Zimt & Vanille – eine homoerotische Geschichte von Simon Rhys Beck
© Simon Rhys Beck © Titelbild mit freundlicher Gene...
58 downloads
1121 Views
303KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Zimt & Vanille – eine homoerotische Geschichte von Simon Rhys Beck
© Simon Rhys Beck © Titelbild mit freundlicher Genehmigung von http://www.karl-mai.de Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors gestattet. Dieses ebook darf verschenkt / weitergereicht werden!
Der vorliegende Text ist erschienen in: la methode – homoerotische Kurzgeschichten dead soft verlag ISBN 978-3-934442-18-4 http://www.deadsoft.de 24 homoerotische Kurzgeschichten von jungen Autoren und Autorinnen. Von phantastisch bis real, mal zart, mal handfest. Denn die Liebe zwischen Männern hat viele Facetten. Geschichten von: Simon Rhys Beck, Norma Banzi, Justin C. Skylark, Charlotte Engmann, Medea Winter, Christel Scheja, Christopher Müller, Barbara Jung und anderen.
dead soft verlag Gay Storys mit Stil m/m fantasy, mystery, coming out, romance & crime
http://www.deadsoft.de
Zimt und Vanille von Simon Rhys Beck
»Das kann sie doch nicht machen! Ich glaube, sie wird langsam verrückt!« »Sie« – das war meine Oma Charlotte. Ich warf meiner Mutter einen Blick zu, sah ihr gerötetes, verkniffenes Gesicht. »Weihnachten ist doch ein Fest der Liebe«, murmelte ich ein wenig entnervt. Ich hatte gerade meinen neuen Roman angefangen, als meine Mutter in mein Zimmer geschneit kam. »Fest der Liebe?« Sie sah mich böse an. »Seit wann denn das?« Ich seufzte und klappte den Roman zu. »Worüber regst du dich eigentlich so auf?« Sie holte noch einmal tief Luft. »Deine verrückte Großmutter nimmt einen wildfremden Mann mit zu sich ins Haus, und du fragst, worüber ich mich aufrege?« »Ist doch nicht ihr Liebhaber, oder?« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Meine Mutter war kurz davor, mir eine zu kleben. Das tat sie aber nicht – immerhin war heute Heiligabend! »Sie verdirbt einem das ganze Fest! Einen dahergelaufenen ... Penner nimmt sie auf. Was hätte da alles passieren können!« Ich verdrehte die Augen. »Oma wird sich wohl keinen Penner ins Haus geholt haben«, setzte ich noch einmal an. Doch ich wurde sofort wieder unterbrochen. »Doch, genau das hat sie aber! Sie wird senil! Sie ...« »Vielleicht hat der Typ niemanden, der sich um ihn kümmert? Ich find’s jedenfalls okay, daß Oma so sozial ist ...« Meine Mutter tippte sich an die Stirn. »Sozial, ja? – Seit wann interessierst du dich für soziales Engagement? Du willst ja nicht mal zu Weihnachten in die Kirche!« »Was hat soziales Engagement mit der Kirche zu tun?«, fragte ich verärgert, doch meine Mutter hatte mein Zimmer bereits verlassen. Ich mußte unbedingt ausziehen. Das hielt ich nicht mehr lange aus! Und überhaupt war Weihnachten immer stressig. Da ging bei uns grundsätzlich alles drunter und drüber. Wenn ich genauer darüber nachdachte, würde ich wahrscheinlich feststellen, daß ich Weihnachten haßte. Kopfschüttelnd schlug ich mein Buch wieder auf und las so lange, bis meine Mutter die Treppe heraufrief: »Bist du umgezogen? Wir fahren in zehn Minuten los!« Mist, ich hatte die Zeit völlig aus den Augen verloren. Hastig sprang ich auf, zog mir eine schwarze Hose an, stattete dem Badezimmer einen kurzen Besuch ab und ging dann zu meinen Eltern. Mein Vater murmelte etwas von »siehst ja aus, als würde jemand beerdigt«, ließ mich aber in Ruhe. »Wer weiß, wen deine Mutter noch alles eingeladen hat?«, sagte meine Mutter zu meinem Vater. Der schwieg. »Wahrscheinlich hat sie vorher noch der Irrenanstalt einen Besuch abgestattet und die ganzen Irren zum Weihnachtsessen abgeholt!«
»Die sind sicher auch nicht verrückter als unsere Verwandtschaft«, bemerkte ich. Jetzt warf mein Vater mir einen scharfen Blick zu. »Du wirst dich ja wohl zusammenreißen können, oder? Ich möchte nicht, daß du an Weihnachten Streit mit der Familie anfängst.« Streit ... als wenn ich schon jemals Streit mit denen angefangen hatte. Die waren mir viel zu tumb. »Es reicht schon, daß unser Fest durch einen Fremden ... gestört wird«, begann meine Mutter wieder. Mann, die regte sich vielleicht auf ... Weihnachten war doch eh für’n Arsch. Was kümmerte mich da noch so ein Typ, den meine Oma aufgegabelt hatte? Ich hoffte nur, daß der ganze Mist schnell vorbei war. Vielleicht konnte ich mich betrinken? Aber drei Tage lang bewußtlos saufen? Das war auch nicht der Hit. Wir fuhren mit dem Wagen meiner Eltern zu meiner Oma. Es hatte geschneit, was zumindest meine miese Laune ein wenig verbesserte. Mein Vater fuhr so vorsichtig, daß wir doppelt so lang brauchten als sonst. Meine Verwandtschaft war bereits vollzählig versammelt – ich erkannte ihre Autos. Warum war Weihnachten noch nicht vorbei? Vielleicht sollte ich gläubig werden und ein Stoßgebet gen Himmel schicken? – Ich verwarf den Gedanken rasch wieder. Statt dessen zwang ich mich zu einem aufgesetzten Lächeln, weil ich mich daran erinnerte, wie unangenehm die Schläge waren, die mein Vater austeilen konnte. Im letzten Jahr hatte er mich richtig vermöbelt, weil ich meine Verwandtschaft hatte glauben lassen, ich sei ein Satanist. Fest der Liebe? Pah ... Meine Oma öffnete – und sie ist wirklich der einzige liebenswerte Mensch in meiner Verwandtschaft. »Hallo Oma«, sagte ich leise. Sie gab mir lächelnd einen Kuß auf die Wange. »Kommt rein. Die anderen sind schon da.« Und wirklich – dort saßen sie alle. Wie die fetten Hühner auf der Stange. Ich verachtete sie. Und doch versuchte ich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Meine Tante warf mir einen argwöhnischen Blick zu, dann sagte sie zu meinem Vater: »Dein Sohn trägt ja immer noch schwarz! Das ist wirklich gräßlich.« Ich lächelte sie kalt an. Wie gern hätte ich ihr das große Pentagramm gezeigt, das ich mir hatte auf den Rücken tätowieren lassen! Das hätte sie sicher noch gräßlicher gefunden! »Wo hast du denn diesen ... Fremden gelassen?«, fragte meine Mutter. Die Gespräche verstummten, alle sahen gespannt zu meiner Oma. »Der möchte unser Fest nicht stören«, antwortete sie schlicht. »Gisela, hilfst du mir das Essen aufzutragen?« Ich sprang sofort auf. »Ich helf dir wohl!« Traditionell gab es bei meiner Großmutter am heiligen Abend Karpfen. So auch in diesem Jahr. Ich half ihr, die Sachen auf den Tisch zu stellen, als sich mein Onkel Rainer zu Wort meldete. »Das finde ich aber nicht richtig, daß dieser Mann nicht mit uns zusammen ißt.« Meine Mutter warf ihm einen giftigen Blick zu.
»Er ist recht schüchtern und möchte gern allein bleiben«, gab meine Oma zurück. »Wahrscheinlich räumt er dir schon die ganze Bude leer«, murmelte meine Tante. Ich aß schweigend und trank in relativ kurzer Zeit ziemlich viel Wein. Vielleicht war das mit dem Betrinken doch eine Lösung? Nicht einmal so’n fremder Typ wollte mit meiner Familie Weihnachten feiern. Das sagte doch wohl alles, oder? Nach dem Essen setzten wir uns alle ins Wohnzimmer. Ich hatte schon einen im Tee und starrte fasziniert auf die Kerzen am Weihnachtsbaum. Aber niemand beachtete mich weiter. Es entbrannte eine heftige politische Debatte, die nur kurz abebbte, als meine Oma die Geschenke verteilte. Irgendwie bekam ich nicht mehr so wahnsinnig viel mit. »Wieso kommt der Typ nicht runter?«, fragte ich meine Oma. »Ich dachte, er wollte mit uns diesen ... hicks ... wunderbaren Tag feiern?« Meine Oma sah mich nachdenklich an. »Komm, Jens. Du mußt mal an die frische Luft.« »Aber warum? Mir geht’s bestens an diesem verf....«, fast hätte ich was wirklich Unanständiges gesagt, rettete mich aber gerade noch, »verflixten Tag!« Doch der Blick meiner Großmutter ließ mich verstummen. »Die Gespräche hier interessieren dich doch eh nicht.« Ich verstand nicht, warum sie mich rausschmiß, aber ich folgte ihr. Anscheinend hatte sich die ganze Welt gegen mich verschworen! – Doch, sie wollte mich gar nicht an die frische Luft setzen! Statt dessen deutete sie die Treppe nach oben. »Vielleicht braucht mein Gast ein wenig Gesellschaft ...?« Ich verdrehte die Augen. In meinem Zustand war ich wohl kein super Unterhalter mehr. »Geh’, Jens!« Unsicher erklomm ich die Treppe nach oben. Die Tür am Ende des Flurs stand offen, und warmes Licht drang hinaus bis auf den Flur. Langsam näherte ich mich dem Zimmer, dem Gästezimmer meiner Großmutter. Na gut, ich war zwar besoffen, aber vielleicht war meine Anwesenheit noch besser als allein herumzuhocken. »Hallo«, sagte ich, als ich das Zimmer betrat. Eine schlanke Gestalt, die am Fenster gestanden hatte, drehte sich zu mir um. Und mir klappte die Kinnlade herunter. – Vor mir stand ein wunderschöner Junge mit kurzen, blonden Haaren, betörend großen Augen und den sinnlichsten Lippen, die ich je gesehen hatte. Das sollte »der Penner« sein? Ich begann zu lachen, was mein Gegenüber sichtlich verwirrte. »Entschuldige«, keuchte ich zwischen zwei Lachanfällen, »Entschuldige ...« Er trat näher. »Warum lachst du?« Seine Stimme klang sanft. So sanft. Ich beruhigte mich ein wenig. »Es tut mir leid. Ich ... ich lache nicht über dich. Aber – bist du ein Engel?«, fragte ich plötzlich und kam mir im selben Moment schrecklich albern vor. Lächelnd schüttelte der Junge den Kopf. »Höchstens ein gefallener. – Ich heiße Chris. Und du bist ...?«
»Jens. – Wo hat meine Oma dich ... äh ... getroffen?« »Getroffen?« Jetzt lachte er. »Das ist das richtige Wort. Sie hat mich mit dem Auto angefahren ...« »WAS? – Davon hat sie gar nichts erzählt!« Er drehte sich um und ging zurück zum Fenster. »Kann ich mir vorstellen. Sie hat mich auch nur ganz leicht berührt. Dabei hatte ich lange, wirklich lange gewartet, bevor ich auf die Straße gesprungen bin ...« »Du ... bist auf die Straße gesprungen?« Es dauerte einen Augenblick, bis ich das verdaut hatte. »Du wolltest ... dich umbringen?« Er nickte. Dann auf einmal hektisch: »Deine Oma ist eine Heilige! Schau mal, sie hat mich nur ganz leicht gestreift ...« Er öffnete seine Hose und zeigte mir eine große, dunkelblaue Prellung auf seinem Hüftknochen. »Ich bin dann ein Stück geflogen ... nur ein paar Platzwunden ...« Ich starrte ihn an. Er hatte wirklich versucht, sich das Leben zu nehmen. Und jetzt stand er hier. Vor mir. Das hübscheste Wesen, das ich je gesehen hatte. Er zog sein Shirt aus, seine Ellbogen waren dick verpflastert. »Siehst du?« Vorsichtig, langsam ging ich auf ihn zu, als wäre er ein Reh, das ich nicht verjagen durfte. Er drehte sich wieder zum Fenster um. »Und jetzt schneit es ...«, sagte er verträumt. Ich wollte ihn so gern berühren, seinen wunderschönen Körper. Ich hatte noch niemals so etwas Schönes gesehen! Aber ich hatte Angst, ihn zu erschrecken. »Darf ich dich anfassen?«, fragte ich leise. Er sah sich nicht um. »Ja, natürlich.« Ich berührte seine Schultern, seine schmalen, weißen Schultern. Und seine Haut war so weich. Sanft legte ich die Arme um ihn. So weiche Haut. Ich sah, daß er lächelte. Er drehte sich in meinen Armen zu mir um. »Du bist betrunken, Jens.« Es war schön, meinen Namen aus seinem Mund zu hören. »Und wenn schon ... Hauptsache, dieser Traum endet nicht!« »Kein Traum.« Schüchtern küßte er mich. Seine Augen waren ganz klar, als er sagte: »Weihnachten soll doch das Fest der Liebe sein ...« Ich nickte benommen. »Dann lieb’ mich!« »Was ... was meinst du?« Ich konnte nicht aufhören, ihn anzufassen, weil er so unwirklich und seine Haut so samtig war. Er lächelte. »Du weißt schon, was ich meine ...« Ich küßte seine Stirn und seinen Hals, bedeckte ihn mit leichten, federleichten Küssen. »Vielleicht tue ich, was du möchtest ...«, flüsterte ich. »Weil du so süß bist und ich so betrunken ...« Ich spürte, wie er sich gegen mich lehnte.
»Aber du darfst mir nicht das Herz brechen!«, sagte ich. »Was tue ich, wenn du morgen nicht mehr da bist?« »Keine Angst, ich mach keinen Blödsinn ... vielleicht gibt es ja doch so etwas wie Schicksal? Einen Plan?« »Einen Plan?«, wiederholte ich und schob ihn zu dem großen, alten Bett. »Ich hab auch einen Plan ...« Chris lachte, und das klang herrlich in meinen Ohren. »Bist du nur so forsch, wenn du was getrunken hast?« Diese Frage konnte und wollte ich jetzt nicht beantworten. Ich setzte mich auf die Matratze und zog ihn zu mir herunter. »Komm her, mein Süßer«, hauchte ich in seinen Mund. Er schmeckte nach Zimt und Vanille. Mein Gott, daß Weihnachten so göttlich schmecken konnte ... Das konnte doch alles nicht wahr sein! Aber wenn ich träumte, wollte ich bitte, bitte nicht aufwachen. NIE MEHR!
Als ich später, viel später wieder aufstand, hatte es aufgehört zu schneien. Ich sah auf Chris hinunter, der nackt in dem zerwühlten Bett lag und friedlich schlief. So hübsch und so zerbrechlich. Ein leises Klopfen riß mich aus meinen Betrachtungen. Rasch zog ich meine Hose an. Wer konnte das sein? Und was sollte dieser jemand denken, wenn ich halb angezogen die Tür öffnete und im Bett hinter mir ein nackter Junge schlief? »Jens?« Ich atmete erleichtert auf. Meine Oma. Aber – was dachte sie dann bloß von mir? Ich öffnete die Tür einen Spalt. »Hi ...« »Deine Eltern sind gefahren ... zusammen mit der übrigen Familie«, erklärte sie. Ich zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Und ich ...?« Meine Oma lächelte mich wissend an. »Du bleibst hier, denke ich.« Sie fragte nicht weiter. Irgendwie schien alles auf einmal klar zu sein. »Gute Nacht. Schlaft gut«, sagte sie und wollte zu Bett gehen. »Du hast mir einen Engel zu Weihnachten geschenkt!«, flüsterte ich heiser. Sie drehte sich noch einmal um und berührte mich an der Wange. »Ich weiß.«