthalten künftige Nervenzellen (Neuroblasten) und künftige Epidermiszellen (Epidermoblasten). Diese beiden Zelltypen werden sich später voneinander trennen (zum Mechanismus s. Abschn. 10.2 und Abb. 10.1). Die Neuroblasten werden in den Keim einwandern und die Bauchganglienkette bilden. Die nächsten beiden Streifen werden die Epidermis bilden. Ein letzter Streif entlang der dorsalen Mittellinie bildet ein vergängliches Häutchen (Amnioserosa), das nach dem Rückenschluss verschwindet. Bei dieser Untergliederung spielen Proteine eine Rolle, die von Zellen der dorsalen oder ventralen Hälfte erzeugt und als Morphogene in die extrazellulären Räume sezerniert werden. Dorsale Zellen produzieren und sezernieren das Morphogen Decapentaplegic DPP (Abb. 4.36). Ihm entspricht bei Vertebraten das BMP-4. (Beide, DPP und BMP-4, gehören zudem einer Proteinfamilie an, die nach einem weiteren Mitglied dieser Familie, dem Tumor Growth Factor TGF-ˇ, benannt ist; Kap. 11). Ventrale Zellen produzieren das Protein SOG (codiert vom Gen short gastrulation, sog). Ihm entspricht bei Vertebraten das Protein CHORDIN (CHD) (s. Kap. 10.3). Das in Drosophila von dorsal nach ventral diffundierende DPP und das von ventral nach dorsal diffundierende SOG treffen sich und vereinigen sich zu DPP/SOG-Dimeren. Entsprechend werden
100 Abb. 4.35 Drosophila. Spezifikation der dorso-ventralen Polaritätsachse. Auslösend ist der SPÄTZLE-Faktor, der im extrazellulären Perivitellinraum deponiert ist, von einer Protease freigesetzt und von den TOLL-Rezeptoren aufgefangen wird. Eine Signaltransduktionskaskade bewirkt, dass im ventralen Keimbereich das DORSAL-Protein vom CACTUS-Partner getrennt wird und in die Kerne aufgenommen werden kann. DORSAL wirkt dort, konzentrationsabhängig, als Transkriptionsfaktor und aktiviert Gene, die für die Herstellung ventraler Strukturen gebraucht werden
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
Dorso-ventrale Polarität Ei mit vielen Kernen (syncytiales Blastoderm)
Eizelle
Chorion
Follikel Chorion
a
b
Spätzle-Faktor
DORSAL homogen im Cytoplasma
DORSAL gradiert in Kernen
c Kernraum
TOLL
CACTUS DORSAL
SPÄTZLE Signaltransduktionskaskade
wir im Amphibienkeim BMP-4/CHD-Dimere finden (Abb. 10.3). Die mögliche Bedeutung dieses Systems der Doppelgradienten werden wir am Beispiel des Amphibienkeims diskutieren.
4.6.14 In der Längsrichtung des Keims bereiten ganze Kaskaden von Genaktivitäten die Segmentierung vor Die über die Produkte der maternalen Koordinatengene eingeschalteten embryoeigenen, zygotischen Gene haben eine Funktion bei der Aufgliederung des Em-
bryos in sich wiederholende Einheiten, in Segmente (Metamerie).
Die frühembryonalen Segmente, man nennt sie Parasegmente, sind nicht exakt deckungsgleich mit den definitiven Segmenten der Larve. Ein definitives Segment bildet sich gegen Ende der Embryonalentwicklung aus der hinteren Hälfte eines Parasegmentes und der vorderen Hälfte des folgenden Parasegmentes. Eine solche Phasenverschiebung wird bei anderen Arthropoden nicht beobachtet.
4.6 Drosophila melanogaster: Referenzorganismus der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie
101
Drosophila Gastrulation
dpp tolloid
dpp Gen DecapentaplegicProtein
ventrales Ektoderm
rhomboid, sog twist snail
Short gastrulationProtein sog Gen
DORSAL-Protein
NeuroEktoderm
Mesoderm
Ektoderm/ Epidermis Entoderm
Mesoderm
dorsales Ektoderm
Neuroektoderm (Epidermis oder Nervensystem)
Darm Muskulatur
Mesoderm Neuroblasten Bauchganglienkette
Abb. 4.36 Drosophila. Gastrulation im Querschnitt und Gene zur Spezifikation der dorso-ventralen Aufgliederung
Die Segmentierung erfolgt in Etappen. Neue Genprodukte erscheinen zunächst in breiten Zonen; später exprimierte Produkte erscheinen in Streifen, die an Zahl zunehmen sowie enger und enger werden (Abb. 4.37). Drosophila präsentiert dem Forscher wunderschöne, exakt gegliederte Muster, die aber nach kurzer Zeit wieder verschwinden und durch neue ersetzt werden. Im morphologisch noch ungegliederten Blastoderm tauchen als erstes die Produkte der 1. Lücken-Gene (gap genes) in breiten, sich überlappenden Zonen auf: In breiten Zonen werden neben dem schon erwähnten Gen hunchback (hb) die Gene Krüppel (Kr) und knirps (kni) exprimiert. Defekte Genprodukte in den namensgebenden Mutanten haben den Ausfall breiter Bereiche in der Larve zur Folge. Bei homozygoten hb=Mutanten fehlen Kopf- und ThoraxSegmente sowie die Segmente A7 und A8. Bei Kr= und kni= Mutanten fehlt ein mittlerer
bzw. ein hinterer Körperabschnitt. Auf die Expression der gap-Gene folgen Genprodukte der 2. Paarregel-Gene (pair-rule genes), zu denen so merkwürdige Gene gehören wie fushi tarazu (ftz, jap. „zu wenig Segmente“) und even skipped (eve, „die geradzahligen ausgelassen“). Sind die betreffenden Genprodukte defekt, fällt jedes zweite Thorax- und Abdomen-Segment aus und die Larve schlüpft mit 7 statt mit 14 Segmenten (Abb. 4.37a, b). Schließlich untergliedern die 3. Segmentpolaritätsgene die einzelnen Segmente in vordere, mittlere und hintere Abschnitte. Besondere Bedeutung bei der Abgrenzung der Segmente voneinander haben die Gene engrailed und wingless (wg) (Abb. 4.37a und 4.38), die mit entsprechender Funktion auch bei anderen Organismen, wie Arthropoden aber auch Vertebraten, gefunden werden. (Die dem wingless-Gen entsprechenden Gene anderer Organismen heißen WntGene sie codieren das Signalmolekül des in diesem
102 Abb. 4.37 Drosophila. Paarregelgene. a Im Streifenmuster exprimierte, zygotische Gene. Ausschnitt: Der Transkriptionsfaktor ENGRAILED (en) ist nur in einer Zellreihe pro Segment zugegen; die Proteine EVEN SKIPPED (eve) und FUSHI TARAZU (ftz) bilden steile Gradienten über wenige (ca. 3) Zellstreifen hinweg
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
a Segmentierung: Paarregel-Gene
fushi tarazu (ftz)
Segment-Polarität even skipped (eve)
wg en
wg ftz
Parasegment wingless (wg)
Buch oft genannten WNT-Signalsystems (Kompendium in Kap. 11). Viele Proteine der Segmentierungsgene sind Transkriptionsfaktoren und mit DNA-bindenden Domänen ausgestattet, z. B. einer doppelten ZinkfingerDomäne (hunchback) oder einer Helix-turn-HelixDomäne, die sich von der Homöobox des entsprechenden Gens ableitet (fushi tarazu, even skipped, engrailed). Dank dieser DNA-bindenden Domänen fungieren diese Proteine ihrerseits als Regulatoren, die andere, nachgeordnete Gene in ihrer Aktivität steuern. Es ist eine bemerkenswerte Erkenntnis, dass in der frühen Entwicklung eine hierarchische Kaskade von Genaktivierungen in Gang kommt, wobei frühe Gene ganze Batterien späterer Gene einschalten (oder ausschalten). Diese Kaskade ist noch nicht zu Ende.
4.6.15 Homöotische Gene der Antennapedia- und der bithoraxKlasse verleihen den Segmenten ihre unverwechselbare Identität Homöotische Gene (früher: homoiotisch; Engl.: homeotic), was sind das? Es geht hier nicht um all die
en
wg
wg
en
eve
ftz
Parasegment
Parasegment
engrailed (en)
Gene, die auch eine Homöobox (homeobox) haben wie z. B. das bicoid oder das engrailed Gen. Es geht hier um die homöotischen Gene im engeren und ursprünglichen Sinn. Sie bestimmen, welcher besondere Charakter einem Segment zukommen soll, ob ein Segment beispielsweise zu Pro-, Meso- oder Metathorax werden soll. Ohne diese Gruppe homöotischer Gene wären die Segmente der Fliege ähnlich gleichförmig (homonom) wie die eines Regenwurms oder Chilopoden („Tausendfüßlers“). Bei Drosophila sind viele dieser homöotischen Gene auf dem 3. Chromosom untergebracht und in zwei Genkomplexe (cluster) zusammengefasst, dem Antennapedia-Komplex (Ant-C) und dem bithorax-Komplex (BX-C). Gene des Ant-C werden überwiegend in den Kopf- und Thoraxsegmenten, Gene des BX-C in den Thorax- und Abdominalsegmenten exprimiert (Abb. 4.39). Defekte in diesen Genen führen zu bisweilen spektakulären homöotischen Transformationen: Es wird eine durchaus korrekt gestaltete Struktur am falschen Ort gemacht, z. B. schlüpfen bei bestimmten Antennapedia (Antp)-Mutanten Fliegen aus der Puppenhülle, die anstelle der Antennen ein Beinpaar tragen (Abb. 4.40b; zur Interpretation dieses Effekts s. Abschn. 12.2.2). Ei-
4.6 Drosophila melanogaster: Referenzorganismus der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie
103
bcd
b hb
gt
kni
eve Gen
5' Steuerelemente
3' Steuerelemente
2 4
6
8
14 2
4
6
8
12
10
10 12 14
Abb. 4.37 Drosophila. Paarregelgene (Fortsetzung). b Expressionsstreifen des Gens eve (even skipped) im Blastoderm von Drosophila. Das Gen wird nicht von einem einzelnen Steuerelement (Enhancer) kontrolliert, sondern von mehreren, die teils dem Gen vorgelagert, teils nachgelagert sind. An jedes Steuerelement binden mehrere Transkriptionsfaktoren, an das Element 4 beispielsweise bindet das aktivierende BICOID-Protein, während an den Steuerelementen für die benachbarten Streifen die hemmenden GIANT- und KRÜPPEL-Proteine binden und
damit die Expression von eve in diesem Körperbereich auf einen schmalen Streifen begrenzen. Beachte, dass das normale Wildtyp-Gen von even skipped für die Herstellung der geradzahligen Segmente benötigt wird; „even skipped“ im wörtliche Sinn gilt für die Mutante, bei der die geradzahligen Streifen ausfallen und die ungeradzahligen fushi-tarazu-Streifen übrig bleiben. Adaptiert nach Gaul und Jaeckle (1989); Carroll (1989); Small et al. (1993, 1996); Arnosti et al. (1996); Papatsenko und Levine (2008)
ne loss-of-function-Mutation des Antp-Gens führt zur Umwandlung des Mesothorax in einen Prothorax; die Fliege ist flügellos. Andererseits macht das Einkreuzen anderer Mutationen den Metathorax zum Mesothorax, die Halteren werden zu Flügeln, und die Fliege präsentiert uns den evolutionsgeschichtlichen Ausgangszustand des vierflügligen Insekts (Abb. 4.40a).
Diese Beispiele zeigen auch, dass das Wirken dieser klassischen (von Edward B. Lewis entdeckten) homöotischen Gene erst nach der Metamorphose der Larve zur Fliege augenfällig wird. Ein Modell, wie man sich die Ursache einer homöotischen Transformation vorstellen kann, wird in Kap. 12, Abb. 12.17 vorgestellt.
104
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
WINGLESS (wg)–Signalprotein fushi tarazu
HEDGEHOG (hh)–Signalprotein even skipped Protein
wg
Gen
wg wg-Rezeptor (Frizzled)
wg
wg
engrailed (en) wingless hedgehog (hh) (wg)
wg
hh+en
hh+en
Parasegment
Parasegment Ort Segment
Segment
Abb. 4.38 Drosophila. Ausschnitt, die Expression verschiedener Gene in (Para-)Segmenten und an deren Grenzen zeigend. Man beachte, dass die definitiven Segmente gegenüber den frühembryonalen Parasegmenten phasenverschoben sind: Ein definitives Segment entsteht aus der posterioren Hälfte eines Parasegments X und der anterioren Hälfte des folgenden Pa-
Segment
rasegments Y. HEDGEHOG ist bei der Segmentbildung als membranständiges Signalmolekül beteiligt, WINGLESS als sezerniertes, diffusibles Molekül. Der Transkriptionsfaktor ENGRAILED ist stationär in den Kernen der Zellreihe, welche die vordere Grenze eines Parasegments definiert
Abb. 4.39 Drosophila. Wirkungsbereich der Gene des Antennapedia-Komplexes und des bithorax-Komplexes
Dfd lab Md
Scr
Antp Ubx
abd-A Abd-B
Mx Lb T1 T2 T3 A1A2 A3 A4 A5 A6 A7 A8
3. Chromosom BX-C
Ant-C
lab pb zen bcd Dfd Scr Antp
lab labial pb proboscidea zen zerknüllt bcd bicoid Dfd Deformed Scr Sex combe reduced Antp Antennapedia
Ubx abd-A Abd-B
Ubx Ultrabithorax abd-A abdominal-A Abd-B Abdominal-B Ant-C Antennapedia-Complex BX-C Bithorax-Complex
4.6 Drosophila melanogaster: Referenzorganismus der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie
a
b
Abb. 4.40 Drosophila. Homöotische Transformationen verursacht durch das Einkreuzen mutierter homöotischer Gene des Antennapedia-Komplexes (b, nach einer Fotografie von Lawrence) oder des Bithorax-Komplexes (a, nach einer Fotografie von Lewis). In der vierflügeligen Fliege sind im hinteren Brustsegment die Halteren in Flügel verwandelt
4.6.16 Die Metamorphose ist eine dramatische zweite Embryogenese Schon im Embryo werden Zellen abgesondert, die nicht wie die larvalen Zellen polyploid oder polytän werden, sondern diploid bleiben und deren Aufgabe es ist, im Zuge der Metamorphose unter der Puppenhülle die Imago, d. h. die Fliege, aufzubauen. Man findet im Inneren der Larve zwischen ihren Organen in epitheliale Säckchen eingepackte Imaginalscheiben (Abb. 4.41), die sich in der Erstlarve von der Epidermis abgelöst hatten und ins Innere verlagert worden waren (bei anderen Insekten, wie den Schmetterlingsraupen, bleiben die Imaginalscheiben an der Oberfläche). Man findet auch in den inneren Organen der Made, z. B. im Darm und in den Malpighischen Gefäßen, zwischen den polyploiden larvalen Zellen eingestreut diploide
105
Imaginalzellen, auch Histoblasten genannt. Im Zuge der Metamorphose werden die Imaginalscheiben entfaltet (s. Abb. 20.2). Sie dehnen sich, differenzieren sich scheibenspezifisch zu Strukturen der Fliege, welche schon lange zuvor ihre Determination erfahren haben und jetzt beispielsweise zu Augen plus Antennen, zu Flügeln oder Beinen werden. Diese sich entfaltenden Scheiben setzen mosaikartig das Integument der Fliege zusammen. Die vielfältigen Vorgänge der Metamorphose werden durch Hormone gesteuert, deren Freisetzung der Kontrolle durch das Gehirn unterliegt. Dies und die Wirkungsinterferenz von Juvenilhormon und Ecdyson werden in Kap. 20 näher ausgeführt.
4.6.17 Mit transplantierten Imaginalscheiben entdeckte man das Phänomen der Transdetermination und die Heredität des Determinationszustandes Für das Verständnis bekannter Experimente an Imaginalscheiben ist bedeutsam, dass Juvenilhormon in der adulten Fliege erneut produziert wird, dabei zwar als gonadotropes (Gonaden-steuerndes) Hormon fungiert, aber auf implantierte Imaginalscheiben noch ebenso wirkt, wie es in der Larve gewirkt hat: Es erlaubt das Wachstum solcher Scheiben, verhindert aber ihre Metamorphose in die Adultstrukturen (daher Juvenilhormon). Die angesprochenen Experimente machen sich diese Wirkung zunutze, um Scheiben regenerieren zu lassen und zu vermehren (Abb. 4.42). Es werden Imaginalscheiben aus Larven herausoperiert, in Teile geschnitten und in die Leibeshöhle adulter weiblicher Fliegen implantiert. Hier proliferieren die Teilstücke, regenerieren und wachsen zur normalen Größe heran. So kann man aus z. B. einer Beinscheibe einen Klon vieler Beinscheiben züchten. Will man prüfen, ob sich der Determinationszustand der Scheiben geändert hat, was selten geschieht, werden sie aus den adulten Fliegen herausgeholt und in Metamorphose-bereite Drittlarven überführt. Nimmt in der Wirtslarve die Konzentration des Juvenilhormons ab und die des Ecdysons zu, so setzt in den transplantierten Gastscheiben ebenso wie in den Imaginalscheiben des Wirtes die Metamorphose ein. Das aus der Imaginalscheibe entstandene fertige Produkt,
106
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
Rüsselteile
Augen+Antennen
Beine
Flügel Halteren Tracheen
Genitalien
Abb. 4.41 Drosophila. Imaginalscheiben in der Larve und die aus ihnen hervorgehenden Strukturen der Fliege
Larve, Spender der Imaginalscheibe
Imaginalscheibe geteilt
Scheibenfragment in andere Larve transplantiert
Während der Verpuppung entwickeln sich aus der Scheibe
adulte Strukturen (hier Bein) Scheibenfragment in Leibeshöhle der Fliege implantiert
Scheibe regeneriert Vorgang des Teilens und Implantation zur Regeneration kann beliebig oft wiederholt werden
Ein Scheibenfragment wird zur Prüfung ihres Determinationszustandes in metamorphosebereite Larve implantiert
Es entwickeln sich im Regelfall die gleichen Strukturen wie aus der Originalscheibe
Abb. 4.42 Drosophila. Transplantation und Vermehrung der Imaginalscheiben und Test ihres Determinationszustandes. Experimente von Hadorn 1966
4.7 Tunikaten: „Mosaikentwicklung“ im Stamm der Chordaten?
ein Bein, ein Flügel oder eine andere Struktur, wird aus der Leibeshöhle herausoperiert und begutachtet. Durch Versuche solcher Art wurde von Ernst Hadorn die Heredität der Determination und das gelegentlich auftretende Phänomen der homöotischen Transdetermination entdeckt. Heredität: Der Determinationszustand bleibt bei der Vermehrung der Scheiben (durch Teilen und Regeneration) in aller Regel unverändert und wird an die Tochterscheiben weitergegeben; man erhält Klone gleichartig determinierter Scheiben. Transdetermination: In seltenen Fällen erntet man statt eines erwarteten Beins einen Flügel, statt eines erwarteten Flügels eine Antenne, statt einer Antenne einen Flügel. Transdetermination tritt nach gegenwärtigem Kenntnisstand nur nach wiederholter Regeneration auf, wenn also wieder und wieder Zellteilungen erzwungen werden. Auch wenn Transdetermination plötzlich wie eine Mutation auftritt, ist es unwahrscheinlich, dass sie von einer Mutation ausgeht; denn sie treten doch häufiger auf, als Mutationsraten dies erwarten lassen. Starke Indizien sprechen dafür, dass nicht Gene als solche defekt geworden waren, sondern die Mechanismen der Stilllegung von Genen gestört sind (Epigenetik) oder einzelne Stammzellen in den Scheiben einen falschen Weg der Differenzierung eingeschlagen haben. Jedenfalls hat sich das Determinationsprogramm geändert, bei dem homöotische Gene im Spiel sind. Es kommt zu ähnlichen Transformationen wie nach dem Einkreuzen mutierter homöotischer Gene.
4.7 Tunikaten: „Mosaikentwicklung“ im Stamm der Chordaten? 4.7.1
Tunikaten sind marine Organismen, die – obzwar wirbellos – doch zum Stamm der Chordaten gehören
Dem zoologischen Laien können Tunikaten (Manteltiere) ins Gesichtsfeld geraten, wenn er Seeaquarien betrachtet. Da mag er Seescheiden (Ascidien) zu Gesicht bekommen, die er kaum als Tier, geschweige denn als „höheres“ Tier, ansehen wird. Die festsitzenden, klumpenförmigen Seescheiden gleichen in Lebensweise (Filtrierer) und Aussehen Schwäm-
107
men. Ihre aus den Eiern schlüpfenden, winzigen, Kaulquappen-ähnlichen Larven (Abb. 4.43) jedoch haben eine Chorda, einen dorsalen Nervenstrang und einen Kiemendarm: Attribute, die den Tierstamm (oder die Stammesgruppe) der Chordaten kennzeichnen. Die Larven repräsentieren den Phylotyp des Chordaten. Im Labor (meeresbiologischer Institute) entnimmt man reifen Seescheiden Eier oder Sperma und setzt die Befruchtung wie beim Seeigel nach Bedarf an. Styela plicata (Atlantik, USA), Halocynthia roretzi (Pazifik, Japan) und Phallusia (Mittelmeer) sind viel untersuchte Arten.
4.7.2
Ein Muster an maternalen Determinanten bereitet eine frühe Determination vor; doch haben auch Zellinteraktionen Bedeutung
Mit dem Ausdruck Mosaikentwicklung verbindet sich die historisch alte Vorstellung, das Ei sei in Bezirke unterschiedlicher Qualitäten gegliedert. Im Zuge der Furchungsteilungen würden diese verschiedenen Qualitäten jeweils anderen Zellen zugeteilt; die Blastomeren würden daraufhin zu autonomer, individueller Weiterentwicklung befähigt und determiniert. Diese Auffassung etablierte sich aufgrund von Isolations- und Ausschaltungsexperimenten an Tunikaten. Anders als beim Seeigel (anders auch als bei Amphibien und Säugern) bringen im 2- und 4Zellenstadium getrennte Blastomeren keine ganzen Larven hervor. Defekte, mit Nadel oder Laser gesetzt, werden in der Regel nicht korrigiert (anders jedoch in adulten Tunikaten: Sie regenerieren sehr gut). Tatsächlich enthält das Ascidiennei wie das Ei des Seeigels oder Amphibs Komponenten, die nach der Befruchtung im Zuge eines Entmischungsvorgangs (ooplasmatische Segregation) in einem bestimmten räumlichen Muster angeordnet werden und als cytoplasmatische Determinanten differenzierungsbestimmend sein können. Wie beim Amphibienembryo wird die erste, grundlegende Asymmetrie durch das eintreffende Spermium bestimmt. Ausgelöst durch das Spermium verlagert die ooplasmatische Segregation ein gelbliches Myoplasma an einen bestimmten Ort des Eies. Es enthält eine Komponente, die eine muskelspezifische Entwicklung einleitet. Acht Zellen im vegetativen-posterioren Bereich des 64-Zellen-
108
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
Ooplasmatische Segregation
8-Zellstadium
16-Zellstadium
Polkörper
Myoplasma Gehirnventrikel
Neuralrohr
bilateralsymmetrische Furchung
Mesenchym Muskulatur
Chorda
Auge
Mund
subchordaler Entodermstrang Darm Haftpapillen
Neuroporus
Statolith
LARVE
Abb. 4.43 Tunikaten: Embryonalentwicklung einer Ascidie (Seescheide, Stamm Urochordata). Die entstandene Larve zeigt die Basismerkmale eines Chordaten
Embryos bekommen diese Komponente zugeteilt. Diese Zellen erlangen früh eine muskelspezifische molekulare Ausstattung (z. B. Acetylcholin-Esterase, muskelspezifisches F-Aktin und Myosin) und bringen als primäre Muskelzellen den größten Teil der quergestreiften larvalen Schwanzmuskulatur (Abb. 4.43, s. auch Abb. 9.6) hervor. Isolierte Zellen mit Myoplasma entwickeln sich autonom zu Muskelzellen. Aber es gibt auch sekundäre Muskelzellen, die nur entstehen, wenn ihre Stammzellen Kontakt zu anderen Zellen haben. Es liegen ähnliche Verhältnisse vor wie beim Seeigel und bei Caenorhabditis elegans und Drosophila: Das Wirken cytoplasmatischer Determinanten muss ergänzt werden durch Zell-ZellInteraktionen. Solche stehen bei den Amphibien im Vordergrund (Abschn. 5.1). Zusammenfassung
In diesem Kapitel und Kap. 5 wird die Entwicklung sogenannter Modell- oder Referenzorganismen be-
schrieben, und es werden wichtige Experimente vorgestellt, die mit den jeweiligen Organismen gemacht worden sind. Dieses Kapitel stellt bedeutsame wirbellose Modellorganismen vor. Der Seeigel ist ein Prototyp für tierische Entwicklung überhaupt; darüber hinaus wurden besonders die Befruchtung und der embryonale Zellzyklus zu viel untersuchten Musterfällen. Am Beispiel des Seeigelkeims wurde ferner die Gradiententheorie und damit zusammenhängend, die Morphogenhypothese entwickelt. Die Ausstattung mit Genen für regulatorisch wirkende Proteine (z. B. BMP, CHORDIN, NODAL und WNT) und viele weitere Gene belegen eine nahe Verwandtschaft der Echinodermen zu den Chordaten/Wirbeltieren. Entwicklungsgeschichtlich bilden beide Stämme die Hauptgruppen der Deuterostomier. Dictyostelium, oft als „zellulärer Schleimpilz“ bezeichnet, ist eine Amöbe, die als Einzeller oder als vielzelliger Verband existiert. Es
4.7 Tunikaten: „Mosaikentwicklung“ im Stamm der Chordaten?
wird die chemotaktisch gesteuerte Aggregation einzelner Amöben zu einem vielzelligen Verband (Plasmodium, „slug“) untersucht und die Differenzierung verschiedener Zelltypen (Sporen, Stielzellen) in diesem Verband, der zum „Fruchtkörper“ wird. Hydra, der Süßwasserpolyp, ist der einzige bisher bekannte Vielzeller, der potenziell immortal ist, weil er zeitlebens gealterte und verbrauchte Zellen durch neue ersetzt, die aus stets teilungsfähigen Stammzellen hervorgehen. Es wird die Zelldifferenzierung, insbesondere die Entwicklung von Nervenzellen aus multipotenten Stammzellen untersucht. Regenerationsund Transplantationsversuche gelten der Analyse von Musterbildung und Positionsinformation. Musterbildung umfasst die Gliederung des Körpers in Kopf, Rumpf und Fuß als Ausdruck einer Selbstorganisation, bei der langreichweitige Interaktionen zwischen den Körperregionen stattfinden. Kontinuierlich entlang der Körpersäule abfallende „Positionswerte“ vermitteln ein Positionsgedächtnis, das ortsgerechte Regeneration ermöglicht. Die große Fähigkeit eines vielzelligen Verbandes zur Regeneration und Selbstorganisation ermöglicht es anfänglich chaotisch zusammengesetzten Aggregaten aus Einzelzellen, in die man Hydren zerlegen kann, sich selbst wieder zu ganzen Tieren zu reorganisieren. Im Tierstamm der Cnidarier haben neben Hydra auch das Hydrozoon Hydractinia und die Seeanemone Nematostella Modellcharakter gewonnen. Bei den Cnidariern werden die Ausbildung der primären Körperachse in der Embryonalentwicklung (Hydractinia) sowie die Knospung und Kopfbildung im Polypen durch die Aktivierung des („kanonischen“) WNT-ˇ-CATENINSignalsystems gesteuert. Bei Hydrozoen unter den Cnidariern werden seit langem die Entwicklungspotenz der pluripotenten (Hydra) und totipotenten (Hydractinia) Stammzellen sowie das Phänomen der Transdifferenzierung untersucht, beispielsweise die mögliche Umwandlung quergestreifter Muskelzellen in pluripotente Stammzellen (Podocoryne). Bei Cnidariern insgesamt wurden unerwartet viele Gene gefunden, die in homologer Form auch noch in Wirbeltieren einschließlich des Menschen vorkommen („konservierte Gene“).
109
Caenorhabditis elegans ist ein kleiner Nematode, mit dem klassische Genetik betrieben werden kann und dessen Genom als erstes im Tierreich sequenziert worden ist. Es enthält ca. 19.100 proteincodierende Gene. Seine präzise, stets gleich ablaufende Embryonalentwicklung, die mit einer konstanten Zellenzahl von 556 somatischen Zellen endet, hat eine vollständige Rekonstruktion aller Zellstammbäume ermöglicht. Frühe Zellinteraktionen erwirken eine frühe Determination, nach der die weitere Zellentwicklung weitgehend autonom abläuft. Nach der Determination des Zellschicksals finden noch umfangreiche Positionswechsel der Zellen statt. Spiralier (Schnecken, Borstenwürmer), deren Kennzeichen die Spiralfurchung ist, sind ebenfalls für exakt reproduzierbare Zellgenealogien bekannt: Das Mesoderm geht stets aus der Gründerzelle 4d hervor. Zu einem Modellorganismus aus dem Stamm der Anneliden und der Stammesgruppe der Lophotrochozoa ist Platynereis dumerilii geworden. Auch bei diesem Organismus werden zahlreiche Gene gefunden, die zuvor als wirbeltierspezifisch betrachtet worden waren. Drosophila melanogaster, die Taufliege (Fruchtfliege), ist das Hauptobjekt der genetischen und molekularbiologischen Entwicklungsbiologie. Ihr sequenziertes Genom umfasst ca. 13.600 proteincodierende Gene. Die Embronalentwicklung führt binnen eines Tages über eine superfizielle Furchung und eine atypische Gastrula zu einer Larve, die nach drei Häutungen und ihrer Verpuppung im Zuge der Metamorphose zur Fliege wird. Bei Drosophila wurden erstmals spezielle entwicklungssteuernde Gene identifiziert. Beispielhaft ist bicoid. Es ist ein Gen, das nicht in der Eizelle oder im Embryo selbst aktiv ist, sondern in den Nährzellen des Ovars; damit gehört es zum maternalen (mütterlichen) Genom. Die maternale mRNA wird in die Eizelle geschleust und am Vorderpol fixiert. Das fertige BICOIDProtein liegt in Form eines Konzentrationsgradienten vor; dessen Form ist mitbestimmend für die Dimension von Kopf und Thorax. BICOID ist daher ein Morphogen. Es ist auch ein Transkriptionsfaktor; denn es wandert in die Kerne
110
4 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen I: Wirbellose
und bindet mittels einer Homöodomäne, die sich von der Homöobox des bicoid-Gens ableitet, an die Promotoren – embryoeigener (zygotischer) Gene, deren Expression BICOID steuert. Die entwicklungsbestimmenden Gene gliedern sich in drei Hauptkategorien: 1. Maternale Koordinatengene mit bicoid, nanos, caudal und dorsal; 2. Segmentierungsgene und 3. die homöotischen Gene im engeren Sinn, welche die besondere Qualität der Körpersegmente bestimmen. Mutationen solcher Gene (wie Antennapedia) bewirken beispielsweise, dass statt einem Antennenpaar ein Beinpaar entsteht. Die homöotischen Gene sind auf dem Chromosomen zu zwei Gruppen (cluster) zusammengefasst, dem Antennapedia-Komplex (Antp-C) und
dem bithorax-Komplex (BX-C). Erstaunlicherweise findet man Homologe zu den bei Drosophila gefundenen Genen bei vielen eukaryotischen Vielzellern, auch beim Menschen. In der Metamorphose gehen die äußerlich sichtbaren Teile der Fliege aus Imaginalscheiben hervor; diese können vereinzelt eine Transdetermination (Umlenkung ihres Schicksals) erfahren. Ascidien (Seescheiden, Chordata). Anders als der adulte, festgewachsene Organismus zeigt die kaulquappenähnliche Larve die typischen Chordatenmerkmale. Im Cytoplasma der Eizelle liegen maternale Faktoren vor, welche das Schicksal der Zellen, denen sie zugeteilt werden, früh festlegen, beispielsweise sie zu Muskelzellen programmieren.
5
Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
5.1
Xenopus: Referenzmodell der Wirbeltierentwicklung
5.1.1 Amphibien, und mit ihnen der Krallenfrosch, gelten als Prototypen der Wirbeltierentwicklung, und die Keime sind gut zu handhaben Amphibien repräsentieren den Archetyp der Wirbeltierentwicklung, auf die sich auch die abgewandelte Entwicklung der Reptilien, Vögel und Säuger zurückführen lässt. Abbildung 5.1 gibt die phylogenetische Stellung der viel im Labor untersuchten Wirbeltiere wieder. Waren es in der Zeit von der Antike (Aristoteles, Box 1.1) bis ins 18. Jahrhundert bebrütete Vogeleier, deren Entwicklung Goldstandard für tierische Entwicklung war, so sind es seit 1900 die Amphibien. Die Eier der Amphibien sind dotterreich und groß – oft 1 bis 2 mm im Durchmesser, doch furchen sie sich, von Sonderfällen abgesehen, holoblastisch (was besagt, dass die Eizelle vollständig in Tochterzellen zerlegt wird). Die Furchung führt über eine typische Blastula zu einer lehrbuchmäßigen Gastrula. Darüber hinaus haben Amphibienkeime den Vorzug, dass sie sich im freien Wasser und innerhalb einer durchsichtigen Hülle, die leicht entfernt werden kann, entwickeln. Daher sind sie dem Zugriff experimentierfreudiger Hände leicht zugänglich. Herausgetrennte Stücke von Keimen (Explantate) lassen sich in einfachen Salzlösungen (Holtfreter-Lösungen) ohne Zusätze von Nährsubstanzen kultivieren; denn die Zellen bringen einen internen Dottervorrat mit. Operative Eingriffe, z. B. Transplantationen, lassen sich
mit selbstgefertigten mikrochirurgischen Instrumenten (z. B. Glasnadeln) mit freier Hand durchführen und erfordern keine absolut sterilen Bedingungen. Aufwändige Gerätschaften und Brutschränke sind nicht erforderlich. Zur Startzeit der experimentellen Embryologie waren es Froschkeime (Rana temporaria in Europa, Rana pipiens in Amerika), die experimentelle Eingriffe noch grober Art ertragen mussten. Unter dem späteren Nobelpreisträger Hans Spemann wurden es dann Molchkeime (Gattung Triturus), die zu den Hauptakteuren der klassischen Entwicklungsbiologie wurden. Zwischen 1950 und 1970 wechselten die Hauptdarsteller erneut. Seither werden die Keime des südafrikanischen Krallenfrosches (Krallenkröte) Xenopus laevis (Abb. 5.2 und 5.3) bevorzugt. Zwar sind operative Eingriffe schwieriger, doch kann der stets im Wasser lebende Krallenfrosch im Labor gezüchtet werden; man muss nicht in die natürlichen Populationen eingreifen (Artenschutz!), und die Krallenfrösche können zu jeder Jahreszeit durch Injektion von gonadotropen Hormonen zum Ablaichen ihrer Eier bzw. Spermien veranlasst werden. (Auch humanes Gonadotropin ist geeignet; darauf beruhte der erste Schwangerschaftstest: Injektion von Urin einer Schwangeren kann Ablaichen auslösen.) Nach der Befruchtung kann die Gallerthülle des Eies chemisch entfernt werden (z. B. mit 25 % Cystein-HCl, pH 7,4). Xenopus laevis hat eine unerwünschte Eigenheit. Die Art ist tetraploid. Wollte man Mutationen erzeugen und die mutierten Allele in einen homozygoten Zustand bringen, müsste man in äußerst umfangreichen und langwierigen Inzuchtkreuzungen nicht nur zwei, sondern vier mutierte Allele in einem einzigen
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_5,
111
112
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
4
11
Axolotl Ambystoma
8 9 Medaka
5
12
Teichmolch Triturus
6
Danio
2
Xenopus
7
13
1 10
Branchiostoma (Amphioxus)
Xenopuslarve
3 Fische
Amphibien
Cephalochordata
Gallus Huhn
Reptilien /Vögel (Sauropsiden)
14 Mus Maus Mammalia
Urochordata
Vertebrata
Chordata Deuterostomier
Abb. 5.1 Modellorganismen II. Vertebraten, die in diesem Buch behandelt oder erwähnt werden, eingegliedert in den derzeit aufgrund molekulargenetischer Daten bevorzugten Stammbaum. (Der Cephalochordat Branchiostoma repräsentiert eine Seitenlinie der Chordaten, die nicht zu den Vertebraten gehört).
Bildrechte liegen bei 1 Jonathan Veracaripe, 5 Julius Kramer, 11 ethlife, ETH-Zürich, 12 Michael F. McElwaine, 13 Dr. Alexander Aulehla, EMBL; Bilder reproduziert mit freundlicher Genehmigung der Autoren. Die weiteren Bilder Lehrbildsammlung WM
Individuum zusammenbringen. Dies ist schier unmöglich. Daher wird mehr und mehr auch auf die ostafrikanische, diploide Art Xenopus tropicalis zugegriffen, wenn Genetik und die Erzeugung transgener Tiere gefragt sind. Mit äußerst delikaten Methoden kann man jedoch auch in Xenopus laevis Transgene einführen. Es sind indessen Methoden, die Spezialisten vorbehalten sind.
5.1.2
Die Oogenese von Xenopus hat als Modellfall grundlegende, auch für den Menschen gültige Erkenntnisse geliefert
Man würde die Oogenese beim Menschen (s. Abb. 6.1) kaum verstehen, wäre nicht zuvor eingehend die Oogenese von Xenopus eingehend studiert worden.
5.1 Xenopus: Referenzmodell der Wirbeltierentwicklung
1958 fanden Forscher der Universität Oxford eine Mutante, in deren somatischen Zellen nur ein Nucleolus zu sehen war statt der zwei Nucleoli, die man in normalen Wildtypzellen findet. Nucleoli sind die Fabriken, in denen die Ribosomen hergestellt werden. Diese Fabriken werden an jenen zwei homologen Chromosomen errichtet, in denen mehrere ribosomale Gene (18S-, 5,8S-, 28S-rDNA) jeweils zu einem „Nucleolus-Organisator“ zusammengefasst sind. Die heterozygote Mutante, genannt 1-nu (1 Nucleolus), war lebensfähig, weil ein Satz intakter ribosomaler Gene genügt, um Ribosomen in ausreichender Menge herzustellen. Durch Inzuchtkreuzen (1-nu 1-nu) erhielt man homozygote Wildtypen 2-nu (2 Nucleoli), heterozygote 1-nu (1 Nucleolus) und homozygote 0-nu (kein Nucleolus) im mendelschen Verhältnis 1 W 2 W 1. Die homozygoten 0-nu-Nachkommen, die keine Nucleoli und damit auch keine Ribosomen herstellen konnten, waren naturgemäß nicht lebensfähig – auf lange Sicht. Überraschenderweise durchliefen die 0-nu-Keime jedoch eine normale Embryonalentwicklung und erreichten sogar das Kaulquappenstadium. Dann erst starben sie ab. Dieser überraschende Befund führte zu der Arbeitshypothese, die Oocyten hätten schon vor der Meiose einen Vorrat an Ribosomen angelegt. Vor der Meiose herrschte ja die heterozygote 1-nu-Konstitution, und es war noch ein Satz intakter Gene verfügbar. (Während der Meiose geriet dieser Satz in einen Richtungskörper (Polkörper) und ging deshalb verloren; und da das 0-nu-Spermium auch keinen Satz intakter Gene mitbrachte, wurde die befruchtete Eizelle homozygot 0-nu/0-nu.)
Der in der frühen Oogenese angelegte Vorrat an Ribosomen reicht für die Bewältigung der ganzen Embryonalentwicklung aus. Allerdings werden in der normalen Entwicklung nicht erst in der Kaulquappe, sondern schon in der Blastula die embryoeigenen Gene eingeschaltet, um den Vorrat an Ribosomen und anderen Genprodukten aufzufüllen Die Periode, in der dies geschieht, wird midblastula transition genannt. Mit ihr enden die schnellen, synchronen Zellteilungen.
113
Ablaichbehälter
Hormoninjektion in dorsalen Lymphsack Abb. 5.2 Xenopus. Hälterung und Injektion gonadotroper Hormone zur Auslösung des Ablaichens
In Amphibien-Weibchen beginnt die Oogenese bald nach der Metamorphose und dauert mehrere Monate. Die Prophase der Meiose schreitet voran bis zum Diplotän. Dann wird die Prophase längere Zeit unterbrochen, während der die Oocyte zur riesigen Eizelle heranwächst. Im Kern der Oocyte setzt eine hohe transkriptionelle Aktivität ein, nachdem zuvor die Chromosomen wieder dekondensiert wurden. Es erscheinen Lampenbürstenchromosomen, und als Ausdruck einer rDNA-Amplifikation erscheinen bis zu 1000 (multiple) Nucleolen (Kap. 8; s. Abb. 8.4, 8.5 und 8.6). Weiterhin liefert die Leber maternale Vitellogenine (Proteine), die über den Blutstrom den Oocyten zugeführt werden. Die gefräßigen Oocyten nehmen die Vitellogenine per Endocytose auf und speichern sie in den Vesikeln, die man Dottergranula oder Dotterplättchen nennt. Die Oogenese allgemein wird im Kap. 8 näher beschrieben.
5.1.3
Bei der Festlegung der Körperkoordinaten, und damit der Bilateralsymmetrie, wirken äußere Richtungsgeber mit: Schwerkraft und Spermium
Festlegung der Körperachsen und der Symmetrieebenen Bereits vor Einsetzen der Furchungsteilungen kommen Prozesse in Gang, die zur Etablierung der
114
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
Xenopus laevis
Abb. 5.3 Larvalentwicklung und Metamorphose des Krallenfrosches Xenopus laevis
a
b
d c
Raumkoordinaten, d. h. der Bilateralsymmetrie, führen. Anders als bei Drosophila wird bei den Amphibien den Eiern keine so umfassende mütterliche Mitgift mitgegeben, dass die Bilateralsymmetrie vollständig vorbestimmt wäre. Äußerlich sieht man eine von Melaninpigmenten dunkel gefärbte animale Halbkugel und eine helle vegetative Halbkugel. Es gibt also eine vorgegebene animal-vegetative Polarität. Die Pigmente sind in die Eirinde eingelagert und radiär um die animal-vegetative Polaritätsachse angeordnet. Eine weitere Polaritätsachse ist nicht erkennbar. Als bilateral-symmetrischer Organismus braucht das Wirbeltier aber zwei Polaritätsachsen: eine anteroposteriore Achse und eine dorso-ventrale. Die dorsoventrale Medianebene wiederum trennt linke und rechte Körperhälften, deren Achsen von der Medianebene nach außen gerichtet sind. Wie kommen die Achsen zustande, welche Beziehung gibt es zwischen der animal-vegetativen Achse und den endgültigen Körperkoordinaten? Betrachtet man den Keim als Erdkugel und projiziert den späteren Embryo auf diese Kugel, so wird der Kopf in der Nähe des animalen „Nordpols“ zu liegen kommen – bei anderen Amphibien eher auf dem nördlichen Wendekreis – und die Kopf-RückenSchwanzlinie wird entlang eines Meridians über die animale Hemisphäre hinab bis unterhalb des Äquators
Metamorphose des Krallenfrosches
ziehen (Abb. 5.4). Es ist jedoch nicht von vornherein festgelegt, auf welchem der 360 Meridiane diese Linie verlaufen wird. Die Festlegung dieser Linie („Nullmeridian“), d. h. der künftigen Rückenseite, geschieht durch mehrere miteinander verschränkte Ereignisse. Neben der vorgegebenen animal-vegetativen Eiachse sind entscheidend: (a) der Eintrittsort des Spermiums und (b) die Schwerkraft. Das Spermium kann sich nur auf der animalen Hemisphäre anheften; der genaue Ort – und damit auch der Meridian – sind dem Zufall überlassen. Mit der Fusion der Spermienmembran mit der Eimembran werden eine lokale Kontraktion der Eirinde und das Abheben der Befruchtungsmembran (erläutert in Kap. 3) ausgelöst. Das Ei kann nun frei in seiner Hülle rotieren und orientiert sich im Schwerefeld so, dass die dotterbepackte, helle vegetative Hälfte nach unten weist. Bald darauf kommt es zur corticalen Rotation. Als Cortex (Eirinde) wird die mit der Zellmembran assoziierte, massendichte periphere Schicht des Cytoplasmas bezeichnet. Sie ist von einem Aktinnetz und Bündeln von Mikrotubuli durchzogen. Die parallel zur Eioberfläche verlaufenden Mikrotubuli können durch Kinesinmotoren gegeneinander verschoben werden. Die koordinierte Bewegung des Mikrotubulisystems bewirkt, dass der Eicortex um einen Betrag von 30ı um die innere Cytoplasmamasse rotiert (Abb. 5.4).
5.1 Xenopus: Referenzmodell der Wirbeltierentwicklung
a
115
b
c
Urodelen
an
animaler Pol
dorsal
anterior
Anuren grauer Halbmond Cortcalrotation
posterior ventral vegetativer Pol
veg
Abb. 5.4 Amphibien: Determination der Bilateralsymmetrie. Der künftige posterior-dorsale Pol des Embryos (Schwanzknospe) liegt diagonal entgegengesetzt zur Eintrittsstelle des Spermiums. a Nachdem das Spermium eingedrungen ist, wird der Spermaster im Zentrum des Eies sichtbar und die Carticalrotation tritt ein. b Der beim Frosch nach der Corticalrotation sichtbar werdende graue Halbmond ist von der Seite gese-
hen. c Die Projektionen der Embryonen auf die Eikugel lassen die Zellbewegungen während der Gastrulation außer Acht und repräsentieren deshalb keinen echten Anlagenplan. Die Projektionen überlagern lediglich das Bild der anfänglichen Eikugel und die Lage der Embryonen am Schluss der Embryonalentwicklung
Im Zuge dieser Rotationsbewegung verlagern sich cytoplasmatische Komponenten einschließlich maternaler RNA. Am vegetativen Pol befindliches Cytoplasma gerät in den Bereich, in dem sich der Urmund bilden wird. Insgesamt ist nun die Bilateralsymmetrie festgelegt: vorne und hinten, dorsal und ventral sind definiert. Bei manchen Fröschen macht die Rotation des Eicortex jenen Bezirk, in dem sich der Urmund bilden wird, teilweise frei von Melaninpigmenten und es erscheint der sogenannte graue Halbmond (Abb. 5.5; bei Xenopus leider nicht erkennbar!). Der Ort, an dem dies geschieht, liegt im Regelfall diagonal gegenüber dem Eintrittsort des Spermiums unterhalb des Äquators. Im Bereich des grauen Halbmondes wird künftig die Gastrulation einsetzen und damit der Urmund (Blastoporus). Dieser wird bei den Deuterostomiern, zu denen die Wirbeltiere gehören, zum After. Zieht man vom Mittelpunkt des grauen Halbmondes eine Linie zum animalen Nordpol, so fährt man die künftige Rückenlinie entlang. Das Kopfende dieser Rückenlinie liegt im Umfeld des Nordpols. Solche Projektionen dürfen aber nicht als Anlagenplan missverstanden werden; denn das Material, das entlang dieses dorsalen Meridians liegt, wird später im Zuge der Gastrulation großenteils ins Innere verlagert. Areale, die in der Blastula in der Nähe des künftigen Urmundes liegen, geraten dabei in den Kopfbereich; Areale, die anfänglich näher bei den Polen liegen, geraten in den Schwanzbereich.
5.1.4
Furchung und Gastrulation verlaufen lehrbuchmäßig. Bei der Involution des Urdarms gelangt auch Zellmaterial ins Innere, welches zuerst das Urdarmdach und später Chorda und Mesoderm bildet
Die radiäre, holoblastische Furchung (Abb. 5.5 zeigt eine reale Abb. 5.6 eine schematisierte Darstellung) führt zu einer Blastula, deren vegetative Zellen mit Dotter gefüllt sind. Diagonal gegenüber der Eintrittsstelle des Spermiums setzt die Gastrulation (Abb. 5.7) im Zentrum jenes Areals ein, das dem grauen Halbmond der Gattung Rana entspricht. Hier senkt sich ein Urmund (Blastoporus) ein, deren oberer Rand als obere Urmundlippe in der Welt der Entwicklungsbiologen Berühmtheit erlangt hat (s. unten Abschn. 5.1.10). Im geschlossenen Verband strömen nun die Zellen des Blastoderms zum Urmund und dringen durch den Urmund in den inneren Hohlraum (Blastocoel). Der Entwicklungsbiologe spricht von Invagination, wenn das Halbmondareal des Blastoderms sich zum Urmund eindellt und der Rand des Urmundes entsteht. Man spricht von Involution, wenn anschließend weitere Zellkohorten den Urmundrand umrollen, um ins Keimesinnere einzudringen. Die ersten ins Keimesinnere aktiv hineinkriechenden Zellen nehmen eine Form an, die ihnen die Bezeichnung Flaschenhalszellen einbrachte. Unter ihrer Führung breiten sich die ins Keimesinnere eingedrungenen Zellverbände ent-
116
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
I. Furchung
II. Gastrulation Blastoporus
a
b
grauer Halbmond
Neuralfalten
d
IV. Schwanzknospenstadium Organogenese
III. Neurulation Neuralplatte
c
Neuroporus Augenanlage Kiemenbögen
Auge
Saugnapf äußere Kiemen Muskulatur
e
f
g
V. Larvalperiode
h
Atemloch (Spiraculum) innere Kiemen
h
Abb. 5.5 Embryonalentwicklung eines Frosches (Rana, nach Houillon (1972)). c Der graue Halbmond liegt hier posterior über dem schlitzförmigen Urmund
lang der Innenseite des Blastoderms aus und bilden die Wand des blasenförmigen Urdarms (Archenteron) Bei diesem Gleitvorgang erzeugen differenzielle Zelladhäsion und Filopodien die physikalischen Kräfte für die Bewegung. Diese aktive Involution wird unterstützt durch eine Epibolie des Blastoderms: Obwohl von der Wand der Blastula mehr als die Hälfte im Inneren verschwindet, wird der Umfang des Keims nicht geringer; denn die Zellen der Außenwand dehnen sich über dem dotterreichen Urdarm aus, umgreifen ihn und kompensieren flächenmäßig den Verlust. Keimblattbildung Gastrulation bedeutet auch Keimblattbildung. Der Urdarm kann als Mesentoderm bezeichnet werden; denn er ist Ursprung für das Entoderm und das Mesoderm. Bei vielen Amphibien, z. B.
bei Molchen, löst sich vom Urdarm das ganze Dach ab und wird insgesamt zum Mesoderm. Die dachlose Urdarmschale schließt sich wieder und wird zum rohrförmigen Urdarm. Bei Xenopus ist das Urdarmdach mehrere Zellschichten mächtig. Die dorsale Schicht wird zum Mesoderm, die ventrale Schicht wird zum Dach des Urdarms und wird damit Teil des Entoderms (Abb. 5.7). Es sind nun die drei klassischen „Keimblätter“ der Triploblasten ausgesondert: Das Entoderm (Endoderm) ist nach der Ausgliederung des Mesoderms identisch mit dem Urdarm. Das Mesoderm ist jene zuerst flächige, vom Urdarmdach ausgegliederte Zellschicht, die nun auf der dorsalen Seite des Keims zwischen Urdarm und Außenwand liegt. Der Mittelstreifen des Me-
5.1 Xenopus: Referenzmodell der Wirbeltierentwicklung
117
Xenopus Frühentwicklung
Abb. 5.6 Amphibien. a Polaritätsachsen im befruchteten Ei (Zygote); b–d Furchung e Blastula bei einsetzender Gastrulation, das rote Band in e heißt Marginalzone
Festlegung der Koordinaten Kopfpol
Ende der Furchung
künftiges Mesoderm
Rückenseite
Spermium
künftiger Organisator künftiger Urmund
a
e
Bauchseite
Blastula
Organisator (Signalsender)
Furchung
b
c Erste Zellteilung
soderms formt sich sogleich zur Chorda dorsalis, die Seitenstreifen bilden anschließend die Somiten (Abschn. 5.1.6). Das Ektoderm ist die außen verbliebene Zellschicht; sie wird im animalen Bereich auch als Neuroektoderm bezeichnet, weil sich aus diesem Bereich in der nun folgenden Entwicklungsetappe die Anlage des Nervensystems herausbilden wird.
5.1.5 Neurulation: Die Anlage von Gehirn und Rückenmark wird als Neuralrohr herausgeformt Während sich im Mesoderm die Chorda ausgliedert, bildet sich darüber in der Außenschicht des Keims die Neuralplatte (Abb. 5.8). Deren Ränder bilden die Neuralfalten (Neuralwülste), die sich hochwölben und in der Mittellinie des Keims treffen. Hier schließen sich die Falten zum Neuralrohr, das in die Tiefe absinkt und sich von der Oberfläche ablöst. Über dem Rohr schließt sich das Ektoderm wieder. Restliche Zellgruppen entlang des Neuralrohrs, die Neuralleisten, werden das Nervensystem vervollständigen durch Bildung der Spinalganglien und des ve-
d 8-Zellen-Stadium
Blastula
getativen, autonomen Nervensystems (s. Abb. 15.3 und 16.16). Über weitere Bildungspotenzen der faszinierenden Neuralleistenzellen berichten Abschn. 15.2 und 16.5.
5.1.6
Aus dem Mesoderm gehen besonders viele innere Organe und Gewebe hervor: Chorda, Skelett, Muskulatur, Herz, Blut, Nieren und manches mehr
Das ausgesonderte Mesoderm gliedert sich in einem Prozess der Selbstorganisation in fünf Teile (Abb. 5.8, 5.9 und 5.10). Entlang der Mittellinie formt sich der runde Stab der Chorda dorsalis D Notochord. Er ist ein steifes, physikalisch knorpelähnliches Element, das zur Streckung des Keims in der Längsachse beiträgt. Die Lage der Chorda gibt die Lage der künftigen Wirbelsäule vor; diese wird die Chorda anatomisch und mechanisch ersetzen. Links und rechts von der Chorda gruppieren sich die Zellen in die metameren, d. h. periodisch sich wiederholenden, Pakete der Somiten (Abb. 5.8 und 5.9).
118
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
Xenopus Gastrulation
Neuralwulst
obere Urmundlippe
a1
Dotterpfropf Urmund mit Dotterpfropf
b1
c1
Marginalzone
führende Flaschenhalszellen
Urdarmhöhle
obere Urmundlippe
Ektoderm Neuralwulst
Mesoderm Entoderm Urmund (Blastoporus)
a2
b2
c2
Abb. 5.7 Amphibien. Gastrulation. a1–c1 Blick von außen auf den Urmund (Blastoporus) a2–c2 Embryo aufgeschnitten, Blick von der Seite
Die beidseitig anschließenden Reste des abgelösten Urdarmdaches werden zu den flächenhaften Seitenplatten, die sich zwischen Ektoderm und Urdarm ausdehnen. Die umfangreichste Entwicklungspotenz haben die Somiten. Sie lösen sich erst in zwei Hauptgruppen von Zellen auf, das Sklerotom und das Myodermatom. Das Myodermatom gliedert sich weiter in Myotom und Dermatom (Abb. 5.10). Sklerotom: Die Zellen der Sklerotome wandern aus, umschließen die Chorda und bauen die Wirbelkörper auf. Die zwei Reihen der Somiten liefern gemeinsam das Zellmaterial für die unpaare Wirbelsäule. (Der einzelne Wirbelkörper wird vom posterioren Teil eines Sklerotompaares und dem anterioren Teil des folgenden Sklerotompaares gebildet, s. Abb. 6.23.) Myotom: Die Pakete der Myotome dehnen sich aus und werden zur quergestreiften Körpermuskula-
tur. Ein Teil der Myoblasten wird später in die Extremitätenknospen auswandern. Dermatom: Die Zellen des Dermatoms breiten sich, an der Innenfläche des Ektoderms entlang gleitend, weiträumig aus, um später teils weitere Muskulatur, teils die Dermis zu bilden. Die Herkunft weiterer Skelettstrukturen und der Bindegewebe ist schwer zu verfolgen; sie haben ihren Ursprung teils in der Dermis (Hautknochen), teils in den Seitenplatten. Seitenplatten: Die Seitenplatten sparen einen Hohlraum aus. Sie werden zu abgeflachten Blasen, die das Coelom (D sekundäre Leibeshöhle) umhüllen. Das Coelom wird sich später in die Perikardhöhle, die das Herz beherbergt, und die große Leibeshöhle (Pleuroperitonealhöhle) gliedern. Bei Säugern wird sich die große Leibeshöhle weiter untergliedern in Pleuralhöhle (Lungenraum) und Peritonealhöhle (um den Magen-Darmtrakt). Die Wand der Seitenplatte, wel-
5.1 Xenopus: Referenzmodell der Wirbeltierentwicklung
119
Xenopus Neurulation - phylotypisches Stadium Neuralplatte
Neuralfalten Neuralfalten
a
c
b
hintere Hälfte
Neuralrohr
sich zum Rohr schließend
Urmund
phylotypisches Stadium Neuralrohr Neuralrohr Somit (Ursegment)
Ektoderm
Chorda Aorta
Mesoderm Entoderm Vorniere Epidermis
d
Darm
e Herz/ventrale Kardinalvene
Abb. 5.8 Neurulation bei Xenopus. Blick auf die hintere Hälfte des Embryos. In e ist das phylotypische (stammestypische) Stadium eines Vertebraten erreicht
che sich dem Ektoderm anschmiegt (Somatopleura, parietales Mesoderm) wird Rippen- und Bauchfell bilden, die Wand, welche sich dem Urdarm anschmiegt (Splanchnopleura, viscerales Mesoderm) wird die muskulären Außenschichten des Darms und dessen Aufhängeeinrichtung (Mesenterien) hervorbringen. Somiten und Seitenplatten sind durch die Ursegmentstiele miteinander verbunden, aus denen das frühembryonale Urogenitalsystem (Pronephros) hervorgeht. Vorn ventral, wo sich linke und rechte Seitenplatte unterhalb des Urdarms einander nähern, sammeln sich Wanderzellen (Hämangioblasten und Myocardioblasten), die sich zu Herz und Gefäßen organisieren (s. Kap. 17, Abb. 17.1).
5.1.7 Aus dem Entoderm gehen hervor: Magen-Darmtrakt, Lunge, Leber, Pankreas und Harnblase Der Urdarm bildet die Speiseröhre und den MagenDarm-Trakt mit Anhangsorganen wie Kiemen, Lunge, Leber, Gallenblase, Pankreas (Bauchspeicheldrüse) und Harnblase. Es ist aber nur die innere Schicht dieser Organe, die entodermalen Ursprungs ist. Die Muskulatur des gesamten Traktes und seiner Anhangsorgane entstammt dem Mesoderm; die Nervennetze und neurosekretorischen Zellen des MagenDarm-Traktes gehen aus eingewanderten Neuralleistenzellen hervor.
120 Abb. 5.9 Amphibien/Wirbeltiere. Phylotypisches (stammestypisches) Stadium, Körpergrundgestalt
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
Neuralrohr Gehirn
Rückenmark Somiten Chorda Coelom Darmtrakt
Kiemenspalten
Herz
Augenball künftiger Mund
5.1.8 Berühmte Experimente am Amphibien-Frühkeim: Kerntransplantationen, Klonen, eineiige Zwillinge und Chimären Kerntransplantationen Berühmt wurden die Experimente, die zur Herstellung geklonter Krallenfrösche führten und in Kap. 13 im Detail vorgestellt und diskutiert werden. Konzipiert waren die Experimente, um zu prüfen, ob somatische Kerne im Zuge der Entwicklung totipotent bleiben oder ob genetische Information irreversibel verloren geht bzw. inaktiviert wird. Eineiige Zwillinge und Chimären Eines der ersten, zur damaligen Zeit viel beachteten Experimente der Entwicklungsbiologie wurde 1888 von Wilhelm Roux, Halle, gemacht. Es liegen Froschkeime im 2- oder 4Zellenstadium unter der Lupe. Mit einer heißen Nadel tötet Roux jeweils eine der beiden Blastomeren ab. Da er die abgetötete Zelle nicht entfernt, erhält er Krüppelembryonen, die nur eine heile Hälfte haben. Roux deutete die Beobachtung so, dass bereits früh jede Blastomere auf ihr Schicksal festgelegt sei und unabhängig von den anderen ihre Entwicklung durch „Selbstdifferenzierung“ fortsetze. Seine Vorstellung ging als „Mosaiktheorie“ in die Lehrbücher ein. Allerdings sah Roux auch manche Indizien für späteres Regulationsvermögen, wie es nach ihm Hans Spemann zu sehen bekam. Hans Spemann, der später mit dem Nobelpreis geehrt werden sollte, überprüfte um 1920 in Freiburg i. Brsg. die Befunde mit anderer Technik. Er
nahm Haarschlingen, um Embryonen des 2-Zellenstadiums, und auch weiter entwickelte Keime, entlang der animal-vegetativen Achse ganz oder teilweise durchzuschnüren. Ergebnis waren bei vollständiger Trennung eineiige Zwillinge, bei partieller Trennung partiell verdoppelte, im restlichen Körper miteinander verwachsene „siamesische“ Zwillinge (Abb. 5.11). Durch Aufeinanderpressen zweier Frühkeime unterschiedlicher Arten (Frosch und Molch) erhielt Spemann Fusionskeime, die zu Chimären wurden, d. h. zu Individuen, die aus einem Mosaik genetisch unterschiedlicher Zellen bestanden. In solchen Chimären kann dank unterschiedlicher Pigmentierung der Ausgangsarten festgestellt werden, ob eine entstehende Struktur der einen oder anderen Art entstammt. Experimente mit Geweben verschiedenartlicher Herkunft wurden in umfangreichen Transplantationsstudien fortgesetzt.
5.1.9
Mittels Transplantationen kann das Determinationsgeschehens analysiert werden: ortsgemäßes oder herkunftsgemäßes Verhalten der Transplantate?
Ortsgemäße oder herkunftsgemäße Entwicklung – Positionsinformation An Amphibien, vor allem an Molchen, wurden zwischen 1920 und 1940 in der Schule von Hans Spemann aufsehenerregende Experimente über Signalwirkungen zwischen Teilen des Embryos (embryonale Induktion) durchgeführt. Die
5.1 Xenopus: Referenzmodell der Wirbeltierentwicklung Abb. 5.10 Amphibien/Wirbeltiere. Entwicklung nach der Neurulation und Liste der Keimblatt-Derivate
121
NEURALES EKTODERM 1. Neuralrohr 2. Neuralleiste
Gehirn, Rückenmark Spinalganglion, Sympathicus u.a.
EKTODERM Nasen-, Ohrplakode, Epidermis
Myotom → Muskulatur Dermatom → Dermis
Seitenplatte
MESODERM
Somit
Chorda dorsalis
Sklerotom → Wirbel
Myotom Dermatom
Niere prim. Harnleiter
Sklerotom Segmentstiel
Gonade Bauchfell
Aorta Coelom
Leibeshöhle
Somatopleura
glatte Muskulatur
Splanchnopleura Angioblasten
Herz, Blutgefäße
ENTODERM
Oesophagus, Magen, Darm, Lunge, Leber, Harnblase
Myotom → Muskulatur Dermatom → Dermis Niere prim. Harnleiter Gonade
Experimente bestanden darin, dass mittels handgefertigter mikrochirurgischer Instrumente Stücke von Spenderkeimen unterschiedlicher Entwicklungsstadien entnommen und in frühe Empfängerkeime an anderer Stelle transplantiert wurden. Ziel der Versuche war es herauszufinden, ob die Gewebestücke sich am neuen Ort ortsgemäß verhalten würden, also noch gemäß ihrer neuen Position umprogrammiert werden könnten, oder ob sie sich herkunftsgemäß verhalten würden, also bereits determiniert seien. Damit sollte die Frage beantwortet werden, wann die anfänglich
umfangreiche Entwicklungspotenz der Zellen auf das prospektive Schicksal (prospektiv D gemäß der normalen künftigen Bestimmung) eingeengt wird. Ein bekanntes Experiment zur Frage der Positionsinformation (Spemann hat diesen Begriff noch nicht gebraucht, aber von „ortsgemäß“ gesprochen): Noch nicht determinierte, prospektive Bauchhaut des Frosches bildet in der Mundregion des Molches ortsgemäß Zähne (aber Hornzähne wie es der genetischen Potenz der transplantierten Zellen entspricht; denn Kaulquappen der Frösche tragen Hornzähne
122
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere Molch2-Zellenstadium
FROSCH
MOLCH
Organisator MolchGastrula völlige Durchschnürung partielle Durchschnürung
FROSCHKEIM
b
MOLCHKEIM prospektive Mundregion
"siamesische" Zwillinge
prospektive Bauchepidermis
a Eineiige Zwillinge Abb. 5.11 Amphibien. Schnürungsexperimente von H. Spemann am Molchkeim. Vollständige Durchschnürung führt zu eineiigen Zwillingen, teilweise Durchschnürung zu partieller Verdoppelung des Körpers („siamesische Zwillinge“ im Volksmund). Durchschnürung einer Blastula oder frühen Gastrula führt nur dann zu einer (ganzen oder teilweisen) Verdoppelung des Körpers, wenn beide Keimeshälften etwas von der Region des Spemann-Organisators erhalten
(Abb. 5.12). Im Zuge solcher Experimente wurde das Induktionsphänomen entdeckt.
5.1.10 Transplantationen führten zur Entdeckung der embryonalen Induktion und des wirkungsvollsten embryonalen Signalzentrums, des Spemann-Organisators Die systematischen Transplantationen führten zu Entdeckung der embryonalen Induktion. Ein in früheren Lehrwerken oft genanntes Schulbeispiel: Das obere
Hornkiefer Saugnapf Haftfaden
Abb. 5.12 Amphibien. Nachweis einer Positionsinformation durch Transplantation. Künftige („präsumptive“, „prospektive“) Bauchepidermis wird, wenn sie noch nicht determiniert ist, in der Mundregion des Molches nicht „herkunftsgemäß“ Bauchepidermis, sondern „ortsgemäß“ Froschmund. Experiment aus der Spemann-Schule
Urdarmdach induziert im darüberliegenden Ektoderm die Bildung der Neuralplatte und damit des Zentralnervensystems. Diese einstmals „primär“ genannte Induktion ist jedoch Folgeergebnis früherer Ereignisse. Wir stellen, die zeitliche Reihenfolge induktiver Ereignisse im Embryo (Abschn. 5.1.12) vorerst missachtend, das spektakulärste Ereignis in den Vordergrund: die obere Urmundlippe als Organisator.
5.1 Xenopus: Referenzmodell der Wirbeltierentwicklung
123
Spemann-Mangold-Organisator-Experiment Glasskalpell
Obere Urmundlippe (Spemann-Organisator)
a Spender: frühe Gastrula
b1
so oder so
b2 Empfänger primäre Neuralanlage
Empfänger
c d induzierte, sekundäre Neuralanlage
induzierte Doppelbildung
Abb. 5.13 Amphibien. Induktion eines Zweitembryos durch Transplantation einer oberen Urmundlippe (SpemannOrganisator). Rot kennzeichnet das Transplantat, das sich im
induzierten Zweitembryo wiederfindet. Der Zweitembryo wird jedoch überwiegend vom Wirtskeim geformt. Experiment von Hilde Mangold und Hans Spemann 1924
Die Transplantation der oberen Urmundlippe durch die Mitarbeiterin von Hans Spemann, Hilde Mangold, hatte um 1920 eines der aufregendsten Ergebnisse der experimentellen Biologie geliefert. In die Wand einer Blastula eingesetzt an einem Ort, wo sich später Bauchhaut gebildet hätte, oder einfach ins Blastocoel hineingesteckt, induzierte die obere Urmundlippe einen nahezu vollständigen Zweitembryo, der mit dem Erstembryo einen „siamesischen“ Zwilling bildete (Abb. 5.13). Der Zweitembryo, der einen Kopf, Achsenorgane (Neuralrohr, Chorda), Somiten etc. besaß, war zum geringeren Teil aus dem Transplantat, zum größeren Teil aus Zellen des Wirtsembryos hervorgegangen; das implantierte Stück hatte also die umgebenden Zellen instruiert und organisiert. Für die Entdeckung dieser Organisatorwirkung erhielt Hans Spemann 1935 (als zweiter Biologe nach Thomas H. Morgan) den Nobelpreis für Medizin. Der Bereich der Blastula/Gastrula, in dem sich die obere Urmundlippe formt, heißt heute SpemannOrganisator.
Hilde Mangold erlitt bald nach ihrer Entdeckung einen tödlichen häuslichen Unfall. Weil nach den Regularien des Nobelpreiskomitees posthum kein Preis verliehen wird, ist ihr Name in der Liste der Nobelpreisträger nicht aufgeführt. Allerdings war es Spemann, der die Experimente vorschlug, die große Bedeutung des experimentellen Ergebnisses erkannte und sie in einem heute noch lesenswerten Buch publik machte (s. Bibliographie).
Es sei ausdrücklich betont, dass der SpemannOrganisator keine stets gleiche Zellpopulation ist; denn die Zellen, die im jetzigen Augenblick die Urmundlippe bilden, sind im nächsten Augenblick im Keimesinneren verschwunden und durch neu angekommene Zellen ersetzt. Die obere Urmundlippe ist einem Wasserfall vergleichbar: Aus der Ferne sieht man ein statisches Gebilde, in der Nähe sieht man ein ständiges Strömen; die Urmundlippe ist in diesem Bild die Kante des Wasserfalls. Der Organisator bezeichnet eine Region, durch die Zellen hindurchwandern und dabei Information zugeteilt erhalten (induziert werden), die ihr weiteres Schicksal festlegt. Man kann auch sagen: Der Organisator ist ein Prozess (oder,
124
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
mit einem anderen Bild erläutert, ein Klassenzimmer, durch das Zellen hindurchwandern und das sie mit neuer Information verlassen).
Eine größere Zahl von Autoren ist der Auffassung, dass es zwischen Corticalrotation und der Einrichtung des Spemannschen Organisators eine Zwischenstufe gebe: Zuerst werde im Bereich des grauen Halbmondes (bzw. bei Xenopus im äquivalenten Bezirk) ein Vorsender errichtet, das Nieuwkoop-Zentrum. In der 32-ZellBlastula strahlten von diesem Zentrum Signale aus, welche die unmittelbar darüberliegenden Zellen zum Spemannschen Organisator machten. Andere Autoren betrachten NieuwkoopZentrum und Spemann-Organisator als zwei aufeinander folgende Stadien desselben Signalzentrums. In beiden Zentren sind auch identische Signalmoleküle entdeckt worden, beispielsweise vom maternalen ˇ-Catenin-Protein induzierte Vertreter der WNT-Signalmoleküle. Über das WNT-ˇ-Catenin-System wird im folgenden Abschn. 5.1.12 und in diesem Buch noch oft berichtet werden, zusammenfassend in Kap. 11.
5.1.11 Der Organisator gliedert sich auf in Kopf- und Rumpf-Induktor Der Spemann-Organisator ist schon in der beginnenden Gastrula in zwei bis drei sich anfangs noch partiell überlappende Felder gegliedert, die unterschiedlich zur Induktion eines Zweitembryos beitragen: Ein erstes Feld ist der Bereich, der die Urmundlippe im Moment ihrer ersten Entstehung umfasst. Die Zellen dieses Feldes strömen in der Gastrulation als erste ins Innere des Keims und geraten in den Kopfbereich. Sie sind zuständig für die Induktion eines Kopfes mit Vorder- und Mittelhirn. Das zweite Feld liegt anfänglich oberhalb (animalwärts) vom ersten. Die Zellen dieses zweiten Feldes geraten zeitlich nach den Zellen des ersten Feldes ins Innere und kommen als künftige Chorda im Rumpfbereich zu liegen. Sie sind zuständig für die Induktion eines Rumpfes.
Als ein drittes Feld wird von manchen Autoren ein besonderer Schwanzorganisator als eigenständiges Gebiet vom Rumpffeld abgetrennt. Im Zuge der Gastrulation verlängern sich die Felder und trennen sich voneinander. Entnimmt man nach Abschluss der Gastrulation das vordere bzw. hintere Urdarmdach und transplantiert es in gleicher Weise, wie die obere Urmundlippe verpflanzt worden war (Abb. 5.14), so werden keine vollständigen Zweitembryonen mehr induziert, sondern nur noch Köpfe (vom vorderen Urdarmdach) bzw. Rümpfe (vom hinteren Dach).
5.1.12
Induktionsprozesse werden durch maternale Faktoren eingeleitet; der Organisator-Sender wird vermittels maternaler Komponenten des WNT-Signalweges installiert
Die Organisatorwirkung ist ein komplexes Geschehen, an dem ein ganzes Bündel teils simultan, teils nacheinander wirksam werdender Signalmoleküle beteiligt ist. Nach gegenwärtiger Kenntnis setzen jedoch induktive Wechselwirkungen schon ein, lange bevor die obere Urmundlippe sich formt, und es gibt eine Kaskade von Induktionsprozessen, die mit der Aktivierung des Eies beginnt. Im Zuge der Rotation des Eicortex werden maternale mRNA-Moleküle und in Vesikeln verpackte Proteine an verschiedenen Orten der Eizelle konzentriert und im Zuge der Furchung verschiedenen Blastomeren zugeteilt. Aus den sich weiter teilenden Blastomeren entstehen Zellgruppen, und wenn diese Zellgruppen die ihnen zugeteilte mRNA in Protein übersetzen (translatieren), werden sie befähigt, Induktionssignale auszusenden. Wir konzentrieren uns, der Forschungstradition folgend, auf vier Vorgänge (Abb. 5.15): 1. Die mesodermalisierende Induktion in der Blastula. Von den vegetativen Zellen der Blastula strahlen Signale aus, die eine breite, ringförmige Zone (Marginalzone) um den Äquator dazu befähigt und anregt, künftig mesodermale Strukturen zu entwickeln. Diese Signalfunktion wird vor allem den sezernierten Proteinen Vg-1 und NODAL zugesprochen. Diese Proteine sind Mitglieder der großen TGF-ˇ-Proteinfamilie, benannt nach dem von bestimmten Tumorzellen produzierten, die Tumorbildung fördernden Faktor TGF-ˇ
5.1 Xenopus: Referenzmodell der Wirbeltierentwicklung
125
Amphibien (Triturus): Kopf- und Rumpforganisator
Kopforganisator
Rumpforganisator
RumpfSpemannOrganisator
Kopforganisator
a
b
c1
c2
d1
d2
Abb. 5.14 Amphibien. Aufgliederung des Spemannschen Organisators in Kopforganisator und Rumpforganisator. Oberer Teil: nach Experimenten von C. Niehrs 1998; unterer Teil: Trans-
plantation von Teilen des Urdarmdaches nach Experimenten von O. Mangold 1933
(Transforming Growth Factor beta). Die Signalempfangende Zone exprimiert als Folge der Induktion das Gen Brachyury. Diese Zone wird im Zuge der Gastrulation ins Innere verfrachtet und bildet dort das Urdarmdach, aus dem Chorda und Mesoderm (Somiten, Seitenplatten) hervorgehen. Das Gen Brachyury bleibt noch längere Zeit in der Chorda aktiv. 2. Die „dorsalisierende Induktion“ und die Etablierung des Spemann-Organisators. Bereits bei der Aktivierung des Eies kommt es im Zuge der
corticalen Rotation zu einer Verlagerung von maternalen Determinanten vom vegetativen Pol ein Stück nach dorsal in Richtung des späteren Urmundes (d. h. in den Bereich des grauen Halbmondes der Frösche) und es etabliert sich dort das Signalzentrum des Organisators. Als entscheidende Determinante werden Elemente des kanonischen WNT-Signalweges angesehen: mRNA für die Signalmoleküle WNT-1, in Vesikeln verpacktes Dishevelled-Protein (Dsh), und die mRNA für den Transkriptionscofaktor beta-Catenin (ˇ-
126
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
Abb. 5.15 Amphibien. Folge von Induktionsprozessen im frühen Keim nach Maßgabe von Experimenten, in denen isolierte Keimesteile mit anderen zusammengefügt wurden. Rot D Marginalzone D künftiges Mesoderm
einstige Eintrittsstelle des Spermiums Kompetenz für dorsalisierende Signale, Organisatorbildung Mesodermale Induktion
Organisator
Dorsalisierung
Dorsalisierung Neurale Induktion 1
Catenin). Wie in Kap. 11 erläutert wird, aktiviert ˇ-Catenin auch das Gen für sich selbst und darüber hinaus Gene für den ganzen Signalweg, zu dem es gehört. Und siehe: Injizierte ˇ-CateninmRNA oder injiziertes ˇ-Catenin-Protein lösen ebenso die Bildung eines Zweitembryos aus wie eine Urmundlippe (s. Abb. 5.17). Zu den von ˇ-Catenin aktivierten Genen gehören außer den Genen des WNT-Signalweges weitere Gene, deren Produkte synergistisch helfen, den Spemann-Sender einzurichten, beispielsweise die Gene für die Transkriptionsfaktoren GOOSECOID und SIAMOIS. Als Proteine mit DNA-bindender Homeodomäne (s. Abb. 12.14) werden sie jedoch nicht exportiert, sind also selbst keine Induktionsfaktoren. Vielmehr gelangen sie in die Kerne der sie produzierenden Zellen im Bereich des Organisators und aktivieren Gene für exportierte Induktionsfaktoren. Wird die mRNA von goosecoid oder von siamois in eine vorn-ventral gelegene Blastomere eines frühen, sich furchenden Keims injiziert, werden sich dort später dorsale Achsenorgane (Chorda, Neuralrohr) formen, als ob eine Urmundlippe implantiert worden wäre.
Antero-posteriore Polarisierung (Caudalisierung)
Neurale Induktion 2
In der Tradition der Forschung am Amphibienkeim spricht man im Zusammenhang mit der Einrichtung des Organisators auch von „dorsalisierender Induktion“ weil der Organisator-„Wasserfall“ am dorsalen Rand des Urmundes lokalisiert ist und so auch die künftige Rückenseite markiert. Da der Urmund zum After wird, legt die dorsalisierende Induktion zugleich den Schwanzpol fest, und damit indirekt auch der Kopfpol. Der kommt dort zu liegen, wo die ersten, ins Keimesinnere eingewanderten Organisatorzellen ihre definitive Bleibe gefunden haben. Deswegen sagt man auch, die antero-posteriore Körperachse werde festgelegt. 3. Planare Signale und Konvergenzbewegung. Die Zellen des Spemann-Organisators formen zu Beginn der Gastrulation die obere Urmundlippe. Von ihr strahlen Signale aus, welche die Zellen des künftigen Mesentoderms veranlassen, in einer Konvergenzbewegung entlang des künftigen Rückenmeridians hin zum Urmund zu strömen, um dort ins Keimesinnere einzutauchen. Man spricht von planaren Signalen (vergl Abb. 10.7) Während der Urdarm sich einstülpt, und auch weiterhin nach Abschluss der Involution, gehen von der oberen
5.1 Xenopus: Referenzmodell der Wirbeltierentwicklung
Urmundlippe weiterhin Signale aus, die sich planar im Urdarmdach und damit auch im Mesoderm ausbreiten. Diesen Signalen wird die Funktion zugesprochen, im Mesoderm eine antero-posteriore Polarität aufzubauen, sodass vorne andere Strukturen (beispielsweise Skelettelemente des Vorderkopfes, Herz) als hinten (Rumpf-Schwanz) entstehen. Andererseits gibt es Signale, welche die planare Ebene des Urdarmdaches verlassen und über den Zellzwischenraum hinweg das Neuroektoderm erreichen. Wir kommen zur neuralisierenden Induktion. 4. Die neuralisierende Induktion. Hier geht es darum, die Entwicklung des Zentralnervensystems auszulösen, und dieses in Gehirn und Rückenmark zu gliedern. Da dies ein Hauptthema der Entwicklungsbiologie ist, wird ihm hier unter Xenopus der eigene Abschn. 5.1.15 gewidmet und unter Berücksichtigung vergleichender Aspekte das Kap. 16.
5.1.13 Mittels biologischer Tests sind viele Faktoren mit induzierender Potenz identifiziert worden; hier eine Liste Im Experiment kann eine mesodermale oder neurale Genexpression nicht nur von lebenden Zellen ausgelöst werden. Wir wiesen bereits auf die Möglichkeit hin, mRNA oder Protein von mutmaßlichen Induktionsfaktoren in Blastomeren zu injizieren (s. Abb. 5.17). Wie aber kommt man einem mutmaßlichen Faktor auf die Spur? Es ist ein Biotest (bioessay), der seit vielen Jahren und auch heute noch zur Identifizierung von Induktionsfaktoren benutzt wird. Man nennt ihn „Animalen-Kappentest“. Der animalen Hemisphäre einer Blastula entnommene Kappen werden in Lösungen verschiedener „Wachstumsfaktoren“ gebadet (Abb. 5.16, s. auch Abb. 16.1). Solche Wachstumsfaktoren sind ursprünglich aus dem Überstand von Xenopus-Zellkulturen oder verschiedenen Säugerzellkulturen gewonnen worden. (Weiteres zur Entdeckungsgeschichte ist in Abschn. 10.4 zu lesen.) Ergebnis solcher Experimente ist die Differenzierung bestimmter Zelltypen. Das große, stetig wachsende Spektrum neuer molekularbiologischer Methoden haben es ermöglicht, eine Reihe induzierender Faktoren aufzuspüren (Abb. 5.17 und 5.18). Hier eine (unvollständige) Liste:
127
FGF-Familie (Fibroblast Growth Factor family); verschiedene Mitglieder dieser Familie induzieren in unterschiedlichem Ausmaß die Bildung von ventralem Mesoderm: Blutzellen, Mesenchym (künftiges Bindegewebe), Knorpel, Knochen, Muskulatur. TGF-ˇ-Familie; neben den bereits genannten, im ventralen Bereich der frühen Blastula wirkenden maternalen Faktoren Vg-1 und NODAL gehören zu dieser Familie auch Faktoren, die in der späteren Blastula und Gastrula mittels zygotischer, also embryoeigener Gene erzeugt werden. Besondere Bedeutung wird den BMP-Faktoren (Bone Morphogenetic Proteins) zugesprochen. Sie waren schon zuvor bekannt als Faktoren, die im Säugerorganismus Knochenbildung fördern, daher ihr Name. Unter ihnen gilt BMP-4 als mächtiges Morphogen, das ab der späten Blastula in einem von vorn-ventral nach hinten-dorsal abfallenden Gradienten vorliegt (Abb. 5.18, 5.19). Als Morphogen ruft es je nach lokaler Konzentration unterschiedliche lokale Wirkungen hervor (zum Begriff des Morphogens s. Kap. 10). Im Ektoderm unterdrücken BMPs die dort einprogrammierte Neigung, neurales Gewebe entstehen zu lassen. Die höchste Konzentration sagt: „Hier ist Bauchepidermis zu machen (und die Zellen darunter sollen Entoderm werden)“; seine geringste Konzentration erlaubt es, die Bildung von Rückenstrukturen einschließlich Rückenmark einzuleiten. WNT-Familie (bei Xenopus Xwnt bezeichnet), die dem Drosophila-Genprodukt WINGLESS homolog sind. Xenopus besitzt eine Kollektion von mindestens 15 verschiedenen WNTs mit teils unterschiedlichen Wirkungsspektren und entsprechend auch eine Mehrzahl von FRIZZLED genannten WNT-Rezeptoren. Im Organisator und im Bereich des Urmundes werden anfänglich WNT-1 und WNT-11 gefunden, in der Neurula Wnt-3a und WNT-8. In seiner Funktion als Morphogen legt die höchste Konzentration an WNT-8 das posteriore Ende fest (Abb. 5.18, 5.19). Nach Erkenntnissen, die man in anderen Systemen gewonnen hat, dürften die planaren Signale von WNT-5a und/oder WNT-11 getragen werden. Auch für WNT-5a und WNT-11 liegen im Xenopus-Ei bereits maternale Transkripte bereit.
128
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
Abb. 5.16 Amphibien. Test der Induktionspotenz von löslichen Faktoren im „Animalen Kappen-Test“. Die getesteten neuralisierenden Faktoren (NF) oder mesodermalisierenden Faktoren (MF) können autologen oder heterologen Ursprungs sein, d. h. von Amphibienembryonen selbst oder von anderen Quellen isoliert worden sein
Epithel mit Cilien ohne Faktor
Epithel ohne Cilien + NF
Neuralrohr Nervenzelle Chorda
+ MF + NF: z.B. Chordin, Noggin + MF: z.B. verschiedene FGFs
SONIC-HEDGEHOG. Über dessen Funktion in der oberen Urmundlippe ist nichts bekannt, wohl jedoch über seine Funktion in ihrem Abkömmling, der Chorda (s. Abb. 10.6). Wie wir erfuhren, gliedert sich gemäß Transplantationsstudien der Organisator in Kopf- und RumpfOrganisator. Es wurden denn auch Faktoren gefunden, welche dieser Gliederung entsprechen. Kopfbildung: Die mRNAs der Gene cerberus dickkopf und frizbee-b, oder entsprechendes CERBERUS-, DICKKOPF- oder FRIZBEE-b-Protein, können im Injektionstest (Abb. 5.17) die Bildung eines zweiten Kopfes hervorrufen. Die Proteine werden in der Gastrula dort produziert, wo im Transplantationsversuch der Kopforganisator nachweisbar ist. Diese Cystein-reichen Proteine zählen zu den Anti-WNTs (s. nachfolgender Abschnitt). Rumpfbildung: mRNAs der Gene chordin und noggin induzieren Rümpfe Die Proteine CHORDIN und NOGGIN zählen zu den Anti-BMPs (s. nachfolgender Abschnitt). Weil nun Zweitembryonen ein Zentralnervensystem, eine Chorda und Somiten enthalten, muss folglich den Faktoren die Potenz innewohnen, direkt oder in Kooperation mit ortsansässigen Faktoren, Neuralplatte, Chorda und Somiten zu induzieren. Animale Kappen von Blastulae, in CHORDIN- oder NOGGIN-Lösung gebadet, differenzieren Nervenzellen (und bisweilen Chordazellen). CHORDIN und NOGGIN gelten folglich (auch) als neuralisierende Faktoren.
5.1.14
Muskelzellen Blutzellen
Mehrere Induktionsfaktoren bilden antagonistische Signalsysteme; sie binden und neutralisieren sich im extrazellulären Raum und erzeugen so gegenläufige Gradienten
Mehrfach ist erwähnt worden, dass aufgelistete Induktionsfaktoren antagonistisch zu anderen wirken. Es verbinden sich manche der Faktoren im extrazellulären Raum zu Heterodimeren und neutralisieren sich so wechselseitig. Weil antagonistische Faktoren von einander entgegenliegenden Bereichen des Embryos ausgesandt werden, entstehen Gradienten von nichtneutralisierten und damit wirksamen Faktoren. Wir fassen zusammen: Wnt-8 und Wnt-3 werden von der Gegend des Urmundes ausgesandt und auf ihrem Weg kopfwärts mehr und mehr durch Anti-Wnts neutralisiert (Abb. 5.18, 5.19), speziell durch CERBERUS, DICKKOPF, FRIZBEE-b und weiteren Faktoren Dadurch wird posterior die Bildung von Schwanz und Rumpf, anterior die Bildung des Kopfes ermöglicht. BMP-Faktoren (BMP-4, BMP-2) fördern die Bildung der Bauchregion. Nervensystem-fördernde Faktoren sind Antagonisten der BMP-Faktoren; diese werden anfänglich vom Spemann-Organisator, später vom Urdarmdach ausgesandt (Abb. 5.18, 5.19). Speziell BMP-4 wird durch die Anti-BMPs: NOGGIN, CHORDIN, FOLLISTATIN, NODALrelated 3 und CERBERUS neutralisiert.
5.1 Xenopus: Referenzmodell der Wirbeltierentwicklung
129
Amphibien (Xenopus): Induktionsfaktoren
injizierte Genprodukte (mRNA oder Protein)
ß-Catenin
a
Dickkopf Cerberus
Chordin Noggin
d
vom Spemann-Organisator induzierter ganzer Zweitembryo
induzierter Zweitkopf
b induzierter Zweitkopf c
induzierter Zweitrumpf
Abb. 5.17 Amphibien. Induktion von Zweitköpfen (a, b) oder Zweitrümpfen (c) durch Faktoren, die vom Spemann-Organisator gewonnen wurden; d Ganzer Zweitembryo, wie er vom lebenden Organisatorgewebe induziert wird, zum Vergleich
In gebundener Form können BMP-4 und WNT-8 nicht mehr an ihre Rezeptoren koppeln oder ihre Rezeptoren nicht mehr aktivieren. In den Gebieten, in denen sich die Organisator-Faktoren ausbreiten, verliert BMP-4 das Sagen. Im Wirkungsfeld des Organisators sinkt die Konzentration freier BMP-2/4-Moleküle und es stellt sich eine gradierte Verteilung aktiver BMP-Faktoren außerhalb des Wirkungsfeldes ein. Im Kopfbereich indes wird WNT-8 abgefangen und es entsteht ein von posterior nach anterior abfallender Gradient aktiver WNT-8-Moleküle (Abb. 5.19).
5.1.15 Neurale Induktion und Regionalisierung: Das Ektoderm der Blastula hat eine autonome Tendenz, Nervengewebe zu bilden; dieses muss noch regional untergliedert werden Maternale Determinanten, beispielsweise die mRNA für den Transkriptionsfaktor SOX3, verleihen den Zel-
len der animalen Hemisphäre eine latente Vorliebe, Nervenzellen zu werden. Diese schlummernde Vorliebe muss jedoch zur rechten Zeit aktiviert werden. Vom Mesodermring der Blastula strahlen Signale in Richtung der animalen Hemisphäre aus, die im Areal der künftigen Neuralplatte die Transkription von Proneuralgenen (Kap. 16) in Gang setzen sowie das Gen für das neurale Zelladhäsionsmolekül N-CAM (s. Abb. 14.4) aktivieren. Damit ist der erste Schritt zu einer neuralen Differenzierung eingeleitet. Sie wird weiterhin gefördert durch die Signale des Spemannschen Organisators. Wenn dann das künftige Mesoderm im Zuge der Gastrulation über die obere Urmundlippe hinwegrollt, ins Keimesinnere gelangt und als Urdarmdach am darüberliegenden Ektoderm entlanggleitet, sendet es weiterhin neuralisierende Signale aus (Abb. 5.20), die schließlich zu einer endgültigen Determination führen und die Neurulation einleiten. Zwischen 1930 und 1990 wurde sehr viel Mühe aufgewendet, um aus Tonnen von Hühnerembryonen und anderen Quellen neuralisierende Faktoren zu iso-
130
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
Amphibien: Steuernde Faktoren in der Frühentwicklung Oocytenkern
dorsal
anterior SOX3
WNT Bahn des Spermienkerns zum Eikern
wnt-1 und wnt-11 RNA
a
b
Oocyte ß-Catenin RNA
ß-Catenin künftiger Urmund
BMP WNT NODAL FGF
Goosecoid Siamois
c VegT in Kernen
Eizelle nach Befruchtung
Veg-T Dsh
Blastula
künftig im Rumpf
künftig im Kopf
Marginalzone Mesoderm
ß-Catenin in Kernen
Anti-WNTs:
Anti-BMPs: NOGGIN CHORDIN
CERBERUS DICKKOPF FRZ-b
BRACHYURY
BMP-4
WNT
d
e1
f1
Blastula von außen
späte Blastula von außen
Rumpforganisator mit Chordin
S RU BE OPF R CE ICKK RZ-b D F
anterior dorsal
Anti-BMPs: NOGGIN CHORDIN
WNT
BMP-4 posterior
ventral
f2
e2
g frühe Gastrula
Kopforganisator mit DICKKOPF
späte Gastrula / frühe Neurula von außen
sezerniertes Protein
lieren. Die Spezifität dieser Faktoren war fraglich; denn animale Blastulakappen von Molchen (weniger solche von Xenopus), haben die Neigung, auf allerlei Reize hin die in ihnen schlummernde Kompetenz, Nervengewebe zu differenzieren, offenzulegen
Transkriptionsfaktor
und von selbst ohne weitere Instruktionen Nervenzellen und Gliazellen hervorzubringen (default option). Animales Blastoderm muss davon abgehalten werden, den Differenzierungsweg in Richtung Nervengewebe einzuschlagen. Die suppressive Funktion erfüllt
5.1 Xenopus: Referenzmodell der Wirbeltierentwicklung
131
J Abb. 5.18 Amphibien. Frühe Ereignisse, welche die Bilateralsymmetrie des Körpers festlegen. a Lage maternaler Faktoren im Ei vor der Befruchtung. b Corticalrotation nach Eindringen des Spermiums; es werden ˇ -Catenin und ein ˇ -Cateninstabilisierendes Agens in den Bereich des künftigen Urmundes verlagert. c Wirkungsbereiche maternaler Faktoren, Installation des Spemann-Organisators über dem künftigen Urmund mit Expression von Wnt=ˇ -Catenin. d Marginalzone D Expressionsbereich mesodermaler Gene, z. B. von brachyury. e1 Expressionsbereiche des Morphogens WNT (WNT-3 und WNT-8) und seiner Antagonisten CERBERUS, DICKKOPF und FRIZBEE-
B in der Blastula. e2 Verlagerung der Expressionsbereiche der WNTs und Anti-WNTs in der Gastrula. f1 Expressionsbereiche des Morphogens BMP-4 (Bone Morphogenetic Protein 4) und seiner Antagonisten CHORDIN, NOGGIN und FOLLISTATIN in der Blastula. f2 Verlagerung der Expressionsbereiche von BMP-4 und der Anti-BMPs in der Gastrula. g Expressionsbereiche typischer Vertreter der Anti-WNTs (Dickkopf) und der Anti-BMPs (Chordin) zu Beginn der Gastrulation. Sezernierte Proteine sind von einer Ellipse, Transkriptionsfaktoren von einem Rechteck umgeben
Xenopus: Neurula
Abb. 5.19 Xenopus. Gradienten der Morphogene BMP und WNT und ihrer Antagonisten in der Neurula. Adaptiert nach einer Abbildung aus Niehrs (2004), umgezeichnet und erweitert
Wnt
a Wnt
BMP
Anti-Wnt’s: Dickkopf, Cerberus
Anti-BMP’s: Cerberus Chordin Noggin
Wnt
b
BMP-4
BMP
Xenopus: Neurula - Postneurula Neuralrohr WNT-1
Kopf
Schwanz
oD
Neuralplatte DICKKOPF CHORDIN NOGGIN S RU BE axiales Mesoderm+Chorda R E
a
Entoderm Frühe Neurula (Medianschnitt)
SH
H
Blastoporus
oD
prächordales Mesoderm
My
C
My
Abb. 5.20 Amphibien. a Neurula in lateraler Ansicht, vom axialen Mesoderm ausgehende Induktionsfaktoren; b Induktion der Muskulatur durch SONIC HEDGEHOG (SHH) und WNT-1; Expression des Muskel-determinierenden Transkriptionsfaktors MyoD
c
b
SH H
Chorda Phylotypisches Stadium (Querschnitt)
132
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
nach derzeitiger Auffassung BMP-4 (in Kooperation mit Vertretern der WNT-Familie). CHORDIN und NOGGIN, die nicht nur im Organisator, sondern auch weiterhin im axialen Mesoderm, d. h. in der Chordaanlage, exprimiert werden (Abb. 5.20), lösen die Neurulation aus, indem sie BMP-4 neutralisieren. Um aus dem Neuralrohr anterior das Gehirn und posterior das Rückenmark entstehen zu lassen, bedarf es weiterer Signale, welche eine regionale Spezifizierung entlang der Längsachse bewirken. Vertreter der WNT- und der FGF-Familie spielen eine Rolle, sowie ein Nichtprotein-Faktor: Retinsäure (RA, retinoic acid). Überhöhte Konzentrationen dieses Vitamin-ADerivates erzeugen kopflose Embryonen bei Fisch, Frosch und Hühnchen. Es gibt Indizien, dass es neben diesen permissiven (erlaubenden) Organisator-Faktoren auch instruktive neuralisierende Faktoren gibt. Im Gespräch sind verschiedene FGFs’, die bei Fehlen von BMP-4 aktiv werden und neural-spezifische Transkriptionsfaktoren (wie Zic) aktivieren.
5.1.16 Es gibt Kaskaden primärer, sekundärer und tertiärer Induktionsvorgänge
Induktion der Augenlinse induzierende Signale
Augenblase
a
Augenbecher
b
Linse
Spemann nannte die vom Organisator und Urdarmdach ausgehende neuralisierende Wirkung primäre Induktion; die vorausgehende mesodermalisierende und dorsalisierende Induktion ist erst später entdeckt worden. Man könnte alle bisher genannten Induktionsprozesse als primär zusammenfassen; denn sie sind zusammen an der Etablierung der Bilateralsymmetrie und der Sonderung der Keimblätter maßgeblich beteiligt.
Bei Xenopus wird, anders als bei anderen Amphibien, auch dann eine – allerdings ziemlich kümmerliche – Linse gebildet, wenn der Augenbecher entfernt wird. Die induzierenden Signale werden in diesem Fall bereits von den zuständigen Zellen ausgesandt, bevor sie als Augenblase hervortreten, solange sie also noch Teil der Neuralplatte oder des noch ungegliederten vorderen Neuralrohrs sind. Das Entfernen des Augenbechers verkürzt nur die Induktionszeit.
Pigmentschicht
Hornhaut
c
Retina
Abb. 5.21 Induktion der Augenlinse. Kommt die Augenblase (optischer Vesikel), die vom hinteren Prosencephalon (D Diencephalon) gebildet wird, in Kontakt zum Ektoderm, induziert sie dort die Bildung einer Linse. Diese wiederum induziert in der überlagernden Epidermis die Bildung der durchsichtigen Cornea (Hornhaut)
Den primären Induktionen folgen in der Organogenese sekundäre und tertiäre, beispielsweise die Induktion der Augenlinse im Ektoderm durch den Augenbecher, der vom Mittelhirn gebildet wird und an das Ektoderm stößt (Abb. 5.21, s. auch Abb. 16.21).
5.2 Zebrabärbling Danio rerio und der Medaka Orycias latipes
5.1.17 Homöoboxgene und andere für Transkriptionsfaktoren codierende Gene sind an den Induktionsprozessen beteiligt Die aktuelle Differenzierung induzierter Strukturen verlangt das Einschalten vieler Gene und deren Kontrolle durch Transkriptionsfaktoren. Viele haben Homöodomänen als DNA-bindende Strukturen. Wir nannten schon GOOSECOID und SIAMOIS. Da Transkriptionsfaktoren (im Regelfall) nur in den Kernen wirksam sind und nicht benachbarte Zellen erreichen, ist im Einzelfall nicht leicht zu entscheiden, ob sie Zellen dazu befähigen, Signale zu produzieren oder auf Signale zu reagieren (Erlangung einer Kompetenz, z. B. durch Ausbildung von Rezeptoren), oder ob sie eine Differenzierungsreaktion auf ein bereits empfangenes Signal widerspiegeln. In der späten Gastrula und Neurula wird zwischen Urmund und dem posterioren Kopfbereich, ähnlich wie bei Drosophila, die gesamte Palette homöotische Gene, bei Xenopus Xhox genannt, exprimiert. Die Funktion dieser Gene für die weitere Entwicklung wird in Kap. 12 behandelt. Die Metamorphose von der Kaulquappe zum Frosch wird über Prolaktin und Thyroxin gesteuert (Kap. 20).
5.2 Zebrabärbling Danio rerio und der Medaka Orycias latipes 5.2.1
Fische bieten viele Vorteile: Sie sind oft transparent, man kann Mutationen erzeugen und Genetik betreiben
Der ursprünglich aus Flüssen Pakistans und Indiens stammende Zebrabärbling Danio rerio (früher Brachydanio) wird als Adultform für toxikologische Untersuchungen eingesetzt (was ihm oft sehr übel bekommt). Der ca. 4–6 cm lange, längsgestreifte „Zebrafisch“ gewinnt zunehmend auch für embryologische und entwicklungsgenetische Studien Bedeutung, und parallel dazu der in brackigen Lagunen und Reisfeldern Südostasiens vorkommende und in Japan als robuster Aquarienfisch beliebte Medaka Orycias latipes, auch Killifisch oder Reisfisch genannt. Die
133
Fische werden seit Jahren im Labor gezüchtet, natürliche Populationen bleiben unbehelligt. Die adulten Fische erleiden, anders als beispielsweise weibliche Mäuse, keinen Schaden, wenn man Embryonen gewinnen will (für Experimente an adulten Fischen fordern Artenschutz- und Tierschutz-Gesetze eine amtliche Genehmigung, nicht aber für Experimente an Fischembryonen). Für embryologische Studien sieht man folgende Vorteile, aufgelistet am Beispiel des Zebrabärblings: Der Fisch ist leicht im Aquarium zu züchten. Allmorgendlich laichen geschlechtsreife Tiere ab, wobei ein Weibchen pro Laichakt bis zu 900 Eier abgibt. (Üblich ist folgendes Vorgehen: abends 1 Weibchen mit 1 bis 2 Männchen zusammensetzen; Boden des Laichbehälters mit Gitter versehen, durch das die Eier fallen, nicht aber die gefräßigen Männchen schlüpfen können (vgl. Abb. 5.2). Das Weibchen braucht dann ca. 1 Woche Erholungszeit.) Die Eier sind transparent und messen ca. 0,6 mm; die Embryonalentwicklung (Abb. 5.22) ist, je nach Temperatur, in 2 bis 4 Tagen abgeschlossen. Die Transparenz der Keime ist der eine besondere Vorteil, den Danio gegenüber Xenopus zu bieten hat; der zweite liegt in der Möglichkeit umfangreicher genetischer Analysen. Für genetische Studien können Mutationen erzeugt werden, beispielsweise dadurch, dass man die ♂ in einer Lösung des Mutagens Ethylnitrosoharnstoff schwimmen lässt. Für Studien im großen Stil werden mutagenisierte ♂ mit normalen ♀ Fischen gekreuzt. Die F1 ist deshalb hinsichtlich der betroffenen Gene heterozygot. Da die überwiegende Mehrzahl von Mutationen nicht dominant ist, kann man es in aller Regel einem F1-Nachkommen noch nicht ansehen, ob er überhaupt eine neue Mutation in sich trägt – mit einem auf das mutierte Gen zielenden molekulargenetischen Fingerabdruck wäre das heutzutage möglich. Will man jedoch eine Wirkung der Mutation (einen sogenannten Phänotyp, s. Glossar) sehen, muss man durch weitere Kreuzung mutierte, rezessive Allele in den homozygoten Zustand bringen. Die F1- und F2-Familien werden deshalb im Inzuchtverfahren weiter gekreuzt. Homozygote Mutanten kommen dann in der F3 zum Vorschein (s. Abb. 12.1).
134
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere Danio rerio
Abb. 5.22 Entwicklungsstadien von Danio rerio, dem Zebrabärbling (zebra fish)
Furchung Blastoderm
Epiblast
Dottersyncytium
Kopf
Hypoblast
Umwachsungsrand Hüllschicht
Schwanzknospe
Neuralkiel
Epiblast
Chorda
Keimstreif
Ohrplakode Auge
Somiten
Herz
Hypoblast
Umwachsungsrand
Neben dem Zebrafisch Danio ist auch der MedakaFisch (Orycias latipes) ins Blickfeld der Entwicklungsbiologen und Genetiker geraten. Sein vergleichsweise kleines Genom (ca. 800 MB) war schon früh vollständig sequenziert worden. Der Medaka war auch der erste Vertreter der Wirbeltiere, der im Space-Shuttle Nachzucht lieferte (1994). Ob Danio oder Orycias, bei beiden Arten sind die Embryo-
Tiefenzelle
Schild Schwanzpol Dottersack
nen transparent und der Entwicklungsgang ist sehr ähnlich. Weg und Schicksal GFP-markierter Proteine und Zellen (s. Kap. 12 und Farbtafel 12.9) können im Leben beobachtet werden. Die Entwicklung des Nervensystems, des Auges und der haematopoietischen (Blut-bildenden) Stammzellen sind gegenwärtige Schwerpunkte der Forschung an Fischembryonen.
5.2 Zebrabärbling Danio rerio und der Medaka Orycias latipes Abb. 5.23 Danio rerio. a Wirkungsbereich von entwicklungssteuernden Proteinen, die auch vom Xenopuskeim bekannt sind. b Struktur des Embryos am Umwachsungsrand, an dem die Involution stattfindet
135
Hüllschicht (Periblast) Epiblast BMP2/4
Noggin Chordin Dickkopf
Hypoblast
ß-Catenin Involution
a
Schild = SpemannOrganisator
Für Studien in kleinerem Maßstab kann man mittels Eiern von mutagenisierten Weibchen durch Auslösen einer Parthenogenese haploide Keime erhalten, die sich bis zum Erreichen der Körpergrundgestalt (phylotypisches Stadium) entwickeln und, soweit es entwicklungsrelevante Gene betrifft, schon in der F1 den mutierten Phänotyp zur Schau tragen. Für eine Weiterzucht kommen Individuen in Betracht, die aus Eiern hervorgegangen sind, in denen sich, gefördert durch Tricks, die Chromosomenzahl vom haploiden Satz (25 Chromosomen) zum diploiden (2 25) aufreguliert hat. Ein solcher Trick ist eine rasche, vorübergehende Erhöhung der Temperatur um 5 K (Hitzeschock).
5.2.2
Auf der Eikugel bildet sich im Zuge der Furchung eine Keimscheibe
Die Knochenfische (Teleosteer) haben gegenüber den Amphibien eine evolutive Sonderentwicklung durchlaufen. Im anfänglich homogen erscheinenden Ei bildet sich kurz nach der Befruchtung durch cytoplasmatische Strömungen und Umschichtungen der Komponenten eine animale Kappe mit klarem Plasma, in dem sich der Eikern befindet; darunter, im vegetativem Bereich, ist das Ei reich mit Dottermaterialien gefüllt. Embryogenese (Abb. 5.22, 5.23): Die Furchung ist partiell-discoidal. Die ersten Zellen, die sich am animalen Pol der Eikugel bilden, sind anfänglich nach
Kerne des Dottersyncytiums
b
unten hin zum dottergefüllten restlichen Ei offen; es wird also nicht die ganze Eizelle vollständig in Tochterzellen zerlegt (daher „partiell“). Wenn 16 und mehr Zellen vorliegen, schließen sich im Zentrum die Zellen und bilden einen scheibenförmigen Verband (daher „discoidal“ D scheibenförmig), welcher der Dotterkugel aufliegt. Der Verband wird durch Zellteilungen zu einer mehrschichtigen Keimscheibe. Diese nimmt durch anhaltende Zellteilungen und durch Abflachung an Umfang zu und umwächst die Dotterkugel, d. h. das restliche Ei. Man spricht je nach Position des Umwachsungsrandes von z. B. 30, 50, 80 oder 100 %iger Epibolie. Die Keimscheibe wird schon im Zuge der Furchung mehrschichtig. Die Lagen nennt man: Hüllschicht (EVL D enveloping layer). Die oberste, dünne Zell-Lage nimmt als Hüllepithel (selten Periderm genannt) nur geringfügig am Aufbau des Embryos teil. Tiefenzellen (deep cells). Die unter der Hüllschicht lagernden Zellen werden summarisch Tiefenzellen genannt. Epiblast: Die oberste, direkt unter der Hüllschicht gelegene Lage der Tiefenzellen heißt Epiblast; er kann dem Blastoderm einer Amphibienblastula gleichgesetzt werden und wird nach Abschluss der Gastrulation zum Ektoderm. Hypoblast: Wenn sich Hüllschicht und Epiblast um die obere Dotterhemisphäre ausgedehnt haben (30– 50 %ige Epibolie) beginnt die Gastrulation, im Zuge derer, wie nachfolgend geschildert, der Hypoblast entsteht. Aus ihm gehen Meso- und Entoderm hervor.
136
5.2.3 Gastrulation und die Bildung der Achsenorgane erscheinen gegenüber den Amphibien anfangs fremdartig, führen aber zu einer ähnlichen Körpergrundgestalt Gastrulation Der Epiblast wird entlang des Umwachsungsrandes wie ein Kleidersaum nach innen umgeschlagen. Im Bereich dieses Saums ist die Keimscheibe nun doppellagig: Unter den Epiblasten hat sich der Saum des Hypoblasten geschoben. Weitere Zellen strömen vom Epiblasten zum Umwachsungsrand, rollen um ihn herum (Involution, Abb. 5.23), und verbreitern den Hypoblastsaum. Diese Involution ist die Gastrulation. Hat man eine Seeigel- oder eine Amphibiengastrula vor Augen, so mag im Vergleich dazu der Vorgang der Gastrulation beim Fisch befremdlich erscheinen; er hat aber durchaus Ähnlichkeit mit der Gastrulation bei Amphibien, wenn auch nicht auf den ersten Blick. Wenn man ein mittleres bis spätes Gastrulastadium von Xenopus betrachtet (s. Abb. 5.7), so sieht man einen ringförmigen Urmund, der einen „Dotterpfropf“ umschließt. Die ringförmige Urmundlippe der Amphibiengastrula ist ja ebenfalls ein Saum, um den die vom Blastoderm heranströmenden Zellen herumschwenken, um dann weiter ins Keimesinnere vorzudringen. Man kann den gesamten Umwachsungsrand des Fischkeimes mit dem ringförmigen Urmund des Amphibienkeims gleichsetzen und das noch nicht umwachsene Rest-Ei mit dem Dotterpfropf. Der oberen Urmundlippe des Amphibienkeims entspricht bei Danio jener Ort, wo die Umrollung beginnt. An dieser Stelle werden denn auch Gene wie siamois und goosecoid exprimiert, die für die obere Urmundlippe bzw. den Spemann-Organisator charakteristisch sind. Der Ort heißt beim Fischembryo Randknoten oder Embryonalschild (shield) und hat ähnliche organisierende Funktionen wie der Spemannsche Organisator im Amphibienkeim. Später wird sich dort wie bei der Amphibie die Schwanzknospe bilden. Determination der Körperkoordinaten In der Regel liegt das Ei mit der animal-vegetativen Achse waagrecht auf dem Boden. Im Bereich des animalen Pols wird später der Kopf liegen; die Rückenlinie verläuft auf dem obersten Meridian, der vom animalen Pol bis zum Embryonalschild zieht. Welche Gegebenheiten den Ort des Embryonalschildes spezifizieren, ist
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
noch nicht geklärt, wiewohl ein Einfluss der Schwerkraft nachgewiesen ist. Konvergenzbewegung, Bildung des Keimstreifens Mit dem Erscheinen des Embryonalschildes sind epibolische Umwachsung und Gastrulation noch nicht abgeschlossen. Während sich außen der Umwachsungsrand in Richtung des vegetativen Südpols weiterbewegt, wandern im Inneren die um den Umwachsungsrand herumgerollten Zellen umgekehrt in Richtung des animalen Nordpols. Die Hypoblastzellen wandern im wörtlichen Sinn; denn sie lösen sich voneinander oder halten nur losen Kontakt zu ihren Nachbarn, und sie kriechen wie Amöben auf der Dotterkugel. Aber die Hypoblastzellen kriechen nicht stracks zum animalen Pol, sondern weichen schräg ab, um sich in einer Konvergenzbewegung am Vorderrand des Embryonalschildes anzusammeln und sich dem Schild anzugliedern. Der Embryonalschild ist ein Zellaggregat, das sich durch Eingliederung neu ankommender Zellen zum animalen Pol hin verlängert. Das langgestreckte Aggregat plus dem darüber liegenden Epiblaststreif heißt nun auch Keimstreif. Dieser verlängert sich auch in Richtung Südpol, dem Umwachsungsrand folgend, wobei der Randknoten/Embryonalschild ebenfalls nach Süden rückt; er bleibt am caudalen Ende des Embryos. Bildung der Achsenorgane und der Körpergrundgestalt Der Embryo geht aus dem Keimstreif hervor. Von seiner Entwicklungspotenz her beherbergt er Ektoderm (Epiblast), sowie Mesoderm und Entoderm (Hypoblast). Es treten keine Neuralfalten auf. Vielmehr gliedert sich vom Epiblast ein massiver Neuralkiel ab und wird zum Neuralstab, der später zum Neuralrohr ausgehöhlt wird. Unterhalb des Neuralkiels organisieren sich die Zellen entlang der Mittellinie des Keimstreifs zur Chorda; beidseitig der Chorda gruppieren sich Zellen zu kompakten, sich periodisch wiederholenden paarigen Aggregaten, den Somiten. Chorda und Somiten werden als Achsenorgane zusammengefasst. Seitlich der Somiten schließen sich weiter herankriechende Innenzellen zu den flächigen Seitenplatten zusammen. Unter dem Keimstreif bilden die zutiefst gelegenen Tiefenzellen den Urdarm. Der Neuralstab höhlt sich nachträglich zum Neuralrohr, das sich vorne zum Gehirn erweitert, da-
5.3 Amnioten: Hühnchen, Wachtel und Chimären von beiden
137
hinter zum Rückenmark wird. Die Transparenz der Fischembryonen erlaubt es, die Entwicklung der Augen und des Innenohrs (aus Ohrplakoden) und sogar das Auswachsen von Nervenfasern, z. B. der Spinalnerven, zu beobachten.
5.2.4
Amnioten: Hühnchen, Wachtel und Chimären von beiden
5.3.1 Wir sehen nicht nur riesige Eizellen; wir haben es erstmals mit echten Landwirbeltieren zu tun, mit Amnioten Die Größe des Eies und seine Verfügbarkeit haben es schon in alter Zeit (Aristoteles, Malpighi, Har-
Kalkschale
Kern Eizelle
Bei der Expression von entwicklungssteuernden Genen werden wieder mancherlei Übereinstimmungen zwischen Fischen und Amphibien offenkundig
Zahlreiche Gene, deren Expression schon beim Xenopus die Vorgänge der Embryogenese vorbereitet und begleitet hatte, sind auch in Danio und Oryzias tätig, und ihre Expression kann durch In-situ-Hybridisierung sichtbar gemacht werden. Es seien hier beispielhaft genannt: siamois und goosecoid: Sie codieren für Transkriptionsfaktoren, die im Organisator (Randknoten, Embryonalschild) exprimiert werden; Brachyury: ein Mesoderm-anzeigendes Gen, verschiedene Wnts, Bmp-4, chordin und noggin, Gene, welche wie in Xenopus für großräumig wirkende Morphogene codieren; Fgf-8 als weiteres Beispiel für ein Gen, das eine Signalsubstanz hervorbringt, und zwar ein Protein aus der Familie der Fibroblasten-Wachstumsfaktoren FGF. Die Variante FGF-8 wirkt bei der Aufgliederung des Gehirns in Abschnitte mit. der Hox A- bis Hox D-Familie; sie codieren für homöotische Transkriptionsfaktoren, die in den Achsenorganen Positionen markieren. Die Entwicklung des Fischauges wird als bestuntersuchtes Modell-Auge in Kap. 16 (s. Abb. 16.20) vorgestellt.
5.3
häutige Schale
Hagelschnur Luftkammer (Aufhängeschnur) Eiklar
a
angewärmte Ringerlösung
c
b
d
e Uhrglas
Abb. 5.24 Ei des Huhns und einfache Methode zur Präparation der Keimscheibe. Das bebrütete Ei wird vorsichtig in eine Schale mit vorgewärmter physiologischer Salzlösung geschlagen, die Keimscheibe wird mit Pinzette und Schere in milder Salzlösung vom Gelbei abgetrennt und auf ein gewölbtes Uhrglas gezogen. Für weitere und aufwändigere Untersuchungsmethoden s. Literatur („Fenstern“ z. B. in Sander (1973))
vey, Wolff; Box 1.1) ermöglicht, die Entwicklung des Hühnchens (Gallus gallus) zu beobachten, wiewohl in den ersten zwei Bebrütungstagen ohne Lupe nicht viel zu sehen ist. Gegenüber den Amphibien haben die Sauropsiden einige Besonderheiten entwickelt, die ihnen ein Leben vollständig an Land und unter Umgehung eines Larvenstadiums ermöglichen: Das Ei ist riesig; die eigentliche Eizelle ist das von einer verstärkenden, nicht-zellulären, elastischen und transparenten Vitellinmembran umschlossene Gelbei.
138
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
Abb. 5.25 Vogel. Furchung, Keimscheibe, Primitivrinne. Schnitte durch die sich bildende und vom Dotter abhebende Keimscheibe. a, b Die Primitivrinne entwickelt an ihrem anterioren Ende den Hensenschen Knoten (Organisator)
Furchung, noch vor Eiablage
a
b
Um dieses Gelbei hüllen Drüsen des Eileiters nährendes Eiweiß, die Pergamenthaut und die Kalkschale. Darüber hinaus wird der Embryo später durch extraembryonales Gewebe in eine flüssigkeitsgefüllte Amnion genannte Blase verpackt. Mit den Säugetieren, welche die Erfindung des Amnions beibehielten, werden die Sauropsiden als Amnioten zusammengefasst. Im Lebensmittelgeschäft gekaufte Eier sind unbefruchtet. Befruchtete Hühnereier erhält man von Brütereien, die zur Produktion von Sperma auch Hähne halten. Die Befruchtung muss im Eileiter der mütterlichen Henne erfolgen, bevor Eiweißmantel und Kalkschale die Eizelle für Spermien unzugänglich machen. Für Beobachtungen ohne anspruchsvolle Experimente gibt Abb. 5.24 Hinweise zur Präparation (Tipps zum Bebrüten und Fenstern: Literatur zu Abschn. 5.3, Sander 1973). Die Küken schlüpfen, sofern eine konstante Bebrütungstemperatur von 37 ı C eingehalten wird, 19 bis 21 Tage nach Beginn des Brütens.
5.3.2 Auf der Keimscheibe entsteht erst der Rückenteil des Embryos Die Furchung ist wie bei Danio discoidal: Es entwickelt sich am animalen Pol eine Keimscheibe
Subgerminalhöhle (Blastocoel)
(Abb. 5.25) die durch fortgesetzte Zellbildung und Zellteilung peripher an Größe zunimmt, während unter dem Zentrum der Scheibe eine Furchungshöhle (Subgerminalhöhle) frei wird. Vom Dach der Höhle, dem Epiblasten, lösen sich Zellen ab und besiedeln als Hypoblast den Boden der Höhle, lagern sich also der (nicht in Zellen zerlegten) Hauptmasse des Dotters auf. Den Hypoblastzellen wird eine dirigierende Funktion bei der Einwanderung der ento- und mesodermalen Zellen zugeschrieben; am Aufbau des Embryos soll sich der Hypoblast nicht direkt beteiligen. Entodermale und mesodermale Zellen gelangen im Zuge der Gastrulation zwischen Epi- und Hypoblast. Ort des Geschehens ist kein offener Urmund sondern eine geschlossen bleibende Primitivrinne, die jedoch dem Urmund der Amphibien homolog ist. Zellen des Epiblasten strömen auf diese Rinne zu, tauchen in der Rinne in die Tiefe ab und breiten sich im Spaltraum zwischen Epi- und Hypoblast aus (Abb. 5.25 und 5.26). Das Hauptausbreitungsgebiet liegt vor der Primitivrinne. Hier vor der Primitivrinne werden die Keimblätter gesondert, hier wird der Embryo geformt. Entsprechend rückt die Primitivrinne hinter den entstehenden Embryo. Der Strom der von der Primitivrinne in die Subgerminalhöhle einwandernden Zellen gabelt sich in zwei Zweige; der eine dringt in die Tiefe, verdrängt die Hypoblastzellen und
5.3 Amnioten: Hühnchen, Wachtel und Chimären von beiden Abb. 5.25 (Fortsetzung) c, d Gastrulation – der Hensensche Knoten wird durch die ins Innere und nach anterior strömenden Zellen passiv nach posterior verlagert. Die Neurulation beginnt anterior, während posterior noch die Primitivrinne sichtbar ist
139
Gastrulation nach der Eiablage
Primitivrinne = Urmund Hensen-Knoten = Urmundlippe
Epiblast = Ektoderm
Mesoblast = Mesoderm Hypoblast = Entoderm Keimscheibe während der Gastrulation
c Neuralfalten Chorda
Somit Darm
Primitivrinne
Keimscheibe im Neurulastadium
d
wird zum Entoderm der andere Strom verbreitert sich zwischen Epiblast und Entoderm zum flächigen Mesoderm (auch Chordamesoderm genannt). Der über ihm lagernde Epiblast kann nun als Neurektoderm angesprochen werden. Die Herausformung der großräumigen Organanlagen geschieht durchaus ähnlich wie bei Amphibien: Der die Primitivrinne vorne begrenzende Wulst, der Hensen-Knoten, entspricht der oberen Urmundlippe des Amphibienkeims und produziert die gleichen oder sehr ähnliche Signalsubstanzen wie der SpemannOrganisator. (Im Amphibienkeim induziert der Hensensche Knoten des Hühnchens die Bildung eines Zweitembryos.) Äußerlich sichtbar wölben sich vor
der Primitivrinne über dem induzierenden Chordamesoderm Neuralfalten hoch, um sich zum Neuralrohr zu schließen und vom Epiblasten (Ektoderm) abzulösen (Abb. 5.25c, d). Währenddessen gliedert sich das unterlagernde flächenhafte Aggregat der mesodermalen Zellen in Chorda, segmentale Somiten und geschlossene Seitenplatten. Das über der Dotterkugel liegende Entoderm beginnt sich wie ein Dachfirst hochzuwölben, um sich nach und nach zum Rohr des Darms zu formen. Die Herausformung der Körperpartien im Vogelembryo geschieht nicht simultan, sondern beginnt am anterioren Pol und schreitet von vorn nach hinten fort (Abb. 5.26). Äußerlich sichtbar ist dieses Voranschrei-
140
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
Abb. 5.26 Vogel. Neurulation und Gliederung des Mesoderms. Die zeitversetzte Entwicklung des Embryos in antero-posteriorer Richtung wird im Querschnitt deutlich sichtbar
ten an der Erhebung der Neuralfalten und dem sukzessiven Auftauchen neuer Somiten. Ihre Bildung wird – ein highlight gegenwärtiger Forschung – von einem inneren Uhrwerk angetrieben (Kap. 10; s. Abb. 10.25).
5.3.3 Zwei Neuerungen sind Dottersack und Allantois Nach Abschluss der Neurulation hat der Embryo auf der dorsalen Seite seine Grundgestalt geschaffen. Wir sind beim phylotypischen Stadium (Abb. 5.27) angelangt. Noch ist der Embryo aber auf der Ventralseite offen. Ein früher Verschluss der Bauchseite wird vom
Rest der ursprünglichen, riesigen und noch ungefurchten Eizelle verhindert. Entoderm, Mesoderm und Ektoderm (Epiblast) umwachsen nach und nach diesen Rest des Gelbeis; das umwachsene Rest-Ei wird zum Dottersack. Dieser hängt – durch Entnahme von Dotter kleiner und kleiner werdend – als gelbe Kugel am Nabelstrang. Der Nabelstrang entsteht dadurch, dass sich einerseits der Embryo von der Dotterkugel abhebt, andererseits Entoderm, Mesoderm und Ektoderm zwischen Embryo und Dotterkugel zu einem Schlauch zusammengeschnürt werden. Durch den Nabelstrang verbindet ein Entodermkanal den Dottersack mit dem Darm. Ein zweiter Kanal, der Harnleiter, führt aus dem Embryo heraus in die nach außen verlagerte, an Größe
5.3 Amnioten: Hühnchen, Wachtel und Chimären von beiden
141
Bildung von Amnion und Dottersack beim Hühnchen
Neuralrohr Chorda
Gelbe Dotterkugel
a1
a2
Amnion Chorion
Amnionhöhle
b1
Entoderm
Amnionfalte
b2 Amnion Amnion
Chorion Darmrohr Allantois Nabelgang
c1
c2
Dottersack
Amnionhöhle mit Fruchtwasser Eischale Luftkammer
Chorion
O2 CO 2
d Dottersack
Allantois (embryonale Harnblase)
Abb. 5.27 Vogel. Entwicklung des Amnions, des Dottersacks und der Allantois beim Vogel. Entwicklung des Amnions. a1–d1 Lateralansicht, a2–c2 Querschnitt
142
anschwellende embryonale Harnblase, die Allantois (Abb. 5.27). Diese dient allerdings nicht nur zur Aufbewahrung des Oxidationswassers, das im Stoffwechsel anfällt; vielmehr übernimmt die Allantois mit ihren begleitenden Blutgefäßen weitere Aufgaben, z. B. die eines embryonalen Atemorgans.
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
transgene und fluoreszenzierende Transplantate (z. B. GFP-Fluoreszenz, Kap. 12) die artfremden Wachtelzellen.
5.3.6
5.3.4 Eine weitere, bleibende Neuerung ist das Amnion Noch während der Bildung des Neuralrohrs werden vom extraembryonalen Epiblasten häutige Falten über den Embryo gezogen und zu einer doppelwandigen Blase verschweißt (Abb. 5.27). Die Blasenhöhle, die Amnionhöhle, wird zum Schutze des empfindlichen Embryos mit Flüssigkeit gefüllt. Das Wasser wird von den Zellen der Blasenwand, dem Amnion, gespendet. Die Amnionhöhle wird quasi zum Privatteich, sodass sich die Embryonalentwicklung auch der Landwirbeltiere im Wasser abspielt. Amnion- und AllantoisFlüssigkeit mischen sich zum Fruchtwasser, wenn beim Schlüpfen des Kükens die dünnhäutigen Wandungen dieser extraembryonalen Flüssigkeitsbehälter reißen.
5.3.5 Experimente am Vogelkeim I: Zur Analyse der Entwicklungspotenz der Neuralleisten erzeugt man Chimären aus Hühnchen und Wachtel Am Beispiel der Vogelentwicklung ist besonders erfolgreich die Entwicklungspotenz der Neuralleistenzellen und ihre Verwendung zum Aufbau des sympathischen Nervensystems und zur Herstellung von Chromatophoren analysiert worden (s. Kap. 15, Abb. 15.3). Um das Schicksal der herumstreunenden Neuralleistenzellen verfolgen zu können, wurden Neuralleisten aus Wachtelembryonen entnommen und in Embryonen des Hühnchens implantiert. Die Wachtelzellen werden problemlos akzeptiert (jedenfalls während der Embryonalentwicklung) und beteiligen sich am Aufbau des Chimären-Vogels; sie lassen sich aber im Mikroskop leicht von den Zellen des Huhns unterscheiden, weil ihre Kerne viel dichtes Heterochromatin enthalten. Heute ersetzen arteigene,
Experimente am Vogelkeim II: Musterbildung in der Flügelknospe und retinotektale Projektion sind weitere Forschungsschwerpunkte
An den Extremitätenknospen, besonders an den leicht zugänglichen Flügelknospen, wird besonders anschaulich Musterbildung studiert und in diesem Zusammenhang die morphogenetische Funktion der Vitamin-ASäure und diverser Proteinfaktoren (SONIC HEDGEHOG, FGF) untersucht (Abschn. 10.8; s. Abb. 10.11, 10.12 und 10.13). Ein weiterer Schwerpunkt ist die Frage, wie das Auge mit dem Gehirn neuronal verkabelt wird (Retinotektale Projektion, s. Abb. 16.22).
5.4 5.4.1
Die Maus: Stellvertreter für den Menschen Medizinisches Interesse, die Verfügbarkeit von Mutanten und rasche Entwicklung machen die Maus zum Modell eines Säugers; als solcher tritt er früh in enge Beziehung zu seiner Mutter
Der Entwicklungsweg eines Säugers weicht, in Anpassung an die Viviparie, vom Entwicklungsweg anderer Wirbeltiere stark ab. Der Embryo bezieht von der Mutter Nahrung. Demzufolge können die Embryonen der Säuger im Verlauf ihrer Entwicklung an Masse zunehmen und wachsen. Da die Keime von der Mutter mit Nahrung versorgt werden, brauchen die Eier als Mitgift keinen Dottervorrat mitzubringen. Sie sind sekundär dotterarm, und es ist eine totale Furchung möglich. Andererseits muss der Keim rasch intimen Kontakt mit seiner Mutter aufnehmen. Zuallererst bildet der Keim lange vor einem Embryo einen Trophoblasten (griech. trophein D ernähren) als extraembryonales Organ der Nahrungsaufnahme aus. Aus einem Teilbezirk des Trophoblasten wird später die Plazenta des heranwachsenden Keims.
5.4 Die Maus: Stellvertreter für den Menschen
Für entwicklungsbiologische Studien sind Säuger nicht günstig. Die Embryonalentwicklung vollzieht sich im mütterlichen Leib verborgen. Für Untersuchungen und Experimente am Keim ist ein Eingriff in den mütterlichen Organismus nötig, der nach dem Tierschutzgesetz genehmigungspflichtig ist. Frühe Entwicklungsstadien bis zur Blastocyste können aus dem Eileiter herausgespült werden. Nachdem sich die Keime in die Gebärmutter eingenistet haben, können sie nur noch operativ und kaum ohne Beschädigung herausgeholt werden. Späte Embryonen der Säuger werden Fetus (Fötus) genannt (beim Menschen ab der 8. Woche). Vor allem medizinisches Interesse hat die Mausentwicklung zum Paradigma der experimentellen Säugerembryologie werden lassen. Mäuse benötigen im Vergleich zu anderen Säugern nicht viel Raum, Nahrung und Pflege. Vor allem die rasche, Jahreszeitenunabhängige Entwicklung und die Verfügbarkeit einer größeren Anzahl kartierter Mutanten hat die Maus zum Modellfall gemacht, obwohl ihre Entwicklung in mancherlei Details recht verschieden von der anderer Säuger und des Menschen ist. In der Oogenese und der frühen Embryonalentwicklung können sich schematische Darstellungen der Entwicklung von Maus und Mensch wechselseitig vertreten. Natürlich ist bei der Maus die Zeitskala verschieden.
5.4.2
Mäuse können sich bald nach ihrer Geburt und das ganze Jahr über fortpflanzen; die Generationszeit beträgt nur neun Wochen
Oogenese, Ovulation, Generationszeit Fünf Tage nach der Geburt eines Mäusleins haben alle Oocyten in Vorbereitung zur Meiose ihre Chromosomen dupliziert (DNA Menge D 4C D 4 haploide Menge) und treten in die Prophase der Meiose ein. Sie wird im Diplotän unterbrochen; es werden LampenbürstenChromosomen und multiple Nucleolen sichtbar (vgl. Abb. 8.4 und 8.5). Von den heranwachsenden Oocyten geht zwar die Hälfte zugrunde, es bleiben jedoch ca. 10.000 übrig. Schon 6 Wochen nach ihrer Geburt erreichen Mäuse die Geschlechtsreife. Der Sexualzyklus der Weibchen ist extrem kurz. Alle 4 Tage können 8 bis 12 Oocyten die erste meiotische Teilung abschließen und den ersten Polkörper abschnüren. Das eindringen-
143
de Spermium liefert den nötigen Reiz, der die zweite meiotische Teilung und die Aktivierung des Eies auslöst. Nach 19–20 Tagen Entwicklungszeit werden Mäuse geboren. Theoretisch können pro Jahr 40 Generationen das Licht der Welt erblicken. Die (minimale) Generationszeit ist 9 Wochen.
5.4.3
Die Embryonalentwicklung einer Maus ist seltsam und nicht leicht zu verstehen
Mäuse paaren sich nur, wenn sich das Weibchen im Östrus befindet, das heißt, wenn ein Ei herangereift ist und vom Ovar in den Eileiter entlassen wird. Nach einem Koitus versuchen 50 Mio. Spermien das Ei zu finden. Nach der Befruchtung wird der zweite Polkörper als Ausdruck der zweiten meiotischen Teilung abgeschnürt. Die Furchung ist bei Säugern extrem langsam und benötigt Tage. Sie setzt erst ca. 18 h nach der Befruchtung ein (beim Seeigel nach 1 h) und ist begleitet von einer frühen Transkription der embryoeigenen (zygotischen) Gene. Eine midblastula transition ist von Amphibien bekannt, nicht aber von Säugern. Bis zum frühen 8-Zellstadium sind die Blastomeren noch totipotent. Voneinander getrennt, können sie 8 genetisch identische Mäuschen liefern. Beim Übergang zum 16-Zellstadium kommt es zur Kompaktion, d. h. die Blastomeren werden mittels bestimmter Zelladhäsionsmoleküle (Uvomorulin D Cadherin E) eng miteinander verklebt. Auch kommt es zu einer ersten Differenzierung: Die Zellen des Trophektoderms amplifizieren ihr Genom und werden polyploid, die Zellen der inneren Zellmasse (Embryoblast, Epiblast) bleiben diploid. Im 16-Zellstadium schlüpft der Keim aus der Hülle (Zona pellucida). Bald ist das Stadium der Blastocyste erreicht, die befähigt ist, sich in die Wand der Gebärmutter einzugraben und sich einzunisten. Nach der Einnistung (Nidation, Implantation) formt die Blastocystenwand Riesenzellen; sie wird nun Trophoblast genannt, und dieser wird später die Plazenta hervorbringen. In der eingegrabenen Blastocyste findet man den Ursprung zu insgesamt drei verschiedenen ZellLinien:
144
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
MAUS I
1. Polkörper 2. Polkörper Zona pellucida
a
b
Furchung
Kompaktion Innere Zellmasse (Embryoblast)
Epiblast
Entoderm Trophoblast
c
d
Blastocyste
Blastocyste, schlüpfend
Uterindrüse
Amnionhöhle künftiger Embryo
Uterusepithel Entoderm
e
Einnistung
Abb. 5.28 Maus I. Von der Furchung bis zur Blastocyste, die sich im Uterusepithel der Mutter einnistet
5.4 Die Maus: Stellvertreter für den Menschen
145
MAUS II
Abb. 5.29 Maus II. Gastrulation. Sie besteht im Durchwandern der sich vom Ektoderm ablösenden künftigen Mesodermzellen (rot) durch die Primitivrinne in den Raum zwischen Ektoderm und Entoderm. Schon vor der Gastrulation hat sich eine Amnionhöhle gebildet, und darüber aus dem Trophoblasten der Ektoplazenta-Zapfen; dieser ist Vorläufer der Plazenta
Ektoplazentazapfen des Trophoblasten
Trophoblast Exocoel Exocoel entodermale Allantois Amnionhöhle Primitivstreif Ektoderm Dottersack mit visceralem Entoderm und parietalem Entoderm
a
b
Primitivstreif
Ektoderm viscerales Entoderm
Chordaanlage
Mesoderm
Knoten
Kopffortsatz = Chordaanlage
C
1. Polyploide Trophoblastenzellen, 2. die diploiden Zellen der inneren Zellmasse (D Embryoblast, Epiblast). Aus der inneren Zellmasse geht der eigentliche Embryo hervor; nur ihr kann man pluripotente Stammzellen entnehmen (s. Abb. 18.1); 3. Zellen des künftigen primitiven Entoderms. Die Zelllinien des Trophoblasten und großenteils auch des primitiven Entoderms nehmen nicht am Aufbau des Embryos teil; sie liefern extraembryonale Struk-
turen; letztlich vor allem die Plazenta. Wie es zur Sonderung dieser Zelllinien kommt, ist seit langem Gegenstand kontroverser Diskussionen und bis heute (2011) noch nicht definitiv geklärt. Neben Einflüssen der Umgebung – die Blastocyste hat sich ja nun in die Wand der Gebärmutter eingegraben – werden auch Zufallsprozesse in Betracht gezogen. Erschwert wird die Aufklärung nicht bloß durch die Unzugänglichkeit der eingenisteten Embryonen; es verschieben sich auch (ähnlich wie beim Fadenwurm C. elegans) ein-
146 Abb. 5.30 Maus III. Neurulation und frühe Organogenese. Unterhalb der sich zum Neuralrohr schließenden Neuralfalten bilden sich aus den mesodermalen Zellen Chorda, Somiten und Herz. Die ventralen Teile des Trophoblasten lösen sich bei der Maus auf bzw. werden zur unscheinbaren Reichertschen Membran; so dass faktisch Teile des Entoderms außen, das Ektoderm im Inneren des Keimes liegen (augenscheinliche „Keimblattinversion“ in der Mausentwicklung)
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
MAUS III künftige Plazenta
Exocoel
ReichertMembran Allantois Blutinseln
Kop f
Amnionhöhle
Neuralfalten
Primitivstreifen
e Rück
Entoderm
Enddarm
n mesodermale Zellen
Dottersack
Chorda Herz Vorderdarm
zelne Zellen des 16-Zellstadiums und nehmen neue Positionen ein. Gegenüber anderen Säugern zeigt die Entwicklung der Maus (Abb. 5.28, 5.29, 5.30, 5.31 und 5.32) Besonderheiten, die irreführen können. Beispielsweise nimmt der Embryo die Gestalt eines Zylinders an („Eizylinder“). Dieser Zylinder umfasst den Ektoplazenta-Zapfen, der später zentraler Teil der Plazenta wird. Es treten verschiedene extraembryonale Höhlen auf, die Rückenlinie ist anfänglich extrem gekrümmt nach Art eines Hohlkreuzes, die Bauchseite ist nach der Auflösung der Reichert-Membran (sie leitet sich vom Trophektoderm ab, Abb. 5.29) lange Zeit offen. Vorübergehend wird die äußere Zelllage vom Entoderm gestellt; das Ektoderm hingegen liegt im Inneren des Keims (scheinbare Keimblatt-Inversion, Abb. 5.29, 5.30). Sehr kompliziert sind die Drehbewegungen des Embryos, die aus dem frühembryonalen konkaven Hohlkreuz einen konvexen Rundrücken machen und den Austrittsort des Nabelstranges in den Bauch um 180ı verlagern (Abb. 5.31).
5.4.4
Neuralrohr
Somit
Mäuse scheinen einen Vater zu brauchen (es sei denn, sie werden geklont)
Parthenogenese? Auch ohne Befruchtung kann bisweilen die Entwicklung starten. Das kann im Eileiter oder schon im Ovar geschehen. Kommt die Entwicklung im Ovar vor dem Einsetzen der ersten meiotischen Teilung in Gang, ist der Keim diploid. Dennoch entwickelt er sich im Ovar nicht normal, sondern zu einem chaotischen Gebilde, einem Teratom, oder gar zu einem Tumor-ähnlichen Gebilde, einem Teratocarcinom. Auch wenn das Ei seine erste meiotische Teilung regulär abgeschlossen hat und zur rechten Zeit aus dem Ovar entlassen worden ist, sind allerlei Fehlentwicklungen möglich. Beispielsweise kann es im Eileiter zu einer Scheinbefruchtung kommen, wenn statt eines Spermiums der Polkörper mit der Eizelle fusioniert und dadurch seine Chromosomen dorthin zurückbringt, von wo sie zur Erlangung eines haploiden Zustandes entfernt worden waren. Dabei kann es
5.4 Die Maus: Stellvertreter für den Menschen
147
Abb. 5.31 Maus IV. Torsion des Keims während und nach der Neurulation. Die hier dargestellte, teils von Skizzen der Literatur (Theiler 1989), teils von Fotos von Originalpräparaten abgeleitete Drehbewegung trennt aus Gründen der Übersichtlichkeit die Torsion um die Längsachse (3–7) von der Torsion um die Dorsoventralachse (8–10). Rot D Herz
auch zur Aktivierung des Eies (s. Kap. 3) kommen. Solche zwar diploide, aber genetisch rein maternale Eizellen, denen also ein väterliches Genom fehlt, können sich bis zum Beinknospenstadium entwickeln; dann spätestens stirbt der Embryo ab. Zwei Väter oder zwei Mütter? Ähnliche Misserfolge hat der experimentell arbeitende Forscher, wenn er in einer Eizelle zwei haploide Kerne fusionieren lässt und beide Kerne „mütterlich“ sind (aus zwei Eizellen stammend) oder beide „väterlich“ (aus zwei Spermien stammend). Es hat an Versuchen nicht gefehlt, solche bimaternale bzw. bipaternale Mäuschen zu erzeugen. Nicht verwundern darf, dass zwei Spermienkerne untauglich sein können; sie sind es auf
jeden Fall, wenn beide ein Y-Chromosom aber kein X-Chromosom mitbringen; denn YY-Individuen sind nicht lebensfähig. Doch auch eine XX-Konstitution ist nur dann unproblematisch, wenn eines der beiden X-Chromosomen von einer Eizelle, das andere von einem Spermium stammt. Im Kap. 3 (Befruchtung) war ein Grund hierfür angegeben: Das Spermium muss ein Centrosom mit Centriol mitbringen, damit die Eizelle einen vollständigen Spindelapparat aufbauen kann. Darüber hinaus bringt man die genannten Probleme auch in Zusammenhang mit der maternalen bzw. paternalen Prägung, welche die DNA durch unterschiedliche Methylierung im Hoden des Vaters und im Ovar der Mutter erfahren hat. Das wird in Abschn. 8.4 erläutert.
148
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
MAUS V
Abb. 5.32 Maus V. Embryo im phylotypischen Stadium
Extraembryonale Strukturen Plazenta Exocoel Embryo
Nabelstrang mit Allantois und Blutgefäßen
Riechgrube
Mesenchym Amnion
Oberkiefer Unterkiefer
Amnionhöhle
Dottersack mit parietalem und visceralem Entoderm
Kiemenbögen Herz Somiten
Trophoblast aufgelöst
Sind einmal bei einer Befruchtung ein väterliches und ein mütterliches Genom zusammengeführt worden, sind die Voraussetzungen für eine Normalentwicklung erfüllt. Die Zellen haben ein vollgültiges Genom, die Hälfte der Chromosomen hat eine maternale und die andere Hälfte eine paternale Prägung erfahren, was für die Mausentwicklung notwendig zu sein scheint. Wenn nach Abschluss der Embryonal- und Jugendentwicklung Zellen übrig bleiben, deren Genom nicht irreversibel verändert oder sonst wie irreversibel stillgelegt ist, ist Klonen nach Art der Krallenfrösche möglich; denn das Prägungsmuster der befruchteten Eizelle wird auf ihre Tochterzellen übertragen, sodass auch sie sowohl maternal wie auch paternal geprägt sind.
5.4.5 Chimärenmäuse haben eine Möglichkeit eröffnet, Mäuse genetisch zu manipulieren Chimären sind Organismen, die Mosaike aus somatischen Zellen sind, welche von zwei (oder mehreren) genetisch unterschiedlichen Individuen stammen. Das
experimentelle Konzept zur Erzeugung von Chimärenmäusen ist die mechanische Vermischung frühembryonaler Zellen, die verschiedenen Keimen entstammen (s. Abb. 13.4). Die hieraus resultierenden Chimärenkeime haben eine schon vielfach bewährte technische Möglichkeit eröffnet, Mäuse genetisch zu manipulieren, insbesondere unter Ausnutzung der Möglichkeit der homologen Rekombination gezielt Mutationen einzuführen (targeted mutagenesis) oder andere Genkonstrukte nach Wunsch des Forschers einzuführen Wegen der besonderen Bedeutung dieser Experimente für die Medizin werden diese Verfahren gemeinsam mit dem Verfahren zum Klonen und vergleichbaren Pionierexperimenten an Amphibien in einem besonderen Kap. 13 (s. Abb. 13.6, 13.7) vorgestellt. Zusammenfassung
In diesem Kapitel wird die Embryonalentwicklung von Wirbeltieren beschrieben, deren Entwicklung im besonderen Maße untersucht und im Labor experimentell analysiert wird. Die Entwicklung als solche kann in dieser Zusammenfassung nicht rekapituliert werden.
5.4 Die Maus: Stellvertreter für den Menschen
Xenopus, der Krallenfrosch, und andere Amphibien sind Archetypen der Wirbeltierentwicklung. Abschnitt 5.1 sollte auf jeden Fall gelesen werden, wenn man die Entwicklung eines Wirbeltieres einschließlich des Menschen verstehen will; denn die Embryonalentwicklung führt über eine schulbuchmäßige Blastula und Gastrula zu einem phylotypischen Stadium, welches in ähnlicher Form auch bei allen anderen Wirbeltieren vorkommt und als Grundmodell eines Wirbeltiers betrachtet werden kann. Dieses Stadium ist charakterisiert durch folgende Strukturen (Nr. 1.–4. D Achsenorgane): 1. Neuralrohr, aus dem das ZNS mit Gehirn und Rückenmark hervorgeht; 2. Neuralleisten, aus denen u. a. das periphere Nervensystem, Nebennierenmark, Chromatophoren der Haut und das Kiemendarmskelett hervorgehen; 3. Chorda dorsalis (Notochord), dem embryonalen Platzhalter für die Wirbelsäule; 4. Somiten, aus denen die Wirbelkörper, die quergestreifte Muskulatur des Körpers und die Dermis (Unterhaut) hervorgehen; 5. Seitenplatten, aus der die Coelomepithelien und Teile des Blutgefäßsystems hervorgehen; 6. ventrales Herz; 7. Vorderdarm mit Kiementaschen (Schlundtaschen). Die Strukturen 3–6 sind mesodermal, 7 ist entodermal. An Amphibienkeimen wurden berühmte Experimente durchgeführt: Es gelang bei Xenopus erstmals das Klonen eines Wirbeltieres; Transplantationsexperimente an Molch- und Froschkeimen durch Spemann und Mangold führten zur Entdeckung einer Positionsinformation und der embryonalen Induktion, bei der bestimmte Keimbezirke durch Aussenden von Signalsubstanzen andere Keimbezirke zur Entwicklung ortstypischer Strukturen stimulieren. Ein besonders mächtiger Signalsender ist der Spemann-Organisator (obere Urmundlippe der frühen Gastrula), der ganze Zweitembryonen induzieren kann, und sich seinerseits in Kopf und Rumpf-Organisator gliedert. Mittels kleiner Transplantate aus diesen Organisatorbezirken oder mittels gentechnisch hergestellter Induktionsfaktoren kann die Entwick-
149
lung eines vollständigen Embryos (mittels betaCATENIN), eines zusätzlichen Kopfes (z. B. mittels den Faktoren DICKKOPF oder CERBERUS) oder eines zusätzlichen Rumpfes (mittels der Faktoren NOGGIN und CHORDIN) ausgelöst werden. Diesen Faktoren stehen Antagonisten entgegen. Im posterior-dorsalen Bereich der Gastrula/Neurula heben WNT-8-Signale die Wirkung der Kopfinduktoren auf, im antero-ventralen Bereich wirkt ventralisierendes BMP-4 als Gegenspieler der Rumpfrücken- und Nervensystem organisierenden Faktoren NOGGIN und CHORDIN. Agonisten und Antagonisten werden in diagonal entgegengesetzten Keimbereichen erzeugt, diffundieren aufeinander zu, binden und neutralisieren sich wechselseitig. Damit entstehen Gradienten der freien, wirksamen Faktoren. Die bekannten Induktoren sind zugleich Morphogene, weil sie abhängig von ihrer jeweiligen örtlichen Konzentration unterschiedliche Differenzierungen in Gang setzen. In der Neurula helfen die Kopfinduktoren wie DICKKOPF und CERBERUS und die Rumpfinduktoren wie CHORDIN und NOGGIN in Kooperation mit weiteren Faktoren wie Retinsäure und verschiedenen FGFs, das Neuralrohr in Gehirn und Rückenmark zu gliedern Es gibt zahlreiche weitere Faktoren, beispielsweise das bereits im frühen Keim wirksame NODAL und verschiedene FGFs, die für die Sonderung von Ektoderm, Entoderm und Mesoderm sowie die Induktion der verschiedenen Zelltypen zuständig sind. Die genannten Faktoren sind auch in anderen Wirbeltieren mit gleicher oder ähnlicher Funktion wirksam. Zebrafisch (Danio rerio) und Medaka-Fisch (Orycias latipes) sind zu den jüngsten Modellorganismen im Reich der Vertebraten avanciert; denn es sind Tiere, die jederzeit im freien Wasser ablaichen, sich rasch entwickeln und mit denen ausgiebig Genetik betrieben werden kann. Die transparenten Eihüllen und Keime lassen eine Embryonalentwicklung beobachten, die für Fische typisch ist und in mancherlei Beziehung vom Amphibienmodell abweicht. Am animalen Pol der Eizelle bildet sich eine vielzellige und mehrschichtige Keimscheibe, die das Rest-Ei (Dotterkugel) umwächst (Epibolie). Die Rolle des Urmundes hat der Umwachsungsrand der Keimscheibe inne. Um die Kante dieses Ran-
150
5 Entwicklung bedeutsamer Modellorganismen II: Wirbeltiere
des dringen Epiblastzellen von der Oberfläche ins Innere ein, um zu Hypoblastzellen zu werden. Die amöboid beweglichen Hypoblastzellen scharen sich vor dem Embryonalschild (eine der oberen Urmundlippe der Amphibiengastrula homologen Verdickung des Umwachsungsrandes) zum Keimstreif zusammen und bauen die mesodermalen Achsenorgane (Chorda, Somiten) und den entodermalen Darmtrakt auf. Sehr gut lässt sich die Entwicklung des Nervensystems, der Augen und der blutbildenden Zellen verfolgen. Hühnchen: Die Eizelle ist das dotterreiche Gelbei. Die animale Kalotte der Riesenzelle ist die Keimscheibe, die sich bei der Furchung in Zellen zerlegt und auf der als Ausdruck der beginnenden Gastrulation eine Primitivrinne sichtbar wird. Diese ist dem Urmund der Amphibien homolog; auf diese Rinne bewegen sich Zellen der Oberfläche (Epiblast) zu und durch diese Rinne tauchen sie in die Tiefe ab. Aus den abgetauchten Hypoblastzellen, die sich unter dem Epiblasten und vor der Primitivrinne ausbreiten, entstehen die mesodermalen und entodermalen Organe ähnlich wie bei Fischen und Amphibien. Wenn das phylotypische Stadium erreicht ist, wird eine flüssigkeitsgefüllte Amnionhöhle gebildet, in welcher der Embryo geschützt weiter heranwächst. Ein Dottersack und eine Allantois (embryonale Harnblase) sind weitere Gebilde, die für Amnioten (Reptilien, Vögel, Säuger) charakteristisch sind. An Embryonen des Huhns und der Wachtel wird besonders die Entwicklung des Nervensystems und der Neuralleisten-Abkömmlinge studiert. Weiterhin werden die rhythmische Entstehung der Somi-
ten und das Auswachsen des Flügels als Modell einer Extremitätenentwicklung eingehend untersucht (Kap. 10). Maus: Die Entwicklung der plazentalen Säuger vollzieht sich im Eileiter und im Uterus (Gebärmutter) einer Mutter. Das sekundär dotterarm gewordene Ei vollendet erst im Eileiter nach der Befruchtung durch Abschnüren des zweiten Polkörpers die Reifeteilung, und es furcht sich holoblastisch (total). Die Furchung führt zu einer Blastocyste, deren äußere Wand Trophoblast genannt wird und einen Embryoblasten (innere Zellmasse) einschließt. Die innere Zellmasse bringt erst dann den Embryo hervor, wenn sich der Keim im Uterus eingenistet hat, äußere Trophoblastzotten als Vorläufer der Plazenta besitzt und inmitten der inneren Zellmasse eine Amnionhöhle ausgespart ist. Auf dem Boden der Amnionhöhle bildet sich eine Keimscheibe mit Primitivrinne, ähnlich der Keimscheibe der Sauropsiden. Bei der Maus gibt es freilich im Einzelnen Besonderheiten, die so bei anderen Säugetieren nicht vorkommen, beispielsweise starke Krümmungen und Drehungen des Embryos. Wie bei anderen plazentalen Säugern ist die Plazenta eine aus dem Trophoblasten hervorgehende Bildung des Keimes, über die der Embryo (in späten Stadien Fetus genannt) Atemgase, Nährsubstanzen und Metaboliten mit der Mutter austauscht. Bei der Maus können über homologe Rekombination gezielt Gene gegen künstlich veränderte (z. B. gegen gezielt mutierte Gene) ausgetauscht werden. Es können auch transgene Tiere mit (art)fremden Genen hergestellt werden. Auch können Mäuse geklont werden.
6
Die Embryonalentwicklung des Menschen
6.1 Der Mensch und Modellorganismen 6.1.1 Inwieweit hilft die Kenntnis der Entwicklung einer Fliege, die Entwicklung des Menschen zu verstehen? Naturgemäß richtet sich unser Interesse in besonderem Maße darauf, zu erfahren, wie wir uns selbst entwickelt haben. Inwieweit kann die Kenntnis der Embryonalentwicklung anderer Säugetiere, oder gar des Frosches oder der Fliege, helfen, die Embryonalentwicklung des Menschen zu verstehen? Der Zoologe weiß, dass der Mensch ein Säugetier ist und ihn wundert nicht, dass seine frühe Embryonalentwicklung zwar unübersehbare Unterschiede speziell zu der Embryonalentwicklung der Maus aufweist, aber nur geringe Abweichungen zu der Entwicklung manch anderer Säugetiere, besonders geringe zu der anderer Primaten. Die Unterschiede zur Entwicklung eines Frosches oder gar eines Insektes sind selbstredend beträchtlich. Doch gibt es auch beim Vergleich so verschiedenartiger Formen wie Mensch, Frosch und Fliege erstaunlich viele Gemeinsamkeiten. Es ist ausgerechnet die Molekulargenetik, die ganz frappierende Gemeinsamkeiten aufgedeckt hat. Dies wird in Kap. 12 erläutert werden. Experimente an den in Kap. 4 und 5 vorgestellten Modellorganismen haben es auch ermöglicht, viele der in der menschlichen Entwicklung wirksamen steuernden Mechanismen und Gene aufzudecken. Dies wurde möglich, weil der Mediziner Fehlentwicklungen kennt, die in ähnlicher Weise an tierischen Modellorganismen experimentell ausgelöst werden können. Ein
klassisches historisches Beispiel war die Erzeugung sogenannter siamesischer Zwillinge bei Amphibien (s. Abb. 13.1). Weitere Beispiele sind bekannte, vererbbare Krankheitssyndrome, die in ähnlicher Form durch genetische Manipulation auch „am Tiermodell“ hervorgerufen werden können. Auch wenn an menschlichen Embryonen experimentelle Eingriffe nicht erwünscht und in Deutschland wie auch in vielen anderen Ländern nicht erlaubt sind, ist die Entwicklung des Menschen Thema morphologischer, histochemischer und molekularbiologischer Untersuchungen. An abortiven Embryonen lässt sich mittels In-situ-Hybridisierung (s. Abb. 12.7 und 12.9) das Muster der Genexpression studieren. Neben solchen Embryonen stehen auch lebende, aus Teratomen herausgelöste Zellen für Untersuchungen zur Verfügung. Sowohl auf morphologischer wie molekularbiologischer Ebene gibt es viele fundamentale Übereinstimmungen zwischen der Entwicklung des Menschen und der Entwicklung nicht nur anderer Säugetiere, sondern auch der Amphibien, aus deren Vorfahren einstmals auch die Linie der Landwirbeltiere hervorgegangen ist. Und da sich zwischen Amphibien und Säugetieren im Lauf der Evolution auch der gemeinsame Vorfahr von Reptilien und Vögeln weiterentwickelt hat (der Zoologe vereinigt Reptilien und Vögel zur Gruppe der Sauropsiden), trägt auch die Entwicklung der Amphibien und Sauropsiden vieles zum Verständnis der menschlichen Entwicklung bei. Aufbauend auf der Schilderung der Amphibien- und Vogelentwicklung, die man zuvor lesen sollte, sind im Folgenden Daten zur Entwicklung des Säugers im Allgemeinen und des Menschen im Besonderen zusammengetragen.
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_6,
151
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
3 Monate
152
Oogonie 500000 Oozyten
Nukleolen Lampenbürsten-Chromosome
Minuten
9 Monate
Start der Meiosis Tetraden im Zygotän
Kontakt mit Spermium leitet Eiaktivierung ein
RNP Geburt DNA 2. meiotische Teilung, Abschnürung des 2. Polkörpers; im Ei bleibt der haploide Vorkern (Pronukleus)
12-50 Jahre
Wachstum über viele Jahre Endocytose von Vitellogenin-Proteinen
Eingeschleuster Kern des Spermiums wird zum Vorkern
Dotterplättchen
im Zyklus
Auflösung der Nukleolen
1 Tag
Karyogamie: 1. meiotische Teilung, führt zur Abschnürung des 1. Polkörpers
Fusion des haploiden Vorkerns mit dem haploiden Vorkern zum diploiden Zygotenkern; beide Vorkerne haben zuvor ihre DNA repliziert.
Ovulation
Abb. 6.1 Mensch. Oogenese im Überblick
6.2 Von den Urkeimzellen bis zur Befruchtung 6.2.1 Oogenese: Frauen haben schon lange vor ihrer Geburt genug Eizellen angelegt; Wachstum und Reifung dieser Eizellen benötigen aber noch viel Zeit Urkeimzellen (Oogonien) zur Erzeugung der nächsten Generation werden schon früh im Embryo ausgesondert und in Reserve gelegt. Sie sind bereits im pränatalen Embryo in der dritten Woche seiner Entwicklung auszumachen. Die Urkeimzellen wandern vom Dottersack kommend amöboid in die Gonadenanlagen ein (s. Abb. 15.2). Im 5. Entwicklungsmonat des weiblichen Embryos beherbergt das Ovar ca. 7 Mio.
Oogonien. Im 7. Monat ist die Mehrzahl zugrunde gegangen. Die überlebenden 700.000 bis 2 Mio. stellen ihre mitotische Vermehrung ein und werden zu primären Oocyten; sie treten in die Prophase der Meiose ein (Abb. 6.1). Es folgt die 12 bis 45 Jahre währende Zwischenphase (Diplotän/Zygotän der meiotischen Prophase), in der Lampenbürstenchromosomen (s. Abb. 8.5) und multiple Nucleolen auftreten. Nochmals gehen Oocyten zugrunde. Mit Beginn der Pubertät sind noch 40.000 vorhanden, die von nährenden Primordialfollikeln umhüllt werden. In jedem Ovarialzyklus beginnen 5 bis 12 der Oocyten mit ihren Follikeln auf ein hormonelles Signal hin (FSH) zu wachsen (Abb. 6.2a) In der Regel erreicht nur ein Follikel im 28-tägigen Menstruationszyklus den Zustand des reifen Graaf-Follikels. In der Mitte des Ovarialzyklus, also ca. 14 Tage nach der letzten Mens-
6.2 Von den Urkeimzellen bis zur Befruchtung
a
153
1. Steuerungsebene: Zwischenhirn und Hypophyse GnRH = Gonadotropinreleasing Hormone
Konzentration im Blut
Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) FSH
LH LH
FSH
0
7
2. Ebene: Ovar
14
21
Zyklustag 28/0
Follikel
Gelbkörper Konzentration im Blut
Follikel bildet Östradiol
Eisprung Östradiol Progesteron
14
7
0
3. Ebene: Uterus
21
Zyklustag 28/0
empfängnisbereit
Hormonale Steuerung des Menstruationszyklus Abb. 6.2 Mensch: a Hormonale Steuerung des Ovarialzyklus der Frau in Vorbereitung auf eine Schwangerschaft. Die Vorbereitung findet auf drei Ebenen statt. Ebene I: Hypophyse; die Hypophysenhormone FSH und LH leiten im Ovar die Endreifung eines Eies und dessen Freisetzung (Ovulation) ein. Ebene II: Im Ovar werden die weiblichen Sexualhormone Östradiol
(vom Follikel) und Progesteron (vom Gelbkörper) erzeugt und in den Blutkreislauf freigesetzt. Ebene III: Die Sexualhormone bewirken das Heranwachsen der nährenden Uterusschleimhaut (Endometrium), die allerdings am Ende des Zyklus abgestoßen wird, falls sich kein Keim einnistet (aus Müller und Frings (2009), leicht verändert)
154
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
b Regel
Fruchtbare Tage
Regel
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 Tage 1. Woche
2. Woche
3. Woche
4. Woche
Abb. 6.2 (Fortsetzung) b Fruchtbare Tage
truation, beendet eine herangereifte Oocyte die erste Reifeteilung. Bei der Ovulation wird die Oocyte als Ei ausgestoßen. Die zweite Reifeteilung läuft beim Säuger/Menschen erst nach der Befruchtung ab. Der Zeitpunkt der Ovulation, die nur 6–12 h anhaltende Befruchtungsfähigkeit der Eizelle und die auf maximal drei Tage beschränkte Lebensdauer der Spermien bestimmen die „fruchtbaren Tage“ im Zyklus der Frau (Abb. 6.2b). Als optimaler Zeitpunkt für eine Konzeption geben Mediziner 1 Tag vor dem Eisprung an.
Ein Vermerk aus der medizinischen Reproduktionsbiologie: In den Industrieländern sind 12 % der an Brustkrebs erkrankenden Frauen noch im gebärfähigen Alter von 20–34 Jahren und selbst junge Mädchen können an Brustkrebs, Jungen an Hodenkrebs erkranken. Die notwendige Chemotherapie ist aber für den Eierstock oder den Hoden ein zerstörerisches Unterfangen. Deshalb entwickelt die gegenwärtige Reproduktionsbiologie im Tierexperiment Verfahren, vor der Chemotherapie Gewebe des Eierstockes oder Hodens zu entnehmen, tiefgefroren aufzubewahren (Kryopräservation) und nach erfolgreicher Therapie wieder zu implantieren.
6.2.2 Nur eines von vielen Millionen Spermien kommt zum Zug Das ausgestoßene, von der Tube des Eileiters aufgefangene Ei ist von einer derben Hülle, der Zona pellucida, und einer mukösen Schicht, der Corona radiata, umgeben. Beide Hüllschichten sind von den Follikelzellen erzeugt worden und müssen vom Spermium durchdrungen werden.
Von 200 bis 300 Mio. Spermien, die beim Samenerguss in die Vagina gelangen, erreicht ca. 1 % das Ei. Auf dem langen Weg durch Vagina, Uterus und Eileiter erfahren die Spermien ihre Kapazitation, d. h. sie erlangen ihre Befruchtungskompetenz durch Einwirkung weiblicher Sekrete. Nur ein Spermium gelangt zur Befruchtung. Weiteres zum Befruchtungsgeschehen ist im Kap. 3 zu lesen. Ob beim Menschen eine Schwangerschaft auf natürlichem Wege auch ohne Beteiligung eines Mannes möglich sei (Parthenogenese), wird in Box 6.5 diskutiert.
6.3
Von der Befruchtung bis zum phylotypischen Stadium
6.3.1 Der Keim entwickelt zuallererst spezielle extraembryonale Organe, um die Mutter in Anspruch nehmen zu können; deshalb kann der Embryo später enorm wachsen Entwicklung vor der Implantation (Abb. 6.3).Weil der Keim früh von der Mutter mit Nährsubstrat versorgt wird, kann das Ei dotterarm sein und ist es auch. Der Keim der Säuger wächst im Zuge der Embryonalentwicklung ganz beträchtlich. Das Ei hat mit ca. 0,1 mm nur die Größe eines Seeigeleies. Die Furchung führt am dritten Tag zum 12- bis 16-Zellenstadium der Morula Um den vierten Tag ist das Stadium der Blastocyste erreicht. Sie schlüpft aus der Zona pellucida und nistet sich am 5. oder 6. Tag in der Schleimhaut des Uterus (Gebärmutter) ein. Misslingt es dem Eileiter, das vom Ovar freigesetzte Ei aufzufangen, und nistet sich die Blastocyste in der Bauchhöhle ein (Bauchhöhlen-Schwangerschaft), so stirbt der Embryo ab oder entwickelt sich zum tumorähnlichen Teratom. (Ob der Keim stirbt, was zu schweren Blutungen führen kann, oder ob er sich zum Teratom entwickelt: Die Frau trägt in diesen Fällen ein hohes
6.3
Von der Befruchtung bis zum phylotypischen Stadium
155
Befruchtung Furchung
Ovar Gelbkörper
Innere Zellmasse (Embryoblast)
Eisprung
Follikel Eizelle Ei mit Hülle Mund des Eileiters
Blastocyste schlüpfend
Uterusdrüse
Einnistung
Uteruswand (Gebärmutter) 16-Zellenstadium auf Nadelspitze
Amnionhöhle
künftiger Embryo
Frühe Embryonalentwicklung des Menschen Abb. 6.3 Mensch. Von der Ovulation bis zur Einnistung
Risiko für die eigene Gesundheit und das eigene Leben.) Nach extrakorporaler Befruchtung kann sich das befruchtete Ei in geeignetem Kulturmedium in vitro bis zur Blastocyste entwickeln; dann muss nach gegenwärtigem Stand der Reproduktionsmedizin der Uterus einer Mutter die weitere Fürsorge übernehmen. Embryonalentwicklung nach der Implantation (Abb. 6.4, 6.5, 6.6, 6.7, 6.8, 6.9, 6.10, 6.11 und 6.12). Die Blastocyste sieht ähnlich aus wie eine Blastula, doch schreitet der blasenförmige Keim nicht wie die Blastulae des Seeigels oder der Amphibien sogleich zur Urdarmbildung.
Die zellige Außenwandung der Blastocyste wird zum Trophoblasten, einem „extraembryonalen“ Organ der Versorgung und Entsorgung. Ein Teil des Trophoblasten wird später zur Plazenta heranwachsen. Der Trophoblast umschließt den Hohlraum des Blastocoels und die innere Zellmasse D Embryoblast. Dies ist eine Gruppe von Zellen, die an einem Pol der Blastocyste zusammengeballt liegt. Mit diesem „embryonalen Pol“ voraus gräbt sich die aus ihren Hüllen geschlüpfte Blastocyste in die Uteruswand ein. Im äußeren Trophoblasten fusionieren die Zellen zum vielkernigen Syncytium; der äußere Trophoblast wird zum invasiven syncytialen Trophoblasten. Darun-
156
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
Abb. 6.4 Mensch. Einnistung, Amnion, Dottersack Trophoblast Innere Zellmasse
Uterusepithel
Invasiver, syncytialer Trophoblast
Blastocoel Geschlüpfte Blastocyste
Invasive Blastocyste
syncytialer Trophoblast Amnionhöhle Epiblast (KeimschildEktoderm) Hypoblast (Entoderm) Cytotrophoblast Dottersackhöhle Höhlungen (Sinusoide), mit mütterlichem Blut gefüllt syncytialer Trophoblast Cytotrophoblast Amnionhöhle Exocoel Dottersackhöhle
ter bleibt eine innere Schicht, der Cytotrophoblast (Abb. 6.4), in Zellen gegliedert; er umschließt die Blastocystenhöhle. Später wird der Blastocystenwand von innen eine weitere Zellschicht, das parietale Mesoderm aufgelagert. Die Blastocystenhöhle wird zu einem extraembryonalen Coelom (Exocoel), oft Chorionhöhle genannt. Aus dem Cytotrophoblasten der sich immer tiefer eingrabenden Blastocyste sprossen ringsum die primären Trophoblastzotten (Abb. 6.5) aus, mit denen der Keim aus mütterlichen Blutlakunen der Decidua (Teil der Gebärmutter um den Keim) Nahrung und O2 aufnimmt. In Abbildungen und Texten zur Embryologie des Menschen findet man nun meistens den Begriff Trophoblast ersetzt durch den Begriff Chorion. Das Nährorgan der Chorionzotten wird zwar vom Trophoblasten des Keims gebildet, wird aber als extraembryonal bezeichnet, was besagen will, dass die Zotten kein Organ des eigentlichen Embryos sind;
dieser existiert noch gar nicht. Wenn sich dann im Keimesinneren ein Embryo gebildet und über die Nabelschnur Verbindung zu den Chorionzotten aufgenommen hat, wachsen die winzigen primären Trophoblastoder Chorionzotten zu den mächtigen tertiären Chorionzotten heran (s. Abb. 6.10). Dies geschieht in einem scheibenförmigen Bezirk, den man Plazenta nennt. In die Zotten der Plazenta wachsen über die Nabelschnur vom Embryo her Blutgefäße ein.
6.3.2
In der Embryonalentwicklung kommen evolutiv alte Strukturen zum Vorschein: Keimscheibe, Primitivrinne, Dottersack, Amnion und Allantois
Amnion, Dottersack, Nabelstrang Das Reptil und der Vogel haben sich als Embryonen mit einer selbst-
6.3
Von der Befruchtung bis zum phylotypischen Stadium
Abb. 6.5 Mensch. Embryonalentwicklung auf dem Boden der Amnionhöhle bis zum Somitenstadium (phylotypisches Stadium). Extraembryonal: Dottersack, Allantois (teilweise); vom Trophoblasten zur Plazenta
157
Trophoblastzotten
Amnionhöhle Keimscheibe mit Primitivrinne Mesoderm Dottersackhöhle Blastocysten-/ Chorionhöhle
a werdende Plazenta
Chorionhöhle Amnionhöhle
Haftstiel
Embryo Allantois
Dottersack
b
c
längs
quer
gemachten, wassergefüllten Amnionhöhle umgeben, und sie trugen einen Dottersack. Die Säuger behielten diese Erfindungen bei. Aber ihre Keime bilden in aller Regel bereits eine Amnionhöhle und einen (dotterfreien) Dottersack, bevor überhaupt ein Embryo vorhanden ist, und so ist dies auch beim Menschen. Mit zunehmender Größe der Amnionhöhle nimmt das Volumen der Amnionflüssigkeit zu. Sie wird Fruchtwasser genannt. Am 9. Entwicklungstag sind in der inneren Zellmasse (im Embryoblasten) Amnionhöhle und Dottersack entstanden. Anders als bei der Maus, aber wie bei anderen Primaten, platzt beim menschlichen Keim der evolutionsgeschichtlich ursprüngliche primäre Dottersack auf und wird durch den kleine-
ren sekundären ersetzt. Schließlich wird der Dottersack von extraembryonalem Mesoderm umhüllt, von Blutgefäßen begleitet und mit dem Haftstiel zur Nabelschnur verdrillt. In die Nabelschnur wird auch die rudimentäre Allantois eingebunden. Die Allantois (embryonale Harnblase) kann rudimentär bleiben, weil der Embryo sein Oxidationswasser und seine Stoffwechselendprodukte über die Blutgefäße der Nabelschnur und die Plazenta der Mutter zur Entsorgung übergeben kann. Embryogenese Um den 12. Tag beginnt die Bildung des eigentlichen Embryos im Inneren des Keims. Der Gesamtkeim ist von 0,1 auf 0,75 mm Durchmesser
158
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen MENSCH Amnion Neuralwülste Chorda mit Kanal Primitivrinne mit einwandernden Mesodermzellen
Haftstiel
Dottersack 15 Tage Neuralfalten Chorda Mesoderm Primitivrinne
Somiten
Blutinseln 22 Tage vorderer Neuroporus Ohrplakode Somiten Armknospe Beinknospe Auge Kiemenbögen Herz Schwanz Dottersack Blutinsel
Nabelschnur 26 Tage
Abb. 6.6 Mensch. Neurulation, Organogenese. Das alles umhüllende Chorion und die aus den Chorionzotten hervorgegangene Plazenta sind entfernt
6.3
Von der Befruchtung bis zum phylotypischen Stadium
Neuralrohr sich schließend Neuralleisten —> Kiefer- u. Kiemenbögen
159
Primäres Kiefergelenk
Ohr
Auge seitlich
Kiementaschen Schwanz
4 mm
Herz
a 24 Tage Embryo 3,5 mm Primäres Kiefergelenk
4 Schlundtaschen (”Kiementaschen”) 4 Bogenarterien Operculum (”Kiemendeckel”) 4
2
b 26 Tage
“Fischstadium” jedoch Amnion und Nabelstrang Säuger-typisch
1
Paddelförmige Extremitätenknospen
c 28 Tage, 6 mm
Rhombencephalon Rautengrube
Ohrblase eingesunken
Operculum
Mesencephalon Diencephalon
“Amphibienstadium” jedoch weitere Untergliederung und Vergrößerung des Gehirns Säuger-/Menschen-typisch
Telencephalon Auge mit Linse Bulbus olfactorius (Riechhirn)
d 37-42 Tage,
Herz rückt vom Hals in Brustraum Große Leber, blutbildend
9,6 mm Abb. 6.7 Mensch. Entwicklung des Embryos in den ersten 6 Wochen nach der Befruchtung
160
angewachsen. Die Amnionhöhle ist nun groß genug, um einen Embryo zu beherbergen. Ein scheibenförmiger Bezirk des Amnionbodens, Epiblast genannt, wird zur Keimscheibe. In ihrer Mitte senkt sich auf dem Boden der Amnionhöhle als Ausdruck der beginnenden Gastrulation wie beim Sauropsidenkeim eine Primitivrinne ein (Abb. 6.5, vergl. Abb. 5.25). Es strömen Zellen des Höhlenbodens (Epiblast) in geschlossenem Verband auf die Primitivrinne zu, dringen durch die Rinne hinab in den Spalt zwischen Amnionboden und Dach des Dottersacks und werden zum Mesoderm (anfänglich auch Hypoblast genannt). Das Mesoderm gliedert sich in bekannter Weise in Chorda, Somiten und Seitenplatten. Darüber formt der Epiblast Neuralfalten, welche sich zum Neuralrohr schließen (Abb. 6.6). Die Gastrulation (durch die Primitivrinne), Neurulation, Chorda- und Mesodermbildung folgen dem Grundmuster der Vertebratenentwicklung. Es gibt indes einige säugerspezifische Besonderheiten: Die als „Kopffortsatz“ von der Primitivrinne nach anterior wachsende Chorda stößt vorne auf eine Prächordalplatte, die teils zur Rachenmembran wird, teils Kopfmuskulatur liefert. Die Chorda ist anfänglich hohl. Der Chordakanal beginnt posteriordorsal in der Primitivrinne und bricht vorübergehend anterior-ventral zum Dottersack durch. Einen ähnlichen, die Amnionhöhle mit dem Dottersack verbindenden Canalis neurentericus findet man bei Reptilien. Wenn sich über der Chorda die Neuralfalten zum Neuralrohr schließen, so bleibt auch dieses Rohr lange offen und über den anterioren und posterioren Neuroporus mit der Amnionhöhle verbunden. Die Poren schließen sich, wenn die Mehrzahl der Somiten, die Anlagen der Augenlinsen, die Ohrplakoden und die Schlundbögen (Kiemenbögen s. Abb. 6.20, 6.21 und 6.22) hergestellt sind und das Herz pocht. Um den 28. Tag der Entwicklung sind auch die Blutgefäße schon soweit ausgewachsen, dass der embryonale Kreislauf über den Nabelstrang mit der Plazenta verbunden ist (s. Abb. 17.8, 17.9 und 17.10).
6.3.3 Das Besondere an der menschlichen Entwicklung ist das enorme pränatale Wachstum des Gehirns Der Embryologe findet in der Entwicklung des Menschen im Vergleich zur Entwicklung anderer Säuge-
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen Oberkiefer Unterkiefer Kiementaschen
Herz
Nabelstrang Phylotypisches Stadium Tag 26-28, 4-6 mm
Abb. 6.8 Mensch im phylotypischen Stadium, 26.–28. Tag, 4–6 mm. Die großräumigen Organanlagen sind vorhanden, werden aber später noch untergliedert und durch unterschiedliches Wachstum und terminale Differenzierung der Gewebe ausgebaut und verfeinert
tiere einige Besonderheiten. Eine Besonderheit ist die extrem langsame Furchung. Die Furchung ist bei allen Säugern vergleichsweise langsam, vielleicht deshalb, weil der Keim sehr früh schon seine eigenen Gene in Anspruch nimmt; Transkription braucht eben ihre Zeit. Im Weiteren durchläuft das Säugetier/Mensch in seiner Entwicklung Stadien, die nur aus seiner evolutiven Vergangenheit erklärt werden können. Schon bei äußerem Augenschein fallen beispielsweise auf: Kiementaschen (Schlundtaschen, Abb. 6.6, 6.7, 6.8 und 6.22), seitlich am Kopf sitzende Augen, die lange ohne Lider bleiben, Arme und Beine anfänglich seitlich abstehend, Schwanz und Milchleisten (Abb. 6.9d). Hypothesen zur Evolution, die hieraus formuliert worden sind, werden im Abschn. 6.6 diskutiert. Eine weitere, gewichtige Besonderheit ist das enorme Wachstum der Großhirnhemisphären (Abb. 6.9), die ihrerseits den noch plastischen Kopf des Kindes enorm ausdehnen. Der Durchmesser des Kopfes, der vor allem durch Wachstum im Stirnbereich beträchtlich ansteigt, setzt dem weiteren Verweilen des Kindes im Mutterleib Grenzen. Der Geburtskanal ist nicht beliebig dehnbar, und in nicht seltenen Fällen auch zu eng, was zu chirurgischen Eingriffen (Kaiserschnitt) zwingt. Eine weitere Besonderheit geht von der Mutter aus. In der Gebärmutter werden wandlose Blutlakunen angelegt, welche den Stoffaustausch zwischen Mutter und Kind erleichtern (folgende Abschnitte).
6.3
Von der Befruchtung bis zum phylotypischen Stadium
161
Mesencephalon Prosencephalon Nasengrube
Oberkiefer Unterkiefer 1. Schlund(Kiemen-)Tasche Herzschlauch
a
30 Tage, 7 mm Rhombencephalon
b 40 Tage, 16 mm
Mesencephalon
Telencephalon
Leber
c1
36-40 Tage 12-18 mm Kopf hochgedreht
Genitalhöcker
c2
Milchleisten
d 39-46 Tage, 14-20 mm Abb. 6.9 Mensch. Entwicklung vom 30. bis zum 46. Tag
40-46 Tage, 20 mm
162
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
Ohrgang aus Kiefergelenk 1. Kiementasche sekundäres, primäres
Augen noch seitlich, ohne Lid “Schnauze”
e Penis (oder Klitoris) 11.-16. Woche, ca. 6 cm
Augen vorne, mit Lidern bedeckt
selbst: Die innere Lage ist die Wand der Amnionblase, die sich vergrößert und die Chorionhöhle verdrängt; die äußere Lage ist das Chorion, das sich vom Trophoblasten ableitet (Abb. 6.5 und 6.10) Auf dem Chorion wachsen in dem Bereich, der nun Plazenta heißt, die Chorionzotten zu mächtigen Zottenbäumen heran und erstrecken sich in Hohlräume der Gebärmutterwand hinein (Abb. 6.10 und 6.11). Hier findet der Austausch von O2 , CO2 , Harnstoff etc. statt. Auf Seiten der Mutter löst sich die Decidua, die äußere Schicht der Gebärmutterwand, stellenweise auf und schafft so die lakunären Höhlen, in welche die Zottenbäume hineinwachsen. Worte wie lakunär bzw. Lakunen weisen darauf hin, dass sich die mütterlichen Blutkapillaren in diese Hohlräume öffnen und mütterliches Blut unmittelbar die Zottenbäume umspült (Abb. 6.11). So sehr dies dem Kind zugute kommt, die Mutter hat bei der Geburt ihren Blutzoll zu entrichten; denn die Lakunen schließen sich nicht so rasch. Bei Geburt des Menschen (Abb. 6.12) geht mütterliches Blut verloren. Bei anderen Säugern, namentlich bei den Nichtprimaten, die keine solchen Endothel-freien Lakunen anlegen, ist die Geburt nicht mit viel Blutverlust verbunden und für die Mutter augenscheinlich weniger schmerzhaft.
6.4.2
f 26. Woche, 25-30 cm
Abb. 6.9 Mensch (Fortsetzung). Entwicklung von der 11. bis zur 26. Woche
6.4 Schnittstelle Mutter/Kind: die Plazenta 6.4.1 Die Plazenta ist ein Organ, mit dem sich das Kind verankert und durch das es mit der Mutter Stoffe austauscht Das werdende Kind liegt in einer Blase mit doppellagiger Wand. Beide Lagen der Wand stammen vom Keim
Der Kontakt zur Mutter kann auch gefährlich werden; ihr Immunsystem muss erfolgreich unterdrückt werden
Der Abbau von Zwischenschichten zwischen Mutter und Kind hat nicht nur Vorteile. Der Fetus kommt in gefährlichen Kontakt zum Immunsystem der Mutter; deshalb muss ein tragbarer Kompromiss gefunden werden. Der Fetus hat in aller Regel nicht die gleiche molekulare Ausstattung wie die Mutter; denn von der Mutter hat er nur die Hälfte seiner Gene, die andere Hälfte der mütterlichen Gene ist bei der Meiose der Oocyte ausgesondert und bei der Befruchtung durch Gene des Vaters ersetzt worden. Dies betrifft auch die Gene für den auf der Oberfläche der Körperzellen exponierten MHC (Major Histocompatibility Complex I), anhand dessen das Immunsystem fremde Zellen (z. B. Transplantate) als fremd erkennen kann. Fremdes wird durch T-Zellen des Immunsystems zerstört, so auch die Zellen an der Grenzfläche eines
6.4 Schnittstelle Mutter/Kind: die Plazenta
163
Vom Keim gebildet: Chorionzotten (werden z.T. zur Plazenta) Chorionhöhle (wird von Amnionhöhle verdrängt) Amnionhöhle
a
Amnionhöhle
Plazenta
Nabelstrang
Uterusschleimhaut Uterus (Gebärmutter)
b im dritten Monat
Abb. 6.10 Mensch. Fetus (Fötus) im Uterus, Entwicklung vom Trophoblasten zur Plazenta. Die Amnionhöhle verdrängt die Chorionhöhle; die Plazentazotten konzentrieren sich auf ein scheibenförmiges Areal
Transplantates mit einem fremden MHC; das restliche Transplantat löst sich ab und wird abgestoßen. Warum nicht der Embryo?
Mutter-Kind-Chimären: In diesem Zusammenhang sei eine verblüffende Neuentdeckung erwähnt. Man fand bei Frauen in verschiedenen Geweben vereinzelt Zellen, die ein Y-Chromosom trugen. Alle diese Frauen, so stellte sich heraus, hatten einen Jungen zur Welt gebracht, in manchen Fällen schon vor vielen Jahren. Offenbar waren teilungsfähige Zellen des Fetus durch die Plazentaschranke in der Körper der Mutter gelangt, wurden vom Immunsystem aus unbekannten Gründen (gleicher Gewebeverträglichkeitstyp?) toleriert und konnten sich durch fortgesetzte Teilung soweit jung halten, dass auch nach Jahren noch Abkömmlinge entdeckt werden konnten. In männlichen Nachkommen fanden sich andererseits vereinzelt Zellen mit XX-Chromosomen, die von ihrer Mutter stammten.
Ein wichtiges Signal, das der Embryo aussendet und das Immunsystem der Mutter umstimmt, ist das Hormon HCG, dessen weitere Funktionen im Abschn. 6.5 erläutert werden. Nach einer weiteren Hypothese legt der Embryo auch lokal das Immunsystem der Mutter still. Aggressive T-Zellen benötigen viel Tryptophan. An der Grenze Kind/Mutter exponieren die fetalen Zellen ein Enzym, das Tryptophan abbaut. Damit wird den T-Zellen die Lebensbasis entzogen; sie können keine Abstoßung mehr bewirken. Doch auch dann, wenn die kindliche Abwehr gegen aggressive T-Zellen der Mutter erfolgreich ist, bleibt die Koexistenz von Mutter und Kind gefährdet; denn eine zuverlässige Barriere gegen Antikörper, die ja viel kleiner als T-Zellen sind, gibt es nicht, und es kann deshalb zu Unfällen kommen. Es sei auf den Rhesusfaktor verwiesen (Abb. 6.13), der bei Unverträglichkeit zwischen Mutter und Kind zu starker Gelbsucht beim Neugeborenen führen kann. Dies tritt ein, wenn kindliche Rh-positive Erythrocyten in das Blutsystem einer Rh-negativen Mutter gelangen, deren Immunsystem Anti-Rh-Antikörper entwickelt und diese über die Plazentaschranke hinweg in den Fetus gelangen. Die Antikörper lösen im Kind
164
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen mütterliches Blut
kindliche Blutgefäße
mütterliche Blutgefäße
Nabelgefäße Amnion KIND
Chorion (Cytotrophoblast)
Gebärmutter (Uterus) MUTTER
Abb. 6.11 Mensch. Plazenta als Schnittstelle Mutter/Kind. Die Plazentazotten, durch die kindliches Blut fließt, sind von mütterlichem Blut umspült. Die mütterlichen Gefäße öffnen sich in Lakunen. Stark vereinfacht
Uterus Plazenta (Mutterkuchen) (Gebärmutter) Amnionflüssigkeit (Fruchtwasser)
eine schädigende Immunabwehr aus; seine geschädigten roten Blutkörperchen setzen Hämoglobin frei und dieses verursacht die gelbe Hautfarbe des Kindes.
6.4.3 Der Mensch lebt volle neun Monate unter Wasser und hat so lange einen Kreislauf ähnlich dem eines Fisches Zu den Unterrichtserfahrungen mancher Lehrer, von der Grundschule bis zur Universität, gehört auch dies: Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass sie vor der Geburt 9 Monate lang völlig unter Wasser gelebt haben. Nach Berichten von Neurologen und Psychologen kann der Fetus Stimmen und Musik wahrnehmen. Allerdings klingen Schallereignisse unter Wasser stark verzerrt im Vergleich zu den Geräuschen und Klängen, die wir nach der Geburt zu hören bekommen. Die Flüssigkeit, in der wir lebten, war das Fruchtwasser der Amnionhöhle. Ein Leben unter Wasser und
Abb. 6.12 Geburt. Beachte: das „Fruchtwasser“ ist die auslaufende Amnionflüssigkeit
ohne atmosphärische Luft war uns möglich, weil wir über die Nabelschnur Sauerstoff bezogen und Kohlendioxid entsorgt hatten. Mit zunehmender Größe des Fetus nimmt auch das Ausmaß der Höhle und damit das Volumen des Fruchtwassers zu, sodass der Stoffaustausch zu jedem Zeitpunkt effizient ablaufen kann. Vom Kind führen zwei Arterien (Umbilikalarterien) im Bereich des künftigen Nabels aus dem Körper, durchqueren im Nabelstrang die Amnionhöhle (wie in
6.4 Schnittstelle Mutter/Kind: die Plazenta Abb. 6.13 Gefahr für das Kind durch das Immunsystem der Mutter, beispielhaft angezeigt durch die vom Rhesusfaktor ausgelöste Immunabwehr. Der Rhesusfaktor ist ein Glykoproteinkomplex auf der Oberfläche der Erythrocyten, der in verschiedenen Varianten auftreten kann. Rhesus-positive Erythrocyten (hier des Kindes) tragen Varianten, die das Immunsystem eines Rhesus-negativen Individuums (hier der Mutter) als fremd behandelt. Geraten Rhesus-positive Erythrocyten des Kindes durch eine undichte Plazentaschranke (oder bei der Geburt eines früheren Kindes) in den mütterlichen Organismus, erzeugt dieser Antikörper gegen den Rhesusfaktor des Kindes. Diese Antikörper können in den kindlichen Kreislauf gelangen, an die Rh-positiven Erythrocyten binden und Schaden anrichten
165 Rh-positiver Erythrocyt aus Kind
B Rh-negative Erythrocyten der Mutter
6.4.4
Makrophage
2
TH
Einige Erythrocyten des Kindes passieren undichte Plazentaschranke
Abb. 5.32) und verästeln sich in den Zottenbäumen. Die Nabelvene (Umbilikalvene) führt das Blut in den kindlichen Körper zurück. Das kindliche Blut ist nun von Harnstoff und CO2 entlastet und mit O2 angereichert. Die Zotten haben funktionell die Rolle von Kiemen gespielt. Das mit O2 angereicherte Blut gelangt über die Umbilikalvene ins anfänglich ungeteilte Herz, wird vom Herzen im Körper verteilt und über die Nabelarterien auch wieder in die Zotten gepumpt. Es liegt ein Einkreissystem wie beim Fisch vor (s. Abb. 17.9 und Abb. 17.10). Weil die Lunge des Fetus noch gar nicht arbeiten kann, aber sogleich nach der Geburt ihre lebenswichtige Arbeit aufnehmen muss, muss auch der Kreislauf auf eine rasche Umstellung zum Zweikreissystem (Körper- und Lungenkreislauf) gerüstet sein. Wie dieses enorme technische Problem gelöst wird, wird in Kap. 17 erläutert.
Ile
Vom mütterlichen Immunsystem produzierte Anti-RhAntikörper dringen durch die Plazentaschranke
Schwangerschaft und Geburt sind mit erheblichen Gefahren verbunden
Schwangerschaft und Geburt sind nicht selten gar Ereignisse auf Leben und Tod, sowohl für das Kind als auch für die Mutter! Der Embryo ist zum Fetus (Fötus) geworden – er wird ab der 8. Woche so genannt. Der Fetus wächst weiter heran und wird im Regelfall nach 38 Wochen D 266 Tagen geboren. Bis dahin sind allerdings bis zu 7 % aller implantierten Keime als Folge von Fehlentwicklungen zugrunde gegangen (s. dazu auch Box 6.3). Ein Teil dieser Fehlentwicklungen geht vermutlich auf das Konto des Immunsystems der Mutter. Die Geburt ist ein weiteres schweres Lebensrisiko: für die Mutter: Wenn die Zottenbäume der Plazenta aus der Gebärmutter gerissen werden, strömt ihr Blut aus den Lakunen. Die Mutter droht zu
166
verbluten, wenn nicht unter dem Einfluss des Hormons Oxytocin und weiterer Faktoren die Wunden schnell verschlossen werden. für das Kind: Hat es sich lange genug entwickelt, früh genug den Kopf nach unten gedreht und mit dem Kopf voran unbeschadet den engen Geburtskanal überwunden? Und ist dies gelungen, muss im Nu die Lunge aufgebläht, muss alles Blut durch die Lunge gejagt werden. Dabei muss der zuvor bestehende Kurzschluss im Blutgefäßsystem geschlossen (Ductus botalli, s. Abb. 17.10) werden, so dass nun der kleine Lungenkreislauf völlig vom großen Körperkreislauf getrennt ist. Gelingt dies nicht rechtzeitig, kann es zu schweren Komplikationen kommen, weil venöses und arterielles Blut nicht vollständig getrennt werden. Alle diese Risiken werden statistisch wettgemacht durch die Vorteile, die das Kind dadurch gewinnt, dass es sich im schützenden und nährenden Leib einer Mutter entwickeln darf.
6.5 Hormonale Beziehungen zwischen Kind und Mutter Innige Beziehungen zwischen Mutter und Kind werden biologisch und seelisch vorbereitet und gefestigt. Zu den biologischen Komponenten, die diese Beziehungen herstellen und stabilisieren gehören Hormone.
6.5.1 Hormone des Keimes helfen, seine physikalische Abstoßung durch Menstruationsblutungen zu vermeiden Der Hormon-vermittelte Aufbau einer besonderen Beziehung zwischen Mutter und Kind beginnt schon früh mit der Einnistung des Keims in die Wand der Gebärmutter (Uterus) – und dies hat einen sehr triftigen Grund. Es muss verhindert werden, dass der Keim durch das zyklische Abstoßen des Endometriums, der nährenden Schicht des Uterus, ebenfalls abgestoßen und mit der Menstruationsblutung aus dem Körper der Mutter ausgeschwemmt wird. In der unmittelbaren Umgebung des Keims muss das Endometrium erhalten bleiben, und der Keim erreicht dies selbst über ein hormonales Signal.
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen Hypophyse Human chorionic gonadotropin HCG
wirkt wie LH
2 1
+ Embryo
verhindert Abstoßung der Uterus-Schleimhaut
Ovar
3
4
Follikel mit Eizelle Gelbkörper Progesteron
Abb. 6.14 Hormone, die nach dem Einnisten des Keims in die Uteruswand (Endometrium) weitere Menstruationsblutungen und einen weiteren Eisprung verhindern. Aus Müller und Frings (2009)
In Zeiten ohne Schwangerschaft geschieht die Abstoßung des Endometriums am Ende des Ovarialzyklus, wenn der Gelbkörper im Ovar nicht weiter das Hormon Progesteron erzeugt. Der Gelbkörper stellt die Produktion von Progesteron ein, wenn er nicht mehr weiterhin vom Hypophysenhormon LH zur Produktion angehalten wird. Das Abstoßen des Endometriums könnte verhindert werden, wenn weiterhin LH im Blut der Mutter zirkulieren und folglich der Gelbkörper weiter Progesteron erzeugen würde. Das „weiß“ der Keim und liefert selbst einen LH-Ersatz (Abb. 6.14 und 6.15). Es ist das Human Chorionic Gonadotropin HCG, das zur LH-Proteinfamilie gehört, also Sequenzähnlichkeit mit LH hat. Verblüffend ist, dass der winzige Keim, er hat einen Durchmesser von anfänglich gerade mal 0,1 mm, soviel HCG erzeugt, dass es trotz enormer Verdünnung im mütterlichen Blut seine Wirkung tun kann. Mehr noch, es treten Spuren im Harn auf. Die Ultrafilter der Niere sind wohl nicht dicht genug, um alles HCG im Blut der Mutter zurückzuhalten. Die Spuren von HCG im Harn werden im verbreiteten Schwangerschaftstest gemessen. Im weiteren Verlauf der Schwangerschaft übernimmt die Plazenta des Kindes die Produktion LHäquivalenter Hormone, so des Human Placental Lactogen HPL (Abb. 6.15).
6.5 Hormonale Beziehungen zwischen Kind und Mutter
167
Hypophyse
Human chorionic gonadotropin HCG
Saugreiz Prolactin
Human placental lactogen HPL
a
Oxytocin
c
Östradiol + Progesteron in Ovulations-hemmender Menge
Oxytocin Uteruskontraktion (Wehen)
unterstützt durch Prostaglandine u.a. Eicosanoide
b Abb. 6.15 Hormonal gesteuerte Ereignisse vor, während und nach der Geburt. Hormone des Kindes und der Mutter im Wechselspiel. Aus Müller und Frings (2009)
168
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
6.5.2
Eine weitere Ovulation wird durch kindliche Steroidhormone verhindert; die „Pille“ ahmt dies nach
Die Plazenta des heranwachsenden Kindes sondert neben HPL auch Östrogene (Östradiol) und Gestagene (Progesteron) ab, Steroidhormone also, die im Ovarialzyklus vom Ovar der Frau im ca. 28-tägigen Rhythmus erzeugt und ins Blut freigesetzt werden. Sind beide Hormone in hoher Dosis zugegen, bleibt nicht nur das Endometrium erhalten, es wird auch ein weiterer, vorzeitiger Eisprung verhindert. Eben diese beiden Ziele werden zur Zeit einer Schwangerschaft für 9 Monate erreicht, weil die Plazenta des heranwachsenden Kindes selbst für eine hohe Produktion von Östrogenen und Gestagenen sorgt (Abb. 6.15). Die als Mittel zur Empfängnisverhütung entwickelte und vertriebene „Pille“ besteht aus Östrogenen und Gestagenen in chemischen Modifikationen und Mischungsverhältnissen, die von der jeweiligen Herstellerfirma ausgewählt werden. Die Pille täuscht dem Körper der Frau eine Schwangerschaft vor.
Prolaktin gelenkt. Prolaktin steuert im weiblichen Säuger das Heranreifen der Milchdrüsen. Es verstärkt jedoch auch die Bereitschaft zum Nestbau, und es fördert nach der Geburt mütterliches Verhalten: Säuger – hier sind es meistens Hamster und Ratten, mit denen experimentiert wird – zeigten auch nach Entfernen der Hypophyse und des Ovars noch mütterliches Verhalten, doch nicht sogleich nach der Geburt der Jungen, sondern erst, wenn sie mehrere Tage ein Jungtier in ihrer Nähe hatten. Mischungen von Östradiol, Progesteron und Prolaktin induzieren unverzügliches Annehmen der Jungen und angemessenes mütterliches Verhalten. Neuerdings gibt es bei Hamstern starke Indizien, dass auch die Intensität väterlicher Fürsorge eine Funktion des Prolaktinspiegels sein kann. Bewahrheitet sich dies in weiteren Experimenten, müsste die Frage, was denn Prolaktin im männlichen Geschlecht soll, nicht weiter ohne jede Antwort bleiben. Inwieweit Befunde an Säugern, die Nesthocker zur Welt bringen, auf den Menschen übertragbar sind, ist offen.
6.5.4 Die Pille enthält Kunsthormone wie Ethinylestradiol, die vielfältige Nebenwirkungen haben können und auch in Kläranlagen schwer abbaubar sind. Ins Trinkwasser gelangende Reste werden mit verantwortlich gemacht für das zunehmende Auftreten von Sterilität bei Männern in den Industrieländern.
6.5.3 Mütterliches und väterliches Verhalten wird über Hormone verstärkt Betrachten wir erst das elterliche Verhalten von Wirbeltieren unter Ausklammerung des Menschen. Bei Vögeln und Säugetieren, die unselbständige oder gar noch nackte Junge (Nesthocker) zur Welt bringen (z. B. Bären, Hamster, Mäuse), muss frühzeitig eine Höhle aufgesucht und/oder ein Nest angelegt werden. Chirurgische Eingriffe in die Hypophyse zum Ausschalten potenzieller Hormonquellen, und Injektion fraglicher Hormone zur Behebung beobachteter Defekte, haben die Aufmerksamkeit vor allem auf
Pheromone stabilisieren familiäre Beziehungen
Mutter und Neugeborenes sehen sich oft und intensiv von Gesicht zu Gesicht, und man erzeugt Kontaktlaute. Visuelle und akustische Kontaktaufnahme in der frühen Lebensphase kann auch zu anderen Familienmitgliedern erfolgen und beides hilft, familiäre Bande zu knüpfen. Zusätzlich spielt der Geruchssinn eine wichtige Rolle. Bei Säugetieren mit wohlentwickeltem Vomeronasalen Organ, dem zweiten Geruchsorgan neben der Riechschleimhaut, sind es Pheromone, die ein olfaktorisches Familienband knüpfen; denn Pheromon-basierter Familiengeruch entfaltet seine Wirkung über das Vomeronasale Organ, das unmittelbar mit alten Gehirnzentren in Verbindung steht. Je ein Kind- und ein Mutter-spezifisches Duftgemisch sollen helfen, die Mutter-Kind-Beziehung zu verstärken, die eigene Mutter von fremden Müttern, eigene Kinder von fremden Kindern zu unterscheiden. Ein familienspezifisches Duftbukett soll den Kindern auch helfen, später bei der Partnerwahl Träger des eigenen Nestgeruchs zu meiden. Vieles beim Knüpfen sozialer Bande dürfte sich beim Menschen ähnlich und im Unbewussten abspielen.
6.5 Hormonale Beziehungen zwischen Kind und Mutter
169
Box 6.1: Einige neue Aspekte der Reproduktionsmedizin des Menschen Künstliche Besamung (D In-vitro-Fertilisation, IVF) Wenn ein Paar ungewollt kinderlos bleibt, kann es daran liegen, dass die Eileiter der Frau irreparabel verschlossen sind. Nach einer gefährlichen Eileiterschwangerschaft müssen die Eileiter entfernt werden, eine natürliche Konzeption ist dann nicht mehr möglich. Oft werden allerdings auch Spermien des Mannes in ungenügender Anzahl erzeugt (Oligospermie oder Aspermie) oder die Spermien sind weitgehend unbeweglich. In seltenen Fällen kann auch eine starke Immunantwort der Frau auf die Spermien die Unfruchtbarkeit bedingen. Es werden in den Kliniken zwei Wege beschritten, dem Paar zum Kind zu verhelfen. In beiden Fällen entnimmt der Gynäkologe durch einen chirurgischen Eingriff direkt aus dem Ovar der Frau einige Eier, die durch eine vorausgegangene Hormonbehandlung der Frau vorzeitig zum Reifen gebracht worden sind. Diese Eizellen werden dann extrakorporal, d. h. außerhalb des Leibes der Frau, besamt. Im optimalen Fall kann man ein unbewegliches Spermium des Mannes mittels eines Elektroschocks mit der Eizelle zur Fusion bringen oder ein solches unbewegliches Spermium mit einer Mikroglaspipette in die Eizelle injizieren (Intracytoplasmatische Spermieninjektion, ICSI). Nach gelungener Befruchtung wird der Keim bis zum 4-Zellenstadium in Kultur gehalten und dann mit einer Kanüle in die Gebärmutter der Frau eingeführt. Im suboptimalen Fall nimmt der Gynäkologe Samen anonymer Spender. Durch Mischen von Samen verschiedener Spender wird eine willkürliche Einflussnahme des Arztes ausgeschlossen. Der Ehemann andererseits kann dann nur Stiefvater sein. (Insoweit ist das Deutsche Embryonenschutzgesetz asymmetrisch: Es erlaubt Samenspende, verbietet aber Eispende.) 1977 ist erstmals von einer Geburt nach künstlicher Befruchtung berichtet worden (Louise Brown) – es war damals eine Sensation. Heute gibt es schon viele Tausend Menschen, die auf künstlichem Weg gezeugt worden sind. (In der Tierzucht ist künstliche Befruchtung vielfach die Regel. Nur als Hochleistungstiere anerkannte Kühe und Stiere werden zur Reproduktion herangezogen. Ein Bulle einer Zuchtlinie hatte ca.
50.000 Nachkommen, ohne sich verausgaben zu müssen.) Leihmütter Manche Frauen sind körperlich nicht in der Lage, ihre Leibesfrucht selbst auszutragen. Hier kann eine Leihmutter (Ammenmutter) hilfreich sein, die sich durch Hormoninjektionen auf eine Schwangerschaft vorbereiten lässt. Der extrakorporal befruchtete Keim der natürlichen Mutter wird dann in die Gebärmutter der Leihmutter implantiert. (Wie die extrakorporale Befruchtung ist auch die Leihmütterschaft zuerst in der Tierzucht etabliert worden. Die Reproduktionstechnik der Tierzucht spielt eine Pionierrolle auch bei der Entwicklung neuer humanmedizinischer Verfahren.) Konflikte entstehen, wenn die Leihmutter mütterliche Gefühle zum ausgetragenen Kind entwickelt und dieses als ihr eigenes betrachtet und behalten will. Auswahl des Geschlechts? In der Tierzucht werden Verfahren entwickelt, die Spermien vor ihrer Verwendung zur künstlichen Besamung nach männlich und weiblich bestimmenden zu trennen. Ein in den USA patentiertes Trennverfahren („Microsort“, The Genetics & IVF Institute, GIVF) basiert auf dem DNA-Gehalt, der in Spermien mit X-Chromosom geringfügig größer ist als in Spermien mit Y-Chromosom. Die Spermiensuspension wird FISH-markiert (FISH D Fluoreszenz-insitu-Hybridisierung) und dann im Cytoflow-Gerät sortiert, wobei allerding keine 100%ige Trennung möglich ist. Solche Verfahren werden in einigen Kliniken der USA bei menschlichen Spermien angewendet, sodass bei künstlicher Befruchtung die Wahrscheinlichkeit stark erhöht ist, dass das Kind das von den Eltern erwünschte Geschlecht erhalten wird. Eine andere Möglichkeit bietet die Präimplationsdiagnostik (PID). Nach künstlicher Reagenzglasbefruchtung wird aus dem Keim im 8Zellenstadium eine Zelle herausgelöst und untersucht, ob sie ein X- oder Y-Chromosom enthält. Unerwünschte Keime werden verworfen, ein erwünschter wird implantiert. Ob Eltern es verantworten können oder wollen, das Geschlecht ihrer Kinder selbst zu bestimmen, ist eine Gewissensfrage, zu der es wohl kaum I
170
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
Box 6.1: Fortsetzung eine einheitliche und weltweit verbindliche Antwort geben wird. In Deutschland ist derzeit eine Geschlechtswahl verboten. Dass auf PID basierende Verfahren Perspektiven für jedwede willkürliche Selektion eröffnen, wird von den Befürwortern dieser Methode nicht als erschreckend empfunden. Zucht und Klonen von Supermenschen? Von Journalisten, Philosophen und besorgten Laien wird immer wieder diskutiert, ob die Zucht von Menschen mit außergewöhnlichen Eigenschaften möglich oder gar schon geplant sei. Fragen zum Nachdenken: In der Entwicklung eines einzigen Organs, beispielsweise des Gehirns, sind viele Tausende von Genen beteiligt. Die Aktivität dieser Gene wechselt in unzähligen räumlichen und
zeitlichen Mustern. Wie viele Musikstücke lassen sich mit 88 Klaviertasten komponieren? Wie viele raum-zeitliche Aktivitätsmuster sind allein mit den ca. 2 21:000 Protein-codierenden Genen/Allelen des Menschen möglich; welche bringen einen Mozart oder Einstein hervor? Im Gegensatz zum vorausschauenden und gezielt geplanten Zusammenstellen einer ungewöhnlichen genetischen Ausstattung hätte das Klonen einer ungewöhnlichen Persönlichkeit eine realistische Perspektive. Freilich, was wäre ein Wolfgang Amadeus Mozart geworden, der nicht in die Familie Leopold Mozart hineingeboren worden wäre; was wäre aus einem Albert Einstein geworden, dessen Interesse nicht auf die Physik gelenkt worden wäre?
Box 6.2: Geboren aus einer Jungfrau? In vielen Kulturen und Religionen berichten Legenden und heilige Schriften von Halbgöttern, Stammesgründern, Königen, Weisen und Religionsstiftern, die ohne Beteiligung eines Mannes dem Schoß einer Jungfrau entstammt seien. Diese Jungfrauen hätten ihre Leibesfrucht unmittelbar von einem göttlichen Wesen empfangen (Buddha der Legende nach von einem Elefanten). Göttlicher Herkunft und von einer Jungfrau geboren seien beispielsweise Gilgamesch, der mythische Held und König des alten babylonischen Reiches. Auch so manche griechische Gottheit hatte keinen Vater. In Persien galt der endzeitliche Retter Saoschyant als vom Samen Zarathustras gezeugt, den eine im See badende Jungfrau aus dem Wasser empfangen habe. Den späten Pharaonen wurde die Ehre zuerkannt, vom Sonnengott Amun-Re abzustammen. Eine Abkunft von Amun-Re (oder von Zeus) ließ sich auch Alexander der Große zuschreiben, und als der römische Kaiser Augustus sich zum Pharao des eroberten Ägyptens erklärte, wurde auch bald die Legende in Umlauf gesetzt, er sei Sohn des Sonnengottes und von einer Jungfrau zur Welt gebracht worden. Der Name des Kaisers erhielt offiziell den Zusatz DIVI filius (Gottes Sohn). Der römische Dichter Vergil kündigt zur selben Zeit (40 v. Chr.) die baldige jungfräu-
liche Niederkunft eines Sohnes an, mit dem ein letztes Zeitalter beginne. Die in der Christenheit bekannteste Erzählung bieten indes (die vermutlich 80–100 n. Chr.) geschriebenen Evangelien nach Matthäus und Lukas: Die jungfräuliche Mutter von Jesus habe ihre Leibesfrucht vom Heiligen Geist empfangen. In Sonderfällen kann bei Säugetieren eine parthenogenetische Entwicklung in Gang kommen, wenn eine unreife Keimzelle vor der Reifeteilung (Meiose) die Embryonalentwicklung beginnt oder wenn nach der ersten meiotischen Teilung der Polkörper wieder mit der Eizelle verschmilzt, sie wieder diploid macht und sie dabei auch aktiviert. Aus solchen parthenogenetischen Embryonen werden oftmals Teratome; dies sind chaotisch disorganisierte Embryonen, welche sich wie Tumoren verhalten (sogar im Hoden können sich aus männlichen Urkeimzellen solche Teratome entwickeln). Manchmal werden parthenogenetische Eizellen aus dem Ovar entlassen, gelangen in den Eileiter und beginnen eine scheinbar normale Embryonalentwicklung. Dies wird beispielsweise bei Mäusen beobachtet, bei denen eine parthenogenetische Entwicklung künstlich ausgelöst werden kann. Allerdings sterben solche Embryonen noch vor der Geburt ab. I
6.5 Hormonale Beziehungen zwischen Kind und Mutter
171
Box 6.2: Fortsetzung Im Jahr 2004 allerdings ging eine Sensationsmeldung durch die Weltpresse, die auf den ersten Blick dem zuvor Gesagten zu widersprechen schien. Erstmals seien in einem japanischen Labor parthenogenetisch erzeugte Mäuse lebend geboren worden und sogar geschlechtsreif geworden (Kono, T. et al., Nature 428:860–864). Die Forscher ließen haploide Eizellen verschiedener Mäuse verschmelzen und erzeugten so diploide bimaternale Embryos. Von 460 so erzeugten Embryos wurden zehn Mäuse geboren, wobei nur eine bis zum Erwachsenenalter überlebte. Nach der Interpretation der Autoren gelang das Experiment nur, weil eine der beiden Eizellen jeweils von einer genetisch veränderten Maus stammte. Die Oocyten, deren haploider Kern einen Spermienkern ersetzte, trugen in einem bestimmten, normalerweise paternal geprägten Gen namens H19 eine Mutation. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass paternale Prägung eben dieses Gens normalerweise eine Geburt lebensfähi-
ger parthenogenetischer Nachkommen verhindere. Man beachte: Die eine überlebende Maus war wie alle so erzeugten Mäuse weiblich; denn beide Eizellen brachten ein X-Chromosom mit! Selbst dann, wenn ausnahmsweise eine parthenogenetische Entwicklung bis zur Geburt und darüber hinaus möglich sein sollte, gäbe es weiteren Erklärungsbedarf: Eine Frau könnte parthenogenetisch nur ein Mädchen gebären; woher sollte auch ein Y-Chromosom kommen? Auch wäre ein solches diploid-parthenogenetisches Mädchen eine Kopie (Klon) ihrer Mutter. Dies steht im Widerspruch zu all diesen Legenden und Schriften, die stets von der außernatürlichen Geburt eines Mannes berichten. Wer an die jungfräuliche Geburt eines Mannes glaubt, muss auch an ein göttliches Wunder glauben (wie denn auch in der neutestamentlichen Bibel die jungfräuliche Geburt des Knaben Jesus als besondere Fügung Gottes dargestellt wird).
Box 6.3: Verantwortung gegenüber dem werdenden Kind Mit der Entscheidung zum Kind übernimmt die Mutter eine hohe Verantwortung, die sie nur teilweise mit dem Vater und der Gesellschaft teilen kann. Hier sei nur auf die Gefahren für das noch ungeborene Kind hingewiesen. Teratogene Substanzen Der Fall Contergan hat das brennende Problem der Öffentlichkeit in erschreckender Weise deutlich werden lassen. In den Jahren 1958/59 kamen in Deutschland ca. 4000 Kinder mit verkürzten oder fehlenden Extremitäten zur Welt. Ihre Mütter hatten in den ersten 6 Wochen der Schwangerschaft Contergan eingenommen, ein Einschlaf- und Beruhigungsmittel, das als Hauptkomponente die Substanz Thalidomid enthielt. Thalidomid gehört zu den vielen teratogenen (Missbildungen erzeugenden) Substanzen. Der Fall zeigte, wie dies systematische Experimente an Tierembryonen schon seit langem befürchten ließen, dass Embryonen um Größenordnungen empfindlicher reagieren können als Erwachsene und dass teratogene Einflüsse (Substanzen, Strahlenbelastung) besonders in bestimmten frühen Phasen
der Entwicklung (sensible Phasen) starke Defekte in bestimmten Organen hervorrufen können. Das Zentralnervensystem ist am meisten gefährdet, weil sich seine Entwicklung über die ganze vorgeburtliche Zeit hinzieht. Der Thalidomid-Fall zeigte aber leider auch die begrenzte Aussagekraft von Tierversuchen: Bei Nagern war der Effekt nicht beobachtet worden. Die Industrie entwickelt jährlich Tausende neuer Substanzen. Die in Deutschland und anderen Ländern gesetzlich verordneten toxikologischen Tests schreiben Tests an Embryonen (Enteneier oder schwangere Mäuse) nicht zwingend vor. Selbst wenn solche Tests durchgeführt werden und sich keine äußerlich auffälligen Wirkungen zeigen, sind schädigende Wirkungen auf das Gehirn nicht ausgeschlossen; denn ein Mensch reagiert nicht immer wie eine Ente oder eine Maus. Hormone und Hormon-ähnliche Substanzen Schädigend auf die sexuelle Entwicklung einschließlich der Verhaltensprägung wirken auch Sexualhormone, beispielsweise das von manchen I
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6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
Box 6.3: Fortsetzung Sportlern und Bodybuildern als „Muskel-Aufbaumittel“ verwendete männliche Sexualhormon Testosteron, sowie viele wie Sexualhormone wirkende Fremdsubstanzen (pseudoendokrine Substanzen, Xenoöstrogene, endokrine Disruptoren (s. auch Box 7.3). Aber auch pflanzliche „Bioprodukte“ können Substanzen enthalten, die Sexualhormonen ähneln oder störend in die hormonale Steuerung eingreifen, beispielsweise Flavone aus Soja oder Kohl. Leider kann auch Vorsicht Unglück nicht immer verhindern. Vor einigen Jahren wurden bei einer Reihe von ca. 20-jährigen Frauen Genitalkarzinome diagnostiziert. Das eingehende Auskundschaften ihrer Lebensgeschichte deckte auf, dass ihre Mütter ca. 20 Jahre zuvor wegen einer drohenden Fehlgeburt zur Erhaltung der Schwangerschaft mit hohen Dosen der Östrogen-ähnlichen Substanz Diethylstilbestrol (DES) behandelt worden waren. Mögliche Nebenwirkungen einer mehrjährigen Einnahme der Antibabypille mit ihren Kunsthormonen (z. B. Ethinylestradiol) auf Fruchtbarkeit („Post-Pillen-Sterilität“) finden in der Bevölkerung und den Medien wenig Widerhall. Die Begleitzettel nennen Müdigkeit, sowie vermehrtes Auftreten von Migräneattacken und Depressionen; sie verweisen auf ein erhöhtes Risiko, infolge von Thrombosen eine Lungenembolie, einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden; schließlich warnen sie vor einer Einnahme bei bestehenden Krebserkrankungen, da hormonabhängige Tumoren dann regelrecht „gefüttert“ würden. Bei Einnahme während einer noch nicht erkannten Schwangerschaft können Fehlgeburten eintreten. Für Fehlgeburten kommen mehrere Ursachen in Betracht: (1) Schon vor dem Eisprung können Oocyten geschädigt sein. (2) Die Kunsthormone der Pille können die Plazentaschranke durchdringen und einen (ungewollten) Embryo in frühen Phasen seiner Entwicklung schädigen, oder (3) sie verändern dauerhaft die Gebärmutter. Viren, Infektionen und Strahlen Teratogen wirken eine Reihe von Viren, beispielsweise die, welche Röteln verursachen. Aus diesem Grund werden junge Frauen mit Kinderwunsch auf Röteln und eine Infektion mit Toxoplasmen untersucht, die oft
von Haustieren übertragen werden. Teratogen wirken schließlich Röntgenstrahlen und ionisierende Strahlen. Ein(e) Mediziner(in) wird den Unterleib einer jungen oder gar schwangeren Frau nur in extremen Notfällen Röntgenstrahlen aussetzen. Alkohol und andere Drogen Umweltchemikalien, Viren und Strahlen kann die Mutter in der Regel nur bedingt meiden. Jedoch trägt die Mutter die volle Verantwortung, wenn sie während der Schwangerschaft raucht, Alkohol trinkt oder gar härtere Drogen nimmt. Wenn ein Kind mit unterentwickeltem Gehirn und eingeschränkter geistiger Leistungsfähigkeit, motorischen Defekten, einem Herzfehler, mit unzulänglichem Gewicht oder Beeinträchtigungen seiner Psyche zur Welt kommt, müssen nicht die Gene oder unzulängliche Ernährung daran schuld sein. Darüber hinaus setzen solche Mütter ihre Kinder nach der Geburt Entzugserscheinungen aus, die sie selbst nicht in Kauf nehmen wollen. Das Alter der Eltern Je öfter in unserer Gesellschaft Frauen Kinder erst im Alter von weit über 30 Jahren ein Kind in ihre Lebensplanung einbeziehen oder durch natürliche Umstände nicht früher erfolgreich schwanger werden, desto größer ist das Risiko, ein behindertes Kind zu gebären. Neuere Studien, die Kinder junger Mütter und alter Väter mit Kindern junger Mütter und junger Väter verglichen, belegen darüber hinaus, dass auch ein erhöhtes Alter des Vaters (über 55 Jahre) ein Risikofaktor ist. Dem Alter der Frau kommt jedoch ungleich größeres Gewicht zu. Es können plausible Gründe hierfür aufgeführt werden: Die Frau Eine Oocyte hat letztmals zur Einleitung der ersten meiotischen Teilung eine vollständige Replikation ihrer DNA und damit auch deren umfassende Reparatur erfahren. Dies war, wie in Kap. 8 ausgeführt wird, der Fall, als die betreffende Frau selbst noch ein winziger Embryo war. In der langen Zwischenzeit von 35 bis 45 Jahren haben sich Schäden am Chromatin angehäuft, aber auch Proteine des Cytoplasmas und Cytoskeletts können eine (partielle) Denaturierung erfahren haben. Viele der Defekte kommen nicht zum Vorschein, I
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Box 6.3: Fortsetzung weil stark gealterte Oocyten nicht mehr reifen, befruchtungsunfähig sind oder die aus ihnen hervorgehenden Embryonen früh und unbemerkt absterben. Als bleibende Defekte können gewisse Aneuploidien bis zur Geburt mitgetragen werden. Aneuploidien: Fehler in der Chromosomenzahl (s. unten), die bei den meiotischen Teilungen der Eizelle entstanden sein können. Der Mann Gelegentliche Fehlverteilungen der Chromosomen gibt es auch in der Spermiogenese, doch laufen hier die meisten mitotischen Replikationen und die meiotischen Teilungen erst nach der Pubertät ab, beginnen also ca. 15 Jahre später als im weiblichen Geschlecht und setzen sich noch viele Jahre fort. Darüber hinaus hilft vermutlich Selektion. Ein Spermium mit der Last eines überzähligen Chromosoms dürfte geringere Chancen im Schwimmwettbewerb haben als normale Spermien. Bringt jedoch ein Spermium ein Chromosom zu wenig mit, wird der Embryo sehr früh absterben (außer beim 45/X0 Karyotyp; Box 7.1). Es gibt jedoch manch andere Gründe, weshalb sich Menschen in fortgeschrittenem Alter fragen müssen, ob sie noch Eltern werden sollten. Das Kind wird bald greise Eltern haben, was es nach aller Erfahrung nicht schätzt, und es kann bald Waise sein. Der Fall eines italienischen Reproduktionsmediziners, der sich vor einigen Jahren in der Regenbogenpresse feiern ließ, weil er fast 60-jährigen Frauen durch Hormonbehandlungen zu einem Kind verhalf, wurde durchaus kritisch kommentiert. Zytogenetische Studien zeigen, dass etwa 50– 60 % aller Spontanaborte chromosomal auffällig sind, wobei numerische Chromosomenanomalien überwiegen. Aneuploidien im Sinne einer Trisomie (überzähliges Chromosom) oder Monosomie (fehlendes Chromosom) werden am häufigsten diagnostiziert. Für alle Chromosomen mit Ausnahme von Chromosom 1 werden Trisomien beobachtet. Am häufigsten in trisomen Aborten nachzuweisen ist die Trisomie 16 mit ca. 32 %, gefolgt von der Trisomie 22 (14 %) sowie den Trisomien 13 und 21.
Lediglich die Trisomien 13, 18 und 21 sowie Aneuploidien der Geschlechtschromosomen sind mit einer Entwicklung bis zur Geburt vereinbar. Doch selbst bei der am häufigsten ausgetragenen Trisomie 21 wird die Zahl der Lebendgeburten durch Fehlgeburten reduziert (s. Tabelle). Für alle anderen numerischen Anomalien ist eine nahezu vollständige natürliche Selektion bis zur Geburt gegeben. Statistisch betrachtet nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind mit chromosomalen Anomalien geboren werden wird, mit zunehmender Dauer der Schwangerschaft ab. Aborte aufgrund von Chromosomenaberrationen sind als bedeutendes Regulativ der Natur anzusehen. Trisomie 21, die Ursache des Down-Syndroms, ist nur deshalb so bekannt geworden, weil diese Trisomie am seltensten letal ist und die Mehrzahl der betroffenen Kinder lebensfähig zur Welt kommt. (Der populäre Ausdruck „Mongolismus“ sollte vermieden werden, weil sich Angehörige mongolischer Volksgruppen diskriminiert fühlen könnten.) Um Missverständnissen vorzubeugen, sei betont: Alter der Mutter
Risiko für Trisomie 21 (Down-Syndrom)
Risiko bei Geburt
Risiko in 12. Schwangerschaftswoche
20
1 von 1526
1 von 1018
25
1 von 1351
1 von 901
30
1 von 894
1 von 596
32
1 von 658
1 von 439
34
1 von 445
1 von 297
36
1 von 280
1 von 187
38
1 von 167
1 von 112
40
1 von 96
1 von 64
42
1 von 55
1 von 36
44
1 von 30
1 von 20
Das Down-Syndrom ist keine Erbkrankheit in dem Sinne, dass defekte Gene vorlägen, die an Nachkommen vererbt werden könnten. Viel- I
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Box 6.3: Fortsetzung mehr sind intakte Gene in Überzahl vorhanden, die Gendosis ist gestört. Dabei sind es nur wenige Gene, bei denen sich die erhöhte Dosis negativ bemerkbar macht. Das Down-Syndrom umfasst zwar gravierende Benachteiligungen (intellektuelle Beeinträchtigung, Fehlsichtigkeit, häufig Herzfehler, frühes Altern verbunden mit Alzheimer), ist aber für die Umwelt gänzlich ungefährlich. Die betroffenen Personen sind in der Regel sehr liebesbedürftig und anhänglich. Soziale Probleme ergeben sich, wenn die Eltern vor ihren betroffenen Kindern sterben. Werdenden Müttern, die ihrem Kind, sich selbst oder ihrer Familie ein Leben mit Down-Syndrom nicht zumuten wollen, steht es nach unseren Gesetzen (Box 6.4) frei, durch eine Pränataldiagnostik das Risiko abschätzen zu lassen und gegebenenfalls die Schwangerschaft abzubrechen.
Chromosom, stellvertretend für alle Autosomen Chromosom Nr. 21 Zellen der Eltern (in Metaphase) 1. Meiotische Teilung Non-disjunction des Chromosoms 21
Gameten (Eizelle oder Spermium)
normal
Zygote
Trisomie
Monosmie
Abb. 6.16
Box 6.4: Pränataldiagnostik: Möglichkeiten und Konflikte Die Verantwortung der Eltern gegenüber ihrem werdenden Kind schließt nach verbreiteter Auffassung die Bereitschaft der Schwangeren ein, sich in regelmäßigen Abständen einer vorgeburtlichen Untersuchung zu unterziehen und dies im Mutterpass bestätigen zu lassen. Der Ausdruck Pränataldiagnostik (PD) fasst alle über die routinemäßige gynäkologische Betreuung hinausgehenden diagnostischen Maßnahmen zusammen, durch die morphologische, biochemische, chromosomale und genetische Störungen vor der Geburt erkannt oder ausgeschlossen werden können. Ziel der PD ist es, in Risikofällen (wie hohem Alter der Mutter) Information darüber zu gewinnen, ob ein gesundes Kind oder ob schwere Gebrechen und eine Behinderung zu erwarten sind. Die eine Schwangerschaft begleitenden nichtinvasiven Vorsorgeuntersuchungen (3-mal Ultraschall, Bestimmung relevanter physiologischer Marker im Serum der Schwangeren) sind keine staatlich verordneten Pflichtuntersuchungen, sondern Angebote der Gynäkologen und Gynäkologinnen, die von den Krankenkassen unterstützt wer-
den. Durch Wiederholung der Untersuchungen in regelmäßigen Abständen lässt sich beispielsweise feststellen, ob das Kind gut wächst, also nicht unterversorgt ist. Es sei vorweg betont, dass in der weitaus größten Zahl der Fälle Frauen, die sich durch das Ausbleiben von 2–3 Regelblutungen ihrer Schwangerschaft gewiss geworden sind, ein gesundes Kind zur Welt bringen werden. Allerdings enden 10–15 % aller Schwangerschaften vorzeitig, meist als Frühaborte vor Beendigung der 12. Schwangerschaftswoche (SSW). Diese Zahl gilt nur für klinisch erkannte Schwangerschaften, die mittels Ultraschall oder hCGBestimmung (humanes Chorion-Gonadotropin) festgestellt werden konnten. Studien kamen zu dem Schluss, dass bis zu 70 % aller befruchteten Eizellen und frühen Embryonen schon vor dem Zeitpunkt der folgenden Regelblutung unerkannt absterben. Unter den zahlreichen bekannten Ursachen für eine Fehlgeburt (anatomische, immunologische, endokrinologische, gestörte Blutversorgung des Fetus sowie exogene Faktoren) sind die chromosomal bedingten am häufigsten. I
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Box 6.4: Fortsetzung
Nicht-invasive Methoden Ultraschall-Untersuchung (Sonographie) Ultraschallwellen werden je nach Dichte eines Mediums unterschiedlich stark reflektiert. Aus dem Reflexionsmuster wird mittels eines Computers ein Abbild des reflektierenden Objektes erstellt. Eine Ultraschalluntersuchung gilt als gänzlich unschädlich für Mutter und Kind. Seit einiger Zeit bieten einige Einrichtungen/Praxen eine erste Ultraschalluntersuchung zwischen der 11. und 13. SSW an. Während der Untersuchung wird das Kind in der Regel von der Bauchwand aus abgebildet. Gelegentlich ist die Sicht jedoch nicht klar, so dass eine ergänzende Ultraschalluntersuchung von der Vagina aus notwendig ist. Bei dieser Untersuchung kann im Regelfall bestätigt werden, dass das Kind wohlauf ist. Weiterhin wird das Schwangerschaftsalter durch Messung der Scheitel-Steiß-Länge festgelegt. Es können gegebenenfalls Mehrlingsschwangerschaften festgestellt werden. Die Untersuchungen werden in der Regel zwischen 19.–22. SSW und 29.–32. SSW wiederholt. Es können größere körperliche Defekte ausgeschlossen, und es kann die Lage der Plazenta und somit des Kindes festgestellt werden. Mit einer Doppler-Sonographie lassen sich die Bewegungen des Kindes deutlicher abbilden. Auch die funktionelle Kernspinresonanz-Tomografie fMRI (Functional Magnetic Resonance Imaging) wird bisweilen zu Rate gezogen. In begründeten Verdachtsfällen kann mit hochauflösenden Ultraschallgeräten oder fMRI eine Nackenödem-Messung (Nackentransparenz NT) angeschlossen werden. Eine solche Ultraschalltransparenz resultiert aus der (normalen) Flüssigkeitsansammlung im Bereich des fetalen Nackens, deren Ausmaß zwischen der 10. und der 14. SSW kontinuierlich zunimmt. Ist die NT größer als normal, ist dies ein Indiz für ein erhöhtes Risiko für eine chromosomale Anomalie oder andere Erkrankungen (z. B. Herzfehler) des Kindes. Tests im Blutserum der Schwangeren Die Erkennungsrate von Kindern mit DownSyndrom kann durch die zusätzliche Bestimmung zweier Serumwerte im mütterlichen Blut (PAPP-A
und freies ˇ-hCG) deutlich gesteigert werden. Die Kombination dieser beiden Werte mit der NTMessung und dem mütterlichen Alter führt zu einer Steigerung der Erkennungsrate auf ca. 90 %. Darüber hinaus können aufgrund von Serummarkern Risiken erkannt werden, die sich aus dem Gesundheitszustand der Schwangeren selbst ergeben (Beispiel: Diabetes mellitus, Autoimmunerkrankungen). Triple-Test Als weiteren nicht-invasiven Test kann die Schwangere (auf eigene Kosten) den schon länger etablierten Triple-Test in der 15.– 16. Schwangerschaftswoche durchführen lassen. Es werden drei Faktoren im Serum der Schwangeren gemessen: (1) Der Spiegel an unkonjugiertem (D freien) Östriol, (2) die Konzentration einer Isoform des humanem Chorion-Gonadotropins (ˇhCG) und (3) der Gehalt an Alpha-Fetoprotein (AFP). Obwohl die ursächlichen Zusammenhänge unklar sind, können die Werte gemäß statistischer Korrelationen einen Hinweis auf das Vorliegen einer Trisomie geben oder mit 70%iger Wahrscheinlichkeit das Vorliegen von Neuralrohrdefekten („offener Rücken“) anzeigen. Gynäkologen empfehlen: Erstes Trimenon (Trimester, erste 3 Monate): Ultraschall in der 11.–13. Schwangerschaftswoche C PAPP-A und ˇ-HCG-Bestimmung Triple-Test in der 15.–16. Schwangerschaftswoche Zweites Trimenon: Ultraschall in der 21.–23. Schwangerschaftswoche Geben die nicht-invasiven Verfahren Anlass zur Sorge und wünscht die Schwangere mehr Sicherheit, bietet die Medizin auch invasive Analyseverfahren an.
Invasive Methoden Es werden durch einen chirurgischen Eingriff Fruchtwasser und/oder Zellen des Fetus gewonnen und diese zytologisch, biochemisch und molekulargenetisch untersucht. Amniozentese Amnionpunktion (Fruchtwasseruntersuchung): Mittels einer Kanüle wird Fruchtwasser aus der Amnionhöhle abgesaugt. Bio- I
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6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
Box 6.4: Fortsetzung chemische Marker im Fruchtwasser können Hinweise auf Muskel- und Stoffwechselerkrankungen geben. Solche Proben enthalten in der Regel auch Zellen, die sich vom Fetus abgelöst haben und für zytogenetische Untersuchungen zur Verfügung stehen. In größerer Menge gewinnt man fetale Zellen bei der risikoreicheren. Fetoskopie Hier dringt die Kanüle durch die Amnionhöhle hindurch in den Fetus ein zur Entnahme von Gewebeproben. Chorionzottenbiopsie/Plazentabiopsie Die Chorionzotten und später die Plazenta leiten sich wie der Embryo von der befruchteten Eizelle ab; entnommene Zellen enthalten also dasselbe Genom und gegebenenfalls die gleichen Chromosomenanomalien. Der Fetus selbst wird nicht geschädigt, doch enthalten solche Proben in der Regel auch Zellen der Mutter. Chordozentese Mit einer Kanüle wird fetales Blut aus den Gefäßen der Nabelschnur entnommen.
Zytogenetische Untersuchungen an fetalen Zellen Gegenwärtig stehen Untersuchungen über numerische chromosomale Anomalien im Vordergrund (Aneuploidiediagnostik in der Interphase). Eine begrenzte Zahl numerischer Chromosomenanomalien kann heute mit großer Zuverlässigkeit an Interphasezellen (z. B. Amnion- bzw. Chorionzellen) mit Hilfe der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) innerhalb kürzester Zeit festgestellt oder ausgeschlossen werden. Bei der FISH-Technik werden fluoreszenzmarkierte DNA-Sonden benutzt, die sich auch in Interphasezellen an spezifische Chromosomenregionen anheften. Die Auszählung der je nach Sonde und verwendetem Fluorochrom verschiedenfarbigen Signale erlaubt es, die Kopienzahl der untersuchten Chromosomen im Präparat unter dem Fluoreszenzmikroskop zu bestimmen. Zurzeit werden in der Routineanwendung Sonden für die Chromosomen 13, 18, 21, X und Y verwendet. Andere Chromosomen können bei bestimmten Fragestellungen untersucht werden.
Neben der Trisomie 21 können auch andere chromosomale Anomalien festgestellt werden, so Aneuploidien der Geschlechtschromosomen (47/XXY; 47/XYY) und strukturelle Aberrationen des Y-Chromosoms. Welche Konsequenzen dies für das Kind haben wird, ist in Kap. 7, Box 7.1, aufgelistet. Ob solche Anomalien den Abbruch einer Schwangerschaft rechtfertigen, ist dem Gewissen der Schwangeren und ihres Partners überantwortet.
Erbkrankheiten, ungünstige Prognosen für Lebenserwartung und Lebensqualität Die Verfahren zur Analyse auch geringer und über das ganze Genom verstreuter Unterschiede in den Basensequenzen der DNA werden zunehmend empfindlicher (dank der PCR-basierten Techniken, s. Box 12.1) und zunehmend umfassender (dank neuester Chiptechnologien). So wäre es prinzipiell möglich, Prognosen zu erstellen über die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Kind an einer von über 30 Erbkrankheiten leiden wird, oder doch eine gewisse Disposition in sich trägt für eine Erbkrankheit, für genetisch begünstigte Krebserkrankungen, für eine Minderbegabung, für Alzheimer oder auch nur für eine Auffälligkeit im Verhalten. Wer wollte es sich zumuten, diese Informationsflut für eine irreversible Entscheidung über die Fortsetzung einer Schwangerschaft zu berücksichtigen? Eine solche Entscheidung auf der Basis einer breiten Genomanalyse in die Verantwortung der Eltern oder ihrer ärztlichen Berater zu legen, hieße beide heillos zu überfordern; denn – täuschen wir uns nicht – wir alle sind Träger irgendwelcher Allele, die unter Umständen den Ausbruch dieser oder jener Krankheit begünstigen, den Verlauf einer erworbenen Krankheit ungünstig beeinflussen, Anlass für frühe Altersbeschwerden sein können oder mitverantwortlich sind für eine Minderleistung in diesem oder jenen Lebenssektor. Vielleicht wünschte sich ein Elternpaar auch nur ein bestimmtes Geschlecht für sein Wunschkind. Verantwortliche Humangenetiker raten zu invasiven Untersuchungen und Gendiagnostik allenfalls dann, wenn nicht-invasive Voruntersuchungen Anlass zu ernsten Sorgen gaben, wenn die Familien-Anamnese von gehäuft aufgetretenen Fehl- und Totgeburten oder Erbkrankheiten I
6.5 Hormonale Beziehungen zwischen Kind und Mutter
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Box 6.4: Fortsetzung berichtet oder wenn die Schwangere bereits ein Kind mit genetisch bedingter Erkrankung zur Welt gebracht hat.
Präimplatationsdiagnose PID am künstlich befruchteten Embryo Bei künstlicher Befruchtung im Reagenzglas besteht die Möglichkeit, im 4- bis 8-Zellen-Stadium des frühen Keims eine einzelne Zelle zu entnehmen und sie zu untersuchen. Der frühe Embryo kann das Fehlen einer einzelnen Zelle unbeschadet kompensieren. Die entnommene Zelle kann auf das Vorliegen einer auffälligen Chromosomenanomalie oder eines gravierenden, gut diagnostizierbaren Gendefektes untersucht werden. Liegt ein so erkennbarer Defekt vor, könnte der Keim verworfen werden. Dies war bis zum Sommer 2011 in Deutschland laut Embryonenschutzgesetz verboten, doch ist das Gesetz in diesem Punkt laut Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom Juli 2010 revisionsbedürftig; denn nach dem bisherigen Verständnis des Gesetzes musste der Embryo trotz Vorliegen eines schweren Defektes in die Gebärmutter implantiert werden, andernfalls drohte dem Arzt Strafe. Andererseits war (und ist) spätere Abtreibung nicht strafbar. Der BGH: „Ein strafbewehrtes Gebot, Embryonen auch bei genetischen Belastungen der Eltern ohne Untersuchung zu übertragen, birgt hohe Risiken in sich.“ Die Richter weisen darauf hin, dass es zu Abtreibungen kommen könnte, wenn nicht untersuchte Embryonen eingesetzt würden und sich die Schwangere dann etwa nach einer Fruchtwasseruntersuchung für einen Abbruch entscheidet. „Die PID“, so der BGH, „ist geeignet, solch schwerwiegende Gefahren zu vermindern“. Die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA), die sich für das Lebensrecht Behinderter einsetzt, bewertet dieses Urteil als schockierend. Bewertung der Pränataldiagnostik Die Möglichkeiten einer Pränataldiagnostik werden keineswegs nur positiv bewertet. Für Pränataldiagnostik sprechen, so argumentieren die Anbieter der Untersuchungsverfahren, folgende Aspekte: Sorgen der Eltern können in den meisten Fällen ausgeräumt werden.
Manche (wenn auch nur sehr wenige und seltene) Erkrankungen des Kindes können noch im Mutterleib behandelt werden, oder es kann noch im Mutterleib Vorsorge getroffen werden gegen drohendes Unheil (z. B. BlutaustauschTransfusion bei Rhesus-Unverträglichkeit zwischen Mutter und Kind). Die Eltern können sich gegebenenfalls bewusst und noch freiwillig dafür entscheiden, auch ein behindertes Kind zur Welt zu bringen und adäquat für es zu sorgen, gegebenenfalls nach Beratung mit erfahrenen Selbsthilfegruppen. Gegen Pränataldiagnostik wird vorgetragen: Insbesondere die invasiven Methoden können eine Fehlgeburt einleiten. Das Risiko liegt je nach Verfahren zwischen 0,1 und 5 %. Mitunter sind die Diagnosen falsch. Positive Diagnosen oder auch nur ein zu erwartendes erhöhtes Risiko für eine Behinderung führen oft zur Abtreibung. Die Verheißung, dass vorgeburtliche Untersuchungen ein gesundes Wunschkind garantieren, kann eben manchmal nur durch „prophylaktische Maßnahmen“ eingelöst werden. Besonders Behinderte fühlen sich von den Argumenten für eine Pränataldiagnostik als lebensunwerter Ausschuss abgestempelt. Man spricht von „Selektion“ und „vorgezogener Euthanasie“. Eltern wird die „Schuld“ zugeschoben, wenn ein behindertes Kind zur Welt kommt. Generell haben in werdenden und potenziellen Eltern durch die zunehmend zahlreicheren Möglichkeiten vorgeburtlicher Diagnosen nicht Zuversicht und frohe Erwartung, sondern Verunsicherung, Ratlosigkeit und Angst zugenommen. Die Last des Wissens erzeugt neue, bisher nicht gekannte Konflikte. Es sei daher abschließend nochmals betont, dass in den allermeisten Fällen die Leibesfrucht, welche die 12. Schwangerschaftswoche überstanden hat und sich allmählich im Mutterleib bemerkbar macht, auch als gesundes Kind zur Welt kommen wird. Gerade die verantwortungsbewusste Schwangere, die Alkohol, Zigaretten und ähnliche vermeidbare Beeinträchtigungen meidet, darf getrost GUTER HOFFNUNG sein.
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6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
Box 6.5: Gesetzliche Regelungen in Deutschland
Das Embryonenschutzgesetz Dieses am 13.12.1990 in Kraft getretene Gesetz (das durch Artikel 22 des Gesetzes vom 23. Oktober 2001, BGBl. I S. 2702, geändert wurde), regelt für Deutschland die In-vitro-Fertilisation und den Embryonentransfer und verbietet jede Manipulation des menschlichen Keims. In-vitro-Fertilisation ist erlaubt, sofern es das Ziel ist, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Mit Zustimmung einer Ethikkommission ist eine Befruchtung auch mit dem Samen anonymer Spender gestattet. Zu bloßen Forschungszwecken dürfen menschliche Eizellen nicht befruchtet werden. Es dürfen auch nur so viele Eizellen befruchtet werden, wie in den Uterus der Frau eingeführt werden sollen oder dürfen; dies sind maximal drei. Leihmütterschaft und Eizellspenden für eine andere Frau oder zu Forschungszwecken sind nicht erlaubt. Manipulationen am Embryo jeglicher Art vor seiner Einnistung sind verboten. Dies gilt im Grundsatz auch für Präimplantationsdiagnostik möglicher Erbfehler an einzelnen herausgelösten Zellen des Embryos. Präimplantationsdiagnostik PID war in der bis zum Juli 2011 gültigen Fassung des Gesetzes in Deutschland nicht erlaubt. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Juli 2010 war eine Überprüfung des Gesetzes geboten. Am 7. Juli 2011 stimmte der Bundestag mehrheitlich einem überparteilichen Gesetzesentwurf zu, der die PID im Grundsatz weiterhin verbietet, sie aber zulässt, wenn aufgrund der genetischen Veranlagung der Eltern eine schwerwiegende Erbkrankheit beim Kind oder eine Tot- oder Fehlgeburt wahrscheinlich ist. Am 23. September 2011 wurde der Gesetzentwurf zur Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PräimpG) im Bundesrat angenommen. Die Auffassungen der Abgeordneten zur PID sind indessen weiterhin kontrovers, auch innerhalb des Ethikrates. Eine befruchtete Eizelle gilt nicht als Embryo, solange der Kern der Samenzelle und der Kern der Eizelle (der sogenannte männliche und weibliche Vorkern) noch nicht miteinander verschmolzen sind. Deswegen darf der
Polkörper daraufhin untersucht werden, ob eine Anomalie in der Chromosomenverteilung vorliegt. Der befruchtete Keim muss spätestens im 4-Zellstadium in den Uterus eingeführt werden. Beim Fetus ist Pränataldiagnostik, etwa an Zellen, die mit einer Kanüle dem Fruchtwasser entnommen werden (Amnionpunktion, Amniozentese) erlaubt. Geschlechtsauswahl und Klonen sind ausdrücklich verboten, ebenso jegliche Veränderungen am Erbgut.
Embryonen als Quelle von Stammzellen? Da von Menschen ausgedachte und erlassene Gesetze keinen Ewigkeitscharakter haben und dem medizinischen Fortschritt nicht weltweit Einhalt geboten werden kann, ist die Diskussion um das Embryonenschutzgesetz nie zum Erlöschen gekommen. Die Zulässigkeit der Verwendung von Embryonen zu Forschungszwecken ist politisch und gesellschaftlich umstritten geblieben. Obwohl Einigkeit darüber besteht, dass der Schutz menschlichen Lebens ein vorrangiges moralisches und verfassungsrechtliches Gut darstellt, wird der Schutzanspruch menschlichen Lebens in seiner frühen embryonalen Entwicklung unterschiedlich beurteilt. Totipotente Blastomeren bis zum 4-Zellenstadium sind nach dem derzeit geltenden Embryonenschutzgesetz einer befruchteten Eizelle gleichgestellt. Die Stammzellen, die einer Blastocyste entnommen werden, sind jedoch keine Embryonen im Sinne des Embryonenschutzgesetzes, da die Wissenschaft heute davon ausgeht, dass ab dem 8-Zellenstadium die Zellen nicht mehr totipotent, sondern nur noch pluripotent sind, d. h. sie besitzen nicht mehr die Fähigkeit, sich zu einem Menschen zu entwickeln. Es dürfen jedoch in Deutschland befruchtete Eizellen nicht bis zum Blastocystenstadium in Kultur gehalten werden. Widersprüchliche Konsequenz: Unter Auflagen dürfen menschliche embryonale Stammzellen aus dem Ausland bezogen werden. Weitere Informationen: Gesetz: www.bba.de/gentech/eschg.htm Website des Nationalen Ethikrates: www.ethikrat.org
I
6.5 Hormonale Beziehungen zwischen Kind und Mutter
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Box 6.5: Fortsetzung
Schwangerschaftsabbruch Im Interesse einer verantwortungsvollen Familienplanung erlauben in den meisten Ländern der Erde die staatlichen Gesetze künstliche Schwangerschaftsverhütung. Künstlicher Schwangerschaftsabbruch durch den Arzt ist auch in den Staaten, die ihn unter Auflagen zulassen, wie in Deutschland, immer wieder Anlass zu konfliktbeladenen Kontroversen. Die gesellschaftlichen und privaten Konflikte spiegeln sich in den §§218, 218a und 219 unseres Strafgesetzbuches wider. Als Schwangerschaftsabbruch gilt vor deutschem Gesetz die Entfernung des Keims, der sich bereits in die Gebärmutter eingenistet hat. Die Entfernung des Keims, der sich noch frei schwimmend im Eileiter aufhält, gilt nicht als Schwangerschaftsabbruch, doch unterliegt der Keim dem Embryonenschutzgesetz. Die Bestimmungen des Strafgesetzbuches zum Abbruch sind in sich widersprüchlich, so verbietet §218 den Schwangerschaftsabbruch unter Strafandrohung, §218a erklärt ihn straffrei, wenn er von einem Arzt vorgenommen wird und sich die Schwangere zuvor beraten ließ. Es werden unterschiedliche Schwangerschaftswochen genannt, bis zu denen der Abbruch straffrei ist: nach §218a (1) bis zu 12 Wochen nach Empfängnis; das Gesetz verlangt in diesem Abschnitt keine Angabe von Gründen, nach §218a (3) bis zu 12 Wochen nach Empfängnis nach Vergewaltigung, nach §218a (4) bis zu 22 Wochen nach Empfängnis, „wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat.“ Um eine Bedrängnis festzustellen, sieht §219 eine Beratung vor. „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens“, und es wurde festgelegt, „dass Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, dass sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt“.
Diese Bestimmung ist im Rahmen des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes (SFHÄndG) vom 21.8.1995 als solche weggefallen und de facto in die sog. medizinische Indikation integriert worden. §218a Abs. 2 StGB lautet seither: „Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.“ Eine zeitliche Befristung bei dieser als medizinischen Indikation bekannt gewordenen Regelung nennt das Gesetz nicht, und es schreibt keine Beratung nach §219 mehr vor. Die Bestimmung des §218a (2) in dieser modifizierten Fassung wird in Deutschland so interpretiert, dass bei Vorliegen der im Gesetz genannten Indikation eine Spätabtreibung bis zum Geburtstermin möglich ist. Wie eng oder freizügig „schwerwiegende Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes“ interpretiert wird, ist offen. Auf den Gesundheitszustand des Kindes kommt es nicht mehr entscheidend an. §218a Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs. (1) Der Tatbestand des §218 ist nicht verwirklicht, wenn 1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach §219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, 2. der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und 3. seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf I Wochen vergangen sind.
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6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
Box 6.5: Fortsetzung (2) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann. (3) Die Voraussetzungen des Absatzes 2 gelten bei einem Schwangerschaftsabbruch, der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird, auch als erfüllt, wenn nach ärztlicher Erkenntnis an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat nach den §§176 bis 179 des Strafgesetzbuches begangen worden ist, dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass die Schwangerschaft auf der Tat beruht, und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. (4) Die Schwangere ist nicht nach §218 strafbar, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung (§219) von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen verstrichen sind. Das Gericht
6.6 Die Entwicklung des Menschen im Vergleich zu anderen Wirbeltieren: Gemeinsames, Trennendes, Aspekte der Evolution 6.6.1 Wirbeltiere durchlaufen bei aller Verschiedenheit ihrer Anfangsund Endentwicklung ein für den Tierstamm charakteristisches, phylotypisches Stadium Wenn man Embryonen von Wirbeltieren sammelt, wie es einstmals Carl Ernst von Baer (1791–1876, s. Box 1.1) tat, sie mit einer Lupe betrachtet und die Stadien vergleicht, in der die Extremitätenknospen der Tetrapoden gerade noch nicht erkennbar sind oder
kann von Strafe nach §218 absehen, wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat.
Dazu die Bundesärztekammer: „Im Hinblick auf Schwangerschaftsabbrüche nach Pränataldiagnostik kommt es durch die Neufassung des Gesetzes zu drei wesentlichen Änderungen: 1. Wegfall der embryopathischen Indikation im Sinne des §218a StGB a. F., in deren Rahmen eine Frist von 22 vollendeten Wochen post conceptionem für Schwangerschaftsabbrüche vorgeschrieben war, 2. Wegfall der Beratungspflicht nach §219 StGB, die im Rahmen der alten embryopathischen Indikation bestand, und damit Wegfall der Frist von drei Tagen nach Beratung bis zur Durchführung des Abbruchs nach Pränataldiagnostik.“ Weitere Information: Gesetz: lawww.de/Library/stgb/218.htm www.bundesaerztekammer.de/30/ Richtlinien/Empfidx/Schwanger.html
gerade zu sprossen beginnen, bemerkt man große Ähnlichkeiten (Abb. 6.17). Karl Ernst von Baer: „Die Embryonen der Säugethiere, Vögel, Eidechsen und Schlangen, und wahrscheinlich auch der Schildkröten, sind in früheren Zuständen einander ungemein ähnlich im Ganzen, . . . Je weiter wir also in der Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere zurückgehen, desto ähnlicher finden wir die Embryonen im Ganzen und in den einzelnen Theilen.“ Neue Strukturen tauchen in einer Zeitfolge auf, die mit der Stellung der Tiere im zoologischen System korreliert zu sein scheint: Chorda und Kiementaschen erscheinen bei Tetrapoden früher als die Extremitätenknospen; diese früher als Feder- oder Haarkleid. Solche Beobachtungen hatten Karl Ernst von Baer ver-
6.6 Menschen und andere Wirbeltieren im Vergleich
Abb. 6.17 Embryonen und juvenile Stadien von Wirbeltieren im Vergleich; die Embryonen veranschaulichen die Beobachtungen des Embryologen Carl Ernst von Baer (1792–1876) über die Ähnlichkeit der Embryonen verschiedener Wirbeltiere und das auf dieser Beobachtung aufbauende „Biogenetische Grundgesetz“ Ernst Haeckels
anlasst, darauf hinzuweisen, „daß das Gemeinsame einer größeren Thiergruppe sich früher im Embryo bildet als das Besondere . . . , bis endlich das Speziellste auftritt.“ Erst treten die gemeinsamen Merkmale der Wirbeltiere zutage, dann die der einzelnen Klassen,
181
Ordnungen, Familien, zuletzt die Besonderheiten des Individuums. Der deutsche Zoologe Ernst Haeckel sah in der Ähnlichkeit früher Embryonalstadien einen Beweis für sein „biogenetisches Grundgesetz“, nach dem alle Organismen in ihrer Ontogenie in verkürzter Form ihre phylogenetische Entwicklung wiederholten. Hier sei nur auf einen Aspekt hingewiesen: Man sieht so manche scheinbar umständliche „Rekapitulationen der Phylogenie“, durchaus im Sinne des biogenetischen Grundgesetztes, aber gewiss nicht ohne guten Grund. Sie haben damit zu tun, wie das hochkomplexe Unterfangen der Entwicklung organisiert und gesteuert werden kann (s. Kap. 22). Im Weiteren kommt es zu bemerkenswerten Umwandlungen der Strukturen, die das phylotypische Stadium ausgezeichnet hatten. Die äußere Ähnlichkeit der Embryonen einer bestimmten mittleren Entwicklungsperiode darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht nur die fertigen Endgestalten eines Fisches, eines Molches, einer Schildkröte, eines Huhns, eines Hausschweins und eines Menschen sehr unterschiedlich ausfallen werden, sondern auch die Anfangsentwicklung der verschiedenen Wirbeltiere sehr verschieden sein kann. Da ist bei der Mehrzahl der Nichtsäuger das Problem, mit dem massenreichen Dotter eines voluminösen Rieseneies fertig werden zu müssen. Fische, Reptilien und Vögel entwickeln sich meroblastisch aus einer Keimscheibe, die sich auf dem Riesenei bildet (Kap. 5). Amphibien und Säuger hingegen können ihr Ei holoblastisch in Zellen zerlegen. Am Ende der meroblastischen Furchung wird eine zweidimensionale, auf dem Dotter schwimmende Keimscheibe, am Ende der holoblastischen Furchung eine dreidimensionale, innen mit Wasser gefüllter Blase, eine Blastula (Amphibien) oder Blastocyste (Säuger) erreicht. Eine Blastula genannte Hohlkugel hatten wir beim Seeigel kennengelernt (Kap. 4); sie gilt als typisch für tierische Embryonalentwicklung schlechthin und wird beispielsweise auch bei wirbellosen Chordaten wie Ascidien und Branchiostoma (Amphioxus) beobachtet. Eine solche Blastula tritt aber beim Säuger nicht auf, obwohl es auf den ersten Blick so scheint! Sind sich die Blastula und die Blastocyste der Säuger äußerlich auch ähnlich, so ist ihre weitere Entwicklung grundverschieden. Die zelluläre Wandung der Amphibienblastula, das Blastoderm, wird vollständig zur Bildung des Embryos herangezogen. Im Zuge der Gastrulation schiebt sich ein großes Areal des Blasto-
182
derms durch den Urmund in den inneren Hohlraum, um den entodermalen und mesodermalen Organen Ursprung zu geben. Bei der Neurulation wird weiteres Material zur Formung des Zentralnervensystems ins Innere verlagert. Die restliche Außenwandung, das verbliebene Ektoderm, wird zur Epidermis und einigen Zusatzorganen wie Riechepithel und Augenlinsen. Völlig anders jedoch die Entwicklung einer Säugerblastocyste. Die Blastocystenwand wird nicht für die Gestaltung des Embryos herangezogen. Vielmehr wird erst einmal die ganze Außenwandung der Blastocyste gebraucht, um ein mächtiges extraembryonales Organ, den Trophoblasten, aufzubauen, mit dem sich der Keim in die Gebärmutterwand der Mutter eingräbt. Später lässt der Trophoblast die Plazenta heranwachsen, über die sich der Embryo von seiner Mutter versorgen lässt. Es treten dann beim Säuger Strukturen auf, die der vom Teichwasser umgebene Embryo einer Amphibie noch nicht kennt. Es wird in der inneren Zellmasse der Blastocyste eine flüssigkeitsgefüllte Amnionhöhle ausgespart und es wird ein Dottersack geformt, der einen nicht vorhandenen Dotter umschließt. Amnion und Dottersack gibt es auch bei Reptilien und Vögeln, doch wird das Amnion der Sauropsiden erst gebildet, wenn der Embryo in seiner Grundform hergestellt ist (Abb. 6.18) Beim Säuger gibt es zum Zeitpunkt der Amnionbildung in der Regel noch gar keinen Embryo. Bemerkenswert und verwirrend ist, dass die Prozedur der Amnionbildung sogar bei den verschiedenen Säugern sehr unterschiedlich ist (Abb. 6.19). Dem Reptilienmodus am nächsten kommt die vom Systematiker als urtümlich eingestufte Spitzmaus, die ihr Amnion noch als „Faltamnion“ entstehen lässt. Doch auch der Spitzmauskeim ist zum Zeitpunkt der Amniogenese noch ohne Embryo. Der entsteht bei allen Säugern aus einem kleinen Areal im Boden der Amnionhöhle (Epiblast), ergänzt durch einige darunter liegende Zellen im Dach des Dottersacks (Hypoblast). Dieses Areal wird zu einer Keimscheibe. Die weiteren Vorgänge verlaufen dann ganz ähnlich wie auf und unter der Keimscheibe der Reptilien und Vögel: So entsteht als Ausdruck der jetzt erst einsetzenden Gastrulation eine Primitivrinne (s. Abb. 5.25c und 6.5), die als Homologon des Urmundes einer Amphibiengastrula betrachtet wird. Fazit: Beim Säuger hat gerade die früheste Embryonalentwicklung einen starken evolutiven Wan-
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
Fisch Dottersack
kein Amnion
kein Amnion
Frosch
Herz
Hühnchen
Amnionfalten Amnionbildung nach Embryobildung Amnionhöhle Amnionbildung vor Embryobildung
Chorion(Plazenta)zotten
Dottersack Säuger Wirbeltiere im stammestypischen Stadium
Abb. 6.18 Embryonen verschiedener Wirbeltiere im phylotypischen (stammestypischen) Stadium
del erfahren in Anpassung an die schützende und ernährende Umwelt des mütterlichen Organismus. Andererseits zeigt die frühe Embryonalentwicklung der Säuger einige Besonderheiten, die dem Amphibienkeim fehlen, aber die phylogenetische Herkunft der Säuger von reptilienartigen widerspiegeln. Bei aller Verschiedenheit der Anfangsentwicklung eines Zebrafisches, eines Krallenfrosches, eines Hühnchens, einer Maus und eines Menschen ist es umso bemerkenswerter, dass die Frühentwicklung aller Wirbeltiere auf ein Stadium konvergiert, das zwar bei genauem Hinsehen von Tierart zu Tierart durchaus Unterschiede aufweist, das aber doch durch eine ähnliche Basisorganisation gekennzeichnet ist. Dieses Stadium
6.6 Menschen und andere Wirbeltieren im Vergleich Abb. 6.19 Amnioten: Unterschiedliche Bildung der Amnionhöhle und anderer „extraembryonaler“ Organe bei verschiedenen Landwirbeltieren
183 Amnionfalte Allantois Dottersack
Amnionhöhle Allantois
VOGEL früh
Hypoblast
VOGEL später Epiblast mit Primitivrinne Amnionhöhle
Chorionzotten
Dottersack Faltenamnion: SPITZMAUS
Hohlraumamnion: FLEDERMAUS Zapfen
Haftstiel
Keimscheibe Sekundärer Dottersack
MENSCH Rest des primären Dottersacks Trophoblastrest
MAUS
entspricht der in Abb. 5.9, 6.6 und 6.8 wiedergegebenen Körpergrundgestalt mit Neuralrohr, Chorda, Somiten, Schlundtaschen (Kiementaschen) und ventralem Herzschlauch. Nach einem Vorschlag des Freiburger Entwicklungsbiologen und Zoologen Klaus Sander (1983) wird diese Grundgestalt als phylotypisches Stadium benannt, d. h. als Stadium, das für den Tierstamm der Wirbeltiere bzw. Chordaten typisch ist. Freilich sind die Embryonen so ähnlich nicht, wie Haeckel dies in seinen schematisierenden Zeichnungen glauben zu machen versuchte. So unterscheiden sich Wirbeltierembryonen des Schwanzknospenstadiums in ihrer Länge um bis das Zehnfache. Auch ist
die Zahl der Somiten nicht konstant, sondern von Tiergruppe zu Tiergruppe verschieden. Bei der einen Art erscheinen Beinknospen früher als bei der anderen Art. Daher gibt es den Vorschlag, man solle nicht von einem phylotypischen Stadium, sondern von einer phylotypischen Periode sprechen. Auf molekularen Niveau wird man auch von vornherein individualspezifische Unterschiede feststellen können; denn schließlich weisen die exakten Basensequenzen der einem Individuum vererbten Gene eine Reihe von Unterschieden zu den Sequenzen auf, die ein anderes Individuen geerbt hat (sieht man von eineiigen Zwillingen ab).
184
Das phylotypische Stadium ist somit ein typisiertes Modell, welches das Gemeinsame gegenüber dem Trennenden betont. Heutzutage entdeckt der molekularbiologisch arbeitende Entwicklungsbiologe zunehmend mehr orts- und zeitspezifisch exprimierte Gene, welche die gemeinsame Basisorganisation betonen.
6.6.2 Im phylotypischen Stadium wird über zahlreiche Induktionsprozesse die Entwicklung innerer Organe in die Wege geleitet; daher sind die Entwicklungsweisen historischen Zwängen unterworfen Man hat viel spekuliert, weshalb Wirbeltiere ein solches stammestypisches Stadium durchlaufen; denn viele Muster der Genexpression und auch manche der morphologischen Strukturen haben nur kurzfristig Bestand: Die Somiten lösen sich in Zellgruppen mit unterschiedlich bestimmtem Schicksal auf. Die Chorda muss der Wirbelsäule Platz machen. Molekularbiologisch und biochemisch arbeitende Entwicklungsbiologen finden mehr und mehr plausible Erklärungen für den Konservatismus der Natur. Beispielsweise wird in der frühen Chordaanlage das Gen Brachyury exprimiert. Ist das Gen homozygot defekt, wird keine Chorda und auch keine ordentliche Wirbelsäule gebildet; weitere Defekte betreffen die Organogenese. Die Chorda ist Sender wichtiger Induktionssignale und wird zur Organisation der weiteren Entwicklung unverzichtbar gebraucht. Sie sendet beispielsweise SONIC HEDGEHOG-Signale aus, die zum Organisieren der Wirbelkörperbildung und der Bildung motorischer Neurone im Rückenmark (s. Abb. 5.20, 16.11), aber auch für die korrekte Ausbildung von Pankreas versus Leber benötigt werden. Man kann ohne großes Irrtumsrisiko die Behauptung aufstellen, dass evolutive Altertümlichkeiten nicht aus purer Traditionsliebe konserviert wurden, sondern weil sie immer noch wichtige Funktionen in der Frühentwicklung zu erfüllen haben. Auch wenn transitorische Strukturen durchaus nicht funktionslos sind, sondern zur Organisation des Entwicklungsgeschehens benötigt werden, bleibt die Frage: warum so und nicht anders? Offenbar kann ein so schwieriges Unterfangen wie die Organisation der Entwicklung nicht beliebig abgewandelt und ver-
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
kürzt werden. Im Lauf der Evolution entstandene und bewährte Lösungen können nicht einfach durch andere ersetzt werden. Man spricht von „constraints“ – Zwängen, eingeschränkten Möglichkeiten. Ein erhellendes Beispiel: Vögel und Fledermäuse konnten Flügel nur auf Kosten der Vorderextremitäten entwickeln. Drei paar Extremitäten blieben den phänotypisch ähnlichen Engeln vorbehalten.
6.6.3 In der phylotypischen Periode werden viele einzelne Organe angelegt Betrachtet man im Stereomikroskop Embryonen verschiedener Wirbeltiere so sieht man Augenanlage, Ohrplakoden Kiementaschen und Somiten (Abb. 6.18). Die folgenden Abb. 6.20, 6.21 und 6.22 sind Längsschnitte, die in schematisierter Form die innere Anatomie des künftigen Wirbeltieres wiedergeben. Neben den genannten Strukturen Chorda, Neural rohr und ventrale Herzanlage sind typisch für Wirbeltiere: Nervensystem: die Gliederung des Gehirns in primär drei Abschnitte, Prosencephalon, Mesencephalon und Metencephalon (D Rhombencephalon), und die Gliederung des Nachhirns in Rhombomeren sowie die segmentale Folge der Cranialund Spinalganglien. Hinzu kommt der sympathische Grenzstrang mit seinen ebenfalls segmental wiederkehrenden Ganglien (Weiteres hierzu in Kap. 16). Sinnessystem: Nasen- und Ohrplakoden; Vorderarmbereich: Schlundtaschen (Kiementaschen); diese Taschen öffnen sich bei Fischen und Amphibienlarven zu den Kiemenspalten; die Stege zwischen den Spalten formen die Kiemen. Bei den Landwirbeltieren werden ebenfalls Taschen angelegt, doch brechen keine Öffnungen nach außen durch, oder die Öffnungen werden sekundär wieder verschlossen (die erste Spalte durch das Trommelfell); Hormonsystem: Anlage der Adenohypophyse (Rathke-Tasche) und der Schilddrüse; Skelett: Hier fällt die Serie der Wirbelkörper sowie der primär knorpeligen Branchialbögen auf (Abb. 6.20 und 6.22): Letztere sind stabförmige Stützelemente in den Stegen zwischen den Schlundtaschen. Diese Skelettelemente mit pri-
6.6 Menschen und andere Wirbeltieren im Vergleich
Abb. 6.20 Generalisiertes Wirbeltier im phylotypischen Stadium I. Herkunft der branchiogenen Organe (Tonsillen, Parathyreoidea, Thymus, Ultimobranchialkörper) und anderer Organe (Adenohypophyse, Schilddrüse, Lunge) im Bereich des Kiemendarms. Die Schilddrüse (Thyreoidea) geht aus dem Boden
Abb. 6.21 Generalisiertes Wirbeltier im phylotypischen Stadium II. Schnitt durch die Kopfregion, die Derivate des Ektoderms und der Neuralplatte zeigend. Beachte die segmentale Organisation im Rhombencephalon (Rautenhirn) und der Pharynxregion mit ihren Kiementaschen
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des Kiemendarms hervor und ist der Hypobranchialrinne von Tunikaten, Branchiostoma und Neunaugenlarven homolog. Das Operculum, das bei Fischen und Kaulquappen die Kiemen bedeckt, ist bei Säugern eine transitorische Struktur
186
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
Abb. 6.22 Herkunft verschiedener Organe im Bereich des Kopfes und der Pharynxregion. Aus dem entodermalen Epithel der Pharynxregion gehen lymphatische Organe und Hormondrüsen hervor. Die cranialen Ganglien, die Spinalganglien und die
knorpeligen Elemente des Visceralskeletts (Kiefer, Kiemenbogenspangen) werden von ausgewanderten Zellen der Neuralleisten gebildet. Herz und die Kiemenbogenarterien sind mesodermalen Ursprungs
märem Ober- und Unterkiefer und Kiemenspangen werden auch als Visceralskelett zusammengefasst; Blutkreislauf mit den Kiemenbogen-(Schlundbogen-)Arterien, von denen meistens vier Paare, ursprünglich sechs, angelegt werden.
kenswerten Umwandlungen der Strukturen, die das phylotypische Stadium ausgezeichnet hatten.
6.7 Konservative Wege versus Neuerungen in der Entwicklung der Wirbeltiere und des Menschen Der Wirbeltierembryo entwickelt sich nicht zu einem abstrakten Wirbeltierschema, sondern zu einem unverwechselbaren Individuum einer spezifischen Art, zu einem Zebrafisch der Art Danio rerio, zur Krallenkröte Xenopus laevis, zum Haushuhn Gallus domesticus, zur Maus Musculus musculus. Folglich gehen nach dem phylotypischen Stadium die Entwicklungswege der verschiedenen Klassen, Ordnungen, Gattungen und Arten zunehmend auseinander. Es kommt zu bemer-
6.7.1
Ist der Schädel, wie Goethe meinte, aus Wirbeln hervorgegangen? Die Embryonalentwicklung zeigt: zumindest teilweise – und verrät noch mehr
Mit lebhafter Anteilnahme und eigenen Diskussionsbeiträgen hat J. W. von Goethe einen Gelehrtenstreit begleitet, der im Kreise der Anatomen entbrannt war: Ist der Kopf des Menschen segmental gegliedert? Heutige Studien der Embryonalentwicklung und das Muster der Genexpression geben eine Antwort, die manchen Gelehrten des 18. und 19. Jahrhunderts in Begeisterung versetzt hätte: Das Hinterhaupt ist jedenfalls segmental gegliedert. Wir sehen dies und weiteres Unerwartetes an zwei transienten Strukturen:
6.7
Konservative Wege versus Neuerungen in der Entwicklung der Wirbeltiere und des Menschen
187
Abb. 6.23 Herkunft des Hinterhauptschädels und der Wirbel aus den Sklerotomen der Somiten bei Landwirbeltieren. Ein Wirbel entsteht aus dem posterioren Teil des Somiten und dem anterio ren Teil des folgenden Somiten. Generalisiertes Schema
Rhombomeren und Hox-Gene. Im Bereich des embryonalen Rautenhirns sind klar segmentale Pakete, die Rhombomeren, auszumachen (s. Abb. 16.2). In ihnen werden Gene für Transkriptionsfaktoren der Hox-Gruppe und der Pax-Gruppe exprimiert, aber in eigenartigen Kombinationen (s. Abb. 16.3). Wirbelkörper und Schädel: Im vorderen und mittleren Teil des Kopfes sind die Indizien für eine einstige segmentale Gliederung nicht überzeugend. Weder spiegeln die Grenzen zwischen den Gehirnabschnitten noch das Expressionsmuster bestimmter Gene (s. Abb. 16.13 und 16.14) oder die Austrittsstellen der Gehirnnerven eine klar erkennbare ursprünglich segmentale Organisation wider Sind die knorpeligen paarigen Spangen, welche die Fundamente des Gehirnschädels bilden, die Trabeculae und die Parachordalia, einstige Wirbel? Der Versuch einer Ableitung dieser Strukturen von Urwirbeln (Somiten) bliebe nicht ohne entschiedenen Widerspruch in der Fachwelt. Anders beim Hinterhauptschädel; er leitet sich auch heute noch in seiner Ontogenie von Somiten ab. Das zelluläre Material für die Bildung der Wirbelkörper liefern die Somiten mit ihren SklerotomKompartimenten (Abb. 6.23). Die Sklerotome sind ihrerseits in zwei Kompartimente gegliedert: in ein vorderes (craniales) und ein hinteres (caudales) Kompartiment. Ein Wirbelkörper geht hervor aus dem hinteren Kompartiment des einen Sklerotoms und dem vorderen Kompartiment des folgenden.
Die ersten vier Somiten/Sklerotome jedoch bilden keine Wirbelkörper, sondern verschmelzen in der weiteren Embryonalentwicklung zum Hinterhauptsbein (Os occipitale) des Schädels. Die folgenden drei Wirbel werden bei Landwirbeltieren zu Elementen umgestaltet, welche die Beweglichkeit des Kopfes vermitteln. Die vordere Hälfte des Proatlas (5./6. Somit) bildet den paarigen Gelenkhöcker (Condylus) am Hinterhaupt, gegen den der Atlas (6./7. Somit) abgewinkelt werden kann; so werden Nickbewegungen des Kopfes ermöglicht. Der Fisch muss, will er etwas vom Boden aufpicken, seine ganze Körperachse nach unten neigen (was im Wasser nicht schwer fällt, aber an Land mühsam ist). Bei Säugern gesellt sich der hintere Abschnitt des Proatlas zur Axis (7./8. Somit) und gestaltet die Spitze des Zahnfortsatzes (Dens axis). Beim Säuger kann der Atlas auf der Unterlage des Axis um den Kegel des Zahnfortsatzes einige Grade rotieren: Wir können unseren Kopf verneinend hin und her drehen.
6.7.2
Die Gehörknöchelchen sind viel genannte Beispiele für evolutionäre Transformationen, die sich in der Embryonalentwicklung nachvollziehen lassen
Die knorpeligen, (mindestens) zweigliedrigen Spangen, die sich von den Neuralleisten der Kopfregion ableiten und beim Fisch und in der Kaulquappe die Stege zwischen den Kiemenspalten versteifen (knorpelige
188
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
Abb. 6.24 Transformation der KiemenbogenSkelettelemente im menschlichen Embryo. Bogen I: Meckelscher Knorpel, Hammer, Amboss, Steigbügel. Bogen II und III: Zungenbein. Bogen IV–VI Kehlkopf
Hammer (Malleus) Amboss (Incus) Steigbügel (Stapes) Meckelsche Knorpel
Tympanicum (knöch. Ring um Trommelfell) Processus styloideus
I
II III
Dentale Zungenbein Schildknorpel Ringknorpel Trachealknorpel
Kiemenbögen), machen in der Ontogenie der höheren Vertebraten einen dramatischen Wandel durch. Besonderes Interesse verdienen die ersten drei Spangen: Die Neuralleistenzellen aus der Region des Rhombomers r1 bilden am Ende des Geschehens beim Säuger den knorpeligen Tympanalring, in den das Trommelfell eingespannt ist (während die äußeren Wandungen der ersten Schlundtasche die Ohrmuscheln formen). Weitere Neuralleistenzellen aus der Region der Rhombomeren r1 und r2 bilden den ersten Bogen, der am Ende beim Säuger Hammer und Amboss liefert. Neuralleistenzellen aus der Region des Rhombomers r4 bilden anfangs den zweiten Bogen und am Ende den Steigbügel. Das erste (evolutionsgeschichtlich mutmaßlich zweite) Paar wird bei allen kieferbewehrten Wirbeltieren mit Ausnahme der Säuger zum Kauapparat umgewandelt. Dorsaler und ventraler Teil der knorpeligen (später ossifizierten) ersten Kiemenspange bilden Ober- und Unterkiefer mit dem primären Kiefergelenk. Dieser primäre Kiefer hat bei Fischen, Amphibien, den Vögeln und den nicht-säugerartigen Reptilien zeitlebens Bestand. Verknöchert heißen seine Elemente (Palato-) Quadratum und Articulare. Auch der Säuger/Mensch legt ein primäres Kiefergelenk an (Abb. 6.24), wird mit diesem Kiefer aber nie zubeißen. Das tut der Säuger mit dem knöchernen,
Ligamentum stylohyoideum
IV Kehlkopf V
sekundären Kiefer: Das dem knorpeligen, primären Kiefer (Meckel-Knorpel) aufgelagerte Dentale des Unterkiefers nimmt Kontakt auf mit dem Squamosum des knöchernen Schädels; beide, Dentale und Squamosum schließen das sekundäre Kiefergelenk ein. Damit werden die primären Kieferelemente von ihrer alten Aufgabe befreit und können in den Dienst der Schallübertragung gestellt werden. Sie werden passend umgestaltet; der prospektive primäre Unterkiefer der Nichtsäuger wird zum Hammer (Malleus), der Oberkiefer zum Amboss (Incus). Fehlt noch zum kompletten Trio der Steigbügel (Stapes). Er wird vom oberen Element der zweiten Kiemenspange gebildet. Bei Fischen stützt dieses Element als Hyomandibulare das primäre Kiefergelenk gegen den Schädel ab. Bei Amphibien wird es in den Kanal des Spiraculums (Ursprünglich 1. Kiemenspalte; bei Haien und Rochen Spritzloch, bei Säugern Paukenhöhle C Eustachische Röhre) einbezogen. Es wird zur Columella und übernimmt die Aufgabe, Schall vom äußeren Trommelfell auf das ovale Fenster (inneres Trommelfell) der Gehörschnecke zu übertragen. Diese Funktion behält es beim Säuger bei, doch helfen Hammer und Amboss mit ihrem primären Gelenk, die Schallwellen zu übersetzen, d. h. ihre Amplitude abzuschwächen, die Kraft pro Flächeneinheit hingegen zu verstärken. Die posterior folgenden Spangen des Kiemendarmskeletts werden beim Menschen zum Zungen-
6.7
Konservative Wege versus Neuerungen in der Entwicklung der Wirbeltiere und des Menschen
bein und zum Kehlkopf (Abb. 6.24). Umgestaltungen solcher Art waren nur möglich, weil bei den Landwirbeltieren kein Kiemenapparat mehr hergestellt werden muss, der einen Stützkorb braucht.
6.7.3 Umfangreiche Umgestaltungen in den Epithelien des Kiemendarms bringen weitere branchiogene Organe hervor: mancherlei Hormondrüsen und lymphatische Organe In der Evolution der Wirbeltiere, und entsprechend auch in der Embryonalentwicklung des Menschen, wird der Kiemendarm zur Fundgrube. Nicht nur die knorpeligen Elemente übernehmen neue Funktionen; auch die epithelialen Gewebe des Mund-Rachenraums sind darauf eingerichtet, vielerlei Sonderfunktionen zu übernehmen. Und sie können diese unbeschwert optimieren, wenn sie keine Kiemenlamellen mehr gestalten müssen. Wir beschränken uns hier darauf, im Zeitraffer die Entwicklung einiger Hormondrüsen und einiger lymphatischer Organe (Mandeln (Tonsillen), Thymus) anzusehen (Abb. 6.20): Im Boden und im Dach des Mundraumes sind schon im Fischembryo Abfaltungen des Epithels zu sehen, die sich zu Hormondrüsen weiterentwickeln. Hypophyse: Die Rathke-Tasche im Gaumendach streckt sich dem Zwischenhirn entgegen und wird zur Adenohypophyse, einer zentralen Hormondrüse. Das Zwischenhirn selbst formt einen Zapfen und streckt ihn als Neurohypophyse der Adenohypophyse entgegen. Schilddrüse: Im Boden des Mund-Rachenraums senkt sich ein epithelialer Bezirk in die Tiefe ab und wird zur Schilddrüse (Thyreoidea). Aus gutem Grund wird sie mit dem Endostyl (ventrale Flimmerrinne) der Tunikaten und des Amphioxus homolog gesetzt: Hier wie dort finden sich Zellen, die das Schilddrüsenhormon Thyroxin produzieren. Und in der Larve der Neunaugen sieht man ein mit Cilien ausgekleidetes Endostyl, das mit beginnender Metamorphose in die Tiefe sinkt, seine Cilien verliert und zur Schilddrüse wird. Nebenschilddrüsen und C-Zellen: – Die C-Zellen in den Schilddrüsen der Säuger (Hormon: Calcitonin) und ihre homologen Ge-
189
genstücke der Nichtsäuger, die Ultimobranchialkörper, und ebenso – die Nebenschilddrüsen (Epithelkörper, Parathyroidea; Hormon: Parathormon) haben einen anderen Ursprung. Sie entwickeln sich aus Zellgruppen, die sich von den Schlundtaschen ablösen, sich der Schilddrüse beigesellen und von ihr ganz oder teilweise umwachsen werden. Thymus und Mandeln. Weitere von den Schlundtaschen sich ablösende Zellen bilden Nester, in denen sich später Lymphocyten ansiedeln: Tonsillen (Mandeln) und Thymus. Die Hormondrüsen im Rumpf leiten sich nicht vom Kiemendarm ab. Bemerkenswert ist die Entwicklung der Nebenniere: Das „Mark“ (Medulla) entsteht aus einem Aggregat von Neuralleistenzellen, die man als verhinderte sympathische Neurone ansehen darf. Die Medulla produziert das Hormon Adrenalin, ein Derivat der Aminosäure Tyrosin, das im sympathischen Nervensystem auch als Transmitter eingesetzt wird. Hingegen leitet sich die Nebennierenrinde (Cortex; Hormon: Cortisol) von einem mesodermalen Epithel ab, welches das Mark umhüllt.
6.7.4
Auch die Blutgefäße des Kiemendarms erfahren eine weitgehende Umgestaltung
Diese Umgestaltungen stehen im Zusammenhang mit der Umstellung von Kiemenatmung auf Lungenatmung. Bei Lungenfischen war für Zeiten großer Not, wenn die letzte Pfütze völlig an Sauerstoff verarmte, eine Aussackung der Speiseröhre in Gebrauch gekommen. In diesen Sack konnte statt Nahrung Luft geschluckt werden. Da dieser Luftsack nur ein zusätzliches Atemorgan war, genügte es fürs Erste, dass er im Nebenschluss von der 6. Kiemenbogenarterie mit Blut versorgt wurde. Säuger könnten damit nicht zurechtkommen; sie müssen all ihr Blut durch die Lungen treiben, um es von Kohlendioxid zu entlasten und mit Sauerstoff zu beladen. Andererseits brauchen Landwirbeltiere keine Gefäße mehr, um Kiemen zu versorgen. Es können folglich manche Gefäße aufgegeben werden, andere müssen umkonstruiert werden (s. Abb. 17.8, 17.9 und 17.10). Im Einzelnen sollen diese Umgestaltungen hier nicht beschrieben werden.
190
6.7.5 Auch nach der phylotypischen Periode spiegelt die zeitliche Reihenfolge, in der Organe angelegt werden, die zeitliche Reihenfolge evolutionärer Großereignisse wider Fehler und Unzuverlässigkeiten in den Schriften Haeckels und Abneigung gegen sein antireligiöses philosophisches Ideengebäude hatten zur Folge, dass man seiner Vorstellung, in der Ontogenie spiegle sich die Phylogenie wider, mit harscher Kritik entgegentrat oder ihr keine Beachtung schenkte. Wenn man andererseits die Embryonalentwicklung des Menschen im Detail verfolgt, entdeckt man erstaunlich viele Parallelen zwischen Ontogenie und Phylogenie (Abb. 6.25). Um den 20. Tag beginnen die Neuralfalten zum Neuralrohr zu fusionieren. In der Nackenregion erscheinen die ersten drei Somiten. Die ersten Schlundtaschen sind geformt; dazwischen zwängen sich die ersten Schübe cranialer Neuralleistenzellen, aus denen Mandibularbogen und Hyoidbogen hervorgehen werden. Noch ist nicht erkennbar, ob daraus bloße Kiemenspangen werden könnten wie bei den kieferlosen Fischen (Agnatha) oder Kiefer (wie bei den Knorpelfischen, Knochenfischen, Amphibien und Reptilien) oder Gehörknöchelchen (wie bei den Säugern). Unterhalb der Pharynxregion verschmelzen zwei parallele Gefäße zum unpaaren Herzschlauch. Der Embryo nähert sich dem phylotypischen Stadium. Zwischen dem 23. und 26. Tag wird ein Blutkreislauf geschaffen mit einem einfachen Herzen, bestehend aus einem Atrium und einem Ventrikel, und mit Kiemenbogenarterien und Cardinalvenen, als wolle sich ein Fisch entwickeln. Das Gehirn ist in drei blasenförmige Abschnitte gegliedert: Prosencephalon, Mesencephalon, Rhombencephalon. Die Augenblasen beginnen aus dem Grenzbereich von Vorder- und Mittelhirn herauszutreten. Die Ohrplakoden werden vom Ektoderm ausgegliedert und ins Innere verlagert. Dem Gehirn wölbt sich die Hypophysentasche (Rathke-Tasche) entgegen. Die Anlage der Schilddrüse sinkt in die Tiefe. Die Nasengruben beginnen sich einzusenken. Die Kiementaschen sind vollzählig. Der Verdauungstrakt endet mit einer Kloake, in welche die Ausfuhrgänge der Vornieren (Pronephros) münden. Die Chorda ist als Anlage erkennbar, aber weitere Skelettelemente fehlen noch. Welche Evolutions-
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
stufe der mutmaßliche Fisch anzustreben scheint, ob die Stufe des kieferlosen oder des kieferbewehrten Fisches, ist nicht sicher auszumachen. Schon um den 24. Tag beginnt der „Fisch“ zum „Lungenfisch“ zu werden: Es wird eine Lungenknospe sichtbar. Nun schlägt auch das schlauchförmige „Fischherz“ mit einer Vor- und Hauptkammer. Auch noch um den 26. bis 28. Tag ist augenscheinlich ein „Lungenfisch“ im Werden begriffen. Der Embryo hat eine – allerdings noch wassergefüllte – Lunge, die aber noch nicht in zwei Flügel getrennt ist. Im Kiemendarmbereich bilden sich Schilddrüse und Thymus. Der entodermale Kanal lässt auf gleicher Höhe aber in unterschiedlichen Richtungen eine Bauchspeicheldrüse und die Leber ausknospen. Die Vorniere wird durch den Mesonephros abgelöst. Der Mandibularbogen, speziell der Meckelsche Knorpel, ist stärker als die übrigen Kiemenspangen ausgebildet und könnte zum Unterkiefer werden. Die Vorderextremitäten (den Brustflossen entsprechend) haben am 28./29. Tag die Form kurzer Paddel; die Hinterextremitäten („Bauchflossen“) haben noch die Form einer Knospe. Der „Fisch“ könnte, so mag man es sich einbilden, bald ähnlich wie ein Schlammspringer an Land kriechen. Um den 34. Tag sind die Brustpaddel in Ober- und Unterarm gegliedert und formen eine Handfläche. Die Bauchpaddel werden entsprechend zum mehrgliedrigen Bein. Augenscheinlich schickt sich eine Amphibie an, zum vierfüßigen Landtier zu werden. Die Nasensäcke rücken von ihrer seitlichen Position mehr zur Mittellinie, die Augen rücken von einer dorso-lateralen in eine laterale (letztendlich werden im menschlichen Embryo die Augen nach vorn verlagert). Vom Gaumenboden hebt sich eine Zunge ab, die man erstmals bei Amphibien findet. Die Lunge beginnt sich in zwei Flügel zu trennen. Das Herz hat schon zwei Vorkammern aber noch einen Ventrikel wie beim Frosch oder Molch. Am Ausführgang des langgestreckten Mesonephros bildet sich die Knospe des Metanephros, der Nachniere, die in der Evolution mutmaßlich beim Übergang zum vollständigen Landleben entwickelt worden ist. Um den 42. Tag ist die Lunge in zwei Flügel aufgegliedert. Die Luftröhre (Trachea) wird von der Speiseröhre (Oesophagus) getrennt. Die Kiemen-
6.7
Konservative Wege versus Neuerungen in der Entwicklung der Wirbeltiere und des Menschen
191
5 Wochen Kiemenanlagen
Schwanz
a Auge an der Seite und ohne Lid, wie bei einem Fisch
4 Wochen
Herz, wie bei einem Fisch
Flossen, wie beim Lungenfisch
6 8 Wochen 40 Tage, 16 mm
8 Wochen
c
Milchleisten
d 39-46 Tage, 14-20 mm
Abb. 6.25 Aspekte der Evolution in der Embryonalentwicklung des Menschen. Stark schematisierte Darstellungen, das Gemeinsame gegenüber dem Trennenden betonend a Embryo im „Fischstadium“, b Entwicklung einer Extremität von der
Paddelflosse zum Tetrapodienstadium, c „Amphibienstadium“, d Beispiel für eine Heterochronie, hier eine Vorverlagerung eines typischen Säugermerkmals, der Milchleiste, in das „Amphibienstadium“
taschen verschwinden mit Ausnahme der ersten, die zum Mittelohr und zur Eustachischen Röhre wird und nach außen durch das Trommelfell verschlossen bleibt. Der menschliche Embryo hat nun
einen deutlich abgesetzten Schwanz. Hände und Füße sind einwärts gerichtet, während Ellbogen und Knie nach außen gekehrt sind, wie dies Molche, Salamander und Reptilien so an sich haben.
192
Um den 45. Tag zeigen auch Augenlider, dass ein Landwirbeltier im Entstehen begriffen ist. Die Nasensäcke brechen zum Rachenraum durch; es gibt nun innere Nasenöffnungen (Choanen), eine Errungenschaft der Choanichthyes, einer Fischgruppe, aus der die Amphibien hervorgegangen sind. Der sekundäre, im späteren Leben verknöchernde Gaumen, der die Nasenhöhle vom Rachenraum trennt, ist um den 57. Tag hergestellt. Ein solcher sekundärer Gaumen ist charakteristisch für Krokodile, Säuger-ähnliche Reptilien und Säuger. Das Herz ist nun weitgehend in zwei Vor- und Hauptkammern getrennt: Der Embryo könnte sich zu einem Krokodil, oder eben zu einem Säuger, entwickeln. Für ein Säuger-ähnliches Reptil spricht, dass nun der primäre Kiefer in die Paukenhöhle verlagert wird, um zum Hammer und Amboss der Gehörknöchelchen umgeformt zu werden. Das Stadium eines mutmaßlichen Reptils ist noch angezeigt durch „Klauen“ (Fingernägel). Um den 60. Tag sehen wir aber auch äußerlich ein künftiges Säuger-ähnliches Reptil: Die Extremitäten werden gedreht, die Ellbogen weisen nach hinten, die Knie nach vorn. Die Zähne werden unterschiedlich geformt. Das Trio der Gehörknöchelchen ist komplett; ein äußerer Gehörgang buchtet sich ein. Schon um den 41. Tag werden die äußeren Genitalien angelegt. Sie bleiben lange sexuell indifferent. Penis oder Vagina mit Klitoris sind erst am Ende des vierten Monats differenziert. Amphibien und Reptilien haben solche Vorrichtungen noch nicht oder allenfalls andeutungsweise. Sexuell unterschiedliche Genitalien haben erst die Säuger erfunden. Nun werden Ei- und Samenleiter auch in ihren Endabschnitten vom Darmkanal getrennt (nur die Eier legenden Säuger haben eine Kloake behalten). Andere Säugermerkmale entwickeln sich spät. Die ersten Haare sprossen im 3. Monat. Im 7. Monat ist der Mensch mit einem Pelz aus Wollhaaren (Lanugo) bedeckt, der bis zur Geburt größtenteils wieder abgestoßen wird. Zwischen den Haaren entwickeln sich Talg- und Schweißdrüsen. Ab dem 100. Tag kann der Fetus am Daumen nuckeln. Wenn zuvor von „Fisch-, Amphibien- oder ReptilienStadium“ gesprochen wurde, darf dies nicht zu Missverständnissen Anlass geben. Der Mensch ist dank
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
seiner genetischen Ausstattung von Anfang an bis zu seinem Ende Mensch (Gleiches gilt für jedes andere Lebewesen). Auch wäre keines dieser Stadien in freier Natur als Fisch, Amphib oder Reptil lebensfähig. Der menschliche Embryo ist noch winzig. Vielerlei Organe sind noch nicht ausgeformt. Zellen erfahren erst spät ihre terminale Differenzierung. So gibt es in diesen Stadien noch keine voll funktionsfähigen Nervenzellen und keine funktionsfähigen Sinnesorgane. Es sind lediglich die Embryonen, die in frühen Stadien einander gleichen und schon nicht mehr die späten Embryonen oder gar die Feten.
6.7.6
So manches passt freilich nicht in das Bild einer Rekapitulation; der Fachmann findet allerlei Heterochronien
Wenn in der Entwicklung des Menschen dem bloßen Augenschein nach Stadien „niederer Wirbeltiere“ wiederholt zu werden scheinen, muss andererseits auch betont werden, dass so manches nicht in das Bild einer getreuen Rekapitulation der Evolution passt. Beispielsweise erscheinen typische Säugermerkmale nicht synchron. Während die ersten Haare im dritten Monat sprossen, werden die Milchdrüsen (als Milchleisten) schon im ersten Monat angelegt. Schon am 41. Tag, dem „Reptilienstadium“, sind die späteren Gehörknöchelchen auszumachen. Ab dem 42. Tag wird der Schwanz verkürzt, d. h. ein Primatenmerkmal wird schon in der „Reptilienphase“ vorbereitet. Relative zeitliche Verschiebungen in der Anlage von Organen, bei Vorgängen des Wachstums, beim Eintreten der Sexualreife und bei anderen Entwicklungsprozessen nennt man allgemein Heterochronien. Die umfassendste und dramatischste Heterochronie betrifft, dies sei nochmals betont, die extrem frühe Entwicklung der extraembryonalen Organe, Trophoblast und Amnion. Ihre Bildung wird zeitlich sogar der ganzen Embryogenese vorgezogen. Konservative Wege versus Neuerungen in der Entwicklung auch der Wirbellosen werden im größeren Zusammenhang der Evolution ontogenetischer Entwicklungsprozesse („Evo-Devo“ D Evolution of Development) im Schlusskapitel dieses Buches diskutiert.
6.7
Konservative Wege versus Neuerungen in der Entwicklung der Wirbeltiere und des Menschen
Zusammenfassung
Schon im Ovar der Mutter wird die Eizelle auf ihre besonderen Aufgaben vorbereitet. In die jahrelang unterbrochene Prophase der Meiose wird ein Stadium zwischengeschaltet, in welchem in der Oocyte, das heißt in der künftigen Eizelle, „Lampenbürstenchromosomen“ und vervielfältigte Nucleoli von einer hohen Transkriptionsaktivität zeugen. Die Reifeteilung wird erst nach der Befruchtung abgeschlossen. Die Befruchtung und frühe Embryonalentwicklung vollziehen sich im Eileiter, wobei die Furchung des nur 0,1 mm großen Eies wie bei anderen Säugern das Ei vollständig in Tochterzellen zerlegt. Die aus der Furchung hervorgehende Blastocyste nistet sich im Uterusepithel (Gebärmutter) ein. Die Außenwandung der Blastocyste, der Trophoblast, wuchert in die Gebärmutterwand hinein und lässt Trophoblastzotten aussprossen, die zu großen Chorionzotten auswachsen; sie erleichtern den Stoffaustausch mit der Mutter. Wenn sich im Keimesinneren ein Embryo gebildet hat und über die Nabelschnur Verbindung zu den Zotten aufgenommen hat, wachsen in einem scheibenförmigen Bezirk des ehemaligen Chorions, jetzt Plazenta genannt, die Zotten zu den mächtigen Plazentazotten heran, welche unmittelbar vom mütterlichen Blut umspült werden. Die innere Zellmasse der Blastocyste spart eine Amnionhöhle aus. Auf ihrem Boden bildet sich wie bei anderen Säugern, und auch schon bei den Sauropsiden, eine Keimscheibe, bei Säugern Epiblast genannt. Die Gastrulation findet durch eine Primitivrinne statt. Am Ende der Gastrulation und Neurulation erreicht auch der Mensch das phylotypische Stadium mit Neuralrohr, Chorda, Somiten und Kiementaschen (die später umgewandelt werden). Die Entwicklung der Säuger im Allgemeinen und des Menschen im Besonderen verläuft ungewöhnlich langsam. Während die meisten Nichtsäuger in wenigen Tagen die Embryonalentwicklung vollenden, laufen im menschlichen Keim als Ausdruck einer früh einsetzenden Genexpression bereits die Furchungsteilungen sehr langsam ab, und der Mensch braucht 9 Monate bis zum „Schlüpfen“. Während dieser ganzen Zeit muss sich der Embryo gegen die Abstoßung durch das Im-
193
munsystem der Mutter wehren, indem er lokal deren Immunsystem stilllegt. Andererseits kann der Embryo, anders als die Embryonen der NichtPlazentatiere, dank der Versorgung durch die Mutter über die Plazenta enorm wachsen. Beim Menschen wächst das Großhirn besonders mächtig und mit ihm der Kopf. Bei der Vorbereitung und der Stabilisierung einer innigen Mutter-Kind-Beziehung wirkt das Hormon Prolaktin mit, beim Knüpfen familiärer Bande sind auch Pheromone im Spiel. In weiteren Abschnitten dieses Kapitels wird die Entwicklung des Menschen unter Aspekten der Evolution mit der Entwicklung anderer Wirbeltiere verglichen: Wirbeltiere durchlaufen, bei aller Verschiedenheit ihrer Anfangs- und Endentwicklung, in der mittleren Periode der Embryonalentwicklung ein phylotypisches Stadium, das bei allen Wirbeltiergruppen einen ähnlichen Grundbauplan erkennen lässt. Konservierte Charakteristika sind: dorsales Neuralrohr, Chorda, Somiten, Kiemendarm mit Kiemen-(Schlund-)Taschen, knorpelige Kiemenspangen, 4–6 Kiemenbogenarterien, ventrales Herz. Diese Ähnlichkeit, erstmals von Carl Ernst von Baer schon früh im 19. Jahrhundert festgestellt, hat zur Formulierung des „Biogenetischen Grundgesetzes“ durch Ernst Haeckel geführt. Es besagt, dass die Embryonalentwicklung die Phylogenie in verkürzter Form rekapituliere. Am Beispiel des Menschen werden die partielle Gültigkeit und Grenzen dieser „Rekapitulation“ diskutiert und es wird darauf hingewiesen, dass in der phylotypischen Periode die Entwicklung vieler Organe in die Wege geleitet wird und wichtige Induktionsvorgänge stattfinden. Allerdings erschweren Heterochronien die Vergleichbarkeit. So wird die Amnionhöhle bei Primaten viel früher (und in anderer Weise) angelegt als bei den Sauropsiden und Insektivoren. Nach dem phylotypischen Stadium kommt es zu bemerkenswerten Umgestaltungen, bei Säugern vor allem im Bereich des Kopfes und Kiemendarms. Aus den ersten sieben Wirbelanlagen entstehen Hinterhauptschädel, Atlas und Axis. Aus den knorpeligen Spangen des ersten Kiemenbogens, des Mandibelbogens mit dem primären Kieferge-
194
6 Die Embryonalentwicklung des Menschen
lenk, und weiteren Elementen des Kiemendarmskeletts entwickeln sich die Gehörknöchelchen und der Kehlkopf. Die erste Kiemenspalte wird zum Gehörgang. Im Dach und Boden des Kiemendarms bilden sich Adenohypophyse und Schilddrüse; aus Teilen der Kiementaschen Nebenschilddrüsen, Mandeln und Thymus.
Weiteres zur Embryonalentwicklung des Menschen findet sich in Kap. 3 (Befruchtung), Kap. 7 (Sexualentwicklung), Kap. 16 (Nervensystem) und Kap. 17 (Herz und Kreislauf) Medizinische und rechtliche Aspekte werden in den begleitenden Boxen 6.1–6.5, medizinische Belange auch im Kap. 18 (Stammzellen, regenerative Medizin) behandelt.
7
In Vorbereitung auf neues Leben I: Geschlechtsbestimmung und Geschlechtsentwicklung
Um neues Leben starten zu können, muss schon in den künftigen Eltern viel vorbereitet werden: Die Sexualorgane müssen voll entwickelt und die Keimzellen herangereift sein. Die Entwicklung der Sexualorgane beginnt beim Menschen im Embryo; ihre Reife erlangen sie in der Pubertät. Einleitend befassen wir uns mit der Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung im Allgemeinen.
7.1 Wesen der Sexualität 7.1.1 Sex dient der Weitergabe neu kombinierter genetischer Information über Gameten an Nachkommen; dabei steuern im Regelfall Mutter und Vater über ihre Gameten Gene bei, über deren Auswahl der Zufall waltet Wir fassen hier wesentliche Grundlagen des Grundunterrichts zusammen: Sex im Sinne des Genetikers ist primär ein Vorgang, bei dem neue Genkombinationen zusammengestellt und den Nachkommen zugeteilt werden. Bei eukaryotischen Organismen geben in aller Regel zwei verschiedene Individuen mit ihren Gameten (Keimzellen, Geschlechtszellen) jeweils einen Satz von Chromosomen mit ihren Genen (haploides Genom) an die nächste Generation weiter. Die meisten vielzelligen Organismen, darunter nahezu alle vielzelligen Tiere (Ausnahme: Bienendrohn) sind diploid: in den Kernen ihrer somatischen Zellen befindet sich ein doppelter Satz von Chromosomen, einen, den sie von ihrer Mutter und einen, den sie von ihrem Vater geerbt haben. Jedes einzelne zum kompletten Satz gehörende Chromosom ist also in den
somatischen Zellen zweimal vertreten. Da aber jeder Geschlechtspartner dem künftigen Nachkommen nur ein Chromosom eines jeden Chromosomenpaares zuteilen darf, entscheidet bei den Zellteilungen der Meiose (Reifeteilungen) ein Zufallsspiel, welches der beiden zur Auswahl stehenden homologen Chromosomen im Einzelfall in eine Keimzelle befördert wird. Bei der ersten meiotischen Teilung werden ganze (in sich bereits verdoppelte) Chromosomen auf zwei Tochterzellen verteilt. Im Ovar einer Frau erhalte beispielsweise bei der ersten meiotischen Teilung einer Oocyte die künftige Eizelle folgende Kombination: vom Chromosomenpaar Nr. 12 das „mütterliche“, von Nr. 13 ebenfalls das „mütterliche“, von Nr. 14 das „väterliche“. Dem Polkörper hingegen wird jeweils das homologe Gegenstück zugeteilt: von Nr. 12 und 13 das „väterliche“, von Nr. 14 das „mütterliche“. „Väterlich“ bedeutet: dieses Chromosom war zum Lebensbeginn dieser Frau von ihrem Vater über das Spermium beigesteuert worden, „mütterlich“ meint: Ihre Mutter war Trägerin dieses Chromosoms und hatte es über die Eizelle an ihr Kind weitergegeben. Zufall ist auch schon vor der Verteilung der Chromosomen im Spiel, wenn in der Prophase der Meiose je zwei homologe Chromosomen durch Crossover Gene austauschen; denn es gibt zwar bevorzugte aber keine streng festgelegten Orte auf den Chromosomen, an denen der Austausch stattfindet. Ein weiteres Mal kommt der Zufall ins Spiel, wenn im Zuge der Befruchtung zwei Gameten fusionieren; denn es ist offen, welche Gameten sich treffen. Die Neukombination genetischer Informationen läuft also immer dann ab, wenn Nachkommen durch die Fusion haploider mütterlicher und väterlicher Zellen erzeugt werden. Man spricht von sexueller Fort-
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_7,
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In Vorbereitung auf neues Leben I: Geschlechtsbestimmung und Geschlechtsentwicklung
pflanzung. Jeder Nachkomme ist mit einer neuen, aber zufällig zusammengestellten Kombination jener Gene ausgestattet, die der mütterliche und der väterliche Genträger beitragen durften, und die Nachkommen müssen diese Kombination dem Prüfverfahren der natürlichen Selektion unterwerfen. Gameten treten in Form zweier sehr spezialisierter Zellen auf: der Eizelle (Oocyte) und – bei Tieren/Mensch – des Spermiums (Spermatozoon). In einer Reihe von wirbellosen Tieren und Fischen kann ein Individuum beide Typen von Gameten erzeugen, und man spricht dann von Zwittertum, im wissenschaftlichen Sprachgebrauch von Hermaphroditismus (von den mythologischen Gestalten Hermes und Aphrodite der griechischen Antike abgeleitet). Organismen, die eine zwittrige Potenz haben, heißen auch monözisch (griech.: mono D ein, ein einziges; oikos D Haus). Ein in Abschn. 4.4 vorgestelltes Beispiel ist Caenorhabditis elegans. Eine Population dieses Nematoden besteht nur aus Hermaphroditen, oder sie besteht aus Hermaphroditen und einigen seltenen Männchen, die sich mit Hermaphroditen paaren. In der Mehrzahl der Tiere ist die Aufgabe, Eizellen oder Spermien zu erzeugen, auf zwei verschiedene Individuen verteilt. Solche Arten sind diözisch oder heterosexuell. Um die Produktion von Gameten zu optimieren, werden nicht nur die Gonaden, sondern mehr und mehr auch andere körperliche Organe verschieden gestaltet. Dieser Sexualdimorphismus dehnt sich auf Schmuckstücke (wie Farbkleid), Bewaffnung (wie Geweih) und das Verhalten aus. Zwittertum belegt für sich schon bisexuelle Potenz. Bei Geschlechtsdimorphismus muss diese jedoch keineswegs verloren gehen. Sie bleibt grundsätzlich erhalten.
7.1.2
Vielzellige Organismen besitzen grundsätzlich bisexuelle Potenz; doch ein Schlüsselgen oder Umweltgegebenheiten treffen eine Entscheidung
Im Regelfall sind in jedem Individuum (nahezu) alle Gene vorhanden, die zur Entfaltung sowohl des weiblichen wie des männlichen Geschlechts gebraucht werden. Das trifft auch für den Menschen zu; denn sonst könnte eine Frau nicht „männliche“ Gene ihres
Vaters auf ihre Söhne übertragen, und ein Mann nicht „weibliche“ Gene von seiner Mutter auf seine Töchter. Mit anderen Worten: Wir alle sind über die Eizelle und das Spermium mit dem kompletten Inventar von Genen ausgestattet worden, das benötigt wird, um Mann oder Frau zu werden. Einige wenige Ausnahmen werden nachfolgend erläutert. Außer der basalen genetischen Grundausstattung für sexuelle Entwicklung gibt es noch (mindestens) ein Schlüsselgen (Schaltergen, Selektorgen, Meistergen), das alternativ den „männlichen“ oder den „weiblichen“ Gensatz zum Zuge kommen lässt. Bei phänotypischer Geschlechtsbestimmung sind auch die Selektorgene zur Kontrolle der „weiblichen“ und der „männlichen“ Gensätze in jedem Individuum präsent und Umweltbedingungen treffen die Entscheidung, welches Schlüsselgen zum Zuge kommt. Bei genotypischer Geschlechtsbestimmung wird ein „männliches“ (selten ein „weibliches“) Selektorgen nur der einen Hälfte der Nachkommen vererbt. Im Folgenden bezieht sich die Bezeichnung „männliche“ und „weibliche“ Gene auf die Gene, die zur Verwirklichung des einen oder anderen Geschlechts benötigt werden.
7.2 7.2.1
Geschlechtsbestimmung Bei phänotypischer Geschlechtsbestimmung treffen Umweltfaktoren die Entscheidung
Den deutlichsten Beweis dafür, dass bisexuelle Potenz vorliegt, geben Organismen, deren Geschlecht sich in Abhängigkeit von Umweltbedingungen ausprägt oder sogar in Anpassung an Umweltbedingungen wechselt. Bei dem mikroskopisch kleinen marinen Anneliden Ophryotrocha puerilis beispielsweise wird zuerst der männliche Phänotyp realisiert, später im Leben der weibliche. Die Tierchen sind proterandrische Hermaphroditen Wenn der Zufall zwei Weibchen zusammenführt, wird mittels Pheromonen ein Duell ausgetragen. Das schwächere der beiden Würmchen muss sich zum Männchen zurückverwandeln. Treffen sich zwei Männchen, darf sich nur eines der beiden zum Weibchen fortentwickeln. Das Gegen-
7.2 Geschlechtsbestimmung
stück zu Ophryotrocha wäre ein protogyner Hermaphrodit, der zuerst weiblich und dann männlich wird. Bei Krokodilen, vielen Schildkröten (z. B. der europäischen Sumpfschildkröte Emys orbicularis) und einigen Echsen kommt es auf die Umgebungstemperatur an, unter welcher der Embryo im Ei bebrütet wird (er wird in der Regel von der Sonne bebrütet). Über einer kritischen Temperatur kommt in der Regel das männliche Geschlecht zum Zuge, unter dieser Temperatur das weibliche. Ohne vollgültige bisexuelle Potenz wäre eine solche Alternativentscheidung nicht möglich.
Der Mississippi-Alligator lässt die Bebrütungswärme von Mikroorganismen erzeugen, für die er einen Komposthügel errichtet. Bei 30 ı C entwickeln sich zu 100 % Weibchen, bei 33 ı C zu 100 % Männchen. Bei Temperaturen zwischen 32 und 33 ı C entwickeln sich Weibchen und Männchen in unterschiedlichen Verhältnissen. Wie ein eierlegendes Krokodil es schafft, sein Gelege im Kompost so anzuordnen, dass ca. die Hälfte der Eier über der kritischen Temperatur sein wird, die andere Hälfte darunter ist nicht bekannt. An Evolutionstheorie interessierte Biologen fragen andererseits: Ist es denn immer zweckmäßig, dass ein 50 W 50-Verhältnis herrscht? Es wird vermutet, auch aufgrund von Untersuchungen an australischen Eidechsen (Amphibolurus muricatus), dass es für die Fitness einer Population günstiger sein könnte, wenn je nach den Umweltgegebenheiten mal mehr, mal weniger Weibchen beschränkte Nahrungsressourcen zur Eiproduktion in Anspruch nehmen. Die Bebrütungstemperatur könnte als Umwelt-abhängiges Regulativ wirken. Zoologen mit Sinn für ironischen Humor weisen gern auf weitere Beispiele phänotypischer Geschlechtsbestimmung. Ausgewachsene Anglerfische der Tiefsee (Gattung Edryolichnus) sind stets Weibchen. Um einen garantiert treuen Sexpartner zu bekommen, fangen sie eine Larve der eigenen Spezies ein. Diese verwächst mit dem Weibchen und wird zum Minimännchen, das auf Abruf durch seine dominante
197
Ehepartnerin als Samenspender fungiert. Das Minimännchen braucht sich nicht um Nahrung zu kümmern, bleibt aber zeitlebens gefangen. Entgeht eine Larve diesem Schicksal, weil sie sich nicht einfangen lässt, wird sie selbst zum Weibchen und damit zum Angler. Einer ähnlichen Schicksalsentscheidung unterliegen die Larven des Anneliden Bonellia viridis. Das Zwergmännchen lebt hier in den Nephridien des dunkelgrünen Weibchens. Einen Geschlechtswechsel wie bei Ophryotrocha findet man bei der Pantoffelschnecke Crepidula. Sie bildet Tierketten, in denen das unterste, größte Tier weiblich ist, das am weitesten oben sitzende hingegen männlich. Dazwischen finden sich (infertile) Intersexe. Die Geschlechtsbestimmung erfolgt auch hier über ein oder mehrere Pheromone.
7.2.2
Bei genotypischer Geschlechtsbestimmung treffen Schaltergene (Selektorgene) die Entscheidung; diese können auf besonderen „Geschlechtschromosomen“ liegen
Bei genotypischer Geschlechtsbestimmung führen besondere, ungleich verteilte Schlüssel- oder Schaltergene die Alternativentscheidung ♂ versus ♀ herbei. Solche Schlüsselgene wird man auf jenen Chromosomen suchen, die im weiblichen und männlichen Geschlecht nicht in gleicher Form oder gleicher Zahl vorliegen. Diese nennt man Heterosomen; ihnen stehen die Autosomen gegenüber, von denen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede bekannt sind. Die Heterosomen nennt man, etwas irreführend, auch Geschlechtschromosomen. Irreführend insofern, als der Begriff Geschlechtschromosom nicht erkennen lässt, dass es nur auf ein Geschlechts-entscheidendes Schaltergen ankommt. Geschlechtschromosomen beherbergen nie alle für die Geschlechtsentwicklung erforderlichen Gene. Wenn ein dominierendes Schaltergen den Weg zum männlichen Geschlecht öffnet, wird das Heterosom, das dieses Gen trägt, in der Regel Y-Chromosom ge-
198
7
In Vorbereitung auf neues Leben I: Geschlechtsbestimmung und Geschlechtsentwicklung
Tab. 7.1 Heterosomenkonstitution Tiergruppe
Das homogametische Geschlecht
wird
Das heterogametische Geschlecht
wird
Säuger, Mensch
XX
♀
XY
♂
Drosophila
XX
♀
X (Y ohne Bedeutung)
♂
Schmetterlinge
ZZ
♂
WZ
♀
Vögel
ZZ
♂
WZ
♀
nannt. Sein ungleicher Partner, dem dieses Gen fehlt, heißt dann X-Chromosom. Wenn ein dominierendes Schaltergen den Weg zum weiblichen Geschlecht öffnet, wird das Heterosom, welches dieses Schaltergen trägt, in der Regel WChromosom genannt sein Partner Z-Chromosom. Über das Vorkommen von Heterosomen und weitere Begriffe informiert Tab. 7.1. Beim Menschen liegt die Mehrzahl der Gene, die für die Entwicklung geschlechtlicher Merkmale gebraucht werden, auf den 44 Autosomen. Das entscheidende Schlüsselgen jedoch liegt auf dem YChromosom (wo sich zusätzlich noch einige Gene befinden, die speziell für die Spermienentwicklung benötigt werden). Genotypische Geschlechtsbestimmung geschieht im Tierreich keineswegs nach einem einheitlichen Muster, auch nicht, wenn die Bezeichnung der Heterosomen dies nahe legt, wie folgender Vergleich zeigt: Der Nematode Caenorhabditis elegans: XX ! Hermaphrodit; rein weibliche Individuen gibt es nicht. X ! männlich (X0 durch Verlust eines X in der Gametogenese bei der Meiose). Nur in X0Individuen ist das Gen lethal eingeschaltet, das seinerseits das Hermaphroditen-determinierende Gen transformer-1 (tra-1) abschaltet. Die Taufliege Drosophila: Bei Drosophila kommt es primär darauf an, wie viele X-Chromosomen dem Autosomensatz (NichtGeschlechtschromosomen) gegenüberstehen: XX: A ! weiblich, X: A ! männlich (ein Y-Chromosom ist zwar vorhanden, zählt aber nicht bei der Geschlechtsbestimmung). Von Genen der X-Chromosomen und der Autosomen leiten sich wiederum Faktoren ab, die sinnigerweise Numeratoren (Zähler) und Denominatoren
Abb. 7.1 Gynander bei einem sexualdimorphen Schmetterling
(Nenner) genannt werden. Überwiegen die sich vom X-Chromosom ableitenden Numeratoren, kommt es zum Einschalten des ♀ bestimmenden Sex-lethal (Sxl)Gens. Die ♂ Entwicklung ist hier die „default option“ d. h. sie kommt von selbst zu tragen, wenn das Sxl-Gen schweigt. Gynander: Im Einzelnen sind die Prozesse der Geschlechtsbestimmung bei Drosophila sehr kompliziert und sollen hier nicht vertieft referiert werden. Erwähnt werden soll aber eine besondere Kuriosität, die bei Insekten möglich ist. Es gibt bei Insekten keine Sexualhormone, die eine einheitliche Entwicklung geschlechtsspezifischer Merkmale im ganzen Körper erzwingen könnten, wie das bei Säugern der Fall ist. Passiert nun während der Embryonalentwicklung eines XX-Individuums bei einer Zellteilung eine Fehlverteilung, sodass eine Tochterzelle die Konstitution XXX, die andere XO erhält, so werden alle Nachkommen der XO-Zelle zellautonom männliche Charakteristika entwickeln. Solche Fliegen (oder Schmetterlinge) bestehen dann aus Mosaiken von Zellklonen, die ♀ sind (XX, oder XXX), und Zellklonen, die ♂ sind (X0). Das kann für den kundigen Betrachter auch äußerlich sichtbar sein. Man spricht von Gynandern (griech.: „Weibmänner“, Abb. 7.1). Säugetiere/Mensch: Ein auf dem Y-Chromosom liegendes Gen, Sry, dirigiert die Entwicklung in die männliche Richtung. Eine weibliche Entwicklung kommt von selbst in Gang, wenn das Sry-Gen fehlt. Bei Säugetieren verhält es sich hinsichtlich der default option also umgekehrt wie bei Drosophila. Näheres zur Geschlechtsbestimmung und Geschlechtsentwicklung des Menschen wird nachfolgend ausgeführt.
7.3 Die frühe Sexualentwicklung bei Säugern und dem Menschen
199
Pronephros (Vorniere) Müllerscher Gang Mesonephros (Urniere) mit Flimmertrichter Gonade mit Oogonien (Eileiter) und Spermatogonien Harnblase Y-Chromosom abwesend
Y-Chromosom anwesend Wolffscher Gang (Samenleiter) Harnblase
Eileiter
Harnblase Höcker
Uterus
Ovar
indifferentes Ausgangsstadium
Hoden
Prostata
a
Vagina Klitoris
Hodenabstieg Skrotum Penis Hodenkanäle mit Samen
b
große kleine Schamlippen
c
Abb. 7.2 Entwicklung der inneren Sexualorgane beim Säuger/Menschen aus einem gleichartigen, noch indifferenten Primordium. a Überblick über einen früheren Zustand. b Beginnende Entwicklung in männliche Richtung, Zustand nach Rückbildung des Müllerschen Ganges unter der Wirkung des
von Testosteron induzierten AMDF (Anti-Mullerian Duct Factor) c Entwicklung in weibliche Richtung Vergrößerung des Müllerschen Ganges zum Eileiter und Rückbildung des Wolffschen Ganges bei fehlendem Testosteron
7.3
phrogenen Mesenchym und der Gonadenanlage bilden sich die Nieren und Gonaden sowie deren Ausführgänge. Drei Abschnitte gliedern sich aus dem ursprünglichen Holonephros ab: der craniale (kopfwärts gerichtete) Pronephros (Vorniere), der reduziert wird und dem der Müllersche Gang zugeordnet wird, der Mesonephros (Urniere), der den Wolffschen Gang bildet und später als Samenleiter für die männliche Gonade (Hoden) genutzt wird und schließlich der Metanephros (Nachniere), dessen neuer, gesonderter Gang als Ureter den Harn der Nieren ableitet. Zur Ausleitung der weiblichen Gonaden (Eierstöcke) bildet sich aus dem Coelomepithel in Nachbarschaft zum Pronephros ein cilienbesetzter Kanal, der erwähnte Müllersche Gang, der anfänglich mit einem Flimmertrichter im Coelom beginnt und später zum Eileiter wird Durch Fusion der letzten Abschnitte der paarigen Müllerschen Gänge entstehen schließlich Uterus und Vagina. Die eigentlichen Gonaden entstammen einem mesodermalen Primordium, dessen Entwicklung und Spezifikation wir im Folgenden genauer unter die Lupe nehmen.
Die frühe Sexualentwicklung bei Säugern und dem Menschen
7.3.1 Primär entstehen indifferente Gonaden; sie bilden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den embryonalen Nieren; ein gemeinsames Primordium liefert später die Ausführgänge In der Embryonalentwicklung der Säuger entstehen Gonaden und Nieren mit ihren ausleitenden Gängen in enger Nachbarschaft (Abb. 7.2) und zum Teil aus gemeinsamen Anlagen. Der Begriff Urogenitalsystem für Harn- und Fortpflanzungsorgane trägt diesem Umstand Rechnung. Das Anlagematerial für beide Organsysteme stammt aus dem sogenannten intermediären Mesoderm, das zwischen den Somiten und den Seitenplatten (Segmentstiel, Abb. 5.10) liegt. Aus dem ursprünglichen bewimperten Schlauch des Holonephros und zwei benachbart liegenden mesodermalen Anlagen, dem ne-
200 Abb. 7.3 Sexuell indifferente Gonade und Wirkung des vom Sry-Gens codierten SRY-Faktors D TDF (TestisDetermining Factor) auf die noch indifferente Gonade. Die Sertoli-Zellen werden angeregt, den hormonalen Faktor AMDF auszusenden, die Leydig-Zwischenzellen werden stimuliert, das männliche Sexualhormon Testosteron zu produzieren und freizusetzen
7
In Vorbereitung auf neues Leben I: Geschlechtsbestimmung und Geschlechtsentwicklung
Sry-Gen
SRY-Protein = testis-determining factor TDF
potentielle Oogonien
potentielle Spermatogonien
LeydigZwischenzellen Sertoli-Zellen
Testosteron Anti-Müllerian-Duct Factor AMDF
männliche somatische und psychische Weiterentwicklung
7.3.2 Sexualentwicklung ist ein Vielstufenprozess, bei dem ein indifferenter Ausgangszustand in divergente Bahnen gelenkt wird; diese enden bei geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen Die basale bisexuelle Potenz, die uns allen im Erbgut mitgegeben worden ist, kommt in der Embryonalentwicklung auch morphologisch zum Ausdruck. Anfänglich sind alle somatischen Merkmale, die Gonaden inbegriffen, in beiden künftigen Geschlechtern
Reduktion des potentiellen Eileiters (Müllerscher Gang)
gleich. In den Gonaden ist dieser bisexuelle Ausgangszustand dadurch dokumentiert, dass anfänglich sowohl Oogonien als auch Spermatogonien vorliegen. Auch die Anlagen der weiteren Organe, die im Dienste der sexuellen Fortpflanzung stehen, werden für beide Geschlechter vorbereitet oder sind in ihrer Struktur zunächst indifferent (Abb. 7.2, 7.3, 7.4 und 7.5). Ausgehend von der Aktivität eines Schaltergens, das im Verlauf der Embryonalentwicklung in den Gonaden eingeschaltet wird – oder eben fehlt, wird eine Alternativentwicklung in die Wege geleitet, die in mehreren Stufen männliche oder weibliche Züge verwirklicht. Das Geschlecht wird in folgenden Schritten festgelegt:
7.3 Die frühe Sexualentwicklung bei Säugern und dem Menschen Abb. 7.4 Weitere Entwicklung der Sexualorgane aus einem indifferenten Anfangsstadium heraus. Von den paarigen Anlagen ist jeweils nur die linke oder rechte dargestellt
201
Wolffscher Gang
Pronephros (Vorniere)
Glomerulus
Mesonephros (Urniere)
Hodenkanäle
Tube
Cortex mit Oocyten
Müllerscher Gang Eileiter Müllerscher Gang, degenerierend
Gonade Hoden
Nebenhoden
spätere Verlagerung
Ovar
Nachniere
Metanephros (Nachniere)
Ureter
Follikel mit Oocyten
Hodenkanälchen
Tube
Nebenhoden
Hoden
Ovar
Prostata
Eileiter
Samenblase Uterus
1. Genetisches Geschlecht 2. Gonadales Geschlecht (Hoden versus Ovar) 3. Somatisches Geschlecht (körperliche Morphologie) 4. Psychisches Geschlecht Gonadales, somatisches und psychisches Geschlecht des Menschen entwickeln sich ihrerseits in zwei Phasen: 1. eine embryonale Phase, in welcher die primären Geschlechtsmerkmale ausgeprägt werden, und die 2. Ausreifung in der Pubertät, in welcher Hoden beginnen, Spermien zu produzieren, Ovarien ihre Eier zur Reife bringen, und in der die sekundären Geschlechtsmerkmale zum Vorschein kommen (z. B. Bart) oder zur Reife gelangen (z. B. Brust, Stimmlage).
7.3.3 Das genetische Geschlecht: Ein einzelnes, dominierendes Gen bestimmt, ob man Mann oder Frau wird Die erste Grundentscheidung fällt im Augenblick der Befruchtung: Welches Spermium erreicht als erstes die Eizelle, um mit ihr zu fusionieren? Da alle Oocyten gleichermaßen mit einem X-Chromosom ausgestattet sind, kommt es auf das jeweilige Spermium an: Bringt es ebenfalls ein X-Chromosom mit, wird der Embryo XX (homogametisch), und es wird im Regelfall ein Mädchen geboren werden. Bringt das Spermium ein Y-Chromosom mit, wird der Embryo XY (heterogametisch), und es wird ein Junge geboren. Entscheidend ist, ob ein Y-Chromosom (Abb. 7.6) zugegen ist; denn es trägt ein dominantes, männlich-
202
7
In Vorbereitung auf neues Leben I: Geschlechtsbestimmung und Geschlechtsentwicklung
Genitalhöcker Urogenitalspalt Urethralfalte Genitalwulst
Glans penis (Eichel)
Klitoris Labium minus
Penisschaft Scrotum
Labium majus
Analfalten Abb. 7.5 Entwicklung der äußeren Genitalien aus einem indifferenten Anfangsstadium heraus
determinierendes Selektorgen Sry (Sex-determining region of the Y chromosome). Dieses Gen codiert für den Faktor SRY, der vor der Identifizierung des SryGens Testis-Determining Factor TDF genannt wurde. SRY hat eine DNA-bindende Domäne, die von der HMG-Box (HMG D High Mobility Group) des Gens codiert wird. Ein 14kb-Fragment dieses Gens, das die HMG-Gruppe umfasste, in XX-Eizellen der Maus eingebracht, machte aus XX-Embryonen ♂ Mäuse. Ein einziges Schaltergen kann bestimmen, ob man Mann oder Frau wird! Dem Mechanismus der genetischen Geschlechtsbestimmung war man auf die Spur gekommen durch genetisch bedingte Fehlsyndrome. Die besondere Bedeutung des Y-Chromosoms ließ sich ableiten vom – XXY Klinefelter Syndrom. Solche Individuen sind phänotypisch männlich. – X0 Turner Syndrom. Fehlt das Y-Chromosom (0 heißt Fehlen eines Chromosoms), wird der Phänotyp weiblich (doch bleiben X-Individuen unfruchtbar). Klinefelter- und Turner-Syndrom kennt man nicht nur vom Menschen, sondern auch von anderen Säugern (z. B. Katzen).
Das Sry-Gen im Besonderen wurde identifiziert, nachdem man seltene sexuelle Fehlentwicklungen entdeckt hatte, in denen augenscheinlich das körperliche Geschlecht nicht in Einklang mit dem chromosomalen stand. Translokation, XX und dennoch männlich: Xund Y-Chromosom waren vor Urzeiten mutmaßlich zwei homologe Chromosomen denn sie sind es heute noch am Ende der kurzen Chromosomenarme (Abb. 7.6). Wenn sich in der Prophase der Meiose die homologen Chromosomen paaren und durch Crossover Chromosomenstücke austauschen, können auch die X- und Y-Chromosomen mit ihren homologen Enden Kontakt miteinander aufnehmen und Stücke austauschen. Das Sry-Gen liegt knapp unterhalb der bevorzugten Austauschstelle, aber in seltenen Fällen wechselt es doch einmal vom Yzum X-Chromosom. Dann können Individuen geboren werden, die chromosomal XX sind, aber auf Grund des Sry-Gens auf einem ihrer beiden XChromosomen männlich werden. Translokationen der genannten Art waren auch bei Mäusen beobachtet worden, und dies ermöglichte die Suche nach dem entscheidenden Gen auf der verdächtigen Region des Chromosoms (mit der sehr aufwändigen Methode der Positionsklonierung). Translokation nur des Sry-Gens auf ein X hat zwar zur Folge, dass der Empfänger eines solchen XSry-Chromosoms männlich wird mit allen äußerlich erkennbaren Attributen und seinem Verhalten. Ein solches Individuum mit XX-Sry-Konstitution wird aber infertil sein, weil das Y-Chromosom auch Gene trägt, die für die Spermiogenese benötigt werden, aber nicht transloziert wurden. Allerdings sind nicht alle für die Spermiogenese benötigten Gene auf dem Y-Chromosom konzentriert, andere liegen auf dem XChromosom. Nullmutation, XY und dennoch weiblich: das Rspondin1-Gen: Das weibliche Geschlecht ist bei Säugern einschließlich des Menschen der Grundzustand. Er stellt sich ein, wenn das Sry-Gen defekt ist und deshalb die sonst durch SRY inhibierte ♀-bestimmende Signalkaskade in Gang kommt Sry hat als Y-gekoppeltes Gen im XXGenotyp keinen intakten homologen Partner (also kein zweites Allel), der den Defekt kompensieren könnte. Nach dem Chromosomenbild wird zwar eine XY-Konstitution diagnostiziert, doch das Fehlen der Sry-Funktion genügt, um die Entwicklung
7.3 Die frühe Sexualentwicklung bei Säugern und dem Menschen Abb. 7.6 Crossover zwischen X- und Y-Chromosom. a Crossover zwischen homologen Bereichen von Xund Y-Chromosomen ohne Transfer des Sry-Locus vom Y- auf ein X-Chromosom; b Translokation der männlichbestimmenden Sry-Region vom Y-Chromosom auf ein X-Chromosom im Zuge eines seltenen Crossovers
203
häufiges Crossover ohne Sry-Translokation
seltenes Crossover mit Sry-Translokation
Sry Centromer
für Spermatogenese benötigte Gene
Androgen(Testosteron-) Rezeptor
X-Chromosom mit Sry-Gen
Y
Y
u.a. einige für Ovarentwicklung benötigte Gene
X
a
in weibliche Richtung zu lenken, weil ein Gen mit weiblich-bestimmender Steuerfunktion in Aktion tritt. Es ist nach gegenwärtiger Auffassung das autosomale Gen R-spondin1, das beim Menschen auf dem Chromosom 1 liegt und das Peptid RSPO1 codiert. Dieses gehört einer Gruppe von Peptiden an, welche WNT-Signalkaskaden aktivieren. Es wirkt im Fall der Ovar-Entwicklung synergistisch mit WNT4. Bei Anwesenheit des aktiven Sry-Gens wird das R-spondin1-Gen und damit die weibliche Geschlechtsbestimmung ausgebremst (Abb. 7.7).
7.3.4 Das gonadale Geschlecht: Aus einer zwittrig angelegten Gonade wird alternativ ein Hoden oder ein Ovar Die Gonade ist zunächst indifferent. Urkeimzellen besiedeln sowohl als potenzielle Oogonien die Rindenschicht als auch als potenzielle Spermatogonien die zentrale Medulla (Abb. 7.3). Bei der XYKonstitution wird das SRY-Gen eingeschaltet, beim Menschen in der siebten Schwangerschaftswoche für
X
b
ein paar Stunden. Das vom Sry-Gen codierte SRYProtein (TDF) nimmt seine Rolle als Transkriptionsfaktor wahr, schaltet eine Reihe von Genen ein, die für die männliche sexuelle Entwicklung erforderlich sind, und schaltet andere Gene aus. Als Folge gehen die Urkeimzellen des Cortex (potenzielle Oogonien) zugrunde. Die Gonade wird damit zum Hoden; die Stützzellen (supporting cells) der Gonade werden zu Sertoli-Zellen und beginnen, den hormonellen Faktor Anti-Müllerian Duct Factor AMDF zu erzeugen; die Steroid-Vorläuferzellen werden zu den Leydigschen Zwischenzellen und produzieren das androgene (♂-bestimmende) Sexualhormon Testosteron (Abb. 7.3, 7.8 und 7.9). Ist das Sry-Gen nicht zugegen oder defekt, wird aus der indifferenten Gonade ein Ovar: In diesem Fall werden die Stützzellen zu Follikelzellen, die Steroid-Vorläuferzellen zu den interstitiellen Zellen (Thecazellen) und produzieren als ♀ Sexualhormone Oestrogene (Östrogene), besonders Oestradiol (Östradiol, estradiol) (Abb. 7.8).
204
7
In Vorbereitung auf neues Leben I: Geschlechtsbestimmung und Geschlechtsentwicklung
Externe Signale von somatischen XY-Zellen
Externe Signale von somatischen XX-Zellen
Gonaden-autonome Prozesse Somatische StützzellenVorläufer
FGF-9
WNT-4 Stützzellen
Stützzellen
mit XX-Chromosomen
mit Y-Chromosom und SRY-Gen
Gen R-spondin1 auf Chromosom1
Sox9 Follikelzellen (Granulosa)
Sertolizellen Indifferente Urkeimzellen
Leydigzellen
Thecazellen Östradiol
Testosteron Spermatogonien Mitotischer Block
a
Oogonien Eintritt in die Meiose
Balancierte einander hemmende Signale aus der Umgebung der Gonade FGF9 Y-Chromosom SRY
Chromosom 1 R-spondin1
Wnt4
Wnt4
Sox9
FGF9
FGF9 XX
Testis (Hoden)
b
Wnt4
Sox9
XY
XX
XY
hemmt
Abb. 7.7 Entscheidende Faktoren bei der Geschlechtsdetermination im Fetus des Menschen. a Primär sind Faktoren von Bedeutung, die von somatischen Zellen in der Gonade und ihrer Umgebung ausgehen. Die Urkeimzellen selbst werden sekundär
Ovar (Eierstock)
induziert
selektioniert; es gehen entweder die Spermatogonien oder die Oogonien zugrunde. b Balkenwaagemodell der Geschlechtsbestimmung adaptiert und modifiziert nach Kim et al. (2006); Lau und Li (2008)
7.3 Die frühe Sexualentwicklung bei Säugern und dem Menschen Abb. 7.8 SteroidSexualhormone
205
Androgene (C19-Steroide) OH
O
Androstendiol HO
Androstendion
O
OH
Aromatase Testosteron
Östron
O 5α-Reduktase
Aromatase OH
OH
Östradiol
5α-Dihydro-Testosteron HO
O H
H
7.3.5 Die Alternativentscheidung wird durch gegenläufige, von somatischen Zellen ausgesandten Signalen herbeigeführt; sie bringen eine Balkenwaage auf die eine oder andere Seite zum Kippen Manche sexuelle Fehlentwicklung auch des Menschen fand erst eine Erklärung, als man in anderen Säugetieren Signalmolekülen auf die Spur kam, die abhängig von der XY- oder XX-Konstitution von zwei gegenüberliegenden Seiten auf die Gonade einwirken und ihre Entwicklung in gegenläufigem Sinn lenken. Ist das Sry-Gen im Geschäft, wird erst von somatischen Zellen in der Peripherie der Gonade, welche an das Coelom angrenzen und dann auch von somatischen Zellen innerhalb der Gonade selbst
Gynogene = Östrogene (C18-Steroide)
das Signalmolekül FGF9 (Fibroblast Growth Factor 9) ausgesandt (Abb. 7.7). FGF9 unterdrückt das WNT-4/ˇ-Catenin-System, das die Gonaden Richtung weibliche Entwicklung lenken würde, und es werden untergeordnete Gene eingeschaltet, welche die Stützzellen zu Sertoli und Leydigzellen machen. Damit ist die Entwicklung zum Hoden eingeleitet. (Das WNT/ˇ-Catenin-System – sprich „Wint-beta-Catenin“ – wird in Kap. 11 näher besprochen.) Wenn hingegen bei einer XX-Ausstattung das SryGen fehlt, kommt eine Kettenreaktion in Gang, welche die Waage Richtung weibliches Geschlecht zum Kippen bringt. In somatischen Zellen auf der gegenüberliegenden, an den Mesonephros (Abb. 7.4) angrenzenden Seite der Gonade wird das Gen R-spondin1 aktiv. Das hiervon abgeleitete
206
7
In Vorbereitung auf neues Leben I: Geschlechtsbestimmung und Geschlechtsentwicklung Hypothalamus
Abb. 7.9 Überblick über Hormone, welche die Sexualentwicklung eines Säugers/Menschen steuern, aus Müller und Frings (2009)
Gonadotropin- Releasing Hormon Gn- RH
Hypophyse
LH FSH = ICSH
Hodenkanälchen, quer Ser toliZwischenzelle
LeydigZwischenzellen
Gelbkörper
Follikel
BlutKapillare
Ei Ovar Hoden
Oestradiol
Progesteron
Testosteron
FSH
2
FS H
Leydig-Zelle
FSH 2
3
LH
H FS 1
+
And
roge
ne
A ro ma ta se
+ 4
FSH 1
FSH 3 L H
+ Oestradiol induziert mehr
Testosteron
Blutkapillare
Peptid, RSPO1 aktiviert das WNT-4/ˇ-CateninSignalsystem, welches die Expression von FGF9 zum Erliegen bringt. Damit wird die Entwicklung einer männlichen Gonade verhindert, und stattdessen bildet sich ein Ovar mit Follikel und Thecazellen. R-spondin1 liegt beim Menschen auf dem Chromosom 1, ist also autosomal und im Gegensatz
FSH-Rezeptoren Theca Granulosa 5 des Follikels Oestradiol
4
Oocyte
zum Sry-Gen in beiden Geschlechtern vorhanden. Aktiv kann es aber nur bei Abwesenheit von Sry werden. Sind R-spondin1 oder WNT-4 homozygot defekt, bleiben die FGF9-Sender aktiv und die Gonade wird, wie aus dem Schema Abb. 7.7 abzuleiten ist, auch in XX-Feten zum Hoden; es kommt also letztendlich zu einer Maskulinisierung.
7.3 Die frühe Sexualentwicklung bei Säugern und dem Menschen
7.3.6 Das somatische Geschlecht: Hormone dirigieren eine indifferente Anlage für Sexualorgane in eine alternative Fortentwicklung; dabei kommt dem Testosteron besondere Bedeutung zu Die Entwicklung der inneren und äußeren Sexualorgane, welche die biologische Funktion von Hoden und Ovar unterstützen, geht ebenfalls von einem indifferenten Anfangsstadium aus. So sind vorsorglich sowohl ein potenzieller Eileiter, ein Müllerscher Gang, als auch ein potenzieller Samenleiter, ein Wolffscher Gang, angelegt (Abb. 7.2 und 7.4), und auch in den äußeren Genitalien lässt die phänotypisch indifferente Ausgangsmorphologie eine Entwicklung sowohl in feminine Richtung als auch in maskuline Richtung zu (Abb. 7.4). Bei der XY-Konstitution atrophiert der Müllersche Gang, vermittelt durch das hormonale Protein AMDF, während das androgene Steroidhormon Testosteron die Weiterentwicklung des Wolffschen Ganges zum Samenleiter sowie die Entwicklung der äußeren Genitalien zu Scrotum und Penis ermöglicht. Das von den Leydig-Zellen produzierte, über die Blutbahn verteilte Testosteron wird in den Zielorganen in die wirksame Endform überführt. In der frühembryonalen Anlage der äußeren Genitalien (Genitalleisten) ist eine 5˛-Reductase exprimiert, die das Testosteron in das aktive 5˛-Dihydrotestosteron umwandelt (Abb. 7.8). Ausfall von Testosteron, mangelnde 5˛-Reductase oder defekte Testosteronrezeptoren (meistens allgemein Androgenrezeptoren genannt) führen trotz XY-Konstitution zu einer phänotypischen Verweiblichung (testiculäre Feminisierung). Testiculäre Feminisierung ist das Gegenstück zu den Fällen, in denen trotz einer XX-Konstitution ein männlicher Phänotyp entsteht (bei XX, weil eines der beiden X-Chromosomen ein transloziertes Sry trägt und folglich die Leydig-Zellen Testosteron produzieren). Die Aussage, die weibliche Entwicklung komme beim Fehlen von SRY oder Testosteron von selbst in Gang, darf nicht so verstanden werden, als spielten die weiblichen Sexualhormone in der weiblichen Se-
207
xualentwicklung keine unverzichtbare Rolle. Nur: Es genügt das Fehlen eines funktionstüchtigen SRY, damit R-spondin1 auf Chromosom1 zum Zuge kommt und im weiteren Verlauf der Kettenreaktion die Produktion von Östrogenen und Gestagenen in Gang kommt. Östradiol ist in der Tat wichtig. Fällt (bei weiblichen Mäusen) Östradiol aus (oder der ÖstradiolRezeptor, oder die Aromatase), können im Ovar sogar „männliche“ somatische Zellen einschließlich Sertoliund Leydigzellen entdeckt werden. Umgekehrt beeinträchtigen manche Fremdsubstanzen, die wie Östradiol wirken (Xenoöstrogene), die Fertilität männlicher Individuen stark (s. Box 6.3).
7.3.7 Androgene und Östrogene gibt es in beiden Geschlechtern Bedeutsamste anatomische Quelle der Sexualhormone sind die Gonaden. Doch auch die Nebenniere liefert solche Hormone, besonders zu Beginn der Pubertät, wenn auch in weit geringerem Maße. Mit steigender Empfindlichkeit der Nachweismethoden wurden verstreut weitere kleine Syntheseorte für Sexualhormone entdeckt, überraschenderweise sogar im Gehirn In Datenbanken sind Angaben zu Sexualhormonen des Gehirns auch unter dem Stichwort neurosteroids abrufbar. Die Bedeutung dieses Befundes kann gegenwärtig nicht, oder nur ansatzweise, abgeschätzt werden. Überraschend mag auch dies sein: Wichtigste biochemische Quelle des weiblichen Sexualhormons Östradiol ist das androgene Sexualhormon Testosteron. Testosteron wird im weiblichen Organismus an mehreren Orten mittels einer Aromatase in Östradiol umgewandelt (Abb. 7.8), außer im Ovar beispielsweise auch im Fettgewebe der Brust und in Knochen. Solche Umwandlungen sind in aller Regel nicht 100 %ig, und so lassen sich auch im Blut der Frauen Spuren von Testosteron nachweisen. Umgekehrt wird im männlichen Geschlecht in gewissem Umfang auch Aromatase exprimiert und entsprechend finden sich Spuren von Östrogenen auch im männlichen Geschlecht.
208
7
In Vorbereitung auf neues Leben I: Geschlechtsbestimmung und Geschlechtsentwicklung
Hypothesen: Androgene sollen bei Frauen die Libido fördern. Der „Pille“ wird Progestin, Derivat des 19-Nortestosterons, beigemischt, um die Libido-dämpfende Wirkung der Östrogene zu kompensieren. Östradiol wiederum soll im Mann in Gemeinschaft mit dem Hypophysenhormon Prolactin fürsorglich väterliches Verhalten fördern. Prolactin ist als Hormon der Frau bekannt geworden; denn es fördert während einer Schwangerschaft das Heranwachsen der Milchdrüsen; doch mehren sich die Indizien, dass dieses Hormon nicht ohne biologische Funktion auch im Mann produziert wird.
7.4 Das psychische Geschlecht und postnatale Sexualentwicklung 7.4.1
Nach Befunden an Tieren sind auch die Struktur bestimmter Gehirnareale und die Verhaltensdisposition Östrogen- und Testosteron-abhängig
Werden trächtige Ratten mit Testosteron behandelt, benehmen sich nicht nur ihre XY-Nachkommen, sondern auch ihre XX-Nachkommen wie ♂. Bei Mäuseartigen zeigen paarungsbereite Weibchen ein Verhalten, das man Lordose nennt. Sie krümmen ihren Rücken so, dass ihre Vagina nach oben zeigt, und wenden den hinderlichen Schwanz beiseite. Mit Testosteron behandelte Tiere zeigen dieses Verhalten nicht; stattdessen versuchen sie, auf Weibchen aufzuspringen, und sie sind gegen Männchen aggressiv. Ähnliche Beobachtungen wurden bei anderen Säugern gemacht. Die Prägephase liegt generell noch vor der Geburt, wenn auch bei manchen Säugern mit Hormonspritzen selbst nach der Geburt das spätere Verhalten noch modifiziert werden kann. Wenn die Geschlechtsreife erreicht wird (beim Menschen in der Pubertät) wird durch vermehrte Ausschüttung von Testosteron die Prägung aufgefrischt und verstärkt. Ausfall von Testosteron in der Präge- und Verstärkungsphase, oder unzulängliche Testosteronrezeption im Gehirn, könnten umgekehrt weibliches Verhalten bei XYKonstitution bedingen.
Prägung im Sinne der Verhaltensbiologie dürfte sich in der Feinstruktur synaptischer Verknüpfungen in bestimmten Gehirnarealen widerspiegeln. Beispielsweise wurde über sexuell dimorphe feinstrukturelle Unterschiede im weiblichen und männlichen Gehirn berichtet, so im Riechhirn und in einem Gebiet des optischen Zentrums der Ratte. Bei Singvögeln hat man Testosteron-abhängige feinstrukturelle Unterschiede in Arealen diagnostiziert, die für die Programmierung des männlichen Werbegesangs zuständig sind. Diese Areale beginnen in jedem Frühjahr zu proliferieren. Auch beim Menschen werden mehr und mehr Unterschiede in der Struktur des Gehirns von Mann und Frau oder im Expressionsmuster geschlechtsbezogener Gene beschrieben. Das Gesamtgehirn des Mannes ist im statistischen Mittel voluminöser und schwerer als das der Frau. Das männliche Gehirn wiegt durchschnittlich 1375 g und hat ein Volumen von 1446 cm3 , das weibliche bringt einen Durchschnittswerte von 1245 g auf die Waage und hat ein Volumen von 1130 cm3 . Größeres Gesamtvolumen und Gewicht des männlichen Gehirns bedeuten jedoch nicht eine größere Anzahl von Nervenzellen in jenen Gehirnregionen, die in der Evolution parallel mit den geistigen Fähigkeiten des Menschen eine so enorme Entfaltung erfuhren. Die Vergrößerung betrifft beispielsweise nicht, oder nur geringfügig, den präfrontalen Cortex (Stirnrinde), dem eine besonders große Bedeutung für kognitive Prozesse und das Langzeitgedächtnis zugeschrieben wird. In einzelnen Regionen scheint es jedoch durchaus Korrelate zu Begabungsschwerpunkten zu geben. Hier einige Beispiele: Dreidimensionale Magnetresosanzbilder lassen errechnen, dass die Windungen in der rechten Stirnrinde und der rechten Schläfenrinde der Frau komplexer sind als beim Mann Diese Komplexität spiegelt die Zahl der Neurone in den peripheren Schichten des Cortex wider und wird mit kognitiven, musikalischen und sprachlichen Fähigkeiten in Beziehung gebracht. Auch ist das in Relation zum gesamten Gehirnvolumen gesetzte Volumen des Sprachzentrums der Frauen größer als das der Männer, und es liegt nahe, dies mit der größeren verbalen Gewandtheit der Frauen in Beziehung zu bringen.
7.4 Das psychische Geschlecht und postnatale Sexualentwicklung
Box 7.1: Störungen der Sexualentwicklung beim Menschen und mögliche Ursachen Es werden hier einige Begriffe erläutert, die im medizinischen Schrifttum gebraucht werden, und einige der Fälle gestörter Sexualentwicklung vorgestellt, denen der Mediziner nicht allzu selten begegnet.
Genetisch bedingte und in pränatalen Störungen begründete somatische Abweichungen von der Norm Unfruchtbarkeit der Frau Körperlich bedingte Ursache können rudimentäre Ovarien ohne Oozyten sein (medizinisch: Gonadendysgenesie). Liegt dieses Symptom vor, treten in aller Regel keine Menstruationsblutungen auf, auch wenn das entsprechende Alter erreicht ist (primäre Amenorrhoe). Primäre Ursache können numerische oder morphologische Anomalien im Chromosomensatz sein, beispielsweise – Triplo-X-Syndrom. Chromosomenbestand: 44 Autosomen plus 3 X-Chromosomen (wegen Non-Disjunction in der Meiose der Eizelle). Karyotyp nach der üblichen Notierung: 47/XXX. Dies besagt, dass in einer Gesamtzahl von 47 Chromosomen drei X enthalten sind. Die Frauen sehen normal aus, doch sind sie infertil und haben Menstruationsstörungen. Relativ häufig (3 : 2000). – Ullrich-Turner-Syndrom. Kleinwüchsige Frauen mit 44 Autosomen und einem einzelnen X (Karyotyp 45/XO). Es fehlt also ein zweites X oder ein Y. Häufigkeit: 1 Turner-Syndrom auf 2000–2700 neugeborene Mädchen. – XX-Gonadendysgenesie. Bei augenscheinlich normalem weiblichen Karyotyp (46/XX) und normalem weiblichen Äußeren sind die Gonaden leer und Monatsblutungen bleiben aus. Die Ursachen sind im Einzelfall unbekannt, doch könnten bestimmte X-gebundene Gene, die für eine normale Ovarienentwicklung benötigt werden, defekt sein. – Swyer-Syndrom. Männlicher Karyotyp (46/XY), doch weiblicher Phänotyp. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand sind (mindestens) folgende Ursachen in Betracht zu ziehen: Das Sry-Gen auf dem Y-Chromosom ist defekt oder es fehlt (Deletion).
Das Sox9-FGF9 System (Abb. 7.7b) war in der Embryonalentwicklung unzulänglich aktiv oder ausgefallen. Die Testosteronproduktion war in der Fetalperiode ausgefallen oder die Androgenrezeption gestört. Nichtgenetische Ursachen können sehr vielfältig sein. So besteht der Verdacht, dass mehrjährige Einnahme der Antibabypille zu Unfruchtbarkeit führen kann („Post-Pillen-Sterilität“).
Unfruchtbarkeit beim Mann Mögliche Ursachen: – Klinefelter-Syndrom. Karyotyp: 47 Chromosomen insgesamt, darunter 2X und 1Y (47/XXY). Die Hoden bilden keine Spermien (Azoospermie); die Figur hat nach der Pubertät bisweilen durch eine ˙ vergrößerte Brust ein partiell weibliches Erscheinungsbild. – Infertilität (früher meistens Sterilität genannt) kann zahlreiche Ursachen haben. Primäre Ursache kann verminderte Bildung von Androgenen (Testosteron, Dihydro-Testosteron) sein, oder verminderte Ansprechbarkeit auf Androgene, z. B. wegen unzulänglicher Zahl oder Qualität der Androgenrezeptoren. Folgeursachen können sein: Fehlende oder verminderte Spermienproduktion (Oligozoospermie oder Azoospermie), fehlende oder verminderte Produktion von Sperma-Begleitsubstanzen in den Nebenhoden oder der Prostata, unzulängliche Qualität der Spermien. – Xenoöstrogene und endokrine Disruptoren. In den letzten Jahrzehnten ist wiederholt berichtet worden, in den Industrieländern sei die Zahl der Spermien pro Ejakulat im Mittel auf die Hälfte zurückgegangen. Es werden dafür exogene Substanzen verantwortlich gemacht, die sehr unterschiedliche chemische Struktur haben können, aber störend in das Hormonsystem eingreifen, wenn sie über die Nahrung, die Atemluft oder über die Haut in unseren Körper gelangen. Zu diesen summarisch als endogene Disruptoren bezeichneten Substanzen zählen die Chemikalien, die in der Box 7.2 unter „Hormone und Hormon-ähnliche Substanzen“ I
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Box 7.1: Fortsetzung aufgelistet sind, aber auch die schwer abbaubaren Östrogenderivate in der „Pille“ (s. auch Box 6.3). Zahlreiche dieser Substanzen vermindern auch bei Haustieren die Fertilität und führen gar bei Fischen, Amphibien und Vögeln zur Verweiblichung auch des genetisch männlichen Nachwuchses. Manche Fisch- und Amphibienpopulationen sind mutmaßlich deshalb ausgestorben, weil keine fertilen Männchen mehr ihren Dienst tun konnten. Intersexualität Unter diesem Oberbegriff werden alle Befunde zusammengefasst, bei denen die inneren und/oder äußeren Sexualorgane eine Mittelstellung zwischen der weiblichen und der männlichen Norm einnehmen. Beispiel: Die Gonaden werden als Ovarien diagnostiziert, die äußeren Genitalien hingegen gleichen mehr dem männlichen Phänotyp. Oder umgekehrt: Ein (in der Bauchhöhle verbliebener) Hoden ist mit einer weiblichen Figur assoziiert. Primäre Ursachen sind in der Regel hormonale Störungen während der Embryonal- und Fetalentwicklung. Mitunter ist es schwierig, dem Neugeborenen ein Geschlecht zuzuordnen. Manchmal kann nachträglich während der Pubertät das eine oder das andere Geschlecht die Oberhand gewinnen. Es sind erschütternde Fälle bekannt geworden, in denen die Entscheidung der Eltern bei der Namensgebung, bei der Wahl der Bekleidung und in der geschlechtsbezogenen Erziehung sich als falsch herausstellte und die Heranwachsenden während und nach der Pubertät in große seelische Konflikte trieb. In Lehrbüchern der Medizin (vor allem der Gynäkologie) werden regelmäßig folgende Formen der Intersexualität beschrieben: – „Echtes Zwittertum“ (Hermaphroditismus verus). Der Biologe muss diese in der medizinischen Literatur übliche Bezeichnung zurückweisen; denn für ihn bedeutet echtes Zwittertum, dass ein Organismus gleichzeitig oder nacheinander sowohl fertile Spermien als auch befruchtungsfähige Eizellen hervorbringt und auch beide Funktionen, die maskuline ebenso wie die feminine, erfolgreich wahrnehmen kann. Das ist beim Menschen natürlicherwei-
se (ohne chirurgische Nachhilfen) nie der Fall, auch wenn beim (sehr seltenen) „echten Zwittertum“ der medizinischen Fachliteratur die Gonaden Oozyten und Spermatozyten enthalten (oder eine Gonade sich zum Ovar, die andere zum Hoden entwickelt hat). Aus den Spermatozyten gehen jedoch keine fertilen Spermien hervor. In den äußeren Genitalien überwiegen meistens weibliche Züge, doch ist die Klitoris ungewöhnlich groß. Chromosomal findet man entweder die XX oder die XY-Konstitution. Als Ursachen für Zwittertum sind alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, die ein vollständiges Kippen der „Balkenwaage“ (Abb. 7.7b) auf die eine oder andere Seite verhindern. Eine weitere seltene und seltsame Möglichkeit ist Chimärenbildung: Zwei Blastocysten, die eine mit XX-, die andere mit XY-Konstitution, verschmelzen zu 46 XX/46 XY. (Eine genetisch so ausgestattete Person entwickelte zwei Ovarien, die außer Oocyten auch Spermatocyten enthielten. Nach einer operativen Geschlechtsumwandlung wurde die Frau schwanger.) – Weibliches Scheinzwittertum D Androgenitales Syndrom (AGS). Solche Menschen werden zumeist als Mädchen angesehen und erzogen; auch sind sie genetisch weiblich (Karyotyp normal 46/XX), doch es finden sich in der Bauchhöhle statt Ovarien Hoden (Virilisierung). Ein solches Symptom bildet sich, wenn ein heranwachsender weiblicher Fetus im Mutterleib Androgenen ausgesetzt ist. Das kann geschehen, wenn im Ovar der Mutter oder des Kindes selbst die mangels ausreichender Aromataseaktivität androgenen Vorläufersteroide nicht, oder nur unvollständig, in weibliche Sexualhormone umgewandelt werden. Auch sind Mädchen mit AGS geboren worden, nachdem Schwangere Androgen-haltige Medikamente oder Kontrazeptiva eingenommen hatten. Steroidhormone durchdringen die Plazentaschranke und können die körperliche Sexualentwicklung und ebenso die psychische Prägung des Kindes beeinflussen. In den äußeren Genitalien können graduelle Zwischenformen zwischen rein femininen Formen, über ein Genitale mit übergroßer I
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Box 7.1: Fortsetzung Klitoris bis hin zu weitgehend maskulinen Penisbildungen, es bisweilen schwierig machen, zu entscheiden, welches Geschlecht in die Geburtsurkunde einzutragen ist. Auch später im Leben können Zweifel bestehen bleiben. Die Häufigkeit eines AGS wird für Mitteleuropa mit 1 W 7500 angegeben. Die Androgen-bedingte Virilisierung kann auch die Verhaltensdisposition des betroffenen Mädchens betreffen (s. unten). – Männliches Scheinzwittertum und testikuläre Feminisierung. Das Individuum ist genetisch normal männlich (Karyotyp 46/XY). Störungen der Testosteronsynthese während der sexuellen Entwicklung des Fetus, unzureichende Umwandlung von Testosteron in das final wirksame Dihydrotestosteron im Zielgewebe oder Androgenresistenz wegen mangelhafter Androgenrezeptoren führen zu partiell femininen Ausprägungen unterschiedlichen Grades. Die Gonaden werden histologisch als Hoden diagnostiziert; das äußere Genitale ist weiblich oder intersexuell. Das Syndrom ist nicht häufig (1 W 20:000 bis 1 W 60:000). Zum Syndrom kann auch eine kurze, blind endende Vagina gehören. Zusätzlich können die Hoden in der Bauchhöhle verbleiben und nicht in den (fehlenden oder zu kleinen) Hodensack herabwandern.
Abweichungen des psychischen Geschlechts von der Norm Psychische Intersexualität Transsexualität Transsexuelle Individuen haben das nicht abweisbare Gefühl, mit dem falschen körperlichen Geschlecht auf die Welt gekommen zu sein. Man ist körperlich Mann, doch fühlt man sich als Frau und möchte Frau sein. Oder man ist ein Mädchen, möchte aber unbedingt zur Gruppe der Jungen gehören. Mögliche Ursachen könnten sein: – Der Genotyp sei XY. Alles in der Embryonalund Fetalentwicklung verläuft normal. Es wächst ein Junge heran. Am Ende der Fetalperiode bis zum Einsetzen der Pubertät wird die Testosteronproduktion heruntergefahren. Kurz
vor und nach der Geburt sollte aber, noch bevor der Testosteronspiegel unter einen kritischen Wert sinkt, hormonabhängig die Prägung des psychischen Geschlechts stattfinden. Sind aber im Fetus in den zuständigen Gehirnregionen keine oder zu wenig Androgenrezeptoren exprimiert, oder wird die Testosteronproduktion zu früh heruntergefahren, verläuft die Prägung automatisch zur Etablierung von weiblichen Verhaltensmustern (Grundzustand). – Der Genotyp sei XX. Wie beim Androgenitalen Syndrom ist der Fetus einem Zuviel an Androgenen ausgesetzt, jedoch tritt dieses Zuviel erst spät in der Fetalperiode ein, wenn die Entwicklung schon ein körperlich normales Mädchen hervorgebracht hat. Dessen Psyche erfährt nun aber eine eher maskuline Orientierung: Es wird „boyisches“ Verhalten programmiert, das Mädchen wird sich voraussichtlich künftig nicht viel aus Puppen machen, jungentypische Spielsachen bevorzugen und gern herumtoben. Ursache kann eine zu hohe Androgen-Produktion in Organen (z. B. Nebennierenrinde) der schwangeren Mutter oder des Kindes selbst sein. Der häufigste genetische Defekt, der eine Anreicherung von Androgenen im weiblichen Organismus zur Folge hat, ist ein Mangel an 21-Hydroxylase, einem Basisenzym der Steroidhormon-Synthese. Mangel an Steroidhormonen, besonders Mangel an Cortisol, veranlasst in einer Rückkoppelungsschleife die Hypophyse, vermehrt das Hormon ACTH (Adrenocorticotropes H.) auszuschütten. Als Folge der permanenten ACTH-Stimulierung kommt es zu einer kompensatorischen Vergrößerung der Nebennieren und im Gefolge dieser Hyperplasie zu einem starken Anstieg auch an Androgenen im Blut. Die Aromatasen in den verschiedenen Geweben können dieses Überangebot nicht mehr vollständig in Östrogene umwandeln. Viel und langanhaltender Stress, der mit einem erhöhten Cortisolspiegel im Blut einhergeht, kann ähnliche Wirkungen haben. I
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Box 7.1: Fortsetzung Transvestiten Ein Transvestit ist ein psychisch intersexuelles Individuum, das sich gemäß seinem psychischen Geschlecht kleidet und verhält. Kleidung und Verhalten widersprechen dem körperlichen Geschlecht.
sondern auch von prägenden Einflüssen der Umwelt (z. B. Situations-bedingte Homosexualität in Internaten und Gefängnissen) und von leidvollen Erfahrungen im Umgang mit dem anderen Geschlecht.
Homosexualität Wenn keine psychische Intersexualität vorliegt, Männer sich im Allgemeinen als Männer, Frauen als Frauen fühlen, sind Neigung und Bedürfnis zu homosexuellen Beziehungen schwer zu erklären. Die ursprünglich bloß spekulative Hypothese, das Gehirn eines homosexuellen Mannes sei hormonal partiell weiblich geprägt, das Gehirn einer lesbischen Frau partiell männlich, wird zunehmend durch anatomische und Magnetresonanzstudien untermauert (s. Literaturliste unter Geschlecht, Gehirn und Verhalten), bleibt aber trotzdem aus vielerlei Gründen sehr umstritten. Vielfach wird in der Soziologie (s. KINSEYReport), in der Psychologie und Psychotherapie die Auffassung vertreten, die sexuelle Orientierung sei nicht nur von Genen und Hormonen abhängig,
Eine genetische Prädisposition für Homosexualität darf unterstellt werden; denn die Neigung speziell der Homosexualität beim Mann tritt in manchen Familien gehäuft auf, und es gibt Indizien, dass hierbei der Endabschnitt des XChromosoms eine besondere Rolle spielt. Auch Untersuchungen an eineiigen Zwillingen legen eine genetische Prädisposition nahe. Insoweit eine solche vorliegt, ist sie jedoch nicht auf ein einzelnes Gen zurückführbar, sondern polygen bedingt. Andererseits berichten einige Studien, nachgeborene Söhne seien anfälliger als erstgeborene und dies weise auf nicht-genetische Einflüsse hin. Diese Studien sind allerdings durch spätere infrage gestellt worden.
Box 7.2: Störungen der Sexualentwicklung und Fertilität durch Hormon-ähnliche Fremdsubstanzen Bereits in Box 6.3 (Verantwortung gegenüber dem werdenden Kind) war unter den Stichworten „Hormone und Hormon-ähnliche Substanzen“ darauf hingewiesen worden, dass es eine Reihe von Umweltchemikalien gibt, die hormonartige Wirkungen haben oder störend in den Hormonhaushalt eingreifen, wenn sie in den Körper tierischer Organismen und des Menschen gelangen. Weil solche Substanzen endokrine Regelkreise unterbrechen können, werden sie als endokrine Disruptoren bezeichnet. Nicht wenige haben im Besonderen Östrogenartige Wirkungen; sie nennt man Xenoöstrogene (xenoestrogene) oder, wenn sie von Pflanzen stammen, Phytoöstrogene. Daneben gibt es antiöstrogen, androgen und anti-androgen wirkende Substanzen. Endokrine Disruptoren werden mit unterschiedlich gewichtigen Argumenten verantwortlich gemacht für
– die Abnahme der Spermienzahl bei Männern in manchen Industrieländern (u. a. Dänemark, Deutschland, Norwegen, Japan); im Zeitraum von 1950–2000. Abnahme von 40 Mio./mL auf 20 Mio./mL Ejakulat – die Zunahme von Brustkrebs und Osteoporose bei Frauen (im Verdacht u. a. DDT, Kunsthormone der Antibabypille) – die Zunahme von Hodenkarzinomen und von Prostatakarzinomen – vielerlei Fehlbildungen der Sexualorganen bei Wildtieren und auch beim Menschen, z. B. das Auftreten einer Harnröhrenspalte (Hypospadie) – verfrühte Pubertät (unsichere Indizien) Zahlreiche Substanzen aus der langen Liste endokriner Disruptoren und östrogener Umweltchemikalien (s. unten) vermindern nicht nur bei Labormäusen, sondern auch bei Haustieren die Fertilität und führen bei Fischen, Amphibien und Vögeln I
7.4 Das psychische Geschlecht und postnatale Sexualentwicklung
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Box 7.2: Fortsetzung zur Verweiblichung des genetisch männlichen Nachwuchses. Im Labor gut nachvollziehbar und quantitativ erfassbar ist die Induktion von Vitellogeninen in Männchen durch Xenoöstrogene. Vitellogenine sind Phospholipoproteine, die normalerweise im weiblichen Organismus erzeugt werden (bei Wirbeltieren in der Leber), im Blut zirkulieren und schließlich als Dottervorrat von Eizellen aufgenommen und gespeichert werden. Es ist bereits die Vermutung geäußert worden, manche Fisch- und Amphibienpopulationen seien ausgestorben, weil die Zahl fertiler Männchen unter einen kritischen Wert gesunken sei. Bei marinen VorderkiemenSchnecken wie der Wellhornschnecke Buccinum und Strandschnecken der Gattung Littorina bewirken solche Substanzen hingegen eine Vermännlichung. In diesen Organismen hemmen die fraglichen Substanzen die Aromatase und damit die Umwandlung von Testosteron in Östradiol. Beispiele I. Phytoöstrogene finden sich beispielsweise als Flavone in Soja, Hopfen und Kohl. Ein in Katalogen für Laborbiochemikalien angebotenes Flavon ist der Tyrosinkinase-Inhibitor Genistein. II. Umweltchemikalien, die als endokrine Disruptoren identifiziert oder doch in starken Verdacht geraten sind, gibt es zuhauf, so zum Beispiel Kunststoffkomponenten, Weichmacher – Bisphenol A, eine Ausgangssubstanz zur Produktion von Epoxidharzen und Polycarbonaten, aus denen Gehäuse der Elektronik, Brillengläser, Lacke und Kleber hergestellt werden. Bisphenol A ist allgegenwärtig. Es vermindert im Test die Fertilität von Nagern. – PCB (polychlorierte Biphenyle) in gummiartigen Dichtmassen, Kabelummantelungen, Weichmacher in Kunststoffen, allgegenwärtig. In offenen Systemen zwar mittlerweile verboten, in geschlossenen Systemen jedoch noch weit verbreitet. Bewirken Feminisierung männlicher Tiere. Waschaktive Tenside, Gleitmittel – Alkylphenole (Nonylphenol, Octylphenol, Pentylphenol) als Ethoxylate in zahlreichen Produk-
ten wie Reinigungsmitteln, PVC-Folien, Farben, Textilien, Leder, Papier und Spritzmitteln. Reichern sich in der Nahrungskette an, auch in der Muttermilch, und werden in Kläranlagen nur unvollständig abgebaut. Vermindern die Fertilität von Fischen und haben teratogene Effekte auf Embryonen. Ein bekanntes Octylphenol in unseren Laboratorien ist Triton-X. Weitere Industriechemikalien und deren Abbauprodukte – Bromierte Flammschutzmittel wie polybromierte Diphenylether (PBDE) und Tetrabromphenol A (TBBA) in Textilien, Elektrogeräten, Baustoffen. Wirken ähnlich wie PCBs feminisierend. – Tributylzinn. Früher viel verwendetes Schiffsanstrichmittel, das die Besiedlung durch sessile Meeresorganismen verhindern sollte. Hat stark teratogene und vermännlichende Wirkung auf Fische und ebenfalls vermännlichende Wirkung auf marine Vorderkiemen-Schnecken (Buccinum, Littorina). In Deutschland mittlerweile für Schiffe unter 25 m Länge verboten. Pestizide – DDT (Dichlor-Diphenyl-Trichlorethan). Das Breitband-Insektizid ist seit 1972 in den USA und in Deutschland verboten, wird jedoch weltweit noch viel eingesetzt zur Bekämpfung der Malaria-übertragenden Stechmücke Anopheles. Hat neben vielen anderen Nebeneffekten auch schwach östrogene Wirkungen, sein metabolisches Abbauprodukt DDE hingegen androgene. Arzneimittel und weitere Angebote der pharmazeutischen Industrie – Diethylstilbesterol DES, ein lehrreiches Beispiel für herbe Erfahrungen Es gibt nicht wenige Frauen, die ihre Leibesfrucht nicht bis zur regulären Geburt des Kindes halten können. Zu früh einsetzende Wehen führen zu Früh- oder gar Fehlgeburten. Millionen solcher Frauen konnte geholfen werden durch Verabreichung des künstlichen Östrogens DES. Etwa 20 Jahre später traten bei vielen ihrer Töchter Genitalcarcinome auf. Darüber I
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Box 7.2: Fortsetzung hinaus wirkt DES in Tierversuchen schädigend auf Funktionen des ZNS. – „Die Pille“ mit ihren chemisch modifizierten, schwer abbaubaren Östrogenen, Gestagenen und Androgenen. Diese modifizierten Steroide, so vor allem 17˛-Ethinylestradiol und chemisch modifizierte Gestagene, können selbst von den Mikroorganismen der Kläranlagen nur schwer abgebaut werden und sind in den Abflüssen, ja sogar im Trinkwasser nachweisbar geworden. 17˛-Ethinylestradiol bewirkt eine Verweiblichung von Fischen mit noch höherer Ef-
Die Amygdala, der eine besondere Bedeutung im Bereich der Emotionen zukommt, ist bei Männern meist größer als bei Frauen. Diese Geschlechtsdifferenz findet sich auch bei anderen Säugetieren. Der benachbarte Hippocampus hingegen, der eine Stellwerkfunktion bei der Etablierung des Langzeitgedächtnisses hat, scheint in weiblichen Gehirnen prominenter zu sein als in männlichen. Der Psychologe und Kognitionswissenschaftler findet durchaus weitere bemerkenswerte kognitive Leistungsunterschiede, für die jedoch noch kein materielles Korrelat gefunden wurde (und das zu finden auch extrem schwierig sein dürfte). Dies betrifft beispielsweise die bessere Fähigkeit von Frauen, Gesichter zu erkennen und soziale Beziehungsgeflechte im Gedächtnis zu behalten, oder das bessere räumliche Vorstellungsvermögen der Männer. Hier und dort finden sich jedoch lokale Gruppen von Zellen, die auf dem X- oder Y-Chromosom befindliche Gene unterschiedlich exprimieren, ohne dass gegenwärtig die Bedeutung diese Befunde offenkundig wäre. Signifikante und bemerkenswerte Unterschiede finden sich in evolutionsgeschichtlich älteren Regionen des Gehirns, die mit eher instinktiven, geschlechtsbezogenen Verhaltensmustern korrelieren. Im Folgenden zwei Beispiele: Eine kleine Ansammlung von Neuronen in der vorderen Region des Hypothalamus (INAH3 D Interstitial Nuclei of the Anterior Hypothalamus No 3) ist bei heterosexuellen (D nicht-homosexuellen)
fektivität als das physiologische Hormon 17ˇEstradiol. Viele dieser Substanzen vermindern potenziell die Fertilität des Mannes. Biochemische und physiologische Wirkungen Endokrine Disruptoren blockieren in vielerlei Weise hormonale Regel- und Steuersysteme oder stören doch stark. Im Einzelnen können nachgewiesene oder vermutete Wirkungen hier nicht aufgezählt werden. Hinweise zur physiologischen Wirkung endokriner Disruptoren gibt die Literaturliste am Schluss dieses Buches.
Männern doppelt so groß wie bei Frauen. Der Hypothalamus gilt als Zentrum sexueller Instinkte. Die spezifische Funktion dieser INAH Neuronengruppe ist allerdings nicht bekannt. Im Hypothalamus findet sich auch 5˛-Reductase, die lokal Testosteron in seine aktive Form überführt. Erotische Filmszenen aktivierten diese Areale bei Männern deutlich stärker als bei Frauen. Eine weitere Neuronengruppe, die bei Frauen kleiner als bei Männer ist, wurde in der Stria terminalis gefunden. Diese Gruppe heißt BSTc (Bed nucleus of the Stria Terminalis, part centralis) bezeichnet. Diese Stria verbindet die für Affekte zuständigen Amygdala (Mandelkern) mit dem Hypothalamus. Die Neurone erzeugen Neuropeptide wie Somatostatin, deren Bedeutung an diesem Ort nicht bekannt ist. Es überraschte wohl kaum, wenn sich umgekehrt Frauen-spezifische Neurone in jenen Regionen finden ließen, die sich mit fraulichem und mütterlichen Verhalten und Befinden in Beziehung bringen lassen. Literaturquellen über weitere geschlechtsbezogene Unterschiede im Gehirn von Mann und Frau sind in der Literaturliste im Schlussteil dieses Buches zu finden. Transsexuelle Menschen haben das unabweisbare Gefühl, mit dem falschen körperlichen Geschlecht auf die Welt gekommen zu sein (zu möglichen Ursachen s. Box 7.1). Bei der Obduktion transsexueller Individuen sind in bestimmten Gehirnarealen wie dem eben erwähnten BSTc sowie im Nucleus uncinatus des Hypothalamus „weibliche“ Charakteristika gefunden worden. Beispielsweise hatte die Zahl der Neurone im
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Box 7.3: Männer: Ein aussterbendes Geschlecht? Nach aller Evidenz ist das Y-Chromosom ein verkürztes Relikt eines X-Chromosoms. In genüsslich vorgetragenen Artikeln diverser Journale, aber auch in Diskussionsbeiträgen wissenschaftlicher Zeitschriften, wird mitunter die Auffassung vertreten, das Y-Chromosom sei ein verkrüppeltes X-Chromosom, Männer hätten deshalb weniger Gene als Frauen, sie seien folglich das minderbemittelte Geschlecht („Männer dagegen erscheinen als genetisch verkorkste Frauen“ Spiegel 38/2003, S. 151). Diese Argumentation ist jedoch nicht richtig, im Gegenteil: Zum einen hat auch der Mann ein X-Chromosom und damit alle Gene einer Frau. Quantitative Unterschiede in XChromosom-residenten Allelen werden durch die Heterochromatisierung (Stilllegung) eines der beiden X-Chromosomen im weiblichen Geschlecht weitgehend nivelliert. Zum anderen trägt das YChromosom ca. 78 Gene, die dem X-Chromosom fehlen, so das Sry-Gen und einige SpermiogeneseGene. Darüber hinaus ist, wenn Befunde an Nagern auch auf den Menschen zutreffen sollten, ein väterlich geprägter Chromosomensatz zur Entwicklung eine funktionsfähigen Plazenta unerlässlich. Allerdings sind Frauen in einer Hinsicht gegenüber Männern genetisch doch im Vorteil. Auch wenn pro Zelle jeweils ein X-Chromosom weitgehend inaktiviert wird, so stehen im Bedarfsfall potenziell eben doch von allen X-Genen zwei Allele zur Verfügung. Und ist in dieser Zelle das paternale X-Chromosom inaktiviert, so in einer anderen Zelle das maternale. In einem Organ, beispielsweise in der Leber, könnte es genügen, wenn ein Teil der Zellen ein funktionsfähiges Enzym herstellen kann, im Auge könnte es genügen, wenn ein Teil der Stäbchen die zur Farbenunterscheidung erforderlichen Opsine enthält. Beim Mann ist ein X-gekoppeltes, defektes Allel ohne hilfrei-
BSTc einen Wert ähnlich dem, der bei Frauen ermittelt worden war. Es ist jedoch umstritten, ob das psychische Geschlecht (gender identity) ausschließlich hormonal geprägt wird. Studien zur Genexpression im Gehirn lassen vermuten, dass in manchen Arealen die XX-
chen Partner. Das Ergebnis kann beispielsweise Rotgrünblindheit sein, oder der Defekt ist gar letal. Besorgnis könnte auch der Befund auslösen, dass viele der Gene auf dem X-Chromosom für die Entwicklung des Gehirns benötigt werden. Hier fehlen dem heranwachsenden männlichen Embryo im Bedarfsfall Alternativen. Möglicherweise ist dies einer der Gründe, weshalb männliche Embryonen häufiger absterben als weibliche. Es werden zwar mehr Jungen geboren als Mädchen (105 W 100), bei Embryonen ist aber die Überzahl der XY-Konstitution gegenüber XX mit 120 W 100 noch größer. (Nach verbreiteter Meinung basiert dieses Ungleichgewicht auch darauf, dass die gegenüber den X-Spermien geringfügig leichteren Y-Spermien etwas schneller schwimmen.) Durchaus seriös ist die Diskussion, ob die auf dem Y-Chromosom liegenden Gene der Gefahr einer Degeneration unterliegen. Das Y-Chromosom enthält zwar von vielen seiner 78 Gene in einer palindromen Tandemanordnung Sicherheitskopien, doch einen Austausch von Genen zwischen YChromosomen unterschiedlicher Herkunft gibt es nicht. Mehr noch: Das Y-Chromosom ist anfällig für Deletionen; und die Verkürzung des Y-Chromosoms könnte weitergehen bis schließlich (wie bei bestimmten, sich parthenogenetisch fortpflanzenden Eidechsen) das männliche Geschlecht ausstirbt. Der weibliche Teil der Menschheit könnte fortbestehen mittels Kliniken, die sich auf das Klonen verstehen (wobei eine paternale Prägung eines der beiden Chromosomensätze von Generation zu Generation erhalten bleiben müsste). Die heutige und gewiss auch noch manch kommende Generation darf nach unserer Prognose dem Aussterben des männlichen Geschlechts indessen ebenso gelassen entgegensehen wie dem oft vorausgesagten baldigen Ende der Welt.
bzw. XY-Konstitution ohne Vermittlung durch Hormone die Aktivität einiger geschlechtsbezogener Gene kontrolliert. Insbesondere ist unklar und deshalb umstritten, ob und inwieweit postnatale Einflüsse der Umgebung das sexuelle Grundverhalten eines Menschen mitbestimmen.
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7.4.2
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In Vorbereitung auf neues Leben I: Geschlechtsbestimmung und Geschlechtsentwicklung
Pubertät ist eine Art Metamorphose, im Zuge derer die sexuelle Entwicklung vollendet wird
Im Verlauf der Pubertät kommt es zu vielerlei Umgestaltungen: „Larvale“ knorpelige Elemente werden ossifiziert, viele neue Strukturen und Funktionen entwickelt. Sichtbarer Ausdruck ist der Erwerb der sekundären Geschlechtsmerkmale; auch dies ist ein Prozess der Entwicklung. Man vermutet die Existenz eines reifehemmenden Hormons, das in Analogie zum Prolactin bzw. Juvenilhormon eine vorzeitige pubertäre Metamorphose verhindert (s. Kap. 20). Nimmt die Produktion dieses Hormons ab, sendet die Hypophyse verstärkt die Gonadotropine FSH (Follikelstimulierendes Hormon) und LH (luteotropes Hormon) aus, auch beim pubertierenden Jungen! Die Gonaden, aber besonders auch die Nebennierenrinde, erzeugen verstärkt Testosteron bzw. Östrogene und Gestagene. Deren Hauptfunktion ist es, im Hoden die Spermatogenese in Gang zu setzen bzw. im Ovar die Oogenese voranzutreiben. Besonders dramatisch verläuft die Pubertät beim Jungen/Mann. Androgene, insbesondere lokal wirkendes Dihydro-Testosteron, bewirken im Zusammenspiel mit Wachstumshormonen: Wachstumsschub im Alter von 12,5–16 Jahren, Abschluss des Längenwachstums der Knochen, Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale mit Bartwuchs, Stimmbruch durch Vergrößerung des Kehlkopfes und Verstärkung der Stimmbänder, Steigerung des Muskelwachstums und der Eiweißsynthese allgemein (anabole Wirkung des Testosterons), Verstärkte Talgproduktion (u. U. Akne), Aggressives Verhalten, Produktion von Spermien, Fähigkeit zur Libido und Ejakulation. Östrogene im Zusammenspiel mit Wachstumshormon und Prolactin bewirken bei Mädchen/Frauen: Wachstumsschub im Alter von 10–14 Jahren, also ca. 2 Jahre früher einsetzend und endend als bei Jungen, Abschluss des Knochenwachstums, Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale mit Brust, verbreitertem Becken, Fettdepots an bekannten Stellen (wo sie optische Hinweise auf Fruchtbarkeit täuschend vergrößern), Verstärkte Talgproduktion (u. U. Akne), Einsetzen der Menstruationszyklen,
Im Vergleich zum Testosteron augenscheinlich ein geringerer auffälliger Einfluss der Östrogene auf das Verhalten.
7.4.3
Periodische Hormonzyklen koordinieren Zyklen der sexuellen Entwicklung
Das Thema „periodische Fortpflanzungszyklen“ ist bei Wirbellosen so variantenreich, dass auf Lehrbücher der speziellen Zoologie oder Monographien verwiesen werden muss. Jedem aufmerksamen Naturbeobachter sollten Hochzeitstrachten bei männlichen Molchen oder Fischen aufgefallen sein. Dass es auch bei Säugern sexbezogene, sich periodisch wiederholende Entwicklungsprozesse gibt, weiß der Geweihsammler. Über die hormonelle Steuerung der Menstruationszyklen bei der Frau informieren viele Lehrbücher (z. B. Müller und Frings (2009)). Zyklen sexueller Fortpflanzung sind in aller Regel innerhalb einer Population synchronisiert, erfassen beide Geschlechter und sind in den Jahresgang eingepasst. In den geografischen Breiten Europas ist dies allenthalben augenfällig, und der Sinn einer solchen Synchronisation ist evident: Vögel beispielsweise müssen allesamt zeitig im Frühjahr mit dem Brutgeschäft beginnen, damit der Nachwuchs vor Einbruch des Winters zugfähig ist oder genug Reserven zum Überwintern hierzulande angesammelt hat. Der Mensch ist in dieser Beziehung eine Ausnahme: Auch wenn der Sexualzyklus der Frau eine Periodenlänge hat, die annähernd einem Mondmonat entspricht, sind die Zyklen nicht an bestimmte Mondphasen gekoppelt und die Zyklen verschiedener Frauen nicht synchron; sie sind freilaufend (zum Begriff „freilaufende Rhythmik“ s. Müller & Frings: Tier- und Humanphysiologie, Springer 2009).
Zusammenfassung
Vielzellige Organismen besitzen generell bisexuelle Potenz: Sie tragen, auch wenn sie als männliche und weibliche Formen auftreten, im Regelfall das ganze Inventar von Genen, das für die Entwicklung beider Geschlechter benötigt wird. Bei phänotypischer Geschlechtsbestimmung entscheiden Außenfaktoren, welche Gensätze, die ♂- oder die ♀-spezifischen, zum Zuge kommen. Bei genotypi-
7.4 Das psychische Geschlecht und postnatale Sexualentwicklung
scher Geschlechtsbestimmung trifft ein zusätzliches Selektor- oder Schaltergen die Entscheidung; es wird nur einem Geschlecht vererbt oder nur in einem Geschlecht aktiviert. Solche Schaltergene sind in der Regel auf „Geschlechtschromosomen“ lokalisiert, d. h. auf Chromosomen, die in unterschiedlicher Form (Y versus X) oder unterschiedlicher Zahl (X0 versus XX) den Geschlechtern zugeteilt werden. Bei Drosophila kommt es auf die Zahl der XChromosomen an, die den Autosomen gegenüberstehen (XX ! ♀; XY oder X0 ! ♂). Beim Menschen (und anderen Säugern) bedeuten XX (und X0) !♀, und XY !♂. Trotz unterschiedlicher genetischer Konstitution von Anfang an kommt die bisexuelle Potenz (auch) dadurch zum Ausdruck, dass die Anlagen für die inneren und die äußeren Geschlechtsorgane anfänglich in beiden Geschlechtern nicht unterscheidbar sind. In einem Mehrstufenprozess werden klare Verhältnisse geschaffen. Beim Menschen vollzieht sich die sexuelle Entwicklung in mehreren Stufen. Man unterscheidet: 1. das genetische Geschlecht, 2. das gonadale Geschlecht (Hoden versus Ovar), 3. das somatische Geschlecht mit den inneren geschlechtsbezogenen Strukturen wie Eileiter oder Samenleiter, den äußeren Genitalien und sekundären Geschlechtsmerkmalen und 4. zuletzt das psychische Geschlecht. Das Schaltergen, das beim Säuger die primäre Entscheidung über den Weg der weiteren Entwicklung trifft, ist das ♂-determinierende SryGen. Es liegt auf dem Y-Chromosom und reguliert in der XY-Konstitution das antagonistisch wirkende R-spondin1 auf Chromosom1 herab, das über eine Aktivierung des WNT4=ˇCatenin-Signalwegs die weibliche Entwicklung
217
fördert. Sry codiert für einen Transkriptionsfaktor SRY, auch Testis-Determining Factor TDF genannt. Unter dem Einfluss des SRY wird die indifferente Gonade zum Hoden, und dieser produziert die Hormone AMDF (Anti-Müllerian Duct Factor) und das Steroidhormon Testosteron. Während AMDF die Regression des Müllerschen Ganges (Anlage des Eileiters) bewirkt, lenkt Testosteron die weitere somatische und schließlich auch die psychische Geschlechtsentwicklung in maskuline Richtung. Die weibliche Entwicklung ist die „default option“ Sie kommt von selbst in Gang, wenn ein Y-Chromosom und damit das Sry-Gen fehlt oder das Sry defekt ist. Ohne hemmenden Einfluss des SRY-Proteins wird das Gen R-spondin1 auf Chromosom1 aktiv und lenkt die weitere Entwicklung in weibliche Richtung. Dies geschieht auch auf höheren Stufen der Sexualentwicklung, wenn aus irgendwelchen Gründen keine Testosteronwirkung eintritt. Beim Fehlen der Sry-Aktivität, im Normalfall bei genetischer XX-Konstitution, wird aus Testosteron mittels einer Aromatase das weibliche Sexualhormon Östradiol hergestellt. Die sexuell dimorphe Entwicklung erfasst auch bestimmte Areale des Gehirns. Diese Unterschiede betreffen die anatomische Feinstruktur, die Anzahl bestimmter Neurone und/oder das Expressionsmuster geschlechtsbezogener Gene. So finden sich geschlechtsspezifische Unterschiede in bestimmten Kernen des Hypothalamus und des limbischen Systems. Sie korrelieren mit unterschiedlichen sexuellen Verhaltensweisen. Abweichungen in der sexuellen Entwicklung von der Norm sind nach gegenwärtigem Erkenntnisstand in verschiedenen Fällen ursächlich erklärbar, wenn auch beim Menschen meist nur hypothetisch.
8
In Vorbereitung auf neues Leben II: Gametogenese: Die Entstehung von Ei und Spermium und deren Ausstattung mit einer Mitgift
8.1 Keimbahn und Urkeimzellen 8.1.1 Urkeimzellen werden früh beiseite gelegt oder erst spät determiniert: maternale Keimplasma-Determinanten versus induktive Determination durch die somatische Umgebung Nicht selten werden schon früh in der Embryonalentwicklung Zellen beiseite gelegt, die nicht für den Aufbau des Somas, des Körpers, verwendet werden, sondern als Urkeimzellen (primordial germ cells) in Reserve bleiben. Sie werden erst mal geschont; denn ihre Aufgabe ist es, in der Keimbahn (germ line, Abb. 8.1 und 8.2) noch vor dem Tod der Somazellen das Leben an die nächste Generation weiterzugeben. Frühe versus späte Determination bei der Prägung von Urkeimzellen Heute unterscheidet man zwischen einer frühen, von maternalen Faktoren („Keimplasma“) abhängigen Vorherbestimmung und einer späten Prägung durch die somatische Umgebung. Extremfälle früher Determination liegen vor bei manchen Nematoden und bei Drosophila. Nematoden. Als der bedeutende Würzburger Entwicklungsbiologe Theodor Boveri 1887 die Chromosomen im sich furchenden Keim des Spulwurms Parascaris equorum (heute: Parascaris univalens) untersuchte, fiel ihm ein ungewöhnliches Verhalten dieser Chromosomen auf. Dieser Nematode hat nur zwei Paar von großen Chromosomen; es sind Sammelchromosomen, zu denen die einzelnen kleinen Chromosomen gebündelt sind. Die ersten Zellteilungen sind asymmetrisch: Nach der ersten
Zellteilung zerfallen in einer der beiden Tochterblastomeren die beiden Chromosomen in ihre Untereinheiten, wobei ca. 20 % des Chromatins verloren geht. Man nennt diesen Verlust von chromosomalem Material Chromatin-Diminution. Diese Chromatinverminderung charakterisiert die Somazelle S1, aus der in der weiteren Entwicklung Körperzellen aber keine Keimzellen hervorgehen. Das eliminierte Chromatin enthält überwiegend repetitive Sequenzen sowie einige Gene, die in der Entwicklung der Keimzellen, nicht aber in den Somazellen gebraucht werden. Die zweite mit P1 bezeichnete Blastomere, in der die Chromosomen intakt bleiben, ist die Gründerzelle der Keimbahn. Die nächsten drei Zellteilungen sind ebenfalls asymmetrisch und nur in den P-Zellen bleiben die Sammelchromosomen erhalten Die P-Linie führt zur Urkeimzelle P4. Diese wird als definitive Urkeimzelle beiseite gelegt und erst später im adulten Wurm zur Produktion der Keimzellen herangezogen. Theodor Boveri (1862–1915) führte auch Experimente durch. Wird durch Zentrifugieren der Eier Plasma vom vegetativen Pol weg andernorts hin verlagert, entstehen dort die mit vollständigen Chromosomen ausgestatteten Urkeimzellen. Damit war gezeigt, dass es determinierende cytoplasmatische Komponenten gibt, die Zellen zu Urkeimzellen machen. Beim Nematoden Caenorhabditis elegans (Abb. 4.19 und 4.20) der Ascaris als Modellnematode abgelöst hat, wird Chromatin-Diminution nicht beobachtet; doch gibt es auch in den Eiern von C. elegans solche determinierenden Komponenten, eingebettet in Granula. Sie werden der P-Linie zugeteilt (Abb. 8.3a; s. auch Abb. 4.20). Diese Granula beherbergen unter ande-
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_8,
219
220
8 Eizellen und Spermien
Keimbahn Zygote
Zygote
Soma
Soma Urkeimzellen
Spermatocyte
Oocyte
Eizelle Spermien
Zygote Abb. 8.1 Keimbahn (rot) gezeigt am Beispiel des Kammmolches
rem RNA von Genen, die den Drosophila-Genen vasa, piwi und nanos homolog sind und deren Funktion unten im Abschn. 8.1.2 erörtert wird. Drosophila. Bei der Fliege sind die Urkeimzellen die ersten Zellen überhaupt, die im furchenden Ei entstehen. Sie werden als Polzellen am posterioren Eipol gebildet (Abb. 8.3b; s. auch Abb. 4.26, 4.30).
Dort, am hinteren Eipol, sind ebenfalls besondere RNA-haltige Granula lokalisiert, denen eine Bedeutung bei der Determination der Polzellen zu Urkeimzellen zukommt. Wird mit einer Mikropipette Cytoplasma vom Hinterpol einer ungefurchten Eizelle entnommen und am Vorderpol einer anderen Eizelle injiziert, können dort Oogonien oder Sper-
8.1
Keimbahn und Urkeimzellen
221
Keimbahn, allgemein
SomaZellen (KörperZellen)
Urkeimzelle
Keimbahn, beim Menschen
befruchtete Eizelle
früher Embryo (Morulastadium)
früher Embryo (Blastocystenstadium)
Fetus (später Embryo) Urkeimzellen
Eierstock (Ovar) Hoden (Testes)
Abb. 8.2 Keimbahn beim Menschen
matogonien entstehen (Abb. 4.30). Die determinierenden Komponenten des Polplasmas sind noch nicht alle identifiziert, doch ist gesichert, dass den
Genprodukten der maternalen Gene vasa, nanos und piwi eine entscheidende Rolle zukommt. Weitere im Polplasma eingebettete Materialien sind RNA-Moleküle mitochondrialen Ursprungs. Ein wichtiges, für die Lokalisation von RNA am Hinterpol verantwortliches Genprodukt ist die mRNA des Gens oskar. Die maternale, von den Follikelzellen des Ovars gelieferte oskar-mRNA enthält eine nicht-translatierte Signalsequenz, welche das oskar-Genprodukt zum hinteren Eipol lenkt. Es organisiert dort die Akkumulation der weiteren Komponenten, die das Polplasma zum Keimzellendeterminierenden Polplasma machen, so auch die Akkumulation von vasa und nanos. Wird oskarmRNA an den Vorderpol dirigiert (vgl. Abb. 4.30), sammelt sich auch dort vasa und nanos-mRNA an, und es entstehen Urkeimzellen im Kopfbereich. Weitere Komponenten des Polplasmas werden im Abschn. 8.1.2 genannt. Amphibien: Auch bei einigen Vertebraten lässt sich der Stammbaum der Urkeimzellen bisweilen bis in das ungefurchte Ei zurückverfolgen. Bei Xenopus spricht man nach alter Tradition von einem „Keimplasma“, einem Bereich des Eiplasmas nahe dem vegetativen Pol (Abb. 8.3c). Es enthält wie das Polplasma von Drosophila RNA-haltige Granula. Dieses Keimplasma ist dann in den Urkeimzellen wiederzufinden, die im Bereich des entodermalen Urdarms entstehen und über die Mesenterien in die mesodermalen Gonadenanlagen wandern. Der Begriff „Keimplasma“ war von dem Freiburger Zoologen August Weismann um 1893 geprägt worden und hat bei ihm eine ganz andere Bedeutung als in der heutigen Literatur. Weismann bezeichnete mit Keimplasma die Gesamtheit der – damals noch unbekannten – materiellen Träger der Erbinformation. Sein Keimplasma ist also eher mit dem heutigen Begriff „Genom“ gleichzusetzen. Wohl angeregt durch Theodor Boveris Beobachtungen über Chromatin-Diminution in Ascaris nahm Weismann allerdings an, nur die künftigen Keimzellen würden mit der Gesamtheit des Erbmaterials ausgestattet, Somazellen hingegen würden nur jene Teile des Materials erhalten, die für die zelltypische Differenzierung gebraucht würden und Ursache der Differenzierung seien.
222
8 Eizellen und Spermien Caenorhabditis elegans
Drosophila Polzellen = Urkeimzellen
P1 P4 Urkeim2-Zell-Embryo 16-Zell-Embryo zelle
Zygote
a
b
Xenopus
vasa exprimierende Keimbahnzellen Unbefruchtetes Ei "Keimplasma"
c
Zebrafisch
Hühnchen-Keimscheibe (Blick von oben)
vasaExpression
Larve
d
4-Zell-Embryo
e
Chorda
Primitivrinne
Säuger / Mensch Neuralrohr
Aorta Darmrohr
Urnierengang (Wolffscher Gang)
wandernde Urkeimzellen
Müller-Gang
Genitalleisten
f
(Gonadenanlagen) Allantois in Nabelstrang integriert
Darm
Keimstränge mit Urkeimzellen
Abb. 8.3 Herkunft der Urkeimzellen bei verschiedenen Tieren. In der Keimbahn wird, möglicherweise bei allen Tieren das Gen vasa exprimiert. Orte, an denen vasa-Produkte gefunden wurden, sind rot gekennzeichnet
Späte Determination: Vögel, Säuger: Im Vogelembryo und bei Säugern findet man die ersten als solche identifizierbaren Urkeimzellen an der Stelle, wo sich die Allantois zu bilden beginnt, im extraembryonalen Me-
soderm. Anschließend tauchen sie im posterioren Bereich des Dottersacks auf (Abb. 8.3f). Dies ist vergleichsweise spät, und es wird induktiven Einflüssen ihrer Mikroumgebung zugeschrieben, dass an diesem Ort Zellen aus der Schicksalsgemein-
8.1
Keimbahn und Urkeimzellen
schaft des sterblichen Somas ausscheren und zu Keimbahnzellen werden. Dazu verpflichtet (commited), Urkeimzellen (primordial germ cells) zu werden, machen sie sich auf den Weg, die weit entfernten Gonaden aufzusuchen. Vom Ort ihrer Determination im Bereich der künftigen Allantois schlagen sie eine ähnliche Wanderroute ein wie im Amphibienembryo (s. auch Abb. 15.2). Teilweise benutzen sie, ähnlich den Zellen des Immunsystems, die Blutgefäße, um sich in die Nähe ihrer Bestimmungsorte treiben zu lassen. Die Bestimmungsorte senden chemotaktisch wirksame Signale aus (SDF-1-Faktor), um den Urkeimzellen das Endziel anzuzeigen. Hydrozoen: Besonders spät kommt es zur Trennung von Soma und Keimbahn bei Hydractinia echinata. Hier erzeugen in den Gonaden letzte pluripotente Vorläuferzellen in einer asymmetrischen Zellteilung männliche Urkeimzellen und somatische Hüllzellen Bis dahin läuft die Keimbahn durch die Population der totipotenten interstitiellen Stammzellen, die also jederzeit somatische wie generative Zellen hervorbringen können.
8.1.2 Frühe Determination: Maternale Komponenten des Eiplasmas, „Keimplasma“ genannt, und ein Komplex namens Nuage prägen Urkeimzellen Man hat also bei C. elegans „P-Granula“, bei Drosophila ein „Polplasma“ und bei Amphibien ein „Keimplasma“ identifiziert. In all diesen Fällen kennzeichnet dieses besondere Plasma jene Zellen, denen es zugeteilt wird, als Stammzellen der künftigen Keimzellen. Ähnliches „Keimplasma“ (germ plasm, auch germinal granules genannt) wird zunehmend auch in Vorläufern der Keimzellen anderer Organismen gefunden. Das Pol- oder Keimplasma ist eine Ansammlung von Granula, die nicht von Membranen umschlossen sind und dichte Aggregate von RNA und Protein (RNP-Partikel) enthalten. Dies gilt entsprechend für die Keimbahn-spezifischen P-Granula in der Eizelle von C. elegans. Bei Amphibien, Fischen und auch Invertebraten wie dem Anneliden Platynereis findet sich darüber hinaus oder stattdessen um den Kern der Urkeimzel-
223
len und Oocyten eine dichte Ansammlung fibröser Strukturen und von Mitochondrien. Solche Aggregate wurden bislang bei über 80 Tierarten beschrieben und werden in Oocyten mitunter Nuage (vom französischen Wort für Wolke) genannt. Sie beherbergen ein großes Kollektiv von Enzymen und RNA-Sorten, speziell DEAD-box Helicasen, Tudor-Domain-Proteine und PIWI/Argonaute-Proteine, welche piRNAs binden (piRNA D piwi-interacting RNA). Im Ovar des Zebrabärblings fand man 42.856 verschiedene piRNAs, die der Kategorien der nicht-Protein-codierenden kleinen RNAs angehören und sich teilweise von TransposonSequenzen ableiten. Piwi-Proteine und piRNA sind auch Komponenten der chromatoid bodies CB in Spermatocyten und daher offenbar keimbahnspezifisch. Keimplasma-Granula, Nuage-Aggregate und CBPartikel bergen, neben unterschiedlichen Komponenten, auch identische Genprodukte in sich, so das Genprodukt VASA (eine RNA-Helicase) und den Transkriptionsfaktor OCT-4. Bei Säugern sind in frühen, wandernden Vorläufern der Keimzellen noch keine dichten Keimgranula aufgefallen, wohl aber ist in den Oogonien und Spermatogonien der Gonaden teils granuläres, teils wolkiges Nuage beschrieben, und auch VASA und Oct-4 sind vorhanden. Den Komponenten des Keimplasmas werden gegenwärtig folgende Funktionen zugeschrieben: Determination von Zellen zu Keimzellen; hierbei wird den Genen vasa und nanos eine tragende Rolle zuerkannt. Kontrolle der Transkription und Translation in den Zellen der Keimbahn; hierin wird eine Hauptfunktion der Piwi-Proteine gesehen (Piwi steht für P-element induced wimpy testis). Die Bindung mit den kleinen piRNAs soll die Proteinproduktion unterbrechen Piwi-homologe Gene und piRNAs gibt es auch bei Säugern, auch wenn kein ausgesprochenes Nuage identifiziert ist. Sie heißen Hiwi beim Menschen und Miwi bei der Maus. Diese Translationskontrolle umfasst auch Kontrolle der Transposons in den Zellen der Keimbahn. Insbesondere Retrotransposons (s. Kap. 12) müssen davon angehalten werden, durch „Springen“ im Genom Unheil anzurichten. Beibehalten der Totipotenz in der Keimbahn. Die Punkte Keimzelldetermination und Totipotenz betrachten wir im folgenden Abschnitt näher.
224
8.1.3 Produkte der Gene vasa, nanos und Totipotenz-vermittelnder Gene wie Oct4 machen Urkeimzellen zu Urkeimzellen und kennzeichnen Zellen der Keimbahn – so auch beim Menschen Kennt man das Polplasma vom Drosophila-Ei und das Keimplasma vom Xenopus-Embryo schon seit Dekaden, und ist immer schon vermutet worden, dass diese Plasmabereiche Keimzelldeterminanten enthalten, so ist doch erst 1999 ein Genprodukt gefunden worden, das eine entscheidende Komponenten der Keimzelldeterminanten zu sein verspricht: die RNA, welche sich vom Gen vasa ableitet. Homologe dieses erstmals bei Drosophila identifizierten Gens sind bei Vertretern vieler Tierstämme gefunden worden, bei Cnidariern, Planarien, bei den Ecdysozoa Caenorhabditis elegans und Drosophila, beim Anneliden Platynereis und bei Chordaten als da sind Tunikaten (Ascidien), der Zebrafisch Danio, der Krallenfrosch Xenopus, das Hühnchen, die Maus und der Mensch. Defekte in beiden Allelen des Gens führen zu Sterilität. Außerordentlich bemerkenswert ist, dass Produkte des Gens, speziell das VASA-Protein, oftmals die gesamte Keimbahn begleiten, vom frühen Embryo bis in die reifen, oder nahezu reifen, Spermien oder Eizellen, aus denen die nächste Generation hervorgehen soll. Schon Eizellen enthalten maternal erzeugte vasa-mRNA, was bedeutet, dass die Keimbahn unter der Regie maternaler Eikomponenten spezifiziert wird. Antikörper gegen das VASA-Protein entdecken es im Embryo des Zebrafisches während der ersten Furchungsteilungen entlang der Furchen (Abb. 8.3a), im Cytoplasma der Gründerzellen der Keimbahn (z. B. P-Zelllinie von C. elegans), in wandernden Urkeimzellen (Abb. 8.3b, c) und schließlich in reifenden Spermien und Oocyten. vasa-mRNA oder VASA-Protein sind Marker der Keimbahn auch in Organismen, in denen morphologische Kennzeichen wie keimbahnspezifische Granula nicht zu sehen sind. Neben VASA sind auch die Genprodukte von nanos, Nanog und Oct-4 Indikatoren von Keimbahnzellen. Wir waren dem Gen nanos bei Drosophila begegnet, wo sein Produkt eine Rolle bei der Entwicklung des Abdomens spielt. Nun kommen zwei weitere Funktionen hinzu:
8 Eizellen und Spermien
NANOS befähigt die Urkeimzellen, in die Gonaden zu wandern. NANOS und VASA helfen in Kooperation mit dem Transkriptionsfaktor OCT-4 den Zellen der Keimbahn, Stammzellencharakter und Totipotenz zu bewahren. (NANOS und VASA selbst sind keine Transkriptionsfaktoren, sondern greifen steuernd in die Verwertung von RNA ein.) Knockout-Mutationen der Gene nanos, Nanog vasa oder Oct-4 machen Mäuse unfähig, Keimzellen zu bilden. Der Transkriptionsfaktor OCT-4 ist bereits in den embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) aktiv und ermöglicht es pluripotenten Stammzellen in Kooperation mit weiteren Transkriptionsfaktoren, ihre Pluripotenz im künftigen Leben zu bewahren (Kap. 18). Weiterhin ist bemerkenswert, dass ein Oct-4 homologes Gen schon bei Hydrozoen (Hydractinia) den frühembryonalen Zellen und den Stammzellen, die zeitlebens auch Keimzellen hervorbringen, Totipotenz verleiht.
Nur eines betrübt den Forscher: Während der Wanderschaft setzt oftmals die Expression des Gens vasa aus und er kann Keimbahnzellen dann nicht mehr durch In-situ-Hybridisierung gegen vasa-mRNA ausfindig machen. Dann hilft aber oft noch Immuncytochemie zur Darstellung des VASA-Proteins.
8.1.4
Ob der Differenzierungsweg zu Eizellen oder Spermien führt, wird bei Wirbeltieren in den Gonaden entschieden
Bei Wirbeltieren können die einwandernden Urkeimzellen die Rindenschicht (Cortex) der sexuell noch indifferenten Gonade oder das innere Mark (Medulla) besiedeln (Abb. 7.2 und 7.4). Entwickelt sich (bei der Maus untersucht) die Gonade unter dem Einfluss des vom Sry-Gen auf dem Y-Chromosom codierten SRY-Faktors, auch Testis-Determining Factors TDF genannt, (Kap. 7) zum Hoden, gehen die Urkeimzellen der Rindenschicht zugrunde und die des Marks werden zu Spermatogonien. Bei ♀ gibt es kein Y-Chromosom
8.2 Die Oogenese: Herstellung und Bevorratung der Eizelle
und damit auch kein Sry-Gen. Nun entwickelt sich die Gonade zum Ovar; die Urkeimzellen der Rinde überleben und werden zu Oogonien.
8.2 Die Oogenese: Herstellung und Bevorratung der Eizelle 8.2.1 Bei vielen Tieren, so auch bei Wirbeltieren, findet man im Kern der Oocyten Lampenbürstenchromosomen, rDNA-Amplifikation und multiple Nucleolen Die Oogonien durchlaufen erst eine Phase mitotischer Proliferation (Abb. 8.4; s. auch Abb. 6.1). Nach Abschluss der Zellteilungsrunden heißen die Keimzellen Oocyten. Im Ovar eines menschlichen Fetus finden sich ca. 500.000 Oocyten. Nach der Geburt eines Mädchens wird, anders als in der Spermatogenese des Mannes, die Proliferation nicht mehr fortgesetzt, vielmehr gehen mit Beginn der Pubertät sogar 90 % der Oocyten zugrunde. Noch vor der Geburt des Mädchens, im 3.–7. Monat, treten die Oocyten in die Prophase der Meiose ein. Schon zuvor sind die Chromosomen im Zuge einer S-Phase in sich verdoppelt worden. Im Zygotän der Prophase treten die homologen Chromosomen paarweise zu Tetraden (Bivalente) zusammen. Die vier parallel gelagerten Chromatiden einer Tetrade werden vom synaptonemalen Komplex zusammengehalten. Dann aber wird im Zusammenhang mit der beginnenden Wachstumsphase der künftigen Eizelle in den Oocyten, anders als in den Spermatocyten, die Prophase unterbrochen. Die Chromosomen werden zu sogenannten Lampenbürstenchromosomen (Abb. 8.5). Gleichzeitig erscheinen multiple Nucleolen (viele Nucleoli). Lampenbürstenchromosomen (lampbrush chromosomes): Die Chromosomen bleiben zwar gepaart, doch lockern und strecken sie sich wieder und bilden lateral abstehende Schleifen. Die Cytologen am Ende des 19. Jahrhunderts fühlten sich an die Bürsten erinnert, die man zum Putzen von Petroleumlampen verwendete. An den dekondensierten Tetraden findet im großen Umfang Transkription statt. Die Transkripte, darunter viel mRNA,
225
aber auch miRNAs, werden zu RNP-Partikeln verpackt, ins Cytoplasma der Oocyte verfrachtet und dort zwecks Verwendung in der frühen Embryonalentwicklung gespeichert. Multiple Nucleolen: Als Ausdruck einer enormen Produktion von Ribosomen tritt eine Vielzahl von Nucleoli (multiple Nucleoli) auf. Ihrem Erscheinen geht die selektive Amplifikation der rDNA voraus. Im Genom von Xenopus liegen die Gene für die ribosomalen 18S-, 5,8S- und 28S-RNA als Tandem-Einheit (rDNA cluster) beisammen (Abb. 8.6). Diese rDNA-Einheit wurde bereits im Lauf der Evolutionsgeschichte linear vervielfältigt. Es liegen also schon vor der selektiven Amplifikation in den geerbten Chromosomen (Keimbahn-Chromosomen) viele Kopien dieser rDNA-Einheiten vor. Man findet 450 linear hintereinander aufgereihte Kopien der rDNA-Einheit, die von Generation zu Generation weitervererbt wird und in einem Abschnitt des Chromosoms zusammengefasst ist, der Nucleolusorganisator genannt wird. An ihm bildet sich die Ribosomenfabrik des Nucleolus. Da der Krallenfrosch tetraploid ist, können in normalen somatischen Zellen bis zu vier Nucleolen erwartet werden. In den Oocyten kommt es zu einer zusätzlichen Vervielfältigung, die man Amplifikation nennt. Durch selektive Replikation nach dem rolling-circle-Modus werden von den schon vorliegenden 4450 rDNA-Kopien ca. 1000 Extrakopien hergestellt. Jede dieser rDNA-Kopien löst sich ab, wird zum Ring geschlossen und zum Nucleolus ausgebaut. Die ca. 1000 Nucleolen enthalten somit jeweils 450 Kopien der drei ribosomalen Gene. Die Gene für die noch fehlende 5s-rRNA liegen auf einem anderen Chromosom in 24.000 linear multiplizierten Kopien bereit. Es werden in den Nucleolen ca. 1012 Ribosomen montiert. Ohne Genvervielfältigung brauchte ein Krallenfrosch statt weniger Monate etwa 500 Jahre, um diese Menge zu produzieren.
8.2.2
Oft übernehmen somatische Zellen zusätzliche Ammenfunktion und helfen, Rieseneizellen heranzuziehen
Bildet die Oocyte der Wirbeltiere mRNA und Ribosomen noch selbst, so stellt sie Dotterproteine und
226
8 Eizellen und Spermien Während der Embryonalentwicklung eines Mädchens in seinem Ovar
Vor der Geburt, in den Hoden eines Jungen
Urkeimzellen
Urkeimzellen hier: Oogonien
hier: Spermatogonien mitotische Vermehrung
500 000 Oocyten, Ender der Vermehrung Beginn der Meiose Replikation der DNA Paarung der homologen Chromosomen, Crossovers Oocyte I
Ab der Pubertät laufend
weitere mitotische Vermehrung der Spermatogonien
12-45 Jahre Stillstand der Meiose, Wachstum der Eizelle Chromosomen partiell dekondensiert
Bildung eines Vorrats an mRNA
Ende der mitotischen Vermehrung, geringes Wachstum
Einlagerung von Dottermaterial
Spermatocyte I Beginn der Meiose
Oocyte Beendigung der Meiose nach der Pubertät in 1-4 Eizellen pro 28 Tage 1. Polkörper
1. Reifeteilung
1. Reifeteilung
2. Reifeteilung
Oocyte II 4 Spermatocyten II Spermienbildung Polkörper 2. Reifeteilung
Eizelle Spermium Bildung der Keimzellen
Abb. 8.4 Gametogenese (Oogenese und Spermatogenese) des Menschen im Überblick. Oogonien und Spermatogonien sind noch diploid und vermehren sich mitotisch. Wenn diese Proliferation zu Ende ist, spricht man von Oocyten I bzw. Spermatocyten I. Diese treten in die Meiose (Reifeteilung) ein. In der Spermatogenese findet die Meiose erst spät statt. In Oocyten beginnt sie früh, bleibt dann aber für 12–45 Jahre arretiert,
bevor reife Eizellen entstehen. Die Meiose liefert vier haploide Zellen. In der Oogenese sind die meiotischen Teilungen extrem asymmetrisch. Drei der vier Zellen sind sehr klein und gehen als Polzellen zugrunde und nur die große Oocyte II überlebt. In der Spermatogenese liefert die Meiose vier gleichwertige Spermatocyten II, die sich zu jeweils vier Spermien differenzieren
8.2 Die Oogenese: Herstellung und Bevorratung der Eizelle
227
a
b
d2
c
d1
e
f1
f2
f3
f4
g Abb. 8.5 Oogenese beim Wirbeltier I. Die Meiose wird in der Prophase unterbrochen und das Stadium der Lampenbürstenchromosomen eingeschoben. An den Schleifen der Lampenbürstenchromosomen findet Transkription statt. Polymerasen wandern über die DNA-Schleifen und transkribieren mRNA. Diese wird mit Proteinen verpackt und in Form von RNPPartikeln ins Cytoplasma geschleust. Die Zahl der Möglichkeiten, mit denen in den folgenden meiotischen Teilungen
Chromosomen verteilt werden können, ist eine Funktion der Zahl vorhandener Chromosomen. In jedem Fall sind zwei Teilungsschritte erforderlich, um vom diploiden 4C-Zustand zum haploiden 1C-Zustand zu kommen (C bedeutet Menge der DNA; 1C D Menge im hapoiden Zustand; diploid 2C vor Replikation; diploid 4C, weil beim Eintritt in die Meiose die DNA bereits repliziert D verdoppelt ist)
228 Abb. 8.6 Oogenese II. Amplifikation der rDNA zur Herstellung vieler Nucleolen. In den Nucleolen wird die amplifizierte, zum Ring geschlossene rDNA benutzt, um via Transkription rRNA herzustellen, die als Strukturelement von Ribosomen benötigt wird. Da mehrere Polymerasen gleichzeitig über die rDNA wandern, um rRNA herzustellen, sieht man – als Funktion der schon abgelesenen Strecke – verschieden lange rRNA-Stücke von der rDNA abstehen („Tannenbaumstruktur“)
8 Eizellen und Spermien
1 Cluster 450 rDNA-Cluster
-
-
-
Dotterlipide, die als Energiespeicher und Baustoffvorrat dienen, nicht selbst her. Die Vorstufen werden als Vitellogenine (Protein) von der Leber produziert, über den Blutkreislauf ins Ovar transportiert, von den Follikelzellen aufgenommen und in die Oocyten übertragen (Abb. 8.7). Vitellogenine findet man normalerweise nur im weiblichen Blut. (Sind sie auch im Blut männlicher Organismen nachzuweisen, ist dies ein Indiz für das Wirken von Xenöstrogenen, s. Box 7.2.) Die durch Endocytose von der Oocyte aufgenommenen Vitellogenine werden in das
stark phosphorylierte Phosvitin-Protein und das Lipoprotein Lipovitellin gespalten und umgebaut. In Membranen verpackt, sind diese beiden Produkte die Hauptbestandteile der Dotterplättchen. Darüber hinaus werden Glykogengranula deponiert. Die Oocyten wachsen zu den größten Zellen heran, die es gibt. Die Eizelle (Gelbei) des Haushuhns hat ein Volumen, das das Volumen einer typischen Körperzelle 9-milliardenfach übertrifft. Das Gelbei des Straußes ist die größte tierische Zelle, die man gegenwärtig kennt.
8.2 Die Oogenese: Herstellung und Bevorratung der Eizelle animaler Pol
"Keimbläschen" (Kern der Oocyte) Follikelzellen Transcytose Vitellogenine
Dotterplättchen Vitellinmembran (Zona pellucida = Area pellucida bei Säugern) vegetativer Pol
Abb. 8.7 Versorgung der Oocyte mit Vitellogeninen (Dotterprotein-Vorläufern) durch die Follikelzellen. Die Vitellogenine werden von den Follikelzellen aus dem Blut geholt und via Transcytose der Oocyte übergeben. Zum Schluss scheiden die Follikelzellen die Vitellinmembran ab
8.2.3 Bei Drosophila werden die Oocyten von Ammenzellen mit allem versorgt Bei Insekten, die sich mit der Oogenese Zeit lassen, wie den Grillen, findet man ebenfalls Lampenbürstenchromosomen und multiple Nucleolen. Anders bei Drosophila, die nur 14 Tage lang lebt und in 12 h ein Ei herstellt. Hier wird die Oocyte gänzlich von Ammenzellen versorgt; der Oocytenkern ruht. Die Oogonien sind in Schläuchen, den Ovariolen, verpackt (s. Abb. 4.25). Jedes Oogonium teilt sich mitotisch viermal, und es entsteht ein Verband von 16 Zellen, die mit dünnen Schläuchen, den Fusomen, miteinander verbunden bleiben. Zwei der zentral gelegenen Zellen sind mit vier Nachbarn verbunden; eine dieser zwei zentralen Zellen wird zur Oocyte. Alle anderen 15 Geschwisterzellen werden zu Nähr- oder Ammenzellen (nurse cells). Diese amplifizieren ihr gesamtes Genom; die Chromosomen werden polytän und haben etwa 500 bis 1000 Kopien des Genoms, die nun für eine gesteigerte Transkriptionsaktivität zur Verfügung stehen. Die Syntheseprodukte (z. B. RNPPartikel oder Proteine) werden in die anschwellende Oocyte geschleust. Unter den Genprodukten befinden sich auch entwicklungssteuernde Moleküle, so z. B. die mRNA des Gens bicoid, die am Vorderpol des
229
Eis deponiert wird, und die mRNAs der Gene nanos und oskar, die am Hinterpol akkumulieren. Diese mRNAs bestimmen dann, wo Kopf und wo Abdomen entstehen. Alle diese Produkte sind maternal, ebenso wie die Produkte, die über die Wandung der Ovariolschläuche von den Follikelzellen, herbeigeschafft werden. Ähnlich wie bei Wirbeltieren werden Dotterproteine in Form von Vitellogenin außerhalb des Ovars, bei Insekten im Fettkörper, hergestellt und über die Follikelzellen den Oocyten zugeleitet.
8.2.4
Oocyten sind polar, d. h. asymmetrisch, organisiert und werden von extrazellulären Membranen und Hüllen umschlossen
Die Dotterbestandteile werden asymmetrisch in der Oocyte deponiert. Bei Drosophila verbleibt der Kern zwar im Eizentrum, doch wird durch die Verteilung von Dotterkomponenten und die Form des Eies, die durch ein vom Follikelepithel abgesondertes, derbes Chorion stabilisiert wird, eine morphologische antero-posteriore und eine dorso-ventrale Polarität erkennbar. Die in der äußeren Gestalt des Eies sichtbare Bilateralsymmetrie ist nicht für die Bilateralsymmetrie des Körpers maßgebend. In bestimmten Mutanten (z. B. bicoid, dorsal) oder nach experimentellem Eingriff (z. B. Injektion von bicoid-mRNA in den hinteren Eibereich) kann, im äußerlich normal gestalteten Ei, die spätere Körperarchitektur völlig umgekrempelt werden (s. Abb. 4.32). Die meisten tierischen Eizellen, so auch die der Wirbeltiere und des Seeigels, bleiben äußerlich kugelförmig, erhalten aber in ihrer inneren Struktur eine animal-vegetative Polarität: Dotterplättchen und Glykogengranula werden gehäuft in der vegetativen Hemisphäre deponiert, der riesige Oocytenkern liegt als Keimbläschen nahe dem animalen Pol. Ob und inwieweit die interne Architektur, die ungleiche Verteilung von Komponenten, für die spätere Entwicklung maßgebend ist, kann nur experimentell ermittelt werden (Kap. 9). Zum Schluss wird die Eizelle von den Follikelzellen mit einer nicht-zellulären, verstärkenden Vitellinmembran umhüllt, und mit zusätzlichen Hüllschichten unterschiedlicher Konsistenz (Abb. 8.7). Außen
230
8 Eizellen und Spermien
an der Vitellinmembran des Säugereis klebt die Zona pellucida, welche aus Resten der Follikelzellen hervorgeht. Eiweißschicht und Eischalen der Reptilien und Vögel können erst nach der Befruchtung vom drüsigen Eileiterepithel um die langsam rotierende Eizelle gewickelt werden.
8.3
8.2.5 Bei Wirbeltieren leiten hormonelle Signale die Polkörperbildung und Endreifung ein
In den Hodenkanälchen behalten die aus den Urkeimzellen hervorgehenden Spermatogonien ihre Teilungsfähigkeit. Sie liegen entlang der Wandung der Kanäle und gliedern Richtung Kanallumen Spermatocyten ab, welche die mitotische Teilung einstellen (Abb. 8.8). Anders als Oocyten wachsen Spermatocyten jedoch nur wenig. Auslöser für die mit Beginn der Pubertät einsetzende Spermatogenese (Spermienbildung) sind wie im weiblichen Geschlecht die Hypophysenhormone FSH und LH. Sie regen die Leydig-Zwischenzellen des Hodens an, Testosteron zu produzieren. Unter dessen Einfluss durchlaufen die Spermatocyten die Meiose, und jede Spermatocyte liefert vier gleichwertige sekundäre, haploide Spermatocyten. Diese bilden im Zuge einer terminalen Differenzierung vier Spermien. Während der ganzen Entwicklung bleiben die Abkömmlinge einer Urkeimzelle miteinander durch cytoplasmatische Brücken verbunden (wie die Eizelle mit ihren Nährzellen in der Ovariole von Drosophila). Erst die fertigen Spermien lösen sich voneinander. Während sich im Zentrum der Hodenkanäle fertige Spermien ansammeln, wird von den Spermatogonien entlang der Kanalwand laufend (Mensch) oder während der Brunft für Nachschub gesorgt. Während die Herstellung eines reifen Eies beim Menschen 12 bis 45 Jahre dauert, werden Spermatozoen in 64 Tagen hergestellt. Bei Säugetieren mit jahresperiodisch wiederkehrender Brunft läuft auch die Spermatogenese in jahresperiodischen Schüben ab. Rhythmusgeber sind die gonadotropen Hypophysenhormone.
Wenn die Oocyte ihre Endgröße erreicht hat, was viele Jahre – beim Menschen 12–45 Jahre – dauern kann, wird die Meiose fortgesetzt (Abb. 8.4). Die Chromosomen kondensieren zur Transportform, es kommt zur Auflösung der Membran des Oocytenkerns (germinal vesicle breakdown) und dann zur Abschnürung der abortiven Miniaturzelle des ersten Polkörpers (Richtungskörper, polar body). Der zweite Polkörper wird beim Säugerei erst nach der Befruchtung abgeschnürt. Auslösend für die Wiederaufnahme der unterbrochenen Meiose sind die Gonadotropine FSH (Follikel-stimulierendes Hormon) und LH (luteinisierendes Hormon). FSH und LH sind Peptidhormone, die von der Hypophyse ausgesandt werden und ihrerseits die Follikel in den Ovarien dazu anregen, Östradiol (estradiol) in den Thecazellen des Follikels und Progesteron in den Granulosazellen des Follikels zu erzeugen (Abb. 6.2a). Welche Hormonkombination die Abschnürung des ersten meiotischen Polkörpers und die Freisetzung des Eies aus dem Follikel (Follikelsprung, Eisprung) auslöst, ist von Tierart zu Tierart verschieden. Beim Menschen wird in der ersten Hälfte des Menstruationszyklus durch das luteinisierende Hormon LH in ca. 10–50 Oocyten die jahrelang ruhende Meiose wieder in Gang gebracht. In der Regel wird beim Menschen nur ein Ei freigesetzt. Der Eisprung (Ovulation) geschieht in der Mitte zwischen zwei Menstruationen (s. Abb. 6.2b), bei anderen Säugern jedoch in der Periode des Östrus (Hitze, Läufigkeit, Brunft), die nicht mit der Menstruation gleichzusetzen ist, sondern die Zeit des Eisprungs und damit die Empfängnisfähigkeit anzeigt.
Die Spermatogenese: das Herstellen von Spermien
8.3.1 Bei Säugern werden Spermien laufend erzeugt; die Meiose findet in einem Zug erst am Ende der Spermatogenese statt
8.3.2 Das fertige Spermium: Es ist nicht viel mehr als ein dicht verpacktes Genom mit Antrieb Das typische tierische Spermium (Spermatozoon) – als solches kann das des Seeigels gelten (Abb. 8.9) – besitzt unterhalb seiner Bugspitze, dem Akrosom,
8.3 Die Spermatogenese: das Herstellen von Spermien
Spermatogonie in G1
231
Peripherie
Spermatogonien in G2 Spermatocyten I Spermatocyten II
Spermatiden (Differenzierung)
Lumen
Spermien im Lumen
Hodenkanälchen quer
Abb. 8.8 Spermatogenese. Ausschnitt aus einem Hodenkanälchen. Die Spermatogenese läuft in der Wandung der Kanäle ab; die fertigen Spermien gelangen in das Lumen der Kanäle. Beachte: In der Spermatogenese gibt es, anders als in der Oogenese, kein Stadium mit Lampenbürstenchromosomen; und alle aus der Meiose hervorgehenden Tochterzellen werden zu Geschlechtszellen (Spermien)
ein Akrosomvesikel Direkt darunter liegt der hochkondensierte haploide Kern. Das Mittelteil des Spermiums trägt das Kraftwerk des Mitochondriums und das Centriol, und schließlich den Propeller des Flagellums. Es ist gerüstet für die Befruchtung. Allerdings haben keineswegs alle Tierarten Spermien nach dem Prototyp des Lehrbuchs. Flagellenlose, dafür anmöboid bewegliche Spermien finden
Abb. 8.9 Spermium. Prototyp des generalisierten Spermiums ist das Spermium des Seeigels
sich bei Nematoden und Arthropoden sowie manchen Krebstieren. Sehr langgestreckt und ohne Flagellum sind die Spermien von Drosophila (Abb. 8.10). Trotz des großen Unterschiedes in der Struktur der Spermien der Fliege, der Fische und der Maus haben biochemische Untersuchungen eine Gemeinsamkeit entdeckt, die möglicherweise für das ganze Tierreich gilt. Im Chromatin der Spermien werden teilweise oder ganz die Histone gegen Protamine ausgetauscht. Protamine sind kleine basische, d. h. elektrisch positiv geladene Proteine, die sich dicht an die negativ geladenen Nucleinsäuren anlagern können und damit eine besonders hohe Verpackungsdichte der Chromosomen ermöglichen.
232
8 Eizellen und Spermien
das „mütterliche“ Genom zum Zuge. Andererseits ist beim Menschen die Ausprägung der Chorea Huntington stärker, wenn die (dominant autosomale) Erbkrankheit durch den Vater vererbt wird. Diese Art der genomischen Prägung (imprinting) wird auf epigenetische Modifikationen des Chromatins wie das Methylierungsmuster zurückgeführt (s. Abschn. 12.5; Abb. 12.22), das von Spermium oder Eizelle mitgebracht wird. Es sind noch weitere Mechanismen einer genomischen Prägung entdeckt worden (s. Abschn. 12.5; Abb. 12.23).
Akrosom
Akrosom
perinukläre Mikrotubuli
8.4.2 Chromatin
a
Centrosom
Centrosom
b Abb. 8.10 Spermienreifung bei Drosophila. a Haploide Spermatocyte II; die in Längsrichtung wachsenden Mikrotubuli beginnen die Zelle zu strecken. Im Chromatin werden die Histone gegen Protamine ausgetauscht. b Fertiges, extrem langgestrecktes Spermium
8.4 Weitere Mitgift: maternale und paternale Prägung 8.4.1 Spermien und Eizellen sind genetisch nicht vollständig gleichwertig; ein erster Unterschied kann im Methylierungsmuster begründet sein Das von der Oocyte beigesteuerte „mütterliche“ und das vom Spermium mitgebrachte „väterliche“ Genom tragen nicht immer im gleichen Maß zur Programmierung der Eigenschaften des neuen Organismus bei. Im Keim der Maus beispielsweise kommt in den extraembryonalen Strukturen (Trophoblast, Plazenta) überwiegend das „väterliche“, im Embryo selbst mehr
Mitochondrien sind eine Quelle zusätzlicher genetischer Information. Bei Säugetieren werden Mitochondrien nur über die Oocyten, und damit nur über die mütterliche Linie, vererbt
Mitochondrien sind im Laufe der Evolution aus Endosymbionten entstanden. Sie besitzen noch Reste eines eigenen Genoms. Mitochondrien sind allerdings nicht gänzlich autonom; denn eine Reihe der mitochondrialen Enzyme wird nicht (mehr) von mitochondrialen Genen, sondern von Genen des Kerns codiert (es wird angenommen, dass im Zuge der Evolution manche mitochondrialen Gene in den Kern aufgommen wurden) Eizellen sind mit vielen Mitochondrien ausgerüstet, Spermien mit nur einem oder wenigen. Und diese spärliche Ausstattung des Spermiums mit mitochondrialen Genen geht bei der Befruchtung auch noch verloren. Daher gelten die mitochondrialen Gene als „rein mütterlich“ und können zur phylogenetischen Analyse der Herkunft des Menschen herangezogen werden (Abschn. 3.3).
8.5 8.5.1
Genetische Konsequenzen der Soma-Keimbahn-Trennung Die Keimbahn trägt die genetische Information von Generation zu Generation; nur in der Keimbahn werden Mutationen und gezielt veränderte genetische Konstrukte weitergetragen
Generative Zellen, im Regelfall der sexuellen Fortpflanzung sind dies die Keimzellen, übermitteln der
8.5 Genetische Konsequenzen der Soma-Keimbahn-Trennung
nächsten Generation die in Jahrmillionen angesammelte genetische Information. In der Entwicklung des Vielzellers lässt sich eine Stammbaumlinie von der befruchteten Eizelle zu den neuen Keimzellen ziehen. Diese Linie ist die Keimbahn (Abb. 8.1 und 8.2). Es wird gestritten, ob es überall eine „echte“ Keimbahn gibt, die klar Urkeimzellen von Somazellen trennt; oder ob auch Fälle auftreten, in denen Zellen zuerst eine somatische Funktion erfüllen und später erst zu Keimzellen werden. Unbestreitbar ist, dass es immer eine Stammbaumlinie von der Eizelle zu den Oocyten bzw. Spermatocyten gibt. Generell gilt, dass nur Mutationen, epigenetische Modifikationen oder Transgene (künstlich eingeführte Gene), welche in der Keimbahn auftreten oder in die Keimbahn eingeschleust werden, in die nächste Generation gelangen. Zusammenfassung
Keimzellen, Eizellen oder Spermatocyten (Spermien), gehen aus Urkeimzellen hervor, die oftmals (Drosophila, C. elegans, Xenopus) früh in der Embryonalentwicklung beiseite gelegt werden und später in die Gonaden einwandern. Bei anderen Organismen wie der Maus werden Zellen erst später durch induzierende Einflüsse der Umgebung (Nische) zu Urkeimzellen determiniert. Urkeimzellen bringen keine somatischen Zellen mehr hervor, sondern nur noch Keimzellen. Die Zell-Linie, die von der befruchteten Eizelle zu den Urkeimzellen für die nächste Generation führt, ist die Keimbahn. Bei Drosophila ist sie extrem kurz; denn die Urkeimzellen sind in Form der Polzellen die ersten kompletten Zellen des Embryos überhaupt. Ihre Determination geschieht unter dem Einfluss des (maternalen) Gens oskar, dessen mRNA an den posterioren Pol der Eizelle transportiert wird und dorthin Keimzellen-determinierende RNA-Sorten dirigiert, darunter RNA, die sich von den Genen vasa und nanos ableitet. Diese sind entscheidende Gene, deren Produkte in Granula (Polgranula, „Keimplasma“) deponiert werden und die ganze Keimbahn nicht nur bei Drosophila, sondern bei vielen anderen, möglicherweise allen, tierischen Organismen begleiten. Die Produkte (mRNA oder Protein) der Gene vasa, nanos und Oct-4 sind Marker und Determinanten der Keimbahn auch beim Menschen. Der Transkriptionsfaktor OCT-4 vermittelt (in Kooperation mit anderen Faktoren) den
233
Keimbahnzellen Totipotenz. Bei Säugern findet man erste Urkeimzellen außerhalb des Embryos in der Allantoisanlage und im Dottersack, von wo sie in die Gonaden einwandern. Hier in den Gonaden wird erst entschieden, ob die primär geschlechtsneutralen Urkeimzellen zu Stammzellen für Eier (Oogonien) oder für Spermien (Spermatogonien) werden. Wird die Gonade zum Ovar, entstehen durch mitotische Teilung der Oogonien zahlreiche Oocyten, von denen später der größte Teil zugrunde geht. Schon im ungeborenen weiblichen Embryo treten die Oocyten in die Prophase der ersten meiotischen Teilung ein. Diese wird aber unterbrochen; die Chromosomen werden wieder dekondensiert und sind als Lampenbürstenchromosomen transkriptionell aktiv. Zugleich werden durch eine Genamplifikation ribosomale Gene vervielfältigt, und es entsteht eine Vielzahl von Nucleoli (multiple Nucleolen), in denen zahlreiche Ribosomen zur Speicherung im Cytoplasma hergestellt werden. Bei Drosophila entwickelt die Oocyte keine Lampenbürstenchromosomen und keine Nucleolen; sie lässt sich von angrenzenden Nährzellen mit allem versorgen. In der abschließenden Wachstumsphase einer Eizelle werden in Dottergranula des Cytoplasmas Proteine gespeichert, die in der Regel als Vitellogenine im mütterlichen Organismus (Wirbeltiere: in der Leber; Insekt: im Fettkörper) hergestellt und von den Oocyten per Endocytose einverleibt werden. Im Wirbeltier fordern hormonelle Signale die herangewachsene Oocyte auf, mit der Meiose fortzufahren. Diese besteht in zwei extrem inäqualen Zellteilungen, wobei jeweils eine winzige, abortive Tochterzelle als Polkörperchen von der großen Oocyte abgeschnürt wird. Im Hoden finden die Reifeteilungen und die anschließende terminale Differenzierung der Spermien erst nach der Pubertät statt. Während aus einer Oocyte nur eine haploide Eizelle hervorgeht, liefert jede Spermatocyte vier haploide Spermien. Ein fertiges Spermium ist nicht viel mehr als ein Genom mit Antrieb. Zum Zweck einer besonders starken Verdichtung der DNA werden im Chromatin der Spermien Histone gegen basische Protamine ausgetauscht. Eizellen erhalten als weitere Mitgift Mitochondrien; daher sind weibliche und männliche Keim-
234
8 Eizellen und Spermien
zellen genetisch nicht gleichwertig. Unterschiedliche chemische (epigenetische) Modifikationen der DNA wie Methylierung können als genomische Prägung zusätzlich Unterschiede in der Penetranz der mütterlichen und väterlichen Allele in der Nachkommenschaft bewirken. Unab-
hängig davon sind Mutationen epigenetische Veränderungen oder künstlich eingeführte Transgene für die nachfolgende Generation nur dann von Belang, wenn sie in der Keimbahn (der Mutter oder des Vaters) auftreten oder erzeugt werden.
9
Positionsinformation, Musterbildung I: Spezifikation der Körperkoordinaten und erste Schicksalsbestimmung durch maternale Faktoren
9.1 Das Starten ortsgerechter Differenzierungsprogramme
gramme in einer Zelle zum Zuge kommen sollen.
9.1.1 Das Problem: ortsgerechte Entwicklung bei genomischer Äquivalenz
9.1.2
Im Zuge der Embryonalentwicklung erhalten alle durch Zellteilung neu entstehenden Zellen das gesamte Genom zugeteilt; denn die Zellteilungen basieren auf mitotischen Zellzyklen. In der S-Phase des Zellzyklus wird die DNA getreulich repliziert; die zwei Töchter einer Mutterzelle erhalten in der Mitose das exakt gleiche und das vollständige Erbe; denn auch Mitochondrien werden beiden Tochterzellen zugeteilt. Es herrscht anfänglich genomische Äquivalenz, d. h. die Zellen eines Embryos sind genetisch gleichwertig und totipotent (D alleskönnend; Nachweis: z. B. Kerntransplantationen, Kap. 13). Nun sind jedoch die Aufgaben, welche die Nachkommen der Gründerzellen (Blastomeren) übernehmen sollen, keineswegs gleich: die einen sollen Epidermis bilden, um uns gegen die Umwelt abzugrenzen und abzuschirmen, andere sollen Sinnesorgane und das Nervensystem aufbauen, damit wir über Reize externe Information aufnehmen und auswerten können, wieder andere sollen Muskeln aufbauen, damit wir beweglich werden und auf externe Reize reagieren können. Verschiedene Aufgaben verlangen das Ein- und Ausschalten verschiedener Gene; denn schließlich braucht jeder Zelltyp seine besondere Ausstattung an Proteinen. Die anfängliche genetische Gleichwertigkeit und Totipotenz der Zellen verlangt Entscheidungen, welche genetischen Teilpro-
Vor ihrer definitiven Festlegung auf ein Schicksal benötigen die Zellen Information über ihre Lage im Embryo. Teratome zeigen: Bei gestörter Ordnung entsteht Chaos
Bei Säugern, so auch beim Menschen, kann es vorkommen, dass eine befruchtete Eizelle nicht in die Gebärmutter gelangt, wo sie sich – mittlerweile zur Blastocyste geworden – einnisten sollte. Eine Blastocyste kann sich verfrüht schon im Eileiter einnisten, oder sie gelangt gar nicht erst dorthin, sondern fällt in die Bauchhöhle, wo sie sich an allen möglichen, aber immer falschen, Orten festheften kann. Solche Keime entwickeln sich zum Teratom: einem chaotisch disorganisierten Embryo. Man findet allerlei Zelltypen: Epidermiszellen, Nervenzellen, Muskelzellen, Knorpelzellen, Haare. Zelldifferenzierung hat in chaotischem Durcheinander stattgefunden. Im Genom der Zellen ist die Information enthalten, wie bestimmte Proteine durch eine vorgegebene Zusammenkettung verschiedener Aminosäuren produziert werden können. Darüber hinaus ist das Genom so organisiert, dass ganze Programme abgerufen werden können, z. B. um Muskelfasern oder Nervenzellen herzustellen (s. Abschn. 12.2). Da die genomische Information aber anfänglich in allen Zellen gleich ist, benötigt die Zelle, um sich ortsgerecht verhalten und differenzieren zu können, Positionsinformation. Diese kann nicht direkt genetischen Information entnommen werden.
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_9,
235
236
9
Positionsinformation, Musterbildung I
Box 9.1: Wo ist vorn, wo hinten, wo ist oben, wo unten? Quellen primärer Positionsinformation Eine Zelle besitzt in ihrem Kern keine Landkarte und keinen Kompass, mit denen sie ihre Position selbst bestimmen könnte. Die positionsgerechte Zelldifferenzierung muss daher von außen angestoßen werden. Externe Orientierungshilfen: Die Information kann aus der Umwelt stammen: Schwerkraft, Licht, die Einschlagstelle des Spermiums etc. können erste Orientierungshilfen geben. In der Eizelle befindliche Muster maternaler cytoplasmatischer Determinanten: Maternale cytoplasmatische Determinanten (z. B. Transkrip-
9.2 Festlegung der Körperachsen 9.2.1 Zuerst müssen die Körperachsen (antero-posterior; dorsal-ventral) festgelegt werden; das kann in der Oogenese oder erst nach der Befruchtung geschehen Die überwiegende Mehrzahl der Tiere ist bilateralsymmetrisch gebaut. Auf einer antero-posterioren Achse steht senkrecht die dorso-ventrale Achse (Abb. 9.1) Man nennt solche Koordinaten oder Asymmetrieachsen in der Entwicklungsbiologie in der Regel Polaritätsachsen. Eizellen sind stets polar strukturiert. Oft sind Oocyten im Ovar nicht allseits gleichförmig von nährenden Ammenzellen umgeben. Die Oocyte wird bevorzugt an einer Seite gefüttert und spezielle Transportsysteme bringen die verschiedenen, von den Nährzellen angelieferten Produkte an bestimmte Orte der Eizelle. Dies ist vor allem von Drosophila bekannt (Abb. 9.2; s. auch Abb. 4.25). Doch auch in den Oocyten anderer Tiere werden die verschiedenen, teils von außen aufgenommenen, teils von der Oocyte selbst hergestellten Materialien nicht gleichförmig deponiert. Dottergranula akkumulieren oft am künftigen vegetativen Pol; der voluminöse Oocytenkern („Keimbläschen“) kommt nahe dem animalen Pol zu liegen, wo dann auch im Zuge der meiotischen Teilungen die Polkörper abgegeben werden. (Faktisch ist der animale Pol als der Pol definiert, an dem die Polkörper abgeschnürt werden.)
tionsfaktoren) werden den Furchungszellen z. B. von Ammenzellen zugeteilt. Ihre strikte Lokalisierung in bestimmten Regionen der Zellen führt bei Teilungen zu asymmetrischer Aufteilung und ermöglicht somit die Achsenbildung. Zellinteraktionen und konzertiertes Verhalten: Zellen orientieren sich in der Regel an ihren Nachbarn, und sie beeinflussen sich wechselseitig. Dem faszinierenden Problem, wie man durch wechselseitige Einflussnahme geordnete Muster erzeugen kann, werden wir ein eigenes Kapitel (Kap. 10) widmen.
Kann man im Mikroskop auch meistens unschwer eine animal-vegetative Asymmetrie ausmachen, so fehlt jedoch – von Ausnahmen wie Drosophila abgesehen – dem Ei eine ausgeprägte Bilateralsymmetrie. Die vorgegebene animal-vegetative Polaritätsachse entspricht in vielen Fällen in etwa der dorsoventralen Achse des Embryos. Diese Zuordnung der Eiachse zur definitiven Rücken-Bauchachse ist allerdings nur als Faustregel aufzufassen. Die Regel trifft beispielsweise zu für Ascidien und Vögel.
9.2.2
Bei Drosophila nimmt die Mutter dem Kind alle Entscheidungen ab und legt im Voraus die Raumkoordinaten fest; dabei werden die Entscheidungen von Genen der Mutter abhängig
Bei Drosophila ist die gesamte Bilateralsymmetrie vollständig unter die genetische Kontrolle des mütterlichen Genoms gebracht. Da die kleine Taufliege eine dominante Stellung in der Entwicklungsbiologie innehat, betrachtet man Besonderheiten von Drosophila allzu leicht als paradigmatisch für das ganze Tierreich. Auch intuitiv hält man es allzu leicht für selbstverständlich, dass so fundamentale Entscheidungen wie die, wo Kopf und Fuß (bzw. Abdomen), Rückenseite und Bauchseite sein sollen, unter genetischer Kontrolle stehen. Bei genauerem Hinsehen wird man jedoch gewahr, dass selbst bei Drosophila die entscheidenden Faktoren ihren Ursprung außerhalb der Eizelle haben
9.2 Festlegung der Körperachsen
237
Xenopus laevis animaler Pol Kopfpol anterior
Spermium
d
Rückenseite dorsal
a
künftiger Organisator
p
Bewegungsrichtung
v
Schwanzpol posterior Bauchseite ventral
Ort des künftigen Urmundes
Urmund = After
Bilateralsymmetrie
vegetativer Pol
Abb. 9.1 Determination der Bilateralsymmetrie im Amphibienkeim. Bestimmend für die antero-posteriore und die dorsoventrale Achse sind (1) Einschlagsort des Spermiums und in Fol-
Abb. 9.2 Maternale Determination der Körperachsen bei Drosophila. a Anteroposteriore Achse. Von Bedeutung sind vor allem Transportsysteme, welche die von den Nährzellen gelieferten maternalen mRNAs in verschiedene Eiregionen bringen. Ortsbestimmend ist die UTR (untranslated region) der Transkripte. Über Mikrotubuli wandernde Kinesin-Motorproteine verfrachten oskar-RNA an den Hinterpol, wo sie am Cytoskelett verankert werden. Im Gegenzug sorgen Dynein-Motorproteine dafür, dass bicoid-mRNA in der Nähe des Vorderpols akkumuliert. Es sind viele weitere, hier nicht berücksichtigte Transkripte, Bewegungsvermittler und Stabilisatoren an der Festlegung der Achse beteiligt. b Dorso-ventralAchse. Lokalisation wichtiger maternaler Elemente im Eiquerschnitt
ge davon die Wanderbahn des Spermiencentriols sowie (2) die Schwerkraft: Wenn der Spermienkontakt die Rotation des Eicortex auslöst, bestimmt sie die Rotationsrichtung
Drosophila - Ei
Kinesin Mikrotubuli -
+ Dynein
Fusom von Nährzelle
a
posterior
anterior bicoid RNA
Chorion
Eizellmembran + Eicortex
oskar RNA
dorsal Chorion (Eihülle)
DORSAL TOLL SPAETZLE
b
ventral
238
und keinesfalls vom Kern der Eizelle selbst geliefert werden. Die antero-posteriore Polaritätsachse wird durch die räumliche Verteilung von Partikeln bestimmt, die maternal erzeugte mRNA enthalten. Am Vorderpol lagert die mRNA von bicoid (Abb. 9.2, s. auch Abb. 4.28, 4.29, 4.30, 4.31, 4.32 und 4.33), am Hinterpol die mRNA von oskar. Das OSKAR-Protein seinerseits hilft, die mRNA von nanos am Hinterpol zu fixieren. Von der Oocyte aus betrachtet, sind diese eingeschleusten Genprodukte Außenfaktoren; in die Oocyte aufgenommen und deponiert sind sie nun internalisierte Determinanten. Wenn die bicoid-mRNA in das BICOID-Protein übersetzt ist, erfüllt BICOID die Funktion eines Transkriptionsfaktors und wandert in die Kerne der vorderen Eihälfte, um dort (in Kooperation mit anderen Faktoren) solche Gene zu steuern, die für die Konstruktion von Kopf und Thorax benötigt werden, während die mRNA von nanos und oskar für die Organisation des Hinterleibes benötigt werden. Dorso-ventrale Polaritätsachse. Auch bei der Spezifikation der dorso-ventralen Polaritätsachse des Drosophila-Keims sind Signalmoleküle beteiligt, die von der Umgebung stammen, von Follikelzellen sezerniert werden und zwischen Eioberfläche und der Eihülle zu liegen kommen. Diese Signalmoleküle sind von den Follikelzellen mittels des maternalen Gens spätzle hergestellt worden. Die deponierten Signalmoleküle werden von Proteasen freigesetzt und von Rezeptoren der Eimembran, die von eingeschleuster mRNA des maternalen Gens Toll codiert worden sind, aufgefangen. Die empfangenen Signale führen über eine Signaltransduktionskaskade zur Aktivierung des Transkriptionsfaktors DORSAL. Auch dieser Faktor leitet sich von einer importierten, maternalen mRNA ab. DORSAL wandert in die Kerne der Ventralseite (Abb. 9.2b; s. auch Abb. 4.35), unterdrückt dort dorsal bestimmende Gene und aktiviert Gene für die Herstellung ventraler Strukturen. Alle molekularen Komponenten, die zur Etablierung der Raumkoordinaten beitragen, z. B. die von der Eizelle an ihrer Oberfläche in Stellung gebrachten Rezeptoren (TORSO, TOLL) und die im Cytoplasma deponierten mRNAs von bicoid und dorsal (beide codieren für Transkriptionsfaktoren) sowie von nanos, sind selbstverständlich Produkte von Genen. Daher ist bei Drosophila das Genom bei der Etablierung der Koordinaten direkt involviert, es ist jedoch das maternale, nicht das zygotische (embryoeigene) Genom.
9
Positionsinformation, Musterbildung I
Von der Oocyte aus betrachtet kommen die entscheidenden Richtungsgeber von außen, nämlich von den Nähr- und Follikelzellen des Ovars. Dass ein Gen der Mutter entscheidend ist, zeigt die Genetik. Ist das Gen defekt und liegt die Mutation homozygot vor, ist trotzdem die Mutter in ihrem eigenen Körperbau nicht betroffen, sie zeigt einen normalen Phänotyp; denn die betreffenden Gene sind nur in der Oogenese wirksam. Erst die Nachkommen offenbaren den Defekt in ihrem Phänotyp. Man spricht deshalb auch von Maternaleffekt-Genen.
9.2.3
Werden die Koordinaten erst nach der Befruchtung festgelegt, können auch externe Orientierungshilfen benutzt werden
Im einfachsten Fall kann das Spermium ein externer Richtungsgeber sein; und beim Fadenwurm Caenorhabditis elegans markiert der Ort des Spermieneintrittes den posterioren Pol. Auch bei Amphibien ist die Spermienbahn richtungsweisend. Bei Amphibien ist durch die animal-vegetative Eipolarität vorgegeben, dass der Kopf im Umkreis des animalen Pols geformt werden wird und folglich die Rückenlinie über die animale Hemisphäre bis unter den Äquator ziehen wird (Abb. 9.1 und 9.3). Es ist jedoch noch nicht festgelegt, auf welchem der 360 möglichen Meridiane die Kopf-Rücken-SchwanzLinie – nennen wir sie „Nullmeridian“ – verlaufen wird (s. auch Abb. 5.4). Der „Nullmeridian“ wird im Moment der Befruchtung spezifiziert. Zwei externe Orientierungshilfen werden in Anspruch genommen: die Schwerkraft und der Eintrittsort des Spermiums. Irgendwo zufällig auf der nördlichen Halbkugel dringt das Spermium in die Eizelle ein (auf der Südhalbkugel kann das Spermium nicht andocken); der Spermienkern bahnt sich, geleitet von seinem Centrosom, seinen Weg zum Eikern. Mit der Eiaktivierung kommen Umwälzungen im Cytoplasma der Eizelle in Gang. Diese Umwälzungen können im Einzelnen noch nicht beschrieben werden, werden aber von der Schwerkraft beeinflusst und enden damit, dass Ei-intern eine Bilateralsymmetrie entsteht. Als Folge der Rotation der Eirinde, die von Kinesin-Mikrotubuli-Motoren angetrieben wird, werden peripher gelegene Pigmentgranula teilweise ver-
9.2 Festlegung der Körperachsen
239
Maternale Transkripte im Ei von Xenopus Ei vor Befruchtung u. Corticalreaktion animal Blastula 4000 Zellen dorsal
anterior
WNT NODAL
wnt-RNAs
a
b
ß-Catenin-RNA VegT-Protein vegetal
SpemannOrganisator ß-Catenin in Kernen wnt-1-,wnt-11-RNA
posterior
ventral VegT in Kernen
Transkriptionsfaktor Protein
Abb. 9.3 Bedeutung maternaler Transkripte für die Etablierung der Körperkoordinaten (Polaritätsachsen) im Keim von Xenopus. a Verteilung vor der Corticalreaktion. b Nach der Umverteilung maternaler Transkripte (mRNA) im Anschluss an die Befruchtung ist im Amphibienei die künftige Bilateral-
symmetrie spezifiziert. Darüber hinaus bestimmt der nach der Corticalrotation auffindbare Bezirk, an dem ˇ -Catenin in die Kerne aufgenommen wird, die Lage des Urmundes und des darüber liegenden Spemann-Organisators
schoben und es erscheint unterhalb des Äquators und diagonal gegenüber der Eintrittsstelle des Spermiums der graue Halbmond (der nur bei bestimmten Fröschen, nicht aber bei Xenopus, mit bloßem Auge zu sehen ist). Im Inneren des Keims werden in den Bereich des grauen Halbmondes maternale Faktoren verlagert, die den Bezirk befähigen, zum SpemannOrganisator zu werden. Wichtige Faktoren sind u. a. mRNAs für verschiedene WNT-Signalproteine und ˇCatenin-Proteine (Abb. 9.3). Der graue Halbmond, bzw. die ihm entsprechende Region, enthält auch die Stelle, an der sich der Urmund bilden wird. Da der Urmund bei Deuterostomiern, zu denen die Wirbeltiere zählen, zum After wird, liegt also der Schwanzpol diagonal gegenüber der Eintrittsstelle des Spermiums. Mit dem Urmund (D After) ist auch die künftige Rückenseite festgelegt; denn die Achsenorgane (Neuralrohr, Chorda) ziehen schließlich vom Kopf bis in den Schwanz der Kaulquappe und zwar dorsal des Afters. Die künftige Kopf-Rücken-Schwanz-Linie verläuft entlang dem so definierten Nullmeridian vom animalen Nordpol (Urodelen) bzw. dem nördlichen Wendekreis (Anuren) über den Äquator hinweg zum unteren Rand des grauen Halbmondes, der in etwa auf dem südlichen Wende-
kreises liegt (s. Abb. 5.4). Eine interne Organisation, die animal-vegetative Asymmetrie der Eizelle, definiert in Kooperation mit externen Richtungsgebern (Eintrittsort des Spermiums und Schwerkraft) die Bilateralsymmetrie. Beim Zebrafisch (Danio) liegt das Ei gewöhnlich waagrecht; die animal-vegetative Achse ist horizontal orientiert (Abb. 9.4). Die Kopf-Rückenlinie verläuft entlang dem mittleren Meridian, der die höchste Wölbung beschreibt. Im Fischei werden gleiche (homologe) maternale Faktoren verlagert, wie sie für das Amphibienei genannt worden sind. Beim Vogelei ist es die Rücken-Bauchpolarität, welche durch die Struktur des Eies vorgeprägt ist. Der animale Pol markiert das Zentrum der Keimscheibe und definiert die Rückenseite. Die Richtung der Kopf-Rücken-Schwanz-Achse, die auf der kreisförmigen Keimscheibe beliebig orientiert sein könnte, wird durch die vereinte Wirkung von Eirotation und Schwerkraft bestimmt: Während das Vogelei im Eileiter transportiert wird, wird es in langsame Rotation versetzt; dabei wird das Gelbei von Eiklar umwickelt und von den Eischalen umhüllt. Das Gelbei rotiert indes zum Schluss nicht mehr mit dem Restei mit (weswegen die Aufhängeschnüre verdrillt werden). Die
240
9 Achsendetermination
an
veg
a
Vogel
b Zebrafisch
Abb. 9.4 Determination der Kopf-Schwanz-Achse beim Ei des Vogels und des Zebrafisches. Beim Vogelei ist die Richtung maßgebend, in der das Ei beim Transport durch den Eileiter in Rotation versetzt wird. Beim waagrecht liegenden Zebrafisch ist der oben liegende Meridian maßgebend
Keimscheibe bleibt oben, aber um 45ı gegen die Horizontale gekippt. Deshalb wirken dank der Schwerkraft Scherkräfte auf die Keimscheibe ein und diese sollen die Richtung der Kopf-Schwanz-Achse bestimmen. Das Ei der Maus ist bislang das einzige tierische Ei, von dem Material am animalen oder vegetativen Pol entfernt werden kann, ohne dass es zu starken Störungen der Entwicklung kommt. Augenscheinlich ist in der cytoplasmatischen Struktur des Säugereies nur wenig Schicksal programmiert. Es gibt Indizien dafür, dass es dem Zufall überlassen ist, wo sich die innere Zellmasse absondert. Deren Lage jedenfalls definiert die Rückenseite. Wie die Kopf-Schwanz-Polarität festgelegt wird, ist unklar. Zwar ist auch im Säugerkeim ein WNT-Signalsystem (nachfolgender Abschnitt) dirigierend am Werk, doch wie der Signalsender in Position gebracht wird, ist unbekannt. Nach Zeitrafferaufnahmen nimmt möglicherweise im Blastocystenstadium ein exogener Faktor in Gestalt der elliptischen Eihülle (Zona pellucida) einen ersten orientierenden Einfluss auf die Lage der künftigen antero-posterioren Achse.
9.2.4 Im Cytoplasma des Eies sind oft maternale Determinanten enthalten, die richtungsweisend für die Etablierung einer Körperachse sind; eine besondere Bedeutung kommt dem WNT/beta-Catenin-System zu Eine Reihe von Untersuchungen hat für viele Tiergruppen, vom basalen Tierstamm der Cnidarier bis
Positionsinformation, Musterbildung I
zu den Vertebraten, erstaunliche Parallelen zutage gefördert. Oftmals sind Komponenten des kanonischen WNT-(sprich wint)-Signalsystems in die Oocyten eingelagert, beispielsweise die mRNA eines WNT-Signalmoleküls oder das Protein des Transkriptionsfaktors ˇ-(sprich beta)-Catenin (aber auch anderer Komponenten wie TCF, GSK). Das WNT-System wird im Detail in Abb. 11.6 vorgestellt und seine Bedeutung auch in Kap. 22 diskutiert. Im Genom verschiedener Tiere werden WNT-Signalmolekülen codiert, die verschiedenen Untergruppen angehören. Bereits im Stamm der Cnidaria welcher sich vor über 550 Mio. Jahren an der Basis der Eumetazoa abgespalten hat, sind elf davon zu finden (speziell bei Nematostella). Ihr räumlich-zeitliches Expressionsmuster lässt überlappende Funktionen vermuten. Für die Achsenspezifikation bei Invertebraten ist vor allem die Isoform WNT-3a zuständig, mit anschließender Aktivierung des „kanonischen“ WNT-Signalwegs (Kap. 11). Ein Beispiel für die Rolle von WNT für die Installation einer – hier der einzigen – Körperachse ist in Abb. 9.5 zu sehen. Bei Hydrozoen aus dem Stamm der Cnidaria erhalten die im Zuge der Furchung am oberen Pol des Keimes entstehenden Zellen mit der maternalen mRNA für WNT-3a und für weitere Komponenten des Systems die Befähigung, ein WNT-Signal zu produzieren. Damit können sie auf benachbarte Zellen einwirken und die orale-aborale Achse festlegen. Gegen Ende der Furchung produzieren die Zellen dann Signale mittels ihrer eigenen, zygotischen Wnt-Gene. Es bilden sich dabei Gradienten; die Menge der Transkripte ist am oberen Eipol am größten und nimmt in Richtung des unteren Eipols ab. Wird experimentell dafür gesorgt, dass auch andernorts (Fachsprache: ektopisch) WNT-Signalsender entstehen, werden mehrere Körperachsen angelegt und im weiteren Verlauf entstehen mehrköpfige Polypen. WNT-Signale spezifizieren eine der beiden Körperachsen auch bei bilateralsymmetrischen Organismen In der Regel ist es diejenige, welche den Kopfpol mit dem Schwanzpol verbindet und sich entlang der Richtung erstreckt, in der sich das entwickelte Tier vorwärts bewegen wird – „in der Regel“, doch nicht bei allen tierischen Organismen. Beim bilateralsymmetrischen Seeigelkeim liegt das Maximum der WNT-Produktion am vegetativen Pol im Umfeld des späteren Urmundes (der zum After wird). Seit alters wissen Entwicklungsbio-
9.2 Festlegung der Körperachsen
241
Hydractinia maternale Wnt-3a-mRNA
zygotische Wnt-3a-mRNA
Wnt-3a Wnt-3a
Metamorphose
Ei erste Furchung
Abschluss der Furchung
Gastrula
Polyp
Planulalarve Wnt-3a
Stimulation des WNT-System Wnt-3a
Metamorphose
Planulalarve mit 2 Achsen
Abb. 9.5 Achsendetermination durch das kanonische WNTSignalsystem bei dem Hydrozoon Hydractinia echinata. Anfänglich sind in der Oocyte am animalen Pol deponierte Transkripte am Zug, gefolgt von zygotischen Transkripten in der Gastrula. Wird die Phosphorylierung von ˇ -Catenin durch spezifische Hemmstoffe für die Kinase GSK3 global unterbunden
und damit überall die Menge an nicht phosphoryliertem, kerngängigem ˇ -Catenin erhöht, kommt es zur Ausbildung multipler Schwänze in der Larve und nach der Metamorphose entsprechend zu multiplen Polypenköpfen. Adaptiert nach Plickert et al. (2006)
logen: Behandelt man Seeigelkeime mit LithiumIonen, so werden sie „vegetalisiert“, das heißt, die Organe, die aus dem vegetativen Bereich entstehen, geraten zu groß. Lithium greift in das WNT-System ein und verstärkt dieses in seiner Aktivität. Bei Amphibien ist die Situation insofern schwer durchschaubar, als zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche WNT-Isoformen zum Zuge kommen. Anfänglich spielen offenbar maternal codiertes WNT-1 (sowie die planaren Signale WNT-5 und WNT-11) eine Rolle, später zygotisches (also embryoeigenes) WNT-3 plus WNT-8. Welches WNT-Molekül auch immer die dominierende Rolle spielt, es ist ein WNT-Gradient, der in der Blastula vom künftigen Schwanzpol ausgehend die antero-posteriore Achse spezifiziert. Wie beim Seeigel liegt das Maximum im Umfeld des Urmundes. Kurz nach der Befruchtung waren maternale Komponenten des WNT-Systems in diese Region verfrachtet worden einschließlich des ˇ-CateninProteins (Abb. 9.3 s. auch Abb. 5.17). Unter dessen Regie etabliert sich ein mächtiger Signalsender, der
Spemann-Organisator; der im Kap. 10 eingehend besprochen wird. Auch bei Fischen, Vögeln und Säugetieren ist ein WNT-System an der Spezifikation der anteroposterioren Körperachse und der Einrichtung eines Spemann-Organisators beteiligt, auch wenn nicht immer bekannt ist, wie, wann und wo genau der Signalsender in Stellung gebracht wird. Weitere Beispiele für die Rolle des WNT-Systems in der Etablierung der antero-posterioren Achse bei Invertebraten (Anneliden-Entwicklung und bei adulten Plattwürmern) werden in Kap. 22, Abb. 22.4, vorgestellt. Da Wirbeltiere und die meisten Wirbellosen bilateralsymmetrisch organisiert sind, muss senkrecht zur Kopf-Schwanz-Achse eine zweite Achse definiert werden, die dorso-ventrale Achse vom Rücken zum Bauch. Geht man von Modellvorstellungen aus, die an Amphibien erarbeitet wurden, wird diese zweite Achse quer durch das Tierreich vom BMP4-Protein und seinen Homologen spezifiziert. Im rechten Winkel zum WNT-Gradient bildet sich in der Blastula
242
9
Positionsinformation, Musterbildung I
Verlagerung der maternalen, Muskulatur-bestimmenden mRNA Macho-1 (blau) im Ascidienkeim durch ooplasmatische Segregation
a
b
c
Abb. 9.6 Umverlagerung maternaler RNA im Ei der Ascidien durch ooplasmatische Segregation, beispielhaft gezeigt anhand der mRNA von macho-1 im Ei von Halocynthia roretzi. Das Macho-1-Protein determiniert in Kooperation mit weiteren Fak-
toren die Zellen, denen es zugeteilt wird, Muskelzellen des Schwanzes zu werden. Adaptiert nach Nishida und Sawada (2001)
ein BMP-Gradient. Da es beim Frosch keine Hinweise gibt, dass dieser BMP-Gradient aus maternalen Komponenten hervorgehen könnte, soll seine Bedeutung im Kap. 10 herausgestellt werden, wo es darum geht, den Keim über Zell-Zell-Interaktionen in Felder unterschiedlicher Schicksalsbestimmung zu untergliedern.
Genprodukte augenscheinlich richtungsweisend – aber nicht irreversibel bestimmend – sind für die Entwicklung von Mundfeld, Urdarm oder larvalem Skelett (s. Abb. 4.6). Schließlich gehört auch der Pool maternaler mRNA für früh wirksame Induktionsfaktoren im Amphibienkeim zur Gruppe früh wirksamer Determinanten (Abb. 9.3), die später Einfluss nehmen auf die Entwicklung des Nervensystems.
9.3
Frühe Determination von Zelltypen durch maternale Faktoren
9.3.1 Bei einigen Organismen werden bestimmte somatische Zelltypen früh schon von maternalen Faktoren programmiert Es sind nicht nur globale, Körperkoordinaten spezifizierende Orientierungshilfen, welche einer Eizelle als Mitgift mitgegeben sein können. Auch spezifische, Zelltyp-determinierende Faktoren finden sich die schicksalsbestimmend für diejenigen Zellen sind, denen sie im Verlauf der Furchung zugewiesen werden. Ein Musterbeispiel liefert der Ascidienkeim, bei dem zugleich eine gezielte Verlagerung dieser cytoplasmatischen Determinanten während der ooplasmatischen Segregation beobachtet wird. So wird beispielsweise die myogene, d. h. Muskulatur-bestimmende mRNA macho-1, welche für die Ausbildung derSchwanzmuskulatur gebraucht wird, einer bestimmten Blastomere zugeteilt (Abb. 9.6). Andere Beispiele finden sich im Seeigelkeim, wo lokal verteilte maternale
9.3.2
Bei manchen Organismen werden auch schon Urkeimzellen von maternalen Faktoren programmiert
Von besonderer Bedeutung sind Determinanten, die Zellen dazu verpflichten, nicht am somatischen Differenzierungsprogramm teilzunehmen, sondern zu Urkeimzellen zu werden. Es sei beispielhaft hingewiesen auf die Polzellen-Determinanten am Hinterpol des Eies von Drosophila, welche den dort entstehenden Zellen mitteilen, dass sie künftig Urkeimzellen werden sollen. Im Kap. 8 erfuhren wir, dass Urkeimzellen-Determinanten auch in den Eizellen von Caenorhabditis elegans und in Wirbeltieren gefunden wurden. Entscheidende Komponenten sind die maternal erzeugten RNAs der Gene vasa nanos und oct4. Auch andere maternale Genprodukte sind fallweise unverzichtbar, so eine Kollektion von Enzymen wie beispielsweise die mütterlichen DEAD box ATPasen, die beim Export von mRNA aus dem Kernraum ins Cytoplasma von Bedeutung sind (weiteres hierzu in Kap. 8).
9.4 Autonome versus abhängige Entwicklung, asymmetrische Zellteilung versus Zell-Zell-Interaktion
9.4 Autonome versus abhängige Entwicklung, asymmetrische Zellteilung versus Zell-Zell-Interaktion 9.4.1 Autonome und abhängige Entwicklung sind eng verbunden mit zwei basalen Mechanismen der Determination: asymmetrische Zellteilung und Zellinteraktionen Das Erbe eines maternalen Faktors kann Zellen befähigen, autonom, das heißt unabhängig von ihrer Nachbarschaft, ihren eigenen Weg bis zur terminalen Differenzierung zu gehen. Allerdings bringen Blastomeren des frühen Embryos stets auch noch andere Zelltypen hervor; sie sind Gründerzellen mehrerer verschiedener Zell-Linien trotz ihrer cytoplasmatischen Determinanten. Eindrucksvolles Beispiel ist der Embryo von Caenorhabditis elegans (s. Abb. 4.19). Möglich ist eine solche Divergenz der Schicksale durch asymmetrische Zellteilung. Demgegenüber kann jedoch auch eine wechselseitige Beeinflussung benachbarter, ursprünglich gleichartiger Zellen zu einer Aufspaltung ihrer Differenzierungswege führen. 1. Asymmetrische Zellteilung und autonome Entwicklung: Die im Cytoplasma einer Ausgangszelle (Eizelle, Blastomere, spätere Zelle) eingebetteten cytoplasmatischen Determinanten sind asymmetrisch lokalisiert und werden bei einer Zellteilung ungleich auf die Tochterzellen übertragen. Aus einer Zellteilung gehen folglich zwei unterschiedlich programmierte Zellen hervor. Paradefall einer asymmetrischen Zellteilung in der frühen Entwicklung ist die Sonderung der Keimbahn (P-Zellen) von den Somazellen (S-Zellen) bei Nematoden (Abb. 9.7, s. auch Abb. 4.20). Bei jeder Teilung einer P-Zelle entstehen zwei unterschiedliche Zellen: eine Somazelle S und eine Zelle, die PZell-Qualität behält. Sie bewahrt P-Zell-Qualität, weil sie, und nur sie, die Keimbahn-bestimmenden P-Granula mit eingebauter vasa-RNA erhalten hat. Zugleich wird bei dieser Teilung die anteroposteriore Achse des Nematoden festgelegt. Asymmetrische Zellteilung kann, muss aber nicht, von maternalen cytoplasmatischen Determinanten ausgehen. Es gibt asymmetrische Zellteilungen auch in späten Lebensphasen, wenn cytoplasmatische Determinanten der Eizelle längst keine Rolle
243
mehr spielen. Beispielsweise können entscheidende, genregulatorische Faktoren (Transkriptionsfaktoren), die von einer Gründerzelle selbst produziert worden sind, ungleichmäßig auf ihre beiden Tochterzellen verteilt werden. Ursache für eine Ungleichbehandlung der beiden Tochterzellen könnte in einer schon bestehenden asymmetrischen Struktur der sich teilenden Ausgangszelle liegen. Eine asymmetrische Struktur (Polarität) haben beispielsweise die auf der Basallamina aufsitzenden Zellen eines Epithels wie etwa die Stammzellen, welche unsere Haut erneuern (s. Abb. 2.8 und 18.2). Wird der Entwicklungsweg einer Zelle und ihrer Abkömmlinge allein von der Mitgift an inneren Determinanten festgelegt, so werden Zellen ihre terminale Form und Funktion unabhängig von ihrer Nachbarschaft erlangen können. Ist eine Zelle einmal auf eine Aufgabe verpflichtet (commited), ist ihre weitere Entwicklung autonom. Wenn eine solche Zelle in eine andere Umgebung versetzt oder in Zellkultur gehalten wird, führt sie ihr Programm unbeeinflusst von ihrer Umgebung durch. 2. Zellinteraktionen: Die Tochterzellen sind anfänglich nicht nur genetisch, sondern auch in ihren entwicklungsbestimmenden Komponenten (mehr oder weniger) äquivalent. Sie werden verschieden, indem sie sich wechselseitig beeinflussen. Man spricht von abhängiger Entwicklung, weil Einflüsse der Umgebung oder vielfältige Zellinteraktionen (Kap. 10) eine Rolle spielen. Gründerzellen, deren Schicksal nicht so sehr durch zellinterne Komponenten, sondern durch Nachbarschaftsbeziehungen bestimmt wird, sind in ihrer Reaktion flexibel. Zellen der animalen Hälfte des Amphibienkeims beispielsweise können je nach dem Einfluss, dem sie unterliegen, Epidermis, Nervengewebe oder Muskulatur entstehen lassen (s. Abb. 5.16).
9.4.2
„Mosaikkeime“ und „Regulationskeime“ unterscheiden sich im zeitlichen Ablauf der Determination
Vermeintliche Mosaikkeime Der Ascidien-, Nematoden- und Spiralierkeim kann den Verlust bestimmter Gründerzellen nur selten durch Umprogrammieren an-
244 Abb. 9.7 Asymmetrische Zellteilung bei der ersten Furchungsteilung des Eies von C. elegans. Die erste Teilung gibt die Richtung der antero-posterioren Achse vor und trennt zugleich die erste Somazelle S-1 (AB) von der Keimbahnzelle P-1. PAR (D PARtitioning-defective proteins, bezeichnet nach Defektmutanten) sind im Eicortex lokalisiert und dirigieren von hier aus in Kooperation mit weiteren Faktoren die Centrosomen in ihre korrekte Position. Damit richten sie die Mitosespindel aus. Die Teilung trennt anteriore von posterioren cytoplasmatischen Determinanten. Zu den posterioren gehören z. B. Produkte der Gene vasa and nanos-2, welche die Keimbahn begleiten
9
Positionsinformation, Musterbildung I
Caenorhabditis elegans Eicortex
1n Vorkerne 1n
a
c
derer Zellen kompensieren. Die Entwicklungswege der verschiedenen Zellen des Keims sind früh autonom. Von der Vorstellung ausgehend, in den Eiern dieser Tiere läge ein detailreiches Mosaik an Determinanten vor, wurde der Ausdruck „Mosaikkeim“ geprägt. Die vielfältigen im Ei von Drosophila gefundenen maternalen mRNA-Partikel für entwicklungsrelevante Faktoren können solche Vorstellungen unterstützen. Bei genauer Analyse stellt sich allerdings heraus, dass es auch in diesen Keimen in nicht geringem Umfang Zellinteraktionen gibt, die jedoch schon sehr früh wirksam werden. Caenorhabditis elegans, jener kleine Nematode, der seine Embryonalentwicklung stets mit 556 somatischen Zellen beendet und bei dem die Stammbäume aller Zellen im Computer gespeichert werden konnten, weil die Verzweigungen sich in jeder Generation präzise wiederholen, galt neben dem Ascidienkeim als Beleg für Mosaikentwicklung. Schon im ungefurchten Ei lägen, so vermutete man, sichtbare cytoplasmatische Komponenten (wie die P-Granula) oder unsichtbare Determinanten in einem präzisen Muster vor und würden im Zuge der Furchung den Gründerzellen zugeteilt. Ihr Schicksal und das ihrer Nachkömmlinge seien damit festgelegt. Mit dem Laserstrahl erzwungener künstlicher Zelltod führte zu lokalen Ausfällen.
PAR-3 PAR-6 aPKC Spermium
PAR-1 PAR-2
Kern 2n
PIE-1 VASA NANOS-2 u.a.
b
Centrosom
S-1 (AB)
P-1
anterior Soma
posterior Keimbahn
d
Inzwischen hat eine sehr präzise, computergestützte Untersuchung aber nachgewiesen, dass das weitere Schicksal der Furchungszellen nicht allein von ihrer Genealogie bestimmt wird, sondern in hohem Maße von – allerdings sehr frühen – Zellinteraktionen. Während der ersten Furchungsteilungen sprechen sich die Zellen mit ihren unmittelbaren Nachbarn ab. Diese Absprachen werden von membranständigen Signalmolekülen vermittelt, die an Rezeptormoleküle der Nachbarzellen binden (nach Art des NOTCH/DELTASystems, s. Abb. 10.1 und 11.7b). Solch frühe Absprachen zwischen direkten Nachbarn bestimmen die weiteren Entscheidungen. Die genealogischen Zellstammbäume spiegeln früh getroffene Entscheidungen wider. Jedoch ist schon im 28-Zellenstadium das Schicksal der Zellen festgelegt und es liegt nun ein Verband verschieden programmierter Gründerzellen vor. Bei so geringer Zellzahl kann eine abgetötete Gründerzelle nicht so leicht verschmerzt werden. Nach Abschluss der Furchung spricht man zu Recht von zellautonomer Entwicklung; denn was der Nachbar tut, ändert den Determinationszustand nicht mehr. Umso erstaunlicher ist, dass die Zellen im Embryo von C. elegans sich bewegen und ihre Position verändern, um sich anderen Zellen anzuschließen. Andererseits kann das unerbittlich determinierte Schicksal sogar in
9.4 Autonome versus abhängige Entwicklung, asymmetrische Zellteilung versus Zell-Zell-Interaktion
manchen Zell-Linien den Lebenslauf frühzeitig mit programmiertem Zelltod beenden; die Nachbarn verspeisen die Zellreste. Regulationskeime Im Hydrozoen-, Seeigel- und Wirbeltierkeim geschieht die Determination vorwiegend durch Zellinteraktionen (Kap. 10). Darüber hinaus zieht sich die Phase der Programmierung lange hin. Entsprechend lang bleibt eine Regulationsfähigkeit erhalten. Bestimmte Stammzellen, z. B. die Stammzellen des blutbildenden Knochenmarks, behalten sogar zeitlebens Pluripotenz, das heißt die Fähigkeit, sich zu mehreren verschiedenen Zelltypen differenzieren zu können. Andererseits werden auch im Seeigel- und Wirbeltier-Ei zunehmend mehr maternal deponierte Genprodukte gefunden, die den Zellen, die diese Produkte zugeteilt bekommen, schon früh eine besondere Aufgabe zuweisen (s. Abschn. 9.3) oder welche doch eine Prädisposition für einen bestimmten Differenzierungsweg wecken. Beispielsweise haben die Zellen der animalen Hemisphäre der Amphibienblastula eine durch maternale Transkriptionsfaktoren festgelegte Grundtendenz, Nervenzellen zu werden. Gleiches gilt für den Seeigel. Unterschiede zwischen den verschiedenen tierischen Keimen sind also nur graduell. Zusammenfassung
Früh in der Entwicklung muss bestimmt werden, wo im Körper vorn und hinten, dorsal und ventral sein soll. Die Festlegung der Körperkoordinaten, auch Körper- oder Polaritätsachsen genannt, erfolgt bei einigen Organismen bereits im Zuge der Oogenese durch Komponenten des Eies, die unter der Regie mütterlicher (maternaler) Gene hergestellt werden und deshalb maternale Faktoren genannt werden. Bekanntestes Beispiel hierfür ist Drosophila: Der mütterliche Organismus legt für den künftigen Embryo die Koordinaten fest, indem die Nähr- und Follikelzellen des Ovars mRNA für entwicklungsbestimmende Faktoren in die Eizelle einschleusen. Diese mRNA wird im Ei an bestimmte Orte gelenkt und am Cytoskelett verankert. Defektmutationen in solchen Genen führen zu Maternaleffekt-Phänotypen in der Folgegeneration. Die antero-posteriore Achse wird bei Drosophila determiniert durch die anterior verankerte
245
mRNA des Transkriptionsfaktors bicoid und durch die an den Hinterpol transportierte und verankerte mRNAs der Gene oskar und nanos. Die dorsoventrale Körperachse wird festgelegt durch den extrazellulären, zwischen Eizelle und Eihülle gelagerten maternalen SPÄTZLE-Faktor der an maternal codierte TOLL-Rezeptoren der Eizelle bindet und das Einwandern des maternalen Transkriptionsfaktors DORSAL in die Kerne der Ventralseite des Embryos auslöst. Drosophila ist allerdings ein Sonderfall. Bei vielen Tiergruppen spielen in der Oocyte deponierte Komponenten eines WNT-Signalsystems wie mRNA für WNT-Signale und für den Transkriptionsfaktor ˇ-Catenin eine maßgebende Rolle. Auf der Basis so geerbter Vorstufen werden im frühen Embryo von bestimmten Zellen WNT-Signale sezerniert. Bei Cnidariern legen solche Komponenten die oral-aborale Achse fest, beim Seeigel den vegetativen Eipol und damit die Lage des Urmundes. Oftmals werden maternale Faktoren nach der Befruchtung im Zuge einer ooplasmatischen Segregation umgeschichtet und erst im Verlauf der Furchung bestimmten Zellen zugeteilt. So werden im Amphibienei verschiedene mRNAs für WNT und ˇ-Catenin nach dem Eintritt des Spermiums in den Bereich des künftigen Urmundes verfrachtet. Die dort produzierten WNT-Signale legen fest, wo posteriordorsal sein wird. Bei der Verlagerung der Faktoren, und damit bei der Festlegung der Körperachsen, spielen auch externe Faktoren wie Schwerkraft und Eintrittsort des Spermiums eine dirigierende Rolle, so bei Amphibien Auch im Säugerkeim ist ein WNT-Signalsystem bei der Ausrichtung der antero-posterioren Körperachse beteiligt; wie der WNT-Sender etabliert wird, ist in diesem Fall noch unbekannt. Mit der Festlegung der Achsen ist eine erste unterschiedliche Programmierung der Entwicklungsschicksale eingeleitet. Diese Programmierung führt über eine erste richtungsweisende Spezifikation schließlich zu einer stabilen Determination (bei einzelnen Zelltypen auch Commitment, Verpflichtung, genannt). Auch die Spezifikation bestimmter larvaler Zellformen (beim Seeigel und bei Ascidien) und die Determination von Urkeimzellen (bei Caenorhabditis, Drosophila, Xenopus) können von cytoplasmatischen Determinanten ausgehen. Dabei sind
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9
im Tierreich Produkte von Genen von besonderer Bedeutung, die Homologe der Gene vasa, nanos und Oct-4 sind (Kap. 8). Eine asymmetrische Zellteilung kann solche Determinanten unterschiedlich auf die Tochterzellen verteilen. Asymmetrische Zellteilung auch in der weiteren Entwicklung ist eine wichtige Art der Determination. Andere Arten der Determination beruhen auf Zell-ZellInteraktionen. Bei Keimen, die einstmals als Mosaikkeime klassifiziert wurden (Nematoden, Spi-
Positionsinformation, Musterbildung I
ralier, z. T. Insekten, Ascidien), erfolgt die Determination früh, die Zellen entwickeln sich dann autonom, sind unersetzlich, verändern nicht mehr ihren Determinationszustand aber oftmals noch ihre Position im Keim. Bei Regulationskeimen (Hydrozoen, Seeigel, Wirbeltiere) können Störungen leichter korrigiert werden; denn die endgültige Determination erfolgt spät und die Entwicklung der Zellen ist lange abhängig von ihrer Umgebung (Kap. 10).
Positionsinformation, Musterbildung II: Embryonale Induktion und Musterbildung durch Zell-Zell-Kommunikation
10.1 Positionsinformation und die Erzeugung neuer Muster 10.1.1 Was ermöglicht es Zellen, sich wohlgeordnet und ihrem Platz gemäß zu differenzieren? – Wir entwickeln Arbeitshypothesen Wie zuvor in Kap. 9 angesprochen, müssen Zellen sich ortsgerecht verhalten und ihrer Position im Embryo entsprechend hier Nervengewebe aufbauen, da einen Muskel formen, dort ein Skelettelement herstellen. Die DNA des Kerns enthält aber keine Information darüber, wo sich eine Zelle gerade befindet. Grundsätzlich sichern zwei Mechanismen, dass am Ende der Entwicklung die verschiedenen Zelltypen am rechten Platz gefunden werden: 1. Die Zellen werden auf ein Differenzierungsprogramm eingeschworen (committed, determiniert). Während sie sich differenzieren, oder auch erst nach Abschluss ihrer Differenzierung, suchen sie aktiv den Ort auf, an dem sie sich zeitweilig oder auf Dauer niederlassen. Beispiele sind die Chromatophoren der Haut, die Zellen des Immunsystems oder die Keimzellen (Zusammenfassung in Kap. 15). 2. Häufiger jedoch ist, dass Zellen dem Ort gemäß einen „Beruf“ wählen und sich entsprechend differenzieren. In diesem Fall teilt die Umgebung einer Zelle mit, was sie zu tun hat. Positionsgerechte Zelldifferenzierung wird immer von außen angestoßen, also von aktivierenden oder permissiven (erlaubenden) Einflüssen, die außerhalb der Zelle ihren Ursprung haben.
10
Wir hatten bereits in Kap. 9 zwei Quellen für richtungsweisende Faktoren kennengelernt: Externe Orientierungshilfen: Die Information kommt aus der äußeren Umwelt: Schwerkraft, Licht etc. könnten erste Orientierungshilfen geben. In der Eizelle befindliche Muster maternaler cytoplasmatischer Determinanten: Maternale cytoplasmatische Determinanten, beispielsweise in der Oocyte gespeicherte mRNA für Transkriptionsfaktoren, sind nicht homogen verteilt. Neu hinzu kommen in diesem Kapitel Zellinteraktionen und konzertiertes Verhalten: Von Nachbarn angebotene Signale, die das Schicksal der Empfängerzellen nachhaltig bestimmen, werden wir als Induktionssignale (Induktoren) oder als permissive Signale kennenlernen.
10.1.2
Beim Aufbau der Körperarchitektur werden neue Muster geschaffen, die noch nicht im Ei vorgegeben sind
Musterbildung als Ergebnis von Zell-Zell-Kommunikation Das Muster cytoplasmatischer Determinanten kann nur eine erste Orientierungshilfe geben. Im Embryo und dem späteren Tier nehmen außer genetischen Faktoren auch Faktoren Einfluss, die nicht unmittelbar und vollständig genetisch festgelegt sind, sondern sich erst aus dem Zusammenspiel von Zellen innerhalb des Organismus ergeben oder auch zwischen dem Organismus und seiner Umwelt (z. B. phänotypische Geschlechtsbestimmung, Kap. 7). Entwicklung im Allgemeinen, und mit ihr Musterbildung im Speziellen, sind maßgeblich auch von Vorgängen oberhalb der Ebene genetischer Information bestimmt.
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_10,
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248
Man stelle sich eine Hydra vor, die durch Knospung über Jahrtausende Abermillionen weiterer Polypen hervorbringen kann. Diese regenerieren, selbst wenn sie zerstückelt werden, zu neuen vollständigen Polypen. Die Gestalt all dieser Hydren ist selbstredend nicht in der vor vielen Jahren erzeugten Eizelle vorgeprägt worden. Gleiches gilt für alle Apfelbäume einer Zuchtsorte, die durch Propfreiser vegetativ erzeugt (geklont) wurden. Sie gehen auf eine einzige befruchtete Eizelle zurück. Das Muster der cytoplasmatischen Determinanten in diesem Ei kann aber nicht die exakte Form all dieser Bäume mit all ihren Verzweigungen vorherbestimmen. Die für die Musterbildung entscheidenden Vorgänge sind vor allem Wechselwirkungen der Zellen mit anderen Zellen und mit extrazellulären Substraten (extrazelluläre Matrix). Eine Übersicht allgemeiner Art hierzu liefern Abb. 2.8, 11.1, 11.2, 11.3 und 11.4. Genetische Information wird benötigt, um die Proteine herzustellen, die diese Wechselwirkungen vermitteln, z. B. die Moleküle, welche auf der Zelloberfläche exponiert oder in die Umgebung ausgeschieden werden und als Signale Nachbarn beeinflussen. Andere Proteine werden auf der Zelloberfläche exponiert, um als Rezeptoren solche Signale aufzufangen. Genetische Information wird auch gebraucht, um die Signaltransduktionssysteme von der Zelloberfläche ins Zellinnere zu installieren. Doch die Art der Interaktion wird auch wesentlich von nicht-genetisch festgelegten Gesetzmäßigkeiten und Rahmenbedingungen bestimmt, bei löslichen Signalen beispielsweise vom Grad der Hydrophilie bzw. Lipophilie und von den physikalischen Gesetzen der Diffusion.
10.1.3 Zell-Zell-Interaktionen leiten Gestaltbildung ein und führen maternal angelegte Determinationsschritte fort Zu den ersten Molekülen, die ein Embryo mithilfe seiner eigenen Gene herstellt, gehören Moleküle, die dem Zusammenhalt der Zellen dienen. Im Mausembryo wird dies äußerlich sichtbar: Im 8-Zellstadium kommt es zur Kompaktion. Die Zellen kleben großflächig aneinander, weil Zelladhäsionsmoleküle (CAM) synthetisiert wurden. In der Blastocyste der Säuger und ebenso in der Blastula der Nichtsäuger wie der
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
Seeigel und Amphibien vermitteln Zelladhäsionsmoleküle dem äußeren Zellverband den Charakter eines Epithels. Änderungen in der lokalen Ausstattung der Zellen mit solchen Molekülen ermöglichen gemeinsam mit sekretierten Gleitsubstanzen Zellbewegungen in der Gastrulation. Die dabei erzeugten mechanischen Kräfte werden im Kap. 14 behandelt; sie dienen der physikalischen Gestaltbildung während der gesamten Embryonalentwicklung. Physikalisch wichtige Zelladhäsionsmoleküle sind die in der Zellmembran verankerten, in den Interzellularraum ragenden Cadherine. Andere membranständige Moleküle übermitteln ihren Nachbarn Signale, die über das vorübergehende Wirken maternaler Faktoren hinaus auch weiterhin ortsgerechtes Verhalten ermöglichen. Sie sind Thema des Abschn. 10.2.
10.1.4 Im Embryo ermöglicht Positionsinformation ortsgemäßes Verhalten; ein klassisches Transplantationsexperiment belegt ihr Wirken Der Begriff Positionsinformation wurde geprägt von Lewis Wolpert (s. Box 10.2). Inhaltlich ist die Vorstellung einer Positionsinformation schon von Hans Driesch (s. Box 1.1 und Abschn. 4.3.5) entwickelt worden. Den experimentellen Nachweis für das Wirken einer Positionsinformation erbrachte Hans Spemann mit einem klassischen Transplantationsexperiment: Ein Stück einer Froschblastula, das an seinem Heimatort bloß Bauchhaut geliefert hätte, wird zum Mund, wenn es in eine andere Blastula an die Stelle gebracht wird, wo sich später der Mund ausbilden soll. Das Transplantat wird also von der Umgebung instruiert und auf ein neues Schicksal festgelegt. Der besondere Reiz des Experimentes lag darin, dass das Transplantat vom Frosch stammte, der Empfänger jedoch ein Molchkeim war. Die auf das Transplantat wirkende Positionsinformation ist folglich nicht ausgesprochen artspezifisch. Wohl jedoch ist die Reaktionsmöglichkeit artspezifisch. Das Froschtransplantat bildet im Molch einen Froschmund mit Hornzähnen; denn nur hierfür hat es die erforderliche genetische Ausstattung (s. Abb. 5.12). Worin Positionsinformation besteht, darüber gibt es keine einheitliche, allgemein akzeptierte Theorie,
10.2 Musterbildung und Induktion
schlichtweg deshalb, weil es nicht nur ein System gibt, das sie vermitteln kann. Modellhafte Vorstellungen werden in Box 10.2 diskutiert. Gegenüber solch spekulativen Modellen zeigen die nachfolgenden Beispiele, dass Positionsinformation tatsächlich aus verschiedenen Quellen bezogen wird.
10.2 Musterbildung durch Signalaustausch zwischen Nachbarn über direkten Zellkontakt: laterale Inhibition und laterale Hilfe Mit Abschluss der ersten Furchungsteilung, bei Drosophila mit der Bildung des zellulären Blastoderms, beruht die weitere Musterbildung auf dem Austausch von Signalen zwischen den Zellen und deren wechselseitiger Absprache. Eine solche Absprache zwischen direkten Nachbarn findet sich selbst bei den klassischen „Mosaikentwicklern“ Caenorhabditis elegans (Abschn. 4.4) und Ascidien (Abschn. 4.7). Hier sei auf zwei Beispiele aus der Entwicklung von Drosophila hingewiesen. Von allgemeiner Bedeutung sind Nachbarschaftswirkungen, die mit Begriffen bedacht werden wie laterale Inhibition (einem Begriff, welcher der Neurophysiologie des Auges entlehnt ist) oder laterale Hilfe. Beispiele werden in den folgenden Abschnitten vorgestellt.
10.2.1 Nervenzelle oder Epidermiszelle: Das NOTCH/DELTA-System erwirkt binäre, alternative Entscheidungen nach dem Prinzip der lateralen Inhibition Wenn das Ei von Drosophila das Stadium des zellulären Blastoderms erreicht hat und die Gastrulation einsetzt, gliedern sich die Zellen in drei Gruppen: Entlang der ventralen Mittellinie werden Zellen, welche die Gene twist und snail einschalten, in die Tiefe des Embryos eintauchen und mesodermale Gewebe (z. B. Muskeln) bilden. Die links und rechts anschließenden Zellen entlang der Flanken des Keims haben ebenfalls die Tendenz, ins Keimesinnere abzutauchen. Dort sollen sie dann aber Neuroblasten werden und die Bauchganglienkette aufbauen.
249
Die restlichen Zellen des Blastoderms sollen an der Oberfläche bleiben und als Epidermoblasten die Epidermis bilden. Die Sonderung von Neuroblasten und Epidermoblasten erfordert einen Prozess der Entscheidung; denn insbesondere im Grenzbereich sind die Zellen anfänglich unentschieden. Primär haben die Zellen des ventro-lateralen Blastoderms allesamt die autonome Tendenz, Neuroblasten zu werden, aber die Determination der beiden Zellgruppen ist längst noch nicht abgeschlossen. Nach Transplantation von Epidermoblasten in eine Gruppe von Neuroblasten richten sich die transplantierten Zellen nach den am neuen Ort geltenden Regeln und werden selbst Neuroblasten. Auch das Umgekehrte gilt. Beide Gruppen, Neuroblasten und Epidermoblasten, sondern sich erst endgültig voneinander nach dem wechselseitigen Austausch von Signalen. Dabei spielen Signalmoleküle eine wichtige Rolle, die in der Zellmembran verankert sind und den Nachbarn präsentiert werden: NOTCH und DELTA. Beide Proteine tragen in ihren extrazellulären Domänen Motive, sogenannte EGF-repeats, wie sie auch im epidermalen Wachstumsfaktor EGF gefunden werden. Die extrazellulären Domänen der NOTCH- und DELTA-Proteine benachbarter Zellen binden aneinander und vermitteln einen lockeren Zusammenhalt; sie dienen aber auch der Unterdrückung der basalen neurogenen Tendenz in den Epidermoblasten. Dabei gilt DELTA als hemmendes Signal, NOTCH ist der Rezeptor für dieses Signal (Abb. 10.1).
Die neurogene Option ist allerdings nur erfüllbar, wenn in den Zellen der achaete-scuteGenkomplex (AS-C) eingeschaltet wird. Nach einer loss-of-function-Mutation in diesem Komplex kann eine Zelle nicht mehr Nervenzelle werden, wohl aber noch Epidermiszelle. Hierzu muss sie andererseits den Enhancer-of-splitKomplex (Espl-C) einschalten. Ein Genkomplex, der den einen Differenzierungsweg ermöglicht, blockiert den anderen Weg. Die Klassifizierung von NOTCH als Rezeptor liegt darin begründet, dass nach Bindung von DELTA an NOTCH vom NOTCH-Protein der Epidermoblasten eine intrazelluläre Domäne abgespalten wird, die in den Kern wandert und als Transkriptionsfaktor den Espl-C einschaltet.
250
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung Neuroektodermzellen
Anfangs weitgehend gleich NOTCH-Rezeptor DELTA-Ligand
Presenilin-Protease Ungleichheit durch laterale Inhibition CSL
Transkription
Epidermis-spezif. Gene
Delta defekt: keine laterale Inhibition
Neuroblast Epidermiszellen Sorting out des Neuroblasten
Abb. 10.1 Laterale Inhibition zwischen direkten Nachbarn über das NOTCH/DELTA-System. Die Inhibition führt dazu, dass in einer Gruppe ursprünglich (nahezu) gleicher Zellen nur eine Zelle zum Neuroblasten wird und sich ins Innere des Embryos absondert, ihre Nachbarn hingegen im äußeren Blastoderm ver-
alle werden Neuroblasten
bleiben und zu Epidermiszellen werden. Versagt die laterale Inhibition, weil das hemmende DELTA-Signal und/oder der NOTCH-Rezeptor defekt sind, wird die ganze Gruppe zu Neuroblasten (Details zur Signaltransduktion in Kap. 11)
10.2 Musterbildung und Induktion
Werdende Neuroblasten hindern mittels des DELTA-Signals die Nachbarn daran, ebenfalls Neuroblasten zu werden. Man spricht von lateraler Inhibition. Nach einer loss-of-function-Mutation von Delta oder von Notch kann in den Epidermoblasten die neurogene Basistendenz nicht mehr unterdrückt werden. Resultat sind viel zu viele Neuroblasten (neurale Hyperplasie) und zu wenige Epidermiszellen. Noch haben wir uns um die Antwort auf die Frage gedrückt, wie denn entschieden wird, welche Zellen Neuroblasten bleiben dürfen Die Hypothese, die zur Erklärung angeboten wird, beruft sich auf ein Grundprinzip biologischer Musterbildung: Anfänglich geringe Unterschiede verstärken sich durch Konkurrenz zwischen den beteiligten Zellen; laterale Inhibition schafft Sieger und Verlierer. Im ventrolateralen Grenzbereich, wo sich die vielen noch unentschiedenen Zellen befinden, sind anfänglich alle Zellen (fast) gleich. Sie exponieren allesamt sowohl NOTCH als auch DELTA. Nun kommt es zu einer Konkurrenzsituation. Die künftigen Neuroblasten bilden etwas mehr DELTA als andere. DELTA aber ist das hemmende Signal. In den Nachbarn wird als Folge der geringfügig stärkeren Hemmung die Expression von DELTA herabgedrosselt, während NOTCH-Rezeptoren zum Empfang des hemmenden Signals erhalten bleiben. Es kommt zu einer Selbstverstärkung der lateralen Hemmung durch eine positive Rückkoppelung: Die Nachbarn bleiben empfänglich für Hemmsignale (weil sie NOTCH behalten), können aber selbst immer weniger solche Hemmsignale produzieren (weil die DELTA-Expression mehr und mehr gedrosselt wird). Sie werden zu Verlierern. Im vorliegenden Fall müssen sie an der Oberfläche bleiben und Epidermis bilden (Abb. 10.1). Das NOTCH/DELTA-System wurde in allen tierischen Organismen, in deren Genom nach homologen Genen gesucht wurde, gefunden. Auch im Wirbeltier müssen sich am Rande der Neuralplatte künftige Neuroblasten und Epidermoblasten entscheiden und diesen oder jenen Weg wählen (s. Abb. 16.10). Das NOTCH/DELTA-System spielt jedoch nicht nur bei der Sonderung künftiger Nervenzellen von Epidermiszellen eine Rolle, sondern auch bei vielen anderen alternativen Entscheidungsprozessen, so etwa, wenn es gilt, Grenzlinien zwischen zwei Territorien zu ziehen. Sowohl NOTCH als auch DELTA existieren in verschiedenen Isoformen; und dies ermöglicht viele unterschiedliche Einsatzbereiche.
251
10.2.2
Hier ist die Frage: Photorezeptor Nr. 7 oder sevenless; ein Signal der Nachbarzelle gibt laterale Hilfestellung
Das Auge von Drosophila enthält ca. 800 Ommatidien, jedes Ommatidium besteht aus 20 Zellen. Vier davon werden zum dioptrischen Apparat (Linse und Kristallkegel, zusammen im Folgenden kurz Linse genannt), acht werden nach Induktionsvorgängen zu Photorezeptoren (Abb. 10.2).
Im Querschnitt des Fliegenauges sind in Aufsicht immer nur 7 Photorezeptoren zu erkennen. Die Photorezeptoren R1 bis R6 bilden einen Ring, in dem auch der Photorezeptor R7 oder R8 liegt. R7 und R8 sind tandemartig in Längsreihe angeordnet: Photorezeptor R7 befindet sich im oberen Teil des Ommatidiums und stößt an die Linse, basal davon folgt an seiner Stelle R8 (Abb. 10.2). Alle Photorezeptorzellen bilden mit ihren Mikrovillisäumen (Rhabdomeren) die lichtabsorbierende Mittelzone des Rings.
Alle Zellen eines Ommatidiums sind damit in einem exakten Muster angeordnet und sie werden nach einem festgelegten zeitlichen Programm gebildet. Die erste Photorezeptorzelle R8, erscheint im Zentrum des Ommatidiums und ist die boss-Zelle; boss ist die Abkürzung für bride of sevenless. Das von diesem Gen erzeugte Protein wird als membranständiges Positionssignal der über R8 liegenden Nachbarzelle R7 präsentiert. Diese hat ihrerseits ein membranständiges Rezeptorprotein, mit dem sie das Signal abtastet. Dieses Rezeptormolekül ist eine TransmembranTyrosinkinase, die vom Gen sevenless codiert wird. Wenn nun Photorezeptor R8 nach Mutation des bossGens kein ordentliches Signal mehr anbietet oder die Zelle Nr. 7 nach Mutation des Gens sevenless kein funktionstüchtiges Rezeptorprotein hat, wird Zelle Nr. 7 nicht ordnungsgemäß zu Photorezeptor R7, sondern zu einer überzähligen Linsenzelle. Der Zustand „Linsenzelle“ ist auch für alle anderen Photorezeptorzellen der Default-Zustand Die beiden eben aufgezeigten Beispiele einer direkten Nachbarschaftswirkung ließen sich auch, wenn man wollte, als Induktionsphänomene klassifizieren. Solche werden im folgenden Kapitel behandelt.
252
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
Abb. 10.2 Laterale Hilfe zwischen direkten Nachbarn am Beispiel des Fliegenauges. a–c Frühe Stadien in der Entwicklung eines einzelnen Ommatidiums. Schnitt durch die Epidermis der Augenimaginalscheibe. c Die zentrale Retinulazelle R8 sinkt in die Tiefe. d Fertiges Ommatidium. Die Retinulazelle R7 liegt über R8. e, f, g Interaktion zwischen R8 und R7. Ohne die laterale Hilfe durch R8 wird R7 keine Retinulazelle. Die Hilfe geschieht über das BOSS-Signal von R8 und den SEVENLESSRezeptor von R7. Versagt die Hilfe, wird R7 zu einer überzähligen Zelle des Linsensystems
Kristallkegel Pigment- Linse Linse zelle
R1-6
R7
R8
R8
R1-6
R7
R7 R8
a
b
c Retinulazellen R1 - R8
Linse
Kristallkegel
7
3
sevenless+
3 4 2 8 5 6 1 7
5 6
4
2 1 Wildtyp
R7
e
boss+
sevenless -/Null-Mutante
R8 3 4 2 8 5 1 6 7
5 6
4
8 3
2 1 quer
f
3 4 2 8 5 1 6
frühe Stadien quer
g
Ommatidium
d
längs
10.3 Embryonale Induktion und der Spemann-Organisator 10.3.1 Induktion: Sender schicken Signale an ihre Nachbarn Der Begriff Induktion fasst das Aussenden eines entwicklungssteuernden Signals von (induzierenden) Senderzellen und dessen Beantwortung durch benachbarte (reagierende) Zellen zusammen. Induktion ist eines der grundlegenden Geschehnisse, die zur Organisation von Zellen zu Geweben und
Organen führen. Zur Unterscheidung von anderen Prozessen, bei denen das Wort Induktion ebenfalls gebraucht wird (z. B. Induktion eines Enzyms D Start der Transkription und Translation zur Herstellung des Enzyms) spricht man auch von embryonaler Induktion, wiewohl induktive Wirkungen nicht nur in der Embryonalentwicklung vorkommen. Durch Ausschalten, vor allem aber durch Transplantation von Zellen oder Zellverbänden, hat man induktive Wechselwirkungen bei allen tierischen Organismen gefunden, bei denen entsprechende Experimente gemacht worden sind, von Schwämmen und Hydrozoen bis hin zu Säu-
10.3
Embryonale Induktion und der Spemann-Organisator
gern. Selbst bei Embryonen, die zuvor als ausgeprägte Mosaikentwickler galten, wie Caenorhabditis elegans, findet man zunehmend mehr induktive Wechselwirkungen zwischen benachbarten Zellen. Der erste Induktionsvorgang war schon um 1909 bei Hydra gefunden worden: Ein kleines Gewebestück, das man von der Subtentakelzone in die untere Rumpfregion pflanzt, organisiert dort die Bildung eines zusätzlichen Kopfes oder einer zweiten, kopfgekrönten Körperachse (s. Abb. 10.19). Berühmt sind die klassischen Experimente über Induktionsprozesse im Amphibienkeim, die sich als beispielhaft für ähnliche Prozesse bei anderen Wirbeltieren herausstellen sollten.
10.3.2 Der Empfänger muss kompetent sein Die Beantwortung eines induktiven Signals setzt voraus, dass die Empfänger kompetent geworden sind. Das Erlangen von Kompetenz kann beispielsweise darin bestehen, dass die Zielzellen Rezeptoren für den Signalempfang in Stellung bringen. Das setzt wiederum eine Programmierung voraus, damit das Gen für den Rezeptor eingeschaltet wird. Kompetenz ist oft auf ein Zeitfenster von wenigen Stunden oder Minuten begrenzt.
10.3.3 Der Spemann-Organisator und die Induktion von Köpfen und Rümpfen im Wirbeltierembryo Auch im hochkomplexen Wirbeltierembryo ist die Induktion eines zusätzlichen Kopfes, ja sogar eines weitgehend vollständigen Zweitembryos durch Transplantation eines nur kleinen Gewebestückes möglich. Wie wir bei der Froschentwicklung gesehen hatten, gibt es in der späten Blastula und frühen Gastrula einen kleinen Bezirk, den Organisator, der später selbst nur den vorderen Abschnitt der Chorda hervorbringen wird. An einen fremden Ort verpflanzt können Zellen aus diesem Bezirk die Entwicklung eines kompletten, überzähligen, ektopischen Kopfes und Rumpfes auslösen (ektopisch D außerhalb des normalen Ortes). Dieser Ort mit induzierender Potenz wird international Spemann-Organizer (Spemann-Organisator) genannt zu Ehren von Hans Spemann, der ihn entdeckte (No-
253
belpreis hierfür 1935). Der Bezirk entspricht in der frühen Amphibiengastrula der oberen Urmundlippe; beim Fisch heißt der äquivalente Bezirk Embryonalschild, beim Huhn Hensenscher Knoten bei der Maus nur schlicht Knoten (node). Alle diese Strukturen sind homolog; sie entsprechen einander evolutionsgeschichtlich und auch funktionell. Schon ein kleines Transplantat aus dem Organisator eines beliebigen Wirbeltierembryos kann die Entwicklung komplexer Strukturen wie Köpfe und Rümpfe auch in anderen Wirbeltieren auslösen. Die Bezeichnung „Organisator“ wählte Spemann weil die transplantierte obere Urmundlippe ihre Umgebung auffordert, einen zweiten Gastrulationsprozess in Gang zu setzen, der seinerseits in der Entwicklung eines zweiten Embryos (siamesischen Zwillings) mit Kopf und Rumpf gipfelt (s. Abb. 5.13). Der Organisator entsteht im Amphibienkeim an jenem Ort, welcher der Eintrittsstelle des Spermiums diagonal gegenüber liegt und wohin im Zuge der Corticalrotation Komponenten des kanonischen WNT-Signalsystems verlagert worden waren, namentlich mRNA für verschiedene WNT-Signalmoleküle und für Komponenten der angeschlossenen Signaltransduktions-Kaskade wie Dishevelled (Dsh) und ˇ-Catenin (Abb. 10.3). Das Wirken dieses Signalsystems macht den Bereich zum Organisator. Wird beispielsweise die maternale RNA für ˇ-Catenin im Organisatorbereich oder schon zuvor am vegetativen Eipol inaktiviert (mittels Anti-sense-RNA oder durch UV-Bestrahlung), fällt der Organisator aus. Injektion von mRNA für ˇ-Catenin oder gewisse WNTIsoformen (mehrfach genannt wird WNT-11) in Blastulae oder reife Oocyten führt zur Wiederherstellung (rescue) des Senders (s. Abb. 5.17). Oocyten sind für solche Experimente hervorragend geeignet, weil die Protein-Translationsmaschinerie in den Startlöchern steht und auch von ortsfremd injizierter mRNA sofort große Mengen an Protein hergestellt werden können. ˇ-Catenin ist im Schema des kanonischen Signalweges (s. Abb. 11.6) ein nachgeordneter Transkriptionsfaktor. Trotzdem kann er das ganze Signalsystem starten lassen, weil zu seinen Zielgenen auch wnt-Gene und die Gene der weiteren Komponenten des Signalweges gehören. Das Pferd wird vom Schwanz her aufgezäumt.
254
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung Xenopus
do rs al
Eizelle
künftiger Organisator
a ven tr
al
Anti-Wnt’s e.g. Dickkopf, Cerberus
Wnt- 8 WNT
Xenopus
b
c
Beginn Gastrulation
Neurula
Anti-BMP’s: Cerberus Chordin Noggin
do r sa l
CHORDIN NOGGIN BMP-4
n ve
BM
tra
Xenopus
P-
4
BMP
l
d
e
Neurula
Start Gastrulation
dorsal DPP (BMP)
SOG (Chordin)
f
ventral Drosophila
g
Konzentration
Morphogen Antimorphogen Xenopus: BMP-4 Tolloid CHORDIN SOG Drosophila: DPP Protease
Xenopus: ventral Drosophila: dorsal
dorsal ventral
10.3
Embryonale Induktion und der Spemann-Organisator
J Abb. 10.3 Morphogene im frühen Keim (kurz vor Beginn der Gastrulation) von Xenopus und Drosophila im Vergleich. a,b Über maternal in die Oocyte eingelagerte mRNA etabliert sich im Xenopuskeim der Morphogensender SpemannOrganisator. Schon vor der ersten Furchung wird durch die am Spermium-Eintrittsort ausgelöste Corticalrotation maternale mRNA des Wnt-Signalsystems vom vegetativen Eipol zum Ort des künftigen Organisators verlagert, neben mRNA für WNT-11 auch für weitere Komponenten des WNT-Systems, beispielsweise für Beta-Catenin. c Zellen, die mittels aktivierter zygotischer Gene zu Anti-WNT-Morphogenproduzenten werden, gelangen im Zuge der Gastrulation ins Innere und werden zum vorderen Urdarmdach und prächordalen Mesoderm. Im Organisator etablieren sich sekundäre WNT-Signalsysteme (blau) mit Wnt-8 als hauptsächlichem Signalmolekül. Im vor-
10.3.4 Der Spemann-Organisator gliedert sich früh in Kopfund Rumpf-Organisator Dies ist erstmals bei Amphibien gezeigt worden, gilt aber für Wirbeltiere generell. Wie in Abschn. 5.1 detailliert dargestellt, wird der Organisatorbezirk im Amphibienkeim im Zuge der Gastrulation sukzessive durch den Urmund in das Innere der Gastrula verlagert. Schon früh wird dieser Bezirk, wenn er zum Urmund hin strömt, in die Länge gezogen und gliedert sich in zwei überlappende Unterbezirke: einen Kopforganisator, welcher in der frühen Gastrula in und nahe der Urmundlippe auszumachen ist, und einen Rumpforganisator, welcher dorsal des Kopforganisators liegt (s. Abb. 5.14). Nachdem das Zellmaterial, das über die obere Urmundlippe ins Keimesinnere einrollt, zum Mittelstreifen des Urdarmdaches und damit zur Chordaanlage geworden ist, sind die Wirkungsbereiche des Kopf- und Rumpforganisators räumlich gut getrennt: Die vordere Chordaanlage induziert Köpfe, die hintere Rümpfe. Es sind mehrere Faktoren, die Kopf- oder Rumpfbildung bei Wirbeltieren auslösen, identifiziert worden. 1. Kopfbildung: Die Wirkung des Kopforganisators wird bei allen Wirbeltieren vermittelt durch einen Cocktail an sezernierten, Cystein-reichen Proteinen mit CERBERUS, DICKKOPF-1, FRIZBEE-b und weiteren sekretorischen Proteinen als Komponenten. Injiziert man die mRNA von z. B. dickkopf (und unterdrückt gleichzeitig die Wirkung des hemmenden BMP-4), erscheint ein kompletter Kopf (s. Abb. 5.17), aber kein Rumpf. Sum-
255 deren Urdarmdach/prächordalem Mesoderm neutralisieren die Anti-WNTs die WNT-Signale, die vom posterioren Pol ausstrahlen. Dadurch wird die Kopf-Schwanz-Körperachse stabilisiert. d1,d2 Die antagonistisch wirkenden Morphogene BMP-4 und CHORDIN in Xenopus sind sequenzhomolog zu den entsprechenden antagonistischen Morphogenen DPP und SOG in Drosophila. Sie werden entsprechend der augenscheinlich invertierten Dorsoventral-Achse bei Vertebraten und Invertebraten um 180ı vertauscht exprimiert. d3 Im unteren Teilbild ist schematisch dargestellt, wie die antagonistischen Morphogene aufeinander zu diffundieren und sich im Überlappungsbereich zu Heterodimeren verbinden. Proteasen tragen zu einer Schärfung des Verteilungsmusters bei. BMP (Bone Morphogenetic Protein) ist homolog zu DPP (Decapentaplegic). SOG (ShOrt Gastrulation) ist homolog zu CHORDIN
marisch sind die Kopfbildung-fördenden Faktoren Antagonisten des kanonischen WNT-8Signalsystems (Abb. 10.3, s. auch Abb. 5.18). 2. Rumpfbildung: Die Wirkung eines Rumpforganisators wird hervorgerufen durch eine Kollektion anderer Cystein-reicher Proteine, vor allem NOGGIN, CHORDIN, FOLLISTATIN und NODALrelated-3. Vernichtet man die im Xenopus-Ei vorrätige mRNA für Induktionsfaktoren durch UVBestrahlung und injiziert dann mRNA von z. B. noggin in die prospektive Bauchregion des Keims, entwickelt der Embryo am Injektionsort Rückenstrukturen mit Chorda und Neuralrohr. Es fehlt indes ein Kopf; NOGGIN induziert nur Strukturen des Rumpfes. Rumpfbildung-fördernde Faktoren sind Antagonisten der BMP-Faktoren (BMP-4, BMP-2), die von einem gegenüberliegenden ventralen Signalsender ausgesandt werden (Abb. 10.3, s. auch Abb. 5.18).
Das scheint auf den ersten Blick verwirrend, denn der Organisator wird, wie zuvor gesagt, durch ein WNT-System etabliert, und es gibt gute Evidenzen, dass der Organisator auch weiterhin WNT-Signale produziert. Zu den Komponenten, die vom Organisator produziert werden, gehören aber nicht nur WNT-Liganden, sondern auch WNT-Antagonisten, welche WNTLiganden binden und neutralisieren. Zur Auflösung dieses Widerspruchs und zum Verständnis dieser Anti-WNT-Aktivität ist zu bedenken, dass die Zellen der oberen Urmundlippe nicht statio-
256
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
Abb. 10.4 Parallele und gegenläufige Gradienten von Signalmolekülen und von Signal-neutralisierenden Antifaktoren im dorsalen Bereich einer Xenopus-Neurula
WNT-Inhibitoren: Dickkopf, Cerberus u.a.
Retinsäure (RA) FGF’s WNT-8 WNT-3 BMP-Inhibitoren: Chordin, Noggin Follistatin
när sind, sondern fließen. Zellen, die zu Beginn der Gastrulation die obere Urmundlippe passieren, liegen in der Neurula vorn im Urdarmdach des Embryos. Sie bilden dort das prächordale Mesoderm. Indem jetzt diese ehemaligen Lippenzellen im vorderen Bereich des Embryos WNT-Signale neutralisieren, helfen die Antagonisten in der Neurula einen vom posterioren zum anterioren Pol abnehmenden WNT-Gradienten zu formen.
Aus der Interaktion der WNTs mit ihren Antagonisten ergeben sich in der Neurula gegenläufige Gradienten (Abb. 10.3 und 10.4). Die WNT-Antagonisten helfen, Kopfstrukturen zu programmieren. Die gegenläufigen WNT/Anti-WNT-Gradienten sorgen in Kooperation mit anderen Faktoren wie Retinsäure und verschiedenen FGFs dafür, dass aus dem hinteren Teil der Neuralplatte das Rückenmark, aus dem vorderen das Gehirn wird (s. auch Abb. 16.1). Gleichzeitig und senkrecht zu den WNT-/AntiWNT-Gradienten werden gegenläufige Gradienten der Faktoren BMP und Chordin (Abb. 10.3) installiert. Dies wird erreicht, indem die aufeinander zu dif-
fundierenden BMP- und Chordinmoleküle sich im Überlappungsbereich wechselseitig binden und neutralisieren. Gemeinsam legen die WNT/Anti-WNTund BMP/Chordin-Gradienten die beiden Körperachsen die antero-posteriore und die dorso-ventrale, unwiderruflich fest. Unter evolutionsgeschichtlichen Aspekten ist bemerkenswert, dass Homologe der Faktoren, welche im Zug der Amphibiengastrulation für die regionale Spezifizierung sorgen, auch bei Echinodermen und Drosophila zum Einsatz kommen (Abb. 10.3f und 10.5). Den Faktoren BMP-4 und Chordin bei Amphibien entsprechen bei Drosophila DPP (Decapentaplegic) und SOG (Short Gastrulation). Beide sind wie bei Amphibien essenziell für die Etablierung der Dorsoventral-Achse, allerdings mit umgekehrtem Vorzeichen. Warum Homologe von Faktoren, die bei Wirbeltieren Dorsalseite spezifizieren, bei Invertebraten Ventralseite spezifizieren (und umgekehrt, Faktoren, die bei Wirbeltiere Ventralseite spezifizieren, bei Invertebraten hingegen Dorsalseite), versuchen wir in Kap. 22 zu ergründen. In der Neurula bilden die Gradienten von WNT einerseits und BMP andererseits ein System cartesianischer Koordinaten (Abb. 10.5). Die mögliche Bedeutung eines solchen Systems wird weiter unten im Abschn. 10.5.3 diskutiert.
10.4 Induktionskaskaden und Identifizierung der Signale
257
Abb. 10.5 Cartesianisches Koordinatensystem durch senkrecht aufeinander stehende Gradienten von WNT und BMP am Beispiel der Keime des Seeigels und von Xenopus. Beide sind Deuterostomier, sodass der Urmund als Referenz für die Orientierung dienen kann
10.4 Induktionskaskaden und Identifizierung der Signale 10.4.1 Induktive Substanzen sind äußerst schwer zu identifizieren; Biochemie und Molekularbiologie in Verbindung mit geeigneten Biotests haben den Durchbruch gebracht Obzwar Induktionsereignisse bei vielen Organismen mittels Transplantationen nachgewiesen worden sind, stellte sich die Identifikation der Signale als extrem schwierig heraus. Embryonen sind winzig, Eingriffe technisch schwierig und die Signalmoleküle selbst sind nur in äußerst geringen Mengen vorhanden. Tonnen von Material mussten extrahiert werden, um mit herkömmlichen biochemischen Methoden chemisch identifizierbare Spuren der Original-Signalmoleküle zu erhalten. Am weitesten fortgeschritten war die Analyse der Induktionssubstanzen bei Xenopus und dem Vogelembryo, als glückliche Zufälle sowie das Methodenspektrum der Molekularbiologie zu Hilfe kamen. Die entscheidende Basis für den Erfolg war die Entwicklung geeigneter Biotests. Große praktische Bedeutung hatte (und hat noch immer) der AnimaleKappen-Test, bei dem kompetentes aber noch undifferenziertes Gewebe genutzt wird, um Differenzierungsfaktoren zu identifizieren: Man trennt von Xenopus-Blastulae die animale Kappe ab und bringt sie in ein Schälchen, das neutrale Pufferlösung enthält. Oh-
ne die Einwirkung von Induktionsfaktoren bildet die animale Kappe nur ein mit Cilien besetztes Epithel (s. Abb. 5.16 und 16.1d). In klassischen Experimenten positionierte der Niederländer P. Nieuwkoop in die Nähe der Kappe Explantate aus dem ventralen Bereich der Blastula. Er beobachtete, dass die animale Kappe nun mesodermale Zellen wie Muskeln, Blutzellen, Nierenzellen, Knorpelzellen bildeten, also vom zugefügten Explantat Mesoderm-induzierende Faktoren freigesetzt wurden. Entsprechende Proteinfraktionen mit Mesoderm-induzierender Wirkung extrahierte man in mühseliger, jahrzehntelanger Arbeit auch aus Hühnerembryonen. Die besonderen Eigenschaften (Bindung an Heparin) teilte dieses Mesoderm-induzierende Material mit bekannten Wachstumsfaktoren, besonders solchen der FGF- und der TGF-ˇ-Familie. Eine partielle Sequenzierung wies auf ein Activin-ähnliches Protein. Activin seinerseits ist verwandt mit dem von Blutplättchen produzierten Transforming Growth Factor beta TGF-ˇ. Das brachte viele Arbeitsgruppen auf die Idee, schlichtweg bereits bekannte Wachstumsfaktoren zu testen. Wachstumsfaktoren sind Proteine, die von tierischen oder menschlichen Zellkulturen produziert oder aus Blutplasma gewonnen werden und als Stimulantia der Zellvermehrung verschiedenen Zellkulturmedien zugesetzt werden. Erfolge ließen nicht lange auf sich warten; und ab etwa 1990 erlaubten molekularbiologische Methoden, in den Embryonen selbst nach der Anwesenheit solcher Faktoren zu suchen.
258
Einen Durchbruch brachte hier die Subtraktion von cDNA aus Organisatorgewebe gegen anderes Gewebe (das Prinzip ist in Box 12.2 und Fachbüchern erklärt). Die aus solchen Subtraktionen gewonnenen cDNAs wurden translatiert und die resultierenden Proteine in Mengen gewonnen, die ihren Einsatz in Biotests auf induktive Wirksamkeit erlaubten. In einem vereinfachten Biotest injiziert man die mRNA eines vermuteten Induktionsfaktors direkt in ungefurchte Eier oder in frühe Furchungsstadien an einer Stelle, wo keimeigenemRNA dieser Sorte nicht zu erwarten ist. Wird die injizierte mRNA vom Keim akzeptiert und in Protein translatiert, kann der Faktor sogleich an der gewünschten Stelle wirksam werden. Mittlerweile existiert auch eine Vielfalt von Methoden, um die natürlichen, endogenen (körpereigenen) Faktoren auszuschalten (z. B. mittels Antikörpern, anti-sense-Oligonukleotiden, Morpholinos oder RNAi, Box 12.2).
10.4.2 Die Entwicklung eines Embryos beruht auf Kaskaden nacheinander ablaufender Prozesse und der fortwährenden Kommunikation mittels zahlreicher Signalsubstanzen Eine bemerkenswerte Beobachtung, die so kaum erwartet werden konnte, ist, dass nicht nur transplantierte Zellen, sondern auch einzelne isolierte Faktoren in der Lage sind, die Entwicklung mehrerer verschiedener, für eine Körperregion charakteristischer und oftmals auch räumlich geordneter Zelltypen auszulösen Wenn eine einzelne Substanz die Entwicklung komplexer Strukturen auslöst, so ist dies deswegen möglich, weil Induktionssignale in der Regel Kaskaden weiterer Folgeprozesse starten. So gibt es nach dem Wirken des Spemann-Organisators viele sekundäre und tertiäre Induktionsprozesse (z. B. Linsen- und Hornhautinduktion, Abschn. 10.4.4), aber es finden auch schon vor dem Wirksamwerden des Organisators induktive Wechselwirkungen statt. Induktionsprozesse vor der Etablierung des Organisators: Signalsubstanzen sind schon in der frühen Blastula wirksam. Für manche dieser früh benötigten Signalsubstanzen liegt maternale mRNA im Cytoplasma der Eizelle gespeichert vor. Doch die Etablierung des Organisators setzt auch frühe Interaktionen zwi-
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
schen der vegetativen und der animalen Region der Blastula voraus. Der Niederländer Pieter Nieuwkoop und nach ihm japanische Forscher fanden heraus, dass für eine geordnete Entwicklung bereits die Zellen der Blastula über Distanz miteinander in Wechselwirkung treten müssen. Nur wenn Zellen des animalen Bereichs und Zellen des vegetativen Bereichs sich Signale über den Äquator hinweg senden und diese wechselseitig rezipieren, erhält das Zellband um den Äquator (Marginalzone) die Fähigkeit, im Zuge der Gastrulation über den Rand des Urmundes ins Innere zu strömen und Mesoderm zu werden. Welche Signale hierfür von Bedeutung sind, wird derzeit noch diskutiert, doch sind unter den von der ventralen Blastula ausgesandten Signalmolekülen auch solche, die anschließend auch weiterhin im Spemann-Organisator produziert werden, beispielsweise NODAL und CHORDIN. Sie können im Animalen-Kappen-Test die Differenzierung mesodermaler wie auch neuraler Zellen bewirken. Ob man mit Faktoren wie CHORDIN Nervengewebe Chorda oder beides erhält, kann u. a. eine Frage der Konzentration des Faktors oder der Kompetenz der reagierenden Zellgruppe sein, oder es liegt eine Induktionsfolge vor: Der getestete Faktor induziert beispielsweise dorsales Mesoderm (mit Chorda), dieses seinerseits induziert Nervengewebe.
10.4.3 Auch das Fehlen induzierender Substanzen könnte ein Signal sein: Nach einer verbreiteten Hypothese werden ektodermale Zellen von selbst zu Nervenzellen, wenn sie nicht daran gehindert werden Die Entwicklung des Zentralnervensystems stand (und steht) immer im Mittelpunkt des Interesses der experimentell arbeitenden Embryologen. Spemann nannte die von der oberen Urmundlippe und dann weiter vom Urdarmdach ausstrahlende neurale Induktion „primäre Induktion“, wenn als Ergebnis ein Kopf, ein Rumpf und, darin eingebettet, ein Zentralnervensystem auftauchte. Er sprach von sekundärer Induktion, wenn die vom Gehirn gebildete Augenblase eine Linse induzierte, wie nachfolgend (Abschn. 10.4.4) geschildert. Faktoren, die eine neurale Differenzierung unzweifelhaft und stark fördern sind NOGGIN und CHORDIN. Sie binden und neutralisieren BMP-4 und BMP2. BMP-4 seinerseits bewirkt für sich allein, dass die
10.4 Induktionskaskaden und Identifizierung der Signale
Kappenzellen, statt nur Cilien auszubilden, zu regulären Epidermiszellen werden. Die neuralisierenden Faktoren binden BMP-4 im extrazellulären Raum und heben dessen anti-neurale Wirkung auf, sodass die Kappenzellen ihrer inhärenten Tendenz folgen und zu Nervenzellen werden können; sie wären damit permissive Faktoren. Leider reagieren nicht alle Wirbeltier-Embryonen gleich gut. Bereits in den klassischen Experimenten war man bei der mühsamen Suche nach neuralisierenden Faktoren mit der Erfahrung allein gelassen, dass es, insbesondere bei Molchen, bisweilen schwieriger ist, die Entwicklung von Nervenzellen aus animalen Kappenzellen zu verhindern als sie auszulösen. Im Gegensatz dazu ist weder bei Xenopus noch im Hühnchenkeim eine solche, augenscheinlich spontane neurale Entwicklung leicht auszulösen. Es sollte daher nicht überraschen, wenn künftig neben permissiven neurogenen Faktoren auch positiv induzierende entdeckt werden sollten. Im Gespräch sind bereits verschiedene FGFs und Retinsäure.
10.4.4 Die Induktion der Augenlinse ist ein Schulbeispiel eines nachgeordneten Induktionsprozesses Klassisches Beispiel einer nachgeordneten Induktion ist die Induktion der Augenlinse (von Spemann noch vor den berühmten Organisatorexperimenten entdeckt). In seinem inneren Kern ist das Auge ein Teil des Gehirns. Die Netzhaut mit ihren Photorezeptoren und den nachgeschalteten Nervenzellen geht aus der Augenblase (optischer Vesikel) hervor, die sich aus dem Zwischenhirn (Diencephalon) herausstülpt (s. Abb. 5.21, 16.21) und sich dann zum Augenbecher eindellt. Die innere Wand des Augenbechers wird zur Netzhaut (Retina) mit ihren Stäbchen und Zapfen und den nachgeschalteten Neuronen. Die äußere Wand wird zum Pigmentepithel. Zusätzlich hinzukommende mesodermale Schichten umhüllen den Augenbecher und bilden die Aderhaut (Chorioidea) und Lederhaut (Sclera). Linse und Hornhaut werden vom Ektoderm gebildet. Die Linse entsteht in dem Teil des Ektoderms, mit dem der Augenbecher Kontakt aufnimmt. Der Becher sorgt durch induktive Signale dafür, dass das Timing und die Position einer Linsenbildung stimmen. Als Folge der Induktion wird in einem kreisförmigen
259
Bezirk des Ektoderms ein Linsen-spezifischer Transkriptionsfaktor (L-MAF) exprimiert, der seinerseits die Gene für die Linsenproteine (Kristalline) einschaltet. Es bildet sich eine kreisförmige Linsenplakode, welche in die Tiefe sinkt und sich vom Ektoderm ablöst. Wenn sich das Ektoderm wieder über der Linse geschlossen hat, induziert die Linse ihrerseits in einem weiteren nachgeordneten Prozess die Bildung der Hornhaut (Cornea).
Um die Linseninduktion gab es eine lange wissenschaftliche Kontroverse, weil bei einer Reihe von Amphibien eine Linse auch entsteht, wenn der Augenbecher entfernt wird. Dies gilt auch für Xenopus, allerdings bleibt die Linse hier kümmerlich. Es zeigte sich, dass die Gehirnanlage schon früh Induktionssignale aussendet, noch bevor die Augenblasen sichtbar hervortreten. Bei manchen Amphibien genügt das, bei anderen müssen die Signale länger einwirken, und diese weiter anhaltende Induktion geht von der Augenblase aus.
Die Signale, welche die Induktion und Bildung von Linse und Hornhaut steuern, sind (teils) alte Bekannte: SHH (Sonic hedgehog) definiert gemeinsam mit BMP-4 die dorso-ventrale Spezifität des Augenbechers; die Linse bildet sich, wo dorsale und ventrale Signale zusammentreffen. FGF/WNT-Signale erlauben die spätere Differenzierung. Details bleiben noch aufzuklären.
10.4.5 Viele Signalmoleküle werden mehrfach in der Entwicklung und zu sehr unterschiedlichen Zwecken eingesetzt Die Natur macht es dem Forscher und dem Lernenden nicht eben leicht. Einerseits kann eine biologische Wirkung von mehreren synergistisch wirkenden Faktoren ausgelöst werden, andererseits kann ein und derselbe Faktor vielfältige und unterschiedliche Funktionen erfüllen, je nachdem, wann und wo im Embryo dieser Faktor als Signalträger eingesetzt wird. Lehrreiche Beispiele sind der Faktor, der vom Gen Sonic
260
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
Neuralrohr
SHH-Gradient
Somit Chorda (Notochord)
a
Bodenplatte (floor plate)
SONIC HEDGEHOG SHH
Dermatom Myotom c Sklerotom
Sklerotom
b
Motoneurone
d
Wirbel
Abb. 10.6 SONIC HEDGEHOG (SHH)-Signale im Wirbeltierembryo. a–d Das vom Gen sonic hedgehog codierte Protein kann in einer Membran-assoziierten Form exprimiert werden oder in einer Form, die sich von der Oberfläche der produzierenden Zelle ablöst und nach Diffusion in die Zellzwischenräume auch entfernte Ziele erreicht, wobei ein Gradient entstehen kann. SHH, das von der Chorda direkt dem darüberliegenden Neuralrohr präsentiert wird, induziert die Bildung der Bodenplatte
(floor plate) im Neuralrohr (a). Anschließend produziert die Bodenplatte selbst ein SHHSignal (b), das Neuroblasten stimuliert, zu Motoneuronen zu werden (c,d; s. auch Abb. 16.11c). SHH, das von der Chorda in die umgebenden Räume entlassen wird, stimuliert die Zellen des Sklerotoms, aus den Somiten auszuwandern (b) und sich um die Chorda zu scharen (c). Hier bilden sie den zentralen Teil der Wirbelkörper (d)
hedgehog (Shh) codiert wird (Abb. 10.6) und das Lipid Retinsäure.
Im Wirbeltierembryo wird Sonic hedgehog in der oberen Urmundlippe und in ihrem Abkömmling, der Chorda dorsalis, exprimiert (Abb. 10.6, auch Abb. 16.11). Die Chorda präsentiert SONIC HEDGEHOG (SHH) über direkten Kontakt dem über ihr liegenden Neuralrohr, und die Zellen entlang der ventralen Mittellinie des Neuralrohrs bilden als Antwort darauf die sogenannte Bodenplatte. Die Bodenplatte übernimmt dann die Produktion von SHH. Diese ventralen SHH-Signale dringen in Form eines Gradienten in das Neuralrohr ein und werden gebraucht, damit sich die künftigen Motoneurone im ventralen Neuralrohr ansiedeln. Das Neuralrohr hat nur kurze Zeit die Kompetenz, auf SHH zu reagieren und in Absprache mit dorsal erzeugten BMP-Signalen die verschiedenen Neurontypen im Neuralrohr korrekt von dorsal nach ventral zu positionieren (s. Abb. 16.11). Die von der Chorda ausgesandte lösliche und diffusible Variante von SONIC HEDGEHOG erreicht auch die Somiten. Das Signal stimuliert die Zellen
Sonic hedgehog. Die gegenwärtige Entwicklungsbiologie profitiert viel von der reversen Genetik (Box 12.2). Hat man in einem Organismus, sagen wir in Drosophila, ein interessantes Gen gefunden, kann man über Datenbanken nach ähnlichen Genen in anderen Organismen suchen und diese Gene dann aus der DNA embryonaler Zellen mittels Sonden und PCR isolieren. Solche heute relativ schnell durchführbaren Experimente können überraschende Ergebnisse bringen. Mit Sonden vom Gen hedgehog von Drosophila Gen fand man in genomischen Banken von Vertebraten eine ganze Familie homologer Gene mit Sonic hedgehog als bekanntestem Vertreter.
10.4 Induktionskaskaden und Identifizierung der Signale
jenes Somitenbereichs, den man Sklerotom nennt, sich abzulösen, zur Chorda zu kriechen, sich um die Chorda zu scharen und die Wirbelkörper herzustellen. Auch bei der Einstellung von Links-rechts-Asymmetrien im Inneren unseres Körpers ist SONIC HEDGEHOG ein essenzieller Faktor (Abschn. 10.6). Er erhält eine weitere Gelegenheit, seine Vielseitigkeit zu demonstrieren, wenn die Extremitäten, die Arme und die Beine, sich entwickeln. Am Hinterrand der Knospe des Vogelflügels oder des Vorderbeins der Maus wird Sonic hedgehog in einer Region exprimiert, die man ZPA (Zone of Polarizing Activity) nennt (s. Abb. 10.11). Wenn Zellen, die SONIC HEDGEHOG produzieren, am Vorderrand eingepflanzt werden, erscheinen dort spiegelbildsymmetrisch überzählige Finger (Implantat in Abb. 10.13).
10.4.6 Konzentrationsabhängigkeit, Synergie, Antagonismus und Redundanz sind häufige Prinzipien der Induktion und Musterbildung Um regionalspezifische Wirkungen zu erzielen, also z. B. Herzmuskelzellen oder Skelettmuskelzellen zu induzieren, kommen verschiedene Grundprinzipien zum Einsatz: Das Konzentrationsprofil eines Faktors. Wenn ein lokal produzierter Faktor in die drei Raumdimensionen der Umgebung diffundiert, entstehen Konzentrationsgradienten, die durch sekundäre Interaktionen verlängert oder verkürzt werden können. Verschiedene Konzentrationen können nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ gänzlich unterschiedliche Wirkungen haben. Mehr über Gradienten als wichtige Elemente von Musterbildungsprozessen im Abschn. 10.5. Synergie: Mehrere Faktoren können ähnliche Wirkungen haben und sich in ihrer Funktion unterstützen. So haben die 22 verschiedenen Vertreter der FGF-Familie bei der Maus ein weitgehend gleiches Wirkungsspektrum. Synergistisch wirkende Faktoren müssen aber nicht der gleichen Proteinfamilie angehören. Die fünf Faktoren, welche BMP-4 binden und damit die Entwicklung dorsaler Strukturen ermöglichen, NOGGIN, CHORDIN, FOLLISTATIN, NODAL-related 3 und CERBERUS (s. Ab-
261
schn. 5.1.14) gehören zu unterschiedlichen Proteinfamilien. Antagonismus: Faktoren, die sich gegenseitig ausschalten oder in Schach halten, wirken antagonistisch. Die oben genannten Faktoren, welche bei der Musterbildung der dorso-ventralen Achse des Wirbeltieres und des Insekts agieren, stellen homologe antagonistische Systeme dar (Abb. 10.3, 10.4). Auf der einen Seite des Embryos (Wirbeltier anteriorventral, Insekt dorsal) wird ein Faktor der TGF-ˇFamilie exprimiert, BMP-4 (Bone Morphogenetic Protein) im Wirbeltier genannt, DPP (DECAPENTAPLEGIC) im Insekt. Diesen Faktoren diffundieren andere entgegen, welche die erstgenannten binden und neutralisieren: CHORDIN beim Wirbeltier, SOG (SHORT GASTRULATION) in Drosophila. Ein weiteres antagonistisches System sich wechselseitig neutralisierender Faktoren ist das System WNT (WNT-3 C WNT-8) kontra Anti-WNTs mit DICKKOPF in Xenopus (Abb. 10.3, 10.4 und 10.5; s. auch Abb. 5.18 und 5.19). Bei diesen Systemen sind auch noch Enzyme, häufig Proteasen, im Spiel, welche von bestimmten Zellen ausgeschieden werden. Beispielsweise werden CHORDIN bzw. SOG von der TOLLOID-Protease gespalten, nicht aber BMP-4 oder DPP. An den Orten, wo Tolloid aktiv ist, kann die Konzentration von BMP-4 bzw. DPP ansteigen, weil geringe Konzentrationen dieser Proteine von CHORDIN oder SOG als Dimere abgefangen werden. Wenn dann auch noch die Rezeptoren für die freien Faktoren wie BMP-4 und CHORDIN nicht gleichförmig verteilt sind und das räumliche Verteilungsmuster solcher Rezeptoren sich im Laufe der Zeit ändert, wird es schwer, Vorhersagen über die erzeugbaren Muster zu machen. Auch mathematische Modelle für Computersimulationen sind da nicht leicht zu entwickeln.
Redundanz. Das Prinzip der Synergie ist bisweilen so gut entwickelt, dass mancher Forscher enttäuschende Erfahrungen macht. Man hat mit einem Faktor, sagen wir Faktor A, in einem spektakulären Experiment einen zusätzlichen Kopf oder Rumpf induziert. Nach gezielter K.o.-Mutagenese erwartet man den Ausfall der Kopfbildung oder sogar einen völligen Entwicklungsstopp. Tatsächlich beobachtet man aber oftmals keinen Effekt, weil ein redundanter Faktor A2 mit ähnlicher Funktion den Ausfall von A weitgehend oder vollständig kom-
262
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
pensiert. Solche Redundanz sichert den Embryo vor den Folgen so mancher Mutation und kann helfen, Fehler zu korrigieren. Allerdings ist die Sicherung durch Redundanz nicht perfekt; auch manche einfach mendelnde mutierte Allele können zu Missbildungen führen oder sind letal.
10.5 Musterbildung: Morphogene und Gradiententheorie
Wenn man in der Entwicklungsbiologie der Amphibien die Begriffe Induktor oder Induktionssubstanz bevorzugt und nur allmählich auch den Begriff Morphogen verwendet, so hat dies historische Gründe; denn was die Transplantate der klassischen Experimente so augenfällig hervorriefen, waren Reaktionen in der Umgebung des Implantates im Wirtskeim. In der neueren Literatur taucht der Begriff Morphogen immer öfter auf.
10.5.1 Induktoren können Morphogene sein und je nach lokaler Konzentration unterschiedlich wirksam werden
10.5.2
Viele Induktionsfaktoren und ebenso Retinsäure haben nicht nur in Territorien, die an den Sender angrenzen, eine musterbildende Funktion, sondern auch in dem Territorium selbst, in dem sie produziert werden, und ihre Wirkung ist konzentrationsabhängig. Dies ist bei mehreren mesodermalisierenden und dorsalisierenden Induktionsfaktoren im Experiment mit den animalen Kappen der Fall. Damit gehorchen solche Faktoren auch der Definition eines Morphogens. Definition: Morphogene sind Substanzen, welche in Abhängigkeit von ihrer Konzentration die Entwicklung unterschiedlicher Strukturen und Zelltypen in die Wege leiten und durch ihr räumliches Konzentrationsmuster ein räumlich geordnetes Differenzierungsmuster ermöglichen. Eine hohe Konzentration am Ort 1 bewirkt die Entwicklung des Zelltyps oder der vielzelligen Struktur A, eine geringe Konzentration am Ort 2 bewirkt die Entwicklung des Zelltyps oder der Struktur B. Beispiel eines Morphogens ist BICOID im Ei von Drosophila. Wo hohe Konzentration herrscht, wird später der Kopf geformt, am Ort geringerer Konzentration werden die Thoraxsegmente hergestellt. Ein anderes Beispiel eines Morphogens ist DECAPENTAPLEGIC im dorsalen Bereich des DrosophilaEmbryos und sein homologes Gegenstück BMP-4 in der Blastula bzw. Gastrula von Xenopus (Abb. 10.3). Ebenso sind WNT und Retinsäure Morphogene (Abb. 10.4 und 10.5). Es dürfte kaum eine „Induktionssubstanz“ geben, die man nicht auch als Morphogen klassifizieren könnte.
Der Begriff des morphogenetischen Feldes ist eng verbunden mit der Gradiententheorie, die erstmals aus klassischen Versuchen an Seeigelkeimen abgeleitet worden ist (Abschn. 4.1) und zu den grundlegenden Theorien der Entwicklungsbiologie zählt. Definitionsgemäß liegt ein Gradient vor, wenn eine messbare Größe (y-Größe), beispielsweise die Quantität eines Faktors, über eine Strecke (x-Achse) abfällt. Die Gradiententheorie besagt, dass die Qualität der Differenzierung von der jeweiligen lokalen Quantität eines gradiert vorliegenden Faktors spezifiziert wird. Qualität der Differenzierung bedeutet dabei die Art der Zelltypen, die gebildet werden, aber auch Art und Umfang ganzer Organe und Körperregionen (z. B. Umfang des Urdarms im Seeigelkeim, Größe der Kopfregion bei Drosophila). Quantität eines Faktors bedeutet im einfachsten Fall: lokale Konzentration eines Morphogens, das in einem Konzentrationsgefälle vorliegt. So hat man sich vorgestellt, dass beim Seeigelkeim (Ei, Blastula) am animalen Pol ein animales Morphogen seine höchste Konzentration habe, am vegetativen Pol ein vegetatives Morphogen. Beide Morphogene würden von den Polen Richtung Äquator diffundieren und sich dort wechselseitig neutralisieren. Als die Gradiententheorie aufgestellt wurde (s. Box 1.1) waren die biochemischen und molekularbiologischen Methoden noch nicht entwickelt, um die hy-
Die Gradiententheorie: Eine alte, lange umstrittene Theorie der Entwicklungsbiologie ist heute durch viele Beispiele bestätigt
10.5 Musterbildung: Morphogene und Gradiententheorie
263
Box 10.1: Wie können Gradienten erkannt und sichtbar gemacht werden? In der Geschichte der Biologie waren Gradienten von Morphogenen lange Zeit nur hypothetische Modellvorstellungen und entsprechend umstritten. Ihre Existenz war aus TransplantationsExperimenten zur Interpretation der Ergebnisse abgeleitet worden. Ein charakteristisches und historisch bedeutsames Experiment dieser Art sind die an Seeigel-Embryonen durchgeführten Transplantationen von Zellen, die organisierenden Einfluss auf ihre neue Nachbarschaft nehmen (s. Abb. 4.4). Gemäß ihrer Herkunft entlang der animal-vegetativen Achse ist ihre Wirkung auf benachbarte Zellen gradiert abfallend oder ansteigend. Weitere historisch einflussreiche Experimente waren Transplantation von Gewebestücken mit abgestufter induzierender Potenz bei Hydra (wie in Abb. 10.19 und in weiteren experimentellen Varianten) und an der Flügelknospe des Vogelembryos (Abb. 10.13). Zwar gab es immer auch Versuche, Gradienten sichtbar zu machen, beispielsweise mittels Vitalfarbstoffen, die im Gewebe zu farblosen Produkten reduziert werden. Es zeigen sich oftmals Geschwindigkeitsgradienten, doch die Relevanz dieser gradierten Reduktionspotenz für die Entwicklung blieb unklar und umstritten. Erstmals wurden Morphogengradienten in Embryonen von Drosophila direkt sichtbar gemacht mit dem BICOID-Gradienten als Pionierfall (s. Abb. 4.33). Zwei Methoden waren und sind es noch immer, die es ermöglichten, Gradienten sichtbar zu machen, sofern das fragliche Morphogen ein Protein ist: die In-situ-Hybridisierung zur Lokalisierung seiner mRNA und die Immuncytochemie mit Antikörpern, um das Verteilungsmuster des Proteins selbst sichtbar zu machen (zur Technik s. Box 12.2). Allerdings werden beide Verfahren an fixierten Objekten durchgeführt. Zeitliche Verläufe sind nur an Objekten rekonstruierbar, die zu verschiedenen Zeiten fixiert werden. Rasche Kinetiken sind kaum erfassbar. Gewünscht werden jedoch Echtzeit-Beobachtungen und exakte quantitative Messungen lokaler Konzentrationen und deren Änderungen im Verlauf der Zeit. Erste Verfahren hierzu sind entwickelt. Beispielsweise gelang es 2009, in Embryonen transgener Zebrafische die Ausbreitung des Morphogens NODAL zu beobachten, freilich auf indirekte Weise, indem mittels
eines fluoreszierenden Konstrukts seine intrazelluläre Wirkung sichtbar gemacht werden konnte. Im selben Jahr gelang einer Arbeitsgruppe in Dresden ein direkter Nachweis. In Vorbereitung auf das Experiment wurden Konstrukte mit dem Gen für das Signalmolekül FGF8 und angehängtem Gen für EGFP (Enhanced Green Fluorescent Protein) hergestellt und in eine Blastomere des 32-Zellstadiums des Zebrabärblings injiziert. Entsprechend wurde im Embryo lokal ein FGF8-EGFP-Fusionsprotein exprimiert, und es wurde auch von den produzierenden Zellen exportiert. Die Koppelung des FGF8 mit EGFP beeinträchtigte seine physiologische Funktion nicht. Das angekoppelte EGFP ermöglichte es, die Bewegung einzelner FGF8EGFP-Moleküle zu filmen. Sie strömten von ihrer Quelle aus, bewegten sich im extrazellulären Raum nach Art der Brownschen Molekularbewegung, wurden von benachbarten Zellen aufgefangen, internalisiert und damit aus dem Diffusionsraum entfernt. Die Internalisierung begrenzte folglich den Ausbreitungsbereich. In diesem Fall entsprach der Aufbau des Gradienten einem „source-sink“Modell (Box 10.2). Hingegen war für DPP, dem BMP4-Vertreter von Drosophila, gezeigt worden, dass dieses Molekül per Transcytose und viel langsamer durch die Flügelimaginalscheibe wandert. DPP-GFPKonstrukte waren in die Scheiben injiziert worden an der Stelle, an der natürlicherweise DPP produziert wird. Obwohl DPP-GFP sich nicht im extrazellulären Raum ausbreitete, entstand ebenfalls ein von der Quelle weg abfallender Gradient von internalisierten DPP-Molekülen über Zellreihen hinweg. Dies geschah, weil nicht alle per Endocytose aufgenommenen DPP-Moleküle an die nächste Zelle weitergegeben wurden. Der Gradient breitete sich über eine große Fläche aus. Anders das Signalmolekül WINGLESS (WG): WG-GFPFusionsmoleküle breiteten sich nicht langsam per Transcytose aus, sondern rasch und offenbar per Diffusion in extrazellulären Räumen, doch war ihr Ausbreitungsbereich viel kürzer als beim DPPMolekül, vermutlich, weil WG-Moleküle durch Rezeptoren (und Co-Rezeptoren) abgefangen wurden. Es gibt also verschiedene Möglichkeiten, wie Gradienten entstehen können. Mehr dazu in Kap. 11.
264
pothetischen Morphogene nachzuweisen oder sonstige entwicklungsbestimmende Komponenten der Keime chemisch-physikalisch zu identifizieren und zu quantifizieren. Auch heute sind speziell beim Seeigel die vorgeschlagenen Morphogene noch nicht vollzählig identifiziert. Doch sind mit BMP2/4 im dorsalen Bereich der Gastrula, mit CHORDIN und NOGGING im ventralen Bereich und mit WNT-8 in der vegetativen Hemisphäre bereits einige Morphogene aufgespürt. Bemerkenswert ist, dass diese Morphogene schon vom Amphibienkeim bekannt waren. Wenn es um Morphogene geht, muss denn auch in erster Linie auf Xenopus und Drosophila verwiesen werden. Die gegenwärtigen Vorstellungen über den Wirkungsantagonismus von BMP-4 versus CHORDIN, DPP versus SOG WNT-8 versus CERBERUS und DICKKOPF entsprechen genau den Vorstellungen der traditionellen Gradiententheorie (Abb. 10.3, 10.4 und 10.5). Und am Beispiel mehrerer Faktoren der TGF-ˇ-Familie (z. B. der Activine und BMPs) sowie der FGF-Familie ist experimentell nachgewiesen, dass die Qualität der Differenzierung eine Funktion der Morphogenkonzentration sein kann. Man darf jedoch die Gradiententheorie nicht auf die Vorstellung von Konzentrationsgradienten diffusibler Morphogene reduzieren. „Quantität eines Faktors“ kann unter anderem bedeuten: die Menge strukturgebundener Moleküle, Menge an Energieträgern, Menge der Mitochondrien oder anderer Organellen, Anzahl eines bestimmten Zelltyps. Das erste nachgewiesene Morphogen, BICOID bei Drosophila (1988 nachgewiesen von Christiane Nüsslein-Volhard u. a.) ist hier ein lehrreiches Beispiel. Das BICOIDProtein, dessen Konzentrationsprofil die Dimension der Kopf- und Thoraxregion in der Larve bestimmt (s. Abb. 4.33, 4.34), liegt unmittelbar nach seiner Translation in diffusibler Form vor, und es bildet sich im Ei ein Konzentrationsgradient. Dann aber wird BICOID in die Kerne aufgenommen, bindet an die DNA und verliert damit seine Diffusionsfähigkeit. Erst in dieser gebundenen Form erfüllt es als Transkriptionsfaktor seine Funktion. Die Menge an Faktor, die in den Kern aufgenommen wird, bestimmt die Zahl und Art der aktivierbaren Gene. Übers Ganze betrachtet, bestimmt er die Längendimension und damit die Proportion von Kopf und Thorax (s. Abb. 4.34).
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
10.5.3
Zwei Gradienten entlang der cartesianischen Koordinaten ermöglichen die Positionsbestimmung
Bei bilateralsymmetrischen Tieren findet man vor und während der Gastrulation Gradienten, die senkrecht aufeinander stehen und folglich in ein cartesianisches Koordinatensystem mit x- und y-Achse eingetragen werden können. Bei Drosophila beispielsweise erstreckt sich der BICOID-Gradient entlang der x-Achse (D antero-posteriore Achse) und der DORSAL-Gradient entlang der y-Achse (D dorsoventrale Achse). Über viele Taxa hinweg finden sich die senkrecht zueinander orientierten Gradienten von WNT und BMP, so im Seeigel- und Amphibienkeim (Abb. 10.5). Damit ergibt sich, theoretisch jedenfalls, die Möglichkeit, dass Zellen ihre Position in Erfahrung bringen können, indem sie an ihrem Ort die Konzentrationswerte von WNT und BMP messen. Dies hatte bereits ein damals bekannter Protagonist der Gradiententheorie, C. Child (1869–1954), vorhergesagt. Streng bewiesen ist ein solches Ortungssystem bislang nicht, doch werden wir beim Thema Wegfindung der Axone von Nervenzellen sehr gute Evidenzen für ein solches Orientierungssystem finden (Kap. 16). Wandernde Zellen müssen allerdings nicht nur lokale Konzentrationen, sondern auch die Vektoren der Konzentrationsänderungen messen. Wie Gradienten mit hoher Präzision abgelesen werden und die reagierenden Zellen sich voneinander abgrenzen können, um sich in direkter Nachbarschaft verschieden zu differenzieren, darüber sind mehrere Modellvorstellungen entworfen worden. Die mit mehreren partiellen Differentialgleichungen operierenden Modelle sind zu komplex und von Fall zu Fall zu verschieden, als dass ein einführendes Lehrbuch sie vorstellen und kritisch bewerten könnte. Interessenten verweisen wir auf die Literaturliste am Ende dieses Buches.
10.5.4
Induktoren und Morphogene verbreiten sich mittels unerwartet vielfältiger Mechanismen über größere Gebiete
Wie kann sich eine Signalsubstanz in einem Gebiet ausbreiten, in welchem Zellen an Zellen dicht gedrängt zusammengepfercht sind? Sind Zellen nur hier
10.5 Musterbildung: Morphogene und Gradiententheorie
und da punktuell miteinander verklebt und lässt das Maschenwerk der nur locker gepackten Zellen große Zwischenräume frei, so fällt es nicht schwer, sich schlichte Diffusion im Interstitium als physikalisches Prinzip der Ausbreitung vorzustellen. Gewiss nutzt die Natur, wo es möglich ist, das Diffusionspotenzial von Signalmolekülen aus, um sie ohne großen Energieaufwand in der Umgebung eines Signalsenders auszubreiten. Theoretiker, die mathematische Modelle der Ausbreitung entwerfen, arbeiten auch bevorzugt mit Termen der Diffusion (Box 10.2). Über Diffusion erhält man Gradienten, wenn die Moleküle von einem räumlich begrenzten Bezirk ausgesandt werden und sich in einem weiten dreidimensionalen Raum ausbreiten; wenn Moleküle während ihrer Ausbreitung mit kurzer Halbwertszeit spontan zerfallen; wenn Moleküle von anderen Molekülen, die ihnen entgegen diffundieren, gebunden und neutralisiert werden oder gar enzymatisch abgebaut werden. Dies ist vereinfachend in Abb. 10.3 dargestellt; wenn Moleküle bei ihrer Ausbreitung in Zellverbänden von spezifischen Rezeptoren oder bindefähigen Molekülen der extrazellulären Matrix abgefangen werden und deshalb die Konzentration an freien Molekülen nach und nach abnimmt (s. Abb. 11.3c und 11.6). Dies geschieht beispielsweise mit den FGFs und WNTs. Werden gebundene FGF-Moleküle durch Enzyme aus der Matrix befreit, vergrößert sich ihr Ausbreitungsbereich beträchtlich (die lipophilen WNTs hingegen werden möglicherweise durch Bindung an andere Moleküle im wässrigen Interstitium beweglicher). Komplex wird es, wenn starke Diffusionsbarrieren wie Epithelien existieren. In letzteren sind Zellen über Adhäsionsgürtel (adhesion belts) dicht miteinander verklebt. In solchen epithelartigen Verbänden können zwar kleine Moleküle wie O2 , CO2 und Retinsäure direkt über die Zellmembranen oder über Gap junctions von Zelle zu Zelle diffundieren; für größere Moleküle sind jedoch besondere Transportsysteme gefordert. Noch weitgehend hypothetische Möglichkeiten der Signalausbreitung (Lipidflöße, Transcytose, Nanoröhrchen) werden im Abschn. 11.2 erörtert.
265
10.5.5 In flächigen Zellverbänden bildet sich oftmals eine planare Zellpolärität aus, die beispielsweise Haare, Borsten und Sensillen ausrichtet und vielfach auf einem „nicht-kanonischen“ WNT-Signalsystem beruht Auch ohne Nachhilfe durch eine Bürste sind die Haare eines Fells gruppenweise in bestimmte Richtungen ausgerichtet, desgleichen Federn im Vogelbalg, Borsten, Schuppen und Sensillen (kleine Mechano- und Chemo-Sinnesorgane) in der Cuticula-überzogenen Epidermis der Insekten. Beispiele planarer Polarität zeigt Abb. 10.7. Parallel zur Oberfläche sind mechanische Kräfte und/oder Signalsysteme am Werk, die den Anlagen für diese Gebilde und auch dem ganzen Epithel eine gemeinsame Orientierung geben. Vielfach sind es Signalwellen, die sich von einem Rand aus im Epithel ausbreiten und dabei den Zellen ihren Sollvektor, also eine bestimmte Ausrichtung, zuweisen. Gegenwärtig richtet sich die Aufmerksamkeit der Forschung vor allem auf ein Signalmolekül, das nach der Drosophila-Mutante Wingless benannt wurde und in anderen Organismen, von Hydra bis zum Menschen, WNT (sprich Wint) heißt. Wieder WNT? Dieses Mal handelt es sich um ein anderes, ein „nicht-kanonisches“ WNT-System. Das betreffende Signalmolekül ist (oftmals) WNT5a. Es wirkt zwar auch über einen Membran-verankerten Rezeptor namens Frizzled, der auf der Innenseite der Membran mit Elementen des Cytoskeletts in Verbindung steht. Doch wird nicht der ˇ-Catenin-abhängige Signalweg genutzt. Es kommt eine Signalstaffette in Gang, die über die Fläche zieht. Hilfreicher als eine Auflistung der Komponenten dieser Signalstaffette ist ein Blick auf Abb. 10.7 und ihre Legende; Genaueres muss in der Originalliteratur in Erfahrung gebracht werden. Die planare WNT-Signalwelle verursacht eine Welle erhöhter intrazellulärer CalciumKonzentration. Planare Orientierungsgeber dürften auch im Spiel sein, wenn – wie im folgenden Abschnitt behandelt – Links-rechts-Asymmetrien erzeugt werden.
266
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung Planare Zellpolarität
a
Planar orientierte Mitosen
b1 Insektencuticula mit Borsten
Rezeptor (Frizzled)
c
Haarzellen des Corti-Organs im Innenohr (Hörorgan des Menschen)
Asymmetrisch verteilte Proto-Cadherine und andere Proteine
b2
Gradient-Modell
Rezeptor für das Morphogen
Gradient eines Morphogens
apico-basale Polarität
Fz
Dsh/Dvl
inverse planare Polarität
planare Polarität
b3
Relay-Modell Fz=frizzled Fz Fm Signal relay
Cadherin FAT
Signal relay
Vg=Vang Vg Protocadherin Flamingo Fm Signal relay
Signal relay
Cadherin Dachsous
Die gegenläufigen Gradienten der Cadherine FAT und DACHSOUS codieren auch Positionswerte
10.6 Das Herz am rechten Fleck: Links-rechts-Asymmetrie
J Abb. 10.7 Beispiele für planare Zellpolarität (Planar Cell Polarity PCP). a Planar orientierte Mitosen erzeugen ein Flächenepithel. b1 Für die Polarisierung der mit Borsten und Dentikel versehenen Insektenepidermis (Flügel-Imaginalscheibe von Drosophila) wurden zwei alternative Modelle vorgeschlagen: 2 Hier dirigiert ein Morphogengradient (z. B. WINGLESS) die Ausrichtung. Das hier vereinfacht wiedergegebene Modell gilt in gleicher Weise für die Ausrichtung der Haare oder Schuppen bei Wirbeltieren, wobei als Morphogene WNT4, WNT5a oder WNT11 in Betracht kommen. b3: Nach dieser Vorstellung ist eine Signalstafette für die Ausrichtung verantwortlich, wobei einerseits Varianten des Protocadherins Flamingo (Fm2), andererseits das Cadherin FAT das Signal von Zelle zu Zelle weitergeben. FAT ist nur als Signalgeber aktiv, wenn es nicht vom Cadherin Dachsous DS der Nachbarzelle fest gebunden ist. (Nur schwach gebundene Dachsous-Varianten sind
10.6 Das Herz am rechten Fleck: Links-rechts-Asymmetrie 10.6.1 Asymmetrien gehören zum Grundbauplan eines jeden bilateralsymmetrischen Tieres; doch es gibt noch lokale Links-rechts-Asymmetrien im Inneren Als bilateralsymmetrische Organismen haben wir Menschen wie die Mehrzahl aller Tiere einen Körpergrundbauplan, der zwei Asymmetrieachsen (Polaritätsachsen) aufweist: (1) Kopf-Fuß-Achse (anteroposteriore Achse) und Rücken-Bauch-Achse (dorsoventrale Achse). Links und rechts der anteroposterioren Achse sind wir spiegelbildsymmetrisch organisiert. Im Allgemeinen. Es gibt jedoch eine Reihe von Ausnahmen, vor allem im Inneren unseres Körpers: Der Verdauungstrakt ist nicht symmetrisch angeordnet, das Herz bevorzugt eine linke Position (der rechte Fleck des Herzens ist also links!) und die Leber sitzt rechts. Es gibt seltene Abweichungen von dieser Regel. Der Normalfall ist der Situs solitus. Selten (1 W 9000) findet der Arzt einen Situs inversus: Die Verhältnisse sind spiegelbildlich zum Normalfall: Das Herz ist nach rechts geneigt, die Leber sitzt links. Noch seltener und für das Individuum mit Beschwerden verbunden ist. Heterotaxie: Asymmetrien sind regellos verteilt. Für Abweichungen von der Norm kann man oftmals das eine oder andere mutierte Gen verantwortlich machen.
267 hier um der Übersichtlichkeit willen weggelassen.) Weil stark bindendes Dachsous in Form eines Gradienten vorliegt, bildet das signalisierende FAT-Molekül einen Gegengradienten. Die Bindungsstärke zwischen FAT und DS wird durch Phosphorylierung der Cadherine geregelt. Gradienten nach verschiedenen Autoren (Cho et al. 2006; Wei-Sheng et al. 2008; Strutt 2009; Simon et al. 2010) kombiniert und vereinfacht. Im Insektenbein liefern die beiden gegenläufigen Gradienten zugleich sich von Ort zu Ort kontinuierlich verändernde Positionswerte (Lawrence 2008; Bando et al. 2011). Die beiden Modelle b2 und b3 schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern können sich ergänzen. Die Elemente FZ (Frizzled), Dsh/Dvl (Dishevelled), Vang (Vg, vanGogh D stbm strabismus) und Flamingo Fm kommen in homologer Form auch in planar polarisierten Systemen der Wirbeltiere vor
10.6.2
Schon in der Gastrula kündigt asymmetrische Expression mehrerer Gene die künftige Asymmetrie der Organe an; und man kann sie dirigieren
Die Fähigkeit der Molekularbiologen, immer mehr entwicklungssteuernde Gene zu identifizieren und ihr Expressionsmuster darzustellen, hat Erstaunliches sichtbar gemacht. In der Gastrula und später in der Entwicklung des Embryos (Xenopus), wenn das phylotypische Stadium erreicht ist, werden die Expressionsbezirke von Genen für mehrere (uns zum Teil schon vertraute) Signalmoleküle vorübergehend asymmetrisch: Linkslastige Expression. Das Gen nodal, das für ein Mitglied der TGF-ˇ-Familie codiert, und das Gen für Sonic hedgehog werden vorübergehend nur in der linken Hälfte der Gastrula exprimiert. Bei einer genetischen Konstitution, die einen Situs inversus erwarten lässt, wird eine seitenverkehrte Expression von nodal und Sonic hedgehog beobachtet. Auch auf der Keimscheibe des Hühnchens und im Primitivstreifen der Maus ist eine nodalExpression auf der linken Seite sichtbar geworden, und zwar links vor dem Hensenschen Knoten (Maus: Knoten, Engl.: node), dem Äquivalent des Spemann-Organisators (Abb. 10.8a). Zeitlich geht der nodal-Expression ein Schwinden der Expression von Sonic hedgehog auf der Gegenseite voraus. Im Mesoderm vor dem Knoten ist die Expression von Sonic hedgehog anfänglich symmetrisch; doch bleibt sie links länger bestehen als rechts.
268
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
a
Kopfpol
Nodal (in späterem Stadium 8) SeitenplattenMesoderm Shh Sonic hedgehog
Zellbewegungen Chorda HensenKnoten HensenKnoten Primitivrinne
FGF8 Primitivrinne
Links-rechts-Asymmetrie der Genexpression auf der Keimscheibe des Hühnchens (Blick auf dorsal, Stadium 4)
b Drehrichtung der Cilie im Uhrzeigersinn Nodal Coco-
caudal
Nodal Coco+
cranial Cilien im Mittelfeld des Urdarmdachs von Xenopus erzeugen einen nach links gerichteten Strom des Wasserfilms, der die Zellen bedeckt
10.6 Das Herz am rechten Fleck: Links-rechts-Asymmetrie
J Abb. 10.8 Links-rechts-Asymmetrien als Ursprung von Asymmetrien in der Lage von Herz, Leber und anderen Organen. a Asymmetrische Expression von SONIC HEDGEHOG, FGF8 (im Stadium 4) und NODAL (im Stadium 8) auf der Keimscheibe des Hühnchens. Im Stadium 4 bewegen sich Zellen um den Knoten von re nach li. Nach Levin et al. (1995) und Gros et al. (2009) kombiniert. b Bei Fischen, Amphibien und Säugetieren findet sich im Gastrulastadium ein Feld von Cilien, die einen von
Rechtslastige Expression. Der FGF8 wird rechts vom Hensenschen Knoten stärker exprimiert als links (Abb. 10.8a). Später werden weitere Gene für Signalmoleküle asymmetrisch exprimiert, beispielsweise lefty-1 in der linken Wand des Neuralrohrs, lefty-2 in der linken Seitenplatte. Auch Gene für einige Transkriptionsfaktoren erfahren eine einseitige Expression, beispielsweise das Gen für PitX2. Dieser Transkriptionsfaktor wird zuerst in der linken Seitenplatte des Mesoderms exprimiert und später in der linken Herzanlage sowie in linken Bezirken des Urdarms. Es gibt indes noch frühere Indizien für die später zu beobachtende asymmetrische Lagerung der Organe, wie nachfolgend berichtet wird.
10.6.3 Als primäre Ursachen werden kreisende Cilien, Linksdrall von Zellbewegungen und in der Blastula einseitig produziertes Serotonin in Betracht gezogen Eine verblüffende, wenn auch nicht allgemeingültige hypothetische Erklärung für das Auftreten von Linksrechts-Asymmetrien hat die sorgfältige Beobachtung der Anatomie einer Xenopus-Gastrula angeregt. Im Urdarmdach der Gastrula findet man ein kleines Feld mit Cilien einer besonderen Art (9 C 0 Monocilien). Diese Cilien ragen ventralwärts nach unten in die Urdarmhöhle (Abb. 10.8b). Sie drehen sich im Uhrzeigersinn und erzeugen einen von rechts nach links gerichteten Strom im Flüssigkeitsfilm, der die Zellen bedeckt. Die Drehrichtung der Cilien wird von ihren molekularen Motoren bestimmt. Ein Feld mit Monocilien findet man auch an entsprechenden Stellen (Knoten) des Mausembryos und anderer Säuger. Verläuft die Rotationsrichtung im Normalfall im Uhrzeigersinn, so ist sie bei Situs-inversus-Mutanten entgegen dem Uhrzeigersinn orientiert und treibt die Flüssigkeit von links nach rechts. Wird der Flüssig-
269 re nach li gerichteten Flüssigkeitsstrom erzeugen. Gezeigt wird hier die Lage des Cilienfeldes an der Unterseite des Urdarmdachs der Gastrula von Xenopus. Die Cilien erzeugen in dem dünnen Flüssigkeitsfilm, der die Zellen bedeckt, eine nach links gerichtete Strömung. Wird die Strömung unterbunden, geht eine klare Sonderung der asymmetrisch gelagerten Organe verloren. Adaptiert nach Blum (2009a, b) und Schweickert et al. (2010), kombiniert
keitsstrahl bei Mausembryonen des Wildtyps künstlich nach rechts gerichtet, entsteht ein künstlicher Situs inversus. Eine auf dieser Beobachtung beruhende Hypothese postuliert, der Flüssigkeitsstrom schwemme gelöste Morphogene oder Ionen auf die – im Normalfall linke – Seite. Freilich bleibt Erklärungsbedarf: In der Keimscheibe des Vogels ist kein solches Cilienfeld zu finden. Hier strömen nicht Flüssigkeiten, sondern Zellen von rechts nach links (Abb. 10.8a). Auch gibt es offenbar schon in früheren Stadien Asymmetrien. Ein erstes Symmetrie brechendes Ereignis im Amphibienkeim ist die Corticalrotation in der Eizelle nach dem Eindringen des Spermiums, begründet wiederum in der Arbeitsrichtung molekularer Motoren. Allerdings erzeugt die Corticalrotation zwar eine Asymmetrie hinsichtlich der Dorsoventral-Achse; hinsichtlich einer Rechts-links-Asymmetrie schon in diesem Anfangsstadium gibt es hingegen noch keine zuverlässige Beobachtung. Die bislang früheste aller schicksalsbestimmenden Links-rechts-Asymmetrien ist im Xenopuskeim entdeckt worden. Im 32-Zellenstadium wurde in einer links-ventral liegenden Zelle das sonst als Transmitter bekannte Serotonin (D 5-Hydroxytryptamin) nachgewiesen. Das Ausschalten seines Rezeptors verhindert die spätere Entwicklung des Cilienfeldes im Urdarmdach und damit die Ausbildung einer Lire-Asymmetrie. Dass kleine anfängliche Ursachen große ferne Wirkungen hervorrufen, ist in der Entwicklungsbiologie ein oft erkennbares Prinzip. Erklärungsbedarf gibt es noch genug, beispielsweise für Folgendes: Wird die Keimscheibe des Hühnchens entlang der Mittellinie durchtrennt, bilden sich regenerativ zwei Keimscheiben in spiegelbildsymmetrischer Anordnung (Abb. 10.9). Spiegelbildlich zueinander orientiert sind auch immer siamesische Zwillinge. Herrscht in dem einen Organismus eine Lire-Asymmetrie, so im anderen eine spiegelbildliche Rechts-links-Asymmetrie.
270
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung Morphogenetische Felder nach ganzer oder partieller Trennung
10.7 Morphogenetische Felder 10.7.1 Das morphogenetische Feld: Es hat nichts Transzendentes an sich, aber beachtenswerte Eigenschaften In der Entwicklungsbiologie taucht nicht selten der Begriff des morphogenetischen Feldes auf. Dieser Begriff stieß bei Naturwissenschaftlern mitunter auf Skepsis oder Ablehnung, weil er bisweilen als außernatürliches Wirkfeld (miss-)verstanden worden ist. Der Begriff ist jedoch naturwissenschaftlich definierbar, und er ist durchaus nützlich, ebenso wie der Begriff des Feldes in der Physik nützlich ist. Definition 1: Ein morphogenetisches Feld ist ein Areal, aus dem in einem Prozess der Selbstorganisation eine komplexe Struktur, z. B. eine Extremität, hervorgeht. Definition 2: Ein morphogenetisches Feld ist ein Areal, in dem Signalsubstanzen, seien sie nun Induktor, Morphogen oder Faktor genannt, wirksam werden und zur Aufgliederung des Feldes in Unterregionen beitragen. Diese Aufgliederung ist ein Prozess der Musterbildung. Warum zwei Definitionen? Wenige Worte genügen nicht, den Begriffsinhalt zu fassen. Ein morphogenetisches Feld hat folgende Eigenschaften: Es geht aus ihm eine komplexe Struktur hervor, z. B. der Flügel, das Auge oder das Herz. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation wird in verblüffender Weise offenkundig, wenn beispielsweise aus einem Aggregat embryonaler Stammzellen von selbst ein Auge entsteht (s. Abb. 18.9). Es hat anfänglich die Fähigkeit zur Selbstregulation. Nach experimenteller Auftrennung kann aus jedem Teilareal, wenn es nicht zu klein ist, eine ganze Struktur entstehen. Ein morphogenetisches Feld großen Ausmaßes ist beispielsweise die Keimscheibe auf dem Ei des Hühnchens nach der Furchung und vor der Gastrulation. Teilt man eine solche Scheibe in mehrere Areale, kann sich aus jedem Areal ein kompletter Embryo entwickeln (Abb. 10.9). Trennt man Felder auf, zeigt sich, dass das Feld, das eine bestimmte Struktur hervorbringen kann, anfänglich größer ist als das Feld, aus dem letztendlich die Struktur tatsächlich hervorgeht.
a
Hühnchen
Keimscheibe Primitivrinne mit Knoten
b ZPA
vorn
Amphib Extremitätenfeld
ZPA
vorn
d
c
Planarie
Hydra
Abb. 10.9 Beispiele für die partielle oder vollständige Verdoppelung von Strukturen nach partieller oder vollständiger Trennung des morphogenetischen Feldes, aus dem diese Strukturen hervorgehen. Oft sind die Duplikaturen spiegelbildlich symmetrisch zueinander
Im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt, dass ein morphogenetisches Feld kongruent ist mit dem Areal, in dem Morphogene wirken. Ihr Wirkbereich ist anfänglich oft größer als später, wenn Prozesse der lateralen Inhibition das Feld eingrenzen.
10.8 Modellfelder: die Knospen für Vogelflügel und Mäusebein
In der Organbildung tauchen immer wieder Felder sekundärer und tertiärer Art auf. Modellfall eines organspezifischen morphogenetischen Feldes ist das kreisförmige Areal in der Rumpfwand, in dem das Morphogen FGF-10 wirksam ist und in dem die Wirbeltierextremität entsteht; ein sekundäres Feld wäre das Handfeld.
10.7.2
Wie man ein morphogenetisches Feld unterteilt und einen Punkt darin definiert: Imaginalscheiben als Beispiel
Wenn wir an der Wand unseres Zimmers einen Punkt aussuchen, an dem wir zielgenau einen Dübel zum Aufhängen eines schweren Gegenstandes einsetzen wollen, tun wir gut daran, erst mit waagrechten und senkrechten Strichen ein Fadenkreuz aufzuzeichnen und dann den Bohrer im Mittelpunkt des Kreuzes anzusetzen. Ähnlich verfährt die Natur, wenn sie dem Insekt am rechten Platz Flügel oder Beine machen will. Im Embryo von Drosophila wird die Entwicklung des künftigen Fliegenbeins früh vorbereitet. Eine kreisförmige Gruppe von Zellen des Blastoderms wird als Imaginalscheibe ausgesondert, ins Körperinnere verlagert und verpackt. Bis zum Zeitpunkt der Metamorphose darf die Scheibe noch wachsen; dann wird sie teleskopartig zum Bein ausgezogen (s. Abb. 20.2). Bereits das Blastoderm ist in Kompartimente (Parasegmente bei Drosophila) unterteilt, deren Grenzen als Koordinatensystem verwendet werden können.
Entlang der Grenze zwischen zwei Parasegmenten produzieren zwei vertikale Streifen von Zellen die Signalmoleküle HEDGEHOG und WINGLESS (s. Abb. 4.38). Dank eines weiteren Prozesses der Musterbildung, dessen molekulare Natur für die Flügelscheibe identifiziert ist (Abb. 10.10b), unterteilt eine horizontale Linie die Parasegmente der Brustregion in ein dorsales und ein ventrales Areal. Der Zellstreifen, der HEDGEHOG exprimiert, induziert im dorsalen Areal des Parasegments die Expression eines weiteren, uns schon bekannten Signalmoleküls, DECAPENTAPLEGIC (DPP).
271
Der Ort, an dem die drei Kompartimente (hinteres, vorderes dorsales und vorderes ventrales Kompartiment) zusammenstoßen (Abb. 10.10a), ist die einzige Stelle, an der die Zellen, die DPP und WINGLESS exprimieren, direkten Kontakt miteinander haben. In einem kleinen Kreis um diesen Mittelpunkt werden die Gene Distal-less (Dll) und aristaless (al) eingeschaltet; sie kennzeichnen die künftige distale Spitze der Extremität, den Tarsus des Insektenbeins. Die Bezeichnung „less“ bezieht sich auf Defektmutanten. Im normalen Wildtyp wird das Gen an der distalen Spitze exprimiert. Allerdings wird Dll anfänglich auch proximal exprimiert, aristaless stets nur an der Spitze. Eine Hypothese besagt, dass diese Zellen ein weiteres Morphogen erzeugen, das zur Spezifikation des künftigen Tarsus im Zentrum der Scheibe gebraucht wird. Es gibt Indizien, dass auch bei Wirbeltieren die Felder, aus denen die Extremitätenknospen hervorgehen, im Grenzbereich von Kompartimenten entstehen.
10.8
Modellfelder: die Knospen für Vogelflügel und Mäusebein
Nach Abschluss der Neurulation erscheinen in den Flanken der Embryonen jener Wirbeltiere, die mit vier Extremitäten ausgestattet sind, vier kreisförmige Areale, in denen die Morphogene FGF-10 und FGF-8 erzeugt werden, und die zu den Anlagen der Arme und Beine werden (Abb. 10.11). Die Entwicklung des Flügels im Hühnerembryo ist sehr gut untersucht. Die Ergebnisse der Musterbildungsprozesse werden am Muster der Skelettelemente abgelesen. Als dreidimensionales Gebilde hat der Flügel drei Polaritätsachsen (Koordinaten): 1. Die proximo-distale Achse von der Schulter bis zur Fingerspitze, 2. die antero-posteriore Achse vom ersten zum dritten Finger (nach neueren Studien sind in der Evolution des Flügels nicht, wie früher gesagt wurde, der Daumen und der kleine Finger, sondern die Finger 4 und 5 verloren gegangen), und 3. die dorso-ventrale Achse von der Oberseite zur Unterseite (sie bleibt hier außer Betracht; doch sei erwähnt, dass für deren Polarisierung ein WNT-7Signalsystem zuständig ist).
272
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung Aufgliederung eines morphogenetischen Feldes Bein-Imaginalscheibe von Drosophila
A
hedgehog (hh) engrailed (en)
dorsal anterior
proximal
hh en hh
posterior ventral anterior
b
a decapentaplegic dpp
Dll
hh
c
Dll e
d
wg
wingless
distal
Distal-less (Dll) aristaless (al)
auswachsendes Bein Flügel-Imaginalscheibe von Drosophila
B
Decapentaplegic (Dpp) Apterous
c a Hedgehog
b
Vestigial
Engrailed + Hedgehog
C1
Abb. 10.10 Spezifikation eines morphogenetischen Feldes in einem kreisförmigen Areal des Blastoderms von Drosophila, dessen Bestimmung es ist, eine Bein-Imaginalscheibe zu werden. a–e Die Scheibe wird dort angelegt, wo die Expressionsbereiche verschiedener Gene aneinandergrenzen. Im Zentrum ist ein kleiner Bereich, wo wingless exprimierende Zellen direkt an Zellen stoßen, die decapentaplegic exprimieren. Hier an dieser Stelle werden die Homöobox-Gene aristaless und Distalless exprimiert, die für die Verlängerung der Scheibe in der Längsachse und damit für das Auswachsen des Beines benötigt werden. b Aufteilung der Domänen und Lokalisierung der Faktoren in einer Flügelimaginalscheibe. a Domänen von hedgehog,
Flügel
Wingless
C2
engrailed und dpp definieren die antero-posteriore Polarität. b–c Der Flügel geht letztendlich aus einem kreisförmigen Areal hervor, indem Ober- und Unterseite durch verschiedene Genaktivitäten (apterous und vestigial) spezifiziert werden. Die Aktivität von wingless (wg) ist zwar auf den Flügelrand beschränkt, doch wird eine wg= Mutante flügellos, wie der Name des Gens sagt C Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen von Drosophila-Imaginalscheiben. C1 Flügelscheibe, C2 Augenscheibe. Bildrechte liegen bei Stephen (Steve) Paddock, University of Wisconsin. Bilder freundlicherweise von ihm erhalten
10.8 Modellfelder: die Knospen für Vogelflügel und Mäusebein
273
FGF10 Feld
RA-Gradient
Somit
FGF8 WNT3a
+ SHH
Seitenplatte
AER
+
GREM1 BMP-4
+
ZPA
Amphibien Extremitätenfeld
b
Vogelflügelknospe ähnl. auch Mausbeinknospe
+ SHH
SHH Sonic hedgehog
a
FGF
ZPA
c
Abb. 10.11 Extremitätenfeld und Gliedmaßenknospe im Wirbeltierembryo. a Anlage eines Feldes in der Flanke eines Amphibienembryos. Im FGF-10 exprimierenden Feld (blau) sammeln sich Zellen, die aus den Somiten auswandern und später in der Extremität das Skelett und die Muskulatur entstehen lassen. b Die weitere Aufgliederung des Feldes, dargestellt für eine Flügelknospe, geht von verschiedenen Signalmolekülen aus, die wechselseitig ihre Produktion stimulieren. Ein bedeutsames Si-
gnalzentrum ist die ZPA, die Zone polarisierender Aktivität. AER D Apical Epidermal Ridge (apikale epidermale Leiste). FGF D Fibroblast Growth Factor. RA D Retinoic Acid D Retinsäure. c Es kommen weitere Faktoren ins Spiel, z. B. Grem1 D Gremlin 1. Ihr wechselseitiges, teils einander förderndes, teils hemmendes Zusammenspiel kann nur durch Computersimulationen auf der Basis mathematischer Modelle versuchsweise durchschaubar gemacht werden
10.8.1 Ein Morphogen, FGF-10, kennzeichnet in der Flanke des Embryos ein Feld, aus dem die Extremitätenknospe auswächst
denen Knorpel oder Knochen entstehen können. In der frühen und der jungen Knospe agieren mehrere Mitglieder der FGF-Familie. In den mesodermalen Seitenplatten kann man zur gegebenen Zeit kreisförmige Areale ausmachen, in denen der Faktor FGF-10 exprimiert wird. Diese Areale stimmen mit den morphogenetischen Feldern überein, aus denen bald darauf die Extremitäten auswachsen. FGF-10 (oder auch andere FGFs), lokal auf die Flanke eines Hühnerembryos aufgebracht, löst dort die Entwicklung einer zusätzlichen Extremität aus. Eine erste Reaktion des stimulierten Bezirks ist, dass dort ein zweites Mitglied der FGF-Familie, FGF-8, produziert wird. Während FGF-10 im Mesoderm (Mesenchym) erzeugt wird, wird FGF-8 im darüber liegenden Ektoderm gebildet. Damit beginnt ein munteres Wechselspiel gegenseitiger Stimulation. Beide Faktoren sind nun echte Wachstumsfaktoren: Die Knospe wächst aus.
Um eine Extremität herzustellen, braucht man Material. Zuerst werden Zellen rekrutiert, die den mesodermalen Somiten und Seitenplatten abgeworben und zu den passenden Orten gelotst werden. Dort versammelt, bilden sie ein lockeres, nicht epithelial organisiertes Gewebe, das histologisch als Mesenchym klassifiziert wird. Die Mesenchymzellen und die sie überdeckenden Zellen der Epidermis werden mittels Wachstumsfaktoren zur Proliferation stimuliert. Sowohl die chemotaktischen Lockfaktoren als auch die zur Proliferation anregenden mitogenen Faktoren stammen aus der Familie der Fibroblasten Wachstumsfaktoren, FGF (Fibroblast Growth Factors). Fibroblasten sind Stammzellen (mesenchymartig), aus
274
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
10.8.2 Von der Schulter bis zu den Fingerspitzen: Musterbildung durch ein Zeitprogramm oder bewirkt durch Signalsender an den Gegenpolen? Die Flügelknospe ist von einer ektodermalen Kappe bedeckt, über die eine firstförmige Leiste, die AER (Apical Ectodermal Ridge; Abb. 10.11 und 10.12) zieht. Die Leiste produziert Wachstumsfaktoren der FGF-Familie, darunter den im vorigen Abschnitt eingeführten FGF-8. Wird die Leiste entfernt, hört das Auswachsen der Knospe sogleich auf. Die unter dem Einfluss der AER durch Proliferation gebildeten Zellen werden nach und nach aus dem Schutzraum der Kappe in Richtung Körperachse herausgeschoben. Die Zellen, die als erste den Kappenraum verlassen, bilden den Oberarm mit dem Humerus, die nächste Gruppe bildet Unterarm mit Radius und Ulna, die dritte Gruppe bildet Carpalia und die letzte die Phalangen. Nach Experimenten mit transplantierten Fragmenten von Gliedmaßenknospen wurde die Vorstellung entwickelt, hierbei liefe ein Zeitprogramm ab. Eine junge Knospe auf den Stumpf einer älteren transplantiert, beginnt programmgemäß mit dem Humerus, auch wenn der Stumpf schon zu Humerus programmierte Zellen hat (Abb. 10.12). Die Natur des Zeitprogramms ist noch nicht bekannt, doch impliziert es, wie unten erläutert, die sequenzielle Aktivierung von Homöobox (Hox)-Genen. Die Vorstellung eines Zeitprogramms (Uhrwerks) hat lange Jahre alleinige Deutungshoheit beansprucht, ist aber neuerdings (2011) durch zwei Arbeitsgruppen infrage gestellt worden. Diese nehmen stattdessen an, dass Sender an den Gegenpolen das Auswachsen der Knospe und die Untergliederung der Extremität in Oberarm, Unterarm und Hand kontrollieren. Wie Abb. 10.11b zeigt, wird an der Knospenbasis Retinsäure (RA) erzeugt, an der Knospenspitze FGF8 und WNT-3a. Diese Moleküle bilden, so die Auffassung dieser Arbeitsgruppen, gegenläufige Gradienten: Der Retinsäure-Gradient hat sein Maximum proximal, die FGF8- und WNT-Gradienten haben ihr Maximum distal. Mit dem Auswachsen der Knospe
Hühnchen Flügelknospe
Radius und Ulna verdoppelt
Abb. 10.12 Flügelknospe I: Experimente zur Spezifikation der proximo-distalen Achse in der Gliedmaßenknospe. Wird eine Knospe gekappt und auf den restlichen Stumpf eine Kappe von einer anderen Knospe aufgepfropft, so läuft in der neuen Kappe das von ihr selbst noch nicht erledigte Entwicklungsprogramm ab, unbeschadet von den Strukturen, die im Extremitätenstumpf noch fehlen oder schon vorhanden sind. Auf der Basis dieser Experimente wurde das Zeitprogramm-Modell vorgeschlagen (adaptiert nach Alberts et al. (1994), verändert)
entziehen sich distale Zellen dem Einfluss des proximalen Morphogens RA, und umgekehrt, proximale Zellen dem Einfluss von FGF-8 und WNT-3a. Allerdings fehlt noch eine befriedigende Vorstellung, wie die Ergebnisse der Transplantationsexperimente in Abb. 10.12 neu erklärt werden könnten. Eine kombinierte Hypothese könnte dies möglicherweise erreichen.
275
a 1 ZPA
normal 2 3
Morphogenkonzentration
10.8 Modellfelder: die Knospen für Vogelflügel und Mäusebein
Modell
ZPA
ZPA
3 2 1 Fingerfolge
vorn
Transplantation
b
c
Schwelle 3
3 2 1 1 2 3
Schwelle 2 Schw. 1
3
2 1
3
2
1
2 3
Implantat 3 2 1 2 3 ZPA
1
2 3
ZPA: Zone polarisierender Aktivität Implantat: Mit Retinsäure getränkte Perle aus Agarose; oder SONIC HEDEGEHOG sezernierende Zellen
OOH Retinsäure (retinoic acid RA)
Abb. 10.13 Flügelknospe II: Experimente zur Spezifikation der antero-posterioren Achse. a Normalsituation. Art und Reihenfolge der Finger werden bestimmt von Signalen, die von der ZPA, der Zone polarisierender Aktivität, am Hinterrand der Knospe ausgehen. Man beachte, dass der Vogelflügel auch im Normalfall nur drei rudimentäre Finger hat. (Früher war angenommen worden, Finger 1 und 4 fehlten, nach einer neueren Studie sind in der Evolution Finger 1–3 erhalten geblieben.)
Die Farbgebung der Skelettelemente beruht auf der klassischen Alizarinfärbung. b Eine an den Vorderrand der Knospe transplantierte, zusätzliche ZPA bewirkt eine spiegelbildlich symmetrische Verdoppelung der Hand. c ähnlich wie eine ZPA wirkt auch ein mit Retinsäure getränktes Implantat oder ein Klumpen von Zellen, die lösliches SONIC HEDGEHOG sezernieren. (Adaptiert nach Wehner und Gehring (2011), Fingernummerierung nach Tamura et al. (2011))
10.8.3 Die Reihenfolge der Finger wird von einem Morphogensender am Hinterrand der Knospe spezifiziert
tensität nach vorne hin abnimmt. Dieser Gradient der Signalstärke spezifiziert die Reihenfolge der Finger. Wird eine zusätzliche ZPA an den Vorderrand gepflanzt, wird die Reihenfolge der Finger spiegelbildlich wiederholt. Das komplette Muster heißt dann 321.123 oder 32123. Vitamin A-Säure (Retinsäure) liefernde Implantate wirken wie ein Sender. Poröse Kunststoffkü-
Am Hinterrand der Knospe (wo bei unserer Hand der kleine Finger erscheinen würde) sitzt ein Sender, ZPA (Zone of Polarizing Activity) genannt (Abb. 10.11, 10.12 und 10.13). Er sendet Signale aus, deren In-
276
gelchen, die mit Retinsäure getränkt sind, können eine ZPA ersetzen. Da man im Bereich der Flügelknospe natürlich vorkommende Retinsäure, Retinsäure-Derivate und Retinsäure-Rezeptoren findet und sich auch eine gradierte Verteilung von gebundener 3 H-Retinsäure nachweisen ließ, wurde die Auffassung vertreten, Retinsäure sei ein Morphogen und sei das erste überhaupt identifizierte Morphogen. Eine konträre Auffassung argumentierte jedoch, ein Retinsäure-getränktes Implantat veranlasse Zellen des Vorderrandes, das natürliche Signal, das nicht Retinsäure sei, zu produzieren. Man hat dann auch entdeckt, dass von einer Zellgruppe in der ZPA ein anderes Signalmolekül erzeugt wird, wiederum ein alter Bekannter: SONIC HEDGEHOG SHH. Kultivierte Zellen können dazu gebracht werden, lösliches SONIC HEDGEHOG zu erzeugen und freizusetzen. Verpflanzt man solche Zellen in den Vorderrand einer Knospe, erscheinen ebenso wie nach der Implantation einer Retinsäure-getränkten Kunststoffperle überzählige Finger, die spiegelbildlich zu den normalen angeordnet sind (Abb. 10.13). Nach gegenwärtigen Modellen (Abb. 10.11) interagieren die Produzenten von Retinsäure, SONIC HEDGEHOG, BMP-4 und verschiedene Wachstumsfaktoren der FGF-Familie in einem komplexen Netzwerk miteinander und stimulieren sich wechselseitig, mit der Produktion ihrer Signalmoleküle fortzufahren oder damit aufzuhören. Andererseits hat diese wechselseitige Abhängigkeit auch zur Folge, dass die Expression solcher Faktoren räumlich auf das Feld der wechselseitigen Interaktionen begrenzt bleibt (Prinzipien der lateralen Hilfe und der lateralen Inhibition).
10.8.4 Im Zuge der Musterspezifikation werden nach und nach Gene der Hox-Klasse aktiviert Startend von der hinteren Flanke einer Flügelknospe des Hühnchens (ZPA) oder der hinteren Flanke einer Extremitätenknospe der Maus werden nach und nach Hox-Gene angeschaltet. Im Fliegenembryo (s. Abb. 4.39) programmieren sie die Entwicklung individueller, ortsabhängiger Segmentidentitäten ent-
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
lang der Körperachse. Diese Transkriptionsfaktoren erfüllen eine gleiche Funktion in der Längsachse des Wirbeltierembryos (s. Abb. 12.16) und eine weitere Funktion in den Wirbeltier-Gliedmaßen. Die Expressionszonen der Hox-Gene breiten sich vom Hinterrand der Gliedmaßenknospe wellenförmig aus, und am Ende entsteht so ein antero-posteriores und ein proximodistales Muster. Von posterior nach anterior. Bei der Etablierung des antero-posterioren Musters kommen die Gene der Hox-D-Gruppe zum Zuge, und zwar der Reihe nach, beginnend mit Hox-D11 (s. Abb. 12.18). Alle Expressionszonen starten am Hinterrand (ZPA) im Bereich des künftigen vierten Fingers, ziehen dann aber unterschiedlich weit nach vorn: Hox-D11 zieht bis zum Vorderrand der Knospe, D12 bis zur Mitte, -D13 bleibt auf das Feld der ZPA beschränkt. Von der Knospenspitze zur Knospenbasis. Das proximo-distale Expressionsmuster umfasst die Sequenzen: – Hox-A9, -A10, -A11, -A12, -A13 sowie – Hox-D9, -D10, -D11, -D12, -D13. Die Hox-D-Gruppe kommt also nochmals zum Zuge und zwar vollständig. Die Expression dieser Gene startet wieder im Bereich der ZPA, und es beginnt das Gen mit der kleinsten Nummer. Während die Knospe auswächst, breiten sich die Expressionszonen aus, und es erscheinen, jeweils in der ZPA beginnend, Transkripte der Hox-Gene mit zunehmend höheren Nummern. Am Schluss erstrecken sich die Hox-A9- und Hox-D9-Zonen von der Fingerspitze bis zur Schulter; Aktivitäten der Hox-Gene mit höheren Nummern breiten sich weniger weit aus (Hox-A11 bis zum Ende des Unterarms, Hox-A13 bis zum Ende der Hand). Was die Ausbreitung der Hox-Expressionszonen bewirkt und begrenzt, ist nicht bekannt; denn aktive Transkriptionsfaktoren sitzen im Kern fest, wo sie an DNA gebunden sind. Mutmaßlich folgt die Ausbreitung der Hox-Expression löslichen Signalen (z. B. SONIC HEDGEHOG), die sich per Diffusion ausbreiten können. Im Zuge der Expression der Hox-Gene erhalten die Zellen sich kontinuierlich ändernde Positionswerte (Box 10.2), die bei Störungen eine Musterkorrektur (z. B. bei Urodelen eine korrekte Regeneration) ermöglichen.
10.8 Modellfelder: die Knospen für Vogelflügel und Mäusebein
277
Box 10.2: Modelle zur biologischen Musterbildung
Hypothesen, Computermodelle Musterbildung ist ein zentrales Thema der Entwicklungsbiologie. Muster meint nichtzufallsbedingte, geometrisch regelhafte Anordnung überzellulärer Strukturen und bedeutet auch räumlich geordnete Spezifikation der Zelldifferenzierung. Ein Muster ist das Zeichnungsmuster auf dem Schmetterlingsflügel, aber auch die Position von Kopf, Rumpf und Extremitäten. Komplexe Muster sind das synergistische Endergebnis vieler interagierender Moleküle und Zellen. Da die Komplexität der Wirklichkeit oft unser Vermögen übersteigt, die Konsequenzen einer Änderung am musterbildenden System intuitiv vorherzusehen, sind vereinfachte Modelle entwickelt worden, die mathematisch formuliert sind und Computersimulationen ermöglichen. Es werden hier nur zwei sehr einfache, historisch besonders einflussreiche Modelle erörtert. Positionsinformation nach Wolpert Ein Sender entlässt ein Signal in Form eines Morphogens S: Die Konzentration von S nimmt mit der Entfernung zur Quelle ab (Abb. 10.14). Ein gleichförmiger und beständiger Konzentrationsgradient 9
S-Morphogen (Sollwert) P-Wert (Positionswert)
6 3 0 Differenzierungsmuster
6
herausgeschnittenes Stück
0
9 6
Neueinstellung des S-Gradienten
relative Einheiten
3
9 6
3
3
0
0
P-Wert wird dem S-Wert angeglichen
harmonisch verkleinertes Muster
Abb. 10.14
kann sich beispielsweise zwischen einer Quelle und einem Abfluss einstellen (Source-sink-Modell). In einer Reihe von Zellen soll die erste Zelle das S-Morphogen erzeugen und freisetzen; durch die anderen Zellen diffundiere S hindurch; am Ende der Reihe werde S von der letzten Zelle abgebaut. Alternativ könnten alle Zellen der Reihe das Morphogen S abbauen; in diesem Fall stellte sich ein exponentiell abfallender Gradient ein. Der S-Gradient liefert Positionsinformation. Zellen sind in der Lage, die lokale Konzentration zu messen und als Lageinformation zu nutzen. Sie stellen daraufhin einen ihnen zukommenden Positionswert P ein, einen relativ stabilen Zustand, der für ihre Position kennzeichnend ist. Die lokale Konzentration an S bestimmt die am Ort maximal mögliche Höhe von P; S wirkt als oberer Sollwertgeber für den Positionswert P. Wird die Quelle von S entfernt, steigt P automatisch an. Die Zellen, die als erste den maximalen P-Wert erreichen, senden wieder S aus und unterdrücken andernorts den weiteren Anstieg von P. S (oder P) kann zur Musterbildung genutzt werden. Wenn es einen bestimmten kritischen Schwellenwert gibt, oberhalb dessen die Zellen beispielsweise das Gen rot einschalten und unterhalb dessen sie auf das Gen weiß umschalten, wird trotz Gradient eine scharfe, übergangslose Sonderung von roten und weißen Zellen möglich sein. Im Bedarfsfall fungiert der P-Wert als Positionsgedächtnis. Wird operativ aus der Gesamtreihe der Zellen eine Teilreihe herausgeschnitten, gibt der relative Positionswert an, ob eine Zelle vorn, in der Mitte oder am Ende der Teilreihe steht. Mit anderen Worten: Die Zelle, die den relativ höchsten P-Wert hat, wird am ehesten den höchstmöglichen P-Wert erreicht haben und alsdann durch erneutes Aussenden von S im Restkörper den weiteren Anstieg des P-Wertes verhindern. Die Hypothese macht keine Aussagen darüber, wie erstmals ein S-Gradient eingerichtet wird und weshalb beim Wegfall der S-Bremse der P-Wert automatisch ansteigt. Wolperts Vorstellung fand Anwendung auf Regeneration durch Morphallaxis (zur Definition von Morphallaxis s. Kap 20 oder Glossar) und ist auch als „French Flag“-Modell bekannt geworden: I
278
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
Box 10.2: Fortsetzung Ein herausherausgetrenntes Gewebestück regelt ohne Wachstum die Positionswerte und verkleinert das ursprüngliche Muster harmonisch. Erst dann wächst das Fragment wieder zur alten Größe.
Reaktions-Diffusions-Modelle nach Turing Primäres Ziel dieser Kategorie von Modellen ist es, Vorstellungen zu entwickeln, wie aus homogenen oder chaotischen Anfangszuständen eine Musterbildung vonstattengehen könnte. Vorstellungen, wie in einem ursprünglich homogenen Areal genetisch gleicher Zellen ein geordnetes Muster unterschiedlich angeordneter und differenzierter Zellen zustande komme, wurden vor allem von Mathematikern (z. B. Turing, Murray, Othmer) und Physikern (z. B. Prigogine, Gierer, Meinhardt) entwickelt. Grundannahme der Reaktions-Diffusions-Modelle ist, in dem betreffenden Areal, dem morphogenetischen Feld, werde durch eine Verschaltung mehrerer biochemischer Vorgänge ein Vormuster (prepattern) in der Konzentrationsverteilung von Morphogenen erzeugt. Diesem Vormuster sollen dann Determination und Differenzierung der Zellen folgen. Im einfachsten Fall lassen sich stabile, ungleiche Konzentrationsverteilungen erzeugen, wenn die Produktion von mindestens zwei miteinander wechselwirkenden Substanzen passend miteinander verschränkt wird. In einem bekannten Grundmodell (Turingmodell in der Version von Gierer und Meinhardt) unterliegt die Erzeugung eines Aktivators a einer Autokatalyse, d. h. einem Prozess der nichtlinearen Selbstverstärkung. Dem explosionsartigen Anstieg der a-Konzentration werden Grenzen gesetzt durch den Zerfall von a, durch seine Diffusion in benachbarte Areale und durch die von a via Heterokatalyse ausgelöste Produktion eines Inhibitors i. Der Inhibitor wirkt hemmend auf die Produktion von a. Weitere Annahmen sind: Der Aktivator a habe eine kurze, der Inhibitor eine lange Reichweite und unterdrücke daher in der Nachbarschaft eines Aktivatorpeaks die Entstehung eines konkurrierenden Peaks (laterale Inhibition). Das Verhalten der beiden Substanzen in der Zeit und im Raum wird durch zwei partielle Differentialgleichungen beschrieben, welche auch die Grundlage von Computersimulationen sind
(Abb. 10.15). Durch die Wahl geeigneter Parameter (basale Produktionsraten, Zerfallsraten, Diffusionskonstanten, Dimension des Feldes etc.) lassen sich in der Computersimulation eine Vielzahl von Mustern erzeugen, beispielsweise von Gradienten, die – einmal erzeugt – stabil bleiben und sich nach experimenteller Störung regenerieren (Abb. 10.16), oder von periodischen Mustern (Borstenfelder, Streifenmuster, Verzweigungsmuster). Ein periodisches Muster kommt beispielsweise zustande, wenn die Reichweite des Inhibitors geringer ist als die Länge des Feldes und eine relativ hohe basale Aktivatorproduktion angenommen wird, die außerhalb des gehemmten Bezirks einen neuen, sich autokatalytisch verstärkenden Peak initiiert. Vielfältige Muster sind simuliert worden, z. B. Zeichnungsmuster auf Schneckenschalen (Abb. 10.17 und 10.18).
Grenzen der vorgestellten Modelle, erweiterte und alternative Denkansätze Gemäß der Vielzahl physikalischer Kräfte und Prozesse, die zu Musterbildung und Morphogenese führen können, gibt es vielerlei Modelle, beispielsweise mechanische und mechanochemische Modelle. Vielen Modellen sind formale Grundeigenschaften gemeinsam: Sie enthalten einen Prozess der Selbstverstärkung (Autokatalyse, positive Rückkoppelung) und +
Autokatalyse
a
Vorläufer von a
Abbau, Diffusion +
Hemmung _ Vorläufer von i
Heterokatalyse Abbau, Diffusion
i
Änderung der Quellen- Autoa-Konzentration dichte katalyse
δa δt
=
ρa
in der Zeit
δi δt
Abb. 10.15
+
a2 i
Abbau
Diffusion
-
μa
+ Da
δ2 a ; δx2
-
νi
+ Di
δ2i ; δx2
Hemmung =
ρi
+
a2
I
10.8 Modellfelder: die Knospen für Vogelflügel und Mäusebein
279
Box 10.2: Fortsetzung
Konzentration
REAKTIONS-DIFFUSIONS-VORMUSTER nach Gierer und Meinhardt
Auge auf Schmetterlingsflügel Transplantation an fremden Ort Ergebnis
stochastische oder induzierte Störung i a
Konzentration
Zellenreihe mit Morphogenquellen a stabile Endlage (stehende Halbwellen) i
herausgeschnittenes Stück
automatische Regeneration der Gradienten
Abb. 10.16
Borstenfeld
Abb. 10.17
Muster auf Molluskenschalen
hypothetische Morphogenkonzentration
Abb. 10.18
einen Vorgang, welcher der Selbstverstärkung Grenzen setzt (z. B. Produktion eines Inhibitors, Verarmung an einem Substrat, Sättigungsverhalten). Die Modelle der biologischen Musterbildung ähneln formal denen zur Simulation von Populationsentwicklungen in der Ökologie (z. B. Räuber-Beute-Beziehungen, Ausbreitung von Epidemien). Gegen viele der Modelle werden Einwände erhoben. Beispielsweise wird in Hinblick auf Reaktions-Diffusions-Modelle bezweifelt, ob sich das konzertierte Verhalten Tausender von Zellen, von denen jede einzelne ihrerseits Hunderttausende verschiedener Substanzen produziert, auf die chemische Reaktion zweier oder weniger Substanzen zurückführen lässt. Eine einzige Mutation könnte ein solches System kollabieren lassen. In der Natur sind robuste Netzwerke gefordert, nicht Minimalbedingungen am Computer. Weiterhin: Homogene Diffusionsverhältnisse gibt es im Computer, nicht in lebenden Systemen. Die Modelle der ersten Generation (wie das vorgestellte GiererMeinhardt-Modell) produzieren nur Muster von freien Substanzen und lassen Rezeptoren, die ja nicht diffusibel sind und deren Zahl pro Zelle sich in Raum und Zeit ändert, außer Acht. Beispielsweise regelt HEDGEHOG seinen eigenen Rezeptor PATCHED hoch, der seinerseits den Signalbereich von HEDGEHOG einschränkt, indem er die Internalisierung der HEDGEHOG-Moleküle vermittelt. Grundsätzlich beeinflussen die örtlichen Rezeptordichten das Profil des Morphogens. I
280
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
Box 10.2: Fortsetzung Viele weitere Einwände könnten vorgebracht werden. Andererseits ist es in den Naturwissenschaften guter und bewährter Brauch, erst einmal mit sparsamen Minimalmodellen zu beginnen, um dann unter dem Diktat experimenteller Befunde – ein vermeintlicher „Aktivator“ beispielsweise kann sich als komplexer Prozess der Aktivierung herausstellen – die Modelle zu erweitern oder durch ganz andere Modelle zu ersetzen. Solche schrittweise Verbesserungen und Erweiterungen werden vielerorts entwickelt. Von großem Nutzen sind mit Fluoreszenzfarbstoffen oder Reportergenen operierende Verfahren, im lebenden, transparenten Embryo das Entstehen und Vergehen eines Gradienten im Videofilm fest-
10.9 Musterkontrolle und Positionsgedächtnis bei Hydra 10.9.1 Die Zellen einer Hydra benötigen ständig Positionsinformation Beim Süßwasserpolypen Hydra ist unablässig Positionsinformation nötig; denn ständig werden gealterte und verbrauchte Zellen durch neue ersetzt, die jedoch nicht am Ort ihrer endgültigen Bestimmung entstehen, sondern aus Stammzellen, die anderswo lokalisiert sind. So entstehen die Nervenzellen und Nesselzellen, die im Kopf mit seinen Tentakeln benötigt werden, aus sogenannten i-Zellen (D interstitiellen Stammzellen) im Rumpf. Die Abkömmlinge der Stammzellen, die zur Verjüngung des Polypen gebraucht werden, müssen ihren Bestimmungsort finden. Sie brauchen Positionsinformation. Mitotische Zellvermehrung findet in Hydra überwiegend in der Körpermitte statt, Verlust gealteter Zellen an den Enden der Körpersäule und den Tentakelenden. Dadurch erfahren alle Zellen des Körpers nach und nach eine Verlagerung zum unteren oder oberen Körperende oder in die Tentakel. Ortsgemäße Umgestaltung der Zellen basiert teils auf Austauschzellen, die von Stammzellen geliefert werden, teils auf ortsgemäßer Transdifferenzierung. Auch hierfür wird Positionsinformation benötigt. Wenn schließlich nach einer exzessiven Verletzung ganze Körperteile verloren gehen, muss Positionsin-
zuhalten und lokale Konzentrationen zu messen. Solche Videoaufnahmen inspirierten auch neuere Morphogen-Modelle, welche positionsgerechtes Verhalten der Zellen nicht vom definitiven Profil des Gradienten herleiten, sondern von dessen zeitlichem Verlauf: von der Geschwindigkeit des Anstiegs und der Dauer einer örtlichen Wirkung. Schließlich gibt es auch Modelle der biologischen Musterbildung, die nicht mit diffusiblen Morphogenen operieren, sondern über Zellkontakte Reaktionsketten in Feldern von Zellen laufen lassen. Ein solches Strukturen in einer Ebene ausrichtendes System ist in Abb. 10.7 vorgestellt. Ein zugehöriges Stichwort ist „planare Polarität“.
formation zur Verfügung stehen, um eine ortsgerechte Regeneration des Verlorenen zu ermöglichen. Wo immer man die Körpersäule quer durchschneidet, wird vom unteren Fragment der verlorene Kopf, vom oberen der verlorene Fuß wiederhergestellt; Stücke aus der Körpermitte bilden oben Kopf und unten Fuß. So macht das Regenerationsexperiment deutlich, dass überall in der Körpersäule zwischen Kopf und Fuß die Potenz zur Kopf- und Fußbildung vorhanden ist. Dafür, dass diese Potenz im intakten Tier nicht zum Zuge kommt, werden hypothetische Hemmsignale (laterale Inhibition) und Positionsinformation liefernde Gradienten verantwortlich gemacht, die vom existierenden Kopf (und Fuß?) ausgehen (Box 10.2). Das Körpermuster wird durch ein unbekanntes Kontrollsystem auf seine Vollständigkeit hin überprüft; bei Bedarf wird korrigiert (Musterkontrolle).
10.9.2
Die Musterkontrolle umfasst weit reichende Interaktionen zwischen den Körperteilen
Schon beim Süßwasserpolypen Hydra entdeckt man in Regenerations- und Transplantationsstudien Prinzipien der Entwicklungskontrolle, wie sie in ähnlicher Form in anderen Systemen immer wieder gefunden werden. Prinzip einer Organisatorwirkung. Ein kleines Fragment eines Gewebes mit Organisatoreigen-
10.9 Musterkontrolle und Positionsgedächtnis bei Hydra
5%
40%
90%
20%
100%
100%
a1 b1
a2 b2
a3 b3
Fuß
281 Abb. 10.19 Induktion von Köpfen oder Füßen bei Hydra. a, b Induktion ektopischer Köpfe durch Gewebe mit einem hohen Positionswert. a1, b1 Spender der Transplantate. a2, b2 Empfänger (mit eigenem Kopf). Die Höhe der Differenz in den Positionswerten von Implantat und dem umgebenden Empfängergewebe spiegelt sich in der Häufigkeit wider, in der in vielfach wiederholten Experimenten Köpfe (a3) gebildet werden. Im Experiment der Serie b wurde nach der Implantation des Spendergewebes (b2) der Kopf der Spendertiere entfernt. Dies fördert die Bildung ektopischer Köpfe durch Implantate (b3). Die Transplantation von kopfnahem Gewebe in tiefere Körperregionen wiederholt das älteste Induktionsexperiment in der Biologiegeschichte (durchgeführt u. a. von Ethel Browne 1909). c Entscheidend ist der Positionswert des Implantates im Vergleich zum Positionswert seiner neuen Umgebung. Ein höherer Positionswert im Implantat führt zur Kopfbildung, ein gleicher erlaubt ortsgemäße Integration ohne weitere Reaktion. c, d, e Ist der Positionswert des Implantates geringer als der seiner Umgebung, wird es zum Fuß. Experimente des Autors WM (Müller 1995, 1996)
Integration
Kopf
c1
c3
c2
Integration Fuß
d1
d2
e1
e2
schaft, hier ein kleines Stück des Kopfes (Hypostoms), kann im Rumpf die Entwicklung eines ganzen Kopfes und darüber hinaus einer zweiten Körperachse induzieren (Abb. 10.19). Ein Teil der Organisatorwirkung ist auf WNT-Signale zurückzuführen (s. Abb. 4.16). Gradient der Induktionspotenz. Auch Gewebestücke des Rumpfes zeigen eine latente Potenz zur Kopfinduktion, wenn sie unterhalb ihres Heimatortes und möglichst weit von ihm entfernt in die Körperwand implantiert werden. In der Fach-
sprache hat sich hierfür der Begriff Positionswert etabliert. Prinzip der lateralen Inhibition. Die Induktion eines solchen ektopischen Kopfes wird erleichtert, wenn der schon vorhandene Kopf des Wirtspolypen entfernt wird (Abb. 10.19). Ein vorhandener Kopf hemmt die Entwicklung eines möglichen weiteren Kopfes. Prinzip der lateralen Hilfe. Zugleich fördert ein Kopf die Bildung eines Fußes am anderen Ende der Körpersäule; er gibt eine langreichweitige Hilfestellung. Bei dieser Fernwirkung kommt es nicht auf die Distanz an, vielmehr wird die Körperregion, die den relativ tiefsten Positionswert hat, durch den Kopf (oder durch Köpfe) veranlasst, ihren Positionswert weiter bis auf Null abzusenken; dieser Nullwert vermittelt dann die Fähigkeit zur Fußbildung.
10.9.3 Bei der Etablierung des Kopforganisators kommt dem kanonischen WNT-System eine tragende Rolle zu Der Kopf einer Hydra und möglicherweise aller Cnidarierpolypen ist evolutionsgeschichtlich nicht mit dem Kopf eines Wirbeltieres, also eines Deuterostomiers gleichzusetzen; denn Cnidarier bilden das Kopfende an der Stelle des Blastoporus wie es auch die Protostomier tun (Cnidarier werden aber in der Regel
282
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
a
d
0x
1x
5x
Stimulation der PKC oder des WNT-Systems
e b
c f
Abb. 10.20 Bipolar und multipolar regenerierende Hydroidpolypen von Hydra und Hydractinia. a Experimentelle Prozedur. a–c Hydra magnipapillata; vor dem Heraustrennen des Körpersegments wurden die Polypen 1 mit Diacylglycerol zur Stimulation der PKC behandelt und gegebenenfalls bis zu fünf weitere Male danach (5 ). 0 D unbehandelte Kontrolle mit normaler Regeneration. d, e Da Hydren sich selbst laufend regenerativ erneuern und die Kontrollsysteme stets aktiv
sind, können ektopische Kopfstrukturen auch an intakten adulten Polypen hervorgerufen werden. f Eine nach mehrfacher Behandlung entstandene 9-köpfige Hydra. f Polyp von Hydractinia nach mehrfacher Stimulation des WNT-Systems mittels Azakenpaullone. Bisher nicht veröffentlichte Fotos des Autors WM. Näheres zur Prozedur Müller (1982), Müller et al. (2004, 2007)
nicht zu diesen gezählt). Bei Cnidaria übernimmt der Mund aber auch die Funktion des Afters, und so ist es im Nachhinein nicht mehr überraschend, dass im Umfeld des Mundes einer Hydra oder Nematostella einige Gene aktiv sind, die bei Deuterostomiern im Umfeld des Urmundes eingeschaltet werden. Trotzdem war so manch neuer Befund überraschend: Bei der Einrichtung des Kopforganisators eines Hydropolypen ist ein
kanonisches WNT-System zuständig – genau wie bei der Installation des Spemann-Organisators im Wirbeltierembryo. Die WNT-Kaskade ist gemäß sich häufender Indizien bei vielen, möglicherweise allen, tierischen Organismen beteiligt, wenn sich eine Körperachse herausheben soll (Kap. 22, Abb. 22.4). Im Falle von Hydra liegen folgende Evidenzen vor:
10.9 Musterkontrolle und Positionsgedächtnis bei Hydra
283
Abb. 10.21 Bedeutung der relativen Positionswerte für die Musterbildung in Aggregaten dissoziierter Zellen von Hydra. Die Zellen mit den vergleichsweise höchsten Positionswerten bilden Kopfstrukturen (Tentakel). Experimente von Gierer et al. (1972)
Dissoziation
Gene der WNT-Kaskade werden dort exprimiert, wo eine neue Achse entsteht und sich ein neuer Mund bildet: am oberen Ende eines Rumpfes, der sich anschickt, einen Kopf zu regenerieren, an der Spitze einer Knospe, in Aggregaten zuvor dissoziierter Zellen dort, wo sich Kopfstrukturen ankündigen (s. Abb. 4.14 und 4.16). Es gibt eine einfache Möglichkeit, die WNTKaskade indirekt zu stimulieren, indem man ein Element der Kaskade, das Enzym GSK-3, blockiert, beispielsweise mit Lithium-Ionen oder bestimmten Pharmaka (Alsterpaullon, Azakenpaullon). Tut man dies in geeigneter Dosierung, entstehen entlang des Rumpfes zusätzliche Tentakel oder auch ganze ektopische Köpfe (Abb. 10.20). Ebenso gelingt dies bei dem Hydrozoon Hydractinia. Auch bei den Polypen dieser Art bilden aus der Körpermitte heraus getrennte Segmente nach Stimulation des WNT=ˇ-Catenin-Systems Köpfe an beiden Enden oder gar vielköpfige Wesen. In Kolonien von Hydractinia kann darüber hinaus die Bildung gigantischer Knospen, aus denen vielköpfige Polypen hervorgehen, ausgelöst werden. Im Hinblick auf theoretische Vorstellungen und die in Box 10.2 vorgestellten Modelle biologischer Musterbildung ist ein neuer (2011) Befund von hohem Interesse. Dem Gen für WNT-3a, das hier zuständig ist und dessen molekulare Struktur untersucht ist, sind zwei Steuerelemente (Enhancer) vorangestellt, ein Element, über das WNT-3a via ˇ-Catenin autoregulatorisch seine eigene Produktion hochregeln kann, und ein Steuerelement, das ein Herabdrosseln ermöglicht.
Reaggregation
Triplettkombinationen
Beim Aufbau eines hohen Positionswertes, der die Fähigkeit zur Kopfbildung vermittelt, ist auch das PI-System der Signaltransduktion beteiligt; denn Aktivatoren der Proteinkinase C wie Diacylglycerol und tumorpromovierende Phorbolester können ebenfalls die Bildung zusätzlicher, ektopischer Köpfe auslösen (Abb. 10.20). Solche spektakulären Ergebnisse dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es noch viel zu klären gilt. Beispielsweise ist die Expression des Gens auf einen kleinen Bezirk um den Mund konzentriert, das WNT-Protein sollte jedoch nach theoretischen Vorstellungen Fernwirkungen entfalten. WNT-Moleküle gelten aber als schwer löslich; wie können sie Fernwirkungen erzielen? Welches System erzeugt laterale Inhibition?
10.9.4
Relativ stabile Positionswerte vermitteln ein Positionsgedächtnis
Die empfangene Positionsinformation, woher sie auch kommen mag, wird in Hydra benutzt, um entlang der Körpersäule von oben nach unten abnehmende Positionswerte einzustellen. Diese Positionswerte sind relativ stabile Gewebeeigenschaften und stellen ein Positionsgedächtnis dar, das bei einem aus der Körpersäule herausgeschnittenen Stück sicherstellt, dass ein Kopf am oberen, eine Fußscheibe am unteren Ende regeneriert wird. Die relativen Positionswerte entlang der Körperachse können in zwei Versuchen gemessen werden: 1. Dissoziation-Reaggregation: Zellen werden aus dem Rumpf herausgenommen, voneinander gelöst
(dissoziiert) und in neuer Ordnung wieder zusammengefügt (aggregiert). Im Aggregat formen Zellen, die im intakten Tier relativ weiter oben lagen, Kopfstrukturen; Zellen, die weiter unten positioniert waren, bilden Fußstrukturen aus (Abb. 10.21). Darüber hinaus zeigt das Experiment, dass die oralaborale Polarität von einem Gradienten bestimmt wird, d. h. von einem Mehr oder Weniger an einer Eigenschaft, die eben Positionswert genannt wird, aber molekular noch nicht beschrieben werden kann. 2. Transplantation: Zellgruppen werden in eine fremde Umgebung gebracht. In einer Umgebung mit gleichem Positionswert ordnen sie sich ein, ohne ihren Charakter zu verändern. Werden Zellen in eine tiefere Position gebracht, bilden sie, wie oben erwähnt, Kopfstrukturen, und sie tun dies umso häufiger und schneller, je höher ihr Positionswert im Vergleich zu dem ihrer Umgebung ist. In eine höhere Position verpflanzt, wo der Positionswert des Transplantats geringer als der Positionswert seiner neuen Umgebung ist, differenziert das Transplantat hingegen Fußgewebe (Abb. 10.23). Positionswerte dienen der permanenten Musterkorrektur und regulieren die Gliederung des Körpers im Laufe von Tagen und Wochen. Ein demonstratives Beispiel ist in Abb. 10.22 wiedergegeben. Wie Positionswerte molekular festgehalten werden, darüber gibt es bei Cnidariern, anders als bei Insekten (Abb. 10.7) noch keine gesicherten Erkenntnisse. In der Steuerung der Entwicklung, in der Musterbildung und Musterkontrolle tätige Signalsysteme sind (leider) nie einfach, auch wenn es sich um angeblich einfache Organismen wie Hydren handelt. Neben Genen für das kanonische und nichtkanonische WNT-System sind weitere Faktoren im Spiel, die dem professionellen Entwicklungsbiologen aber auch dem, der die obigen Abschnitte gelesen hat, wohlbekannt sind. Es gibt einen DICKKOPF-WNT-Antagonismus, einen BMP-ChordinAntagonismus, es gibt NOGGIN- und FGF-Signalproteine sowie – neben ˇ -Catenin und TCF des WNT-Systems – weitere bekannte Transkriptionsfaktoren wie BRACHYURY. Was sie im Einzelnen steuern, muss noch geklärt werden. Für die Ablösung der Knospe sind ein FGF-Rezeptor und Notch-Signale zuständig. Auch finden sich Elemente bekannter Signaltransduktionssysteme, die Botschaften ins Zellinnere übertragen (z. B. PKC, s. Kap. 11) und deren Stimulation ebenfalls ektopische Kopfbildung auslösen kann). Die Genome von Hydra und Hydractinia (und weiterer Cnidarier wie Nematostella) enthalten Tausende von Genen, die zu Genen des Menschen homolog sind; alle potenziell entwicklungssteuernden hier aufzuzählen wäre wenig sinnvoll und bei der langen Liste auch gar nicht möglich.
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
Positionswert
284
Abb. 10.22 Musterkorrektur in einer spiegelbildlich verdoppelten oberen Hälfte einer Hydra. Die doppelköpfige Hydra kann durch Transplantation hergestellt werden oder z. B. auch durch Überaktivierung von WNT- oder PKC-abhängigen Signalwegen im herausgetrennten Mittelstück (Abb. 10.20a) eines Polypen. Durch die „helfende“ Aktivität der beiden Köpfe sinkt in der Mitte der Positionswert immer tiefer ab, bis der Wert null eine Fußbildung auslöst, die ihrerseits eine Auftrennung der verdoppelten Tiere ermöglicht. Die Fähigkeit zur Knospung ist einem bestimmten mittleren Positionswert zugeordnet. Experimente von Müller 1989
10.10 Musterkorrektur durch Interkalation
285
Interkalation 10
Hydractinia Kopf (mit reduzierten Tentakeln)
10
9 8 10
10
7
9 9
6
8 7
6
10
4 3
0
0
10
10
9 8
9 8
00
7 6 5 4 3
0
1
2
3
4
5
00 2
5 2
7 6 6
5 2
1 2 3 4 5 4 3 2 3 4 5 6
5 4 3 00 2
1
a
1 2 3 4 5 6
2 6
6
1
1
Stolon
1 2
4 3 2
2
Gonophore mit Oocyten
normaler Geschlechtspolyp
5
5
4 3
Insektenbein
DACHSOUS
5
9 8 8 7 7 6
FAT
10
0
1 0
b
Abb. 10.23 a Interkalation in Geschlechtspolypen des Hydrozoons Hydractinia. Bei künstlich (durch Transplantation) erzeugten Sprüngen zwischen benachbarten Positionswerten kommt es zu einer Wachstumsreaktion und in deren Gefolge zur Interkalation (Einschub) der fehlenden Körperregionen, bis die Reihenfolge der Positionswerte komplett ist. Experimente von Müller 1964, 1982. b Interkalation im regenerationsfähigen Bein einer Schabe. Disparitäten in den Positionswerten, erzeugt durch Herausnahme eines Stückes oder Insertion ei-
nes von einem anderen Bein entnommenen Stückes evozieren Ausgleichswachstum im Zuge der Häutungen. Man beachte im unteren Experiment die Polaritätsinversion im Ausgleichsstück. Experimente von Bohn 1971. Molekular werden die Positionswerte nach gegenwärtigen Vorstellungen (Lawrence 2008; Bando et al. 2011) durch die gegenläufigen Gradienten der Cadherine FAT und DACHSOUS codiert, also durch die molekulare Ausstattung der Zelloberflächen mit Zelladhäsionsmolekülen
10.10 Musterkorrektur durch Interkalation
schoben (interkaliert), welche die fehlenden Positionswerte verwirklicht (Abb. 10.23). Aus dem harten Sprung 10/1 wird die kontinuierliche Reihenfolge 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 (willkürlich gewählte Zahlenwerte).
10.10.1 Fehlende Positionswerte können durch Interkalation eingeschoben werden Bei Hydra, viel deutlicher jedoch beim marinen Hydrozoon Hydractinia, kann als Ausdruck einer Musterkontrolle eine Reaktion beobachtet werden, die an die spektakulären Experimente mit dem SpemannOrganisator erinnert: Bringt man Gewebe mit stark unterschiedlichen Positionswerten in direkten Kontakt zueinander, im Extremfall Kopfgewebe mit Fuß- bzw. Stologewebe, so wird eine Rumpfsäule zwischenge-
10.10.2 Im Insektenbein ermöglichen gradierte Positionswerte, die Vollständigkeit des Hergestellten zu kontrollieren und notfalls wieder herzustellen Wenn eine Fliege nach ihrer holometabolen Metamorphose (Definition in Kap. 20) aus ihrer Puppencuticula
286
schlüpft, sind ihre Extremitäten fertige Strukturen, an denen nichts mehr korrigiert werden kann. Das ist nicht so bei den hemimetabolen Insekten, die schon als kleine Wesen Beine haben und deren Beine im Zuge einer jeden Häutung wachsen müssen. Bei solchen Insekten kann man die Interkalation ganzer Beinteile auslösen. Wird aus einem Beinsegment ein Stück herausgeschnitten und wird das distale Reststück auf den proximalen Stumpf aufgepropft, so „merken“ an der Kontaktstelle die Zellen, die ursprünglich weit voneinander entfernt waren, dass etwas zwischen ihnen fehlt. Sie reagieren mit lokalen Zellteilungen, und das neu hergestellte Material wird verwendet, um das Fehlende zu ergänzen (Abb. 10.23b). Durch Interkalation werden Diskontinuitäten in der Abfolge der Strukturen ausgeglichen. Wie ist das möglich? Aufgrund solcher und anderer Befunde, die hier im Einzelnen nicht referiert werden sollen, wurde die Hypothese formuliert, dass entlang eines Beinsegments den Zellen molekular codierte Positionswerte zugeordnet sind, die ihre Normalposition kennzeichnen. Dieser molekulare Code werde von solchen Molekülen der Zelloberfläche repräsentiert, welche auch die Zelladhäsion vermitteln und die ihrerseits unter der Kontrolle von HOM/Hox-Genen stehen. Speziell für die Extremitäten der Insekten gibt es konkrete Vorstellungen über die molekulare Natur der Positionswerte. Sie sind, so wird angenommen, in der Dichte der Zelladhäsionsmoleküle (Cadherine) FAT und DACHSOUS codiert; diese bilden gegenläufige Gradienten (s. dazu auch Abb. 10.7 zur planaren Polarität).
10.11 Periodische Muster 10.11.1 Bei der Mehrzahl der vielzelligen Organismen findet man Bauelemente, die in Form gleichartiger Module wiederholt hergestellt werden Muster mit Elementen, die in regelmäßigen Abständen wiederkehren, sind häufig, z. B.: Polypen in Kolonien von Hydrozoen oder Korallen, Segmente der Anneliden und Arthropoden, segmentale Gebilde im Wirbeltier (z. B. Somiten im Embryo, Spinalganglien, Wirbelkörper),
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
in großer Zahl hergestellte Strukturen wie Borsten, Schuppen, Federn, Haare. Mehrere Mechanismen, die auch in Kombination auftreten, können solche Muster erzeugen: 1. Umsetzung einer zeitlichen in eine räumliche Periodik. In wachsenden Systemen lassen endogene Oszillatoren in regelmäßiger Folge neue Module entstehen (Abb. 10.24a). Immer dann, wenn ein Zyklus oder eine bestimmte Zahl von Zyklen abgelaufen ist, wird ein neues Modul hergestellt. Solche Oszillatoren könnten z. B. an den Zellzyklus angekoppelt sein. Ein besonders faszinierendes oszillierendes System wird im folgenden Abschn. 10.11.2 vorgestellt. 2. Von entstehenden Strukturen gehen Hemmsignale aus, deren Stärke mit der Entfernung abnimmt (laterale Inhibition). Außerhalb der Reichweite der Signale können wieder gleiche Strukturen entstehen. Hemmhöfe halten gleichartige Strukturen auf Distanz (Abb. 10.24b). Das nehmen auch die Botaniker an, wenn sie beispielsweise die verstreute Verteilung der Spaltöffnungen auf einem Blatt oder die Stellung von Blattanlagen am Vegetationskegel erklären wollen (s. auch Box 10.2). Bei den Federanlagen der Vögel ist als Träger des hemmenden Signals BMP-4 identifiziert worden (wohingegen SONIC HEDGEHOG und FGF-4 als Aktivatoren der Federbildung genannt werden). 3. Entstehende Strukturen verbrauchen essenzielle Substanzen oder unersetzbare Vorläuferzellen (Erschöpfung, depletion). Weiter weg stehen solche Ressourcen wieder zur Verfügung. Wenn beispielsweise Amöben von Dictyostelium sich von chemischen Signalen des Sammelzentrums anlocken lassen und zu Aggregaten zusammenscharen, ist es zunächst Konkurrenz um Zellen, die Aggregate auf Distanz halten. Bald gibt es aber im nahen, von den ausgesandten Signalen (cAMP) noch erreichbaren Umfeld eines Aggregates keine Zellen mehr, die angelockt werden könnten (Abb. 10.24c). 4. Komplexe Interaktionen. Blickt man auf das präzise Streifenmuster, in dem im Blastoderm von Drosophila die Paaregelgene exprimiert werden (Abb. 10.24d) möchte man wetten, dass diese von einem gemeinsamen Mechanismus erzeugt werden, der von einem Oszillator angetrieben wird. Die molekulargenetischen Untersuchungen ergaben jedoch ein anderes Bild: Jeder Streifen wird von einer anderen Kombination von
10.11
Periodische Muster
287 Erzeugung periodischer Muster Uhrwerk (Oszillator, z.B. Schimmelpilz) Conidie Wachstum
a Polyp (Hydranth)
laterale Inhibition (z.B. Hydrozoon) Polypenknospe Wachstum des Stolons
Hemmfeld
b
Begrenzter Diffusionsbereich der Signalsubstanz und/oder Erschöpfung von Zellen / Material in erreichbarer Nähe (z.B. Dictyostelium)
3
c
3
2
1
d Abb. 10.24 Periodische Muster: Möglichkeiten, wie sie zustande kommen können. a Oszillatormodell. Neue Strukturen werden in regelmäßigen Zeitintervallen hergestellt. Ein Beispiel ist die Bildung der Sporenträger (Konidiophoren) beim Pilz Neurospora; ein weiteres Beispiel zeigt Abb. 10.25. b Hemmhofmodell. Abstandskontrolle bei der Bildung neuer Hydranthen (Polypen) in einem kolonialen Hydrozoon. Bestehende Hydranthen üben einen hemmenden Einfluss aus, dessen Stärke mit der Entfernung abnimmt. Nach Experimenten von Müller und Plickert 1982. c Depletionsmodell. Die Abstände von Aggregaten, beispielsweise von Aggregaten aus Amöben des „Schleimpilzes“ Dictyostelium discoideum, sind (teilweise) be-
dingt durch die Verarmung (depletion) der Umgebung an Zellen. Ein Aggregat sendet anlockende Signale aus. Außerhalb dieses Signalbereichs kann sich ein weiteres Aggregationszentrum etablieren. Ein solches bildet sich aufgrund spontaner Signalbildung durch Schrittmacherzellen. Der Abstand zwischen benachbarten Aggregaten ist primär eine Funktion der Strecke, den das diffundierende Signal mit ausreichender Stärke überwinden kann, aber auch eine Funktion der Zahl rekrutierbarer Zellen. Diese Zahl begrenzt auch die Größe eines Aggregates. d Expressionsstreifen des Paaregel-Gens even skipped im Blastoderm-Embryo von Drosophila. Lehrsammlung des Autors WM
288
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung Molekularer Oszillator bei der Bildung der Somiten (Segmentation clock)
Übergreifende Gradienten
Verteilung des Mesp2-Proteins
Somiten
Chorda
Präsomiten-Mesoderm
RA
S1 S0 S-1
FGF WNT-3a
a
neue Expressionswelle von notch und hairy (Vogel) = her (Zebrafisch) = hes (Maus)
Hensen-Knoten (Vogel) Schwanzknospe (Maus) (nach caudal rückend)
nächste Expressionswelle von notch und hairy / her / hes
WNT-3a
Zone der Proliferation
FGF hes-(hairy)-Gen
Notch
FGF negative Rückkoppelung
HES- Protein
Delta-Protein delta
b
Segmentierungs-Oszillator (-Uhr)
10.11
Periodische Muster
J Abb. 10.25 Funktion des molekularen Oszillators bei der Somitenbildung. a Auf der Keimscheibe des Hühnchens bilden sich in der Nähe des Hensenschen Knotens am Vorderrand der Primitivrinne Expressionswellen des Gens chairy. Jede Welle breitet sich kopfwärts im noch ungegliederten paraxialen Mesoderm (D Präsomiten-Mesoderm) aus. Bei ihrer Wanderung verlangsamt und verkürzt sich jede Expressionswelle und bleibt schließlich als Bande eine Zeit lang hinter dem zuletzt gebildeten Somiten stehen. Mit der Aktivitätswelle des Gens chairy breitet sich synchron eine Expressionszone von Notch C Delta aus. Im Bereich der stehenden Bande, dem Präsomiten, erscheint das Protein Mesp2; es stoppt die Expression des Notch-Delta-Systems und hilft, diese Bande als Präsomit vom Präsomiten-Mesoderm abzutrennen. Schließlich gliedert sich der Präsomit als ein neuer Somit vom noch ungegliederten Mesoderm ab. Es folgt im Abstand von ca. 90 min, und erneut am Hensenschen Knoten beginnend, eine neue Expressionswel-
Transkriptionsfaktoren erzeugt. Ein Beispiel ist in Abb. 4.37b gezeigt. Primär ausgelöst vom maternalen BICOID-Gradienten werden Mechanismen der lateralen Hilfe und lateraler Inhibition aktiviert und in komplexer Weise miteinander verschränkt. Versuchsweise werden einige Wechselwirkungen zur (teilweisen) Simulation eines Streifenmusters auf dem Bildschirm des Computers in partiellen Differentialgleichungen formuliert; das ganze Muster kann derzeit weder simuliert noch mit Worten erklärt werden. Erstaunlicherweise operiert jedoch ein endogener Oszillator in einem anderen und unerwarteten Fall; dieser wird im folgenden Abschnitt vorgestellt.
10.11.2 Eine „haarige“ aber spannende Angelegenheit: Oszillierende Aktivitäten eines Gens der hairy/hes-Familie helfen, periodisch neue Somiten zu erzeugen und ihre Zahl abzuzählen Auf der Keimscheibe des frühen Hühnerembryos sieht man eine Primitivrinne (homolog zum Urmund der Amphibien), die vorn mit dem Primitivknoten (Hensenscher Knoten, homolog zur oberen Urmundlippe) abschließt (s. Abb. 5.25). Vor der Primitivrinne und unterhalb der obersten Zellschicht (Epiblast) formen sich aus den Mesodermzellen, welche durch die Primitivrinne in die Tiefe eingewandert und unter den Epiblasten gekrochen waren, drei Zellstreifen: Der mittlere Streifen bildet die Chorda, die beiden seitlich
289 le, die zur Abgliederung eines nächsten Somiten führt. Das zu chairy homologe Gen heißt her beim Zebrafisch und HES (HES D hairy/enhancer of split) bei der Maus. Auch deren Aktivitätswellen breiten sich (neben 40–100 weiteren Genaktivitäten) vom caudalen Ursprung ausgehend kopfwärts aus. b Modell der molekularen Interaktionen, die wesentlich zum Oszillieren des Systems beitragen. Ähnlich wie bei vielen technischen Oszillatoren (Uhren) kommen die Oszillationen in der Aktivität von chairy/HES durch die Verschränkung positiver Anschubaktivitäten mit negativen Rückkoppelungsschleifen zustande. Es bedarf ausgeklügelter mathematischer Modelle, um das Entstehen von Oszillationen erklärbar zu machen und im Computer zu simulieren. Das Notch-Delta-System hat in diesen Simulationen die Funktion, die Rhythmen der einzelnen Zellen zu synchronisieren. Adaptiert nach dem Poster A48 von D. Roellig et al., Ges. f. Entwicklungsbiol., Dresden 2011, erweitert
vom Mittelstreifen liegenden Streifen (paraxiales Mesoderm) werden nun die Somiten bilden und zwar in einer Anzahl, die einem Haushuhn angemessen ist. Die Somitenbildung setzt vorne in der künftigen Brustregion ein, weitab vom Primitivknoten. Während der Primitivknoten – relativ zum entstehenden Embryo – weiter nach posterior rückt und dabei die vor ihm liegenden Mesodermstreifen durch neu einwandernde und sich teilende Zellen verlängert werden, wird am Vorderende der Streifen Somit um Somit herausgeformt und von den noch ungegliederten jüngeren Streifen abgetrennt (Abb. 10.25). Sobald die für das Huhn typische Somitenzahl erreicht ist, stoppt das Zählwerk – aber wie? Parallel zur Ausgliederung von Somiten wird ein Gen aktiviert, das homolog zum Drosophila-Gen hairy ist, beim Huhn chairy und in der Maus hes heißt. Vor dem Hensenschen Knoten tritt periodisch chairy/hesmRNA auf und verschwindet wieder. Diese Aktivierung der chairy/hes-Transkription bleibt aber nicht lokal; sie beginnt zwar am Primitivknoten (Schwanzknospe), wandert aber dann als Welle über die Mesodermstreifen. Kommt die Welle am Vorderende der Streifen an, verharrt dort eine Weile die Genexpression. Unter der Mitwirkung der erzeugten chairy/hesProdukte und des NOTCH-DELTA-Systems wird der erste Somit ausgegliedert. Dann startet eine neue Welle am Primitivknoten. Ist sie vorn angekommen, wird der zweite Somit ausgegliedert, und das setzt sich so fort, bis der Oszillator am Primitivknoten zum Stillstand kommt. Am Ende entspricht die Zahl der Somiten der Anzahl zuvor am Hensenschen Knoten gestarteten chairy/hes-mRNA-Synthesezyklen.
290
Die Analyse der molekularen Konstruktion des Oszillators ist so weit fortgeschritten, dass Modelle entwickelt werden konnten (Abb. 10.25b). Sie verschränken, wie auch viele technische Oszillatoren (Uhren) positive Anstöße mit negativen Rückkoppelungen. In den mathematisch formulierten, für Computersimulationen ausgedachten Modellen übernimmt das NOTCH-DELTA-System die Funktion, die Rhythmen einer Zellgruppe aneinander zu koppeln. Eine weitere Hypothese nimmt an, das NOTCH-DELTASystem helfe bei der Sonderung der Somiten voneinander bevor die einzelnen Somitenpakete sich physikalisch voneinander trennen. Zusammenfassung
Im Zuge der Entwicklung werden Systeme der Positionsinformation aufgebaut, die es den Zellen erlauben, sich ortsgerecht zu verhalten, und es werden durch Zell-Zell-Wechselwirkungen neue Muster erzeugt (pattern formation). Sobald im Zuge der Furchung mehrere Zellen vorliegen, tauschen die Zellen Signale aus, um jene Orte zu markieren, an denen bestimmte Organe und Zelltypen herzustellen sind, und um geordnete Muster verschieden differenzierter Zellen hervorzubringen. Wir erfahren am Beispiel der Neurogenese und der Augenentwicklung von Drosophila, am Beispiel der Links-rechts-Asymmetrie der inneren Organe und am Beispiel der Kopf-FußAsymmetrie von Hydra vom Prinzip der lateralen Inhibition durch Konkurrenz und dem Prinzip der lateralen Hilfe. Laterale Hilfe ist verwandt mit embryonaler Induktion, bei der Zellgruppen Signale an Nachbarn senden, um diese zu einer bestimmten Reaktion aufzufordern. Eine besonders mächtige Induktionswirkung geht vom Spemann-Organisator im dorso-caudalen Bereich der frühen Gastrula (obere Urmundlippe der Amphibiengastrula, Embryonalschild des Fisches, Hensenscher Knoten auf der Keimscheibe des Vogels oder Säugers) aus. Dieser Signalsender wird dort aufgebaut, wo in der befruchteten Eizelle die mRNA für Elemente eines kanonischen WNT-Systems (u. a. WNT-11, betaCatenin) verlagert und verankert worden waren. Der Spemann-Organisator induziert C= vollständige Zweitembryonen. Er gliedert sich früh schon in einen Kopf- und einen Rumpforganisator. Es werden zusammenfassend nochmals die in Kap. 5
10 Induktion, Gradienten und Musterbildung
schon vorgestellten antagonistischen Systeme (1) Kopfinduktoren (DICKKOPF, CERBERUS) versus WNT-Signale (WNT-8 WNT-3) vorgestellt, sowie (2) Rumpfrücken organisierende Induktoren (CHORDIN, NOGGIN) versus deren Gegenspieler im ventro-anterioren Keimbereich, BMP-4. Die vergleichende Zusammenstellung weist darauf hin, dass das Agonisten-Antagonisten-System CHORDIN versus BMP-4 der Wirbeltiere im Embryo von Drosophila eine Entsprechung hat: Dem Wirbeltierfaktor CHORDIN entspricht der homologe Drosophila-Faktor SOG, dem Wirbeltierfaktor BMP-4 der homologe Drosophila-Faktor DPP. Allerdings sind die Expressionsbereiche für diese Faktoren im Drosophilakeim um 180ı gegenüber dem Vertebratenkeim gedreht. Allgemein wirken Induktionsfaktoren synergistisch oder antagonistisch und lösen Kaskaden von Folgeprozessen aus. Die Induktion der Augenlinse ist klassisches Schulbeispiel einer Folgeinduktion. Am Beispiel von SONIC HEDEGEHOG erfahren wir, dass ein und dasselbe Signalmolekül für die verschiedensten Zwecke eingesetzt werden kann, beispielsweise, um Wirbelkörper um die Chorda anzulegen, das Neuralrohr dorso-ventral zu untergliedern oder die Reihenfolge der Finger festzulegen. Ein weiteres Beispiel eines vielseitig eingesetzten Signalmoleküls ist Retinsäure (retinoic acid RA), das, neben anderen Faktoren, für die Untergliederung des Zentralnervensystems in Gehirn und Rückenmark und die antero-posteriore Polarität der Extremitäten verantwortlich ist. Wenn sezernierte Faktoren nicht nur in benachbarten Bezirken, sondern auch im Produktionsareal selbst wirksam werden, wie z. B. BMP-4 (DPP), WNT oder Retinsäure RA, und ihre verschiedenen Wirkungen von der jeweiligen lokalen Konzentration abhängig sind, bezeichnet man sie auch als Morphogene; das Areal, in dem sie wirksam sind, heißt morphogenetisches Feld. Die Gradiententheorie nimmt an, dass vielfach Morphogene (oder andere Faktoren) in Form eines Konzentrationsgefälles vorliegen, und die Art der ausgelösten Differenzierung eine Funktion der lokalen Konzentration eines Morphogens sei. Viele zunächst hypothetisch postulierte Gradientensysteme sind experimentell verifiziert. In flächigen Organen wie der Haut breiten sich vielfach planare Signale aus, die Haaren, Federn
10.11
Periodische Muster
oder Borsten eine gemeinsame Ausrichtung vorgeben. Hierfür ist oftmals ein „nicht-kanonisches“ WNT-System zuständig, das Wellen erhöhter intrazellulärer Calciumkonzentration entlang der Fläche hervorruft. Eine Zusammenfassung zum Thema planare Polarität gibt Abb. 10.7. Ein dem Spemann-Organisator äquivalentes Organisationszentrum findet sich auch am oralen Ende („Kopf“) der Polypen von Cnidariern (Hydra Hydractinia). In der Embryonalentwicklung, bei der Knospung von Sekundärpolypen und bei der Kopfregeneration wird die Etablierung eines Organisationszentrums wie beim Wirbeltierembryo durch ein „kanonisches“ WNT-Signalsystem ermöglicht. Eine Überstimulierung des Systems führt zu multiplen Köpfen entlang des Rumpfes. Am Beispiel dieser Organismen wird auch auf die Existenz von kontinuierlich abnehmenden Positionswerten, welche ein Positionsgedächtnis vermitteln, hingewiesen, ebenso auf das Phänomen der Interkalation: Zum Ausgleich experimentell herbeigeführter Sprünge in den Positionswerten werden bei Cnidaria, Insekten und Wirbeltieren Gewebestücke, welche die fehlenden Werte erzeugen, durch Wachstum und Differenzierung dazwischengeschoben (interkaliert).
291
Abschließend wird diskutiert, welche Mechanismen bei der Herstellung periodisch sich wiederholender Muster von Bedeutung sind. Es sind dies Zeitzyklen (Oszillatoren, Uhrwerke), Hemmfelder (z. B. BMP-4-Hemmhöfe bei Federanlagen), wechselseitige Aktivierung und Inhibition benachbarter Areale sowie Konkurrenz um erschöpfbare Faktoren. Ein eindrucksvolles Zeit- und Abgrenzungsprogramm löst im Wirbeltierembryo die fortschreitende Bildung von Somiten aus und bestimmt deren Anzahl. Am hinteren Rand (Schwanzknospe) des Embryos starten Zyklen in der Aktivierung des Gens chairy/hes. Diese periodischen Aktivierungsphasen wandern wellenförmig zum Vorderrand der paarigen Mesodermstreifen, welche nach Ankunft einer Welle jeweils einen Somiten abtrennen. Die Zahl der Zyklen korreliert mit der Zahl zu formender Somiten und damit auch mit der artspezifischen Anzahl von Wirbelkörpern in der Wirbelsäule. Ein Modell des Oszillators ist in Abb. 10.25 vorgestellt. Die Thematik der Positionsinformation und Musterbildung wird ergänzt durch Box 10.2 in der einflussreiche Pionier-Computermodelle der biologischen Musterbildung vorgestellt und erörtert werden.
11
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion
Wenn Abertausende und Abermilliarden Zellen gemeinsam einen Organismus mit seinen komplexen Geweben und Organen aufbauen sollen, sind vielfältige wechselseitige Absprachen unter den Zellen und Zellgruppen nötig. Übergeordnete Instanzen, beispielsweise die Organisatorregionen in frühen Keimen, müssen koordinierende Steuersignale aussenden. Die Ausstattung mit Rezeptoren und nachgeschalteten intrazellulären Signalsystemen ist eine unerlässliche Voraussetzung für die Kompetenz einer Zelle, auf ein gegebenes Signalmolekül reagieren zu können. Es werden schließlich auch Kontrollen nötig, die überprüfen: wo und wann welche Zelltypen sich differenzieren sollen, wie viele Exemplare von jedem Zelltyp hergestellt werden sollen und zu welchem Zeitpunkt die Proliferation der Vorläuferzellen zu begrenzen oder ganz einzustellen ist, wann und wo programmierter Zelltod Räume frei machen muss und schließlich welche Wege wandernde Zellen, auswachsende Nervenfasern und sprießende Blutkapillaren nehmen dürfen, um in ihre Zielgebiete zu gelangen. Über generelle Möglichkeiten der Zellkommunikation und Ausbreitungsmöglichkeiten für Signalmoleküle geben die Abb. 11.1, 11.2, 11.3 und 11.4 einen Überblick. Die wichtigsten Signalmoleküle und die von ihnen ausgelösten Signalkaskaden sind in den Abb. 11.5, 11.6, 11.7, 11.8 und 11.9 unter verschiedenen Gesichtspunkten zusammengefasst.
11.1 Signalsysteme und Mechanismen der Signalweiterleitung: ein Überblick 11.1.1 Membrangebundene Signalmoleküle übermitteln Botschaften an die direkte Nachbarschaft, lösliche im extrazellulären Raum sich ausbreitende Signalmoleküle vermitteln Fernwirkungen. Signaltransduktion ins Zellinnere der Empfänger ist stets erforderlich Signalmoleküle können auf vielen verschiedenen Wegen abgegeben, weitergeleitet und rezipiert werden. Die Abb. 11.1, 11.2, 11.3 und 11.4 illustrieren einige dieser Mechanismen. In jedem Fall ist es notwendig, dass die reagierenden Zellen die empfangene Botschaft in irgendeiner Form ins Zellinnere weiterleiten. Unabhängig vom jeweiligen biologischen Einsatzbereich gilt für zwischenzelluläre Signalsysteme folgende Wirkkette: 1. Das Signal wird den Nachbarn mittels eines extrazellulären Moleküls oder Molekülteils übergeben; dieses Signal wird zum Liganden für einen Rezeptor, den die reagierende Zelle bereithalten muss, bei hydrophilen Molekülen an der Oberfläche, bei hydrophoben Molekülen (z. B. Steroide) ebenfalls an der Oberfläche oder im Zellinneren. Wichtige Beispiele zeigen die Abb. 11.5, 11.6, 11.7, 11.8 und 11.9.
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_11,
293
294
2. Bei membrangebundenen Rezeptoren bedarf es eines Systems, das die Botschaft von der Zellmembran weg ins Cytoplasma des Empfängers leitet (Abb. 11.5, 11.6, 11.7, 11.8, 11.9, 11.10 und 11.11). In der Regel besorgen solche Systeme zusätzlich eine starke Amplifikation des Signals durch verschiedene nachgeschaltete enzymatisch katalysierte Prozesse. 3. Letzten Endes werden in vielen Fällen Genaktivitäten über Transkriptionsfaktoren gesteuert; zusätzlich können auch andere funktionell wichtige Proteine, beispielsweise Ionenkanäle in der Zellmembran oder Enzyme, aktiviert oder inhibiert werden Phosphorylierung solcher Proteine über verschiedene Kinasen spielt hierbei eine wichtige Rolle. Die Abb. 11.5, 11.6, 11.7, 11.8, 11.9 und 11.10 geben einen Überblick. Bevor einzelne Signalmoleküle und Signalkaskaden näher betrachtet werden, versuchen wir, uns einen Überblick über die generelle Natur von Signalmolekülen zu verschaffen und Mechanismen kennenzulernen, welche sie zu ihren Rezeptoren zu leiten.
11.1.2 Zahlreiche Morphogene, Induktoren oder sonstige „Faktoren“ steuern Entwicklung und Wachstum Ein Blick zurück auf die Induktionsprozesse im Amphibienkeim und die Musterbildung im Vogelflügel sowie ein Blick vorwärts auf die Entwicklung des Nerven- und Blutgefäßsystems und die Regelung des Blutzellennachschubs lässt deutlich werden, dass bei der Entwicklung von Geweben und Organen eine Vielzahl von Molekülen Signalcharakter gewinnen kann und zur Steuerung eingesetzt wird. Da biologische Signalmoleküle in Spuren wirksam und nur in Spuren zugegen sind, ist ihre Identifizierung schwierig. Trotzdem wächst die Zahl solcher Moleküle ständig. Ihre Anwesenheit verraten sie zunächst nur durch die Wirkung, die ein Gewebestück, ein Extrakt oder der Überstand einer Zellkultur ausübt. Da die chemische Natur des wirksamen Agens zu Beginn der Suche unklar ist, hat sich die unverbindliche Benennung Faktor eingebürgert, und wenn eine Substanz erst einmal mit der Bezeichnung „Faktor“
11
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion
etikettiert worden ist, bleibt dieses Etikett meistens auch dann noch haften, wenn das Molekül identifiziert ist. Man kann jedoch davon ausgehen, dass ein „Faktor“ in aller Regel ein Polypeptid ist und deshalb nicht direkt in die Zelle eindringen kann, sondern von einem Rezeptor auf der Zelloberfläche gebunden wird. Ergiebige Quellen löslicher Signalmoleküle sind oft Zellen, die in Kultur vermehrt werden und ins Medium Wachstumsfaktoren abgeben (konditionierte Medien). Mit solche Faktoren stimulieren die produzierenden Zellen sich selbst zu proliferieren und wurden daher als Wachstumsfaktoren (growth factors) bezeichnet. Andere Faktoren lösen Differenzierung oder chemotaktisches Verhalten aus. Die meisten bisher identifizierten Faktoren sind Polypeptide mit 500 bis 1000 Aminosäuren. Als die Sequenzen in den Datenbanken mit bereits bekannten verglichen wurden, stellte sich oft heraus, dass ein und derselbe Faktor von verschiedenen Forschergruppen mit unterschiedlichen Nachweismethoden entdeckt und mit jeweils anderem Namen bezeichnet worden war. Wohl alle Faktoren werden im Organismus mehrfach für die unterschiedlichsten biologischen Zwecke eingesetzt. Beispiele: Die Bone Morphogenetic Proteins BMP beispielsweise stimulieren das Wachstum von Chondroblasten (Knorpelvorläufer) und Osteoblasten (Knochenvorläufer), und sie haben eine Funktion bei der Knochenbildung. Man findet jedoch Vertreter dieser Gruppe schon im frühesten Embryo (Blastula) lange bevor Skelettelemente hergestellt werden. Ihre Funktion hier ist die von Morphogenen, die helfen, den Grundbauplan des bilateralsymmetrischen Tieres zu verwirklichen (s. Abb. 5.18, 5.19 und 10.3, Kap. 10). Das Insulin, das man als Blutzucker regulierendes Hormon kennt, wird schon im Embryo gefunden, lange bevor die Langerhans’schen Inseln des Pankreas ausgebildet sind, welche das Lehrbuch der Physiologie als Ort der Insulinbildung nennt. Multifunktionelle Faktoren lassen sich daher oft nicht eindeutig einer Kategorie zuordnen, sondern müssten je nach Entwicklungszeitpunkt und Funktion entsprechend den nachfolgend zusammengefassten Kriterien verschieden klassifiziert werden.
11.1
Signalsysteme und Mechanismen der Signalweiterleitung: ein Überblick
295
Endokrine Signale = Hormone
Hormonsender
Hormone Neurohormone Blutgefäß parakrine
autokrine Stimulation
Neuroendokrine Zelle
Zielzellen
Abb. 11.1 Illustration zur Terminologie hinsichtlich der Ausbreitung und allgemeinen Bedeutung von Signalmolekülen. Bei autokriner Sekretion gibt eine bestimmte Zelle ein Signal ab, rezipiert es selbst und reagiert darauf, z. B. mit verstärkter Ausschüttung des Signalmoleküls. Parakrine Sekretion bezeichnet
die Abgabe eines Faktors durch eine Zelle und dessen Wirkung im Nahbereich. Der Begriff endokrine Sekretion wird für (Neuro-)Hormone verwendet, die als Signalmoleküle abgegeben und über die Hämolymphe oder Blut zu einem entfernt liegenden Wirkungsort transportiert werden
11.1.3 Nach dem biologischen Einsatzbereich lassen sich Determinationsfaktoren, Morphogene, Induktoren, Differenzierungsfaktoren und Chemokine unterscheiden
Chemokine sind Signalsubstanzen, die von Sendern ausgesandt werden und chemotaktisch wandernde Zellen zum Zielort führen. Wir verweisen auf Chemokine, welche Urkeimzellen (Abb. 15.2), Neuralleistenzellen (Kap. 15, Abb. 15.3), Neuroblasten (Kap. 16) oder Zellen des Blutes und Immunsystems (Kap. 18) zu ihren Zielorten hinführen. In der Praxis freilich ist diese Aufgliederung selten durchzuhalten. Je nach Dosis und Einsatzort der Signalsubstanz und Kompetenz der Zielzellen, aber auch je nach Tradition und Lehrmeinung, die einen Forscher geprägt haben, kann dieser oder jener Effekt im Vordergrund stehen, und diese oder jene Bezeichnung bevorzugt werden. Die „Induktoren“ im Xenopus-Embryo sind vieles zugleich.
Eine Möglichkeit der Klassifizierung ist, entwicklungssteuernde Signalsubstanzen nach ihrer Funktion in der frühen Embryonalentwicklung einzuteilen. Determinationsfaktoren bestimmen das künftige Schicksal einer Zelle oder einer Gruppe von Zellen. Zu den Determinationsfaktoren gehören auch die Morphogene und Induktoren. Morphogene wirken in morphogenetischen Feldern, aus denen komplexe Gebilde, wie z. B. Arme oder Beine, hervorgehen, und sind an der Musterbildung in diesen Feldern beteiligt; ihre jeweilige besondere lokale Wirkung ist eine Funktion ihrer lokalen Konzentration. Induktoren werden von Senderzellen produziert und wirken auf Nachbarzellen. Wachstumsfaktoren, Cytokine sind vor allem bei der Proliferationskontrolle (Zellteilungskontrolle) beteiligt. Differenzierungsfaktoren leiten die terminale Differenzierung zuvor schon determinierter Zellen ein.
11.1.4
Nach Empfänger und Reichweite lassen sich autokrine, parakrine und endokrine Faktoren (Hormone) unterscheiden
Eine andere Einteilungsweise berücksichtigt Reichweite und Ziel der Signalmoleküle (Abb. 11.1): 1. Autokrine Faktoren wirken auf die Produzenten selbst zurück Die Senderzelle hat Rezeptoren
296
für ihre eigenen Signale. Diese können hemmend oder stimulierend auf die Bereitschaft der Zelle zurückwirken, sich zu teilen und/oder weiterhin Signalsubstanz freizusetzen. Über autokrine Stimulation fördern beispielsweise Mitglieder der TGF-Familien (Transforming Growth Factors) Tumorbildung. 2. Parakrine Faktoren diffundieren in Zellzwischenräumen zu Nachbarzellen. Hier wären in frühen Embryonen wieder die Morphogene und Induktoren zu nennen, in postnatalen Säugern beispielsweise der PDGF (Platelet-Derived Growth Factor), der bei der Regeneration verletzter Blutgefäße und verletzten Gewebes eine Rolle spielt. 3. Endokrine Faktoren D Hormone werden über die Blutbahn vermittelt. Beispiele: Erythropoietin, das die Menge roter Blutkörperchen reguliert (Abschn. 18.2.7) und die wachstumsfördernden IGFs (Insulin-like Growth Factors) im Fetus, die auch als Somatomedine bezeichnet und als Hormone klassifiziert werden, wenn die Leber ihre Produktion übernommen hat. Reguläre klassische Hormone, die über das Blut oder andere Körperflüssigkeiten (Lymphe) verteilt werden, greifen in der Regel spät in die Entwicklung ein, eben weil die Verteilersysteme erst geschaffen werden müssen. So in Umlauf gebrachte Hormone wirken als Synchronisatoren für umfangreiche Umgestaltungsprozesse. Beispiele sind die Steuerung der Sexualentwicklung (Kap. 7) und der Metamorphose (Kap. 2). Eine allgemeine Einführung in das Thema Hormone gibt Kap. 20. Hinsichtlich seiner Wirkung auf Genaktivitäten nimmt der parakrine Faktor Retinsäure (retinoic acid RA) eine Mittelstellung zwischen „Faktoren“ und „Hormonen“ ein.
11.2 Wie Zellen miteinander kommunizieren: Signal-Transmission und Propagation
11
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion
verteilt wird, spricht man bevorzugt von Signalpropagation. Die Weiterleitung einer Botschaft von der Zelloberfläche ins Zellinnere wird als Signaltransduktion bezeichnet. In jedem Organismus werden vielerlei Moleküle als Signalträger eingesetzt. Die Übertragungsmöglichkeiten für Signale von den Sendezellen zu den Empfängern (Zielzellen) sind sehr vielfältig und richten sich nach den Eigenschaften des Signalmoleküls und des Gewebes, in dem sie wirken sollen. Wir benutzen hier für einen ersten Überblick eine Gliederung, die sich an den Mechanismen und Reichweiten der Signaltransmission orientiert.
11.2.1
Zellen können mit ihren unmittelbaren Nachbarn mittels Signalen, die in ihrer Zellmembran verankert sind, in Wechselwirkung treten. Signalcharakter können alle bekannten Zelladhäsionsmoleküle, international CAMs (Cell Adhesion Molecules) genannt haben (Abb. 11.2; Kap. 14). Mit ihnen eng verwandt sind in Membranen verankerte Signal-Rezeptorsysteme nach Art des DELTA-NOTCH-Systems (Abb. 11.2b und 11.7b): Nicht nur der Rezeptor NOTCH, sondern auch der Ligand DELTA ist membranverankert. Das System dient dazu, geringe Unterschiede zwischen Nachbarn zu verstärken, beide Nachbarn auf unterschiedliche Differenzierungswege zu leiten und sie schließlich so weit voneinander abzugrenzen, dass sie sich auch physikalisch voneinander lösen können. Bei der Wegfindung von Zellen spielen weitere membrangebundene Moleküle eine Rolle wie z. B. Cadherine oder Ephrine, aber auch Moleküle der extrazellulären Matrix wie z. B. Fibronectin, die mit den zellgebundenen Integrinen interagieren (Abb. 11.2c). Zusätzlich können lösliche Moleküle in Gradientenkonzentration die chemotaktische Wegfindung erleichtern.
11.2.2 Geordnete Zelldifferenzierung, gerichtete Zellwanderung und Gestaltbildung, an der sich mehrere Zellen beteiligen, setzen Kommunikation und Interaktion zwischen den Zellen voraus. Die Weitergabe einer Information von Zelle zu Zelle nennt man Signaltransmission. Wenn die Botschaft über weite Strecken
Direkte Zellkommunikation mit den Nachbarn über Kontaktmoleküle
Stationäre Informationsträger und Wegweiser in der extrazellulären Matrix halten Signalmoleküle fest und erfüllen eine Führungsrolle
In die Spalten und Räume zwischen den Zellen werden vielfach makromolekulare Substanzen, Pro-
11.2 Wie Zellen miteinander kommunizieren: Signal-Transmission und Propagation Abb. 11.2 Kommunikation zwischen Zellen mittels direkter Kontaktstrukturen. a Kommunikation mittels homotypischer (gleichartiger) oder heterotypischer (unterschiedlicher) Zelladhäsionsmoleküle (CAM, Cell Adhesion Molecules) oder b RezeptorLigandenpaar wie Notch und Delta. c Stationäre Signalsysteme erlauben die Orientierung an Komponenten der extrazellulären Matrix oder an extrazellulären Strukturen von Wegweiserzellen bei der gerichteten Wanderung von Zellen. Lösliche Moleküle können den Lockeffekt chemotaktisch verstärken
297
Kommunikation mittels membrangebundener Moleküle Stationäre Moleküle zur Orientierung Homotypische / heterotypische Zelladhäsionsmoleküle CAM
Ligand-Rezeptor-Interaktion
Rezeptor Signaltransduktion
Ligand= Signal
Transkription
b
a
Stationäre Signalsysteme Wanderzelle Wegweiserzelle
Laminin Integrin Kollagen
Fibronectin
Extrazelluläre Matrix
c
teine, Glykoproteine und Proteoglykane entlassen, die als „extrazelluläre Matrix ECM“ keineswegs nur als Füll- und Verfestigungsmaterial dienen, sondern auch wandernden Zellen, auswachsenden Nervenfasern und sprossenden Blutkapillaren als Wegweiser dienen (Abb. 11.2; Kap. 16 und 17). Kollagen IV, Fibronectin, Laminin und Heparansulfat-Proteoglykane sind bekannte Moleküle der ECM, die mitunter Signalfunktion übernehmen können. Vielfach werden von Senderzellen freigesetzte spezifische Signalmoleküle an die ECM gebunden, z. B. Netrin und andere Moleküle, die für wachsenden Nervenfasern Orte markieren (Abschn. 16.5). Sie verleihen, vergleichbar einer Beschriftung, den Wegweisern eine spezifische Information. Oder es werden spezifische Faktoren (wie FGF) in der ECM gebunden und so zwischengelagert bis sie durch Proteolyse freigesetzt werden.
11.2.3 Kommunikation über freigesetzte, zur Diffusion freigegebene Signalmoleküle Das oben erwähnte DELTA gehört auch zu den Signalmolekülen, die mittels membrangebundener Proteasen von der Oberfläche abgelöst werden können, um per Diffusion oder auf anderem Weg weiter entfernte Zielzellen zu erreichen (Abb. 11.3b). FGF, EGF oder SONIC HEDGEHOG sind andere Beispiele für diffusible, extrazelluläre Faktoren. Allerdings ist freie Diffusion an Voraussetzungen gebunden: Kleine, lipophile Moleküle können direkt über Zellmembranen hinweg von Zelle zu Zelle diffundieren. Signalfunktion haben beispielsweise Derivate von Retinol (Vitamin A) sowie viele andere niedermolekulare lipophile Moleküle, so Arachid-
298
11
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion
Diffusionsgetriebene Ausbreitung
a Kanalisierte Diffusion durch Gap junctions
b
Abgelöste Oberflächensignale oder sezernierte Substanzen
Interstitium
c Gradientenbildung durch sukzessive Internalisierung von Signalmolekülen
Endosom
Kern Lysosom
d
Gleiten entlang der Oberfläche und gelenkte Diffusion Oberflächentransport durch Lipid-Flöße und Internalisierung durch Endocytose
1
2
Zweidimensionales Gleiten entlang von Heparansulfat-Proteoglykanen
3 4
lipophile Signalsubstanz hydrophile Signalsubstanz zunehmende Lipophilie der Oberfläche
zunehmende Hydrophilie der Oberfläche
Intrazellulärer Rezeptor
Abb. 11.3 Mechanismen der Signalweitergabe. a Diffusionsgetriebene Ausbreitung, intrazellulär über gap junctions oder b extrazellulär im Interstitium. c Stoffgradienten entstehen z. B. durch Bindung an Antagonisten, proteolytischen Abbau des Signals oder die Endocytose von Signal-Rezeptor-Komplexen entlang einer Diffusionsstrecke, alternativ auch durch Bin-
dung von Signalmolekülen an die ECM (z. B. bindet FGF an Heparansulfat-Proteoglykane). d Gerichtete Diffusion von Signalmolekülen wird erzielt z. B. durch Rezeptorbindung und Transport entlang der Zelloberfläche oder durch Bindung an oder Abstoßung von hydrophilen oder hydrophoben Zelloberflächen
11.2 Wie Zellen miteinander kommunizieren: Signal-Transmission und Propagation
onsäure und ihre Derivate wie Leukotriene, Prostaglandine und Hydroxyfettsäuren (mit der Arachidonsäure als Eicosanoide zusammengefasst). Arachidonate haben u. a. Einfluss auf die Zellmotilität. Generell gilt für alle lipophilen Moleküle: In der Regel genügt es nicht, dass solche Moleküle in die Membran benachbarter Zellen eindringen. Das Signalmolekül muss ins wässrige Cytosol der Zielzelle weitergeleitet werden. Dafür werden solche lipophilen Moleküle im Regelfall von membrannahen Shuttle-Proteinen der Zielzelle gebunden und dann ins Cytosol oder weiter in den Kernraum geleitet. Die Bedeutung niedermolekularer Signale für die Embryonalentwicklung ist noch wenig erforscht, da es derzeit noch schwierig ist, solche Signale zu identifizieren, an Ort und Stelle zu quantifizieren und ihre Ausbreitung zu verfolgen. Größere, C= apolare (D lipophile) Moleküle wie Thyroxin und Steroidhormone (s. Abb. 11.11) sollen nach augenblicklich noch vorherrschender Meinung Zellmembranen durchdringen können und erst im Cytoplasma an Rezeptoren gebunden werden. Es ist jedoch anzunehmen, dass es der Hilfestellung durch Shuttle-Proteine mit hydrophoben und hydrophilen Domänen bedarf, um sie aus der Lipidschicht der Zellmembran heraus ins Cytosol weiterzuleiten. Große hydrophile Moleküle wie Polypeptide können erstaunlicherweise recht weit gelangen. Die Mehrzahl der heute bekannten Signalmoleküle sind Peptide/Proteine wie z. B. die weiter unten vorgestellten WNTs, die FGFs und die Mitglieder der TGF-ˇ-Familie wie die BMPs. Nach der traditionellen Auffassung, die auch den meisten Computersimulationen über Signalausbreitung und biologische Musterbildung zugrunde liegt (Box 10.2), basiert die Ausbreitung auf Diffusion. Eine rein diffusionsgetriebene Verbreitung von solch großen und überwiegend hydrophilen Molekülen setzt allerdings voraus, dass ein flüssigkeitsgefülltes Interstitium (Zellzwischenraum) den nötigen Freiraum für Diffusion bietet. Ist diese Voraussetzung erfüllt, kann das Ausbreitungsgebiet zwischen wenigen Nanometern und einigen Millimetern groß sein. Manche dieser Faktoren können auch als chemotaktische Signale (Chemokine) dienen, wie der Nervenwachstumsfaktor
299
NGF, der das Auswachsen von Nervenfasern bei sympathischen Neuroblasten dirigiert. Freilich, manches Protein hat unerwartete Eigenschaften, die es wenig wahrscheinlich machen, dass ihre Ausbreitung durch bloße Diffusion erfolgt. So werden WNT-Moleküle posttranslational mit Palmitinsäure assoziiert, sind deswegen weitgehend lipophil und folglich im wässrigen Milieu kaum löslich. Möglichkeiten der Propagation für solche Moleküle werden weiter unten im Abschn. 11.2.6 aufgezeigt. Neuere Arbeiten zeigen, dass auch die extrazelluläre Matrix eine wichtige Rolle spielt, indem sie z. B. FGFs bindet und damit deren Diffusionsreichweite stark begrenzt (von 40 Zellen auf nur ca. 5). Proteasen, welche die ECMKomponenten abverdauen, setzen solche Faktoren zu gegebener Zeit lokal und schnell wieder frei. Wenn der interstitielle Raum nicht ausreicht, um weit entfernte Ziele zu erreichen und statt bloßer Diffusion Ferntransport über umgewälzte Flüssigkeiten in Gefäßen (Konvektion, Perfusion) in Anspruch genommen werden muss, spricht man von endokriner Steuerung (Abb. 11.1). Gelangen Signalmoleküle in die Lymph- oder Blutbahn, können sie als Hormone der zeitlichen Koordination von Entwicklungsprozessen dienen (Kap. 7, Kap. 20), aber nicht mehr als Morphogen oder lokaler Induktor Positionsinformation vermitteln. Kanalisierte, eingeschränkte und erleichterte Diffusion Freie Diffusionsräume sind in Geweben, in denen Zellen dicht gedrängt sind, rar oder fehlen ganz. Zellen in Epithelien kleben beispielsweise mittels apikaler Adhäsionsgürtel (adhesion belts) dicht aneinander. Damit ist freie Diffusion nur im basolateralen Bereich möglich. Kanalisierte Diffusion via Gap junctions Injektion von fluoreszierenden, niedermolekularen Farbstoffen oder von Isotopen in einzelne Zellen haben jedoch Möglichkeiten der Diffusion auch in manchen epithelialen Zellverbänden aufgezeigt. Elektrolyt-Ionen (NaC , KC , Ca2C , Cl) und kleine polare (D hydrophile) Moleküle, wie z. B. Inositoltrisphosphat (IP3 /, cAMP, cGMP und ATP, können von Zelle zu Zelle diffundieren, wenn die Zellmembranen benachbarter Zellen durch Gap junctions (röhrenförmige Transmembrankanäle) leitend verbunden sind (Abb. 11.3a).
300
11.2.4 Gelenkte Diffusion und Weiterleitung mittels anderer physikalischer Effekte Extrazelluläre Matrix, ECM Diffusion kann nicht nur über Gap junctions kanalisiert sein. Auch im extrazellulären Raum, in dem es kaum eine Einschränkung gibt, was die Größe eines Signalmoleküls betrifft, ist räumlich beschränkte und damit gelenkte Ausbreitung von Molekülen möglich (Abb. 11.3c, d). Epithelien sind z. B. immer von einer extrazellulären basalen Matrix (Basalmembran) unterlagert, die als Barriere der Ausbreitung dient und in den meisten Geweben sind die Zellzwischenräume mit vernetzten Makromolekülen gefüllt. Diese extrazelluläre Matrix ECM setzt der freien Diffusion von Signalmolekülen Grenzen oder beeinflusst die Diffusionsrichtung. Proteoglykane als Wanderführer und Begleiter Es gibt Komponenten der extrazellulären Matrix, die an Zelloberflächen binden und gleichzeitig die Ausbreitung von Wachstumsfaktoren auf zwei Dimensionen einschränken. Matrixsubstanzen, die dies bewirken, sind Heparansulfat-Proteoglykane und Ganglioside. Proteoglykane können, so wird vermutet, wie Stege (Abb. 11.3d) die fluiden (halbflüssigen) Zellmembranen von langen Zellreihen überbrücken und ein zielgerichtetes Gleiten des Signalmoleküls über die überbrückte Zellenreihe hinweg vermitteln. Inwieweit dieser Fluss der SignalCBegleiter-Komplexe andere Energiequellen als Diffusionsdruck benötigt, etwa ATP-getrieben ist, ist noch nicht bekannt. Am Ende der Gleitbahn können Proteoglykane als Cofaktoren synergistisch mit den spezifischen Signalrezeptoren Signaltransduktionssysteme aktivieren und anschließend mit den Rezeptoren per Endocytose ins Zellinnere aufgenommen werden. Faktoren, deren Ausbreitung so geleitet wird, sind die Vertreter der TGF-ˇ-Familie einschließlich der BMPs sowie die FGFs und WNTs. Lenkung mittels hydrophiler oder lipophiler Interaktion In Zellmembranen sind oftmals Makromoleküle verankert, welche die physikalischen Eigenschaften der Zelloberfläche verändern, sie beispielsweise hydrophiler machen, oder ihr erhöhte Lipophilie verleihen (Abb. 11.3d). Solche Eigenschaften können sich entlang einer Zellreihe verstärken. Da lipophile Moleküle von einer lipophilen Umgebung angezogen, von hydrophilen abgestoßen werden, und umgekehrt
11
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion
hydrophile Substanzen Kontakt zu hydrophilen Oberflächen suchen aber hydrophobe meiden, kann es zu physikalisch getriebenen Wanderungen der Signalmoleküle entlang von Zellreihen kommen. Dabei sind mikrophysikalische Kräfte im Spiel, die im Einzelnen noch wenig erforscht sind, aber mit großer Sicherheit als sehr bedeutsam vorhergesagt werden können. So sind Grenzflächenenergien, welche in der Physik unter Begriffen wie Oberflächenspannung, Benetzungsspannung, Adsorption und Kohäsion behandelt werden, noch wenig in Computersimulationen über Signalausbreitung berücksichtigt worden. Effekte der Chromatographie und Elektrophorese Stichworte wie Hydrophilie und Hydrophobie erinnern den Biochemiker an bekannte Mechanismen der Chromatographie und stimulieren neue Hypothesen. Ein Gemisch hydrophiler und lipophiler Substanzen kann, wie bei der hydrophoben Interaktionschromatographie und der ihr ähnlichen reversed-phase Chromatographie, an einer C/ hydrophoben Unterlage (Matrix) aufgetrennt werden und die einzelnen Komponenten können gemäß ihrem Grad an Hydrophilie oder Lipophile in unterschiedliche Richtungen und in verschieden entfernte Zielgebiete geleitet werden. Ähnlich wie graduiert abgewandelte Hydrophobie wirkt eine Kette von Bindungsstellen mit abnehmender oder zunehmender Bindungsstärke. Auch ein solcher Mechanismus hätte sein Gegenstück in der Chromatographie, in diesem Fall der IonenaustauschChromatographie oder der Affinitätschromatographie. Für solche Effekte können wiederum HeparansulfatProteoglykane und Ganglioside verantwortlich sein, die in der ECM oder der Zellmembran verankert sind. Schließlich gibt es Hinweise und Theorien über elektrophoretische Effekte: Eine elektrisch positiv geladene Zelloberfläche würde beispielsweise Proteine, die durch Phosphorylierung negativ aufgeladen sind, anziehen und binden. Lipidflöße (lipid rafts raft D Floß, Schlauchboot) sind Molekülkomplexe, die aus Sphingolipiden, Cholesterin und Proteinen bestehen, welche in der fluiden Zellmembran wie Flöße auf einem See flottieren und notwendige Komponenten wie Kopplungsproteine für eine Signaltransduktion in das Zellinnere gleich mitbringen (Abb. 11.3d). Sie können Signalmoleküle schwach binden, als Fracht mitführen und mittels des Signalmoleküls als Bindeglied an Signalrezeptoren andocken, beispielsweise an Rezeptoren des Ser-
11.2 Wie Zellen miteinander kommunizieren: Signal-Transmission und Propagation
pentintyps (s. Abb. 11.5). Die angedockten Lipidflöße können mitsamt dem Rezeptor durch Endocytose ins Zellinnere verfrachtet werden (Abb. 11.3c). Damit ist auch das Signalmolekül internalisiert; es kann in Lysosomen abgebaut und damit dem Diffusionsgleichgewicht entzogen werden.
packungsdichte des Chromatins verändern. Zu den ins Zellinnere geschleusten, am Chromatin als Schalterelement fungierenden Signalsubstanzen gehören auch Retinsäure und die Steroidhormone (s. Abb. 11.11).
11.2.6 11.2.5 Die Endocytose der Liganden-beladenen Rezeptoren trägt zur Formung von Gradienten bei und eröffnet den Weg zum Zellkern Proteine und so auch Morphogene können mittels Reportermolekülen wie GFP (Green-Fluorescing Protein) markiert werden. In der Regel stört die kompakte Struktur des GFP die Ausbreitung und Funktion des markierten Proteins nicht, sodass dessen Ausbreitung mit dem Fluoreszenzmikroskop im lebenden System verfolgt werden kann (life cell imaging). Zu den Morphogenen, die sich (im durchsichtigen Zebrabärbling) per Diffusion ausbreiten, gehört FGF-8. Dieser Faktor wird von Rezeptoren der Zielzellen aufgefangen, welche daraufhin rasch ein Signaltransduktionssystem einschalten. Der Rezeptor-Ligandenkomplex wird dann per Endocytose aus dem Diffusionsraum entfernt. Signalmoleküle gelangen oftmals in Komplexen mit Heparansulfat-Proteoglykanen oder Lipiden ins Zellinnere. So werden WNT (s. Abb. 11.6b) oder TGFˇ=BMP in Komplexe eingebunden an ihre Rezeptoren auf der Zellmembran herangeführt und mit diesen via Endocytose internalisiert. In der Regel werden Endosomen durch bestimmte Moleküle (Rab-Proteine) markiert und damit in bestimmte Kompartimente der Zelle geleitet. Werden die Endosomen den enzymgefüllten Lysosomen zugeführt (man sagt auch: dem lysosomalen Kompartiment), werden die internalisierten Komplexe verdaut. Werden die Endosomen für das recycling compartment markiert, so werden die Signalmolekül-Rezeptoren ohne Liganden wieder an die Zelloberfläche zurück verfrachtet. Nicht immer wird der Komplex recycelt oder abgebaut. Abgetrennte Komponenten des Rezeptors (NOTCH, s. Abb. 11.7b), oder der ganze Rezeptor (EGFR) können durch die Poren der Kernmembran in den Kernraum gelangen, an Chromatin gebunden werden und dort in Transkriptionsfaktor-Komplexen agieren oder die dreidimensionale Struktur und Ver-
301
Gezielter Transport zu Nachbarn mittels Transcytose und Nanoröhrchen
Transcytose Mehrere wohlbekannte Signalmoleküle mit Proteinnatur werden nach Auffassung mehrerer Arbeitsgruppen (auch) durch Transcytose von Zelle zu Zelle geleitet, so WNT, BMP und SHH. Das eben erwähnte Recycling wie auch andere Transportprozesse können in günstigen Fällen direkt im lebenden System sichtbar gemacht werden Die Zellen der Imaginalscheiben von Drosophila produzieren in einem bestimmten (in Abb. 10.10 gezeigten) Areal das Signalmolekül DPP, das Drosophila-Homologon zum BMP-2/4 der Wirbeltiere. In transgenen Fliegen, bei denen das DPP-Gen mit dem Gen für das grün fluoreszierende GFP fusioniert wurde (Methode s. Box 12.2) und in das Genom von Drosophila integriert worden war, ließ sich unter dem Mikroskop im lebenden Gewebe beobachten, wie das dpp-gfp-Gen am rechten Ort exprimiert und das fertige DPP-GFP von den Zellen exportiert wurde. Die Ausbreitung dieses recht großen DPP-GFP-Proteins konnte mit Videokameras verfolgt werden. Ein Teil der mit Endosomvesikeln aufgenommenen Signalmoleküle verblieb in einer gegebenen Zelle und wurde schließlich abgebaut, der andere Teil gelangte aber per Transcytose in die nächste Zelle. Dies wiederholt sich von Zelle zu Zelle; und so bildeten sich Gradienten auch innerhalb der Zellen aus. Von einer anderen Arbeitsgruppe war GFP mittels eines GPI-Ankers direkt in der Zellmembran von Imaginalscheiben-Zellen verankert worden. Während diese Zellen WINGLESS sezernierten, tauchten kleine GFP-markierte, fluoreszierende Vesikel erst in den Nachbarzellen, dann in weiter entfernten Zellen auf. Sie wurden als Transportvesikel, hier für WINGLESS, interpretiert. (Die offenbar mit der griechischen Mythologie vertraute Arbeitsgruppe gab den Transcytosevesikeln den Namen Argosomen, Abb. 11.4). Rohrpost-Transport durch Nanoröhren, immunologische Synapse Experimente mit GFP-markierten
302 Abb. 11.4 Gezielte und gerichtete Weitergabe von Signalmolekülen. Die transzelluläre Signalweitergabe wird z. B. möglich durch Transportvesikel (Argosomen). Diese Vesikel transportieren ein Signalmolekül direktional entlang des Cytoskeletts zur Nachbarzelle. Transport in entfernt liegende Zellen kann auch erfolgen über sehr feine Zellbrücken, Cytoneme oder TNT (Tunneling Nano Tubes) genannt, die sich nach Art von Filopodien ausstrecken, Kontakt zur Nachbarzelle aufnehmen und mit deren Zellmembran fusionieren
11
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion
Signalweitergabe durch mehrere Zellen hindurch Vesikel (Argosom) mit Signalsubstanz
Transcytose Übertragung über Cytoneme bzw. tunneling nanotubes (TNT)
Produzent
Abholer
Empfänger
Abholen verschiedener Botschaften über Cytoneme (Filopodien)
Cytonem
Abholer
Molekülen haben eine weitere, unerwartete Weise möglicher Signaltransmission ins Blickfeld der Zellbiologen gebracht (Abb. 11.4). So sah eine Arbeitsgruppe in Imaginalscheiben von Drosophila Zellen, welche feine Fortsätze nach Art von Filopodien über einen zellfreien Zwischenraum zu anderen Zellen ausstreckten. Diese Arbeitsgruppe nannte diese Fortsätze Cytoneme und meint, sie dienten dem Ferntransport von Vesikeln. Nach neuen (2011) Untersuchungen mit farbig markierten Rezeptormolekülen bilden nicht nur Sendezellen Cytoneme aus, sondern auch Zielzellen zum Abholen einer spezifischen Botschaft. In den Flügel-Imaginalscheiben waren die Filopodien mit Rezeptoren für das Morphogen DPP bestückt, Filopodien der Augenscheiben hingegen mit Rezeptoren für ein dort wirkendes Signalmolekül (SPITZ), Trachealzellen wiederum hatten verschiedene Filopodi-
en mit unterschiedlichen Rezeptoren an ihrer Spitze (für Branchless und DPP). Filopodien (Cytoneme) der Zielzellen können also mit verschiedenen Rezeptoren für Signalmoleküle bestückt sein und damit von den Nachbarzellen verschiedene spezifische Botschaften abholen. Eingehend ist ein vergleichbares Phänomen an Säugerzellen untersucht: Verschiedene, locker verstreute Zellen in Gewebekultur streckten feine röhrenförmige Fühler nach Art von Filopodien aus. Diese erreichten, sich ungewöhnlich lang durch das Kulturmedium streckend, ferne Zellen. Eine Subpopulation der Zellen konnte ein fluoreszierendes Synaptophysin-GFPProdukt herstellen (Synaptophysin ist ein für Vesikel charakteristisches Protein). Dieses Produkt, und auch andere fluoreszierende Membrankomponenten, gelangten in kleinen Portionen von den Produzenten in
11.3 Signalsubstanzen und die von ihnen aktivierten Transduktionssysteme
jene Nichtproduzenten, mit denen der Produzent mittels dieser feinen Röhrchen verbunden war. Die sehr dünnen Röhrchen (50–200 nm Durchmesser) wurden Tunneling Nano Tubes (TNT) genannt; sie entsprechen vermutlich den Cytonemen resp. Filopodien der Drosophilazellen. Entgegen der Erwartung passierten niedermolekulare Substanzen diese Röhrchen nicht. Andererseits gibt es Hinweise, dass selbst Makromoleküle wie Nukleinsäuren solche Röhren passieren können. Sind sie, wie diese Forscher vermuten, ein Rohrpostsystem für spezielle Verpackungsvesikel? – oder dienen die Filopodien mit ihren Rezeptoren als Angeln?
Immunologen haben ein ähnliches Phänomen beobachtet. B-Lymphocyten strecken feine Filopodien aus und nehmen Kontakt auf zu Antigen-präsentierenden dendritischen Zellen. Die Filopodien tragen an ihrer Spitze Antigenerkennende Rezeptoren, BC-R (B-Cell Receptors) genannt. (BC-R sind in der Zellmembran verankerte Prototypen der Antikörper.) Auf Seiten der dendritischen Zelle wird den BC-R an MHC gebundenes Antigen angeboten. Die Kontaktstruktur zwischen B-Zelle und dendritischer Zelle wird immunologische Synapse genannt. Die B-Zelle extrahiert dann an dieser Synapse von der Membran der dendritischen Zelle das Antigen, internalisiert es und präsentiert es auf ihrem eigenen MHC einer T-Zelle. Betrachtet man das Antigen als Signal, so liegt hier eine Signalstafette von der dendritischen Zelle über die B-Zelle zur T-Zelle vor. Ein Antigen als Signalmolekül zu betrachten, ist voll gerechtfertigt. Das Antigen stimuliert die B-Zelle, sich zu teilen. Die Tochterzellen wandern in Lymphknoten und Milz, um hier Antikörper in großer Zahl zu produzieren und zu sezernieren, oder um dort als Gedächtniszellen zu verharren. Ebenso teilen sich Antigen-stimulierte T-Zellen und gründen eine Subpopulation von T-Gedächtniszellen.
Wenn es die Möglichkeit gibt, dass Zellen lange Fortsätze zu anderen Zellen auswachsen lassen, um mit ihnen Kontakt aufzunehmen, fragt man sich, wie diese Fortsätze ihre Zielzellen finden. Die Wachstumskegel an der Spitze auswachsender Nervenfasern
303
(Kap. 16) und die Terminalfühler der Blutkapillaren finden und erkennen ihre Ziele (Kap. 17) über diffusible Fernsignale wie auch dank dirigierender Signale auf stationären Wegweisern. Für die neu entdeckten Transportsysteme, TNT bzw. Cytoneme und die Filopodien der B-Zellen, können wir noch keine Antwort geben.
11.3 Signalsubstanzen und die von ihnen aktivierten Transduktionssysteme 11.3.1 Durch Signaltransduktion werden Botschaften ins Zellinnere geleitet und Signale verstärkt Der Begriff der Signaltransduktion wird nicht selten missverstanden. Es geht nicht um die Weiterleitung eines Signals von Zelle zu Zelle – hier spräche man, wie oben gesagt, von Signaltransmission oder Signalpropagation –, sondern um die Weiterleitung eines Signals vom Zelläußeren über eine Zellmembran hinweg ins Zellinnere. Das externe Signal erreicht in der Regel seinen membranständigen Rezeptor. Die Bindung des Signalmoleküls an den Rezeptor (oder an ein Rezeptordimer) bewirkt im intrazellulären Teil des Rezeptors eine Konformationsänderung und dadurch dessen Aktivierung. Nach Bindung diverser regulatorischer Proteine an die intrazelluläre Domäne des Rezeptors werden zwecks Übermittlung der Botschaft in die Tiefen des Zellinneren Second Messenger erzeugt, welche das Signal verstärken, die Botschaft weitertragen und in die verschiedenen Kompartimente der Empfängerzelle leiten. Eine wesentliche Funktion erfüllen in diesen Systemen Protein-Kinasen; dies sind Enzyme, welche von ATP Phosphat abkoppeln und auf Proteine übertragen (Phosphorylierung). Es sind drei Aminosäuren, die phosphorylierbar sind: Serin, Threonin und Tyrosin (gemeinsamer Nenner ist das Vorliegen einer freien OH-Gruppe im Aminosäurerest). Kinasen übertragen Phosphat entweder auf Ser- oder Thr-Reste und heißen entsprechend Serin-Threonin-Kinasen; oder sie phosphorylieren Tyr und gehören dann zu den Tyrosinkinasen. Nicht jedes Ser, Thr oder Tyr ist phosphorylierbar, vielmehr entscheidet die AminosäureUmgebung, indem sie einen sogenannten Konsensus bietet, bestehend aus (z. B.) einer bestimmten Kon-
304
11
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion
Serpentin-Rezeptor mit 7 Transmembran-Domänen
Serpentin-Rezeptor gekoppelt an G-Protein (GP), mobile intrazelluläre Ser-Thr-Proteinkinasen (PKA, PKC) als Second Messenger
1
Diverse Hormone:
1
Wachstumsstop, Induktion der termin. Differenzierung
1
Fertilin des Spermiums bei Eiaktivierung Diverse zellteilungsstimulierende Signale, FSH: Meiose-Induktion Neurale Induktion
Ionenkanal
1
PIP2
AC β γ α 2 G-Protein ATP cAMP
a
PKA
PKA
aktiv
P IP3
Ca 2+
P PKC aktiv 5
6
MAP-Kinasen (mitosis-associated protein kinases
4
3a 3b
DAG
P PLC 2 P IP3 GP β α β γ P 3a
P
PKA PKA
3b
6
PKC inaktiv
Zellkern
P
7
P P
Ca 2+
AP1
ER
b1 Palminsäure (z.B.)
Arachidonsäure
Diacylglycerol DAG Phosphatidylinositolbisphosphat PIP2
O O O O O O2
H OH
O OH OH OH
b2
O3 O
O O3
O
Spaltstelle der PLC
O O O
OH
Inositoltrisphosphat IP3
11.3 Signalsubstanzen und die von ihnen aktivierten Transduktionssysteme
J Abb. 11.5 Signaltransduktion 1: Systeme mit SerpentinRezeptoren finden sich häufig, wenn Peptide als Signalmolekül agieren. Der Name Serpentin-Rezeptor weist auf die sieben Transmembran-Domänen hin. Mit Empfang eines Signals bindet ein heterotrimeres G-Protein an den Rezeptor, dissoziiert in die ˛=ˇ - und die -Untereinheit, welche weitere Proteinfaktoren binden kann. a Die Untereinheit des G-Proteins aktiviert eine Adenylatcyclase, die aus ATP den Second Messenger cAMP herstellt. cAMP seinerseits aktiviert Proteinkinase A, indem es an eine inhibitorische Komponente des inaktiven PKA-Komplexes koppelt und diese von der eigentlichen PKA abdissoziieren lässt. PKA phosphoryliert je nach Zelltyp verschiedene Substrate, vor allem Enzyme des Zuckerstoffwechsels. b Aktivierung des PI-PKC-Systems. Nach Bindung eines G-Protein an den aktivierten Rezeptor dissoziiert das G-Protein und aktiviert eine Phospholipase (PLC). Diese hydrolysiert das Membran-assoziierte Phospholipid Phosphatidylinositol-
stellation basischer Aminosäuren. Die Funktion der Phosphorylierung liegt darin, dass das Protein mit jeder Phosphatgruppe eine doppelt negative Ladung erhält und die Gesamtheit aller angehängten Phosphate eine Konformationsänderung des Proteins bewirkt. Ist das Substratprotein beispielsweise eine Komponente eines Ionenkanals, kann der dadurch geöffnet oder geschlossen werden; ist das Substratprotein ein Enzym oder ein Transkriptionsfaktor TF, kann das Enzym oder der TF in den aktiven Zustand umklappen oder in den inaktiven Zustand zurückfalten. Bei aller Vielfalt möglicher Transduktionssysteme dominieren einige Systeme mit Schlüsselfunktion. Membranständige Rezeptoren fangen und binden Polypeptide wie auch andere polare (wasserlösliche) Signalmoleküle (z. B. Neurotransmitter, Adrenalin). Es werden jedoch zunehmend auch nicht-kanonische Fälle bekannt, in denen lipophile Signalmoleküle an membranständige Rezeptoren binden, z. B. verschiedene Steroidhormone. Es dominieren folgende Klassen von Rezeptoren mit angeschlossenen Transduktionssystemen: Serpentinrezeptoren mit sieben Transmembrandomänen ohne eigene Kinasefunktion (Abb. 11.5). Solche sind dem Physiologen geläufig als Rezeptoren für die Blutzucker-mobilisierenden Hormone Glukagon und Adrenalin sowie als molekulare Rezeptoren der Sinneszellen unserer Geruchsorgane, wo sie Duftstoffe einfangen. Rezeptoren des Serpentintyps sind zuständig beispielsweise für verschiedene die Zellteilung stimulierende Wachstumsfaktoren. In der Regel sind intrazellulär Schalterproteine angeschlossen, die aus drei Unterein-
305
bisphosphat (PIP2 / zu zwei Second messenger Molekülen. (1) In der Membran verbleibendes Diacylglycerol (DAG) rekrutiert eine Proteinkinase C (PKC) an die Membran, die dort Ionenkanäle und diverse andere Substrate phosphoryliert. Die PKC kann schließlich auch in den Kernraum gelangen und dort weitere Proteine phosphorylieren. (2) Inositoltrisphosphat IP3 , der zweite Second Messenger verbleibt im Cytosol und bindet an einen spezifischen Rezeptor am Endoplasmatischen Retikulum. Aus diesem zellinternen Speicher werden schlagartig CalciumIonen als tertiäre Botenstoffe ins Cytosol entlassen, welche für die Aktivität bestimmter PKC-Isoformen notwendig sind. Die Ca2C -Ionen lösen je nach Zelltyp unterschiedliche Reaktionen aus, und sie werden innerhalb kürzester Zeit wieder ins ER zurückverfrachtet (vergleiche Eiaktivierung Abb. 3.5). b2 Struktur von PIP2 und IP3 in vereinfachter Darstellung und Angabe der hydrolytischen Spaltungsstelle von IP3 von PIP2
heiten zusammengesetzt sind und als G-Proteine bezeichnet werden. – Das klassische cAMP-PKA System zeigt, wie Signale amplifiziert werden. Wird vom Rezeptor ein einzelnes Hormonmolekül aufgefangen, werden mehrere Enzyme des Typs Adenylatkinase aktiviert, die Hunderttausende intrazelluläre Second-Messenger-Moleküle, hier cAMP, erzeugen. – Das PI-PKC-System leistet gute Dienste, wenn im Zuge der Befruchtung das schlafende Ei aktiviert wird. Rezeptoren mit sieben Transmembrandomänen sind auch die FRIZZLED genannten Rezeptoren für das Einfangen von Signalmolekülen der WNT-Klasse (Abb. 11.6 ab); sie lösen allerdings über andere Docking-Proteine, wie Dishevelled, intrazelluläre Signalkaskaden aus; diese sind im Einzelnen zelltypspezifisch unterschiedlich. Transmembranrezeptoren mit intrazellulärer Serin/Threonin-Kinasefunktion (Abb. 11.7a). Liganden für solche Rezeptoren sind die Vertreter der TGF-ˇ-Familie. Funktionelle Rezeptoren mit eingefangenen Liganden finden sich zu Heterotetrameren zusammen. Transmembranrezeptoren mit intrazellulärer Tyrosin-Kinasefunktion (Abb. 11.8 und 11.9). Die Rezeptoren liegen als Dimere vor (Insulin-R) oder lagern sich, nachdem sie Liganden eingefangen haben, paarweise zu Dimeren zusammen und phosphorylieren sich wechselseitig an Tyrosin-Resten (Autophosphorylierung). An das phosphorylierte Dimer können intrazelluläre Enzyme (z. B. Phos-
306
11 LRP6
Determination von Körperachsen in Hydra, Seeigel, Wirbeltieren, u.a. Segmentierung und Musterbildung LRP6 im Flügel von Drosophila WNT
WNT FRZ-b, DICKKOPF FRIZZLED
Dvl Axin
inaktiv APC
Ck1
P
P
P P
P P
aktiv
Dvl
Axin inaktiv
GSK-3
ATP
Zellkern
APC
GSK-3 aktiv P
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion
β-Catenin
β-Catenin
β-Catenin LEF/TCF
Abbau
a
LRP6
WNT
WNT
WNT
WN
Eindellung = beginnende Endocytose
T
W NT P P P P Axin Dv P P l P D P Ck1 shl P P P Dv P P P P PD Dsvh P P l P Kinase P P P DDs P vhl LRP6 lagert sich an Frizzled Dvl p P P o lyme und wird phosphoryliert P P risie rt P P DsD PP hvl P
P P P
WNT
W
N
T
P P P
WNT
NT
WNT
W
NT WN
T
WNT
P P P P P DsDhv l P
P P Ds vlh P PD P P
WNT
P P Dvsl h D P P P P
W NT
WNT
W
b
Transkription
NT
W
Signalosom (Endosom)
11.3 Signalsubstanzen und die von ihnen aktivierten Transduktionssysteme
J Abb. 11.6 Signaltransduktion 2: Das kanonische WNT-System. a Vereinfachte Darstellung, wie sie in vielen Publikationen zur Einführung vorgestellt wird. Falls kein WNT an den Rezeptor FRIZZLED bindet, kann die Kinase GSK3 ungehindert cytosolisches ˇ -Catenin phosphorylieren, das damit dem Abbau durch das Proteasom preisgegeben wird. Ist hingegen ein WNT-Signal am Rezeptor angelangt (oder wird GSK3 pharmakologisch inhibiert), wird über eine hier verkürzt wiedergegebene Kette GSK3 in den inaktiven Zustand versetzt. Infolgedessen wird ˇ -Catenin nicht abgebaut; es gelangt in den Kern und aktiviert in Ko-
pholipase C-gamma) ankoppeln, die ihrerseits Second Messenger erzeugen. In anderen Fällen vermitteln Dockingproteine einen Zugang zu weiteren intrazellulären Signalwegen. Rezeptoren, von denen mittels Proteasen intrazelluläre Signalmoleküle abgespalten und in den Kern transportiert werden. Solche Rezeptoren dienen somit auch der Signaltransduktion, denn die abgespaltenen Module werden im Kern in Transkriptionsfaktor-Komplexe eingebunden. Hier verweisen wir auf das NOTCH-DELTA-System (Abb. 11.7b und unten). Zwischen allen Systemen gibt es Netzwerkinteraktionen. Ein und dieselbe Zelle kann mit mehreren Rezeptoren und intrazellulären Weiterleitungssystemen ausgestattet sein. So kann über phosphorylierte Transmembran-Rezeptortyrosinkinasen der FGFRezeptor-Klasse eine Phospholipase C und damit ein PI-PKC-System aktiviert werden. Auch die WinglessKaskade, zuständig für Antworten auf Signalmoleküle der WNT-Klasse, ist mit dem PI-System vernetzt (Abb. 11.6b). Am Ende vieler Signalwege werden Transkriptionsfaktoren aktiviert, die ihrerseits Genaktivitäten kontrollieren.
11.3.2 Wichtige Familien von Signalmolekülen Im Lauf der Evolution hat die Duplikation von Genen, die bestimmte Wachstumsfaktoren oder deren Rezeptoren codieren, zu großen Genfamilien geführt. Da es sich bei den meisten heute bekannten Signalmolekülen und Rezeptoren um Polypeptide handelt, kann der Vergleich der Aminosäuresequenzen solche Proteinfamilien und auch deren Evolutionsreihen aufdecken. Auch wenn die Sequenzidentität von Liganden wie den 22 Wirbeltier-FGFs oft nicht besonders hoch ist, können
307
operation mit dem Transkriptionsfaktor TCF/LEF verschiedene WNT-abhängige Gene. b Von Untersuchungen an XenopusEmbryonen abgeleitete Vorstellung, wie es zur Internalisierung von WNT kommen kann. An den Rezeptor FRIZZLED lagert sich das Transmembranprotein LRP6 an. Dessen intrazelluläre Domäne wird durch eine Kinase phosphoryliert. Der so aktivierte Komplex FRIZZLEDCLRP6 rekrutiert an seiner Basis Dishevelled (Dvl). Benachbarte Dvl-Moleküle polymerisieren und halten die Komplexe zusammen. Sie werden durch Endocytose internalisiert; der Komplex wurde Signalosom benannt
sie an bestimmten Core-Sequenzen erkannt werden. Es gibt eine unüberschaubare Fülle von Proteinfamilien, und jede Familie dürfte Mitglieder haben, die in der Embryonalentwicklung eine bedeutende Funktion erfüllen. Hier eine Liste der häufigsten Signal- und Rezeptor-Familien und der von ihnen genutzten Signalwege:
Die WNT-Familie (Abb. 11.6) Namengebend war eine flügellose Mutante von Drosophila. Sie kann kein korrektes Signalprotein WINGLESS (Gen wg) herstellen. Das wg-Gen wird im Puppenstadium an den Kanten der heranwachsenden Flügel (s. Abb. 10.10) exprimiert und zuvor im Embryo an den Grenzen der Parasegmente (s. Abb. 4.38). Dies schien eine für den Menschen nicht eben bedeutungsvolle Spezialität zu sein. WINGLESS und sequenzverwandte Proteine werden jedoch nicht nur von einigen Produzenten in Insekten hergestellt, sondern auch von zahlreichen Produzenten im Wirbeltierembryo und als Signalmoleküle exportiert. Bei Wirbeltieren heißen die Proteine WNT (sprich wint); die ihnen zugeordneten membranresidenten Rezeptoren FRIZZLED (Abb. 11.6). WNT-Signalmoleküle werden von den produzierenden Zellen durch Ankoppeln von Palmitin-Fettsäuren lipophil gemacht und mittels Vesikeln exportiert. Wie sie sich im Gewebe ausbreiten, ist noch unzulänglich geklärt. Nach einer neuen (2011) Studie werden die WNT-Moleküle im extrazellulären Raum an ein Trägerprotein mit Namen WNTless gebunden. Dieses aber war schon bekannt als ein Cargoprotein für den Export von WNT aus der produzierenden Zelle wie auch als Teil eines Retromerkomplexes, der normalerweise Moleküle von der Zellmembran zurück in den Golgikomplex geleitet. WNT wird denn auch internalisiert. In Imaginalscheiben von Drosophila wird nach Videoaufnahmen mit dem Fluoreszenzmikroskop GFP-markiertes WNT
308
11
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion
a Rezeptoren mit eigener intrazellulärer Ser-Thr-Kinase-Domäne 1 Rezeptor Typ I Typ II
1
BMP2/4 bis BMP10 DPP (Decapentaplegic) Activine, Inhibine AMDF = MIF
1
P
TGF-β NODAL, NODAL-related
P P P
Ser-Thr-KinaseDomänen
P P P Smad Phosphorylierung
Smad Typ1 Smad Smad Typ2 Sm
P
Zellkern
Smad Sm
NOTCH / DELTA-System
SuH
NOTCH
Alternativ-Entscheidungen bei benachbarten Zellen, erzwungen durch laterale Inhibition
Zelle A: exprimiert Gene für Zelltyp A und delta und hemmt über DELTA Nachbarzelle B
DELTA
SuH
b
P Sm Smad Transkription
Sekretase H = Protease abgetrennte intrazelluläre NOTCH-Domänen
Zelle B: exprimiert Gene für Zelltyp B, weil durch Zelle A gehindert, Gene für Zelltyp A einzuschalten
Zielgen 2 Repression SuH H
Abb. 11.7 Signaltransduktion 3: a Rezeptoren mit intrazellulärer Ser-Thr-Kinase-Domäne. Solche Rezeptoren binden beispielsweise extrazellulär ankommendes TGF-ˇ , BMP oder NODAL und übermitteln das Signal nach Multimerisierung und SMAD-Phosphorylierung letztlich in den Kern, wo die Transkription von Zielgenen anspringt. b Das Notch/DeltaSystem, bekannt geworden durch seine Funktion bei der lateralen Inhibition und bei alternativen Entscheidungen, beruht
Zielgen 1 Transkription SuH
auf dem membrangebundenen Signal Delta und dessen ebenfalls membrangebundenem Rezeptor Notch. Durch Proteolyse wird der intrazelluläre Teil von Notch abgetrennt und agiert im Kern als Komponente eines repressiven oder aktivierenden Transkriptionsfaktor-Komplexes. Notch und Delta werden an entgegengesetzten Polen einer Zelle exponiert, sodass das Signal direktional weitergegeben werden und wirken kann
11.3 Signalsubstanzen und die von ihnen aktivierten Transduktionssysteme
Rezeptor-Tyrosin-Kinasen RTK I FGF Mensch mit 22 Isoformen Funktion u.a.: Mesoderm-Induktoren Morphogene, Gliederung ZNS Angiogene Faktoren Mitogene, Anti-Apoptose-Faktoren Zellverformung, Zellmigration Regeneration
FGF
S
S
S
S
S
S
S FGF S S
P
α
α
Heparin
S FGF S S
β
β PIP2
P
Insulin IGF
S-S S-S
Abb. 11.8 Signaltransduktion 4: Rezeptor-Tyrosinkinasen RTK I agieren über Dimerisierung und aktivieren alternativ das PI/PKC-System, den RAS/MAPK-Weg oder den PI3-Kinase-Weg. Während Letzterer die Apoptose anstößt oder physiologische Antworten auslöst, induziert der Ras-MAPK-Weg häufig Veränderungen des Cytoskeletts und damit der Zellform
309
PLC
P γ
P
P
diverse Orts- und Zelltyp-spezifische Reaktionen
mittels Transcytose (Abb. 11.4) an die Nachbarn und von diesen an die nächsten Nachbarn weitergegeben Es gibt allerdings mehrere WNT-Signalsysteme, die als Systeme der Signaltransmission die Ausbreitung der WNT-Liganden zwischen Zellen bewerkstelligen und auch mehrere Systeme der Signaltransduktion, welche die Botschaften in die Zellen hineinschleusen. Zwei Begriffe fassen diese Systeme zusammen: 1. Das kanonische (kanonisch D der Norm oder dem Dogma entsprechend), bezieht sich auf ein definiertes Signaltransduktionssystem (Abb. 11.6), während 2. das nicht-kanonische Signalsystem mehrere Alternativen für die zwischen- und intrazelluläre Signalweiterleitung zusammenfasst (s. Abb. 10.7). Innerhalb der Zellen werden auch das PIPKC-System (Abb. 11.5) und damit CalciumAusschüttung aus dem ER aktiviert. Hinter der Bezeichnung WNT verbirgt sich eine Superfamilie von Isoformen. Allein im Genom des Menschen wurden 19 wnt-Gene identifiziert, bei Cnidaria finden sich bereits 11 davon. Es gibt entsprechend
DAG
DAG
DAG
P
P PKC
P
div. Isoformen
ras-MAP-Kinasen STAT-Proteine
P
PIP2
P
PLC P γ
S-S P P
P P IRS P
Insulin-Rez. Substrate
Wachstum, Differenzierung
kaum einen Vorgang in der Entwicklung oder im adulten Körper, bei dem WNT keine Rolle spielte. Selbst in der Krebsforschung ist WNT eines der meistgenannten Moleküle.
Zu (1): Das kanonische WNT-System Das kanonische WNT-System (Abb. 11.6a) operiert vor allem mit den WNT-Isoformen WNT-3a und WNT-8. Nach Bindung des WNT-Liganden an den FRIZZLED-Rezeptor bindet dieser an Dishevelled (Dsh). Es treten weitere Faktoren wie Axin und APC hinzu. Dieser Komplex inaktiviert die Kinase GSK-3. Deren Funktion ist es im inaktiven Zustand des Signalwegs ˇ-Catenin zu phosphorylieren, welches daraufhin im Proteasom abgebaut wird, ohne eine Signalfunktion erfüllt zu haben. Dieser anscheinend verschwenderische Mechanismus ist für die Zelle dennoch von großem Vorteil. Sobald ein WNT-Ligand an FRIZZLED andockt wird GSK-3 durch den DshAxin-APC-Komplex inaktiviert, und das nicht phosphorylierte ˇ-Catenin transloziert sofort in den Zellkern, wo es an den Transkriptionsfaktor TCF/LEF bindet. ˇ-Catenin muss nicht erst via Transkription und
310 Abb. 11.9 Signaltransduktion 5: RezeptorTyrosinkinasen RTK II aktivieren über den RASMAPK-ERK-Weg Gene. Alternativ aktivieren sie über Januskinasen und STATTranskriptionsfaktoren andere Gene. Resultat kann beispielsweise eine Änderung der Struktur des Cytoskeletts oder der Übergang einer Stammzelle in einen Differenzierungsweg sein
11
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion
Rezeptor-Tyrosin-Kinasen RTK II EGF Ephrine Neurotrophine
Wachstumshormon Prolactin Erythropoietin Granulocyten-CSF
RTK Cys-reiche u. andere Domänen
TyrosinKinaseDomäne
P P
P
P
P
P
Adapter Jak
Jak
RAS-GTP Janus-Kinasen
RAF
P P
P P
P P STAT STAT
MEK Zielgene
ERK ATP P Transkription TF
ERK TF
P Transkription STAT STAT P
u.U. MAP-Kinasen (mitosis-associated STAT = signal transducers protein kinases) and activators of transcription
Translation hergestellt werden. Damit startet WNTabhängige Transkription von Zielgenen, unmittelbar nachdem ein Ligand gebunden hat. Das kanonische WNT-System agiert in vielen Prozessen, wir beschränken uns auf wenige zusammenfassende Hinweise. Etablierung von Körperachsen und Musterbildung entlang dieser Achsen: Das kanonische WNT-System ist bei der Einrichtung, Orientierung und regionalen Untergliederung einer Körperachse von entscheidender Bedeutung. Dies gilt für ganz verschiedene und evolutionsgeschichtlich weit voneinander entfernte Tierstämme. Zu den wenigen Ausnahmen zählt in diesem Punkt Drosophila. Positive Beispiele, die in diesem Buch vorgestellt wurden oder noch werden, sind Hydra, Hydractinia und Nematostella aus dem Tierstamm der Cnidarier (Abb. 4.16 und 9.5), Plattwürmer (Planarien, s. Abb. 22.4), Anneliden (Platynereis), Seeigel (Abb. 4.6) und
Xenopus-Embryonen (Abb. 5.18, 5.19 und 10.3). Auch Säuger, und damit auch der Mensch, setzen das WNT-System für die Ausrichtung der anteroposterioren Körperachse ein. Erinnert sei an Pionierexperimente mit Embryonen von Xenopus: Injektion von mRNA für WNT11 oder ˇ-Catenin auf der Bauchseite der Xenopus-Blastula führt am Injektionsort zur Installation eines Spemannschen Organisators und damit einer zweiten Körperachse mit Kopf, Rumpf und Schwanz (Abb. 5.17). Augenscheinlich hat WNT bei der Einrichtung jener Körperachse, die durch den Urmund führt, eine maßgebliche Funktion, und diese kann als konservative Tradition eines uralten Rollenspiels gedeutet werden: Schon bei Hydra und, evolutionsgeschichtlich näher liegend, beim Seeigel und Amphioxus (wie die Amphibien Deuterostomier), liegen WNT-erzeugende und sezernierende Zellen rings um den Mund bzw. Urmund (nicht aber bei Drosophila).
11.3 Signalsubstanzen und die von ihnen aktivierten Transduktionssysteme
In der Neurula der Amphibien werden WNT-3 und WNT-8 im posterior-dorsalen Bereich exprimiert und verbreiten sich in Form eines Gradienten nach anterior. Dieser WNT-Gradient sorgt in Kooperation mit anderen Faktoren dafür, dass der posteriore Teil der Neuralplatte später zum Rückenmark wird (s. Abb. 5.19, 10.4 und 16.1). Ein zweiter, sehr vielfältig modifizierter Einsatzbereich ist die Orientierung der Verzweigungen von röhrenartigen Strukturen wie Blutgefäßen oder sich entwickelnden Nierentubuli. In allen Akten des Schauspiels „Entwicklung und Funktion des Nervensystems“ hat das WNTSystem eine verwirrend große Zahl großer und kleiner Rollen übernommen. Es ist beteiligt in den Anfängen, wenn es um die Untergliederung des Neuralrohrs in Gehirn und Rückenmark geht, bis hin zur Synapsenbildung bei der Verfestigung des Langzeitgedächtnisses im adulten Gehirn. Die Kontrolle von Stammzellen ist ein weiterer wichtiger Einsatzbereich, auf den in Kap. 18 näher eingegangen wird.
(2) „Nicht-kanonische“ WNT-Signalsysteme Der bestbekannte Einsatzbereich solcher Systeme ist die planare Polarisierung von Epithelien. Diese war in Abschn. 10.5.5 besprochen und mit Beispielen in Abb. 10.7 gezeigt worden. Kurz zusammengefasst geht es um Folgendes: In Epithelien lässt sich vielfach eine Vorzugsrichtung ausmachen, beispielsweise die Richtung, in der Hautgebilde wie Borsten, Schuppen oder Haare ausgerichtet sind. Hierfür wird ein WNT-Signalsystem verantwortlich gemacht, das in der Ebene wirkt und als nicht-kanonisches, Ca2C -abhängiges System bezeichnet wird. In vielen Fällen wird WNT-5a als Signalträger genannt (in anderen Fällen WNT-4, WNT-11R). Sie verleihen epithelialen Strukturen eine Vorzugsrichtung. Rezeptoren für diese WNT-Versionen sind wiederum Mitglieder der FRIZZLED-Klasse. Auch andere Komponenten des kanonischen Signalweges wie Dishevelled können beteiligt sein. Leider ist es nicht möglich, für alle Fälle ein einheitliches Wirkungsschema aufzustellen; doch gibt es letzten Endes eine Gemeinsamkeit: Die Signalkaskade endet nicht mit der Aufnahme von ˇ-Catenin in die Kerne, sondern in der Rekrutierung von Faktoren, die das Cytoskelett umorganisieren. Damit verbunden lösen die WNT-Signale dieser Kategorie oftmals eine pulsförmige Erhöhung der
311
cytosolischen Ca2C -Konzentration (Ca2C -transients) aus. Solche Calciumwellen können auch über eine Aktivierung des PI-PKC-Systems erreicht werden (Abb. 11.5). Wnt-5a Signale und mit ihnen cytosolische Ca2C -Wellen laufen dann über die Epithelien hinweg. Weitere Einsatzbereiche nicht-kanonischer Systeme sind die Vorgänge, welche die Reorganisation der Zellpositionen bei der konvergenten Extension in Gang setzen und kontrollieren (s. Abb. 14.2), sowie die polare Ausrichtung wandernder Zellen.
Die TGF-ˇ-Familie (Transforming Growth Factor-beta) (Abb. 11.7a) Wie die WNT-Liganden bilden auch TGF-ˇ-Faktoren eine Großfamilie, bei Wirbeltieren mit über 20 Mitgliedern. Es zählen zu dieser Familie viele der essentiellen Faktoren, die in den Kap. 5 und 10 als Induktoren oder Morphogene vorgestellt wurden: Veg-1, dessen maternal erzeugte mRNA bereits in der Eizelle von Xenopus vorliegt und zwar am vegetativen Pol. Der Faktor fördert die Entwicklung von Strukturen, die dem vegetativen Pol gemäß sind. NODAL, ein Faktor, der ebenfalls von den Zellen im Umfeld des vegetativen Pols erzeugt wird und in Richtung des animalen Pols diffundiert. Er programmiert die Zellen im Äquatorbereich der Blastula so, dass sie künftig mesodermales Gewebe bilden können. Unterstützt wird NODAL von weiteren Mitgliedern der TGF-ˇ-Familie, den Activinen. Das so spezifizierte Mesoderm liegt zunächst, bevor es im Zuge der Gastrulation ins Keimesinnere verlagert wird, im Äquatorbereich als ringförmige Marginalzone entlang des Äquators und exprimiert das Gen Brachyury (s. Abb. 5.18). NODAL ist nochmals von Bedeutung, wenn eine Links-rechts-Asymmetrie (s. Abb. 10.8) geschaffen wird, die sich später beispielsweise in der linksseitigen Lage des Herzens widerspiegelt. Im Seeigelkeim ist NODAL maßgeblich bei der Einrichtung der dorso-ventralen Polarität beteiligt. Seine Anwesenheit markiert den Bereich des künftigen, definitiven Mundes (Abb. 4.6). BMP-4 ist ein ventralisierend wirkendes Morphogen im frühen Wirbeltierembryo (ist im Seeigelkeim jedoch im aboralen (dorsalen) Bereich in höchster Konzentration zu finden). DPP (DECAPENTAPLEGIC), das zu BMP-4 homologe (orthologe) Gegenstück in Drosophila, das
312
im Insekt die Entwicklung dorsaler Strukturen bedingt (z. B. Abb. 10.3). AMDF: Dieser Vertreter der Familie tritt in der späteren Entwicklung als negativer Wachstumsfaktor auf, nämlich als Anti-Müllerian Duct Factor AMDF, der im männlichen Geschlecht die Reduktion des Müllerschen Gangs, das heißt des potentiellen Eileiters, auslöst (Kap. 7). Nicht alle Mitglieder der TGF-ˇ-Familie kommen ihren Aufgaben zu unserem Wohle nach; schließlich weist ihr Familienname auf die Fähigkeit mancher TGFs hin, Tumorwachstum zu fördern. Der namensgebende Prototyp der Familie, der Transforming Growth Factor TGF-ˇ1, brachte bestimmte in Kultur gehaltene Zellen dazu, sich wie Tumorzellen zu benehmen und ihre Nachbarn in sogenannten Foci (Häufchen) zu überwachsen. Die TGFs werden aus großen Vorläuferproteinen herausgeschnitten. Nach ihrem Processing aggregieren die meisten TGF-Isoformen mit ihresgleichen zu Dimeren und werden als solche zu Liganden für Transmembran-Rezeptoren des Typs der Serin/Threonin-Kinasen (Abb. 11.7a).
Das NOTCH-DELTA-System (Abb. 11.7b) Zur weiteren Verwandtschaft der unten genannten EGF-Familie gehören die Zellmembran-assoziierten NOTCH- und DELTA-Transmembranproteine, die bei Wirbeltieren ebenso wie in Drosophila „laterale Inhibition“ zwischen benachbarten Zellen vermitteln und dadurch beispielsweise die Sonderung des Nervensystems von der Epidermis ermöglichen (Abb. 10.1, s. auch Abb. 16.10). Das NOTCH-DELTASystem vermittelt aber auch bei vielen anderen alternativen Entscheidungen die Absprache zwischen benachbarten Zellen. Nach Modellvorstellungen synchronisiert das System die zellinternen Oszillatoren einer größeren Zellgruppe bei der Somitenbildung, und es hilft schließlich, die Somiten voneinander abzugrenzen (Abb. 10.25). Beide Moleküle, NOTCH und DELTA, sind einander ähnlich und können auch als Zelladhäsionsmoleküle klassifiziert werden; denn sie sind beide in der Zellmembran verankert und binden sich wechselseitig. Wenn benachbarte Zellen eine DELTA-NOTCH-Bindung eingegangen sind, wird die intrazelluläre Domäne (Notch IntraCellular Domain NICD) von NOTCH proteolytisch abgetrennt. Sie wird zum intrazellulären Signalmolekül, gelangt in den Kern und reguliert Genaktivitäten. Weil die Ab-
11
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion
spaltung der intrazellulären NOTCH-Domäne und ihre Aufnahme in den Kern eine Art der Signaltransduktion ist, wird in der neueren Literatur NOTCH als Rezeptor, DELTA als dessen Ligand und damit als Signalmolekül bezeichnet. Welche Genaktivitäten ein- oder ausgeschaltet werden, ist kontextabhängig. In Epidermoblasten werden Epidermis-determinierende Gene eingeschaltet (s. Abb. 10.1), in den Somiten Gene, die Elemente des Oszillators (Uhrwerkes) sind wie Hes/hairy (s. Abb. 10.25), einem Transkriptionsfaktor. Indirekt wird über das HES-Protein das Gen für DELTA stillgelegt. Summarisch betrachtet ist das HES-Protein Teil einer negativen Rückkoppelungsschleife, die das NOTCHDELTA-System wieder abschaltet. Bisweilen kann das NOTCH-DELTA-System auch für die Signalübermittlung über größere Distanzen eingesetzt werden. In diesem Fall wird von DELTA die extrazelluläre Domäne abgespalten und erreicht per Diffusion oder per Transcytose weiter entfernte Nachbarn. Gleiches gilt für einzelne Vertreter der SHH-(Sonic Hedgehog)-Familie.
Die FGFs (Fibroblast Growth Factors), VEGF, PDGF (Abb. 11.8) Eine weitere bedeutende Großfamilie entwicklungssteuernder Faktoren, deren erste Vertreter entdeckt wurden, weil sie in Zellkulturen das Wachstum von Fibroblasten anregen, sind die FGFs. Fibroblasten sind Vorläuferzellen, aus denen Bindegewebe, Knorpelgewebe oder auch Muskelfasern hervorgehen können. Wie bei den WNT-Molekülen gibt es kaum einen frühembryonalen Entwicklungsprozess, in dessen Verlauf nicht der eine oder andere FGF als Signalmolekül genutzt würde. Ihre Rolle liegt in der Steuerung von Zellwanderung, Verzweigungsmorphogenese, der Etablierung von Grenzen (gemeinsam mit NOTCHDELTA), der Reorganisation des Cytoskeletts oder Induktion von Apoptose. Es seien als entwicklungsspezifische Beispiele genannt: Beteiligung an der Induktion und Gliederung des Zentralnervensystems, Etablierung der Mittelhirn-Hinterhirn-Grenze, Spezifikation mesodermaler Entwicklungsmuster (mesodermale Induktion) in der Blastula, Stimulation der Wanderung mesodermaler Zellen und Anlockung von Myoblasten aus den Somiten beim Auswachsen von Extremitäten und Musterbildung innerhalb der Extremitäten,
11.3 Signalsubstanzen und die von ihnen aktivierten Transduktionssysteme
Stimulation der Zellteilung in Fibroblasten, aus denen u. a. Bindegewebe und Knorpelzellen hervorgehen, Auswachsen von Blutgefäßen: verschiedene FGFs, insbesondere FGF-2, wirken als angiogene Faktoren, Bildung weiterer tubulärer Strukturen wie den Nierenkanälchen, Ausbildung des Tracheensystems und Dorsalgefäßes (Herzens) bei Drosophila, Steuerung der Ablösung von Knospen bei Hydra, gemeinsam mit Notch. Im Genom des Menschen stehen Gene für 22 verschiedene FGFs zur Verfügung. Praktisch alle sind auch Heparin-bindende Faktoren. Ihre Rezeptoren, FGFR, gehören zur Klasse der Rezeptor-Tyrosinkinasen (Abb. 11.8). Diese umfassen eine Familie von Rezeptoren, die sich bei frühen Metazoen entwickelt hat (und in Vorformen schon bei den mit Metazoen nah verwandten einzelligen Choanoflagellaten zu finden sind). Nach Bindung eines Liganden dimerisieren Rezeptor-Tyrosin-Kinasen, phosphorylieren und aktivieren sich dabei wechselseitig. Nachfolgend nutzen sie diese phosphorylierten Aminosäuren, um entweder direkt über eine Kopplung an PLC das PI-PKC-System zu aktivieren oder über vermittelnde Docking-Proteine das RAS/MAPK- oder das PI3-Kinase-System einzuschalten. Ersteres sorgt für eine Reorganisation des Cytoskeletts, Letzteres aktiviert auch Apoptose. Die FGFRs sind evolutionsgeschichtlich eng verwandt mit den VEGFRs, welche VEGFs (Vascular Endothelial Growth Factors) binden; diese sind essentielle Signale für die Bildung verzeigter Blutgefäße und der Lunge. In der weiteren Verwandtschaft finden sich die Rezeptoren für PDGF (Platelet-Derived Growth Factor) und EGF. Auffällig ist, dass Signalwege nicht selten auf gleichen Endstrecken konvergieren. Dennoch gibt es keine Staus, weil in keiner Zelle alle Signalwege gleichzeitig aktiviert werden. Die eine Zelle nutzt den RAS/MAPK-Kinase-Weg nach Aktivierung eines FGFR, die andere nach Aktivierung eins InsulinRezeptors durch IGF. Umgekehrt hält nicht jede Zelle alle Rezeptoren und Kopplungsproteine bereit und wird deshalb nicht alle Signale beantworten können.
Insulinfamilie mit IGF (Insulin-like Growth Factor I, IGF II) (Abb. 11.8) Die Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktoren werden im Embryo an vielen Orten produziert; sie lösen lokale
313
Wachstumsprozesse aus. Die IGFs binden wie FGFs, EGFs oder Ephrine an Rezeptor-Tyrosinkinasen und aktivieren intrazellulär vergleichbare Signalwege. Die IGFs zeigen, dass der Übergang von Wachstumsfaktoren zu klassischen Hormonen fließend ist.
Die EGF-Familie (Epidermal Growth Factor) (Abb. 11.9) Familienmitglieder dieser Wachstumsfaktoren sind der KGF (Keratinocyte Growth Factor) und der TGF-˛ (Transforming Growth Factor-alpha). EGF stimuliert die Proliferation und damit auch die Ausbreitung epithelialer Gewebe. Das EGF-Molekül ist ein aus 53 AS bestehendes Peptid, das aus einem 1200 AS langen Vorläuferprotein abgespalten wird. Dieses Vorläuferprotein ist an der Zelloberfläche der produzierenden Zellen gebunden und enthält das EGF-Motiv vielfach wiederholt. EGF-Motive werden wie Salamischeiben mithilfe extrazellulärer Proteasen abgespalten. Das Signaltransduktionssystem startet wie bei den FGFs mit Rezeptor-Tyrosin-Protein-Kinasen. Die Ephrine und Ephrin-Rezeptoren (Abb. 11.9) Ephrine sind von Bedeutung als Wegweisermoleküle für wachsende Nervenfasern und Blutgefäße, für die Fusion von Arteriolen und Venolen im Kapillarnetz, oder sie kennzeichnen einen Zielort. Ephrine (Eph) werden auf der Oberfläche von Wegweiseroder Zielzellen exponiert und sind in der Zellmembran dieser Zellen verankert, die Moleküle der EphA-Klasse mittels eines angehängten Lipids (GlyceroPhosphatidylinositol, GPI-Anker), die Moleküle der Eph-B-Klasse mittels einer eigenen Transmembrandomäne. Als Sensoren zur Wahrnehmung von Wegweisermolekülen sind Ephrin-Rezeptoren auf den Zellmembranen des zielsuchenden Wachstumskegels (Nervenfasern) oder der Terminalzelle (Blutkapillaren) verankert. Ephrin-Rezeptoren gehören zur Klasse der Transmembran-Tyrosinkinasen. Fallweise sind die Positionen der Ephrine (Eph) und der EphrinRezeptoren (Eph-R) vertauscht: Das Eph sitzt auf der suchenden Zelle und der zugehörige Eph-R auf dem Wegweiser oder Ortsschild. Die HEDGEHOG-(HH)-Familie (Abb. 11.10) mit SONIC HEDGEHOG SHH der Vertebraten als bekanntestem Familienmitglied. HH-ähnliche Moleküle gehören wie die WNTs zu den evolutionsgeschichtlich uralten Proteinen. Man findet solche bei Cnidariern
314
11
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion
HEDGEHOG-Signalsystem SS SS SS SS SS SS SS SS
iHOG mit Immunglobulin-Domänen Kein HEDGEHOG-Signal
Rezeptor Patched
Smoothened in Vesikel in Warteposition
Ci-A GSK3
CiR
Cubitus interruptus als Repressor
off
CiR
HH-abhängige Gene
a
SS SS SS SS SS SS SS SS
Cholesterol HEDGEHOG
PKA
P P
Ci-A Cubitus interruptus als Aktivator
Zellkern
Ci-A
HH-abhängige Gene
b Abb. 11.10 Signaltransduktion 6: Das HEDGEHOG-System. Das Signalmolekül ist HEDGEHOG, bei Wirbeltieren auch das homologe SONIC HEDGEHOG. Der Rezeptor PATCHED hat 12 Transmembrandomänen und steht in Verbindung zu einem weiteren membranständigen Komplex, dessen extrazelluläre Domäne Immunglobulin-Repeats aufweist. a Bei Abwesenheit eines HEDGEHOG-Signals ist der Transkriptionsfaktor Ci (Cubitus interruptus) ein Repressor der Aktivität Hedgehogabhängiger Gene und das 7-Transmembranprotein SMOOTHE-
NED wird in Vesikeln im Wartezustand gehalten. b Nach Bindung des HEDGEHOG-Proteins, an welches Cholesterol (Cholesterin) kovalent gekoppelt ist, an den PATCHED-Rezeptor wird SMOOTHENED in die Zellmembran integriert. Über im Einzelnen noch unbekannte oder strittige Prozesse wird der Transkriptionsfaktor Ci in die aktive Form Ci-A überführt und in den Kern aufgenommen. Hier aktiviert er Gene, zu denen auch das Gen für den PATCHED-Rezeptor selbst gehört (positive Rückkoppelung)
11.4 Lipophile Signalsubstanzen und Steuerung der Genaktivität
und Planarien, ja sogar schon bei Choanoflagellaten, deren Vorfahren mutmaßlich den Metazoa Ursprung gaben. Vertreter der HH-Familie sind bei der Segmentierung von Drosophila, der Arthropoden allgemein und der Anneliden beteiligt, im Wirbeltier an der dorso-ventralen Untergliederung des Neuralrohrs, an der Musterbildung in der Wirbeltierextremität (s. Abb. 10.11) und an der ständigen Erneuerung der Dünndarmkrypten (s. Abb. 18.3).
Für HEDGEHOG wird Seltsames berichtet: Der Faktor werde chemosensorisch über primäre Cilien wahrgenommen, die früh in der Entwicklung auftreten. Im Wirbeltierembryo sind sie, wie in Abschn. 10.6 berichtet, an den Prozessen beteiligt, die Links-rechts-Asymmetrien erzeugen und das Herz an den rechten Fleck bringen. Bei Wirbeltieren sind HEDGEHOG-Rezeptoren in primären Cilien lokalisiert, die als sensorische Elemente betrachtet werden in Parallele (Homologie) zu den Cilien der Sinneszellen im Riechepithel der Nase. HEDGEHOG ist nach dieser Auffassung ein „Duftstoff“ und wird von den Zielzellen „gerochen“. Damit bestünde eine enge Beziehung zwischen Signalrezeption in der Embryonalentwicklung und Signalwahrnehmung in der Sinnesphysiologie des adulten Organismus.
315
ierten HH-Cholesterol-Signals bis hin zur Regulation von Genaktivitäten aufgezeigt werden könnte. Abbildung 11.10 ist folglich noch fragmentarisch. Eine enge Verbindung zwischen SHH-Signalen und Arachidonaten im Zusammenhang mit Zellwanderung wurde erst kürzlich entdeckt.
11.3.3 Die große Zahl potenzieller Nicht-Peptid-Signalsubstanzen ist in ihrer entwicklungsphysiologischen Funktion noch wenig erforscht Bisher haben unter den Nicht-Polypeptiden zwar die Steroidhormone sowie die schon oft genannte Retinsäure viel Beachtung gefunden, doch die unzähligen weiteren potenziellen Substanzen bieten künftigen Forschergenerationen ein weites noch unerforschtes Terrain. Dies gilt insbesondere für niedermolekulare Substanzen. Wir weisen hier beispielhaft hin auf Arachidonsäure und ihre Derivate und auf das sonst als Neurotransmitter bekannte Serotonin (5Hydroxytryptamin), das in einer ventralen linken Blastomere des 32-Zellen-Stadiums des Xenopuskeims die künftigen Linksverlagerung des Herzens ankündigt und weitere Links-rechts-Asymmetrien in die Wege leitet (Abschn. 10.6.3).
11.4 Lipophile Signalsubstanzen und Steuerung der Genaktivität Bemerkenswert ist die Eigenschaft des HHProteins, als Autoprotease tätig zu werden und sich selbst in zwei Fragmente zu spalten. An das Nterminale Fragment HH-N wird covalent Cholesterol gekoppelt – ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Dies geschieht noch in der HH-produzierenden Zelle, und an Cholesterol gebunden wird HH exportiert. Im Extrazellularraum formen mehrere HH-CholesterolMoleküle Aggregate, die an Proteoglycan (Dally) auf der Zelloberfläche gebunden werden. Wie sie sich ausbreiten und dabei Gradienten bilden, ist noch unklar und umstritten. Sowohl Gleiten auf extrazellulären Proteoglycanbahnen wie auch Transcytose werden als Mechanismus der Ausbreitung diskutiert. Die von HH ausgelöste Signaltransduktionskaskade ist sehr komplex und noch in keinem Fall so weit aufgeklärt, dass eine durchgängige Wirkungskette vom extrazellulär mit dem PATCHED-Rezeptor-Komplex assozi-
11.4.1
Retinoide, Steroidhormone und Thyroxin steuern über Kernrezeptoren Genaktivitäten
Apolare (lipophile) Signalträger und Signalmoleküle geringer Polarität wie Retinsäure, Steroidhormone oder Thyroxin, dringen in die Zellmembran, können dort schon Enzyme und Ionenkanäle aktivieren, werden aber schließlich von cytosolischen Rezeptoren abgeholt. Diese gelangen in den Kern und wirken dort als dimere Transkriptionsfaktoren. Alle diese Signalmoleküle werden trotz ihrer unterschiedlichen chemischen Struktur und ihres unterschiedlichen biologischen Einsatzbereiches von den Zielzellen in sehr ähnlicher Weise empfangen und lösen ähnliche Mechanismen der Signalbeantwortung
316
11
Vitamin D3
Steroidhormon
Thyroxin
?
?
?
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion Retinsäure (retinoic acid RA)
Alternativ: membrangebundener Rezeptor
hypothetisch: Shuttle-Proteine bringen Ligand zum nukleären Rezeptor CRAP nukleärer Rezeptor (grafisch) entfaltet
C
C
C
Ligandenbindung
C
C
Hsp 90
C
C
C
Dimerisierung
Austausch nukleäre Rezeptoren gefaltet
z.B. RXR
z.B. RAR
z.B. AGGTCA
TGACCG
Hormone responsive element HRE
Abb. 11.11 Signaltransduktion 7: Lipophile Signalmoleküle und Kernrezeptoren. Eine Reihe von biologischen Signalmolekülen, insbesondere Moleküle mit (überwiegend) lipophilem Charakter wie Steroide, Vitamin-A-Derivate, Thyroxin oder Corticoide, dringen in die Zellmembran ein. In noch nicht bekannter Weise gelangen sie (vielleicht von Shuttle-Proteinen mit lipophiler Bindungsstelle abgeholt) ins Cytosol, wo sie an intrazelluläre Rezeptoren binden. Die Signalmoleküle verdrängen einen inhibitorischen Proteinliganden (Hsp90) und befähigen so ihren Rezeptor, in den Kern aufgenommen zu werden und dort an
Steuerregionen von Genen zu binden. Die Rezeptoren für die im Bild aufgelisteten hormonalen Signalsubstanzen haben alle sehr ähnliche Struktur und gehören der gleichen Proteinfamilie an. An den (mit HRE-Sequenzen markierten) Steuerregionen der ihnen unterstellten Gene bilden je zwei Rezeptoren Dimere. Es sind oftmals Heterodimere, wobei beide Partner mit verschiedenen Hormonsubstanzen beladen sind. Damit ist eine synergistische Steuerung der Genaktivität durch zwei Hormone möglich
aus (Abb. 11.11). Dies sei zuerst am Beispiel der Retinoide erläutert. Die sich vom Carotin ableitenden Retinoide liegen in drei Oxidationsstufen vor: als Retinol (Vitamin A), als Retinal (Vitamin A-Aldehyd) und als Retinsäure (Retinoic Acid RA) synonym auch als Vitamin
A-Säure bezeichnet. Retinsäure ihrerseits liegt als gestreckte all-trans-Retinsäure vor, oder in Form ihrer metabolischen Derivate 9-cis-Retinsäure oder 3,4Didehydroretinsäure. Alle drei Varianten erfüllen in der Embryonalentwicklung vielfältige Funktionen als Signalsubstanzen (Kap. 10).
11.4 Lipophile Signalsubstanzen und Steuerung der Genaktivität
Stufe 1: Als lipophile Substanz dringt Retinsäure in die Zellmembran, wird vom Cellular RA-Binding Protein CRABP abgeholt und ins Cytoplasma getragen. Intrazellulär kann es eine Funktion als Kofaktor bei der Glykosylierung von Proteinen im endoplasmatischen Reticulum übernehmen oder auf weitere intrazelluläre Rezeptoren übertragen werden. Stufe 2: Diese zweiten Rezeptoren liegen in zwei einander ähnlichen, doch nicht miteinander identischen Formen vor, (1) RAR (Retinoic Acid Receptor) und (2) RXR (Retinoid X Receptor). Beide haben eine Ligandenbindungsregion, zwei Zinkfingerdomänen, die ihre dreidimensionale Struktur stabilisieren, und eine DNA-Bindedomäne. Wenn die RAR-Rezeptoren mit all-trans-Retinsäure beladen sind und die RXR-Rezeptoren beispielsweise mit 9-cis-Retinsäure, werden beide in den Kern aufgenommen und binden mittels ihrer DNA-Bindungsdomänen an bestimmte Steuersequenzen RARE (RA-Responsive Elements) in der Promotorregion von Genen. Dabei lagern sich in der Regel je zwei verschiedene Rezeptoren zum Heterodimer RAR/RXR zusammen. An das Dimer können weitere Faktoren ankoppeln und der Transkriptionsfaktor-Komplex erfüllt dann seine genregulatorische Funktion. Gleichartig wirken Steroidhormone und Thyroxin. Auch sie dringen in die Zellmembran ein und finden sich nach einiger Zeit im Kern an dimeren Rezeptoren (auf welche Weise sie von der Membran abgelöst werden, ist noch nicht bekannt). Erstaunlich ist: Die Rezeptoren für Retinsäure, Steroide und Thyroxin gehören der gleichen Familie von Zinkfingerproteinen an. Es gibt sogar Heterodimere zwischen zwei Zinkfingerrezeptoren, von denen nur einer mit einem Retinoid, der andere jedoch mit einem Nicht-Retinoid beladen ist. So können beispielsweise die Rezeptoren für Retinsäure (RXR) und für Thyroxin (TR) ein Heterodimer RXR/TR bilden. Beide Signalmoleküle schalten über das Heterodimer gemeinsam bestimmte Gene ein oder aus. Ganz anders jedoch sind die Wirkungen auf organismischem Niveau; denn der biologische Kontext, in dem Retinsäure, Steroide und Thyroxin eingesetzt werden, ist recht verschieden. Retinsäure nimmt starken Einfluss auf Musterbildung und Differenzierung in den Extremitäten (Kap. 10; s. Abb. 10.11 und 10.13), im Zentralnervensystem, im Auge und bei der Differenzierung
317
der Hautorgane (Schuppen, Haare, Federn). Am Vogellauf beispielsweise können nach Behandlung der Embryonen mit einer Überdosis von Retinsäure statt Schuppen Federn gebildet werden. Überdosierung hat starke teratogene (missbildende) Effekte. Thyroxin wird, außer zum Ankurbeln des allgemeinen Energiestoffwechsels, von der Schilddrüse zur Steuerung der Metamorphose (Amphibien, Kap. 20) und der Mauser (Vögel) freigesetzt. Steroide haben eine tragende Rolle bei der sexuellen Entwicklung der Wirbeltiere (Kap. 7) und bei der Metamorphose der Insekten (Kap. 20).
11.4.2
Nicht alle Wirkungen der lipophilen Retinsäure und der Steroidhormone beruhen auf Genaktivierung
Nicht alle Wirkungen der Steroidhormone basieren auf Genaktivierung; viele wirken auch über Membranrezeptoren und schnelle Signaltransduktionssysteme. Manche Hormonwirkungen erfolgen so rasch, dass für vorausgehende Genaktivierung gar keine Zeit ist. Im Jahr 2011 kann man kaum noch ein Steroidhormon nennen, von dem neben langsamen, genregulatorischen Wirkungen nicht auch schnelle, von Membranrezeptoren vermittelte Wirkungen bekannt geworden sind. Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden verschiedene Möglichkeiten zusammenfasst, wie Zellen miteinander kommunizieren und interagieren. Der Schwerpunkt liegt auf löslichen Signalsubstanzen, die von Zellen in Form von Proteinen hergestellt und exportiert werden, wiewohl auch membrangebundene und stark lipophile Signalmoleküle zur Sprache kommen. Lösliche Faktoren lassen sich je nach Einsatzbereich als Determinationsfaktoren: Morphogene, Induktoren, Differenzierungsfaktoren und Wachstumsfaktoren klassifizieren. Nach Reichweite und angesprochenen Zielen unterscheidet man autokrine, parakrine und endokrine Faktoren.
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11
Proteinfamilien, die besonders viele wichtige Si gnalmoleküle hervorgebracht haben, sind die WNT-Familie; dies sind WINGLESShomologe Proteine mit vielen Vertretern (beim Menschen 19), welche bei verschiedenen Tiergruppen (Cnidarier, Plattwürmer, Anneliden, Seeigel, Wirbeltiere) bei der Festlegung der (oder einer) Körperachse von Bedeutung sind. Sie haben viele weitere Funktionen, so auch bei der Entscheidung, ob Abkömmlinge von Stammzellen Stammzellen bleiben oder zur terminalen Differenzierung übergehen. Weitere, in der Ebene eines Gewebes wirkende WNTSignalproteine geben Strukturen wie Borsten, Schuppen, Federn und Haaren eine bestimmte Richtung vor (planare Polarität), die TGF-ˇ (Transforming Growth Factor beta)-Familie, zu der wichtige, die basale Körperarchitektur bestimmende Morphogene (BMP, DECAPENTAPLEGIC, NODAL) und der AntiMüllerian Duct Factor AMDF) gehören, die FGF (Fibroblast Growth Factor)-Familie, mit 22 Mitgliedern beim Menschen, die unterschiedlichste Funktionen in der frühen Embryonalentwicklung und der späten Organogenese wahrnehmen, die EGF (Epidermal Growth Factor)-Familie, die Epithelbildung fördert, die Ephrin-Familie, deren membranständige Proteine helfen, Nervenfasern und Blutgefäße in ihre Zielgebiete zu führen, die Insulinfamilie mit den IGF (Insulinähnlichen Wachstumsfaktoren, Somatomedinen), die NOTCH/DELTA-Familie, die als membranständige Proteine den Signaltransfer zu benachbarten Zellen vermitteln und bei der Sonderung der Neuroblasten und künftigen Epidermiszellen, generell bei Alternativentscheidungen von Bedeutung sind, und die HEDGEHOG-(HH)-Familie, die bei verschiedenen Musterbildungsprozessen zum Zuge kommen. Der Übergang von Wachstumsfaktoren zu den klassischen Hormonen ist fließend, wie man am Beispiel von Insulin und der IGFs (Insulin-like Growth Factors) erkennen kann. Sie sind in Embryonen als Wachstumsfaktoren wirksam, erscheinen später als Hormone, wenn sich Hormondrüsen entwi-
Entwicklungssteuernde Signale und Signaltransduktion
ckelt haben und erfüllen ihre bekannte physiologische Funktion im Fett- und Zuckerstoffwechsel. Zwischen Hormonsystem und dem übergeordneten Nervensystem vermitteln neurosekretorische Zellen. Viele dieser Faktoren werden in Form von Gradienten wirksam; dabei ist die Art der Differenzierung von der Quantität des Faktors abhängig. Gradienten können auf mancherlei Weise entstehen, beispielsweise dadurch, dass lokal erzeugte, in den umgebenden extrazellulären Raum diffundierende Signalmoleküle (z. B. FGF, WNT, HH) nach und nach von der extrazellulären Matrix oder von Rezeptoren der Zielzellen abgefangen werden. An der Zellmembran aktivieren sie Signaltransduktionssysteme, welche die Botschaft ins Zellinnere tragen. Vielfach werden Rezeptoren mitsamt ihren Liganden (z. B. WNT, FGF) durch Endocytose internalisiert und können bis in den Kern gelangen (EGFR). Die molekulare Ausstattung der Zelloberflächen und der extrazellulären Matrix kann Diffusion in bevorzugte Richtungen lenken. Besondere Bedeutung kommt dabei Proteoglykanen der ECM zu, die Signalmoleküle binden, ihren Fluss lenken oder Wachstumsfaktoren speichern können, bis diese durch gezielte Proteolyse freigesetzt werden. Es gibt auch Mechanismen, Signalmoleküle direkt zu Zielzellen zu leiten. Dies kann bei niedermolekularen Substanzen durch Gap junctions geschehen, bei Proteinen durch Transcytose (z. B. bei BMP-Proteinen), oder durch Nanoröhrchen TNT (Tunneling Nano Tubes), auch Cytoneme (ein Typ von Filopodien) genannt Mittels Filopodien können Zellen auch verschiedene Botschaften abholen. Bei aller Vielfalt der Signalmoleküle werden doch beim Signalempfang ähnliche Grundmuster der Signaltransduktion aktiviert. Proteinfaktoren werden wie alle polaren Signalsubstanzen von membranverankerten Rezeptoren aufgefangen. Eine Reihe dieser Rezeptoren besitzt sieben Transmembrandomänen, andere nur eine, doch lagern sich vielfach solche Rezeptoren zu Dimeren oder Tetrameren zusammen. Zur Transduktion des Signals ins Zellinnere sind bei vielen 7-Transmembranrezeptoren intrazellulär G-Schalterproteine und Enzyme gekoppelt, die in großer Zahl Second Messenger bilden (cAMP im cAMP-PKA-System oder
11.4 Lipophile Signalsubstanzen und Steuerung der Genaktivität
Diacylglycerol und IP3 im PI-PKC-System). Andere Rezeptoren, so die Rezeptoren für FGF, EGF, Ephrine und Wachstumshormon, schalten in ihrer intrazellulären Domäne eine Serin/Threonin- oder in anderen Systemen, Tyrosinkinasefunktion ein, welche die Bildung und Aktivierung von genregulatorischen Transkriptionsfaktoren einleitet. Apolare Signalmoleküle wie Retinsäure, Steroide und Thyroxin werden von intrazellulären Rezeptoren in Empfang genommen. Mit dem
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Signalmolekül beladen, gelangen die Rezeptoren in den Kern und werden zu Regulatoren der Genfunktion (nukleäre Rezeptoren). Die Rezeptoren für diese apolaren Liganden sind mit Zinkfingern ausgestattet und gehören alle der gleichen Proteinfamilie an. Sie bilden an der Steuerregion der Gene, die unter ihrer Kontrolle stehen, häufig Heterodimere, sodass beispielsweise Retinsäure und Thyroxin zusammen ein letztendlich genaktivierendes Signal erzeugen können.
Entwicklung und Gene
Entwicklungssteuernde Signalmoleküle schalten letztendlich Gene ein – oder aus. In diesem Kapitel geht es speziell um Gene, welche ihrerseits die großräumige Entwicklung steuern und es geht um Gene, welche
12
die Differenzierung einzelner Zelltypen ermöglichen und verwirklichen. Ein ungeheuer umfangreiches und vielfältiges Thema, in das jedes Lehrbuch nur eine Einführung geben kann.
Box 12.1: Zur Nomenklatur von Genen und Proteinen Die Namen von Genen und die Bezeichnung der von diesen Genen abgeleiteten mRNA werden kursiv geschrieben (wie auch der wissenschaftliche Name eines Organismus, beispielsweise Drosophila melanogaster, die Taufliege). Dominante Gene beginnen mit einem Großbuchstaben (z. B. Antennapedia), rezessive mit Kleinbuchstaben (z. B. bicoid). Oftmals jedoch ist nicht bekannt, ob ein Allel a dominant oder rezessiv gegenüber a0 ist, und die Expressivität kann von vielerlei Regulationsmechanismen abhängen, beispielsweise von einer epigenetischen Modifikation des Gens. Deshalb gibt es hinsichtlich Großoder Kleinschreibung des Anfangsbuchstabens keine einheitlichen, festen Regeln. Darüber hinaus ist es Brauch geworden, aber nicht zwingende Vorschrift, die Namen von Genen mit wenigen – meistens drei – Buchstaben abzukürzen (beispielsweise bicoid als bcd). Proteine: Die von den Genen abgeleiteten Proteine werden in gerader Normalschrift geschrieben. Näheres zur Schreibweise von Proteinnamen ist nicht festgelegt; doch scheint es sich in der englischsprachigen Literatur einzubürgern, den Anfangsbuchstaben groß zu schreiben; so lassen sich „Wingless“- und „Eyeless“-Proteine leich-
ter von den flügellosen (wingless) und augenlosen (eyeless) Fliegen und den diesen Phänotypen zugrunde liegenden wingless- und eyelessMutationen unterscheiden. In diesem Buch werden, wie in manchen Übersichtsartikeln neueren Datums, Proteine ganz in Großbuchstaben geschrieben, wenn sich ihr Name nicht vom Namen ihrer Gene oder einem Phänotyp unterscheidet und Zweifel möglich wären, was nun gemeint ist. Kürzel für die genetische Konstitution eines Organismus sind nach dem Brauchtum der Genetiker plus (C) für funktionstüchtige Wildtypallele, minus () für Defektallele (Loss-of-functionAllele). Daraus ergeben sich die Konstitutionen: C=C homozygot Wildtyp; C= heterozygot; = homozygot defekt. Im speziellen Fall besagt beispielsweise bcd/C, dass ein defektes Allel und ein normales vorhanden sind; = heißt auch K.o.Mutante. Dominante Mutanten erzeugen hingegen Gain-of-function-Allele. Man beachte auch: Die Namen von Genen leiten sich in der Regel vom Phänotyp (Erscheinungsbild) von Mutanten ab. Deswegen kann die Bezeichnung sehr irreführend sein, wenn man aus der Bezeichnung auf die Normalfunktion I
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_12,
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12 Entwicklung und Gene
Box 12.1: Fortsetzung schließen will. Das Gen dorsal von Drosophila und das von ihm codierte Protein DORSAL werden nicht zur Entwicklung dorsaler, sondern zur Entwicklung ventraler Strukturen gebraucht. In der Mutante (dorsal=) fehlt das Protein oder ist funktionsuntauglich, weswegen, aus welchen Gründen auch immer, dorsale Strukturen anstelle ventraler gebildet werden.
Bei anderen Namen liefert die Bezeichnung zwar einen Hinweis auf den Phänotyp, nicht aber auf die Funktion des Proteins. Beispielsweise können Mutationen im Gen Antennapedia zu Fliegen führen, die statt Antennen Beine tragen. Welche Funktion das Protein ANTENNAPEDIA hat, war lange völlig rätselhaft und musste in mühsamer Analyse erschlossen werden.
Box 12.2: Genetische und molekularbiologische Methoden der Entwicklungsbiologie
Aufspüren entwicklungsrelevanter Gene Als entwicklungsrelevant sollen Gene bezeichnet werden, deren Produkte wesentlich zur Steuerung der Entwicklung beitragen, sowie auch Gene, deren Produkte einen Entwicklungspfad kennzeichnen und als spezifische Marker der Zelldifferenzierung dienen können. Im Falle eines Muskelgewebes beispielsweise sind die Gene der myoD/myogeninFamilie entwicklungssteuernd, während das Auftauchen von muskelspezifischem Aktin und Myosin eine in Gang gekommene terminale Differenzierung anzeigt. Es gibt vier strategische Verfahren, solche Gene aufzuspüren: 1. Mutagenese und Analyse der Mutanten, 2. Vorwärts-Genetik (forward genetics): Klassische Kreuzungsanalysen auffälliger, in der Entwicklung auftretender Merkmale, mit oder ohne vorausgegangene Mutagenese, Fortsetzung über positionelles Klonieren bis hin zur physikalischen Identifikation des Gens einschließlich seiner Steuerungsregion (Promotor, Enhancer), 3. Reverse Genetik, die Suche nach Genen, die zu bereits bekannten, in anderen Organismen identifizierten Genen sequenzähnlich sind, 4. Rückschluss auf ein codierendes Gen von einer mRNA aus, deren Transkription regionalspezifisch, stadienspezifisch oder zelltypspezifisch geregelt ist. Wie man Mutanten gewinnen und analysieren kann Die Analyse von Mutanten ist nur möglich und mit vertretbarem Aufwand durchführbar bei Organismen, die sich sexuell fortpflanzen, eine kurze
Generationszeit haben und nicht viel Platz und Ressourcen beanspruchen. Das Verfahren wurde und wird erfolgreich angewendet bei der Fliege Drosophila, dem kleinen Nematoden Caenorhabditis elegans, beim Zebrafisch Danio rerio, beim Medaka und, mit erheblich größerem Aufwand, bei der Maus. Chemische Mutagenese Dies ist das klassische Verfahren: Dem Futter oder Trinkwasser männlicher Tiere werden mutagene Agenzien beigemischt, die Fische müssen in einer Lösung solcher Agenzien schwimmen. Die Nachkommenschaft wird sehr sorgfältig untersucht. Nachkommenschaft bedeutet hier nicht nur die F1-Generation. Da eine Mutation nach aller Wahrscheinlichkeit nur das eine Allel eines homologen Allelpaares trifft, sind Mutationen in der Regel rezessiv und kommen erst in der F2- oder F3-Generation zum Vorschein, wenn das mutierte Allel in einigen Individuen homozygot vorliegt (Abb. 12.1). Die besondere Kunst liegt darin, ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Mutation entwicklungsrelevant ist. Eine Defektmutation in einem Gen, das für ein Produkt der allgemeinen Zellausstattung oder des Zellstoffwechsels codiert („Haushaltsgene“), wird große, oftmals letale Störungen hervorrufen, die aber nicht entwicklungsspezifisch sind. Indizien für Entwicklungsrelevanz sind beispielsweise lokalisierte Defekte oder Stopp der Entwicklung in einem bestimmten Stadium. Ein starkes Indiz kann auch aus der Genetik abgeleitet werden: Ist die mendelsche Reziprozitätsregel verletzt und die genetische Konstitution der Mutter maßgebend, ist hohes Interesse gerechtfertigt. I
Entwicklung und Gene
323
Box 12.2: Fortsetzung P-Generation X
X 25%
X 25% 25%
X 25% F1-Generation
2x
F2-Generation
1/16 F2-Generation homozygot
Mutante
Abb. 12.1 Kreuzungsschema, um eine neue Mutation (rot), die anfänglich heterozygot vorliegt, in einigen Nachkommen in den homozygoten Zustand zu bringen
Klassische Kreuzungsgenetik muss dann helfen, die von der Mutation betroffenen Chromosomenorte einzugrenzen. Von der Mutation zum Gen Die Suche nach dem betroffenen Gen ist langwierig, seine eindeutige Identifikation schwierig. Bezüglich erfolgreicher Suchstrategien muss auf Lehrbücher der molekularen Genetik verwiesen werden. Stichworte: Kopplungsgruppen, chromosomal walk, positionelles Klonieren, Korrelation des Merkmals mit AFLP (Amplified Fragment Length Polymorphism). Das gesuchte Gen ist erst dann identifiziert, wenn eine Funktionsanalyse gelingt: Das Gen wird zur rechten Zeit und am richtigen Ort exprimiert. Der Defekt ist durch Injektion von mRNA oder Protein, die mit dem Wildtypgen hergestellt wurden, heilbar (Rescue-Experiment).
Anti-sense RNA gegen die Wildtyp-mRNA hingegen oder RNA-Interferenz (RNAi, s. Abb. 12.8) erzeugt im Wildtypembryo einen mutanten Phänotyp (Phänokopie). Genprodukte (mRNA oder das abgeleitete Protein) erzeugen zusätzliche Strukturen am falschen Ort, oder sie verändern Entwicklungsschicksale einer Körperregion in dramatischer Weise, indem sie beispielsweise Kopfbildung am Hinterende auslösen (s. Abb. 4.32), oder das Geschlecht umstimmen. P-Element-Mutagenese Bei Drosophila melanogaster (und ähnlich bei Caenorhabditis elegans) bringt eine andere Art der Mutagenese eine erhebliche Erleichterung bei der Suche nach dem betroffenen Gen. Dieses Verfahren ist die P-ElementTransformation. P-Elemente sind natürlich vorkommende, virusähnliche Transposons, die in I
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12 Entwicklung und Gene
Box 12.2: Fortsetzung zwei Formen vorliegen können: (1) als ringförmige Plasmide oder (2) linear in die DNA des Wirtes inseriert. Das Transposon kann an vielen Stellen in das Wirtsgenom hineinspringen (und wieder ausscheren). Es ist dafür mit flankierenden Sequenzen ausgerüstet, welche die Insertion vermitteln, doch braucht es noch die Hilfe einer Transposase, eines Enzyms, dessen Gen normalerweise Teil des Plasmids ist. Intakte Transposons mit integrierter Transposase sind lebensgefährlich für eine Drosophila-Population, weil bei ständiger Anwesenheit einer Transposase die vorhandenen Transposons immer wieder in andere Genorte einspringen und dadurch Gene zerstören können. Man konnte aus bestimmten DrosophilaStämmen Plasmide gewinnen, die defekt sind, sich aber wechselseitig unterstützen können (Abb. 12.2). Ein Plasmid enthält das eigentliche Transposon, aber kein Transposase-Gen, das andere enthält die Transposase-Information, aber keine Transposonsequenzen, die inseriert werden könnten. Beide Plasmide werden in frisch abgelegte Eier nahe dem Hinterpol injiziert. Aufgrund des aufgenommenen Plasmids kann eine Polzelle (Urkeimzelle) Transposase herstellen. Hat die Polzelle auch das andere Plasmid mit dem Transposon aufgeschnappt, wird das eingeschleppte Transposon in einigen der Polzellen in die Wirts-DNA einspringen und mit einiger Wahrscheinlichkeit Gene unterbrechen. In einer anderen Variante des Verfahrens injiziert man das Transposon-Plasmid in die Eier eines Drosophila-Stammes, der eine Transposase in seinem Genom enthält. Später muss diese Transposase wieder herausgekreuzt werden; denn die ständige Anwesenheit eines Transposons und einer Transposase kann wiederholtes Umspringen des Transposons und damit genetische Instabilität der Zellen in einem Individuum und der ganzen Fliegenzucht zur Folge haben. Man wird nun von den Nachkommen (auch den heterozygoten) DNA extrahieren und nach dem Zerschneiden mittels Restriktionsenzymen genomische Banken herstellen. Diese wird man nach Sequenzen absuchen, die teils Transposonspezifisch, teils wirtsspezifisch sind. Die wirts-
Abb. 12.2 P-Element-induzierte Mutagenese bei Drosophila. a Die in die Eizelle injizierten P-Elemente können von den Polzellen aufgenommen werden, in deren Chromosomen inserieren und Mutationen hervorrufen, die in der nächsten Generationen zur Geltung kommen, sichtbar über einen Marker, z. B. LacZ (für ˇ -Galactidase codierend)
spezifischen müssen von dem Gen stammen, in welches das Transposon inseriert worden war. Man hat damit schon eine Teilsequenz des betroffenen Gens und kann diese Teilsequenz (nach ihrer Klonierung und Markierung) als Sonde (probe) bei der Suche nach weiteren überlappenden Gensequenzen benutzen. Mit Fleiß und dem nötigen Glück kann man schließlich vermittels dieser Teilsequenzen das ganze Gen mitsamt Promotor in die Hand bekommen. Gezieltes Entfernen eines Gens: Das Cre/loxPSystem Dieses Verfahren erlaubt es, ein bestimmtes Gen in nur einem bestimmten Gewebe oder Zelltyp zu entfernen oder ein zuvor eingeführtes Fremdgen wieder zu entfernen. Ein ausgesuchtes Gen, beispielsweise das Neomycinresistenz- I
Entwicklung und Gene
325
Box 12.2: Fortsetzung Gen neo in Abb. 12.3, wird im Labor mit von Phagen stammenden, kurzen flankierenden loxPSequenzen versehen, wobei die beiden lox-Sequenzen in die gleiche Richtung orientiert werden (nur bei dieser Anordnung kann später das Gen eliminiert werden). Dann wird das so markierte Gen in kultivierte Zellen, etwa Stammzellen, eingeführt (das Verfahren, Gene in Mäuse einzuschleusen, ist sehr aufwändig und wird in Kap. 13 erläutert). Das Konstrukt kann über homologe Rekombination (Abb. 12.4) ins Genom der Zelle gelangen. Dies geschieht jedoch nur selten. Um unter vielen Zellen der Kultur jene mit gelungener Integration herauszufischen, wird die gesamte Zellkultur mit dem Antibiotikum Neomycin behandelt. Nur die Zellen, die das neo-Gen integriert haben und auch exprimieren, überleben diese Behandlung. Alsdann wird eine Cre-Rekombinase in die Zellen eingeschleust, als Protein verpackt in ein Liposom oder in Form ihres Gens mit einem viralen Vektor, sodass das Enzym in der Zelle aktiv werden kann. Nun wird die Rekombinase das Neomycingen an den beiden loxP-Stellen aus dem Chromosom entfernt. Abbildung 12.3 zeigt einen Fall, wo nach dem Eliminieren des Selektionsgens ein Reporter-Gen, sei es Lac-Z oder ein GFP-Gen transkribiert wird. Das Reporterprotein kündigt vom Erfolg des Unterfangens. Man kann sich leicht verschiedene Varianten nach eigenen Zielen ausdenken. In eleganten Varianten des Systems, das für Mäuse oder andere Organismen entwickelt wurde, wird dem Gen für die Cre-Rekombinase ein zelltypspezifischer Promotor vorangestellt. Dann wird nur in den betreffenden Geweben oder Organen Rekombinase hergestellt, und nur an diesen Orten wird das Zielgen ausgeschnitten. In der Abb. 13.7 des Kap. 13 wird vorgestellt, wie in einer Maus mittels des Cre/loxP-Verfahrens ein herzspezifisches, doch nicht lebensnotwendiges Gen gegen ein GFPReportergen ausgetauscht wurde und so die Maus ein grün leuchtendes Herz erhielt. Das Verfahren gibt einen ersten Überblick, ob ein Gen in einem bestimmten Gewebe eine unerlässliche Rolle spielt, ist also auch ein Verfahren für eine erste Funktionsanalyse.
Plasmid-Vektor NeomycinLoxP resistenz LoxP Promotor, induzierbar Stop oder zellspezifisch
1
Transgen/Reportergen (z.B. Lac-Z, GFP)
Transfektion
Zielzelle Transgen/Reportergen Neomycin(Lac-Z, GFP) Promotor resistenz Stop LoxP
Cre-Rekombinase
LoxP
2
(1) Integration des Konstrukts durch somatische Rekombination Selektion von Zellen mit gelungener Integration mittels Neomycinbehandlung (2) Danach Einführung der Cre-Rekombinase
Cre-Rekombinase
Entfernen des Neomycinresistenz-Gens Transgen/Reportergen (Lac-Z, GFP) Promotor
Transkription
Stop Green-fluorescent protein beta-Galactosidase Transkription des Transgens/Reportergens
Abb. 12.3 Cre/Lox-System. Im Labor wird ein Konstrukt (Vektor) hergestellt, der das Zielgen von LoxP-Elementen in gleicher Orientierung einrahmt; darüber hinaus kann außerhalb des Rahmens ein GFP-Reportergen angehängt werden. Mit diesem Konstrukt wird eine transgene LoxP-Maus hergestellt (mögliche Verfahren s. Kap. 13). Eine andere Maus erhält als Transgen ein mit einem gewebespezifischen Promotor versehenes Cre-Rekombinase-Gen. In den Nachkommen kann die gewebespezifisch exprimierte Cre-Rekombinase in diesem Gewebe (hier das Herz) das mit Lox-P eingerahmte Gen durch Rekombination entfernen, während das GFP-Gen erhalten bleibt und das Gewebe grün fluoreszieren lässt
I
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12 Entwicklung und Gene
Box 12.2: Fortsetzung Gezielte Mutagenese oder Einführung eines Transgens über homologe Rekombination Konstrukt (Vektor) Gen für Neomycinresistenz
Exon 1
Exon 2 gezielt mutiert oder durch Fremdgen ersetzt
TK Thymidinkinase-Gen TK
identische Rahmensequenzen
Zielgen
Intron Exon 2
Exon 1 In der Zelle:
Homologe Rekombination: Einbau am gewünschten Ort
cross-over
cross-over
Zielgen TK Intron Exon 1
Exon 2
Zielgen TK Exon 1
Exon 2
Intron Nicht im Chromosom integrierte DNA inklusive TK wird abgebaut
Neomycinresistenz-Gen mutiertes Gen oder Fremdgen (Transgen) Zielgen DNA mit eingebauter Kopie des Konstrukts (ohne TK) Zugabe von Neomycin: Zelle überlebt
Unerwünschte heterologe Rekombination: Einbau am falschen Ort Neomycinresistenz-Gen mutiertes Gen oder Fremdgen (Transgen) TK Tyrosinkinase Zugabe von Neomycin: Zelle überlebt Zugabe von Ganciclovir: Tyrosinkinase erzeugt ein Zellgift, Zelle stirbt
Abb. 12.4 Homologe Rekombination zum Einführen einer gezielten Mutation oder eines Transgens (Fremdgen) in Stammzellen über ein Vektor-basiertes Konstrukt. Das Konstrukt wird durch Injektion oder Elektroporation in gezüchtete Stammzellen eingeführt. Es enthält außer dem Transgen, das mit dem zelleigenen Gen rekombinieren und dieses ersetzen soll, zwei Gene für Selektionsmarker: a) ein Neomycinresistenz-Gen, das es ermöglicht, durch Neomycin-Behandlung jene Stammzellen zu selektieren, in die das Konstrukt aufgenommen und korrekt eingebaut worden ist und b) ein Thymidinkinase (TK)-Gen, welches das basenanaloge Ganciclovir in ein Zellgift umwandelt. Der Austausch gegen das zelleigene Gen kann im Zuge einer Reparatur-Replikation erfolgen. Das Konstrukt wird dabei in den reparaturbedürftigen Strang anstelle des zelleigenen Gens eingebaut und das Thymidinkinase-Gen, welches keinen homologen Partner hat, im Regelfall abgebaut. Kommt es doch zum Einbau des TK-Gens, etwa an einem falschen Ort, stirbt die Zelle nach Zugabe von Ganciclovir. Wunschgemäß genetisch veränderte Stammzellen der Maus können so über Neomycin und Ganciclovir selektioniert und schließlich in Maus-Blastocysten eingeführt werden. Wenn die Nachkommen dieser Stammzellen zu Keimzellen werden, tragen sie die genetische Veränderung in die nächste Mausgeneration. Es wird allerdings nur eines der beiden Allele wunschgemäß verändert sein. Bei fortgesetzter Inzuchtkreuzung sind aber auf lange Sicht auch homozygote Nachkommen zu erwarten I
Entwicklung und Gene
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Box 12.2: Fortsetzung Wie man mit reverser Genetik Gene aufspürt Es gibt, wie oben erwähnt, nur wenige Organismen, bei denen man durch Mutagenese und anschließende Kreuzungsanalyse ein größeres Spektrum entwicklungsrelevanter Gene identifizieren und mit molekularbiologischen Methoden klonen und sequenzieren konnte. Man möchte natürlich auch bei anderen Organismen, z. B. bei Xenopus oder Hydra, die Möglichkeit haben, entwicklungsrelevante Gene aufzuspüren und ihre Expression zu studieren. Wenn nun in dem betrachteten Organismus, z. B. in Xenopus, Gene vorhanden sind, die schon bekannten Genen von z. B. Drosophila ähnlich sind (hohe Sequenzübereinstimmung), hilft die reverse Genetik weiter. Man wählt ein kloniertes Stück des DrosophilaGens, beispielsweise die konservierte Homöobox des Antennapedia Gens, markiert es durch Ankoppelns eines gut nachweisbaren Moleküls und setzt es als heterologe (nicht-arteigene) Sonde (probe) ein, um im Hybridisierungsverfahren eine genomische oder cDNA Bank (Bibliothek) von Xenopus nach übereinstimmenden, autologen (arteigenen) Sequenzen abzusuchen (screenen). Dies geschieht heute im Regelfall auf einem DNA-Chip (Abschnitt „Von der mRNA über die cDNA zu unbekannten Genen . . . “). Findet man eine solche Sequenz, wird man sie isolieren, über molekularbiologisches Klonen oder über PCR (Polymerase Chain Reaction) vermehren und sequenzieren. Reverse Genetik kann aber nichts völlig Unbekanntes aufspüren. Das gelingt mit anderen Verfahren. Wie Genom- oder EST-Datenbanken helfen, wenn man schnell ein Gen oder seine Verwandten isolieren will Mit der Möglichkeit, unbekannte DNA-Sequenzen (also die Abfolge der Nukleotidbasen) maschinell in unglaublich kurzer Zeit zu ermitteln (Stichworte: Second and third generation sequencing, PCR-basierte parallele HochdurchsatzSequenzierung DNA-Analyse mittels Massenspek-
troskopie, Cyclodextrin-hemolysin nanopore technology), wurde in vielen Fällen auch die Suche nach Genen sehr stark vereinfacht. Angenommen, man möchte wissen, ob es bei Drosophila außer den beiden bekannten FGFR Heartless und Breathless, die jeweils die Bildung von Herz und Tracheensystem steuern, einen weiteren FGFR gibt, kann man auf Drosophila-spezifische Datenbanken zurückgreifen und nach ähnlichen Genen suchen. Für viele Modellobjekte der Entwicklungsbiologie und für wirtschaftlich interessante Tiere und Pflanzen stehen mittlerweile solche Datenbanken zur Verfügung, die entweder einem Genomprojekt entstammen oder einem EST-Projekt. In Genomprojekten wird das gesamte Genom eines Organismus in Zufallsstücke zerhäckselt, in geeignete Vektoren kloniert und anschließend sequenziert. Die Bioinformatik stellt dann die Werkzeuge, um aus diesem babylonischen Sequenzgewirr das Genom durch überlappende Sequenzabschnitte zu rekonstruieren. Da vor allem große Genome (wie die des Menschen) riesige Abschnitte enthalten, die offenbar nicht für Gene codieren, ist der Aufwand groß und die Ausbeute eher gering, wenn man nur an den Protein-codierenden Sequenzen interessiert ist. (Unter genregulatorischen Aspekten ist es aber hochinteressant, die gesamte Gensequenz zu kennen!) Anders die EST-Projekte, deren Name das Kürzel für „Expressed Sequence Tag“ ist. In EST-Projekten wird das Transkriptom eines Organismus, eines Gewebes oder eines Entwicklungsstadiums analysiert. Man geht also von mRNA aus, übersetzt diese in cDNA, kloniert die cDNA in einen Vektor, legt eine Genbank an und sequenziert nachfolgend. Enthalten sind dann nur Sequenzen von Genen, die im jeweiligen mRNA-Pool vorhanden waren, also mit hoher Wahrscheinlichkeit auch genutzt wurden und für die entsprechenden Zellen von hoher Relevanz sind. Ergänzt durch parallele In-situ-Hybridisierungen ergibt sich die Möglichkeit, in kurzer Zeit einen Überblick über die Genexpression im Verlauf der Entwicklung und Zelldifferenzierung zu gewinnen. I
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12 Entwicklung und Gene
Box 12.2: Fortsetzung
Von der mRNA über die cDNA zu unbekannten Genen und dem Studium ihrer Expression Die Suche nach differenziell exprimierten Genen mittels cDNA-Subtraktion Eine Standardmethode, mit der differenziell exprimierte Gene isoliert werden, ist die cDNASubtraktion, bei der eine Identifikation und Anreicherung zell- oder stadienspezifisch exprimierter mRNA erreicht wird. Nach Isolation der mRNA aus zwei Zellpopulationen (z. B. frühe Gastrula vs. späte) kann während der cDNA-Synthese durch reverse Transkriptase die nicht interessierende cDNA (z. B. der späten Gastrula) mit Biotin markiert werden. Gibt man nun eine geringere Menge der zu untersuchenden cDNA-Population zu (z. B. aus der frühen Gastrula) und trennt die Doppelstränge voneinander finden alle cDNAs, die in beiden Populationen vorhanden sind, einen Partner und hybridisieren zu Doppelsträngen. Diese binden an Streptavidin-beschichtete Kügelchen (Streptavidin bindet Biotin) und können entfernt werden. Da nur unmarkierte DNA-Stränge, die für die interessante Zellpopulation (z. B. frühe Gastrula) spezifisch sind, übrig bleiben, spricht man von einer cDNA-Subtraktion. Die verbleibenden spezifischen cDNA-Moleküle lassen sich in einen Vektor einklonieren und schließlich molekular charakterisieren. Bei Subtraktionen bleibt naturgemäß Genexpression verborgen, die überlappend vonstattengeht. In unserem Beispiel gehen mRNAs, die sowohl in frühen als auch in späten Stadien vorhanden sind, verloren. Es gibt verschiedene Ausbaustufen des Subtraktionsverfahrens, die höhere Effizienz versprechen. Ein Stichwort für eine Recherche wäre beispielsweise DDRT-PCR. Solche Verfahren werden aber mehr und mehr durch die nachfolgend beschriebenen Verfahren mittels Microarrays ergänzt oder ersetzt. DNA-Microarrays (DNA-Chips) DNA-Microarrays finden zunehmend Anwendung in der vergleichenden Genomanalyse, der Diagnostik von genetisch bedingten Krankheiten (und von Infektionskeimen) und bei Untersuchungen zur differenziellen Genexpression.
Unter Arrays im Sinne der Molekularbiologie versteht man speziell beschichtete Glas- oder Siliconplättchen, auf denen Spots hochdicht angeordneter einsträngiger DNA-Proben in einem bestimmten Raster aufgebracht wurden (spotted microarrays Abb. 12.5 und 12.6). Das Auftragen solcher Proben geschieht heute maschinell. Welche Proben aufgetragen werden, hängt von der Fragestellung und den geleisteten Vorarbeiten ab. Es könnten beispielsweise sein mittels PCR amplifizierte Original-DNASequenzen, synthetische DNA-Sequenzen (oligonucleotide microarrays) oder cDNA-Proben von differenziell exprimierten Genen einer cDNA-Subtraktion. Die so präparierten Arrays enthalten Tausende von Spots, die insgesamt z. B. 10.000 verschiedene Gene oder cDNAs repäsentieren. Jede DNA-Probe wird zur Kontrolle doppelt aufgetragen. Nun möchte man beispielsweise wissen, ob in einem verdächtigen Gewebe auch mRNAs von Onkogenen („Krebsgenen“) enthalten sind. Man trägt auf das Array Spots verschiedener synthetischer Oligonukleotide auf, die jeweils für ein bestimmtes Onkogen charakteristisch sind. Dann wird von dem verdächtigen Gewebe die mRNA isoliert, in cDNA umgeschrieben. Gleichzeitig wird an diese cDNAs ein Fluoreszenzfarbstoff angehängt. Die so markierte cDNA-Kollektion lässt man gegen die Oligonukleotidspots des Arrays hybridisieren. Da man aufgrund des vorgegebenen Auftragungsschemas weiß, welcher Spot auf dem Array welches Onkogen repräsentiert, kann man aufgrund des Musters an Fluoreszenzsignalen erkennen, ob und welche Onkogene im verdächtigen Gewebe aktiv waren. Da weiterhin auf dem Array jede Probe doppelt aufgetragen worden war, erhält man mittels einer digitalen Auswertung der Stärke der Fluoreszenzsignale auch Hinweise, welche Onkogene besonders stark aktiv waren. Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig: Es gibt jede denkbare Variante, wobei stets SenseAntisense-Partner für die Hybridisierung zu wählen sind und mRNA in der Regel in Form ihrer cDNA zum Einsatz kommt: I
Entwicklung und Gene
329
Box 12.2: Fortsetzung
DNA-Microarray: Hier Nachweis der Expression eines mutierten Gens (Allels)
T C C A T C Anregungslaser 1 erzeugt eine rote Fluoreszenz
Beide Anregungslaser erzeugen eine Fluoreszenz (Rot+Grün bei additiver Farbmischung ergibt Gelb für unser Auge)
Anregungslaser 2 erzeugt eine grüne Fluoreszenz
Reader, PC
ZweistrahlLaser
G C C G T C
Synthetische Antisense-Sonden gegen das Normalgen (rot markierte Sonde) und gegen das mutierte Allel (grün markiert)
Detektor 12
A G G T A G
12
T C C A T C
A G G T A G
A T GC GC T A A T G C
cDNA aus gesundem Individuum 1 homozygot für Normalgen
T C C G C G A C TT A C G
12
C G G C A G
G C C G T C
G C C G T C
C G G C A G
G C C G T C
cDNA aus krankem Individuum 2 homozygot für mutiertes Allel
cDNA aus Individuum 3 heterozygot, beide Allele exprimiert und in cDNA vertreten Abb. 12.5 DNA-Microarray (DNA-Chip) I. Auf einer Unterlage, beispielsweise einem Siliconplättchen, sind kleine Mengen (Spots) einer DNA aufgetragen, im vorliegenden Fall einzelsträngige cDNAs, für bestimmte Gene und/oder mutierte Allele dieser Gene. Referenz-cDNA-Proben werden auf den Spots fixiert. cDNA-Sonden aus Quellen, die untersucht werden sollen, werden mit Fluoreszenzfarbstoffen markiert und ebenfalls einsträngig an die fixierte Referenz-cDNA hybridisiert. Im gezeigten Beispiel soll geprüft werden, ob die anderen Quellen mutierte Allele der Referenzgene enthalten. Aus der Farbe des zurückgestrahlten Laserlichts kann erkannt werden, ob ein mutiertes Allel vorliegt und ob es homozygot oder heterozygot vorliegt I
330
12 Entwicklung und Gene
Box 12.2: Fortsetzung
mRNA (cDNA) von Quelle B (Stadium B oder Gewebe B) grün markiert
mRNA (cDNA) von Quelle A (Stadium A oder Gewebe A) rot markiert
A G G T A G
A
G G G A A G
C C C T T C 4
C A G C A G
T C C A T C C C 1 G C A G
T 2 T C G A C
A A
G T T C C A
C A A G G T
G C T G 6
5
G G G A A G
3
1
1
C C A C G G
G G T G C C
2
3
2
T T C G A C
C A A G G T 3
B 6
5
4
G T T C C A
C A G C A G
A G G T A G
mRNA in beiden Quellen vorhanden (rot + grün = gelb)
A+B 4
5
6
Spots mit farbiger Fluoreszenz: synthetische Antisense-Oligonukleotide für das Gen, nach dessen Expression gefragt ist. Weiß: synthetische Antisense-Oligonukleotide für andere Gene Abb. 12.6 DNA-Microarray (DNA-Chip) II. Hier sind auf der Unterlage DNA-Sequenzen fixiert, die unverwechselbare Sequenzen von Genen darstellen; dabei repräsentiert ein Chip viele Tausend Gene. mRNA aus verschiedenen Quellen, die verglichen werden sollen, wird in cDNA umgeschrieben und dabei mit verschiedenen Fluoreszenzfarbstoffen markiert. Hier ist die cDNA der einen Quelle rot, die der anderen Quelle grün markiert. Es kann durch Hybridisierung geprüft werden, inwieweit verschiedene und inwieweit identische mRNAs in beiden Quellen vorliegen I
Entwicklung und Gene
331
Box 12.2: Fortsetzung DNA von einer Untersuchungsprobe versus Referenz-DNA, wobei durch die Wahl der Referenzsequenzen erkannt werden kann, ob in der Untersuchungsprobe eine Mutation vorliegt und ob sie homozygot oder heterozygot im Genom enthalten ist. Dieser Fall ist in Abb. 12.5 illustriert. DNA versus DNA aus zwei verschiedenen Individuen oder Arten, um zu erkennen, ob bestimmte Gene übereinstimmend vorhanden sind (vergleichbar Abb. 12.5). DNA versus mRNA. Die DNA repräsentiert Gene, deren Expression untersucht werden soll. Die mRNA stammt oftmals von zwei verschiedenen Quellen, etwa aus einer Gastrula und einer Neurula. Durch Vergleich der Stärke der Hybridisierungssignale erhält man Hinweise, welche Genaktivitäten im Zuge der Entwicklung hochgefahren, welche herabgeregelt werden (Abb. 12.6). cDNA versus cDNA aus mRNA aus zwei verschiedenen Quellen, etwa als Basis für eine Subtraktion. So vielfältig Arrays einsetzbar sind, sie unterliegen einer misslichen Einschränkung: Sie liefern im Regelfall keine Information, wo im Embryo genau ein Gen exprimiert wird; denn dazu müsste aus jeder einzelnen, genau georteten Zelle mRNA gewonnen werden. Eine sinnvoll ergänzende und informationsreiche Methode ist die nachfolgend beschriebene In-situ-Hybridisierung. Screening durch whole mount In-situ-Hybridisierung macht zelltyp- und stadienspezifische Genexpression in ganzen Tieren sichtbar Eine ins Volle zielende Strategie, als in situ screening oder Expressionsscreening bezeichnet, hat sich u. a. bei Xenopus bewährt. Aus induziertem oder induzierendem Gewebe, beispielsweise der oberen Urmundlippe, wird mRNA isoliert und aus ihr eine Plasmid-cDNA-Bank hergestellt, in der die Orientierung der Gene bekannt ist. Der verwendete Plasmid-Vektor besitzt am 30 -Ende einen Promotor, an den eine T3 RNAPolymerase binden, und am 50 -Ende einen weiteren Promotor, an den eine T7 RNA-Polymerase andocken kann. Diese Promotoren ermöglichen
somit die In-vitro-Synthese von markierter (z. B. Digoxygenin- oder Biotin-markierter) Sense- und Antisense-RNA. (Antisense-RNA läuft antiparallel zur mRNA und kann mit dieser zu einem RNA-RNA-Doppelstrang hybridisieren). Die Antisense-RNA wird dann in einem Verfahren, das man In-situ-Hybridisierung nennt, eingesetzt, um endogene mRNAs, die an unterschiedlichen Orten des Embryos und/oder zu unterschiedlichen Zeiten exprimiert werden, nachzuweisen und sichtbar zu machen (Abb. 12.7). Wenn irgend möglich, führt man die In-situHybridisierung an intakten Embryonen oder Tieren durch (whole mount-Präparate), sodass die dreidimensionale Anordnung der markierten Zellen erhalten bleibt. Wenn Embryonen zu groß und undurchsichtig sind, kann man sie in mikroskopische Schnitte zerlegen und die dreidimensionale Anordnung nachträglich wieder rekonstruieren (am Computer mit Bildverarbeitungsprogrammen). Messenger-RNAs, die differenziell exprimiert werden (z. B. regiospezifisch, stadienspezifisch oder zelltypspezifisch), können weiter untersucht werden. Diese Strategie hat gegenüber cDNASubtraktion und DDRT-PCR den Vorteil, dass auch RNA von Genen, die in mehr als einer der zu vergleichenden Zellpopulationen oder Entwicklungsstadien exprimiert werden, nicht verborgen bleibt. Die gezielte Suche nach Gruppen von Genen, die in gleichen oder ähnlichen räumlichen und zeitlichen Mustern exprimiert werden (Synexpressionsgruppen) und deswegen mutmaßlich in funktioneller Beziehung zueinander stehen, hat zu aufschlussreichen Ergebnissen geführt. Es gibt weitere Verfahren, Genexpession zu studieren, darunter ein „leuchtendes Vorbild“. Da hierbei ein Reportergen besonderer Art im Spiel ist, wird dieses Verfahren im Abschnitt „Nachweis von Proteinen ohne Gentechnik“ vorgestellt. Protein-Microarrays und Immunfluoreszenz Was bisher über Microarrays und In-situHybridisierung berichtet wurde, bezieht sich auf die Ebene von DNA und RNA. Da jedoch Transkription und Translation zeitlich auseinanderfallen können und fertige Proteine oftmals nicht am Ort ihrer Entstehung verbleiben, ist auch der Nachweis von Proteinen gefragt. I
332
12 Entwicklung und Gene
Box 12.2: Fortsetzung In-situ-Hybridisierung farbloses Substrat
blauer Farbstoff
farbloses Substrat
blauer Farbstoff
alkalische Phosphatase Antikörper
von bekannten, markierten Testproteinen geprüft wird, ob Bindung stattfindet – oder ob umgekehrt die Testproteine auf dem Array fixiert werden und dann die Reaktion mit den Probenproteinen erfolgt. Das Gegenstück zur In-situ-Hybridisierung zum Nachweis von RNA in mikroskopischen Präparaten ist die Immunfluoreszenz mikroskopischer Präparate (s. Abb. 12.9).
DigoxygeninUridin UGA C UA UCGCCA UU Antisense-RNA
Studien zur Funktion von Genen, Anwendungen
mRNA A C UG A UA GC GG U A A Zelle mit gesuchter mRNA
Ribosomen mit mRNA
mikroskopischer Schnitt
Xenopus Gastrula
angehende Kaulquappe
Ganzkörper-(whole mount-)Präparate mit MyoD1- Antisense-RNA
Abb. 12.7 In-situ-Hybridisierung. Das Verfahren dient dazu, in fixierten Zellen, in ganzen Objekten (z. B. ganzen Embryonen oder in mikroskopischen Gewebeschnitten) das Vorliegen einer bestimmten endogenen mRNA sichtbar zu machen. Im Labor werden synthetische Antisense-RNAs hergestellt, die mit einem Marker – hier Digoxigenin-UTP – versehen sind. Die Antisense-RNA bindet (hybridisiert) an die Sense-RNA (D mRNA), sofern im Objekt vorhanden. Die Hybride werden mittels eines Anti-DigoxigeninAntikörpers nachgewiesen. Dieser ist seinerseits mit einem Enzym gekoppelt, welches z. B. die Bildung eines blauen oder fluoreszierenden Farbstoffes katalysiert
Auch hier gibt es viele Varianten möglicher Arrays. Als Bindungspartner kommen in Betracht: Antigen-Antikörper, Enzym-Substrat, RezeptorProtein oder allgemein Protein-Protein. Es kann vorweg gewählt werden, ob Proteine, die aus einer biologischen Quelle isoliert worden waren, auf dem Array fixiert werden und dann mit einer Vielzahl
Wie man die Funktion eines Gens testen kann, ohne Genetik zu betreiben Inhibition durch Antisense-Oligonukleotide Die Translation einer mRNA in der lebenden Zelle lässt sich durch Hybridisierung (annealing) von kurzen, einzelsträngigen, komplementären DNAStückchen (Antisense-Oligonukleotide) blockieren, wenn diese in der Nähe des Translationsstartcodons (ATG) hybridisieren. Das Fehlen des daraufhin nicht mehr produzierten Proteins kann zu einem Erscheinungsbild führen, das einer Defektmutante gleicht (Fachausdruck: Phänokopie der Mutante). Antisense-RNAs können natürlichen Ursprungs sein. Man findet sie oft in der Kategorie der kleinen miRNAs oder siRNAs. Sie können die Translation einer mRNA unterdrücken (s. Abb. 12.21) und werden hierzu auch in Entwicklungs- und Differenzierungsprozessen transkribiert. Synthetisch hergestellte einzelsträngige Antisense-Oligonukleotide werden in Lipidmizellen verpackt, die mit der Zellmembran fusionieren können und dabei ihren Inhalt in die Zelle entlassen (Lipofektion), oder sie werden aus einer konzentrierten Lösung in die Zellen gebracht, indem diese durch einen Puls hoher elektrischer Spannung kurzfristig permeabel gemacht werden (Elektroporation). Oligonukleotide natürlicher Art würden in der Zelle rasch abgebaut, deshalb verwendet man für Antisense-Experimente künstliche, chemisch modifizierte Nukleotide (Phosphorothioate, Morpholinos). So hergestellte Oligonukleotide sind gegenüber Nukleasen (weitgehend) resistent. I
Entwicklung und Gene
333
Box 12.2: Fortsetzung Inhibition durch RNA-Interferenz (RNAi) mittels siRNA Es handelt sich hier um eine Methode, von der sich nachträglich herausstellte, dass sie die Wirkung natürlicher siRNA (s. Abb. 12.21) imitiert und welche dank ihrer vielseitigen Einsatzmöglichkeiten und durch die Verleihung des Nobelpreises 2006 an ihre Entwickler (Andrew Fire und Craig Mello) rasch Verbreitung fand. RNA-Interferenz (RNAi) ermöglicht das Ausschalten einer Genfunktionen ohne genetische Mutation (RNAi; Abb. 12.8). Wiederum wird eine vom sequenzierten Gen (oder von einer cDNA) abgeleitete, synthetische RNA hergestellt, bei der nun allerdings die Sense- und Antisense-Stränge miteinander zum Doppelstrang (dsRNA) hybridisiert werden. Diese dsRNA wird durch Mikroinjektion oder Elektroporation in die Zelle eingebracht. In einem zellinternen, natürlichen Prozess wird die dsRNA von einem Enzymkomplex namens Dicer in 21 bis 28 Nukleotide lange Stückchen zerlegt und anschließend vom Proteinkomplex RISC (RNA-Induced Silencing Complex) einzelsträngig gemacht. Es entstehen auf diese Weise siRNAs (definiert als short inhibiting RNAs oder small interfering RNAs). Diese lagern sich an die endogene mRNA an und verursachen deren Abbau durch das Enzym Argonaut des RISC-Komplexes, wobei wiederum 21- bis 25-mere entstehen. Diese werden erneut zu siRNA verarbeitet. Der Abbauprozess läuft somit autokatalytisch ab: Die Primärreaktion lässt neue Reaktionspartner entstehen, die ihrerseits weitere RNA-Moleküle angreifen. Schließlich ist alle endogene mRNA zerstört, und es kann kein ihr entsprechendes Protein mehr hergestellt werden. Der erzeugte Phänotyp entspricht wie bei Verwendung von Antisense-Oligonukleotiden einem genetischen Knockout. RNAi-Wirkungen können bis zu 5 Tage nach dem Einbringen der dsRNA nachgewiesen werden und sind bei Organismen mit sehr kurzer Generationszeit, beispielsweise bei Caenorhabditis elegans, über 1– 2 Generationen „vererbbar“. Gute Effekte erzielt man auch, wenn statt der langen doppelsträngigen RNA ohne Umschweife gleich kurze siRNAs in die Zellen eingeführt werden. Problematisch sind bei der RNAi-Methode allerdings
schwer kontrollierbare unspezifische Hemmwirkungen, die oftmals äußerlich nicht oder nur sehr schwer von spezifischen Effekten zu unterscheiden sind. Die siRNA-Technik ermöglicht Tausende von simultanen Experimenten auf einem Chip und ein genomweites Screening Die eben in ihrem Prinzip geschilderte Methode der RNA-Interferenz fand bald mächtige Varianten: Beispielsweise werden auf einem Chip Tausende von winzigen Stammzellkulturen aufgetragen; in jeder einzelnen Kultur wird ein bestimmtes Gen ausgeschaltet. Alsdann werden alle Kulturen einem Stimulus ausgesetzt, beispielsweise einem Differenzierungsfaktor, der die Entwicklung zu Nervenzellen auslösen kann. Es wird geprüft, welche der ausgeschalteten Gene für die Differenzierung, hier zu einer Nervenzelle, unerlässlich sind. Automatisierte Mikroskopie ermöglicht eine rasche Auswertung und die Identifizierung aller jener Gene die für die gewünschte Differenzierung gebraucht werden. Werden alle Gene des Erbgutes ausgeschaltet, spricht man von einem genomweiten Screening (screening D Durchmusterung). Überexpression oder ektopische Expression nach Mikroinjektion synthetisch hergestellter, gecappter mRNA Hat ein Gen, dessen Expression räumlichen und zeitlichen Veränderungen unterliegt, eine Bedeutung für die Steuerung der Entwicklung, oder ist sie nur Ausdruck einer im Gang befindlichen Differenzierung? Ausgewählte, aus mRNA von Embryonen gewonnene cDNAs, oder die aus ihnen hergestellten synthetischen mRNAs, werden in Zellen eines lebenden Keims injiziert, z. B. in eine bestimmte Zelle (Blastomere) des 4- oder 8-Zellstadiums, um ihre Wirkung zu studieren. Als Ort der Injektion sucht man sich eine Stelle, an der diese mRNA normalerweise nicht vorkommt (ektopische Expression); oder es wird durch die Injektion zusätzlicher mRNA am normalen Ort eine Überexpression hervorgerufen. Beim Krallenfrosch wird RNA-Injektion routinemäßig zur Charakterisierung der Genfunktion eingesetzt. I
334
12 Entwicklung und Gene
Box 12.2: Fortsetzung RNAi-METHODE I. Herstellung einer dsRNA im Labor Methode a
T3 RNAPolymerasePromotor
Methode b Sense-DNA
cDNA-Doppelstrang eines ausgesuchten Gens
synthetische Sense-RNA
Spacer
Antisense-DNA
T7 RNAPolymerasePromotor
Transkription TT
TT
RNA
synthetische Antisense-RNA
Faltung Haarnadelschleife (hairpin loop)
Annealing zum RNA Doppelstrang (dsRNA) RNA Doppelstrang (dsRNA)
II. Einschleusen der dsRNA in Zellen durch Mikroinjektion oder Elektroporation
zelleigene mRNA
In der Zelle
dsRNA Dicer Abbau der dsRNA zu 21-Meren (= siRNAs) durch die Doppelstrang RNAse DICER siRNA siRNA
RISC 5’
Entwindung der Doppelstränge und Hybridisierung der Antisense-siRNA an komplementäre endogene mRNA im RISC-Komplex mit SLICER-RNAse 3’ mRNA
Abbau der mRNA durch SLICER-RNAse
Ergebnis: Knockout-Phänotyp bezüglich der geprüften mRNA bzw. des untersuchten Gens
Abb. 12.8 RNAi-Methode zum Ausschalten einer Genfunktion auf Ebene der mRNA. Synthetisch wird eine doppelsträngige RNA (dsRNA) hergestellt und in eine Zielzelle – im Regelfall eine Eizelle oder Stammzelle – eingeführt. In der Zelle schneidet der DICER-Komplex aus der dsRNA kleine siRNA-Stücke heraus. Diese können zu Einzelstängen entwunden an komplementäre Sequenzen der Ziel-mRNA binden und dort den RISC-Komplex aktivieren. Dieser zerlegt seinerseits die mRNA in kleine Fragmente, die nicht mehr translatiert werden I
Entwicklung und Gene
335
Box 12.2: Fortsetzung Es hat sich sogar bewährt, mit Mischungen von mRNAs zu beginnen, die synthetisch aus gepoolten cDNA-Klonen hergestellt worden sind. Beobachtet man eine interessante Wirkung, kann man durch wiederholte Aufgliederung der Mischung (sib selection) schließlich die wirksame mRNA isolieren. In analoger Weise kann manMischungen von Proteinen, die man aus der mRNA mittels Expressionssystemen herstellen ließ, auf ihre Wirkung prüfen und das wirksame Protein identifizieren. Unter Verwendung solcher Strategien wurden beispielsweise die Induktionsfaktoren NOGGIN und DICKKOPF entdeckt. Wie man Gene gegen mutierte Varianten austauschen und fremde Gene einführen kann Ziel solcher Versuche ist es, Genvarianten oder fremde Gene bleibend in das Genom einzuführen, um Wirkungen in allen Entwicklungsetappen und auch in nachfolgenden Generationen studieren zu können. Wie geht man vor? Zum Beispiel Injektion oder Elektroporation Vielfach werden Genkonstrukte oder mRNA Präparate direkt in Eizellen oder andere Zellen eingeführt. Ein Konstrukt kann beispielsweise ein Plasmid sein, in das ein Transgen integriert ist (s. Abb. 12.10). Solche Konstrukte werden durch Injektion mit Mikrokanülen, durch blitzschnelles, vorübergehendes Durchlöchern der Zellmembran mittels Elektroschock (Elektroporation) oder mit viralen Vektoren in die Zielzellen eingebracht. Leider wird so eingeführte DNA nur in seltenen Einzelfällen und an unvorhersehbaren Orten in die Chromosomen eingebaut. Deshalb wurden Verfahren entwickelt, die einen gezielten Einbau der eingeführten DNA ermöglichen. Zum Beispiel Transposons Transposons werden bei Drosophila auch als Vektoren für veränderte oder fremde Gene benutzt. Man kann inmitten eines Transposons ein Gen eigener Wahl einbauen, sei es die im Labor gezielt mutierte Variante eines Drosophila-Gens, sei es ein fremdes Gen, beispielsweise aus der Bäckerhefe oder der Maus. Das Transposon wird, unterstützt von einer Transposase, das Konstrukt in die DNA des Wirtes ein-
fügen. Auch für Wirbeltiere einschließlich der stets als Versuchstier gewählten Modellmaus sind solche Methoden in der Entwicklung. Gegenwärtig ist es (noch) nicht möglich, mit diesem Verfahren den Einbauort in den Chromosomen selbst zu bestimmen. Die Erfahrung zeigt aber, dass das Transposon bevorzugt Chromosomen an Orten heimsucht, wo Gene aktiv sind, vielleicht weil dort das Chromatin aufgelockert und deshalb leicht zugänglich ist. Falls der glückliche Zufall das Transposon nicht in ein Gen hinein einbaut, sondern zwischen der Steuersequenz und der codierenden Region eines Gens, kann das eingeführte Fremdgen auch gewebs- oder stadienspezifisch exprimiert werden. Das traf zu bei dem in Abb. 12.19 gezeigten Konstrukt, mit dem vieläugige Fliegen erzeugt worden sind. Zum Beispiel homologe Rekombination Beim Pioniermodell Maus kann gezielt nach dem Wunsch eines Forschers ein bestimmtes Gen unbrauchbar gemacht (gezielte Mutagenese, targeted mutagenesis), oder ein Gen gegen ein anderes ausgetauscht werden. Die Methode stützt sich auf das seltene Ereignis der homologen Rekombination: Ein in eine Zelle eingeführter linearer Genvektor kann von der Zelle selbst bisweilen gegen ein bestimmtes zelleigenes Gen ausgetauscht werden, falls der Vektor passend konstruiert ist. Für die Maus ist das Verfahren in seinen Grundzügen in Kap. 13 vorgestellt. Hier sei nur das Verfahren in allgemeiner Weise geschildert, ohne dass in das Erbgut einer Maus eingegriffen werden müsste; denn das Verfahren lässt sich auch in der Zellkultur durchführen (Abb. 12.4). Ein Austausch eines ursprünglichen Gens (oder einer Genfolge) gegen ein anderes, neues Gen ist möglich, wenn das neue Gen von Sequenzen eingerahmt wird, die exakt den Start- und Endsequenzen des ursprünglichen Gens entsprechen. Die Zelle nimmt den Austausch im Zuge einer DNA-Reparatur bei Heilung von Doppelstrangbrüchen vor. Damit man Zellen mit geglückter Rekombination finden und isolieren kann, wird in das Konstrukt zusätzlich das Gen für Neomycinresistenz integriert. Zellen mit gelungener Rekombination sind gegen Neomycin resistent, andere nicht und sterben ab. I
336
12 Entwicklung und Gene
Box 12.2: Fortsetzung Homologe Rekombination wird mitunter von heterologer Rekombination begleitet. Darunter versteht man den unerwünschten Einbau des neuen Gens an einer fremden Stelle. Um eine zusätzliche Kontroll- und Korrekturmöglichkeit zu schaffen, kann an das Konstrukt jenseits der homologen Rahmensequenzen das Gen für Herpesvirus Thymidinkinase (TK) angehängt werden (Abb. 12.4). Bei homologer Rekombination bleibt die TK-Sequenz außen vor, wird also nicht eingebaut. Bei heterologer Rekombination wird auch die TK-Sequenz in das Chromosom integriert. Behandelt man nun aber die Zellen mit dem antiviralen Medikament Ganciclovir, sterben Zellen mit integrierter TK-Sequenz ab. Es bleiben nur Zellen erhalten, die Neomycin- und Ganciclovirresistent sind, und das sind die mit geglückter homologer Rekombination.
In Kombination mit dem Cre/loxP-System (Abb. 12.3) ermöglicht homologe Rekombination das Entfernen eines Gens in einem bestimmten Gewebe oder Organ. Auch ist es möglich, nach der gelungenen Integration des Wunschgens das Neomycin-Resistenzgen (oder ein anderes gewähltes Selektionsgen) wieder zu entfernen, wenn dieses mit flankierenden lox-Sequenzen markiert worden ist. Man muss dazu mittels eines Vektors CreRecombinase in die Zellen einschleusen; die verrichtet dann ihre Arbeit von selbst (s. Abb. 13.7). Transgene Tiere sind Tiere, in die Gene fremder Spender, auch fremder Arten, bleibend eingeschleust worden sind. Zur Herstellung transgener Säuger s. Kap. 13. Bleibende Markierung lebender Zellen und ihrer Abkömmlinge mit Reportergenen Es gibt viele Gründe, lebende Zellen bleibend zu markieren, z. B. um Zellstammbäume rekonstruieren zu können, wandernde Zellen zu verfolgen und auswachsende Nervenfasern auch dann noch identifizieren zu können, wenn sie in ein unübersichtliches Fasernetz eindringen. Markierungen mit Farbstoffen sind vergänglich, selbst wenn der Farbstoff als solcher stabil sein sollte, weil bei jeder Zellteilung die Farbstoffkonzentration halbiert wird. Anders Reportergene, die man in Zellen einschleust (z. B. durch Injektion, Lipofektion oder Elektroporation). Gut konstruierte Reportergene werden repliziert und daher im Verlauf von Zellteilungen nicht oder nur wenig ausgedünnt, und sie werden exprimiert. Reportergen-
Konstrukte enthalten die regulatorische Sequenz (den Promotor) eines zelltyp-, gewebe- oder stadienspezifisch exprimierten Gens vor der ausgesuchten Reportersequenz. Beliebt sind das bakterielle ˇ-Galactosidase-Gen lacZ, das mit einem eukaryotischen Promotor versehen wird (Abb. 12.9 Bild 2), und das Luciferase-Gen. Nach der Expression der Gene können diese Reporterenzyme durch Farb- bzw. Lichtreaktionen nachgewiesen werden. Noch eindrucksvoller und besonders vielfältig verwendet ist das GFP (Green-Fluorescent Protein). Dessen Gen stammt aus leuchtfähigen Cnidariern, der Prototyp von der pazifischen Meduse Aequorea victoria. Das von diesem Gen codierte GFPProtein bildet spontan durch Umgestaltung von drei Aminosäuren ein Chromophor, das nach Einstrahlen von Blaulicht grün fluoresziert. Man braucht also kein besonderes, zusätzliches Chromophor in die Zellen einzubringen, um ein leuchtfähiges Produkt zu erzeugen. Der besondere Reiz ist, dass man das Leuchten des GFP im Fluoreszenzmikroskop mit bloßem Auge im lebenden Tier sehen kann, falls man dem Gen einen passenden Promotor vorangestellt hat und das Tier durchsichtig ist. Im Mikroskop kann man wandernde Zellen, differenzierende Gewebe oder auswachsende Fasern von Nervenzellen „live“ beobachten. Von besonderem Reiz und Nutzen ist, dass das GFP oftmals an das zelleigene Gen angekoppelt und mit diesem als Fusionsprotein exprimiert werden kann (Abb. 12.9 Bild 3, 4, 6; s. auch Abb. 13.5). Erstaunlich oft bleibt trotzdem das zelleigene Protein funktionsfähig und auch die angehängte GFP-Domäne behält ihre Leuchtfähigkeit. Auch gibt es mittlerweile eine Reihe von GFP-Varianten, die nicht grün, sondern in anderen Farben leuchten, sodass mit dem Anregungslicht des Fluoreszenzmikroskops (oder Laserscanmikroskops) mehrere Proteine gleichzeitig und in verschiedenen Farben zum Leuchten gebracht werden können. I
Entwicklung und Gene
337
Box 12.2: Fortsetzung ISH
1A
1B
2
3
4 Embryo Drosophila
5
Herzanlage Drosophila GFP
6
Abb. 12.9 Molekulare und zellbiologische Methoden in der Entwicklungsbiologie. 1A In-situ-Hybridisierung. Mittels einer markierten Antisense-Sonde wird die Anwesenheit einer mRNA für ein Neuropeptid in Nervenzellen sichtbar gemacht. Sichtbar werden hier alle Zellen, die mRNA für RFamid (Arginin-Phenylalanin-amid)-Neuropeptide enthalten. Das gezeigte Objekt ist ein Ganzkörperpräparat (whole-mount) eines Polypen des Hydrozoons Hydractinia echinata. Die Aufnahme zeigt ein Detail aus der Mundregion. Mit freundlicher Zustimmung von Günter Plickert, Zoologisches Institut der Uni Köln (Präparat). 1B Immuncytochemie. RFamid-Nervenzellen in der Mundregion (Hypostom) eines Polypen von Hydractinia echinata werden mittels eines Antikörpers sichtbar gemacht, welcher RFamid-Neuropeptide (mit dem C-terminalen Ende Arginin-Phenylalanin-amid) erkennt. Die Antikörper wurden von C. Grimmelikhuijzen zur Verfügung gestellt. Die selbst nicht fluoreszierenden spezifischen (D primären) Antikörper (Anti-RFamid-Kaninchen IgG) werden von einem sekundären Antikörper (Anti-Kaninchen IgG) gebunden, an den ein Fluoreszenzfarbstoff (Alexafluor 488) gekoppelt ist. Präparat vom Autor WM dieses Buches. 2, 3 Reportergen
und gezielte Mutagenese zur Beantwortung der Frage, wie die Axone der Riechzellen die richtigen Glomeruli, d. h. die ersten Stationen der Datenverarbeitung, im Bulbus olfactorius (Riechhirn) finden. Diese Axone enthalten in ihrer Zellmembran Geruchsrezeptoren, die mit denen identisch sind, welche später die Cilien der ausdifferenzierten Riechzellen zum Einfangen von Duftmolekülen benutzen. Mit dem Experiment soll u. a. die Vorstellung geprüft werden, dass Geruchsrezeptoren in den auswachsenden Axonen zur Zielfindung beitragen. In einem raffinierten, mehrstufigen Verfahren wurde erst in Mäusen durch homologe Rekombination das Gen für einen solchen Rezeptor gegen ein mutiertes mit integrierter Neomycinresistenz-Kassette ausgetauscht. Dann wurde die Neomycinresistenz-Kassette mittels Cre-vermittelter Rekombination (ähnlich wie in Abb. 12.4) gegen ein LacZ-Konstrukt ausgetauscht. Wenn das so eingeführte Gen exprimiert wird, kann die Anwesenheit des LacZ-Proteins (D bakterielle ˇ -Galactosidase) mittels einer Farbreaktion sichtbar gemacht werden. 2 zeigt auswachsende Axone, Bild 3 zeigt, wie diese Axone im Zielgebiet Synapsen bilden. Ergebnis des Experiments: Ein einzelner Aminosäureaustausch kann genügen, um die Axone gebündelt in einem anderen Glomerulus enden zu lassen (Bildrechte: Feinstein und Mombaerts (2004) sowie Feinstein et al. (2004)). Bilder mit freundlicher Zustimmung von Peter Mombaerts, Rockefeller University New York. 3 Gehirn einer Maus mit grün und blau leuchtenden Neuronen. Die Maus hatte von ihrem Vater das Gen für GFP (Green Fluorescent Protein) und ihrer Mutter das Gen für CFP (Cyan Fluorescent Protein) geerbt. Bildrechte liegen bei Jeff W. Lichtman, Washington University, School of Medicine. 4 Purkinje-Neuron im Cerebellum der Maus, hervorgegangen aus der spontanen Fusion einer GFP-Stammzelle mit einer Nervenzelle. Bild freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Dr. Clas B. Johansson, Karolinska University Hospital Stockholm, mit Erlaubnis auch von Prof. Dr. Helen Blau, Stanford. Zur Methode: Johansson et al. (2008). 5 Embryo von Drosophila im Blastoderm-Stadium. Dreifach-Immunofluoreszenz mit Antikörpern gegen das HAIRY-Protein in rot, KRÜPPEL in grün und GIANT in blau. Laserscan-Confocalmikroskopie. Bildrechte liegen bei Dr. Stephen Paddock, Lab Cell & Mol Biol, Wisconsin University, Bild von ihm freundlicherweise zur Verfügung gestellt. 6 Das Herz von Drosophila und leuchtendes GFP. Die Zellen des sich entwickelnden Herzens von lebenden Drosophila-Embryonen fluoreszieren, weil das GFP-Reporterprotein unter Kontrolle des hand-Promoters steht. Das hand-Gen kodiert für einen im Tierreich hochkonservierten Transkriptionsfaktor der bHLH-Proteinfamilie. Der Promotor des hand-Gens wird im Lauf der Entwicklung des Herzens in allen Kardiomyoblasten, in den mit dem Herzen assoziierten Perikardzellen sowie den Zellen der Lymphdrüsen angeschaltet. Sobald das GFP gereift ist, beginnt es in lebenden Embryonen zu fluoreszieren und der Herzschlag sowie die weitere Entwicklung der Zellen (in anderen Fällen auch die Wanderung von Zellen in akzessorische Herzen) kann life beobachtet werden. Das Bild wurde freundlicherweise von Achim Paululat und Julia Sellin, Osnabrück, zur Verfügung gestellt I
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12 Entwicklung und Gene
Box 12.2: Fortsetzung TOPflash-Methode mit Luciferase als Reporter
TCF-binding-sites Plasmid
Steroidhormon, z.B. Cortison, Ecdyson
Luciferase Hormonrezeptor im Wartezustand
LRP6 WNT
P
P
P P
P P
Dvl
C
C
C
C
C Hormonzugabe
C
C
C
Transfektion
aktiv
C
C
C
C
C
C
C
C
GSK-3 inaktiv β-Catenin
β-Catenin
TCF β-Catenin
TCF
Zellkern
Luciferase Plasmid-DNA WNT-Zielgen, z.B. Axin2 Zell-eigene DNA
Abb. 12.10 Luciferase-basiertes Reportergen. Parallel zu den natürlichen Zielgenen des WNT-Signals wird auch das eingeschleuste Luciferasegen aktiviert, da es einem gleichen Promotor unterstellt ist. Nach Zugabe von LuciferinSubstrat wird bei der Reaktion mit der exprimierten Luciferase Licht emittiert
Induzierbare Promotoren: Wie man Gene gezielt ein- und ausschalten kann Eingriffe in das Expressionsgeschehen sind möglich, wenn eingeschleuste Gene mit induzierbaren Promotoren ausgestattet werden, beispielsweise mit einem Promotor, der durch ein bekanntes Signalsystem wie dem WNT-System aktiviert werden kann (Abb. 12.10), oder mit dem Promotor des Hitzeschockgens hsp-70 oder dem Promotor eines Steroidhormonrezeptors (Abb. 12.11). Dann lässt sich das Gen nach Wunsch durch gezielten Eingriff in das Signalsystem, durch Hitzeschock oder durch das Steroidhormon einschalten. Da freilich ein Hitzeschock oder ein Steroidhormon auch manch andere Gene in der Zelle einschalten kann, sucht man nach spezifischeren Lösungen.
Transgen aktiviert AGGTCA TGACCG
Hormone responsive element HRE, dem Transgen vorgeschaltet
Abb. 12.11 Induzierbares Expressionssystem, das unter Kontrolle von Steroidhormonen steht. Dem zu aktivierenden Gen ist ein Promotor vorangestellt, der Steroid-beladene, intrazelluläre Steroid-Rezeptoren bindet und dadurch aktiviert wird
Der Promotor eines Steroid-abhängigen Gens des Säugers kann beispielsweise gegen den Promotor für das Insekten-spezifische Steroidhormon Ecdyson ausgetauscht werden. Dann kann dieses Gen, und nur dieses Gen, durch Verabreichen von Ecdyson aktiviert werden. Viele Laboratorien sind bemüht, künstliche Promotoren zu konstruieren, die nur dem Willen des Forschers gehorchen. Beispiel eines erfolgreichen Konstrukts ist eine Chimäre aus einem prokaryotischen und einem eukaryotischen Promotor. Der prokaryotische, von einem bakteriellen Plasmid herausgetrennte Teil des Chimärenpromotors ermöglicht es, das dem Promotor unterstellte Gen mittels des Antibiotikums Tetracyclin abzuschalten. (Normalerweise reagieren eukaryotische Zellen auf Tetracyclin nicht mit veränderter Gen- I
12.1 Differentielle Genexpression als Basis der Differenzierung
339
Box 12.2: Fortsetzung expression.) Eine andere Variante dieses TetSystems (Tetracycline resistance system) ermöglicht es, ein Gen mit Tetracyclin einzuschalten. Genkonstrukte werden ständig weiter entwickelt und verfeinert, und erlauben mittlerweile hochspezifische Einflussnahme auf die Genexpression. Nachweis von Proteinen ohne Gentechnik Für viele Proteine stehen Antikörper zur Verfügung, sodass der indirekte Nachweis des Proteins im fixierten Gewebe mittels „Immuncytochemie“ oder „Immunhistochemie“ möglich ist. Die Antikörper entstammen entweder der Immunisierung von größeren Tieren mit dem gewünschten Protein (polyklonale Seren, weil das Tier gegen viele verschiedene immunogene Bereiche – Epitope – des fremden Proteins Antikörper herstellt) oder sie werden als monoklonale Seren aus Zellkulturen gewonnen. Das Gewinnen von monoklonalen Antikörpern beginnt mit der Immunisierung von Mäusen mit dem gewünschten Protein. Anschließend werden potenziell Antikörper-bildende BLymphozyten der Mäusemilz entnommen und mit Lymphomzellen (zu Krebszellen entarteten Lymphoblasten) fusioniert. Bisweilen entsteht die eine oder andere Fusionszelle (Hybridomazelle), die sich wie eine Krebszelle in Kultur vermehren lässt und gleichzeitig wie eine B-Lymphocyte Antikörper produziert. Aus der Fusionszelle entsteht eine unsterbliche Zellpopulation, in der jede Zelle (der von ihr abgeleitete Klon) jeweils nur eine Antikör-
12.1 Differentielle Genexpression als Basis der Differenzierung 12.1.1 Ursprünglich sind Zellen genetisch äquivalent; ihre Differenzierung basiert auf differenzieller Genexpression, die bei der Determination programmiert wird Alle Zellen eines vielzelligen Organismus leiten sich durch Mitosen von der befruchteten Eizelle ab. Folglich ist der Genbestand aller Zellen primär, d. h., solange nicht nachträglich etwas verändert wird, qualitativ und quantitativ gleich (genomische Äquivalenz). In
perspezies gegen ein einziges Epitop bildet (siehe hierzu Lehrbücher der Immunologie). Ob polyklonale oder monoklonale Antikörper, in beiden Fällen handelt es sich um (spezifische, aber unsichtbare) primäre Antikörper, die wiederum mit markierten sekundären Antikörpern nachgewiesen werden. Die sekundären Antikörper (z. B. aus der Ziege) richten sich generell gegen artspezifische Epitope der primären Antikörper (z. B. aus der Maus). Sie sind entweder an einen Fluoreszenzfarbstoff gekoppelt oder an ein Enzym, das eine Farbreaktion vermittelt. Für die Detektion von fluoreszenzmarkierten Antikörpern werden neben den „einfachen“ Fluoreszenzmikroskopen vielfach LaserscanningMikroskope verwendet, die eine Computer-gestützte scheibchenweise Detektion erlauben. Hierbei entstehen Bilder von großer Klarheit, auf denen beispielsweise komplexe Nervengeflechte, fusionierende Muskelzellen oder sich entwickelnde Organe sichtbar gemacht werden können. Durch Nutzung verschiedener Fluoreszenzfarbstoffe ist es bei guter Planung der Immunreaktivitäten möglich zwei oder drei verschiedene Proteine gleichzeitig nachzuweisen und durch eine computervermittelte Überlagerung zu untersuchen, ob diese in den gleichen oder in verschiedenen Zellen vorkommen (s. Farbtafel Abb. 12.9 Bild 5). Eine Variante dieses Mikroskopierverfahrens, die Spinning-disk Mikroskopie, ermöglicht es Videoaufnahmen von GFP-makierten Embryonen herzustellen.
jeder Zelle wird aber nur ein Teil des Genoms exprimiert. Welcher Teil zum Zuge kommt, wird im Prozess der Determination programmiert. Dieses Programm muss nun keinesfalls auch gleich ausgeführt werden. Oft werden sich determinierte Zellen sogar noch mehrfach teilen, ohne schon äußerlich erkennen zu lassen, was aus ihnen werden soll. Die Tochterzellen übernehmen dabei das Programm ihrer Stammzelle (Zellheredität). Oftmals erst in beträchtlichem zeitlichen Abstand zum Zeitpunkt der Determination folgt eine Zeit, in der die programmierten Zelltypen ihre terminale Differenzierung durchlaufen, während der das Programm verwirklicht wird und die Zellen ihre charakteristi-
340
sche molekulare Ausstattung, ihre Form und Funktion gewinnen. Die Zahl identifizierter zelltypspezifischer Proteine nimmt ständig zu und liegt derzeit bei etwa 10.000. Myoblasten fusionieren mit mehreren anderen Myoblasten, synthetisieren muskeltypische Moleküle, wie ˛-sarcomerisches Aktin, Myosin, Tropomyosin und Troponine, und bauen mit diesen Molekülen den kontraktilen Apparat einer Muskelfaser auf. Erythroblasten werden mit Hämoglobin, Carboanhydrase und Spectrin ausgestattet und werden dabei zu Erythrocyten, den roten Blutkörperchen. Neuroblasten produzieren, wenn sie sich zu Neuronen entwickeln, u. a. ˛- und ˇ-Tubulin, Microtubuli-assoziiertes Protein (MAP), Neurofilamentproteine, für Synapsen-Funktionen erforderliche Proteine und neurale Zelladhäsions- und Zellerkennungsmoleküle. Potenziell kann der Erwerb einer zelltypspezifischen molekularen Ausstattung an vielen Stellen der zellulären biochemischen Maschinerie geregelt sein. Die Ausstattung an aktiven Enzymen beispielsweise kann auf drei Stufen gesteuert werden: Transkription (Transkriptionskontrolle: Aktivierung oder Silencing D dauerhafte Suppression); Translation an den Ribosomen – beispielsweise muss im Cytoplasma der Eizelle gespeicherte maternale mRNA erst aus den RNP-Partikeln befreit werden; posttranslationale Modifikation der Enzyme, z. B. Phosphorylierung durch Proteinkinasen, Methylierung, Acetylierung, Glykosylierung oder Prozessierung (Modifikation durch Proteolyse). Es müssen jedoch Ereignisse von bleibender Wirkung sein, wenn es zu einer Differenzierung kommen soll. Einmal installierte Programme und einmal erreichte fertige Differenzierungszustände werden in aller Regel stabil und zeitlebens beibehalten. Transdetermination (Änderung des Programms) und Transdifferenzierung (Änderung des ganzen Differenzierungszustandes) sind seltene Ereignisse. Für den Entwicklungsbiologen besonders bedeutsam sind die Fragen: Wie wird der Satz der jeweils zu exprimierenden Gene gemeinsam angesteuert, wie werden andere Gene stillgelegt? Worin ist die Heredität des Determinationszustandes (Weitergabe des Determinationsprogramms an
12 Entwicklung und Gene
beide Tochterzellen bei einer Zellteilung) begründet? Ist die Differenzierung begleitet von sekundären, qualitativen oder quantitativen Veränderungen im Genbestand der Zellen?
12.1.2
Protein-codierende Gene stellen nur einen kleinen Teil des Genoms; die Bedeutung unzähliger DNA-Sequenzen für rein regulatorische RNA-Moleküle wird erst in jüngster Zeit offenbar
Das menschliche Kerngenom enthält im haploiden Satz ca. 22.000 „klassische“ Protein-codierende Gene (im diploiden Embryo 44.000, je 22.000 von der Mutter und vom Vater) und weitere ca. 1500 Gene für die rRNAs und t-RNAs (Abb. 12.12). Quantitative Abschätzungen zeigten lange Zeit Rätselhaftes: Die klassischen funktionellen Gene stellen im haploiden Chromosomensatz des Menschen nur 2–3 % der 3,3 Milliarden Basenpaare. Der Rest des Genoms, das sind 3,25 Milliarden Basenpaare, galt nach dem Vorschlag von Francis Crick als genetischer „Müll“, der aus Replikationsfehlern hervorgegangen sein soll oder von Quellen außerhalb des Organismus irgendwie ins Genom hineingeraten sei, vor allem als ursprünglich virales Erbgut. Die Struktur vieler Transposons lässt in der Tat oftmals ihre virale Herkunft erkennen; sie enthalten beispielsweise Sequenzen, welche die Proteinhülle von Viren codieren (gag, env) oder die anderen typisch viralen Sequenzen (pol, ORF) noch ähnlich sind. Nach quantitativen Schätzungen nehmen Transposons und mit ihnen verwandte Sequenzen ca. 45 % des menschlichen Genoms ein (s. Lehrbücher der Genetik). Auch solcher mutmaßlicher Müll (Junk-DNA, selfish DNA) lässt sich von der Replikationsmaschinerie getreulich verdoppeln und über die Keimbahn in die nächste Generation mittragen. Die nicht-codierenden Introns zwischen den codierenden Exons der Gene waren ein wohlbekanntes Beispiel für solche anscheinend nutzlose DNA; denn ihnen konnte lange keine Funktion zugeordnet werden. Im Erbgut anderer eukaryotischer Organismen dominieren ebenfalls Sequenzen mit fehlender oder unbekannter Funktion. Nun gibt es durchaus Sequenzen, denen bislang keine Funktion zugeordnet werden konnte und die
12.1 Differentielle Genexpression als Basis der Differenzierung
341
Genom des Menschen
Kern-DNA 3,3 Milliarden Basenpaare bp
Gene und verwandte Sequenzen
10 % mRNA- = proteincodierende Gene Hilfs-RNAs für Proteinsynthese 500-1000 Gene für (18s+5,8s+16s) rRNA + 1000 für 5s rRNA 497 Gene für tRNA snRNA, sonRNA
Nicht-codierende DNA
DNA-Sequenzen für nicht-proteincodierende, funktionale RNA-Sorten
Kleine regulatorische RNAs miRNA piRNA siRNA
Transposons mit Protein-Genen
Mitochondriale (mt-)DNA 6 569 Basenpaare (bp)
12 Proteincodierende Gene
14 mttRNAGene
Pseudogene, Genfragmente
2 mtrRNAGene
Mittel- bis hochrepetitive Basensequenzen
VNTR (variable number tandem repeats) mit: Mini- u. Mikrosatelliten (STR)
Zentromerund TelomerDNA
Transposon-Relikte ohne Protein-Gene (SINE-, Alu-Sequenzen)
Abb. 12.12 Übersicht über die Zusammensetzung des menschlichen Genoms
aller Wahrscheinlichkeit nach auch tatsächlich keine Funktion in der Normalentwicklung haben: Beispiele sind Pseudogene (funktionslose, unvollständige Kopien normaler Gene), die vielen, oftmals störenden Transposons und schließlich die zahlreichen kurzen, sich vielfach wiederholenden (repetitiven) Sequenzen wie die Mini- und Mikrosatelliten und die AluFamilien. Hervorgehoben seien hier die für den „DNA-Test“ bedeutsamen Mikrosatelliten, auch STR (Short Tandem Repeats) genannt. Zwei Basenpaare, etwa CG oder CA, oder auch mal etwas mehr, werden bis zu 100-mal wiederholt. Das sieht dann etwa so aus:
Nach der Triplettregel können sie keine Peptide codieren. Für ihre Funktionslosigkeit spricht auch, dass sie leicht und folgenlos mutieren, und sei es nur, dass in der Keimbahn irgendwann ein Basenpaar in einem einzelnen Repeat verloren geht. Beim Menschen gibt es über alle Chromosomen verstreut ca. 30.000 solche Loci mit variablen repetitiven Sequenzen, und auf ihnen beruht der DNA-Test (DNA-Fingerabdruck), der es erlaubt, Personen zu identifizieren zum Zweck eines Vaterschaftsnachweises oder zur Identifizierung von Opfern und Tätern in der Forensik. Repetitive DNA ohne ersichtliche Funktion macht weitere 3–5 % der Gesamt-DNA aus. Wofür codiert aber nun der Rest von ca. 90 % der DNA?
CG . CG . CG . CG . CG . CG . . . oder CA . CA . CA . CA . CA . CA . . . oder ACAAACT ACAAACT ACAAACT ACAAACT 107 beim Menschen.
Regulatorische kleine RNA-Sorten Seit etwa 2006 wird zunehmend deutlich, dass nicht nur 3 % des menschlichen Genoms in RNA transkribiert wird, sondern 80–90 %. Es werden un-
342
zählige, überwiegend kurze RNA-Kopien auch aus non-coding-Bereichen des Genoms hergestellt. „Noncoding“ bedeutet hier „nicht-Protein-codierend“, und die Bezeichnung non-coding DNA für solche DNASequenzen muss als überholt oder doch irreführend angesehen werden. Sie wird zunehmend durch präzisere Bezeichnungen wie non-protein-coding DNA oder RNA-coding DNA, ersetzt; denn diese DNA codiert die Basensequenz von kurzen RNAMolekülen mit spezifischer Funktion, ähnlich den Genen für rRNA (ribosomale RNA) und tRNA (transfer RNA). Die natürlicherweise in allen Tieren vorkommenden kleinen RNA-Moleküle mit regulatorischer Funktion sind häufig Antisense-RNA-Sequenzen, d. h. komplementär zu der naturgemäß einzelsträngigen mRNA. Mehrere Gruppen lassen sich bezüglich ihrer Funktion unterscheiden: 1. miRNAs (micro-RNAs) auch stRNA (short temporal RNAs genannt oder in die Klasse der siRNAS eingeordnet) Sie sind primär wie alle RNAs einzelsträngig. Die primären langen Vorstufen leiten sich oft von Intronsequenzen oder Transposons ab. Die primären Transkripte und die aus diesen herausgetrennten miRNAS bilden dank palindromischer Sequenzabschnitte doppelsträngige Haarnadelstrukturen (hairpin loops), die für ihre Funktion von Bedeutung sind. An den doppelsträngigen Teil der miRNA heftet sich der enzymatische RISC-Komplex und löst einzelsträngige, je ca. 20 Nukleotide umfassende Stücke heraus (s. Abb. 12.21). Diese kleinen Einzelstrangstücke regeln die Proteinherstellung überwiegend in negativer Weise, indem sie komplementär an die 30 UTR (UnTranslated Region) von mRNA binden; dadurch wird deren Translation abgebrochen oder die so markierte mRNA wird degradiert. Die miRNAs sind bei der Regulation aller entwicklungsbiologisch bedeutsamen Prozesse beteiligt: Zellproliferation, Differenzierung, Regeneration, Apoptose. Fehlregulation kann zu Krebs führen. Bedingt durch ihre komplementäre Sequenz zu bestimmten mRNAs regeln bestimmte miRNAs spezifisch die Expression bestimmter mRNAs. Insbesondere entwicklungssteuernde Genprodukte unterliegen der Kontrolle durch miRNAs.
12 Entwicklung und Gene
Sofern eine miRNA (teilweise) zu einem Promotor komplementär ist, kann die Anlagerung dieser miRNA an den Promotor auch eine verstärkte Expression des Gens zur Folge haben. Eine mögliche Ursache des Hochregelns kann die Demethylierung (s. unten Abschn. 12.5.3) des Promotors sein. Viele dieser miRNAs, die in die Steuerung der Entwicklung eingreifen, blieben in der Evolution hoch konserviert. 2. piRNA (piwi-interacting RNAs). Sie kommen ebenso wie die Piwi-Proteine ausschließlich in der Keimbahn vor (s. Kap. 8). Ihnen wird die Aufgabe zugeschrieben, Differenzierungsprozesse, wie sie in somatischen Zellen vonstattengehen, in der Keimbahn zu unterdrücken. Als weitere Funktion wird ihnen die Unterdrückung von Retrotransposons in der Keimbahn zugeschrieben, welche dort in besonderem Maße Unheil anrichten könnten. 3. siRNA (small interfering RNA), kleine doppelsträngige RNA-Moleküle. In der Natur Abbauprodukte fremder (viraler) DNA, wenn diese durch komplexe, zellinterne Abwehrmechanismen erfolgreich zerlegt worden ist. siRNA wird aber auch von der Zelle benutzt, um eine im Augenblick unerwünschte Expression eigener Gene abzuschalten. Ähnlich der einsträngigen miRNA bindet enzymatisch in Einzelstränge aufgelöste siRNA an komplementäre Sequenzen von mRNA und löst die Degradation des partiell doppelsträngigen Moleküls aus. Synthetisch hergestellte spezifische siRNAMoleküle werden im experimentellen Labor in Zellen eingeführt, um bestimmte mRNA nach dem Willen des Forschers auszuschalten und damit dem betreffenden Gen seine Wirksamkeit zu rauben (RNAi-Methode; s. Abb. 12.8). Im Folgenden stehen die klassischen, Proteincodierenden Gene im Vordergrund.
12.1.3 Das Puffingmuster in den Riesenchromosomen: Man sieht wechselnde Muster der Genexpression, aber auch eine irreversible Genomamplifikation Riesenchromosomen in den Speicheldrüsen der Dipteren (Fliegen, Mücken, Schnaken) und die entlang dieser Chromosomen sichtbare Puffing-Aktivität gal-
12.1 Differentielle Genexpression als Basis der Differenzierung Abb. 12.13 Puffing (Aufblähen) der polyploiden Riesenchromosomen von Drosophila. Das Puffing ist Ausdruck einer lokalen Genaktivität; das Muster des Puffings ändert sich im Laufe der Entwicklung, ausschnittweise dargestellt für das 3. Larvenstadium
343
Puffing-Muster 3.Chromosom, linker Arm, in Speicheldrüse des dritten Larvalstadiums von Drosophila
Puffing-Modell
mRNA
ten lange Zeit als Beleg für differenzielle Genaktivität. Riesig sind die Chromosomen immer noch, und das stellenweise Aufblähen ist auch tatsächlich augenfälliger Ausdruck von Genaktivität. Die Frage ist freilich, inwieweit diese Aktivität mit Differenzierung und Entwicklung zu tun hat und ob sie nicht bloß den momentanen physiologischen Funktionszustand des betreffenden Organs widerspiegelt. Die Riesenchromosomen sind riesig, weil sie polytän geworden sind. Erst paaren sich je zwei homologe Chromosomen, wie zu Beginn einer Meiose. Sie bleiben nun aber auf Dauer beisammen. Dann wird ihre DNA etwa 1000fach repliziert, doch bleiben die replizierten DNA-Stränge wiederum alle beisammen. Polytäne Chromosomen bleiben lang gestreckt, wie es sich für Interphasechromosomen gehört, sind aber doch so dicht gepackt und dick, als wären es kondensierte Metaphasechromosomen. Wenn Gene aktiviert werden sollen, müssen zuvor die DNA-Stränge entdrillt werden. Diese Entflechtung ist als Puffing (Aufblähen) im Mikroskop sichtbar.
Man findet polytäne Chromosomen in den (für die Produktion von Spinnfäden zuständigen) Speicheldrüsen der Larven, aber auch in anderen Organen der Dipteren, wenn auch nicht überall in spektakulärer Größe. Vergleicht man das Puffingmuster in den verschiedenen Organen und zu verschiedenen Zeiten der Entwicklung der Larven und der Puppe, so sieht man, dass dieses Muster sich im Zuge der Entwicklung ändert. Es ist beispielsweise in den Speicheldrüsen (Abb. 12.13) und den Exkretionsorganen (Malpighische Gefäße) unterschiedlich. Unabhängig davon, ob diese Muster wechselnder Genaktivität nun mit Differenzierung oder nur mit wechselnder physiologischer Funktion der Organe zu tun hat, bleibt festzuhalten: Riesenchromosomen sind polytän, d. h. es kommt in der Entwicklung dieser Zellen zu einer Genomamplifikation und damit zu quantitativen Veränderungen im Genbestand. Grundsätzlich kann es im Verlauf einer Differenzierung zu qualitativen und quantitativen Veränderungen im Genbestand kommen. Dazu mehr im Abschn. 12.6.
344
12 Entwicklung und Gene
Homöodomäne mit Helix-Turn-Helix-Motiv z.B. HOM/HOX
Helix
Helix
Loop Helix
Helix
basic Helix-Loop-Helix bHLH, Dimer z.B. Myo-D
Abb. 12.14 DNA-bindende Domänen von Transkriptionsfaktoren. Die Domäne ist Teil eines größeren Proteins. Gezeigt sind exemplarisch die HTH- und bHLH-Motive, die sich z. B. in Hox-Proteinen oder Myo-D finden
tischen Ausstattung erfahren, wird im Kap. 13 wieder aufgegriffen. Diese Frage war auch Ausgangspunkt für jene berühmten Experimente mit dem Krallenfrosch Xenopus, in denen Kerne aus differenzierten, somatischen Zellen in entkernte Eizellen übertragen wurden. Es stellte sich die Frage: Können solche Kerne noch eine vollständige Entwicklung unterstützen, sind sie noch totipotent? Resultat waren die ersten, mittels Kernen aus differenzierten Zellen geklonten Wirbeltiere (s. Kap. 13). Das wissenschaftliche Ergebnis des Experiments war die Erkenntnis, dass Differenzierung nicht in jedem Fall zu einem Verlust genetischer Information oder zum Verlust ihrer Abrufbarkeit führt. Wohl jedoch müssen faktisch in den verschiedenen Zelltypen unterschiedliche genetische Informationen abgerufen werden. Hierzu laufen besondere genetische Programme ab, wie in den folgenden Abschnitten erläutert wird.
12.2 Gene zur Spezifikation von Körperregionen und Organen: Hox-Gene Ein erstaunliches, jedenfalls unerwartetes Ergebnis der Entwicklungsgenetik ist, dass manche Gene in bestimmten Körperregionen unabhängig von deren späterer zellulärer Zusammensetzung exprimiert werden. Augenscheinlich markieren ihre Produkte Positionen. Dies gilt insbesondere für die homöotischen Gene (Abb. 12.14, 12.15, 12.16, 12.17 und 12.18) mit der Kurzbezeichnung Hom (bei Drosophila) oder Hox (bei anderen Organismen).
12.2.1 12.1.4 Kerntransplantationen bei Xenopus galten der Frage, ob Kerne im Zuge der Zelldifferenzierung totipotent bleiben; diese Transplantationen haben eine Technik des Klonens erschlossen Die Frage, ob und inwieweit Zellen ihre volle genetische Potenz behalten oder ob sie im Zuge der Differenzierung eine irreversible Änderung ihrer gene-
Meistergene der Hox-Klasse sind auf den Chromosomen in Gruppen zusammengefasst und zwar in einer Reihenfolge, die mit dem räumlichen und zeitlichen Expressionsmuster im Körper korreliert (Kolinearität)
Diese Schaltergene werden bei praktisch allen höheren Tieren (Arthropoden, Anneliden, Wirbeltiere) im Genom als Gruppe (Cluster) gleicher Abfolge transkribiert. Sie codieren Transkriptionsfaktoren mit einer Homöobox (Abb. 12.14) und agieren als Selektorge-
12.2 Gene zur Spezifikation von Körperregionen und Organen: Hox-Gene
Translation Transkriptionsfaktor vom Selektorgen codiert
Selbstaktivierung
Selektorgen
mRNA Transkription
untergeordnetes Gen 1 untergeordnetes Gen 2 untergeordnetes Gen 3
Kern einer Zelle
Entwicklungssteuerndes Selektorgen (z.B. ein homeotisches Gen)
Abb. 12.15 Funktionsweise eines Selektorgens (master gene). Das Gen codiert für einen Transkriptionsfaktor, der nachgeschaltete (downstream) Gene unter Kontrolle hält. Manche Selektorgene können ihre eigene Aktivierung aufrechterhalten, indem der Transkriptionsfaktor auch sein eigenes Gen einschaltet
ne, welche andere Transkriptionsfaktoren kontrollieren (Abb. 12.15). Die Reihenfolge der Hox-Gene in 50 ! 30 -Richtung auf dem Chromosom entspricht der zeitlich-räumlichen Expression entlang der antero-posterioren Achse (Abb. 12.16). Damit besteht Kolinearität in den Positionen der Gene auf dem Chromosom und den Orten ihrer Expression. (Ausnahmen finden sich bei Seescheiden und Mollusken.) In der Regel gilt posteriore Dominanz, d. h. das jeweils posterior liegende Hox-Gen kontrolliert das anterior exprimierte (Abb. 12.17). Am Beispiel des ANTENNAPEDIA-Proteins lässt sich (hypothetisch) ableiten, wie aus einem ursprünglichen Gliederfüßler, der ein Beinpaar an jedem Segment trug, die sensorisch wichtigen Antennen hervorgehen konnten und deren Differenzierung kontrolliert wird (Kap. 22). Bei Drosophila liegen eine Reihe der homöotischen Gene in einem Komplex zusammengefasst auf
345
dem dritten Chromosom. Der Komplex, Hom-C genannt, ist in zwei Gruppen gegliedert, den Antennapedia-Komplex (Antp-C) und den Bithorax-Komplex (BX-C). Bei Vertebraten und anderen Tieren spricht man von Hox-Genen. (Zur üblichen, nicht streng festgelegten Nomenklatur: Drosophila HOM, Maus Hox, Mensch Hox oder HOX, Xenopus XHox, bei Nematostella und anderen Cnidariern identifizierte, mögliche Hox-Homologe in der Regel cnHox D cnidarian Hox). In der Evolution der Wirbeltiere ist durch zweifache Duplikation des ganzen Clusters ein vierfacher Satz entstanden: HoxA, HoxB, HoxC, HoxD (Abb. 12.16). Alle Gene in diesen Clustern stimmen in der Basensequenz der Homöobox in sehr hohem Maße überein – die Boxen sind konserviert. Es wird angenommen, dass alle Homöoboxen evolutionsgeschichtlich aus einer gemeinsamen Ursequenz hervorgegangen (mehr dazu in Kap. 22) und als Module über Rekombination mit den außerhalb der Homöoboxen liegenden Sequenzen der heutigen Gene verbunden wurden. Die vier Hox-Cluster sind bei Säugern auf vier Chromosomen verteilt: HoxA-1 bis A-13: Mensch Chromosom 7, Maus Chromosom 6 HoxB-1 bis B-13: Mensch Chromosom 17, Maus Chromosom 11 HoxC-1 bis C-13: Mensch Chromosom 12, Maus Chromosom 15 HoxD-1 bis D-13: Mensch Chromosom 2, Maus Chromosom 2 (Wie häufig bei duplizierten Genen beobachtet, sind nicht in jedem Komplex alle 13 Gene zu finden; vielmehr sind manche Gene deletiert.) Besonders bemerkenswert ist, dass es entlang eines jeden Clusters Gene gibt, deren Homöobox eine besonders hohe Sequenzübereinstimmung zu den entsprechend lokalisierten homöotischen Genen des Antennapedia/Bithorax-Komplexes von Drosophila aufweist. Solche Sequenz-homologen Gene (oder Genabschnitte) in verschiedenen Tierarten sind homologe Gene oder (Genabschnitte), doch unterscheidet man unter „homolog“ zwei Gruppen: orthologe Gene liegen in verschiedenen Tierarten vor; paraloge Gene innerhalb ein und desselben Organismus, beispielsweise als Mitglied eines Clusters. (Die Begriffe paralog
346
Drosophila
Ant-C BX-C lab pb zen Dfd Scr Antp Ubx abd-A Abd-B 9 7 HOM-C 1 2 3 4 5 6
Maus
Abb. 12.16 Kolineare Organisation und Expression der homöotischen Gencluster und ihre Konservierung im Lauf der Evolution. Bei Drosophila findet sich ein Cluster (Komplex), der in zwei Untergruppen, den Antennapedia-Komplex und den bithorax-Komplex, aufgegliedert ist. Die (nummerierten) Mitglieder eines Clusters sind paralog; ihre Homöoboxen gehen auf Genduplikationen in der Evolutionsgeschichte zurück. In der Maus ist der gesamte Komplex vervierfacht. Einander entsprechende Nummern bzw. Farben kennzeichnen Gene, die eine besonders hohe Sequenzübereinstimmung in ihren Homöoboxen aufweisen (adaptiert nach McGinnis und Krumlauf (1992)). HoxGene werden entsprechend ihrer genomischen Abfolge in der Entwicklung kolinear exprimiert, d. h. sukkzessive von 50 nach 30 und von anterior nach posterior
12 Entwicklung und Gene
Hox-A
1
2
3
4
5
6
Hox-B
1
2
3
4
5
4
5
3
4
Hox-C Hox-D
1
8
9 10 11
6
8
9
6
8
9 10 11 12 13
8
9 10 11 12 13
7
5´
13
3'
1 23 4
5
6
8
91 24
5
01 11
21
3
6 8
und ortholog werden weiterhin in Kap. 22 und im Glossar definiert). In verschiedenen Tiergruppen findet man die gleiche Kolinearität zwischen der physikalischen Reihenfolge der Einzelgene eines Clusters auf den Chromosomen und dem raum-zeitlichen Expressionsmuster im Körper: Die 50 -nahen Gene werden früh und weiter vorn, die 30 -nahen Gene werden später und weiter hinten im Körper exprimiert. Die Übereinstimmung zu den Verhältnissen bei Drosophila sind frappierend:
13
9
Der Expressionsbereich der meisten Gene beginnt mit einer scharfen anterioren Grenze und zieht von da bis zum Hinterende des Tieres; dabei nimmt die Intensität der Expression von vorn nach hinten ab. Die anterioren Grenzen sind gestaffelt; die Expression des nächsten Gens einer paralogen Gruppe beginnt jeweils ein Stück weiter Richtung Hinterende. Das Gen Ultrabithorax (Ubx) des BithoraxKomplexes wird z. B. von der Mitte des ersten Thoraxsegments (T1) bis zum posterioren Ende
12.2 Gene zur Spezifikation von Körperregionen und Organen: Hox-Gene
a
b
c
d
347
Abb. 12.17 Modell zur Erklärung homöotischer Transformationen. Angenommen ist, dass ein Morphogen mit steigender Konzentration ein Gen des Hom/Hox-Clusters nach dem anderen einschaltet. Das Gen 1 ist in der Hom/Hox-Gruppe weiter vorn lokalisiert als 2 und 3 und wird durch eine geringe Morphogenkonzentration, wie sie im vorderen Thoraxbereich herrscht, eingeschaltet. Das aktivierte Gen 1 organisiert die Entwicklung des Segments zum Prothorax. Das bei höherer Morphogenkonzentration eingeschaltete Gen 2 steuert die Entwicklung des Segments zum Mesothorax, Gen 3 organisiert Metathorax, und
so fort. Es gilt die Regel, dass ein Gen mit höherer Nummer über die Gene mit niedrigerer Nummer dominiert (posteriore Dominanz). Fällt ein Gen wegen einer Defektmutation aus, behält das anteriore Gen in den nachfolgenden Segmenten das Sagen bis ein Gen mit höherer Nummer die Herrschaft übernimmt. Wird ein Gen konstitutiv exprimiert, bedarf es also zu seiner Aktivierung keines (oder eines nur schwachen) Morphogensignals. So wird zu weit vorn ein Segment mit posteriorer Charakteristik hergestellt
des Abdomens exprimiert, das im Komplex folgende Gen abd-A von der Mitte des Segments A2 und das Gen Abd-B von der Mitte des Segments A4 bis zum Ende des Abdomens. Sowohl das Abd-B Gen von Drosophila als auch das mit ihm sequenzverwandte Hox-B9 Gen der Maus sind im posterioren Territorium ihres Embryos aktiv.
Im Wirbeltier sieht man wechselnde Expressionsmuster, die sich wellenartig über große Bereiche des Embryos ausbreiten: 1. Longitudinale Körperachse. Alle Vertreter der vier Hox-Sätze (Hox cluster) werden zwar mit scharfen anterioren Grenzen exprimiert; doch sind diese Vordergrenzen nicht für alle einander entsprechenden (orthologen) Gene der vier Sätze im ganzen Körper gleich. Vielmehr sind die Expressi-
348
onsmuster im Neuralrohr, in der Serie der Somiten und im Darm verschieden (Abb. 12.18). Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass aus diesen embryonalen Strukturen sehr verschiedene Zelltypen hervorgehen: Nervenzellen, Gliazellen, Muskelzellen, Bindegewebszellen, Knorpel- und Knochenzellen, Drüsenzellen und mehr. Wie in Drosophila so kann auch im Wirbeltier eine Mutation in den homöotischen Genen zu einer Transformation einer Struktur in eine andere führen, die meist zu einem davor liegenden oder dahinter liegenden Segment gehört. Für homöotische Transformationen gilt auch im Wirbeltier die in Modell Abb. 12.17 illustrierte Grundregel: Ein in der Hom/Hox-Gruppe nachfolgendes und entsprechend weiter hinten im Körper exprimiertes Gen dominiert über seine Nachbargene, die ihren Platz weiter vorn in der Gruppe haben und weiter vorn im Körper exprimiert werden. Fällt ein Gen wegen einer Defektmutation aus, behält das weiter anterior gelegene Gen das Sagen, bis es durch das nächste intakte posteriore Gen zum Schweigen gebracht wird. Bei der Fliege beispielsweise kann sich der Metathorax, in dem normalerweise die Flügel in Halteren (Schwingkölbchen) umgeformt sind, in einen Mesothorax umwandeln, der nun ortsgerecht reguläre Flügel trägt (Abb. 12.17c; s. auch Abb. 4.40). Bei der Maus kann beispielsweise am oberen Ende der Wirbelsäule, wo die ersten drei Wirbelkörper normalerweise zu Proatlas, Atlas und Axis werden, der Atlas sich in einen zusätzlichen Proatlas oder in eine zusätzliche Axis verwandeln. 2. Extremitätenknospe, antero-posteriore Achse (Abb. 12.18): Am Hinterrand der Extremitätenknospe bildet sich ein Zentrum, in dem die Expression der Hox-Gene D-9 bis D-13 startet. Dieses Zentrum ist weitgehend deckungsgleich mit dem Signalsender ZPA (Zone of Polarizing Activity), der das extrazelluläre Signalprotein SONIC HEDGEHOG aussendet. Die Expressionszonen breiten sich wellenförmig aus, die von D-9 am weitesten, die von D-13 nur eine kurze Distanz. Diese Regel gilt allerdings nur für die erste Expressionsphase. Es folgen weitere mit verändertem raum-zeitlichen Muster. Manche Expressionszonen breiten sich in
12 Entwicklung und Gene
zwei aufeinanderfolgenden Wellenzügen aus (z. B. Hox D-11). Nun sind allerdings die von den Hox-Genen codierten Proteine Transkriptionsfaktoren, die in den Kernen agieren. Es ist daher unwahrscheinlich, dass sie selbst sich über die Zelle hinweg ausbreiten. Vielmehr mag ihre Expression ausbreitungsfähige Signalmoleküle (Retinsäure, SONIC HEDGEHOG und/oder noch unbekannte) anschalten oder solchen folgen. 3. Extremitätenknospe, proximo-distale Achse (Abb. 12.18): Hier ist das Auswachsen der Knospen begleitet von der wellenförmigen und kolinearen Ausbreitung der HoxA-Genexpression in aufsteigender Reihenfolge: A-9, A-10 . . . bis A13; und die Expressionszonen werden zunehmend kleiner. Man könnte nun meinen, die Hox-Gene würden unmittelbar regiospezifische Genaktivitäten in Gang setzen. Das ist wohl so, doch darf man nicht schlicht bestimmte fertige Strukturen bestimmten Genen zuordnen. So werden die Gene HoxD-1 bis HoxD-13 sowohl im Rumpf als auch in den vorderen und hinteren Gliedmaßen zur Programmierung der weiteren Entwicklung gebraucht. HoxD-13-Genprodukte finden sich nicht nur in der wachsenden Schwanzspitze, sondern auch an der Spitze einer Armknospe und einer Beinknospe. Hox-A und Hox-C-Gene werden kolinear auch im Darm eingeschaltet. Die Regiospezifität ergibt sich somit aus einer Kombination von Hox-Genen, dem Hox-Code. In der Reihenfolge der Hox-Gene und ihrer cis-regulatorischen – also auf demselben DNA-Strang liegenden – Sequenzen ist ein zeitliches Expressionsprogramm codiert. Ein weiterer bemerkenswerter Befund: Sowohl bei der Entwicklung des Zentralnervensystems und der Achsenorgane des Körpers als auch in den auswachsenden Arm- und Beinknospen steht das Expressionsmuster verschiedener Hox-Gruppen unter der Kontrolle organisatorischen Zentren, die induktive Signale aussenden, als da sind (in zeitlicher Reihenfolge): der Spemann-Organisator (obere Urmundlippe in der Gastrula der Amphibien, Primitivknoten auf der Keimscheibe der Reptilien, Vögel und Säuger); der FGF-10 Sender im Zentrum des Extremitätenfeldes in der Flanke des Embryo; (andererseits eröffnen frühe Hox-(und Tbx-)abhängige Signale im noch gliedmaßenlosen Embryo wahrschein-
12.2 Gene zur Spezifikation von Körperregionen und Organen: Hox-Gene
349
Hox-Genexpression im Mausembryo
Lumbal-
Thoracal-
Cervical-Region
Wirbelsäule Hox-Mutante Wildtyp C1 C1 Hox4 C1 C2 C3 C3 Hox5 Rumpf und Extremitäten C4 C4 C5 C5 C5 C6 Hox D-9 C6 C7 Hox6 D-9+10 C7 T1 D-9+10+11 D-9+10+11+12 T2 T2 D-9+10+11+12+13 T3 A-10 A-11+10 T4 A-13 +11+10 T5 T6 D-9 T7 D-9+10 T8 D-9+10+11 T9 Hox9 D-9+10+11+12 T10 D-9+10+11+12+13 A-10 T11 A-11+10 T12 A-13 +11+10 L1 L2 L3 L4 L5 S1
Caudal-
Sacral-
Hox10
C
Hox11
Abb. 12.18 Expressionsmuster der Hox-Gene im Rumpf, in den Extremitäten und in der Wirbelsäulenanlage des Mausembryos. Die Gene mit den niedrigsten Nummern im Cluster werden zuerst, die mit den höchsten Nummern zuletzt exprimiert (Kolinearität). Die Expressionszonen in den Gliedmaßen sind dynamisch: Sie erstrecken sich vom Startpunkt begin-
nend in Wellenform, wobei die Ausdehnung mit steigender Nummer zunehmend kleiner wird. In den Extremitätenknospen starten die Expressionswellen der Hox-A Gene an oder nahe der Knospenspitze, die Expressionswellen der Hox-D-Gruppe am Knospenhinterrand
lich die Installation des FGF8/FGF10-Signalzentrums); die ZPA am Hinterrand der Extremitätenknospe, welche SONIC HEDGEHOG aussendet. Am Beispiel der Gliedmaßenknospe zeigt sich ein komplexes Wechselspiel: Hox-Gene aktivieren Signalgeber im Rumpf, deren Signale (FGFs) aktivieren wiederum Hox-Gene in der Extremitätenanlage und so fort. Es ist anzunehmen, dass neben den genannten noch weitere Organisationszentren auf das Muster der Hox-Expression einwirken und umgekehrt von ihr abhängig sind
12.2.2
Historische Paradefälle: die Fliege mit den Beinen am Kopf und das Antennapedia-Gen
Homöotischen Genen ist man ursprünglich über spektakuläre mutierte Monsterfliegen auf die Spur gekommen. Plötzlich hat eine Fliege statt zwei Antennen zwei Beine am Kopf (s. Abb. 4.40): korrekt gestaltete Strukturen am falschen Platz! Verantwortlich für diese homöotische Transformation waren Mutationen in einem Gen, das den Namen Antennapedia (Antp) erhielt. Es ist eines der Gene, die von Be-
350
12 Entwicklung und Gene
deutung sind, wenn die Identität von Segmenten und Körperregionen spezifiziert wird. Die Expression nur eines Gens am falschen Ort führt zu (in sich korrekten) Körperstrukturen am falschen Ort!
Die Funktion des vom Antp-Gen abgeleiteten ANTP-Proteins war lange rätselhaft. Erst 1998, lange nachdem die Funktion anderer homöotischer Gene erschlossen war, konnten gut begründete Hypothesen vorgetragen werden. Danach wird die Kopf- und Thoraxregion von einer Hierarchie von Selektorgenen kontrolliert. Normalfall: Es gibt Selektorgene, die über die Kontrolle nachgeordneter Effektorgene ein Beinprogramm einschalten, und es gibt ein weiteres Selektorgen, homothorax (hth), das ein Zusatzprogramm aktiviert, welches das Beinprogramm zum Antennenprogramm modifiziert. Das funktionstüchtige WildtypANTP unterdrückt speziell im Mesothorax, dem mittleren Brustsegment, das Antennendeterminierende hth-Selektorgen. Ohne dass ANTP eingreifen müsste, läuft dann im Mesothorax das Bein-Grundprogramm ab. Beine werden zu Antennen. Fällt Antp ganz aus und steht folglich kein funktionsfähiges ANTP zur Repression des Antennendeterminierenden Selektorgens zur Verfügung, kommt im Mesothorax zum Beinprogramm das Antennenzusatzprogramm zum Zuge und der Mesothorax macht fälschlicherweise statt Beine fast normale Antennen. Antennen werden zu Beinen. Normalerweise wird das Antennapedia-Gen im Kopf gar nicht exprimiert. Das Antennendeterminierende hth-Selektorgen schaltet, wenn es nicht durch ANTP gehindert wird, zum Bein-Grundprogramm das zusätzliche Antennenprogramm ein. Bei der dominanten gain-of-function Mutante wird fälschlich ANTP im Kopf exprimiert. Deshalb wird das Antennen-Zusatzprogramm ausgeschaltet, es läuft nur das Bein-Grundprogramm ab.
Ein vereinfachtes Modell zum Verständnis homöotischer Transformationen ist in Abb. 12.17 wiedergegeben.
12.2.3
Die homöotischen Gene der Hom/Hox-Klasse helfen, Orte zu kennzeichnen und die Eigenheiten von Körperregionen festzulegen
Eine Begriffsbestimmung vorweg, um Missverständnissen vorzubeugen: Viele entwicklungssteuernde Gene enthalten eine Teilsequenz, die man Homöobox nennt; diese codiert für einen besonderen Bereich des Proteins, die Homöodomäne. Mit dieser Homöodomäne bindet das Protein an die DNA und wirkt als Transkriptionsfaktor (Abb. 12.14 und 12.15). Nicht alle diese Gene gehören jedoch in die Kategorie der homöotischen Gene im engeren Sinn. Beispielsweise ordnet man bei Drosophila das „Koordinatengen“ bicoid und das „Segmentierungsgen“ fushi tarazu nicht in die Kategorie der kanonischen homöotischen Gene, wiewohl auch sie eine Homöobox enthalten. Trotzdem gilt auch für diese beiden genannten Gene, was in diesem Abschnitt für die homöotischen Gene im engeren Sinn gesagt wird. In der Entwicklung von Drosophila, in der Entwicklung der Wirbeltiere und, soweit es heute zu überblicken ist, in der Entwicklung aller Metazoen spielen solche homöotischen Gene eine unverzichtbare Rolle. In Drosophila bestimmen sie die besondere Qualität der ursprünglich gleichförmigen Segmente, ob sie zu Teilen eines Kopfes, eines Thorax oder eines Abdomens werden sollen und die Segmente entsprechend abgewandelt werden müssen. Homöotische Gene sind in der Regel nicht ausschließlich in einzelnen Segmenten, sondern in großen Bereichen des Körpers exprimiert. Bei anderen Insekten oder Gliederfüßlern können die Expressionsdomänen demgegenüber verschoben sein, der Hox-Code also ein anderer sein. Entsprechend weichen die Baupläne ab (Kap. 22). Alle diese Gene werden in allen Zellen ihrer jeweiligen Expressionsbezirke (Expressionsdomänen) aktiviert, ob diese Zellen nun künftig Epidermis, Muskeln oder Nervengewebe hervorbringen. Gleiches gilt, wie in Abb. 12.18 gezeigt, für die Gene der Hox-A- und der Hox-D-Familie im Körper und den Extremitäten der Wirbeltiere. Allgemein werden Hox-Gene in bestimmten Körperregionen exprimiert, und dort in mehreren unterschiedlichen künftigen Gewebearten. Hierin unterscheiden sie sich von den Genen, die Zelltypen spezifizieren wie MyoD1 (s. Abschn. 12.3). Sowohl künftige Knorpel- als auch Muskel- und Nervenzel-
12.3 Gene zur Programmierung von Augen und Zelltypen
len exprimieren ein bestimmtes Hox-Gen, sofern diese Gewebe in der gleichen Körperregion liegen. Andererseits ist jede Körperregion durch eine besondere Kombination von aktivierten Selektorgenen ausgezeichnet.
12.3 Gene zur Programmierung von Augen und Zelltypen 12.3.1 Eine Monsterfliege mit 14 Augen zeigt, dass Augen tierischer Organismen mehr gemeinsam haben, als dem Morphologen erkennbar ist Die Analyse von Genen, die für die Entwicklung des Auges benötigt werden, gipfelte in einem der spektakulärsten Experimente der gegenwärtigen Entwicklungsbiologie: in der durch genetische Manipulation hervorgerufenen Entwicklung vieler zusätzlicher Augen an den Antennen, Beinen, Flügeln oder Halteren einer Fliege (Abb. 12.19). Es sind in Drosophila mehrere Mutationen bekannt, die eine Verkrüppelung oder den vollständigen Verlust der Augen zur Folge haben. Zu diesen gehört das Gen eyeless (ey). Das Gen ist homolog (ortholog) zum Gen small eye (Sey) der Maus, das besser als Pax6 der Wirbeltiere bekannt geworden ist, und zum Gen Aniridia des Menschen. Hat ein menschlicher Keim das mutierte (=) Allel Aniridia doppelt erhalten (ist er also homozygot in diesem Gen), stirbt er noch als Embryo vorzeitig ab. Heterozygoten (=C) Menschen, die neben einem kranken auch ein gesundes Allel tragen, fehlt die Iris. Die genannten Gene sind Elemente eines regulatorischen Netzwerkes aus Transkriptionsfaktoren, die allesamt mit einer Homöodomäne, manche darüber hinaus mit einer weiteren DNA-bindenden Domäne, der paired Box, ausgestattet sind und die synergistisch Augenentwicklung steuern. In diesem Netzwerk haben einzelne Gene eine führende Rolle. Bekannt geworden sind die Gene der Pax-Familie, speziell Pax6. Diese werden allerdings nicht nur in den Augenanlagen, sondern auch in weiteren Regionen des Gehirns und Rückenmarks, des Kopfes und einige sogar in Organen des Rumpfes exprimiert. Sie kennzeichnen also nicht Zelltypen oder Organe, sondern die vordere Körperregion.
351
Obwohl viele Gene zu einem regulatorischen Netzwerk verschaltet sind, kann es sein, dass der Ausfall eines Gens die Augenentwicklung massiv stört. Das ist nicht so sehr erstaunlich wie der umgekehrte Fall: Ektopische Expression auch nur eines dieser Gene kann eine Augenentwicklung am falschen Ort in Gang setzen. Dies zeigt das folgende Experiment: Eine Arbeitsgruppe um Walter Gehring, Basel, hat die Normalausführung des Gens ey isoliert, unter die Kontrolle des GAL4/UAS-Expressionssystems gebracht und in Fliegen eingeschleust. Dieses System erlaubte die Expression von ey in allen Imaginalscheiben, die GAL4 produzieren. Die Methode der Manipulation ist in Abb. 12.19b skizzenhaft wiedergegeben. Das in den Imaginalscheiben produzierte EYProtein programmierte Zellgruppen so um, dass sie zu Augenvorläuferzellen wurden. Die veränderten Imaginalscheiben entwickelten im Zuge der Metamorphose Augenstrukturen, die außen auf der Körperoberfläche exponiert wurden. Auf den Antennen lokalisierte Augen waren sogar an das Gehirn angeschlossen (W. Gehring in einem Vortrag: „Vielleicht riechen sie mit diesen Augen Licht“). Erstmals war die ektopische Entwicklung eines Organs nicht durch Transplantation von induzierendem Gewebe oder mittels Induktionsfaktoren, sondern durch genetische Manipulation hervorgerufen worden. Sogar in sonst gänzlich augenlosen ey= Mutanten konnte mit diesem Trick Augenbildung in Derivaten der Imaginalscheiben induziert werden. Ein weiteres aufregendes Resultat war: Statt des Drosophila-Gens ey kann man auch das Maus-Gen Pax6 dazu benutzen, um solche überzähligen Augen an falschen Orten hervorzuzaubern. Umgekehrt kann das Drosophila-ey-Gen auch im Wirbeltier (Xenopus) Augenentwicklung in Gang setzen. Es ist erstaunlich genug, dass in der Entwicklung von Augen, die so verschieden sind wie die Komplexaugen der Arthropoden und die Kameraaugen der Wirbeltiere, gleichartige, orthologe Gene am Werke sind. Es handelt sich bei ey bzw. Pax6 oder Aniridia um Selektorgene, die für einen Transkriptionsregulator codieren. Das ey-Gen enthält als besondere Teilsequenzen eine Homöobox und eine paired box, die dem fertigen EY-Protein eine DNA-bindende Homöodomäne und eine DNA-bindende Paxdomäne verleihen. Augenscheinlich kontrollieren sie Zielgene, die im Insekt und/oder im Wirbeltier für Augenentwicklung nötig sind, auch wenn die Differenzierung der
352
12 Entwicklung und Gene
a1
a2
ektopisches Auge statt Antennenglied
ektopische Augen an Haltere, Flügel und Bein
EY oder PAX6 Transkriptionsfaktor
b2
GAL4
ey oder Pax6
+ +
cDNA
UAS
+
GAL4
+
Imaginalscheibenspezifischer Enhancer
Transposon
b1
Nachkommen
Kreuzung
+ Genom
+
GAL4
Transposon Drosophila-Linie A
Abb. 12.19 a Ektopische Augen bei Drosophila nach Experimenten von Halder et al. 1995. Die zusätzlichen, ektopischen Augen wurden hervorgerufen durch Expression des Wildtyp eyC=C Gens in den Imaginalscheiben der Beine, der Flügel, der Halteren oder der Antennen. Statt des ey-Gens kann auch das orthologe Gen Pax6 der Maus mit gleichem Ergebnis zur Expression gebracht werden. b Konstrukte, welche die Entwicklung ektopischer Augen ermöglichten und durch Mikroinjektion in Embryonen eingebracht wurden. Im Vorfeld des Hauptexperiments war mittels Transposons (P-Element) das aus der Hefe stammende Gen für den Transkriptionsfaktor GAL4 in das Genom von Fliegen eingeschmuggelt worden (Verfahren s. Abb. 12.2). In seltenen, aber über bestimmte Marker erkennbaren Fällen setzte sich das Transposon so in das Genom, dass Gal4 nur in bestimmten Imaginalscheiben exprimiert wurde
x
ey oder Pax6 cDNA UAS Drosophila-Linie B
(Treiberlinien). Erkennbar wurde die Expression nach Verpaarung mit einer Fliegenlinie, die das Reportergen LacZ unter Kontrolle eines UAS-Promotors exprimiert. Das LacZ-Produkt (ˇ -Galaktosidase) ermöglicht die Bildung eines blauen Farbstoffes. In den Zellen, die beide Konstrukte enthalten, bindet der erzeugte GAL4-Faktor an den UAS-Promotor, der LacZ vorgeschaltet ist und aktiviert die ˇ -Galaktosidase-Expression. Fliegenlinien, die blaue Imaginalscheiben bildeten, wurden in einer zweiten Stufe des Experiments mit Fliegen gekreuzt, die ein UAS-ey-Konstrukt in ihren Zellen enthielten. Dieser Trick, das ey-Gen unter Kontrolle des UAS-Promotors zu stellen, ermöglichte seine Aktivierung in all den Zellen, die Gal4 exprimierten. In den Nachkommen der beiden Fliegenstämme, die in Imaginalscheiben gleichzeitig UAS-ey und Gal4 exprimierten, wurden deshalb ektopische Augen gebildet
12.3 Gene zur Programmierung von Augen und Zelltypen
Augen morphologisch so grundverschieden ausfällt. Die Umsetzung der genetischen Information ist an Spezies-spezifische Differenzierungskompetenzen gebunden. Weitere genetische Analysen ergaben, dass dem ey(eless)/small eye/aniridia-Gen Gene mit noch höherer Stellung in der Hierarchie der Steuerungssysteme vorstehen, so das Gen twin of eyeless und das Gen sine oculis, das sogar in mit Ocellen ausgestatteten Hydromedusen vorhanden ist. Sine oculis sorgt in der Fliege dafür, dass sie nicht nur mit Komplexaugen, sondern auch mit den kleinen Ocelli (Stirnaugen) ausgestattet wird. Gene, die Augenentwicklung steuern, werden wir in Kap. 16 (Nervensystem und Augen) erneut in den Blickpunkt nehmen und ihre Rolle in Hinblick auf die Evolution der Augen diskutieren.
12.3.2 Der Paradefall eines zelltypspezifischen Steuergens: Die MyoD/myogenin-Familie programmiert einen Myoblasten; dessen Abkömmlinge übernehmen das Programm Bei der quergestreiften Muskelfaser hat man mehr als bei jedem anderen Zelltyp Einblick in die molekularen Mechanismen der Programmierung gewonnen: Die Fasern der Skelettmuskulatur sind vielkernige Syncytien, die durch Fusion mehrerer Myoblasten entstehen. Myoblasten sind Zellen des Mesoderms, die eine erste Programmierung bereits in der Blastula durch mesodermalisierende Induktion erfahren. In der Marginalzone der Blastula, dem Vorläufer des Mesoderms, werden schon erste myogene Gene eingeschaltet (Kap. 10). Die Programmierung setzt sich in den Somiten unter dem Einfluss weiterer Induktionsfaktoren fort. Dabei wird ein zentrales myogenes Schlüsselgen oder eine Kollektion eng miteinander verwandter myogener Schlüsselgene eingeschaltet. Das zuerst entdeckte Gen dieser Familie ist MyoD1 (Myoblast-Determining gene 1). Dieses Gen ist Prototyp eines Meistergens, auch Selektorgen (Abb. 12.15) genannt, das untergeordnete Effektorgene, die zur terminalen Differenzierung benötigt werden, unter seiner Herrschaft hält. Verschiedene in Zellkultur gehaltene Fibroblasten (Vorläufer verschiedener mesodermaler Zellen, z. B. von Bindegewebszellen) und Adipoblas-
353
ten (Vorläufer von Fettzellen) können durch Transfektion mit MyoD1 mRNA noch so umprogrammiert werden, dass sie zu Myoblasten werden (gain-offunction-Experiment). Um andere Gene kontrollieren zu können, ist das Protein MYOD1 mit einer basic Helix-Loop-HelixDomäne, bHLH (Abb. 12.14) ausgestattet, mit der es sich an eine Steuerregion (E-Box des Promoters) der zu kontrollierenden Gene heftet. Man spricht von Downstream-Genen oder Zielgenen, die als Effektorgene dem Selektorgen nachgeschaltet sind. MYOD1 wirkt als Transkriptionsregulator (in Kooperation mit verschiedenen Cofaktoren). Der MYOD1-Faktor kontrolliert aber nicht nur andere Gene, er wirkt auch autokatalytisch auf seine eigene Produktion, und darin liegt der besondere Pfiff: MYOD1 besetzt die Steuerregion seines eigenen Gens, das ebenfalls mit einer E-Box ausgestattet ist, hält dieses Gen aktiv und so seine eigene Produktion in Schwung. (Statt dem Begriff „Autokatalyse“ kann man auch den Begriff „positive Rückkopplung“ wählen.) Wenn nun nach einer DNA-Replikation bzw. einer Zellteilung die neu hergestellten Transkriptionsfaktoren wieder in den Kern eindringen und ihre Promotoren suchen, wirft auch MYOD1 seine eigene Neuproduktion wieder an (Abb. 12.14 und 12.20). Deshalb wird MYOD1 nicht ausgedünnt und beide Tochterzellen bleiben Myoblasten: Der Determinationszustand überdauert Zellteilungen. Die Muskelzelle ist stabil auf ihre Aufgabe festgelegt. Bei einem so bedeutsamen Gen erwartet man, dass eine Loss-of-function-Mutation (K.-o.-Mutation) zu lebensunfähigen Nachkommen ohne Muskulatur führen würde. Gezielte Mutagenese (targeted mutagenesis, s. Box 12.2 und Kap. 13) endete allerdings in großer Enttäuschung der am Projekt beteiligten Wissenschaftler, denn sie zeigte eben nicht diesen Effekt, auch nicht, wenn das defekte Gen nach Inzucht homozygot (MyoD1 =) vorlag. Aus Enttäuschung kann überraschende Erkenntnis erwachsen. Vielleicht weil das Gen so wichtig ist, gibt es nicht nur ein myogenes Schlüsselgen, sondern mehrere einander ähnliche, die sich wechselseitig ergänzen können (genetische Redundanz). Darüber hinaus könnten die verschiedenen myogenen Schlüsselgene bei der Programmierung von Untertypen der Muskulatur von Bedeutung sein. Man kennt derzeit 4 myogene Schlüsselgene: MyoD1, myf-5, MRF-4, myogenin. Alle diese Gene codieren für DNA-bindende Transkriptionsfaktoren, die
354
12 Entwicklung und Gene
kontraktilen Apparat aufbauen. Dann freilich wird es laufend weiter produziert, und es ist unverzichtbar. Myogenin = Mutanten sind letal. Insoweit ist das oben genannte Argument, Mitglieder einer Genfamilie könnten sich wechselseitig ersetzen, der Organismus sei durch genetische Redundanz abgesichert, nur eingeschränkt gültig.
MyoD Protein Autokatalyse
MyoD Gen mRNA
MyoD Protein
Autokatalyse
12.3.3 NeuroD und die Verwandtschaft von Genen, die Nervenzellen und Muskelzellen programmieren
MyoD Protein
Autokatalyse
MyoD Gen
MyoD Gen
mRNA
mRNA
Abb. 12.20 Autoregulatorische Selbstaktivierung eines Transkriptionsfaktors, dargestellt am Beispiel von MyoD. Der Faktor aktiviert seine eigene Transkription. Nach einer Zellteilung führt diese positive Rückkoppelung (Autokatalyse) zur Wiederaufnahme der MyoD-Synthese, sodass eine durch die Zellteilung bedingte Verdünnung kompensiert wird
ihrerseits alle mit einer bHLHDomäne ausgestattet sind (Abb. 12.14) und im Experiment nach Injektion in Fibroblasten das Muskel-Differenzierungsprogramm anwerfen. In der Embryonalentwicklung werden erst myf-5 und MRF-4 exprimiert, aber nur vorübergehend, dann folgen MyoD1 und myogenin. Das MYOGENIN-Protein fällt aus dem Rahmen. Es erscheint erst, wenn Myoblasten zur Muskelfaser fusionieren und ihren
Selbstredend hat man sich nach der Entdeckung muskelzellspezifischer Steuergene auf die Suche gemacht, um Meistergene auch für andere Zelltypen zu finden. Ein Hauptinteresse galt und gilt den Nervenzellen. Die mühsame Suche hat auch zur Identifikation von Genen geführt, die in der Entwicklung von Nervenzellen essentielle Funktionen erfüllen. Man nennt solche Gene allgemein neurogene oder proneurale Gene und gab den ersten identifizierten proneuralen Genen in Analogie zu Myod1 und myogenin Namen wie NeuroD oder neurogenin. Die Gene codieren wie die muskelspezifischen Gene für Transkriptionsfaktoren mit einem bHLH-Motiv als DNA-Bindungsdomäne. In Drosophila entspricht der achaete scuteGenkomplex (AS-C) funktionell den NeuroD/neurogenin-Genen der Vertebraten. Auch Gene dieses AS-C codieren für Transkriptionsfaktoren mit bHLH-Motiv, ohne jedoch in anderen Bereichen des Moleküls Übereinstimmungen mit den NeuroD/neurogenin-Genen erkennen zu lassen. Auch im Zug der Neurogenese läuft eine ganze Kaskade von Genaktivierungen ab, bis schließlich entschieden ist, dass eine neuronale Zelle entsteht und welchem Untertyp von Neuronen oder Gliazellen sie angehören soll (darüber mehr in Kap. 16). Je mehr Gene identifiziert werden, die bei der Programmierung von Zellen des Nervensystems von Bedeutung sind, desto deutlicher wird, dass eine Reihe dieser Gene in der Entwicklung sowohl der Sinnesund Nerven- als auch der Muskelzellen beteiligt ist, Beispiele sind die Zinkfinger-Proteine codierenden Gene der zic/odd-paired-Klasse. Dies erscheint im Nachhinein nicht überraschend. Alle diese Zellen sind „erregbar“, leiten also elektrische Signale über ihre Zellmembran, und in der Frühzeit der Eumetazoa dürften diese Zellen eine Co-Evolution durchgemacht
12.4 Entwicklungssteuernde Gene und Transkriptionskontrolle: ein Resümee
haben. Denn nur wenn Bewegungen koordiniert und zielgerichtet sind, versprechen sie große Vorteile im harten Spiel des Überlebens.
12.4 Entwicklungssteuernde Gene und Transkriptionskontrolle: ein Resümee 12.4.1 Entwicklungssteuernde Gene sind oft Meistergene (Selektorgene), die ganze Batterien nachgeordneter Gene unter Kontrolle halten Viele entwicklungssteuernde Gene sind, wie das oben vorgestellte MyoD1 oder das eyeless/Pax-6, Meistergene D Selektorgene. Sie liefern Proteine, die ihrerseits transaktivierende genregulatorische Funktion haben und mittels besonderer Bindungsdomänen an Steuersequenzen der ihnen unterstellten Gene binden, agieren also als Transkriptionsfaktoren.
12.4.2 Meistergene und viele andere entwicklungssteuernde Gene codieren für Transkriptionsfaktoren; diese enthalten eine besondere DNA-bindende Domäne In der Entwicklung des Grundbauplans von Drosophila und Maus, wahrscheinlich in der Entwicklung aller vielzelligen Tiere, übernehmen homöotische Gene eine zentrale Funktion als regiospezifisch exprimierte und aktivierte Transkriptionsfaktoren. Trotz großer Variabilität nutzen sie oftmals ähnliche Strukturmotive zur Bindung an regulatorische Sequenzen der DNA: eine Homöobox, kurz Hox genannte Teilsequenz aus 180 bp. Die Hox-Sequenz wiederum verleiht dem Protein eine charakteristische, DNAbindende Helix-Turn-Helix-Domäne, kurz HTHMotiv und in diesem Fall auch Homöodomäne genannt. Die Homöodomäne ist 60–70 AS groß und birgt zwei gegeneinander abgewinkelte AlphahelixSubdomänen in sich, die in die große Grube der DNA eingreifen. Die Homöodomänen je zweier solcher Transkriptionsfaktoren können symmetrische Dimere bilden. (Solche an DNA an-
355
dockende HOM-Dimere sehen ähnlich aus wie die in Abb. 12.14 gezeigten Dimere der bHLHTranskriptionsfaktoren.) HOM-Dimere binden wie alle Transkriptionsfaktoren nicht wahllos an die DNA; vielmehr erkennt das HTH-Motiv spezifische 50 -Steuersequenzen vor den zu kontrollierenden Genen. Geringe Verschiedenheiten in den Homöodomänen der Proteine einerseits und den Steuersequenzen auf der DNA (RE D Responsive Elements) andererseits bestimmen, wo auf der DNA eine Bindung möglich ist, d. h. welcher Transkriptionsfaktor welche subalternen Gene kontrolliert. Bei Drosophila wurden bereits mehr als 30 Proteine identifiziert, die bei der Konstruktion der Körpergrundgestalt eine kontrollierende Funktion haben. Fast alle haben DNA-bindende Domänen, viele eine Homöodomäne. Andere DNA-bindende Domänen sind die basic Helix-Loop-Helix bHLH heißt (man beachte: Helix-Loop-Helix hier, Helix-Turn-Helix bei der Homöodomäne). Die bHLH sieht in ihrer räumlichen Struktur ähnlich aus wie die Homöodomäne, hat aber eine andere Aminosäurenzusammensetzung. Auch bHLH-Domänen bilden Dimere (Abb. 12.14). bHLH-Domänen besitzen u. a. die zelltypspezifischen Transkriptionsfaktoren MyoD, Myogenin, NeuroD und Neurogenin. Wieder andere Transkriptionsfaktoren sind mit Zinkfingerdomänen ausgestattet, so hat bei Drosophila das vom Segmentierungsgen hunchback codierte Protein ein Zinkfinger-Motiv vom Cys2 His2 -Typ. Zinkfinger hat auch der eingetragene GAL-4-Faktor (Abb. 12.19b), während EYELESS als DNA-Bindungsmotive neben einer Homöodomäne auch noch eine Pax-Domäne besitzt, die von einer paired boxSequenz der DNA codiert wird. Dem eyeless-Gen von Drosophila entspricht das Pax6-Gen der Vertebraten. Auch Pax6 kann ja in der Fliege Augenentwicklung auslösen und selbstredend hat der Faktor eine Pax-Domäne. Pax-Gene sind ähnlich weit verbreitet wie Hox-Gene. Das auf dem Y-Chromosom der Säuger befindliche zentrale Steuergen Sry(r), das ♂-bestimmende Gene beherrscht (Kap. 6), codiert für einen Transkriptionsfaktor namens Testis-determining factor TDF; dieser besitzt eine High Mobility Group-(HMG)-Domäne als DNAbindende Struktur. Zu den Proteinen, die mit Zink-
356
fingerdomänen ausgestattet sind, gehören auch die in den Zellkern eindringenden Rezeptoren der Steroidhormonfamilie (s. Abb. 11.11). Diese Familie umfasst die Rezeptoren für Steroidhormone, für das Hormon Thyroxin (T3, T4), für Retinsäure und für Vitamin D3. Alle diese genregulierenden Rezeptoren besitzen zwar unterschiedliche Liganden-Bindungsdomänen für die Hormonbindung, aber sehr ähnliche Zinkfingerdomänen und Domänen für die DNA-Bindung. Die von der DNA-bindenden Domäne erkannten Sequenzen vor den regulierten Genen heißen Hormon-sensitive Elemente HSE oder Hormone Responsive Elements HRE, im Falle der Retinsäure Retinoic Acid Responsive Element RARE. Diese „Elemente“ liegen in der Promotorregion vor der Protein-codierenden Region der betreffenden Gene. Lehrbücher der Molekularbiologie und Genetik nennen noch manch andere DNA-bindende Strukturen (z. B. Leucin-Zipper, POU-Domäne). In diesem einführenden Buch geht es nicht um eine komplette Auflistung. Es soll vielmehr ein Prinzip allgemeiner Art deutlich werden: Viele Gene, die grundlegende Prozesse der Entwicklung kontrollieren, und Gene, die maßgeblich an der Programmierung eines Zelltyps beteiligt sind, wirken, indem sie mittels der von ihnen codierten Transkriptionsfaktoren ganze Batterien nachgeschalteter (downstream) Gene unter Kontrolle halten. Andere entwicklungssteuernde Gene codieren für Signalmoleküle, Rezeptoren, Elemente der Signaltransduktion oder extrazelluläre Enzyme (Kap. 10 und Kap. 11). Oftmals sind Gene für Signalmoleküle und Gene für Transkriptionsfaktoren gekoppelt. Ein Beispiel: Im Keim der Wirbeltiere markiert der Expressionsbereich der Gene siamois und goosecoid den Ort, der zum Spemann-Organisator, einem bedeutsamen Signalsender, wird. Beide Gene codieren für Transkriptionsfaktoren. Wird siamois- oder goosecoid-mRNA andernorts in frühe Furchungsstadien injiziert und zur Expression gebracht, entsteht dort ein zweiter Spemann-Organisator. Ein Transkriptionsfaktor veranlasst die Produktion von Induktionsfaktoren. Umgekehrt werden in Arealen, auf die Induktionsfaktoren wirken, als Reaktion auf das empfangene Signal Gene mit Homöoboxen eingeschaltet, beispielsweise Gene der Hox-D-Familie.
12 Entwicklung und Gene
12.4.3
Ein neues Kapitel in der Genregulation: kleine RNAs regeln Genfunktionen auf allen Ebenen
Seit dem Jahr 2000 tauchen in den medizinischbiologischen Publikationsdatenbanken zunehmend Veröffentlichungen auf, die sich mit der Rolle der nicht-proteincodierenden kleinen RNA-Spezies befassen. Ihnen kommt bei der Aktivierung oder Inaktivierung der Transkription, vor allem aber bei der Regelung der Translation Bedeutung zu. Wir greifen beispielhaft die Rolle der miRNAs (microRNA), oft auch siRNAs (small interfering RNAs) genannt, bei der Translationskontrolle auf; denn sie lieferte die Vorlage für ein Laborverfahren zum Ausschalten spezifischer mRNA-Moleküle (RNAi-Methode, Box 12.2). Der natürliche Vorgang ist in Abb. 12.21 wiedergegeben und zeigt, wie die Translation einer bestimmten mRNA durch miRNA spezifisch unterbunden werden kann. Grundlage ist, so wird vermutet, ein natürliches Abwehrverhalten von Zellen gegenüber Infektionen mit Viren, welche doppelsträngige RNA enthalten. Ein Nuklease-basierter Abwehrmechanismus zerschreddert natürlicherweise solche doppelsträngigen Moleküle. Seit 1997 dieser Mechanismus in C. elegans entdeckt und experimentell genutzt wurde, um durch Einbringen von antisenseRNA-Duplices genspezifische Ausfallserscheinungen auszulösen, hat diese Methode Schule gemacht. Sie ist auch bei nicht genetisch zugänglichen Tieren (und potenziell auch in der Humanmedizin) einsetzbar und erzielt knockout-ähnliche Phänotypen, über die Genfunktionen analysiert und unerwünschte ausgeschaltet werden können. Organismen haben den Mechanismus adaptiert, um endogene mRNAs zu kontrollieren und (trotz verschwenderischer Synthese) abzubauen. Hierbei spielen im Genom codierte miRNAs eine Rolle, welche sich im Lauf der Evolution hochkonserviert erhalten haben und bei allen mittlerweile daraufhin untersuchten Tieren aktiv werden.
12.4.4
Entwicklungssteuernde Gene sind zu interaktiven Netzwerken verschaltet; Kombinatorik schafft Vielfalt
Es gibt Gene, die durch eine positive Rückkoppelungsschleife (Autokatalyse) ihren eigenen Ak-
12.4 Entwicklungssteuernde Gene und Transkriptionskontrolle: ein Resümee Abb. 12.21 Posttranskriptionales Ausschalten einer mRNA durch kleine, regulatorische miRNA. Die miRNA wird von einem bestimmten nicht-Proteincodierenden DNA-Abschnitt (z. B. Intron, Transposon) abgelesen. Aus dem ursprünglich längeren, mit reichlich Haarnadelstrukturen (hairpin loops) ausgestatteten primären Transkript werden im Zuge eines Processings kleinere Nucleotid-Stücke mit je einer Haarnadelstruktur herausgetrennt. Diese sind die eigentlichen miRNAs. An diese bindet der DICERKomplex und trennt kurze Einzelstrangstücke mit ca. 20 Nucleotiden heraus. Diese können im RISC-Komplex an die UTR-Region (UnTranslated Region) der mRNA binden, ihre Translation hemmen oder den Abbau der mRNA einleiten
357
Ein bestimmter für miRNA-codierender DNA-Abschnitt Pol II
primäres Transkript mit hairpin loops (stem loops)
AAA
AAA
Processing
miRNA
DICER bindet an und spaltet Doppelstrang-RNA
Argonaut
Argonaut
vom DICER-Enzym herausgetrennte siRNA-Stücke
Unvollständige komplementäre Passung: Translationsblock
Argonaut
5’
3’ mRNA
RISC UTR
Vollständige komplementäre Passung: Degradation der mRNA
Argonaut
3’ RISC
5’
mRNA UTR
tivitätszustand steigern und stabilisieren. Beispiele: MyoD1, myogenin und das Segmentierungsgen fushi tarazu (ftz) von Drosophila. Andere Gene schalten
sich über eine negative Rückkoppelungsschleife selbst wieder aus. Meistergen-Transkriptionsfaktoren schalten Gene an anderen Orten der Chromosomen entwe-
358
der ein (Transaktivierung), oder sie schalten andere Gene aus (Suppression). Umgekehrt binden an die Steuersequenz mancher Gene mehrere Transkriptionsfaktoren, beispielsweise docken an die HRE-Regionen mancher Gene Heterodimere zwischen dem Rezeptor für Thyroxin und dem Rezeptor für Cortisol an (s. Abb. 11.11). Die Enhancer-Region des Gens evenskipped von Drosophila hat 14 Bindungsstellen für andere Homöoproteine. Dies ermöglicht umfangreiche Wechselwirkungen zwischen den homöotischen Genen. Bei den Hox-Genprodukten hatten wir erfahren, dass in bestimmten Körperregionen jeweils ein bestimmter Satz von Selektorgenen wirksam ist, die wiederum verschiedene subalterne Genbatterien unter Kontrolle halten. Damit kommen Kaskaden von Genaktivierungen in Gang (Domino-Effekt). Die dazwischengeschaltete Aktivierung der Produktion extrazellulärer Signalmoleküle ermöglicht eine räumliche Ausbreitung solcher Kaskaden: Sie werden zu Lawinen. Die Frage, warum ein Organismus mit relativ wenigen Genen auskommt, findet ihre partielle Antwort darin, dass in jeder Körperregion und jedem Gewebetyp eine besondere Kombination von Genen zum Zuge kommt und dabei die Kombinationen im Laufe der Zeit wechseln. Es kommt zu wechselnden raum-zeitlichen Mustern der Genexpression, vergleichbar den raum-zeitlichen Mustern der Aktivierung von Musiknoten in einem Orchester. Bei einem Schatz im haploiden Satz von vielleicht 19.000 (C. elegans), 13.600 (Drosophila) oder ca. 22.000 (Mensch) proteincodierenden Genen ist eine unerschöpflich große Kombinationsvielfalt möglich.
12.4.5 Verlust der Determination und Transdetermination: Der Determinationszustand kann bei krebsartiger Entartung der Zellen verloren gehen oder er erfährt einen sprunghaften Wechsel, eine Transdetermination So stabil ein einmal einprogrammierter Determinationszustand normalerweise ist, so kennt man doch
12 Entwicklung und Gene
Fälle, in denen der Zustand verloren geht oder eine nachträgliche Neuentscheidung stattfindet. Krebsartig entartete Zellen verlieren oft ganz oder teilweise die Fähigkeit, sich auszudifferenzieren, und fallen in einen Zustand embryonalen Daseins zurück (Kap. 18). Bei Drosophila ist man dem Phänomen der Transdetermination begegnet. Darüber ist in Abschn. 4.6.17 (mit Abb. 4.42) und Kap. 18 (Abb. 18.3) berichtet worden. Hier eine Zusammenfassung des Wichtigsten: In der Larve findet man scheibenförmige Gebilde, die Imaginalscheiben, aus denen im Zuge der Metamorphose mosaikartig die adulte Fliege zusammengebaut wird. Die in der Larve gespeicherten Scheiben sind bereits determiniert, aber noch nicht terminal differenziert. Man kann sie vermehren: Die Scheiben werden zerteilt, die Teilstücke lässt man regenerieren, und so erhält man Klone von Scheiben. Um ihren Differenzierungszustand zu testen, werden geklonte Scheiben in die Leibeshöhle metamorphosebereiter Larven verbracht. Dort machen sie mit der Larve die Metamorphose durch, und man kann alsdann das Produkt der Leibeshöhle entnehmen: Es ist ein Bein, ein Flügel oder ein Auge, je nachdem, welche Scheibe man der Larve entnommen und durch wiederholte Regeneration geklont hatte. Die Nachkommen dieser einen Originalscheibe haben deren Determinationsprogramm geerbt. Mitunter passiert es aber, dass die Determination verloren geht und ein anderes Programm verwirklicht wird: Statt des erwarteten Beins erntet man beispielsweise einen Flügel. Dieser Umschlag des Determinationsprogramms, Transdetermination genannt, könnte darauf beruhen, dass beim Zerschneiden der Scheiben und ihrem anschließenden Verheilen bisweilen Zellgruppen aufeinandertreffen, die normalerweise getrennt sind. Diese Konfrontation kann zu Induktionsphänomenen führen. Dies besagt: Die Zellgruppen beeinflussen sich in einer Weise, dass ein neues Entwicklungsprogramm eingeschaltet wird. Induktionsphänomene wurden im Kap. 10 besprochen. Dass es hierbei zu einer stabilen und hereditären Transdetermination kommt, ist aber mit dieser Hypothese noch nicht befriedigend erklärt. Das Phänomen hat nach einer neuen Deutung möglicherweise seine Ursache in einer plötzlichen Veränderung des epigenetischen Programms.
12.5 Epigenetik: Reversible Veränderungen in der Zugänglichkeit von Genen
12.5 Epigenetik: Reversible Veränderungen in der Zugänglichkeit von Genen 12.5.1
Der Determinationszustand ist über Zellteilungen hinweg auf Tochterzellen übertragbar; man spricht von einem epigenetischen zellulären Gedächtnis
Die Programmierung von Zellen zu einem bestimmten Entwicklungsweg besteht darin, dass bestimmte Gene abrufbereit gehalten, andere stillgelegt werden. Die Programmierung (Determination, commitment) geschieht häufig kurz vor oder im Zuge der DNA-Replikation in der S-Phase. In anderen Fällen ist die Programmierung unabhängig vom Zellzyklus und erfolgt schrittweise über einen langen Zeitraum hinweg. Vielfach durchlaufen die Blasten (Myoblasten, Neuroblasten, Erythroblasten etc.) noch mehrere Zellteilungsrunden, bis die terminale Differenzierung einsetzt und das zelltypspezifische Programm der Proteinsynthese vollständig abgearbeitet wird. In determinierten, aber noch teilungsfähigen ZellLinien wird der Determinationszustand in der Folge der Zellteilungen jeweils von der Ausgangszelle auf ihre beiden Tochterzellen übertragen. Die Zellen haben über das im Genom gespeicherte Wissen hinaus ein Gedächtnis für das, was sie im Zuge ihrer Determination erlernt haben. Man spricht von epigenetischem Gedächtnis und epigenetischer Zellheredität (Vererbbarkeit). Diese epigenetische Vererbung des Determinationszustandes lässt Klone gleichartig determinierter Zellen entstehen. Schulbeispiel sind die künstlich durch Fragmentierung und anschließende Regeneration vermehrten Klone von Imaginalscheiben von Drosophila (s. Abb. 4.42). Aber auch zahlreiche in der Zellkultur gezüchtete Zell-Linien belegen die Vererbbarkeit des Determinationszustandes. Von bestimmten Myoblasten sind schon Abermilliarden Nachkommen gezüchtet worden. Entzieht man ihnen Wachstumsfaktoren, fusionieren sie und werden zu Muskelfasern. In den folgenden Abschnitten werden Mechanismen zusammengefasst, die zum Zellgedächtnis beitragen können. Allerdings sind die molekularen Details dieser Mechanismen noch unzulänglich bekannt.
12.5.2
359
Manche Gene können sich selbst in einen Zustand der Daueraktivität versetzen und dies nach jeder Zellteilung wiederholen
Es sei hier nochmals auf die autokatalytische Selbstaktivierung nach dem Modell des Muskelzellen determinierenden Gens MyoD1 (Abb. 12.20) hingewiesen. Bestimmte Meister-(Selektor-)Gene codieren für Proteine, die in den Kernraum zurückgelangen und als Transkriptionsfaktoren ihre eigenen Gene aktivieren. Da die Faktoren auch im Cytoplasma vorhanden sind, wo sie an den Ribosomen hergestellt werden, erhalten beide Tochterzellen solche Faktoren zugeteilt. Durch positive Rückkoppelung auf ihre Gene kurbeln die den Tochterzellen zugeteilten Faktoren ihre eigene Produktion wieder an; so wird teilungsbedingte Verdünnung wieder korrigiert. Beispiel einer solchen autokatalytischen, dauerhaften Selbstaktivierung ist, neben dem MyoD1-System der Myoblasten, das fushitarazu (ftz)-Gen von Drosophila.
12.5.3
Methylierung und Heterochromatisierung können zu einer Stilllegung von Genen führen, die auch über Zellteilungen hinweg dauerhaft ist
Schon länger sind zwei Mechanismen bekannt, die zu einer dauerhaften Stilllegung von Genen führen können, Methylierung (Abb. 12.22 und Abb. 12.23) und weiträumige Heterochromatisierung (Abb. 12.24). Der Zustand der Blockierung kann in beiden Fällen im Zuge einer mitotischen Zellteilungsfolge an die Tochterzellen vererbt werden. Methylierung der DNA In der DNA der Eukaryonten kann Cytosin zu 5-Methyl-Cytosin methyliert werden. Eine solche Methylierung erfolgt nur bei CGNucleotiden, die in sog. 50 CpG-30 islands zusammengefasst und vor allem in Promoterregionen zu finden sind (Abb. 12.22). Die Konstitution 50 CpG-30 , deren komplementäre Sequenz spiegelbildsymmetrisch ist, ermöglicht es Methyltransferasen, ein einmal erzeugtes Methylierungsmuster bei der DNA-Replikation in beide Tochterstränge zu kopieren. Obzwar damit eine Heredität des Methylierungsmusters möglich ist, kann eine Theorie der Determination nicht auf Methy-
360
12 Entwicklung und Gene
lierung als alleinigem Mechanismus aufbauen. Außer der Methylierung der DNA spielen auch Acetylierung und Methylierung der Histonproteine sowie die Verpackung des Chromatins eine Rolle. Welche Konsequenzen Methylierung für die Genexpression hat, ist im Einzelfall nicht voraussagbar; doch zeigt die Erfahrung, dass reichliche Methylierung in der Regel zu einer Erschwerung der Transkription führt und damit zu ihrer Stilllegung (silencing).
CH3 C G G C CH3 S-Phase Zellteilung
12.5.4
Es gibt besondere Gene, deren Produkte in spezifischer Weise Abschnitte auf den Chromosomen zugänglich oder unzugänglich machen; einmal hergestellt, bleiben diese Zustände über Zellgenerationen hinweg erhalten
Wieder einmal ist es Drosophila gewesen, die verriet, wie ein Determinationszustand in spezifischer Weise eingestellt und vererbbar gemacht werden könnte. „Determinationszustand“ meint hier einen Zustand, bei dem viele ausgewählte Genorte auf einem Chromosom selektiv in einen dauerhaften Zustand der Aktivierbarkeit oder der Inaktivierbarkeit versetzt werden. Homöotische Gene und auch andere Selektorgene können in ihrem Expressionszustand bleibend fixiert werden. Hierzu eignen sich Proteine, die als Verpackungselemente chromosomale Abschnitte begleiten und die Zugänglichkeit der Gene in diesen Abschnitten erschweren oder erleichtern (Abb. 12.23). Gene der Polycomb-Gruppe (PcG) codieren für Proteine, die in bestimmten Abschnitten der Chromosomen den Verpackungszustand verdichten und damit die Aktivierbarkeit der Gene herabsetzen. Besonders betroffen sind die Promotor-Regionen entwicklungssteuernder Hox-Gene, die abgeschaltet werden sollen. Die Proteine haben eine Region (Chromo-Domäne), mit der sie an DNASequenzen binden, die Cellular Memory Modules (CMM) genannt wurden. Mit anderen Worten: Die stillzulegenden chromosomalen Abschnitte sind durch CMM markiert. Von den CMM aus breiten sich Polycombproteine über die Promotoren der Gene aus, deren Aktivität über lange Zeit oder auf Dauer gedrosselt werden soll (Abb. 12.23). Mit Antikörpern gegen eine Chromo-Domäne ließen sich auf einem Riesenchromosom der Speicheldrü-
CH3 C G
C G
G C
G C CH3 Wiederherstellung des ursprünglichen Methylierungsmusters
CH3
CH3
C G
C G
G C
G C
CH3
CH3
Abb. 12.22 Kopierbare chemische Modifikation der DNA, veranschaulicht am Beispiel einer Methylierung des Cytosins (5Methylcytosin). Nach Abschluss der S-Phase stellt ein Enzymsystem das ursprüngliche Methylierungsmuster in sogenannten CpG-Inseln wieder her, wobei der konservierte, also nicht neu synthetisierte DNA-Strang mit seinen Methylgruppen als Vorlage dient
sen über 100 solche Markierungsstellen sichtbar machen (darunter Positionen in den Antp- und BXKomplexen). Auch ein in die Fliegen eingeschleustes Reportergen, dem ein Cellular Memory Modul vorangestellt worden war, ließ sich in einen Schlafzustand versetzen, der Zellgenerationen überdauerte. Gene der Trithorax-Gruppe (trxG) liefern Proteine, welche Chromosomenorte öffnen und dauerhaft offen halten. Auch die Proteine dieser Gene binden an Cellular Memory Modules, erzeugen aber einen Zustand, der die Gene zugänglich macht. Ein Reportergen mit einem vorangestellten CMM kann
12.5 Epigenetik: Reversible Veränderungen in der Zugänglichkeit von Genen
Kompaktierung des Chromatins durch den Polycomb-repressiven Komplex (long-term memory complex)
361
Zelltyp-spezifische Transkriptionsfaktoren Transkription möglich
CH3 CH3
CH3
CH3
CH3
CCH3
CCH3
CCH3 CCH3 CCH3 CCH3
DNA
CH3
CH3
CH3
CH3
CH3
CH3
TF
CCH3
CH3
P
CH3
P
Ac
acetyliertes Histon
a
Methylierte Erkennungsregion CMM (Cellular Memory Module) oder PRE (Polycomb Responsive Element) Histon-H3-Methyl
DNA
CH3
CCH3 CH3
CH3
CCH3 CCH3
CH3
CH3
PolycombDimer
CH3
CCH3
CH3
CCH3
CH3
CH3 CH3
CH3
CH3
CCH3
CCH3 CCH3 CCH3 CH3
CH3
CCH3 CCH3 CCH3 CH3
CCH3 CCH3 CH3
CH3
CH3
CH3
CH3 CH3
CH3
CCH3
CCH3
CCH3 CCH3 CCH3
CH3
CCH3 CCH3 CCH3
CCH3
CH3
b
CCH3 CH3
CCH3
CCH3 CCH3 CCH3 CCH3 CH3
CH3
Ac
phosphoryliertes Histon
Komplex mit Histon- und DNA-Methltransferasen
MethylCytosin
P
Ac
CCH3
methyliertes Histon
methylierte DNA
P
Ac
CCH3
CCH3 CCH3 CCH3 CCH3
CCH3 CCH3
CH3
CH3
CH3
CCH3 CH3
DNA-Replikation und Rekonstitution der Chromatin-Verdichtung
Abb. 12.23 Modell zum gene silencing und epigenetischen Gedächtnis. a Bestimmte Hom/Hox-Gene, die über Zellteilungen hinweg stillgelegt werden sollen, besitzen in ihrem Promotor/Enhancer-Bereich eine Nukleotidsequenz, die Cellular Memory Modul CMM genannt worden ist (Bildrechte bei Ringrose und Paro (2001)). In bestimmten Phasen der Entwicklung bindet an das CMM ein Komplex von Proteinen, der Methyltransferasen enthält. Diese übertragen an ein oder mehrere Lysinreste des seitlich abstehenden Histons H3 der Nucleosomen eine Methylgruppe und markieren so das CMM. Die Methylgruppen werden von Polycomb-Proteinen erkannt. Weitere Proteine werden akti-
viert und es bildet sich ein PRC1-Komplex, der das Chromatin verdichtet und Transkription verhindert. Polycomb-Proteine bilden Dimere und tragen so zur Kondensation des betreffenden Chromatinabschnittes bei. b Nach einer Replikation der DNA finden Methyltransferasen das CMM wieder und erneuern in jedem Tochterstrang das Methylierungsmuster. Das Muster der Methylierung auf der DNA wird vervollständigt, indem das Muster auf dem alten Strang als Vorlage für den neuen dient. Damit werden in beiden Tochterzellen die so markierten Gene erneut stillgelegt. Adaptiert nach Gibbons (2008); Morey und Helin (2010)
362
12 Entwicklung und Gene
den homöotischen Genen kooperiert, um beispielsweise eine Bein-Imaginalscheibe zu programmieren, und mit zelltypspezifischen Selektorgenen, um beispielsweise ein Bein mit Muskelzellen auszustatten.
12.5.5
Abb. 12.24 Inaktivierung eines X-Chromosoms im weiblichen Säuger. In den Blastomeren wird durch Heterochromatisierung wahllos eines der beiden X-Chromosomen inaktiviert; der einmal gewählte Zustand wird auf die Tochterchromosomen übertragen. Der Embryo wird zu einem Mosaik aus Zellarealen, in denen das von der Mutter geerbte X inaktiviert ist, und Arealen, in denen das vom Vater geerbte X heterochromatisiert ist. Rot-schwarze Katzen tragen das Ergebnis auf ihrem Fell zur Schau; denn das X-Chromosom ist Träger von Genen, die zur Melanin-Synthese benötigt werden. Die abgebildete Katze ist heterozygot. Kommt das eine Allel auf dem (z. B.) „väterlichen“ X zum Zug, wird komplettes schwarzes Melanin synthetisiert, kommt das andere Allel auf dem (z. B.) „mütterlichen“ X zum Zug, kann nur inkomplettes, rotes Melanin hergestellt werden
in den Zustand schlafloser Daueraktivität versetzt werden. Da die Produkte der genannten Gene auch in proliferierenden Zellen den Determinationszustand aufrechterhalten können, tragen sie dazu bei, dass ein Organismus wachsen kann, ohne dass seine Zusammensetzung an verschieden programmierten Zelltypen wesentliche Änderungen erfährt. Der Verlust des Zellgedächtnisses könnte eine Ursache für entartetes Wachstum sein (neben anderen, s. Kap. 19). Wie nach einer Zellteilung das Muster der Proteinbestückung kopiert wird, ist nicht bekannt. Eine Modellvorstellung ist in Abb. 12.23 enthalten. Sie nimmt an, das Methylierungsmuster bilde eine Art Matrize. Es bleibt noch zu klären, wie das CMM-System mit
Weitere epigenetische Veränderungen: Heterochromatisierung und Inaktivierung eines der beiden X-Chromosomen im ♀ Säuger
Bei der Heterochromatisierung werden große Bereiche von Chromosomen oder gar ganze Chromosomen in einen Zustand stärkerer Kondensation gebracht. Die Überführung von Euchromatin in Heterochromatin blockiert oder erschwert eine Transkription, lässt aber eine Verdoppelung der Chromosomen zu, wobei die Tochterzellen das Muster der Heterochromatisierung übernehmen können. Bei weiblichen Säugern sind die Zellen mit zwei X-Chromosomen ausgestattet, während die Zellen männlicher Säuger die XY-Konstitution haben. Gene der X-Chromosomen sind folglich im männlichen Geschlecht nur einmal, im weiblichen hingegen zweimal vertreten. Zur Kompensation der doppelten Gendosis wird im weiblichen Embryo eines der beiden XChromosome durch Heterochromatisierung funktionell stillgelegt. Im Interphasekern wird dieses kondensierte Chromosom als intensiv färbbarer Barr-Körper sichtbar. Das Ereignis der Heterochromatisierung tritt ein, wenn sich die Eizelle schon mehrfach geteilt hat. Es ist nun dem Zufall unterworfen, ob in einer Blastomere das „väterliche“, d. h. vom Spermium mitgebrachte, oder das „mütterliche“, von der Eizelle mitgebrachte X-Chromosom von der Heterochromatisierung betroffen ist. In allen von einer Blastomere abstammenden Abkömmlingen wird es aber dann stets das gleiche X-Chromosom sein, das heterochromatisiert ist. Eine Frau, wie jeder weibliche Säuger, wird zu einem Mosaik aus Zellklonen, in denen entweder das „väterliche“ X oder das „mütterliche“ X stillgelegt und zum Barr-Körper geworden ist. Rot-schwarz gefleckte Katzen (es gibt keine rotschwarz gefleckten Kater, es sei denn, sie hätten die seltene XXY-Klinefelter-Konstitution!) tragen das Resultat sichtbar zur Schau. Das eine X trägt ein Gen, das zur Synthese von hochpolymerem, schwarzem Mela-
12.5 Epigenetik: Reversible Veränderungen in der Zugänglichkeit von Genen
nin befähigt, das andere X trägt ein Allel, mit dem nur unvollständiges, rotes Melanin synthetisiert werden kann (Abb. 12.24). Die Melaninsynthese geschieht in Chromatophoren, die sich von Neuralleistenzellen (s. Abb. 15.3) ableiten. Heterochromatin enthält sich wiederholende Proteine mit einer Chromo-Domäne (ChromatinOrganization-Modifier). Es wird vermutet, dass diese Proteine mit den Nucleosomen, welche die DNAStränge perlschnurartig begleiten, (reversible) Bindungen eingehen, wodurch die Perlenkette enger zusammengeschoben wird. Unklar ist, wie ein solcher Zustand bei einer Zellteilung gemeinsam mit der DNA (oder nach der DNA) repliziert werden kann. Der Heterochromatisierung verwandt ist ein spezifischer Effekt, der im folgenden Abschnitt kurz vorgestellt wird.
12.5.6
Epigenetik hilft, in den Keimzellen speziell entwicklungssteuernde Gene im Zustand leichter Aktivierbarkeit zu halten
Vorerst gibt es hierzu nur Untersuchungen an Spermien des Menschen. Das Chromatin der Spermien ist in hohem Maße methyliert und acetyliert und wird mittels Protaminen hochverdichtet, damit es in den Spermienkopf passt. Im Vergleich zu den Oocyten finden sich höhere Methylierungs- und Acetylierungsgrade. Gene für Transkriptionsfaktoren und bekannte Signalmoleküle werden jedoch durch spezielle Muster der Methylierung und Acetylierung in einem Zustand gehalten, der sie zwar im Spermium im Ruhezustand lässt, von dem sie aber sogleich befreit werden, wenn bei der Befruchtung der Spermienkern ins Cytosol der Oocyte gelangt. Summarisch betrachtet wird mit der Befruchtung und Aktivierung des Eis die gametentypische Methylierung und Acetylierung genomweit ausgelöscht. Dies gilt jedenfalls für den Mausembryo. Demethylasen und Deacetylasen der Eizelle löschen damit das Programm für den Gametenstatus und sind Voraussetzung dafür, dass die Zellen der inneren Zellmasse Pluripotenz gewinnen. Beginnend mit der Implantation der Blastocyste in die Uteruswand werden neue, Gastrula-typische Methylierungsmuster erzeugt. In den verschiedenen Zelllinien muss aber die Remethylierung warten oder wieder aufgehoben werden.
363
So wird in den Somiten der Promoter des MyoD1Gens demethyliert. Erst dann kann das Gen aktiviert und mittels des Transkriptionsfaktors MyoD1 das muskeltypische Differenzierungsprogramm eingeschaltet werden. Im Zuge dieses Programms wird auch der Promotor für myogenin demethyliert. In den fertigen Myocyten stabilisieren neue, im Einzelnen noch nicht identifizierte Methylierungsmuster den Differenzierungszustand. Dies gilt allgemein: Wenn während oder nach der Zelldifferenzierung entwicklungssteuernde Gene nicht mehr gebraucht werden, werden sie epigenetisch stillgelegt. Bei der Bildung der Keimzellen für die nächste Generation wird in den Vorläuferzellen der Keimzellen das Muster epigenetischer Veränderungen wieder auf Keimzellenstatus gebracht. Hier tut sich ein Forschungsfeld auf, das noch vielen Forschern aufregende Projekte bescheren wird.
12.5.7
Arbeiterinnen und Königin der Honigbiene unterscheiden sich im Methylierungsmuster von 550 Genen im Gehirn: Ursache ist das Futter
Ein altes Rätsel scheint einer Lösung nahe zu sein. In der Kolonie der Honigbiene sind die Arbeiterinnen in der Leistung ihres Gehirns der Königin weit überlegen. Arbeiterinnen navigieren in der Außenwelt mittels ihrer Komplexaugen und eines internen Himmelkompasses, unterscheiden zahllose Blüten, haben ein vorzügliches Gedächtnis und benutzen in ihrem Tanz eine komplexe Symbolsprache. Doch Eier können sie nicht legen; dieses Privileg ist der Königin vorbehalten. Die große Königin andererseits verharrt im Stock, lässt sich füttern und betätigt sich als Eierlegmaschine. Nun sind aber Arbeiterinnen Töchter der Königin und genetisch nicht grundsätzlich von ihr unterschieden; sie hatten als jung geschlüpfte Larven noch die Potenz, selbst eine Königin zu werden. Den Unterschied macht ein Umweltfaktor. Wenn die Ammenbienen eine Larve nur anfänglich mit Gelee Royal füttern, wird aus der Larve eine Arbeiterin, bekommt sie fortwährend das königliche Gelee, wird sie zur Königin, und die königliche Speise wird ihr zeitlebens von ihren Schwestern zubereitet. Nun ist neuerdings entdeckt worden, dass sich im Zuge der Entwicklung im Gehirn der Königin und der Arbeiterinnen unter-
364
schiedliche Methylierungsmuster ausprägen. Mehr als 550 Gene sind unterschiedlich methyliert. Gelee Royal enthält u. a. Phenylbutyrat, einen Inhibitor der HistonDeacetylase. Auch dies kann epigenetische Modifikationen des Chromatins zur Folge haben. So ist denkbar, dass das Futter direkten Einfluss auf Genaktivitäten nimmt. Methylierung ist auch im späteren Leben von Bedeutung, so bei der Gedächtnisbildung, und dies sowohl bei der Honigbiene als auch bei Maus und Mensch. Studien zeigen, dass epigenetische Mechanismen und möglicherweise auch die Umwelt Einfluss auf Genaktivitäten nehmen können. Nach Tierversuchen zeichnet sich ab, dass innerhalb einer Generation traumatische Ereignisse in frühen Lebensphasen Depressionen im Erwachsenenalter auslösen können und frühes Hungern Störungen des Fettstoffwechsels verursachen kann. Führt dies auch zu Konsequenzen in folgenden Generationen? Eine heiß diskutierte Frage, zu der belastbare Antworten noch fehlen.
12 Entwicklung und Gene
12.6 Irreversible Veränderung des Genoms und damit des Zelltyp-spezifischen genetischen Programms 12.6.1
Bei der Entwicklung der Lymphocyten kommt es zu einer irreversiblen somatischen Rekombination
Rekombination, ein Neuarrangement von Genen, ist ein Charakteristikum der sexuellen Fortpflanzung und geschieht dort im Zuge der Meiose. Ein ähnlicher Prozess ist aktiv in der Entwicklung der Lymphocyten, wenn ein Lymphoblast das genetische Programm für die künftige Produktion seiner Antigenrezeptoren bzw. seiner Antikörper zusammenstellt. Somatische Rekombination führt hier zu irreversiblen Veränderungen in der genetischen Konstitution der Zelle. Sie ereignet sich, wenn aus Stammzellen Vorläuferzellen des Immunsystems, konkret die Vorläufer der B-Zellen und T-Zellen, gebildet werden (s. Abschn. 18.2).
12.5.8 Manche epigenetische Veränderungen können Generationen überdauern
12.6.2
Väterliches und mütterliches Erbgut sind nicht in allen Einzelheiten gleich und gleichrangig. Für den Menschen wie für Säuger allgemein gilt: Mitochondrien mit ihrem Genom und der Nucleolus (Ort der Ribosomenbildung) der Zygote stammen von der Eizelle, ein unverzichtbares Centrosom vom Spermium. Außer diesen Quellen einer Ungleichheit kommt eine weitere, epigenetisch angelegte hinzu. Mitunter wird das vom Spermium und der Eizelle mitgebrachte epigenetische Markierungsmuster im Embryo nicht völlig gelöscht. Dann ist die Transkribierbarkeit der vom Spermium und der von der Oocyte mitgebrachten Allele nicht gleich. Man sprach schon vor dem Zeitalter der Epigenetik von väterlicher oder mütterlicher genomischer Prägung (Kap. 8). Ob mittels epigenetischer Veränderung die Zugänglichkeit von Genen einer bleibenden Modifikation unterworfen oder sogar eine gezielte und dauerhafte Anpassung des genetischen Programms an Umweltgegebenheiten möglich ist (Lamarckismus in neuem Gewand), bleibt eine spannende und kontrovers diskutierte Frage.
1. Selektive Genamplifikation. Wenn auch beim Entscheidungsprozess, welchen Entwicklungsweg eine Zelle oder Zelllinie einnehmen soll, noch genomische Äquivalenz herrscht, so kann es doch im Verlauf der Differenzierung zu quantitativen Veränderungen im Genbestand einer Zelle kommen. Als Spezialfälle sieht man die selektive Amplifikation bestimmter Gene durch zusätzliche selektive Replikation der betreffenden DNA-Abschnitte an. Schulbeispiel ist die selektive Amplifikation der ribosomalen 18s-, 5,8s- und 28s-rRNA in den Kernen vieler Oocyten (s. Kap. 8; Abb. 8.6). Sie wird dort sichtbar im Auftreten zahlreicher Nucleolen (D Fabrikationsorte der Ribosomen). Die Amplifikation der ribosomalen Gene in den Oocyten ist allerdings reversibel. Selektive Genamplifikation ist sehr selten, ob sie nun reversibel oder irreversibel ist. Eine irreversible Genamplifikation wurde in den Follikelzellen der Ovariolen von Dro-
Quantitative Veränderungen im Genbestand: Gen-Amplifikation, Genom-Amplifikation, Chromatin-Elimination
12.6 Irreversible Veränderung des Genoms und damit des Zelltyp-spezifischen genetischen Programms
365
Tab. 12.1 Haploide Genomgrößen Organismus
Basenpaare bp
106
107
108
Proteincodierende Gene (geschätzt) 109
1010
Besonderheiten
1011
Epstein-Barr-Virus
0,17
80
Escherichia coli
4,6
4288
Eukaryoten Hydra magnipapillata
1,05
20.000
57 % Transposons 71 Gene bakteriellen Ursprungs, viele Gene Vertebraten-ähnlich erstes vollständig sequenziertes Genom
Caenorhabditis eleg.
9,7
20.100
Drosophila melanogaster
2,27
13.379
Seeigel
8,14
21.000
Tunikat Ciona intestinalis
1,6
16.000
Danio rerio „Zebrafisch“
1,2
Fugu rubripes „Fugu“
3,65
Lungenfisch Lepidosiren paradoxa
15.761
Genom vermutlich dupliziert
31.000
bisher kleinstes Wirbeltiergenom
7,84
Maximum bei Vertebraten (2010)
Säugetiere Hausmaus
2,7
24.000
Mensch
3,3
25.000
97 % der DNA nicht-proteincodierend
11.514
bisher kleinstes tierisches Genom
27.000
„Der“ pflanzliche Modellorganismus
Umstrittene phylogenetische Stellung Placozoon Trichoplax adhaerens
4,8
Pflanzen Arabidopsis thaliana
1
Paris japonica, japanische Einbeere
1,49
polyploid
bisheriger (2010) Rekord unter den Blütenpflanzen
Farn Psilotum nudum
2,5
vermutl. polyploid
bisheriger (2010) absoluter Rekord
35.000
Modellorganismus
Moos Physcomitrella patens
5
sophila gefunden, wo die Gene für die Proteine der Eihülle (Chorion) amplifiziert werden. 2. Genomamplifikation. Häufig kommt es im Zuge einer Entwicklung bestimmter Gewebe zu einer Genomamplifikation durch Polyploidisierung oder Polytänisierung. Genomamplifikation ist ein Grund dafür, dass die Genomgrößen nicht getreu die Evolutionshöhe widerspiegeln (Tab. 12.1). Polyploidie liegt vor, wenn der ganze Chromosomensatz vervielfacht wird. Die vergrößerten
Kerne enthalten statt dem normalen diploiden (zweifachen, 2n) Satz einen vierfachen (4n) oder gar achtfachen (8n) Satz an Chromosomen. In der Entwicklung der Säuger sind es im frühen Keim, in der Blastocyste, die Zellen des Trophoblasten und im älteren Embryo viele Drüsenzellen, die eine Genomamplifikation durch Polyploidisierung erfahren. Es handelt sich hierbei um metabolisch hoch aktive Zellen, die ein amplifiziertes Genom gut gebrau-
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chen können, weil sich an vervielfachten Genen mehr Transkripte pro Zeiteinheit herstellen lassen. Polytänie liegt vor, wenn die DNA der Chromosomen wiederholt repliziert wird, ohne dass sich die Tochterstränge (Chromatiden) hernach voneinander trennen und gesonderte Chromosomen bilden würden (Endoreplikation). Wiederholte Endoreplikation erzeugt das Bild von Riesenchromosomen. In der Entwicklung von Drosophila sind es anfänglich Chromosomen der larvalen Zellen, welche polytän werden, während die künftigen imaginalen Zellen noch diploid bleiben. In der fertigen Fliege enthalten nahezu alle Zellen polytäne Chromosomen. Die größten findet man in den einfach zu präparierenden Speicheldrüsen, doch werden beispielsweise auch die Nährzellen (Ammenzellen) im Ovar polytän. 3. Chromatin- und Kernelimination. Der Gen- und Genomamplifikation steht der Verlust an genetischem Material gegenüber. Schulbeispiel ist der von Theodor Boveri in berühmten Studien untersuchte frühe Embryo des Nematoden Parascaris equorum (Pferdespulwurm, heute: Parascaris univalens). Im Verlauf der ersten Furchungsteilungen erhalten nur die Zellen der Keimbahnlinie die beiden (Sammel-)Chromosomen intakt und in voller Länge zugeteilt. In den somatischen Zellen jedoch werden die großen Sammelchromosomen in kleine Einzelchromosomen fragmentiert, und dabei geht in den somatischen Zellen ein Teil des Chromatins verloren. Bei Ascaris suum (Schweinespulwurm) sind es 20 %, bei Parascaris univalens gar 85 % der DNA, die enzymatisch abgebaut werden. Gewiss, bei dieser Chromatin-Diminution wird überwiegend überschüssige DNA, die keine Proteine codiert oder redundante Sequenzen enthält, beiseite geräumt; doch scheinen sich die somatischen Zellen auch einiger Gene zu entledigen, die nur unmittelbar nach der Befruchtung vor der ersten Zellteilung oder nur in der Entwicklung der Keimzellen gebraucht werden. Reversible Veränderungen des Genoms durch Epigenetik erschweren das Klonen von Organismen erheblich, irreversible Veränderungen machen es unmöglich. Die Technik des Klonens ist Gegenstand des folgenden Kap. 13.
12 Entwicklung und Gene
Chromatinelimination kommt auch bei anderen Organismen in bestimmten Zellen vor. In der Mücke Wachtliella persicariae verlieren viele Kerne 38 ihrer ursprünglich 40 Chromosomen. Doch das ist keineswegs Weltrekord. Den halten mehrere Körperzellen der Säugetiere: Bekanntestes Beispiel sind die Erythrocyten, die im Zuge ihrer terminalen Differenzierung ihre Chromosomen fragmentieren und schließlich den Kern verlieren (Ausnahme: Kamele) ebenso wie die Keratinocyten der Haut, Federn und Haare.
Zusammenfassung
Differenzierung geht von genetisch gleichwertigen Zellen aus (anfängliche genomische Äquivalenz) und basiert auf differenzieller Genexpression, durch welche die verschiedenen Zelltypen ihre besondere Ausstattung an spezifischen Proteinen erhalten. Im Zuge der Differenzierung kann es jedoch zu einer Änderung im Genbestand kommen, z. B. durch Genomamplifikation, wenn polytäne Riesenchromosomen hergestellt werden, oder durch Verlust an genetischem Material. Das Programm zur körperregion- oder zelltypspezifischen Genexpression wird während der Determinationsphase festgelegt. Bei der Durchführung eines Differenzierungsprogramms wird die Aktivität der Protein-codierenden Gene nicht nur durch extrazelluläre Signale gesteuert, sondern auch zellintern von vielen Mikro-RNAs, die sich von „non-(protein)-coding“ DNA-Sequenzen (z. B. Introns) ableiten. Unter den Protein-codierenden Genen spielen Meister- oder Selektorgene eine besondere Rolle, deren Produkte als Transkriptionsfaktoren Batterien nachgeschalteter (downstream) Effektorgene unter Kontrolle halten. Gene, die Positionen spezifizieren und ortsgemäße Entwicklungsprogramme einschalten, sind die homöotischen Gene der Hom/HoxFamilie. Mutationen in diesen Genen können zu homöotischen Transformationen führen, bei denen normal gestaltete Strukturen am falschen Ort erzeugt werden. So lassen Loss-of-functionMutationen des Gens Antennapedia Fliegen
12.6 Irreversible Veränderung des Genoms und damit des Zelltyp-spezifischen genetischen Programms
entstehen, deren Beine am Mesothorax in Antennen verwandelt sind, während bei anderen, Gain-of-function-Mutationen eine fälschliche (ektopische) Expression des funktionstauglichen ANTP-Proteins im Kopf Fliegen hervorbringt, die anstelle der Antennen Beine tragen. Die homöotischen Gene der Hom/Hox-Familie, welche die charakteristischen Eigenschaften einer Körperregion bestimmen (SegmentIdentitätsgene) und für Transkriptionsfaktoren mit DNA-bindenden Homöodomänen codieren, sind auf den Chromosomen in einer geschlossenen Gruppe (Cluster) konzentriert (Drosophila: Antennapedia-Komplex plus Bithorax-Komplex). Bei Säugern ist der gesamte Cluster vervierfacht. Die Reihenfolge der Gene auf den Chromosomen stimmt überein mit der Reihenfolge, in der die Gene zeitlich aktiviert werden, und mit den Körperregionen, in denen sie der Reihe nach zum Zuge kommen. Am Anfang (30 -Ende) einer Gruppe positionierte Gene werden vorn im Körper, am Ende der Gruppe stehende werden nahe dem Körperende exprimiert (Kolinearität zwischen den Positionen der Gene auf den Chromosomen und ihren Expressionsdomänen im Körper). Normalerweise kontrolliert das im Laufe der Entwicklung posterior exprimierte Hox-Gen das anterior liegende und unterdrückt es (posteriore Dominanz). Mutationen können zur positionsabhängigen Umgestaltung von Strukturen führen, beispielsweise Flügel statt Schwingkölbchen am Metathorax der Fliege, ein zweiter Proatlas statt eines Atlas in der Wirbelsäule der Maus. Ein Gen, mittels dessen man die Entwicklung von überzähligen Augen auslösen kann, ist ey von Drosophila. Die Expression dieses Gens an falschen Orten (Beine, Flügel) lässt dort zusätzliche Augen entstehen. Das Sequenz-homologe Gen Pax6 der Maus kann in dieser Hinsicht das Drosophila-Gen ersetzen; es entstehen aber fliegentypische Komplexaugen. Umgekehrt kann ey von Drosophila im Wirbeltier Linsenaugen induzieren. EY und PAX6 lösen die Differenzierung der lichtrezipierenden Strukturen aus, bestimmen aber nicht den speziellen Taxonspezifischen Augentyp; dieser wird mittels artspezifischer Gene verwirklicht.
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Beispiele für Zelltyp-spezifische Selektorgene sind die Gene der MyoD/myogeninFamilie, die Muskelzellen determinieren, und die Nervenzell-spezifischen Selektorgene wie neuroD und neurogenin. Viele entwicklungssteuernde Gene codieren für Transkriptionsfaktoren, die mit ihrer DNAbindenden Domäne (z. B. Homöodomäne mit HtH-Motiv, bHLH oder Pax-Motiv) die Steuerregion (Promotor, Enhancer) nachgeschalteter Gene besetzen. Dies gilt für die genannten homöotischen Gene für das bicoid-Gen, dessen Produkt in den Nachkommen einer Fliegenmutter den KopfThoraxbereich definiert, und für die genannten Zelltyp-spezifischen Gene. Andere entwicklungssteuernde Gene codieren für Proteine, die als Signalsubstanzen dienen oder eine Funktion bei der Signaltransduktion haben. Ein einmal eingestellter Determinationszustand ist zu einem Teil des Zellgedächtnisses geworden und kann in der Folge von Zellteilungen aufrechterhalten und auf die Tochterzellen übertragen werden. Diese epigenetische Zellheredität (epigenetische Vererbung) kann (unter anderem) darauf basieren, dass ein beherrschender Transkriptionsfaktor über eine positive Rückkoppelung sein eigenes Gen aktiviert. Nach einer Zellteilung dringt der Faktor aus dem Cytoplasma in die Tochterkerne und schaltet sein eigenes Gen wieder ein. Beispiele sind die Gene der MyoD, myogenin-Familie. Determination bedeutet auch Stilllegung von Genen, deren Information nicht verwendet werden soll. Zwei bekannte Mechanismen einer dauerhaften und auf Tochterzellen übertragbaren Stilllegung sind Methylierung und Heterochromatisierung. In der Regel erschweren diese sekundären, enzymatisch bewirkten Modifikationen des Chromatins die Zugänglichkeit von Genen, Acetylierung hingegen erleichtert sie. Gameten sind hochgradig methyliert, doch sind speziell die entwicklungssteuernden Gene in der befruchteten Eizelle leicht aktivierbar. Das Einschalten vieler (aller?) Gene im Embryo, so von MyoD1 und myogenin, setzt Demethylierung ihrer Promotoren voraus. In fertig differenzierten Zellen stabilisieren neue Methylierungsmuster den Differenzierungszustand. Durch Heterochromatisierung wird bei Frauen eines der beiden X-Chromosomen zum Barr-Körper kondensiert und weitgehend stillgelegt. Auch diese
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Stilllegung ist Teil des epigenetischen Zellgedächtnisses. Über epigenetische Modifikationen in Genen des Gehirns, hervorgerufen durch das Futter (Gelee Royal) wird im Bienenvolk entschieden, welche Tochter der Königin selbst Königin werden darf, wohingegen alle anderen Töchter zu Arbeiterinnen herangezogen werden. Über epigenetische Modifikationen kann die Umwelt Einfluss auf den Funktionszustand von Genen nehmen. Zum Zellgedächtnis tragen bei Drosophila (und wahrscheinlich auch bei Säugern) besondere Steuergene bei, deren Produkte gleichzeitig viele ausgewählte Orte auf den Chromosomen in einen Zustand bleibender Unzugänglichkeit oder Zugänglichkeit versetzen, in dem sie den lokalen Kondensationsgrad des Chromatins nachhaltig verändern. Die betreffenden Chromosomenorte sind durch DNA-Sequenzen markiert, die Cellular Memory Modules (CMM) genannt wurden. Proteine der Polycomb-Gengruppe machen durch Bindung
12 Entwicklung und Gene
CCM-markierte Gene unzugänglich, Proteine der Thrithorax-Gengruppe versetzen CCM-markierte Gene in Daueraktivität. Die Dauerhaftigkeit und Heredität solcher Zustände ermöglichen, dass eine einmal eingestellte Determination auch in proliferierenden Zellen bewahrt bleibt. Dies ist eine Voraussetzung für geordnetes Wachstum. Irreversible, in der Ontogenie auftretende Veränderungen der genetischen Ausstattung sind Polyploidisierung, die beim Säuger in den Zellen des embryonalen Trophoblasten und in Drüsen vorkommt, sowie somatische Rekombination, die die Vielfalt möglicher Antikörper ermöglicht. Während diese Veränderungen nur somatische Zellen betreffen und für nachfolgende Generationen ohne Belang sind, können epigenetische Veränderungen mitunter mit den Keimzellen in die nachfolgende Generation übergehen. Sie tragen dazu bei, dass väterliche und mütterliche Allele nicht immer im gleichen Maße zur Geltung kommen (maternale und paternale genomische Prägung).
Anwendungsorientierte Experimente an Frühkeimen der Wirbeltiere: Klonen, Chimären, Teratome, transgene Tiere
Es werden in diesem Kapitel Experimente vorgestellt, die ursprünglich mit wissenschaftlichen Fragestellungen konzipiert wurden und nachfolgend Möglichkeiten für praktische Anwendungen in der Tierzucht, der Medizin, der Pharmazie oder der Biotechnologie erschlossen haben. Grundlagenforschung, die zum Beispiel zur Erzeugung von Teratomen führte, ist nicht immer direkt anwendbar. Dennoch wird hierbei Wissen erschlossen, wie Fehlbildungen auch in der Entwicklung des Menschen zustande kommen können. Einige der nachfolgend vorgestellten Experimente, insbesondere die Experimente zum Klonen von Säugetieren, haben Anlass zu kontroversen Diskussionen und tiefer Besorgnis gegeben und sind deshalb in die Schlagzeilen der Medien gelangt.
13.1 Klonen: die Herstellung genetisch identischer Kopien 13.1.1 Klonen ist in der Pflanzenwelt und bei vielen Wirbellosen in Form der vegetativen Fortpflanzung ein natürliches Ereignis; Pflanzenzüchtung hat seit alters die natürlichen durch künstliche Verfahren erweitert Der Begriff des Klonens oder auch Klonierens wird in der heutigen Biologie zumeist im Kontext molekularbiologischer Arbeiten benutzt und bezieht sich hier auf die Vermehrung von DNA-Sequenzen in einem Wirtsbakterium. Molekularbiologen haben den Begriff des Klonens aus der klassischen Biologie übernommen. In der traditionellen Biologie ist ein zellulärer
13
oder organismischer Klon ein Kollektiv von Zellen oder vielzelligen Organismen, die untereinander genetisch gleich sind, und unter Klonen versteht man das Herstellen solcher Organismen. In der Natur kommt Klonen als vegetative Fortpflanzung auf der Basis mitotischer Zellteilungen bei vielen Pflanzen und „niederen“ Tieren vor. Fortpflanzung über vegetativ erzeugte Knollen (z. B. Kartoffel), über Ausläufer (z. B. Erdbeeren, Hydrozoen, Korallenpolypen), über Knospen (z. B. bei der Pflanze Bryophyllum oder dem Süßwasserpolypen Hydra) sind Formen natürlichen Klonens. In der Pflanzenzucht werden die natürlichen Verfahren asexueller Vermehrung durch künstliche erweitert: Seit alters werden Johannisbeeren dadurch vermehrt, dass Zweige abgeschnitten und zur Bewurzelung in feuchten Boden gesteckt werden (Klonen über Regeneration). Obstbäume und Weinstöcke werden über Propfreiser vermehrt, das heißt durch Implantation kleiner knospentragender Zweige (Reiser genannt) unter die Rinde einer „Unterlage“ (bewurzelter Stammrest). So sind Kultursorten entstanden, die überall in der Welt gleich aussehen, gleichen Nährstoffgehalt haben und gleich schmecken. Die genannten Beispiele zeigen, welchen Vorteil der Landwirt, Weinbauer und Gärtner vom Klonen erwarten darf: Er kann sicher sein, dass alle Nachkommen die gleichen Eigenschaften wie der Stammorganismus haben. Nicht so bei der sexuellen Fortpflanzung über Samen: Wie auch beim Menschen, ist bei sexueller Fortpflanzung ungewiss, wie die Sprösslinge ausfallen. In der Pflanzenzucht werden heute viele nicht durch natürliche vegetative Fortpflanzung vermehrbare Nutz- oder Zierpflanzen dadurch vermehrt, dass
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_13,
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Anwendungsorientierte Experimente an Frühkeimen der Wirbeltiere: Klonen, Chimären, Teratome, transgene Tiere
Eineiige und “siamesische” Zwillinge
Abb. 13.1 Eineiige Zwillinge bei Amphibien und beim Menschen. Bei nur partieller Durchschnürung junger Amphibienembryonen entstehen partiell zusammengewachsene „siamesische“ Zwillinge, während vollständige Durchtrennung zwei vollständige Kaulquappen hervorbringt. Beim Menschen können die ersten beiden Blastomeren auseinanderfallen, oder es zerfällt die innere Zellmasse in zwei Portionen. Im ersten Fall wachsen eineiige Zwillinge in getrennten Hüllen heran, im zweiten Fall entwickeln sie sich in einer gemeinsamen Hülle (Chorion)
partielle Durchschnürung
"siamesische" Zwillinge
Uterus
a b
c
man aus vorhandenen Pflanzen wandlose Zellen (Protoplasten) isoliert, welche in Zellkultur zu vielzelligen Klumpen (Kallus) heranwachsen. Diese können dazu gebracht werden, rein vegetativ Embryonen zu bilden, also ohne das Einschalten sexueller Prozesse. In der Tierzucht hat vegetative Fortpflanzung noch keine kommerziell nutzbaren biotechnischen Verfahren ermöglicht. Am durchaus möglichen Klonen von Schwämmen, Hydrozoen, Korallen oder von Seescheiden ist die Wirtschaft nicht interessiert. Bei Wirbeltieren sind natürlich geklonte Tiere (von der Polyembryonie des Gürteltieres abgesehen) allenfalls Ergebnis eines Unfalls, wenn frühe Keime in zwei Hälften zerfallen und eineiige Zwillinge geboren werden (Abb. 13.1). Jedoch sähe es der Tierzüchter gern, wenn er seine bewährte Hochleistungskuh oder sein erfolg-
reiches Rennpferd klonen könnte (man kann es, so man die Kosten bezahlen will und kann). Gegenwärtig besteht besonderes Interesse, mühsam erzeugte transgene Tiere zu klonen; warum wird am Schluss des Abschn. 13.3.4 gesagt.
13.1.2 Ein biotechnisch nicht besonders interessantes Verfahren des Klonens ist die Zerteilung junger Embryonen Miniklone, bestehend aus eineiigen Zwillingen, Vierlingen oder Achtlingen, entstehen, wenn im 2-, 4-, oder 8-Zellstadium die noch relativ großen Zellen (Blastomeren) des frühen Embryos auseinanderfallen oder im Experiment voneinander getrennt werden.
13.1 Klonen: die Herstellung genetisch identischer Kopien Abb. 13.2 Klonen von Xenopus. In Oocyten, deren Kern mit einem UV-Mikrostrahl zerstört worden ist, werden totipotente Kerne aus somatischen Zellen eines Spenders injiziert. Spenderzellen können Kaulquappen entnommen sein (z. B. Darmzellen) oder einem erwachsenen Krallenfrosch (z. B. Zellen der Lunge)
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Xenopus laevis Kernspender
Entnahme geeigneter Zellen aus Spender (Larve oder adulter Frosch)
unbefruchtete Eier von beliebigem Weibchen
Entkernen der Eier durch UV-Bestrahlung
Entnahme von Kernen aus den Zellen Injektion totipotenter somatischer Kerne von ein und demselben Spender
Klon genetisch identischer Nachkommen mit Genotyp des Kernspenders
Stammen die Blastomeren von regulationsfähigen Embryonen (Seeigel, Amphibien, Säuger), kann jede freie Blastomere sich zu einem zwar verkleinerten, doch vollständigen Embryo entwickeln. Bei Säugern können solche Mehrlinge im Uterus bis zur normalen Größe heranwachsen. Die innere Zellmasse der Blastocyste kann auch spontan in zwei getrennte Gruppen zerfallen. Dann finden sich Zwillinge in einer gemeinsamen Trophoblastenhülle und haben in der Regel eine gemeinsame Plazenta. Bei nur partieller Teilung eines Keims entstehen zusammengewachsene „siamesische Zwillinge“. Das Entstehen solcher natürlichen Unfälle ist durch Schnürungsexperimente an Amphibi-
en durch H. Spemann im Prinzip aufgeklärt (Abb. 5.11 und 13.1).
13.1.3 Klonen durch Kerntransplantation: Pionierexperimente an Xenopus eröffneten die Möglichkeit, zahlreiche Nachkommen mit bekannten Eigenschaften zu züchten Klone großen Umfangs konnte man, erstmals bei Wirbeltieren, beim Krallenfrosch Xenopus herstellen (Abb. 13.2). Eizellen werden entkernt, beispielsweise
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Anwendungsorientierte Experimente an Frühkeimen der Wirbeltiere: Klonen, Chimären, Teratome, transgene Tiere
durch Bestrahlung mit einem UV-Mikrostrahl; alsdann werden aus geeigneten somatischen Zellen eines Spendertieres mittels einer Mikrokapillare Kerne entnommen und in die entkernten Eizellen injiziert. Ursprünglich war das Experiment konzipiert worden, um zu prüfen, ob Kerne aus differenzierten somatischen Zellen Totipotenz bewahren können. Erste somatische Zellen, denen totipotente Kerne entnommen werden konnten, waren Darmzellen der Kaulquappe. Später wurden auch in adultem Gewebe, z. B. in der Lunge, totipotente Kerne gefunden. Hinsichtlich des Themas „Klonen“ ist wichtig und entscheidend: Alle Nachkommen ein und desselben Spendertieres sind unter sich und mit dem Spender erbgleich.
13.1.4 Beim Klonen von Säugern gibt es besondere Probleme; so müssen Ammenmütter mitwirken Anders als Froscheier müssen Säugeroocyten operativ dem mütterlichen Eileiter oder Ovar entnommen werden. Die Oocyten müssen außerdem in irgendeiner Weise aktiviert werden, beispielsweise durch Befruchtung mit einem Spermium, dessen Kern nachträglich wieder entfernt wird, oder durch wohldosierte elektrische Stromstöße. Und Säuger-Eier entwickeln sich nicht einfach im Wasser. Sie müssen sich ab dem Blastocystenstadium in den Uterus eines weiblichen Tieres einnisten, das durch natürliche oder künstlich verabreichte Hormone auf eine Schwangerschaft vorbereitet wurde. Das Tier, dem die Eizellen entnommen worden sind, ist in der Regel zu sehr in Mitleidenschaft genommen, als dass es selbst den Embryo übernehmen und austragen könnte. Man zieht daher Ammenmütter (Leihmütter) hinzu, die hormonell auf ihre Aufgabe vorbereitet werden (Abb. 13.3).
13.1.5 Klonen von Säugern durch Verwendung frühembryonaler Spenderkerne ist schon seit längerem möglich; doch war das Wunschziel damit noch nicht erreicht Klonen von Säugern mit der am Frosch entwickelten Technik gelang über lange Zeit nur, wenn als Spender
Zellen des frühen Embryos ausgewählt worden waren. Infrage kamen dafür: Blastomeren, d. h. Zellen der frühen Furchungsstadien; Embryonale Stammzellen (ES-Zellen); d. h. Zellen, die der inneren Zellmasse einer Blastocyste entnommen wurden. Die schwierige Technik des manuellen Kerntransfers ließ sich durch ein vereinfachtes Verfahren ersetzen. Es gelang die Fusion einer entkernten Oocyte mit einer ES-Zelle. Die Fusion zweier Zellen kann durch Anlegen eines kurzen Stromstoßes erreicht werden (Elektrofusion). Die geringe Menge an Cytoplasma, welche die Spenderzelle mitbringt, blockiert die Oocyte nicht oder nicht in jedem Fall in ihrer Entwicklungsmöglichkeit. Allerdings kann die Spenderzelle, wie in Abschn. 13.1.6 erläutert, sehr wohl störende Komponenten enthalten. Das Verfahren, ES-Zellen als Kernspender zu nutzen, hat den Vorteil, dass solche Zellen zuvor in der Zellkultur vermehrt werden können. Stehen genügend Oocyten als Empfänger zur Verfügung, kann die Größe eines Klons beliebig gesteigert werden. Dennoch bringen gegenüber der viel einfacheren mechanischen Trennung von Blastomeren Kerntransplantation und Zellfusion nur dann entscheidende Vorteile, wenn es gelingt, Kerne von ausgewachsenen Spendertieren in die Oocyten einzuschleusen. Nur ausgewachsene Tiere können nach erwünschten Eigenschaften (z. B. Milchleistung) ausgesucht werden. Im 8-Zellstadium oder im Stadium der Blastocyste sind die späteren phänotypischen Eigenschaften nicht erkennbar.
13.1.6 Klonen mit Spenderkernen von ausgewachsenen Säugern ist unter Einschränkungen möglich: Dolly war der erste Beweis Es ist das erklärte Ziel der Züchter und Reproduktionstechniker, Tiere zu klonen, deren Leistungsfähigkeit (Milchkuh, Rennpferd) man kennt. Daher war das Bestreben der Fortpflanzungstechniker darauf ausgerichtet, totipotente Kerne von ausgewachsenen Säugetieren zu verwenden, sodass Spendertiere nach dem Wunsch des Auftraggebers ausgesucht werden können. Nach langen Jahren vergeblichen Be-
13.1 Klonen: die Herstellung genetisch identischer Kopien Abb. 13.3 Klonen von Schafen. Entkernte, große Oocyten werden mit kleinen somatischen Zellen eines Spenders fusioniert. Die Spenderzellen können einer Blastocyste entnommen sein oder einem Gewebe (Milchdrüsen) eines erwachsenen Tieres, das teilungsfähige Zellen enthält. Vor ihrer Fusion mit den Oocyten werden die Zellen vermehrt und anschließend in G0 (Ruhephase des Zellzyklus) gebracht. Die Fusion wird durch einen elektrischen Spannungsimpuls eingeleitet. Das Fusionsprodukt furcht sich in einem geeigneten Medium und erreicht das Blastocystenstadium; alsdann wird die Blastocyste in die Gebärmutter einer Ammenmutter gebracht, wo sie sich einnisten und weiter entwickeln kann
373 KLONEN von SCHAFEN Vorbereitung
1a) BlastocystenES-Zellen
oder
1b) Somatische Zellen (vom Euter) des zu klonenden Schafes werden vermehrt und dann in der G 0 -Phase des Zellzyklus arretiert
Hauptexperiment 2) Oocyten beliebiger Herkunft in Meiose II, Chromosomen werden abgesaugt
4) Das Fusionsprodukt wird in den Uterus eines Ammenschafes implantiert 3) Eine Spenderzelle wird mittels Elektroschock mit einer entkernten Oocyte fusioniert
5) Amme gebiert geklontes Lamm
6) Geklontes Tier gleicht schließlich dem Tier, das die somatische Spenderzelle geliefert hatte
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Anwendungsorientierte Experimente an Frühkeimen der Wirbeltiere: Klonen, Chimären, Teratome, transgene Tiere
mühens gelingt dies mittlerweile immer öfter. Für den Erfolg maßgeblich waren folgende Fortschritte: Als Gastzellen werden Oocyten im Stadium der Endreifung (1. Polkörper abgeschnürt) ausgesucht und als Kernspender Zellen, an denen kein Mangel herrscht. Dies können beispielsweise Stammzellen aus Milchdrüsen sein, die sich in Kultur nehmen und vermehren lassen. Die Kerne der Spenderzellen müssen in einen geeigneten Zustand gebracht werden. Eizellen teilen sich sehr rasch; normale somatische Zellen hingegen langsam, auch wenn sie in Kultur gehalten werden. Es hat sich bewährt, Kerne aus somatischen Zellen erst in die G-Phase des Zellzyklus zu bringen. Dabei kommt auch die RNA-Synthese zum Stillstand. Von dieser Ruhephase aus kann offenbar leichter ein Neubeginn mit rascher Kernteilungsfolge gestartet werden. Bei einem wohldosierten Stromstoß gelingt nicht nur die Fusion der Spenderzelle mit der Eizelle; es gelingt zugleich die Aktivierung des Eies. Erst nach der Entwicklung von Kulturmedien, denen Eigenschaften des Uterussekretes verliehen wurden, konnten die manipulierten Eizellen bis zu ihrer Implantationsfähigkeit aufbewahrt und überwacht werden. Nur augenscheinlich normal entwickelte Blastocysten werden in Ammenmütter transplantiert. Historisch bedeutsame Daten sind: 1997 die Klonierung des Schafes Dolly; Spenderzellen waren Milchdrüsenzellen aus dem Euter (Abb. 13.3) und 1998 die erste Klonierung von Mäusen. Der Versuch, Labormäuse zu klonen, glückte erstmals, als man totipotent gebliebene Kerne in den flockigen Cumuluszellen fand; diese haften am frisch aus dem Ovar ausgestoßenen Ei und sind Reste mütterlichen Gewebes, des Follikels. Zuvor war jahrzehntelang das Klonen von Mäusen trotz vieler Versuche nicht gelungen. (In zahlreichen Versuchen entwickelten sich die Keime im Reagenzglas bis zur Blastocyste, in den Uterus einer Amme implantiert starben sie aber ab, weil das Trophektoderm sich nicht normal ausbildete.)
Klonen gelang nach dem Hausschaf (Dolly 1997) beispielsweise bei der Hausmaus (1998), beim Hausrind (1998), bei der Hausziege (1998), beim Hausschwein (2000), Mufflon (2000), Gaur (2001), Hauskaninchen (2001), bei der Hauskatze (2001) und Wanderratte (2002), beim Maultier (2003) und Hauspferd (2003), bei der afrikanischen Wildkatze (2003), beim Rothirsch (2004), Frettchen (2004), Wasserbüffel (2005), beim Haushund (Snuppy, 2005) und Wolf (2005). 2007 wurde erstmals ein Rhesusaffe geklont, 2009 ein Dromedar. Heutzutage (2011) werden vor allem Zuchtpferde mit großen sportlichen Leistungen in größerer Zahl geklont. Im Jahr 2008 kamen in Südkorea sieben geklonte Drogenspürhunde (Golden Retriever) zur Welt, die, so die Hoffnung der südkoreanischen Zollbehörde, ähnlich erfolgreich sein würden wie das Original. Versucht wird auch, vom Aussterben bedrohte Beuteltiere zu klonen, wobei es aber vor allem an Spenderinnen von Oocyten und an Ammenmüttern mangelt.
13.1.7 Bislang gab es viele Enttäuschungen denn die Epigenetik bereitet viele Probleme Dass bei den Versuchen, Säugetiere zu klonen, die Erfolgsquote bislang sehr gering war (und ist) – sie lag zwischen 0 % und maximal 4 % – war für die beteiligten Reproduktionsbiologen misslich. Misslich, und nicht bloß auf technische Unzulänglichkeiten zurückführbar, war auch, dass viele Feten früh durch Abort verloren gingen oder noch kurz vor oder bei der Geburt starben. Dass darüber hinaus die Nachkommen keineswegs zu gänzlich identischen Kopien des Zellkernspenders wurden, war gegen alle Theorie und Erwartung. Schon Dolly alterte zu schnell. Zu hohes Geburtsgewicht, frühzeitiges Altern und Gebrechen mancherlei Art mussten diagnostiziert werden. Als Ursachen werden diskutiert:
13.1 Klonen: die Herstellung genetisch identischer Kopien
Unvollständige Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes der Chromosomen. Chromosomen erfahren im Zuge der Zelldifferenzierung sekundäre Veränderungen. An viele Cytosine der DNA werden Methylgruppen angehängt (Abb. 12.22), und auch die Histon-Proteine werden durch Methyl-, Acetyl- und/oder Phosphatgruppen modifiziert (Abb. 12.23). Diese sekundären Veränderungen beeinflussen die Transkribierbarkeit von entwicklungssteuernden Genen und sind Grundlage der genomischen Prägung (imprinting), des epigenetischen Gedächtnisses und wichtiger Mechanismen des „gene silencing“ (Abschn. 12.5). In einer Oocyte herrschen Bedingungen, die das Wiederherstellen des Ausgangszustandes begünstigen; schließlich muss auch das hoch methylierte und eng verpackte Chromatin des Spermienkerns in einen transkribierfähigen Zustand gebracht werden. So enthält das Cytoplasma der Oocyte beispielsweise viele Demethylasen. Die Reprogrammierung ist allerdings nur selten und nicht einmal in den Kernen der Oocyte oder des Spermiums vollständig. An manchen Genen der Oocyte bleibt eine mütterliche, an manchen Genen des Spermiums eine väterliche Prägung haften (Kap. 8). Beim Klonen mittels somatischer Kerne kann die unvollständige Reprogrammierung des somatischen Kerns erschwerte Zugänglichkeit wichtiger Gene zur Folge haben. Zudem sind in somatischen Kernen viele zelltypische Transkriptionsfaktoren gebunden, welche in einer Eizelle noch nicht enthalten sind. Auch im Cytoplasma der Spenderzelle können Transkriptionsfaktoren enthalten sein, die in unzweckmäßiger Weise Einfluss auf die Genexpression nehmen. Man injiziert ja in die Oocyte in aller Regel keine nackten Spenderkerne. Bei der Fusion der (kleinen) Spenderzelle mit der (großen) Oocyte gelangt auch Cytoplasma der Spenderzelle in die Oocyte. Wir hatten den Fall des Muskelzellen programmierenden Transkriptionsfaktors MYO-D vorgestellt (Abschn. 12.3.2), der in den Muskelvorläuferzellen nach jeder Zellteilung die Expression seines eigenen Gens ankurbelt. Ein solcher Transkriptionsfaktor könnte auch in der Eizelle unzeitgemäß seine eigene Expression in Gang bringen.
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Zu guter Letzt verkürzt der sukzessive Verlust der endständigen Telomere-Sequenzen nicht nur die Chromosomen, sondern auch die Lebenszeit einer Zelle. Bei jeder Replikation geht ein kleines, endständiges Stück des Chromosoms verloren, das als Ansatzpunkt der Polymerase genutzt wird. Diese Endsequenzen sind unter dem Namen Telomere bekannt. Sind sie verbraucht, gehen letztlich wichtige Sequenzen des Chromosoms verloren. Stichworte hierzu „Telomerase-Theorie der Zellseneszenz“ (Kap. 21). Die Technologie des Klonens hat noch manch schwieriges Problem zu lösen.
13.1.8 Wird Klonen von Menschen möglich und erwünscht sein? Nach gegenwärtigem Wissensstand muss die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen geklont werden können, trotz aller eben diskutierten Schwierigkeiten als nicht gering eingeschätzt werden. Klonen würde, anders als die sexuelle Fortpflanzung, Menschen mit vorhersehbarer genetischer Veranlagung hervorbringen. Beim Klonen von Männern freilich wird die Eizelle die mitochondrialen Gene der Ei-spendenden Frau beifügen müssen, sodass das Kind keine völlig getreue Kopie des Vaters wäre. Andererseits würde das Klonen ermöglichen, rein weibliche Populationen („Amazonen“) heranzuzüchten. Sieht man von diesem nicht eben wahrscheinlichen Szenario ab, so werden durchaus Motive genannt, die Klonen fallweise zu rechtfertigen scheinen: Ist ein Elternteil unfruchtbar oder sein Erbgut mit nicht heilbaren Defekten belastet, könnte der zweite Elternteil allein für das erwünschte Familienglück Kerne spenden. Es müsste nicht, wie heute noch, in Kauf genommen werden, dass ein fremder, unbekannter Samenspender das Genom der Kinder zur Hälfte in Beschlag nimmt. Ein Kind gänzlich ohne die Beteiligung eines Mannes bekommen zu können, könnte in der Sicht der einen oder anderen Frau ein ausreichendes Motiv sein, nicht länger die ethischen Bedenken anderer Menschen zu teilen.
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Anwendungsorientierte Experimente an Frühkeimen der Wirbeltiere: Klonen, Chimären, Teratome, transgene Tiere
Wenn Frauen, die Oocyten spenden oder Kinder austragen müssen, geklonte Kinder haben wollen und die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, werden ethische Bedenken und staatliche Gesetze dies auf lange Sicht wohl nicht verhindern.
13.1.9 Klonen schränkt die genetische Vielfalt ein Mag in dem einen oder anderen Fall das Klonen erwünscht sein, so muss doch auch ein potentieller Nachteil bedacht werden. Klonen vermindert auf lange Sicht die natürliche genetische Vielfalt. Es werden, anders als bei sexueller Fortpflanzung, keine neuen Kombinationen von Allelen geschaffen, die möglicherweise die Nachkommen mit besonders günstigen Eigenschaften ausstatten könnten. Es werden zugunsten des Bewährten oder mühsam Geschaffenen Chancen für noch Besseres vertan.
13.1.10 „Therapeutisches Klonen“ hat mit Klonen im herkömmlichen Sinn nicht viel gemein Im Jahr 2000 ging in den Medien der Welt ein neues Schlagwort um, das selbst Parlamente in erregte Diskussionen versetzte, das „therapeutische Klonen“. Es geht hier nicht um die Erzeugung genetischer Kopien von ganzen Tieren oder Menschen, sondern um die künstliche Herstellung von Ersatzgeweben und Ersatzorganen aus Stammzellen für den medizinischen Gebrauch. In diesem Buch wird das Thema deshalb in Kap. 18 behandelt, das sich mit Stammzellen befasst. Der Ausdruck „Klonen“ wird in diesem Zusammenhang insofern halbwegs berechtigt benutzt, als es ein Ziel des Mediziners sein könnte, die Ersatzgewebe und Ersatzorgane mit dem vollständigen Genom des Patienten auszustatten, um keine immunologische Abstoßung des Ersatzmaterials zu provozieren. Das Einführen des Patientengenoms kann, so die Vorstellung der (damaligen) Befürworter des „therapeutischen Klonens“, durch Einbringen eines totipotenten Kerns, der einer Zelle des Patienten entnommen wird, in eine entkernte Eizelle einer beliebigen Spenderin erreicht werden. Diese Eizelle soll sich dann extrakorporal zur Blastocyste entwickeln, und dieser könnten dann Stammzellen mit dem Genom des Patienten entnom-
men werden. Alsdann sollen die patientenkonformen Stammzellen das gewünschte Ersatzmaterial liefern. In Deutschland (im Jahr 2012) verbietet das Embryonenschutzgesetz Versuche dieser Art.
13.2 Versuche mit Chimären und Teratomen – und was solche Versuche (nicht) bringen 13.2.1 Eine Chimäre ist ein mosaikartig zusammengesetzter Organismus, dessen Teile unterschiedlicher elterlicher Herkunft und folglich erb-ungleich sind Chimären hat man schon um 1920 in der Schule von H. Spemann durch Fusion von Keimen aus verschiedenen Amphibienarten hergestellt. Fusionierte Frühkeime (2Zellstadium bis Blastula) können sich zu einer einheitlichen Großblastula reorganisieren und zu einem (vorübergehend) lebensfähigen Chimärenorganismus weiterentwickeln. Bekannt waren einst die Experimente von Beatrice Mintz: Blastocysten zweier reinerbiger Mäusestämme (albino und black), die durch weißes und dunkles Fell unterschieden sind, wurden aus der Hüllschicht (Zona pellucida) herausgenommen und miteinander zur Fusion gebracht. Das Fusionsprodukt wurde operativ in die Gebärmutter einer durch Hormoninjektion auf die Schwangerschaft vorbereiteten Ammenmutter eingesetzt. Die von der Ammenmutter zur Welt gebrachte tetraparentale Chimärenmaus trug ein schwarz-weiß gestreiftes Fell (Abb. 13.4b). Es gibt auch Chimären zwischen Ziege und Schaf („Schiege“). Aus Chimären können jedoch keine neuen Arten, Rassen oder auch nur genetische Bastarde entstehen. Sofern Chimären aus A und B überhaupt fertil werden, stammen ihre Eizellen oder Spermien von Urkeimzellen des einen Chimärenpartners A oder des anderen Partners B ab; denn eine ABChimäre ist ein Mosaik von getrennt bleibenden A- und B-Zellen, die nur äußerlich aneinander haften, aber keine Gene austauschen. Chimärenmäuse sind noch in anderer Weise hergestellt worden und werden heutzutage in vielen Labors der Welt hergestellt als ein Teilschritt zur Erzeugung transgener Mäuse (s. unten Abschn. 13.3). Pionierversuche waren Versuche mit Teratomzellen (Abb. 13.4b).
13.2 Versuche mit Chimären und Teratomen – und was solche Versuche (nicht) bringen
377
Keim vom Stamm A Teratom (misglückter Embryo)
Keim vom Stamm B
vermehrungsfähige Zellen
Blastocyste, genetisch von Teratomzellen verschieden
Haltepipette
chimärische Blastocyste, aus genetisch verschiedenen Zellen
chimärische Blastocyste, aus genetisch verschiedenen Zellen
Amme Amme
Amme Chimäre
Chimäre
a Abb. 13.4 Herstellung von Chimärenmäusen (a) durch Fusion zweier Blastocysten, (b) durch Einführen von totipotenten Zellen anderen Ursprungs – hier von einem Teratom – in ei-
b ne Blastocyste. Im vorliegenden Fall ist die Chimärennatur der Nachkommen erkennbar an der Streifung des Felles
378
13
Anwendungsorientierte Experimente an Frühkeimen der Wirbeltiere: Klonen, Chimären, Teratome, transgene Tiere
13.2.2 Teratome sind missglückte, chaotisch disorganisierte Embryonen, die Eigenschaften eines Tumors entwickeln können Teratome können aus unbefruchteten, diploiden Zellen der Keimbahn hervorgehen, welche voreilig eine Embryonalentwicklung beginnen. Sie liefern chaotische Zellhaufen oder missgebildete, chaotisch disorganisierte Embryonen. Teratome findet man nicht nur im Ovar von Frauen, sondern auch im Hoden von Männern. Ursprung eines Teratoms kann eine noch diploide Spermatocyte oder Oocyte sein oder eine Oocyte, die nach der ersten Reifeteilung durch Fusion mit dem Polkörper wieder in den diploiden Zustand zurückkehrte. Ein anderer Ursprung von Teratomen sind befruchtete Eizellen, die sich voreilig im Eileiter einnisten oder gar nicht erst vom Trichter des Eileiters aufgefangen werden, sondern in die Bauchhöhle fallen und sich dort irgendwo einnisten (Bauchhöhlenschwangerschaft). Experimentell werden bei der Maus Teratome dadurch erzeugt, dass Blastocysten dem Eileiter entnommen und irgendwo in die Bauchhöhle implantiert werden. Teratome entwickeln sich nicht selten zu malignen Teratocarcinomen, d. h. zu bösartigen Geschwulsten, die sogar Tochtergeschwulste (Metastasen) entstehen lassen können. Zwar haben solche Experimente keinen unmittelbaren Nutzen, doch haben sie es ermöglicht zu verstehen, wie solche schlimmen Fehlleistungen auch beim Menschen zustande kommen können. Auch haben solche Teratomcarcinome der Forschung manchen Nutzen gebracht. Teratocarcinomzellen (z. B. die murinen 3T3, F9-Zellen) sind oft immortal und lassen sich relativ leicht als Zellkulturen vermehren. Teratocarcinomzellen sind (in der Regel) genetisch noch intakt. Man kann sie mittels einer Mikropipette in normale Blastocysten injizieren. Dort können sich die fremden Zellen in ihre neue Umgebung einpassen und am Aufbau des Embryos beteiligen. Da in solchen Experimenten die implantierten Teratomzellen und die Wirtsblastocyste genetisch unterschiedlich sind, ist das Ergebnis eine Chimäre (Abb. 13.4b). Chimären dieser Art lieferten eine experimentelle Handhabe, um transgene Mäuse herzustellen. Wie dies gemacht wird, wird im folgenden Abschnitt erläutert.
13.3 Genetische Manipulationen an Embryonen: K.o.-Mutanten und transgene Tiere 13.3.1 Es gibt zwei bewährte Methoden, veränderte oder fremde Gene in das Genom eines Tieres einzuführen Es sind zwei Verfahren in Gebrauch, gezielt veränderte oder fremde Gene mittels Genkonstrukten (Vektoren) in Mäuse einzubringen: 1. Direkte Injektion des Konstruktes in den weiblichen oder den männlichen Vorkern einer Oocyte (Abb. 13.5). Das Konstrukt wird dort bisweilen in das haploide Genom integriert. Nach der Fusion der beiden Vorkerne ist die befruchtete Eizelle bezüglich des eingeschleusten Gens heterozygot. Durch Inzuchtkreuzung kann in der F2 oder F3 Homozygotie erreicht werden. Es mangelt freilich bisher an Konstrukten, die sich bleibend und zuverlässig in das Genom integrieren und gar einen bestimmten, vom Forscher ausgesuchten Ort im Genom besetzen würden. Neuerdings ist eine Methode in der Entwicklung, mittels ZinkfingerNukleasen direkt in befruchteten Eizellen die DNA an bestimmten Stellen aufzuschneiden. Dies erleichtert es, Gene gegen künstliche Konstrukte auszutauschen, und es können durch die Wahl sequenzspezifischer Nukleasen bevorzugte Integrationsorte ausgesucht werden. 2. Indirekte Verfahren über manipulierte embryonale Stammzellen. Dieses Verfahren ist zeitraubend, erlaubt aber Manipulationen, wie sie gegenwärtig bei keinem anderen Verfahren möglich sind. Es nutzt die Möglichkeit einer somatischen, homologen Rekombination, ein Vorgang, der nachfolgend erläutert wird. Mit diesem Verfahren kann geschultes Laborpersonal gezielt nach dem Wunsch eines Forschers ein bestimmtes Gen unbrauchbar machen (targeted mutagenesis), oder ein Gen gegen ein anderes, gar artfremdes, austauschen (transgene Tiere). Ein wichtiger Teilschritt der Methode ist die Technik zur Herstellung von Chimären. Homologe Rekombination Wird in eine Zelle der Maus ein Gen eingeschleust, das weitgehend sequenzgleich mit einem Gen auf den Chromosomen dieser Zelle ist, kann es in seltenen Fällen zu einer lokalen Rekombination kommen; und das ortsansässige Gen
13.3 Genetische Manipulationen an Embryonen: K.o.-Mutanten und transgene Tiere Polkörper
379
Eizelle
Area pellucida 0,1 mm
Mikropipette mit Vektor Halte-Saugpipette
Pronuclei
a
c
b
c
d
d
e
Abb. 13.5 Injektion eines Vektorkonstrukts oder von Teratomzellen in den Pronucleus einer von den umhüllenden Cumuluszellen befreiten und kurz zuvor besamten Eizelle. Die Eizelle wird durch leichten Unterdruck an der Haltepipette fixiert. c, d, e Ein GFP-Reportergen markiert Zellen in lebenden Mäusen oder Embryonen. c GFP ist an Actin gekoppelt und wurde universell exprimiert. Bildrechte liegen bei www.ethlife.ethz.ch, reproduziert mit Erlaubnis der Redaktion. d Ein 14 Tage alter Maus-Embryo, bei dem im sich entwickelnden Gehirn die neuralen Stammzellen und Vorläufer-Zellen des entstehenden
Zentralen Nervensystems durch GFP grün markiert sind. Aus dem Forschungsbericht 2004 des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik Berlin, mit Erlaubnis von Prof. Wieland Huttner und von PNAS (Bildrechte liegen bei National Academy of Sciences, USA). e Purkinjezelle im Kleinhirn der Maus, hervorgegangen aus der spontanen Fusion einer GFPStammzelle mit einer Nervenzelle. Bild freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Dr. Clas B. Johansson, Karolinska University Hospital Stockholm und mit Erlaubnis von Prof. Helen Blau, Stanford. Zur Methode: Johansson et al. (2008)
wird im Zuge einer DNA-Reparatur gegen das eingeschleuste ausgetauscht (Abb. 13.6, s. auch Abb. 12.4). Wegen der Seltenheit solcher Ereignisse wird homologe Rekombination nicht direkt in Eizellen oder Embryonen durchgeführt, sondern in beliebig vermehrbaren und selektierbaren embryonalen Stammzellen (ES-Zellen). Um ein solch seltenes Ereignis erkennen und die rekombinanten ES-Zellen auswählen zu können, wird in das einzutauschende Genkonstrukt mindestens ein weiteres Gen, ein Resistenzgen und/oder Reportergen, eingebaut. Dies kann beispielsweise das neo-Gen für
Neomycinresistenz und/oder das als Reporter dienende, aus einer Hydromeduse stammende GFP-Gen für grün-fluoreszierendes Protein sein. Die Produkte solcher Resistenzgene machen Zellen, die das Konstrukt integriert haben, gegen ein Antibiotikum resistent (neo gegen Neomycin) und/oder sie ermöglichen es, Zellen mit gelungenem Einbau von GFP im Fluoreszenzmikroskop sichtbar herauszuheben (Abb. 13.5c, d, e). Homologe Rekombination gelingt (bisher) nicht bei allen Organismen, beispielsweise nicht bei Drosophila; sie gelingt aber in teilungsfähigen Zellen der Maus.
380
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Anwendungsorientierte Experimente an Frühkeimen der Wirbeltiere: Klonen, Chimären, Teratome, transgene Tiere
Abb. 13.6 Herstellung von Knockout-Mutanten und von transgenen Mäusen über das Verfahren der homologen Rekombination und über die Herstellung von Chimären aus manipulierten Spenderzellen und normalen Blastocysten. Erläuterungen im Haupttext
klonierter Vektor 1. Entnahme von ES-Zellen aus Blastocyste mit, z.B., XY-Konstitution
Neomycinresistenzgen (hier mit Lox-P-Sequenzen eingerahmt)
Stammzellen (ES)
2. Vermehrung der ES-Zellen, Durchführung der homologen Rekombination
3. Selektion rekombinanter Zellen mittels Neomycin; diese auch durch Reportergen (grün) erkennbar
3b. Neomycinresistenzgen mit Cre-Rekombinase herausgelöst Blastocyste
5. Ammenmutter 6. Geburt Chimärenmaus Gonade (Hoden)
Normales
7. Paarung Chimärenmaus mit verändertem Zielgen in einigen Spermien 8. Nachkommen
Nachkommen können heterozygot für verändertes Gen sein
Nachkommen können homozygot für verändertes Gen sein (KnockoutMutanten oder transgene Mäuse)
13.3 Genetische Manipulationen an Embryonen: K.o.-Mutanten und transgene Tiere
Gezielte Mutagenese Das Zielgen auf den Chromosomen wird gegen ein Gen ausgetauscht, das künstlich im Labor verändert oder ganz unbrauchbar gemacht worden ist. Unbrauchbar wird es beispielsweise dadurch, dass das begleitende Gen für die Neomycinresistenz mitten in eine codierende Sequenz inseriert wird. Da homologe Rekombination ein seltenes Ereignis ist, wird allerdings nur in sehr wenigen Zellen das Konstrukt integriert und es wird nur eines der beiden Allele zerstört sein. Jedoch überstehen nur die wenigen Zellen mit integriertem neo-Gen eine Neomycinbehandlung. Nach der Selektion der erfolgreich veränderten ES-Zellen werden solche Zellen in Wirtsblastocysten eingeschleust (Abb. 13.6). Dort können sie auch an der Entwicklung von Hoden oder Ovar teilnehmen und es entstehen vereinzelt haploide Keimzellen mit dem zerstörten Allel. Nachkommen sind bezüglich dieses Gens in der F1 heterozygot. Wenn F1-Nachkommen mit solchen Defektallelen miteinander gekreuzt werden, kann sich in der folgenden F2- oder F3-Generation auch ein homozygoter Zustand einstellen. Dies besagt: Beide Allele des Gens sind defekt und die Maus ist zu einer Knockout-Mutante geworden, auch Nullmutante genannt und = notiert. An ihr lässt sich beispielsweise erkennen, ob ein Gen für eine erfolgreiche Embryonalentwicklung unentbehrlich ist oder ob erst nach der Geburt krankhafte Symptome erkennbar werden. Es werden mehr und mehr Verfahren entwickelt, Gene gezielt auszutauschen oder funktionell auszuschalten. Eine sehr ausbaufähige Methode besteht darin, ein Gen im Labor mit flankierenden loxP-Sequenzen zu versehen und dann in ES-Zellen oder direkt in Eizellen einzuführen. Ist ein solches Konstrukt über homologe Rekombination ins Genom gelangt, und hat man schließlich erfolgreich Mäuse erzeugt, die das von loxP eingerahmte Gen tragen, werden diese Mäuse mit einem Mäusestamm gekreuzt, der über seine Keimzellen eine Cre-Rekombinase beisteuern kann. In den Nachkommen kann diese Rekombinase das Gen an den beiden loxP-Stellen aus dem Chromosom entfernen. Wenn der Cre-Rekombinase ein Promotor vorangestellt wird, der spezifisch nur in einem bestimmten Zelltyp oder Organ eingeschaltet wird, kann das Zielgen in eben diesem Zelltyp oder Organ, beispielsweise im Herzen, entfernt werden (Abb. 13.7).
381
13.3.2 Mit gezielter Mutagenese können tierische „Modelle“ für genetisch bedingte menschliche Krankheiten erzeugt werden In mehreren Laboratorien der Welt werden durch gezielte Mutagenese „Modellorganismen“ für menschliche, genetisch bedingte Krankheiten erzeugt. Solche „Modelle“ sind unter dem Aspekt der Erforschung von Heilungsmöglichkeiten erwünscht und wurden beispielsweise für häufig auftretende Krankheiten wie Diabetes, Parkinson, Nieren- oder Herzkrankheiten, verschiedene Krebsarten, Multiple Sklerose und selbst Depression erzeugt oder durch Zucht selektiert.
Es gibt freilich kontroverse Diskussionen darüber, ob und inwieweit wir Menschen berechtigt seien, so grundlegend den Gesundheitszustand eines Tieres zu beeinträchtigen. Antworten auf solche Fragen fallen ähnlich kontrovers aus wie Antworten auf die Frage, ob überhaupt Tierversuche ethisch zu rechtfertigen seien.
13.3.3 In transgenen Tieren gelingt auch der gezielte Austausch gegen funktionsfähige Gene fremder Herkunft oder willkürlicher Konstruktion Statt einem Defektallel kann man über homologe Rekombination selbstredend auch Allele einführen, die zwar künstlich im Labor verändert wurden, aber durchaus noch funktionsfähig sind. Lässt man die codierende Sequenz des Gens selbst unangetastet, verändert aber seine Steuerregion oder tauscht sie gegen die Steuerregion eines anderen Gens aus, so kann man erreichen, dass das Gen zu einem anderen Zeitpunkt oder in einem anderen Organ exprimiert wird. Gelingt es, durch homologe Rekombination in das Genom einer ES-Zelle ein Gen einzubauen, das nicht zum normalen Allelbestand der Art gehört (und deshalb nicht durch sexuelle Paarung eingekreuzt werden kann), so ist man der Herstellung transgener Tiere einen entscheidenden Schritt näher gekommen (s. folgender Abschnitt).
382
13
Anwendungsorientierte Experimente an Frühkeimen der Wirbeltiere: Klonen, Chimären, Teratome, transgene Tiere
Abb. 13.7 Cre-LoxVerfahren zum zelltyp- oder organspezifischen Entfernen eines bestimmten Gens. Im vorliegenden Fall wird die erfolgreiche Organspezifität dadurch kund, dass das Herz unter UV-Licht grün fluoresziert
Konditionale Mutagenese: hier gewebespezifische Deletion Start
Zielgen
LoxP
Stop eGFP Stop
Cre-Rekombinase
LoxP
mit Herz-spezifischem Promotor genmanipulierte Eltern
LoxP-(floxed) Maus
Cre-transgene Maus
x
Cre-Rekombinase als Deletase im Herzen aktiv
Nachkomme
Start
Start
Zielgen
LoxP Zielgen wird im Herzen durch Cre-Rekombinase entfernt, stattdessen kann das eGFPReportergen transkribiert werden
13.3.4 Transgene Tiere können extern steuerbare Gene und Gene anderer Arten tragen und zur Expression bringen Transgene Tiere sind Tiere, in die Gene fremder Spender, auch fremder Arten, oder künstlich im Labor hergestellte Genkonstrukte bleibend eingeschleust worden sind. Bei der Maus macht man sich die Fähigkeit von ES-Zellen aus Blastocysten zunutze, sich in Wirtsblastocysten einzuordnen. Das fremde Gen, das eingeschleust werden soll, wird mit geeigneten Verfahren (retrovirale Vektoren, Mikroinjektion, Elektroporation) in die ES-Zellen eingeführt. Das Gen ist
Stop eGFP Stop LoxP
In anderen Geweben bleibt das Zielgen erhalten und (trotz LoxP-Markierung) aktivierbar
von Sequenzen begleitet, die eine Steuerung seiner Expression erlauben. Durch homologe Rekombination wird es in ein Chromosom bleibend integriert. Die transgenen Spenderzellen werden in Wirtsblastocysten injiziert und die Blastocysten in die Gebärmutter von Ammenmüttern implantiert. Wenn sich die ES-Zellen an der Bildung des Embryos beteiligen, werden bisweilen Abkömmlinge von ihnen auch zu Urkeimzellen und schließlich zu Keimzellen. Werden bei der Paarung solcher Mäuse die transgenen Keimzellen zum Ausgangspunkt einer neuen Generation, so wird diese das fremde Gen bleibend in sich tragen und ihrerseits an die nächste Generation weitergeben.
13.3 Genetische Manipulationen an Embryonen: K.o.-Mutanten und transgene Tiere
Allerdings werden nur wenige der ersten Nachkommen das Transgen tragen; denn in der elterlichen Chimäre werden nur wenige Urkeimzellen das Transgen beherbergen und es über die Meiose einem Teil ihrer haploiden Tochterzellen (Oocyten oder Spermatocyten) zuteilen können. Die wenigen transgenen Nachkommen werden zudem heterozygot sein, weil nur die Eizelle oder nur das Spermium das Transgen erhalten hatte. Ob ein Nachkomme das Transgen trägt, wird nur sehr selten (bei einigen dominanten Genen) ohne besondere Analyse erkennbar sein. Man kann jedoch von einer kleinen Gewebsprobe einen genetischen Fingerabdruck anfertigen (s. Lehrbücher der Molekulargenetik) und in weiteren Kreuzungen nur Träger des Transgens paaren. Bei fortgesetzter Kreuzung werden auch homozygote Individuen auftreten. Ist das in die Spenderzellen eingeschleuste Gen ein Defekt-mutiertes Gen gewesen, wird man homozygote = (Nullmutanten, Knockout-Mutanten) Nachkommen erhalten. Von größerem Interesse sind funktionsfähige Genkonstrukte, deren Promotoren so konstruiert sind, dass die Gene nach Wunsch des Forschers ein- oder ausgeschaltet werden können. Ist dem Gen beispielsweise ein Hitzeschock-Promotor vorgeschaltet worden, kann es durch eine kurzfristige Temperaturerhöhung um 5 ı C eingeschaltet werden. Trickreich konstruierte künstliche Promotoren erlauben es, Gene durch Gabe von körperfremden Hormonen (z. B. mittels Ecdyson der Arthropoden in Säugern) oder durch Füttern des Antibiotikums Tetracyclin ein- oder auszuschalten (s. Box 12.2). Durch Kombination von homologer Rekombination und dem Cre/loxP-System sind Verfahren möglich geworden, Gene nur in bestimmten Organen oder Geweben auszutauschen. Diese Verfahren sind allerdings nur bei der Maus, nicht beim Menschen anwendbar. Man kann auch menschliche Gene in Mäuse einschleusen und so z. B. deren Beitrag zur Entwicklung oder einer besonderen Fähigkeit studieren. An transgenen Tieren lässt sich beispielsweise studieren, welchen Anteil ein bestimmtes Gen an der Entwicklung einer Eigenschaft (z. B. Geschlecht, Gedächtnisleistung) hat. Transgene Tiere und Tiere, die Modell für menschliche Krankheiten stehen müssen, sind nicht nur für die Grundlagenforschung von Interesse, sondern auch für die klinische Forschung und für die pharmazeutische Industrie. Versuche mit solchen Tieren werden geplant
383
mit dem Ziel, neue Medikamente und neue Therapieverfahren zu entwickeln. Auch ist man mit Erfolg bestrebt, weibliche transgene Säugetiere zu erzeugen, die über ihre Milch menschliche Proteine produzieren oder Hühner, deren Eier Antikörper nach Wahl des Forschers enthalten. Allerdings sollten solche Tiere über lange Zeiträume und in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Nun ist es aber derzeit nicht möglich, routinemäßig solche „Modelltiere“ mit stets den gleichen Eigenschaften zu erzeugen. Hier wird die Hoffnung auf das Klonen gesetzt. Zusammenfassung
Klonen ist das Erzeugen von genetisch gleich ausgestatteten Individuen. Bei Pflanzen und manchen wirbellosen Tieren ist Klonen als vegetative Fortpflanzung ein natürliches Ereignis. Bei Wirbeltieren entstehen Miniklone als eineiige Mehrlinge durch Zerfall von Furchungsstadien; dies lässt sich im Labor (ohne viel Nutzen) nachvollziehen. Klonen von Wirbeltieren in großem Maßstab und mit erwachsenen Genomspendern gelang erstmals beim Krallenfrosch Xenopus. Hier werden die Kerne von Eizellen durch totipotente Kerne aus somatischen Zellen ersetzt. Alle so erzeugten Individuen sind untereinander und mit dem Kernspender genetisch (weitgehend) identisch. Mit ähnlichen, auf die Verhältnisse bei Säugern abgestimmten Verfahren gelingt auch das Klonen von Säugetieren (z. B. Schafe, Rinder, Mäuse). Allerdings sind die mitochondrialen Gene stets die der Eispenderin und epigenetische Modifikationen in den Spenderkernen schmälern oftmals den Erfolg; das geklonte Tier ist nicht immer vollständig mit dem Ausgangstier identisch und kann Gebrechen entwickeln. Chimären sind künstlich erzeugte Individuen, deren Zellen von verschiedenen Eltern stammen und deshalb mit unterschiedlichen Genomen ausgestattet sind. Chimären erzeugt man als Zwischenprodukte für die Herstellung genetisch veränderter, beispielsweise transgener Säugetiere. Hierfür sind zwei Verfahren in Gebrauch: (1) Künstlich hergestellte Genkonstrukte oder fremde Gene werden in den ♂ oder den ♀ Vorkern einer befruchteten Eizelle injiziert und in diesem mitunter in das haploide Genom eingebaut; die nach der Fusion der Vorkerne diploiden Nachkommen sind heterozygot bezüglich des eingeführten Gens. (2) Man injiziert in eine Blastocyste genetisch fremde Zel-
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Anwendungsorientierte Experimente an Frühkeimen der Wirbeltiere: Klonen, Chimären, Teratome, transgene Tiere
len, die von einem Teratom (missglückter Embryo) oder von der inneren Zellmasse eines normalen Spenderkeims stammen und dann ES-Zellen (ES D embryonale Stammzellen) heißen. Solche in eine Blastocyste injizierte Teratom- oder ES-Zellen können an der Embryonalentwicklung des Wirtskeimes teilnehmen und auch Keimzellen beisteuern. Hat man zuvor in die ES-Zellen fremde Gene eingeschleust, kann man über transgene Keimzellen auch ganze transgene Tiere als Nachkommen erhalten, die in all ihren Körperzellen neben dem eigenen Gen (Normalallel) das fremde Gen beherbergen. In beiden Verfahren kann Homozygotie durch anschließende Inzuchtkreuzung erreicht werden. Injektion von Kunst- oder Fremdgenen in ESZellen nutzen das seltene Ereignis einer homologen Rekombination, wobei die ES-Zelle im
Zuge einer DNA-Reparatur ihr eigenes Gen gegen das fremde austauscht. Das eingetauschte Gen kann gezielt mutiert worden sein; und so lassen sich Knockout-Mutanten (auch Nullmutanten genannt) herstellen. Ist das eingeführte Gen von LoxP-Sequenzen eingerahmt, denen ein zelltypische Promotor vorangestellt ist, lässt sich ein Gen mittels einer Cre-Rekombinase spezifisch in bestimmten Zell- oder Gewebetypen entfernen. Aus dem resultierenden Defekt kann auf die Normalfunktion des Gens geschlossen werden. Wird einem funktionstüchtigen eingetauschten Gen ein anderer, ektopischer Promotor vorangestellt, wechselt der Expressionsort. Bei einem von außen induzierbaren Promotor kann die Expression des Gens nach Wunsch des Forschers beliebig ein- oder ausgeschaltet werden (s. auch Box 12.2).
14
Morphogenese: Gestaltbildung durch aktive Zellbewegung, differenzielle Zelladhäsion und Zelltod
14.1 Aktive Zellbewegung und Ortsveränderung
beweglicher Zellen (wofür das Aktin-Cytoskelett wiederum essentiell ist).
14.1.1 Anders als bei Pflanzen spielt in der Entwicklung der Tiere aktive Zellbewegung eine wichtige Rolle
14.1.2
Als Ergebnis von Zellteilung und Zelldifferenzierung treten Zellen in verschiedenartiger Gestalt und molekularer Ausstattung auf, und es entstehen Aggregate von Zellen, die gemeinsam einer Funktion dienen. Solche morphologischen und funktionellen Einheiten nennt man Gewebe, wenn ihre Komposition aus einem einheitlichen Zelltyp oder wenigen Zellformen im Blickpunkt steht; man nennt sie Organe, wenn die funktionelle Rolle der Zellengemeinschaft im Dienste des ganzen Organismus im Vordergrund steht. Naturgemäß werden Zahl, Größe und Form der Zellen die Gestalt des Ganzen bestimmen. Anders als in der Entwicklung der Pflanzen werden bei der Entwicklung tierischer Organismen jedoch in großem Umfang auch aktive Verformungen von Zellen beobachtet. Aktive Verformung ist möglich über intrazelluläre, in ihrer Länge variable Elemente des Cytoskeletts (Mikrotubuli, Intermediärfilamente, Aktin), intrazelluläre Motorproteine wie Aktin/Myosin, Kinesin, Dynein und Dynamin, und selbstgesteuerte, variable Kräfte der Kohäsion und Adhäsion, welche zwischen den Zellen und ihrer Umgebung auftreten. Darüber hinaus kommt es in der tierischen Entwicklung zu umfangreichen Wanderungen einzelner, frei-
Verlagerung und Migration von Zellen erlauben es, Gewebe und Organe im Keimesinneren und an entfernten Orten herzustellen – ein erster Überblick
Gastrulation, im Zuge derer die Herstellung innerer Organe eingeleitet wird, besteht darin, dass Zellverbände sich ins Keimesinnere hineinwölben oder gar wie ein Strom ins Fließen kommen und durch den Urmund in Keimesinnere einströmen. Isolierte Verbände kriechen auf geeigneter Unterlage ähnlich wie eine Karawane wandernder Amöben oder wie das Plasmodium bei Dictyostelium. Darüber hinaus können Zellen sich aus ihrem Verband lösen und die Freiheit individueller Beweglichkeit erlangen. Beim Seeigel beispielsweise beginnt die Gastrulation dadurch, dass sich am vegetativen Pol der Blastula Abkömmlinge der Mikromeren aus dem epithelialen Verband des Blastoderms lösen (dissoziieren), aktiv ins Blastocoel einwandern, um sich an bestimmten Plätzen wieder zu sammeln (reaggregieren) und das larvale Skelett herzustellen (s. Abb. 4.2). In der Gastrula des Seeigels, und ähnlich in der Gastrula der Amphibien, befinden sich an der Spitze des invaginierenden Urdarms Zellen, die zwar im Zellverband bleiben, aber mit ihren Pseudopodien Leitfunktion übernehmen (bei Xenopus Flaschenzellen genannt; Abb. 14.1). Im Zuge der Gastrulation gleitet das Urdarmdach aktiv am (Neuro-)Ektoderm entlang.
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_14,
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14 Morphogenese: Gestaltbildung durch aktive Zellbewegung, differenzielle Zelladhäsion und Zelltod
Abb. 14.1 Amöboide „Flaschenhalszellen“ in der Amphibiengastrula
Blastocoel
Flaschenhalszellen obere Urmundlippe Urdarmhöhle
dorsale Urmundlippe Urdarm ventrale Lippe ventrale Lippe
Abb. 14.2 Konvergente Extension und Reißverschlussverfahren bei der Gastrulation des Xenopuskeims
Konvergente Extension
a
b
Eine Fibronektinschicht, die am Ektoderm haftet, dient als Gleitlager. Frei wandernde Zellen findet man in transparenten Embryonen viele, so z. B. die Tiefenzellen im Fischembryo (s. Abb. 5.23); sie gleichen in ihrem Verhalten Amöben. Wie Amöben verhalten sich auch die Zellen, die im Vogel- oder Säugerembryo durch die Primitivrinne in die Tiefe dringen und sich als Mesodermschicht im Blastocoel (Subgerminalhöhle) ausbreiten (s. Abb. 5.25 Vogel; Abb. 5.29 Maus, Abb. 6.6 Mensch). Die Neuralleistenzellen (s. Abschn. 15.2; Abb. 15.3) der Wirbeltiere sind in besonderem Maße wanderungsaktiv. Schließlich gehen auch die Urkeimzellen auf ausgedehnte Wanderschaft (s. Abb. 8.3).
14.2 Gleitvorgänge und Zellsortierung kraft differenzieller Zelladhäsion 14.2.1
Konvergente Extension: Streckung und Verlängerung eines Zellenverbandes nach der Reißverschlussmethode
Wenn der als Mesoderm vorprogrammierte Zellverband sich in der Gastrula des Amphibienkeims um die obere Urmundlippe gerollt hat, streckt er sich, an der Innenseite des Ektoderms entlang gleitend, nach vorn in Richtung Kopfpol. Dieser Prozess der Streckung geschieht nach Analysen jeder einzelnen Zellbewegung in unerwarteter Weise. Man stelle sich folgende Si-
14.2 Gleitvorgänge und Zellsortierung kraft differenzieller Zelladhäsion
387
tuation vor: Zwei Straßen laufen aufeinander zu und vereinigen sich zu einem einzigen Hauptverkehrsweg, dazu kämen über Brücken zwei Straßen von höheren Ebenen hinzu, eine münde links, eine rechts in den Hauptverkehrsweg. Natürlich gibt es an der Einmündungsstelle Stau. Wie löst man das Problem so, dass jeder Autofahrer eine Chance hat, sich einzureihen, auch ohne Ampelschaltung? Die Straßenverkehrsordnung schreibt vor: einer von links, einer von rechts nach dem Reißverschlussverfahren. Der mehrschichtige mesodermale Zellverband, den wir jetzt wieder in Augenschein nehmen, macht es ähnlich Die Zellen reihen sich, mal von links oder links oben kommend, mal von rechts oder rechts oben kommend, nach dem Reißverschlussverfahren so ein, dass sich ein einschichtiger verschmälerter Verband ergibt, der sich aber in die Länge strecken muss (Abb. 14.2). In der Fachsprache der Entwicklungsbiologen heißt das Verfahren konvergente Extension. Das Verfahren wird auch in anderen Streckungsprozessen durchgeführt. Der Urdarm des Seeigels hat anfänglich 20–30 Zellen im Umfang, nach seiner Streckung nur noch 6 bis 8. Beim Ineinandergleiten (intercalation, Einschieben) der Zellen spielen wechselnde Zelladhäsionskräfte eine entscheidende Rolle.
14.2.2
Adhäsionskräfte können Zellen und Zellverbände gegeneinander verschieben
Ein Öltropfen zieht sich auf einem hydrophilen Substrat zu einer Kugel zusammen, und er breitet sich auf einer hydrophoben (D lipophilen) Fläche aus. Ein Wassertropfen verhält sich umgekehrt. Maßgebend sind Benetzungsspannungen, die sich an den Grenzflächen entwickeln und beträchtliche Kräfte freisetzen. Zellen können die Hydrophilie oder Hydrophobie ihrer äußeren Membran gesteuert verändern, z. B. durch Insertion verschiedener Membranproteine und durch deren Glykosylierung (d. h. Anhängen von Zuckern) oder Deglykosylierung. Physikalische Grenzflächenkräfte sind von Bedeutung, wenn im Zuge der Gastrulation Schichten wie Entoderm, Mesoderm und Ektoderm aneinander vorbeigleiten. Auch wenn sich Zellen und Zellverbände nicht aktiv bewegen, können schiere Kräfte der Adhäsion und Kohäsion Ursache dafür sein, dass Zellschichten sich auf einer Oberfläche ausbreiten oder sich zwei Zellschich-
Abb. 14.3 Entmischung (sorting out) von Zellen verschiedener Herkunft. Man beachte: Nach der Entmischung bilden die Epidermiszellen eine Außenhaut, die Zellen der Neuralplatte ein Gebilde, das an Neuralrohr bzw. Gehirnblase denken lässt (u. a. adaptiert nach Townes und Holtfreter (1955))
ten gegeneinander verschieben. Diese Verschiebungen minimieren die Oberflächenspannung. Entmischung (sorting out) in Aggregaten von Zellen verschiedener Herkunft (Abb. 14.3) wird ebenfalls auf die Minimierung von Grenzflächenkräften zurückgeführt. In der Entwicklung der Vertebraten strömen kohärente Gruppen von Zellen zu ihren Bestimmungsorten – ähnlich wie sich Flüssigkeiten ausbreiten. Gemäß der Hypothese der differenziellen Adhäsion werden solche Bewegungen getrieben durch Oberflächenspannungen, die durch differenzielle Zell-Adhäsionen er-
388
14 Morphogenese: Gestaltbildung durch aktive Zellbewegung, differenzielle Zelladhäsion und Zelltod
zeugt werden. Solche Spannungen gleichen den Benetzungsspannungen, welche dafür verantwortlich sind, wie sich nichtmischbare Flüssigkeitsfilme auf einer Unterlage verhalten. Eine Flüssigkeit mit geringerer Oberflächenspannung gleitet über einen Flüssigkeitsfilm mit höherer Spannung; dieser zieht sich seinerseits zusammen und lässt sich einhüllen. Zusätzlich können Zellen sich aber auch dadurch voneinander sondern, dass sie unterschiedlich beweglich sind. So wandern beispielsweise entodermale Zellen eines frischen Hydra-Aggregats (Abb. 4.14) aktiv und schnell ins Innere des Zellklumpens und organisieren sich dort epithelial, während die ektodermalen Zellen weitgehend bewegungslos bleiben, außen verbleiben und sich schließlich zu einem äußeren Epithel reorganisieren. Im Embryo von Tier und Mensch ist das aktive Sichausbreiten von Zellpopulationen über die Oberfläche anderer Zellgruppen eine häufige Art der Gestaltungsbewegung.
14.3 Zelladhäsionsmoleküle und Zellerkennung 14.3.1 Spezifische Adhäsionsmoleküle dienen auch der Zellerkennung Die Zellmembranen tierischer Vielzeller sind mit Proteinen und Glykoproteinen bestückt, die durch spezifische, doch nicht-kovalente Bindung mit Molekülen der Nachbarzelle dem physikalischen Zusammenhalten der Zellen im Gewebeverband dienen, darüber hinaus der wechselseitigen Zellerkennung. Es werden gegenwärtig mehrere Kategorien von Zelladhäsionsmolekülen (CAM, Cell Adhesion Molecules) unterschieden: Die Cadherine (D Calcium-abhängige Adherine), zu denen die Adhäsionsmoleküle L-CAM (Liver Cell Adhesion Molecules) gehören. Sie vermitteln nicht nur in der Leber den Zusammenhalt der Zellen. Sie sind die ersten neuen CAM, die in der Entwicklung eines Säugers in Funktion treten. Im 16-Zellenstadium des sich furchenden Embryos verkleben L-CAMs (hier auch Uvomorulin genannt) die Blastomeren großflächig miteinander, und es kommt zur Kompaktion (s. Abb. 5.28). Je zwei gleiche Moleküle benachbarter Zellen haften aneinander und gehen eine homophile (homotypische) Bindung ein.
Die Begriffe homophil und heterophil sind in der wissenschaftlichen Literatur der Zellbiologen gebräuchlich. Synonym können auch die Termini homotypisch und heterotypisch verwendet werden
Bei den Cadherinen wird eine Bindung allerdings nur in Gegenwart von Ca2C eingegangen und aufrechterhalten. Die abgestufte Homophilie verschiedener Cadherine erlaubt eine Entmischung. Die CAMs der Immunglobulin-Superfamilie, zu denen die N-CAMs gehören (Abb. 14.4), welche sich auf der Oberfläche neuronaler Zellen (N D neuronal) finden. Sie werden aber, vor allem in der frühen Embryonalentwicklung, auch auf anderen Zellen präsentiert. N-CAMs sind Sialinsäure enthaltende Glykoproteine, die mittels einer eigenen Transmembrandomäne direkt in der Zellmembran verankert oder über eine Glykanbrücke an Inositolphospholipide der Membran gekoppelt sind. Alle N-CAMs zeigen Verwandtschaft zu den Immunglobulinen, d. h. den Antikörpern, den Antigen-Rezeptoren der B- und der TLymphocyten (Abb. 14.4d) und zu den Molekülen des MHC (Major Histocompatibility Complex). Die Bindung ist in der Regel homophil, d. h. die N-CAMs einer Zelle binden an die N-CAMs der Nachbarzelle. Calcium-Ionen werden nicht benötigt. Die Integrine sind Heterodimere, deren beide Untereinheiten in die Zellmembran integriert sind. Mittels ihrer Integrine nehmen Zellen nicht nur Kontakt zu anderen Zellen auf, sondern auch zu Molekülen der extrazellulären Matrix ECM (ExtraCellular Matrix), d. h. zur Fibrillen-durchzogenen Füllmasse zwischen den Zellen des Bindegewebes und der Stützgewebe (s. Abb. 14.4c). Die Selektine und Lektine werden auf Blutzellen und auf den Wänden der Blutgefäße, den Endothelien, gefunden. Es sind Proteine, die bestimmte Kohlenhydrate an sich binden. Durch heterophile Interaktion zwischen den Selektinen der Blutzellen und der Endothelien können Lymphocyten und Makrophagen Kontakt zur Gefäßwand aufnehmen, um dann die Gefäße zu verlassen.
14.3 Zelladhäsionsmoleküle und Zellerkennung Zelle 1 Zelle 1
N-CAM E-Cadherin
S S S S S S S S S S
S S S S S S S S S S
S S S S S S S S S S S S S S S S S S S S
S S S S S S S S S S S S S S S S S S S S
S S S S S S S S S S
S S S S S S S S S S
Catenin
a
Zelle 2
Aktinfilament
Zelle 2
b
Zelle
S
S S
S
S
S
S
S
S
S
S
S
S
S
Abb. 14.4 Zelladhäsionsmoleküle CAM (Cell Adhesion Molecules). Unterschiedliche CAMs vermitteln Adhäsion und Zellerkennung. a Verbindung zwischen Zellen über E-Cadherine, die via Catenin am Actin-Cytoskelett verankert sind. b N-CAMs dienen vor allem Neuronen zur gegenseitigen Erkennung. c Verbindungen zwischen Actin-Cytoskelett und der ECM können über IntegrinLaminin-Wechselwirkungen etabliert werden. d Zellerkennung im Immunsystem wird über die Ig-Domänen der TZell- und B-Zell-Rezeptoren vermittelt
389
S
S
Integrin Laminin Extrazelluläre Matrix
S S
S S
S S
S S
S S
S S
S S
S S
T-Zell-Rezeptor
c
Ephrine und Ephrinrezeptoren geben Orientierungshilfe bei Zellbewegungen und der Fusion von Kapillaren. Ihnen werden wir begegnen, wenn wir das Vorwachsen von Nervenfasern (Kap. 16) oder Blutgefäßen (Kap. 17) verfolgen. Glykosyltransferasen sind Enzyme, die nicht nur im ER des Zellinneren, sondern auch auf der äußeren Zelloberfläche lokalisiert sein können; dabei ist ihre katalytische Domäne nach außen gekehrt (Ektoenzym). Diverse Lipide. Wenn sich die Forschung bisher in erster Linie mit Proteinen befasst hat, so hat dies technische Gründe. Proteinen konnte man über ihre Gene leichter habhaft werden als niedermolekularen Substanzen und Lipiden. Immerhin gibt es vereinzelt Berichte über eine orientierende Funktion von Lipiden bei Zellwanderungen und sie verändern die Reichweite von Signalmolekülen.
B-Zell-Rezeptor Antikörper
d
Die Glykosyltransferase überträgt aktivierte Zucker auf Substrate, und diese Substrate können ihrerseits Komponenten der Zellmembran einer Nachbarzelle sein. Es kann eine Galactose auf ein Akzeptormolekül einer Nachbarzelle übertragen. Solange keine freie Galactose im extrazellulären Raum zur Verfügung steht, bleibt die Transferase mit ihrem Akzeptormolekül in Verbindung. Transferase und unbeladener Akzeptor sind Zelladhäsionsmoleküle. Sobald Galactose angeliefert wird, überträgt die Transferase den Zucker auf den Akzeptor. Erst jetzt kann sich die Transferase vom Akzeptor lösen, die Zelladhäsion wird gelockert oder gar aufgelöst.
390
14 Morphogenese: Gestaltbildung durch aktive Zellbewegung, differenzielle Zelladhäsion und Zelltod
14.3.2 Zelladhäsionsmoleküle vermitteln Haften oder Ablösen; sie ziehen Grenzen und übermitteln Signale Zelladhäsionsmoleküle haben viele Funktionen in der tierischen Entwicklung: Sie vermitteln permanentes Aneinanderhaften von Zellen oder das Anhaften an die extrazelluläre Matrix; oder sie erlauben ein Sich-Ablösen. Sie erzeugen über differenzielle Adhäsion und differenzielle physikalische Oberflächenspannungen Grenzen zwischen Geweben und erleichtern eine Segmentation, wie etwa die Untergliederung von Zellassoziationen in repetitive Einheiten (Beispiel: Somiten). Sie bereiten die Bildung von Zelljunctions vor, speziellen Verbindungsstrukturen in Form durchlässiger Gap junctions oder dichter und fester Tight junctions. Sie wirken als Signalmoleküle (Beispiel: das NOTCH/DELTA-System, s. Abb. 10.1 und 11.7b). Sie lenken die Wanderung von Neuroblasten und das Auswachsen der Nervenfasern (Wachstumskegel der Axone, Kap. 16).
Abb. 14.5 Biegemomente bei der Neurulation, erzeugt durch Expansion der Zellen auf der Basalseite und Kontraktion (via Cytoskelett) auf der Apikalseite. An der Morphogenese sind aber auch Gleitvorgänge beteiligt
14.4 Die Bildung verzweigter tubulärer Strukturen: Tracheen, Lungen, Blutgefäße, Nierentubuli
14.4.2
14.4.1 Faltung, Invagination, Evagination: Zellen in geschlossenem Epithelverband entwickeln kohärente Biegemomente Bei der Invagination des Urdarms, bei der Neurulation und ähnlichen Vorgängen vergrößern die im Epithelverband zusammengefassten Zellen auf der einen (z. B. der basalen) Seite ihre Oberfläche, auf der gegenüberliegenden (z. B. der apikalen) Seite wird die Oberfläche verringert (Abb. 14.5), oder umgekehrt. Durch Flächenverringerung auf der einen Seite, Flächenvergrößerung auf der gegenüberliegenden Seite entstehen Biegemomente, die zur Faltenbildung oder Invagination führen. Für die Verringerung oder Vergrößerung der Oberfläche auf einer Seite kann die Zelle ihr Cytoskelett umgestalten und ihre molekularen Motoren zur Erzeugung mechanischer Kräfte ein-
setzen. Beispielsweise könnten sich ATP-getriebene, hin- und herschwingende Kinesin- oder Dynein-Arme Mikrotubuli gegeneinander verschieben und so das Cytoskelett räumlich verkürzen oder ausdehnen. Oder es werden wie in Muskelfasern Mikrofilamente aus Aktin und Myosin eingesetzt, um Zugkräfte zu entfalten. Die Abb. 14.6 illustriert schematisierend einen solchen Mechanismus der Verformung.
Drei Mechanismen ermöglichen die Bildung röhrenförmiger Strukturen: Faltung von Epithelien Aushöhlung massiver Stränge und Fusion von Vakuolen
Es gibt viele Organe, die aus röhrenförmigen, zumeist verzweigten Strukturen bestehen: Tracheen der Insekten, Bronchiolen der Lungen, Blutgefäße, Nierenkanälchen, Milchdrüsen und viele andere Drüsen mit ihren Ausgängen als Beispiele. Die eben erwähnte Bildung des Neuralrohrs ist Modellfall eines der Mechanismen, die zu röhrenförmigen Strukturen führen: 1. Invagination oder Evagination eines epithelialen Zellverbandes. Der laterale Zusammenhalt der Zellen wird durch E-Cadherin und diverse Junctions verstärkt. An diesen sind Actin-Myosin-Filamente verankert. Die Zellen sind, wie in allen Epithelien, von vornherein polarisiert, haben also eine apikale, dem Lumen zugewandte Seite und eine gegenüberliegende basale Seite, die der Basalmembran
14.4 Die Bildung verzweigter tubulärer Strukturen: Tracheen, Lungen, Blutgefäße, Nierentubuli
Actin-Myosin Kontraktion
einen Hohlraum im Inneren freimacht. Die Zellen entwickeln dabei eine apikal-basale Polarität, vergrößern an der Außenseite ihre Fläche, verringen sie an der Innenseite. Dabei ordnen sie sich so an, dass eine Röhre entsteht. Die Bildung des Chordakanals ist ein Beispiel, die Bildung des Darmkanals beim Zebrabärbling ein weiteres. Auch die Mehrzahl der Blutgefäße entsteht in dieser Weise (s. Abb. 17.3). Letztlich sind die den Hohlraum erzeugenden physikalischen Kräfte ähnlich wie beim vorigen Modus. 3. Im dritten Modus treten Zellen in Reih und Glied an, bilden intrazelluläre Vakuolen, die schließlich zellübergreifend zu einem einheitlichen lang gestreckten Hohlraum fusionieren. Dieser Mechanismus liegt der Bildung der ersten, feinsten Blutkapillaren zugrunde (s. Abb. 17.3).
14.4.3
Adhäsionskontakt Kinesin, Mikrotubuli auseinanderschiebend
Abb. 14.6 Modell zur Knospung durch Evagination. Auf der apikalen, dem Lumen zugewandten Seite bewirken ActinMyosin-Elemente eine Kontraktion, auf der Basalseite schieben Kinesinmotoren Mikrotubuli auseinander und bewirken so eine Ausdehnung
(ECM) aufliegt. Wenn die Zellen gleichzeitig ihre apikale Seite verkürzen, während ihre basale Seite expandiert, treten Biegemomente auf. Beispiele sind Zellen in der frühen Knospe einer Hydra, oder auch der epitheliale Zellververband, der den Kanal eines Nephridiums dadurch bildet, dass er sich wie eine Hand schließt (seine apikale Seite liegt innen) und schließlich durch Kontakt mit sich selbst das Lumen umschließt. 2. Der zweite Mechanismus besteht darin, dass ein massiver Strang von zunächst unpolarisierten Zellen durch Bildung einer epithelialen Organisation
391
Verzweigte Systeme der Versorgung und Entsorgung: Führende Terminalzellen an den Röhrenspitzen erspüren Signalmoleküle der Umgebung und kriechen mit Filopodien voran
Manche röhrenförmige Strukturen müssen in bestimmte Zielgebiete hineinwachsen, um deren Versorgung und Entsorgung zu sichern. Die Tracheen der Insekten und ebenso die Blutgefäße der Wirbeltiere sollen Gewebe erreichen, die Sauerstoff benötigen und CO2 loswerden müssen. Sie sollten sich in den Zielgebieten möglichst fein verzweigen. In erstaunlicher Parallele findet man in beiden Systemen, bei den Tracheen der Insekten und den Blutgefäßen der Wirbeltiere eine Terminalzelle an der Spitze, die mit Filopodien ausgestattet ist, vorankriecht und mit ihren membranständigen Rezeptoren attraktive Signalmoleküle der Zielgebiete wahrnimmt (Abb. 14.7, Weiteres in Kap. 16 und 17). Die Bildung von Seitenzweigen beginnt damit, dass lateral an den vorhandenen Zweigen neue Terminalzellen entstehen, die als Pioniere in ein noch nicht voll erschlossenes Gebiet vorankriechen. Eine weitere Parallele sind die Wachstumskegel an der Spitze wachsender Nervenfasern (Kap. 16). Alle diese Filopodien orientieren sich chemotaktisch an Signalmolekülen wie beispielsweise einem FGF (Kap. 11) oder anderen Wachstumsfaktoren, die in diesem Fall chemoattrak-
392
14 Morphogenese: Gestaltbildung durch aktive Zellbewegung, differenzielle Zelladhäsion und Zelltod Aussprossen von Seitenzweigen Ziel VEGF
Spitzenzelle mit Filopodien u. Rezeptoren Ziel FGF FGF-R Proliferation
Proliferation
Delta
Notch
Trachee
Blutgefäß
Nierentubuli-Start
Lungenbronchiolen
Sammelrohr Lungenbronchiole GDNF FGF
Wnt-6 Wnt-11 NierentubuliVerzweigung
den der wachsenden Nierentubuli sind mit Rezeptoren für Wachstumsfaktoren ausgestattet (Abb. 14.7). Mit dem Empfang eines Signalmoleküls werden Transduktionssysteme aktiviert. Die aktuellen Ereignisse lassen sich jedoch nicht in einfachen Schemata zusammenfassen; denn es kommen Wechselwirkungen von und zur Umgebung und innerhalb der tubulären Strukturen selbst ins Spiel (wobei auch wieder auf altbekannte Signalmoleküle wie Delta-Notch, BMP4, Sonic Hedgehog und WNT zu verweisen wäre). Ein Ziel dieser Signalsysteme ist es, die Verlängerung der Tubuli zu kontrollieren. Wachstum im Sinne von Zellvermehrung (Proliferation) findet hinter den Terminalzellen statt.
GDNF FGF FGF
Abb. 14.7 Sprossung und Verzweigung von Tracheen und Blutgefäßen. In beiden Fällen übernehmen mobile, mit Filopodien und Rezeptoren ausgestattete Terminalzellen die Führung. Terminalzellen werden durch Notch und Delta vom Stiel abgegrenzt. Die Rezeptoren ermöglichen eine Orientierung hin zu den Zielgebieten, welche Wachstumsfaktoren aussenden. Die Verlängerung der röhrenförmigen Strukturen geschieht durch Proliferation hinter den Terminalzellen sowie Streckung der Zellen. Seitenzweige entstehen dadurch, dass an der Flanke der Röhren neue Terminalzellen generiert werden. Adaptiert nach Affolter et al. (2009); Miller und McCrea (2010)
tiv wirken. Auch die kleinen Ampullen am Ende der Bronchiolen in der wachsenden Lunge und an den En-
14.5
Gestaltbildung durch Entfernen von Zellen: Apoptose, der programmierte Zelltod
14.5.1
Programmierter Zelltod ist Teil der normalen Entwicklung
Bei allen vielzelligen Tieren ist ein (genetisch) programmierter Zelltod (Apoptose, Apoptosis) Teil der normalen Entwicklung. Apoptose entfernt Material. Die Natur arbeitet hier wie ein Bildhauer, der eine Figur durch Wegnahme von Material schafft. Bei der Entwicklung der Hand besorgt der programmierte Zelltod die Auftrennung der paddelförmigen Handanlage in getrennte Finger (Abb. 14.8). Nur teilweises Entfernen lässt Schwimmhäute übrig. Darüber hinaus ist Apoptose ein Regulativ, so im Nervensystem. Sogar bei dem kleinen Nematoden Caenorhabditis elegans (Abb. 4.19), der für die konstante Zahl seines Zellinventars bekannt ist, stirbt ein Teil der Neuroblasten ab. In diesem Nematoden wird die Apoptose durch zwei Gene (ced-3, ced-4) in die Wege geleitet. Loss-of-function-Mutationen in dem einen oder anderen dieser beiden Gene lassen überschüssige Neuroblasten am Leben. Auch bei Wirbeltieren sterben während bestimmter Phasen in der Entwicklung des Nervensystems mehr als 70 % der Neuroblasten ab, vor allem solche, die nicht ordentlich mit ihren korrekten Zielzellen verknüpft sind (Abschn. 16.9). Auch viele Lymphoblasten und Keimzellen sterben. Im Immunsystem entfernt Apoptose solche Lymphoblasten, die sich gegen den
14.5 Gestaltbildung durch Entfernen von Zellen: Apoptose, der programmierte Zelltod
393
eigenen Körper richten könnten. Unzulänglichkeiten bei diesen Prozessen können Autoimmunkrankheiten zur Folge haben.
14.5.2
Abb. 14.8 Programmierter Zelltod (rote Areale) bei der Auftrennung des Handpaddels in Finger
ApoptoseVesikel, von Phagocyten beseitigt
Kernhülle, zerfallend
Apoptose ist (genetisch) programmierter Zelltod, der keine Komplikationen zur Folge hat
Apoptose ist ein Selbstmord, der die Züge einer wohlgeplanten Tat hat. Dem Suizid geht eine aktive Synthese von Proteasen und anderer Apoptosespezifischer Proteine voraus. Die Zelle zerlegt sich selbst in Vesikel, kleine Häppchen, die von den Nachbarzellen (später im Leben von den Makrophagen des Immunsystems) problemlos verspeist werden können (Abb. 14.9). Es kommt zu keinen nekrotischen Komplikationen (Nekrose D nicht-progammierter Zelltod durch Beschädigung). Der programmierte Zelltod kann durch externe Faktoren ausgelöst, durch andere Faktoren verhindert werden. So sichert beispielsweise der Nervenwachstumsfaktor NGF das Überleben von Neuronen des sympathischen Nervensystems (Abschn. 16.5.3). Zusammenfassung
Chromatin fragmentiert
Abb. 14.9 Apoptose einer Zelle. Sie schnürt bis zur Selbstauflösung Vesikel ab, die von Phagocyten (im Wirbeltier Makrophagen) beseitigt werden. Die Kernhülle löst sich auf, das Chromatin kondensiert und wird von Nukleasen zerlegt. Da die Nukleasen zuerst zwischen den Nucleosomen spalten, ergeben sich vorübergehend DNA-Fragmente, die eine, zwei, drei oder mehrere Nucleosomenwindungen enthalten und nach elektrophoretischer Auftrennung gemäß ihrer Größe im Polyacrylamidgel (PAGE) ein Leiterbandenmuster liefern. Chromatinreste gelangen in die apoptotischen Vesikel und werden in den Phagocyten komplett verdaut
Anders als in der Entwicklung einer Pflanze kommt es in der Entwicklung eines Tieres zu umfangreichen Zellwanderungen und aktiven Zellverformungen mittels des Cytoskeletts und intrazellulärer Motorproteine (Aktin/Myosin, Dynein, Kinesin u. a.). Über aktive Zellverformung werden Biegemomente erzeugt und Epithelien gefaltet oder zu Röhren geformt. So entsteht beispielsweise das Neuralrohr, die Anlage des Zentralnervensystems. Bei der konvergenten Extension verlängern und verschmälern sich Zellverbände, indem Zellen sich nach dem Reißverschlussverfahren abwechselnd von links und von rechts kommend in einer Reihe anordnen. Bei Gestaltungsbewegungen aller Art spielen Zelladhäsionsmoleküle (CAM, Cell Adhesion Molecules) eine große Rolle. CAMs wie die Cadherine, die CAMs der ImmunoglobulinSuperfamilie, die Integrine, Selektine und Glykosyltransferasen ermöglichen selektives Aneinanderhaften, aber auch das Sich-Ablösen von Zellen und dienen darüber hinaus der wechselseitigen Erkennung. In Mischaggregaten zuvor dissoziierter
394
14 Morphogenese: Gestaltbildung durch aktive Zellbewegung, differenzielle Zelladhäsion und Zelltod
Zellen können sich die Zellen nach ihrer Gewebszugehörigkeit aussortieren (sorting out) und zu neuen Verbänden zusammenschließen. Verantwortlich für das Aussortieren sind in erster Instanz differenzielle physikalische Oberflächenspannungen, die ihrerseits von der molekularen Struktur der CAMs abhängig sind. In vielen Organen bilden sich verzweigte tubuläre Strukturen; Beispiele sind die Tracheen der Insekten, die Bronchiolen der Lungen, Blutgefäße, Nierentubuli, Milchdrüsen. Röhren entstehen durch Faltung von Epithelien (Invagination oder Evagination) oder dadurch, dass massive Stränge durch Umordnung der Zellen oder Zelltod im Inneren einen Hohlraum freimachen. Fusion
von Vakuolen erzeugt das Lumen in feinen Kapillaren. Bei verzweigten Systemen der Versorgung und Entsorgung (Tracheen, Blutgefäßen) übernehmen Terminalzellen, die mit Filopodien und Rezeptoren ausgestattet sind, die Führung. Die Zielgebiete senden anlockende Wachstumsfaktoren aus. Die Verlängerung der Röhren geschieht durch Zellteilung hinter den Terminalzellen. Apoptose, genetisch vorprogrammierter Zelltod, ist ein charakteristisch ablaufender Vorgang und Teil der normalen Entwicklung. Durch Apoptose werden Hohlräume geschaffen und unsere Finger voneinander getrennt; durch Apoptose werden aber auch unkorrekt vernetzte Nervenzellen und autoreaktive Immunzellen eliminiert.
15
Fernwanderer und die vielfältigen Schicksale der ausgewanderten Neuralleistenzellen
In der Entwicklung der Tiere kommt es, anders als bei Pflanzen, oft zu umfangreichen Zellwanderungen. Dies trifft insbesondere auf den Wirbeltierembryo zu. Sogar die Keimzellen und die Zellen des peripheren Nervensystems sowie Muskulatur und Skelett der Gliedmaßen gehen auf ausgewanderte Vorläuferzellen zurück. In der Gastrula bilden die Zellen des Mesoderms keine „Haut“ (derma) und kein „Keimblatt“. Wenn sie im Zuge der Gastrulation die Räume zwischen Ektoderm/Epiblast und Entoderm/Hypoblast besiedeln, kriechen mesodermale Zellen wie Amöben zu ihren Aus den Somiten auswandernde Zellen im Wirbeltier
Sklerotom: künftige Wirbelkörper
Chorda
Dermatom: künftige Dermis
Myotom: künftige Muskelzellen
Abb. 15.1 Schicksal der aus den Somiten abwandernden Zellen
zukünftigen Positionen und bilden dort häufig zuerst ein lockeres Mesenchym (z. B. Tiefenzellen in Abb. 5.25). Später, wenn sich bei allen Wirbeltieren die Somiten auflösen, wandern die Zellen des Sklerotoms, des Myotoms und des Dermatoms aus (Abb. 15.1). Besonders weite Wanderrouten schlagen Urkeimzellen, Blutzellen und Neuralleistenzellen ein.
15.1 15.1.1
Urkeimzellen und Blutzellen Beispiel Urkeimzellen; sie wandern oftmals lange Wege, um in die Gonaden zu gelangen
In aller Regel entstehen die Urkeimzellen nicht in den Gonaden (Hoden, Ovarien) selbst, sondern andernorts und wandern dann in die Gonaden ein. Bei dem Hydrozoon Hydractinia gehen Oocyten oder Spermatocyten aus multipotenten, interstitiellen Stammzellen hervor, die in die Gonophore einwandern (s. Abb. 4.18). Verwachsen eine männliche und eine weibliche Kolonie miteinander, so können herumstreunende männliche Stammzellen in die weibliche Kolonie eindringen und dort allmählich die weiblichen Keimzellen verdrängen. Das kommt allerdings nur sehr selten vor; denn eine genetisch determinierte Gewebeunverträglichkeit verhindert in der Regel das Verwachsen zweier Kolonien und damit das Eindringen fremder, parasitärer Urkeimzellen. Diese würden ja nicht das Genom des Wirtes, sondern ihr eigenes in die Nachkommenschaft übertragen. Genetisch fixierte Gewebeunverträglichkeit gibt es auch bei anderen (allen?) sessilen Organismen; beispielsweise bei kolonia-
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_15,
395
396
15
Fernwanderer und die vielfältigen Schicksale der ausgewanderten Neuralleistenzellen
a
Drosophila
Enddarm
Polzellen = Urkeimzellen Dotter
Mitteldarm Pharynx Entoderm
b
Primtivstreif (Mesoderm)
paarige Gonaden
Trophoblast MAUS Exocoel Schwanzpol Allantoisanlage (gelb) mit überwandenden Urkeimzellen (blau)
Kopfpol Ektoderm
Primtivstreif mit Mesodermzellen (rot)
Entoderm 1
4
2
Genitalleisten mit Urkeimzellen
3
Aorta
Darm
Neuralrohr Rückenmark Neuralfalten
Darmanlage
Neuralrohr
Darm
Abb. 15.2 Wandernde Urkeimzellen. a Im Embryo von Drosophila, b im Embryo der Maus. Adaptiert nach Richardson und Lehmann (2010) und anderen Quellen
15.2 Neuralleisten-Abkömmlinge
len Tunikaten (Botryllus schlosserei). Eine Hypothese besagt, dass im Lauf der Evolution Gewebeunverträglichkeit entwickelt worden sei, um ein Eindringen parasitärer Keimzellen mit fremdem Genom zu verhindern. Bei Drosophila sind die Stammzellen der Keimzellen die ersten Zellen, die überhaupt hergestellt werden. Von einer Gonade gibt es folglich noch keine Spur. Die Stammzellen liegen als Polzellen am Hinterpol des Embryos (Abb. 15.2a). Ihnen wird das Polplasma zugeteilt, das reich mit RNA-haltigen Granula bestückt ist und in dem auch Polzelldeterminanten eingeschlossen sind. Diese sind Produkte der Gene oskar, vasa und nanos oder von diesen Genen abhängig. Auch im Xenopus-Ei und im Ei des Fisches lässt sich ein lokalisiertes „Keimplasma“ ausmachen, das RNA-reiche Granula enthält und mit einem Fluoreszenzfarbstoff sichtbar gemacht werden kann. Es wird den Zellen des Keimzellen-Stammbaums mitgegeben und kann als Marker genutzt werden, um die Wanderroute der Urkeimzellen verfolgen zu können. In der Maus (Abb. 15.2b) findet man die ersten Urkeimzellen in der Anlage der Allantois am posterioren Pol des Embryos. Sie wandern amöbenhaft über in den erst rinnenförmigen, dann röhrenförmigen hinteren Darmabschnitt Richtung Körpermitte alsdann entlang der Mesenterien, mit denen der Darm aufgehängt ist, und kriechen schließlich in die Genitalleisten, die Anlagen der Gonaden. Keineswegs bei allen tierischen Organismen gibt es granuliertes „Keimplasma“ als leicht identifizierbares Reisegepäck. Bei Molchen, Vögeln und Säugern wird es nur sichtbar, wenn man Antikörper nutzt, die sich an keimzellspezifische Oberflächenmoleküle heften, oder wenn man mittels In-situ-Hybridisierung die Expression z. B. des keimbahnspezifischen Gens vasa (s. Abschn. 8.1) nachweist. Beim Vogel findet man Urkeimzellen am Vorderrand der Keimscheibe zur Zeit der Neurulation. Sie lassen sich teilweise vom Blutstrom tragen und gleichen so in vielerlei Hinsicht den Blutzellen.
15.1.2
Blutzellen entstehen im Wirbeltierembryo in verstreuten Blutinseln
Blutzellen entstehen aus multipotenten Stammzellen des Mesoderms. Diese wiederum findet man in den
397
Blutinseln, die sich beim Vogel- und Mausembryo zuerst außerhalb des Embryos bilden. Solche Blutinseln entdeckt man im mesodermalen Überzug des Dottersacks, bei der Maus auch im mesodermalen Umfeld der Allantois an Orten, wo auch aus Hämangioblasten die ersten Blutgefäße entstehen (s. Abb. 17.2). Später wandern die hämatopoietischen (blutbildenden) Stammzellen in die Leber, die Milz, den Thymus und das Knochenmark. Beim Menschen bleibt das Knochenmark der einzige Ort, an dem zeitlebens neue Blutzellen hergestellt werden. Dies wird im Kap. 18 näher betrachtet. Zeitlebens sind Lymphocyten, Granulocyten und Makrophagen (s. Abb. 18.5 und 18.6) auf Wanderschaft. Sie sind nicht nur im Blut zugegen, sondern kriechen in allen Geweben herum auf der Suche nach Fremdem mit antigenen Eigenschaften und sammeln sich an Infektionsherden.
15.2 Neuralleisten-Abkömmlinge 15.2.1
Die Zellen der Neuralleisten wandern aus und haben vielfältige Entwicklungspotenziale
Wenn sich bei der Neurulation die Neuralplatte zum Neuralrohr einrollt und sich das Neuralrohr vom Ektoderm ablöst, bleiben beidseitig des Neuralrohrs Reihen von Zellen übrig, die Neuralleisten. Diese Zellen gehen auf Wanderschaft, kolonisieren die verschiedensten Gebiete des Körpers und liefern ein erstaunlich großes Spektrum verschiedener Zelltypen und Gewebe (Abb. 15.3, 15.4 und 15.5): 1. die Pigmentzellen der Haut, der Federn oder Haare; es zählen dazu die braunen bis schwarzen Melanophoren (Melanocyten) unserer Haut, 2. die Nervenzellen der Spinalganglien; diese speisen Information von Sinnesorganen (z. B. Hautsinne, Muskelspindeln) über die dorsalen Wurzeln der Spinalnerven in das Rückenmark ein, 3. das periphere Nervensystem PNS, oft auch vegetatives Nervensystem genannt (stellvertretend für das Ganze denn vegetative Funktionen werden primär vom ZNS gesteuert). Das vegetative Nervensystem steuert die Funktionen unserer inneren, „vegetativen“ Organe wie Herz, Atemorgan, Magen-Darm-Trakt und Niere. PNS ist ein Sam-
398
15
Fernwanderer und die vielfältigen Schicksale der ausgewanderten Neuralleistenzellen
Abb. 15.3 Neuralleistenzellen. Oben: Abgliederung der Neuralleistenzellen im Zuge der Neurulation. Unten: posteriore Wanderrouten zwischen Dermomyotom und Epidermis (ziegelrot) beziehungweise anteriore Wanderroute zwischen Sklerotom und Neuralrohr (blau) sowie Zellen/Gewebe, die sich von den NeuralleistenAbkömmlingen ableiten
Wanderrouten und Abkömmlinge der Neuralleistenzellen
Aussonderung der Neuralleistenzellen bei der Neurulation Spinalganglion Chromatophoren
Hirnhaut knorpeliger Schädel Sympathicusganglion Nebennierenmark Nervenzellen des Magen-Darmtraktes
Dentinkerne der Zähne
knorpelige Kiefer und Kiemenbögen
melbegriff für diejenigen Nervenzellen des vegetativen Nervensystems, deren kernhaltiger Zellkörper (Perikaryon) außerhalb von Gehirn und Rückenmark liegt. Es zählen hierzu u. a. der Grenzstrang des Sympathicus sympathische Eingeweideganglien ein Teil der parasympathischen Neurone die Nervennetze des Magen-Darm-Traktes (Myenterischer Plexus D Auerbach-Plexus, und Submucosaler D Meissner-Plexus); diese werden heute auch als enterisches Nervensystem ENS zusammengefasst, 4. Von Neuralleisten stammen auch Hormonproduzenten ab, die sich von Nervenzellen ableiten, z. B. die chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks (Adrenalin!), und neuroendokrine Zellen des Magen-Darm-Traktes (z. B. Produzenten der neuroendokrinen Hormone Cholecystokinin, Gastrin u. a.),
Schwannsche Scheide
5. Weitere Abkömmlinge sind die Nervenzellen begleitenden Hilfszellen wie die Schwannschen Scheiden und die Zellen der peripheren Glia, 6. die Hirnhäute, 7. der knorpelige Schädel (mit Ausnahme der Occipitalregion und einiger kleinerer Elemente im Inneren), 8. die knorpeligen Elemente des Kiemendarmbereichs, z. B. die Knorpelspangen des Kiemendarms (s. Abb. 6.21) und die aus solchen Spangen hervorgehenden, schallübertragenden Gehörelemente: Columella bei Sauropsiden, Hammer, Amboss und Steigbügel bei Säugern, sowie die knorpeligen Elemente des Kehlkopfes (s. Abb. 6.24), 9. die Dentinkerne der Zähne, d. h. Knochengewebe, sowie 10. glatte Muskelzellen, Bindegewebe und Blutgefäße des Kopf-Hals-Bereichs.
15.2 Neuralleisten-Abkömmlinge
399 Neuralleisten-Abkömmlinge
Di
pluripotente Stammzellen
F
Mes P r1 r2 r3 r4 r5 r6 r7
Sq
Occ
Q C
b
Pl
Mx
J
Pmx
D
Ar
Hyoid
r8
Hyoid
D
a
c Neurone: Spinalg. PNS, ENS
Anteriore Hox-negative Domäne Posteriore Hox-positive Domäne
Abb. 15.4 Herkunft der knorpeligen Elemente des Schädels und Visceralskeletts beim Vogel und Bezug zu HOX-positiven Domänen. a Neuralleiste von oben betrachtet. Di D Diencephalon; Mes D Mesencephalon; r1 bis r8: Rhombomeren Nr. 1 bis Nr. 8. b Schädel: Ar D Articulare, C D Columella, D D Dentale, F D Frontale, J D Jugale, Mx D Maxillare, Occ D Occipitale, P D Parietale, Pl D Palatinum, Pmx D Prämaxillare, Q D Quadratum, Sq D Squamosum. c Visceralskelett: Hyoid D Zungenbein; D D Dentale D Unterkiefer. Adaptiert nach Le Douarin et al. (2004)
15.2.2
Die Zielgebiete werden auf bevorzugten Wanderrouten angestrebt
Herkunft und Wanderwege dieser Zellen sind durch xenoplastische Transplantation von Neuralleistenmaterial in fremde Arten ermittelt worden. Klassische Transplantationen zwischen den Molchen Triturus torosus und Triturus rivularis sind ergänzt worden durch Transplantation von Neuralleistenzellen der Wachtel (Cortunix cortunix) in Embryonen des Hühnchens (Gallus gallus). Wachtelzellen fügen sich problemlos in die Hühnchenumgebung ein, sind aber an ihrer Kernstruktur (auffälliges Heterochromatin) leicht zu identifizieren. Neuerdings werden GFP-transgene Em-
Melanocyten Glia: Schwannzellen
Fibroblasten: Bindegewebe
Knorpel: Schädel Visceralskelett
Abb. 15.5 Stammbaum (cell lineage) der NeuralleistenAbkömmlinge. Cephale Neuralleistenzellen haben auch die Fähigkeit, sich zu Bindegewebe und Fibroblasten des Kopfes zu differenzieren. Adaptiert nach Le Douarin et al. (2004); Dupin et al. (2010) und anderen Quellen
bryonen hergestellt, deren Zellen dank ihres Gehalts an GFP (Green-Fluorescent-Protein) oder Derivaten von GFP im Fluoreszenzmikroskop grün oder in anderen Farben aufleuchten. Gut, wenn die Embryonen wie beim Fisch oder Vogel transparent sind. Werden GFP-markierte Zellen auf nicht-markierte Embryonen übertragen, können ihre Wanderrouten mit Videokameras kontinuierlich verfolgt werden. Die Neuralleistenzellen bevorzugen zwei Wanderrouten: 1. Die ventrale Route: Ein größerer Teil der Zellen dringt im anterioren Bereich der Somiten durch einen Spalt zwischen Myotom und Sklerotom nach ventral. Die Zellen reaggregieren an bestimmten Orten und bilden die Spinalganglien, die Ganglien des vegetativen Nervensystems und die Adrenalin produzierenden Zellen des Nebennierenmarks. 2. Die dorsolaterale Route: Zellen, die sich im posterioren Bereich der Somiten zwischen dem Dermatom und dem Ektoderm ausbreiten, wandern in die künftige Haut und werden überwiegend zu Pigmentzellen.
400 Abb. 15.6 Wege der Neuralleistenzellen und Mechanismen der Wegfindung. a Wanderwege der Neuralleistenzellen am Beispiel des Hühnchens; die auswandernden Zellen werden über repulsive und attraktive Signale geleitet. b Auswandernde Neuralleistenzellen nutzen kontaktvermittelte, aber auch chemotaktische Signale zur Wegfindung. Adaptiert nach Kulesa und Gamill (2010)
15
a
Fernwanderer und die vielfältigen Schicksale der ausgewanderten Neuralleistenzellen
Hühnchen quer repulsiv
attraktiv
Somit
b
Neuralleistenzellen
Somit Chorda Neuralrohr
Neuralleistenzellen im Bereich der Kiemenbögen kontaktvermittelte Führung entlang des Ektoderms
chemotaktische Anlockung Ziel
Karawanenbildung
auswandernde Neuralleistenzellen
Teilung kontaktvermittelte Führung entlang der extrazellulären Matrix oder mesodermaler Gewebe
Auseinanderdriften
Kontaktinhibition der Bewegung
15.2.3 Vielfältige Signalgeber übernehmen die Rolle von Wanderführern Die Forschung versucht, folgende Fragen zu klären: 1. Was veranlasst Zellen, ihren Kontakt zur bisherigen Nachbarschaft aufzugeben und Organelle amöboider Motilität wie Pseudopodien, Filopodien oder Lamellipodien zu entwickeln? 2. Wie finden sie den Weg zum Zielort? 3. Was veranlasst sie am Zielort, innezuhalten und sich dort terminal zu differenzieren? 4. Wann und durch welche Faktoren erfahren die Zellen ihre Determination? Da die verschiedenen Wanderzellen unterschiedliche Bestimmung haben und unterschiedliche Zielorte ansteuern müssen, gibt es keine einheitlichen Antworten. Viel wird über die Zielfindung bei Neuralleistenzellen, speziell des Hühnchens, berichtet: Aus Versuchen, die Wanderung der Zellen in der Petrischale zu stimulieren und auszurichten, ergaben sich Hinweise, dass sich wandernde Neuralleistenzel-
len an gebundenen und diffusiblen Faktoren orientieren (vgl. dazu auch Kap. 16). Eine Kontaktführung (contact-mediated guidance) vermitteln Strukturen an Zelloberflächen oder der ECM. Es zählen dazu (a) Komponenten der extrazellulären Matrix (Fibronectin, Laminin, Collagen IV, Hyaluronsäure); (b) Oberflächenmoleküle (z. B. Cadherine) derjenigen Zellen, welche die Wanderroute säumen und (c) Wegweiserfunktion erfüllende Signalmoleküle (z. B. Ephrine) auf der Oberfläche von Zellen entlang der Wanderroute und am Zielort. Diffusible chemotaktische Signale, wirken über Distanz teils attraktiv, teils repulsiv. Abbildung 15.6 fasst die Prinzipien zusammen; Abb. 15.7 zeigt einen einfachen Biotest für positiv chemotaktisch wirkende Signalsubstanzen. Wollte man die beteiligten Signalsubstanzen und ihre Rezeptoren auf den Wanderzellen benennen, käme man auf eine verwirrend große Zahl, die den Rahmen eines einführenden Lehrbuchs sprengen würden. Wir weisen
15.2 Neuralleisten-Abkömmlinge
401
15.2.4
Nachweis Chemotaxis
Lösung mit Signalsubstanz
Zellen, sich durch feinste Poren zwängend
Abb. 15.7 „Transwell migration assay“ mit der BoydenKammer. Vom unteren Gefäß diffundieren Signalsubstanzen durch feine Poren (Durchmesser 3–5 m) in den oberen Raum; von dort versuchen Zellen dem Konzentrationsgradienten folgend die Quelle des Signals zu erreichen und zwängen sich durch die Poren in den unteren Raum. Von verschiedenen Arbeitsgruppen benutzt, um beispielsweise die attraktive Wirkung von SDF-1 (Stromal-Derived Factor-1) auf Zellen des Blutes (Makrophagen, Neutrophile u. a.) zu untersuchen
aber auf Kap. 11 (Signalsubstanzen) und als Beispiel das Signalmolekül WNT-11 (Abb. 15.8), weil dieses in der gegenwärtigen Forschung viel Aufmerksamkeit erfährt; denn diesem Signalmolekül können auch Krebszellen folgen. Nicht wenigen der hier zu nennenden Signalsubstanzen begegnen wir wieder, wenn man die Wegfindung von Axonen der Nervenzellen (s. Abb. 16.18, 16.19 und 16.24) von sprießenden Blutkapillaren (s. Abb. 17.5) oder den Kanälchen der auswachsenden Lungen oder Nierentubuli (s. Abb. 14.7) verfolgt. Es gibt viele Überschneidungen, welche die hohe Konservierung bewährter Signalsysteme belegen.
Herkunftsort, Wegstrecke und Zielort bestimmen das Schicksal der Emigranten
Ein faszinierender Aspekt der Wanderschaft ist neben der Lenkung zu einem bestimmten räumlichen Ziel die damit korrelierte Programmierung des künftigen, speziellen Zelltyps. Am Ursprungsort sind die Neuralleistenzellen überwiegend noch pluripotent, allerdings gibt es bereits erste Ungleichwertigkeiten: Nur die Neuralleistenzellen der künftigen Kopf-Nacken-Region haben die Potenz, die knorpeligen Elemente des Kiemendarms zu liefern. Hingegen stehen den Zellen im Nacken- und Rumpfbereich mehrere Optionen offen. Sie erfahren ihre Determination auf dem Wege zum Zielgebiet, manche ihre definitive Bestimmung auch erst am Ankunftsort (s. Abb. 16.17).
15.2.5
Sogar im ZNS wandern viele Zellen
Überraschenderweise finden auch im Zentralnervensystem umfangreiche Zellwanderungen statt. Generell gliedert sich der frühe Lebensabschnitt der Neurone und Gliazellen in drei Phasen: 1. Spezifikation und Einschalten zelltypspezifischer Gene am Heimatort der Stammzellen, 2. Wanderphase, 3. terminale Differenzierung zum Neuron oder zur Gliazelle am endgültigen Bestimmungsort (Kap. 16). Im ZNS begegnen uns weitere Leitstrukturen, die von Gliazellen gebildet werden. Im Vorgriff sei auf Gliazellen des Rückenmarks verwiesen, die sich lang und dünn machen und so zu Leitfäden wer-
Exocytose Fz Golgi Dsh/Dvl WNT-11 Ziel
Abb. 15.8 WNT-11 als chemotaktisch anlockendes Signalmolekül. WNT-11 wird über Vesikel aus der Zelle freigesetzt und bindet an der Zellmembran der rezipierenden Zelle (kleine Box) an den FRIZZLED-Rezeptor. Signaltransduktion erfolgt wie in Kap. 11 zusammengefasst
402
15
Fernwanderer und die vielfältigen Schicksale der ausgewanderten Neuralleistenzellen
Zusammenfassung
Gliafaser Endposition wandernde Neuroblasten
Ursprungsgebiet Neuralrohr, quer
Abb. 15.9 Zielfindung durch Kontaktführung. Ein Neuroblast im ZNS wandert von seinem Geburtsort nahe dem Rückenmarkskanal bzw. Gehirnventrikel in sein peripher gelegenes Zielgebiet entlang von Gliafasern (Radialglia)
den, entlang derer Neuroblasten ihren Weg von ihrer Geburtstätte zum Ziel ihrer Wanderschaft finden (Abb. 15.9). Man spricht hier wieder von Kontaktführung.
In tierischen Embryonen begeben sich viele Zellen auf Wanderschaft. Dies gilt im Wirbeltierembryo besonders für die Zellen, die ursprünglich die kompakten Somiten bildeten, sich dann ablösen, um sich andernorts niederzulassen und beispielsweise die Wirbelsäule, die Körpermuskulatur und das Unterhautbindegewebe zu bilden. Weite Wanderungen unternehmen auch die Urkeimzellen (oftmals auch bei Wirbellosen), die Stammzellen der Blutzellen und die Abkömmlinge der Neuralleisten. Neuralleisten sind Zellreihen entlang des Neuralrohrs, die auswandern und weite Bereiche des Embryos und Fetus besiedeln. Es gehen aus ihnen hervor (1) die Chromatophoren der Haut, (2) im Kopf-Halsbereich der embryonale knorpelige Schädel und das knorpelige Skelett des Kiemendarms einschließlich der künftigen Gehörknöchelchen, (3) die Dentinkerne der Zähne und (4) verschiedene Sinneszellen. Im HalsRumpf-Bereich gehen aus den Neuralleisten hervor (5) die Spinalganglien und die (6) Schwannschen Scheiden peripherer Nervenfasern, (7) das gesamte periphere Nervensystem mit dem sympathischen und parasympathischen Nervensystem und dem Nervensystem des Magen-Darm-Traktes und (8) das Nebennierenmark. Auf ihrem Weg in die Zielgebiete bewegen sich die Neuralleistenzellen entlang bestimmter Wanderrouten, die molekulare Kennzeichen tragen. Auch attraktive oder repulsive Fernsignale wirken als Wanderführer. Herkunftsort, Wegstrecke und Zielort bestimmen das Schicksal der Emigranten.
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
Das Zentralnervensystem des Menschen ist das komplexeste Organ, das je ein Lebewesen entwickelt hat; es ist, gemessen an seiner Größe, auch gewiss das komplexeste System in unserem Erfahrungsbereich. Das Gehirn soll nach Zählung überschaubarer Ausschnitte und anschließender Hochrechnung 100 bis 1000 Milliarden (1011 bis 1012 / Nervenzellen und bis zu 1000 Milliarden (1012 / weitere Zellen (Gliazellen, Zellen des Immunsystems) enthalten. Jede Nervenzelle ist jeweils mit 100 bis 10.000 anderen synaptisch verknüpft. Die Gesamtstrecke der Nervenfasern wird auf 500.000 km geschätzt. Die Entwicklung des Nervensystems zu beschreiben und zu verstehen, ist die derzeit wohl größte Herausforderung an die biologischen Naturwissenschaften. In diesem Kapitel beschränken wir uns darauf, einige Grundzüge der Entwicklung des Nervensystems der Wirbeltiere aufzuzeigen (mit einem Seitenblick auf die Insekten). Wir betrachten die Formung des Neuralrohres, also der Anlage des Zentralnervensystems ZNS und verfolgen wandernde Zellen, die das periphere Nervensystem PNS einschließlich des enterischen Nervensystems ENS herstellen. Wir beobachten, wie Neurone ihre informationsleitenden Fortsätze ausbilden und synaptischen Kontakt zu anderen Zellen suchen. Wir stellen die Frage, wie diese ungeheuer komplexe Ordnung organisiert werden kann.
16
16.1 Vorbereitung im frühen Embryo 16.1.1 Das Nervensystem geht aus Zellarealen hervor, die durch maternale mRNA für proneurale Transkriptionsfaktoren auf ihre Aufgaben vorbereitet sind Die Programmierung des künftigen Nervensystems ist ein Vielstufenprozess Auch wenn wir die Entwicklung des Nervensystems des Säugers und damit des Menschen in den Vordergrund stellen möchten, müssen wieder einmal erst die Embryonen der Amphibien Modell stehen. Gesichert war lange Zeit, dass in der späten Blastula, wenn der Spemann-Organisator seinen Sendebetrieb aufnimmt, von diesem Sender Signale ausgehen, die den Zellen der animalen Hemisphäre die Möglichkeit eröffnen, später Nervenzellen zu werden. Solche Signale werden von Induktionsfaktoren wie den Proteinen NOGGIN und CHORDIN repräsentiert, die ihrerseits den antineuralen Faktor BMP3/4 neutralisieren. Dieser anti-neurale Faktor ist nötig, um eine neurale Entwicklung im ventralen Keim zu unterdrücken und das Ektoderm dort so zu programmieren, dass es später Epidermis wird. Eine Jahrzehnte alte Hypothese besagt, die Zellen der animalen Kappe trügen eine autonome Tendenz in sich, Nervenzellen zu werden, seien jedoch zunächst daran gehindert,
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_16,
403
404
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
Xenopus maternale RNA für proneurale Transkriptionsfaktoren
Morphogene (Induktionsfaktoren)
in Eizelle
dorsal
anterior
in Blastula
SOX3 OPL (odd-paired-like)
CHORDIN NOGGIN FOLLISTATIN BMP-4
vent.
a
Eizelle / Blastula
Kopf
b
Neuralplatte CHORDIN
RA (Retinsäure)
NOGGIN
prächordales Mesoderm
c
post. späte Blastula / frühe Gastrula
WNT-8, WNT-3 FGFs Chorda Blastoporus
frühe Neurula (Medianschnitt)
Abb. 16.1 a Faktoren, welche die Entwicklung des Zentralnervensystems spezifizieren und determinieren. An der Spezifikation haben Transkriptionsfaktoren teil, die schon in der Eizelle deponiert sind, so maternales SOX3, oder die nach der Befruchtung nachweisbar werden wie OPL. (SOX3 hat als DNA-bindende Domäne ein HMG-Motiv; OPL ist ein zum Odd-Paired Faktor von Drosophila homologes Zinkfingerprotein). b Diese Transkriptionsfaktoren verleihen der animalen Region die Kompetenz, Nervengewebe zu werden. Diese Kompetenz wird im ventralen Bereich des Keims durch BMP3/4 unterdrückt; die Zellen der animalen Region hingegen sind gerüstet, auf verschiedene neuralisierende Induktionsfaktoren zu reagieren. Diese legen die proneurale Kompetenz der Zellen
offen. BMP3/4 wird von CHORDIN und NOGGIN, die vom Organisator ausstrahlen, neutralisiert. c Besonders bedeutsam sind Induktionsfaktoren, die später von der Chorda-Anlage und dem prächordalen Mesoderm ausgesandt werden (CERBERUS, DICKKOPF, CHORDIN, NOGGIN). Sie leiten auch die Untergliederung des Zentralnervensystems in Vorderhirn, Hinterhirn und Rückenmark ein. In dieser Funktion werden sie von weiteren Faktoren unterstützt, die entlang der Körperlängsachse in Form von Gradienten vorliegen wie WNT-8, WNT-3, WNT11, FGF-4 und RA (Retinoic Acid D Retinsäure), Prüfung der Wirkung von Faktoren, hier der anti-neuralen Wirkung von BMP3/4, im Animalen-Kappen-Test (d)
ihrer Neigung nachzugehen. Diese Hypothese hat in jüngster Zeit durch molekularbiologische Befunde und Experimente eine starke Stütze erfahren. Bereits in der Eizelle liegt maternal erzeugte mRNA für Transkriptionsfaktoren vor, z. B. für den mit einer HMG-Box ausgestatteten Faktor SOX3 und weiteren Faktoren,
welche Zellen befähigen, Nervenzellen zu werden (Abb. 16.1a). Diese als mütterliche Mitgift ererbten Faktoren können ihrerseits, von Induktionsfaktoren unterstützt, in den Zellen der animalen Hemisphäre die Expression zelleigener (zygotischer), Nerven-
16.1
Vorbereitung im frühen Embryo
405
Abb. 16.1 (Fortsetzung)
animale Kappe Amphibienblastula
intakt
d
Epidermis
zellen programmierender Transkriptionsfaktoren einschalten. Diese ersten Hinweise zeigen einmal mehr, dass bei der Steuerung von Entwicklungsprozessen unterschieden werden muss zwischen 1. Faktoren, die als extrazelluläre Signale ganze Zellverbände dirigieren, und 2. Transkriptionsfaktoren, die innerhalb der Zellen, und letztlich in den Zellkernen, Genaktivitäten steuern.
16.1.2 Induktionsfaktoren erlauben das Einschalten weiterer proneuraler Selektorgene Extrazellulären Signalen, die im Wirbeltierembryo bei der frühen Spezifikation des Nervensystems im Spiel sind, ist man mit recht unterschiedlichen Methoden auf die Spur gekommen. Ursprünglich wurden Explantate aus Xenopusblastulae (klassischer Animale-
dissoziiert
Neurone
dissoziiert + BMP3/4
epidermale Zellen
Kappen-Test, Abb. 16.1d) mit Lösungen behandelt, von denen vermutet wurde, dass sie einen die Differenzierung von Nervenzellen stimulierenden Faktor enthalten könnten. Neuerdings werden auch embryonale Stammzellen der Maus und des Menschen mit allerlei Faktoren behandelt, um sie anzuregen, sich in Nervenzellen zu differenzieren. Es wird auch analysiert, welche speziellen Neuron- oder Gliatypen aus den ursprünglich „naiven“ Zellen entstehen. Wir fassen, ohne auf einzelne Versuchsergebnisse eingehen zu können, zusammen: Neben den schon genannten Anti-BMP4-Faktoren CHORDIN und NOGGIN sind auch Faktoren der WNT-Familie und der FGF-Familien daran beteiligt, die neuronale Potenz offenzulegen; des weiteren der Nichtprotein-Faktor Retinsäure (retinoic acid RA). Ein Beispiel für FGF: Nach Behandlung mit AntiBMPs exprimiert Xenopus-Ektoderm FGF-4. Dieser Faktor ist notwendig, damit aus den behandelten Zellen Nervenzellen werden können.
406
Ein Beispiel für WNT. Schon bei Hydrozoen wie den Polypen der Gattungen Hydra und Hydractinia ist das WNT-ˇ-Catenin-System an der Einleitung der neuralen Differenzierung beteiligt. Bei Wirbeltieren sind WNT-Moleküle im Spiel, wenn es darum geht, das Zentralnervensystems in Gehirn und Rückenmark zu gliedern. Diese Untergliederung wird schon früh vorbereitet: Die vom Urmund ausgehenden und kopfwärts gerichteten WNT-8-Signale begünstigen die Determination von Rückenmark. Weiter vorn werden die WNT-8-Moleküle durch die Faktoren DICKKOPF und CERBERUS neutralisiert und dies begünstigt die Programmierung des Gehirns. Neben permissiven (erlaubenden) Faktoren wie CHORDIN und NOGGIN bewirken oder begünstigen auch positiv induzierende Signalmoleküle das Einschalten nervenspezifischer Gene. Darauf weisen Befunde am Hühnchenembryo hin.
16.1.3 Es werden nach und nach weitere proneurale und neurogene Gene eingeschaltet, die für Transkriptionsfaktoren codieren Proneural heißt: „vorbereitend für“, „zugunsten von Nervenzellen“; neurogen heißt: „Nervenzellen erzeugend“. Im Xenopusembryo (und ebenso im Fischembryo) beginnt die ontogenetische Geschichte des Nervensystems mit dem maternalen Faktor SOX3. Bald sind in den Kernen der sich bildenden Neuralplatte weitere proneurale Transkriptionsfaktoren wie NeuroD, Neurogenin, Mash1, Math und NEX zu finden. Sie gehören zu den Transkriptionsfaktoren der ATONALGruppe mit einem bHLH (basic-Helix-Loop-Helix)Motiv als DNA-bindender Domäne. Bei Drosophila sind die proneuralen Gene auf einem Chromosom zum Achaete scute-Komplex, As-C, vereinigt. Bei Wirbeltieren werden Homologe dieses As-C-Genclusters (wie Asc1/lash) nur in einer Unterklasse der Neurone exprimiert. Es dürfte noch weitere solche schicksalsbestimmenden Gene geben. Die Mehrzahl der bisher identifizierten Gene/Faktoren ist im ganzen Tierreich für die Entwicklung des Nervensystems zuständig, beginnend mit den Cnidariern, der ältesten noch lebenden Tiergruppe, die ein Nervensystem besitzt. Im Wirbeltier tauchen all
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
diese Faktoren in wechselnden Kombinationen während der ganzen Entwicklung des Nervensystems auf. Sie determinieren Stammzellen zu neuronalen Zellen und neuronale Zellen zu unterschiedlichen Subtypen, einschließlich der Glia. Dass im gesamten Tierreich homologe (orthologe) Gene im Spiele sind, wenn es um das Nervensystem geht, verwundert im Nachhinein nicht. Nervenzellen haben viele Gemeinsamkeiten: Sie bilden dünne Ausläufer zum Empfang und zur Weiterleitung von chemischen und elektrischen Signalen; ihre Zellmembranen werden mit Ionenkanälen verschiedener Art bestückt; sie bilden und exportieren Transmitter. Wo all die proneuralen und neurogenen Gene eingreifen und ihren Beitrag leisten, muss die Forschung im Einzelnen noch herausfinden.
16.2 Morphologische Entwicklungsgeschichte des Nervensystems Das Nervensystem der Wirbeltiere gliedert sich in zwei Hauptkomponenten mit unterschiedlicher Lage im Körper und unterschiedlicher Herkunft: 1. in das Zentralnervensystem mit Gehirn und Rückenmark und 2. das periphere Nervensystem, das aus verschiedenen Subsystemen besteht.
16.2.1
Das Zentralnervensystem geht aus dem Neuralrohr hervor, während das periphere Nervensystem von Neuralleistenzellen hergestellt wird
Das Zentralnervensystem, ZNS Wir erinnern uns an entscheidende Prozesse, aus denen im Wirbeltierembryo schließlich das Neuralrohr, die Anlage des Zentralnervensystems, hervorgeht. In der Gastrula ist äußerlich noch nicht erkennbar, wo diese Anlage entstehen wird, doch sind bereits induzierende Faktoren am Werk, welche die Entwicklung des künftigen Zentralnervensystems in die Wege leiten. Während im Zuge der Gastrulation das Mesoderm über die obere Urmundlippe (Amphibien) oder die Primitivrinne (Sauropsiden, Säuger) in das Innere des Keims eindringt und entlang des dorsalen Ektoderms
16.2
Morphologische Entwicklungsgeschichte des Nervensystems
Abb. 16.2 Bildung der Anlage des Zentralnervensystems am Beispiel des Amphibienembryos. Von anterior nach posterior fortschreitend bildet sich zuerst das dreiteilige Gehirn mit Pros-, Mes- und Rhombencephalon. Dieses gliedert sich dann nochmals auf in die fünf späteren Hirnabschnitte. Dabei liefert das Prosencephalon sowohl Tel- als auch Diencephalon, das Mesencephalon bleibt einteilig, das Rhombencephalon gliedert sich in Met- und Myelencephalon
407
Wirbeltier (Amphibium) Neurulation geschlossenes Neuralrohr vorderer Abschnitt
vorn
Gehirn Neuralrohr Mes-
Rhomb
-encep
r1--------
Pros-
halon Rückenm a
rk
-------r8
Augenblase Rhomb-encephalon MetCerebellum Mes-
Myel-encephalon = Medulla oblongata
DiProsTel-
nach vorn in die künftige Kopfregion gleitet, sendet es Signale aus, die im darüber lagernden dorsalen Ektoderm aufgefangen werden. Es sind weiterhin die schon genannten Proteine wie NOGGIN, CHORDIN, DICKKOPF, CERBERUS (Abb. 16.1) und mutmaßlich weitere Signalmoleküle, welche teils vom axialen Mesoderm, der späteren Chorda, teils von der prächordalen Platte, dem künftigen Kopfmesoderm, ausstrahlen und dem dorsalen Ektoderm mitteilen, dass es Zeit sei, die Neuralplatte zu formen. Die Neuralplatte bildet im Zuge der Neurulation Neuralfalten, welche sich zum Neuralrohr schließen (Abb. 16.2). Das Neuralrohr gliedert sich im weiteren Verlauf in Gehirn und Rückenmark (Abb. 16.2, 16.3, 16.4 und 16.5). Das periphere Nervensystem (PNS) umfasst die Spinalganglien, das vegetative, sympathische und parasympathische Nervensystem, soweit die kernhaltigen Zellkörper (Perikaryen) außerhalb des ZNS liegen. Sympathische Neurone finden sich in Umschaltstationen des Grenzstrangs und der Eingeweideganglien; parasympathische unmittelbar an oder in den angesteuerten Zielgeweben und Organen;
Pons Augenbecher
das autonome Nervennetz des Magen-DarmTraktes. Es wird heute bisweilen durch die Bezeichnung ENS, enterisches Nervensystem, in den Rang eines eigenständigen Nervensystems gehoben, gehört jedoch auch als solches zum PNS. Das periphere Nervensystem wird von ausgewanderten Neuralleistenzellen hergestellt (Abschn. 16.5).
16.2.2
Das Gehirn der Wirbeltiere gliedert sich erst in drei, dann in fünf Abschnitte
Auch wenn es kurios klingt, anfangs ist das Gehirn in seinem größten Volumenanteil ein wassergefüllter Hohlraum. An seinem Vorderende bläht sich das Neuralrohr zu drei blasenförmigen Erweiterungen auf (Abb. 16.2): Prosencephalon (Vorderhirn), Mesencephalon (Mittelhirn) und Rhombencephalon (Hinterhirn). In einem zweiten Schritt gliedern sich das Vorder- und das Hinterhirn jeweils in zwei Bereiche, und wir sehen die fünf klassischen Regionen des Wirbeltiergehirns, die sich in der weiteren Entwicklung funktionell spezialisieren und schließlich das komple-
408 Abb. 16.3 a Längsschnitt durch die Kopf-Pharynx Region eines generalisierten Wirbeltieres und Zuordnung von HoxExpressionsdomänen. Man beachte die segmentale Gliederung des Rautenhirns (Rhombencephalon), der Cranialganglien und der gesamten Pharynxregion mit ihren Kiementaschen. Hox-Expression adaptiert nach Alexander et al. (2009). b Ausschnitt, zusätzlich die epipharyngeale (epibranchiale) Plakoden zeigend, welche die künftigen Geschmackssinneszellen hervorbringen. Sie werden von Nervenfasern (Pfeile) erreicht, die von den Cranialganglien (D Gehirnnerven) VII (Nervus facialis), IX (N. glossopharyngeus) und X (N. vagus) ausgehen. Das aus dem Gehörbläschen hervorgehende Innenohr wird vom Gehirnnerven VIII (N. vestibuloocularis) innerviert, der vom Myelencephalon ausgeht
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
Telencephalon Mesencephalon Rhombencephalon Rhombomeren Augenblase
Diencephalon
Nasenplakoden
Gehörbläschen Cranialganglion Kiementaschen r1
Hox
Rückenmark
2
3
a2 b 2
4
5
b1 a 3
a
6 d3
7
4
r8
5
6
Linsenplakode
Hox Hox Hox Hox
-a
1
2
-b 1
-c
3 2
4 5
3 4
-d
5
1
4 5
3 4
Gehörbläschen aus Ohrplakode
VII 4
5
IX 6
7
6= 6=
6=
Ant
p
Ant
p
Ant
p
X r8
b ektod e (mit k rmale epip ünftig en Ge haryngeale schm ackss Plakoden innes zellen )
xe Gehirn entstehen lassen (Abb. 16.3, 16.4, 16.5 und 16.6). Vorderhirn: Prosencephalon, gliedert sich in 1. Telencephalon (Endhirn, Großhirn, cerebrale Hemisphären mit Neocortex) 2. Diencephalon (Zwischenhirn) Mittelhirn: Mesencephalon, gliedert sich nicht weiter auf und bleibt somit 3. Mesencephalon (Mittelhirn) Nachhirn: Rhombencephalon, 4. Metencephalon (Kleinhirn, Cerebellum), 5. Myelencephalon (Nachhirn, Medulla oblongata).
Beim Menschen werden diesen Teilen des Gehirns folgende Hauptfunktionen zugeordnet: Telencephalon. Auswertung der von den Hauptsinnesorganen (Geruchs- und Geschmacksrezeptoren, Innenohr mit Bogengängen, Gleichgewichtsorganen und Gehörschnecke, Auge) gelieferten Information (Auswertung optischer Information bei niederen Wirbeltieren im Mesencephalon). Herstellung von Assoziationen. Speicherung von Information im Langzeitgedächtnis. Aufmerksamkeitssteuerung. Obzwar beim Menschen der größte Teil des Telencephalons den evolutionsgeschichtlich jungen
16.2
Morphologische Entwicklungsgeschichte des Nervensystems
Abb. 16.4 Das frühe Gehirn des Menschen. Das herausgegriffene Segment (unten) zeigt im Zentrum das Diencephalon (Zwischenhirn) und links und rechts davon Schnitte durch die Hemisphären des sich nach caudal ausdehnenden paarigen Telencephalons (Großhirn, Endhirn). Die paarigen Hemisphären des Telencephalons, welche die Gehirnventrikel I bzw. II enthalten, umhüllen schließlich das Diencephalon vollständig
409
Scheitelbeuge Isthmus
Rhombencephalon Rautenhirn
Metencephalon Nackenbeuge Myelencephalon Diencephalon Prosencephalon Ohrbläschen Augenbecher
Telencephalon Großhirnhemisphären Epiphyse
Ventrikel I
Ventrikel II
Hippocampus Plexus choroideus Thalamus Basalganglien Hypothalamus Neurohypophyse Adenohypophyse Querschnitt, vergrößert Mensch, Gesamtlänge des Embryos 14 mm
Neocortex umfasst (Abb. 16.6), birgt es in seinen ventralen Teilen auch alte „Kerngebiete“. „Kerne“ (lat. nuclei) in der traditionellen Nomenklatur der Neuroanatomen sind Bezirke der „grauen Substanz“, die dicht gedrängt zahlreiche Zellkörper mit ihren Zellkernen (Perikarya) enthalten, während die „weiße“ Substanz überwiegend nur aus Nervenfasern (Nervenbahnen) besteht. Zu den phylogenetisch alten Strukturen gehören das Riechhirn und eine Reihe von Kerngebieten, die in der traditionellen Literatur unter den Bezeichnungen Basalganglien (mit Striatum und Pallidum) und limbisches System zusammengefasst sind. Einige vielgenannte Strukturen sind in Abb. 16.6 gezeigt. Von besonderer Bedeutung ist der paarige auch als Ammonshorn bekannte Hippocampus; eine Struktur des alten Cortex, die durch den Neocortex nach lateral-ventral unter den Schläfenlappen verdrängt wird. Dem Hippocampus wird eine führende Rolle bei der Auswahl und
Überführung von Gedächtnisinhalten ins Langzeitgedächtnis zugeschrieben. Die Komponenten des limbischen Systems, dem die Erzeugung emotionaler Erlebnisse und von Affekten zugeschrieben wird, sind durch neuronale Fasern mit dem Hypothalamus des Zwischenhirns verbunden. Diencephalon Aus dem Diencephalon entwickeln sich die Augenblasen (Abb. 16.3). Es ist untergliedert in – Thalamus, die Umschaltstelle für optische und akustische Bahnen zum Neocortex. Der Thalamus ist auch das Tor für sensorische Eingänge vom Rückenmark und Umschaltstation zum Kleinhirn. – Epithalamus und Hypothalamus, die oberste Kommandozentralen für basale vegetative Funktionen. Sie sind die Kontrollzentren für die gezielte Einstellung der Regelkreise für Körpertemperatur, Blutzuckergehalt und den Titer vie-
410
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
2. Diencephalon 3. Mesencephalon Zwischenhirn Mittelhirn Au Pinealorgan s de de = Epiphyse Tectum opticum be s G hnu Vierhügelplatte i P ro ng rim ßh 4. Metencephalon ate irns n Kleinhirn Corpus callosum (Balken) Cerebellum Hippocampus 2 1.Telencephalon 5. Myelencephalon Großhirn Nachhirn 1 I , II III Medulla oblongata Verlängertes Mark Ventrikel IV I, II, III, IV
Bulbus olfactorius Riechhirn
Thalamus Hypothalamus Chiasma opticum
Pons Mammillarkörper Neurohypophyse Adenohypophyse
Säugergehirn - Grundschema
Abb. 16.5 Generalisiertes Säugergehirn. Der Schnitt ist median geführt, doch ist zusätzlich eine der beiden Großhirnhemisphären, die wegen ihrer Paarigkeit von einem Medianschnitt nicht getroffen werden, durch einen gesonderten Schnitt geöffnet. Beim Menschen überdecken schließlich die sich posterior ausdehnenden Großhirnhemisphären das Di- und Mesencephalon vollständig und das Cerebellum teilweise. Entsprechend dehnt sich auch das beide Hemisphären verbindende Faserbündel des
Corpus callosum (Balken) aus. Die grauen Felder 1 (Hippocampus) und 2 sind Reste des evolutionsgeschichtlich alten Archaeopalliums. Im Diencephalon liegt dorsal vom Thalamus der Epithalamus, welcher die Epiphyse (Pinealorgan) ausbildet. Die Neurohypophyse entsteht als Ausstülpung des Hypothalamus (Infundibulum), die Adenohypophyse als Ausstülpung des Gaumendaches (Rathke-Tasche)
ler Hormone. Sie koppeln Hormonsystem und Nervensystem miteinander. Um für diese Aufgabe gerüstet zu sein, bildet der dorsale Epithalamus das Pinealorgan (Epiphyse, Zirbeldrüse, Abb. 16.5) und der ventrale Hypothalamus das Infundibulum, eine zunächst epitheliale Aussackung, in die aus dem Hypothalamus neurosekretorische Fasern einwachsen. Das Infundibulum wird damit zum Hypophysenhinterlappen HHL, auch Neurohypophyse genannt. Die Hypophyse wird ergänzt durch eine Struktur, die sich nicht vom Neuralrohr ableitet, sondern von einer Ausbuchtung des Gaumendaches, der Rathke-Tasche. Diese Tasche formt sich zum Hypophysenvorderlappen HVL, der Adenohypophyse. Mesencephalon: Sein Dach (Tectum und Tegmentum) bildet bei Nichtsäugern das Tectum opticum, die Auswertzentrale für optische Information. Beim Säuger werden diese Informationen weitergeleitet zum primären Sehzentrum (V1) im Neocortex der Hinterhauptregion und weiter zum sekundären Zentrum im Neocortex der Stirnregion. Das dorsale
Mesencephalon, auch Vierhügelplatte genannt, ist aber weiterhin Umschaltstation für Augenreflexe und die Hörbahn. Cerebellum: Hier ist die Programmierung und Koordination komplexer Bewegungen verortet. Myelencephalon: das Reflex- und Kontrollzentrum für Atmung und Kreislauf sowie weiterer vegetative Funktionen wie Saug-, Schluck- und Hustenreflex.
16.2.3 Seit den Tagen Goethes diskutiert: Ist das Gehirn segmental gegliedert? – In seinem letzten Abschnitt ja! Seit den Tagen eines Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) und Lorenz Oken (1779–1851) wurde diskutiert, ob der Kopf des Wirbeltieres und mit ihm das Gehirn segmental gegliedert sei. Nicht nur morphologische Einschnürungen, sondern das Expressionsmuster einer Reihe von Hox-Genen sprechen eine klare Sprache: das Nachhirn ja.
16.2
Morphologische Entwicklungsgeschichte des Nervensystems
411
Vergrößerung des Neocortex und Verlagerung von Kernen des limbischen Systems Balken Thalamus basale Endhirnkerne Fornix (Gewölbe)
a2 20. SSW
a1 16. SSW Bulbus
Amygdala (Mandelkerne)
olfactorius
Hippocampus
Gyrus cinguli
a3 30. SSW Amygdala Schnittebene für b1
Hippocampus
or
posteri
anterior Thalamus Basalganglien mit
Balken
Fornix N. caudatus Striatum Pallidum Corpora mamillaria (Mamillarkörper) Amygdala Hippocampus
b1
b2
Hippocampus
Frontalschnitt
Abb. 16.6 a1–a3 Vergrößerung des Neocortex (grau) beim Menschen und limbisches System (LiS). Mit der Ausdehnung des Neocortex wächst auch der Balken (Corpus callosum). Durch das Einschieben neuer Rindenbereiche werden die evolutionsgeschichtlich sehr alten Strukturen des limbischen Systems (LiS) relativ verschoben (nicht zum LiS zählt der als Referenzstruktur eingezeichnete Thalamus). Hier eingezeichnete Komponenten des LiS sind der Gyrus cinguli, Basalganglien des Endhirns (mit Septumkernen und Nucleus accumbens), die Amygdala (Mandelkerne), der Hippocampus, das Faserbündel des Fornix, der eine anatomische Verbindung herstellt zwischen
den Basalganglien des Endhirns, dem Hippocampus und dem Hypothalamus, der Zentralinstanz für vegetative Funktionen. b1, 2 Die Bilder b1 und b2 beziehen sich auf die betreffenden Strukturen des adulten Gehirns und zeigen zusätzlich die Mam(m)illarkörper (Corpora mamillaria), die ebenfalls dem LiS zugerechnet werden. Dem limbischen System werden Funktionen der Emotion und des Gedächtnisses zugeschrieben. Dem Hippocampus, ursprünglich ein Teil des Riechhirns, wird eine tragende Rolle bei der Entscheidung zugeschrieben, welche Gedächtnisinhalte ins Langzeitgedächtnis übernommen werden
Das Nachhirn ist anfänglich gegliedert in acht sich wiederholende Kompartimente, Rhombomeren genannt (Abb. 16.2 und 16.3). An diese Rhombome-
ren werden die Cranialganglien angeschlossen, welche die Spinalganglien des Kopfbereichs repräsentieren und sich wie die Spinalganglien des Rumpfes von
412
den Neuralleisten ableiten. Die ersten Cranialganglien werden an die geradzahligen Rhombomeren angeschlossen; dann erst werden die ungeradzahligen Rhombomeren mit Cranialganglien verbunden. Für die weiter vorn liegenden Gehirnregionen Prosencephalon und Mesencephalon gibt es keine guten Indizien für eine ursprünglich segmentale Gliederung; denn in diesen Gehirnregionen kontrollieren andere Transkriptionsfaktoren die Entwicklung und der Neuroanatom findet keine sich periodisch wiederholenden Strukturen.
16.2.4 Das wachsende ZNS: neue, sekundäre Neuroblasten werden in rasantem Tempo durch asymmetrische Teilung von Stammzellen erzeugt Wenn aus dem Neuralrohr im Kopfbereich das Gehirn und im Rumpfbereich das Rückenmark wird, müssen die vorhandenen Neuroblasten vermehrt werden. Ein menschliches Gehirn wächst in der Embryonalentwicklung mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von ca. 250.000 neuen Nervenzellen pro Minute auf mehrere Milliarden Nervenzellen heran. Hinzu kommt eine noch zehnfach größere Zahl unterstützender Gliazellen. Auch nach der Embryonalphase nimmt das Gehirn mit neu hergestellten Nervenund Gliazellen an Masse und Volumen zu, bis mit dem Abschluss der Pubertät die maximale Größe mit 1011 bis 1012 Nervenzellen und 1012 bis 1013 unterstützenden Gliazellen (Mikroglia D Immunzellen) erreicht ist. Die Vermehrung der neuralen Zellen (Neurone und Gliazellen) geht von neurogenen Stammzellen (Progenitorzellen) aus, die als Neuroepithel, hier Ependym genannt das Lumen des Rückenmarkkanals und der Gehirnventrikel auskleiden. Dieses Neuroepithel bleibt als geschlossene Fläche zurück, wenn sich die sechs Streifen primärer Neuroblasten (s. Abb. 16.11) ausgegliedert haben. Es enthält Stammzellen, aus denen weitere Populationen von Neuron- und GliaVorläuferzellen hervorgehen. Die Vorgänge der sekundären Neurogenese, welche das Gehirn des Menschen auch noch nach seiner Geburt wachsen lässt, können naturgemäß nicht beim Menschen selbst untersucht werden. Der Vogelembryo und neuerdings vor allem der transparente
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
Fischembryo, und mit erheblichen Einschränkungen der Mausembryo, müssen Modell stehen. Beim Fisch Danio gelang es, in transgenen, grün und rot fluoreszierende GFP-Varianten enthaltenden Exemplaren die Neurogenese in vivo zu filmen und die Befunde an histologischen Präparaten von Mausembryonen teils zu bestätigen, teils zu korrigieren. Die Vorgänge sind eigenartig. Die Kerne in den langgestreckten Stammzellen wandern zyklisch von der lumennahen Zellbasis zur Zellspitze, durchlaufen dort die S-Phase und kehren zur Basis zurück, wo die Mitose stattfindet (Abb. 16.7). Die Mitose kann symmetrisch oder asymmetrisch sein. Bei symmetrischen Mitosen werden bestimmte Zellkomponenten, beispielsweise das Protein PAR3 (und eine Proteinkinase aPKC), gleichförmig auf die beiden Tochterzellen verteilt. Ergebnis ist eine Vermehrung der neurogenen Stammzellen. Bei der asymmetrischen Mitose werden diese Komponenten ungleich verteilt. Die Tochterzelle, welche Par-3 erbt, wird zum postmitotischen Neuroblasten. Postmitotisch besagt, dass die Zelle sich nicht mehr teilen wird, sondern die terminale Differenzierung zum Neuron beginnt. Zuvor muss sie aber ihren Geburtsort an der Grundlinie verlassen, in periphere Schichten auswandern und sich dort niederlassen. (Abb. 16.7, 16.8). Die zweite aus der asymmetrischen Teilung hervorgegangene Zelle, welche kein Par-3 erhielt, kehrt zur Grundlinie zurück und bleibt Stammzelle. Auf ihrem Weg in die Peripherie orientieren sich die Neuroblasten entlang von radialen Gliafasern (Abb. 16.7; auch Abb. 15.9). Am Zielort verlassen sie den Ariadnefaden und ordnen sich ein in die Schar schon angekommener Neuroblasten, die nun dabei sind, zu Neuronen auszureifen.
16.2.5 Die emigrierten Neuroblasten ordnen sich in sechs laminaren Schichten an oder sammeln sich in Kerngebieten, und sie differenzieren sich zu zahlreichen Neuron- und Gliatypen Im Cortex des Telencephalon und im Cerebellum ordnen sich die wandernden Neuroblasten in mehreren Schichten übereinander an. Welche Signale sie zum Wandern anregen oder bestimmen wo sie sich
16.2
Morphologische Entwicklungsgeschichte des Nervensystems Kern in S-Phase
Basallamina
413
Peripherie = “basal”
primäres Cilium
Zelle in Mitose symmetrisch
Lumenseite des Zentralkanals bzw. Gehirnventrikels = “apikal”
Zeit Stammzelle erbt basalen Fortsatz basaler Fortsatz
Gürtel mit Par-3 apikal
Zelle in Mitose asymmetrisch Zeit
Neuron
Neuroblast erbt Par-3
Gliazelle
Neusynthese von Par-3
Abb. 16.7 Wachstum des Wirbeltiergehirns durch Neurogenese aus Stammzellen des Ependyms, hier gezeigt am Übergang vom Myelencephalon zum Rückenmark beim Fisch Danio. Bei diesem ermöglicht die Transparenz des Körpers, transgene, mit GFP (Box 12.2) und anderen Fluoreszenzsubstanzen markierte Zellen im Leben zu verfolgen. Sichtbar gemacht wurden die Wanderbewegung der Zellkerne in sich teilenden neuralen Stammzellen des Ependyms. Dieses grenzt an den flüssigkeitsgefüllten Zentralkanal (im Gehirn an Ventrikel). Die an den Kanal grenzende Seite der Zellen wird als „apikal“ bezeichnet. Gezeigt wird die Produktion weiterer Stammzellen durch sym-
metrische Zellteilung und die Produktion von sekundären Neuroblasten durch asymmetrische Zellteilung. Bei dieser werden schicksalsbestimmende Proteine ungleich auf die Tochterzellen verteilt. Bei einer asymmetrischen Teilung wird das Markerprotein Par3-GFP dem künftigen Neuroblasten mitgegeben. Der Kern der zweiten Tochterzelle kehrt zur apikalen Grundstellung zurück und die Zelle synthetisiert Par2-GFP neu. Adaptiert nach Alexandre (2010) (und Vortrag 2011), ergänzt nach Taverna und Huttner (2010). (Wie weit der basale Fortsatz sich in den verschiedenen Zeitabschnitten basalwärts erstreckt, ist diesen Publikationen nicht eindeutig zu entnehmen)
niederlassen sollen, gehört zu den weitgehend ungelösten Rätseln der Neurobiologie. Ebenso unklar ist, wo und wie die Entscheidung fällt, zu welchem speziellen Subtyp von Neuron ein jeder Neuroblast letztendlich wird. Diskutiert werden Einflüsse der direkten Umgebung (lokale Nischen), die bei solchen Entscheidungen schicksalsbestimmend sein dürften.
Ist das Gehirn in seiner Grundarchitektur fertiggestellt, sind im Cortex der Primaten sechs oberflächenparallele Schichten auszumachen. Die erstgeborenen Neurone lassen sich in einer marginalen Zone nahe der peripheren Oberfläche nieder (erste „Körnerschicht“; „Körner“ D Zellkerne). Die Nachgeborenen durchwandern in einer zweiten Wanderwelle die erste Besiedlungsschicht und lassen sich weiter peripher
414
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
CORTEX Oberfläche, “basale Seite”
Neuronenschicht 3 Pyramidenneurone Assoziationsneurone Neuronenschicht 2
Neuronenschicht 1 neue Nerven- oder Gliazelle, wandernd Leitglia
Ependym, Geburtsstätte neuer Neurone und Gliazellen Ependymzellen, sich teilend Ventrikellumen, “apikale” Seite
Abb. 16.8 Organisation des Cortex im Gehirn eines Wirbeltieres
in einer zweiten Schicht nieder. Damit wird auch die Oberfläche des Gehirns ausgedehnt und mehr in die Peripherie verschoben. Dies wiederholt sich, bis von innen nach außen fortschreitend alle sechs Schichten aufgebaut sind (inside-out-layering). Die postmitotischen Neuroblasten durchlaufen alsdann die terminale Differenzierung. Die Hauptmasse der neuralen Zellen in den 6 laminaren Schichten gehört zum Typ der Sternzellen (Interneurone, morphologisch den Astrocyten ähnlich; Abb. 16.9). Die großflächigen 6 Schichten von Sternzellen werden zu funktionellen Modulen, denen die Fähigkeit zur parallelen Datenverarbeitung zugesprochen wird. Zwischen den 6 Schichten vermitteln die großen Pyramidenzellen (Projektionsneurone, im Cerebellum die Purkinjezellen). Auch in vertikaler Richtung senkrecht zur Oberfläche lässt sich in einigen Gebieten des Telencephalons ein modularer Aufbau ausmachen, wenn man funktionelle Kriterien mit heranzieht. Beispiel sind die Dominanzsäulen im Sehzentrum V1 (s. Abb. 16.23).
Im Gehirn kommt es zu sogenannten Kerngebieten durch Aggregation von Neuroblasten. Bei dieser Aggregation spielen Zelladhäsionsmoleküle wie bestimmte Cadherine eine wichtige Rolle.
16.2.6
Neurone und Gliazellen gehen aus gemeinsamen Stammzellen hervor; kooperativ erfüllen sie die Aufgaben des Nervensystems
In alter Tradition vermitteln Lehrbücher oftmals den Eindruck, die Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Information sei alleinige Aufgabe der Nervenzellen (Neurone); Gliazellen hingegen hätten nur unterstützende Funktion, indem sie den Stoffwechsel des Nervengewebes unterstützten, und man fragt sich, warum beim Menschen Gliazellen 90 % der Gehirnmasse ausmachen. Die Auffassung, der Glia komme nur Hilfsfunktion zu, muss heute revidiert werden. Es bleibt zwar dabei, dass Fernleitung gequantelter In-
16.2
Morphologische Entwicklungsgeschichte des Nervensystems
415
GEHIRN Neurone
Glia
jung
Astrocyt
Blutkapillare
ausdifferenziert
Sternzelle
Pyramidenzelle
Oligodendrocyt, Axone umhüllend
Interneurone
Rückenmark
Perikaryon im Spinalganglion
sensorisches Neuron, z.B. Dehnungsrezeptor einer Muskelspindel Peripherie
Motoneuron Muskelfasern
Abb. 16.9 Zelltypen im ZNS, Auswahl
formation mittels Serien von Aktionspotentialen die spezifische Funktion der Neurone ist, während reine Hilfsfunktionen, wie die Formung von Leitfasern für wandernde Neuroblasten (Abb. 16.7 und 15.9), die spezifische Aufgabe von Gliazellen ist. Deren Funktion ist jedoch mit solch untergeordneten oder transitorischen Hilfestellungen nicht erschöpft. Andere Gliazellen sind bei der Verarbeitung und Speicherung von Information beteiligt. Dies trifft insbesondere auf die Astrocyten zu, weniger auf die Oligendrocyten. (Die Mikroglia hingegen besteht nicht aus neuralen Gliazellen, sondern aus eingewanderten Zellen des Immunsystems.) Zur Aufwertung der Gliazellen trägt bei, dass sie aus den gleichen neuroepithelialen Stammzellen wie die Neurone hervorgehen. In der wissenschaftlichen Literatur werden die gemeinsamen Stammzellen meistens unterschiedslos als Neuroblasten und nicht
als Neuroglioblasten bezeichnet. (Nur wenn bekannt ist, dass gewisse Vorläuferzellen im Regelfall nur Glia hervorbringen, spricht man von Glioblasten.) Die gemeinsame Benennung der Vorläufer als Neuroblasten unterstreicht die nahe Verwandtschaft von Glia und Neuronen. Diese nahe Verwandtschaft belegen auch neue Befunde, nach denen sich ausdifferenzierte Gliazellen (sogar die in Abb. 15.9 gezeigte Radialglia) in Neurone umwandeln können (Transdifferenzierung). Wenn im Weiteren von Neuroblasten die Rede ist, ist noch offen, welche speziellen neuralen Zellen aus ihnen hervorgehen werden. Nach Ort und Zeitpunkt ihrer Genese unterscheidet man primäre und sekundäre Neuroblasten. Die primären erscheinen auf der Neuralplatte, die sekundären werden beim Wachstum des ZNS generiert, wie oben im Abschn. 16.2.4 geschildert.
416
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
Box 16.1: Genetische Netzwerke in der Entwicklung des Nervensystems Das Nervensystem ist anatomisch und auf der Ebene der Zelltypen unüberschaubar komplex. Ähnliches gilt für die im Lauf seiner Entwicklung genutzten Genprodukte und deren Funktionen. Zwar beginnt die Entwicklung des Zentralnervensystems mit einem – scheinbar – überschaubaren Ereignis: Einer verborgenen Bereitschaft von ektodermalen Zellen, sich autonom zu Nervenzellen zu differenzieren, wird durch Wegnahme einer Barriere der Weg freigemacht. Die große Zahl von Genen, die nachfolgend in Aktion treten, findet aber nicht nur der Anfänger verwirrend. Verwirrung stiftet, dass die Namen der Gene meistens nichts über deren Funktion aussagen. Was bedeuten zum Beispiel Bezeichnungen wie otx, sox3 oder AS-C? Verwirrend ist auch, dass homologe Gene bei verschiedenen Organismen oft verschiedene Namen haben. Dies gilt insbesondere beim Vergleich von Wirbeltieren mit dem genetischen Pioniermodell Drosophila; denn oftmals wurde die Homologie zu Wirbeltiergenen erst erkannt, nachdem ein neu entdeckter mutanter Phänotyp und mit ihm das von der Mutation betroffene Gen bereits seine (nach dem jeweiligen kreativen Laborjargon gewählte) Bezeichnung erhalten hatte. Verwirrung stiftet auch, dass Gene oftmals Mitglieder einer Genfamilie sind, wobei die verschiedenen Mitglieder einer Familie mitunter gleiche, oft aber auch verschiedene Funktionen erfüllen. So sind im Genom des Menschen 22 Gene für unterschiedliche Proteine der FGF-Familie (27 beim Zebrafisch) und für 19 Mitglieder der WNT-Familie abgelegt, die im Lauf der Entwicklung an unterschiedlichen Stellen wechselnde Funktionen erfüllen und dabei mit wechselnden Partnern kooperieren. Wir versuchen im Folgenden mit einem funktionsbasierten Überblick die Vielfalt neuraler Entwicklungsgene und der von ihnen codierten Proteine zu sortieren, um Literaturrecherchen und auch das Verständnis ihrer Wirkungsspektren zu erleichtern:
A. Oft genannte diffusible, extrazelluläre und auch über große Zellbezirke wirkende Signalmoleküle: BMP-4 verhindert im frühen Embryo (Neurula) Neurogenese an falschen Orten; sieben weitere BMP-Liganden sind im menschlichen Genom codiert. Chordin, Noggin, Follistatin ermöglichen die Bildung des ZNS durch Neutralisieren von BMP-4. Vertreter der WNT-Familie und Retinsäure wirken modifizierend entlang der anteroposterioren Körperachse und sind beteiligt bei der Gestaltung des Rückenmarks und bei der Programmierung vieler, wenn nicht aller, Typen von Nerven- und Gliazellen. Im Genom des Menschen wurden 19 wnt-Gene identifiziert. Vertreter der FGF-Familie wirken teils bahnend, teils lokal modifizierend auf die Entwicklung des ZNS. Der Mensch besitzt 22 verschiedene Fgf-Gene. SHH plus BMP erfüllen wichtige Funktionen, wenn entlang der dorso-ventralen Achse des Rückenmarks lokal Gene an- oder abgeschaltet werden sollen. Ähnliche Funktionen übernimmt das Paar bei der Spezifizierung entodermaler Organe. WNT, BMP, FGF und SHH finden sich fast immer, wenn es um eine Regionalisierung von Differenzierungspotenzialen in Sinnesplakoden (und vielen anderen Organen) geht. B. Gene für Signalaustausch zwischen direkten Nachbarn: Das NOTCH/DELTA-System (downstreamGene u. a. HES, lunatic fringe) wird immer wieder eingesetzt, um direkte Nachbarn auf unterschiedliche Differenzierungswege zu schicken. Das System bewirkt die Sonderung von künftigen Neuroblasten von künftigen Epidermiszellen (Abschn. 16.3.1) sowie bei der Entscheidung hier Neuron, da Glia. I
16.3
Die genetische Programmierung des Zentralnervensystems
417
Box 16.1: Fortsetzung C. Gene, die für Wegfindungsmoleküle codieren. Von Zellen sezernierte und in der Regel von der ECM gebundene Faktoren wie Ephrine, FGF, BMP, SHH, WNT oder Netrin und Semaphorin wie auch ihre Rezeptoren agieren nicht nur im Nervensystem. Sie weisen auch z. B. Myoblasten oder Blutgefäßen den Weg (häufig korrelieren Nerven- und Blutbahnen) und steuern Auswachsen und Differenzierung entodermaler Organen wie Lunge, Pankreas oder Leber. D. Gene für Transkriptionsfaktoren (TF), die in den Zellkernen neurale Gene ein- oder ausschalten. Dabei dominieren zwei Großfamilien von TF: (1) Transkriptionsfaktoren mit einer bHLHDomäne (basic-Helix-Loop-Helix domain) als DNA-bindender Struktur (s. Abb. 12.14b):
16.3 Die genetische Programmierung des Zentralnervensystems 16.3.1 Das künftige Nervensystem wird durch den Notch/DeltaEntscheidungsmechanismus von der künftigen Epidermis gesondert An den Rändern der Neuralplatte, aber auch innerhalb der Neuralplatte (erläutert im nachfolgenden Abschnitt), müssen sich die primären Neuroblasten von ihrer Umgebung abgrenzen. Dies geschieht mittels des Notch/Delta-Systems, dessen Funktion zur Vermittlung einer lateralen Inhibition in Abb. 10.1 vorgestellt worden ist. Im Prinzip präsentiert ein künftiger Neuroblast seinen Nachbarn ein stärker hemmendes Delta-Signal, als diese ihrerseits mit hemmenden Delta-Signalen dem Neuroblasten Kontra geben. Mit den Rezeptoren verhält es sich umgekehrt: Der in der Hemmkraft überlegene Neuroblast wird gegenüber der Hemmung durch seine Nachbarn zunehmend
Atonal-Gruppe: Sox3, Myogenin/ MyoD, Atonal, ASH, NEX, Mash1, HES (D Hairy and Enhancer-of-Split homologue), AS-C-(Achaete-Scute-Complex)Gruppe mit AS-C und ASH (human). (2) Transkriptionsfaktoren der Hox/paraHox-Klasse mit einer Homeodomäne als DNA-bindende Struktur (s. Abb. 12.14a und 16.13): Otx (im vorderen Kopfbereich und Gehirn), Emx, PAX6 (von besonderer Bedeutung bei der Entwicklung der Augen und weiterer Sinnesorgane im Kopfbereich). F. Überlebensfaktoren, welche das Überleben von Nervenzellen sichern und Synapsen stabilisieren. Vielfach involviert sind NGF (Nerve Growth Factor, s. Abschn. 16.5.3) und BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor).
unempfindlich; denn er zieht seine Notch-Rezeptoren zurück. Seine Nachbarn können dies aufgrund ihrer stärkeren Gehemmtheit nicht. Nach und nach wird die Richtung der Hemmung immer einseitiger, und schließlich ist der Neuroblast definitiv der Gewinner. Seinerseits von der anfänglichen Hemmung durch seine Nachbarschaft befreit, kann der Neuroblast Proneuralgene wie Neurogenin voll aktivieren (Abb. 16.10), während in den Nachbarn Neurogenin supprimiert wird. Stattdessen schalten die Nachbarn andere Genkomplexe ein. Bei künftigen Epidermiszellen von Drosophila ist der Epidermis-spezifische Enhancer of split-Komplex, Espl-C, Gegenspieler des neurogenen Achaete scute-Komplexes, As-C; bei der Maus erfüllt HES die Funktion des Gegenspielers. Später bei der Sonderung der künftigen Neuronen von Gliazellen tritt das Notch/Delta-System nochmals in Aktion. Der Sieger in diesem nochmaligen Zweikampf wird zum Neuron, der Verlierer zur Gliazelle.
418
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
Vertebrat
Insekt Bauchganglien
Neuralleiste
Neuralrohr
Neuralplatte Neurektoderm
Notch
Delta
Notch Notch
Espl-C/HES
Achaete/ Neurogenin
Achaete/ Neurogenin Delta
Nachbar
Epidermis
Abb. 16.10 Rolle des NOTCH/DELTA-Systems und der proneuralen Gene bei der Entscheidung für alternative Schicksale am Randes des künftigen ZNS. Die Entscheidung Neuroblast oder Epithelzelle, sowie Neuron oder Glia, fällt in zwei ursprünglich sehr ähnlichen Zellen. Beide produzieren hemmendes DELTA-Signal und besaßen anfänglich Rezeptoren des NOTCH-Typs zum Empfang des DELTA-Signals. Dank eines geringen Startvorteils dominiert der künftige Neuroblast mehr und mehr, in dem er mehr und mehr DELTA produziert, andererseits seine NOTCH-Rezeptoren abbaut und
Delta Espl-C/HES
Neurale Gründerzelle
Neurone u. Glia
sich so den hemmenden DELTA-Signalen der Nachbarschaft entzieht. Epidermis: In der linken, blauen Zelle spaltet eine Präsenilinprotease die intrazelluläre Domäne des NOTCHRezeptors ab, die in den Kern der Zelle gelangt und in einem Transkriptionsfaktor-Komplex Epidermis-spezifische Transkriptionsfaktoren einschaltet. Bei Drosophila ist dies der Genkomplex Enhancer of split, bei Vertebraten HES. Der Neuroblast (gelb) hingegen kann ungehindert proneurale Gene aktivieren. Das sind bei Drosophila Gene des Achaeta scute-Komplexes und bei Vertebraten Gene der Neurogenin-Gruppe
16.3
Die genetische Programmierung des Zentralnervensystems Reihen primärer Neuroblasten auf der Neuralplatte von Xenopus
419 Neuralrohr geschlossen
sensorische Neuronen der Spinalganglien und periphere Glia
Firstplatte sezerniert TGF-ß-Familie-Proteine, z.B. BMP4,5,7; DORSALIN
Interneurone
Interneurone und Motoneurone
b
a Interneurone
sensorische Neurone in Neuralleisten
Glia
Shh-Gradient
Bodenplatte sezerniert SONIC HEDGEHOG Shh
Interneurone u. Motoneurone
sensorische Neurone
TGF-β
dorsale Wurzel mit Spinalganglion
verschiedene Interneurone
Motoneurone ventrale Wurzel
c
Shh Rückenmark quer, adult
Shh/TGF-β-Verhältnis, embryonal
Abb. 16.11 Schicksal von Neuroblasten entlang der dorsoventralen Achse des sich entwickelnden Neuralrohrs und an der Entscheidung beteiligte Faktoren. a Reihen primärer Neuroblasten auf der Neuralplatte einer Frosch-Neurula. b Aus der Neuralplatte hervorgegangenes Neuralrohr. c Der SHH-Gradient
und der komplentäre Gradient von TGF-ˇ -Molekülen sorgen als Morphogengradienten für die selektive und regiospezifische Aktivierung von Transkriptionsfaktoren, über die wiederum bestimmte Neuronschicksale festgelegt werden
16.3.2 Die primären Neuroblasten erscheinen auf der Neuralplatte in sechs Streifen, in denen unterschiedliche Homöoboxgene exprimiert werden; dabei entdeckt man eine verblüffende Übereinstimmung zur Anlage des ZNS bei Insekten
dies nicht, dass sogleich alle Zellen zu Neuroblasten werden. Als man Neuroblasten-spezifische Gene entdeckt hatte und ihr Expressionsmuster durch Insitu-Hybridisierung sichtbar machte, bekam man Unerwartetes zu Gesicht: Auf der Neuralplatte wurden je drei Reihen von primären Neuroblasten beiderseits der Mittellinie sichtbar (Abb. 16.11, 16.12 und 16.13). Die zwei der Mittellinie direkt benachbarten Reihen enthalten künftige Motoneurone, die folgenden Reihen künftige Interneurone (und Glia); die lateralen Neuroblasten-Reihen geraten beim Verschluss des
Auch wenn in der gesamten Neuralplatte anfänglich proneurale Gene eingeschaltet werden, bedeutet
420
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane Drosophila Neurogenese
Abb. 16.12 Neurogenese bei Insekten. Auch bei der Sonderung der primären Neuroblasten von den zur Glia zählenden Stützzellen kommt das NOTCH/DELTA-System zum Einsatz
Neuroektoderm
Ventralseite des Blastoderms
weitere Entwicklung
Notch Delta
Neurone Notch Glia-Gene Neuron-Gene Delta
Notch Neuron-spezif. Gene Delta Glia-Gene
NeuronVorläufer GanglionMutterzelle Neuroblast
Glia-Stammzelle (Glioblast) Stützzellen
Neuronale Stammzelle (Neuroblast) Neurone Stützzellen
Neuralrohrs auf die Außenseite des Rohrs und werden so Teil der Neuralleisten; sie wandern später ab, um die Spinalganglien zu bilden und die periphere Glia zu liefern (Abb. 16.11, s. auch Abb. 16.15 und 16.16). Das Genom von Drosophila enthält, nicht sehr überraschend, zu Wirbeltieren homologe Neuroblasten-spezifische Gene; sie werden – und dies war ganz und gar überraschend – in der Anlage des ZNS ebenfalls in 6 Längsstreifen (Abb. 16.12) exprimiert, das stärkste Argument zugunsten einer basalen Homologie dieser in ihrer Endstruktur doch so verschiedenen Zentralnervensysteme. Auch wenn es um die Gliederung des Nervensystems in Gehirn und Rückenmark bzw. Bauchmark geht und deren weitere Regionalisierung entlang der Längsachse des Embryos, sieht man homologe Gene in ähnlichen Mustern exprimiert, beispielsweise die Gruppe der Hom/Hox B-Gene (Abb. 16.13).
16.3.3 Die Untergliederung des Gehirns wird von wechselnden Mustern der Genexpression eingeleitet und von lokalen Organisationszentren gesteuert Wie in den Abb. 16.11 und 16.13 dargestellt, werden im Bereich des künftigen Zentralnervensystems verschiedene Gene exprimiert, die im Tierreich entweder konservierte Transkriptionsfaktoren codieren oder lösliche, sekretierte Faktoren, welche steuernd auf die Nachbarschaft einwirken. Beispielsweise findet sich im Isthmus, einer Delle an der Grenze zwischen Mesencephalon und Metencephalon, eine Gruppe von Zellen, welche die Faktoren FGF-8 und WNT-1 erzeugen (Abb. 16.14). Diese sind Signalträger eines lokalen Organisationszentrums, das für die ortsgerechte Position des Mittelhirns sorgt. Wird ein von einem Spenderkeim entnommenes Stückchen eines solchen
16.3
Die genetische Programmierung des Zentralnervensystems
421
Expressionsmuster von Genen zur regionalen Aufgliederung der ZNS-Anlage A) Transversales Muster
B) Longitudinales Muster
Drosophila
Drosophila
Vertebrat
Vertebrat Pros- (TelDeuter-)
Gehirn Otx
otd
Protocerebrum
ems = Emx
DeutoTritoUnterschlund- en en 1 ganglion
en 2 4
Bauchmark
Rückenmark
a
Mesencephalon
Bauchganglien
Gbx2
Organisationszentrum
r1
1 5 4 6 6
2 r8
5
Rhombencephalon Rückenmark
b
msh sensorische N.
ind vnd
Hom b Hox b Msx 6,5,4,2,1 1,2,4,5,6 Gsh-1 Nkx-2.2 sensorische Neurone Interneurone
Interneurone
Interneurone Interneurone Motoneurone Motoneurone
Bezeichnungen bei Drosophila
c Arthropoda Grundmuster Ecdysozoa
Bezeichnungen bei anderen Tieren
orthodenticle
otx
unplugged
gbx
labial
hox1
deformed
hox4
fushi-tarazu
hox5
engrailed
Abb. 16.13 Expressionsmuster von Homöoboxgenen, welche die großräumige Untergliederung des Zentralnervensystems bei verschiedenen Organismen mitbestimmen. a, b Expressionsmuster von Homöoboxgenen in der Anlage des Zentralnervensystems bei Drosophila und Vertebraten im Vergleich. a Gene, welche die ersten Reihen von Neuroblasten programmieren, werden in lateralen Streifen exprimiert. Die mit gleicher Farbe markierten Gene von Drosophila und Vertebraten sind in ihrer Nukleotidsequenz sehr ähnlich, gelten demzufolge als homolog. b Expressionsmuster homologer Hox-Gene in der Längsachse des künftigen ZNS. Im Embryo von Drosophila wird eine Rei-
engrailed
Prostomium Kopf Rumpf
d Platynereis Annelida - Polychaeta Lophotrochozoa
he von Genen (hier otd, ems, en) in Querstreifen exprimiert, deren Homologe im Wirbeltierembryo in Längsstreifen zur Expression gelangen (Otd/Otx D orthodenticle, ems/Emx D empty spiracles, en D engrailed). Die Hox-Gene (D Hom-Gene) von Drosophila tragen aufgrund ihrer Entdeckungsgeschichte und Tradition eigene Bezeichnungen: 1 D lab, 2 D pb, 4 D Dfd, 5 D Scr; 6 D Antp (s. auch Abb. 4.39). c, d Vergleich der Expression und Namen von Homöboxgenen bei Arthropoden und dem Polychaeten Platynereis. a adaptiert nach Arendt und Nübler-Jung (1999); b adaptiert nach Cohen und Jürgens (1990); Reichert (2005); c, d adaptiert nach Steinmetz et al. (2011)
422 Abb. 16.14 Bildungsorte einiger löslicher Signalproteine an der Grenze zwischen Mittel- und Hinterhirn. Im Isthmus zwischen dem Mesencephalon und Metencephalon befindet sich eine Organisatorzone, in der u. a. die Signalproteine WNT-1 und FGF-8 in steilen Gradienten exprimiert werden. Diese haben eine wichtige Rolle bei der Etablierung der MittelHinterhirngrenze. Die Grenze wird weiterhin durch Otx2 und Gbx2 festgelegt
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
Isthmus FGF-8 Metencephalon . r1
r5 r2 r3 r4 Pons WNT-1 Sonic Hedgehog
Scheitelbeuge Isthmus Mesencephalon mit Tectum opticum Cerebellum
Metencephalon
Myelencephalon Axone der Retinaneurone Diencephalon Telencephalon
Ohrbläschen Pons
Organisationszentrums weiter caudal im Bereich des Nachhirns eingepflanzt, entsteht dort ein zweites Mittelhirn. Ein gleiches Ergebnis kann die ektopische Expression von FGF-8 haben. Bis die gesamte Grundarchitektur eines Gehirns verwirklicht ist, dürften weitere lokale Organisationszentren ihr Werk verrichten müssen.
16.4 Direkt ans Gehirn angeschlossene Sinnesorgane des Kopfes 16.4.1 Geruchsorgan, Geschmacksrezeptoren und Innenohr gehen aus Sinnesplakoden hervor Plakoden sind im Umriss kreis- oder ellipsenförmige Areale des Ektoderms, die invaginieren und Kontakt zum Neuralrohr/Gehirn gewinnen. Ihre ortsgerechte Bildung wird ausgelöst durch induktive Einflüsse des ZNS. Plakoden geben das Material ab für die Konstruktion bedeutender Sinnesorgane.
Nasenplakoden dehnen sich zu den paarigen Riechepithelien aus. Sie werden künftig primäre Sinneszellen mit eigenen ableitenden Axonen haben, welche ihren Weg in spezifische Sammelstellen des Riechhirns finden müssen. Dazu mehr im Abschn. 16.7.5. Die Ohrplakoden erfahren eine sehr komplexe Umgestaltung zum Vestibularapparat, dessen Bogengänge den Sinn für Drehbeschleunigung und dessen Maculae sacculi und Maculae utriculi die Sinne für Linearbeschleunigung, Gravitation und Gleichgewicht vermitteln. Der dritte Teil des Vestibularapparates wird lang ausgezogen und zur Gehörschnecke, der Cochlea, aufgerollt. Das Innenohr wird vom Gehirnnerv VIII (Nervus vestibuloocularis) innerviert, der vom Myelencephalon ausgeht. Epipharyngeale Plakoden (synonym epibranchiale Plakoden) liegen über den Kiementaschen. Sie werden künftig Geschmacksknospen hervorbringen. Diese enthalten sekundäre Sinneszellen ohne eigenen Axon. Ihre Information wird abgeholt von dendritischen Nervenfasern, welche von den
16.5 Das periphere Nervensystem und Zellmigration über weite Strecken
benachbarten Cranialganglien ausgehen. Cranialganglien sind auch Ursprung der Gehirnnerven VII (Nervus facialis), IX (N. glossopharyngeus) und X (N. vagus). Manche Autoren ordnen auch die Neuralleisten in die Kategorie der Sinnesplakoden ein; denn bei Fischen und wasserlebenden Amphibien gehen aus ihnen unter anderem auch die Seitenlinienorgane hervor. Diese rezipieren Strömungen, Staudruck und Wasserschall und sind evolutionsgeschichtlich Ursprung unseres Innenohrs. Auch wenn sie kein Sinnesorgan ist, sei ergänzend erwähnt, dass auch die Adenohypophyse aus einer Plakode, der Rathke-Tasche, hervorgeht.
16.4.2 Anfänglich indifferente Plakoden werden nach und nach auf ihre Bestimmung programmiert Nach vergleichenden Studien an verschiedenen Wirbeltieren, insbesondere aufgrund von Genexpressionsanalysen, stellt sich heraus, dass alle Sinnesplakoden aus einem gemeinsamen bandförmigen morphogenetischen Sinnesfeld hervorgehen, welches die Neuralplatte U-förmig umgibt. Insoweit könnte diese primäre Anlage als Teil der Neuralleiste angesehen werden, doch bleiben die Zellen des jetzt betrachteten Sinnesfeldes im Gegensatz zu den Zellen der klassischen Neuralleiste zunächst im Ektoderm. Sie exprimieren alle Transkriptionsfaktoren der SIX- und der EYFamilien. Das Feld untergliedert sich in Teilfelder, welche als geschlossene Epithelien invaginieren und direkten Kontakt zum ZNS gewinnen. Beim Vogelembryo, bei dem die Plakoden experimentell zugänglich sind, haben alle Plakoden primär die Kompetenz, Augenlinsen zu bilden. Sie erfahren ihre besondere, ortsgemäße Spezifikation durch Faktoren, die vom ZNS und Quellen ihrer Umgebung ausstrahlen. Zwei Beispiele: (1) Die Riechplakoden werden durch FGF-8 auf ihre bestimmungsgemäße Differenzierung geleitet. (2) Lateral von den Rhombomeren r4 bis r6 bilden sich die Ohrplakoden unter Einfluss von WNT-8, FGF-3 und FGF-10 sowie SHH in einem komplexen Induktionsprozess.
423
16.5 Das periphere Nervensystem und Zellmigration über weite Strecken 16.5.1
Das periphere Nervensystem mit dem sympathischen System und dem Nervennetz des Magen-Darm-Traktes wird von ausgewanderten Neuralleistenzellen aufgebaut; Weg und Zielort bestimmen ihr Schicksal
Ursprungsgebiet aller Zellen des Nervensystems ist die Neuralplatte einschließlich ihres Randes, den man Neuralleiste nennt. Die Neuralleiste enthält die Gründerzellen vieler verschiedener Zelltypen und Gewebe: Außer Nervenzellen und Gliazellen gehen auch die Pigmentzellen der Haut, die Knorpelzellen des KopfHals-Bereichs und manch andere Zelltypen aus der Neuralleiste hervor (Kap. 15). Geburtsort der Zellen und ihr definitiver Platz im Organismus können weit voneinander entfernt sein. Die Zellen müssen auf Wanderschaft gehen, bevor sie ihre terminale Differenzierung durchlaufen und ihre spezifische Funktion erfüllen können Darüber, wie im Einzelfall entschieden wird, was aus wandernden Neuralleistenzellen werden soll, und wie sie ihre weit verstreuten Kolonisationsorte finden, gibt es verschiedene Befunde und Vorstellungen. Ihre Determination kann demnach abhängen: a) von der Herkunft der Zellen, mit der eine basale Prädisposition verbunden sein kann, b) von Einflüssen, denen die Zellen auf ihrer Wanderschaft ausgesetzt sind und schließlich c) von Gegebenheiten am Zielort. Die Determination ist nach Art eines Ereignisbaumes organisiert (Abb. 16.15a).
16.5.2
Die endgültige Festlegung der Transmitterproduktion erfolgt erst am Bestimmungsort
Ein Experiment: Cervicale Neuralleistenzellen im Bereich des Nackens werden normalerweise zu parasympathischen, cholinergen Nervenzellen und produzieren
424
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
Neuralleistenzellen
Neuroglioblasten
Neuroblasten
nicht-neurale Zellen
Glioblasten
autonom
sensorisch
parasympathisch sympathisch
a
Spinalganglion Grenzstrang des Sympathicus
sensorischer Eingang Parasympathicus: Nervus vagus (vom Rhombencephalon kommend)
motorischer Ausgang
Grenzstrang Ganglion Neuralleisten-Derivat
Acetylcholin
b parasympathisches System
Noradrenalin Zielorgane sympathisches System
Abb. 16.15 Übergang vom Zentralnervensystem zum peripheren Nervensystem. Die Spinalnerven speisen über die dorsalen Wurzeln (sensorische Fasern) Information von Sinnesorganen in
das Rückenmark und leiten über die ventralen Wurzeln (motorische Fasern) Befehle in die Peripherie, z. B. zu den Muskeln oder in das vegetative Nervensystem
den Transmitter Acetylcholin. Thorakale Zellen im Bereich der Brust hingegen werden zu sympathischen, adrenergen Ganglien und produzieren den Transmitter Noradrenalin. Werden die Zellen vor Beginn ihrer
Wanderschaft experimentell ausgetauscht, so besiedeln die ursprünglich cervicalen Zellen den Brustbereich und werden ortsgerecht adrenerg statt cholinerg. Umgekehrt werden die ins Genick verpflanzten tho-
16.5 Das periphere Nervensystem und Zellmigration über weite Strecken Abb. 16.16 Entwicklung des peripheren Nervensystems aus ausgewanderten Neuralleistenzellen. Das periphere Nervensystem umfasst die Spinalganglien und das autonome Nervensystem mit Sympathicus, Parasympathicus und den Nervennetzen des Magendarmtraktes. Auch Zellen der Glia wie die Schwannschen Scheiden um lange Axone und die Adrenalin produzierenden chromaffinen Zellen des Nebennierenmarks leiten sich von Neuralleistenzellen ab
425
Peripheres Nervensystem Neuralrohr
Neuralleistenzellen
Spinalganglion
Somit
Nebennierenmark Grenzstränge des Sympathicus
rakalen Neuralleistenzellen nach ihrer Wanderschaft in das ihnen normalerweise nicht zugängliche Zielgebiet nun ortsgerecht zu cholinergen parasympathischen Neuronen. Ein zweites Beispiel für den Einfluss der Umgebung: Die sympathisch spezifizierte Zellpopulation gliedert sich auf in zwei Subtypen (Abb. 16.15, 16.16 und 16.17): 1. sympathische Neurone und 2. Adrenalin-produzierende „chromaffine“ Zellen des Nebennierenmarks; dieser zweite Typ entsteht unter dem Einfluss der GlucocorticoidHormone der Nebennierenrinde, welche das Mark umhüllt.
16.5.3 Nervenwachstumsfaktoren können chemotaktische Orientierungshilfe geben und dienen vor allem als Überlebensfaktoren Die Zellen der Neuralleiste, die das periphere Nervensystem aufzubauen haben, werden durch mancherlei
Eingeweideganglion Nervennetz des Darmes
Wegweiser zu ihren Zielen geführt, beispielsweise durch das Signalmolekül WNT-11 (s. Abb. 15.8). Das erste identifizierte, auf Distanz wirkende Signalmolekül ist jedoch der NGF (Nerve Growth Factor). Das Glykoprotein wird von Zielgebieten ausgesandt und wirkt auf spinale und sympathische Neuroblasten, aber nicht, wie zuerst vermutet und durch den Namen angedeutet, als zellteilungsförderndes (mitogenes) Stimulans. NGF wirkt vielmehr als wegweisendes Signal, welches auch das Auswachsen der Axone fördert und die Wachstumskegel der Axone zum Ziel lockt. NGF wirkt darüber hinaus als Überlebensfaktor; in der Nähe einer NGF-Quelle bleiben mehr Neurone übrig als von ihr entfernt. NGF ist ein Polypeptid, das aus einem Vorläuferkomplex herausgeschnitten wird. Der Komplex besteht aus 6 Untereinheiten; biologisch aktiv ist die ˇ-Untereinheit; sie bildet mit ihresgleichen ein Dimer. Der vom Zielgewebe freigesetzte NGF wird vom Wachstumskegel (s. Abb. 16.18) mit membranständigen NGF-Rezeptoren aufgefangen. Er löst eine Signaltransduktions-Kaskade aus und wird anschließend durch Endocytose internalisiert. Durch retrogra-
426 Abb. 16.17 Schicksal von Neuralleistenzellen. Auf ihrem Wanderweg können sie durch Signalmoleküle der Umgebung auf einen spezifischen Differenzierungsweg gelenkt werden. Durch FGF werden sie empfänglich gemacht für NGF (Nerve Growth Factor), den sie als sympathische Neurone zum Überleben benötigen. Im Nebennierenmark angesiedelte Zellen erhalten über die von der Nebennierenrinde gelieferten Hormone (Glucocorticoide) die Anweisung, zu Produzenten des Stresshormons Adrenalin zu werden
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
Gründerzelle aus Neuralleiste
Fibroblastenwachstumsfaktor FGF Nebenniere Rinde
Glucocorticoide (Cortisol, Cortison)
Nervenwachstumsfaktor NGF
chromaffine Zellen sympathisches Ganglion
Mark Adrenalin als Hormon Noradrenalin als Transmitter
den Transport gelangt der NGF in das Perikaryon, d. h. den kernhaltigen Hauptbereich der Zelle. NGF sichert in noch nicht bekannter Art das Überleben des Neurons. Es gibt mehrere NGF-Untertypen und NGFähnliche Faktoren. Sie ermöglichen das Überleben unterschiedlicher Subpopulationen von Nervenzellen und werden unter dem Begriff Neurotrophine zusammengefasst. Man spricht im Hinblick auf ihre Funktion als Überlebensfaktor, nicht eben glücklich, von einer „trophischen“ („ernährenden“) Funktion, obwohl biologische Signalmoleküle nur in Spuren zugegen sind und nicht der Ernährung dienen. Neurotrophine wirken lebenserhaltend auf Nervenzellen, die dem peripheren System angehören. Doch auch andere Nervenzellen sind auf Überlebenshilfen angewiesen; dies erfahren wir, wenn wir im Ab-
schn. 16.8.2 die Zuleitung motorischer Fasern zur Muskulatur verfolgen.
16.6 Navigation der Nervenfortsätze und Vernetzung der Nervenzellen 16.6.1 Die Vernetzung der Nervenzellen untereinander ist ein Prozess der Selbstorganisation Wenn Neuroblasten an ihrem Zielort angelangt sind, durchlaufen sie ihre terminale Differenzierung und bilden an einem Zellpol die Informationsempfangenden Dendriten, am anderen Pol das Informations-weiterleitende Axon aus. Axone müssen in Richtung ihrer Zielzellen (andere Nervenzellen,
16.6 Navigation der Nervenfortsätze und Vernetzung der Nervenzellen Abb. 16.18 Wachstumskegel an der Spitze von Axonen und Beispiele für Orientierungsmöglichkeiten an Wegweisermolekülen
Zellkörper (Perikaryon)
427
Wachstumskegel Axon
repulsive Zelloberfläche
repulsives, diffusibles Fernsignal, z.B. SEMAPHORIN
permissive Zelloberfläche
attraktives, diffusibles Fernsignal, z.B. NETRIN
Pionierfaser
Zelladhäsionsmoleküle z.B. FASCICLIN, N-CAM
Folgefaser
Muskelzellen, Sinneszellen oder andere Effektorzellen) auswachsen und synaptischen Kontakt mit deren Dendriten oder Perikaryen (zentrale Zellkörper) knüpfen. Eine Aufgabe unvorstellbarer Komplexität! Jede der 1011 Nervenzellen des adulten menschlichen Gehirns ist mit 100 bis 10.000 anderen synaptisch verknüpft. Es ist schier unmöglich, dass in der DNA ein exakter Plan der Verkabelung verborgen wäre; denn dafür würde die Speicherkapazität des gesamten Genoms (ca. 2 25:000 proteincodierende Gene) bei weitem nicht ausreichen. Die Verschaltung ist eine Leistung, die auf der Wechselwirkung der neuronalen Zellen mit ihresgleichen und mit Hilfsstrukturen (z. B. der Glia) beruht. Genetische Information erlaubt es den beteiligten Zel-
Suchbewegungen
len, Signalmoleküle herzustellen sowie Rezeptoren und Transduktionssysteme zum Empfang und zur Beantwortung der Signale aufzubauen. Alles weitere ist Selbstorganisation.
16.6.2
Auswachsende Axone haben mit ihrem Wachstumskegel eine mit Sensoren ausgestattete motile Führungsstruktur
An der Spitze der auswachsenden Nervenfortsätze findet sich ein sogenannter Wachstumskegel, eine mit dünnen, langen Filopodien und dazwischen breiten, flachen Lamellipodien ausgestattete Struk-
428
16
Rückenmarksausschnitt
Kommissuralneuron mit wachsendem Axon
NETRIN-2-Gradient (attraktiv) Motoneuron
NETRIN-1-Gradient SEMAPHORIN (attraktiv) (repulsiv) Bodenplatte (floor plate)
Abb. 16.19 Navigation von Axonen im Rückenmark. Gradienten von Netrinen (anlockend) oder Semaphorinen (abstoßend) dirigieren die Axone
tur (Abb. 16.18). Der Wachstumskegel kann sich eigenständig bewegen wie eine Amöbe; abgeschnitten kriecht er seiner Ursprungszelle davon. Man beobachtet kleine Wachstumskegel an der Spitze der Dendriten, große an der Spitze der Axone, und auf diese konzentriert sich die forschende Gesellschaft der Neurobiologen. Die Filo- und Lamellipodien sind mit membranständigen Rezeptoren als molekularen Fühlern ausgestattet. Die Podien werden ausgestreckt, eingezogen, ausgestreckt, und erkunden die Umgebung. Sie haben Pfadfinderfunktion. Die molekularen Rezeptoren auf den Wachstumskegeln nehmen Signale der Umgebung auf. Diese Signale sind entweder attraktiv oder repulsiv: Der Wachstumskegel wird vom Signalgeber angezogen oder abgestoßen (Abb. 16.18 und 16.19). Signalgeber sind die Endziele oder wegweisende Zwischenposten auf dem Weg zum Endziel.
16.6.3 Festverankerte Adhäsionsund Erkennungsmoleküle weisen Pionierfasern den Weg und markieren das Ziel Substrat- und zellgebundene Wegweiser Diffusible Fernsignale nach Art des NGF können keine präzi-
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
se Orientierung vermitteln, wenn Abermillionen und Abermilliarden von Axonen mit bestimmten, entfernten Zielzellen verknüpft werden müssen. Eine ausgeklügelte Technik stellt mittels Siliconmatrizen (s. Abb. 16.24) auf neutraler Unterlage (Glas, Filtermaterial) Felder oder Streifen biologischen Materials her, das auf die Orientierung Einfluss nehmen könnte. Dieses biologische Material sind Beläge aus extrazellulärer Matrix oder aus Vesikeln von Zellmembranen, die aus Zielgebieten oder Nicht-Zielgebieten stammen. Man lässt Axone auf solchen Substraten wachsen und nimmt mit Mikroskopkamera und Videorekordern ihr Verhalten auf. Werden die Axone vom Substrat, auf das sie beim Vorwachsen treffen, angezogen oder abgestoßen, oder hat das Substrat überhaupt keinen Einfluss auf Geschwindigkeit und Richtung des Vorwachsens? Aus solchen und ähnlichen Versuchen können Rückschlüsse über die Quellen von Information gezogen werden, welche die Wachstumskegel zu ihren Zielgebieten hin dirigieren: Rinnen, Falten und Kanäle im Substrat können physikalische Hilfen geben oder Hindernisse darstellen (Haptotaxis). Die chemisch-physikalische Beschaffenheit der extrazellulären Matrix ECM (Fibronectin, Laminin, Kollagene) fördert oder hemmt das Vorwachsen in eher genereller Weise. Die ECM kann aber auch durch gebundene Wachstumsfaktoren wie FGF sehr spezifische Funktionen übernehmen Wenn solche molekularen Strukturen an Dichte (Zahl pro Flächeneinheit) zunehmen, können sie nicht nur die Straße als solche kennzeichnen, sondern auch die Richtung zum Ziel anzeigen. Die molekulare Oberflächenausstattung der am Wege liegenden Zellen und der Zielzellen liefert spezifische Information, welche jedoch Axone verschiedener Herkunft unterschiedlich interpretieren. Ein Molekül, das für Neuron A attraktiv ist, kann für Neuron B repulsiv sein und es veranlassen, seine Wachstumskegel zurückzuziehen und sich in eine andere Richtung zu bewegen. Weitere molekulare Strukturen, die Wege und Ziele kenntlich machen, sind Zelladhäsionsmoleküle verschiedener Art, kollektiv CAMs (Cell Adhesion Molecules) genannt. Immer mehr neue Namen für Signalmoleküle aller Art tauchen auf, wie beispielsweise Netrine, Semaphorine (Abb. 16.18 und 16.19) und Collapsine (der Name ist Programm). Zum Empfang solcher Signalmoleküle hat der Wachs-
16.7
Der Anschluss des Auges und Riechepithels an das Gehirn
429
16.7 Der Anschluss des Auges und Riechepithels an das Gehirn
die Retina (Netzhaut) mit ihren Photorezeptoren und den Millionen von Nervenzellen, die im Auge selbst schon eine erste Datenverarbeitung vornehmen. Das Auge insgesamt entsteht unter der organisierenden Herrschaft der Meistergene Pax6, sine oculis und ey (Abschn. 12.3) sowie einigen Tausend weiterer „downstream“-Gene. Die gemeinsame Herkunft von Augen und Gehirn ist besonders anschaulich am Beispiel des Gehirns der Fische zu sehen. Hier gelingt es, das Verhalten von Neuroblasten im lebenden Embryo zu filmen. In Vorbereitung solcher Aufnahmen werden in die befruchteten Eier Plasmidkonstrukte mit einem Reportergen für eine grün oder rot leuchtende Variante des Green Fluorescent Proteins GFP eingeschleust. Das GFP-Gen ist mit einem Retina-spezifischen Transkriptionsfaktor (rx3-GFP) fusioniert. Die Filmaufnahmen zeigen: Die Augenanlage entsteht aus demselben Feld der Neuralplatte, das auch das Vorderhirn (Prosencephalon) hervorbringt. Zuerst liegt ein zentrales unpaares Feld vor. Wenn sich die Neuralplatte zum Neuralrohr formt, beginnen die künftigen Retinazellen auszuwandern und drängen nach außen. Es bilden sich zwei Felder, aus denen der Augenbecher entsteht (Abb. 16.20). Die weitere Entwicklung eines Auges ist am Beispiel der Amphibien gezeigt (Abb. 16.21). Aus dem posterioren Bereich des Prosencephalon, dem späteren Diencephalon, treten seitlich Augenblasen (optische Vesikel) hervor und blähen sich auf. Die Blase formt sich zum doppelwandigen Augenbecher um, dessen innere Wandung zur Netzhaut, dessen äußere zum Pigmentepithel wird. Die Linse des Auges wird von einer Linsenplakode geliefert, einer ektodermalen Verdickung, die sich bildet, wenn induzierende Signale der Augenblase das Ektoderm erreichen. Schon der Bezirk des Neuralrohrs, aus dem die Augenblase hervorgeht, beginnt solch induzierende Signale auszusenden. Die Linse löst sich vom Ektoderm ab, das sich über der Linse wieder schließt und alsdann über der Linse zur durchsichtigen Hornhaut (Cornea) wird.
16.7.1 Das Gehirn bildet selbst den zentralen Teil des Auges
16.7.2
Das Gehirn wird umgeben und ergänzt von Sinnesorganen, die für die Fernorientierung und die Kontrolle der Nahrung gebraucht werden. Das Auge ist in wesentlichen Teilen ein Ableger des Gehirns selbst. Wesentliche Teile meint hier
Die Retina (Netzhaut) des Auges ist, dies sei nochmals gesagt, Teil des Gehirns. Die Netzhaut des Menschen
tumskegel entsprechende Rezeptoren, die oftmals in die Kategorie der Rezeptor-Tyrosinkinasen gehören (Kap. 11). Auf Zellen des Zielgebietes mit zunehmender Dichte positionierte Signalmoleküle sind zuerst im visuellen System entdeckt worden. Sie heißen Ephrine und aktivieren spezielle EphrinRezeptoren (Eph-RTK D Ephrin-RezeptorTyrosinkinasen) auf den Wachstumskegeln der von der Netzhaut ins visuelle Zentrum hineinwachsenden Axone (s. unten Abschn. 16.7.3). Ephrine kommen in einer größeren Zahl von Varianten vor.
16.6.4 Vom Pionieraxon zum Nervenstrang: Zelladhäsionsmoleküle dienen als Bindemittel In vielen Bereichen des ZNS sind Millionen von Fasern zu Faserbündeln vereinigt; ein besonders mächtiges Bündel ist der Balken (Corpus callosum), der die beiden Hemisphären des Großhirns überbrückt. Auch „Nerven“, die vom ZNS in die Peripherie hinaus- oder von der Peripherie ins ZNS hineinführen, bestehen in der Regel aus zahlreichen, gebündelten leitenden Fasern (Axone und/oder Dendriten) und begleitenden Gliahüllzellen. Zuerst sucht eine Pionierfaser den Weg zum Ziel. Ihm entlang gleiten die Wachstumskegel später folgender Fasern. Parallel orientierte Fasern werden durch CAMs (N-CAM, Cadherine) zusammengehalten. Man nennt die Verklebung zum Axonbündel Faszikulation. Eines der CAMs heißt entsprechend Fasciclin (Fasciclin II entspricht N-CAM).
Retinotektale Projektion, die Verschaltung des Auges mit dem Gehirn, ist ein großes Thema der Entwicklungsneurobiologie
430
16
a
e
b
f
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
d
c
g
Abb. 16.20 Entwicklung des Auges bei einem Fisch Oryzias latipes. a–f Querschnitte, g Längsschnitt. a–d Künftige Retinazellen sind mittels des Transgens rx3-GFP grün leuchtend markiert. Sie bewegen sich in einem Umfeld rot markierter Neuralplattenzellen; Pfeile geben die Bewegungsrichtung an (nach Rembold et al. (2006)). Haben die grün markierten Zellen die Außenpositionen erreicht, bilden sie einen epithelialen
Verband und formen sich zum Augenbecher. Kommt dieser in Kontakt zum Ektoderm, induziert er die Bildung der Linse. Die von den Retinaneuronen eines Auges auswachsenden Axone bündeln sich zum Nervus opticus, ziehen alsdann zum Tectum opticum der gegenüberliegenden (kontralateralen) Seite, um sich dort voneinander zu trennen und mit ihren Wachstumskegeln die ihnen bestimmten (retinotopen) Endziele anzusteuern
enthält nicht nur die Photorezeptoren, die Stäbchen und Zapfen, sondern auch einige Millionen von Nervenzellen für eine erste Datenverarbeitung. Die ausgewerteten Primärdaten müssen weiter an Auswertstationen höherer Ordnung gemeldet werden. Daher verlassen retinale Axone gebündelt am blinden Fleck das Auge und wachsen mit ihren Wachstumskegeln in das Gehirn ein. Das gesuchte Gebiet ist das Tectum opticum bei Fischen, Amphibien, Reptilien und Vögeln; bei Säugern hingegen erreichen die Axone der retinalen Ganglienzellen nur den seitlichen Kniehöcker (Corpus geniculatum laterale). Dieser ist aber nicht Endstation, sondern eine Umschaltstation. Weitere Neurone übernehmen hier die Daten und senden sie weiter an das
– Primäre Sehzentrum V1 im Neocortex des Hinterhauptes. Von dort werden weiter prozessierte Daten an die – Sekundären Sehzentren (V2-V5) im Neocortex der Stirnregion gesandt. Bei Nichtsäuger-Wirbeltieren erreichen alle Axone des linken Auges gemeinsam das rechte Tectum, und umgekehrt alle Bahnen des rechten Auges das linke Tectum (Abb. 16.22). Bei Primaten hingegen splittet sich die von einem Auge kommende Axonpopulation zur Hälfte in kontralaterale und zur anderen Hälfte in ipsilaterale Fasern auf (Abb. 16.23). Bedenkt man noch, dass sich am Säugerembryo im Mutterleib nur mit größten Schwierigkeiten experimentieren ließe, ist klar, dass Forscher die Embryonen von Nichtsäugern (Fische, Amphibien, Vögel) als Model-
16.7
Der Anschluss des Auges und Riechepithels an das Gehirn
431
Augenfelder Linsenfeld Augenblase
Linsenplakode
Hypophyse
a
Mundraum
b
Zementdrüse
Augenbecher
Augenbecher
induzierte Linsenplakode
c
induzierte Linse
d
Diencephalon
Pigmentepithel Retina Linse
Linse
Cornea
Cornea
e Abb. 16.21 Amphibium. Entwicklung des Auges und Induktion der Augenlinse. Die Netzhaut des Auges entsteht aus Zellen des Gehirns, welche die Potenz haben, Photorezeptoren (Stäbchen und Zapfen) sowie Neurone (Ganglienzellen) zu bilden. Die Ganglienzellen leisten eine erste Datenverarbeitung und geben das Ergebnis an ein höheres Verarbeitungszentrum im Gehirn weiter. Bei Fischen, Amphibien und Vögeln ist dies das Tectum opticum des Mittelhirns. Folglich müssen die von den Ganglienzellen der Retina auswachsenden Axone die Tectum-
f opticum-Areale der gegenüberliegenden Seite erreichen. Das Auge wird ergänzt durch Hilfsstrukturen, die nicht von der Anlage des ZNS, sondern von Geweben der Umgebung gebildet werden. Dazu gehört die Linse. Die Kompetenz, Linse zu bilden, hat das ektodermale Linsenfeld. Die Linsenbildung selbst wird durch Induktionssignale aus dem Augenfeld (a) und später vom Augenbläschen und Augenbecher (b–d) hervorgerufen. Die Linse ihrerseits induziert in der überlagernden Epidermis die durchsichtige Cornea (e, f)
432
16
lobjekte für Augenentwicklung wählen, wiewohl bei der neuropsychologischen Untersuchung der Sehvorgänge Makaken die meistuntersuchten Modellobjekte sind. Verfolgt man den Kabelstrang des Nervus opticus (beim Fisch, Frosch oder Vogel), so sieht man, dass er sich im Endareal (Projektionsgebiet), dem Tectum opticum, wieder auffasert und dass sich die Einzelfasern auf ein breites Gebiet verteilen. Die Fasern enden auf definierten Neuronen in tieferen tektalen Schichten und bilden dort mit ihnen Synapsen. Je nach ihrem Ursprungsort in der Retina münden die Axone in verschiedenen, eng umschriebenen Arealen des Tectums. Man spricht von retinotektaler Projektion. Anders gesagt: Einer Landkarte auf der Retina entspricht eine (gedrehte) Kopie dieser Karte auf dem Tectum. Die Fasern verbinden punktgenau einander entsprechende Gebiete auf den beiden Karten (Abb. 16.23).
Die unterschiedliche Führung der Sehbahnen bei Nichtsäugern und bei Primaten lässt sich in Verbindung bringen mit der unterschiedlichen Ausrichtung der Sehfelder. Bei Nicht-Säugern (aber auch bei Steppen bewohnenden Säugern) sitzen die Augen seitlich am Kopf und sehen zwei (weitgehend) getrennte Welten; die vom linken und rechten Auge gelieferte Information kann getrennt im rechten und linken Tectum ausgewertet werden. Bei Primaten hingegen sind beide Augen nach vorne gerichtet und erfassen ein weitgehend deckungsgleiches Gesichtsfeld. Es ist deshalb zweckmäßig, die vom linken und rechten Auge gelieferten Daten miteinander zu vergleichen und gemeinsam auszuwerten. Damit dies auch geschehen kann, müssen die vom linken und rechten Auge einlaufenden Daten zusammengeführt werden, und zwar so, dass die vom gleichen Gesichtsfeldausschnitt kommenden Daten im selben (oder im benachbarten) Areal des Sehzentrums ausgewertet werden können (Abb. 16.23).
16.7.3
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
Wegweiser und Stoppsignale helfen den Nervenfasern, das Projektionsgebiet zu finden und zu erkennen
Auf ihrem Weg ins Gehirn begegnen die Wachstumskegel der optischen Fasern manchen Wegweisermolekülen. Die Literatur nennt beispielsweise Netrine und Ephrine, aber auch bekannte Morphogene wie Sonic Hedgehog und Mitglieder der WNT-Familie. Wir konzentrieren uns auf die Frage, wie das definitive Ziel erkannt wird, sowie auf den Modellfall des visuellen Systems beim Hühnchen. Das primäre Sehzentrum, das die Axone der Retinaneurone erreichen, wenn sie den Nervus opticus verlassen und ins Gehirn eindringen, ist das Tectum opticum (optisches Dach) des Mittelhirns. Beim Eingang in das Tectum müssen die Axone gemäß ihrer örtlichen Herkunft im Auge unterschiedliche Orte im Tectum finden. Die Theorie der neuralen Spezifität (auch: Chemoaffinitäts- oder Neurotropismustheorie) nahm an, dass die Zielzellen durch besondere Markermoleküle ihrer Oberfläche als Ziel für die ankommenden Wachstumskegel gekennzeichnet seien. Man spricht auch von der Area-code-Hypothese (PostleitzahlenHypothese). Da es jedoch Milliarden von Nervenzellen gibt, können nicht einzigartige Moleküle zur Kennzeichnung der Ziele benutzt werden; vielmehr müssen spezielle Kombinationen von Oberflächenmolekülen das Ziel kennzeichnen. Theoretische Überlegungen und Experimente haben zur Vorstellung eines relativ einfachen Koordinatensystems geführt, das mittels Konzentrationsgradienten erstellt wird und den Wachstumskegeln ermöglicht, ihre jeweilige momentane Position zu bestimmen. Übereinstimmend mit solchen Hypothesen existieren auf den Zelloberflächen des Tectums Erkennungsmoleküle, beispielsweise die Ephrine, deren Dichte einen richtungsweisenden Gradienten ergeben. Wenn, so die Vorstellung, zwei Gradienten von verschiedener Erkennungsmoleküle vorlägen, die im rechten Winkel zueinander angeordnet sind (Cartesianisches Koordinatensystem), könnten die Wachstumskegel ihre jeweils erreichte Position und ihr Endziel erkennen, indem sie die örtliche Konzentration beider Erkennungsmoleküle messen. Sie müssten allerdings
16.7
Der Anschluss des Auges und Riechepithels an das Gehirn
433
Auge Neurone der Netzhaut dorsal
ventral
nasal temporal
anterior
temporal viele Wnt-3Rezeptoren
anterior
Tectum opticum lateral
medial
a
b
posterior
posterior
WNT-3 und Ephrin-B
Ephrin-A5
Ephrinmoleküle auf Oberfläche der Gehirnzellen
WNT-3 und Ephrin-B
b a
Wachstumskegel an der Spitze der Axone mit Ephrinrezeptoren
Ephrin-A5
Abb. 16.22 Retinotektale Projektion beim Vogel. Die zum Nervus opticus gebündelten Axone der retinalen Neurone werden auf das kontralaterale Tectum opticum geführt. Die Wachstumskegel der Axone finden ihr Zielgebiet durch Abtasten der Oberfläche der Zellen im Zielgebiet. Die Oberflächenmoleküle im Zielgebiet, speziell die Ephrine, bilden Dichtegradienten, welche eine Groborientierung ermöglichen. Ephrine, von denen es mehrere Varianten (Isoformen) gibt, gebieten in der Regel dem Vorwachsen der Axone als Stoppsignale Halt. Axone
verschiedener Herkunft werden durch verschieden hohe Ephrinkonzentrationen zum Anhalten gebracht. a Entlang der anteroposterioren Achse bilden Ephrin-A-Moleküle das Stoppsignal. b Entlang der medio-lateralen Achse sind Ephrin-B und Wnt3a-Moleküle die Signalgeber (Schmitt et al. 2006). Zur Ruhe gekommene Wachstumskegel werden eingezogen; an ihrer Stelle werden zur gegebenen Zeit von den Axonen Synapsen mit ortsansässigen Neuronen gebildet
Vorkenntnisse darüber haben, welche Kombination ihnen angemessen ist. Beim Zielort sollte dann ihr Vorwärtskriechen zum Stillstand kommen. Soweit eine damals gewagte Hypothese, die sich mittlerweile in ihren Grundzügen als zutreffend herausgestellt hat: Ein antero-posteriorer Gradient. Ephrine sind entweder Mitglieder der Ephrin-A oder der EphrinB-Klasse. Die Variante Ephrin-A5 ist auf der Zelloberfläche der Neuroblasten des Tectums exponiert. Im posterioren Tectum ist ihre Dichte höher als im anterioren (Abb. 16.22). Der Wachstumskegel prüft, in welche Richtung die Dichte dieser
Moleküle auf den Zelloberflächen zu- bzw. abnimmt, und er bewegt sich voran, bis er an seinem Bestimmungsort zur Ruhe kommt. Das Stoppsignal am Zielort wird von Rezeptoren für Ephrin-A wahrgenommen. Sind alle Rezeptoren besetzt, kommt jede Bewegung zum Stillstand. Die Raffinesse das Systems liegt darin, dass die Axone je nach ihren Ursprungsorten in der Retina mit unterschiedlich vielen Rezeptoren bestückt sind. Axone, die von der temporalen (schläfennahen) Position des Auges kommen, haben nur wenig Rezeptoren. Die sind bald alle besetzt und der Wachstumskegel kommt
434
16 Retinotektale Projektion Säuger / Mensch
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
Retinaexplantat temporal nasal
Axonales Wachstum auf beschichteten Chips
Zellmembranpräparat vom posterioren Tectum Zellmembranpräparat vom anterioren Tectum
seitlicher Kniehöcker
Sehzentrum V1
Retinaexplantat temporal nasal
Zellmembranpräparat Dichtegradient
Dominanzsäulen
Abb. 16.23 Retinotektale Projektion beim Menschen. Es kommt zu einer partiellen Überkreuzung der Bahnen derart, dass die in den beiden linken Augenhälften gesammelte Information dem linken Sehzentrum, die in den rechten Augenhälften gesammelte Information dem rechten Sehzentrum zugeleitet wird. In den Sehzentren laufen (über die Zwischenstation der seitlichen Kniehöcker) abwechselnd Bahnen vom linken und rechten Auge ein, wo die Information von Neuronenverbänden, Dominanzsäulen genannt, aufgegriffen und verarbeitet wird. Dadurch wird ermöglicht, dass ein Gegenstand, der in einer Gesichtshälfte erscheint und von beiden Augen (getrennt) rezipiert wird, von den Sehzentren (V1) vergleichend analysiert werden kann
in seinem Vorwärtsdrang nicht weit; schon im vorderen Tectumareal wird ihm Halt geboten. Axone der nasalen Augenregion hingegen haben viele Rezeptoren; und diese sind erst allesamt besetzt, wenn der Kegel in das posteriore Tectumareal vorgedrungen ist, wo die Ephrinkonzentration höher ist. Sind dort genug Ephrinrezeptoren des Wachstumskegels mit Ephrinliganden der Tectumzellen in Kontakt gekommen, stellt der Wachstumskegel seine Vorwärtsbewegung ein und bildet mit den sich diffe-
Ephrin-Rezeptor Wachstumskegel
Ephrin-Signalmoleküle auf Membranfragmenten
Abb. 16.24 Orientierung der Wachstumskegel auswachsender Axone auf dem Substrat, das aus einer Schicht extrazellulärer Matrix (z. B. aus Laminin) und Membranbestandteilen der Zielzellen im Gehirn besteht. Ein Chip wird mit Membranbestandteilen unterschiedlicher Herkunft beschichtet; diese enthalten u. a. unterschiedliche Mengen an Ephrinen. Die Axone werden durch attraktive Membrankomponenten zum Vorwachsen stimuliert, durch repulsive Membranbestandteile abgelenkt und beim Erreichen einer bestimmten Dichte von Stoppsignalen (z. B. einer hohen Ephrindichte) zum Halten veranlasst
16.7
Der Anschluss des Auges und Riechepithels an das Gehirn
renzierenden Neuroblasten des Tectums Synapsen. Wie kam und kommt man solchen Mechanismen auf die Spur? Zur Prüfung der Ephrinwirkung ist ein Mikrosystem entwickelt worden, dessen Prinzip im Abschn. 16.6.3 vorgestellt wurde und nun für Fragestellungen zur retinotektalen Projektion konkretisiert wird (Abb. 16.24). Auf Silikonplättchen wurde über einer Lamininschicht eine Lage von Membranvesikeln aufgebracht, die aus den Zellen des Tectums gewonnen worden waren und Ephrinrezeptoren enthielten. Über diese Unterlage konnten die Wachstumskegel vorangleiten. Über die Teststrecke hinweg nahm die Konzentration der Ephrinmoleküle zu. Sie hatten in diesem Experiment, in dem Ephrine der A-Familie die Unterlage bedeckten, repulsive Wirkung. Daher wird angenommen, Ephrine der A-Familie wirkten vor allem als Stoppsignal. Medio-laterale Gradienten. In der Netzhaut verläuft in der Schicht der Ganglienzellen ein zweiter Gradient von Ephrin-Rezeptoren rechtwinklig zum nasal-temporalen Gradienten. Die von diesen Ganglienzellen auswachsenden Axone sind nicht nur mit Ephrin-A-, sondern auch mit EphrinB-Rezeptoren ausgestattet. Vom ventralen Gebiet der Netzhaut kommende Axone besitzen mehr Rezeptoren als die von der dorsalen Netzhaut kommenden. Dem ventro-dorsalen Gradienten der Ephrin-B-Rezeptoren im Axonbündel entspricht ein von ventral nach dorsal orientierter Gradient der Ephrin-B-Signalmoleküle im Tectum. Er liefert eine zweite Koordinate für die Ortung. Aus den lokalen Werten des ersten und des zweiten Gradienten kann der Wachstumskegel seine Position bestimmen – theoretisch. Das Orientierungssystem erwies sich allerdings bald als komplexer strukturiert; denn parallel zum Ephrin-B-Gradienten läuft ein WNT-3-Gradient (Abb. 16.22b). Die Neuroblasten des Tectums exponieren neben Ephrinen auch das Signalmolekül WNT-3 in unterschiedlich hoher Dichte; und die herankriechenden Wachstumskegel der Retinaaxone sind entsprechend auch mit unterschiedlich vielen WNT-3-Rezeptoren ausgestattet.
435
Die Untersuchungen auf diesem Gebiet werden erschwert durch den Umstand, dass es im Tectum mehrere Varianten von Ephrin-A- und Ephrin-B-Signalmolekülen mit überlappenden Verteilungsmustern gibt. Eine detaillierte Karte, die das Verteilungsmuster von allen Varianten und weiteren wegweisenden Molekülen enthielte, kann noch nicht gezeigt werden. Außerdem benehmen sich Axone nicht gleich; verschiedene retinale Axone können je nach ihrer Herkunft und ihrer Ausstattung mit Rezeptoren unterschiedlich reagieren. Dabei ist die Dichte der Ephrinbelegung von großer Bedeutung. Eine geringe Konzentration eines Ephrins kann attraktiv sein, eine hohe Konzentration kann „Halt!“ bedeuten oder gar repulsiv wirken. Eine weitere Komplikation ergibt sich aus dem Umstand, dass im ZNS Axone Seitenäste bilden, die ihrerseits von Wachstumskegeln in unterschiedliche Nahbezirke geleitet werden. Bei Millionen von Axonen und Abermillionen möglicher Zielzellen ist es ein kaum zu bewältigendes Unterfangen, die Zielgebiete für alle Axone genau zu beschreiben und die Bedeutung der örtlichen molekularen Ausstattung experimentell herauszufinden.
Die allgemeine Annahme ist derzeit diese: Eine spezifische, vom Ursprungsort des Axons in der Retina geprägte Kombination von Oberflächenrezeptoren auf den Wachstumskegeln muss mit einer bestimmten Kombination von Oberflächenmolekülen des Tectums zur Deckung gebracht werden. Bei optimaler Kongruenz hört der Wachstumskegel zu kriechen auf und versucht stattdessen, synaptischen Kontakt zu Zielzellen herzustellen.
16.7.4
Nach experimenteller Störung kann das Ziel erneut gefunden werden
Ein Experiment am Frosch: Das Auge wird herausgetrennt und um 180ı verdreht wieder eingesetzt. Die
436
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
proximale Axonabschnitte abgetrennte distale Axonabschnitte degenerieren regenerieren und wachsen in ursprüngliche Region
Auge ist um 180° gedreht
Ausgangszustand
Resultat
Abb. 16.25 Experimentell verdrehte Augen beim Frosch. Im Froschembryo wird nach Durchtrennung des Opticus der Augapfel um 180ı gedreht wieder in die Augenhöhle eingesetzt. Die Neurone der Retina lassen die abgetrennten Axone regenerativ nachwachsen. Die Axone finden ihre normalen Zielgebiete im Tectum opticum, doch fällt jetzt das Bild einer über dem Frosch
fliegenden Fliege nicht wie im Normalfall auf die anatomisch ventrale Augenhälfte, sondern auf die dorsale. Da der Frosch Bilder der dorsalen Hälfte so auswertet, als stamme der Reiz von ventral, schnappt er nach unten statt nach oben (adaptiert nach Sperry aus Reichert (1990), umgezeichnet)
Retinaneurone des Frosches regenerieren Axone, die mit ihrem Wachstumskegel das ursprüngliche, ihnen vorbestimmte Zielgebiet wieder finden. Da nun die alten Gebiete wiedergefunden werden, das Gehirn visuelle Information nach dem Herkunftsgebiet der Fasern auf der Retina auswertet, aber das Auge gedreht ist, was das Gehirn nicht weiß, „sieht“ der Frosch die Fliege, die über ihm fliegt, unten und schnappt nach unten (Abb. 16.25).
16.7.5 Riechsinneszellen haben molekulare Duftrezeptoren in ihren projizierenden Axonen; was tun sie damit?
Beim Menschen hat das ausgereifte visuelle System noch große Flexibilität. Setzt man eine Prismen-bestückte Umkehrbrille auf, ist die gesehene Welt anfänglich verdreht und man hat enorme Orientierungsprobleme. Über Tage und Wochen gelingt es aber dem Gehirn in einem Lernprozess, die gesehene Welt trotz Umkehrbrille zurückzudrehen.
Das Riechepithel der Nase des Säugers ist mit Millionen Sinneszellen besetzt, die zu 500–1000 verschiedenen Klassen gehören. Jede Klasse von Riechzellen ist auf eine bestimmte Klasse von Duftstoffen spezialisiert. Die molekularen Rezeptoren zum Einfangen der Duftstoffe sind in der Zellmembran der Cilien verankert. Alle gehören zum Typ der G-Protein-gekoppelten Serpentinrezeptoren (s. Kap. 11), zu denen beispielsweise auch der ˇ-Rezeptor für Adrenalin gehört. Die Rezeptoren verschiedener Klassenzugehörigkeit sind einander ähnlich (weshalb Fragmente des Adrenalinrezeptors als Sonden beim Screenen potenzieller Riechrezeptor-Gene verwendet werden konnten), doch sind sie eben nicht identisch, und es werden entsprechend etwa 1000 Gene benötigt, um sie alle herstellen zu können (Nobelpreis 2004).
16.7
Der Anschluss des Auges und Riechepithels an das Gehirn
Abb. 16.26 Künftige Riechzellen der Nasenschleimhaut suchen mit ihren Axonen ihr Ziel. Jeder Typ von Riechzellen – es gibt im Säugetier 350–1000 davon – exprimiert einen eigenen molekularen Rezeptor, der in die Membran der Cilien eingebaut wird und eine bestimmte Klasse von Duftstoffen einfangen kann. Der Rezeptor gehört dem 7-Transmembrantyp an. Zwei der 1000 (rot und blau) sind beispielhaft herausgegriffen. Alle Rezeptoren des gleichen Typs lassen ihre Axone gebündelt an die gleiche, für sie zuständige Auswertstation (Glomerulus) des Riechhirns sprossen. Überraschend enthalten die Membranen der Axone ebenfalls solche Riechrezeptoren, und zwar vom gleichen Typ wie die Sinnescilien. Diese molekularen Rezeptoren sind nach einer experimentell begründeten Hypothese zugleich Zelladhäsionsmoleküle (CAM). Indem sich die homotypischen CAM benachbarter Zellmembranen zusammenlagern, dienen sie der Zusammenführung und dem Zusammenhalt der zusammengehörenden Axone. Vergleiche hierzu die Farbtafel 12.9 plus Legende in Kap. 12
437
Riechschleimhaut
Riechsinneszellen sind primäre Sinneszellen mit einem eigenen Axon, das seinen Weg ins Riechhirn, den Bulbus olfactorius, finden muss. Alle Sinneszellen einer Geruchsklasse enden im Bulbus an ein und derselben Auswertstation (Abb. 16.26). Die Auswertstation nennt man Glomerulus (im Plural Glomeruli; aber nicht mit den Glomeruli der Niere verwechseln!). Nicht nur in der Embryonalentwicklung stellt sich diese Aufgabe der spezifischen Projektion; denn Riechsinneszellen sind kurzlebig. Nach nur etwa zwei Wochen muss eine Zelle gegen eine neue, die von Stammzellen geliefert wird, ausgetauscht werden. Auch diese muss wieder den rechten Weg finden.
Duftstoff (Odorant) x
Glomeruli im Riechhirn
Duftstoff (Odorant) y
Es hat sich zum Erstaunen aller herausgestellt, dass die molekularen Duftrezeptoren nicht nur in die Membran der sensorischen Cilien eingebaut werden, sondern in die Membran der Axone. Welche Funktion haben sie? Es ist wohl kaum anzunehmen, dass die Zielgebiete im Gehirn 500–1000 verschiedene Duftmoleküle aussenden, um die Axone zum richtigen Zielgebiet zu locken. Eine experimentell begründete Hypothese postuliert, die molekularen Rezeptoren wirkten wie homotypische Zelladhäsionsmoleküle und ermöglichten es Axonen der gleichen Klasse, sich mit ihresgleichen zusammenzutun (Abb. 16.26). Eben dies bedeutet ja homotypisch: Moleküle gleichen Typs
438
heften sich nach Art von Dimeren aneinander, und die benachbarten Zellen ballen sich dabei zusammen (coalesce). Die Hypothese besagt auch, ein Fernziel müsse in der Embryonalentwicklung gar nicht gesucht werden. Ein Teil der Zellen, die einen bestimmten Duftstoffrezeptor exprimierten, würden sich an coaleszierende Axonbündel anheften und so zu den Neuronen eines Glomerulus werden. „In this model, axons do not look for targets – they are the targets“ (Feinstein und Mombaerts 2004). Später im Leben können Axone dann einfach an ihresgleichen entlang wachsen, und finden so unschwer ihren Glomerulus. Bei den genannten Experimenten kamen transgene Mäuse zum Einsatz, die einen ganz bestimmten Duftstoffrezeptor gekoppelt an einen Reporterprotein herstellten. Das Reporterprotein war das grün leuchtende GFP oder das bakterielle Lac-Z. Das Ergebnis einer solchen Markierung ist auf der Farbtafel Abb. 12.9, Teilbild 2, zu sehen.
16.8 Im Rückenmark und vom Rückenmark in die Peripherie 16.8.1 Axone der Kommissuralneurone im Rückenmark werden durch attraktive und repulsive Fernsignale dirigiert Eines der am besten untersuchten Beispiele für eine Führung über (relativ) lange Distanz ist das gezielte Auswachsen der Axone von Kommissuralneuronen im Rückenmark. Deren künftige Aufgabe ist es, Information von dorsal gelegenen Neuronen zu ventral und auf der gegenüberliegenden (kontralateralen) Seite positionierten Neuronen zu leiten. Die Axone kriechen einem attraktiven Netrin-2-Gradienten entgegen, dem zum Schluss ein steilerer und höherer Netrin-1-Gradient zu Hilfe kommt. Sender der Netrinsignale ist die Bodenplatte des Rückenmarks (deren Zellen zu Glia werden). Die Sender müssen nicht notwendigerweise laufend Netrine nachliefern, um die Gradienten aufrechtzuerhalten. Einmal ausgeschieden, werden Netrinmoleküle an die extrazelluläre Matrix gekoppelt und so ortsfest gemacht. Wenn Axone die Seite gegenüber erreicht haben, werden sie zu Netrin-Vermeidern und durch repulsive Semaphorinsignale nach dorsal abgelenkt (Abb. 16.19).
16
16.8.2
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
Innervation der Muskulatur: Motorische Pionieraxone wissen, welches Ziel sie erreichen müssen
Muskeln werden von motorischen Neuronen des Rückenmarks innerviert. Die Motoneurone schicken Axone aus, deren Wachstumskegel den Weg beispielsweise in eine Extremität finden müssen. Einem erfolgreichen Pionieraxon folgend haben bald viele weitere Axone, zum Nerv gebündelt, den Weg gefunden. In der Extremität selbst muss sich der Kabelstrang wieder auffasern, und die Axone müssen sich aufgabeln; denn jeder einzelne Wachstumskegel hat ein anderes Muskelfaserbündel zum Ziel. Ein einzelnes Axon innerviert, sich in viele Zweige aufspaltend, ca. 1000 Muskelfasern. Klassische Experimente aus der Pionierzeit der Neurobiologie zeigen, dass motorische Nerven ihr Ziel finden, auch wenn die Zielsuche experimentell erschwert wird. Noch bevor die motorischen Axone ausgewachsen waren, wurden kleine Stücke des Neuralrohrs ausgeschnitten und um 180ı gedreht an derselben Stelle wieder eingesetzt. Die Wachstumskegel der motorischen Fasern fanden trotzdem ihre Muskelfasern (Abb. 16.27). Dass hierbei Irrtümer vorkommen, ist nicht nur Folge des Experiments; Irrtümer und ihre Korrektur spiegeln eine Strategie der Selbstorganisation wider. Werden Neuralrohrstücke weiter von ihrem Herkunftsort entfernt wieder eingepflanzt, wird das Ziel nicht mehr gefunden. Die Wachstumskegel der Fasern irren umher, falsche Ziele ansteuernd. Falls es von den Muskelfasern ausgehende Fernsignale gibt, reichen sie demnach nicht sehr weit.
16.8.3 Überschüssige und inkorrekte Verknüpfungen werden nachträglich abgebaut Muskelfasern werden häufig zunächst von zu vielen Axonen und synaptischen Endknöpfchen erreicht (Abb. 16.28). Erhalten bleiben Axone und Synapsen, die – weil korrekt verknüpft – auch regelmäßig benutzt werden, d. h. über die wiederholt Nervenimpulse vom Motoneuron zur Muskelfaser gefeuert werden. Wenn ein Embryo oder Fetus immer wieder zuckende Bewegungen macht, testet der Körper mittels Aktionspotentialen, die er vom ZNS in die Muskulatur
16.8 Im Rückenmark und vom Rückenmark in die Peripherie
439
Hühnchen: Innervation der Beinmuskulatur
Myoblasten Motoneuron, korrekt verschaltet Muskelfasern
normal Motoneuron, nicht korrekt verschaltet
Acetylcholinrezeptoren
gedreht Drehung des Rückenmarksegments
Synapsen durch Apoptose entfernt permanente Synapsen (motorische Endplatten)
Abb. 16.27 Innervation eines Beins durch motorische Fasern, die aus dem Rückenmark auswachsen. Wird das für die Innervation der Beinmuskeln zuständige Rückenmarkssegment vor dem Auswachsen der Fasern um 180ı gedreht, finden die Fasern dennoch den Muskel, den sie normalerweise innervieren sollten
schickt, die korrekte Verknüpfung. Dem Abbau überschüssiger, ungenutzter Synapsen scheint ein Konkurrenzkampf vorauszugehen. Es gibt Indizien dafür, dass Synapsen, die in Anspruch genommen werden, untätige Synapsen in ihrer Nachbarschaft unterdrücken. Wichtiger jedoch ist ein wechselseitiger Informationsaustausch zwischen Präsynapse und postsynaptischer Zielzelle, hier der Muskelfaser. Die aus dem Wachstumskegel des Axons hervorgehende Präsynapse regt die Muskelfaser an, vermehrt Rezeptoren für den von der Präsynapse freigesetzten Transmitter herzustellen und die Rezeptoren in Position unterhalb der Präsynapse zu bringen. Diese Stimulation wird vermittelt durch einen Faktor namens BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor), der vom elektrisch aktiven präsynaptischen Axonterminal freigesetzt und von der Postsynapse mittels eines spezifischen Rezeptors aufgefangen wird. Andererseits gibt es die Vorstellung, dass besondere, von der Muskelfaser sezernierte Überlebensfaktoren den Fortbestand der korrekt verknüpften motorischen Faser sichern, in Analogie zu den Überlebensfaktoren (NGF) im peripheren Nerven-
Abb. 16.28 Korrektur überflüssiger und falsch geleiteter motorischer Axone bei der Innervation von Muskelfasern. Eingerahmtes Teilbild: Quergestreifte Muskelfasern entstehen durch die Fusion mehrerer Myoblasten. Anfänglich wachsen mehr Fasern auf die Muskelfasern zu, als dienlich ist. Nur korrekt verschaltete Fasern, über die regelmäßig Aktionspotentiale geschickt werden, können den synaptischen Kontakt zur Faser auf Dauer aufrechterhalten. Unter solchen regelmäßig in Anspruch genommenen Synapsen sammeln sich die anfänglich noch ubiquitär in den Muskel-Zellmembranen lokalisierten Rezeptoren für den Transmitter Acetylcholin
system. So könnte der eben genannte BDNF nicht nur die Synapse (motorische Endplatte) stabilisieren, sondern zurückwirkend auch das Überleben der motorischen Zuleitung fördern. Nach weiteren stabilisierenden Faktoren wird gefahndet; sie spielen auch im ZNS eine große Rolle. Neurone, die keine synaptischen Verbindungen knüpfen oder aufrechterhalten können, werden durch programmierten Zelltod (Apoptose) eliminiert.
16.8.4
Regeneration von Nervenfasern erlaubt in günstigen Fällen eine Rehabilitation
Zugrunde gegangene Nervenzellen und primäre Sinneszellen (d. h. Sinneszellen mit eigenem Axon) des Menschen können im Allgemeinen nicht aus Stamm-
440
zellen regeneriert werden (Ausnahmen: Riechzellen in der Nase; restliche Stammzellen im Gehirn). Wohl jedoch können einzelne Nervenzellen, deren Perikaryon (zentraler Zellkörper mit Kern) intakt ist, abgetrennte Dendriten und Axone nachsprossen lassen. (Natürlich geht das Umgekehrte nicht: Ein distales Axonfragment kann nicht seine verlorene Mutterzelle mitsamt ihrem Zellkern regenerieren.) Auch bei der Innervation der Muskulatur ist Regeneration möglich; denn die Perikaryen der Motoneurone, deren Axone zur den Muskelfasern ziehen, sitzen ja nicht in der Muskulatur selbst, sondern im Rückenmark. Ebenso liegen die Kerne der sensorischen Neurone, die in umgekehrter Richtung von Sinnesorganen (Muskelspindeln, Haut) ins Rückenmark führen nicht im Rückenmark, sondern in den Spinalganglien (s. Abb. 16.15, 16.16). Nun sei ein Unterarm stark gequetscht und die Nervenfasern seien unterbrochen. In diesem Fall sterben die von ihrem Perikaryon abgetrennten distalen Teile der Fasern ab, die Hand ist über lange Zeit gelähmt. Die proximalen Axonreste im Arm können aber an ihrem Ende wieder Wachstumskegel ausbilden. Über Wochen und Monate können die aus dem intakten Bereich des Arms nachwachsenden Axone wieder in die Hand einwachsen. Neurochirurgen versuchen, Leitstrukturen für die Wachstumskegel der regenerierenden Axone einzupflanzen. Manchmal gelingt eine Rehabilitation: das Gefühl (über die sensorischen Fasern) und die Motorik (über die motorischen Axone) kehren zurück. Häufig bilden sich aber Barrieren an der Verwundungsstelle, welche von regenerierenden Axonen nicht überwunden werden können.
16.9 Plastizität: Korrekturen, Ausbau, Reserven 16.9.1 Nachträgliche Korrektur unpräziser Verknüpfungen ist ein allgemeines Prinzip der Selbstorganisation im Nervensystem Nicht immer finden die Wachstumskegel präzise ihr Zielgebiet. Oder die Positionsinformation, die auf den Zielzellen codiert ist, ist nicht korrekt. Das muss keine Katastrophe zur Folge haben; denn es sind nachträgliche Korrekturen möglich. Auch bei der retino-
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
tektalen Projektion sterben zahlreiche, nicht korrekt verknüpfte Neurone ab. Sie unterwerfen sich einer Apoptose. Gliazellen oder Makrophagen-ähnliche Zellen (Mikroglia) beseitigen die Reste. Wie im Einzelnen überprüft wird, was korrekt und was inkorrekt verknüpft ist, ist noch Geheimnis der Herstellerfirma „Gehirn“
16.9.2
Noch nach der Geburt werden – unter dem Einfluss von Umweltinformationen – Bahnen neu erstellt, andere reduziert
Kein Vogel und kein Mensch kommt mit einem Gehirn zur Welt, dessen Verschaltungsplan schon in allen Einzelheiten feststeht und ein für allemal festgelegt ist. Minutiöse morphologische Untersuchungen weisen darauf hin, dass bei Vögeln besonders während Phasen der Prägung manche Synapsen neu geknüpft, viele andere abgebaut werden. Auch für das Säugergehirn ist eine zunehmende Komplexität des Dendritenund Neuritengeflechts nach der Geburt beschrieben worden. Wird beim neugeborenen Säuger eines der beiden Augen verschlossen (Versuche an Katzen und Affen von DH Hubel, TN Wiesel u. a.) fallen die diesem Auge zugeordneten Projektionsgebiete, die sogenannten Dominanzbänder, im visuellen Cortex des Gehirns (Abb. 16.23) schmal aus, wohingegen die dem offenen Auge zugeordneten Dominanzsäulen kompensatorisch verbreitert werden. Dominanzsäulen sind Auswertbezirke, die mit Neuronen bestückt sind, welche aus den von den Augen angelieferten Daten bestimmte Merkmale in der gesehenen Welt (z. B. Richtung von Linien und Konturen) herausfiltern (Näheres in Lehrbüchern der Physiologie oder der Neurobiologie). Werden während der nachgeburtlichen Prägephase dem Auge überwiegend senkrechte Linien gezeigt, sind hernach die Merkmalsdetektoren für senkrechte Linien vermehrt. Visuelle Erfahrung führt zu langanhaltenden Veränderungen im visuellen Cortex; sie ermöglicht eine Feinabstimmung der Synapsenbildung in Adaptation an die Umwelt. Bleibt ein Auge des Versuchstieres während der Prägephase nach der Geburt längere Zeit verschlossen, verkümmern die diesem Auge zugeordneten Dominanzbänder und die Katze bleibt dauernd blind, obwohl das Auge selbst in Ordnung ist.
16.9 Plastizität: Korrekturen, Ausbau, Reserven
16.9.3 Lernen und Langzeitgedächtnis könnten auch Ausdruck einer fortwährenden Neu- und Umbildung von Synapsen sein Auch wenn nach Abschluss des körperlichen Wachstums nur noch in einigen kleineren Arealen des Gehirns neue Nervenzellen aus Stammzellen hergestellt werden können (siehe nachfolgender Abschnitt), bedeutet dies nicht, dass nun ein für allemal Ruhe eingekehrt sei und keine Veränderungen mehr stattfänden. Bei Vögeln und Säugern werden zeitlebens von vorhandenen Neuronen aus neue Zellfortsätze gebildet und neue Synapsen geknüpft; vorhandene Synapsen werden durch wiederholten Gebrauch konsolidiert, andere werden aufgegeben. Man bringt diese Vorgänge mit assoziativem Lernen (inklusive Prägung) und Langzeitgedächtnis in Beziehung.
16.9.4 Es gibt erschließbare zelluläre Reserven im und für das Gehirn – zumindest bei Vögeln Lange Zeit galt als Dogma, ab dem Alter von 20 Jahren stürben im Gehirn des Menschen täglich Hunderte von Nervenzellen; Ersatz werde nicht gebildet. Das Dogma, ein adultes Gehirn könne keine Nervenzellen mehr herstellen, galt allerdings für Singvögel schon seit Jahren nicht mehr. Ein Kanarienvogelmännchen beispielsweise erwirbt Jahr für Jahr sein Gesangsrepertoire neu; es wird von Jahr zu Jahr diese oder jene Strophe aus seinem Konzertprogramm nehmen, andere Strophen einfügen. Im Vorderhirn befinden sich zwei Zentren (Hyperstriatum ventrale pars caudale und Robustus archistriatalis), die beim Erwerb und Einüben des neuen Jahresrepertoires besondere Aktivität entfalten. Vor und während dieser produktiven Zeit liefern neuronale Stammzellen in der Wand der Ventrikel (subventrikulären Zone SVZ) neue Nervenzellen. Andererseits gehen im Herbst, wenn die Konzertsaison zu Ende geht, in diesen Zentren viele Neurone zugrunde. In jüngster Zeit, in der sich viele Forscher auf die Suche nach Stammzellen machen, gilt die traditionelle Lehrmeinung auch für Säuger nicht mehr; jedenfalls sind Nager dem Dogma nicht mehr unterworfen. Es wird immer öfter berichtet, dass in bestimmten Regionen des Gehirns teilungsbereite Stammzellen bereit
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lägen, um vielleicht Ersatz für funktionsuntaugliche Neurone zu liefern oder bei Bedarf die Kapazität eines Gehirnareals zu erhöhen. Bei Mäusen liefert die subventrikuläre Zone des Telencephalon Nachschub für verbrauchte Nervenzellen des Bulbus olfactorius. Die Abkömmlinge der Stammzellen wandern wie eine nimmer endende Karawane zum Einsatzort. Auch an der Basis des Hippocampus adulter Säuger, dem eine besondere Bedeutung zukommt, wenn eine Erfahrung in das Langzeitgedächtnis überführt werden soll, finden sich teilungsfähige Zellen. Bei Mäusen, denen eine erlebnisreiche Umgebung geboten wird und die veranlasst werden, ihr Lernvermögen zu nutzen und zu trainieren, werden aus diesem Reservoir zusätzliche Neurone gebildet. Überraschend haben diese Stammzellen das Aussehen von ausdifferenzierten Gliazellen (Astrocyten). Darüber hinaus können, jedenfalls im Experiment mit Nagern, bisweilen sogar Stammzellen aus dem Knochenmark, die normalerweise Blutzellen liefern, über den Blutkreislauf in das Gehirn gelangen und dort Neurone hervorbringen. Kapitel 18 widmet sich diesem Thema ausführlicher.
Zusammenfassung
Es wird die Entwicklung des Nervensystems bei Wirbeltieren zusammenfassend betrachtet. Im Embryo der Amphibien, die für die frühen Schritte der Neurogenese Modell stehen, erhalten die Zellen im Umfeld des animalen Pols maternale mRNA (wie sox3) zugeteilt, die ihnen eine basale Tendenz verleiht, Nervenzellen zu werden. Diese Tendenz wird zunächst durch Signale, die vom vegetativen Bereich ausstrahlen, speziell durch BMP-4, unterdrückt. Vom Spemann-Organisator ausstrahlende, neuralisierend wirkende Induktionsfaktoren wie NOGGIN und CHORDIN neutralisieren ihrerseits BMP-4, sodass die neurale Basistendenz zum Durchbruch kommen kann. In den Zellen der animalen Hemisphäre werden alsdann Gene für proneurale (neurogene) Transkriptionsfaktoren wie Neurogenin, NeuroD und viele weitere eingeschaltet. Morphologisch nimmt das Nervensystem seinen Ursprung aus zwei Bereichen der Neurula: 1. Das Zentralnervensystem, ZNS. Über dem induzierenden axialen Mesoderm (später Chorda und Somiten bildend) formt sich die animale
442
Kappe des kugelförmigen Keims zur Neuralplatte, diese zum Neuralrohr und dieses bildet das Zentralnervensystem ZNS, bestehend aus Gehirn und Rückenmark. Das Gehirn seinerseits gliedert sich erst in drei Abschnitte (Pros-, Mes-, Rhomb-encephalon); der letzte Abschnitt, das Rhombencephalon, ist segmental in Rhombomere gegliedert. Durch Aufgliederung des Prosencephalons in Tel- und Diencephalon sowie des Rhombencephalons in Cerebellum und Medulla oblongata entstehen fünf Gehirnabschnitte. Primäre Neuroblasten werden in der Neuralplatte der Wirbeltiere, und ebenso in der ZNS-Anlage der Insekten, in je drei Streifen beiderseits der Mittellinie ausgesondert. Die Bildung der Streifen geschieht in beiden Fällen unter dem Einfluss homologer Neuroblasten-spezifischer Gene. Die äußeren Streifen liefern sensorische Neurone, die inneren Motoneurone, die mittleren Interneurone. Sekundäre Neurone werden im wachsenden ZNS der Wirbeltiere in großer Zahl von Stammzellen des Neuroepithels (Ependym), welches das Lumen der Gehirnventrikel und des Rückenmarkkanals auskleidet, nachgeliefert. Die von den Stammzellen durch eine asymmetrische Teilung abgegebenen Neuroblasten wandern Gliafasern entlang in die Peripherie und ordnen sich von innen nach außen fortschreitend in oberflächenparallelen Schichten an, im Neocortex der Primaten in sechs Schichten. 2. Das periphere Nervensystem, PNS, geht aus Zellen hervor, die erst als Neuralleisten die Neuralplatte umranden, dann aber auswandern. Herkunftsort, Weg und Endziel bestimmen das genaue Schicksal dieser Wanderzellen. Das PNS besteht aus den Spinalganglien und dem autonomen vegetativen Nervensystem mit sympathischen und parasympathischen Ganglien sowie dem ENS, dem enterischen Nervennetz des Magen-Darm-Traktes. Im Zuge ihrer terminalen Differenzierung lassen Nervenzellen Fortsätze aussprossen: Dendriten zum Signalempfang, Axone zur Signalweiterleitung. An der Spitze der Axone befindet sich
16
Das Nervensystem und zentrale Sinnesorgane
ein sensorischer Wachstumskegel, der Pfadfinderfunktion erfüllt. Er kriecht mit Lamelli- und Filopodien voran und orientiert sich dabei an attraktiven oder repulsiven molekularen Signalen der Umgebung. Diese Signale können sein: diffusible, von den Zielzellen ausgesandte, attraktiv wirkenden Moleküle wie NGF (Nerve Growth Factor) und andere Neurotrophine, die speziell auf Zellen des peripheren Nervensystems wirken. Solche Neurotrophine wirken nicht nur als Chemoattraktantien, sondern auch als Überlebensfaktoren für die angelockten Nervenzellen. Weitere Signale können molekulare Komponenten der extrazellulären Matrix sein, und Oberflächenmoleküle besonderer Wegweiserzellen und des endgültigen Zielgebietes. Das Ziel wird an einem molekularen Code erkannt: Die Zielzellen exponieren auf ihrer Oberfläche eine bestimmte Kombination von Erkennungsmolekülen, z. B. Glykoproteine der EphrinProteinfamilie, während die Wachstumskegel mit dazu passenden Rezeptoren, oft vom Typ der Rezeptor-Tyrosinkinasen, ausgestattet sind. Bei jeweils optimaler Passung von Erkennungsmolekülen und Rezeptoren kommen die Wachstumskegel zum Stillstand, und es werden Synapsen gebildet. Die Zielfindung wird demonstriert am Beispiel der Kommissuralneurone des Rückenmarks, der Innervation von Muskelfasern und am Beispiel der retinotektalen Projektion, der Verkabelung des Auges mit dem Tectum opticum des Mesencephalons (Mittelhirn, Sehzentrum der Nicht-Säuger). Im Sehzentrum ermöglichen senkrecht zueinander verlaufende Gradienten von Ephrin A und B den Wachstumskegeln eine Ortung ihres Zielgebietes. Riechsinneszellen bauen ihre molekularen Duftrezeptoren nicht nur in die Membran ihrer sensorischen Cilien ein, sondern auch in die Membran ihrer Axone; dies ermöglicht die Bündelung von Axonen gleicher Duftstoffklasse und ihre Führung zu ihrem jeweiligen Auswertzentrum (Glomerulus) im Bulbus olfactorius (Riechhirn). Oftmals werden anfänglich zu viele und z. T. falsche Kontakte geknüpft. Die nachträgliche Korrektur erfolgt u. a. unter dem Einfluss von nervalen Testimpulsen (Aktionspotentialen bei Axonen).
16.9 Plastizität: Korrekturen, Ausbau, Reserven
Überschüssige Synapsen werden abgebaut, falsch verknüpfte Nervenzellen sterben durch programmierten Zelltod (Apoptose) ab. Auch nach dem Schlüpfen aus dem Ei oder der Geburt werden weitere Synapsen hergestellt, andere wieder aufgegeben. Diese Feinabstimmung geschieht nun aber unter dem Einfluss von exter-
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nen Sinnesinformationen und kann die strukturelle Basis für postnatale Prägung und für Langzeitgedächtnis sein. In bestimmten Arealen des Gehirns wie dem Hippocampus können nicht nur neue Synapsen, sondern aus Stammzellen auch neue, ganze Nervenzellen entstehen, möglicherweise bis ins hohe Alter.
17
Herz und Blutgefäße
Mesoderm
17.1 Vom scheinbaren Chaos zur Ordnung
Hämangioblasten
17.1.1 Herz und Gefäße entstehen in vielen räumlich getrennten Entwicklungslinien und bilden am Ende doch ein geschlossenes System Seltsam: Das Herz entsteht aus Wanderzellen, die sich zu zwei getrennten Herzanlagen zusammenfinden; Blutkapillaren bilden sich weitab und getrennt vom Herzen an Orten, deren Lage keineswegs genau definiert ist. Dennoch entsteht aus dem anfänglichen Chaos ein einheitliches System der Versorgung und Entsorgung, das zeitweilig höchst konservativ evolutionär ursprüngliche Strukturen rekapituliert. Aus vielerlei separaten Anfängen bildet sich ein geschlossenes System des Blutkreislaufs. Offensichtlich ist auch hier wie im Nervensystem eine Selbstorganisation am Werk, die über vielfältige Zellinteraktionen zuletzt hochgradige und reproduzierbare Ordnung schafft.
Hämatopoietische Stammzellen
Angioblasten
Blutzellen
Endothelien
Blutgefäße
Blutgefäße und Herz werden von wandernden Vorläuferzellen gebildet
Sowohl die sich überall ausbreitenden Blutgefäße wie auch das massive Herz werden in ihren Anfängen von amöbenhaften Wanderzellen hergestellt, die sich seitlich entlang des sich bildenden Vorderdarms und in der Peripherie zu röhrenförmigen Aggregaten zusammenfinden (Abb. 17.1). Diese wandernden Mesodermzellen haben folgenden Stammbaum (amöboid bewegliche Vorläuferzellen kursiv):
Myocardmyoblasten
Endocard
Myocard
Herz
Die Stammzellen für die verschiedenen Zellen des Blutes einschließlich der Zellen des Immunsystems werden in Kap. 18 (Stammzellen) behandelt. S. dazu Abb. 18.4 und 18.6.
17.2 Das Herz 17.2.1
17.1.2
Seitenplatten
Der „springende Punkt“ des Aristoteles, das Herz, entsteht aus herbeigewanderten Angioblasten und Myoblasten
Aristoteles sah, als er bebrütete Vogeleier öffnete, auf der Keimscheibe einen springenden Punkt (s. Box 1.1). Er war sich dessen bald klar: Das ist das schlagende, winzige Herz des entstehenden Embryos. Die Herzentwicklung wird nach wie vor gern am Vogelembryo untersucht (auch wenn das Modell Fisch stark aufgeholt hat). Die in der Vogelentwicklung relativ gut beobachtbaren Vorgänge laufen in ähnlicher
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_17,
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446
17
Herz und Blutgefäße
Neuralfalten
Splanchnopleura
a
Darm Myocardvorläufer
b
Angioblasten + Endocard vorläufer
c Endocard
Endocardschläuche
Myocard
Kiemenbogenarterien
Truncus arteriosus
d
e
f
g
Atrium
Venen
Ventrikel Truncus arteriosus
Atrium
beginnende Auftrennung
h
i Ventrikel
Abb. 17.1 Entwicklung des Herzens. Die anfängliche Herzanlage entsteht aus wandernden Angioblasten und Myocardvorläuferzellen, die sich zu einem paarigen Schlauch gruppieren (a, b). Die Angioblasten bilden die Innenwand der Schläuche, das Endocard, und die Myocardvorläufer die muskuläre Außenwand, das Myocard (c). Die paarigen Schläuche fusionieren bald zum
unpaaren Herzschlauch. Dieser legt sich in Schlingen (d, e, f) und gliedert sich in die Abschnitte Sinus venosus, Vorkammer (Atrium), Hauptkammer (Ventrikel) und Truncus arteriosus (g, h, i). Ventrikel und Atrien beginnen dann, sich in die beiden bei Säugern vollständig voneinander getrennten Herzkammern und Vorhöfe aufzuteilen
Weise bei anderen Wirbeltieren ab. Durch den Urmund bzw. die Primitivrinne eingedrungene, mesodermale Zellen kriechen nach Art von Amöben über das Entoderm nach vorn und versammeln sich links und rechts des sich formenden Vorderdarms zu zwei Aggregaten: den Herzfeldern.
Die beiden Herzfelder enthalten Zellen, die zur Konstruktion der inneren Herzschicht gebraucht werden. Endocard. Die Zellen der beiden Herzfelder kriechen unter den Vorderdarm, geleitet von FGF8-Signalen, und aggregieren zu zwei Strängen,
17.3 Blutgefäße: Vasculogenese und Angiogenese
die sich zu zwei Endothelschläuchen organisieren. Im Bereich des künftigen Herzens fusionieren die beiden Schläuche zum einheitlichen Endocardschlauch, aus dem die Innenschicht des Herzens hervorgeht. Myocard. Das kraftentfaltende, aus quergestreiften Muskelfasern bestehende Myocard des Herzens geht aus Vorläuferzellen hervor, die vermutlich aus der Splanchnopleura (s. Abb. 5.10) der Seitenplatten auswandern und sich um den Endocardschlauch scharen (Abb. 17.1). Pericard (Herzbeutel). Der doppelwandige Herzschlauch wird von den epithelialen Seitenplatten des Mesoderms eingehüllt; sie bilden (auch) das Pericard.
17.2.2
Vom sich krümmenden Schlauch zum gekammerten Herzen
Bald schon beginnt der Herzschlauch zu schlagen. Die ständige Bewegung stört die weitere Entwicklung nicht. Der sich verlängernde und erweiternde Herzschlauch krümmt sich S-förmig. In seiner Längsrichtung gliedert er sich in Atrium, den Vorhof, der das venöse Blut sammelt, Ventrikel, die kraftentfaltende Pumpe, und Truncus arteriosus (Conus arteriosus, Bulbus cordis), der das ausgeworfene Blut zu den Verteilern, den Kiemenbogenarterien, leitet. Ein solch einfaches Herz mit nur einer kraftentfaltenden Pumpkammer genügt dem Fisch zeitlebens, aber auch den Landwirbeltieren während der frühen Embryonalentwicklung; denn ein separater Lungenkreislauf wird zunächst nicht benötigt. Das Doppelherz entsteht durch das Einwachsen von Querwänden. Bei Amphibien und Reptilien bleiben diese Scheidewände unvollständig; bei Vögeln und Säugern werden sie ganz durchgezogen (vom Foramen ovale zunächst einmal abgesehen, s. Abschn. 17.4.2). Dies geschieht in Vorbereitung auf die Lungenatmung nach der Geburt; denn für den Lungenkreislauf und den großen Körperkreislauf braucht man eine doppelte Pumpe, die sauerstoffarmes und sauerstoffreiches Blut getrennt fördert und die hohen Widerstände in den Kapillaren überwinden kann. Es genügt freilich nicht, das Atrium und den Ventrikel mit einer Scheidewand in zwei Kammern
447
aufzuteilen. Auch die venösen Eingänge und die arteriellen Ausgänge des Herzens müssen aufgespalten werden und die verdoppelten Schläuche über Kreuz gelegt werden. Der Eingang muss aufgespalten werden in zwei Eingänge (vgl. Abb. 17.10): 1. einen Eingang, der das über die Hohlvenen aus dem Körper kommende venöse Blut in das rechte Herz führt, von wo es in die Lunge gepumpt werden kann, und 2. einen zweiten Eingang, welcher das aus der Lunge kommende (nach der Geburt arterielle) Blut in das linke Herz führt, von wo es in den Körper gepumpt werden kann. Entsprechend muss der Ausgang aufgespalten werden in 1. einen Ausgang, der aus dem rechten Ventrikel zur Lunge führt, und 2. einen Ausgang, der aus dem linken Ventrikel in den Körper herausführt. Wie das im Einzelnen bewerkstelligt wird, ist in humanembryologischen Spezialwerken beschrieben.
17.3
17.3.1
Blutgefäße: Vasculogenese und Angiogenese Vasculogenese: Die Blutgefäße entstehen unabhängig voneinander an vielen verschiedenen Orten
Angiogenese Im direkten Sinn des Wortes fasst der ursprüngliche Begriff alle Prozesse zusammen, die Blutgefäße entstehen lassen (Griech.: angeion D Gefäß; genesis D Erzeugung, Entstehung, Genese). In den letzten Jahrzehnten hat sich allerdings eine eingeengte Bedeutung verbreitet, und so wird heute der Begriff Angiogenese nur noch auf die Bildung von Seitenzweigen bezogen. Die ursprünglich weite Bedeutung klingt noch im Begriff Angioblast nach. Primäre Gefäße werden in der Embryonalentwicklung von Zellen gebildet, die noch immer Angioblasten und nicht Vasculoblasten genannt werden. Vasculogenese bezeichnet heute die primäre Erstentstehung von Blutgefäßen in der Embryonalentwicklung. Aufregend ist, wie und wo das Netzwerk der kleineren Gefäße und Kapillaren entsteht: Völ-
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17
MENSCH
Herz und Blutgefäße
VOGEL
Neuralfalten Chorda Mesoderm Primitivrinne
Kiemenbogenarterien
Somiten Somiten Blutinseln
Herz Dotterarterie
a1 22 Tage Somiten
b1
Auge
Blutinsel
48 Stunden
Kiemenbögen Herz
Dottersack
Nabelschnur
O2
26 Tage
CO 2
Blutinsel
a2
b2 Dottersack mit Blutinseln
Allantois (embryonale Harnblase) 96 Stunden
Abb. 17.2 Blutinseln bei Mensch und Vogel im Vergleich. Gemeinsam ist allen Wirbeltieren, dass die ersten Blutzellen außerhalb des Embryos im Bereich des Dottersackes (a1, a2) und, falls vorhanden, der Allantois (b1, b2) entstehen
lig getrennt vom Herzen und den großen Gefäßen entstehen Kapillaren an vielen Orten, den Blutinseln (Abb. 17.2) aus Hämangioblasten. Diese gliedern sich in zwei Zellpopulationen auf, die blutbildenden (hämatopoietischen) Stammzellen und die Angioblasten. Die Angioblasten werden zu Endothelzellen und bilden Netzwerke von Kapillaren (Abb. 17.3 und 17.4).
Mikroskopische Beobachtungen an lebenden, Transgen-markierten Fischembryonen haben verschiedene Arten der Gefäßbildung erkennen lassen. In jedem Fall aggregieren zunächst embryonale Angioblasten zu Strängen. In ersten feinen Kapillaren entstehen Hohlräume auf zwei verschiedene Arten. Beim ersten Modus bilden sich in den Zellen Vakuolen, die alsdann zellübergreifend miteinander
17.3 Blutgefäße: Vasculogenese und Angiogenese Primäre Vasculogenese in Blutinseln Hämangioblast Angioblasten
hämatopoiet. Stammzellen
Erythrocyt Endothelzellen
primäre Kapillaren durch Fusion von Vakuolen primäre Kapillaren durch Aggregation von Angioblasten um Erythrocyten
449
weitere, außen liegende Schicht bildend, glatte Muskelzellen (Abb. 17.4b). Ihre künftige Aufgabe wird es sein, im Dienste einer bedarfsgerechten Verteilung der Blutströme die Gefäßweite zu regulieren. Gesteuert wird die Verengung oder Erweiterung der Gefäße teils global durch Hormone, teils lokal durch das periphere vegetative Nervensystem. So sind denn auch viele Blutgefäße von axonalen Nervenfasern begleitet. Große Blutgefäße wachsen vom Herzen aus, aber nicht nur. An mehreren Orten im Embryo und im extraembryonalen Mesoderm, das Dottersack und Allantois umgibt, entstehen doppelwandige Schläuche ähnlich dem Herzschlauch. Sie sind nur dünner und die Zellen der äußeren Wandung werden nicht wie beim Herzen zu quergestreiften Muskelfasern, sondern zu glatten Muskelzellen. Nach und nach fusionieren die Schläuche zu den großen Venen und Arterien. Wie das alles wohl koordiniert wird?
17.3.2 Abb. 17.3 Primäre Vasculogenese. Nach Untersuchungen an transparenten Fischembryonen, deren Hämangioblasten mit GFP markiert waren, entstehen die ersten feinen Blutkapillaren im Umfeld der Blutinseln aus Abkömmlingen der Hämangioblasten, die sich in Reih und Glied anordnen. Sie ordnen sich röhrenförmig um Erythrocyten oder bilden intrazelluläre Vakuolen, die zellübergreifend zu einem lang gestreckten Lumen fusionieren
fusionieren (Abb. 17.3). Das Lumen der Kapillaren ist demnach von seiner Entstehungsgeschichte her betrachtet Zellinneres. Häufiger ist der Fall, dass Angioblasten zu Endothelzellen werden, die sich um Reihen von Erythrocyten herum lagern. Der wichtigste Modus jedoch, der auch zur Bildung großer Gefäße führen kann, ist dieser: Angioblasten aggregieren zu massiven Strängen (Abb. 17.4). Dann weichen die Zellen auseinander, erfahren eine apikal-basale Polarisierung, flachen sich ab und bilden ein einschichtiges Epithel, hier Endothel genannt. Wie es die Definition eines Epithels erfordert, bilden sich zwischen den Zellen Verschlusskontakte (tight junctions) und nach außen sezerniert der Endothelverband eine Basallamina. Dies geschieht in Kooperation mit Pericyten, die sich außen an die Kapillaren anlagern. Zu diesen gesellen sich, eine
Angiogenese: Blutgefäße werden durch angiogene Faktoren zu Wachstum und Verzweigung stimuliert
Blutkapillaren verlängern und verzweigen sich und finden den Weg in die Zielgebiete, die mit Blut versorgt werden müssen. Arteriolen finden zu Venolen (Abb. 17.5 und 17.6); Blutgefäßen. Wie wachsen sie und wie finden sie ihre Zielgebiete? Wachstum und Erweiterung des Kapillarennetzwerks gehen von Endothelzellen der vorhandenen Kapillaren aus. Insbesondere in den jungen Abschnitten der Gefäße sind die Endothelzellen noch teilungsfähig. Vorwachsen. An der Spitze von Blutkapillaren befindet sich eine motile Terminalzelle, die auf der Unterlage vorankriecht; hinter ihr teilen sich die Endothelzellen und verlängern so die Kapillare. Die Proliferation muss dem Wachstum des Organismus angepasst sein. Mit Blutgefäßen und damit auch mit Sauerstoff unterversorgte Gebiete senden angiogene Faktoren aus, welche die Vermehrung der Endothelzellen und darüber hinaus die Bildung von Seitenzweigen stimulieren (in Abb. 17.7 exemplarisch für Tumorgewebe gezeigt). Seitenzweige entstehen aus Endothelzellen, die zu neuen Terminalzellen werden (Abb. 17.4); hinter
450
17
Angiogenese Lumenbildung durch Fusion von Vacuolen
Vasculogenese
Herz und Blutgefäße
Lumenbildung durch Auseinanderweichen der Endothelzellen
Endothelzelle, sich teilend
Aggregation von Angioblasten
Terminalzelle
a
Endothelzelle
b
Basallamina Pericyte Glatte Muskelzellen Zielfindung gemeinsames Ziel
Vene
wechselseitige Attraktion unterversorgtes Gewebe
Arteriole
Arterie
c
Nervenfaser
Abb. 17.4 Vasculogenese und Angiogenese. a Vasculogenese: Größere Gefäße entstehen und verlängern sich durch Aggregation von Angioblasten. Der anfänglich massive Strang umgibt sich außen mit einer Basallamina und gewinnt einen Hohlraum durch Auseinanderweichen der Zellen in die Peripherie, wo sie ein einschichtiges Epithel, das Endothel, bilden. Bei sehr dünnen Kapillaren entsteht das Lumen der Gefäße durch Fusion von Vakuolen. b Um das Blutgefäß lagern sich Perizyten und glatte Muskelzellen. c In der Angiogenese entstehen Seitenzwei-
ge, sowohl an Kapillaren wie auch an größeren Gefäßen. An der Spitze wachsender Gefäße übernimmt eine bewegliche Terminalzelle die Führung und strebt einem angiogene Faktoren absondernden Ziel zu. Angiogene Faktoren regen auch die Bildung von Seitenzweigen an. Vielfach werden Blutgefäße von Nervenfasern begleitet. Der Wachstumskegel der Nervenfaser und die Terminalzelle der Gefäße haben ähnliche Strukturen, z. B. bewegliche breite Lamellipodien oder dünne Filopodien, und sie können auf die gleichen Signale ansprechen
17.3 Blutgefäße: Vasculogenese und Angiogenese
451
Wachstumskegel
Ziel
Axon Führung attraktiv: NGF, manche Ephrine repulsiv: Netrin-1, Semaphorin, SLIT, manche Ephrine
Neuron
Ziel Blutkapillare
angiogene Faktoren z.B. VEGF, manche Ephrine Terminalzellen anti-angiogen: Netrin-1, Semaphorin, SLIT, manche Ephrine
Abb. 17.5 Zielweisung durch chemotaktische Signale. Oben: Das auswachsende Axon eines sympathischen Neurons findet das Zielgebiet, das Neurotrophine (hier NGF) aussendet, mithilfe von Sensoren auf seinem Wachstumskegel, einer Struktur mit Lamelli- und Filopodien. Der aufgefangene NGF wird dann internalisiert (oben links) und fungiert als Überlebensfaktor. Unten: Die Terminalzelle einer Blutkapillare ist ebenfalls mit Filopodien und Sensoren ausgestattet, um das Zielgebiet zu su-
chen. Dieses sendet angiogene Faktoren aus. Nicht selten sind neurotrophe und angiogene Faktoren identisch; so haben manche Ephrine auf der Oberfläche wegweisender Zellen in niederer Konzentration attraktive Wirkung sowohl auf den Wachstumskegel wie auf die Terminalzellen wachsender Blutkapillaren, während Ephrine in hoher Konzentration und die als Signalmolekül ausgesandten Netrin-1, Semaphorin und SLIT in der Regel abweisende Wirkung haben
ihnen setzt Proliferation ein. Die Zahl neu entstehender Seitenzweige ist eine Funktion der Konzentration angiogener Faktoren. Es sind vielerlei angiogene Faktoren gefunden worden, unter diesen auch alte Bekannte: VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) in mehreren Isoformen, HGF (Hepatocyte Growth Factor), HepatocytenWachstumsfaktor, Angiopoietine sowie verschiedene Mitglieder der bFGF (basic Fibroblast Growth Factor)-Familie, ferner TGF-˛ (Transforming Growth Factor alpha), manch andere exotische Faktoren wie das dem Physiologen als Sättigungshormon bekannte Hormon Leptin (wie andere Hormone auch, hat es offenbar in der Embryonalentwicklung eine andere Funktion als im erwachsenen Organismus) und, gänzlich überraschend, NGF (Nerve Growth Factor).
17.3.3 Wachsende Kapillaren finden ihr Zielgebiet wie Nervenfasern: Sensorische, motile Terminalzellen haben Pfadfinderfunktion und gehorchen oftmals den gleichen Wegweisern und Fernsignalen wie axonale Wachstumskegel Wer den vorigen Abschnitt gelesen hat und noch einige Erinnerungen an das Kap. 16 „Nervensystem“ haben sollte, dem wird es wie ein Déjà-vu-Erlebnis vorkommen: Viele Faktoren, die Axone der Nervenfasern dirigieren, sie abstoßen oder anziehen, tauchen mit gleicher oder ähnlicher Funktion wieder auf, wenn es um das Vorwachsen der Blutgefäße geht. Bei der Zielsuche gibt es erstaunliche Parallelen zur Zielsuche der Nervenfasern. Die an der Spitze der Blutkapillaren befindlichen Terminalzellen sind ebenso wie die Wachstumskegel der Axone mit Filopodien ausgestattet und erfüllen Pfadfinderfunktionen (Abb. 17.4, 17.5,
452
17
Herz und Blutgefäße
Angiogenese
Arteriole
Blutgefäß angiogene Faktoren
Oberflächenmarker: Ephrin-B2a
Tumor Ephrin-B4
Terminalzelle
Venole
Abb. 17.6 Fusion von Arteriolen und Venolen. Die Terminalzellen an den Spitzen der Kapillaren erspüren die Nähe potenzieller Fusionspartner und bewegen sich aufeinander zu. Mit der Fusion erlischt die Funktion der Terminalzellen. Bestimmte Oberflächenmoleküle wie verschiedene Mitglieder der Ephrinfamilie verhindern, dass Arteriolen mit Arteriolen, Venolen mit Venolen fusionieren. Sie begünstigen andererseits an der Spitze der Kapillaren die Fusion von Venolen und Arteriolen zum Kapillarbett
17.6 und 17.7). Sie orientieren sich wie die Wachstumskegel der Nervenfasern an diffusiblen Signalen, die von entfernten Zielen ausgesandt werden und, je nach betrachtetem System, angiogene Faktoren oder Neurotrophine genannt werden. Das periphere Nervensystem und Blutkapillaren folgen beispielsweise, wie eben gesagt, dem Nerve Growth Factor NGF. Sie orientieren sich auch an Zelladhäsions- und Zellerkennungsmolekülen, die sie lokal vorfinden, beispielsweise – wieder in Parallele zur Orientierung der Wachstumskegel von Nervenfasern – an Erkennungsmolekülen der Ephrin-Klasse. Um diese aufspüren zu können, sind die Terminalzellen der Kapillaren wie die Wachstumskegel der Axone mit Rezeptoren ausgestattet, die zur Kategorie
Seitenzweig
Abb. 17.7 Anlockung von Blutgefäßen durch einen Tumor, der damit eine gute Versorgung erreicht
der Rezeptor-Tyrosinkinasen vom Typ der Ephrinrezeptoren gehören. Andererseits gibt es Signale auf Wegweisern, die Terminalzellen wie Wachstumskegeln befehlen, ein bestimmtes Gebiet zu meiden und den Kurs zu ändern. Solche repulsiven Signale sind beispielsweise Netrin-1 und Semaphorin. Unter dem Einfluss der von entfernten Zielgeweben ausgesandten angiogenen Faktoren entstehen zusätzlich weitere Terminalzellen an den Flanken der vorwachsenden Kapillaren; sie werden zum Ursprung von
17.4 Anpassung des Kreislaufs vor und nach der Geburt
453
Abb. 17.8 Arteriensystem im Säugerembryo. Um der Übersichtlichkeit willen ist das venöse System nicht eingezeichnet
Seitenzweigen. So kann ein weites Territorium ausreichend mit Blut versorgt werden.
togenen Wirkung berüchtigten einstigen Schlafmittels Contergan.
17.3.4 Tumore sorgen für ihre gute Versorgung, indem sie angiogene Faktoren aussenden; es gibt jedoch auch anti-angiogene Faktoren und damit Hoffnung
17.4 Anpassung des Kreislaufs vor und nach der Geburt
Historisch ist man angiogenen Faktoren (speziell den VEGF) auf die Spur gekommen, indem man transplantierte Tumore beobachtete. Sie werden bald von vielerlei Blutkapillaren erreicht und durchzogen und dadurch gut mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt, allzu gut; denn das fördert ihr schnelles Wachstum. Tumore senden angiogene Faktoren aus und benehmen sich in dieser Hinsicht wie Gewebe, die mit Sauerstoff unterversorgt sind. Mühsame Forschung über Jahrzehnte hat aber auch zur Entdeckung von anti-angiogenen Faktoren geführt. Im Tiermodell kann mit ihrer Hilfe nicht nur das Wachstum frisch transplantierter Tumoren begrenzt werden; auch das Schrumpfen und Verschwinden schon gewachsener Tumoren wurde erreicht. Als Beispiele für anti-angiogene Faktoren seien erwähnt: Angiostatin und Thrombospondin-1 (TSP-1), aber zum Beispiel auch Thalidomid, der Wirkstoff des wegen seiner tera-
Der Kreislauf wird nicht geradewegs so konstruiert, wie es dem späteren Eigenleben des werdenden Menschen und Tieres angemessen ist. Der embryonale Kreislauf ist an spezielle Erfordernisse des Embryos angepasst, lässt aber auch unnötig erscheinende Reminiszenzen an die evolutive Vergangenheit erkennen. Als solche Reminiszenzen betrachtet man beispielsweise die vier bis sechs „Kiemen“bogenarterien (Schlundbogenarterien) der embryonalen Landwirbeltiere, die keine Kiemen mehr zu versorgen haben und bald erheblich umkonstruiert werden müssen (Abb. 17.8 und 17.9). Auch wenn die Bögen, so wie sie angelegt werden, nur transitorisch sind, dürften sie nicht nutzlos sein. Die vermutete Funktion bei der Organisation der Entwicklung im visceralen KopfHalsbereich muss freilich noch erforscht werden. Die Kiemenbogenarterien werden bei allen Wirbeltieren von einem Herzen versorgt, das in drei lineare
17.4.1
Der frühe Embryo hat einen Kreislauf ähnlich dem eines Fisches
454
17
Abb. 17.9 Konstruktive Umgestaltung der vom Herzen abgehenden arteriellen Gefäße im Zuge der Embryonalentwicklung eines Säugers. a Erste Gefäße in der Embryonalentwicklung (nicht immer alle angelegt); b Umgestaltung noch vor der Geburt, die noch kollabierte Lunge ist nicht angeschlossen; c nach der Geburt, der Ductus Botalli wird reduziert
Herz und Blutgefäße
Carotiden
1. 2. 3.
4. Aortenbogen
4. 5.
6. Ductus Botalli Lungenarterie
6.
Lunge
a
b
Carotiden
Aortenbogen Ductus Botalli, sich rückbildend
Hohlvenen
Lungenarterie
c
Abschnitte gegliedert ist: Atrium, Ventrikel (Hauptkammer), Truncus arteriosus (Abb. 17.1 und 17.9). Funktionell ist dies eine einheitliche Pumpe, und es ist der Endzustand beim Fisch. Funktionell ist der Kreislauf des fetalen Landwirbeltieres aber auch dann noch dem eines Fisches ähnlich, wenn seine Vor- und Hauptkammern fast vollständig in je zwei Kammern geteilt und die Kiemenbogenarterien weitgehend umkonstruiert sind; denn noch funktioniert die Lunge nicht. Der Fetus bezieht Sauerstoff über die Nabelvene, und er leitet im Austausch Kohlendioxid über die zwei Nabelarterien ab (Abb. 17.10). Ort des Gasaustausches sind die Zotten der Plazenta. Funktionell sind die Plazentazotten Kiemen: Sie tauchen ja in eine wässrige Flüssigkeit,
das mütterliche Blut, dem sie O2 entnehmen und dem sie CO2 überantworten.
17.4.2
Die Umstellungen nach der Geburt sind dramatisch und müssen vorbereitet werden
Die Umkonstruktionen der Blutgefäße, die als Arterien vom Herzen wegführen oder als Venen zum Herzen hinführen, sind Vorbereitungen, die der Embryo treffen muss, um rechtzeitig auf Luftatmung umschalten zu können. Im Fetus führt die Nabelvene, die das sauerstoffreiche Blut herbeischafft, über die großen Hohlvenen in die rechte Vor- und Hauptkammer, von
17.4 Anpassung des Kreislaufs vor und nach der Geburt
a
455
b
Vor der Geburt
Nach der Geburt Lunge, luftgefüllt
Lunge kollabiert, wassergefüllt
Ductus Botalli, kollabiert
Ductus Botalli Foramen ovale, durch Klappe verschlossen
Foramen ovale, offen
Vena cava
Vena cava
Leber
Leber
Plazenta
Darm Nabelgefäße
Organe
Abb. 17.10 Umschaltung des embryonalen Blutkreislaufs von der Plazentaatmung auf die Lungenatmung nach der Geburt. a Da die noch funktionslosen Lungen nur gering durchblutet sind, liegt funktionell ein Einkreissystem vor wie beim Fisch.
wo nach der Geburt venöses Blut in die Lunge gepumpt wird. Noch aber ist die Lunge kollabiert; es wäre nicht zweckmäßig und wegen des hohen hydrodynamischen Widerstandes kaum möglich, das gesamte Blut durch die funktionslose, kompakte Lunge zu jagen. Will nun aber der Embryo den über den Nabelstrang besorgten Sauerstoff bevorzugt dem Kopf und Rumpf zuleiten, muss das Blut erst von der rechten zur linken Hauptkammer umgeleitet werden. Es gibt eine Passage zwischen den Vorhöfen, das Foramen ovale (ovales Loch; Abb. 17.10). Nach der Geburt müssen unverzüglich die Lungen aufgebläht, die Blutgefäße durch die Lunge aufgeweitet und die Passage zwischen den Herzen geschlossen werden (Abb. 17.10). Hierbei hilft ein FibronektinPolster, das durch den steigenden Druck ein schnelles Verkleben des Foramen ovale erlaubt. Der erste Atemzug ist ein lebensrettendes Unterfangen; denn die dauerhafte Vermischung sauerstoffreichen und sauerstoffarmen Blutes ist für die sogenannten „blauen Babies“ lebensgefährlich und muss operativ beseitigt werden.
Organe
Die Plazentazotten funktionieren als Kiemen. b Nach der Geburt wird ein zweites, zur Lunge führendes Kreissystem geöffnet: Dem (großen) Körperkreislauf steht nun der (kleine) Lungenkreislauf zur Seite. Die Lunge kann in Funktion treten
Zusammenfassung
Herz und Blutgefäße entstehen aus amöboid wandernden Vorläuferzellen. Blutgefäße entstehen in der frühembryonalen Vasculogenese (Gefäßbildung) und Angiogenese (Bildung von Seitenzweigen) unabhängig voneinander an vielen Orten aus Angioblasten der Blutinseln. Erste Blutinseln findet man im frühembryonalen Wirbeltier im Bereich des Dottersacks. Bei der Verlängerung und Verzweigung der Blutkapillaren suchen motile Terminalzellen an der Spitze der wachsenden Blutkapillaren die Zielgebiete. Diese Gebiete werden wie bei Nervenfasern gefunden, indem die Terminalzellen Oberflächenmoleküle (z. B. Ephrine) der Umgebung abtasten oder sich von angiogenen Faktoren anlocken lassen, die von den Zielorten ausgesandt werden. Ein wichtiger angiogener Faktor heißt VEGF. Er wird vor allem von Geweben ausgesandt, die mit Sauerstoff unterversorgt sind. Oftmals orientieren sich die motilen Terminalzellen der Kapillaren und die motilen Wachstumskegel der Nervenfasern an gleichen Wegweisern und es
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entstehen parallele Systeme der Versorgung. Angiogene Faktoren können zugleich das Wachstum und die Verzweigung der Kapillaren stimulieren. Besonders reichlich produzieren Tumoren solche Faktoren. Das Herz entsteht aus Vorläuferzellen, die unter den Vorderdarm kriechen und dort zu einem Herzschlauch aggregieren. Angioblasten, die von einem paarigen Herzfeld beiderseits der Achsenorgane zuwandern, bilden das Endocard des Schlauches, von den Seitenplatten zuwandernde Myoblasten das Myocard. Der Herzschlauch krümmt sich Sförmig und gliedert sich in Vorkammer, Ventrikel und Truncus arteriosus. Funktionell ist das so entstandene Herz eine einzige Pumpe; sie treibt das Blut in 4–6 Kiemenbogenarterien. Dies ist der End-
17
Herz und Blutgefäße
zustand beim Fisch. Bei Landwirbeltieren werden in Vorbereitung auf die Lungenatmung durch Einziehen von Scheidewänden die Kammern sekundär zweigeteilt, bei Vögeln und Säugern vollständig. Die so angestrebte Verdoppelung der Pumpe erzwingt auch eine Umkonstruktion der Blutgefäße. Der Kreislauf des fetalen Säugers zeigt Besonderheiten in Anpassung an das Leben im Mutterleib. Seine Plazentazotten sind funktionell Kiemen; ein Loch (Foramen ovale) zwischen den beiden Vorkammern des Herzens ermöglicht die Weiterleitung des über den Nabelstrang bezogenen sauerstoffreichen Blutes zum Gehirn und in den übrigen Körper. Bei der Geburt muss dieser Kurzschluss verschlossen werden.
Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin
18
18.1 Die stetige Grunderneuerung des Organismus; Stammzellen des Menschen
18.1.2
18.1.1 Ein Organismus muss im Mindestfall laufend seinen Bestand an Makromolekülen erneuern
Stammzellen sind teilungsfähige, nicht oder unvollständig differenzierte Zellen, die einerseits wieder Stammzellen hervorbringen, deren weitere Abkömmlinge andererseits dazu bestimmt sind, zu differenzierten Zellen heranzureifen. Häufig teilen sich Stammzellen asymmetrisch: Eine Tochterzelle bleibt Stammzelle, die andere wird in einen Differenzierungspfad gelenkt. Stammzellen sind ein Thema, das lange Zeit in der Biologie ein Schattendasein fristete, heute aber im gleißenden Rampenlicht steht und ein großes Publikum anspricht. In der Vielfalt der Informationen, werbewirksam in therapeutische Verheißungen eingepackt, kommt die basale Funktion dieser Zellen oftmals zu kurz. Ihre primäre Funktion im Embryo, Gründer verschiedener Zell-Linien zu sein, hat lange nur zell- und entwicklungsbiologische Spezialisten interessiert. Erst im Kontext potenzieller medizinischtherapeutischer Anwendungen ist der Begriff embryonale Stammzellen auch einem breiten Publikum nicht mehr fremd. Für die aktuelle medizinischpharmazeutische Industrie und ihre Kundschaft sind jedoch eher die postembryonalen Stammzellen von praktischer Bedeutung. Um ein wissenschaftliches Fundament zu legen, seien zuerst in aller Kürze die zwei wesentlichen Funktionen fetaler und postembryonaler Stammzellen genannt:
Der Begriff Regeneration wird gewöhnlich mit dem Ersetzen verlorener Körperteile gleichgesetzt. Eine solche reparative und kompensatorische Wiederherstellung des Verlorenen ist indes nur ein spezielles, wenn auch auffälliges Ereignis, das Erneuerung und Ersatz bringt. „Re-Generation“ heißt „Wieder-Erzeugen nochmals Hervorbringen“. In diesem allgemeinen Sinn gibt es Regeneration auf allen Ebenen des Lebens, auch auf der Ebene der Makromoleküle. Proteine erfahren im Laufe der Zeit irreversible Veränderungen (Denaturierung) und müssen immer wieder durch neu synthetisierte ersetzt werden. Ohne Erneuerung kommt es zum Funktionsverlust der Proteine und damit zum Tod der Zelle. Experimentelle Erfahrung lehrt, dass Erneuerung des molekularen Bestandes, und damit Verjüngung, vor allem im Zuge von Zellteilungen geschieht. Zellteilungskorrelierte Verjüngung verleiht der Einzelzelle potenzielle Immortalität. Terminal differenzierte, teilungsunfähige Zellen sterben früher oder später. Diese Beobachtung und ihre Ursachen werden wir im Kap. 21 näher untersuchen.
Stammzellen haben zwei dominante Funktionen: Sie ermöglichen Wachstum und fortlaufenden Ersatz verbrauchter Zellen
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_18,
457
458
1. Fetale und jugendliche Stammzellen ermöglichen vielen Organen Wachstum. So basiert das enorme Wachstum des menschlichen Großhirns auf einer Kollektion sich asymmetrisch teilender Stammzellen, welche die Ventrikel umgeben (s. Abb. 16.7) und deren Töchter teils Stammzellen bleiben, teils neue Nerven- und Gliazellen hervorbringen. (Weil viele embryonale Stammzellen im Laufe der weiteren Entwicklung ihren Stammzellcharakter verlieren, sollte man besser von Gründerzellen sprechen.) 2. Stammzellen, die als sogenannte adulte Stammzellen zeitlebens ihren Stammzellcharakter behalten, ermöglichen vielen Organen eine lebenslange Regeneration. Dies wird in den folgenden Abschnitten näher dargelegt.
Das älteste wissenschaftliche Werk, in dem nach unseren bisherigen Ermittlungen das Wort „Stammzellen“ zu finden ist, ist eine umfangreiche Abhandlung des Freiburger Zoologen August Weismann über „Die Entstehung der Sexualzellen bei Hydromedusen“ (G. Fischer, Leipzig 1883). Es werden in diesem Werk nicht nur Medusen, sondern auch Arten behandelt, bei denen nicht Medusen, sondern Polypen die Geschlechtszellen hervorbringen, wie Hydractinia echinata (s. Abb. 4.18, 18.12). Im Abschnitt über dieses Hydrozoon (S. 82) wird erstmals das Wort „Stammzellen“ verwendet; es werden die Vorläufer von Keimzellen so bezeichnet. An anderen Stellen des Werkes werden „UrKeimzellen“ als „Stammzellen der Keimzellen“ definiert. Weismann spricht auch von „indifferenzirten Zellen, die mehrere DifferenzirungsMöglichkeiten in sich bergen“ (S. 279). Auch der Begriff „Keimbahn“ stammt von Weismann. Der Hinweis auf das lange Zeit verschollen gewesene Werk Weismanns soll zugleich ein Hinweis darauf sein, dass das Prinzip Stammzellen evolutionsgeschichtlich uralt ist. Über Stammzellen und Regeneration bei Tieren verschiedener Art informiert Abschn. 18.5.
Die Erneuerung des Zellenbestandes ist in früheren Abhandlungen als „physiologische“ Regeneration bezeichnet worden im Unterschied zur „reparativen“
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin
Regeneration, in der verlorene Körperteile wieder hergestellt werden.
18.1.3 Kurzlebige Zellen müssen durch neu erzeugte Zellen ersetzt werden; Ersatz liefern stets teilungsbereite Stammzellen Die in der frühen Embryonalentwicklung hergestellten Zellen, Gewebe und Organe müssen in der Regel im Zuge des larvalen oder juvenilen Wachstums vergrößert werden. Doch selbst nach Abschluss des äußerlich wahrnehmbaren Wachstums kommen bei vielen Organismen, bei Vertebraten ebenso wie bei Hydra, Proliferationsprozesse nicht generell zum Stillstand; denn viele Zellen haben eine nur kurze Lebensdauer und müssen laufend durch neue ersetzt werden. Bisweilen sind auch voll differenzierte Zellen noch teilungsfähig. Beispiel hierfür sind die Hepatocyten der Leber. Vielfach verlieren jedoch Zellen im Zuge ihrer Differenzierung ihre Teilungsfähigkeit oder gar ihren gesamten Kern, wie die Keratinocyten der Haut und die Erythrocyten des Blutes. In solchen Fällen müssen für Wachstum und Erneuerung Zellen bereitstehen, welche die Teilungsfähigkeit bewahrt haben und erst nach ihrer Vermehrung ihre Differenzierung beenden dürfen. Sie sind als Stammzellen definiert. Geben solche Stammzellen zeitlebens nie ihren „embryonalen Charakter“ auf und lassen sie sich gar unbegrenzt in der Zellkultur züchten, heißen sie auch immortale Stammzellen. Im lebenden Organismus dürfen allerdings keineswegs alle Tochterzellen von Stammzellen selbst Stammzellen bleiben, sonst würde eine exponentielle Wachstumsrate rasch Tumoren entstehen lassen. Stammzellen im adulten Organismus sind durch folgende Eigenschaften gekennzeichnet: 1. Sie dienen der Selbsterneuerung (self-renewal) einer Zellgruppe, eines Gewebes oder Organs. 2. Sie bleiben zwar stets teilungsfähig, teilen sich jedoch langsam und nur bei Bedarf. 3. Sie teilen sich in der Regel asymmetrisch: Nur eine der beiden Tochterzellen bleibt Stammzelle, die andere muss einen Differenzierungsweg einschlagen. Manchmal ist diese Aufteilung in Bewahrung des Stammzellcharakters einerseits und der Differenzierung andererseits nur im statistischen Mittel verwirklicht, in anderen Fällen findet eine strik-
18.1
Die stetige Grunderneuerung des Organismus; Stammzellen des Menschen
te asymmetrische Teilung statt, die zwei unterschiedlich programmierte Tochterzellen liefert. Je nachdem, ob die Abkömmlinge einer Stammzelle alle überhaupt möglichen Differenzierungswege einschlagen können, viele verschiedene (aber nicht alle) oder nur einen einzigen Weg, spricht man von totipotenten (D omnipotenten), pluripotenten (D multipotenten) oder unipotenten Stammzellen. In der medizinischen Literatur sind weitere Unterscheidungskriterien in Gebrauch gekommen; danach solle bedeuten: Totipotenz (Omnipotenz) ist die Fähigkeit einer einzelnen Zelle, einen vollständigen Organismus hervorzubringen, oder die Fähigkeit einer Stammzelle, alle Zelltypen hervorzubringen einschließlich Keimzellen und Zellen des Trophoblasten bzw. der Plazenta. Totipotent sind im menschlichen Embryo alle Zellen des sich furchenden Keims bis zum Achtzellstadium. Zellen der Keimbahn bleiben als Keimzellen totipotent. Sie enthalten in ihrem Kern mRNA oder das Protein des Gens vasa (Kap. 8) und exprimieren die für Totipotenz essentiellen Faktoren NANOG (Homöoboxprotein), Oct-4 (Transkriptionsfaktor mit POU-Domäne), SOX-2 (Transkriptionsfaktor) und Faktoren der PIWI-Proteine (mit kleinen piRNA interagierend). Pluripotenz ist die Fähigkeit von Stammzellen, Zellen verschiedenster Art hervorzubringen, die jedem der drei Keimblätter angehören können. Zellen des Trophoblasten jedoch sind nicht mehr im Programm. Ob auch Keimzellen aus ihnen hervorgehen können, lässt die Definition offen. Pluripotent sind im menschlichen Keim die Zellen der inneren Zellmasse der Blastocyste; werden sie entnommen und in Kultur gehalten, heißen sie embryonale Stammzellen (Abb. 18.1). Molekularbiologisch sind sie durch die Aktivität besonderer Pluripotenzgene gekennzeichnet. Manche Gene, so Chd1, sind dafür zuständig, das Chromatin im aufgelockerten, zugänglichen Zustand zu halten. Von besonderer Bedeutung sind weiterhin die Gene Nanog, Oct-4 und Sox-2. In Kooperation mit Sox-2 unterhält Oct-4 eine positive Rückkopplungsschleife der Selbstaktivierung (vergleichbar Abb. 12.15) und hält die Zelle im Zustand der Pluripotenz. Nach einer Zellteilung ist Oct-4 weiterhin in (mindestens) einer der zwei Tochterzellen aktiv, sodass diese im pluripotenten Zustand
459 innere Zellmasse mit Oct4 und nanog RNA Trophectoderm mit cdx2 RNA
embryonale Stammzellen ES
Zona pellucida
Blastocyste
Abb. 18.1 Blastocyste der Säuger mit innerer Zellmasse, der Quelle der embryonalen Stammzellen
verbleibt. Weiteres zum Thema Pluripotenzgene s. Abschn. 18.4. Multipotenz ist die Fähigkeit einer Zelle, Abkömmlinge hervorzubringen, die sich in eine Vielzahl verschiedener Zellen differenzieren können, welche aber als Derivate nur eines Keimblattes gelten. Beispiele: die entodermalen Stammzellen der Dünndarmzotten und die mesodermalen blutbildenden Stammzellen des Knochenmarks. Oligopotenz haben Stammzellen, die nur noch zwei oder wenige verschiedene Zelltypen liefern, beispielsweise die lymphoiden Stammzellen des blutbildenden Systems. Auch neurale Progenitor(Vorläufer-)Zellen lassen sich dieser Kategorie zuordnen; sie werden durch das Gen Sox-2 in ihrem noch unvollständig differenzierten, teilungsfähigen Zustand gehalten. Unipotenz ist die Fähigkeit einer Stammzelle, einen einzigen differenzierten Zelltyp zu liefern, z. B. die Stammzellen der Epidermis der Haut (Abb. 18.2). Unter den Zellen der neuralen Kategorie sind es die Sinneszellen der Riechschleimhaut, die kurzlebig sind und ständig aus einem Reservoir von Stammzellen nachgeliefert werden. In der Praxis wird jedoch diese Einteilung nicht streng durchgehalten, und sie ist, weil auf plazentale Säugetiere zugeschnitten, nicht allgemein auf andere Lebewesen übertragbar. Trophoblast und Plazenta sind Strukturen, die nur bei plazentalen Säugetieren vorkommen. Auch ist diese Gliederung sprachlich nicht gut begründet; denn es werden Begriffe unterschied-
460 Abb. 18.2 Stammzellen der Haut; ihre normgerechte Differenzierung zu Keratinocyten und Carcinombildung durch unvollständige terminale Differenzierung (adaptiert nach Alberts et al. (1994), umgezeichnet und erweitert)
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin Hornschicht
Carcinom
Basallamina
Stratum germinativum
Blutgefäß Metastase
Abb. 18.3 Erneuerung der Dünndarmvilli aus Stammzellen; diese befinden sich an der Basis der Krypten. Die Abkömmlinge der Stammzellen geraten in die Villi und werden schließlich an der Spitze der Villi abgestoßen (adaptiert nach Alberts et al. (1994)). Die abgestoßenen Zellen setzen bei ihrem Zerfall Enzyme frei, die sich an der Verdauungsarbeit beteiligen
18.1
Die stetige Grunderneuerung des Organismus; Stammzellen des Menschen
Abb. 18.4 Stammzellen des Knochenmarks mit pluripotenter Stroma-Stammzelle
461
Knochenmark
hämatopoietische Stammzelle (blutbildende SZ) Stromazelle, mesenchymale Stammzelle MSC
FibroblastenStammzelle (Bindegewebe)
Adipocyt (Fettzelle)
Osteoblast
lich definiert, die gemäß ihrer linguistischen Herkunft weitgehend synonym sind. Beispielsweise bedeuten „pluri“ und „multi“ (beides lateinisch) nahezu dasselbe, nämlich „pluri“ D „mehr, größer, höher“ und „multi D „viel, in Mehrzahl“.
18.1.4 Unipotente Stammzellen haben nur eine Option; wir finden solche beispielsweise in der Haut und im Muskel Die Haut wächst und wird ständig erneuert durch die Teilungsfähigkeit unipotenter Stammzellen, die der Basallamina aufsitzen und deren asymmetrisch erzeugte Abkömmlinge nach außen hin zu Keratinocyten differenzieren, dabei absterben und schließlich nach 24 Wochen abgestoßen werden (Abb. 18.2). Stammzellen behalten ihren teilungsfähigen Zustand nur in Kontakt zum Laminin der Basallamina. Stimulierende Wachstumsfaktoren, z. B. KGF (Keratinocyte Growth Factor), EGF (Epidermal Growth Factor) und TGF-˛ (Transforming Growth Factor alpha), und hemmende Signalsubstanzen, z. B. das Stresshormon
multipotente adulte Stammzelle (MAPC)
Adrenalin, sind an der Kontrolle einer angemessenen Proliferation beteiligt. Die Muskeln des Skeletts werden nicht regelmäßig erneuert, sondern nur in Notsituationen, wenn der Muskel verletzt ist und bei Überbeanspruchung einen Muskelfaserriss erlitten hat. Aus der Embryonalentwicklung übrig gebliebene Myoblasten, die dem Muskel als Satellitenzellen beigepackt sind, werden im Bedarfsfall vermehrt. Nach ihrer Fusion zu vielkernigen Muskelfasern (Myotuben) füllen sie sich mit Actin- und Myosinfilamenten und übernehmen die Aufgabe der zerstörten Muskelfasern.
18.1.5 Pluripotente Stammzellen können mehrere Zelltypen hervorbringen; sie liefern beispielsweise Ersatz für Zellen der Darmzotten, die im Dienste der Verdauung stehen An der Spitze der Dünndarmzotten opfern sich Zellen durch Selbstmord, um vielerlei Enzyme zur Verdauung freizusetzen (Abb. 18.3). Auch die Produzenten der Schleimschicht, die den Darm vor Verdauung
462
schützen, halten nicht lange durch. Nachschub liefern Stammzellen in Gruben (Krypten) zwischen den Zotten, deren Abkömmlinge nach oben geschoben werden und die Zotten von unten her erneuern. Da die Zotten aus mehreren Zelltypen bestehen, braucht man für ihre stetige Regeneration pluripotente Stammzellen. Auch im Knochenmark wurden pluripotente Stammzellen aufgespürt, die man mesenchymale Stammzellen (Abb. 18.4) nennt und aus denen Bindegewebe, Knorpelzellen, quergestreifte und glatte Muskelzellen, Herzmuskelzellen und Gefäßendothelien hervorgehen können. Ob der erwachsene Organismus dieses Potenzial zur Regeneration auch nutzt, muss noch erforscht werden. Musterbeispiel für pluripotente Stammzellen des Knochenmarks sind die blutbildenden Zellen; sie werden nachfolgend vorgestellt.
18.2 Die hämatopoietischen (blutbildenden) Stammzellen 18.2.1 Hämatopoietische Stammzellen entstehen im Embryo in Blutinseln; ins Knochenmark einwandernde Stammzellen bleiben zeitlebens erhalten Die Hämatopoiese (Hematopoese, hematopoiesis), die Bildung der Blutzellen (Abb. 18.5) geschieht in der Embryonalentwicklung in mesodermalen Blutinseln (s. Abb. 17.2). In diesen Blutinseln finden sich zunächst Hämangioblasten, Gründerzellen, die a) angiogene Zellgruppen und b) hämatopoietische (blutbildende) Stammzellen hervorbringen (Abb. 18.6). Aus den angiogenen Zellen entstehen in verstreuten Blutinseln die ersten Blutgefäße; in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft entstehen auch die ersten Blutzellen (s. Abb. 17.3). Die ersten Blutinseln findet man beim Hühnchen im extraembryonalen Mesoderm, das den Dottersack überzieht, beim menschlichen Embryo im Dottersack und in der Nabelschnur. Später wandern hämatopoietische Stammzellen in die Leber, die Milz, den Thymus und ins Knochenmark. Im postnatalen Säugetier sind hämatopoietische Stammzellen in nennenswerter Zahl nur noch im Knochenmark zu finden. Dort werden
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin
zeitlebens pluripotente Stammzellen gezüchtet, die Nachschub für alle Blutzellen liefern. Adulte Stammzellen finden sich in besonderen Nischen. Die gilt auch für das Knochenmark. Dort spielen die Stromazellen, im internationalen Schrifttum MSC (Mesenchymal Stem Cells) genannt, eine besondere Rolle. Sie sind in der Lage, neben Hämangioblasten auch Nachschub für Knochen-, Knorpel- und Fettzellen zu liefern. Die Population der mesenchymalen Stammzellen bildet durch besondere Kontakte ein dreidimensionales Maschenwerk. Die pluripotenten blutbildenden Stammzellen sind in den Lücken (Nischen) dieses Maschenwerkes eingebettet (Abb. 18.4).
Einen ersten Hinweis, ob eine Biopsieprobe aus dem Knochenmark Stammzellen enthält und wie viele, gibt ein Färbeversuch: Stammzellen können einen zuvor aufgenommenen, nichttoxischen Farbstoff (Hoechst 33342) wieder exportieren; sie entfärben sich von selbst. Zum Isolieren von Stammzellen und ihren Abkömmlingen werden die Zellen des Knochenmarks vereinzelt und mit monoklonalen Antikörpern beladen, welche Oberflächenstrukturen binden. Diese Oberflächenstrukturen werden in der Regel mit CDx bezeichnet, wobei x für eine Zahl steht. Beispielsweise tragen pluripotente Stammzellen das Oberflächenmerkmal CD34; B-Vorläuferzellen die Kennzeichen CD34 C CD19, T-Vorläuferzellen CD34 C CD7 C CD5, während reife T-Zellen durch das Oberflächenmerkmal CD3 gekennzeichnet sind. Ein bestimmter Antikörper bindet an ein bestimmtes CD. Die Antikörper sind mit einem Fluoreszenzfarbstoff gekoppelt, verschiedene Antikörper mit verschiedenen Fluoreszenzfarbstoffen. Anschließend werden die mit leuchtenden Antikörpern dekorierten Zellen in einem FACS-Gerät nach Leuchtfarbe getrennt. FACS steht für Fluorescence-Activated Cell Sorting.
Nachgewiesen wurde die Existenz pluripotenter Stammzellen durch Versuche an Mäusen, deren blutbildendes System durch hohe Dosen von Röntgenstrahlen völlig zerstört wurde, die jedoch durch Injektion von Knochenmarkzellen in die Blutbahn wieder
18.2 Die hämatopoietischen (blutbildenden) Stammzellen
a1
Basophiler Granulocyt
463
a2
a3
b
Neutrophiler Granulocyt
Eosinophiler Granulocyt
d
c
Lymphocyt
Monocyt
e
Dendritische Zelle
f
Blutzellen
Erythrocyten
g
NK-Zellen, eine Krebszelle (rot) attackierend
i Plättchen und Fibringerüst
h
Makrophage, ein Bakterium (rot) fangend
Abb. 18.5 Zellen des menschlichen Blutes, aus Müller und Frings (2009). a, b Lehrbildsammlung WM, c Bildrechte liegen bei Dr. Triche, National Cancer Institute; reproduziert mit sei-
Makrophagen, eine Mikrofilarie attackierend
ner Erlaubnis, f–i copyright www.eyeofscience.de bezogen über Agentur-focus.de
464
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin
Erythroblast
Erythrocyt
eosinophiler Granulocyt basophiler Granulocyt
myeloide Stammzelle
neutrophiler Granulocyt
Monocyt
angeborenes Immunsystem
Megakaryocyt, Blutplättchen
Makrophage
dendritische Zellen
natürliche Killerzelle cytotoxische T - Zelle
lymphoide Stammzelle
adaptives, lernfähiges Immunsystem
pluripotente hämatopoietische Stammzelle
Helfer T - Zelle
Antikörper
B-Lymphocyt
Plasmazelle
Abb. 18.6 Bildung der Blutzellen (Hämatopoiese, Hämatopoese) aus Stammzellen des Knochenmarks. Natürliche Killerzellen entstehen aus den lymphoiden Stammzellen; ihr Stammbaum bis
zur reifen Form ist im Einzelnen noch nicht bekannt. Dendritische Zellen gelten als eine Erscheinungsform der Makrophagen
geheilt werden konnten. Bis die Stammzellen selbst, die weniger als 0,1 % der Knochenmarkzellen ausmachen, identifiziert und isoliert waren, musste viel Mü-
he aufgebracht werden. Wichtige Werkzeuge waren monoklonale Antikörper, die helfen zelltypspezifische Oberflächenstrukturen zu erkennen.
18.2 Die hämatopoietischen (blutbildenden) Stammzellen
18.2.2 Der Umsatz ist gewaltig; pro Sekunde sterben 6 Mio. Erythrocyten und müssen durch neue ersetzt werden
465
ler Differenzierung ist bei vielen Zelltypen festgelegt.
18.2.4 Ohne Knochenmarkstammzellen ist das Leben bald zu Ende; denn die Lebensdauer der Blutzellen ist auf Stunden, Tage oder Wochen beschränkt. Die Halbwertszeit beträgt bei Neutrophilen Granulocyten 7–14 Stunden, Makrophagen 5–7 Tage, Erythrocyten 120 Tage. Eine solche Lebensdauer scheint nicht gering zu sein. Rechnet man jedoch auf die Zahl der vorhandenen Blutzellen hoch, errechnet sich ein erstaunlich hoher Umsatz. Pro Sekunde sterben im Menschen 1–2 Mio. Erythrocyten ab und werden durch ebenso viele neue ersetzt. Gealterte und abgestorbene Erythrocyten werden in den lymphatischen Organen, insbesondere in der Milz, ausgesondert und von Makrophagen aufgefressen. Aussondern heißt auch sequestrieren (beschlagnahmen). Eine lange Lebensdauer haben nur die Gedächtniszellen aus der Gruppe der Lymphocyten.
18.2.3 Die Nachkommen der Stammzellen werden alternativ wieder zu Stammzellen, oder sie werden zu Blutzellen determiniert und hernach in Amplifikationsteilungen vermehrt Weniger als 0,1 % der Knochenmarkzellen sind pluripotente Stammzellen; als solche bleiben sie stets teilungsfähig. Ihre Abkömmlinge werden teils wieder pluripotente Stammzellen (self-renewal, Selbsterneuerung), teils erfahren sie eine Determination (auch commitment, Verpflichtung, genannt) und werden dann zu Progenitorzellen (Vorläuferzellen) mit eingeschränkter Entwicklungspotenz. Die mit dem Wortstamm -blast gekennzeichneten Vorläuferzellen sind in der Regel noch teilungsfähig, doch ist die Zahl der erlaubten Teilungsrunden begrenzt. Die Vermehrung der Vorläuferzellen (Amplifikationsteilungen) ist nicht unbegrenzt und dient der Mengenregulation. Nach der letzten Teilung durchlaufen die Zellen ihre terminale Differenzierung. Die Zahl erlaubter Zellteilungen zwischen Determination und termina-
Ein Ereignisbaum führt beim Säuger/Menschen zu acht Haupttypen von Blutzellen
Ausgehend von einem multipotenten Typ von Stammzellen (genannt Colony Forming Unit CFU-M, L), werden im Zuge mehrerer Entscheidungsprozesse (mindestens) 8 Zelltypen hergestellt (Abb. 18.6): A Der myeloische Stammbaum liefert 1. die mit Hämoglobin gefüllten Erythrocyten (rote Blutkörperchen), welche bei Säugern kernlos werden, 2. Megakaryocyten, die Blutplättchen abschnüren und damit eine Komponente des Gerinnungssystems erzeugen, 3. neutrophile Granulocyten und 4. Makrophagen, die beide vielerlei infektiöse Eindringlinge und Müllprodukte auffressen. Die im Blut zirkulierenden Monocyten gelten als Vorläufer oder Transportform der Makrophagen, die man im Gewebe und in den lymphatischen Organen (Lymphknoten, Tonsillen, Milz u. a.) antrifft und die in der Milz nicht nur eingedrungene Bakterien, sondern auch die gealterten Erythrocyten phagocytieren; 5. basophile Granulocyten, die bei Entzündungen Alarmsubstanzen wie Histamin, Leukotriene und Prostaglandine aussenden, 6. eosinophile Granulocyten, die ebenfalls Funktionen bei Entzündungen und allergischen Reaktionen haben, 7. dendritische Zellen, soweit sie wie die Makrophagen Abkömmlinge der Monocyten sind. (Andere Subtypen der dendritischen Zellen scheinen sich von einer lymphoiden Stammzelle abzuleiten, die auch B-Zellen hervorbringt.) Gemeinsam ist den dendritischen Zellen eine strauchartig verzweigte Gestalt und eine ausgeprägte Fähigkeit, Antigene zu verspeisen, Antigenreste (Peptide) in den MHC-Komplex auf ihrer Zelloberfläche einzubinden und den TZellen zur Kontrolle anzubieten. Dendritische Zellen sind die Hauptpopulation der AntigenPresenting Cells. Man findet dendritische Zel-
466
len in großer Zahl im Thymus; sie sind jedoch darüber hinaus vielerorts anzutreffen. Sie sind, bevor ihre Funktion bekannt war, mit verschiedenen Bezeichnungen bedacht worden; beispielsweise nennen sich die dendritischen Zellen der Leber Kupffersche Zellen. B Der lymphoide Stammbaum liefert 1. weitere dendritsche, Antigen-präsentierende Zellen, 2. T-Lymphocyten, die ihrerseits in mindestens zwei Subklassen (T4 D T-Helfer; T8 D cytotoxische T-Zellen) zerfallen und in ihrer Gesamtheit im Immunsystem helfen, zwischen Körperfremdem und Körpereigenem zu unterscheiden und die Abwehrreaktion den jeweiligen Anforderungen anzupassen; 3. B-Lymphocyten, die als Plasmazellen Antikörper produzieren und freisetzen. Mutmaßlich gehören auch die 4. natürlichen Killerzellen zur lymphoiden Stammgruppe; auch sie erfüllen Funktionen im Immunsystem. Die Nicht-Erythrocyten werden oft auch summarisch als Leukocyten (weiße Blutkörperchen) bezeichnet. Enthält das Blut als Folge einer Erkrankung zu wenig Erythrocyten, spricht der Mediziner von Anämie. Reichert sich das Blut mit ungewöhnlich vielen aber unreifen Leukocyten an, spricht man von Leukämie.
18.2.5 Bei der Entwicklung der Lymphocyten kommt es zu einer irreversiblen somatischen Rekombination Rekombination, ein Neuarrangement von Genen, ist ein Charakteristikum der sexuellen Fortpflanzung und geschieht dort im Zuge der Meiose. Überraschenderweise gibt es einen ähnlichen Prozess in der Entwicklung der Lymphocyten, wenn ein Lymphoblast das genetische Programm für die künftige Produktion seiner Antigenrezeptoren bzw. seiner Antikörper zusammenstellt. Diese somatische Rekombination ist irreversibel. Sie ereignet sich, wenn aus Stammzellen die Zellen des Immunsystems (B-Zellen und T-Zellen) gebildet werden. Dies geschieht an den Ursprungsorten dieser Zellen (Abb. 18.7 und 18.8), wo sie auf ihre besondere Funktion vorbereitet werden.
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin
Ein rekombinatorisches Zufallsspiel fügt verschiedene DNA-Sequenzen in wechselnden Kombinationen aneinander und schafft so die (wichtigste) Möglichkeit, die Antigenrezeptoren – und damit die von ihnen abgeleiteten Antikörper – mit variablen Antigenbindungsdomänen zu versehen (Abb. 18.8). In jedem B- oder T-Lymphoblasten wird eine beliebige Kombination zusammengestellt. Nach der Auswanderung der Lymphoblasten aus dem Knochenmark werden dann in der Grundschule des ersten Wohnorts, beispielsweise im Thymus, durch strenge negative Selektion all jene Lymphocyten aussortiert, deren Rezeptoren körpereigene Substanzen binden (s. nachfolgender Abschnitt). Wer übrig bleibt, hat Rezeptoren, die potenziell Nicht-Körpereigenes, also Fremdes, erkennen können. Solche Lymphocyten werden aus der Schule entlassen und siedeln sich an anderen Wohnorten (Lymphknoten, Milz) an, wo sie als fertige T-Lymphocyten bzw. Plasmazellen (Antikörper sezernierende Abkömmlinge der B-Lymphoblasten) ihre Funktion erfüllen. Somatische Rekombination, im Säugerorganismus bisher nur für die Lymphoblasten nachgewiesen, führt zu irreversiblen Veränderungen in der genetischen Konstitution der Zelle.
18.2.6
Bei Lymphoblasten steht der Zelltod im Dienste eines Lernprozesses
Wenn Lymphoblasten, die künftigen B- oder T-Zellen des Immunsystems, die genetische Information für ihre Rezeptoren nach dem Zufallsprinzip rekombinieren, lässt es sich nicht vermeiden, dass auch Rezeptoren und Antikörper – das sind freigesetzte B-ZellRezeptoren – entstehen, die körpereigene Antigene binden würden. Es wäre fatal, würden solche Lymphoblasten nicht alsbald eliminiert; denn das Immunsystem ist äußerst aggressiv. Autoimmunkrankheiten zeigen, dass das Immunsystem den eigenen Körper umbringen kann. Noch bevor die Immunantwort eines jungen Lebewesens voll heranreift, müssen alle potenziell autoaggressiven Lymphoblasten sterben. Dies geschieht beim Menschen im großen Maßstab bald nach seiner Geburt, wenn die Antikörper, die wir über die Muttermilch in uns aufnehmen, nicht mehr ausreichen und unser Immunsystem selbstständig werden muss. Überleben dürfen nur die Lymphoblasten, de-
18.2 Die hämatopoietischen (blutbildenden) Stammzellen
467
Abb. 18.7 Orte, in denen Zellen des Immunsystems auf ihre Aufgaben vorbereitet werden. Der Lymphknoten und der Thymus stehen stellvertretend für das gesamte lymphatische System Thymus
T-Zellen
Lymphknoten Milz Lymphocyten
Lymphfollikel mit B-Zellen T-Zellen Makrophagen
Stammzellen
Blutgefäße Lymphocyten Granulocyten Makrophagen
Lymphgang mit Ventil B-Zellen Plasma-Zellen
ren Rezeptoren nicht-körpereigene Antigene binden und deshalb erkennt das Immunsystem später leidlich zuverlässig, was fremd ist. Welche Kontrollmechanismen hierbei aktiv werden, ist Gegenstand intensiver Untersuchungen und für das Verständnis von Autoimmunkrankheiten sehr wichtig. Details dazu finden sich in Fachbüchern der Immunologie und aktuellen Veröffentlichungen.
18.2.7 Determination und Menge der Blutzellen werden über Cytokine bzw. Hormone gesteuert Es sind bereits viele Faktoren isoliert worden, die Einfluss darauf nehmen, welche Blutzellen hergestellt
werden und in welcher Menge. Sind solche Faktoren zur rechten Zeit und in geeigneter Konzentration zugegen, können sie entscheidenden Einfluss nehmen auf die Art des Zelltyps, der entsteht. Hernach, oder in anderer Konzentration, nehmen sie nur noch Einfluss auf die Menge, in der ein bestimmter Zelltyp nachgeliefert wird. Ein Ausdruck, der allgemein solche Faktoren benennt, ist Cytokin. Das wohl bekannteste Cytokin ist das hormonale Erythropoietin (EPO), ein Glykoprotein, das bei O2 -Mangel in den Nieren produziert wird, über die Blutbahn in das Knochenmark gelangt und die Proerythroblasten anregt, sich vermehrt zu teilen. Auf diese Weise wird speziell die Produktion von Erythrocyten angeregt und damit die O2 -Bindekapazität des Blutes gesteigert.
468
Im Kern eines B-Lymphoblasten (einer künftigen Antikörper produzierenden Zelle) Gensegmente (Module) für die L-Kette V1
V2
V39
5J
V40
CL
Zufallskombinatorik DNA-Kopie
L-Kette
L-Kette
. Ba
kte
rium
mRNA
z.B
Abb. 18.8 Somatische Rekombination, beispielhaft gezeigt für die leichte Kette eines B-Zellrezeptors, der ohne Transmembrandomäne als Antikörper freigesetzt wird. Bei der Programmierung der variablen, antigenbindenden Domänen der B-Zellrezeptoren werden chromosomale Gensegmente durch somatische Rekombination nach einem Zufallsprinzip kombiniert. In einem bestimmten BLymphoblasten per Zufall gefundene, auf ein Antigen passende Kombinationen werden beibehalten; die betreffende B-Zelle wird vermehrt und reift zur Antikörper erzeugenden Plasmazelle
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin
variabel
Anti
gen
Antigen-Identifikation
variabel
Transmembrandomäne (bei freien Antikörpern fehlend) B-Zellrezeptor bzw. Antikörper
Solche Faktoren werden in der Literatur häufig auch als Hormone angesprochen, wenn sie in der Blutbahn nachgewiesen worden sind. Entwicklungsbiologisch bedeutender als Epo sind Cytokine, welche die Zellen in bestimmte Differenzierungswege lenken. Solche sind beispielsweise: der SCF (Stem Cell Factor), der Stammzellen des myeloischen Stammbaums zur Proliferation anregt. Weiter oben im Geäst des Stammbaums greifen ein: der GM-CSF (Granulocyte and Macrophage ColonyStimulating Factor); dieser Faktor regt die gemeinsamen Vorläuferzellen von Granulocyten und Makrophagen zur Teilung an. Der Faktor (Protein) wird u. a. von den Endothelzellen der Blutgefäße und von T-Lymphocyten erzeugt.
G-CSF (Granulocytes Colony-Stimulating Factor), ein die Bildung von Granulocyten stimulierendes Protein, und der M-CSF (Macrophages Colony-Stimulating Factor), der die unmittelbaren Vorläufer von Makrophagen zur Teilung und Reifung anregt. Cytokine, die Vorläufer von Lymphocyten zur Proliferation anregen, werden oftmals kollektiv Interleukine genannt. Dieser Ausdruck deutet an, dass Quelle solcher Faktoren in der Regel andere Leukocyten sind. Interleukine sind Botenstoffe, die zwischen Leukocyten (z. B. zwischen Lymphocyten und Makrophagen oder zwischen B- und T-Lymphocyten) ausgetauscht werden.
18.3
Regenerative Medizin: Gewebe- und Organersatz aus Stammzellen
18.3 Regenerative Medizin: Gewebeund Organersatz aus Stammzellen 18.3.1 Stammzellen von adulten Organismen können mehr, als man lange Zeit annahm; stammen sie vom Patienten selbst, entgehen sie dem Angriff seines Immunsystems Die Infusion von Fremdblut, die Transplantation von Knochenmark oder Organen setzt eine ausgefeilte immunologische Typisierung des Empfängers und möglicher Spender voraus. Nur wenige Spender haben auf ihren Zellen sehr ähnliche Oberflächenmerkmale, namentlich Proteine des polygenen (polymorphen) Major Histocompatibility Complexes MHC. Sind die Zelloberflächenmoleküle nicht gleich oder sehr ähnlich, wird das Immunsystem des Empfängers die fremden Zellen unweigerlich eliminieren. Könnte man Zellen des Patienten selbst, wir denken jetzt an Stammzellen, für therapeutische Maßnahmen verwenden, gäbe es eine solche immunologische Intoleranz nicht. Welche Entwicklungspotenz haben adulte Stammzellen? Einige Fallbeispiele aus Tierversuchen: Beispiel 1: Es werden hämatopoietische Stammzellen der Maus isoliert, genetisch markiert, z. B. durch Einbau eines GFP-Reportergens in das Genom (s. Kap. 12, Box 12.2, Abschnitt „Bleibende Markierung lebender Zellen . . . “) und werden dann in die Blutbahn von eben geborenen Rattenbabys eingeführt. (Neugeborene, deren Immunsystem eben erst dabei ist, zwischen körpereigen und körperfremd unterscheiden zu lernen, nehmen solche Zellen als körpereigen an.) Abkömmlinge dieser Spenderzellen leuchten im Fluoreszenzmikroskop grün auf, wenn sie mit kurzwelligem Blaulicht angeregt werden. Beispiel 2: Man nimmt hämatopoietische Stammzellen einer männlichen Maus, um ihre Abkömmlinge in weiblichen Empfängern anhand des Y-Chromosoms als Spenderzellen-Derivate identifizieren zu können. Die Stammzellen werden in Blastocysten injiziert; dann lässt man die Embryonen von Ammenmüttern austragen. (Auch in Individuen, die aus chimärischen Blastocysten hervorgehen, gibt es keine immunologischen Abstoßungsreaktionen.) In beiden Versuchsanordnungen zeigte sich, dass die eingeführten Stammzellen nicht nur Blutzellen generieren können, sondern manch andere Zelltypen, wie
469
beispielsweise Knorpelzellen, Muskelzellen und sogar Nervenzellen, wenn sie ins Gehirn gelangen. Über seltsame Befunde, die bei solchen Versuchen gemacht worden sind, ist man einem kuriosen Phänomen auf die Spur gekommen. Bisweilen können Stammzellen der Mutter über die Plazentaschranke hinweg in den Fetus überwechseln, auch beim Menschen. Das Kind ist dann genetisch eine Chimäre; ein Junge kann auch einige weibliche Zellen in sich bergen. Umgekehrt können Zellen des Kindes in die Mutter gelangen, dort zu Rhesusfaktor-Problemen führen (s. Abb. 6.13) und mitunter zeitlebens in der Mutter erhalten bleiben (Abschn. 6.4.2).
18.3.2 Pioniertat war die erfolgreiche Stammzellen-Therapie von Leukämien und Lymphomen Die Entwicklungsbiologie kommt neuerdings in zunehmendem Maße der Medizin zu Hilfe. Im Jahr 2001 berichteten die Medien erstmals im großen Stil von Plänen verschiedener (zumeist amerikanischer oder fernöstlicher) Laboratorien, aus Stammzellen Ersatzteile für Patienten mit degenerativen Erkrankungen oder für Unfallopfer herzustellen, und man begann auch in Deutschland durch Institutionen der Forschungsförderung einschlägige Forschungsprogramme finanziell zu fördern. Die hier zum Ausdruck kommende Hoffnung, man könne im Labor Ersatzteile für beschädigte oder verlorene Gewebe und Organe heranzüchten, gründet auf Erfahrungen, die man mit Stammzellen seit Jahrzehnten schon hat sammeln können. Es gab schon seit langem die Möglichkeit, aus dem Knochenmark – auch erwachsener – Personen multipotente Stammzellen zu gewinnen, aus denen die verschiedenen Blutzellen hervorgehen können. Stammzellen werden klinisch zur Therapie von Leukämien und Lymphomen eingesetzt. Der Patient wird hohen Dosen von cytotoxischen Medikamenten ausgesetzt („Chemotherapie“) oder hohen Dosen ionisierender Strahlung („Radiotherapie“) mit dem Ziel, alle krebsartig transformierten Zellen restlos zu zerstören. Diese Prozedur zerstört auch gesunde Stammzellen. Es würde hinfort kein Blut mehr gebildet und auch das Immunsystem wäre für immer zum Erliegen gebracht. Doch nach der Chemo- oder Radio-„Therapie“ beginnt die wahre Therapie. Es werden Stammzel-
470
len eines gesunden, immunologisch auf seine Eignung getesteten Spenders transplantiert, faktisch durch Infusion in die Blutbahn. Die Stammzellen besiedeln von selbst das Knochenmark – man nennt dies Homing – und liefern neue, nun (hoffentlich) gesunde Blutzellen. Woher aber werden blutbildende Stammzellen genommen? Es gab und gibt zwei Verfahren. Das historisch ältere ist die sogenannte Knochenmarkstransplantation, wobei freilich nicht das ganze Knochenmark, sondern eine mit Stammzellen angereicherte Zellsuspensionen per Infusion in die Blutbahn des Patienten eingeführt wird. Die Verfahren zur Anreicherung oder gar Isolierung von Stammzellen sind allerdings äußerst schwierig; denn echte multipotente Stammzellen sind nur eine winzige Subpopulation der Knochenmarkszellen. Glücklicherweise können sie jedoch durch ein einfaches Färbeverfahren kenntlich gemacht und anhand von stammzelltypischen Oberflächenantigenen (CD34CCD19) mittels FACS-Maschinen (Fluorescence Activated Cell Sorting, Durchflusszytometrie) isoliert und eingesammelt werden. Sehr erleichtert wurde die Therapie, als nachgewiesen wurde, dass Blutstammzellen auch aus dem zirkulierenden Blut gewonnen werden können. Der Spender muss sich keiner riskanten Operation unterwerfen. Abgenommenes Blut des Spenders wird zur Absonderung der Stammzellen durch eine spezielle Zentrifuge geleitet und das restliche Blut dem Spender zurückgegeben. Wegen möglicher immunologischer Komplikationen unterscheidet der Mediziner autologe (autologous) Transplantationen: Hier wird dem Patienten vor der Chemo- oder Radiobehandlung eines Tumors Knochenmark entnommen und nach der Zerstörung seiner cancerösen Zellen wieder zurückgegeben. Sofern jedoch das zuvor entnommene Knochenmark selbst canceröse Stammzellen enthält, müssen diese in einem aufwändigen und riskanten Verfahren entfernt werden – riskant, weil alle cancerösen Zellen restlos eliminiert sein sollten (dies gilt entsprechend für andere krankheitsgefährdende Gewebseinschlüsse wie HIV); syngene (syngeneic) Transplantationen von einem eineiigen Zwilling als Spender – ein seltener Glücksfall; allogene (allogeneic) Spender, die immunologisch nicht allzu fremd sein dürfen (oftmals nahe Ver-
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin
wandte oder typisierte Reservepräparate einer Knochenmarksbank).
18.3.3 Keine Utopie mehr: Ersatz von Geweben aus autologen adulten Stammzellen ist schon verbreitete Praxis Außer der eben angesprochenen, klinisch in großem Maßstab durchgeführten autologen Transplantation von Blutstammzellen gibt es gegenwärtig (2011) weitere erfolgreiche Therapiemöglichkeiten mit autologen Stammzellen. Bereits kommerziell werden Präparate aus adulten Stammzellen des Patienten selbst hergestellt für großflächigen Hautersatz bei Verbrennungen. Bislang gab es die Möglichkeit von Autotransplantaten: Hautstücke wurden von einem Teil des Körpers entnommen und an die Stelle zerstörter Haut übertragen. Doch es durften selbstredend nur kleine Stücke sein. Vergrößerung der Hauttransplantate in der Gewebekultur, bevor sie auf die Wunde aufgelegt wurden, half in Einzelfällen weiter. In der weiteren Entwicklung des Verfahrens wurden und werden Stammzellen der Haut isoliert, im Labor vermehrt und eingebettet in geeigneten Trägermaterialien auf die verwundeten Stellen des Patienten aufgetragen. Um allerdings Haut ausreichender Dicke und weitgehend natürlicher Struktur regenerieren zu lassen, muss nicht nur eine Schicht epidermaler, sondern darunter auch eine Schicht dermaler Zellen im Präparat enthalten sein. Im Labormaßstab ist dies heute möglich. Momentan fehlen der aus Stammzellen gezüchteten Haut oft noch Haarfollikel, Schweißdrüsen und Hautsinnesorgane. Autologe Chondrozyten-Transplantation. Ein Beispiel: Dem Patienten mit hoffnungslos zerstörter Kniescheibe (Meniskus) werden von einer unbelasteten Stelle einige Chondrozyten entnommen und in der Gewebekultur, eingebettet in eine spezielle kollagenhaltige Matrix und ein dreidimensionales Gerüst, in etwa 6 Wochen zu neuen Kniescheiben herangezüchtet (Abb. 18.9a). Das heranwachsende Gewebe muss dabei auch mechanischen Zug- und Druckkräften ausgesetzt werden. Reparaturverfahren für andere Gelenkknorpel und von Bandscheiben sind in Vorbereitung.
18.3
Regenerative Medizin: Gewebe- und Organersatz aus Stammzellen
471
A
Biopsie Wachstums- und Differenzierungsfaktoren
Implantat
mechanische Reize
Zellisolation Gewebeentwicklung
Gerüst (scaffold) Zellkultivierung mit Wachstumsfaktoren
Zellvermehrung
B Entwicklung eines Augenbechers im Kulturgefäß aus embryonalen Stammzellen
embryoid body
a1
Tag 9 Tag 5
Tag 1
GFP-Fluoreszenz
Pigmentepithel
Tag 7
Retina mehrlagig
Rx-GFP+ a2
b
embryoid body aus ES-Zellen
c1
Induktion von RX-GFP+ Neuroepithel
Rx-/Sox1+
Rx-GFP+ /Sox1-
d1
Rx-GFP+ /Chx10+/Pax6+ Pigmentepithel
neurosensorische Retina
c2 c2
d2
e
472
J Abb. 18.9 A Basale Technik des Tissue engineering, hier Prozedur zur Erzeugung eines autologen ChondrocytenTransplantates, beispielsweise einer Kniescheibe. Aus einem unbelasteten Knorpel wird eine kleine Probe entnommen (Biopsie), daraus werden Chondrocyten herausgelöst, von anderen Begleitzellen isoliert und dann in der Zellkultur vermehrt. Die Chondrocyten werden auf Trägermaterial aufgesät und in Biorektoren, hier im Bild vereinfachend durch eine Petrischale ersetzt, mit Wachstumsfaktoren und gezielt eingesetzten mechanischen Kräften zur Kniescheibe herangezüchtet und geformt. Nach ca. 6 Wochen kann sie dem Patienten implantiert
Über das Stadium bloßer Gewebe hinaus hin zum Ersatz von Organen gehen erfolgreiche Versuche zur Züchtung von Herzklappen. Sie werden in speziell entwickelten Bioreaktoren herangezüchtet. Im Gegensatz zum Organersatz aus nichtbiologischen Materialen können in Bioreaktoren gezüchtete Organe in Kindern mitwachsen. Weitere Möglichkeiten bieten pluripotente Stammzellen des Knochenmarks, die nicht nur Blutzellen, sondern unter dem dirigierenden Einfluss von Biochemikalien und Wachstumsfaktoren auch andere Zellen wie Cardiomyocyten (Herzmuskelzellen) liefern können. Sie versprechen nach einem Herzinfarkt eine Verbesserung der Herzleistung. Als besonders geeignet erwiesen sich endotheliale Stammzellen. Sie werden auch zur Erzeugung von Blutgefäßprothesen in Bioreaktoren eingesetzt. Dazu braucht es eine röhrenförmige Matrix aus bioverträglichen Materialien, die mit endothelialen Stammzellen besät wird. Das Stadium klinischer Erprobung haben (2011) weitere vorgeschlagene Verfahren noch nicht erreicht. So wird in einem Aufruf von Fachleuten die Transplantation autologer mesenchymaler Stammzellen zur Behandlung der multiplen Sklerose vorgeschlagen. Manch weitere Projekte sind in Vorbereitung. Jungen Menschen geben wir hoffnungsvoll zur Kenntnis, dass zu diesen Bemühungen auch die im Tiermodell schon gelungene Züchtung einer dritten Zahngeneration gehört. Für eigene Recherchen zu diesem Thema empfehlen wir die Stichworte (key words) „tissue engineering“,“stem cell therapy“. Die Möglichkeit einer autologen Stammzellentherapie ist freilich begrenzt für Fälle, in denen auf adulte Stammzellen zurückgegriffen werden kann.
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin werden. B Entwicklung eines Augenbechers aus embryonalen Stammzellen der Maus. Die Kulturschale a1 steht stellvertretend für einen Multi-Gas-Inkubator. Eine dreidimensionale Entwicklung des Zellaggregates wurde durch ein dreidimensionales Gel aus extrazellulären Matrixsubstanzen ermöglicht. Videoaufnahmen von der Entwicklung des Augenbechers wurden durch ein Mehrphotonen-Fluoreszenzmikroskop gemacht. Die Bezeichnungen Rx-GFP, Sox1, Chx10 und Pax6 stehen für charakteristische Differenzierungsmarker. Adaptiert nach Eiraku et al. (2011)
Adulte Stammzellen gibt es leider nicht für alle differenzierten Zelltypen. Hier richtet(e) sich die Hoffnung (zunächst) auf embryonale Stammzellen.
Auch die Nabelschnur, früher achtlos in den Müll geworfen, hat sich als ergiebige Quelle von Stammzellen mancherlei Art herausgestellt. Blutbildende Stammzellen des Fetus geraten ins Nabelschnurblut, wenn sie während des letzten Schwangerschaftsdrittels von ihren bisherigen Heimstätten, der Milz und der Leber, über den Blutkreislauf ins Knochenmark wechseln. Allerdings gilt für diese Zellen das Gleiche wie für ES-Zellen: In einem allogenen Empfänger sind sie Fremdkörper; nur bei eng verwandten Empfängern und/oder nach günstig verlaufener Typisierung kann auf Immuntoleranz gehofft werden. Für jeden einzelnen Menschen vorsorglich seine eigene Nabelschnur aufzubewahren, ist wohl kaum ein zukunftsträchtiger Vorschlag, wiewohl kommerzielle Unternehmen dafür werben. Nabelschnüre altern selbst in tiefgefrorenem Zustand, und ihre Kryokonservierung und Aufbewahrung in flüssigem Stickstoff ist mit sehr hohen Kosten verbunden. Indes ist ein Verfahren, das in Großbritannien und anderen Ländern routinemäßig eingesetzt wird, durchaus sinnvoll. NabelschnurStammzellen werden wie Organe einer Organbank immunologisch typisiert und bei Bedarf für Transplantationen in absehbarer Zeit bereit gehalten. Auch in mehreren deutschen Kliniken werden solche Stammzellbanken angelegt.
18.3
Regenerative Medizin: Gewebe- und Organersatz aus Stammzellen
18.3.4 Erste spektakuläre Erfolge: schlagende Herzmuskelzellen und ganze Augenbecher aus embryonalen Stammzellen in der Kulturschale Wie man aus zahlreichen Versuchen mit Mausembryonen weiß, enthält das als Blastocyste bezeichnete frühe Embryonalstadium nicht nur pluripotente, sondern auch totipotente Zellen, aus denen alle (geschätzten) 250 Zellsorten entstehen können, einschließlich neuer Keimzellen. Dass es totipotente Stammzellen geben müsse, war vorherzusehen; denn schließlich entwickeln sich in jedem normalen Embryo Urkeimzellen. Große Hoffnungen werden deshalb auf embryonale Stammzellen (ESC, ES-Zellen) gesetzt. Ein technisches Verfahren, mit solchen Stammzellen umzugehen, ist es, erst einmal in der Kulturschale aus solchen Stammzellen Zellaggregate entstehen zu lassen, die sich dann nach Zugabe eines geeigneten Cocktails aus Nähr- und Signalstoffen bereits in der Kulturschale in solide Gewebearten differenzieren (Abb. 18.9a). Man nennt solche Aggregate embryoid bodies. Ein eindrucksvoller Erfolg: Es werden in Videofilmen Aggregate von Cardiomyocyten gezeigt, die sich autonom periodisch im Rhythmus eines Herzens kontrahieren. In einer Petrischale, die dicht mit Cardiomyocyten bewachsen ist, kreisen regelmäßige Kontraktionswellen um einen Mittelpunkt. Allerdings sind für eine Kultivierung von Stammzellen in größeren Mengen und über längere Zeiträume sowie für eine zuverlässige Induktion einer bestimmten Differenzierungsrichtung noch viele und hohe Hürden zu überwinden. Immerhin, 2011 berichteten japanische Forscher von einem spektakulären Erfolg: Ihnen gelang es, aus embryonalen Stammzellen der Maus über embryoid bodies als Zwischenstation im Bioreaktor Augenbecher herzustellen (Abb. 18.9b). Erst wurden die Zellaggregate mit einem Cocktail aus extrazellulären Matrix-Substanzen (Matrigel) und Nährsubstanzen zu blasenförmigen Aggregaten herangezüchtet und diese mit diversen Methoden so behandelt, dass diese sich zum Neuroepithel differenzierten. Dieses bildeten spontan in manchen Bezirken Augenfelder. Diese Bezirke leuchteten im Fluoreszenzmikroskop grün; denn das Gen für den Augenfeld-spezifischen Mar-
473
ker RX war schon in den Stammzellen mit dem GFP-Quallengen fusioniert worden. Das Weitere geschah von selbst: Eine hochgradige Fähigkeit zur Selbstorganisation ließ die Augenfelder sich zu Augenbechern weiter entwickeln. Diese sonderten sich selbst in Retina und Pigmentepithel und exprimierten ohne induzierende Einflüsse von außen zahlreiche augenspezifische Gene. Was dem Auge fehlte, war eine Linse. Eine solche auch in der Kulturschale herzustellen, war früher schon anderen Forschern gelungen. Ob sich solche künstlichen Augen mit dem Gehirn verkabeln können, bleibt abzuwarten. Eines bleibt bei aller Euphorie zu bedenken: Aus embryonalen Stammzellen hergestellte Gewebe und Organe sind, wenn sie einem Patienten mit anderer genetischer Ausstattung implantiert werden, Fremdkörper. Das Immunsystem des Empfängers wird alles daran setzten, solches Fremdmaterial wieder abzustoßen.
18.3.5 Eine utopische Idee: „Therapeutisches Klonen“ soll die immunologische Abwehr gegen Körperfremdes umgehen Gelänge es, aus embryonalen Stammzellen des Menschen Ersatzgewebe aller Art in ausreichender Qualität und Quantität herzustellen, wäre allerdings noch das Problem der Gewebeverträglichkeit zu lösen: Zellen tragen auf ihrer Oberfläche einen individualspezifischen Ausweis, der dem Immunsystem verrät, dass solches Spendergewebe von einem fremden Individuum stammt. Würde es genügen, in die Spenderzellen jene Gene (MHC-Gene) einzuschleusen, welche den Zelloberflächen den individualspezifischen Ausweis des Patienten verleihen? Es gibt leider Tausende von möglichen Varianten dieser MHC-Gene (Polygenie plus Polymorphismus der Allele), und sie können noch nicht gezielt synthetisch hergestellt oder aus den Kernen von Zellen des Patienten isoliert werden. Daher wurde vor einigen Jahren der Vorschlag diskutiert, Eizellen einer zur Spende bereiten Frau heranzuziehen, den Kern der Eizelle zu entfernen und durch den Kern einer totipotenten Zelle des Patienten zu ersetzen. So beginnt ein Verfahren zum Klonieren von Säugern
474
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin
2. Entnahme einer Eizelle aus dem Ovar einer Frau, Entfernen des Eikerns
3. Fusion der Körperzelle des Patienten mit entkernter Eizelle
1. Entnahme einer pluripotenten Körperzelle 4. Embryonalentwicklung, extrakorporal
Patient
7. Transplantation oder Injektion in Patienten
6. Determination der ES-Zellen zu gewünschten Zelltypen
embryoid body
z.B. Knorpel-bildende Zellen
5. Entnahme embryonaler Stammzellen (ES-Zellen) aus Blastocyste und Vermehrung
z.B. Insulin-produziernde Zellen
Abb. 18.10 Hypothetisches „therapeutisches Klonen“. Embryonale Stammzellen sollen einer Blastocyste entnommen, in Zellkulturmedien vermehrt und durch Zusatz geeigneter Faktoren dazu gebracht werden, sich in eine bestimmte, vorausgeplante Richtung zu differenzieren (ein Zwischenstadium könnte die Bildung solider embryoid bodies sein). Die zur Differenzierung gebrachten Zellen sollen zur Therapie von Schäden des Patienten eingesetzt werden; beispielsweise könnten nach einem Herzinfarkt beschädigte Herzmuskelzellen durch frische Cardiomyocyten ersetzt werden. Damit diese Spenderzellen jedoch nicht vom Immunsystem des Empfängers zerstört und elimi-
z.B. Neuroblasten (Nervenzellen-Vorläufer)
niert werden, ist daran gedacht, nicht eine normale Blastocyste als Ausgangsmaterial zu wählen, sondern eine aktivierte Eizelle zu entkernen und mit einem Kern aus einer Zelle des Patienten zu bestücken. Wenn sich dann aus dieser Eizelle eine „geklonte“ Blastocyste entwickelt hat und ihr Stammzellen entnommen werden, sollten diese Zellen und die daraus hergestellten Ersatzgewebe die Gewebeverträglichkeitsklasse des Patienten besitzen und von dessen Immunsystem nicht als Fremdkörper behandelt werden. Im Gegensatz zum „reproduktiven Klonen“ wäre der Rest der Blastocyste nicht Ursprung eines neuen Menschen, sondern Abfall
18.4 iPSC: Reprogrammierung differenzierter Zellen zu pluripotenten Stammzellen
(s. Kap. 13). Nach dem Starten der Embryonalentwicklung durch einen elektrischen Stromstoß, der das Eindringen eines Spermiums simuliert, ließe man das Ei sich in der Kulturschale zur Blastocyste entwickeln. Aus ihr würden sich embryonale Stammzellen und aus diesen schließlich die gewünschten Gewebe gewinnen lassen (Abb. 18.10). Deren Genom entspräche dem des Patienten und deren Oberflächenausweis trüge dessen individuelle Kennzeichen; es käme also nicht zu einer Abstoßung des implantierten Materials durch das Immunsystem. Die Verwendung von Eizellen oder frühen Embryonen, aus denen schließlich Menschen werden könnten, nur zu dem Zweck, Ersatzmaterial zu züchten, und dazu auch noch Hunderte menschlicher Eizellen zu verschleißen (wer sollte sie denn liefern?), wird von vielen Menschen aus ethischen und religiösen Gründen als verwerflich betrachtet und ist in vielen Ländern, so auch in Deutschland, gesetzlich verboten (Embryonenschutzgesetz). Ein Gegenvorschlag ist, geeignete somatische Kerne des Patienten nicht in Eizellen, sondern in schon vorhandene embryonale Stammzellen zu übertragen, diese dann zu vermehren und in die gewünschte Richtung differenzieren zu lassen. Die Zellen sollten dann, so die Hoffnung, auf der Basis des ausgetauschten Genoms im Laufe der Zeit die Gewebeverträglichkeitsmerkmale (MHCKomplexe) des Patienten exprimieren. Allerdings bleiben auch dann, wenn die immunologische Barriere überwunden ist, große Probleme: Wo fände man im Patienten totipotente Spenderkerne? Auch könnten Spenderkerne des Patienten die Ursache der Krankheit als genetischen Defekt in sich tragen. Falls totipotente Kerne gefunden wären, müsste in ihnen erst durch gezielten Genaustausch der Defekt behoben werden, bevor sie in Eizellen injiziert würden. Kerne von älteren Menschen verlieren auch an Qualität, weil sie Mutationen ansammeln, epigenetisch stark modifiziert oder die Telomere ihrer Chromosome zu kurz geworden sind (s. Kap. 21). Pläne zum „therapeutischen Klonen“ werden nach Kenntnis der Autoren dieses Buches derzeit (2011) nicht weiter verfolgt. Eine andere Möglichkeit hat sich als weitaus zukunftsfähiger erwiesen: die Reprogrammierung adulter, auch differenzierter Zellen, zu multipotenten Stammzellen.
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18.4 iPSC: Reprogrammierung differenzierter Zellen zu pluripotenten Stammzellen 18.4.1 Es gelingt mit geeigneten Behandlungsprotokollen, differenzierten Zellen Eigenschaften von Stamm- oder Vorläuferzellen zurückzugeben Im Jahr 2006 erschien ein auch in der Fachwelt als sensationell empfundener Artikel japanischer Forscher, der berichtete, dass durch Einführung der Gene von vier Transkriptionsfaktoren mittels eines viralen Vektors Fibroblasten (Bindegewebszellen) adulter Mäuse in pluripotente Stammzellen verwandelt werden konnten (Abb. 18.11). Man spricht von iPSC oder kurz iPS, induzierten Stammzellen. Der Vektor trug die DNA-Sequenzen für vier Transkriptionsfaktoren: OCT-3/4, SOX-2, c-MYC und KLF-4 (Krüppel-like Factor 4). Diese Sequenzen sind Teil des Säugetiergenoms und waren folglich in den Fibroblasten bereits vorhanden, doch durch epigenetische Modifikation der Chromosomen in einem blockierten Zustand. Die mittels des viralen Trägers eingeführten Gene waren demgegenüber aktivierbar, und sie wurden auch ohne weiteres Zutun aktiv. Ein Jahr später war eine solche Verjüngung auch mit Hautfibroblasten des Menschen gelungen. Freilich war die Methode noch wenig effektiv – nur 0,0125 % der behandelten Fibroblasten wurden Stammzellen – und die Vektoren wurden unkontrollierbar an zufälligen Positionen in das Genom integriert. Seither sind weltweit viele Laboratorien bemüht, Verfahren zur Herstellung induzierter Stammzellen zu verbessern oder neue Verfahren zu entwickeln, und dies gelingt mit zunehmendem Erfolg. Findet man Zellen, in denen die betreffenden vier Pluripotenzgene nicht alle blockiert sind, genügt das Einschleusen von weniger als vier. Andererseits können fallweise auch andere Faktoren vonnöten sein, so etwa NANOG und LIN-28. In jedem Fall muss der Faktor OCT-4 in der Zelle tätig sein, damit sie den Charakter einer pluripotente Stammzelle zurückgewinnen und behalten kann. Unipotente neurale Stammzellen ließen sich durchs Transfektion allein mit oct-4 in Zellen ver-
476
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin
wandeln, die pluripotenten embryonalen Stammzellen glichen. Um die Gefahr einer Integration des Vektors an unpassenden Orten des Genoms auszuschalten, werden Vektoren verwendet, die nicht ins Genom eingebaut werden oder deren bloße Vektorsequenzen nach dem Einbau der erwünschten Gene ins Genom der Zelle nachträglich wieder entfernt werden können, beispielsweise mit dem Cre-Lox-System (Kap. 12, Box 12.2). Oder es werden nicht die DNA-Sequenzen, sondern die mRNAs für die erwünschten Faktoren oder schon fertige, rekombinante (d. h. von Bakterien hergestellte) Proteine in die Zellen injiziert.
Mittels induzierter Stammzellen sind auch ganze Mäuse erzeugt worden, ausgehend von vier Eltern. Der Bericht hierzu mag befremden, soll aber um der wissenschaftlichen Redlichkeit willen nicht verschwiegen werden. 2009 haben mehrere asiatische Forschergruppen aus induzierten Stammzellen ganze lebende fertile Mäuse erzeugt. Es wurden erst zwei Blastocysten zu teraploiden Keimen fusioniert (diese hatten, ganz normal, zwei Eltern). Tetraploidie determiniert die Zellen, erst einen Trophoblasten und später eine Plazenta zu bilden, ermöglicht aber nicht die Entwicklung eines Fetus. In solche tetraploiden Keime wurden alsdann diploide iPS-Zellen eingeführt (auch diese hatten zwei, aber verschiedene Eltern). Aus diesen iPSZellen ging der Mausembryo hervor. Dies belegt ein weiteres Mal die große Potenz der iPS.
Die Reprogrammierung mit Transkriptionsfaktoren ist umständlich und wenig effizient. Mehr und mehr wird versucht, ohne genetische Eingriffe die epigenetischen Blockierung der in den Zellen schon vorhandenen Pluripotenzgene aufzuheben. Mit guter Effizienz gelingt dies mittels bestimmter MikroRNAs, technisch einfacher mittels Chemikalien, die Enzyme der epigenetischen Chromatinmodifikation blockieren, wie Valproinsäure (valproic acid). Man möchte Pluripotenzgene von außen einschalten können (s. Kap. 12, Box 12.2, Abschnitt „Induzierbare Promotoren: Wie man Gene gezielt ein- und ausschalten kann“) oder gleich die adulte differenzierte Zelle dazu veranlassen, das bisherige Differenzierungsprogramm zu löschen
und ein anderes, erwünschtes Differenzierungsprogramm zu installieren. Ein solches Umschalten von einem Programm zu einem anderen ist seit langem als Transdifferenzierung bekannt (s. Abschn. 18.6), freilich erst in jüngster Zeit auch von differenzierten Zellen des Menschen. Es ist auch keineswegs stets vorteilhaft, differenzierte Zellen ganz zurück in den Zustand einer pluripotenten Stammzelle zu versetzen. Das Zurücksetzen in eine zwar determinierte, aber noch teilungsfähige Vorläuferzelle (Progenitorzelle) erspart manch mühsames Neuprogrammieren. Was heutzutage gelingt, ist beispielsweise die Herstellung neuer Hepatozyten (Leberzellen) und Nervenzellen aus Fibroblasten (Abb. 18.11). So hofft man, in absehbarer Zeit auch neurodegenerative Krankheiten wie das Parkinsonsyndrom lindern oder mittels programmierter Nervenvorläuferzellen die Regeneration durchbrochener Nervenbahnen bei Personen mit gelähmten Gliedern ermöglichen zu können. Hier müssen allerdings noch weitere Prozesse besser verstanden werden, wie das Auftauchen biochemischer Barrieren im verletzten Gewebe.
Pressemitteilung 23.06.2009 Gemeinsame Presserklärung der Deutschen Parkinson-Gesellschaft (DPG) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) (Zitat) „DPG und DGN warnen vor Parkinson-Therapie mit adulten Stammzellen. Von verschiedenen Anbietern weltweit, seit einiger Zeit auch vom Kölner XCell-Center, wird Patienten, die an einem Morbus Parkinson leiden, eine Therapie mit aus ihrem Knochenmark gewonnenen Stammzellen angeboten. Die Stammzellen werden den Patienten direkt in die Gehirnflüssigkeit oder direkt in das Gehirn transplantiert oder intravenös injiziert. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft ist ein Nutzen dieser Therapie nicht gegeben. Für die erfolgreiche Behandlung des Morbus Parkinson mit Hilfe von Stammzellen ist es erforderlich, dass sich die eingesetzten Stammzellen im Gehirn in Dopamin-produzierende (dopaminerge) Nervenzellen umwandeln. Die
18.4 iPSC: Reprogrammierung differenzierter Zellen zu pluripotenten Stammzellen
477 adulte Fibroblasten
Abb. 18.11 Umprogrammierung differenzierter Zellen (adaptiert nach Masip et al. (2010))
Mesoderm
induzierte Pluripotenz
LF
X2
4
T OC
+K
C MY
+
O +S
g
un
ier
z ren
ffe
le ma
Di
3 Faktoren (Ascl1, Bm2, MytII)
r
no
induzierte pluripotente Stammzellen iPSC äquivalent: embryonale Stammzellen
no
induzierte Pluripotenz
induzierte Transdifferenzierung
rm
ale
Di
ffe r
OC
en
zie
run
g
T4
Neuroektoderm
Neurone Konstrukt 5’LTR-PSI-Oct4-Klf4-Sox2-cMyc-LoxP Hautzelle (Keratinocyt)
Entwicklung solcher dopaminerger Nervenzellen aus Stammzellen, die aus dem Knochenmark eines erwachsenen Menschen gewonnen werden (sogenannte adulte Knochenmarkstammzellen), ist jedoch nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft nicht möglich. Ebenso wenig ist auch nur ansatzweise gesichert, dass Stammzellen, die in die Gehirnflüssigkeit transplantiert werden, überhaupt die Gehirnareale erreichen können, in denen sie gebraucht werden. Indirekte Effekte der transplantierten Knochenmarkstammzellen, z. B. über eine Beeinflussung des Immunsystems, werden derzeit kontrovers diskutiert; schlüssige Belege für solche Effekte beim Morbus Parkinson fehlen jedoch.“
Für eine Therapie genetisch bedingter oder altersbedingter Krankheiten gelten darüber hinaus die oben schon genannten Einschränkungen: Auch das
iPSC
körpereigene Genom kann Ursache einer Krankheit sein, sei es dass es krankheitsverursachende Mutationen trägt oder dass es im Laufe der Zeit ungünstige und irreversible epigenetische Modifikationen erfahren hat. Da können auch adulte Stammzellen des Patienten nicht (wie bei einer Hydra) Quelle eines immerwährenden Jungbrunnens sein. Noch ist der Mensch sterblich.
18.4.2
An Tiermodellen ist schon manches mehr, so auch Reprogrammierung von vielkernigen Muskelfasern zu einkernigen Stammzellen gelungen
Die Hoffnung, dass differenzierten Zellen Eigenschaften von Stamm- oder Vorläuferzellen verliehen werden können, wird auch gestützt durch bemerkenswerte Erfolge mit Tiermodellen. Beim Hydrozoon Hydractinia sind durch gezielte Expression eines Oct-4-homologen Gens Epithelzellen in multipotente Stammzellen ver-
478
wandelt worden in Mengen, die an Tumoren (Neoplasien) erinnern. Immer mehr Stammzellen aus adulten Geweben werden entdeckt, die sich auch ohne Eingriffe in ihre genetische Ausstattung noch aktivieren und umprogrammieren lassen. Die entscheidende Hürde, die überwunden werden muss, ist die epigenetische Einschränkung des Entwicklungspotenzials. Sie muss aufgehoben werden, und es muss eine vollständige Reprogrammierung mit neuem Ziel gelingen Die Möglichkeiten einer Transdifferenzierung sind lange unterschätzt worden, verständlicherweise. Schließlich gibt es zahlreiche differenzierte Zelltypen, die durch erhebliche und irreversible quantitative und qualitative Veränderungen ihres Genoms nicht mehr in einen embryonalen Zustand zurückversetzt werden können, wie die im obigen Abschn. 18.2.5 genannten Lymphocyten. Wer hätte aber geahnt, dass sogar vielkernige, quergestreifte Muskelfasern eine solche Reembryonalisierung durchlaufen können? Solche vielkernigen Muskelfasern entstehen in der Embryonalentwicklung durch Fusion mehrerer Myoblasten. Vor und im Zuge der Differenzierung verschwindet der mit einer Homöodomäne ausgestattete Transkriptionsrepressor MSX-1; stattdessen werden muskelspezifische Selektorgene wie MyoD und myogenin aktiviert. Wurde nun aber msx-1 reaktiviert, lief die Entwicklung rückwärts. Die Pegel von MyoD und MYOGENIN sanken, die vielkernigen Myotuben zerlegten sich in Einzelzellen, verloren ihren kontraktilen Apparat und wurden zu einkernigen, wieder teilungsfähigen Zellen. Aus ihnen ließen sich nach Zugabe geeigneter Faktoren Zellen ableiten, deren molekularer Bestand charakteristisch für Fettzellen, Knorpelzellen, Knochenzellen und auch wieder Muskelzellen war. Es waren in den ersten erfolgreichen Pionierversuchen freilich Muskelfasern des Molches, die genetisch (TET-System, Box 12.2, Abschnitt „Induzierbare Promotoren: Wie man Gene gezielt ein- und ausschalten kann“) so manipuliert waren, dass das Suppressorgen msx-1 in den On-Zustand geschaltet und damit das muskelspezifische Differenzierungsprogramm wieder gelöscht werden konnte. Doch auch Myotuben der Maus – Myotuben sind die bereits vielkernigen Vorläufer der fertigen Muskelfasern – konnten dazu gebracht werden, sich wieder in Einzelzellen zu zerlegen; in
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin
diesem Fall ohne genetische Manipulation, sondern durch Applikation von Purinen oder von Extrakten aus regenerierenden Molchextremitäten Schließlich (2011) zeigte sich, dass die bloße Verletzung eines Muskels ausreichen kann, damit sich vielkernige Muskelfasern in reembryonalisierte Einzelzellen (Myoblasten, Satelliten-Stammzellen) zerlegen können. Zum Zweck einer Reprogrammierung adulter Zellen sind auch Extrakte von Oocyten des Krallenfrosches Xenopus in Erprobung; denn in Oocyten ist kein ausgeprägtes epigenetisches Programm verwirklicht. Auch Extrakte pluripotenter Zellen aus der Nabelschnur und vieler anderer Quellen sind in der Erprobung. Reverse Entwicklung zurück in einen früheren Zustand ist als natürliches Phänomen bei Cnidariern beobachtet worden. Wir stellen reverse Entwicklung kurz im Kap. 20 (Metamorphose) vor. Perspektiven: Im selben Maß, wie es gelingt, aus den körpereigenen Stammzellen eines Patienten im Labor Ersatzzellen und Ersatzgewebe nach Wahl und in ausreichender Menge zu gewinnen, lässt sich das therapeutische Ziel ohne immunologische und ethische Konflikte erreichen. Die Autoren dieses Buches erwarten, dass in der Zeitspanne zwischen dem Schreiben dieses Abschnittes und seiner Wahrnehmung durch den Leser Fachzeitschriften und Medien von manch bedeutenden Erfolgen berichten werden. Andererseits gibt es einige Gründe, voreiligen Hoffnungen entgegenzutreten:
18.4.3 Implantierte Stammzellen können leicht zu Tumoren werden Mit Mäusen lässt sich experimentieren. Man kann embryonale Stammzellen in eine schon geborene Empfängermaus implantieren, an jedem beliebigen Ort, oder die Stammzellen schlichtweg in die Blutbahn injizieren, die sie dann verlassen, um sich eigenständig in irgendwelchen Geweben anzusiedeln. Wo immer sie implantiert werden oder sich niederlassen: wenn es totipotente Stammzellen sind, können sie zu Teratomen (Neoplasien) oder gar bösartigen Teratocarcinomen heranwachsen. Sie verhalten sich wie befruchtete Eizellen, die sich nicht in der Gebärmutter eingenistet
18.5 Regeneration ganzer Körperteile und von Organen: Wirbellose und Wirbeltiere im Vergleich
haben, sondern „ektopisch“ an fremden Orten, beispielsweise in der Bauchhöhle (Bauchhöhlenschwangerschaft). Will man die Entwicklung eines Teratoms oder Tumors vermeiden, dürfen nur sorgfältig ausgewählte Zellen, die keine Totipotenz mehr haben, in einen Empfänger übertragen werden. Doch auch Stammzellen mit eingeschränkten Potenzen können Ausgangszellen für Tumoren werden. Bezeichnenderweise ist in vielen, wenn nicht gar allen zu Krebszellen entarteten Zellen das Pluripotenzgen Oct-4 eingeschaltet. Mehr über Ergebnisse der Krebsforschung wird in Kap. 19 berichtet.
18.5 Regeneration ganzer Körperteile und von Organen: Wirbellose und Wirbeltiere im Vergleich 18.5.1 Manche Tiere können ganze Körperteile regenerieren; diese Fähigkeit ist nicht klar mit dem Evolutionsniveau korreliert Vollständige Ersatzstücke für verlorene Körperteile können viele Invertebraten herstellen. Ein enormes Regenerationsvermögen besitzen in der Regel Schwämme, Cnidarier mit dem Süßwasserpolyp Hydra als dem bekanntesten Vertreter und Planarien (Turbellarien). Die sich aufdrängende Meinung, es spiegle sich hier die „primitive“ evolutionsgeschichtliche Stellung dieser Organismen wider, wird durch Einzelbeobachtungen gestört. So regeneriert unter den Turbellariern Mesostoma nicht, während andere Gattungen und Arten (s. auch Abschn. 18.7.1) mit einem vorzüglichen Regenerationsvermögen ausgestattet sind. Nematoden mit ihrer schlechten Regenerationsleistung sind auch kaum höher organisiert als die mit gutem Regenerationsvermögen ausgestatteten Planarien. Neben den Nematoden galten die Tunikaten in ihrer Embryonalentwicklung als Prototyp des „Mosaikentwicklers“ mit früher Determination und nur geringer regulatorischer Flexibilität. Larven regenerieren nicht; adulte Seescheiden (Ciona intestinalis, Styela picta, Clavelina lepediformis u. a.) hingegen sehr gut und koloniale Formen wie Botryllus schlosseri hervorragend. Sie besitzen, wie manche Hydrozoen, totipotente Stamm-
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zellen. Recht gut können auch verschiedene Echinodermen wie die Seesterne, Crinoide (Schlangensterne) und Holothurien (Seegurken) regenerieren. Tunikaten und Echinodermen gehören wie die Wirbeltiere zur Gruppe der Deuterostomier. Es gibt also keine eindeutige Korrelation zwischen reparativem Regenerationsvermögen und der Stellung eines Tieres in der Hierarchie des zoologischen Systems. Das fehlende Vermögen der meisten Wirbeltiere, amputierte Teile regenerativ ersetzen zu können, dürfte eher durch ihre Größe bedingt als von ihrem Evolutionsniveau bestimmt sein. Auch dürfte die Wahrscheinlichkeit, Körperteile bei einem Unfall oder an einen Fraßfeind zu verlieren, als Selektionsmoment von Bedeutung gewesen sein. Unter den Amphibien besitzen nach der Metamorphose noch die Urodelen (Salamander, Molche) ein augenfälliges reparatives Regenerationsvermögen. Sie können amputierte Extremitäten, den Schwanz, die Augenlinse, den Ober- und Unterkiefer, das Rückenmark und die Herzkammer regenerieren. Arthropoden können verlorene Extremitätenteile regenerativ ersetzen, solange noch Häutungen bevorstehen. Autotomie ist das selbsttätige Abwerfen eines verzichtbaren Körperteils (Schwanz bei Eidechsen, Gliedmaßen bei Arthropoden), den man dem zupackenden Räuber zum Fraß überlässt. Die Fähigkeit, solche Teile wieder regenerieren zu können, lässt eine solch partielle Selbstaufopferung zu. Auch asexuelle Fortpflanzung ist eine Regeneration im Sinne des Wortes (Re-Generieren D erneut Hervorbringen). Man spricht auch von „agametic cloning“.
18.5.2
Rekonstitution: In Zellen zerlegte Gewebe und ganze Organismen können sich reorganisieren
Rekonstitution ist ein experimenteller Sonderfall, der eine erstaunliche Selbstorganisation vielzelliger Verbände dokumentiert: Embryonen (z. B. Seeigelblastulae) oder isolierte Organe (z. B. Auge einer Kaulquappe) oder gar ganze Individuen (z. B. Hydra, s. Abb. 4.14) werden in Einzelzellen zerlegt. Aus der Zellsuspension können die Ausgangsobjekte C= vollständig zurückgewonnen werden. Das machen die
480
Zellen in einem Prozess der Selbstorganisation ohne große Hilfe von außen selbst. Wie das funktioniert, ist für Hydra in Abschn. 4.3.2 beschrieben. In freier Natur ist eine solche Rekordleistung nicht gefragt. Andererseits stellen sich bei solchen Rekordleistungen umso drängender die höchst schwierigen Fragen: Woher rührt die hohe Flexibilität? Wie wird dies alles organisiert und kontrolliert?
18.5.3 Lokal ist Regeneration von Geweben und Organen auch im Säugetier einschließlich des Menschen möglich Bei der Auflistung von Regenerationsleistungen wird allzu leicht Wohlbekanntes und Alltägliches vergessen. Es sei beispielsweise erinnert an den Ersatz der Milchzähne durch das (hoffentlich) bleibende Gebiss beim Menschen, an die jahresperiodisch sich wiederholende Mauser der Vögel und den jahresperiodischen Wechsel des Haarkleides der meisten Säugetiere in hohen geografischen Breiten, an den jährlichen Wechsel des Geweihs bei Hirschen und Rehböcken, an das Nachwachsen von Klauen und der Nägel, an die Heilung von Wunden und Knochenfrakturen. Schließlich hat die Leber, falls ihr aufgrund eines Tumors ein Teil entfernt werden muss, ein ausgesprochen gutes Regenerationsvermögen (was der grausame Adler der antiken Sagenwelt ausnutzte, der täglich ein Stück der Leber des an einen Felsen gefesselten Prometheus herausriss und fraß). Im Falle der Leber nehmen alle Zelltypen die ausgesetzte Proliferationsaktivität wieder auf. Woher die Signale zur Wiederaufnahme des Wachstums und dann wieder zu seiner Beendigung kommen, ist nicht bekannt, wenn auch ein Signalmolekül identifiziert ist. Es ist der Hepatocyte Growth Factor HGF. Die vielfältige, immerwährende Regeneration der Blutzellen, der Haut, der Dünndarmzotten, der Geruchsrezeptoren der Riechschleimhaut und anderer Gewebe war Thema des Abschn. 18.1 gewesen. Dass diese Fähigkeit zur Selbsterneuerung allerdings seine Grenzen hat, darauf wird in Kap. 21 hingewiesen.
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin
18.6 Die zellulären Grundlagen eines hohen Regenerationsvermögens 18.6.1 Die Grundfragen sind: Stammzellen oder Transdifferenzierung (Metaplasie), Epimorphose oder Morphallaxis? Regenerationsprozesse sind erstaunliche Vorgänge und stellen an die Forschung heute noch weitgehend unbeantwortbare Fragen: 1. Wie erkennt ein Organismus, dass etwas fehlt und wie viel fehlt? Diese ist die Frage nach der Auslösung einer Regeneration und der Musterkontrolle während einer Regeneration. 2. Woher kommt das Material für den Ersatz? Dies ist die Frage, ob sich das Regenerat von undifferenzierten Stammzellen oder aus differenzierten Zellen ableitet, die sich durch eine Art Reembryonalisierung dedifferenzieren und dabei die Teilungsfähigkeit zurückgewinnen. 3. Falls (auch) Dedifferenzierung stattfindet, wird weiter gefragt: Gehen neue differenzierte Zellen stets aus ihresgleichen hervor, neue Knorpelelemente stets nur aus reembryonalisierten Knorpelzellen, neue Muskeln stets aus reembryonalisierten Muskelzellen, oder gibt es auch Transdifferenzierung, etwa der Art, dass eine reembryonalisierte Knorpelzelle auch zur Stammzelle neuer Muskelzellen werden könnte? Eine Transdifferenzierung, auch Metaplasie genannt, schlösse jeweils auch eine Transdetermination ein. Transdifferenzierung als reale Ereignisse werden weiter unten vorgestellt. 4. Wird der ursprüngliche Zustand durch Umorganisation des vorhandenen Zellmaterials wiederhergestellt, ohne dass in nennenswertem Umfang Zellteilungen stattfänden (Morphallaxis), oder wird das Regenerat aus wenigen in Reserve liegenden Stammzellen oder reembryonalisierten Gründerzellen gewonnen, die sich im Wundbezirk befinden oder in den Wundbezirk einwandern, sich vermehrt teilen und die neue Struktur nachwachsen lassen (Epimorphose)? Als Beispiel für Morphallaxis wird in langer Lehrtradition der Süßwasserpolyp Hydra genannt, als Beispiel für Epimorphose die Gliedmaßenregeneration bei Arthropoden und Amphibien. Morphallaxis und
18.6 Die zellulären Grundlagen eines hohen Regenerationsvermögens
Epimorphose sind jedoch gedankliche Grenzfälle (die Begriffe stammen von TH Morgan; Box 1.1). Auch bei einer Epimorphose gehen oftmals die ersten teilungsfähigen Stammzellen durch Reembryonalisierung aus schon vorhandenen, (weitgehend) differenzierten Zellen hervor. Umgekehrt wird kein Organismus ohne Zellteilung auskommen, wenn er umfangreiche Strukturen wiederherstellen muss. Aktuelle Regenerationsleistungen gründen in unterschiedlichem Ausmaß auf Transdifferenzierung, Zellwanderung und Zellproliferation.
18.6.2 Stammzellen sind Hauptquelle für Regenerationsleistungen aller Art; das Prinzip ist evolutionsgeschichtlich uralt Bereits bei Schwämmen, den urtümlichsten Metazoen, gibt es totipotente Stammzellen, die Archaeocyten und Choanocyten. Unter den Cnidariern wurden cytologisch identifizierbare Stammzellen bei einigen Hydrozoen identifiziert, darunter Hydractinia echinata (Abb. 18.12; s. auch Abb. 4.18) und der jedem Biologen bekannte Süßwasserpolyp Hydra. Bei diesen zwei genannten Hydrozoen kennt man interstitielle Zellen D i-Zellen, kleine RNA-reiche Zellen, die sich in den Zwischenräumen (Interstitien) der Epithelzellen aufhalten. Unter ihnen gibt es multipotente Stammzellen; ihre Abkömmlinge sind Nervenzellen, Nesselzellen, bestimmte Drüsenzellen und die Geschlechtszellen (s. Abb. 4.13). Bemerkenswert ist hierbei, dass Hydra auch Nervenzellen ersetzen kann (Säuger können dies in nur sehr begrenztem Umfang, z. B. im Hippocampus). Der Besitz von Stammzellen als Jungbrunnen für jede Art von alternden und verbrauchten Zellen ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Hydra potenziell unsterblich ist. In einer Hydra können nicht alle Zellen aus i-Zellen hergestellt werden. Die ektodermalen und entodermalen Epithelzellen, die den Körperschlauch aufbauen, entstehen durch Teilung aus ihresgleichen. In der Körpermitte (Gastralregion) sind auch differenzierte Epithelmuskelzellen teilungsfähig und haben insoweit Stammzellcharakter bewahrt. Darüber hinaus können Epithelmuskelzellen, wenn sie entlang der Körperachse verschoben werden, ihren Differenzierungszustand gemäß der jeweils erreichten Region ändern, und sich, wenn sie schließlich in den Kopf- oder Fußbereich
481
gelangen, in Batteriezellen der Tentakel oder Drüsenzellen des Fußes verwandeln. Sicher trägt diese Plastizität des Differenzierungszustandes maßgeblich zum hohen Regenerationsvermögen bei. Diese Plastizität kann durchaus als Transdifferenzierung angesprochen werden. Ein noch höheres Entwicklungspotenzial ist für die herumwandernden i-Zellen von Hydractinia nachgewiesen worden (Abb. 18.12). Die i-Zellen dieses Hydrozoons sind totipotent. Der Nachweis beruhte auf folgendem Experiment: Die i-Zellen einer Kolonie wurden mittels alkylierender Cytostatica eliminiert und durch i-Zellen von gewebeverträglichen mutanten Klonen ersetzt. Die gespendeten neuen i-Zellen konnten aus einem Transplantat in die i-Zellen-freie Kolonie einwandern. Spender und Empfänger unterschieden sich in der Wachstumsform (z. B. vielköpfige Polypen einer Mutante) und im Geschlecht. Im Laufe von Wochen nahm der Empfänger nach und nach den Phänotyp des Stammzellen-Spenders wie auch dessen Geschlecht an. Umgekehrt wandelten sich nach dem Austausch ihrer Stammzellen weibliche Kolonien mit mutantem, vielköpfigem Phänotyp in Männchen des Normaltyps um. Das Postulat, auch die Neoblasten der Planarien seien, jedenfalls in ihrer Gesamtheit, totipotent, war lange umstritten, wird aber durch neuere Untersuchungen zunehmend bestätigt. Ein hohes Regenerationspotenzial haben die Arten der Gattung Dugesia, und diese haben auch besonders viele Neoblasten. Als weiterer Träger totipotenter Stammzellen ist überraschend sogar ein Vertreter des Tierstammes der Chordaten vorgestellt worden. Es ist der koloniale Tunikat Botryllus schlosseri. Isolierte Blutzellen ballten sich zu einem Blastula-ähnlichem Gebilde zusammen, und aus diesen gingen binnen einer Woche vollständige Organismen hervor. Bei Echinodermen sind verschiedene Zellformen beschrieben worden, denen Stammzellcharakter zugeschrieben wird: Amoebocyten, Cölomocyten, Phagocyten und Granulocyten. In all den hier zusammengetragenen Fällen gilt das Prädikat „totipotent“ für eine Gruppe von Zellen, die in ihrer Gesamtheit Totipotenz vermitteln. Möglicherweise sind diese Zellen nicht alle homogen und gleichwertig, sondern bilden heterogene Untergruppen mit verschiedenen, jeweils eingeschränkten Potenzialen. Dass auch ein einzelner Zelltyp, und sogar ein voll ausdifferenzierter, totipotent werden kann, zeigt der folgende Abschnitt.
482
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin Weiblicher Sexualpolyp (Gonozooid)
Männlicher Sexualpolyp (Gonozooid) Spermatocyten
Oogonien Spermatogonien v
v
v
v v v
v
totipotente interstitielle Stammzellen
v v
v
v Urkeimzellen (primordial germ cells)
v
somatische Hülle Gonophor (Relikt einer Medusengeneration)
v v
Urkeimzellen
Nematocyten (Nesselzellen) v Nematoblasten
sensorisches Neuron mit Cilium
v Neuroblasten
ganglionisches Neuron v
v
v epitheliale Zellen v
Selbsterneuerung (self-renewal)
Selbsterneuerung (self-renewal)
totipotente interstitielle Stammzellen Vasa exprimierend
Abb. 18.12 Stammzellen (i-Zellen) der Hydrozoons Hydractinia, bei dem durch A. Weismann 1983 erstmals Stammzellen beschrieben und so benannt worden sind. Die i-Zellen von Hydractinia sind totipotent (adaptiert nach Künzel et al. 2010)
18.6.3 Plastizität des Differenzierungszustandes und Transdifferenzierung sind weitere Quellen eines hohen Regenerationsvermögens Wenn bei Hydra eine Epithelmuskelzelle zu einer Epitheldrüsenzelle wird, kann dies als Transdifferen-
zierung oder bloße Modifikation des Differenzierungszustandes angesehen werden. Bei anderen Cnidariern wie den Anthozoen (Korallentieren) und Scyphozoen sind noch keine morphologisch oder molekulargenetisch erkennbaren Stammzellen beschrieben worden, obzwar auch diese Organismen laufend Nesselzellen produzieren und sehr gut regenerieren können. Es sind dies nicht die einzigen Organismen, bei denen
18.6 Die zellulären Grundlagen eines hohen Regenerationsvermögens Glockeninnenseite (Subumbrella) mit quergestreifter Muskulatur
483
Meduse Manubrium
isolierte quergestreifte Muskelzellen Sinnes- und Nervenzellen CollagenaseBehandlung
Dedifferenzierung Transdifferenzierung
glatte Muskelzelle
Tentakel mit Nesselzellen
Manubrium
Abb. 18.13 Transdifferenzierung der isolierten quergestreiften Muskulatur einer Meduse (Podocoryne carnea). Die aus der Schirmunterseite (Subumbrella) isolierten quergestreiften Muskelzellen werden durch Behandlung mit Collagenase (zur Entfernung der Haftunterlage) oder mit Tumorpromotoren destabilisiert. Isolierte, destabilisierte Muskelzellen verlieren ihren Differenzierungszustand und können sich, gegebenenfalls nach
Zellteilungen, in verschiedene andere Zelltypen umwandeln. Noch lange sind in den transdifferenzierten Zellen Relikte des kontraktilen Filamentsystems (rot) zu finden. Die neu entstandenen Zelltypen können durch Selbstorganisation einzelne Organe einer Meduse (z. B. Tentakel, Manubrium) bilden (adaptiert nach Schmidt et al. (1988)
Stammzellen mit dauerhaft embryonalem Charakter noch nicht identifiziert worden sind. Statt Vermutungen nachzugehen, dass in solchen Organismen Reembryonalisierung terminal differenzierter Zellen und Transdifferenzierung Basis des Regenerationsvermögens sein könnten, soll auf experimentelle Nachweise verwiesen werden. Die prinzipiellen Möglichkeiten von Dedifferenzierung und Transdifferenzierung auch ohne experimentelle genetische Manipulation sind mehrfach nachgewiesen worden. Im Bereich der Wirbellosen darf der Paradefall nicht fehlen: Bisheriger Rekord: Pluripotente Stammzellen, hervorgegangen aus quergestreiften Muskelzellen von Medusen (Podocoryne carnea). Aus der Muskulatur des glockenförmigen Schirms isolierte quer-
gestreifte Muskelzellen können dedifferenzieren, Teilungsfähigkeit zurückgewinnen und nach ihrer Teilung eine Vielzahl verschiedener Zelltypen, inklusive Nervenzellen und Keimzellen, hervorbringen (Abb. 18.13). In der gärtnerischen und landwirtschaftlichen Züchtung werden zunehmend Pflanzen, die nicht durch traditionelle Methoden vegetativ vermehrt werden können, dadurch geklont, dass man Zellen des Phloems oder der Blätter nach Entfernung der Zellwand – solche Zellen heißen dann Protoplasten – zum Zellhaufen (Kallus) heranwachsen lässt, in dem sich dann durch Selbstorganisation neue Embryonen bilden. Ähnliches ist bei Tieren noch nicht gelungen. Die hier geschilderte multiple Transdifferenzierung
484
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin Embryonale Linsenbildung Sklera + Chorioidea Epidermis
Lid Iris
Augenbecher
Pigmentepithel Retina
Cornea
Wolffsche Linsenregeneration
verschobene, lebende Linse hemmt Linsenregeneration
abgetötete Linse hemmt Linsenregeneration nicht
Abb. 18.14 Wolff’sche Linsenregeneration bei einem Amphibium. Während in der normalen Embryonalentwicklung die Linse vom ektodermalen Epithel gebildet wird, wird sie im Regenerationsfall durch Transdifferenzierung vom mesodermalen
Irisrand gebildet. Eine nicht denaturierte Linse kann die regenerative Bildung einer Linse durch die Iris verhindern, auch wenn die Originallinse in den Augenhintergrund verschoben wird; eine denaturierte Linse hat diese Hemmwirkung nicht mehr
isolierter Muskelzellen von Hydrozoen lässt jedoch vermuten, dass bei diesen Organismen eine der Pflanzenzüchtung entsprechende Methode des Klonens entwickelt werden könnte. Freilich fehlt daran jedes ökonomische Interesse.
auch bei Wirbeltieren beobachtet werden. Ein seit langem bekanntes Beispiel ist die Linsenregeneration beim Molch. In der Embryonalentwicklung entsteht die Linse aus ektodermaler Epidermis, nachdem der unterlagernde Augenbecher ein induktives Signal ausgesandt hat. Wird später die Linse entfernt, kann sie regenerativ ersetzt werden. Dann ist es jedoch der obere Irisrand, der die Linse liefert. Die Iriszellen sind mesodermale, pigmenthaltige, glatte Muskelzellen. Nicht der Wundreiz sondern das Fehlen der Linse scheint den Prozess der Transdifferenzierung einzuleiten (Abb. 18.14). Im Verlauf der Linsenregeneration werden Gene aktiviert, die auch in der embryonalen Augenentwicklung eine führende Rolle spielen, so die Gene für die Transkriptionsfaktoren Pax-6 und SOX-2
18.6.4 Bekanntester Fall einer Transdifferenzierung bei Wirbeltieren ist die Linsenregeneration; es gibt jedoch weitere Beispiele Transdifferenzierung auch ohne die im Abschn. 18.4 vorgestellten Eingriffe in das Genom kann bisweilen
18.7
Kontrollsysteme
sowie die Gene für Signalmoleküle aus der TGF-ˇund der FGF-Familie. Neben der Linse können auch weitere Strukturen des Auges, der Ciliarkörper und die Iris, durch Transdifferenzierung benachbarter Netzhautzellen wiederhergestellt werden. Doch selbst in Säugetieren ist Transdifferenzierung möglich, so die Verwandlung von Lymphocyten in Makrophagen und von Pankreaszellen in Leberzellen; letztere Umwandlung wird ausgelöst durch eine künstlich gesetzte Verletzung.
18.6.5 Die beschränkte Fähigkeit zur regenerativen Erneuerung führt zum Tod Von Schwämmen und dem Süßwasserpolypen Hydra abgesehen, können vielzellige Tiere, so auch der Mensch, nicht alle Zelltypen regenerativ erneuern. So können gealterte Nervenzellen im Regelfall nicht durch neue Nervenzellen ersetzt werden. Stabile neuronale Netzwerke ermöglichen das Codieren stabiler Instinktprogramme und stabiler LangzeitgedächtnisEngramme. Fehlende Selbsterneuerung hat andererseits das Altern und Absterben der Nervenzellen zur Folge. Ausnahmen sind die Nervensinneszellen der Riechschleimhaut, die Photorezeptoren des Auges, Zellen des Hippocampus und bei manchen Singvögeln die Neurone bestimmter Gehirnareale, die eine Ausprägung des Werbegesangs erlauben und die deshalb auch jahreszeitlichen Umkonstruktionen unterworfen sind. Schon um das 20. Lebensjahr beginnen beim Menschen mehr Nervenzellen verloren zu gehen als neue geboren werden. Neue Forschungen an Stammzellen des blutbildenden Systems der Nager (Maus, Ratte) haben den überraschenden Befund erbracht, dass solche Stammzellen das Knochenmark verlassen, über den Blutkreislauf ins Gehirn gelangen, dort eine Transdetermination erfahren und neue Nervenzellen nachliefern können. Steht also ein unerschöpflicher Jungbrunnen zur Verfügung? Abgesehen davon, dass Entsprechendes beim Menschen noch nicht nachgewiesen ist, haben die Jahrmillionen menschlicher Evolution deutliche Hinweise darauf gegeben, dass der tägliche Verlust an verbrauchten Nervenzellen durch möglicherweise nachgelieferte nicht ausgeglichen wird; jedenfalls ist noch jeder Mensch auch in seiner Gehirnleistung gealtert, wenn er denn alt
485
geworden ist. Im Gehirn gibt es ganz offensichtlich keine nachhaltige Ökonomie, keine ausgeglichene Bilanz zwischen Verbrauch und Nachschub. Der fortschreitende Verlust an Nervenzellen im Gehirn und Zellalterung in weiteren lebenswichtigen Organen führen unaufhaltsam zum Tod des Individuums.
18.7 Kontrollsysteme 18.7.1
Hydra und Planarien: ihre Körperstruktur unterliegt ähnlichen übergeordneten Kontrollsystemen
Hydra Die griechische Sage erzählt von einer riesigen Wasserschlange, die in den lernäischen Sümpfen des Peloponnes hauste und für jeden abgeschlagenen Kopf mehrere neue Köpfe regenerieren konnte. Herkules erlegte sie, indem er mit einem glühenden Pfahl die Wunden ausbrannte und so das Nachwachsen der Köpfe verhinderte. Der ca. 5 mm große Süßwasserpolyp, der heutigen Tages den Namen des Ungeheuers tragen muss, kann ebenfalls einen abgeschnittenen Kopf durch einen neuen ersetzen Er wird aber im Regelfall naturgetreu nur einen einzigen Kopf regenerieren. Wird aus der Körpermitte ein Ring herausgeschnitten, der nur 1=20 der Körperlänge umfasst, so regeneriert der Ring am oberen Ende einen Kopf, am unteren einen Fuß. Durch Eingriff in das Kontrollsystem kann aber auch ein neunköpfiges Wesen hergestellt werden (s. Abb. 10.20a).
Was nützt dem Polypen sein Regenerationsvermögen in freier Natur? Es kann schon passieren, dass ein Beutetier beim Versuch, sich ruckartig loszureißen, seinen Fänger zerreißt. Vor allem die marinen Vertreter der Cnidarier (Hydrozoenkolonien, Korallen) verlieren immer wieder ihre Köpfe, wenn Nacktschnecken oder Fische sie abweiden. Hydra teilt mit ihren Verwandten die Fähigkeit zur Regeneration des Kopfes.
Das hohe Regenerationspotenzial von Hydra wie auch anderer Hydrozoen gründet auch auf dem Umstand, dass der Polyp ohnedies ständig sein ganzes Inventar an Zellen erneuert und deshalb zeitlebens ein System der Musterkontrolle am Werk sein muss, das
486
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin Planarien (z.B. Dugesia tigrina)
A
c
c b
b
d
e
a B wnt HH-Transport
WNT
d
a
BMP-4
herausgeschnittenes Mittelstück
b HH-Produktion unterbrochen mittels RNAi
c
wnt
e
wnt
Hydra
Aktivierung des WNT-Systems am vorderen Ende
Abb. 18.15 A Klassische Regenerationsversuche an Planarien. B Planarien. a Das WNT-Signalzentrum befindet sich am posterioren Ende. Ein Fluss von HEDGEHOG hilft, dessen Position zu bestimmen. b Wird der HH-Fluss unterbunden oder der WNT-Sender mittels RNAi gegen ˇ -Catenin stillgelegt, erscheint am posterioren Ende ein zweiter, ektopischer Kopf. c Aktivierung des WNT/ˇ -Catenin-Systems am Vorderende
macht dieses zu einer zweiten Schwanzregion. d Aufeinander im rechten Winkel stehende Gradienten von WNT und BMP-4 bestimmen die bilateralsymmetrische Organisation des Körpers. Adaptiert nach DeRobertis (2010); Rink et al. (2009). e WNT-Expression bei Hydra zum Vergleich; die Position von WNT-Sendern markiert bei Hydra das Kopfende (oraler Pol)
den Zellenaustausch ortsgemäß qualitativ und quantitativ steuert. Experimentell ermittelte Eigenschaften des Systems der Musterkontrolle wurden in den Abschn. 4.3 und 10.9 vorgestellt.
Planarien Planarien (Sammelbegriff für nicht-parasitische Turbellarien D Strudelwürmer; Abb. 18.15) als Vertreter des Tierstammes der Plathelminthen haben Augen, Gehirn, einen aus einer Scheide vorstülpbaren
18.7
Kontrollsysteme
Pharynx mit Mund und mancherlei innere Organe, die einer Hydra fehlen. Trotz der größeren Komplexität besitzen viele Arten ein vorzügliches Regenerationsvermögen, so die Mitglieder der Gattungen Dugesia (D. gonocephala D Bachplanarie D. dorotocephala, D. tigrina, D. japonica) und Planaria (P. maculata), sowie die Arten Macrostomum lignano und Schmidtea mediterranea. Letzere Art ist bevorzugtes Modellobjekt in molekularbiologischen Laboratorien geworden, weil sie diploid ist und es sowohl asexuell wie sexuell sich vermehrende Stämme gibt. Trotz der unterschiedlichen Organisation ihrer Baupläne und ihrer Stellung in der Systematik des Tierreiches gibt es erstaunliche Parallelen zwischen Planarien und Hydren, aber es existieren selbstredend auch Unterschiede. Die Parallelen, die zwischen Hydrozoen und Planarien aufgezeigt wurden, betreffen a) den Besitz von multipotenten oder gar totipotenten Stammzellen, bei Planarien Neoblasten genannt und b) Prinzipien der Musterkontrolle. Zu Stammzellen: Bei der Art Macrostomum lignano ist Regeneration möglich, wenn vom ursprünglichen Gesamtbestand von 25.000 Zellen noch 4000 einschließlich 160 Neoblasten übrig sind. Die genannte Art gehört zu jenen Turbellarien, die nicht in der Lage sind, spontan einen Kopf zu regenerieren. Hier muss in das WNT-System eingegriffen werden, um einem hinteren Körpersegment die Fähigkeit zur Kopfregeneration zu verleihen. Zur Musterkontrolle: Man kann Planarien wie Hydren mit dem Skalpell quer oder längs durchtrennen, und jeder Teil wird das zum Ganzen Fehlende ergänzen (Abb. 18.15a). Schräge Schnitte können zur Bildung zusätzlicher Köpfe oder Schwanzenden führen, je nachdem ob ein Gewebezipfel nach vorn oder nach hinten weist. Werden durch zwei parallele Schnitte quer zur Körperlängsachse sehr kurze Stücke aus dem Rumpf herausgeschnitten, kann sich an einem solchen Stück sowohl am vorderen (anterioren) wie auch am hinteren (posterioren) Ende ein Kopf bilden (vorausgesetzt man hat eine Art gewählt, die überhaupt einen Kopf regenerieren kann). Bei kurzen Stücken ist ein inhärenter Gradient nicht steil genug, um dem anterioren Ende einen Entwicklungsvorsprung zu geben, und diesen Vorsprung braucht das vordere Ende, um über laterale Inhibition die Bildung eines konkurrierenden Kopfes andernorts unterdrücken zu können. Um die Musterkontrolle mit formalen Vorstellungen
487
zu erklären oder in Einklang zu bringen, könnte nun das für Hydra über Gradienten, Positionswerte und Interkalation Gesagte wiederholt werden. Wir verweisen auf die Abschn. 4.3 und 10.9. Darüber hinaus beherrscht sowohl bei Planarien wie auch bei Hydrozoen das WNT-beta-CateninSystem die Gesamtpolarität des Körpers. Allerdings leigt in Polypen der Hydrozoen die Quelle der WNT-Moleküle im Umfeld des Mundes, also im „Kopf“ (Hypostom), bei Planarien liegt sie an der Schwanzspitze (Abb. 18.15b). Bei Planarien bestimmt jedoch WNT nicht allein die antero-posteriore Polarität. Ein von anterior nach posterior gerichteter Transport von HEDGEHOG (HH) ist mitbestimmend für die Positionierung des WNT-Senders. HH induziert am Hinterende die Expression mehrerer Varianten von wnt. Wird in regenerierenden Mittelfragmenten die Produktion von HH unterbunden, gibt es am hinteren Ende keinen WNT-Sender und es entsteht statt dessen ein zweiter, ektopischer Kopf (Abb. 18.15). Ein solcher wird auch gebildet, wenn das WNT-System am posterioren Ende mittels RNAi (s. Kap. 12) gegen ˇ-Catenin stillgelegt wird. Bei starker Blockade des ˇ-Catenins mittels RNAi entstehen Exemplare mit vielen ektopischen Köpfen – genau das Gegenstück zu Hydra, bei der nicht Blockierung, sondern Aktivierung des WNT-ˇ-Catenin-Systems vielköpfige Monster hervorbringt. Eine vergleichende Betrachtung über die Bedeutung des kanonischen WNT-Systems für die Orientierung von Körperachsen unter Einbezug weiterer Organismen bringt Kap. 22 (Abb. 22.4). Weitere Unterschiede: Hydrozoen und Planarien unterscheiden sich in ihren Symmetrieverhältnissen. Hydrozoen besitzen nur eine polare Asymmetrieachse; Planarien außer der antero-posterioren Körperlängsachse eine Dorsoventralachse und zwei entlang der Mittelllinie spiegelbildlich zueinander angeordnete Links-rechts-Asymmetrieachsen. Bei der Kontrolle dieser Bilateralsymmetrie ist eine Parallele zu den Wirbeltieren bemerkenswert: Wie bei der Neurula von Xenopus ist auch in Planarien ein dachförmiger BMP-Gradient im rechten Winkel zu einem WNTGradienten orientiert (Abb. 18.5). Und anders als bei Hydra bildet sich an der Schnittfläche ein Blastem aus Zellen, die sich am Ort dedifferenzieren und zu denen sich stets auch zuwandernde Neoblasten gesellen. Dieses Blastem bildet den fehlenden Teil. Doch nach und nach wird auch der Restkörper umgestaltet: Die nicht-entfernten Körperregionen
488
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin
Abb. 18.16 Regeneration (Epimorphose) eines Amphibienbeins (Molch, Salamander oder Axolotl). Aus dedifferenzierenden Zellen bildet sich ein Blastem; dieses bringt im Normalfall genau jene Strukturen wieder hervor, die entfernt worden sind. Die Fähigkeit zur Regeneration ist abhängig von der Zufuhr neurotropher Faktoren durch die Beinnerven, genauer durch die die neuronalen Axone begleitenden Gliazellen (Schwann’sche Scheiden)
Epidermis Dermis Muskulatur Knochen (Humerus)
Amputation und Denervierung
Amputation ohne Denervierung
Wundverschluss Dedifferenzierung Blastembildung
Proliferation des Blastems Re- und Transdifferenzierung
Regeneration keine Regeneration
werden verkleinert, bis wieder harmonische Proportionen hergestellt sind.
18.7.2
Die Regeneration der Extremitäten der Amphibien ist abhängig von der Zufuhr von Neurotrophinen
Anuren (Frösche, Kröten) können im Larvenzustand Arm- und Beinknospen regenerativ ersetzen; mit dem Alter der Larven sinkt die Regenerationsfähigkeit und verschwindet nach der Metamorphose ganz. Hingegen können Urodelen (Molche, Salamander, Axolotl) amputierte Extremitäten zeitlebens regenerieren. Die Regeneration vollzieht sich am Extremitätenstumpf in mehreren Schritten (Abb. 18.16): 1. Zuerst wird die Wunde von auswandernden Zellen der Epidermis überdeckt und verschlossen. 2. Unter dieser Deckschicht werden beschädigte Zellen durch Enzyme lysiert. Angrenzende lebende Zellen, insbesondere Zellen des Bindegewebes und der Muskulatur, erfahren eine partielle Dissoziation und dedifferenzieren zu mesenchymalen Vorläuferzellen, aus denen die neue Extremität hervorgeht. Die Ansammlung solcher mesenchymaler Zellen heißt Blastem.
3. In den Zellen des Blastems wird die Aktivität zelltypspezifischer Gene gedrosselt und stattdessen in allen Zellen das Gen für den Transkriptionsfaktor msx-1 eingeschaltet. Dieses bleibt während der folgenden Proliferations- und Wachstumsphase aktiv und wird mit dem Abschluss des Wachstums wieder ausgeschaltet. 4. Stimuliert durch Wachstumsfaktoren, wächst das Blastem zu einer Beinknospe heran. Anders als die Extremitätenknospe des Embryos hängt aber das Wachstum des Blastems auch von Faktoren ab, Neurotrophinen, die von Nerven oder von Gliazellen, welche nervale Axone begleiten, geliefert werden. Im Gegensatz zu den Neurotrophinen, von denen im Kap. 16 (Nervensystem) die Rede war, sind die hier von den Forschern ebenfalls als Neurotrophine bezeichneten Faktoren nicht definiert als Überlebensfaktoren für Nervenzellen, sondern sind Produkte von Nervenzellen oder Gliazellen. Bei Salamandern enthält der Faktorencocktail, der die Regeneration einer Extremität ermöglicht, das von den Schwannschen Scheiden (Gliazellen) der Beinnerven gelieferte nAG-Protein (newt Anterior Gradient Protein). Ist der Beinstumpf denerviert, regeneriert er nicht. Lokale Injektion eines Expressionsvektors mit dem Gen für nAG ermög-
Kontrollsysteme Regeneration des Vorderbeins bei Salamandern Gradient des Rezeptors für nAG, Prod-1
a2
Produktion von nAG auch von Drüsenzellen der Epidermis
pu
er
ta
vi
er
tio
n
un
g
nAG = newt Anterior Gradient protein
Am
r
Produktion von nAG von Schwannscher Scheide
In du j e k rc t io h n El vo ek n tro n A po G ra +V t i o ek n to
a1
en
Abb. 18.17 a Produktion des neurotrophen Faktors nAG (newt Anterior Gradient) im Beinstumpf eines Salamandriden (Notophtalmus viridescens und Ambystoma mexicanum). a1 Zuerst setzen Schwann’sche Scheiden im Beinnerven den Faktor frei. a2 Wenn sich über dem Blastem eine neue Epidermis gebildet hat, erzeugen auch Drüsenzellen der Epidermis nAG. b Denervierte Beinstümpfe (b1) regenerieren nicht (b2). In b3 ist per Elektroporation das (aktivierbare) Gen für nAG in den Beinstumpf eingeführt worden. Nun kann auch der denervierte Stumpf regenerieren. Adaptiert nach Kumar et al. (2007, 2010)
489
D
18.7
b
Regeneration 7 Tage
5 Tage
+ b1
b2-1
b2-2
lichte jedoch auch im denervierten Stumpf Regeneration (Abb. 18.17). Der Wachstumsfaktor nAG wird von einem auf der Zelloberfläche exponierten Rezeptor Prod-1 aufgefangen. Prod-1 ist ein Vertreter der Rezeptorfamilie für EGF (Epidermal Growth Factor), also ein EGFR. Dieser liegt in der Extremität in einem von proximal nach distal abfallenden Gradienten vor. Nach anderen Studien haben auch Wachstumsfaktoren der FGF-Familie eine helfende Funktion. Die FGF-produzierenden Zellen stimulieren sich wechselseitig, ebenso wie in der embryonalen Ex-
b3-1
b3-2
tremitätenknospe (s. Abb. 10.11). Die Parallele zur embryonalen Entwicklung einer Extremitätenknospe geht weiter: So kommt im Blastem ebenso wie in der embryonalen Knospe zur Koordinierung der Musterbildung das Signalmolekül SONIC HEDGEHOG SHH zum Einsatz; es kontrolliert die Achse Finger4 bis 1. Hingegen wird das Muster entlang der Längsachse von der Schulter bis zu den Fingerspitzen durch ein Doppelgradientensystem kontrolliert. Einem von proximal nach distal abfallender Gradient von 11-trans-Retinsäure (retinoic acid) stehen zwei parallel verlaufende, von distal
490 Abb. 18.18 Beinregeneration beim Salamander ohne und mit Behandlung des Regenerationsblastems mit Retinsäure. Nach Behandlung des Blastems mit Retinsäure (retinoic acid, Vitamin-A-Säure) kann es in der proximo-distalen Achse zur Rückstellung des Positionswertes auf Schulterniveau kommen; es werden noch einmal Humerus, Radius/Ulna und Hand hergestellt (a), bisweilen sogar auch noch einmal das Schulterblatt (c). In der anterior-posterioren Achse kann es zur spiegelbildlichen Verdoppelung kommen (c). b Normalfall; hier werden auch die Schnittstellen für die Experimente a und b gezeigt. Adaptiert nach Maden und Hind (2003)
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin Humerus Radius + Ulna 2. Humerus
a
2. Satz Radius + Ulna
+ Retinsäure Schnitt vorn
b normal Schnitt hinten + Retinsäure
c Humerus
nach proximal abfallende Gradienten von FGF8 und Wnt3a gegenüber (s. Kap. 10; Abb. 10.11). Bei der Regeneration nimmt Retinsäure dramatischen Einfluss auf die Musterbildung (s. unten Abschn. 18.7.4). 5. Während des Auswachsens des Blastems werden der Reihe nach jene Strukturen spezifiziert, die normalerweise distal von der Schnittstelle liegen, und zwar vollständig und in der korrekten Reihenfolge. Entwicklungsbiologen haben, um dies anzusprechen, die Regel der distalen Transformation formuliert: Nur was normalerweise distal folgen sollte und entfernt wurde, kann im Regenerationsprogramm verwirklicht werden.
18.7.3 Die Vollständigkeit einer Struktur, hier eines Beins, wird über den kontinuierlichen Gradienten der Positionswerte kontrolliert Im Zuge der Regeneration einer Extremität (wie auch einer Hydra oder Planarie) werden den Zellen steigende Positionswerte zugeteilt und diese bestimmen in der Extremität, welches Skelettelement am jeweiligen Ort hergestellt wird. Diese Positionswerte werden parallel zur zeitlichen und räumlichen Reihenfol-
Scapula
2. Humerus
ge der Expression der Hox-A- und Hox-D-Gene (s. Abb. 12.18) niedergelegt und sind möglicherweise von diesen Faktoren abhängig. Allerdings sind die HOXFaktoren als Transkriptionsfaktoren in den Kernen verborgen. Positionswerte müssen aber von Nachbarzellen wahrgenommen und gemessen werden können. Wird auf einen proximalen Beinstumpf eine Beinstück aufgepropft, das von weit distal stammt, so treffen Zellen mit sehr unterschiedlichen Positionswerten aufeinander. Bei solchen starken Diskrepanzen der Positionswerte kommt es zu einer Ausgleichsreaktion derart, dass die fehlenden Teile dazwischengeschoben werden. Solche Interkalationen sind in den Abb. 10.19 und 10.23 gezeigt. Beine können auch hemimetabole Insekten regenerieren, so die Grille. Bei ihr ist wahrscheinlich gemacht worden, dass die Positionswerte in Gradienten von Zelladhäsionsmolekülen codiert sind, speziell vom Verhältnis zweier gegenläufiger Gradienten solcher Oberflächenmoleküle, von dem von proximal nach distal abfallenden Gradient des Cadherins FAT und dem von proximal nach distal ansteigenden Gradienten des Cadherins DACHSOUS. Diese sind dargestellt in Abb. 10.7. Wird die Expression dieser Cadherine mittels RNAi (s. Kap. 12) gestört, entstehen verkürzte Beine und Interkalationen werden nicht korrekt ausgeführt.
18.7
Kontrollsysteme
491
Schnitt
Retinsäure
Abb. 18.19 Homöotische Transformation eines Regenerationsblastems am Schwanz in ektopische Beinstrukturen nach Einwirkung von Retinsäure (retinoic acid). Versuch von Maden 1993 an Rana temporaria
18.7.4 Vitamin-A-Säure kann im Wirbeltier verborgene Fähigkeiten zur Regeneration komplexer Strukturen zum Vorschein bringen Wird das Blastem des amputierten Unterarms mit Vitamin-A-Säure (Retinsäure, retinoic acid) behandelt, erfahren die Zellen eine Zurückstufung ihres Posititionswertes, und der Stumpf entwickelt im Anschluss an die noch vorhandenen Skelettelemente nochmals Schultergürtel, Humerus, Radius/Ulna, Hand (Abb. 18.18). Kerngebundene Rezeptoren für Retinsäure (RAR) sind vorhanden. Zuvor blockierte Entwicklungswege werden wieder geöffnet. Die Behandlung des Regenerationsblastems am Schwanz der Froschlarve mit Retinsäure kann noch umfassendere, normalerweise blockierte Entwicklungswege öffnen. Die Kaulquappe entwickelte im Zuge der Metamorphose an der behandelten Stelle ektopische Beine (Abb. 18.19). Die Lunge zählt normalerweise nicht zu den Organen, denen ein Regenerationsvermögen zukommt. Mittels Vitamin-A-Säure ließ sich jedoch bei Amphibien eine vollständige Regeneration der Alveolen, die durch verschiedene Noxen zerstört worden waren, erreichen. Im Rückenmark ließ sich das regenerative Auswachsen von Nervenfasern induzieren, allerdings erst, nachdem das betreffende Rückenmarkssegment
durch Transfektion mit dem Gen für den Rezeptor für Retinsäure, RARˇ2, beladen worden war. Normalerweise kann im ZNS das Gen für diesen Rezeptor nicht mehr eingeschaltet werden, und dies gilt als einer der Gründe, weshalb das adulte ZNS der Säugetiere nur noch ein sehr beschränktes Regenerationsvermögen besitzt. Andererseits ermöglicht fehlendes Regenerationsvermögen von Gehirnstrukturen die Installation stabiler Instinktprogramme und ein über Jahrzehnte stabiles Langzeitgedächtnis. Ein großes Ziel der regenerativen Medizin ist es jedoch, die Kontrollsysteme so weit zu beherrschen, dass auch beim Menschen Regeneration komplexer Strukturen wie Extremitäten und Rückenmark möglich wird. Zusammenfassung
Das Wachstum und die Erneuerung von Geweben und Organen beruht vielfach auf der fortgesetzten Teilungsaktivität von Stammzellen, die Merkmale embryonaler Zellen, vor allem deren Teilungsfähigkeit, bewahrt haben. Regenerative Erneuerung kann auf mehreren Ebenen stattfinden: Innerhalb der Zellen wird der Bestand an Makromolekülen erneuert; vielfach werden gealterte und verbrauchte Zellen durch neue ersetzt, welche von Stammzellen nachgeliefert werden. Stammzellen liefern Nachschub für eine Reihe terminal differenzierter Zellen, deren Lebensdauer kürzer als die des gesamten Organismus ist. Beispielsweise sichern im menschlichen Körper unipotente Stammzellen, die laufend neue Keratinocyten hervorbringen, die fortwährende Erneuerung der Oberhaut und der Sinneszellen der Riechschleimhaut, während multipotente Stammzellen des Darmes die Darmzotten nachwachsen lassen. Multipotente, hämatopoietische Stammzellen des Knochenmarks sichern die beständige Erneuerung aller Typen von Blutzellen. Die verschiedenen Blutzellen gehen dabei aus den Stammzellen nach Art eines sich verzweigenden Stammbaums hervor. Art und Menge an Ersatzzellen, die von den Stammzellen hergestellt werden, werden mittels spezieller, hormonähnlicher Faktoren (Erythropoietin, Cytokine, Interleukine) geregelt. Es wird von den zunehmend erfolgreichen Versuchen der medizinisch orientierten Forschung berichtet, aus embryonalen oder adulten menschlichen Stammzellen Ersatz für beschädigte, ver-
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schlissene oder erkrankte Gewebe und Organe zu züchten. Genannt werden beispielsweise Kniescheiben und Herzklappen. Es wird erläutert, was mit dem Ausdruck „therapeutisches Klonen“ gemeint ist. Es wird darauf hingewiesen, dass das Entwicklungspotenzial auch adulter Stammzellen weit größer ist als bisher vermutet. Vor allem gelingt es mehr und mehr, differenzierte Zellen in den Zustand pluripotenter Stammzellen zurückzuversetzen (iPS, induzierte Stammzellen); es müssen dafür besondere Pluripotenzgene, insbesondere die Gene Oct4 und Sox2 in den aktiven Zustand gebracht werden. Es wird aber auch auf die Gefahr hingewiesen, dass aus transplantierten Stammzellen Tumoren hervorgehen können, und es werden Grenzen für regenerative Therapien aufgezeigt. Pluri- und totipotente Stammzellen gibt es bereits bei Schwämmen, Süßwasserpolypen und vielen marinen Wirbellosen. Darüber hinaus können viele wirbellose Tiere ganze Körperteile ersetzen, besonders gut können dies der Süßwasserpolyp Hydra und Planarien, in beschränktem Umfang auch die Urodelen unter den Amphibien (Schwanz, Extremitäten, Augenlinsen). Grundlage eines vorzüglichen Regenerationsvermögens ist nicht allein das Vorliegen teilungsfähiger Stammzellen, sondern mehr noch die Fähigkeit mancher differenzierter Zellen, ihren Differenzierungszustand aufzugeben (Dedifferenzierung) und neue Differenzierungswege einzuschlagen (Transdifferenzierung). So können Molche eine Augenlinse aus Irismuskeln nachbilden. Besonders umfangreiche Transdifferenzierungsfähigkeiten ha-
18 Stammzellen, Regeneration, regenerative Medizin
ben quergestreifte Muskelzellen von Hydrozoen an den Tag gelegt, doch selbst die vielkernigen quergestreiften Muskelfasern von Molchen können sich wieder in einkernige Zellen zerlegen und den Charakter von multipotenten Stammzellen annehmen. In regenerierenden Extremitäten der Amphibien ermöglicht das für einen Transkriptionsfaktor codierende Gen msx-1 die Reembryonalisierung und Transdifferenzierung der Zellen im Wundbereich und ein von den Beinnerven geliefertes Protein namens nAG (newt Anterior Gradient) ermöglicht die Regeneration des ganzen Beines. Gradienten von Positionswerten, wahrscheinlich in Gradienten von Zelladhäsionsmolekülen codiert, kontrollieren die Vollständigkeit einer Extremität. Ganze Tiere sind aus einer einzelnen Körperzelle noch nicht zurückgewonnen worden, im Gegensatz zu entsprechenden Erfolgen der Pflanzenzüchter. Jedoch können aus vielzelligen Aggregaten anfänglich chaotisch angeordneter Zellen, die aus dissoziierten (in ihre Einzelzellen zerlegten) Süßwasserpolypen hergestellt werden, durch Selbstorganisation neue, ganze Polypen hervorgehen. Bei der Steuerung regenerativer Prozesse sind die gleichen oder ähnliche Prozesse der Musterbildung und Musterkontrolle am Werk, die auch die normale Entwicklung dirigieren. Ziel der regenerativen Medizin ist es, durch Eingriff in diese Kontrollsysteme die Regeneration von komplexen Strukturen auch beim Menschen zu ermöglichen. Die begrenzte, unzureichende Möglichkeit des Körpers, verbrauchte Zellen, vor allem verbrauchte Nervenzellen, aus Stammzellen ersetzen zu können bedingt den Tod des Individuums.
Wachstumskontrolle und Krebs
19.1 Wachstumskontrolle 19.1.1 Vielzellige Lebewesen als Ganze wie auch die Größe all ihrer Organe unterliegen einer Wachstumskontrolle In vielzelligen Organismen unterliegen die einzelnen Zellen einer sozialen Kontrolle; denn sie müssen, anders als freilebende Einzeller, ihre Vermehrung zur rechten Zeit und am rechten Ort einschränken oder ganz einstellen. Wachstum ist hier in diesem Kapitel verstanden als Steigerung der Zellenzahl, nicht der Zellgröße oder der individuellen Zellmasse. Terminale Zelldifferenzierung allein führt schon zur Verlangsamung des Zellzyklus, d. h. zur Verlangsamung der Zellproliferation (Proliferation D fortgesetzte Zellteilungen), und vielfach zum völligen Stillstand des Wachstums. Bei Säugern verlieren beispielsweise die Blut- und Nervenzellen ihre Teilungsfähigkeit völlig. Apoptose, der programmierte Zelltod, beendet bei vielen Zellformen das individuelle Leben. Von diesem programmierten Zelltod hatte bereits Abschn. 14.5 (Abb. 14.9) berichtet. Apoptose wird weiterhin im Kap. 21 (Altern und Tod) diskutiert, ist aber auch in Theorien zur Krebsentstehung zu berücksichtigen. Neben solchen in den Entwicklungsverlauf einer Zelle einprogrammierten Endpunkten kontrollieren aber auch Zellen, die potentiell teilungsfähig bleiben, ihre Vermehrungsrate selbsttätig oder diese wird von außen durch die Nachbarschaft reguliert.
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19.1.2 Zellpopulationen in vielzelligen Lebewesen üben eine Vermehrungs-Selbstkontrolle aus Ein einfaches Modell gibt uns eine plausible Vorstellung, wie eine Zellpopulation ihre Vermehrung selbst einschränken kann. Es sei angenommen, die Zellen eines noch kleinen, lockeren Zellverbandes produzierten hemmende Substanzen, seien es triviale Stoffwechselendprodukte oder spezifische „negative“ Wachstumsfaktoren; die Substanzen würden nach außen abgegeben, der zwischenzelluläre Diffusionsraum (Interstitium) sei begrenzt. Ist die Population der Zellen gering, bleibt die Konzentration der Substanzen im Diffusionsraum niedrig. Bei steigender Zellenzahl wird mehr Hemmsubstanz produziert und zugleich wird der Diffusionsraum um jeden einzelnen Produzenten kleiner; folglich steigt die Konzentration der Hemmsubstanz an und erreicht schließlich einen Schwellenwert, bei dem das Wachstum zum Erliegen kommt. Bei massiven Organen, z. B. einer Leber, verringert sich zudem mit zunehmender Masse der Diffusionsabfluss nach außen, weil sich die Oberfläche des Organs relativ zur Zellenzahl verringert.
19.1.3 Auch die Nachbarschaft greift steuernd ein Wenn man derzeit nur selten von Signalsubstanzen hört, die Wachstum unterbinden, so deshalb, weil klare Unterscheidungen oft nicht möglich sind.
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_19,
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Nicht wenige Wachstumsfaktoren stimulieren in niederer Konzentration die Vermehrung bestimmter Zellen, hemmen sie jedoch bei höherer Konzentration. Bei vermehrungsfähigen Vorläuferzellen („-blasten“), z. B. bei den blutbildenden Hämangioblasten, Erythroblasten und Myeloblasten (Kap. 18), können manche dieser Faktoren in niedriger Konzentration die Proliferation fördern, in hoher Konzentration jedoch die terminale Differenzierung auslösen. Daher heißen solche Proteine auch Differenzierungsfaktoren oder Differenzierungshormone. Es ist im Einzelfall auch schwierig bis unmöglich, eine spezifische von einer unspezifischen Hemmung zu unterscheiden. Wachstumsstoppende Signalsubstanzen müssen nicht in jedem Fall lösliche Faktoren sein. Im Gegenteil: In den meisten Geweben werden Zelladhäsionsmoleküle CAM und Komponenten der extrazellulären Matrix solche Signale darstellen. Darauf weist das Verhalten von dissoziierten (aus dem Verband herausgelösten) Zellen in der Zellkultur und das abweichende Verhalten von Krebszellen hin.
19.2 Krebs: Wesenszüge, Vorkommen, Begriffe „Krebs“ ist ein Sammelbegriff für über 200 verschiedene Krankheiten deren gemeinsamer Nenner übermäßiges Wachstum des einen oder anderen Zelltyps ist. Entstehende Wucherungen können die Versorgung anderer Gewebe abdrosseln, Nervenfasern zerreißen, Blutgefäße zerstören oder gar Organe aufbrechen lassen. Etwa 25 % der Bevölkerung der Industrieländer werden im Laufe des Lebens Beschwerden ertragen müssen, die von offenkundigen oder verborgenen Krebsgeschwulsten verursacht werden. Das Verhalten von Krebszellen kann auch in der Petrischale beobachtet werden.
19.2.1 Krebs basiert auf gestörter Wachstums- und Differenzierungskontrolle Krebs entsteht, wenn Grundregeln der zellimmanenten oder der sozialen Proliferationskontrolle, wie sie in
19
Wachstumskontrolle und Krebs
der Entwicklung der Organe wie auch in ausdifferenzierten Geweben gelten außer Kraft gesetzt sind. Es kann zur übermäßigen Vermehrung in folgenden Situationen kommen: 1. Vorläuferzellen vermehren sich zu rasch; es können nicht genug der Abkömmlinge durch Differenzierung rechtzeitig aus dem vermehrungsfähigen Pool abgezogen werden. Ein zu rascher Zellzyklus scheint allerdings keine häufige Krebsursache zu sein. 2. Auch wenn der Zellzyklus nicht beschleunigt ist, kann es zu unkontrollierter Vermehrung kommen, wenn beide Tochterzellen einer Stammzelle ihren Stammzellcharakter beibehalten. Normalerweise behält – im statistischen Mittel – nur eine der beiden Tochterzellen Stammzellcharakter, während die zweite den Weg Richtung Differenzierung einschlägt; wenn die Abkömmlinge auf dem Weg zur Differenzierung ihre Teilungsaktivität nicht rechtzeitig drosseln oder einstellen. Zellteilungen gehen unbegrenzt weiter, selbst wenn das Differenzierungsprogramm sonst abgeschlossen ist (z. B. Melanome, die sich aus Neuralleistenderivaten, den Melanocyten der Haut, entwickeln); wenn differenzierte Zellen partiell reembryonalisieren und Teilungsfähigkeit zurückgewinnen; wenn Zellen nicht rechtzeitig durch programmierten Zelltod eliminiert werden; dies gilt besonders für mutierte Zellen wie Krebsvorläuferzellen.
19.2.2
Die Terminologie des Krebsforschers lässt erkennen, welche Zelltypen zur krebsartigen Entartung neigen
Transformation: Die Umwandlung einer normalen Zelle in eine „entartete“ heißt canceröse oder neoplastische Transformation bzw. auch schlicht Cancerogenese, Krebsentstehung. Agenzien, die dies bewirken, sind cancerogen D carcinogen (lat. Termini) D onkogen (griechisch, adjektivisch). Ein Onkogen (Substantiv!) hingegen ist ein Gen, das Krebs verursachen kann. Ein Tumor (die Geschwulst) ist eine Ansammlung entarteter Zellen, die im Regelfall auf eine einzi-
19.3 Besondere Eigenschaften von Krebszellen und Tumoren
ge transformierte Zelle zurückgeht. Der Tumor kann benigne („gutartig“) oder maligne („bösartig“) sein. Maligne wird ein Tumor, wenn Zellen auswandern und andernorts Metastasen (Tochtergeschwulste) bilden (s. Abb. 18.2). Je nach Herkunft der transformierten Zellen spricht man von: Carcinom, ein maligner Tumor, entstanden aus Epithelstammzellen, z. B. der Haut (s. Abb. 18.2), der Lunge, des Magendarmtrakts oder der Prostata; Adenom, ein benigner Tumor epithelialen Ursprungs, der drüsenartig aussieht und sich auch von Hautdrüsen ableiten kann; Adenocarcinom, ein maligner Tumor epithelialen Ursprungs von drüsenartigem Aussehen; Sarcom, abgeleitet von Bindegewebszellen; Hepatom, Hepatocarcinom aus Hepatocyten oder anderen Leberzellen entstanden; Melanom (schwarzer Hautkrebs), entstanden aus Melanoblasten bzw. Melanocyten, den braunen bis schwarzen Pigmentzellen der Haut; Neuroblastom, entstanden aus embryonalen Neuroblasten; Gliom und Glioblastom, ein hochgradig gefährlicher Tumor, abgeleitet aus Glia-Vorläuferzellen oder fertigen Gliazellen wie den Astrocyten (die meisten Gehirntumoren sind Gliome); Myome, abgeleitet von Myoblasten, inklusive den Satelliten-Reservestammzellen; Myelom, abgeleitet von Vorläufern der myeloiden Blutzellen (s. Abb. 18.6); Lymphom, abgeleitet von Lymphoblasten oder Plasmacytom, abgeleitet von Antikörper-erzeugenden Plasmazellen; Leukämien, Sammelbegriff für verschiedene Formen von Blutkrebs, die sich von unterschiedlichen Blutvorläuferzellen ableiten. Es fällt auf, dass besonders häufig Gewebe betroffen sind, die sich aus Stammzellen regenerativ erneuern können. Unter diesen sind wiederum die aus Epithelstammzellen hervorgehenden Carcinome die häufigsten Tumoren. Gründe hierfür mögen sein: Epithelien beherbergen viele Stammzellen, in denen Mutationen die Kontrolle stören können, und Epithelien sind carcinogenen Umwelteinflüssen besonders stark ausgesetzt.
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19.3 Besondere Eigenschaften von Krebszellen und Tumoren 19.3.1 Krebszellen sind oft immortal, von Wachstumsfaktoren unabhängig und entziehen sich einem nötig gewordenen Selbstzerstörungsprogramm In der Zellkultur zeigen Krebszellen ein Verhalten, das ihre mangelnde Kontrollierbarkeit offenbart und Grundregeln des sozialen Lebens außer Acht lässt. 1. Immortalität. Die Zellen einer etablierten Zellkultur vermehren sich so lange, wie Verarmung an Nährstoffen, verfügbarer Raum oder die Ansammlung von hemmenden Stoffwechselendprodukten keine Grenzen setzen. Die Zellen altern nicht und behalten ihre Teilungsfähigkeit. Das gilt jedoch nicht nur für Krebszellen. In vivo bleiben auch nicht-transformierte Stammzellen unbegrenzt teilungsfähig, und manche etablierte Zell-Linie dürfte sich von Stammzellen ableiten oder von Zellen, die Stammzelleigenschaften zurückgewonnen haben. In Versuchstiere übertragen, müssen immortale Zellen keineswegs unkontrolliertes Wachstum an den Tag legen. So ist Immortalität als solche noch kein ausreichendes Kriterium für eine krebsartige Entartung. 2. Unabhängigkeit von Wachstumsfaktoren. Manche Zellen produzieren ihre eigenen Wachstumsfaktoren (autokrine Stimulation); oder sie werden gänzlich unabhängig von Wachstumsfaktoren, wie es die Zellen früher Embryonalstadien waren. Stammen solche Zellen aber nicht aus Embryonen, sondern aus verdächtigen Wucherungen, so kann diese Unabhängigkeit schon ein Kriterium einer cancerogenen Transformation sein. Wie eine solche Unabhängigkeit erreicht werden kann, wird im nächsten Abschn. 19.4 erläutert. 3. Umgehung des Selbstzerstörungsprogramms. Bei sich oft wiederholenden Zellteilungen kommen die DNA-Reparatursysteme mitunter ihrer Aufgabe nicht mehr vollständig nach. Es sammeln sich Schäden an der DNA an; oder es kommt zu Ungleichverteilungen der Chromosomen bei einer Zellteilung (Aneuploidie). In solchen Fällen sollten
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die Zellen ein Selbstmordprogramm (Apoptose) einschalten oder vom Immunsystem zur Selbstzerstörung gezwungen werden. Krebszellen entziehen sich dem, oder anders ausgedrückt: Zellen, die dem Selbstzerstörungsprogramm wegen irgendwelcher Zufälle (meist Mutationen) entkommen, vermehren sich trotz innerer Schäden. 4. Fehlende Kontaktinhibition. In Kultur genommene Zellen sind oft beweglich und können herumkriechen. Auch diese Eigenschaft teilen Krebszellen mit vielen nicht-transformierten Zellen, beispielsweise mit Fibroblasten und den Zellen des Immunsystems. Normale Fibroblasten unterliegen jedoch der Kontaktinhibition. Berührt man als normaler, sozial eingestellter Bürger eines Zellenstaates einen Nachbarn, stellt man an der Kontaktzone die Bewegung ein; man kriecht nicht über Nachbarn. Und ist man allseitig von Nachbarn umgeben, nimmt man mit ihnen über Zelladhäsionsmoleküle innigen und anhaltenden Kontakt auf und stellt auch seine Vermehrung ein. Aus dem lockeren Zellverband wird ein konfluenter, einlagiger Zellverband (Monolayer). Krebszellen halten sich nicht an diese Regeln: Sie kriechen über andere Zellen, vermehren sich weiter, und es bilden sich Foci, kleine Zellklümpchen, über dem Monolayer. Solche Foci sind für den Krebsforscher ein sicheres Indiz, dass sich in der Zellkultur neben normalen Zellen auch Krebszellen befinden. Fehlende Kontaktinhibition ist auch eine Voraussetzung für die Invasion eines Tumors in gesundes Gewebe und für die Bildung von Metastasen.
19.3.2 Metastasen bilden zu können, ist eine besonders gefährliche Eigenschaft vieler Krebszellen Das Fehlen fester Kontakte zu ihren Nachbarn und die ungehemmte Beweglichkeit mancher KrebsStammzellen ermöglichen es ihnen, aus dem Gewebeverband auszuscheren, wie die Zellen des Immunsystems („weiße Blutkörperchen“) in die Blutgefäße einzudringen, andernorts die Gefäße wieder zu verlassen und Tochtergeschwulste, Metastasen, zu bilden (s. Abb. 18.2). Auf ihrem Weg durch gesundes Gewebe setzen sie fallweise Proteasen frei, um sich einen Weg durch die extrazelluläre Matrix zu bahnen. Diese Eigenschaft teilen Krebszellen mit den herumwandern-
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Wachstumskontrolle und Krebs
den Neuralleistenzellen, und canceröse Melanocyten bilden denn auch gern und viele Metastasen (besonders in der Lunge).
19.3.3 Viele Tumoren können deshalb besonders schnell wachsen, weil sie sich eine besonders gute Blutversorgung sichern In vivo zeigt sich der Egoismus einer Geschwulst in noch anderer Weise: Tumoren setzen angiogene Faktoren frei, die das Wachstum von Blutgefäßen anregen und vorwachsende Blutkapillaren an den Tumor heran- in ihn hineinführen (s. Abb. 17.7). Man setzt viel Hoffnung auf anti-angiogene Faktoren, die eine Rückbildung von Blutkapillaren bewirken und damit den Tumor von der Blutversorgung abkoppeln. Versuche an Labormäusen sind vielversprechend. Andere Forschungsprogramme versuchen, durch Erforschung der Ursachen canceröser Transformationen Strategien zur Heilung oder doch zur Prävention abzuleiten.
19.3.4 Neuerdings wird auch die Existenz von besonderen Tumorstammzellen diskutiert In der Fachwelt spricht man von cancer stem cells oder tumor-initiating cells TIC. Mit Blick auf das Auftauchen von Metastasen wird entsprechend von mobilen Tumorstammzellen gesprochen. Auch induzierte Stammzellen (iPSC, vgl. Abschn. 18.4) können zu Krebsstammzellen werden. Möglicherweise entstehen manche Krebsstammzellen dadurch, dass zuvor differenzierte Zellen durch den teilweisen Verlust ihres epigenetischen Programms und die Reaktivierung von bestimmten Transkriptionsfaktoren (c-Myc, Sox-2) reembryonalisieren und Teilungsfähigkeit zurückgewinnen. Auch sind sehr kleine Zellen, welche embryonalen Urkeimzellen (also den Stammzellen der Keimzellen) gleichen und das Pluripotenzgen Oct-4 exprimieren, als Ursprung von Tumoren in Verdacht geraten. Zuvor schon war berichtet worden, Aktivität von Oct-4 sei ein Charakteristikum von Keimzelltumoren. Solche Befunde bestärken die Annahme, dass viele Tumoren bildende Zellen den Charakter von Stammzellen behalten oder sekundär wieder erworben
19.4 Ursachen einer Cancerogenese
haben. Doch sagen solche Befunde für sich noch wenig über die Ursache unkontrollierten Wachstums aus.
19.4 Ursachen einer Cancerogenese 19.4.1 Die Mehrzahl der Krebserkrankungen wird von exogenen Agenzien ausgelöst; diese sind in aller Regel mutationsauslösend Krebs wird ausgelöst durch (mindestens) vier Klassen von Agenzien: 1. Eine Vielzahl von Chemikalien. Nicht nur die Zahl der krebsauslösenden Chemikalien ist unüberschaubar groß, auch ihre chemischen Strukturen sind schier unendlich vielfältig. Es sind keineswegs nur Kunstprodukte der chemischen Industrie, die in der langen Liste nachgewiesener cancerogener Agenzien aufgeführt sind, sondern auch Substanzen biologischen Ursprungs, wie die von Pilzen erzeugten Aflatoxine oder die im Tabak enthaltenen Cancerogene. Die meisten dieser Substanzen sind DNA-schädigende Mutagene, die allerdings nicht unmittelbar gefährlich sein müssen. Viele werden fatalerweise erst im Körper durch Entgiftungsprozesse zu hochreaktiven Metaboliten umgesetzt, welche an alle erreichbaren Biomoleküle, also auch an DNA, RNA oder Proteine binden. Besonderen Anteil an solchen Carcinogene aktivierenden Prozessen haben die Cytochrom-P450Isozyme, welche zur Entgiftung des Körpers lipophile Moleküle ausscheidungsfähig („uringängig“) machen sollen. 2. Bemerkenswerte Sonderfälle von Cancerogenen sind feinste, kurze Asbest- und Glasfasern, die, wenn sie inhaliert worden sind, wiederholt Miniaturverletzungen in der Lunge erzeugen. 3. Ionisierende Strahlung (Alpha-, Beta-, GammaStrahlung; Röntgenstrahlung; kurzwelliges UV). 4. Viren, seien es DNA-Viren oder RNA-Retroviren. Solche Viren können mittels ihrer Gene Zellen so beeinflussen, dass sie sich (zum Wohle des Virus) häufiger als normal teilen oder sich am Ende ihrer Karriere nicht mehr dem programmierten Zelltod unterwerfen. Viele Retroviren haben im Zuge ihrer Evolution eukaryontische Onkogene aufgegriffen,
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welche sie seither mitschleppen und die ihnen helfen, die Kontrolle über ihre neuen Wirtszellen zu gewinnen. Retro- und DNA-Viren integrieren ihr Genom mitsamt dem mitgeschleppten Onkogen in das Genom der Wirtszelle.
Die krebsfördernde Wirkung mineralischer Fasern wird so gedeutet: In der stets sich bewegenden Lunge beschädigen die spitzen, starren Fasern immer wieder Zellen; solche beschädigten Zellen müssen regenerativ durch mitotisch erzeugte Zellen ersetzt werden. Es dürfte eine lokale, verletzungsbedingte Produktion von Wachstumsfaktoren einsetzen. Bei den erzwungenen, allzu häufigen regenerativen Zellteilungen kommen die Reparaturmechanismen nicht mehr nach, welche normalerweise bei der Replikation nachträglich Fehler korrigieren. Es können sich also Mutationen akkumulieren, ob sie nun spontan entstanden oder durch exogene, mutagene Agenzien ausgelöst worden sind. Die lokale Akkumulation von Wachstumsfaktoren könnte eine beschleunigte Proliferation solcher mutierter Zellen bewirken. Auch rein mechanische Störungen der Chromosomenverteilung durch feinste Asbestnadeln werden als Ursache diskutiert.
5. Krebserzeugende Gene (Onkogene) können auch über die Keimbahn vererbt werden, d. h. sie werden bei der Fortpflanzung über die Eizelle oder das Spermium von Generation zu Generation weitergegeben. Der Verdacht auf eine solche Erblast ist groß wenn ein bestimmter Krebstyp in einer Familie überdurchschnittlich häufig ist; wenn ein Krebs sich schon früh im Leben entwickelt. Paradebeispiele sind: rb-1 (retinoblastom-1), ein Defektallel eines sonst normalen und notwendigen Gens. Erhält man sowohl vom Vater wie von der Mutter ein defektes Allel, so kann das schreckliche Konsequenzen haben: Es entwickelt sich früh ein Retinoblastom, das ist ein Tumor der Netzhaut. Kinder, ja schon Babys, sterben mit einem übergroßen, unheilbaren Tumor in ihrem Auge. Bereits ein defektes Allel er-
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höht das Krebsrisiko; denn wenn das zweite Allel durch Umwelteinflüsse ebenfalls geschädigt wird oder durch Methylierung geschwächt ist, steht kein Normalallel zur Kompensation des Mangels mehr zur Verfügung. APC (Adenomatous Polyposis Coli) und Darmkrebs. In manchen krebsanfälligen Familien entwickeln sich im Dickdarm (Colon) oder Enddarm (Rectum) bei Männern wie Frauen im jungen Erwachsenenalter Hunderte kleiner Geschwulste, „Polypen“ genannt, die früher oder später entarten (familiäre adenomatöse Polyposis). Verantwortlich hierfür sind defekte Allele des Tumorsuppressor-Gens APC. Das APCProtein ist ein regulatorisches Element der WNTSignaltransduktionskaskade; diese ist in vielen Fällen eingeschaltet, wenn Abkömmlinge von Stammzellen durch WNT-Signale (Kap. 11, Abb. 11.6) zur Differenzierung angeregt werden sollen. Oft (in ca. 75 % der Fälle) ist ein weiteres defektes Tumorsuppressor-Gen, das Gen für das Protein p53, am malignen Ausbruch der Krankheit beteiligt. Dieses p53 sollte, wie in Abschn. 19.4.4 ausgeführt wird, eine entartete Zelle in den Suizid (Apoptose) treiben. In der Regel werden Tumor-induzierende Gene, wie die meisten bereits früh entdeckten Gene, mit einem Dreibuchstaben-Code gekennzeichnet. Beispielsweise wird das erste identifizierte virale Onkogen gemäß seiner Potenz, Sarcoma-Tumoren zu verursachen, als src (sprich: sarc) bezeichnet. Das normale Allel (Protoonkogen), das keine Tumoren verursacht, wird mit einem zusätzlich c (c D cellular) gekennzeichnet: c-src.
19.4.2 Die traditionelle Krebsforschung unterscheidet zwei Klassen von Tumor-erzeugenden Genen: Onkogene und defekte Tumorsuppressor-Gene Genvarianten, die Zellen einer angemessenen Wachstums- und Differenzierungskontrolle entziehen, können, wie eben erwähnt, über die Keimbahn vererbt werden; vielfach werden sie jedoch über Viren eingeschleppt. Alternativ erzeugen mutagene Agenzien solche Genvarianten in einzelnen Zellen eines Organismus selbst. Bemerkenswerterweise sind alle
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Wachstumskontrolle und Krebs
krebsauslösenden Gene in ihrer intakten Ursprungsform (Wildtypallel) keineswegs cancerogen; vielmehr werden sie zur normalen Wachstums- und Differenzierungskontrolle benötigt. Solche Gene werden nur gefährlich, wenn sie an bestimmten Positionen ihrer Basensequenz mutieren oder überexprimiert werden oder an einen Chromosomenort transloziert werden, wo sie der normalen Kontrolle entzogen sind, oder wenn bei solchen Genen ein epigenetisches Stilllegungsprogramm fehlschlägt. Gene, deren Mutation oder Fehlregulation zu Krebs führt, lassen sich in zwei Klassen gruppieren: 1. Onkogene im engeren Sinn. Sie leiten sich von normalen (nicht-cancerösen) Protoonkogenen ab, wenn eine Mutation ein gain-of-function-Allel hervorbringt. Diese neu erworbene Funktion ist die positive Stimulation der Zellvermehrung durch Steigerung der Zellteilungsrate (Proliferation) und/oder durch Blockierung des programmierten Zelltodes (Apotrose). Onkogene in diesem Sinn sind nicht selten dominant: Es genügt, wenn eines der beiden Allele des Protoonkogen eine Proteinvariante hervorbringt, welche die betroffene Zelle zur Vermehrung anregt. Die meisten viralen Tumorgene gehören zu dieser Klasse. Das vom Virus eingeschleppte Onkogen kann eine ruhende Zelle stimulieren, wieder in den Zellzyklus einzutreten und sich mitotisch teilen. Oder es verhindert, dass sich eine Zelle am Ende ihrer individuellen Entwicklung oder nach einer irreparablen Schädigung dem programmierten Zelltod unterwirft.
Besonders RNA-Retroviren wie das AIDSverursachende HIV, die ihr Genom in das Genom der Wirtszelle integrieren lassen, gewinnen durch diese Wachstumsstimulation; denn mit der Wirtszelle wird auch das virale Genom vervielfältigt. Die hierauf basierende positive natürliche Selektion dürfte der Grund sein, weshalb Viren nicht selten Onkogene mit sich führen. DNA-Tumorviren wiederum haben oftmals die Fähigkeit, zellteilungsfördernde Gene der Wirtszelle selbst einzuschalten.
19.4 Ursachen einer Cancerogenese
2. Tumorsuppressorgene. Wie der Begriff TumorSuppressor-Gen andeutet, gehört es zu den Aufgaben des vom Normalgen codierten Proteins, Zellvermehrung zu unterdrücken und/oder Apoptose zu fördern. Krebszellen und Tumoren entstehen, wenn Mutationen einen Funktionsverlust (loss-of-function) des Proteins zur Folge haben und beide Allele defekt sind; denn Tumor-Suppressor-Gene sind in der Regel rezessiv, weil ein intaktes Gen (gerade) noch ausreichend Normalprotein zur Unterdrückung des Wachstums liefern kann. Heterozygote Individuen, die ein defektes Allel in einfacher Dosis erhalten haben, sind mit einem erhöhten Krebsrisiko belastet, doch ist ihr Risiko geringer als das homozygoter Individuen. Zu den Tumor-Suppressorgenen gehört das oben erwähnte Retinoblastom-induzierende rb-1-Gen, das Darmkrebs induzierende APC-Gen sowie das p53Gen, über dessen Funktion mehr im folgenden Abschnitt gesagt wird. Potentielle epigenetische Ursachen Unabhängig davon, ob nun ein mit der Wachstumskontrolle befasstes Gen dieser oder jener Kategorie zugeordnet wird, sind neuerdings als weitere mögliche Ursachen einer Tumorbildung auch Veränderungen am Erbgut im Gespräch, die nicht der Definition einer Mutation entsprechen, aber ähnliche Wirkungen wie eine Mutation haben können. In Abschn. 12.5 hatten wir uns mit enzymatisch gesteuerten „epigenetischen“ Veränderungen des Chromatins befasst, durch welche die Zugänglichkeit von Genen reguliert werden kann. Wenn nun beispielsweise Gene, die in der Wachstumsphase des Organismus für Zellproliferation benötigt werden, doch nach Abschluss des Wachstums epigenetisch stillgelegt wurden, nach Verlust der epigenetischen Blockade wieder aktiv werden, kann dies Krebswachstum fördern.
19.4.3 Viele der von krebsauslösenden Genen codierten Proteine sind mit der Kontrolle des Zellzyklus befasst Obzwar in keinem einzigen Fall die ganze Kausalkette entschlüsselt ist, lässt sich ein allgemeiner Erklärungsrahmen abstecken: Krebs basiert auf einer gestörten
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Kontrolle des Wachstums oder einer unzureichenden Umsteuerung von Proliferation auf terminale Differenzierung oder Apoptose. Defekte sind bei allen Gliedern des Steuerungssystems möglich. Onkogene codieren beispielsweise für Wachstumsfaktoren, die zuviel produziert oder nicht rasch genug abgebaut werden. Nicht wenige Tumorzellen produzieren in Kultur unablässig Wachstumsfaktoren wie PDGF (Platelet-Derived Growth Factor) oder TGF-˛ (Transforming Growth Factor alpha), mit denen sie sich selbst zur Teilung anregen (autokrine Stimulation). Rezeptoren für Wachstumsfaktoren, und zwar für daueraktive Varianten solcher Rezeptoren. Manche Onkogene (z. B. Erb-B2; RET) codieren für Rezeptoren, die konstitutiv, d. h. ohne Wachstumsfaktor gebunden zu haben, aktiv und nicht abschaltbar sind. Elemente der Signaltransduktion, die ihrer Funktion nicht ordnungsgemäß nachkommen. Viele Onkogene codieren für nachgeschaltete Elemente der Transduktionskette. Beispielsweise findet sich bei etwa 1=4 der Tumoren des Menschen ein defektes Gen ras. Dessen normales Produkt (c-RAS) ist Glied einer Signalkette, welche ein Zellteilungsstimulierendes Signal vom membranverankerten Rezeptor in den Zellkern weiterleitet. Das defekte RAS feuert unablässig und nicht bloß kurzfristig nach Signalempfang. Ein anderes Element einer Signaltransduktionskette ist das (oben erwähnte) APC-Protein; es ist ein regulierendes Element im kanonischen WNT-Signalübertragungsweg und oftmals beteiligt, wenn Stammzellen sich teilen und ihre Abkömmlinge auf den Weg zur Differenzierung geschickt werden sollen. Transkriptionsfaktoren. Letzten Endes ist es der Zellkern, der sich entscheiden muss, ob er seine DNA replizieren und eine Zellteilung vorbereiten oder ob er den Zellzyklus ganz stoppen und in einer G0 -Phase ruhend verharren soll. Nicht wenige Onkogene (z. B. myc, myb, jun, fos) codieren für Transkriptionsfaktoren, die in der Kontrolle des Zellzyklus involviert sind. So formen die Proteine JUN und FOS Heterodimere namens AP-1, welche die DNA-Replikation einleiten. Tumorsuppressorgene. Sie werden in den folgenden Abschnitten angesprochen.
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19.4.4 Auch gestörte Genfunktionen, welche die Balance zwischen Selbsterneuerung und Differenzierung regeln sollten, können Ursache für die Entstehung von Krebs sein In diesem Zusammenhang ist einmal mehr das vielseitig einsetzbare Wnt/beta-Cateninsystem zu nennen. Es hat nicht nur Funktionen bei der Ausrichtung der Körperachsen und ihrer Untergliederung (Zusammenstellung in Kap. 11, auch Abb. 22.4). Es ist auch beteiligt an der Proliferationskontrolle und mit der Maschinerie gekoppelt, die den Zellzyklus regelt. Ist das Wnt=ˇ-Catenin-System gestört, kann dies beispielsweise eine Ursache für Brustkrebs sein. Eine der möglichen Funktionen von Tumorsuppressorgenen ist es, Signale zum Stopp der Zellteilung zu liefern. Entsprechend ist die Balance zwischen Proliferation und Differenzierung auch gestört, wenn Wachstumsstopp-Signale, Differenzierungshormone oder die Rezeptoren für solche Signale defekt sind. Der in diesem Buch (Kap. 10 und 11) oft genannte TGF-ˇ (Transforming Growth Factor beta) kann Abkömmlinge von Stammzellen des MagenDarm-Traktes dazu bewegen, den Zellzyklus zu verlassen und sich terminal zu differenzieren. Manche Formen von Magen- und Darmkrebs gehen auf defekte Rezeptoren für solche Stopp- und Differenzierungssignale zurück.
19.4.5 DNA-Reparatur und Qualitätskontrolle sind weitere Aufgaben von Tumorsuppressor-Proteinen In jeder Runde einer DNA-Replikation passieren Fehler. DNA-Reparatursysteme kontrollieren die neu synthetisierte DNA und korrigieren Fehler mit erstaunlicher Effizienz. Fallen diese Systeme aus oder können sie allzu große Schäden nicht beheben, akkumulieren DNA-Strangbrüche und andere Mutationen. Besonders gefährlich sind DNA-Doppelstrangbrüche. Prüfsysteme erkennen solch gefährliche Defekte und entscheiden, ob eine Zelle sich weiter teilen darf oder besser vollständig aus dem Verkehr gezogen wird. Gefährliche, weil unkontrollierbar gewordene Zellen unterwerfen sich in der Regel einem Selbstmordpro-
19
Wachstumskontrolle und Krebs
gramm und lösen sich durch Apoptose auf. Eine führende Rolle bei dieser Umsteuerung kommt dem Protein p53 zu. Mutationen des p53-Proteins können es untauglich machen und der Apoptose-Seitenweg ist versperrt. In der Mehrzahl (ca. 75 %) der bösartigen Darmtumoren des Menschen ist p53 defekt. Das Protein p53 ist ein Transkriptionsfaktor, der auf die Aktivität vieler Gene Einfluss nimmt. Überraschenderweise überlebten jedoch Mäuse, deren beide p53-Allele durch eine gezielte K.o.-Mutation eliminiert worden waren. Die Mäuse entwickelten aber schon im juvenilen Alter vielerlei Tumoren, mutmaßlich, nachdem sich weitere Mutationen eingestellt hatten.
19.4.6 Es gibt auch Tumoren, die möglicherweise nicht auf Mutationen zurückzuführen sind: die aus Keimzellen hervorgehenden Teratocarcinome Oben war darauf hingewiesen worden, dass auch fehlgeschlagene epigenetische Modifikation von Chromosomenorten Effekte haben kann, die den von echten Mutationen erzeugten Effekten gleichen können. Hier sei auf eine andere Fehlentwicklung hingewiesen, die den betroffenen Menschen, vor allem Frauen, zum Verhängnis werden kann. Teratome sind, dies sei hier wiederholt, missglückte, chaotisch organisierte Embryonen, die bisweilen aus unbefruchteten Keimzellen des Ovars hervorgehen oder aus normalen befruchteten Keimen, die sich jedoch nicht im Uterus, sondern am falschen Ort eingenistet haben, beispielsweise im Eileiter oder in der Bauchhöhle. Manche diese Teratome werden zum Teratocarcinom und verhalten sich wie ein Tumor, bilden gar Metastasen. Man kann aus solchen Teratocarcinomen Zellen freisetzen und in Zellkultur nehmen. Sie verhalten sich in der neuen Umgebung normal, benötigen Wachstumsfaktoren und bilden keine Foci über Monolayerschichten. In Wirtsblastocysten injiziert, haben Teratocarcinomzellen der Maus an einer normalen Entwicklung teilgenommen. Es entstanden Chimärenmäuse, die keine Tumoren entwickelten (s. Abb. 13.4b). Diese Befunde belegen, dass Tumorbildung auf gestörter Kontrolle der Proliferation und Differenzierung basiert; Mutationen können eine solche Kontrolle stören
19.4 Ursachen einer Cancerogenese
501
Box 19.1: Die Hypothese der Mehrstufen-Carcinogenese postuliert darüber hinaus eine Stimulation des Tumorwachstums durch nicht-mutagene TumorPromotoren. Wenn man mit mutagenen Agenzien bei Mäusen oder anderen Versuchstieren Tumorwachstum zuverlässig auslösen will, muss nach der Applikation eines mutagenen Agens mehrfach mit Tumor-Promotoren nachgeholfen werden. Darunter versteht man Substanzen, die für sich allein keine Tumorbildung auslösen, aber das Wachstum latenter Krebszellen beschleunigen. Bekannte Tumor-Promotoren sind Phorbolester, polycyclische Verbindungen, die von Euphorbien (Wolfsmilchgewächsen) extrahiert werden können und als tumorfördernde Komponenten mittelamerikanischer Tees entdeckt worden sind. Solche Phorbolester greifen in die Signaltransduktion des PI-Systems (s. Abb. 11.5b) ein: Sie verursachen eine überlange Stimulation des Schlüsselenzyms PKC und imitieren bei ihrer wiederholten Applikation die Wirkung von wiederholt angebotenen Wachstumsfaktoren. Die Hypothese der Mehrstufen-Carcinogenese nimmt folgende Stufen an: Auslösend sind Mutationen oder mutationsäquivalente Defekte, in Protoonkogenen, Tumorsuppressorgenen oder sonstigen Genen, die bei der Regulation von Wachstum, Differenzierung oder Apoptose eine essentielle Rolle spielen;
oder unwirksam machen, doch kann das Kontrollsystem auch in anderer Weise durcheinandergeraten: wenn Zellen nicht in ihrer angestammten Nische sitzen, sondern an einen falschen Platz geraten sind, wo die normale Nachbarschaft keine Kontrollfunktion ausüben kann. Sogar im Hoden können Urkeimzellen sich unprogrammgemäß teilen und Teratome hervorgehen lassen (Hodenkrebs). Das Thema Krebs bleibt ein Thema der Entwicklungsbiologie. Zusammenfassung
Im vielzelligen Organismus unterziehen sich die Zellen einer Selbstbeschränkung in ihrer Vermehrung oder werden durch ihre Nachbarschaft in
alsdann müssen Wachstumsfaktoren oder exogene Tumor-Promotoren ihre Proliferationsfördernde Wirkung entfalten, oder die Zellen müssen immortal und unabhängig von Wachstumsfaktoren werden, also in einen Zustand zurückfallen, der für frühembryonale Zellen während der Furchungsphase charakteristisch ist. Auch wiederholte Verletzungen können Tumor-promovierend wirken; darauf beruht wohl unter anderem die krebsfördernde Wirkung von Asbestfasern in der Lunge. In vielen Versuchen, in denen man gesunde Zellen mit bestimmten Onkogenen (wie src, ras) bestückt hat, wurde klar, dass eine einzige Mutation in der Regel ausreichen kann, die Entwicklung gutartiger Tumoren einzuleiten, die dann von TumorPromotoren zur sichtbaren Größe gebracht werden können. Eine einzelne Mutation reicht aber nicht aus, um bösartigen Krebs entstehen zu lassen, auch nicht, wenn man mit Tumor-Promotoren nachhilft. Bis zu sechs Mutationen mussten im Einzelfall eingeführt werden. Dies dürfte einer der Gründe sein, weshalb Krebs oft erst im Alter ausbricht. Auch wenn der menschliche Körper aus 30 Trillionen Zellen bestehen mag, so ist doch die Wahrscheinlichkeit, dass sich in ein und derselben Zelle mehrere passende Mutationen ereignen, nicht sehr hoch. Wenn freilich schon Onkogene ererbt oder durch Viren eingeschleppt sind, erhöht sich das Risiko um ein Vielfaches.
Schach gehalten. Ist die Vermehrungs- und Differenzierungskontrolle gestört, kann Krebs die Folge sein, wenn beispielsweise bei der terminalen Differenzierung das Programm zum Abschalten des Zellzyklus nicht ausgeführt wird oder geschädigte Zellen sich nicht dem programmierten Zelltod unterwerfen. Krebszellen sind wie Stammzellen immortal, darüber hinaus oft unabhängig von Wachstumsfaktoren, entziehen sich einer Kontaktinhibition durch Nachbarzellen und sind oftmals amöboid beweglich. Dies ermöglicht es ihnen, Metastasen zu bilden. Neuerdings wird auch von besonderen Tumorstammzellen gesprochen, die sich
502
19
jedoch im Gegensatz zu normalen Stammzellen einer ausgewogenen Proliferationskontrolle entziehen. Krebs wird vor allem von mutagenen Agenzien (Chemikalien, ionisierender Strahlung) ausgelöst, wenn diese Agenzien Gene schädigen, welche für die Vermehrungskontrolle gebraucht werden. Krebs kann auch von Viren ausgelöst werden, die krebsauslösende Gene eukaryontischen Ursprungs mit in die Wirtszelle einschleppen (RNA-Retroviren) oder entsprechende Gene der Wirtszelle selbst aktivieren (DNA-Tumorviren). Schließlich können krebsauslösende Gene auch über die Keimbahn, d. h. über die Eizelle oder das Spermium, geerbt werden. Krebsauslösende Gene werden traditionellerweise in zwei Klassen eingeteilt: 1. Onkogene, die zumeist dominant sind und sich durch Mutation von nicht-krebserzeugenden Normalgenen (Protoonkogenen) ableiten. Die von den beschädigten Onkogenen codierten Proteine regen in vielfältiger Weise die Zellvermehrung an. Sie tun dies beispielsweise, indem sie die Zelle in einen Zustand versetzen, der die unablässige Zufuhr von Wachstumsfaktoren simuliert. 2. Tumorsuppressor-Gene, die normalerweise in den Zellzyklus eingreifen und die Zellvermehrung unterdrücken in Krebszellen jedoch defekt sind. Sie werden in der Regel rezessiv vererbt.
Wachstumskontrolle und Krebs
Es können weitere Gene krebsauslösend werden, wenn die von ihnen codierten Proteine ihre Funktion nicht erfüllen. Dies betrifft 3. Gene, die für DNA-Reparaturenzyme codieren und/oder 4. Gene, die zur Einleitung und Durchführung eines Selbstzerstörungsprogramms benötigt werden. Ein solches Programm (Apoptose) sollte in Gang kommen, wenn sich Schäden am Erbgut nicht mehr beheben lassen. Nicht allein eine echte Mutation, sondern auch eine nach Abschluss des Wachstums erfolglos eingeleitete epigenetische Stilllegung solcher Gene kann Ursache einer Krebserkrankung werden. Tumorbildung ist ein Mehrstufenprozess: Ausgang sind Mutationen (oder mutationsäquivalente Veränderungen) in Genen, die eine Funktion bei der Kontrolle des Zellzyklus haben, das soziale Verhalten der Zellen begründen oder die Apoptose gefährlich gewordener Zellen regulieren. Sekundäre Faktoren, wie Zufuhr von Wachstumsfaktoren, von Tumor-promovierenden Fremdsubstanzen und verstärkte Blutversorgung fördern dann das beschleunigte Wachstum eines Tumors. Es gibt jedoch auch Tumoren, bei denen möglicherweise Mutationen nicht im Spiel sind. Es sind dies die Teratocarcinome, die sich von Teratomen, das heißt extrem missgebildeten Embryonen, ableiten. Auch ein unpassender Platz in einer chaotischen Umgebung kann Zellen einer Vermehrungskontrolle entziehen.
Metamorphose und ihre hormonale Steuerung
20.1 Metamorphose: ein zweiter Phänotyp aus einer „zweiten Embryogenese“ 20.1.1 Die meisten Amphibien und wirbellosen Tiere wandeln sich von einem ersten in einen zweiten Phänotyp um Metamorphose (griech.: Umgestaltung) bedeutet die Beendigung eines ersten, des larvalen Phänotyps (griech.: Erscheinungsform) und die gleichzeitige Entwicklung eines neuen Phänotyps, der eine neue ökologische Nische besetzt und ein anderes Habitat besiedelt. Larve und Adultform sind in aller Regel keine Nahrungskonkurrenten. Im marinen Bereich dienen Larven auch der geografischen Verbreitung der Art, leben häufig planktisch und gehen im Zuge ihrer Metamorphose zum Bodenleben über oder werden gar sessil. Planktisch leben die Larven der Echinodermen, z. B. der Pluteus des Seeigels (s. Abb. 4.1 und 4.2), die Trochophora der Anneliden (s. Abb. 4.22), die Veligerlarve der Mollusken, die Actinotrocha der Phoroniden (schlauchförmige Tentaculaten), die Naupliuslarve der Krebse. Freilebend sind auch die Planulalarven der Cnidaria, die eine Metamorphose zu sessilen Polypen durchlaufen (s. Abb. 4.17), und die mit einer Chorda ausgestatteten Larven der sessilen Tunikaten (Seescheiden, s. Abb. 4.43). Auch bei Insekten und Amphibien ist der Erwerb eines neuen Phänotyps mit dem Wechsel des Lebensraums und/oder der Nahrungsgrundlage gekoppelt.
20
Metamorphose beinhaltet Abbau spezifisch larvaler Strukturen, z. B. Epidermis, Nachschieber von Raupen, Kiemen und Schwanz der Kaulquappe, adaptive Umgestaltung der Gewebe, die vom Larvenleben ins imaginale übernommen werden sollen (z. B. Nervensystem, Exkretionsorgane), und Neuentwicklung spezifisch imaginaler Strukturen (z. B. Flügel der Insekten, Lungen). Bei Insekten sind Änderungen der Organisation stets an Häutungen geknüpft. Verzichtet man auf eine detaillierte Klassifizierung, lassen sich zwei Hauptmodi der Metamorphose unterscheiden: 1. Hemimetabole (paurometabole) Entwicklung (Griech.: hemi D halb; pauro D wenig; metabol¯e D Umwandlung): Die Larve ist in ihrer Grundorganisation bereits der Imago ähnlich, wächst sprunghaft von Häutung zu Häutung, nähert sich schrittweise der Endgestalt und gewinnt als spezifisch imaginale Neubildungen Flügel und Genitalapparat (Abb. 20.1e). Bei einer Reihe von Insekten sind nur geringe Umkonstruktionen des larvalen Körpers nötig: Paurometabolie. Beispiele: flügellose Insekten (Apterygota), Heuschrecken (Saltatoria), Ohrwürmer (Dermaptera), Schaben (Blattodea), Termiten (Isoptera), Tierläuse (Phthiraptera), Wanzen (Heteroptera). Mitunter sind auffällige larvale Organe abzubauen (Kiemen der Eintagsfliegen- (Ephemeroptera) und Köcherfliegenlarven (Trichoptera); Fangmaske der Libellenlarve (Odonata)). Das vorletzte Larvenstadium kann als Nymphe eine sprunghafte Annäherung an die Imago sichtbar werden lassen, eine Puppe kommt aber nicht vor. Sie definiert die
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_20,
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504
20 Metamorphose und ihre hormonale Steuerung
20.1 Metamorphose: ein zweiter Phänotyp aus einer „zweiten Embryogenese“
J Abb. 20.1 Modellorganismen der Metamorphose und ihrer hormonalen Steuerung. a Xenopus laevis, der Krallenfrosch. b Axolotl (Ambystoma mexicanum); b1 neotene Form, zeitlebens mit Kiemen, Albino; b2 Axolotl nach einer mittels Thyroxin künstlich ausgelösten vollständigen Metamorphose. c Das Hydrozoon Hydractinia echinata. Planulalarve und der aus ihr hervorgehende Primärpolyp, der Gründer einer neuen Kolonie. Die blaue Fluoreszenz markiert die Chitinhülle der Stolone; welche sich durch Wachstum verlängern, ähnlich einem Blutgefäßsystem verzweigen und durch Knospung weitere Polypen erzeugen. d Aurelia aurita, die Ohrenqualle; d1 die asexuell erzeugte Ephyra-Larve, d2 die geschlechtsreife Qualle. e
2. Holometabole Entwicklung (Griech.: holos D ganz, vollständig): Die Umwandlung führt in einem Vorgang dramatischer Umgestaltung innerhalb einer Puppenhülle vom larvalen Phänotyp des Engerlings, der Raupe oder Made zum gänzlich verschiedenen Phänotyp des Käfers (Coleoptera), des Schmetterlings (Lepidoptera, Abb. 20.1f, g), der Ameise, Biene oder Wespe (Hymenoptera), oder der Fliege (Diptera). Die Adultstrukturen gehen bei dieser vollständigen Umwandlung aus Zellarealen hervor, die man Imaginalscheiben (Abb. 20.2 und 4.41) nennt. Es sei hier, wie schon in Kap. 1, darauf hingewiesen, dass alle die verschiedenen Erscheinungsformen, Embryonalstadien, Larve, Puppe und Imago, sich von ein und demselben Genom ableiten. Es ist gegenwärtig unvorstellbar, dass aus der Reihenfolge der Basenpaare entlang der DNA logisch abgeleitet werden könnte, in welchen Erscheinungsformen ein Organismus existieren kann.
20.1.2 Während der Metamorphose kommt es zu dramatischen Umgestaltungen und zu einer molekularen Neuaustattung Metamorphose erfordert Umgestaltung auf jedem organismischen Niveau: von der äußeren Morphologie über die Physiologie bis zu Änderungen in der Enzymausstattung der Zellen. Auf die Änderungen des Hormontiters (Hormonkonzentration im Blut bzw. in der Hämolymphe) reagieren die verschiedenen Gewebe und Organe höchst unterschiedlich, je nachdem wie sie zuvor programmiert worden sind. Wieder soll beispielhaft die Metamorphose von Amphibien und
505
Schistocerca gregaria, die Wüstenwanderheuschrecke, als Beispiel eines hemimetabolen Insekts mit stufenweiser Annäherung an die Adultform (Imago). Im Subadultstadium sind die Flügel (Pfeil) angelegt, aber noch nicht voll entwickelt; e2 die Adultform ist flugfähig und wird geschlechtsreif. f Manduca sexta, ein holometaboler Schmetterling. g Araschnia levana, das Landkärtchen; g1 Frühlingsform, g2 Sommerform, g3 Raupen, g4 Puppe, die überwintert. Bilder aus der Lehrsammlung des Autors WM; Fotos für f freundlicherweise erhalten von Prof. Richard G. Vogt, University of Washington; bei ihm liegen die Bildrechte
Insekten (genauer: Frosch und Drosophila) betrachtet werden. Frosch: Destruktive und konstruktive Prozesse gehen Hand in Hand und ziehen sich über Wochen hin (Abb. 20.3). Destruktive Prozesse: Die Kaulquappen resorbieren den Ruderschwanz. Die Hornzähne und Kiemen verschwinden. Die für die Wahrnehmung von Wasserströmungen zuständigen Seitenlinienorgane werden reduziert. Konstruktive Prozesse und Umwandlungen: Extremitäten werden entwickelt, die eine Fortbewegung auch auf dem Land ermöglichen. Die Haut wird stärker keratinisiert. Die Lunge wird arbeitsfähig. Blutgefäße werden umkonstruiert. Wenn der Frosch von der Kiemen- auf Haut- und Lungenatmung umschaltet, werden die Kiemenbogenarterien umgebaut, die Kardinalvenen durch neue Gefäße ersetzt. In den Erythroblasten wird durch Expression anderer Globinformen ein neues, an die Luftatmung angepasstes Hämoglobin hergestellt. Die Leber wird in ihrer enzymatischen Ausstattung auf den Wechsel von der ammoniotelischen (Ammoniak) zur ureotelischen (Harnstoff) Stickstoffexkretion vorbereitet. Aus der ersten Kiementasche wird eine Mittelohrhöhle, die nach außen durch ein Trommelfell verschlossen bleibt und innen die Schall leitende Columella aufnimmt. In der Retina wird der Sehfarbstoff vom fischähnlichen Porphyropsin (Opsin C Retinal A2) auf Rhodopsin (Opsin C Retinal A1) umgestellt, wie es Landwirbeltiere haben.
506 Abb. 20.2 Holometabole Entwicklung einer BeinImaginalscheibe bei der Fliege; ihre Entfaltung im Zuge der Metamorphose. Die Farbcodierung deutet an, dass distale Strukturen sich nach Art eines Teleskops aus der zentralen Zellgruppe herausschieben
20 Metamorphose und ihre hormonale Steuerung Bein-Imaginalscheibe der Dipteren Medianschnitt
Aufsicht
larvale Cuticula larvale Epidermis
Coxa-Thorax Femur Tibia Tarsus
Puppencuticula
larvale Epidermis zerfallend Femur
Drosophila: Die Larve macht eine holometabole Verwandlung durch. Erst streift sie die larvale Cuticula ab und umgibt sich mit der derben Puppencuticula. Unter dieser Schutzhülle werden die meisten larvalen Zellen aufgelöst. Die Fliege wird mosaikartig aus den übrig bleibenden Imaginalscheiben und Imaginalzellen (Histoblasten) aufgebaut. Die äußeren, von der Cuticula bedeckten epidermalen Strukturen werden aus Imaginalscheiben (Abb. 20.2 und 4.41) hergestellt. Diese Scheiben werden bereits im Blastoderm des Embryos durch einen Prozess der Determination als kleine, ca. 20 Zellen umfassende Areale diploid bleibender Zellen aus dem larvalen Umfeld ausgesondert, in ein dünnes Häutchen verpackt und ins Körperinnere versenkt. Wie ihre künftige Untergliederung programmiert wird, war in Kap. 10, Abb. 10.10 geschildert worden. Im Zuge des larvalen Lebens wachsen die Imaginalscheiben heran; während der Metamorphose werden sie in einem Prozess der Evagination ausgepackt und teleskopartig zu Antennen, Beinen, Flügeln ausgestreckt (Abb. 20.2). Schildartige Erweiterungen an der Basis dieser Gebilde werden mosaikartig zur Kopfkapsel, zu Thoraxsegmenten etc. zusammengefügt. Innere Organe werden mittels verstreut vorrätig gehaltener Histoblasten umgestaltet. Das Zentralnervensystem wird in seiner essenziellen Konstruktion übernommen.
20.2 20.2.1
Tibia
Tarsus
Hormonale Steuerung der Metamorphose Bei der inneren Steuerung der Metamorphose durch Hormone gibt es viele Analogien zwischen Insekten und Amphibien
In beiden Gruppen ist das Prinzip einer dualen, antagonistischen Steuerung verwirklicht (Abb. 20.3, 20.4). Es gibt Hormone, die das Wachstum begünstigen, aber die Umwandlung des Körpers in die Adultform bremsen, und es gibt Hormone, die das Wachstum drosseln und die Umwandlung fördern. Beide Steuerungssysteme stehen unter der Kontrolle von neurosekretorischen Zellen im Gehirn. Ihre Neurohormone kontrollieren die Freisetzung entwicklungssteuernder Hormone aus nachgeordneten endokrinen Drüsen. 1. Lösen der Bremsen. Sowohl bei den Larven der Insekten wie bei den Kaulquappen der Amphibien wird die Metamorphose ermöglicht durch Absenken des Titers eines Hormons, das die Differenzierung imaginaler/adulter Gewebe hemmt – oder sie wird ermöglicht durch eine veränderte Ansprechbarkeit der Gewebe auf ein hemmendes Hormon. Bei Insekten ist dies das von den Corpora allata produzierte Juvenilhormon (JH), ein Terpenoid, das in der Larve die Funktion eines Wachstumshormons erfüllt, jedoch im letzten
20.2 Hormonale Steuerung der Metamorphose
507
Abb. 20.3 Metamorphose des Frosches und ihre hormonale Kontrolle (aus Müller und Frings (2009), leicht verändert)
Hypothalamus im Zwischenhirn Releasing Hormone Thyreoidea (Schilddrüse) Hypophyse TSH
CH2
O
HO
Prolactin
NH2 CH
COOH
(J)
J
Konzentration im Blut
Thyroxin J
Juvenileffekt
Konzentration im Blut
J
äußere Kiemen
Seitenlinien noch vorhanden innere Kiemen
1
Ammoniak-Exkretion
Hornzähne 2
Atemloch
Trommelfell Dentinzähne veränderte Haut verstärktes Keratin
Lunge
3 5
verändertes Hämoglobin
versteckte Hinterbeine Vorderbeine
veränderter Sehfarbstoff: statt Retinal A2 jetzt Retinal A1 Seitenlinien reduziert Lunge verändertes Kreislaufu. Darmsystem 4 Harnstoff-Synthese in Leber
Larvenstadium verschwindet und so die Metamorphose ermöglicht (Abb. 20.4 und 20.5). Das Juvenilhormon taucht aber später in der Imago wieder auf und steuert als gonadotropes Hormon die Entwicklung und Reifung der Gonaden. Auch bei Amphibien ist ein Hormon bekannt, das im Experiment das Wachstum der Kaulquappen fördert und den Eintritt der Metamor-
phose hinauszögert (Abb. 20.3). Es ist das von der Adenohypophyse gelieferte Hormon Prolactin, (das seinen Namen – „für Milch“ – erhielt, weil es im erwachsenen weiblichen Säugetier in der späten Schwangerschaftsphase die Milchproduktion in Gang setzt). Aufgrund solcher experimenteller Befunde ist dem Prolactin der Amphibienlarve die Funktion eines Juvenilhormons zugeschrieben worden. Allerdings
508 Abb. 20.4 Hormonale Kontrolle der Insektenmetamorphose (aus Müller und Frings (2009))
20 Metamorphose und ihre hormonale Steuerung
Gehirn
Corpora Corpora Prothoraxdrüse cardiaca allata Epitracheale Drüsen ECH
ETH, PTH
PTTH
Juvenilhormon Selbststopp durch negatives Feedback
Ecdyson Eclosionshormon ECH + Ecdysis triggering H. ETH
O Bursicon
20-OH-Ecdyson
Juvenilhormon 1
OH OH OH
HO OH HO
O
O
H
O
20.2 Hormonale Steuerung der Metamorphose 4. Larvenstadium
5. Larvenstadium Häutung
Häutung
509 Puppe
Puppen-Häutung
Ecdyson ECH PTTH
ECH
Falter Ecdyson
Schlüpfen ECH
ECH PTTH Ecdyson
JH
PTTH Gonadotrope Funktion des JH
0
2
4
0
2
ECH = Eclosionshormon
4
6
8
0
JH = Juvenilhormon
2
4
6
8
10
12
14
16
18 Tage
PTTH = Prothorakotropes Hormon
Abb. 20.5 Hormonale Kontrolle der gesamten Entwicklung des Schmetterlings Manduca sexta
nimmt bei Amphibien die Konzentration des Prolactins im Blut im Verlauf der Metamorphose nicht sogleich ab, sondern anfänglich bis zu einem Klimaxpunkt zu, und ebenso die Bestückung verschiedener Gewebe mit ProlactinRezeptoren. Dies wird mit weiteren Funktionen des Hormons in Beziehung gebracht, beispielsweise: – Verschiedene Gewebe und Organe, die auch im künftigen Leben auf dem Land gebraucht werden, müssen während der langen Wochen der Metamorphose weiterhin heranwachsen. Prolactin gehört zur Familie der Wachstumshormone und künftige Adultorgane reagieren anders als solche, die nicht mehr gebraucht werden; sie sind früh daraufhin programmiert worden, auf das Hormon anders zu reagieren. – Prolactin bereitet manche Gewebe vor, damit diese besser auf Thyroxin reagieren können, und es unterstützt in der ersten Phase der Metamorphose Thyroxin, indem es parallel mit Thyroxin Proteasen (Collagenasen) induziert, die zum Abbau larvaler Strukturen gebraucht werden. Metamorphosen sind hochkomplexe Ereignisse und entsprechend sind es auch die Systeme der Steuerung: 2. Stimulation der Weiterentwicklung. Für das zeitgerechte Einschalten zahlreicher Genorte im Zuge der Weiterentwicklung zum imaginalen/adulten Phänotyp ist bei Amphibien eine Signalkette zuständig.
Sie beginnt mit einem Neurohormon, das im Hypothalamus produziert wird und als Thyreotropin-Releasing Hormone TRH auf die Drüsenzellen der Adenohypophyse zielt (bei Amphibien allerdings scheint TRH funktionell durch ein anderes Releasing-Hormon vertreten zu sein). Die Signalkette setzt sich fort mit einem Hormon der Adenohypophyse, dem TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon, Thyreotropin), welches das Signal zum Start der Metamorphose an die Schilddrüse weitergibt. Die Schilddrüse ihrerseits sendet das Metamorphose-induzierende Thyroxin T4 über die Blutbahn in den ganzen Körper aus. Sekundär durch Dejodierung in das wirksamere Trijodthyronin T3 überführt, steuert Thyroxin in den Zielzellen die Aktivität einer Reihe von Genen, deren Information zur Bewältigung der Metamorphose abgerufen werden muss. Bei Insekten startet die Signalkette (Abb. 20.4) mit dem Neurohormon PTTH D Prothorakotropes Hormon, das über die Corpora cardiaca in die Hämolymphe gelangt und die Prothoraxdrüse zur Freisetzung von Ecdyson anregt, das in verschiedenen Zielgeweben zum wirksamen 20-Hydroxy-Ecdyson (Ecdysteron) umgewandelt wird. Thyroxin und Ecdyson sind fürdenEintritt undFortgang der Metamorphose unerlässlich. Von ihrer molekularen Natur her sind sie so verschieden, dass ein gleichartiger Wirkungsmechanismus nicht erwartet werden konnte. Dennoch gibt es diese Wirkungsparallele.
510
20.2.2
20 Metamorphose und ihre hormonale Steuerung
Auch in den molekularen Wirkungsmechanismen gibt es Parallelen und sogar Homologien
Die Parallelen in den molekularen Mechanismen, über die das Ecdyson/Ecdysteron der Insekten und das Thyroxin der Wirbeltiere wirksam werden, gehen bis in die molekularen Details. Denn beide, Ecdyson und Thyroxin wirken, wie auch die Steroidhormone der Wirbeltiere und Vitamin A-Säure (Retinsäure), über intrazelluläre Rezeptoren, die auch noch der gleichen Proteinfamilie angehören und mit einer DNABindungsdomäne vom Zinkfingertyp ausgestattet sind (s. Abb. 11.11). Mit Blick auf die konservierten Strukturen dieser Rezeptorfamilie kann man mit Fug und Recht von Homologie auf molekularem Niveau sprechen. Die Parallelen gehen noch weiter: Die Rezeptoren für Thyroxin, Retinsäure und Steroidhormone besetzen die Steuerregionen der ihnen unterstellten Gene in der Regel als Dimere, nicht selten als Heterodimere, und eben dies gilt auch für die 20-OH-Ecdyson-Rezeptoren (EcR). Ein Partner von EcR kann USP (Ultraspiracle) sein, und dieses ist homolog zum RXR der Wirbeltiere. Ultraspiracle agiert einem Modell entsprechend in einem Transkriptionsfaktor-Komplex mit EcR und aktiviert Ecdyson-abhängige Gene. Auch gilt für 20-OH-Ecdyson wie für Thyroxin, dass sie Zielzellen zur verstärkten Synthese von EcR bzw. Thyroxin-Rezeptoren anregen. Damit steigert sich die Reaktionsbereitschaft der Zielgewebe. Wer nach weiteren Parallelen sucht, kann sie darin sehen, dass diese Rezeptoren, wenn sie in den Kern der Zelle aufgenommen sind, neben der Steuerregion für das eigene Gen vor allem die Steuerregionen von Genen besetzen, welche für Transkriptionsfaktoren codieren. Solche weitreichenden Parallelen gibt es nicht zwischen Juvenilhormon und Prolactin. Als Proteinhormon wirkt Prolactin über membranständige Rezeptoren und aktiviert eine Signaltransduktionskaskade, die mit einem Tyrosin-Kinase-Rezeptor startet (Abb. 11.9). Für Juvenilhormon wird ein Anti-Ecdyson-Mechanismus diskutiert. Der JH-bindende Methylfarnesoat-(MfR)Rezeptor, der ähnlich Steroidrezeptoren im Zellinneren zu finden ist, soll hiernach Ultraspiracle binden und dieses dem EcR als Partner entziehen. Bei hoher JHKonzentration liefe der Signalweg somit Richtung JH-abhängiger Genexpression.
Juvenilhormon ist als Terpenoid, bestehend aus drei Isopreneinheiten, ein im Tierreich bisher einzigartiges niedermolekulares Lipidhormon. In Pflanzen finden sich solche Moleküle oft und haben, wie nachfolgend im Abschn. 20.2.5 erläutert, u. a. eine Rolle bei der biologischen Abwehr von Insekten-Schädlingen. Man hat viel Mühe darauf verwendet, in Insekten und Pflanzen Rezeptoren für Terpenoide zu identifizieren. Ein Rezeptor nach klassischer Vorstellung ist ein Protein (oder ein Mitglied einer Familie homologer Proteine), das seinen Liganden hochspezifisch und mit hoher Affinität bindet. Man fand zwar eine Reihe ganz verschiedener Proteine, die Juvenilhormon binden, doch nicht mit der erwarteten sehr hohen Affinität. Muss hohe Affinität aber unbedingt sein? Immerhin, unter diesen Bindepartnern fand sich beispielsweise der oben erwähnte Ultraspiracle-Transkriptions-Cofaktor (über den möglicherweise ein Anti-Ecdyson-Effekt begründet werden kann) sowie ein Transkriptionsfaktor mit der vielsagenden Bezeichnung BROAD, aber auch Protein-Kinase C (PKC), ein durch Lipide aktiviertes Schlüsselenzym der PIPKC-Signaltransduktionskaskade (Abb. 11.5). JH kann PKC aktivieren. Deshalb wurde die Vorstellung vorgetragen, die Vielfalt von Bindepartnern ermögliche die hohe Vielfalt der Wirkungen, die Juvenilhormon in der frühen, aber auch der späteren Entwicklung hat. Dem JH wird beispielsweise eine Rolle zugeschrieben bei der Reifung der Gonaden im adulten Insekt, bei der Auslösung von Wanderverhalten bei Zuginsekten, bei der Diapause von Insekten, die eine Entwicklungspause einlegen, sowie bei der Kastendetermination in den Staaten sozialer Hymenopteren und Termiten.
20.2.3
Hormonelle Signale werden von den verschiedenen Zielgeweben verschieden beantwortet
Ein Beispiel aus der Amphibienentwicklung: Eine Beinknospe wird in den Schwanzbereich einer
20.3 Auslösung der Metamorphose
Kaulquappe transplantiert. Hier sollten beide Organe, Schwanz und Bein, der gleichen Thyroxindosis ausgesetzt sein. Im Zuge der Metamorphose wird der Schwanz reduziert, die Beinknospe hingegen wächst aus. Diese unterschiedliche Programmierung spiegelt sich vielfach in einer unterschiedlichen Ausrüstung der Zielgewebe mit Rezeptorvarianten und/oder Transkriptionsregulatoren wider. Auf Juvenilhormon unterschiedlich reagierende Gewebe sind beispielsweise mit unterschiedlichen Varianten des BROADTranskriptionsfaktors ausgestattet.
20.2.4 Es greifen noch weitere Hormone steuernd ein Beim Vergleich Amphibie und Insekt findet man neben Parallelen natürlich auch Spezifisches, und es greifen weitere Hormone steuernd ein, für die es in beiden Gruppen keine Parallelen gibt. Bei Amphibien beispielsweise sind die Hormone der Nebennierenrinde, Cortisol und Aldosteron, daran beteiligt, den werdenden Frosch auf die neuen Umweltgegebenheiten einzustellen. Cortisol hat unüberschaubar viele Aufgaben, u. a. hilft es, den Organismus auf lange Zeiten der Entbehrung einzustellen; Aldosteron steuert Nierenfunktionen (s. Müller und Frings (2009)). Bei Insekten wird das Ablösen der alten und der Erwerb einer neuen Cuticula nicht nur durch die oben genannten „Klassiker“, Ecdyson und Juvenilhormon, gesteuert, sondern durch ein Spektrum weiterer Hormone, so durch ein vom Gehirn geliefertes Neuropeptid mit Namen Eclosionshormon. Dieses stimuliert die Inca-Zellen verstreuter Epitrachealdrüsen, nacheinander zwei Hormone freizusetzen, welche die Ecdysis, das Schlüpfen aus der Nymphen- oder Puppenhülle, auslösen. Es sind dies die Peptidhormone PETH (Pre-Ecdysis-Triggering Hormone) und ETH (Ecdysis-Triggering Hormone). Schlüpfen ist auch ein Ereignis des Verhaltens. PETH und ETH lösen über das Zentralnervensystem eine programmierte Bewegungsfolge aus, mit der die Panzerrüstung der Cuticula gesprengt und verlassen werden kann. Das Zentralnervensystem liefert zum Schluss noch selbst ein Hormon, das Neuropeptid Bursicon. Dieses kontrolliert nach dem Schlüpfen die Sklerotisierung und Ausfärbung der neuen Cuticula.
511
20.2.5 Phyto-Ecdysone und -Juvenilhormone: Pflanzen wehren sich Von Europa in ein amerikanisches Forschungslabor gebrachte Feuerwanzen (Pyrrhocoris apterus) machten zu viele larvale Häutungen durch und starben als unreife Riesennymphen. Nach langem Rätseln fiel der Verdacht auf die Papierschnitzel, auf denen diese pflanzensaugenden Wanzen gehalten wurden. Schnitzel der ehrwürdigen britischen Zeitschrift Nature taten so etwas Unziemliches nicht, wohl aber Schnitzel der amerikanischen Konkurrenz Science. Amerikanisches Papier enthielt Holz der Balsamfichte, und diese enthält eine Imitation des Juvenilhormons. Die Bäume wehren sich gegen Fraßinsekten mittels Substanzen mit hormonähnlicher Wirkung (Pseudohormone). In manchen Zypressen findet sich sogar echtes Juvenilhormon (JH III). Solche Substanzen herzustellen bedarf bei Pflanzen keines sehr großen Aufwandes. Sie stellen ja auch „Pflanzenhormone“ in Form ähnlicher Terpenoide her, beispielsweise die Abscisinsäure. Manche Asteraceen enthalten Precocene, die bei einer Reihe hemimetaboler Insekten die Corpora allata absterben lassen und eine vorzeitige Metamorphose auslösen. Der indische Niembaum (Azadirachta indica) und verwandte afrikanische Bäume enthalten eine große Zahl von Polyterpenen, kollektiv Azadirachtine genannt, die bei Insektenlarven die Häutung stören, einen Entwicklungsstopp verursachen oder die Fortpflanzungsfähigkeit der Imagines reduzieren. Manche dieser Komponenten stören Ecdyson-abhängige Prozesse. Darüber hinaus können pflanzliche Inhaltsstoffe auch einfach einen Fraßstopp auslösen.
20.3
Auslösung der Metamorphose
20.3.1 Bei Insekten hat oft die Tageslänge Einfluss auf Beginn, Verlauf und Resultat der Metamorphose, und es kann eine Entwicklungspause (Quieszenz, Dormanz/Diapause) eingeschaltet werden Besonders mannigfache Kopplungsmechanismen zwischen Umweltgegebenheiten, Hormonsystem und Ent-
512 Abb. 20.6 Lebenszyklus des Landkärtchens Araschnia levana. Diese einheimische Schmetterlingsart tritt in zwei Farbvarianten auf, wobei zuoder abnehmende Tageslänge über die Variante entscheidet, die in der Puppenhülle entsteht (aus Müller und Frings (2009))
20 Metamorphose und ihre hormonale Steuerung Araschnia levana Landkärtchen Winter Diapausepuppe
Frühjahrsfalter
Langtag
Kurztag
Sommerfalter Kurztag
Langtag
Subitanpuppe
wicklung sind bei Insekten bekannt. Zwar wird oft die Lehrmeinung vertreten, bei Insekten wie bei Amphibien setze die Metamorphose ein, wenn die Larve im letzten Stadium ausreichend Masse angefressen hat. Ausreichende Masse ist gewiss ein wichtiges Kriterium, und im Labor kann es auch das einzig wichtige sein. Doch ein im Freien lebendes Amphibium oder Insekt darf die äußeren Bedingungen nicht außer Acht lassen: Herrscht vielleicht ungünstige Witterung? Steht gar die kalte Jahreszeit bevor? Ist es zu heiß oder zu kühl, oder gilt es eine Jahreszeit ohne ausreichendes Nahrungsangebot zu überleben, kann eine Phase der Entwicklungsruhe eingeschoben werden. Der Ökophysiologe unterscheidet: Quieszenz: Eine Ruheperiode, die unmittelbar von den herrschenden Gegebenheiten (z. B. Temperatur) ausgelöst und wieder beendet wird, und die auch graduell sein kann. Dormanz oder Diapause: Eine anhaltende Ruhephase, die prospektiv in Vorsorge vor einer bevorstehenden unwirtlichen Zeit begonnen wird. Steht der Winter bevor, muss man sich vorbereitend darauf einstellen; denn das Amphibium oder Insekt hat, von seltenen Ausnahmen abgesehen (Bienenstock), keine Möglichkeit, eine Körperheizung einzuschalten, um Erfrieren zu vermeiden. Eine winterfeste, gegen Erfrieren resistente Entwicklungsruhe heißt bei Insekten Diapause (zu den
Mechanismen einer Frostresistenz siehe Müller und Frings (2009)). Eine solche Diapause kann bei hemimetabolen Insekten auf jeder Entwicklungsstufe eingeschoben werden, bei holometabolen nur in bestimmten Stadien, und zwar auf der Entwicklungsstufe des Eies, der Puppe oder der fertigen Imago. Diapause wird eingeleitet durch langanhaltende schlechte Witterung und/oder sich verkürzende Hellperiode, z. B. Übergang vom Langtag zum Kurztag bei der Herbstsonnwende (um den 21. September). Eine Diapause wird aufgehoben, wenn nach einer obligatorischen Kühlzeit die Temperatur wieder ansteigt, und/oder wenn die Hellperiode wieder eine kritische Länge übersteigt, z. B. Übergang vom Kurztag zum Langtag bei der Frühjahrsonnwende (um den 21. März). Abschließend sollen zwei Beispiele zeigen, wie die Insektenwelt in mannigfacher und auch überraschender Weise auf Umweltgegebenheiten reagieren kann. Beim Landkärtchen Araschnia levana, einem einheimischen Schmetterling, gibt es zwei Saisonformen. Aus den überwinternden Diapausepuppen schlüpfen im Frühjahr Falter mit roten Flügeln. Diese erzeugen Eier, aus ihnen schlüpfen Raupen, die Raupen des Frühsommers werden zu Nicht-
20.3 Auslösung der Metamorphose Abb. 20.7 Metamorphose des Hydrozoons Hydractinia echinata. 1 Die Larve verankert sich mittels besonderer Nesselfäden an einem vorbeigeschleppten Schneckengehäuse. 2, 3 Die Metamorphose der Planulalarve zum sessilen Primärpolypen wird ausgelöst durch Bakterien der Gattung Alteromonas, die auf der Schneckenschale siedeln. Die Anwesenheit solcher Bakterien wird von der Planulalarve mittels neurosensorischer Zellen wahrgenommen, die alsdann ein Neuropeptid als internes, hormonales Triggersignal freisetzen (adaptiert nach Müller und Leitz (2002)). 4, 5 Weitere Entwicklung der Kolonie durch Stolobildung und Knospung
513
Freisetzung von Neuropeptiden
4 Gründerpolyp
3 Metamorphose
neurosekretorische Chemosensoren Einsiedler
2
AlteromonasBakterien
5 1
Junge HydractiniaKolonie 1
Neurosekretorische Sensoren mit GLW-amid-Neuropeptid
Sinnesneurone RFamid-Neuropeptid
Diapausepuppen. Bestimmend ist die Verlängerung der Hellperiode über 12 Stunden hinaus. Aus diesen Nicht-Diapausepuppen schlüpfen im Hochsommer Falter mit schwarz-weiß gemusterten Flügeln (Abb. 20.1g und 20.6). Deren Nachkommen geraten als Raupen im Herbst in den Kurztag mit einer Hellperiode kürzer als 12 Stunden und verwandeln sich in überwinternde Diapausepuppen. Der Kreislauf ist geschlossen. Die Flügelfärbung wird über den Zeitpunkt der 20-OH-Ecdysonwirkung determiniert, die ihrerseits von der Photoperiode abhängt. Die Imagines der marinen Zuckmücke Clunio marinus schlüpfen aus der Puppenhülle in Abhängigkeit von der Mondphase. Die Rhythmik ist in Anpassung an den Gezeitenwechsel semilunar; das heißt, alle 14,77 Tage ist ein Schlüpftermin angesagt. Eine erste Kohorte von Mücken schlüpft in der dunklen Neumondnacht aus ihrer Puppenhülle; eine zweite Kohorte schlüpft in der hellen Vollmondnacht und erhebt sich in die Lüfte. Eine amerikanische Clunio-Art schlüpft nur bei Vollmond.
Bei der zeitlichen Programmierung des Schlüpftermins ist das Hormon 20-OH-Ecdyson involviert.
20.3.2
Bei zahlreichen Invertebraten sind oft externe Faktoren Auslöser der Metamorphose; Neurosekrete synchronisieren die inneren Vorgänge
Ein Wechsel der ökologischen Rolle muss eingepasst werden in die herrschenden Umweltbedingungen. Die freilebenden Larven mariner, bodenbewohnender und sessiler Organismen müssen geeignete Standorte für ihre sessile Lebensphase ausfindig machen; die Metamorphose der Insekten und Amphibien muss in den Wechsel der Jahreszeiten eingepasst werden. Daher wird die Metamorphose, wenn das Wachstum weit genug gediehen ist, oft erst durch externe Umweltsignale ausgelöst. Die Larven sessiler, mariner Organismen sind mit Sinnesorganen zur Erkundung der Umwelt ausgestattet. Vielfach sind es
514
chemische Schlüsselreize, die vom Substrat oder von Substrat-gebundenen Bakterien ausgehen, welche den Start der Metamorphose stimulieren. Dies gilt z. B. für das Hydrozoon Hydractinia echinata (Abb. 20.7). Die Planulalarve ist das einzige frei lebende, motile Stadium im Entwicklungszyklus. Ihr kommt folglich die Aufgabe zu, einen neuen Lebensraum ausfindig zu machen. Da ihr Sinnesinventar aber sehr bescheiden ist, kann sie sich nur an wenigen Schlüsselreizen orientieren. Die Larve lässt sich zur Metamorphose anregen durch eine Substanz, die bestimmte Bakterien erzeugen. Die geeigneten Bakterien sitzen normalerweise auf jenem Substrat, das diesen Hydrozoen besonders willkommen ist (z. B. von Einsiedlerkrebsen bewohnte Schneckenschalen). Auch Larven von Anneliden, Tentaculaten, Seepocken, Austern, Seeigeln und Tunikaten reagieren auf Bakterienfilme auf dem Substrat. Bei Amphibien gilt die Metamorphose als intern gesteuert. Wenn die Kaulquappe den entsprechenden Entwicklungsstand erreicht hat, soll die Metamorphose unabhängig von Umweltgegebenheiten ablaufen. Das Wasser des Teiches muss jedoch eine Mindesttemperatur von 7–10 ı C überschritten haben. Steigende Temperatur, zunehmende Tageslänge und sinkender Wasserspiegel beschleunigen die Metamorphose erheblich. Damit all die mit einer Metamorphose verbundenen Umstellungen zeitgerecht und koordiniert vonstattengehen, werden die externen, auf das SinnesNervensystem wirkenden Signale umgesetzt in interne Signale, die an viele Empfänger, gegebenenfalls an alle Körperzellen, verteilt werden können. Solche internen Signale können Neurotransmitter oder (Neuro-) Hormone sein.
20.4 Reverse Entwicklung Reverse Entwicklung bezeichnet die Entwicklung eines Organismus von einem fortgeschrittenen Stadium zurück in einen Zustand, der näher am ontogenetischen Ursprung liegt. Lange Zeit wurde dies als unmöglich angesehen. Seit man die Rückführung von differenzierten Zellen in Stammzellen mit embryonalem Charakter kennt – dies war Thema des Abschn. 18.4 – sollte man Berichten über reverse Entwicklung nicht weiter als unglaubwürdig oder bloßes Kuriosum abwerten.
20 Metamorphose und ihre hormonale Steuerung
20.4.1
Bei manchen Cnidariern ist eine Entwicklung zurück zu früheren Stadien möglich
Die große Plastizität des Differenzierungszustandes bei Hydrozoen und anderen Cnidariern ermöglicht Erstaunliches. Abgetrennte Medusenknospen der Art Podocoryn carnea können sich in Polypen verwandeln. Isolierte Tentakel der Ohrenqualle Aurelia haben sich in Planulalarven zurückverwandelt. In solchen Fällen waren Verletzungen Auslöser der Rückverwandlung. Es gibt jedoch auch den Fall einer im normalen Lebenszyklus vorgesehenen Rückverwandlung. In dem Scyphopolypen Stephanoscyphus planulophorus verwandeln sich junge Medusen in Planulalarven, die eine Metamorphose zum Polypen durchlaufen.
Zusammenfassung
Metamorphose ist eine Art zweite Embryonalentwicklung, die einen ersten, larvalen Phänotyp in einen zweiten, adulten oder imaginalen Phänotyp umkonstruiert, der eine andere ökologische Nische besiedelt und geschlechtsreif wird. Bei marinen Lebewesen dient die Larve auch der geografischen Verbreitung. Bei Amphibien geschehen der Abbau larvaler Strukturen und die Herstellung neuer, adulter Strukturen Zug um Zug. Bei Insekten kann sich die Umkonstruktion in kleinen Schritten vollziehen (hemimetabole oder paurometabole Entwicklung) oder in zwei dramatischen, totalen Umgestaltungsphasen von der Larve zur Puppe und von der Puppe zur Imago (holometabole Entwicklung). Da in jeder Metamorphose in einem abgestimmten Zeitprogramm zahlreiche Strukturen umgebaut und physiologische Funktionen umgestellt werden müssen, werden Steuersignale benötigt, die viele Empfänger erreichen. Hierfür eignen sich Hormone. Bei Amphibien und Insekten hat sich ein duales System der hormonalen Steuerung etabliert: Es gibt ein Hormon, das Zellteilung und damit larvales Wachstum ermöglicht, das andererseits eine vorzeitige Umgestaltung der Larve in die Adultform verhindert. Bei Insekten ist dies das von den Corpora allata gelieferte Juvenilhormon: Eine absinkende Konzentration von Juvenilhormon ermöglicht die Metamorphose. Bei Amphibien wird dem von der Adenohypophyse
20.4 Reverse Entwicklung
produzierten Hormon Prolactin eine vergleichbare Funktion zugesprochen, doch sinkt seine Konzentration in der Metamorphose nicht sogleich ab, sondern steigt vorübergehend an, was auf weitere und neue Funktionen hindeutet. Positiv vorangetrieben wird die Metamorphose durch das Steroidhormon Ecdyson (bzw. 20Hydroxy-Ecdyson D Ecdysteron) bei Insekten und durch das jodhaltige Schilddrüsenhormon Thyroxin bei Amphibien. Ecdyson wie Thyroxin benutzen den gleichen Typ von intrazellulären Rezeptoren, um Genaktivitäten umzusteuern (s. Abb. 11.11). Mit welchen Genaktivitäten und
515
physiologischen Umstellungen einzelne Gewebe und Organe reagieren, ist eine Funktion ihrer vorausgegangenen Programmierung. Das Hormonsystem sowohl der Amphibien wie der Insekten steht unter der Kontrolle des Gehirns. Neurosekretorische Hormone geben Befehle des Nervensystems an die Hormondrüsen weiter; deshalb können externe Reize und Umweltgegebenheiten wie Tageslänge Einfluss nehmen auf den Beginn und Verlauf der Metamorphose. Abschließend wird auf Fälle reverser Entwicklung zurück zu Stadien näher am Ursprung bei manchen Cnidariern hingewiesen.
Unsterblichkeit oder Altern und Tod: Was will die Natur?
21.1 Möglichkeit und Unmöglichkeit einer Immortalität 21.1.1 Es gibt Leben ohne Tod; es ist jedoch an fortwährende Zellteilungen gebunden Schon 1881 äußerte August Weismann, Professor für Zoologie in Freiburg im Breisgau, Ansichten, die für unser Verständnis von Altern und Tod grundlegend sind: Altern sei dem Leben nicht grundsätzlich inhärent, sondern ein Ereignis, das erst im Zuge der Evolution der Vielzeller Bestandteil der Entwicklung geworden sei. Nur der Vielzeller falle unausweichlich dem Tode anheim; das Altern sei der Weg zu diesem Ziel. Ein Einzeller, eine Amöbe beispielsweise, nimmt bei gutem Nahrungsangebot an Masse zu und teilt sich in zwei Zellen. Bedeutet die Teilung das Ende des individuellen Lebens? Man mag spitzfindige semantische Diskussionen darüber führen, ob die Verdoppelung eines Individuums auf zwei Individuen das Leben des ursprünglichen Individuums beendet oder nicht; eine Leiche bleibt jedenfalls nicht zurück. Üblicherweise spricht man Einzellern potentielle Immortalität zu; nur Gefressenwerden, Befall durch Parasiten oder Unbill der Umwelt setzen dem Leben des Einzellers ein Ende, nicht aber natürliches Altern. Beim Einzeller, so führt Weismann aus, wäre es gar nicht möglich, regelhaft das individuelle Leben mit dem Tod beenden zu lassen; denn die individuelle Zelle ist zugleich die generative Zelle, die den Fortbestand der Art zu sichern hat. Im Vielzeller hingegen hat sich im Zuge der frühen Evolution eine Auftrennung in generative und somatische Zellen
21
vollzogen. Somatische Zellen können sich auf Einzelfunktionen konzentrieren und diese optimal erfüllen, da sie nicht alle Lebensfunktionen einschließlich der Fortpflanzung bewältigen müssen. Sie optimieren diese Funktionen im Dienste des gesamten Zellenverbandes; die einen Zellen sezernieren Enzyme und optimieren die Erschließung von Nahrung, die anderen Zellen optimieren sensorische Funktionen zur Erschließung der Umwelt und zum Erkennen von Gefahren. Sich auf besondere Fertigkeiten zu konzentrieren war den Zellen des Eumetazoons möglich, weil die generativen Zellen stellvertretend für alle Zellen des Verbandes sich durch Teilung fortpflanzen und, ohne alle Berufe selbst ausüben zu müssen, ihren Tochterzellen doch die Potenz vermitteln, sich zu differenzieren und viele spezielle Funktionen zu erfüllen. Universelle Potenz und Optimierung von Einzelfunktionen schließen sich aus. Ein Einzeller bleibt dem Kompromiss verhaftet. Tod ist ein Phänomen, das beim Vielzeller regelmäßig dessen somatische Zellen erfasst. Aber auch hier gibt es, überraschend und anscheinend, Ausnahmen: In Zellkultur gehaltene Zellen von Vielzellern, auch Zellen des Menschen, sind oftmals wie der Einzeller potentiell immortal. Nur deshalb lassen sich solche Zellen über Jahrzehnte am Leben erhalten und vermehren. Und der Süßwasserpolyp Hydra ist als Ganzes potentiell immortal. Zellen in Gewebekultur allerdings sind selektionierte Zellen: Es sind Stammzellen, die von Haus aus teilungsfähig sind und bleiben, oder es sind Zellen, die auf der Vorstufe zu einer cancerösen Transformation ihre Immortalität zurückgewonnen haben. Hydra ist ein anderer und besonderer Fall: Ihre terminal dif-
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_21,
517
518
ferenzierten Zellen sterben sehr wohl alle ab, aber jede sterbende Zelle wird durch eine neu geborene ersetzt (Abschn. 4.3). Nur Zellen, die selbst ihre Teilungsfähigkeit bewahren, sind immortal. Offenbar ist fortlaufende Zellteilung eine Voraussetzung der Immortalität, führt fehlende Zellteilung zum Tod.
21.1.2 Man kennt viele molekulare und organismische Ursachen des Alterns, z. B. DNA-Schäden Enzyme und andere Proteine befinden sich, solange sie biologisch aktiv und tauglich sind, in ihrer dreidimensionalen Sekundär- und Tertiärstruktur in einem metastabilen Zustand, in den sie etwa mithilfe von Chaperonen (Hilfsproteinen) gebracht worden sind. Vielerlei Einflüsse wie thermische Energie, wechselnde Ionenstärken und pH-Werte im Lösungsmittel, können solche Proteine aus dem metastabilen Zustand herauswerfen; sie fallen auf ein tieferes Energieniveau: Sie denaturieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie spontan renaturieren, d. h. ihren ursprünglichen metastabilen Zustand zurückgewinnen, ist minimal. Unbrauchbar gewordene Proteine müssen abgebaut und durch neu synthetisierte ersetzt werden. In einer terminal differenzierten Zelle wird es schwierig sein, alle Proteine laufend auszutauschen. Wie soll eine Herzmuskelzelle, die nie ihre Kontraktionsrhythmik unterbrechen darf, ihren kontraktilen Apparat mitsamt angeschlossenen Enzymfunktionen austauschen können? Wie soll eine Nervenzelle des Gehirns ihre zahlreichen dendritischen Fasern und Hunderte von synaptischen Strukturen ausbessern, ohne Fehler zu machen? Wie soll sie sich, eingepfercht in einen Verband von Milliarden anderer Nervenzellen, die notwendigen Baustoffe besorgen? Vor allem aber stößt die intrazelluläre Regeneration der Proteinkomponenten deswegen an Grenzen, weil die Informationsquelle zur Resynthese der Proteine, die DNA, selbst Schäden erleidet. Thermische Kollisionen mit Molekülen des Lösungsmittels, ionisierende und UV-Strahlung, aggressive Sauerstoffradikale und Fremdstoffe, nicht korrigierte Fehler der DNA-Polymerase führen oftmals zu nicht reparierbaren Mutationen und Strangbrüchen. Täglich verliert eine menschliche Zelle ca. 5000 Purinbasen (A oder G) wegen induzierter
21
Unsterblichkeit oder Altern und Tod: Was will die Natur?
Depurinisierung. Täglich werden ca. 100 Cytosinbasen durch Deaminierung in Uracil verwandelt. Die Zelle hat vielfältige Mechanismen der DNAReparatur entwickelt. Sie funktionieren, solange einer der beiden DNA-Stränge intakt ist und als Vorlage für eine korrekte Basenabfolge und epigenetische Modifikationen dienen kann. Eine umfassende Fehlerkorrektur ist nur im Zuge einer vollständigen DNA-Replikation möglich. Dies erklärt, dass nur Zellen, die sich immer und immer wieder teilen, immortal sind. Es gibt bei Säugern eine Korrelation zwischen der Kapazität der DNA-Reparatursysteme und der artspezifischen Lebensspanne. Auf zellulärem und organismischem Niveau sind zahlreiche weitere altersbedingte, irreversible Veränderungen beschrieben worden. Erwähnt werden sollen nur einige Beispiele: Akkumulation respiratorisch defizienter Herzzellen. Zerfall des Thymus und Verschwinden funktionstüchtiger Lymphocyten, und damit zunehmende Schwäche des Immunsystems. Abbau von Proteoglykanen, insbesondere von Hexuronaten, und von elastischen Fasern in den extrazellulären Matrizes von Knorpel, Unterhaut und Blutgefäßen. Dieser Abbau führt zum Verlust von gebundenem Wasser, d. h. zum Schrumpfen der Haut und der Knorpel, und begünstigt Atherosklerose. Der renale Blutfluss und die glomeruläre Filtrationsrate sinken um ca. 1 % pro Jahr. Folglich ist schon aus diesem Grund die maximale Lebenszeit des Menschen auf ca. 100 Jahre begrenzt.
21.2 Theorien des Alters 21.2.1
Die Mitochondrien-Theorie, Sauerstoffradikale und der Nutzen des Fastens
In allen eukaryontischen Organismen und Geweben werden mit zunehmendem Alter auch mehr gestörte Mitochondrienfunktionen registriert. Über viele Jahre führte man dies auf irreversible Schäden durch toxische Sauerstoffradikale zurück. Hochreaktive Sauerstoffspezies (Reactive Oxygen Species ROS) sind , Wasserstoffperoxid H2 O2 das Superoxid-Ion Ominus 2
21.2 Theorien des Alters
und das freie Hydroxylradikal OH. Diese können oxidative Schäden an Lipiden und der MitochondrienDNA anrichten. Wenn die mitochondriale Atmungskette bei hoher Nahrungszufuhr und hohem ATPBedarf auf Hochtouren läuft, entstehen als unvermeidliche Nebenprodukte auch mehr reaktive Sauerstoffverbindungen, und diese wirken schädigend auf die Zelle. Diese Sauerstoffverbindungen werden jedoch im Normalfall durch Katalasen und Peroxidasen unschädlich gemacht. So weisen denn auch neue Studien darauf hin, dass nur extreme Beanspruchung des oxidativen Stoffwechsels zu bleibenden Schäden führe; milde körperliche Aktivität hingegen Schutzmechanismen in Gang setze und damit der altersbedingten Abnahme des energieliefernden Stoffwechsels entgegen wirke. Neuere Studien belegen übereinstimmend, dass asketische Lebensweise bei ständiger Schmalkost (caloric restriction, diet(ary) restriction) die durchschnittliche Lebenserwartung verlängert, beim Wurm Caenorhabditis elegans, bei der Fliege Drosophila und der Maus ebenso wie beim Menschen. Über die möglichen Gründe gibt es mancherlei Spekulationen, wie die eben diskutierte Sauerstoffradikal-Hypothese, doch noch keine gesicherten Erkenntnisse.
21.2.2
Die Theorie der molekularen Telomeren-Uhr
Sieht man von bestimmten Stammzellen und Krebszellen ab, so zeigen Zellen in Gewebekultur in aller Regel keine Neigung, sich unaufhörlich zu teilen, auch wenn für beste Nahrung und beste Randbedingungen gesorgt wird. Nach einer für den Zelltyp charakteristischen Zeitspanne kommen Teilungen zum Stillstand, und die Zellen sterben. Eine blutbildende Zelle, die einem menschlichen Fetus entnommen wurde, kann den Zellzyklus 50-mal durchlaufen; ist sie einem 40-Jährigen entnommen worden, mag sie sich noch 40-mal teilen; stammt sie von einem 80-Jährigen, hat sie voraussichtlich nur noch 30 Teilungsrunden vor sich. Man nennt diese alterskorrelierte Begrenzung der Teilungsfähigkeit nach einem ihrer Entdecker HayflickZahl oder Hayflick-Limit. Die abnehmende Bereitschaft oder Fähigkeit zur Teilung ist korreliert mit dem Verlust von Nukleotiden an den Enden der Chromosomen.
519
Eukaryotische Chromosomen haben eine besonders strukturierte Endregion, Telomer genannt (Abb. 21.1). Diese Region enthält repetitive Sequenzen. Bei Wirbeltieren findet sich übereinstimmend die Sequenz TTAGGG und im komplementären Strang entsprechend AATCCC. In menschlichen Zellen enthält das Telomer der Chromosomen jeweils einige hundert bis zu 2000 Wiederholungen (Repeats) dieser Sequenzen. Diese wurden im Laufe der Embryonalentwicklung mittels einer Telomerase an die Chromosomenenden ansynthetisiert. Bei jeder Replikationsrunde der DNA geht jedoch mindestens ein solches Repeat verloren (Abb. 21.1). Das Telomer wird zu einem Zählwerk der Teilungsrunden, das schließlich bei null stoppt (Sanduhrprinzip).
Die im Telomer zusammengefassten, nichtcodierenden Überhangssequenzen werden für die vollständige Replikation der linearen DNA, wie sie in den Chromosomen vorliegt, benötigt. Während der Leitstrang im Vorwärtsgang in einem Zuge repliziert wird, kann der Folgestrang nur Stück für Stück in kleinen Fragmenten repliziert werden, indem die Polymerase zum nächsten RNA-Starter vorausspringt und dann das Zwischenstück „rückwärts“ in gewohnter 50 -30 -Richtung zu einem DNA-Doppelstrang komplementiert. Für jedes Fragment (OkazakiFragment) wird als Starter erst ein RNA-Primer an den DNA-Einzelstrang anhybridisiert, der später gegen ein entsprechendes DNA-Fragment ausgetauscht wird. Auf die Telomersequenzen kann der RNA-Primer für das letzte Okazakifragment aufgeladen werden, damit auch der letzte codierende Abschnitt des 50 -30 -Stranges doppelsträngig gemacht werden kann. Der allerletzte RNA-Primer kann aber nicht gegen eine entsprechende DNA-Sequenz ausgetauscht werden, weil die DNA-Polymerase nicht in diese Richtung arbeiten kann. Folglich geht diese Überhangsequenz verloren. Näheres hierzu ist in Lehrbüchern der Zell- und Molekularbiologie ausgeführt.
Die Telomerase ist nur in Keimbahnzellen (und immortalen Stamm- und Tumorzellen) daueraktiv und kann die Telomere nach jeder Replikationsrunde wie-
520 Abb. 21.1 Modell der Telomeren-Uhr. Bei jeder Replikationsrunde geht im Folgestrang (lagging strand) mindestens eine Wiederholungssequenz (repeat) des Telomers, die zum Anlagern des Primers benötigt wird, verloren. Der neue DNAStrang kann nach dem Binden des Primers an das letzte Repeat von der Polymerase nur von 50 nach 30 , nicht aber Richtung 30 nach 50 verlängert werden, sodass die DNA nach jeder Replikationsrunde um ein Telomeren-Repeat kürzer wird
21
Unsterblichkeit oder Altern und Tod: Was will die Natur? Telomer-Region
TTAGGG TTAGGG TTAGGG TTAGGG 5' Leitstrang (leading strand) 1. Runde DNA-Polymerase
3' 5'
CTAG.. GATC..
3' 5'
TTAGGG TTAGGG TTAGGG TTAGGG 5' AATCCC AATCCC AATCCC AATCCC 3'
GATC.. AATCCC AATCCC AATCCC AATCCC 3' CTAG.. 5' Folgestrang (lagging strand) GG TTAGGG UUAGGG 5' Primer DNA-Polymerase DNA-Polymerase 1. Runde 5'
5' GATC.. CTAG..5'
AATCCC AATCCC AATCCC 3' GG TTAGGG UUAGGG 5' 2. Runde
5' GATC.. CTAG..5'
der auf ihre Ursprungslänge bringen. In gewöhnlichen Somazellen verschwindet im Laufe der Zeit das Enzym nach und nach; die Telomere werden kürzer und kürzer und schließlich gehen auch codierende Sequenzen verloren. Wenn dieser Punkt erreicht ist, unterwerfen sich die Zellen dem Selbstvernichtungsprogramm, der Apoptose. Mit jeder Teilungsrunde läuft das Uhrwerk ein Stück mehr dem Ende zu. Keimzellen und Krebszellen beweisen andererseits, dass dies nicht so sein müsste! Daher fragt man sich: Gibt es weitere, zwingendere, vielleicht genetisch festgelegte Gründe für unaufhaltsames Altern?
21.3 Der Tod als genetisch vorprogrammiertes Ereignis 21.3.1 Artspezifische Lebenserwartung ist ein erstes Indiz dafür, dass der Tod ein genetisch vorprogrammiertes Ereignis ist
AATCCC AATCCC 3' GG UUAGGG 5' 3. Runde
Lachs und bei der Eintagsfliege aber schlagartig vonstattengehen. Hydra ist immortal, Caenorhabditis elegans lebt drei Wochen, Homo sapiens ist mit 122 Jahren Rekordhalter unter den Primaten und gehört zusammen mit dem Grönlandwal und den Riesenschildkröten zu den langlebigsten Vertebraten (Tab. 21.1). Zu den langlebigsten Wirbellosen gehören Muscheln der kalten Gewässer wie die Islandmuschel. Als ältestes noch lebende animale Lebewesen überhaupt gilt der Riesenschwamm Scolymastra joubini; er soll mindestens 10.000 Jahre alt sein und lebt in der arktischen Tiefsee. Die Lebensspanne der Säuger ist augenscheinlich mit ihrer Körpergröße korreliert. Kleine Lebewesen, die viel Energie umsetzen, deren Stoffwechsel mit hoher Geschwindigkeit abläuft und deren Herz entsprechend schnell schlägt, erreichen früher ihr Lebensende als große Tiere mit ihrer gemächlichen Lebensart.
21.3.2 Auch wenn man auf molekularem und organismischem Niveau Gründe für unaufhaltsames Altern auflisten kann, bleibt doch zu klären, warum die Lebensspanne ein artspezifisches Maximum kennt und beispielsweise beim Menschen Seneszenz und Absterben schleichend und graduell voranschreiten, beim
Es gibt Gene, deren Mutation rasches Altern bedingt, und – bei Pilzen – Gene, deren Ausfall unsterbliches Leben beschert
Apoptose, programmierter Zelltod, erreicht früh schon in der Embryonalentwicklung eine Reihe definierter
21.3 Der Tod als genetisch vorprogrammiertes Ereignis
521
Tab. 21.1 Artspezifische maximale Lebensspanne in Jahren Primaten Tupaja
Andere Säugetiere 7
Nicht-Säuger-Wirbeltiere
Maus
3,5
Haussperling Passer domesticus
13
Paradiesvogel
12
Seidenäffchen
15
Hausratte
5
Meerkatze
21
Kaninchen
13
Bussard Buteo buteo
25
Rhesusaffe
29
Schaf
20
Felsentaube Columbia livia
35
Pavian
36
Katze
28
Weißstorch Ciconia ciconia
30–35
Gibbon
32
Rind
30
Alpenmolch Triturus alpestris
Orang-Utan
50
Hund
34
Europ. Feuersalamander
6
Gorilla
40
Braunbär
37
Japan. Riesensalamander
55
Schimpanse
45
Pferd
62
Sumpfschildkröte Emys orbicularis
30–120
Mensch
95
Ind. Elefant
70
Landschildkröte Testudo graeca
120
122
Grönlandwal
200
Galapagos-Riesenschildkröte
150
Mensch, Rekord
Zellgruppen (Kap. 14). Auch später im Leben sterben viele Zellen, so die Blutzellen (Kap. 18), wenige Tage oder Wochen nach ihrer „Geburt“ (D letzte Zellteilung). Da sie freilich aus dem Reservoir der Stammzellen ersetzt werden, sind es nicht so sehr die kurzlebigen, sondern die langlebigen, nicht ersetzbaren Zellen, die das artspezifische Lebensalter begrenzen. Schon seit man Zellkulturen hält, weiß man, dass Zellen unterhalb einer bestimmten Zellendichte absterben. Diese alten Erfahrungen erhalten derzeit eine neue Interpretation: Manche Zellen überleben nur in sozialen Gemeinschaften; vereinsamte Zellen begehen Selbstmord. Der sachliche Grund: Zellen scheiden Überlebensfaktoren aus, mit denen sie sich wechselseitig hindern, das Suizidprogramm einzuschalten; nur in dichten Zellkulturen erreichen diese Überlebensfaktoren eine ausreichend hohe Konzentration. Man fand dies beispielsweise in Kulturen von Oligodendrocyten, Augenlinsenzellen und Nierenzellen. Doch im Körper sollten ja die nötigen Überlebensfaktoren alle da sein. Gibt es für den Körper als Ganzes eine genetisch fixierte maximale Lebensspanne? Dass diese Frage bejaht werden muss, zeigen seltene, autosomal-rezessive Erbkrankheiten des Men-
3
schen, die vorzeitiges Altern und Tod zur Folge haben und kollektiv Progeria genannt werden. Bei der Progeria adultorum (Werner-Syndrom) beginnt die Seneszenz mit 15 Jahren; die Lebenserwartung ist 47 Jahre. Bei der Progeria infantium (Hutchinson-Gilford-Syndrom) beginnt der sichtbare Alterungsprozess schon mit 3 Jahren; die Betroffenen sterben im Alter von 12 bis 18 Jahren mit allen Attributen eines Greises: Die Betroffenen ergrauen, das Haar wird schütter, ihre Haut wird runzelig, sie erblinden am grauen Star und leiden an Gefäßverkalkung. Das für das Werner-Syndrom zuständige Gen codiert für eine Helikase. Deren Aufgabe ist es, die DNA aufzudrillen und zu entflechten. Nur so kann die DNA vollständig repliziert, nur so können Schäden repariert und Transkripte zur Synthese frischer Proteine hergestellt werden. Das WERNER-Protein ist auch in Caenorhabditis elegans gefunden worden und trägt, so es mutiert ist, zum vorzeitigen Altern der Würmchen bei. Ein weiteres bei Caenorhabditis elegans entdecktes Gen für Langlebigkeit sorgt dafür, dass der Wurm in Inaktivität verfällt und hungert. Asketische Lebensweise verlängert, wie oben gesagt, die Lebensspanne. Es sind mittlerweile über 100 weitere Gene identi-
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fiziert worden, welche die Länge der Lebensspanne beeinflussen, darunter 50, deren Mutation das Leben verlängern. Unklar ist jedoch noch immer, ob es spezifische das Altern induzierende Gene gibt. Zum Modellfall genetisch determinierten Alterns ist ein Pilz aus der Gruppe der Ascomyceten geworden, Podospora anserina. Der Wildtyp lebt 25 Tage. Die Seneszenz wird aber verhindert, wenn (nur) zwei Mutationen eingekreuzt werden: Die Doppelmutante ist unsterblich! Diese erworbene Immortalität ist wie bei Krebszellen mit der neu gewonnenen Fähigkeit korreliert, sich unaufhörlich zu teilen. Daraus ist, wie nachfolgend diskutiert wird, eine Hypothese über die Ursachen genetisch determinierten Alters abgeleitet worden.
21.3.3 Es werden mehrere Mechanismen diskutiert, wie Tod genetisch programmiert sein könnte Es sollen hier nur beispielhaft zwei Hypothesen vorgestellt werden, wie genetisch programmierte Selbstzerstörung in die Wege geleitet werden könnte. 1. Es existiere eine genetisch programmierte Lebensuhr, die nach einer artspezifischen Lebenspanne ein „Aus“ einläutet. Ein solcher Mechanismus wird beim oben erwähnten Pilz Podospora anserina diskutiert. Die zwei Gene, deren Aktivitäten normalerweise das Leben beenden, codieren für Faktoren, welche den Zerfall mitochondrialer DNA und damit rasches Altern herbeiführen. Die Gene werden von einer inneren Uhr, deren molekulare Konstruktion noch nicht bekannt ist, nach der artspezifischen Lebensspanne von 25 Tagen eingeschaltet. Beim Menschen könnte nach dem Hinweis, den uns die Progeria-Syndrome geben, das programmierte Abschalten eines Helikase-Gens die DNA-Reperaturmechanismen außer Kraft setzen und so den Organismus der Anhäufung von genetischen Fehlern und Alterung preisgeben. Eine weitere, höchst bemerkenswerte Funktion eines WERNER-Syndrom-Proteins ist die Inaktivierung des Pluripotenzfaktors Oct-4. Dies geschieht, indem das WERNER-Protein die Methylierung des oct-4-Promotors herbeiführt. Damit ist die Selbsterneuerungsrate der Stammzellen mittels eines epigenetischen Mechanismus redu-
21
Unsterblichkeit oder Altern und Tod: Was will die Natur?
ziert. Beim HUTCHINSON-GILFORD-Syndrom sind im besonderen Maße Knochenbau, Bindegewebe und die Wände der Blutgefäße einem schnellen Alterungsprozess unterworfen. Bei der Suche nach den molekularen Ursachen ist ein normalerweise in der Kernmembran eingebautes Lamin-A-Protein, dem man den Namen PROGERIN gab, in den Blick der Forscher geraten. Im Progeria-Mausmodell hängt am Protein ein Farnesylrest noch unbekannter Funktion, das für das Syndrom ursächlich zu sein scheint. Auch Mutationen im Protein können zu Progeria-Symptomen führen. Weiterhin wird sowohl beim WERNERwie beim HUTCHINSON-GILFORD-Syndrom eine Beteiligung des Telomeren-Uhrwerks diskutiert. 2. Die Telomerase-Hypothese. Hier wäre, ergänzend zu den Ausführungen in 21.2.2, jetzt die Frage zu beantworten, ob es besondere Gene gibt, die in somatischen Zellen das Abschalten der Telomeraseaktivität und damit die sukzessive Verkürzung der Telomeren erzwingen und so das Uhrwerk zum Stillstand bringen. Knockout-Mutationen bei Pflanzen (Arabidopsis) weisen darauf hin, dass nicht in jedem Fall fehlende Telomeraseaktivität dem Leben ein Ende setzt. Vielleicht verhält es sich mit dem Alterungsprozess von Organismen aber auch ähnlich wie beim Alterungsprozess eines Autos: Wenn es nicht der Rost der Karosserie und abgeschabte Kolbendichtungen sind, dann eben undichte Bremsschläuche, defekte Stoßdämpfer und Ölverlust, die das TÜV-konforme Leben beenden.
21.3.4
Der Tod hat eine wichtige biologische Bedeutung
Wenn nun aber ein Organismus potenziell unsterblich sein könnte, was soll dann ein genetisch programmierter Tod? Lebewesen sollen ihren Nachfahren, Menschen ihren Kindern Platz machen. Aber warum nicht potenziell ewiges Leben, und Nachkommen nur im begrenzten Umfang, etwa durch asexuelle Knospung wie bei Hydra, um Verluste durch Unfälle auszugleichen und Kolonisten für neue Lebensräume zu erzeugen? Hydra ist zwar über die Jahrmillionen erstaunlich zählebig gewesen, hat es aber in der Evolution so arg
21.3 Der Tod als genetisch vorprogrammiertes Ereignis
weit nicht gebracht. In der Geschichte des Lebens hat die sexuelle Fortpflanzung Oberhand gewonnen. Sie ermöglicht das Einschleusen von Mutationen in eine Population, sie ermöglicht vielfältige Rekombination der allelischen Varianten. Sexuelle Fortpflanzung ermöglicht es den Lebewesen, der Natur immer neue Varianten zur Selektion anzubieten. Sexuelle Fortpflanzung fördert Anpassung an veränderte Umweltgegebenheiten, fördert die Optimierung von Lebensentwürfen auch bei gleichbleibender Umwelt. Der Tod schafft Raum für neues Leben, neu nicht nur im Sinne von erneut, sondern auch im Sinn von neuartig. Eine unaufhörliche Sequenz von Ontogenien, eine Sequenz von Geburt, Tod und erneuter Geburt, hat in der Evolution immer neue Erfolgsmodelle hervorgebracht, aber auch viele weniger angepasste, weniger erfolgreiche Taxa aussterben lassen.
Zusammenfassung
Zellen müssen laufend ihren Proteinbestand erneuern, weil Proteine mit der Zeit denaturieren. Hierfür wird intakte DNA-Information benötigt. Die DNA erleidet jedoch laufend Schäden, beispielsweise durch Sauerstoffradikale und ionisierende Strahlung. Diese Schäden sind nur während einer
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DNA-Replikation reparierbar. Daher ist Immortalität an unaufhörliche Zellteilungen gebunden. Bei Vielzellern sind gealterte Zellen ersetzbar aus teilungsfähigen Stammzellen; doch kann nur Hydra alle ihre somatischen Zellen einschließlich der Nervenzellen durch frische ersetzen. Daher ist eine Hydra potenziell unsterblich, während alle anderen Vielzeller, die ihre Nervenzellen oder andere Somazellen nur unvollständig erneuern können, unweigerlich dem Tode anheim fallen. Darüber hinaus gibt es mutmaßlich Gene und molekulare Mechanismen, die dem Leben nach einer artspezifischen Lebensspanne aktiv ein Ende setzen. Diskutiert werden auch die Existenz einer Lebensuhr und zunehmender Verlust von DNASequenzen an den Enden (Telomeren) der Chromosomen. Progeria-Allele lösen beim Menschen Altern schon im Jugendalter (WERNER-Syndrom) oder im Kindesalter HUTCHINSON-GILFORDSyndrom) aus. Tod als programmiertes Ereignis hat eine biologische Funktion. Sexuelle Fortpflanzung bringt laufend neue Genotypen hervor, die möglicherweise leistungsfähigere Lebewesen entstehen lassen. Dieser Chance dürfen die im Augenblick lebenden Organismen nicht auf Dauer entgegenstehen.
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development)
22.1
Ein Rückblick auf Klassisches
Bereits die klassische Entwicklungsbiologie hat viele Beiträge zur Evolutionsforschung geliefert. Lehrbücher der vergleichenden Anatomie, der vergleichenden Embryologie und der Zoologie geben mit vielen Beispielen Kunde vom Wirken und den Ergebnissen von Evolutionsprozessen. Seit ca. 20 Jahren eröffnet darüber hinaus die Molekularbiologie in zunehmendem Maße neue und oftmals unerwartete Einblicke in die Mechanismen und den mutmaßlichen historischen Ablauf der Evolution. Bei der Vorstellung klassischer Belege beschränken wir uns im Folgenden auf eine kurze zusammenfassende Rekapitulation von Ausführungen, die in diesem Buch an verschiedenen Stellen gemacht worden sind. Der Schwerpunkt soll alsdann auf molekulargenetische Aspekte und den molekularen Werkzeugsatz (tool kit) gelegt werden, dessen Inhalt und Bedeutung wir an einigen Beispielen vorstellen wollen.
22.1.1
Ontogenie rekapituliert Phylogenie – Konservative Wege und Neuerungen sind besonders in der Entwicklung der Wirbeltiere augenfällig
In den Kap. 5 „Vertebraten“ und Kap. 6 „Der Mensch“ wurde darauf hingewiesen, dass bei allen Wirbeltiergruppen in einer mittleren Periode ihrer Embryonalentwicklung ein sehr ähnlicher Grundbau-
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plan erkennbar ist. Konservierte Charakteristika sind: dorsales Neuralrohr, Chorda, Somiten, Kiemendarm mit Kiemen/Schlund-Taschen, knorpelige Kiemenspangen, vier bis sechs Kiemenbogenarterien, ventrales Herz. Diese basalen Merkmale differenzieren sich in der weiteren Ontogenie, die Stammesentwicklung reflektierend, gruppen- und artspezifisch weiter. Alle Wirbeltiere durchlaufen zeitweilig Entwicklungsstadien, die an ihre gemeinsamen Vorfahren erinnern. Zeitweilig scheint es, als wolle der (noch millimeterkleine) menschliche Embryo sich zu einem Fisch oder Molch entwickeln (s. Abb. 6.25). Solche Beobachtungen hatten schon Zoologen des 18. und 19. Jahrhunderts wie Carl Ernst von Baer und Ernst Haeckel zu suggestiven Formulierungen veranlasst, die in dem von Haeckel formulierten „biogenetischen Grundgesetz“ gipfelten. Nach diesem „Gesetz“ – es handelt sich um eine Regel – rekapituliert die Ontogenie in verkürzter Form die Phylogenie (s. Abschn. 6.6). Wie verschieden auch die Frühund Spätentwicklung der Wirbeltiere abläuft, so lässt sich doch in der mittleren Periode der Embryonalentwicklung ein phylotypisches Stadium erkennen, in dem die Embryonen einander erstaunlich ähnlich sind. Die Väter der vergleichenden Entwicklungsbiologie wiesen aber auch darauf hin, dass gerade die früheste Entwicklungsphase der Wirbeltiere sehr unterschiedlich und gruppentypisch verläuft. So werden beim Menschen schon in den ersten Entwicklungsstadien Vorbereitungen zur Entwicklung der Pla-
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3_22,
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526
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development)
zenta getroffen: Die äußere Schicht der Blastocyste wird als Vorläufer der Plazenta zu einem extraembryonalen Nährorgan (Trophoblast). Auch geht der Embryo als solcher nicht wie bei Amphibien aus dem ganzen Keim hervor, sondern nur aus einem kleinen Areal im Keimesinneren. An solchen Unterschieden werden Anpassungen der Entwicklungswege an unterschiedliche Lebensräume offenkundig.
22.1.2
Funktionelle und regulatorische Zwänge (constraints) schränken die Möglichkeiten eines großen evolutionären Wandels erheblich ein
Wenn in der Entwicklung der Wirbeltiere allenthalben erst eine Chorda dorsalis (notochord) angelegt wird, die später durch die Wirbelsäule ersetzt wird, so ist dieser scheinbare Umweg nicht nutzlos. Die Chorda hilft, die Kopf-Schwanz-Achse mechanisch zu strecken, und sie ist ein unerlässlicher Signalsender, der die Bildung des Rückenmarks organisiert, die Position innerer Organe wie Pankreas und Leber mitbestimmt und nicht zuletzt jene wanderungsbereiten Zellen herbeiruft, welche die Wirbelkörper aufbauen (s. Abb. 6.22 und 15.1). Ontogenetische Vorgaben können nicht beliebig abgewandelt werden; zu komplex sind die Vorgänge und in mehreren Stufen aufeinander aufgebaut. Ein weiteres Beispiel für constraints: Alle flugfähigen Wirbeltiere, Pterosaurier, Vögel, Fledermäuse und sogar die fliegenden Fische konnten ihre Flügel nur auf Kosten der Vorderextremitäten entwickeln. Die Gnadengabe eines sechsten Extrapaares von Extremitäten blieb Sagengestalten wie Drachen und geflügelten Einhörnern, sowie den himmlischen Engeln vorbehalten. Fossilfunde belegen, dass alle rezenten Baupläne in ihren Grundzügen bereits im Kambrium (vor 550 Mio. Jahren) vorhanden waren und folglich zuvor schon aus dem Bauplan eines gemeinsamen Vorfahren hervorgegangen sein müssen. Fossilien (in diesem Falle Abdrücke), die heutigen Medusen gleichen, sind aus dem Präkambrium (Vendium, 640 Mio. Jahre) bekannt, doch wie die bis heute erhalten gebliebenen Baupläne entstanden sind, darüber geben die spärlichen Fossilien keine Auskunft. Hinweise auf die sehr frühe Entstehungsgeschichte können daher bislang nur
die Entwicklungsweisen und die spezielle Genausstattung rezenter Tiere geben.
22.2
22.2.1
Neue Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns – Evo-Devo Biologie und ihre Grundlagen Die molekular ausgerichtete „Evo-Devo“-Biologie hilft, durch Vergleich von Gensequenzen, Expressionsmustern und molekularen Regulationsmechanismen die Evolution von Bauplänen aufzuklären und phylogenetische Verwandtschaftsbeziehungen zu rekonstruieren
Die bemerkenswerte Übereinstimmung von grundlegenden Entwicklungsmechanismen und Genexpressionsmustern morphologisch sehr verschiedener Organismen hat einem Gebiet Aufschwung gegeben, das als „Evo-Devo“-Biologie zunehmend Aufmerksamkeit erfährt. Zwar ermöglichte die Erkenntnis, dass die Ontogenie zum Teil die Phylogenie rekapituliert, schon vor langer Zeit Synergien zwischen Entwicklungs- und Evolutionsbiologie, doch führte erst die vergleichende Analyse von Genexpressionsmustern und ihrer Regulation durch Signalketten diese komplementären Disziplinen auf breiter Basis zusammen. Mit der Sequenzierung der Genome einer jährlich wachsenden Zahl von Organismen, die sehr verschiedenen Taxa angehören, wird deutlich, dass Typus und Komplexität eines Bauplans nur wenig mit der Gesamtzahl der Gene eines Taxons korrelieren. Was die Evolution voranbringt, sind Duplikation bestimmter Entwicklungsgene, Funktionswandel der Duplikate und eine veränderte Einbindung in regulatorische Netzwerke. Gründe für Bauplanänderungen können beispielsweise der Erwerb von Bindestellen für bestimmte Transkriptionsfaktoren oder eine geänderte Zeitfolge sein, in der bestimmte Signalfaktoren, Rezeptoren oder sonstige Proteine hergestellt und aktiv werden. Vergleichende Analysen unter Einbeziehung möglichst vieler Arten aus allen Stämmen der Metazoa zeigen, dass es einen bereits sehr früh in der Ent-
22.2 Neue Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns – Evo-Devo Biologie und ihre Grundlagen
wicklungsgeschichte der Tiere angelegten molekularen „Werkzeugsatz“ („tool kit“) gibt, der bereits auf der Stufe der Cnidariern fast alle Instrumente enthält, die den triploblastischen Tieren die großen Vielfalt ihrer Konstruktionen ermöglichten. Gemäß dieser Hypothese sollten einige Genprodukte auch in morphologisch sehr unterschiedlichen Organismen in gleicher Funktion und an vergleichbarer (homologer) Position zu finden sein. Über solche konservierten Gene und Genfunktionen könnte man, so die Hoffnung, einen anzestralen „Zootypus“ definieren – den gemeinsame Urahn aller vielzelligen Tiere. Im Gegensatz zur klassischen Entwicklungsbiologie mit ihren wenigen, aber dafür sehr gut charakterisierten Modellorganismen, analysiert die Evo-DevoBiologie daher in großer Breite rezente Taxa und Arten, die nahe an vermuteten Verzweigungsstellen oder an umstrittenen Positionen im Stammbaum der Tiere stehen – oder man vergleicht die Funktion von entwicklungsrelevanten Proteinen quer durch das ganze Tierreich. Über den Vergleich von Expressionsund Regulationsmustern entwicklungsrelevanter Markergene gelingt es, Eigenschaften gemeinsamer Vorfahren auf verschiedenen Stufen der Evolution zu rekonstruieren. Parallel dazu können mittels Computerprogrammen aus dem Sequenzvergleich Stammbäume abgeleitet werden, welche mit bereits bestehenden, auf der Basis morphologischer, biochemischer und physiologischer Merkmale rekonstruierten Stammbäumen abgeglichen werden (Abb. 22.1). Funktionell hoch konservierte Genprodukte sind in der Regel in hoch konservierten molekularen Regulationsmechanismen eingebunden und steuern die Bildung ähnlicher Strukturen. Andererseits deckt die molekulare Biologie auch Konvergenzen auf, indem sie zeigt, dass die Funktion einer Struktur über verschiedene Wege gesichert werden kann. So können im Zug konvergenter Entwicklung verschiedene Moleküle eingesetzt werden, um beispielsweise eine lichtbrechende Linse hervorzubringen. Bevor wir uns Vorgehensweise und Ergebnisse der Evo-Devo-Forschung an einzelnen Beispielen vergegenwärtigen, fassen wir einige Grundannahmen der allgemeinen Evolutionsforschung zusammen und erörtern, mit welchen Probleme der vergleichend und molekular arbeitende Entwicklungsbiologe und Zoologe konfrontiert ist.
22.2.2
527
Homologien der Morphologen und Homologien der Molekulargenetiker werden aufgrund unterschiedlicher Kriterien ermittelt
Evolutionäre Veränderungen nahmen ihren Ursprung in Veränderungen im Genom. Verwandtschaften und Veränderungen sollten sich daher im Genom widerspiegeln und in dem von ihm codierten Spektrum an Proteinen, welche wiederum die konstruktiven Elemente der morphologischen Ontogenie und des letztlich entstehenden Phänotyps sind. So wies die Entdeckung der Hox-Gene und ihrer vermutlichen ProtoHox-Vorgänger bei allen bis heute untersuchten tierischen Organismen auf eine molekular-morphologische Evolutionsreihe hin, die mit der Mannigfaltigkeit der Baupläne korreliert (s. Abschn. 22.4). Homologie in der Morphologie Wenn Morphologen von Homologie sprechen, meinen sie die Zugehörigkeit einer Struktur zu einer evolutionären Entwicklungsreihe: Homologe anatomische Strukturen in verschiedenen Organismen leiten sich von der gleichen ursprünglichen Stammstruktur ab. Kriterien für Homologie im Sinne des Morphologen sind nach dem Kieler Zoologen Adolf Remane (1898–1976): 1. das Kriterium der Lage einer Struktur im Gefüge benachbarter Strukturen, 2. das Kriterium der speziellen Qualität einer Struktur (z. B. Funktion als Gonade), 3. das Kriterium der Stetigkeit bei Umwandlungen: In der Evolution veränderte Strukturen sollten durch Zwischenglieder mit der Ursprungsform verknüpft sein (Weiteres hierzu s. Storch, Welsch, Wink: Evolutionsbiologie, Springer 2010). Nicht explizit genannt ist ein Kriterium, das neuerdings Molekularbiologie mit Morphologie besonders eng verbindet: das Kriterium des Zelltyps. Intuitiv und selbstverständlich wird niemand einen Muskel mit einem Knochen oder einem Gehirn homologisieren wollen. Und wenn man will, kann die unterschiedliche zelluläre Zusammensetzung solcher Gewebe und Organe dem Kriterium der speziellen Qualität zugeordnet werden. Doch wie steht es beispielsweise mit der evolutionären Herkunft verschiedener Typen von Sinneszellen? Es gibt die Hypothese, Lichtsinneszellen seien aus Geruchsrezeptoren hervorgegangen.
528
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development)
Eine traditionelle Systematik
Mollusca
Insecta Myriapoda Crustacea Chelicerata Articulata
Mus Maus
Arthropoda
Nemathelminthes
Mensch
Mammalia
Annelida
Plathelminthes
Sauropsida
Spiralia
Gallus Huhn
Neue Systematik Xenopus
Drosophila
Xenopuslarve
Ciona
Tribolium
Amphibia
Danio
Insecta Crustacea
Chelicerata Lymnaea Spisula Mollusca
Ascidienlarve Ascidia: Ciona,Styela Halocynthia
Arthropoda C.elegans, Ascaris
Nematoda
Planaria Dugesia Plathelminthes
Tunicata (Urochordata)
Medaka
Vertebrata
Platynereis Branchiostoma (Amphioxus)
Annelida Ecdysozoa
Lophotrochozoa Spiralia + Trochozoa
Chordata
Psammechinus SeeigelEchinodermata larve
Protostomia Deuterostomia Hydractinia
Urbilateria: 2 Körperachsen triploblastisch
Cladonema
Placozoa: Trichoplax
Cnidaria: 1 Körperachse diploblastisch Eumetazoa Nematostella
Hydra
Metazoa
Porifera
Acrasiales Dictyostelium
Abb. 22.1 Stammbaum des Tierreichs mit der Position von Modellorganismen, die in diesem Buch behandelt oder genannt wurden. Links oben ist eine ältere Phylogenie gezeigt, welche
Articulata als Überkategorie segmentierter Tiere aufführt und in der die Annelida als gegliederte Spiralia eine Brückenstellung einnehmen
22.2 Neue Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns – Evo-Devo Biologie und ihre Grundlagen
Man findet in beiden als molekularen Rezeptor und ersten Signalübermittler einen Sieben-TransmembranRezeptor derselben Proteinfamilie (Kap. 11). Das Retinal der Lichtsinneszelle kann als Dauerligand eines Duftstoffrezeptors angesehen werden, der durch Licht in den wirksamen Zustand versetzt wird (zur Evolution von Augen s. Abschn. 22.7). Homologie in der Molekularbiologie Wenn Molekularbiologen und Biochemiker von Homologie sprechen, meinen sie hohe Sequenzidentität in Genen bzw. Polypeptiden. Niemand zweifelt, dass sich Gene mit hoher Sequenzidentität über viele hundert oder tausend Nukleotide hinweg von einem gemeinsamen Ur-Gen ableiten. (Bei geringer Sequenzähnlichkeit ist möglicherweise die dreidimensionale Faltstruktur des aktiven Zentrums in dem vom Gen codierten Protein erhalten geblieben. Es muss dann aber auch Konvergenz in Betracht gezogen werden oder modulare Neukombination; s. unten Abschn. 22.3.1).
22.2.3
Homologe Strukturen können sehr unterschiedliche Funktionen haben – andererseits setzt Homologie von Organen nicht notwendigerweise auch Homologie der sie bildenden Gene voraus
Lässt nicht das eine, Homologie auf der Ebene der Gene, auf das andere, Homologie auf der Ebene des Phänotyps, schließen? Leider nicht! Vier Beispiele sollen dies belegen. Beispiel 1: Nicht-homologe Gene für homologe Strukturelemente – knöcherne versus knorpelige Skelettelemente Wenn eine Struktur, beispielsweise ein Skelettelement, im Zuge der Evolution optimiert wird oder eine sukzessive Änderung seiner Form und seiner Funktion erfährt, kann sich auch sein molekularer Bestand ändern. Ein Knorpel, der verknöchert, ändert seine ganze chemische Beschaffenheit; selbst verwandte Moleküle wie die Collagen-Isoformen werden ausgetauscht (Collagen Typ II des Knorpels gegen Typ I des Knochens). Kein Morphologe oder Entwicklungsbiologe wird den knöchernen Femur und seinen knorpeligen ontogenetischen Vorgänger als konvergente Strukturen bezeichnen wollen, nur weil sich im Verlauf des Lebens
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die biochemische Zusammensetzung des Baumaterials ändert und für diese allmähliche Umstrukturierung andere Gene in Anspruch genommen werden als für die ursprüngliche embryonale Ausführung. Knorpel und Knochen, ob primär mit embryonalen Gensätzen hergestellt oder sekundär mit anderen Gensätzen zur adulten Form umgestaltet, gehen in der Evolution auf einen gemeinsamen Ursprung zurück. Homologe Strukturen können im Lauf der Ontogenie ihre molekulare Zusammensetzung verändern und dies kann eine Evolutionsreihe, z. B. vom Knorpel- zum Knochenfisch, widerspiegeln. Beispiel 2: Nicht-homologe Linsenproteine für Augenlinsen Die Linsen der Wirbeltieraugen sind im Sinne des Morphologen zueinander homolog, sind also auf eine gemeinsame Ur-Linse rückführbar. Der Biochemiker entdeckt aber bei seiner Analyse neben Gemeinsamkeiten auch überraschende Verschiedenheiten in den Proteinen, die diese glasklaren Strukturen aufbauen. Es gilt das für den Austausch von Knorpel durch Knochen Gesagte: eine Funktion kann von anderen Materialien übernommen und dabei auch optimiert werden. Grundsätzlich eignen sich viele Proteine zur Konstruktion einer Linse, weil Proteine in aller Regel nicht im sichtbaren Spektrum Licht absorbieren, also transparent sind. Es kommt auf eine stabile Proteinkonformation an (Denaturierung und Ausfällung von ˛-Kristallin ist Hauptursache einer Linsentrübung im Auge des Menschen). Weiterhin muss eine variierende Konzentration des Proteins entlang des Augenradius der Linse gute refraktorische Eigenschaften verleihen. Linsenproteine können bei verschiedenen Tieren sehr verschiedenen Proteinfamilien angehören, und nicht nur bei Tieren, die in der zoologischen Systematik weit auseinander liegen, sondern auch bei verschiedenen Wirbeltieren. Im Wirbeltierauge werden wechselnde Kombinationen von bis zu 11 verschiedenen „Kristallinen“ (crystallins) gefunden. Diese sind jedoch untereinander nicht sequenzhomolog, sondern sind mit verschiedenen bekannten Enzymen oder Stressproteinen (Chaperonen) sequenzverwandt. Dazu gesellen sich fallweise unveränderte, konventionelle Haushaltsenzyme wie Lactatdehydrogenase B im Auge der Krokodile und Vögel. Dieses Enzym wird in der Linse als ı-Kristallin bezeichnet und ist als glykolytisches Enzym in geringerer Konzentration auch in anderen Geweben zu finden. Dies gilt auch
530
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development)
für die meisten anderen Linsenmaterialien: Sie werden auch andernorts eingesetzt. Die Evolution kombiniert hier Proteine in neuer Weise gemäß funktionellen Erfordernissen. Der einzige Zwang besteht darin, dass eine durchsichtige, lichtbrechende Struktur entstehen muss. Bei Wirbellosen werden gänzlich andere Proteine eingesetzt, um Linsen herzustellen. Kalmare und andere Cephalopoden benutzen das Entgiftungsenzym Glutathion-S-Transferase, das vergleichbar dem ˛-Kristallin der Vertebraten an Stressreaktionen beteiligt ist. Inwieweit Augen als verschieden konstruierte Organe homologe oder analoge Strukturen sind, diskutieren wir im Abschn. 22.7. Zur Herstellung morphologisch als homolog angesehener Strukturen können sich in der Evolution verschiedene Makromoleküle als brauchbar erweisen, und es können neu rekrutierte Makromoleküle zuvor benutzte ersetzen. Beispiel 3: Homologe Gene für nicht-homologe Strukturen Makromoleküle, die der Molekularbiologe als homolog ansieht, werden oft in den unterschiedlichsten Geweben und Organen gefunden, die nach dem Verständnis der Morphologen nicht homolog sind. Das HOX-D13-Gen beispielsweise wird im Mausembryo speziell im Somit Nr. 7 exprimiert, aber auch in der Spitze des auswachsenden Schwanzes und in den Spitzen der auswachsenden Arme und Beine. Homologie auf der Ebene der Gene und Proteine ist nicht in jedem Fall deckungsgleich mit Homologie auf der Ebene der Gewebe und Organe! Beispiel 4: Homologe Gene in nicht unmittelbar als homolog erkennbaren Strukturen Ein Vergleich der Expressionsmuster von Genen hilft manchmal, den gemeinsamen Ursprung von Strukturen zu erkennen, deren Homologie strittig oder gar nicht erwartet worden war. Ein gutes Beispiel ist die gemeinsame embryonale Grundorganisation des Zentralnervensystems der Wirbeltiere und Insekten, die in Abb. 16.13 dargestellt ist. Oder die Photorezeptoren und Augentypen, deren Entwicklung durch entwicklungsgeschichtlich ursprüngliche Meistergene wie Pax6 und sine oculis in die Wege geleitet und durch mehrere gemeinsame nachgeschaltete (downstream) Gene gesteuert wird (s. Abb. 12.19 und unten Abschn. 22.7). Wenn die Entwicklung komplexer Strukturen in verschiedenen Organismen gleichermaßen von einer Mehrzahl
konservierter Gene gesteuert wird, kann Konvergenz ausgeschlossen werden; denn konvergente Entwicklung beruht auf genomischen Veränderungen, die, weil Zufalls-abhängig, in den betrachteten Organismen nicht an allen Positionen des Genoms übereinstimmen können. Strittige oder unvermutete Homologie von Strukturen kann durch ein Kompendium mehrerer, gemeinsam regulierter homologer Gene verifiziert werden. Um evolutionäre Zusammenhänge zu erfassen, darf man sich nie auf ein Merkmal oder ein Gen verlassen. Im schlimmsten Fall könnte man ein Gen betrachtet haben, das spät in der Evolution von einem Retrovirus über Artgrenzen hinweg verschleppt worden ist und einen genealogischen Zusammenhang der infizierten Arten vortäuscht. In der Euphorie der molekulargenetischen Gründerzeit sind manche Schlüsse vorschnell gezogen worden. Die Molekulargenetik musste die gleiche Erfahrung machen wie die Morphologie alter Schule: Die Rekonstruktion von Stammbäumen aufgrund eines einzigen oder weniger Merkmale, aufgrund eines einzigen oder weniger Gene kann irreführend sein.
22.2.4
Orthologe und paraloge Gene und Strukturen müssen separat bewertet werden
Homologie in ihrer allgemeinen Bedeutung besagt: Herkunft zweier Gebilde aus einer gemeinsamen Stammstruktur. Beispielsweise sind bei verschiedener Wirbeltierarten, sagen wir beim Zebrafisch, Grasfrosch und Kolibri, sowohl die Wirbelsäule als auch die Vorderextremitäten (Brustflossen, Vorderbein oder Flügel) zueinander homolog. Innerhalb ein und desselben Individuums sind aber auch Somiten und Wirbelkörper homologe Wiederholungen eines Grundthemas; ebenso sind die Vorder- und Hinterextremitäten eines Tetrapoden Variationen einer Grundstruktur – hier spricht man von serieller Homologie (selten von Homoiologie) oder von paralogen Strukturen. Parallel hierzu findet der Molekulargenetiker vergleichbare Gene in verschiedenen Arten und Tiergruppen. Das Hox-Gen labial existiert in Drosophila und der Maus, ebenso das Gen Antennapedia. Beide entstammen wahrscheinlich einem Urgen, das seriell dupliziert wurde und bei Anneliden, Arthropoden und Vertebraten im anterioren Teil des Hox Cluster inner-
22.3 Neues aus Überkommenem im genetischen Programm
halb des Genoms zu finden ist (s. Abb. 22.6). Man spricht von orthologen Genen, wenn sich ein Gen in direkter Linie auf ein Urgen zurückführen und im Genom verschiedener Taxa finden lässt, paralogen Genen, wenn sich ein Gen erst innerhalb des Genoms eines Vorfahren vervielfältigt hat und die Duplikate dann unterschiedlich geworden sind. Hierbei können auch funktionslose Pseudogene entstehen, die zwar noch im Genom zu finden sind, durch Mutationen aber funktionsuntauglich wurden und nicht mehr exprimiert werden. Genetische Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Organismen lassen sich nur dann verlässlich rekonstruieren, wenn man orthologe Gene vergleicht! Zur Rekonstruktion von Stammbäumen dürften deshalb im Cluster der Hox-Gene nur die Sequenzen der labial-Gene verschiedener Spezies, z. B. der Fliege und der Maus, miteinander verglichen werden, nicht aber die labial-Gene mit den Antennapedia-Genen. (Ein solcher Vergleich der Hox-Gene innerhalb einer Art kann aber genutzt werden, um Verzweigungswege der Hox-Gene innerhalb des Clusters zu rekonstruieren.) Orthologe Gene in konservierter Funktion, insbesondere orthologe Selektor- bzw. Meistergene, weisen auf gemeinsame Prinzipien in den grundlegenden Steuerungsmechanismen.
22.3
Neues aus Überkommenem im genetischen Programm
22.3.1 Neues im genetischen Programm kann entstehen durch Genund Genommultiplikation und Mutation der Duplikate Wenn Verwandtschaften und evolutionäre Veränderungen sich im Genom widerspiegeln, können wir erwarten, dass es Gene gibt, die zwar in gewissem Umfang von Art zu Art variieren, aber im Großen und Ganzen doch konserviert sind. Andererseits erwarten wir auch Neues; denn schließlich ist ein Mensch kein Kolibri und kein Insekt. Eine Gensynthese de novo ist bisher nicht bekannt. (Allenfalls können in äußerst seltenen Fällen aus nichtcodierenden Sequenzen neue Gene entstehen, s. eingerahmter Text in Abschn. 22.3.3).
531 Genverdoppelung durch ungleiches Crossingover Normales Crossingover (Stückaustausch zwischen Chromosomen in den Keimzellenvorläufern)
Chromosomen werden den Keimzellen zugeteilt
Ungleiches Crossingover Gen verdoppelt
nicht lebensfähig
Abb. 22.2 Genverdoppelung durch ungenaues Crossingover
Nachvollziehbar werden die grundlegenden Mechanismen, die normalerweise im Genom Neues entstehen lassen, wenn wir uns beispielhaft vergegenwärtigen, wie konservierte Gencluster mit mehreren paralogen Varianten und wie Multidomänenproteine entstanden sind – oder auch, wie zur Optimierung einer Funktion homologer Strukturen nichthomologe Proteine eingesetzt werden können. Genverdoppelung. Die Duplikation eines Urgens geschieht beispielsweise durch unpräzises Crossing-over (Abb. 22.2) oder vermittels Transposons (s. Lehrbücher der Genetik). Nach der Verdoppelung eröffnen sich für eine selektionsbedingte Evolution neue Perspektiven: Eines der beiden aus der Verdoppelung hervorgegangenen Gene behält unter dem Druck der natürlichen Selektion seine Struktur und Funktion. Das zweite kann durch Mutationen variiert werden und sogar einen Funktionswandel durchlaufen. Ein Beispiel sind die verschiedenen Rhodopsin-Allele (Abb. 22.3), die in den Zapfen unserer Netzhaut exprimiert werden und Farbensehen ermöglichen. Mehrfachverdoppelung. Im Falle der Wnt-Gene und der Hom/Hox-Gene geschahen solche Genverdoppelungen mit anschließenden auf die Duplikate beschränkten Mutationen seriell (Weiteres hierzu s. Abschn. 22.4). Die Mitglieder solcher durch wiederholte Duplikationen entstandenen Gengruppen werden als paralog klassifiziert. Mutmaßlich ist das
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22
Rhodopsin
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development)
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A
180 S
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F
277
Y
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A
285
T
“Grün”-Opsin
“Rot”-Opsin
Opsin-Protein bestehend aus 348 Aminosäuren
gen hat. Schon das Auftauchen einer neuen allelen Variante eines Gens kann große Wirkungen haben. Man denke an ein Enzym, das ein Morphogen abbaut. Eine durch Punktmutation entstandene neue Variante, die schneller arbeitet, wird den Morphogengradienten kürzer und steiler werden lassen, eine langsamer arbeitende Variante lässt den Gradienten weniger steil abfallen und er kann sich über eine größere Entfernung ausbreiten. Dies kann ganze Körperregionen verkürzen oder verlängern (s. Kap. 10). Die mögliche Bedeutung von Genvarianten für Evolutionsprozesse lässt sich allerdings in den meisten Fällen nicht direkt aus dem Sequenzvergleich ablesen, sondern muss durch funktionelle und biochemische Untersuchungen eruiert werden.
Abb. 22.3 Die verschiedenen Opsine sind durch Verdoppelung eines Opsingens entstanden; sie ermöglichen eine Analyse der Wellenlängen-Zusammensetzung (Farbe) des Lichts
22.3.2
gesamte Hox-Cluster aus zwei Proto-Hox-Genen hervorgegangen. Die Mitglieder dieser Gruppe werden als ortholog klassifiziert, wenn zwischen verschiedenen Arten verglichen wird und Gene in gleicher Position im Gruppenverband auch eine gleiche, hochkonservierte Homeobox enthalten. Allerdings sagt die Existenz einer gleichartigen Homobox, beispielsweise einer labial-Box, noch nichts darüber aus, ob auch in anderen Genbereichen der labial-Gene orthologe Sequenzen zu finden sind. Falls außerhalb der Homeobox die Sequenzen nicht oder nur geringfügig übereinstimmen, muss außer Mutations-bedingten Veränderungen auch die Möglichkeit der Neukombination von Sequenzabschnitten in Betracht gezogen werden (s. unten Abschn. 22.3.2). Genomverdoppelung. Was auf der Ebene der Gene möglich ist – Duplikation eines Gens –, ist auch auf der Ebene des Genoms möglich. Im Säugetier liegt das Hox-Cluster vierfach vor. Da Branchiostoma (Amphioxus) nur ein einziges Hox-Cluster besitzt, ist die vierfache Ausstattung im Säuger ein Indiz dafür, dass in der Evolution der Wirbeltiere das gesamte Genom zweimal verdoppelt wurde (s. Abb. 22.6). Punktmutationen. Es muss nicht immer ein Großereignis sein, das weitreichende Auswirkun-
Die Zusammensetzung vieler Proteine lässt abschnittsweise Sequenzähnlichkeit mit verschiedenen anderen Proteinen erkennen; sie sind modular aufgebaut. Besonders deutlich wird dies bei den multimodularen Wachstumsfaktor-Rezeptoren (s. Kap. 11). Ein FGFR beispielsweise weist extrazelluläre Ligandenbindungsdomäne(n), eine Transmembrandomäne, diverse intrazelluläre Kopplungsstellen und eine KinaseDomäne auf. Die partiellen Sequenzähnlichkeiten mit anderen Rezeptoren legen nahe, dass diese Proteine aus Modulen zusammengesetzt sind. Im Zuge von Replikations- und Rekombinationsvorgängen wurden offenbar neue Gene durch die Kombination von Abschnitten bereits vorhandener Gene geschaffen. Eine einleuchtende Hypothese führt die Entstehung modularer Proteine auf Exon-shuffling zurück: In den Genen der Eukaryonten werden codierende Abschnitte (Exons) immer wieder von nicht-codierenden Abschnitten (Introns) unterbrochen. Die Exon-Intron Grenzen korrelieren häufig mit den Grenzen von Proteindomänen. Durch Rekombination von Exons könnten so in der Vorzeit aus ursprünglich getrennten, einzelnen Domänen hoch komplexe multimodulare Proteine entstanden sein. Nach heutigem Kenntnisstand haben im Fall der Wachstumsfaktor-Rezeptortyrosinkinasen ers-
Neues kann auch durch wechselnde Kombination bestehender DNA-Sequenzen, beispielsweise durch Exon-shuffling, entstehen
22.3 Neues aus Überkommenem im genetischen Programm
te Rekombinationsereignisse bereits im gemeinsamen Vorfahren der vielzelligen Tiere und ihrer EinzellerSchwestergruppe, den Choanoflagellaten, stattgefunden. Solche Prozesse mahnen, partielle Sequenzverwandtschaften in Genen und Proteinen nur mit Vorsicht als Indiz für die Homologie von anatomischen Strukturen zu werten. Sie ermöglichen es andererseits, die Evolution modularer Proteine durch den Vergleich der Sequenzen rezenter Tiere mittels Algorithmen der Bioinformatik zu rekonstruieren und mit Bauplänen und der Stellung der jeweiligen Tiere im System zu korrelieren.
22.3.3 Horizontaler Gentransfer: Manches kann aus fremden Erbgut übernommen werden Auch fremde (heterologe) DNA findet sich manchmal in Genomen. Häufig wird fremde DNA durch Viren von einem Organismus auf einen anderen Organismus, auch anderer Artzugehörigkeit, übertragen, und verharrt als Relikte in Form von funktionslosen und weitgehend neutralen Transposons im Genom. Ihre virale Herkunft lässt sich in ihrer Genstruktur erkennen: Sequenzen, welche die Proteinhülle von Viren codieren (gag, env) oder andere typisch virale Sequenzen (pol, ORF) bleiben nachweisbar, oder doch die typischen flankierenden palindromischen Sequenzen. Nach quantitativen Schätzungen nehmen Transposons und mit ihnen verwandte Sequenzen ca. 45 % des menschlichen Genoms ein. Sie gelten gemeinhin als Müll-DNA (junk DNA), doch zu den über Viren eingeschleppten und in unser eigenes Genom integrierten Sequenzen gehören leider auch krebsauslösende Onkogene (s. Kap. 19). Auch gibt es gute Evidenzen, dass in den Lymphozyten Transposon-Sequenzen nutzbar geworden sind. Es sind die vielen beliebig kombinierbaren kurzen DNA-Sequenzen, die zur Codierung der variablen Domänen der B-Zell-Rezeptoren, und damit auch der Antikörper (s. Abb. 18.8), herangezogen werden. Gleiches gilt für die variablen Domänen der T-Zell-Rezeptoren. Einige der Transposons konnten also im Verlauf der Evolution der Wirbeltiere in den Dienst des Immunsystems des Wirtes gestellt werden. Gentechnisch werden Transposons regelmäßig eingesetzt, um transgene Tiere zu erzeugen.
533
Manche Überraschung dürfte noch auf die Wissenschaft zukommen. Im Jahr 2009 berichtete eine Forschergruppe um Diethard Tautz vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön, dass in Mäusen aus einem zuvor funktionslosen DNA-Abschnitt (Intron-DNA) in einem länger währenden, Zufallsmutationen einschließenden Prozess ein neues Gen entstanden sei. Forscher, die sich mit dem Tierstamm der Cnidaria und anderen bisher wenig beachteten Tierstämme befassen, berichten außerdem von zahlreichen Prokaryontengenen, welche allerdings Eukaryonten-spezifische Introns tragen. Wie sie in das Genom der Eumetazoa gelangt sind, ist unbekannt.
22.3.4
Das artspezifische Inventar an Genen wird auch durch Genverlust mitbestimmt
Als die ersten Genome (ganz oder teilweise) sequenziert waren, entdeckte man erstaunlich viele Gene, die zwischen der Fliege Drosophila, dem Nematoden Caenorhabditis elegans und dem Menschen konserviert sind. Man entdeckte andererseits im menschlichen Genom Gene, die zwar auch bei anderen Säugetieren, nicht aber in den beiden genannten Arten zu finden waren, und deshalb als säugetierspezifisch angesehen wurden. Viele dieser vermeintlich säugetier- oder wirbeltierspezifischen Gene wurden dann allerdings im Genom des Anneliden Platynereis dumerilii entdeckt, sowie in den Genomen verschiedener Vertreter der Cnidaria (Acropora, Nematostella, Hydra, Hydractinia). Offensichtlich waren diese Gene bereits in den gemeinsamen Vorfahren der Cnidaria und der Bilateria vorhanden und sind auf der Evolutionslinie der Ecdysozoa, die zu Drosophila und C. elegans führt, verloren gegangen. Erneut muss betont werden, dass nur aus dem Vergleich vieler Gene aus möglichst vielen Taxa verwandtschaftliche Beziehungen leidlich zuverlässig rekonstruiert werden können. Dies sind Einschränkungen, die bei den im Folgenden vorgestellten Evo-Devo-Projekten berücksichtigt und kritisch bewertet werden müssen.
534
22.4
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development) maternale Wnt-3 mRNA
Der gemeinsame Satz molekularer Werkzeuge (molecular tool kit)
In diesem Abschnitt wollen wir an vier Beispielen aufzeigen, dass die Entstehungszeit konservierter, entwicklungssteuernder Gene weit in die kambrische Zeit vor 550 Mio. Jahren zurückreicht, als bereits alle Grundbaupläne der heute lebenden Tiere festgelegt waren. An einigen dieser Beispiele lässt sich erkennen, dass kleine Änderungen in der genetischen Regulation oder in der Einbindung in vernetzte Signalkaskaden große Auswirkungen auf die Ausprägung bestimmter Merkmale haben können. Vergleicht man die Genome aller Metazoa, von den Schwämmen und Cnidariern bis hin zu den Säugetieren, findet man unter den Genen, welche die Frühentwicklung steuern und hochkonserviert sind, besonders viele für Transkriptionsfaktoren. Beispielsweise lassen sich die Transkriptionsfaktoren PAX6 und SINE OCULIS, die Augenbildung steuern, weit in der Stammesgeschichte der Tiere zurückverfolgen. Dies wird im Abschn. 22.7 belegt.
Hydractinia 2-Zellenstadium
a1
Wnt-3a
Hydra
a2 Blastoporus Wnt-1, Wnt-7, Wnt-8
a3 Nematostella Gastrula Wnt-3a
b
Planarie
Das WNT-Signalsystem ist bei vielen Tiergruppen zuständig für die Etablierung der primären Körperachse oder, bei bilateralsymmetrischen Tieren, einer der beiden Körperachsen (Abb. 22.4). Darüber hinaus ist dieses System auch mit der Kontrolle der Stammzellen in allen daraufhin untersuchten Tiergruppen befasst (Kap. 18). Wenn man verstehen möchte, wie Baupläne sich im Lauf der Evolution von einfachen zu komplexen Modellen entwickelt haben, ist es sinnvoll, Tiergruppen zu untersuchen, die sich früh von der Hauptlinie abgespalten haben. Findet man auch im frühen Seitenzweig ein konserviertes Gen, das auch in der Hauptlinie konserviert weitergegeben wurde, muss es zum Inventar einer gemeinsamen Urform gehört haben, die schon vor der Abzweigung existierte. Zu den Taxa, die sich früh abspalteten und einen Sonderweg einschlugen, gehören neben den Porifera (Schwämmen) und den Placozoa mit dem winzigen, zweizellschichtigen Trichoplax auch die Cnidaria mit Hydra, Hydractinia und
BMP
Das Wnt/ˇ-Catenin-System spielt bei der frühen Achsendetermination quer durch das Tierreich eine Dirigentenrolle
BMP
22.4.1
BMP
Wnt-3a Blastoporus Wnt-8 Blastoporus
c Seeigel
BMP
d Wnt-3a, Wnt-8
Amphioxus Gastrula Blastoporus
BM
e
P- 4
BMP
Wirbeltier Xenopus
Abb. 22.4 Expressionsort von WNT bei der Installation der/einer Körperachse bei verschiedenen Organismen
der zunehmend ebenfalls in den Vordergrund tretenden Seeanemone Nematostella. Der Mehrzahl der vielzelligen Tiere ist eine indirekte Frühentwicklung gemeinsam, bei der eine einfache, mittels Cilien bewegliche Larve entsteht. Diese besitzt ein in die Bewegungsrichtung weisendes Vorderende und einen gestreckten
22.4 Der gemeinsame Satz molekularer Werkzeuge (molecular tool kit) Abb. 22.5 Expression verschiedener Mitglieder der WNT-Familie bei der Seeanemone Nematostella vectensis. Adaptiert nach Kusserow et al. (2005)
535 Nematostella: wnt-Expression
Furchung
Gastrula
Planula
Polyp
wnt-1
wnt-7
wnt-5
wnt-2
wnt-8
Körper. Ob diese Körperachse als antero-posteriore, als apiko-basale oder als oral-aborale Achse bezeichnet wird, hängt vom jeweiligen Tierstamm ab.
In diesem Zusammenhang ist die Frage von Interesse, ob die oral-aborale Körperachse der Cnidarier der antero-posterioren Achse höher entwickelter Tiere entspricht, und, falls dies hinsichtlich der Achsenausrichtung bejaht wird, ob der Hydra-Kopf (Hypostom) einem Anneliden-, Insekten- oder Wirbeltierkopf homolog ist oder ob er am Gegenpol sitzt. Diese Frage wird in Box 22.2 diskutiert.
Die Wnt/ˇ-Catenin Signalkette (s. Abb. 11.6), ursprünglich entdeckt als Signalsystem, welches das Auswachsen des Drosophila Flügel dirigiert, erwies sich als essentiell für die Etablierung einer embryonalen Körperachse bei allen daraufhin untersuchten Tieren (Abb. 22.4) außer bei Drosophila selbst. WNT Liganden werden früh in sich entwickelnden Embryonen exprimiert – teils als maternale, teils als frühe zygotische Gene. In früheren Kapiteln hatten wir an den Beispielen Hydractinia (Abb. 9.5), Seeigel (Abb. 4.6)
und Xenopus (Abb. 5.18, 5.19 und 10.4) ausgeführt, dass lokalisierte WNT-Liganden und Signaltransduktion über den kanonischen WNT-Weg Orientierung für die sich vom Urmund zum Gegenpol erstreckende Körperachse geben (Abb. 22.4). Die Kopf-SchwanzAchse (a-p-Achse) der Wirbeltiere kann nur korrekt ausgebildet werden, wenn einerseits WNT am Spemann Organisator ausgesandt wird, andererseits am Vorderpol Anti-WNT-Faktoren die WNT-Signale neutralisieren und so Kopfbildung ermöglichen. Die gegenläufigen WNT- und Anti-WNT-Gradienten übernehmen auch Mitverantwortung für die Untergliederung des Körpers in Kopf, Rumpf und Schwanz. Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied: Während bei den triploblastischen Tieren WNT in der Frühentwicklung vom späteren Kopfende ausgeschlossen ist, ist dies bei den Cnidaria umgekehrt: Hydra steht sozusagen auf dem Kopf (s. dazu Abb. 22.12). Völlig unerwartet war, dass bereits früh in der Stammesgeschichte durch mehrfache Duplikation des wnt-Urgens eine umfangreiche Kollektion von WNTLiganden erworben worden war. Bereits bei Cnidaria finden sich 10 der 11 bei Wirbeltieren vorhandenen WNT-Liganden! Die sukzessive und überlappende Expression all dieser WNT-Liganden entlang der Körperachse bei Nematostella deutet auf eine Funktion
536
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development) Hox-Cluster im Vergleich
Capitella (Annelida, Lophotrochozoa) räumliches Expressionsmuster
zeitliches Expressionsmuster
lb
lb 1 pb 2 Hox3 3 Dfd 4 Src 5 lox5 Antp 6 Hox4 7 lox2 8 post2 9
Dfd Src
Antp
lox2
Hox-Gene
lb pb
zen/ Hox3
Dfd
lox2/ Ubx AbdA post2
Src lox5 Antp
3'
5´ Exons für mRNA Drosophila (Insecta, Ecdysozoa) lab pb zen Dfd Scr Antp HOM-C
5´
2
1
4
3
Ubx abd-A Abd-B
6
5
7
3'
8
9
11
12 13 14
Branchiostoma (Amphioxus, Chordata) lab pb HOX 5´
1
2
3
Dfd Src Antp Ubx/abdA 9 6 7 8 5 4
10
3'
Mus (Chordata, Vertebrata) Hox-A
1
2
3
4
5
6
7
Hox-B
1
2
3
4
5
6
7
4
5
6
Hox-C Hox-D
1
3
4
9
10 11
13
8
9
13
8
9
10 11 12 13
8
9
10 11 12 13
Maus: zweifache Genomverdoppelung
Abb. 22.6 Hox-Cluster bei verschiedenen Organismen. Beachte: Die große Übereinstimmung in der Zahl und Reihenfolge der Hox-Gene des Anneliden Capitella und von Drosophila belegt, dass bereits der gemeinsame Vorfahre ein Kompendium von 9–10 Hox-Genen besaß. Das Expressionsmuster in den Entwicklungsstadien des Anneliden Capitella zeigt einerseits
Übereinstimmung mit dem der Insekten, andererseits Unterschiede im Detail. Die Übereinstimmung betrifft das allgemeine Prinzip der Kolinearität (adaptiert nach Fröbius et al. (2008)). In Säugetieren liegt das Hox-Cluster vierfach vor, eines von mehreren Indizien, dass in der Evolution zum Säugetier das ganze Genom sich zweimal verdoppelte
22.4 Der gemeinsame Satz molekularer Werkzeuge (molecular tool kit)
537
Modell der Evolution der Hox- und ParaHox-Cluster Duplikation, Adaptation und Funktionswandel Drosophila lab pb zen Dfd Scr Antp Ubx abd-A Abd-B 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Ecdysozoa
Maus Hox-A 1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11
Hox-B 1
2
3
4
5
6
7
8
9
4
5
6
7
8
3
4
9 10 11 12 13 9 10 11 12 13
Hox-C Hox-D 1
8
13
Capitella lab pb zen Dfd Scr Antp 1 2 3 4 5 6 1
Lophotrochozoa
4
5 6 7 8
9 10 11 12 13 14
Gsx Xlox Cdx Branchiostoma (Amphioxus)
Urahn der Protostomia
Gsx
3
ParaHox
lab pb zen Dfd Scr Antp 1 2 3 4 5 6
Hox1/2
2
Hox
Urahn der Deuterostomia
B
Db Da C
Hr E
F
Gsx Xlox/Cdx
Hox3 BNA
Xlox
A
Nematostella
Cdx
Hox1/2 Hox3 CNA
Urahn der Bilateria Gsx Xlox oder Cdx Hox1/2 Hox3
Gsx Xlox
Hox1/2 Hox3
Urahn der Cnidaria
Gsx Xlox Cdx
Urahn der Bilateria und Cnidaria
Hox1/2 Hox3 Gsx Xlox P1/2
Hox-Cluster ParaHox-Cluster
P3
ProtoHox-Cluster
Abb. 22.7 Hypothese zur Evolution der Hox-Gene aus einfachen Proto-Hox-Vorstufen. Die Proto-Hox-Gene persistieren bei rezenten Tieren. Adaptiert nach Chourrout et al. (2006)
bei der Untergliederung der Körpersäule in funktionell differenzierte Zonen (Abb. 22.5). Das kanonische WNT-System ist augenscheinlich ein sehr früh in der Geschichte der Metazoa erworbenes System zur
Spezifizierung und Regionalisierung der Primärachse, das bei triploblastischen Tieren funktionell durch die HOX Transkriptionsfaktoren ersetzt oder ergänzt wurde.
538
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development)
Neben Komponenten der kanonischen WNTSignalsysteme (s. Kap. 11) sind auch nicht-kanonische WNT Signalwege bereits bei Cnidaria verwirklicht – einer davon dirigiert die Ausstülpung von Tentakeln und Knospen. Da nicht-kanonische WNTSignalsysteme auch bei höheren Tieren für gerichtete Zell- und Gewebebewegungen zuständig sind, können auch diese Systeme als Instrumente eines anzestralen Werkzeugsatzes angesehen werden.
22.4.2
Die HOM/HOX homoeotischen Transkriptionsfaktoren untergliedern den Körper triploblastischer Tiere in topografische Regionen
Bei bilateralsymmetrischen Tieren wird die Regionalisierung der Hauptkörperachse vom HOX-System übernommen. Sie bestimmen bei (innerlich) segmentierten Tieren einschließlich der Wirbeltiere die positionsgemäße Identität der Segmente entlang der anteroposterioren Achse (Kap. 12, Abb. 12.16). Bei Eumetazoa oberhalb der Gruppe der Cnidarier liegen paralogen Gene für die HOM/HOX-Transkriptionsfaktoren als Gruppe (cluster) im Genom vor; ihre Mitglieder werden kolinear exprimiert; dies besagt: die weiter ,links‘ (Richtung 50 -Ende der DNA) gelegenen Gene werden früher und weiter vorn im Körper exprimiert als die ,rechts‘ (in Richtung des 30 Endes) folgenden Gene (Abb. 22.6 und 22.7). Und es gilt die Regel der posterioren Dominanz, die besagt, dass ab der Körperregion, in der das nächste rechts liegende Gen eingeschaltet wird, dieses neu aktivierte Gen über die zuvor aktivierten dominiert (s. Abb. 12.17). Einmal in der Evolutionsgeschichte der Bilateria zusammengestellt, stand das Hox-Cluster offenbar unter enormem Selektionsdruck hinsichtlich seiner kolinearen Expression und Funktion in der Festlegung von Segmentidentität. Durch vergleichende Studien konnte gezeigt werden, dass das 9-teilige Hox-Cluster der Insekten bereits beim gemeinsamen Vorfahren der Anneliden und Arthropoden vorhanden war; denn nur wenn der gemeinsame Vorfahre schon im Besitz des Clusters war, konnten ihn sowohl die Lophotrochozoa als auch die Ecdysozoa geerbt haben. Schließlich findet er sich auch beim Amphioxus (Branchiostoma) und den Wirbeltieren. Nur bei nicht-segmentierten Tieren wie Schnecken oder Uro-
chordaten erweist sich der Selektionsdruck auf Erhalt des Clusters als gelockert. Außerhalb der Bilateria sind keine umfangreichen Cluster zu finden und die Sequenzvergleiche der einzelnen Hox-Gene liefert mehrdeutige Möglichkeiten einer Homologisierung. Immerhin gibt es starke Evidenzen, dass die Serie der Hom/Hox-Gene aus einem ursprünglichen Proto-Hox-Cluster hervorgegangen ist (Abb. 22.7). Das ursprüngliche Hox-Cluster ermöglichte nach Duplikation und Funktionswandel der einzelnen Hox-Gene die erstaunliche Vielfalt rezenter Baupläne. Unter Verweis auf Kap. 12 (und auch auf Abb. 22.6) sei hier nochmals betont: die HOM/HOX-Faktoren programmieren nicht bestimmte Zell- und Gewebetypen oder Organe, sondern kennzeichnen Körperregionen zur Abwandlung von Geweben und Organen gemäß ihrer Position im Körper. Sie ermöglichten auch die Entwicklung einer großen Zahl von hochspezialisierten Körperanhängen aus ursprünglich einfachen Gliedmaßen, wie nachfolgend ausgeführt wird.
22.5
22.5.1
Variationen von Bauplänen innerhalb von Tierstämmen Beine werden zu Mundwerkzeugen und mehr
Die Duplikation von Hox-Genen, verbunden mit Funktionswandel und Neueinbindung in Regelkreise, ermöglichte bei Arthropoden die Entwicklung einer unglaublichen Vielfalt von Körperanhängen, welche ursprünglich aus Beinen entstanden sind. So finden sich Mundwerkzeuge, die bei Libellen mit starken Kiefern beißen, bei Stechmücken als konzentrisch zusammengesetzte Röhren mit Stiletten und Rüssel gestaltet, bei Stubenfliegen zum Tupfrüssel verwandelt und bei Schmetterlingen als hydraulisch ausrollbare Saugrüssel ausgebildet sind. Nicht zuletzt stammen auch die Spinndrüsen und möglicherweise auch die nach innen verlagerten Buchlungen (Fächerlungen) am beinlosen Hinterkörper der Netzspinnen von ehemaligen Gliedmaßen ab (Abb. 22.8). Die Möglichkeit, durch bloße Variation eines Grundthemas unterschiedliche Werkzeuge zur Nahrungsaufnahmen zu entwickeln, ermöglichte es den Arthropoden, eine Vielzahl neuer ökologischer Ni-
22.5 Variationen von Bauplänen innerhalb von Tierstämmen
539 Arthropodengruppen
Schicksal der Epipoden/Kiemen
Crustaceen
Epipoden/Kiemen
Insekten
Flügel
Myriapoden
(Verlust)
Limulidae: Xiphosura (Pfeilschwanzkrebse)
Buchkiemen
Spinnen
Buchlungen (Fächerlungen) Tracheen, Spinndrüsen
Urform (hypothetisch)
aquatisch terrestrisch Lunge Spinndrüsen Trachee
Abb. 22.8 Modell zur Evolution der Arthropoden und ihrer Anhänge. Adaptiert nach Pechmann et al. (2010)
schen zu besiedeln. Die Evolution der Körperanhänge von Arthropoden liefert eindrucksvolle Beispiele für die Verknüpfung entwicklungsbiologischer Mechanismen mit ökologischer Anpassungsfähigkeit (unter dem Begriff „Eco-Devo“ ein zunehmend attraktives Forschungsgebiet). Defekte einzelner Hox-Gene decken ursprüngliche Differenzierungsprogramme wieder auf. Bereits angesprochen hatten wir die Antennapedia Mutante von Drosophila, bei der Antennen zu Beine werden und die vierflügelige Fliege, bei der die Schwingkölbchen zu Flügeln zurückverwandelt sind (s. Abb. 4.40). Sie entspricht damit dem durch Libellen vertretenen Urtyp eines vierflügligen Insekts. In mehreren Forschergruppen wird derzeit versucht, bei Arthropoden durch Eingriff in die Genexpression Einblicke in Evolutionsmechanismen zu gewinnen. Spinnen entwickeln im Labor wieder Beine am Hinterleib. Auch beim Mehlkäfer wird mittels eines groß angelegten RNAi Screenings oder durch Überexpression bestimmter Gene versucht, den evolutionsgeschichtlichen Werdegang nachzuvollziehen. Ob es gelingt, durch solche Manipulationen einen tausendfüßigen (D myriapoden) Käfer-Urahn zu erzeugen?
22.5.2
Schwertträger – sie sind ein Beispiel für das Wirken sexueller Selektion und für die Reaktivierungsmöglichkeit verschütteter Entwicklungsprogramme
Wie eine Änderung in der Aktivierungsmöglichkeit eines Transkriptionsfaktors zur Ausbildung besonderer Merkmale führt – oder eben nicht –, lässt sich an Schwertträgerfischen der Gattung Xiphophorus zeigen. Xiphophorus-Männchen erfahren unter dem Einfluss des männlichen Sexualhormons Testosteron eine Verlängerung des häufig auffällig gefärbten ventralen Teils der Schwanzflosse („Schwert“). Xiphophorus Weibchen schätzen solchen Prunk und paaren sich bevorzugt mit besonders prächtigen Männchen, sodass sich der Energieaufwand für die Männchen lohnt. Das Schwert wächst im Zug der sexuellen Reifung aus der anfänglich noch symmetrischen Schwanzflosse heraus. Unter dem Einfluss einer erhöhten Testosterondosis verlängern sich die ventralen Flossenstrahlen stark, bis die dem Aquarianer wohlbekannte Länge erreicht ist (Abb. 22.9). Durch Transplantationsexpe-
540 Abb. 22.9 Entwicklung des Schwertes bei Xiphophorus und Reaktivierung einer entsprechenden verborgenen Potenz beim Platyfisch. Die Entwicklung des Schwertes ist abhängig von einem lokalen Organisator in der Schwanzflosse und von Testosteron, das normalerweise diese Potenz bei männlichen Schwertträgern, nicht aber bei männlichen Platys zum Vorschein bringt. Zusätzliches exogenes Testosteron im Aquariumwasser lässt auch beim Platy ein kleines Schwert auswachsen; dies ist abhängig von der Testosteroninduzierten Aktivierung eines FGF-Signalsystems und des Transkriptionsfaktors MsxC. In der Platy-Mutante brushtail sind diese internen Faktoren erhöht aktiv und die latente Potenz zur Schwertbildung kommt auch ohne externe Stimulation partiell zum Vorschein. Adaptiert nach Offen et al. (2008, 2009)
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development) Testosteron-abhängiger Flossenorganisator beim Schwertträger und Platy
Testosteron Xiphophorus Fgfr1/msxC
Testosteron blockiert
Netzwerk
Platy
exogen.Testosteron Platy brushtail
Fgfr1/msxC
c
Platy Transplantation
Schwert
b
Organisator
a
rimente konnte gezeigt werden, dass das Gewebe an der Spitze der beiden am längsten auswachsenden Flossenstrahlen als Organisator fungiert. Nach Transplantation in die dorsale Region der Schwanzflosse regt es die dortigen Flossenstrahlen an, sich in ein zweites, ektopisches Schwert zu verwandeln. Das Auswachsen wird durch Hormone der Androgengruppe aktiviert, ist also in der Natur nur bei männlichen Exemplaren möglich. Bemerkenswert ist, dass dieser Entwicklungsweg auch bei Weibchen und bei verwandten Fischen, welche normalerweise kein Schwert ausbilden, durch zusätzliche Hormongaben reaktiviert werden kann. So induziert exogen appliziertes Testosteron bei Xiphophorus Weibchen und normalerweise schwertlosen, nahverwandten Platyfischen die Ausbildung eines (kleinen) Schwerts.
ektopisches Schwert
Schwert
Xiphophorus helleri
Das genetische Netzwerk, das diesen Prozessen zugrunde liegt, basiert auf einer Signalstafette, die vom Hormon angestoßen, durch den Wachstumsfaktor FGF weiter vermittelt wird und zur Aktivierung des Transkriptionsfaktors MsxC führt. Dieser ist auch im Genom des Platys vorhanden; doch fehlt dieser Fischart ein auf Testosteron stark ansprechender Organisator an der Schwanzflosse. Offenbar sind Platyweibchen dem bloßen Imponiermerkmal eines langen Schwertes weniger stark erlegen als die Xiphophorus-Weibchen. An diesem Beispiel wird deutlich, dass sexuelle Selektion und Präferenz direkte Auswirkungen auf entwicklungsbiologische Signalketten haben können, und auch, dass es lohnt, sich in der postgenomischen Zeit wieder zunehmend der Verbindung zwischen Entwicklungsbiologie, Physiologie, Soziobiologie und Ökologie zuzuwenden.
22.6 Rekonstruktion der großen Entwicklungsreihen und phylogenetischer Stammbäume
22.6
22.6.1
Rekonstruktion der großen Entwicklungsreihen und phylogenetischer Stammbäume Abermillionen Tierarten unter den Bilateria in nur drei Großgruppen untergliedert?
Zoologische Lehrbücher gliedern das Tierreich, soweit es die Bilateria betrifft, in 20 Stämme oder mehr – je nach den Kriterien, welche die Autoren als ausreichend gewichtig halten, um eine Tiergruppe in den Rang eines Stammes zu heben. Wie die verschiedenen Stämme innerhalb eines Stammbaumes angeordnet werden sollten, war und ist an mehreren Verzweigungspunkten umstritten. Ein Beispiel dafür, wie die evolutionäre Entwicklungsbiologie Stammbäume verändern kann, ist der traditionelle, und bis vor nicht allzu langer Zeit im deutschen Hochschulunterricht bevorzugte Stammbaum der vielzelligen Tiere (Metazoa, s. Abb. 22.1 oben links). 1997 deutete ein aus 18s rDNA-Daten abgeleiteter Stammbaum an, dass sich im Tierreich eine frühe Aufspaltung in die nur drei Äste der Ecdysozoa, der Lophotrochozoa und der Deuterostomia vollzogen haben könnte. Der erste dieser Stammbäume war nicht gut aufgelöst, wurde in den letzten 20 Jahren aber durch zusätzliche molekulare, physiologische und Entwicklungsmarker zunehmend abgesichert. Während die Deuterostomia unstrittig eine zusammengehörige Gruppe sind, werden die Protostomia (ein als solcher bestreitbarer Begriff) nach der neuen Phylogenie nur noch in zwei große Gruppen eingeteilt (Abb. 22.1): in die Lophotrochozoa, denen die Ausbildung eines Lophophors (Tentakelträgers) oder einer Trochophora Larve und Spiralfurchung gemeinsam sind, und Ecdysozoa, deren Charakteristikum das Auftreten einer wachstumsbedingten Ecdysis D Häutung ist. Das Häuten der Chitin-haltigen Cuticula wird, bei Arthropoden und Nematoden jedenfalls, vom Häutungshormon Ecdyson (genauer: 20-OH-Ecdyson) gesteuert (s. Abb. 20.4). Ferner sind die Angehörigen dieser Gruppe gekennzeichnet durch einen biochemischen Marker, der von MeerettichperoxidaseAntikörpern erkannt wird. Einigen Gruppen fehlen Kinocilien; die Spermien der Nematoda und Crustacea sind deshalb nur amöboid beweglich.
Mancher Systematiker möchte aus gutem Grund eine Überkategorie Articulata (Gliedertiere) beibehalten, unter welche die Tierstämme der Anneliden und der Arthropoden subsummiert wurden. Beide Stämme besitzen einen segmental gegliederten Körper, dessen metamere äußere Gliederung vom innen liegenden embryonalen metameren Mesodermsäckchen (Coelomsäckchen) oder Mesodermpaketen ausgeht. Das Nervensystem besteht aus einem dorsalen Oberschlundganglion und einer metameren, ventralen Bauchganglienkette. Gemeinsam sind den Anneliden und Arthropoden auch die Ausstattung mit einem dorsalen tubulären Herzen sowie das Vorkommen von Proto- und/oder Metanephridien, die bei Arthropoden allerdings stark abgewandelt sein können oder komplett fehlen. Als connecting link zwischen Anneliden und Euarthropoden boten sich die Stummelfüßler (Onychophora, z. B. Peripatus) mit ihrem Hautmuskelschlauch und metameren Nephridien an. Die Onychophoren sind allerdings mittlerweile durch molekulare Daten in eine Seitenlinie der Euarthropoden versetzt worden. Für Entwicklungsbiologen problematisch waren schon immer die im Artikulaten-Konzept bedingten Inkonsistenzen der Entwicklungsmechanismen. So findet sich die charakteristische Spiralfurchung bei Anneliden, aber eben auch bei Plattwürmern und Mollusken – hingegen nicht bei Arthropoden. Viele Daten unterstützen mittlerweile die frühe Aufspaltung der Protostomia in zwei Gruppen, innerhalb derer die Fähigkeit zur Segmentierung mehrfach verloren ging. Auch stimmen die Mechanismen der Segmentierung bei verschiedenen Vertretern der beiden Großgruppen nicht überein. Bei Anneliden entsprechen die larvalen Segmentgrenzen den definitiven Grenzen, während bei Drosophila zuerst Parasegmente angelegt und danach jeweils ein anteriores und ein posteriores Parasegment zu einem definitiven Segmente vereinigt werden. Wenn es bei der Zweiteilung in Lophotrochozoa und Ecdysozoa bleibt, wird man wohl die gemeinsamen Bauplanmerkmale einem gemeinsamen Vorfahren, dem hypothetischen Urbilaterier oder einem seiner Nachkommen, zuschreiben müssen.
541
22.6.2
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development) Asymmetrische Expression von dpp/Bmp-4
Fundamentale Neuerungen in den großen Bauplänen: Zwei versus drei Keimblätter, Radiärsymmetrie versus Bilateralsymmetrie
22.6.3 Wann ist das Mesoderm (Triploblastie) entstanden? In der vergleichenden Entwicklungsbiologie und zoologischen Systematik markiert das Auftreten des Mesoderms einen ,Quantensprung‘. Nachdem sich Porifera (Schwämme), Placozoa (Trichoplax), die Cnidaria, und die Ctenophora (Rippenquallen), von der Hauptlinie der Tiere abgespalten hatten, entwickelten sich eine Vielzahl von triploblastischen Tierstämmen mit komplexen Bauplänen. Als diploblastische Tierstämme, die bei der Konstruktion ihres Körperbauplans mit zwei Keimblättern, Ektoderm und Entoderm, vorlieb nehmen müssen, gelten die Cnidaria (Nesseltiere) und die Ctenophora (Rippenquallen). Demgegenüber sind alle heutigen bilateralsymmetrischen Tiere zugleich triploblastisch und können auf drei Keimblätter als Baumaterial zurückgreifen. Es stellt sich die Frage, wann und wie Bilateralsymmetrie und das Mesoderm entstanden sind und ob ihre „Erfindung“ unmittelbar mit dem Übergang von der Radiär- zur Bilateralsymmetrie zusammenhängt. Untersuchen wir die Cnidaria genauer:
Ektoderm Entoderm
a
Gastrula
Chor
din
Nematostella
b Polyp Pharynxregion quer
/8 t-3 Wn
Am Beispiel von zwei entscheidenden Neuerungen in tierischen Bauplänen soll gezeigt werden, welche Impulse und Denkanstöße die Evo-Devo-Biologie geben kann. Bei den hier gewählten revolutionären „Neuerfindungen“ handelt es sich um 1. den Wechsel von der Diploblastie zur Triploblastie, also die Einführung des Mesoderms als drittes Keimblatt, 2. den Wechsel von der Radiär- zur Bilateralsymmetrie. Beide Merkmale scheinen eng gekoppelt zu sein. Höher entwickelte Tiere sind bilateralsymmetrisch. Ihre rechtwinklig aufeinander stehenden antero-posterioren und dorso-ventralen Achsen gliedern zugleich den Körper in spiegelbildliche, linke und rechte Körperhälften. Außerdem besitzen sie ein Mesoderm, sind also triploblastisch, und nutzen das dritte Keimblatt, um ihrem Körper durch die Differenzierung von internen Organsystemen eine große Komplexität zu verleihen.
dpp (BMP)
Urmund n di Wnt-1/7
or
Ch
dpp (BMP)
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dpp
Urmund
BM
P-
4
Gastrula
c
Xenopus
Blastoderm
d
Drosophila
Abb. 22.10 Achsenbildung bei Diplo- und Triploblasten; asymmetrische Expression von dpp/BMP bei der Seeanemone Nematostella (Cnidarier, Anthozoen), bei Xenopus (Vertebraten, Amphibien) und Drosophila (Arthropoden, Dipteren). Expressionsmuster bei Nematostella adaptiert nach Rentzsch et al. (2006)
In ihrer Grundarchitektur sind Nesseltiere radiärsymmetrisch: Man kann ein orales und aborales Ende unterscheiden, während die sich mehrfach wiederholenden Organsysteme wie die Gastraltaschen der Korallen, die Tentakel und die Sinnesorgane an den Tentakeln der Medusenglocken kreisförmig um die oral-aborale Achse angeordnet sind. Es gibt augenscheinlich weder dorsal noch ventral, noch rechts noch links. Bei den innerhalb der Cnidaria wahrscheinlich ursprünglichen Anthozoen (Blumentieren, z. B. Seeanemonen und Steinkorallen) kann die Unterteilung des Gastralraums (s. unten) aber eine versteckte, wenn auch nur partielle Biradialsymmetrie aufweisen (Abb. 22.10). Wie erwähnt, gelten Nesseltiere als diploblastisch, bilden also embryonal nur zwei Keimblätter aus, Ektound Entoderm. Das Ektoderm formt wie allenthalben im Tierreich die Epidermis. Das Entoderm übernimmt im adulten Tier als Gastrodermis Verdauungsfunktion und erfüllt bei koloniebildenden Formen und in Medusen/Quallen in Form verzweigter und kontraktiler Gastrovaskularkanäle zusätzlich Verteilerfunktion ähnlich einem Blutgefäßsystem. Diese beiden, meist
22.6 Rekonstruktion der großen Entwicklungsreihen und phylogenetischer Stammbäume
einschichtigen, epithelialen Zelllagen, Epidermis und Gastrodermis, sind durch eine ursprünglich zellfreien Schicht aus extrazellulärer Matrix getrennt.
Diese Schicht wird bei Cnidariern Mesogloea genannt und gleicht in ihrem molekularen Bestand der Basallamina der Bilateria. Sie wird von den Epithelzellen beider Epithelien sezerniert, nimmt bei Quallen einen Großteil des Körpervolumens ein und wird in der Quallenglocke von Zellen besiedelt. Die Zellen in der Mesogloea bilden jedoch keinen geschlossenen Gewebeverband oder gar Organe.
Auch wenn ein Mesoderm als embryonal angelegtes drittes Keimblatt fehlt, so werden im Entoderm von Planulalarven doch Gene wirksam, die gemeinhin als mesodermspezifisch gelten. So fand man Transkripte der Gene twist in den Planularven des Hydrozoons Podocoryne carnea, sowie von twist und snail im Entoderm der Larven von Nematostella vectensis, der Sternchenanemone aus dem Tierstamm der Anthozoen. Hat sich, wie manche annehmen, das Mesoderm aus dem Entoderm eines Diploblasten entwickelt? Verführerisch ist diese Idee auch durch die Anlage des Mesentoderms bei Wirbeltieren.
Es gibt in der Entwicklung der Hydromedusen durchaus eine Struktur, die Attribute eines eigenständigen Mesoderms zeigt. Es ist der Glockenkern (Entocodon) in der Medusenknospe (Abb. 22.11). Als Evidenz für mesodermale Eigenschaften wird von einigen Autoren die Bildung quergestreifter und glatter Muskulatur aus Zellen des Entocodon angesehen. Molekulargenetische Untersuchungen zeigen, dass als typisch mesodermal geltende Gene wie Brachyury, snail (codiert für ein Zinkfinger-Protein) und twist (bHLH Transkriptionsfaktor) im Glockenkern der Medusenknospen von Podocoryne carnea exprimiert werden, und dazu eine Reihe von Genen (MyoD, Mef2), deren Funktion für die Programmierung von Muskelzellen der Säugern bereits bekannt war.
543
Vergleicht man die Entstehung des Mesoderms beispielsweise bei Spiraliern (Abb. 4.22), bei Insekten (Abb. 4.26, 4.27 und 4.36) und bei Amphibien (Abb. 5.7, 5.8 und 5.10) so sieht man erhebliche Unterschiede. Sogar bei Wirbeltieren gibt es mehrere Quellen für mesodermales Gewebe. Außer der klassischen Marginalzone (s. Abb. 5.6) trägt auch die vordere Neuralleiste zum Inventar typisch mesodermaler Gewebe wie Muskeln und Knorpelstrukturen bei (Abb. 15.3 und 15.4). In der Geschichte der Biologie hat man, intuitiv oder bewusst, jene Zellgruppen als Mesoderm bezeichnet, welche die (quergestreifte) Muskulatur hervorbringen (erörtert in Box 22.1). Da diese aus funktionellen Gründen stets im Körperinneren lokalisiert sind, müssen solche Zellgruppen auch zwischen Ekto- und Entoderm eingeschoben werden. Es wäre wohl besser, statt von homologen Keimblättern von homologen Zelltypen zu sprechen. Zur Frage, wie viele Keimblätter es gibt und wie das Nervensystem einzugliedern sei, liefert Box 22.1 einen Diskussionsbeitrag.
22.6.4
Was sind die Selektionsmomente für Bilateralsymmetrie?
Seit alters versuchten Zoologen, die Bilateralsymmetrie aus der Radiärsymmetrie abzuleiten. Bilateralsymmetrie wird oft in Zusammenhang gebracht mit dem Übergang von einer festsitzenden Lebensweise (z. B. eines Polypen) oder einer Lebensform, die sich überwiegend passiv verdriften lässt (wie Medusen), zu einer Lebensweise, in der es darauf ankommt, sich zielgerichtet über den Untergrund zu bewegen, sei es hin zu einer Beute, sei es weg von einem Räuber. Eine gewisse zielgerichtete Bewegung kennt die Sternchenanemone Nematostella vectensis. Während und nach ihrer Metamorphose von der Larvenform in einen Polypen gleitet sie, von Cilien getrieben, suchend über Sedimentböden, um einen Ort zu finden, an dem sie sich mit ihrem aboralen Körperbereich eingraben kann. In der Frühentwicklung dieser Anemone wird das Gen decapentaplegic (dpp) transient asymmetrisch exprimiert, was auf eine Dorsoventralasymmetrie, und damit auch auf eine Biradial-, wenn nicht gar Bilateralsymmetrie hindeutet (Abb. 22.10). Der molekulare Befund ist nicht überraschend; denn Morphologen sehen seit langem eine bilateralsymmetrische Organisation in der inneren Architektur einiger
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Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development) Podocoryne carnea
Abb. 22.11 Der Glockenkern (Entocodon) der Hydromedusen bildet mit quergestreiften und glatten Muskelzellen Zellformen, welche bei allen triploblastischen Tieren als Mesoderm-typisch gelten. Adaptiert nach Seipel und Schmid (2006)
Medusenknospe Ektoderm Glockenkern (Entocodon) = Mesoderm-Äquivalent Oogonien Entoderm
a Tentakelknospe am Schirmrand beginnende Öffnung quergestr. Muskulatur der Subumbrella glatte Muskul.
Radiärkanal
Mund/Magenstiel (Manubrium) quer
b
c
Box 22.1: Die Sage von den drei Keimblättern – Ungereimtheiten und irreführende Terminologien in der vergleichenden Entwicklungsbiologie Lehrbücher in aller Welt beharren auf traditionellen Anschauungen und Begriffen. Zwänge der Didaktik fördern dieses Beharren. Der Lernende braucht zunächst ein überschaubares Grundgerüst. Erst wenn dieses gefestigt ist, können Variationen eingefügt, „Wenn und Aber“ als Einschränkungen vorgetragen und bedacht werden. Ein solcher traditioneller Grundbegriff ist das „Keimblatt“. Es heißt allenthalben, es gebe bei Diploblasten zwei, bei Triploblasten drei davon, drei und nicht vier oder mehr! Nach der Gastrulation sind dies 1. das Ektoderm (Ektoblast), die zelluläre Außenschicht, aus der die Epidermis hervorgeht, 2. das Entoderm (Endoderm, Endoblast), das künftige Epithel des Magen-Darmkanals (C Leber und Pankreas), und
3. das Mesoderm (Mesoblast), das zwischen Ektoderm und Entoderm eingeschobene Zellmaterial. Dieses Mesoderm liefert viele innere Organe, bei Wirbeltieren beispielsweise Skelettelemente, Bindegewebe, Blutgefäße, Herz und Nieren. Und es liefert in jedem Fall, auch bei Wirbellosen, die Muskulatur. Doch auch das Nervensystem geht aus Material hervor, welches in das Keimesinnere zwischen Ekto- und Entoderm eingeschoben wird. Dennoch wird in keinem Lehrbuch das Nervensystem dem Mesoderm zugeordnet; vielmehr bezeichnen alle uns bekannten Lehrbücher der Zoologie und der Embryologie das Nervensystem als ektodermales Gebilde (beispielsweise Gilbert: Developmental Biology, Sinauer). I
22.6 Rekonstruktion der großen Entwicklungsreihen und phylogenetischer Stammbäume
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Box 22.1: Fortsetzung Ein ektodermales Nervensystem gibt es schon, wenn damit die definitive Position von Nervenzellen in Zellzwischenräumen des Ektoderms gemeint ist. Ein solches findet sich als Nervennetz bei Cnidariern, wo es allerdings auch ein entodermales Nervennetz gibt. Aber bei anderen Tieren? Bei wasserlebenden Wirbeltieren finden sich einige Sinneszellen in der Außenschicht, dies sind sekundäre Haarsinneszellen ohne axonale Neuriten in den Seitenlinien von Fischen und wasserlebenden Amphibien und primäre Riechsinneszellen mit eigenen Axonen in den Nasengruben. Jedoch ist in keinem Fell das Nervensystem als Ganzes mit dem Zentralnervensystem Teil der Außenhaut. Ekto-derm heißt wörtlich übersetzt AußenHaut! Nun fragen wir uns: Gibt es vielleicht gute Argumente für die Zuordnung des Nervensystems zum Ektoderm aus der Entwicklungsgeschichte? In der Entwicklung der Amphibien wird im Zuge der Gastrulation mit dem künftigen Entoderm zugleich auch das Material der „Marginalzone“ als Mesoderm ins Innere des Embryos verlagert. Anschließend wird im Zuge der Neurulation das „Neuroektoderm“ als Neuralrohr in den Raum zwischen Ektoderm und Entoderm abgesenkt. Dabei geraten auch die Zellen der Neuralleiste ins Innere des Embryos. Es folgen dann noch die Nasen- und Ohrplakoden als Strukturen, die ins Innere versenkt werden, sowie die Augenlinsen. Man könnte das Neuralrohr (C Neuralleiste) als zweites Mesoderm (eine mehrphasige Entwicklung des Mesoderms gibt es auch beim Seeigel) oder als viertes Keimblatt bezeichnen, tut es aber nicht.
Anthozoen (auch der festsitzenden). Sie sehen diese in der asymmetrischen Anordnung der Mesenterialfilamente und Sarkosepten im Gastralraum, sowie der Siphonoglyphe, einer wimperbesetzten Nahrungsrinne im Pharynx (die auch in Zweizahl und dann symmetrisch vorliegen kann). Es soll nicht verschwiegen werden, dass nicht wenige Wissenschaftler, denen (auch) die vergleichende Morphologie am Herzen liegt, diese partiellen, lo-
Bei Drosophila wird das Vorläufermaterial der Muskulatur und des Nervensystems in einer gemeinsamen Gastrulation nahezu gleichzeitig durch die Primitivrinne ins Innere des Embryos verfrachtet. Dennoch wird auch hier das Nervensystem als ektodermales und nicht als mesodermales Gebilde bezeichnet, nur die künftige Muskulatur wird als Mesoderm klassifiziert. Kurios wird die traditionelle Bezeichnungs- und Einteilungsweise, wenn es um die Einordnung der Neuralleistenabkömmlinge in das Konzept der drei Keimblätter geht. Im Kopfbereich gehen aus den eingewanderten Neuralleistenzellen „ektodermale“ Gehirnnerven hervor, aber auch „mesodermale“ Skelettelemente und Muskulatur (Kap. 15, Abb. 15.3, 15.4 und 16.17). Von den im Rumpfbereich sich ablösenden Neuralleistenzellen wandern einige als Chromatophoren (Pigmentzellen) in die ektodermale Epidermis. Andere bilden das ganze periphere Nervensystem einschließlich des enterischen Nervensystems in der mesodermalen Muskulatur des Darmes oder dringen gar in das entodermale Epithel des Darmrohres vor, um dort zu neurosekretorischen Zellen oder Sinneszellen zur Kontrolle des Darminhalts zu werden. Sie haben nie Kontakt zur Epidermis, und doch werden auch sie wie das Nervensystem insgesamt als ektodermal angesprochen. Offensichtlich lässt man sich intuitiv vom Endergebnis her leiten: Muskelgewebe und (bei Wirbeltieren) Skelettelemente gelten unabhängig von ihrer jeweiligen Herkunft und der Art ihrer Verfrachtung ins Innere des Embryos als mesodermal, Nervenzellen nicht. Dafür gibt es keine logischen Argumente; es ist eben festgefügte Tradition.
kalen Asymmetrien nicht als ausreichend betrachten, hier schon von Bilateralsymmetrie zu sprechen. Man möchte über den ganzen Körper hinweg senkrecht zur oral-aboralen (bzw. antero-posterioren) Achse eine dorso-ventrale Asymmetrie und spiegelbildliche rechts-links-Symmetrien sehen, wie dies bei den anerkannten Bilateria der Fall ist. Besser angebracht is der Begriff Biradialsymmetrie, der auch für die Architektur der Ctenophora verwendet wird.
546
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development)
Box 22.2: Ungelöste Rätsel: Urmund, Mund und primäre Körperachsen – homolog oder nicht? Zu den kontroversen Themen der Evolutionsforschung gehört die Frage, ob und inwieweit die elementare Körperarchitektur im ganzen Tierreich als homolog betrachtet werden kann. Schon Ernst Haeckel hatte mit seiner Gastraea-Theorie (Haeckel 1874) solche spekulativen Vorstellungen angestellt und Kontroversen ausgelöst. Jetzt – in diesem Exkurs in die spekulative Biologie – geht es vor allem um die Frage, ob es im Tierreich durchgängig eine animal-vegetative Körperachse gibt, die bereits in der Struktur des Eies spezifiziert ist. Beispielgebender Prototyp einer tierischen Entwicklung und ausschlaggebend für die suggestive Benennung der Eipole war der Seeigelkeim (Kap. 4, Abb. 4.2, 4.3, 4.4, 4.5, 4.6 und 4.7); denn er bot unvergleichliche Vorteile für den Beobachter am Mikroskop. Die Meiose der Oocyte findet nach dem Ablaichen statt; die Polkörper bleiben unter dem Schutz der transparenten Eihülle am Ort ihrer Entstehung liegen. Dort bildet sich in der Blastula der apikale Wimpernschopf und dort wird sich später die Hauptmenge der „animalen“ (d. h. tiergemäßen) Nervenzellen bilden. Am gegenüberliegenden Pol sieht man, wie im Zuge der Gastrulation das Entoderm, und damit das Material für den „vegetativen“ Darmtrakt, durch den Blastoporus (Urmund) ins Keimesinnere verlagert wird. Dies alles auf die Amphibien zu übertragen, fiel nicht schwer, auch wenn bei Amphibien nicht nur die Polkörper, sondern auch der Ort des Spermium-Eintritts Einfluss auf die genaue Lage des Blastoporus nimmt. Seeigel wie auch das Amphibium erwiesen sich zugleich als Prototypen der Deuterostomier mit sekundär gebildetem definitiven Mund. Den Deuterostomiern wurde als Gegentypus das Modell des Protostomiers gegenübergestellt. Bei ihnen sollte der Blastoporus zum definitiven Mund werden und der After, falls vorhanden, sekundär entstehen. Neben diesen (angenommenen) Unterschieden sah man aber auch Übereinstimmungen zwischen Proto- und Deuterostomiern. Beispielsweise ist in beiden Gruppen das Ausgangsmaterial für das Zentralnervensystem in der animalen Hemisphäre gelegen. Aus dem Vergleich der Trochophora-Larve mit der Seeigel-Larve wur-
de die hypothetische „Amphistoma“ konstruiert (s. Abb. 22.13). Bei ihr entstehen sowohl Mund wie auch After aus einem schlitzförmigen Urmund. Modell für diese hypothetische Konstruktion steht der Annelide Platynereis. Bei der Etablierung der Protostomier als Gruppe blieb freilich manch Unpassendes unberücksichtigt. Beispielsweise sind bei verschiedenen „Protostomiern“ anscheinend mal der Mund, mal der After keine Derivate des Urmundes, sondern Neubildungen an anderen Orten. Vor allem wurde bis ca. 1980 nicht wahrgenommen, dass in den Stammgruppe der Cnidarier und Ctenophoren, die faktisch Protostomier sind (und früher unter der Bezeichnung Coelenteraten zusammengefasst wurden), der Ort der Gastrulation nicht am vegetativen, sondern am animalen Pol liegt, sofern man wie beim Seeigel die Lage der Polkörper nach der Meiose als Referenz nimmt und ihren Ort mit dem Adjektiv „animal“ kennzeichnet (Abb. 22.12). Das wirft Fragen auf, die derzeit kontrovers diskutiert werden und noch keine definitive Antwort gefunden haben, auch nicht, wenn zusätzlich zu morphologischen Kriterien das Expressionsmuster wichtiger entwicklungssteuernder Gene in Betracht bezogen wird: Entspricht die oral-aborale Körperachse der Cnidarier der antero-posterioren Achse höher entwickelter Tiere? Und, falls dies hinsichtlich der allgemeinen Achsenausrichtung bejaht wird: Ist der Kopf (Hypostom) einer Hydra einem Anneliden-, Insekten- oder Wirbeltierkopf homolog oder befindet er sich am Gegenpol? Nimmt man einzelne Argumente für sich, kommt man zu unterschiedlichen Aussagen. Beispielsweise exprimiert die Planulalarve der Cnidarier nanos am aboralen Vorderpol, der Embryo von Drosophila am Hinterpol und die Gastrula von Xenopus am vegetativen Pol. Transkripte der Gene für Wnt-Signalmoleküle und Beta-Catenin sind bei Cnidariern Marker des oralen, bei Deuterostomiern mit Seeigel, Amphioxus und Vertebraten Marker des posterioren Pols, an dem der Urmund (D After) sich formt. Auch die Gene Brachyury, Goosecoid und otx werden bei Cnidariern ebenso wie bei den Deuterostomiern im Umfeld des Urmundes exprimiert. Nach Meinung der Autoren dieses I
22.6 Rekonstruktion der großen Entwicklungsreihen und phylogenetischer Stammbäume
547
Box 22.2: Fortsetzung (Protostomier) Cnidarier Ctenophoren
Protostomier Spiralier
beta-Catenin Wnt
4B
4C beta-Catenin
beta-Catenin apikaler Schopf
apikaler Wimpernschopf
Larvalauge
Wimpernschopf
Chordaten
vegetativer Pol
4A Urmund Wnt Organisator Brachyury
Deuterostomier Echinodermen animaler Pol
Mund (nicht) aus Urmund Mesoblasten
After (nicht) aus Urmund
Urmund Wnt Organisator Brachyury
beta-Catenin
Organisator Wnt-8 Brachyury Urmund
otx
Mund
Mund Urmund = After Urmund = After
Abb. 22.12 Position des Ortes der Urmundbildung (Gastrulation) und Entwicklung der longitudinalen Körperachse bei verschiedenen Vertretern des Tierreichs. Beachte, dass bei Cnidariern der Gastrulationsort am animalen Pol liegt und dort auch der Kopf (Hypostom) entsteht. Bei den bilateralen Metazoen hingegen liegt der Gastrulationsort am vegetativen Pol oder nahe beim ihm. Adaptiert nach Martindale und Hejnol (2006) und anderen, modifiziert und erweitert
Buchs ist folglich der Oralpol der Cnidarier dem Urmund-Pol anderer Tiergruppen gleichzusetzen, ob jener nun im voll entwickelten Tier am Vorderoder Hinterpol in Erscheinung tritt (Vorderpol jeweils als der Pol definiert, der in die Bewegungsrichtung schaut). Es werden andererseits in der kontroversen Literatur Argumente vorgetragen, die dafür sprechen, den Mund der Cnidarier mit dem definitiven Mund bei anderen Metazoen (mit Ausnahme der Chordaten), und nicht notwendigerweise mit dem
Blastoporus, zu homologisieren. Um dies zu ermöglichen, wird eine Verlagerung des Blastoporus in seiner Funktion als Ort der Gastrulation vom animalen an den vegetativen Pol in der Evolution für möglich gehalten und dessen definitive Funktion, ob Mund, ob After, ob keines von beiden, als zweitrangige Angelegenheit gesehen. Für an der Evolution von Bauplänen Interessierte ist die gegenwärtige kontroverse Diskussion gewiss spannend; Festlegungen und dogmatische Lehrauffassungen hingegen wären voreilig.
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Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development)
In diesem Kontext sei eine alte Streitfrage aufgegriffen, die die Fachwelt immer noch in zwei Lager spaltet. Welches ist die ursprüngliche Adultform der Cnidarier, der Polyp oder die Meduse/Qualle? (Zur Nomenklatur: Große Medusen, wie sie bei Scyphozoen vorkommen, nennt man im Deutschen Quallen, während der englische Ausdruck jellyfish große wie kleine Medusen bezeichnet). Die Polypenpartei argumentiert: Bei den nach molekularen Daten entwicklungsgeschichtlich basalen Anthozoen gibt es keine Medusen. Ob die Abdrücke der präkambrischen Vendozoa der Ediacara Fauna (vor ca. 630 Mio. Jahren) von Medusen stammen, wird kontrovers diskutiert. Damit bleibt offen, ob Medusen vor den Polypen existierten (und die Medusengeneration bei Anthozoa reduziert wurde) oder ob Medusozoa (D Scyphozoa, Hydrozoa und Cubozoa) sekundär eine pelagisch lebende Medusenform als Geschlechtsgeneration entwickelten. Die Medusenpartei argumentiert: Der kontraktile Apparat in den quergestreiften Muskelzellen der Hydromedusen gleicht strukturell und in seiner molekularen Ausstattung, soweit man derzeit weiß, dem kontraktilen Apparat in den quergestreiften Muskelzellen der höheren Tiere. Ebenso gleichen die Linsen-Becher-Augen mancher Anthomedusen (z. B. Cladonema radiatum), und die hochkomplexen Augen am Schirmrand der Cubomeduse Tripedalia (s. Abb. 22.14), strukturell und physiologisch verschiedenen Augenformen von bilateralsymmetrischen Tieren. Vor allem aber werden zur Programmierung dieser Zellen und Organe homologe Gene verwendet (sine oculis, s. unten Abschn. 22.7 und Kap. 12). Es ist nahezu undenkbar, dass hier bloße Konvergenz vorliegt. Nach dieser Auffassung wären Polypen unvollständig entwickelte (neotene) Medusen.
Diskutierte Evolutionsgeschichte: Althergebracht: Bilateria Radiata Cnidaria Alternative: Bilateria Urbilateria Cnidaria, sekundärer Verlust der Bilateralsymmetrie durch sedentäre Lebensweise
Evolutionsbiologen argumentieren sparsam (parsimonious): es sollten möglichst wenige Schritte bis zur Entstehung eines Merkmals notwendig sein. Man kann daher annehmen, dass quergestreifte Muskelzellen und Augen zur Grundausstattung des letzten gemeinsamen Vorfahren der Cnidarier und der Bilateria gehörten. Vorstellungen über die Organisation der hypothetischen Urbilateria sind in Box 22.3 zusammengefasst.
22.6.5
Insekt versus Wirbeltier: Wenn schon die Zentralnervensysteme Homologien aufweisen, sind auch die Extremitäten homolog?
Die höchst überraschende Erkenntnis, dass die Zentralnervensysteme der Insekten und Wirbeltiere hinsichtlich der Gene, die zu ihrer Herstellung zum Einsatz kommen, und auch die raum-zeitlichen Expressionsmuster dieser Gene große und gänzlich unerwartete Übereinstimmungen zeigen (s. Abb. 16.13), hat einer ausgedehnten Suche nach weiteren verborgenen Homologien Auftrieb gegeben. So ging man auch der Frage nach, ob bei der Entwicklung der Extremitäten ebenfalls homologe Gene im Spiele sind, eine Vorstellung, welche die traditionelle Morphologie als absurd abgetan hätte. Heute zweifelt kein Zoologe mehr: Die Vorderextremitäten der Landwirbeltiere gingen aus den Brustflossen der Fische hervor, die Hinterextremitäten aus den Bauchflossen. Damit übereinstimmend gibt es rezente Fische, die mit diesen Flossen nicht nur schwimmen,
22.6 Rekonstruktion der großen Entwicklungsreihen und phylogenetischer Stammbäume
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Box 22.3: Wie sahen die Urbilateria aus? Seit 1996 wird, basierend auf molekularen Daten, spekuliert, welche Attribute die Urbilateria besaßen. Einige davon scheinen unstrittig: Die Urbilateria besaßen eine antero-posteriore Achse, die durch die Hom/Hox-Genkomplexe in serielle Abschnitte untergliedert wurde. Eine frühere und führende Rolle auch der WNTSignalkaskaden wird diskutiert. Ihr Darmkanal begann vorn mit einem Mundund endete hinten mit einer Afteröffnung (umstritten; denn die acoelen Turbellarien (Acoelomorpha) haben wie die Cnidarier und Ctenophoren keinen After). Möglicherweise waren beide, Mund und After, Reste des schlitzförmigen Urmundes (s. Abb. 22.13 „Amphistoma“). Diskussion hierzu in Box 22.2. Die dorso-ventrale Polarität wurde durch extrazelluläre Signale der Antagonisten SHORT GASTRULATION (SOG)/CHORDIN versus DPP/ BMP-4 hervorgerufen. Die Urbilateria besaßen nahe dem Vorderende paarig angeordnete Augen einfacher Bauart, deren Entwicklung durch das Pax6/eyeless- und das sine oculis (six)-Gen ausgelöst wurde. Diese Augen könnten wie die larvalen Ocelli des Anneliden Platynereis aus nur einer einzelnen Sinneszelle plus einer Pigmentzelle bestanden haben (Abb. 22.14a). Solche Augen waren, wie angenommen wird, Ursprung sowohl der Komplexaugen der Arthropoden wie der Kameraaugen der Wirbeltiere. An den Augen angeschlossen war ein (paariges) Cerebralganglion, das sich von den Nervenzellen des bewimperten Apikalorgans (Scheitelorgan) der Larve ableitete.
sondern auch über den Untergrund watscheln. Und der Paläontologe zeigt uns Zwischenformen. Die Vorstellung, dass auch die Extremitäten wirbelloser Tiere, die Parapodien der Anneliden, die Stummelfüße eines Peripatus und der Schmetterlingsraupen, und die Extremitäten der adulten Arthropoden Homologien zu unseren Extremitäten haben könnten, wäre wohl niemandem in den Sinn gekommen, hätten die Molekulargenetiker nicht Homeoboxgene wie distalless (dll) und das von dll abhängige aristaless (al) entdeckt. Zu distalless se-
Sie besaßen glatte wie auch quergestreifte Muskelzellen, deren Entwicklung maßgeblich durch die Gene der MyoD-(Cmyogenin)-Gruppe ausgelöst wurde. Cerebralganglion und Muskeln waren durch ein subepidermales Nervennetz verbunden. Die Entwicklung dieses Nervensystems wurde durch Proneuralgene des neurogenin/achaete scute-Komplexes (Kap. 16) gesteuert. Die Urbilateria besaßen vermutlich ein Blutkreislaufsystem mit einem kontraktilen Gefäß aus Cardiomyocyten als Antriebspumpe. Für seine Entwicklung waren Gene zuständig, die auch noch bei der Entwicklung unseres Herzens eine Rolle spielen. Möglicherweise entwickelten sie bereits längliche, C= spitz zulaufende Körperanhänge, eine Potenz, die in der weiteren Evolution die Bildung von Extremitäten und anderen Anhängen ermöglichte. Ob die Urbilateria bereits segmentiert waren, ist offen – doch weisen gemeinsame Besonderheiten des Segmentierungsprozesses (Wachstumszonen, oszillierende Segmentierungsuhren, Notch/HES als Abgrenzungssystem) auf Gemeinsamkeiten in den Mechanismen hin, die weiter untersucht werden. Trotz vieler Indizien ist letztlich ungeklärt, ob man überhaupt von einem gemeinsamen Urtypus, einem „Zootypus“, ausgehen kann oder ob mehrere Metazoen eine Bilateralsymmetrie konvergent entwickelt haben. Da Urbilateria ausgestorben sind und fossile Weichteilabdrücke keine eindeutigen Schlüsse zulassen, sind alle Rekonstruktionsversuche derzeit unverbindliche Spekulationen. I
quenzverwandte Gene werden in den Spitzen der Extremitäten all der genannten Tiergruppen exprimiert. Defektmutationen führen bei Drosophila und ebenso bei der Maus zu verstümmelten Gliedmaßen; ein defektes dll nimmt den Extremitäten die Spitze. Eine Mutation im aristaless-homologen Alx4 der Maus führt zu Polydactylie (Vielfingrigkeit). Offenbar ist die Expression dieser Gene eine notwendige Voraussetzung für die korrekte Bildung von Extremitäten wie wir sie heute kennen, aber sie ist keine hinreichende. Genauere Studi-
550
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Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development)
Box 22.3: Fortsetzung Scheitelplatte mit Cerebralganglion hypothetische Trochophora-ähnliche Amphistoma Entoderm = Mitteldarm Nervenstrang schlitzförmiger Urmund Cerebralganglion
Herz
hypothetische, bilaterale Urform mit Blutkreislauf Inversion Neurulation Primitivrinne Neuralrinne
DPP
SOG
CHORDIN
Embryos im BMP-4 Blastodermstadium Gehirn
Gehirn
Herz, dorsal
Urmund Primitivrinne Bauchmark
vorderer Neuroporus
Rückenmark hinterer Neuroporus + Urmund
neuer Mund Herz, ventral (Deuterostomier)
Abb. 22.13 Inversionshypothese zur Erklärung des Auftretens eines Bauchmarks und dorsalen Herzens bei den meisten Invertebraten (hier Arthropoda) und Rückenmarks und ventralen Herzens bei Vertebraten. Adaptiert nach Arendt und Nübler-Jung (1994, 1997)
en zum Expressionsmuster erzeugen schnell Ernüchterung. So wird aristaless auch im Kopf der Fliege exprimiert, orthologe Alx-Gene der Maus werden auch im Schädel und in Teilen des Gehirns gebraucht. Ähnlich verhält es sich mit distalless und seinen Sequenzverwandten. Zu allem Überfluss gibt es aristaless auch im beinlosen Nematoden Caenorhabditis elegans. Einmal
mehr müssen wir erkennen, dass Sequenzhomologien von Genen nicht geradewegs auf Homologie morphologischer Strukturen schließen lassen. Wie sieht es nun bei den Augen aus? In Kap. 12, Abb. 12.19, war von dem verblüffenden Experiment berichtet worden, dass mit einem Gen der Maus Augenentwicklung in der Fliege ausgelöst werden kann.
22.6 Rekonstruktion der großen Entwicklungsreihen und phylogenetischer Stammbäume
Box 22.4: Sind bei Wirbeltieren und Arthropoden Bauch- und Rückenseite vertauscht? Morphologen der alten Schule mangelte es nicht an kühner Fantasie. E. Geoffroy Saint-Hilaire, einer der Begründer der Evolutionstheorie, publizierte 1822 eine Abhandlung, in der ein längsgeschnittener Hummer auf dem Rücken liegt. Die Abbildung sollte besagen: Seht, wenn ich den Krebs auf den Rücken lege, ist auch bei ihm das Herz der Erde und das Zentralnervensystem (in Form der Bauchganglienkette) dem Himmel zugekehrt, wie beim Wirbeltier. Die Bauchseite der Arthropoden entspricht der Rückenseite des Wirbeltiers (Abb. 22.13). Mit dem Aufkommen der Evolutionstheorie wurde bisweilen der Gedanke geäußert, vielleicht habe es tatsächlich einmal bei der einen oder anderen Tiergruppe eine Inversion der Dorsoventralachse gegeben. Im Besonderen wurde versucht, die Wirbeltiere von Anneliden herzuleiten, die mit ihrem Rücken auf dem Untergrund liegen (diskutiert und abgelehnt, z. B. in: A. S. Romer: Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere, PareyVerlag, 1959). Diese scheinbar kuriose Vorstellung einer Umkehr der Rücken-Bauch-Achse erlebte eine unerwartete Wiederauferstehung und sie gewinnt aufgrund überraschender Befunde zunehmend Anhänger unter den molekularbiologisch arbeitenden Entwicklungsbiologen. Zum einen überzeugt, dass bei Drosophila wie bei Xenopus homologe Gene an der Etablierung der Dorsoventralachse beteiligt sind, jedoch in reziproken räumlichen Mustern: Da ist das Paar decapentapegic (dpp) von Drosophila und Bmp-4 von Xenopus. Dpp wie Bmp-4 codieren für diffusible Signalmoleküle aus der Familie der TGF-ˇ-Proteine; doch wird Dpp im Drosophilaembryo auf der Dorsalseite entlang der Mittellinie, das homologe BMP-4 im Xenopusembryo überwiegend auf der Ventralseite exprimiert. Entsprechendes gilt für das Paar short gastrulation (sog) von Drosophila und chordin von Xenopus. Sowohl sog als auch chordin codieren für Proteine (SOG bzw. CHORDIN), die DPP bzw. BMP-4 abfangen und binden. SOG-
Signalmoleküle werden auf der Ventralseite des Drosophilakeims hergestellt und freigesetzt, CHORDIN-Protein im Spemann-Organisator, d. h. im dorso-caudalen Bereich des Xenopuskeims. Das Experiment bestärkt diese Idee weiter: Injektion von chordin mRNA in Drosophilakeime führt zu deren Ventralisierung; d. h. ein Molekül, das im Amphib die Bildung dorsaler Strukturen (inklusive ZNS) fördert, fördert in der Fliege ventrale Strukturen (inklusive ZNS). Die Expressionsmuster weiterer Gene werden als Beleg für die Inversionshypothese herangezogen. Im Kap. 16 erfuhren wir beispielsweise, dass bei der Anlage des Zentralnervensystems beiderseits der Mittellinie je 3 Reihen primärer Neuroblasten durch 3 Sätze homologer Gene programmiert werden, bei Drosophila selbstredend auf der Bauchseite im Bereich des künftigen Bauchmarks, bei Xenopus auf der Rückenseite im Bereich des künftigen Gehirns und Rückenmarks (s. Abb. 16.10 und 16.13). Freilich gibt es so manches, was nur mit weiterer kühner Phantasie in die Hypothese eingepasst werden kann. Beispielsweise liegt bei Arthropoden das Oberschlundganglion nicht ventral vom Vorderdarm, wie die Inversionshypothese erwarten lässt, sondern dorsal und die optischen Loben wachsen nicht aus dem Gehirn, sondern werden separat aus dorsalen, ektodermalen Plakoden hergestellt. Andererseits exprimieren das Oberschlundganglion der Insekten und das Vorderhirn der Wirbeltiere homologe Gene, beispielsweise orthodenticle (Insekten) D Otx2 (Wirbeltiere) sowie ems (Insekten) D EMX (Wirbeltiere) (s. Abb. 16.13). In den vordersten Regionen exprimieren die Gehirne beider Gruppen six3 und rx. Man darf auch in den Naturwissenschaften nach Herzenslust spekulieren und mit Argumenten Klingen kreuzen. Man muss nur stets klarmachen, dass das Vorgetragene Hypothesen sind. Als bloße Hypothese zur Diskussion ist auch Abb. 22.13 aufzufassen, welche eine Variante der Inversionshypothese illustriert.
551
552
22.7 22.7.1
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development)
Evolution der Augen – Darwins Dilemma
Heute wäre Darwin wohl beglückt. Bei aller Verschiedenheit in ihrer Struktur und Entwicklung und den vielen verschiedenen Lösungen bei der Herstellung von Hilfsmitteln wie Linsen, zeigen doch alle zur Lichtrezeption befähigten Sinnesorgane einige fundamentale Homologien.
Echte Augen bei quallenhaften, kopflosen Medusen?
Es gibt Medusen (Kleinquallen) unter den Hydrozoen und den Cubozoen, die entlang dem Schirmrand an der Basis der Tentakel Augen tragen; manche dieser Augen sind gar mit Linsen ausgestattet und in Sinneszentren, den Rhopalien, mit Chemo- und Mechanorezeptoren zusammengefasst (Abb. 22.14). Sind das Augen, die als homolog zu unseren Linsen oder den Komplexaugen der Insekten angesehen werden können? Bis vor kurzem hätte jeder Zoologe geantwortet: nein! Schließlich haben Medusen nicht einmal einen Kopf mit Gehirn.
22.7.2
Seit Darwin heftig diskutiert: Homologien oder Konvergenzen? Perfektion bloß durch natürliche Zuchtwahl oder „intelligentes Design“?
Wie kann Evolution, in der doch blinder Zufall waltet, so komplexe Organe wie Augen in verschiedener Ausführung hervorbringen und zur Perfektion optimieren? In allen großen Tierstämmen finden sich einfache Ocellen bestehend aus einem Photorezeptor (oder wenigen Rezeptoren) und einer abschirmenden Pigmentzelle, aber auch Linsenkameraaugen (Abb. 22.14). Originalton Darwin: „Die Annahme, dass sogar das Auge mit allen seinen unnachahmlichen Vorrichtungen, um den Fokus den mannigfaltigsten Entfernungen anzupassen, verschiedene Lichtmengen zuzulassen und die sphärische und chromatische Abweichung zu verbessern, nur durch natürliche Zuchtwahl zu dem geworden sei, was es ist, scheint, ich will es offen gestehen, im höchsten möglichen Grad absurd zu sein.“ Doch Darwin fährt fort: „Als es zum ersten Male ausgesprochen wurde, dass die Sonne still stehe und die Erde sich um ihre Achse drehe, erklärte der gemeine Menschenverstand diese Lehre für falsch.“ (Darwin: Die Entstehung der Arten, Kap. 6). Er führt Stufen der Vervollkommnung ein, wie sie heute in verfeinerter Form Gemeingut von Lehrbüchern der Zoologie sind.
22.7.3
Gemeinsam ist allen Augen das lichtabsorbierende Retinal-Opsin-System – und es gibt bei aller Verschiedenheit einen gemeinsamen Satz von augenspezifischen Genen
Vergleicht man die Augen der Medusen, der Insekten, der Wirbeltiere mit allen anderen Augen im Tierreich, so sind die Rhodopsin-Sehpigmente allen gemeinsam. Für ihre Herstellung werden Opsingene benötigt; denn Rhodopsin ist eine Verbindung des Vitamin A-Abkömmlings Retinal mit einem 7Transmembranprotein der Opsinfamilie (Abb. 22.3 und 22.15). Auch zur Synthese des Retinals und seine Einbindung in Rhodopsin werden gleichartige Gene zur Herstellung von Enzymen und intrazellulären Transportsystemen benötigt. Als Ursprung der Lichtsinneszellen werden Prokaryonten diskutiert. Mehrere Vertreter der Archaea, Proteobakterien und Cyanophycea haben lichtsensitive Organellen, die mit Rhodopsin oder Rhodopsinähnlichen Pigmenten ausgestattet sind. Prokaryonten könnten als Endosymbionten ihre Fähigkeit in eukaryontische Wirtszellen mitgebracht haben. Allen Augen der Metazoen gemeinsam könnten darüber hinaus auch Komponenten einer Signaltransduktionskaskade sein, die nach dem Einfangen von Lichtquanten in Gang kommt. Tatsächlich gehören die Gene für Opsin und Elemente der Signaltransduktion zu den Zielgenen der Transkriptionsfaktoren PAX6 und SINE OCULIS (Gene so oder six bei Vertebraten). Diese beiden Meistergene kontrollieren die Augenentwicklung in so verschiedenen Organismen wie Medusen, Mollusken, Anneliden, Insekten und Wirbeltieren. Andere für die Augenentwicklung nötige Gene, beispielsweise für Linsenproteine oder Tierstamm-spezifische Augengene, wurden im Lauf der Evolution nach und nach in die Obhut dieses Steuerungssystems genommen. So haben bei den Wir-
22.7 Evolution der Augen – Darwins Dilemma
553
Die 4 x 4 Linsenaugen der Würfelqualle Tripedalia:
Helligkeit, Richtung des Lichteinfalls
Blickrichtung oben Himmel, Sonne, Mond (?) Uferlinie, Mangrovengrenze (?)
Photorezeptoren und Augen des Anneliden Platynereis Gehirn, adult
Naupliuslarve 4
Licht
2
3 1 a
Pigmentbecher-Ocellus mit rhabdomerem Photorezeptor
c
ciliärer Photorezeptor
Retina mit ciliären Photorezeptoren ein Sinneskolben mit 4 Augen am Schirmrand
b
Blick nach unten Wassersäule Meeresboden
Komplexauge eines Insekts
b rhabdomere Photorezeptoren
Linsenauge, adult Linse nur zum Lichtsammeln, keine Abbildung möglich, rhabdomere Photorezeptoren
a Abb. 22.14 Auswahl diverse Augentypen von Invertebraten. a Lichtsinnesorgane des polychaeten Anneliden Platynereis dumerilii (nach Arendt (2003); Arendt et al. (2004)). b Die Cubo-
c
Ommatidium längs
meduse (Würfelqualle) Tripedalia cystophora besitzt an ihrem Schirmrand 4 Sinneskolben (Rhopalien) mit je 4 Linsenaugen und einer Statocyste. c Insekt, Komplexauge
554
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development) Mensch
Octopus
Cornea Cornea
Linse
Retina invers
Retina evers
Linse Rezeptoren ciliär
Rezeptoren rhabdomer Iris
d
Iris
e
Licht
Licht
Abb. 22.14 (Fortsetzung) d, e Augen von Octopus und Mensch im Vergleich. Alle Teilbilder aus Müller und Frings (2009)
beltieren das Gen des zu einem Linsenprotein umgewandelten Stressproteins ˛-Kristallin und das Gen des Linsenproteins ı-Kristallin in ihrem Promotorbereich eine Bindungsstelle für den Transkriptionsfaktor PAX6 gewonnen. Gemeinsam scheinen allen Augen auch einzelne Elemente der Signaltransduktion zu sein. So assoziieren die bekannten Rhodopsine mit G-Proteinen. Die Divergenz beginnt im Zellinneren, wenn das Signal weitergegeben wird. Dennoch ergab eine Analyse exprimierter Gene (genauer von EST’s D expressed sequence tags), dass bei aller Konvergenz in der Großkonstruktion im Auge von Octopus und im Auge des Menschen mindestens 729 homologe Gene zum Zuge kommen. Die (hypothetischen) Augen der Urbilateria konnten wahrscheinlich bereits auf über 1000 Gene zurückgreifen, die auch gegenwärtigen, höher entwickelten Tiergruppen noch zur Verfügung stehen. Die (nahezu) perfekte Konstruktion bestimmter Augen verleitet manche Menschen zu der Annahme, dass ein intelligentes Wesen diese Augen ge-
schaffen haben müsse, natürliche Evolution könne sie nicht hervorgebracht haben. Zunehmendes Wissen um Homologien auf molekularem Niveau, um Zwischenstufen in der Konstruktion wie auch um suboptimale Lösungen (z. B. inverses Auge der Wirbeltiere, schlechte optischen Qualität des dioptrischen Apparates) machen Annahmen über „intelligentes Design“ aber keineswegs zwingend. Im Gegenteil unterstützen die Daten anatomischer und evolutionärentwicklungsbiologischer Forschungsrichtungen die Sicht, dass bekannte Mechanismen der Evolution letztlich eine Vielfalt brauchbarer Lösungen hervorbrachten.
22.7.4
Die lichtempfindlichen Sinneszellen (Photorezeptoren) gliedern sich in zwei Grundtypen
Der Vergleich von Augentypen im Tierreich hat lange Tradition; denn welches andere Sinnesorgan übt ei-
22.7 Evolution der Augen – Darwins Dilemma
555
Lichtsinneszelle Gene für Opsin und Retinalsynthese Pax6, sine oculis, eyes absent Ocellus mit rhabdomeren und ciliären Photorezeptoren Pax6 und/oder sine oculis, eyes absent
Pax6 Ciliäre Photorezeptoren Pinealocyten des Pinealorgans Stäbchen, Zapfen der Retina
Rhabdomere Photorezeptoren Ey, toy, dac, eyg optic, notch
Rx, Sox2, PitX2 otx1, Maf, Pax2, FoxC1
Außenglied Pigmentzelle Photorezeptor Ocellus z.B. Annelidenlarven
Ciliarstruktur Innenglied
Linsenaugen der Anneliden, Mollusken
Zapfen
Stäbchen
Rhabdomerer Typ
Ciliärer Typ
apikale Zellmembran mit Mikrovilli
Cilie mit Membranausstülpungen
O G α
O GTP α PDE
cGMP
c-Opsin
PIP2 G α
GTP PLC β2 α
P
P
DAG
P
GMP
r-Opsin
P P
P
IP3
Abb. 22.15 Rhabdomerer und ciliärer Typ von Photorezeptor-Zellen. Adaptiert nach Arendt et al. (2004); Purschke et al. (2006)
556
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development)
ne solche Faszination aus wie das Auge? Man hat sie strukturell mit dem Elektronenmikroskop untersucht, funktionell mit den Methoden der Elektrophysiologie und der Biochemie, und schließlich auch mit den Methoden der molekularen Genetik. Bei diesen Vergleichen traten zwei Grundtypen von Photorezeptoren zutage, die in vielen Taxa alleine oder in Kombination angetroffen werden (Abb. 22.15). Beiden gemeinsam ist, dass die Rhodopsinmoleküle in hoher Dichte in die Zellmembran eingelassen sind, wobei jedoch in beiden Typen unterschiedliche Rhodopsinsorten eingebaut werden. Bei manchen Photorezeptoren (Stäbchen in unserem Auge) werden solche Rhodopsin-bestückte Membranareale sekundär ins Zellinnere ein- und abgefaltet. 1. Der ciliäre Typ: Die mit Rhodopsin bestückte Membran ist die Membran eines Ciliums. Lichtabsorption und erste Schritte der Signaltransduktion finden also in einem Cilium statt, oder, wie in den Stäbchen und Zapfen unseres Auges, im Außenglied der Photorezeptoren, das sich von einem Cilium ableitet. Das Rhodopsin enthält „ciliäres“ cOpsin als Proteinkomponente. Signaltransduktion im Photorezeptor wird vermittelt durch cGMPMoleküle; sie kontrollieren den Öffnungszustand von Ionenkanälen. Im Regelfall ist die erste elektrische Antwort eine Hyperpolarisation (Verstärkung) der Membranspannung. Siehe dazu die Lehrbücher der Physiologie (z. B. Müller und Frings (2009), Kap. 22). Mit Photorezeptoren des ciliären Typs ist die Retina unseres Auges ausgestattet: Stäbchen als Schwachlichtrezeptoren, Zapfen als Rezeptoren bei höherer Lichtintensität. Ebenso gehören die Pinealocyten im Pinealorgan (Epiphyse) zu diesem Typ. Ciliäre Rezeptoren sind aber auch bei verschiedenen Invertebraten gefunden worden, beispielsweise in den Augen am Mantelrand der Muschel Pekten und im Gehirn des Anneliden Platynereis (Abb. 22.14a). 2. Der rhabdomere Typ: Es ist der dominierende Rezeptortyp bei Invertebraten. Die Rhodopsinmoleküle, zuammengebaut aus r-Opsinprotein und Retinal, sind in die Membranen von Mikrovilli eingelassen, also Ausstülpungen der Zellmembran. In den Ommatidien der Insekten zieht ein Mikrovillisaum seitlich an den langgestreckten Retinulazellen entlang (Abb. 22.14c). Dieser Saum heißt Rhabdomer und daher die Bezeichnung rhabdo-
merer Typ. Physiologisch sind rhabdomere Augen dadurch charakterisiert, dass Belichtung eine Depolarisation des Membranpotentials verursacht. Die Signaltransduktion vom belichteten Rhodopsin zur elektrochemischen Antwort führt über die Second Messenger DAG und Inositoltrisphosphat, die aus der Spaltung des Membranlipids PIP2 entstehen (s. Abb. 11.5). Photorezeptoren des rhabdomeren Typs finden sich in den Ocelli zahlreicher Invertebraten. Im einfachsten Fall bestehen diese aus nur einer Sinneszelle und einer abschirmenden Pigmentzelle. Der Mikrovillisaum der Lichtsinneszelle kann dem Licht zugewandt (everser Typ) oder dem Licht abgewandt und der Pigmentzelle zugewandt sein (inverser Typ). Beispiele für solch einfache Ocelli liefern die Trochophoralarven und Jugendstadien der Anneliden (Abb. 22.14a), aber auch der Chordat Branchiostoma (Amphioxus). Mit vielen rhabdomeren Photorezeptoren ausgestattet sind die mit Linsen als Lichtsammelapparat ausgestatteten Augen von Medusen, Anneliden und Mollusken. Den höchsten Grad der Perfektion haben die Augen der Tintenfische erreicht. Sie befähigen Kalmar und Octopus zum Bildsehen und sind in ihrer Konstruktion dem Vertebratenauge verblüffend ähnlich: Cornea, Iris, Linse, Retina – letztere jedoch mit eversen Photorezeptoren des rhabdomeren Typs ausgestattet (Abb. 22.14d, e). Vereinzelt findet man in ein und demselben Auge sowohl den ciliären als auch den rhabdomeren Rezeptortyp, so im Dorsalauge des Gastropoden Onchidium. Dies nährt die Vorstellung, das Auge der Urbilateria habe beide Typen besessen, alsdann sei es zu einer evolutionären Divergenz gekommen. Verblüffend ist, dass möglicherweise auch unser eigenes Auge beide Typen beherbergt: Während Stäbchen und Zapfen den ciliären Typ repräsentieren, leiten sich möglicherweise bestimmte Nervenzellen des Auges (Retinale Ganglienzellen, Horizontale, Amakrine) von rhabdomeren Photorezeptoren ab. Es finden sich darunter Zellen, die Melanopsin enthalten und lichtempfindlich sind. Wenn sie auch nichts zum Bildsehen beitragen, so helfen sie doch, den circadianen Rhythmus unserer inneren Uhr mit dem Hell-Dunkel-Wechsel zu synchronisieren. Dass diese sich von rhabdomeren Photorezeptoren ableiten, dafür werden als Argumente vorgetragen: 1. Melanopsin ist ein orthologer Verwandter des r-Opsins; 2. alle diese Zellen exprimieren dauerhaft Pax6, wie dies auch die rhabdomeren
22.8 Zur Evolution des Menschen
Photorezeptoren tun, und dazu weitere gemeinsame Transkriptionsfaktoren.
22.7.5
Augen zeigen partielle Homologien und Konvergenzen
Inwieweit sind also die verschiedenartigen Augentypen im Tierreich homolog, inwieweit sind sie konvergent? Es liegt ein Patchwork homologer und konvergenter Merkmale vor. Homolog und allen gemeinsam sind Gene, welche Zellen befähigen, Rhodopsin herzustellen, dieses in die Zellmembran einzubauen und Lichtsignale in Veränderungen des Zellmembranpotentials umzucodieren. Gemeinsam ist allen, dass diese Gene unter der Kontrolle der Transkriptionsfaktoren SINE OCULIS und PAX6 (oder eines homologen Abkömmlings) stehen. Vielen Augen gemeinsam ist der rhabdomere Typ der Lichtsinneszellen, anderen der ciliäre Typ. Wie der mutmaßliche gemeinsame Vorläufer beider Typen beschaffen war, ist nicht bekannt. Gemeinsam und vielleicht homolog sind allen Augen abschirmende Pigmentzellen. Inwieweit sie gemeinsame molekular-biochemische Merkmale haben, muss noch untersucht werden. (Gemeinsam dürfte ihnen sein, dass die Pigmente aus polymeren Melaninen bestehen, zu deren Synthese aus Tyrosin oder Phenylalanin mehrere homologe Enzyme erforderlich sind.) Alle weiteren Hilfsstrukturen sind, soweit sie ähnliche Funktion erfüllen, konvergent entstanden. Insbesondere Linsen sind bei den verschiedenen Augentypen wie den Linsen-bestückten Ocelli und Ommatidien der Arthropoden, den Linsenbestückten Kameraaugen der Cnidarier, der Anneliden, der Cephalopoden und der Vertebraten, konvergent entstanden. Ihre ontogenetische Entstehung und biochemische Komponenten sind sehr verschieden. Selbst in den Linsen der Vertebraten, die nach ihrer ontogenetischen Entstehung und morphologischen Struktur homologe Gebilde sind, findet man unterschiedliche Linsenproteine. Wie oben ausgeführt, können morphologisch homologe Strukturen nicht ausschließlich nur mittels homologer Proteinen hergestellt werden. Zum selben
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Zweck, zur Füllung einer Linse mit transparentem, lichtbrechenden Material, können sich verschiedene Proteine eignen. Die zur Herstellung konvergenter Strukturen nötigen Gene können aber ebenfalls unter die Kontrolle der übergeordneten, homologen Transkriptionsfaktoren gestellt sein. So besitzen die Gene für verschiedene, nicht-homologe Linsenproteine der Vertebraten Promotoren, die durch PAX6 aktiviert werden können. Man kann sogar mit PAX6 der Maus ektopische Komplexaugen in Imaginalscheiben von Drosophila induzieren (s. Abb. 12.19).
22.8 22.8.1
Zur Evolution des Menschen Quantitativ ist der Unterschied im Genbestand zwischen Mensch und Schimpanse gering
Gemeinhin liest man, das Inventar der klassischen, Protein-codierenden, Gene beim Menschen und Schimpansen würden zu 99% übereinstimmen, wobei allerdings gegenwärtig noch keine Aussagen über die individuelle Variationsbreite in der Menschheit und in Populationen der Schimpansen möglich sind. Immerhin ist auffällig, dass beim Menschen im Inventar der klassischen Gene 134 Genverdoppelungen gefunden wurden, die beim Schimpansen fehlen. Etliche scheinen in der Entwicklung des Gehirns von Bedeutung zu sein. Auch die Frage, ob vielleicht in der riesigen Fülle der nicht für Proteine codierenden DNA-Sequenzen größere Unterschiede zu finden wären, kann gegenwärtig noch nicht beantwortet werden. Es fehlen Kriterien dafür, welche Unterschiede überhaupt von Bedeutung sein könnten. Immerhin, die erste DNA-Sequenz, die eine mühsame Suche entdeckte und einen Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns nimmt, HAR1 (human accelerated region 1), codiert für eine bei Wirbeltieren konservierte mikroRNA, also nicht für ein Protein. Die Sequenz weist gegenüber der Sequenz beim Schimpansen 18 Änderungen auf. Kommen Defektmutationen hinzu, fallen die Falten der Großhirnrinde flacher aus. Aber auch proteincodierende Gene nehmen Einfluss speziell auf die Entwicklung des Großhirns, wie nachfolgend berichtet wird.
558
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development)
Microcephalin - Protein 834 AS
Schimpanse
gegenwärtig 15 (gleichwertige?) Allele
Homo sapiens
6 Allele
15 Mutationen führten zu AS-Austausch bei Homo sapiens 30 führten zu AS-Austausch bei Urmenschen (Homo erectus)
37 Mutationen
+ 45 weitere Mutationen Vor-Menschenaffen Makaken
= Σ 62 Mutationen im Microcephalin Schimpanse
Abb. 22.16 Evolution von Microcephalin, einem für das enorme Wachstum der Großhirnrinde essentiellen Gen. Nach Berechnungen der Mutationsraten und der hiefür erforderlichen Zeiträume sind seit der Trennung des gemeinsamen Vorfahrens von Makaken und Schimpansen sind 37 Mutationen im Microcephalingen der Schimpansen aufgetreten, seit der Trennung des gemeinsamen Vorfahrens von Schimpanse und Mensch weitere
45 Mutationen im Microcephalin von Homo. Es handelt sich hier um Mutationen, welche die besondere Wachstums-fördernde Wirkung des Gens auf neuronale Stammzellen zur Folge hatten. Beim gegenwärtigen Menschen sind (bisher) 15 allelische Varianten entdeckt worden. Adaptiert nach Evans et al. (2004, 2005)
22.8.2
Microcephalin genannt (Abb. 22.16). Ausfall des Gens (d. h. wenn beide Allele, das vom Vater und das von der Mutter geerbte, defekt sind) führt zu Mikrocephalie (griech.: mikros D klein, kephal¯e D Kopf). Speziell die Größe der Großhirnrinde ist reduziert und sinkt bis auf ein Volumen von 650 ml, dem Volumen bei frühen Formen des Homo erectus. Gleiches gilt für die anderen der aufgelisteten Gene. Ihre entwicklungsbiologische Funktion muss indes noch herausgefunden werden. Verständlicherweise hat man versucht, verschiedene allele Varianten des Gens mit geistigen Fähigkeiten oder der Häufigkeit von Mängeln in der mentalen Welt zu korrelieren. Überzeugende Indizien wurden nicht gefunden, aber eine ganz und gar unerwartete Erkenntnis. MCPH1-Protein wird in den Centrosomen teilungsfähiger Zellen in einer bestimmten Phase des Zellzyklus’ gefunden, ist also mit elementaren zellphysiologischen Prozessen assoziiert und nicht mit spezifisch menschlichen Gehirnfunktionen. Das Gen wird, wie wohl alle Gene, nicht nur für einen Zweck eingesetzt; so sind Funktionen auch bei der Reparatur von DNA-Strangbrüchen bekannt geworden. Als Ursache für seinen Einfluss auf die Gehirngröße wird seine Rolle bei der Proliferation von neuronalen
Es sind mehrere Gene identifiziert, die speziell für das Wachstum der Großhirnhemisphären von Bedeutung sind
Aufrechter Gang und mehr noch, das enorme Wachstum der Großhirnrinde von 500 ml beim Australopithecus (und beim Schimpansen) auf 1300 bis 1600 ml bei Homo sapiens sind die bedeutendsten anatomischen Neuerungen in der Evolution des Menschen. Die Vergrößerung des Gehirnvolumens ist dem anhaltenden embryonalen und postembryonalen Wachstum der Großhirnrinde (Cortex cerebri) zu danken. Gibt es hierzu Korrelationen im Genbestand zwischen Menschenaffen und Mensch – oder zwischen Genmutationen und pathologischen Ausfällen? Die Durchmusterung des menschlichen Genoms auf der Suche nach Korrelationen zwischen atypischen Genkonstitutionen und Befunden der Pathologie und Humangenetik hat in jüngster Zeit (ab ca. 2006) erstaunliche Ergebnissen gezeitigt. Es sind bisher sechs Protein-codierende Gene von fundamentaler Bedeutung für Großhirnentwicklung identifiziert (ASPM, CDK5RAP2, CENPJ, MCPH1, MCPH2, MCPH4). Wir konzentrieren uns beispielhaft auf MCPH1, auch
22.8 Zur Evolution des Menschen
Stammzellen angesehen. Länger währende Expression von korrektem Microcephalin bewirkt eine verlängerte Wachstumszeit: eine anscheinend kleine Ursache mit ungeheuer großer Wirkung.
Ein Schlusswort
Die Evolution der Entwicklungswege, so wie wir sie heute rekonstruieren können, lässt viele Zwänge erkennen, die eine weitere, künftige Um- und Ausgestaltung des mühsam Erreichten erschweren. Dem steht die Notwendigkeit aller Organismen gegenüber, immer und immer wieder Neues versuchen zu müssen, um neuen Herausforderungen gerecht zu werden und das Erreichte gegen wachsende Konkurrenz zu verteidigen. Mit der Herstellung transgener Organismen und künstlicher Organe beginnt der Mensch, gezielt in dieses Geschehen einzugreifen. Wohin wird das führen?
Zusammenfassung
„Evo-Devo“ (Evolution of/and Development) kennzeichnet eine neue Forschungsrichtung, die aus vergleichenden entwicklungsbiologischen und molekulargenetischen Daten versucht, die Bauplanevolution und damit auch die phylogenetischen Verwandtschaftsverhältnisse der Tiergruppen herzuleiten. Ziel ist es, die genetische Ausstattung von Ausgangsformen zu rekonstruieren und Abwandlungen der Baupläne mit Abwandlungen im Genom in Beziehung zu setzen. Höhepunkte der klassischen Evolutionsforschung auf der Basis der embryonalen Entwicklung sind im Kap. 6 „Der Mensch“ zusammengetragen. Wirbeltiere durchlaufen, bei aller Verschiedenheit ihrer Anfangs- und ihrer Endentwicklung, in der mittleren Periode der Embryonalentwicklung ein phylotypisches Stadium, das bei allen Wirbeltiergruppen einen ähnlichen Grundbauplan erkennen lässt. Konservierte Charakteristika sind: dorsales Neuralrohr, Chorda, Somiten, Kiemendarm mit Kiemen-(Schlund-)taschen, knorpelige Kiemenspangen, 4–6 Kiemenbogenarterien, ventrales Herz. Es wird die Frage nach Homologien auf morphologischer und molekularer Ebene erörtert und
559
darauf hingewiesen, dass morphologische und genomische Homologien nicht immer deckungsgleich sind. Zur Konstruktion homologer morphologischer Strukturen, wie z. B. einem erst knorpeligen, dann knöchernen Skelettelement, oder den Augenlinsen der Vertebraten, können sich unterschiedliche Gene/Proteine eignen und neu rekrutierte können althergebrachte Proteine ersetzen. Mechanismen, die neue genetische Programme ermöglichen, sind beispielsweise Genverdoppelungen, Genomverdoppelungen oder Neukombinationen modularer Genabschnitte. In verdoppelten DNA-Sequenzen können Mutationen in einer der beiden Sequenzen Neues hervorbringen unter Bewahrung des Hergebrachten in der anderen Sequenz. Bei homologen Genen ist, wie bei homologen Organen, zwischen orthologen und paralogen zu unterscheiden. Orthologe homologe Gene, wie die für BMP und DPP, finden sich in verschiedenen Organismen, paraloge Gene, z. B. die der verschiedenen Hom/Hox Gruppen, sind zwei oder mehr durch Genduplikation entstandene homologe Gene in ein und demselben Organismus. Konservierte Entwicklungsstadien finden sich in vielen Tiergruppen, z. B. Furchungsstadien nach dem Spiralmodus, sowie eine Trochophora oder eine der Trochophora ähnliche Larven bei den Lophotrochozoa (Anneliden, Mollusken und Tentakulaten). Die beiden anderen großen Stammesgruppen, die Ecdysozoa und die Deuterostomia, sind eher durch postembryonale Gemeinsamkeiten charakterisiert. Alle drei Großgruppen werden aufgrund molekulargenetischer Daten auf eine hypothetische, gemeinsame Basisgruppe, die Urbilateria, zurückgeführt. Kühne Hypothesen nehmen an, Arthropoden und Wirbeltiere hätten trotz ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen Stammesgruppen (Arthropoden: Ecdysozoa, Vertebraten: Deuterostomier) einen weitgehend übereinstimmenden Körpergrundbauplan, nur dass die Rückenseite der Wirbeltiere mit Gehirn und Rückenmark der Bauchseite der Arthropoden mit Bauchganglienkette entspräche. Es werden molekularbiologische Indizien für diese Hypothese aufgezeigt, beispielsweise dass das Signalmolekül BMP-4 bei Wirbeltieren auf der Ventralseite, das homologe Signalmolekül DPP (DECAPENTAPLEGIC) bei Insekten auf der Dorsalseite des Embryo produziert wird.
560
22
Evolution von Entwicklungsprozessen („Evo-Devo“, Evolution and/of Development)
Diskutiert wird weiterhin der Übergang von Diploblasten (Ekto- C Entoderm) zu den Triploblasten (Ekto- C Ento- C Mesoderm), die Divergenz Radiärsymmetrie versus Bilateralsymmetrie und die Frage, ob die Hauptkörperachse in den verschiedene Tierstämmen einander gleichgesetzt werden können. Die Ausrichtung einer der Körperachsen wird bei fast allen Tieren durch das kanonische WNT/beta-Catenin-System gelenkt, bei Wirbeltieren ebenso wie bei anderen Deuterostomiern und wie auch schon die Ausrichtung der Primärachse bei den Cnidariern. Es wird auf den oft vernachlässigten Umstand hingewiesen, dass bei Cnidariern der Ort der Gastrulation (Urmund) am animalen Pol, bei Bilateriern in der Regel am vegetativen Pol entsteht. Beim Vergleich der verschiedenen Augentypen findet man, trotz ihrer sehr unterschiedlichen Konstruktion, auf der Ebene der Zelltypen und der zur Herstellung einer Lichtsinneszelle benötigten Gene überraschende Homologien. Allen Augenträgern gemeinsam sind Gene, die zur Herstellung von Rhodopsin zum Einfangen von Lichtsignalen und der Codierung der Signale in Veränderungen des elektrischen Membranpotentials benötigt werden. Diese Gene stehen unter der Kontrolle der Transkriptionsfaktoren PAX6 und/oder SINE
OCULIS. Im Einzelnen gliedern sich die Lichtsinneszellen in zwei Grundtypen, den rhabdomeren Typus, der bei Wirbellosen dominiert, und den ciliären Typus, zu dem die Stäbchen und Zapfen unseres Auges gehören. Mehrere Indizien sprechen dafür, dass die Melanopsin-exprimierenden retinalen Ganglienzellen in unserem Auge sich von rhabdomeren Photorezeptoren ableiten. Konvergent haben sich Linsen entwickelt. Sogar in den morphologisch homologen Linsen der Vertebraten werden unterschiedliche Proteine zur Füllung der Linsenzellen eingesetzt. Bei der Entwicklung des Großhirns des Menschen kommen besonderen Varianten von Genen eine große Bedeutung zu, die Einfluss auf die Proliferation der neuronalen Stammzellen nehmen; dies wird am Beispiel des Gens Microcephalin gezeigt. Die Entwicklungswege der Organismen lassen viele Zwänge erkennen, die das mühsam Erreichte einer weiteren, künftigen Um- und Ausgestaltung entgegensetzen. Andererseits sind Organismen auch erfinderisch, indem sie aus ursprünglichen Komponenten durch Abwandlung verdoppelter Gene oder mehrfach wiederholter Strukturen, und durch vielerlei Neukombinationen Neues erschaffen.
Glossar
Bemerkung: Englischsprachige Begriffe, die den Charakter von Fachausdrücken haben, werden ebenso wie die aus dem Griechischen oder Lateinischen abgeleiteten Begriffe in der Regel nicht ins Deutsche übersetzt.
Abkürzungen, die den Charakter von Fachausdrücken tragen Biologische Wirksubstanzen (Wachstumsfaktoren, Morphogene, Induktoren, Hormone, Transkriptionsfaktoren) AMDF Anti-Müllerian Duct Factor; synonym: AMH: Anti-Müllerian (duct) Hormone MIS Müllerian (duct) Inhibiting Substance. Die Reduktion des Müller’schen Gangs (embryonaler Vorläufer des Eileiters) bewirkendes Hormon, produziert von den Sertoli-Zellen des Hodens AMH s. AMDF MIS s. AMDF bFGF basic Fibroblast Growth Factor – basischer Fibroblasten-Wachstumsfaktor; s. auch FGF BMP Bone Morphogenetic Protein – die Knochenbildung förderndes Protein (bzw. Proteinfamilie), im frühen Embryo als Morphogen wirkend CSF Colony-Stimulating Factor(s): Wachstumsfaktoren des blutbildenden Systems. Die Namensgebung rührt daher, dass sich teilende Vorläuferzellen von Blutzellen auf Agar Kolonien bilden. Untertypen sind z. B. – G-CSF: Granulocyten CSF – GM-CSF: Granulocyten/Makrophagen CSF – M-CSF: Makrophagen CSF DIF Differentiation-Inducing Factor – Differenzierungs-auslösender Faktor bei Dictyostelium
DPP Decapentaplegic – Morphogen im Drosophilaembryo EGF Epidermal Growth Factor – epidermaler Wachstumsfaktor FGF Fibroblast Growth Factor – Fibroblastenwachstumsfaktor, Proteinfamilie; FGFs wirken im frühen Embryo als Induktoren bzw. Morphogene FSH Follicle-Stimulating Hormone – die Follikelreifung stimulierendes Hormon; stimuliert auch die Bildung von Östrogen-Hormonen im Follikel HH HEDGEHOG („Igel“), Morphogen bei vielen Tieren LH Luteinizing Hormone – luteinisierendes Hormon, den Gelbkörper steuerndes Hormon; stimuliert im Gelbkörper (Corpus luteum) die Bildung des Hormons Progesteron LTH Luteotropin. Synonym des Hormons Prolactin IGF Insulin-like Growth Factor – Insulin-ähnlicher Wachstumsfaktor IL-8 Interleukin-8; von Leukocyten produzierte, auf andere Leukocyten wirkende hormonale Signalsubstanz MIS Müllerian duct Inhibiting Substance, s. AMDF RA Retinoic Acid – Retinsäure, Vitamin-A-Säure; im Embryo als Morphogen wirkend RAR Retinoic Acid Receptor, Retinsäure-Rezeptor SCF Stem Cell Factor, das Wachstum von embryonalen Stammzellen fördernder Faktor SHH SONIC HEDGEHOG – Morphogen in der Wirbeltierentwicklung SRY Vom SRY-Gen codierter Transkriptionsfaktor, der die Geschlechtsentwicklung in männliche Richtung lenkt, auch TDF genannt TDF Testis-Determining Factor, auch als SRY bezeichnet, macht die Gonadenanlage zum Hoden TGF-ˇ Transforming Growth Factor beta – transformierender Wachstumsfaktor beta. Vertreter einer
W.A. Müller, M. Hassel, Entwicklungsbiologie und Reproduktionsbiologie des Menschen und bedeutender c Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012 Modellorganismen, Springer-Lehrbuch, DOI 10.1007/978-3-642-28383-3,
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großen Proteinfamilie, die viele Morphogene umfasst TSH Thyreoidea-Stimulating Hormone – Thyreotropin, die Schilddrüse steuerndes Hormon VEGF Vascular Endothelial cell-derived Growth Factor – von Blutgefäßen produzierter Wachstumsfaktor WNT Proteine der WINGLESS/WNT-Familie, im Embryo als Morphogen wirkend, auch an der Regulation des Zellen-Nachschubs aus Stammzellen beteiligt
Intrazelluläre Faktoren MPF Maturation-Promoting Factor, Meiosis-Promoting Factor, Mitosis-Promoting Factor. Der Steuerung des Zellzyklus dienender Proteinkomplex (s. Abb. 3.7) mit drei gleichwertigen Bedeutungen
DNA-bindende Domänen von Transkriptionsfaktoren und nukleären Hormonrezeptoren bHLH basic Helix-Loop-Helix domain (motif) HLH Helix-Loop-Helix domain (motif) HMG High Mobility Group Homöodomäne ein Abschnitt des Proteins mit einem Helix-turn-Helix Motiv, codiert von der Homöobox des Gens HtH Helix-turn-Helix – morphologische Struktur einer DNA-bindenden Domäne (Motivs); verschiedene HtH-Motive sind nicht notwendigerweise zueinander homolog leucine-zipper Leucin-Zipper (wörtl. Leucin-Reißverschluss) paired domain DNA-bindende Domäne der PaxTranskriptionsfaktoren zinc finger Zinkfinger-Domäne/Motiv eines Proteins
Wichtige Genfamilien für entwicklungssteuernde Transkriptionsfaktoren Hom/Hox Hom bei Drosophila, Hox bei anderen Tieren: (Gene für) Transkriptionsfaktoren mit Homöodomänen
Glossar
Pax Mitglied einer Gen-/Transkriptionsfaktor-Familie, mit z. B. eyeless D Pax6 Sox Mitglied einer Gen-/Transkriptionsfaktor-Familie, mit z. B. SRY
Adjektive, Orte und Richtungen anzeigend kursiv: Englisch animal – animal allgemein: tierisch, tiertypisch, lebendig animaler Pol: Bereich der Eizelle bzw. Keims, wo sich in der Regel das Zentralnervensystem entwickeln wird; in der Regel auch Ort, wo im Zuge der Reifeteilungen die Polkörper abgeschnürt werden. Vgl. vegetativ anterior – anterior vorne, nach vorne gerichtet apikal – apical oben, an der Spitze befindlich basal – basal (nicht basic!) an der Basis befindlich caudal – caudal in Richtung Schwanz gelegen oder gerichtet cerebral – cerebral zum Gehirn gehörend oder zum Gehirn werdend cranial – cranial zum Kopf gehörend, kopfwärts distal – distal weiter vom Rumpf entfernt, nahe der Spitze (z. B. einer Extremität) dorsal – dorsal auf der Rückenseite befindlich, rückenwärts ektopisch – ectopic außerhalb des normalen Ortes in situ – in situ an Ort und Stelle im Gewebe/Organismus nasal – nasal nahe der Nase befindlich, nasenwärts posterior – posterior hinten, nach hinten gerichtet proximal – proximal nahe dem Rumpf, nahe der Basis (z. B. einer Extremität) rostral – rostral in Richtung Schnabel/Schnauze gelegen oder gerichtet temporal – temporal den Schläfen nah, schläfenwärts vegetativ – vegetal (in der Botanik: vegetative, wörtl.: pflanzenhaft) in zoolog. Entwicklungsbiologie (z. B. im Ausdruck „vegetativer Eipol“): zum Keimbereich gehörend, aus dem im Regelfall der Magen-Darm-Trakt hervorgeht ventral – ventral auf der Bauchseite befindlich, bauchwärts visceral – visceral den Bereich der Eingeweide betreffend. Auch gebraucht, um die Bereiche ventral
Glossar
des Schädels, also die Pharynx-(Rachen-, Kehlkopf-)Region, zu kennzeichnen
Fachausdrücke der Entwicklungsbiologie Deutsch – Englisch: Erläuterung des Begriffs (hier vermisste Ausdrücke: s. Sachverzeichnis) Achsenorgane – axial organs embryonale Organe oder Organanlagen entlang der Längsachse des Embryos unterhalb der Rückenlinie: Neuralrohr, Chorda dorsalis, die zwei Reihen von Somiten beidseitig der Chorda AER – apical ectodermal ridge Kante auf der Flügelknospe des Vogelembryos. Produzent von Wachstumsfaktoren Aggregat – aggregate Klumpen aus zuvor getrennten Zellen Akrosom – acrosome an der Spitze des Spermiums befindliches Organell, mit Enzymen gefülltes Bläschen Akrosomreaktion – acrosomal reaction Platzen des Akrosoms, eines Organells des Spermiums, und Freisetzen der Enzyme zur Ermöglichung einer Befruchtung Allantois – allantois embryonale Harnblase; bei Reptilien und Vögeln dient sie zusätzlich als Atemorgan. Beim Menschen rudimentär und in den Nabelstrang integriert Allel(e) – allele(s) Varianten eines Gens; verschiedene Allele unterscheiden sich in wenigen Basenpaaren. Das in einer Population am häufigsten vorkommende Allel heißt Wildtypallel Amnion – amnion Häutige, mit Flüssigkeit (Fruchtwasser) gefüllte Blase, den Embryo der Landwirbeltiere einhüllend und schützend; wird vom extraembryonalen Teil des Keims gebildet Amnioten – amniotes Gruppe von Tieren, die in der Embryonalentwicklung ein Amnion und eine Allantois ausbildet: Landwirbeltiere (Reptilien, Vögel, Säuger) Animalisierung – animalization Behandlung, die zu übergroßen animalen Keimregionen auf Kosten des Magen-Darm-Traktestraktes führt Anlage – anlage, primordium, rudiment embryonale, noch sehr einfache Vorläuferstruktur eines Organs
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Anlagenplan – fate map topografische Projektion der späteren Körperbereiche und Organe auf ein frühes Stadium der Keimesentwicklung. Ein solcher Anlagenplan besagt nicht, dass das Schicksal der so abgegrenzten Bezirke schon festgelegt sein müsste Apoptose – apoptosis programmierter Zelltod Befruchtung – fertilization Vereinigung eines Spermiums mit der Eizelle. Im strengen Sinn: Vereinigung des haploiden Kerns eines Spermiums mit dem haploiden Kern einer Eizelle zum diploiden Zygotenkern Bilateria – bilateria Tiere mit Bilateralsymmetrie, es existieren drei Achsen (antero-posterior, dorsoventral, links-rechts) Biradialsymmetrie – biradial symmetry Tiere besitzen 2 Achsen, eine dorsoventral-Asymmetrie fehlt Blastem – blastema Bildungsbezirk. Im Regenerationsfall eine Ansammlung weitgehend dedifferenzierter Zellen, aus der die verlorene Struktur nachgebildet wird Blastocoel, Blastocöl – blastocoel innerer Hohlraum des frühen Embryos (Blastula), primäre Leibeshöhle Blastocyste – blastocyst blasenförmiger Keim der Säugetiere nach Abschluss der Furchung. Zu den Unterschieden zur Blastula von Nichtsäugern s. Kap. 6 Blastoderm – blastoderm Zellige Wandung eines Keims nach Abschluss der Furchung Blastomeren – blastomeres erste, noch relative große Zellen des Keims, entstanden durch die ersten Teilungen der befruchteten Eizelle Blastoporus s. Urmund Blastula – blastula frühes Embryonalstadium im Anschluss an die Furchung, das bei vielen, nicht aber allen Tieren auftritt. Die Blastula ist ein blasenförmiges Gebilde mit zelliger Wandung (Blastoderm), welche einen flüssigkeitsgefüllten Hohlraum (Blastocoel) umschließt. Tritt auf z. B. beim Seeigel und bei Amphibien, nicht bei Drosophila, Fischen, Vögeln und Säugern. Zu den Unterschieden zur Blastocyste der Säuger s. Kap. 6. branchial – branchial zum Bereich des Kiemendarms gehörend branchiogene Organe – branchiogenic organs Organe, die aus dem Bereich des embryonalen Rachenbezirks hervorgehen, wie z. B. Thymus und Nebenschilddrüse
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Chimäre – chimera Organismus, der aus genetisch unterschiedlichen Zellen besteht; dessen Zellen beispielsweise von verschiedenen Eltern stammen Chorda dorsalis – notochord embryonaler, physikalisch knorpelähnlicher Skelettstab in der Mittellinie des Rumpfes der Chordaten, hervorgegangen aus dem axialen Mesoderm. Bei Wirbeltieren später in der Embryonalentwicklung durch die Wirbelsäule ersetzt Chorion – chorion Keimeshülle. Bei Insekten die nicht-zelluläre Eischale, bei Landwirbeltieren die zellige, äußere, extraembryonale Hülle, die nicht nur den Embryo, sondern auch die Amnionblase umhüllt und bei Plazentatieren die Plazenta entwickelt Chromatin – chromatin Chromosomenmaterial; Aggregat aus DNA und Proteinen Coelom – coelom von einem Epithel (z. B. Bauchfell) umgrenzte Leibeshöhle Commitment – Verpflichtung (Kommitierung). Determination des Zelltyps, z. B. Vorgang, der eine Zelle dazu bestimmt, Nervenzelle zu werden Corticalreaktion, Cortikalrotation – cortical reaction, cortical rotation Reaktion der Eirinde nach Kontakt mit dem Spermium Cycline – cyclins Proteine, die bei der Kontrolle der Zellteilung eine wichtige Rolle spielen; ihre Konzentration steigt und fällt im Rhythmus der Zellteilungen cytoplasmatische Determinanten – cytoplasmic determinants Komponenten im Cytoplasma einer Eizelle, welche den Zellen, in welche diese Komponenten hineingelangen, ein bestimmtes Entwicklungsschicksal zuweisen. Enthalten oft maternale mRNA, die in der Eizelle positionsspezifisch deponiert worden ist Dedifferenzierung – dedifferentiation Rückentwicklung einer Zelle zu einem früheren Zustand, Reembryonalisierung Dermis – dermis Unterhaut Dermatom – dermatome Teil des Somiten, aus dem die Dermis hervorgeht Determination – determination bei einzelnen Zellen auch commitment: Auswahl und Festlegung des Entwicklungsschicksals einer Zelle oder einer Gruppe von Zellen; Programmierung der weiteren Entwicklungsweise Diapause – diapause Stadium einer Entwicklungsruhe
Glossar
Differenzierung – differentiation s. Zelldifferenzierung diploblastisch – diploblastic In der Embryonalentwicklung lassen sich zwei Zellschichten (Keimblätter), Ektoderm und Entoderm, aber – im Gegensatz zu triploblastischen Organismen – kein Mesoderm ausmachen diploid – diploid einen zweifachen Chromosomensatz enthaltend, wobei einer von der Eizelle, der andere vom Spermium stammt dominant-negative Mutation – dominant-negative mutation Das vom defekten Allel abgeleitete Protein blockiert eine Funktion, auch wenn das andere Allel der Zelle ein intaktes Protein liefern sollte. Tritt häufig bei Rezeptoren oder Transkriptionsfaktoren auf, die als Dimere wirksam werden, weil Heterodimere zwischen defekten und intakten Proteinen insgesamt defekt sind Dotter – yolk Baumaterial und Energieträger, die in der Eizelle gespeichert sind, überwiegend aus Phosphoproteinen und Phospholipiden bestehend, die in Membranen (Vesikeln) eingeschlossen sind Dottersack – yolk sac Bei Fischen, Reptilien und Vögeln vorkommendes, extraembryonales, häutiges Gebilde, das von der Keimscheibe unterhalb des sich bildenden Embryos auswächst und das dotterhaltige Rest-Ei umschließt. Im dotterarmen Säugerkeim noch in reduzierter Form vorkommend Ecdysis – ecdysis Häutung bei Arthropoden, Abstreifen der Cuticula Ecdyson, Ecdysteron – ecdysone, ecdysterone die Häutung vorbereitende Steroidhormone bei Insekten und anderen Arthropoden Ektoblast – ectoblast: s. Ektoderm Ektoderm – ectoderm äußere Zellschicht einer Gastrula. Wird, nachdem es Zellen zur Entwicklung des Nervensystems und einiger Sinnesorgane abgegliedert hat, zur Epidermis Embroyblast – embryoblast, inner cell mass Teil der Säugerblastocyste, aus dem (u. a.) der Embryo hervorgeht embryonale Stammzellen – embryonic stem cells, ES-cells teilungsfähige, multipotente Zellen aus der inneren Zellmasse der Säugerblastocyste Embryonalschild – (embryonic) shield knotenförmige Verdickung am Hinterende des Keimstreifs bei Fischen, homolog zum Spemann-Organisator des Amphibienkeims und zum Hensen-Knoten des Vogelkeims funktionell diesen äquivalent
Glossar
Endoderm s. Entoderm Enhancer – enhancer Region auf der DNA, an die genregulatorische Proteine binden; liegt vor einem Gen und dessen Promotor, oftmals sogar weit entfernt. Durch Schleifenbildung kommt die proteinbeladene Enhancerregion in Nachbarschaft zur Promotorregion eines Gens Entoderm – endoderm innere Zellschicht im frühen Embryo nach Abschluss der Gastrulation, den Urdarm bildend (bei Amnioten auch die transitorischen Anhänge des Urdarms: Dottersack und Allantois). Wird zur Innenschicht des MagenDarm-Traktes. Bei Wirbeltieren sind weitere Abkömmlinge des Entoderms die Lunge, die Leber, die Gallenblase, die Bauchspeicheldrüse und die Harnblase Epiblast – epiblast obere Zellschicht auf einer Keimscheibe, z. B. des Vogel- oder des Mauskeims Epibolie – epiboly Ausdehnung einer äußeren Zellschicht über das Restei oder über Zellschichten hinweg, die dadurch ins Innere des Keims geraten. Wird beobachtet während der Gastrulation der Amphibien und in der Fischentwicklung Epidermis – epidermis äußere zellige Schicht eines Tieres; bei Wirbeltieren Teil der Haut Epigenese – epigenesis Ursprüngliche Bedeutung: Bildung, Herausformung aus einfacheren materiellen Vorstufen; auf einfachen Ausgangsstrukturen aufbauende Entwicklung (griech.: epi D auf; genesis D Entstehung, Erzeugung) epigenetisch – epigenetic (heutige Bedeutung:) oberhalb der Ebene der Gene bzw. der DNA sich abspielend; im eingeschränkten Sinn: enzymatisch bewirkte Änderungen am Chromatin (u. a. Methylierung, Acetylierung), welche die Aktivierung von Genen einschränken oder erleichtern Epithel – epithel flächiger Verband von Zellen, an der Oberfläche (oder direkt unter einer nicht-zelligen Cuticula) befindlich ES-Zellen – ES-cells embryonale Stammzellen, in Zellkultur gezüchtete Zellen, die der inneren Zellmasse (Embryoblast) der Säugerblastocyste entstammen EST – expressed sequence tag Kurze (100–1000 Bp lange) Sequenz, die nach cDNA-Synthese und Sequenzierung aus in vivo exprimierter mRNA stammt. EST Datenbanken erleichtern die Suche nach aktiven Genen
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Expression (eines Gens) – expression wörtlich: Zum-Ausdruck-Bringen (einer genetischen Information). Gemeint ist die Synthese eines Proteins mittels einer mRNA, letzlich dirigiert durch die Basensequenz eines Gens extraembryonale Membranen/Organe – extraembryonic membranes/organs häutige Strukturen oder Organe, wie z. B. Amnion oder die Plazenta, die zwar auf die befruchtete Eizelle zurückgehen, aber nicht Teil des eigentlichen Embryos sind extrazelluläre Matrix – extracellular matrix ECM Füllmaterial zwischen den Zellen, Makromoleküle wie Laminin, Fibronektin und Kollagen enthaltend Fetus, Fötus – fetus noch heranwachsender, aber weitgehend fertig entwickelter Embryo des Menschen/Säugers, beim Menschen ab der 10. Schwangerschaftswoche Follikel – follicle zellige Umhüllung einer heranwachsenden Eizelle (Oocyte) Furchung – cleavage Serie rasch nacheinander ablaufender Zellteilungen, durch welche die Eizelle in immer kleiner werdende Tochterzellen zerlegt wird. Die ersten, noch ziemlich großen Tochterzellen heißen Blastomeren Gameten – gametes Keimzellen, d. h. Eizellen oder Spermien Ganglion – ganglion lokale Ansammlung von Nervenzellkörpern Gastrula – gastrula Keim während der Gastrulation bis zur ihrem Abschluss Gastrulation – gastrulation Vorgang, durch den Zellen ins Innere eines Keims gelangen, um dort die Bildung innerer Organe zu ermöglichen. Vom griech. gaster D Magen; es werden jedoch nicht nur entodermale (s. Entoderm), sondern auch Zellen für mesodermale Gewebe (s. Mesoderm) ins Innere verfrachtet oder im Inneren gebildet Gebärmutter – uterus Uterus; von einer starken Wand gebildeter Hohlraum im Leib der Mutter, in dem das Kind heranwächst Gen – gene Abschnitt auf der DNA, der die Information für Reihenfolge der Aminosäuren eines bestimmten Proteins (Polypeptids) enthält oder die Basensequenz einer bestimmten RNA (ribosomale RNA, mikroRNA) codiert generativ – generative die Fortpflanzung betreffend; z. B. generative Zellen D der Fortpflanzung dienende Zellen. Gegenstück zu somatisch
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Genexpression – gene expression Umsetzung der Information eines Gens in ein Protein, faktisch die Bildung einer mRNA (Transkription) plus Proteinsynthese mittels der in der mRNA enthaltenen Information (Translation) Genom – genome, genom Die Gesamtheit der genetischen Information, Summe der Gene Genotyp – genotype Summe der individuellen genetischen Ausstattung einer Zelle oder eines Organismus, im Unterschied zum Phänotyp, der die Summe der im Erscheinungsbild ausgeprägten Eigenschaften darstellt Gonaden – gonads Hoden oder Ovar Gradient – gradient – allgemein: quantifizierbare Eigenschaft (Wert auf der Y-Achse eines Diagramms), die entlang einer Raumachse (X-Achse) kontinuierlich abfällt oder ansteigt – speziell: entlang einer Raumachse kontinuierlich abfallende oder ansteigende Konzentration eines Morphogens haploid – haploid mit nur einem einfachen Chromosomensatz ausgestattet, im Unterschied zu diploid, wo zwei Chromosomensätze vorliegen Hämatopoiese (Hämatopoese) – hematopoiesis Bildung der Blutzellen aus Stammzellen Hensen-Knoten – Hensen’s node Verdickung am vorderen Ende der Primitivrinne auf der Keimscheibe des Vogeleies. Entspricht der oberen Urmundlippe (Spemann-Organisator) der Amphibiengastrula Heterochromatin – heterochromatin verdichtete Bereiche auf den Chromosomen, in denen keine oder nur in geringem Umfang Transkription stattfindet Heterochronie – heterochrony unterschiedliche relative Zeitdauer einzelner Entwicklungsschritte bei verschiedenen Organismen, Änderung der Zeitprogramme in der Evolution heterozygot – heterozygous genetische Konstitution in einem diploiden Organismus, wenn an einem Genort die beiden Allele, das vom Vater und das von der Mutter geerbte, verschieden sind. Gekennzeichnet beispielsweise durch a/C, Gegensatz zu homozygot homologe Organe – homologous organs gleichartige oder auch im Laufe der Evolution verschieden gewordene Organe, die mutmaßlich in der Geschichte des Lebens aus einer gemeinsamen morphologischen Urstruktur hervorgegangen sind
Glossar
homologe Gene – homologous genes Gene, die in der Sequenz ihrer Basenpaare eine hohe Übereinstimmung aufweisen und mutmaßlich aus einer Ursequenz (oder Ur-Exons) hervorgegangen sind. Diese war, wie gefolgert wird, in einem Vorfahren vorhanden, von dem die verschiedenen Träger homologer Gene abstammen. Homologe Gene werden in orthologe und paraloge Gene unterteilt (s. orthologe Gene, paraloge Gene) Homöobox – homeobox besonderer Abschnitt (Teilsequenz) verschiedener entwicklungssteuernder Gene, der für die Homöodomäne des Proteins (Transkriptionsfaktor) codiert Homöodomäne – homeodomain Teilbereich eines als Transkriptionsfaktor fungierenden Proteins, der die Bindung des Faktors an die DNA vermittelt homöotische Gene – homeotic genes Gene, deren Produkte die besondere Qualität und Identität einer Zellgruppe oder eines Körperbereichs bestimmen. Die Mutation solcher Gene kann zum Austausch eines Körperteils durch ein nicht an diesen Ort gehöriges führen (z. B. bei der Fliege Austausch eines Beins gegen einen Flügel). Homöotische Gene enthalten eine Homöobox, aber nicht alle Gene mit einer Homöobox sind Gene, die der ursprünglichen Definition eine homöotischen Gens entsprechen homöotische Transformation – homeotic transformation Umwandlung einer Struktur in eine Struktur, die anderswo am rechten Platze wäre; z. B. Umwandlung einer Antenne in ein Bein bei einem Insekt. Die Transformation kann Folge einer Mutation, einer epigenetischen Veränderung oder eines experimentellen Eingriffs (z. B. wiederholte Verletzung, Behandlung mit Chemikalien) sein homozygot – homozygous genetische Konstitution in einem diploiden Organismus, wenn an einem bestimmten Genort beide Allele, das vom Vater und das von der Mutter geerbte, identisch sind. Gekennzeichnet z. B. mit a=a oder C=C (C=C wenn beide Allele dem Wildtyp D Normaltyp) entsprechen. Gegensatz zu heterozygot Hox-Gene – Hox genes Familie von Genen mit einer Homöobox Hybridisierung – hybridization (a) in der Molekularbiologie die Vereinigung zweier einsträngiger, komplementärer Nucleinsäuremoleküle zum Doppelstrang (b) in der Züchtung die Kreuzung zweier Organismen, Hybridenbildung
Glossar
Hypoblast – hypoblast Zellschicht der Keimscheibe des Fisches oder Vogels, die der Dottermasse aufliegt und vom Epiblast überlagert ist Imago – imago aus der Puppenhülle geschlüpftes adultes Insekt Imaginalscheiben – imaginal discs epitheliale Zellenpakete, aus denen im Zuge der Metamorphose die Cuticula-bedeckten Körperteile eines Insekts entstehen. Diese Zellenpakete sind in der Fliegenlarve ins Körperinnere verlagert und kommen erst beim Abbau der larvalen Gewebe an die Oberfläche Induktion – induction Auslösung eines Entwicklungsvorgangs durch einen benachbarten Bezirk, der Induktionssubstanzen freisetzt Induktor – inducer induzierende Zellgruppe oder die von dieser Zellgruppe produzierte Induktionssubstanz Invagination – invagination Verformung eines epithelialen Zellverbandes, die ein ins Keimesinnere eindringendes becher-, blasen- oder rohrförmiges Gebilde entstehen lässt. Ist Teil der Urdarmbildung (Gastrulation) beim Seeigel-, Insekten- und Amphibienkeim Involution – involution Rollbewegung eines Zellverbandes um eine (imaginäre) Kante ins Keimesinnere hinein. Kann Teilvorgang einer Invagination sein Juvenilhormon – juvenile hormone Hormon der Insekten aus den Corpora allata, welches die Weiterentwicklung der Larve zur Imago bremst Kapazitation – capacitation Endreifung des Spermiums zur Befruchtungsfähigkeit Keim – germ in der Entwicklungsbiologie der Tiere und des Menschen ein früher Embryo, beginnend mit der befruchteten Eizelle (ohne definiertes Schlussstadium) Keimbahn – germ line Zelllinie, die von der befruchteten Eizelle zu den Keimzellen für die nächste Generation führt Keimbläschen – germinal vesicle traditionelle Bezeichnung des voluminösen Kerns einer Oocyte Keimblätter – germ layers In der Entwicklung der Tiere Zellschichten oder Zellgruppen eines frühen Keims, aus denen jeweils mehrere Gewebe und Organe hervorgehen. Typischerweise werden in der Stammgruppe der Coelenteraten (Cnidaria, Ctenophora) zwei Keimblätter, Ektoderm und Entoderm, unterschieden und man spricht von diploblastischen Organismen; bei den übrigen vielzel-
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ligen Tieren (Bilateria, inkl. dem Menschen) tritt ein drittes Keimblatt auf, das Mesoderm, und man spricht von triploblastischen Organismen Keimplasma – germ plasm Spezielle Cytoplasmakomponenten im Ei und Embryo mancher Tiere, besonders der Amphibien, welche die Zellen, denen sie zugeteilt werden, dazu bestimmen, Urkeimzellen zu werden. Ursprüngliche Bedeutung bei August Weismann: Komponente des Keims, das die Vererbungsträger beherbergt Keimscheibe – blastodisc bei verschiedenen Tiergruppen vorkommende, aus der Furchung hervorgehende und durch Gastrulationsvorgänge mehrschichtig werdende, flächige Zellschichten (Epiblast, Hypoblast), aus denen (u. a.) der Embryo hervorgeht; diese Zellschichten liegen beim Fisch- und Vogelkeim auf dem dotterreichen Restei auf; im Säugerkeim stellen sie den Boden der Amnionhöhle dar Keimstreif – germ band Streifenförmiges frühes Embryonalstadium in der Entwicklung eines Fisches oder eines Insekts Klon – clone Begriff mit doppelter Bedeutung: – Gruppe von Organismen, die untereinander erbgleich sind. Dies ist die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs. Mitglieder eines natürlichen Klons sind Nachkommen, die aus einer vegetativen Fortpflanzung hervorgehen, ebenso eineiige Mehrlinge. Zum künstlichen Klonen von Tieren s. Kap. 13 – Künstlich vervielfältigte DNA, bzw. die Prozedur der Vervielfältigung, sei es in sogen. Vektoren (z. B. Bakterien) oder im Reagenzglas (z. B. mittels PCR), wobei die vermehrten DNAMoleküle mit dem Ausgangsmolekül identisch sein sollten, also keine Replikationsfehler enthalten sollten klonen, das Klonen – to clone, cloning das Herstellung genetisch identischer Nachkommen oder die (fehlerfreie) Vermehrung von Nucleinsäuren; Letzteres wird auch klonieren genannt Knock-out-Mutation – knock-out mutation völliges Ausschalten beider Allele eines Gens Knospung – budding in der zoologischen Entwicklungsbiologie eine ungeschlechtliche Fortpflanzung mittels eines vielzelligen, sich ablösenden Körpers Kommittierung – commitment wörtl.: Verpflichtung. Endgültige Festlegung des Entwicklungsschicksals
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einer Zelle. „Kommittierung“ ist eine sprachlich unschöne und unnötige Eindeutschung; Determination sagt dasselbe (s. Determination) Kompaktion – compaction Zusammenballung der Furchungszellen im Säugerembryo verursacht durch die Entwicklung von Adhäsivkräften, welche von neu exprimierten Zelladhäsionsmolekülen (Uvomorulin D E-Cadherin) ausgehen Kompartiment – compartiment allgemein: abgegliederter Raum; in der Entwicklungsbiologie oft der Raum, den die Abkömmlinge einer Gründerzelle (Klon) einnehmen und nie verlassen Kompetenz – competence Vermögen zu einer bestimmten Entwicklung; Fähigkeit, auf bestimmte entwicklungssteuernde Signale zu reagieren Lampenbürstenchromosomen – lampbrush chromosomes besondere Struktur der Chromosomen in transkriptionell aktiven Oocyten laterale Inhibition – lateral inhibition Hemmung, die von einem Ort ausgeht und seitlich in die Nachbarschaft wirkt Ligand – ligand allgemeine Bezeichnung für ein Molekül, das spezifisch an einen molekularen Rezeptor gebunden wird. Beispiele: Hormone, Duftstoffe maternal – maternal mütterlich, vom mütterlichen Elternteil bestimmt oder ausgehend Maternaleffekt-Mutationen – maternal-effect mutation Mutation eines Gens des mütterlichen Organismus, die sich im Kind auswirkt Meiose, Meiosis – meiosis Reifeteilung. Zwei nacheinander geschaltete Zellteilungen besonderer Art, durch welche der diploide Chromosomensatz einer Ausgangszelle so verteilt wird, dass vier haploide Zellen (Gone) entstehen. Findet bei tierischen Organismen in der Entwicklung der Gameten, d. h. der Eizellen und Spermien, statt Meistergen – master gene Gen, das die Aktivität anderer Gene kontrolliert. Auch Selektorgen genannt Mesenchym – mesenchyme lockere, nicht epitheliale Ansammlung von nicht voll ausdifferenzierten Zellen, zumeist mesodermalen Ursprungs Mesoblast – mesoblast s. Mesoderm Mesoderm – mesoderm mittleres „Keimblatt“. Zusammenhängende Zellschicht und/oder lockere Zellgruppen, die nach der Gastrulation zwischen Außenschicht (Ektoderm) und Innenschicht (Entoderm) des Keims anzutreffen sind und zur Herstellung innerer Organe und Gewebe gebraucht werden. Typische, aus dem Mesoderm hervorgehende
Glossar
Gewebe und Zellen sind Bindegewebe, Muskelzellen und Blutzellen, bei Wirbeltieren auch Knorpelund Knochenzellen Metamorphose – metamorphosis Umwandlung eines Organismus von einem larvalen Zustand (larvaler Phänotyp) in das definitive Erscheinungsbild (imaginaler oder adulter Phänotyp) Metagenese – metagenesis Lebenszyklus, bei dem eine sich ungeschlechtlich fortpflanzende Form mit einer Form abwechselt, die sich geschlechtlich fortpflanzt. Man spricht auch von einem metagenetischen Generationswechsel Metastase – metastasis Tochtergeschwulst, Tochtertumor midblastula transition – Etappe in der Entwicklung eines Keims, speziell der Amphibienblastula, in der der Keim nicht mehr ausschließlich maternale Genprodukte in Anspruch nimmt, sondern seine eigenen Gene zur Produktion von Genprodukten aktiviert Mitose – mitosis Art der Zellteilung, bei der beiden Tochterzellen das gleiche und komplette Genom zugeteilt wird Morphogen – morphogen Substanz, welche die räumliche Ordnung der Zelldifferenzierung und damit indirekt die Gestaltbildung beeinflusst und kontrolliert. Nach der Vorstellung von A. Turing, der den Begriff prägte, soll die räumliche Konzentrationsverteilung eines Morphogens bestimmen, wo welche Struktur entsteht und dadurch eine Musterbildung (s. Musterbildung) bewirken (z. B. SHH, Biciod) Morphogenese – morphogenesis Gestaltbildung morphogenetisches Feld – morphogenetic field Bezirk im Keim, aus dem (weitgehend durch Selbstorganisation) eine komplexe Struktur, z. B. eine Extremität oder ein inneres Organ, hervorgeht und das anfänglich regulative Eigenschaften besitzt: bei einer Teilung des Feldes entstehen zwei solcher Strukturen (z. B. Extremitäten) Mosaikentwicklung – mosaic development, determinative development: Vorstellung, die Entwicklung eines Keims werde (weitgehend) durch das Verteilungsmuster cytoplasmatischer Determinanten bestimmt Müller’scher Gang – Müllerian duct embryonaler Vorläufer des Eileiters multipotent – multipotent viele Entwicklungsmöglichkeiten habend. Synonym: pluripotent
Glossar
Musterbildung – pattern formation Vorgänge, durch die wohlgeordnete und reproduzierbare räumliche Muster verschieden differenzierter Zellen entstehen Myotom – myotome Teil des Somiten, aus dem die (quergestreifte) Muskulatur des Rumpfes und der Extremitäten hervorgeht Neuralleiste – neural crest Umrandung der Neuralplatte; nach der Bildung des Neuralrohrs die Zellreihen beidseitig des Neuralrohrs Neuralleistenzellen – neural crest cells Zellen am Rande der Neuralplatte bzw. entlang des Neuralrohrs, die auswandern und aus denen u. a. das periphere Nervensystem sowie die Chromatophoren der Haut hervorgehen (s. Kap. 15; Kap. 16) Neuralplatte, Neuralrohr – neural plate, neural tube Die erst flächige, dann röhrenförmige Anlage des Zentralnervensystems der Wirbeltiere, aus der das Gehirn und das Rückenmark hervorgehen Neuroblast – neuroblast Vorläufer einer Nervenzelle Neurotrophine – neurotrophins sezernierte Proteine, welche die Entwicklung und das Überleben von Nervenzellen fördern Neurula – neurula Keim im Stadium der Neurulation Neurulation – neurulation Bildung zunächst der Neuralplatte und daraus des Neuralrohrs, aus dem das Zentralnervensystem hervorgeht Notochord – notochord embryonaler Rückenstab (Rückensaite), im dt. Schrifttum meistens als Chorda dorsalis bezeichnet obere Urmundlippe – upper blastopore lip oberer Rand des Urmundes der Amphibiengastrula, den Spemann-Organisator enthaltend Ontogenie – ontogeny Entwicklung eines Individuums von der befruchteten Eizelle bis zu seinem Tod Oogenese – oogenesis Entwicklung einer Eizelle Oocyte – oocyte frühe Entwicklungsstufe einer Eizelle, unreife Eizelle Organisator – organizer Bezirk eines sich entwickelnden Systems (beispielsweise einer Gastrula oder eines regenerierenden Körperteils), der durch Aussenden von Signalsubstanzen (Induktoren, Morphogene) die weitere Entwicklung in seiner Nachbarschaft steuert Organogenese – organogenesis Organbildung orthologe Gene – orthologous genes Gene, welche in verschiedenen Organismen (z. B. Fliege, Maus) vorkommen und eine hohe Übereinstimmung ihrer Basensequenzen aufweisen. Werden als Erbstücke
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eines gemeinsamen Vorfahren betrachtet. Vergl. paraloge Gene orthologe Organe/Körperteile – orthologous organs Organe/Körperteile verschiedener Organismen, die als homolog betrachtet werden, z. B. Brustflossen der Fische, Vorderextremitäten der Landwirbeltiere, Vogelflügel, Fledermausflügel. Vergl. paraloge Organe Ovulation – ovulation Eisprung, Freisetzung einer herangereiften Eizelle aus dem Ovar, bei Wirbeltieren in den Eileiter hinein paraloge Gene – paralogous genes Gruppe von Genen, welche eine hohe Übereinstimmung in ihrer Basensequenz zeigen (Genfamilie) und in ein und demselben Organismus vorkommen. Werden als in der Evolution zustande gekommene Vervielfältigungen eines einzelnen Urgens betrachtet paraloge Organe/Organanlagen – paralogous organs Organe oder Organanlagen, die sich in ein und demselben Organismus wiederholen und gleichartige Entstehungsweise haben, z. B. Vorder- und Hinterextremitäten, Reihe der Somiten Parthenogenese – parthenogenesis von griech.: parthenos D Jungfrau, genesis D Entstehen, Zeugen. Jungfernzeugung. Entwicklung eines Eies ohne Befruchtung durch ein Spermium paternal – paternal väterlich, vom väterlichen Elternteil bestimmt oder abgeleitet Phänotyp – phenotype Erscheinungsbild einer Zelle oder eines Organismus, Summe seiner ausgeprägten Eigenschaften, im Unterschied zu seinem Genotyp (genetische Ausstattung) Phylogenie – phylogeny Stammesgeschichte, Evolutionsgeschichte einer Tiergruppe phylotypisches Stadium – phylotypic stage Stadium in der Entwicklung einer Tiergruppe, besonders der Wirbeltiere, in der die Merkmale des Tierstammes erkennbar sind und in der die Embryonen der verschiedenen Mitglieder eines Tierstammes ein hohes Maß an Übereinstimmung in ihrer Morphologie und inneren Organisation zeigen Plazenta – placenta von der extraembryonalen Hülle (Trophoblast, Chorion) des Säugerkeims gebildetes Organ zum Austausch von Atemgasen und Substanzen mit dem mütterlichen Organismus. Bei der Geburt als Mutterkuchen aus der Gebärmutter ausgestoßen pluripotent – pluripotent viele Entwicklungsmöglichkeiten habend. Synonym: multipotent
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PNS – PNS peripheres Nervensystem, bestehend aus Spinalganglien (s. Ganglion), sympathischem Nervensystem mit Grenzstrang des Sympathicus und Eingeweideganglien sowie den Nervennetzen des Magen-Darm-Traktes Polkörper – polar bodies bei den Reifeteilungen (Meiose) einer Eizelle abgeschnürte Miniaturtochterzellen der Eizelle. Werden in der Regel am animalen Pol der Eizelle abgeschnürt und gehen zugrunde Polzellen – pole cells Zellen am hinteren Pol eines Drosophila-Embryos, aus denen die Urkeimzellen hervorgehen Positionsinformation – positional information Lageinformation, durch die Zellen oder Zellgruppen ihre Lage im Keim mitgeteilt bekommen. Diese Information kann von benachbarten Zellen ausgehen oder von ferneren Morphogensendern (wobei nach der von L Wolpert formulierten Theorie der Positionsinformation die örtliche Morphogenkonzentration Lageinformation vermitteln könnte) Primitivknoten – (primitive) node Verdickung am Vorderrand einer Primitivrinne auf der Keimscheibe eines Vogel- oder Säugerkeims. Funktionell dem Spemann-Organisator des Amphibienkeims entsprechend. Beim Vogelkeim auch Hensen-Knoten genannt, bei Säugern im Englischen node Primitivrinne – primitive groove Rinne auf der Ventralseite des Insektenkeims oder auf der Keimscheibe eines Vogel- oder Säugerkeims, durch die künftige Mesodermzellen von der Oberfläche (Blastoderm, Epiblast) unter die Oberfläche abwandern. Dem Urmund entsprechend (bei Insekten nur teilweise) programmierter Zelltod – programmed cell death Apoptose Promotor – promotor eine vor dem codierenden Bereich eines Gens liegende Basenfolge, die als Bindungsstelle für die RNA-Polymerase und für aktivierende oder suppressive Transkriptionsfaktoren dient Reifeteilung – meiosis s. Meiose Selektorgene – selector gene Gen, das eine Auswahl anderer Gene aktiviert oder inaktiviert. Synonym: Meistergen Signaltransduktion – signal transduction Ereigniskette zur Überführung einer Botschaft vom Zelläußeren über die Zellmembran hinweg ins Zellinnere. Kommt in Gang, wenn ein externes
Glossar
Signalmolekül (Ligand) an Membran-verankerte Rezeptormoleküle bindet Sklerotom – sclerotome Bereich des Somiten, aus dem die Wirbelkörper hervorgehen Soma, somatisch – soma, somatic (zum) Körper mit Ausnahme seiner Fortpflanzungszellen (gehörend) Somiten – somites Zellpakete im phylotypischen Stadium der Wirbeltiere, in zwei Reihen beidseitig der Chorda entlang des Halses und Rumpfes (bis in die Schwanzspitze) angeordnet. Aus den Somiten gehen die Wirbelkörper hervor (Sklerotombezirk der Somiten), die Körpermuskulatur (Myotom-Bezirk) und die Unterhaut (Dermatom-Bezirk) Spemann-Organisator – Spemann-organizer Bezirk in der Amphibienblastula/frühen Gastrula knapp oberhalb des künftigen oder sich eben bildenden Urmundes, benannt nach dem Zoologen Hans Spemann; dieser Bezirk hat die Fähigkeit, nach Transplantation in eine andere Blastula die Bildung eines zweiten (siamesischen) Embryos zu induzieren. Sender mehrerer Signalsubstanzen Sperma – sperm Samen, Masse von Spermien Spermatogenese, Spermiogenese – spermatogenesis Entwicklung der Spermien Spermatozoon, Spermium – spermatozoon, sperm (cell) einzelne Samenzelle Spezifikation – specification richtungsweisende, erste Programmierung eines Entwicklungsweges, die jedoch noch keine irreversible Festlegung des Schicksals impliziert. In einer neutralen Umgebung wird das Programm realisiert, in anderer Umgebung ist es noch veränderbar (im Unterschied zu einer erfolgten Determination) Teratocarcinom – teratocarcinoma Ungeordnete Zellmasse, hervorgegangen aus unbefruchteten oder befruchteten Keimzellen; stark missgebildeter Embryo, welcher Eigenschaften eines bösartigen Tumors entwickelt. Entsteht im weiblichen Säuger, wenn sich eine Blastocyste an einem falschen Ort (Eileiter, Bauchhöhle) einnistet, im männlichen Säuger aus Urkeimzellen, die im Hoden eine Embryonalentwicklung starten (Hodenkrebs) teratogen – teratogenic Missbildungen auslösend Teratom – teratoma stark missgebildeter Embryo, einem (gutartigen) Tumor ähnelnd Totipotenz, totipotent – totipotency, totipotent mit allen Entwicklungsmöglichkeiten ausgestattet Transdetermination – transdetermination Änderung des Determinationszustandes einer Zelle oder
Glossar
Zellgruppe in einen anderen Determinationszustand. Umprogrammierung der Entwicklung, z. B. einer Bein-Imaginalscheibe in eine FlügelImaginalscheibe bei der Fliege Transdifferenzierung – transdifferentiation Rückbildung eines Differenzierungszustandes und Entwicklung eines neuen, anderen Zustandes, z. B. Umwandlung einer Muskelzelle in eine Nervenzelle Transformation – transformation – Umwandlung einer Zelle in eine Krebszelle (canceröse, neoplastische oder onkogene Transformation) – Einführen einer nackten DNA in eine Zelle (genetische Transformation) Transgen, transgen – transgene, transgenic ein in eine Zelle oder einen Organismus eingeschleustes, fremdes Gen bzw. ein solches fremdes Gen in sich tragend Transkription – transcription Herstellen einer RNAKopie von einer DNA-Region, im typischen Fall von einem Gen Transkriptionsfaktor – transcription factor Protein, das an die Promotor- oder Enhancer-Region eines Gens bindet und die Herstellung einer RNA-Kopie des Gens steuert Transposon – transposon mobile DNA-Stücke, die mit Hilfestellung durch das Enzym Transposase ihren Ort im Genom verändern können. Auch als springendes genetisches Element bezeichnet triploblastisch – triploblasic In der Embryonalentwicklung lassen sich drei Zellschichten (Keimblätter), Ektoderm, Entoderm und Mesoderm, ausmachen Trophoblast – trophoblast äußere, zellige Wand der Blastocyste der Säuger, die in direkten Kontakt zum mütterlichen Gewebe der Gebärmutter kommt und aus der extraembryonales Gewebe, d. h. die Trophoblastzotten und schließlich auch die Plazenta, hervorgehen Urdarm – archenteron Anlage des Magen-DarmTraktes Urmund – blastopore Ort, an dem während der Gastrulation Zellen ins Keimesinnere einströmen. Bleibt Eingang zum Urdarm (nicht immer), wird jedoch bei den Deuterostomiern (Seeigel, Tunikaten, Wirbeltiere) nicht zum Mund, sondern zum After Urkeimzellen – primordial germ cells noch diploide, vermehrungsfähige Vorläuferzellen der Keimzellen
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Uterus – uterus s. Gebärmutter Vegetalisierung, Vegetativisierung – vegetalization Beeinflussung eines Keims, z. B. einer Seeigelblastula, derart, dass ein vergrößerter Magen-DarmTrakt auf Kosten dorsaler Keimteile entsteht vegetativ – vegetal im Bereich des vegetativen Eipols befindlich oder vegetative Organe (Magen-DarmTrakt) betreffend vegetative Fortpflanzung – vegetative reproduction Ungeschlechtliche, d. h. nicht über eine befruchtete Eizelle erfolgende Fortpflanzung visceral – visceral den Bereich der Eingeweide betreffend. Auch gebraucht, um die Bereiche ventral des Schädels (Pharynxregion D Rachen, Kehlkopfbereich) zu kennzeichnen Vitellinmembran – vitelline membrane Nicht-zelluläre Membran um die Eizelle, bei Säugern Zona pellucida genannt Vitellogenine – vitellogenines Proteine, die im mütterlichen Organismus, bei Wirbeltieren in der Leber, produziert werden und in der Eizelle als Dottermaterial eingelagert werden Vorkerne – pronuclei Bezeichnung des Eikerns und des Spermienkerns vor ihrer Fusion zum Zygotenkern Wolff’sche Linsenregeneration – Wolffian lens regeneration Regeneration der Augenlinse aus der Iris bei Amphibien Wolff’scher Gang – Wolffian duct embryonale Anlage des Harn- und Samenleiters im Wirbeltierembryo Zellzyklus – cell cycle Ereignisse von Zellteilung zu Zellteilung, gegliedert in die Phasen G1, S, G2 und Mitose. In der S-Phase wird die DNA repliziert, sodass die Chromosomen verdoppelt und in der Mitose auf zwei Tochterzellen verteilt werden können Zelldifferenzierung – cell differentiation Begriff mit doppelter Bedeutung: – Unterschiedlichwerden von Zellen im Vergleich zueinander durch Divergenz der Entwicklungswege und – inviduelle Zellentwicklung, die bei ausgereiften (terminal differenzierten), voll funktionstauglichen Zellen endet ZNS – CNS Zentralnervensystem, bestehend aus Gehirn und Rückenmark Zona pellucida – zona pellucida Nicht-zelluläre Hüllschicht um das Säugerei
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ZPA, Zone polarisierender Aktivität – zone of polarizing activity Bereich am Hinterrand der Flügelknospe, der als Signalsender die Reihenfolge der Finger (mit-)bestimmt Zygote – zygote befruchtete Eizelle zygotische Gene – zygotic genes Gene des Embryos selbst, im Unterschied zu Genen der Mutter (maternale Gene)
Englisch – Deutsch Es sind hier nur englische Bezeichnungen aufgelistet, die deutlich von den im deutschen Schrifttum gebräuchlichen wissenschaftlichen Begriffen abweichen und daher möglicherweise nicht sogleich in obiger Liste Deutsch – Englisch oder in gängigen Lexika gefunden werden (in Klammern: im deutschen Schrifttum nur selten gebrauchte Ausdrücke) Archenteron – Urdarm (Archenteron) blastodisc – Keimscheibe blastopore – Urmund (Blastoporus) branchial arches – Kiemenbögen, Schlundbögen branchial pouches – Kiementaschen, Schlundtaschen budding – Knospung CAM, cell adhesion molecule – Zelladhäsionsmolekül cleavage – Furchung clone – Klon cloning – das Klonieren CNS, central nervous system – Zentralnervensystem commitment – endgültige Determination committed – endgültig determiniert compartment – Kompartiment ECM – extrazelluläre Matrix endoderm – Entoderm (Endoderm) fate map – Anlagenplan fertilization – Befruchtung (Fertilisierung) floor plate – Bodenplatte; ventraler Teil des Neuralrohrs germ – Keim germ band – Keimstreif (Keimband) germ layers – Keimblätter germ plasm – Keimplasma
Glossar
germinal vesicle – Keimbläschen ICM, inner cell mass – innere Zellmasse in der Blastocyste der Säuger imaginal discs – Imaginalscheiben inducer – Induktor lampbrush chromosomes – Lampenbürstenchromosomen master gene – Meistergen maturation – Reifung midblastula transition – kein dt. Ausdruck im Gebrauch molt – Häutung N-CAM, neural cell adhesion molecule – neurales Zelladhäsionsmolekül neural crest – Neuralleisten node – Primitivknoten im Säugerkeim notochord – Chorda (Notochord) organizer – Organisator ovary – Ovar positional information – Positionsinformation, Lageinformation PNS, peripheral nervous system – peripheres Nervensystem pattern formation – Musterbildung phenotype – Phänotyp polar bodies – Polkörper, Richtungskörper primitive groove – Primitivrinne primordial – anlagenmäßig, Ausgangs-. . . , Ur-. . . primordial germ cells – Urkeimzellen pronuclei – Vorkerne (Pronuclei) rudiment – Anlage, Ausgangsmaterial shield – Embryonalschild, synonym zu node testes – Hoden umbilical cord – Nabelschnur, Nabelstrang upper blastopore lip – obere Urmundlippe vegetal – vegetativ vegetalization – Vegetativisierung, Vegetalisierung vertebral column – Wirbelsäule visceral arches – Schlundbögen, Visceralbögen, Kiemenbögen Wolffian – Wolff’sche . . . , benannt nach C. F. Wolff yolk – Dotter yolk sac – Dottersack
Literaturverzeichnis
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Kapitel 19: Wachstumskontrolle, Krebs Bücher, Sammelwerke
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Kapitel 20: Metamorphose
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Bei der riesigen Zahl laufend publizierter Artikel beschränkt sich die folgende Liste auf einige beispielhafte Referenzen zum Thema Stammzellen und Krebs. Therapeutische Aspekte müssen hier weitgehend unberücksichtigt bleiben.
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Sachverzeichnis
Seitenzahlen mit A = Abbildung Seitenzahlen in fett; Definitionen, ausführliche und wichtige Erklärungen kursiv Name einer Tierart oder eines Gens
A abd-A, Abd-B, 104A, 346A, 347, 536A, 537A Abtreibung, s. Schwangerschaftsabbruch Acetylierung, 340, 360, 363, 367, 565 Achaete scute Complex ASC, 249, 354, 406, 417, 549 Achsendetermination, 73A (Hydra), 79 (Drosophila), 240A (Vogel), 241A (Hydractinia), 534A, 547A (vergleichend); s. auch Körperachsen, Bilateralsymmetrie, Polaritätsachsen Achsenorgane, 123, 126, 136, 137, 149, 150, 239, 348, 456, 563 ACTH, 211 Actinotrocha, 503 Activine, 257, 264, 308A, 311 Adenocarcinom, 495 Adenohypophyse, 184, 185A, 189, 194, 409A, 410A, 423, 507, 509, 514 Adenom, 498, 495 Adenosin, 68 Adenylatcyclase, 65, 305; s. auch cAMP-PKA-System Adhäsion; s. Zelladhäsion Adhäsionsgürtel, 265, 299 Adoleszenz, 33 Adultus, Adultform, 9, 15, 16, 17, 19, 27, 33, 133, 503, 505, 506, 514, 548; s. auch Imago Aequorea victoria, 336 AER apical ectodermal ridge, 273A, 274, 563 AFP, Alpha-Fetoprotein, 175 Aggregat, Aggregation, Reaggregate, 64, 65A, 66, 67A, 69, 70, 71A, 73, 75, 89, 109, 136, 139, 189, 270, 283A, 284, 286, 286, 287A, 386, 387A, 388, 393, 414, 445, 449A, 450A, 472, 473, 493, 563 Akrosom, Akrosomfilament, Akrosomreaktion, 36, 37A, 38A, 39A, 43A, 50, 230, 231A, 232A,563 Aktivierung des Eies, s. Eiaktivierung Allantois, 140, 141A, 142, 145A, 146A, 150, 156, 157 A, 183A, 222, 223, 233, 396A, 397, 443A, 449, 563 Allel(e), allgemeine Bedeutung, 3, 11–17 Alpha-Fetoprotein AFP, 175 Altern, 374, 472, 485, 493, 495, 517–523 Amboss, 188A, 192, 398 Ambystoma, Axolotl, 16, 112A, 489, 504A, 505
AMDF Anti-Mullerian duct factor, 199, 200A, 203, 207, 217, 308A, 312, 561 Ammenmutter, 46, 169, 372, 373A, 374, 375, 380A, 382, 469; s. auch Leihmutter Ammenzellen, 86A, 92, 93, 96, 229, 236, 366 Amnion, Amnionhöhle, 138, 141A, 142, 144A, 145A, 146A, 148A, 150, 155A, 156A, 157A, 158A, 160, 162, 163A, 164A, 175–178, 182A, 183A, 192, 193, 563 Amnionbildung, Faltenamnion, Hohlraumamnion, 182A, 183A Amnioten, 137, 138, 150, 183A, 563 Amniozentese, 175, 178 Amphibien, Embryonalentwicklung, 8, 21, 22, 23A, 27, 31, 41, 42, 49, 50, 60, 111–133, 115A, 116A, 120, 122A, 182A, 239, 248, 436A, 507A Amphibien, Metamorphose, 114A, 504A, 507A, 511 Amphibolurus muricatus (eine Eidechse), 197 Amphioxus Branchistoma, 112A, 181, 189, 528A, 532, 534A, 536A, 537A, 538, 546, 556 Amphistoma, Amphistomatheorie, 546, 549, 550A Amplifikation der rDNA, 113, 225, 228A, 233; von Genen: 233, 364; des Genoms: 342, 343, 364, 365 Amygdala, Mandelkerne, 214, 411A Anämie, 466 Androgene, 203, 205A, 206A, 207, 208, 209, 210, 211, 214, 216 Androgenitales Syndrom, 210 Androstendiol, Androstendion, 205A Aneuploidie, 173, 176, 495; s. auch Trisomie Angioblasten, 397, 445, 446A, 447, 448, 449A, 450A, 455, 456, 462 angiogene Faktoren, 309A, 313, 449, 450, 451A, 452, 453, 455, 456, 496 Angiogenese, 447–452, 449A, 450A, 451A, 452A, 455 Angiopoietine, 451 Angiostatin, 453 Animalculisten, 6 Animale-Kappentest (animal cap assay), 128A, 257, 405A animaler Pol, 20A, 21, 59, 115A, 229A, 237A, 547A, 562 Animalisierung, 58, 563 animal-vegetative Eiachse, Polarität, 21, 22, 55, 57, 58A, 60, 62, 114, 120, 136, 229, 236, 238, 239, 263, 546 Aniridia, 351, 353 Anneliden, 15, 54A, 80, 82, 83A, 84A, 109, 196, 197, 223, 224, 286, 315, 318, 344, 421A, 503, 528A, 530, 533, 535, 536, 541, 549, 551, 559; Augen, 552, 553A, 555A, 556; Furchung: 23A, 24A, 25A; s. auch Platynereis 613
614 Antennapedia, Antennapedia, 102, 104A, 110, 322, 327, 345, 349–350, 366, 530, 531, 539 Antennapedia-Complex, Antp-C, 91A, 102, 104A, 105A, 110, 345, 346A, 367 Anthozoa, Anthozoen, 45A, 75, 77, 482, 528A, 542A, 543, 545, 548; s. auch Nematostella anti-angiogene Faktoren, 451A, 453, 496 Antibabypille, 168, 172, 209, 212 Anti-BMPs, 128, 130A, 131A, 254A, 405 Antigenrezeptoren, Antikörper, 263, 303, 332A, 337A, 339, 364, 383, 388, 389A, 462, 465, 468A Antisense-DNA, 334A Antisense-Oligonukleotide, 330A, 332, 333 Antisense-RNA, 328, 329A, 331, 332A, 333, 334A, 337A, 342, 356 Anti-WNTs, 128, 130A, 131A, 254A, 255, 256A, 261, 535 Aorta, Aortenbogen, 119A, 121A, 453A,454A AP-1 Transkriptionsfaktor, 499 APC adenomatous polyposis coli, 498, 499 APC-Faktor der Signaltransduktion, 306A, 309A Aphis fabae Bohnenblattlaus, 14, 15A apikaler Wimpernschopf, Apikalorgan..55, 56A, 546, 547A aPKC, 244A, 412 Apoptose, 28, 33, 79, 309A, 312, 313, 342, 392–393, 393A, 394, 439A, 440, 443, 493, 496, 498, 499, 500, 501, 502, 520, 563 apterous Gen, 272A APX-1, 80A Äquivalenz, genomische, 235, 339, 364, 366 Arachidonsäure, 299, 304A, 315 Araschnia levana Landkärtchen, 512A, 504A, 505 Archenteron, 25, 55, 116, 571; s. auch Urdarm Archicoelomaten, 56 Area pellucida, 229A, 379A, s. auch Zona pellucida Area-code Hypothese, 432 Argonaut-Protein, 223, 333, 357A Argosomen, 301, 302A aristaless, al Gen, 271, 272A, 549 Aristoteles, 2, 4–5, 69, 111, 137, 445 Aromatase, 205A, 206A, 207, 211, 213, 217 Array, 326, 329A, 330A, 331, 332 Arterien(system), 453A Arthropoda, Arthropoden, 6, 54A, 100, 101, 231, 286, 315, 344, 351, 421A, 479 (Regeneration), 528A, 541 Arthropoden-Evolution, 530, 538, 539A, 541, 542A, 549, 550A, 551, 557, 559 Articulare, 188A, 399A Articulata, 528A, 541 As-C, s. Achaete-scute complex Ascaris suum, 80, 366 Ascidia, Ascidien (Seescheiden), 7, 24A (Furchung), 54A, 107–108, 108A, 110, 181, 224, 236, 242A, 243, 245, 246, 528A; s. auch Tunikaten Asexuelle (ungeschlechtliche) Fortpflanzung, 10–13, 479 Aspermie, 169 Astrocyt(en), 414, 415A, 441, 495 Asymmetrie(achse), 62, 107, 236, 239A; s. auch Polaritätsachse, Körperachsen, Links-rechtsAsymmetrische Zellteilung, 29, 32A, 79, 80A, 223, 236, 243, 244A, 246, 412, 413A, 442, 459 ATF animalizing transcription factors, 60, 62A
Sachverzeichnis Atlas, 187A, 193, 348, 367 Atonal -Transkriptionsfaktor, 406, 417 Augen Drosophila/Arthropoden, 252A, 290, 351, 352A, 353, 355, 358 Augen, ektopische, überzählige, 351–353, 352A Augenbecher aus Stammzellen, 471A, 472 Augenentwicklung, -felder, -becher, -blase, 120, 132A, 190, 258, 351, 259, 407A, 408A, 409A, 417, 429, 430A, 431A, 432, 473, 484, 550, 552 Augenevolution, Augentypen, 530, 552–557, 553A, 554A, 555A; Komplexauge 553A; Mensch 554A, Octopus 554A; everse, inverse 554A Augenlider, 160, 162A, 192 Augenlinsen-Induktion, -Entwicklung, 132A, 160, 182, 259, 290, 423, 431A Augenlinsen-Proteine, 592, 559 Augenlinsen-Regeneration, 484A, 492, 571 Aurelia aurita, 14A (Lebenszyklus), 26 (Furchung), 54A, 504A Aussonderung, Aussortierung, sorting out, 66, 69, 250, 387A, 394 Autokatalyse, 278A, 353, 354A, 356 autokrine Faktoren, Sekretion, Stimulation, 295–296, 295A, 317, 495, 499 autonome Entwicklung, 28, 30, 31, 60, 81, 107, 108, 109, 243–246, 416 Autonomes Nervensystem, 117, 407, 424A, 425A, 442 Autophosphorylierung, 305, 308A, 309A Autosomen, 174A, 197, 198, 209, 217 Autotomie, 479 Axis (Wirbelkörper), 187A, 348 Axolotl, Ambystoma, 16, 112A, 489, 504A, 505 Axon, Axonales Wachstum, 264, 337A, 415A, 422, 425, 426, 427A, 428–439, 430A, 431A, 433A, 434A, 442; s. auch Wachstumskegel Axonale Regeneration, 436A, 439–440 Azadirachtine, 511
B Barr-Körper, 362A, 367 Basalganglien, 409A, 411A Basallamina, 77, 243, 413A, 449, 450A, 460A, 471, 543 Bauchganglienkette, Bauchmark, 87, 88A, 89A, 99, 101A, 249, 418A, 420, 421A (Gene), 541, 550A, 551, 559 Bauchhöhlen-Schwangerschaft, 154, 378, 479 BDNF, brain-derived neurotrophic factor, 417, 439 Befruchtung, extrakorporale, 155, 169, 376, 474A Befruchtung, 1, 6, 7, 12, 13, 16, 17, 19, 20A, 22, 33, 35–40, 37A, 38A, 39A, 42A, 43A, 45, 50, 53, 56A, 107, 108, 138, 154A (Mensch) Befruchtungshügel, 39 Befruchtungsmembran, 38A, 41, 43A Beinregeneration, 490A benigne, 495 Besamung, 35, 40, 53, 55, 78, 87, 169 (künstliche) beta-Catenin, ˇ -Catenin, 60, 61, 62, 73, 75, 77, 109, 124, 125, 129A, 130A, 131, 135A, 149, 205–206. 217, 239A, 240, 241A, 245, 253, 255, 265, 283, 284. 290, 306A, 306–307, 309, 310, 311, 338A, 406, 486A, 487, 500, 534A, 535A, 546, 547A, 560 beta-Galactosidase-Gen lacZ, 325A, 336, 337A, 438
Sachverzeichnis bFGF basic fibroblast growth factor, 451, 561 bHLH-(basic helix-loop-helix)-Motiv, 337, 344A, 353, 354, 355, 367, 406, 417, 543, 562 bicaudal, Bicaudal, 92, 95, 96 bicoid, Bicoid, 21, 91–98, 91A, 94A, 95A, 97A, 98A, 103A, 104A, 109–110 Bicoid-Gradient, 93, 94A, 96, 97A, 98A, 103A Biene, Bienendrohn, 40, Biene, Methylierung bei der Kastenbildung, 363–364 Bilateralsymmetrie, 20A, 22, 113, 56–57, 62, 92, 113–114, 115A, 117A, 131A, 132, 229, 236, 257A, 238, 239A, 240, 241, 264, 267, 294, 486A, 487, 534A, 538, 542A, 543–545; s. auch Biradialsymmetrie, Körperachsen Bilateria, 45A, 528A, 533, 537A, 538, 541, 543, 545, 548, 549, 563 bimaternale Fortpflanzung, 147, 171 Bindin, Bindinrezeptoren, 37, 38A, 42A, 43A biogenetisches Grundgesetz, 6, 181A, 193, 525 Bioreaktoren, 472 Biotest (bio assay), 127, 257–258, 400 biparentale Fortpflanzung, 10, 11, 13, 14, 16, 40 Biradialsymmetrie, 545 bisexuelle Potenz, 196–197, 200, 216 Bisphenol A, 213 Bithorax-Komplex BX-C, 102, 104A, 105, 110, 345, 346A, 367 Bithynia, 83 Blastem, 487, 488A, 489A, 490, 491, 563 Blastocoel, 23A, 25, 33, 55, 61, 115, 123, 138A, 155, 156A, 385, 386A, 563 Blastocyste, 5, 25, 46, 143, 144A, 145, 150, 154, 155A, 156A, 157A, 178, 181, 182, 193, 210, 235, 240, 248, 363, 365, 372, 373A, 374, 375, 376, 377A, 378, 380A, 381, 382, 383, 384, 459A, 469, 473, 474A, 475, 476, 500, 526, 563 Blastoderm, allgemein (ohne Drosophila), 25, 26, 27, 33, 55, 56A, 115, 116, 130–136 (Fisch mit 134A,135A), 181, 249, 385, 563 Blastoderm, plasmodiales, syncytiales (Drosophila), 87, 88A, 89A, 90, 91A, 96, 97A, 98A, 99, 100A, 101A, 103A, 250, 271, 272A, 287A, 337A, 420A, 506, 542A Blastomeren, 7, 8, 22, 25A, 30, 32, 49, 55, 56A, 57, 58A, 59A, 79, 81, 83, 107, 120, 124, 125, 127, 129A, 134A, 143, 144A, 155A (Mensch), 178, 219, 235, 242A, 243, 253, 315, 333, 362, 370A, 371, 372, 388, 563 Blastoporus, 57A, 75, 115, 116A, 118A, 131A, 281, 404A, 534A, 546, 547A, 563; s. weiter Urmund Blastula, 23A, 25, 26A, 33, 55–64, 56A, 58A, 59A, 61A, 62A, 63A, 77, 11, 113„ 115, 116A, 117A, 122A, 123, 124, 127, 128A, 129A, 130A, 148, 155A, 181, 239A, 241, 245, 248, 253, 257, 258, 262, 269, 294, 310, 311, 312, 353, 376, 385, 403, 404A, 405A, 479, 481, 563 Blattlaus, Fortpflanzungszyklus, 14, 15A Blumenbach Johann Friedrich, 6 Blutgefäße, 27, 121A, 142, 148, 156, 157, 160, 164, 189, 223, 296, 311, 313, 318, 388, 389, 390-392, 392A, 394, 397, 398, 417, 444–456, 445A, 448A, 449A, 450A, 451A, 452A, 454A, 445A, 462, 457A, 468, 494, 505, 518, 522, 544 Blutgefäßprothesen, 472 Blutinseln, 146A, 158A, 397, 443A, 449A, 455, 462
615 Blutkreislauf, embryonaler, 4, 153, 186A, 190, 228, 441, 444, 445A, 453A, 454A; Umkonstruktion, 445A Blutzellen, 462–470, 463A, 464A, 457A, 472, 480, 481, 491, 495, 521 BMP, BMP-Familie, 60, 62A, 74A, 100, 108, 127–129, 130A, 131A, 132, 135A, 137, 149, 241A 242, 254A, 255, 256A, 257A, 258, 260–264, 273, 276, 286, 290, 291, 294, 299, 300, 301, 308A, 311, 318, 392, 403, 404A, 405A, 416A, 417, 419A, 441, 486A, 487, 534A, 542A, 549, 550A, 551, 559, 561 Bodenplatte (des Neuralrohrs, floor plate), 260A, 419A, 428A, 438, 572 Bohnenblattlaus, s. Aphis fabae Bonellia viridis, 197 Bonnet Charles, 6 boss, bride of sevenless, 251, 252A Botryllus schlosseri, 397, 479, 481 Boveri Theodor, 7, 8, 21, 58, 219, 221, 366 Boyden-Kammer, 401A Brachyury, Brachyury, 63, 74A, 75, 125, 130A, 137, 184, 284, 311, 543, 545, 547A Branchialbögen; s. Kiemenbögen branchiogene Organe, 185A, 189, 563 Branchiostoma, Amphioxus, Lanzettfisch, lancelet, 23 (Furchung), 56, 112A, 181, 185, 528A, 532, 536A, 537A, 538, 556 Brenner Sydney, 9, 78 BROAD, 510 Bronchi(ol)en, 392A Brown Ethel, 69, 281 BST Bed nucleus of stria terminalis, 2149 Bulbus olfactorius, Riechhirn, 159A, 337A, 410A, 411A, 437, 441, 442 Bursicon, 508A, 511 BX-C, s. Bithorax-Komplex B-Zellen, B-Lympocyten, 303, 339, 364, 376, 460, 464A, 465, 466, 467A B-Zellenrezeptor, 468A; s. auch Antikörper
C Cactus-Protein, 99, 100A Cadherin-E (Uvomorulin), 143, 390 Cadherine, 248, 266A, 285A, 286, 296, 296, 388, 389A, 393. 400, 414, 429, 490 Caenorhabditis elegans, C. elegans, 9, 13, 40, 54A, 78–82, 79A, 80A, 108, 109, 145, 196, 198, 219, 222A, 223, 224, 233, 238, 242, 243, 244A, 249, 253, 322, 323, 333, 356, 358, 392, 519, 520, 521, 528A, 533, 550 Calcium-abhängige Adherine, s. Cadherine Calcium-Signale, -Transients, 42A, 48, 50, 61, 66A, 265, 291, 305, 309, 311 CAM, cell adhesion molecules, 129, 248, 296, 297A, 388–390, 388A, 393, 394, 427A, 428, 429, 437, 494, 572 cAMP, 65, 66A, 67A, 68, 286, 299, 304A, 305, 318 cAMP-PKA-System, 304A, 305 Canalis neurentericus, 160 cancerogen, carcinogen, 494, 495, 497, 498 Cancerogenese, 497–502 Capitella (Annelida), 83, 536, 537 Carcinogenese, 501
616 Carcinom, 213, 460A, 495; s. auch Teratocarcinom Cardiomyocyten, 472, 473, 474, 549 Cartesianisches Koordinatensystem, 256A, 257A, 264, 432 caudal-Gen, Caudal-Protein, 94, 96, 97A, 98, 110 CB chromatoid bodies, 223 CCM cellular memory module, 368, 360, 361A, 368 CD34,CD19, 462, 470 CDC cell division cycle, 47A, 48, CDK cyclin-dependent kinase, 47A, 48, 50 cDNA, 258, 327, 328, 329A, 330A, 331, 333, 334A, 335, 352A cDNA-Subtraktion, 328 Cell lineage, Zellgenealogie, 78, 80A, 399A Centriol, Centriolenpaar..38A, 39A, 41, 44, 45A, 46, 147, 251A, 257 Centrosom..23, 42, 43, 45A, 46, 49, 50, 147, 232A, 238, 244A, 364, 558 cerberus, Cerberus, 128, 129A, 130A, 131A, 149, 254A, 255, 256A, 261, 264, 290, 404A, 406, 407 Cerebellum, Kleinhirn, 337, 407A, 408, 410A, 412, 414, 422A, 442 cGMP, 36, 42, 299, 555A, 556 Chabry Laurent, 6 Chaetopterus (ein Annelide), 83 chairy, hairy, hes, HES, 288A, 289, 312, 337A, 417 Chaperone, 518, 529 Chd1 Gen, 459 Chemoaffinitätstheorie, 432 Chemokine, 295, 299 Chemotaxis, chemotaktische Signale, 36, 65, 67A, 69, 109, 223, 273, 294, 295, 296, 297A, 299, 391, 400A, 401A, 425, 434A, 433A, 451A, Chemotherapie, 154, 469 Chiasma opticum, 410A Child Charles, 8, 264 Chimären, 120, 142, 148, 210, 376–380, 377A, 380A, 383, 500, 564; Mutter-Kind-Chim.: 163, 469 Choane(n), 185A, 192 Choanoflagellaten, 54A, 313, 315, 533 Cholesterol, 314A, 315 Chondrocyten, Knorpelzellen, 29, 472, 474A, 478, 480 Chorda, Notochord, 49, 63, 75, 107, 108A, 115, 117, 119A, 120A, 121A, 123, 124, 125, 126, 128A, 131A, 132, 134A, 136, 139A, 141A, 145A, 146A, 149, 150, 158A, 160, 180, 183, 184, 190, 193, 239, 253, 255, 258, 260A, 261, 288A, 289, 290, 395A, 400A, 404A, 525, 526, 556, 559, 563 Chordakanal, 160, 391 Chordata, Chordaten, 54A, 55, 56, 63, 1107, 108, 110, 112A, 181, 183, 224, 481, 528A, 536, 537, 547A Chordin, 62A, 99, 128, 129A, 130A, 131A, 132, 135A, 137, 149, 254A, 255, 256A, 290, 403, 404A, 405, 406, 407, 416, 441, 542A, 549, 550A, 551 Chordozentese, 176 Chorea huntington, 232 Chorion, Insekt, 22, 86A, 87, 88A, 90, 96, 100A, 229, 237A, 365, 229, 237A, 564 Chorion, Säugetier, Mensch, 22, 156A, 162, 164A, 370A, 564 Chorion, Vogel, 141A Choriongonadotropin, 174, 175 Chorionhöhle, 156A, 157A, 162, 163A Chorionzotten, 156A, 157A, 162, 163A, 182A, 183A, 193
Sachverzeichnis Chorionzottenbiopsie, Plazentabiopsie, 176 Chromatiden, 10, 11A, 47, 225, 366 Chromatin, 44, 47, 172, 219, 232, 233, 251, 301, 335, 360, 361A, 564, 566, 364, 368, 393A, 459 Chromatindiminution, -elimination, 81, 219, 221, 364, 366, 393A Chromatin Euchromatin, 362 Chromatin Heterochromatin, 142, 302, 363, 367, 368, 399 Chromatin-Methylierung, 232, 359, 360A, 361A, 375; s. auch Epigenetik Chromatin-Modifikation epigenetische, 107, 232, 233, 234, 321, 358, 359–364, 366, 374, 375, 475, 476, 477, 478, 496, 565 Chromatin-Verdichtung, 232A, 233, 301, 361A, 363; s. auch Heterochromatisierung, Chromatoid bodies CB, 223 Chromatophoren, 347, 363, 398A, 402 Chromo-Domäne, 363 Chromosomen Geschlechtschromosomen, Autosomen, Heterosomen, 78, 173, 197, 202, 217 Chromosomen Sammelchromosomen, 219, 366 Chromosomen X-, Y-, W-, Z-Chromosom, 147, 163, 176, 198, 202, 203A, 204A, 207, 215, 217 Chromosomen, 2, 7, 8, 10, 11A, 12, 13, 16, 17, 19, 41, 46, 47A, 48, 55, 80, 86, 110, 113, 135, 143, 146, 148, 152, 195, 202 Chromosomenanomalien, 167, 168A, 170, 173, 176, 177, 178, 202, 209; s. auch Trisomie Ciliäre Photorezeptoren, 553A, 554A, 555A, 556, 557, 560 Ciona intestinalis (eine Ascidie), 24A (Furchung), 54A, 365, 479, 524A Cladenoma radiatum (ein Hydrozoon), 54A, 528A, 544 Clunio marinus (eine Mücke), 513 Clytia.(ein Hydrozoon), 26A (Furchung) Cnemidophorus uniparens (eine Eidechse), 41 Cnidaria, Cnidarier, 9, 10, 14, 16, 17, 22, 26A (Furchung), 27, 54A, 60, 69, 71, 75, 77, 78, 109, 224, 240, 245, 261, 282, 284, 291, 309, 310, 313, 318, 336, 345, 406, 478, 479, 481, 482, 485, 503, 514, 515, 527, 528A, 533, 534A, 535A, 537A, 538, 542A, 543, 545, 546, 547A, 548, 549, 557, 560; s. auch Hydra, Hydractinia, Nematostella Coeloblastula, 26A Coelom, Coelomepithel, 23A, 27, 33, 56, 57A, 61A, 63, 118, 120A, 121A, 149, 156, 199, 205, 541, 564 Coelom, extraembryonales, Exocoel, 145A, 146A, 148A, 156A Collagen, 400, 529 (Isoformen) Collagenase, 433A, 509 Collapsine, 428 Columella, 188A, 398, 399, 505 Commitment, 28, 29A, 30, 245, 359, 465, 564, 567 Conklin EG, 7, 21 Connecting link, 541 Constraints, 184, 526 Contact-mediated guidance, Kontaktführung, 400 Contergan, 171, 453 Cornea, Hornhaut, 132A, 259, 427A, 429, 431A, 484A, 554A, 556 Corona radiata, 154 Corpora allata, 506, 508A, 511, 514, 567 Corpora cardiaca, 508A, 509
Sachverzeichnis Corpora mamillaria, 411A Corpus callosum, Balken, 410A, 411A, 429 Corpus geniculatum laterale, seitl. Kniehöcker, 430, 534A Cortex als Eicortex, Eirinde, 87, 94, 114, 115, 124, 237A, 244A; s. auch corticale Rotation Cortex der Gonade, 201A, 203, 224 Cortex der Nebennierenrinde, 189 Cortex des Gehirns, 208, 224, 408, 409, 412A, 413A, 414A, 440, 558; Neocortex: 408, 409, 410, 411A, 430, 442 Corticalgranula, 37A, 38A, 39A, 42A, 43A, 44 Corticalrotation, Ei(cortex)rotation, 115A, 124, 131, 237A, 238, 239A, 240A, 253, 255, 269, 564 Cortisol, 189, 211, 358, 426A, 511 Cortunix cortunix, Wachtel, 399 CpG-Inseln (auf der DNA), 360A CRABP, cellular RA-binding protein, 317 Cranialganglien, 185A, 186A, 408A, 411, 412, 423 Cre/lox-System, 324, 325A, 336, 383 Cre-Rekombinase, 325A, 336, 337, 380A, 381, 382A Crick Francis, 9, 340 Crossing-over, Crossover, 11A, 13, 195, 202, 203A, 226A, 325A, 531A Ctenophora, 542, 545, 567 Cubitus interruptus Ci, 314A Cyclin(e), 47A, 48, 50, 564 Cytokine, 48, 295, 457, 468, 491 Cytoneme, 302A, 303, 318 Cytoplasmatische (ooplasmatische) Segregation, 20A, 22, 32A Cytoplasmatische Determinanten, Information, 2, 7, 9, 21, 28, 29, 30, 32A, 58, 60, 80, 81, 93, 107, 108A, 115A, 135A, 219, 236, 242A, 243, 244A, 245, 247–248, 564, 568 Cytotrophoblast, 156A, 164A
D Dachsous-Cadherin-Gradient, 266A-267, 285A, 286, 490 Danio rerio, Zebrabärbling, 112A, 133–136, 134A, 135A, 149, 224, 239, 322, 365, 412, 413, 528A Darmzotten, -villi, 451, 459, 460A, 480, 491 Darwins Dilemma, 552 Dauerblastula, 57, 58A DDRT-PCR, 328, 331 DDT, 212, 213 Deaminierung, 518 Decidua, 156, 162 Dedifferenzierung, 480, 483A, 487, 488A, 492, 564 default option, 130, 198, 217, 251 Deformed, Dfd -Gen, 104A, 346A, 421A, 536A, 537A Delamination, 26A, 33 Delta, 80A; s. weiter Notch/Delta-System Demethylase, 363, 375 Denaturierung, 172, 457, 529 Dendritische Zellen, 303, 463A, 464A, 465–466, 518 Denominatoren, 198 Dentale, 188A, 399A Dentalium, Zahnschnecke, 7, 83 Depletionsmodell, 286, 287A Depurinisierung, 518 Dermatom, 118A, 121A, 260A, 395A, 399, 564
617 Determinanten, cytoplasmatische, 2, 7, 21, 28, 29A, 32A, 49, 50, 60, 81, 93, 107, 108, 125, 564 (s. auch maternale Determinanten, Keimplasma) Determination allgemein, 28, 29A, 30–31, 32A, 33, 49, 78, 105–107, 107A, 120, 129, 220, 222, 223, 233, 242–246, 248, 278, 295, 308, 339, 340, 357, 358, 359, 365–368, 401, 406, 433, 479, 506, 564; s. auch Geschlechtsbestimmung, Transdetermination Determination der Körperkoordinaten, Achsendetermination, 73, 92, 114, 115A, 117A, 136, 237A, 240A, 241A, 308, 534A; s. auch Bilateralsymmetrie Determination der Urkeimzellen, 219, 220, 221, 223, 233 Determination von Zelltypen, 242, 243–246, 249, 339, 401, 406, 423, 465, 467, 474 Determinationsfaktoren, 295, 317 Determinationszustand, 30, 46, 105–107, 136, 340, 353, 358, 359, 360, 362, 367 Deuterostomia, Deuterostomier, 23A, 26A, 54A, 55, 57, 108, 112A, 115, 239, 257, 281, 282, 310, 479, 524A, 533, 537, 541, 543A, 546, 547A, 550A, 559, 560 Diacylglycerol, DAG, 42, 44, 75, 282, 283, 304A, 305, 319 Diapause, Diapausepuppen, 510, 511, 512A, 513, 564 dicephalic-Mutante, 92A DICER, 333, 334A, 357A dickkopf, DICKKOPF, 128, 129A, 130A, 131A, 135A, 149, 254, 255, 256A, 285, 261, 264, 290, 306A, 335, 404A, 406, 407 Dicrocoelium lanceolatum, kleiner Leberegel, 16 Dictyostelium discoideum, 64–69, 65A, 67A, 68A, 78, 108, 286, 287A, 385, 528A Diencephalon, 132, 159A, 259, 399, 407A, 408, 408A, 409A, 410A, 422A, 429, 431A, 442 Diethylstilbestrol, DES, 172, 213 DIF, differentiation-inducing factor, 68 differenzielle Adhäsion, 116, 385, 386, 387A, 390, 394 differenzielle Genaktivität, Genexpression, 28, 326, 331, 339, 343A, 366 Differenzierung, differenzieren, 2, 7, 12, 27, 28, 29A, 30, 33, 48, 49, 50, 60, 64–69, 71, 72, 77, 81, 93, 105, 107, 109, 120, 127, 128, 129, 130, 133, 143, 149, 160, 192, 221, 224, 226, 230, 233, 235, 236, 243, 245, 245247, 249, 257, 258, 262, 264, 277, 278, 290, 293, 284, 296, 318, 322, 321, 327, 332, 333, 339, 340, 342, 343, 344, 353, 358, 363, 366, 367, 375, 399A, 400A, 405A, 412, 414, 415A, 416–417, 423, 426, 457, 458, 450A, 451, 465, 473, 474A, 475, 476, 477A, 481, 482A, 493, 494, 498–501, 517, 539, 542, 571 Differenzierung, ortsgemäße, 31, 120–122, 348, 280, 366, 423, 486 Differenzierungsfaktoren, 257, 295, 317, 333, 457, 468, 471A, 494 Differenzierungsmarker, 224, 322, 432, 472, 472 Diffusion, erleichterte, 299 Diffusion, gelenkte, kanalisierte, 298A, 299, 300 Diffusion, 32, 58, 65, 97, 248, 260, 263, 265, 276, 278–279, 287A, 297–301, 298A, 312, 318, 493 Digoxygenin, 331, 332A Dihydro-Testosteron, 205A (Formel), 209, 216 diözisch, 196 Diploblastie, diploblastisch, 21, 33, 54A, 71, 528A, 542, 543, 544A, 560, 564
618 diploid, 3, 11A, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 19, 20A, 21, 22, 35, 37A, 40, 41, 44, 45, 46, 49, 50, 86, 105, 135, 143, 145, 147, 152A, 170, 171, 195, 226A, 227, 340, 365, 378, 383, 506, 563 Dissoziation, dissoziieren, 69, 71A, 75, 283A, 385, 393, 405A, 488, 492, 494 distale Transformation, 490 Distal-less, Dll, 271, 272A, 549 DNA, allgemein..2, 9, 21, 341A, 357A DNA, complementary, copy DNA, cDNA, 258, 327, 328, 329A, 330A, 331, 333, 334A, 335, 352A DNA, fremde, 533 DNA, maternale, paternale, 44, 45 DNA, mitochondriale DNA, mtDNA, 44, 45, 48, 50, 341A, 519, 522 DNA, Müll-DNA, junk-DNA, 340, 533 DNA, nicht-proteincodierend, non-coding, 2, 341A, 342, 357A, 365, 557 DNA, ribosomale, rDNA, 113, 225, 228A, 233, 363, 541 DNA, Telomer-DNA 341 DNA-bindende Domänen, 60, 92, 102, 126, 133, 202, 317, 338A, 344A, 350, 351, 353, 354A, 355–356, 367, 510, 562 DNA-Chip, Microarray, 327, 328, 329A, 330A DNA-Gehalt, Menge, 82, 143, 169, 227, 341A, 365, 366 DNA-Hybridisierung, 331, 329A, 330A, 566 DNA-Methylierung, 147, 234, 340, 359, 360A, 361A, 375 DNA-Polymerase, 375, 518, 519, 520 DNA-Reparatur, 335, 379, 384, 495, 500, 502, 518, 521 DNA-Replikation, 44, 47, 86, 172, 228, 235, 343A, 359, 361A, 499, 500, 518, 519, 523; s. auch Zellzyklus DNA-Schäden, Strangbrüche, 500, 518, 558 DNA-Sonden, 176, 260, 329A, 330A DNA-Test, 341 DNA-Tumorviren, 498, 502 Dolly, 372, 374 Dominanz, posteriore, 345, 347A, 367 Dominanzbänder, Dominanzsäulen, 414, 434A, 440, 538 Doppler-Sonographie, 175 Dormanz, 511, 512 dorsal (dl) DORSAL, 96, 98, 99, 100A, 101A Dorsalin, 419A Dorsalisierung, 126A Dotter, Dottermaterial, 5, 6, 21, 22, 86, 87, 89, 134–140, 142, 149, 150, 181, 182, 213, 225, 226A, 228, 229, 564, 571 Dottergranula,-plättchen, 86, 113, 152A, 228, 229A, 233, 236 Dottersack, Fisch: 134A, Vogel: 140, 141A, Maus: 145A, 146A, 148A, Mensch: 152, 156A, 157A, 158A, 160, 182A, 183A (primärer, sekundärer); 222, 233, 397, 448A, 449, 455, 462, 564 Dottersackhöhle, 156A, 157A Down-Syndrom, 173, 174, 175 dpp, DPP Decapentaplegic, 99, 101A, 254A, 255, 256, 261, 263, 264, 271, 272A, 290, 301, 302, 308, 311, 542A, 543, 549, 550A, 551, 559, 561 Driesch Hans, 7, 8, 21, 30, 57, 58, 248 Drosophila melanogaster, 8, 9, 21, 54A, 84–110, 85A (Lebenszyklus), 109–110 (Zusammenfassung), 528A Drosophila, Augenentwicklung: 251A, 351, 352A, 367, 557 Drosophila, cytoplasmatische Determinanten, 245,
Sachverzeichnis Drosophila, Embryonalentwicklung inkl. genetische Steuerung: 24A, 88–104, 88A, 89A, 91A, 92A, 93A, 94A, 95A, 97A, 98A, 100A, 101A, 102A, 103A, 321–322, Drosophila, Epigenetik, polycomb, trithorax: 359, 360, 368 Drosophila; Genetik allgemein: 322–324, 324A, 327, 335, 337A, 354, 355, 357, 358, 359, 365, 416, 549; homötische Gene, Hom/Hox-Gene 344–348, 346A, 347A, 350, 355, 367, 421, 530, 536A, 537A, 539; (pro)neurale Gene: 406, 417, 418A, 420A, 421; Drosophila, Geschlechtsbestimmung, 198–199; Drosophila; Imaginalscheiben: 105A, 106A, 110, 271, 272A, 301, 302, 307, 351, 352A, 358, 359, 505, 506A, 557, 567; Drosophila, Körperachsendetermination, 236–238, 237A, 245, Drosophila, Musterbildung., Morphogene, Signalmoleküle, 249, 250A, 251, 254A, 256, 260, 261, 262, 263, 264, 265, 267, 271, 272A, 286, 287A, 290, 301, 302, 307, 311, 312, 315, 542A, 551 Drosophila, Oogenese, 86A, 92A, 229, 237A Drosophila, Postembryonalentwicklung, Metamorphose, 104A, 105A, 106A, 505. 506A Drosophila; Riesenchromosomen: 343, 366; Drosophila; Spermatogenese, Spermium: 230, 231, 232A Drosophila; Transdetermination: 107, 110, 358; Drosophila; Transformation, homöotische: 102, 103, 105A, 107, 337A, 348, 349, 366, 566 Drosophila; Urkeimzellen, Polplasma, Keimbahn, 219, 221, 222A, 224, 225, 233, 396A, 397 dsRNA, 82, 333, 334A Ductus botalli, 166, 454A, 455A Duftrezeptoren, 436, 437A, 442 Dugesia gonocephala, tigrina u.a, 54A, 481, 486A, 487, 528A Dünndarm-krypten, -villi. -zotten, 315, 459, 460A, 461, 480 Duplikation, evolutive von Strukturen, Körperteilen, 270A Duplikation, evolutive von DNA-Sequenzen, Genen, 37, 307, 345, 346A, 526, 531, 532A, 535, 537A, 538, 559
E Ecdysis, Häutung, 511, 541, 564 Ecdysis-triggering hormone ETH, 508A, 511 Ecdyson, Ecdysteron, 105, 338A, 383, 508A, 509A, 510, 511, 513, 515, 541, 564 Ecdyson-Rezeptor EcR, 510 Ecdysozoa, 54A, 224, 421, 528A, 533, 536A, 537A, 538, 541, 559 ECH Eclosionshormon, 508A, 509A, 511 Echinodermata, 37, 49, 54A, 55, 63, 108, 256, 479, 481, 503, 528A, 547A; s. auch Seeigel Echinus esculentus, 24A, 53, 54A, 528A ECM, extracelluläre Matrix, 297A, 298A, 299, 300, 318, 388, 389A, 391, 400, 417, 428, 566 Eco-Evo, 539 EcR, Ecdysonrezeptor, 510 Effektorgene, 350, 353, 366 EGF, EGF-Familie, epidermal growth factor, 249, 297, 310, 312, 313, 318, 319, 461, 489 eGFP, enhanced green fluorscent protein, 263, 382A EGFR, 301, 318, 489 EGF-repeats, 249
Sachverzeichnis Ei(cortex)rotation, 115A, 124, 131, 237A, 238, 239A, 240A, 253, 255, 269, 564 Ei, s. Eizelle Eiaktivierung, 22, 37, 41–44, 42A, 43A, 45, 46, 50, 53, 55, 152, 238, 304A Eicortex, Eirinde, 87, 88A, 94, 114, 115A, 124, 237A, 239, 244A, 564 Eierstock, s. Ovar Eileiter, 36, 87, 138, 143, 146, 150, 154, 155A, 169, 193, 199A, 200, 201A, 207, 217, 230, 239, 240, 312; s. auch Müllersche Gang Eileiterschwangerschaft, 169, 170, 235, 378, 500 Einnistung, Implantation, Nidation, 143, 144A, 155A, 156A, 166, 178 Eireifung, 20A, 56A; s. auch Meiose Eisprung, Ovulation, 153A, 154, 155A, 166A, 168, 172, 230, 569, 230 Eizelle, allgemein, 1, 2, 7, 8, 11A, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 19, 20A, 21, 22, 28, 29A, 31, 33, 35, 36, 37A, 38A, 39A, 40, 41, 42A, 43A, 44, 45, 46, 49, 50, 170, 171, 195, 196, 201, 202, 209, 213, 219–233, 220A, 221A, 226A, 229A, 235, 236, 247, 335, 339, 362, 363, 364, 374, 376, 378, 379A, 383 Eizellen einzelne Organismen, Seeigel 55, 58, 60; Hydractinia 74, 76A, 241A; C. elegans 78, 79, 242, 243; Drosophila 85A, 86A, 88A,; Ascidien 108A, 110, 242A; Amphibien 115A, 116A, 117A; Fisch 134A; Hühnchen 137A; Maus 379A, 381; Mensch 152A, 155A; s. auch Oocyte Eizylinder, 146 Ektoderm, 23A, 26A, 27, 33, 56. 57A, 61A, 63, 69, 70A, 71, 77A, 88A, 90, 99, 101A, 117, 118A, 119A, 121A, 122, 127, 129, 132A, 135, 136, 139A, 140, 145A, 146A, 149, 156A, 182, 185A, 190, 387, 395A, 422, 423, 542, 544, 545 Ektodermderivate, 121A, 185A; s. auch Linse, Plakoden ektopisch, Bedeutung, 240, 253 Elektrofusion, 372 Elektroporation, 326, 332, 333, 334, 335, 336, 382, 489, Embroid bodies, 471A, 473 Embryoblast, innere Zellmasse, 143, 144A, 145A, 150, 155A, 157, 564 embryonale Induktion, s. Induktion, Organisator Embryonalschild, Schild (shield), 134A, 136, 137, 150, 253, 290, 564 Embryonen der Wirbeltiere, Vergleich, 181A, 182A Embryonenschutzgesetz, 169, 177, 178–179, 376, 475, 178 ems, empty spiracles-Gen, 98A, 421A EMX, 417, 421A, 551A Emys orbicularis, Sumpfschildkröte, 197, 521 Endocytose durch Oocyten, 86A, 113, 152A, 228, 229A, 333 Endocytose von Faktoren/Morphogenen, 263, 298A, 300, 301, 306A, 318, 425 Endogamie, 10, 40, 41 endokrine Disruptoren, 172, 209, 212–214 endokrine Faktoren, Signale, 295A, 296, 299, 317, 398 Endometrium, 153A, 166, 168 Endostyl, 189 Endothel, Endothelzellen, 388, 445, 447, 448, 449A, 450A, 462, 468, 472 engrailed (en), 90, 91A, 101, 102A, 104A, 272A, 421A
619 Enhancer eines Gens, 2, 49, 96, 103, 283, 322, 352A, 358, 361, 367, 565 Enhancer-of-split, espl, 249, 289, 417, 418 ENS, s. Enterisches Nervensystem Entelechie, 12, 16 Enterisches Nervensystem, ENS, 398, 403, 407, 442, 542 Enterocoelbildung, 23A, 56 Entocodon, Glockenkern, 543, 544A Entoderm, viscerales, 145A Entoderm, 23A, 25, 26A, 27, 33, 56, 69, 70A, 71, 77, 80, 83, 88A, 101A, 108A, 116, 118A, 119A, 121A, 131A, 135, 136, 138, 139A, 140, 141A, 144A, 145A, 146A, 149, 156A, 387, 388, 395, 396A, 469A, 481 Entodermderivate, 119, 121A, 149, 150, 185A, 186A, 190, 417 Entwicklung, autonome, abhängige, 28, 30, 31, 60, 81, 107, 108, 109, 243–246, 416 Entwicklung, direkte, indirekte, 19, 543 Entwicklung, herkunftsgemäße, ortsgemäße, 31, 120–122, 122A Entwicklung, Mosaik-, 21, 28, 81, 107, 120, 243, 244, 246, 249, 253, 479, 568 Entwicklung, regulative, 49, 120, 243, 245, 246, 371 Entwicklungsetappen, 19–28 Ependym, Ependymzellen, 412, 413A, 414A, 442 Ephrine, Ephrin-Familie, 296, 310A, 313, 319, 389, 400, 417, 429, 432, 433A, 434A, 435, 451A, 455 EPH-TK, Ephrin-Rezeptor-Tyrosinkinasen, 313, 389, 429 Ephyra, 14A, 504A, 505 Epiblast, 27, 134A, 135A, 136, 138, 139A, 140, 142, 143, 144A, 145A, 150, 156A, 160, 182, 183A, 193, 289, 395 Epibolie, 26A, 33, 116, 134A, 135, 149, 565 Epidermis, Epidermiszellen, 27, 29A, 99, 101A, 119A, 121A, 132, 182, 249, 250A, 251, 259, 273, 312, 387A, 403, 405, 416, 417, 416A, 459, 484A, 488A, 489, 503, 506A, 542, 543, 544, 545 Epidermoblast(en), 99, 249, 250A Epigenese (ursprüngl. Begriff)..5, 6, 565 Epigenese, Epigenetik (heutige Bedeutung), 565 Epigenetik, epigenetische Chromatinmodifikation, 107, 232, 233, 234, 321, 358, 359–364, 366, 374, 375, 475, 476, 477, 478, 496, 565 epigenetische genomische (maternale, paternale) Prägung, 46, 147, 148, 171, 215, 219, 232, 234, 364, 368, 375 epigenetische Genstilllegung, 359, 363, 366, 362, 375, 475, 476, 498, 499, 502472 epigenetische Modifikation und Altern, 518, 522 epigenetische Modifikation und Klonen, 374 epigenetische Modifikation und Krebs, 496, 498, 499, 500, 502 epigenetische Modifikation und Umwelt, 363, 364, 368 epigenetisches Gedächtnis, Zellheredität, 359, 361A, 364, 367, 368, 375 Epimorphose, 480, 481, 488A Epipharyngeale Plakoden, 408A Epiphyse, Pinealorgan, 409A, 410A, 556 Epithalamus, 409, 410A Epithelkörper, 189 Epitrachealdrüsen, 508A, 511 Erbkrankheiten, 176–178 (Pränataldiagnostik), 232 (Chorea huntington), 521 (Progeria) ERK Signaltransduktionselement, 310A Erythroblast, 28, 340, 359, 464A, 467, 494, 505
620 Erythrocyten, 28, 163, 165A, 340, 366, 449, 458, 463A, 464A, 465, 466, 467 Erythropoietin, 296, 310A, 467, 491 ESP, equatorial segment protein, 38 Espl-C, enhancer-of-split complex, 249, 289, 417A, 418 EST’s expressed sequence tags, 327, 554, 565 ES-Zellen,embryonale Stammzellen, ESC, 224, 372. 373A, 379.380A, 381, 382A, 384, 471A, 472, 473, 474A, 565 ETH Ecdysis-triggering hormone, 511 Euchromatin, 362 Eumetazoa, 54A, 240, 354, 528A, 533, 538 Eustachische Röhre, 188, 191 Evagination, 390, 391A, 394, 506 eve, even skipped, 91A, 101, 102A, 103A, 104A, 278A Evertebraten, s. Wirbellose Evo-Devo, 192, 525–557 Exocoel, extraembryonales Coelom, 145, 146A, 148A, 156A Exogastrula, 59 Exon-Intron, 326A, 340, 532, 536 Exon-shuffling, 532 Explantate, 111, 257, 405, 434A Expression, ektopische, 240, 333, 351, 367, 422 Expression, Genexpression allgem.Definition, 2, 28 Expressionsscreening, 331 Expressionssystem, induzierbares, 325, 338A, 384, 476 Expressionswellen, 288A, 289, 349 extraembryonale Strukturen, Organe, 22, 138, 142, 145, 148, 154, 155, 157A, 182, 183A, 192, 232, 565; s. auch Trophoblast, Plazenta extraembryonales Coelom, 156 extraembryonales Mesoderm, 322, 449, 462 Extrakorporale Besamung, Befruchtung, 155, 169 Extrazelluläre Matrix, s. ECM Extremitäten-Insekten, Entwicklung, Regeneration, 90, 105, 106A, 107, 271, 272A, 285A, 286, 322, 349, 350, 351, 358, 362, 367, 490, 506A Extremitäten-Insekten, Evolution, 538, 539A Extremitäten-Wirbeltiere, Entwicklung, 9, 118, 142, 158A, 159A, 180, 261, 263, 290, 312, 317, 348, 349A; Flügelknospe 271–277, 273A, 274A, 275A Extremitäten-Wirbeltiere, Regeneration, 479, 488A, 489A, 491A, 492A eye-less (ey), EY, 321, 351, 353, 355, 549, 562 eyes absent, 555A
F Fasciclin, 427A, 429 Faszikulation, 429 FAT-Cadherin, -Gradient, 266A, 267, 285A, 286, 490 fate map, 61A, 563 Feminisierung, testikuläre, 207, 211 Fertilisation, in vitro, 169, 178 Fertilisation, 6, 33, 35–40, 76A (s. weiter Befruchtung) Fertilität, Infertilität, 206, 212–213 Fetoskopie, 176 Fetus, Fötus, Definition, 143, 165, 565 Fetus, Mensch, 159A, 162A, 163A, Fetus, weiteres, 5, 176, 178, 211, 221A, 225, 438, 454, 469, 472, 476, 519
Sachverzeichnis FGF, FGF-Familie, 74A, 127, 128A, 130A, 132, 149, 205, 256A, 257, 261, 264, 265, 273, 274, 276, 288A, 297, 298A, 299, 300, 312–313, 318, 349, 391, 392A, 404A, 405, 416, 417, 426,A, 428, 485, 489, 540 FGF-10, 271, 273A, 348, 349, 423 FGF-2, -3, 313, 423 FGF-4, 286, 404, 405 FGF-8, 137, 263, 268, 269, 271, 273A, 274, 301, 420, 422, 423, 446, 490 FGF-9, 204A, 205, 206, 209 FGFR, 74A, 75, 284, 307, 309A, 319, 327, 532 Fibroblasten, 273, 312, 353, 354, 399A, 475, 476, 477A, 496 Fibroblasten-Stammzelle, 461A Fibronectin, 296, 297A, 386, 400, 428, 455 FISH, Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung, 169, 176 Flaschenhalszellen, 115, 118A, 386A Flügelknospe, s. Extremitäten Foci, 312, 496, 500 Follikel, Follikelzellen, Drosophila, 86A, 92A, 96, 100A, 229, 230, 238, 245, 364 Follikel, Follikelzellen, Wirbeltier/Mensch, 36, 152, 153A, 154, 155A, 166A, 201A, 203, 204A, 206A, 221, 228, 229A, 230, 374 Follikelsprung, 230, s. auch Eisprung Follistatin, 128, 131, 255, 256A, 261, 404A, 416 Foramen ovale, 447, 455A, 456 Fornix, 411A Fortpflanzung, asexuelle, uniparentale, vegetative, 1, 10–11, 13, 16, 369, 370, 370, 383, 479 Fortpflanzung, sexuelle, biparentale, 3, 10–17, 35, 195–200, 216, 232, 364, 375, 376, 523 Fortpflanzungsorgane, 199, 200; s. auch Hoden, Ovar, Genitalien Fortpflanzungsweisen, 10–13, 15A, s. auch Endogamie, Hermaphroditismus, Klonen, Metagenese, Parthenogenese Fortpflanzungszyklen, 216, s. weiter Lebenszyklen fos, 499 Frizbee, 128, 131, 255 Frizzled (fz), 80A, 81, 104A, 127, 265A, 305A, 307, 309, 311, 401A Frosch Rana, Embryonalentwicklung, 111, 115, 116A Frosch Rana, Metamorphose, 491A, 507A Frosch, Krallenfrosch; s. Amphibien, Xenopus Fruchtbare Tage, 154A Fruchtwasser, 157, 164A, 563 Fruchtwasseruntersuchung, 175–178 FSH (ICSH), Follikel-stimulierendes Hormon, 152, 153A, 206A, 216, 304A, 561 Fundatrix, 14, 15A Furchung, allgemein, Furchungsweisen, 12, 22, 23, 24A, 25A, 27, 33 Furchung, Amphibien, 116, 117A Furchung, Ascidie, 108 Furchung, Caenorabditis elegans, 80A Furchung, Drosophila, 87, 88A Furchung, Fisch, 134A Furchung, Hydractinia, 76A Furchung, Maus, 143, 144A Furchung, Mensch, 155A Furchung, Seeigel, 56A
Sachverzeichnis Furchung, Spiralier, 82A Furchung, Vogel, 138A fushi tarazu ftz, 91A, 101, 102A, 103A, 104A, 357, 359, 421A gain-of-function Allele, Mutationen, 321, 350, 367, 498 gain-of-function Experiment, 353
G GAL4, 351, 352A GAL4/UAS-Expressionssystem, 351 Galaktosyltransferase, 389 Gallerthülle (jelly layer), 36, 37A, 38A, 42, 53, 55, 111 Gallus gallus domesticus, Hühnchen, 112A, 137, 186, 399, 528A Gameten, 6, 11, 12, 13, 14, 16, 17, 19, 71. 174A, 195, 196, 363, 367, 565; s. auch Eizellen, Spermien, Gametogenese, 19, 33, 45, 198, 219–234, 226A Gamon, 36, 50 Ganglioside, 300 Gap junctions, 32A, 265, 298A, 299, 300, 318. 390 Gastraea-Theorie, 546 Gastrodermis, 27, 542, 543 Gastrovaskularkanäle, 542 Gastrula, 23A, 33 Gastrulation allgemein, Gastrulationsweisen...23A, 25, 26A, 27, 31, 33, 47, 50, 181, 248, 267, 270, 290, 348, 385, 363, 395, 406, 534A, 542, 544, 545, 546, 547A, 560 Gastrulation, Amphibien, Xenopus: 111, 115–117, 116A, 118A, 122, 123A, 124, 125A, 126A, 127, 128, 129, 130A, 133, 149, 150, 253, 254A, 255, 256A, 258, 262, 264, 268A, 269, 290, 311, 348, 386A, 387, 404A, Gastrulation, Drosophila, 87, 88A, 89A, 101A, 109, 249 Gastrulation, Fisch: 135A, 136A Gastrulation, Maus: 145A, 150 Gastrulation, Mensch: 150, 157A, 158, 181, 182, 193 Gastrulation, Seeigel: 54, 55, 57A, 58, 60, 62, 63A Gastrulation, Vogel: 139A, 160 Gbx-Gen, 421A G-CSF granulocytes colony-stimulating factor, 468 GDNF, 392A Gebärmutter, 143, 145, 150, 154, 155A, 156, 160, 162, 163A. 164A, 165, 166, 169, 172, 177, 179, 182, 193, 235, 373A, 376, 382, 478, 565, s. auch Uterus Gehirn Insekt, 89A, 105, 418A, 420A, 421A Gehirn Mensch, Gehirnabschnitte, 407A, 409A, 410A, 411A, 422A Gehirn Mensch, Sexualdimorphismus, 208–214 Gehirn Mensch, Wirbeltiere, Entwicklung, 1, 29, 117, 120A, 121, 127, 132, 136, 149, 160, 168, 170, 171, 172, 184A, 185A, 190, 207, 256, 259, 290, 311, 337A, 351, 379A, 387A, 402A, 403, 406–423, 407A-431A, 432, 433A-437A, 440–443; Gehirnnerven, 187, 408A, 422, 423, 545 Gehörbläschen, 408A Gehörgang, 185A, 192, 194 Gehörknöchelchen (Hammer, Amboss, Steigbügel), 188, 188A, 190, 192, 194, 402 Gelbkörper, 153A, 155A, 166A, 206A Gelee royal, 363, 364 Gen, Gene, Allgemeines, 2, 3, 10, 11A, 12, 13 Genaktivität, Genexpression, allgemein, 566,
621 Genaktivität, Genexpression, differenzielle, 28, 339–358, 343A, 345A, 347A, 360 Genaktivität, Genexpression, Regelung, Steuerung, 296, 312, 316A, 317, 352A, 354A, 356, 360, 382, 383, 515; s. weiter Transkriptionsfaktoren, Epigenetik Genamplifikation, 233, 364 Genduplikation, Genverdoppelung, 37, 307, 345, 346A, 526, 531, 532A, 535, 537A, 538, 559 Gene silencing, Gen-Stilllegung, 107, 215, 359–363, 360, 361A, 362A, 367, 368, 498, 502 Gene, Effektorgene, 350, 353, 366 Gene, entwicklungssteuernde, 7, 85–110, 321–366 Gene, homologe, orthologe, paraloge, 420, 345, 531 Gene, Maternaleffektgene, 87, 91A, 92, 96, 98 Gene, Meistergene, Selektorgene, 90, 91A, 92, 196, 344, 353, 354, 355, 357, 429, 530, 531, 552, 568, 570 Gene, mitochondriale, 44, 50, 232, 341, 375, 383 Gene, neurogene, 354, 355, 367, 406, 416–424, 418A, 420A, 421A, 549 Gene, nicht-proteincodierende, 341A, 357A, 365 Gene, Nomenklatur, 321 Gene, proteincodierende, 64, 69, 85, 109, 341, 342, 358, 365, 427, 557 Gene, Pseudogene, 531 Gene, ribosomale, 113, 225, 228, 233, 340, 363, 361 Gene, Schaltergene, Schlüsselgene, 92, 96, 196, 197, 198, 200, 202, 217, 344, 353 Gene, zygotische, 28, 47, 50, 62A, 92, 96, 100, 535 Generationswechsel, 13, 14A, 16, 17 generative Zellen, 1, 12, 19, 64, 223, 232, 565 Genexpression, s. Genaktivität Genitalhöcker, 164A Genitalien, 192, 202A, 207, 210, 217 Genitalleisten, 207, 222A, 396A, 397 Genklassen, Drosophila, 90–105 Genklassen, gap-Gene, Lücken-Gene, 91A, 93A, 101 Genklassen, homöotische, 85, 91A, 92, 102, 104A, 105A, 107, 110, 344–351, 346A, 347A, 349A; 365; s. auch Homöoboxgene Genklassen, maternale (Koordinaten-)Gene, 86, 91A, 92, 100, 110 Genklassen, Paaregelgene, pair rule genes, 91A, 100, 102A, 103A Genklassen, Polaritätsgene, 91A Genklassen, Segmentidentitäts Gene, s. homöotische Gene, Hom/Hox-Gene Genklassen, Segmentierungsgene, 91A, 92, 100, 110 Genklassen, Segmentpolaritätsgene, segment polarity genes, 90, 91A, 100, 102A Genkonstrukte, 335, 352, 380A, 382A, 475 Genom, allgemein, 2, 16, 46, 566 Genom, menschliches, 309, 313, 341A, 365, 416, 557, 558 Genomamplifikation, 342, 343, 365, 366 Genom-Analyse, 176, 327 Genome einzelner Organismen, Dictyostelium 64; C. elegans 82; Drosophila 84, 85; Fisch Oryzias 134; Xenopus, 225, 229; Mensch 309, 313, 341A, 416; Vergleich.365 Genomgrößen..365 genomische Äquivalenz, 235, 339, 364, 366 genomische Prägung, 46, 147, 232, 234, 364; s. auch Epigenetik
622 Genomverdoppelung, 532, 536A Genotyp, 3, 10, 11, 13, 15, 16–17, 202, 211, 371, 523, 566 Genotypische Geschlechtsbestimmung, Gen-Stilllegung, gene silencing, 107, 215, 359–363, 360, 361A, 362A, 367, 368, 498, 502 Genverlust, 533 Germinal vesicle breakdown, 230 Geschlecht homogametisch, heterogametisch, 198, 201 Geschlecht, genetisches, 201–203, 209–211 Geschlecht, gonadales, 200, 201, 203–205, 217 Geschlecht, psychisches, 201, 208–212, 215, 217 Geschlecht, somatisches, 200, 201, 204A, 205, 207–208, 209, 217 Geschlechtsauswahl, 178 Geschlechtsbestimmung, genotypische, 196–198, 216–217 Geschlechtsbestimmung, phänotypische, 196–197, 216 Geschlechtschromosomen, 7, 78, 173, 176, 197, 198, 203A, 217 Geschlechtsdetermination allgemein, 195–204, 204A, 216, 217 Geschlechtsdimorphismus, 196 Geschlechtsentwicklung, genetisch bedingte Störungen: 209–212 Geschlechtsentwicklung, umweltbedingte Störungen 212, 213–214 Geschlechtsentwicklung, 195–218 Geschlechtsmerkmale, primäre, sekundäre, 201, 216, 217 Geschlechtsorgane, 217; s. Hoden, Ovar, Genitalien Geschlechtsreife, 15, 16, 19, 143, 208 Geschlechtszellen, 71, 75, 77, 195, 231, 458, 481; s. weiter Gameten, Keimzellen Geschwulst, 378, 494, 495, 496, 498 Gestagene, 168, 207, 214, 216; s. auch Progesteron Gestaltungsbewegung, 388, 393 Gewebedifferenzierung, 27 Gewebekultur, 302, 470, 471A, 474A, 517, 519 Gewebeverträglichkeit, 163, 473, 474, 475 GFP green fluorescent protein, 134, 142, 263, 301, 302, 307, 325A, 336, 337A, 339, 379A, 382A, 399, 412, 413A, 429, 430A, 438, 449, 469, 471A, 473 giant, Giant, 91A, 103A Glashaut (Zona pellucida)..37 Glia, 398A, 399A, 406, 412, 414A, 415A, 416, 418A, 419A, 420A, 425, 427, 438, 495 Gliafaser, 402A Glioblasten, 415, 420A, 424A Gliom, Glioblastom, 495, Glockenkern, Entocodon, 543, 544A Glomerulus der Niere, 201A Glomerulus, Glomeruli im Riechhirn, 337A, 337A Glucocorticoide, 426A Glutathion-S-Transferase, 530 Glykogengranula, 228 Glykolisierung, 317, 340, 387 Glykosyltransferasen, 389, 393 GM-CSF granulocyte and macrophage colony-stimulating factor, 468, 561 GnRH, gonadotropin-releasing hormone, 154A, 207A Goethe Johann Wolfgang, 186, 410 Gonade, allgemein, 19, 27, 121A Gonade, Caenorhabditis elegans 40, 78, 79A, 84; Gonade, Drosophila, Insekt, 87, 396A, 397;
Sachverzeichnis Gonade, Mensch, 162, 199A, 200A, 201A, 203A, 204A, 205, 206A, 207, 210, 211, 216, 217, 223, 224, 225, 233, 380A, 395, 396A, 507, 510 Gonadenanlage, 221, 222A, 396A Gonadendysgenesie, 209 Gonadotrope Hormone, Gonadotropine, 105, 111, 113, 153A, 166A, 167A, 174, 175, 206A, 216, 230, 507 goosecoid, Goosecoid, 74A, 126, 130A, 133, 136, 137, 356, 564 G-Phase des Zellzyklus, 47A, 374 G-Proteine, 43A, 304A, 305, 436, 554 Graaf-Follikel, 152 Gradienten, 58, 60, 61, 62, 63, 72, 94A, 96, 97A, 98A, 99, 100A, 102A, 109, 127, 128, 129, 130A, 131A, 149, 240, 241A, 242, 256A, 257A, 260A, 261, 262, 263, 264, 266A, 267, 273A, 274, 275A, 280, 281, 284A, 285A, 286, 288A, 289, 296, 298A, 301, 311, 315, 318, 401A, 404A, 419A, 422, 428A, 432, 433A, 434A, 435, 438, 486A, 487, 488, 489A, 490, 492, 532, 534A, 535 Gradientenbildung, 149, 261, 263, 265, 277A, 278, 279, 280, 298A Gradiententheorie, 7, 8, 58, 59A, 108, 262, 264, 290 Granulocyten, 397, 463A, 464A, 465, 467A, 468, 481 Granulosa, 204A, 206A, 230 grauer Halbmond, 115A, 116A, 124, 125, 239 Grem1, Gremlin, 273A Grenzflächenenergien, -kräfte, 300, 387 Grenzstrang des Sympathicus, 184, 398A, 407, 424A, 425A Großhirn, 160, 193, 408A, 409A, 410A, 429, 458, 557; s. auch Telencephalon Großhirnrinde, Evolution, 557–560 Gründerzellen, 10, 28, 79, 81, 83, 109, 219, 224, 235, 243, 244, 418, 423, 426A, 458, 462, 480 GSK-3 Enzym, 61, 74, 283, 306A, 307, 309, 314A Gynander, 198A Gynogene, 205A
H Haarnadelstrukturen, hair pins, 334A, 342, 357A Haeckel Ernst, 6, 181, 183, 190, 193, 525, 546 Haementeria, Helobdella, 83 Haftstiel, 157A, 158A, 183A Halocynthia roretzi, Seescheide, 107, 242A, 528A Hämangioblast, 119, 397, 445, 448, 449A, 462, 494 Hämatopo(i)ese, Blutbildung, 462–470, 566 hämatopo(i)etische Stammzellen, 397, 445, 448, 449A, 461A, 462–470, 491 hand Gen, 337 haploid, haploider Zustand, 11, 12, 13, 14, 16, 17, 19, 20A, 35, 37A, 40, 41, 44, 45, 46, 50, 86, 135, 143, 146, 147, 152, 171, 195, 226, 227, 230, 231, 232, 233, 340, 358, 365, 378, 381, 383, 563 Haptotaxis, 428 Harvey William, 4 Haut, 27, 149„ 290, 397, 402, 460A, 461, 470, 480, 495, 507, 518, 545 Hautersatz, 470 Hautorgane, 317, 397 Häutung, Ecdysis, 78, 79, 85, 109, 286, 479, 503, 509A, 511, 541, 564
Sachverzeichnis Hayflick-Zahl, 519 hCG, HCG human chorionic gonadotropin, 163, 166A, 167A, 175 hedgehog, HH, Hedgehog-Familie, 91A, 104A, 260, 271, 272A, 279, 313, 314A, 315, 318, 486A, 487, 561; s. auch sonic hedgehog SHH Helikase, 521, 522 Helix-turn-Helix-Domäne, 96, 102, 344A, 355, 562 Helobdella, 83 Hemimetabole Entwicklung, 503 Hemmhofmodell, 286, 287A, 291 Hensen-Knoten, 138, 139A, 253, 267, 268A, 269, 270A, 288A, 289, 280, 290 Heparansulfat-Proteoglykane, 297, 298A, 300, 301 Hepatom, Hepatocarcinom, 495 Heredität (des Methylierungsmusters), 359, 360A, 367 Heredität, (des Determinationzustandes), Zellheredität, 30, 105, 106A, 107, 339, 340, 359, 367, 368 Hermaphroditen, 40, 78, 79, 196, 198, proterandrische, protogyne, 196, 197 Hermaphroditismus, 13, 17, 196, 210 Hertwig Oskar, Hertwig Richard, 7 Herz, Herzentwicklung, 4, 120A, 121A, 146A, 159A, 186A, 337A, 382A, 397, 445–456, 446A, 448A, 453A, 454A, 455A Herzklappen, Ersatzorgane, 472, 492 Hes/hairy, HES, 288A, 289, 291, 312, 416, 417, 418A, 549 Heterochromatisierung, 142, 215, 359, 362–363, 362A, 367, 566 Heterochronien, 192, 193, 566 Heterogonie, 14, 17 Heterokatalyse, 278 heterosexuell, 196, 214 Heterosomen, 197, 198 Heterotaxie, 267 heterotypisch (auch heterophil), 297, 388 heterozygot, 12, 79, 113, 133, 321, 323, 324, 329, 331, 351, 362, 378, 380A, 381, 383, 499, 566 HGF hepatocyte growth factor, 447 hh, hedgehog, s. Hedgehog Hippocampus, 214, 409A, 410A, 411A, 441, 443, 481, 485 His Wilhelm, 6 Histoblasten, 105, 506 Histon-Acetylierung,-Methlierung, 361, 375 Histon-Dacetylase, 364 Histone, 44, 231, 232, 360 HMG, high mobility group, 202, 355, 404, 562 Hoden, Hodenkanälchen, 19, 35, 147, 199A, 201A, 203, 204, 206A, 209, 210, 211, 217A, 221A, 226A, 233 Hodenkrebs, 46, 154, 170, 378, 501 Hohlvene(n), 447, 454A Holoblastische (totale) Furchung, 22, 24A, 33 Holometabole Entwicklung, 57, 285, 504A, 505, 506A, 508A, 509A, 512A Holonephros, 199 Hom/Hox-Gene, 286, 344, 347, 348, 350, 361, 366, 367, 420, 531, 538, 549, 559, 562: s. auch homöotische Gene Hom/Hox-Transkriptionsfaktoren, 334A, 538 Homing (von Zellen), 470 Homo erectus, 558 Homo sapiens, 35, 520, 558
623 Homologe Chromosomen, 11, 12, 13, 113, 195, 202, 203A, 225, 226A, 343 Homologe Rekombination, 150, 325A, 326A, 335, 336, 337, 378, 379, 381, 382A homologe, orthologe, paraloge Gene allgemein, 345, 530–531 Homologie auf molekularer Ebene, 510, 527, 529–531, 539, 550, 557, 559–560 Homologie auf morphologischer, 527, 529–530, 533, 535, 543, 546–547, 547A, 549, 559–560 Homologie der Augen, 552–557, 559, 560 Homologie, serielle, 526 Homologiekriterien der Morphologie, 527 Homöobox(gene), 96, 98, 102, 110, 133, 272, 274, 327, 344, 345, 346A, 350, 351, 355, 356, 419, 421, 459, 562 homöotische Gene, 85, 91A, 92, 102, 104A, 105A, 107, 110, 344–351, 346A, 347A, 349A, 562 homöotische Transdetermination, 107 homöotische Transformation, 103, 105A, 347A, 348–350, 366, 491A Homosexualität, 212 homotypisch (auch homophil), 297, 388, 437 homozygot, Homozygotie, 12, 40, 41, 101, 113, 134A, 321, 323A, 329A, 380A, 381, 383, 560 Homunculus, 1, 2A Horizontaler Gentransfer, 533 Hormondrüsen, branchiogene, 185A, 186A, 187; im Rumpf: 189, 428 Hormone, allgemein, 105, 166, 168, 295A, 296, 318, 467–468, 494 Hormone, gonadotrope, 105, 111, 113, 153A, 166A, 167A, 174, 175, 206A, 216, 230, 507 Hormone, Hypophysenhormone, 152, 253A, 166, 167, 206A, 230, 410, 507A, 509 Hormone, Kunsthormone, hormonähnliche Substanze, 171–172, 209, 219 Hormone, Metamorphose, 506–511, 507A, 508A, 509A Hormone, Ovarialzyklus, Menstruationszyklus, 152A, 153A Hormone, Phytohormone, 511 Hormone, Schwangerschaft, Mutter-Kindbeziehung, 166A, 167A, 193 Hormone, Sexualhormone, 153A, 166, 168, 198, 203, 205A, 206A, 207, 210, 216, 217, 230 Hormone, Steroidhormone, 168, 210, 205A, 211, 299, 316A, 317, 338A, 356, 510 Hormonzyklen, 216 Hörstadius, 8, 58, 59 Hox-Cluster, 345, 347A, 532, 536A, 537A, 538 Hox-Code, 348, 350 Hox-Gene; s. Hom/Hox-Gene HPL human placental lactogen, 166, 167A, 168 HRE hormone responsive element, 356, 338A, 316A HTH, Helix-turn-Helix-Domäne,-Motiv, 96, 102, 344A, 355 Hubel D.H, Wiesel T.N, 440 Hühnchenentwicklung, 137–142, 137A, 138A, 139A, 140A, 141A, 142 hunchback (hb) Hunchback, 91A, 96, 97A, 98, 101, 102, 103A Hutchinson-Gilbert-Syndrom, 521, 522, 523 Hybridisierung, molekulare, 327, 328, 329A, 334, 566; s. auch in-situ-Hybridisierung Hydra, 8, 10, 11, 54A, 69–75, 69A, 70A, 71A, 73A, 74A, 109, 248, 253, 263, 265, 270A, 280, 281A, 282A, 283A,
624 284A, 290, 306A, 310, 313, 365, 369, 388, 406, 479, 480, 481, 485, 487, 492, 517, 520, 522, 523, 528A, 533, 534A, 535, 546 Hydractinia echinata, 26A, 49, 54A, 75–77, 76A, 77A, 109, 223, 224, 241A, 282A, 285A, 291, 310, 337A, 395, 406, 458, 477, 482A, 504A, 513A, 514, 528A, 533, 534A, 535 Hydroxylase (21-Hydroxylase), 211 Hydrozoen, 8, 9, 14, 54A, 71, 75, 77, 240, 245, 287A, 369, 458, 481, 485, 487, 492, 548, 552; s. auch Hydra, Hydractinia, Podocoryne Hyoid, Hyoidbogen, 188A, 190, 399A Hyomandibulare, 188 Hypoblast, 27, 134A, 135A, 136, 138A, 139A, 150, 156A, 160, 182, 183A, 567 Hypophyse, Adenohypophyse, Neurohypophyse, 153A, 154A, 167A, 184, 185A, 189, 190, 206A, 409A, 410A, 507 Hypophysenhormone, 152, 253A, 166, 167, 206A, 230, 410, 507A, 509 Hypothalamus, 206, 214, 217, 409A, 410A, 411, 507, 509
I ICSI intracytoplasmatische Spermieninjektion, 169 IGF, insulin-like growth factor, 309A, 313, 318, 561 Ilyanassa, 83 Imaginalanlagen, 56, 57A, Imaginalscheiben, 56, 105, 106A, 110, 252A, 263, 271, 272A, 301, 302, 307, 351, 352A, 358, 359, 362, 366, 505, 506A, 567 Imago, 9, 16, 19, 27, 33, 85A, 88A, 105, 503, 504A, 505, 507, 512A, 514 Immigration als Gastrulationsmodus, 26A Immortalität, potentielle, 109, 378, 457, 458, 495, 501, 517, 518, 519, 522, 523 Immuncytochemie, 224, 263, 337A, 339 Immunfluoreszenz, 94, 331, 332 Immunoglobulin-Superfamilie, 38, 77, 314A, 388, 389A immunologische Synapse, 301, 303 Immunsystem und Fetus, 162, 163, 165, 193 Immunsystem, Zellen, 247, 295, 364, 403, 415, 445, 464A, 466, 467, 469, 473, 474, 475, 477, 496, 518, 533 Implantation, Nidation, Einnistung des Embryos, 143, 144A, 153, 155A, 156A Inca-Zellen, 511 Incus (Amboss), 188A Individuum, 1 Induktion bei Wirbellosen, 63A, 69, 73A, 253, 281A Induktion der Augenlinse, 132A, 133, 259 Induktion des Nervensystems, 126A, 127, 129, 130A, 131A, 403–406, 404A, 405A, 423, 441 Induktion, allgemein, 8, 120, 149, 184, 193, 247–262, 290 Induktion, embryonale, Wirbeltiere, 120, 121–132, 123A, 124, 125A, 129A, 149, 253, 260A Induktion, mesodermalisierende, dorsalisiernde, neuralisierende, 124–127, 126A, 127, 312, 353 Induktion, primäre, sekundäre, tertiäre, 132, 258 Induktionsfaktoren, Induktoren, 124, 127, 128, 129A, 131A, 242, 254A, 255, 257–261, 290, 335, 351, 356, 404, 405 Infertilität, 209 Infundibulum, 410A
Sachverzeichnis Innere Zellmasse, Embryoblast, 143, 144A, 145A, 150, 155A, 157, 564 Innervation der Muskulatur, 438, 439A inside-out-layering, 414 In-situ-Hybridisierung, 62, 93, 137, 151, 169, 176, 224, 263, 327, 331, 332A, 337A Insulin, 294, 309A, 313, 318, 474A Insulin-Familie, IGFs, 296, 313, 318 Integrin(e), 38, 296, 297A, 388, 389, 393 Interkalation, 285–286, 285A, 487, 490 Interleukine, 468, 491, 561 Interneurone, 414, 415, 419A, 421A, 442 Intersexualität, 197, 210–212 interstielle (Stamm-)Zellen, 70–72, 70A, 77A, 223, 280, 299, 481, 482A Introns, 326A, 340, 342, 357A, 366, 532, 533 Invagination, 23A, 26A, 55, 57A, 77, 89A, 115, 118A, 390A, 391A, 394, 567 Inversionshypothese, 550A, 551 In-vitro-Fertilisation, 169, 178 Involution, 26A, 33, 115, 116, 126, 135A, 136, 567 IP3 , Inositol-1,4,5-trisphosphat, 43A, 44, 65, 66A, 299, 304A, 305, 388, 556 iPSC, induzierte pluripotente Stammzellen, 475–478, 477A, 496 isolecithal, 22 Isthmus, 409A, 420, 422A IVF In-vitro Fertilisation, 169 i-Zellen, i-Stammzellen, 70–72, 70A, 77A, 223, 280, 299, 481, 482A
J Januskinasen, 310A jun 499 Jungfernzeugung, s. Parthenogenese Juvenilhormon, 105, 216, 506, 507, 508A, 509A, 510, 511, 514, 567 Juvenilphase, 19
K Kambrium, Präkambrium (Vendium), 526 Kapazitation, 36, 154, 567 Karyogamie, 152A Kaulquappe, 3, 7, 31, 113, 114A, 116A, 121, 185, 187, 239, 370A, 371A, 372, 479, 491, 503, 505, 506, 507A, 511, 514 Kehlkopf, 188A, 189, 194, 216, 398 Keimbahn, 7, 46, 75, 80, 219–334, 220A, 221A, 222A, 243, 244, 340, 341, 342, 366, 378, 397, 458, 459, 497, 498, 502, 519, 567 Keimband, germ band, 87, 88A (Drosophila), Keimbläschen, 21, 33, 229A, 230, 236, 567 Keimblattderivate, 121A Keimblätter, Keimblattbildung, 23A, 26A, 27, 33, 56, 116–117, 118A, 119A, 120A, 121A, 132, 138, 395, 459, 542, 543, 544–545, 567 Keimblattinversion, 146A Keimplasma, 219, 221, 222A, 223, 224, 233, 397, 567 Keimplasmatheorie, 7, 221
Sachverzeichnis Keimscheibe, 25, 135, 136, 137A, 138A, 139A, 150, 156, 157A, 160, 181, 182, 183A, 193, 222A, 239, 240, 267, 268A, 269, 270A, 289, 348, 397, 445, 567 Keimschild, 156A Keimstreif, 567, Drosophila. 87, 88A, 90; Fisch: 134A, 136, 150; s. auch Primitivstreif Keimzellen, 3, 11A, 12, 16, 19, 195, 220A, 222A, 225, 226A, 232, 233, 363, 381, 382, 384, 392, 395, 396A, 397, 458, 459, 473, 482A, 500, 520, 531A; s. auch Urkeimzellen, Eizellen, Spermien Keratinocyt(en), 29A, 366, 458, 460A, 461, 477A, 491 Kernelimination, 366 Kerntransplantation, 8, 31, 120, 235, 344, 371A; s. auch Klonen KGF, Keratinocyten-Wachstumsfaktor, 313, 461 Kiefer..148A, 159A, 160A, 161A, 168A, 188A, 190, 398A, 399A, 479 Kiefergelenk, primäres, sekundäres, 159A, 162A, 188A, 190, 192, 193 Kiemenbögen, arterielle, 185A, 186A, 189, 190, 193 Kiemenbögen, knorpelige, 184, 186A, 187, 188A, 189, 193, 398A, 401, 402, 525, 559 Kiemenbögen, -taschen, -spalten, 116A, 148A, 158A, 159A, 160A, 186, 188A, 193, 398, 400A Kiemenbogenarterien, 186A, 187, 443, 449, 449A, 450A, 446A, 447, 448A, 453, 454A, 456, 505, 525, 559 Kiemendarm(bereich), 107, 149, 185A, 186A, 189, 190, 193, 398, 401, 525, 559 Kiemenspangen, s. Kiemenbögen, knorpelige Kiementaschen, Kiemenspalten, Schlundtaschen, 120A, 149, 159A, 160A, 180, 183, 184, 185A, 186A, 190, 193–194, 408A, 422 Killerzellen, natürliche, NK-Zellen, 464A, 466 Kinesinmotoren, 32A, 49, 114, 237A, 238, 385, 390, 391A, 393 Kleinhirn, s. Cerebellum Klinefelter-Syndrom, 202, 209, 362 Klon, klonen, klonieren, Definition: 10, 567 Klonen durch Kerntransplantation, 8, 31, 120, 235, 344, 366, 371–376, 371A, 373A, 383 Klonen durch Teilen, Regeneration, 248, 358, 359, 370A Klonen, natürliches, 11, 12–17, 40, 41, 72, 248, 369, 383, 483–484 Klonen, therapeutisches, 376, 473–475, 474A, 493 Klonieren, molekularbiologisches, 10, 85, 93, 322, 323, 324, 327, 328, 335, 380 Kniehöcker, seitlicher, 430, 434A knirps (kni), 91A, 97A, 101 Knochenmark, Knochenmarkzellen, 397, 461A, 462, 466, 467, 469, 470, 472, 476, 477A, 485 Knorpelzellen, Chondrocyten, 29, 472, 474A, 478, 480 Knospe, Extremitäten, Flügel, 118, 142, 158A, 159A, 180, 261, 263, 271, 273–276, 274A, 275A, 348, 349A, 488, 489, 510, 511; Knospe, Hydra, Hydrozoen, 69A, 71, 72, 73, 74A, 75, 248, 283, 284A, 287A, 291, 313, 369, 391. 513A, 514, 522, 58, 543, 544A Knospe, Knospung, allgemein, 1, 4, 5, 10, 11, 14, 369, 391A, 522; Knospe, Schwanzknospen(stadium), 116A, 134A, 136, 183, 288A, 289, 291 Knoten (node), 145A, 253, 269, 564, 566; Hensen-Knoten, 138, 139A, 253, 268A, 269, 270A, 288A, 289, 290
625 Kolinearität, 3, 344, 345, 346A, 349A, 367, 536A Kommissuralneuron, 428A Kompaktion, 143, 144A, 248, 388, 568 Kompartimente, 187, 271, 272A, 273, 411, 468, 568 Kompetenz, 72, 126A, 130, 133, 253, 258, 260, 293, 295, 353, 404, 423, 431, 568 Komplexauge, 351, 353, 363, 367, 549, 552, 553A, 557 konditionierte Medien, 294 Kontaktführung, contact-mediated guidance, 400A, 402A Kontaktinhibition, 400A, 496, 501 Konvergente Extension, 311, 386A, 387, 393 Konvergenz in der Evolution, 527, 529, 530, 548, 552, 554, 557 Konvergenzbewegung, 126, 127, 136 Kopffortsatz, 145A, 160 Kopplungsgruppen, 323 Körnerschicht, 413 Körperachsen, Allgemeines:, 20A, 236, 237A, 240, 306A, 310, 318, 487, 528A, 534A, 538, 546, 547A, 550A Körperachsen, Cnidarier, Hydra:, 70, 73, 109, 241A, 253, 281A, 282A, 534A, 535, 547A Körperachsen, Drosophila:, 91A, 96, 236, 237A, 245 Körperachsen, vergleichend, 534A, 547A Körperachsen, Vertebraten:, 113, 126, 237A, 239A, 241A, 254A, 256A, 347, 534A, 547A Körpergrundgestalt, 120A; s. auch phylotypisches Stadium Krallenfrosch, s. Xenopus Krebs, Krebsentstehung, Krebszellen, 154, 493–502 krebsauslösende Agentien, 497ff Kreuzungsanalysen, -schema, 323A Kristalline, Linsen-Proteine, 259, 529, 530, 554 Krüppel (Kr), Krüppel, 91A, 97A, 101, 103, 103A Kupffersche Zellen, 466 labial, lab, 104A, 421A, 530, 531, 532
L Lactatdehydrogenase, 529 lacZ, ˇ -Galactosidase-Gen/Protein, 324A, 325A, 336, 337, 352A Lampenbürstenchromosomen, 113, 143, 152A, 153A, 193, 225, 226A, 227A, 229, 233, 568 Landkärtchen, s. Araschnia levana Lanugo, 192 Larve, Allgemeines, 3, 9, 14A, 15, 16, 17, 19, 27, 33, 40, 55, 56, 504A, 505, 514 Larve, Amphibien, 507, 504A; s. weiter Kaulquappe Larve, Ascidie, 107, 108A, Larve, Drosophila, Insekten, 85A, 88A, 90, 105, 106A, 358, 504A, 506, 508A, 509, 512A Larve, Ephyra, 14A, 504A Larve, Planula, 14A, 75, 76A, 78, 241A, 513A, 514 Larve, Pluteus, 54A, 56, 57A, 61A, 62, 528A Larve, Trochophora, 82, 83A Larve, weitere..503, 504A Laserscan-Confocalmikroskopie, 336 Laterale Hilfe, 249, 251, 252A, 276, 281, 289 Laterale Inhibition, 63, 249A, 250A, 251, 270, 276, 278, 280, 281, 286, 287A, 289, 290, 308A, 312, 417, 487, 568 Lebenspanne, 518, 520, 521, 522, 523 Lebensuhr, 522, 523
626 Lebenszyklen, 15A (Aphis), 14A (Aurelia), 76A (Hydractinia, Podocoryne), 84A (Platynereis), 85A (Drosophila) Leber, 119, 121, 159A, 161A, 184, 190, 228, 267, 388 lefty-1, lefty-2, 269 Leibeshöhle primäre, 25, 33, 55, 563; s. weiter Blastocoel Leibeshöhle sekundäre, 27, 33, 118, 121A, 564; s. auch Coelom Leihmutter, Leihmütterschaft, 169, 178, 372 Lektine, 388 Leptin, 451 Lernen, Langzeitgedächtnis, 441 lethal Gen, 198 Leucin-Zipper-Domäne, 356, 562 Leukämie, 466, 469, 495 Leukocyten, 463A, 466, 468 Lewis Edward B, 9, 84, 85, 103, 105 Leydig-Zwischenzellen, 200A, 203, 204A, 205, 206A, 207, 230 LH, luteinisierendes, luteotropes Hormon, 153A, 166A, 206A, 216, 230 Limbisches System, 411A Lin-28 Pluripotenzfaktor, 475 Links-rechts-Asymmetrie, 261, 265, 267–269, 268A. 311, 315 Linkswindung, 82A Linse des Auges, Insekten, 251, 252A Linse des Auges, Wirbeltiere, 132A, 160, 258, 259, 290, 367, 408, 423, 429, 430A, 431A, 473, 484A, 497 Linsenregeneration, Wolffsche, 484A Lipid rafts, Lipidflöße, 298A, 300 Lipofektion, 332 Lipovitellin, 228 Lithium-Ionen, 61, 241, 283 Littorina, 83 L-MAF Transkriptionsfaktor, 259 Lophotrochozoa, 54A, 83, 105, 421A, 528A, 536, 538, 541, 559 loss-of-function Allele, Mutationen, 103, 249, 251, 321, 353, 366, 392, 499 Luciferase-Gen, 336, 338A Luftröhre, Trachea, 190 Lungen, 185A, 186A, 189, 390, 394, 401, 455, Lungenkreislauf, 455A Lymnea, 54A, 83 lymphatische Organe, 186, 189, 465, 467A Lymphknoten, 303, 465, 466, 467A Lymphoblasten, 339, 364, 392, 466, 468A, 495 Lymphocyten, 189, 303, 339, 364, 388, 392, 397, 463A, 464A, 465, 466, 467A, 468, 478, 485, 518, 533 lymphoide Stammzelle, 4459, 464A, 465, 466 lymphoider Stammbaum, 464A, 465 Lymphom, 469, 495 macho-1, 242 Macrostomum lignano, 487
M Makromere(n), 22, 56A Makrophagen, 165A, 388, 393, 397, 401A, 463A, 464A, 465, 467, 468, 485 maligne Geschwulste, 378, 495, 498 Malleus (Hammer), 188A Malpighi Marcello, 6, 137 Malpighische Gefäße, 105, 343
Sachverzeichnis Mammillarkörper, 410A, 411A Mandibularbogen, 190 Mandibulare, 186A Manduca sexta, 504A, 509A Mangold Hilde, 8, 123, 149 MAPC, multipotente adulte Stammzelle, 461A MAPK, mitogen associated kinase, 48, 304A, 309A, 313 Marginalzone, 117A, 118A, 124, 126A, 130A, 258, 311, 353, 354, 545 Mash1 Transkriptionsfaktor, 406 Maskulinisierung, 206 maternale (maternelle) Faktoren, Produkte, 62, 229, 245 maternale cytoplasmatische Determinanten, 2, 21, 28, 32A, 49, 50, 60, 81, 93, 107, 108, 125, 129, 219, 233, 236–248, 244A, 564 maternale mRNA, 87, 93, 96, 224, 238, 242, 255, 311, 404 maternale Prägung; s. genomische Prägung Maternaleffekte, 87, 81, 238 Maternaleffekt-Gene..87, 91, 93, 96, 238 Math Transkriptionsfaktor, 406 Maturität, 19, 33 Maus, Bilder von Ei, Embryo, Fetus, adulte, 112A, 379A Maus, Entwicklung, 142–150, 144A, 145A, 146A, 148A, 150, 183A, 240, 253, 267, 276 Maus, genomische Prägung, 46, 232 Maus, Hox-Gene, 345, 346A, 349A Maus, Keimzellenwanderung, 396A, 397 Maus, Parthenogenese, 45, 171 Maus, Stammzellenforschung, 469, 472, 473, 478 Maus, transgene, Herstellung, 325A, 337, 378–383, 379A, 380A, 382A Mauschimären, 377A, 469, 500 MCPH1, Microcephalin, 558A M-CSF macrophages colony-stimulating factor, 468, 561 Mechanizismus, 5, 8 Meckel(scher)-Knorpel, 188A Medaka, Orycias latipes, 112A, 133–137, 149, 322, 528A Medulla als Nebennierenmark, 189 Medulla der Gonade, 203, 224 Medulla oblongata, 407A, 408, 410A, 442 Meduse, 9, 14A, 16, 54A (Cladonema), 76A, 336, 483A, 548 Medusozoa, 548 Megakaryocyten, 464A, 465 Meiose, 11A, 12, 13, 14, 15, 17, 20A, 33, 40, 44, 46, 48, 78, 113, 143, 152, 162, 170, 193, 195, 198, 202, 204A, 209, 225, 226A, 227A, 228A, 230, 231A, 233, 304A, 373A, 383, 546, 568 Meistergene, Selektorgene, 90, 91A, 92, 196, 344, 353, 354, 355, 357, 429, 530, 531, 552, 568, 570 MEK, 310A Melanin, 114, 115, 362, 363, 557 Melanocyten, Melanophoren, 397, 398 (Chromatophoren), 399A, 494, 495, 496 Melanom, 495 Melanopsin, 556, 560 Mensch, Embryonalentwicklung, 151–163, 155A, 156A, 157A, 158A, 159A, 160A, 163A Mensch, Fetalentwicklung, 159A, 191A, 162A, 163A, 455A Mensch, Geburt, 164A Mensch, Gehirnentwicklung, 409A, 410A, 411A, 434A, 440 Mensch, Genom, 341A, 365
Sachverzeichnis Mensch, Geschlechtsentwicklung, 198–216, 199A, 200A, 201A, 202A, 203A, 204A, 206A Mensch, Hormone, Ovarialzyklus, Schwangerschaft, 153A, 166A, 167A, 168 Mensch, Lebensdauer von Ei und Spermien, fruchtbareTage, 35, 154A Mensch, Oogenese, 152A Mensch, Rhesusfaktor, 165A Mensch, Vergleichendes, Evolutionsaspekte, 181–194, 181A, 182A, 183A, 185A, 186A, 187A, 188A, 191A Mensch, zur Evolution des Gehirns, 558–559 Mensch-Schimpanse, genetischer Vergleich, 557 Menstruation, Menstruationszyklus, 152, 153A, 166, 209, 216, 230 Meridional-Furchung, 23 meroblastische (partielle) Furchung, 22, 24A, 33, 181 Mesencephalon, 159A, 161A, 184, 190, 399A, 407A, 408A, 409A, 410A, 412, 420, 421A, 422A, 442 Mesenchym, Mesenchymzelle, 29, 32A, 55 Mesenchym, primäres, skelettogenes, 55 Mesentoderm, 27, 57A, 116, 543 Mesoblast (Mesoderm), 23A, 27, 83A, 139A, 544, 547A Mesoderm, allgemein, 23A, 26A, 27, 33, 55, 56, 63, 75, 83, 118A, 119A, 121A, 541, 542, 543, 544A, 544–545 Mesoderm, Amphibium, 115, 116, 117A, 118A, 119A, 120A, 121A, 125, 149, 395A Mesoderm, axiales, paraxiales (Präsomiten-Mesoderm), 131A, 132, 288A, 289, 441 Mesoderm, Drosophila, 87, 88A, 89A, 99, 101A Mesoderm, Fisch, 134A (Hypoblast, Somiten), 150 Mesoderm, Hühnchen, 130A, 136, 139A, 150 Mesoderm, Maus, 145A, 146A Mesoderm, Mensch, 156, 157A, 158A, 160, 199, 221 Mesoderm, parietales, vicerales, 156, 248A Mesoderm, prächordales, 131A, 255A, 256A, 404A mesodermale Gene, 101A, 151, 137, 354, 543 Mesodermale Induktion, 126A, 128, 132, 262, 311, 312, 353 Mesoderm-Derivate, 117A, 121A, 127, 186A, 189, 249, 257, 353, 397, 445 Mesogloea, 77, 543 Mesonephros, 190, 199A, 201A Mesoteloblast, 27, 83A, Mesp2-Protein, 288, 289 Metagenese, 14, 17, 568 metamer, Metamerie, 100, 117, 541 Metamorphose, allgemein, 3, 5, 14, 15, 19, 27, 33, 216, 296, 317, 503–514, 604A, 605, 513; Metamorphose, Amphibien, 114A, 133, 491, 504A, 505, 507A, 510, 511 Metamorphose, Cnidaria, Aurelia 14A, Hydractinia 75, 76A, 241A, 513A Metamorphose, Drosophila, Schmetterlinge, 271, 351A, 358, 504A, 506A, 508A, 509A, 510, 511, 512A Metanephridien, 541 Metanephros, 190 Metastasen, 378, 460A, 495, 496, 500, 501 Metazoa, Eumetazoa, 54A, 240, 315, 354, 526, 528A, 533 Metencephalon, 184, 185A, 190, 407A, 408A, 409A, 410A, 420, 422A Methyl-Cytosin, 360
627 Methylierung, Methylierungsmuster, 360, 361A, 362, 363, 364, 375, 498, 522 Methyltransferasen, 361 MHC major histocompitibility complex, 162, 163, 303, 388, 465, 469, 473, 475 Microarray, 326, 329A, 330A, 331, 332 Microcephalin MCPH, 558A Midblastula transition, 47, 50, 113, 143, 568 Mikrocephalie, 558 Mikromere(n), 22, 55, 56A, 58, 59A, 60, 61A, 63A, 64, 385 Mikropyle, 87 Mikrosatteliten, 341 Milchdrüsen, 168, 192, 208, 373, 374, 390, 384 Milchleisten, 160, 161A, 191A, 192 Mintz Beatrice, 8, 376 miRNA, microRNA, 225, 332, 341A, 342, 356, 357A MIS Mullerian duct inhibiting substance..561 Mitochondrien, mitochondriale Gene, 2, 16, 21, 38A, 38A, 44, 45, 48, 50, 62, 80, 87, 221, 223, 231A, 232–233, 235, 264, 341A, 364, 375, 383 Mitochondrientheorie des Alterns, 518–519 Mitose, 10, 11A, 32, 47–48, 49, 235, 266A, 339, 568 Mitosen, symmetrische, asymmetrische, 29, 32A, 79, 80A, 223, 236, 243, 244A, 246, 412, 413A, 442, 459 Mittelhirn, s. Mesencephalon Mittelhirn-Hinterhirn-Grenze, 312 Modelle zur Musterbildung, 277–280, 277A, 279A Modellorganismen, Wirbellose, 54A, 53–110 Modellorganismen, Wirbeltiere, 112A, 111–150 Mollusken, 25A, 82A (Furchung), 49, 345, 503, 541, 552, Auge: 555A, 556A MOM in C.elegans, 80 Mondphase, Gezeiten, 513 Monocyten, 463A, 464A, 465 Monolayer, 496, 500 Monosomie, chromosomale, 173 monözisch, 196 Morbus Parkinson, 476, 477 Morgan Thomas Hunt, 7, 8, 58, 75, 82, 84, 85, 123, Morphallaxis, 277, 480 Morphe, 9 Morphogen(e), 60, 96, 99, 127, 254A, 262, 263, 264, 266A, 270, 271, 276, 277.280, 277A, 279A, 302, 311, 347A Morphogenese, 2, 4, 6, 28, 33, 278, 312, 385–394 Morphogenetische Felder, 270–277, 270A, 271 (Definition), 272A, 273A, 275A, 279A Morpholinos, 258, 332 Morphologie, 3; vergleichende, Homologiekriterien 527, 530, 545, 549 Morula, 23A, 154, 221A, Mosaikentwicklung, Mosaikkeime, 21, 28, 81, 107, 120, 243, 244, 246, 249, 253, 479, 568 Motoneuron, einzelnes, 415A Motoneurone, 260A, 419A, 421A, 428A, 438, 439A, 440, 442 MPF, Mitosis-(Maturation-, M-phase-, Meiosis-)promoting Factor 46–48, 47A MPF-Oszillator, 46–49, 47A M-Phase des Zellzyklus, 10, 47, 48, 50 MRF-Faktor.::353 mRNA, messengerRNA allgemein, 2; s. weiter maternale mRNA
628 MSC mutipotente mesenchymale Stammzelle, 461A msx-1, MSX-1, 478, 488, 492 mtDNA, mitochondriale DNA, 44 Müllersche Gang, 199A, 200A, 201A, 207, 217, 312 multiple Nucleolen, 113, 143, 152, 153A, 225, 229, 233 multipotente Stammzellen, 395, 397, 459, 461A, 465, 469, 470, 475, 477, 481, 487, 491, 492 Mund, definitiver, 55, 57A, 62, 83A, 108A, 120A, 546, 547A, 549, 550A Mundwerkzeuge, 90, 538 Muskelfaser, 353, 354, 438, 439A, 440 Muskulatur, genet. Programmierung, 353.354 Muster, periodische, 286–290, 287A, 288A, 291 Musterbildung, allgemein, 9, 28, 30, 33, 66, 69, 81, 91, 142 Musterbildung durch cytoplasmatische Faktoren, 235–245, 98A, 237A, 239A, 241A; s. auch asymmetrische Zellteilung Musterbildung durch Zellinterkationen, 247–277 Musterbildungsmodelle, 277–280, 277A, 279A Musterkontrolle, Musterkorrektur, 280-285, 285A, 480, 485, 486, 487 Mutagenese, 85, 90, 261, 322, 324; gezielte 326A, 335, 337, 353, 381, 382A Mutation, loss-of-function, k.o.-, Null-Mutation, 103, 202, 249, 251, 261, 321, 353, 366, 378, 392, 499 Mutterkuchen, 164A; s. Plazenta myc, myb, jun, fos, 475, 477A, 496, 499 Myelencephalon, 407A, 408A, 409A, 410A, 413, 422A myeloischer Stammbaum, 464A, 465 Myelom, 495 myf , 353, 354 Myoblasten, 30, 118, 312, 340, 353, 354, 359, 417, 439, 445, 456, 461, 478, 495 MyoD, MyoD, 131A, 322, 353, 354A, 355, 367, 417, 478, 543, 549 myogenin, Myogenin, 322, 353, 354, 355, 357, 363, 367, 417, 478 Myome, 495 Myoplasma, 107, 108A Myotom, 118, 121A, 260A, 395A, 569 Myotuben, 461, 478
N Nabelschnur, 156, 157, 158A, 164, 176, 193, 448 Nabelschnur, als Stammzellenquelle, 462, 472 Nabelstrang, 140, 148A, 156, 159, 160, 160A, 163A, 453A, 455 Nabelvene, Umbilikalvene, 164A, 156, 454, 455A Nachhirn, 406, 408A; s. auch Rhombencephalon, Myelencephalon Nachniere, 190, 199 Nackenbeuge, 409A Nackenödem-Messung, 175 Nackentransparenz, 175 nAG-Protein, newt anterior gradient protein, 488, 489A Nährfach, 86A, 96 Nährzellen, 86A, 92A, 109, 230, 233, 236, 237, 360 Nanog, Nanog, 224, 459, 475 Nanoröhrchen, TNT, 302A, 303, 318
Sachverzeichnis nanos ( nos), NANOS, 87, 91A, 93, 94A, 96, 97A, 98, 110, 220, 223, 221, 224, 225, 229, 233, 238, 242A, 244A, 245, 397, 546 Nasengruben, 161A, 190, 545 Nasenplakoden, 121A, 184, 408A, 422 Naupliuslarve, 503 N-CAM, 129, 388, 389A, 427A, 429 Nebennierenmark, 149, 398A, 402, 425A, 426A Nebennierenrinde, 189, 211, 216, 425, 426A, 511 Nebenschilddrüsen (Parathyreoidea), 185A, 186A, 198, 194 Nematoblasten, Nematocyten, 70A, 72, 482A Nematostella vectensis, 26A (Furchung), 54A, 75, 77–78, 109, 240, 282, 284, 310, 345, 528A, 533, 534A, 535A, 537A, 542A, 543 Neoblasten, 481, 487 Neocortex: 408, 409, 410, 411A, 430, 442 Neomycinresistenzgen, 324, 325A, 326A, 335, 336, 337, 379, 380A, 381, 324 Neoplasie, 77, 478 neoten, Neotenie, 15, 16, 17, 505, 548 Nervenfaser, Orientierung, Wachstum, 293, 297, 299, 303, 313, 336, 390, 391, 426–442, 427A, 428A, 430A, 432, 433A, 434A, 449, 450A, 451A, 455 Nervenfaser, Regeneration, 439–440, 491 Nervennetz des Darmes, 119, 398, 407, 423, 425A, 442 Nervensystem Wirbelloser, Cnidarier 545; Insekten, 88A, 89A, 90, 101A, 250A, 418A, 419, 420A, 421A (s. auch Drosophila); Platynereis, 421A; Urbilateria 549 Nervensystem zentrales ZNS, 149, 401, 403, 406, 412, 413A, 415A, 421A, 441, 442, 491; s. weiter Gehirn, Rückenmark Nervensystem, autonomes, vegetatives, 117, 407, 424A, 425A, 442 Nervensystem, enterisches ENS, 398, 403, 407, 442, 542 Nervensystem, Induktion des; s. neuralisiernde Faktoren Nervensystem, peripheres PNS, 395, 387, 398A, 402, 403, 406, 407, 423, 424A, 425, 426, 439, 442, 545 Nervensystem, sympathisches, parasympathisches, 407, 424A, 425A Nervensystem, vegetatives, 117, 397, 407, 424A, 425A, 442 Nervenzellen; s. Neurone Netrin, Netringradient, 297, 417, 427A, 428A, 432, 438, 451A, 453 neurale Hyperblasie, 251 neurale Spezifizitätstheorie, 432 Neuralisiernde Faktoren, Induktion, 126A, 127, 129, 130A, 131A, 132, 259, 403–406, 404A, 405A, 423, 441 Neuralkiel, 134A, 136 Neuralleisten(zellen), Neuralleisten-Derivate, 142, 149A, 186, 187, 188, 189, 295, 363, 368, 395–402, 398A, 399A, 400A, 423, 424A, 425A, 426A, 442 Neuralplatte, Neuralwulst Neuralfalten, 116A, 118A, 119A, 131A, 139A, 158A, 185A, 256, 390A, 404A, 407A, 417, 418A, 419A, 429, 431A, 442, 446A Neuralrohr, 117, 119A, 120A, 131A, 132, 146A, 149, 260A, 390A, 407A, 418A, 442 Neuroblasten, 28, 29A, 70A, 87, 88A, 89A, 99, 101A, 249, 250A, 251, 260A, 199, 250A, 251, 26A, 299, 340, 359, 390, 392, 402A, 412, 413A, 414A, 417, 418A, 419A, 420A, 424A, 425, 426, 429, 433, 435, 442, 474A, 482A, 495
Sachverzeichnis Neuroblastom, 495 NeuroD, neurogenin, 354, 355, 367, 406, 441 Neuroektoderm, 27, 101A, 117, 127, 250A, 420A, 477A, 545 Neuroepithel, 412, 415, 442, 471A, 473 neurogene Gene, Faktoren, 249, 259, 354, 406, 417, 420, 441 neurogene Tendenz, Potenz, 249, 251, 404 Neurogenese, 88A, 89A, 90, 101A, 250A, 290, 412, 413A, 416, 420A, 441 neurogenin, Neurogenin, 354, 355, 367, 406, 441 Neurohormone, 295A, 506 Neurohypophyse, 189, 409A, 410A Neuron, Neurone, 29A, 393, 398, 393A, 401, 405A, 407, 413, 414A, 415A, 419A; primäre 419A, 438; sekundäre 412, 413A neuronale Stammzellen, 412, 413A, 414A Neurontypen, 413A, sensorische 419A, Interneurone..419A, Motoneurone..419A Neuroporus, 116A, 158A, 160, 550A Neurosekrete, 513A; s. auch Neurohormone Neurotrophine, 310A, 426, 442A, 451A, 452A, 488, 569 Neurotropismustheorie, 432 Neurula, 127, 130A, 131A, 149, 158A, 254A, 256A, 311, 404A, 416, 419A, 441 Neurulation, allgemein, Amphibium, 27, 116A, 117, 119A, 129, 160, 182, 193, 390, 397A, 407A Neurulation, Hühnchen, 140A Neurulation, Maus, 146A; Neurulation, Mensch: 158A, 160 NEX Transkriptionsfaktor, 406 NF-kappa-B, 99 NGF nerve growth factor, 299, 393, 417, 425, 426, 422A, 428, 439, 442, 451A, 452 NGF-Rezeptoren, 425 Nidation, 143, 144A, 153, 155A, 156A Nierentubuli, 311, 392A Nieuwkoop P.D, 8, 124, 257, 258 Nieuwkoop-Zentrum, 124 Nodal, nodal, 60, 62, 124, 127, 128, 130A, 149, 239A, 258, 263, 267, 268A, 308A, 311, 318 Nodal-related, 255, 261 Noggin, 128, 129A, 130A, 131A, 132, 135A, 137A, 149, 254A, 255, 256A, 258, 261, 264, 290, 335, 403, 404A, 405, 406, 407, 416 non-protein-coding DNA, 342 Nonylphenol, 213 Notch intracellular domain NICD, 308A, 312 NOTCH/Delta-System, 61, 62, 74, 80A, 81, 89, 244, 249–251, 250A, 228A, 289, 290, 296, 297A, 307, 308A, 312, 318, 390A, 416–410, 418A, 420A Notochord, s. Chorda Nuage, 223 Nucleolus, Nucleoli, Nucleolen, 45, 113, 143, 152A, 225–229, 226A, 228A, 233, 364 Nucleolusorganisator, 113, 228A Nullmutation, k.o.-M., loss-of-function M, 103, 202, 249, 251, 261, 321, 353, 366, 378, 392, 499 Numeratoren, 198 Nüsslein-Volhard Christiane, 9, 84, 85, 97, 98, 264 Nymphe, 503, 511
629 O Oberschlundganglion, 89, 90, 541, 551 Ocellus, Ocelli, Ocellen, 353, 549, 552, 553A, 555A, 556, 557 Oct-4, Oct-4, 223, 224, 233, 459, 475, 477, 479, 496, 522 Ohrplakoden, 159, 121A, 134A, 158A, 160, 184, 190, 408A, 422, 423, 454 Oken Lorenz, 410 Oligodendrocyt, 415A oligolecithal, 22 Oligospermie, 169 Ommatidium, 251, 252A, 553A omnipotent, Omnipotenz, 31,459 Onkogen, 328, 494–499, 501, 502, 533 ontogenetisches Grundgesetz; s. biogenetisches Grundgesetz Ontogenie, ontogenetische Entwicklung, 1, 6, 521 Onychophora, 541 Oocyte(n), 11A, 20A, 21, 37, 40, 41, 44, 45, 49, 76A, 82, 84, 86A, 92A, 96, 113, 130A, 143, 152A, 162, 171, 172, 195, 201A, 206A, 210, 220A, 223, 224, 225, 226A, 227A, 228A, 229A, 230, 233, 236, 238, 239A, 240, 241A, 245, 247, 253, 363, 364, 371A, 372, 373A, 374, 375, 378, 478 Oogenese, 19, 21, 28, 46, 49, 60, Drosophila: 85, 86A, 87, 98; Wirbeltiere allgemein, Xenopus: 112, 113, 225–230, 226A, 229A, 236–245; Maus,Mensch: 143, 152A Oogonium, Oogonien, 86A, 152, 199A, 200A, 203, 204A, 220, 223, 225, 226A, 229, 233, 482A, 544A ooplasmatische (cytoplasmatische) Segregation, 20A, 22, 32A, 107, 108A, 242A, 245 Operculum, 159A, 185A Ophryotrocha puerilis, 196 OPL, odd-paired-like, 404A Opsin, 505, 532A, 552, 555A, 556 optischer Vesikel, 132A, 259; s. weiter Augenblasen Oralpol, 547A Organisator allgemein, Spemann-Organisator, 70, 72, 117A, 122, 123A, 124, 125A, 126A, 127, 129A, 135A, 136, 137, 139, 149, 239A, 241, 252- 259, 254A, 285, 290, 291, 348, 356, 403, 441, 535, 547A Organisator, Kopf-, Rumpforganisator, 125A, 128, 130A, 149, 255 Organisator, Wirbellose (Hydra, Hydractinia), 73A, 241A, 281A, 285A Organogenese, 27, 33, 57A, 116A, 132, 146A, 158A, 184–194, 185A, 186A, 187A, 188A ortholog, orthologe Gene, Definition, 531, 559 ortholog, orthologe Gene, 346, 351, 532 Orycias latipes, Medaka, 112A, 133–137, 149, 322, 528A Os occipitale, 187, 188A oskar, Oskar, 87, 91A, 92A, 93, 94A, 95A, 98, 221, 229, 233, 237A, 238, 245 Östradiol, Oestradiol, 153A, 167A, 168, 203, 204A, 205A, 206A, 207, 208, 213, 217, 230 Östrogene, Oestrogene, 168, 172, 203, 205A, 207, 208, 210, 211, 212, 213, 214, 216 Östron, Oestron, 205A Östrus, 143, 230 Oszillatoren, 46 (MPF-Osz.), 286, 287A, 288A (Somitenuhr) otx, orthodenticle, otd, 421A, 546, 547A Ovar, 19, 46, 146, 152, 153A, 155A, 166A, 195, 199A, 201A, 203, 204A, 206A, 217, 221A, 225, 226A, 233, 474A
630 Ovarialzyklus, 152, 153A, 154 Ovariole, 86A, 87, 92A, 230 Ovisten, 6 Ovulation, 36, 143, 152A, 154, 155A, 168, 230 Ovum; s. Ei, Eizelle Oxytocin, 166, 167A p53 Tumorsuppressorgen, 498, 499, 500 palindromische Sequenzen, 215, 342, 533
P PAR partition defective proteins, 32A, 244A, 412, 413A Paracentrotus.lividus, 53 Parachordalia, 187 parakrine Faktoren, 295A, 295, 296, 317 paralog, paraloge Gene, 345, 346A, 530, 538; Definition: 531, 559 paraloge Strukturen, 530 Parascaris univalens (equorum), 80, 219, 366 Parasegmente, 100, 102A,104A, 271, 307, 541 Parasympathisches Nervensystem, Parasympathicus, 398, 402, 407, 423, 424A, 425, 442 Parathyreoidea, 185A, 186A parietales, vicerales Mesoderm, 156, 248A Parkinson, 476, 477 Parthenogenese, 6, 10, 14, 15A, 17, 40–41, 46, 135, 146, 170–171 Patched-Rezeptor, 279, 314A, 315 paternale Chromosomen, DNA 11, 22, 13, 43, 45 paternale Prägung.; s. genomische Prägung Paurometabole Entwicklung, 503, Pax, paired-box, Domäne...351, 355, 562 Pax6, Pax6, 351, 352A, 355, 367, 417, 429, 471A, 530, 534, 549, 552, 554, 555A, 556, 557, 560 Pax-Gene, 355 PCP, polychlorierte Biphenyle, 213 PCR Polymerase Chain Reaction, 260, 327, 328, 331 PDGF plateled-derived growth factor, 296, 312, 313, 499 P-Element-Mutagenese,-Transformation, 92, 323, 324A Periblast, 135A Peripatus, 541 Peripheres Nervensystem PNS, 395, 387, 398A, 402, 403, 406, 407, 423, 424A, 425, 426, 439, 442, 545 permissiv, permissive Faktoren, 132, 247, 259, 406, 424A Pestizide, 213 PETH Pre-ecdysis-triggering hormone, 511 P-Granula, 80, 81, 223, 243, 244 Phänokopie, 332 Phänotyp, 3, 4, 8, 16, 21, 91 98, 133, 245, 503, 569 phänotypische Geschlechtsbestimmung, 196–197, 216 Pharynxregion, 185A, 186A Phenylbutyrat, 364 Pheromon, 36, 168, 193, 196, 197 Phorbolester, 283, 501 Phosphatidyl-inosotol-3,4,5-trisphosphat, PIP3 , 65, 66A Phosphatidyl-inosotol-4,5-bisphosphat, PIP2 , 43A, 66A, 304A, 309A Phosphovitine, 86, 228 Photorezeptor(en), 485, 552, 553A, 554A, 555A, ciliäre 554, 555A, 556A, rhabdomere 554, 555A, 556A Phylogenie, 1, 6, 181, 190, 193, 525–526, 528A, 541
Sachverzeichnis phylotypisches Stadium, 119A, 120A, 131A, 148A, 149, 160A, 180–187, 181A, 182A, 185A, 186A, 193, 525, 559, 569 Phyto-Ecdysone, 511 Phytoöstrogene, 212, 213 Pigmentzellen der Haut, 395, 399, 423, 495, 545 Pigmentzellen des Auges, 557 Pille, s. Antibabypille Pinealorgan, 410A, 555, 556 Pionieraxon, -faser, 438, 427A, 428, 429, 438 PIP2 , Phosphatidyl-inosotol-4,5-bisphosphat, 42A, 66A, 304A, 309A PIP3; Phosphatidyl-inosotol-3,4,5-trisphosphat„ 65, 66A Pi-PKC-Signaltransduktionssystem, 42A, 44, 50, 75, 305, 306A, 307, 311, 313, 319 piRNA, piwi-interacting RNA, 223, 341A, 342, 459 PitX2-Transkriptionsfaktor, 269 piwi, Piwi, 220, 221, 223, 224, 342, 459 PKA Proteinkinase A, 65, 304A, 305, 314, 318 PKC, Proteinkinase C, 42, 43A, 44, 50, 74A, 75, 282, 304A, 305, 307, 309A, 311, 313, 319, 501, 510 Placozoa, 528A, 534 Plakoden, epipharyngeale, 408A Plakoden, Linsen-, 408A Plakoden, Nasen-, 121A, 184, 408A, 422 Plakoden, Ohr-, 159, 121A, 134A, 158A, 160, 184, 190, 408A, 422, 423, 454 Plakoden, 90, 422–423 planare Zellpolarität, planare Signale, 126, 265–267, 266A, 280, 290, 291, 311, 318 Planaria maculata, 487 Planarien, 485–487, 486A Planula-Larve, 14A, 75, 76A, 78, 341A, 503, 504A, 513 Plasmazellen, 464A, 466, 468 Plasmocytom, 595 Plastizität des Differenzierungszustandes, 482–484 Plastizität, neuronale, 439–441 Platy-Fisch, 540 Platynereis dumerilii, 23A, 24A, 54A, 80, 83–84, 84A, 109, 223, 224, 310, 521A, 549, 553A, 546, 549, 533 Plazenta, 46, 142, 143, 145, 146A, 148A, 150, 155, 156, 157A, 163A, 164A, 165, 182A Plazentabiopsie, 176 Plazentahormone..166, 168 Plazentaschranke, 165A PLC Phospholipase C, 43A, 304A, 309A, 313, 55A Pluripotenz, induzierte, 476–478, 477A Pluripotenz, 224, 245, 363, 495 Pluripotenzgene, 77, 459, 575, 476, 479, 492, 496, 522 Pluteus, 54A, 56, 57A 58A, 61A, 499 PNS, peripheres Nervensystem, 395, 387, 398A, 402, 403, 406, 407, 423, 424A, 425, 426, 439, 442, 545 Podocoryne carnea, 76A, 77, 109, 483A, 543, 544A Podospora anserina, 522 polar, Polarität, 21, Polarität animal-vegetative, 21 Polaritätsachsen, 22, 49, 50, 92, 100, 114, 117A, 236, 238, 239A, 245, 271: s. auch Körperachsen Polkörper (Richtungskörper), 12, 20A, 21, 33, 41, 44, 46, 55, 56A, 77, 108A, 143, 144A, 146, 170, 178, 195, 226A, 230, 236, 378, 379A, 546
Sachverzeichnis Polplasma, Polgranula, 87, 93A, 221, 223, 224, 397; s. auch Keimplasma Polycomb-Gruppe PcG, 360, 361A, 368 Polydactylie, 549 polyklonale Antikörper, 339 polyklonaler Ursprung von Zellen, 81 polylecithal, 22 Polyp, Hydropolyp, 60, 69A, 74A, 241A, 542A, 548; (s. auch Hydra, Hydractinia) polyploid, 105, 143, 365 Polyploidisierung, 365, 368 Polyspermie, Polyspermieblock, 41, 42, 44 polytän, Polytänie, 86, 105, 229, 343, 366 Polzellen, 87, 88A, 89A, 93A, 220, 222A, 324A, 396A, 397 Polzellen-Determinanten, 242 Pons, 407A, 410A, 422A Porifera, 528A Positionsgedächtnis, 109, 277, 280, 283, 291 Positionsinformation durch maternale Faktoren, 235–246, 98A, 237A, 239A, 241A, 244A; s. auch asymmetrische Zellteilung Positionsinformation durch Zell-Zell-Interaktionen, 247–271 Positionsinformation, Allgemeines, 8, 9, 29, 236 Positionsinformation, Nachweis durch Transplantation, 73A, 122A Positionswert, 73A, 109, 266A, 276, 277A, 281A, 283A, 284, 285A, 286, 291, 487, 490A, 492 posteriore Dominanz, 345, 347A, 367, 534 postranslationale Modifikation, 299, 340 POU-Domäne, 356, 459 prächordales Mesoderm, 131A, 255A, 256A, 404A Prächordalplatte, 160 Präformationstheorie, 5 Prägung, epigenetische, 147, 232, 234, 375 Prägung, genomische, maternale, paternale, 46, 147, 148, 171, 215, 232, 234, 364, 368, 375 Prägung, sexuelle, psychische, 166, 171, 208, 210, 211, 218, 436, 437, 439 Prägung, verhaltensbiologische, 171, 208, 440, 441, 443 Präimplantationsdiagnostik PID, 177, 178 Pränataldiagnostik PND, 174, 174–176 Prathyreoidea, Nebenschilddrüse, 185A, 186A, 189 Precocene, 511 Primitivknoten, 289, 349, 570 Primitivrinne, 570, Drosophila: 87, 88A, 89A, 99; Hühnchen: 138A, 139A, 140A, 150, 222A, 286A, 270A, 289; Maus: 145A; Mensch: 156, 157A, 158A, 160, 182, 193; Vertebrat: 182, 183A, 193, 386 Primitivstreif, Drosophila: 89A; Maus: 145A, 146A, 267; Primordialfollikel, 152 Proatlas, 187A, 348, 367 proboscidea, pb, 104A Prod-1 Gradient, 489 Progenesis, 15–16, 17 Progenitorzellen, 412, 459, 465, 476 Progeria, Progeria-Syndrome, 521, 522; adultorum, infantium, 521 Progerin, 522 Progesteron, 36, 50, 153A, 166A, 167A, 168, 206A, 230 programmierter Zelltod, s. Apoptose Prolactin, 167A, 208, 216, 310A, 507A, 509, 510
631 Proliferation, polare 26, 33; Zellprol. 28; Urkeimzellen 225, 226 Proliferationskontrolle, 28, 295, 493–500 Promotor, zellspezifisch, 325A, 336, 337A; induzierbar 338 Pronephros, 119, 190, 199A, 201A proneurale Gene, Transkriptionsfaktoren, 354, 403, 404A, 405, 406, 417, 418A, 419, 441, 549 Pronucleus, Pronuclei, 379A, 571, s. weiter Vorkern Prosencephalon, 161A, 184, 190, 407A, 408A, 409A, 412, 429, 442 prospektives Schicksal, 121, 122, 188 Protamine, 231, 232, 233, 363 proteincodierende Gene, allgemein, 341, 365 Protein-Kinasen, 48, 50, 303, 313 Protein-Microarrays, 331 Proteoglykane, 42, 297, 298A, 300, 301, 318, 518 Proteus (Grottenolm), 16 Prothoraxdrüse, 508A, 509 Proto-Hox-Gene, Proto-Hox-Cluster, 527, 532, 537A, 538 Protoonkogene, 498 Protostomia, Protostomier, 54A, 78, 281, 528A, 537A, 541, 546, 547A Psammechinus, 54A Pseudogene, 341, 531 PTTH Prothorakotropes Hormon, 508A, 509A, 509 Pubertät, 152, 173, 195, 201, 207, 208, 210, 212, 216, 225, 226A, 230, 233, 412 puffing-Aktivität, 342, 343A pumilio, 98 Punktmutationen, 532 Puppe, 5, 85A, 343, 503, 504A, 505, 509A, 512A, 514 Puppencuticula, 285, 506A Purkinjeneurone, -zellen, 337A, 379A, 414 Pyramidenneurone, -zellen, 414A, 415A
Q Quadratum, 188, 399 Quallen, s. Meduse Quieszenz, 511, 512
R RA retinoic acid, s. Retinsäure Radiärfurchung, 23A, 24A, 25A, 33, 115 Radiärsymmetrie, 56, 62, 542, 543, 560 Radiata, 548 Radiotherapie, 469 RAF-Transduktionsfaktor, 310A Rana temporaria, 111, 115, 116A, 491A Randknoten, 136 RAR, retinoic acid receptor, 316A, 317, 491 RARE, RA-responsive element, 317, 356 ras Gen, 499, 501 RAS, RAS/MAK Transduktionsfaktor, 309A, 310A, 313 Rathke-Tasche, 185A, 186A, 189, 408 rDNA, 113, 225, 228A, 233, 363, 541 rDNA-Amplifikation, 113, 225, 228A, 233, 363 Reaggregation„ 69, 73, 283A, 283, 385, 399 Reaktions-Diffusions-Modelle, 278–280, 279A Receptaculum seminis, 40, 87
632 Reductase, 5˛-Reductase, 207, 214 Reduktionsteilung, 12; s. Meiose Redundanz, genetische, 261, 262, 345 Reembryonalisierung, 478, 480, 481, 483, 492, 494, 496 Referenzgene, Referenz-DNA, 329A, 331 Referenzorganismus, 9, 53, 78, 84, 111 Regeneration aus Stammzellen, Gewebeersatz, 458, 462, 480, 483, 470, 471A, 473 Regeneration bei Amphibien, 479, 484A, 488A, 489A, 490A Regeneration bei Säugetieren, Mensch, 480, 485 Regeneration bei Wirbellosen, 258A, 479; s. auch Imaginalscheiben, Hydra, Planarien Regeneration der Augenlinse, 484A Regeneration im Zentralnervensystem, 481, 485 Regeneration von Extremitäten, 488A, 489, 490A, 491A Regeneration von Nervenfasern, 439–440, 476 Regeneration, allgemein, 6, 8, 457–492, 279, 309A, 342 Regenerative Medizin, 469–478 Regulationskeime, 49, 120, 243, 245, 246, 371 regulatorische RNA, 2, 340–342, 341A Reichertsche Membran, 146A Reifeteilung, s. Meiose Rekapitulation der Phylogenie, 181, 192–193, 525; s. auch biogenetisches Grundgesetz Rekombination in der Meiose, 13 Rekombination, homologe, 150, 325A, 326A, 335, 336, 337, 378, 379, 381, 382A Rekombination, somatische, 364, 368, 466–468, 468A Rekonstitution, Reorganisation, 69, 70, 71A, 311, 479 Remane Adolf, 527 Reportergene, 280, 325A, 331, 336, 337A, 338A, 379A Reproduktion, Allgemeines, 10–17 Reproduktionsmedizin, Teilaspekte, 169–179, 173 Reprogrammierung adulter Zellen, 375, 475–479, 477A repulsive Signale, Signalmoleküle, 400A, 427A, 428A Rescue-Experiment, 323 Retina, 132A, 429, 471A, 473, 484A, 505A, 507A, 553A, 554A (evers, invers), 555A, 556 Retinal, 529, 532A, 552, 555A, 555 Retinal-Opsin, 532A, 555A Retinaneurone, 442A, 430A, 431A Retinoblastom, Retinoblastom-1, rb-1, 497, 499 Retinol, 297 Retinotektale Projektion, 142, 422A, 429–436, 442, 430A, 431A, 433A, 424A, 435A Retinsäure, retinoic acid, 132A, 149, 256A, 259, 260, 265, 273A, 274, 275A (Formel), 275–276, 290, 296, 301, 316, 317, 356, 404, 416, 489, 490A, 491A, 491, 510 Retinsäure-Rezeptoren, 276, 316A, 317, 356, 491, 510 Retinulazellen, 252A, 430A, 431A Retrovirus, 530 reverse Entwicklung, 478, 514 reverse Genetik, 260, 322, 327, Reverse Transkriptase, 328 Rezeptoren, Hedgehog-System, 314A Rezeptoren, Notch-System, 308A Rezeptoren, nukleäre, 316A Rezeptoren, Serin/Threoninkinasen, 308A Rezeptoren, Serpentinrezeptoren, 308A, 309A, 310A Rezeptoren, Tyrosinkinasen, 309A, 310A Rezeptoren, WNT-System, 306A
Sachverzeichnis Rezeptortyrosinkinasen, 307, 308A, 309A, 532 Reziprozitätsregel, Mendelsche, 21, 29, 322 rhabdomere Photorezeptoren, 554, 555A, 556A Rhabdomere, 251, 252A, 553A Rhesusfaktor, 163, 165A Rhodopsin, Rhodopsingene, 505, 531, 532A, 552 Rhombencephalon, 161A, 164A, 185A, 399A, 408A, 421A, 424, 422A Rhombomeren, 186A, 187, 188, 408A, 409 Rhopalien, 552 Richtungskörper, s. Polkörper Riechepithel,-schleimhaut, 182, 315, 422, 429, 437 Riechhirn, s. Bulbus olfactorius Riechsinneszellen, Regeneration, 459, 480, 485 Riechsinneszellen, 436, 437A, 545 Riesenchromosomen, 342, 343A, 366 RISC, 333, 334A, 342, 357A RNA, regulatorische, 340–342, 341A RNA-coding DNA, 342 RNAi, RNA-Interferenz, RNAi-Methode, 82, 258, 323, 333, 334A, 356, 486A, 487, 490, 539 RNA-Polymerase, 227A, 228A, 331, 334A RNP-Partikel, 32A, 86, 96, 223, 225 ROS reactive oxygen species, 518 Roux Wilhelm, 7, 120 R-respondin-1, RSPO1, 203, 204A, 206, 208 rRNA, 2, 64, 86, 228A, 339 Rückenmark, 120A, 121A, 149, 256, 311, 351, 397, 402A, 404A, 406, 407A, 415A, 416, 419A, 424A, 428A, 438, 439A, 406A, 440, 442, 491 RXR, 316A, 317, 491
S Saint-Hilaire Etienne Geoffroy, 6, 551 Samenleiter, 199, 201A, 202A, 217; s. auch Wollfsche Gang Sarcom, 495 Satellitenzellen, Satelliten-Stammzellen, 461, 478, 495 Sauerstoffradikale, 518 SCF, stem cell factor, 468, 561 Schädel, 186, 187, 188, 193; knorpeliger 398A, 399A, 402 Schaltergen, Schlüsselgen, Selektorgen, 196, 210 Scheinbefruchtung, 146 Scheitelbeuge, 409A, 422A Schiege, 376 Schild, Embronalschild (shield), 134A, 135A, 136 Schilddrüse, Thyreoidea, 184, 185A, 186A, 189, 190, 317, 507A, 509 Schistocerca gregaria, 504A Schlundbögen, Schlundtaschen, 191A, 193, 525, 559; s. auch Kiemenbögen Schmidtea mediterrania, 487 Schwangerschaftsabbruch, gesetzliche Regelungen, 179–180 Schwangerschaftstest, 111, 166 Schwangerschaftsverhütung, 168, 172, 179, 209, 212 Schwannsche Scheiden, 398A, 415A Scr, sex combs reduced, 104A, 346A, 421A, 536A, 537A Screening, Expressionsscreening, 331 Scyphozoen, 9, 14A, 26, 54A, 482, 548 Second messenger..42, 303, 304A, 305, 305, 307, 318, s. auch cAMP, IP3
Sachverzeichnis Seeigel, als Prototyp, 8, 19, 22, 23A, 24A, 25A, 26A, 54A, 75, 108, 181, 241, 245, 246, 264, 371, 534A, 547A Seeigel, Befruchtung, 36–38, 38A, 42, 53–54 Seeigel, Embryonalentwicklung, 55–64, 56A, 57A, 58A, 59A, 61A, 62A, 63A segmentale Organisation, Schädel, Wirbelsäule, 186, 187A, 188 Segmentation clock, 288A, 289 Segmentidentität, 538, -Gene, s. Hom/Hox-Gene Segmentierung, Drosophila, 88A, 90, 81A, 102A, 104A Segmentierung, homonom, heteronom, 90 Segmentierungs-Oszillator, 288A, 289 Sehzentren, sekundäre (V2-V5), 430 Sehzentrum Tectum opticum (Nicht-Säuger), 410A, 410, 422A, 430A, 431A, 432, 433A, 436A Sehzentrum, primäres V1, 414, 430, 432, 434A Seitenlinienorgane, 423 Seitenplatten, 118, 119A, 120A, 121A, 125, 136, 139, 149, 199, 268A, 273, 445, 447, 456 seitliche(r) Kniehöcker, 430, 534A Selbstbefruchtung, 13, 17, 40, 79 Selbsterneuerung, self renewal, 458 Selbstorganisation, 1, 10, 16, 69, 109, 117, 270, 426, 438, 440, 441, 473, 479, 480, 483, 492 Selektine, 388 Selektorgene; s. Meistergene Semaphorin, 417, 427A, 428A, 451A, 452 Seneszenz, 19, 520 sensible Phasen, 171 sensorische Neurone, 70, 419A, 421A, 442, Sequenzhomologie, 550 Sequestrieren, 465 Serotonin, 269, 315 Sertoli-Zellen, 200A, 203, 204, 205, 206A, 207 sevenless, 251 sex-lethal, 198 Sexualdimorphismus, 196 Sexualentwicklung, s. Geschlechtsentwicklung Sexualhormone, 153A, 166, 168, 198, 203, 205A, 206A, 207, 210, 216, 217, 230 Sexualität, Wesen der, 13, 17, 195; s. auch Geschlechtsentwicklung, sexuelle Fortpflanzung Sexualorgane, 195, 199A, 201A, 202A, 207, 210, 212; s. auch Hoden, Ovar sexuelle Fortpflanzung, 3, 10–17, 35, 195–200, 216, 232, 364, 375, 376, 523 Sey, small eye, 351 SHH, s. sonic hedgehog short gastrulation; s. sog Shuttle-Proteine, 299, 316A siamois, Siamois, 126, 130A, 133, 136, 137, 356 Sib selection, 335 Signale, entwicklungssteuernde, 293–320 Signalpropagation, Signaltransmission, 296–302, 297A, 298A, 302A Signaltransduktion, 296, 302–319, 304A, 306A, 308A, 309A, 310A, 319, 314A, 316A sine oculis, Sine oculis, 353, 429, 530, 534, 548, 549, 552, 555A, 557, 560 Sinnesplakoden, s. Plakoden siRNA, small interfering RNA, 333, 334A, 341A, 342, 357A Situs inversus, 267, 269
633 Situs solitus, 267 SIX..423, 549, 552; s. auch sine oculis six3, 551 Sklerotisierung, 511 Sklerotom, 118, 121A, 187, 260A, 261, 395A, 399 SLIT-Faktor, 451 Smad Transduktionselement, 308A Small eye, Sey, 351 Smoothened, 314A snail, 99, 101A, 249, 543 sog, short gastrulation, SOG, 99, 101A, 254A, 255, 256, 261, 264, 290, 549, 550A Soma vs Keimbahn, 220, 221, 223, 232, 244A somatische Rekombination, 364, 368, 466–468, 468A somatische Zellen, Definition, 1 Somatomedine, 296, 318; s. auch IGF Somatopleura, 119, 121A Somit(en), Urwirbel, 117, 118, 119A, 120A, 125, 134A, 140A, 146A. 148A, 149, 158A, 183, 187A, 193, 260A, 273A Somitenbildung, periodische, 288A, 289–290 Somitenstadium, 46, 157; s. auch phylotypisches Stadium sonic hedgehog,Sonic hedgehog SHH, 128, 131, 142, 184, 259, 260A, 261, 267, 268A, 269, 273A, 275A, 276, 286, 297, 312, 313, 314A, 348, 349, 392, 419A, 422A, 432, 469, 561 Sonographie, 175 Sorting out, Aussonderung, Aussortierung, 66, 69, 250A, 387A, 394 Source-sink-Modell, 263, 277 Sox-2, Sox-2, 459, 475, 484, 496 SOX3, 129, 130A, 404A, 406 Spallanzani Lazzaro, 6 spätzle, Spätzle, 99, 100A, 238, 245 Spemann Hans, 8, 31, 111, 120, 122, 123, 248, 253 Spemann-Organisator, s. Organisator Spermaster, 45 Spermatide, 231A Spermatocyte(n), 220, 223, 226A, 230, 231A, 232A, 233, 378 Spermatogenese, 19, 46, 203A, 216, 225, 226A, 230–231, 231A, 232A Spermatogonien, 199A, 200A, 203, 204, 223, 224, 226A, 230, 231A, 233, 482A Spermien in der Befruchtung, 20A, 36–43, 37A, 38A, 39A, 43A Spermium, Spermien, Spermatozoen, 1, 11, 13, 17, 19, 46, 115A, 117A, 147, 154 (Lebensdauer), 169, 174A, 231A, 232A Spezifikation, 28, 29A, 30–32 S-Phase, 10, 11A, 47A Spinalganglien, 117, 121A, 184, 397, 395A, 399, 407, 419A, 424A, 425A Spindelapparat, 23, 24A, 45 Spiraculum, 116A, 188 Spiralfurchung, 24A, 25A, 82A Spiralia, Spiralier, 54A, 82–84, 83A, 84A, 109 Spisula, 47, 54A, 83 Splanchnopleura, 119, 121A src Onkogen, 498, 501 src sex-combs reduced, 104A, 536A Sry-Gen, SRY-Faktor..198, 200–205, 200A, 203A, 207, 209, 215, 217, 224, 355, 561
634 SSH, s. sonic hedgehog Stammbaum des Tierreichs, 528A, 541 Stammbaum, Wirbellose, 54A Stammbaum, Wirbeltiere, 112A. 528A stammestypisches Stadium; s. phylotypisches Stadium, Stammzellbanken, 472 Stammzellen, adulte, 459–475 Stammzellen, allgemeine Funktion, Klassifizierung, 357–461, 459, 460A, 461A Stammzellen, embryonale, ES-Zellen, 145, 178, 224, 372, 473, 459A Stammzellen, fetale, Nabelschnur, 458, 472 Stammzellen, für Ersatzgewebe, 376, 405A, 496, 470–475, 571A, 574A Stammzellen, Gewebserneurung, Regeneration, 70A, 77A, 457–462, 460A, 461A, 481–482, 482A Stammzellen, hämatopoeitische, 397, 445A, 448A, 449A, 461A, 462–468, 464A Stammzellen, immortale, 495 Stammzellen, induzierte pluripotente, iPSC, 475–478, 483A Stammzellen, interstitielle, Neoblasten, 70A, 71, 75, 77A, 280, 395, 481, 482A Stammzellen, lymphoide, 466A Stammzellen, neuronale im Gehirn, 379A, 412, 413A, 414A, 441, 442 Stammzellen, Ursprung von Krebs, 478–479, 460A Stapes (Steigbügel), 189A STAT-Transduktionsfaktoren, 309A, 310A Stephanoscyphus planulophorus, 514 Stereoblastula, 26A Sternzellen, 414, 415A Steroidhormone, 168, 210, 205A, 211, 299, 316A, 317, 338A, 356, 510 Steroidhormon-Expressionssystem, 338A Stratum germinativum, 460A stRNA, 342 Strobilation, 14A Stromazelle, 461A Strongylocentrus purpuratus, 53 Subgerminalhöhle, 138A Subventriculäre Zone SVZ, 441 Sxl, Sex-lethal, 198 symmetrische vs asymmetrische Zellteilung, 29, 32A, 79, 80A, 223, 236, 243, 244A, 246, 412, 413A, 442, 459 sympathische Ganglien, 398, 424A, 426A sympathische Neuroblasten, 299, 425 sympathische Neurone, 407, 425, 426A Sympathischer Grenzstrang, 148, 398, 424A, 425A Sympathisches Nervensystem, 142, 407, 424A, 425A Synapsen, 417, 432, 433, 438, 439A, 440 Synaptophysin, 302 Synexpressionsgruppen, 331
T T3, T4, Tri-, Tetrajodthyronin, 509 Tagmata, 90 TCF Transkriptionsfaktor, 338A TCF/Lef, 306A, 309 TDF, testis-determining factor, 200A, 201A, 203A, 224, 355, 561
Sachverzeichnis Tectum opticum, 410A, 410, 422A, 430A, 431A, 432, 433A, 436A 408A, 426, 427 Telencephalon, 159A, 161A, 407A, 408A, 409A, 410A, 412, 414, 420, 421A, 422A, 441 telolecithal, 22 Telomerase, 519 Telomerase-Hypothese des Alterns, 375, 522 Telomeren, 520A Telomeren-Uhr, 519–520, 520A Teratocarcinom, 46, 146, 378, 500, 402, 570 teratogene Agentien, 171, 213, 317, 453 Teratom, Terata, 146, 154, 235, 377A, 384, 570; s. auch Teratocarcinom Terminalzelle, 313, 391, 449, 450A, 451A, 452A Testis, s. Hoden Testosteron, Dihydro-Testosteron, 205A (Formel), 209, 216 Testosteron, 172, 199, 200A, 303, 204A, 205A (Formel), 206, 207, 208, 209, 211, 213, 214, 216, 217, 230, 539, 540 tetraparental, 376 Tet-System, tetracycline resistance system, 339, 383, 478 TGF-alpha, 313, 451, 461, 499 TGF-beta, TGF-ˇ , 60, 62, 99, 124, 127, 257, 261, 264, 301, 308A, 312, 419A TGF-ˇ -Familie, 124, 127, 257, 296, 299, 300, 305, 311–312, 318, 500, 551 Thalamus, 409, 409A, 410A, 411A Thalidomid, 171, 453 Thecazellen, 203, 204A, 206A, 230 therapeutisches Klonen, 373–475, 474A Thorax, Pro-, Meso-, Meta-Thorax, 90 Thrombospondin-1, TSP-1, 453 Thymidinkinase-Gen, 326A, 336 Thymus, 185A, 189, 190, 397, 462, 466, 467A, 518 Thyreoidea, Schilddrüse, 185A, 186A, 189, 507A, Thyroxin, 133, 189, 299, 315, 316A, 317, 356, 358, 505, 507A (mit Formel), 509, 510 Thyroxin-Rezeptor, 316A, 317, 356 Tissue engineering, 470–473, 471A, 472 TNT tunneling nanotubes, 302A, 303, 318 Tod, biologische Bedeutung, Ursachen, 485, 517–523 Toll, Tl, Toll.::96, 99, 237A, 238 Tolloid, 101A, 254A, 261 Toll-Rezeptor, 99, 100A, 237A, 245 Tonsillen (mit Mandeln), 185A, 186A, 189, 465 torso, Torso, 96, 238 totipotent, Totipotenz, 31, 120, 143, 178, 235, 344, 459, 481, 482A TR, Thyroxin Receptor, 316A, 317, 356 Trabeculae, 187 Trachea, 190 Tracheen, 106, 390, 391, 392A, 539 Transaktivierung, 358 Transcytose, 229A, 263, 301, 302A, 309, 312, 315, 318 Transdetermination, 8, 31,105, 105, 107, 340, 358, 480, 485, 570 Transdifferenzierung, 8, 31, 72, 77, 109, 280, 340, 415, 476, 477A, 478, 480, 481, 482, 483A, 484A, 485, 488A, 492, 571 Transformation, canceröse, neoplastische, 494, 571 Transformation, homöotische: 102, 103, 105A, 107, 337A, 348, 349, 366, 491A, 566
Sachverzeichnis transformer1 (tra1), 198 transgene Tiere, Herstellung, 378–383, 379A, 380A, 382A Transgene, spezielle Vektoren, 325A, 362, 335, 338A, 378, 382A Transkription, Definition, 2, 560 Transkriptionsfaktoren, allgemein, 90, 96, 307, 308A, 345A Transkriptionsfaktoren, einzelne, beta-Catenin 60, 130A, 245, 306A; Bicoid 96, 105, 264; Brachyury 75; BROAAD 510; Cubitus interruptus Ci 314A; Dorsal 98, 100A; EGFR 318; Engrailed 103, 104A; Espl-C 251; Ey 352A; Fos 495; Gal4 352; Goosecoid 130A; Hand 337; Hes, Hairy 312; Jun 495; Lef/TCF 306A; Lefty 269; L-MAF 253;Msx1 488; Myb 495; Myc 495; MyoD 343; Notch NICD 308A, 312; Oct-4 229, 233, p53 498, 500; Pax6 352A, 554; PitX2 269; RAR/RXR 316A, 317; RX3 429; Siamois 130; Sine oculis 530; SOX2 459; 309; SRY/TDF 203, 217, 355, TCF 74; Twist 543; VegT 130A, 239A; s. auch Hom/Hox Translation, Definition, 2 Transplantation autologe (homplastische), heterologe (heteroplastische) 31 Transplantationen autologe, syngene, allogene, 470 Transplantationen xenoplastische, 399 Transplantationstest für Determinationszustand, 32 Transplantion (analytisch), 63A, 73A, 122A, 123A, 125A, 275A, 281A, 285A; s. auch Kerntransplantation Transposons, 82, 223, 323, 324A, 335, 340, 341, 342, 352A, 365, 531, 533 Transsexualität, 211 Trembley Abraham, 8, 69 TRH Thyreotropin-releasing hormone, 509 Tribolium, 54A Tributylzinn, 213 Trichoplax, 365, 528A, 534, 542 Trijodthyronin T3, 509 Trimenon, Trimester, 175 Tripedalia, Augen, 548, 553A Triple-Test, 175 Triploblastie, triploblastisch, 27, 33, 54A, 56, 116, 527, 528A, 535, 537, 538, 542–543, 544–545 Trisomie, chromosomale, 173–174, 174A Trithorax-Gruppe trxG, 360 Triturus, Molch:..111, 112A. 399, 521 Trochophora, 82, 83A, 84A, 503, 541, 546, 550A, 556, 559 Trommelfell, 184, 185A, 505, 507A Trophoblast, Cytotrophoblast, 156A, 164A Trophoblast, invasiver, syncytialer, 155, 156A Trophoblast, 45, 142, 143, 144A, 145A 150, 155A, 157A, 162, 182, 192, 193, 232, 365, 368, 371, 459, 476, 562 Trophoblastenzotten, 156, 157A, 193 Truncus arteriosus, 186A, 446A, 447, 454, 456 TSH Thyreoidea stimulierendes Hormon, 507A, 509 Tubuli, tubuläre Organe, 392A Tumor(en), 452A, 495–498 Tumor-erzeugende Gene, Onkogene, 498 Tumor-promovierende Phorbolester, 501 Tumor-promovierende Wachstumsfaktoren, 499 Tumor-Stammzellen, tumor-initiating cells TIC, 496 Tumorsuppressor-Gene, -Proteine, 499, 500 Tunikaten, Tunicata, 25A, 49, 54A, 56, 107–108, 108A, 189, 224, 365, 397, 479, 481, 503, 524A
635 Turing Alan, 9, 60, 278 Turner-Syndrom, Ullrich-Turner-Syndrom, 202, 209 twin-of-eyeless, 353 twist, 99, 101A, 249 Tympanicum, 188A T-Zellen, T-Lymphocyten, 163, 303, 364, 462, 464A, 466, 467A T-Zellrezeptor, 389A, 533
U Überexpression, 333 Überlebensfaktoren, 417, 425–426, 439, 442, 451A, 488, 521 Ubx, Ultrabithorax, 91A, 104A, 346A, 536A, 537A Ultimobranchialkörper, 185A Ultraspiracle USP, 510 Umprogrammierung adulter Zellen; s. Transdifferenzierung und iPSC Unfruchtbarkeit, 169, s. auch Infertilität uniparentale Fortpflanzung, 10, 13–15, 16, 40, unipotent, Unipotenz, 459 Urbilateria, 54A, 528A, 548, 549, 554, 556, 559 Urdarm, 23A, 25, 27, 55, 56, 57A, 63, 115–116, 118A, 119, 136, 386A Urdarmdach, 116, 118–129, 125A, 255, 256A, 258, 268A, 269 Ur-Gen, Urgen, 37, 529, 530, 531 Urkeimzellen, Wanderung, 396A Urkeimzellen, 7, 12, 17, 75, 79, 87, 152, 203, 204A, 219–225, 220A, 221A, 222A, 226A, 233, 242, 382, 386, 395, 396A, 397, 402, 473, 482A, 496, 501, 531A Urmesoblast, Urmesodermzelle, 23A, 83A Urmund, Urmundbildung, 23A, 57A, 115–116, 118A, 257A, 535, 542A, 546–548, 547A, 550; s. auch Gastrulation Urmundlippe, obere, 115, 118A, 119A, 123A, 253, 255, 260, 290, 348, 386A Urniere, 199 Urochordata (Tunicata), 54A, 524A s. auch Tunicata Urogenitalsystem, 119, 121A, 199A, 201A Ursegmentstiele, 119, 121A Urwirbel, s. Somiten Uterus, 46, (79), 144, 150, 153, 154A, 155A, 164A, 166A, 178, 199A, 201A, 370A, 373A UTR untranslated region, 93, 342, 357A Uvomorulin, 143, 568
V Valproinsäure, 476 van Leeuwenhoek Antoni, 5 vasa, VASA, 80, 87, 93, 220, 221, 222A, 223, 224, 233, 242, 243, 244A, 397, 459, 482A Vasculogenese, 447–449, 449A, 450A Vegetalisierung, 59, 61 vegetative Fortpflanzung, 1, 10–11, 13, 16, 369, 370, 370, 383, 479 vegetativer Pol, 20A, 21, 115A, 229A, 237A, 547A vegetatives Nervensystem, 117, 397, 407, 424A, 425A, 442 VEGF vascular endothelial growth factor, 312, 313, 392A, 453, 455, 562 VEGFR, 313 Veg-T, 130, 239A,
636 Veligerlarve, 503 Vena cava, 455A Vertebrata im System, 112A, 528A vestigial, 272A Vg-1, 124, 127 Vierhügelplatte, 410A Viren, Virengene, 497, 498, 501, 533 Virginopara, 14, 15A vis vitalis, vis essentialis, 6 Visceralskelett, 186A, 399 Vitalismus, Vitalisten, 6 Vitamin A, 297 Vitamin D3, 316A, 356 Vitamin-A-Säure; s. Retinsäure Vitellinmembran, 22, 36, 37A, 38A, 42, 43A, 44, 50, 55, 56A, 137, 229A, 230 Vitellogenin(e), 86, 113, 153A, 216, 228, 229A, 234, 567 Vitellophagen, 87, 88A vivipar, Viviparie, 9, 142 Vogelentwicklung, 24A, 113, 152A, 213, 228, 229A, 233, 571 von Baer Carl Ernst, 5, 180, 181, 193, 525 von Haller Albrecht, 5 Vorkern, Pronucleus, 37A, 37 44, 50, 152A, 178, 378, 379A, 383, 571 Vorniere, s. Pronephros
W Wachstumsfaktoren, 30, 127, 137, 249, 257, 273, 276, 294, 295, 305, 307, 312, 413, 317–318, 359, 391–392, 471, 472, 488, 489, 493–494, 497, 499, 500, 501, 502, 561, 532, 540 Wachstumskegel, growth cone, 303, 313, 390, 391, 425, 427A, 432, 433A, 434A, 435, 436A, 438, 440, 442, 450A, 451A, 455 Wachstumskontrolle, 493–497 Weismann August, 7, 75, 221, 458, 482, 517 Werner-Protein, 517, 518 Werner-Syndrom, 521, 522 Wieschaus Eric, 84 Wilson Edmund Beecher, 7 wingless (wg) Wingless, 90, 91A, 102A, 104A, 127, 263, 265, 271, 272A, 301, 307 Wirbelkörper, Wirbelsäule, 118, 149, 184, 187A, 260A, 291, 348, 349A, 367, 395A, 402 Wirbelkörper , Atlas, Proatlas, Axis, 187A Wirbellose, Stammbaum, 54A Wirbeltheorie des Schädels, 187 Wirbeltiere, generalisierter Embryo, 120A, 185A, 186A Wirbeltiere, Stammbaum, 112A, 528A Wirbeltiere, Vergleich der Embryonen, 181A, 183A WNT nicht kanonisches, Ca-abhängiges System, 265–267, 311 Wnt, Wnt/beta-Catenin-System, kanonisches, 60, 61, 71A, 73, 74A, 80, 101, 124, 126, 130A, 131A, 132, 239A, 240, 241A, 253, 254A, 257A, 261, 262, 274, 281–283, 299, 301, 305, 306A (Gesamtsystem), 309–311, 338A, 406, 486A, 534A, 537, 538, 542A, 547A WNT-1, 125A, 127, 339A, 420, 422, 534A WNT-11, 127, 239A, 253, 254A, 267, 290, 392A WNT-3a, 61, 74A, 76A, 128, 131A, 240, 241A, 256A, 274, 288, 433, 534A, 542A
Sachverzeichnis WNT-4, 203, 204A, 205, 206, 311 WNT-5a, 74A, 267, 311 WNT-8, 74A, 128, 131A, 149, 254A, 255, 256A, 264, 274, 311, 406, 423, 534A WNT-Familie, 127, 307, 318, 416, 531, 535A Wolff Caspar Friedrich, 6, 27, 137 Wolffsche Linsenregeneration, 484A Wolffscher Gang, 199A, 201A Wolpert Lewis, 9, 30, 248, 570
X X-Chromosom, Struktur, 203A; s. weiter Geschlechtschromosomen X-Chromosom-Inaktivierung, 362, 362A Xenoöstrogene, xenoestrogens, 206, 212, 216–217 Xenopus laevis, 17, 46, 47, 80, 133 Xenopus tropicalis, 112 Xenopus-Entwicklung; s. Amphibienentwicklung Xiphophorus helleri, 535, 536A XX-Konstitution, 78, 147, 163, 198, 202, 204, 205, 206, 208, 209, 217 XY-Konstitution, 202, 294, 205, 207, 208, 210. 215, 217, 362
Y Y-Chromosom, Problematik, 215 Y-Chromosom, Struktur, 203A; s. weiter Geschlechtsentwicklung
Z Zebrabärbling, s. Danio rerio Zelladhäsion, 116, 286, 385–388 Zelladhäsionsmoleküle, 143, 248, 286, 296, 287A, 312, 288, 389A (Struktur), 390, 393, 414, 427A, 428, 429, 437A, 494 Zellbewegung, Zellmigration, Zellwanderung, 69, 296, 312, 315, 385–387, 423–425 Zelldifferenzierung, Definition, 28 Zellgedächtnis, s. Zellheredität Zellgenealogie, cell lineage, Beispiel, 78, 80A, 244, 336; s. auch Keimbahn Zellheredität, epigenetische, 359, 361A, 364, 367, 368, 375 Zellinteraktion, Zell-Zell-Kommunikation, 8, 29, 81, 107, 243–245, 247–249, 293ff Zellklone, 83, 198, 362 Zellkonstanz, 78, 79 Zellpolarität, 32A, 265–267, 266A Zellreifung, 28, 29A Zellsoziologie, 3 Zellstammbaum, 48, 49, 78–82, 109, 244, 336 Zellteilung(en); s. Furchung, Mitose, Meiose Zellteilung, symmetrische, asymmetrische, 29, 32A, 79, 80A, 223, 236, 243, 244A, 246, 412, 413A, 442, 459 Zelltod, programmierter, s. Apoptose Zellzyklus, 10, 46–49, 47A, 50, 53, 55, 108, 235, 286, 359, 373, 374, 493, 494, 498–501, 519, 558 Zellzykluskontrolle, 499–502
Sachverzeichnis Zentralnervensystem, ZNS, Wirbeltier, Mensch, 2, 258, 317, 401, 403, 406–423, 407A-431A, 432, 433A-437A, 440–443, 491; s. auch Gehirn, Rückenmark Zentralnervensysteme, allgemein, 420, 548, 545–546, 551 ZGA, zygotic gene activation, 48 zic, Zic Transkriptionsfaktor, 132, 354 Zinkfingerdomäne, -protein, 102, 317, 354, 355, 356, 404, 510, 543 Zinkfinger-Nukleasen, 378 Zirbeldrüse; s. Epiphyse, Pinealorgan ZNS, s. Zentralnervensystem Zona pellucida, 22, 37A, 38, 39A, 44, 50, 143, 144A, 154, 229A, 230, 240, 274, 376, 459A
637 Zootypus, 545, 623 ZP1-ZP4-Proteine, 37, 39A, 49 ZPA zone of polarizing activity, 261, 274 A, 275, 276A, 270A Zunge, 190 Zungenbein, 188A, 399A Zwillinge, eineiige, 13, 49, 57, 120, 122A, 370A, 371 Zwillinge, siamesische, 120, 122A, 151, 269, 370A Zwischenhirn, s. Diencephalon Zwitter, 50, 78; s. weiter Hermaphroditen Zwittertum, 13, 17, 210; s. weiter Hermaphroditismus Zygote, allgemein, 12, 18, 20A, 22 Zygotenkern, 37A, 44, 46, 50, 152A zygotisch, zygotische Gene, allgemeine Bedeutung, 50, 92